Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Abgeordnete Rehs hat erklärt, er betrachte seine Frage III aus Drucksache IV/537 als erledigt. Eine Veröffentlichung einer Antwort zu dieser Frage entfällt.
Meine Damen und Herren, wir fahren iii der Tagesordnung der gestrigen Sitzung fort. Ich darf daran erinnern, daß interfraktionell vereinbart ist, die Punkte 5 und folgende der Tagesordnung zu behandeln, falls sich dazu im Laufe der Sitzung noch die Zeit ergibt. Vorerst fahren wir fort mit der
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung. Das Wort hat der Abgeordnete Majonica.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Ollenhauer hat gestern in seiner Rede in der Aussprache über die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers die Gemeinsamkeit beschworen, die Gemeinsamkeit in der Verantwortung und die Sachlichkeit in der Auseinandersetzung in der Politik. Ich nehme an, daß der Herr Kollege Wehner, der gleich nach mir spricht, auch von der Gemeinsamkeit, auch von der Sachlichkeit sprechen wird. Aber ich habe leider den Eindruck, daß die Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer gestern weder der Sachlichkeit noch der Gemeinsamkeit in der Politik gedient hat.
({0})
Wir von der Christlich-Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union wollen diese Gemeinsamkeit in außenpolitischen Fragen, und ich bin der Meinung, meine Damen und Herren, daß wir auf wesentlichen Gebieten, vor allen Dingen hinsichtlich der Ziele, die wir uns in unserer Außenpolitik gesetzt haben, diese Gemeinsamkeit heute schon erreicht haben. Gemeinsam miteinander fordern wir das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes, fordern wir die Freiheit auch für das deutsche Volk, und bis wir das erreicht haben, bis auf Grund der Selbstbestimmung die Wiedervereinigung erreicht ist, wollen wir Berlin als ein lebendigen Bestandteil unseres Volkes halten.
({1})
Ich meine, diese Gemeinsamkeit besteht auch - ich darf das offiziell anerkennen - in dem Ziele, ein gemeinsames größeres Europa zu schaffen. Aber vielleicht, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, wären wir in der Erreichung dieses Zieles, ein gemeinsames Europa zu schaffen, schon weiter, wenn Sie früher Ihre Opposition gegen diese Europapolitik aufgegeben hätten.
({2})
Herr Abgeordneter Majonica, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erler?
Ja, ich gestatte sie.
Hat eigentlich die Sozialdemokratische Partei oder Ihr Koalitionspartner, die Freie Demokratische Partei, dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zugestimmt?
Aber Herr Kollege Erler, in den entscheidenden Jahren, wo wir Europa aufbauten, wo es um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ging, da sind Sie es gewesen, die den Sand ins Getriebe gestreut haben!
({0})
Ich meine, daß wir in der Europapolitik sogar schon - wenigstens teilweise - zu einer Gemeinsamkeit hinsichtlich der Methodik gekommen sind. Ich war sehr erstaunt, 'aber auch sehr erfreut, als der Herr Kollege Wehner vor einiger Zeit in einem Rundfunkvortrag, der sich im wesentlichen an die Zone richtete, sagte, daß zwischen nationaler deutscher Politik und europäischer Politik kein Widerspruch bestehe, daß wir im Gegenteil nur dann zur Wiedervereinigung kommen würden, wenn das über Europa und über die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten gehe.
({1})
Ich muß sagen, daß ich mich über diesen Satz sehr gefreut habe. Aber ich muß Ihnen gleichzeitig sagen: Wie sind wir für diese Konzeption in den vergangenen Jahren geprügelt worden?!
({2})
Wie oft hat man uns vorgeworfen, wir vergäßen
Deutschland, wir vergäßen die Einheit Deutschlands
über unsere Europa-Politik. Wir freuen uns nun, daß auch bei Ihnen die Erkenntnis sich Bahn gebrochen hat, daß unsere Europa-Politik in der Vergangenheit immer ein Teil unserer aktiven Ostpolitik gewesen ist, daß wir gerade in unserer Europa-Politik einen Teil unserer aktiven Ostpolitik gesehen haben, und ich meine, daß es richtig war, Europa-Politik als Teil der aktiven Ostpolitik zu sehen. Das zeigt die Reaktion des gesamten Ostblocks auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Hier ging es von den Schimpfkanonaden zu Anfang, als man die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft durchgesetzt hatte, als sie Realität wurde, bis zu jener Konferenz der 23 kommunistischen Parteien in Moskau, die sich in einer sehr differenzierten Art und Weise mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auseinandergesetzt und damit deutlich gezeigt haben, daß diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft heute eine Realität für den Ostblock geworden ist, mit der er zu rechnen hat.
Ich meine aber vor allem auch, daß sich diese aktive Ostpolitik, betrieben durch unsere Europa-Politik, in der deutsch-französischen Zusammenarbeit, in der deutsch-französischen Freundschaft gezeigt hat. Frankreich hat eine traditionsgemäß gute Resonanz in den Ländern und bei den Völkern Mittel- und Osteuropas. Der Besuch des französischen Staatspräsidenten de Gaulle, sein Auftreten hier in der Bundesrepublik, hat doch gezeigt, daß er dem Zerrbild entgegengewirkt hat, das die kommunistische Propaganda in den Ostblockstaaten von der Bundesrepublik gibt, das diese kommunistische Propaganda uns immer und immer wieder zuschreibt. Denn es hat sich auch bei den Völkern Mittel- und Osteuropas herumgesprochen - vor allem auch bei dem polnischen Volke -, daß de Gaulle die Seele des französischen Widerstandes im zweiten Weltkrieg gewesen ist, und wenn dieser Staatspräsident so zum deutschen Volke spricht, dann kann dieses neue Deutschland nicht revanchistisch, militaristisch, faschistisch sein, wie das die Ostpropaganda gerade in den Satellitenstaaten immer und immer wieder von uns behauptet. Ich meine, daß die offizielle Reaktion, die wir in Polen erlebt haben, jene harte Rede des polnischen Ministerpräsidenten Cyrankiewicz, ein unmittelbarer Beweis dafür war, wie sehr die deutsch-französische Aussöhnung gerade bei dem polnischen Volke gewirkt hat, und ich meine, daß wir uns gerade aus der deutsch-französischen Zusammenarbeit für die Zukunft viel für unsere Ostpolitik, für die Resonanz, die auch das deutsche Volk in den mittel- und osteuropäischen Staaten findet, versprechen dürfen.
In diesem Zusammenhang sollten wir dem Herrn Bundeskanzler Dank sagen. Er ist auf deutscher Seite der Baumeister dieser deutsch-französischen Freundschaft gewesen,
({3}) .
einer deutsch-französischen Freundschaft, die uns unmittelbar helfen wird, auch in ein gutes Nachbarschaftsverhältnis zu unseren östlichen Nachbarn zu kommen. Dieses gute Nachbarschaftsverhältnis zu unseren östlichen Nachbarn wollen wir erreichen. Wir werden uns dabei durch keine Abweisung entmutigen lassen. Selbstverständlich kann aber ein solcher Ausgleich mit dem Osten, den wir anstreben, nicht mit der Aufgabe deutscher Lebensrechte erkauft werden. Das ist einfach eine Unmöglichkeit.
({4})
Wir dürfen deshalb feststellen, daß wir in diesem Hohen Hause in wesentlichen Zielen der deutschen Außenpolitik einig sind. Es wäre gut, wenn wir das auch im Weg, auch in der Methode wären. Die Stellung jedes deutschen Unterhändlers bei internationalen Verhandlungen wäre stärker, wenn hinter ihm alle lebendigen Kräfte des deutschen Volkes stünden.
Ich bin mit dem Kollegen Ollenhauer der Meinung, daß eine derartige Gemeinsamkeit keine Verdächtigung verträgt. Herr Kollege Ollenhauer hat gestern in diesem Hohen Hause erklärt - ich darf das einmal wörtlich zitieren -:
Wir sollten aber endlich die Auseinandersetzung über solche Meinungsverschiedenheiten nicht immer wieder benutzen, um mit Zweifeln oder Verdächtigungen über die Klarheit und die Zuverlässigkeit der grundsätzlichen Einstellung zu arbeiten.
Ich darf Ihnen sagen, Herr Kollege Ollenhauer: ich unterschreibe jedes Wort, das Sie hier gesagt haben. Aber ich darf Sie fragen: Wie verträgt sich das damit, daß Sie, Herr Kollege Ollenhauer, wenig später gerügt haben, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung kein Wort über die Größe des Risikos gesagt habe, das die Vereinigten Staaten I und die Verbündeten für Berlin, für uns alle ein gegangen seien, und darüber, daß die Bundesrepublik bereit sei, dieses Risiko mit allen seinen Konsequenzen zu teilen? Ist das nicht eine Unterstellung, die Sie hier vorgenommen haben? Ist das nicht eine Verdächtigung, der Bundeskanzler habe etwa absichtlich diese Worte ausgelassen, um uns an diesem Risiko vorbeizudrücken? Ist das nicht ein Zweifel in unsere Bündnistreue, der nicht erlaubt ist? Ist das nicht ein Zweifel in die Bündnistreue der Bundesregierung und der sie tragenden Mehrheit, Zweifel in die Treue zu einem Bündnis, das doch schließlich wir gegen den erbitterten Widerstand der deutschen Sozialdemokraten geschaffen haben?
({5})
Wir haben die Verträge abgeschlossen, die die Garantie für Berlin enthalten. Wir haben den Eintritt der Bundesrepublik in die NATO durchgesetzt, die NATO, die das Instrument ist, um Berlin und die Bundesrepublik frei zu erhalten. Es ist selbstverständlicher Sinn jedes Bündnisses, daß das gemeinsame Risiko gemeinsam getragen wird. Ich möchte Ihnen hier ganz deutlich und ganz nachdrücklich sagen: Wir stehen für die Freiheit von Washington und San Franzisko, London und Paris, so wie wir für die Freiheit von Berlin stehen.
({6})
Wir begrüßen es, daß sich die SPD zur NATO bekennt. Das stärkt dieses Bündnis sicherlich. Aber ich
meine doch, daß es ein schlechter Stil ist, daß Sie uns jetzt die Rolle zudiktieren wollen, die Sie jahrelang in diesem Hause gespielt haben.
({7})
Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben gestern von unverantwortlicher Diffamierung durch den Herrn Bundeskanzler gesprochen, als er Initiativen um der Geschäftigkeit willen ablehnte. Herr Dr. von Brentano hat gestern schon zu diesem Punkt Stellung genommen. Ich darf noch einiges hinzufügen. Ich meine doch, Herr Kollege Ollenhauer, daß Sie im Hinblick auf manche Ihrer Initiativen froh sind, daß wir uns nicht an ihnen beteiligt haben. Meine Damen und Herren, Sie hätten doch den Deutschlandplan nicht so sang- und klanglos beerdigen können, wenn wir uns damals mit Ihnen geirrt hätten.
({8})
Denn damit wäre damals dieser Deutschlandplan
zu einem Element der deutschen Politik geworden.
Ich begrüße es sehr, daß der Herr Kollege Ollenhauer gestern eine Friedenskonferenz über Deutschland nicht befürwortet hat. Aber er hat sich ein wenig in der Zeit geirrt, als er sagte, daß das Projekte des vergangenen Jahres gewesen seien, die keine Aktualität mehr hätten. Nun, meine Damen und Herren, Sie erinnern sich sehr gut daran, daß vor wenigen Wochen die Führungsgremien der SPD in Berlin diese große Friedenskonferenz gefordert haben; und schließlich ist auch der Vorsitzende dieser Führungsgremien in Berlin Ihr Kanzlerkandidat und Ihr stellvertretender Parteivorsitzender. Ich meine, daß damit diese Aktivität nicht so in der Vergangenheit gelegen hat, wie Sie uns das gern sagen wollten.
Aber wir sind erfreut, sehr erfreut, daß wir uns heute darüber einig sind, daß eine derartige Initiative im Augenblick gefährlich wäre, daß sie gefährlich wäre angesichts einer unveränderten Haltung der sowjetischen Politik, die auf die Vernichtung des freien Berlin gerichtet ist und die Aufrechterhaltung der Spaltung unseres Vaterlandes will. Die Sowjetunion hat übrigens von Anfang an auf diese Spaltung gesetzt. Sie war immer nur dann bereit, der Wiedervereinigung zuzustimmen, wenn das die Bolschewisierung ganz Deutschlands bedeutet hätte. Ich bin der Meinung, daß daran auch nichts ändern die so oft zitierten und leider so selten gelesenen Noten der Jahre 1952 und 1953. In diesen Noten
({9})
- ich habe sie sorgfältig gelesen, Herr Kollege, Sie können sich darauf verlassen - wurde doch kein anderes Rezept angeboten als das, nach dem alle Staaten hinter dem Eisernen Vorhang bolschewisiert worden sind.
({10})
Auch dort sollte zunächst eine provisorische Regierung gebildet werden unter Beteiligung der Kommunisten und der kommunistischen Massenorganisationen; sie hatte dann die freiheitlichen Kräfte zu liquidieren, und am Schluß sollte als reine Farce eine sogenannte Wahl stattfinden. Das ist doch dasselbe, was uns auch in diesen Noten von der Sowjetunion für die deutsche Politik vorgeschlagen ist.
Ich meine, daß angesichts einer solchen Haltung der Sowjetunion in der deutschen Frage und in der Berlin-Frage durch die Ausweitung der Verhandlungspartner über die deutsche Frage nichts geändert wird; dadurch wird die Interessenlage der Großmächte nicht berührt und nicht verändert. Wir haben doch schließlich Erfahrungen mit der Genfer Abrüstungskonferenz. Auch dort ist man zu einer Ausweitung der Teilnehmer dieser Konferenz gekommen, ohne daß der moralische Druck, der doch offensichtlich von den Neutralen ausgehen sollte, irgendwie zu einer Änderung der Politik der Sowjetunion in der Abrüstungsfrage geführt hat. Durch Prozedurfragen ändert man keine Politik. Prozedurfragen ersetzen vor allen Dingen keine Politik. Ich muß sagen, ich finde es recht merkwürdig, wenn im Zusammenhang mit einer großen Friedenskonferenz von fünfzig, sechzig oder wieviel Teilnehmern - das weiß man nicht ganz genau
- geäußert wurde, auf einer derartigen Konferenz könne ja dann die Sowjetunion überstimmt werden und ihr damit der deutsche Standpunkt aufgezwungen werden. Nun, ich meine, meine Damen und Herren, daß auf einer solchen Konferenz Mehrheitsbeschlüsse witzlos sind, wenn die Sowjetunion diesen Mehrheitsbeschlüssen nicht zustimmt. Denn daß diese einfach und - ({11})
- Lesen Sie bitte einmal das Gespräch, das Herr Dr. Mommer mit Herrn Staatssekretär Carstens vor dem Deutschen Fernsehen geführt hat; dann werden Sie diese merkwürdigen Feststellungen in diesem Gespräch finden, Herr Kollege Erler. Man sollte viel mehr lesen, dann weiß man diese Dinge.
({12})
- Danke schön, danke schön; ich komme gleich noch auf den Schüler, und ich freue mich schon jetzt, wenn ich Zensuren bekomme, Herr Erler.
Ich finde also, daß eine Konferenz nicht die Macht hat, die Sowjetunion zu einer Haltung zu zwingen, und ich bin daher der Meinung, daß wir von vornherein mit einem Scheitern dieser Konferenz zu rechnen haben, aber doch mit der Folge, daß durch die erneute Teilnahme Pankows auf einer derartigen internationalen Friedenskonferenz Pankow erneut aufgewertet worden ist, und vor allen Dingen doch mit der Folge, daß die Viermächteverantwortung auf diese Konferenz übergegangen ist und damit untergegangen ist. Ich bin der Meinung, daß wir unter allen Umständen an dieser Viermächteverantwortung für Deutschland festhalten müssen. Wir dürfen sie nicht aufgeben, denn durch sie allein können wir zur Wiedervereinigung unseres Vaterlandes kommen. Wir dürfen vor allen Dingen die Sowjets nicht mit leichter Hand aus dieser Viermächteverantwortung entlassen.
({13})
Auch wir streben einen Friedensvertrag an, ja wir dürfen sagen, daß ein Friedensvertrag ein wesentliches Ziel der deutschen Außenpolitik ist, Ein Friedensvertrag mit einem Deutschland würde die Wiedervereinigung zur Folge haben, die Mauern in Berlin und an der Zonengrenze zum Verschwinden bringen, die unerträglichen Morde hörten auf. Das streben auch wir an. Aber es muß eben e i n Friedensvertrag mit einem Deutschland sein.
({14})
Ich stimme der gestern geäußerten Meinung des Herrn Kollegen Mende zu, der wiederum die Viermächtekonferenz über die deutsche Frage gefordert hat. Daß die Sowjetunion diese Viermächtekonferenz abgelehnt hat, sollte uns nicht daran hindern, immer und immer wieder diese Viermächtekonferenz vorzuschlagen. Manchmal sollten wir uns an der Hartnäckigkeit der Sowjetunion ein Beispiel nehmen, zumal wenn es sich -um eine so gute und gerechte Sache handelt, wie wir sie in der deutschen Frage vertreten.
Ich schließe mich dem Dank des Kollegen Ollenhauer an, den er gestern dem Kuratorium Unteilbares Deutschland ausgesprochen hat. Niemand hat behauptet, Herr Kollege Ollenhauer, daß das eine Geschäftigkeit, eine Initiative um der Geschäftigkeit willen gewesen sei. Das ist eine reine Unterstellung. Wir haben diese Aktion unterstützt, und Herr Kollege Gradl von meiner Fraktion hat sich an ihr beteiligt. Wir begrüßen auch, daß die Bundesregierung ein Weißbuch über den Terror an der Mauer veröffentlicht hat.
Vor allen Dingen begrüßen wir es, daß die Bundesregierung viele ausländische Besucher an die Mauer geführt hat. Ich bin der Meinung, daß gerade das persönliche Erlebnis an der Mauer das Eindringlichste ist, das Nachhaltigste, das am deutlichsten zeigt, welches Unrecht hier 'Berlin und dem deutschen Volke zugefügt worden ist. Herr Ulbricht hat sich durch diese Mauer ein Denkmal der 'Schande gesetzt, und die 'Sowjetunion sollte bedenken, daß diese Mauer zum Symbol für das ganze kommunistische System geworden ist. Ist es nicht bezeichnend, meine Damen und Herren, daß das Sowjetvolk heute noch nichts von der Existenz dieser Mauer 'weiß, daß in allen Verlautbarungen in der Sowjetunion selbst das Vorhandensein der Mauer sorgfältig umschrieben wird, damit diese Tatsache in der Sowjetunion nicht bekannt wird? Ist das nicht ein deutliches Zeichen des schlechten Gewissens?
Nun hat Herr Kollege Ollenhauer gestern in seiner Rede hier die Forderung erneuert, daß die Frage der Menschenrechte vor die Vereinten Nationen gebracht werden soll. Herr Kollege Ollenhauer, Sie wissen, daß wir diese Frage im Auswärtigen Ausschuß besprochen haben, daß wir diese Frage im kleinen Kreis mit Vertretern des Auswärtigen Amts erörtert haben, und Sie wissen, daß Mitglieder Ihrer eigenen Fraktion dieser Argumentation des Auswärtigen Amts nicht widersprochen haben. Es gibt hier nun einmal Argumente, die man nicht einfach vor der Öffentlichkeit diskutieren kann. Die Regierung kann nun einmal hier im Plenum nicht alle ihre
Argumente ausbreiten. Ich finde es dann unfair, wenn man diese 'Frage hier im Plenum des Deutschen Bundestages zur Debatte stellt, obwohl man weiß, daß die Regierung auf diese Frage nicht offen antworten kann.
({15})
Herr .Ollenhauer, ,Sie haben gestern davon gesprochen, daß die deutsche Frage ja sowieso vor 'den Vereinten Nationen erörtert werde. Nun, ich meine, es ist ,etwas anderes, ob sie in Diskussionsbeiträgen dort erörtert wird oder ob sie dort ein offizieller Tagesordnungspunkt ist.
Ich darf dazu sagen, daß wir selbstverständlich allen jenen Dank sagen, die für den deutschen Standpunkt vor den Vereinten Nationen eingetreten sind. Unser besonderer Dank gilt dem englischen Außenminister Lord Home, der in ausgezeichneter Weise unseren Standpunkt vertreten hat.
({16})
Herr Kollege Ollenhauer, wenn ich mir diese Auseinandersetzung mit Ihnen und die Initiativen, die Sie gefordert und vorgeschlagen haben, ansehe, muß ich sagen: die von Ihnen vorgeschlagenen Initiativen entpuppen sich bei näherem Zusehen so, daß es überhaupt keine echten Initiativen sind.
Sie haben gestern auch kritisiert, daß der Herr Bundeskanzler nicht von der Entwicklungshilfe gesprochen habe. Ich habe den Eindruck, die Regierung zieht es auf diesem Gebiet vor zu handeln. Auch die SPD weiß, welch großen Anteil wir zu der Entwicklungshilfe der westlichen, der freien Welt beitragen. Sie weiß, was auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe in der Vergangenheit aufgebaut und geleistet worden ist. Sie weiß vor allen Dingen auch, mit welch großer Hingabe sich gerade Bundesminister Scheel dieser Aufgabe widmet. Ich meine, dann braucht man nicht zu kritisieren, daß eine so offensichtliche Tatsache in der Regierungserklärung nicht irgendwie berührt worden ist.
Dann, Herr Kollege Ollenhauer, haben Sie gestern - und das hat uns getroffen - in Ihrer Rede zur Regierungserklärung davon gesprochen, daß diese Bundesregierung unter Bundeskanzler Adenauer inaktiv sei und keine echte Aktivität entfaltet habe. Ich muß Sie fragen, Herr Kollege Ollenhauer: Wie reimt sich das damit zusammen, daß Sie so oft Ihre Übereinstimmung mit dem Herrn Bundesaußenminister betont haben? Doch nicht mit seiner nicht vorhandenen Inaktivität?! Ich kann mir das nicht vorstellen. Wie reimt sich das damit zusammen, daß Sie wesentliche Punkte der Außenpolitik der Bundesregierung, und zwar gerade jene außenpolitischen Punkte, die Schwerpunkte 'der Außenpolitik des Bundeskanzlers waren, wie die Sicherheitspolitik und die Europapolitik, übernommen haben? Sie haben doch sicherlich in diesen Fragen keine Inaktiven übernommen. Die Pädagogen aller Fraktionen, die in diesem Saal versammelt sind, mögen mir verzeihen - und damit komme ich auf den „Schüler" zurück, Herr Kollege Erler; Sie haben mir das Stichwort gegeben -, daß ich in der Schule in Mathematik recht schlecht war und bei mancher
mathematischen Klassenarbeit abgeschrieben habe. Ich habe aber niemals bei einem Schüler abgeschrieben, der in Mathematik „inaktiv" war, sondern immer bei einem, der etwas auf diesem Gebiet wußte.
({17})
Ich glaube, daß auch Sie bei keinem Inaktiven abschreiben wollen.
Nun, Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben gesagt, die Regierungskoalition, die CDU/CSU und die FDP, trage die volle Verantwortung für die Regierungspolitik. Wir tragen diese Verantwortung, weil wir wissen, daß diese Regierung den nationalpolitischen Notwendigkeiten dieser Zeit dadurch gerecht wird, daß sie unbeirrt die Kontinuität der deutschen Politik sichert, daß sie eine illusionslose, vorurteilsfreie Politik betreibt, eine Politik, die den Aufbau Europas zu ihrer Aufgabe gemacht hat, die ein geeintes Europa mit den USA zu einer atlantischen Gemeinschaft verbunden sein läßt und die dadurch - davon sind wir fest überzeugt - dem Ziele der deutschen Wiedervereinigung dient.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den großen Linien ist der außenpolitische Teil der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers von den Sprechern der drei Fraktionen gestern schon behandelt worden. Herr von Brentano und Herr Mende haben vom Standpunkt der Fraktionen der Koalition aus positiv zur Regierungserklärung Stellung genommen, und der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Ollenhauer, hat die Meinung der Sozialdemokraten zum Ausdruck gebracht.
Nun hat Herr Majonica eben gesagt, daß die Rede Erich Ollenhauers weder der Sachlichkeit noch der Gemeinsamkeit gedient habe, daß aber die Parteien und Fraktionen, für die Sie hier sprechen, beides wollten. Es wird dann hoffentlich morgen in der „Kölnischen Rundschau" anders stehen, als es heute darin steht, daß man nämlich aus der Umarmung heraus müsse, daß das ganze Gerede von der Gemeinsamkeit usw. lediglich eine Erfindung etwa im Sinne jener Meinung sei, die ich gestern schon in einem anderen Zusammenhang apostrophieren mußte; denn es wird ja gesagt, daß die Gemeinsamkeitsparole nur zur Vernebelung diene. Ich weiß, daß der Nebel jetzt vielen zu schaffen macht, die hier leben und arbeiten müssen. Aber es ist eine erfreuliche Feststellung, daß Herr Majonica in diesem Punkte nun doch offenbar eine andere Meinung, die Meinung der CDU-Fraktion, vertritt, als es die um diese Debatte herum geführte Propaganda vorausgesagt und vorausgesehen hat. Im übrigen, wenn es um die Sachlichkeit geht: die Vorschläge Ollenhauers zur Methode der Behandlung der so schwierig gewordenen Fragen - wenn sie einmal außerhalb des jetzigen Morgennebels und auch außerhalb der Hitze dieser Gefechte angesehen werden - werden auch Sie beachten können, werden auch Sie, nehme ich sogar an, wenn nicht heute, so morgen, beachten müssen. Denn es waren Vorschläge, die der Kompliziertheit vieler Dinge im Bereich der deutschen Außenpolitik Rechnung trugen und die helfen wollen, mit diesen Kompliziertheiten fertig zu werden.
Hier ist noch einmal gesagt worden, worauf deutsche Außenpolitik hinauswolle und -müsse, - sicher unbestreitbare Feststellungen hinsichtlich des Strebens nach dem Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen, für das ganze deutsche Volk, ein Selbstbestimmungsrecht, das die Freiheit auch für unser Volk bedeutet. Es dürfte keinerlei Grund geben, hier Einschränkungen zu der Bemerkung zu machen, daß Berlin als lebendiger Bestandteil unseres Volkes gehalten, d.h. ja sicher - ich will das interpretieren; ich nehme an, auch im Sinne dessen, der es hier gesagt hat -, daß es nicht vom freien Teil Deutschlands getrennt werden soll und getrennt werden darf. Es ist ein Bestandteil dieses freien Volkes,
({0})
und das ist eben etwas, in dem wir übereinstimmen.
Meine Damen und Herren, wenn wir für diese Debatte nur auf die Regierungserklärung angewiesen wären, die der Herr Bundeskanzler vorgetragen und die er gestern noch einmal in einem Debattebeitrag verteidigt hat, dann machte es gewisse Schwierigkeiten, genau zu erkennen und genau festzustellen, welche die außenpolitischen Absichten der Bundesregierung - nicht im allgemeinen, sondern jetzt im Konkreteren - sind. Aber der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung eine ganze Reihe von Anhaltspunkten gegeben, die auch von uns ganz sachlich gewertet worden sind; das wird man bei erneutem Vergleich der Ausführungen des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion mit dem, was daraus gemacht werden soll, sehen können.
Nun haben wir heute einige Erläuterungen dazu gehört, z. B. hinsichtlich des gemeinsamen größeren Europas, und die Freude darüber, daß nun auch die SPD dafür sei. Ich will in dieser Frage nicht kleinlich sein. Nur: lesen Sie einmal die Protokolle nach! Vor mir sitzt der Herr von Brentano, der in dieser Frage einmal, damals noch im Europarat, für eine bestimmte Resolution, die dann hier eine Rolle gespielt hat - in sehr frühen Zeiten eine Rolle gespielt hat , gesprochen hat, wie auch ich dazu geredet habe. Ich habe mich dort unmißverständlich, und zwar im Namen der ganzen sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, gegen jede Trennung und gegen jedes Gegeneinanderstellen der Bemühungen um den europäischen Zusammenschluß, um die europäische Integration und um die deutsche Einheit gewehrt und habe gesagt: das kann man nicht, das darf man nicht gegeneinanderstellen.
({1})
Herr Majonica, ich will Ihnen hier nicht die Schau stehlen. Ich weiß, Sie sind in einer anderen Lage, als wir es sind. Ich habe z. B. in derselben „Kölni1752
schen Rundschau" - Sie haben eben gesagt, man müsse mehr lesen; ich bemühe mich auch! ({2})
gelesen, die besondere Lage der Christlich-Demokratischen Union sei gperägt von der Tatsache, daß die Kanzlerfrage sich geradezu lähmend auf die Partei- und Regierungspolitik auswirken könne,
({3})
und deshalb komme es nun darauf an, ein klares Führungs- und Leistungsprofil zu zeigen, auch in der Frage der Nachfolge usw. Ich will nicht in diesen Teil der Politik eintreten. Ich wollte nur zu verstehen geben: wir verstehen, daß Sie in einer anderen Lage sind. Sie müssen zeigen - und es ist gut, daß Sie es zeigen -, daß Sie einen vielversprechenden Nachwuchs haben; das ist in Ordnung.
({4})
Ich nehme den Faden wieder auf: Deswegen die sicherlich sehr schwierige Frage, ob es hier Differenzen gegeben hat. Es hat zwischen uns sehr viele Differenzen gegeben, die nie geleugnet worden sind und über die noch manches zu sagen wäre, wenn Sie es für gut hielten, über die Vergangenheit mehr zu diskutieren als über das, was morgen und übermorgen zu bewältigen sein wird. Ich habe den Eindruck - Herr Majonica, Sie müssen dazu nichts sagen -, daß Sie uns ein wenig z. B. mit Herrn Dehler verwechselt haben, daß Sie uns und einige andere von Ihrer jetzigen Koalition verwechselt haben. Das macht aber gar nichts.
