Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich habe zunächst eine schmerzliche Pflicht zu erfüllen.
({0})
Am Morgen des 17. Januar verstarb für uns alle unerwartet unser Kollege Wolfgang Döring. Er erlag einem Herzanfall, der den erst 43jährigen auf dem Heimweg von Bonn nach Düsseldorf traf.
Wolfgang Döring wurde am 11. November 1919 in Leipzig geboren. Er wurde Berufsoffizier und war bei Kriegsende, 1945, Hauptmann der Panzerwaffe. ) Nach dem Krieg war er mehrere Jahre Betriebsleiter einer Reparaturwerkstatt. Noch während dieser Zeit schloß er sich der Freien Demokratischen Partei an und widmete sich schließlich ganz der politischen Arbeit. Von 1950 bis 1956 bekleidete er das Amt des Hauptgeschäftsführers des FDP-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen. Die parlamentarische Arbeit führte Wolfgang Döring 1954 in den nordrhein-westfälischen Landtag, dem er bis 1958 angehörte. Im April 1955 wählten ihn seine politischen Freunde zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, im März 1956 zum Fraktionsvorsitzenden.
Dem Deutschen Bundestag gehörte der Verstorbene seit 1957 an. Seine im besten Sinne politische Begabung hat sich hier vor unser aller Augen entfaltet. Seit 1961 stellvertretender Fraktionsvorsitzender ,der FDP-Fraktion, war er im Ausschuß für Verteidigung und im Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen tätig. Er gehörte ferner dem Rundfunkrat des Deutschlandfunks an und hatte in der Bundeswehr den Rang eines Majors der Reserve inne.
Binen besonderen Vertrauensbeweis seiner Parteifreunde erhielt Wolfgang Döring, als ihn der Düsseldorfer Parteitag der Freien Demokratischen Partei im Mai 1962 zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden wählte.
Der Deutsche Bundestag hat durch den Tod Wolfgang Dörings einen schweren Verlust erlitten. Ich spreche den Hinterbliebenen des Verstorbenen und der Fraktion der Freien Demokratischen Partei die tiefe Anteilnahme des Hauses aus. - Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben; ich danke Ihnen.
Die folgende amtliche Mitteilung wind ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht ,aufgenommen:
Der Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 10. Januar 1963 auf Grund des Beschlusses des Bundestages vom 4. Mai 1961 über die Ausführung von Entschließungen berichtet, die bei der Verabschiedung das Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen gefaßt wurden. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 908 verteilt.
Wir treten in die Tagesordnung ein.
({1})
- Zur Geschäftsordnung oder zur Tagesordnung?
({2})
- Zur Tagesordnung Herr Abgeordneter Behrendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der SPD beantrage ich, die Beratung des Schriftlichen Berichts über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG, Drucksache IV/ 910, auf die Tagesordnung zu setzen. Bei der Besprechung der Tagesordnung im Ältestenrat wurde die Aufsetzung dieses Punktes auf die Tagesordnung von der CDU/CSU abgelehnt, weil sie meinte, daß zunächst Auskünfte über die finanziellen Auswirkungen eingeholt werden müßten. Dazu ist zu sagen, daß erstens die Zahl der betroffenen Personen feststeht, daß zweitens der Zeitraum festliegt, für den diese Ausnahmeregelung getroffen werden soll, und daß drittens, falls keine Regelung des Schlechtwettergeldes erfolgt, bei einer Entlassung Arbeitslosengeld gezahlt werden müßte. Man kann also praktisch übersehen, welche finanzielle Belastung auf die Bundesanstalt zukommt. Aus diesem Grunde beantragen wir, die Beratung des Berichts Drucksache IV/ 910 auf die Tagesordnung zu setzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/ CSU bitte ich, diesen Antrag abzulehnen.
Herr Kollege, es ist nicht richtig, daß wir der Aufsetzung dieses Punktes auf die Tagesordnung im
Ältestenrat mit der Begründung widersprochen hätten, die Sie vorgetragen haben. Wir haben aus zwei Erwägungen widersprochen.
Die erste war, daß die ganze Schlechtwetterregelung in diesem Winter besonders strapaziert worden und besonders folgenschwer gewesen sein kann. Deswegen erscheint es uns bedenklich, den Kreis derjenigen, die von der Schlechtwetterregelung betroffen sind, durch ein Gesetz auszuweiten, - durch ein neues Gesetz, wie man in diesem Falle wohl richtig sagen muß. Denn das alte Gesetz ist im September ausgelaufen;
Zweitens haben wir das grundsätzliche Bedenken, ein Gesetz, das im September ausgelaufen ist, im nachhinein zu verlängern, zumal das Gesetz für diesen Winter nicht mehr voll wirksam werden kann, auch wohl nicht nach Ihren Vorstellungen, sondern höchstens noch für ein, zwei Monate.
Insgesamt aber steckt in diesem Gesetz so viel an unter Umständen Präjudiziellem und deshalb folgenschwer Finanziellem - nicht in diesem einen Spezialfall, ganz bestimmt nicht; aber andere Länder oder Gebiete im Bundesgebiet, z. B. Berlin, könnten natürlich mit demselben Anliegen auf Grund des Gleichheitsgrundsatzes kommen -, daß wir bitten, das zunächst einmal gründlich zu überlegen und heute unter keinen Umständen auf die Tagesordnung zu setzen.
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist beantragt, die Beratung des Schriftlichen Berichts Drucksache IV/910 auf die Tagesordnung zu setzen. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Zu der in der Fragestunde der 54. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Januar 1963 gestellten Frage des Abgeordneten Dr. Kohut Nr. IV/ 1 *) ist inzwischen die schriftliche Antwort des Herrn Staatssekretärs Hopf vom 22. Januar 1963 eingegangen. Sie lautet:
Beim Stuben- und Spindappell in einer Kompanie einer im Raume Koblenz untergebrachten Einheit wurde der Spind eines Gefreiten wegen besonders unordentlichen und unsauberen Zustandes beanstandet und der Gefreite zum Nachappell gemeldet. Der Gefreite war wegen mangelnder Ordnung, Unsauberkeit, offenen Spindes, wegen Fehlbeständen in der Bekleidung und anderer Verfehlungen wiederholt gerügt worden. Bei dem Spindappell wurde dem Gefreiten die Frage gestellt, ob er es für richtig halte, in seinem Spind das Bild eines Mannes ({0}) aufzuhängen, der des Landesverrats dringend verdächtig sei. Der Gefreite bejahte dies und bekannte sich als eingetragenes Mitglied der für ihre Tendenzen bekannten „Vereinigung deutsche Nationalversammlung" zu der Auffassung, die seitens der „Gruppe 47" zum Problem des Landesverrats öffentlich propagiert wurde. Er erklärte, er bejahe die Verpflichtung zum Landesverrat entsprechend der Verlautbarung der „Gruppe 47".
Der Gefreite wurde wegen des Bildes nicht gerügt. Das Gespräch über das Bild wurde sachlich geführt.
Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Wir beginnen Punkt 1:
Fragestunde ({1}).
Hierzu darf ich zunächst bemerken, daß die Frage I - aus dem Geschäftsbereich des Auswärti*) Siehe 54. Sitzung Seite 2352 C
gen Amtes -- vom Fragesteller zurückgestellt worden ist. Die Frage II /1 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft soll vom Ernährungsminister beantwortet werden und wird erst bei Ziffer VIII aufgerufen.
Wir kommen zur Frage II/ 2 - des Abgeordneten Blumenfeld -:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um den deutschen Indonesienhandel und die deutsche Industrie vor den Schädigungen zu bewahren, die sich durch die von der indonesischen Regierung - entgegen den im Protokoll vom 6. Dezember 1961 gemachten Zusagen - eingerichteten Staatshandelsgesellschaften mit Ein- und Verkaufsmonopol in der Bundesrepublik ergeben?
Die Beantwortung übernimmt Herr Staatssekretär Dr. Westrick. Bitte, Herr Staatssekretär.
Wie die Bundesregierung bereits in der 13. Sitzung des Deutschen Bundestages am 31. Januar 1962 mitgeteilt hat, ist bei den Regierungsverhandlungen in Djakarta im November 1961 in das Gemeinsame Protokoll die Zusicherung der indonesischen Regierung aufgenommen worden, daß die Geschäftstätigkeit der im Ausland ansässigen Zweigniederlassungen indonesischer Staatshandelsgesellschaften nach den internationalen Handelspraktiken und den Gepflogenheiten und Bestimmungen der Gastländer ausgerichtet sein würde. Entgegen dieser Zusage ist die indonesische Regierung dazu übergegangen, die Ein- und Ausfuhren ausschließlich über die im Ausland tätigen Vertretungen der Staatshandelsgesellschaften abzuwickeln. Das Bundesministerium für Wirtschaft hat diese Entwicklung mit den betroffenen Kreisen der deuschen Wirtschaft erörtert. Auf Grund dieser Besprechungen prüft die Bundesregierung gegenwärtig die rechtlichen und sonstigen Maßnahmen, die geeignet sind, die Tätigkeit dieser Vertretungen insoweit einzuschränken, als sie mit den Regeln des internationalen Wettbewerbs unvereinbar ist.
Es wird nunmehr bald eine Entscheidung darüber zu treffen sein, ob die Tätigkeit der Vertretung der indonesischen Staatshandelsgesellschaften in der Bundesrepublik auf dem Gebiet der Einfuhr und der Ausfuhr auch in Zukunft unbeschränkt möglich sein soll oder ob sie nach § 6 des Außenwirtschaftsgesetzes von der Erteilung einer Genehmigung abhängig gemacht werden wird.
Eine Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Blumenfeld, bitte.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um die deutschen Interessen in Indonesien zu schützen?
Gerade um diese Interessen zu schützen, prüft die Bundesregierung zur Zeit noch, ob Retorsionsmaßnahmen aus Anlaß dieser protokollwidrigen Verhaltensweise der Indonesier angebracht sind.
Meine Damen und Herren, ich darf zwischendurch bekanntgeben, daß die Frage des Herrn Abgeordneten Felder zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung am Freitag aufgerufen wird.
Wir kommen nun zur Frage des Herrn Abgeordneten Ertl zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in ausgesprochen dörflichen Gebieten einzelne Bauvorhaben durch die Regelung, wie sie im Bundesbau- und Wasserhaushaltsgesetz vorgesehen ist, kaum mehr möglich sind und sich dabei ganz besonders Schwierigkeiten für die Seßhaftmachung nachgeborener Bauernkinder ergeben?
Die Beantwortung übernimmt der Herr Staatssekretär.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die behördliche Handhabung der Vorschriften des Bundesbaugesetzes über die Zulässigkeit von Bauvorhaben in den sogenannten Außenbereichen in einigen Gebieten der Bundesrepublik zu Schwierigkeiten geführt hat. Das ist vor allen Dingen in ländlichen Bereichen der Fall, in denen innerhalb der bebauten Ortslage keine Baugrundstücke mehr zur Verfügung stehen, die Gemeinde aber auch keine neuen Baugebiete plant oder erschließt. In solchen Fällen kann eine zu scharfe Handhabung der Vorschriften des Bundesbaugesetzes über die Zulässigkeit von Bauten in Außenbereichen praktisch zu einer Art von Bausperre führen. Das liegt nicht im Sinne der gesetzlichen Vorschrift, die lediglich bezweckt, die Zersiedlung der Landschaft zu verhindern.
Wir haben die letzte Besprechung mit den zuständigen Länderministern bereits dazu benutzt, diese Frage zu erörtern und auf eine sachgerechte Handhabung der bezeichneten Vorschrift hinzuwirken. Es muß angestrebt werden, daß die Durchführung eines Bauvorhabens im Rahmen einer vernünftigen baulichen Ordnung ermöglicht wird. Wir beabsichtigen, diese Frage noch einmal in einem Rundschreiben an die zuständigen Länderminister zu klären.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, wann ist damit zu rechnen, daß Ihr Rundschreiben bei den zuständigen Behörden ankommt, damit dieses schwere Problem endlich 'in einem günstigen Sinne gelöst wird?
Ich möchte annehmen: in zwei bis drei Wochen.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß es überhaupt richtig ist, daß in dieser Angelegenheit die höheren Verwaltungsbehörden - die Regierungen usw., aber auch die Wasserwirtschaftsämter - eingeschaltet werden?
Das Bundesbaugesetz schreibt vor, daß die Gemeinden vor ihrer Entscheidung die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde einholen müssen.
Herr Abgeordneter Unertl zu einer Zusatzfrage.
Bis wann ist damit zu rechnen, daß die Bundesregierung oder der zuständige Wohnungsbauminister die Länder anweist, damit - wenigstens für die Übergangszeit - hier Abhilfe geschaffen wird?
Herr Abgeordneter, ein Anweisungsrecht an die Länder hat die Bundesregierung nach der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik nicht, weil die Ausführung der Bundesgesetze in der Zuständigkeit der Länder liegt. Wir können die Länder nur bitten, auf gewisse Gesichtspunkte Rücksicht zu nehmen. Das haben wir den Länderministern auch bereits gesagt, die dafür Verständnis haben und denen diese Klagen bekannt waren. Ich habe soeben schon gesagt, daß wir in den nächsten zwei bis drei Wochen in einem Rundschreiben an die Länder auf diesen Gesichtspunkt hinweisen werden.
Noch eine Zusatzfrage!
Die Frage, Herr Staatssekretär, ist doch deswegen von uns gestellt, weil die Dringlichkeit draußen besteht. Deswegen bin ich mit Ihrer Antwort gar nicht zu frieden. Es geht doch um die Auslegung. Warum wird von den Ländern das Gesetz nicht so ausgelegt, wie Sie es uns gerade erklärt haben, damit in der Übergangszeit eine erleichterte Handhabung für die ländlichen Gebiete möglich ist?
Herr Abgeordneter, welche Erwägungen die Länderregierungen dazu veranlaßt haben, ist uns nicht bekannt. Wir können uns nur bemühen, die Gesichtspunkte durch einen Erlaß an die Länder nochmals zur Geltung zu bringen.
Herr Abgeordneter Fritsch zu einer weiteren Frage!
Herr Staatssekretär, wäre es möglich, den Begriff der sogenannten Zersiedlung, der immer wieder in den Ablehnungsbescheiden der unteren Verwaltungsbehörden auftaucht, näher zu definieren, zu begrenzen, zu umschreiben, um insoweit den unteren Verwaltungsbehörden eine gewisse Erleichterung bei ihrer Entscheidung zu ermöglichen?
Ja, wir werden uns bemühen, das in dem Runderlaß, von dem ich soeben sprach, zu tun.
Noch eine Frage!
Wäre es in diesem Zusammenhang möglich, auch den bei den unteren Verwaltungsbehörden immer wieder erscheinenden Begriff der Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses bei einer möglichen Errichtung von Bauten im Außenbereich so zu definieren wie den Begriff der Zersiedlung, damit auch hier den unteren Verwaltungsbehörden die Entscheidung ermöglicht und erleichtert wird?
Gewiß, Herr Abgeordneter, ich glaube, daß eine Verwaltungsbehörde bei einer guten Verwaltungsübung ohnehin nicht einfach den Begriff öffentliches Interesse anführen darf, ohne zu sagen, worin im konkreten Einzelfall die Verletzung dieses Interesses liegen sollte. Das verlangt eigentlich eine gute Verwaltungsübung schon. Aber wir sind selbstverständlich bereit, auch das noch einmal ausdrücklich zu betonen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Imle.
Herr Staatssekretär, erscheint es nicht zweckmäßiger, diese Genehmigung wieder in die unteren Verwaltungsbehörden, die Landratsämter, zu verlegen?
Ich glaube, Herr Abgeordneter, das könnte ein Schuß sein, der nach hinten losgeht. Gelegentlich bemüht sich die höhere Verwaltungsbehörde doch, auf eine in unserem Sinne sachgerechtere Handhabung der Vorschriften hinzuwirken, als es vielleicht - das muß nicht immer sein, das kann sehr verschieden sein - die untere Verwaltungsbehörde tut.
Aber der Grund, warum der Gesetzgeber die höhere Verwaltungsbehörde eingeschaltet hat, ist der, daß an sich ja die Entscheidung über Bauvorhaben in den Außenbereichen normalerweise in einem Bebauungsplanverfahren fallen muß, und der Bebauungsplan bedarf immer - freilich immer unter übergeordneten Gesichtspunkten - der Genehmigung des Regierungspräsidenten. Da hier die einzelne Entscheidung praktisch das Bebauungsplanverfahren ersetzt, war aus diesem Grunde eine gewisse aufsichtsbehördliche Mitwirkung - so ist es eigentlich gemeint - des Regierungspräsidenten vom Gesetzgeber bewußt gewollt.
Sind denn in Dörfern überhaupt Bauleitpläne in dieser Form möglich, wie Sie sie hier erwähnen?
Herr Abgeordneter, das kommt auf den Umfang der baulichen Entwicklung der Gemeinde an. Wir sind der Meinung, daß sicherlich nicht in jedem Dorf ein Bebauungsplan notwendig oder überhaupt möglich ist, glauben aber wohl, daß gerade im ländlichen
Bereich eine vorausschauende Planung in Zukunft in sehr viel größerem Umfange wird gemacht werden müssen, als das in der Vergangenheit der Fall war.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Unertl.
Herr Staatssekretär, warum hat denn die Bundesregierung trotz der mehrmaligen Aufforderung aus Abgeordnetenkreisen von den Ländern keinen Bericht darüber angefordert, wie sich das Bundesbaugesetz draußen in den ländlichen Gemeinden ausgewirkt hat? Gerade die Sorgen der Landkreise und Landgemeinden kommen doch hier berechtigt zum Ausdruck.
Das haben wir getan, Herr Abgeordneter. Wir hätten ja den Entschluß, uns an die Länder in einem Rundschreiben zu wenden, nicht auf Grund uns vorliegender Einzelbeschwerden gefaßt, sondern wir haben ihn gefaßt, nachdem uns klargeworden ist, daß hier ein Problem von allgemeiner Bedeutung vorliegt.
Frau Dr. Kiep-Altenloh!
Herr Staatssekretär, sehen Sie auch im Rahmen der bisherigen Gesetzgebung eine Möglichkeit, daß in Gegenden mit verstreut liegenden Bauernhöfen die Kinder auf Grundstücken ihrer Eltern wenigstens für sich selbst ein Haus errichten können?
Frau Abgeordnete, diese Möglichkeit müßte bei einer sachgerechten Handhabung der Vorschriften des Bundesbaugesetzes geschaffen werden. Unsere Vorstellung ist überhaupt die, daß man nicht mit Bauverboten arbeiten sollte, sondern daß man dem Betreffenden gleichzeitig sagen müßte - wenn er an dieser Stelle schon nicht bauen kann -, wo er denn sonst sein Bauvorhaben durchführen kann, insbesondere ihm tragbare finanzielle Bedingungen zu setzen und ihm nicht durch untragbare finanzielle Lasten praktisch jede Art der Durchführung seines Bauvorhabens unmöglich zu machen.
Herr Staatssekretär, in einem solchen Baugrundstück liegt ja häufig die einzige Erbschaft vor, die der Bauer seinen nachgeborenen Kindern geben kann. Sehen Sie da eine Möglichkeit, die heute zum Teil bestehende Unmöglichkeit zu beseitigen?
Das kommt sehr auf die örtlichen Verhältnisse an. Wenn in dem Gebiet sowieso eine Streubebauung schon vorhanden ist, dann dürfte es nicht schwierig sein. Wenn es sich aber um Gruppensiedlungen
handelt, dann ist natürlich ein Einzelbau nicht landwirtschaftlicher Art im Außenbereich in der Tat ein Problem, da es dann ja nicht bei einem Einzelbau bleibt, sondern andere Bewerber unter Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz auch die Genehmigung eines Bauvorhabens verlangen werden. Dann würde natürlich eine Zersiedlung der Landschaft eintreten, die man nicht will. Ich würde also sagen: es kommt auf den Einzelfall an.
Damit ist das Kontingent der Fragen aus diesem Bereich erschöpft.
Die nächste Frage - aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit - ist die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Aigner:
Entsprechen die Ausführungen von Peter Carsten aus Ceylon in der Ausgabe der „Münchner Abendzeitung" vom 5. Januar 1963
„Im Urwald verrotten moderne Maschinen" Untertitel: „Ein trübes Kapitel Entwicklungshilfe"
der Wahrheit?
Die Antwort gibt Herr Minister Scheel.
Im Rahmen der Kapitalhilfe wurden mit Ceylon am 6. und 16. Juli 1962 Darlehensverträge über 8 Millionen DM für den Hafenausbau in Colombo und 32 Millionen DM für die Erweiterung einer Zementfabrik abgeschlossen. Die Lieferungen für diese beiden Objekte können erst im Herbst vergangenen Jahres angelaufen sein, so daß ausgeschlossen werden kann, daß eine Präzisionsmaschine schon ein Jahr lang auf dem Flughafen ) Colombo rostet. Im übrigen überwacht die Kreditanstalt für Wiederaufbau die betreffenden Lieferungen sehr sorgfältig, so daß eine einjährige Lagerung einer hochwertigen Maschine auch grundsätzlich ausgeschlossen erscheint. Kapitalhilfe der Bundesregierung im Zusammenhang mit einem Kraftwerk wurde nicht gewährt.
Auch die Hermes Exportkreditversicherung AG übernahm für die Finanzierung von Kraftwerkanlagen seit 1951 keine Gewährleistung. Lediglich für die Lieferung einer Dampfkesselanlage, die vermutlich für ein Kraftwerk verwendet wird, wurde 1959/60 eine Kreditversicherung gewährt. Diese Lieferung ist jedoch derzeit noch nicht abgeschlossen.
Private Lieferungen von Werkzeugmaschinen durch die deutsche Industrie können im einzelnen natürlich nicht verfolgt werden. Sollte auf Grund solcher Lieferungen eine Präzisionsmaschine im Wert von 500 000 DM schon seit einem Jahr auf dem Flughafen von Colombo stehen, so betrifft dies jedenfalls nicht die deutsche Entwicklungshilfe.
Auch im Rahmen der Technischen Hilfe erscheint die Lieferung einer derartigen Maschine allen befragten Stellen unwahrscheinlich. Als Vorhaben mit größerer Maschinenausstattung, die in Ceylon durchgeführt wurden, sind nur die Lehrwerkstatt für KfzSchlosser in Colombo - das ist, wie Sie, meine Damen und Herren, wissen, ein international anerkanntes Paradestück der deutschen Technischen Hilfe - und im Rahmen der Flutkatastrophenhlife die Lieferung von Konstruktionselementen für Brücken und eine Ziegelei zu nennen. Ausrüstungsgegenstände für die Ziegelei mußten allerdings infolge von Verzögerungen der Partnerschaftsleistungen Ceylons längere Zeit im Seehafen von Colombo gelagert werden. Eine Materiallieferung im Rahmen der Technischen Hilfe für ein Kraftwerk liegt nicht vor. Die deutsche Botschaft in Ceylon wurde telegrafisch um Auskunft über die angeblich auf dem Flughafen befindliche Maschine gebeten. Wenn die Antwort der Botschaft eingegangen ist, wird sie dem Herrn Fragesteller zugänglich gemacht.
Zu einer weiteren Frage Herr Abgeordneter Dr. Aigner.
Herr Minister, sind Sie bereit, in Zukunft die deutsche Presse in bezug auf diese negativ tendenziösen Berichte stärker zu beachten und in Zukunft auf solche falschen Berichte rascher zu reagieren?
Herr Abgeordneter, leider sind in ,der deutschen Presse der vergangenen Monate häufiger Berichte zu lesen gewesen, die nicht in unbedingt objektiver Weise Darstellungen über entwicklungspolitische Maßnahmen gebracht haben. Es wäre ein leichtes gewesen, z. B. über die in der ganzen Welt anerkannte Leistung bei der Einrichtung der Kraftfahrzeugschlosser-Lehrwerkstatt in Colombo etwas zu sagen. Darüber ist leider nichts gesagt worden. Aber ich habe diesen Bericht jetzt zum erstenmal gesehen, und ich muß sagen: er fehlt mir in meiner Sammlung. Zu den vielen goldenen Bestecken, goldenen Betten, Cadillacs, marmornen Palästen, und was es mehr gibt, sind nun in literarisch nicht besonders hochwertiger, aber immerhin dekorativer Form die Orchideen hinzugetreten, die sich nach diesem Bericht malerisch aus den dort rostenden Maschinen winden.
({0})
Herr Aigner, mir scheint, Ihr Kontingent an Zusatzfragen ist erschöpft.
({0}) - Es tut mir leid.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sanger.
Herr Minister, sind Sie in der Lage, zu sagen, woran es liegt, daß die deutsche Presse unzureichend informiert zu sein scheint?
Wenn Sie den Artikel lesen, werden Sie feststellen, daß der Verfasser nicht Ihrem Berufsstand angehört, Herr Kollege Sänger, sondern offenbar als Tourist oder durch Zufall in Idas Land gekommen ist, aber nicht, um dort Recherchen anzustellen und der deutschen Offentlichkeit objektiv zu berichten. Ich könnte mir also vorstellen, daß hier eine nicht ganz umfassende berufliche Ausbildung
Grund für diese nach journalistischen Begriffen etwas lückenhafte Darstellung ist.
Noch eine Frage!
Herr Minister, Sie sind sicher bereit, den Kollegen meines Berufsstandes mit Informationen behilflich zu sein?
Ich glaube, es gibt keinen Kollegen Ihres Berufsstandes, der sich über meine Bereitschaft beklagen könnte.
Wir kommen zu der Frage aus idem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen - Frage des Abgeordneten Ertl -:
Trifft es zu, daß aus den USA Geflügelfleisch importiert wird, welches wegen der verwendeten Konservierungmittel und Futterzusätze in den USA und auch in anderen europäischen Ländern nicht verkauft werden darf?
Die Beantwortung übernimmt Frau Bundesministerin Dr. Schwarzhaupt.
Ich muß die Frage verneinen. Mir liegen keine Mitteilungen vor, daß aus den USA Geflügelfleisch importiert wird, welches wegen der verwendeten Konservierungsmittel und Futterzusätze dort nicht verkauft werden darf.
Was die Einfuhr von Geflügelfleisch aus den Vereinigten Staaten in andere europäische Länder betrifft, so ist mir bekannt, daß sie z. B. in Frankreich verboten ist. Dort besteht ein allgemeines Einfuhrverbot für Geflügelfleisch aus Ländern, die eine Verwendung von Arsen, Antimon und Oestrogenen für die Aufzucht von Geflügel dulden. Reste solcher gesundheitlich unerwünschter Futterzusätze sind aber bei Importgeflügel aus den Vereinigten Staaten im Bundesgebiet bisher meines Wissens nicht nachgewiesen worden.
Eine Anfrage bei dem amerikanischen Landwirtschaftsministerium, die das Auswärtige Amt vermittelt hat, soll klären, welche Futterzusätze bei der Aufzucht von Exportgeflügel in den Vereinigten Staaten zur Zeit verwendet werden und welche Garantien die Vereinigten Staaten bieten können, um den Export von solchem Geflügelfleisch in die Bundesrepublik zu verhindern, das etwa unter Verwendung gesundheitlich unerwünschter Futterzusätze gewonnen werden sollte.
Herr Abgeordneter Ertl zu einer Zusatzfrage!
Frau Minister, nehmen Sie an, daß die Meldungen in der deutschen Presse über aus den USA eingeführtes Geflügelfleisch auf einem Irrtum beruhen?
Sie müssen es mir überlassen, zunächst einmal den wirklichen Tatbestand festzustellen und abzuwarten, ob diese Meldung bestätigt wird.
Ich kann Ihnen aber versichern, daß wir von zwei Grundsätzen nicht abgehen werden: Erstens bin ich entschieden der Meinung, daß der deutsche Verbraucher gegenüber ,Gesundheitsgefahren aus importierten Lebensmitteln ebenso geschützt sein muß wie gegenüber Gefahren aus Lebensmitteln, die im Inland erzeugt werden. Zweitens bin ich der Meinung, daß der deutsche Erzeuger nicht wegen gesundheitspolitisch notwendiger Beschränkungen schlechter gestellt sein darf als ein Importeur.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ertl!
Frau Minister, falls es zutrifft, daß mit Hormonmitteln gefüttertes Geflügel eingeführt wird, sollte dann nach Ihrer Meinung nicht auch in Deutschland eine ähnliche gesetzliche Regelung getroffen werden, wie sie in Frankreich gilt?
Soweit dieser Nachweis erbracht werden kann, muß jedenfalls verhindert werden, daß mit Hormonen behandeltes Geflügel, dessen Gesundheitsschädlichkeit ziemlich unbestritten ist, auf den deutschen Markt kommt. Mit welchen Methoden dies geschehen muß, ist eine andere Frage.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern.
Die erste Frage ist vom Fragesteller zurückgestellt worden.
Die Frage VII/ 2 ist vom Abgeordneten Höhmann ({0}) gestellt:
Welche Vergünstigungen im Personenverkehr für Kriegsversehrte und -hinterbliebene sind seit Kriegsende aufgehoben oder eingeschränkt worden?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern!
Aufgehoben wurde bei der Deutschen Bundesbahn im Jahre 1956 zunächst die 50 %ige Fahrpreisermäßigung für unbegleitete Blinde, d. h. auch für Kriegsblinde, zu Berufsreisen. Diese Vergünstigung war praktisch bedeutungslos geworden, da es Blinden angesichts der modernen Verkehrsverhältnisse zunehmend unmöglich war, ohne Begleitung zu reisen. Die Begleitung wurde und wird unentgeltlich befördert.
Ferner wurde am 1. Januar 1963 die 50 %ige Fahrpreisermäßigung für Schwerbeschädigte, d. h. auch für Schwerkriegsbeschädigte, im Postreisedienst und auch bei der Bundesbahn aufgehoben. Diese Änderung ergibt sich aus der vom Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen erlassenen Verordnung zur Änderung der Verordnung über Gebühren im Postwesen. Dasselbe gilt für die Bundesbahn.
Eine Einschränkung hat lediglich die im Jahre 1951 erstmalig eingeführte 50 %ige Fahrpreisermäßigung im Eisenbahnverkehr für Hinterbliebene zum
Besuch von Kriegsgräbern erfahren. Diese Fahrpreisermäßigung ist am 1. Januar 1963 durch Änderung des Bundesbahntarifs auf 33 1/3% herabgesetzt worden.
Diese Angaben beziehen sich nur auf allgemein geltende Vergünstigungen. In der Kürze der Zeit, zwischen der Fragestellung und der Beantwortung konnte ich nicht erschöpfend feststellen, ob daneben auch Vergünstigungen für Kriegsbeschädigte und Hinterbliebene aufgehoben wurden, die etwa örtlich oder regional bestanden haben. Ich werde darüber weitere Nachforschungen anstellen und dann darüber einen Bericht geben.
Eine weitere Frage, Herr Höhmann!
Herr Minister, wird der Abbau dieser Vergünstigungen von Ihrem Haus als dem zuständigen Hause gutgeheißen?
Ich kann durchaus nicht sagen, daß das gutgeheißen wird. Aber die Dinge sind so, Herr Kollege, daß zunächst die Bundesbahn mit ihren Tarifeinschränkungen vorausgegangen ist und daß die Post schon wegen der Gleichbehandlung nachfolgte.
Noch eine Frage, Herr Höhmann!
B) Höhmann ({0}) ({1}) : Herr Minister, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Vergünstigungen bei der Bundesbahn gar nicht mit den Vergünstigungen gleichzusetzen waren, die die Bundespost den Kriegsbeschädigten gewährte? Sind keine Schritte von Ihrem Haus unternommen worden, um den Abbau der Vergünstigungen zu verhindern?
Wir sind gerade dabei, ernsthafte Schritte gegenüber den beiden Verkehrsträgern zu erwägen.
Die nächste Frage - die Frage VII/3 - ist ebenfalls vom Abgeordneten Höhmann gestellt worden:
Welche ursprünglich gewährten Vergünstigungen für Kriegsversehrte und -hinterbliebene außerhalb der Personenbeförderung wurden aufgehoben oder eingeschränkt?
Die Frage beantwortet der Herr Bundesinnenminister.
Von der Aufhebung einer Vergünstigung für Kriegsbeschädigte und Hinterbliebene außerhalb der Personenbeförderung könnte allenfalls bei den Freibeträgen in der Einkommen- bzw. Lohnsteuer gesprochen werden. Diese Freibeträge sind aber inzwischen nicht unerheblich angehoben worden.
Die Frage, inwieweit Eintrittspreisermäßigungen bei kulturellen Veranstaltungen seit Kriegsende aufgehoben oder eingeschränkt worden sind, läßt sich nicht einheitlich beantworten. Diese Vergünstigung ging auf eine Anordnung der sogenannten Reichskulturkammer vom 3. Juli 1940 zurück. Seit Kriegsende werden Eintrittspreisermäßigungen für Schwerkriegsbeschädigte vielfach freiwillig, allerdings in unterschiedlicher Höhe, weiter gewährt.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Höhmann!
Halten Sie es für wünschenswert, Herr Minister, daß besonders die Eintrittspreisermäßigung bei kulturellen Veranstaltungen generell wieder eingeführt wird?
Durchaus.
Eine weitere Zusatzfrage!
Wären Sie bereit, dem Hause oder mir als dem Fragesteller schriftlich darüber zu berichten, welche Maßnahmen geplant sind? Ich nehme an, daß es bei der Kürze der Zeit wohl nicht möglich war, dabei noch zusätzlich solche Dinge zu überlegen.
Ja.
Frage VII/ 4 - des Abgeordneten Dr. Kliesing -:
Hält der Herr Bundesinnenminister eine Fortzahlung des Kinderzuschlages über das vollendete 25. Lebensjahr hinaus in solchen Fällen für gerechtfertigt, in denen die Berufsausbildung infolge der Ableistung des Grundwehrdienstes zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen werden konnte?
Zur Beantwortung der Herr Bundesinnenminister!
Die Frage wird mit Ja beantwortet. Nach § 18 Abs. 4 des Bundesbesoldungsgesetzes wird der Kindergeldzuschlag über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt, wenn sich die Schul- oder Berufsausbildung des Kindes über diesen Zeitpunkt hinaus aus einem Grund verzögert, der nicht in der Person des Beamten oder des Kindes liegt. Die Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht ist ein solcher Grund. Hierauf ist auch :in den Verwaltungsvorschriften zum Bundesbesoldungsgesetz ausdrücklich hingewiesen.
Noch eine Frage, Herr Dr. Kliesing!
Herr Minister, würden Sie so freundlich sein, das einmal in Zusammenarbeit mit dem Bundesverteidigungsministerium zu klären, weil offensichtlich diese Auffassung doch noch nicht bekannt ist.
Sehr gern.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten,
Vizepräsident Schoettle
zunächst Frage VIII/ 1 - des Herrn Abgeordneten Porten
Trifft es zu, daß die deutschen Mühlen augenblicklich nur unzureichend mit Roggengetreide versorgt und dadurch bei Roggenfabrikaten Preissteigerungen zu erwarten sind?
Die Frage wird vom Herrn Bundesernährungsminister beantwortet.
Es trifft nicht zu, daß die westdeutschen Mühlen in ihrer Gesamtheit mit Roggen unzureichend versorgt sind. Erhebungen ergaben, daß die Mühlen im bundesgebietlichen Durchschnitt am Anfang des Monats Dezember 1962 über 212 000 t Roggen - das entspricht einem Mahlbedarf von 67 Tagen - verfügten. Im Jahre davor waren die Mühlen nur mit 152 000 t Roggen, d. h. mit einem Mahlbedarf von 48 Tagen, bevorratet.
Ferner befanden sich Anfang Dezember noch bei Handel und Genossenschaften 289 000 t Roggen, ein Jahr zuvor dagegen nur 164 000 t.
Außerdem beliefen sich die Roggenvorräte in der Landwirtschaft Ende November 1962 auf 1,7 Millionen t, im Vorjahre dagegen auf 1, 33 Millionen t.
Aus diesen Zahlen ergibt sich, daß die Versorgungsstörungen nur gebietlicher und saisonaler Natur sind; sie werden zur Zeit noch durch transporttechnische Schwierigkeiten verstärkt. Da es sich um keine Mengenfrage, sondern um eine vorübergehende Preisproblematik handelt, kann davon ausgegangen werden, daß sich die Lage auf dem Roggenmarkt in nächster Zeit wieder entspannt. Im übrigen wird das Marktgeschehen laufend beobachtet, damit gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden können.
Eine weitere Frage, Herr Porten!
Herr Minister, ist Ihnen denn bekannt, daß die Konventionsmühlen bereits seit Wochen einen Aufpreis von 1 bis 2 DM je Doppelzentner erheben, und was gedenken Sie angesichts der Tatsache zu tun, daß hier der genehmigte Konventionspreis überschritten wird?
Herr Kollege, vielleicht darf ich mit Einverständnis des Herrn Präsidenten Ihre zweite Frage gleich beantworten. Ich glaube, sie deckt sich zum Teil mit dem Inhalt Ihrer Zusatzfrage.
Dann rufe ich zusätzlich die Frage VIII/ 2 - des Herrn Abgeordneten Porten - auf:
Welche Möglichkeiten hat die Einfuhr- und Vorratsstelle, um durch Auslagerung von Roggen den Engpaß in der Versorgung der deutschen Mühlen mit Roggengetreide zu beseitigen?
Mitte Dezember 1962 sind für die Gebiete, in denen das Roggenaufkommen unzureichend war, rund 19 000 t Roggen über die Einfuhr- und Vorratsstelle zur Verfügung gestellt worden.
Sollte es sich herausstellen, daß die Menge unzureichend war, können weitere 25 000 t Roggen bereitgestellt werden.
Mit diesen Ausführungen wollte ich zum Ausdruck bringen, Herr Kollege, daß der Bundesregierung, d. h. in diesem Fall dem Ernährungsministerium, klar ist, daß die von Ihnen gerügten Mängel vorliegen. Sie sind aber nur örtlicher Natur. Um örtliche Schwierigkeiten zu beheben, haben wir, wie ich gerne zugebe, allerdings keine großen Mengen zur Verfügung gestellt. Uns ist bekannt, daß örtlich etwa in dem Rahmen der von Ihnen genannten Preise mehr für Roggen ausgegeben werden muß, als normalerweise notwendig wäre.
Herr Minister, haben Sie zu dieser Preiserhöhung die Genehmigung erteilt? Es handelt sich hier doch um Konventionspreise.
Nein, wir haben es hier nicht mit Testpreisen zu tun. Vielmehr können sich die Preise nach oben entwickeln; es ist lediglich notwendig, daß die Richtpreise eingehalten werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel!
Herr Minister, worauf sind denn nun die Preissteigerungen zurückzuführen, und was hat die Regierung getan, um diese Preissteigerungen zu verhindern?
Herr Kollege Ritzel, die Preissteigerungen sind darauf zurückzuführen, daß Futtergerstenpreis und Braugerstenpreis als eine Einheit gesehen werden mußten, da wir keine Kriterien hatten, die es uns ermöglichten, die Braugerste für sich zu behandeln. Dadurch ist der Futtergerstenpreis relativ hoch angesetzt worden. Auf Grund dieser Tatsache haben sich nunmehr die Brotgetreidepreise mehr nach oben entwickelt, als beabsichtigt war. Bei dem großen Experiment, das wir vor einem Jahr gemacht haben, nämlich bei der Umgestaltung der alten, eingefahrenen deutschen Agrarmarktordnung zu der neuen Agrarmarktordnung der SechserGemeinschaft, waren gewisse Schwierigkeiten von vornherein nicht zu vermeiden. Dies, nehmen wir an, sind Kinderkrankheiten, die im nächsten Jahre behoben werden müssen. Wir dürfen aber nach dem Vertrage innerhalb eines Getreidewirtschaftsjahres keine Schwellenpreisveränderung vornehmen. Das trifft genau das, wonach Sie eben zweifellos gefragt haben. Es ist uns durch den Vertrag untersagt, während eines Getreidewirtschaftsjahres Preisänderungen in irgendeiner Form zu verfügen.
Noch eine Frage, Herr Ritzel?
Herr Minister, können Sie dieses Hindernis nicht beseitigen, das Ihnen bis jetzt nach Ihrer Darstellung nicht erlaubt, offensichtlich ungerechtfertigte Preisentwicklungen abzustellen?
00 Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Wir sind nicht in der Lage, Verordnungen, die im Ministerrat beschlossen worden sind, unsererseits irgendwie zu ändern. Hierzu ist eine qualifizierte Mehrheit notwendig, und die werden wir im Augenblick nicht erhalten.
Darf ich die weitere Frage -
Ihr Kontingent ist leider erschöpft, Herr Kollege Ritzel.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Frehsee!
Sind Sie der Meinung, Herr Minister Schwarz, daß es an der EWG-Verordnung liegt, oder sind Sie nicht vielmehr der Meinung, daß es an dem deutschen Durchführungsgesetz zu dieser EWG-Verordnung liegt, daß die Getreidepreise, insbesondere die Futtergetreidepreise, sich in dieser unerwünschten Weise entwickelt haben?
Die Futtergetreidepreise beruhen auf einer Vereinbarung, die innerhalb der Sechs getroffen wurde und die die deutsche Delegation angesichts der Schwierigkeiten bei der Braugerste forderte. Wir haben die Einwilligung bekommen. Wenn Sie darauf abstellen, wer hier gewünscht und gefordert hat, so gebe ich Ihnen darin recht, daß die deutsche Delegation im Sinne einer ausreichenden Preisgestaltung der Braugerste tätig war.
Noch eine Frage, Herr Frehsee?
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es zu diesen Schwierigkeiten nicht gekommen wäre, wenn die sozialdemokratischen Anträge bei der zweiten und dritten Beratung des deutschen Durchführungsgesetzes zu dieser EWG-Verordnung, das am 27. und 29. Juni 1962 hier im Bundestag behandelt worden ist, angenommen worden wären?
Herr Kollege Frehsee, ich möchte nicht auf alles das zurückkommen, was man hätte tun können. Ich darf Sie daran erinnern, daß auch mein Ministerium der Auffassung war, die Reports sollten nicht in dieser Höhe festgesetzt werden, wie sie schließlich festgesetzt worden sind, wobei wir im übrigen damals d'accord waren.
Herr Abgeordneter Ertl zu einer weiteren Frage!
Herr Minister, hat die Bundesregierung bei der EWG-Kommission in Brüssel beantragt, für das kommende Getreidewirtschaftsjahr eine Trennung zwischen Futtergerste- und Braugerstepreisen zu ermöglichen?
Wir haben einen Beschluß durchgesetzt, auf Grund dessen der Ministerrat die Kommission beauftragt, die Kriterien festzulegen, nach denen Braugerste einer besonderen Regelung unterworfen werden kann. Die Kommission hat sich hierzu noch nicht geäußert.
Wir kommen zur Frage VIII/3 - des Abgeordneten Tobaben -:
Ist es der Bundesregierung bekannt, daß das Gesetz zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft in den Ländern unterschiedlich ausgelegt wurde und dadurch eine unerträgliche Rechts- und Wettbewerbsungleichheit entstanden ist?
Der Bundesregierung ist bekannt, .daß das Gesetz zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft in den Ländern unterschiedlich ausgelegt wird. Wir halten eine einheitliche Auslegung für notwendig.
Keine weitere Frage?
Ich rufe auf Frage VIII/ 4 - des Herrn Abgeordneten Tobaben -:
Ist die Bundesregierung bereit, sich durch Richtlinien an die Länder dafür einzusetzen, daß in der Auslegung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft in allen Ländern nach den gleichen Grundsätzen verfahren wird?
Die Bundesregierung ist damit befaßt, durch Runderlaß an die Länder eine einheitliche Anwendung der Durchführungsverordnungen des oben genannten Gesetzes herbeizuführen.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Tobaben!
Ist die Bundesregierung bereit, diese Aktion zu beschleunigen, damit auch in Niedersachsen, das besonders betroffen ist, die Betriebe, die ganz erheblich unter der Nichtauszahlung der Beträge leiden, endlich zu ihrem Recht kommen?
Die Bundesregierung ist sich der Notwendigkeit einer dringlichen Behandlung dieser Angelegenheit voll bewußt. Wir haben jedoch auf die Landesregierungen Rücksicht zu nehmen. Es sind verschiedene wirtschaftspolitische, rechtliche und auch Haushaltsfragen zu klären, so daß ich um Entschuldigung dafür bitten muß, daß die Angelegenheit nicht schneller bereinigt werden kann. Wir haben durchaus Interesse daran.
Ich rufe auf die Frage VIII/ 5 - des Abgeordneten Ritzel -:
Ist die Bundesregierung bereit, ire Verordnungswege zur Vorbereitung eines neuen Tierschutzgesetzes das Elend der allen Unbilden der Witterung erbarmungslos ausgesetzten Kettenhunde, etwa nach dem Vorbild des dänischen Staates, zu ändern?
Bitte, Herr Bundesminister!
Nach § 2 Nr. 1 des Tierschutzgesetzes ist es verboten, ein Tier in Haltung, Pflege oder Unterbringung derart zu vernachlässigen, daß es dadurch erhebliche Schmerzen oder erheblichen Schaden erleidet. Gemäß § 9 Abs. 3 Nr. 1 des Gesetzes wird derjenige, der gegen diese Vorschrift verstößt, bestraft. Sofern die Zuwiderhandlung auch den Tatbestand der Tierquälerei im Sinne des § 1 des Gesetzes erfüllt, erfolgt die Bestrafung nach § 9 Abs. 1.
Es bedarf keiner Frage, daß ein Hund, der so kurz an die Kette gelegt ist, daß er kaum eine Möglichkeit zur freien Bewegung hat, oder der in einem Raum untergebracht ist, der keinen ausreichenden Schutz vor den Unbilden der Witterung - namentlich in der kalten Jahreszeit - bietet, oder dessen Unterkunft sich in einem dauernd schmutzigen Zustand befindet, im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen vernachlässigt oder gar gequält wird.
Die Klarheit und Eindeutigkeit der gesetzlichen Bestimmungen bieten also hinsichtlich der Haltung von Wachhunden an der Kette ausreichende Schutzmöglichkeiten.
Unter diesen Umständen ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es - auch im Interesse des allgemeinen Tierschutzes - nicht besonderer Ausführungsvorschriften zum Tierschutzgesetzes bedarf, um eine humane Behandlung sogenannter Kettenhunde in tierschutzrechtlicher Hinsicht sicherzustellen.
Ich darf in diesem Zusammenhang bemerken, daß vom Deutschen Tierschutzbund in enger Zusammenarbeit mit den landwirtschaftlichen Verbänden seit Monaten eine umfangreiche Aufklärung durchgeführt wird, die in den Fällen, in denen Mißstände bei der Haltung von Wachhunden festgestellt wurden, zur sofortigen Abstellung geführt haben.
Herr Ritzel zu einer weiteren Frage!
Haben Sie eine Übersicht, Herr Ernährungsminister, über die Zahl der Anzeigen und über die Zahl der Verurteilungen, die aus Anlaß der Verletzung der von Ihnen zitierten Bestimmungen des heute geltenden Tierschutzrechts erfolgt sind?
Herr Kollege Ritzel, eine solche Aufzeichnung habe ich nicht. Mir sind solche Angaben im einzelnen nicht bekannt. Das ist Sache der Länder, und wir müßten uns in diesem Falle von allen Ländern die entsprechenden Daten geben lassen.
Noch eine Frage, Herr Ritzel!
Haben Sie veranlaßt, Herr Minister, daß Ihr Haus mit den Ländern in Verbindung getreten ist, um dafür zu sorgen, daß die Bestimmungen des Bundestierschutzgesetzes beachtet werden?
Herr Kollege Ritzel, wir haben bei Länderreferentenbesprechungen immer wieder, auch angesichts der zum Teil bedauerlichen Vorkommnisse bei Pferdetransporten, darauf hingewiesen, daß die Bestimmungen unter allen Umständen genau innegehalten werden müssen. In diesem Einzelfall kann ich Ihnen keine Auskunft geben, ob hier auch entsprechende Besprechungen stattgefunden haben. In jedem Fall aber darf ich feststellen, daß es eine absolute Länderangelegenheit ist.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Büttner!
