Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung isst eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich mitzuteilen, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung die heutige Tagesordnung erweitert wird um die Beratung des Mündlichen Berichts des Rechtsausschusses ({0}) über die Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht: Antrag der Landesregierung des Landes . Nordrhein-Westfalen auf Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes über das Kreditwesen vom 10. Juli 1961 ({1}). Ist das Haus einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich schlage vor, zunächst die auf heute verschobene Frage der Fragestunde zu behandeln, dann alle verbliebenen Tagesordnungspunkte, die unstreitig sind, und danach die aktienrechtlichen Entwürfe und den Entwurf eines Urlaubsgesetzes. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offenbar der Fall. Dann werden wir so verfahren.
Ich rufe auf Punkt 1, die restliche Frage der
Fragestunde ({2}).
Es handelt sich um die Frage des Abgeordneten Hörmann ({3}) aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft:
Ist die Bundesregierung bereit, die Stadt Breisach im Landkreis Freiburg in das Sanierungsprogramm für zentrale Orte aufzunehmen bzw. dem Landkreis Freiburg im Rahmen des Bundeshaushaltsplans Kapitel 60 02 Titel 571 Mittel zu gewähren, um die wirtschaftliche Lage des Landkreises Freiburg wesentlich verbessern zu helfen?
Das Wort zur Beantwortung hat der Bundeswirtschaftsminister.
Die Bundesregierung wird erst dann neue Gemeinden in das Entwicklungsprogramm für zentrale Orte aufnehmen, wenn eine größere Anzahl bisher geförderter zentraler Orte auf Grund des erreichten Industrialisierungsgrades aus dem Programm entlassen werden kann. Wann dies der Fall sein wird, läßt sich im Augenblick noch nicht übersehen. Nach den vorliegenden Berichten der Länder über die sich bei den einzelnen Orten abzeichnenden Ansiedlungsvorhaben ist jedoch kaum damit zu rechnen, daß hierüber vor Sommer 1962 Überlegungen angestellt werden können.
Die „zentralen Orte" werden von der Bundesregierung an Hand von Vorschlägen der Landesregierungen, die primär für regionalwirtschaftliche Fragen in ihrem Bereich zuständig sind, ausgewählt. Nach hier vorliegenden Informationen beabsichtigt die Landesregierung von Baden-Württemberg, zu gegebener Zeit die Stadt Müllheim als neuen zentralen Ort vorzuschlagen, weil dort noch ein gewisser Überhang an Arbeitskräften besteht. Im Raum Breisach sollen hingegen nach den Feststellungen der Landesregierung zur Zeit Arbeitskraftreserven, ohne die eine Förderung von Industrieansiedlungen problematisch wäre, nicht zur Verfügung stehen. Auf die diesbezüglichen Erörterungen in der 21. Sitzung des Landtages von Baden-Württemberg am 25. Januar 1962 darf ich verweisen.
Neben den „zentralen Orten" werden im Rahmen des Regionalen Förderungsprogramms des Bundes nur den anerkannten Zonenrand- und Sanierungsgebieten Mittel aus Kap. 60 02 Tit. 571 des Bundeshaushaltsplanes zugewiesen. Der Landkreis Freiburg ist nicht als Sanierungsgebiet anerkannt, weil er bei der letzten Abgrenzung der Fördergebiete die erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllte.
Die Bundesregierung prüft zur Zeit die Frage einer Neuabgrenzung der Sanierungsgebiete. Wann die hierfür erforderlichen umfangreichen, sich über das gesamte Bundesgebiet erstreckenden Erhebungen und Untersuchungen abgeschlossen sein werden, kann heute noch nicht verbindlich gesagt werden. Ob der Landkreis Freiburg bei einer Neuabgrenzung die Voraussetzungen für die Anerkennung als Sanierungsgebiet erfüllen wird, kann erst nach Abschluß der Untersuchungen beurteilt werden.
Wird eine Zusatzfrage gestellt?
Herr Bundesminister, ich hätte eine Zusatzfrage. Könnte man bei der neuen Beurteilung und Überprüfung, welche Orte man in das Programm hineinnimmt, auch berücksichtigen, daß gegenüber im Elsaß, vor allem auch mit Rücksicht auf den Rheinseitenkanal, eine erhebliche Industrialisierung im Gange war und dadurch ein gewisses Gefälle im Freiburger Raum zu verzeichnen ist?
4 Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft: Wir werden diese Frage mit der Landesregierung von Baden-Württemberg erörtern.
({0})
Wir kommen nunmehr zu dem neu aufgesetzten Tagesordnungspunkt:
Beratung des Mündlichen Berichts des Rechtsausschusses ({0}) über die Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht: Antrag der Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen auf Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes über das Kreditwesen vom 10. Juli 1961 ({1}).
Der Ausschuß schlägt vor, zwei Abgeordnete zur Abgabe der Erklärung des Bundestages zu der Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht über das Gesetz über das Kreditwesen zu beauftragen, nämlich die Abgeordneten Dr. Dahlgrün und Dr. Jahn.
({2})
- Ich wollte Sie nicht kränken, Herr Kollege.
({3})
Ich weiß, es ist allmählich ein Vorname geworden, der jedem Deutschen zukommt. Manche legen ihn ab.
Der zweite Absatz des Antrags lautet:
. unbeschadet eines sich aus § 7 der Geschäftsordnung ergebenden Rechts des Präsidenten, einen Vertreter zu bestellen, ermächtigt, die Äußerung für den Bundestag vor dem Bundesverfassungsgericht abzugeben.
Stimmt das Haus dem Antrag des Ausschusses zu? - Es ist so beschlossen.
Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 25. November 1959 über den Beitritt Griechenlands, Norwegens und Schwedens zu dem Übereinkommen vom 17. April 1950 über Gastarbeitnehmer ({4});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({5}) ({6});
Berichterstatter: Abgeordneter Müller ({7}) .
({8}).
Ich rufe auf zur zweiten Lesung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Änderungsanträge sind nicht gestellt.
Wer dem Antrag des Ausschusses, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen, zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Ich stelle die einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, der möge sich von seinem Sitz erheben. - Ich stelle die einstimmige Annahme fest.
Punkt 9 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die in Nizza am 15. Juni 1957 unterzeichnete Fassung des Madrider Abkommens vom 14. April 1891 über die internationale Registrierung von Fabrik oder Handelsmarken ({9});
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({10}) ({11});
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Reischl. ({12}).
Auch hier rufe ich auf zur zweiten Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht? Der Ausschuß beantragt Annahme in der aus der Zusammenstellung in Drucksache IV/ 197 ersichtlichen Fassung.
Hierzu liegt auf Umdruck 39 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Weber ({13}), Dr. Reischl, Dr. Bucher und Genossen vor. Dieser Antrag ist wegen der Änderung des Regierungsentwurfs durch den Ausschuß notwendig geworden, der einen Art. 1 a eingefügt hat. Wird der Änderungsantrag begründet? - Offenbar nicht.
Wer den Antrag auf Umdruck 39 annehmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wer Art. 2 in der neuen Fassung annehmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich schließe die zweite Beratung und rufe auf zur
dritten Beratung.
Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer das Gesetz im ganzen .annehmen will, erhebe sich. - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Punkt 10 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die im Haag am 28. November. 1960 unterzeichnete Fassung des Haager Abkommens vom 6. November 1925 über die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster oder Modelle ({14});
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({15}) ({16});
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Reischl. ({17}).
Der Antrag des Ausschusses lautet, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe zur zweiten Beratung auf. Anträge sind nicht angekündigt. Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer Art. 1 bis 4 mit Einleitung und Überschrift zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Einstimmige Annahme.
Vizepräsident Dr. Schmid Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, der möge sich erheben. - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Punkt 11 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses ({18}) über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Sechzehnten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1961 ({19}) ({20});
Berichterstatter: Abgeordneter van Delden.
Der Antrag des Ausschusses lautet, dem Verordnungsentwurf Drucksache IV/ 186 unverändert zuzustimmen.
Ich eröffne die Aussprache. - Es liegen keine Wortmeldungen vor.
Wir kommen zur Abstimmung. - Wer entsprechend dem Antrag des Ausschusses dem Verordnungsentwurf zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Punkt 12 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({21}) - Geschäftsordnungsangelegenheiten - über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP betreffend Behandlung von Rechtsverordnungen gemäß § 21 Abs. 6 und § 77 Abs. 5 des Zollgesetzes sowie gemäß § 27 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes ({22});
Berichterstatter: Abgeordneter Ritzel.
Hierzu liegt ein Antrag des Geschäftsordnungsausschusses auf Drucksache IV/ 196 vor, jedoch haben die drei Fraktionen des Bundestages gemeinsam einen Änderungsantrag eingebracht.
Ich eröffne die Aussprache. Wird der Änderungsantrag auf Umdruck 35 begründet? - Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir darüber ab. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Wir stimmen nunmehr über den geänderten Ausschußantrag ab. Wer dem Antrag im ganzen zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe den letzten der zusätzlich auf die Tagesordnung gesetzten Punkte auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Zehnten Verordnung zur Änderung des Deutschen
Zolltarifs 1962 ({23}) ({24}).
Das Wort hat der Abgeordnete Bading als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorlage, die Sie in der Drucksache IV/ 170 finden, hat das Haus im Dezember vergangenen Jahres schon einmal beschäftigt. Sie ist damals auf Antrag des Außenhandelsausschusses vom Hause abgelehnt worden. Jetzt wird vom Außenhandelsausschuß empfohlen, die Vorlage anzunehmen. Diese Meinungsänderung bedarf einer Erklärung.
Sie beruht auf einer anderen Auslegung des Beschleunigungsbeschlusses vom 12. Mai 1960. Die Formulierung dieses Beschleunigungsbeschlusses ist zweifellos nicht gerade ein Meisterwerk gewesen, was auch von den Autoren zugegeben wird. Infolgedessen ist die Auslegung dieses Beschleunigungsbeschlusses leicht strittig. Jedenfalls ist der Ausschuß damals der Ansicht gewesen, die Binnenzölle, die Zölle für den Binnenverkehr innerhalb der EWG, für die nicht liberalisierten Waren der Agrarwirtschaft seien zum 1. Januar 1962 im Endergebnis nur um 30% abzubauen. Die Bundesregierung dagegen vertrat die Ansicht, daß die Zölle allgemein um 35% abzubauen seien. Die gleiche Ansicht wurde auch in der Brüsseler Kommission und von den Vertragspartnern vertreten. Nach dieser Ansicht sind auch die Binnenzölle für die nicht liberalisierten Waren der Agrarwirtschaft insgesamt um 350/o zu senken.
Diese andere Auslegung ergibt sich aus der Tatsache, daß wir unsere Situation in der EWG verschlechtern würden, wenn wir diesem allgemeinen Beschluß nicht zustimmten. Infolgedessen kam der Ausschuß nach eingehender Erörterung und nach Schilderung der Situation in Brüssel durch Herrn Staatssekretär Lahr mit einer großen Mehrheit zu der Auffassung, daß jetzt auch die Zölle für die nicht liberalisierten Waren der Agrarwirtschaft im Endergebnis um 35% gesenkt werden sollten.
Der Außenhandelsausschuß empfiehlt daher dem Hohen Hause, der Vorlage zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Ich sehe keine Wortmeldung.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Ausschußantrag folgen, d. h. wer dem Verordnungsentwurf auf Drucksache IV/ 170 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen 10 Stimmen bei 4 Enthaltungen angenommen.
Damit sind die Punkte, die wir vorweg erledigen wollten, erledigt.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 7 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Aktiengesetzes
Vizepräsident Dr. Schmid
sowie des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz ({0}),
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Publizität von Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschrankter Haftung und Konzernen ({1}),
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz von Minderheiten in Kapitalgesellschaften ({2}).
Hier geht mein Vorschlag dahin - die Herren Fraktionsgeschäftsführer sind einverstanden -, daß die drei Entwürfe, die unter a, b und c aufgeführt sind, nacheinander begründet werden und daß sich die Aussprache dann auf alle drei Punkte erstreckt. - Das Haus ist einverstanden.
Zunächst erteile ich das Wort dem Herrn Justizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden jetzt zur ersten Beratung anstehenden Regierungsentwürfe, der Entwurf eines Aktiengesetzes und der Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz, haben bereits dem 3. Bundestag vorgelegen. In der ersten Lesung am 7. Dezember 1960 sind die wichtigsten Probleme, die in den Entwürfen geregelt werden, zur Sprache gekommen. Die Sprecher der beiden jetzigen Regierungsparteien haben die Entwürfe begrüßt. Insbesondere haben sie es gutgeheißen, daß die Entwürfe zur Aktienrechtsreform darauf abzielen, die Rechte des Aktionärs und der Hauptversammlung zu verbessern. Auch die vorgeschlagene Regelung des Konzernrechts haben sie gebilligt und nur zu einigen Vorschriften von begrenzter Bedeutung gewisse Einschränkungen gemacht.
Bei diesem Ergebnis der ersten Lesung hat die Bundesregierung keinen Anlaß gesehen, die Entwürfe zu überarbeiten und zu ändern. Sie hat es vielmehr für richtig gehalten, sie unverändert in den neuen Bundestag einzubringen. Um das Gesetzgebungsverfahren zu vereinfachen und die Behandlung der Entwürfe zu erleichtern, ist sogar davon abgesehen worden, die Änderungsvorschläge des Bundesrates, soweit die Bundesregierung ihnen zugestimmt hat, in die Entwürfe bereits einzuarbeiten.
Bei dieser Sachlage möchte ich darauf verzichten, heute nochmals die Auffassung der Bundesregierung zu den wichtigsten in den Entwürfen geregelten Problemen darzulegen. Das hat mein Vorgänger, Herr Minister Schäffer, bei der ersten Beratung im 3. Bundestag getan. Er hat insbesondere über die Gewinnverwendung, die Bildung offener und stiller Rücklagen, das Depotstimmrecht und das Konzernrecht gesprochen. Im einzelnen darf ich auf seine Ausführungen verweisen.
Hervorheben möchte ich jedoch nochmals das Hauptanliegen der beiden Entwürfe, das auch die Sprecher der beiden jetzigen Regierungsparteien während der ersten Lesung im 3. Bundestag betont haben. Es geht bei dieser Aktienrechtsreform darum, die Rechte des Aktionärs zu verbessern, ihm die Stellung einzuräumen, die ihm bei voller Anerkennung der Tatsache, daß die Verwaltung der Aktiengesellschaft die nötige unternehmerische Freiheit haben muß, angesichts dessen gebührt, daß er der Kapitalgeber und Risikoträger ist, daß in der Aktiengesellschaft mit seinem Geld gearbeitet wird.