({5})
Sie haben in einem Punkt ungefähr daneben getroffen, aber dicht neben das, was wirklich ist. Wahr ist, daß die Sozialdemokratische Partei und die Fraktion in einer Zeit der Entwicklung des europäischen Zusammenschlusses eine ganz schwierige Aufgabe zu erfüllen hatte, wobei ich außerhalb der Debatte lasse - ich würde da immer sagen, daß wir deswegen mit uns reden lassen -, daß sie dabei auch nicht völlig fehlerfrei gewesen ist. Welches war denn diese schwierige Aufgabe? Mancher von Ihnen wird sie sogar verstehen. Ich verlange gar keine Bestätigung von Ihnen.
Die Sozialdemokratische Partei, Herr Barzel, die in einer Zeit, in der sie noch im allgemein obrigkeitlich geprägten Gerede als die Partei der vaterlandslosen Gesellen bezeichnet worden ist, als erste Partei sich für die Vereinigten Staaten von Europa erklärt hat - nämlich in ihrem Heidelberger Programm von 1925 -, sah sich nach dem Kriege einer ganz eigentümlichen Lage gegenüber.
({6})
- Ich wollte gleich dazu kommen. Ich kann nicht so schnell denken wie Sie bzw. nicht so schnell sprechen, was ich denke. Es ist ein Unterschied in dem, was uns auf den Lebensweg mitgegeben worden ist. Ich bitte Sie, das zu entschuldigen.
Diese Partei sah sich also einer eigentümlichen Lage gegenüber. Viele von denen, die früher die Sozialdemokraten als vaterlandslose Gesellen bezeichnet hatten, waren plötzlich ganz besonders begeisterte und häufig sogar lyrische Europäer.
({7})
Dagegen grenzte sich die Sozialdemokratische Partei ab. Vielleicht hat sie es mitunter sogar in Verkennung wirklicher Änderungen auf der innenpolitischen Gegenseite getan. Ich bin der Überzeugung, daß es so ist. Ich habe meine eigenen Gedanken darüber auch schon wiederholt in meiner Partei zur Diskussion gestellt. Das mag hier nur angedeutet sein; aber so ist das. Der Krieg und die Erfahrungen mit zwei Diktaturen sollten allen einiges zu lernen gegeben haben; uns haben sie manches gegeben.
Vergessen Sie folgendes nicht, wenn Sie hier auftreten und davon sprechen, daß man Sand in die Räder der Entwicklung getan habe usw. Die SPD hatte die schwierige Aufgabe zu erfüllen, als die Opposition, die wir nun einmal waren - das war unser Schicksal, wenn man dieses große Wort, das so gern gebraucht wird, einmal darauf anwenden darf -, das äußerst Mögliche zu tun, damit dieser Start zur Vereinigung Europas - welches ein langer Prozeß sein wird - so wenig wie möglich - ich möchte vorsichtig sagen - deutscherseits belastet wird durch die ungleichen Startbedingungen, die bei uns vorhanden waren auf Grund unserer Rolle als besetztes Land mit noch sehr harten und tiefgreifenden Besatzungsbestimmungen. Das mag verschieden gewertet werden. Wir haben das jedenfalls damals als unsere Aufgabe betrachtet. Wir wollten die Startmöglichkeiten für die Deutschen und für das neue Europa mit den Deutschen soweit wie möglich - soweit es an uns, der Opposition, lag - verbessern. Das war sogar eine gewisse Hilfe für die Regierung, wenn sie es wollte. Aber wir hatten immer andere Verhältnisse.
({8})
- Sie lachen. Nehmen Sie einmal den Ratschlag Ihres Freundes Majonica an und lesen Sie unvoreingenommen, was heute und in den nächsten Tagen in der englischen Presse zu dem, was gestern hier über England und Europa gesagt worden ist, geschrieben werden wird, wie dort Opposition und Regierung, wie dort Gegner des Eintritts Großbritanniens in die EWG und Befürworter die Sache auszunützen versuchen werden, - ich nehme an: zum besten.
Hier wurde gestern oder seit einigen Tagen das Wort von den Interessen Großbritanniens bei dieser Eingliederung ganz groß geschrieben. Vielleicht kann man daraus sogar einiges lernen, wenn man so klug ist, wie natürlich Sie es in dieser Frage sind.
Ich möchte festhalten, daß die sozialdemokratische Fraktion zu keiner Zeit hier die europäische Zusammenarbeit, das europäische Zusammenwachsen und. die europäische Integration in einen Gegensatz zu den Notwendigkeiten der Politik, des Ringens um die Wiedervereinigung gestellt hat und daß sie solchen Gedanken entgegengetreten ist.
({9})
- Sie können es ja lesen! Ich werde hier nicht meine alten Reden zitieren, auch nicht die meiner Freunde Carlo Schmid und anderer. - Das ist eine Tatsache. Kollegen von Ihnen, die in dieser Debatte des Europarats selber gewesen sind, würden das, wenn sie Lust dazu verspürten, hier nur bestätigen können. Das ist der Sachverhalt.
Im übrigen, meine Damen und Herren - ({10})
- Ich will die Saarfrage nicht wieder aufreißen; sie hat damals ziemliche Wunden gerissen.
Es ist doch so, daß ich noch gestern in den Ausführungen eines der von mir schon apostrophierten Herren Redner der Koalition, die zum außenpolitischen Teil der Regierungserklärung Stellung genommen haben, vorsichtige Abstriche in bezug auf die Dosierung der Integration gehört habe, oder habe ich mich da verhört, Herr Mende, als Sie von nicht zuviel oder von einer gewissen Integration sprachen? Das geht nach unserer Meinung ja nicht. Dieser Prozeß, der begonnen hat, kann weder dadurch, daß man Sand ins Getriebe wirft - was Sie uns vorwerfen, was wir aber nicht tun und was wir gar nicht im Sinne haben -, noch durch ein Herummachen an den Gewichten der Integration verhindert oder verändert werden.
Hier ist heute morgen die Rolle des Bundeskanzlers bei der deutsch-französischen Verständigung gewürdigt worden. Es gibt doch gar keinen Streit in ) dieser Frage. Ich möchte nur auf das eingehen, was hier heute morgen Herr Majonica gesagt hat. Er wollte uns nämlich allen in Erinnerung rufen, daß auf deutscher Seite der Bundeskanzler der Baumeister gewesen sei. Er hat „gewesen" gesagt!
({11})
- Das ist ja ganz klar. Wir wollen und möchten nichts anderes, als daß weitergebaut wird. Das ist der Gedanke, und das ist vielleicht auch ein Unterschied zwischen Ihnen und uns: daß weitergebaut wird, weil weitergebaut werden muß und auch weitergebaut werden kann. Aber das ist ein entscheidendes Kapitel der deutschen Politik!
Ich habe vorhin gesagt: Wären wir nur auf die Regierungserklärung angewiesen gewesen, dann hätte es zwar Anhaltspunkte, aber doch auch einige Schwierigkeiten beim Herausfinden der klaren Linie gegeben. Wir haben aber außerdem eine Art Ergänzung dieser Regierungserklärung - wenn ich das so sagen darf, ohne dabei Schwierigkeiten innerhalb des Kabinetts oder innerhalb der Koalition hervorzurufen -, nämlich jenen Vortrag, den der Herr Bundesminister des Auswärtigen in Wiesbaden gehalten hat und der im Bulletin am 9. Oktober unter dem Titel „Grundlinien der deutschen Außenpolitik" - nicht „Richtlinien", sondern „Grundlinien der deutschen Außenpolitik" - abgedruckt worden ist, Darin wurde ungefähr skizziert, womit man in dieser Zeit bei der Regierung zu rechnen hat.
Der Bundeskanzler hat hier gestern auf einige Fragen, die wir gestellt hatten, eine Antwort gegeben, nach der die Interessen unserer Wirtschaft unbedingt gewahrt werden müssen. Dabei spielten verschiedene aktuelle Fragen der EWG, z. B. auch die Stimmengewichtung, die noch nicht geregelt sei, eine Rolle. Ganz klar, das ist in der Ordnung, wenn der Bundeskanzler die Interessen der deutschen Wirtschaft gewahrt sehen will und das Seine dazu tut. Aber ich möchte nur sagen: das widerspricht ja auch nicht dem Wesen und dem Ziel des Gemeinsamen Markts der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Wenn wir in diesem Punkt auf so große Klarheit wie möglich drängen, so ist der Grund, daß es dem nicht widerspricht. Deswegen sollte man es, finden wir, auch nicht so machen, wie wir es plötzlich in dem Brief des Bundeskanzlers an den Hamburger Bürgermeister gefunden haben: die deutschen Wirtschaftsinteressen - da 'werden drei aufgezählt: der Steinkohlenbergbau, die Landwirtschaft. und die Textilwirtschaft; sicher ganz beachtliche und so, wie die Dinge laufen, auch verwundbare Bereiche -, die deutschen Wirtschaftsinteressen also müßten v o r , hat er gesagt, die Interessen der EWG gestellt werden, d. h. man müsse sie vor ihnen wahren. Das ist sicher ein sehr unglückliches Wort.
Wenn wir in diesem Punkte klarsehen: daß man alle diese Interessen dem Wesen und dem Ziel der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entsprechend, im Zusammenwirken mit ihr, lösen kann, dann befinden wir uns in Übereinstimmung in einer der entscheidenden Fragen, von denen auch ich meine, sie gehören zu den Grundlagen der deutschen Außenpolitik. Denn bei aller Bedeutung dieser unserer Interessen ist es doch wohl so, daß das weitere Fortschreiten der europäischen Vereinigung die Lebensfrage für die Konsolidierung des Westens ist.
Es ist gestern mit Recht darauf hingewiesen und auch heute noch einmal apostrophiert worden, welch interessante Beurteilung in letzter Zeit - dazu gibt es eine ganze Reihe von Ursachen, die also jene Seite ziemlich bewegt haben - im Osten von sehr, wenn man so sagen darf, kompetenter Seite dieser Entwicklung des europäischen Zusammenschlusses gewidmet worden ist und gewidmet wird. Aber ich möchte da ein wenig Wasser in den Wein gießen. Denn - Sie wissen es wahrscheinlich auch, aber ich spreche es eben aus - zu den Geschenken, die die Strategen des psychologischen Krieges des Ostens in dieser Periode bekommen haben und leider immer noch ausnützen können, gehört, daß sie herumreiten können auf der Uneinigkeit des Westens, auf dem Hickhack in der Frage der Aufnahme Großbritanniens in die Europäische Wirtschaftgemeinschaft. Das können ja auch Sie lesen. Das ist ein kostenloses Geschenk für die östliche Seite, das ihr bei ihren eigenen inneren Wirtschaftsschwierigkeiten, über die ich mich hier nicht verbreiten will - sie sind sehr interessant, weil sie nach soundsoviel Jahrzehnten sogar im eigenen innerrussischen Bereich so fühlbar geworden sind -, besonders willkommen ist. Denn in dieser Situation kann sie für ihre psychologische Kriegsführung diese tiefe Interessenspaltung ausnutzen, von der ich meine,
sie könnte auf das unvermeidliche Minimum herabgesetzt werden, wenn alle Beteiligten sich redlich darum bemühten.
({12})
Daß bei uns in Deutschland dazu besonderes Bedürfnis besteht und daß wir in dieser Richtung unseren Beitrag leisten müssen, dürfte nicht 'strittig sein.
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten zu Guttenberg?
bitte!
Herr Kollege Wehner, sind Sie nicht der Meinung, daß Herr Kollege Ollenhauer gestern einen Beitrag zu jenem Geschenk an den Osten geliefert hat, als er dem Herrn Bundeskanzler vorwarf, nicht für den Beitritt Englands, mindestens nicht so sehr für den Beitritt Englands zu sein, wie Sie es sind?
Auf diese Frage kann ich Ihnen nur erwidern, daß ich diese unfaire Fragestellung bei einem Mann von Ihrer Intellegenz zurückweise und nicht beantworte. Denn Sie können nicht den Führer der Opposition eines solchen Beitrags bezichtigen, während ich mich mit der Lage befasse und, ohne daß ich jemanden apostrophiere, sage, woraus die Strategen des Ostens Gewinn ziehen.
({0})
- Ich weiß, was Sie brauchen. Das steht ja in den Leitartikeln Ihrer Blätter und ist Inhalt Ihrer inneren Sprachregelungen, Ihrer inneren Analysen. Ich weiß aber auch, daß es für uns eine Ehrensache ist, daß Sie uns nicht fortgesetzt unsere Reputation schädigen. Das kommt nicht in Frage!
({1})
- Sie werden sich schon noch klären, dann können wir ja weiter reden.
Der Bundeskanzler hat außerdem in seinen Bemerkungen zu der Rede Ollenhauers gestern von der Gewichtung gesprochen, die ich hier schon erwähnt habe. Das ist sicher ein wichtiges Problem, das eine Rolle spielt bei den Diskussionen, die es auch um den Beitritt Großbritanniens gibt, und bei den Argumenten auch der Gegner des Beitritts Großbritanniens in Großbritannien selbst. Die Frage: wie würde denn dann die Stimmengewichtung sein?, spielt eine ganz erhebliche Rolle. Sie spielt diese Rolle wohl überhaupt. Allerdings meine ich, meine Damen und Herren, wir haben doch allerlei Ursache, deutlich zu machen, daß es ein falscher Verdacht ist, wenn zum Beispiel unsere kleineren Partner in der Europäischen Gemeinschaft meinen - und manches spricht ja dafür, und mancher weiß auch, daß es ausgesprochen wird, daß es so ist -, es gäbe so eine Art deutsch-französisches Übergewicht oder es werde angestrebt, es dabei zu halten, wie es jetzt ist. Weder in den Grundsätzen der Wirtschaftsgemeinschaft noch in den Erklärungen der Bundesregierung zur europäischen Vereinigung gibt es etwas, das Handhabe böte, diesen Verdacht eines hegemonialen Strebens zu rechtfertigen.
Wirklich beseitigt und ausgeräumt würde der Verdacht aber erst, wenn das vorläge, was wir gestern auf unsere Frage hören wollten, auf die ja der Herr Bundeskanzler, wenn ich ihn nicht falsch verstanden habe, auch positiv geantwortet hat, was ich dankbar verzeichne: daß wir auch interessiert sind an einer Termingestaltung - man kann zwar nicht einfach einen Fahrplan festlegen -, durch die dieser schmerzliche Prozeß, in dem es so vieles gibt, was sicher am schlechtesten mit dem Ausdruck „Feilschen" bezeichnet wird - wenn auch dieser Ausdruck in den einzelnen Sprachen eine verschiedene Bedeutung haben mag -, abgekürzt und der Beitritt eben möglich gemacht wird. Es hängt an ihm eine ganze Reihe anderer Probleme.
Unserer Meinung nach ist die Vereinigung Europas und die Partnerschaft des in der Vereinigung befindlichen Europas mit den Vereinigten Staaten von Amerika Politik nach vorn, ja ich möchte sagen: das ist die Politik nach vorn, das ist die Überwindung von Kriegsfolgen, die noch nicht überwunden sind, und auch von Ursachen für Kriege, die entstehen könnten, und das wird auch sein die Überwindung von Mauern nicht nur zwischen den Völkern und Staaten, sondern das wird vielleicht auch entscheidend beitragen zur Überwindung der Mauer, die uns hier in Deutschland trennt, die Berlin so besonders schmerzlich drückt.
Aus diesem Grunde findet unsere Meinung über die Grundlagen der Politik in allen wesentlichen Punkten hinsichtlich des Prozesses des europäischen Zusammenwachsens Berührungspunkte und Übereinstimmungen mit den Ausführungen, wie sie im „Bulletin" unter dem Titel „Grundlinien der deutschen Außenpolitik" vom Bundesminister des Auswärtigen wiedergegeben worden sind. Wir sind der Meinung, daß das für die Lösung auch der schwierigen Probleme des Ost-West-Konfliktes und für das Realisieren von Abrüstungsmöglichkeiten erforderlich ist, über die ja zur Zeit unter dem Druck der eigentümlichen Entwicklung in Genf wenig gesagt werden kann. Wir würden es Ihnen gar nicht zum Vorwurf machen, daß in der Regierungserklärung wie auch in den Ausführungen des Bundesaußenministers so wenig darüber gesagt wird. Entscheidende Veränderungen dieser Situationen wird wahrscheinlich der Tatbestand des wirklichen Zusammenwachsens der europäischen Staaten und der Entwicklung der europäischen Gemeinschaft bringen. Das ist nicht nur einfach eine gegenseitige Freundschaftserklärung von Staat zu Staat, sondern das Spezifische dieser Gemeinschaft ist, daß sie eben nicht nur eine Handelsgemeinschaft und nicht einfach nur ein multilaterales Abkommen über die Verminderung der Zölle ist, sondern daß sie eine Gemeinschaft ist, die schließlich zu einem übereinstimmenden politischen Handeln führen wird, wozu ja genug und Ausführliches gesagt worden ist. Erst wenn dem Osten klar sein wird, daß der Westen nicht mehr
auseinanderdividiert werden kann, wird er sich darauf einstellen. Das ist, werden Sie sagen, eine Binsenwahrheit, und Sie werden sagen, das hätten Sie von Anfang an gesagt und wir hätten es erst. zu spät begriffen. Bleiben wir erst einmal bei der „Binsenwahrheit"! Über die Frage, wie es dazu gekommen ist, kann dann immer noch geredet werden. Solange aber der Osten glauben kann - und zur Zeit ist das leider der Fall -, er könne den Westen auseinanderbringen, sondern, dividieren, so lange wird er sich nicht auf diese Realität des in der Vereinigung befindlichen Europas einstellen.
Nun hat Herr Majonica heute morgen hier gesagt, es sei uns besonders anzurechnen, daß wir hier Zweifel in die Treue zu einem Bündnis, das doch gegen den erbitterten Widerstand der SPD von ihnen geschaffen worden sei, zu säen versucht hätten. Da wäre es vielleicht ganz gut, noch einmal auf das zurückzukommen, was ich hier nach dem Scheitern der Gipfelkonferenz von Paris am 30. Juni 1960 gesagt habe. Haben Sie keine Angst, ich zitiere es jetzt hier nicht; aber das werden Sie ja sicher auch noch einmal prüfen, ob Sie da einen Haken finden, der gegen uns verwendet werden kann. Ich werde froh sein, Sie werden da keinen finden.
Worum es bei den Auseinandersetzungen über das Bündnis und die Bündnisverpflichtungen immer ging, das war, abgesehen von dem, was andere aus der Politik der SPD zu machen versucht haben, darunter auch solche, das ist zuzugeben, die der Meinung sind, sie könnten da die SPD in eine bestimmte Richtung drängen, in die Richtung des „Ohne mich" oder in eine ähnliche Richtung, - ({2})
- Haben Sie wieder mal ein Bonbon am frühen Morgen bekommen, dachten Sie? Sie werden finden
- und das wird dem Sachverhalt auch ungeachtet aller Schwierigkeiten auf diesem Wege wohl entsprechen, wenn ich es so sage -, daß es bei diesen Auseinandersetzungen in Wirklichkeit um die Rangordnung von Wiedervereinigungsverhandlungen und den unvermeidlichen militärischen Maßnahmen gegangen ist, die als solche von den Sozialdemokraten nie in Zweifel gesetzt worden sind.
({3})
- Ja, sicher! Es hat ja sogar umgekehrt angefangen
- wenn Sie sich schon für Geschichte interessieren -, daß Schumacher dem Bundeskanzler vorgeworfen hat, daß er in dieser Beziehung, wenn es so sei,, wie es damals in Verfolg der Korea-Krise erklärt wurde, ganz andere Forderungen zu stellen hätte hinsichtlich der Bereitschaft des Westens, Deutschland zu einem Bestandteil seines gesamten Verteidigungssystems zu machen. Er hat sich gegen ein Angebot von deutscher Seite zur Unzeit gewandt; er hat sich dagegen gewandt, daß wir es, wenn die Situation so sei, wie sie damals geschildert worden ist, gewissermaßen mit einer „kleinen Lösung" versuchen. Aber es ging um das wirkliche Verteidigen, um das Beim-Wort-Nehmen derjenigen, die von einer Krise sprachen, die zu einem Krieg führen konnte. In dieser Beziehung waren die
Sozialdemokraten für die Verteidigung und nicht gegen die Verteidigung.
({4})
Das ist also bei allem, was uns sonst getrennt hat
({5})
- Sicher, natürlich! Die Sozialdemokraten waren noch nie eine Partei gegen die Verteidigung.
({6}) - Ihre Reaktion - ({7})
- Sie meinen die EVG? Da hat es ja auch andere gegeben, auf die Sie heute nicht schimpfen würden, die damals gegen diese Form gewesen sind. Es ist eine historische Streitfrage, die einmal interessant sein wird, was daran vielleicht besser war oder was so schlecht war, wie es die Sozialdemokraten damals gemeint haben. Nur diesen Komplex müssen Sie loswerden - wir wollen Ihnen gerne dabei helfen -, als hätten Sie es bei den Sozialdemokraten mit einer Partei zu tun, die gegen die Landesverteidigung, gegen die gemeinsame Verteidigung des Westens sei oder gewesen sei.
({8})
Ich weiß, wie schwer das ist, wenn man sich von Gallensteinen trennen muß in einem Prozeß. Hinterher ist man erleichtert.
({9})
Ich glaube, daß es in der Frage des Zusammenschlusses Europas und wahrscheinlich auch hinsichtlich des, wenn auch verspäteten, Aufgreifens jenes großen Angebotes des amerikanischen Präsidenten vom 4. Juli - Partnerschaft in weitester Beziehung
- Übereinstimmung geben kann und auch geben muß, wenn wir weiterkommen wollen.
Aber noch zu einem anderen Komplex, der bei dieser Debatte seine Rolle spielt: die Sache mit den Initiativen „um der Geschäftigkeit willen", - wobei die einen sagen, damit meinten sie nur bestimmte, während andere sagen, damit seien wohl alle gemeint. Ich muß sagen, der Bundesminister des Auswärtigen - ich bringe Iden also damit in die Schußlinie - hat in seinen Ausführungen erklärt - und es ist auch gedruckt worden, ohne dem Korrektorstift zum Opfer zu fallen -, daß Phantasie und Initiative Teil eines sorgfältig durchdachten Plans sein müssen, daß sie aber nicht Ungeduld und Nervosität zur Ursache haben dürfen. Da gibt es also schon eine gewisse Unterscheidung, und die wird ja wahrscheinlich auch gemeint gewesen sein in der Regierungserklärung. Vielleicht ist das durch Streichungen so mißverständlich geworden.
({10})
Ich möchte nur noch einen kleinen Beitrag dazu geben. Ich bin einverstanden: Geduld und Nervosität sind schlechte Quellen. Aber eine andere gibt es
auch noch - überlegen Sie sich die auch einmal -: Routine, die bloße Routine.
({11})
Die liegt ja so in der Eigenart von Ämtern, und die sollte man auch mit auf diesen Katalog des Verdammenswerten setzen. Kürzlich fragte mich ein Mann, der mir nicht wohl will - er ist einer der hervorragenden Herausgeber einer der hervorragendsten Zeitschriften für Außenpolitik, in der kürzlich eine ganze Elite in ein und derselben Nummer mit Artikeln zur Geltung kam -: Wie ist es nun? Wie stellen Sie sich zu den Initiativen? Ich sagte: Ich persönlich halte es für Unfug, fortgesetzt von Initiativen zu reden. Ich meine, worauf es ankommt, ist, daß wir mit dem Tatbestand, den wir nach schmerzlichen Kämpfen und nach vielen Dingen, die sich inzwischen als andere Art von Realität eingestellt haben, glücklicherweise nun haben, wuchern, mit dem Tatbestand nämlich, daß es in den entscheidenden Grundelementen und Grundfragen der deutschen Außenpolitik keine unüberwindlichen Gegensätze gibt. Ich meine, wenn das so ist - und heute morgen sind einige Fragen aufgezählt worden, in denen es keine Gegensätze gibt -, dann müßten Sie, meine Damen und Herren, z. B. den Vorschlag von Ollenhauer vom gestrigen Tag einmal in aller Ruhe - ein Wochenende kann dazwischen sein - aufmerksamer daraufhin betrachten, ob es nicht etwas für sich hätte, wenn man z. B. Regierung, Berliner Senat und die drei Fraktionsvorsitzenden über bestimmte Dinge beraten ließe, über Dinge, die z. B. noch gar nicht einmal ausschußreif sind - die gibt es doch auch -, die aber so sind, daß man sich beraten muß. Es wird wohl solche geben. Ich fürchte, es wird in den nächsten Monaten eine ganze Reihe solcher Fragen geben. Sollte man das nicht auf der Basis der Erkenntnis: es gibt keine unüberwindlichen Gegensätze in den Grundfragen der deutschen Außenpolitik, versuchen können? Das wäre ein - ich weiß, das Wort mögen Sie nicht - Experiment, das man machen könnte, ohne daß man dabei unbedingt hereinfallen müßte.
({12})
So schlimm ist das gar nicht mit den Vorschlägen.
Im übrigen weiß ich nie genau - ich kann mir das auch nicht einmal verkneifen, diesen kleinen Genuß müssen Sie mir erlauben -, gegen wen das alles geht. Da haben wir eine Bestandsaufnahme - Entschuldigung, nicht die, die ich damals gefordert habe; das Wort hat Ihnen ja allen mißfallen; Sie haben gesagt, das klinge Ihnen zu kaufmännisch; das gebe ich zu ({13})
am Vorabend des Bundesparteitages 1962 der Freien Demokratischen Partei. Wir haben gestern in der Rede des Vorsitzenden dieser Freien Demokratischen Partei eine gewisse Andeutung davon bekommen. Die Worte sind tatsächlich erwähnt worden. Nur das, was Sie, Herr Majonica, heute morgen so erbittert aufs Korn nahmen, die Sache mit Friedensverhandlungen, ist ja nun das, von dem in dieser Bestandsaufnahme gesagt worden ist, es sei
die Kernbestimmung des Koalitionsabkommens. - Das sind nicht meine Worte.
({14})
Ich will gern sagen - heute geistert ja das Wort „Burgfrieden" immer so herum; ein dummes Wort, ein wirklich nicht sehr gekonntes Wort -, an diesem Punkt würde ich sagen: halten wir also einmal still, bis Sie das mit dem Koalitionspartner geklärt haben. Es ist nämlich auch für uns peinlich, wenn wir das Gefühl haben: den Sack - uns - schlägt man und den Esel meint man.
({15})
Ich weiß, was ich mir da zuziehen werde, wenn ich jetzt noch in die Tüte greife und den Freiherrn zu Guttenberg zitiere. Ich bin mir dessen voll bewußt. In seinem kürzlich veröffentlichten Artikel „Berlin - Tragödie und Krisenherd" hat er gesagt, es genüge nicht, daß sich der Westen darauf beschränke zu reagieren. Nun, ich folge ihm wörtlich: der Westen muß eigene Offensive und Dynamik entwickeln. Man kann nämlich Berlin nicht halten, wenn man es nur halten will. Wenn w i r das Wort „Dynamik" in den Mund genommen hätten, wäre das natürlich ganz anders, zweideutig empfunden worden, so als wollten wir damit etwas gegen Unbeweglichkeit sagen, als wollten wir damit etwas gegen zu große Einfallslosigkeit sagen.
({16}) Das aber ist hier ja -
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Freiherrn zu Guttenberg?
Bitte.
Mit Hinblick auf die Vergangenheit Ihrer Partei, von der Sie vorhin gesprochen haben: Sind Sie nicht der Auffassung, daß es Dynamik nach verschiedenen Richtungen gibt?
Natürlich bin ich dieser Auffassung. Es wäre ja auch ganz dumm, wenn ich sozusagen blind wäre und nicht verschiedene Richtungen erkennen könnte, und daß es Dynamik nach verschiedenen Richtungen gibt, - - aber Sie werden dann ja erklären, daß Sie damit eine bestimmte Richtung nicht meinen, die auch in Ihrer Koalition sitzt. Das ist jedoch nicht meine Sache, sondern Ihre Sache.
({0})
Das ist mir klar. Das ist es eben, was unsere Lage nicht einfacher macht. Wir sind ohne das Koalitionspapier. Wir haben es nie gesehen. Bei Ihnen gibt es welche, die sagen, sie hätten es auch nicht gesehen. Andere wieder wollten es gar nicht einmal sehen.
({1})
Wieder andere sagen, das sei das Kernstück, dieses Koalitionspapier, die Sache mit den Friedensverhandlungen. Wenn gestern mein Freund Ollenhauer gesagt hat, jetzt mache er diesen Vorschlag nicht,
und das heute freudig begrüßt worden ist, so ist das eine Erleichterung für Sie, aber doch nicht für Ihren Koalitionspartner, der das für ein Kernstück der Abmachungen hält. Also da sitzen Sie in der Bredouille und nicht wir.
Im übrigen: wie ist es damals gewesen? Vor gut einem Jahr hat Willy Brandt in einer Rede in Dortmund - es war der 8. September; wer das hört, weiß sofort: es war noch kurz vor den Wahlen, aber leider nach der schrecklichen Mauer - diese Fragen so erörtert: Wenn eine Regierung unter sozialdemokratischer Führung gebildet werden würde - was ja nicht zustande gekommen ist - ({2})
- Sie sagen „Gott sei Dank" ; nun gut, kommt es das nächste Mal, dann kommt es viel schlimmer, als wenn es diesmal so gekommen wäre.
({3})
- Für Sie! Doch nicht für die, die reinkommen, sondern für die, die etwas abgeben müssen.
({4}) Willy Brandt kündigte damals an:
Im engsten Einvernehmen mit unseren westlichen Verbündeten werden wir die Grundsätze eines Friedensvertrages für ganz Deutschland ausarbeiten, der dazu beitragen soll, daß der Westen wieder das Gesetz des politischen und diplomatischen Handelns in seine Hände bekommt. Diese Grundsätze eines Friedensvertrages können später die westliche Verhandlungsgrundlage bei einer allgemeinen Friedenskonferenz bilden.