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, den Gemeinden über die Landesregierungen zu empfehlen, den Tierhaltern, die sich durch eine besonders gute Pflege auszeichnen, einen Vorzug hinsichtlich der Hundesteuer zu gewähren?
Herr Kollege, das ist ein so umfangreiches Thema mit solchen Konsequenzen, daß ich Ihnen hier keine Zusage geben kann, obschon ich es gern tun würde. Selbstverständlich liegt mir wie meinem Hause daran, uns schützend vor die Tiere zu stellen. Aber dies ist eine sehr weitgefaßte Frage, und ich bitte um Verständnis, daß ich hier nicht ohne weiteres eine Zusage geben kann. Ich darf es als Anregung benutzen, Herr Kollege.
Herr Abgeordneter Büttner zu einer zweiten Frage!
Darf ich aus Ihrer Auskunft entnehmen, Herr Bundesminister, daß Sie bereit sind, gelegentlich einer Länderbesprechung in dieser Richtung tätig zu werden?
Ich werde das gerne tun.
Herr Abgeordneter Dresbach zu einer Frage!
Verehrter Herr Kollege, da ich zu Hause einen sehr netten Spitz habe, habe ich durchaus Verständnis für Ihre Empfehlung. Aber ist Ihnen nicht bekannt, daß die Hundesteuer nach dem Grundgesetz eine Steuer mit örtlich begrenztem Wirkungskreis ist und deshalb Ihre Frage leider nicht an die richtige Adresse gerichtet ist?
Herr Abgeordneter Dr. Dresbach, ich muß Sie meinerseits darauf aufmerksam machen, daß Fragen von Abgeordneten an Abgeordnete in der Fragestunde eigentlich nicht gestellt werden dürften.
({0})
Hochverehrter Herr Präsident, würden Sie Ihre lichtvollen Äußerungen noch einmal wiederholen?
Ja, ich werde es gerne tun. Ich wollte Sie darauf aufmerksam gemacht haben, daß in der Fragestunde Fragen von Abgeordneten an Abgeordnete eigentlich nicht zulässig sind.
Man lernt nie aus.
({0})
Eine weitere Frage - aber sie muß zur Sache gehören!
Sind Sie nicht auch der Ansicht, Herr Minister, daß es gerade angesichts der jetzt herrschenden Witterung der Sache dienlich wäre, wenn Sie in einem Aufruf an alle zuständigen Stellen auch das Schicksal dieser Tiere herausheben und Anregungen dafür geben würden, wie man es in der Zukunft durch geeignete Unterkünfte usw. verbessern kann?
Herr Kollege, die Frage läuft auf dasselbe hinaus wie die Frage zuvor. Ich bin gerne bereit, mit den Landesregierungen dieserhalb Fühlung zu nehmen. Aber ich darf hinzufügen, daß man auch den Landesregierungen innerhalb ihres Bereichs jene Möglichkeiten allein überlassen sollte, die ihnen nach dem Grundgesetz zustehen.
Darf ich mich recht verstanden wissen, wenn ich glaubte, daß ein Minister abgesehen von der vorhandenen oder nicht vorhandenen Möglichkeit, Weisungen an Landesregierungen zu erteilen, auch so viel Resonanz hat, daß ein allgemeiner Aufruf für eine gute Sache angebracht ist und bei der Achtung, die der Bundesregierung allgemein entgegengebracht wird, seine Wirkung nicht verfehlt?
An einem solchen Vorhaben soll es auch nicht fehlen, Herr Kollege.
Viezpräsident Schoettle: Herr Dröscher, wollen Sie zu diesem Punkt sprechen?
({0})
- Nein, Sie sind nicht der nächste!
Ich rufe die Frage II/ 1 - des Herrn Abgeordneten Dr. Imle - auf:
Sind die im Haushalt unter dem Titel Förderung der vertikalen Verbundwirtschaft vorgesehenen Ansätze auch bestimmt für die Stützung von Unternehmen der hier in Frage kommenden Art der freien gewerblichen Wirtschaft?
In dem Entwurf des Haushaltsplans 1963 hatte sich die Bundesregierung unter den Vorbemerkungen zu Kap. 10 02 Vorschläge unter Punkt 4 für die vertikale Verbundwirtschaft vorbehalten. Von diesem Vorbehalt hat die Bundesregierung keinen Gebrauch gemacht.
Zur vertikalen Verbundwirtschaft sind nach dem heutigen Stand des Haushaltsplans 1963 ebenso wie im Vorjahr zu zählen die Maßnahmen aus Einzelplan 10 Kap. 10 02 Tit. 629 d) für den Ausbau von Absatz- und Verwertungseinrichtungen für Großvieh einschließlich Schweine und e) für den Ausbau von Absatz- und Verwertungseinrichtungen für Schlachtgeflügel, Eier und Honig.
Dasselbe gilt entsprechend für die Maßnahmen aus Tit. 673 b Punkt 5: Zinsverbilligung zur Förderung des Absatzes landwirtschaftlicher Erzeugnisse.
Die hierfür bestimmten Regelungen sehen, wie schon aus meiner Antwort an Sie, Herr Kollege, in der Fragestunde der 10. Sitzung des Bundestages vom 18. Januar 1962 hervorgeht, „eine gleichmäßige und gerechte Behandlung aller Wirtschaftskreise", also auch der gewerblichen, vor.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Imle.
Herr Bundesminister, kann das in den Richtlinien zum Grünen Plan noch besonders verankert werden?
Wir haben aus der Handhabung im vergangenen Jahr keinerlei Beschwerden oder Klagen erhalten und haben auch in den neuen Richtlinien genau denselben Standpunkt zu vertreten, den wir im vergangenen Jahr vertreten haben, nämlich unserer gewerblichen Wirtschaft keinerlei Schwierigkeiten durch eine einseitige Bevorzugung irgendwelcher landwirtschaftlicher Gemeinschaften zu bereiten.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe auf die Frage IX/ 1 - des Herrn Abgeordneten Dröscher -:
Ist die Bundesregierung bereit, die Versorgungsbehörden in geeigneter Weise darauf aufmerksam zu machen, daß die bisherigen Vorstellungen über die Möglichkeit, im Falle der Elternversorgung auf vorhandenen oder abgegebenen Grundbesitz, der landwirtschaftlich genutzt wird, zurückzugreifen, den heutigen Gegebenheiten, insbesondere in den von der Natur benachteiligten Gebieten, nicht mehr entsprechen?
Herr Kollege Dröscher, bei der Bemessung der Elternrente sind nach den Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes die Einkünfte der versorgungsberechtigten Eltern anzurechnen. Dazu gehören auch die Einkünfte aus Landwirtschaft. Die Bundesregierung ist daher nicht befugt, auf die Versorgungsbehörden in dem von Ihnen verlangten Sinne einzuwirken.
Eine weitere Frage, Herr Dröscher.
Herr Bundesminister, unter der Voraussetzung Ihrer Übereinstimmung mit mir, daß der hier geschilderte Tatbestand zutrifft, nämlich der, daß sich die landwirtschaftlichen Einkommen - wenigstens im Verhältnis zu anderen Einkommen - in den letzten Jahren vermindert haben, frage ich Sie: Wären Sie bereit, an einer Änderung in der Einstellung der Versorgungsbehörden z. B. in dem Falle mitzuwirken, daß notarielle Pflege- und Beköstigungsverträge wegen dieser Einkommensentwicklung einfach nicht mehr realisiert werden können?
Herr Kollege, die Frage, die Sie mir stellen, ist nicht einfach zu beantworten. Dürfte ich Ihnen folgenden Vorschlag machen? Ich werde in Kürze den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung der Kriegsopferversorgung vorlegen. Dabei möchte ich mich auch mit der Frage der Elternversorgung beschäftigen. Würden Sie es mit mir nicht für zweckmäßiger halten, daß wir uns dann über diese Fragen unterhielten und sie in den Kreis der Betrachtungen zu einem Neuordnungsgesetz einbezögen?
Ich bin damit einverstanden.
Die nächste Frage -Frage IX/ 2 - kommt vom Herrn Abgeordneten Riegel ({0}) :
Welche Mittel wurden vom Bund aufgewendet, um das Problem des Phantom-Schmerzes der amputierten Kriegsbeschädigten wissenschaftlich zu erforschen und Methoden der wirksamen Bekämpfung zu entwickeln?
Die Beantwortung erfolgt durch den Herrn Bundesarbeitsminister.
Herr Kollege Riegel, mit dem PhantomSchmerz beschäftigt sich die allgemeine medizinische Forschung, vor allem in der Neurochirurgie, in der Neurologie, in der Orthopädie und der Psychiatrie, intensiv schon seit Jahrzehnten. Es erschien daher nicht notwendig, lediglich für die Erforschung der Probleme des Phantom-Schmerzes Mittel aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung zu stellen.
Der Phantom-Schmerz ist bekanntlich eine Folge der Amputation. Für die Amputiertenforschung, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen von Amputationen auf die verschiedenen Organe und Funktionen, wurden rund 140 000 DM ausgegeben. Hierin sind nicht die Mittel für die Forschung nach zweckmäßiger orthopädischer Versorgung enthalten.
Noch eine Frage, Herr Riegel.
Herr Bundesminister, können wir einen Bericht darüber bekommen, welche Forschungsergebnisse erzielt wurden?
Herr Kollege, über ein so umfangreiches und schwieriges medizinisches Gebiet kann ich so nicht berichten; dann müßte ich Ihnen schon eine Zusammenstellung all der Ergebnisse dieser Forschung machen. Das würde aber eine sehr umfangreiche Arbeit.
Ich habe eine schriftliche Zusammenstellung gemeint, Herr Bundesminister.
Ich werde mich darum bemühen und sie Ihnen zustellen, Herr Kollege, soweit sich das bei der Schwierigkeit der Materie machen läßt.
Die Frage IX/ 3 kommt ebenfalls von Herrn Riegel:
Welche wissenschaftlichen Institute haben Mittel und in welcher Höhe für die Forschung auf dem Gebiet der prothetischen Versorgung für Amputierte erhalten?
Herr Kollege Riegel, für Forschungs-, Entwicklungs- und Prüfaufgaben auf dem Gebiet der Orthopädie-Technik wurden folgende Mittel verausgabt:
1. An wissenschaftliche Institute: a) Forschungsinstitut mit Prüfstelle für künstliche Glieder bei der Technischen Universität Berlin in den Jahren 1950 bis 1962 zusammen DM 383 860
b) Forschungswerkstatt bei der Orthopädischen Universitäts-Klinik Münster in den Jahren 1951 bis 1962 zusammen DM 608 975
c) Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie, Dortmund, in den Jahren 1950-1959 zusammen DM 261 900. Das sind DM 1 254 735.
2. An sonstige Einrichtungen: a) Bundesfachschule - mit Forschungs- und Entwicklungsstelle - des Orthopädiemechanikerhandwerks, Frankfurt/ M., in den Jahren 1954-1955 und 1961-1962 zusammen DM 85 776
b) Beirat für Orthopädie-Technik beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung in den Jahren 1950-1962 zusammen DM 212 361. Das sind DM 298 137.
Insgesamt sind das von 1950-1962 DM 1 552 872.
Eine weitere Frage, Herr Kollege.
Herr Bundesminister, welcher Weg wird gegangen, um die Forschungsergebnisse dem Praktiker mitzuteilen und letzten Endes dem Amputierten zuteil werden zu lassen?
Soweit wir die Forschungsergebnisse anfordern und sie bei uns eingehen, werden sie natürlich den Praktikern zugänglich gemacht. Wie Sie
wissen, haben wir im Bundesarbeitsministerium auch einen Orthopädieausschuß, von wo aus die Dinge weiter an an die Praktiker herangetragen werden. Wir sind gerade im Begriff, ihn neu zu gestalten, und zwar deshalb, weil in der Orthopädie neue Bearbeitungsmethoden aufgekommen sind und neue Materialien herangezogen werden und der Ausschuß in seiner bisherigen Zusammensetzung daher vielleicht nicht mehr ganz der rechte war. Aus diesem Grunde bin ich dabei, ihn umzubilden.
Noch eine Frage?
Ist dafür Sorge getragen, daß die orthopädischen Versorgungsstellen auch entsprechend den Forschungsergebnissen den Orthopäden bzw. den Amputierten Bewilligungen erteilen?
Sie werden laufend von uns unterrichtet. Mehr können wir nicht tun.
Herr Bazille zu einer weiteren Frage.
Ist Ihnen bekannt, Herr Minister, daß die führenden Wissenschaftler die Forschungsmittel, die seitens der Bundesregierung aufgewendet werden, für völlig unzulänglich halten?
Das ist mir nicht bekannt. Bisher sind Klagen darüber aus den Kreisen führender Wissenschaftler an mich nicht herangetragen worden.
Eine weitere Frage, Herr Höhmann.
Herr Minister, wenn sich herausstellen sollte - und ich glaube, das ist sehr bald nachzuweisen -, daß führende Wissenschaftler doch der Meinung sind, daß die Ansätze viel zu niedrig sind, sind Sie dann bereit, bei den Haushaltsberatungen oder bei der Erstellung des Haushalts für das Jahr 1964 entsprechende Konsequenzen daraus zu ziehen?
Ja.
Wenn dem amtierenden Präsidenten zwar keine Frage, aber eine Berner-kung gestattet ist, dann folgende. Man kann hier nicht sagen, man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Aber man kann buchstäblich sagen, man sieht vor lauter stehenden Abgeordneten manchmal in der Fragestunde die Fragesteller nicht. Es wäre vielleicht zweckmäßig, wenn man das gelegentlich berücksichtigte. Das wäre für den amtierenden Präsidenten ein wahres Geschenk. - Das nebenbei.
Ich rufe auf die Frage X/1 - des Abgeordneten Dr. Mommer -:
Wie war es möglich, daß zum 1. Januar 1963 zusätzlich zu der Tariferhöhung für Wochen- und Monatskarten für Bundesbahnbenutzer zwischen Bietigheim und Kornwestheim die Fahrkosten um mehr als 30 DM jährlich dadurch erhöht wurden, daß die Entfernung zwischen den beiden Städten von 13 auf 14 km her,- aufgesetzt wurde?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Seiermann vom 21. Januar 1963 lautet:
Bei Gelegenheit der Anhebung der Fahrpreise am 1. Januar 1963 hat die Deutsche Bundesbahn gleichzeitig die Entfernungsberechnung für Streckenzeitkarten ({0}) geändert. Während für alle übrigen Fahrkartensorten im Jahre 1951 ein vereinfachtes Verfahren zur Ermittlung der maßgeblichen Entfernungen eingeführt worden war, hatte man es für die Streckenzeitkarten zunächst beim alten Verfahren belassen, d. h., man war bei der Berechnung der Fahrpreise nach den im Einzelfall tatsächlich vom Reisenden zurückgelegten Entfernungen verblieben. Der Grund für diese Zweiteilung hatte darin gelegen, daß die Bundesbahn hei Berücksichtigung der tatsächlichen Strekkenlängen - insgesamt betrachtet - höhere Einnahmen erzielte. Sie hatte damals geglaubt, auf diese höheren Einnahmen aus den Streckenzeitkarten nicht verzichten zu können, weil bekanntermaßen der Berufs- und der Schülerverkehr defizitär sind.
Das Nebeneinander verschiedener Entfernungen für die verschiedenen Kartensorten hat nicht nur innerbetrieblich zu Irrtümern und Verwechslungen Anlaß gegeben, sondern auch wiederholt zu Beanstandungen durch die Eisenbahnbenutzer geführt. Die Bundesbahn hat sich deshalb trotz des Einnahmeverlustes nunmehr dazu entschlossen, ihren Tarifen einheitliche Entfernungen zugrunde zu legen. In den meisten Fällen führte diese Maßnahme für die Benutzer der Streckenzeitkarten zu Ersparnissen. Nur in 9 % aller Fälle war das Ergebnis eine Erhöhung der Entfernung um 1 oder höchstens 2 km. Die Strecke Bietigheim-Kornwestheim gehört zu den relativ wenigen Verbindungen, in denen nach der Umstellung des Zeitkartentarifs nunmehr zusätzliche Verteuerungen eingetreten sind. Die sich aus dem Entfernungszeiger ergebende Distanz von 13,5 km wird neuerdings wie bei den übrigen Fahrkarten auf 14 km aufgerundet. Daraus ergibt sich für die Wochenkarte eine zusätzliche Verteuerung um 0,60 DM und für die Monatskarte eine solche um 2,- DM. Die jährliche Mehrbelastung beläuft sich also, wenn man die Urlaubszeiten usw. außer Betracht läßt, auf 24,- bzw. 31,20 DM.
Die Tarifumstellung hat der Deutschen Bundesbahn einen nicht unbeträchtlichen Rationalisierungseffekt gebracht. Unter diesen Umständen konnten meines Erachtens gewisse Mehraufwendungen durch einzelne Bahnbenutzer in Kauf genommen werden, um so mehr, als die Gesamtbelastung des Berufs- und Schülerverkehrs auf diese Weise etwas verringert worden ist.
Frage X/2 - des Herrn Abgeordneten Felder -:
Welche Schlußfolgerungen zieht das Bundesverkehrsministerium aus den Untersuchungsergebnissen des Frankfurter BattelleInstituts über die Zweckmäßigkeit der Verwendung von Sicherheitsgurten in Kraftfahrzeugen?
Die Frage wird durch Herrn Staatssekretär Seiermann beantwortet.
Die Untersuchungen des Battelle-Instituts in Frankfurt, die im Rahmen eines von unserem Hause erteilten Forschungsauftrags durchgeführt worden sind, sollten nicht so sehr die Frage der Zweckmäßigkeit der Verwendung von Sicherheitsgurten prüfen - denn hierüber bestehen heute kaum noch Zweifel -, als vielmehr die Eigenarten der verschiedenen Gurtsysteme und Ansätze für eine verbesserte Prüfmethode von Sicherheitsgurten erkennen lassen. Das Ergebnis der genannten Untersuchungen zeigt, daß eine abschließende Meinung besonders hinsichtlich des Verhaltens der Gurtbänder noch nicht gebildet werden kann; doch werden mögliche Lösungen angedeutet, um die unerwünschte elastische Dehnung in Grenzen zu halten. Diese Frage ist von besonderer Bedeutung, weil gegenwärtig nur statistische Prüfmethoden angewendet werden; eine Erweiterung auf eine dynamische Ergänzungsprüfung wird vorbereitet.
Frage X/3 - des Abgeordneten Felder -:
Liegen dem Bundesverkehrsministerium auch Erfahrungsberichte über Sicherheitsgurte aus anderen europäischen Ländern und aus den USA vor?
Ausländische Erfahrungsberichte über Sicherheitsgurte liegen vor, insbesondere aus den Ländern Schweden, Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika. Jedoch sind in der Bundesrepublik ebenso wie in diesen Ländern die Untersuchungen über die zweckmäßigste Bauart von Sicherheitsgurten noch nicht abgeschlossen. In einem Fachausschuß bei der Europäischen Wirtschaftskommission in Genf und im internationalen Normenausschuß, in denen die Bundesrepublik ständig vertreten ist, werden gegenwärtig einheitliche Richtlinien für die Bauart und die Prüfung von Sicherheitsgurten vorbereitet bzw. aufgestellt. Bei diesen Beratungen werden die Erfahrungen aller beteiligten Länder einschließlich der Vereinigten Staaten von Nordamerika berücksichtigt. Diese neuen Richtlinien sollen in Zukunft die bisherigen nationalen Richtlinien der einzelnen Länder ersetzen.
Darf ich Ihre Mitteilung so auffassen, Herr Staatssekretär, daß das Ministerium zur Zeit noch keine Veranlassung sieht, der Automobilindustrie den serienmäßigen Einbau von Sicherheitsgurten zu empfehlen?
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr. Wir stehen mit der Automobilindustrie in dieser Frage ständig in Verbindung, und wir haben auch sichergestellt, daß die Automobilindustrie für die verschiedenen Fahrzeugtypen zunächst einmal die geeigneten Anbringungsvorrichtungen entwickelt und für die Serienfertigung vorsieht. Das ist ja die Voraussetzung dafür, daß, wenn eine allgemeine Einführung der Sicherheitsgurte erfolgt, sie auch tatsächlich die nötige Sicherheit im Verkehr bieten.
Frage X/4 - des Abgeordneten Dröscher -:
Wann wird man als Reisender aus dem Saar/ Nahe/ HunsrückRaum endlich einen Anschlußbahnhof an der Rheinstrecke haben, von dem man mit allen Zügen nicht nur abfahren, sondern wo man auch ankommen kann?
Der Saar-Nahe-HunsrückRaum ist an die linke Rheinstrecke durch eine Reihe von Bahnhöfen angeschlossen.
Dem Bedürfnis von Reisenden aus diesem Raum, auf die Züge der Rheinstrecke überzugehen, hat die Deutsche Bundesbahn durch zahlreiche Anschlüsse mit angemessenen Übergangszeiten Rechnung getragen. Der Verkehr von den Seitenstrecken ist im allgemeinen nicht so groß, daß - von wenigen Ausnahmen abgesehen - durchgehende Zugverbindungen von diesen Strecken auf die linke Rheinstrecke eingerichtet werden können.
Alle schnellfahrenden Züge auf allen Anschlußbahnhöfen halten zu lassen, wird wegen des Zu- und Abbringerverkehrs der Anschlußstrecken von der Deutschen Bundesbahn nicht für nötig gehalten und ist mit Rücksicht auf eine flüssige Betriebsabwicklung auf der stark belasteten linken Rheinstrecke auch kaum möglich.
Würden Sie, Herr Staatssekretär, mit mir darin übereinstimmen, daß der natürliche Anschluß aus dem Nahe-Hunsrück- und aus dem Saar-Raum, wenigstens von Saarbrücken her kommend und über St. Wendel, in Bingerbrück gegeben ist?
Damit stimme ich überein. Ich glaube aber, Herr Abgeordneter, Sie haben verschiedene Tatbestände im Auge, die bereits Gegenstand einer eingehenden Untersuchung durch die Bundesbahn gewesen sind und ihren Niederschlag in einem Schreiben des Herrn Präsidenten der Deutschen Bundesbahn an eine Reihe von Abgeordneten gefunden haben, das Ihnen demnächst zugehen wird. Sie werden aus diesem Brief ersehen, daß auch in dieser Hinsicht für den Sommerfahrplan Verbesserungen und für den kommenden Winterfahrplan weitere Verbesserungen vorgesehen sind.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher.
Herr Staatssekretär, darf ich daraus schließen - das Schreiben ist ja noch nicht in unseren Händen -, daß wenigstens vorgesehen ist, den bisherigen Zustand, daß vier Zugpaare in Bingerbrück abfahren, aber drei bzw. fünf Zugpaare nicht in Bingerbrück, sondern in Bingen halten und damit für den Reisenden eine schwierige Situation entsteht, zu beenden?
Ob er beendet werden kann, erscheint mir fraglich, Herr Abgeordneter. Sie wissen, daß Bingen und Bingerbrück etwa einen Kilometer auseinanderliegen. Es ist fahrplantechnisch unmöglich, alle Schnellzüge sowohl in Bingerbrück wie in Bingen halten zu lassen; das würde die Strecke zu sehr belasten und die Beförderungszeiten zu sehr vergrößern.,
Die letzte Frage - X/5 -.stammt ebenfalls von Herrn Dröscher:
Beabsichtigt die Bundesregierung, den jetzt noch militärischer Kontrolle unterliegenden militärischen Flugsicherungs-Nahverkehrsbereich in zivile Hände übergehen zu lassen?
Herr Staatssekretär, wollen Sie sie beantworten.
Die bisher gültige Abgrenzung der zivilen und militärischen Zuständigkeitsbereiche auf dem Gebiet der Flugsicherung ist in einer Verwaltungsvereinbarung vom 21. April 1959 entsprechend den damaligen Erfordernissen des Luftverkehrs zwiStaatssekretär Dr. Seiermann
sehen den zuständigen Ressorts vereinbart worden. Mit der Zunahme des Luftverkehrs ergab sich zwangsläufig die Notwendigkeit, den Luftraum über der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam zu nutzen und dementsprechend die Aufteilung des Luftraumes in zivile und militärische Kontrollgebiete und Nahverkehrsbereiche weitgehend aufzugeben. Es ist nun beabsichtigt, die Flugverkehrskontrolle über der Bundesrepublik mit Ausnahme örtlich eng begrenzter Lufträume für die Landung auf militärischen Flugplätzen völlig in zivile Hände, d. h. in die Verantwortung der Bundesanstalt für Flugsicherung übergehen zu lassen. Dahingehende Verhandlungen sind im Augenblick zwischen den zuständigen Ressorts im Gange.
Über die fachlichen Grundsatzfragen besteht Übereinstimmung. Über die Form der Überführung finden noch Verhandlungen zwischen den Ressorts statt.
Eine Zusatzfrage.
Ergibt sich durch die zusätzliche Übernahme des neuen Kontrollbereichs, neben der Personalabstellung an EUROCONTROL, die ja jetzt Gesetz geworden ist, ein Mehrbedarf an zivilem Flugsicherungspersonal?
Es wird sich zweifellos ein gewisser Mehrbedarf ergeben, der aber wahrscheinlich durch Übernahme von bisher in der Flugsicherung beschäftigten Kräften der Bundeswehr gedeckt werden kann. Zum Teil werden wir den Mehrbedarf auch durch weitere Verbesserungen der technischen Einrichtungen auffangen können. Soweit darüber hinaus dann ein Mehrbedarf besteht, haben wir keine Befürchtung, daß wir ihn nicht reibungslos decken können.
Damit ist die Fragestunde beendet. Wir haben die Stunde um etwa eine Minute überschritten. Ich glaube aber, es war zweckmäßig, alle Fragen zu behandeln.
Bevor ich den nächsten Punkt der Tagesordnung aufrufe, erlaube ich mir, dem Herrn Abgeordneten Professor Dr. Baade zu seinem heutigen 70. Geburtstag die Glückwünsche des Hauses zu übermitteln.
({0})
Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 13 des Ausschusses für Petitionen ({1}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen ({2}).
Wird zu dieser Vorlage das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Der Antrag des Ausschusses lautet:
Der Bundestag wolle beschließen,
die in der nachfolgenden Sammelübersicht enthaltenen Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen anzunehmen.
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1959 auf Grund der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes ({3}).
Die Vorlage soll an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. - Das Haus stimmt diesem Vorschlag zu; es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung ({4}) ({5}) ;
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle ({6}) ({7}) ;
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundeskindergeldgesetzes ({8}).
Die Begründung aller drei Vorlagen soll gemeinsam durch den Herrn Bundesarbeitsminister erfolgen. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ihnen von der Bundesregierung vorgelegten Entwürfe eines Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle, eines Bundeskindergeldgesetzes und eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung, die Sie heute in erster Lesung beraten, stellen die Fortsetzung der Sozialreform dar, wie sie in der Regierungserklärung zu Beginn dieser Legislaturperiode angekündigt worden ist. Während der erste große Teil unserer im Jahre 1957 begonnenen Reform die Sicherung für das Alter behandelte, hat dieser Teil der Reform die Sicherung für den Krankheitsfall sowie die Förderung der Familie mit Kindern zum Gegenstand. Die zahlreichen Berührungspunkte, die alle drei vorgelegten Entwürfe miteinander haben, veranlaßten die Bundesregierung, sie als Einheit zu betrachten. Gleichzeitig sollte damit zum Ausdruck kommen, daß sozialpolitische Maßnahmen von so großer Tragweite nicht isoliert behandelt, sondern nur in größerem Zusammenhang gesehen und geordnet werden können.
({0})
Ich möchte nun die einzelnen Gesetze behandeln und zunächst einiges zum Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle, genannt Lohnfortzahlungsgesetz, sagen. Mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle wird die rechtliche Gleich2418
stellung der Arbeiter mit den Angestellten im Krankheitsfalle angestrebt. Dies ist ein altes und, wie ich glaube, berechtigtes Anliegen der Arbeiter.
Bereits bei der Verabschiedung der beiden Arbeiterkrankheitsgesetze war sich dieses Hohe Haus über die Berechtigung einer Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten im Krankheitsfalle einig. Das ist nachzulesen in dem Bericht, den der Herr Abgeordnete Meyer am 27. April 1961 in der Bundestags-Drucksache III/ 2478 gegeben hat. Zu der heute bestehenden unterschiedlichen gesetzlichen Behandlung beider Gruppen ist es zudem erst durch die Notverordnungen der Jahre 1930/31 gekommen, die damals nur den Anspruch des Angestellten auf Lohnfortzahlung für unabdingbar erklärten. Zuvor aber hat ein so weitgehender rechtlicher Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten im Krankheitsfalle nicht bestanden.
Ich hatte vorhin schon gesagt, daß mir das Verlangen der Arbeiter, diese Gleichstellung zu erreichen, berechtigt erscheine. Deshalb geht ,der Entwurf davon aus, daß die Arbeiter wie bisher schon die Angestellten gegen den Arbeitgeber den unabdingbaren Anspruch auf Fortzahlung des vollen Lohnes für die Zeit einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen haben sollen. Mit der Erfüllung dieses Anliegens der Arbeiterschaft sollen die Anerkennung für die Leistung der Arbeiter und das große Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wird, zum Ausdruck kommen.
Wer wollte verkennen, daß die rechtliche Gleichstellung auch der heutigen Situation im Arbeitsleben entspricht? Die verantwortungsvollen Aufgaben, die heute von vielen Arbeitern bewältigt werden, stehen vielfach denen von Angestellten nicht nach. Auch die großen Verdienste der Arbeiter um den Wiederaufbau unserer Wirtschaft sollten wir dankbar anerkennen und dies - hierzu ist jetzt Gelegenheit geboten - sichtbar anerkennen.
({1})
Mit der angestrebten Gleichstellung soll auch erkennbar werden - darauf lege ich besonderes Gewicht -, daß wir den Arbeitern das gleiche Vertrauen entgegenbringen, dessen sich die Angestellten bis heute erfreuten und dessen sie sich auch bis heute in hervorragendem Maße würdig erwiesen haben.
Wir glauben, daß die vorgesehene Regelung auch das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer günstig beinflussen wird, weil nunmehr auch im Krankheitsfalle Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem direkten Verhältnis zueinander bleiben und zwischen sie nicht die Anonymität einer Kasse tritt, was, wie ich glaube, dem Verantwortungsbewußtsein nicht dienlich ist. Es ist gerade einer der Kernpunkte des politischen Wollens der Bundesregierung auf diesem Gebiete, alles zu tun, um das Verhältnis zwischen Arbeiter und Arbeitgeber nicht dadurch aufheben zu lassen, daß ein Dritter zwischen sie tritt, bei dem sie beide doch nur eine Nummer in der großen Anonymität sind. Vielmehr soll dieses enge personale Verhältnis zwisehen beiden Partnern auch und gerade im Krankheitsfalle bestehen bleiben.
({2})
Wir können aber eine so große neue soziale Errungenschaft und im übrigen auch die alten sozialen Errungenschaften - was in der Diskussion zu meinem Bedauern immer viel zu wenig zum Ausdruck kommt - nur erhalten, wenn sie vom Verantwortungsbewußtsein aller Beteiligten getragen werden. Verantwortungsbewußtsein eines jeden einzelnen zu wecken und zu stärken ist ein wesentliches Ziel unserer Sozialpolitik.
Man kann sich in der Diskussion um eine so bedeutsame Frage der Regelung unserer sozialen Verhältnisse nicht nach Belieben einen Punkt herausgreifen, um auf ihm herumzureiten, sondern, meine sehr verehrten Damen und Herren, man muß das Ganze in seinem Zusammenhang sehen.
({3})
Man muß, wenn man von der Solidarität, der viel berufenen, spricht, sich immer klar darüber sein, was sie eigentlich bedeutet. Solidarität bedeutet nämlich nicht, wie manche Leute glauben, daß die Gemeinschaft dazu da sei, es dem einzelnen zu ermöglichen, die höchstmöglichen Ansprüche an die Gemeinschaft zu stellen und sie befriedigt zu erhalten, sondern Solidarität bedeutet: Wie muß sich der einzelne verhalten, ohne die Gemeinschaft über Gebühr in Anspruch zu nehmen? Das, meine Damen und Herren, ist der Kernsatz der Solidarität.
({4})
Deshalb wäre es mir lieb - ich weiß, daß Sie ({5}) darüber lachen -, wenn Sie in der Diskussion Ihr Augenmerk einmal auf diesen Umstand lenken wollten.
({6})
Ich habe soeben von dem großen Vertrauensbeweis für die Arbeiter gesprochen. Er wird nicht dadurch geschmälert, daß der vorliegende Entwurf eine Prüfung der Arbeitsunfähigkeit durch den vertrauensärztlichen Dienst vorsieht. Die Einschaltung von Vertrauensärzten ist - darüber kann es keinen ernsthaften Zweifel geben - bei der vollen Lohnfortzahlung ebensowenig 211 entbehren, wie die gesetzlichen Krankenkassen der Mithilfe von Vertrauensärzten entbehren können.
Meine Damen und Herren, worum handelt es sich hier? Nun, hier handelt es sich doch darum, daß jemand, der zur Erbringung einer Dienstleistung verpflichtet ist, obwohl er die Leistung nicht erbringen kann, die Gegenleistung, nämlich den Lohn, für einen immerhin erheblichen Zeitraum ausgezahlt bekommt. Wer behauptet, daß er zur Erbringung der Leistung durch einen in seiner Person liegenden Grund, eben durch seine Krankheit, nicht in der Lage sei, der wird es nicht als Mißtrauen auffassen können, wenn der andere, für den die Leistungspflicht bestehenbleibt, mindestens fordert, daß dieser Tatbestand auch erwiesen ist.
({7})
Das, meine Damen und Herren, ist eine bare Selbstverständlichkeit und ist, wie ich glaube, eine der Grundlagen jeglichen Vertragsrechts überhaupt.
Das Verfahren des vertrauensärztlichen Dienstes ist in dem Entwurf so gestaltet, daß die zweifelhaften Fälle der Arbeitsunfähigkeit schnell und wirksam erfaßt werden können. Es dient damit zugleich der Unterstützung des behandelnden Arztes und soll nach der Absicht des Entwurfs dazu beitragen, gerichtliche Auseinandersetzungen über das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden.
Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß sie mit dem vorliegenden Entwurf den einzelnen Arbeitgebern und auch der Gesamtheit der Arbeitgeber eine weitere, nicht unerhebliche Belastung zumutet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der deutschen Offentlichkeit sind unterschiedliche Zahlen genannt und diskutiert worden. Ich will auf dieses Zahlenspiel jetzt und in diesem Zusammenhang nicht eingehen, wenngleich ich die Nachprüfung meiner Berechnungen nicht scheue. Das wird sicherlich eine Aufgabe der von Ihnen zur Einzelbehandlung dieser Entwürfe bestimmten Ausschüsse sein. Aber ich will hier offen sagen, daß wir mit dem Lohnfortzahlungsgesetz auch den Arbeitgebern eine nicht unerhebliche weitere Belastung zumuten. Deshalb hat die Bundesregierung Vorschläge unterbreitet, die geeignet sind, die entstehenden Belastungen in tragbaren Grenzen zu halten. Es ist vorgesehen, daß der Arbeitgeber durch einen Kostenausgleich 75 % der für die Lohnfortzahlung aufgewandten Beträge erstattet bekommt, also nur 25 % persönlich zu tragen hat, allerdings nicht für diejenigen Arbeiter, die über die im Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz vorgesehene Versicherungspflichtgrenze von monatlich 750 DM hinaus verdienen. Das auch deshalb, weil der Kostenausgleich von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt werden soll. Er hat seine besondere Bedeutung für die mittelständische Wirtschaft.
Der Vorteil des Kostenausgleichs liegt darin, daß die Belastung durch die Lohnfortzahlung für den Arbeitgeber von vornherein weitgehend kalkulierbar wird - ein Anliegen, das ernst zu nehmen ist und das sicherlich gerade für die kleinen und mittelständischen Betriebe von erheblicher Bedeutung ist --, da Versicherungsbeiträge den größten Teil des Risikos abdecken. Darüber hinaus wird die Belastung der Wirtschaft dadurch vermindert, daß sie von der Aufbringung der Mittel für das Kindergeld durch die Neugestaltung des Kindergeldrechts befreit wird. Wir glauben, damit für alle Beteiligten eine befriedigende Lösung gefunden zu haben.
Auch an dieser Stelle wird es klar, daß die drei Gesetze in einem unlösbaren Zusammenhang stehen. Es ist nicht bloß eine Spielerei gewesen, sie zusammenzufassen, etwa weil sie in ihrer Konzeption, in ihrer Ausgestaltung zeitlich zusammengefallen wären, sondern es ist von vornherein überlegt gewesen, sie in diesem engen Zusammenhang zu halten. Denn es kann gar nicht verkannt werden, daß das Gesetz über die Lohnfortzahlung und das Gesetz über die Neuregelung der Krankenversicherung so eng miteinander verzahnte Rechtsgebiete behandeln, daß sich das eine ohne das andere gar nicht praktizieren ließe.
Aber auch deshalb, weil hier sehr bedeutsame finanzielle Zusammenhänge bestehen - ich werde gleich einige Größenordnungen nennen, aber sehr sparsam -, müssen diese Vorlagen als ein Ganzes gesehen werden. Wenn es mir möglich gewesen wäre, dann hätte ich diese drei Gesetze noch von einigen anderen begleitet - es gibt viele Dinge, die mir das noch nicht erlaubten - Ihnen hier vorgelegt, damit in der Diskussion bleibt, was ich vor wenigen Wochen gesagt habe, als wir an einem einzigen Vormittag erlebten, wie Vertreter verschiedenster Gruppen von diesem Platze aus spezielle Anträge stellten, die erhebliche finanzielle Belastungen des Bundes zur Folge gehabt hätten. Damals habe ich gesagt: Bei aller Berechtigung, die man der einzelnen Betrachtung nicht absprechen kann, gibt es doch einen unnützen Streit, den wir hier niemals zu einem guten Ende führen werden, nämlich einen Streit um die Prioritäten dergestalt, daß die Vertreter der einen oder der anderen beabsichtigten Maßnahme auf das Ihre schauen mit dem Bestreben, es möglichst unter Dach und Fach zu bringen. Meine Damen und Herren, Sie werden nicht ausweichen können, solange Dinge, die die Sozialpolitik gestaltet, Geld kosten. Das ist in dieser Welt nun einmal so. So lange werden Sie das Ganze sehen müssen. Auch aus diesem Grunde hier die Zusammenfassung der drei Gesetze, wobei - das gebe ich freimütig zu - vielleicht zu bedauern ist, daß nicht zugleich am heutigen Tage noch einige andere, die kurz vor der Vollendung stehen und, wie ich hoffe, bald von der Bundesregierung verabschiedet werden, auch im Blickpunkt der finanziellen Möglich-. keiten des Bundestages fest stehenblieben.
({8})
Diese Vorbemerkung glaubte ich hier machen zu müssen. Ich wende mich nunmehr dem Entwurf eines Bundeskindergeldgesetzes zu. Der Entwurf eines Bundeskindergeldgesetzes sieht eine grundlegende Neuordnung des Kindergeldrechts mit dem Ziel vor, die Zersplitterung des geltenden Rechts zu beseitigen und die wirtschaftliche Lage der kinderreichen Familie zu verbessern. Lassen Sie mich kurz erläutern, von welchen Vorstellungen die Bundesregierung hierbei ausgegangen ist.
Zunächst zur Finanzierung! Da muß ich darauf aufmerksam machen - ich will nicht zitieren -, daß Bundesrat und Bundestag die Bundesregierung schon wiederholt in Entschließungen aufgefordert haben, die Vorschriften des Kindergeldgesetzes über die Aufbringung der Mittel zu überprüfen. Wenn ich mich an die Diskussionen in diesem Hohen Hause erinnere, glaube ich, den Eindruck gewonnen zu haben, daß man, was die Finanzierung des Bundeskindergeldgesetzes betrifft, in diesem Hohen Hause über alle drei Fraktionen hinweg gleichlautende Auffassungen vertreten hat. Ich erwähne das deshalb, weil mich einiges aus der jüngsten Diskussion befremdet hat, auf das ich gleich eingehen werde.
Zunächst aber zur Finanzierung! Dem Kindergeldgesetz von 1954 liegt der Gedanke zugrunde, das Kindergeld als eine Ergänzung des Leistungslohns der Arbeitnehmer zu betrachten. Dieser Vorstellung hätte es entsprochen, die Kindergeldregelung auf Arbeitnehmer zu beschränken. Es erwies sich aber aus gesellschafts- und familienpolitischen Gründen als unmöglich, Bauern, Gewerbetreibende und freie Berufe vom Kindergeldbezug auszuschließen. Dieser Personenkreis wurde daher ebenfalls in die Kindergeldregelung einbezogen.
Das Gesetz beruht ferner auf dem Gedanken, daß die einzelnen Wirtschaftszweige in ihren Bereichen den Familienlastenausgleich selbst durchzuführen und die dafür erforderlichen Mittel in erster Linie auch selbst aufzubringen hätten. Der zentrale Finanzausgleich und die Zuschüsse der gewerblichen Familienausgleichskassen zu den landwirtschaftlichen Familienausgleichskassen schränkten allerdings auch diesen Grundsatz stark ein. Dennoch war die Kindergeldgesetzgebung damit im großen und ganzen nach dem Leitbild der klassischen Sozialversicherung ausgerichtet. Diese Konzeption hat auch zunächst bei den Beteiligten - neben verständlicher Kritik - viel Anerkennung gefunden.
Da die allein von den Arbeitgebern zu zahlenden Beiträge zu den Familienausgleichskassen - wie die übrigen Sozialabgaben - in Prozentsätzen des Lohnes erhoben werden, bedeuten sie für die lohnintensiven Wirtschaftszweige und insbesondere für die kleineren und mittleren Betriebe eine fühlbare Belastung. Das muß klar ausgesprochen werden. Wie immer in der Sozialpolitik müssen die zwei Seiten gesehen werden, diejenigen, die empfangen, und diejenigen, die aufzuwenden haben. Nun läßt sich allerdings beim Kindergeld, das manche Besonderheiten gegenüber anderen älteren Zweigen der sozialen Sicherheit aufweist, mit guten Gründen die Auffassung vertreten, daß der Familienlastenausgleich eine Aufgabe ist, die über die Kraft eines Standes oder eines Wirtschaftszweiges geht und daher zu einer Gesamtaufgabe wird, die der Staat als allen Gemeinschaften übergeordnete zu leisten hat.
Zu diesem Grundsatz hat sich die Bundesregierung bereits bei der Einführung des Zweitkindergeldes in dem 1961 erlassenen Kindergeldkassengesetz bekannt; denn dieses bestimmt, daß das Kindergeld für die zweiten Kinder aus Haushaltsmitteln des Bundes finanziert wird. Der jetzt vorgelegte Entwurf soll diese Entwicklung fortführen. Er sieht daher vor, daß das gesamte Kindergeld vom 1. Juli 1963 an ausschließlich aus Steuermitteln des Bundes zu finanzieren ist.
Die Beseitigung der bisherigen Systems der Finanzierung bringt für die Wirtschaft eine Beitragsentlastung von etwa 1 Milliarde DM. Aber, meine Damen und Herren, auch hier muß man sagen: es ist kein Geschenk an die Wirtschaft, sondern diese Beitragsentlastung soll der Wirtschaft die Übernahme der Kosten für die geplante Lohnfortzahlung erleichtern. Keinesfalls - auch das möchte ich betonen - wird allein schon durch diese Beitragsentlastung die Neubelastung aufgewogen. Dazu müssen noch andere Entlastungen kommen, wie ich sie in dem Gesetz für die Neuregelung der Krankenversicherung glaube vorschlagen zu können.
Die Neuregelung der Finanzierung bietet die Möglichkeit, die Zweigleisigkeit auf dem Gebiete der Organisation und der Zahlung von Kindergeld zu beseitigen. In Zukunft sollen ausschließlich die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung diese Aufgaben erfüllen, wie dies heute schon für die Zweitkinder geschieht. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Bundesanstalt dafür in besonderem Maße geeignet ist. Ihr mehrstufiger Verwaltungsaufbau erlaubt es, die bei der Kindergeldzahlung anfallenden Aufgaben, soweit notwendig, dezentral durch die Arbeitsämter, im übrigen aber zentral für den gesamten Geltungsbereich des Gesetzes zu erfüllen. So wird die Entgegennahme und Bearbeitung der Anträge den Arbeitsämtern zufallen, während die Auszahlung des Kindergeldes bei einer zentralen Rechenstelle liegen wird, die mit modernen, arbeits- und kostensparenden Büromaschinen ausgestattet ist.
Wir haben bei der Auszahlung des Zweitkindergeldes durch die Bundesanstalt auf dem Kontenwege sehr erfreuliche Erfahrungen gemacht. Wir haben mit Freuden festgestellt, daß die Zahl der neu errichteten Konten von Empfängern wesentlich gestiegen ist. In diesem Parlament wurde in der Diskussion einmal etwas gegen diese Organisation gesagt. Wir glauben, daß wir auf Grund der allerbesten Erfahrungen, die wir gemacht haben, der Bundesanstalt diese neue Aufgabe übertragen können.
Die vorgesehene Neuregelung führt also dazu, daß die Familienausgleichskassen aufgelöst werden und daß auch auf die Kindergeldkasse als sehständige Anstalt des öffentlichen Rechts verzichtet werden kann, da eine Beitragserhebung nicht mehr vorgesehen ist. Da die Finanzierung ausschließlich aus Bundesmitteln erfolgt, ist vorgesehen, daß die Bundesanstalt das Gesetz nach Weisungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung durchführt.
Die Abkehr von Grundsätzen des alten Kindergeldgesetzes bedeutet keineswegs, daß sich die mit der Durchführung betrauten Stellen nicht bewährt hätten. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß die Familienausgleichskassen und der Gesamtverband der Familienausgleichskassen die ihnen übertragenen schwierigen Aufgaben mit großem Geschick gemeistert haben.
({9})
- Ihr Beifall ist Ausdruck des Dankes und der Anerkennung, den diese Familienausgleichskassen und die in ihnen tätigen Personen vollauf verdient haben.
Obwohl die Übernahme des bisher von der Wirtschaft aufgebrachten Kindergeldes für dritte und weitere Kinder von etwa 1 Milliarde DM für den bekanntlich außerordentlich angespannten Bundeshaushalt eine schwere Belastung bedeutet, schlägt die Bundesregierung dennoch auch Leistungsverbesserungen vor. Ich möchte wiederholen, daß diese Verbesserungen bei einer Finanzierung des Kindergeldes aus Beiträgen der Wirtschaft nicht zu erreichen wären. Auf diesen Satz lege ich besonderes
Gewicht, weil in der Öffentlichkeit manchmal die Meinung herrscht, man hätte es ja beim jetzigen System belassen können; dann stünden einmal diese Beitragsaufkommen für Kindergeldleistungen zur Verfügung, und zum anderen könne man natürlich - das wird dann in dieser Klarheit nicht mehr hinzugefügt, aber gedacht - aus dem Bundeshaushalt eine weitere zusätzliche Einnahme für Kindergeldleistungen bekommen.
Ich erinnere mich noch sehr gut der Diskussionen, die in diesem Hohen Hause geführt worden sind. Ich mißbillige sie nicht einmal. Ich habe sie soeben zur Begründung mit herangezogen. Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß es nicht möglich gewesen wäre, eine Aufstockung der Leistungen im Kindergeldrecht vorzunehmen, wenn man sich dafür hätte an die Beiträge halten wollen, und diesen Realitäten habe ich Rechnung zu tragen.
({10})
Nach den Vorstellungen der Bundesregierung sollen die zur Verfügung stehenden Mittel dazu verwandt werden, die soziale Lage der Familien mit drei oder mehr Kindern zu verbessern, weil die wirtschaftliche Belastung dieser Familien besonders groß ist. Dementsprechend soll das Kindergeld für die dritten und weiteren Kinder um 25 v. H., das heißt von 40 auf 50 DM monatlich, erhöht werden. Aus dem gleichen Grunde soll auch die Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld von bisher 7200 auf 8400 DM jährlich, aber nur zugunsten der kinderreichen Familien, erhöht werden.
