Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden Amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 12./13. Juli 1962 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz zu dem Protokoll vom 21. Juni 1961 zur Änderung des Abkommens vom 7. Dezember 1944 über die Internationale Zivilluftfahrt ({0})
Gesetz zu dein Abkommen vom 22. Dezember 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Malaiischen Bund über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
Gesetz über den Verkehr mit Düngemitteln ({1})
Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 15. Dezember 1958 über den Austausch therapeutischer Substanzen menschlichen Ursprungs
Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Förderung des Wohnungsbaus für Umsiedler in den Aufnahmeländern und des Wohnungsbaus für Sowjetzonenflüchtlinge in Berlin
Gesetz über die Umsatzsteuerstatistik für das Kalenderjahr 1962
Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin ({2}) und des Steuererleichterungsgesetzes für Berlin ({3})
Gesetz zur Änderung des Handwerkerversicherungsgesetzes
Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 112 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 19. Juni 1959 über das Mindestalter für die Zulassung zur Arbeit in der Fischerei
Gesetz zu dem Abkommen vom 31. Mai 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Arbeitslosenversicherung
Gesetz zur Änderung des Zollgesetzes
Gesetz über die Erhebung der Abschöpfungen nach Maßgabe der Verordnungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die schrittweise Errichtung gemeinsamer Marktorganisationen für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse ({4})
Gesetz zur Durchführung der Verordnungen Nr. 20 ({5}), Nr. 21 ({6}) und Nr. 22 ({7}) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sowie zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft
Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 ({8})
des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
Zum
Gesetz zur Änderung des Zollgesetzes
Gesetz über die Erhebung der Abschöpfungen nach Maßgabe der Verordnungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die schrittweise Errichtung gemeinsamer Marktorganisationen für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse ({9})
Gesetz zur Durchführung der Verordnungen Nr. 20 ({10}), Nr. 21 ({11}) und Nr. 22 ({12}) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sowie zur Änderung des Gesetzes zur Forderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft
Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 ({13}) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
hat der Bundesrat Entschließungen angenommen, die als Anlagen 2 bis 5 dem Sitzungsprotokoll beigefügt sind.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 12./13. Juli 1962 gemäß § 77 Abs. 5 des Zollgesetzes beschlossen, gegen die Fünfundzwanzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({14}) - Drucksache IV/ S65 - keine Bedenken zu erheben. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 583 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Allgemeine Grundsätze zur Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung - Drucksache IV/ 567 - an den Ausschuß für Arbeit
Verordnungen Nr. 29, 30, 33 bis 57,
Verordnung Nr. .. des Rats zur Festsetzung des Beginns
des Wirtschaftsjahrs für Mais auf den 1. Oktober - vorläufige Fassung -,
Verordnung des Rats über die Umrechnungskurse und die
Rechnungseinheit, die im Rahmen der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik gelten sollen - vorläufige Fassung - und
Verordnung Nr. ... über die Festsetzung der für die Erzeugung eines Kükens von Hausgeflügel erforderlichen Futtergetreidemenge - Drucksache IV/ 576 - an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und den Außenhandelsausschuß
Verordnung Nr. 58 zur Festsetzung gemeinsamer Qualitätsnormen für einige Erzeugnisse in Anhang I B der Verordnung Nr. 23 über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Obst und Gemüse - Drucksache IV/ 597 - an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und den Außenhandelsausschuß
Verordnung Nr. 60 über die ersten Maßnahmen zur Qualltätskontrolle von Obst und Gemüse im Handel zwischen den Mitgliedstaaten und
Verordnung Nr. 61 über die Festsetzung von Standardqualitäten für Getreide sowie von Ausgleichskoeffizienten zwischen diesen Standardqualitäten und den für die Richtpreise maßgebenden nationalen Standardqualitäten - Drucksache IV/ 602 - an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und den Außenhandelsausschuß
Verordnung Nr. . des Rates über die Festsetzung der
für geschlachtete Puten in dem Fall gemäß Artikel 3 Absatz ({15}) der Verordnung Nr. 22 des Rates geltenden innergemeinschaftlichen Abschöpfungsbeträge - vorläufige Fassung -,
Verordnung Nr. . des Rates über die Aufnahme von
Glukose und Glukosesirup in die Anlage der Verordnung Nr. 19 des Rates - vorläufige Fassung - und
Verordnung Nr. 64 der Kommission betreffend die Festsetzung von gemeinsamen Qualitätsnormen für einige Erzeugnisse im Anhang I B der Verordnung Nr. 23 über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Obst und Gemüse - Drucksache IV/ 604 - an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und den Außenhandelsausschuß
Verordnungen Nr. 65 bis Nr. 112 - Drucksache IV/ 616 -an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und den Außenhandelsausschuß
Vorschlag einer ersten Richtlinie auf dem Gebiet des Filmwesens - Drucksache IV/ 619 - an den Ausschuß für Kultur-Politik und Publizistik - federführend - und den Außenhandelsausschuß
Verordnungen Nr. 113 bis 122 - Drucksache IV/ 631 - an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und den Außenhandelsausschuß
Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktordnung für Reis sowie eine Aufzeichnung der Bundesregierung über den wesentlichen Inhalt dieses Vorschlags - Drucksache IV/ 507
- an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und den Wirtschaftsausschuß mit der Bitte um Berichterstattung an das Plenum
Entwurf einer Verordnung über die ersten Maßnahmen zur Herstellung der Freizügigkeit der Grenzarbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft nebst Anhang und einer Richtlinie betr. die Verwaltungsfragen und -praktiken hinsichtlich der Grenzarbeitnehmer
Entwurf einer Verordnung über die ersten Maßnahmen zur Herstellung der Freizügigkeit der, Saisonarbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft nebst einer Anlage und einer Richtlinie betr. die Saisonarbeitnehmer - Drucksache IV/ 511 - an den Ausschuß für Arbeit - federführend - und den Ausschuß für Inneres mit der Bitte um Berichterstattung an das Plenum
Vorschläge der Kommission der EWG für eine Verordnung über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für den Rindfleischsektor
eine Verordnung über die Einführung einer Abschöpfungsregelung und die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse
sowie je eine Aufzeichnung der Bundesregierung über den
wesentlichen Inhalt dieser Vorschläge - Drucksache IV/ 555
- an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend -, den Wirtschaftsausschuß und den Außenhandelsausschuß mit der Bitte um Berichterstattung an das Plenum bis zum 26. Oktober 1962
Vorschläge der Kommission der EWG für eine Richtlinie über die Einzelheiten zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit bei landwirtschaftlichen Betrieben, die seit mehr als zwei Jahren verlassen sind oder brachliegen,
für eine Richtlinie über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit in der Landwirtschaft für Angehörige eines Mitgliedsstaates, die als Landarbeiter zwei Jahre ohne Unterbrechung in einem anderen Mitgliedstaat gearbeitet haben,
sowie eine Aufzeichnung des Bundesministers für Wirtschaft zu diesen beiden Vorschlägen - Drucksache IV/ 598 - an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und den Wirtschaftsausschuß mit der Bitte um Berichterstattung an das Plenum bis zum 26. Oktober 1962
Entwurf einer Verordnung zur Änderung des Artikels 109 des Statuts der Beamten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - Drucksache IV/ 610 - an den Ausschuß für Inneres mit der Bitte um Berichterstattung an das Plenum bis zum 10. Oktober 1962
Entwurf einer Verordnung Nr. ... zur Durchführung periodischer Lohnerhebungen im verarbeitenden Gewerbe sowie eine Aufzeichnung des Bundesministes für Arbeit und Sozialordnung - Drucksache IV/ 636 - an den Ausschuß für Arbeit mit der Bitte um Berichterstattung an das Plenum bis zum 24. Oktober 1962
Vorschlag der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Richtlinie des Rates zur Regelung gesundheitspolizeilicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit frischem Fleisch - Drucksache IV/ 636 - an den Ausschuß für Gesundheitswesen - federführend -, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Außenhandelsausschuß mit der Bitte um Berichterstattung an das Plenum bis zum 26. Oktober 1962
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachsiehenden Verordnungen überwiesen:
Zweiunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({16}) - Drucksache IV/ 608 - an den Außenhandelsausschuß
Fünfte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - vom 27. Juli 1962,
Zweite Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung vom 27. Juli 1962,
Zweite Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage zur Außenwirtschaftsverordnung - vom 27. Juli 1962 nebst einem Vermerk - Drucksache IV/ 606 - an den Außenhandelsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat am 9. Juli 1962 unter Bezug auf die am 19. Dezember 1961 übersandten Vorschläge der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für verschiedene Verordnungen - Drucksachen IV/78, IV/79, IV/80 - eine Mitteilung über den weiteren Verlauf der Verhandlungen im Rat und über die Bekanntmachung der Texte gegeben. Sie ist als Drucksache IV/578 verteilt und dem damit befaßten Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem Wirtschaftsausschuß am 16. Juli 1962 zur Kenntnis gebracht worden.
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 7. Juli 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Rüstungskontrolle in der Westeuropäischen Union - Drucksache IV/ 541 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 580 verteilt.
Der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen hat unter dem 24. Juli 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Bewerunge, Dr. Frey ({17}), Dr. Höchst, Balkenhol, Bauknecht und Genossen betr. Zurverfügungstellung von ausreichenden Mitteln für Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur
- Drucksache IV/ 560 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 582 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung und der Herr Bundesminister der Verteidigung haben unter dem 13. Juli 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Wohnungsbau, Eigentumsbildung und Mietbeihilfen für die Bundeswehr - Drucksache IV/ 569 - beantwortet. Das Schreiben ist als Drucksache IV/ 588 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 16. Juli 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Mauk, Wächter, Reichmann, Frau Dr. Kiep-Altenloh und Genossen betr. Kosten- und Preisuntersuchungen für Agrarerzeugnisse innerhalb der EWG - Drucksache IV/ 558 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 589 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 17. Juli 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Althofsanierung, Aussiedlung und Aufstockung - Drucksache IV/ 544 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 590 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 27. Juli 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Bauer ({18}) und Genassen betr. wirtschaftliche Lage der Binnen-, insbesondere der Flußfischerei - Drucksache IV/ 557 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 600 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 6. August 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Härteausgleich für Kriegsopfer - Drucksache IV/ 471
- beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 605 verteilt.
Der Herr Bundesministers für Verkehr hat unter dem 7. August 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schmidt ({19}), Bading, Margulies und Genossen betr. zweckmäßigere Stoßstangen zur Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr - Drucksache IV/ 585 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 607 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 7. August 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schmidt ({20}), Bading, Margulies und Genossen betr. Wasserverhältnisse am Oberrhein - Drucksache IV/ 584 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 609 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 14. August 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Wacher, Rasner, Arndgen, Struve, Etzel, Majonica und Genossen betr. Auslieferung des von der Tschechoslowakei als tschechoslowakischer Staatsbürger beanspruchten ehemaligen Bundestagsabgeordneten Alfred Frenzel an die CSR - Drucksache IV/ 594 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 611 verteilt.
Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Wirtschaft hat unter dem 4. September 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Deist, Arendt ({21}) und Genossen betr. Krise im deutschen Metallerzbergbau - Drucksache IV/ 591
- beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 628 verteilt.
Der Herr Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 21. September 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Arbeitserlaubnis für jugoslawische Hilfsarbeiter
- Drucksache IV/ 629 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 638 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 28. September 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Bau des Nord-Süd-Kanals - Drucksache IV/ 618 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 644 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 2. Oktober 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. von Brentano,
Schmücker, Struve, Dr. Dollinger und Genossen betr. Behandlung des Falles Frenzel - Drucksache IV/ 632 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 645 verteilt.
Der Herr Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat am 5. Juli 1962 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 8. April 1959 über die Beschäftigung Schwerbeschädigter bei den Bundesdienststellen berichtet. Die Übersicht ist als Drucksache IV/ 581 verteilt.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat am 11. Juli 1962 unter Bezugnahme auf den Beschluß des Bundestages vom 31. Januar 1962 einen ersten Bericht der Bundesregierung über die Belastung mit lohnbezogenen Abgaben und eine Anlage hierzu über das System der sozialen Sicherheit und ihre Mittelaufbringung in den Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in Großbritannien und Dänemark übersandt, die als Drucksache IV/ 579 verteilt ist.
Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hat in seiner 6. Sitzung am 19. Juni 1962 die Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten und in Fällen der Ermächtigung gemäß § 197 StGB neu gefaßt. Sie sind als Drucksache IV/ 572 verteilt.
Der Herr Präsident der Versammlung der Westeuropäischen Union hat unter dem 20. Juli 1962 den Text der Empfehlungen Nr. 74, 76, 77 und 79, die von der Versammlung der Westeuropäischen Union während des 1. Teils ihrer Achten Ordentlichen Sitzungsperiode vom 4. bis 8. Juni 1962 in Paris angenommen worden sind, sowie die Begründungen der zuständigen Ausschüsse zu diesen Dokumenten übersandt. Sein Schreiben ist als Drucksache IV /601 verteilt.
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat am 2. August 1962 unter Bezugnahme auf § 19 Abs. 6 des Postverwaltungsgesetzes den Geschäftsbericht der Deutschen Bundespost über das Rechnungsjahr 1961 mit der Bitte um Kenntnisnahme vorgelegt, der als Drucksache IV/ 603 verteilt ist.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat am 22. August 1962 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 29. Juni 1961 den Bericht über Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie das Gutachten des wissenschaftlichen Beirates übersandt. Sie sind als Drucksache IV /617 verteilt.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat Leiter dem 28. August 1962 gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 7. August 1953 den Geschäftsbericht der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für das Rechnungsjahr 1960 übersandt, der als Drucksache 1V/623 verteilt ist.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat am 10. September 1962 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 14. Juni 1961 zu § 116 des deutschen Richtergesetzes berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 634 verteilt.
Der Herr Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 28. Juni 1962 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 9. Mai 1962 über den Hopfenanbau im Gemeinsamen Markt berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 568 verteilt.
Der Herr Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 14. September 1962 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 9. Mai 1962 erneut über die Frage des Hopfenanbaus im Gemeinsamen Markt berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 637 verteilt.
Das Bundesversicherungsamt hat unter dem 27. Juli 1962 die Abrechnung über die Rentenzahlungen und Beitragserstattungen in der Rentenversicherung der Angestellten für das Kalenderjahr 1960 übersandt, die im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
'Der Herr Präsident des Bundesrechnungshofes hat unter dem 15, August 1962 ein Gutachten über die Ursachen der Mängel beim Vollzug des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eierwirtschaft übersandt, das im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
Der Herr Bundeskanzler hat am 28. September 1962 gemäß § 1383 Absatz 3 RVO und § 110 Absatz 3 AVG die versicherungstechnischen Bilanzen der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten für den 1. Januar '1959, das Gutachten des Sozialbeirates und den Bericht der Bundesregierung hierzu mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt, die als Drucksache IV/ 640 verteilt sind.
Der Herr Bundeskanzler hat am 28. September 1962 gemäß § 1273 der Reichsversicherungsordnung, § 50 des Angestelltenversicherungsgesetzes und § 71 des Reichsknappschaftsgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfahigkeit und der Produktivität sowie die Veranderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen ({22}) sowie das Gutachten des Sozialbeirats über die Rentenanpassung mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Sie sind als Drucksache IV/641 verteilt.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat am 28. September 1962 gemäß Artikel VI des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG vom 7. Dezember 1959 den von der Bundesregierung beschlossenen Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der Vorschriften zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Er ist als Drucksache IV /643 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 2. Oktober 1962 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 9. Dezember 1960 über die Schäden im deutschen Tabakanbau infolge Auftretens der Blauschimmelkrankheit berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 646 verteilt.
Das Bundesversicherungsamt hat unter dem 26. September 1962 die Abrechnung über die Rentenzahlungen, Beitragserstattungen und Beitragszahlungen für die Krankenversicherung der Rentner in der Rentenversicherung der Arbeiter für das Kalenderjahr 1961 zur Kenntnis übersandt. Sie liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung hat am 3. Oktober 1962 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 27. Juni 1962 über die Ausschöpfung des Wehrpotentials und über den Ausgleich von Härten bei der Ableistung des Wehrdienstes berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/ 649 verteilt.
Der Abgeordnete Dr. Schäfer hat erklärt, er betrachte seine Fragen X. 14-X.15 aus Drucksache IV/ 510 als erledigt. Eine Veröffentlichung von Antworten zu diesen Fragen entfällt.
Der Abgeordnete Merten hat seine Fragen X.20 und X.21 aus Drucksache IV/ 510 zurückgezogen.
Ich habe zunächst bekanntzugeben, daß nach einer Vereinbarung in der gestrigen Sitzung 'des Ältestenrates die heutige Tagesordnung um einige Vorlagen erweitert werden soll, die ohne Aussprache erledigt werden können. Eine Liste dieser Zusatzpunkte liegt Ihnen vor. Ist das Haus einverstanden, daß diese Punkte heute vor Aufruf des Punktes 4 der Tagesordnung erledigt werden?
({23}) Ich rufe also auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausprägung von Scheidemünzen ({24}).
Vorgeschlagen ist Überweisung an den Wirtschaftsausschuß. Das Haus ist einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe weiterhin auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Flüchtlings-Notleistungsgesetzes ({25}).
Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für Inneres als federführenden Ausschuß und den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen als mitberatenden Ausschuß. Ist das Haus einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
1672 Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den. 11. Oktober 1962
Vizepräsident Dr. Schmid
die Durchführung einer Repräsentativstatistik der Bevölkerung und des Erwerbslebens ({26}) ({27}).
Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für Inneres als federführenden Ausschuß, an den Ausschuß für Arbeit als mitberatenden Ausschuß. Das Haus ist einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Inneres ({28}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Entwurf einer Verordnung zur Änderung des Artikels 109 des Status der Beamten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft ({29}) ({30}).
Ich erteile dem Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen als Berichterstatter das Wort.
({31})
- Sie verzichten auf Ihren Bericht. Ist das Haus damit einverstanden, daß ein mündlicher Bericht nicht erstattet wird?
({32})
Der Ausschuß schlägt vor, den Entwurf Drucksache IV/610 zur Kenntnis zu nehmen. Kein Widerspruch; ) es ist so beschlossen.
Ich rufe auf:
Beratung des Entwurfs einer Dreiundreißigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({33}) ({34}).
Der Verordnungsentwurf soll überwiesen werden an den Außenhandelsausschuß als federführenden Ausschuß, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatenden Ausschuß. - Das Haus ist einverstanden.
Als Letztes:
Beratung des Entwurfs einer Einunddreißigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({35}) ({36}) .
Auch dieser Verordnungsentwurf soll an den Außenhandelsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatenden Ausschuß überwiesen werden. - Das Haus ist einverstanden.
Meine Damen und Herren, ich begrüße die im Hause anwesenden Mitglieder des Wohnungsbauausschusses der niederländischen Zweiten Kammer, die uns die Ehre antun, unseren Beratungen zuzuhören.
({37})
Diese Gäste aus dem Nachbarland sind uns besonders willkommen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Abgeordnete von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die Fraktion der Christlich-Demokratischen Union und Christlich-Sozialen Union hat es begrüßt, daß die parlamentarische Arbeit nach den Ferien mit einer Erklärung der Bundesregierung eröffnet wurde. Meine Fraktion stimmt dieser Erklärung zu und dankt dem Herrn Bundeskanzler und der Bundesregierung für die programmatische Darstellung und für die politische Analyse.
Wir glauben, daß wir häufiger als seither eine solche Gesamtdarstellung der politischen Überlegungen und Absichten der Bundesregierung zum Gegenstand einer allgemeinen Aussprache machen sollten.
({0})
- Sind Sie anderer Meinung?
Die Regierungserklärung hat zunächst über die zurückliegende Zeit berichtet und die eindrucksvollen Leistungen der vergangenen Jahre hervorgehoben. Ich begrüße 'das; denn wir haben Grund und Anlaß, auf die Ergebnisse einer Politik stolz zu sein, an der meine Fraktion seit Beginn unserer parlamentarischen Arbeit im Jahre 1949 entscheidend 'beteiligt war. Aber ich unterstreiche auch die Feststellung des Herrn Bundeskanzlers, daß die Arbeit der gesamten Bevölkerung der Bundesrepublik in allen ihren Schichten und Berufen die Grundlage dieser Erfolge war.
({1})
Wenn der Herr Bundeskanzler an das Parlament und an das deutsche Volk 'appelliert, daß das, was wir erreicht haben, nun zu sichern und daß unsere Ziele in behutsamer Weise weiter zu verfolgen sind, dann kann er .der Unterstützung meiner Fraktion sicher sein.
Ich möchte nicht die kommende Haushaltsdebatte vorwegnehmen. Ich beschränke mich darum auf die Feststellung, daß wir die Entscheidung der Bundesregierung begrüßen, gerade bei der Verabschiedung des Haushalts die Stabilisierung des Preisniveaus und damit die Festigung der Kaufkraft .der Währung in den Vordergrund zu stellen.
Der Realismus, der in der Festlegung des Plafonds zum Ausdruck kommt, ist kein Zeichen von Pessimismus, sondern ein Zeichen von .staatspolitischer Vernunft. Ich erkläre ausdrücklich, daß wir den Plafonds nicht als Mindestbetrag, sondern als Höchstbetrag betrachten.
({2})
Der Haushaltsausschuß wird die Unterstützung meiner Fraktion haben, wenn er mit gewohnter Gründlichkeit an die Prüfung des Haushaltsplanes herangeht. Dabei werden wir uns selbstverständlich vorbehalten, im Rahmen ides Plafonds Ausgabenverschiebungen vorzunehmen, soweit wirtschaftspoliDr. von Brentano
tische, sozialpolitische oder auch außenpolitische Notwendigkeiten uns dazu zwingen.
Der Bundeswirtschaftsminister hat am 21. März einen Appell an das deutsche Volk gerichtet. Er hat auf die Notwendigkeit hingewiesen, maßzuhalten, und ich glaube, daß er in allen Kreisen des deutschen Volkes richtig verstanden worden ist. Aber wir können ihn und die Bundesregierung nicht besser unterstützen als dadurch, daß wir nun die äußerste Sparsamkeit gerade von der öffentlichen Hand erwarten. Der Bund wird hier mit gutem Beispiel vorangehen müssen. Denn nur dann ist es möglich, daß auch Länder und Gemeinden sich dieser behutsamen Ausgabengestaltung anschließen. Wir können und wir wollen ihnen, die für ihre eigene Finanzpolitik die volle Verantwortung tragen, keine Vorschriften machen.
Die freiheitliche Grundordnung, in der wir leben, und die soziale Marktwirtschaft, zu der wir uns bekennen, lassen es aber auch nicht zu, die Freiheit des selbstverantwortlichen Staatsbürgers in unzulässiger Weise zu beschränken. Wir lehnen die Vorstellung von der Allmacht des Staates als einer dem freien Individuum übergeordneten Institution ab. Auch nicht auf Umwegen wollen wir zur staatlich gelenkten Wirtschaft, zum Dirigismus, zurückkehren, dem wir gottlob schon in den Tagen des Frankfurter Wirtschaftsrates den Garaus gemacht haben.
({3})
Gerade unsere Kritiker auf der linken Seite dieses Hauses - und ich zweifle nicht daran, daß wir im Laufe der Debatte einiges an sachlicher, vielleicht sogar an unsachlicher Kritik zu hören bekommen -,
({4})
gerade sie sollten diese Feststellung, die ich getroffen habe, dankbar begrüßen. Denn weil wir uns grundsätzlich zur Freiheit auch in der Wirtschaft bekennen, lehnen wir auch Eingriffe in die Tarifhoheit ab. In der Tarifhoheit sehen wir vielmehr einen Grundpfeiler der freiheitlichen Wirtschaftsordnung, zu der wir uns bekennen.
({5})
Aber diejenigen, die diese Tarifhoheit leidenschaftlich verteidigen, sollten im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit auch die zweite Feststellung bejahen, die ich treffe: daß diese freiheitliche Ordnung dem Staate auch den Eingriff in die Preispolitik verwehrt. Ich glaube, es ist kaum nötig, dafür eine Begründung zu geben; denn der im Tarifvertrag vereinbarte Lohn ist ja ein entscheidender Faktor der Preisbildung. Wer die Tarifhoheit bejaht, muß auch die Freiheit der Preisbildung bejahen.
({6})
Um nicht mißverstanden zu werden, möchte ich eine Einschränkung machen, die sich eigentlich von selbst ergibt. Wir vertreten den Gedanken der sozialen Marktwirtschaft. Alle wirtschaftspolitischen Entscheidungen müssen in einer solchen Wirtschaft auf die gemeinsame soziale Verantwortung ausgerichtet sein, die ein jeder von uns trägt. Die Bundesregierung hat darum das Recht und auch die Pflicht, einem Mißbrauch dieser Freiheit zu begegnen, - natürlich nur im Rahmen der gesetzlichen Ordnung, in der wir leben.
Dieses Bekenntnis zur freiheitlichen Ordnung beschränkt aber nicht das Recht und die Pflicht der für das gesamte deutsche Volk verantwortlichen Bundesregierung, zu mahnen und zu warnen, und ebensowenig das Recht und die Pflicht des Deutschen Bundestages, Überlegungen dieser Art, die gegen den Mißbrauch der Freiheit gerichtet sind, aufzunehmen und ihnen auch Wirksamkeit zu verschaffen.
Jede Vereinbarung zwischen den Tarifpartnern muß sich auf die Preisbildung auswirken. Die Lohnsumme ist ein Teil der Gestehungskosten. Die Preisgestaltung wieder trifft den Verbraucher, und nicht nur die Tarifpartner gehören zu den Verbrauchern, sondern auch die Millionen von Menschen, die auf die Ermittlung des Preises keinen Einfluß haben.
({7})
Jeder von uns ist Konsument. Sollte es denn wirklich nicht erlaubt sein, davon zu sprechen, daß es ein gefährlicher Selbstbetrug ist, von einer Steigerung des Einkommens zu reden, wenn gleichzeitig die Steigerung der Preise das angebliche Mehreinkommen verzehrt?
Aber die Steigerung der Preise trifft nicht nur den unmittelbaren Konsumenten; sie trifft die Millionen von Sparern, die im Vertrauen auf die Beständigkeit der Kaufkraft der Mark ihr Guthaben anlegen, um später einmal davon leben zu können, vielleicht auch, um ein Haus zu bauen, oder um sich durch den Erwerb eines Geschäftes selbständig zu machen.
Die Steigerung der Preise gefährdet aber auch in zunehmendem Maße unseren Export. Über die Bedeutung des Exports für die deutsche Wirtschaft hier zu sprechen, scheint mir beinahe überflüssig zu sein; denn jeder von uns weiß, daß wir die Rohstoffe, die wir brauchen, nur aus dem Exportüberschuß bezahlen können, daß wir internationale Verpflichtungen nur aus dem gleichen Ertrag einlösen können.
Ich erwähne darüber hinaus die Käufe von Rüstungsgütern im Ausland. Um sie selbst herzustellen, müßten wir neue große Produktionskapazitäten schaffen. Um diese zu errichten, fehlt uns das Kapital. Um sie auszunützen, fehlt uns die Arbeitskraft.
Es sollte uns nachdenklich stimmen, wenn ein angesehener Wirtschaftspolitiker der Vereinigten Staaten vor kurzem gesagt hat: „Die Deutschen brauchen ihre Mark nicht weiter aufzuwerten. Es genügt schon, wenn die Preise bei ihnen noch einmal um 5 % steigen. Dann nämlich werden ihre Ausfuhren zurückgehen und die Importe zunehmen. Ihr Außenhandel - und damit ihre Zahlungsbilanz -- wird sich automatisch in einen Gleichgewichtszustand einpendeln. Und sie werden ihre Sorgen mit den Devisenüberschüssen los sein."
Nun, meine Damen und Herren, wir hätten keine Sorge vor diesem Einpendeln. Aber wenn wir uns vorstellen, daß die Preise dann noch einmal steigen,
so müssen wir sagen: es geht nicht mehr um das Einpendeln, sondern um die Störung des Gleichgewichts und damit um eine lebenswichtige Frage, von deren Antwort nicht nur unser wirtschaftliches, sondern auch unser politisches Schicksal abhängt.
({8})
Wir haben in der Bundesrepublik - und wir sind stolz darauf - die Vollbeschäftigung, ja wir haben mehr: Tausende von offenen Stellen und Hunderttausende von Fremdarbeitern. Aber eine Analyse der Situation auf dem Arbeitsmarkt berechtigt zu besorgten Prognosen. Im letzten Jahrzehnt stieg die Zahl der in abhängiger Beschäftigung stehenden Erwerbspersonen um über 40 %. Für die Zeit von 1960 bis 1970 können wir nur mit einer Steigerung von insgesamt 5 % rechnen. Es rührt das u. a. daher, daß die geburtenschwachen Jahrgänge heranwachsen.
Ist es unter solchen Umständen denn wirklich unbillig oder gar unzulässig, an den Arbeitswillen der Menschen in Deutschland zu appellieren?
({9})
Nur wer die Arbeit als ärgerlichen Zwang oder gar
als Schande empfindet, kann sich darüber erregen.
({10})
Es ist obendrein auch ein Appell an den freien Willen, wenn die Bundesregierung - und sie hat hier die Unterstützung meiner Fraktion - vor den Folgen einer Arbeitszeitverkürzung warnt.
({11})
Eine Arbeitszeitverkürzung von nur 1 % bedeutet heute eine Kürzung des Sozialprodukts um rund 3 Milliarden DM.
({12})
Bitte?
({13})
- Darüber werden wir uns noch unterhalten können. Ich glaube, sie stimmt. Ich glaube sogar, daß es
etwas mehr sind als 3 Milliarden DM, Herr Kollege
Mommer.
Mir scheint, es wäre wirtschaftlich und politisch vernünftig, wenn auch die Frage der Gestaltung der Arbeitszeit am Produktivitätsfortschritt orientiert wird. Es ist darum auch nicht unzulässig, wenn die Bundesregierung eine Zurückhaltung bei Lohnerhöhungen erwartet. Ich sprach schon von den Auswirkungen der Lohnerhöhungen, die einen solchen Appell rechtfertigen.
Dieser Appell an die Arbeitsmoral, an die Gesamtverantwortung, an der jeder von uns beteiligt ist, sollte auch von denen verstanden werden, die wie wir, und Sie sicherlich auch, wissen, daß es von dem Ergebnis der Arbeitskraft, von der Entwicklung unserer Wirtschaft, von der Steigerung des Sozialprodukts abhängt, ob wir die steigenden sozialen Verpflichtungen in Zukunft einzulösen in der Lage sind.
({14})
Die Absage an einen unmittelbaren Eingriff in die Gestaltung von Löhnen und Preisen schließt nicht aus, daß wir uns bemühen, im Rahmen unserer sozialen Marktwirtschaft gefährlichen und unerwünschten Entwicklungen zu begegnen. Wir wissen, daß insbesondere auf dem Baumarkt eine Überkonjunktur zu verzeichnen ist, die zwangsläufig zu einer stetigen Preissteigerung geführt hat. Hier kann die öffentliche Hand regulierend einwirken, indem sie Neubauten, deren sofortige Errichtung nicht unbedingt notwendig ist, zurückstellt. Aber auch die Ausstattung dieser Neubauten läßt es wohl zu, den Appell zum Maßhalten auch an die öffentliche Hand zu richten.
({15})
Wirksam werden solche Maßnahmen allerdings nur dann - das wissen wir wohl -, wenn alle Bauträger der öffentlichen Hand daran teilnehmen.
Wir stimmen den Überlegungen der Bundesregierung aber auch insoweit zu, als sie eine befristete Aufhebung, vielleicht auch eine Neufassung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes in Aussicht gestellt hat. Auch davon kann und wird eine dämpfende Wirkung ausgehen. Allerdings haben wir den Wunsch, daß auch nach der Aufhebung des § 7b die Wettbewerbsgleichheit zwischen dem privaten und dem gemeinnützigen Wohnungsbau sichergestellt wird.
Die Regierungserklärung sagt zum Kartellbericht, wir sollten uns hier im Bundestag bald mit diesem Bericht beschäftigen und nach gründlicher Beratung die Bundesregierung um die notwendige Novellierung des Kartellrechts ersuchen. Es geht dabei - ich möchte die Entscheidungen auch meiner eigenen Fraktion nicht vorwegnehmen - meiner Meinung nach in erster Linie um die Frage der Preisbindung der zweiten Hand. Sie bedarf gründlicher Prüfung, damit wir uns über die Notwendigkeit, aber auch über die Begrenzungen klar werden.
Meine Fraktion wird im übrigen die Beratung des Gesetzentwurfs über die Errichtung des sogenannten Gutachtergremiums beschleunigen. Wir wissen, daß eine solche Institution keine Wunder wirken kann. Aber wir sind überzeugt, daß der Rat ausgesuchter und anerkannter Wirtschaftspolitiker nicht beiseite geschoben wird. Solange diese Institution noch nicht geschaffen ist - und wir bedauern die Verzögerung -, wird die Erstellung des angekündigten Wirtschaftsberichts durch das Wirtschaftsministerium eine Analyse der wirtschaftspolitischen Gegebenheiten und Möglichkeiten wesentlich erleichtern.
Die Mitglieder meiner Fraktion werden im Laufe der Debatte auch noch zu einzelnen Fragen Stellung nehmen. Ich kann mich daher auf wenige Feststellungen beschränken.
Wir begrüßen die Ankündigung der Vorlage einer Novelle zum Beamtenrecht gleichzeitig mit der Harmonisierungsnovelle. Gerade der Hinweis darauf, daß die Novelle familien- und sozialgerechte Verbesserungen enthalten soll, wird von uns begrüßt.
Wir vermissen in diesem Zusammenhang den Hinweis auf die notwendige Novellierung der
Kriegsopferversorgung. Der Bundesarbeitsminister hat allerdings angekündigt, daß er auch diese Frage behandeln wird, wenn er in Kürze die sozialpolitischen Gesetze vorlegen wird.
Meine Damen und Herren! Im zweiten Teil der Regierungserklärung hat sich der Bundeskanzler mit den Fragen der Außenpolitik beschäftigt. Ich beschränke mich auf einige kurze Anmerkungen und Feststellungen; denn nach einer Vereinbarung der Fraktionen soll ja die außenpolitische Debatte morgen in Gegenwart des Bundesministers des Auswärtigen geführt werden.
Mit Recht weist die Regierungserklärung auf die wachsende Bedeutung der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft hin. Dieses Bündnis dient der ganzen freien Welt. Es ist die einzige wirksame Garantie für die Erhaltung des Weltfriedens. Wir und alle unsere Bündnispartner haben die gemeinsame Aufgabe, daran mitzuwirken, daß diese Gemeinschaft immer enger zusammenwächst, um wirksam zu bleiben. Fortbestand und Festigung der NATO sind die Voraussetzungen für die Sicherung unserer Freiheit.
Wir alle empfinden das in besonderem Maße, wenn wir nach Berlin blicken. Die Errichtung der Mauer hat den Organismus dieser Stadt in gefährlichem Maße gestört. Die Lebensfähigkeit der Stadt, in der zweieinhalb Millionen freie Menschen wohnen, hängt von der Entschlossenheit der drei westlichen Verbündeten ab, die dort an Ort und Stelle die Freiheit sichern. Das ganze deutsche Volk schuldet den Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs für dieses sichtbare Bekenntnis zur Freiheit auf deutschem Boden aufrichtigen Dank.
({16})
Die Politik der europäischen Zusammenarbeit hat sich gerade im letzten Jahr in einer Weise entwickelt, die sogar die Optimisten unter uns überraschen mußte. Ich denke an die Besuche des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers in Frankreich und an die Reise des französischen Staatspräsidenten durch die Bundesrepublik. Die Herzlichkeit, mit der Präsident de Gaulle überall in Deutschland empfangen wurde, galt ihm selbst, aber in seiner Person auch dem ganzen französischen Volk.
({17}) '
Ich glaube, die Menschen in Frankreich und in Deutschland haben erkannt, was es für die Zukunft der beiden Völker und des ganzen europäischen Kontinents bedeutet, daß die tragische Spannung zwischen diesen beiden Nationen nun durch eine feste Freundschaft abgelöst wurde. Sie beruht auf der Erkenntnis der Gemeinsamkeit der Zukunft und damit auch der Gemeinsamkeit der Aufgaben.
Aber auch der Antrag Großbritanniens, der EWG mit allen Rechten und Pflichten beizutreten, ist, wie mir scheint, von hoher politischer Bedeutung. Mit Recht weist die Regierung auf die Probleme hin, die durch das Beitrittsgesuch Großbritanniens und anderer europäischer Länder - ich erinnere an Dänemark und Norwegen - aufgeworfen werden.
Auch der Wunsch der europäischen neutralen Staaten, sich der EWG zu assoziieren, wirft neue schwierige Fragen auf. Aber ich habe die Hoffnung, meine Damen und Herren, daß die Verhandlungen, die zur Zeit in Brüssel mit der britischen Regierung geführt werden, bei allen Beteiligten von dem politischen Willen getragen sind, so bald wie möglich zu einem positiven Abschluß zu kommen.
({18})
Niemand von uns unterschätzt die Schwierigkeiten. Ich erinnere dabei an die legitimen Interessen der deutschen Landwirtschaft, von denen auch die Regierungserklärung spricht. Die Erhaltung einer gesunden Landwirtschaft ist nicht nur ein Problem eines Berufsstandes; es handelt sich um eine politische und eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit, wenn wir uns darum bemühen, die großen ländlichen Räume innerhalb der ganzen Bundesrepublik so gesund zu erhalten, daß sie nicht nur bestehen, sondern sich fortentwickeln können wie die anderen Zweige unserer Wirtschaft auch.
({19})
Auch der begreifliche Wunsch der britischen Regierung, ihre enge Zusammenarbeit mit den Ländern des Commonwealth nicht zu gefährden, verlangt eine sorgfältige Prüfung. Aber ich glaube, meine Damen und Herren, daß der Zusammenschluß des Wirtschaftsraums der EWG mit Großbritannien für alle Beteiligten, auf die Dauer gesehen, unschätzbare Vorteile bringen wird. Wir kennen auch die positive Einstellung der Vereinigten Staaten zu dieser Frage, und es muß unser Ziel sein, die Voraussetzungen einer echten Partnerschaft zwischen einem wirtschaftlich und politisch geeinten Europa mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu schaffen.
Diese Entwicklung wird auch das Verhältnis der freien Welt zum Kommunismus entscheidend beeinflussen. Es ist interessant, zu lesen, was noch vor wenigen Wochen die „Prawda" schrieb - ich zitiere nur die letzten Sätze -:
Die Realisierung des Vertrages von Rom, die sich in einer Situation der Zuspitzung des Konkurrenzkampfes auf dem ,Gemeinsamen Markt abspielt, förderte das Wachstum der Kapitalanlagen, beschleunigte die Modernisierung der Betriebe und brachte eine bestimmte wirtschaftliche und organisatorische Umgestaltung der Monopole mit sich. Der Abbau der Zollbarrieren förderte den Übergang zur großen Massenproduktion. Der Gemeinsame Markt bringt nicht nur eine arithmetische Summe der nationalen Ländermärkte, die der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angehören. Selbst in ihren entstellten kapitalistischen Formen kann die wirtschaftliche Integration zu einer Erweiterung des Produktionsumfanges und des Innen- und Außenhandels führen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben noch selten aus diesem Bereich eine so positive Beurteilung unserer europäischen Politik gehört, und wir sollten die Empfehlungen, die darin zum Ausdruck kommen, befolgen.
({20})
Die europäische Politik trägt keinen aggressiven Charakter. Aber in der Zusammenarbeit der europäischen Nationen manifestiert sich ein steigendes Selbstgefühl und eine wachsende Zukunftsgläubigkeit dieser Völker. Es kann für die weltpolitische Entwicklung nur nützlich sein, wenn man in der Sowjetunion zur Kenntnis nimmt, daß wir in Europa davon überzeugt sind, daß wir selbst es in der Hand haben, unsere Zukunft zu gestalten.
({21})
Die verstärkte Zusammenarbeit in der NATO und die fortgesetzte wirtschaftliche und politische Integration in Europa sind nach der Überzeugung meiner Freunde entscheidende Mitvoraussetzungen für die Lösung der deutschen Frage. Um sie zu lösen, bedürfen wir der politischen und der moralischen Unterstützung der freien Welt. Die Bundesrepublik war niemals in der Lage, und sie wird niemals in der Lage sein, im zweiseitigen Gespräch mt der Sowjetunion die Voraussetzungen für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zu schaffen. Das bedeutet nicht, daß wir bereit wären, in Zukunft auf Initiativen zu verzichten, die wir mit unseren Verbündeten gemeinsam entfalten müssen.
({22})
Aber die Warnung des Bundeskanzlers - ich bin dankbar für Ihren Hinweis, Herr Kollege Erler - richtet sich gegen die falsche Initiative aus Geschäftigkeit, und eine solche Warnung kann nur von einem Böswilligen mißverstanden werden.
({23})
- Ach, nicht so arg viele! Das haben bis jetzt die Wahlen immer wieder bewiesen.
({24})
- Sicher. Aber auch hier halte ich die Zahl der Böswilligen für nicht so groß, wie Sie hoffen, Herr Wehner.
({25})
Der Bundeskanzler hat sich auch mit der Haltung der Sowjetunion gegenüber dem deutschen Volk auseinandergesetzt. Er hat die Ziele der Sowjetunion umrissen, und ich glaube, daß kaum jemand diese Analyse bestreiten kann. Er hat erklärt, daß die Verbesserung der Beziehungen zur Sowjetunion davon abhängt, daß diese von ihrer aggressiven Politik gegenüber Deutschland abläßt. Ich war überrascht, darüber kritische Bemerkungen in einem Pressedienst zu lesen. Die Sowjetunion ist dafür verantwortlich, meine Damen und Herren, daß bis zur Stunde 17 Millionen Deutsche in der Sklaverei eines unmenschlichen Systems leben müssen. Die Sowjetunion ist dafür verantwortlich, daß durch den lebenden Körper der Stadt Berlin eine Mauer gezogen wurde und daß Wachttürme und Stacheldrahtverhaue die Begegnung von Deutschen mit Deutschen verhindern. Die Sowjetunion bedroht die Freiheit Berlins. Ich kann mir nicht denken, daß irgend jemand glauben könnte, daß eine ausgeglichene Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion bestehen kann, solange die Sowjetunion an diesen Maßnahmen und an diesen Zielen festhält.
({26})
Über die politischen und wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Sowjetunion - soweit sie das eigene russische Volk angehen - steht uns kein Urteil zu; aber wir haben das Recht und wir haben die Pflicht, die Sowjetunion anzuklagen, solange sie gegen den Willen des deutschen Volkes und nur unter der Ausnutzung von Macht und Gewalt den Deutschen die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts verweigert.
({27})
Die Deutschen in der Bundesrepublik, in der Zone und in Berlin hoffen und wünschen leidenschaftlich, daß die unerträgliche Bedrohung, unter der wir leben müssen, ein Ende nimmt. Wir wollen den dauerhaften Frieden mit allen Völkern der Welt, 'mit allen unseren Nachbarn. Aber wir sind überzeugt, daß Friede und Freiheit untrennbar miteinander verbunden sind.
({28})
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir haben es begrüßt, daß der Herr Bundeskanzler das zweite Jahr der 4. Legislaturperiode des Bundestages mit einer Regierungserklärung eröffnet hat. Das gibt dem Parlament die Möglichkeit eines Rückblicks und eines Ausblicks sowie einer Aussprache über die Grundlinien der zukünftigen Politik.
Ich muß allerdings sagen, der Inhalt der Regierungserklärung hat uns enttäuscht.
({0})
Sie war so angelegt, als ob der 4. Deutsche Bundestag erst am 9. Oktober 1962 seine Arbeit aufgenommen habe.
({1})
Wir finden in der Erklärung nicht ein Wort über die Tätigkeit der Bundesregierung im ersten Jahr ihrer Existenz. Hier wäre mindestens ein Zwischenbericht notwendig gewesen. Wir betrachten diese Tatsache als eine vollkommene Fehlanzeige in bezug auf die Leistung dieser Bundesregierung im ersten Jahr ihrer Existenz.
({2})
Der Herr Bundeskanzler hat auf diese Weise in der eindrucksvollsten Art unsere Behauptung bestätigt, daß dieses erste Jahr nach der Bundestagswahl 1961 ein verlorenes Jahr gewesen ist.
({3})
Da die Ursachen dieses Versagens, die innere Uneinigkeit der Koalition und die Unsicherheit über
die Führung der Regierung, weiterbestehen, haben wir erhebliche Zweifel, ob das jetzt angekündigte sogenannte Arbeitsprogramm für das Jahr 1963 tatsächlich verwirklicht werden wird.
Die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers war zum größten Teil eine vorweggenommene Begründung des Haushaltsentwurfs für das Jahr 1963. Auch dieses Vorgehen ist eine unmögliche Praxis. Der Haushalt liegt dem Parlament bis heute nicht vor. Der Herr Bundeskanzler hat selber davon gesprochen, daß die Einbringung des Etats erst Anfang November erfolgen soll. Ich finde, es ist mit der Anerkennung der Bedeutung dieses Hauses nicht vereinbar, daß hier über eine Vorlage gesprochen wird, die dem Parlament überhaupt noch nicht vorgelegt worden ist.
({4})
- Na, hören Sie mal! Sie können doch nicht immer auf die Hilfsstellen ausweichen, wenn Sie hier versagen!
({5})
Jedenfalls: Durch diese Verzögerung ist 'die zeitgerechte Verabschiedung des Etats auch in diesem Jahr wieder unmöglich geworden.
({6})
- Wollen Sie das bestreiten?
({7})
Das ist ein schlechtes Vorzeichen für die Arbeit im zweiten Jahr der Legislaturperiode
({8})
und beim Start des zweiten Arbeitsjahres alles andere als ermutigend.
Der Herr Bundeskanzler hat die wirtschafts- und finanzpolitischen Erwägungen in den Vordergrund seiner Ausführungen gestellt. Er hat mit Recht auf die veränderte wirtschaftliche Situation hingewiesen, die auf eine Normalisierung des wirtschaftlichen Aufstiegs schließen läßt. Der weitere Verlauf der Aussprache wird es sicher noch notwendig machen, auf diesen Fragenkomplex näher einzugehen. Ich möchte aber hierzu einige wenige grundsätzliche Feststellungen treffen.
Die Erhaltung der Stabilität unserer Währung, die Erhaltung der Kaufkraft unseres Geldes und die gesunde Weiterentwicklung unserer Wirtschaft, zu der die Erhaltung der Vollbeschäftigung gehört, sind unerläßliche Voraussetzungen für eine gesunde Weiterentwicklung unseres Gemeinschaftslebens überhaupt.
({9})
Die Erhaltung und Sicherung dieser Grundlage liegen daher in unserem gemeinsamen Interesse und sind unsere gemeinsamen Aufgaben.
({10})
Natürlich können Meinungsverschiedenheiten bestehen, und sie bestehen auch angesichts der vom Bundeskanzler entwickelten Vorstellungen über die Zweckmäßigkeit der Maßnahmen zur Sicherung der Basis und zur gesunden Weiterentwicklung unserer Wirtschaft. Es gibt darüber Differenzen, und ich möchte da gleich auf einen wesentlichen Punkt eingehen. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede mit Recht festgestellt, daß die Arbeitskraft unseres Volkes unser wertvollstes Gut ist. Sicher hat er damit die Summe aller Arbeitsleistungen gemeint, die alle Teile unseres Volkes in die Wirtschaft einbringen. Unbestreitbar ist aber auch, daß für die große Mehrheit unseres Volkes die Arbeitskraft die einzige Existenzgrundlage ihres Lebens darstellt. Die Höhe ihres Lebensstandards hängt daher allein von der Höhe der Löhne und Gehälter ab, die sie aus dem Einsatz ihrer Arbeitskraft gewinnen.
({11})
In einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in dem die Arbeitskraft das wichtigste Kapital darstellt, ist daher eine gerechte Beteiligung aller Arbeitnehmer und aller kleinen und mittleren Selbständigen am steigenden Sozialprodukt nicht eine Frage des Maßhaltens, sondern eine Frage der Gerechtigkeit.
({12})
Meine Damen und Herren, wenn man diesen Grundsatz anerkennt - und er sollte eigentlich unbestritten sein -, dann ist schon eine wesentliche Voraussetzung für ein sachliches Gespräch über Lohn- und Preispolitik mit allen Beteiligten geschaffen. Natürlich gibt es Interessengegensätze. Die schafft man aber nicht aus dem Wege mit Appellen und Maßhalteaufrufen. Solche Deklamationen müssen immer eine negative Reaktion und Bitternis bei den Arbeitnehmern auslösen;
({13})
denn sie sind ja nun wirklich nicht diejenigen, die in den letzten zehn Jahren die großen Vermögen angehäuft haben.
({14})
Meine Damen und Herren, ich komme nunmehr zu dem Sanierungsprogramm der Bundesregierung. Der Bundeskanzler, der Bundeswirtschaftsminister und viele andere Sprecher der Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion haben lange so getan, als ob sie jetzt dabei seien, alles Notwendige zu tun. Es wurde gesprochen von harten Maßnahmen, vom Anpacken aller heißen Eisen und von einem grundlegenden Sanierungsprogramm. Ich habe mir die Mühe gemacht, festzustellen, welche konkreten Maßnahmen die Bundesregierung nach der Rede des Herrn Bundeskanzlers wirklich ergreifen will, um, wie sie sagt, eine Stabilität unserer Preise und als deren Folge eine Festigung der Kaufkraft unserer Währung herbeizuführen. Da steht im Vordergrund der angebliche Stabilisierungscharakter des Haushaltsplans 1963.
({15})
- Nun, ich komme darauf; warten Sie nur. Ich will mich mit den Einzelheiten nicht beschäftigen, zumal der Haushaltsplan selber noch nicht vorliegt. Aber ich möchte heute schon feststellen: Der Verzicht der Bundesregierung auf die Erfüllung wichtiger Aufgaben zur Sicherung einer gesunden wirtschaftlichen und sozialen Struktur führt zwangsläufig dazu, daß Länder und Gemeinden an Stelle der Bundesregierung diese Ausgaben vornehmen müssen.
({16})
Das weiß die Bundesregierung, und sie erwartet das auch von den Ländern und Gemeinden. Hier erfolgt also nur eine Verlagerung der Ausgaben vom Bund auf die Länder und Gemeinden. Da kann doch nicht von Stabilisierung gesprochen werden!
({17})
Die Bundesregierung hat es abgelehnt - entgegen ihren wiederholten programmatischen Erklärungen -, der Bundesbahn und -post betriebsfremde Ausgaben zu erstatten. Sie zwingt damit die Bundesbahn zu Preiserhöhungen; sie weiß das, und sie ist mit diesen Preiserhöhungen auch einverstanden. Zuletzt ging es nur darum, die Tariferhöhung nicht vor dem 1. Dezember - das heißt: nicht vor den bayerischen Wahlen - durchzuführen.
({18})
Diese Praxis der Regierung bedeutet aber, daß ein 1 Haushalt, der bei wichtigen öffentlichen Institutionen zu Preiserhöhungen führen muß, nicht als ein Haushalt der Stabilisierung angesehen werden kann.
({19})
Unterstrichen wird meine Behauptung hinsichtlich der Unaufrichtigkeit, die in diesem Haushalt liegt, noch durch die merkwürdige Darstellung, die der Bundesfinanzminister von der Finanzierung der Kosten des Sozialpaketes gegeben hat. Der Herr Bundeskanzler hat mitgeteilt, daß dieses Sozialpaket dem Bundestag demnächst zugehen werde. In bezug auf „demnächst" bin ich, nach den Erfahrungen, die wir hinter uns haben, sehr skeptisch.
({20})
Der Herr Bundesfinanzminister hat dazu festgestellt, daß durch dieses Sozialpaket Kosten in Höhe von nahezu 1 Milliarde DM entstehen würden, und hat weiter hinzugefügt, daß Ansätze dafür im Haushalt nicht vorgesehen seien.
({21})
Nun muß man die Sätze, die der Herr Bundesfinanzminister in diesem Zusammenhang der Öffentlichkeit übergeben hat, mit besonderer Sorgfalt genießen. Da heißt es:
Sollte sich wider Erwarten und entgegen den Bestrebungen der Bundesregierung die unerwünschte Preis- und Lohnentwicklung fortsetzen und würden sich daraus Steuermehreinnahmen beim Bund und bei den Ländern ergeben,
so müßte der Bund sie zur Finanzierung dieser 1 Millarde verwenden.
({22})
Die Bundesregierung setzt also voraus, daß diese Preis- und Lohnpolitik fortgesetzt wird; denn sonst - ({23})
- Das ist ja nun sehr schön: „Es tut mir leid, daß ich mehr Geld bekomme; dann kann ich wenigstens bestimmte soziale Aufgaben erfüllen." - Was ist denn das für eine Politik?
({24})
Auf der einen Seite erklärt man: „Ihr dürft nicht höhere Lohn- und Gehaltsforderungen stellen!, und auf .der anderen Seite sagt man: Wenn ihr es dennoch tut, dann können wir wenigstens unser Sozialpaket finanzieren.