Das geltende Aktienrecht trägt dem nicht genügend Rechnung. Es schließt den Aktionär von der Mitsprache über die Verwendung der erzielten Gewinne aus. Sein Auskunftsrecht ist weitgehend in das Ermessen des Vorstands gestellt. Die Minderheitsrechte bedingen so starke Minderheiten, daß sie praktisch bei großen Gesellschaften nicht erreichbar sind. Selbst an dem Recht, den Aufsichtsrat zu wählen, kann der Kleinaktionär praktisch nicht mitwirken, weil er bei der derzeitigen Gestaltung des Depotstimmrechts - und er wird sich immer nur indirekt an der Wahl beteiligen können - von der Wahl nicht einmal etwas erfährt, geschweige denn, daß seine Stimme in dem von ihm gewünschten Sinne abgegeben wird.
Bei dieser Rechtslage kann es nicht verbleiben. Die Aktiengesellschaft ist die Rechtsform der Großunternehmen. Nur sie ist in der Lage, die Finanzierungsprobleme zu lösen, welche die großen Aufgaben stellen werden, die auf unsere Wirtschaft zukommen. Ohne Aktionäre kann keine Aktiengesellschaft leben. Sie stellen ihre Ersparnisse der Gesellschaft zur Verfügung und ermöglichen es dadurch, wirtschaftliche Großvorhaben auszuführen.
Aus volkswirtschaftlichen Gründen - von den gesellschaftspolitischen Gründen will ich hier gar nicht sprechen - brauchen wir auch künftig den Aktionär dringend, und zwar, genauer gesagt, möglichst viele Aktionäre. Aus dieser Erkenntnis folgt die Verpflichtung, dem Aktionär die ihm gebührende, nach den Gegebenheiten mögliche rechtliche Stellung zu geben.
Das bedeutet nicht, wie dem Regierungsentwurf immer wieder unterstellt wurde und noch wird, daß der Aktionär zum Unternehmer gemacht werden soll. Es bedeutet vielmehr nur, daß wir die zahlreichen Ordnungsprobleme, die bei der Regelung der Aktiengesellschaft auftreten, auch unter dem Gesichtspunkt des Aktionärs betrachten und zu lösen versuchen und nicht - wie das geltende Recht - nur die Unabhängigkeit und die Entscheidungsfreiheit der Verwaltung in den Vordergrund stellen.
Das Wesensmerkmal der Aktiengesellschaft, daß nämlich der Aktionär das Kapital gibt, damit beauftragte Unternehmer unter Verwendung dieses Kapitals einen wirtschaftlichen Erfolg erzielen, wird durch den Regierungsentwurf nicht geändert oder auch nur abgeschwächt. Es werden nur aus dieser Auffassung die notwendigen rechtlichen Folgerungen gezogen.
Diese Grundauffassung hat bei der ersten Lesung im 3. Bundestag nicht die Billigung der sozialdemokratischen Opposition gefunden. Zwar haben ihre Sprecher erklärt, auch sie bejahten eine Erweiterung der Rechte der Hauptversammlung und der Aktionäre. Im Zusammenhang mit der Aktie ist davon gesprochen worden, es sei Aufgabe der DemoDr. Stammberger
kratie, dafür zu sorgen, daß möglichst viele Menschen Privatvermögen und Privateigentum haben. Das sind Äußerungen, die man nur begrüßen kann.
Die sozialdemokratische Fraktion hat damals sogar einen Entwurf zum Schutz von Minderheiten in Kapitalgesellschaften, also zum Schutz von Aktionären, eingebracht, der - wohl in abgeänderter Form - auch heute dem Hause wieder vorliegt. Leider kann daraus aber nicht geschlossen werden, daß auch sie bei ihren Erwägungen zur Aktienrechtsreform vom Aktionär und seinen Rechten ausgeht. Ihre Sprecher haben nämlich zugleich erklärt, es sei falsch, den Aktionär in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Unter Berufung auf Walther Rathenau ist verlangt worden, das Unternehmen als solches zum Ausgangspunkt der gesetzlichen Neuregelung zu nehmen. Man müsse endlich, so ist gesagt worden, zu einem umfassenden Unternehmensrecht vorstoßen. Dieses Unternehmensrecht soll darin bestehen, daß für eine Gruppe von Unternehmen, die als gemeinwichtige Unternehmen bezeichnet werden, zwingend ein Sonderrecht vorgeschrieben wird. Die besonderen Regelungen für diese gemeinwichtigen Unternehmen sollen vor allem die Publizität, das Konzernrecht und die Verfassung der großen Unternehmen betreffen.
Die Bundesregierung hat vor der erneuten Einbringung der Aktienrechtsreform nochmals geprüft, ob ein solcher Umbau unseres Gesellschaftsrechts nicht jedenfalls für sogenannte gemeinwichtige Unternehmen geboten ist. Wir haben das verneinen müssen. Die abweichende Grundauffassung führt nämlich zu abweichenden Lösungen, die auf alles andere als auf eine Verstärkung der Rechte der Aktionäre hinauslaufen.
Ich darf dies näher erläutern, schon um einmal klar herauszustellen, was eigentlich mit dieser besonderen Rechtsform für gemeinwichtige Unternehmen letztlich bezweckt wird.
Es klingt zunächst einleuchtend, wenn von der Notwendigkeit des Übergangs zu einem Unternehmensrecht und von gemeinwichtigen Unternehmen gesprochen wird, deren besondere Rechtsverhältnisse gemäß ihrer Bedeutung für die Volkswirtschaft geregelt werden müßten. Welche praktischen Auswirkungen soll das aber haben? Wie soll diese Regelung im einzelnen aussehen? Ein die Einzelheiten zeigender Entwurf ist bis heute der Öffentlichkeit nicht vorgelegt worden.
Dabei gehe ich davon aus, daß der Entwurf der Sozialdemokratischen. Partei zur Neuordnung der Wirtschaft, den sie vor etwa 11 Jahren dem Bundestag vorgelegt hat, als überholt anzusehen ist; denn sonst wäre wohl auf ihn verwiesen worden. Wir sind also, wenn wir uns über das unterrichten wollen, was mit dem Unternehmensrecht gemeint ist, auf einzelne Äußerungen angewiesen. Dabei erweist sich die Wendung vom Übergang vom Gesellschaftsrecht zum Unternehmensrecht nicht als sehr fruchtbar, weil sie die Bedeutung dessen, was gemeint ist, nicht erkennen läßt. Man kann ihr allenfalls das eine entnehmen, daß beim Unternehmensrecht mehr das Unternehmen im Vordergrund stehen, den Ausgangspunkt bilden soll und nicht die Gesellschaft der Aktionäre.
Dabei wird übersehen, daß es sich bei dem Ausdruck Gesellschaftsrecht um einen klassischen Ausdruck handelt und unser heutiges Gesellschaftsrecht längst ein Unternehmensrecht geworden ist, in dem die Aktionäre nicht mehr die beherrschende Stellung einnehmen, sondern neben der Verwaltung und der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat nur noch einer von 3 maßgebenden Faktoren sind:
Wir kommen den wirklichen Gedankengängen nur näher, wenn wir uns den Folgerungen zuwenden, die aus dieser These abgeleitet werden. Nach dem Vorschlag sollen die sogenannten gemeinwichtigen Unternehmen in eine bestimmte Rechtsform gezwungen werden, die durch Sondervorschriften über die Zusammensetzung der 3 Organe - Vorstand, Aufsichtsrat, Hauptversammlung -, über die Publizität und die Konzernverfassung gekennzeichnet sein soll. Dies sei notwendig, weil diese Unternehmen zu großen Leistungsgemeinschaften von allgemein volkswirtschaftlicher Bedeutung emporgewachsen seien. In diesen Unternehmen - ich zitiere aus einem kürzlich erschienen Buch von Cassier - habe das, was noch weitgehend Privatsache ist, nämlich das Kapitaleigentum, mit der Entscheidungsgewalt nichts mehr zu tun; die Entscheidungsgewalt aber sei nicht mehr Privatsache.
Daß es Unternehmen gibt, die wegen ihres Umsatzes, der Zahl ihrer Arbeitnehmer oder ihrer Produktionskraft für die Volkswirtschaft wichtiger sind als andere Unternehmen, ist eine unbestrittene Tatsache. Man muß aber diese Unternehmen nicht deshalb in eine besondere Rechtsform zwingen. Die Struktur dieser für die Volkswirtschaft besonders wichtigen Unternehmen kann sehr verschieden sein. Das Unternehmen kann kapitalintensiv oder arbeitsintensiv sein. Es kann nur einen oder viele Inhaber haben, as kann ein abhängiges oder ein herrschendes Unternehmen sein, es kann vom Staat oder von Privatleuten beherrscht werden. Bei letzteren kann es sich um einen Allein- oder Hauptaktionär oder um Familien handeln. Die Möglichkeit, das Unternehmen entsprechend seiner Struktur hinsichtlich ,der Ausübung der Entscheidungsgewalt zu organisieren, würde beschnitten, wenn wir es in eine Zwangsform pressen wollten. Darunter kann die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens leiden. Weshalb also dieser Zwang zu einer bestimmten Rechtsform?
Die Frage ist um so mehr berechtigt, als es durchaus möglich erscheint, für die sogenannten gemeinwichtigen Unternehmen Sondervorschriften über die Publizität und die Konzernverfassung zu schaffen - im Schrifttum ist das auch bereits vorgeschlagen worden -, im übrigen aber jedem Unternehmen die Wahl der ihm passenden Rechtsform zu überlassen.
Wenden wir uns, bevor wir die Frage beantworten, erst einmal den Folgen zu, die der Übergang zum Unternehmensrecht und das Sonderrecht für gemeinwichtige Unternehmen haben sollen.
Zunächst zum Konzernrecht. In der ersten Lesung am 7. Dezember 1960 hat die sozialdemokratische Opposition das Konzernrecht des Regierungsentwurfs als einen beachtlichen Ansatz bezeichnet. Aber sie hat dann gesagt - und damit setzt ihre Kritik ein -, das Problem der Konzerne sei nicht auf den Bereich der Aktiengesellschaften beschränkt, es ergreife auch viele andere Unternehmen. Das ist zweifellos richtig. Der Entwurf unterstellt deshalb auch nicht nur Aktiengesellschaften dem Konzernrecht. Die beim faktischen Konzern zum Schutze der Minderheitsaktionäre und der Gläubiger vorgesehenen Sicherungen gelten z. B. nicht nur, wenn der Konzern von einer Aktiengesellschaft beherrscht wird, sondern auch dann, wenn eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, eine offene Handelsgesellschaft oder gar ein Einzelunternehmen die Konzernspitze bildet. Richtig ist, daß es in der Frage, ob und von wem ein Konzernabschluß aufzustellen ist, darauf ankommt, welche Rechtsform die Konzernspitze hat. Aber auch insoweit ist, wenn der Regierungsentwurf in der vom Bundesrat vorgeschlagenen Fassung Gesetz wird, nur noch der Gesamtkonzernabschluß des von einer offenen Handelsgesellschaft oder einem Einzelkaufmann geleiteten Konzerns offen. Teilkonzernabschlrüsse sollen auch in solchen Konzernen künftig aufgestellt werden. Der Gesamtkonzernabschluß wirft jedoch besondere Probleme auf, die sorgfältige Prüfung erfordern und für eine Regelung noch nicht reif sind. Deshalb bedarf es aber keiner besonderen Rechtsform für die Konzernspitze.
Daß bei vertraglich geregelten Beherrschungsverhältnissen zunächst nur die Rechtsstellung der abhängigen Aktiengesellschaft geregelt ist, erklärt sich einfach daraus, daß die Probleme bei einer abhängigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung ganz anders gelagert sind und nur sehr wenige der jetzt für eine abhängige Aktiengesellschaft vorgesehenen Vorschriften für sie in Betracht kommen. Ihre Schaffung wird Aufgabe der in Vorbereitung befindlichen Reform des Rechts der Gesellschaft mit beschränkter Haftung sein. Ist das geschehen, so entfällt die eine für den Übergang zum Unternehmensrecht gegebene Begründung, dieser Übergang sei erforderlich, um ein umfassendes Konzernrecht zu entwickeln.
Betrachten wir nun die Publizität etwa näher. Auch für die Schaffung eines einheitlichen Publizitätsrechts für alle Großunternehmen ist eine besondere Rechtsform nicht nötig. Es kann auch eingeführt werden, wenn jedes Großunternehmen die im Einzelfall zweckmäßigste, von den S anderen Großunternehmen verschiedene Rechtsform hat. Wenn bemängelt wird, daß noch nicht alle Großunternehmen einer einheitlichen Publizität unterworfen werden, so kann ich nur feststellen, daß für den größten Teil der Großunternehmen einheitliches Recht gilt. Wir wissen nicht, wann ein Unternehmen nach Auffassung unserer Kritiker ein Großunternehmen ist. Gehe ich hier einmal mit der jüngsten Untersuchung von Cassier davon aus, daß ein Großunternehmen dann vorliegt, wenn es eines der folgenden Größenmerkmale aufweist, nämlich eine Belegschaft von mindestens 10 000 Arbeitskräften oder einen
Jahresumsatz von mindestens 500 Millionen DM oder eine Bilanzsumme von mindestens 500 Millionen DM oder ein Nominalkapital von mindestens 100 Millionen DM, so hätten wir in der Bundesrepublik insgesamt 136 Großunternehmen. Von diesen haben 103 die Rechtsform der Aktiengesellschaft. Von den restlichen 33 sind 19 Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Was sie angeht, so werden wir bei ihnen das Publizitätsproblem bei der von mir bereits erwähnten in Vorbereitung befindlichen Reform des GmbH-Rechts zu entscheiden haben. Es verbleiben zwölf Großunternehmen, zwei davon, nämlich Bundesbahn und Bundespost, scheiden als öffentlich-rechtliche aus. Die übrigen sind in der Rechtsform der Personenhandelsgesellschaft, der Einzelfirma und der Genossenschaft gestaltet. Bei ihnen handelt es sich, abgesehen von drei Unternehmen, um solche Unternehmen, die an der Spitze eines Konzerns stehen. Hier sieht der Aktienrechtsentwurf der Bundesregierung schon jetzt - ich erwähnte es bereits - Teilkonzernabschlüsse vor. Das Problem von Konzernabschlüssen für sie bedarf noch sorgfältiger Prüfung. Es wird gelöst werden; denn auch wir bejahen die Publizität. Warum hier nicht sofort einheitliches Recht geschaffen worden ist, erklärt die Begründung zu den Ihnen vorgelegten Entwürfen. Dort heißt es - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wortwörtlich zitieren -:
Bei der Ausarbeitung der Vorschriften über den Konzernabschluß war zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber mit diesen Vorschriften Neuland betritt. Daher erschien es angebracht, vorsichtig und schrittweise vorzugehen, um es der Wirtschaft zu ermöglichen, reibungslos in die neuen Vorschriften hineinzuwachsen. ... Nach dem erwähnten Grundsatz des vorsichtigen, schrittweisen Vorgehens ist davon abgesehen worden, von allen Konzernen ohne Rücksicht auf die Rechtsform der Obergesellschaft einen Konzernabschluß und Konzerngeschäftsbericht zu verlangen.