Mit diesen Verbesserungen erhöhen sich die Aufwendungen für die Kindergeldzahlung um 329 Millionen DM jährlich. Die Gesamtaufwendungen betragen, wenn der Entwurf, so wie ich ihn vorlege, Ihre Zustimmung findet, jährlich 1,8 Milliarden DM. Sie sind damit annähernd doppelt so hoch wie im Jahre 1960 und viermal so hoch wie im Jahre 1955. In Anbetracht der Ihnen allen bekannten Haushaltslage des Bundes, mit der Sie sich auch noch weiter intensiv beschäftigen müssen, glaubt daher die Bundesregierung, mit ihren Vorschlägen das Optimale auf diesem Gebiet getan zu haben.
Ich komme nun zu dem dritten Entwurf, dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung. Dieser Entwurf bringt das Leistungsrecht in diesem Versicherungszweig auf einen optimalen Stand und gestaltet es so, daß es den heutigen sozialpolitischen und medizinischen Erkenntnissen entspricht. Viele Leistungen sind, was ihre Höhe und ihre Dauer betrifft, kaum noch mehr zu steigern. Bei aller Modernisierung der Krankenversicherung darf aber nichts darüber hinwegtäuschen, daß sie eine Versicherung für den Fall der Krankheit ist. Versuche - und es fehlt daran nicht -, die Krankenversicherung in eine Gesundheitsversicherung umzudeuten, müssen scheitern.
Der Sinn einer Krankenversicherung, auch der modernsten Krankenversicherung, kann eben nur der sein, dem Versicherten dabei zu helfen, daß er seine Krankheit heilen lassen und die wirtschaftlichen Folgen der Krankheit tragen kann. Das gilt auch für die Vorsorgehilfe, der der Entwurf als neue Leistungsart besondere Bedeutung beimißt. Auch die Vorsorgehilfe kann nur dazu dienen, Krankheiten möglichst frühzeitig zu erkennen und möglichst frühzeitig der ärztlichen Behandlung zuzuführen. Der Gesundheitssicherung können sie nicht dienen.
Als Leistungen der Vorsorgehilfe sind ärtzliche Vorsorgeuntersuchungen für Versicherte und Familienmitglieder, die das 35. Lebensjahr vollendet haben, innerhalb von je drei Jahren einmal vorgesehen. Der Selbstverwaltung soll aber die Möglichkeit eingeräumt werden, für ,die Untersuchungen kürzere Zeiträume vorzusehen oder weitere Altersgruppen dafür zuzulassen. Sie kann bestimmte Untersuchungen für einzelne Berufs- oder Personengruppen vorsehen. Zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen sollen für alle Anspruchsberechtigten jährlich einmal gewährt werden. Die Vorsorgehilfe besteht in Vorsorgekuren oder Zuschüssen für diese, Schutzimpfungen, kieferorthopädischen oder orthopädischen Maßnahmen oder sonstigen Hilfen. Ich will die lange Reihe der Leistungsverbesserungen hier nicht ausführlich und in Einzelheiten beschreiben und dem geltenden Recht gegenüberstellen, sondern nur kurz skizzieren:
Zuschüsse zu Zahnersatz und Hilfsmitteln werden künftig Pflichtleistungen. Dasselbe gilt für die Krankenhauspflege und für die häusliche Krankenpflege, die bisher Ermessensleistung der Kassen waren. Das Hausgeld, das während der Krankenhauspflege zu zahlen ist, wird erhöht. Als neue Leistung der Familienhilfe wird die Haushaltshilfe eingeführt, wenn die Weiterführung des Haushalts dem Versicherten oder seinem Ehegatten wegen Krankheit, Mutterschaft oder wegen einer Kur nicht möglich ist oder im einzelnen Fall auf andere Weise nicht sichergestellt werden kann. Die Bezugsdauer des Mutterschaftsgeldes nach der Entbindung wird von 6 auf 8 Wochen verlängert. Die Klinikentbindung wird als Pflichtleistung der Kassen eingeführt. Familienangehörige erhalten bei der Entbindung höhere Geldleistungen als bisher. Im großen und ganzen kann man sagen, daß sie verdoppelt werden.
Im Zusammenhang mit dem hier vorgeschlagenen Leistungsrecht darf ich noch darauf hinweisen, daß durch das Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 26. Juni 1957 und durch die Novelle zu diesem Gesetz vom 12. Juli 1961 sehr erhebliche Verbesserungen, die als Reform der Krankenversicherung geplant waren, vorweggenommen worden sind. Ich möchte hierbei insbesondere an die Beseitigung der Aussteuerung bei Krankengeld und Krankenhauspflege erinnern sowie an die Erhöhung des Krankengeldes nach Ablauf der sechsten Woche der Arbeitsunfähigkeit von 50 v. H. des Bruttoarbeitsentgelts auf 65 bis 75 v. H.
Ich glaube, meine Damen und Herren, wenn Sie die vorgeschlagenen Leistungsverbesserungen beschließen werden, wird das Leistungsrecht der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung einen Stand erreicht haben, der schwerlich zu überbieten ist.
({11})
Ich mußte das, meine Damen und Herren, wenigstens hier einmal betonen, weil - wenn man die öffentliche Diskussion verfolgt - jedenfalls von bestimmten Richtungen so getan wird, als ob dieser Entwurf überhaupt nichts Erstrebenswertes brächte. Ja, es hat sogar jemand den Vorschlag gemacht, man solle ihn gar nicht beraten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Entwurf steckt außerordentlich viel. Aber eines steckt in ihm nicht - das gebe ich freimütig zu -, es steckt in ihm kein Ansatzpunkt für einen staatlichen Gesundheitsdienst.
({12})
Und deshalb war jemand der Meinung, man solle ihn doch besser gar nicht beraten!
Im übrigen bin ich der Meinung, wenn er einmal mehr und mehr im Detail bekannt wird - dazu ist allerdings noch einiges zu tun -, dann wird man auch in der deutschen Öffentlichkeit begreifen, welches Gesetzgebungswerk wir hier vorgelegt haben.
Was 'nun den Kreis der von der Krankenversicherung erfaßten Personen betrifft, so geht der Entwurf - wie auch der, den ich in der vergangenen Legislaturperiode vorgelegt hatte - davon aus, daß die Krankenversicherung als Pflichtversicherung wieder eine reine Arbeitnehmerversicherung werden soll. Die bisher versicherungspflichtigen Selbständigen werden aus der Versicherungspflicht entlassen; sie sollen aber berechtigt sein, der Versicherung freiwillig beizutreten. Die Gleichstellung der Arbeiter und der Angestellten in ihren Rechten gegenüber dem Arbeitgeber im Falle der Krankheit
bedingt - und ich glaube, das ist eine Selbstverständlichkeit - auch ihre versicherungsrechtliche Gleichstellung.
Meine Damen und Herren, allzuviel Leute hangen der Rosinentheorie an, indem sie nämlich glauben, aus einem Vorschlag .das, was gut, was nach ihrer Ansicht erstrebenswert, was nach ihrer Ansicht ein Vorteil gegenüber den Berechtigten ist, sehr wohl in Anspruch nehmen zu können, aber die Konsequenzen, die damit verbunden sind, von sich weisen zu können. Das geht nicht. Hier müssen wir uns an den uralten Grundsatz halten, der schon in jeder Kinderstube gelehrt wird: Wer die Rosinen verzehren will, muß sich auch mit den Krusten des. Kuchens abfinden. Beides gehört zusammen.
({13})
Deshalb wird erstmalig in der Geschichte der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung die Versicherungspflichtgrenze auch für Arbeiter eingeführt, genauso wie sie für die Angestellten gilt; denn wer das Recht der Arbeiter auf Lohnfortzahlung erstrebt, der muß auch dem 'beipflichten, der feststellt, daß dann auch .das Versicherungsrecht dasselbe sein muß.
({14})
Deshalb soll die Versicherungspflichtgrenze angehoben werden. Sie liegt heute bei 660 DM im Monat und soll künftig 750 DM betragen.
Die Einführung einer Versicherungspflichtgrenze für Arbeiter stellte uns vor das Problem, eine neue Berechnungsweise der Jahresarbeitsverdienstgrenze, das heißt der für das Ausscheiden ,aus der Zwangsversicherung maßgebenden Einkommensgrenze, zu finden. Während der Angestellte im großen und ganzen ein festes Monatsgehalt hat, das nur geringen Schwankungen unterliegt, kann sich der Lohn des Arbeiters von Monat zu Monat in mehr oder weniger großem Ausmaß ändern. Es mußte daher verhindert werden, daß diese Änderungen der Lohnhöhe sich unmittelbar und sofort auf das Versicherungsverhältnis auswirken und daß unter Umständen Versicherungsfreiheit und Versicherungszwang oder umgekehrt einander abwechseln.
Der Entwurf hat dafür eine Lösung gefunden, indem er für die Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit das Entgelt zugrunde legt, das sich voraussichtlich für ein Jahr aus dem Arbeitsverhältnis regelmäßig ergibt. Dabei sollen Zuschläge aller Art, einmalige Zuwendungen und Mehrarbeitsvergütungen grundsätzlich außer Betracht bleiben. Das gilt selbstverständlich nur für die Jahresarbeitsverdienstgrenze, nicht aber für die Bemessung der Beiträge und Leistungen.
Praktisch bedeutet dieser Vorschlag, daß die Versicherungspflichtgrenze für Arbeiter effektiv nicht bei 750 DM im Monat liegt, sondern bei etwa 830 DM. Denn nach unseren Feststellungen kann damit gerechnet werden, daß im Durchschnitt 11 % des Lohns auf die genannten Zuschläge und Mehrarbeitsvergütungen entfallen.
Dennoch, meine Damen und Herren, scheiden - und ich möchte dieses Problem weder bagatellisieren noch verschweigen - künftig zirka 2,7 Millionen Arbeiter aus der Versicherungspflicht aus.
,({15})
Kritiker des Entwurfs haben die Frage gestellt, ob ein Arbeiter mit 750 DM bzw. 830 DM Monatsverdienst nicht mehr schutzbedürftig sei. Dazu möchte ich etwas sagen.
1. Als die deutsche gesetzliche Krankenversicherung 1914 neu geordnet wurde, wurde die Versicherungsgrenze auf 2500 Reichsmark jährlich festgesetzt; denn der Gesetzgeber ging davon aus, daß kein Arbeiter mehr als diesen Betrag im Jahr verdienen könne. In der Zwischenzeit wurde sie fünfmal - bis auf 7920 DM - erhöht. Ich schlage in diesem Gesetzentwurf eine weitere Erhöhung auf 9000 DM vor. Heute fallen bei einer Versicherungspflichtgrenze von 750 DM oder von effektiv 830 DM 2,7 Millionen Arbeiter aus der Versicherungspflicht heraus. Das bedeutet - und das wirft auch ein Licht auf die soziale Lage in Deutschland -, daß nahezu ein Fünftel der deutschen Arbeiter mit ihrem Einkommen über dieser Grenze liegen.
({16})
Das betrachte ich als einen Erfolg unserer Wirtschaftspolitik.
({17})
2. Die Höhe der Versicherungspflichtgrenze ist gar keine Frage der Schutzbedürftigkeit. Der Versicherte hat die Möglichkeit, sich bei Überschreiten
der Grenze freiwillig weiter zu versichern, und hat dann die gleichen Leistungsansprüche wie der Pflichtversicherte. Es ist eine ganz andere Frage, die hier zur Debatte steht: wer den Beitrag zahlt. Ich bin immer für Klarheit und Redlichkeit. Derjenige, der aus der Pflichtversicherung herauswächst, hat keinen Anspruch mehr auf den Beitragsanteil des Arbeitgebers. Darum geht es. Hier darf ich Sie, meine Damen und Herren, auf das Lohnfortzahlungsgesetz hinweisen. Wir stellen mit diesem Gesetz den Arbeiter dem Angestellten gleich. Beide haben den Anspruch auf Fortzahlung des Lohnes. Wir können also den Arbeiter auch versicherungsrechtlich nicht anders behandeln als den Angestellten. Wenn die Versicherungspflichtgrenze für den Angestellten gilt, muß sie auch für den Arbeiter gelten. Ich sehe keinerlei Grund, einen Arbeiter mit gleichem Einkommen in der Krankenversicherung anders zu behandeln als einen Angestellten. Das würde dem Streben nach rechtlicher Gleichstellung direkt zuwiderlaufen.
3. Wir muten, meine Damen und Herren - nun muß ich ein heikles Kapitel einmal anschneiden; es ist nämlich immer die Frage des Geldes -, dem Arbeitgeber zu, künftig für 6 Wochen den Lohn an alle Arbeitnehmer im Krankheitsfalle weiterzuzahlen. Das bedeutet, wie ich schon gesagt habe, für den Arbeitgeber eine Mehrbelastung, die, wenn wir alle Entlastungen wie die eben genannte Übernahme des Beitrags für das Kindergeld auf den Bund einbeziehen und Senkungen des allgemeinen Beitrags in der Krankenversicherung einrechnen - immer nach meinen Feststellungen, nach den sehr sorgfältigen Berechnungen, die wir im Ministerium angestellt haben, soweit man so etwas berechnen kann -, bei 1,4 Milliarden DM im Jahr liegt; das ist also doch noch eine weitere Belastung für die Wirtschaft von 1,4 Milliarden DM im Jahr.
Nun, meine Damen und Herren, muß ich einen Satz aussprechen, den ich schon oft gesagt habe - ich bitte um Entschuldigung für die Wiederholung -: es ist merkwürdig; solange man sich über Tausende und bestenfalls noch über Hunderttausende unterhält, stößt man auf Diskussionsbereitschaft und auf viel Verständnis. Wenn es aber um Summen geht, die Milliarden oder 'darüber hinausgehende Beträge ausmachen, scheint mir das Vorstellungsvermögen manchmal einer ernsthaften Diskussion hinderlich zu sein; denn hier wird über Summen hinweggegangen, als ob sie eine Kleinigkeit seien. Meine Damen und Herren, 'ich will der Diskussion, die wir hier um den Haushalt erleben werden, nicht vorgreifen, wenn ich Ihnen bei dieser Gelegenheit einmal eine Gesamtschau über das gebe, was finanziell zu leisten ist, wenn wir die Wünsche, die auf sozialpolitischem Gebiete angemeldet worden sind - ich will über die Berechtigung hier noch gar kein Wort verlieren -, erfüllen wollen.
Meine Damen und Herren, es ist gut, daß 'dasselbe Parlament - das sich in seinem sozialpolitischen Wollen ehrt -, das die Interessen derjenigen vertritt, denen sozialpolitische Forderungen zukommen, auch vor der unausweichlichen Notwendigkeit steht, zu beschließen, woher das erforderliche Geld kommen soll. Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß man in einem Volk von 53 bis 54 Millionen Einwohnern, von denen mehr als 25 Millionen Erwerbspersonen sind und davon etwa 211/2 Millionen in abhängiger Stellung, das heißt gegen Lohn oder Gehalt beschäftigt, die großen Summen des Haushalts auf die sagenhaften, wenigen Reichen umlegen könne.
({18})
Wenn diese Situation erreicht ist - und sie ist erreicht -, dann, meine Damen und Herren, zahlen wir alle in der Gesamtheit mehr.
({19})
Das Ausmaß der Belastung, die auch die auf der untersten Einkommensstufe Stehenden, also die Abhängigen, die Arbeiter, schon heute zu tragen haben, geht vielfach über das hinaus, was sie an sozialer Förderung jemals zu erwarten haben.
({20})
Das ist ein so ernstes Problem, daß man sich einmal weniger damit beschäftigen sollte, was auf diesem und jenem Gebiet noch an Leistungsverbesserungen vorzuschlagen wäre, sondern sich einmal ernsthaft mit der Frage zu beschäftigen hat, inwieweit man nicht durch eine solche Politik der Sozialisierung des verdienten Lohns die Betroffenen erst sozialpolitisch bedürftig macht.
({21}) Das muß wirklich einmal untersucht werden.
Die Sozialpolitik hat eben, wie ich gesagt habe, ihre zwei Seiten. Wie bei jeder Medaille pflegt die eine, nach vorn getragene als sehr viel angenehmer empfunden zu werden als die andere, minder schöne, die man deshalb ja auch verdeckt trägt. Aber wir haben sie hier beide zu betrachten, weil wir in diesem Hohen Hause sowohl für die eine wie für die andere Seite dem deutschen Volke Rechenschaft und Verantwortung schuldig sind.
Wenn wir nun den Rechenstift zur Hand nehmen, sehen wir, daß das Ergebnis auch für den Arbeiter durchaus erträglich ist. Ein Arbeiter mit einem monatlichen Einkommen von 850 DM hätte nach bisherigem Recht bei Zugrundelegung des durchschnittlichen Beitrags von 10 % - so weit sind wir gekommen in der Krankenversicherung! ({22})
und bei einer Versicherungspflichtgrenze von 750 DM monatlich 75 DM Beitrag zu zahlen, wovon die eine Hälfte von 37,50 DM auf ihn und die andere Hälfte auf den Arbeitgeber entfiele.
Nun, wir glauben, daß er auch in Zukunft nicht mehr zu zahlen haben wird. Denn ich glaube, wie Sie im finanziellen Teil der Begründung nachlesen können, daß wir bei unserer Neuregelung in Zukunft mit einem allgemeinen Beitrag von im Durchschnitt 5% auskommen werden. Der Arbeiter gewinnt also, wenn er aus der Versicherungspflicht herauswächst, seinen Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber für sechs Wochen, und verliert, selbst
wenn er aus der Versicherungspflicht ausscheidet, gemessen an seiner heutigen Belastung nichts. Das ist das ganz einfache Fazit. Er wird selbstverständlich nicht so günstig gestellt wie sein Kollege, der nur 700 DM verdient und auch nach der Senkung des Beitrags von heute 10 auf 5 0/o seinen Arbeitgeberanteil erhält. Aber das ist schließlich das von uns allen bejahte Prinzip der Solidarität in der gesetzlichen Versicherung.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zu einem Vorschlag, die Versicherungspflichtgrenze nach der Zahl der Familienangehörigen zu staffeln. Ich befasse mich mit diesem Vorschlag nicht deshalb, weil er einer der Zentralpunkte dieses meines Entwurfs wäre; denn, meine Damen und Herren, Sie werden bei objektiver Betrachtung des Entwurfs sagen, daß das, was hier jetzt an neuen zusätzlichen Leistungen für die Familie geschieht, ebenfalls ein Optimum darstellt und so leicht nicht zu übertreffen ist. Ich befasse mich mit diesem Vorschlag deshalb, weil ich mich dagegen wehre, daß, wenn man eine andere Auffassung vertritt als ein anderer, sich dann in der deutschen Offentlichkeit als familienfeindlich bezeichnen lassen muß. Meine Damen und Herren, Nachdenken über ein Problem kann niemals familienfeindlich sein; und deshalb will ich dieses Problem jetzt einmal behandeln. Was wäre denn die Folge, wenn der Arbeitgeber bei gleichem Lohn für den Ledigen keine Versicherungsbeiträge zu zahlen, für den Verheirateten aber höhere Aufwendungen hätte? Es ist wohl kein Geheimnis - oder verrate ich ein Geheimnis, wenn ich das sage? - - Ach, 3) Sie brauchen keine Angst zu haben, ich habe keine Kontakte zu gewissen Zeitschriften. - Meine Damen und Herren, es ist kein Geheimnis, daß die Wirtschaftskonjunktur aus ihrem bisherigen Galopp in einen, nun, ich will einmal sagen, sanfteren Trab verfallen ist.
({23})
- Nein, nein, das gab es zu meinen Zeiten nicht mehr; so vornehm war man da nicht mehr. - Aber, Herr Kollege Dresbach, es könnte auch einmal geschehen, daß sie sogar im Schritt geht; und dann, meine Damen und Herren, würde dieses Mehr für den verheirateten Arbeitnehmer vielleicht über den Arbeitsplatz des Familienvaters entscheiden. Ich sage „ja" zu allen Entscheidungen, die die Familie begünstigen. Ich sage aber nein zu Vorschlägen, die den Familienvater in eine ungünstigere Lage auf dem Arbeitsmarkt bringen als den Junggesellen.
({24})
Und das ist eine uralte Weisheit, die habe ich mir schon vor über dreißig Jahren als blutjunger Gewerkschaftssekretär an den Stiefelsohlen abgelaufen. Es könnte sich bald erweisen, meine Damen und Herren, daß der Arbeitsplatz für den Familienvater unendlich wichtiger ist als der Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung.
({25})
Ich habe Sie soeben mit den großen Leistungsverbesserungen, die dieser Entwurf enthält, in großen Zügen bekanntgemacht. Alle Leistungsverbesserungen aber kosten Geld. Wollten wir bei dem jetzigen System der Mittelbeschaffung bleiben, bedeutete das eine beachtliche Erhöhung der Beiträge. Habe ich denn nicht recht behalten? Als ich damals um einen Entwurf gekämpft habe, habe ich Ihnen gesagt, mit Sicherheit würde die Belastung, die nach meinen Vorschlägen nur einzelne betroffen hätte, über die Gesamtheit kommen: Ist sie denn nicht eingetreten? Haben wir denn nicht die Steigerung der Beiträge erfahren, und liegen wir nicht jetzt im Schnitt an der Zehnprozentgrenze, wobei sie bei einigen Krankenkassen sogar überschritten und nur bei den Landkrankenkassen der Landwirtschaft und bei den Innungskrankenkassen wesentlich unter dem Durchschnitt liegt? Allein von 1960 bis 1962 mußten die Beiträge im Schnitt von 8,42 % auf 9,66 % erhöht werden. Das bedeutet für einen Versicherten, der ein monatliches Einkommen von 660 DM bezieht, eine Mehrausgabe von rund 4 DM im Monat und 48 DM im Jahr. Sie können selber ermessen, wie die Belastung des Versicherten nach dem jetzigen System angesichts der vorgesehenen großen Leistungsverbesserungen aussähe. Deshalb - und damit sind wir sicherlich beim Angelpunkt - sieht der vorliegende Entwurf vor, daß bestimmte Leistungen nicht mehr voll aus dem kollektiven Beitrag finanziert werden sollen, sondern zu einem, wenn auch bescheidenen Teil aus einem Individualbeitrag des Versicherten, den er bei Nichtausschöpfung ganz oder teilweise zurückerstattet bekommen kann.
Damit soll die Verantwortlichkeit bei der Inanspruchnahme von Leistungen der Krankenversicherung angesprochen werden und zum Ausdruck kommen, daß eine hochqualifizierte Versicherung - ich glaube, sie läßt sich nicht mehr ausbauen - bei erträglicher Belastung des Versicherten nur möglich ist, wenn die Versichertengemeinschaft vom Bewußtsein echter Solidarität getragen wird.
Als Eigenbeteiligung bei den Arzneikosten sieht der Entwurf 10 % der Kosten der Verordnung auf einem Verordnungsblatt, mindestens 1 DM, höchstens 3 DM, vor. Eine Härteklausel läßt es zu, von dieser Eigenbeteiligung zu befreien, besonders dann, wenn bei geringem Einkommen, bei längerer Krankheit, bei Häufung von Krankheiten in der Familie oder bei Bedarf von besonders aufwendigen Arneimitteln die Lebenshaltung des Versicherten oder seiner Familie durch die Zahlung unzumutbar beeinträchtigt würde.
Ich glaube, über diese Art und Form der Beteiligung dürften keine schwerwiegenden Meinungsverschiedenheiten bestehen. Auch die SPD weist in ihrem Sozialplan für Deutschland, auf den ich schon mehrfach an dieser Stelle hingewiesen habe, auf die Gefahren des Arzneimittelmißbrauchs hin und befürwortet eine Selbstbeteiligung oder sogar die volle Kostenübernahme durch den Versicherten bei bestimmten Arzneimitteln. Seit 1957 ist der Arzneimittelverbrauch weiterhin und sehr erheblich gestiegen. Die Ausgaben der Krankenversicherung für Arzneimittel haben im Jahre 1957 774 Millionen DM, im Jahre 1961 - hören Sie! - aber schon etwa 1250 Millionen DM betragen. Über die Gefahren des übermäßigen Arzneimittelverbrauchs sind von beruBundesminister Blank
fener Seite ganze Bücher geschrieben worden; ich will deshalb darüber weiter nichts sagen. Sogar der englische Gesundheitsdienst ist von seiner früheren kostenlosen Gewährung von Arzneimitteln abgegangen und verlangt schon seit mehreren Jahren eine Beteiligung des Versicherten in Form des sogenannten „Arzneimittel-Schillings".
({26})
- Das haben die Leute getan, die gesehen haben, Herr Rohde, daß sonst ihr Gesundheitsdienst zusammengebrochen wäre. Aber nun komme ich zu einem Land, wo die Konservativen nicht regieren: zu Schweden. Schweden verlangt sogar eine Rezeptgebühr von 3 Kronen und, wenn das Medikament teurer ist, von 500/o der Mehrkosten. 3 Kronen sind, wenn ich recht unterrichtet bin, etwa 2,30 DM.
({27})
Sie sehen, Herr Rohde, so geht es nicht, zu sagen: hie Konservative, hie Labour. Es kommt ganz darauf an, ob man in der Verantwortung steht oder nicht; dann nämlich trifft man diese Entscheidungen.
({28})
Als wir in der vergangenen Legislaturperiode als Vorschlag für die Selbstbeteiligung bei ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen die Inanspruchnahmegebühr brachten, wurden dagegen vor allem zwei Bedenken laut. Man glaubte, daß die unmittelbare Zahlung an den Arzt das Verhältnis Arzt - Patient
B; stören, den Versicherten unter Umständen von einem berechtigten Arztbesuch abhalten und die Ärzte mit Verwaltungsarbeit belasten könne. Die Bundesregierung hat sich bemüht, diesen Bedenken Rechnung zu tragen, und schlägt nunmehr ein System vor, das der Beitragsrückerstattung ähnlich ist. Der Versicherte zahlt zum allgemeinen Beitrag einen besonderen Beitrag in Höhe von 2 % des beitragspflichtigen Entgelts. Von diesem angesparten Betrag werden am Ende des Kalenderjahres 25 % der Ausgaben, die der Kasse für ärztliche und zahnärztliche Leistungen entstanden sind, abgerechnet. Der Rest wird ihm zurückgezahlt. Bei einem Versicherten mit einem Einkommen von etwa 600 DM würde das bedeuten, daß der durch den besonderen Beitrag angesparte Betrag am Jahresende 144 DM betragen würde. Hat der Versicherte - ich habe einmal ein Rechenbeispiel aufgemacht, das nicht aus der Luft gegriffen ist - nun im Jahre an Kosten für Arzt und Zahnarzt etwa 160 DM verursacht, so erhält er am Jahresende immerhin 104 DM von der Kasse zurückerstattet.
Ich darf darauf hinweisen, daß diese Zahl von 160 DM eher zu hoch als zu niedrig gegriffen ist; denn der Leistungsbedarf je Behandlungsfall wird nach den Statistiken der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für das Jahr 1960 mit 15,40 DM angegeben. Die Gesamtvergütung bzw. das Einzelleistungshonorar betrug je Mitglied, die Familienangehörigen eingerechnet, im Jahre 1960 bei den RVO-Kassen rund 65 DM und bei den Ersatzkassen für Angestellte rund 82 DM.
Sie sehen also, wenn ich nicht von irgendwelchen Phantasiezahlen, sondern von der realen Wirklichkeit ausgehe, wie sie in der Statistik greifbar ist, dann bedeutet das im großen und ganzen, von Einzelfällen abgesehen, daß schon bei einer Eigenbeitragsleistung von 144 DM, wie ich eben ausgerechnet habe, bei einer weit über den Durchschnitt hinausgehenden Inanspruchnahme immerhin noch eine erhebliche Rückvergütung von, wie ich sagte, rund 104 DM möglich ist.
Nun bin ich mir aber darüber klar, daß kein irgendwie gearteter Vorschlag, der eine Eigenleistung vorsieht, den Gegner aus Prinzip daran hindert, gesundheitspolitische Bedenken anzumelden. Ich teile diese Bedenken nicht. Wer behauptet, daß sich ein Arbeitnehmer durch die Aussicht, von dem angesparten Betrag einen geringen Teil einzubüßen, von einem notwendigen Besuch beim Arzt abhalten läßt, der stellt ihm ein Armutszeugnis aus.
({29}) Ich halte den Arbeitnehmer für klug genug
({30})
- für diesen Zwischenruf bin ich Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege Winkelheide; ich bedauere, daß er in meinem Konzept fehlt - und für mündig genug, daß er selbst beurteilen kann, was ihm seine Gesundheit wert ist; das brauchen ihm die Fuktionäre nicht zu sagen.
({31})
Ich glaube auch nicht, daß der deutsche Arbeitnehmer seiner Gesundheit weniger Wert beimißt als der schwedische oder französische, und ich glaube letztlich nicht, daß die Regierung Schwedens, die im Rahmen des Kostenerstattungssystems eine Selbstbeteiligung von 25 % eingeführt hat, ihre Bevölkerung gesundheitspolitischen Gefahren aussetzen wollte. Ich glaube, diesen Vorwurf hätte die Regierung nicht verdient. Ich habe mich mit dem damaligen Arbeitsminister, dem heutigen Außenminister Schwedens, als er auf dem Parteitag der SPD gesprochen und auch dort auf diesen Fortschritt hingewiesen hatte, der darin liege, daß man jetzt in der Erstattung so hoch gehe, nachher - als ei mir einen Höflichkeitsbesuch machte - über diese Problematik unterhalten. Meine Damen und Herren, ich weise es von mir, die schwedischen Verhältnisse zu kritisieren, und ich stehe gar nicht auf dem Standpunkt, daß es erstrebenswert wäre, in jedem Land ohne Rücksicht auf das historisch Gewachsene, ohne Rücksicht auf die Eigenarten, die nun einmal hier so und da anders sind, alles in einen Eintopf zu gießen; ich halte das für eine Utopie. Aber es sei mir doch erlaubt, wenn auf die angeblich so großen gesundheitspolitischen Gefahren wegen einer so bescheidenen Eigenleistung hingewiesen wird, die Beispiele in anderen Ländern zu nennen, denen man, wie ich glaube, nicht den Vorwurf machen kann, ihre Bevölkerung gesundheitspolitischen Gefahren auszusetzen.
({32})
Ferner steht fest - und wir haben heute genügend statistisches Material, um das genau überschauen zu können, mindestens in den europäischen Ländern -, daß der Gesundheitszustand der schwedischen oder französischen oder der Bevölkerung der anderen Länder, die eine Kostenbeteiligung kennen, nicht schlechter ist als der Gesundheitszustand der Bevölkerung in den Ländern, die eine solche Kostenbeteiligung nicht haben. Ich bin nur idavon. überzeugt, daß alle Systeme mit einer Kostenbeteiligung nach den Prinzipien der wirtschaftlichen Vernunft besser funktionieren als die anderen; und darauf kommt es an.
Auch der Einwand, daß durch eine Eigenleistung die sozial Schwachen unzumutbar belastet würden, geht fehl. Die Höhe der Beteiligung ist durch die Höhe des besonderen Beitrags begrenzt. Der Versicherte mit geringem Einkommen hat daher weniger zu zahlen als der Versicherte mit einem höheren Einkommen, im selben Ausmaß, wie die Gehälter zueinander in Relation stehen. Durch die Lohnfortzahlung und das vorgesehene System der Individualleistung wird der allgemeine Beitrag des Versicherten so gesenkt, daß er künftig, den besonderen Beitrag eingerechnet, weniger belastet ist als heute. Das, meine Damen und Herren, ist die Realität.
Nun wird eingewendet, daß dies aber nicht für die Angestellten zutreffe, da sie schon seit langem den Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts hätten, also eine Senkung des allgemeinen Beitrags durch die Lohnfortzahlung nicht eintrete. Ich aber glaube, daß dennoch durch die vorgesehene Eigenleistung der allgemeine Beitrag gesenkt werden kann, wenn auch vielleicht etwas weniger als bei den Arbeitern. Zwingt aber die Tatsache - und das frage ich in allem Ernst -, daß der Angestellte die Vorteile der Lohnfortzahlung schon seit 30 Jahren genießt, unbedingt dazu, für ihn jetzt nach einem weiteren Vorteil zu suchen, damit der Abstand gewahrt bleibt? Die Bundesregierung ist zwar gegen jede soziale Gleichmacherei. Aber kann man von Gleichmacherei sprechen, wenn das Niveau der wirtschaftlich Schwächeren gehoben wird? Ich meine, der Sinn unserer Sozialpolitik besteht geradezu darin, die Lage der wirtschaftlich Schwächeren zu verbessern, nicht aber darin, die Abstände zwischen den einzelnen Berufsgruppen auch dann einzuhalten, wenn sie durch die Entwicklung unserer Gesellschaft längst nicht mehr gegeben sind.
({33})
Damit ist keiner Gruppe in dem vielfältigen Bild der sozialen Zusammensetzung des deutschen Volkes die Möglichkeit genommen, mit ihren eigenen Kräften, ihren eigenen Organisationen und mit ihrem eigenen Wollen für einen weiteren sozialen Fortschritt zu kämpfen; das ist der Bewegung der Arbeiter wie der Angestellten immanent und ein berechtigtes Anliegen.
Meine Damen und Herren, wir nehmen den Angestellten nichts weg, aber wir wollen den Arbeitern geben, was wir für richtig und für sinnvoll halten.
Schließlich muß ich ein Wort zu dem Vorwurf sagen, die Regelung des besonderen Beitrags sei familienfeindlich, weil der Familienvater nicht dieselben Chancen auf Rückzahlung des besonderen Beitrags habe wie der Ledige. Ich befasse mich mit dem Vorwurf deshalb, weil ich aus der Diskussion eines herausbringen will: das Diffamierende. Man kann unterschiedlicher Auffassung über dieses oder jenes sein, aber es ist nicht richtig, die andere Auffassung mit abwertenden Adjektiven zu belegen. Dagegen wollte ich mich wehren.
({34})
Ich muß mit Nachdruck feststellen: die deutsche gesetzliche Krankenversicherung ist und bleibt - sie war es schon in ihrem alten Gewande, sie ist es noch vielmehr, wie ich sagte, bis zum Optimum, ich sagte nicht, bis zum Maximum, nach dem vorliegenden Entwurf - die familienfreundlichste Einrichtung, die wir im ganzen Sozialrecht kennen.
({35})
Für den gleichen Beitrag hat der Familienvater, insbesondere nach Einführung der Lohnfortzahlung einen höheren Anspruch als der Ledige. Ich weiß nicht, ob Sie einmal darüber nachgedacht haben, wie groß der Anteil derjenigen, die niemals über sechs Wochen hinaus krank feiern, an der Zahl der Krankfeiernden überhaupt ist. Es ist nämlich der weitaus größte Teil gegenüber den wenigen, traurigen Fällen, in denen der Betreffende länger krank feiern muß. Wenn ich an meine eigene Kindheit zurückdenke, dann wollte ich, wir hätten damals eine gesetzliche Bestimmung gehabt, wonach auch mein Vater mal sechs Wochen hätte krank feiern können, was er aus Angst, dann für seine zehn Kinder kein genügendes Einkommen zu haben, nicht tun konnte. Er hätte es tun können, wenn auch er schon für sechs Wochen den Lohn fortgezahlt bekommen hätte.
Deshalb möchte ich sagen: Was wir hier eingeführt haben, ist geradezu dem Familienvater auf den Leib zugeschnitten.
({36}) - Das ist nach Ihrer Auffassung Mist?
({37})
- Dann bitte ich vielmals um Entschuldigung; ich glaubte das verstanden zu haben. Herr Kollege Mommer, man müßte sich wirklich einmal damit beschäftigen, daß man, wie mir jeder bestätigen wird, der hier am Rednerpodium gestanden hat, kaum den Inhalt eines Zwischenrufes verstehen kann. Das ist bedauerlich. Man kann dann manchmal auch nicht richtig antworten.
Für den gleichen Beitrag hat der Familienvater, insbesondere nach Einführung der Lohnfortzahlung, den mehrfachen Anspruch des Ledigen, und auch nach Einführung des besonderen Beitrages finanziert der Ledige die Leistungen für den Verheirateten und den Familienvater in einem Umfang und in einem Ausmaß mit, daß es einfach nicht gestattet ist, ihm eine noch weitergehende Belastung in der gesetzlichen Krankenversicherung zuzumuten.
An der Stelle eine Einschaltung! Die wirtschaftliche Sicherung einer Familie 'beginnt nicht erst mit der Eheschließung. Darf ich einmal darauf hinweisen, daß zu 'den Aufgaben eines verantwortungsbewußten Mannes auch gehört, im Hinblick auf die Ehe, die er zu schließen beabsichtigt, in seiner Junggesellenzeit durch vernünftigen Gebrauch seiner materiellen Mittel etwas für seine spätere Familie zurückzulegen.
({38})
Die Belastungen, die man auf den Junggesellen überträgt, dürfen also nicht die Grenze überschreiten, wo es ihm unmöglich gemacht wird, im Hinblick auf die zu gründende Familie das Seinige zu erübrigen. Bevor man Familienvater wird, ist man bekanntermaßen Junggeselle und kann mit Verantwortungsbewußtsein schon einiges für die zukünftige Familie tun. Das ist auch Familienpolitik!
({39})
Schließlich komme ich zu dem berühmten Einwand der angeblichen verwaltungsmäßigen Undurchführbarkeit des besonderen Beitrags. Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, daß das Argument des Verwaltungsaufwands vielfach dann gebraucht wird, wenn sich sachliche Argumente nicht mehr finden lassen. Gestatten Sie mir hier ein kleines Beispiel aus den Beratungen dieses Entwurfs in einem Ausschuß des Bundesrates. Der Vertreter eines Landes hat auf Mark und Pfennig berechnet, daß die Verwaltungskosten, die durch das System des besonderen Beitrags entstünden, sage und schreibe 600 Millionen DM ausmachten.
({40})
- Eine solche Äußerung dürfte ich mir von dieser Stelle aus nicht erlauben, Herr Kollege Ruf. Als aber die Vertreter des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung darauf hinwiesen, daß die gesamten Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenversicherung mit all ihren differenzierten Aufgaben, sowohl den eigenen wie den Fremdaufgaben, im Jahre 1959 456 Millionen DM überhaupt ausgemacht hätten und im Jahre 1962 nicht einmal die Grenze von 600 Millionen DM erreichen würden, was meinen Sie, was da passierte: da wurde diese Berechnung stillschweigend und leise zurückgezogen.
({41})
Meine Damen und Herren, so leicht und so einfach kann man sich die Dinge nicht machen. Wir beabsichtigen nicht, ein Verwaltungsverfahren für Einzug und Abrechnung des besonderen Beitrags vorzuschreiben. Das kann und muß den einzelnen Kassen überlassen bleiben. Nichts deutet darauf hin, daß sie dazu nicht fähig wären. Sie sind bisher mit ihrer Verwaltungsarbeit, wie ich feststellen kann, sehr gut fertig geworden. Wir haben einen Weg gewiesen, der praktikabel ist und die Verwaltungsausgaben gegenüber dem heutigen Stand wahrscheinlich nicht erhöht, wenn man die Entlastung der Krankenkassen durch den Wegfall der Krankengeldberechnung berücksichtigt.
Die Eigenleistung beim Krankenhausaufenthalt, die nur derjenige bezahlen soll, dessen Einkommen während der Krankheit ungeschmälert weiterfließt, beruht auf der Erwägung, daß die Ersparnisse bei Nahrung, Fahrten zum Beschäftigungsort usw. ausgeglichen werden müssen. Die gesetzliche Krankenversicherung ist nur dazu da, die wirtschaftlichen Nachteile zu beheben.
Nun noch ein kurzes Wort zum Arztrecht. Hier kann ich auf Einzelheiten verzichten. Ich stehe zu dem, was ich in Baden-Baden vor dem Hartmannbund gesagt habe; ich brauche davon nichts zurückzunehmen. Das Arztrecht soll nach den Grundsätzen der Kostenklarheit und Kostenwahrheit neu gestaltet werden. Das bedeutet, daß dem Versicherten eine Honorarrechnung des Arztes zugestellt wird. Der Versicherte soll dadurch erfahren, welche Ausgaben für ärztliche und zahnärztliche Behandlung notwendig waren, und die Möglichkeit haben, in etwa den Stand seines Rückzahlungskontos aus dem besonderen Beitrag zu ersehen.
Auch das ärztliche Honorarwesen soll nach dem Grundsatz der Kostenklarheit und -wahrheit geregelt werden. Darum soll der Arzt nach Einzelleistungen honoriert werden und damit wissen, was seine Leistung wert ist und was er dafür an Honorar zu erhalten hat. Die Beseitigung der Pauschalhonorierung und die damit zusammenhängende Quotierung soll dazu beitragen, auch die Beziehung zwischen Arzt und Patienten zu verbessern. Kein Patient soll das Gefühl haben, daß er als Mitglied einer Kasse in minderer Stellung vor dem Arzt steht. Er soll vielmehr wissen, daß es für den Arzt von der Honorarfrage her gar keinen Unterschied zu geben braucht. Auch die unterschwellige Propaganda soll aufhören, bei der es heißt: Wir zahlen dem Arzt mehr als der andere, und deshalb wirst du da auch besser behandelt. Das, meine Damen und Herren, muß heute morgen einmal ausgesprochen werden. Die Honorierung soll nach einer Gebührenordnung erfolgen, die zwischen den Beteiligten auf Bundesebene vereinbart wird und für alle Kassen gilt. Diese Gebührenordnung hat aber Zuschläge für solche Kassen vorzusehen, deren Grundlohn den bundesdurchschnittlichen Grundlohn übersteigt.
Schließlich möchte ich noch ein Wort zum vertrauensärztlichen Dienst sagen, weniger deshalb, weil unsere Vorschläge auf diesem Gebiet besonders sensationell wären, als vielmehr deswegen, weil auch hier mit dem bekannten Schlagwort vom Mißtrauen gegen die Versicherten operiert wird. Meine Damen und Herren, was dazu zu sagen ist, hat in einer inzwischen geradezu klassisch gewordenen Rede - ich habe Teile aus ihr hier mehrfach zitiert; es kann im Verlaufe der Diskussion noch einmal geschehen - der von mir hochverehrte Herr Vizepräsident des Hauses, Professor Dr. Carlo Schmid, gesagt. Ich füge dem kein Wort hinzu.
Aber ich frage: Kann man den Arbeitern einen größeren Beweis des Vertrauens geben, als wir es mit unserem Vorschlag über die Lohnfortzahlung getan haben? Wir geben dem Arbeiter ein Recht in die Hand, das in seinen Auswirkungen nur dann für 'die Wirtschaft tragbar ist, wenn es verantwor2428
tungsbewußt ausgeübt wird. Sollen wir dabei von der Fiktion ausgehen, daß alle gleich verantwortungsbewußt seien? Das tun offenbar nicht einmal unsere Kritiker; denn ich habe noch nie gehört, daß sie für einen gänzlichen Fortfall des vertrauensärztlichen Dienstes ihre Stimme erhoben hätten. Und die Verantwortungsbewußten haben ein Recht, sich vor den Verantwortungslosen, auch wenn diese in der Minderheit sein sollten, zu schützen.
({42})
Im Interesse der Allgemeinheit, aber auch im Interesse des Arbeitnehmers und im Interesse der Rechtssicherheit im Betrieb soll sich der vertrauensärztliche Dienst gutachtlich darüber äußern, ob die vom Arbeitnehmer behauptete Arbeitsunfähigkeit besteht. Zu diesem Zweck soll die unabhängige öffentliche Einrichtung des vertrauensärztlichen Dienstes in die Lage versetzt werden, den bürgerlich-rechtlichen Anspruch des Arbeitnehmers zu überprüfen. Das ist sicher nicht leicht. Aber ich glaube, daß der Entwurf eine gute Lösung vorsieht. Der Arbeitnehmer soll, wenn er einen Anspruch auf Lohnfortzahlung gegen den Arbeitgeber geltend macht, seinen behandelnden Arzt, der ihn arbeitsunfähig schreibt, veranlassen, einen objektiven Befundbericht an den vertrauensärztlichen Dienst zu senden. Der Vertrauensarzt entscheidet dann an Hand dieses Befundberichts, ob er den Versicherten nachuntersuchen muß, ob er ihn zu diesem Zweck vorladen soll oder ob er sein Gutachten an Hand des Befundberichts abgeben kann.
Ich bedauere, an dieser Stelle sagen zu müssen, daß mir von allen Vorschlägen des DGB am unverständlichsten der erscheint, daß über das Vorladen zum vertrauensärztlichen Dienst die Krankenkassen entscheiden sollten. Gerade das wollten wir doch vermeiden,
({43})
daß nach einem von niemandem erfaßbaren System irgendein Angestellter, der, wie ich unterstelle, guten Glaubens und besten Willens ist, aber gar nicht übersehen kann, welche medizinische Problematik hier vorliegt,
({44})
die Leute unbesehen zum Vertrauensarzt beordert. Wir wollten ja gerade, daß der krankschreibende Arzt unter Angabe seiner Diagnose und seines Therapievorschlages dem vertrauensärztlichen Dienst diese Mitteilung macht. Wir sind der Ansicht, daß der Vertrauensarzt dann schon an Hand dieser Unterlage sicherlich weit zutreffender - menschlicher Irrtum eingeschlossen - darüber befinden kann, ob eine Vorladung notwendig ist, als das auch der pflichteifrigste Krankenkassenangestellte tun könnte.
({45})
Deshalb, meine Damen und Herren, dieser Vorschlag, den ich als einen Fortschritt bezeichne.
Im Rahmen der Krankenversicherung soll der vertrauensärztliche Dienst nicht anders tätig werden als bisher. Wegen der Mißtrauenspropaganda war ich offen gestanden sehr gespannt, welche Änderungsvorschläge hierzu wohl im Bundesrat gemacht würden. Aber es wurden gerade in dieser Hinsicht keine Einwendungen erhoben und auch keine Änderungsvorschläge gemacht. Das hat mich deshalb so überrascht, weil vorher in der deutschen Offentlichkeit so laut auf die Pauke geschlagen worden war, der Zentralgedanke dieses Entwurfs sei das Mißtrauen. Sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn man sich erst einmal mit allen sachlichen Einzelheiten der Materie beschäftigt, sieht man, daß kein Raum für solche Schlagwortpropaganda ist.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen wichtige Teile des Entwurfs in ihren Grundzügen kurz erläutert. Ich habe, wie ich leider gestehen muß, nicht alles dargelegt. Das wäre auch nicht möglich gewesen. Ich muß Sie daher bitten, sich auch mit den den Gesetzentwürfen beigegebenen Begründungen zu beschäftigen. Ich will deshalb nicht auf weitere Einzelheiten der Vorlage eingehen, die insgesamt annähernd 500 Paragraphen umfaßt. Ich habe an Sie nur eine Bitte. Ich bitte Sie, die Vorlagen als das zu betrachten und zu beraten, was sie sind. Sie sind gar nicht in allen Einzelheiten das Letzte, was sich hier denken läßt; o nein, wer wollte so überheblich sein. Aber sie sind ein wichtiger Schritt auf dem Wege zu einer möglichst guten sozialen Ordnung.
({46})
Die Regierung hat ihre Entwürfe begründet. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion geht, wenn er sich heute nach der Rede des Ministers auf die Tribüne begibt, einen schweren Gang. Er will nämlich im Grunde genommen das gleiche sagen, was Ihnen der Herr Minister gesagt hat; er will dartun, daß die Gedankengänge, die die Regierung bewogen haben, uns dieses Gesetzeswerk, dieses Sozialpaket, wie wir es nennen, vorzulegen, auch unsere Gedankengänge sind.
Ich möchte hie und da noch einen Gesichtspunkt beitragen. Auch wir sind offen für Gespräche, so wie das der Herr Minister soeben gesagt hat, und die Ausschußberatungen werden noch einiges Ergiebige bringen. Ihnen das zu sagen, ist der Sinn meiner Ausführungen.
Herr Minister, wir sind nicht nur der gesamten Regierung, sondern auch Ihnen persönlich besonders dankbar für die Rede, die Sie uns hier gehalten haben.
({0})
Wir haben erneut erkannt, daß Sie eine Vorstellung davon haben, wie man unseren Staat von der Sozialpolitik her zu ordnen hat, und daß das die Vorstellung der CDU/CSU ist.