Damals gab es noch eine Äußerung des amerikanischen Präsidenten vom Juli, die sich inzwischen nicht wiederholt hat, daß man nämlich, wenn der andere drüben fortgesetzt mit einer großen Konferenz der Kriegsgegner drohen zu können glaube, ja einmal sagen könne: Wenn du sie machst, dann werden sich dort auch alle diejenigen melden, die für einen Friedensvertrag mit ,Deutschland und nicht für ein Teilungsdiktat gegen Deutschland sind. - Nun, ist das vielleicht schlecht? Das ist doch eine Sache, über die man reden kann. Im Moment kann man darüber wieder nicht reden; aber setzen wir einmal den Fall, wir stünden vor einer solchen Lage. Dann müßten wir uns ja verständigen und dürften uns nicht einfach nur für gebunden halten. Es gibt ja auch in Ihren Reihen den einen oder anderen Vorschlag, in dieser Richtung sich etwas weniger Schwierigkeiten zu machen, z. B. hinsichtlich der Möglichkeit, mit den Westmächten zusammen Grundlagen oder Grundüberlegungen - das können ja keine Grundlagen sein, also Grundüberlegungen
- für einen Friedensvertrag und auch die Prozedur anzustellen.
Wir sind in einer schwierigeren Lage als Sie - lassen Sie uns doch offen miteinander reden -: wir kennen nicht jene Punkte, die z. B. Herr von Brentano noch aus seiner Außenministerzeit und auch mancher von 'Ihnen wahrscheinlich kennt, weil er damals für würdig befunden wurde, informiert zu werden; wir nicht, natürlich, aber das schadet ja nicht. Da gab es also Punkte, von denen uns der damalige Außenminister gesagt hat, sie würden in der letzten Phase der Konferenz noch eine Rolle spielen. Wir hatten gedacht: Das wird ganz gut sein.
- Die Konferenz ist damals ja an einem anderen Punkt auseinandergegangen, als man in Verhandlungen über Berlin kam. Sie wissen das alle. Aber die Punkte sind nie auf den Tisch gelegt worden. Wir haben sie auch nie gesehen. Vielleicht ist das für Sie, die Sie die Punkte kennen, weniger ein Problem als für uns, die wir sie nicht kennen und wissen müssen: Wenn es soweit ist, holen Sie die Punkte heraus, und dann werden alle staunen - kann ja sein, daß es so ist -, ich würde Sie beneiden, und ich würde zufrieden sein, wenn wir dann auch mitstaunen könnten. Nur, diejenigen, die die Punkte nicht kennen - und das sind wir; wir sind in dieser Beziehung also etwas unterernährt -, wir machen uns auch gern unsere Gedanken, was man machen könnte, wenn man in solch eine Lage kommt. Das ist - nicht mehr, aber auch nicht weniger -, was wir dazu angebracht haben.
Diese Darlegungen, Herr Majonica, ,ob man die Russen überstimmen oder nicht überstimmen kann, fortgesetzt zu wiederholen, lohnt sich doch nicht. Solche Dinge habe ich schon so oft gelesen und .gehört. Die sind auch einfach nicht aus der Welt zu schaffen. Nur kann das allein doch selbstverständlich nicht unsere Haltung zu der Feststellung bestimmen, daß wir Ursache haben und auch Gelegenheit nehmen müssen, in der ganzen Welt bei allen befreundeten Regierungen, auch bei solchen, die wir nicht zu den befreundeten rechnen dürfen, sondern die sich als neutral in dem Sinne bezeichnen, daß sie nicht in den sogenannten Ost-West-Konflikt hineingezogen werden wollen, nicht Partei ergreifen wollen, deutlich zu machen: Die Bundesrepublik Deutschland will eine Friedensregelung, sie will einen Friedensvertrag; darin ist sie sich einig. Aber was sie nicht will, ist ein Teilungsdiktat.
({5})
Das, was der andere will, ist ein Teilungsdiktat. - Bitte, das ist doch eine Grundlage, wenn wir uns da einig werden.
({6})
- Sicher, da brauchen wir gar keinen Unterschied zu machen. Mir kommt es hier auf die berühmte Flexibilität an, wie man sich in den Stürmen verhalten wird, um dazu zu kommen, daß auch die anderen wissen, daß wir so sind, wie wir selber meinen, daß wir sind, und nicht anders.
Ich brauche Ihnen ja nicht vorzulesen, was in der letzten Woche wieder an Scheußlichkeiten über die angeblichen Absichten der Bundesregierung und der ganzen Bundesrepublik in den offiziellen sowjetischen Zeitschriften und Zeitungen aller Sprachen veröffentlicht worden ist, tolle Sachen. Das ist einfach für die Leute in den entfernten Erdteilen und in anderen Ländern. Es ist aber gar nicht so weit entfernt, wo das schon anfängt zu wirken. Das
ist so, als ob hier sozusagen Hitler redivivus sei. Das ist eine unglaubliche Art, in der man die Bundesrepublik in solch einen Giftnebel einhüllen und damit isolieren zu können glaubt. Es bedarf doch einer Anstrengung, die wir gemeinsam machen müssen, um das wegzukriegen. Das können Sie doch nicht bestreiten!
({7})
Ich habe auch bei aller Bitterkeit, die hier aufgekommen ist, den Eindruck, daß es - jedenfalls in bezug auf das, was da, wenn nicht heute, so übermorgen, von uns endlich gemacht werden muß - drei Sätze in der Regierungserklärung gibt, die von uns aufgegriffen und umgekehrt auch zu entsprechenden Fragen an die Regierung positiv verwendet werden können. Ich meine die Sätze:
Die kommunistische Berlin- und Deutschland-Politik basiert auf der Hoffnung, daß die Deutschen infolge der ständigen Bedrohungen eines Tages resignieren.
Das ist sicher so.
Wir haben dafür zu sorgen,
- erklärt der Bundeskanzler weiter in seiner Regierungserklärung daß sich diese Hoffnung nicht erfüllt.
Das ist genau das, was wir tatsächlich vor allem zu tun haben. - Dann wird gesagt:
Hierin erblickt die Bundesregierung ihren wichtigsten Auftrag, und sie rechnet dabei fest auf Ihre Unterstützung.
Damit sind die Abgeordneten, ist der Bundestag gemeint. Wenn wir damit einverstanden sind und wenn wir die Leute sind, mit deren Unterstützung die Bundesregierung rechnet, müssen wir auch - und wollen wir auch - die Regierung, was wir auch sonst von ihr denken, in diesem Punkte unterstützen, wenn sie das als ihren wichtigsten Auftrag bezeichnet. - Nun, da bitte ich Sie noch einmal: sehen Sie sich die Vorschläge meines Freundes Erich Ollenhauer zur Methode an, und Sie werden finden: das gibt einige - nicht Notausgangstüren für unsere Lage, sondern das gibt einige Türen, wo man zu gewissen Beratungen über Schritte kommen kann auf der vorhandenen Basis; und das wäre schon der Mühe wert, das zu versuchen.
Der Bundeskanzler hat erklärt, und das hat inzwischen auch seine Wellen geschlagen, die Leute schreiben darüber und reden darüber - „Was ist gemeint? So oder so?"; überwiegend sagt man, es sei ganz positiv zu werten -, und zwar, wie er sagt, erneut erklärt, daß die Bundesregierung bereit sei, über vieles mit sich reden zu lassen, wenn unsere Brüder in der Zone ihr Leben so einrichten könnten, wie sie es wollen; menschliche Überlegungen spielten hier für uns eine noch größere Rolle als nationale. Ich habe schon ehrenwerte Kollegen gehört, die hinsichtlich der Wortwahl bestimmte Skepsis ausdrückten; aber ich nehme das alles in allem und sage: was damit gemeint ist, das wird wohl jeder versuchen zu unterstützen.
Der Bundeskanzler hat einige Zeit vorher in der vorhin von mir genannten berühmten Zeitschrift „Foreign Affairs" geschrieben:
Das Berlin-Problem ist, wie das Deutschland-Problem überhaupt, letztlich eine menschliche Frage. Deshalb liegt hier auch der Ansatzpunkt für eine Lösung. Wenn unseren Landsleuten in der sowjetisch besetzten Zone ein menschenwürdiges Dasein, wenigstens ein gewisses Maß an Freiheit und Selbstbestimmung gewährt wird, werden wir über vieles mit uns reden lassen können.
Ich weiß es nicht, und es steht mir nicht an, jetzt hier den Bundeskanzler zu fragen, worüber er dann mit sich reden lassen wolle; das wäre unziemlich. Nur muß ich andererseits sagen: wenn der Bundeskanzler es für richtig hält und für wahrscheinlich auch nützlich hält, jetzt schon zu wiederholten Malen öffentlich erkennen zu lassen, daß wir „über vieles mit uns reden lassen würden, wenn ... ", dann wird er ja wohl auch die Konsequenz bedacht haben, daß andere fragen: „Ja, worüber wird er denn wohl mit sich reden lassen?"; und dann wird er wohl auch die andere Konsequenz bedacht haben oder, wenn nicht, noch bedenken, daß dann diejenigen, an deren Adresse das vielleicht gerichtet ist, nämlich die im Osten, die unsere Landsleute in der Gewalt haben, ihrerseits wissen möchten, worüber er oder wir mit uns reden lassen würden. Wenn man das sehr lange macht, kann das, was darin an Positivem liegt, leicht in ein beinahe Gegenteil umschlagen. Ich sage nicht, daß man es nicht machen soll; ich meine nur, man muß sich auch der Konsequenzen bewußt sein, die sich daraus ergeben: „Was ist dann, und was kann damit gemeint sein?" Ich meine das durchaus positiv.
Daß wir nicht an der Forderung: „Selbstbestimmung für alle Deutschen" rütteln lassen wollen und können, weil das die Selbstaufgabe wäre, und daß es in Wirklichkeit unser Beitrag zur Erringung der Freiheit derer, die in der Unfreiheit leben müssen, ist, daß wir sagen: „Deutschland wiedervereinigen auf der Basis des Rechtes der Selbstbestimmung für alle Deutschen, so wie man es anderen Völkern auch gewährt", das ist auch klar. Man kann nicht das, was man also vielleicht unter Weglassung der Formel „Wiedervereinigung" glaubt leichter anbringen zu können, in Wirklichkeit damit erreichen; denn das wäre dann ein Messer nicht nur ohne Heft, sondern auch ohne Klinge; und Sie wissen, was das dann für ein Messer ist. Es ist ja nicht nur ein Rechtstitel, den wir in Anspruch nehmen, wenn wir von der Wiedervereinigung in gesicherter Freiheit sprechen; und da sind wir uns einig. Wenn wir aber - und ich billige das, ich finde, das ist ein guter Gedanke ,nur muß man genau seine Grenzen kennen - sagen, wir wären bereit, über vieles mit uns reden zu lassen, dann muß man wahrscheinlich allmählich sogar auf die Weise, die von der Bundesregierung für richtig gehalten wird - da kann man ihr nicht hineinreden - erkennbar machen, worüber man bereit wäre, mit sich reden zu lassen; andeutungsweise. Wenn man das überhaupt nicht tut, meine Damen und Herren, werden andere fortWehner
gesetzt bestimmen, worüber wir eigentlich mit uns reden lassen sollten;
({8})
und dann ginge es Ihnen so wie uns mit dem Deutschlandplan - worüber Sie sich gefreut haben; wir würden uns nicht freuen -; da würden andere bestimmen, was sie aus einer solchen Formel machen.
({9})
- Halten Sie auf! Fangen Sie damit nicht wieder an! Der Ulbricht hat genau gesagt, was er davon hält: das sei der Plan, die Macht der westdeutschen imperialistischen Monopole auch auf die DDR zu erstrecken. So war Ulbrichts erste, 14 Tage lange Reaktion, bis er versucht hat, damit Diversions-arbeit zu machen. Das hatte gar nichts mit dem Plan zu tun, sondern nur mit dem Versuch, wie ich es damals sagte, den Sozialdemokraten so lange gewisse Steine in die Schuhe zu drücken, bis sie der Schuh drückt.
({10})
Darum ging es.
Die ganze Frage, von der der Bundeskanzler sagte: sie ist letztlich eine menschliche Frage, ein menschliches Problem, hat der Regierende Bürgermeister von Berlin in einem Vortrag, den er jetzt vor der Harvard-Universität gehalten hat, so ausgedrückt - und ich finde, da berührt sich etwas, nur muß man versuchen, es Gestalt gewinnen zu lassen -, daß er erklärte, für ihn sei das entscheidende Ergebnis des letzten Jahres gewesen:
Wir haben in Berlin zwar objektiv einen Sieg errungen,
- womit er meinte: weil Chruschtschow nicht den Zusammenbruch und die Panik der Bevölkerung Westberlins mit dieser schrecklichen Tat erzielt hat. Den Preis aber müssen jene bezahlen, die unsere besten Freunde sind und denen wir jahrelang geholfen haben: die Menschen jenseits der Mauer oder richtiger: die auseinandergerissenen Familien auf beiden Seiten der Mauer.
- Die müssen ihn bezahlen! Es war ein kostspieliger Sieg für uns und eine Niederlage der Sowjets, über die wir nicht froh werden können. Mit der Mauer in Berlin kann sich der Westen auf die Dauer nicht abfinden. Die Lösung der deutschen Frage auf dem Boden des Selbstbestimmungsrechts muß auf der Tagesordnung bleiben. Aber sie bleibt eingebettet in den allgemeinen Ost-West-Konflikt; darum ist ihre Lösung nicht von heute auf morgen zu erwarten. Ein Modus vivendi in der Berlin-Frage bleibt erstrebenswert, ohne den Zusamenhang mit den umfassenderen Problemen aus dem Auge zu verlieren.
Herr von Brentano, Sie haben kürzlich Fragen an Willy Brandt gestellt. Machen Sie es sich bitte nicht leichter, als es in Wirklichkeit ist. Da sind ja in
Wirklichkeit auch Fragen an Sie selbst, da sind Fragen an uns alle, Fragen, für deren Erörterung in einem Stadium, wo die Erörterungen noch nicht ausgereift sein können, es vielleicht engerer, intimerer Möglichkeiten bedurfte, um weiterzukommen. Ich bin froh, daß in der Ergänzung, als die ich, ohne damit etwas ironisieren zu wollen, die Ausführungen des Herrn Bundesministers des Auswärtigen zur Regierungserklärung bezeichnet habe, so oft und so positiv das deutsche Memorandum vom 21. Februar dieses Jahres erwähnt worden ist, jene Antwort auf das sowjetische vom 27. Dezember. Das macht mir Hoffnung, daß dieses Memorandum jetzt vielleicht nutzbar gemacht wird für politische Überlegungen; denn es war ja eine gute Arbeit. Nur ist es damals so schnell „überkrollt" worden.
({11})
Ich will Sie nicht piesacken in dieser Frage und nicht etwas sagen, was sich mir manchmal etwas zu verallgemeinernd auf die Zunge drängt - an ihren Botschaftern sollt ihr sie erkennen -, weil das ungerecht gegen die anderen Botschafter und auch ungerecht gegen die Bundesregierung wäre. Da haben Sie recht. Aber Sie sehen doch, was es da für Luft, für Löcher gibt. Das ist wie mit einem Gummisack: auf einmal pfeift's an irgendeiner Stelle heraus.
({12})
So auch hier, und das ganze Memorandum war weg. Es war also überpudert. Jetzt ist es wieder herausgeholt worden. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat es jetzt wieder zu etwas gemacht, mit dem man rechnen kann, und ich habe es mir auch gleich noch einmal genau angeguckt. Darin sind schöne Möglichkeiten, aber auch harte Verpflichtungen, auch in der Frage der Initiative, sich für weitere Entwicklungen in der Diskussion über den Friedensvertrag zu wappnen, was ja wohl gar nicht so einfach ist.
Das alles, glaube ich, ist bei allen Schwierigkeiten unserer Situation etwas, was positiv gewertet werden kann. Es wird von Ihnen wohl auch positiv gewertet werden, daß ich damit zunächst schließe und die weiteren Runden der Debatte anderen überlasse. Wir werden uns ja vielleicht noch einmal sprechen können. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
({13})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Herr Kollege Deist hat in seiner gestrigen Rede davon gesprochen, welche Bedeutung die Gewerkschaften hätten, und er hat sich darüber beschwert, daß das Klima, das zwischen den Gewerkschaften und uns bestehe, nicht richtig sei. Ich erkenne die Bedeutung der Gewerkschaften vollkommen an. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich vom „Kleinen Knaur", den wir eben gehört haben, auf sachliche Dinge zurückkommen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte gerade bei Beginn einer neuen Periode unserer wirtschaftlichen Entwicklung mit den Gewerkschaften konform gehen. Deswegen habe ich im Laufe des Juli und August vier Besprechungen mit den verschiedenen Gewerkschaften in ganz kleinem Kreise abgehalten. Ich habe ihnen auseinandergesetzt, wie sich die wirtschaftliche Lage voraussichtlich gestalten wird, und habe sie um ihre Mithilfe dabei gebeten. Ich bin von einigen der Organisationen, mit denen ich gesprochen habe, enttäuscht gewesen, von anderen nicht. Nun, meine Damen und Herren, wir werden jetzt abwarten müssen, wie sich die Dinge weiter entwickeln; aber ich bitte Sie und die ganze Öffentlichkeit sehr, den Willen der Bundesregierung, wie er in der Regierungserklärung niedergelegt ist, nicht leicht zu nehmen. Nach unserer Überzeugung handelt es sich um den Anfang einer neuen Epoche in der wirtschaftlichen Entwicklung. Davon müssen wir Kenntnis nehmen, und wir müssen unser Handeln dementsprechend einrichten.
Meine Damen und Herren, gestern hat Herr Kollege Ollenhauer folgendes gesagt:
Aber warum haben Sie, Herr Bundeskanzler, nicht hinzugefügt, daß wir die Größe des Risikos kennen, das die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten eingegangen sind, und daß wir, die Bundesrepublik, bereit sind, dieses Risiko mit allen Konsequenzen zu teilen?
Meine Damen und Herren, wenn ich hier bei einer Gelegenheit, wie sie diese Diskussion darstellt, von dem Leiter der Opposition eine solche Frage gestellt bekomme, dann liegt dem doch wohl zugrunde, daß er der Auffassung ist, daß wir nicht bereit seien, dieses Risiko in vollem Umfange zu teilen. Und das hat mich aufrichtig empört,
({1})
daß dem Bundeskanzler als Sprecher dieser Bundesregierung - der Bundesregierung, die die ganzen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, zu den NATO-Partnern, zu allen geknüpft hat - hier im Bundestag öffentlich eine solche Frage gestellt wird, in der dieser Zweifel steckt.
({2})
Ich glaube, jeder, der diese Dinge objektiv betrachtet und der die Entwicklung der vergangenen Jahre kennt - Herr Majonica hat eben darauf hingewiesen -, der wird mit mir fühlen.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß vor einigen Monaten zwischen der Administration der Vereinigten Staaten und uns eine gewisse Wolke vorhanden war. Aber es handelte sich dabei niemals darum, daß wir nicht bereit seien, das ganze Risiko auf uns zu nehmen.
({3})
Ich möchte Ihnen hier sagen, daß ich bei meiner letzten Anwesenheit in den Vereinigten Staaten Herrn Präsidenten Kennedy das in einem Gespräch wörtlich erklärt habe.
Meine Damen und Herren, was mich gestern wirklich entsetzt hat, als der Vorsitzende der Opposition, gerade - ich habe das eingangs gesagt Herr Ollenhauer, den ich doch als einen Politiker kenne, der maßzuhalten versteht,
({4})
glaubte eine solche Frage stellen zu müssen, - sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist ja doch die Unterstützung des Denkens des Herrn Chruschtschow,
({5})
von der Herr Wehner eben in anderem Zusammenhang gesprochen hat.
({6})
Denn gerade Herr Wehner hat doch eben - sehr mit Recht, nach meiner Meinung - ausgeführt, daß die sowjetrussische Politik, insbesondere die Politik Chruschtschows, davon lebe, daß sie die Hoffnung habe, der Westen werde nicht einig sein.
({7})
Darum glaube ich, jede Partei in diesem Saale, gleichgültig ob sie der Regierungskoalition angehört oder ob sie der Opposition angehört, muß mit uns darin übereinstimmen, daß wir sehr vorsichtig sind in allem, was wir sagen,
({8})
damit nicht der Russe, damit nicht Sowjetrußland weiter die von der Hoffnung getragene Politik treibt, daß der Westen schließlich nicht zusammenhalten werde.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Wehner hat von so vielem gesprochen, daß man nicht auf alles eingehen kann. Ich beabsichtige es auch nicht zu tun, zumal der Bundesaußenminister zurück ist und auch noch sprechen wird.
({9})
Aber eines möchte ich doch noch sagen. Ich habe es nicht für richtig gehalten, daß Herr Wehner von dem Gedanken eines deutsch-französischen Übergewichts gesprochen hat. Das ist auch eine Wendung, die nicht gut ist. Es gibt kein deutsch-französisches Übergewicht.
({10})
- Bitte, lesen Sie genau nach, und dann werden Sie finden, verehrter Herr Präsident, daß man, wie bei der ganzen Rede Herrn Wehners, sowohl so als auch so daraus Schlüsse ziehen kann.
({11})
Als Herr Kollege Wehner eben gesprochen hat, da habe ich mir gedacht: Gott sei Dank, daß du nicht Journalist bist und nun deiner Zeitung angeben mußt, was er gesagt hat.
({12})
Ich komme noch einmal zurück auf das angebliche französisch-deutsche Übergewicht. Ich möchte Ihnen und allen Deutschen draußen und auch allen Nichtdeutschen draußen nur das eine sagen: Wie sähe es dann mit der Politik des freien Westens, wie sähe es mit der europäischen Politik aus, wenn der Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland weiterbestanden hätte?
({13}).
- Ich freue mich, daß Sie das bejahen.
({14})
Ich weiß, daß gerade Herr Kollege Carlo Schmid neulich in einer Rede sehr nachdrücklich 'denselben Gedanken ausgesprochen hat.
({15})
Aber hier handelt es sich um den Bundestag.
({16})
Hier handelt es sich nicht darum, was man in der Öffentlichkeit - mögen Sie es sein, mag ich es sein - sagt, sondern hier handelt es sich darum, was der Chef der Regierung namens der Bundesregierung sagt, was die Koalitionsparteien dazu sagen und was die Opposition dazu sagt. Das sind sehr offizielle Dinge, bei denen in der außerordentlich gespannten außenpolitischen Lage, in der wir uns befinden, jedes Wort genau überlegt sein muß,
({17})
das man ausspricht.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Döring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wehner, ich muß doch noch einmal auf den „kleinen Knaur" zurückkommen.
({0})
Ich tue das allerdings in der Hoffnung, daß ich dann das Podium nicht als „kleiner Brockhaus" verlassen werde.
Herr Kollege Wehner, Sie 'sind manchmal in Ihren Schlußfolgerungen ein bißchen 'voreilig. Mein Kollege Mende hat gestern den Standpunkt der Freien Demokratischen Partei 'zu den außenpolitischen Problemen dargelegt; er hat auch den Standpunkt unserer Fraktion zu den Problemen der Europapolitik vorgetragen. Ich wäre heute morgen auf diese spezielle Frage nicht mehr zurückgekommen, wenn nicht der Herr Kollege Wehner, der an sich keinen Ausflug in die Vergangenheit machen wollte, im Zusammenhang mit diesen Fragen und im Blick auf die FDP doch einen Ausflug in die Vergangenheit gemacht hätte. Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, daß der Herr Kollege Wehner heute die Haltung der Freien Demokraten gegenüber der EWG vor Jahren in einen Vergleich zur Haltung der Sozialdemokratischen Partei stellt und 'den Freien Demokraten iihre Zurückhaltung in dieser Gründungszeit der EWG vorwirft. Nun, wir geben auch heute noch 'freimütig zu, daß 'wir in dieser Zeit Bedenken dahingehend 'gehabt haben, daß die vorgesehene Konstruktion vielleicht eine endgültige Fixierung sein könnte. Wir geben zu, daß wir Befürchtungen hatten, diese Konstruktion würde vielleicht keine Ausweitung in einem Sinne erfahren, wie Sie ihn bejaht haben und sehr leidenschaftlich - wie ich heute morgen festgestellt habe - wieder bejahen. Aber wir gestehen ein: wir hatten Sorgen. Herr Kollege Wehner, wenn Sie zum Ausdruck bringen wollen, daß die sozialdemokratische Fraktion diese Sorgen niemals geteilt habe, dann können Sie das, glaube ich, vor Ihrer eigenen Fraktion nicht mit ganz gutem Gewissen aussprechen.
({1})
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich etwas sagen, was mich bei den Darlegungen aller Debattenredner gestern und heute sehr bewegt hat. Ich habe empfunden, daß sich durch die Reden aller Sprecher wie ein roter Faden eine tiefe Besorgnis über die Verschärfung der Spannungen in der Welt gezogen hat, eine tiefe Besorgnis über die Entwicklung in Berlin, eine tiefe Besorgnis über das Schicksal unseres Volkes und unserer Nachbarvölker. In diesem Hause sitzen eine ganze Reihe Kollegen, die vieleicht mehr wissen als die Masse von uns, wie groß die 'gleichen Sorgen auch bei unseren Verbündeten sind. Ich 'glaube, die Kollegen Dehler, Gradl und Mattick haben etwas davon gespürt, als sie unlängst gemeinsam mit einem Vertreter des Kuratoriums Unteilbares Deutschland in Washington waren. Der Regierende Bürgermeister von Berlin und noch mehr der Bundesaußenminister mögen von diesen Sorgen noch mehr wissen.
Bei aller Liebe zur Debatte und bei aller Notwendigkeit des Herausschälens von gegensätzlichen Auffassungen sollte man doch eines nicht verkennen: daß uns alle eine tiefe Enttäuschung erfaßt hat, weil sich Hoffnungen, die wir - vielleicht graduell unterschiedlich - gehegt haben, Hoffnungen auf Entspannung in Europa und in der Welt nicht erfüllt haben.
({2})
Deswegen ist es durchaus begreiflich, wenn sich einzelne Kollegen unter uns, wenn sich Gruppen, Fraktionen oder Parteien Gedanken machen, wenn sie nach Möglichkeiten suchen, Vorschläge anzubieten, die vielleicht zu einem Erfolg führen könnten.
In diesen zwei Tagen sind scharfe Worte über Initiativvorschläge oder Initiativen gefallen. Ich bin aus einem nicht ganz klug geworden. Wenn ich den Kollegen Ollenhauer gestern richtig verstanden habe, dann hat er sich gegen eine generelle Abwertung von Überlegungen zu wenden versucht, die zu Initiativen führen sollen. Aber den Kollegen Wehner habe ich heute morgen wieder so verstanden, er halte das Gerede von Initiativen für Unfug. Mir ist also nicht ganz klar, welche Auffassung die
Döring ({3})
sozialdemokratische Fraktion zur Methodik in diesem Zusammenhang überhaupt hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas sagen. Ich will gar nicht verschweigen, daß sich auch die Freien Demokraten angesprochen gefühlt haben. Selbst wenn ich bei einem Vorschlag oder einer Idee, die einer unserer Kollegen oder eine der Fraktionen entwickelt oder die Regierung vertritt - auch wenn sie mir persönlich nicht gefällt -, selbst wenn ich bei mancher Initiative, die in den vergangenen Jahren empfohlen worden ist, den subjektiven Eindruck habe, daß ihre Verwirklichung gefahrvoll wäre, selbst dann würde ich den Initiatoren immer unterstellen, daß sie bei ihren Überlegungen von den gleichen Motiven getragen sind wie denen, die mich bei meinen Überlegungen bewegen, nämlich von dem Wunsch, einen gedanklichen Beitrag zur Lösung der schwierigen, gefahrvollen nationalen und weltpolitischen Probleme zu leisten. Wenn ich jemandem in diesem Hause ein anderes als ein derart ehrenhaftes Motiv unterstellte, müßte ich gleichzeitig aussprechen, daß der Betreffende nicht in dieses Haus gehört.
Initiativen aus Geschäftigkeit mag es geben und mag es gegeben haben. Aber ich glaube, derartige Initiativen sind mit der meist deutlich erkennbaren Mentalität ihrer Verfechter gerichtet oder erledigen sich von selbst.
Aus der Besorgnis um die Erhaltung des Friedens, die aus den Beiträgen aller Sprecher geklungen ist, ergeben sich Konsequenzen für die Politik der Bundesregierung. Eine selbstverständliche Konsequenz ist zunächst einmal, daß die Bundesregierung keine Politik treiben kann und wird, die etwa eine Verschärfung der ohnehin vorhandenen Spannungen bewirkt. Es ergibt sich die klare Konsequenz, daß die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten nur eine Politik der Entspannung begünstigen kann. Eine Politik, die der Entspannung dienen soll - man muß das, um nicht mißverstanden zu werden, immer hinzufügen -, ist nicht etwa gleichzusetzen mit einer Politik der militärischen Sorglosigkeit. Es ist angesichts der politischen Praxis der Sowjetunion und angesichts der brutalen aggressiven Maßnahmen des Ulbrichts-Regimes besonders notwendig, sich keiner militärischen Sorglosigkeit hinzugeben. Wenn wir uns trotz allem und - ich möchte noch einmal auf das zurückkommen, was der Kollege Wehner heute morgen sagte - trotz der Diffamierungen durch den Sowjetblock, denen wir ständig ausgesetzt sind, um politische Konsequenzen mit dem Ziel, der Entspannung zu dienen, bemühen, dann ist das angesichts der Hetzkampagne eben mehr als eine bloße Demonstration des guten Willens.