Ich glaube deshalb sagen zu können, meine Damen und Herren, daß, wie beim Konzern, auch bei der Publizität zumindest hinsichtlich des anzustrebenden Ziels keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten bestehen.
Es bleibt nunmehr der eigentliche Grund für das Verlangen nach einer besonderen Rechtsform für gemeinwichtige Unternehmen. Diese Unternehmen sollen eine ganz besondere Verfassung erhalten. Wie sie aussehen soll, können wir mangels eines Entwurfs nur aus gelegentlichen Äußerungen entnehmen. Vorbild soll offenbar das Modell sein, das in dem Bericht der Studienkommission des Deutschen Juristentages aus dem Jahre 1955 beschrieben worden ist. Nach diesem Modell soll in den gemeinwichtigen Unternehmen die Hauptversammlung aus einer Versammlung der Aktionäre als der Kapitalgeber zu einer aus drei Interessengruppen bestehenden Versammlung umgestaltet werden. Der Einfluß der Aktionäre soll auf ein Drittel der Stimmen in der Hauptversammlung beschränkt werden. Ein weiteres Drittel der Stimmen sollen Arbeitnehmer erhalten, und das restliche Drittel soll „Vertretern
des öffentlichen Interesses" gegeben werden. Entsprechend soll der Aufsichtsrat aufgegliedert werden. Aktionäre und Arbeitnehmer sollen in ihm paritätisch vertreten sein. Praktisch bedeutet das eine wesentliche Ausdehnung des Mitbestimmungsrechts über das geltende Recht hinaus, das eine Mitbestimmung in der Hauptversammlung nicht kennt und eine paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat nur bei Montanunternehmen vorsieht.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir an der entscheidenden Stelle des Vorschlags. Wenn von einem Übergang vom Gesellschaftsrecht zum Unternehmensrecht, von einer modernen Unternehmensverfassung und von gemeinwichtigen Unternehmen gesprochen wird, dann geht es im Grunde genommen um nichts anderes als um eine ganz grundlegende Umgestaltung des Mitbestimmungsrechts in unseren Großunternehmen. Die Konzern- und Publizitätsprobleme, so wichtig sie für sich genommen sein mögen, haben in diesem Zusammenhang nur eine untergeordnete Bedeutung. Auf diesen Gebieten lassen sich die Gedanken auch verwirklichen, wenn man es bei den bisherigen Gesellschaftsformen freier Wahl beläßt. Bei der Ersetzung der Gesellschafterversammlung durch Vertreterbänke ist das nicht mehr der Fall.
Zu einer derartigen Änderung der Grundlage unserer großen Gesellschaften sind wir nicht bereit. Vieles läßt sich dagegen sagen. Man könnte fragen, ob sich das überhaupt mit unserer Verfassung vereinbaren läßt. Man könnte wirtschaftliche Überlegungen anstellen und fragen, wie denn solche Unternehmen künftig finanziert werden sollen. Aber das trifft nicht den Kern der Dinge. Es geht hier um die Stellung des Privateigentums in unserer Wirtschaftsordnung. Soll auch in den Fragen, die heute noch eine Hauptversammlung zu entscheiden hat und die sich, abgesehen von der Wahl des Aufsichtsrats, auf Kapitalfragen beziehen, das Privateigentum weiter entrechtet, soll anderen Gruppen ein Mitentscheidungsrecht eingeräumt und aus dem bisherigen Alleinentscheidungsrecht der Gesellschafter ein bloßes Mitspracherecht werden? Soll das Privateigentum nur ein Faktor unter dreien sein und somit keine ausschlaggebende Bedeutung mehr haben? Das ist die politische Frage, die hier zu entscheiden ist. Wie der Regierungsentwurf diese Frage beurteilt, sagt die Begründung. Wir glauben, daß unsere Bemühungen, breiten Volksschichten einen Zugang zur Aktie zu verschaffen und die Aktie volkstümlicher zu machen, nur Erfolg haben werden, wenn wir den Kapitalgeber nicht noch weiter entrechten.
Selbstverständlich sind auch wir uns darüber im klaren, daß ein Großunternehmen nicht mehr lediglich ein Gebilde privatrechtlicher Interessen, sondern daß es ein nationalwirtschaftlicher Faktor ist. Deshalb läßt auch der Ihnen vorgelegte Entwurf nicht den privatrechtlichen Anspruch des Einzelaktionärs auf Ertrag und auf freie Verfügung als alleinige Richtlinie gelten. Mit diesem Anerkenntnis ist aber keineswegs die zwangsläufige Folgerung verbunden, daß deshalb die Entscheidungsbefugnisse der Aktionäre in der Hauptversammlung zu dritteln und auch im Aufsichtsrat
die Aktionäre nur mit einem Drittel vertreten sind.
Ich möchte nicht mißverstanden werden. Es steht außer Frage, daß auch die Arbeitnehmer wesentliche Interessen an ihrem Unternehmen haben. Das geltende Recht erkennt dies an und gibt dem Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat, zum Teil auch im Vorstand. Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, dieses Mitbestimmungsrecht bei der Aktienrechtsreform abzuschwächen. Niemand kann behaupten, daß der Regierungsentwurf mitbestimmungsfeindlich ist. Dagegen ist ihm schon der gegenteilige Vorwurf gemacht worden. Während das geltende Aktienrecht das Mitbestimmungsrecht nur an einer Stelle, nämlich bei der Beschlußfähigkeit des Aufsichtsrates erwähnt, weist der Regierungsentwurf überall dort, wo sich Mitbestimmungsrecht und Aktienrecht berühren, auch auf das Mitbestimmungsrecht hin. Diese Art der Behandlung zeigt, daß die Bundesregierung das Mitbestimmungsrecht als wesentlichen Bestandteil unseres Aktienrechts ansieht und nicht daran denkt, es anzutasten.
Es denkt auch niemand daran, die Rechtsform der Aktiengesellschaft und damit unsere Großunternehmen zur rein privatwirtschaftlichen Bindung zurückzubilden. Deshalb braucht die Fortbildung ihres Rechts im gemeinwirtschaftlichen Sinne aber noch längst nicht in einer neuen Form der Sozialisierung zu bestehen, bei der das Eigentum an ihnen zwar im Privateigentum verbleibt, die Entscheidungsgewalt aber - ich drücke 'mich jetzt vorsichtig aus - teilsozialisiert wird.
Meine Damen und Herren, ich erwähnte vorhin ein im Bericht der Studienkommission des Deutschen Juristentages beschriebenes Modell. Dazu noch einige Feststellungen. Von dem Sprecher der Sozialdemokratischen Partei ist in der ersten Lesung der 3. Legislaturperiode gesagt worden, der von der Regierung vorgelegte Entwurf, mit dem wir es heute wieder zu tun haben, sei rückständig und überholt. Die wirtschaftsrechtliche Literatur sei längst über den Stand der Regierungsvorlage hinaus. Der Deutsche Juristentag habe Vorschläge ausgearbeitet, die in die Überlegungen zu der Aktienrechtsreform einbezogen werden müßten.
Das bedarf einer Richtigstellung. Es gibt nur Vorschläge einer vom Deutschen Juristentag eingesetzten Kommission, die aus 17 Herren, anerkannten Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis, bestand. Diese Kommission hat nur Vorschläge zum allgemeinen Aktienrecht gemacht. Was die 'Schaffung einer neuen Rechtsform für gemeinwichtige Unternehmen 'betrifft, so hat sich die Kommission jedes Vorschlages enthalten. Es heißt in ihrem Bericht - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wörtlich zitieren -:
Der Ausschuß ist zu der Überzeugung gekommen, daß die Bindung der aus einer marktbeherrschenden Stellung fließenden Unternehmensmacht mit anderen rechtlichen Mitteln als denen besonderer unternehmensrechtlicher Regelungen gewährleistet werden muß.
Dr. Stammberger An anderer Stelle:
Unternehmensrechtliche Sonderregelungen gegen unzulässige politische Machtausübung zu treffen, empfiehlt sich nach Ansicht des Ausschusses nicht.
Von dem in dem Bericht erwähnten zwei Modellen für eine neue Rechtsform für Großunternehmen wird ausdrücklich gesagt, daß der Ausschuß in seiner Gesamtheit sich diese Vorschläge nicht zu eigen machen konnte. Es kann deshalb keine Rede davon sein, die Ansichten der Wissenschaft hätten sich schon längst über die Regierungsvorlage hinaus entwickelt.
Meine Damen und Herren, man kann gewiß über die eine oder andere Vorschrift des Entwurfs verschiedener Meinung sein. Man kann sagen, die stillen Reserven seien durch den Entwurf zu sehr oder zu wenig begrenzt, der Vorstand sei bei seiner Geschäftsführung zu frei oder zu sehr gebunden, der Aufsichtsrat müsse mehr eingeschaltet werden. Über eines sollte es aber keine Meinungsverschiedenheit geben. Unsere Wirtschaftsordnung beruht auf der Privatinitiative und auf dem sozialgebundenen und sozialverpflichteten Privateigentum. Diesen Grundlagen haben wir bei der Gestaltung des Aktienrechts Rechnung getragen.
Lassen Sie mich schließen mit den Worten der schriftlichen Begründung des Ihnen vorgelegten Entwurfs:
Nur bei einer diesen Grundsätzen entsprechenden Gestaltung des Aktienrechts werden private Eigentümer immer wieder bereit sein, ihr Kapital einer Aktiengesellschaft zur Verfügung zu stellen und so den Bestand und Fortschritt unserer auf der privaten Initiative beruhenden Wirtschaftsordnung zu gewährleisten. Damit wird zugleich der gesellschaftspolitischen Aufgabe, immer breitere Schichten und Kreise unseres Volkes an ,dem Produktionsvermögen der Wirtschaft zu beteiligen und einer Massierung des Kapitals in Händen weniger Personen entgegenzuwirken, wirksam gedient und eine für die Verwirklichung der Forderung breitester Streuung des Eigentums auf dem Gebiete des Aktienwesens entscheidende Voraussetzung geschaffen.
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Das Wort zur Begründung zu den Buchstaben b) und c) und gleichzeitig zur Aussprache hat der Abgeordnete Deist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers geben mir Gelegenheit, im Zusammenhang zu den Problemen einer Aktienrechtsreform Stellung zu nehmen und damit zugleich die Begründung für unsere beiden Anträge zu geben.
Es ist nicht uninteressant, wenn man den Reformgeist dieser Aktienrechtsreform richtig kennzeichnen will, ihn einmal in Vergleich zu dem Reformgeist zu stellen, der die Reformer der 30er Jahre bei der Schaffung eines neuen Aktienrechts beseelt hat. Wenn ich einige markante Äußerungen des Herrn Bundesjustizministers richtig notiert habe, so steht darin: Der Kleinaktionär muß wieder stärker mitwirken - ohne daß überhaupt erörtert wird, welche wirkliche Position der Kleinaktionär im Laufe der geschichtlichen Entwicklung denn erhalten hat. Dann hören wir: Wir vermögen im Verfassungsrecht keine Unterschiede zwischen großen und kleinen Gesellschaften anzuerkennen, - ohne zu überlegen, wie differenziert 'die Größe dieser Gesellschaften und wie unterschiedlich ihre Bedeutung für das wirtschaftliche und öffentliche Leben ist. Weiter hören wir: Wir wollen kein Unternehmensrecht, das über das Gesellschaftsrecht hinausgeht, denn das Gesellschaftsrecht ist das klassische Unternehmensrecht; und im Grunde genommen wollen diejenigen, die Unternehmensrecht haben, ganz was anderes: die wollen nämlich die Mitbestimmung erweitern. Die Furcht vor einer solchen Erweiterung hindert die Bundesregierung, ein Problem aufzugreifen, das in der ganzen Wissenschaft heute behandelt wird. Dieses Problem können Sie nicht mit einem Satz aus der Welt schaffen, Herr Bundesjustizminister, einfach beiseite drücken und aussparen. Und zum Schluß dann: Kein geschlossenes Konzernrecht. Wir belassen das hier im Aktienrecht; einige Querverbindungen zu den anderen Gesellschaften sind erfaßt. Dann kommt ja auch noch das GmbH-Recht usw. Also kein Anlaß, ein geschlossenes Konzernrecht zu erlassen.
Meine Damen und Herren, nicht ein Hauch davon ist zu spüren, welche Entwicklung innerhalb der Großwirtschaft in den letzten 30 Jahren seit der letzten Aktienrechtsreform vor sich gegangen ist. Lassen Sie mich zum Beweise einige Sätze zitieren, die in der Begründung zum Entwurf einer Aktienrechtsreform, vorgelegt vom Reichsjustizminister im Jahre 1930, standen. Dann mögen Sie den Geist von heute mit dem Reformgeist, der vor 30 Jahren vorhanden war, vergleichen. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. Dort ist zunächst von dem Wandel, der sich hier vollzieht, die Rede, und dann heißt es:
Dieser Wandel tritt namentlich nach zwei Richtungen zutage: einmal in der Ablösung rein individualistischer Auffassungen durch die Rechtsidee, daß das Unternehmen nicht nur der äußere Rahmen für die Verfolgung der Interessen der einzelnen beteiligten Staatsbürger, sondern als solches ein Rechtsgut besonderer Eigenart und eine Einrichtung mit besonderen' Aufgaben sei, eine Einrichtung, der der Staat Schutz und Förderung auch insoweit nicht vorenthalten dürfe, als das Schutz- und Förderungsbedürfnis in Widerstreit mit den Sonderinteressen der Aktionäre gerät.
Und eine zweite Feststellung:
Daneben hebt sich die Umgestaltung der Herrschaftsverhältnisse innerhalb der Aktiengesellschaft deutlich heraus . . . Die unbestreitbare Tatsache, daß die Entwicklung des deutschen Aktienrechts zu einer weitgehenden Preisgabe der bisher geläufigen Auffassung von der Rechtsstellung der einzelnen Aktionäre geführt
hat, und die Feststellung, daß nach dem Ergebnis dieser Entwicklung einzelne ohne nennenswerten Kapitalaufwand und ohne Kapitalrisiko die Gesellschaft beherrschen können, bietet den Ausgangspunkt für die Wünsche nach Erneuerung des ... Aktienrechts .. .
Dann eine dritte Feststellung, die den Schutz der gefährdeten Interessen betrifft.
Dabei ist zunächst an die Interessen der Aktionärminderheiten zu denken, aber nicht nur an
diese. -
Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage gestatten?