Mit der Vorlage dieses sogenannten Sozialpakets will die Regierung die Sozialreform fortsetzen, die wir mit der Änderung der RentenverStingl
sicherungsgesetze begonnen und jetzt in den Ausschußberatungen mit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz weitergeführt haben. Dazu gehört auch das, was Sie, Herr Minister, ankündigten: ein 2. Neuregelungsgesetz in der Kriegsopferversorgung. Dazu gehört ferner, daß wir vor kurzer Zeit in diesem Hohen Hause ein Urlaubsgesetz verabschiedet haben. Alles das wollen wir als ein Ganzes sehen.
Die drei Gesetze, die wir heute behandeln, stehen in einem engen Zusammenhang. Gewiß haben sie einen Zusammenhang in finanzieller Hinsicht. Der Minister hat das dargelegt. Sie haben aber auch einen Zusammenhang aus dem sachlichen Gehalt, aus der Weiterführung der Grundgedanken; denn diese ' wichtigen Gesetze gliedern den einzelnen wiederum neu ein in das Gefüge der Sozialordnung in unserer Bundesrepublik.
Alle drei Gesetze, das KrankenversicherungsNeuregelungsgesetz, das Bundeskindergeldgesetz und das Lohnfortzahlungsgesetz, sind gewiß, jedes für sich, von entscheidender Bedeutung. Sie sind aber als Ganzes der Ausdruck unseres Willens, die Sozialpolitik zu modernisieren, sie der neuen Zeit anzupassen, mitzugehen mit der Entwicklung, die sich aus den volkswirtschaftlichen Gegebenheiten und den Verflechtungen im internationalen und insbesondere im europäischen Rahmen ergibt.
Wir wollen dabei immer wieder daran denken, daß es nicht nur darauf ankommt, neue Organisationen zu schaffen, Institutionen zu legalisieren, sondern daß alles das nur den Sinn haben kann, das Selbstbewußtsein, die Verantwortung, die Würde des einzelnen zu stärken. Wir glauben nicht an das Heilmittel Organisation. Vielmehr sehen wir immer wieder den Menschen. Wir wissen aber auch, daß wir, wenn wir das wollen, wenn wir immer die Würde des Menschen heben wollen, wenn wir seine Freiheit stärken wollen, wenn wir ihn zu seinem eigentlichen Wesen kommen lassen wollen, ihm auf der anderen Seite eben auch mehr Verantwortung zumuten müssen. Ja, es ist eine Notwendigkeit, es entspricht seinem Wesen, ihm mehr Verantwortung zu geben.
({1})
Darum bringt dieses Gesetzeswerk nicht nur eine Fülle von Mehrleistungen, sondern auch eine Fülle von Mehrverantwortung, von Anspruch an den Geist des Menschen, der eben nicht nur mit Geldleistungen befriedigt werden kann, sondern der sich selbst betätigen und eigenen Willen dazu haben muß.
({2})
Freiheit ist für uns eine Angelegenheit, die wir in der Chance, aber auch im Risiko erkennen. Wir bejahen, daß Chance und Risiko dazu gehören.
Natürlich wären wir schlechte Sozialpolitiker, würden wir nicht dazusetzen, daß wir eine Grenze dieses Risikos sehen wollen, eine Grenze, die wir in die Sozialgemeinschaft all dieser Betroffenen einbetten. Man kann sich natürlich darum streiten, wo diese Grenze zu setzen ist, und offensichtlich geht
darum der Streit. Jedenfalls lehnen wir die Gläubigkeit zur Organisation ab. Wir wollen die freie Entscheidung des Menschen, soweit wir irgend können, bewahren. Wir wollen ihm optimale Leistungen, nicht maximale geben, wie es der Minister soeben gesagt hat, wie es mein Kollege Kühn schon bei der Beratung der Rentenanpassungsgesetze gesagt hat. Meine Damen und Herren, so wollen Sie bitte die Gesetze auch im einzelnen sehen, so sollen Sie sie würdigen, auch wenn Sie an Einzelbestimmungen Kritik zu üben bereit sind.
Zunächst einmal will ich etwas zur Verbesserung des bisherigen Kindergeldrechts sagen. Dieses Gesetz ist notwendig, weil dieses Hohe Haus schon in der vorigen Legislaturperiode durch eine Gesetzesbestimmung festgelegt hat, daß die Vereinheitlichung der Auszahlung notwendig sei. Es ist also die Erfüllung einer Pflicht, wenn wir das Kindergeldrecht vereinheitlichen. Zu der Erkenntnis, den Auszahlungsmodus zu vereinheitlichen, hat uns nicht nur der Ansturm gebracht, sondern das ergibt sich einfach aus der praktischen Notwendigkeit, schon um des Familienvaters willen, der wegen des Zweitkindes zu einer anderen Institution gehen müßte als wegen des dritten und weiteren Kindes.
Aber nicht erschüttert ist unsere Ansicht von 1954. Es war an sich zweckmäßig, wie wir es damals zu regeln versuchten. Aber eine neue Zeit verlangt neue Überlegungen, und darum gehen wir jetzt auch diesen Weg mit der Regierung. Obwohl es der Herr Minister schon selbst getan hat und Sie dem Beifall gezollt haben, lassen Sie mich im Namen meiner Fraktion noch einmal ausdrücklich den ehrenamtlichen und den beamteten Kräften der Familienausgleichskassen für ihre Arbeit und Mitarbeit von ganzem Herzen unseren Dank sagen!
({3})
Wenn wir uns aber mit dieser Frage der Neuregelung des Kindergeldrechts beschäftigen und wenn wir dann sagen, daß wir auch die Leistungsverbesserungen für gut halten, gestatten Sie mir doch zusätzlich ein Wort an die Kritiker, die bei uns immer nur das Kindergeld sehen und unser System in Deutschland an den anderen Systemen nur von diesem Gesichtspunkt her messen. Es ist einfach falsch, zu meinen, ,die Familienpolitik unseres Staates erschöpfe sich in der Zahlung des Kindergeldes. Wir wären in der Tat ein armseliger Staat, wenn wir nur den dritten, ,den vierten und weiteren Kindern je 50 DM im Monat jetzt - früher weit weniger - gäben. Nein, zu diesen Leistungen gehört die Fülle der sonstigen Vergünstigungen, sei es im Steuerrecht, im Sparprämiengesetz, 'sei es im Wohnungsbauprämiengesetz, und was Sie immer dabei aufführen wollen, etwa die Kinderzulagen in den Sozialversicherungsgesetzen, und wo immer Sie das alles miteinander sehen. Aber eben weil dieses andere uns noch nicht genügt, haben wir auch noch die Kindergeldleistungen eingeführt. Wir meinen, daß der Ausbau dieses Rechts eine Angelegenheit ist, der sich dieses Hohe Haus nie wird entziehen können. Auch wenn dieses Gesetz hinter uns liegt, werden wir immer wieder
noch einmal darüber diskutieren müssen, ob es denn nun den Stand erreicht habe, an dem man keine Verbesserungen mehr anbringen könnte.
Wir sind der Meinung, daß die Verbesserungen, die die Regierung vorschlägt, insbesondere die Erhöhung des Kindergeldes vom dritten Kind ab um ein Viertel der jetzigen Leistungen, sich sehen lassen können, zumal wir diese Erhöhungen im Zusammenhang mit der Übernahme der Leistungen, die bisher die Wirtschaft getragen hat, auf den Bundesetat einführen 'werden und wollen. Wer könnte denn achtlos daran vorübergehen, daß eine Mehrbelastung des Bundeshaushalts eintritt - eine Mehrbelastung gegenüber der bisherigen Belastung für dais Zweitkindergeld -, .die jährlich etwa 1400 Millionen ausmacht? Das ist keine Kleinigkeit. Auch dies muß gesehen werden, und wir müssen ,feststellen und nehmen es für uns in Anspruch, daß auch diese Mehrbelastung nur möglich ist, weil unsere Wirtschaftspolitik den Aufschwung in unserem Volke überhaupt ermöglicht hat.
({4})
Ich möchte zum Kindergeldneuregelungsgesetz im übrigen nicht viel mehr ,ausführen. Wenn es sich aus der Diskussion 'ergeben sollte, werden meine Kollegen bereit sein, auch dazu noch Stellung zu nehmen.
Ich möchte jetzt auf das Lohnfortzahlungsgesetz eingehen. Unsere Fraktion hat in der Vergangenheit mehrfach festgestellt, daß sie es ablehnt, irgendwelche sozialpolitische Maßnahmen - übrigens wie auch auf anderen Gebieten - nach dem Gesichtspunkt zu behandeln, man müsse alles oder nichts bieten. Nein, wir haben immer gesagt, man muß auch eine Evolution, eine Entwicklung mitmachen können. Schon im Jahre 1957, als das erste sogenannte Lohnfortzahlungsgesetz verabschiedet wurde - das eigentlich ganz anders heißen müßte -, haben die Sprecher meiner Fraktion betont, daß sie dies nicht als einen Endpunkt der Entwicklung ansehen, 'sondern daß es unser Ziel bleibt, die wirkliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten im Krankheitsfalle zu erreichen. Aber wir waren nicht so töricht, diesen Schritt in einem Satz zu tun und damit den Grund für die Gefahr zu legen, daß das gesamte Wirtschaftsgefüge ins Schwanken kommt.
Wir haben 'im Jahre 1961 einen weiteren Schritt getan. Kluge Leute könnten uns sagen: Warum tut ihr denn überhaupt einen weiteren Schritt; denn der Arbeiter hat ja jetzt im Krankheitsfall das gleiche, was er hätte, wenn er arbeiten würde.
Meine Damen und Herren, gewiß hat er das gleiche, und er hat - horribile dictu - geradezu noch mehr, wenn er es versteht, im Lohnsteuerjahresausgleich die entsprechenden Anträge zu stellen. Wovon ich jetzt spreche, ist nahezu eine Unsittlichkeit, die wir hier im Gesetz verankert haben - nageln Sie mich nicht fest darauf, so hart sollte es gar nicht herauskommen.
Aber nicht das empfangene Entgelt ist es, das uns dazu bringt, heute zu dem Regierungsentwurf des Lohnfortzahlungsgesetzes ja zu sagen, sondern die gesellschaftspolitische Bedeutung, die hinter diesem Schritt liegt, ist es, die uns so uneingeschränkt ja zu diesem Vorhaben der Regierung sagen läßt.
({5})
Wir sind der Meinung, daß die heutige Zeit es nicht verträgt, im Krankheitsfalle bei Arbeitern und Angestellten Unterschiede zu machen. Wir sind der Meinung, daß 'die Mündigkeit des Arbeiters, die Art seiner Beschäftigung, seine größere Verantwortung auch im einfachsten Betrieb durch die Automatisierung und ähnliches, daß alle diese Gesichtspunkte uns einfach zwingen, einen Anspruch des Arbeiters an seinen Arbeitgeber für die gleiche Zeit zu statuieren, in der er krank ist, wie ihn der Angestellt schon länger hat. Das ist nicht Nivellierung und das ist nicht Einebnung, sondern das ist das Heraufholen eines bisher in der Wirtschaft Schlechtergestellten auf einen Stand, den wir als den richtigen ansehen. Die Arbeiter haben es durch ihre Leistung, durch ihre Mitarbeit am Aufbau nach diesem schrecklichen Kriege verdient, daß wir ihnen nun die Gleichstellung für sechs Wochen im Krankheitsfall gewähren.
Dem widerspricht es auch nicht, 'daß angebliche Befragungsergebnisse davon reden, dem Arbeiter selber komme es gar nicht darauf an; es komme ihm nur 'darauf an, das Geld in der Tasche zu haben. Es mag vielleicht sogar richtig sein, daß der eine oder andere sagt, es sei ihm völlig egal, woher er das Geld nehme; es komme ihm nur darauf an, daß er es habe. Das darf aber diesem Hohen Hause nicht egal sein. Es kommt darauf an, daß wir die Anonymität beseitigen, die darin liegt, daß sich der Arbeiter das Geld von einer Kasse abholt. Es kommt darauf an, daß wir den unmittelbaren Kontakt des Arbeiters zum Arbeitgeber haben. Denn, daß hier etwas dahintersteckt, zeigt sich sowohl in dem Bereich der Geschichte, den wir überblicken können, wie auch im Bereich der heutigen Situation. Das vernünftige Arbeitsverhältnis, das wir natürlich nicht wieder einführen konnten, gab es doch einmal bei den Zünften und Innungen, wo der Handwerksmeister seinen Gesellen eben in den Hausstand in allen Bereichen aufgenommen hatte. Das war eine, wie wir 'glauben, glücklichere Zeit, als wir sie heute haben.
Aus der jetzigen Situation folgendes: es kann einfach kein Zufall sein, daß die Zahlen der Arbeitsunfähigkeitsfälle in den größeren Bereichen der Ortskrankenkassen wesentlich höher, ja, nahezu doppelt so hoch sind wie in den überschaubaren Bereichen der Innungskrankenkassen und der Landkrankenkassen. Das ist so, weil in diesen letztgenannten Bereichen von Natur aus das Verhältnis des Arbeiters 'zum Arbeitgeber 'inniger ist, weil eben der Meister seinen Gesellen in allen Lebensbereichen kennt. Hier ist das persönliche Verhältnis für den Gesellen viel deutlicher, so daß er sich sagt: Ich bleibe nicht zu Hause, wenn ich einmal nicht so gut an dem Schraubstock stehen kann; ich kann immerhin noch etwas anderes machen.
Meine Damen und Herren, das ist es auch, was uns - obgleich uns entgegengehalten wird, es werde von den Arbeitern nicht erstrebt - dazu
I bringt, dem Arbeiter diesen Anspruch gegenüber seinem Arbeitgeber zu geben und uns dafür einzusetzen, daß die Vorstellungen der Bundesregierung, so wie sie uns im Gesetzentwurf aufgezeigt werden, verwirktlicht werden. Es paßt nicht in die Zeit, daß der Arbeiter zu einem Kassenschalter gehen muß, um sich für 6 Wochen Geld abzuholen. Es paßt auch nicht mehr in die Zeit, daß er - das ist nach dem heutigen Recht sogar noch getrennt - für einen Teil zum Kassenschalter, für den anderen Teil aber zu seinem Arbeitgeber gehen muß.
Wir sehen ein, daß der Arbeiter, der, wie wir sagen, einen Anspruch an seinen Arbeitgeber hat, wenn er nicht gearbeitet hat, weil er krank ist, diesen Anspruch durch die Bescheinigung des Arztes nachweisen muß. Das hat nichts mit Mißtrauen zu tun; denn sonst wäre jede Sparkasse mißtrauisch, die Ihnen nicht Geld gibt, wenn sie hinkommen und sagen: Ich habe ein Sparkassenbuch. Die Sparkasse wird sagen: Das mußt Du mir vorlegen. So meinen wir, es ist berechtigt, wenn der Gesetzentwurf vorsieht, daß die Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen werden muß, bevor der Arbeitgeber die Pflicht hat, den Lohn auszuzahlen, ohne daß dafür Arbeit geleistet worden ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht verschweigen, daß mir die Kritik, die an dieser Form der Lohnfortzahlung geübt wird und die aus Handwerkskreisen kommt, nicht gerade verständlich ist. Meine Damen und Herren, gerade in diesem Bereich muß man erkennen, daß das unmittelbare Verhältnis zwischen Meister und Gesellen, zwischen Meister und Lehrling verhindern wird, daß die Belastung weiter und weiter und weiter steigt, wie wir es mit großer Besorgnis in der Vergangenheit immer wieder gesehen haben. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, daß hier nur Mißbrauch vorliege, daß die Krankenziffern deswegen stiegen, weil die Leute, ohne krank zu sein, leichter feierten. Ich weiß sehr wohl, daß dafür eine Vielfalt von Begründungen hervorgeholt werden kann, z. B. die Begründung, daß wir durch die Hochkonjunktur auch Menschen beschäftigen, die gegen Krankheit anfälliger sind, oder daß wir in Frauenbetrieben sowieso eine leichtere Anfälligkeit haben. All das wissen wir. Trotzdem meine Damen und Herren, erfüllt es uns mit Besorgnis, wie hoch der Krankenstand heute ist. Wir glauben, die Verpersönlichung des Verhältnisses zwischen Arbeiter und Arbeitgeber kann uns helfen, hier ein bißchen zurückzudämmen, zumal wir auch glauben - lassen Sie mich das dazu sagen
daß der Arbeiter, wenn das Gesetz einmal in Kraft ist und er an sich krank ist, durchaus auch noch einmal in den Betrieb geht und beispielsweise eine Arbeit macht, die sonst liegen bleibt, daß er z. B. etwas sortiert, was er sonst nicht tun konnte. Wir kennen es ja auch von Angestellten heute; sie gehen durchaus noch in den Betrieb, wenn sie einmal Kopfschmerzen haben, die sie berechtigen würden, zu Hause zu bleiben. Sie werden dann eben nicht die große geistige Arbeit leisten, die sie sonst zu leisten haben, sondern werden sich vielleicht einmal damit begnügen, die Karteikarten endlich an die Stelle zu stellen, wo sie sie nicht hinstellen konnten, weil sie bislang die andere Arbeit überwältigt hat. Wir glauben also, daß dieses Neuregelungsgesetz die Chance bietet, die Krankenzahlen - nicht: herunterzudrücken; das würde wieder bedeuten, daß man meint, dahinter stecke etwas Schlimmes - durch dieses gebesserte Verhältnis auf ein normales Maß zurückzuführen.
Ich wäre töricht, würde ich verschweigen, daß es meiner Fraktion, der Regierung und sicher jedem hier im Hause klar ist, daß die Einführung der Lohnfortzahlung eine entschiedene, ja, eine schwere Belastung für den einzelnen Betrieb bildet, ja, daß sie in Einzelfällen, wenn eine große Morbidität auftritt, der Ruin eines Betriebes sein könnte. Wer möchte das leugnen? Der Betrieb hat es nicht in der Hand, ob von seinen fünf Gesellen, Gott sei es geklagt, wirklich alle fünf krank werden. Das wäre für den Betrieb sicherlich untragbar. Darum mußten wir danach streben, ein kalkulierbares Risiko daraus zu machen und einen Ausgleich vorzunehmen.
Der Schritt, den die Bundesregierung vorschlägt, ist einer der Schritte zu diesem Ziel. Er wurde insbesondere von Wirtschaftskreisen gewünscht. Er hat den Vorteil, daß er das Risiko nicht der gesamten Wirtschaft auflastet, also nicht z. B. die niedrigen Krankenzahlen der Innungskrankenkassen in einen Topf wirft mit den höheren Krankenzahlen der Ortskrankenkassen. Aber er hat den Vorteil, daß die großen Betriebe ebenfalls mit drin sind. Wir sind für Vorschläge jeder Art aufgeschlossen. Aber wir meinen, daß das der beste Weg ist, den wir finden konnten, um das Risiko kalkulierbar zu machen, und darauf kommt es an.
Wer dies bejaht und außerdem bejaht, daß wir uns im Bereich der sozialen Sicherung insgesamt mehr Verantwortung vor Augen führen, der kann selbstverständlich nicht verlangen, daß eine restlose Anonymität auf der Arbeitgeberseite eingeführt wird. Wer verlangt, daß der Arbeiter, der in der Krankenversicherung versichert ist, mehr zum Bewußtsein seiner Verantwortung geführt wird, der kann nicht verlangen, daß der Arbeitgeber nicht an diesem ganzen Bereich beteiligt wird. Deshalb sieht die Regierung vor, daß drei Viertel der Belastungen, die durch die Lohnfortzahlung an Arbeiter neu auf die Wirtschaft zukommen, durch eine bei den Krankenkassen zu errichtende Ausgleichskasse ausgeglichen werden können.
Dieser Schritt, den wir wagen, die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer während sechs Wochen, ist ein großartiger Schritt. Er ist ein Schritt in Neuland, ganz sicher. Aber er bringt - hier wiederhole ich das Wort von Minister Blank - größere Freiheit und eine großartige Leistung auch für den Familienvater, der gewiß noch manchmal in großer Sorge war, wenn er krank wurde und nicht den vollen Lohn weiterbezog. Wir meinen, daß dieser Schritt dem Arbeiter mehr Freiheit bringt und dem Angestellten nichts nimmt, ihm aber in vieler Hinsicht eine größere Sicherung auch in seinem Bereich gewährleistet.
Hier aber - auch das hat der Minister in einem anderen Zusammenhang gesagt -, in dieser größeren Freiheit, in diesem Hinordnen zu einem besseren
2432 Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 55. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 23. Januar 1963
Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeiter, liegt auch der Zusammenhang mit dem dritten Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung behandeln. - Ich will sehr vorsichtig sein, damit mir nicht bei diesem dritten Gesetzentwurf eine Vorwegnahme der Ausschußberatung passiert. - Hier liegt der Zusammenhang zu diesem dritten Gesetzentwurf, der Neuregelung der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich habe mehrfach davon gesprochen, daß Freiheit und Verantwortung zusammengehören. Ich will ausdrücklich noch einmal sagen, daß das Mehr an Verantwortung, das wir fordern, niemals die Grenze zum Unzumutbaren hin überschreiten soll. Auch alles, was im Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz der Regierung vorgesehen ist, ist von sozialen Gesichtspunkten bestimmt. Alles, was an größerer Verantwortung dort eingebaut ist, hat seine Grenze im sozial Zumutbaren und Ertragbaren. --- Dieses Wort vorweg.
Lassen Sie mich dann einiges zum Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom Standpunkt meiner Fraktion aus sagen.
Die Bedeutung dieses Gesetzes - ich habe es schon vor drei Jahren ausgeführt - liegt darin, daß ein ungemein großer Teil unserer Bevölkerung durch die gesetzliche Krankenversicherung, sei es als Pflichtversicherte, sei es als freiwillig Versicherte, erfaßt ist. Aber obwohl das so ist, oder vielleicht auch gerade weil das so ist, kann dieses Gesetz - lassen Sie mich dies unterstreichen - niemals ein Gesetz werden, das jedem die Gesundheit garantiert. Dieses Gesetz ist dazu da, dafür zu sorgen, daß, wenn eine Krankheit auftritt, alle medizinisch denkbaren Leistungen erbracht werden, um die Gesundheit wiederherzustellen. Dieses Gesetz ist dazu da, dafür zu sorgen, daß, wo sich Krankheiten andeuten, vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden. Dieses Gesetz ist dazu da, daß, wenn jemand krank geworden ist, dafür gesorgt wird, daß er nicht in seinem wirtschaftlichen Leben eine schwere Einbuße erleidet.
Wir führen zum zweiten Male eine erste Debatte um ein Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz. Gewiß können Sie den Vorwurf erheben, wir hätten dieses Gesetz im vorigen Bundestag verabschieden können, Ganz sicher! Wir glauben aber - schauen wir nur zurück! -, daß auch diese Zeit von Nutzen war.
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Wir haben eine Menge Erkenntnisse gewonnen, und die Regierung hat eine Menge von Vorschlägen, die im Ausschuß erarbeitet worden waren, jetzt in dieses Gesetz hineingenommen. Wir glauben vor allem, daß jetzt die Lösung, die die Regierung vorschlägt, um die Eigenverantwortung zu stärken, von allen hier im Hause, wenn sie nur guten Willens sind und dahinter sehen, was es wirklich ist, mitgetragen werden kann.
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Zu den Verbesserungen, die dieser Gesetzentwurf bringt, möchte ich darauf hinweisen, daß zwei entscheidende Verbesserungen, die im vorigen Gesetzentwurf noch standen, in diesem nicht mehr stehen, weil wir sie schon konsumiert haben. Es ist die Verbesserung beim Krankengeld nach der sechsten Woche, und es ist die Beseitigung der Aussteuerung. Hier liegt einer der entscheidenden Punkte für die Aufgabe der Krankenversicherung, die wirtschaftliche Situation des Kranken zu verbessern und seinen Lebensstandard nicht abfallen zu lassen. Für die ersten sechs Wochen haben wir - führen wir alle drei Gesetze ein - eine Sorge weniger; denn da wird der volle Arbeitslohn weitergezahlt. Schwierig wird es nach sechs Wochen, und dann ist der Eingriff in das Leben einer Familie, deren Ernährer krank geworden ist, schwer. Wir haben die Heraufziehung des Krankengeldes nach den sechs Wochen schon vorweggenommen, und wir haben dafür gesorgt, daß die Aussteuerungsgrenze so weit hinausgeschoben wird, daß man als nahezu sicher erwarten kann, daß, sollte die Krankheit länger dauern, inzwischen die Rentenversicherung der verschiedenen Formen eingreifen wird; obwohl ich nicht leugne, daß es immer noch Fälle gibt, in denen sehr schwerwiegende Ereignisse eintreten können, etwa dann, wenn nur Berufsunfähigkeit anerkannt wird, der Betreffende aber über die Frist hinaus noch im Krankenhaus liegt. Aber niemand, meine Damen und Herren, kann leugnen, daß diese beiden Bestimmungen wesentliche Verbesserungen waren und eigentlich in dieses Gesetz gehören.
Was nun dieses uns zur Beratung vorliegende Gesetz angeht, so meinen wir, daß darin der richtige Weg dafür gefunden ist, auch den Versicherten alle Vorteile neuer medizinischer Erkenntnisse zugänglich zu machen. Es ist nicht so, daß das eine Armenversicherung wäre und daß man, um eine besondere neue medizinische Erkenntnis für sich auszuwerten, zum Privatarzt gehen müßte. Nein, meine Damen und Herren, gerade die Neuregelung in diesem Krankenversicherungsgesetz soll dazu führen, daß auch jedem Versicherten - jedem, ob er als Rentner versichert ist, ob er als Arbeiter versichert ist, ob er in der Innungskrankenkasse oder in einer anderen Kasse versichert ist - die neuesten Erkenntnisse der Medizin zugute kommen.
Zugleich aber müssen wir darauf achten - und ich kann nur wieder sagen: wir müssen das an jeder Stelle des Sozialversicherungsrechts tun -, daß wir die Solidarität der Versicherten nicht überbeanspruchen. Wir müssen insbesondere bei Behandlung dieses Gesetzentwurfs und der Krankenversicherung auch einmal überlegen, daß heute das System in einer Art Nebel der Anonymität liegt. Welcher Versicherte weiß denn wirklich, welchen Beitrag zur Krankenversicherung er bezahlt?
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Die versiertesten Arbeitnehmer, die Sie auf der Straße fragen, welchen Beitrag sie zahlen, werden Ihnen zwar antworten können, welche Sozialversicherungsbeiträge sie insgesamt zahlen, aber der allergeringste Teil wird sagen können, welchen Krankenversicherungsbeitrag er zahlt. Wenn Sie den Arbeitnehmer dann noch fragen, wieviel von diesem Beitrag etwa fürärztliche Leistungen ausgeStingl
geben werden muß, muß er schweigen. Er kann das bei dem heutigen System nicht übersehen.
Darum meinen wir, wir müssen heraus aus diesem Nebel der Anonymität. Wir müssen dem Versicherten soviel Individualität geben, wie überhaupt erträglich ist. Dieser Individualität muß es dienen, daß man ihn bei den Kassen kennt; das ist bis jetzt nicht der Fall. Die Einführung des Sonderbeitrages hat sicher sehr verschiedene Gründe, aber unter anderem auch den, daß es ein Einzelkonto des Versicherten bei der Krankenkasse geben wird, damit der Versicherte selber für die Krankenkasse kein Unbekannter mehr ist und 'damit er nicht mehr nur ein Name auf einer Liste eines Betriebes ist. Die Kasse kennt den Versicherten nicht, der Versicherte kennt seinen Beitrag nicht, der Versicherte kennt die Leistung nicht, der Arzt weiß nicht, was er für seine Leistung zu bekommen hat, weil er eine Gesamtvergütung erhält. Der Arzt weiß zwar, was er 'geleistet hat, aber er weiß auf Grund verschiedener Dinge - Heckenschnitt und ähnliches; Sie kennen die Fachausdrücke - nicht, ob ihm. alle Leistungen vergütet werden. All dies ,gilt es zu beseitigen.
Wer modern sein will, muß erkennen, daß der Arbeiter heute wissen will, was mit seinem Geld geschieht, daß er selbst an diesen Entscheidungen beteiligt sein will; hier hilft nicht die Einführung der Selbstverwaltung.
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Es genügt nicht, daß er einmal in einem Zeitraum
von zwei Jahren - vielleicht vergrößern wir den
1) Zeitraum auch noch - seinen Stimmzettel abgibt und sich dann allen Entscheidungen der Selbstverwaltung fügt. Der lebendige, immer wieder genährte Kontakt zwischen ihm und der Kasse, ihm und dem Arzt, dem Arzt und der Kasse sollte die Krankenversicherung - sollte sie wirklich, wie man so häufig hört, krank sein - gesunden lassen.
Der Entwurf wird von der Bundesregierung mit einer gegenüber dem bisherigen Recht neuen Kennzeichnung des Personenkreises vorgelegt. Er führt auch für die Arbeiter eine Pflichtgrenze ein. Wir bejahen die Einführung der gleichen Pflichtgrenze für Arbeiter wie für Angestellte; 'denn wer bejaht, daß der Arbeiter wie der Angestellte sechs Wochen lang sein volles Entgelt 'bekommen soll, muß natürlich im Bereich der Solidaritätsversicherung die gleichen Grundsätze gelten lassen.
Wir verkennen nicht, daß in diesem Punkte Kritik angemeldet wurde. Es wurde beispielsweise gesagt - damit hat sich auch der Herr Minister auseinandergesetzt -, daß der Familienvater, der Arbeiter sei - bei den Angestellten haben wir die Kritik übrigens nie gehört -, nunmehr nicht mehr der Versicherungspflicht unterliege und den Beitrag ganz bezahlen müsse. Das gilt natürlich auch für Ledige; für den Familienvater wurde gesagt, sei das aber ganz besonders schwer. Abgesehen davon, daß die Herausnahme der Belastung, die die Krankenkasse durch das Krankengeld trägt, dazu führen muß, daß der Krankenversicherungsbeitrag sinkt und damit die Berechnungen, die man uns aufgemacht hat, nicht mehr stimmen, glaube ich, daß es hier ein Feld der Betätigung gibt, von außen her der
Familie, wenn es notwendig ist, zu helfen. Und im übrigen: welch herrliches Betätigungsfeld ergibt die Zahlung des Beitrags des freiwillig Versichertenfür die Verhandlungen ,der Tarifvertragsparteien! Wie kann man doch da in den Verhandlungen wieder etwas neu ins Gespräch bringen!
Nicht zu verkennen ist, !daß der Herausfall von 2,7 Millionen Arbeitern aus der Versicherungspflicht mit Kritik gesehen wird. Wir wissen das. Wir 'wissen aber auch, daß in unserem Volk viel Angst dadurch verbreitet wird, daß man so tut, als ob diejenigen, ,die ,aus der Versicherungspflicht herausfallen, auch aus der Berechtigung herausfielen. Das ist einfach nicht wahr. Auch nach dem Regierungsentwurf fallen aus der Versicherungsberechtigung nur diejenigen heraus, deren Jahreseinkommen 15 000 DM übersteigt und die unter 40 Jahre alt sind. Das ist gewiß ein kleiner Personenkreis. Sicherlich kann man darüber nachdenken, ob die Grenzen richtig gefunden sind. Aber eines jedenfalls wollen wir feststellen: wir halten fest an der gleichen Versicherungspflichtgrenze für Arbeiter und Angestellte, und wir wissen dabei, 'daß wir für die Arbeiter insoweit eine Begünstigung in dieser Grenze haben, als die Zuschläge um der Vereinfachung willen einfach nicht berücksichtigt werden können.
Lassen Sie mich auch ein Wort zu einer familiengerechten Versicherungspflichtgrenze sagen. Über das hinaus, was der Herr Bundesminister schon ausgeführt hat - die Gefährdung des Arbeitsplatzes, die eintreten könnte, wenn die Konjunktur einmal nicht 'den Aufschwung hat, den sie heute verzeichnet -, ist zu beachten, daß allein 'durch die Kinderzuschläge für den Familienvater effektiv die Grenze in der Sozialversicherung höher liegt.
Lassen Sie mich auch ein Wort zu !der Ansicht sagen, man müsse die Versicherungspflichtgrenze variabel halten, man müsse sie etwa mit der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung oder mit sonstigen Größen steigen oder fallen lassen. Das ist in 'diesem System einfach unmöglich. Man kann nicht eine variable Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung einführen, weil. das dazu führen würde, daß der gleiche Versicherte im gleichen Jahr oder jedenfalls in zwei aufeinanderfolgenden Jahren einmal versicherungspflichtig, im nächsten Augenblick versicherungsfrei wird; die Grenze überholt ihn wieder, er wird wieder versicherungspflichtig. Eine solche Möglichkeit, eine variable Versicherungspflichtgrenze einzuführen, gibt es nicht. Wir meinen also, daß der Vorschlag, den uns 'die Bundesregierung macht, richtig ist, und daß wir 'diesen Vorschlag vertreten sollten.
Eine weitere Verbesserung in diesem Gesetz wird leider häufig übersehen, gewiß weil man sagen kann: auch heute gibt es keine Fälle, in denen die Familienhilfe durch eine Kasse versagt wird. Aber immerhin, wer garantiert uns, daß nicht vielleicht einmal !die Situation eintritt, in der die Krankenkassen Kann-Leistungen abbauen müßten. Darum möge beachtet werden, daß 'der Vorschlag der Bundesregierung die Familienhilfe zur Pflichtleistung macht und daß in dieser Familienhilfe wirklich dar2434
auf Rücksicht genommen wird, daß man auch eine Haushilfe bezahlen will und daß man den Zusammenhalt der Familie stärken will. Gerade dieser Punkt ist in der Diskussion beinahe immer übersehen worden. Man tut so, als sei das schon eine Selbstverständlichkeit.
Es wird immer wieder übersehen, daß der Regierungsentwurf eine wesentliche Verbesserung in der Mutterschaftshilfe bringt. Das bedeutet immerhin eine Belastung für den Bundesetat von jährlich über 200 Millionen DM. Auch dies sollte einmal 'in der Offentlichkeit gesagt werden. Hier geht es darum, auch die Ehefrau .des Versicherten, die nicht selber arbeitet, besserzustellen als bisher.
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Wir haben auch zu verzeichnen, daß über die Vorsorgemaßnahmen, die im Gesetz vorgesehen sind, beinahe nicht mehr gesprochen wird; sie sind sozusagen schon selbstverständlich. Jedoch führt sie der Regierungsentwurf erst ein, es gibt sie heute nicht. Und wenn einer sagt: „Ich werde heute doch von meinem Arzt untersucht, auch wenn er feststellen muß, daß ich gesund bin!", so ist das einfach contra legem. Wir wissen, daß das teilweise so gehandhabt wird. Aber dieser Gesetzentwurf bringt die Möglichkeit, von Rechts wegen eine Vorsorgeuntersuchung durchzuführen, um Krankheiten früh erkennen zu können.
Die Abgrenzung der Leistungen der Krankenversicherung gegenüber anderen verpflichteten Leistungsträgern wird schon im UnfallversicherungsNeuregelungsgesetz neu gefaßt. Ich habe darauf auch bereits in meiner Bemerkung zu den Kosten bei der Mutterschaftshilfe angespielt.
Nun lassen Sie mich etwas zu dem sagen, was am meisten in diesem Gesetz angeriffen wird: der Sonderbeitrag tut es den Kritikern .an. Es wird ins Feld geführt, hier sei eine unzumutbare Belastung. Es wird ins Feld geführt, er sei gesundheitsschädlich, und was immer der Argumente mehr sind. Meine Damen und Herren, sehen Sie ihn zunächst noch einmal unter dem Gesichtspunkt, den ich vorhin genannt habe: Wir wollen in der sozialen Krankenversicherung so weit wie irgend möglich und tragbar die Persönlichkeit selbst mit entscheiden lassen. Wir wollen durch diesen Sonderbeitrag aber auch gerade die Anonymität aufheben und zu einer besseren Klärung des Verhältnisses des Versicherten zum Arzt, des Versicherten zur Kasse und der Kasse zum Arzt kommen. Denn wenn von diesem Sonderbeitrag, der auf einem eigenen Konto aufgeführt werden muß, 25 % der Arzt- und der Zahnarztkosten abgebucht werden sollen, wird es sich dann der Patient, der Versicherte, gefallenlassen, daß ihm nicht gesagt wird, wie hoch diese 25 % sind? Daher ist mit dem Sonderbeitrag, mit ,der Einführung dieser größeren Individualtät unmittelbar die Kostenkenntnis des Patienten verbunden. Der Arzt muß verpflichtet sein, dem Patienten mitzuteilen, welche Leistungen er erbracht hat und wie groß sein Leistungsanspruch gegenüber der Kasse und natürlich auch gegenüber dem Versicherten ist.
Wer behauptet, dieser Sonderbeitrag sei eine Barriere zum Arzt, der verkennt einfach die Gesinnung und Gesittung der deutschen Arbeiterschaft.
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Kann mir jemand im Ernst sagen, in unserem Volk gebe es einen Arbeiter, der eine schwere Erkrankung oder eine Erkrankung hat, die schwere Folgen haben kann, und sich nicht vom Arzt behandeln läßt, weil er drei, vier, fünf oder zehn Mark zurückerhalten habe, Geld, 'das er nicht etwa erst auszugeben braucht, sondern das auf einem Konto für ihn gutgeschrieben ist? Wer dies sagt, meine Damen und Herren, unterstellt diesem Menschen Verantwortungslosigkeit, und wir wehren uns gegen eine solche Unterstellung.
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Dabei muß auch noch beachtet werden, ,daß der Sonderbeitrag keine zusätzliche Belastung gegenüber dem bisherigen Recht darstellt - mindestens bei den Arbeitern nicht -; denn die Lohnfortzahlung muß, ich sagte es schon einmal, notwendigerweise eine Beitragssenkung bringen. Diese aber kann verwendet werden, um den Individualbeitrag, den Sonderbeitrag anzusammeln.
Wenn aber der Arzt-damit will ich den Gedanken von der Beseitigung der Anonymität weiterführen - dem Patienten eine Rechnung auszustellen hat, muß logischerweise der Betrag, den er auf die Rechnung für ,den Patienten schreibt, ihm auch zustehen. Wir halten es also für unbedingt erforderlich, daß die Bezahlung der Einzelleistung des Arztes eingeführt wird. Dann kann nicht mehr das Gesamtpauschale und auch nicht mehr das Fallpauschale gezahlt werden. Wenn der Arbeiter seine Rechnung kennen soll, dann muß der Arzt diese Rechnung auch bezahlt erhalten.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang ein Wort zum Arztrecht. Wir halten die Kassenärztlichen Vereinigungen, sowohl die in der unteren Ebene wie die auf Bundesebene, für unbedingt und absolut notwendig. Nach unserer Meinung hat die Entwicklung in der Geschichte dazu geführt, ,daß der Zusammenschluß der Ärzte gegenüber dem Verhandlungspartner Krankenkasse notwendig ist. Wir halten auch den Vorschlag der Bundesregierung, daß die Gebührenordnung ausgehandelt wird, für richtig. Wir finden es ebenfalls richtig, daß man individuellen Verhältnissen in verschiedenen Gegenden - ob das allerdings auf die Kassen bezogen sein muß, ist zweifelhaft - Rechnung tragen muß. Allerdings wird man Sorge dafür tragen müssen, daß sich das nicht in einer unterschiedlichen Belastung des einzelnen auswirkt; denn sonst könnte es sein, daß bei einer reichen Kasse ein armer Straßenfeger mehr Selbstbeteiligung zahlen muß als bei einer armen Kasse ein freiwillig weiterversicherter Generaldirektor. Das Beispiel ist ein bißchen absurd, aber es sollte immerhin deutlich machen, was ich meine. Nach unserer Ansicht ist also der Vorschlag der Regierung richtig, daß die Gebührenordnung ausgehandelt werden muß.
Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung zu einer Sache, in der ich häufig angegriffen worden bin. Ich habe in meinem Artikel von einem Ortszuschlag als einem Beispiel gesprochen. Ich wollte damit nicht sagen, daß er eingeführt werden soll, sondern ich habe nur darauf verwiesen, daß es derartige Systeme gibt. Ich meine also nicht, daß die Gebührenordnung jetzt mit Ortszuschlägen versehen werden sollte.
Der Regierungsentwurf sieht auch eine Selbstbeteiligung bei den Arzneimitteln vor. Niemand wird bestreiten, daß der Verbrauch an Arzneimitteln, wie er uns vom Minister dargestellt wurde - 1957 747 Millionen, 1962 1250 Millionen DM - erschrekkend hoch ist. Die Steigerung der Ausgaben kann nicht daran liegen, daß die Medikamente um soviel teurer geworden sind, sondern sie liegt offensichtlich daran, daß der Verbrauch an Arzneimitteln zugenommen hat. Niemand wird auch bestreiten können, daß allein der höhere Verbrauch von Arzneimitteln kein Beweis dafür ist, daß die Bevölkerung gesünder wird,
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im Gegenteil. Darum sollten wir auch beim Verbrauch dieser Dinge eine größere Besinnung hervorrufen, und dazu soll dieser Beitrag dienen.
Selbstverständlich - darüber kann gar kein Zweifel bestehen - muß man jedem, der eine lange Krankheit erlebt, die Chance geben, daß diese Beteiligung herabgesetzt wird. Das ist im Regierungsentwurf auch vorgesehen.
Das dritte, was hier bekämpft wird, ist die Beteiligung an den Krankenhauskosten. Meine Damen und Herren, wenn es irgendwo überhaupt kein Argument gegen eine Beteiligung gibt, dann meiner Meinung nach hier. Denn diese Beteiligung trifft den Kranken nur so lange, wie er sein volles Arbeitsentgelt weiterbezieht. Es ist doch einfach unsinnig, zu sagen, daß die wirtschaftliche Situation dessen, der drei Mark für einen Krankenhaustag zahlt, gefährdet sei, obwohl er sein volles Einkommen weiterbezieht. Das ist einfach böswillig!
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- Herr Killat, auch der, der 150 Mark Rente bekommt, ist, wenn er im Krankenhaus liegt, von einer ganzen Reihe von Verpflichtungen entlastet. Im übrigen haben Sie mir ein gutes Stichwort gegeben. Wir glauben, daß wir in der Frage des Sonderbeitrages, des Arzneimittelbeitrages und der Krankenhauskostenbeteiligung der Rentner eingehende Überlegungen anstellen müssen, und sei es nur deshalb, weil es problematisch ist, ob man nur die Rente oder das ganze Einkommen berücksichtigen müßte. Ich erkläre also nachdrücklich, daß im Ausschuß die Frage, wie, wann und in welcher Höhe die Rentner den Sonderbeitrag bezahlen sollen, wie sie zur Beteiligung bei den Arzneimittel- und den Krankenhauskosten herangezogen werden, eingehend beraten werden muß. Jedenfalls aber kann der Versicherte, solange er sein volles Arbeitsentgelt weiter erhält, die Beteiligung an den Krankenhauskosten ohne jede Gefährdung tragen.
Zur Auflockerung der Anonymität gehört auch die Regelung des vertrauensärztlichen Dienstes. Nicht wegen eines größeren Mißtrauens wollen wir den unmittelbaren Kontakt des behandelnden Arztes zum Vertrauensarzt, sondern weil es medizinisch erforderlich ist. Wie ist es heute: Der arbeitsunfähige Kranke wird nach rein kassenmäßigen Überlegungen zum Vertrauensarzt befohlen; wenn die Krankheit acht Tage dauert und es steht auf dem Schein, er hat ein Bein ab, dann wird trotzdem die vertrauensärztliche Untersuchung angeordnet. Wir wollen, daß der behandelnde Arzt dem Vertrauensarzt eine Art Kurzgutachten überläßt und daß aus diesem Kurzgutachten der Vertrauensarzt entnimmt, wann er in eine zusätzliche medizinische Beurteilung des Falles eintreten müßte. Wir glauben, daß das der Weiterentwicklung eines vernünftigen ärztlichen Dienstes an den Versicherten und nicht einer Verschärfung der Kontrollen dient. Im Gegenteil, dadurch wird eine ganze Reihe unnützer Aufforderungen, zum Vertrauensarzt zu gehen, wegfallen. Es wird gar nicht nötig sein, die Zahl der Vertrauensärzte zu erhöhen. Wer weiß, wieviel Vorladungen hinausgehen und wie wenig Untersuchungen durchgeführt werden müssen, weil bei einem großen Teil der Fälle gar kein Anlaß zur Untersuchung mehr besteht, der weiß auch, daß ich damit recht habe.
Wir möchten deutlich sagen, daß wir die Gliederung der Kassen, so wile sie entstanden und gewachsen ist, bejahen. Meine Damen und Herren, das ist kein Lippenbekenntnis, sondern das gründet auf den Erfahrungen der Vergangenheit, das gründet z. B. auf dem, was ich zu den Land- und innungskrankenkassen sagte.
Wir meinen, daß der Einwand, die Verwaltung des Sonderbeitrages und alles andere, was in dem Entwurf stehe, erhöhe die Verwaltungskosten, sicherlich 'gehört werden muß. Sicherlich muß man sich Gedanken darüber machen, wie der Sonderbeitrag verwaltet wird. Aber daß nun mehr Verwaltungskosten entstünden, als der Sonderbeitrag überhaupt ausmache, das ist einfach, meine Damen und Herren, verzeihen Sie, dummes Gerede.
Die Neuordnung des Kindergeldgesetzes, die Neuordnung der Lohnfortzahlung, die Neuordnung der Krankenversicherung sind Fortschritte, sind Schritte auf dem Wege in dem Ausbau unseres Staates zum sozialen Rechtsstaat, wie wir ihn uns vorstellen.
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Wer immer wieder sagt, dies geschehe auf dem Rücken eines bestimmten Bevölkerungsteiles, nämlich auf dem Arbeitnehmer, der möge sich als einziges Argument einmal vorhalten, daß diese Gesetzentwürfe bei der günstigsten Rechnung 1,4 Milliarden DM Mehrbelastung für die Wirtschaft und 1,6 Milliarden DM Mehrbelastung für den Bundeshaushalt bedeuten. 3 Milliarden DM mehr werden also durch dieses Sozialpaket den Arbeitnehmern neu zur Verfügung gestellt. Sie dienen dazu, den sozialen Frieden in unserem Volk weiter zu festi2436
gen. Wer kann da leugnen, daß diese Gesetze ein Fortschritt sind!
Sie sollen allerdings auch jedem einzelnen die größere Erkenntnis bringen, daß er 'an der Last der Solidarität mitträgt, daß er nicht einfach am Lohnzahlungstag etwas abgezogen bekommt und das gar nicht mehr als sein Geld empfindet. Sonderbeitrag, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Kindergeldneuregelung sollen ihm vielmehr vor Augen führen, daß die Gemeinschaft an seinen Lasten mitträgt, daß aber auch er 'seinen Anteil an diesen Lasten hat. Wir wollen nicht weiter ins Kollektiv hineingehen, sondern wir wollen den einzelnen aus der kollektiven Umklammerung befreien. Wir wollen ihn nicht in eine Organisation einspannen, sondern ihn, soweit möglich, frei machen. Jeder soll vor der Not bewahrt sein, jeder soll aber auch Verantwortung spüren, Verantwortung für sich, Verantwortung aber auch für das Ganze. Wir bitten Sie, diesen Gesetzen zuzustimmen.
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Meine Damen und Herren, vor der Mittagspause wird noch der erste Redner der Opposition, Herr Professor Schellenberg, zu Wort kommen. Er sagt mir, daß er ungefähr eine Stunde benötigen werde. Dann wird eine Mittagspause von 1 1/2 Stunden eingelegt. Danach wird der erste Redner der Freien Demokratischen Partei zu Wort kommen.
Das Wort hat Herr Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers haben bei mir die Erinnerung ,an seine Ausführungen vor drei Jahren wachgerufen, mit denen er damals den dann so kläglich gescheiterten Gesetzentwurf der Regierung begründete.