({25})
- Na, hören Sie, wo ist denn ida noch Sinn und Verstand, wo ist denn da die Linie: Entweder Stabilisierung oder sozialer Fortschritt ? Das können iSie hier nicht ernsthaft als eine haushaltspolitsche Grundlage verkaufen. Jedenfalls ist das die Lage.
Die Bundesregierung meint, ihr Gewissen sanieren zu können, indem sie davon spricht, daß diese Preis-und Lohnentwicklung, mit der sie rechnet, wider ihr Erwarten unid entgegen ihren Bestrebungen eintrete. Aber auf der anderen Seite muß man sagen: Wenn ihr hier etwas an Leistungen aus dem Sozialpaket haben wollt, dann müßt ihr darauf hoffen, daß diese Lohn- und Preiserhöhung weitere Erhöhungen der Einnahmen ermöglicht. Nichts zeigt deutlicher, wie wenig ernst die Behauptung genommen werden kann, hier handele es sich um einen Haushalt, der der Stabilisierung der Preise diene.
Weiter, meine Damen und Herren, noch eine Frage. Der Herr Bundesfinanzminister hat für 1963 Mehreinnahmen aus Steuern vom Einkommen in Höhe von 9,5 % ermittelt. Der Herr Bundeskanzler hat behauptet, die Schätzung der Mehreinnahmen gehe von einer realen Steigerung des Sozialprodukts um 3,5 % aus. Beides ist schwer miteinander zu vereinbaren. Die Darlegungen sowohl des Bundeskanzlers als auch des Bundesfinanzministers sind im übrigen so verklausuliert, .daß sie allen Interpretationen Raum lassen. Ich möchte daher um eine eindeutige, unmißverständliche Äußerung des Herrn Bundeskanzlers oder ides Herrn Bundesfinanzministers bitten, ob der Berechnung des Steueraufkommens eine Steigerung des Sozialprodukts von 7 oder eine solche von 3 % zugrunde liegt. Eine Stellungnahme zu dieser Frage behalten wir uns vor, bis die Antwort hier vorliegt, die in bezug 'auf die Beurteilung der finanzpolitschen Situation, in der wir im nächsten Jahr stehen werden, ja wohl von einiger Bedeutung ist.
Darüber hinaus kündigt der Herr Bundeskanzler, ich glaube, sechs weitere Maßnahmen an, um diese Stabilisierungspolitik durchzuführen, Maßnahmen, die darin bestehen- wir haben es alle gehört -,
daß die Bundesregierung Aufträge an den Bundesfinanzminister, an den Bundesminister für Wohnungsbau und an den Bundeswirtschaftsminister erteilt hat. Das ist vielleicht ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Minister,
({26}) aber es ist kein Sanierungsprogramm.
Die erste große alamierende Fernsehrede des Herrn Bundeswirtschaftsministers wurde, wie Sie wissen, am 21. März 1962 gehalten. Ich frage Sie: Hat diese Bundesregierung in einem Zeitraum von mehr als einem halben Jahr nicht mehr zustande gebracht als den Entschluß, einigen ihrer Kollegen im Kabinett bestimmte Aufträge zu erteilen?
({27})
Schließlich hat der Herr Bundeskanzler mitgeteilt, daß die Bundesregierung den Minister für Wirtschaft beauftragt habe, zum 15. Januar 1963 einen Wirtschaftsbericht vorzulegen. Sie wissen, daß meine Fraktion bereits im Jahre 1956 einen Gesetzentwurf zur Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums vorgelegt hat, der die Errichtung eines sachverständigen Gutachtergremmiums und die Erstattung eines regelmäßigen Jahreswirtschaftsberichts vorsah. In weitgehender Übereinstimmung mit unseren bereits damals erörterten Vorstellungen soll nun in einem Bericht eine Analyse des abgelaufenen Jahres und eine Ubersicht für das kommende Jahr gegeben werden. Das ist ein Fortschritt. Es heißt sogar in der Erklärung:
Die Bundesregierung wird hierbei Leitlinien für ,das Verhalten all 'derjenigen ableiten, die Ansprüche an das Sozialprodukt stellen.
Auch diese Ankündigung ist ein Fortschritt. Wir wollen nur hoffen, daß sich auch der Herr Bundeswirtschaftsminister mit einer solchen fortschrittlichen Methode einer freiheitlichen Wirtschaftspolitik befreundet. Noch vor kurzem äußerte er, daß solche Scherze mit ihm nicht zu machen seien.
({28})
An dieser Ankündigung sind zwei Dinge bemerkenswert:
1. Von dem Gutachtergremium, das die Unterlagen für einen solchen Wirtschaftsbericht erarbeitet, ist in der Regierungserklärung nicht mehr die Rede. Ich frage: Ist dieser Gedanke aufgegeben?
2. In der Regierungserklärung ist von Leitlinien für das Verhalten der freien Wirtschaft die Rede, aber nicht ein Wort davon, daß die Bundesregierung in diesem Bericht die Grundsätze ihrer Wirtschaftspolitik verbindlich darlegt. Ich frage: Soll der Wirtschaftsbericht nur theoretischer Erörterung dienen oder soll er auch die Grundlinien der Wirtschaftspolitik festlegen? Meine Freunde werden unseren Gesetzentwurf vom Jahre 1956 wieder aufgreifen, um ausreichende Grundlagen für die Entwicklung einer systematischen und zielbewußten Wirtschaftspolitik zu erhalten.
Der Herr Bundeskanzler hat zutreffend darauf hingewiesen, daß die Periode des stürmischen Aufbaus zu Ende ist und daß wir nunmehr in eine
Periode des normalen Wirtschaftswachstums eintreten. Aus dieser Erkenntnis müssen Konsequenzen gezogen werden. Tatsächlich vollzieht sich bereits heute eine Anpassung an eine normale Entwicklung. Es kommt entscheidend darauf an, daß dieser Prozeß überall als ein Prozeß der Normalisierung erkannt und nicht durch eine Fehlbeurteilung gestört wird.
Wir haben seit Jahren beklagt, daß die ungewöhnlich hohen Ausfuhrüberschüsse der letzten Jahre das internationale Währungsgleichgewicht störten und in der Bundesrepublik immer wieder neue Preisauftriebstendenzen auslösten. Die D-Mark-Aufwertung hatte das ausgesprochene Ziel, den Ausfuhrüberschuß auf ein normales Maß herabzusetzen. Jetzt ist dieser Normalisierungsprozeß im Gange. Wir erzielen immer noch ansehnliche Ausfuhrüberschüsse. Aber sie gehen allmählich auf ein geringeres Maß zurück. Hier handelt es sich um eine gesunde Entwicklung. Sie ist kein Zeichen, daß unsere Wettbewerbsfähigkeit nachläßt. Unter diesen Umständen ist es Aufgabe einer verantwortungsbewußten Bundesregierung, in der Wirtschaft Verständnis für die Notwendigkeit dieser Entwicklung zu wecken. Sie sollte sich vor der Gefahr hüten, durch falsche Darstellungen Panikstimmungen auszulösen, die nur gefährlich sein können.
({29})
Die Investitionstätigkeit ist zum Beispiel im ersten Halbjahr 1962 nicht zurückgegangen, aber sie verharrt auf hohem Niveau und steigt nicht weiter. Wer in dieser Lage von den Gefahren sinkender Investitionsneigung spricht, beschwört die Gefahr herauf, daß die Investitionsneigung tatsächlich unter jenes Maß sinkt, das im Interesse einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung erforderlich ist.
Schließlich in ,diesem Zusammenhang noch ein Wort zu dem Problem ,der Agrarwirtschaft. Der Herr Bundeskanzler hat einen Teil seiner Ausführungen der Lage der Landwirtschaft, insbesondere der Bauern gewidmet. Wir alle wissen, daß dies ein schwieriges Problem ist. Bisher ist es nicht gelungen, die Landwirtschaft wirklich zu einem integrierenden Teil der gesamten Volkswirtschaft zu machen und den Bauern ebenso wie den Landarbeitern ein Einkommen zu sichern, das den Einkommen vergleichbarer Erwerbstätiger in der übrigen Wirtschaft entspricht. Aber der Herr Bundeskanzler hat es sich sehr einfach gemacht.
Das Problem, die Menschen auf dem Lande teilhaben zu lassen an der wirtschaftlichen und sozialen Gesamtentwicklung, läßt sich nicht lösen, wenn man nicht den Aufgaben, die im Rahmen des Gemeinsamen Marktes auf uns zukommen, klar ins Auge sieht. Und ich möchte an die Bundesregierung folgende Fragen richten:
1. Trifft es zu, daß ein von der Europäischen Kornmission und dem Bundesernährungsminister eingesetztes Sachverständigengremium zu der Überzeugung gekommen ist, 'daß das Preisniveau für Getreide und damit auch für die anderen Agrarerzeugnisse im Gemeinsamen Markt nicht aufrechterhalten werden kann?
2. Warum zögert die Bundesregierung, der Öffentlichkeit und damit auch den Bauern klaren Wein über die voraussichtliche Entwicklung einzuschenken?
3. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um die Einkommensschmälerungen, die im Zuge einer solchen Entwicklung auf die Bauernschaft zukommen müßten, durch wirksame Maßnahmen zu verhindern und damit das durch das Landwirtschaftsgesetz erstrebte Ziel einer Einkommensbesserung zu sichern? Wir bedauern es außerordentlich, daß der Herr Bundeskanzler auf dieses Problem, das so dringlich auf der Tagesordnung steht, mit keinem Worte eingegangen ist.
({30})
Meine Damen und Herren, ich kann die wichtigsten Fragen hier nur in Stichworten behandeln. Wir werden ja Gelegenheit haben, auf gewisse Fragen im Laufe der Debatte im einzelnen zurückzukommen. Ich möchte aber noch ein Wort zu dem wichtigen Problem der Preisstabilität sagen. Wer ernsthaft Preisstabilität will, muß sich mit der Tatsache auseinandersetzen, daß in weiten Bereichen der gewerblichen Wirtschaft kein freier Wettbewerb und keine freie Preisbildung besteht, sondern daß hier durch marktbeherrschende Unternehmen das Preisniveau unangemessen hochgehalten wird.
Im Vordergrund der öffentlichen Diskussion steht zur Zeit die Preisbindung der zweiten Hand. Nach den vorliegenden Untersuchungen und Berichten kann kein Zweifel bestehen, daß die Praxis der Preisbindung der zweiten Hand in vielen Bereichen der Wirtschaft zu überhöhten Preisen führt. Die Bundesregierung hat durch die Art, wie sie dieses Problem behandelt, es zu einer dogmatischen, theoretischen Streitfrage gemacht. Es droht die .Gefahr, daß dadurch konkrete Maßnahmen, die dringend erforderlich sind, auf die lange Bank geschoben oder gar unmöglich gemacht werden. Wir haben hierzu ganz konkrete Vorschläge gemacht. Dabei handelt es sich vor allem um vier Punkte:
a) die sofortige Beseitigung aller Preisbindungen der zweiten Hand für jene Erzeugnisse, bei denen offensichtlich Preiserhöhungen vorliegen und ernsthafte übergeordnete Gründe des Gemeinwohls für die Beibehaltung fester Preise nicht geltend gemacht werden können;
b) eine gründliche Untersuchung, für welche Waren aus übergeordneten Gründen, etwa aus gesundheits- oder kulturpolitischen Gründen, ein öffentliches Interesse an festen Preisen besteht;
c) Veröffentlichung aller Spannen für preisgebundene Artikel;
d) scharfe Kontrolle der Preisbindung durch die Kartellbehörde.
Die augenblickliche Diskussion über die Preisbindung der zweiten Hand verschleiert den Tatbestand, daß darüber hinaus in vielen Wirtschaftsbereichen marktbeherrschende Unternehmungen die Preise diktieren und Preissenkungen dort verhindern, wo sie möglich und wünschenswert sind.
({31})
Das Bundeskartellamt hat in diesem Zusammenhang einige bemerkenswerte Anregungen gegeben, die wir aufgreifen werden. Darüber hinaus halten wir die Errichtung einer Monopolkommission für erforderlich, die in öffentlichen Verfahren jene Wirtschaftszweige untersuchen soll, in denen marktbeherrschende Unternehmungen den Gang der Dinge entscheidend bestimmen. Hier handelt es sich nicht um eine neue Behörde, sondern es handelt sich darum, die Offentlichkeit darüber zu unterrichten, was in diesen Bereichen der Wirtschaft vor sich geht, und gegebenenfalls dem Parlament, der Bundesregierung, dem Bundeskartellamt ausreichende Unterlagen für angemessene Maßnahmen zur Bekämpfung des Machtmißbrauchs in der Wirtschaft zu geben.
Schließlich ist ein Wort zur Stellung des Verbrauchers in der Wirtschaft notwendig. Die Hausfrau ist bei vielen Dingen, die sie täglich braucht, nicht in der Lage, sich ein eigenes Urteil über Wert und Preis der Ware zu bilden. Es ist eine Aufgabe der Wirtschaftspolitik, ihr hier zu helfen, und wir begrüßen es, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung den bisherigen Widerstand der Bundesregierung gegen eine wirksame Förderung der Verbraucheraufklärung aufgegeben hat. Wir sind jedoch der Ansicht, daß hier wesentlich mehr getan werden muß. Wir nehmen unseren Vorschlag wieder auf, einen Verbraucher- und Preisrat zu bilden, der die Aufgabe hat, die Entwicklung auf dem Verbrauchsgütermarkt, insbesondere die Bedeutung und den Einfluß der Werbung, die Möglichkeiten zur Aufklärung des Verbrauchers und die Preisentwicklung zu verfolgen. Ein solcher Preisrat hat sich seit Jahren in Norwegen bewährt. Jetzt hat der Präsident der Vereinigten Staaten die Bildung ,eines Verbraucherausschusses angeordnet. Wir sollten nicht zögern, uns ein solches wichtiges Instrument der modernen Wirtschaftspolitik zunutze zu machen.
Abschließend möchte ich zu diesem Kapitel der Regierungserklärung sagen: Ich muß mein Bedauern aussprechen, daß sich die Bundesregierung nicht zu einer sachlichen Klarstellung der Konjunkturlage hat durchringen können, daß die Regierungserklärung kaum eine einzige Maßnahme zur Stabilisierung des Preisniveaus und zur Sicherung einer gesunden wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung enthält und daß damit die große Aufgabe unerfüllt bleibt, dem allgemeinen Unbehagen über die Unsicherheit und Aktionsunfähigkeit der Bundesregierung entgegenzutreten und die Überzeugung zu vermitteln, daß die Bundesregierung ihre Pflichten kennt und alles tut, um ein gesundes Wirtschaftswachstum zu sichern.
({32})
Meine Damen und Herren, ich möchte nun ein Wort zu dem Kapitel Sozialpolitik sagen. Der Herr Bundeskanzler hat die bemerkenswerte Feststellung getroffen, daß er die Meinung mancher Kreise nicht teile, man habe auf dem Gebiet der Sozialpolitik schon des Guten zuviel getan. Das ist ein gutes Wort. Aber es darf doch nicht nur für die Vergangenheit gelten. Die soziale Neuordnung ist
noch keineswegs abgeschlossen. Der Bundeskanzler hat in seiner Rede zum Beispiel sehr nachdrücklich die Auffassung vertreten, daß nichts von dem verlorengehen darf, was wir erreicht haben. Niemand will das. Aber es kann doch nicht bestritten werden, daß es auch bei dem jetzt Erreichten noch große Gruppen unserer Mitbürger gibt, die an diesem Aufstieg, an der Erhöhung des Lebensstandards in völlig ungenügender Weise teilgenommen haben.
({33})
Es gibt hier einen Nachholbedarf, den wir in der Genugtuung über das Erreichte nicht vergessen dürfen.
Der Herr Bundeskanzler hat von der großen Vermögensumschichtung gesprochen, die durch den Lastenausgleich bis 1961 herbeigeführt wurde. Ich will jetzt nicht erörtern, ob es sich hier tatsächlich um eine Vermögensumschichtung handelt und ob und welche Unzulänglichkeiten hier festzustellen wären. Jedenfalls war es eine große Leistung, an deren Lösung alle mitgewirkt haben. Aber wir sollten in diesem Zusammenhang nicht übersehen, daß es in der deutschen Wirtschaft eine echte Vermögenskonzentration gibt, die die soziale Ordnung aufs schwerste gefährdet und uns vor ernsthafte Probleme stellt. Noch vor kurzem hat eine vom Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands vorgelegte Denkschrift darauf hingewiesen, daß eine einseitige Anhäufung von Eigentum am Produktivvermögen begünstigt wurde und die große Masse der damit arbeitenden Menschen davon ausgeschlossen blieb. Eine solche einseitige Vermögensbildung, so heißt es dort, sei bedenklich.
Ich finde, hier ist ein Kernproblem unserer inneren sozialen Ordnung angesprochen. Es handelt sich hier um eine wichtige und entscheidende Aufgabe der sozialen Neuordnung. Ich muß mit Bedauern feststellen, daß dieses wichtige Problem in der Regierungserklärung nur an zwei Stellen ganz am Rande erwähnt wird. Sie wissen, daß wir einen ausführlichen Vorschlag gemacht haben, um endlich wirksame Schritte zu einer gerechteren Vermögensverteilung zu tun und damit zu einer Vermögensbildung in den breitesten Schichten der Bevölkerung zu kommen. Die Bundesregierung und wir alle sollten darüber wachen, daß nicht durch kurzsichtige Behandlung konjunktureller Probleme wichtige gesellschaftspolitische Aufgaben in untragbarer Weise vernachlässigt werden.
({34})
Die soziale Neuordnung 'ist noch keineswegs abgeschlossen. Im Gegenteil, wir haben hier einen vollkommenen Stillstand in der Gesetzgebung und in der Praxis manchen bedenklichen Rückschritt.
({35})
Zu den wirklich entscheidenden sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen des Arbeitslebens hat der Bundeskanzler nicht einen einzigen Satz gefunden. Beispielsweise kommt das Wort Gesundheit in seiner Erklärung nicht einmal vor.
({36})
-Ja, das hilft aber vielen anderen nichts, daß er eine so gute Gesundheit hat! Manche haben's eben schwerer, ihre Gesundheit zu erhalten. ({37})
Und das, obwohl die öffentliche Diskussion in Deutschland und in allen Industriestaaten um die Schaffung der Voraussetzungen zur besseren Erhaltung der Gesundheit und der Arbeitskraft des Menschen geht. Der Bundeskanzler hat offenbar noch nichts davon gehört, daß zwei Drittel aller Arbeiter und Angestellten heute wegen vorzeitigen Verbrauchs ihrer Gesundheit und Arbeitskraft nach vertrauensärztlicher Untersuchung vor der normalen Altersgrenze zu Rentnern werden.
Auch für die zweite große Gemeinschaftsaufgabe, Ausbildung und berufliche Fortbildung, hat der Bundeskanzler nicht einen einzigen Satz übrig gehabt.
In der Regierungserklärung findet sich ferner kein Wort über die soziale Sicherung der Familie. Das ist um so enttäuschender, als gerade in diesen Tagen durch Versagen der Bundesregierung und der Regierungsparteien über 300 000 Familien mit zwei und mehr Kindern auf Grund von Einkommensprüfungen ihr Kindergeld von 25 DM monatlich deshalb verlieren, weil sie ein Familieneinkommen von knapp über 600 DM erreichen.
({38})
In erschreckender Weise bleiben unsere Familien mit Kindern hinter der wirtschaftlichen Entwicklung zurück.
Seit einiger Zeit versucht die Bundesregierung, sich den Fragen nach der zukünftigen Gestaltung der Sozialpolitik mit dem Schlagwort vom „Sozialpaket" zu entziehen. Was der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung dazu mitgeteilt hat, war noch dürftiger als die Antwort des Bundesarbeitsministers vom 15. Juni auf unsere Große Anfrage zur Sozialreform.
({39})
Und diese Antwort war doch schon mager genug. Lassen Sie mich .hier zur Frage des Sozialpaketes nur eines sagen: Wir denken nicht daran, die sozialpolitische Diskussion zu einer fruchtlosen Auseinandersetzung um ein Schlagwort wie „Sozialpaket" zu führen. Uns kommt es allein auf den sozialpolitischen Inhalt und darauf an, wie die sozialen Aufgaben ihrer Dringlichkeit nach angepackt werden.
({40})
- Sehr schön, Herr Kollege! - Ich. erinnere - um hier eine Priorität zu nennen - in diesem Zusammenhang daran, daß der Herr Bundeskanzler den Kriegsopfern vor den Wahlen versprach - ich zitiere wörtlich -:
Die CDU ist bereit, eine Weiterentwicklung der Kriegsopferversorgung im Sinne eines Ausbaues der Leistungen im 4. Bundestag vorrangig zu behandeln.
({41})
In der Regierungserklärung dieser Woche wild aber die Kriegsopferversorgung mit keinem Wort erwähnt, obwohl dem Bundeskanzler und der Regierung nicht verborgen geblieben sein kann, welche Unruhe die Kriegsopfer erfaßt hat, weil sie weder für 1962 noch für 1963 irgendwelche Beträge für eine Verbesserung der Kriegsopferversorgung in den Haushaltsplan eingesetzt sehen. Im Gegenteil, der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung wiederholt auf den kürzlich verabschiedeten Haushaltsplan für 1963 Bezug genommen. Es dürfte dem Herrn Bundeskanzler doch nicht entgangen sein, daß in diesem Haushalt die Ansätze für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene um 320 Millionen DM niedriger sind als das Ist-Ergebnis von 1961.
({42})
- Wollen Sie es verbessern oder nicht? Versprochen haben Sie es ja. Ob Sie es halten werden, werden wir sehen.
({43})
Die Bundesregierung muß uns endlich sagen, wie sie die großen sozialpolitischen und gesundheitspolitischen Aufgaben, die vor uns stehen, zu bewältigen gedenkt. Nachdem das erste Jahr in der Parlamentsarbeit vorüber ist, haben wir eine Regierungserklärung gehört, die sozialpolitisch noch enttäuschender ist als die Regierungserklärung im November vorigen Jahres.
Wir werden später noch zu reden haben über den Teil der Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers, die sich mit dem geplanten neuen Verteilungsschlüssel für die Einkommen- und Körperschaftsteuer zwischen Bund und Ländern beschäftigen. Heute nur die eine Bemerkung: Eine weitere Verengung der finanziellen Basis - vor allem der Gemeinden - wäre ein nicht zu verantwortender Schlag gegen die Selbstverwaltung der Gemeinden.
({44})
Länder und Gemeinden tragen die größte Last auf dem Gebiet der Kultur- und Schulpolitik. Sie stehen, auch durch unsere Beschlüsse hier, vor großen, neuen und lebenswichtigen Aufgaben hinsichtlich der Verwirklichung der großen Gemeinschaftsaufgaben, angefangen bei der Förderung einer umfassenden Gesundheitsvorsorge, einer sinnvollen Freizeitgestaltung bis zu den Planungsaufgaben und der Lösung der Verkehrsprobleme. Alles das muß steckenbleiben und verkümmern, wenn man jetzt die finanziellen Grundlagen der Länder und Gemeinden einengt oder schmälert. Dieser Hinweis erscheint mir um so notwendiger, als es in der Erklärung der Bundesregierung über dieses wichtige Gebiet nicht eine einzige Bemerkung gibt, trotz aller Ankündigungen und Versprechungen in der vor einem Jahr abgegebenen Regierungserklärung.
Die Forderung nach Sparsamkeit der öffentlichen Hand ist ein weites und trübes Kapitel. Ich erinnere
mich an Auseinandersetzungen dieser Art in der Weimarer Republik, wo mit der Forderung nach Sparsamkeit der öffentlichen Hand sehr massive politische Ziele gegen die Demokratie verfolgt wurden.
({45})
Ich unterstelle das nicht dieser Regierung.
({46})
- Warum wir es erwähnen? Weil bei aller Anerkennung des Grundsatzes der Sparsamkeit die Anwendung dieses Grundsatzes von den Kommunen z. B. nicht in der Weise verlangt werden darf, daß das auf Kosten einer gesunden Selbstverwaltung der Gemeinden geht.
({47})
- Ich freue mich, daß Sie abwehren. Wir werden sehen, wie die Dinge stehen, wenn wir zu der Praxis kommen.
({48})
Die entscheidende Frage ist: Sparsamkeit und Einschränkung auf welchen Gebieten? Auch der Bund steht vor dieser Frage, und wir werden sie sehr genau untersuchen, wenn wir uns hier mit dem Haushalt 1963 im einzelnen zu beschäftigen haben. Es darf da keine Tabus geben, und man darf die Schwächsten nicht einfach hängenlassen. Ich will hier nur das eine Beispiel nennen: Der Herr Bundeskanzler hat die Erhöhung der Gehälter für die Beamten des Bundes um 6 für den 1. Januar 1963 angekündigt. Das kann doch die Beamten nicht befriedigen - und mit Recht.
({49})
Man kann nicht auf der einen Seite das Treueverhältnis dieser Männer und Frauen, das sie in ihrer Beamteneigenschaft eingegangen sind, in Anspruch nehmen und sie auf der anderen Seite auch noch gegenüber ihren Kollegen in Ländern und Gemeinden im Nachteil lassen.
({50})
Das besondere Treueverhältnis hat für beide Seiten Konsequenzen, in diesem Fall auch die Verpflichtung der Bundesregierung zu einer besonderen Fürsorge für diese Beamten.
({51})
Die Fürsorgepflicht der Bundesregierung gegenüber den Bundesbeamten ist in dieser Frage sträflich vernachlässig worden.
({52})
Ich sage das hier nicht im Wettstreit um Prozenthöhen von Gehaltserhöhungen. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß wir die Frage der Gehaltserhöhung für Beamte in allen Ländern und Gemeinden unter Führung von CDU-Ländern geregelt haben, die solche Erhöhungen kurz vor der Wahl für richtig hielten.
({53})
Das Bedrückende dabei ist, daß Sie und wit alle wissen: wenn in diesem Herbst oder Sommer die Bundestagswahl gewesen wäre, hätten Sie die 56 Millionen DM für die Erhöhung der Beamtengehälter gefunden.
({54})
Das ist der Punkt, wo wir ehrlich und aufrichtig sagen müssen, daß das keine Grundlage für eine gesunde öffentliche Finanzpolitik ist.
Meine Damen und Herren, ich will das hier jetzt nicht weiter vertiefen. Mir kam es nur darauf an, daß wir uns darüber klar werden, daß wir mit dem Begriff Sparkamkeit der öffentlichen Hand vorsichtig umgehen müssen, daß es sich darum handelt, zunächst einmal festzustellen, was darunter auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung wirklich gemeint ist.
Alles in allem, wenn wir hier Kritik angebracht und Vorschläge vorgelegt haben, dann mit dem Ziel, dabei mitzuhelfen, unser Haus in Ordnung zu bringen und in Ordnung zu halten, so daß alle Bürger der Bundesrepublik das Bewußtsein haben können, wirtschaftlich gesichert, sozial geschützt und. in einem freiheitlichen Rechtsstaat geborgen zu sein. Nach unserer Meinung ist dieses Ziel noch nicht erreicht. Wir glauben auch nicht, daß die angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung ausreichen. Wir unterbreiten deshalb unsere eigenen Vorschläge, und wir erwarten, daß sie eine sachliche und vorurteilsfreie Würdigung erfahren, wenn wir überhaupt zu einer sachlichen Arbeit in dieser Lage kommen wollen.
Die Lage unseres Volkes erfordert dringend eine solche Versachlichung der Politik. Wir haben sie schon vor einem Jahr für notwendig gehalten. Heute sind wir leider durch die Entwicklung bestätigt. Ob wir uns als freier Teil des deutschen Volkes in der Bundesrepublik behaupten, ob wir die Freiheit und die Lebensfähigkeit Berlins bewahren und sichern, ob unser Verlangen nach Selbstbestimmung für das ganze deutsche Volk als Grundlage für die Wiederherstellung unserer staatlichen Einheit im Bewußtsein der Welt lebendig bleibt, bis die Voraussetzungen für ihre Verwirklichung gegeben sind, das alles hängt ab von unserer Verbundenheit mit der freien Welt.
Um zudem Kapitel Außenpolitik hier einige wenige Bemerkungen zu machen, möchte ich sagen: Wir bejahen die eingegangenen Verpflichtungen der Bundesrepublik. Wir bejahen sie gegenüber der NATO wie gegenüber den europäischen Gemeinschaften. Auch hier gilt das, was ich auf dem Gebiet der Innenpolitik gesagt habe. Über die Grundeinstellung brauchen wir nicht zu streiten. Aber über den besten Weg zur Festigung und zum Ausbau dieser Gemeinschaften kann man verschiedener Meinung sein. Wir sollten aber endlich die Auseinandersetzung über solche Meinungsverschiedenheiten nicht immer wieder benutzen, um mit Zweifeln oder Verdächtigungen über die Klarheit und die Zuverlässigkeit der grundsätzlichen Einstellung zu arbeiten. Damit ist niemandem genützt.
({55})
Im Augenblick, meine Damen und Herren, geht es vor allem um Europa, d. h. es geht um die Ausdehnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch die Aufnahme von Großbritannien, Dänemark, Norwegen und Irland und um die Schaffung eines engeren Verhältnisses zu den neutralen Ländern wie Schweden, der Schweiz und Osterreich. Gibt es einen Zweifel, daß eine solche Entwicklung eine bedeutsame Stärkung des freien Europa und die Schaffung neuer Entwicklungsmöglichkeiten für alle wäre? Der Bundestag hat klar seine positive Meinung in diesem Punkt zum Ausdruck gebracht. Der Herr Außenminister hat sie als Standpunkt der Bundesregierung bestätigt. Trotzdem gibt es ein Unbehagen und eine Unsicherheit über die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage. Ihre Ursachen haben sie in dem Verhalten des Herrn Bundeskanzlers. Er hat hier vorgestern in diesem Zusammenhang erklärt, er wünsche den Antragstellern alles Gute. Das war wohl das Wenigste, was gesagt werden konnte. Aber warum sagt er nicht in Übereinstimmung mit der Auffassung des Bundestages, die Bundesregierung werde mit allen ihren Kräften die baldige positive Entscheidung über die Aufnahmeanträge fordern? Darauf kommt es an!
({56})
Der Bundeskanzler hat hier mit Recht herzliche Worte über das deutsch-französische Verhältnis gefunden. Auch wir begrüßen diese Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern. Sie ist eine lebenswichtige Basis für die Vereinigung von Europa. Aber, meine Damen und Herren, gilt dasselbe nicht auch für das Verhältnis zwischen dein englischen und idem deutschen Volk
({57})
und den skandinavischen Völkern und unserem Volk?
({58})
Warum muß man hier gerade die Notwendigkeit der Vertretung der deutschen Interessen so betont ins Gespräch bringen? Jede Regierung hat die Pflicht, in einer übernationalen Gemeinschaft die Interessen des eigenen Volkes zu wahren. Dazu bedarf es keiner besonderen Betonung. Im Falle der Europäischen Gemeinschaften und der westlichen Gemeinschaften überhaupt ist das überragende deutsche Interesse die Förderung des Wachsens und Gedeihens der Europäischen Gemeinschaften auf so breiter Grundlage wie nur möglich.
({59})
,- Das mußte ja kommen, das war ja klar!
({60})
- Ich will Ihnen ganz offen sagen: ich bin selten
über eine große politische rednerische Leistung
eines politischen Freundes so betrübt gewesen wie über die Rede meines Freundes Gaitskell.
({61})
Ich will Ihnen weiter sagen: wir haben uns ehrlich bemüht, unsere Freunde von der Labour Party von unserer Auffassung über die Notwendigkeit des Beitritts zu überzeugen.
({62})
Wir haben keinen Erfolg gehabt. Aber Sie haben wenigstens die Genugtuung, daß Herr Gaitskell sich auf Herrn Dr. Adenauer wegen seiner Zurückhaltung bei der Ausweitung der EWG berufen kann.
({63})
Im übrigen, Herr Majonica - um das noch hinzuzufügen -: Sie wissen ja, wie schwer es ist, andere zu überzeugen. Wir haben es nicht bei der Labour Party geschafft, einer selbständigen Partei; aber Sie haben es nicht einmal bei Ihrem eigenen Parteivorsitzenden geschafft.
({64})
Nun, wir werden ja hören, wieweit der Bundeskanzler noch mit konkreten Antworten auf bestimmte Fragen herauskommt; wollen mal sehen, wo Ihre Europäer dann bleiben.
Um zur Sache zurückzukommen: ich meine, die Existenz unserer Nation hängt tatsächlich davon ab,
o daß das freie Europa lebensfähig bleibt, daß es eine Gemeinschaft von Partnern und Freunden wird und daß wir von allen Mitgliedern als vertrauenswürdiger und unentbehrlicher Bestandteil dieser Gemeinschaften angesehen werden.
Angesichts der großen Bedeutung dieser Angelegenheit möchten wir in dieser Frage völlige Klarheit Über den Standpunkt der Bundesregierung selbst haben: Wir bitten daher den Herrn Bundeskanzler um eine eindeutige Stellungnahme zu folgenden Fragen:
1. Ist der Bundeskanzler der Auffassung, daß der Beitritt Großbritanniens zur EWG im Interesse aller europäischen Völker zu begrüßen wäre und den europäischen Zusammenschluß stärken würde?
2. Ist es die Ansicht des Herrn Bundeskanzlers, daß die Abklärung ,der Bedingungen für einen eventuellen Beitritt Großbritanniens mit Vorrang zum Abschluß gebracht werden soll?
3. Ist der Bundeskanzler bereit, seinen vollen Einfluß als Regierungschef dahin geltend zu machen, daß von der Seite der Sechs eine besondere Anstrengung unternommen wird, um zusammen mit Großbritannien einen Zeitrahmen festzulegen, innerhalb dessen die Verhandlungen abgeschlossen werden sollten?
Das ist die Frage, meine Damen und Herren. Bitte, hier ist die Gelegenheit, darauf klar zu antworten.
({65})
Lassen Sie mich nun im Zusammenhang mit dieser europäischen Zusammenarbeit noch eine andere
Überlegung anstellen, weil sie auch von wesentlicher Bedeutung für uns ist. Der amerikanische Präsident Kennedy hat am 4. Juli dieses Jahres die Idee der atlantischen Gemeinschaft entwickelt und praktische Möglichkeiten und Wege zu ihrer Verwirklichung aufgezeigt. Inzwischen haben Kongreß und Senat die entsprechenden zollpolitischen Vorschläge Kennedys als einen ersten Schritt zur Verwirklichung dieser Idee beschlossen. Das ist eine geradezu revolutionäre Entwicklung in der amerikanischen Politik. Hier eröffnen sich große Möglichkeiten für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und für ihre Mitglieder für eine weltweite wirtschaftliche und handelspolitische Zusammenarbeit. Hier ist ein weittragender positiver Schritt zur effektiven Zusammenarbeit der freien Völker eingeleitet worden. Aber er wird erst verwirklicht werden - darüber gibt es keinen Zweifel -, wenn Großbritannien Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geworden ist. Meine Damen und Herren, zwingt uns denn diese Aussicht nicht zu einer wirklichen Anstrengung auch von unserer Seite zur Oberwindung der Schwierigkeiten für die jetzt bestehenden Möglichkeiten zur Ausweitung der EWG? Unklarheiten und Zweideutigkeiten in dieser Frage können der deutschen Sache nur schaden.
({66})
Der Herr Bundeskanzler hat vorgestern nicht gesprochen über die Fragen der Entwicklungshilfe. Ich weiß nicht, aus welchen Gründen. Abgesehen von den wirtschafts- und handelspolitischen Aspekten dieses Problems, die ernsthaft zu behandeln sind und die wir bei der nächsten Gelegenheit behandeln werden, ist das Verhältnis zu den Entwicklungsländern von entscheidender politischer Bedeutung für das zukünftige Kräfteverhältnis zwischen dem freien Westen und der kommunistischen Welt. Es geht nicht darum, etwa das eine oder andere Land zu kaufen oder in dem einen oder anderen Fall die Konkurrenz anderer Länder zu schlagen. Es geht darum, daß 'wir endlich in der freien Welt zu einer gemeinsamen Politik der freien Völker gegenüber den Entwicklungsländern kommen, daß wir diese Völker von der Redlichkeit unserer Absichten überzeugen, daß wir ihnen zur Seite stehen wollen und sie als Partner in einer Gemeinschaft von Freien und Gleichen sehen möchten. Mancher hält das für eine Utopie - ich ,weiß es -, und es gibt Probleme auch in dieser Vorstellung. Aber ich sage dennoch: Es ist die Frage unseres Jahrhunderts, ob dieser Versuch gelingt und ob wir damit unter den Aspekten und den Vorstellungen unserer freiheitlichen Auffassung der Welt in weiten Teilen ein neues Gesicht geben Mit mehr Glück und Zufriedenheit für Millionen von Menschen, als das heute der Fall ist.
({67})
Was uns fehlt, ist die Gemeinsamkeit der Anstrengungen. Hier könnte die vom amerikanischen Präsidenten angebotene Partnerschaft der Vereinigten Staaten mit den in der Vereinigung befindlichen europäischen Ländern eine große gemeinsame Aufgabe lösen, und wir könnten damit auch eine Reihe
von Schwierigkeiten leichter überwinden, die sich heute aus der Entwicklung der europäischen Gemeinschaft für fast alle Beteiligten ergeben. Haben wir hier nicht eine Aufgabe, 'die zukunftweisend und aufbauend ist wie kaum eine andere? Und hat die Regierung in einer Erklärung über ihre Politik in dieser Zeit dazu überhaupt nichts zu sagen?
Gewiß, es gibt noch andere Fragen, die uns besonders naheliegen und die uns bedrücken. Die Deutschland-Frage, die Berlin-Frage, das Schicksal unserer Landsleute hinter der Mauer und hinter der Zonengrenze. Wir haben die sowjetischen Pläne für die Beseitigung des freien Berlins und für eine Verewigung der Spaltung Deutschlands durch die Anerkennung des Pankower Regimes. Wir haben die ununterbrochene Vergewaltigung der Menschenrechte an der Mauer und an der Zonengrenze. Wir haben den Druck auf Berlin mit immer neuen, einseitigen Maßnahmen ,der Sowjets oder der Zonenmachthaber. Wir können diese Ziele der sowjetischen Politik nicht hingehen lassen und erst recht nicht in irgendeiner Weise akzeptieren. Niemand will .das hier in diesem Hause. Aber, meine Damen und Herren, haben wir gar nichts zu tun, als die Unvereinbarkeit der Vorstellungen festzustellen und dann abzuwarten, was alles durch das dauernde einseitige Vorstoßen der anderen Seite geschieht?
Herr Bundeskanzler, Sie haben am 9. Oktober ein böses Wort gesprochen, das Wort, daß es Leute gebe, die von der Bundesregierung ständig Initiativen erwarteten um der Geschäftigkeit willen. Ich will Ihnen ganz offen sagen, Herr Bundeskanzler, das ist für viele in unserem Volk - ,ganz gleich, wo sie politisch stehen mögen -, die sich ernsthaft Sorgen um das Schicksal Berlins, um die Zukunft unseres Volkes und um die Lösung dieser Probleme machen, einfach eine unverantwortliche Diffamierung.
({68})
Herr Bundeskanzler, es ist ein zu billiges Argument, wenn Sie damit die Politik der Inaktivität Ihrer Regierung verteidigen wollen.
({69})
Natürlich ist uns die Frage gestellt: Was können wir tun?; und niemand von uns ist bereit, leichtfertig - um der Geschäftigkeit willen - darauf Antworten zu geben.
({70})
- Meine Damen und Herren, lassen Sie das jetzt; ich komme 'darauf, und dann werden wir sehen, wie Sie dann reagieren und was bei der Sache praktisch herauskommt.
Nehmen wir Berlin. Herr Bundeskanzler, Sie haben die Ernsthaftigkeit der Zusagen der Vereinigten Staaten und unserer beiden anderen Verbündeten unterstrichen, daß sie auf jedes Risiko hin die Freiheit und die Lebensfähigkeit Berlins verteidigen würden, und Sie 'haben ihnen dafür mit Recht gedankt. Aber warum haben Sie, Herr Bundeskanzler, nicht hinzugefügt, daß wir die Größe des Risikos kennen, das die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten eingegangen sind, und daß wir, die Bundesrepublik, bereit sind, dieses Risiko mit allen Konsequenzen zu teilen?
({71})
- Ja, genau das ist ,der Punkt, meine Damen und Herren. Aber ich will hier nur folgendes sagen:
({72})
- Es kann nichts schaden, wenn man die anderen alle zwölf Stunden fragt, ob sie es mit ihren Zusagen ernst meinen, und daß man auch von unserer Seite einmal ein offenes Wort dazu sagt.
({73})
Ich meine, wir sind doch die ersten, die es angeht. Berlin ist unsere Hauptstadt, und es sind unsere Berliner, um die es geht.
Nun weiter: Sie haben darauf hingewiesen - ({74})
- Meine Damen und Herren, wenn Sie wollen, können wir ja Ihre alten Papiere noch mal vorziehen,
({75})
aber glauben Sie denn, daß Sie angesichts der praktischen Haltung der Sozialdemokratie in allen Lebensfragen unseres Volkes in den letzten Jahren damit überhaupt noch eine Chance haben, einen Hund vor den Ofen vorzulocken?
({76})
Ich möchte weiter folgendes sagen. Der Herr Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, daß im Etat 1963 für Berlin die gleiche Summe zur Verfügung stehen wird wie im laufenden Jahr. Das ist eine wichtige und positive Feststellung. Aber, meine Damen und Herren, wir alle sollten doch wissen, daß damit unser Verhältnis zu Berlin und unsere Leistungen allein nicht ausgedrückt sind. Berlin ist doch für uns nicht nur ein Etatposten. Wir müssen immer wieder gemeinsam mit dem Berliner Senat untersuchen, was getan werden muß, um die Position Berlins zu stärken und das Vertrauen der Berliner Bevölkerung in seine Zukunft - vor allem bei den jungen Berlinern - zu erhalten. Wir müssen uns gegenüber Berlin auf allen Gebieten unseres öffentlichen Lebens so verhalten, als ob Berlin jetzt schon tatsächlich unsere Hauptstadt wäre und, wie der Herr Bundespräsident gesagt hat, als ob es dabei auf uns allein ankäme.
({77})
Nur mit einer solchen - - ({78})
I - Was heißt hier abstimmen? Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Kollege Krone: ich bin der Meinung, die Lage von Berlin ist so, daß wir das, was wir in bezug auf Berlin tun oder tun sollten, gemeinsam tun sollten,
({79})
weil Berlin unser gemeinsames Schicksal und unsere gemeinsame Aufgabe ist.
({80})
Ich meine, nur mit einer solchen eindeutigen positiven Regierungspolitik gegenüber Berlin können wir die politische und moralische Position des freien Berlins immer wieder stärken und erhalten, und das ist doch unsere Aufgabe.
Daneben steht noch etwas anderes, eine andere Frage, die sich aus der dauernden Verletzung der Menschenrechte ergibt. Die Mauer in Berlin kann man nicht mit einem Nebensatz erledigen. Sie ist eine Mauer der Unmenschlichkeit mit ihren immerwährenden Leiden und Schrecken. Ich denke dabei natürlich in erster Linie an die, die ihr Leben lassen mußten, weil sie nichts anderes wollten, als im freien Teil ihres Vaterlandes zu leben. Ich denke aber auch an die Millionen in Ostberlin und in der Zone, die unsagbar menschlich leiden unter der völligen Isolierung von ihren Verwandten, Freunden und Berufskollegen im anderen Teil der Stadt oder im freien Teil Deutschlands, hier in der Bundesrepublik. Halten wir uns die immerwährende Tragik dieses Schicksals immer wieder vor Augen!
Wir haben jetzt die Initiative des Kuratoriums Unteilbares Deutschland bei der Menschenrechtskommission in New York gehabt. Ich möchte dem Kuratorium für diese Initiative ausdrücklich danken.
({81})
Es war wirklich keine Initiative um der Geschäftigkeit willen.
({82})
Dieser Schritt hat trotz seiner beschränkten Möglichkeiten, die wir von vornherein gekannt haben, seine Wirkung gehabt bis in die Verhandlungen der Vollversammlung hinein, und er wird vielen Menschen in Ostberlin und in der Zone neue Hoffnung gegeben haben. Wir sollten einen Schritt weiter gehen: die Bundesregierung sollte sich bemühen, eines oder einige befreundete Mitglieder der Vereinten Nationen dazu zu gewinnen, die Frage der Verletzung der Menschenrechte - und nur diese Frage - vor die Vereinten Nationen zu bringen mit dem Ziel, daß die Vereinten Nationen sich in einem besonderen Ausschuß mit diesem menschlichen Problem beschäftigen. Wir haben das Beispiel der Kommission für die Freilassung von Kriegsgefangenen Anfang der fünfziger Jahre. Wir haben jetzt die Resonanz der Aktion des Kuratoriums Unteilbares Deutschland in der Vollversammlung selber. Ich kenne alle die Bedenken des Auswärtigen Amtes gegen einen solchen offiziellen Schritt.
Aber wie ist die Lage heute? Fast alle Redner in der Vollversammlung der Vereinten Nationen behandeln das Berlin- und Deutschlandproblem, die Mauer und alles, was an Schrecken damit zusammenhängt. Eines fehlt: auch nur ein einziges sichtbares Zeichen der Regierung, die in erster Linie die Verantwortung für dieses Volk trägt und sein Fürsprecher sein sollte.
({83})
Ich weiß, wir sind nicht Mitglied der Vereinten Nationen.
({84}) - „Na also" - ist das eine Antwort?
({85})
- Natürlich habe ich etwas von dem Weißbuch gehört. Sie werden lachen: ich kenne es. Nur: ist die Sache damit abgetan? Können wir nicht wirklich ernsthaft darüber reden, ob nicht über alle rechtlichen Bedenken hinweg die Anklage wegen der Verletzung elementarer Menschenrechte vor das einzige Forum der Welt gebracht werden kann, wo sie diskutiert werden kann und wo wir wirklich die Sympathie der Mehrheit der Völker für uns gewinnen können?
({86})
Ich werfe diese Frage auf. Es ist ein Vorschlag. Bitte, Sie - einschließlich der Regierung - möchten sich dazu äußern.
Eine andere Sache! Auch dazu müssen wir Stellung nehmen. Wir haben landauf und landab die weltweite Propaganda der Sowjetunion für den Abschluß eines Friedensvertrages, ihres sogenannten Friedensvertrages mit den beiden Teilen Deutschlands. Dieser Spaltungsvertrag ist keine Basis für eine Verhandlung auf einer Friedenskonferenz über Deutschland. Aber können wir es uns leisten, ,daß in weiten Teilen der Welt durch die sowjetische Propaganda der Eindruck erweckt wird, die Sowjetunion wolle einen Friedensvertrag mit Deutschland, nur der Westen weigere sich? Ich plädiere jetzt nicht für eine Friedenskonferenz mit allen früheren Kriegsgegnern Deutschlands, wie sie im vorigen Jahr einmal zur Debatte stand. Aber ich plädiere dafür, daß die Bundesregierung bei den drei Westmächten anregt, eine Arbeitsgruppe unter Einbeziehung der Bundesrepublik zu schaffen, die die Aufgabe hat, die westlichen Vorstellungen für einen Friedensvertrag für Deutschland zu erarbeiten und zu formulieren. Heute tun wir so, als ob diese Frage überhaupt nicht existierte, statt daß wir uns einmal Gedanken darüber machen, welche Vorstellungen wir gemeinsam mit unseren Verbündeten entwickeln wollen, mit welchen Vorstellungen als gemeinsamer Basis wir in eine solche Friedenskonfernz gehen wollen, wenn sie einmal kommt. Natürlich wird auch eine westliche Arbeitsgruppe ihre Probleme zu lösen haben. Es wird nicht so einfach sein, eine gemeinsame Auffassung der drei Westmächte und der Deutschen über die Grundlagen eines Friedensvertrages für ganz Deutschland zu erarbeiten. Aber wenn wir nicht bei unseren Freunden den Versuch machen, eine solche Grundlage zu schaffen, wie wollen wir dann überhaupt in Zukunft mit der
Aussicht, zu einer befriedigenden Lösung zu kommen, an dieses Problem herangehen?
({87})
Was ich, hier vorschlage, ist nichts Sensationelles; aber es ist ein Schritt, ein kleiner Schritt. Ich frage mich: welche Bedenken kann es eigentlich gegen eine solche Initiative der Bundesregierung geben?
Noch ein anderer Punkt! Das ist die Auseinandersetzung mit der aktuellen Krise um Berlin. Unsere Alliierten erwarten von der Bundesregierung Vorschläge für die weiteren Verhandlungen zur Sicherung der drei Lebensnotwendigkeiten in Berlin. Da geht es vor allem auch um die Frage der Sicherung der Zufahrtswege und jetzt auch wieder um die Frage einer sogenannten internationalen Zufahrtsbehörde. Wir können diesen Komplex, meine Damen und Herren, hier im Plenum nicht im einzelnen diskutieren. Aber wir können die Überlegungen über mögliche und erträgliche Lösungen nicht länger den Alliierten überlassen, wir haben hier auch unsere eigene Verantwortung. Unser Vorschlag ist, die Bundesregierung zu bitten, daß sie einen kleinen Arbeitsausschuß bildet, bestehend aus Vertretern der Bundesregierung und des Berliner Senats und aus Vertretern der drei Fraktionen des Bundestages, mit dem Auftrag, den gesamten Fragenkomplex um Berlin zu untersuchen und fortgesetzt den Versuch zu machen, zu gemeinsamen Vorstellungen zu kommen. Ich sage: gemeinsame, einstimmig gebilligte Vorschläge; denn Berlin ist unser aller gemeinsame Aufgabe, und die Vorschläge müssen von allen getragen werden, die in Exekutive und Parlament Verantwortung tragen. Ich meine, angesichts der Lage ist eine schnelle und positive Entscheidung über diese Anregung erforderlich.
Meine Damen und Herren, ich breche hier ab, obwohl meine Auseinandersetzungen mit der Regierungserklärung unvollständig ist und wichtige Aufgaben der Innen- und Außenpolitik der Regierung unerwähnt geblieben sind. Sicher bietet sich im weiteren Verlauf der Debatte meinen Freunden noch Gelegenheit, meine Ausführungen zu erweitern und zu ergänzen.
Ich habe hier den Versuch gemacht, eine Reihe von konkreten Vorschlägen zu unterbreiten, die uns nach unserer Auffassung auf dem Gebiet der Innen- und Außenpolitik einer Lösung der wichtigsten Probleme näherbringen können. Ich habe es nicht getan, um uns an die Regierungskoalition anzuhängen. Sie hat die volle Verantwortung für ihre Politik allein zu tragen. Aber wir haben immer erklärt, daß wir bereit sind, unseren Teil an Verantwortung in den großen Lebensfragen der Nation zu übernehmen. Dazu stehen wir auch noch heute, und das ist der Sinn unserer Vorschläge.
Unsere Auffassung ist, daß weder die bisherige Tätigkeit der Bundesregierung im ersten Jahr der neuen Legislaturperiode noch die jetzt zur Debatte stehende Regierungserklärung den nationalpolitischen Notwendigkeiten unseres Volkes in dieser Zeit gerecht wird.
({88})
Das Wort hat. der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Herr Kollege Ollenhauer hat seine Worte etwa mit folgendem Satz geschlossen: Er stelle fest, daß die Tätigkeit der Bundesregierung in diesem ersten Jahre der neuen Legislaturperiode den nationalpolitischen Notwendigkeiten des deutschen Volkes nicht gerecht werde. Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen, daß ich Herrn Ollenhauer bisher wegen seiner Zurückhaltung und seiner Maßhaltung gerade in außenpolitischen Dingen immer außerordentlich geschätzt habe,
({0})
daß aber das, was er sich heute geleistet hat, den nationalpolitischen Rücksichten auf das deutsche Volk nicht gerecht wird.
({1})
Meine Damen und Herren, wenn man hier von Gemeinsamkeit der Außenpolitik spricht und sich dann hier hinstellt und vor der gesamten Weltöffentlichkeit eine solche Rede hält, wie Herr Ollenhauer sie in seinem letzten Teil gehalten hat, dann, so muß ich sagen, wird damit der Gemeinsamkeit der Außenpolitik ins Gesicht geschlagen.
({2})
Der Auswärtige Ausschuß ist in einer selten ausführlichen Weise über alle diese Fragen unterrichtet worden, die Herr Ollenhauer hier angeschnitten hat.
({3})
Im Auswärtigen Ausschuß kann man solche Fragen erörtern, aber nicht hier in der Öffentlichkeit, meine Damen und Herren.
({4})
Er hat mir vorgeworfen, ich hätte vorgestern von der Diffamierung „um der Geschäftigkeit willen" gesprochen. Herr Ollenhauer, ich will jetzt nicht sagen, was ich heute hier für eine Erfahrung gemacht habe. Als ich vorgestern davon sprach, da dachte ich an den Vorschlag, sämtliche Gegner Deutschlands zu einer Friedenskonferenz einzuladen, eine Geschichte, die noch lange herumgegeistert ist, wobei man sich nicht einmal darüber klar war, ob es 65, 74 oder wieviel sein sollten. Ich kann nur nochmals wiederholen: Im Auswärtigen Ausschuß sind die Mitglieder in einer selten konkreten und ausführlichen Weise ständig unterrichtet worden.