Vielleicht darf ich das Zitat erst beenden, Herr Präsident. Dann sehr gern.
In diesen Unternehmungen ist Volksvermögen iri so gewaltigem Maße zusammengeballt, daß das Volk als ganzes ein dringendes berechtigtes Interesse daran hat, über das Ergebnis der Verwaltung soweit unterrichtet zu werden, als es das Wohl des Unternehmens gestattet ... Der Aktionär muß sich dessen bewußt bleiben, daß die moderne Aktiengesellschaft nicht nur eine Form für individuelles Gewinnstreben ist, sondern in verschiedenen Abstufungen auch den allgemeinen Interessen des Volkes zu dienen hat.
Ich frage, meine Damen und Herren: wo spürt man
I) auch nur einen Hauch von der Erkenntnis dieser Wandlungen im gesellschaftlichen Gesamtgefüge in diesem neuen Entwurf und 'seiner Begründung? -Bitte schön!
Herr Präsident, darf ich Herrn Dr. Deist fragen, wer - als Person - diese Ausführungen gemacht hat, die er soeben vorgelesen hat?
Das ist die amtliche Begründung des Reichsjustizministeriums im Jahre 1930, also der damaligen Reichsregierung, zu dem vorgelegten Aktienrechtsreformgesetz.
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- Wir haben im Jahre 1930 eine Reichsregierung gehabt, und wir haben einen Reichsjustizminister gehabt. Ich wollte kennzeichnen, welcher Geist die damalige Reichsregierung und die damalige Öffentlichkeit und Wissenschaft beseelt hat im Gegensatz zu heute. Ich würde Ihnen den Reichsjustizminister und die Reichsregierung nennen, wenn sie mir im Augenblick bekannt wäre. Aber das tut für mein Empfinden gar nichts zur Sache.
Vielleicht kann der Herr Justizminister aushelfen.
Meine Damen und Herren, das war in den dreißiger Jahren, vor nunmehr drei Jahrzehnten. Wir leben in einem Jahrhundert, in dem die moderne Industriewirtschaft eine rasante Entwicklung durchmacht, eine Entwicklung von einer Bedeutung, wie sie in früheren Jahrzehnten naturgemäß nicht vorhanden war. Sie ist gekennzeichnet durch die Entwicklung zum Großunternehmen. Wir alle kennen diesen Prozeß unter dem uns allen geläufigen Begriff des Konzentrationsprozesses.
Von einem Gesetzentwurf, der sich sehr betont als ein Reformentwurf bezeichnet, muß man erwarten, daß er mit dieser gesellschaftlichen Entwicklung Schritt hält. Je größer der Wandel ist, um so dringender ist die Reform. Die Frage ist: entspricht dieser Entwurf, der hier vorgelegt wird, wirklich der heutigen Situation? Kann er wirklich ernsthaft als eine zulängliche Reform des Aktienrechts, der Verfassung der Aktiengesellschaft betrachtet werden?
Im Jahre 1925 stellten die Reformatoren fest, wie sich die Entwicklung in den ersten 25 Jahren dieses Jahrhunderts vollzogen hatte. Um 1900 hatten wir 2000 Aktiengesellschaften mit 5 Milliarden Gesamtkapital. Im Jahre 1925 waren es bereits 13 000 mit rund 20 Milliarden Gesamtkapital. Man hat damals sehr wohl verstanden, welche Veränderungen sich vollzogen haben, daß der Übergang zur Publikumsgesellschaft mit breiter Streuung der Anteilsrechte und einer immer größeren Zahl von Aktionären, von Gesellschaftern zwangsläufig zu einer ständigen weiteren Aushöhlung der Aktienrechte führen muß, ob man das will oder ob man das nicht will. Die Wirtschaftsenquête, die der Reichstag in jenen Jahren durchgeführt hat, kam zu dem bemerkenswerten Ergebnis - 1930! -: der einzelne Aktionär fühlt sich nicht als der vollverantwortliche Mitinhaber der Gesellschaft.
Man hatte damals auch begriffen - das wird deutlich in der Begründung des Aktienrechtsgesetzentwurfs vom Jahre 1930 -, daß sich entsprechend der Aushöhlung der Rechte der Aktionäre zwangsläufig in der Leitung der Aktiengesellschaft größere Befugnisse ansammeln, die infolgedessen auch eine größere Verantwortung und eine größere Kontrolle und größere Haftung zur Folge haben müssen.
Schließlich ein letztes - das möchte ich dem Herrn Bundesjustizminister sagen - im Hinblick auf die Bagatellisierung jener Erörterungen der Wissenschaft über die Frage, welche Bedeutung das Unternehmen an sich hat. Damals bemerkte man sehr deutlich, wie sich die Interessen des Unternehmens verselbständigen und von den einzelnen, häufig sehr verschiedenartigen Interessen der Aktionäre lösen, und daß es eine eigene Aufgabe, ein eigenes Interesse und eine eigene Verantwortung der Unternehmung als eines wichtigen volkswirtschaftlichen Tatbestandes gibt.
Ein großer Demokrat, Herr Bundesjustizminister, den Sie selbst genannt haben, Walther Rathenau, hat in seiner Schrift vom Aktienwesen im Jahre 1922 dazu einige bemerkenswerte Ausführungen gemacht, die ich kurz zitieren darf:
Die Großunternehmung ist heute überhaupt nicht mehr lediglich ein Gebilde privatrechtlicher Interessen. Sie ist
- diese Formel haben Sie vorsichtshalber mit aufgenommen, Herr Bundesjustizminister vielmehr ein nationalwirtschaftlicher, der Gesamtheit angehöriger Faktor, der zwar aus seiner Herkunft noch die privatrechtlichen Züge des reinen Erwerbs-Unternehmens trägt, während er längst und in steigendem Maße öffentlichen Interessen dienstbar geworden ist und hierdurch sich ein neues Daseinsrecht geschaffen hat.
Das nächste haben Sie nicht zitiert, Herr Bundesjustizminister, und nicht aufgenommen. Da steht nämlich:
Seine Fortbildung in gemeinwirtschaftlichem Sinne ist möglich. Seine Rückbildung zur rein privatwirtschaftlichen Bindung ist undenkbar.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, genau dieser Versuch der Rückbildung wird jedenfalls in der Begründung der Aktienrechtsreform unternommen. Dabei sind das alles Erkenntnisse der ersten 20 Jahre. In den nachfolgenden 30 bis 40 Jahren hat sich Gewaltiges ereignet.
Lassen Sie mich einige Zahlen über die Entwicklung der Aktiengesellschaften nennen. Im Jahre 1925 - ich sagte es schon - hatten wir 13 000 Aktiengesellschaften mit einem Kapital von 19 Milliarden RM, also im Durchschnitt ein Kapital von 1,5 Millionen RM. Im Jahre 1959 war die Zahl der Aktiengesellschaften von 13 000 auf 2400 zurückgegangen, das Kapital aber auf 27 Milliarden DM mit einem Durchschnittskapital von 11,4 Millionen DM je Gesellschaft gestiegen. Das zeigt doch, daß man einfach nicht darüber hinwegsehen kann, welche Bedeutung eine solche Entwicklung für das Aktienrecht hat.
Von 2400 Gesellschaften haben nur 9,5 %, nämlich 225 Gesellschaften, ein Aktienkapital von über 20 Millionen DM. Sie vereinigen aber in sich 80 % des gesamten Aktienkapitals aller Aktiengesellschaften in Deutschland. Diese 225 Großunternehmen beherrschen 80 % des Potentials dieser Großwirtschaft! Und da wollen Sie sagen: Das interessiert nicht, da mögen andere von gemeinwichtigen Unternehmen reden, wir brauchen dafür keine besonderen Bestimmungen!
Ein zweites kommt hinzu. 50 % dieses gesamten Aktienkapitals befinden sich nicht in der Hand von Individuen und haben nichts mit privatem Eigentum von Personen zu tun. Sie befinden sich in der Hand von anderen anonymen Gruppen, insbesondere von anderen anonymen Kapitalgesellschaften. Man pflegt das als die Institutionalisierung des Aktienbesitzes zu bezeichnen. Dieser Prozeß schreitet fort und erstreckt sich gerade auch wieder auf den Bereich der Großgesellschaften. Ich verstehe nicht, daß man den Mut haben kann, hierin keinen Anlaß zu einer besonderen Betrachtung oder Behandlung der Großunternehmen zu sehen. Diese 200 bis 300 Unternehmungen sind Gebilde eigener Art und eigener Bedeutung und von eigenem Schwergewicht. Sie bestimmen mit ihrem Anteil von 80 % am Kapital aller Gesellschaften entscheidend die Struktur der Wirtschaft. Sie werfen damit Probleme auf, an denen man nicht mit einigen wenigen Bemerkungen vorübergehen kann.
Nicht nur der Zug zum Großunternehmen und die Tatsache, daß die Großunternehmen immer stärker die Struktur der Wirtschaft bestimmen, ist wichtig, sondern auch der Umstand, daß wir 'es mit stark differenzierten Größenordnungen der Unternehmungen zu tun haben. Ich sagte bereits, daß sich bei insgesamt 2400 Gesellschaften im Jahre 1959 80 % des Kapitals auf 225 Großbetriebe konzentriert. Daneben gibt es aber 1500 mittlere Gesellschaften mit einem Kapital von 0,5 bis 3 Millionen DM und mehr als 600 Gesellschaften mit einem Kapital unter 500 000 DM. Das Kapital der letztgenannten Gesellschaften befindet sich entweder in der Hand von Einzelpersonen oder in der Hand eines kleinen Teils von Gesellschaftern, die noch gemeinsam zusammenwirken, oder es handelt sich um Familiengesellschaften. Das Statistische Bundesamt gibt die Zahl der Familiengesellschaften mit 400 und ihr durchschnittliches Kapital mit 300 000 DM an.
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- Ich spreche nur von Aktiengesellschaften. - Das sind doch Unterschiede! Bei den kleinen Unternehmen spielt privates Eigentum noch eine entscheidende Rolle. Bei ihnen können die Verhältnisse im Betrieb von den Gesellschaftern noch übersehen werden, ja da können die Gesellschafter-Eigentümer auch noch den Gang der Dinge beeinflussen. Die Bedeutung für die Öffentlichkeit, das öffentliche Interesse und die Gefahren für die Entwicklung der Gemeinschaft sind jedoch bei diesen Unternehmungen denkbar gering.
Es ist sinnlos, alle Aktiengesellschaften - mit nur ganz geringen Ausnahmen - praktisch über einen Kamm zu scheren. Vieles, was für die normale Gesellschaft notwendig ist, ist für die kleinen Gesellschaften keineswegs notwendig, und vieles, was für die normalen Gesellschaften gut ist, reicht nicht aus für jene Mammutgesellschaften, von denen ich vorhin gesprochen habe. Ein Gesetzgeber, der für sich in Anspruch nimmt, eine Reform durchzuführen, darf an diesen Strukturunterschieden nicht vorübergehen.
Nun lassen Sie mich ein paar 'Bemerkungen zu jenen Großgesellschaften machen, die über eine Riesenzahl von Aktionären verfügen. Wir wissen, daß der Zug immer mehr zu diesen sogenannten Publikumsgesellschaften geht. Auch hier kann man an der Struktur der Unternehmungen nicht vorübergehen. Bei diesen Unternehmungen handelt es sich um Riesengebilde, die zu steuern, zu beherrschen und zu führen sind allein mit dem Mittel der Organisation, d. h. dadurch, daß das Ganze horizontal und vertikal in zahlreiche Einzelbereiche aufgegliedert wird, wobei jeder einzelne Teilbereich seine eigenen Aufgaben, seine eigenen Zuständigkeiten und seine eigene Verantwortung hat. Das Ganze wird wiederum durch das Mittel der Organisation so zu einer Einheit zusammengefaßt, daß sich die Kenntnis von dem, was in dem Unternehmen vorgeht, die Möglichkeit und das Recht, Entscheidungen zu treffen, auf eine ganz kleine Gruppe konzentriert,
die wir als das Management zu bezeichnen pflegen. Das ist ein ganz zwangsläufiger Prozeß, den wir nicht mit einigen Thesen über die Bedeutung des Eigentums im modernen Aktienrecht aus der Welt schaffen können. Er führt notwendig zu einer Zentralisierung der Verfügungsmacht von großem Ausmaß.
Dieses Management verfügt in Großunternehmungen normalerweise über eine hervorragende personelle und maschinelle Apparatur. Ihm stehen die Mittel der modernen Menschenführung zur Verfügung. Denken Sie an das Heer von Betriebspsychologen, Betriebsphysiologen, Betriebssoziologen, Betriebsärzten und Betriebskrankenschwestern, denken Sie an die Betriebsgesangvereine und Betriebsfußballvereine. Das sind alles Mittel zur Beeinflussung der Menschen, zur Menschenführung. Dieses Management verfügt über ein Potential an Finanzkraft und an Menschen wie kein anderes Großgebilde der Gesellschaft.
Parallel zu diesem Prozeß der Zentralisierung der Verfügungsmacht bei dem Management verlief in den letzten dreißig Jahren zwangsläufig ein entsprechender Prozeß der Aushöhlung der Befugnisse der Aktionäre. Denn naturgemäß kann die Verfügung über solche Vermögenskomplexe nicht doppelt ausgeübt werden. Wenn dem einen etwas an Verfügungsmacht zuwächst, geht dem anderen zum Teil Verfügungsmacht verloren. Der Deutsche Juristentag hat im Jahre 1955 eine Studienkommission eingesetzt, die zum gleichen Ergebnis gekommen ist. Der Herr
Bundesjustizminister hat einiges von diesen Ergebnissen hier wiedergegeben. Da steht aber auch drin: es lasse sich nicht leugnen, daß der Sache nach der Wille der Anteilseigner in einem weiten Maße für die Art der Herrschaftsausübung unmaßgeblich geworden sei. Das Gesetz statte die Aktionäre mit Befugnissen aus, die sie auszuüben weder in der Lage noch ernstlich bestrebt seien. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Professor Berle jun. hat sich über die Hauptversammlungen der großen Gesellschaften deutlicher ausgesprochen: Jeder weiß, daß die Aktionärsversammlungen von heute eine Art sinnlosen Rituals geworden sind.
Dr. Littmann von der Universität in Münster, der dieses Problem wissenschaftlich gründlich untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis - das ist eine wichtige Feststellung, die jeder, der an Privateigentum und an der Aufrechterhaltung von Privateigentum Interesse hat, sich merken sollte -:
daß die Institution des Privateigentums entscheidend geschwächt, wahrscheinlich sogar aufgegeben wird, sowie eine Überleitung von Produktionseinheiten in die Rechtsform der Kapitalgesellschaften bei gleichzeitiger breiter Streuung des Grundkapitals erfolgt.