({0})
Dies auch deshalb, weil der Herr Bundesarbeitsminister heute verschiedentlich Zitate gebrauchte, die er uns auch damals darbot. Aber vor drei Jahren hatte wenigstens der Hauptsprecher der CDU/CSU-Fraktion, Herr Kollege Stingl, große Zweifel an der Konzeption der Regierung. Sie haben in Ihrer damaligen Rede, Herr Kollege Stingl - ich habe es nachzählen lassen -, 64mal die Formulierung gebraucht: „Wir werden im Ausschuß prüfen, ob noch sinnvollere Regelungen getroffen werden können." Davon war diesmal weniger die Rede. Sie haben heute vor allem dem Herrn Bundesarbeitsminister Ihren Dank für die vorzüglichen Vorbereitungen des Paketes zum Ausdruck gebracht.
Im übrigen, Herr Kollege Stingl, habe ich in Ihren Ausführungen etwas vermißt, was ich gelesen habe. Sie haben nämlich, bevor der Gesetzentwurf uns überhaupt zugeleitet wurde, in einem Artikel geschrieben - ich zitiere wörtlich -:
Die CDU ist fest gewillt, abgesehen von möglichen Änderungen in technischen Einzelheiten, das ganze Paket schnell zu verabschieden.
Wir sind zu jeder Mitarbeit bereit. Aber wir müssen die Sache erst einmal sehr gründlich prüfen, meine Damen und Herren.
({1})
Und dazu will ich jetzt einen ersten Beitrag leisten.
Der Optimismus des Sprechers der größten Regierungspartei ist wohl auch darin begründet, daß uns heute nicht allein das KrankenversicherungsNeuregelungsgesetz, sondern ein sogenanntes Paket von drei Gesetzentwürfen vorgelegt wird. Dieses Paket soll eine unzertrennbare Einheit bilden, wie der Herr Bundeskanzler in seiner sogenannten Regierungserklärung vom 15. Dezember 1962 sagte. Er erklärte wörtlich: Es wird zum gleichen Zeitpunkt in Kraft treten. Diese Erklärung des Herrn Bundeskanzlers entspricht jedenfalls nicht dem Wortlaut der Entwürfe, die uns hier heute vorliegen. Das Bundeskindergeldgesetz, eine der Vorlagen, soll am 1. Juli 1963 in Kraft treten, die anderen Gesetze jedoch - ich zitiere - „am ersten Tage des auf die Verkündung folgenden zweiten Kalendervierteljahres". Dieser Zeitpunkt liegt mit Sicherheit später als der 1. Juli 1963. sonst müßten die Gesetze noch im Laufe des Monats März verkündet sein. Wer von einem Gesamtpaket mit einem gemeinsamen Zeitpunkt des Inkrafttretens spricht, stellt somit nur seine mangelnde Sachkenntnis heraus.
Die Konstruktion des sogenannten Paketes wurde erdacht - das ist jedenfalls unsere Auffassung -, weil man hofft, durch die Koppelung der Entwürfe für das Lohnfortzahlungsgesetz und das Bundeskindergeldgesetz mit dem Entwurf des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - jenem Entwurf, von dem der Bundeskanzler einmal sagte, er sei ein unangenehmer Gesetzentwurf - diesen unangenehmen Gesetzentwurf etwas besser verkraften zu können.
Auch die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers über den notwendigen Zusammenhang des Lohnfortzahlungsgesetzes mit den anderen Gesetzen des Paketes waren neu. Dann hätte der Bundesarbeitsminister uns schon vor drei Jahren den Entwurf eines Lohnfortzahlungsgesetzes vorlegen müssen. Zumindest hätte die Lohnfortzahlung doch in der Regierungserklärung vom November 1961 erwähnt werden müssen. Die Gedanken über den Zusammenhang des Pakets sind also erst neueren Datums.
Lassen Sie mich zuerst einige Bemerkungen zu dem Entwurf des Bundeskindergeldgesetzes machen, das nach einem Artikel des Ministerialreferenten - ich zitiere wörtlich - „wohl mehr aus politischen Gründen in das Paket geraten ist".
({2})
Ich bedauere, wenn ich ihm mit dem Zitat dienstliche Schwierigkeiten machen sollte. Aber da diese Ausführungen veröffentlicht sind, kann ich hier davon Gebrauch machen.
({3})
Er sagt: ... mehr aus politischen Gründen in das Paket geraten ist".
({4})
- Ja, aus politisch-taktischen Gründen.
({5})
Aber nun zum Bundeskindergeldgesetz. Erstens: vor fast vier Jahren, nämlich am 18. Februar 1959, haben die Sozialdemokraten die Vorlage eines Gesetzes zur Neuordnung des Kindergeldrechts beantragt. Deshalb begrüßen wir es selbstverständlich, daß endlich dieser Gesetzentwurf vorgelegt wird, insbesondere weil damit ein Schlußstrich unter das nicht gerade sehr erfreuliche Kapitel einer berufsständischen Kindergeldideologie - oder einer, wie Herr Kollege Winkelheide seinerzeit sagte, „klassischen Lösung" - gezogen wird.
Den Familien, den lohnintensiven Betrieben des Mittelstandes und sicher auch der heute so sehr gelobten Verwaltung wäre viel Ärger erspart worden, wenn man zu einem früheren Zeitpunkt etwas weniger starrsinnig gewesen wäre.
({6})
Manche sehen das heute noch nichtganz ein; denn ich habe im Bulletin Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers gelesen: Wir geben das System der Familienausgleichskassen nur ungern auf - wahrscheinlich unter dem politischen Druck derjenigen, die jetzt zusammen eine, wenn auch bescheidene Mehrheit haben.
Im übrigen ist der Ärger mit dem berufsständischen Kindergeldsystem offenbar noch nicht ganz zu Ende; denn nach dem vorgelegten Gesetzentwurf soll die Auflösung der Familienausgleichskassen einem besonderen Gesetz vorbehalten bleiben.
Zweitens komme ich zum sozialpolitischen Inhalt des 1Gesetzentwurfs. Im Entwurf wird für Zweitkinder an der Einkommensgrenze und damit an der Einkommensprüfung festgehalten. Das ist familienpolitisch eine bittere Enttäuschung. Wir wissen, daß wegen der vor rund anderthalb Jahren mit Mehrheitsbeschluß festgelegten Einkommensgrenze entgegen der ursprünglichen Absicht an rund 600 000 Familien mit Zweitkindern kein Kindergeld gezahlt wurde. Dieser Schrumpfungsprozeß wird sich bei jedem Festhalten an einer Einkommensgrenze fortsetzen, selbst dann, wenn jetzt für Familien mit drei und mehr Kindern jene Grenze von 600 auf 700 DM monatlich erhöht wird.
Eine dritte Bemerkung zum Bundeskindergeldgesetz. Es soll für die Familien mit drei und mehr Kindern der seit vier Jahren bestehende Betrag von 40 DM monatlich auf 50 DM monatlich erhöht werden. Dennoch werden, wenn man alles ingesamt rechnet, die Ausgaben nach dem neuen Bundeskindergeldgesetz nicht höher sein als das, was im Juni/ Juli 1961 hier vom Hause beschlossen worden ist. Man kann das genau nachrechnen. Ich möchte es wegen der vorgeschrittenen Zeit nicht tun. - Herr Kollege Ruf, Sie werden nachher sprechen. Nehmen Sie sich bitte Ihren Ausschußbericht von damals vor, ziehen Sie die damaligen Zahlen zusammen und vergleichen Sie sie mit den jetzigen. Ich sage das, um Ihnen die Stellungnahme, die Sie nachher abgeben werden, zu erleichtern.
({7})
Man kann jetzt schon mit Sicherheit sagen: durch das Prinzip, die 'Einkommens- und Bedürftigkeitsgrenzen beizubehalten, wird der Gesamtaufwand für das Kindergeld .in der Tendenz rückläufig sein müssen, insbesondere wenn die nächste Einkommensprüfung Mitte des Jahres wieder fällig ist.
Eine vierte Bemerkung zum Kindergeldgesetz. Der Entwurf bringt eine wesentliche Umschichtung in der Aufbringung der Mittel für das Kindergeld von der Wirtschaft auf den Staat. Die jetzige Mehrheit hat dies immer gefordert. Sicher wäre es zweckmäßiger gewesen, das in einem Zeitpunkt zu vollziehen, in dem wir noch vom Juliusturm sprechen konnten, statt dies jetzt in der Ära einer etwas schwierigeren Haushaltslage vollziehen zu müssen. Bei ,diesem Umschichtungsprozeß kommt aber, aufs Ganze gesehen, für die Familien nichts heraus, noch nicht 'einmal eine bescheidene Anpassung der Kindergeldgesamtausgaben an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten. Deshalb werden wir unser Möglichstes tun, um die Einkommensgrenze zu Fall zu bringen. Wir rechnen dabei natürlich auf die wertvolle Unterstützung des Kollegen Dr. Wuermeling, und wir hoffen, daß er uns als Abgeordneter wirksamer unterstützen kann denn als damaliger Familienminister.
({8})
Nun zu dem zweiten großen Gesetzesbereich, dem Lohnfortzahlungsgesetz. Erstens: wir haben in diesem Hause seit 1955 eine gesetzliche Regelung der Lohnfortzahlung gefordert und begrüßen es deshalb sehr, daß nunmehr ein Regierungsentwurf vorgelegt wird. Es ist sicherlich nicht überheblich. wenn wir feststellen, daß das auch ein Erfolg unserer ständigen Bemühungen um die Gleichstellung der Arbeiter im Krankheitsfalle ist, zumal die Bundesregierung bei der ersten Regierungserklärung dieser Legislaturperiode noch nicht an die Lohnfortzahlung dachte.
Zweitens. So nachdrücklich wir die echte Lohnfortzahlung bejahen, so sehr treten wir für einen - wenn man den technischen Ausdruck gebrauchen will - versicherungsrechtlichen Kostenausgleich der Arbeitgeberaufwendungen ein. Meine Fraktion wird sich bei 'den Ausschußberatungen gerade im Interesse der lohnintensiven Betriebe dafür einsetzen, daß dieser Kostenausgleich gegenüber dem Entwurf noch wesentlich verbessert wird.
({9})
Beispielsweise hinsichtlich der Höhe der Ausgleichsquote - um nur einiges zu nennen -, der Einbeziehung auch der Arbeitnehmer mit einen Einkommen von 750 DM, der Gewährung laufender Abschlagszahlungen usw. Da läßt sich noch manches im Interesse der Betriebe tun, und wir werden es dabei an Aktivität nicht fehlen lassen.
Gerade weil ich das hier erkläre, muß ich sagen, daß wir mit Bedauern von mehr oder weniger unverhüllten Drohungen Kenntnis nehmen mußten. Ich zitiere:
Schon zur Begrenzung ihres finanziellen Risikos werden die Betriebe gezwungen sein, künftig bei Einstellung bzw. Entlassung von Arbeitern auf das Krankheitsregister des einzelnen Arbeiters Rücksicht zu nehmen.
({10})
- Ich kann es Ihnen sagen: Es steht leider im „Deutschen Handwerksblatt".
Da wir den Kostenausgleich wirksam verbessern wollen, erwarten wir, daß alle, die guten Willens sind, sich von einer solchen Haltung distanzieren. Wir werden uns mit größtem Nachdruck für einen wirksamen Kostenausgleich einsetzen, um dieses neue Risiko für die lohnintensiven Betriebe kalkulierbar zu machen, und erwarten, daß dann jenen angedrohten Methoden die Grundlage entzogen wird.
Drittens - und jetzt komme ich zu einem Punkt, in dem es doch sehr erhebliche Meinungsverschiedenheiten gibt -: Im Zusammenhang mit der Lohnfortzahlung der Arbeiter und der Angestellten soll nämlich innerhalb von drei Tagen - auf Verlangen des Arbeitgebers auch früher, also unter Umständen am ersten Tag - diesem eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt werden - Nachweispflicht -.
Dabei ist die ärztliche Schweigepflicht nicht immer gewährleistet. Ich zitiere aus der Begründung der Regierungsvorlage:
... ohne Angabe über die Art der Krankheit läßt sich oft kein Urteil ... darüber fällen, ob der Arbeitnehmer sie
- die Krankheit - sich unverschuldet zugezogen hat.
Eine solche Regelung, nach der also die Art der Krankheit durch ärztliche Bescheinigung nachgewiesen werden muß, ist nach unserer Auffassung ein erheblicher Eingriff in den Persönlichkeitsbereich aller Arbeiter und Angestellten und beeinträchtigt die ärztliche Schweigepflicht. Wir lehnen - das möchte ich von vornherein sagen - .derartige Regelungen kategorisch ab.
({11})
Deshalb muß im Gesetz festgelegt werden, daß keine dem Arbeitgeber vorzulegende ärztliche Bescheinigung ohne ausdrückliche Zustimmung des Beschäftigten Angaben über die Art der Krankheit enthalten darf.
({12})
- Nein, leider nicht, Herr Kollege Dr. Jungmann. Der Bundesrat hatte es beantragt; aber die Bundesregierung hat dem leider nicht zugestimmt. Das ist die Sachlage. Ich bitte Sie, dies aus der Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates zu entnehmen.
Weiter halten wir es auch für bedenklich, daß I jene ärztliche Bescheinigung, die am ersten, zweiten oder spätestens dritten Tage vorzulegen ist, dem Arbeitgeber sofort Auskunft über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit geben soll. Es muß befürchtet werden, daß eine solche Vorschrift Betriebe veranlassen könnte, ernsthaft erkrankte Arbeitnehmer zum nächstmöglichen Termin zu kündigen. Deshalb muß diese Sache sehr sorgfältig überlegt werden.
Eine vierte Bemerkung zu dem Bereich „Lohnfortzahlung"! Der vertrauensärztliche Dienst soll neu geregelt werden. Herr Kollege Stingl hat sich diesem Thema heute hier gewidmet. Aber Herr Kollege Stingl, Sie werden es mir nicht übel nehmen, wenn ich auch etwas zitiere, was Sie offenbar einmal sehr schnell hingeschrieben haben:
Auch die bisherige Einschaltung des vertrauensärztlichen Dienstes als eines „Polizeiorgans" der Kassen wird geändert werden.
Ja, was wird geändert, und wie? Das ist der entscheidende Punkt.
Die ärztliche Bescheinigung, die der Arbeiter und Angestellte spätestens innerhalb von drei Tagen vorlegen muß, soll nämlich einen Vermerk des behandelnden Artztes enthalten, daß der sogenannte Befundbericht dem vertrauensärztlichen Dienst übersandt wird. In diesem Befundbericht werden Vermutungsdiagnosen allgemeinster Art stehen, weil nämlich der Arzt, wenn er schon am ersten Tag die Diagnose schriftlich gegenüber dem vertrauensärztlichen Dienst stellen soll, überfordert ist. Sie werden Befunde finden, die lauten - das haben mir Ärzte gesagt -: „Unklarer Bauch", weil am ersten Tag die Diagnose noch völlig unklar ist. Die ärztliche Bescheinigung muß also einen Vermerk enthalten, daß der Befundbericht dem vertrauensärztlichen Dienst übersandt wird. Auf Grund des Befundberichts soll der vertrauensärztliche Dienst die Arbeitsunfähigkeit begutachten und dem Arbeitgeber das Ergebnis der Begutachtung und - jetzt kommt es wieder - die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit mitteilen.
Meine Damen und Herren, ein solches System halten Sie also für sinnvoll. Herr Kollege Stingl, Sie sagen, das bisherige System der Einschaltung des vertrauensärztlichen Dienstes als eines „Polizeiorgans" der Kassen wird geändert werden. Wenn ich Ihre Terminologie gebrauche, muß ich sagen, daß der vertrauensärztliche Dienst von einem „Polizeiorgan" der Kassen zu einem solchen der Arbeitgeber wird.
({13})
- Was wir im einzelnen wollen, kann ich nur im Rahmen der mir 'zur Verfügung stehenden Zeit darstellen. Wir haben natürlich konkrete Vorstellungen über das, was uns notwendig erscheint.
Das System des Entwurfs berührt indirekt die Unabhängigkeit des vertrauensärztlichen Dienstes. Bisher fungierte der vertrauensärztliche Dienst als ein Treuhänder öffentlich-rechtlicher Einrichtungen. Nach dem Gesetzentwurf wird dieser vertrauensDr. Schellenberg
ärztliche Dienst aber zum Objekt widerstrebender einzelwirtschaftlicher Interessen, nämlich der erkrankten Arbeiter und Angestellten, ihrer Arbeitgeber und auch der behandelnden Ärzte.
Stellen Sie sich, meine Damen und Herren, bitte einmal vor, wie da die Praxis sein wird. Der Betrieb, der die Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit dem Vermerk Befundbericht wird dem vertrauensärztlichen Dienst übersandt erhält, wird häufig darauf drängen, daß der vertrauensärztliche Dienst seine Arbeiter und Angestellten möglichst bald zur Nachuntersuchung bestellt. Insbesondere werden die Betriebe mit einer großen Zahl von Beschäftigten als Großkunden ,des vertrauensärztlichen Dienstes auftreten und darauf pochen, daß ihre Beschäftigten möglichst schnell nachuntersucht werden und die Wiederholungsuntersuchung möglichst kurzfristig angesetzt wird.
Meine 'Damen und Herren, ich 'spreche 'hier nicht aus Theorie; ersparen Sie es mir, weiter ins Detail zu gehen.
Die Bestimmung, daß der Arbeitgeber, wie es so schön heißt, eine Gebühr für die Begutachtung an den vertrauensärztlichen Dienst zu entrichten hat, macht die Sache nicht besser, 'sondern noch schlechter. Der vertrauensärztliche Dienst kommt sowohl gegenüber dem Arbeitgeber als auch gegenüber dem Beschäftigten in eine unmögliche Situation. Heute schon empfindet der Arbeiter, insbesondere derjenige, der selten krank ist, die Vorladung zum vertrauensärztlichen Dienst als einen Akt des Mißtrauens der Krankenkasse. Morgen - nach der neuen Regelung - wird der Arbeiter oder Angestellte, wenn er etwa im Vergleich zu einem Kollegen kurzfristiger vorgeladen wird, darin eine von seinem Arbeitgeber veranlaßte Schikane erblicken,
({14})
insbesondere, wenn er vielleicht betriebliche Auseinandersetzungen hinsichtlich ,der Nachuntersuchung mit seinem Chef gehabt hat, wenn sich der Arbeitgeber in dieser Sache überhaupt nicht gerührt hat.
({15}) Das sind Fakten!
({16})
Das vorgesehene System - )das möchte ich Ihnen aus betrieblicher Erfahrung sagen - bringt eine Unruhe in die Betriebe hinein, an der niemand interessiert sein kann. Deshalb müssen die Dinge gründlichst überlegt werden.
({17})
Wir Sozialdemokraten warnen eindringlich davor, mit solchen soziologisch und psychologisch falschen Maßnahmen die Lohnfortzahlung - die große Tat - von vornherein zu belasten; das wird das Gegenteil von dem bewirken, was erreicht werden soll. Das Klima in den Betrieben wird nicht verbessert, sondern verschlechtert. Das wäre eine ungute Sache für die Wirtschaft und für die Menschen, die in ihr zusammenarbeiten.
({18}) - Jawohl, ich will Ihnen einiges dazu sagen, Herr
Kollege. Wir werden es im Ausschuß im einzelnen
besprechen müssen, weil das zu sehr ins Detail führt.
Sie sagen - das ist Ihre Argumentation - die Neuregelung ergibt sich aus der Lohnfortzahlung. Meine Damen und Herren, die Angestellten haben seit lange eine Gehaltsfortzahlung, und für sie waren bisher solche Methoden nicht gesetzlich festgelegt. Jetzt werden in diese Regeln mit allem, was damit zusammenhängt, die Nachweispflicht, der Befundbericht, die Reglementierung des vertrauensärztlichen Dienstes usw., auch die Angestellten einbezogen, für die sich hinsichtlich der Gehaltsfortzahlung überhaupt nichts ändert.
({19})
- Jawohl, aber das ist die Nivellierung nach unten, die wir nicht wünschen.
({20})
Wenn Sie diese Methode jetzt einführen, dann bedeutet das - darüber müssen Sie sich klar sein - eine erhebliche Verschlechterung des sozialen und des humanitären Status des Angestellten.
Unseres Erachtens besteht aber auch kein Anlaß, dieses Verfahren für die Arbeiter einzuführen. Die Arbeiter erhalten bei Arbeitsunfähigkeit, wie wir alle wissen, bereits gegenwärtig für die ersten sechs Wochen 100 % des Nettolohnes, teils von der Krankenkasse, teils von dem Arbeitgeber. Wenn künftig die Auszahlung des Lohnes im Krankheitsfalle allein durch den Arbeitgeber erfolgen soll, so erfordert dies nicht unbedingt eine grundlegende Änderung in der Überprüfung der Arbeitsfähigkeit, weil nämlich die Krankenkassen nach dem Entwurf den Kostenausgleich für die Lohnfortzahlung durchführen sollen.
({21})
- Die Kassen führen den Kostenausgleich durch und erheben dafür eine Umlage. Sie haben deshalb genauso wie bisher beim Krankengeld ein Interesse, die Aufwendungen für den Ausgleich in angemessenem Rahmen zu halten.
Wir sind jedenfalls der Auffassung, daß die Vorstellungen des Entwurfes im Interesse aller arbeitenden Menschen und im Interesse der Wirtschaft noch sehr gründlich durchdacht werden müssen. Sie sind völlig unausgegoren.
({22})
Nun komme ich zu dem dritten großen Bereich, nämlich dem Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz. Wenn ich recht sehe, ist dieser Gesetzentwurf in der letzten Legislaturperiode vor allen Dingen an drei Punkten gescheitert, erstens an der Kostenbeteiligung, zweitens an bestimmten gesundheitspolitischen und ärztlichen Problemen und drittens an den Fragen der Versicherungspflicht, der Organisation, der Finanzierung usw. Es war doch die selbstverständliche Verpflichtung der Bundesregierung, im Zuge der Überarbeitung jenes so kläglich gescheiterten Gesetzentwurfs die notwendigen Folgerungen aus den Beratungen gerade hinsichtlich
dieser Punkte zu ziehen, die die großen Schwierigkeiten gemacht haben.
({23})
Es ist das Gegebene, daß ich mit der Kostenbeteiligung beginne, die auch eines der umstrittensten Probleme war.
Erstens. Damals bei der Begründung der Vorlage hat der Herr Bundesarbeitsminister erklärt - und er hat es heute mit ähnlichen Worten wiederholt -, es gebe keine soziale Einrichtung in der Bundesrepublik, die sich den Schutz der Familien mehr angelegen sein lasse als die gesetzliche Krankenversicherung.
({24})
- Stimmte; Sie wollen da wesentliche Änderungen und Verschlechterungen vornehmen. ({25})
Ich rechne Sie zur Regierungspartei, Herr Kollege Dr. Jungmann, und begrüße es sehr, wenn Sie als Arzt einen anderen Standpunkt einnehmen.
({26})
In dem jetzt gescheiterten Gesetzentwurf, mit dem wir zwangsläufig den jetzt vorgelegten Entwurf vergleichen müssen, weil die Arbeit doch irgendwie kontinuierlich sein muß, waren wenigstens Kinder von der Kostenbeteiligung für ärztliche und zahnärztliche Behandlung befreit. Nach dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf soll die Kostenbeteiligung von 25 % für ärztliche und zahnärztliche Behandlung ausnahmslos auch für Ehegatten und für alle Kinder gelten.
({27})
Der Herr Bundesarbeitsminister hat auch heute hier wieder großartige Worte über Familienpolitik und Verantwortungsbewußtsein gesprochen. Dem können wir zustimmen. Aber die Tatsachen des Gesetzentwurfs reden leider eine andere Sprache. Niemand kann bestreiten, daß die Kostenbeteiligung, so wie sie vorgesehen ist, um so höher sein muß, je größer die Familie ist.
({28})
Sie wollen die Struktur der deutschen Krankenversicherung verändern zum Nachteil der Familie; und dagegen wehren wir uns.
({29})
Meine Damen und Herren, wie waren die Dinge, als der Herr Bundesarbeitsminister in seine Pressekonferenz ging, in der er die Offentlichkeit mit diesem Gesetzentwurf bekanntmachte? Er wurde angesprochen von Leuten, denen es um das Anliegen der Familien geht, und Herr Bundesarbeitsminister erklärte wörtlich: „Man muß sich hüten, fortgesetzt an gut eingespielten Rechtssystemen herumzufummeln, um überall ein Familienhäkchen anzubringen". In Abwandlung der Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsminister sage ich: Man muß sich hüten, fortgesetzt an gut eingespielten Rechtssystemen herumzufummeln, um seine unausgewogenen Kostenbeteiligungsideen anzubringen.
({30})
Dann würden sich vielleicht die sogenannten Familienhäkchen erübrigen.
Meine Damen und Herren, auf die Darstellung des Herrn Bundesarbeitsministers, ,daß der Junggeselle schon sparen sollte im Hinblick auf die Familie und die Kostenbeteiligung,
({31})
will ich nicht näher eingehen.
({32})
- Ja, meine Damen und Herren, der Herr Bundesarbeitsminister hat von der Kostenbeteiligung gesprochen und in .diesem Zusammenhang von dem Sparen des Junggesellen.
({33})
- Ja, dann brauchte er nicht im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf davon zu sprechen. - Vielleicht war es ein Sprechfehler.
Wir stellen fest, daß dieser Gesetzentwurf die Situation der Familie gegenüber dem früheren Entwurf bedauerlicherweise noch verschlechtert.
Nun eine zweite Feststellung.
({34})
- Am Kindergeld wird im Gesamten nichts verbessert. Leider nicht!
({35})
- Ja, natürlich spreche ich von der Krankenversicherung, und da wird für die Familie wenig verbessert.
Zweitens. Bei der Lesung vor drei Jahren in diesem Hause sagte der Bundesarbeitsminister wörtLich: „Die Kostenbeteiligung wird in Wahrheit den Schwerkranken und den, der lange krank ist, unverhältnismäßig weniger treffen als den, der den Arzt nur einmal in Anspruch nimmt." Wir hatten schon damals starke Zweifel, ob jener alte Gesetzentwurf diesem Ziele dienen würde. Aber heute müssen wir feststellen, daß noch nicht einmal theoretisch an dem, was in der seinerzeitigen Begründung stand, festgehalten wird, nämlich an einer Verlagerung des Schwerpunktes der Leistungen von der kurzen auf die langfristige Krankheit. Sie können sich nicht damit exkulpieren, daß Sie erklären: Früher wurden einmal Leistungsverbesserungen geschaffen. Sie können in das !Sozialpaket doch nicht Dinge hineinpacken, die seit langem Gesetz sind. Der Herr Bundesarbeitsminister hat gesagt, was er noch gern an Neuem hineinpacken würde. Es ist jedoch kein zulässiges Verfahren, Dinge, die schon vor Jahren beschlossen worden sind, noch nachträglich In das Paket hineinzumanövrieren. Das nehmen wir Ihnen nicht ab.
Es sollen grundsätzlich alle Versicherten - Rentner, Familienangehörige - die Kostenbeteiligung in Höhe von 25 % ihres Arzthonorars zahlen. Ich möchte Ihnen das an Hand von zwei Beispielen verdeutlichen. Ein lediger Versicherter mit einem
Monatseinkommen von 500 DM sucht wegen einer Unpäßlichkeit den Arzt auf. Der Arzt schreibt diesen Mann krank. Diesem Versicherten wird nach der Gebührenordnung eine Kostenbeteiligung von 1,75 DM in Rechnung gestellt. Jetzt kommt ein anderer, ein Schwerkranker. Dieser; Schwerkranke wird allein für die Diagnose - wenn Röntgenaufnahmen erforderlich sind - mit einer Kostenbeteiligung belastet, ;die mindestens zehmmal so hoch ist wie die Kostenbeteiligung jenes, der wegen der Unpäßlichkeit zum Arzt rennt. Nach dieser Diagnose der schweren Krankheit beginnt erst mit der laufenden ärztlichen Behandlung die laufende Kostenbeteiligung bis zur Höchstgrenze, auf die ich noch zu sprechen komme.
Eine dritte Bemerkung. Nach dem früheren Gesetzentwurf sollte die Zuzahlung für ärztliche Behandlung nach dem Ablauf 'der sechsten Woche entfallen. Jetzt ist dagegen eine Kostenbeteiligung prinzipiell ohne zeitliche Begrenzung zu entrichten. In der letzten Legislaturperiode wurde als Höchstgrenze für die Kostenbeteiligung - auch in einem Brief des Herrn Bundesarbeitsministers an die Ärzte
- von einem Betrag von 15 DM pro Quartal gesprochen. Es gab dann viel Hin und Her. Wir sind Zeugen der Auseinandersetzungen auch in der CDU- Fraktion gewesen. Es hat jemand einmal nachgerechnet, daß Sie seiner Zeit sechsmal verschiedene einstimmige Fraktionsbeschlüsse zur Frage der Kostenbeteiligung gefaßt haben. Schließlich war der letzte Stand der Beschlüsse des Ausschusses mit der CDU-Mehrheit - die CDU hatte damals die absolute Mehrheit -, daß Sie selbst Schritt für Schritt das System der Kostenbeteiligung abbauen wollten. Sie haben dann mit Ihrer Mehrheit eine Krankenscheingebühr - also eine einmalige Kostenbeteiligung für die ärztliche Behandlung - von 2 DM pro Quartal beschlossen. Mit Ausnahme der freiwillig Versicherten mit einem Einkommen über 15 000 DM, für die Sie eine Sonderregelung wollten. Das war der letzte Stand ¡der Dinge; von dem hätte eigentlich die Regierung bei den neuen Vorlagen ausgehen sollen.
Nach dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf beträgt grundsätzlich für alle Versicherten die Höchstgrenze der Kostenbeteiligung für das Kalenderjahr bei dem Sonderbeitrag von 2 % monatlich - denn die Verrechnung erfolgt jährlich - 24 % des monatlichen Einkommens. Die Kostenbeteiligung findet durch die Höchstgrenze - wenn man es ganz genau sagt - in der Regel erst ihr Ende, wenn das Arzthonorar für die Familie insgesamt die Höhe des Monatseinkommens des Versichertenoder Rentners erreicht. So kann man es allgemein ausdrücken.
({36})
- Nein, meine Damen und Herren.
({37})
- Herr Kollege Ruf, wir werden uns darüber noch eingehend unterhalten, so leicht kommen Sie nicht davon. Die Höhe der Kostenbeteiligung wird noch lange diskutiert werden.
({38})
- Aber sehr verehrte Frau Kollegin, die Kostenbeteiligung beträgt 25 % des Arzthonorars. Sie wird für ein Kalenderjahr verrechnet. 2 % monatlich sind
24 % für jedes Kalenderjahr. Der Versicherte zahlt die Kostenbeteiligung von 25% solange, bis das Arzthonorar etwa seinem Monatseinkommen entspricht.
({39})
Dann erst ist die Höchstgrenze erreicht - man muß diese Dinge in Ruhe überlegen, im Plenum sind diese technischen Fragen nicht ganz einfach -; die Höchstgrenze für den einzelnen ist praktisch erreicht, wenn die Rechnung des Arztes und des Zahnarztes für die gesamte Familie ungefähr seinem monatlichen Einkommen entspricht. Davon zahlt der Versicherte
25 %.
({40})
- Rechnen Sie es durch! Das ist das Prinzip. Die Höchstgrenze beträgt - und das ist sozialpolitisch und gesundheitspolitisch entscheidend - ein Vielfaches von dem, was in der letzten Legislaturperiode im Regierungsentwurf vorgesehen war. Diese Höchstgrenze - Herr Dr. Jungmann, Sie werden es mir bestätigen - kommt zur vollen negativen Auswirkung leider bei demjenigen, der schwerkrank ist und häufiger die ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen muß.
({41})
So ist das System leider konstruiert.
Deshalb muß ich eine harte Bemerkung machen, wenn ich wieder den Herrn Bundesarbeitsminister zitiere. Wie sagte er doch: „Die Kostenbeteiligung wird den wahrhaft Schwerkranken und den, der lange krank ist, unverhältnismäßig weniger treffen als den, der einmal zum Arzt geht." Jetzt muß es heißen: sie wird den Schwerkranken unverhältnismäßig härter treffen als denjenigen, der den Arzt einmal in Anspruch nimmt. Das ist leider der Tatbestand.
({42})
Viertens! Nach Meinung der Bundesregierung - ({43})
- Herr Kollege Stingl, ich kann Ihnen sagen, an ihrer neuen Konzeption werden sie noch lange zu knabbern haben. Die Sache sieht so einfach aus, hat es aber, wenn man es überlegt, in sich. Ich möchte mich jetzt an mein Manuskript halten, um die Zeit nicht zu sehr zu überschreiten.
Das neue Verfahren soll nach Meinung der Bundesregierung den Vorteil haben, daß durch die Verrechnung des Sonderbeitrages mit der Kostenbeteiligung der Versicherte und seine Familie nicht von der rechtzeitigen Inanspruchnahme des Arztes abgehalten werden. Meine Damen und Herren, das wird entscheidend davon abhängen, wie sorgsam der einzelne rechnet. Wer nämlich nur das Heute sieht, den wird die spätere Verrechnung der Kostenbeteiligung von 25 % mit seinem Sonderbeitrag wenig beeindrucken. Aber für den, der auch an das Morgen denkt - und das ist doch der Verantwor2442
tungsbewußte -, wird die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Arztes wesentlich von der tatsächlichen Höhe der Kostenbeteiligung abhängen. Der Verantwortungsbewußte, der es durchrechnet, wird schnell erkennen, daß die neuerdachte Methode im Grunde genommen - gestatten Sie den Ausdruck -, nur ein psychologischer Trick ist. Im Vergleich zu den früheren Vorschlägen ist es ein psychologischer Trick, im wirtschaftlichen Inhalt soll eine höhere Kostenbeteiligung geschaffen werden. Tatsächlich ist .diese Kostenbeteiligung mit einer Quote von 25 % des Arzthonorars auch unter Berücksichtigung der Höchstbegrenzung, selbst im Vergleich zu Regelungen in der privaten Krankenversicherung hoch. Ich möchte Ihnen dies an zwei Beispielen verdeutlichen.
Jener ledige Versicherte, von dem ich sprach, der also 500 Mark Monatseinkommen hat und wegen Unpäßlichkeit oft ,zum Arzt geht, macht das innerhalb eines Jahres angenommen zehnmal. Er erhält immer noch eine Rückerstattung von rund 100 DM.
({44}).
- Lassen Sie mich zu dem anderen Beispiel kommen! Der Familienvater mit einem monatlichen Einkommen von 400 DM, dessen Familie von schwerster Krankheit betroffen wird, hat allein für die ärtzliche Behandlung 96 DM an Kostenbeteiligung zu zahlen.
({45})
- Nach der Vorlage zahlt er praktisch 25 % Kostenbeteiligung. Das ist das System.
({46})
- Aber, meine Damen und Herren, doch nicht für ambulante Behandlung. Die Kastenbeteiligung - dais werde ich Ihnen zahlenmäßig belegen - nach dem neuen Entwurf ist wesentlich höher als nach dem früheren. Wir mußten erwarten, daß die Bundesregierung aus den Meinungsverschiedenheiten der letzten Legislaturperiode die Konsequenzen zieht.
Nach dem früheren Entwurf sollte für ärztliche und zahnärztliche Behandlung eine Kostenbeteiligung der Versicherten von im Durchschnitt insgesamt 358 Millionen DM erhoben werden. Nach dem, was Sie im Ausschuß beantragt haben, sollte die Krankenscheingebühr, auf die Sie sich zurückgezogen hatten, einen Betrag von 150 Millionen DM im Jahr ergeben. Jetzt aber, meine Damen und Herren von der Regierungspartei, soll sich nach dem Regierungsentwurf die Kostenbeteiligung für ärztliche und zahnärztliche Behandlung auf 750 Millionen DM belaufen.
({47})
Die Kostenbeteiligung für die ärztliche Leistung
hat sich gegenüber dem früheren Entwurf also mehr
als verdoppelt und gegenüber dem letzten Fraktionsbeschluß der CDU/CSU verfünffacht. Dast ist der Tatbestand.
({48})
Die Angelegenheit wird, wenn man sie weiter durchdenkt, finanziell noch grotesker. Nach dem System der Verrechnung von Sonderbeitrag und Kostenbeteiligung zahlen die Versicherten nämlich nicht etwa jährlich eine Kostenbeteiligung von insgesamt 750 Millionen DM, sondern nach den Vorschlägen der Regierung sollen die Versicherten durch den Sonderbeitrag gewissermaßen als Vorschuß für die Kostenbeteiligung einen Betrag von insgesamt 3 Milliarden DM entrichten.
({49})
Das ist die Methode. Mit dem zusätzlich erhobenen Sonderbeitrag sollen jährlich also erst einmal 2,2 Milliarden DM eingezogen, im Durchschnitt für die Dauer eines Jahres von der Kasse verwaltet und schließlich den Einzaihlern zurückerstattet werden. Durch diesen Gesetzentwurf soll die versicherte Bevölkerung verpflichtet werden, im Wege des Sonderbeitrags Mittel ,aufzubringen, von denen mit mathematischer Sicherheit feststeht, daß 'sie den Bedarf für die Kostenbeteiligung um über 2 Milliarden DM insgesamt überschreiten. Die ganze Prozedur wird nur deshalb vorgenommen, damit man irgendwann einmal mit einer möglichst hohen Rückzahlungsquote operieren kann.
({50})
Sechstens. Neben dem Sonderbeitrag gibt es noch andere Kostenbeteiligungen. Sie sind im wesentlichen - für Arzneien, Heil- und Hilfsmittel - aus dem früheren Entwurf übernommen. Ich will sie deshalb hier nicht behandeln. Alle Versicherten einschließlich der Rentner und Familienangehörigen haben sie grundsätzlich zu zahlen.
Eine Änderung ist nur bei der Krankenhauspflege vorgesehen. Der Versicherte soll, solange er kein Krankengeld erhält, drei Mark für jeden Pflegetag an das Krankenhaus zahlen, was praktisch bedeutet, daß ein Beschäftigter bis zur Dauer von sechs Wochen die Kostenbeteiligung zu entrichten hat. Der Rentner hat für seine eigene Person - Familienangehörige sind dabei befreit - sogar für die Gesamtdauer der Krankheit zu zahlen. Dieses System der Kostenbeteiligung bei Krankenhauspflege trifft die Rentner und die Bezieher niedriger Einkommen viel härter als die Regelung des letzten Regierungsentwurfs. Damals war als Einnahme für Kostenbeteiligung bei Krankenhauspflege ein Betrag von 82 Millionen DM im Jahr angesetzt, jetzt sind es 170 Millionen DM im Jahr.
Aber auch in sonstiger Hinsicht wurden die Regelungen für Kostenbeteiligung gegenüber dem Entwurf der vorigen Legislaturperiode verschlechtert. Ein Beispiel: Nach dem letzten Entwurf hatte der durch Arbeitsunfall Verletzte einen Erstattungsanspruch auf alle Zuzahlungsbeträge, die ihm aus Anlaß des Arbeitsunfalls bzw. durch die Berufskrankheit entstanden sind. Ich habe in dem vorliegenden Entwurf vergeblich nach einer gleichlautenden Vorschrift gesucht.
Der Herr Staatssekretär des Bundesarbeitsministeriums,
({51})
der uns durch seine prägnanten Formulierungen bekannt ist, hat gesagt, als der Entwurf zum erstenmal veröffentlicht wurde - so schrieb die Presse -: Der frühere Entwurf Blanks, der von den Parteien zurückgewiesen wurde, war vielleicht besser
({52})
als der jetzt vorgelegte zweite Entwurf. - Wir, meine Damen und Herren, haben den damaligen schon für sehr schlecht gehalten, und Sie können sich deshalb vorstellen, daß wir gegen den neuen noch härter kämpfen werden.
({53}) Das ist heute erst die Ouverture.
Siebtens. Wie im früheren Entwurf sind gewisse Befreiungen von der Kostenbeteiligung vorgesehen; ich will sie nicht verschweigen. Generell sollen Rentner, deren Rente unter 125 DM im Monat liegt, nicht an den Kosten ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung beteiligt werden. Diese Rentner werden ohnehin, soweit sie keine zusätzlichen Einkünfte haben oder in Familien leben, zusätzlich von den Sozialämtern unterstützt.
Die Härteklausel hat der Herr Bundesarbeitsminister erwähnt. Ihr Inhalt ist, daß eine Befreiung von der Beteiligung an den Arznei-, Heilmittel- und Krankenhauspflegekosten dann erfolgen kann, wenn die Lebenshaltung des Versicherten oder seiner Familie durch die Zuzahlung unzumutbar beeinträchtigt würde. In der Begründung heißt es dazu: die Kasse hat darüber im Einzelfall zu entscheiden. - Das ist nichts anderes als die Einführung von Bedürftigkeitsprüfungen in die deutsche Sozialversicherung. Das ist nach unserer Auffassung ein bedenklicher Rückschritt. Im übrigen sind die Sozialämter auf Grund ihrer Aufgabenstellung für Bedürftigkeitsprüfungen wohl geeigneter als Krankenkassen. Nach Einführung dieser vorgesehenen Kostenbeteiligung, insbesondere bei Krankenhauspflege von Rentnern, werden bestimmt auch die Sozialämter angegangen werden, diese Kostenbeteiligung zu übernehmen. Das wird interessante Zuständigkeitsfragen im Verhältnis zwischen Krankenkassen und Sozialämtern geben. Es könnte für viele Versicherte auch ratsamer erscheinen, sich um Krankenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz zu bemühen als Leistungsansprüche auf Grund ihrer gesetzlichen Krankenversicherung geltend zu machen. Das sind keine Einzelfälle. Ich bitte Sie wirklich, die Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes mit denen des Entwurfes bei Fällen aus der Praxis zu vergleichen.
({54})
Wir wenden Ihnen praktische Fälle bieten, die bedauerlich und erstaunlich zugleich sind.
Sie sagen, Herr Kollege Ruf, Sie hätten die Dinge geprüft.
({55})
--- Dann haben Sie es nicht für die Familien geprüft! Denn hier ergeben sich Konsequenzen, die schlimm sind.
Achtens. Der Gesetzentwurf enthält - ich bestreite es nicht -, .abgesehen von den Dingen, die mit der Mutterschaftshilfe, den Pflichtleistungen für Klinikentbindungen usw. zusammenhängen, einige Verbesserungen auch gegenüber dem früheren Entwurf.
({56})
- Auch der Herr Bundesarbeitsminister hat die Entwürfe eingehend begründet. Es handelt sich um drei Gesetzentwürfe. Diese Entwürfe sind auch nach Ihrer Meinung wichtige Grundlagen der Sozialpolitik. Deshalb bitte ich also sehr zu entschuldigen, wenn ich noch weiter spreche. Ich will versuchen, nicht mehr auf Ihre Zwischenbemerkungen einzugehen. Ich habe noch einiges 'zu sagen.
({57})
Die Leistungsverbesserungen gleichen aber das verstärkte Gewicht der Kostenbeteiligung nicht im entferntesten aus. Der Herr Bundesarbeitsminister und auch Herr Kollege Stingl haben die Kostenbeteiligung mit den Verbesserungen begründet, die die Lohnfortzahlung bringt.
Wir halten den Versuch der Koppelung von Lohnfortzahlung und Einführung der Kostenbeteiligungen für sachlich unbegründet. Zwar ergeben sich für Gruppen von Arbeitern aus ¡der Lohnfortzahlung, durch Beitragssenkungen, ungeachtet des Sonderbeitrages und der Kostenbeteiligung finanzielle Vorteile. Aber wenn Sie die Zahl dieser Arbeiter mit denen vergleichen, für die sich Nachteile ergeben, dann ergibt sich ein schlechtes Bild. Sie müssen 'die .aus der Versicherungspflicht ausscheidenden Arbeiter, 'die ihre Beiträge voll selbst zu zahlen haben, 'den Belasteten zurechnen. Aber selbst für diese Minderheit der Versicherten führt die Koppelung von Lohnfortzahlung und Kostenbeteiligung zu erheblichen Ungerechtigkeiten, denn besonders die mit Familien und die durch Krankheit in der Familie Belasteten werden betroffen. Aber für die Mehrzahl der Versicherten, rund 15 Millionen, nämlich die Angestellten, .die freiwillig Versicherten, alle Rentner und die Gruppe der Arbeiter, die aus der Versicherungspflicht ausscheiden, entstehen durch den Sonderbeitrag erhöhte Belastungen durch Kostenbeteiligung bei Arzthonoraren. Zusätzlich kommt noch die Kostenbeteiligung .für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel und Krankenhauspflege.
Was sagt die Bundesregierung zu diesen Belastungen? Ich zitiere wieder aus der Begründung: Diese Dinge können - jetzt kommt das wörtliche Zitat den Versicherten angesichts .der wirtschaftlichen Entwicklung zugemutet oder in Zukunft durch eine entsprechende Regelung der Lohn- und Gehaltstarife ausgeglichen werden.
Wir halten das für eine bedenkliche Begründung.
Wir stellen fest, daß durch diesen 'Gesetzentwurf ein fundamentaler Grundsatz unserer Krankenversicherung, daß nämlich .die Leistungen ausschließlich
aus den Beiträgen finanziert werden - und das ist für uns der Grundsatz der Solidarität -, aufgehoben wird und daß künftig eine Mitfinanzierung der Ausgaben in einer Größenordnung von über 1 Milliarde DM vorwiegend, durch Personengruppen erfolgen soll - vorwiegend nage ich -, denen das Paket keine Leistungsverbesserung bringt. Das sind nämlich die Angestellten, die Rentner, die freiwillig Versicherten und jene Arbeiter, die durch Ausscheiden aus der Versicherungspflicht Beiträge jetzt selbst zahlen müssen.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat die Pläne zur Kostenbeteiligung als Ausdruck der Solidarität bezeichnet. Hier scheiden sich ernsthaft die Geister. Wir halten die Kostenbeteiligung für die unsozialste Methode der Finanzierung von sozialen Leistungen.
({58})
- Das sind politische Unterschiede, meine Damen und Herren!
({59}) - Ich sage Ihnen, - -({60})
- Herr Kollege Horn, ich danke Ihnen! Ich werde Frau Kollegin Kalinke nicht mehr antworten. Wir werden ohnehin noch ausgiebig zu diskutieren haben.
Wir machen der Bundesregierung den Vorwurf, daß sie es vor erneuter Einbringung des so umstrittenen Gesetzentwurfs unterlassen hat, die sozialen und gesundheitlichen Fakten, die die Krankenversicherungsreform betreffen, erforschen zu lassen. Das wäre für ein so bedeutsames Reformwerk unerläßlich gewesen. Der Bundesarbeitsminister, der die grundlegenden Untersuchungen, beispielsweise über den Krankenstand, unterlassen hat, hat hier über internationale Erfahrungen gesprochen.
({61})
Der Minister hätte uns lieber genaues Material über internationale Erfahrungen unterbreiten sollen. Das wäre besser gewesen, als hier hingeworfene Bemerkungen über die Sozialpolitik des Auslandes zu machen.
Dabei ist als Beispiel Schweden ,genannt worden. Der Herr Minister hat sich darauf berufen, er habe mit dem früheren schwedischen Sozialminister gesprochen. Ich war dreimal in Schweden, habe mit ihm viele Stunden einen sehr 'eingehenden Meinungsaustausch gehabt und stehe natürlich mit meinen schwedischen politischen Freunden in regem Gedankenaustausch. Ich mache 'dem Herrn Minister Blank den Vorwurf, er hat die Dinge, über die er gesprochen hat, nicht sorgfältig genug untersucht.
Nur wenige Stichworte! Man kann nicht einen einzelnen Tatbestand 'für eine Vergleichsziehung herausgreifen, sondern muß die Gesamtheit der sozialen Sicherung, mindestens die Gesamtheit der gesundheitlichen Sicherung bewerten. Hierfür ist die Entwicklungstendenz in Schweden hochinteressant. Als ich die Dinge in Schweden zum erstenmal untersucht habe - 1954 -, bestand in Schweden praktisch noch keine allgemeine Krankenversicherung. Jetzt ist in sie das ganze Volk einbezogen. In Schweden befindet sich die gesundheitliche Sicherung in einem ständigen Aufbau. So wird die Krankenhausbehandlung prinzipiell kostenfrei gewährt,
({62})
- ja, im Prinzip! -, während bei uns Kostenbeteiligungen bei Krankenhauspflege eingeführt werden sollen.