Es wäre aber ein verhängnisvoller Irrtum in den Reihen des Sowjetblocks, wenn man unsere Bemühungen oder wenn man Beiträge der Bundesregierung zu einer Politik .der Entspannung als ein Zeichen der Furcht oder Schwäche auslegen wollte. Gestatten Sie mir eine Bemerkung zu einem Problem, das ich in diesem Zusammenhang erwähnen möchte und das mich gerade in den letzten Wochen sehr bewegt hat. Ich glaube, daß das psychologisch Gefahrvollste der Glaube in Ost und West ist, der jeweilige Gegner könne und wolle angesichts atomarer Waffenwirkungen letztlich einen Krieg ja doch nicht führen. Dieser beiderseitige Glaube birgt die große Gefahr in sich, daß man, wenn ich so sagen darf, in dem großen politischen Pokerspiel einmal überreizt und daß das Prestige des einen oder anderen so berührt wird, daß ein militärischer Konflikt eine zwangsläufige Folge ist.
Heute morgen ist - direkt oder indirekt - die Frage gestellt worden, welche Vorstellungen denn die Regierung bzw. die Fraktionen bewegen, die diese Regierung tragen. Kollege Ollenhauer hat gestern in seiner Rede speziell im Blick auf diese Frage festgestellt, die Regierung zeige ein hohes Maß an Uneinigkeit oder die Koalition zeige dieses Maß an Uneinigkeit; Ich glaube, über die Ziele, die man erreichen möchte, kann es gar keine Uneinigkeit geben, weder zwischen den Koalitionspartnern noch in der Regierung. Ich möchte auch sagen: es kann im Blick auf die Ziele auch keine Uneinigkeit mit der Opposition geben.
Selbstverständlich wollen wir alle den Frieden erhalten; selbstverständlich wollen wir Freiheit bewahren und Freiheit schaffen; selbstverständlich haben wir alle gemeinsam als Ziel die Einheit unseres Volkes. Aber ich glaube, die Gemeinsamkeit in den Zielen ist letztlich noch nicht das allein Entscheidende. Sehr viel schwieriger wird es, wenn man sich darüber unterhalten und einigen muß, welche Wege eingeschlagen und welche Methoden gewählt werden sollen, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Über Wege und Methoden gibt es wohl nicht nur innerhalb von Regierungskoalitionen, sondern auch innerhalb jeder Partei unterschiedliche, vielleicht manchmal sogar sehr unterschiedliche Vorstellungen. Hier kann ich nur sagen, Herr Kollege Ollenhauer: wenn es an die Frage geht, auf welchen Wegen, mit welchen Methoden man die gesetzten Ziele verfolgen soll, kann auch die Sozialdemokratische Partei ein Lied davon singen, wie heftig man über solche Probleme streiten und verschiedener Meinung sein kann. Ich glaube, Herr Kollege Ollenhauer, diese Situation wäre nicht anders, wenn die Sozaldemokratische Partei in einer Regierungskoalition mit der CDU säße; sie wäre auch nicht anders, wenn die Sozialdemokratische Partei in einer Koalition mit der FDP wäre. Entscheidend ist doch, daß man in einer Koalition - und das ist bewiesen - den Willen zu einer gemeinsamen Formel für die Methoden und auch für die Wege zur Erreichung der gesteckten Ziele hat. Vielleicht wird das nur von Etappe zu Etappe möglich sein.
Es sind Wege zu den gesetzten Zielen aufgezeigt, nicht nur von der Regierungskoalition; der Bundestag selbst hat - in einigen Fällen sogar einstimmig - gewisse Wege zur Erreichung der Ziele aufgezeigt. Die Koalition bejaht nicht grundsätzlich etwa ein ein rezeptives Verhalten gegenüber der sowjetischen Politik und wird sich selbstverständlich bemühen, die Initiative für die Deutschlandpolitik gemeinsam mit ihren Verbündeten zu gewinnen. Die Frage wird immer sein, wo und zu welchem Zeitpunkt sich Ansatzmöglichkeiten für eine Gewinnung der Initiative bieten.
Deutscher Bundestag -j 4. Wahlperiode Döring ({4})
Ein Weg ist vom Plenum dieses Hauses in der Berlin-Entschließung vom 1. Oktober 1958, die gestern erwähnt wurde, aufgezeigt. In ihr ist der Wille des Bundestages zum Ausdruck gebracht - an dem selbstverständlich auch die Regierung ihre Politik orientieren wird und muß -, alle Bestrebungen zu unterstützen, die zu einer Entspannung führen können, die uns auf dem Wege zur Lösung unserer nationalen Probleme helfen können.
Eine Auffassung des Bundestages zu einem anderen Problem ist in der Empfehlung vom 14. Juni 1961 aufgezeigt, die sich mit der Konsolidierung des Verhältnisses der Bundesrepublik zu den osteuropäischen Staaten befaßt. Wenn sich Erfolge auf diesem Gebiet erzielen lassen, werden sie ein wesentlicher Schritt auf dem Wege zur Entspannung. sein.
Ich erwähne weiter die Erklärung des Herrn Bundestagspräsidenten vom 30. Juni 1961, die hier ja oft genug zitiert worden ist, daß es nämlich unser aller Ziel sein müsse, in Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten Klarheit über den politischen und militärischen Status eines Gesamtdeutschland zu schaffen. Ich habe oft den Eindruck gehabt, daß sich der eine oder der andere diese Erklärung des Bundestagspräsidenten nicht mehr so gern in die Erinnerung zurückgerufen hat, und zwar aus einem Grunde, der nach meiner Überzeugung gar nicht stichhaltig ist, weil er vielleicht glaubte, daß diese Formel als eine Neutralisierungsformel ausgelegt werden könnte. Nun, meine Damen und Herren, in keiner Fraktion dieses Hauses wird jemand daran glauben, daß eine Neutralisierung Deutschlands zwischen zwei ideologisch fest umrissenen kontroversen Blöcken möglich wäre. Jeder weiß, daß sich ein militärischer und politischer Status Gesamtdeutschlands nur in einem größeren Rahmen finden lassen kann, nämlich im Rahmen einer Veränderung der politischen und militärischen Verhältnisse in Europa. Eine Veränderung dieser politischen und militärischen Verhältnisse in Europa ist aber unlöslich an eine weltweite politische Entspannung gebunden.
Das heißt nicht, daß man sich etwa darauf beschränken könnte, auf besseres politisches Wetter zu warten. Wir haben zu jeder Zeit einen Beitrag zur, Lösung dieser Probleme zu leisten, und wenn es nur ein gedanklicher Beitrag ist. Der erste, den wir aber hier im einzelnen zweckmäßigerweise nicht diskutieren sollten - das haben alle Fraktionen so gesehen -, betrifft die Verbesserung unseres Verhältnisses zu unseren östlichen Nachbarn. Es wird vielleicht im Verlaufe dieser Debatte noch deutlicher zum Ausdruck kommen, daß es auch der Auffassung der Koalition entspricht, wenn wir dadurch einen Beitrag zur Entspannung zu leisten suchen, daß wir nach Konsultationen mit unseren Verbündeten die Diskussion über die deutsche Frage zwischen den Großmächten wieder in Gang bringen mit dem Ziel, zu einer ständigen Beratung des deutschen Problems zu gelangen, das das Berliner Problem einschließt. Selbstverständlich verfolgen wir das Ziel, an das Ende einer ständigen Deutschland-Konferenz einen wahren Frieden zu setzen, der nur dann gesichert sein wird, wenn uns Freiheit und Einheit gewährt sind. ({5})
Ich glaube, auch die Oppositionsfraktion wird das ernsthafte Bemühen des Bundesaußenministers nicht in Frage stellen können, das sich schon sehr deutlich wieder zeigen wird, wenn er die Auffassung der Bundesregierung in den nächsten Tagen in Washington vertreten wird.
In dieser Debatte ist auch das Wort von der Gemeinsamkeit gefallen. Gemeinsamkeit in der Behandlung außenpolitischer Fragen ist oft gefordert worden, auch von der Fraktion der Freien Demokratischen Partei. Ich habe immer Zweifel gehabt, ob es eine absolute Gemeinsamkeit in diesen außenpolitischen Fragen jemals geben kann. Aber eine Gemeinsamkeit kann es immer geben: die Gemeinsamkeit des guten Willens, trotz unterschiedlicher und gegensätzlicher Auffassung über Wege und Methoden in der Außenpolitik uns gegenseitig auf jeden Fall die gemeinsamen Motive zu unterstellen, die uns alle bewegen, das Bestreben, den Frieden zu erhalten, der Wille, einen politischen Beitrag zur Erringung der Freiheit aller in Unfreiheit Lebenden zu leisten, der Wille zur Einheit unserer Nation und letztlich die gemeinsame Liebe zu unserem Volk.
({6})
Ich unterbreche die Sitzung auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion. Sie wird um 11.15 Uhr wiederaufgenommen.
({0})
- Die CDU/CSU und die FDP bitten zu Fraktionssitzungen.
({1})
Die Sitzung wird fortgesetzt.
Im Augenblick kommt der Wunsch von der CDU/ CSU-Fraktion, daß wir noch weitere zehn Minuten warten.
({0})
- Wir müssen diesem Wunsch entsprechen. Um Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, schlage ich vor, daß wir um 11.45 Uhr wieder beginnen.
({1})
Die Sitzung wird fortgesetzt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter zu Guttenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie schon einmal ist mir die Aufgabe zugefallen, auf eine Rede zu antworten, die der Herr Kollege Wehner hier gehalten hat. Herr Kollege Wehner hat diese Rede zweigeteilt. Er hat sowohl vom heutigen Kurs als auch vom Gestern seiner Partei gesprochen.
Meine Antwort auf das, was er vom Heute der SPD gesagt hat, ist ganz einfach die: Herr Kollege Wehner, wir freuen uns, daß der Prinzipienstreit,
der jahrelang dieses Haus und die Öffentlichkeit in unserem Lande beschäftigt hat, zu Ende ist. Jahrelang gab es jene, die da sagten, daß sie für die NATO, für das westliche Bündnis, für Europa seien, und es gab die anderen, die von der Bündnisfreiheit und von der Neutralität gesprochen haben. Ich wiederhole, wir freuen uns, daß dieser Prinzipienstreit zu Ende ist. Die schwerste Hürde scheint genommen zu sein, um die Gefahr zu beseitigen, die für unsere Existenz durch all diese Jahre bestanden hat, solange unsere Gegner eine Chance und unsere Freunde ein höchstes Risiko darin erblicken mußten, daß nur ein Teil der politischen Repräsentanz der Deutschen uneingeschränkt für das Bündnis mit dem Westen war.
Ein zweites. Als einem Mitglied der CDU/CSU wird man mir wohl nicht verdenken, daß ich sage: wir freuen uns auch darüber, daß wir die letzte, die wirklich nicht mehr zu überbietende Bestätigung für die Richtigkeit unserer Politik erhalten haben,
({0})
jene Bestätigung nämlich, daß die Prinzipien unserer Politik von unserem schärfsten Widersacher übernommen wurden.
Nun aber zu dem, Herr Kollege Wehner, was Sie zum Gestern Ihrer Partei gesagt haben. Herr Wehner, es ist doch ganz einfach wahr, daß Sie unsere schärfsten Gegner waren. Es gab doch keinen Wahlkampf in unserem Lande, der nicht um die Fragen unserer Außen- und Verteidigungspolitik geführt wurde; und man soll uns doch heute nicht glauben machen wollen, daß wir es seien, die zu einer neuen Politik gegriffen hätten, und daß Sie die Ihre fort: gesetzt hätten.
({1})
Ich gebe zu, Herr Kollege Wehner, daß Ihre Darstellung der Vergangenheit Ihrer Partei gut gemacht war. Und ich räume auch gern ein, Verständnis für ihre Lage zu haben. Es ist gewiß nicht leicht, einen eklatanten Wandel zu vollziehen und gleichzeitig von Kontinuität zu reden.
({2})
- Ich glaube, Herr Mattick, Sie wissen so gut wie ich, daß die Mauer nicht durch unsere Politik herbeigeführt worden ist,
({3})
und ich verwahre mich gegen die Unterstellung, als hätte es hier einen anderen als einen möglicherweise kriegerischen Weg gegeben, diese Mauer zu verhindern.
({4})
Herr Kollege Wehner, wir erwarten auch gar nicht das Eingeständnis Ihrer Partei, daß Sie hier etwa sagten, Sie hätten sich geirrt. Aber bitte verwehren Sie es auch nicht uns, wenn wir heute wiederholen, was wir in all den hinter uns liegenden
Jahren immer wieder_ festzustellen hatten. Wenn wir damals nämlich sagten: „Sie irren!" Dann müssen wir doch heute sagen: Jawohl, Sie haben sich geirrt!
({5})
Es ist schwer erträglich, zuzuhören, wenn man die Rechtfertigungen hört, die in der Rede des Herrn Wehner vorgebracht wurden. Sie haben doch gesagt, Herr Wehner, die deutschen Sozialdemokraten seien nicht gegen die Verteidigung an sich gewesen, sie hätten sich nur - das waren Ihre Worte - eine andere Rangordnung vorgestellt. Eine Rangordnung, in der politische Ziele - so habe ich Sie verstanden - vor den militärischen Zielen rangierten.
Wirklich, Herr Wehner? Ist das die ganze Wahrheit? Gab es denn nicht Plakate, die wir von der CDU gesehen, die Sie von der SPD gedruckt und aufgehängt haben, auf denen zu lesen stand: „Wohnungen statt Kasernen"? War es denn nicht so, daß wir, die CDU, allerorten, wohin wir kamen, auf die Parole trafen: „Ohne mich"? Wer hat diese Parole denn ins Volk gebracht? Wir alle wissen, wie das war.
Wir wissen auch, wie es um die Europapolitik der Sozialdemokraten damals stand. Gewiß, das weiß ich auch, keiner aus der SPD 'hat je etwa gesagt, daß er gegen Europa sei und nichts von einer europäischen Einigung wissen wolle. Aber eben dies war es ja. Wir haben viele schöne Theorien gehört und vieles, was im Grunde aber unverbindlich blieb. Wenn es auf das Feld des Konkreten ging, dann sah es anders aus. Herr Ollenhauer hat doch hier an dieser Stelle damals, als es um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ging, am 5. Dezember 1952 wörtlich erklärt: die unvermeidliche Folge der Einbeziehung der Bundesrepublik in diese europäische Gemeinschaft sei die Vertiefung der Spaltung Deutschlands. Mit diesem Satze hat er klar gesagt, was Ihre Partei, was Ihre Politik durch Jahre hindurch in diesem Punkte ausgezeichnet hat, nämlich die Annahme, es gebe eine Alternative zwischen der Einbeziehung der Bundesrepublik in diese westlichen Gemeinschaften einerseits und der Wiederherstellung der deutschen Freiheit und Einheit andererseits, es gebe also eine Wahlmöglichkeit zwischen der Einigung Europas und der Einigung Deutschlands. Sie waren es doch, die von der Bündnisfreiheit gesprochen haben. Sie waren es doch, die von der Neutralität gesprochen haben. Herr Professor Carlo Schmid hat doch selbst auf das österreichische und schwedische Beispiel hingewiesen.
({6})
Wie kann man da heute so tun, als gäbe es diese Geschichte nicht? Herr Kollege Wehner, bei allem Verständnis für die von Ihnen geschilderte damalige Lage Ihrer Partei muß ich Ihnen sagen: ich bin ganz einfach nicht in der Lage, genügend Verständnis für Ihre heutige Lage aufzubringen, um zuzustimmen, daß die Geschichte dieses Hauses in allen diesen Punkten neu geschrieben werden sollte.
({7})
Meine Damen und Herren, aber nun zu dem, was wir in dieser Debatte zum Heute unserer deutschen Situation zu sagen haben. Auch in dieser Debatte gibt es, wie ich meine, kein einziges Thema, das ohne Zusammenhang wäre mit Berlin. Damit ist keineswegs nur die selbstverständliche Sorge dieses Hauses um das Wohlergehen und die Sicherheit der Westberliner gemeint. Vielmehr halte ich dafür, daß alle unsere Entscheidungen auf allen Gebieten unsere Politik an jenem Maßstab zu messen sind, den uns die unablässigen sowjetischen Drohungen gegen unsere Stadt Berlin auferlegen, an dem Maßstab eines tiefen und letzten Ernstes, der alleine unserer Lage angemessen ist.
In Berlin wird, wie wir alle wissen, nicht nur um Berlin gerungen. Zwar will Moskau auch Berlin, aber es will nicht nur Berlin. Berlin ist lediglich die Stelle, an der sich der Charakter des Konflikts am deutlichsten erweist, der die ganze Welt erschüttert. Was da die Krise um Berlin genannt wird, das ist in Wahrheit nur ein Name, der in diesen Tagen und vielleicht für lange Zeit stellvertretend für die Krise steht, die die ganze Erde in Atem hält.
Wir würden uns deshalb selbst, wir würden unser Volk und wir würden unsere Freunde täuschen, wollten wir der Hoffnung Nahrung geben, daß ein Modus für Berlin gefunden werden könne, der dort zu einer dauerhaften Ordnung führt, während Moskau gleichzeitig daran festhält, seine Politik des Kalten Krieges auf allen anderen Fronten fortzusetzen. Es mag möglich sein, Atempausen zu gewinnen. Aber wir würden uns nur selbst belügen, wenn wir etwa glaubten, daß es einen leichteren Weg, einen Ausweg also aus dieser Krise um Berlin gäbe, der es uns ersparen könnte, fest zu bleiben, auf unseren Rechten zu beharren und der Drohung die Stirn zu bieten.
Auch ich komme zurück auf das, was der Herr Bundeskanzler gestern gesagt hat, als er vor den Initiativen gewarnt hat, die der Geschäftigkeit entspringen. Herr Kollege Ollenhauer hat den Herrn Bundeskanzler dafür kritisiert und hat sich im Ton der moralischen Entrüstung zum Anwalt derer aufgeschwungen, die sich - wie er sagte - ernsthaft Sorgen um Berlin und um die Zukunft unseres Volkes machen. Herr Ollenhauer, glauben Sie denn wirklich, daß nur jene sich den Kopf zerbrechen, die da fortgesetzt nach Initiativen rufen? Ist es denn nicht so, daß dieser permanente Ruf nach Initiativen meist nur die Suche nach einem Ausweg aus einer beängstigenden Wirklichkeit ist? Auch Herr Wehner scheint mir dieser Meinung zu sein, wenn er davon gesprochen hat, daß es Unfug sei, dauernd Initiativen zu erwarten. Und ist diese deutsche Wirklichkeit denn nicht die, daß sich hier Fronten gegenüberstehen, die nun einmal unvereinbar sind? Wo ist denn dieser Ausweg? Wo ist denn diese Initiative, die das Dilemma auflöst, wenn Herr Chruschtschow uns da sagt, er will Berlin, und wenn wir ihm zu sagen haben, daß dies Berlin unser bleibt?
Man entgeht nicht dadurch der Gefahr, daß man ihr den Rücken kehrt, weil man ihren Anblick nicht erträgt. Noch keiner hat die Freiheit je auf leichtem Weg gewonnen. Daher, meine ich, sollte in diesem Hause bei jedem, der da redet; der Mut zur ganzen Wahrheit herrschen, der Mut, unserem Volke zu sagen, daß die Chance, unsere Freiheit und den Frieden zu bewahren, im Grunde ganz allein darin besteht, dem Gegner klarzumachen, daß es in diesem Hause keinen gibt, dem irgendein Risiko größer erscheinen könnte als jenes, unsere Freiheit zu verlieren.
({8})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich weiter sagen, daß die Krise um Berlin auch deshalb mehr ist als ihr Name, weil der Streit um die Freiheit der Berliner gleichzeitig eine Prüfung der inneren Wahrheit, der inneren Wahrhaftigkeit unserer Allianz bedeutet, die doch nur dieses Prinzip der Freiheit zusammengeführt hat. Mit dem sowjetischen Anschlag gegen Berlin, mit dieser ersten, direkten und ungeschminkten Herausforderung des ganzen westlichen Bündnisses und seiner Vormacht hat vor vier Jahren eine neue Phase des Ost-West-Konflikts begonnen, jene Phase, in der die Sowjetunion versucht, an der entscheidenden Front ihres Kalten Krieges den entscheidenden Durchbruch zu erzwingen.
Mit Dankbarkeit gegen unsere Freunde und - mit Verlaub zu sagen - mit Genugtuung über die Bestätigung der Richtigkeit unserer Politik können wir nach vier Jahren unablässiger sowjetischer Drohungen die Feststellung treffen, daß dem Gegner dieser erstrebte Durchbruch nicht gelungen ist. Ja, ich meine, es besteht aller Anlaß zu der Zuversicht, daß sich dieser Gegner angesichts der unzweideutigen Garantien unserer Partner auch in Zukunft hüten wird, Aktionen gegen Westberlin in Gang zu setzen, die einen Brand entstehen lassen könnten, der auch die Sowjetunion ergreifen müßte.
Allerdings - und diese Anmerkung ist nötig - hängt diese unsere Zuversicht entscheidend davon ab, daß man in Moskau keinen Augenblick an der Entschlossenheit des Westens zweifelt, Berlin, wenn nötig, mit dem letzten Einsatz zu verteidigen. Wir zweifeln hieran keinen Augenblick, und ich glaube, dies im Namen aller hier im Hause sagen zu können. Aber eben deshalb muß ich mich dagegen wenden, daß der frühere Kollege Helmut Schmidt im Namen der SPD Äußerungen gemacht hat, die nach meiner Meinung geeignet sind, in Moskau eben diesen Zweifel zu erregen.
({9})
Denn der Senator Schmidt hat öffentlich erklärt, es gebe eine neue Strategie, die von den USA vertreten, von ihm gebilligt und von unserem Verteidigungsminister verworfen werde. Diese neue Strategie, so hat er es geschrieben, bestehe darin, daß zur Verteidigung Europas und damit auch zur Verteidigung Berlins nukleare Waffen nur dann Verwendung finden sollten, wenn zuvor der Gegner von seinem nuklearen Arsenal Gebrauch gemacht haben sollte. Die Konsequenz aus diesen Worten des früheren Kollegen Helmut Schmidt ist klar: sollte Moskau daran glauben, daß eine solche NATO-Strategie bereits beschlossen sei, dann wäre Moskau von dem atomaren Risiko befreit und gleichzeitig in den Stand gesetzt, seine Übermacht konventioneller Truppen einzusetzen.
17.66
Der Senator Helmut Schmidt kennt diesen Sachverhalt der konventionellen Überlegenheit der Sowjetunion so gut wie ich. Er meint jedoch, es werde möglich sein, auf dem Felde konventioneller Stärke dem Gegner, wie er sagt, adäquat zu werden. Gewiß, es wäre wünschenswert, wenn es dem Westen, wenn es auch Europa gelänge, auf allen Stufen der Verteidigung ein Maximum der Stärke zu erreichen. Wir meinen nur, daß auch in Zukunft keine Möglichkeit besteht, das theoretisch Wünschenswerte auf diesem Feld der herkömmlichen Bewaffnung auch wirklich praktisch durchzusetzen. Es ist nämlich nicht damit getan - wie Herr Helmut Schmidt es tut -, summarisch einfach zu vergleichen, welche Wirtschaftskraft und welche Bevölkerungszahlen in Ost und West sich gegenüberstehen. Denn in der Diktatur ist vieles möglich, was einen freien Staat erschüttern müßte. Und wir - ich darf das sagen - denken nicht daran, zur Verteidigung der Freiheit etwa die Freiheit in unserem Lande selbst aufs Spiel zu setzen.
({10})
Hingegen sind wir daran interessiert, von Ihrer Seite, meine Herren von der Opposition, einmal zu hören, wie Sie sich diese Sache denken, die Ihr Sprecher vorgeschlagen hat, als er von der adäquaten konventionellen Rüstung des Westens sprach. Denn eines, was Herr Helmut Schmidt hierzu gesagt und geschrieben hat, ist auf jeden Fall ungenügend: daß er nämlich nach dem Motto „Jockele, geh du voran!" kurzerhand Großbritannien die Wehrpflicht wieder verordnet hat. Ich denke, diese wilhelminischen Posen des Praeceptor Britanniae - sollten auch auf Ihrer Seite nicht wiederholt werden.
({11})
- Wenn nur einer von Ihnen reden würde, würde ich diesem gern antworten. - Herr Schmitt, lassen Sie doch die Kirche in Vockenhausen!
({12})
Gewiß, der Senator Schmidt hat dann etwas Wein in sein Wasser gegossen; ich sage nicht: Wasser in seinen Wein, denn das wäre ein falsches Bild. Er hat nämlich dann erklärt, nicht das Heute, sondern jene Situation gemeint zu haben, die sich erst im Laufe der Jahre einmal zeigen werde. Nun, Herr Schmidt mußte das wohl sagen, denn der amerikanische Präsident Kennedy hat selbst in aller Öffentlichkeit - und offenbar nicht ohne Anlaß - jede Vermutung, daß es eine solche neue Strategie geben könne, als - wörtlich - „völlig unrichtig und gänzlich falsch" bezeichnet und damit unseren Verteidigungsminister bestätigt, der der Kontinuität der geltenden Verteidigungsdoktrin das Wort geredet hat.
({13})
Aber noch ein Weiteres! Der Senator Schmidt hat auch folgendes wörtlich geschrieben - ich zitiere -:
Die Besorgnis ist völlig gerechtfertigt, Amerika werde in der Pattsituation auf begrenzte konventionelle Aggression nicht mehr nuklear reagieren wollen.
Und Herr Schmidt hat dann deutlich gemacht, wann er diese Pattsituation als gegeben ansehen möchte: dann nämlich, wenn beide Weltmächte in der Lage seien, sich gegenseitig nuklear zu zerstören. Nun gut, Herr Helmut Schmidt hat mündlich erklärt, daß es diese Situation der gegenseitigen völligen Zerstörungsmöglichkeit heute noch nicht gebe. Aber wenn er sagt, daß diese Situation noch nicht gegeben sei, warum schreibt er dann das Gegenteil? Hier sind seine Worte, ich zitiere wieder wörtlich:
Insgesamt kann die sowjetische Führung ziemlich sicher sein, im Falle der Gefahr nicht jener katastrophalen Alternative anheim zu fallen, die zur Zeit
- also heute den Westen zwingt, zwischen Unterwerfung unter die Aggression und atomarer Zerstörung zu wählen.
Ich meine, allein wegen dieses einen Satzes wäre es schon nötig gewesen, darauf hinzuweisen, daß es der Sicherheit Berlins nicht dienlich sein kann - um mich zurückhaltend und milde auszudrücken -, wenn ein Sprecher der zweitgrößten deutschen Partei in der Öffentlichkeit und im Auftrage dieser Partei,
({14})
- Sie hören die Wahrheit nicht gern, insoweit
haben Sie sich nicht gewandelt, das ist richtig ({15})
wenn ein Sprecher der deutschen SPD erklärt, in einer solchen Situation und also in der von Ihnen als schon heute bestehend angesehenen/Lage würden beide Weltmächte - beide, also auch die USA - sich hüten, die gegenüberstehende Weltmacht nuklear zu treffen
Ich sprach von der Zuversicht, die wir für die Erhaltung der Freiheit Berlins hegen dürfen, wenn die Verantwortlichen in der Sowjetunion von der Entschossenheit des Westens überzeugt bleiben, für Berlin mit allen Mitteln einzutreten. Ich sage: von der Entschlossenheit des Westens; denn - und das ist selbstverständlich - nichts wäre gefährlicher als irgendein Gefälle in der Risikobereitschaft derer, die für die Freiheit Berlins verantwortlich sind.
Es war heute schon davon die Rede, daß Herr Ollenhauer gestern eine Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vermißt habe, daß auch die Bundesregierung bereit sei, das Risiko zu teilen, das unsere Freunde auf sich nehmen. Ich brauchte eigentlich nicht zu wiederholen, was der Herr Bundeskanzler und was mein Freund Majonica hierzu gesagt haben. Aber ich tue Ihnen gern den Gefallen, auch meinerseits das nur Selbstverständliche
zu wiederholen: Es gibt den inneren Kreis der Schutzmächte Westberlins; neben ihnen steht die ganze NATO, die Bürgschaft für die Freiheit der Berliner leistet. Vor allem aber - das ist ganz einfach selbstverständlich und natürlich - steht da die Bundesrepublik, deren Grundgesetz und deren Verträge - um nur dies zu sagen - sie verpflichten, die Sache Berlins als ihre eigene zu vertreten.
({16})
Noch ein Weiteres ist zu sagen. Der sowjetische Druck richtet sich keineswegs nur gegen die Freiheit des Zugangs nach Berlin, gegen die Anwesenheit der alliierten Truppen in Berlin und gegen die Lebensfähigkeit Westberlins. Diese Westberlin selber betreffenden Positionen hat der amerikanische Präsident - und wir danken ihm dafür - als essentiell, als vital bezeichnet, und er hat sie damit nach menschlichem Ermessen dem Zugriff Moskaus entzogen.
Der sowjetische Anschlag gegen Berlin ist aber auch und zugleich eine neue und bedrohliche Etappe in der sowjetischen Deutschlandpolitik, jener sowjetischen Deutschlandpolitik also, die nach meiner und meiner Freunde Ansicht vom Ende des Krieges bis heute von Moskau unbeirrt fortgeführt wurde und darin bestand, den eroberten Teil Deutschlands sich zu unterwerfen und gleichzeitig den Versuch zu unternehmen, Einfluß auch auf den anderen Teil Deutschlands zu gewinnen.
Ich kann mir hier den Nachweis ersparen, daß und in welcher Weise Moskau hofft, durch den Druck auf Berlin dieses sein altes Deutschland-Konzept vorwärtszutreiben. Jeder in diesem Hause kennt das Begehren der sowjetischen Politik, dem sogenannten zweiten deutschen Staat und seinen sogenannten Grenzen internationale Anerkennung zu verschaffen. Jeder, meine Damen und Herren, in diesem Hause hat auch ein Bild davon, mit welchen Mitteln Moskau eines Tages versuchen könnte, sich an dieses Ziel der Anerkennung heranzutasten. Worauf es ankommt, ist, zu wissen, daß die Anerkennung eines zweiten deutschen Staates von Moskau nicht so sehr gewünscht wird, um diesem Zerrbild eines Staates Stabilität zu geben, als vielmehr deshalb, um der Bundesrepublik, dem wahren deutschen Staat, die Stabilität zu nehmen, die sie hat.