Das ist eine Konsequenz, die ein Wissenschaftler aus der Entwicklung der Tatsachen gezogen hat. Dieser immer schwächer werdenden Hauptversammlung steht als zentrale Gewalt innerhalb des Unternehmens das Management gegenüber. Das ist auch wieder nicht so einfach zu verstehen, als wenn das der Vorstand des Unternehmens wäre, sondern hier geht es um die Zusammenarbeit zwischen den maßgeblichen Vertretern der Depotbanken in den Aufsichtsräten, den maßgebenden Männern des Vorstandes und vielleicht einem Großaktionär des Unternehmens. In diesen Großgesellschaften --- von denen spreche ich - steht der sachliche Ablauf der Hauptversammlung und ihr Ergebnis von vornherein fest. Da darf sehr viel Wirbel entstehen, das tut alles nichts zur Sache; das Ergebnis ist vorher bestimmt. Für die Hauptversammlungen gilt eben heute der Satz: Die Redenden wissen nicht, und die Wissenden reden nicht.
Meine Damen und Herren, wir haben diese Entwicklung beobachten können bei den Hauptversammlungen jener Gesellschaften, bei denen Sie sich so viele Mühe gegeben haben, nicht nur breites Eigentum zu streuen - damit sind wir durchaus einverstanden, wenn auch nicht mit Ihren Methoden -, sondern bei denen Sie auch geglaubt haben, eine Wiederbelebung des Aktionärs der Großgesellschaft durchführen zu können. In der Hauptversammlung der Preußag wurde nicht nur der Rahmen, sondern auch ihr Gepräge durch schmetternde Marschmusik bestimmt. Beim Volkswagenwerk waren der ganze Parkplatz und der Anmarschweg zur Versammlungsstätte ein einziger Rummelplatz mit Würstchenbuden und ähnlichen Requisiten. Von den 5- bis 6000 Teilnehmern dieser Massenversammlung, die sich zwischendurch aus mitgebrachten Stullenpaketen zu verpflegen hatten, waren nach siebeneinhalbstündiger Dauer gerade noch 500 Mann im Saal.
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Ich glaube, jener Teilnehmer, den die Frankfurter Zeitung zitierte, hatte nicht ganz unrecht, als er sagte, hier liege ein Aktienrecht zugrunde, das in die Gegenwart passe wie ein Dreirad auf die Autobahn. Aber das Wesentliche: Alles verlief nach Wunsch. Die Steuerung war so gut, daß zum Schluß das Ergebnis herauskam, das vorher gewollt war. Professoren, die dieser Entwicklung wohlwollender als ich gegenüberstehen, pflegen das so auszudrükken, wie es Herr Professor Schwantag getan hat, indem er sagte, die Labilität der Willensbildung der Hauptversammlung werde oft durch den Einfluß der Unternehmensleitung stabilisiert. So kann man das auch ausdrücken, nur bleibt der Tatbestand der gleiche.
Hier besteht ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen dem Verfassungsrecht, wie es im Aktiengesetz niedergelegt ist, und der Verfassungswirklichkeit. Tatsächlich ist in diesen Großgesellschaften die Hauptversammlung als Vertretung der Eigentümer ein unbrauchbares Instrument. Sie ist als eigenständiges Organ mit eigener Willensbildung funktionsunfähig. Und sie wird entweder vom Großaktionär beherrscht oder durch das Management ferngesteuert. Diesen so hart ausgedrückten Tatbestand muß man beachten, wenn man an eine Reform des Aktienrechts geht.
Demgegenüber steht das Management, das sich praktisch durch Kooptation ergänzt; der Beschluß der Hauptversammlung über die Zuwahl von Auf588
sichtsratsmitgliedern ist eine reine Formalie, wie jeder weiß, der Hauptversammlungen von Großgesellschaften mitgemacht hat. Das heißt, der Aufsichtsrat in der großen Aktiengesellschaft hat keine gültige Legitimation mehr und er kann infolgedessen auch keine wirksame Kontrolle ausüben. Herr Professor von Nell-Breuning hat in diesem Zusammenhang den bemerkenswerten Ausspruch von dem „sozusagen freischwebenden Management" geprägt. Man muß sich die Frage stellen, inwieweit der vorliegende Entwurf dieser Entwicklung und der Wirklichkeit von heute gerecht wird.
Das betraf die rechtliche Verfassung der Großunternehmung. Aber wir sollten auch daran denken, daß die Menschen in diesen Unternehmungen in eine ganz andere Umwelt und in ständig sich ändernde Umweltbedingungen hineinwachsen. Technisch und kaufmännisch sind unsere Unternehmen im großen und ganzen hervorragend organisiert. Mit der Eingliederung des Menschen als einer Persönlichkeit mit Selbstbestimmungsrecht ist die Großgesellschaft bis heute nicht fertig geworden. Das ist ein Problem - ich sage nicht, das vor der Großgesellschaft steht, sondern das vor uns steht -, mit dem wir fertig werden müssen. In diesen Unternehmungen besteht eine solche absolute Abhängigkeit voneinander und von der Spitze, daß man wohl sagen kann, daß diese Abhängigkeit der Menschen über das Ökonomische weit hinausgeht. Hier gibt es ein Maß von Fremdbestimmung und einen Mangel an Selbstbestimmung, der zu erheblichen Konflikten führen kann. Die Unternehmen wissen das; sonst hätten sie nicht soviel Institutionen für Public Relations und wie sich das sonst nennt, geschaffen. Wir müssen uns aber darüber klar sein, daß bei diesen Public Relations die Verwertbarkeit der Arbeitskraft für das Unternehmen, aber nicht der Wert des Menschen als einer sittlichen Persönlichkeit im Vordergrund steht. Das ist ein wichtiges menschliches Verfassungsproblem, vor dem wir in der modernen Industriegesellschaft stehen. Auch hier erhebt sich die Frage, Herr Bundesjustizminister: ist die heutige Verfassung der Aktiengesellschaft mit ihren jetzigen Institutionen, mit den Menschen, die auf Grund dieser Verfassung zwangsläufig zur Führung kommen, und mit der Wirtschaftsgesinnung, die in solchen Unternehmungen zwangsläufig entstehen muß, ist eine solche Großunternehmung wirklich in der Lage, einen gültigen Beitrag zur Lösung dieses menschlichen Problems zu leisten?
Und schließlich eine dritte Konsequenz, meine Damen und Herren. Diese Großunternehmungen stehen ganz überwiegend nicht im sogenannten freien Wettbewerb zueinander. Sie sind Machtgebilde, sie betreiben Marktstrategie, sie machen Investitionspolitik, sie machen Preispolitik. Wer will bestreiten, daß Entscheidungen z. B. in der Großchemie, in der Automobilindustrie, in der Elektroindustrie, bei Kohle, bei Stahl, in der Mineralölindustrie nicht grundlegende Bedeutung für die Gestaltung des Arbeitsmarktes, für die Preisentwicklung, für die Einkommensverteilung und für die allgemeine Versorgung der Bevölkerung haben? Auch daraus muß man Konsequenzen ziehen. Hier zeigt sich, daß diese Großunternehmen ein wesentlicher Teil unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung geworden sind. Hier zeigt sich ferner, daß das keine reine Privatsache mehr sein kann, daß das Dinge sind, die uns alle - als Verbraucher und als Staatsbürger - angehen.
Jetzt frage ich mich: Wie soll ein Gesetzentwurf, der so begründet wird, wie der Herr Bundesjustizminister es eben getan hat, mit diesen gewaltigen Veränderungen der letzten 30 Jahre fertig werden? Das Aktienrecht des Jahres 1937 hatte aus der Entwicklung der ersten 30 Jahre klare Konsequenzen gezogen. Ich will nur zwei Dinge nennen, die zeigen, wie deutlich diese Konsequenz war, und die den Unterschied zu heute klarmachen. Damals wurde in dem § 70 ausdrücklich bestimmt, daß die Verwaltung eines Unternehmens nicht nur das Interesse der Aktionäre, sondern auch die Aufgabe und das Interesse des Unternehmens, die Interessen der Belegschaft und das allgemeine Wohl zu beachten habe. Dieser Paragraph ist in dem Entwurf gestrichen. Ich komme auf die Begründung des Entwurfs in dieser Beziehung gleich noch kurz zurück.
Weiter hat das damalige Aktienrecht radikal mit jener falschen Eigentumstheorie Schluß gemacht, die so tut, als ob es sich bei diesen Großgesellschaften wirklich noch um privates Eigentum handle. Meine Damen und Herren, bis dahin, bis zum Jahre 1930 bzw. 1937, hatten die Hauptversammlungen als Vertretungen der Gesellschafter noch alle wesentlichen Befugnisse. Sie konnten praktisch alle Entscheidungen des Unternehmens an sich ziehen, ja, sie konnten sogar den Vorstand wählen. Damit hat das Aktienrecht damals Schluß gemacht. Weder in der Begründung des Gesetzentwurfs von 1930 noch in der Begründung des Entwurfs von 1937 wird der Versuch gemacht, die innere Organisation, die Zuständigkeit der Gesellschafter, der Aufsichtsräte und der Vorstände auf Eigentum zurückzuführen. Damals wußte man ganz genau: hier wird für einen Vermögenskomplex, der ein Tatbestand an sich ist, eine körperschaftliche Verfassung geschaffen, und damals wußte man ganz genau: da gibt es eben nur Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter. Diese Mitgliedschaftsrechte - das können 'Sie in jedem Lehrbuch nachlesen - sind entweder Verwaltungsrechte oder Vermögensrechte. Die Verwaltungsrechte bestehen im wesentlichen im Stimmrecht bei der Wahl des Aufsichtsrats und im Auskunftsrecht, und das Vermögensrecht beschränkt sich im wesentlichen auf den Anspruch auf Dividende.
Das war die Konsequenz, die seinerzeit gezogen wurde. Und es wurde auch nicht der Versuch gemacht, die körperschaftliche Verfassung mit falschen Argumenten abzustützen.
Nun, meine Damen und Herren, sehe ich mir demgegenüber .die 'Begründung zum Entwurf des Jahres 1962 an. Da finden sich folgende drei bemerkenswerte Sätze, die im wesentlichen mit den einleitenden Bemerkungen des Herrn Bundesjustizministers übereinstimmen. Da heißt es:
Unsere Rechts- und Wirtschaftsordnung beruht
auf der Anerkennung und dem Schutz des priDr. Deist
vaten Eigentums und der freien Verfügung über das Eigentum.
Ist zu akzeptieren! Wir haben nur zu untersuchen, wo wirklich noch freie Verfügung über das Eigentum vorhanden ist.
Dann ein zweiter Satz:
Ein Aktienrecht, das diesen Grundsätzen unserer Wirtschaftsverfassung entsprechen soll, muß daher von dem wirtschaftlichen Eigentum der Aktionäre an dem auf ihren Kapitalbeiträgen beruhenden Unternehmen ausgehen ...
Und dann der dritte Satz - sehr mutig ausgesprochen -:
Dabei muß das Organ der Aktionäre, die Hauptversammlung, den Einfluß erhalten, der der Eigentümerstellung der Aktionäre entspricht.
Nichts von den Strukturveränderungen in der Wirtschaft, dagegen ein krampfhaftes Bemühen, einen wirtschaftlichen Eigentumsbegriff dort einzuführen, wo er nun wirklich keinen Platz mehr hat! Man tut so, als ob diese Entwicklung der letzten 30 bis 50 Jahre ein gewaltiger Irrtum der Geschichte wäre, den man - davon geht jedenfalls die Begründung des Gesetzentwurfs aus - wieder rückgängig machen könne.
Lassen Sie mich zu der Verwendung des Begriffs wirtschaftliches Eigentum ein paar Worte sagen. Wir kennen in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis den Begriff ides wirtschaftlichen Eigentums, nämlich bei der Sicherungsübereignung. Da nennen wir wirtschaftlichen Eigentümer den, der zwar nicht formal Eigentümer ist, aber wirtschaftlich das Verfügungsrecht aber die Sache hat. Hier machen wir zum wirtschaftlichen Eigentümer jemanden, der weder ein formales Eigentumsrecht noch irgendein Verfügungsrecht aber die Sache hat. Meine Damen und Herren, das grenzt an öffentliche Irreführung, insbesondere in einem Lande, von dem wir wissen, mit welchen Hypotheken die Auseinandersetzung über das private Eigentum durch alles Idas belastet ist, was jenseits der Zonengrenze vor sich geht.
Lassen Sie mich dazu noch ein zweites, sehr ernstes Wort sagen, weil ich in diesem Teil des Gesetzentwurfs und der 'Begründung einen Kardinalpunkt sehe. Ich meine das Spiel mit dem Eigentumsbegriff und den Bedeutungswandel, den der Eigentumsbegriff durch die Rechtsprechung im Laufe der letzten 20, 25 Jahre erhalten hat. Er hängt zusammen mit der Eigentumsgarantie in der Verfassung. Wir kennen in allen Verfassungen seit der amerikanischen Verfassung diese Garantie des Eigentums, zuletzt bei uns in der Weimarer Verfassung und im Grundgesetz. Aber bis zur Weimarer Verfassung bestand in Rechtswissenschaft und Praxis Übereinstimmung darüber, daß es sich dabei nur um die Garantie jener dinglichen Rechte an Sachen, an unbeweglichen und beweglichen Gegenständen, handeln könne, die die Gesetzgebung als „Eigentum" bezeichnete.
Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich nicht meine eigene Meinung sagen, sondern Ihnen kurz darstellen, was ein anderer guter Demokrat der
Weimarer Republik, nämlich Professor Willibald Apelt, über die Entwicklung der Rechtsprechung gesagt hat. Willibald Apelt hat zusammen mit Preuß die Weimarer Verfassung bearbeitet und ist eine zeitlang demokratischer Innenminister, ich glaube, in Sachsen gewesen. Er hat sich nach den leidvollen Erfahrungen des Dritten Reiches mit der Geschichte der Weimarer Verfassung befaßt. Er sagt in bezug auf die Wandlung ides Eigentumsbegriffs auch bei der Rechtsprechung folgendes - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
An diesem Sachbestand
- daß es sich nur um Sachenrechte im eigentlichen Sinne handeln könne haben Theorie und Praxis nicht gezweifelt, bis im Jahre 1924 ein namhafter Zivilist der Universität Berlin in einer Abhandlung „Reichsverfassung und Eigentum" ohne nähere Begründung die Behauptung aufstellte, die Verfassung verstehe unter Eigentum ... jedes private Vermögensrecht, gleichviel ob dinglichen oder persönlichen Charakters ... Diese Auffassung wurde sofort vom Reichsgericht aufgegriffen.