Herr Ollenhauer hat mir jetzt Vorwürfe wegen der Inaktivität dieser Regierung, insbesondere des Bundeskanzlers, gemacht. Nun, Herr Brandt. der Regierende Bürgermeister von Berlin, hat doch Herrn Ollenhauer, wie mir Herr Brandt selber gesagt hat,
ausführlich über die Gespräche orientiert, die er in Washington gehabt hat.
({5})
Wenn er das getan hat, dann durfte Herr Ollenhauer nicht eine solche Rede halten, wie er sie hier eben gehalten hat.
({6})
Gerade was Berlin angeht, so hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, der in diesen Sachen nun wirklich mehr kompetent ist als der Bundestagsabgeordnete Ollenhauer, auch wenn er der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion ist -({7})
- nun, meine Damen und Herren, weiß ich nicht: sind Sie darüber gekränkt oder sind Sie nicht gekränkt?; es ist mir auch gleichgültig -,
({8})
- - so hat Herr Brandt doch zu wiederholten Malen Kennedy erklärt, er sei mit mir in allen Fragen einig.
({9})
- Wer hat diese Frage getan? - Wer hat diese Frage gestellt?
({10})
Wer hat die Frage gestellt?
({11})
- In all den Fragen um Berlin und den Schutz Berlins bin ich mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin einig.
Ich darf Herrn Ollenhauer auch noch folgendes sagen. Ich habe in die Regierungserklärung, die ich vorgestern abgegeben habe, den Satz aufgenommen: „In allen Fragen seiner Verteidigung ist der Westen so einmütig, so geschlossen, so stark wie nur denkbar." Das habe ich doch erklärt! Soll ich denn hier sagen - wo doch Sowjetrußland jedes Wort hört, was hier gesagt wird -,
({12}) was wir überlegt haben?!
({13})
- Ja, sehen Sie, meine Damen und Herren!
({14})
Soll ich hier in extenso darlegen, welche verschiedenen Programme für den Ernstfall vollkommen durchdacht vorliegen?!
({15})
Ich will Ihnen. auch auf Ihre Frage mit der EWG antworten. Allmählich, durch Reden, wie Sie sie halten, Herr Ollenhauer, stempeln Sie mich zu einem Gegner der EWG und insbesondere des Beitritts Englands, - in einer völlig falschen Weise! Wenn ich recht unterrichtet bin, ist Herr Wehner doch in Brüssel bei der Konferenz bei Herrn Spaak zugegen gewesen, und Herr Wehner hat dort Herrn Gaitskell geantwortet, hat ihm auch gesagt, daß Herr Gaitskell mit einer solchen Erklärung die sozialdemokratische Politik lädiere. Es sind doch alle genau im Bilde; was soll das ganze Theater denn, das Sie hier aufführen?
({16})
Ich will Ihnen Ihre präzisen Fragen beantworten, ich will Ihre präzisen Fragen bezüglich des Eintritts Großbritanniens in die EWG beantworten. Ich bin für den Beitritt. Ich bin auch dafür, daß vorrangig eine Abklärung erfolgt. Ich bin auch dafür, daß ein Zeitrahmen festgelegt wird. Aber, meine Damen und Herren, wie mag sich wohl im Kopf des Herrn Ollenhauer eine Verhandlung in Brüssel darstellen?
({17})
Wenn irgendwo gefeilscht wird, verehrter Herr Ollenhauer, um Mein und Dein, um rein materielle Vorteile, dann geschieht das in Brüssel.
({18})
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß die letzte Sitzung vor der Unterbrechung in Brüssel volle 21 Stunden gedauert hat. Glauben Sie denn, daß sich die Herren in den 21 Stunden theoretische Liebeserklärungen gesagt haben?
({19})
Glauben Sie, daß die einen gesagt haben: Komm herein! Komm herein!, und daß der andere gesagt hat: Ich will hinein! Ich will hinein!
({20})
Es war 21stündiges Feilschen, meine Damen und Herren, ein Feilschen, und es wird weiter gefeilscht. Und das eine will ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren: ich als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland habe die Pflicht, einzutreten für unsere Landwirtschaft,
({21}) für unsere Textilwirtschaft
({22}) und für unseren Steinkohlenbergbau.
({23})
Herr Ollenhauer hat gesagt: Wir sind dafür, daß England, daß Dänemark, daß Norwegen, daß Irland hineinkommen. Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Ollenhauer sich irgendwie damit beschäftigt hat, wie denn nun in Zukunft da das Stimmenverhältnis werden soll.
({24})
- Also, meine verehrten Herren, es hat ja gar keinen Zweck, überhaupt den Versuch zu machen, Ihnen die Situation ernsthaft darzulegen; das hat gar keinen Zweck.
({25})
Ich bedaure außerordentlich, daß hier ein solch ernstes Thema
({26})
wie das Thema Europa, wie das Thema des Beitritts Großbritanniens und der anderen Länder hier zur reinen Propaganda benutzt wird.
({27})
Ich bin nicht dazu da - das sage ich Ihnen ganz offen -, die Interessen Englands zu vertreten; ich bin dazu da, die Interessen Deutschlands zu vertreten.
({28})
Ich habe zu prüfen, und zwar sehr ernsthaft zu prüfen, meine Damen und Herren, inwieweit sich diese Interessen miteinander vereinigen lassen.
({29})
({30})
Aber ich bin nicht dazu da, wie das leider Gottes ein Teil der Deutschen ist, !gar nicht an die eigenen Interessen zu denken, sondern - ({31})
-- Ja, nun, meine Damen und Herren, Ihr Verhalten bestätigt das doch.
({32})
Und glauben Sie denn, daß Großbritannien zu uns will aus Menschenfreundlichkeit?
({33})
Meine Damen und Herren, ich habe mit dem britischen Lordsiegelbewahrer Heath ein sechsstündiges Gespräch in Cadenabbia über den 'Eintritt Großbritanniens in die EWG gehabt. Herr Heath hat mir selbst gesagt, daß eine ganze Reihe von Fragen, die ich aufgeworfen habe, die ich hier nicht vor der ,ganzen Offentlichkeit wiedergeben kann, bisher überhaupt noch nicht bei den Verhandlungen berührt unid angeschnitten worden sei.
({34})
Also, mit dem Herrn Heath kann ich viel eher fertigwerden als mit Ihnen, meine Damen und Herren.
({35})
Denn, sehen Sie, Herr Heath ist ein Mann, der seinen Standpunkt kennt und der Wert darauf legt, auch den Standpunkt des anderen, mit dein erverhandelt - das Wort ist ein gutes deutsches Wort, meine Damen und Herren: verhandelt - kennenzulernen und zu würdigen; und dann überlegt man gemeinsam: Wie kommt man zum Ziele?, aber nicht auf diese. Weise!
({36})
Nun, meine Damen und Herren, möchte ich Ihnen noch folgendes sagen. Ich nehme an, daß der Bundesaußenminister, der am Samstag nach Washington fliegt, nach seiner Rückkehr - vorher wird es nicht gehen- den Auswärtigen Ausschuß zusammenrufen läßt und dann die Dinge dort bespricht, die Herr Kollege Ollenhauer glaubte, eben hier besprechen zu müssen. Ich glaube nicht, daß das gut war; ich glaube nicht, daß das den gemeinsamen Interessen der 'europäischen Völker nützt, sondern ich glaube, meine Damen und Herren, daß alle solche schwierigen Fragen, bei denen es sich wirklich fast in der Hauptsache um geschäftliche Fragen handelt, viel besser in kleinerem Kreise und in Ruhe miteinander verhandelt werden und daß man dann sieht, wie man zu einer Verständigung im gegenseitigen Ausgleich kommt.
({37})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorsitzende der Oppositionsfraktion, Kollege Ollenhauer, hat in seinen einleitenden Bemerkungen und auch zum Schluß harte Kritik am ersten Jahr der 4. Bundesregierung geübt. Das ist sein gutes Recht als Vorsitzender der Opposition; es scheint aber auch gewissermaßen eine traditionelle Pflicht geworden zu sein. Ich habe in den Protokollen, die nach dein ersten Arbeitsjahr des 1. Deutschen Bundestages und der 1. Bundesregierung - in der gleichen Koalition - über die damaligen Aussprachen angefertigt wurden, eine Formulierung gefunden, die fast wörtlich heute vom Kollegen Ollenhauer wieder zu hören war. Ich zitiere Professor Dr. Nölting, den Sprecher der sozialdemokratischen Opposition am Ende einer ähnlichen Debatte am 14. März .1951:
Wir hatten heute wohl alle gehofft, - so erklärte Professor Nölting -daß man von der Regierungsbank ein wirklich zielweisendes Wort zu hören bekommen würde; denn bei den breitesten Volksmassen hat sich ein Gefühl der Erbitterung und der Sorge festgefressen,
({0})
,daß die Regierung die Dinge nicht mehr in ihrer Hand hat
({1}) und daß sie sie schleifen läßt.
,({2})
) Im Verfolg seiner Rede stellte dann Professor Nölting den Antrag, der Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard möge zurücktreten,
({3})
und die sozialdemokratische Opposition stellte den Antrag, das Amtsgehalt des Bundesministers für Wirtschaft zu streichen.
({4})
Wir alle, meine Damen und Herren, sind elf Jahre später dem Hause dankbar - ich glaube, auch die sozialdemokratische Opposition ist es 'heute -,
({5})
daß die Wirtschaftspolitik in den vergangenen 13 Jahren nicht nach den Vorstellungen des Sozialdemokraten Professor Nölting, sondern nach denen des Bundeswirtschaftsministers Professor Erhard gehandhabt wurde.
({6})
Ich darf in meiner Stellungnahme zu der Erklärung der Bundesregierung, obgleich es reizen würde, auf den außenpolitischen Teil und die Kontroverse des Regierungschefs mit dem Vorsitzenden der Opposition einzugehen, den innerpolitischen Teil vorziehen. Die Bundesregierung hat mit ihrer Erklärung den Ernst unserer außen- und innenpolitischen Lage dargelegt, und sie hat zugleich ihre Entschlossenheit betont, alle Kräfte unseres Volkes für eine Bewältigung der vor uns stehenden Aufgaben einzusetzen.
Auf dem Gebiet der Innenpolitik wird die Bundesregierung mit einem Haushalt der Besinnung und des Maßhaltens vor den 4. Deutschen Bundestag treten. Der Bundesfinanzminister hat am 13. März dieses Jahres an dieses Hohe Haus einen Appell zur Sparsamkeit gerichtet. In den darauf folgenden Monaten ist es gelungen, für die Verwirklichung dieser Forderungen die Unterstützung .der deutschen Offentlichkeit zu gewinnen und dem Bundeshaushalt 1963, der hier in Kürze vorgelegt werden wird, eine Form zu geben, die eine Wende in der Finanzpolitik ,des Bundes einleitet. Damit ist nach unserer Auffassung der erste Schritt in dem Bemühen um eine Politik der langfristigen Stabilisierung getan, die durch die Namen Blessing, Erhard und Starke gekennzeichnet wird.
Die angekündigten wirtschaftspolitischen Maßnahmen müssen die Haushaltspolitik ergänzen, wenn der Erfolg dieser Politik nicht wieder in Frage gestellt werden soll.
Der Haushalt 1963 paßt sich mit den vorgesehenen Ausgaben dem realen Zuwachs des Sozialproduktes an. Es ist damit zum erstenmal gelungen, den von Jahr zu Jahr von uns mit größter Sorge beobachteten sprunghaften Anstieg der öffentlichen Ausgaben beim Bund zu bremsen. Es geht jetzt darum, diese Ausgabenpolitik des Bundes durch ein entsprechendes Verhalten von Ländern und Gemeinden zu ergänzen.
Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei unterstützt die einstimmigen Beschlüsse des Bundeskabinetts, durch die Ausgabekürzungen bei allen Ressorts vorgenommen worden sind. Wir sind uns darüber im klaren, daß manche Kürzung unpopulär ist und Härten für einen Teil der Betroffenen mit sich bringen wird. Wir wissen aber auch, daß auf lange Sicht nichts unpopulärer und falscher sein wird als eine öffentliche Finanzpolitik, die die drohende Gefahr einer schleichenden Geldentwertung weiter fördern würde.
({7})
Das öffentliche Interesse zwingt die Bundesregierung zu einer besonnenen, verantwortungsbewußten und weitschauenden Haushaltspolitik. Das muß in der gegenwärtigen Situation eine konjunkturpolitisch und finanzpolitisch antizyklische Haushaltspolitik sein. Der Bund hat im Jahre 1962 zum erstenmal seine vermehrten. Aufgaben nicht aus eigener Kraft erfüllen können. Wir erkennen dankbar an, daß die Länder in verantwortungsvollem Handeln für das gemeinsame Ganze den Bund in diesem Jahr unterstützt haben. Sie haben damit einen Teil der Lasten übernommen, nachdem der Deutsche Bundestag - was er bei den Haushaltsberatungen 1962 erstmalig getan hat - Kürzungen in beträchtlichem Umfang vorgenommen hatte. Das geschah mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und - ich freue mich, daß ich das hier hervorheben kann - auch mit den Stimmen ,der sozialdemokratischen Opposition.
Die Haushaltsberatungen 1962, in denen von den Fraktionen der Regierungskoalition - auch das ist eine begrüßenswerte Neuerung - keine ausgabenerhöhenden Anträge gestellt wurden, waren die erste Bewährungsprobe dieser Koalition, die in ihrem Anfangsstadium in der Tat mit gewissen Geburtswehen belastet war. Dieser Erfolg in der Finanz- und Haushaltspolitik ist ein Beweis für die Fruchtbarkeit gemeinsamen politischen Handelns und gemeinsamen Aufeinanderangewiesenseins bei der Übernahme gemeinsamer Verantwortung in einer Koalition.
({8})
Die großen Aufgaben, die dem Bund in den letzten Jahren, vor allem nach der Errichtung der Mauer in Berlin, in zum Teil nicht vorgesehenem Umfang zusätzlich gestellt worden sind, erfordern eine Überprüfung unserer Finanzverfassung. Der von mir schon erwähnte Beitrag der Länder zum Bundeshaushalt 1962 hat eine permanente Finanzreform eingeleitet. Bund und Länder sind sich darüber im klaren, daß es auf die Dauer unbefriedigend ist, wenn der vermehrten Aufgabenstellung des Bundes nur durch jährlich sich ändernde Beiträge der Länder Rechnung getragen wird. Es fördert nicht die Glaubwürdigkeit, wenn im jeweiligen Streit zwischen dem Bundesfinanzminister und den Länderfinanzministern in aller Öffentlichkeit wechselweise die vorgelegten Schätzungen und Zahlen angezweifelt werden.
({9})
Es ist eine unbestreitbare Notwendigkeit, daß sich Bund und Länder über eine Erhöhung des Anteils des Bundes an dem Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer einigen. Dabei wird niemand den Ländern zumuten, daß sie wichtige eigene Aufgaben vernachlässigen sollen. Ich denke hier an den Bereich der Kulturpolitik, vor allem an das durchaus einer „Entwicklungshilfe" der Länder bedürftige Schul- und Bildungswesen. Ich denke an die wichtigen Aufgaben der Gewerbeförderung, aber auch an die Verpflichtung der Länder gegenüber ihren Gemeinden, die sich ähnlich wie der Bund neuen Aufgaben gegenübersehen. Die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen der Freien Demokratischen Partei haben am Freitag, dem 5. Oktober 1962, in Bremen beschlossen, für eine Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer in ihren Landtagen und Bürgerschaften einzutreten. Wir begrüßen diesen Beschluß als ein Zeichen verantwortungsvollen und bundesfreundlichen Verhaltens.
({10})
Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland stellt über das Eigeninteresse der Glieder unseres Staates das gemeinsame gesamtstaatliche Interesse von Bund und Ländern. Es hat dies sichtbar zum Ausdruck gebracht in der Bildung des Verfassungsorgans „Bundesrat", das, von den Ländern beschickt, ein Organ des Bundes ist. Die Wahrung der gesamtstaatlichen Interessen bedarf der Ergänzung der Zuständigkeiten des Bundes für den Fall der Not. Für den Bereich der Finanzpolitik sieht Art. 106 eine Notstandsklausel vor. Für den Bereich unserer inneren Sicherheit werden die 4. Bundesregierung und der 4. Deutsche Bundestag das große Werk einer deutschen Notstandsgesetzgebung schaffen müssen. Was uns fehlt, ist ein Instrument des Bundes zur Sicherung der Früchte unseres gemeinsamen Arbeitsergebnisses beim Wiederaufbau unseres Landes. Das Haushaltsgebaren der öffentlichen Hand bestimmt entscheidend die Konjunkturpolitik. In Zeiten unmittelbarer Gefahr für Währung und Wirtschaft und damit für den Arbeitsplatz und für alle Arbeitswilligen muß deshalb die gesamte Haushaltspolitik einer im Bereich des Bundes gewonnenen Einsicht in das Notwendige angepaßt werden. Niemand sollte vergessen, daß die öffentliche Hand nicht vom Bund allein, sondern in nicht geringerem Maße von den Ländern und den Gemeinden dargestellt wird. Vertrauensvolle Verhandlungen mit den Ländern unter Einbeziehung der kommunalen Belange sollten hier ein wirksames Instrument schaffen, das allein dem Gemeinwohl zu dienen bestimmt ist.
Ernstes Bemühen der öffentlichen Hand allein kann die große Aufgabe einer langfristigen Stabilisierung nicht meistern. Die Bundesregierung hat deshalb mit Recht an die Tarifpartner appelliert, ihre Bemühungen zu unterstützen. Die Tarifpartner, Gewerkschaften und Arbeitgeber, sind selbst unmittelbar an dem Erfolg dieser Politik interessiert. Die Zeit des sprunghaften konjunkturellen Anstiegs ist vorbei, Wir befinden uns in einer Phase des langsamen, aber stetigen Wachstums. Diese Stetigkeit allein sichert den größten und sozialsten Erfolg der
Marktwirtschaft, die Vollbeschäftigung. Sie verwirklicht das Recht auf Arbeit und die Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes. Gerade die Tarifpartner sollten sich der Einsicht nicht verschließen, daß diese Rechte und Freiheiten nicht gefährdet werden dürfen.
Wir Freien Demokraten bejahen vorbehaltlos die Tarifautonomie. Sie ist ein unentbehrlicher Bestandteil unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, deren leidenschaftlichste Verfechter die Liberalen zuerst und seit je gewesen sind. Aber auch dieses demokratische Grundrecht der Tarifautonomie findet seine Grenze im Gemeinschaftsvorbehalt unseres Grundgesetzes. Die Bundesrepublik Deutschland ist - und das war der gemeinsame Wille aller in diesem Bundestag vertretenen Parteien - ein demokratischer und sozialer Bundesstaat! Das Grundgesetz fordert damit von jedem bei der Ausübung seiner Rechte die Beachtung der Belange aller anderen. Das gilt auch für die Ausübung der Tarifhoheit.
Wir wiederholen erneut unseren Vorschlag, man möge eine gesetzliche Regelung finden, die es den Tarifpartnern zur Pflicht macht, vor jedem Arbeitskampf den ernsthaften Versuch einer Schlichtung zu unternehmen.
({11})
Nur Böswillige können uns unterstellen, daß wir damit eine Zwangsschlichtung fordern. Ein Gremium von Gutachtern, das uns über die Möglichkeiten der Erhaltung der Stabilität unserer Währung, einer gesunden Wirtschaft und der Vollbeschäftigung unterrichtet, wird mit seinen Erkenntnissen eine objektive Leitlinie für Schlichtungsverhandlungen geben. Dazu wird mein Kollege, der Vorsitzende des Wirtschafts-Ausschusses des Bundestages, Dr. Dahlgrün, in der wirtschaftspolitischen Debatte ausführlicher Stellung nehmen.
Darüber hinaus sollten die Tarifpartner in einer Zeit, in der die Bundesregierung um eine vorausschauende und langfristige Haushalts-, Finanz- und Konjunkturpolitik bemüht ist, durch den Abschluß langfristiger Tarifverträge stabilisierend wirken. Es darf in Zukunft nicht mehr eine aktive Konjunkturpolitik durch einen ständigen Wechsel von Anpassungen und Lohnerhöhungen, Tariferhöhungen und neuen Anpassungen gelähmt werden.
Es ist ein sichtbarer Erfolg der neuen Haushaltspolitik, daß trotz erheblich gestiegener Ausgaben, die sich auch aus unseren zusätzlichen Verpflichtungen für Berlin, aber auch für die gemeinsame westliche Verteidigung ergeben haben, Steuererhöhungen vermieden werden konnten. Die Kraft unserer Volkswirtschaft und der Führungswille der Bundesregierung auf dem Gebiet der Finanz- und Haushaltspolitik haben damit eine schwierige Situation gemeistert.
Wir stimmen darin überein, meine Damen und Herren, daß das große Ziel einer Steuersenkung schon im Interesse der Bildung von Vermögen beim Staatsbürger, und zwar bei breitesten Schichten unseres Volkes, nicht aus dem Auge gelassen werden darf.
({12})
Eine unverhältnismäßig große Vermögensbildung bei der öffentlichen Hand zum Nachteil der Vermögen der privaten Haushalte, wie wir sie in den vergangenen Jahren zu verzeichnen hatten, läuft den gesellschaftspolitischen Zielen der Freien Demokratischen Partei, und wie ich glaube, auch dieser Bundesregierung entschieden zuwider.
({13})
Die Regierung hat in ihrer Erklärung mit Recht darauf verwiesen, daß wir in hohem Maße von der Ausfuhr von Gütern abhängig sind. Das Lohn- und Preisniveau der Bundesrepublik ist in jüngster Zeit so stark angestiegen, daß wir in einigen wichtigen Bereichen schon die Grenzen der Wettbewerbsfähigkeit erreicht haben. Jede weitere Verteuerung läßt deshalb Auswirkungen auf die Konjunktur befürchten. Das würde am Ende nichts anderes bedeuten als einen Verlust von Arbeitsplätzen als Folge einer unbedachten Politik, die vielleicht sozial gemeint ist, aber schließlich einen außerordentlich unsozialen Effekt hat.
({14})
In den Jahren des schnellen wirtschaftlichen Aufstiegs sind naturgemäß die Bedürfnisse gewachsen, und wir können sie zum Teil nur noch mühsam befriedigen. Wenn wir heute zu viel erreichen wollen, können wir morgen schon, vor einem schweren wirtschaftlichen Rückschlag stehen. Niemand kann dieser Alternative ausweichen, und auch die verständliche Einzelkritik der Betroffenen und in ihren Erwartungen Enttäuschten sollte das berücksichtigen. Eine vernünftige Sozialpolitik besteht nicht darin, daß alles auf einmal erreicht wird, sondern darin, daß alle notwendigen Aufgaben in der Reihenfolge ihrer Dringlichkeit in einem längeren Zeitraum erfüllt werden.
({15})
Das erfordert eine grundsätzliche Überprüfung aller sozialen Tatbestände. Dabei muß unser besonderes Augenmerk den Kriegsfolgelasten gelten. Das deutsche Volk kann sich auch in einer Zeit angespanntester Haushaltslage seinen Verpflichtungen gegenüber den Kriegsopfern, den Schwerbeschädigten, Witwen und Waisen nicht entziehen.
({16})
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei begrüßt es, daß eine Kommission der Bundesregierung die sozialen Tatbestände untersuchen wird. Sie sieht auch darin ein erfreuliches Zeichen für den Willen zu langfristigen Dispositionen.
So begrüßenswert es ist, meine Damen und Herren, daß Steuererhöhungen vermieden werden konnten, so darf doch nicht übersehen werden, ,daß Löhne und Gehälter durch unverhältnismäßig hohe Sozialabgaben belastet sind, um nicht zu sagen: fast sozialisiert werden. Es wind die Aufgabe der Sozialpolitik dieser Bundesregierung sein, ohne Erhöhung ,der sozialen Belastungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein Höchstmaß an sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit zu erreichen. Wir gehen an diese Aufgabe unvoreingenommen und frei von dogmatischen Bindungen heran. Das „Sozialpaket" ist ein Ausdruck des Bemühens um eine geschlossene sozialpolitische Konzeption, die nicht nur Teilgebiete sieht, sondern sich in die allgemeine Wirtschafts-, Finanz- und Währungssituation einfügt.
({17})
Die Sicherung der Arbeitsplätze für alle Arbeitnehmer ist nur möglich, wenn eine breite Schicht Selbständiger in Handel, Handwerk, Gewerbe und freien Berufen unternehmerische Initiative entfalten kann. Diese Gruppe der Selbständigen muß zusammen mit den Bauern, Beamten, Angestellten und nicht zuletzt mit ,den qualifiziertesten Arbeitern als breite Mittelschicht das Gesicht unserer gegliederten Gesellschaft bestimmen. Diese mittelständische Schicht ist ein wesentliches Element einer gesunden Sozialstruktur und ,damit ein entscheidender Faktor unserer festgefügten demokratischen Ordnung.
({18})
Die Erhaltung einer breiten Schicht Selbständiger fordert die Korrektur einer wettbewerbsverzerrenden Steuergesetzgebung und die Berücksichtigung der besonderen Belange der lohnintensiven Betriebe. Gerade .das Handwerk und die lohnintensive Mittel-und Kleinindustrie können sich ein weiteres fast mittelstandsfeindliches Verhalten nicht mehr gefallen lassen, wenn sie nicht eines Tages vor dem Zusammenbruch stehen sollen.
({19})
Wir Freien Demokraten haben es dankbar empfunden, daß die Regierung sich zu den Sorgen der deutschen Landwirtschaft geäußert hat. Für die Freie Demokratische Partei ist die Agrarpolitik der Bestandteil einer Gesellschaftspolitik, die das Ziel hat, Freiheit und Eigentum zu erhalten. Daneben darf die Bedeutung der eigenen Versorgung unseres Volkes aus allgemein ernährungspolitischer Sicht nicht unterschätzt wenden. Noch stehen ,der Landwirtschaftspolitik große Aufgaben bevor. Trotz erheblicher Aufwendungen im Rahmen des Grünen Plans und der bisherigen Grünen Pläne ist die Zielsetzung des Landwirtschaftsgesetzes noch nicht erreicht. Bis heute ist das Einkommen der Landwirtschaft an die übrige Wirtschaft nicht angeglichen. Die Verschuldung in der Landwirtschaft wächst. Die Überlastung der bäuerlichen Familie, vor allem der Bäuerinnen, ist noch ungelöst. Für einen großen Teil unserer Bauern und Bäuerinnen existiert das Problem eines Anspruchs auf Urlaub und Erholung grundsätzlich nicht.
({20})
Die Lage der Landwirtschaft, insbesondere auch jene soeben erwähnte Überbelastung der bäuerlichen Familie, bildet einen viel 211 wenig beachteten Kontrast zum sozialen 'Fortschritt, zur Erholung und Freizeit in übrigen Wirtschaftszweigen. Bei der Verwirklichung des gemeinsamen europäischen Agrarmarktes müssen noch große Schwierigkeiten überwunden werden. Wir alle sollten uns in diesem Haus 'einig sein in dem Bemühen, alles zu tun, um dem bäuerlichen Betrieb auf lange Sicht eine gesicherte Existenz zu ermöglichen.
Wer die Lohn- und Gehaltsentwicklung des Jahres 1962 verfolgt hat, muß erkennen,daß die Besoldungssituation .der Bundesbeamten sich der Grenze des Zumutbaren nähert. Wir haben sehr aufmerksam, Herr Kollege Ollenhauer, Ihre scharfe kritische Anmerkung zu 'diesem Thema vernommen. In der Sache muß leider objektiv festgestellt werden, daß Löhne und Gehälter der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen 'Dienstes auch beim Bund in diesem Jahr erhöht worden sind. Die Länder und Gemeinden haben, ob unterbesonderer Initiative der von der CDU geführten oder von der Sozialdemokratie geführten Länder, allesamt im Bundesgebiet die Bezüge ihrer Beamten angehoben, auch vor den Wahlen beiderseits. Deshalb ist die Beunruhigung unter den Bundesbeamten verstäindlich. Denn sie sind die einzigen im öffentlichen Dienst, die seit dem 1. Januar 1961 eine ähnliche Behandlung wie die Beamten unid Angestellten bei Ländern und 'Gemeinden und die Angestellten und Arbeiter beim Bund nicht zu verzeichnen haben.
Die Koalitionsfraktionen sind, wie das schon vor den Parlamentsferien durch den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Herrn von Brentano, im Namen beider Fraktionen angekündigt wurde, in eine Prüfung der Gehaltssituation der Bundesbeamten für das Jahr 1962 eingetreten. Es ist jetzt unsere gemeinsame \Aufgabe, einen Weg zu finden, der die Belange der Bundesbeamten berücksichtigt, den Ausgleich des Nachtragshaushalts 1962 aber angesichts unserer gesamtpolitischen Verantwortung für Haushalt und Währung nicht gefährdet. Die Kommission
sollte sich in ihrer Arbeit zum Ziel setzen, gleiche Leistung im öffentlichen Dienst gleich zu entlohnen, ob bei Bund, Ländern oder Gemeinden, unid das bisherige Gefälle auszugleichen. Vielleicht wäre die einfachste Lösung - ein Diskussionsvorschlag - für das Jahr 1962 eine einmalige Überbrückung etwa in Höhe eines Drittels des Monatsgehalts, bis am 1. Januar 1963 die von der Bundesregierung angekündigte Anhebung auch der Bezüge der Bundesbeamten in Kraft treten kann. Wie gesagt, darüber sollte gesprochen werden.
({21})
Der Gesamtverantwortung für die Währung werden wir nur gerecht, wenn es uns gelingt, die Preisentwicklung 'im zentralen Bereich der Bauwirtschaft zu dämpfen. Aus diesem Grunde ist es notwendig, daß die Bundesregierung gerade für dieses Gebiet wirkungsvolle Maßnahmen ergreift. Es ist dabei eine Selbstverständlichkeit, daß bei der Aussetzung steuerlicher Vergünstigungen, die einst 'als konjunkturpolitischer Anreiz geschaffen worden sind, der Eigenheimbau ausgenommen wird.
({22})
Damit tragen wir der (besonderen gesellschaftspolitischen Bedeutung des Baus von ,Eigenheimen Rechnung. Das gilt ,sowohl für das Eigenhaus wie für die Eigentumswohnung.
Wir sind allerdings der Meinung, daß die von der Bundesregierung verkündeten Maßnahmen eine notwendige 'Ergänzung in einer Überprüfung und Veränderung der Vorschriften über die Gemeinnützigkeit finden müssen. Nach dem eindrucksvollen Ergebnis des deutschen Wohnungsbaus nach dem Kriege, an dem in der ersten Bundesregierung auch die Freie Demokratische Partei mit ihrem Wohnungsbauminister Eberhard Wildermuth maßgeblichen Anteil hatte, muß der Begriff der Gemeinnützigkeit neu ,gefaßt werden. Je mehr die Wohnungsnot beseitigt wird, um so mehr liegt der Gemeinnutzen 'in einer tmöglichst 'breiten Streuung von Eigentum an Haus und Wohnung. Gemeinnützig sind deshalb vor allem solche Gesellschaften, die es als vornehmstes 'Ziel ihrer Bautätigkeit betrachten, breiten Bevölkerungsschichten das Eigentum an Eigenheimen zu verschaffen, indem sie zu einem gewissen Zeitpunkt Iden Mietern die Eigentumserwerbsmöglichkeit einräumen.
({23})
Das gilt auch für Gesellschaften, die über einen großen Mietwohnungsbestand verfügen und die diese Mietwohnungen zum Kauf anbieten. Sie können daß mit in einer Zeit, die durch das Bemühen gekennzeichnet ist, breiten Schichten unseres Volkes eine beständige Vermögensbildung zu ermöglichen, eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe erfüllen.
Die Bundesregierung konnte eine eindrucksvolle Bilanz unseres Aufbaus nach dem Kriege ziehen. Der Fleiß und die unternehmerische Initiative unseres Volkes haben diesen Aufbau trotz drückender materieller Lasten möglich gemacht. Der Verteidigungsbeitrag, der auch bei internationalen Gremien gelegentlich in Vergleichen diskutiert wird, darf nicht so, wie er im Haushalt des Bundesministeriums der Verteidigung ausgewiesen wird, für sich allein betrachtet werden. Der Verteidigungshaushalt der Bundesrepublik muß vielmehr im Zusammenhang mit den von uns übernommenen Verpflichtungen für die Kriegsopferversorgung, für die Versorgung der ehemaligen Berufssoldaten und im Zusammenhang mit der finanziellen Unterstützung zur Verteidigung der Freiheit Berlins gesehen werden. Allein diese Ausgaben betragen über 6 Milliarden DM, d. h. rund 10 % unseres gesamten Haushalts. Diese Beträge muß man logischerweise zu den generellen Verteidigungsaufwendungen der Bundesrepublik Deutschland hinzurechnen, so wie unser Nachbar Frankreich auch seinerseits sämtliche Kriegsopfer- und Berufssoldatenversorgungsleistungen im Verteidigungsetat ausweist. Erst dann haben internationale Vergleiche eine objektive Basis.
({24})
Die Versorgung der Kriegsopfer ist eine von allen drei Parteien dieses Hauses als notwendig erkannte - leider noch nicht befriedigend gelöste - Aufgabe. Das gilt auch für die Frage des Ausgleichs der Kriegsopferrenten im Rahmen der in den letzten Jahren zu beklagenden Teuerung. Nicht zuletzt hat die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge aus der Sowjetzone große materielle Anstrengungen notwendig gemacht. Wir heben diese Lasten hervor, nicht weil wir sie als drückend empfinden, sondern weil die Welt in der Bewältigung dieser schweren Aufgaben den Willen unseres Volkes zu einem
neuen Weg in eine neue Zukunft des Friedens und der Freiheit erkennen soll.
Lassen Sie, meine Damen und Herren, nunmehr mich dem Gebiet der Außenpolitik zuwenden. Zwar ist vereinbart, in Abwesenheit des Herrn Bundesaußenministers heute nicht in Einzeldiskussionen einzutreten; genau aber wie die Sprecher der CDU/ CSU-Fraktion und der sozialdemokratischen Fraktion ihrerseits werde ich die Grundrisse der Außenpolitik der Freien Demokratischen Partei Ihnen hier vortragen müssen. Die Parteien des Deutschen Bundestages haben in den vergangenen Jahren immer wieder den Versuch unternommen, eine für Regierung wie Opposition gleichermaßen verbindliche Formel zur Lösung der schwierigen nationalen Fragen unseres Volkes zu finden. Auch die Koalitionspartner, die diese Bundesregierung tragen, sind sich darin einig, daß die jetzige Bundesregierung versuchen muß, die Initiative für die Deutschland-Politik für sich und den Westen zu gewinnen.
Bei einer Betrachtung der Gemeinsamkeiten, Herr Kollege Ollenhauer, die auch heute noch in wichtigen Fragen der Berlin-, der Deutschland- und der Außenpolitik zu verzeichnen sind, kann man vielleicht die eben aufgetretene Kontroverse zwischen dem Regierungschef und dem Vorsitzenden der Oppositionsfraktion etwas mildern.
Der Deutsche Bundestag hat sich mehrfach einstimmig zu Grundfragen unserer Außenpolitik geäußert. Am 1. Oktober 1958 hat das Parlament in Berlin einmütig seine Bereitschaft bekundet, jede Verhandlung zu unterstützen, die die Wege zu einem Willensentscheid des deutschen Volkes zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands ebnet, sobald eine Vereinbarung der vier Mächte diese Möglichkeit erschlossen hat. In einer gemeinsamen Empfehlung des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung vom 14. Juni 1961 wurde festgestellt, daß die Bundesregierung jede sich bietende Möglichkeit ergreifen möge, um ohne Preisgabe lebenswichtiger deutscher Interessen zu einer Konsoldierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den osteuropäischen Staaten zu gelangen. Schließlich hat am 30. Juni vorigen Jahres der Bundestagspräsident für die drei Fraktionen dieses Hauses festgestellt, daß über das Verfahren zu einem Friedensvertrag mit Deutschland eine Einigung zwischen den Westmächten und Sowjetrußland herbeigeführt werden muß.
({25})
Dabei forderte der Präsident des Deutschen Bundestages, daß die Friedensverhandlungen über den militärischen und politischen Status des zukünftigen Gesamtdeutschland Klarheit schaffen müssen. Zugleich bekräftigte das frei gewählte deutsche Parlament in dieser Erklärung des Präsidenten dieses Hauses noch einmal seinen Beschluß vom 1. Oktober 1958, daß es jede Verhandlung zu unterstützen willens sei, die einen Weg zur Wiedervereinigung eröffne.
Seit dieser letzten gemeinsamen Erklärung der drei Parteien des Bundestages zum Deutschlandproblem sind fast 16 Monate ins Land gegangen. Sie waren erfüllt von schwerer Sorge um das Schicksal Berlins und um das Leben und die Zukunft unserer Landsleute in Mitteldeutschland und von Tag zu Tag mehr um die Erhaltung des Friedens. Die Errichtung der Mauer des 13. August 1961, durch die 17 Millionen Deutsche der Zwangsherrschaft Ulbrichts ausgeliefert wurden und die Spaltung unseres Vaterlandes sich nahezu vollendete, hat die Menschen in unserem Lande mit Recht tief aufgewühlt. Überall wird die Frage gestellt, wie es in der Deutschland- und Berlinfrage weitergehen soll. Der Gedanke, daß der Westen resignierend etwa dem weiteren durch immer neue sowjetische oder sowjetzonale Aktionen bestimmten Verlauf der Dinge zusehen könnte, ist für Millionen Menschen in Deutschland unerträglich.
Zudem weiß jedermann, daß die Bürgerkriegslage an der Trennungslinie zum Kommunismus nur deswegen noch nicht in eine blutige militärische Auseinandersetzung umgeschlagen ist, weil Ost und West gemeinsam einen solchen Schritt zumindest jetzt noch als den Anfang vom atomaren Ende für alle Beteiligten betrachten. Aber wird diese allgemeine Furcht mit absoluter Sicherheit verhindern können, daß es bei neuen Morden nicht doch eines Tages in Berlin oder an der Zonengrenze zu Kurzschlußhandlungen kommt?
Gäbe es nur die Hoffnung, daß sich die Großmächte in absehbarer Zeit doch noch über das Berlinproblem einigen könnten, so wäre die Nervenbelastung vor allem der Berliner trotz der Ausschreitungen einiger Volksarmisten immer noch zu ertragen. Aber nachdem die monatelangen Verhandlungen der Amerikaner mit den Sowjets über die Zukunft der Hauptstadt praktisch ohne jedes Ergebnis geblieben sind, muß man zumindest von der Möglichkeit ausgehen, daß auf absehbare Zeit keine Änderung der äußerst gespannten Situation an den Trennlinien von Ost und West in Europa zu erwarten ist. Das aber bedeutet nach wie vor erhöhte Kriegsgefahr. Das bedeutet für uns alle das Risiko, eines Tages Opfer einer atomaren Katastrophe zu werden, die Europa zum Atombombenversuchsfeld beider Giganten machen könnte.
Allerdings ist es eine gefährliche Tendenz, meine Kolleginnen und Kollegen, wollte man den atomaren Zusammenstoß der Weltmächte als unabweisbar und unvermeidlich hinstellen. Es ist ein tödlicher Irrtum, zu glauben, daß der Krieg im atomaren Zeitalter noch die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein könnte. Krieg ist heute nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern das Spiel mit der atomaren Selbstvernichtung ganzer Kontinente.
In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Ollenhauer, waren die Freien Demokraten bestürzt, von einem deutschen Politiker der Opposition nach seiner Rückkehr aus Washington die Formulierung zu hören - ich zitiere wörtlich nach den Presse- und Agenturmeldungen -: „Wenn Chruschtschow den Konflikt haben will, wird er ihn bekommen."
({26})
Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben gerade vorher über das Risiko gesprochen, über das sich alle - nicht nur die Amerikaner - in der Berlin- und Deutschlandfrage wechselseitig klarwerden sollten. Glauben Sie nicht, daß auch eine solche Erklärung ein neues Risiko heraufbeschwört? Denn solche Formulierungen sind geeignet, Mißdeutungen und falsche Schlüsse über die Zielsetzung der deutschen Politik heraufzubeschwören.
({27})
Gerade die sozialdemokratische Opposition ist in den vergangenen Jahren nicht müde geworden, der Bundesregierung nahezulegen, sie solle nicht mit dem amerikanischen Säbel rasseln. Mehr denn je gilt diese Forderung heute, Herr Kollege Ollenhauer, wenn wir nicht zu Fehlbeurteilungen über die Einstellung der deutschen Politik und damit zu einer Vergrößerung des Risikos kommen wollen.
({28})
Aus der festgefahrenen weltpolitischen Situation können nach unserer Überzeugung nur Verhandlungen herausführen, keine Verhandlungen des Zurückweichens oder fauler Kompromisse, sondern auf der Grundlage der Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen und des Selbstbehauptungswillens des deutschen Volkes, seines Willens, seine Rechte zu wahren und sie gegebenenfalls in der Notwehr auch zu verteidigen.
({29})
Über uns allen liegt, meine Damen und Herren, die ständige Mahnung des Grundgesetzes, in dem wir aufgefordert werden, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Das gilt im 14. Jahr des Deutschen Bundestages noch mehr als zu Beginn unserer Arbeit vor über einem Jahrzehnt, wenn wir nicht wollen, daß sich ein Teil der Welt an die Teilung Deutschlands gewöhnt und der falsche Eindruck entsteht, wir würden uns damit abzufinden beginnen, daß Deutschland geteilt und Berlin in ständiger Gefahr ist.
Geistige Unruhe in der Frage der Einheit unseres Volkes und ständige Wiederholung der Versicherungen, daß sich das deutsche Volk niemals mit der Teilung und dem Verzicht auf das Selbstbestimmungsrecht abfinden wird, gehören daher nach der Meinung der Freien Demokraten zu der obersten Pflicht eines jeden Abgeordneten dieses ganzen Hauses und jeder Bundesregierung, wer sie auch immer stellen möge.
({30})
Es liegt im westlichen wie im deutschen Interesse, die deutsche Frage insgesamt zu lösen, um den Frieden zu erhalten. Wir, die Deutschen und unsere Verbündeten, werden uns in Zukunft mehr noch als bisher auf die Lösung des Deutschlandproblems konzentrieren müssen. Aber ist auf diesem Gebiet heute ein Resultat überhaupt noch erreichbar? Ich weiß, daß viele Menschen in unserem Land 'und sicherlich auch mancher Kollege in diesem Parlament die Antwort auf diese Frage in der ebenso eindrucksvollen wie deprimierenden Zahl sehen würde, die der Bundestagspräsident dem Hohen
Hause am 30. Juni vorigen Jahres vorgetragen hat. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Staatschefs, Ministerpräsidenten und Außenminister der Westmächte und Sowjetrußlands auf nicht weniger als 27 Konferenzen zusammen und haben an 315 Verhandlungenstagen ergebnislos über Berlin und Deutschland beraten.
Man kann nun wirklich nicht behaupten, daß sich die Positionen von Ost und West in der Deutschlandfrage seit dieser Zeit einander angenähert haben, jedenfalls nicht, was die Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit betrifft.
Aber geht es gegenwärtig allein um die Frage, ob Deutschlands Einheit in Freiheit in diesem Jahr oder im nächsten Jahr durch irgendwelche Ost- West-Konferenzen in einem Zug wiederhergestellt werden kann? Oder geht es nicht vielmehr auch darum, den Ausbruch eines militärischen Konflikts um Deutschland und Berlin zu verhindern, die ersten Schritte auf dem Wege zu einer Entspannung zwischen Ost und West zu tun und nach Vereinbarungen zwischen beiden Lagern zu suchen, die das Morden in Berlin wenigstens beenden, den gegen einen Teil unseres Volkes verübten Terror brechen und Voraussetzungen schaffen, daß zu einem späteren Zeitpunkt die deutsche Frage insgesamt den Interessen des deutschen Volkes entsprechend in friedlicher Weise durch einen Friedensvertrag mit ganz Deutschland gelöst werden kann?
Wer wollte behaupten, daß eine solche Aufgabe nicht mit aller Energie angepackt werden muß trotz der pessimistischen Erfahrungen der vergangenen 13 Jahre! Und wer kann mit absoluter Sicherheit voraussagen, daß es in absehbarer Zeit keine Chance gäbe, auf diesem Gebiet wenigstens Teillösungen und Fortschritte zu erzielen? Ich meine, man darf über den Streit, in welcher Zusammensetzung eine Ost-West-Konferenz über Deutschland zusammentreten sollte, keinen Augenblick das Z i e 1 solcher Beratungen aus dem Auge lassen. Und man muß zwischen den gegenwärtig vielleicht manchmal nur aus propagandistischen Gründen verkündeten Maximalforderungen und praktisch realisierbaren Resultaten unterscheiden.
Es ist hier nicht der Ort - und da stimmen wir der Bundesregierung zu -, diese Aufgabenstellung und diese Frage näher zu erläutern. Der Deutsche Bundestag - das hat Kollege Dehler vor einigen Jahren an gleicher Stelle festgestellt - ist nicht das geeignete Gremium, um außenpolitische Einzelheiten zu diskutieren. Außenpolitik und Verteidigungspolitik eignen sich nach ihrer ganzen Struktur und Substanz am allerwenigsten für die Diskussion in einem Plenarsaal.
Wir glauben aber, daß, sei es im Auswärtigen Ausschuß, sei es in besonderen Gremien, in denen die Vorsitzenden aller drei Fraktionen des Hauses gehört werden sollten, die Möglichkeit der Erörterung solcher subtiler Fragen gegeben sein sollte. Wir sollten dem praktisch möglichen Inhalt kommender Verhandlungen mehr Aufmerksamkeit widmen als der formalen und der strukturmäßigen Frage der Zusammensetzung der Konferenzen.
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Wir Freien Demokraten haben allerdings den Eindruck, daß die in der deutschen Öffentlichkeit in den letzten Wochen gemachten verschiedenartigen Äußerungen über die weitere Behandlung der Berlin- und Deutschlandfrage ein wenig die Tatsache verschleiern, daß die Fraktionen des Bundestages in den wesentlichen Fragen der Berlin- und Deutschlandpolitik nach wie vor übereinstimmen. Die Erklärungen des Bundesaußenministers in der vergangenen Woche in Wiesbaden haben in weitem Maße die Position nicht nur der Regierungsparteien, sondern auch die der Opposition in der BerlinDeutschland-, in der Ost- und Europapolitik markiert, und die hier gezeichneten Linien bieten nicht nur einen guten Ansatzpunkt für eine stärkere Zusammenarbeit der Parteien in den außenpolitischen Fragen; sie sind auch geeignet, bei nachdrücklicher Unterstützung durch alle demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik eines Tages doch die festgefahrenen Fronten im Kalten Krieg aufzulockern und damit die Aussichten für eine allmähliche, für eine schrittweise Lösung des deutschen Problems zu verbessern.
Das gilt in besonderem Maße für die Bemühungen der Bundesregierung, die Beziehungen des freien Deutschland zu den osteuropäischen Staaten zu normalisieren. Die Freie Demokratische Partei hat bekanntlich niemals aus ihrer Überzeugung einen Hehl gemacht, daß die Frage der Beziehungen der Bundesrepublik zu Osteuropa für eine Politik der Wiedervereinigung Deutschlands von großer Bedeutung ist. Es gibt hier Wechselbeziehungen, stärker, als sie sich öffentlich diskutieren lassen. Wir waren und sind der Meinung, daß nach einer so erfolgreichen und verheißungsvollen Politik der Aussöhnung Deutschlands mit dem Westen nun auch wenigstens ein Schritt auf eine Normalisierung der Beziehungen zum Osten hin gemacht werden sollte.
Natürlich wissen auch wir, was bisher in erster Linie einer solchen konstruktiven Ostpolitik entgegengestanden hat. Es ist vor allem das System des Stalinismus in der Sowjetzone, gestützt und gefördert von der Sowjetunion, das naturgemäß zu einer ständigen Verschlechterung des Klimas in den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Block der kommunistischen Staaten beitrug.
Aber gerade das polnische Volk, das in seiner Geschichte fünfmal geteilt war, zum fünften Male durch Stalin und Hitler, und das alle Teilungen und Drangsalierungen überstanden hat, gerade das polnische Volk, das in seiner Geduld, in seiner Leidensfähigkeit und seiner Vaterlandsliebe Vorbild in der Welt geworden ist, sollte Verständnis dafür haben, daß das deutsche Volk in ähnlicher Not der Teilung und Drangsalierung eines Teils seiner Bevölkerung sich an dem Verhalten des polnischen Volkes in seiner Geschichte orientieren will und das Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen ebenso für sich beansprucht, wie es die jungen asiatischen und afrikanischen Völker gegenwärtig mit Recht tun.
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Wenn die Freie Demokratische Partei trotz vieler Enttäuschungen immer wieder ihre Stimme für eine
Politik der Aussöhnung mit den östlichen Nachbarstaaten erhoben hat, dann natürlich nicht, um das Unrechtsystem in der Zone zu verewigen und die gegenwärtigen politischen oder gar territorialen Veränderungen nach dem zweiten Weltkrieg anzuerkennen. Es geschah vielmehr aus der Erkenntnis, daß eine Neuordnung und Normalisierung der durch Krieg und Nachkriegszeit entstandenen Lage in Deutschland und Europa, wenn überhaupt, nur mit und nicht gegen diese osteuropäischen Staaten möglich ist.
Wir begrüßen es darum, daß die Bundesregierung zur Zeit den Versuch unternimmt, bessere Beziehungen zwischen dem freien Deutschland und den osteuropäischen Staaten herzustellen. Dabei wird es freilich zweckmäßig sein, sich angesichts der gegenwärtig bestehenden Verhältnisse keinen übertriebenen Hoffnungen hinzugeben und vor allem auch die mit diesem Schritt zusammenhängenden Probleme nicht in aller Öffentlichkeit und in allen Einzelheiten zu erörtern.
Die ersten Schritte, die unsere Regierung auf diesem außenpolitischen Bereich zu tun sich anschickt, werden keine bequeme Reise in eine bessere deutsch-polnische oder deutsch-ungarische oder deutsch-tschechische Zukunft sein. Sie werden eher einer äußerst beschwerlichen, mit vielen Hindernissen und Risiken versehenen Wanderung durch weitgehend unbekannte politische Landschaften gleichen. Um so mehr sollte dieser Bundestag die Bundesregierung bei dieser ihrer schweren Aufgabe besonders unterstützen und vor aller Welt deutlich machen, daß er sich geschlossen hinter die Absicht der Bundesregierung stellt, auch Deutschlands Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten und Völkern allmählich zu ordnen.
Wir hoffen allerdings, daß man auch im östlichen Teil unseres Kontinents eine solche Verständigungspolitik nicht durch unerfüllbare Forderungen bereits im Anfangsstadium zunichte macht. Nichts wäre schädlicher, als wenn man hüben oder drüben von dem verfehlten Standpunkt des „Alles oder Nichts" ausginge. Prinzipien sind in der Politik immer nur solange nützlich, als sie die Staatsmänner nicht daran hindern, Wege zu beschreiten, die die Vernunft und die neue Lage gebieten. Das gilt nicht nur für deutsche Politiker! Man wird beiderseits mit viel Geduld und großer Zurückhaltung in der Frage unserer Normalisierung des Verhältnisses zu Osteuropa zu Werke gehen müssen, wenn überhaupt Teilergebnisse erreicht werden sollen.
Ähnliche Geduld verlangt auch das Werk der europäischen Einigung! Die Freien Demokraten haben mit Genugtuung die jüngste Entwicklung in der Europapolitik verfolgt. Sie teilen nicht den Pessimismus des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Opposition bezüglich der Haltung 'des Regierungschefs zum Beitritt Großbritanniens. Die Bemühungen der Bundesregierung um eine Ausweitung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf die noch abseits stehenden westeuropäischen Staaten finden unsere volle Unterstützung. Wir sehen in dem geplanten Beitritt Großbritanniens und anderer Staaten zur Gemeinschaft einen Akt von geschichtlicher
Bedeutung, der sich nachhaltig auf die gesamte europäische Politik auswirken wird. Es steht außer Zweifel, daß ein umfassendes, wirtschaftlich und politisch -starkes Westeuropa einen entscheidenden Beitrag zur Sicherung des Friedens, zum Abbau der Spannungen und zur Steigerung des Wohlstandes in der ganzen Welt wird leisten können.
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Angesichts dieser geschichtlichen Aufgabe der Gemeinschaft ist die Frage nach der endgültigen Form der politischen Gestaltung Europas zweitrangig. Die Furcht, daß eine Ausweitung der EWG die politische Einigung Europas verzögern oder gar verhindern könne, ist uns unverständlich. Abgesehen davon, daß niemand daran interessiert sein kann, die Dreiteilung unseres Kontinents durch vorschnelle Maßnahmen auf dem Gebiete der politischen Integration zu verewigen, kann überhaupt kein Zweifel bestehen, daß jede wirtschaftliche Integration ohnehin zwangsläufig zu einer immer engeren politischen Zusammenarbeit der europäischen Staaten führen muß.