({17})
Meine Damen und Herren, jene Strecke, die auf deutschem Boden den Kontinent Europa teilt, war und ist und bleibt jener Teil der ganzen Teilungslinie, der zugleich die größte Chance und das höchste Risiko enthält. Wenn sich auch mancher mit der Vorstellung zufrieden geben mag, die westlichen Grenzen etwa Ungarns oder der Tschechoslowakei trennten auch heute noch wie seit eh und je lediglich Staaten und Völker voneinander, - Ulbrichts Todesstreifen und die Mauer in Berlin lassen solche Ausflucht, oder besser: solche Heuchelei, nicht zu.
An der deutschen Teilung wird die ganze Wahrheit offenbar. Wer vor dieser Teilung steht, ist angerufen, sich zu entscheiden, zu antworten, nämlich auf die Frage: Soll solche Teilung anerkannt werden, oder soll ihr Anerkennung verweigert werden? Es gibt auf diese Frage eine Antwort aus dem Bereich der Moral, jene Antwort, daß es das Recht und nicht die Macht sein soll, das uns den Maßstab setzt.
Aber die Welt, in der wir leben, ist wohl weniger an dieser Frage als daran interessiert, von uns zu hören, ob es eine gute Politik oder eine schlechte Politik ist, die wir vorschlagen, die wir treiben, wenn wir uns weigern, die Teilung unseres Landes hinzunehmen. Lassen Sie mich sagen: es ist ganz einfach gute, richtige Politik, unablässig und standhaft auf der Wiederherstellung der Freiheit und Einheit unseres Deutschlands zu bestehen, während es umgedreht schlechte, ja, in höchstem Maße lebensgefährliche Politik wäre, wollte sich irgendeiner bereit finden, diese Spaltung hinzunehmen.
Dies aus zwei Gründen, einmal aus einem deutschen Grund. Meine Damen und Herren, wir sind den westlichen Bündnissen und den Gemeinschaften beigetreten, weil erstens die Sicherheit des freien Deutschlands anders nicht zu gewährleisten war und ist, weil wir zweitens die Verpflichtung fühlten und fühlen, daß auch wir unseren Teil zur gemeinsamen Verteidigung des gemeinsamen Gutes der Freiheit zu leisten haben, und weil wir drittens erkannten und erkennen, daß unsere Freiheit, daß unsere Einheit nur durch die Anstrengung der ganzen freien Welt erreicht werden kann, die Sowjetunion in einem mühseligen und langwierigen Prozeß von ihren revolutionären Zielen abzubringen.
Aber, meine Damen und Herren, die geschichtliche Wahrheit ist die: unabdingbare Voraussetzung für unseren Beitritt zu diesen Bündnissen war die Bereitschaft unserer Partner zu einer formellen Verpflichtung, für die Wiederherstellung des ungeteilten freien Deutschlands einzutreten. Jede direkte oder indirekte, mittelbare oder unmittelbare Anerkennung oder Hinnahme der Teilung Deutschlands in zwei getrennte Staaten widerspräche dieser Verpflichtung.
Wohlgemerkt, ich rede hier nicht von jenem Extrem, der Zone etwa durch formellen Rechtsakt Souveränität und Staatscharakter zu bescheinigen. Ich warne vielmehr vor jedem möglichen Schritt, der in unserem Land und außerhalb unseres Landes so verstanden, so bewertet, so gedeutet werden müßte, als rücke der Westen ab vom gemeinsamen Ziel der Freiheit und Einheit aller Deutschen. Ich warne deshalb vor solchen Schritten, weil sie den Boden bereiten müßten für den vergiftenden Vorwurf, der Westen habe die Deutschen getäuscht und irregeführt. Und ich setze hinzu, daß Herr Chruschtschow mit Sicherheit auf eben diese Stunde wartet, ja, ich möchte sogar sagen, daß Chruschtschows Aktion gegen Berlin vorzüglich dem Ziel dienen mag, diese Stunde herbeizuführen.
Auch ich - wie Herr Wehner - bin mit dem Herrn Bundeskanzler der Meinung, daß wir gut beraten sind, wenn wir die deutsche Frage in erster Linie unter menschlichen und erst in zweiter unter nationalen Aspekten schildern und sehen. Eine solche Ordnung entspricht dem Rang der beiden Werte und entspricht gleichzeitig der Erkenntnis,
daß es keine Einheit geben kann, wenn nicht vorher die Freiheit wiederhergestellt ist. Was jedoch nicht geschehen dürfte, wäre dies: Weder sollte irgendeiner glauben, daß man die Freiheit zugunsten der Einheit, noch aber auch, daß man die Einheit zugunsten der Freiheit diskutierbar machen könne.
({18})
Aber noch eine andere Überlegung läßt es einfach als schlechte Politik erscheinen, wenn man die Deutschen auffordern wollte, sich mit der Teilung ihres Landes abzufinden, eine Überlegung, die dem Bereich der Erfahrung zugehört, die die Welt mit totalitären Diktatoren gemacht hat. Es gehört doch zum Einmaleins des Umgangs mit einem solchen Gegner, daß Konzessionen und Verzicht auf Rechte seinen Appetit nicht stillen, sondern steigern. Moskaus Aggressivität wird dann wachsen, wenn sie zu Erfolgen führt. Unsere Hoffnung ist, daß sie eines Tages schwindet, wenn ihr der Erfolg versagt bleibt.
({19})
Wer deshalb glauben sollte, die Lage in Europa dadurch stabilisieren und den Kalten Krieg auf unserem Kontinent dadurch beendigen zu können, daß er den Status quo der Teilung hinnimmt, akzeptiert, der wäre auf dem besten Wege, auch das noch zu gefährden, was bis jetzt gesichert ist. Aus diesem Grunde wage ich den Satz: es ist in einem letzten Sinn nicht wahr, daß die ungelöste deutsche Frage für das Bündnis und für unsere Partner nur ein Risiko, nur eine Last bedeutete. In dieser ungelösten deutschen Frage steckt zugleich die Chance, daß dieses Bündnis insgesamt das Schicksal derer nicht vergißt, die in der Sklaverei versunken sind. Denn nicht nur auf dem Felde der Strategie ist das Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten; auch auf dem Felde der Politik wird jener unterlegen sein, der dieses Gleichgewichtsgebot mißachten sollte.
Westberlin ist nicht zu sichern, indem es nur verteidigt werden soll, und die Bundesrepublik gefährdet der, der das deutsche Lebensrecht auf sie beschränken möchte.
({20})
Für beide braucht man aber nicht zu fürchten, wenn dem widerrechtlichen Verlangen der Sowjets, in Berlin und später dann in Deutschland vorzudringen, mit dem legitimen Recht und Anspruch unseres Volkes begegnet wird, seine ganze Freiheit wiederzuerlangen.
Sie mögen mich fragen, aus welchem Anlaß ich diese Rede führe. Diese Frage müßte leider zu der Antwort führen, daß es mehr als einen ernsten Anlaß hierzu gibt. Ich meine hier vor allem die Haltung eines sogenannten Realismus, die mehr und mehr zur Mode werden könnte.
Lassen Sie mich als Beispiel hierzu sagen, daß ich erst kürzlich einen ganzen großen Saal deutscher Studenten einem deutschen Professor, einem deutschen Historiker, dem Sohn eines recht berühmten Mannes, Beifall spenden sah, als er der deutschen Politik empfahl, sich nicht länger der Teilung unseres Landes zu widersetzen. Und wer in diesem Hause, meine Damen und Herren, kennt nicht jene Zeitungen und Kommentare, die uns Illusionäre schelten, weil wir es unternehmen, Ulbricht und den zweiten deutschen Staat zu ignorieren, wie sie sagen. Und sollten wir hier nicht auch sagen, daß zu jenem Kreis der sogenannten Realisten nicht zuletzt auch die gehören, deren ganze sogenannte Wirklichkeit sich im Grunde nur um ihre eigenen höchstpersönlichen Sorgen und Wünsche dreht.
Gewiß, meine Damen und Herren, die Motive, dieser sogenannten Realisten sind verschieden. Aber meist ist solcher Realismus nur ein Trick, ein frommer Selbstbetrug, der dazu dienen soll, sich aus der Wirklichkeit davonzustehlen - heimlich; denn getarnt mit diesem schönen Mantel des Realisten will da mancher der deutschen Wirklichkeit und der Last der Verantwortung entgehen, der deutschen Wirklichkeit der Narretei des Kommunismus, der auf deutschem Boden die Absurdität gewagt hat, die Verzweiflung einzumauern, statt sie aufzuheben.
Was deshalb nötig ist, ist einfach schonungslose Offenheit, ist die Offensive einer klaren Haltung. D a s ist die Offensive, von der ich schrieb, Herr Wehner, ist die Aggressivität der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit, ist jener Realismus, der Recht und Freiheit Wirklichkeit verschaffen will.
({21})
Der Sowjetoberst Tulpanow hat eine erstaunliche Ehrlichkeit besessen. Er hat nämlich geschrieben, die Mauer in Berlin sei die Grundlage der friedlichen Koexistenz. Er nennt es also Frieden; wir sagen dazu Mord, Verzweiflung, Sklaverei. Ich frage mich, ob vor diesem Friedensangebot, vor dem Angebot solcher „friedlichen Koexistenz" nicht doch jene althergebrachten Kategorien der Flexibilität, der intellektuellen Wendigkeit versagen, ob man nicht ganz einfach sagen muß: vor diesem sogenannten Angebot tut nichts mehr not als Selbstbehauptung, Standvermögen, Festigkeit und Selbstvertrauen. Was wir in diesem Zusammenhang am wenigsten ertragen können, ist Unklarheit und Zweifel über unsere eigene Haltung.
Das gilt zum Beispiel dort, wo einer sagt - und es_ ist nicht nur einer -, es sei nun nachgerade Zeit, die sogenannte Hallstein-Doktrin zu revidieren; denn - so wird das meist begründet - diese alte Hallstein-These stehe uns doch nur im Wege, unsere Politik nach Osten hin zu aktivieren. Davon, daß es mit Hilfe dieses Instruments bis auf den heutigen Tag ,gelungen ist, dem sogenannten zweiten deutschen Staat den Weg zur Anerkennung außerhalb des Sowjetblocks zu versperren, ist sehr viel weniger die Rede. Ich sehe jedenfalls keinen Vorteil, keinen einzigen, der uns Anlaß bieten könnte, in diesem Punkte auch nur einen Schritt zurückzugehen und damit jenen Riegel zu gefährden, der Ulbrichts Mauerbauer bisher daran gehindert hat, im Auftrag eines deutschen Staates deutsche Schande in die Welt zu tragen.
({22})
Noch sehr viel weniger verständlich scheinen mir allerdings gewisse Äußerungen des Herrn Regierenden Bürgermeisters Brandt, die er letzthin über seine Haltung zur Zone und über seine HalFreiherr zu Guttenberg
tung zur gemeinsamen westlichen Deutschlandpolitik gemacht hat. Meine Damen und Herren, um allen Mißverständnissen vorzubeugen: ich ,will Herrn Brandt nichts unterstellen; ich will ihm nicht unterstellen, daß er wirklich meinte, was er sagte, als er einer schwedischen Zeitung erklärte, die Frage der Anerkennung der Zone sei nicht sein Problem, sondern das Problem Bonns. Herr Wehner hat heute gesagt, dies sei eine Frage gewesen, vor der wir alle stünden. Er hat in einem tiefen Sinne recht. Aber, meine Damen und Herren, Herr Brandt hat keine Frage gestellt, Herr Brandt hat auf eine Frage geantwortet und hat gesagt, dies sei nicht sein Problem. Ich möchte wissen, wessen Problem es dann ist, wenn nicht das des Regierenden Bürgermeisters.
({23})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Ja.
Bitte, Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Abgeordneter, Sie haben hier so kenntnisreich über Ausführungen gesprochen, die, wenn ich Sie richtig verstanden habe, zunächst nichts mit dem Regierenden Bürgermeister zu tun haben, und sind jetzt übergegangen zu Ausführungen des Herrn Regierenden Bürgermeisters, wenn ich es richtig verstanden habe. Würden Sie sagen, ob Sie dessen Feststellung zu dem, was Sie ein Interview nennen und woraus Sie jetzt Fragen quotieren, kennen bzw. ob Sie bereit wären, sie kennenzulernen, bevor Sie hier Ihre Schlüsse vortragen?
Wenn Sie mir damit, Herr Wehner, unterstellen möchten, daß ich irgend etwas sage, über dessen Richtigkeit ich nicht vorher versucht habe, mich zu vergewissern, dann möchte ich diese Unterstellung zurückweisen,
({0})
ohne allerdings, Herr Wehner, das Wort „unfair" zu gebrauchen, das Sie vorhin mir gegenüber gebraucht haben.
Schönen Dank. Aber die andere Frage beantworten Sie damit nicht?
Welche war diese?
Die Feststellung, die von Herrn Brandt nun seinerseits zu dieser jetzt von Ihnen aufgestellten Behauptung längst öffentlich getroffen worden ist.
Herr Wehner, ich bin gerne bereit, Ihnen zu attestieren, daß wahrscheinlich auch Sie diese Äußerung des Herrn Brandt für falsch gehalten haben.
({0})
- Herrn Brandt sollte wissen
({1})
- Sie kriegen die Anwort gleich -, daß Äußerungen dieser Art vielleicht nicht nach seiner Absicht, gewiß nicht nach seiner Absicht, aber ganz einfach in ihrer Konsequenz geeignet sind, Zweifel zu erregen, geeignet sind, die Haltung einer großen deutschen Partei ins Zwielicht zu tauchen.
({2})
Herr Brandt ist aus ähnlichen Gründen der Öffentlichkeit noch eine Erklärung schuldig, die Erklärung nämlich, was er mit einem anderen Satze meinte, als er am 8. Oktober, eben frisch aus Amerika zurück, auf 'seiner Pressekonferenz wörtlich sagte - ich zitiere -, daß die Verträge des Jahres 1955 in einem Punkt als politisch überholt gelten müssen. Er hat auch deutlich klargemacht, welchen Punkt er damit meinte; denn er fuhr fort: In jenen Verträgen - des Jahres 1955 - hätten sich die drei Mächte ihre Rechte in bezug auf ganz Deutschland und Berlin vorbehalten.
Meine Damen und Herren, wenn es einen gibt, der es wissen muß, dann ist es Herr Brandt, daß mit diesen Verträgen sowohl die Verpflichtung der Westmächte für die Wiederherstellung des ganzen freien Deutschlands als auch - in der Form dieses Vorbehalts - die Verantwortung der Westmächte für eben 'dieses Ziel festgelegt sind.
({3})
Noch einmal, meine Damen und Herren von der SPD: ich zitiere diese Dinge nicht, um Herrn Brandt etwas zu 'unterstellen; ich halte es aber ganz einfach für unerträglich, gerade ads seinem Munde Sätze zu hören, die in entscheidenden Dingen Unklarheit schaffen und die Konturen verschwimmen lassen. Worum es mir im wesentlichen ging
({4})
- wenn Sie es gemerkt haben, habe ich mein Ziel erreicht, Herr Wehner -,
({5})
war der Versuch, zu zeigen, daß unsere Mühen sich nicht ausschließlich darauf konzentrieren dürfen, Westberlin vor ,dem Zugriff der Sowjets zu schützen. Was ich sagen wollte, ist dies: es ist für die ganze Allianz nicht weniger lebenswichtig, daß auch die vereinbarte gemeinsame Deutschlandpolitik des Westens fortgesetzt wird. Das war das Wesentlichste, und ich hoffe, daß auch Herr Wehner mir zustimmt. Ich weiß, daß er es tut. Es sollte an Hand von deutlichen Argumenten, von nüchternen Überlegungen klargestellt werden, daß es nicht, wie hier und da zu hören, deutsche Träumerei, Romantik, ja
sogar, wie in den letzten Tagen zu lesen, Zwangsvorstellungen seien, die uns bewegen. Denn unsere Sorge ist, daß eine falsche Politik Herrn Chruschtschow eines Tages die Chance geben könnte, den Hebel an der Teilung Deutschlands anzusetzen, der das Gefüge ganz Westeuropas aus den Angeln heben könnte. Deshalb ist es richtig, daß man von den Deutschen Geduld erwarten kann und .soll; aber niemand soll von uns verlangen, daß wir verzichten.
({6})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe leider an der gestrigen Debatte nicht teilnehmen können, weil ich zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom war. Aber ich darf sagen, daß ich der Debatte heute morgen nicht nur mit gespanntem Interesse, sondern teilweise mit großer Bewegung zugehört habe. Sie werden das um so mehr verstehen, als Sie wissen, daß ich morgen in die Vereinigten Staaten fliegen werde, um sowohl mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten wie mit dem amerikanischen Außenminister Unterhaltungen zu haben, die sich um das Thema drehen, das uns jedenfalls hier heute morgen am stärksten am Herzen gelegen hat.
Lassen Sie mich zunächst in aller Offenheit ein paar Worte über die Frage der Gemeinsamkeit sagen. Hier handelt es sich doch' offenbar um die Frage der Gemeinsamkeit zwischen Regierungskoalition und Opposition in den Fragen der auswärtigen Politik. Meine Damen und Herren, ich würde es trotz vieler an sich sicherlich sehr positiven Bemerkungen, die heute gemacht worden sind, für vermessen halten, zu sagen, daß wir etwa eine Gemeinsamkeit in allen außenpolitischen Fragen und Betrachtungen hätten. Das wäre, wie ich glaube, eine übertriebene Aussage. Aber es gibt eine Aussage, die eben niemand bestreiten kann und die niemand bestreiten sollte. Das ist diese Aussage: daß wir auf diesem Feld ganz anders als in den Bereichen der Finanz-, der Wirtschafts- und der Sozialpolitik eine Gemeinsamkeit des Schicksals gehabt haben, eine Gemeinsamkeit des Schicksals haben und morgen eine Gemeinsamkeit des Schicksals haben werden. Das verpflichtet uns, mit größter Sorgfalt und mit größter Bemühung immer wieder zu untersuchen, ob es nicht ein paar Aussagen der deutschen Politik gibt, die für uns alle einen gemeinsam tragenden Grund darstellen und darstellen können. Soviel zu diesem Problem.
Ich bin nicht etwa - und ich brauche das nicht erst zu sagen - für eine Gemeinsamkeit um jeden Preis. Ich bin auch nicht etwa nur deswegen für eine Gemeinsamkeit, weil es nicht schön wäre und weil es nicht zu den Aufgaben des Parlaments gehörte, eine kontroverse Diskussion zu haben. Die Essenz des Parlaments besteht für mich immer - und ich gehöre diesem Haus nun schließlich seit 1949 an - darin, daß eben mit großer Leidenschaft unter Umständen sehr kontrovers diskutiert wird, nicht um sich gegenseitig wehe zu tun, sondern um so schärfer herauszuarbeiten, was es eigentlich zu entscheiden gilt und was ein ganzes Volk bei den Wahlen zu entscheiden hat.
Herr Kollege Wehner hat ein paar Worte darüber gesagt, wie z. B. in Großbritannien bei den Erörterungen der nächsten Tage das aussehen würde, was gestern - ich habe es leider hier nicht gehört - hinsichtlich der britischen Frage ausgeführt worden ist. Nun, meine Damen und Herren, im Blick auf Großbritannien wird man natürlich immer leicht in der Gefahr sein, ein bißchen neidisch zu werden. Dort gibt es ein so unzerstörtes nationales Gefühl, dort gibt es ein so unzerstörtes nationales Gefüge, daß sich dort bei aller Kontroverse viele Dinge eben leichter tun als bei uns. Ich bin allerdings nicht der Meinung, daß wir hier sozusagen ein Spiel mit verteilten Rollen aufführen könnten. Ich habe dieses Spiel mit verteilten Rollen immer als einen schlechten Ausdruck empfunden. Aber das, was wir haben können und haben sollten in ein paar wesentlichen Dingen, ist eben ein gutes Zusammenspiel, und um dieses Zusammenspiel werden wir uns immer wieder bemühen müssen.
Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung am vergangenen Dienstag die Richtlinien der Politik dargelegt, die für unser weiteres Tun und Handeln gelten sollen. Bei diesen Richtlinien ist zwischen zwei großen Komplexen zu unterscheiden: einmal der Wirtschafts-, Sozial-, Finanz- und Steuerpolitik und zum anderen eben jenem Bereich der auswärtigen Politik. Wenn man noch einmal sorgfältig die Regierungserklärung und jede Einzelheit, die hier in der Debatte geäußert worden ist, durchgeht - und man muß das einmal tun -, so muß man wahrscheinlich sagen, daß diese Richtlinien der Politik in der Tat weithin Zustimmung auf allen Seiten des Hohen Hauses gefunden haben. So sind sie im Bereich der auswärtigen Politik nach der ausdrücklichen Aussage des Herrn Bundeskanzlers gedacht gewesen, und alles, was wir dabei an Zustimmung bekommen, werden wir nur dankbar werten.
Ich brauche jetzt keine dieser Linien im einzelnen noch einmal nachzuziehen. Das Problem, das für uns sozusagen nach der diplomatischen Intensität der nächsten Zeit stark im Vordergrund steht, ist natürlich jenes große Problem des Beitritts Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt. Darüber gibt es hier, soweit ich sehe, gar keine Kontroverse. Es muß völlig klar sein, daß wir genauso gewissenhafte Verhandlungspartner - ich gebrauche ungern den Ausdruck „harte Verhandlungspartner", weil das Wort „hart" das nicht richtig aussagt,- auf unserer Seite und auf der Seite der Sechs sein werden, wie das derjenige, der beitreten will, für sich aussagt und natürlich auch für seine Commonwealth-Interessen und die Interessen des Commonwealth auszusagen hat. Aber in der Sache selbst gibt es hier keine wirkliche Kontroverse mehr, und ich begrüße das aus folgendem Grunde.
Wir sind alle allzu leicht geneigt, in der Bewertung von neuen Entwicklungen zurückzugreifen in ein Stück Geschichte, das eben jüngst hinter uns liegt oder vielleicht auch einige Jahrzehnte weiter
Bundesaußenminister Dr. Schröder
hinter uns liegt, um aus den dort gewonnenen Erfahrungen Schlüsse zu ziehen für das, was es jetzt zu tun gilt. Das ist eine ganz notwendige und es ist eine ganz menschliche Methode, die natürlich jeder anwenden wird. Aber man darf eines nicht aus dem Blick verlieren. Man darf nicht verlieren den Blick dafür, daß es in der Welt plötzlich, schneller als erwartet, Entwicklungen gibt, die man eben nicht nur so langsam hat heranreifen sehen, sondern die sich aus intensiven Veränderungen der Welt plötzlich ergeben, schneller ergeben, als es vielleicht vorausgesagt worden wäre.
Die Völker der Welt befinden sich in einem gewaltigen Umwandlungsprozeß. Sie brauchen nur einen Blick nach New York zu werfen, wo gerade das 109. Mitglied in die UNO aufgenommen worden ist, um das zu sehen, was hier in den jüngeren Zeiten vor sich gegangen ist und unter unseren Augen weiter vor sich geht.
Ich möchte das einmal an einem anderen Bild zeigen: Die Menschheit 'hat ein paar tausend Jahre an Bemühungen darauf verwandt, ein bißchen fliegen zu können, und das hat sie so um die Wende dieses Jahrhunderts herum in einigen primitiven Anfängen schließlich fertigbekommen. Nach ein paar Jahrtausenden! Heute, 60 Jahre später, beschäftigen wir uns mit jenen Problemen der Kosmonauten, wie sie die Sowjets getauft haben, also mit Dingen, die doch in ungeheures Beschleunigungstempo dieser Entwicklung darstellen. Wir haben die Aufgabe - ob uns das gefällt oder nicht -, uns vor diesen Problemen zurechtzufinden und hier dabeizubleiben, nicht nur dabeizubleiben auf den Gebieten der Wissenschaft und Wirtschaft, die natürlich ,ganz entscheidende Gebiete sind, das Gebiet der Wissenschaft vielleicht sogar entscheidender als alles andere. Wir haben aber auch in unserer politischen Praxis dabei zu bleiben. Wo würde das stärker gelten als auf dem Feld der auswärtigen Beziehungen? Deswegen hat es keinen Zweck mehr, Großbritannien und dieses Problem seines Beitritts zur EWG heute noch an vielleicht früheren ungünstigen Erfahrungen messen 2u wollen. Es muß vielmehr an der Aufgabenstellung gemessen werden, vor der wir uns heute befinden. Die Aufgabenstellung, vor der wir uns befinden, ist im Grunde sehr einfach. Wenn jemand sagt: Großbritannien ist eigentlich noch nie so richtig auf dem Kontinent gewesen, dann kann ich darauf nur sagen: Die Russen sind auch noch nicht vor Lübeck und Hamburg gewesen, wie sie das heute sind. Das sind Veränderungen unserer Welt, mit denen wir irgendwie fertig werden müssen.
Das 'Große, was 'hier heranreift, was heranreifen kann und heranreifen muß, das ist ein Europa nach dem Beitritt Großbritanniens, das über mehr als 220 Millionen Menschen verfügen wird, ein Europa, dessen politische Gestaltung uns dann 'hoffentlich gelingen "wird - hier gibt es Fragen, die ich keineswegs bagatellisiere -, ein Europa, in seiner wirtschaftlichen und in seiner Menschenkraft größer als die Sowjetunion, weit größer als die Vereinigten 'Staaten. Das sage ich nicht, um dieses Europa so zu malen, als wenn es in irgendeine besondere Rolle einer dritten Kraft geraten sollte. Nein, dieses
Europa 'soll nach unserem Willen so ausehen, daß es einen kräftigen Pfeiler einer Art von atlantischer Brücke darstellt.
Meine Damen und Herren, das sind die Größenordnungen, in denen zu denken wir uns angewöhnen müssen. Deswegen ist dieser Vorgang, von dem ich gerade spreche, eine der wichtigsten unserer Bemühungen in 'den kommenden Wochen und Monaten, ohne daß ich damit eine 'falsche Prioritätenliste eröffnen möchte.
Dazu möchte ich noch .zwei weitere Worte sagen. Daraus, daß der Akzent hei 'dem, was ich gerade gesagt habe, auf 'Großbritannien liegt, mag bitte niemand schließen, daß 'ich etwa weniger Akzent auf Frankreich lege. Es soll bitte auch niemand daraus schließen, daß ich weniger -Akzent auch auf Italien und die kleineren Länder, die Benelux-Staaten 'lege, die mit uns 'zusammen in unserer SechserGemeinschaft sind. Man muß es sehr hoch bewerten - und es wird gut sein, sich -das sozusagen für den Geschichtsunterricht immer wieder 'vorzuhalten -, daß es eine ganz große und ganz bedeutende Leistung der Sechs gewesen ist, über deren Fortsetzung wir nun sprechen. Das waren große Entschlüsse, hervorgegangen aus einer Annäherung Frankreich - Deutschland, positiv aufgenommen von Italien, positiv aufgenommen von den 'Benelux-Staaten. Deswegen müssen wir ganz deutlich machen, daß wir, selbst wenn wir in unserer Diskussion aus aktuellem Anlaß das eine oder andere vielleicht einmal ein bißchen stärker akzentuieren, in keinem Augenblick den Blick für das verlieren, 'was diese Sechs geleistet haben. Dies zu sagen liegt mir besonders nahe, da ich gestern in -Rom ,gewesen bin und weil ich nicht gern den Eindruck aufkommen ließe, daß wir hier in irgendeiner Weise diskriminierend vorgehen wollten. Nein, wir wissen, daß man Freunde, die man gewonnen hat, unter allen Umständen zu halten versuchen sollte. Wir in unserem Vaterland sind in einer Lage, in der wir nicht etwa bereitwillig bisherige Freunde wegschenken könnten. Wir haben sie vielmehr mit großer Sorgfalt zu pflegen.
({0})
Nun noch ganz wenige Worte über die Vereinigten Staaten. Sie werden verstehen, daß ich mich da etwas zurückhaltend ausdrücke, weil ich nicht Unterhaltungen der nächsten Tage und späteren Aussagen in diesem Hohen Hause über solche Unterhaltungen vorgreifen möchte. Aber eines ist ganz sicher, und diese Sicherheit sollte man intensiver herausstellen - in jeder Weise, nicht nur immer wieder durch feierliche Regierungsdeklarationen -, als das dann und wann geschieht: daß die Vereinigten Staaten - und das gilt für den Präsidenten, das gilt für die Administration, das gilt aber auch ganz weithin für das amerikanische Volk und für die amerikanische Öffentlichkeit - diese ihr Schicksal mit unserem Schicksal verbindenden Zusagen über Berlin wirklich mit vollem Ernst und voller Entschlossenheit gegeben haben. Daran sollte man nicht die Spur eines Zweifels aufkommen lassen. Sicher ist der Zweifel etwas, was im Anblick von großen Gefahren in die Herzen der Menschen schleicht. Aber, meine Damen und Herren, wen hat man auf
Bundesaußenminister Dr. Schröder
der anderen Seite? Auf der anderen Seite hat man es mit den Sowjets zu tun. Wenn Herr Chruschtschow seinen westlichen Besuchern in den letzten Tagen und Wochen immer wieder gesagt hat: „Ach, ihr werdet ja nicht kämpfen! Ihr seid viel zu liberal, um hier zu kämpfen! Außerdem kennen wir alle eure Pläne. Eure Pläne imponieren uns gar nicht" - meine Damen und Herren, warum sagt er das? Er sagt das natürlich, weil auch diese Unterhaltungen für ihn ein Stück Kriegführung sind. Das ist ein Stück psychologische Kriegführung, um dadurch Reaktionen der Verzagtheit auszulösen und um sich seinerseits in die Rolle zu bringen, in der er sich so gern fühlt, trotz gewisser Umstände, die ihn dort zögernder machen könnten: in die Rolle dessen, mit dem schließlich die Weltgeschichte und der Lauf der Ereignisse in diesen unseren Jahren sind.