Er kommt dann zu folgender Schlußfolgerung:
Mit dieser Auffassung, der sich anzuschließen andere hohe Gerichtshöfe nicht zögerten, hatte sich das Reichsgericht einen Hammer geschmiedet, mit dem es nicht nur das in langer Verwaltungserfahrung erprobte Rechtsinstitut der Enteignung, sondern noch sehr viel Weiteres, nämlich einen beträchtlichen Teil des gesamten aus der Zeit des konstitutionellen Staatsrechts überkommenen, von sozialem Geiste erfüllten Verwaltungsrechts zerschlug.
Er stellt dann schließlich fest:
Dieser Vorgang hat nicht nur seine staatsrechtliche und für Staat und Gemeinden finanzielle Seite, sondern auch eine allgemein politische Bedeutung... Es war das Mißtrauen gegen ein auf der Souveränität des Volkes beruhendes Parlament, das alle Kreise, welche die Demokratie ablehnten, aufrief, nach Mitteln zu suchen, um der Legislative Schranken zu setzen, sie daran zu hindern, weitergreifende soziale Umstellungen durchzuführen.
Meine Damen und Herren, ich kennzeichne hier nur eine Entwicklung. Der Bundesgerichtshof hat leider diese Rechtsprechung aufgenommen und weitergeführt. Ich möchte kein Mißverständnis aufkommen lassen: es liegt mir völlig fern, dem Bundesgerichtshof politische Motive bei seiner Rechtsprechung unterschieben zu wollen. Mir kommt es, nur darauf an, diesen Bedeutungswandel der Eigentumsgarantie klar herauszustellen.
Im Zuge dieses Bedeutungswandels muß der Versuch gesehen werden, den Begriff des wirtschaftlichen Eigentums zur Kennzeichnung der Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre in die offizielle Begründung des Gesetzentwurfs einzuführen. Die Verfasser wissen natürlich genau, daß die Begründung eines Gesetzentwurfs durch die Regierung zu den Gesetzesmaterialien gehört. Sie wissen genau, daß sie in diesem Bundestag damit rechnen können, daß die
gleiche Melodie von der Mehrheit hier weitergespielt wird. Und sie wissen auch, daß damit Fakten geschaffen werden, mit denen man eine Auslegung des Grundgesetzes vorbereiten kann, die jede soziale Ausgestaltung des Verfassungsrechts der Unternehmungen verfasungsrechtlich blockiert.
Diesen Sachverhalt und die Tendenzen, die hier obwalten, muß man sehr deutlich sehen, und in bezug auf das Mitbestimmungsrecht als einen wichtigen Teil des Verfassungsrechts der Großwirtschaft hat der Herr Bundesjustizminister, möchte ich sagen, auch kein Hehl aus dieser Absicht gemacht.
Meine Damen und Herren, das ist auch der Grund dafür - einen anderen sehe ich nicht -, daß Sie sich so dagegen wehren, das begrenzte Gesellschaftsrecht zu einem umfassenden Unternehmensrecht auszugestalten. Die Beschränkung auf gesellschaftsrechtliche Beziehungen bedeutet nämlich, daß alle wesentlichen Bestimmungen des Gesetzes unter dem Gesichtspunkt der Beziehungen zwischen Gesellschafter bzw. Anteilseigner auf der einen und den Unternehmen auf der anderen Seite gesehen werden, daß man auch bei der Großgesellschaft entgegen der tatsächlichen Entwicklung von der Identität zwischen Unternehmensinhaber und Unternehmen ausgeht, als ob nicht hier sich nur der Inhaber und das Vermögensobjekt, über das er zu bestimmen hat, einander gegenüberstünden.
Wenn man nicht bereit ist, anzuerkennen, daß diese modernen Unternehmen als soziale Tatbestände zu eigener Bedeutung und zu eigenem Gewicht - in vielfältigen Beziehungen zur Belegschaft, zur übrigen Wirtschaft, zur gesamten Gesellschaft stehen, dann kann allerdings die Begrenzung auf die gesellschaftsrechtlichen Beziehungen in einem Unternehmen zu Fehlschlüssen - vielleicht zu gewollten Fehlschlüssen - führen.
Es ist nicht so, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß dieser Entwurf auch in diesem Punkt auf der Höhe der modernen Wissenschaft stände. Es ist nicht so, daß z. B. die Studienkommission des Juristentags auch diese Auffassung verträte. Da finden sich zwei bemerkenswerte Hinweise. Der erste Hinweis in dem Gutachten, das von Herrn Professor Ballerstedt im Auftrage der Studienkommission erstattet ist, lautet:
Auch die gesamtwirtschaftliche Rolle des Unternehmens, wie sie namentlich in der Bindung der Unternehmungsführung an das Gemeinwohl - § 70 - zum Ausdruck kommt, läßt sich nur dann befriedigend einordnen, wenn man das Unternehmen nicht unter dem Gesichtspunkt rein erwerbswirtschaftlicher Interessen betrachtet.
Und ein zweiter Hinweis:
Nach der Meinung der Mehrheit der Ausschußmitglieder sei in dem Begriff Unternehmensrecht ein systematischer Ansatzpunkt dafür geboten, Unternehmer, Kapitaleigner und Arbeitnehmer als jeweils in besonderer Weise Beteiligte und Mitträger zu würdigen.
Nun, Herr Bundeswirtschaftsminister, wir haben von Ihnen vernommen: das eben durfte nicht sein; die angemessene Würdigung und Berücksichtigung dieser anderen Teilnehmer - auch der Arbeitnehmer - z. B. in der Unternehmensverfassung durfte nicht sein. Die Ausweitung zu einem Unternehmensrecht hätte zwangsläufig dazu geführt, an diese Grundlagen der Unternehmensverfassung heranzugehen. Die Beschränkung auf das Gesellschaftsrecht macht es halt einfacher, über diese Probleme eines modernen Großunternehmens hinwegzugehen.
Herr Bundesjustizminister, ich möchte sagen: das ist der grundlegende, entscheidende Mangel dieser Aktienrechtsreform, daß die Konstruktion eines wirtschaftlichen Eigentums und der Verzicht auf ein umfassendes Unternehmensrecht dem Ziele dienen, eine fortschrittliche Entwicklung der Unternehmensverfassung zu verhindern.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zu einigen wichtigen Problemen des Entwurfs. Ich möchte naturgemäß Einzelfragen der Beratung im Ausschuß und der zweiten Lesung überlassen. Kennzeichnend für den Geist der vorgelegten Aktienrechtsreform ist die Tatsache, daß der § -70 deis geltenden Aktienrechts, der ausdrücklich beistimmte, daß die Interessen des Unternehmens, der Arbeitnehmer, die Gesamtinteressen zu berücksichtigen seien, ersatzlos gestrichen ist. Die Begründung sagt, dieser Paragraph könne gestrichen Werden, weil er eigentlich selbstverständlich sei. Der Bundesjustizminister muß jedoch wissen, daß es viele Kommentatoren gibt - er möge sich dazu das neue Handbuch für die Sozialwissenschaften ansehen -, die durchaus anderer Meinung sind. Sie meinen, daß z. B. die Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen ein Sonderfall des deutschen Aktienrechts sei. Es ist also nicht richtig, daß es sich hier um einen selbstverständlichen Bestandteil des Aktienrechts handelt, insbesondere dann, wenn man alle Organe und ihre Befugnisse zentral auf das sogenannte wirtschaftliche Eigentum zurückzuführen sucht.
Ein zweites, meine Damen und Herren! Diesle falsche Blickrichtung führt dazu, daß die Besonderheit der kleinen Unternehmen, insbesondere der Familiengesellschaften, völlig vernachlässigt wird. Es ist bei der Differenzierung in den Größenordnungen einfach unmöglich, alle Aktiengesellschaften gleichen Bestimmungen zu unterwerfen. In einem Punkte ist das auch dem Bundesjustizministerium und der Bundesregierung aufgefallen. Auch sie haben bemerkt, daß der Ausweis der Bruttoumsätze für kleine Unternehmungen etwas ganz anderes bedeutet als für Großunternehmungen. Das ist ein erster Ansatzpunkt - entgegen Ihrer Theorie, Herr Bundesjustizminister -, kleine und mittlere Unternehmen angemessen zu berücksichtigen. Dieser Ansatz müßte systematisch weiter verfolgt werden. Der Gleichheitsgrundsatz kann nur bedeuten, daß gleiche Tatbestände gleich behandelt werden und daß infolgedessen für Unternehmen gleicher Art und Größe und gleicher volkswirtschaftlicher Bedeutung die gleichen Bestimmungen gelten. Das sollte für die Publizität, das sollte für die Mitbestimmung, und das sollte wohl auch für die steuerliche Seehandlung gelten. Ich meine, die selbständigen Unternehmer und die kleineren und mittleren Aktiengesellschaften, insbesondere die Familiengesellschaften, sollten sich
dagegen wehren, daß sie mit ihrem Eigentum in gleicher Weisse behandelt werden wie anonyme Großgesellschaften in der Wirtschaft. Sie sollten sich dagegen wehren, nicht weil sie besser wären oder weil die Großgesellschaften schlechter wären, sondern weil sie anders sind und ein Recht darauf haben, anders behandelt zu werden.
Wir haben uns bemüht, in dem Entwurf über Publizität, den wir vorgezogen haben, diesem Gesichtspunkt in weiterem Umfang Rechnung zu tragen, als das in dem Regierungsentwurf geschieht. Wir sind der Auffassung, daß diesem Problem in den Beratungen im Ausschuß besondere Bedeutung beigemessen werden muß.
Die verfassungsmäßige innere Ordnung, die Bildung und die Zuständigkeit der Organe, ist ein Kapitel, an das sich der Entwurf überhaupt nicht ernsthaft heranwagt. Es ist wirklich kein Zeichen besonderen Wohlwollens für das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer, und es ist auch kein Zeichen einer wesentlichen Verbesserung des Gesetzes, wenn der Entwurf dazu übergeht an der einen oder anderen Stelle darauf hinzuweisen, daß auch das Mitbestimmungsgesetz berücksichtigt werden müsse. Das ist rechtstechnisch sauber, hat aber mit einer wirklichen Reform und einer Neugestaltung des Aktienrechts nicht das mindeste zu tun.
Es ist nicht sehr sinnvoll, wie es im Entwurf vorgesehen ist, weitere Rechte an eine Hauptversammlung zu übertragen, die keine ausreichende Legitimation und keine Möglichkeit autonomer Willensbildung hat, sondern im Grunde genommen ferngesteuert wird. Jede Übertragung von Befugnissen an eine solche Hauptversammlung und jede Übertragung von Befugnissen an Aufsichtsräte, die in keiner ernsthaften Beziehung zu dieser Hauptversammlung stehen, werden zu Scheinmaßnahmen. Es ist besser, eine unabhängige, funktionsfähige Hauptversammlung mit geringeren Befugnissen als ein ferngesteuertes Organ mit formal großen Befugnissen zu haben.
Meine Damen und Herren, die bisherige Entwicklung gibt an sich Ansatzpunkte für eine solche Ausgestaltung der Unternehmensverfassung. Aber alle diese Ansatzpunkte sind im Entwurf unberücksichtigt geblieben.
Zunächst einmal das Depotstimmrecht. Sie geben sich sehr viel Mühe, die Bedenken, die gegen das Depotstimmrecht bestehen, auszuräumen. Wir sollten offen sehen, daß wirklich Bedenken bestehen, so zu tun, als wenn die Depotbanken im Auftrage, in Vertretung, in Vollmacht der Aktionäre handelten. Die Verhältnisse sind nicht so. Nun gibt sich der Entwurf Mühe, einige formale Maßnahmen bis zur Schaffung eines Musters für die Vollmachterteilung zu treffen, um dieser Fehlkonstruktion einige Korsettstangen einzuziehen. Dabei sind Sie aber nicht konsequent, Herr Bundesjustizminister. In dem Gesetz über das Volkswagenwerk hatten Sie noch den Mut, konsequent zu sein. Da heißt es: Die Depotbank darf nur abstimmen, wenn sie spezielle Weisungen der Aktionäre hat. Das wäre vielleicht noch eine Abart von Vertretungsverhältnis. Aber
Sie wissen, daß das nicht geht. Infolgedessen ist diese Bestimmung im vorliegenden Aktienrecht nicht mehr erschienen. Im Gegenteil, Sie sagen sehr deutlich, die Bank solle dem ihr erkennbaren Interesse des Aktionärs entsprechen.
Daß Sie im Grunde genommen nur formale Änderungen vornehmen, ergibt sich aus Ihrer eigenen Begründung, in der es heißt: Die Bedenken können nicht mehr erhoben werden, wenn das Stimmrecht der Banken, wie es der Entwurf vorschlägt, eindeutig zu einem von den Banken im Auftrag des Aktionärs nach dessen Weisung ausgeübten Stimmrecht umgeformt wird. Hier wird sehr deutlich, daß an der Sache gar nichts geändert wird, sondern nur etwas an der rechtlichen Konstruktion.
Ich frage mich, Herr Bundesjustizminister: Warum keine sachgerechte Konsequenz aus den Tatsachen? Das Depotstimmrecht ist heute unverzichtbar; ich konzediere das ohne weiteres. Ohne Depotstimmrecht hätten wir viele nicht beschlußfähige Hauptversammlungen, da eben der Aktionär alles das, was Sie ihm zurechnen wollen, einfach nicht erfüllen kann.
Ich gebe auch zu, daß die Banken in gewissem Umfange sachgerechte Entscheidungen in der Hauptversammlung ermöglichen. Aber warum sind Sie nicht konsequent? In Ihrem Entwurf findet sich ein bemerkenswerter Satz. Da heißt es nämlich nicht, daß das Depotstimmrecht aus dem Eigentumsrecht entwickelt werde, sondern da heißt es, das Depotstimmrecht sei „eine der Grundlagen der Verfassung der Aktiengesellschaft."
Meine Damen und Herren, warum gestaltet die Bundesregierung dieses Depotstimmrecht nicht entsprechend aus als eine eigenständige und eigene Verantwortung begründende Aufgabe der Bank im Rahmen der körperschaftlichen Verfassung dieser Unternehmen? Warum diese Konstruktion einer Vollmachterteilung, die kein Mensch ernst nehmen kann? Und warum nicht durch Gesetz die Legitimation und den Aktionsrahmen der Depotbanken klar regeln und damit die so legitimierte Bank zu einem Hilfsorgan der Willensbildung im Rahmen einer körperschaftlichen Unternehmensverfassung machen? Dann brauchen Sie diese gewaltsamen Konstruktionen einer zivilrechtlichen Vollmachtserteilung nicht. Meine Damen und Herren, hier wäre ein Ansatzpunkt zu einer sachgerechten, wirklichkeitsnahen Ausgestaltung des Unternehmensrechts gegeben. Aber Sie würden natürlich in Konflikt mit Ihrer nicht mehr haltbaren Theorie von der Eigentümerstellung der Aktionäre kommen.