Die Freie Demokratische Partei ist der Überzeugung, daß den freien europäischen Völkern gemeinsam mit den Vereinigten Staaten in der gegenwärtigen Phase der internationalen Politik vorrangig drei Aufgaben gestellt sind, erstens die Abwehr aller kommunistischen Bedrohungen von Westeuropa oder von Teilen dieses Halbkontinents, insbesondere von Berlin, zweitens die Entfaltung aller politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kräfte des freien Europa, um so dem Westen eine günstige Ausgangsposition für Verhandlungen mit dem Osten über die ungelösten Nachkriegsprobleme zu verschaffen, und drittens die Einleitung einer Politik der Entspannung in Europa, der Überwindung der Spaltung unseres Kontinents und damit auch der Teilung Deutschlands.
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Es ist offensichtlich, daß eine solche Europapolitik im Interesse auch gerade des deutschen Volkes liegt. Darum soll und muß es, Kollege Wehner, möglich sein, mit den Problemen fertigzuwerden, die sich allerdings mit dem Beitritt weiterer Staaten zur EWG auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet stellen. Es ist selbstverständlich, daß die Bundesregierung dabei die spezifisch deutschen Interessen gegenüber allen an den Verhandlungen beteiligten Staaten zu vertreten hat. Aber das gilt natürlich nicht nur für die Stellung der Bundesregierung zu Großbritannien, sondern zu allen Partnern.
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Lassen Sie mich zum Abschluß den Standpunkt der Freien Demokratischen Partei zu den wichtigsten außenpolitischen Fragen zusammenfassen:
Erstens. Die Positionen des Westens in der deutschen Hauptstadt müssen gesichert, die Interessen des deutschen Volkes gewahrt und alle Anstrengungen unternommen werden, damit Berlin aus seiner gegenwärtig schwierigen Lage heraus- und einer sicheren Zukunft in einem geeinten Deutschland entgegengeführt wird.
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Zweitens. Die gegenwärtigen Vorstellungen der Sowjetunion von einer Lösung des Berlinproblems sind der Erhaltung des Friedens nicht dienlich, sondern verschärfen die internationalen Spannungen in gefährlicher Weise. Eingedenk der vom ganzen Deutschen Bundestag bisher vertretenen Auffassung, daß die Berlinfrage ohnehin nur im Rahmen des deutschen Problems endgültig zu lösen ist, muß erneut der Versuch unternommen werden, mit dem Osten zu Verhandlungen über Deutschland zu kommen, die das Ziel haben, auch dem deutschen Volk endlich in seiner Gesamtheit das Selbstbestimmungsrecht zu gewähren und die Spannungen in Europa abzubauen. Die Freie Demokratische Partei hat in letzter Zeit wiederholt Vorschläge unterbreitet, die zusammen mit Anregungen aus den anderen Fraktionen dieses Hauses Gegenstand eingehender Erörterungen in den zuständigen Gremien sein sollten.
Wir hegen die Hoffnung, daß sich aus einer VierMächte-Außenminister-Konferenz .die Einsetzung einer Ständigen Deutschland-Konferenz auf der Ebene stellvertretender Außenminister oder Botschafter entwickeln könnte. Wir verkennen auch nicht die Schwierigkeit einer solchen Entwicklung nach den pessimistischen Erfahrungen der letzten anderthalb Jahrzehnte. Dieser bereits 1959 während der damaligen Genfer Außenministerkonferenz seitens der Freien Demokraten vorgeschlagene Plan ist bekantlich im Frühjahr dies-es Jahres bei der Diskussion amerikanischer Vorschläge erneut erörtert worden. Die Ablehnung durch den sowjetischen Außenminister Gromyko und den sowjetischen Botschafter Dobrynin sollte für uns kein Anlaß sein, diese Gedankengänge bereits aufzugeben.
Drittens. Eine Verbesserung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den osteuropäischen Staten ist wünschenswert und notwendig.
Viertens. Alle Anstrengungen müssen unternommen werden, um (die Einigung des freien Europa zu beschleunigen und den gegenwärtig laufenden Beitritts- oder ,Assoziierungsverhandlungen zur EWG zu einem Erfolg zu verhelfen. Es ist dabei die Aufgabe der Bundesrepublik, mit allen westeuropäischen Staaten gute und enge Beziehungen zu pflegen und ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß etwa bestehende Rivalitäten und Besorgnisse in der Gemeinschaft abgebaut und die noch ungelösten Fragen einer engeren politischen Zusammenarbeit in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bewältigt werden.
'Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei ist der festen Überzeugung, daß eine auf solchen Prinzipien ruhende deutsche Außenpolitik nicht nur der Eilhaltung des Friedens und der Beseitigung der internationalen Spannungen, sondern auch und vor allem den Interessen des ganzen deutschen Volkes und seiner Sehnsucht nach Freiheit und Einheit dienen wird.
Ich danke dem Hause für seine Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ollenhauer meinte, es sei ungewöhnlich, dem Bundestag in Form einer Regierungserklärung einen Zwischenbericht zu erstatten. Er widerspricht sich allerdings im gleichen Augenblick, wenn er darauf hinweist, daß wir wirklich vor einer veränderten wirtschaftlichen Situation stehen, die es ganz offenkundig gerechtfertigt erscheinen läßt, einen Überblick über die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage einschließlich der Entwicklungstendenzen zu geben. Das ist bekanntlich auch mein Anliegen, das ich erstmals am 21. März mit so großßer Deutlichkeit und mit scharfen Akzenten vorgetragen habe. Seinerzeit aber haben Sie von der Opposition sich ganz offensichtlich bemüht, den Ernst herunterzuspielen und die Lage so darzustellen, als ob überhaupt nicht der allergeringste Grund für irgendeine Besorgnis gegeben sei; es wäre alles großartig.
Wir haben wirklich in diesen Jahren mit vertauschten Rollen gespielt. In den Jahren, in denen die deutsche Wirtschaft auf gesunden Grundlagen stand, haben Sie immer wieder ein trübes Bild gezeichnet; in dem Augenblick aber, als ich besorgt war - mit Recht besorgt war -, kamen Sie mit Beruhigungspillen und sagten: Alles ist in schönster Ordnung.
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Sie sind heute nicht mehr ganz dieser Meinung und erkennen an, daß meine Aussagen, meine Warnung und meine Mahnung wohl berechtigt waren.
Man kann auch kaum sagen, daß dieses erste Jahr der 4. Legislaturperiode ein verlorenes Jahr gewesen wäre. Es kommt natürlich darauf an, welche Maßstäbe Sie benutzen. Aber wir haben immerhin auch in diesem Jahr weitere wirtschaftliche und soziale Fortschritte erzielt. Wir haben die sozialen Leistungen wesentlich verbessern können. Der Wohlstand wurde vermehrt, insbesondere das Einkommen der breiten Massen. Wir haben für die Verteidigung neue Aufwendungen tätigen können, und wir sind auch in Europa ein ganzes Stück weiter vorangekommen.
Kollege Ollenhauer, Sie sagten mit Recht - ich unterstreiche das -, für viele Menschen sei die Arbeitskraft die einzige Grundlage ihres Seins, und darum sei die gerechte Beteiligung am Sozialprodukt von so ausschlaggebender Bedeutung. Jawohl! Sie fügten hinzu: Das ist keine Frage des Maßhaltens, sondern das ist eine Frage der Gerechtigkeit. - Ich weiß nicht, ob man diese beiden Elemente in dieser unserer Welt auseinanderhalten kann. Was in unserer Welt gerecht ist, kann eben nur gemessen werden an den Realitäten unseres Seins, an den materiellen Grundlagen, die wir täglich neu erarbeiten müssen.
Sie haben - damit möchte ich noch auf Ihre Kritik eingehen - dann z. B. auf das Sozialpaket hingewiesen und der Bundesregierung in etwas lächerlicher Form vorgeworfen, sie treibe ein falsches
Spiel, sie jongliere mit Zahlen, die nicht ganz ehrlich seien.
Sicher, Sie haben recht: im Haushalt des Jahres 1963 sind keine Mittel flür das sogenannte Sozialpaket enthalten. Aber Sie haben völlig falsch kommentiert. Wir haben damit nicht gesagt, daß wir im Jahre 1963 höhere Preise wollen, um das Sozialpaket finanzieren zu können, sondern wir haben folgendes gesagt - ich argumentiere sozusagen mit dem Munde des Finanzministers -: Wir haben den realen Zuwachs von 1962 auf 1963 angenommen, wobei der reale Zuwachs von 4 % angesichts der Progressionen mancher Steuern nominell dann etwas mehr erbringt. Wir haben aber weiter annehmen müssen, daß Einnahmen aus den Preissteigerungen des Jahres 1962 zwangsläufig noch in das Jahr 1963 hineinwirken. Wir haben mit keinem Wort gesagt, daß wir eine Politik treiben möchten, die uns im Jahre 1963 weitere Preissteigerungen bringt, um daraus dann Finanzierungen vornehmen zu wollen. Eine solche Politik haben wir nie gewollt. Ich möchte das mit aller Deutlichkeit richtigstellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Deist?
Bitte.
Da Sie schon auf diese Frage eingehen, Herr Bundeswirtschaftsminister, möchte ich die konkrete Frage stellen: Haben Sie für die Errechnung Ihrer Steuereinnahmen einen Zuwachs des Sozialprodukts von 3,5 bis 4 % zugrunde gelegt oder einen von um 7 %? Das ist doch eine klipp und klare Frage, die eine klipp und klare Antwort verlangt.
Vielleicht kann Ihnen die Frage noch konkreter der Bundesfinanzminister beantworten, der diese Ziffern errechnet hat.
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- Ich habe keine Sorge. Ich sage Ihnen ja: wir haben 4% zugrunde gelegt, wobei 4 % realer Zuwachs angesichts der Progressionen mancher Steuern ein höheres Aufkommen ergeben als 4 %. Wir mußten füglich damit rechnen, daß aus dem Jahre 1962 Preissteigerungen fortwirken, die zu höheren Steuereinnahmen führen, die wir aber für 1963 unter allen Umständen unterbinden wollten. Ich glaube doch, daß der Haushaltsansatz mit 56,8 Milliarden DM angesichts aller Sparmaßnahmen und aller sonstigen Abstreichungen diesen guten Willen über alle Maßen deutlich beweist.
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Der Wirtschaftsbericht, der vom Wirtschaftsministerium vorgelegt werden wird, soll nicht bedeuten, daß die Bundesregierung auf ein Gutachtergremium verzichten will. Hier läuft ja der Initiativantrag der Koalitionsparteien, und ich hoffe, daß
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
er bald verabschiedet werden wird. Das wird aber, so schnell auch der Bundestag arbeitet, immer bedeuten: der Sachverständigenrat kann in diesem Jahr nicht mehr mit seiner Arbeit fertigwerden; denn bekanntlich hat dieser Sachverständigenrat die Aufgabe, mit einer hohen Objektivität die Analyse der Tatbestände so vorzunehmen, daß ein möglichst klares, einwandfreies, nicht von ,der Parteien Gunst und Meinungen gefärbtes Bild entsteht. Auf Grund dieses Gutachtens wird 'dann die Bundesregierung einen Wirtschaftsbericht ausarbeiten und Ihnen vorlegen. Die Bundesregierung zieht aus diesem Gutachten die wirtschaftspolitischen Konsequenzen, und darüber wird dann, auch in der Legislative, der Bundestag zu befinden haben.
Nur müssen wir in diesem einen Jahr sozusagen das eine Gremium überspringen - wir haben es noch nicht -, und aus diesem Grunde wird das Wirtschaftsministerium dem Kabinettsausschuß für Wirtschaft, dem Kabinett und dem Bundestag den Bericht im ganzen vorlegen.
Hier ist auch meine Rede, die ich vor den Opel-Werken in Rüsselsheim gehalten habe, zitiert worden, und zwar mit kritischen Anmerkungen zu dem Allheilmittel des Nationalbudgets oder der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Da kamen vorher
- von Ihrer Seite aus; ich meine Sie nicht persönlich, Herr Kollege Ollenhauer - Meldungen in der Zeitung: Die Bundesregierung wird auf dieses Nationalbudget oder auf die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung verpflichtet und vereidigt,
({2})
nicht aber die Sozialpartner; diese bleiben in ihren Entscheidungen völlig frei.
({3})
Nun möchte ich Sie fragen: Wie kann denn eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung aufgehen, wenn die Bundesregierung sozusagen an dieses Plansoll gebunden wird -, die übrigen Kreise aber, die die ökonomischen und sozialen Daten wesentlich bestimmen, in ihren Entscheidungen völlig frei bleiben sollen? Das ist allerdings ein Ding der Unmöglichkeit.
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- Bitte sehr, ich kann Ihnen vorlegen, wo das geschrieben stand.
Noch etwas anderes ist unmöglich, nämlich eine Vorausschau, gegen die ich gar nichts einzuwenden habe und die ich Ihnen vorlegen werde, so weit zu treiben, daß man zu branchenwirtschaftlichen Vorstellungen, zu Solls kommt, was die einzelnen Branchen erreichen müssen.
({5})
- Ich habe Sie nicht in Verdacht. Aber in Europa wird auf diesem Feld heute so allerhand diskutiert.
Überhaupt bin ich der Meinung, daß sich in dem Augenblick, in dem wir in der europäischen Integration immer weitergreifen, sei es in der Intensivierung oder in der Ausweitung, dieser europäische Markt sich nicht mehr mit den nationalen Vorstellungen von Planung oder von nationalen Solls, die erfüllt werden sollen, decken kann. Das muß dann in ein Ganzes übergehen. Die Bundesregierung ist tatsächlich daran, die nationale Konjunkturpolitik mit der internationalen Konjunkturpolitik sehr viel stärker zu verflechten.
Wenn wir ïn dem letzten halben Jahr so viel über Konjunktur und Preise sprachen, hatte ich manchmal den Eindruck, daß das Vordergründige zu stark gewertet wurde und die tragenden Elemente und Kräfte, die das Morgen bestimmen, zu wenig Berücksichtigung fanden. Das wollte ich schon am 21. März deutlich machen. Heute ist es immer noch nicht zu spät, darauf hinzuweisen, daß so manches äußere Bild trügt. Wir stehen noch im Zeichen des Überbooms, der Überbeschäftigung. Wir haben 650 000 Fremdarbeiter und noch 600 000 offene Stellen. Aber. ist das das Bild von Morgen? Zeichnen sich nicht schon Gefahren ab, die dadurch verdeckt werden. Ich glaube, das ist der Fall. In den Preisen und in der Preisentwicklung kommt nicht alles zum Ausdruck, was uns besorgt sein lassen muß. Es ist bedauerlich genug, daß Preise steigen. Aber einer meiner Freunde sagte in einer gewissen Überspitzung, doch mit einer inneren Logik: Gott sei Dank, daß die Preise noch steigen können; denn sie zeigen uns an, was wir falsch gemacht haben und was bei uns noch neu zu ordnen ist.
({6}) Ich glaube, er hat damit völlig recht.
Wer das Heil davon erwartet hat, daß wir in einem Regierungsprogramm besondere Maßnahmen und Aktivitäten vorgesehen hätten, um unmittelbar in die Preisbildung einzugreifen, dem muß ich sagen, daß wir dann an den Symptomen kurieren, aber nicht das ansprechen würden, was wirklich unsere Sorge ausmacht, nämlich die Frage: Sind wir nicht schon ein Stück zu weit gegangen? Haben wir nicht schon einen Teil unserer Wettbewerbskraft eingebüßt, die das glückliche Schicksal des deutschen Volkes von morgen gewährleistet? Ich glaube, diese Frage kann niemand reinen Herzens mit Nein beantworten. Es sind mindestens Zweifel angebracht, ob wir nicht schon, wie ich sagte, einen Schritt über das rechte Maß hinausgegangen sind.
({7})
Es ist völlig falsch, daß man, wenn man über diese Dinge spricht, von der einen Seite als unternehmerfreundlich und dann von der anderen Seite als arbeitnehmerfreundlich angesprochen wird.
({8})
Ich weiß mich über diesen Verdacht wirklich erhaben.
Sie sprachen vorhin von den vielen Menschen, die auf ihre Arbeitskraft angewiesen sind. Ich möchte Ihnen einmal einige Zahlenpaare nennen, die die Entwicklung seit dem Beginn des Booms im Jahre 1959 kennzeichnen. In dieser Zeit sind in der
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
gesamten Wirtschaft die Bruttolöhne und -gehälter je Beschäftigten um 30 % gestiegen, während die Produktivität dieser gleichen Menschen nur um 14 % zugenommen hat. Da bin ich allerdings der Meinung, daß man eine absolut sichere Aussage machen kann: die beiden Enden kommen nicht zusammen; da können Sie sagen, was Sie wollen.
Wir haben uns schon oft darüber unterhalten, daß die Produktivität und der Produktivitätszuwachs gewiß nicht die einzigen Maßstäbe für eine Lohnerhöhung sind; aber man kann sich aus dieser Beziehung auch nicht völlig lösen. Wenn Sie die Entwicklung der Produktivität und des Real- und Nominaleinkommens vergleichen, werden Sie feststellen - Sie können es seit 1950 kontrollieren -: Mit ganz wenigen Ausnahmen ist das Realeinkommen parallel zu dem realen Zuwachs des Sozialprodukts gestiegen, und alles, was wir mehr an Nominaleinkommen ausgeschüttet haben, ist im wesentlichen in Preissteigerungen gegangen.
Aus diesen Gegebenheiten muß doch einmal die Einsicht fließen und zu einem richtigen Verhalten führen.
Nun wird hier gesagt: „Wenn wir die Dinge von der Kostenseite her betrachten und insbesondere immer von Löhnen und Gehältern sprechen, muß man auch auf die Preise zu sprechen kommen." Ich bin durchaus der Meinung, daß man das kann und daß man das soll. Nur verspreche ich mir von Ihren Vorstellungen nichts. Ich habe es auch beklagt, daß vor dieser Regierungserklärung in der Öffentlichkeit Versionen umgelaufen sind, es werde so etwas wie eine Preiskontrolle oder eine Preismeldestelle eingerichtet werden. Sie sprachen von einem Preisrat und dergleichen mehr.
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Wenn Sie darunter „Verbraucheraufklärung" meinen, dann sind wir schon wieder beisammen. Wir haben uns ja auch ausdrücklich bereiterklärt, auf diesem Gebiet etwas zu tun. Aber mit Ihrem Preisrat? - In Norwegen hat man bekanntlich einen Preisrat, - mit dem Ergebnis, daß die Preise, wenn Sie den Stand von 1950 gleich 100 setzen, dort heute auf 163 stehen und bei uns in der Bundesrepublik auf 125. Auch der Preisrat hat es also in Norwegen nicht geschafft. Wir müssen die Probleme an der Wurzel anpacken, nämlich an den Kosten, an den Haushaltsausgaben und auch an der Kreditwirtschaft und den dort liegenden Möglichkeiten, um zu verhindern, daß zu viel nominelle Kaufkraft auf den Markt kommt, die Nachfrage sich nicht mehr mit dem Angebot deckt; vor allen Dingen müssen so offenkundige Diskrepanzen, wie sie zur Zeit in der Bauwirtschaft bestehen, beseitigt werden.
Wir haben es also sowohl mit einem quantitativen wie auch mit einem qualitativen Problem der Verausgabung der Mittel und der Verwendung der Kaufkraft in einer Volkswirtschaft zu tun.
Wenn Sie mich aber fragen, ob wir gegen die Preissteigerungen gar nichts getan haben, dann muß ich doch sagen: wir können eine ganz stolze Liste anführen, was alles die Bundesregierung unternommen hat, um preisdämpfende Wirkungen zu erzielen. Das geht bis in die Jahre 1955/1956 zurück. Damals haben wir einseitig, ohne nach Gegenleistungen zu fragen, die deutschen gewerblichen Zölle um 50 % gesenkt. Wir sind jetzt innerhalb der EWG ebenfalls bei 50 %. Wenn keine Beschleunigung eintritt, werden wir zum 30. Juni 1963 um weitere 10 % auf 40 % heruntergehen. Wir haben trotz mancher Bedenken und berechtigter Sorgen der Industrie auch die Liberalisierung vorangetrieben. Sie kennen das Problem der Niedrigstpreisländer und dergleichen mehr. Wir haben die Aufwertung durchgeführt. Meine Damen und Herren, ich klage nicht über die Folgen der Aufwertung, sondern ich beklage, daß so viele Menschen gerade den Sinn der Aufwertung nicht verstanden haben, sondern sich so gebärdeten, als ob wir nicht aufgewertet, sondern abgewertet hätten.
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Wie viele Äußerungen waren da zu hören, nicht nur von Arbeitnehmerseite, sondern auch von Arbeitgeberseite: Die Aufwertung hat auf das Preisgefüge überhaupt keinen Einfluß, und wir brauchen sozusagen keine Notiz davon zu nehmen! Gott sei Dank haben wir Notiz genommen, nämlich insofern, als die Importpreise, sei es für landwirtschaftliche Produkte, sei es für gewerbliche Erzeugnisse, dadurch niedriger geworden sind und manchem Preisauftrieb entgegengewirkt haben.
Dann darf ich an das Kartellgesetz erinnern. Darüber werden wir ja befinden müssen. Sie sind z. B. in bezug auf die Preisbindung der zweiten Hand sehr viel zahmer, als ich es persönlich bin, Herr Kollege Ollenhauer. Sie haben ja den Kartellbericht gelesen. Ich weiß, daß Probleme darinstecken. Aber Sie können jedenfalls vor allen ,Dingen mir nicht vorwerfen, daß es mir an Mut gebricht, auch solche heiße Eisen anzupacken. Wir werden uns bei der Kartellnovellierung auch noch mit Fragen zu befassen haben - ({11})
Die Regierung hatte den Auftrag, Ihnen einen Bericht zu geben, und ich glaube, es ist ein legitimes Anliegen, wahrscheinlich von Ihnen, aber auch von seiten der Bundesregierung, mit Ihnen gemeinsam zu beraten, was auf Grund dieser Darlegungen zu geschehen hat. Je eher wir zu Ergebnissen kommen, um so dankbarer werde ich dem Bundestag sein.
Nun, meine Damen und Herren, muß ich auf den Außenhandel zu sprechen kommen. Die Ziffern sind im allgemeinen schon genannt. Es ist da wenig mehr zu sagen. Trotzdem scheint mir auch hier die so starke Beruhigung nicht ganz am Platze zu sein. Wir haben jetzt die letzten Ziffern mit verwerten können. Was die reine Handelsbilanz anlangt, hat der Herr Bundeskanzler schon die Ziffern genannt, wie sie sich für dieses Jahr darstellen. Aber wenn ich die gesamte Leistungsbilanz nehme, also Handelbilanz, Dienstleistungsbilanz und die Bilanz der unBundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
entgeltlichen Leistungen, dann ist die Situation doch nicht ganz so sorglos. Die Leistungsbilanz schloß im Jahre 1960 mit einem Aktivsaldo von 4,5 Milliarden, im Jahre 1961 mit 3 Milliarden, in den ersten acht Monaten 1961 waren es 2,6 Milliarden Überschuß, und in ,den ersten acht Monaten 1962 sind es minus 500 Millionen DM. Das ist ja keine Bosheit vom Ausland, sondern in diesen Ziffern, vor allen Dingen in der Handelsbilanz und vor allen Dingen in der starken Zunahme unserer Importe, die in dem Bereich der Endverbrauchsgüter wieder am stärksten gestiegen sind, nämlich im ersten Quartal rund 33%gegenüber 13 % Zunahme der Einfuhr überhaupt, spiegelt sich das wider, was für mich das A und O ist, die Sorge, die ich für das ganze deutsche Volk über alle Gruppen und über alle Stände und Schichten hinweg hege, die nämlich, daß wir unser Glück nicht leichtfertig preisgeben, sondern daß wir gemeinsam die Dinge in die Hand nehmen und zu vernünftigen Lösungen gelangen.
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Meine Damen und Herren, ich habe das schon oft hier ausgeführt, und es gilt auch wieder für alle: Was von den Gruppen, von den Organisationen usw. heraustönt, ist nicht das, was das deutsche Volk, was die Menschen im einzelnen wollen. Es gibt z. B. eine Umfrage von EMNID, in der unter anderem die Frage gestellt wird: Was ist wichtiger, stabile Preise oder höhere Löhne? Im Durchschnitt der ganzen deutschen Bevölkerung haben sich 23 % für stabile Preise und nur 4 % für höhere Löhne ausgesprochen. Interessant ist es, daß bei den Arbeitern, die eine 'besondere Befragungsschicht darstellten, das Verhältnis noch deutlicher ist. Da sind es anstatt 23 % 27 %, die auf stabile Preise Wert legen, und statt 4 %, die höhere Löhne und Gehälter wollen, sind es dort nur 2 %
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- Herr' Kollege Deist, ich nehme an, daß wir uns an diesem Tag vielleicht noch einmal unterhalten werden. Ich habe auch Ihren Beitrag in der Süddeutschen Zeitung gelesen. Da gibt es überhaupt nur einen 'Schuldigen; - schuld ist die Bundesregierung, alle anderen können tun und lassen, was sie wollen. Nein, so geht es auf gar keinen Fall.
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Es gibt ja im übrigen auch internationale Lohnvergleiche. Glauben Sie jetzt nicht, daß ich so primitiv bin und mit 1948 und 1949 anfange; denn von Null aus läßt sich leicht in Prozenten aufstocken. Ich nehme die Verhältnisse, wie sie sich seit 1959 entwickelt haben. Da sind wir nämlich hinsichtlich der Lohnkosten an die Spitze mindestens innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gekommen. Wenn ich den Koeffizienten aus Lohnkostensteigerung und Produktivitätserhöhung errechne, dann sind die Lohnkosten seit 1959 bis 1961 in Deutschland von 100 auf 111 gestiegen. In Frankreich hat sich dieser Koeffizient von 100 auf 107, in Großbritannien von 100 auf 103 erhöht, in Belgien ist er bei 100 geblieben, in Italien hat er sich auf 99 und in den USA auf 97 vermindert. Das Bemerkenswerte ist daran, daß man in den USA -- ich war bekanntlich in den Vereinigten Staaten - seit vier Jahren ein absolut stabiles Preisniveau hat und daß die amerikanischen Löhne sich um jährlich etwa 2 % erhöht haben. Der britische Schatzkanzler sagte mir, er hoffe, im Jahre 1962 mit 2,5 % auszukommen. Nun soll das bei uns mehr sein?!
Aber, meine Damen und Herren, dieses Mißverhältnis hält keine Volkswirtschaft aus. Wenn Sie schon mir nicht glauben, so lesen Sie doch die Artikel der internationalen Fachblätter über die Verhältnisse in Deutschland nach -, Artikel darüber, wie sich die wirtschaftliche Situation bei uns entwickelt! Danach können Sie doch nicht sagen, Sie allein hätten recht und die ganze übrige Welt täusche sich! Ich weiß nicht, von wie vielen Vertretern verschiedener Länder ich in Washington angesprochen worden bin, die mir gesagt haben: „Ja, sind denn die Deutschen alle außer Rand und Band geraten? Habt ihr denn gar keine Vorstellung mehr davon, was ihr euch leisten könnt?" Ich glaube, das ist nicht nur von wirtschaftlicher, sondern das ist auch von politischer Bedeutung.
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Betrachten wir doch einmal die deutsche Geschichte in diesem Jahrhundert und vor allen Dingen in den letzten 30 Jahren und all das an Schuld, was wir in dieser Zeit auf uns geladen haben. Wir sollten dann nicht unter allen Umständen Anspruch darauf erheben, besser als die anderen leben und weniger als die anderen arbeiten zu wollen. Das paßt einfach nicht zusammen, uni so weniger, als wir mit dem Blick auf Berlin auch anderen Opfer abverlangen, in unserem Interesse und im Interesse natürlich von Frieden und Freiheit in der ganzen Welt.
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Das sollte man nicht gering achten. Ich möchte Ihnen noch einmal sagen - es ist vorhin schon, ich glaube in der Rede von Herrn von Brentano angeklungen -, daß eine Stunde weniger Arbeitszeit, gemessen an der Gesamtleistung, eine Kürzung der effektiven Arbeitszeit um 2,5 % bedeutet. Wir haben seit dem Jahre 1956/57 die effektive - nicht die bezahlte - Arbeitszeit von 42 Stunden auf etwas über 40 Stunden verkürzt. Wir sind also in der Arbeitszeit um rund zwei Stunden zurückgegangen. Das ergibt - wenn Sie es auf das Sozialprodukt umrechnen - eine Summe, die bei ungefähr 13 oder 14 Milliarden DM liegt. Ich kann es natürlich nicht haargenau nach der Prozentrelation angeben. Es bedeutet aber vor allen Dingen den Ausfall der Arbeit von 800 000 Menschen, die auf solche Weise eben nicht produktiv arbeiten.
Eine weitere Sache kommt hier mit hinein. Es gilt, die Zeichen der Zeit noch etwas deutlicher zu erkennen, als das in der zurückliegenden Phase der Entwicklung geschehen ist. Wir haben in dem Zeitraum von 19,50 bis 1960 die Zahl der Erwerbspersonen um 43 % steigern können. Das waren starke Jahrgänge; die Mauer war noch nicht errichtet. Welche Entwicklung wird von 1960 bis 1970 eintreten? Jetzt kommen die ganz schwachen Jahrgänge, und es ist zumindest in diesem Augenblick nicht zu übersehen,
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
wann die Mauer überspringbar sein wird. Für 'diese kommenden Jahre können wir nur mit einem Zuwachs von etwa 5 % rechnen. Für das Jahr ,1963 rechneten die Sachverständigen und die .Statistiker aus, daß wir noch einen Zuwachs an Erwerbstätigen von 0,2 % haben; 5 % für 10 Jahre gelten im allgemeinen als ein realistischer - wenn vielleicht nicht sogar optimistischer - Ansatz.
Wenn wir all dessen eingedenk sind, dann sollten wir es nicht als einen Angriff auf geheiligte Rechte und auf wohlerworbene soziale Errungenschaften bezeichnen, wenn wir den Mut haben, auch das Problem der Arbeitszeit anzusprechen. Ich kann Ihnen ganz offen sagen: ich habe ein gutes Gewissen, wenn ich in Gesprächen mit den Gewerkschaften - mit den Tarifpartnern - auch diese Frage anschneide.
Lassen Sie mich einmal etwas sagen, was aus tiefster Brust bei mir kommt: ich bin der Meinung, daß z. B. der 17. Juni als Feiertag nicht der Weihe und der Würde dieses Tages gerecht wird. Den sollten wir preisgeben,
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und wir sollten aus dem Erlös dieses Tages oder einem Teil des Erlöses dieses Tages - den der einzelne aus der Arbeit an diesem Tag gewinnt - einen nationalen Fonds bilden, der mit dem Sinn dieses Gedenkens eher in Einklang steht als ein „zweiter Vatertag".
({18})
Vergessen wir auch nicht, daß sich gegenüber einer besorgten ökonomischen Zeit aus der Vergangenheit die Dinge heute ganz anders darstellen! Denken Sie daran, wie wir in die Weltwirtschaftskrise geraten sind, was alles wir damals zu erdulden hatten - mit den vielen Millionen Arbeitslosen -, wie wir über die Devisenzwangswirtschaft den Welthandel preisgegeben haben, wie wir dann in die Diktatur hineingeschlittert sind. Ja, meine Damen und Herren, da muß ich sagen: das passiert uns natürlich nicht mehr, denn Gott sei Dank sind wir so eng mit (der übrigen Welt verbunden, in Verträgen und mit Ordnungsvorstellungen, daß sich diese Trübsal nicht mehr ereignen kann. Aber wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit weiter schwächen und weiter schmälern, dann wird dieses so glänzende Konjunkturbild. sich doch allmählich trüben,. und das wird dann weiterwirken auf die Beschäftigung in diesem oder in jenem Wirtschaftszweig. Hoffentlich wird dann nicht das die Konsequenz sein, daß wir von Ihnen angesprochen werden: Die Bundesregierung hat es verabsäumt, etwa die deutsche Textilindustrie oder die Papierindustrie wettbewerbsfähig zu erhalten. Nein, die Tarifpartner hätten dann ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit selbst zerstört.
Der Herr Bundeskanzler hat hier gesagt, daran sei nicht nur der eine Tarifpartner schuld, sondern der andere sei mitschuldig. Es kommt bloß darauf an, wer sich in der stärkeren Position befindet. Ich glaube, die Frage ist verhältnismäßig einfach zu beantworten. Heute sind tatsächlich die Gewerkschaften - man 'kann ihnen keinen Vorwurf daraus machen, keine Schuld vorwerfen - in dieser starken Position, die teilweise fast monopolartigen Charakter annimmt! Meine Damen und Herren, Sie sind ja immer gegen die Monopole aufgetreten und haben es als sehr schädlich unid mißlich empfunden, daß diese frei walten ,und schalten dürfen. Denn wo ein Monopol besteht, ist der Mißbrauch wirtschaftlicher Macht nicht weit. Wenn ich daran gedacht habe, wie man die Geister wieder etwas binden kann, dann gingen meine Überlegungen nicht weiter als bis zu solchen Maßnahmen, die in anderen demokratischen Ländern gang und gäbe, jedenfalls organisch gewachsen sind. Diesen Mut sollten wir auch aufbringen und nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten.
({19})
Hier bin ich wirklich mit Ihnen einer Meinung: wenn sich jemals für ein Volk, für eine Nation, eine Volkswirtschaft eine Aufgabe mit einer solchen Dringlichkeit und mit solchem Ernst gestellt hat, dann heute. Darum sollten wir bereit sein - was auch sonst an Trennendem bestehen mag -, uns zur Lösung dieser einen verpflichtenden Aufgabe, die Zukunft des deutschen Volkes zu retten, zusammenzufinden. Ich bin bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.
({20})
Lassen Sie mich noch ein Wort zu Europa sagen, weil hier so viele Fragezeichen gesetzt worden sind. Ich fühle mich da auch ganz persönlich angesprochen. Ich habe mich zu Europa, zu dem größeren und umfassenderen Europa, bekannt, als das noch keineswegs üblich war und noch nicht immer gern gehört wurde, wenn man die europäische Integration in weiterem Rahmen fördern wollte. Ich sehe darin aber einen notwendigen geschichtlichen Prozeß, und ich glaube, Sie werden das auch tun. Daß dabei natürlich nicht von vornherein alles ganz glatt gehen wird und daß Schwierigkeiten auftauchen werden, ist selbstverständlich. Die Vertreter der Bundesregierung haben sich jedoch immer bemüht, versöhnliche Lösungen und Ausgleiche zu finden. Es kann nicht einer alles davontragen und den Sieg auf der ganzen Front haben wollen. Man muß bereit sein, da und dort auch einen Kompromiß zu schließen. Die Atmosphäre, in der diese Verhandlungen stattfinden, zeigt die offenkundige Bereitschaft, einmal über den eigenen Schatten zu springen. Sie werden mir zugeben, daß es für das Problem des Commonwealth nicht von vornherein eine Patentlösung gibt. Wenn Sie mich nach meiner Meinung fragen, dann sage ich: das sind dann mehr technische Fragen, die man bewältigen -wird. Daß der 'politische Wille vorhanden ist, ist hier deutlich geworden. Das hat auch der Herr Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht.
({21})
Ich hoffe, daß wir heute nachmittag diese wirtschaftliche Diskussion in dem Geiste fortführen, wie er meiner Ansicht nach der Stunde allein gemäß ist. Ich bin überzeugt, das deutsche Volk hätte kein Verständnis dafür, wenn jeder nur immer aufstünde und sagte: Ich habe recht, und die anderen haben unrecht. Wir alle haben nicht die Begrenzungen und
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
die Maße eingehalten, nicht die Besinnung geübt, die notwendig waren, um in Ruhe schlafen zu können. Ich sage noch einmal: noch haben wir die Dinge in der Hand. Ich erinnere nochmals an meine Mahnung vom 21. März, die jetzt wiederholt wurde. Es scheint mir jetzt die letzte Stunde zu sein, um gemeinsam an diese schicksalhaften Probleme heranzugehen.
({22})
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung. Wir fahren um 14.30 Uhr fort, zunächst mit der Fragestunde. Als erster Redner in der dann weitergehenden Debatte wird Herr Dr. Deist das Wort haben.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe auf:
Fragestunde
({0}). Wir fahren in der Fragestunde fort.
Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen rufe ich die Frage VIII/ 1 - des Abgeordneten Gewandt - auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, dem Bundestag eine volle Rückvergütung der umsatzsteuerlichen Vorbelastung beim Schiffbau vorzuschlagen?
Herr Abgeordneter Gewandt, Sie fragen nach der Umsatzsteuervergütung bei Schiffbaulieferungen. Diese Frage ist Bestandteil der allgemeinen Prüfung des Bundesfinanzministeriums über die Angemessenheit der Einfuhrausgleichssteuer und der Ausfuhrvergütungen. Beide Fragen sind voneinander nicht zu trennen.
Die Bundesregierung untersucht zur Zeit, ob und inwieweit grobe Wettbewerbsverzerrungen im grenzüberschreitenden Warenverkehr durch entsprechende Maßnahmen beseitigt werden können. Der Schiffbau ist in diese Prüfung einbezogen.
Im übrigen geht Ihre Anfrage anscheinend von der Annahme aus, daß es zu einer Änderung der Umsatzsteuervergütungssätze für Schiffslieferungen einer Gesetzesänderung bedürfe. Das ist nicht erforderlich. Nach dem Umsatzsteuergesetz kann die Höhe der Steuervergütungen durch Rechtsverordnung der Bundesregierung festgelegt werden.
Weiter darf ich hervorheben, daß eine Änderung der Steuersätze, sei es für die Ausgleichssteuer, sei es für die Umsatzsteuervergütung, nur nach vorheriger Konsultation mit der EWG-Kommission möglich ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wann werden Ihre Prüfungen vermutlich abgeschlossen sein?
Die Prüfungen sind überwiegend technischer Natur. Für jede einzelne Warengattung muß festgestellt werden, wie hoch die tatsächliche inländische Vorbelastung durch Umsatzsteuer ist. Das erfordert eingehende Untersuchungen, die bisher nur für wenige Warengattungen mit ausreichender Sicherheit vorliegen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sind sich doch darüber im klaren, daß die Lage des Schiffbaus wegen der Subventionen in anderen EWG-Ländern außerordentlich prekär ist und daher ein möglichst schneller Abschluß Ihrer Prüfungen erwünscht wäre?
Das ist uns bekannt, Herr Abgeordneter. Wir haben darüber auch mehrfach Besprechungen mit den Vertretungen der Werften gehabt. Die Werften selbst behaupten, daß die Umsatzsteuervorbelastung für Schiffbauten zwischen 71/2 und 8 % liege, während die Umsatzsteuervergütung heute nur 3 % beträgt.
Die Frage ist beantwortet. Die Frage VIII/ 2 ist vorgestern beantwortet worden.
Ich rufe auf die Fragen VIII/ 3 und VIII/ 4 - des Abgeordneten Dr. Dörinkel -:
Ist es nach Ansicht der Bundesregierung mit dem öffentlichen Interesse zu vereinbaren, daß Goldmünzen, die in der Vergangenheit als gesetzliches Zahlungsmittel dienten, nunmehr von privater Seite nachgeprägt und in den Handel gebracht werden?
Hat die Bundesregierung die Absicht - nachdem die Zulässigkeit der Nachprägung von einstmals als Zahlungsmittel dienenden Goldmünzen von den Gerichten unterschiedlich beurteilt worden ist -, die Rechtsverhältnisse durch eine Gesetzesvorlage klären zu lassen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Hettlage vom 28. September 1962 lautet:
Die Nachahmung der früheren Reichsgoldmünzen ist nach §§ 5 und 7 der VO über die Herstellung von Medaillen und Marken vom 27. Dezember 1928 - RGBl. 1929 I S. 2 - verboten und als Übertretung strafbar. Zuwiderhandlungen werden strafrechtlich verfolgt. Zur Zeit schweben mehrere Strafverfahren gegen Her-stellar und Verbreiter von nachgemachten Reichsgoldmünzen. Die Strafverfahren sind bisher noch nicht abgeschlossen.
Diejenigen Kreise, die sich mit der Herstellung derartiger Nachahmungen befassen, haben in letzter Zeit die Ansicht vertreten, daß die sog. Medaillenverordnung nicht mehr gültiges Recht sei. Die Prüfung durch den Herrn Bundesminister der Justiz hat ergeben, daß für die Bundesregierung kein Anlaß besteht, an der Gültigkeit dieser Verordnung zu zweifeln.
Ein Hersteller von Nachahmungen früherer Reichsgoldmünzen, gegen den Anklage wegen Betruges sowie wegen Beihilfe zum Betrug in Tateinheit mit einer Übertretung der Medaillenverordnung erhoben ist, hat gegen den Bundesminister der Finanzen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gestellt, um den Bundesminister der Finanzen zu hindern, auf die bestehenden gesetzlichen Verbote hinzuweisen. Dieser Antrag ist in zwei Instanzen zurückgewiesen worden. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat zu erkennen gegeben, daß es der Auffassung des Bundesministers der Finanzen zuneige, ohne allerdings eine Entscheidung über die Gültigkeit der Medaillenver1704
Vizepräsident Dr. Schmid
ordnung zu treffen. Darüber hinaus sind beim Verwaltungsgericht Köln noch zwei Verfahren mit ähnlichen Anträgen anhängig.
Das Landgericht Berlin hat in zwei Verfahren wegen unlauteren Wettbewerbs den zwei Herstellern von Reichsgoldmünzen durch einstweilige Verfügung untersagt, Nachahmungen herzustellen, mit ihnen zu handeln und für den Absatz zu werben.
Außer diesen Entscheidungen, die der Rechtsauffassung des Bundesministers der Finanzen zuneigen, liegt eine Entscheidung des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vor, das es abgelehnt hat, das Hauptverfahren gegen einen Händler mit nachgemachten Reichsgoldmünzen zu eröffnen mit der Begründung, die genannte VO sei überholt. Gegen diese Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde eingelegt.
Der Oberstadtdirektor in Bonn hat gegen einen Hersteller von Nachahmungen früherer Reichsgoldmünzen ein Gewerbeuntersagungsverfahren eingeleitet und der Firma verboten, Nachahmungen von Münzen, die auf Grund reichsgesetzlicher Bestimmungen außer Kurs gesetzt sind, herzustellen und zu verkaufen. Dieser Bescheid ist noch nicht rechtskräftig.
Die Bestimmungen der Medaillenverordnung sind, wie bereits erwähnt, nach Ansicht des Bundesfinanzministeriums, die auch vom Bundesministerium der Justiz geteilt wird, nach wie vor in Kraft. Sie bezwecken den Schutz des redlichen Geschäftsverkehrs und des Münzregals des Bundes. Wenn die Verbote der Medaillenverordnung nicht bestehen würden, könnte jedermannaußer Kurs gesetzte Münzen des Reiches und des Bundes herstellen und damit vor allem auch auf dem Gebiete des Automatenwesens erhebliche Verwirrung und beträchtlichen Schaden hervorrufen.
Für die Reichsgoldmünzen ist von Bedeutung, daß durch die Nachahmungen in erster Linie nicht fachkundige Erwerber geschädigt werden. Bei einem Goldwert von etwa 32,50 DM für das 20 Mark -Stück liegt der Verkaufspreis für echte Münzen bei über 70,- DM, der von Nachahmungen bei über 60,- DM. Im Gegensatz zu echten Münzen besitzen die Nachahmungen keinen Seltenheitswert. Außerdem bestehen erhebliche Schwierigkeiten bei der Wiederverwertung, da Banken nachgemachte Münzen nicht erwerben.
Durch die genaue Nachahmung ({0}) wird der Eindruck erweckt, als ob es sich um eine Münze handele, die eine staatliche Münzstätte in Ausübung des Münzregals geprägt hat. Hierin liegt ein Verstoß gegen das Münzregal des Bundes, der allein zur Prägung von Münzen befugt ist. Die VO ist erlassen worden, um die notwendige Ordnung auf dem Gebiet des Münzwesens aufrechtzuerhalten. Nach der Begründung dieser Verordnung „setzt ein geregelter Geldumlauf vor allem die Freihaltung des Verkehrs von münzähnlichen Zeichen voraus, welche die unbedingt notwendige Übersichtlichkeit und Klarheit im Münzwesen beeinträchtigen, zu Betrügereien Anlaß geben könnten und geeignet sind, den Münzfälschungen Vorschub zu leisten. Die Außerkurssetzung einer Münze enthält die Anordnung, daß diese Münze aufgehört hat, Zahlangsmittel zu sein, daß sie am Geldwesen keinen Anteil mehr haben soll, insbesondere keine Nachprägungen von ihr mehr vorzunehmen sind. Mit dieser Anordnung stände es im Widerspruch, wenn die Herstellung solcher außer Kurs gesetzter Münzen seitens der Privatindustrie aus Erwerbsrücksichten vorgenommen würde" ({1}).
Es ist somit meiner Ansicht nach mit dem öffentlichen Interesse nicht zu vereinbaren, daß Münzen des Reiches und des Bundes - und damit auch Goldmünzen -, die außer Kurs gesetzt worden sind, nunmehr von privater Seite nachgeprägt und in den Handel gebracht werden.
Ich bedaure es, daß eine abschließende Entscheidung durch die Gerichte noch nicht ergangen ist und daß deshalb, im wesentlichen allerdings hervorgerufen durch die Werbung der Herstellerfirmen, in der Offentlichkeit der Eindruck entstehen kann, als sei die Rechtslage unklar. Da die Entscheidung der anhängigen Prozesse jedoch auf Grund der rechtsstaatlichen Ordnung unserer Verfassung den Gerichten obliegt, fühle ich mich zu einer gewissen Zurückhaltung verpflichtet.
Die geringe Strafandrohung der Medaillenverordnung hat bisher allein nicht ausgereicht, um Zuwiderhandlungen wirksam zu verhindern. Da die Verdienstspannen außerordentlich hoch sind, nehmen die Hersteller die geringe Geldstrafe offensichtlich in Kauf. Andererseits dürfte jedoch auch ein verhältnismäßig geringes Strafmaß ausreichen, wenn die Strafprozesse beschleunigt durchgeführt werden und in den anhängigen gewerbepolizeilichen Verfahren die Herstellung von Münznachahmungen unterbunden wird. Vor einer gesetzlichen Neuregelung sollte die Entscheidung der Gerichte abgewartet werden. Ein im gegenwärtigen Zeitpunkt vorgelegter Gesetzentwurf könnte den Eindruck entstehen lassen, als sei die Bundesregierung in der Beurteilung der rechtlichen Frage unsicher.
Ich rufe Frage VIII/ 5 - des Abgeordneten Fritsch - auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Beamten des Bundesgrenzzolldienstes, insbesondere in Mittel- und Hochgebirgslagen, durch Kälte und sonstige ungünstige Witterungseinwirkungen in der Ausübung des Außendienstes deswegen besonders zu leiden haben, weil Schutzeinrichtungen ({2}) entlang der Grenzstreifen - im Gegensatz zu Osterreich - nicht vorhanden sind?
Herr Abgeordneter Fritsch, ich möchte Ihre Fragen 5 und 6 im Einverständnis mit dem Herrn Präsidenten gemeinsam behandeln.
Ich rufe auch die Frage VIII/ 6 - des Abgeordneten Fritsch - auf:
Ist die Bundesregierung bereit, im Interesse der Gesunderhaltung der Beamten des Bundesgrenzzolldienstes die Errichtung von Schutzhütten mit Wärmemöglichkeit entlang der Grenzstreifen in einem Abstand von etwa 2 km - wie in Osterreich üblich - anzuordnen?
Die Zollgrenzdienstbeamten im Hochgebirge sind naturgemäß den Unbilden der Witterung mehr ausgesetzt als an sonstigen Grenzstrecken. Sie erhalten aus diesem Grunde eine besondere Ausrüstung.
Sie gehen davon aus, Herr Abgeordneter, daß an der deutsch-österreichischen Grenze keine besonderen Schutzhütten für die Zöllner errichtet seien, im Unterschied zu der österreichischen Seite. Das ist ein Irrtum. Auf diesem Grenzgebiet sind insgesamt 80 Schutzhütten errichtet, von denen der größere Teil heizbar ist. Daneben sind noch 21 heizbare Höhenstützpunkte mit Koch- und Schlafgelegenheiten eingerichtet.
Soweit uns ein Vergleich mit der entsprechenden Ausstattung auf der österreichischen Seite möglich ist, scheint es uns, daß auf unserer Seite bessere und zahlreichere Stützpunkte eingerichtet sind.
Darüber hinaus erhalten die deutschen Zöllner eine besondere Kälteschutzkleidung, die nicht bloß aus Pelzmänteln, sondern auch aus wattierten Tarnanzügen, Pelzmützen und dergleichen besteht.
Schließlich wird im Zollgrenzdienst auf 'die Schwierigkeiten der Jahreszeit und der Landschaft auch durch kürzere Dienstzeiten Rücksicht genommen.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die von Ihnen angeführten, an der österreichischen Grenze befindlichen Schutzhütten ausschließlich von den Beamten selbst errichtet worden sind und daß es weitgehend im Ermessen der jeweils zuständigen Vorgesetzten liegt, inwieweit diese Schutzhütten in Anspruch genommen werden?
Es ist möglich, Herr Abgeordneter, daß die Vorgesetzten darüber bestimmen, ob und in welchem Umfang diese Schutzhütten in Anspruch genommen werden. Wenn eine unzureichende Ausstattung festgestellt werden sollte, ist das Bundesfinanzministerium bereit, auf eine Abstellung hinzuwirken.
Eine weitere Zusatzfrage?
. Fritsch ({0}) : Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so auffassen, daß Sie eine generelle RegeFritsch
lung für die Benutzung der Schutzhütten befürworten, um den Beamten dienstlich die Möglichkeit zu geben, Wärmegelegenheiten zur Vermeidung von Kälteschäden in ausreichendem Maße in Anspruch zu nehmen?
Ich werde prüfen lassen, ob die bisherigen Grundsätze für die Benutzung der Schutzhütten ausreichen. Wir werden darüber auch gerne mit der Berufsvertretung der Zollbeamten Fühlung nehmen. Wenn Sie in dieser Hinsicht Anregungen oder Beschwerden haben, darf ich Sie bitten, sie uns mitzuteilen.
Ich rufe auf die Frage VIII/ 7 - Abgeordneter Dröscher -:
Was hat die Bundesregierung bisher getan, um der weiteren Verseuchung des für viele tausend Menschen lebenswichtigen Quellschutzgebietes Königswald bei Idar-Oberstein, das infolge ständiger Inanspruchnahme durch Manövertruppen bereits teilweise ausgefallen ist, entgegenzuwirken?
Herr Abgeordneter, Ihre Frage betrifft die Verseuchung eines Gruppenwasserwerkes im Amtsbezirk Herrstein. Es trifft zu, daß dieses Quellenschutzgebiet in der ersten Hälfte des Jahres 1962 durch amerikanische Truppen für Biwakzwecke und anderes benutzt worden ist, obwohl das Betreten dieses Geländes durch Schilder in deutscher und englischer Sprache verboten ist.
Die amerikanischen Truppen haben das Gelände verunreinigt. Von den sieben Quellen sind vier unbrauchbar geworden. Diese unreinen Quellen sind stillgelegt. Eine hinreichende Wasserversorgung aus anderen Quellen ist in der Zwischenzeit gewährleistet.
Der Kommandeur der betreffenden amerikanischen Infanteriedivision hat sein Bedauern über diesen Vorfall ausgesprochen und Hilfe für den Fall angeboten, daß die Wasserversorgung unzureichend werden sollte.
Die Fühlungnahme der Landesregierung von Rheinland-Pfalz mit den amerikanischen Befehlshabern hat die Gewißheit verschafft, daß in Zukunft dieses Gelände nicht mehr für Manöverzwecke benutzt werden wird.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, die Kosten einer beschleunigten Sanierung dieser Quellen zu übernehmen?
Herr Abgeordneter, die Gemeinde oder das Amt hat im Mai dieses Jahres einen Antrag auf Entschädigung wegen des Schadens aus dem Wegfall der Quellen angemeldet. Dieser Schaden wäre nach Art. 8 des Finanzvertrages als Stationierungsschaden zu behandeln. Eine Rückfrage bei der Verteidigungslastenverwaltung
Rheinland-Pfalz hat ergeben, daß dort über den Antrag noch nicht entschieden ist.
Wären Sie bereit, Herr Staatssekretär, angesichts der Bedeutung, auch der, sagen wir einmal, politischen Bedeutung dieses Falles helfend einzugreifen, damit die Entschädigung und die Sanierung der Quellen schnell geschehen kann?