Meine Damen und Herren, es ist vorhin schon mit ein paar Worten - ich glaube, von Kollegen Wehner - über die neueren Betrachtungen, die die Sowjets z. B. über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft anstellen, gesprochen worden. Wenn man sich das ein bißchen ansieht und weiterspinnt, dann weiß man, daß die Sowjets keineswegs mehr so davon überzeugt sind oder überzeugt sein können, daß die Geschichte nun einfach mit ihnen und mit der roten Fahne an der Spitze weiter über uns alle hinwegrollen würde. Ich glaube, Chruschtschow selbst hat hier eine ganze Menge Zweifel im eigenen Herzen sitzen. Diese Zweifel sollten wir bei ihm intensiv verstärken durch unser Handeln, meine Damen und Herren. Denn das Schicksal Berlins hängt eben in der Tat daran - das muß man einmal mit aller Nüchternheit und Entschlossenheit aussprechen -, daß sich Chruschtschow in Berlin mit dem vollen Risiko konfrontiert sieht. Daran hängt das Schicksal Berlins, meine Damen und Herren.
({1})
Deswegen darf man auch nicht etwa den Gedanken aufkommen lassen, den die sowjetischen Diplomaten gern unter die Leute bringen, vor allen Dingen unter die Amerikaner bringen. Sie bringen den Gedanken: „Mit euch würden wir ja schon irgendwie einig werden; es ist nur der böse Bundeskanzler Adenauer, der euch, die Amerikaner, hindert, einzugehen auf das, worauf ihr sonst etwa würdet eingehen können." Meine Damen und Herren, man muß klarmachen, daß das nicht nur der böse Bundeskanzler Adenauer ist; man muß ganz klarmachen, daß die Amerikaner selbst genauso entschlossen sind wie - verzeihen Sie den Ausdruck, Herr Bundeskanzler - der böse Bundeskanzler Adenauer; das ist also eine sowjetische Darstellung, die aber in Ihren Ohren, Herr Bundeskanzler, sicherlich eine Ehrenerklärung höchsten Ranges sein wird.
Meine Damen und Herren, ich werde über dieses Thema jetzt nicht mehr sagen, als daß ich eine Aussage wiederhole, die ich in Berlin gemacht habe. Ich habe in Berlin gesagt - dabei habe ich darauf hingewiesen, daß das nicht die Spur mit Pathos zu tun hat, sondern daß das eine ganz klare Willensaussage ist - und wiederhole das hier: „Dies ist unsere Stadt, dies bleibt unsere Stadt." Meine Damen und Herren, das ist die Haltung, mit der allein wir dieses Problem behandeln können, jedenfalls in seiner Essenz behandeln werden.
Und nun mit ein paar Worten zu Vorschlägen, die hier gemacht worden sind, die ich gestern leider nicht mitgehört habe und die ich mir jetzt eigentlich nur durch das Nachlesen vermitteln kann.
Da ich gerade bei Berlin bin: es ist, offenbar von dem Kollegen Ollenhauer, angeregt worden, zu überlegen, ob man nicht ein Gremium bilden könnte, das wohl aus Vertretern der Bundesregierung, Vertretern des Berliner Senats und Vertretern der politischen Parteien bestehen sollte. Herr Kollege Ollenhauer, ich möchte da in voller Offenheit sagen, daß ich ein solches Gremium nicht bilden würde; und. ich will Ihnen auch gleich hier in voller Offenheit erklären, warum nicht. Man muß meiner Meinung nach auseinanderhalten die Dinge, die man unter Umständen in gemischten Gremien gemeinsam tun kann, und jene Dinge, die man eher in der Behandlung und der Verantwortung der Regierung sein lassen muß. Und hier gilt im Verhältnis zwischen Bundesregierung und Berliner Senat - den sehe ich jetzt einmal, obwohl das mißverstanden werden könnte, eben als eine Regierung an; ich gehe hier nicht weiter auf die verfassungsrechtlichen Punkte ein -, daß diese Art von Zusammenarbeit gut und eng und intensiv sein muß, weil nämlich für die an der Zusammenarbeit Beteiligten mehr oder weniger immer die gleichen Amtspflichten gelten. Es gibt also, bei aller Verschiedenheit, immer auch eine gewisse Gemeinsamkeit von Regierungen, und die besteht darin, daß Regierungen untereinander unter Umständen doch noch besser und intensiver sprechen, als wenn sie mit anderen Beteiligten zusammen sind. Aber damit sage ich ja nichts Neues.
Aber wenn ich meine, daß diese Dinge zwischen Bundesregierung und Senat von Berlin eng behandelt werden und weiter behandelt werden sollten, so bin ich ebensosehr damit einverstanden, daß die Essenz dessen, was dort gedanklich traktiert wird, natürlich auch in anderen geeigneten Gremien besprochen wird. Dazu gehört in erster Linie der Auswärtige Ausschuß. Ich glaube, Sie werden selbst zugeben müssen, daß das ein Gremium ist, in dem das weitgehend geschehen kann. Es steht auch gar nichts im Wege, daß wir unter Umständen bestimmte Fragen noch einmal wieder in entsprechenden kleineren Kreisen erörtern. Aber vom Institutionellen her möchte ich nicht für die Einsetzung eines Gremiums sein, weil dies dazu führen könnte, sowohl die Verantwortung ein bißchen zu verwischen als auch diese oder jene andere Schwierigkeit zu verursachen.
Ich möchte zu, dem Problem Friedensvertrag usw. nicht allzuviel sagen. Die Debatte ist darüber ja auch nur zum Teil gegangen. Ich will etwas wiederholen, was ich dazu gelegentlich gesagt habe. Natürlich muß ein verantwortlicher Politiker die Umrisse eines möglichen Friedensvertrages im Kopf haben. Aber, meine Damen und Herren, es wäre ein geradezu tödliches Unterfangen - bitte, glauben Sie mir das! -, wenn wir in irgendwelchen Gremien zu noch so vorsichtigen schriftlichen Fixierungen kommen sollten. Ich habe überhaupt noch nicht, wirklich
Bundesaußenminister Dr. Schröder
überhaupt noch nicht erlebt, daß die Essenz einer solchen Sache geheim bleiben könnte. Das ist ausgeschlossen. Das hat nichts mit der Verläßlichkeit der daran Beteiligten zu tun, sondern das hängt einfach damit zusammen, daß direkt und indirekt solche Gedankengänge ihren Ausdruck an anderer Stelle finden. Meine Damen und Herren, wenn Sie einmal in den Kategorien der gegenseitigen Generalstäbe denken: Was können Sie dem sowjetischen politischen Generalstab für einen größeren Gefallen tun, als wenn Sie auch noch so vertraulich unter verantwortlichen Männern wohlgemerkt - unter unverantwortlichen Leuten zu diskutieren ist kein Problem - diskutieren wollten: Das und das können wir sozusagen notfalls tun! Meine Damen und Herren, das ist tödlich und das ist etwas, wozu wir uns unter gar keinen Umständen hergeben können, so gut es von denjenigen gemeint ist, die es anregen. Das gehört - ich sage es noch einmal - derzeit nicht auf Papier, sondern in den Kopf; denn es wäre unvermeidlich, daß alle jene Fragen wie die Grenzen, wie die Bündnisse, wie die Verteidigung dann in einer Weise erörtert würden, die natürlich ein hervorragendes Spielmaterial für jenen Gegner wäre, mit dem wir uns eines Tages auseinanderzusetzen haben.
Im übrigen kennt dieser Gegner sehr genau die Grundideen über eine Friedensregelung, wie sie in den Köpfen der Deutschen sind. Das ist eine Friedensregelung, die eben überhaupt nur ein Prinzip als ein tragendes und gestaltendes Prinzip enthalten kann, nämlich das Prinzip der Selbstbestimmung. Solange auch nicht nur von weitem zu sehen ist, daß sich - ich habe gerade gesagt: Gegner -, sagen wir einmal: jener gedachte künftige Vertragspartner bereit ist darauf einzulassen, wäre alles andere höchst gefährlich.
Meine Damen und Herren, wir werden ja in den nächsten Wochen vielleicht Gelegenheit haben, im Auswärtigen Ausschuß weiter über diese Dinge zu sprechen. Deswegen will ich nur noch zwei Aussagen zum Schluß machen. Ich sage es noch einmal wieder, weil ich glaube, daß es für die Berliner notwendig ist, dies zu wissen, nicht weil wir das für pathetisch gut hielten, sondern damit sie es kennen als eine Aussage unseres gemeinsamen Willens: Dies ist unsere Stadt, dies bleibt unsere Stadt und - ich gehe nun über zu uns im ganzen - dies i s t ein freies Land, dies bleibt ein freies Land. Nun gibt es den einen oder anderen, meine Damen und Herren, der sagen würde: Diese Aussage geht nicht weit genug. Ich will sie daher ganz klar und bewußt erweitern und sagen: Dieses freie Land arbeitet dem Tag entgegen, an dem ganz Deutschland wieder frei sein wird.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor wir uns dem heutigen außenpolitischen Abschnitt der Debatte zuwenden, möchte ich noch kurz auf die Intervention des Herrn Bundeskanzler zur Frage seines Verhältnisses zu den Gewerkschaften in unserem Lande eingehen. Er hat dargelegt, welch große Bemühungen er persönlich unternommen habe, um die Mitwirkung der Arbeitnehmerorganisationen in bestimmten entscheidenden wirtschaftspolitischen Fragen zu gewinnen. Ich bin davon überzeugt, daß es hier nicht nur eines gelegentlichen Gesprächs, sondern eines möglichst häufigen Kontaktes der großen Arbeitnehmerorganisationen mit den Führern der deutschen Politik bedarf. Aber wenn schon derartige Gespräche stattfinden, dann sollten sie auch dazu führen, daß man allgemein in unserem Lande zu einem Klima kommt, in dem - wie gestern, glaube ich, gesagt worden ist - die Gewerkschaften nicht das Gefühl haben, ständig in die Rolle des Beschuldigten gedrängt zu werden.
Ich möchte hier einen konkreten Einzelfall erwähnen - er ist leider sehr aktuell -, der mir nicht davon zu zeugen scheint, daß der Herr Bundeskanzler wirklich alles tut, um das Verhältnis zu den Gewerkschaften in dem hier geschilderten günstigen Sinne zu gestalten. Die Fraktionen haben heute ein Telegramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes bekommen, das sich mit der Besetzung einer sehr wichtigen europäischen Funktion in der Montanunion beschäftigt. Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten aus diesem Telegramm einen wichtigen Abschnitt hier vorlesen:
Bei der Gründung der Montanunion hatte die Bundesregierung den Grundsatz gebilligt, von den zwei deutschen Vertretern einen zu benennen, der vom Deutschen Gewerkschaftsbund vorgeschlagen wurde. So wurde Dr. Heinz Potthoff auf Vorschlag des DGB zum Mitglied der Hohen Behörde der Montanunion benannt. Durch den Rücktritt von Dr. Heinz Potthoff wurde es notwendig, diese Position neu zu besetzen. Der Bundeskanzler hat in Gesprächen mit den Vertretern des DGB ausdrücklich erklärt, daß auch bei dieser Neubesetzung Vorschläge des DGB berücksichtigt würden. Der DGB hat rechtzeitig schriftlich und in direktem Gespräch mit dem Bundeskanzler einen Kandidaten vorgeschlagen, der sowohl in fachlicher und persönlicher Hinsicht den an den Vertreter der Bundesrepublik in der Hohen Behörde gestellten Anforderungen voll entspricht und der durch langjährige Tätigkeit mit den in der Montanunion zu behandelnden Problemen der betroffenen Wirtschaftszweige bestens vertraut ist.
Auf diese Vorstellung wurde ein hinhaltender Bescheid gegeben, bis dann das Bundeskabinett unter Dr. Adenauer am 10. 10. 1962 ohne vorherige Rücksprache oder Unterrichtung des DGB den Beschluß faßte, Herrn Staatssekretär Dr. Hettlage vom Bundesfinanzministerium als Vertreter der Bundesrepublik bei der Hohen Behörde für Kohle und Stahl anstelle von Herrn Dr. Potthoff zu benennen.
({0})
In dem Telegramm heißt es weiter:
Der DGB erblickt in der Art der Behandlung dieser Frage eine bewußte Brüskierung der Gewerkschaften, auf deren sachliche Mitarbeit die Bundesregierung gerade in den Institutionen der Europäischen Gemeinschaften weitgehend angewiesen ist.
Die Gewerkschaften müssen in diesem Verhalten einen zusätzlichen Beweis dafür sehen, in welcher Weise die Bundesregierung offensichtlich über die anderswo selbstverständlichen Regeln politischen Verhaltens sich hinwegsetzen zu können glaubt,
({1})
und wie sie nicht versäumt, das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Bundesregierung zu verschlechtern.
({2})
Meine Damen und Herren, ich habe volles Verständnis dafür, daß die Bundesregierung Überlegungen angestellt hat, wie sie Herrn Bundesfinanzminister Starke dabei helfen kann, zu einem anderen Staatssekretär zu gelangen.
({3})
Aber daß man dieses Problem so löst, daß man es mit einer Herausforderung der Gewerkschaften verknüpft und damit gegen die bisher bewährte gute Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften in der Montanunion verstößt, dafür fehlt meinen politisehen Freunden jedes Verständnis.
({4})
Nun zu den heute erörterten außenpolitischen Fragen. Der Herr Bundesaußenminister hat einen Überblick über eine Reihe von in der Welt sich vollziehenden schnellen Umwälzungen gegeben. Er hat uns daran gemahnt, daß wir in dieser schnelllebigen Zeit immer nahe bei den Problemen bleiben müssen. Ich glaube, es ist auch wohl dieser Gedanke gewesen, der den Herrn Bundesaußenminister dazu geführt hat, vor einiger Zeit schon Gedanken zu erwägen, wie man auch in unserem Lande im Auswärtigen Amt eine Art politischen Planungsstab einrichten könne. Mit anderen Worten: das Vorausdenken und gelegentlich sogar das schriftliche Fixieren bestimmter möglicher Entwicklungen und Positionen gehört zum Handwerkszeug moderner Außenpolitik. Deshalb habe ich es nicht ganz verstanden, daß in der für uns außerordentlich wichtigen Frage der gemeinsamen westlichen Vorstellungen über eine Friedensregelung für ganz Deutschland der Herr Außenminister dieses Vorausdenken für zu gefährlich erklärt hat.
({5})
- Aber wenn es nur in den Köpfen bleibt, ist es morgen unter Umständen wieder vergessen; das wissen Sie doch auch. Große Gedanken müssen von Zeit zu Zeit auch einmal im Gespräch und in der Diskussion und in der Niederschrift in einem entsprechend engen Kreise - jawohl! - diskutiert und geklärt und geprüft werden. Denn was soll einmal mit allen Gedanken geschehen, wenn der Träger dieser Gedanken plötzlich stirbt und damit alles, was er angehäuft hat an Kenntnissen und Erfahrungen, verloren geht?
({6})
So geht es doch nicht. Aber ich verstehe die Bedenken des Herrn Außenministers. Ich teile sie nicht. Denn ich weiß, daß es eine Reihe anderer, genauso diffiziler außen- und verteidigungspolitischer Probleme gibt, bei denen immer die Gefahr besteht, daß der Gegner unter Umständen zur Unzeit mithört. Das wissen wir. Das entbindet uns nicht von der Verpflichtung, hier bei uns zu prüfen und zu überlegen, wie wir im Verein mit unseren westlichen Freunden jener sowjetischen Diffamierungskampagne wirksam entgegentreten können, die dahin zielt, daß die Sowjetunion, die doch in Wahrheit mit ihrem Spaltungsdiktat die Spannungen verschärft, angeblich einen Frieden wolle und wir in der Bundesrepublik Deutschland das nicht wollten.
Wir wollen uns hier nicht über die Einzelheiten der Prozedur streiten. Wir haben ein paar Vorschläge gemacht, wie wir uns auch diesem Problem so zuwenden können, daß der deutschen Sache kein Nachteil geschieht. Ich bin überzeugt, daß, wenn der Herr Bundesaußenminister noch einmal Gelegenheit nimmt, sich die entsprechenden Papiere und Reden dazu sorgfältiger anzusehen, vielleicht doch - ohne daß eine verfassungsrechtlich neuartige Institution geschaffen werden sollte; das wollen wir gar nicht - eine feste Gesprächsform hergestellt werden kann, die dazu führt, daß diejenigen, die man zu einer breiten Grundlage für die Herstellung politischen Handelns der Umwelt gegenüber braucht, in einer geeigneten Weise an der Beratung und Vorbereitung solchen politischen Handelns auch beteiligt werden.
Das ist doch das Thema, um das es geht. Gerade weil wir die Sorge wegen eines unzeitigen Zerredens haben, deshalb haben wir ganz bewußt einen Vorschlag gemacht, der - nach bitteren Erfahrungen in der Vergangenheit - den Kreis der Beteiligten nicht allzu groß werden läßt. Das ist doch wohl des Nachdenkens wert.
Die Rede des Herrn Bundesaußenministers hat sich im übrigen sehr wohltuend von manchen Diskussionsbeiträgen unterschieden, die doch wohl ein bißchen darauf angelegt waren - lassen Sie es mich ehrlich sagen -, Händel zu suchen. Ich frage mich, ob bei aller Notwendigkeit der Profilierung des Gesichts von Parteien die gegenwärtige außenpolitische Lage unseres Volkes und unserer Hauptstadt den heutigen Tag dafür besonders geeignet macht.
({7})
Deshalb lassen Sie mich einiges zur Methode außenpolitischer Erörterungen in dieser sehr gefährlichen Zeit sagen. Natürlich kann und darf der Deutsche Bundestag zu den Lebensfragen der Nation nicht einfach schweigen. Das Volk erwartet, daß die Regierung und dieses Haus - und das ist geschehen - in einigen wichtigen Fragen unmißverständlich
klarmachen, wo sie stehen. Das Volk will wissen, ob und wie wir uns des Ernstes der Lage auch bewußt sind und wie breit die Grundlage ist, die geschaffen werden kann, um mit gemeinsamen Kräften die Lage so gut es geht zu meistern.
Wir wissen - darin trennt uns nichts -, daß es heute vor allem auf die Abwehr des sowjetischen Vorstoßes gegen die Freiheit Berlins ankommt, des sowjetischen Versuchs, die Spaltung unseres Landes zu zementieren und damit gleichzeitig unseren Landsleuten in Mitteldeutschland jede Hoffnung auf eine spätere Änderung ihres schrecklichen Loses unter kommunistischer Gewaltherrschaft zu nehmen. Die Abwehr dieser Versuche gebietet größte Geschlossenheit.
Dennoch leugnet niemand - das wäre geradezu kindlich -, daß man auch bei dieser notwendigen Geschlossenheit in den Prinzipien, auf die es ankommt, Einzelfragen verschieden beurteilen kann. Hier geht es doch wohl auch um eine Grundhaltung, ob man gewissermaßen abwarten soll, bis die Sowjetunion den nächsten Schritt zu unserem Nachteil tut, und ob man sich lediglich darauf verlassen kann, solche Abwehrmaßnahmen in der Hand zu haben, daß dieser Schritt vielleicht nicht erfolgt, oder ob man statt dessen im Verein mit unseren Freunden sich überlegt, ob es nicht einen Weg gibt, sich das Gesetz des politischen Handelns nicht nur vom Gegner und seinen angedrohten oder tatsächlich durchgeführten Schritten vorschreiben zu lassen.
Ich teile Ihre Überzeugung, Herr Kollege Guttenberg, daß es hier auf eine klare und entschlossene Haltung ankommt. Aber die Haltung, die sicher notwendig ist, um die eigene Position mit aller Entschlossenheit zu verteidigen, muß, glaube ich, bei einem Gegner wie der Sowjetunion genau auch das aufweisen, wovon Sie an anderer Stelle geschrieben und heute auch gesprochen haben, nämlich ein Stück Dynamik. Wer - lassen Sie mich das kurz noch einmal sagen - angesichts der sowjetischen Versuche, den Status quo in Mitteleuropa und Berlin zu unserem Nachteil zu verändern, sich lediglich darauf beschränkt, die Entschlossenheit, den Status quo zu verteidigen, zu verkünden und sonst nichts, wer nur den anderen gegen den Status quo drücken läßt, der riskiert, daß dieser Status quo zum Vorteil des anderen und zum eigenen Nachteil verändert wird.
Ich will hier aus guten Gründen, die Sie genauso gut kennen wie ich, nicht in die Einzelheiten gehen und nicht untersuchen, was angesichts der sehr engen Marge deutscher Handelsmöglichkeiten auf diesem Feld getan werden kann. Ich meine nur, es lohnt sich, sorgfältig miteinander auch über dieses Erfordernis zu sprechen, und dazu haben wir, glaube ich, einen förderlichen Weg vorgeschlagen. Dabei kommt es' darauf an, abzustecken, wie breit - und zwar möglichst breit - die Grundlage für gemeinsames Handeln geschaffen werden kann. Die Regierung ist stärker, wenn sie sich bei politischem Handeln auf eine möglichst breite Zustimmung in diesem Hause und in der Öffentlichkeit stützen kann. Ich wiederhole, was wir in früheren Debatten schon gesagt haben. Das kann aber dann nicht einfach so gehen, daß die Regierung von sich aus sagt:
Nach reiflicher Prüfung haben wir dieses und jenes vorgeschlagen, und wir fordern das Hohe Haus auf, sich hinten anzuschließen. Dann muß man vielmehr mit denen, die nicht in der Regierung sitzen, auch über dieses gemeinsame Handeln sprechen und ihnen das Gefühl des Mitwirkens an den zu unternehmenden politischen Schritten geben. Dann wird die Grundlage breiter sein.
Wir sind in diesem Hause trotz der Kontroversen, die hier heute aus einem bestimmten Teilaspekt, auf den ich noch kommen werde, wieder aufgeklungen sind, doch in vielen Fragen auch unseres außenpolitischen Verhaltens nicht erst in den letzten Jahren seit dem sowjetischen Ultimatum gegen Berlin ein gutes Stück Weges gemeinsam gegangen. Das fing doch mit jenem Akt des außenpolitischen Bekenntnisses der Bundesrepublik an, der uns seinerzeit viel Vertrauenskapital erworben und manche Hemmnisse gegen uns Deutsche abgebaut hat, als wir in diesem Hause den Wiedergutmachungsvertrag mit Israel beschlossen. Das war ein wichtiges Stück außenpolitischen Handelns.
({8})
Wer einmal in die Vereinigten Staaten von Amerika gereist ist, der weiß, welche Bedeutung diesem Vertragswerk auch und gerade für die Gestaltung der deutsch-amerikanischen Beziehungen zugekommen ist.
Wie war es denn damals mit der Mitwirkung der Opposition? War die Mitwirkung eigentlich genauso ungeteilt auf allen anderen Seiten des Hauses?
({9})
Meine Damen und Herren, ich habe vorhin durch einen Zwischenruf klargemacht, daß eine solche Gemeinsamkeit in breiten Teilen dieses Hauses auch bei dem sehr wichtigen, vorwärtsweisenden Beschluß der Bundesrepublik Deutschland bestand, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft beizutreten. Wir haben uns weiter darum bemüht, diese europäischen Gemeinschaftseinrichtungen, die ja mehr sind als lediglich Einrichtungen der freundschaftlichen Zusammenarbeit von Regierungen, fortzuentwickeln. In den letzten Jahren - das sagte ich schon - hat uns die Lage dann alle dazu gebracht, uns um unsere bedrohte Hauptstadt zu scharen und miteinander das Notwendige zu tun, um unsere und unserer Hauptstadt Freiheit zu schützen.
Ich bringe das in Erinnerung, weil gerade dieser Rückblick zeigt, wie gefährlich es wäre, das abzuwerten mit Worten wie dem, es handle sich da um nichts anderes als um den faulen Zauber der Gemeinsamkeit. Wehe unserem Volke, wenn in der jetzigen Lage eine Partei glaubt, ihr Profil nur dadurch zurückgewinnen zu können, daß sie auf dem Feld der Außenpolitik . geradezu künstlich Händel sucht!
({10})
Deshalb fand ich einen Teil der heutigen Debatte so gespenstisch. Nehmen wir einmal das europäische Kapitel heraus.
({11})
- Helmut Schmidt hat nicht in diesem Hause debattiert, sondern sich in der Literatur genauso an einer Diskussion beteiligt wie andere auch. Und wenn Sie sich z. B. einmal den Beitrag von Herrn Schmückle ansähen, dann würden Sie erkennen, woher der größere Schaden für die deutsch-amerikanischen Beziehungen gekommen ist.
({12})
Damit meine ich nicht, daß Helmut Schmidt einen Schaden angerichtet hat. Das ist ein anderer Punkt. Aber darauf komme ich noch.
({13})
- Darauf komme ich noch.
Ich darf daran erinnern, daß es der Bundeskanzler selbst und der Kollege Majonica gewesen sind, die ihrerseits die Töne für eine bestimmte, notwendig gewordene Replik gestimmt haben, und das wollte ich hier in aller Nüchternheit registrieren.
({14})
- Entschuldigen Sie, lesen Sie sich doch einmal die sehr sanften Vorschläge des Herrn Ollenhauer zum Verfahren durch! Daß es in diesem Hause bei aller Übereinstimmung in den Grundfragen der Außenpolitik doch auch erlaubt sein wird, die Bundesregierung zu bitten, bestimmte Punkte ihrer Regierungserklärung zu präzisieren, wie es inzwischen erfreulicherweise auch noch einmal durch den Minister geschehen ist, dürfte wohl nicht bestritten werden.
({15})
Mir ging es um heiklere Fragen, bei denen versucht worden ist, Gegensätze, die in diesem Hause oft zu stürmischen Debatten geführt haben, beinahe wie die Gespensterschlacht auf den Katalaunischen Feldern wieder heraufzubeschwören.
Deswegen dazu nur ein paar Sätze. Meine Damen und Herren, wir wären ja nicht alle Zeugen dieser Debatte geworden und hätten nicht wie ich daran teilgenommen, wenn wir so täten, als hätte sie nicht stattgefunden; das wäre nicht wahr. Wir haben - und Herbert Wehner hat mit Recht daran erinnert - in den Fragen der europäischen Föderation hier in diesem Hause im Jahre 1950 einmütig quer durch die Parteien hindurch das Bekenntnis zu einem europäischen Bundespakt, zu den Vereinigten Staaten von Europa abgelegt.
Die Diskussionen, die sich dann um die Europapolitik entwickelt haben, gingen doch im wesentlichen - von dem Sonderfall Montanunion abgesehen; zu dem werde ich auch noch einige Worte sagen - um die Verknüpfung der europäischen Zusammenarbeit mit dem damals heiß umstrittenen Thema, ob man erst die Bundesrepublik Deutschland aufrüsten, in den Verband der westlichen Allianz eingliedern und von dieser Position aus dann mit vermeintlich mehr Aussicht über die Wiedervereinigung Deutschlands verhandeln sollte oder ob man die andere Ausgangslage von damals, wie wir meinten, noch nutzen und zunächst nach einer anderen Sicherheitsordnung in Europa unter militärischer Beteiligung der Deutschen - das „Ohne-Mich" spielte in diesen Debatten keine Rolle - streben sollte, die, so hofften wir, mit der Wiedervereinigung Deutschlands verbunden wäre.
Sie können sich heute gut hinstellen und sagen: Das sind alles Illusionen gewesen. Es ist ja nicht versucht worden!
({16})
Aber eines wollen wir doch ganz nüchtern festhalten: dieser Streit, den die Historiker von mir aus noch dreißig Jahre fortsetzen können, hat zunächst einmal damit ein Ende gefunden, daß neue Tatsachen geschaffen worden sind, daß wir die Ereignisse des Jahres 1952 nicht wiederholen können, etwa weil uns die letzten zehn Jahre nicht gefallen, und daß in diesen zehn Jahren leider Gottes nicht die Hoffnungen der Regierungsparteien, man würde dadurch bessere Voraussetzungen für die Wiedervereinigung schaffen, sich erfüllt haben, sondern die Spaltung unseres Landes verhärtet worden ist -, wozu natürlich auch noch eine ganze Reihe entscheidender anderer Faktoren hinzukommen. Diesen Sachverhalt wollen wir doch nicht einfach auf den Kopf stellen!
({17})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Erler, Sie haben soeben gesagt, daß zu der Verhärtung der deutschen Spaltung auch noch andere Faktoren beigetragen hätten. Soll ich daraus entnehmen, daß auch unsere Politik zu dieser Verhärtung beigetragen haben soll?
({0})
Mindestens hat sie bisher nicht das Ergebnis gehabt, die Spaltung Deutschlands überwinden zu helfen. Wollen wir es mal so lassen!
Wollen Sie mir zustimmen, daß der Beifall, der soeben von Ihrer Partei kam, offenbar zeigt, daß es bei Ihnen immer noch Leute gibt, die der Auffassung sind, unsere Politik habe, wie Herr Ollenhauer gesagt hat, die Vertiefung der Spaltung Deutschlands bedeutet?
Sicher, Herr von Guttenberg, haben Sie das nicht gewollt.
({0})
- Entschuldigen Sie, hier geht es doch nur darum,
ob wir damals in diesem Hause redlich auch noch
nach einem anderen Wege zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands suchen durften oder nicht. Inzwischen ist es geradezu gespenstisch, sich darüber zu unterhalten, weil wir inzwischen andere geschichtliche Tatbestände haben, von denen her wir nicht versuchen sollten, die politischen Kräfte von heute, die gemeinsam unser Schicksal meistern wollen, wieder auseinanderzujagen. Vielmehr kommt es jetzt darauf an, ohne Rücksicht auf die unterschiedliche Beurteilung der Vergangenheit zusammenzustehen. Hier führt Rechthaberei auch bei Ihnen nicht weiter, meine Damen und Herren!