Ich meine, daß in den von Ihnen so propagierten und geförderten Aktionärvereinen auch ein Ansatzpunkt zu einer modernen Ausgestaltung der Unternehmensverfassung wäre. Da der einzelne Aktionär nicht zu reaktivieren ist, wäre es schon der Mühe wert, sich zu überlegen, ob man nicht durch eine Zusammenfassung in Gruppen, die demokratisch geordnet werden und ihre Meinung demokratisch bilden, einen Ansatzpunkt zu einer modernen Verfassung finden könnte. Aber da hängen Sie wieder an Ihrem Gleichheitsgrundsatz und binden die Aktio592
närvereine bei der Stimmabgabe an dieselben Formalien, die Sie für das Depotstimmrecht der Aktiengesellschaften vorschreiben. Dabei müßten Sie doch zugeben: die technische Bewältigung dieses Formularkrams ist für die Bank kein Problem: an der Tatsache, daß es sich trotzdem um keine echte Vollmacht und Beauftragung handelt, ändert das nichts. Für die Aktionärvereine, wenn Sie sie schon aktivieren wollen, ist dieser Formalkram eine große Belastung, und es ist sehr zweifelhaft, inwieweit sie ihn bewältigen können. Aber auf die Idee, daß hier vielleicht Ansatzpunkte für die Bildung demokratischer Einrichtungen für Geltendmachung der Gesellschafterinteressen gegeben wären, daß man daran denken könnte, gesetzlich Vorschriften über den zulässigen Mitgliederkreis, über die innere demokratische Ordnung, über die Offenlegung der Finanzierung in derartigen Aktionärvereinen zu erlassen und so funktionsfähige Gremien der Aktionäre zu schaffen, die in demokratischer Form bei der Bildung der Organe der Unternehmen mitwirken könnten - auf diese Idee sind Sie leider nicht gekommen; diesen Ansatzpunkt haben Sie bedauerlicherweise nicht genutzt. Hier ist dem Gesetzgeber die Möglichkeit gegeben, rechtsgestaltend zu wirken und nicht nur einige rechtstechnische Verbesserungen anzubringen.
Der dritte Ansatzpunkt, Herr Bundesjustizminister, mit dem auch Sie sich, wenn auch überwiegend negativ, befaßt haben, ist das Mitbestimmungsrecht in Kohle und Stahl. Nun, meine Damen und Herren - Sie haben es selber gesagt -: das ist ein wesentlicher Bestandteil des Verfassungsrechts unserer Großwirtschaft. Warum haben Sie dann nicht den Mut, es entsprechend in das Aktienrecht einzupassen, warum nicht den Mut, hier wirklich eine Unternehmensverfassung moderner Art zu begründen? Die Studienkommission des Juristentags war sich bewußt, daß es eine dringliche Aufgabe sei, idas Mitbestimmungsrecht in das Aktienrecht einzubauen. Der Entwurf der Bundesregierung begnügt sich mit idem Hinweis, idas sei noch zu früh. Wie lange wollen Sie eigentlich warten? Wir haben über 15 Jahre Erfahrungen mit diesem Mitbestimmungsrecht gesammelt. Ich will Ihnen konzedieren, bei einer solch neuen Institution gibt es Kinderkrankheiten wie überall, und es gibt Fehlbesetzungen auf der Arbeitnehmerseite, genauso wie es Fehlbesetzungen auf der Unternehmerseite gibt. Das ist menschlich und kein Einwand gegen eine Institution. Aber im ganzen gesehen, meine Damen und Herren, sollte man nicht nur bei der Festveranstaltung deklamieren, sondern bei solchen Gesetzen berücksichtigen, daß sich dieses Mitbestimmungsrecht ausgezeichnet bewährt hat
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und daß dieses Mitbestimmungsrecht einen wesentlichen Beitrag zum sozialen Frieden im Ruhrgebiet geleistet hat.
Dieses Mitbestimmungsgesetz für Kohle und Stahl enthält einige wesentliche Elemente einer modernen Unternehmensverfassung. Hier wird nämlich ein wichtiger Grundsatz für die Ordnung unserer pluralistischen Gesellschaft durchgeführt: idas machtverteilende Prinzip, um einseitiger Machtausübung entgegenzutreten. Das ist schon ein wichtiger Grundsatz, für den Sie Verständnis haben sollten. Hier werden die Arbeitnehmer als Träger der Arbeitskraft als ein wichtigstes Element des Unternehmens in das Verfassungsrecht eingeführt. Hier sind die institutionellen und die personellen Voraussetzungen geschaffen, um das Problem einer gesunden menschlichen Verfassung in den Unternehmungen zu lösen und das starre System einer Sachen- und menschenbeherrschenden Apparatur etwas aufzulockern. Hier hat man mit idem Institut des elften Mannes, mit dem Vertreter öffentlicher Interessen, mit der Feststellung der Verantwortung der Aufsichtsratsmitglieder auch Elemente eingeführt, die der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Großunternehmungen Rechnung tragen.
Meine Damen und Herren, das sind doch alles keine Argumente, die hier vorgebracht werden, um einen organischen Einbau abzulehnen! Wir denken gar nicht an eine Erweiterung des Mitbestimmungsrechts auf andere große Teile der Wirtschaft. Der organische Einbau dieses Mitbestimmungsrechts - das wurde mehrfach dargelegt - würde etwa 200 his 300 Aktiengesellschaften von insgesamt 2400 erfassen. Aber es sind die großen Unternehmungen, in denen die Überlegungen, die im Mitbestimmungsrecht ihren Niederschlag gefunden haben, Berücksichtigung finden müssen.
Wenn Sie versuchen, zu überlegen, was die Bundesregierung und den Herrn Bundesjustizminister veranlaßt haben könnte, von einem Einbau des Mitbestimmungsrechts abzusehen, dann sehe ich nur drei Gründe.
Der erste: Es ist wirklich ein Mangel des Mitbestimmungsrechts, daß es sich auf zwei aus der Gesamtwirtschaft herausgeschnittene Bereiche beschränkt. Vielleicht wollen Sie mit Absicht diesen Mangel nicht beseitigen und damit neue Ansatzpunkte für die Kritik am Mitbestimmungsgesetz geben, die sich in Wirklichkeit nicht gegen das Mitbestimmungsrecht, sondern gegen die aus 'der Not der Zeit geborene und inzwischen sachlich überholte Beschränkung auf Eisen und Stahl und Kohle richtet.
Zweitens: Die Tatsache, daß es sich um ein Sondergesetz handelt, gibt jeder Argumentation Raum, - und davon wird weidlich Gebrauch gemacht -, dieses Mitbestimmungsrecht, das der Herr Bundesjustizminister hier amtlich als einen wesentlichen Bestandteil des Verfassungsrechts darstellt, in der Offentlichkeit draußen als einen Fremdkörper im Verfassungsrecht der Gesellschaften zu diffamieren.
Und ein drittes, meine Damen und Herren: Der Verzicht auf 'den Einbau solcher Elemente einer modernen Unternehmensverfassung macht Ihnen überhaupt nur noch möglich, Ihre auf grundfalschen Voraussetzungen aufbauende Eigentumstheorie für die 'Großunternehmen aufrechtzuerhalten.
Das ist der zweite schwere Mangel des Entwurfs, daß nicht ein einziger Versuch gemacht wird, eine Unternehmungsverfassung zu schaffen, die den heutigen tatsächlichen Verhältnissen gerecht wird.
Und nun lassen Sie mich noch eine grundsätzliche Bemerkung zum Publizitätsrecht machen. Ich gehe auf die einzelnen Probleme der Publizität nicht ein. Hier sind einige Fortschritte zu verzeichnen. Wir sind der Auffassung, daß der Grundsatz der Publizität nicht konsequent durchgeführt worden ist; aber darüber läßt sich im Ausschuß reden. Ich möchte ein anderes, meines Erachtens entscheidendes Problem anschneiden. Der Entwurf macht es sich sehr einfach. Er sagt: Die Gesellschaft sind die Aktionäre; die Aktionäre haben über das Unternehmen zu entscheiden; wenn sie sachgerecht entscheiden müssen, dann müssen sie wissen, was im Unternehmen los ist; darum muß ausreichende Publizität sein. Nun, meine Damen und Herren, diese Argumentation ist durchaus logisch aufgebaut; der Wert hängt davon ab, ob die Prämissen stimmen.
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- Darauf komme ich gleich, daß die Prämissen nicht stimmen. Meine Damen und Herren, dabei haben Sie gar nicht sehr viel Mut gehabt, wirklich Konsequenzen zu ziehen. Das einzige Recht, das Sie dem Aktionär geben wollen, ist das Recht, über die Verwendung des Gewinns und damit über die Dividende zu bestimmen. Weitergehende Rechte kommen diesem Aktionär, der eigentlich zu entscheiden hat, was in dem Unternehmen geschehen soll, auch nach Ihrem Entwurf nicht zu. Sie sind gar nicht in der Lage, die Konsequenz, daß der Aktionär über alle wichtigen Dinge zu entscheiden hat, wirklich zu ziehen, und Sie sind auch nicht in der Lage - das ist bemerkenswert -, die Publizität konsequent durchzuführen; denn schon beim Bewertungsrecht hört es bei Ihnen sehr früh auf.
Sehen Sie, Herr Kollege Atzenroth, das ist es eben, daß, wenn man von der falschen Prämisse ausgeht, daß die Aktionäre in diesen Großgesellschaften Eigentümer sind, die sachgerecht zu entscheiden haben und auch sachgerecht entscheiden können, die an sich logischen Konsequenzen trotzdem falsch sind. Meine Damen und Herren, sollte man nicht in der Frage der Publizität - und ich glaube, da sind wir im Prinzip weitgehend einer Meinung - von realistischeren Voraussetzungen ausgehen? Sollte man nicht sehen, daß die Kleinaktionäre naturgemäß entweder an der Kurssteigerung oder an der Höhe der Dividende interessiert sind? Es ist noch sehr fraglich, woran sie ein höheres Interesse haben, jedenfalls nicht an einer sachgerechten Unternehmungsführung, denn die können sie in den Großgesellschaften nicht beurteilen. Und sollte man nicht auch daran denken, daß es auch bei den Großaktionären noch darauf ankommt, ob das Interesse des Unternehmens oder ihr Vermögensinteresse, z. B. ihren Lebensunterhalt in möglichst großem Umfange aus den Revenuen zu sichern, eine Rolle spielt? Und sollten wir nicht sehen, daß eine große Publizität, die auch den Gewinn ausweist, d. h. einen echten Ausweis der Erträge zum Gegenstand hat, bei der Entwicklung unserer Aktiengesellschaften zwangsläufig die Gefahr einer unsachgemäßen Entscheidung in der Hauptversammlung heraufbeschwört? Daher Ihre Inkonsequenz; daher der Drang, die Publizität, die man erst bejaht, nicht allzuweit auszudehnen; daher der Drang, den Aktionären nicht allzu viele Befugnisse zu geben, und zugleich die Hoffnung, daß die Hauptversammlung über den Hauptaktionär oder über das Depotstimmrecht in jedem Fall richtig gesteuert wird.
Meine Damen und Herren, ich glaube, hier geht es um ein entscheidendes Problem. Professor Kronstein, der an sich die Theorie, daß hier wirtschaftliches Eigentum zugrunde liegt, und damit Ihren theoretischen Ausgangspunkt teilt, kommt zu dem Ergebnis - ich darf es kurz zitieren -:
Das Eigentum des Aktionärs ist kein sachenrechtliches Eigentum. Es gewährt kein unmittelbar dingliches Recht am Gesellschaftsvermögen und kein aus dem sachenrechtlichen Eigentum fließendes Herrschaftsrecht, sondern es gewährt einen mitgliedschaftlichen Anspruch auf einen Bruchteil am jeweiligen Gesellschaftsvermögen. Die AG führt als juristische Person ein Eigenleben, und die Verfügungsmacht des Aktionärs über sein in der Aktie verbrieftes Mitgliedschaftsrecht darf nicht in ein Herrschaftsrecht über Vermögenswerte, die der Gesellschaft gehören, ausgeweitet werden.
Und er zieht die Konsequenz: radikale Publizität, insbesondere auch Ausweis der echten Erträge, aber Entscheidung über die Gewinnverwendung durch die Verwaltung und nicht durch die Aktionäre; das entscheidende Recht der Hauptversammlung soll darin bestehen, auf Grund einer völligen Publizität und eines entsprechenden Auskunft- und Fragerechts die Kontrolle über das Unternehmen auszuüben und diese Kontrolle in der Wahl des Aufsichtsrats zu betätigen.
Meine Damen und Herren, die Vereinigten Staaten von Amerika, deren Wirtschaft ja wohl auf der Anerkennung des privaten Eigentums beruht - ({4})
- Ich nehme zur Kenntnis, daß Herr Atzenroth auch in Frage stellt, ob die Wirtschaftsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika auf dem privaten Eigentum beruhe. Dann sind wir allerdings sehr weit gekommen, wenn jeder den Rahmen unserer Wirtschaftsordnung jeweils so eng zieht, wie es ihm gerade paßt, und damit alle unerwünschten Auseinandersetzungen ausschließt. Aber bis jetzt habe ich immer nur gelesen - und bei meinen Reisen in die Vereinigten Staaten erfahren -, daß d Privateigentum dort tatsächlich eine entscheidende Grundlage der Wirtschaftsordnung darstellt. Sonst pflege ich aus Ihren Reihen, Herr Atzenroth, zu hören, daß auch die Gewerkschaften in Amerika diese privatrechtliche Grundlage des Eigentums anerkennen, während dies leider die Gewerkschaften in Deutschland nicht täten.
({5}) Aber lassen wir das beiseite!
In den Vereinigten Staaten, in denen das Privateigentum eine entscheidende Rolle spielt, ist man jedenfalls zu dem Ergebnis gekommen, daß die Offenlegung wirtschaftlicher Tatbestände wichtiger
ist als die Übertragung der Feststellung des Jahresabschlusses an die Hauptversammlung.
Das ist der dritte Mangel, den ich sehe: daß diese Vulgärtheorie des Eigentumsrechts die Regierung daran hindert, eine realistische Lösung des Publizitätsproblems zu finden; diese Vulgärtheorie, die so tut, als ob bei den großen anonymen Gesellschaften wirklich noch privates Eigentum vorhanden sei, und die mit dieser Gleichstellung denen, die wirklich über privates Eigentum verfügen und auch verfügen sollen, bitter Unrecht tut. Darum haben wir einen eigenen Entwurf gebracht, der die Publizität stärker ausgestaltet und davon ausgeht, daß die Entscheidung über die Gewinnverwendung nicht der Hauptversammlung übertragen werden kann.