Nun einige Zahlen. Es sind die einzigen auf Grund eines internationalen Vergleichs, die mir zur Verfügung gestanden haben. Es handelt sich um Vergleichsmaterial des Internationalen Arbeitsamtes über die Ausgaben für gesundheitliche Leistungen bezogen auf den Kopf der Bevölkerung, gesundheitliche Leistungen sowohl durch die Sozialversicherung wie durch den Staat. Mit diesen Ausgaben für die Gesundheitspolitik liegt Schweden um 70 % über den Leistungen der Bundesrepublik einschließlich der Krankenversicherung.
({63})
- Das weiß ich nicht so genau. Ich habe ja das Thema Schweden nicht aufgeworfen. Die Dinge sind für Vergleichsziehungen vielschichtig, und deshalb sollte man nicht wenige Bemerkungen hinwerfen,
({64})
um damit ,die Kostenbeteiligung, die 'Sie einführen wollen, zu begründen.
Ich möchte Ihnen aber noch eine Zahl nennen, die die Tendenz des Sozialaufwandes gemessen, am Sozialprodukt, in Schweden erkennen läßt. Im Jahre 1958 betrug der Sozialaufwand in Schweden 13 % des Sozialprodukts und bei uns damals 14,1 % des Sozialprodukts. Bei uns ist der Sozialaufwand inzwischen auf 12,7 % deis Sozialprodukts heruntergegangen; in Schweden ist er auf 13,7 % des Sozialprodukts angestiegen. Meine Damen und Herren, wir sind zu internationalen Vergleichen bereit. Aber das kann nicht heute geschehen. Es wäre sehr interessant, im Hause einmal über die europäische Sozialpolitik und ihre Entwicklung zu diskutieren.
Noch ein Wort zu der Frage des Mißbrauchs. Wir haben niemals bestritten, daß die Möglichkeit besteht, soziale Leistungen 'zu mißbrauchen.
({65})
Ich möchte ausdrücklich erklären: wir sind zu sorgsamen Überlegungen im Ausschuß darüber bereit,
({66})
wie einem vorsätzlichem Mißbrauch von Leistungen der sozialen Krankenversicherung begegnet werden kann.
({67})
Dabei wird es für uns ohne Belang sein, ob das
„schwarze Schaf" ein Arbeiter, ein Angestellter, ein
Arzt oder vielleicht sogar - wenn der Kostenausgleich eingeführt wind - ein Arbeitgeber ist.
({68})
Wir wollen gemeinsam prüfen, wie wir einen Mißbraucher treffen können. Aber wir wehren uns mit allem Nachdruck dagegen, Pauschalurteile über 'den sogenannten allgemeinen Mißbrauch sozialer Leistungen 211 fällen
({69})
und Menschen finanziell zu belasten, die ohnehin schweres gesundheitliches Leid in ihrer Familie zu tragen halben.
({70})
Ich komme zu dem zweiten Bereich, den gesundheitlichen und ärztlichen Fragen.
Erstens. Wir halben mit Interesse die Bemühungen der Bundesregierung verfolgt, ihr Verhältnis zu den Repräsentanten der Ärzte zu normalisieren. Wir begrüßen das, wenn wir auch wissen, daß die Verbesserung dieser Beziehungen gewisse wirtschaftliche Konsequenzen hat.
Die Honorierung nach Einzelleistungen bejahen wir. Wir setzen dabei voraus, daß dem Mehr an Honorar auch entsprechende Leistungen gegenüberstehen.
Viele Probleme der Mitwirkung von Ärzten und Zahnärzten in der Krankenversicherung sind im Entwurf noch keineswegs sinnvoll geregelt. Hier muß noch manches Gespräch geführt werden, damit wir zu einem sinnvolleren Ausgleich verschiedener Interessenlagen kommen.
Naturgemäß begegnen die Fragen des Prüfungswesens und der Gebührenordnungen erheblichen Schwierigkeiten. Aber gerade die Probleme der Gebührenordnungen machen deutlich, daß die Kostenbeteiligungspläne des Gesetzentwurfs zu unmöglichen Konsequenzen führen. Wir stimmen in dieser Beziehung der Stellungnahme der Bundesärztekammer zu, 'die wir in allen Teilen mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen haben.
Wir werden alles tun, um gesetzliche Regelungen zu finden, die die behandelnden Ärzte vor überflüssigen Belastungen mit Schreibarbeiten bewahren. Im übrigen halten wir an der Auffassung fest, daß jedes pauschale Mißtrauen gegenüber den Versicherten auch ein Mißtrauen gegenüber seinem behandelnden Arzt ist.
Zweitens. Wir begrüßen, daß der Gesetzentwurf die Bezugsdauer für Mutterschaftsgeld nach der Entbindung verlängern und die Klinikentbindung zur Pflichtleistung machen will. Aber wir halten diese Leistungen im Hinblick auf die hohe Mütter- und Säuglingssterblichkeit noch nicht für ausreichend. Wir verweisen mit Nachdruck auf unseren Entwurf eines Mutterschutzgesetzes, den wir nicht im Ausschuß für Arbeit begraben sehen möchten.
Drittens. Im ganzen gesehen ist die gesundheitspolitische Konzeption des Gesetzentwurfs unbefriedigend. Kennzeichnend hierfür ist, daß die Bundesregierung den Vorschlag des Bundesrats, in den Gesetzentwurf die Worte Leistungen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit aufzunehmen, abgelehnt hat. Die Erklärung der Bundesregierung, der Begriff Gesundheit sei versicherungsrechtlich kaum bestimmbar und Maßnahmen zur Gesunderhaltung müßten die Freiheit des einzelnen erheblich einschränken, lassen unseres Erachtens ein mangelndes Verständnis für die Aufgaben der Gesundheitspolitik in der Gesellschaft von heute erkennen.
Viertens. Die Leistungen des Gesetzentwurfs für die Vorsorgehilfe sind völlig unzureichend. Die wesentlichste Verbesserung im Vorsorgebereich besteht darin, daß nicht wie im früheren Entwurf Versicherte, die das 40. Lebensjahr, sondern bereits solche, die das 35. Lebensjahr vollendet haben, innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren im Rahmen der Vorsorgehilfe sich einmal ärztlich untersuchen lassen können. Zum Ausgleich für diese Verbesserung soll dann eine Kostenbeteiligung für Vorsorgeuntersuchungen von 7,50 DM erhoben werden. Die SPD wird sich bemühen, die Vorsorge zu einem wesentlichen Fundament der Krankenversicherung zu machen.
Fünftens. Wir vermissen auch jeden konstruktiven Versuch zur Lösung des sehr schwierigen Krankenhausproblems und teilen nicht die Auffassung, daß mit der Einführung von Kostenbeteiligung bei Krankenhauspflege der Zuständigkeitsbereich des Bundes erschöpft ist.
Im übrigen jetzt zu dem dritten Bereich: Kreis der Versicherten, Fragen der Organisation und Finanzierung.
Erstens. Der Kreis der versicherungspflichtigen Angestellten sinkt ständig. Er wird jetzt durch die Veränderung der Versicherungspflichtgrenze wieder ein wenig steigen, aber auf Sicht weiter absinken. Wir können die Auffassung nicht teilen, daß unter der Begründung einer arbeitsrechtlichen Gleichstellung nun 2,7 Millionen Arbeiter aus der Versicherungspflicht ausscheiden sollen. Der Verlust des Beitragsanteils für diese Arbeiter wird auf rund 600 Millionen DM im Jahr geschätzt. Diese Arbeiter werden somit wirtschaftlich erheblich geschädigt. Schließlich lehnen wir es auch mit Nachdruck ab, daß bei Übersteigen eines Gesamteinkommens von 1250 DM monatlich prinzipiell, wenn auch mit einer Übergangsregelung, die freiwillige Versicherung erlöschen soll. Wir halten Tendenzen, den Kreis der Versicherungspflichtigen oder der freiwillig Versicherten einzuengen, für sozialpolitisch und gesundheitspolitisch bedenklich. Die Versicherungspflichtgrenze sollte stets mit der Entwicklung der durchschnittlichen Arbeitsentgelte Schritt halten.
Unserer Überzeugung nach sollte der Gesetzgeber die soziale Sicherung bei Krankheit in jeder Weise fördern. Das liegt im Interesse des einzelnen und der Gesellschaft. Unabhängig von dem Streit über die Höhe der Versicherungspflichtgrenze werden wir vorschlagen, den Arbeitern und Angestellten einen Rechtsanspruch gegenüber ihren Arbeitgebern auf Fortzahlung des Beitragsanteils bei Übersteigen
der Versicherungspflichtgrenze einzuräumen, wenn sie weiterhin den Schutz einer Krankenversicherung in Anspruch nehmen. Wir wissen, daß das wirtschaftliche Probleme mit sich bringt. Sie sollten diskutiert und es sollten unter Umständen Übergangsregelungen getroffen werden.
Für unser Anliegen ist es - das möchte ich ausdrücklich betonen - nicht von entscheidender Bedeutung, bei welcher Einrichtung der nicht mehr Versicherungspflichtige seinen Krankenversicherungsschutz sucht, ob bei Pflichtkassen, Ersatzkassen oder auch bei der privaten Krankenversicherung. Vielmehr sind wir der Auffassung, daß ein echt er Leistungswettbewerb sich sozialpolitisch und gesundheitspolitisch positiv auswirken könnte. Selbstverständlich muß aber im Falle der Weiterzahlung des Beitrags durch den Arbeitgeber sichergestellt sein, daß stets mindestens der Leistungsstand der gesetzlichen Krankenversicherung einschließlich der Familienhilfe auf die Dauer gewährleistet ist. Über alle Einzelheiten sind wir zum Gespräch bereit.
Zweitens. Nun zu den Arten der Krankenkassen. Wir bejahen die Eigenständigkeit der Träger der Versicherung, die in der historischen Entwicklung begründet ist. Heute hat jeder Angestellte nach seiner freien Entscheidung das Recht, Mitglied einer Ersatzkasse zu werden, wovon 5 Millionen Angestellte Gebrauch gemacht haben. Die Möglichkeit der Arbeiter, Mitglied entsprechender Ersatzkassen zu werden, ist faktisch beschränkt. Die Zahl der Mitglieder der Arbeiterersatzkassen beträgt noch nicht 1 % aller Versicherten der Krankenversicherung. Deshalb sollten wir einmal prüfen, ob im Zusammenhang mit einer arbeitsrechtlichen Gleichstellung nicht auch den Arbeitern mehr als bisher die Freiheit der Wahl ihres Krankenversicherungsträgers zugestanden werden kann.
Wir wissen, daß das schwierige Probleme sind; sie sollten aber unter dem Gesichtspunkt geprüft werden, daß uns nicht die Schwierigkeit der Materie schrecken kann, wenn es darum geht, den besten gesundheitlichen Schutz für alle arbeitenden Menschen sicherzustellen.
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Drittens. Über die Verwaltungsfragen haben sich viele Leute Gedanken gemacht. Die Begründung des Entwurfs hierzu ist völlig unzureichend. Das Mehr und das Weniger an Kosten gleicht sich aus - eine solche Bemerkung zeigt einen Mangel an Vorausschau. Es ist nicht unbekannt, daß manche Sachverständige sogar meinen, allein wegen der Verwaltungsfragen sei überhaupt das ganze System des Sonderbeitrages und der Rückerstattung nicht praktikabel.
Viertens. Meine letzten Bemerkungen betreffen die finanziellen Auswirkungen. Die Gesetzentwürfe haben finanzielle Auswirkungen, die weit über die Belastung der Wirtschaft, die natürlich beachtlich ist, aber die auch im Verhältnis zur Lohnsumme und zur Lohnentwicklung gesehen werden muß, und über die Belastung des Bundes mit dem Kindergeld hinausgehen. Der Finanzteil im Regierungsentwurf ist äußerst dürftig. Wir hätten mindestens erwartet, daß eine Vorausschätzung der Einnahmen und Ausgaben nach dem gegenwärtigen Stand und dem Inkrafttreten des Gesetzes gegeben wird, wie dies bei der Reform der Rentenversicherung 1956/57 selbstverständlich war. Gewiß bereitet eine solche Schätzung Schwierigkeiten, man muß sie aber haben, um die finanziellen Auswirkungen genauer beurteilen zu können. Das ist insbesondere auch notwendig, weil der letzte Gesamtbericht für die gesetzliche Rentenversicherung erst für 1958 vorliegt.
Leider sind in dem Finanzteil die finanziellen Auswirkungen auf die Steuereinnahmen und auf die Beitragseinnahmen der Sozialversicherung unberücksichtigt geblieben. Ich möchte ,an einem Beispiel verdeutlichen, um welche Größenordnungen, die im finanziellen Teil nicht erwähnt sind, es sich handelt. Nach ,den Thesen der Bundesregierung ergibt sich für die Rentenversicherung eine zusätzliche Beitragseinnahme von jährlich 766 Millionen DM. Ferner ist zu berücksichtigen die Ausgabenersparnis der Rentenversicherung bei der Krankenversicherung der Rentner nach § 310 'in Höhe von 393 Millionen DM. - Dieser Betrag wird genannt. - Insgesamt würde sich durch die Gesetzentwürfe die Finanzlage der Rentenversicherung jährlich um 1 Milliarde 159 Millionen DM verbessern.
Im Hinblick darauf, daß der Herr Bundesarbeitsminister erklärte, die Belastung der Wirtschaft durch die Lohnfortzahlung betrage 1,4 Milliarden jährlich, muß doch eine solche Größenordnung von über 1,1 Milliarden Mehreinnahmen der Rentenversicherung in eine finanzielle Gesamtschau einbezogen werden. Darüber sind noch sorgfältige Ausarbeitungen zu erstellen. Wir Sozialdemokraten haben dafür Vorarbeiten geleistet. Wir werden sie Ihnen im Ausschuß zur Verfügung stellen.
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Wir leisten positive Beiträge auch in der finanziellen Hinsicht.
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- Natürlich!
Meine Damen und Herren, im Ergebnis bringen die Gesetzentwürfe Belastungen und Entlastungen für Millionen von Versicherten. Es ist viel zu einfach zu sagen: es kommt die Lohnfortzahlung, deshalb können Kostenbeteiligungen eingeführt werden. In einer großen Linie läßt sich sagen: entlastet werden die Gruppen der Arbeiter unter 750,- DM, belastet die Angestellten, die Rentner, die freiwillig Versicherten und die Arbeiter mit Einkommen über 750,- DM monatlich. Im Ganzen findet eine gewaltige finanzielle Umschichtung statt, bei der die Jungen, die Alleinstehenden, die Gesunden entlastet, aber die Familien, die Alteren und die Kranken belastet werden. Das sollte in seinen sozialpolitischen und gesundheitspolitischen Konsequenzen sehr genau überlegt werden. Setzen Sie deshalb, Herr Kollege Stingl, nicht schon zu Beginn der Aussprache Zeitpunkte für die Verabschiedung. Es liegt im gemeinsamen Interesse alle Dinge sorgfältig zu überlegen.
Wir Sozialdemokraten haben niemals bestritten, daß wir in der Bundesrepublik - bei allen Fehlern und Mängeln - in unserem Sozialleistungssystem einen beachtlichen Leistungsstand haben. Dieser Stand ist das Ergebnis eines 70jährigen Ringens um die soziale Sicherung
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und der wirtschaftlichen Anstrengungen unseres ganzen Volkes. Wir haben jetzt aber die Befürchtung, daß durch dieses Paket, das eigentlich ein Finanzpaket ist, unsere soziale Sicherung in eine Richtung gelenkt wird, die große gesundheitspolitische, familienpolitische und sozialpolitische Sorgen mit sich bringt.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Zu einer kurzen Replik hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, ich mache es ganz kurz. Zunächst, Herr Kollege Schellenberg, bin ich Ihnen aufrichtig dankbar für Ihre auch mit viel Humor gewürzte Rede. Sie hat mir gezeigt, daß es eine Möglichkeit gibt, gemeinsam über eine so bedeutsame Materie zu beraten, und daß ganz sicher diejenigen politisch falsch liegen, deren Weisheit darin besteht, zu sagen: Ach, reden wir doch gar nicht darüber!" Wir müssen darüber reden. Insofern bin ich Ihnen aufrichtig dankbar.
Nun, Herr Kollege, ich will jetzt nicht Ihre Zeit in Anspruch nehmen, um eine große Replik auf Ihre Rede zu bringen. Ich behalte mir vor, im Laufe des heutigen Tages mich noch zu Wort zu melden. Ich will nur, Herr Kollege Schellenberg, sofort und auf der Stelle, wie es meine Gewohnheit ist, Ihnen dort entgegentreten, wo Sie mich, wie ich glaube, zu Unrecht angegriffen haben.
Sie haben gesagt, ich hätte bei einer Prüfung internationaler Verhältnisse das Beispiel Schwedens gebracht, und Sie haben mir unterstellt, daß ich das nicht richtig gebracht hätte. Aber, Herr Kollege Schellenberg, das zwingt mich, sofort zu anworten.
({0})
- Ja, ja. Sehen Sie, dabei ist Ihnen eine kleine Ungeschicklichkeit passiert. Auch deshalb habe ich mich zum Wort gemeldet. Sie haben mit großer Emphase gesagt: die Kostenbeteiligung ist das unsozialste System.
({1})
Ich hätte mir nicht erlaubt, so etwas zu sagen. Deshalb will ich Ihnen ;ganz kurz sagen, wie 'das System
in Schweden ist, und damit das, was sie dazu gesagt 'haben, gleich richtigstellen.
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- Das tut mir sehr leid; aber ich trage es dennoch vor.
Ich bringe jetzt die Leistungen in der schwedischen Krankenversicherung: freie Arztwahl und Kostenerstattungssystem, d. h. es muß beim Arzt gezahlt werden. - An der Stelle Ihrer Rede, wo Sie die Frage der Kostenbeteiligung behandelt haben, war mir eben froh zumute, Herr Schellenberg, und am liebsten hätte ich - es ist aber nicht erlaubt - von da drüben einen Zwischenruf gemacht; denn ich wollte Ihnen meinen Dank aussprechen für die Wehmut, mit der Sie sich meines vorigen Entwurfs entsinnen.
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In Schweden werden nur 75 % der Gebührensätze erstattet. Die anderen 25 % zahlt man in diesem sozial ausgerichteten Land - wer will es wagen, Vu sagen, Schweden sei ein unsoziales Land? - selber. Für die Behandlung durch Zahnärzte wird nichts erstattet, es sei denn, es handele sich bei den Zahnschäden um Berufsschäden. Der Kostenanteil des Versicherten für jedes einzelne Arznei- und Heilmittel beträgt 3 Kronen plus 50 % der Mehrkosten. Gewisse Arznei- und Heilmittel für bestimmte Krankheiten sind frei. Prothesen, Brillen und Hörgeräte zahlt man selbst. Krankengeld - um nur einiges 'herauszunehmen - wird erst vom vierten Tag der Arbeitsun'fähigkeit an gezahlt,
({4})
also 3 Karenztage; die Schweden scheinen eine bestimmte Auffassung zu haben. Ich setze mich damit nicht auseinander, ich registriere sie nur. - Die Krankenhäuser in Schweden sind Staatseigentum und werden vom Staat finanziert. Infolgedessen sieht die Sache hier anders aus.
Ich bin absolut (bereit, Herr Kollege Schellenberg, mich mit Ihnen, sei es im Plenum, sei es im Ausschuß, über die verschiedenen Sozialversicherungssysteme in den verschiedenen Staaten zu unterhalten. Nur würde ich mich hüten, so vorschnell, wie Sie es eben getan haben, zu sagen, irgendein bestimmtes System sei absolut unsozial. Worum bandelt es sich denn? Herr Kollege Schellenberg, geben Sie sich doch keiner Täuschung bin! - Nur eine kleine Bemerkung, die ich aber nicht bösartig aufzufassen bitte. Ihr Verhältnis zu Zahlen ist etwas komisch. Das haben wir neulich festgestellt, als wir uns über die versicherungstechnischen Bilanzen unterhielten. Ich habe vorhin wieder mit großem Erstaunen Ihre Rechnung verfolgt; ich werde im Laufe des Tages noch näher darauf eingehen. - Worum handelt es sich denn? Es handelt sich darum, daß von Ausnahmefällen abgesehen, mit dem von uns jetzt gewählten System im Hinblick auf die Übernahme der Lohnfortzahlung durch die Arbeitgeber eine Senkung der Krankenkassenbeiträge möglich ist, der Arbeiter also maximal nicht höher
belastet wird, als er zur Zeit belastet ist. Die Frage ist, Herr Schellenberg, ob wir das System, mit dem wir gegenwärtig 120 % eines Monatseinkommens im Jahre als Beiträge zahlen - das tun wir doch, und eineinfünftel Monat nur für die Krankenversicherung arbeiten, fortsetzen und in Kürze 12, 13 und 14 % zahlen sollen
({5})
- darum geht es - oder ob es uns gelingt, die Dinge insofern wieder in den Griff zu bekommen, daß jeder einzelne selbst wieder daran interessiert wird, diesen Trend zu abzustoppen.
({6})
Darf ich Ihnen einmal folgendes sagen: Es war großartig, wie Sie das transponiert haben: erst auf ein Jahr auszurechnen und dann zurückzunehmen auf einen Monat; wirklich genial, Herr Schellenberg! Wenn ich Ihre Steuerleistung einmal auf das ganze Jahr nehme - ich nehme an, Sie sind ein erheblicher Steuerzahler -, dann rechnen Sie sich einmal aus, wievieler Monate Sie dann nach Ihrer Rechnung des Einkommens verlustig gehen und dann allerdings nichts zu leben hätten. - Sehen Sie, Herr Schellenberg: hier handelt es sich doch nur darum, ob wir diesen Trend unterbrechen. Ich glaube, wir können ihn unterbrechen, und ich glaube, wir können dahin kommen, daß, wie ich vorgeschlagen habe, dann Individualbeitrag und Gesamtbeitrag in der Gänze für den Arbeitnehmer nicht höher wird, als er gegenwärtig als reiner Arbeitnehmeranteil zu zahlen ist. Diese Sache schaffen wir mit keinem Rechenkunststückchen aus der Welt. Wenn Sie sich aber dazu nicht entschließen - und die Schweden sind schon kluge Leute -, dann allerdings werden wir uns in Kürze damit zu beschäftigen haben, ,daß die Krankenkassenbeiträge statt 10 % 12, 13 und 14 % betragen,
({7}) genau wie wir das damals gesehen haben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Schellenberg?
({0})
Herr Minister, ist Ihnen nicht bekannt, daß sowohl der Krankenstand wie der Beitragsstand sich im letzten Jahr faktisch gefangen haben und daß die Beitragssteigerungen ausschließlich damit zusammenhingen, daß keine Lohnfortzahlung entsprechend unseren Anträgen eingeführt wurde?
Lieber Herr Schellenberg, Ihre Darstellung habe ich einmal mit folgenden Worten irgendwo gelesen: Plötzlich geht eine Welle der Gesundung durch Deutschland. Hier hat sich gar nichts gefangen; wenn Sie die Zahlen einmal in ihrer Tendenz betrachten und wenn Sie diese für das ganze Jahr sehen und sie auf die Gruppen der daran Beteiligten verteilen, dann werden Sie feststellen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir in dem ständig steigenden Trend noch bleiben. Und wenn man plötzlich sagt: „Das hat sich gefangen", dann müßte ja doch vorher eine nicht berechtigte Inanspruchnahme dagewesen sein.
({0})
Denn wenn es Erkrankungen wären, - durch welche Dinge wäre denn nun plötzlich über Nacht der Tendenzumschwung gekommen? Ach, lieber Herr Schellenberg, die Sache liegt doch ganz einfach daran, und das haben wir damals bei der Beratung des ersten Entwurfs auch erlebt: schon als evident wurde, wohin unser Trend gehen sollte, zeigten sich gewisse Rückwirkungen.
Und nun zu den Ärzten. Lieber Herr Schellenberg, darüber werden vielleicht heute Ärzte hier noch reden; und die sind - und das ehrt sie, da sie denkende Menschen sind - sicherlich unterschiedlicher Auffassung. Aber im Ernst: daß unser System, wie ich es vorschlage, die Volksgesundheit in Gefahr brächte, - nehmen Sie es mir nicht übel: das ist Buh-Buh, Herr Schellenberg; das nimmt Ihnen in Deutschland niemand ab.
({1})
Meine Damen und Herren, 'ich freue mich, den sozialpolitischen Trend für kurze Zeit unterbrechen zu können, und zwar bis 15.30 Uhr.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die Sopos, wie wir Sozialpolitiker oft in abgekürzter Form von unseren Kollegen bezeichnet werden, sind für viele Menschen ein Schrecken; sie sind vor allen Dingen für die Kollegen ein Schrecken, die glauben, daß sie sich im Politischen noch einen unverdorbenen reinen Menschenverstand bewahrt hätten. Vieles, was wir im Fachjargon aussprechen, ist für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Für sie stellt sich die 'Sozialpolitik im Rahmen der Gesamtpolitik als ein Sektor dar, der einfachen und verständlichen, Überschaubaren Lösungen nicht immer zugänglich ist. Mir scheint, wenn ich so in das Haus hinuntersehe, daß wir heute morgen schon einige recht stark in Schrecken versetzt halben; denn sonst wäre bei einer so umfassenden Materie, wie wir sie behandeln, sicherlich eine größere Anzahl von Kollegen anwesend und nicht nur die, die sich ohnehin im Sozialpolitischen Ausschuß und in anderen Ausschüssen mit Sozialpolitik zu befassen haben.
Diesen kleinen Vorspruch sage ich nicht zur Rechtfertigung .der Sozialpolitik, sondern um darzutun, daß wir heute in diesem Hohen Hause erstmals Gelegenheit haben, eine Reihe von Gesetzeswerken im Zusammenhang zu sehen. Wir haben heute eine
sozialpolitische Materie nicht in einer isolierten Betrachtungsweise, sondern in einem größeren Gesamtrahmen zu debattieren.
Wenn in der Vergangenheit Termine die Beratungen gejagt und die soziale Not schnelle Entscheidungen erzwungen haben, so ist idas keine Entschuldigung, wenn in der Zukunft Fehler der Vergangenheit wiederholt würden. Es war auch der Wunsch meiner Fraktion, daß sozialpolitische Fragen, die in einem sachlichen Zusammenhang stehen, aber nur durch verschiedene Gesetze zu regeln sind, gemeinsam behandelt werden.
Wir haben es in der Vergangenheit erlebt, vor welche Problematik die 'Ausschüsse gestellt waren, wenn ihnen neue und umfassendere Reformvorschläge zur Beratung vorgelegt wurden, bevor die bereits vorhandenen zu einem guten Abschluß gebracht werden konnten. Meist blieb einer - wenn nicht alle - auf der 'Strecke. Wir brauchen nur an die letzte Legislaturperiode 'zu denken. Es geht jetzt nicht darum, festzustellen, wen und inwieweit jemanden die Schuld dafür trifft, daß damals die begonnenen Reformen steckengeblieben sind. Ein Streit darüber nützt weder der Sache noch dem Volk.
Entscheidend ist, daß die Parteien des Bundestages, .die die Regierungsverantwortung tragen, sich insoweit zusammengefunden haben, daß diese drei Gesetzentwürfe heute im Plenum in erster Lesung behandelt werden können und daß wir der Verabschiedung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes in der übernächsten Woche entgegensehen können. Ich glaube, das ist ein Beweis dafür, daß trotz mancher Meinungsverschiedenheiten, die zwischen den Koalitionsparteien da und dort bestehen mögen, ,der Wille, zu gemeinsamen Taten und zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen, vorhanden ist.
Wir Freien Demokraten begrüßen die Tatsache, daß die Bundesregierung und vorab der Herr Bundesarbeitsminister den sachlichen Zusammenhang der drei Gesetze betonen und auf eine gleichzeitige Behandlung, Verabschiedung und Inkraftsetzung drängen. Bei aller kritischen Würdigung, welche manche Vorstellung der einzelnen Gesetze durch uns wird finden müssen, sind wir uns doch der Tatsache bewußt, daß die Einheit der drei Gesetze als Gesamtkomplex gewahrt werden muß.
Ich komme damit auch auf die Ausführungen, die Herr Kollege Schellenberg gemacht hat. Herr Kollege Schellenberg, Sie haben sehr klar dargetan, daß ein breiter Graben der Meinungsverschiedenheit zwischen Regierungsvorlage und Oppositionsmeinung besteht. Sie haben sehr deutlich darauf hingewiesen, 'daß Ihnen dieser Gesamtzusammenhang nicht wünschenswert erscheint. Aber das darf ich hier mit großer Befriedigung feststellen: Sie haben nicht das vertieft, was der Arbeitsminister Hemsath aus Hessen in der 251. Sitzung des Bundesrates gesagt hat, als er offen aussprach, daß die Meinungsunterschiede so groß seien, daß sie fast ein sinnvolles Gespräch über die Wirksamkeit, die objektive sachliche Richtigkeit und die Möglichkeit der einen oder anderen Lösung ausschlössen. Ich glaube, bei aller Härte der Argumente, die Kollege Schellenberg hier vorgetragen hat, war aber immer der Wille zur Mitarbeit und Mitgestaltung zu spüren. Wir sollten das dankbar registrieren.
Ich möchte noch etwas hinzufügen: einige Passagen in der Rede von Professor Schellenberg lassen uns Freie Demokraten hoffen, daß wir doch nicht ohne Erfolg in den vergangenen Monaten in der Öffentlichkeit den Gedanken einer Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik aus einem Guß verfochten haben. Professor Schellenberg hat angedeutet, daß er wirtschaftliche Auswirkungen von gesetzgeberischen Neuregelungen sorgfältig beachtet wissen will. Das erlaubt für 'die Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß einen gemäßigten Optimismus. Denn oft war diese Bereitschaft, die Dinge im Gesamtzusammenhang zu sehen und die Auswirkungen auf die übrigen Bereiche unseres öffentlichen Lebens zu überprüfen, nicht so deutlich angesprochen, wie das heute morgen bei aller Kritik, die Herr Schellenberg geübt hat, angeklungen war.
Der Bundesarbeitsminister war zu Beginn der Legislaturperiode noch der optimistischen Auffassung, daß die Sozialpolitik in diesen vier Jahren ohne zusätzliche Belastung der lohnbezogenen Abgaben, sprich: der Bruttolohnsumme, zu meistern sei. Ich darf daran erinnern, daß wir anläßlich einer großen Anfrage der Sozialdemokraten ausdrücklich darauf hinwiesen, daß der Wille des Herrn Bundesarbeitsministers, dafür Sorge zu tragen, daß diese Gesetze keine weitere Sozialisierung des Lohnes und keine weitere Belastung der lohnbezogenen Abgaben beinhalteten, uns die Mitarbeit an dieser Gesetzesmaterie ermöglichte.
Heute mußte nun der Herr Bundesarbeitsminister zugeben, daß nach den Minimalschätzungen doch eine offenbare Belastung von 1,4 Milliarden DM auf die Wirtschaft zukommt, wenn der Krankenstand in seiner bisherigen Höhe bleibt. Nun, die Zahlen des Arbeitsministeriums sind sicherlich vorsichtig geschätzt. Wir wissen, daß andere Institutionen auf eine Differenz von 2,5 Milliarden DM hinweisen. Sicherlich mag der eine aus bestimmten Gründen ein bißchen tiefer, der andere aus bestimmten Gründen ein bißchen höher gegriffen haben. Aber unbestritten ist heute morgen geblieben, daß es sich um finanzielle Größen handelt, die nicht mit der linken Hand abgetan werden können.
Entscheidend dabei ist die Tatsache, daß zusätzliche Kosten entstehen, und zusätzliche Kosten, die entstehen, das wissen wir, wirken sich bei den Gewinnraten oder steigend bei den Preisen aus. Die Erfahrungen der Vergangenheit lassen erahnen oder befürchten, daß eher das letzte der Fall sein wird. Die Vollbeschäftigung ist ein aus politischen Gründen sehr erstrebenswerter und begrüßenswerter Zustand. Sie befreit die Massen von der Furcht der Arbeitslosigkeit. Aber sie beseitigt auch da und dort Hemmungen in der Preisgestaltung und Lohndiskussion. Rückblickend darf man ruhig sagen, daß vor allem die Überbeschäftigung die monetäre Disziplin nachlassen ließ.
Warum sage ich das gerade in diesem Zusammenhang? Nun, weil in Zeiten wirtschaftlicher Expansion
und in der Erwartung ihres weiteren Andauerns Löhne und Preise verhältnismäßig zügig gefordert und gewährt werden. Die Gefahr besteht immer, daß die Rentner und die Sparer etwas zurückbleiben. Gerade bei der Lohnbezogenheit unseres sozialen Leistungssystems müssen wir darauf achten, daß nicht Wirkungen hervorgerufen werden, die die beabsichtigte Hilfestellung durch Preisüberwälzungen wieder aufheben.
Ich möchte an dieser Stelle dem Herrn Bundesarbeitsminister meiner Fraktion Dank sagen für seine klaren Darlegungen, daß wir an dem Punkt angekommen sind, an dem alle Ausgaben, die dieses Parlament durch Beschlüsse veranlaßt, in irgendeiner Form durch die Gesamtheit wieder aufgebracht werden müssen. Herr Minister Blank hat in seiner Rede heute morgen sehr klar gegen die Illusion der Umverteilung Stellung genommen, der Illusion der Umverteilung, die heute noch in vielen Köpfen herumspuckt und sich darin manifestiert, daß man sagt: Dieses kann man tun und jenes kann man tun, - ohne sich bewußt zu werden, daß die Mittel dazu immer über Steuern oder Beiträge - und meist von allen - aufgebracht werden müssen. Auch hier nur noch eine einzige Zahl, die Herr Staatssekretär Claussen einmal genannt hat. Er hat einmal ausgeführt, daß 60 % der Sozialleistungen von den Empfängern selbst aufgebracht werden müssen.
Die angeschnittene Problematik könnte noch von verschiedenen Seiten beleuchtet werden. Auf jeden Fall dürfen wir unsere Augen aber nicht davor verschließen, daß möglicherweise derjenige, dem geholfen werden soll, seine Hilfe selbst einschließlich der dazwischenliegenden Verwaltungskosten bezahlen muß.
Meine Fraktion bejaht ,die volle materielle Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten im Krankheitsfall, nicht um irgendwelchen zweifelhaften sozialpsychologischen Dogmen die Krone aufzusetzen, sondern aus praktischen Erwägungen. Heute morgen hat über die Form, in der diese Gleichstellung erfolgen soll, Herr Arbeitsminister Blank ausgeführt, daß es sich dabei im wesentlichen um eine rechtliche Gleichstellung im Krankheitsfall und um eine Anerkennung der fachlichen und verantwortungsvollen Tätigkeit der Arbeiter handle. Nun, wir als Freie Demokraten hätten gewünscht, daß die Frage der Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten nach einer gründlichen Prüfung der gewandelten technischen und wirtschaftlichen Bedingungen vom Gesetzgeber angepackt worden wäre, und zwar in dem Sinne, wie wir Freien Demokraten es mit unserem Antrag auf Reform des Katalogs der Angestelltentätigkeit gemeint haben. Das entspräche einer organischeren Entwicklung und hätte nicht den Beigeschmack, daß man an die Probleme etwas überstürzt herangehen muß.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen uns nichts vormachen. Der Arbeiter hat schon bisher im Krankheitsfall den Nettolohn für die Dauer von sechs Wochen - teilweise noch mehr als wenn er arbeiten würde - bekommen. Er verliert aber für diese Zeit bis zu sechs Wochen die Beiträge zur Sozialversicherung. Daß er auf diese nicht gern verzichten möchte, ist ein verständlicher und berechtigter Wunsch, dem stattgegeben werden sollte. Darin sind sich die Sozialpartner wie die politischen Parteien einig.
Trotz der sehr beachtlichen Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers heute morgen ist für uns Freie Demokraten aber die Frage noch nicht endgültig ausdiskutiert, ob die vorgesehene Form der Durchführung der Lohnfortzahlung wirklich die richtige, für den Arbeiter und die Wirtschaft zweckmäßige ist. Wir wissen, daß sich unser Koalitionspartner eindeutig zu der im Regierungsentwurf vorgesehenen Form bekannt hat. Trotzdem meinen wir, daß bei der weiteren Beratung noch zu überprüfen sein wird, ob nicht doch ein öffentlich-rechtlicher Anspruch an einen Fonds bei der Krankenkasse, der durch Beiträge der Arbeitgeber gespeist wird, unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen geeigneter und praktikabler wäre. Diese Lösung würde auch in wirtschaftlich labileren Zeiten dem Arbeiter den pünktlichen Erhalt seiner Lohnfortzahlung besser garantieren. Dieser Meinung sind wir jedenfalls bis jetzt.
Ich muß noch ein anderes Problem ansprechen. Wir dürfen nicht vergessen, ,daß auch wieder Zeiten kommen können, in denen das Angebot an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt höher ist. Wir müssen bei der Frage, wie die Lohnfortzahlung geregelt werden soll, überprüfen, ob bei der vorgesehenen Form nicht eventuell eines Tages das Problem des älteren Arbeiters auf uns zukommt, wie wir uns schon einmal mit dem Problem des älteren Angestellten zu befassen hatten.
Ich glaube, diesen Fragen sollte doch noch Aufmerksamkeit gewidmet werden, damit uns, wenn wir zur Entscheidung kommen, niemand den Vorwurf machen kann, daß wir diese Fragen nicht nach allen Seiten bezüglich ihrer möglichen Auswirkungen in der Zukunft untersucht hätten.
Im Bundesrat ist durch den Entschließungsantrag des Landes Schleswig-Holstein diese Frage auch noch einmal deutlich angesprochen worden. Ich bin mir bewußt - und mit mir sind es auch meine Parteifreunde -, wie schwierig es sein wird, von der nun einmal im Parlament schon bestehenden breiten Auffassung einer Lösung abzukommen. Aber, meine Damen und Herren von der CDU, ich habe es gewagt, dieses heiße Eisen anzupacken, nur weil ich mich gern eines Beitrags Ihrer Wahlillustrierten aus dem Jahre 1953 erinnere. Darin hatten Sie nämlich in sehr eindrucksvoller Weise die Weitsicht und Schlagfertigkeit des Herrn Bundeskanzlers herausgestellt. In der Illustrierten war aufgezeichnet, der Bundeskanzler habe einmal in einer sehr wichtigen Frage der Fraktion seinen Standpunkt vorgetragen. Plötzlich sei er durch den Zwischenruf „Herr Bundeskanzler, vor vier Wochen waren Sie noch gänzlich entgegengesetzter Meinung!" gestört worden. Der Bundeskanzler, so war in Ihrer Illustrierten zu lesen, habe den Zwischenrufer nur kurz angeblickt und ihm erwidert: Dat stimmt; aber Sie können mir doch nicht verbieten, täglich klüger zu werden. Also, was für den damals noch jugendlicheren BunSpitzmüller
deskanzler gilt, sollte auch für eine gereiftere Fraktion nicht von der Hand zu weisen sein.
({0})
Bitte, mißverstehen Sie uns nicht. Es geht uns bei der Regelung nicht um eine Frage der Weltanschauung, sondern um die Sicherung der lohnintensiven Betriebe, die auch bei ungewöhnlichen Morbiditätsziffern nicht in Existenzsorgen geraten dürfen. Daß eine solche Sicherung möglichst auch nicht zu umständlich und kostspielig sein darf, versteht sich von selbst. Es geht uns wirklich nur darum, daß geprüft wird: Was ist für den Arbeiter und für die Wirtschaft insgesamt gesehen das Vernünftigste?
Noch ein Wort zum Ausgleich, der in diesem Gesetzentwurf vorgesehen ist. Wenn es bei der Regelung bleibt, wie sie von der Regierung vorgeschlagen ist, dann kommt diesem Ausgleich eine große Bedeutung zu. Wir haben heute morgen mit großer Freude vernommen, daß auch Herr Kollege Schellenberg der Meinung ist, mit diesem Ausgleich sollte das Risiko kalkulierbar gemacht werden und auch die Arbeiter mit einem Monatslohn über 750 DM sollten in diesen Ausgleich einbezogen werden. Nachdem in allen Fraktionen Männer und Frauen sitzen, die nicht bereit sind, einem Gesetz zuzustimmen, durch das in bestimmten Teilen der Wirtschaft plötzlich unerwartete Belastungen und Sorgen auftreten können, habe ich die Hoffnung, daß es in irgendeiner Form gelingt, eine Lösung zu finden, bei der am Ende dann alle mehr oder weniger zufrieden sein können, daß wir also in dieser Frage, obwohl zunächst einmal die Situation und Stimmung sehr verkrampft aussahen, doch noch zu einer Regelung kommen, mit der wir uns nicht nur heute, sondern auch in der Zukunft sehen lassen können.
Lassen Sie mich zum KrankenversicherungsNeuregelungsgesetzentwurf nur einiges ausführen. Ich brauche auf die vielen Verbesserungen, die dieser Gesetzentwurf bringt, nicht hinzuweisen; Kollege Blank und Kollege Stingl haben das in sehr beredter Weise getan, und auch Herr Kollege Schellenberg hat ja nicht bestritten, daß dieser Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzentwurf sicherlich einige Verbesserungen beinhaltet. Er kann nur einige beinhalten, weil dieses Parlament bereits im Jahre 1961 eine ganze Reihe von entscheidenden Verbesserungen vorweggenommen hat.
Die Leitgedanken, die in der Begründung zur Krankenversicherungs-Neuregelung zum Ausdruck kommen, und die Absicht und das Ziel, das vom Herrn Bundesarbeitsminister angesprochen wurde, werden von uns begrüßt. Nach unserer Meinung besteht jedoch die Gefahr, daß die Handhabung einzelner Paragraphen dieses Entwurfs dazu angetan sein könnte, diese in der Begründung kundgetane Absicht nicht voll zur Wirkung kommen zu lassen. Ja - wir müssen das ehrlich aussprechen -, wir fürchten, daß in der Praxis der Weg von der gegliederten Krankenversicherung wegführt und eine Schwächung der Selbstverwaltung eintritt zugunsten eines immerhin möglichen ministeriellen Dirigismus. Bei den Beratungen im Ausschuß werden wir also besonderen Wert darauf legen, daß keine Nivellierung Platz greift. Je mehr wir im Gesetz die
Selbstverwaltung einengen, desto mehr steuern wir gewollt oder ungewollt der Tendenz zu einer Einheitsversicherung zu, die nicht im Sinne der Regierungsparteien liegen kann.
Die Stärkung der Selbstverantwortung ist ein ganz entscheidender Punkt der letzten Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetze, die ja dann nicht zu Ende geführt werden konnten und deren Scheitern Herr Kollege Schellenberg heute morgen so sehr bedauert hat, obwohl seine Persönlichkeit sicherlich nicht am wenigsten dazu beigetragen hat, daß die Dinge nicht zu einem guten Ende geführt werden konnten. Diese Stärkung der Selbstverantwortung soll nach dem Entwurf durch einen 2 %igen Sonderbeitrag, der ganz oder teilweise zurückerstattet wird, sowie dadurch erreicht werden, daß der Patient endlich einmal sieht, was seine Kasse für ihn leistet, und er damit in ein ganz anderes Verhältnis zu dieser Solidargemeinschaft kommt, als das bisher in der Anonymität des gesammelten Beitragsabzuges der Fall ist.
Im Sinne der Begründung des Gesetzentwurfs und der im letzten Bundestag dargelegten Vorstellungen hätten wir allerdings erwartet, daß auch der neue Entwurf dem gesellschaftlichen Strukturwandel, dem ja in der Lohnfortzahlung entsprochen werden soll, mehr Rechnung tragen würde. Dies würde sinnvollerweise dann aber doch einen Weg zum Kostenerstattungssystem beinhaltet haben. Wir kennen die Menge der Gründe, die gegen einen solchen Weg sprechen, halten ihn aber zumindest für die höheren Einkommensgruppen für sinnvoll und gangbar. Wir würden es deshalb begrüßen, wenn ein solcher Weg zumindest als Wahlalternative für die freiwillig Versicherten im Gesetz seinen Niederschlag finden könnte.
Herr Kollege Blank hat bereits auf die verwaltungstechnischen Bedenken hingewiesen, die in aller Munde sind. Es wird gesagt, sie könnten entstehen durch die Einnahme des 2 %igen Sonderbeitrages, die Verrechnung auf ein Sonderkonto, die Anrechnung der Leistungen und die Rückzahlung. Aber ich möchte sagen, wir hoffen, daß sich der Optimismus des Herrn Arbeitsministers über die Praktikabilität bei der Anhörung der Sachverständigen im Ausschuß auf alle anwesenden Mitglieder ausbreiten möge. Der Gedanke der Rückerstattung ist gut, wenn er ohne Komplikationen durchgeführt werden kann. Hier, wie gesagt, hoffen wir noch, daß die Anhörung der Sachverständigen auch uns den Optimismus gibt, den der Herr Bundesarbeitsminister heute von dieser Stelle aus dem Parlament gezeigt hat.
Bei der Diskussion über das Sozialpaket spielt immer auch der Krankenstand eine große Rolle. Ich bin der Meinung, daß hierzu doch einiges von unserer Seite gesagt werden muß. Selbstverständlich ist der Krankenstand in der Bundesrepublik hoch. Aber wir dürfen die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß der Krankenstand nach Betrieben, Wirtschaftszweigen, Kassen und Regionen sehr unterschiedliche Größen aufweist. Lassen wir uns deshalb bei der Neuordnung nicht nur vom derzeitigen Krankenstand leiten. Wir sind mit Herrn
Arbeitsminister Blank der Meinung, daß die Verantwortungsbewußten vor den Verantwortungslosen geschützt werden sollen. Aber ich glaube, viele geben sich allzusehr der Hoffnung hin, daß die neue Form des vertrauensärztlichen Dienstes Wunder wirken kann und eine wesentliche Minderung der Krankenziffern zur Folge hätte. Wir sind der Meinung, daß eine genügende Aufklärung über Sinn und Zweck einer Solidargemeinschaft in einer Gemeinschaft freier Menschen nicht unterschätzt werden darf. Wir sind überzeugt, daß die Angestellten und manche Betriebs-, Innungs- und Ersatzkrankenkassen dafür bereits den Beweis erbracht haben, ohne daß man das Büttelwesen als ein Allheilmittel bezeichnen muß.
Die aus dem Entwurf des Lohnfortzahlungsgesetzes zu erkennende Lösung bringt leider einige Verschlechterungen der Rechte der Angestellten. Leider wird dies nicht durch eine fühlbare Gegenleistung an anderer Stelle aufgewogen. Im Gegenteil, im Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz sehen wir Ansätze, die die besonderen Krankenversicherungseinrichtungen in ihrem Satzungsrecht einschränken. Eine solche Entwicklung des Satzungsrechtes stände nach unserer Meinung nicht im Einklang mit dem in diesem Hause viel zitierten Subsidiaritätsprinzip. Wir als Abgeordnete sollten deshalb nach Lösungen und Wegen suchen, eine solche Entwicklung zu vermeiden, ohne daß damit das Paket als Ganzes gefährdet wird.
Desgleichen müssen wir erwähnen, daß die vorgeschlagene Form eines Sonderbeitrages für Rentner einer besonderen Prüfung im Ausschuß unterzogen werden muß. Es erscheint uns zweifelhaft, ob diese Bestimmungen in ihren Auswirkungen bis zu Ende durchdacht sind. Wir sollten uns hierüber wirklich noch einmal unterhalten und verständigen.
Die Vorsorgeuntersuchung, die ein wesentliches Kernstück der Krankenversicherungs-Neuregelung ist, ist ein wesentliches und entscheidendes Merkmal fortschrittlicher Sozial- und Gesundheitspolitik. Sie müßte aber nach unserer Meinung überwiegend in die Entscheidung der Selbstverwaltung gelegt werden. Nur die Einzelkasse kann nämlich entscheiden, was für ihren Versichertenkreis, die Struktur ihrer Mitglieder und nach regionalen Gesichtspunkten besonders zweckmäßig und notwendig ist. Eine Kostenbeteiligung bei solchen Vorsorgeuntersuchungen halten wir nicht für sinnvoll. Sinn der Vorsorge ist es doch, den Versicherten bei seinem Willen zur Gesundheit zu unterstützen, Krankheiten früh zu erkennen oder rechtzeitig abzuwehren.