({1})
Damit möchte ich jenes Kapitel der vergangenen Auseinandersetzungen verlassen.
Nur noch ein Wort zu dem Sonderfall Montanunion. Da gestehe ich ganz offen ein: in einem Punkt haben wir uns damals in der Richtung geirrt. Die Montanunion enthielt im Ansatz nach unserer Meinung noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten, ein Stück Besatzungspraxis, wie sie sich in der Ruhrbehörde niedergeschlagen hatte, zum Nachteil unserer Wirtschaft und zum Vorteil anderer auf die deutsche Montanindustrie auszudehnen. Diese Befürchtungen sind weitgehend - nicht zu hundert Prozent, aber weitgehend - inzwischen überwunden worden. Aber etwas anderes, was auch damals bei den Debatten eine Rolle gespielt hat, hat durch die von uns mitbefürwortete und getroffene Entscheidung sein gutes Ende gefunden. Es hat sich doch von Anfang an gezeigt, wie schwierig es ist, aus einer Volkswirtschaft zwei Tranchen, Kohle und Stahl, herauszuschneiden und diese aus sechs verschiedenen Ländern zu einem Kuchen zusammenzubacken und den Rest der Wirtschaft draußen zu lassen. Das konnte auf die Dauer nur zu schwersten Spannungen führen, wenn man sich nicht .entschloß, aus dieser Lage heraus den Sprung nach vorn zu tun und es nicht bei der Integrierung von Kohle und Stahl bewenden zu lassen, sondern nunmehr die gesamten Wirtschaften zusammenzufügen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich glaube, damit ist also auch 'das Kapitel Montanunion hoffentlich geklärt, so daß wir da nicht noch einmal Gespensterschlachten aufzuführen brauchen.
Herr Professor Erhard hat in einer eindrucksvollen Rede die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns in den wirtschaftspolitischen Fragen dargelegt. Er hat dabei sogar das vielleicht der sich beruhigenden Situation nicht ganz angemessene dramatische Wort gebraucht, es sei gewissermaßen fünf Minuten vor zwölf. Meine 'Damen und Herren, wer dies auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik erstrebt, der sollte von daher auch Verständnis dafür haben, was uns bewegt hat, als wir am 30. Juni 1960 in den Lebensfragen der Nation hier ein engeres Zusammenrücken der politischen Kräfte gefordert und das unbeirrt durchgehalten haben, obwohl das Echo der ersten Zeit vielfach nur Hohn und Spott gewesen ist.
Meine Damen und Herren, ich meine, .daß wir uns, wenn wir jetzt an die Fragen der Zukunft herangehen und uns dabei Gedanken machen nicht nur über Berlin - so wichtig diese sind, so vorrangig diese sind -, sondern auch über die deutsche Frage im ganzen, sicher irgendwann einmal, und zwar nach meinem Eindruck sehr bald, vor der Frage unserer westlichen Partner stehen werden: Wenn ihr sagt, ihr seid - wie es hier im Bundestag geheißen hat - für einen Friedensvertrag, der auf einem wiedervereinigten Deutschland beruht - das ist unsere gemeinsame Auffassung -, habt ihr dann auch Anregungen dafür zu geben, da dieser Friedensvertrag doch vermutlich nicht vom Himmel fällt? Es ist heute nicht die Zeit - darüber hat Herr Ollenhauer gesprochen -, uns ,jetzt Gedanken zu machen über ein Problem, das noch gar nicht auf der weltpolitischen Tagesordnung steht, nämlich eine Friedenskonferenz über einen solchen Vertrag einzuberufen. Wir haben es hier mit der Abwehr sowjetischer Initiativen, mit dem Spaltungsdiktat zu tun. Aber ich finde doch, Herr Außenminister, ein bißchen mehr des Vordenkens in den eigenen Reihen - wobei Sie die Zahl der Köpfe von mir aus getrost beschränken können - ist erforderlich, um auch unseren Partnern ,das Gefühl zugeben: die Bundesrepublik Deutschland läßt sich nicht einfach in eine solche Diskussion hineintreiben, ohne daß sie selbst hinreichend klare Vorstellungen darüber hätte, was aus einer solchen Diskussion füglich herauskommen soll. Das ist der Punkt, um den es hier ging. Das ist keine Frage, bei der wir hier in parteipolitischer Hitze übereinander herzufallen brauchen. Das ist eine Frage, die man in dem entsprechenden Kreise verantwortlich miteinander ganz nüchtern überprüfen sollte.
Meine Damen und Herren, jetzt schließt sich notwendigerweise eine Betrachtung dessen an, was wir denn zu manchen Dingen sagen und tun, die sich zur Zeit um Berlin abspielen. Auch dazu haben wir nicht mehr gemacht als einen ganz einfachen Prozedurvorschlag. Wir möchten gerade vermeiden, daß bestimmte, die Zukunft Berlins berührende heikle Fragen durch ein Auseinanderfallen ,der Kräfte von Bundesregierung, Senat, Bundestag und Parteien hier durch Erörterung auf dem öffentlichen Markte so behandelt werden, ,daß Berlin dabei Schaden leiden kann. Das ist der Grund für unseren Vorschlag. Nach dieser Begründung hoffe ich, daß Sie es sich doch noch einmal überlegen, ob man nicht auf diesen Vorschlag zurückkommen sollte.
Wenn Sie da meinen, das berühre auch den Regierenden Bürgermeister von Berlin: natürlich, das berührt uns alle, meine Damen und Herren, uns lane. Ich möchte hier, nur damit keine 'Mißverständnisse übrigbleiben, zu einem Punkte kurz etwas sagen, der in der Debatte eine Rolle gespielt hat, nämlich zu dem Überholtsein eines bestimmten Gedankens der Verträge von 1955.
Gesprochen war dabei von ,den Vorbehaltsrechten. Gemeint ist keinesfalls, daß die Substanz der Vorbehaltsrechte für die Bewahrung der Freiheit Berlins und für die Verantwortung der Vier Mächte; also der drei Westmächte und der Sowjetunion, für
die .deutsche Frage im geringsten angetastet werden dürfte. Es dreht sich um einen ganz anderen Sachverhalt. Es geht darum, daß nunmehr nach einer siebenjährigen Entwicklung (die Vorbehaltsrechte - von uns her - von niemandem so behandelt werden dürften, als ergäbe sich aus diesen Vorbehaltsrechten der Alliierten für uns (die Möglichkeit zu sagen, das gehe in erster Linie zunächst einmal nur die Alliierten an, und wir seien ,gewissermaßen aus der Mitverantwortung heraus.
Juristisch und machtpolitisch ist Berlin durch die auf den originären Besatzungsrechten beruhende Anwesenheit der Alliierten geschützt, jawohl; aber moralisch und politisch lebt Berlin - auch mit den westlichen Vorbehalten - davon, daß wir hier alle das Schicksal unserer Hauptstadt zu unserem eigenen Schicksal 'gemacht haben und auch in Zukunft machen werden, meine Damen und Herren!
({3})
Genau dies ist gemeint, daß wir uns da nicht hinter den Vorbehaltsrechten der Alliierten verstecken dürfen. Dann hat es den richtigen Sinn, und ich glaube, so wird auch wohl jeder damit einverstanden sein.
({4})
- Ja, nun komme ich dazu: Wie benutzt man Äußerungen, deren Sinn einem zunächst dunkel ist? Ist es unsere Aufgabe, aus parteiegoistischen Gründen zunächst öffentlich der Äußerung die möglicherweise abträglichste Deutung zu geben? Oder haben wir nicht im nationalen Interesse die Verpflichtung, zunächst einmal zu versuchen, zu ergründen, ob nicht der Kern dieser Äußerung in Wahrheit genau das ist, was ich eben gemeint habe, nämlich etwas, was für unsere Nation eine gemeinsame Verpflichtung ist? Das ist eine Frage der Methode.
({5})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Guttenberg?
Bitte schön.
Herr Kollege Erler, Sie haben uns Vorschläge gemacht, wie man Äußerungen, deren Sinn dunkel ist, verwenden sollte. Darf ich Sie fragen, wie Sie glauben verhindern zu können, daß solche dunklen Äußerungen gemacht werden?
Entschuldigen Sie, die Frage können Sie in manchen Punkten genauso gut an Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer richten; dann werden Sie eine reichhaltige Skala von Antworten bekommen.
({0})
- Regierungschefs haben es nicht immer leicht in
Pressekonferenzen. Der Bundeskanzler nickt mir zu
und hat volles Verständnis für den Regierenden Bürgermeister von Berlin. Ich danke ihm.
({1})
Meine Damen und Herren, wir haben dann hier eine Kontroverse gehabt, die gar nicht nötig wäre, nämlich beinahe sinngemäß in Fortführung des Gedankens, daß wir Berlin zu unserem Schicksal gemacht haben, die Anmerkungen des Herrn Bundeskanzlers zu Herrn Ollenhauers Wunsch, es sollte in der Regierungserklärung eigentlich auch ein Satz darüber gestanden haben, daß wir das Risiko mit unseren Verbündeten in der Berlin-Frage teilen.
Inzwischen hat der Herr Bundesaußenminister noch einmal klargemacht, daß Chruschtschow wissen müsse, daß er in Berlin mit dem vollen Risiko konfrontiert sei. Dieses volle Risiko kann nicht nur ein amerikanisches Risiko sein, und deswegen ist es nicht nur, sondern auch das Risiko, daß sowjetische Einzelvorstöße - Salami-Taktik und ähnliches - in einen Konflikt hineintreiben mit der Gefahr eines Weltbrandes, mit der Gefahr eines atomaren Konflikts. Das gebe ich unbedingt zu, daß auch diese Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit Teil der abschreckenden Wirkung der sowjetischen Politik gegenüber ist.
Aber, meine Damen und Herren, hat uns nicht die Mauer, hat uns nicht die Zurücksendung des britischen Militärfahrzeugs in Berlin gezeigt, daß es bestimmte einzelne Aktionen gibt, bei denen die Drohung nur mit dem Einsatz von Atomwaffen unglaubwürdig ist, daß es infolgedessen durchaus sowjetische Pressions- und Einwirkungsmöglichkeiten in Berlin gibt, bei denen man imstande sein muß, sich auch auf andere Weise seiner Haut zu wehren? Dies ist ja doch u. a. Sinn all der Überlegungen, die im Verbande mit den drei Westmächten angestellt werden, um auf die Verschiedenartigkeit möglicher sowjetischer Schritte in Berlin auch auf angemessene, verschiedenartige Weise antworten zu können.
Meine Damen und Herren, nicht wir Sozialdemokraten waren es, die im Ringen um Berlin in der deutschen Öffentlichkeit und in manchen politischen Kreisen Zweifel in die Standfestigkeit des amerikanischen Verbündeten gesät haben. Jedem, der darauf einmal in den Vereinigten Staaten von Amerika angesprochen worden ist, ist klar, daß es gerade wegen unseres Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten durchaus richtig und notwendig war, im Zusammenhang mit der Regierungserklärung ein klärendes Wort auch über unsere eigenen Verpflichtungen auf diesem Gebiete zu sagen.
Hier ist nun, obwohl man natürlich den amerikanischen Überlegungen Unrecht antun würde, wenn man sie auf den spezifischen Fall Berlin allein exemplifizierte, einiges über die Äußerungen meines Freundes Helmut Schmidt zu der neuen Strategie dargelegt worden, wie sie sich im Laufe von Monaten und Jahren in den Vereinigten Staaten von Amerika allmählich ausgebildet hat. Es ist die Ablösung der Strategie der massiven Vergeltung - seit Jahren im Gange - durch eine Strategie der abgestuften Abschreckung. Hier ist gesagt worden,
das sei drüben gar nichts Neues. Ich habe vor mir den „Amerika-Dienst" vom 25. Juni dieses Jahres; da wird über neue Konzeptionen des strategischen Denkens berichtet. Ich gebe zu, so schrecklich neu sind sie nicht, weil sie zu einem großen Teil - entgegen einem weitverbreiteten Gerücht in unserem Land - mitentwickelt worden sind vom bisherigen Oberbefehlshaber auf dem europäischen Schauplatz, General Norstad. Manches, was bei öffentlicher Erörterung daran mitunter schief wirken kann - die Gedanken von Pause, Schwelle und Ähnlichem -, findet sich in Äußerungen von Norstad, die ich hier vor mir habe, vom 11. April 1961, 2. März 1960. Manches andere, was über die Notwendigkeit etwa einer politischen Kontrolle, insbesondere des Kernwaffeneinsatzes - damit dort keine Selbstzündung stattfindet -, vom amerikanischen Präsidenten und seinen Beratern entwikkelt worden ist, findet sich auch schon andeutungsweise bei Norstad oder etwa - im November 1961 - beim Generalsekretär der NATO, Herrn Stikker.
Deshalb war es wirklich für die Beziehungen zu unserem großen Verbündeten nicht gerade gut, daß alle jene Überlegungen, von denen .ich hier soeben gesprochen habe, in dem berühmten Aufsatz nach einem Hin und Her von Pressemeldung, Dementi und erneuter Meldung des Oberst Schmückle, der nun - ja, nein, ja, doch - nächstes Jahr vielleicht in die Vereinigten Staaten entsandt werden soll, abqualifiziert worden sind mit dem Satz: „Sie jonglieren in der Öffentlichkeit mit Begriffen wie ... „Pause" und „Schwelle" und zerreden damit die Abschreckung solange, bis sie einer Null ziemlich ähnlich sieht."
An einer anderen Stelle heißt es:
Unterstützt werden diese Philosophen von Militärs, die die Aufgabe der Heere im Atomzeitalter mit aller Gewalt nicht begreifen können ...
Dort wird also gegen diese Überlegungen sehr heftig polemisiert. Ich bringe das nur in Erinnerung, damit wir sehen, daß es nichtgerade die Sozialdemokraten gewesen sind, die hier Zweifel in die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Entschlossenheit, ihre Kraft auch für Europa einzusetzen, gesät haben. In dieser Diskussion über die neue Strategie, die dann von einigen Militär-Kommentatoren fortgeführt worden ist mit dem Drängen: da man sich auf die Amerikaner nicht mehr fest verlassen könne, müßten eben die Europäer eine eigene Abschreckungsmacht haben. Da kam es dann zu dem großartigen Kurzschluß einer deutschen Zeitung, wo ganz simpel zu lesen war - schön belehrend -: Die atomaren Sprengköpfe in deutschen Händen schrecken ab, und in amerikanischen nicht oder nicht immer.
Ich rufe das einfach nur in Erinnerung zurück, damit wir, verehrter Herr Kollege zu Guttenberg, uns klar darüber werden, daß es wirklich nicht gut wäre, jetzt bei dieser Diskussion ausgerechnet in der Position des Praeceptor Germaniae - jetzt möchte ich es einmal umdrehen - Helmut Schmidt, der auf dem Gebiet einer der wenigen ist, die sich reiflich Gedanken machen und ein ziemliches Ansehen damit erworben haben, so zu trätieren, wie Sie es beliebten.
Rasch noch zu zwei Punkten, die hier in der Debatte eine Rolle gespielt haben und wohl doch noch ein Wort zum Schluß verdienen.
Einmal: der Herr Bundeskanzler hat, wie ich glaube, meinen Freund Herbert Wehner völlig mißverstanden, wenn er in seine Ausführungen hineingelesen haben sollte, daß Herbert Wehner der Bundesregierung ein Streben nach einem deutsch-französischen Übergewicht unterschiebe. Im Gegenteil. Wenn Sie das Protokoll nachlesen, werden Sie feststellen, daß er ausdrücklich bekundet hat, daß es ein solches Streben nach einem deutschfranzösischen Übergewicht nicht gebe und daß es unsere gemeinsame Aufgabe sei, auch wegen des Verhältnisses zu den anderen Partnern innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Hinzukommenden, diese irrigen Vorstellungen gar nicht erst aufkommen zu lassen, mit vereinten Kräften. Er hat also hier der Bundesregierung keinen Tadel erteilt, sondern im Gegenteil, wenn sie sich in dieser Richtung bemüht, unsere Unterstützung dabei angeboten.
Lassen Sie mich aber noch einen Satz zum deutsch-französischen und zum deutsch-britischen Verhältnis sagen. Ich bin in meiner Jugend in einer politischen Umgebung aufgewachsen, in der es selbstverständlich war, daß die Aussöhnung zwischen dem deutschen und dem französischen Volk endlich einmal geschaffen werden müßte, um die Zeit der deutsch-französischen bewaffneten Auseinandersetzungen ein für allemal in die Vergangenheit zu verbannen. Leider haben sich die Bemühungen derer, die damals so dachten - wir in der Sozialdemokratischen Partei und in der sozialistischen Jugendbewegung -, nicht durchgesetzt. Leider sind wir noch einmal durch ein Meer von Blut gewatet. Daraus haben wir hoffentlich für alle Zeiten gelernt. So stehen wir nicht an, den herzlichen Empfang, den der französische Staatspräsident de Gaulle in unserem Volke gefunden hat, zu begrüßen als ein Zeichen des deutschen Volkes, daß es mit allen Kräften dafür wirken will, daß die gemeinsame deutsch-französische Zukunft nicht mehr angetastet werden kann.
({2})
Aber lassen Sie mich eines hinzufügen. Wir, die wir wissen, was deutsch-französische Zerwürfnisse an Blut gekostet haben, was sie überhaupt Europa in seiner Stellung in der Welt gekostet haben, wir wissen auch, was Entfremdung zwischen Deutschland und Britannien uns und Europa gekostet hat. Deswegen sind wir uns bei voller Bejahung der deutsch-französischen Zusammenarbeit, des engen Zusammenrückens, des Lebens in einer Familie doch wohl einig darüber, daß das kein Ausschließlichkeitsbund ist, sondern daß wir bei engster Bewahrung der deutsch-französischen Freundschaft diese beiden Völker als gleiche und nicht als Sonderbündler in die größere Gemeinschaft der freien Völker Europas hineinbringen sollten.
({3})
Deswegen hat es mir etwas leid getan, daß die Verhandlungen mit Großbritannien, wo es sicher auch um harte materielle Interessen geht, so etwas abschätzig mit dem Begriff „Feilschen" bezeichnet worden sind. Ich bin nicht dafür, daß man bei schwierigen wirtschaftlichen und politischen Verhandlungen die Interessen des eigenen Volkes den Interessen anderer Völker unterordnet. Wir sind uns alle darüber einig, daß man versuchen muß, die Interessen des eigenen Volkes in das Gesamtinteresse der werdenden Gemeinschaft richtig einzubauen. Aber dann muß man auch ein Stück. dieses Gemeinschaftsgeistes dazu mitbringen, wenn es darum geht, die Gemeinschaft nicht nur zu gründen, sondern sie zu vergrößern. Wenn wir unter rein kommerziellen Gesichtspunkten und gewissermaßen feilschend die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet und nicht den politischen Willen dahintergestellt hätten, auch die ökonomischen Schwierigkeiten zu überwinden, wäre die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nie eine Realität geworden.
({4})
Deshalb sollte sich der Bundestag einig sein, daß wir trotz mancher kühler Erklärungen, die wir möglichst rasch vergessen sollten, mit dem gleichen Geiste des politischen Willens und des Verständnisses für die Sorgen und Probleme anderer, von denen wir ja auch verlangen, daß sie Verständnis für unsere Sorgen und Probleme haben, für die Vergrößerung der Gemeinschaft um Großbritannien und jene demokratischen Länder Europas eintreten sollten, die sich um die Mitgliedschaft bzw., in lockererer Form, um die Assoziierung bemüht haben.
Ich komme zum Schluß. Wir vermissen in den Stellungnahmen der Sprecher der Regierungsparteien ein Eingehen auf die von uns gegebenen konkreten Anregungen. Ich habe erfahren, daß anscheinend eine Entschließung, deren vervielfältigter Text mir noch nicht vorliegt, in diesem Hause von den Vertretern der Koalitionsparteien vorbereitet worden ist. Wir sind, als wir an die Vorbereitung der Debatte gingen, dahin unterrichtet worden, daß es um eine Aussprache gehe, die nicht das Ziel habe, bestimmte Positionen, auf Papier geronnen, davonzutragen. Wenn man es anders gewollt hätte, wären wir selbstverständlich zu einer Beratung eines Textes, den wir mit verantworten können, bereit gewesen. Ich kann mich zu einem noch nicht verbreiteten Text hier nicht äußern. Ich meine nur; ein gutes Verfahren ist es nicht, hier plötzlich einen Text vorzulegen, der wirklich nicht ernsthaft mit allen beraten werden konnte, die ihn zu verantworten haben.
({5})
Ich werde mich deswegen jetzt nicht zu der Entschließung äußern; dazu müssen wir sie erst einmal kennenlernen. Aber ich meine, daß - unbeschadet ihres Textes - Sie bei Durchsicht unserer Vorstellungen hoffentlich noch einmal darauf zurückkommen werden - auch der Herr Außenminister -, daß es bei uns einer Form bedarf, in der gemeinsame Verantwortung durch gemeinsame Beratung so geschaffen werden kann, daß es für politisches Handeln und nicht nur für politische Deklamationen eine
möglichst breite Grundlage in diesem Hause gibt.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gradl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nie eine angenehme Aufgabe, in der Mittagsstunde sozusagen ein Schlußlicht der Debatte zu sein.
({0})
- Na, es scheint nach der Rednerliste so, Herr Wehner. - Ich will mich aber bemühen, Ihre Geduld nicht zu lange zu strapazieren. Ich hätte es vielleicht überhaupt nicht zu tun brauchen, wenn es nicht in jüngster Zeit in der Öffentlichkeit, nicht nur in der deutschen, einige Kontroversen gegeben hätte, die es notwendig machen, daß dazu hier ein klärendes Wort von unserer Seite gesagt wird.
Herr Kollege Erler hat einen Teil seiner Ausführungen benutzt, um, wie er sich ausdrückte, Mißverständnisse zu beseitigen und Kontroversen auszuräumen. Nun, ich werde dasselbe versuchen mit Kontroversen, die nicht wir verursacht haben, und ich hoffe, daß wir dann am Schluß so weit einig sind, daß man über diese Dinge jedenfalls in Zukunft nicht wieder kontrovers zu werden braucht. Ich möchte betonen: wir werden diese Klarstellung nicht polemisch vornehmen. Ich werde nicht polemisieren. Ich weiß wie Sie, daß die Parole für Berlin heißt: Nicht auseinander, sondern zueinander! Aber die Klarstellungen sind notwendig, weil die Diskussion - die nach unserer Auffassung unnötige Diskussion - ja nicht einmal nur auf die deutsche Presse beschränkt worden ist, sondern auf die internationale Presse übergegriffen hat; und wenn man jetzt sieht, welche Fülle von Gedanken - oder besser sagt man vielleicht: Gedankensplitter - über mögliche Konstruktionen für die Regelung der Berlin-Frage über uns ausgeschüttet werden, dann ist das auch ein Grund, vielleicht den einen oder anderen Punkt klar darzustellen.
Lassen Sie micht aber noch ein oder zwei Dinge kurz vorausschicken. Es könnte - und das wäre gefährlich - insbesondere jenseits des Brandenburger Tors aus der Buntheit und der Widersprüchlichkeit dieser Diskussionen in unserem Lande, die nichts anderes ist als die Folge der Meinungs- und Pressefreiheit, ein falscher Eindruck entstehen, der Eindruck nämlich, als ob bei uns nicht mehr diese harte und gemeinsame Entschlossenheit in und für Berlin bestände, die tatsächlich vorhanden ist. Deswegen schicke ich voraus - und das bezieht sich nicht nur auf diese Debatte, und es richtet sich nicht an jemanden hier in diesem Hause, sondern an die jenseits des Brandenburger Tores insbesondere -: sie sollen sich bei aller Buntheit und Widersprüchlichkeit unserer Diskussionen niemals dem Trugschluß hingeben, daß nicht alle politischen Kräfte hier im Hause, drüben in Berlin, überhaupt in unserem Lande in der Entschlossenheit eins wären und eins blieben, Berlin als Ort der Freiheit und als
Dr. Gradl
Ausgangspunkt für die Wiederherstellung der deutschen Einheit zu bewahren.
Gerade weil ich - ohne zu polemisieren - auch die eine oder andere Bemerkung in bezug auf Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters machen werde, lassen Sie mich das noch sagen: die politische Arbeit ist für die Verantwortlichen in Berlin schwer, sehr schwer. Sie ist schwer für alle Verantwortlichen, für Herrn Brandt, für Herrn Amrehn oder wer sonst dort steht, gleichgültig ob er Ihrer Partei, der SPD, oder unserer Partei, der CDU, angehört, und beide Parteien tragen politisch die Stadt. Deshalb sage ich hier für meine Freunde: wir werden alles tun, was möglich und sinnvoll ist, um allen Verantwortlichen in Berlin jetzt und in Zukunft ihre Bürde zu erleichtern. Keiner von uns weiß, wie schwer die Zukunft wird. Wir wissen zwar, wie sie werden könnte, wir wissen aber nicht, wie sie wird. Aber wie auch immer sie werden mag, die Verantwortlichen in Berlin sollen wissen - und meine Freunde sagen ihnen das über alle Kontroversen hinweg -: wir werden ihnen helfen, so gut wir können, in Berlin ihre schwere Bürde zu tragen.
Aber nun die Kontroversen! Niemand kann der Presse oder dem Funk verwehren, Fragen zu stellen und zu erörtern. Aber es muß nicht sein. Es mußte bestimmt nicht immer sein, daß durch bestimmte, oder man müßte fast sagen: mehr durch unbestimmte Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters auch solche Fragen in streithafte Erörterungen gekommen sind, über die nicht gestritten zu werden brauchte. Dazu werde ich namens meiner Freunde jetzt einige Feststellungen treffen, unseren Standpunkt positiv, nicht polemisch formulieren, und ich werde mich, der Stunde folgend, auf einige, wie mir scheint, wichtige Punkte dabei konzentrieren.
Der Viermächtestatus ist nach unserer Auffassung nach wie vor ein Fundament der westlichen Position in Berlin. Dieser Status legitimiert völkerrechtlich nicht nur die Anwesenheit der Westmächte in Berlin, sondern er legitimiert völkerrechtlich auch den Anspruch auf freien Zugang von und nach Berlin durch die sowjetische Besatzungszone. Das ist für die Auseinandersetzung in der kommenden Zeit vor der internationalen Politik und Öffentlichkeit von eminenter Bedeutung. So meinen wir: solange nicht eine bessere Lösung gefunden ist und, was nicht weniger wichtig ist, solange ihre Realisierung nicht gesichert ist, ist es falsch, auch nur mit Worten den Viermächtestatus in seiner Bedeutung in Frage zu stellen. Die einzigen, die ein Interesse daran haben, den Viermächtestatus als zerstört, als ganz überholtes Paragraphenwerk, als unwirklich und als aufgelöst darzustellen, sind Moskau und Pankow. Diesen Gefallen sollen und wollen wir ihnen wenigstens in Zukunft nicht mehr durch abwertende oder problematische Erörterungen tun oder tun lassen.
Das andere, was auch in die Diskussion gekommen ist: es war nie zweifelhaft, daß - so wie die Dinge sich durch die sowjetischen Rechtsbrüche und durch die einseitigen Akte entwickelt haben - die Verantwortung auch für Westberlin bei den drei Westmächten konzentriert ist. Die praktische Folge
daraus ist, daß der Sowjetunion nicht ein Hauch mehr Zuständigkeit in Westberlin zukommen darf, als sie umgekehrt den Westmächten im Ostsektor Berlins einräumt.
({1})
So selbstverständlich aber dieses Prinzip klingt und so selbstverständlich es ist, so wissen wir doch, daß es aus der Vergangenheit, aus dem alliierten Vertrauen der ersten Nachkriegsjahre einige in dieser Hinsicht kritische Punkte in Westberlin gibt; das Stichwort „S-Bahn" wird als Andeutung genügen. Das sind Dinge, deren öffentliche Erörterung im einzelnen unzweckmäßig ist. Aber das wollen wir sagen: meine Freunde haben Verständnis für die Bemühungen des Senats und bejahen sie, in allen Dingen mit den drei Westmächten zu einer Regelung zu kommen, die dem erwähnten Prinzip - nicht mehr hier als umgekehrt drüben - und der Sicherheit innerhalb Westberlins genügt.
Lassen Sie mich auch noch folgendes sagen. Zwar sind die Berliner nicht mit jeder Reaktion der westlichen Schutzmächte auf östliche Aktionen zufrieden. Manchmal sind sie nicht zufrieden mit dem Tempo der Reaktion, manchmal nicht mit der Art, und es wäre sicher gut, wenn die drei Mächte den praktischen Vollzug ihrer Zuständigkeit in Berlin noch enger und straffer gestalten könnten. Aber diese und andere Wünsche können nicht jene große Tatsache schmälern, daß die Berliner auf die drei Schutzmächte voll vertrauen und daß sie sich darauf verlassen, daß das Notwendige in der rechten Weise geschieht, wenn es wirklich ernst darauf ankommt. Es ist menschlich hitter, Tag für Tag unmittelbarer Zeuge der Brutalität der Mauer und des Schießbefehls sein zu müssen. Es hat in der Stadt das eine oder andere Mal - auch diesseits der Mauer -kritische Momente gegeben. Die Berliner müßten ja wie die Mauer aus Stein sein, wenn sie nicht zuweilen Zorn überkäme. Sie wollen auch nicht die Welt draußen und die Landsleute auf der anderen Seite auf den Gedanken kommen lassen, vor der Mauer werde resigniert. Aber wer das Denken der Berliner kennt -.und ich glaube, in diesem Punkte wird mir jeder Berliner Kollege hier in diesem Hause zustimmen -, der weiß trotz mancher leichter und verständlicher Kritik: in den Berlinern ist nicht nur vom Verstand, sondern auch vom Herzen her ein tiefes Gefühl des Dankes lebendig, des Dankes und der Verbundenheit zu den drei Schutzmächten und insbesondere auch zu ihren ,Soldaten in Westberlin.