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesministeriums (der Finanzen: Unsere Grundsätze zur Ausführung des Art. 8 des Finanzvertrages sind im allgemeinen so großzügig, daß eine ausreichende Entschädigung gewährleistet ist. Was von uns aus zur Beschleunigung des Verfahrens getan werden kann, soll gerne geschehen.
Danke.
Ich rufe auf Frage VIII /8 - des Abgeordneten Dröscher -:
Ist die Bundesregierung bereit, zu Lasten des Verteidigungshaushalts den Truppenübungsplatz-Randgemeinden und besonders belasteten Garnisonen eine Bundesverwaltungshilfe zur Abgeltung des erhöhten allgemeinen Verwaltungsaufwands, des Gewerbesteuerausfalls für bei militärischen Stellen beschäftigte Zivilpersonen und des erhöhten Aufwands für die Bereitstellung der kommunalen Straßen und Wege zu gewähren?
In Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, fragen Sie nach der Erstattung von Verwaltungsmehraufwendungen, die Gemeinden durch die Stationierungskräfte entstehen. Ich habe eine von Ihnen in dem gleichen Sinn gestellte Frage schon im Januar dieses Jahres beantwortet und darf die heutige Frage und Ihre Zusatzfrage mit einigen zusätzlichen Auskünften beantworten.
Soweit (den Stationierungsgemeinden, insbesondere den Randgemeinden an Truppenübungsplätzen, Mehrlasten für die Verwaltung entstehen, werden diese Kosten nicht besonders erstattet. Diese Dinge werden als laufende Verwaltungsangelegenheiten der Garnisonsgemeinden und der Randgemeinden an Truppenübungsplätzen angesehen, und die daraus entstehenden unvermeidlichen Verwaltungsmehrausgaben sind von diesen Gemeinden zu übernehmen. Das ,sind Sonderverhältnisse, die eine Gemeinde in dieser, eine andere Gemeinde in anderer Form zu tragen hat.
Ein Ersatz für Gewerbesteuerausfall wird nicht gewährt, weil bei der Beschäftigung von Zivilpersonen bei militärischen Stellen keine gewerbesteuerpflichtige Tätigkeit ausgeübt wird, im Unterschied zu den Reparaturwerkstätten der Stationierungskräfte. Die Benutzung der öffentlichen .Straßen durch militärische Fahrzeuge über den Gemeingebrauch hinaus wird gesondert vergütet, wenn dadurch Schäden entstehen.
Wir haben in einigen Teilgebieten Straßen wiedenholt panzerfest ausbauen lassen, um die immer wiederkehrenden Zerstörungen aus der Benutzung durch überschwere Fahrzeuge der Bundeswehr oder der Stationierungskräfte zu verhindern. In Bayern läuft (bei den Truppenübungsplätzen ein besonders
großes Programm in Richtung auf dieses Ziel. Wenn in einem bestimmten Fall der Umbau der Straße nachweislich besser ist als die regelmäßig wiederkehrende Abgeltung der entstandenen Schäden, wird dieser Straßenbau mit Bundees- und Landesmitteln gefördert.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, nachdem Ihnen sicher bekannt ist, daß es sich weniger um besondere Einzelfälle handelt ,als um die generelle Frage, ob nicht eine Art Verwaltungskostenbeitrag für die betroffenen Gemeinden in Betracht kommt, darf ich konkret fragen, ob Behauptungen zutreffen, daß den Garnisonsgemeinden und den Randgemeinden ,an Truppenübungsplätzen jährlich etwa 100 Millionen DM dadurch an Gewerbesteuer ausfallen, daß etwa 500 000 Menschen, die in diesen Gemeinden ansässig sind, militärisch und nicht gewerblich beschäftigt sind.
Ich glaube nicht, daß diese Zahl zutrifft, Herr Abgeordneter. Ich will sie gern prüfen lassen. Die Vorfrage ist, ob eine Verwaltungstätigkeit im Zusammenhang mit Stationierungskräften und Garnisonen überhaupt als eine gewerbesteuerpflichtige Tätigkeit 'angesehen werden kann. Das ist sie natürlich nicht, und dann kann auch kein Gewerbesteuerausfall entstehen.
Letzte Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, wenn ich davon ausgehe, daß keine gewerbeähnliche Tätigkeit unterstellt wird, dann darf ich doch noch einmal betont fragen: Wird nicht wie bei der Bundesbahn und der Bundespost so hier aus dem Beschäftigungsverhältnis der im öffentlichen Dienst, nämlich bei der Bundeswehr, Tätigen ein Anspruch auf eine Verwaltungshilfe begründet?
Dieser Anspruch wird nicht begründet. Wir haben eine Sonderregelung mit Bundesbahn und Bundespost, soweit es sich um Betriebsverwaltung, beispielsweise um Omnibusbahnhöfe oder dergleichen, in einzelnen Gemeinden handelt. Da werden Pauschbeträge gezahlt. Früher hat es darüber hinaus eine allgemeine gesetzliche Regelung über die Gewährung von Gewerbesteuerausgleichszahlungen gegeben. Der Entwurf zu dieser gesetzlichen Regelung ist in der vergangenen Wahlperiode wiederaufgenommen, aber nichtmehr verabschiedet worden. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist bisher nicht wieder eingebracht worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel.
Herr Staatssekretär, aus Anlaß der Erörterungen über die Beteiligung des Bundes an Straßenkosten, die durch verstärkte Benutzung verursacht werden, möchte ich mir die Frage gestatten:
Hat sich die Bundesregierung einmal grundsätzlich mit dem Problem einer Kostenbeteiligung des Einzelplans 14 - Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums - an den allgemeinen Kosten der Straßen zugunsten des Einzelplans 12 auseinandergesetzt?Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, ich darf auf die Erörterungen dieser Frage im Haushaltsausschuß verweisen. Sie wissen, daß die Frage geprüft worden ist und daß bisher besondere Kostenerstattungen aus dem Einzelplan 14 an den Einzelplan 12 wegen der Benutzung der Straßen durch militärische Fahrzeuge nicht vorgesehen sind. Die Benutzung durch militärische Fahrzeuge ist also, anders ausgedrückt, als Bestandteil des Gemeingebrauchs an der Straße angesehen worden. Nur in den Fällen - ich wiederhole damit, was ich eben sagte -, in denen eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Abnutzung mit wesentlichen Schäden der Straße verbunden ist, werden diese Schäden ibesonders ersetzt oder die Straße umgebaut.
Gilt diese ältere Feststellung, von der Sie eben ausgingen, Herr Staatssekretär, auch für die Überlegungen bei der Beschlußfassung über den Bundeshaushalt 1963?
Bisher sind bei der Vorbereitung des Haushalts 1963 zu dieser Frage keine neuen Überlegungen angestellt worden.
Danke sehr.
Frage VIII/ 9 - des Abgeordneten Cramer -:
Billigt die Bundesregierung die Entscheidung des Bundesfinanzministers vom 7. September 1962 - Gesch. Z. I B/2 - P 1617 -43/ 62 -, wonach dem früheren Marineangestellten Bruno Goerth aus Uelzen die laufende Unterstützung für dienstunfähige Angestellte der ehemaligen Marinebetriebe abgelehnt wird, weil er die in den im Ministerialblatt des Bundesministers der Finanzen 1954 S. 514 veröffentlichten Richtlinien festgesetzte Frist von 2 Jahren nach Eintreten der Dienstunfähigkeit nicht eingehalten hat?
Herr Abgeordneter Cramer, Sie befassen sich mit der Versagung einer laufenden Unterstützung für einen ehemaligen Mitarbeiter der Marineverwaltung. Nach den einschlägigen Grundsätzen können solche laufenden Unterstützungen unter bestimmten Voraussetzungen gewährt werden, wenn ein entsprechender Antrag binnen zwei Jahren nach dem Ausscheiden aus dem Bundesdienst gestellt wird.
In dem Falle, den Sie ansprachen, ist nach den Feststellungen der Oberfinanzdirektion Hannover eine Zeit von rund drei Jahren zwischen dem Ausscheiden aus dem Dienst und dem Antrag auf Gewährung einer laufenden Unterstützung verflossen. Die Fristversäumnis ist so groß, daß die Oberfinanzdirektion Hannover - gestützt auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts und nach den geltenden Richtlinien - keine Möglichkeit fand, nochmals in die Prüfung des Antrags einzutreten.
Eine Zusatzfrage? - Bitte.,
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß man einem einfachen Staatsbürger nicht zumuten kann, der Offentlichkeit nicht zugängliche Ministerialblätter zu verfolgen und darfestgesetzte Termine einzuhalten?
Herr Abgeordneter, gerade wegen dieser Schwierigkeit der hinreichenden Unterrichtung der Beteiligten über die Möglichkeiten der Hilfe ist eine Antragsfrist bis zu zwei Jahren vorgesehen. Bei einer Überschreitung dieser Frist bis zu drei Jahren scheint - und das ist der Grundgedanke der Richtlinien - die Verbindung zwischen dem betreffenden Arbeitnehmer und dem alten Dienstherrn so lange unterbrochen, daß aus dem alten Dienstverhältnis eigentlich keine besonderen Hilfen mehr gegeben werden können.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit, diesem Mann, der ja eigentlich nichts dazu kann, der einen Anspruch hatte, der nur verfallen ist, weil der Termin nicht eingehalten worden ist, irgendwie im Wege des Härteausgleichs zu helfen?
Ich habe diese Frage über die Oberfinanzdirektion prüfen lassen. Die Oberfinanzdirektion sieht zur Vermeidung von unabsehbaren Berufungsfällen leider keine Möglichkeit, eine so lange Fristversäumnis unberücksichtigt zu lassen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich rufe auf die Frage XII/ 1 - des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen
Ist die Antwort des Staatssekretärs im Bundespostministerium, Herrn Dr. Steinmetz, in der Fragestunde vom 22. März 1962, daß nunmehr „im Einverständnis mit dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland die Sondermarke Brot für die Welt' im November 1962 erscheinen werde, damit zu vereinbaren, daß die bereits gedruckten Sondermarken im Mai 1962 eingestampft wurden?
In der Fragestunde des Bundestages vom 22. März 1962 ist der vorläufige Verzicht auf die Ausgabe einer Sondermarke „Brot für die Welt" mit der Sorge begründet worden, daß durch das gewählte Motiv möglicherweise die Gefühle der Betroffenen verletzt würden. Das erwähnte Einverständnis mit dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland bezog sich auf die neue Gestaltung der Sondermarke mit der Schriftlösung und auf den Ausgabezeitpunkt. Es sollte keinesfalls zum Ausdruck gebracht werden, daß die Sondermarke „Brot für die Welt" im November 1962 mit unverändertem Motiv erscheinen werde.
Keine Zusatzfrage. (
Ich rufe auf die Frage XII/ 2 - des Abgeordneten Dr. Kohut -:
Welche Konsequenzen beabsichtigt die Deutsche Bundespost nach den Erfahrungen mit der Aktion Igel für die Änderung bzw. Abschaffung überholter und unzeitgemäßer Dienstvorschriften zu ziehen?
Ich habe Anweisung gegeben, die Allgemeinen Dienstvorschriften auf entbehrliche Bestimmungen hin zu untersuchen. Aber auch sachgemäße Vorschriften 'erfüllen ihren Zweck dann nicht, wenn sie sinnwidrig angewendet werden.
Eine Zusatzfrage!
Wie war denn die Gewerkschaft berechtigt, die Anweisung zu geben, daß man sich genau nach den Dienstvorschriften zu richten habe, um die Ziele, die erstrebt worden sind, zu erreichen?
Ich beziehe mich auf den zweiten Satz meiner Antwort, daß sachgemäße Vorschriften auch dann sinnwidrig werden, wenn sie sinnwidrig angewandt werden.
Zweite Zusatzfrage!
Trifft es zu, Herr Minister, daß die Besoldung von Postbeamten der untersten Kategorien kaum über dem Fürsorgesatz liegt?
In einzelnen Fällen ist das nicht zu bestreiten.
({0})
Ich rufe auf die Frage XII/3 -der Abgeordneten Fritsch -:
Ist die Bundesregierung bereit, die Entschädigung der Landzusteller der Deutschen Bundespost für Postsendungen über 12 kg, ({0}), von bisher 0,05 DM pro kg bzw. 0,03 DM pro kg bei Landzustellern mit Moped angemessen zu erhöhen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Bundesministers Stücklen vom 7. August 1962 lautet:
Die Verpflichtung der Deutschen Bundespost zur Zustellung ist nach den Bestimmungen der Postordnung im Landzustellbereich beschränkt. So werden neben den gewöhnlichen und eingeschriebenen Briefsendungen u. a. Pakete nur zugestellt, soweit sie im einzelnen nicht über 5 kg wiegen und vom Landzusteller innerhalb der zulässigen Belastungsgrenze und gegen Witterungseinflüsse geschützt befördert werden können. Die mehr als 5 kg schweren Pakete werden nur dann zugestellt, wenn die Gesamtbelastung des Landzustellers dies zuläßt oder
. die Pakete durch Zustellfahrzeuge, Landkraftposten oder auf ähnliche Weise befördert werden. Danach sind die Landzusteller zu Fuß, mit Fahrrad oder Moped nicht verpflichtet, Belastungen auf sich zu nehmen, die über das festgesetzte Gesamtgewicht aller für die Zustellung vorliegenden Sendungen einschließlich der Zustelltaschen hinausgehen. Nur soweit die Höchstgrenze von 15 kg auf Wunsch oder mit Einverständnis des Landzuateliers überschritten wird, erhält er für jedes angefangene kg einen Erschwerniszuschlag in der in Ihrer Anfrage genannten Höhe. Die Gesamtausgaben der Deutschen Bundespost für diese Erschwerniszuschläge betrugen im Rechnungsjahr 1961 rd. 1,4 Mill. DM.
Vizepräsident Dr. Schmid
Ich habe nicht die Absicht, diese nicht unbeträchtlichen Ausgaben zu erhöhen. Mein Bestreben geht vielmehr dahin, durch modernere Betriebsformen - insbesondere auch durch den Einsatz von Kraftfahrzeugen - nicht nur die körperliche Mehrbelastung des Zustellpersonals möglichst ganz auszuschalten, sondern auch die oben angeführten Beschränkungen in der Zustellung auf dem Lande weitgehend aufzuheben und so die Postversorgung der ländlichen Gebiete weiterhin zu verbessern.
Ich rufe auf die Frage XII/ 4 - des Abgeordneten Walter -:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach das neue Krankenhaus in Hofgeismar, das im Frühjahr 1963 in Betrieb genommen wird, erst im Jahre 1964 einen Telefonanschluß erhalten kann?
Die Frage wird von Herrn Abgeordneten Hammersen übernommen.
Die Pressemeldungen treffen nicht zu. Das Krankenhaus in Hofgeismar wird zum Zeitpunkt seiner Eröffnung im Jahre 1963 über die von ihm beantragten drei Fernsprechanschlüsse verfügen.
({0})
Ich rufe auf die Frage XII/ 5 - des Abgeordneten Dr. Rutschke -:
Billigt die Bundesregierung die Fahrpreiserhöhungen für den Kraftpostverkehr auf der Strecke Stein-Pforzheim, die nur mit den zwangsläufigen Umleitungen infolge vorübergehender Straßenbauarbeiten auf der Strecke Stein-Eisingen begründet werden?
Nach § 56 der Postordnung ist die Deutsche Bundespost gehalten, die Fahrgebühren für Kraftpostlinien unter Zugrundelegung der Länge der Fahrstrecke und der Regelfahrbücher festzusetzen. Danach kommt es für die Gebührenfestsetzung grundsätzlich nur auf die Streckenlänge und den Grundfahrpreis an.
Im Falle Stein-Pforzheim habe ich schon vor Eingang der Anfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke angeordnet, daß von diesem Grundsatz abgewichen wird. Bessere Straßenverhältnisse auf der Umwegstrecke bedingen keine besondere Betriebsverteuerung für uns, so daß eine Ausnahmeregelung gerechtfertigt ist. Ich habe in diesem Sinne auch bereits Herrn Abgeordneten Leonhard auf seine Eingabe hin schriftlich geantwortet.
Eine Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, darf ich fragen, ob Sie bereit wären, generell anzuordnen, daß bei zeitweiligen Umleitungen keine zusätzlichen Belastungen für die Fahrgäste durch einen erhöhten Fahrpreis entstehen dürfen, wenn es sich nur um eine vorübergehende Maßnahme infolge von Straßenbauarbeiten oder ähnlichem handelt?
Generell kann ich das nicht zusagen. Aber in Einzelfällen werde ich immer bereit sein, wohlwollend zu prüfen.
({0})
Ich rufe auf die Frage XII/6 - des Abgeordneten Cramer -:
Ist die Bundesregierung bereit, auf die Anmeldepflicht von Autoradios wegen der damit verbundenen hohen Verwaltungskosten zu verzichten?
Nach den auf dem Fernmeldeanlagengesetz beruhenden Rundfunkvorschriften darf ein Rundfunkteilnehmer nur in seiner Wohnung mehrere Empfänger auf eine Genehmigung betreiben. Kofferradios sind aber in der Regel dazu bestimmt, außerhalb der Wohnung betrieben zu werden. Aus diesem Grunde ist für jedes Koffer- wie im übrigen auch für jedes Autoradio unabhängig von der Gebührenpflicht eine besondere Genehmigung erforderlich. Eine Änderung der genannten Vorschriften dahingehend, daß mit einer Genehmigung mehrere Empfänger innerhalb und auch außerhalb der Wohnung betrieben werden können, würde eine Erschwerung der Ermittlung nicht genehmigter Rundfunkempfangsanlagen und des Vorgehens gegen störende Empfänger zur Folge haben. Der hierdurch entstehende Mehraufwand an Verwaltungsarbeit und -kosten ist höher zu veranschlagen als der durch die einmalige Ausstellung einer Zweitgenehmigung verursachte geringe Aufwand.
Eine Zusatzfrage!
Herr Minister, wie hoch ist die Zahl der gebührenpflichtigen Lizenzen gegenüber der Zahl der beantragten?
Herr Abgeordneter, diese Zahlen habe ich selbstverständlich nicht im Kopf; ich bin aber gern bereit, Ihnen auf eine schriftliche Anfrage hin zu antworten. Die Statistik bei der Bundespost umfaßt ein Buch von 45 Seiten.
Danke.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. Ich rufe zunächst auf die Frage XIII/ 1 - der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus -:
Ist die Mitteilung vom Internationalen Zahnärztekongreß in Köln richtig, daß in Deutschland dem Trinkwasser nicht Fluor, dem ein antikaröser Effekt zukomme, zugesetzt werden dürfe, weil das neue Lebensmittelgestez die Zusätze von Fremdstoffen verbiete?
Die Auskunft, die von dem Zahnärztekongreß in Köln über das Verbot von Fluor in Trinkwasser erteilt worden ist, ist richtig. Es ist tatsächlich so, daß bei uns auf Grund des Lebensmittelgesetzes dem Trinkwasser grundsätzlich kein Fluor zugesetzt werden darf. Die Stoffe, die als Zusatz zu Trinkwasser zugelassen sind, sind in einer Trinkwasser-Aufbereitungs-Verordnung vom 19. Dezember 1959 aufgezählt. Bei der Vorbereitung dieser Verordnung ist auch die Frage des Zusatzes von Fluor-Verbindungen zum Trinkwasser eingehend erörtert worden. Man hat damals die Zulassung zurückgestellt, weil uns die von der Wissenschaft erarbeiteten Unterlagen für eine allge-
') meine Zulassung noch nicht ausreichend erschienen. Der Stadt Kassel wurde - das ist durch die Presse gegangen - eine Versuchsgenehmigung erteilt. Sie hat in einem Stadtteil durch einen Versuch von mehreren Jahren die Wirksamkeit dieses Zusatzes in bezug auf die Kariesverhütung durch Einstellung des Trinkwassers auf 1 Milligramm Fluor auf den Liter wissenschaftlich erprobt. Diese Versuche sind noch im Gange.
Eine Zusatzfrage!
Frau Ministerin, Ihren Ausführungen kann ich entnehmen, daß die Frage bei Ihnen im Auge behalten wird. Wird das Gesundheitsministerium auch die sehr guten Erfahrungen, die im Ausland mit einem Zusatz von Fluor gemacht worden sind, beachten? Ist beabsichtigt, gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, die besonders den Kindern und Jugendlichen einen Fluorschutz gegen Karies bieten?
Die guten Erfahrungen im Ausland sind mir natürlich bekannt. Sie waren gerade der Anlaß dafür, daß wir die Versuchsgenehmigung gegeben haben. Wir wollen nur die endgültigen Ergebnisse der Untersuchungen der Wissenschaft abwarten.
So ganz einfach ist es nicht, einen Zusatz, der im Grunde Arzneimittelwirkung hat, ungezielt auf einen ganz großen Teil der Bevölkerung, die eben Trinkwasser braucht, zu verteilen. Alle diejenigen, die die Überzeugung haben, daß Fluor nützlich ist, können es ja als Arznei nehmen. Aber wie gesagt, wir führen die Versuche durch und werden dann unsere Konsequenzen daraus ziehen.
Vizekräsident Dr. Schmid: Eine zweite Zusatzfrage!
Abgesehen von der allgemeinen Fluorierung des Wassers soll es ja auch die Möglichkeit geben, durch CalzipotTabletten F einen entsprechenden Schutz bei den Kindern herbeizuführen. Darf ich fragen, ob sich Ihre Versuche und Beobachtungen auch darauf erstrecken?
Wir beobachten natürlich alle Möglichkeiten und haben gegeneinander abzuwägen, welches der bessere Weg ist.
Danke.
Ich rufe auf die Frage XIII/ 2 des Abgeordneten Gscheidle -:
Ist die Bundesregierung bereit, der Gefahr von Vergiftungen durch die Verwendung ungenießbar gewordener Konserven dadurch zu begegnen, daß die Hersteller verpflichtet werden, in das Blech der Dose das Datum der Konservierung und die Lagerfähigkeit des Inhaltes einzuprägen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort der
Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt vom 16. August 1962 lautet:
Im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantworte ich die Frage wie folgt:
Nach den Vorschriften der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung vom 8. Mai 1935 ({0}) muß bei bestimmten Milch-Dauerwaren die Zeit der Herstellung nach Monat und Jahr, bei Dauerwaren von Fischen, die nicht durch Hitze sterilisiert sind ({1}), die Zeit der Füllung nach Monat und Jahr oder die Inschrift „Kühl aufbewahren, zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt" angegeben Werden.
Es ist schon wiederholt geprüft worden, ob durch eine Ergänzung der Lebensmittel- Kennzeichnungsverordnung die Angabe des Zeitpunktes der Herstellung und des Endes der Lagerfähigkeit bei allen Konserven zwingend vorgeschrieben werden sollte. Bisher ist aber von einer Vorschrift dieser Art Abstand genommen worden, weil weder das Herstellungsdatum noch die Angabe über das Ende der Lagerfähigkeit ({2}) verläßlich Aufschluß über den Zustand der Ware geben kann. Die Haltbarkeit von Konserven wird wesentlich von der Beschaffenheit der Rohware, den ' zur Anwendung kommenden Herstellungsverfahren sowie von der Behandlung der Fertigerzeugnisse beim Handel und beim Verbraucher beeinflußt. Bei ordnungsgemäßer Aufbewahrung kann die Genußtauglichkeit von Konserven um das Mehrfache gegenüber der Genußtauglichkeit bei unzweckmäßiger Aufbewahrung erhalten werden.
Der Verbraucher würde den Erwerb von Lebensmitteln, die schon vor langer Zeit hergestellt, nach dem auf dem Erzeugnis angebrachten Verfallsdatum aber nur noch beschränkt lagerfähig sind, ablehnen. Dies würde zwangsläufig zu nicht zu verantwortenden volkswirtschaftlichen Schäden und zu Verlusten beim Handel führen, die auf die Preisgestaltung nicht ohne Einfluß blieben. Im übrigen könnten Vergiftungen durch ungenießbare Konserven auch bei extrem kurz angegebener Haltbarkeitsdauer nicht ausgeschlossen werden, soweit der Verderb auf mangelhafter Rohware, auf Herstellungsfehlern oder unzulänglichem Dosenmaterial beruht.
Die Bundesregierung wird den gesamten Fragenkomplex im Rahmen der in Aussicht genommenen Reform der LebensmittelKennzeichnungsverordnung mit Sachkennern aus der Wissenschaft, der Verbraucherschaft und der beteiligten Wirtschaft eingehend beraten und hierbei prüfen, ob der Gesundheitsschutz des Verbrauchers durch eine entsprechende Änderung oder Ergänzung der Vorschriften der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung verbessert werden kann. Die Arbeiten an der Reform der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung können jedoch erst aufgenommen werden, sobald die für eine personelle Verstärkung der Referate meiner Unterabteilung „Lebensmittelwesen und Veterinärmedizin„ erforderlichen Stellen vom Bundestag bewilligt sind.
Wir kommen zur Frage XIII/ 3 - der Abgeordneten Frau Blohm -:
Ist es der Bundesregierung bekannt, daß in der letzten Zeit Pressemitteilungen über Äußerungen von Beamten aus dem Bundesgesundheitsministerium über Zweckmäßigkeit der Verwendung von Phosphaten bei der Herstellung von Brühwürsten große Unruhe in der Verbraucherschaft verursacht haben?
Die Presseäußerungen von Anfang Juli dieses Jahres sind mir bekannt, ebenso ein Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände vom 25. Juli 1962. Inzwischen ist wohl aufgeklärt, daß der Vortrag eines Mitarbeiters des Bundesministeriums für Gesundheitswesen in München nicht als eine Stellungnahme zugunsten der Wiederzulassung von Phosphaten bei der Herstellung von Brühwürsten verstanden werden kann.
Frage XIII/ 4 - der Frau Abgeordneten Blohm -:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung eine Änderung der Verordnung über Fleisch und Fleischerzeugnisse vom 19. Dezember 1959 zwecks Zulassung von Phosphatsalzen bei der Herstellung von Brühwürsten vorbereitet?
Es ist nicht richtig, daß eine Änderung der Verordnung über Fleisch und Fleischerzeugnisse vom 19. Dezember 1959 im Sinne einer Zulassung bestimmter Phosphate bei der Herstellung von Brühwurst vorbereitet wird.
Es ist vielmehr so: Vertreter der Fleischwarenindustrie haben eine begrenzte Zulassung bestimmter Phosphate beantragt. Das Bundesgesundheitsamt hat sich kürzlich dahin ausgesprochen, daß eine Zulassung unter ganz bestimmten Begrenzungen den berechtigten Interessen der Verbraucher nicht widersprechen würde. Wir sind bereit, die Frage, ob und in welchem Maße Phosphate bei Brühwurst im Einklang mit den berechtigten Interessen der Verbraucher verwendet werden können, nochmals mit Sachkennern der Wissenschaft, der Verbraucherschaft und der beteiligten Wirtschaft zu erörtern. Voraussetzung für eine Änderung der zur Zeit geltenden Bestimmungen, also des Verbots von Phosphaten, wäre aber, daß neue Sachverhalte vorgebracht und erwiesen werden, die bei Erlaß der jetzt gültigen Verordnung noch nicht erkennbar waren.
Frage XIII/ 5 - des Abgeordneten Dr. Dittrich -:
Wann kann mit einem Einbringen des Gesetzentwurfs einer Bundestierärzteordnung gerechnet werden?
„Anderswoher" ist nicht so ganz nung dem Bundestag zugeleitet werden kann, kann ich im Augenblick noch nicht angeben. Der Entwurf, dessen Dringlichkeit außer Frage steht, ist seit der Bildung des Bundesministeriums für Gesundheitswesen weiterentwickelt worden, soweit dies bei der Belastung der Referate der in Frage stehenden Unterabteilung möglich war. Ich hoffe aber, daß wir in einigen Monaten den Entwurf vorlegen können.
Eine Zusatzfrage.
Frau Ministerin, ist diese Belastung der Unterabteilung, von der Sie sprechen, darauf zurückzuführen, daß diese Unterabteilung personell unterbesetzt ist?
Ich würde diese Frage bejahen, Herr Kollege. Es ist 'die Unterabteilung Lebensmittelrecht und Veterinärmedizin, die infolge der internationalen Verpflichtungen eine ganze Reihe neuer Aufgaben gerade 'der Lebensmittelbestimmungen hat. Sie ist außerordentlich stark überbelastet, einerseits durch diese internationalen Verhandlungen, aber andererseits auch dadurch, 'daß sie auf Grund der in der vorigen Sitzungsperiode neu erlassenen Gesetze - Arzneimittelgesetz, Lebensmittelgesetz - eine sehr große Zahl von Verordnungen fertigzustellen hat. Ich könnte Ihnen 15 Verordnungen und Gesetzgebungsaufgaben nennen, deren Bearbeitung dieser Abteilung gerade jetzt obliegt. Sie ist als Sachreferat schwach besetzt, gerade soweit es sich um Tiermedizin und um Lebensmittel tierischer Herkunft handelt, und es stehen nur zwei Juristen zur Verfügung, die diese sämtlichen Verordnungen und außerdem noch die Gesetzgebung aus den anderen Referaten dieser Unterabteilung zu bearbeiten haben.
Letzte Zusatzfrage.
Sehen Sie die Möglichkeit, Frau Ministerin, diese Unterabteilung aus Kräften Ihres Hauses oder anderswoher stärker zu besetzen?
„Anderswoher ist nicht so ganz einfach. Sie wissen, daß ich mich darum bemühe und daß wir ständig darüber verhandeln. Es tut mir ein bißchen leid, daß gerade 'diejenigen Kollegen im Bundestag, an die ich mich mit diesen 'Sorgen zu wenden hätte, bei dieser Fragestunde nicht so stark vertreten sind. Aber ich hoffe, in Ihnen einen Mitstreiter zu finden, Herr Dr. Dittrich.
Ich rufe auf Frage XIII/ 6 - des Abgeordneten Bauer ({0}) -:
Wie stellt sich die Bundesregierung zur Import-Erlaubnis und zum Vertrieb von lebensmittelähnlichen Scherzartikeln im Bundesgebiet, deren Genuß laut Feststellung der Duisburger Kriminalpolizei zur Kristallisierung im Magen, zu Darmzerreißungen und zum Tode geführt hat?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach. Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Frage XIII/ 7 - des Abgeordneten Ritzel -:
Wie viele Gemeinden in der Bundesrepublik sind heute noch ohne zentrale Wasserversorgung?
Nach dem Stand von 1960 - spätere Zahlen habe ich leider noch nicht - sind von 24 500 Gemeinden noch etwas Über 8000 Gemeinden ohne zentrale Wasserversorgung. Die Zahlen stammen aus den Ergebnissen einer Erhebung, die die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft 1960 angestellt hat.
Darf ich fragen, Frau Minister: Was hat denn die Bundesregierung getan und was beabsichtigt sie zu tun, um diesem offensichtlichen Mißstand abzuhelfen?
In erster Linie ist das Sache der Länder und der Gemeinden. Die Bundesregierung ihrerseits ist bestrebt, im Zusammenwirken mit Ländern und Gemeinden auf eine Beseitigung dieser altmodischen Form der Wasserversorgung hinzuwirken. Wir setzen auch Bundesmittel ein - ERP-Mittel -, soweit dies möglich ist,
({0})
abgesehen vom Grünen Plan, in dem ja ganz erhebliche Mittel dafür eingesetzt sind.
Ja, davon bin ich überzeugt. - Darf ich zusätzlich fragen, wieviel Bundesmittel Sie im Jahre 1963 für diesen Zweck einsetzen wollen?
Ich werde diese Frage schriftBundesminister Frau Dr. Schwarzhaupt
lich beantworten, da sie über mein Ressort hinausgeht und auch die Etats anderer Ministerien mit betrifft.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Könen.
Ich will nicht bestreiten, daß es in erster Linie Sache der Gemeinden selbst ist. Aber hat man sich in Ihrem Ministerium schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie man den kleinen Wasserverbänden - das sind meist Genossenschaften auf privater Ebene - das Leben ein wenig erleichtern kann, indem man an der Steuergesetzgebung einiges ändert? Damit müssen Sie sich einmal befassen.
Das gehört zu den Fragen, die ich aus der Zuständigkeit meines Hauses schwer beantworten kann. Ich werde Ihnen aber eine schriftliche Antwort geben.
Verzeihung, Frau Minister; darf ich feststellen - damit ich nicht falsch verstanden werde -: ich halte es für Ihre Zuständigkeit, aus Gründen der Gesundheitspolitik Einwirkung auf Ihre Kollegen im Kabinett zu nehmen.
Schönen Dank; das werde ich 3) selbstverständlich tun.
Eine Zusatzfrage; Abgeordneter Sanger.
Ist bekannt, Frau Minister, daß in Zonengrenzkreisen für eine Anzahl von Gemeinden durch die Willkür der Ziehung der Demarkationslinie nicht unerhebliche Schwierigkeiten in der Wasserversorgung entstanden sind und noch bestehen, die erheblichen Aufwand verursachen, und kann man helfen?
Ja, diese Schwierigkeiten sind mir bekannt. Sie werden, da es sich zum größten Teil um ländliche Gemeinden handelt, gerade mit Mitteln aus dem Grünen Plan hoffentlich in absehbarer Zeit behoben werden.
Abgeordneter Kohut zu einer Zusatzfrage.
Können Sie als Ministerin für das Gesundheitswesen vielleicht der hessischen Landesregierung nahelegen, in den 161 Gemeinden, die noch keinen Wasseranschluß haben, und in den etwa 1200 Gemeinden Hessens, in denen noch keine Kanalisation besteht, diese Arbeiten vorzuziehen vor dem Bau von Dorfgemeinschaftshäusern und Bürgerhäusern?
({0})
Herr Kollege Kohut, ich habe vor nicht langer Zeit an einer Sitzung der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft in Nordhessen teilgenommen. Wir haben Berichte darüber gehört, wie gerade in Hessen der Stand dieser Entwicklung ist. Wir haben, auch das muß ich sagen, mit Bedauern davon Kenntnis genommen, daß in Hessen gerade diejenigen Kläranlagen, auf die es eigentlich ankommt, nämlich die biologischen Kläranlagen, verhältnismäßig dünn gesät sind. Wir tun vom Grünen Plan her, was wir von Bundes wegen tun können, um gerade diesen Gebieten zu helfen.
Eine Zusatzfrage; Abgeordneter Schwabe.
Darf ich gewiß sein, Frau Ministerin, daß Sie bei der Erörterung der letzten Anregung ganz bestimmt davon ausgehen, daß auch die Dorfgemeinschaftshäuser für die Gesunderhaltung der Landbevölkerung
({0})
und besonders der Landfrauen von größter Bedeutung sind?
Also von den Dorfgemeinschaftshäusern wissen wir ja wohl, daß sie eine etwas vielseitige Einrichtung sind, die nicht gerade nur der Gesunderhaltung der Menschen dient, sondern auch vielerlei anderen Zwecken.
({0})
Mit dieser Wasserfrage scheint man eine Quelle angestochen zu haben. Es kommt n o c h eine Zusatzfrage!
Frau Ministerin, darf ich aus der Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut schließen oder darf ich die Bitte äußern, daß Sie diese Diskussion zum Anlaß nehmen, an die hessische Landesregierung in diesem gewünschten Sinne noch einmal heranzutreten?
Ich werde mich noch einmal mit ihr in Verbindung setzen und bin dankbar für die Anregung.
Werden noch Zusatzfragen gewünscht? - Offenbar.
Frau Ministerin, sind Sie nicht der Meinung, daß das bei anderen Ländern vielleicht noch in erhöhtem Maße geschehen müßte?
Das ist insofern richtig, als es andere Länder gibt, in denen die Zahl der Gemeinden ohne Kanalisation usw. noch höher ist. Aber gerade in bezug auf die biologischen Kläranlagen gehört Hessen zu den schlechtentwickelten Ländern.
({0})
Ich lasse noch eine Zusatzfrage zu. - Herr Abgeordneter Börner!
Frau Ministerin, sind Sie bereit, bei einer Besprechung dieser Angelegenheit mit der hessischen Landesregierung auch darauf hinzuweisen, daß der Anteil der nicht kanalisierten Gemeinden in den von den FDP-Landräten regierten Kreisen besonders hoch ist?
({0})
Herr Kollege, in diesem Maße bin ich nicht in die politschen Details dieser Frage eingetreten.
({0})
Ich habe mich vielmehr in erster Linie mit den gesundheitlichen Fragen beschäftigt, und dabei liegen mir die biologischen Kläranlagen besonders am Herzen..
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Kohut, Sie hatten drei Zusatzfragen, Sie haben Ihr Pensum aufgebraucht.
({0})
- Nein, Sie haben schon drei Zusatzfragen von mir genehmigt bekommen. Eine vierte bekommen Sie nicht.
Ich rufe auf die Frage XIII/ 8 - des Abgeordneten Dr. Jungmann -:
Beabsichtigt die Bundesregierung, nachdem bereits einmal eine Fristverlängerung erfolgt ist, nochmals die Verlängerung der Frist für die Außerkraftsetzung der Diät- und Fremdstoffverordnung vom 19. Dezember 1959 zu beantragen, oder kann damit gerechnet werden, daß die zur Zeit geltende Diät-FremdstoffVerordnung durch eine neue, das gesamte diätetische Lebensmittelwesen regelnde Verordnung ersetzt wird?
Es ist nicht beabsichtigt, von der Bundesregierung aus eine nochmalige Fristverlängerung für die Gültigkeit der Diät-Fremdstoff-Verordnung zu verlangen. Beim Bundesgesundheitsministerium ist ein Entwurf für eine Verordnung auf Grund von § 5 und § 5 a des Lebensmittelgesetzes fachlich abgeschlossen und in den Grundzügen mit den Sachkennern nach § 5 d des Lebensmittelgesetzes abgestimmt worden. Dieser Entwurf soll alle für den Verbraucherschutz notwendigen Vorschriften über die diätetischen Lebensmittel und ihre Kennzeichnung umfassen und wird übrigens auch die weiter notwendigen Bestimmungen der provisorischen DiätFremdstoff-Verordnung aufnehmen. Er ist soeben juristisch durchgearbeitet worden, und ich nehme an, daß er noch im Oktober den zu beteiligenden Bundesministerien für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und - hinsichtlich der Zulassung fremder Stoffe - für Wirtschaft sowie dem Bundesjustizministerium für die Prüfung der Rechtsförmlichkeit zugeleitet werden kann. Ich hoffe, daß er im November in den Bundesrat kommen kann. Die obersten Landesgesundheitsbehörden sind bereits über die
Grundzüge der geplanten Regelungen unterrichtet. Grundsätzliche Bedenken sind von dort nicht bekanntgeworden, so daß wir damit rechnen können, daß- diese Verordnung fristgerecht in Kraft treten kann.
Eine Zusatzfrage wird offenbar nicht gewünscht.
Ich rufe auf die Frage XIII/ 9 - des Abgeordneten Dr. Bechert -:
Was tut die Bundesregierung, um angesichts der - nach Pressemeldungen im Koordinierungsausschuß der Länder besprochenen - bedenklich hohen Milchverseuchung mit Jod 131 die seuchenfreie Milchversorgung für Kinder sicherzustellen?
In der Sitzung des Koordinierungsausschusses vom 13. September 19,62 wurde eingehend über den Anstieg von Jod 131 in den Niederschlägen beraten. Auf Grund der vorliegenden Meßergebnisse vertrat der Ständige Ausschuß die Auffassung, daß der im September 1962 festgestellte erhöhte Gehalt von Jod 131 in den Niederschlägen und in der Milch keine akute Gefährdung der Bevölkerung ,darstelle. Hierüber hat die Presse auf Veranlassung meines Hauses die Bevölkerung unterrichtet. Für den Fall, daß eine bedenklich hohe Milchverseuchung mit Jod 131 eintreten sollte, haben die Länder -zur Sicherstellung der Milchversorgung !der Säuglinge und Kleinkinder ausreichende Mengen von einwandfreier Milch zur sofortigen Verfügung.
Zusatzfrage!
Ist Ihnen bekannt, Frau Ministerin, daß in ,der Zeit vom 29. August bis 25. September dieses Jahres der Gehalt an Jod 131 in der Milch im Monatsdurchschnitt in einer Reihe von Orten der Bundesrepublik erheblich über der höchstzulässigen Menge für Kinder gelegen hat, z. B. in Schädtbeck in Norddeutschland täglich 226 Picocurie pro Liter betrug, also mehr als das Dreifache der höchstzulässigen Menge von 70 Picocurie pro Liter am Tag; in Lippstadt in Westfalen 1,13 Picocurie pro Liter, wobei Tageswerte an einzelnen Orten bis über das Siebenfache der höchstzulässigen Menge vorkamen? Ist Ihnen bekannt, daß sich für das seit September 1961 vergangene Jahr die Jod-131-Verseuchung für Kinder unter einem Jahr auf 64 % der höchstzulässigen Menge im Bundesdurchschnitt beläuft, also nahe an der Grenze liegt, die in der Länderkommission mit 70 % angegeben wurde, und wonach Maßnahmen eingeleitet werden müßten, wenn diese überschritten ist?
Herr Kollege Bechert, wir sind uns darüber einig, daß dies eine außerordentlich ernste Frage ist, bei der man nicht gewissenhaft genug verfahren kann. Aber wir sind uns ja wohl auch darüber einig, ,daß die Meßzahlen, die wir zugrunde legen, auf das Jahr berechnet sind, und daß ein einmaliges oder auch nur wochenweises Ansteigen über diese Durchschnittsgrenze keine Gefahr bedeutet.
Eine weitere Zusatzfrage!
Darf ich zunächst zu dem, was soeben gesagt wurde, feststellen, daß ich einen Jahresdurchschnitt von 64 % angegeben habe.
Nun meine Zusatzfrage: Haben Sie Schritte unternommen oder haben Sie solche Schritte vor, um die Bundesregierung zu veranlassen, wegen der Milchverseuchung, die vor allem unsere Kinder bedroht und die ja bei dem Weitergehen der Atomwaffenversuche noch stärker wird, bei den Großmächten und bei der UNO, etwa bei der Menschenrechtskommission, dahingehend vorstellig zu werden, daß man endlich mit dem Verbrechen der Atomwaffenversuche aufhört?
Herr Kollege Bechert, ich habe über diese Beobachtungen im vorigen Monat einen Brief an den Herrn Bundesminister ides Auswärtigen geschrieben. Die Verhandlungen über diese Fragen gehören ja zu 'den Aufgaben des Außenministers, den Sie danach fragen müßten.
Ich rufe auf die Frage XIII/ 10 - des Abgeordneten Dr. Bechert -:
Warum ist dem vom Bundestag am 22. Mai 1962 beschlossenen Ersuchen an die Bundesregierung bisher nicht entsprochen worden, den zuständigen Bundestagsausschüssen laufend - mindestens vierteljährlich - über die Arbeit des am 21. Dezember 1961 gebildeten Koordinierungsausschusses zur Frage der Umweltradioaktivität zu berichten?
Den Bundestagsausschüssen für Gesundheitswesen und Atomkernenergie ist zur vorläufigen Unterrichtung über die Arbeit des Koordinierungsausschusses am 7. August 1962 die Niederschrift über die zurückliegende Sitzung vom 26. März 1962 übersandt worden. Die beiden nächsten Sitzungen - also in der Berichtsperiode - fanden erst am 13. und 27. September statt. Über das Ergebnis dieser Beratungen unterrichtet Sie ein Bericht, der bereits unterwegs ist. Ich nehme an, daß er im Besitz der Vorsitzenden ist.
Zusatzfrage!
Wie verträgt es sich mit dem Beschluß des Bundestages und was gedenken Sie, Frau Ministerin, dagegen zu tun, daß der zuständige Beamte beim Innenministerium von Nordrhein-Westfalen mitteilen ließ, die Sitzungsprotokolle des Länderausschusses für die Umweltradioaktivität seien eine innerdienstliche Angelegenheit und vertraulich und könnten nicht den zuständigen Fachausschüssen des Bundestages, sondern nur ihren Vorsitzenden zur Kenntnis gegeben werden, - obwohl doch der Bundestag am 22. Mai 1962 beschlossen hat, daß den zuständigen Fachausschüssen des Bundestages über die Arbeit dieses Länderausschusses laufend, mindestens vierteljährlich, berichtet werden muß?
Herr Kollege Bechert, ich kann dem Beamten des nordrhein-westfälischen Innenministeriums nicht unrecht geben. Ich glaube nicht, daß die Ausschüsse ein Recht auf Kenntnisnahme des gesamten Protokolls mit allen Diskussionsbeiträgen haben. Ich glaube, dies würde die Arbeit dieses Ausschusses erschweren. Sie haben aber Anspruch auf einen Bericht über die Verhandlungen. Dieser Bericht ist erstattet worden, wie gesagt: etwas spät, weil die Sitzungen erst Ende September stattgefunden haben. Aber 'dieser Bericht wird Sie im ganzen über den Lauf dieser Arbeit unterrichten.
Die Fragestunde ist damit erledigt. - Herr Kollege, Sie haben Ihre zwei Zusatzfragen gehabt, mehr stehen Ihnen nach der Geschäftsordnung nicht zu.
({0})
- Sie haben zwei gehabt! Die Fragestunde ist erledigt.
Meine Damen und Herrn, ich rufe auf die
Beratung der Sammelübersicht 9 des Ausschusses für Petitionen ({1}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen ({2}) .
Der Petitionsausschuß beantragt durch seine Vorsitzende:
Der Bundestag wolle beschließen,
die in der nachfolgenden Sammelübersicht enthaltenen Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen anzunehmen.
Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ist das Haus mit dem Antrag des Ausschusses einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Wir fahren nunmehr in der
Aussprache über die Regierungserklärung fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere - ({0})
Herr Abgeordneter Deist, Sie haben das Wort.
Meine Damen und Herren, ich bedauere, meine Ausführungen mit folgender Erklärung beginnen zu müssen. Meine Fraktion erhebt Einspruch gegen das Verfahren, das der Herr Bundeskanzler gegenüber der Rede des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion als der Oppositionspartei dieses Bundestages angewandt hat.
({0})
Meine Damen und Herren, wenn Sie schon Wert darauf legen, als eigenständige Kraft - wie das so schön heißt - im Bundestag gegenüber der Regierung angesehen zu werden, dann sollten Sie auch anerkennen, daß mit dieser Art sowohl die Würde des Parlaments als auch die Würde verletzt werden, die dem Bundeskanzleramt zukommt und von seinem Träger zu wahren ist.
({1})
Meine Fraktion lehnt ein solches Verfahren ab.
({2})
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zu den Ausführungen, die insbesondere der Herr Bundeswirtschaftsminister in Ergänzung der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers gemacht hat. Er hat im Laufe dieser Erklärung einen Ausspruch getan, den ich unterstreichen möchte und der die Ausgangsbasis für die sachlichen Auseinandersetzungen geben mag, um die es wirklich heute in Deutschland auf wirtschaftlichem Gebiete geht. Er hat gesagt, es sei keine gute Methode, damit zu beginnen: Ich habe recht, und die anderen haben unrecht. Er trifft mit dieser Feststellung zweifellos das Richtige. Darum möchte ich mich nicht sehr viel mit der Vergangenheit aufhalten. Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, da Sie mehrere Worte darüber verloren haben, möchte ich ein paar Sätze - auch nur zur sachlichen Klarstellung - sagen.
I Sie sprachen von der Diskussion, die seit Ihrer Fernsehrede im März dieses Jahres eingesetzt hat. Niemals haben wir behauptet - eine solche Behauptung wäre auch falsch -, daß es keine Sorgen gebe und alles in schönster Ordnung sei. Aber wir meinten, daß die Akzente in dieser Rede so falsch gesetzt waren, daß es notwendig war, sie wieder zurechtzurücken. Wir meinten, daß die Unheilsankündigungen, der Hinweis auf die Maßlosigkeit unseres Nationalcharakters und vieles andere den Tatsachen nicht gerecht würden. Wir meinten auch, daß Ihr einseitiger Hinweis auf die Löhne als Ursache aller Schwierigkeiten übertrieben war. Darum waren wir der Auffassung, daß es notwendig sei, die Diskussion um die Probleme, um die es wirklich geht, auf das sachlich gerechtfertigte Maß zurückzuführen. Es kam nicht darauf an, den Ernst herunterzuspielen und alles in bester Ordnung zu finden. Herr Bundeswirtschaftsminister, im Vertrauen gefragt: ist das nicht doch ein Versuch, wieder in die Methode des Schwarz-Weiß-Malens zurückzuführen, wenn man andeutet, der eine habe die Dinge durchaus sachlich dargestellt und der andere habe versucht, alles als in bester Ordnung aufzuzeigen? Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, einer unangemessenen Dramatisierung entgegenzutreten und eine ruhige und sachliche Beurteilung herbeizuführen.
Und um eine Bemerkung hinzuzufügen: Ich habe gelesen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister am 27. Juli 1962 in einem Rundfunkinterview sagte:
Was haben eigentlich die Menschen für einen
'Grund zur Beunruhigung? Sie sollten sich doch
ihres Lebens freuen. Sie haben ihre Arbeit, sie haben ihren Lohn, sie haben gesicherte Arbeitsplätze. Aber sie lassen sich immer in die Irre führen und lassen sich unruhig machen. Ich 'finde, dazu besteht wirklich keine Veranlassung.
({3})
Dieser Versuch des Herunterredens des Ernstes, des „appeasement", stammt nicht von mir, Herr Bundeswirtschaftsminister.
({4})
Aus diesen kurzen Vorbemerkungen mögen Sie entnehmen, daß es mir nicht darauf ankommt, Konten glattzustellen oder Vorwürfe zu erheben, sondern darauf, wirklich eine 'Grundlage für eine Betrachtung zu finden, die allen Seiten gerecht wird.
Herr Bundeswirtschaftsminister, es ist richtig, daß nicht allein die Bundesregierung für den Wirtschaftsablauf verantwortlich ist. Wenn 'das so wäre, dann hätten ,wir keine freie Ordnung unserer Wirtschaft. Innerhalb unserer Wirtschaft haben neben der Bundesregierung, neben 'der autonomen Bundesbank die freien Kräfte in 'der Wirtschaft mit Recht und notwendigerweise ihr Wort zu sagen; sie spielen damit ebenfalls eine wesentliche Rolle für den Lauf der Wirtschaft insgesamt.
({5})
Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, das scheint mir das Problem 'des modernen demokratischen Staates zu sein: es muß dafür Sorge getragen werden, daß die verschiedenen Kräfte, die alle Anspruch auf Wirksamkeit haben, miteinander in Einklang gebracht werden. Wir müssen eine demokratische Methode finden, um sie unter idas Gesetz einer gemeinsamen Verantwortung zu bringen. Wir wissen, daß es nicht gerechtfertigt ist, einfach auf den Lauf der Dinge und darauf zu vertrauen, daß jeder einzelne schon das Richtige tue und (damit die gemeinsame Harmonie herbeigeführt werde. Wir wissen insbesondere aus der unseligen Zeit vor 1933, daß auch von .der Gemeinschaft und von ihrem obersten Träger, dem Staat, einiges getan werden muß, damit dieses Gesetz gemeinsamer Verantwortung in der Gemeinschaft wirksam wird. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Da steht 'der Gemeinschaft und dem Staat und seinen führenden Organen, dem Parlament und insbesondere der Bundesregierung, eine große Aufgabe 2u. Die Regierung hat dabei die Aufgabe, die Grundlage für die gemeinsame Verantwortung zu schaffen -das pflegen wir als Politik zu bezeichnen -, die Verantwortung für 'das Gemeinsame durchzusetzen. Dazu gehört, wenn man diese Führungsaufgabe ernst nimmt, daß man Ziele steckt, daß man selber das Eigene tut, das für .die Erfüllung dieser gemeinsamen Verantwortung notwendig ist, und daß man 'die Voraussetzungen schafft, daß im freien Raum 'der Wirtschaft letzten Endes das gemeinsame Beste aus verantwortlichem Handeln herauskommt. Das ist 'die zentrale Aufgabe, die jede Gemeinschaft der Menschen zu erfüllen hat, der nun einmal die oberste, ordnende Gewalt zusteht; nämlich der Staat. Darum ist die Bundesregierung für
diesen Teil - und ihn nennen wir Wirtschaftspolitik - in erster Linie und allein verantwortlich. Sie hat nicht das Recht, the Verantwortung für diese formende, führende und ordnende Aufgabe, für diese wirtschaftspolitische Aufgabe auf andere Kräfte innerhalb der freien Wirtschaft abzuschieben. Das scheint mir ein Grundsatz zu sein, den wir bei der Frage, wer für die Wirtschaftspolitik verantwortlich ist, deutlich sehen müssen.
Dann ein zweites. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich habe mit viel Interesse gelesen, was Sie bezüglich des Kernpunkts dieser wirtschaftspolitischen Aufgabe in einer ausgezeichneten Weise, wie ich sagen möchte - ohne daß ich mich damit anheischig mache, hier etwa der Zensor des einen oder anderen zu sein -, vor der Hamburger Wirtschaft am 5. März 1961 erklärt haben:
Ich klage die Gewerkschaften gar nicht an; denn in gewisser Hinsicht haben sie recht, wenn sie sagen: Wir sind für die freie Marktwirtschaft, der Preis richtet sich nach Angebot und Nachfrage, und wenn eben die Arbeitskraft knapp ist, na schön, dann hat sie ihren Preis.