Herr Kollege Schellenberg hat auch zu der Neuregelung des Kindergeldrechtes einige grundsätzliche Ausführungen gemacht und daran einige Bemerkungen des Bedauerns geknüpft und gemeint, daß dieses und jenes noch besser und anders gestaltet werden könne. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir alle hier unsere Sorgen und Wünsche anmelden wollten, die wir bei den einzelnen Gesetzen haben, würde die vorgesehene Diskussionszeit wohl nicht ausreichen. Ich darf zu dieser Frage also nur sagen, daß hier endlich einmal die Vereinheitlichung kommt, die wir angestrebt haben, und daß durch die Übernahme auf die Staatskasse eine grundsätzliche Änderung in der Aufbringung der Mittel stattfindet. Das ist ein Ziel gewesen, das wir seit langem angestrebt haben.
Grundsätzlich darf ich aber feststellen, daß nach unserer Ansicht die Verantwortlichkeit für Kinder und Kinderzahl ausschließlich bei der Familie liegt und dort auch bleiben muß. Allerdings muß von seiten der Gesellschaft ein Interesse daran bestehen, daß der Familie der ihr gemäße Raum in der Gesellschaft bleibt. Meine Fraktion bekennt sich zum Familienlastenausgleich in dem vorgelegten Rahmen. Wir sind gern bereit, wenn es die finanzielle Situation erlaubt, über Verbesserungen und Ausgestaltungen zu sprechen und mit uns reden zu lassen. Wir glauben, daß mit diesem Entwurf eines Bundeskindergeldgesetzes ein Schritt weiter im Sinne unserer seit Jahren vorgetragenen Auffassungen erfolgt.
Nach den sehr umfassenden Ausführungen meiner Kollegen von CDU und SPD habe ich versucht, einige wesentliche Positionslichter zu setzen. Aber ich muß der Ehrlichkeit halber sagen, ich wäre, wenn ich mich über das Sozialpaket so eingehend wie die anderen Kollegen, also in über einstündigen Ausführungen, hätte auslassen wollen, in die Situation geraten, in der mein Kollege Stingl vor drei Jahren gewesen ist, d. h. ich hätte die Worte „prüfen, miteinander reden, erwägen und „untersuchen genauso häufig in den Mund nehmen müssen, wie das dem Kollegen Stingl vor drei Jahren passiert ist.
Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, daß wir der Gesamtkonzeption durchaus freundlich, aufgeschlossen und bejahend gegenüberstehen, daß aber auch bei uns eine ganze Reihe von Fragen noch nicht so ausdiskutiert und geklärt sind, daß wir uns nun mit der Vehemenz, wie Kollege Stingl das heute morgen in erstaunlicher Frische getan hat, in allen Details hinter den vorgelegten Entwurf stellen könnten.
Ich darf abschließend zusammenfassen. Wir Freien Demokraten haben bezüglich der Gestaltung in den einzelnen Gesetzen bestimmte Vorbehalte, Wünsche unid Vorstellungen, rüber die in sachlicher Zusammenarbeit in vielen Punkten eine Verständigung möglich erscheint. Wir sind uns bewußt, daß in den Ausschüssen (hart um die beste und praktikabelste Lösung ,gerungen werden muß. Unterschiedliche Auffassungen sind selbst in Fraktionen unvermeidbar; nur dringen sie da meist nicht nach außen. Um so mehr liegt es aber in der Natur der Sache, daß auch Koalitionspartner über bestimmte Lösungen unterschiedliche Auffassungen haben und gelegentlich 'genötigt sind, diese Auffassungen auch in der Öffentlichkeit darzulegen.
Entscheidend aber dürfte wohl die Tatsache sein, daß durch die Gesetzesvorlagen der Bundesregierung die Diskussionsbasis für eine vernünftige Behandlung und Beratung der zusammengehörigen Gesetze gegeben ist und daß wir uns mit unserem Koalitionsparner in der Grundsatzbetrachtung
Diese drei Gesetze bilden eine Einheit einig wissen. Darüber hinaus besteht der gemeinsame Wille, die Gesetze mit der erforderlichen Gründlichkeit, aber ohne Verzögerung zu beraten, so daß ein baldiges Inkrafttreten gewährleistet ist.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. !Franz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war für mich eines der aufschlußreichsten Ergebnisse der Diskussion des heutigen Vormittags und auch der Ausführungen, die unser hochgeschätzter Kollege Spitzmüller soeben hier gemacht hat, daß kein einziger Redner die Notwendigkeit einer umfassenden Reform der sozialen Krankenversicherung bestritten hat. Es ist heute ja schon viel von den Gründen für die steigende Morbiditätskurve gesprochen worden, die sich nicht nur in der deutschen sozialen Krankenversicherung, sondern auch in der privaten Krankenversicherung, und war des Inlandes und des Auslandes, seit einigen Jahren abzuzeichnen beginnt. Es 'war auch 'die Rede von den großen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftspolitischen Verschiebungen, die ihrerseits Anlaß für diese Reformdiskussion und auch für die eindeutige Überstrapazierung des Solidaritätsprinzips gegeben haben, das neben der Subsidiarität eine der tragenden Säulen unserer sozialpolitischen Konzeption darstellt.
Es gibt keinen Zweifel, daß der Mensch in unseren Tagen in der Lage ist, seiner Gesundheit mehr Aufmerksamkeit zuschenken als in früheren Jahren. Die Erkenntnisse der modernen Medizin haben diese Tendenz noch gefördert, ebenso wie die breite öffentliche Erörterung dieser medizinischen Fortschritte. Es gibt auch keinen Zweifel, daß sich die Bedingungen unserer Umwelt und die Bedingungen der Arbeitswelt im Laufe der letzten Jahrzehnte erheblich geändert haben. Ich darf dankbar feststellen, daß seit jener Diskussion vor drei Jahren - ich glaube, es war der 18. Februar 'des Jahres 1960 - auf diesem Gebiete eine Reihe hochinteressanter und aufschlußreicher wissenschaftlicher Arbeiten erschienen sind.
Es ist beinahe ein Gemeinplatz, wenn man sagt, daß sich die soziale Krankenversicherung in Deutschland in den acht Jahrzehnten ihres Bestehens außerordentlich bewährt hat. Diesem Respekt vor dem Gewachsenen und Bewährten entspricht auch die behutsame Art, mit der das Arbeitsministerium trotz ,der gravierenden Einführung einer Selbstbeteiligung die Reform angefaßt hat. Man hätte sich unter dem anspruchsvollen Wort Reform der sozialen Krankenversicherung durchaus auch die eine oder andere drastischere Maßnahme vorstellen können, beispielsweise eine Teilung ides Versichertenkreises nach dem wirtschaftlichen Einkommen oder aber die Herausnähme jener 40 bis 60% Bagatellfälle, die heute den Geschäftsumfang ,der sozialen Krankenversicherung weitgehend ausmachen.
Es entspricht der außerordentlich harten parteipolitischen und sozialpolitischen ,Auseinandersetzung um .diese Reform der sozialen Krankenversicherung, daß die eindeutigen Verbesserungen der Vorlage da und dort zu kurz gekommen sind. Der Herr Bundesarbeitsminister 'hat sich der Mühe unterzogen, vor allem im zweiten Teil seiner Ausführungen, diese Verbesserungen eindeutig herauszustellen. Auch Herr Professor Schellenberg hat gesagt, da wir in jenem Gesetz vom 12. Juli des Jahres 1961 einen beträchtlichen Teil .dieser Verbesserungen der sozialen Krankenversicherung, nämlich die Lohnfortzahlung zu 100% netto sowie die Beseitigung der Aussteuerung und die Verbesserung des Krankengeldes nach den ersten sechs Wochen der Krankheit, vorweggenommen haben. Das war ein sehr kräftiger Vorschuß auf diese Verbesserungen, die eigentlich in diese Vorlage hineingehört hätten.
Im Zentrum .der Kritik stand auch am 'heutigen Vormittag 'die Selbstbeteiligung. Da und dort 'hat man bereits versucht, so etwas wie einen organisierten Volkszorn gegen diese Maßnahmen auf die Beine zu 'bringen.
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Wenn ich in meinen Ausführungen ein einziges Mal das Wort prüfen gebrauchen darf, dann darf ich dazu sagen, daß wir von unserer Fraktion aus im Ausschuß die einzelnen Maßnahmen der Selbstbeteiligung ihrer absoluten Höhe nach 'und auch in ihrer kumulierten Wirkung einer genauen Überprüfung unterziehen werden.
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Sehr ausführlich hat sich der Herr Bundesminister mit dem Sonderbeitrag beschäftigt. Der Sonderbeitrag ist im Rahmen der sozialen Krankenversicherung etwas Neues; er ist genauso neu wie der Gedanke der Beitragsrückgewähr, der sich ja in weiten Bereichen des Versicherungswesens überhaupt bis jetzt schon gut bewährt hat. Ich gestehe ehrlich, daß ich persönlich den Mut gehabt hätte, die Beitragsrückgewähr in den allgemeinen Beitrag hineinzukonstruieren, also nicht diese 2% extra zu schaffen, die uns - wie auch der Kollege Spitzmüller gesagt hat - da und dort gewisse Schwierigkeiten mit den Angestellten bringen.
Auf der anderen Seite sehe ich ein, daß das Ergebnis dieser klar herausgestellten 2% nämlich die genaue Kalkulierbarkeit und die genaue Überschaubarkeit dieser Maßnahme der Selbstbeteiligung, natürlich ein wertvoller Fortschritt ist. Man kann mit ziemlicher Leichtigkeit die Gemüter gegen diese Neueinführung einer Selbstbeteiligung in der sozalen Krankenversicherung in Wallung bringen. Wer das aber versucht, der scheint mir von der Fiktion auszugehen, daß es bisher in der sozialen Krankenversicherung etwas umsonst gegeben hätte.
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Das hat es bisher nicht gegeben und das kann es auch in Zukunft nicht geben. Und wenn ich in der Diskussion der letzten Legislaturperiode um die Selbstbeteiligung ein wirklich entmutigendes Argu2454
ment gehört habe, dann war es die Forderung, die uns vor allem von gewerkschaftlicher Seite da und dort gestellt worden ist, vor der Einführung einer Selbstbeteiligung lieber den Beitrag linear um 1 oder 2 % zu erhöhen; denn man sehe ein, daß die Mehrleistungen von irgendeiner Seite her finanziert werden müßten. Diese Forderung nach einer linearen Beitragserhöhung, wie sie damals erhoben worden ist, kommt mir vor wie der Schritt eines Mannes, der bereit ist, aus Angst vor dem Tode Selbstmord zu begehen,
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der sagt: Bevor ich im Krankheitsfalle eventuell etwas bezahlen muß, zahle ich lieber Monat für Monat regulär höhere Beiträge. Nun, es ist eine alte psychologische Erkenntnis, die von manchen Politikern und leider auch von manchen Demagogen sehr geschickt ausgenützt wird, daß es unendlich leichter ist, ein paar Mark aus der Lohntüte des Mannes zu bekommen, bevor er sie in Empfang genommen hat, als sie hinterher aus seinem Portemonnaie herauszukriegen.
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Dieser Versuchung, dieser Kurzsichtigkeit möchten wir gerne mit unserer neuen Konzeption entgegentreten.
Wir gestehen ein, daß wir bis zu dieser Stunde wegen der Selbstbeteiligung in der sozialen Krankenversicherung sehr stark in die politische Defensive gedrängt worden sind; das geben wir ehrlich zu. Diese Defensivstellung hat aber ihren Grund ,) einzig und allein darin, daß es uns bis zur Stunde nicht gelungen ist, den Großteil der Versicherten zu veranlassen, daß sie endlich einmal das, was sie in die soziale Krankenversicherung einzahlen, ganz genau mit dem vergleichen, was sie herausbekommen. Wenn wir die Mehrheit unseres Volkes einmal zum Nachrechnen brächten, wäre, glaube ich, die taktische Situation in bezug auf die Selbstbeteiligung ganz anders.
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Damit habe ich den Solidaritätsgedanken als solchen zur Debatte gestellt. Ich behaupte, daß das Solidaritätsprinzip eindeutig überstrapaziert ist. War es nicht bis vor ganz kurzer Zeit so, daß da und dort in illustrierten Zeitschriften spektakuläre Artikelserien erschienen, daß diese Zeitschriften bereit sein mußten, Gelder für die eine oder andere kostspielige Operation zu sammeln, während auf der anderen Seite die minimalsten Leistungen Gegenstand dieser Solidarhaftung der sozialen Krankenversicherung waren?
In diesem Zusammenhang ein kritisches Wort zur Versicherungspflichtgrenze. Ich bin durchaus der Meinung namhafter Fachleute, daß der Begriff der sozialen Schutzbedürftigkeit im Augenblick nicht mehr brauchbar ist zu einer sachlichen Diskussion um die Zweckmäßigkeit der Höhe der Versicherungspflichtgrenze. „Schutzbedürftigkeit" ist also kein geeigneter Begriff mehr. Auch auf dem Weg über das Lohnniveau oder das Preisniveau kommen wir nicht an die richtige Größenordnung heran. Es kann gar keinen Zweifel geben, daß die Versicherungspflichtgrenze, so wie sie heute steht und wie l sie sich im Laufe der letzten zehn Jahre entwickelt hat, eine gegriffene Größe ist. Wenn, wie von sehr namhafter Seite vorgeschlagen worden ist, die Arbeitgeber- unid Arbeitnehmeranteile künftig vom Arbeitnehmer allein getragen würden - weil wir uns alle darüber einig sind, daß auch der Arbeitgeberanteil an die Sozialversicherung ein echter Lohnbestandteil ist -, idann würde diese Diskussion - sehen wir einmal ab von den Konsequenzen in den Selbstverwaltungen - über Nacht völlig ihre Schärfe verlieren.
Ich gebe dem Herrn Bundesarbeitsminister recht, daß die Staffelung der Versicherungspflichtgrenze nach dem Familienstand des Versicherten ein mehr als zweischneidiges Schwert ist.
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Es gibt im internationalen Rahmen keine einzige wirklich gravierende Meinungsäußerung, die uns darin bestärken würde, daß wir nicht eines Tages wirklich erhebliche Einbrüche auf konjunkturellem Gebiet zu befürchten hätten. Auf gut deutsch gesagt: die Geißel ,der Arbeitslosigkeit ist auch in unseren Tagen nicht vom arbeitenden Menschen genommen worden. Es soll keine Kritik sein, wenn ich sage, daß ich bezweifle, ob wir seit den Tagen jener großen Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre, die so unübersehbare politische Folgen gehabt hat, konjunkturpolitisch so sehr viel dazugelernt haben. Es ist unser Schicksal, daß wir mit dem Instrumentarium von gestern auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik gezwungen sind, neue Erscheinungen, die uns heute und morgen begegnen, zu meistern. Deshalb bitte ich gerade unsere Familienpolitiker um Verständnis für dieses Argument; denn sie sind die letzten, die es wünschen könnten, daß eines Tages gerade der kinderreiche Familienvater einem wirtschaftlichen Rückschlag auf dem Arbeitsmarkte am ehesten zum Opfer fällt.
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Heute ist da und dort im Zusammenhang mit der Selbstbeteiligung wieder das Wort vom Mißtrauen gesprochen worden. Ich behaupte, das größte Mißtrauen in die Moral der Versicherten der sozialen Krankenversicherung hat derjenige, der für alle Beschäftigten die totale Versicherungspflicht fordert.
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Versicherungspflicht wird nach unserer Erfahrung dort gesetzt, wo beträchtliche Zweifel in ,den Willen und in die Fähigkeit des arbeitenden Menschen, selbstverantwortlich tätig zu sein, am Platze sind.
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Wir haben alle darauf hingewiesen, daß diese Reform notwendig geworden ist, u. a. deshalb, weil es durch die wirtschaftliche Entwicklung dem Arbeiter möglich war, den Abstand zum Angestellten, der vor Jahrzehnten noch sehr 'spürbar war, aufzuholen. Dort, wo dieser Abstand aufgeholt werden konnte, müssen wir dieses Aufholen begrüßen und sollten diese Angleichung nicht, wie Herr Minister Blank schon gesagt hat, als Nivellierung beklagen. Die soziale Krankenversicherung ist auch keinesfalls
ein Mittel zur Zementierung von Vorteilen, die die eine oder andere Institution durch die Umstände in der Vergangenheit gehabt hat.
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Wir glauben, daß beispielsweise die Ersatzkassen auch künftig noch eine echte Wettbewerbschance haben, und angesichts des wertvollen Beitrages, den sie in der Vergangenheit zur sozialen Sicherung ihrer Mitglieder geleistet haben, wollen wir diese günstige Ausgangslage auch behalten wissen.
Ein Wort zu den Ärzten! Ich gestehe, daß ich ihnen gegenüber manchmal ein schlechtes Gewissen habe. Wir haben nämlich in der Vergangenheit im Laufe des ungestümen Wachstums der sozialen Krankenversicherung ihren Kundenkreis sozialisiert; darüber gibt es gar keinen Zweifel. 85 % unserer Bevölkerung gehören heute dem Kundenkreis der sozialen Krankenversicherung an.
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- Sie haben recht, Herr Killat. Wir sind alle miteinander gelegentlich gerne bereit, einmal das ärztliche Ethos zu strapazieren; wir sind aber auch gerne gelegentlich bereit, einmal zu vergessen, daß es auch ein Beruf ist, der seinen Mann standesgemäß ernähren muß.
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Zur Frage des Kassenarztrechts möchte ich noch eine einzige Bemerkung machen und gleich vorausschicken, daß die Konzeption des Entwurfs dem Verdacht, den ich jetzt antippe, keine Nahrung gibt, dem Verdacht nämlich, daß unter Umständen die Einzelleistungsbezahlung, die .so lange und heftig umkämpft worden ist, in eine Art statistische Fallpauschale umgewandelt werden könnte. Diesen Weg möchten wir auf alle Fälle vermieden sehen.
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Es ist auch behauptet worden, daß im Rahmen dieser Reform die Selbstverwaltung eingeschränkt werden soll. Es ist ganz klar, daß, wenn im Rahmen der Verbesserungen der Reform eine Reihe von Kann- und Ermessensleistungen zu Pflichtleistungen gemacht werden, wenigstens insoweit die Zuständigkeit der Selbstverwaltung eingeschränkt wird. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß künftig auch im Rahmen der Krankenhilfe ,der Leistungsumfang weiterhin in vielen Fällen von ,der Selbstverwaltung gestaltet werden wird - Beispiele: Zahnersatz, Hilfsmittel, Übernahme der Kasten für Krankenpflege- und Hauspflegepersonen, Familienhilfe für sonstige Angehörige, Haushaltshilfe -; auch das beträchtlich erhöhte Sterbegeld fällt weiterhin in die Zuständigkeit der Selbstverwaltung. Die gemeinsame Selbstverwaltung der Krankenkassen und Ärzte hinsichtlich der näheren Gestaltung der kassenärztlichen Versorgung und der ärztlichen Gebühren bleibt nicht nur bestehen, sondern wird noch ausgeweitet. Die immerwährende Aufgabe der Selbstverwaltung in der sozialen Krankenversicherung wird auch künftig sein, das Prinzip der Selbstverwaltung zu einem tätigen Leben zu erwecken und damit seine Daseinsberechtigung zu beweisen.
Es ist eine alte Erfahrungstatsache, daß man das Wesen einer Sache am besten begreift, wenn man sich ihr Werden einmal ansieht. Bei der Vorbereitung auf diese Debatte ist mir eine alte, vergilbte, etwas abgegriffene Broschüre aus der Gründerzeit der sozialen Krankenversicherung in die Hände gefallen. Ich glaubte, dieser Broschüre sehr interessante Aufschlüsse über die Motive des damaligen Gesetzgebers entnehmen zu können. Sie können sich aber meine Enttäuschung nicht vorstellen: es war eine häßliche Auseinandersetzung zwischen der Zentrumspartei und der Sozialdemokratischen Partei über ,die Besetzung der Posten in diesem neuen Zweig der institutionalisierten Sozialpolitik.
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Ich möchte ja nicht behaupten, daß in der erbitterten Auseinandersetzung um Individualisierung dieses Versicherungszweigs dieses Argument auch heute noch eine Rolle spielen könnte.
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Ich bedauere sehr, daß in der letzten Legislaturperiode der erste Ansatz zu einer Reform nicht geglückt ist. Er ist, glaube ich, in erster Linie deshalb nicht geglückt, weil die Zeit von zwei Jahren für eine sachgerechte Diskussion eines so umfassenden Problems wohl zu kurz gewesen ist. Er ist vielleicht auch deshalb nicht geglückt, weil der Referentenentwurf damals allzu früh in die Mühle der parteipolitischen Auseinandersetzungen geraten ist.
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Hoffen wir, daß dieser Vorlage ein besseres Schicksal beschieden ist. Was wir brauchen, ist Sachkenntnis und Sachlichkeit. Alle sind zur Mitarbeit aufgerufen, denen das Schicksal der sozialen Krankenversicherung in Deutschland am Herzen liegt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wohl einer ersten Lesung des vor uns liegenden Entwurfs eines KrankenversicherungsNeuregelungsgesetzes angemessen, sich über Details hinweg den Weg zu einigen grundsätzlichen Überlegungen zu suchen, an denen sich Sozialreform in dem besonderen Bereich von Krankheit und Gesundheit heute zu orientieren hat.
Ich möchte dabei an die Frage anknüpfen, von der auch der Kollege Dr. Franz ausgegangen ist: Warum brauchen wir heute eine Reform der Krankenversicherung? Wie sehen die wichtigen Gründe dafür aus und welche Reformlösungen sind anzustreben?
Soweit es vor allem den Bundesarbeitsminister angeht, ist er geneigt, seine Antwort im wesentlichen und seit Jahren auf eine höchst materialistische Art und Weise zu formulieren. Was immer hier an ideologischem Beiwerk benützt wird, die zusätzliche Kostenbeteiligung, mithin die zusätzliche finanzielle Belastung des einzelnen für die Zeit seiner Krank2456
heit, ist für ihn zwar nicht die ganze Sache, aber ihr eigentlicher Kern.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat in jüngster Zeit mehrfach erklärt, er würde lieber das ganze Gesetzeswerk scheitern sehen, als .auf dieses Mittel der materiellen Einflußnahme auf den Menschen zu verzichten. Wer das dem Sinne nach sagt, gibt damit zu erkennen, wo nach seiner Meinung die Schwerpunkte der Reform zu suchen sind und wie er auch in die Zukunft hinein die Sozialpolitik im ganzen zu beeinflussen gedenkt.
Meine Damen und Herren, wir stehen bei idem, was sich inzwischen unter der Überschrift „Kostenbeteiligung" an praktischen und ideologischen Vorstellungen in der sozialpolitischen Diskussion unseres Landes angehäuft hat, sichtbar an einer Weichenstellung. Diejenigen, die 'Sich einem solchen Prinzip uneingeschränkt verschrieben haben, verstehen darunter im letzten den Rückzug des Solidarausgleichs in der sozialen Sicherung. Sie wollen den einzelnen und den Familien, wenn diese von den sozialen Risiken des Lebens getroffen sind, eine wachsende finanzielle Eigenbelastung auf die Schulter legen. Sie identifizieren dabei leichthin diese zusätzliche finanzielle Belastung mit der Erziehung zur Selbstverantwortung und geben sich der durchsichtigen Hoffnung hin, so werde aus einem materiellen Mittel in Zeiten menschlichen und sozialen Schicksals ein ethisches Prinzip.
Aus dem Wortlaut und aus dem Ton der Eiklärungen des Bundesarbeitsministers war in dem vergangenen Jahr zu ersehen, daß vieles, was er in das Sozialpaket eingebündelt (hat, z. B. in Sachen Lohnfortzahlung und Kindergeldregelung, für ihn nur subsidiäre Bedeutung (besitzt. Sein eigentliches Ziel war rund ist, das Prinzip der zusätzlichen Eigenbelastung jetzt an einer ersten Stelle zu verankern und von daher dann den Zugang zu weiteren Bereichen der sozialen Sicherung zu finden. Es ist für ihn ein Schlüssel, mit idem er weitere Türen aufmachen will. Damit hat er das Sozialpaket abgestempelt gleichsam als eine erste Lieferung des zusätzlich individuell wirkenden Kostenbeteiligungsprinzips in der sozialen Sicherung unseres Landes. Von daher erhalten auch unsere Auseinandersetzungen ihr Profil und ihr Gewicht. Wer hier sagt, Kostenbeteiligung sei nur ein Detail unter vielen, der täuscht entweder sich oder andere.
Ein Arbeitskreis der CDU in Niedersachsen, dem auch der Kollege Kühn angehört, von der Kollegin Kalinke - das wird sich jetzt aus der Sache ergeben - ganz zu schweigen, hat die sozialpolitische Problematik, die hierbei zur 'Debatte steht, mit der These abgeschlossen, jeder müsse zunächst „seine eigene Last selbst tragen" ;
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erst dann, wenn er - jetzt lassen Sie mich das mal
weiterführen - mit seiner Kraft nicht mehr weiterkomme, also unter der Last zusammengebrochen ist
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und hilfsbedürftig wurde im umfassenden Sinne 'dieses Wortes, solle ihm die Hilfe der Gemeinschaft zuteil werden.
Meine Damen und Herren, es ist meine innere Überzeugung, daß Sozialpolitik in einer modernen Industriegesellschaft eben nicht erst auf den Trümmerbergen der materiellen rund physischen Existenz des Menschen beginnt.
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Sozialpolitik muß dazu beitragen, die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß der einzelne und die Familie ihr Leben in Freiheit und sozialer Gerechtigkeit und, wo immer das in des Menschen Hand gegeben ist, auch in Gesundheit führen können. Sozialpolitik kann sich nicht darin erschöpfen, dem Menschen erst dm schweren Schadensfalle zu begegnen; sie muß auch darauf hinwirken, Schaden von ihm bzuwehren und den Ursachen der Gefährdungen, die ihn heute bedrohen, nachzuspüren.
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Für die 'Krankenversicherungsreform hat eine solche allgemeine These ganz praktische Konsequenzen; sonst hätte ich sie hier nicht zitiert. Diese Konsequenzen werden sichtbar, wenn auf die Frage, warum eigentlich Reform der Krankenversicherung, nicht mit einem vorgefaßten Urteil, sondern mit einer sozial- und gesundheitspolitischen Bestandsaufnahme geantwortet wird.
Lassen Sie mich noch einmal mit Nachdruck an wenigstens einem Gedankengang deutlich machen, was darunter zu verstehen ist.
Eine der wesentlichsten Erscheinungen in diesem Bereich ist die Wandlung des Krankheitsbildes seit der Gründung der Krankenversicherung im Ausgang des vorigen Jahrhunderts. In den letzten 60 Jahren haben sich nicht nur die Struktur der Gesellschaft und die Lebensverhältnisse der Bevölkerung gewandelt, sondern auch der Gesundheitszustand. Damals, am Anfang der sozialen Krankenversicherung, standen im Mittelpunkt des Krankheitsgeschehens die Infektionserkrankungen wie Tuberkulose, Scharlach, Diphtherie usw. Wer an diesen Krankheiten darniederlag, stand in der Regel unter der Drohung eines baldigen Todes. Diese Infektionskrankheiten sind zurückgedrängt worden durch die Fortschritte der Medizin, durch die Wandlung der Lebensverhältnisse und die Sozialhygiene.
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- Jawohl, Gott sei Dank!
Heute aber stehen - das ist die andere Seite der Sache - im Mittelpunkt des Krankheitsgeschehens
- lassen Sie mich das einmal so allgemein ausdrücken - die Verschleißkrankheiten der Zivilisation, vor allem Herz-, Kreislauf-, Gefäßerkrankungen, die nervösen Erscheinungsformen, Rheuma usw. Mit diesen Krankheiten sind zumeist langwierige Krankheitsverläufe mit einem wechselvollen Geschehen verbunden, was mannigfache, auch finanzielle Konsequenzen für die Krankenversicherung hat. Diese Verschleißkrankheiten zeichnen heute weithin das Krankheitsbild unserer Industriegesellschaft. Ihre Spuren sind im Krankenstand, in der Frühinvalidität und an vielen anderen Stellen sichtbar.
Meine Damen und Herren, unter der Drohung dieser heutigen Gefahren sind natürlich auch die Erwartungen zu beurteilen, die von den Menschen jetzt, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, an eine Reform der Krankenversicherung gestellt werden. Man versichert sich nicht mehr in erster Linie gegen die Drohung der Infektionskrankheiten, sondern fragt oder empfindet: Was wird bei dieser Reform positiv angestrebt, um den Bedrohungen der Gesundheit des Menschen in unseren Tagen zu begegnen?
Man hat diese Krankheiten vielfach Managerkrankheiten genannt. Dieses Wort führt aber in die Irre. Es handelt sich nicht mehr allein um die Krankheitsgefahren einer kleinen exponierten Schicht der Bevölkerung. Aus den Managerkrankheiten sind Bedrohungen für viele und - man muß es leider hinzufügen - mit der Tendenz zur Volkskrankheit geworden. Wir stehen in dieser Beziehung heute als Sozialpolitiker einer Massenerscheinung gegenüber. Die sogenannten Manager haben am ehesten die Konsequenzen aus dieser Situation gezogen, Bei ihnen ist es nicht unüblich, daß sie sich einer regelmäßigen gesundheitlichen Überwachung und ärztlichen Beratung unterziehen. Sie haben gute Gründe dafür. Sie würden sich auch dagegen wehren, wenn bei ihnen die Früherscheinungen dieser Verschleißkrankheiten, die ersten Funktionsabweichungen - um jetzt Ihren Ausdruck, Herr Kollege Franz, aufzunehmen - als Bagatellen abqualifiziert würden.
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Dem liegt die richtige Erkenntnis zugrunde, daß die Verschleißkrankheiten der Zivilisation eben nicht schlagartig wie Infektionserkrankungen auftreten, sondern daß sie sich vielfach über Jahre und Jahrzehnte in immer mehr verstärkten Schüben entwickeln, bis sie eines Tages den Menschen an den Rand seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit geführt haben. Da kann man nicht warten, bis die Krankheit bei dem einzelnen voll ausgebrochen und ihm voll bewußt geworden ist. Dann ist es vielfach zu spät.
Aus einem solchen Gedankengang folgt aber auch, daß angesichts dieses Krankheitsbildes heute bei der Reform der Krankenversicherung alles vermieden werden muß, was darauf hinzielen könnte, das rechtzeitige Aufsuchen des Arztes entweder durch die Androhung finanzieller Belastung zu erschweren oder durch finanzielle Anreize zu bagatellisieren. Sie können es wenden, wie immer Sie es wollen: Kostenbeteiligung und Bekämpfung der heute die Menschen bedrohenden Verschleißkrankheiten lassen sich nicht unter einen Hut bringen. Vorsorge im umfassenden Sinne dieses Wortes, das Bestreben, Gesundheit zu erhalten und zu stärken, werden im Blick auf die Wandlung des Krankheitsbildes und der ihm typisch zugeordneten Krankheitsverläufe zu der eigentlichen Reformaufgabe in der Industriegesellschaft.
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Wir haben in diesem Zusammenhang an die Bundesregierung, vor allem den Bundesarbeitsminister, zwei Fragen zu stellen. Warum hat die Bundesregierung nicht an den Anfang der Reform eine wirkliche Bestandsaufnahme der sozialen und gesundheitspolitischen Notwendigkeiten gesetzt?
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Über fünf Jahre dauert die Reformdiskussion nun an. Die Regierung hat in diesen fünf Jahren alles getan - lesen Sie einmal den reichhaltigen Zitatenschatz nach -, um die These des Mißtrauens in der sozialpolitischen Diskussion zu fördern, und sie hat hartnäckig vernachlässigt, was der Erörterung des Krankheitsstandes und der Frühinvalidität sachlichen Rang gegeben hätte. Die Zeitschrift „Ärztliche Mitteilungen" hat kürzlich in einem Aufsatz über den Krankenstand auf mehr als zehn Seiten den Gesetzgeber an Hand eines ausführlichen deutschen und ausländischen Erfahrungsmaterials beschworen, es sich mit der Beurteilung von Krankheit und Gesundheit der Menschen heute nicht zu leicht zu machen und die Tatsachen nicht mit der Behauptung zu erschlagen, hier liege ein Werk von Nutznießern und Mißbräuchlern - Herr Dr. Franz sprach von „40 bis 60 % Bagatellfällen" - vor.
Wo und wann hat sich das Ministerium z. B. einmal bemüht, die Beziehung zwischen der modernen Arbeitswelt und dem Krankheitsgeschehen aufzudecken? Im wesentlichen hört man nicht mehr als die Bemerkung, die Arbeitsmedizin sei in unserem Lande unterentwickelt. Wo hat das Ministerium den Einflüssen der heutigen Umwelt auf den Menschen nachgeforscht? Wo ist wirklich das Bemühen sichtbar geworden, den tieferen Ursachen jener Krankheiten nachzugehen und entgegenzutreten, die heute schleichend und heimtückisch die Gesundheit und Leistungsfähigkeit so vieler Menschen in unserem Lande zersetzen? Diese Fragen haben offensichtlich das Arbeitsministerium wenig gequält. Seine Auslassungen zur Reform der Krankenversicherung lesen sich wie administrative Akten mit finanzpolitischem Hintergrund und schulmeisterlicher Anmaßung; gesundheitspolitisch sind sie enttäuschend.
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Damit komme ich zu einem zweiten Punkt. Ich bestreite nicht, daß es großer Anstrengungen bedarf, um ein sinnvolles und wirksames System der Gesundheitsvorsorge zu verwirklichen. Dazu gehören sicherlich mehr Arbeit, mehr Tatkraft und mehr Einfallsreichtum, als sich nur um die Einführung eines Kostenbeteiligungssystems zu bemühen.
Warum, so fragen wir heute, hat die Bundesregierung nach dem Scheitern des ersten Entwurfs in der vergangenen Legislaturperiode nicht einen wirklich neuen Anfang gesucht? Warum hat sie nicht einmal Sozialpolitiker, Ärzte, soziale Praxis und Sozialwissenschaft an einen Tisch gebracht, um als Gemeinschaftsaufgabe ein funktionierendes und ausreichendes System der Gesundheitsvorsorge zu entwickeln? Eine solche Gemeinschaftsanstrengung hätte sicherlich mehr hervorgebracht als einige dürftige sogenannte Vorsorgeparagraphen des vorliegenden Entwurfs, die zudem noch in den Schatten der Kostenbeteiligung gerückt worden sind. Kennzeichnend für den
Geist dieser Paragraphen ist beispielsweise, daß die für die Stärkung der Gesundheit so wichtigen vorbeugenden Kuren im wesentlichen erst bei Drohen von Arbeitsunfähigkeit gewährt werden sollen.
Warum - so ist weiter zu fragen - ist eigentlich von der Regierung all das, was unter Vorsorgeuntersuchungen, rechtzeitigen Kuren und einem mit sinnvollen Aufgaben betrauten vertrauensärztlichen Dienst zu verstehen ist, nicht einmal mit einer zeitgerechten, wirksamen Entwicklung des Krankenhauswesens, den Aufgaben der Rehabilitation, der Entwicklung der Arbeitsmedizin und den anderen sich hier ergebenden Sachfragen in Beziehung gebracht worden? Weshalb hat die Bundesregierung bis auf .den heutigen Tag eigentlich darauf verzichtet, Gesundheitspolitik aus einem 'Guß zu betreiben und in diesem Rahmen dann die speziellen Aufgaben und Funktionen .der gegliederten sozialen Krankenversicherung zu bestimmen?
Wenn die Regierung schon ein Paket vorlegen wollte, 'dann hätte es doch ein Paket von aufeinander abgestimmten Maßnahmen zur Förderung der Volksgesundheit sein müssen.
({9})
Dann hätte sie doch einmal das, was zusammengehört, in einen sachlichen Zusammenhang bringen müssen. Dann wären wir doch endlich einmal aus dem Kästchendenken in der Sozialpolitik herausgekommen und hätten die Leistungen für die Volksgesundheit sinnvoll miteinander verzahnt. Das wäre
Bi Sozialreform gewesen. Das hätte Energien und Mitarbeit ausgelöst und ein hoffnungsvolles Klima für Reformarbeiten auch in diesem Hause geschaffen.
({10})
Das von der Bundesregierung vorgelegte sogenannte Sozialpaket aber hat darauf verzichtet. Dieses Paket hat die Bundesregierung nicht aus der Sache, sondern aus einer Summe von taktischen, koalitionspolitischen und finanzpolitischen Überlegungen entwickelt. Sie konnte sich nicht von ihrer Vorstellung befreien, das Krankheitsgeschehen müsse und könne in erster Linie auf materielle Weise korrigiert werden. Im Grunde genommen ist es tief bedauerlich, daß der Bundesarbeitsminister jetzt zum zweitenmal darangegangen ist, eine große Chance zu verspielen.
Heute wird in der Sozialpolitik viel von Unbehagen gesprochen. Es gibt kaum eine sozialpolitische Diskussion, wo immer es sein mag, in der dieses Unbehagen nicht zitiert wird.
({11})
Ich muß Ihnen sagen, ich bin auch nicht frei von Unbehagen. Allerdings ist bei mir das Unbehagen anders begründet als bei den Verfechtern der konservativen Sozialpolitik, die ihre Leidenschaft ausschließlich an dem finanziellen Aufwand für die soziale Sicherung entzündet. Was mich in zunehmendem Maße bedrückt, ist die Erfahrung, daß in der deutschen Sozialpolitik die Schadensverhütung im Vergleich zur Schadensregulierung nicht das gebührende Gewicht erhält. Wir haben das beispielsweise bei der Reform 'der Unfallversicherung erlebt.
({12})
- Ich werde Ihnen sagen, in welchem materiellen Zusammenhang das mit diesem Thema steht. Wir haben es bei der Reform der Unfallversicherung erlebt, daß der Sozialpolitische 'Ausschuß des Bundestages in seinem Bemühen, Unfallverhütung und Arbeitsschutz in unserem Lande voranzutreiben, nicht nur von der Regierung nicht unterstützt worden ist, sondern daß das Arbeitsministerium dieses Bemühen noch spürbar behindert hat.
({13})
Das ist im Zusammenhang dieser Debatte nicht ohne
Belang, weil doch, wie Sie wissen, die außerordentlich hohe Zahl der Arbeitsunfälle in unserem Land
auch in den Ziffern über den Krankenstand einen
effektiven und stark sichtbaren Ausdruck findet.
({14})
Meine Damen und Herren, die gleiche Unlust tritt uns amtlicherseits entgegen, wenn es um die Gestaltung einer fortschrittlichen Gesundheitspolitik und Gesundheitsvorsorge geht. Zu schnell ist man geneigt, einfach als Sozialromantik abzutun, was heute zu den zeitgerechten Aufgaben der Sozialreform gehört. Diese Haltung durchzieht auch deutlich die vom Minister heute wiederholte ablehnende Stellungnahme der Bundesregierung zu der Anregung des Bundesrates, die Stärkung der Gesundheit mit in den Aufgabenkatalog der sozialen Krankenversicherung aufzunehmen. Die Reform beginnt auf seiten der Regierung jetzt eigentlich wieder mit einer Kapitulation vor einer zeitgerechten Gesundheitspolitik. Im übrigen haben wir in dieser Beziehung - das zu sagen kann ich mir nicht verkneifen - auch recht eindrucksvolle Erfahrungen gemacht, als wir beispielsweise die Forderung nach der Reinhaltung .der Luft erhoben. Erst als die Regierung feststellen mußte, daß sie mit ihrer Ironisierung dieses Sachverhalts auf öffentlichen Widerstand gestoßen ist, fand sie sich zu einer ernsteren und angemesseneren Tonart bereit.
Im ganzen gesehen haben wir zu beklagen, daß es auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik bei der Regierung am Konzept und an der Tatkraft mangelt, daß sie die Grundlagenarbeit vernachlässigt und daß sie, wie die Kostenbeteiligung zeigt, geneigt ist, zu zweifelhaften und bedenklichen Lösungen Zuflucht zu nehmen.
Meine Damen und Herren, was hier in der Entgegnung zu den Ausführungen meines Kollegen Professor Schellenberg über die Auswirkungen der Kostenbeteiligung gesagt worden ist, konnte nicht überzeugen. Ihr System geht davon aus, die prozentuale Kostenbeteiligung für ärztliche Behandlung mit der Erhebung eines Sonderbeitrags zu koppeln.
Zu diesen beiden Elementen, sowohl zur Prozentbelastung als auch zu der besonderen Beitragsart, hat sich das Ministerium schon vor rund drei Jahren einmal geäußert. Sie finden es in einer PropagandaRohde
broschüre mit dem Titel „Wer soll das bezahlen?", inspiriert vom Arbeitsministerium und wahrscheinlich auch mit Hilfe der Regierung finanziert. Die Zentralfigur dieser Broschüre ist ein sogenannter Vater Schmitz. Er kommt viel zu Wort. Mit dem Blick auf seine Lage wird zunächst untersucht, was von diesem mit einer eventuellen Beitragsrückerstattung gekoppelten Sonderbeitrag eigentlich zu halten ist. Da kommt Vater Schmitz in seinen Überlegungen zu folgendem Schluß:
Die Beitragsrückerstattung stellt eine zusätzliche Leistung der Versicherung dar. Die Kosten für diese Leistung müssen wegen .des Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben in der Krankenversicherung durch zusätzliche Beiträge erst vorher aufgebracht werden.
Jetzt geht es weiter:
Abgesehen davon, daß es wenig sinnvoll erscheint, erst Geld einzunehmen und dann wieder zurückzugeben, - Beitragsrückerstattung führt zu höheren Beiträgen. Und das will eben Vater Schmitz nicht, wollen wir alle nicht.
Nun, meine Damen und Herren, heute wollen Sie es doch, obwohl es in der Tat nicht nur dem „Vater Schmitz" des Arbeitsministeriums, sondern auch anderen fragwürdig erscheint, dem Arbeitnehmer zunächst pauschal für ein Sonderkonto „Kostenbeteiligung" gleichsam auf Verdacht 3 Milliarden DM pro Jahr aus der Tasche zu ziehen.
Aber Vater Schmitz hat sich nicht nur über die finanziellen Auswirkungen dieses Systems Gedanken gemacht, sondern er hat sich auch gefragt, wie sich das wohl für die Gesundheitspolitik auswirken würde. Er kam unter Assistenz des Arbeitsministeriums und nach reiflicher Überlegung zu folgendem Schluß:
Das System der Beitragsrückerstattung ist auch gesundheitspolitisch gefährlich, da es die Verschleppung von Krankheiten begünstigen kann.
Zu Recht wird dann in den Betrachtungen mit und über Vater Schmitz noch düster ahnend hinzugefügt, verschleppte Krankheiten könnten schnell zu Krankenhausaufenthalt führen. Hier wird deutlich, zu welchen Konsequenzen finanzielle Hürden auf dem Weg zwischen Arzt und Patient führen können und wie gefährlich es ist, die Vorstellung zu nähren, man könne ohne schädigende Folgen an der Gesundheit sparen und zunächst durch eine laienhafte Selbstdiagnose „selbstverantwortlich" prüfen, ob man den Arzt aufsucht oder nicht.
Ganz kritisch wurde aber der sogenannte „Vater Schmitz", als er sich überlegte, wie sich denn nun das andere Element Ihres Kostenbeteiligungssystems, nämlich die prozentuale Kostenbelastung, auswirken würde. Dazu heißt es:
Bei näherer Betrachtung zeigt sich der Nachteil der prozentualen Kostenbeteiligung, daß sie den Versicherten bei schweren Erkrankungen verhältnismäßig härter trifft als bei leichten Erkrankungen.
Genau das hat auch mein Fraktionskollege Schellenberg hier festgestellt. Es heißt dann, wieder im Blick auf 'den Vater Schmitz:
Dies widerspricht der sozialpolitischen Forderung, daß der Versicherungsschutz bei schweren und langandauernden Krankheiten verbessert werden muß.
Damals hatte man also noch ein sehr reales Empfinden dafür, was Solidarität im Krankheitsfalle praktisch bedeutet. Es wird dann noch ein Beispiel angeführt:
Erkrankt Herr Schmitz ,an einer schweren Krankheit, bei der ihn der Arzt in den ersten vierzehn Tagen öfter besuchen muß und bei der eine Reihe besonderer ärztlicher Verrichtungen notwendig ist, so würde die Kostenbeteiligung für Herrn Schmitz schon 12 DM betragen bei einem angenommenen Arzthonorar von nur 60 DM.
Damals haben Sie in dieser Broschüre schon vor einer Kostenbeteiligung von 20 % gewarnt, aber jetzt wollen Sie auf 25 % hinaufgehen!
Hier stehen wir in der Tat vor der ernsten Frage, wer von diesem Kostenbeteiligungssystem am häufigsten getroffen wird. Ich wiederhole: es sind die Schwerkranken, die häufiger den Arzt in Anspruch nehmen müssen, bei denen sich die ärztlichen Leistungen und mithin die Kostenbeteiligungsanteile summieren, es sind die Rentner, die in der Regel im Alter öfter den Arzt in Anspruch nehmen müssen als in jungen Jahren, und es sind die Familien mit Kindern.
Hinsichtlich dieser Familien mit Kindern hat der Herr Bundesarbeitsminister mit seiner Junggesellentheorie die Dinge außerordentlich verharmlost. Wie sieht es denn wirklich aus? Da stehen zwei Arbeiter an einem Arbeitsplatz, beide verdienen 700 DM und bezahlen mithin im Jahr 168 DM als Sonderbeitrag. Der Ledige, der in diesem Jahr wenig von Krankheit getroffen ist, erhält z. B. rund 150 DM zurück, und der Familienvater mit seinen vier Kindern, die in der Regel den Arzt häufiger in Anspruch nehmen müssen als ein Lediger, erhält 17,25 DM oder einen ähnlichen Betrag. In dem Spannungsbogen, der sich hier auftut, verblassen doch alle Ihre Vokabeln von „Erziehung zur Selbstverantwortung" usw.!
({15})
Was soll denn nun wirklich - hier kommen wir nämlich in ganz ernsthafte Fragen ({16})
der Familienvater angesichts dieses Tatbestandes machen? Soll er nach Hause gehen, auf seine Familie, auf seine Frau und seine Kinder einen moralischen oder sonstigen Druck ausüben, daß sie nicht mehr so oft den Arzt aufsuchen?
({17})
Wir müssen uns einmal frei machen - ({18})
- Wenn wir über Demagogie reden wollen, wollen wir uns einmal darüber unterhalten, Frau Kalinke, wer von uns von dem anderen noch am meisten lernen kann.
({19})
Um bei dieser Familie zu bleiben: soll in dieser Familie nun das ganze Jahr hindurch ein Rückerstattungstoto auf Kosten der Familie und der heranwachsenden Generation gespielt werden? Die Sprecher der Regierung können reden, was sie wollen. Die innere Logik Ihres Kostenbeteiligungssystems, von dem Minister Blank sagt, die CDU habe es sich reiflich und genau überlegt, ist, daß es denjenigen, der ohnehin sozial am meisten zu tragen hat, am schwersten belastet. Dieses Kostenbeteiligungssystem hat die unsoziale Tendenz, um so härter zu werden, je schwächer die soziale Position der von ihm Betroffenen wird.
({20})
Das Wort von der eigenen Last, Herr Kollege Kühn, das Sie mit Ihrem Arbeitskreis in Niedersachsen gesprochen haben, gewinnt in diesem Lichte eine makabre Aktualität.
({21})
Damit verstoßen Sie gegen einen wesentlichen Grundsatz der sozialen Krankenversicherung, nämlich gegen den auf Solidarität beruhenden sozialen Ausgleich, der sich in der Krankenversicherung zwischen den Jungen und Alten, zwischen den Ledigen und Familien und zwischen den Kranken und Gesunden vollzieht. Dieser soziale Ausgleich und seine sozial sichernden Wirkungen für den Menschen in der Industriegesellschaft unserer Tage haben sich nicht als Wildwuchs entwickelt, wie die konservativen Sozialpolitiker uns einzureden versuchen. Dieser soziale Ausgleich ist vielmehr das Ergebnis des gesellschaftlichen Strebens mündiger Arbeitnehmer, die ganz genau wissen
({22})
- die ganz genau wissen, Herr Kollege Stingl -, was ausreichende soziale Sicherung für sie als Lebenshintergrund bedeutet.