Heute vormittag hat dieses Thema, das ich jetzt nur kurz 'berühre, verschiedentlich eine Rolle gespielt. Unbeschadet der Tatsache, daß die drei Westmächte die Verantwortung 'für Westberlin in der vordersten Linie tragen, ist und bleibt Berlin im entschiedensten Sinne des Wortes eine ,Sache der Bundesrepublik. Das ist - ich weiß nicht, wer darauf hingewiesen hat, ich unterstreiche es - im übrigen, wenn es nichts anderes gäbe, schon eine Verpflichtung, die das Grundgesetz uns auferlegt.
Ein Ausdruck dieser natürlichen deutschen Verpflichtung für Berlin ist z. B. die umfangreiche finanzielle und wirtschaftliche Hilfe. Herr Kollege Ollen1782
Dr. Gradl
hauer, genauso wie Sie gestern, sage ich heute für meine Freunde: wir haben es nicht anderes erwartet, aber wir stellen doch mit Dank und Genugtuung fest, daß nach den Worten des Bundeskanzlers die Aufwendungen für Berlin durch die Enge und die Anspannung des Haushalts nicht beeinträchtigt werden.
Aber die Bundesregierung trägt für Berlin die politische und zumal auch die außenpolitische Verantwortung. Das, so meinen wir, muß auch in Berlin immer wieder bedacht werden. Es ist nicht gut, wenn - wie in allerjüngster Zeit - der 'Eindruck entsteht, als ob es von Berlin aus zwei außenpolitische Geleise in die Welt gebe: ein direktes, sozusagen eigenständiges, und ein indirektes über Bonn. Damit kein Mißverständnis entsteht: damit ist nichts gesagt gegen politische Gespräche des Regierenden Bürgermeisters und anderer verantwortlicher Männer in der Welt draußen mit Staatsmännern und Politikern, wie sie es wollen. Aber was wir meinen, ist:
({2})
- Herr Wehner, Sie hören es gleich - wenn dabei ernste und umfassende Fragen, vielleicht sogar unter neuen Perspektiven aufkommen, dann sollte darüber insoweit vor der Öffentlichkeit zumindest nicht vor, sondern nach dem Meinungsaustausch mit der Bundesregierung gesprochen werden. Das ist gemeint, Herr Wehner.
({3})
Es sollte - das gilt für beide Seiten, für Berlin und Bonn - immer versucht werden, in stiller Arbeit ein Höchstmaß an Übereinstimmung herbeizuführen.
Nun eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Kollege Erler. Sie haben beklagt, 'daß wir zu einigen Anregungen, Vorschlägen, die von Ihrer Seite gemacht worden sind, uns hier nicht oder ungenügend geäußert haben. Eine darf ich jetzt noch einmal aufgreifen. Ich denke, Herr Ollenhauer, .an Ihre gestrige Anregung, einen ständigen Kreis für Berlinfragen aus Vertretern der Bundesregierung, des Senats und der Fraktionen zu schaffen. Der Herr Außenminister hat dazu schon Kritisches gesagt. Ich glaube mit ihm, daß es für eine solche Erörterung einer neuen festgefugten Institution nicht bedarf. Im Grunde haben wir für diese Fühlungnahmen bereits Institutionen genug. Aber richtig scheint mir und meinen Freunden an 'dem, was Ihnen vorschwebt, dieses: daß insbesondere die beiden zuständigen Ausschüsse des Hohen Hauses, der Auswärtige Ausschuß und der Gesamtdeutsche Ausschuß, für den intensiven Gedankenaustausch über diese schwierigen Fragen, an die Sie denken und die zweifellos sehr wichtig und schwierig sind, bei voller Besetzung des Ausschusses etwas, sagen wir, unhandlich sind. So sollten wir - meine Freunde sind dazu bereit - es so versuchen
({4})
- ja, Herr Wehner, „sollten wir" sage ich, denn wir brauchen auch Ihre Zustimmung dazu -, daß die Vorsitzenden der beiden Ausschüsse im Benehmen mit Regierung und Senat von Fall zu Fall Aussprachen in einem zu vereinbarenden kleineren
Kreise herbeiführen. Dort könnte man, was vielleicht im Augenblick 'das Wichtigste ist, aus der Fülle der Gedanken und Vorschläge - guten oder schlechten - in bezug auf Berlin jenen Meinungsaustausch herbeiführen, in dem Pro und Kontra ,gegenübergestellt, die Auffassungen dazu gesagt und abgestimmt wenden, so daß vielleicht eine gemeinsame Auffassung vertreten wind, die wir dann alle in der rechten Weise - ich greife auf, was Herr Erler vorhin gesagt hat -, jeder auf seinen Wegen, draußen gegenüber all den Undurchsichtigkeiten, die über diesen Dingen liegen, vertreten können. Das wäre ein Versuch, Iden wir machen können. Man sollte sehen, welche Erfahrungen damit gesammelt werden. Wir hatten es in .der Vergangenheit, wie Sie wissen, gelegentlich so gemacht, und es hat sich eigentlich nicht schlecht rentiert.
Nun noch etwas zu den Einzelfragen! Das Thema: Volksabstimmung in Westberlin ist erörtert worden. Ich möchte dazu unseren Standpunkt vortragen. Zweifellos ist die Volksabstimmung eines der brauchbaren Mittel, durch die der Wille der Bevölkerung in besonders eindringlicher Weise kundgetan werden kann, wenn .das sein muß zur Unterstützung des westlichen oder zur Abwehr des östlichen Standpunktes oder in beider Richtung. Es sind durchaus Situationen denkbar, in denen das sehr zweckmäßig und sogar sehr dringlich sein kann. Darüber gab es bisher keine Meinungsverschiedenheiten. Meinungsverschiedenheiten sollten aber auch nicht darüber bestehen, daß man Volksabstimmungen nicht beliebig wiederholen kann. Der Wert dieses Instruments für Westberlin liegt in seiner Außerordentlichkeit d. h. praktisch in seiner Einmaligkeit. Vielleicht muß es einmal ganz plötzlich eingesetzt werden, und wenn ich mich nicht irre - ich glaube das zu wissen -, ist man in Berlin darauf technisch auch vorbereitet. Aber Zeitpunkt, Anlaß und Fragestellung einer solchen Volksabstimmung sollten Sache der innersten Entscheidung der Verantwortlichen bleiben und nicht vorzeitig zur öffentlichen Erörterung kommen; denn sonst wind dieses Instrument unter Umständen noch abgewertet.
Eine andere und letzte Einzelfrage; sie kurz anzusprechen ist durch die Diskussion in der letzten Zeit notwendig geworden. Es handelt sich um die Frage der Fühlungnahmen mit Dienststellen jenseits des Brandenburger Tores. Solche technischen Kontakte gibt es seit langem, auch wegen des Interzonenhandels und anderer Fragen des Verkehrs. Wir haben nichts gegen Kontakte in der bisherigen Weise, soweit sie einen praktischen Wert haben oder versprechen. Natürlich haben wir auch nichts gegen humanitäre Kontakte etwa auf der Ebene des Roten Kreuzes. Wir werden immer bemüht und behilflich sein, etwas Menschlichkeit an die Mauer zu bringen, obwohl das fast paradox klingt, und die schreckliche Trennung durch die Mauer und den Todesstreifen zu mildern und zu tun, was sonst möglich ist. Eines nur - auch das möchte ich für meine Freunde mit aller Entschiedenheit sagen - wird nicht geschehen: Wir werden uns durch das Zonenregime nicht zu seiner Anerkennung als zweiten deutschen Staat erpressen lassen.
Dr. Gradl
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine allgemeine Bemerkung machen und dann vielleicht noch auf zwei, drei Punkte eingehen, die Herr Kollege Erler erwähnt hat.
Wir sind uns darüber im klaren - wir genauso wie Sie -, daß die Auseinandersetzung mit der Sowetunion um Berlin nicht nur in bezug auf Berlin selbst und nicht nur auf dem engen Felde Berlin geführt werden kann. Notwendig ist - und da werden wir uns alle gemeinsam anzustrengen haben -, daneben und darüber hinaus eine breite politische und moralische Offensive gegen die Ausgangsstellung der Sowjetunion zu führen. Ich glaube, Herr Kollege Wehner hat davon vorhin gesprochen: Frieden, Friedensvertrag, Friedenskonferenz, Liquidation des zweiten Weltkrieges und all das. Das sind die Parolen von drüben, mit denen die aggressiven Absichten getarnt werden. Sie haben recht, Herr Wehner, und wir stimmen Ihnen in diesem Punkte zu: das Friedensmotiv mit all seinen Variationen, so wie es insbesondere auch aus den Hetzsendungen und den Hetzschriften Moskaus zu uns herüberkommt, dürfen wir ihnen nicht überlassen. Wir wissen, der wirkliche Friede wäre längst möglich, wenn die Sowjetunion auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts eine Verständigung mit den Westmächten und dem deutschen Volk suchte. Darauf ist sie seit 1945, seit der Mitübernahme der Verantwortung für Deutschland als Ganzes, verpflichtet, und darauf hat sie sich 1955 auf der Gipfelkonferenz in Genf durch ihre Unterschrift noch einmal verpflichtet. Auf diese Verpflichtung und auf das Selbstbestimmungsrecht muß sie immer wieder und jetzt erneut aufmerksam gemacht werden. Das, Herr Erler, so meinen wir, gehört dazu, um es nicht nur den anderen zu überlassen, auf eine Veränderung, d. h. für uns Verschlechterung des Status quo hinzuarbeiten, sondern um ihnen entgegenzutreten und von unserer Seite aus den Status quo in unserem Sinne zu verändern. Wenn wir von der anderen Seite hundertmal ein Nein, hundertmal eine Ablehnung hören, dann macht das unser Recht nicht schlecht und macht unsere Begründungen nicht schlecht, dann werden wir sie zum hundertundeinten Mal wieder vor diese Frage stellen müssen: Wie haltet ihr es mit der Verantwortung, die ihr von der ganzen Welt übernommen habt, und wie haltet ihr es mit der Selbstbestimmung und den Grundrechten für die Deutschen?
({5})
Auf dieser Basis, so meinen wir - das werden Sie in dem Entschließungsantrag gefunden haben-, soll die Sowjetunion aufgefordert werden, in einer ständigen Vier-Mächte-Beratung gemeinsam die Voraussetzung für eine politsche und militärische Entspannung und damit für eine Friedensordnung zu schaffen, der alle zustimmen können, auch das deutsche Volk.
Zu dieser Offensive gehört natürlich auch, daß wir vor der Welt immer wieder die politische Unmoral darstellen, die sich in Berlin an der Mauer und quer durch Deutschland an den Todesstreifen tagtäglich präsentiert. Wenn es für manche Leute langweilig ist, immer wieder das Wort von der
Mauer und dem Todesstreifen hören und lesen zu müssen, soll uns das nicht irre machen darin, immer wieder darauf hinzuweisen. Schon allein unseren Landsleuten in der Zone mit ihrem lautlosen, zähen Widerstehen sind wir es schuldig, immer wieder auf diese Dinge hinzuweisen.
Ich weiß, daß man sagt: Dann kommt die Gegenseite schnell mit dem Vorwurf des Kalten Krieges. Kalter Krieg ist nicht die Anprangerung der Untaten, Kalter Krieg sind die Untaten selber. Der begeht ihn, der die Untaten begeht, nicht wir.
Dieses Hohes Haus hat Ende der vorigen Legislaturperiode einmütig eine Entschließung gefaßt, in der es seinen Wunsch nach guter nachbarlicher Beziehung auch zum Osten Europas ausgesprochen hat. Das ist nach wie vor unser Wunsch. Wir wollen auch mit der Sowjetunion ein gedeihliches, ein gutes Verhältnis. Was steht dem denn im Wege? Nichts steht im Wege als jenes Regime, das es in 17 Jahren nicht fertigbekommen hat, die Menschen für sich zu überzeugen. 17 Jahre lang hat die Sowjetunion diesem Regime ihren Schutz, ihre Macht, ihr Prestige geliehen. Und was ist das Ergebnis? Das bankrotteste Regime dieser Jahre, ein Regime, das am Ende Mauern bauen mußte, um das Volk am Davonlaufen zu hindern. Das sollte man sich im Kreml vor Augen halten und sich dann fragen, ob es nicht auch vom sowjetischen Standpunkt aus besser wäre, den Weg der Menschlichkeit und der Selbstbestimmung auch für den von ihr besetzten Teil Deutschlands zu gehen.
In diesem Sinne mache ich mir das kühne Wort des Bundeskanzlers zu eigen, daß die Bundesregierung bereit ist - und ich füge hinzu: daß sicher wir alle und all unsere westlichen Freunde bereit sind -, über vieles mit sich reden zu lassen. Herr Kollege Wehner, Sie haben heute morgen gesagt - ich gebe es in meinen Worten, aber doch wohl dem Sinne nach richtig wieder -, dieses Wort „über vieles mit uns reden lassen" könne ungute Gedanken aufkommen lassen. Man könnte natürlich auf den Gedanken kommen, zu fragen: Worüber denn laßt ihr mit euch reden? Natürlich werden diese Fragen kommen. Aber hier möchte ich unterstreichen, was der Herr Außenminister gesagt hat: In dieser Phase, in der die Gegenseite nicht eine Spur von Bereitschaft erkennen läßt, daß sie zumindest zu vernünftigen Verhandlungen und Entwicklungen bereit ist, kann man von uns aus nicht mehr tun, als die Bereitschaft zu zeigen, und die Bereitschaft liegt in diesen Worten: die Bereitschaft, vernünftig zu sein und einsichtig zu sein, wenn die andere Seite auch einmal vernünftig und einsichtig wird. Wenn man am Tisch sitzt, dann kann man Konzessionen gegen Konzessionen aushandeln. Sie vorher zu nennen, das wäre eine schlechte Sache. Das wird draußen nicht immer verstanden.
Ich glaube aber, über dieses Wort, das der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, kann man in der Phase, in der wir heute stehen, nicht hinausgehen. Der Phantasie sind natürlich keine Grenzen gesetzt, und damit sie angeregt wird, will ich zum Schluß ein Beispiel nennen.
Dr. Gradl
Heute vormittag ist hier das Memorandum, die Antwort der Bundesregierung an Moskau vom Februar dieses Jahres zitiert worden. Wir alle waren der Meinung, das war eine gute Antwort. Nun, diesem Memorandum ging ja ein Memorandum der Sowjetunion voraus. In diesem Memorandum der Sowjetunion vom Dezember vorigen Jahres war sehr viel die Rede von wirtschaftlichen Dingen. Meine Damen und Herren, überlegen wir einen Augenblick, wie es in der Welt aussähe - sagen Sie nicht, ich sei ein Träumer; Politiker müssen manchmal auch phantasieren -, wenn die Sowjetunion hier ja sagen würde zu einer echten Entspannung, wenn sie ja sagen würde zu einer Lösung der deutschen Frage, die für uns erträglich ist, auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts. Welch eine ungeheure Entspannung! Wieviel wäre dann nicht mehr notwendig, was heute an militärischer, wirtschaftlicher und auch politischer Last mitgeschleppt werden muß. Da zum Beispiel liegen Möglichkeiten, vieles zu tun und über vieles mit sich reden zu lassen. Aber das alles ist erst möglich, wenn wir durch unsere Standfestigkeit, durch unsere Selbstbehauptung und durch das Vertrauen, das wir in unsere eigene Sache demonstrieren, die Sowjetunion zu dieser Einsicht gebracht haben.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag und die Ehre, namens der Koalitionsfraktionen den Entschließungsantrag auf Umdruck 144 * vorzulegen. Er faßt unserer Auffassung nach den in der Debatte dieser zwei Tage zum Ausdruck gekommenen politischen Willen zusammen. Der Bedeutung nach müßte er ausführlich begründet werden. Ich versage mir dies mit einem Blick auf die Uhr
({0})
und in der Überzeugung, daß diese Entschließung von den anwesenden Kollegen gründlich zur Kenntnis genommen wurde.
Ich darf noch, mit der Bitte um Korrektur, auf einen Schreibfehler aufmerksam machen. In der Überschrift muß es heißen: „Erklärung der Bundesregierung vom 9. Oktober", nicht „vom 10. Oktober". Ich darf das Hohe Haus um Annahme bitten. Ich hoffe auch, daß die so kurze Begründung Sie dazu besonders veranlassen kann.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl mir der verehrte Herr Vorredner die Entschließung zum Studieren auf dem Platz gelassen hat, muß ich vorher doch noch einige Bemerkungen an Herrn Dr. Gradl richten. Ich glaube,
Siehe Anlage 4 daß angesichts dessen, was hier zum Viermächtestatut gesagt worden ist, nicht der Eindruck zurückbleiben dürfte, es gäbe in dieser Frage eine Meinungsverschiedenheit. Ich hoffe, es gibt keine.
Unser Standpunkt - wir haben ihn, wie manche von Ihnen wissen, denn Sie bekommen ja hintenherum immer ganz gute Nachrichten, auch bei Diskussionen mit sonst gar nicht so einfach zu nehmenden westlichen Staatsmännern vertreten - ist folgender: Verhandlungen um Berlin sollten von westlicher Seite immer mit dem Anspruch auf den Viermächtestatus für ganz Berlin begonnen und auch durchgehalten werden. Das ist unser Standpunkt. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln. Ich hoffe, daß wir, wenn wir in diesem Punkt einer Meinung sind, auch darüber einer Meinung sind, daß der Begriff des Viermächtestatus nicht mißbraucht werden darf für den Versuch der Russen, jetzt in Westberlin mitmischen zu wollen.
({0})
Denn wir möchten nicht, daß sowjetisches Ehrenmal und Spandauer Gefängnis schließlich zu einer Art von Zitadellen für das Mitmischen der Russen in Westberlin werden. Viermächtestatut für ganz Berlin! Und wenn wir eine bessere „Großwetterlage" haben und sie darauf zurückkommen, ja; aber in der Zeit dazwischen sollen sie nicht einfach durch alle möglichen, von ihnen selbst bestimmten Türen in Westberlin hereinkommen und dort bestimmen können. Das ist doch einfach das, was zu der ganzen Sache eigentlich zu sagen ist.
Was sich nun inzwischen an Diskussionen über Berlin-Land usw. anbahnt, das können wir, meine ich, jetzt zu so später Stunde wahrscheinlich gar nicht mehr auf die Hörner nehmen. Ich hoffe, daß sich das ein wenig beruhigt. Da gibt es ja auch Standpunkte; die kann man durch die Jahre verfolgen. Zu dem eingebrachten Vertrag hat - ich habe es mir angesehen - der damalige Abgeordnete Brandt gesagt, was die Meinung der Berliner Sozialdemokraten zu dieser Rolle Berlins als eines Landes der Bundesrepublik sei. Und bei uns hat es hier ja auch schon Definitionen gegeben. Wenn wir von gewissen Schlußfolgerungen absehen, nämlich der Frage einer Stimmberechtigung der Berliner Abgeordneten hier, wo wir anderer Meinung waren als Sie, weil Sie sagten, das würde die Vorbehalte der Alliierten in dieser Frage Bewegung bringen, so hat es hinsichtlich des Charakters als Land eigentlich keinen Streit gegeben, abgesehen davon, daß es ein Land unter bestimmten Bedingungen ist, die sich wieder wohl aus dem Viermächtestatus für ganz Berlin ergeben, auch wenn zur Zeit - ich weiß nicht und keiner weiß, wie lange - die Russen zugelassen haben, daß der Spitzbart den Ostsektor annektiert, einmauert und auch hält. Klar ist aber, daß sie nun nicht auch noch - keiner will ihnen das Recht geben - unter Mißbrauch des Wortes „Viermächtestatus" und unter Mißbrauch des Wortes „Berlin" - wir machen ja auch den Fehler, daß wir von „Berlin" reden und nun in diesem Falle sogar mit Recht nur Westberlin meinen, wir sollten uns da gegenseitig zu helfen versuchen Wehner
plötzlich mittendrin in Westberlin sitzen. Das wäre also eine Sache, zu der niemand ja sagen würde.
Im übrigen, sehr verehrter Kollege Dr. Gradl, ich habe, weil ich den Eindruck hatte, daß man sich bei gewissen Gelegenheiten, wenn so etwas in der Luft liegt, immer zuerst an den Berliner Sozialdemokraten oder den Vertretern reibt, nochmal nachgeguckt: Wie war das? Zum Beispiel nach der Genfer Konferenz und als die Gipfelkonferenz scheiterte, gab es hier auch so ziemlich hoch bewertete Vorstellungen. Wer hat sich eigentlich in Berlin für die Herabsetzung der westlichen Truppen eingesetzt? Wer hat dort für bestimmte Dinge gesprochen? Damals habe ich - Sie wissen das, Sie lächeln ja auch - mir hier erlaubt, ohne Namensnennung zu zitieren; es war derselbe verehrte Kollege, der Bürgermeister Amrehn, den ich auch sehr schätze, der gesagt hat:
Es gibt in Berlin keinen verantwortlichen Politiker, der jemals dazu geraten hat, die Zahl der westlichen Truppen in Berlin zu verringern oder das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken... Das geschah ohne unsere Beteiligung und gegen unsere Auffassung. Es hat auch keinen verantwortlichen Politiker in Berlin gegeben, der jemals dafür eingetreten wäre, die Rechtsgrundlagen der Anwesenheit westlicher Truppen in Berlin zu verändern oder sich auf eine Befristung dieser Rechte durch Interimsabkommen einzulassen. Wir hatten nicht die Absicht, uns stückweise der sowjetischen Herrschaft auszuliefern.
Das sagte er von Berlin. Ich habe das nicht auf mich bezogen. Niemand ist berechtigt, sich für die in Genf gemachten Vorschläge oder für spätere Schubladenpläne ähnlicher Art auf Berlin, auf den Senat von Berlin oder einzelne seiner Mitglieder zu berufen. Die Berliner sind nicht stärker als ihre Schutzmacht. Aber die erklärte Berliner Haltung hat niemals Anlaß zur Nachgiebigkeit gegeben, sondern in der Bedrängnis und im Wagnis stets die integrale Wahrung der westlichen Position gefordert. Wir wären froh, wenn auch schon früher überall die gleichen Auffassungen geherrscht hätten. Niemand weiß besser als die Berliner selbst um das notwendige Maß an Härte zu ihrer eigenen Verteidigung.
Ich bitte um Entschuldigung für dieses lange Zitat eines Kollegen von Ihrer Fakultät, den ich aber auch sehr verehre und der in Berlin notwendig ist. Es wäre gut, wenn bei der bewährten Zusammenarbeit dort das, was Sie, Herr Dr. Gradl, heute zu so einer unglücklichen Stunde angemeldet haben, geklärt würde und wenn man dann nach einiger Zeit wieder übereinstimmend feststellen könnte, daß in Berlin niemand dazu oder dazu oder dazu geraten hätte. Dann wäre hier niemand froher als wir, wenn das endlich beigelegt wäre. Denn in der Sache Berlin gibt es ja wohl keinen Grund, nach einem Abrücken von dem zu suchen, was man Gemeinsamkeit, gemeinsames Handeln nennt.
Noch ein Wort zu dieser Bemerkung, die ich mir hinsichtlich dieser Sätze erlaubt hatte: Wir wären bereit, über manches mit uns reden zu lassen. Für mich war das gar nichts anderes - das werden Sie nachlesen können; ohne jeden Hintergedanken - als ein Hinweis darauf, daß, wenn man das einige Male sagt, es andere geben wird, die versuchen werden, zu definieren, über, was alles wir mit uns würden reden lassen müssen. Gar nichts anderes! Und im übrigen: natürlich, es kommt einfach darauf an, diese Gelegenheiten für andere so einzuschränken, daß das, was damit gemeint ist, nicht untergebuttert werden kann.
Nun zu der Entschließung! Meine Damen und Herren, die Entschließung, die uns hier gegen Mittag sozusagen fertig vorgelegt worden ist, enthält in verschiedenen Teilen Punkte und auch Gesichtspunkte, denen die Fraktion der Sozialdemokraten durchaus zuzustimmen in der Lage und bereit wäre, obwohl auf unsere konkreteren Vorschläge dort, wo es solche gab, nicht eingegangen worden ist. Andererseits enthält dieser Entwurf Festlegungen, an denen wir uns nicht zu beteiligen wünschen, z. B. die mit dem uns noch gar nicht vorgelegten Haushaltsplan verbundenen Punkte. Wir wiederholen, daß wir helfen wollen, diese Fragen bei der Beratung des Haushaltsplanes zu klären und zu entscheiden, aber nicht durch eine Vorfestlegung.
Wir bedauern, möchte ich weiter sagen, daß es uns unmöglich gemacht wird, an einem Appell des Deutschen Bundestages, oder als welcher diese Entschließung gedacht ist, an die Tarifpartner teilzunehmen, abgesehen davon, daß an dieser Stelle nichts von der Verantwortung der Bundesregierung - Wirtschaftspolitik usw. - steht. Wir bedauern es. Wir können daran nicht teilnehmen, unmittelbar nachdem das Kabinett den Deutschen Gewerkschaftsbund in einer - mein Freund Erler hat es 'hier zu sagen versucht - unbeschreiblichen Art und Weise hintergangen und bei der Entscheidung über die Nachfolge des allseitig anerkannten Mitglieds der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, des Herrn Potthoff, ausgeschaltet hat. Da liegt ein offensichtlicher Bruch, ein offensichtlich auch beabsichtigter Bruch alter, 'bei der Gründung der Gemeinschaft getroffener Abmachungen vor.
({1})
- Nein, das haben wir nie gesagt. Das sind Vertrauensfragen. Das ist ein sehr zartes Gewebe. Ich kenne die Innereien der Behörde so: Monnet hat uns damals gesagt, wie es mit der Kooptation des Neunten ist. Das wissen Sie vielleicht nicht. Es handelt 'sich um den Mann, der nicht von den Ländern gestellt wurde. Das war auch kein Rechtsanspruch. Wir haben es immer gewußt. Aber man hat gesagt: Es ist ein Versuch in einer gewissen Richtung. Und so ist es auch hier, in diesem Fall der deutschen Mitglieder. Wenn man so sagen darf, ohne mißverstanden zu werden: Vertrauen gegen Vertrauen!
({2})
Nichts anderes!
Hier will ich Ihnen nur eines sagen. Wenn diese Ernennung nun vollzogen wird - bitte nehmen Sie
das so, wie es ist! -, sind von deutscher Seite ein Vertreter des Industrieinstituts der deutschen Unternehmer, der Herr Hellwig, und ein hoher Staatsbeamter Mitglied der Hohen Behörde. Sehen Sie da den Wechsel und glauben Sie nicht, daß das für das, was wir mit dem Gespräch mit 'den Gewerkschaften gemeint haben, eine sehr schlechte Begleitmusik ist? Das ist die Sachlage. Nehmen Sie sie so, wie wir sie sehen müssen! Nehmen Sie sie so, wie sie all die Leute in der Bergbauindustrie, in der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie sehen müssen, nur so und nicht anders! Dann brauchen wir gar nicht weiter darner zu sprechen. Wir würden, wenn wir das in einem solchen Moment versuchten, mit einer Art von mehr oder weniger einseitigen Appellen an die Tarifpartner sozusagen mitziehen. Das wäre nicht zu rechtfertigen. Das wäre direkt so, als sei es gar nichts, wenn die Regierung Bäumchen-verwechsledich spielt.
Wir bedauern, daß die Berührungspunkte, die besonders infolge der Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers in dieser Debatte zutage getreten sind, durch die Schuld der Bundesregierung nicht unmittelbar weiterentwickelt und nutzbar gemacht werden können.
Einige Bemerkungen zum außenpolitischen Teil des Antrags. Die Fraktion der Sozialdemokraten sieht sich nicht imstande, diesem Teil zuzustimmen, weil die Vorschläge der Sozialdemokraten in keiner Weise berücksichtigt worden sind. Die Fraktion der SPD wird sich der Stimme enthalten und gibt Ihnen, meine Damen und Herren, damit die Gelegenheit, die Vorschläge der SPD noch aufzugreifen und zu bedenken. Sie können nicht erwarten, daß eine so große Fraktion wie die der Sozialdemokraten sich hier im Deutschen Bundestag als Anhängsel für Ihre Koalition gebrauchen läßt.
({3})
Wir möchten nicht das Mißverständnis fördern, eine Außenpolitik, die in den Grundlagen und in den Grundlinien von allen demokratischen Parteien erarbeitet und unterstützt werden kann, sei zu ersetzen durch gelegentliche Akklamationen, auf die es Ihnen leider offensichtlich noch immer ankommt.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen, Sie haben das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir bitten, unseren Antrag auf Zahlung eines Überbrückungsgeldes für die Beamten und Versorgungsempfänger - Punkt 8 der heutigen Tagesordnung - an den Innenausschuß und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - zu überweisen, damit die Beratungen in Gang kommen können, nachdem hier soviel Zeit verlorengegangen ist.
Wir werden noch eine schriftliche Erklärung zu Protokoll geben. *)
Vereinbart ist, daß die Sitzung um 14 Uhr bzw. nach Beendigung der Aussprache geschlossen wird. Wenn das Haus einverstanden ist, können wir jedoch den Punkt noch erledigen. Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Überbrückungszulage für die Beamten und Versorgungsempfänger des Bundes ({0}).
Es ist beantragt, den Antrag der Fraktion der SPD an den Ausschuß für Inneres und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden?
({1})
- Gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß! Das muß ich doch machen, Herr Kollege Niederalt. Der Antrag hat doch finanzielle Konsequenzen.
({2})
- Was heißt denn „mitberatend" ? Gemäß § 96 der Geschäftsordnung kommt der Haushaltsausschuß ganz automatisch zum Zuge, und da braucht das Haus gar nicht zu beschließen, ob federführend oder mitberatend. - Kein Widerspruch gegen die Überweisung? - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 24. Oktober 1962, 9 Uhr.
Ich schließe die heutige Sitzung.