Ich erwähne das wegen des Satzes, der nun kommt:
Aber es ist eben die Pflicht der Wirtschaftspolitik, dafür zu sorgen, daß solche Ungleichgewichte nicht Platz greifen, und hier muß dann mit wirtschafts- und konjunkturpolitischen Mitteln eingegriffen werden.
Herr Bundeswirtschaftsminister, damit ist sehr deutlich gesagt: Es hat keinen Sinn, an Symptomen herumzukurieren, sondern man muß auf die Ursachen zurückgehen,
Die Diskussion muß sich um die Fragen bemühen: Wo liegen die Ursachen, und was können wir tun, um sie zu beseitigen? Meine Damen und Herren, ich stimme dem Herrn Bundeswirtschaftsminister zu, wenn er sagt: Die Preise sind ein Symptom, sie zeigen an, was wir falsch. gemacht haben. Das ist sicherlich ein richtiger Satz. Aber wir sollten uns darüber klar sein - ich möchte auch das' hier deutlich sagen -: die Preiserhöhungen, die Preissteigerungstendenzen der letzten Jahre sind unerträglich. Ich will sie gar nicht überdimensionieren. Auch das, was hier laufend geschieht, ist unerträglich, und die Folgen tragen wir alle gemeinsam. Die Folgen tragen auch und in erster Linie die Arbeitnehmer, die von festen Einkommensbezügen abhängig sind.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben mit den von Ihnen zitierten Ergebnissen von Meinungsbefragungen sehr deutlich unterstrichen, wie stark diese Überzeugung gerade bei uns in der deutschen Arbeitnehmerschaft verankert ist. Sie sollten nicht meinen, daß die Gewerkschaften nicht klug genug wären, das als die Organisationen dieser Arbeitnehmer auch zu wissen.
Schließlich hängt von der Preisstabilität das Schicksal aller unserer Bemühungen um Vermögensbildung ab; denn der kleine Sparer ist derjenige, der am meisten, am stärksten darunter zu leiden hat.
({6}) Und wer ist dieser kleine Sparer denn eigentlich? Das sind auch kleine und mittlere Unternehmer, aber das Gros dieser kleinen Sparer - wenn Sie es mit breiter Eigentumsstreuung überhaupt ernst meinen - können doch nur die breiten Schichten der Arbeitnehmer sein. Darum kommt auch dieses Element der Überlegung wieder zu dem Ergebnis: Wir brauchen um der Arbeitnehmer, um der Sparer willen die Preisstabilität.
Lassen Sie mich eine Bemerkung hinzufügen, Ich will ein Beispiel geben: Wenn wir eine Steigerung der Produktivität um etwa 4 % und daneben eine Preissteigerung von 4 % haben, so ist zweierlei unausweichlich.
Einmal: Bei einer Preissteigerung von 4% kann den Arbeitnehmern eine Lohnerhöhung in den Grenzen des realen Produktivitätszuwachses, d. h. von nur 4 % nicht zugemutet werden. Denn dann würden sie am Zuwachs des Volkseinkommens überhaupt nicht beteiligt werden, sondern nur einen Ausgleich für Preiserhöhungen erhalten.
Umgekehrt: Eine Lohnerhöhung von 8 % bei einer Produktivitätssteigerung von 4 % kann jedenfalls ein Teil der Wirtschaft, können insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen, die lohnintensiven Betriebe nicht ohne gewisse Preiserhöhungen verkraften.
({7})
Damit zeigt sich sehr deutlich die gegenseitige Abhängigkeit aller dieser Komponenten. Es ist sinnlos, den Versuch zu machen, die Erscheinungen in unserem komplizierten Wirtschaftskreislauf auf eine Ursache zurückführen zu wollen. So einfach ist das nun einmal nicht.
Wer die Entwicklung der letzten zehn Jahre verfolgt, kann feststellen, daß wir eine fast regelmäßige Preissteigerung von 2,5 bis 3 %, gemessen an den Lebenshaltungskosten - ich will da Ihren Streit mit Herrn Slotosch nicht aufnehmen -, hatten. Diese Preissteigerung war unabhängig davon, wie stark in dem jeweiligen Zeitraum die Lohnentwicklung war. Auch das zeigt deutlich, daß die Beziehungen so einfach nicht sind.
Lassen Sie mich noch in einem weiteren Punkt etwas zu einer sachlichen, gerechten und ruhigen Beurteilung beitragen. In den Jahren von 1950 bis heute hat sich die Lohnentwicklung insgesamt durchaus im Rahmen der übrigen Einkommensentwicklung gehalten. Zeitweise war die Lohnentwicklung stärker als die durchschnittliche Einkommensentwicklung. Da war dann in der Regel der Zuwachs der Unternehmereinkommen und der Gewinne schwächer. Das war aber nur während kürzerer Zeiträume so. Während des Hauptteils der Entwicklung bis etwa 1960 sind die Unternehmergewinne wesentlich stärker 'gestiegen als das Volkseinkommen, und die Arbeitnehmereinkommen sind hinter der Entwicklung des Volkseinkommens zurückgeblieben. Es hat 'keinen Sinn, in solchen Fragen mit kurzen Zeiträumen zu rechnen, sondern man muß auf diesem Gebiet die Entwicklung langfristig beurteilen. Und während der Entwicklung in einem Zeitraum von 10 Jahren haben sich die Löhne und Ge1716
kälter - das sollten wir sehr deutlich sagen - durchaus im Rahmen der allgemeinen Einkommensentwicklung gehalten.
Aber .das enthebt uns nicht der Frage: Wo liegen denn nun eigentlich die Ursachen für die unglückliche Preisentwicklung? Bei einer ernsten und sachlichen Aussprache darüber sollte man einmal das Wort auf die Waage legen: die Ursache sei am Arbeitsmarkt, in der Knappheit an Arbeitskräften zu suchen. Zweifellos ist das irgendwie richtig, aber es ist die Frage, ob das wirklich die letzte Ursache ist oder ob es sich nicht auch hier um ein Symptom tieferliegender Ursachen handelt.
Wir haben bei der Diskussion über die Auswirkungen der Arbeitsmarktlage einen bestimmten Anhaltspunkt, nämlich die Tatsache, daß die effektiv gezahlten Löhne in Deutschland im Durchschnitt um 25% über den tariflichen Löhnen liegen. Das zeigt doch wohl, daß die Lohnentwicklung jedenfalls nicht allein auf die Tarifpolitik zurückzuführen sein kann, sondern daß hier tiefere Ursachen liegen müssen: Und wir werden des Problems nicht Herr, wenn wir uns nicht um diese tieferliegenden Ursachen bemühen.
Wenn es richtig ist, daß die Ursachen tiefer liegen, hat es keinen Zweck, über die Abwerbung in den Betrieben zu klagen. Das ist ein Versuch, an den Symptomen zu kurieren. Dann hat es auch keinen Zweck, zu versuchen, die Lohntarifgestaltung irgendwie zu steuern oder zu lenken; denn auch das, Herr Bundeswirtschaftsminister - ich verweise
auf Ihre Rede in Hamburg -, wäre ein Herumkurieren an den Symptomen. Man muß vielmehr etwas tiefer schauen.
Meine Damen und Herren, im Jahre 1955 haben wir in Berlin die erste große Konjunkturdebatte geführt. Und ich hatte den Eindruck, daß es von allen Seiten eine gute Debatte war. Wenn Sie gestatten, möchte ich einen kurzen Satz zitieren, den ich die Ehre hatte damals auszuführen, und der, glaube ich, mithilft, festzustellen, wo die Ursachen liegen und wie lange wir ihnen eigentlich hätten Rechnung tragen müssen. In dieser Sitzung am 19. Oktober 1955 habe ich ausgeführt:
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat die augenblickliche Investitionsquote mit 27 % angegeben. Meine Damen und Herren, es gibt natürlich keine ewig und allgemein gültige Relation zwischen Investitionen und dem Sozialprodukt. Aber alle ernsthaften Beobachter der konjunkturellen Situation sind sich darin einig, daß unsere Investitionsquote für normale Verhältnisse überhöht ist.
Das war 1955, meine Damen und Herren, d. h. jener Zeitpunkt, in dem wir summa summarum den Wiederaufbau der Wirtschaft durchgeführt hatten und in etwa mit unserem industriellen Potential den Anschluß - ich sage: in etwa! - an die anderen europäischen Industrieländer gefunden hatten. Diesen Dingen sollten wir ein klein wenig nachgehen.
Diese Investitionsquote, nicht ihre Höhe, ist bis heute gleich hoch geblieben. Der Anteil, den wir aus dem Sozialprodukt für Investitionen in Anspruch genommen haben, war im Jahre 1961 genauso hoch, ja, real gesehen, sogar etwas höher als seiner Zeit, obwohl wir eigentlich seit dieser Zeit oder jedenfalls bald danach einen Anpassungsprozeß an eine normale Entwicklung hätten vollziehen müssen. Dieser Anpassungsprozeß wurde auch in den Jahren 1957, 1958 und in der ersten Hälfte des Jahres 1959 tatsächlich eingeleitet. Die Summe der Investitionen sank nicht; aber sie stieg nur gering, und die Investitionsrate blieb etwa gleich. Damals begann sich die Wirtschaft auf. eine normale Aufwärtsentwicklung einzurichten. Dann kam der Boom der Jahre 1959, 1960 bis zum Anfang des Jahres 1961, bei dem alle Stränge rissen. Wir hatten damals einen Investitionsboom, über den wir doch alle gemeinsam geklagt haben, und die Wirtschaftspolitik hat leider entgegen unseren Anträgen nicht rechtzeitig den Mut gefunden, die erforderlichen Maßnahmen zur Dämpfung des Fiebers zu treffen.
Meine Damen und Herren, daraus ergeben sich einige wichtige Schlußfolgerungen. Wir haben in den Jahren 1952 bis 1957 durch diese hohe Investitionsrate jährlich insgesamt rund 600 000 Arbeitsplätze geschaffen. Das war in diesen Jahren eine gute Sache; denn es galt, aus dem Tiefpunkt in der Wirtschaft wieder aufwärtszuschreiten. Die Arbeitskräfte standen zur Verfügung. Wir konnten diesen jährlichen Bedarf aus dem Reservoir an Arbeitslosen, das wir damals hatten, aus den Zuwanderungen aus dem Osten und aus dem normalen Bevölkerungszuwachs decken.
Die Jahre 1958/59 standen im Zeichen der Normalisierung. Der Neuzuwachs an Arbeitskräften betrug nur 200 000 bis 300 000 Mann. Aber in den Jahren 1960 und 1961 - das ist die kritische Periode, über die wir uns hier im Bundestag mehrfach unterhalten haben - sind die Investitionen wieder um rund 15 bis 16 % gestiegen, während das Sozialprodukt nominell um 10 bis 11 % gestiegen war, mit dem Effekt, daß zur Besetzung der Arbeitsplätze in großem Umfang ausländische Arbeitskräfte herangezogen werden mußten. Denn das Reservoir der Arbeitslosen war erschöpft, die Zuwanderung aus der Zone und aus den Ostgebieten ist seit dem Herbst 1961 praktisch abgeschnitten, und der eigene Zuwachs aus der Bevölkerung ist, wie hier richtig dargelegt worden ist, durch die geburtenschwachen Kriegsjahrgänge belastet. Das heißt ganz dürr gesagt: mit dieser hohen, mit dieser überhöhten Investitionsrate schaffen wir mehr Arbeitsplätze, als wir überhaupt Arbeitskräfte zur Verfügung stellen können. Wir wissen, daß wir in Zukunft nicht mehr mit einem gleichen Zugang ausländischer Arbeitskräfte rechnen können. In Italien werden heute Facharbeitskräfte gesucht, und wir gehen allmählich auf die Dörfer, nämlich nach Griechenland und in die Türkei, um noch ausländische Arbeitskräfte zu erhalten.
Eine Zwischenfrage? - Bitte.
Herr Kollege Deist, wollen Sie mit dieser Argumentation sagen, daß die Investitionen nur gemacht würden, um mehr ArDr. Burgbacher
beitsplätze zu schaffen? Oder ist Ihnen - ich muß ja fragen - nicht auch bekannt, daß Investitionen fast primär gemacht wurden, um den Mangel an Arbeitskräften durch technische Einrichtungen auszugleichen?
Herr Burgbacher, Sie kennen mich so weit, daß Sie unterstellen können, daß ich auch die Zusammenhänge sehe.
({0})
- Na, vielleicht lachen Sie, wenn ich erklärt habe, was ich meine.
Herr Burgbacher, zunächst einmal habe ich einen Tatbestand festgestellt und nichts darüber ausgeführt, was gewollt ist. Ein Zweites: Sie wissen aus eigener Erfahrung, daß selbst ausgesprochene Rationalisierungsinvestitionen ständig, wenn auch nicht gewollt, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führen. Und schließlich: eine so hohe Investitionsquote, wie wir sie haben, kann nicht allein Rationalisierungsmaßnahmen umfassen. Sie führt zwangsläufig immer zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Jedenfalls, meine Damen und Herren, ist das ein Tatbestand! Und die Spannungen am Arbeitsmarkt sind darauf zurückzuführen, daß seit Jahren ständig wesentlich mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, als beim besten Willen an Arbeitskräften herbeigeschafft werden kann. Daraus sollte man die Konsequenz ziehen.
Diejenigen von Ihnen, meine Damen und Herren, die diese Dinge etwas eingehender verfolgen, wissen, daß dieser Gesichtspunkt auf der letzten Tagung der Aktionsgemeinschaft für soziale Marktwirtschaft eingehend behandelt und daß dort von der „Hypertrophie der Investitionen" gesprochen worden ist. Wir müssen uns darauf einrichten, daß uns in Zukunft ein Zuwachs von praeter propter 200 000 Arbeitskräften zur Verfügung steht und daß es notwendig ist, sich auch in der Investitionstätigkeit dieser Entwicklung anzupassen. Darin liegen grundsätzlich keine Gefahren für den wirtschaftlichen Fortschritt. Unser Investitionsniveau liegt wesentlich über dem anderer Industrienationen, in denen die Verhältnisse im übrigen ähnlich gelagert sind. Der Bundeswirtschaftsminister hat einmal eingewandt, bei uns sei da eben der hohe soziale Wohnungsbau drin. Natürlich ist er drin. Ich habe aber auch verglichen, wie es mit den Ausrüstungsinvestitionen steht, die also der Schaffung industrieller Kapazitäten dienen. Dabei habe ich feststellen müssen, daß auch der Anteil der Ausrüstungsinvestitionen am Bruttosozialprodukt in Deutschland wesentlich über dem in anderen Nationen liegt. Ich ziehe dabei die USA gar nicht in Betracht, die naturgemäß in den letzten Jahren infolge der Rezessionen ein. besonders niedriges Investitionsniveau gehabt haben.
Meine Damen und Herren, warum sage ich das? Weil ich meine, wir haben ein entscheidendes Interesse daran, diesen Prozeß durch die Wirtschaftspolitik zu fördern und nicht zu gefährden. Es kommt darauf an, diesen Prozeß soweit als möglich ist, zu fördern, nicht zu gefährden.
({1})
- Den der Anpassung der Investitionen an eine
normale Entwicklung. Dieser Prozeß ist im Gange.
({2})
Im letzten halben Jahr haben sich die Gesamtinvestitionen in Deutschland etwa auf der Höhe des vergangenen Jahres gehalten; sie sind nicht mehr gestiegen, und das ist ein gesunder und guter Prozeß. Ich sage das, weil ich die Praxis, mit erhobenem Finger auf die drohende absinkende Investitionsneigung zu verweisen, für eine sehr gefährliche Politik halte.
Die Situation ist eine ganz andere als vor zwei Jahren. Solch ein Anpassungsprozeß ist immer mit gewissen Gefahren verbunden. Das ist bei jedem Anpassungsprozeß so. Es ist auch an die Gefahr zu denken, daß die Stagnation der Investitionen zu einer übermäßigen Senkung der Investitionsneigung der Wirtschaft führt. Es ist geradezu bedenklich, wenn diese Tendenz dadurch gesteigert wird, daß der Normalisierungsprozeß bereits als ein gefährlicher Weg zum Abgrund bezeichnet wird. Darum, meine Damen und Herren, sollten wir uns darüber klar sein: die bis 1960 gestiegenen hohen Gewinnraten, die daraus gedeckten hohen Investitionsraten sind hauptverantwortlich für die Entwicklung des Preisniveaus und für die Spannungen auf dem Arbeitsmarkt. Hier liegt der Kernpunkt, und wir müssen dieser Frage unser entscheidendes Augenmerk zuwenden.
Die Klagen, die heute gebracht werden, kommen zum übergroßen Teile um zwei Jahre zu spät. Es kommt entscheidend darauf an, ein wirtschaftspolitisches Konzept zu entwickeln, das dreierlei zur Folge hat. Es muß erstens der Wirtschaft eine klare Erkenntnis der Entwicklungstendenzen vermitteln und so Panikstimmungen verhüten. Zweitens muß damit das Vertrauen in die zukünftige Entwicklung innerhalb der Wirtschaft gestärkt und nicht geschwächt werden. Und drittens muß es zum Ausdruck bringen: Die Wirtschaftspolitik wird die Führungskraft wahren, die ihr zusteht; ihr braucht keine Sorge haben, daß unglückliche Entwicklungen innerhalb der Wirtschaft eintreten; denn selbst wenn die Investitionsneigung sinken sollte, haben wir, die Regierung, genügend Mittel in der Hand, um über steuerliche Maßnahmen, über die umfangreiche Tätigkeit des Staates auf dem Gebiete der Wirtschaft und auf andere Weise dafür zu sorgen, daß das Investitionsniveau insgesamt nicht absinkt und damit der wirtschaftliche Aufschwung gesichert wird.
Meine Damen und Herren, das ist doch wohl, ganz sachlich gesehen, die Aufgabe der wirtschaftspolitischen Führung, um den wirtschaftlichen Aufschwung zu sichern.
In diesem Zusammenhang spielt natürlich das Lohnniveau eine Rolle. Aber ich möchte doch zunächst eine Feststellung aufnehmen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister oder der Herr Bundeskanzler getroffen hat und die auch der Herr Bundesbankpräsident getroffen hat: daß wir mit unserer gesamten Kostenentwicklung, die ja nicht nur aus
der Entwicklung der Löhne besteht-was ich nebenbei bemerken möchte -, das internationale Niveau erreicht haben. Von einer Überhöhung kann jedenfalls bis heute nicht gesprochen werden.
Im Jahre 1961 ist - das ist wiederholt festgestellt worden - erstmals der Anteil der Masseneinkommen, insbesondere der Bruttolöhne, am gesamten Volkseinkommen in nennenswertem Umfang gestiegen. Ich glaube, das ist unter verschiedenen Gesichtspunkten ein wichtiger Tatbestand. Hier ist erstmalig über den bisherigen Rahmen hinaus bei breiten Schichten der Arbeitnehmerschaft Raum für Sparen und für Eigentumsbildung geschaffen worden. Und ,diese Möglichkeit wurde genutzt! Im Jahre 1961, im Jahre dieser starken Lohnsteigerungen, ist die Ersparnis der privaten Haushalte gegenüber dem Vorjahr um rund 15%, also überproportional gestiegen, während sie im Jahre 1960 z. B. nur um 6,5 % gestiegen war. Weiterhin ist interessant - die Bundesbank hat es in ihrem letzten Bericht festgestellt -, daß die Sparbereitschaft der breiten Schichten .der Bevölkerung auch im ersten Halbjahr 1962 nicht etwa abgenommen, sondern zugenommen hat. Das kann man insbesondere an dem hohen Zuwachs der Einlagen bei den Sparkassen feststellen.
({3})
- Wenn die Selbstfinanzierungsrate - und hier befinde ich mich in Übereinstimmung mit früheren Äußerungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers - so überhöht war, dann ist ja wohl auch hier ein Anpassungsprozeß durchaus als Normalisierungsprozeß zu betrachten. Ich danke Ihnen für die Feststellung, weil Sie mir damit die Möglichkeit gegeben haben, hier eine ergänzende Feststellung zu treffen.
Meine Damen und Herren, das ist eine erstaunliche Bereitschaft der deutschen Arbeiterschaft, zu sparen und Vermögen zu bilden. Sie sollten diese Sparneigung nicht durch kurzfristige Betrachtungen konjunktureller Art abschwächen oder gar ertöten.
({4})
Wir haben hier eine hervorragende Entwicklung zu verzeichnen. Die Sparquote ist von 1951 bis 1960 von 3 % des Einkommens der privaten Haushalte auf 9 % gestiegen. Das ist eine gute Sache. Bei allen Erörterungen über die Lohnentwicklung sollten Sie diesen entscheidenden Gesichtspunkt einer steigenden Sparneigung nicht vernachlässigen. Er hat nämlich auch seine Konsequenzen dahingehend, daß der übrige Wirtschaftsablauf sich ungeachtet größerer Lohnsteigerungen sinnvoll und vernünftig abwickelt.
Denn eines ist interessant: die Verbrauchsneigung, gemessen an den Einzelhandelsumsätzen, zeigt gerade in diesen ersten 8 Monaten des Jahres 1962 eine sinkende Tendenz.
({5})
- Bitte, ich habe das in Ihrem Monatsbericht vom Oktober festgestellt.
({6}) Nach diesem Monatsbericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers - ich glaube mich nicht zu irren, daß es dieser Monatsbericht ist - sind die Einzelhandelsumsätze im ersten Halbjahr um 10 %gegenüber dem Vorjahr gestiegen, im Juli um 8 %, im August um 6 %
({7})
- Nein, das sind die Zuwachsraten gegenüber dem vergangenen Jahr. Die Zuwachsraten sind gesunken.
Ich will nur einen Tatbestand feststellen, Herr Bundeswirtschaftsminister. Sie stimmen mir wohl zu, wenn ich sage, daß die Neigung zum Sparen und der Tatbestand, daß man bei hohen Masseneinkommen solch eine steigende Sparneigung erzielen kann, ein gesundes Zeichen ist und sichert, daß nicht durch überhöhte Ansprüche auf dem Gebiet des privaten Bedarfs wirtschaftliche Schwierigkeiten entstehen. Gerade das ist einer der wesentlichen Punkte, den wir nicht vernachlässigen sollten, wenn wir die Lohnentwicklung des Jahres 1961 betrachten. Zumindest hat sie auch diesen positiven Effekt.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine andere Bemerkung machen. Wir wissen natürlich alle, daß die Löhne insgesamt - mit dem, was dazu gehört: Sozialeinkommen usw. - netto etwa 60 % des Volkseinkommens ausmachen. Das ist eine wichtige Größe im Rahmen des gesamten Volkseinkommens. Sie ist nicht ohne Bedeutung für die Wirtschaft, und zwar in zweierlei Hinsicht.
Zunächst einmal ergibt sich daraus, daß ein normaler Wirtschaftsablauf nur gesichert ist, wenn sich die Lohnentwicklung in gewissen Grenzen hält. Zweitens ergibt sich daraus, daß die Ordnung dieses großen Bereichs der Einkommensbildung für die Ordnung der Wirtschaft und für ihren Grundcharakter von entscheidender Bedeutung ist und daß wir daher alles Gerede, das Möglichkeiten des Eingriffs in eine freie Ordnung ,dieses Bereichs in Rechnung zieht, mit großer Aufmerksamkeit und mit großer Sorge verfolgen sollten.
Ich habe mich gefreut, daß in der heutigen Debatte sowohl von Herrn von Brentano als auch von Herrn Dr. Mende ein - wie es bei Herrn Dr. Mende hieß - vorbehaltloses Bekenntis zur Tarifautonomie gegeben worden ist. Durch das, was sonst in der Offentlichkeit gesprochen wird, ist leider nicht nur dieses Bekenntnis ein klein wenig fragwürdig geworden, sondern ist auch die Bedeutung der Tarifautonomie in den Augen der Öffentlichkeit sehr stark herabgewürdigt worden. Wir sollten uns über eines klar sein, wenn wir über diese Dinge sprechen: die Tarifautonomie ist nicht irgendeine Form der Lohnbildung, sondern sie ist das Ergebnis der Erkenntnis, daß der Charakter der gesamten Wirtschaftsordnung entscheidend dadurch bestimmt wird, wie man diese 60 % des Volkseinkommens ordnet. Wenn man 60 % des Volkseinkommens staatlich dirigiert, gibt es keine freie Wirtschaft mehr. Darum ist die Tarifautonomie ein Element einer demokratischen Ordnung und darum ist die Tarifhoheit, d. h. die Ordnung des Arbeitslebens
den Tarifparteien zur Selbstverwaltung übertragen worden.
Im Grunde genommen hat sich die Tarifautonomie bewährt. In der Öffentlichkeit wird immer nur dann auf Unebenheiten hingewiesen, wenn die Löhne über den Volkseinkommenszuwachs hinaus steigen. Es wird wenig davon gesprochen, wenn ihre Steigerung längere Jahre hindurch darunter bleibt.
Aber vielleicht 'ist interessant, wie diese Tarifautonomie wirkt. Die Effektivlöhne sind im Zuge der gekennzeichneten Entwicklung im ersten Quartal 1960 um 10,4 % und im ersten Quartal 1961 um 14 % gegenüber dem jeweiligen Vorjahreszeitraum gestiegen. Dies waren also steigende Zuwachsraten. Allmählich entwickelt sich aus dem Wesen der Tarifautonomie ein Prozeß der Revision. Während im ersten Quartal 1961 die Lohnsteigerung noch 14 % betrug, betrug sie im ersten Quartal 1962 nur noch 10 %. So regulierend wirkt sich also der Mechanismus eines so hervorragenden Instrumentes der Selbstverwaltung auf dem Gebiete der Wirtschaft aus.
Meine Damen und Herren, ich frage mich, welcher Anlaß eigentlich dafür besteht, daß der Herr Bundeskanzler trotzdem auch heute wieder jene viel umstrittene Passage seiner Regierungserklärung vom vorigen Jahr zitiert hat, in der von Ordnungsmaßnahmen im Tarifbereich die Rede war. Besteht eigentlich bei uns wirklich Anlaß zu solchen Überlegungen? Wir haben in fast allen Tarifbereichen
in Deutschland Schlichtungsabkommen. Die einzige entscheidende Ausnahme, die es gibt, ist der Bereich der Metallindustrie, und Sie wissen, daß das seine besonderen Gründe aus der Streiksituation damals in Schleswig-Holstein hatte. Im übrigen haben wir in fast allen Tarifbereichen irgendwie geartete Schlichtungsvereinbarungen. Das ist der erste Tatbestand.
Ein zweites. Die öffentliche Hand hat bei uns in Deutschland - dieses Recht wird ihr zugebilligt, uneingeschränkt - die Möglichkeit, sich in entscheidenden Situationen vermittelnd einzuschalten. Das tut sie auch. Ich kenne keinen einzigen Fall, in dem sich irgendeine Gewerkschaft einem solchen Vermittlungsversuch entzogen hätte. Auch das sollte man sagen, um diese Diskussion auf ihren rechten Gehalt zurückzuführen.
Ich möchte ein drittes hinzufügen. Wir wissen, daß hier ein Problem vorliegt. Wir wissen, daß in anderen Staaten zusätzliche Ordnungsmaßnahmen getroffen worden sind. Wir sind durchaus bereit, uns darüber zu unterhalten, was wir im Hinblick auf dieses Wirken der Verbände insgesamt auf Unternehmer- und Arbeitnehmerseite zusätzlich tun können, um einen ausreichenden Ordnungsgrad auch für schwierige Situationen zu schaffen.
({8})
Nur, meine Damen und Herren, sollten Sie sich über eines klar sein. Wir kennen solche Maßnahmen insbesondere in der Schweiz, in Holland und in Schweden. Vielleicht überlegen Sie einen kleinen Augenblick, daß erstens in diesen Staaten ein hervorragendes soziales Klima zwischen den Tarifparteien besteht, das leider bei uns in Deutschland nicht zu verzeichnen ist.
({9})
- Sie fangen gleich wieder mit der Schuldfrage an - ausgezeichnet -, und daß weiterhin in Deutschland das Verhältnis zwischen der Regierung und den Tarifparteien aus der Geschichte insbesondere der letzten Jahre außerordentlich stark belastet ist, was in diesen anderen Staaten auch nicht der Fall ist.
Wir haben aus ernsthaften Überprüfungen der Verhältnisse in diesen Ländern eine Erfahrung ziehen müssen: Entscheidend sind gar nicht die Institutionen, sondern entscheidend ist vor allen Dingen das soziale Klima. Dieses soziale Klima ist leider durch viele, viele Vorgänge in Deutschland in der letzten Zeit arg lädiert worden. Ich kann nicht behaupten, daß die Rede des Herrn Bundeskanzlers hier eine Ausnahme gemacht hätte.
({10})
Dabei handelt es sich um ein ernstes Problem. Es geht nicht nur um die Gewerkschaften als Tarifparteien, es geht nicht nur um die Ordnung des Arbeitsmarktes, sondern es geht darum, daß die Gewerkschaften große demokratische Organisationen im Aufbau unseres demokratischen Gesamtgefüges sind. Wir sollten froh sein, meine Damen und Herren, und sollten es begrüßen, daß bei uns - im Gegensatz zu anderen Ländern - zersetzende kommunistische Tendenzen keinen Einfluß auf die deutschen Gewerkschaften haben erreichen können.
({11})
Darum, meine Damen und Herren, sollten alle Überlegungen über die Ordnung dieses Bereichs von den Fragen ausgehen: a) Wie schaffen wir ein gesundes Klima? b) Welche Wege beschreiten wir, um diese großen Organisationen in das Ganze einzufügen als wesentliche Träger unserer demokratischen Ordnung? Darauf kommt es an.
Zu der Frage der Außenhandelsbeziehungen möchte ich mich nur kurz äußern. Wir alle wissen, daß die hohen Ausfuhrüberschüsse der vergangenen Jahre unser ganzes wirtschaftliches Klima außerordentlich 'belastet ,haben; sie haben die internationalen Währungsbeziehungen gestört, sie haben bei uns in Deutschland durch die Zuführung neuer Kaufkraft ständig neue Preisauftriebstendenzen ausgelöst,
({12})
und sie haben zu einer Liquidisierung der Wirtschaft geführt, die es beinahe unmöglich macht, die Geld- und Kreditpolitik, dieses leichte Mittel einer modernen Wirtschaftssteuerung, noch wirksam einzusetzen. Das alles waren entscheidende Nachteile. Darum ist die Zurückführung des Ausfuhrüberschusses auf ein normales Maß ebenfalls ein gesunder Prozeß der Anpassung an eine zukünftige normale Entwicklung. Ich 'bedauere sehr, daß durch bestimmte Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers
darüber wiederum Zweifel entstehen konnten. Es ist ja gar nicht so, daß die Ausfuhr zurückgeht; die Ausfuhr steigt weiterhin, nicht mehr in gleichem Umfange wie bisher, aber sie hat immerhin im Hinblick darauf, daß sie in früheren Jahren übersteigert war, ein ganz gutes Aufschwungtempo.
Es ist auch nicht wahr, daß ,die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt durch unsere innere Entwicklung wesentlich gestört worden sei. Es ist sehr interessant zu vergleichen, wie sich unsere Ausfuhr nach den verschiedenen Bereichen !der übrigen Welt entwickelt hat. Übernormal hochgestiegen ist die Ausfuhr in die Räume der EWG; und da haben wir mit iden übrigen Industrienationen Europas zu konkurrieren. Überproportional gestiegen ist die Ausfuhr nach den USA; und dort wirkt sich ja auch der Wettbewerb auf dem Weltmarkt zwischen den Industrienationen aus. Gesunken ist die Ausfuhr im Grunde genommen nur in zwei Richtungen, nämlich zur EFTA - das ist ein Ergebnis des Abschließungseffekts der Bildung zweier solcher Gemeinschaften und sollte uns auch ein Hinweis sein, wohin eine solche Politik der Trennung dieses Gesamteuropa führt - und entscheidend zurückgegangen ist sie nach den Entwicklungsländern; und jeder weiß, daß das gar nichts mehr mit dem Wettbewerb auf dem Weltmarkt zu tun hat, sondern mit der unglücklichen Entwicklung der Weltrohstoffpreise für diese Länder.
Das heißt: Alles zeigt, daß unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt weiterhin stark ist.. Es ist für uns auf dem Weltmarkt nicht mehr so leicht wie in früheren Jahren. Uns wurde ja wohl auch nicht zu Unrecht in früheren Jahren von den anderen Ländern Kostendumping, j a Lohndumping vorgeworfen. Aber wenn der Wettbewerb jetzt etwas härter wird, so 'scheint mir das, Herr Bundeswirtschaftsminister, eine gesunde Sache zu sein. Harter Wettbewerb ist nur gesund für die Wirtschaftsentwicklung. Man sollte über diese Entwicklung nicht klagen; man sollte sich aber überlegen, ob nicht auf bestimmten Gebieten einiges geschehen könnte, 'um Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen.
Ich habe aus der Fragestunde entnommen, daß hier einige schüchterne Untersuchungen angestellt werden. Meine Damen und Herren, wir wissen seit Jahren, daß die Wettbewerbsfähigkeit auf bestimmten Gebieten der Wirtschaft durch unsere sture Festsetzung der Ausgleichszahlungen für die Umsatzsteuer im grenzüberschreitenden Verkehr außerordentlich belastet wird. Wir haben darauf hingewiesen bei der Ausgleichssteuer für Stahl. Wir haben darauf hingewiesen bei der Ausfuhrrückvergütung für den Schiffbau. Bisher ist leider nicht viel geschehen, um diese effektiv vorhandenen Wettbewerbsnachteile für unsere Wirtschaft zu beseitigen.
Es scheint mir kein guter Auftakt zu sein, daß wir jetzt zu einer solchen Erörterung gezwungen werden, weil die Europäische Wirtschaftskommission an uns herangegangen ist, bei Wollkammzügen die Umsatzausgleichsteuer auf 1,5 % herabzusetzen, d. h. auf den Satz, der der inneren Belastung mit Umsatzsteuer entspricht. Wir sollten wenigstens diesen Ansatz benutzen, um zu einer grundsätzlichen Regelung zu kommen und damit diese Wett-1 bewerbsverzerrung auf der ganzen Linie zu beseitigen.
({13})
- - Ich wäre dankbar, meine Damen und Herren, wenn Ihr Einfluß auf den Herrn Bundeswirtschaftsminister ausreichte, daß auf diesem Gebiete etwas geschieht. Ich würde das sehr begrüßen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß einige Bemerkungen zusammenfassen. Wir wissen - und ich glaube, aus den heutigen Ausführungen ist das klar geworden -, es gibt eine Vielfalt von Einflüssen, die auf das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Entwicklung einwirken. Da gibt es schier unübersehbare Zusammenhänge und Wechselwirkungen. Es ist klar, daß man unter diesen Umständen der Führungsaufgabe der Wirtschaftspolitik nicht mit punktuellen Maßnahmen gerecht wird. Es kommt darauf an, eine Gesamtkonzeption der Wirtschaftspolitik zu entwickeln, die darauf verzichtet, an den Symptomen herumzukurieren, und wirklich versucht, die Ursachen zu beseitigen. Es kommt darauf an, dabei eine Methode zu entwickeln, die alle unter das von mir erwähnte Gesetz der gemeinsamen Verantwortung stellt. Dazu gehört, daß die Wirtschaftspolitik Ziele aufstellt, daß sie der wirtschaftlichen Entwicklung Wege weist und daß sie ihre Führungsrolle spielt. Das ist insbesondere in der modernen Demokratie notwendig. Und dazu gehört die Schaffung eines entsprechenden Instrumentariums.
Wir haben dem Bundestag bereits im Jahre 1956, wie Kollege Ollenhauer dargelegt hat, einen Gesetzentwurf zur Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums vorgelegt. Dazu gehören zwei Dinge. Zunächst die Errichtung eines Sachverständigengremiums von hohem Rang. Ich bin sehr froh, daß eine Lücke in der Rede des Herrn Bundeskanzlers durch die nachfolgenden Reden - ich hoffe, für die Bundesregierung insgesamt - ausgefüllt worden ist. Wir hatten die Erwähnung des Gutachtergremiums vermißt. Herr von Brentano hat erklärt, das sei eine wichtige Sache, und der Herr Bundeswirtschaftsminister hat durchaus annehmbare Erklärungen gegeben, warum beim Jahreswirtschaftsbericht 1963 dieses Gremium nicht erwähnt worden ist. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Erörterungen um ein solches Gremium bis auf die Jahre 1956/57 zurückgehen. Immer wieder sind diese Versuche torpediert worden. Vor einem halben Jahr ist hier ziemlich verbindlich - so verbindlich, wie diese Regierung sich in solchen Dingen auszudrücken pflegt - die Errichtung des Sachverständigengremiums angekündigt worden. In der Erklärung der Bundesregierung fehlt sie. Sie werden uns nicht verübeln, wenn wir meinen, wir müßten eine besondere Aktivität entwickeln und Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, helfen, daß dieses Gremium nunmehr endlich errichtet wird,
({14})
das eine wichtige Grundlage für eine Versachlichung der Auseinandersetzung auf allen Gebieten
der Wirtschaftspolitik ist. Seine Gutachten sollen
eine Grundlage sein, die den verschiedenen Gruppen der Wirtschaft ermöglicht, die Konsequenzen ihres Handelns zu erkennen und damit erst wirklich verantwortungsbewußt zu handeln.
Ein weiteres Wort zu dem Jahreswirtschaftsbericht! Ich bedauere, daß Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, auf diesem Gebiete einige Bemerkungen gemacht haben, die uns fragen lassen, wie ernst dieser Wirtschaftsbericht als Instrument der Wirtschaftspolitik wirklich gemeint ist. Ich spreche nicht von den Leitlinien für die Wirtschaft. Ich beziehe mich auf Ihre Ausführungen, man wolle allein die Regierung auf das Nationalbudget vereidigen und sie in einen Zwangsrahmen stecken, während die Sozialpartner unbeeinflußt bleiben. Wenn das so gedacht wäre, wäre es eine schlechte Sache. Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, ich kenne keinen, der so etwas verlangt; ich kenne nur Leute, die sich folgendes vorstellen. Wenn die Bundesregierung dem Bundestag in einem Jahreswirtschaftsbericht ihre Wirtschaftspolitik darlegt, dann ist das ja wohl doch eine verbindliche Erklärung für die Bundesregierung, und sie betrachtet dann diese ihre Wirtschaftspolitik, die sie dem Bundestag verkündet, als für sich verbindlich. Das ist es, was wir wollen.
Ein Zweites. Natürlich haben ein solches Sachverständigengutachten, die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, prospektive Vorausschauen und die Jahreswirtschaftsberichte auch die Bedeutung, alle auf den Pfad gemeinsamer Verantwortung zu führen. Und darum soll der Jahreswirtschaftsbericht seine Auswirkung auf alle freien Kräfte der Wirtschaft - Unternehmer ebenso wie Arbeitnehmer - haben - aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, mit den Mitteln, die einer freien Wirtschaft angemessen sind: als Leitlinien, und dadurch, daß man die Wirtschaft so beteiligt, daß sie ihre Verantwortung kennt. Denn so weit werden Sie doch wohl Ihre eigene Wirtschaftskonzeption nicht umstülpen wollen, daß Sie meinen: wenn schon ein solcher Jahreswirtschaftsbericht, dann muß er auch für die freie Wirtschaft verbindlich sein. Das scheint mir mit der Prozedur und mit den Methoden einer freiheitlichdemokratischen Wirtschaftsordnung nicht vereinbar zu sein. Es kommt darauf an, dieses Instrument zu nutzen und organisatorisch, klimamäßig und durch die eigene Wirtschaftspolitik die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wirklich am gemeinsamen Strang gezogen wird. Denn das ist schließlich unser gemeinsames Anliegen, dafür zu sorgen, daß wir alle in den Grundfragen der Nation, auch auf wirtschaftlichem Gebiet, dieses gemeinsame Interesse erkennen. Keine Regierung - welche es auch sein mag - hat die Aufgabe, bestimmte Interessengruppen zu vertreten. Die Aufgabe von Parlament und Regierung besteht letzten Endes darin, dafür zu sorgen, daß das gemeine Beste zum Zuge kommt, und daß wir alle dazu geführt werden, gemeinsam im Interesse des Gemeinwohls zusammenzuarbeiten.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Deist, Sie haben Ihre sicherlich sachliche Rede mit einem Donner begonnen. Ich will darauf gar nicht näher eingehen, sondern Ihnen nur empfehlen, einmal das Protokoll durchzulesen. Dann können Sie feststellen, daß die Antwort des Herrn Bundeskanzlers durchaus maßvoll ausgefallen ist.
({0})
Über die Regierungserklärung kann man Klagen hören, daß sie nicht viel Neues, nichts Sensationelles enthalte.
({1})
- Vielen Dank, meine Damen und Herren. - Wir halten das für außerordentlich gut; denn gerade in der Politik soll man die selbstverständlichen Dinge tun und soll darauf verzichten, mit Sondermeldungen und Sensationen zu arbeiten; denn diese sind im Zweifelsfall schlechter als die selbstverständlichen Dinge.
Man kann natürlich sagen - und ich sage das auch -, daß man in einigen Punkten hätte konkreter werden können, und es wäre gut gewesen, wenn hier schon Gesetze vorgelegt worden wären. Die Frage aber, die vorab entschieden werden muß und der Sie, Herr Dr. Deist, und auch Sie, Herr Ollenhauer, ausgewichen sind, ist folgende: Ist dieser Bundestag bereit, das Programm der Sparsamkeit, des Maßhaltens, der Stabilisierung so, wie es in der Begrenzung 'des Bundeshaushalts auf 56,8 Milliarden DM zum Ausdruck kommt, zu unterstützen?
({2})
Das ist die hier gestellte entscheidende politische Frage, und auf diese Frage müssen wir eine Antwort geben.
({3})
Da kommt es gar nicht darauf an, ob man Ausrechnungen um 1% so oder so vornimmt; hier kommt es auf das politische Prinzip an. Ich wiederhole: dieser Frage sind sowohl Herr Ollenhauer wie auch Herr Dr. Deist ausgewichen.
({4})
Man konnte sogar den Eindruck haben, daß Herr Dr. Deist es darauf abstellen wollte, daß diese Frage überflüssig sei.
Herr Ollenhauer hat heute morgen eine philosophische Betrachtung über Maßhalten und Gerechtigkeit angestellt. Er hat Tugenden gegeneinander ausgespielt, die, so meinen wir, harmonisiert werden sollten. Da hat mir der Vortrag von Herrn Deist schon besser gefallen. Denn er hat ja versucht, die Dinge in einen Zusammenhang zu stellen, - so wie ich es früher schon ausgedrückt habe, daß man eine Politik auf sozialem, auf finanzpolitischem, auf wirtschaftspolitischem Gebiet aus einem Guß betreiben muß.
Ich will trotzdem auf einige Punkte, die Herr Ollenhauer heute morgen erwähnt hat, zurückkommen, - Punkte auf die mit Recht hingewiesen worden ist. Er hat beklagt, ,daß wir in der Bundesrepu1722
blik in einigen Bereichen eine zu starke Vermögensbildung gehabt haben, daß eine Konzentration stattgefunden hat, die gesellschaftspolitisch nicht gut ist. Das ist richtig. Aber wir müssen bedenken, daß das andere Wort für diese Vermögensbildung „Investition" heißt und daß durch diese Investitionen es erst möglich geworden ist, den Lebensstandard in Deutschland zu verbessern.
Nun kommen Sie nicht mit dem Vorschlag, das hätte man anders, sagen wir einmal, à la Nölting machen können. Hätte man es gemacht, dann wäre es heute nicht nötig, diese - von diesem Standpunkt aus gesehen erfreuliche - Debatte zu fahren; dann wären wir sicher irgendwo anders gelandet. Aber das enthebt uns nicht der Aufgabe, zu versuchen, eine Beteiligung breitester Schichten an der notwendigen - Herr Dr. Deist, der notwendigen! - Kapitalbildung - ich werde gleich noch darauf zurückkommen - auch im Hinblick auf weitere Investitionen durchzuführen.
Herr Ollenhauer hat heute morgen noch ein paar Worte über die Monopolkommission gesagt. Ich möchte für meine Freunde erklären, daß wir im Zusammenhang mit dem Kartellbericht über diese Frage sprechen werden und daß wir sehr viel Wert darauf legen, einen Überblick zu bekommen. Aber wir möchten verhindern, daß eine Kommission gebildet wird, die in die Administration übergreift. Denn dann würde diese Kommission auf die Dauer selber das größte Monopol schlechthin sein. - Ja, Herr Deist, Sie nicken so freundlich. Als Sie damals den Vorschlag gemacht haben - ich nenne das immer den „Deist-Topf" -, als Sie Ihre Einrichtung schaffen wollten, als jeder deutsche Bürger eine Volksaktie - es war nur ein Zertifikat - bekommen sollte, da haben wir schon die Befürchtung geäußert, daß hier eine Stelle eingerichtet werden sollte, deren Chef mehr Macht haben würde, als irgendein Bundeswirtschaftsminister oder große Organisationen jemals haben würden.
Ich wollte nur darauf hinweisen, daß man sich sehr genau über die Grenzen verständigen muß. Aber eine Bemerkung kann ich mir doch nicht verkneifen. Seitens der Opposition wird so getan, .als seien wir immer diejenigen, die sich verstärkt für die Reichen einsetzten und sich um die Ärmeren nicht kümmerten. Herr Ollenhauer, Sie haben von den Gemeinden gesprochen. Ich stelle hier fest, daß es durchweg die Aufgabe meiner Freunde ist, für die ärmeren Gemeinden einzutreten und zu verlangen, daß ein Ausgleich, eine Neuregelung der kommunalen Finanzordnung erfolgt. Auch die ärmeren Land- und Wohngemeinden müssen weiter vorankommen in ihrer Entwicklung, und es dürfen nicht ausschließlich - so ist es bei dem heutigen System - die reicheren Gemeinden den Vorteil haben. Hier scheinen wir also in etwa die Rollen vertauscht zu haben.
Nun zu Herrn Dr. Deist! Herr Dr. Deist, die erste halbe Stunde Ihrer Rede - ich habe versucht, es zeitlich ungefähr abzumessen - hat unseren vollen Beifall gefunden. Wir haben aber festgestellt, daß der Beifall auf der Seite der SPD zu Ihren Ausführungen sehr schwach war. Er kam erst, als Sie einige Ausführungen darüber machten, daß das Verhältnis der Regierung zu den Tarifpartnern - Sie meinten sicherlich die Gewerkschaften - sehr schlecht sei. Sie sind also von unserer Seite voll unterstützt worden. Wir bedauern nur, daß von Ihrer Seite so wenig Beifall gekommen ist. Wir wünschen also „good luck", viel Glück, und wir wünschen Ihnen, daß Sie sich mit Ihren Ideen in Ihrer Fraktion durchsetzen.
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- Nun ja, der Schlußbeifall war bei der ausgezeichneten Rede wesentlich geringer, als Herr Dr. Deist ihn früher von Ihrer Seite bekommen hat. Man muß auch diese Dinge registrieren.
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Die erste Diskrepanz kam zum Durchbruch, als der Kollege Burgbacher eine .Zwischenfrage stellte. Ich finde, Herr Dr. Deist, daß wir die Frage, ob wir übermäßige Investitionen vorgenommen haben, ob die Entwicklung so richtig ist, doch noch einmal diskutieren müssen. Man muß doch auch bedenken, daß wir Investitionen vornehmen müssen, um Arbeitskräfte zu sparen. Ich weiß, daß das im Einzelfall sehr schwierig ist. Wenn man rationalisiert, muß man meistens auch expandieren; aber dann gleicht sich das irgendwo in der Branche - für den einzelnen vielleicht nicht sehr angenehm - aus. Fest steht jedoch, wie gesagt, daß wir Investitionen vornehmen müssen, um Arbeitskräfte zu sparen. Wir müßten vielleicht stärker beobachten, in welcher Art die Investitionen vorgenommen werden, und nicht nur auf die Gesamtsumme sehen.
Ich kann Ihnen nicht zustimmen, wenn Sie die gegenwärtige wirtschaftliche Situation so darstellen, als stünden wir vor keinerlei Schwierigkeiten oder vor Schwierigkeiten, die man an sich begrüßen könnte. Herr Dr. Deist, sehen Sie sich die Wettbewerbsverhältnisse im internationalen Raum an! Ich glaube, daß dort die Lage nicht nur schwieriger geworden ist, sondern daß es in vielen Bereichen schon fast unmöglich geworden ist, sich durchzusetzen. Sehen Sie sich bitte auch die Wettbewerbsverhältnisse auf dem deutschen Markt an! Die Schwierigkeiten sind sehr groß, und wir müssen uns der einzelnen Probleme annehmen.
Da bereitet uns der Arbeitsmarkt vielleicht die größte Sorge. Wir müssen deshalb die Situation untersuchen. Ich bin keineswegs der Meinung, daß man von dorther alle Probleme lösen kann. Man muß sich auch um die Verhältnisse auf dem Absatzmarkt kümmern. Ich denke dabei an die Monopole, an die Preisbindung der zweiten Hand usw. Man muß sich auch um eine Auflockerung auf dem Geld-und Kapitalmarkt bemühen.
Eines können Sie nicht bestreiten, Herr Dr. Deist. Aus unserer Sorge stellen wir die Rolle der öffentlichen Haushalte - nicht nur des Haushaltes des Bundes, sondern auch der Haushalte der Länder und Gemeinden - heraus. Sie wollen diese Rolle herunterspielen. Sie müssen aber doch zugeben, daß gerade von den öffentlichen Haushalten eine geballte Nachfrage auf den Markt ausgeht, die häufig - zunächst regional, dann jedoch auf das ganze
Bundesgebiet übergreifend - zu Entwicklungen führt, die wir mit Ihnen gemeinsam beklagen. Wir sollten dann auch den Mut haben, den Übelstand an der Wurzel anzupacken. Eine dieser Wurzeln - wenn ich das so sagen darf - ist nun einmal der öffentliche Haushalt. Darum kommen wir immer wieder auf diese Frage zurück. Ich meine, es sollte zumindest einer der nachfolgenden Redner von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, dazu Stellung nehmen.
Zur Entlastung der Arbeitsmarktlage müssen wir alles nur Erdenkliche tun. Darum unterstützen wir den Herrn Bundeswirtschaftsminister bei seinem Appell, mit weiteren Arbeitszeitverkürzungen vorsichtig zu sein. Wir sind der Meinung, daß man die sozialpolitischen Maßnahmen auch im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt untersuchen sollte.
Hier möchte ich ein Wort an den Herrn Kollegen Mende einflechten. Die Arbeitsmarktlage kann auch wesentlich dadurch erleichtert werden, daß man sich in allen öffentlichen Bereichen - Bund, Länder und Gemeinden - und in der Wirtschaft selber bemüht, die mittelständische Wirtschaft, vor allem das selbständige Unternehmertum, das kleinere Unternehmertum besser und stärker einzuschalten. Denn ein Alleinunternehmer oder ein Unternehmer mit wenigen Arbeitskräften oder Familienarbeitskräften wird sich dem Arbeitsanfall immer besser anpassen können als ein größerer Betrieb, der auf feste Arbeitszeiten eingestellt ist. Herr Dr. Mende glaubte, das Hauptproblem für den Mittelstand liege darin, ) die Belastung der lohnintensiven Betriebe abzubauen. Ich möchte dazu ergänzend sagen, daß das ein wichtiges Problem ist, das nicht nur den Mittelstand, sondern die gesamte Wirtschaft angeht; denken Sie z. B. an den Bergbau. Wenn man diese Frage anschneidet, dann muß man sich zugleich auch überlegen, woher die Mittel zur Entlastung der lohnintensiven Wirtschaft kommen sollen. Da denkt man fraglos an die Kapitalseite. Nun ist es aber leider so, daß - absolut gesehen - die lohnintensive Wirtschaft meistens auch einen sehr hohen Kapitalanteil hat. Dann kommen wir irgendwie doch wieder in einen Kreis hinein und finden nicht die Lösung, die man sich so gern als leicht vorstellt.
Das Wichtigste für die mittelständische Wirtschaft, aber auch für die Wirtschaft insgesamt, scheint uns die Verbesserung der Kapitalgrundlagen zu sein. Der Bundeskanzler hat besonders bei dem internationalen Vergleich auf diese Notwendigkeit hingewiesen. Wir hoffen sehr, daß vor allen Dingen von seiten des Finanzministeriums bei kommenden Plänen auf diese Notwendigkeit Rücksicht genommen wird.