({23})
Sie können doch nicht sagen, heute sei der Arbeitnehmer mündig .geworden.
({24})
Meine Damen und Herren, mündig ist der Arbeitnehmer schon seit langem.
({25})
Er hat doch in der Vergangenheit nicht unter mangelnder Mündigkeit gelitten. Die Generation unserer Väter und Großväter war doch keine Generation von unmündigen Arbeitnehmern.
({26})
Ihr Schicksal war, ,daß sie unter einem Mangel an sozialer Gerechtigkeit gelitten
({27})
und ,daß sie kraft ihrer Mündigkeit ,den Anspruch auf die soziale Sicherung ihres Lebens angemeldet und Schritt für Schritt durchgesetzt haben.
Daß eine kollektive soziale Sicherung dieses Ausmaßes notwendig ist, liegt nicht an der Bequemlichkeit des einzelnen oder an einer irregeleiteten Auffassung von staatlicher Sozialpolitik, sondern vielmehr in der Tatsache begründet, daß im Zuge ,der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung der letzten .hundert Jahre das Eigentum seine Funktion als Grundlage einer persönlichen Risiko-Versicherung gegen die Wechselfälle des Lebens und das Alter verloren hat.
Das sagt Herr Kollege Katzer
({28})
in der Beurteilung der Frage, was soziale Sicherung für den Arbeitnehmer heute wert ist.
In dem gleichen Aufsatz in der Zeitschrift Die Ersatzkasse findet sich ein Zitat von Herrn Professor Schreiber, der sagt:
Heute, da Vermögen in den allermeisten Arbeitnehmerfamilien nicht vorhanden ist, ist und bleibt es dabei, daß der Typus Arbeitnehmer ein vitales Bedürfnis nach Instrumenten empfindet, ,die seinem von Natur aus extrem unstetigen Einkommen Stetigkeit verleihen. Das sage ich ausschließlich jenen wortgewaltigen Kritikern, die nichtmüde werden, das Streben nach Sicherheit als Symptom des Verfalls der Persönlichkeitskräfte und des Hineingleitens in Kollektivismus und Versorgungsstaat lauthals zu beklagen.
Und er fügte hinzu:
Ich behaupte, in der heutigen Gesellschaftsstruktur ist das Verlangen der vielen nach Existenzsicherheit einfach ein Ausfluß vernünftigen, rationalen Denkens. Ich habe den unfeinen Verdacht, daß von jenen Kassandrarufern die wenigsten ■selber wirklich gefährlich leben, sondern persönlich ihr Schäfchen im trockenen haben und sich in die Lebenslage minder Gesicherter kaum noch versetzen können.
({29})
Nicht wahr, Frau Kollegin Kalinke, sehr bemerkenswerte Ausführungen!
({30})
Die Arbeitnehmer wissen also, warum sie für ein System sozialer Sicherung eingetreten sind.
Wer die Mündigkeit der Menschen ernst nimmt, von dem kann man vielleicht auch einmal erwarten, daß er auf sie hört. Was die Kostenbeteiligung anbelangt, so haben sich nach der Umfrage eines Meinungsforschungsinstituts -die Ergebnisse kann sich der Herr Arbeitsminister sehr schnell von seinem Fraktionskollegen geben lassen - über 85 % gegen dieses Prinzip und damit für eine ungeschmälerte soziale Krankenversicherung ausgesprochen. Sie wissen, warum, und ihre Meinung verdient ernst \genommen zu werden. Leider haben wir heute wieder den Eindruck gewinnen müssen, daß die Regierung die eigenen Vorurteile wichtiger nimmt als das Urteil der Betroffenen. Aber, meine Damen und Herren, die Tatsachen werden genauso wie bei der Frage des Kindergeldrechtes auch in Zukunft bei der Gesundheitspolitik für die Bundesregierung ein harter Lehrmeister sein.
({31})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ruff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mir auf einige wenige Punkte aus 'den Reden 'der Herren Kollegen Schellenberg und Rohde eingehen. Auf alles einzugehen, was Herr Kollege Rohde zuletzt gesagt hat, lohnt sich nicht.
({0})
Der Herr Kollege .Schellenberg sprach heute morgen vom 'kläglichen Scheitern der Krankenversicherungsreform in der letzten Legislaturperiode. In der Tat, es war 'ein klägliches Scheitern, wollen wir es zugeben! Die Schuld liegt nicht allein bei der Opposition, aber sie hat tüchtig daran mitgewirkt, hier in diesem Hause und insbesondere draußen.
({1})
Was das Sonntagsblatt von Bischof Lilje seinerzeit geschrieben hat, trifft zu. Dort hieß es nämlich: Das Trommelfeuer von Interessenten tötete eine vernünftige Idee. Meine Damen und Herren, was wir damals erlebgt haben, darf sich nicht wiederholen, und es wird sich nicht wiederholen. Wir haben damals erlebt - und daraus wollen wir lernen -, was die Herrschaft der Verbände in unserer Demokratie bedeutet.
({2})
- Ich spreche zu uns allen, ich spreche zu diesem Hohen Hause, Herr Schellenberg, aber nicht zuletzt insbesondere auch zu Ihnen.
({3})
Daß die Reform seinerzeit nicht zustande gekommen ist, ist, wie gesagt, kein Ruhmesblatt für uns. Aber ich meine, auch die SPD sollte sich heute nicht damit rühmen, daß sie es zuwege gebracht hat, den Kollegen Blank an der Durchsetzung seiner Ideen und seiner Reformpläne zu hindern.
Gewiß, die Reform ist nicht zustande gekommen. Reformen gelingen nie auf den ersten Anhieb. Man muß immer wieder einen neuen Anlauf nehmen. Schon der alte Bismarck - und die Gesetze gehen ja auf diese Zeit zurück - hat seinerzeit gesagt, daß soziale Reformen sehr viel Zeit in Anspruch nehmen und daß sie die Frucht unzähliger Bemühungen und des gegenseitigen Entgegenkommens seien.
Wir wollen also dieses damalige Scheitern jetzt auch nicht überbetonen. Wir haben einiges daraus gelernt, es war nichtganz umsonst, und wie wir - wenigstens bei Herrn Professor Schellenberg - feststellen konnten, hat auch die Opposition zumindest ein bißchen daraus gelernt. Ich weiß, warum es schwer 'ist, solche Reformen durchzusetzen. Sie setzen eine umfassende psychologische Vorbereitung der Bevölkerung voraus. Wir haben Verständnis dafür, daß eine gewisse Abwehr gegen das Neue, gegen eine Reform besteht, die ein Umdenken verlangt, ein Umdenken in der ganzen Krankenversicherung usw. Wir haben Verständnis dafür, daß seinerzeit mancher Versicherte und auch die Ärzte Sorgen hatten, es 'kämen unüberschaubare Belastungen auf sie zu. Aber davon kann hei der jetzt vorgeschlagenen Regelung wahrhaftig nicht die Rede sein.
Ich habe seinerzeit den Kollegen Blank getröstet, obwohl er keinen Trost nötig hatte. Ich habe ihm gesagt: Trösten Sie sich mit Albert Schweitzer, der einmal irgendwo geschrieben hat: Wenn Sie für die Menschheit etwas Gutes tun wollen - und der Minister wollte doch wahrhaftig etwas Gutes für die Versicherten tun; wir waren doch nicht so dumm, die Reform gegen die Versicherten zu planen -, dann dürfen Sie nicht damit rechnen, daß Ihnen die Wege geebnet werden, sondern dann müssen Sie geradezu davon ausgehen, daß Ihnen von den anderen Prügel zwischen die Beine geworfen werden - wobei ich zu den anderen nicht nur die böse Opposition, sondern manchmal auch die Freunde rechnen möchte. Das gibt es in allen Fraktionen.
Herr Kollege Schellenberg hat sich heute morgen gegen gewisse Bestimmungen betreffend den vertrauensärztlichen Dienst gewandt. Offenbar hat er den Entwurf und seine Begründung nicht gelesen. Nirgendwo steht geschrieben, daß der vertrauensärztliche Dienst dem Arbeitgeber über die Art der Krankheit Auskunft geben soll; er hat lediglich eine Bescheingung über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer auszustellen, mehr nicht. Von einer Verletzung der Schweigepflicht des Arztes kann wahrhaftig nicht die Rede sein.
Herr Kollege Schellenberg hat dann gesagt, jetzt würden zusätzlich auch für die Angestellten diese Kontrollen eingeführt werden. Das ist wahr, das leugnen wir nicht. Das wollen wir aber auch, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist keine Nivellierung, wie Herr Kollege Schellenberg gesagt hat, sondern das ist einfach notwendig. Auf meine Zwischenfrage, ob er etwas anderes vorschlage oder ob er überhaupt gegen Kontrollen sei, hat Herr Kollege Schellenberg heute morgen bezeichnenderweise nicht geantwortet. Wie war es denn in der Vergan2462
genheit, meine Kolleginnen und Kollegen? Wir wissen doch, daß die Ersatzkassen mit ihren Kontrollen, mit der Vorladung zum vertrauensärztlichen Dienst erst nach der sechsten Woche eingesetzt haben und daß sie sich bis dahin ebensowenig oder kaum um den Krankenstand gekümmert haben, weil sie nicht zu zahlen brauchten, weil die Angestellten ihren Gehaltsanspruch für die Dauer von sechs Wochen hatten. Machen wir uns doch nichts vor! Seien wir doch ehrlich und haben wir den Mut, zu bekennen: Auch bei den Angestellten gibt es Leute, die man kontrollieren sollte.
({4})
- Ich möchte nicht mit meinen Kollegen Krach bekommen, die mir gesagt haben, ich solle mich kurz fassen. Durch solche Zwischenfragen würde ich meine Rede nur noch mehr verlängern müssen.
Wir hatten einmal einen Kanzlerkandidaten Willy Brandt, der eine Broschüre mit dem Titel „Plädoyer für die Zukunft" geschrieben hat. Da können Sie auf Seite 111 zu diesem Thema folgendes Interessante lesen. Herr Willy Brandt schrieb:
Noch viele Probleme sind auf diesem Gebiet
- er denkt an die Krankenversicherung ungelöst. Wie erreichen wir z. B., daß weder
manche Patienten noch manche Ärzte
- auch das soll es geben -sich vom heutigen System verlocken lassen,
mehr in Anspruch zu nehmen, als sie wirklich in Anspruch nehmen müssen? Wie erreichen wir das, ohne auf dem unwürdigen Weg der ständigen Kontrolle fortzuschreiten?
Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist ja gerade die Frage. Wir wollen das nicht so sehr auf dem Wege der Kontrollen, sondern eben auf dem Wege der Selbstbeteiligung, der Kostenbeteiligung erreichen, weil wir uns sagen: wenn wir den einzelnen an seinem Geldbeutel fassen, ist das der beste Weg, dem Anliegen, das der frühere Kollege Brandt hier vorgetragen hat, Rechnung zu tragen.
Herr Professor 'Schellenberg hat sich heute morgen ferner gegen die Koppelung des Lohnfortzahlungsgesetzes mit der Kostenbeteiligung gewandt und hat gesagt, es 'bestehe gar kein sachlicher Zusammenhang zwischen der Lohnfortzahlung und der Krankenversicherungsreform einerseits und der Kindergeldgesetzgebung andererseits. Ich gebe zu, es fällt mir schwer, hier den sachlichen Zusammenhang zu konstruieren. Aber es gibt einen wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenhang. Wenn wir jetzt in diesem Hause die Lohnfortzahlung, für die Sie schon seit Jahrzehnten gekämpft haben
({5})
- wir alle und Sie auch -, beschließen werden, haben wir dafür zu 'sorgen, daß unsere lohnintensiven Betriebe endlich entlastet werden, daß auch sie eine Entlastung spüren. Dann müssen wir etwas tun, was wir uns schon lange vorgenommen haben: Übernahme der Finanzierung der Leistungen für das
Kindergeld von den Familienausgleichskassen, die bisher über die Lohnsumme erfolgte, auf den Bundeshaushalt. Dem wollen wir Rechnung tragen, und deswegen sprechen wir in diesem Zusammenhang vom Sozialpaket, und davon lassen wir nicht ab. Das sind wir diesen lohnintensiven Betrieben einfach schuldig. Hier stehen wir im Wort, und hier stehen auch Sie im Wort, meine sehr verehrten Damen und Herren. Auch Sie haben immer wieder gesagt: Übernahme dieser Leistungen auf den Staat, weg von der Wirtschaft zur Entlastung der lohnintensiven Betriebe!
Gerade in dem Zusammenhang beschleicht uns doch manchmal nicht zu Unrecht dieses Unbehagen, von dem Herr Kollege Rohde gesprochen hat. Es ist einem in der Tat manchmal unbehaglich, wenn man so sieht, was alles auf manchen Gebieten geschieht und was im Laufe der nächsten Jahre noch auf uns zukommt.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat heute morgen schon gesagt, er wolle die Kosten, die jetzt zusätzlich auf die deutsche Wirtschaft zukommen, nicht bagatellisieren. Damit werde der deutschen Wirtschaft ein erhebliches Maß an zusätzlichen Belastungen zugemutet. Ich meine, wir sollten diese Ausführungen unseres Kollegen Blank wahrhaftig ernst nehmen. Wir haben allen Grund dazu.
Ich will genausowenig, wie es der Kollege Blank getan hat, jetzt zu den Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums und der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände im einzelnen Stellung nehmen. Ich verspreche mir davon nicht viel. Beide Berechnungen beruhen letzten Endes auf Schätzungen. Das Ergebnis werden wir dann sehen, wenn das Gesetz einmal in ,die Tat umgesetzt ist, wenn wir es in der Wirklichkeit erleben. Es hängt entscheidend davon ab, wie sich alle verhalten werden, wie sich die Versicherten verhalten werden, wie sich die Ärzte verhalten werden, aber auch davon - meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich das sagen -, wie sich die Arbeitgeber verhalten werden.
Es hängt nicht zuletzt noch von dem ab, was wir im Laufe der Beratungen unter Umständen noch zusätzlich beschließen wenden. Sie wissen, daß wir bei der Unfallversicherungsreform - das konnte das Bundesarbeitsministerium im finanziellen Teil selbstverständlich noch nicht berücksichtigen - im Sozialpolitischen Ausschuß ebenfalls nicht unerhebliche Leistungsverbesserungen zusätzlich beschlossen haben, die jetzt zusätzlich auf die Wirtschaft zukommen. Daran wollen wir doch .denken. Das können und dürfen wir nicht vergessen.
Aber wir wollen in der Tat nicht so sehr von diesen großen Positionen reden, Wer kann sich überhaupt etwas unter einer Milliarde, zwei Milliarden vorstellen? Das sind alles Zahlen, in denen wir gar nicht zu denken vermögen. Wir wollen die Dinge im Zusammenhang sehen und wollen vor allem ihre Wirkung auf die einzelnen Betriebe sehen. Die einzelnen Betriebe sind gerade heute - das ist gar kein Geheimnis - durch die steigenden Kosten - Lohnkosten, Lohnnebenkosten - schon erheblich belastet. Sie wissen - das möchte ich in
diesem Zusammenhang sagen -, daß wir innerhalb der EWG die höchsten Lohnkosten und die kürzeste Arbeitszeit haben und daß dieser Sachverhalt sich allmählich auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Wirtschaft auszuwirken beginnt. Insofern muß man wahrhaftig Verständnis dafür haben, wenn gewisse Kreise in der deutschen Bevölkerung bestimmte Bedenken haben gegen das, was der Bundesgesetzgeber jetzt vorhat. Wir wollen diese Dinge nicht bagatellisieren; wir wollen ganz offen darüber sprechen.
Nun haben sich Herr Kollege Schellenberg und auch Herr Kollege Rohde wieder einmal beklagt, daß das Bundesarbeitsministerium versäumt habe, vorher Erhebungen anzustellen, sich Gutachten geben zu lassen usw. Wissen Sie, meine sehr verehrten Kollegen, wir haben schon sehr oft ganz ausgezeichnete Gutachten aus dem Bundesarbeitsministerium, aus dem Beirat des Bundesarbeitsministeriums, von Professoren usw. bekommen. Was ist denn aus diesen Gutachten geworden? Nur wenige sind es gewesen, die darauf geachtet und die sie gelesen haben.
Wir haben zum Beispiel beim Bundesarbeitsministerium einen Beirat für die Neuordnung der sozialen Leistungen geschaffen, und dieser Beirat zur Neuordnung der sozialen Leistungen hatte einen Unterausschuß „Krankheitsverhütung". Dieser Unterausschuß „Krankheitsverhütung" hat seinerzeit auch zu der Frage der Barleistungen im Krankheitsfall Stellung genommen. Aus dem Bericht des Unterausschusses können Sie entnehmen, daß die Experten seinerzeit drei Karenztage vorgeschlagen haben. Der Vorsitzende dieses Ausschusses hat seinerzeit erklärt: Aber bitte, mindestens drei Karenztage!
Ich denke nicht daran, für drei Karenztage einzutreten, meine sehr verehrten Damen und Herren, so wie sie in Schweden üblich sind, wie Sie heute morgen gehört haben. Ich darf aber darauf hinweisen, daß in Schweden diese drei Karenztage nicht nur für Arbeiter gelten, sondern auch für Angestellte.
({6})
- Darüber muß man schon reden, gerade beim Beispiel Schweden. Herr Kollege Blank hat Ihnen schon einiges dazu gesagt. Aber er hat noch nicht gesagt, daß es in Schweden z. B. keine 100 % Nettolohn im Krankheitsfall gibt, sondern daß es im Schnitt etwa ein Krankengeld von vielleicht 50 % der Bezüge gibt.
In Schweden gibt es zwar einen kostenlosen Krankenhausaufenthalt - das ist wahr -, aber ich habe gerade in einer Broschüre von einem Peter Heinig „Die schwedische Sozialfürsorge" - Sie können es dort nachlesen auf Seite 12 - folgendes festgestellt
- ich darf es mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren -:
Die Zahl der Anstalten
- also der Krankenhäuser und ihre Aufnahmefähigkeit sind leider noch
viel zu gering. Trotz zahlreicher Neubauten sind
in Schweden die Wartezeiten oft so lange, daß Patienten, die dringend hospitalisiert werden sollten, oft monatelang auf einen freien Platz im Krankenhaus warten müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist die andere Seite des sozialistischen Wohlfahrtsstaates Schweden. Das sollte man doch auch einmal beachten.
({7})
Womit hat denn Schweden diese Leistungen bezahlen müssen? Ich habe soeben gehört, daß Schweden am 1. Januar 1962 die Umsatzsteuer, die doch alle belastet, erhöhen mußte, Schweden mußte sie von 4 % auf 6,2 % erhöhen. Das trifft doch alle! Ist das sozial? Ich kann das nicht für sozial halten. Da lobe ich mir schon den früheren sozialdemokratischen Staatsminister Zorn. Dieser Sozialdemokrat hat in diesen Fragen des Wohlfahrtsstaates Schweden einmal folgende Ausführungen gemacht, die ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren darf. Bitte, hören Sie einmal genau zu! Er sagte:
Aber wogegen sich gleichfalls alles Gerechtigkeitsempfinden und jedes Verantwortungsbewußtsein auflehnen, das sind die Überspitzungen und Übersteigerungen des Wohlfahrtsstaates,
- nur darum geht es, nicht gegen den Wohlfahrtsstaat; wir sind nicht gegen den Wohlfahrtsstaat, wir sind nur gegen das Übertriebene, gegen das Übersteigerte von denen wir in den letzten Jahren mit einem geradezu atemberaubenden Tempo heimgesucht wurden.
Das sagt kein CDU-Mann, sondern ein SPD-Mann! - Weiter:
Es ist der Dämon eines ständigen Sichüberbietens, der Zustände herbeiführt, die sich zum Herrn über die Menschen machen. Als solche Übersteigerungen der Wohlfahrtspolitik, die auf die Dauer die Ordnung der Gesellschaftspolitik zu stören drohen, kommen alle Maßnahmen in Betracht, durch die der Anreiz zur Arbeit geschwächt wird, durch die Geschenke der Regierenden aus öffentlichen Mitteln ohne entsprechende Gegenleistungen gemacht werden sowie durch die die Menschen nur zum Konsumieren und nicht zum Produzieren erzogen werden.
Und jetzt kommt das Entscheidende:
In England haben sich die Lebenshaltungskosten seit 1950 um 40 % erhöht, in Schweden um 50 %, in Frankreich um 60 % und bei uns um etwa 22 %. Die Geldentwertung, die dadurch zum Ausdruck kommt, hat nicht zuletzt ihre Ursache in den Ausgaben des Wohlfahrtsstaates für die Sozialleistungen und die Subventionen.
Die Folgen der Übertreibungen der Wohlfahrtspolitik sind m. E. schlimmer als die Steuerbelastung und die Inflationsgefahr: das sind die moralischen Einbrüche. Hier vor allem die Schwächung der Arbeitsmoral, Überbeschäftigung und übersteigerte Wohlfahrt, die auch den Untüchtigen und Faulen ihre Vorteile zuteil werden lassen, nehmen den Menschen die
Furcht vor der Arbeitslosigkeit. Auch der fristlos Entlassene braucht heute nicht mehr zu hungern; er erhält sofort wieder einen neuen Arbeitsplatz. Wer nicht arbeiten will und sich im Dschungel der Rentengesetze auskennt, vermag auch ohne Arbeit auskömmlich zu leben. Aus diesen Gründen läßt in allen Wohlfahrtsstaaten der Wille zur Arbeit nach, und zwar immer stärker, je weniger man mit dem inflationierten Geld kaufen kann.
Nun, meine Damen und Herren, ich will es mir ersparen, auf diese internationalen Vergleiche der Krankenversicherungssysteme und der Leistungen im Krankheitsfalle noch weiter einzugehen; denn es will ja heute noch eine ganze Reihe von Kollegen zu Wort kommen,
({8})
und ich will auch meiner verehrten Frau Kollegin Frau Kalinke noch einiges überlassen.
({9})
- Ach, wunderbar!
Herr Abgeordneter, Herr Abgeordneter ({0})
Ich bin der letzte? Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, fürchten Sie nicht, daß ich das jetzt mißbrauche und dafür eine Stunde spreche. Ich komme nämlich schnell zum Schluß.
Herr Abgeordneter, Sie täuschen sich, Sie sind der letzte Redner heute.
Der letzte Redner? Wunderbar, Herr Präsident! Ich werde das nicht mißbrauchen, obwohl ich jetzt gerade zum Thema Mißbrauch komme. Herr Kollege Schellenberg hat heute morgen -- das haben wir gerne gehört; das ist erfreulich - nicht bestritten, daß es auch in der Krankenversicherung Mißbrauch gibt. Darüber haben wir uns gefreut; das ist eine neue Erkenntnis. Aber leider Gottes hat sich diese Erkenntnis noch nicht überall durchgesetzt. Draußen in den Versammlungen, auf den Marktplätzen, da hören wir es manchmal anders, als wir es heute morgen dankenswerterweise von Herrn Professor Schellenberg hier gehört haben.
({0})
Draußen wird es uns in den Gewerkschaftsversammlungen sehr oft übel genommen, wenn wir es wagen, darauf hinzuweisen, daß es auch Mißbrauch gibt, daß es auch schwarze Schafe unter den Arbeitnehmern usw. gibt.
({1})
- Selbstverständlich, Herr Kollege Geiger, ich habe doch nicht das erste Mal mit Ihnen diskutiert. Gerade Sie sind derjenige, der immer wieder von dem „Diktat" des Mißtrauens spricht.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte dabei bleiben, auf Zwischenfragen nicht einzugehen.
({0})
Daß es nicht nur bei den Arbeitern Mißbrauch gibt, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ganz selbstverständlich. Ich würde mich mit meinen Freunden dagegen verwahren, wenn man sagte, das gibt es nur bei den Arbeitern. Wir sind allzumal Sünder. Solche Dinge sollen vorkommen, nicht nur bei den Arbeitern, bei den Angestellten, bei den Beamten, bei leitenden Angestellten. Es soll vorkommen, daß man eine Dienstfahrt als Urlaubsreise nimmt. Selbst bei Abgeordneten dieses Hohen Hauses soll manches vorkommen. Es gibt überall Leute die versuchen, zu Lasten anderer zu leben, selber möglichst wenig zu arbeiten und andere arbeiten zu lassen. Das gibt es überall, selbstverständlich nicht nur bei den Arbeitern; das ist ganz klar.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, man sollte trotzdem das Problem des Krankenstandes sehr ernst nehmen. Denn es gibt in der Tat - das läßt sich nicht leugnen - nicht nur einen echten Krankenstand, sondern es gibt auch einen unechten Krankenstand. Es wäre doch eigenartig um unsere Bundesrepublik, um unsere Sozialpolitik und auch um die Sozialpolitik der Gewerkschaften bestellt, wenn die Menschen seit 1950 immer kränker geworden wären. Das gibt es doch gar nicht; das läßt sich nicht mit guten Gründen vertreten. Jedermann weiß, worauf das zurückzuführen ist.
Herr Kollege Stingl, Sie sehen, ich lege viele Blätter auf die Seite. Es tut mir furchtbar leid, ich hätte hier noch ein wunderbares Zitat von einem Arzt gehabt. Frau Kollegin Hubert, die Ärzte kennen ja ihre Pappenheimer. Herr Präsident, darf ich das eben noch vorlesen? - Es erfolgt kein Widerspruch; damit ist es wohl gestattet.
({1})
Da sagt Herr Dr. Luft, ein Landarzt - die Landärzte sind sehr vernünftige Menschen -:
Mit Genugtuung stellen wir fest, daß es unter unseren Kassenpatienten noch viele gibt, die anständig und treu an ihren Betrieben und an ihre Arbeitskameraden denken, die sagen: „wenn ich jetzt ausfalle, bleibt morgen meine Maschine stehen", oder: „wenn ich morgen nicht zur Arbeit erscheine, kann mein Kamerad nicht auf Urlaub gehen", oder: „wir haben neue Aufträge hereinbekommen, da darf ich nicht fehlen!" Die so denken, kommen aus allen Schichten und Lebensaltern. Nicht nur alte Arbeiter, sondern auch junge Burschen sind dabei. Aber diese Verantwortungsbewußten werden von Jahr zu Jahr und von Monat zu Monat seltener! Sie gelten unter der Masse derer, die zuerst an ihren eigenen Nutzen denken, als die Rückständigen, die die Zeichen der Zeit nicht
erkannt haben. Wer aber will heute gern als
unmodern und rückschrittlich angesehen werden?
Es ist erstaunlich, wie schnell bei den meisten Privatpatienten aus freien Berufen, bei denen jeder Krankheitstag ein Verlust ist, Krankheiten und Verletzungen heilen. Der Arzt muß hier oft zügeln und bremsen, sonst sitzt der Bauer, der gestern noch hohes Fieber hatte, heute wieder auf seinem Traktor, und der Handwerksmeister müht sich mit verbundenem Arm wieder in der Werkstatt. Aber wie langsam heilen dieselben Leiden bei vielen „Anspruchsberechtigten"!
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme jetzt zum Schluß; damit Sie beruhigt sind.
({2})
- Wenn Sie „bravo" sagen, dann rede ich noch länger.
({3})
Herr Kollege Rohde hat einige Bemerkungen zum Thema Kostenbeteiligung in der Krankenversicherung gemacht; darauf brauche ich nicht einzugehen, darauf haben Kollege Blank, Kollege Stingl, Kollege Franz ausgezeichnet geantwortet; dazu brauche ich nichts mehr zu sagen. Aber zu einem Punkt will ich doch noch etwas sagen,
Die Ausführungen von Herrn Kollegen Rohde
haben uns wieder einmal bewiesen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß unsere SPD im Grunde gar keine Krankenversicherungsreform will.
({4})
Sie will keine Reform der Krankenversicherung, sondern sie will eine umfassendes System einer Gesundheitssicherung durchsetzen und einführen.
({5})
- „Sehr wahr", sagen Sie. Merken Sie sich das: die SPD sagt: „Sehr wahr!" Sie will keine Krankenversicherungsreform, sondern eine umfassende Gesundheitssicherung. Umfassende Gesundheitssicherung bedeutet, daß man letzten Endes nicht den einzelnen - dieser Streit mit dem Herrn Kollegen Kühn war nicht umsonst - verantwortlich macht für seine Gesundheit, sondern daß man den Staat verantwortlich machen möchte für die Gesundheit des einzelnen. Das ist aber eine merkwürdige Einstellung; das ist eine sozialistische Einstellung,
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die wir niemals teilen können. Denn wie wollen Sie ein Recht auf Gesundheit gegenüber dem Staat geltend machen?
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Das können Sie höchstens gegenüber dem Herrgott,
und der Herrgott hat uns, die Menschen, so geschaffen, daß wir krank werden und sterben müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten weniger vom Recht auf Gesundheit und von der Pflicht des Staates sprechen, sondern wir sollten von der Pflicht zur Gesundheit des einzelnen sprechen.
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Das bedeutet eben eine ganz andere Einstellung; und ich freue mich, daß wir endlich wieder einmal etwas gefunden haben, wo wir uns trennen, wo wir unterscheiden,
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- ganz klar -, und daß wir uns lösen können aus dieser Umarmung.
Weil es darum geht, zu einem neuen Denken zu kommen, zu einer neuen Einstellung zu diesen Dingen in der Krankenversicherung, auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, deswegen bejahen wir die Grundsätze dieser Gesetzentwürfe, die die Bundesregierung vorgelegt hat, und ich bitte Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, eifrig im Ausschuß mitzuarbeiten.
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Meine Damen und Herren, eine schmerzliche Mitteilung für solche unter uns, die nach weiteren Debatten lüstern sein sollten: alle Redner haben ihre Meldungen zurückgezogen.
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Schriftliche Ausführungen des Abgeordneten Schulhoff werden zu Protokoll genommen. *)
Ich berufe die nächste Sitzung - ({1})
- Ich bitte um Entschuldigung; ich war von der Zurücknahme der Wortmeldungen noch so fasziniert, daß ich gewisse Verpflichtungen übersah.
Herr Abgeordneter Stingl zur Stellung eines Antrages.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen Überweisung des Entwurfs eines Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle an den Ausschuß für Arbeit - federführend - und an .den Ausschuß für Mittelstandsfragen und den Wirtschaftsausschuß
- mitberatend -; des Entwurfs eines Bundeskindergeldgesetzes an den Ausschuß für Arbeit; des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts ,der gesetzlichen Krankenversicherung an den Ausschuß 'für Sozialpolitik - federführend - und an den Ausschuß für Gesundheitswesen - mitberatend -.
Herr Professor Schellenberg!
*) Siehe Anlage 2
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stingl, Sie sind nicht ganz nach der Nummernfolge der Gesetzentwürfe vorgegangen. Mit der Überweisung des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes sind wir einverstanden; das ist Punkt 4 a. Herr Präsident, vielleicht kann das zuerst geklärt werden. Wir stimmen dann Punkt für Punkt ,ab.
Zu Punkt 4 a ist beantragt Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend -, an den Ausschuß für Gesundheitswesen und Iden Haushaltsausschuß -mitberatend -. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerpruch.
Punkt 4 b der Tagesordnung. Hier ist vorgeschlagen Überweisung an den Ausschuß für Arbeit -federführend -, an die Ausschüsse für Sozialpolitik und für Mittelstandsfragen - mutberatend -.
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- Sozialpolitik nicht?
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- Bitte, Herr ,Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was hier von den Regierungsparteien vorgeschlagen wird, ist keine sinnvolle Regelung. Die Lohnfortzahlung [hängt mit der Krankenversicherungsreform - das war doch der Inhalt I) Ihrer heutigen Ausführungen - so zusammen, daß es unmöglich ist, das Lohnfortzahlungsgesetz beispielsweise mit seinem System der Nachuntersuchungen, die im Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz geregelt werden und auf die der Gesetzentwurf ausdrücklich Bezug nimmt, nicht dem Ausschuß für Sozialpolitik mitberatend zu überweisen. Der Ausschuß für Wirtschaft hat mit diesem Problem weniger zu tun.
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- Er hat weniger damit zu tun!
Herr Abgeordneter Stingl!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicherlich ist der Zusammenhang der beiden Gesetzentwürfe nicht zu verkennen. Aber sicherlich ist auch nicht zu verkennen, daß der Ausschuß für Arbeit diese Gesichtspunkte des Gesetzentwurfs ebenfalls beurteilen kann.
Im übrigen darf ich eine grundsätzliche Bemerkung für meine Fraktion machen. Wir sind der Meinung, daß die Überweisung an Ausschüsse, insbesondere an mitberatende Ausschüsse, so sparsam wie irgend möglich gehandhabt werden sollte.
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Wir meinen aber, daß die Vorsitzenden der federführenden Ausschüsse zu bestimmten Sachfragen
durchaus das Votum anderer Ausschüsse einholen
sollten - in diesem Fall würde das bei einigen bestimmten Punkten zutreffen -, und zwar mit Fristsetzung. Wir glauben, daß der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit auch hier so verfahren kann, und bitten, den Entwurf an den Ausschuß für Arbeit - federführend - und an die Ausschüsse für Wirtschaft und Mittelstand - mitberatend - zu überweisen.
Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Kollege Stingl, in der Grundtendenz, möglichst wenige Ausschüsse zu beteiligen, stimmen wir Ihnen völlig zu. Aber es ist wirklich nicht sinnvoll, bei diesem Entwurf sowohl den Wirtschaftsausschuß als auch den Ausschuß für Mittelstandsfragen zu beteiligen. Wir sind damit einverstanden, den Entwurf an den Ausschuß für Mittelstandsfragen - gerade im Hinblick auf die lohnintensiven Betriebe - zu überweisen. Den Entwurf aber noch zusätzlich in den Wirtschaftsausschuß zu bringen, würde Ihrer eigenen These widersprechen. Sie sollten sich statt dessen entschließen, den Sozialpolitischen Ausschuß mitberatend hinzuzuziehen.
Wir stimmen über die einzelnen Anträge ab, zunächst darüber, welcher Ausschuß federführend sein soll. Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Arbeit. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe!
- Das ist einstimmig beschlossen.
Weiterhin ist beantragt Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik zur Mitberatung.
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- Ja, vom Ältestenrat so empfohlen. Wer dafür ist, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! -- Es läßt sich nicht feststellen, wir müssen auszählen.
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Abgestimmt haben insgesamt 327 Mitglieder des Hauses. Mit Ja haben 150 Abgeordnete, mit Nein 176 Abgeordnete gestimmt; der Antrag ist abgelehnt. Die Vorlage wird nicht an den Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen.
Wer für die Überweisung an den Ausschuß für Mittelstandsfragen ist, der gebe das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Die Überweisung ist einstimmig beschlossen.
Wer für die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik ist, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; die Überweisung ist beschlossen.
Dann ist zu beschließen über die Überweisung des Entwurfs eines Bundeskindergeldgesetzes. Es ist beantragt, ihn an den Ausschuß für Arbeit zu überweisen.
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Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es dient doch. der „gemeinsamen Arbeit, von der heute gesprochen wurde, daß wir die Ausschußüberweisungen nach sachlichen Gesichtspunkten vornehmen.
Bei dem Bundeskindergeldgesetz handelt es sich in der Sache uni ein Kindergeldschlußgesetz, das die verschiedenen Gesetze zusammenfassend ordnen soll. Wir haben bisher in diesem Hause - ich habe die Liste hier - 18 Vorlagen über Kindergeldfragen beraten oder beraten müssen. Immer war der Ausschuß für Sozialpolitik der zuständige Ausschuß. Jetzt kommt - endlich - das Schlußgesetz. Nun meinen Sie, es sei nicht ratsam, das Erfahrungsgut, das sich seit Bestehen dieses Hauses in den 18 vom Ausschuß für Sozialpolitik beratenen Vorlagen angesammelt hat, zu verwerten.
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- Aber nein, ein großer Teil der Mitglieder hat mindestens in der letzten Legislaturperiode die Dinge bearbeitet.
Etwas anderes kommt noch hinzu. Das Plenum hat vor wenigen Wochen beschlossen, das sogenannte Kindergeldverbesserungsgesetz - Antrag der SPD - dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Hier liegt dieser Gesetzentwurf. Er muß doch irgendwie mit dem Bundeskindergeldgesetz gekoppelt werden. Deshalb liegt es wirklich im Interesse der Sache, dieses Kindergeldschlußgesetz dem Ausschuß zu überweisen, in dem die Kollegen arbeiten, die die schwierige Materie des Kindergeldrechts seit langer Zeit kennen.
Ich darf Ihnen einen Vergleich geben. Es würde doch niemand in diesem Hause auf den Gedanken kommen, die 16. oder 17. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz dem Lastenausgleichsausschuß wegzunehmen, weil er zuviel zu tun habe, und etwa dem Ausschuß für Kommunalpolitik und Sozialhilfe zu überweisen.
Ich bitte Sie also, im Interesse der sachlichen Arbeit, das heute wiederholt betont wurde, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik als federführendem Ausschuß zu überweisen. Ich spreche nicht aus Gründen des Ausschußprestiges, sondern im Interesse einer zügigen Arbeit. Sie werden nämlich sonst, meine Damen und Herren, gezwungen, sich in Ihren Arbeitskreisen mit diesen Dingen zu beschäftigen, die zweckmäßigerweise sogleich vom Ausschuß erarbeitet werden können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Haus darauf hinweisen, daß wir hier vor einer sehr ernsten Abstimmung stehen. Wir arbeiten in diesem Hause in aller Regel gut zusammen, und für das Ansehen des Bundestages ist es sehr wichtig, daß wir gut zusammenarbeiten. Das erreichen wir dadurch, daß wir trotz allen Streites, den wir miteinander haben, uns doch immer Mühe geben, sachlich zu sein und dem sachlichen Argument das Gewicht zu geben, das ihm zukommt.
Hier ist es ganz evident, wo der Sachverstand im Hause konzentriert ist.
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Ich habe von Ihrer Seite noch nicht das Argument gehört, daß man den ebenfalls überlasteten Rechtsausschuß dadurch entlasten müßte, daß man ihm etwa die Vorlage über die Änderung des Grundgesetzes, über die wir morgen in erster Lesung beraten, wegnimmt und sie dem Mittelstandsausschuß überweist.
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Genauso wollen Sie verfahren.
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Sie wollen abweichen von einer Tradition, und Sie wollen 'abweichen von der Regel, daß wir, wenn solche Dinge behandelt werden, nur nach sachlichen Gesichtspunkten entscheiden. Sie wollen jetzt nach politischen 'Gesichtspunkten entscheiden, weil es Ihnen einmal gerade anders herum besser paßt.
Meine Damen und Herren, wenn Sie so verfahren, dann wird das für unser Verhalten Konseguenzen haben. Glauben Sie nicht, daß Sie, weil Sie die Mehrheit haben, so etwas beschließen könnten, ohne daß wir uns wehren könnten!
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Sie hängen in zahlreichen Fällen davon ab, daß wir in diesem Hause kooperieren und daß Sie von Ihrer Mehrheit nicht rücksichtslos Gebrauch machen,
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so wenig wie wir von unseren Minderheitsrechten rücksichtslos Gebrauch machen. Überlegen Sie sich das wohl!
Noch eines sollten Sie bedenken. Wenn das Gesetz in einem Ausschuß beraten wird, in dem diejenigen, die am meisten davon verstehen, nicht sitzen, nun, dann werden wir einen ganzen Teil der Ausschußberatung im Plenum nachholen, wenn es zur zweiten Lesung kommt.
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Ob Sie das wollen, müssen Sie jetzt entscheiden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure die Verschärfung, die Herr Kollege Mommer jetzt in 'die Diskussion gebracht hat.
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Meine Damen und Herren, erstens möchte ich mich dagegen wehren, 'daß der Sachverstand für die Behandlung einer solchen Materie nur im Sozialpolitischen Ausschuß und nicht auch in einem anderen
Ausschuß liege. Die ersten Kindergeldgesetze sind zu Recht im Sozialpolitischen Ausschuß behandelt worden, weil es sich um versicherungsähnliche Lösungen mit Beitragsaufkommen und Auszahlung über die Familienausgleichskassen handelte, die sozialversicherungsrechtlichen Institutionen angeschlossen waren.
({1})
Die Auszahlung des künftigen Kindergeldes erfolgt durch Dienststellen der Arbeitsverwaltung. Das ist das eine Argument.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Wenn das Haus beschließen sollte, die Auszahlung des Kindergeldes den Finanzämtern zu übertragen, was ja auch diskutiert wird, würden Sie dann den Finanzausschuß als federführenden Ausschuß mit der Angelegenheit betrauen wollen?
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Es wäre immerhin möglich, da die Organisation der Finanzverwaltung nicht vom Sozialpolitischen Ausschuß beurteilt werden kann. Der größere Sachverstand für die Auszahlung durch die Finanzämter läge ganz bestimmt bei den Kollegen des Finanzausschusses.
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Ich habe also zunächst gesagt: Für den Ausschuß für Arbeit spricht, daß die Organisation in den Bereich fällt, den der Ausschuß ansonsten zu behandeln hat. Dadurch, daß wir das Kindergeld von einer irgendwie gearteten Anlehnung an sozialversicherungsrechtliche Regelungen gelöst haben, hat es auch viel mehr den Charakter eines familiengemäßen Zuschusses zum Leistungslohn erhalten als vorher. Daß aber die Behandlung der Entlohnungsgrundsätze in den Ausschuß für Arbeit gehört, scheint mir sicher zu sein.
Ich beantrage, die Federführung dem Ausschuß für Arbeit zu übertragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach unserer Auffassung hat diese Frage nicht die hochpolitische Bedeutung, wie sie sie nach der etwas knisternden Atmosphäre zu haben scheint, die seit einigen Minuten im Plenum herrscht.
Ich glaube, wir können uns den sachlichen Argumenten, die Kollege Schellenberg vorgetragen hat, nicht so leicht verschließen. Es ist schließlich eine Tatsache, daß soundso viele Kindergeldgesetze im Sozialpolitischen Ausschuß beraten worden sind,
auch das letzte, das Kindergeldkassengesetz, das weil das Kindergeld für 'das zweite Kind schon bisher ,aus der Staatskasse gezahlt wurde, eigentlich auch schon der Ausschuß für Arbeit federführend hätte behandeln müssen, wenn man der Logik des Kollegen Stingl folgte.
Es ist nicht 'so, daß allein im Sozialpolitischen Ausschuß der Sachverstand vertreten wäre. Es dreht sich hier hauptsächlich um die Erfahrung. Lassen Sie mich einmal als Mitglied des Ausschusses für Arbeit sprechen: Wenn der Ausschuß für Arbeit federführend wäre und der Sozialpolitische Ausschuß nicht einmal mitberatend beteiligt wäre, müßte ich mit der Bitte um Nachhilfeunterricht zu meinen Fraktionskollegen Spitzmüller, Weber oder Ollesch gehen, der Kollege Behrendt zum Kollegen Schellenberg und der Kollege Porten zum Kollegen Stingl oder Ruf.
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Deswegen wäre es an und 'für sich richtig, 'wenn der Sozialpolitische Ausschuß federführend wäre.
Wir 'wollen uns aber in 'der Sache nicht zerstreiten. Wir bitten Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, einmal zu überlegen, ob sich nicht eine mittlere Lösung finden läßt, indem man 'den Ausschuß für Arbeit zum federführenden und den Sozialpolitischen Ausschuß zum mitberatenden Ausschuß macht. Dann haben wir eine gewisse Koordination. Seine mitberatende Funktion kann der Sozialpolitische Ausschuß schnell erfüllen; er braucht nicht auf die kleinsten Einzelheiten einzugehen. Das andere macht der Ausschuß für Arbeit. Dann kommen wir besser zu Rande.
Wenn wir den Arbeitsausschuß zum federführenden machen, der Sozialpolitische Ausschuß aber nicht einmal mitberatend mitwirkt, werden sich in der zweiten Lesung die erfahrenen sozialpolitischen Sachkenner keineswegs bremsen lassen. Sie werden uns dann in 'der zweiten Lesung mit großer Sachkunde ihre Änderungsanträge vortragen. Deshalb möchten 'wir vorschlagen, den Sozialpolitischen Ausschuß auf jeden Fall mitberatend zu beteiligen.
Wir werden uns bei der Abstimmung, ob der Sozialpolitische Ausschuß federführend sein soll, der Stimme enthalten, werden aber 'dem Antrag, ihn wenigstens mitberatend zu beteiligen, zustimmen.
Herr Abgeordneter Memmel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Ausschuß für Familien- und Jugendfragen und seinem Vorsitzenden wird gelegentlich der Vorwurf gemacht, daß er den zweiten Teil seiner Aufgaben, Jugendfragen, überbetone und für den ersten Teil nichts tue. Hier, 'das muß ich sagen, wäre wirklich einmal eine Gelegenheit, auch den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen echt zu beschäftigen.
Herr Abgeordneter, dabei sind wir noch gar nicht, das kommt nachher.
Es kommt mir auf die Federführung an.
Ach, Sie wollen, daß der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen für federführend erklärt wird.
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Das wäre eine echte Beschäftigung. Das könnte man auch deswegen tun, weil ich das Argument des Kollegen Schellenberg gelten lasse, daß diese Gesetze bisher im Ausschuß für Sozialpolitik behandelt worden sind, daß eine gewisse Kontinuität am Platz sei und daß der Sachverstand dort zu Hause sei. Das lasse ich aber nur für den Herrn Vorsitzenden und die Mitglieder gelten, die konstant, d. h. seit mehreren Legislaturperioden, in dem gleichen Ausschuß sitzen. Für die anderen gilt das gleiche wie für die Mitglieder des Hauses.
Der Ausschuß für Arbeit hat ein Gesetz aus dem Paket federführend zu beraten, der Ausschuß für Sozialpolitik hat ebenfalls eines. Ich bitte also doch zu überlegen, ob man nicht den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen wenigstens auch etwas bedenken sollte.
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Meine Damen und Herren, wenn ich mich nicht täusche, liegen jetzt hinsichtlich der Federführung drei Anträge vor, erstens Ausschuß für Arbeit, zweitens Ausschuß für Sozialpolitik, drittens Ausschuß für Familien- und Jugendfragen. Da man hier nicht von weitergehenden Ansprüchen sprechen kann, lasse ich nach der Reihenfolge der Anträge abstimmen.
Wer für die Federführung des Ausschusses für Arbeit ist, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Wir wollen die Abstimmung durch Erheben von den Sitzen wiederholen. Wer für den Antrag ist, dem Ausschuß für Arbeit die Federführung zu übertragen, der erhebe sich von seinem Sitz. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist nicht zu entscheiden. Wir müssen auszählen.
Ich gebe das Ergebnis 'bekannt. Abgegeben wurden 333 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 191, mit Nein 133, enthalten haben sich neun Abgeordnete. Also ist der Ausschuß für Arbeit federführend.
Wir kommen zur nächsten Abstimmung darüber, ob der Ausschuß für Sozialpolitik mitberatend tätig sein soll, Wer dafür ist, gebe das Handzeichen. - So kann man kein Bild gewinnen. Ich bitte, die Plätze einzunehmen. Wir wollen die Abstimmung wiederholen durch Erheben von den Plätzen. Wer dafür ist, daß der Ausschuß für :Sozialpolitik mitberatender Ausschuß ist, erhebe sich von seinem Sitz. - Gegenprobe! - Es tut mir leid, es ist keine sichere Entscheidung zu treffen. Wir müssen wieder auszählen. Meine Damen und 'Herren, das Ergebnis der Auszählung ist: abgegebene Stimmen 321, Ja-Stimmen 151, Nein-Stimmen 165, 5 Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Nun kommt der Antrag zur Abstimmung, den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen als mitberatenden zu beteiligen. Wer dafür ist, gebe das Handzeichen. -Gegenprobe! - Enthaltungen? -Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Nun kommt der Haushaltsausschuß. Gibt es einen Streit? Wohl kaum? - Wer für den Haushaltsausschuß als mitberatenden Ausschuß ist, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimme des Herrn Vorsitzenden des Haushaltsausschusses angenommen.
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Meine Damen und Herren, damit sind wir wohl am Ende.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen vormittag, 9 Uhr, ein und schließe die heutige Sitzung.