Meine Damen und Herren, zu diesem Komplex werden noch einige meiner Kollegen Stellung nehmen. Mir kam es darauf an, die Frage zu wiederholen, die schon Herr von Brentano gestellt hat und die ich an den Eingang meiner Ausführungen gestellt habe, die Frage nämlich: Ist der Deutsche Bundestag bereit, auf dem Wege über die Anerkennung der Beschränkung des Haushalts in diese Politik der Sparmaßnahmen und der Stabilisierung einzutreten? Wenn er das ist, dann schafft er die
Voraussetzung für die weiteren Maßnahmen, die hier angekündigt worden sind und die uns im Einzelfall sicherlich noch zu wertvollen und interessanten Debatten führen werden. Aber jetzt und heute muß entschieden werden, ob der Bundestag im Grundsatz die Vorschläge der Bundesregierung billigt. Meine Fraktion tut es.
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Das Wort hat der Herr Landwirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige meiner Herren Vorredner haben landwirtschaftliche Fragen erwähnt, und es erscheint mir zweckmäßig, kurz darauf einzugehen, ohne aber Ihre Zeit damit allzulange in Anspruch nehmen zu wollen.
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Herr Kollege Ollenhauer hat zu Beginn seiner Ausführungen davon gesprochen, die Bundesregierung hätte sich zu dem sogenannten Professorengutachten äußern und darlegen müssen, daß die Landwirtschaft auf Grund einer Getreidepreissenkung einen Verlust von 1 Milliarde DM erleide, der Konsequenzen erfordere, die seitens der Bundesregierung hätten gezogen werden müssen.
Zu diesem Gutachten möchte ich zunächst kurz etwas sagen. Das gemeinsame Gutachten von Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats beim BML und von wissenschaftlichen Beratern der Kommission der .EWG ist am heutigen Tage der Öffentlichkeit übergeben worden. Am Vorabend dieser Veröffentlichung haben wir in meinem Hause eine große Pressekonferenz veranstaltet, um dieses sehr umfangreiche Gutachten mi Hilfe der Herren Professoren, die .es erstellt haben, zu erklären.
Es erscheint mir deswegen eigenartig, wenn ich gleichzeitig im SPD-Pressedienst lese, daß sich der Bundesminister Schwarz 'zweimal vor Pressekonferenzen in Bonn und Brüssel gedrückt habe, in denen er .den Zusammenbruch seiner Politik der hohen Agrarpreise habe eingestehen müssen. Man geht dann weiter in der Pressenotiz auf das Gutachten ein, das ich der Öffentlichkeit angeblich vorenthalten hätte.
Meine Damen unid Herren, dieses Gutachten dient als Grundlage für Erkenntnisse, die wir 'brauchen, um darüber urteilen zu können, wie sich eine eventuelle Herabsetzung der Agrarpreise auswirken würde. So lautet denn diese den Professoren gestellte Frage sehr klar: Wie wirkt es sich aus, wenn dies eintritt? Die Frage an -die Herren Professoren lautet nicht: Sind Sie, meine Herren Professoren, für eine Herabsetzung (der Agrarpreise, oder sind Sie es nicht? Ich möchte hier sehr klar zum Ausdruck bringen, daß sich einzig und ,allein die Bundesregierung dieses Recht vorbehält, über eine solche große Frage zu entscheiden, die mit dem Wohl und Wehe der Landwirtschaft auf das engste verbunden ist.
Es war nun von hohen Agrarpreisen die Rede, gerade von Ihnen, meine Damen und Herren auf der linken Seite Ides Hauses, zum mindesten in der Pressenotiz, die mir hier vorliegt. Da möchte ich ganz kurz die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise seit 1958 - mit dem Index 1958 = 100 - vorlesen. Da das Statistische Bundesamt uns gerade die Zahlen 'für August 1962 vorgelegt hat, darf ich die Zahlen für diesen Monat verlesen. Der landwirtschaftliche Erzeugerpreisindex betrug jeweils im Monat August 1958 99, 1959 106 - da war die Dürre -, 1960 100, 1961 102, 1962 101. Das ist die Entwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise, und ich möchte einmal wissen, wo hier eine irgendwie .geartete übertriebene Höhe abzulesen wäre! Demgegenüber betrug der Index der Einkaufspreise für landwirtschaftliche Betriebsmittel in den entsprechenden Zeiträumen 98, 101, 403, 105 und 109. Darin spiegelt sich immerhin eine .beachtliche Steigerung.
Ich will es mir ersparen, dem auch noch die Lohnindizes oder die Indizes der Soziallasten hinzuzufügen. Dagegen darf ich darauf hinweisen, daß der Index der Ernährungskosten von 98 auf 107 gestiegen ist. Darin sind jene Dienstleistungen enthalten, die nun einmal notwendig sind, um aus dem Rohstoff das Produkt zu fertigen, das der Verbraucher gern in Empfang nehmen möchte.
Sie sehen daraus, daß die Landwirtschaft an der Steigerung dieses Preisniveaus nicht ursächlich beteiligt ist.
Man muß in diesem Zusamenhang parallel die Frage betrachten, wie sich das Strukturbild draußen auf dem Lande entwickelt. In dem Professorengutachten heißt es: „Die bisherigen agrarstrukturellen Veränderungen übertreffen alle Erwartungen." Die Bundesregierung darf für sich in Anspruch nehmen, daß sie dieses Lob weitestgehend für sich buchen kann. Allerdings möchte ich hinzufügen, daß dabei auch die Bereitwiligkeit draußen auf dem Lande, an den Strukturverbesserungen mitzuarbeiten, eine große Rolle spielt und daß wir sehr dankbar für das große Maß der bestehenden Bereitwilligkeit sind.
Aber dieser Prozeß, der sich im Verlaufe von mehreren Jahren klar abgezeichnet hat und in dem wir mitten drinstehen, hat uns 1,2 Millionen Menschen gekostet. Auf diesen. Prozeß darf nicht durch eine irgendwie geartete harte Maßnahme so eingewirkt werden, 'daß wir die Dinge nicht mehr in der Hand behalten. Der Herr Bundeskanzler hat nicht umsonst in seiner Regierungserklärung gesagt, daß man alle diese landwirtschaftlichen Fragen vorsichtig und behutsam anfassen muß. Ich möchte das unterstreichen: wir müssen diese Dinge - sie betreffen das gesamte Gebiet der Landwirtschaft - mit äußerster Vorsicht anpacken, wenn kein Schaden eintreten soll.
Man veranschauliche sich einmal, was das Festhalten der Erzeugerpreise innerhalb von vier Jahren bei einer gleichzeitigen Abwanderung von 1,2 Millionen Arbeitskräften bedeutet! Bei diesen Arbeitskräften handelt es sich nicht mehr nur um in der Landwirtschaft beschäftigte Arbeitnehmer - das, was man früher Gesindekräfte oder Landarbeiter nannte -, sondern weitgehend um bäuerliche
Elemente. Nicht umsonst haben unsere Familienbetriebe heute den Druck einer ungeheuerlichen Arbeitslast zu tragen. Nicht umsonst arbeitet man dort auch 'sonnabends und sonntags. Jeden Tag und jede Stunde, ganz gleich, was der Kalender zeigte, hat man in diesem regenreichen Sommer im Norden genutzt, um das hereinzubringen, was draußen gewachsen war.
Ich kann nur sagen: das Festhalten des Index ist sehr teuer erkauft worden. Gerade wenn man über Stabilität spricht, sollte man sich daran erinnern, daß wir es hier mit einem großen Berufsstand zu tun haben, der weit mehr als seine Pflicht tut. Es wäre nur zu wünschen, daß andere Berufsstände sich diesem Tun anschließen.
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Es liegt der Bundesregierung am Herzen, den Entwicklungsprozeß möglichst organisch ablaufen zu lassen und ihn soweit wie möglich durch entsprechende Hilfen, wie durch eine Ausweitung der Hilfen für Strukturverbesserungen, zu unterstützen. Aus diesem Grunde glaube ich versichern zu dürfen, daß die Bundesregierung auch in der Zukunft der Landwirtschaft jene Sorge abnimmt, die heute vielfach umhergeistert: es passiere irgend etwas, was unsere Bauern womöglich wurzellos macht. Nein, meine Damen und Herren, seien Sie überzeugt, die Bundesregierung 'kennt hier nur ein Ziel: Sie wird neues Eigentum schaffen und darüber das alte Eigentum nicht vergessen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dollinger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr über die Erklärung, die der Herr Bundeslandwirtschaftsminister soeben abgegeben hat, und ich darf sicher auch im Namen meiner Fraktion feststellen, daß wir uns heute morgen gefreut haben, daß der Herr Bundeskanzler auf die schwierige Situation der Landwirtschaft bei den bevorstehenden europäischen Verhandlungen noch einmal mit Nachdruck hingewiesen hat.
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Gerade in diesen Tagen steht ja die Landwirtschaft in einer besonderen Arbeitsfülle, und man weiß dort nicht, wie man den Tag bewältigen soll. Keine Rede vom Achtstundentag, keine Rede von der Fünftagewoche! Wir sind es als Politiker den Frauen und Männern in der Landwirtschaft schuldig, daß wir auch bei unserer Gesetzgebungsarbeit, auch bei internationalen Verhandlungen an sie denken.
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Herr Kollege Deist hat heute eigentlich wenig Angriffsflächen geboten. Sie haben sehr viel in unserem Sinne gesprochen und haben Formulierungen gebracht, die man begrüßen kann. Sie haben mit Nachdruck betont, daß es darauf ankommt, verschiedene Kräfte in Einklang miteinander zu bringen. Ich glaube, das ist in der Tat ein sehr wichtiger Faktor.
Dr. Dollinger
Ich meine, bei der Situation unserer Verfassung in Bund und Ländern einschließlich der Finanzverfassung kann eine Konjunkturpolitik erfolgreich nur dann betrieben werden, wenn der Bund nicht allein bleibt, sondern sich die Länder den Maßnahmen des Bundes in etwa anschließen.
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Meine Damen und Herren, es wurde heute viel vom Haushalt gesprochen. Ich will das im einzelnen nicht vertiefen, aber ich meine, daß mit dem Haushalt - es wurde wiederholt betont - ein gutes Beispiel gesetzt worden ist. Hier habe ich nun eine Frage an die sozialdemokratische Bundestagsfraktion. Es wird uns gesagt, wir sollten Wirtschaftspolitik treiben. Wenn die Bundesregierung versucht, sich durch den Haushalt, durch die Einflußnahme der öffentlichen Hand auf die Wirtschaft den Verhältnissen anzupassen, wenn sie sich bemüht, durch ihren Haushalt Angebot und Nachfrage zu berücksichtigen, was kommt dann bei der Opposition heraus? Herr Kollege Ritzel schreibt am 12. September im SPD-Pressedienst: „War die Erhöhung der Etatendsumme um 3,4 Milliarden nicht zu vermeiden?" Das wäre eigentlich in unserem Sinne. Aber er fährt dann fort: Was ist mit den Bundesbeamten, was ist mit dem Straßenbau?
Sehen Sie, meine Damen und Herren, hier ist ein .Bruch in der Linie, und ich finde, daß nur in einem Punkt die Maßhalteseite von der Opposition berücksichtigt wird. Ich darf wieder auf Herrn Ritzel zurückkommen, der am 13. September im SPD-Pressedienst einen Artikel geschrieben hat unter der Überschrift: „Die Einnahmeseite 1963". Hier finden wir in der Tat einen Beitrag zum Maßhalten. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:
Man kann - um ein Beispiel herauszugreifen - die verkehrspolitischen und sozialpolitischen Aufgaben der Gemeinden, deren Dringlichkeit wahrhaft nicht geleugnet werden kann, nicht unter der Kürzung der Ländereinnahmen zugunsten der Weitergewährung von Subventionen aus dem Bundeshaushalt und einer volkswirtschaftlich kaum noch vertretbaren weiteren Steigerung der Verteidigungsausgaben leiden lassen.
Das ist also ein Beitrag zum Maßhalten, Sektor Verteidigung. Das steht allerdings in einem gewissen Widerspruch zu dem, was heute Herr Kollege Ollenhauer im Hinblick auf die Notwendigkeit einer starken Verteidigung gesagt hat.
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Ich sagte, wir müssen die Länder gewinnen, wenn wir eine gute Konjunkturpolitik treiben wollen. Dazu gehört ohne Zweifel das Problem der Finanzverfassung. Wir haben heute morgen gehört - und mein Freund Schmücker ist schon darauf eingegangen -, daß das Problem der Länder und Gemeinden eine Rolle spielt. Herr Kollege Ollenhauer hat hier erhebliche Bedenken angemeldet und hat sogar noch einmal auf die Weimarer Zeit hingewiesen. Meine Damen und Herren, wie wollen wir eigentlich eine Finanzverfassung machen, wenn wir bei Ländern und Gemeinden alles beim alten lassen wollen? Ich glaube, das ist nicht möglich. Herr Kollege Seuffert hat dazu folgendes geäußert, wie der Bayerische Landtagsdienst vom 7. September schreibt - ich darf zitieren -:
Wie auf einer Pressekonferenz mitgeteilt wurde, hat sich dabei der Bundestagsabgeordnete Seuffert gegen eine Finanzreform ausgesprochen, die zu einer finanziellen Schlechterstellung von Ländern und Gemeinden führen würde.
Nun, wir wissen alle, daß die Schwierigkeiten unserer Wirtschaft in diesem Jahre nicht zuletzt deshalb so groß geworden sind, weil Länder und Gemeinden - nicht generell -,
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aber bestimmt zum Teil - über zu viel Geld verfügten und von dort aus die Konjunktur in unverantwortlicher Weise angeheizt haben und dem Beispiel des Bundes in keiner Weise gefolgt sind.
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Ich meine also, sehr verehrter Herr Kollege Deist: wenn wir die verschiedenen Kräfte in Einklang bringen wollen - um Ihr Wort noch einmal aufzugreifen -, dann müssen wir gerade daran denken, daß die Erkenntnisse in diesen Fragen - ich hoffe, daß im Bundestag Einmütigkeit darüber herrscht - auch in die Länder und die Gemeinden hineinwirken.
Ich meine auch, daß im. Rahmen dieser Versuche der Appell an die Tarifpartner nach wie vor eine Notwendigkeit ist. Mit Recht ist gesagt worden, daß die Preise nicht nur auf Löhnen beruhen. Aber es gibt doch weite Wirtschaftszweige, wo die Löhne eine sehr dominierende Rolle spielen. Es wird dem Herrn Bundeswirtschaftsminister, es wird der Bundesregierung und es wird auch der Koalition zum Teil verübelt, daß sie zum Maßhalten raten. Man versteht das nicht, wenn wir maßhalten sagen. Man versteht nicht, wenn wir auch an die Tarifpartner - Arbeitgeber und Gewerkschaften - appellieren.
Es ist nicht uninteressant, daß z. B. in einem sozialdemokratisch regierten Land die Dinge praktisch genauso liegen wie bei uns. Ich darf hier auf „Die Welt" vom 9. Oktober verweisen: Maßhalte-Appelle auch in Dänemark! - Gewerkschaftsbund warnt vor überhöhten Lohnforderungen!
({6})
Der stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Hans Rasmussen fordert: „Die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der dänischen Industrie und Bewahrung der Vollbeschäftigung lägen auch im Interesse der Arbeiterschaft!"
({7})
- Freut mich, Herr Deist; aber die Merkwürdigkeit liegt doch darin: Wir haben hier den Eindruck, daß die Opposition anders spricht und die Gewerkschaften anders sprechen als in Dänemark. Hängt es vielleicht nur damit zusammen, daß hier die Sozialisten
Dr. Dollinger
in der Opposition und wir in der Regierung sind, während es in Dänemark umgekehrt ist?
({8})
- Ich weiß nicht, ob es am Hörer liegt. Es steht hier in der Welt vom 30. August: Auch Dänen sollen Maß halten!
({9})
- Ja, Herr Wehner, Sie tun das sicher im allgemeinen auch. Man liest nicht immer nur Angenehmes, nicht? Aber das ist für uns angenehm und für Sie unangenehm, und jetzt darf ich doch zitieren. Es steht hier:
Kopenhagen, 29. August
Auf der Jahrestagung der Sozialdemokratischen Partei Dänemarks appellierte Ministerpräsident Kampmann an Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in ihren Forderungen maßzuhalten.... Er betonte, man könne nicht Jahr, für Jahr mehr verbrauchen, als man produziere.
Ich weiß nicht, ob er Reden von Professor Erhard gelesen hat!
({10}) Das ist eine gute Erkenntnis, Herr Deist.
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-'- Ja, das ist erfreulich. Herr Wehner, ich würde es nur begrüßen, wenn Sie sich dann an diesem Kollegen, den Sie jetzt rühmend herausgestellt und von dem Sie gesagt haben: was der alles macht, auch ein Beispiel nehmen und sich als Opposition überwinden würden, hier die Regierung und die Regierungspartei zu unterstützen; dann wären wir einig.
({12})
Lassen Sie mich noch einmal zu dem Grundproblem - wie mir scheint - der wirtschaftlichen Lage zurückkehren. Ich glaube, es geht doch im Augenblick darum: Wie kann die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufrechterhalten werden? Das ist doch das Kardinalproblem, über das wir diskutieren.
({13})
Es gibt viele Menschen, die sagen: Vollbeschäftigung, 700 000 ausländische Arbeitskräfte, 600 000 offene Stellen! Was regt ihr euch auf?! - Meine Damen und Herren, wir diskutieren deshalb darüber, weil eine verantwortungsbewußte Politik nicht nur an heute, sondern auch an morgen und an übermorgen denken muß.
Wir sind allerdings der Meinung, daß die Entwicklung zwischen Ein- und Ausfuhr, auf die Sie, Herr Kollege Deist, hingewiesen haben, nicht nur eine Normalisierung ist, sondern daß sie inzwischen einen gefährlichen Trend hat,
({14})
daß wir nämlich nach und nach die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt verlieren. Ich möchte nicht das zitieren, was Herr Kollege Mommer auf Grund seiner Erfahrungen in Ostasien über Probleme der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ausgesagt hat.
({15})
Ich meine, daß das beste Beispiel für die tatsächlichen Schwierigkeiten, die sich für unsere Wirtschaft ergeben, doch das Volkswagenwerk ist. Die Debatte dieses Jahres um die Preiserhöhung war vielleicht nicht immer ganz glücklich. Aber was hat sie gezeigt? Der Volkswagenpreis wurde erhöht. Aber wo? Nur im Inland, meine Damen und Herren!
({16})
Und die Hälfte der Volkswagenproduktion geht ins Ausland. Dort wurden die Preise nicht erhöht.
({17})
Mit anderen Worten: der deutsche Verbraucher subventioniert den ausländischen Volkswagenkäufer.
({18})
Ich bin sicher, daß Herr Nordhoff diese Preisentscheidung nur deshalb getroffen hat, weil er sich darüber im klaren war, daß eine Preisanhebung im Ausland die Absatzchancen des Volkswagens verschlechtert. Das beweist in diesen Tagen eine andere Tatsache voch viel stärker. Sie kennen vielleicht die Meldung, daß der Einzelhandelspreis des Volkswagens 1500 in Frankreich vor wenigen Tagen von 10 600 auf 10 000 französische Franken reduziert worden ist.
({19})
Das ist eine Ermäßigung um 6 °/o im Endverkaufspreis. Das werden die Vertragshändler des Volkswagenwerks sicher nicht getan haben, um auf Gewinne zu verzichten, sondern sie haben es sicher tun müssen, um im Wettbewerb zu bleiben. Das ist doch das Entscheidende.
Wir müssen sowohl bei den Löhnen wie auch bei den Steuern alles daransetzen, daß wir wettbewerbsfähig bleiben. Wir müssen auf der anderen Seite der Wirtschaft durch Förderung der Bildung und der Forschung helfen, wettbewerbsfähig zu bleiben; denn der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt bedeutet das Ende der Vollbeschäftigung in Deutschland, bedeutet das Ende der sozialen Leistungen und gefährdet schließlich die staatliche Existenz.
({20})
Deshalb sollten wir alle zusammenstehen, um dafür zu sorgen, daß diese gefährliche Entwicklung verhindert wird. Meine Bitte an die Opposition geht dahin, uns bei konkreten Maßnahmen zu helfen, damit die Exportfähigkeit der deutschen Wirtschaft, damit die Vollbeschäftigung der deutschen Wirtschaft aufrechterhalten werden kann.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dahlgrün.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte bei den Bemerkungen des Herrn Kollegen Dr. Deist beginnen, mit denen er festgestellt hat, daß erstmals im Jahre 1961 eine Bewegungsmöglichkeit für Arbeitnehmer in Richtung Sparen und Vermögensbildung gegeben gewesen sei. Herr Dr. Deist hat mit Recht darauf hingewiesen, daß das durch besonders starke Lohnerhöhungen in diesem Jahr ermöglicht wurde. Es kommt hinzu, daß in diesem Jahre die VW-Privatisierung durchgeführt worden ist, alles Dinge, die die These des Herrn Kollegen Dr. Deist stützen. Warum wiederhole ich das? Ich möchte den Eindruck verwischen, den Herr Kollege Dr. Deist sicher nicht hervorrufen wollte, der aber nach meiner Überzeugung hat entstehen können, nämlich daß vorher für die Arbeitnehmer nicht allzuviel dringewesen sei. Das reizt mich, Ihnen einmal - statt mit Prozenten:. Sozialprodukt, Löhne usw. zu arbeiten - die Stückzahlen der Automobile zu nennen, die über Deutschlands Straßen laufen, weil das sehr instruktiv die wirtschaftliche Entwicklung der Jahre 1950 bis 1961/62 zeigt. In der Zeit von 1953 bis 1962 hat sich der Bestand insgesamt von 1,2 Millionen auf 5,8 Millionen Kraftwagen erhöht, und daran sind die Arbeitnehmer in dieser Zeit mit 56 % am Ende bei einem Ausgang von 7,8 % beteiligt. 1950 fuhren 2000 Arbeiter ein Kraftfahrzeug. Am 1. Juli 1961 waren 1,3 Millionen Kraftfahrzeuge in Arbeiterhand. Wenn man das auf die Arbeitnehmer insgesamt ausdehnt - ich beziehe die Beamten dabei ein -, so ergibt sich, daß der Bestand der Kraftfahrzeuge in Arbeitnehmerbesitz von 32 000 auf 2,7 Millionen Stück gestiegen ist.
Das sind sehr erfreuliche Zahlen. Stellen wir weiter einmal gegenüber: Die Zahl der Arbeitslosen ist im Juni 1962 mit 88 000, d. h. 0,4 %, gegenüber Ende Juni 1961 bei, einem anomalen Tiefstand um weitere 11 000 zurückgegangen. Die Zahl der offenen Stellen, ,die Herr Kollege Dr. Dollinger mit nahezu 600 000 angegeben hat, bedeutet gegenüber dem Tiefstand von 1961 ein Mehr um 30 000 Stellen. Wer von wirtschaftlichen Dingen nicht allzuviel zu hören pflegt, muß sich wirklich fragen: Wie kommt es eigentlich zu der Rede des Bundeswirtschaftsministers im März 1962, zu der Regierungserklärung und zu der heutigen Debatte mit Ausdrücken wie „Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation", „ernste Lage", „Gefährdung der D-Mark" usw.? Es wäre sicher ein ganz schlechtes Ergebnis unserer Debatte, wenn sie in breiten Kreisen der Bevölkerung Resignation oder wirtschaftlichen Defaitismus zur Folge hätte. Das muß einmal ausdrücklich gesagt werden, weil man eine Krise auch herbeireden kann.
Auf der anderen Seite, gegenüber den Forderungen nach einer expansiven Lohnpolitik, nach einer Lohnpolitik, die der Entwicklung des Sozialprodukts vorwegläuft, gegenüber Forderungen auf Vermögensumschichtung - von denen wir in der letzten Zeit einige Male gehört haben - und gegenüber dem Satz: Nehmt, was ihr kriegen könnt! zusammen mit den Tatbeständen, bei denen Maßlosigkeit und rücklaufende Zahlen sichtbar werden, meine ich, daß aller Anlaß besteht, Maßnahmen zu überlegen und zu treffen, die frühzeitig kommen sollten. Die Bundesregierung hat das nicht erst mit der Regierungserklärung, die wir vorgestern hörten, getan, sondern sie 'hat, sogar schon vor der Rede des Bundeswirtschaftsministers, vor dem Maßhalteappell im März 1962, in dieser Richtung gearbeitet. Ich kann es mir einfach nicht erklären, wieso die Opposition unter diesen Umständen von einem verlorenen Jahr der vierten Bundesregierung spricht, wieso sie von Konzeptionslosigkeit spricht und davon, daß die Bundesregierung die Zügel schleifen lasse. Davon kann doch keine Rede sein, wenn Sie selber die Bundesregierung und den Bundeswirtschaftsminister dazu ermahnen, nicht zu stark in Pessimismus zu machen oder die Dinge nicht zu übertreiben, wie wir das heute von Ihnen in einer Auseinandersetzung mit Herrn Professor Erhard gehört haben. In einem Staat, in dem es keine Freiheit gibt - Herr Dr. Deist hat das bereits angedeutet -, ist die Meisterung einer solchen Situation furchtbar einfach. Da wird dekretiert, was wirtschaftlich zu geschehen hat.
Ich verstehe es auch nicht, Herr Dr. Deist - um auf Ihre Ausführungen an dieser Stelle noch einmal zurückzukommen -, daß ,Sie sagen, die Tariffrage dürfe man nicht aufwerfen; das sei ein Symptom, an dem herumkuriert werde. Dasselbe haben Sie im Zusammenhang mit der Frage der Abwerbung gesagt. Sie haben erklärt, auch das sei ein Symptom. Natürlich ist es ein Symptom. Aber auch Symptome soll man, wenn man die Mittel dazu hat, beseitigen, mindestens zu dämpfen versuchen.
Es ist doch so, meine Damen und Herren, daß die Maßnahmen, die zu treffen sind, zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Kombination angewandt werden müssen. Denn wenn ich zu spät mit Eingriffen komme, wird der Eingriff um so härter sein müssen, und wenn ich zu spät am Beugungspunkt der Kurve einen Eingriff vornehme, kann das, was ich tue, unter Umständen, weil es zu spät geschieht, eine gegenteilige Wirkung hervorrufen. Die Dinge sind außerordentlich kompliziert.
Ich möchte an dieser Stelle als Beispiel einmal die Beziehungen zwischen den Preisen für industrielle Güter und dem Export bringen, um zu zeigen, daß die Ursache für ein Zurückgehen der Exportquote nicht allein die Preise und, wie vereinfachend behauptet wird, steigende Preise nicht allein die Ursache steigender Löhne sind. So ist es nicht. In den verschiedenen Ländern, die als Abnehmer für unsere Waren in Frage kommen, sind die effektiven Bruttostundenlöhne zwischen 1950 und 1962 sehr unterschiedlich gewachsen. Frankreich lag an der Spitze, Schweden lag in der ersten Zeit an zweiter Stelle, Deutschland an dritter Stelle. 1953 kommt Deutschland auf den zweiten Platz, und seit 1958 ist unser Lohnniveau am stärksten gestiegen, besonders ausgeprägt in den Jahren 1961 und 1962. Worauf ich in diesem Zusammenhang hinweisen möchte, ist, daß die Löhne nur ein Kostenfaktor sind, der auf den Export einwirkt. Es gibt keine Statistik für die Preise von Exportgütern. Wir müssen also von den Großhandelspreisen industrieller Güter ausgehen. Da zeigt sich, daß keine kontinuierlich steigende Tendenz wie bei den Löhnen
vorhanden ist. Es gehört zu den sozialen Tabus, daß bei abgeschwächter Konjunktur Lohnsenkungen nicht durchgeführt werden. Aber nicht nur das. Dasselbe gilt für die Einkommen der Rentner, der Unternehmer und des Staates.
Es ist also für mich erstaunlich, Herr Dr. Deist, daß Sie so hart, so ziemlich uneingeschränkt gesagt haben: das Absinken der Investitionstätigkeit ist eine gute Sache,
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die Normalisierung, die Anspannung an das Normale ist etwas Gutes. - Nun, dazu müssen Sie aber die Frage stellen: Was wird mit den Investitionen ausgeglichen? Die sehr starken Lohnerhöhungen, die wir haben verkraften müssen, mindestens doch, nach Ihren eigenen Worten, seit 1961. 1953 z. B. haben wir eine Lohnerhöhung gehabt, die 15 mal stärker war als die Preiserhöhung bei den industriellen Gütern; 1958 war sie 14 mal so hoch. Auf dieser Basis hat es sich gehalten.
Man wird die Frage nach der Höhe der Investitionen und die Kritik daran doch sehr sorgfältig prüfen müssen. Ich bin z. B. der Meinung, daß die Investitionsrate der mittelständischen und kleinen Betriebe noch bei weitem nicht ausgeschöpft ist und daß es absolut zu den Maßnahmen, die überlegt werden müssen, gehört, Investitionen in diesem Bereich zu fördern. Im übrigen dienen doch die Investitionen zu einem wesentlichen Teil dazu; z. B. Fortschritte des Auslands sofort bei uns einzuführen. Das alles kostet Geld und stützt die Wettbewerbsfähigkeit im Export.
Ich möchte im einzelnen keine weiteren besonderen Ausführungen mehr machen; ich wollte Ihnen nur sagen: alles, was sich hier anbietet, ist eine Fülle von Maßnahmen, die getroffen werden können und die nach der Lage der Dinge auch getroffen werden müssen.
Die Regierungserklärung enthält einige Beispiele in dieser Richtung. Da ist z. B. - das hatte ich mir noch notiert - die Frage der Warentests, eine Sache, die bereits im Wirtschaftsausschuß vorliegt und die schon in der nächsten Woche behandelt werden soll; ich hoffe, daß wir Ihnen dazu sehr bald Vorschläge machen können.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich melde mich noch einmal zum Wort, nicht um Gegensätze ,aufzureißen - die mir 'heute gar nicht vorzuherrschen scheinen -, sondern nur, um noch einige Klarstellungen zu besorgen. Ich habe wirklich den Eindruck, daß wir auf dem Wege sind, die Atmosphäre zu schaffen, die wir 'brauchen, um in den weiteren Auseinandersetzungen, sei es unter uns oder sei es auch unter den Tarifpartnern, zu Verständigungen zu gelangen, - im Interesse unserer ganzen Volkswirtschaft.
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Ich glaube nicht, daß ich mit meiner Rede am 21. März die Akzente falsch gesetzt habe. Sicher mußte ich dort, wo die Sorgen mir übermäßig erschienen oder ich sie so empfunden habe, die Beleuchtungen ganz deutlich machen; aber sicher wollte ich nicht - und habe es auch nicht getan - in Schwarz und Weiß malen.
Sie sagten, Kollege Deist: Die Bundesregierung ist nichtallein verantwortlich - das ist ja auch meine These ,gewesen, die heute früh angeklungen ist -, aber sie hat eine ordnende staatspolitische Aufgabe. - Daran ist nicht zu zweifeln. Aber ich frage nur: Wie soll diese ordnende staatspolitische Aufgabe erfüllt werden? Jetzt darf ich mit Zustimmung des Herrn Präsidenten .Sie auch persönlich zitieren. Wir haben uns je beide in der ,; Süddeutschen Zeitung" versucht: Wieviel ist die Mark noch wert? Da sagten Sie:
Die Beziehungen zwischen Preisen und Löhnen sind zu vielfältig, als daß man das eine ails die Ursache des anderen ansehen könnte. Letzten Endes ist der Rahmen für die Preisbildung, für die 'Gewinnentwicklung, für die Investitionspolitik und für die Lohngestaltung durch die allgemeine Grundkonstellation der Wirtschaft bestimmt. In diesem Rahmen besteht Freiheit und Bewegungsspielraum für Unternehmer, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Verbraucher. Soweit diese Grundkonstellation entscheidende strukturelle Ungleichgewichte aufweist, wird der Rahmen verändert. Diese Ungleichgewichte können nur durch die Wirtschaftspolitik 'beseitigt werden.
Das ist es ,ja, Herr Kollege Deist, daß ich immer wieder auf diese Ungleichgewichte hinweise, die mit mannigfachen Zahlen 'zu belegen sind. Aber ich habe bisher noch niemanden gefunden, der darauf hört und es beherzigt, wenn solche Ungleichgewichte vorliegen. Sie schreiben dann in Sperrschrift:
Die Beseitigung der schwerwiegenden Ungleichgewichte, die heute in der Wirtschaft bestehen und die als eigentliche Ursache der schleichenden ,Geldentwertung anzusehen sind, fällt in die Verantwortung der Bundesregierung. Sie hat kein Recht, diese Verantwortung auf andere, Unternehmer, Tarifpartner oder Verbraucher, abzuwälzen.
Meiner Ansicht nach steht das ,nicht ganz lotrecht im Raum. Denn entweder hat die Bundesregierung die Möglichkeit, in welcher Form auch immer das Verhalten der wirtschaftlichen Kräfte in der Volkswirtschaft zu bestimmen - gut, vielleicht kommen wir über das Gutachtergremium, über Wirtschaftsberichte dahin; ich würde es sehr wünschen -, oder sie hat diese Möglichkeit nicht. Wenn Idas aber nicht der Fall ist, wenn ich immer wieder höre: Das geht uns nichts an, wir sind frei in unseren Entscheidungen, dann allerdings muß ich für die Bundesregierung sagen: Es ist dann nicht angängig, ihr allein die Schuld zuzuschieben, wenn die gleichgewichtige Ordnung gestört wird. Denn es ist eine Tatsache - ich sage das noch einmal, weil mir das ein so echtes und ehrliches Anliegen ist; was ich sage, ist nicht
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
nur an Ihre Adresse gerichtet, sondern das gilt grundsätzlich für alle --, daß man mit den Menschen als solchen sehr viel leichter operieren, sie sehr viel erfolgreicher ansprechen kann als die Gruppen. Das gilt natürlich auch für die Gewerkschaften. Entschuldigen Sie, das darf ich wohl dazu sagen. Wie oft höre ich das, wie oft wird es mir geschrieben - und Ihnen geht es sicher nicht anders -: Kann denn das gut gehen? Können wir uns denn das alles leisten? Ich glaube, das ist die Stimme der Vernunft und des menschlichen Gewissens, die allerdings in der Kollektivierung der Meinungen nicht immer so deutlich gehört wird.
Dann sprechen Sie von dem kleinen Sparer. Sie haben recht, wenn Sie sagen: Die breiten Schichten der Arbeitnehmer sind daran interessiert, daß der Geldwert stabil erhalten bleibt. Das habe ich ja heute morgen auch behauptet. Weiter sagten Sie: Die Preissteigerung von 4 % steht natürlich in Beziehung zu der Lohnpolitik und zu der geforderten Lohnhöhe. Aber jetzt muß ich Sie ganz besonders zitieren, Herr Kollege Deist. Sie schreiben an der gleichen Stelle:
Bei stabilem Preisniveau ist deutlich sichtbar, in welchem Umfange die Arbeitnehmer ihren Anteil am Volkseinkommen durch die Lohnpolitik verändern.
- Stimmt! Je größer die Geldentwertung ist, um so mehr muß der Lohnempfänger auch einen zusätzlichen Ausgleich für Preissteigerungen schaffen.
Ja, wie soll ich denn das ausdrücken, was mir beim Lesen durch den Kopf ging? Man kann eine Gleichung von vorn nach hinten und von hinten nach vorn lesen. Sie bringen hier das Element der Geldentwertung herein, so als ob diese vom Himmel fiele, Wissen Sie, was ich zuerst gesagt habe, als ich das las? „Die Armut kommt von der Powerteh."
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Denn Sie setzen einen Faktor als die bestimmende Größe an den Anfang und sagen dann: Weil die Geldentwertung weitergreift, muß bei den Lohnforderungen neben dem realen Zuwachs auch noch ein Entwertungskoeffizient eingesetzt werden. Ich glaube also, die Rechnung ist etwas zu einfach, die Sie da aufgemacht haben; aber sie stand ja in der Presse, und da ist manches verzeihlich und es wird zudem nicht so genau nachgerechnet.
Die Knappheit von Arbeitskräften ist zweifellos ein Element, von dem Sie ja selbst nach meinen eigenen Zitaten gesagt haben, daß ich dafür Verständnis habe, wenn eine solche Situation ausgenutzt wird. Aber daß die Effektivlöhne so stark über den Tariflöhnen liegen, ist eben auch ein Zeichen dieser Knappheit und der starken Position im Aushandeln von Bedingungen. Sie ist ganz bestimmt aber nicht ein Ausdruck dafür, daß die Wirtschaft unter allen Umständen und in alle Ewigkeit die Effektivlöhne so stark über den Tariflöhnen halten könnte. Das möchte ich doch mit aller Deutlichkeit sagen. Die Unternehmer haben auch nicht freiwillig und nicht „aus der 'Tiefe des Gemüts heraus" gehandelt, sondern sie wurden dazu bestimmt von der Knappheit an Arbeitskräften und aus der Sorge, daß diese Knappheit weiter zunehme.
Sie haben recht, wenn Sie sagen, die Lohnentwicklung sei im Einklang mit dem Volkseinkommen geblieben; wobei Sie natürlich mit berücksichtigen müssen, daß angesichts der Steuerprogression die absolute Zuwachsrate an Einkommen etwas Unterschiedliches bedeutet, wenn Sie die Rechnung unter dem Strich ansehen. Aber ich möchte darüber nicht rechten. Ich bin tatsächlich der Meinung, daß die Einkommensanteile zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, also unternehmerischer Gewinn und Arbeitseinkommen aus Lohn und Gehalt - wenn Sie die Einkommensverteilung im ganzen nehmen - sich in etwa gedeckt haben. Ich kann Ihnen einige Zahlen nennen, und zwar, wenn Sie wieder von 1958 bis 1961 fortrechnen - die Zahlen für 1962 stehen leider noch nicht zur Verfügung -: das Nettosozialprodukt ist, zu Marktpreisen gerechnet, um 30,8 °/o gestiegen, das Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit ist um 30,2 % gestiegen, deckt sich also fast vollständig. Die Rechnung ist nicht kumulativ angestellt, sondern die Jahreszuwachsraten sind in sich addiert. Die öffentlichen Einkommensübertragungen sind um 16 % gestiegen, also das Masseneinkommen insgesamt um 26,4 %; das Nettoeinkommen der Unternehmer um 23,5 %. - Jetzt aber komme ich zu dem, was auch Kollege Dollinger ausführte -, das Nettoeinkommen des Staates, also der öffentlichen Hand, um 47,9 %. Natürlich hängt vieles von der Verausgabung dieser Kaufkraft ab, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ, davon, in welche Kanäle sie fließt, etwa in die Bauwirtschaft, in der die Kapazitäten nicht mehr ausreichen, um das Geld ohne Preissteigerungen aufzufangen. Da liegt also eine sehr tiefe Problematik, die wir sehen müssen, und sicher werden wir uns darüber in diesem Hause noch eingehend zu unterhalten haben.
In der Konjunkturdebatte in Berlin im Jahre 1959, die Sie anführen, war auch von der Investitionsquote die Rede. Seinerzeit lag sie bei 27 %. Jetzt ist sie etwas abgesunken, und Sie meinen, das sei zuviel. Ich stelle nicht etwa die gegenteilige Behauptung auf, daß das nun unbedingt zu wenig wäre, aber ich glaube, man kann hier nicht ohne weiteres ein Land mit dem anderen vergleichen. Das waren und sind ja nicht nur unternehmerische Investitionen, sondern das sind auch öffentliche Investitionen. Bedenken Sie doch, wie Deutschland ausgesehen hat, und wenn Sie vor allen Dingen berücksichtigen, daß wir von 13 Millionen übriggebliebenen Arbeitsplätzen auf jetzt 22 Millionen kommen mußten, werden Sie zugeben, daß das eine Besonderheit ist, die keine Parallele zu irgendeinem anderen Lande zuläßt. Sicher ist auch privates Vermögen gebildet worden, nach Ihrer Meinung im Übermaß. Ich war nie ein besonderer Freund übermäßiger Selbstfinanzierung. Aber wir waren ja mit dem Rücken an der Wand gestanden, wir hatten ja keinen anderen Ausweg nach der Währungsreform.
Wenn das aber so ist, dann .ist doch nicht daran zu zweifeln, daß jeder aus dieser Entwicklung im
1730 . Deutscher Bundestag -- 4. Wahlperiode Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. t. Erhard
I ganzen Nutzen gezogen hat. Sehen Sie sich doch die Entwicklung hier in Europa an, was da allmählich, eben durch eine marktwirtschaftliche Politik, jetzt auch in Frankreich und in Italien an Kraft sichtbar wird. Wenn ich das alles bewerte, muß ich sagen: ich habe den Eindruck, daß wir im Augenblick vielleicht sogar wieder etwas zuviel in den individuellen menschlichen Konsum geben und etwas zuwenig in die Investition. Denn in dieser dynamischen Welt, in der die anderen auch vordringen wollen, dürfen wir diese Seite unserer volkswirtschaftlichen Entwicklung nicht außer acht lassen. Wenn ich dann noch an Formen einer atlantischen Zusammenarbeit denke und die festen Grundlagen und an den Vorsprung, den etwa die Vereinigten Staaten in bezug auf Rationalisierung und Ergiebigkeit der Volkswirtschaft haben, so meine ich, wir sollten der Frage der Investitionen die gebührende Aufmerksamkeit schenken und nicht etwa aus Sentiments sozialer Art die Dinge in kleinlicher Weise betrachten.
Sie haben Recht und Sie haben das anerkannt: der Anteil des Einkommens aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen ist von 1950 auf 1961 von 59,1 % auf 62,4 % angestiegen - das ist nicht gerade erschütternd, aber der Trend ist immerhin erfreulich -, während der Anteil der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen - aber da ist auch das dabei, was wir alle sparen, also auch die Arbeitnehmer sparen - von 40,9 % auf 37,6 % abgesunken ist. Ich sage das deshalb, weil man dieser Bundesregierung nicht den Vorwurf einer unsozialen Haltung gerade auch in der Einkommensverteilung machen kann. Aber ich gebe zu, darin ist einige Problematik, über die sich noch sehr lange sprechen ließe. Ich hoffe, daß wir in den Ausschüssen dazu noch Gelegenheit haben.
Die Wachstumsquote der deutschen Volkswirtschaft ist seit dem Jahre 1956, als Sie den Wirtschaftsplan und den Wirtschaftsbericht forderten, realiter immerhin um 36% angestiegen. Ich glaube, das ist ein stolzes Ergebnis, das sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen kann. Ich bin etwas skeptisch gegenüber der Einflußnahme der öffentlichen Hand auf die Preise, und ich möchte vor der Ansicht warnen, daß man von dort aus die Stabilität erzeugen könnte. Es gibt ein schlagendes Beispiel dafür, wie wenig griffig diese Maßnahmen sind. Man hätte doch denken sollen, daß man z. B. in der Bauwirtschaft, wo so unendlich viel über die öffentliche Hand an Mitteln verausgabt wird, wo die Vergaben vor allen Dingen von der öffentlichen Hand besorgt werden, die Preisdisziplin etwas besser hätte wahren können. Kein Schein! Seit dem Jahre 1950 sind die Baupreise um 83 % gestiegen - trotz des großen Einflusses der öffentlichen Hand in allen Stufen -, während wir bei den übrigen Preisen bekanntlich bei einem Steigerungssatz von 26 % liegen.
Nun haben Sie wieder von den Gewerkschaften gesprochen. Es hieße fast Eulen nach Athen tragen, wollte ich hier noch einmal herausarbeiten, daß in einer modernen Gesellschaft und zum Wesen einer Demokratie natürlich auch die Tätigkeit der Gewerkschaften gehört, die eine echte Funktion zu erfüllen haben. Aber ich meine, dann sollten die Gewerkschaften auch den Mut haben, den Arbeitnehmern gegenüber manche Probleme anzusprechen, die auf den ersten Blick nicht gerade populär anmuten, obwohl ich glaube, daß die einzelnen .Menschen ihnen sehr viel aufgeschlossener gegenüberstehen, - nämlich die Fragen der Arbeitsmoral, die Fragen des Arbeitswillens, die Fragen, die mit dem hohen Krankenstand und dergleichen zu tun haben.
({2})
Ich will die Dinge hier nicht weiter vertiefen. Aber ich war es ja auch nicht, der z. B. über die absinkende Qualität der deutschen Arbeit gesprochen hat, darüber, daß das „Made in Germany" an Wert verloren hat. Es waren der Herr Bundestagspräsident und es waren Sie, Herr Kollege Mommer, die das in die Presse brachten, und, ich glaube, etwas übertrieben brachten. Denn so pessimistisch bin ich ja nicht. Aber immerhin sollte man das Thema ansprechen. Und ich glaube, die ersten, die es anginge und die darüber etwas sagen sollten, wären gerade auch die Gewerkschaften.
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Bezüglich dessen, was Sie zu der Umsatzausgleichsteuer sagten, sind Sie etwas zu spät gekommen; das haben Sie ja aus der Resonanz gemerkt. Wir sind bei diesem Thema schon angelangt. Aber die Dinge liegen ja bei den Kammgarnzügen etwas anders als bei der Verarbeitung von Wollgespinsten. Also auf der einen Seite ist die Umsatzausgleichsteuer etwas zu hoch, auf der anderen Seite ist sie zu niedrig. Ich möchte jedoch die Anpassung ,der Umsatzausgleichsteuer an den Stand der inneren Belastung nicht gerade mit einem Preisstabilisierungsprogramm verbinden. Sicher erhöht sich die deutsche Wettbewerbsfähigkeit, aber ich möchte wieder nicht hoffen, daß die Verbesserung der Wettbewerbskraft dann gleich wieder ausgehöhlt wird durch zusätzliche Forderungen, durch höhere Kosten, die auf die Wirtschaft zulaufen. Denn damit wäre der ganze Effekt verspielt.
An der Ernsthaftigkeit des Wirtschaftsberichtes brauchen Sie nicht zu zweifeln. Ich verspreche mir etwas davon. Wir haben heute ein Sozialprodukt von 330 Milliarden. Wenn, wir einmal ganz optimistisch sind und mit einem realen Zuwachs von 4% rechnen, dann würde das bedeuten, daß, wenn wir das einhalten, wir ohne Preissteigerungen ein Mehr von 13 Milliarden erzielen könnten. Das liegt dann sozusagen auf dem Tisch. Dann beginnen die Überlegungen, von denen Sie in der Presse geschrieben haben. Angesichts einer solchen Tatsache ist es dann nicht möglich, eine 'Entscheidung zu treffen, daß allein 18 Milliarden unmittelbar in den privaten Konsum fließen, daß aber die Investitionen und alles das unberücksichtigt bleibt, was notwendig ist für die Aufwendungen der Verteidigung, für Berlin oder für welchen Zweck auch immer. Ich möchte meinen, wir haben in mancher Hinsicht schon etwas zu viel Staat, aber gerade nach dieser Richtung hin zuwenig Staatsbewußtsein. Wir haben eine Fülle von Gemeinschaftsaufgaben zu erfüllen. Aber ich möchte glauben, daß der Gemeinschaftsgeist nicht in gleichem Maße entwickelt ist. Die Diskussion
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
heute möge zu der Zuversicht führen, daß wir die Dinge ernsthafter und sachlicher anpacken.
Sie sprachen zum Schluß noch von der Außenwirtschaftssituation. Sicher, die Lage im Jahre 1960 war abnorm. Wir haben ganz bewußt einen Abbau vorgenommen, einmal durch die Aufwertung, zum anderen aber auch durch die besonderen Vorauszahlungen von Schulden und dergleichen mehr. Im Jahre 1960 hat der Überschuß 8 Milliarden betragen. Im Jahre 1961 wies die Devisenbilanz einen Passivsaldo von 1,9 Milliarden aus. Im Jahre 1962 haben wir, wenn wir die bis jetzt angelaufene Summe von 1,2 Milliarden bis zum Ende des Jahres fortschreiben, mit einem Defizit in etwa der gleichen Größenordnung zu rechnen. Es wäre aber ein Trugschluß, anzunehmen, es hätte sich also nichts verändert. Im Jahre 1961 sind an langfristigen öffentlichen Kapitalleistungen - durch volle Rückzahlung von Schulden und Abführung von Tilgungsbeträgen
5,1 Milliarden abgeflossen, während wir in diesem Jahr auf der Passivseite dieser Art nur 660 Millionen verzeichnen. Das heißt: Von dieser Seite her gesehen hat sich ein Abfluß von 4,5 Milliarden an Devisen und Reserven vollzogen. Bei der Schlußabrechnung wird der Passivsaldo im Jahre 1962 doch wieder gleich hoch wie 1961 sein.
Das alles beweist meiner Ansicht nach den Ernst der Situation; aber der ist ja auch heute hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen. Ich kann nur noch einmal sagen, ich hoffe - weil mir die Sache über den politischen Auseinandersetzungen steht und weil ich an die Zukunft des deutschen Volkes denke -, daß wir uns verständigen werden und daß jeder zu seinem Teil und in seinem Bereich und bei den Gruppen, die er vor allen Dingen anzusprechen berufen ist, das Beste tut, um eine gesunde gleichgewichtige Ordnung zu erhalten.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Illerhaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung, die wir vorgestern hier in diesem Hause gehört haben, ist unter dem Motto Maßhalten abgegeben worden. Im Zuge der Diskussion ist von der dringenden Notwendigkeit gesprochen worden, die Preise und Löhne in einem vernünftigen Verhältnis zueinander zu halten. Der eine glaubt, die Preise gingen voran, der andere sagt, die Löhne sind es. Tatsache ist jedenfalls, meine Damen und Herren, und die Bundesregierung sagt das in der Erklärung, daß wir alles daransetzen müssen, um die noch vorhandenen Wettbewerbsbeschränkungen weiter einzuengen, damit von hier aus ein Druck auf das Preisgefüge ausgeübt werden kann. Ich glaube, meine Freunde, daß wir alle mit diesem Wunsch einverstanden sind.
Die Vergangenheit hat gezeigt, daß die Bundesregierung kurze Zeit, nachdem wir 1949 in der Bundesrepublik unsere Wirtschaft auf dem Prinzip des Wettbewerbs aufgebaut hatten, den Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorgelegt hat, der unter dem Namen „Kartellgesetz" im 2. Deutschen Bundestag verabschiedét worden ist. Dieses Gesetz, das 1957 in diesem Hause verabschiedet wurde, hat nun ungefähr fünf Jahre hinter sich gebracht. Wir stehen heute vor der Frage, ob sich die Formulierungen bewährt haben oder ob es notwendig erscheint, an tdiesem Gesetz etwas zu ändern.
Ich glaube, meine Damen und Herren, die Zeit ist noch zu kurz, um eine endgültige Antwort geben zu können, ob und in welchem Umfange Änderungen an diesem Gesetz vorgenommen werden sollen. Aber einige Probleme sind doch im Laufe der Jahre und gerade in den letzten Jahren Gegenstand einer großen Diskussion tgeworden. Das Problem der Preisbindung der zweiten Hand ist in der Erklärung der Bundesregierung expressis verbis erwähnt worden. Im Kartellbericht ist von den Fragen der Preisempfehlung, der Wettbewerbsregeln, der Ausschließlichkeitsverträge und - last not least - der marktbeherrschenden Unternehmen gesprochen worden.
Nun, das Problem der Preisbindung der zweiten Hand ist gerade in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit sehr stark diskutiert worden. Man hatte bei dem Kartellbericht manchmal den Eindruck, daß man in dieser Frage idas A und O der ganzen Misere auf dem Gebiet der Preise gesehen hat. Ich möchte einmal versuchen, eine objektive Darstellung zu geben. Ich möchte nicht schwarzweißmalen für die Preisbindung der zweiten Hand, auch nicht schwarzweißanalen gegen sie. Wir sollten das Für und Wider gerecht miteinander vergleichen. Wie bei tallen diesen Dingen sollten wir uns vor allem davor hüten, aufgetretene Mißstände zu verallgemeinern und die Verhältnisse' so darzustellen, als ob sich das ganze Instrument als untauglich erwiesen hätte.
Nach unseren Erfahrungen in den letzten Jahren kann man, glaube ich, feststellen, daß die Preisbindung der zweiten Hand in einer Reihe von Wirtschaftsgebieten und Wirtschaftszweigen bestanden hat, in denen in der Tat große Mißstände aufgetreten sind. Ich brauche Sie nur an den großen Schokoladenkrieg zu erinnern, zu dem es in den letzten Jahren jeweils vor Weihnachten gekommen ist, an die Mißstände auf dem Gebiet der Spirituosen, der Rundfunk- und Fernsehgeräte und wie andere noch heißen mögen. Hier hat sich sehr deutlich gezeigt, daß an der Preisbindung, so wie sie von diesen Wirtschaftszweigen gehandhabt wurde, doch viel auszusetzen ist und wir in diesem Hause unbedingt darüber sprechen müssen.
Wenn man die schlechten Seiten aufführt, dann muß man aber auch sagen, daß es andere Teilgebiete in der Wirtschaft gibt, in denen wir keine Beschwerden vorliegen haben, in denen diese Dinge zum Wohle aller - das sage ich ausdrücklich -, der Produzenten, der Kaufleute und der Verbraucher, gut funktioniert haben. Ich brauche nur an den Zweig der Bücher, Zeitungen und Zeitschriften zu erinnern, an das Gebiet von Foto und Optik, an das der Pharmazeutika, der Drogen, das der Textilwaren usw. Es sind Zweige, meine Damen und Herren, bei
denen Sie solche Auswüchse, wie wir sie auf den anderen Gebieten erlebt haben, die ich vorhin anführte, nicht gesehen haben.
Woher kommen denn die Mißstände, die sich auf diesen Teilgebieten gezeigt haben? Ein großer Teil der Mißstände tritt dort auf, wo Spannen verlangt werden, die nicht marktgerecht sind. Eine Preisbindung, die angemeldet oder gemacht wird, um einen bestimmten Preis hoch zu halten, bricht in jedem Falle zusammen. Das haben wir in der Vergangenheit erlebt, und hier scheint mir eine der Hauptursachen der Mißstände bei vielen Artikeln zu liegen.
Aber wir haben bei der Beratung des Kartellgesetzes auch festgestellt, daß das Bestehen einer festen Handelsspanne allein noch nicht ein Beweis für die Überhöhung eines Endverbraucherpreises ist. Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern: Wenn ein großer Markenartikelfabrikant die gesamte Werbung für seinen Artikel selbst auf eigene Kosten übernimmt, wird er im allgemeinen 'dem Kaufmann eine niedrigere Handelsspanne anbieten als der kleine oder mittlere Fabrikant, der nicht die finanziellen Mittel für die gesamte Werbung zur Verfügung hat und diese Werbung dem Einzelhändler überläßt. Die höhere Handelsspanne stellt in diesem Falle einen Ausgleich für die Übernahme von Werbungskosten durch 'den Einzelhändler dar. Hier handelt es sich nur um eine Kostenverlagerung von der einen Seite auf die andere. Also nicht in jedem Falle kann man allein von der Handelsspanne auf einen ungerechten Marktpreis schließen.
Ein zweiter Mißstand, der sich gezeigt hat, ist die Tatsache, daß 'die Lückenlosigkeit in der Preisbindung vom Fabrikanten nicht konsequent eingehalten wird. Wenn eine Überproduktion vorliegt, dann muß diese Überproduktion irgendwohin geleitet werden. In dieser Situation kommt man auf den Gedanken, einen Teil der Produktion über die normalen Absatzwege mit der Preisbindung abzusetzen und einen anderen Teil auf anderen Wegen, etwa unter neutralen Marken oder ohne Marke unterzubringen.
Wir dürfen aber nicht vergessen, daß sich aus der Preisbindung der zweiten Hand auch für den Verbraucher gewisse Vorteile ergeben, ebenso wie für den Handel und für die Industrie. Ich brauche nur auf die bessere Markttransparenz, auf die Qualitätsgarantie, die mit einem guten Markenartikel verbunden ist, und auf 'die Preisstabilität in Zeiten allgemeiner Preissteigerungen hinzuweisen.
Welches ist nun die Konsequenz aus der Diskussion über die Preisbindung? Die Frage ist doch die: Soll die Preisbindung aufgehoben werden oder sollen wir versuchen, das Instrument als solches beizubehalten, aber 'die Mißstände, die sich eingeschlichen haben, zu beseitigen?
Wir sind der Meinung, daß man das letztere tun sollte, daß man die Preisbindung als solche beibehalten, aber die aufgetretenen Mißstände beseitigen sollte. Diese optimale Lösung läßt sich nach meiner Meinung auf folgendem Wege erreichen.
Einmal sollte man die Anmeldevoraussetzungen erschweren, um so eine Inflation von Markenartikeln zu verhindern.
Zweitens sollte man 'die Fabrikanten verpflichten, die Lückenlosigkeit der Preisbindung einzuhalten. Vor allen Dingen sollte man - da stimme ich mit Herrn Ollenhauer überein - bei der Anmeldung die Offenlegung sämtlicher Rabatte und Spannen verlangen.
Drittens: Waren, die einem kurzfristigen Modewechsel unterliegen, eignen sich nicht für die Preisbindung. Das gleiche gilt für Waren, die ständig technischen Veränderungen unterliegen.
Schließlich bin ich mit Herrn Ollenhauer der Meinung, daß die Kartellbehörde erweiterte Eingriffsmöglichkeiten bei Mißbrauch erhalten sollte.
Aber, meine Damen und Herren, wovor ich warne: auf keinen Fall möchten wir diese Preisbindung abschaffen und durch eine erweiterte Möglichkeit der Preisempfehlung ersetzen. Diese Preisempfehlung führt doch zu einer weitgehenden Irreführung des Verbrauchers, zu einer Ausdehnung des grauen Marktes. Bei einer Preisempfehlung wird doch sicherlich in verstärktem Umfang versucht werden, dem Verbraucher durch irgendwelche gewährten Rabatte, die man auf überhöhte Verkaufspreise gibt, Sand in die Augen zu streuen.
Meine Damen und Herren, wenn wir den Wettbewerb bejahen - und das tun wir sicher im ganzen Hause -, dann haben wir aber auch ein Recht darauf, Möglichkeiten in die Hand zu bekommen, den unlauteren Wettbewerb zu bekämpfen. Darauf hat, glaube ich, derjenige, der sich diesem scharfen Wettbewerb aussetzt, einen Anspruch.
Im Kartellgesetz haben wir eine gewisse Möglichkeit über die Wettbewerbsregelung. Ein Ansatz ist vorhanden, aber er reicht nicht aus. Bisher können mit diesen Wettbewerbsregeln nur Tatbestände erfaßt werden, die sowieso schon durch gesetzliche Bestimmungen als unlauter verboten sind. Uns scheint eine Erweiterung dieser Möglichkeit der Festlegung von Wettbewerbsregeln in bezug auf die sogenannte graue Zone notwendig zu sein.
Ein weiteres ist notwendig, und ich komme damit zu dem zweiten Problem, zu den sogenannten Ausschließlichkeitsverträgen nach § 18 des Kartellgesetzes. Wir erinnern uns noch an die Diskussion im damaligen Wirtschaftsausschuß. Hier müßte, glaube ich, auch eine Änderung erfolgen. In § 18 müßten nach dem Absatz 4 die beiden Tatbestände nicht durch das Wort „und", sondern durch das Wort „oder" verbunden werden. Dann würde nämlich ein Tatbestand genügen, um § 18 wirksam werden zu lassen. Auf Grund der Erfahrungen der letzten fünf Jahre erscheint also auch hier eine Änderung notwendig.
Nun zur Frage der marktbeherrschenden Unternehmungen. Wir haben in diesem Bundestag einen Enquete-Ausschuß ins Leben gerufen. Wir werden sicher die Ergebnisse des Enquete-Ausschusses abwarten müssen, aber das ändert wohl nichts an der Tatsache, daß wir heute schon, ohne dieses Ergebnis
abzuwarten, die Anmeldevorschriften des § 23 verschärfen können, da immerhin ein allgemeines Interesse an diesen Konzentrationserscheinungen vorliegt. Ähnlich ist es mit der Generalklausel.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu dem Problem der Warentests sagen, das auch in der Regierungserklärung angesprochen worden ist. Auf diesem Gebiet ist in unserer Fraktion Frau Kollegin Blohm in dankenswerter Weise in den letzten Monaten aktiv geworden. Wir werden diese Frage gemeinsam beraten. Es ist zu begrüßen, wenn sich nach langjährigen Anläufen die Einsicht durchgesetzt hat, daß bei der ungeheuren Vielfalt des Warenangebots, der ständig steigenden Technisierung der Produktion und der daraus resultierenden verhältnismäßig unübersichtlichen Lage auf dem Markt Warentests zur Orientierung der Verbraucherschaft unerläßlich sind. Auch wir können dazu erklären, daß wir die volkswirtschaftliche Wirksamkeit der Warentests begrüßen und diese Einrichtungen als einen Fortschritt auf dem Wege betrachten, die Beziehungen zwischen Produktion, Handel und Verbraucherschaft vertrauensvoller zu gestalten. Nach unserer Auffassung sollte kein Zweifel darüber gelassen werden, daß Warentests ihrem volkswirtschaftlichen Wert nach in den der Allgemeinheit dienenden und deshalb jedem persönlichen Interesse und Gewinnstreben überzuordnenden Aufgabenbereich gehören. Wir können nicht wünschen, daß der Warentest eine Sache der Effekthascherei und der Sensationsmache bleibt. Vor allen Dingen kommt es darauf an, auf den verschiedensten Gebieten des Konsums die gültigen, das heißt von allen Beteiligten wesentlich mitzubestimmenden Prüfungsmaßstäbe zu entwickeln, nach denen die Bewertung vorzunehmen ist. In dieser Hinsicht darf weder Augenblickswillkür herrschen noch die individuelle Vorstellung eines einzelnen oder einer kleinen Gruppe allgemeine Gültigkeit beanspruchen. Erst diese Mitwirkung aller Beteiligten an der Erarbeitung der zugrunde zulegenden je nach dem Konsumgut verschieden zu beurteilenden Prüfungsmethoden erzeugt jene breite Grundlage objektivierter Arbeit, die notwendig ist, um den Testergebnissen von vornherein die Anerkennung zu sichern. Damit erhalten gleichzeitig Produktion und Handel wichtige Fingerzeige für die Durchführung ihrer Versorgungsaufgaben. Es muß schließlich einleuchten, daß auf diese Weise eine erhebliche Rationalisierung im Konsumgüterbereich stattfindet.
Nun, meine Damen und Herren, in der Regierungserklärung ist auch von der vergleichenden Werbung die Rede gewesen. Das Justizministerium ist gebeten worden, die rechtliche Lage zu prüfen. Wir werden also abwarten, welche Ergebnisse aus dem Justizministerium auf uns zukommen.
Wenn ich vom Wettbewerb spreche, lassen Sie mich ein Letztes zu den Wettbewerbsverzerrungen auf dem internationalen Gebiet sagen, einer Frage, die sowohl in der Regierungserklärung als auch von verschiedenen meiner Vorredner angesprochen worden ist. Hier liegt in der Tat etwas sehr im argen. Teile der deutschen Industrie sind hier in einer unmöglichen Situation. Beispielsweise auf dem Gebiete des Textilaußenhandels sind in den letzten fünf Jahren ca. 17 Arten von Wettbewerbsverfälschungen - von der direkten Subvention über die steuerliche Exportförderung, über Doppelpreissystem, über staatlich dirigierte Exportpreise - festgestellt worden, die dem Ausländer auf dem deutschen Markt Wettbewerbsvorteile bringen, gegen die der deutsche Unternehmer auch bei größten Anstrengungen und bei größter Tüchtigkeit nicht ankommen kann. Die Wettbewerbsfähigkeit der ausländischen Konkurrenten wird noch dadurch vergrößert, daß diese Waren bei der Einfuhr umsatzsteuerlich weniger belastet werden als die gleichen, in Deutschland produzierten Waren. Ich könnte Ihnen Beispiele dafür nennen, meine Damen und Herren, welche Auswirkungen das auf Teile der deutschen Industrie hat. Ich glaube, hier sollte die Bundesregierung alle Mittel, die möglich sind, anwenden und vor allen Dingen bei der EWG-Kommission in Brüssel erreichen, daß diese Wettbewerbsverzerrungen unterbunden werden.
Wenn wir alle, die wir den Wettbewerb bejahen, den Anspruch erheben, vor unlauterem Wettbewerb geschützt zu werden, haben wir allerdings auch alle die Verpflichtung, in dieser Wettbewerbswirtschaft das Bestmögliche zu leisten. Ich glaube, an der Leistungsfähigkeit unserer Industrie, unserer gesamten deutschen Wirtschaft brauchen wir nicht mehr zu zweifeln.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt in einem bestimmten Rechtsgebiet den Begriff des Rückfalls. Ich glaube, daß sich der Herr Bundeswirtschaftsminister mit seiner Darstellung der Arbeitsmoral und der Qualität der deutschen Arbeit eines solchen Rückfalls in eine frühere Art der Argumentation schuldig gemacht hat, von der ich gerade meinte, daß sie überwunden sei.
({0})
Arbeitsmoral ist eine wichtige Sache; darüber möchte ich gar keinen Zweifel aufkommen lassen. Für die Arbeitsmoral sind viele in der Wirtschaft verantwortlich, auch die Arbeitnehmer und ihre Organisationen; darüber besteht auch selbst bei diesen, möchte ich sagen, kein Zweifel.
Sie haben den Krankenstand angeführt, Herr Bundeswirtschaftsminister. Das ist sicherlich ein schwieriges Problem. Nur, 'die Frage der Entwicklung des Krankenstandes in den Betrieben lediglich unter den Gesichtspunkten der Arbeitsmoral zu sehen, ist doch eine unerhört einseitige Methode.
({1})
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie wissen, daß das Steigen des Krankenstandes zumindest drei Ursachen hat, 'die ganz normal sind. Die Absicht, die man mit den Maßnahmen auf diesem Gebiete verfolgte, war doch, zu erreichen, daß viele Menschen, die bisher nicht genügend für ihre Gesund1734
heit getan haben, die Möglichkeit erhalten, mehr für ihre Gesundheit zu tun.
({2})
Es lag im Sinne dieser Bestimmungen, daß auf diesem Gebiete zunächst einmal mehr geschah. Und ein Zweites! Wir wissen doch, daß infolge der Spannungen auf dem Arbeitsmarkt viele ältere Menschen in die Betriebe hineingegangen sind, die früher nicht in ihnen waren und die anfälliger sind. Sie wissen drittens, in welchem Umfang die Frauenarbeit zugenommen hat und daß auch dadurch zwangsläufig der Krankenstand gewachsen ist.
Wer Über dieses schwierige Problem spricht, sollte nicht in die Methode einer einseitigen Verunglimpfung zurückfallen, die in keiner Weise gerechtfertigt ist.
({3})
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben in diesem Zusammenhang nur von 'der Arbeitsmoral der Arbeitnehmer und von der Aufgabe der Gewerkschaft gesprochen, von nichts sonst.
({4})
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Es ist bekannt genug, daß ich das Sogenannte Sozialpaket einschließlich der arbeitsrechtlichen Lösung unterstütze. Ich bin auch für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Aber manche Tatbestände stimmen nicht mit dem überein, was Sie hier ausgeführt haben.
({0})
Es ist z. B. bekannt genug, daß die Krankenstandquote bei den jüngeren Arbeitnehmern höher ist als bei den älteren und daß sie bei den ungelernten Arbeitern auch wieder höher ist als 'bei den gelernten Arbeitern.
({1})
Ich muß Sie darum bitten, eine Frage zu stellen, also entsprechend zu formulieren.
Wenn Sie im übrigen 'die Moral anderer Schichten ansprechen wollen, bin ich bereit, Sie zu unterstützen. Nicht überall ist alles zum besten geordnet.
Mir kam es darauf an, Herr Bundeswirtschaftsminister, klarzustellen, daß, wenn wir uns um ein sachliches Gespräch bemühen -- und dazu sind wir jederzeit bereit -, dann auch bei solchen gerade in der Öffentlichkeit sehr umstrittenen Fragen volle Objektivität gewahrt werden muß.
({0}) Dazu, meinte ich, mußte hier nach Ihrer etwas einseitigen Darstellung ein ergänzender Beitrag gegeben werden. Und den habe ich gegeben.
({1})
Ein Zweites, Herr Bundeswirtschaftsminister: die Qualität der Arbeit. Daß in :vielen Bereichen die Qualität der geleisteten Arbeit bei uns in Deutschland in gewissem Umfange nachläßt, wird niemand bestreiten können. Jeder, der im Leben steht, weiß das. Die Frage ist nur, Herr Bundeswirtschaftsminister: Was ist das für ein Tatbestand? Welche Beziehungen hat er zu unserem Export? Und wie steht es mit Ihrem wiederum so einseitigen Appell an die Arbeitsmoral der Arbeitnehmer und Ihrer Aufforderung, die Gewerkschaften müßten dafür sorgen, daß die Arbeitsmoral sich hier hebe? Ich habe mich auch im Ausland umgehört. Zunächst einmal weiß ich, daß dieses globale Urteil, der Wert der deutschen Arbeit sinke, in keiner Weise zutrifft. Unser Reden über die Qualität deutscher Arbeit sollte nicht so ins Negative ausufern, daß wir schließlich selber die Wettbewerbsfähigkeit dieser Arbeit gefährden.
({2})
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. von Brentano?
An sich möchte ich doch gern zunächst einmal diesen Gedanken zu Ende führen. Aber ich wehre mich nicht, eine Frage entgegenzunehmen.
Ich wollte nur die Frage stellen, ob Sie sich damit auch von den Äußerungen Ihres Kollegen Dr. Mommer distanzieren, die gestern in den Zeitungen 'zu lesen waren?
Zunächst einmal sind die Äußerungen des Herrn Dr. Mommer, wie das meist 'geschieht - auch Ihnen -, in der Presse nicht so wiedergegeben, wie sie getan worden sind.
({0})
Ich halbe bereits gesagt - und darin stimme ich mit dem Kollegen Mommer überein -, daß es sicherlich auf gewissen Gebieten Qualitätsverschlechterungen gibt. Aber - und damit komme ich zum Kern der Dinge - das ist eine allgemeine Erscheinung in einer überbeschäftigten Wirtschaft. Das ist keineswegs eine Frage der Arbeitsmoral der Arbeitnehmer, sondern das ist die Haltung der gesamten Wirtschaft zur Arbeit überhaupt.
({1})
Wer sich einmal draußen umhört, weiß, daß, wenn Maschinen Mängel aufweisen, es sich häufig um Konstruktionsfehler oder um Fehler handelt, die auf die Arbeitsdispositionen oder auf die Arbeitsvorbereitung zurückzuführen sind. Das alles hat gar nichts mit der Arbeitsmoral der Arbeiter zu tun.
Wenn wir uns ernsthaft um die Ursachen dieser Dinge mühen, kommen wir wieder zu jenem Ungleichgewicht der Wirtschaft. Es muß dafür gesorgt werden, daß nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Es werden Anforderungen an die zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte gestellt, die nicht erfüllt werden können. Dabei wird insbesondere auch die Kontrolle in den Betrieben über die geleisteten Werkstücke außerordentlich vernachlässigt. Das mußte, glaube ich, zur Klarstellung gesagt werden, damit hier nicht falsche Akzente gesetzt werden.
Durch die Intervention des Herrn Bundeswirtschaftsministers wird ein zweiter Fragenkreis aufgeworfen. Herr Bundeswirtschaftsminister, hier scheint mir einer der Unterschiede zu liegen: Sie haben im Grunde genommen kein Zutrauen zu der Möglichkeit, Wirtschaftspolitik und Preispolitik zu betreiben.
({2})
- Sie haben gesagt, in der Bauwirtschaft hätten Sie doch gesehen, wie wenig Einfluß der Staat selbst eigentlich auf diesem Sektor habe, wo in umfangreichem Maße öffentliche Investitionen erfolgen. Daß wir im Grunde genommen niemals ernsthaft versucht haben, diesen Problemen zu Leibe zu rücken, sondern immer nur dann, wenn es gebrannt hat, an den Symptomen kuriert haben Baustopp, 7 b und ähnliche Scherze -, das ist doch der Kernpunkt der Dinge.
Sie haben gesagt: Vielleicht hilft uns die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Auch dieses Mißtrauen gegenüber diesem demokratischen Instrument einer freiheitlichen Wirtschaftspolitik! Im Grunde genommen geht es Ihnen ja nicht so ganz ins Herz hinein mit dieser volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und dem Wirtschaftsbericht. Das scheint mir das Wichtigste zu sein: die Übersicht über die wirtschaftliche Entwicklung muß eben so differenziert sein, daß man über den Einfluß in den verschiedenen Sektoren der Wirtschaft ein klares Bild erhält. Das ist gerade das, was Sie vorhin abgelehnt haben. Sie sind mit einer globalen Rechnung schon einverstanden, aber bei einer Untersuchung der Sektoren wird es nach den Ausführungen, die Sie vorhin gemacht haben, für Sie kritisch. In einer nach Sektoren gegliederten Rechnung könnte man nämlich einiges über die Situation auf dem Gebiet des privaten Wohnungsbaus, auf dem Gebiet des gemeinnützigen Wohnungsbaus, auf dem Gebiet des Industriewohnungsbaus, auf dem Gebiet des sonstigen industriellen Hochbaus sagen; und dann käme man vielleicht zu gewissen Rangordnungen, die man anwenden müßte. Dann hätte ein solche Konzeption wirklich einen Sinn. Dann könnte man nach meiner festen Überzeugung mit diesen modernen Mitteln Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung nehmen.
({3})
- Bitte sehr, das muß geschaffen werden, dazu muß man sich aufraffen, und derselbe Pessimismus, Herr Bundeswirtschaftsminister - ({4})
- Nein, seit dem März 1962 ist diese pessimistische Note an Ihnen nicht mehr neu.
Die Frage des Wettbewerbs, die Stärkung des Wettbewerbs, die Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen, das ist doch eigentlich Ihr Herzstück. Und dazu gehört alles das, was auf dem Gebiet des Kartellgesetzes, der Preisbindung der zweiten Hand, der marktbeherrschenden Unternehmungen usw. getan werden muß. Sie haben gesagt, Sie seien viel radikaler als die Sozialdemokraten und Sie wollten dem Parlament den Vortritt zur Beratung des Kartellberichts geben. Nun, ich entsinne mich, daß Sie auf diesem Gebiet einmal mutiger waren. Sie waren der Auffassung, daß unmittelbar eine Kartellnovelle vorgelegt werden sollte, und ich glaube, Sie hatten recht damit. Sie haben dann diesen Plan unter dem Einfluß des Gesamtkabinetts und der hinter ihm stehenden Kräfte zurückstecken müssen. Das sollten Sie nicht - in Ihrem eigenen Interesse - so mit Äußerungen überdecken, die den Tatsachen nicht ganz entsprechen.
({5})
Wenn es sich um eine wichtige Angelegenheit handelt und wenn Sie der Auffassung sind, daß etwas zur Preisstabilisierung getan werden sollte, dann sollten Sie nicht sagen: Jetzt will ich erst mal warten, bis das Parlament von sich aus den Kartellbericht beraten hat. Die Regierung hat durch den Bundespressechef mitteilen lassen, daß sie mit einer langen, gründlichen Beratung des Kartellberichts rechne. Wollen Sie wirklich so lange warten, bis die Bundesregierung, die hier doch die Initiative zu ergreifen hat, von dem Parlament Anregungen erhält?
Darum geht es, Herr Bundeswirtschaftsminister: daß nicht nur über diese Dinge gesprochen wird, sondern daß, insbesondere wenn es sich um die Stärkung des Wettbewerbs und die Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen handelt, auch wirklich etwas geschieht.
({6})
- Jawohl. Im demokratischen Staate müssen wir eben beweisen, daß wir in der Lage sind, auch mit demokratischen Mitteln politisch zu handeln, und uns nicht das Gesetz des Handelns durch andere vorschreiben lassen.
({7})
Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist doch das Problem: eine Methode zu finden, mit der man das Verhalten der anderen in der Wirtschaft nicht diktatorisch bestimmt, sondern Voraussetzungen und Richtlinien schafft, damit in freier Entscheidung verantwortlich gehandelt wird. Dazu gehören ernsthafte politische Instrumente, dazu reichen Appelle nicht aus. Psychologie ist eine gute Sache, aber in der Wirt1736
schaftspolitik ist ihre Wirkung jedenfalls begrenzt, und psychologische Einwirkungen haben sehr häufig ihre zwei Seiten. Hier muß etwas geschehen. Politisches Handeln in der Demokratie bedeutet eben nicht, zu kommandieren, anderen zu sagen, was zu geschehen hat, sondern von der Wirtschaftspolitik her die Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung zu schaffen.
({8})
- Das erzähle ich demjenigen, der gerade gegen diese Passagen in meinen Thesen in der Süddeutschen Zeitung polemisiert hat. Da habe ich nämlich gesagt, Herr Bundeswirtschaftsminister: Wenn starke Ungleichgewichte bestehen, dann ist die Stunde des Parlaments und der Regierung - nicht wie bei anderen Gelegenheiten nach Ihrer Auffassung etwa die Stunde der Exekutive; und zwar aus folgenden Gründen. Wir alle stehen in der Marktwirtschaft und bejahen sie. Auch der Markt für Investitionsgüter und der Arbeitsmarkt sind Märkte, die sich nach den Marktgesetzen entwikkeln. Sie können sehr viel Verantwortung von den Menschen in der Wirtschaft erwarten, wenn Sie sie richtig anpacken. Aber Sie können normalerweise nicht erwarten, daß das Gros der Menschen entgegen den durch die Marktgesetze bestimmten Interessen handelt. Dann müssen Sie, die Regierung, die Voraussetzungen für richtiges Handeln schaffen. Darum meinte ich: Wenn diese starken Ungleichgewichte bestehen, dann ist die Wirtschaftspolitik aufgerufen. Und diese ihre Verantwortung darf sie ) nicht auf andere abschieben.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gesagt, viele fragten heute: Kann das weiter so gut gehen? Er hat sicherlich recht. Aber viele Leute stellen auch eine Überlegung an, die Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, in die Worte gekleidet haben: Es muß endlich wieder in Deutschland regiert werden. Die Rede des Bundeskanzlers war kein Beitrag zu politischem Handeln. .
({9})
Wenn Sie einmal die Formulierungen durchlesen, die da über die „verschiedenen Maßnahmen" gebraucht werden, dann müssen Sie selber einsehen, daß von Handeln und politischer Aktivität in dieser Erklärung nicht die Rede sein kann.
Ihre Rede war sicherlich eine gute Rede, aber sie war eine Rede und sie hat an den Fakten nichts geändert. Sie hat zu dem Inhalt der Erklärung des Bundeskanzlers, die eben so furchtbar wenig enthielt, nicht einen konkreten Gesichtspunkt beigetragen.
({10})
Darum, Herr Bundeswirtschaftsminister: Eine Regierung muß politisch handeln; reden allein genügt nicht.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Imle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Regierungserklärung ist zu unserer Freude darauf hingewiesen worden, daß einige Maßnahmen ins Auge gefaßt sind, die Ordnung im Bauwesen herbeiführen sollen. Wir haben uns bereits vor den Parlamentsferien des öfteren über diese Dinge unterhalten und haben damals ein Baubeschränkungsgesetz verabschiedet. In diesem Zusammenhang haben wir die Bitte an die Regierung, dem Parlament zur Jahreswende einen Überblick darüber zu geben, wie sich dieses Gesetz ausgewirkt hat. In der letzten Zeit haben wir noch erfahren, daß die Länder gemeinsame Erlasse herausgegeben haben, um besonders für die mittelständische Wirtschaft nachteilige Auswirkungen zu vermeiden. Wir glauben, daß, insgesamt gesehen, nunmehr ein Überblick möglich ist.
Wie notwendig Maßnahmen sind, ergibt sich auch aus dem Juli-Bericht der Bundesbank. Darin wird gesagt, daß sich in besonders verhängnisvoller Weise noch der Auftragsüberhang in der Bauwirtschaft auswirke; sie stehe weiterhin im Zeichen einer beträchtlichen Übernachfrage, die den Preisindex für Bauleistungen im Wohnungsbau bis Mai dieses Jahres auf einen Stand habe steigen lassen, der um 4 % höher gelegen habe als im Februar und um 11 % über dem Mai des Vorjahres. Wir Freien Demokraten sind daher angenehm überrascht dadurch, daß auch die Bundesregierung nunmehr Maßnahmen auf dem Wege über den § 7 b ergreifen will, wobei an eine Suspendierung für zwei Jahre gedacht ist, allerdings unter der Voraussetzung, daß die Eigentumsmaßnahmen im Sinne des Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes nicht betroffen werden. Ich darf darauf hinweisen, daß wir bereits in der gemeinsamen Sitzung des Finanzausschusses, des Wirtschaftsausschusses und des Wohnungsbauausschusses Sachverständige über die Auswirkungen des von der FDP eingebrachten Gesetzentwurfs gehört haben und daß auch vom Bundeswohnungsbauminister Unterlagen hierzu zugesagt worden sind. Wir glauben daher, daß bereits eine sehr gute Vorarbeit geleistet ist und die Möglichkeit besteht, vielleicht sogar sehr bald zu einem Abschluß zu kommen. Dabei möchte ich allerdings betonen, daß dieses Gesetz meines Erachtens keineswegs Anlaß geben darf - und auch von der Bundesregierung ist das nicht beabsichtigt -, den kleinen Mann in seinen beabsichtigten Baumaßnahmen zu beschränken.
Wichtig ist noch folgendes. Den Presseveröffentlichungen von heute morgen ist zu entnehmen, daß eventuell beabsichtigt ist, das Gesetz nicht erst mit seiner Verkündung, sondern bereits am 9. oder 10. Oktober in Kraft treten zu lassen. Hiergegen, möchte ich allerdings sagen, bestehen doch wohl erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere auch nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 1961, das sich ausdrücklich mit der rückwirkenden Kraft von Gesetzen befaßt hat. Ich glaube, meine Damen und Herren, man muß dem Staatsbürger die Sicherheit geben, daß, solange ein Gesetz besteht, er sich auch auf das verlassen kann, was ihm darin zugesichert wird; man sollte ihn nicht in die Situation bringen, daß er, weil eine Änderung in Aussicht genommen ist, schon jetzt
entsprechende Maßnahmen treffen muß. Es könnte ja durchaus sein, daß das Plenum den Antrag ablehnt, so daß das Gesetz nicht zustandekommt; dann wäre derjenige, der sich darauf verlassen hat, daß eine solche Einschränkung kommt, der, der nicht mehr zum Zuge käme. Wir sollten also gerade diesen verfassungsrechtlichen Bedenken erhebliches Gewicht beimessen. Wir sind uns ja auch im Finanzausschuß völlig einig darüber, daß wir bei Gesetzen mit rückwirkender Kraft sehr vorsichtig sein müssen, nachdem wir auf diesem Gebiet in der letzten Zeit einiges erlebt haben.
Ferner ist es nach unserer Auffassung notwendig, daß, wenn ein solches Gesetz jetzt kommt, ganz klar gesagt wird, was eingeschränkt werden soll, damit wir hierfür nicht ein Lizenzierungsgesetz bekommen, d. h. daß die Verantwortung dafür, was noch gebaut werden kann, nicht auf die unteren Ebenen verlagert wird. Wir wollen also hier keine Lizenzierung.
Heute morgen ist bereits die Überprüfung des Begriffes der Gemeinnützigkeit erwähnt worden. Ich kann mich darauf beschränken, hierauf Bezug zu nehmen, und wiederhole nur noch einmal, daß sich die Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit nach unserer Meinung geändert haben.
Ein besonderes Anliegen - auch darüber habe ich an diesem Platz schon verschiedentlich sprechen können - ist für uns nach wie vor das Problem der Grundsteuer C, der sogenannten Baulandsteuer. Es würde sicherlich heute abend zu weit führen, alles
das, was hierzu schon gesagt worden ist, zu wiederholen. Aber wir dürfen doch wohl eines feststellen: Wenn man den § 7 b auf zwei Jahre aussetzen will, dann kann man nicht die Maßnahmen, die der Geländebeschaffung dienen, für diese zwei Jahre in Kraft lassen; dann muß man die Baulandsteuer C ebenfalls für zwei Jahre aussetzen.
({0})
Ich glaube, es besteht gar keine Notwendigkeit, zusätzlich noch Bauboden zu 'beschaffen, wenn man davon ausgeht, daß wir am 1. Januar dieses Jahres bereits einen Bauüberhang von 800 000 Wohnungen hatten, daß also noch nicht einmal 1963 der bestehende Wohnungsbauüberhang beseitigt werden kann. Wir werden das frühestens in anderthalb Jahren, wenn nicht erst in zwei Jahren geschafft haben. Wir sind daher der Meinung, daß man der Baulandsteuer C nun endlich einmal zu Leibe rükken soll. Wir würden es begrüßen, wenn die Regierung dann, wenn sie ihren Gesetzentwurf zu § 7 b einbringt, als Korrektiv 'dazu gleichzeitig einen solchen Aussetzungsentwurf für die Baulandsteuer einbrächte. Sollte das - wenn ich das einmal so sagen darf - nicht der Fall sein, werden sich die Freien Demokraten sehr ernst überlegen, ob sie dann nicht von sich aus einen solchen Antrag einbringen, damit nicht diejenigen, die im Moment nicht in der Lage sind zu bauen - weil sie das Kapital noch nicht zusammengespart haben -, obwohl sie das Gelände haben, durch die Steuer in eine sehr schlechte Lage gebracht werden,
Wir hoffen, daß diese Anregungen, die in der Regierungserklärung gegeben worden sind, im Zusammenhang mit unseren Anträgén zum Wohle aller führen werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Meine Freunde haben mich um zweierlei gebeten, einmal eine politische Schlußbemerkung zu diesem innenpolitischen Teil zu machen und zum anderen dafür zu sorgen, daß nicht eine neue Debatte beginnt. Meine Damen und Herren, ich bin nicht ganz sicher, ob mir das gelingt.
Lassen Sie mich eine Anfangsbemerkung machen. Wir waren in der vergangen Woche mit unserer Fraktion in Berlin, und des Morgens las ich in einer 'Boulevardzeitung einen köstlichen Ausspruch Ihres Parteifreundes Kreßmann, der irgendwelche Schwierigkeiten mit dem SPD-Vorstand haben soll, wie das in allen Parteien einmal üblich ist, - einen köstlichen Ausspruch, den ich doch zitieren möchte, weil er, glaube ich, an den Schluß dieser Debatte paßt. Herr Kreßmann soll dort gesagt haben: Wer heute nicht denkt wie die CDU, fliegt unter Garantie aus der SPD raus.
({0})
Meine Damen, meine Herren, ich bin für dieses Bonmot nicht verantwortlich.
({1})
- Vielen Dank, Herr Kollege Wehner! Aber ich mußte daran denken, als der Kollege Ollenhauer heute morgen sprach, dachte ich: Na gut, dem Mann ist wieder geholfen, die Fronten sind wieder klar. Als dann der Kollege Deist wieder seine vorzügliche Rede hielt, da war eigentlich wieder etwas von der - nun, das Wort ist aus Ihren Reihen, Herr 'Kollege Wehner - Umarmung da.
({2})
-- Aber Herr Kollege Wehner, ich bemühe mich doch nun wirklich - das werden Sie zugeben -, für meine Verhältnisse sehr ruhig und sehr freundlich zu sprechen.
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Ich glaube gleichwohl, daß diese Debatte klargemacht hat, daß in ,der Sache nach wie vor große Differenzen bestehen. Die großen Unterschiede sind zum Teil dadurch sichtbar geworden, daß die Opposition ,auf Fragen, die die Regierung in ihrer Erklärung aufgeworfen hat, nicht 'geantwortet hat. Daß die Diskussion diese Differenzen wieder sichtbar gemacht hat, ist deshalb gut, weil wir ja hier nicht die Aufgabe haben, einen Eintopf zu kochen, sondern zum Wohl des deutschen Volkes um den besten Weg zu ringen; und da ist es immer gut, wenn es verschiedene Meinungen gibt.
Ich glaube allerdings, daß gerade Herr Kollege Dr. Deist durch seine meisterliche Rede, die auch jedem theoretischen Seminar wohl angestanden
hätte, ein bißchen von der Frage abgelenkt hat, die die Regierung doch sehr deutlich gestellt hat.
({4})
- Eine Sekunde, Herr Kollege Dr. Deist. Sie haben es ja begrüßt, daß die Regierung zu Beginn des zweiten Jahres dieser Legislaturperiode mit uns in die Diskussion darüber eingetreten ist, was der Bundeskanzler als Richtlinien der Politik festzusetzen hat, und Sie haben ja alle erfreut zugestimmt, darüber mit uns grundsätzlich zu diskutieren. In der Erklärung der Regierung gibt es im wesentlichen zwei Fragen, die die Regierung allein gar nicht lösen kann, die sie nur mit diesem Hause zusammen lösen kann, und eine Frage, die auch die Regierungskoalition nicht allein erledigen kann.
Die beiden Fragen hat der verehrte Vorsitzende unserer Fraktion heute morgen in seinem Beitrag gestellt. Der Kollege Schmücker hat die eine wieder betont, der Kollege Dollinger (die andere, das heißt: Ist dieses Haus bereit, die Nachfrage einzuschränken, sich konjunkturgerecht zu verhalten? Ist dieses Haus bereit, zu den 56,8 Milliarden, nicht zu den Details, ja zu sagen? Ich erinnere an das, was unser Fraktionsvorsitzender zum Haushalt gesagt hat. Hierzu haben wir weder vom Kollegen Dr. Deist noch von allen anderen bisher ein Wort der Opposition gehört,
({5})
so daß ich am Schluß ein schweigendes Nein hierzu festzustellen habe.
Die zweite Frage, die die Bundesregierung auf dem innenpolitischen Gebiet doch sehr deutlich gestellt hat, betraf Ihren Wunsch, wenn ich es recht verstanden habe, dieses Parlament, und zwar das ganze Parlament, möge in ein Gespräch mit dem deutschen Volk darüber eintreten, wie wir gefährliche Entwicklungen für die Zukunft auch auf dem Gebiet der Arbeitszeit vermeiden können. Auch hierzu sprachen Sie ein schweigendes Nein. Diese zweite Frage ist doch wohl gestellt worden im Interesse des kleinen Mannes, im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit, von der Professor Erhard, Herr Dollinger und wir alle gesprochen haben. Auch auf diese Frage ist die Opposition die Antwort schuldig geblieben.
Dafür, daß ich Sie jetzt bitte, Ihren Einfluß auf die Ihnen nahestehenden Seiten (der Tarifparteien geltend zu machen, genauso wie ich unsere Freunde bitte, ihren Einfluß auf die uns nahestehenden Teile der Tarifparteien in dieser Frage geltend zu machen, bin ich gern bereit, mich wieder beschimpfen zu lassen. Ich habe deswegen den Mut, Sie zu bitten, auch Ihren Einfluß auf die Ihnen nahestehenden Partner geltend zu machen, weil wir damit eine gute Erfahrung gemacht haben. Ich erinnere mich des vergangenen Jahres, als wir die Debatte über die Regierungserklärung zu Beginn der neuen Legislaturperiode hatten. Damals hat mich Kollege Ollenhauer mit sehr harten Worten kritisiert, weil ich ihn gebeten hatte, uns Ihr grundsätzliches Ja zum Notstandsgesetz dadurch glaubhafter zu machen, daß
Sie Ihren Einfluß auf die Gewerkschaften in deren Haltung hierzu stärker zur Geltung bringen. Sie haben mich dann beschimpft. Gut! Inzwischen - der Kollege Wehner hat sich damals etwas notiert, wie jetzt auch - haben doch Gewerkschaftskongresse stattgefunden, auf denen zu dieser Frage eine sehr viel nüchternere, eine von unserem wie von Ihrem Standpunkt aus auch bessere Haltung eingenommen worden ist. Deshalb habe ich die herzliche Bitte an alle diejenigen, die eine Möglichkeit dazu haben, auch in der Frage der Arbeitszeitverkürzung sich entsprechend einzusetzen.
Ich will jetzt nicht über die Frage Norwegen polemisieren, Herr Kollege Ollenhauer. Aber ich möchte den Kollegen Dr. Deist doch einladen, in dem Buch, das die Friedrich-Ebert-Stiftung dankenswerterweise 'herausgegeben hat und das sich durch ein vorzügliches Niveau auszeichnet, dem Buch Nationalbudget und Wirtschaftspolitik, den Aufsatz über Norwegen nachzulesen. Sie werden es mir ersparen, die Ergebnisse der dortigen Untersuchungen, harte Urteile, jetzt hier vorzulesen, weil dann bestimmt die Debatte erneut losgehen würde. Aber ich bitte doch, uns nicht Vorschläge 'zu machen, Herr Kollege Ollenhauer, die ausweislich von Erfahrungen in anderen Ländern, die inzwischen auch zugelernt haben, offensichtlich nicht zu den allerbesten Ergebnissen führen, sondern zu schlechteren als wir sie haben.
Meine Damen, meine Herren, ich will zum Schluß nur noch einen Punkt ganz kurz erörtern, und zwar den Vorwurf des Kollegen Ollenhauer, daß wir eine schlechte Regierung haben, die ein Jahr vertan hat. Nun, schlechte Regierung nehme ich nicht übel; denn Idas heißt doch nur: nicht Ihre Regierung; das ist leicht erledigt. Aber ein Jahr vertan, - da würde ich doch herzlich bitten, das nicht (zu sagen. Denn unser aller Terminkalender - bei Ihnen in der Opposition, bei uns in den ,Koalitionsfraktionen hier im Hause, in den Ländern, in den Parteien - war doch diesmal weiß Gott nicht überschattet von Problemen der Gesetzgebung, die auf der Tagesordnung dieses Hauses stehen, sondern von Problemen, die die Weltgeschichte in diesem Jahr auf 'die Tagesordnung gestellt hat. Ich denke an Berlin, ich denke an den Frieden, ich denke an den Fortschritt Europas. Da kann man doch wohl nicht sagen, dieses Jahr sei vertan worden.
Ich will nicht an die Unkereien erinnern, die wir im vorigen Herbst hatten, über das, was die Bundesregierung binnen drei Monaten alles machen müsse. Ich will jetzt nicht eine außenpolitische Debatte erzeugen. Ich erinnere an das, was Gaitskell und andere - auch konservative Leute - in anderen Staaten gesagt haben über das, was für die Deutschen 'unausweichlich in den nächsten 6 Monaten kommen 'würde. Nichts davon ist bis heute passiert.
Dies 'war, meine Damen und meine Herren, kein vertanes Jahr, dies war ein gutes Jahr für Deutschland. Und wenn es jetzt schwieriger ist - ich gebe das ehrlich zu -, dann liegt das daran, daß wir eine Koalitionsregierung haben. Die Damen und Herren von der 'FDP haben ihre Meinung, und wir
haben die unsere. Es soll ja auch bei Ihnen Meinungsverschiedenheiten geben. Aber natürlich dauert nun alles etwas länger, ist etwas umständlicher. Indem wir dies gemeinsam vollziehen, tun wir doch nur dem Willen des Wählers Gerechtigkeit, der uns die Mehrheit allein und damit die Verantwortung allein nicht gegeben hat.
Meine Damen und meine Herren, ich will ohne jedes sonstige Wort zu schließen versuchen. Ich hoffe, daß ich nicht damit bei Ihnen die Debatte doch erzeugt habe. Ich bedanke mich für das Kopfnicken und wäre sehr froh, wenn es mir gelungen wäre, durch diseen milden Ton ein politisches Schlußwort zu erreichen. - Herr Kollege Wehner, er meldet sich zu Wort. Nun, 'dann mag die 'Debatte weitergehen, Herr Kollege Wehner!
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Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine seltsame Situation-werden auch wohl manche bei Ihnen denken -, daß Sie, die Sie nach so vielen Ankündigungen, was bei dieser Debatte alles herauskommen müsse und werde und solle, nunmehr jemanden aufs Podium schicken müssen - einen ehrenwerten Kollegen natürlich; ich will mit dem Wort jemanden nichts besonderes sagen -, der nun sagt, wie das weitergehen soll: soll sich jemand von der SPD melden oder wie überhaupt?
({0})
Das soll hier kein Versuch sein, Herrn Barzel zu überbarzeln; das ist es nicht.'
({1})
Nur ist die Situation doch noch etwas anders, als er sie hier schildern konnte. Er fragt, warum wir uns nicht geäußert hätten, ob wir zu der Haushaltssumme von 56,8 Milliarden DM ja sagen, Sie hätten nichts gehört. - Ja, ich bitte um Entschuldigung, das ist natürlich eine sehr subjektive Frage, ob man hört oder nicht hört. Wir haben heute sehr deutlich gemacht, daß wir die Haushaltsdebatte nicht vorwegnehmen, ehe uns nicht der Haushaltsplan vorliegt.
({2})
Sie haben doch gerade so nette Worte über die Koalition gefunden, Herr Barzel, fragen Sie doch einmal den Herrn Bundesminister der Finanzen - er ist wohl gar nicht mehr hier?, wunderbar, er ist noch hier -, fragen Sie ihn doch einmal, warum er nicht aufmarschiert ist in der Reihe der Redner, die uns gestern noch angekündigt worden ist!
({3})
Sie hatten doch so einen Plan. Ja, man macht sich einen Plan; wir kennen diese Misere. Und dann ging das nicht, weil der Herr Bundesfinanzminister vielleicht auch zweifelte - - nun locke ich ihn vielleicht noch heraus; dann werden Sie sagen, ich habe Ihnen geholfen, Sie kriegen doch noch eine
Debatte zustande. Vielleicht! So sind wir zwar nicht in der Koalition, aber wir helfen Ihnen, daß Sie eine Debatte zustande kriegen.
({4})
Wir sind ja gespannt darauf, was zwischen Ihnen vorgeht. Es ist doch wunderbar!
Nun ein ernstes Wort zu den 56,8 Milliarden DM: kommt bei uns im Moment nicht in die Tüte,
({5})
weil wir doch nicht - das haben wir öffentlich gesagt und das ist auch hier zum Ausdruck gekommen; nicht in der leichten Form, wie ich es jetzt sage, aber ernst, als noch Zeit dazu war - einfach nur zu einer oberen Grenze ja sagen. Es geht uns darum festzustellen, was in diesem Mantel der 56,8 Milliarden drinsteckt; darüber wollen wir gern reden.
({6})
Wir sind ja in der Opposition. Wir haben in der Regierungserklärung das schöne Wort von der Vermögensverschiebung gehört. Wir werden versuchen, Schwerpunktverschiebungen herbeizuführen, und wir werden auch versuchen, zu Verschiebungen hinsichtlich der Deckung zu kommen.
({7})
- Ja, im Rahmen dessen, was Sie vorlegen. Dann wollen wir Sie beim Wort nehmen. Wir sind ja in der Beziehung vorsichtig geworden hinsichtlich dessen, was man hört und was man sieht; wir wollen erst einmal sehen.
({8})
Dann sagen Sie, dieses Parlament, unser Parlament, soll ins Gespräch gebracht werden über die Arbeitszeitverlängerung. Da gibt es hier phantastische Fachleute für die Freizeitgestaltung und für mehr Urlaub und was weiß ich alles. Sicher wird das Volk, die Bevölkerung, sehr begierig sein, zu hören, was wir ihm zur Arbeitszeitregelung zu sagen haben.
Wir haben heute morgen so schöne Worte von der Freiheit der Tarifpartner gehört und davon, daß da nicht hineindirigiert werden soll. Es gibt ja so seltsame Dinge von einigen Juniorpartnern Ihrer Regierung: Der Zwang zur Schlichtung; sogar von Zwangsschlichtung haben einige besonders Kesse geredet.
({9})
- Wissen Sie denn, ob ich Sie gemeint habe? Warum rufen Sie denn plötzlich?
({10})
Diejenigen, die ich gemeint habe, haben im Moment gar nicht gerufen.
({11})
- Na bitte, wir kriegen doch noch eine Debatte; die Langeweile hört auf. Das sage ich ja:
({12})
Fangen Sie doch nicht mit uns solche Geschichten an. Draußen gehen Sie herum und erzählen den Leuten, was Sie alles tun wollten, wenn sich die Tarifpartner nicht endlich - - usw.; manchmal sagen Sie höflicherweise: Sozialpartner. Wir haben heute morgen Erklärungen gehört: Da soll nicht eingegriffen, da soll nicht hineindirigiert werden. Ich stelle fest: da haben wir wohl eine Übereinstimmung mit einem Teil jedenfalls der gerühmten Koalition. Nun meldet sich der andere, der will aber auch dabei sein. Nun gut, vielleicht können wir die Sache weiter erörtern, damit es klar wird.
Herr Kollege Barzel, es ist nicht so, daß es in diesem Moment Ihres Anstoßes bedurfte. Ich würde ihn gern hinnehmen; warum soll man sich nicht mal stoßen lassen. Aber es bedarf nicht Ihres Anstoßes hinsichtlich - wie Sie sagen - der nüchterneren Stellungnahmen bei den Gewerkschaftskongressen zu bestimmten Problemen, die den Leuten dort auf den Nägeln brennen. Ich bin auch Gewerkschafter, und ich habe mal gehört, Sie seien auch einer; ich nehme an, daß das stimmt. Sie sollen vom öffentlichen Dienst sein. Da bin ich nie gewesen. Ich komme von einer anderen Gewerkschaft. Die Leute in den Gewerkschaften haben ihre Probleme. Das ist kein Spiel, das man mit dem Staat treiben darf, in dem wir sind und zu dem wir gehören und dem wir helfen wollen, über die Schwierigkeiten und die Durststrecken zu kommen. Man darf nicht so große demokratische Organisationen, wie es die der Arbeitnehmer sind, fortgesetzt in eine Art Schuld-Ecke hineintreiben.
({13})
Versuchen Sie endlich einmal das wirkliche Gespräch mit ihnen.
Sie sagen: Hier soll das Gespräch über die Arbeitszeitverlängerung geführt werden. Bitte, Sie kennen doch alle und sprechen doch mit allen. Hier ist der Herr Abs; das geht von A bis Z, was die Bankiers und die anderen betrifft. Sprechen Sie doch auch einmal unvoreingenommen mit den Gewerkschaften und nicht erst dann, wenn die Sache schon so zubereitet ist, daß das nur noch gegessen werden darf.
({14})
Machen Sie 'das doch, das ist der Mühe wert. Es sind doch auch bei Ihnen genügend Damen und Herren, die genau wissen, daß von diesem Einvernehmen zwischen den großen Organisationen unseres demokratischen Staates der Staat und wir alle abhängen. Wir sind in diesem Punkte alle aufeinander angewiesen. Das sollte man doch nicht zu einer Kabarettangelegenheit machen.
({15})
- Da sind Sie schon beleidigt, obwohl Sie auch ins Kabarett gehen. Das darf man nicht mal sagen. Das nennen Sie Aussprache, Gespräch! Da werden Sie wild, wenn mal einer in seiner Art ein Gespräch führt.
({16})
- Herr Wacher, das weiß ich, Sie heißen ja auch so.
({17})
Das also wollte ich Ihnen sagen. Ich wollte es Ihnen nur sagen, weil Sie den Tiefpunkt erreicht haben hinsichtlich dessen, was um diese Debatte herum geschrieben wird. Sie hatten nämlich gesagt: Offenbar ist für die SPD das Wort „Gemeinsamkeit" dasselbe wie für Herrn Chruschtschow das Wort Koexistenz, nämlich ein Schlafmittel für harmlose Bürger. Ich wollte nur, daß Sie nicht denken, daß wir nur Schlafmittel hätten. Ich wollte auch sagen, daß „Gemeinsamkeit" für uns etwas ganz anderes ist als Schlafmittel und überhaupt nicht in eine Beziehung gebracht werden kann, mit dem was Sie hier zu tun gewagt haben, sie nämlich in eine Beziehung gebracht werden kann mit 'dem, was Sie Ich wollte ganz einfach gesagt haben - ({18})
- Da gibt es keinen nächsten mehr. Der nächste Satz heißt nämlich dann: Stärkung der UNO, das ist die Überschrift des nächsten Artikels. Es gibt nur den einen Satz. Sie kennen den eigenen Artikel im DUD sicher, so hoffe ich. Darüber brauchen wir uns gar nicht zu streiten. Ich hoffe nur, daß die Tassen wieder in den Schrank kommen,
({19})
und das, meine Damen und Herren, was möglich und was notwendig ist zu diesem Gespräch.
Ich hatte eine Hoffnung und habe sie nach wie vor: daß man in diesen großen, schwierigen wirtschaftspolitischen Problemen, bei denen es heute mehr Berührungspunkte gegeben hat, als man sie sonst glaubte sehen zu können, die Gewebe nicht einfach zerschneidet oder wieder verkommen läßt. Dazu gehörte auch - und ich bin da ganz konform mit dem, was mein Freund Deist gesagt hat -, daß wir versuchen, das Ganze zu sehen, und nicht einfach nur für die eine und gegen die andere Seite sprechen.
({20})
- Sie können das bezweifeln. Das ist Ihr gutes Recht und ist auch die Art, in der Sie auf solche Dinge antworten können. Macht ja nichts.
Ich meine nur, man sollte auch dieses Gespräch, wenn schon von Gespräch die Rede ist, mit den großen demokratischen Organisationen der Arbeitnehmer, so wie sie nun einmal sind, führen, den Gewerkschaften, die sich ihre Vertreter frei wählen. Ob sie Ihnen gefallen oder uns gefallen, ist eine andere Frage; das sollte dabei nicht die geringste Rolle spielen.
Ich finde, es ist noch nicht Zeit zu einem Schlußwort. Wir können weiterreden; ob heute oder morgen, das ist nicht die Frage. Die Debatte hatten S i e geplant. Daß sie jetzt etwas schiefgegangen ist
({21})
- wie kann es anders sein? -, daß weder der Bundesminister der Finanzen noch der Herr Blank spreWehner
chen, ist das unsere Schuld?! Wirken Sie auf sie ein, damit wir noch einige Erkenntnisse bekommen! Wir werden das Unsere auch dazugeben.
({22})
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
({0})
Ich darf also wohl die Debatte für heute für abgeschlossen erklären.
Es ist interfraktionell vereinbart, die Punkte 3, 5 usw. der Tagesordnung morgen zu behandeln, falls dafür Zeit bleibt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 12. Oktober, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.