Ich habe diese wichtigen Gesichtspunkte aus zweierlei Gründen vorgetragen. Erstens einmal: ich will nicht verkennen - ich habe das bereits angedeutet -, daß dieser Gesetzentwurf auf dem Gebiete der Publizität Fortschritte gegenüber den bisherigen Verhältnissen bringt. Ich will auch nicht verkennen, daß das Dritte Buch, daß die Grundzüge einer modernen Konzernverfassung enthält, gegenüber dem bisherigen Aktienrecht ein Fortschritt ist. Ich will schließlich auch nicht verkennen, daß die Neufassung des ganzen Aktienrechts unter Einarbeitung der Ergebnisse der Rechtsprechung eine rechtstechnische Verbesserung ist. Aber ich frage mich - ich nehme die Frage vom Beginn auf -: ist das eine Reform, die diesen Namen verdient, ist das eine angemessene Lösung, die unserer Zeit entspricht?
Ich habe - ich darf es zusammenfassen - drei entscheidende Feststellungen treffen müssen. Die erste ist, daß die Unterschiede zwischen kleinen, mittleren und großen Unternehmungen einfach nicht gesehen, sondern übersehen werden, daß die Interessen der kleinen und mittleren Unternehmungen und der Familiengesellschaften infolgedessen vernachlässigt und daß die großen Mammutgesellschaften nicht angemessen behandelt werden. Die zweite Feststellung war, daß das Problem der Unternehmensverfassung, obwohl sich aus dem bestehenden Recht und der jetzigen Entwicklung dafür Ansatzpunkte ergeben, überhaupt nicht angepackt ist. Die dritte bezog sich darauf, daß die 'Bedeutung des Publizitätsproblems nicht im Zusammenhang mit der Frage der Rechte der Hauptversammlung gesehen wird und damit der Entwurf bei der Erweiterung des Publizitätsrechts verhältnismäßig früh steckengeblieben ist.
Schließlich, Herr Bundesjustizminister, möchte ich dabei bleiben - ohne daß ich das jetzt näher auszuführen brauche -: die Konzernbestimmungen des Entwurfs, die sich eben nicht nur auf Aktiengesellschaften beschränken sollten, müßten zu einem selbständigen umfassenden Konzernrecht ausgestaltet werden. Eigentlich gehört das Konzernrecht nicht in die Aktienrechtsreform hinein.
Aus allen diesen Gründen sollten wir ernsthaft erwägen, ob mit dem vorliegenden Entwurf wirklich die Voraussetzungen für eine umfassende Reform gegeben sind. Wir neigen zu der Auffassung - ich bin ganz vorsichtig, und wir möchten darüber im Ausschuß mit Ihnen sprechen -, daß man das vordringliche Problem der Publizität vorziehen sollte. Wir haben deshalb, um einen Ansatzpunkt hierfür zu schaffen, einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Wir sind der Auffassung, daß man die Neugestaltung der Unternehmensverfassung in Angriff nehmen sollte und daß man die Verabschiedung einer Reform zurückstellen sollte, bis man auch dieses Kernstück eines modernen Unternehmensrechts in den Griff bekommen hat. Wir meinen endlich, daß das Konzernrecht ein umfassendes Recht sein sollte, das losgelöst vom Aktienrecht behandelt werden sollte.
Nach Abschluß solcher Vorarbeiten wäre wirklich die Grundlage für ein umfassendes Reformwerk gegeben. Wenn behauptet wird, daß die Wissenschaft nicht wesentlich weiter sei als die Bundesregierung mit ihrem Entwurf, so trifft das einfach nicht zu. Ich habe bei mehreren Punkten angedeutet, welchen Stand die Wissenschaft bei der Lösung dieser Probleme schon erreicht hat. Wir sollten uns diese Erkenntnisse der modernen Wissenschaft zu. nutze machen und ein wirkliches Reformwerk verabschieden.
Eines möchte ich allerdings hinzufügen. Wir fürchten sehr, daß die Regierungskoalition in ihrer heutigen Zusammensetzung nicht in der Lage ist, eine Aktienrechtsreform vorzulegen und durchzuführen, die wirklich den Namen einer Reform verdient.
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Meine Damen und Herren, ich habe in der Zwischenzeit feststellen lassen, wie der Justizminister heißt, unter dessen Ägide der Entwurf im März 1930 veröffentlicht worden ist. Es war Justizminister Bredt im Kabinett Brüning. Er gehörte der Wirtschaftspartei an.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wilhelmi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir verhandeln heute zum zweitenmal über die Aktienrechtsreform. Zum erstenmal geschah das noch im letzten Bundestag am 7. Dezember 1960, und nun verhandeln wir heute vor diesem Bundestag. Ich muß feststellen, dieses Gesetz hat offenbar das Mißgeschick, daß in den Debatten ungewöhnlich wenig über das Gesetz selbst gesprochen wird und ungewöhnlich viel über Dinge, die mit dem Gesetz nichts zu tun haben.
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Ich mußte zur Vorbereitung auf den heutigen Tag die seinerzeitige Debatte nachlesen. Dabei konnte ich feststellen, daß zu zwei Dritteln die Debatte über die Volksaktie der CDU und die deutsche Volksaktie der SPD geführt worden ist. Über diese Angelegenheit kann man wohl den Mantel, na, nicht der Liebe, aber des Wahlkampfes decken. Das interessiert heute, wo wir an die sachliche Behandlung dieses Gesetzes herangehen, wohl uns alle nicht mehr.
Heute ist tatsächlich über etwas gesprochen worden, was zwar nicht im Gesetzentwurf steht, aber von der Opposition gern in dieses Gesetz hineingearbeitet werden würde. Oder richtiger gesagt - ein Hineinarbeiten in dieses Gesetz ist wohl schlechterdings nicht möglich -: Die Opposition will, daß dieses Gesetz überhaupt nicht kommt, sondern nur einige Bestimmungen daraus, die dankenswerterweise in den Eingaben der SPD im wesentlichen aus dem Regierungsentwurf abgeschrieben worden sind.
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Im übrigen soll dann dieses bis jetzt nicht ganz klare, etwas schwammige Unternehmensrecht geschaffen werden. Das ist immerhin ein sehr ernstes Problem, das in engem Zusammenhang mit der Aktienrechtsreform steht. Ich bin deshalb dem Herrn Minister ganz besonders dankbar, daß er bei der Einbringung der Vorlage nicht auf einzelne Bestimmungen eingegangen ist, sondern daß er ein ganz zentrales Problem angeschnitten hat, das sich aus der ersten Debatte im 3. Bundestag ergab. Die Frage des einheitlichen Unternehmensrechts ist in der Tat außerordentlich schwierig. Ich kann nur feststellen, Herr Kollege Deist, daß in der Wissenschaft bisher gar nichts Konkretes erreicht worden ist, wenn man vielleicht von den Vorschlägen absieht, die Herr Rechtsanwalt Kunze vom Gewerkschaftsverband gemacht hat. Sie stehen aber ziemlich allein da und haben wenig, um nicht zu sagen, gar keinen Widerhall in der Wissenschaft gefunden.
Die Wissenschaft geht bisher davon aus, daß man der Wirtschaft verschiedene Rechtsformen zu ihrer Betätigung 'zur Verfügung stellen soll und daß es ihr überlassen bleiben muß, welche dieser rechtlichen Formen sie anwenden will. Sie wird die Form anwenden, die jeweils für die Größe des Unternehmens, für die Art der Betätigung, für die Notwendigkeit der Kapitalbeschaffung und dergleichen am günstigsten ist. Wir haben deshalb auf dem Gebiet der juristischen Personen die beiden Formen, die Aktiengesellschaft und die GmbH. Damit haben wir - über den Daumen gepeilt gesprochen - auf der einen Seite für kleinere Gesellschaften, die einen geschlossenen Mitgliederkreis haben, eine Konstruktion zur Verfügung gestellt, nämlich die GmbH, und auf der anderen Seite für die Großgesellschaften und damit auch für die heute vorhandenen ganz großen Unternehmungen eine andere Gesellschaftsform, nämlich die Aktiengesellschaft, die aber durchaus auch für die kleinen Unternehmen praktikabel ist.
Es gibt natürlich unter den ganz kleinen Gesellschaften Fälle, für die der Mantel, der jetzt für die Aktiengesellschaften geschneidert wird, nicht paßt. Nun, dann mögen diese Aktiengesellschaften in die GmbH hinübergehen, sie mögen sich die Form aussuchen, die für sie geeignet ist. Aber ich glaube nicht, daß das in der Praxis eine große Rolle spielen wird.
Der Herr Justizminister hat bei seinen Ausführungen an die Debatte über die Einführung eines einheitlichen Unternehmensrechts angeknüpft, wie es von der Opposition vorgeschlagen war. Es ist immerhin fünf viertel Jahre her, daß dieser Gedanke hier vorgetragen wurde. Ich nehme an, er ist Ihnen schon vorher gekommen, denn er ist ja bereits vorher erörtert worden. Dennoch ist bis heute nichts Konkretes vorgelegt worden. Was hier vorgelegt worden ist, hat doch mit dem großen Gedanken, ein Unternehmensrecht zu schaffen, gar nichts zu tun, und das enttäuscht mich sehr. Wenn schon von Ihnen beantragt wird, das ganze Aktienrecht zurückzustellen und ein Unternehmensrecht zu schaffen, dann muß doch wohl etwas präziser gesagt werden, was los ist. Es hätte doch einmal ein Rohentwurf -gemacht werden müssen, der eine Grundlage für eine Reform darstellt. Das ist nicht geschehen. Sie haben praktisch - mit ganz kleinen Änderungen, die allerdings in die Sache gehen - das vorgelegt, was Sie vor fünfviertel Jahren vorgelegt haben. Das war eine große Enttäuschung für mich. Ich habe gedacht, es gibt jetzt etwas Neues. Aber dieses Neue kommt von Professor Kronstein. Es ist anerkennenswert, daß das hineingearbeitet ist; darüber werden wir diskutieren müssen. Aber es ist etwas erschütternd und eigentlich etwas beschämend, daß wir uns hier wieder über das Unternehmensrecht unterhalten müssen, ohne daß eine klare Konzeption vorliegt.
Auch das, was hier als Kritik an dem Entwurf der Regierung vorgetragen worden ist, läßt gar keine Konzeption erkennen. Damit steht diese Kritik in deutlichem Gegensatz zu dem Regierungsentwurf, der eine sehr klare Konzeption erkennen läßt. Gut, Sie lehnen sie ab und sagen, man dürfe nicht in der Weise von dem Privateigentum, von dem wirtschaftlichen Eigentum des Aktionärs ausgehen, wie das in dem Entwurf geschehen sei, denn es gebe innerhalb einer Aktiengesellschaft neben dem wirtschaftlichen Eigentum noch eine ganze Reihe anderer Kräfte und Aufgaben, die bei dem Organisationsrecht, um das es sich bei der Aktienrechtsreform handle, zu berücksichtigen seien. Das ist selbstverständlich richtig. Aber man muß doch von einer klaren Konzeption ausgehen. Der Entwurf hat die in der Wissenschaft vertretene privatrechtliche Auffassung aufgegriffen, der wir von der CDU/CSU von ganzem Herzen und aus voller Überzeugung zustimmen. Für uns kann gar nichts anderes der Ausgangspunkt sein als das Privateigentum und die sich daraus ergebenden Kontrollrechte des Aktionärs über die anderen Organe, die eine Gesellschaft selbstverständlich haben muß.
Das ist das eigentliche Problem bei jeder Aktienrechtsreform: die Rechte der Aktionäre als der wirtschaftlichen Eigentümer abzugrenzen gegen die notwendigen Rechte, die der Vorstand in der Führung der Geschäfte einer Aktiengesellschaft haben muß, damit die Aktiengesellschaft im Wirtschaftsleben überhaupt tätig werden kann, und gegen die Rechte des Aufsichtsorgans, des Aufsichtsrates. Diese Rechte richtig abzugrenzen, ist und bleibt das Problem bei jeder Aktienrechtsreform, und damit müssen wir uns hier auseinandersetzen. Es ist natürlich wichtig, klar zu erkennen, von welchen Grundsätzen wir ausgehen. Man kann nicht ein Gesetz machen, das überhaupt keine Grundsätze hat und das die Dinge rein zufällig ordnet. Im Grunde genommen ist die Frage des Privateigentums des Aktionärs eng mit der Frage verknüpft: Wer übt die Kontrolle über
die übrigen Organe der Gesellschaft aus? Das ist die entscheidende Frage, und deshalb kommt man praktisch, wenn man die Kontrolle dies Aktionärs ablehnt und sagt, der ist gar nicht in der Lage, diese Kontrolle auszuüben, immer mehr zu einer Entwicklung, die in einer öffentlichen Aufsicht irgendwelcher Art enden muß. Das wäre das Ende der privatwirtschaftlichen Natur unserer großen Gesellschaften und damit ein tödlicher Stoß gegen die soziale Marktwirtschaft, die wir betreiben.
Infolgedessen ist es richtig, wenn man im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft und aus dem Gedanken des Privateigentums alles tut, um den Aktionär zu aktivieren und ihm die Kontrollfunktionen zu geben, die ihm als dem Eigentümer zustehen. Meine Damen und Herren, es ist selbstverständlich, daß der Aktionär nicht Eigentümer des Unternehmens und auch nicht Miteigentümer des Unternehmens in dem Sinne ist wie irgendein Mann, der sich ein Haus kauft, Eigentümer dieses Hauses ist und selbstverständlich auch darüber verfügen kann.
Aber es ist auch nicht richtig, was Herr Kollege Deist gesagt hat: daß dieses Mitgliedschaftsrecht, das rein juristisch betrachtet das wirtschaftliche Eigentum des Aktionärs am Unternehmen ist, nicht von unserer Rechtsprechung als Eigentum aufgefaßt würde. Sie haben zwar die Rechtsprechung und Literatur zur Weimarer Verfassung zitiert, Herr Deist, aber Sie haben nicht zitiert, was heute unstreitig ist: daß unter Art. 14 unseres Grundgesetzes, nämlich Schutz des Eigentums, auch derartige Rechte wie Mitgliedschaftsrechte fallen.
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- Dann habe ich geschlafen; ich bitte um Entschuldigung.
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Wir sind uns dann also darüber einig, daß heute nach unserem Grundgesetz dieses Mitgliedschaftsrecht als eigentumsähnliches Recht behandelt wird, und darauf kommt es uns an. Denn alle diese eigentumsähnlichen Rechte sind die, Grundlage, auf der nach unserer Auffassung die Wirtschaft basiert.
Nun hat der neue Entwurf in der Tat einen entscheidenden Schritt in dieser Richtung getan. Sie berufen sich auf Rathenau, der im Jahre 1922 führend war in der Aufstellung der These, daß es ein Unternehmen an sich gebe, daß es Interessen gebe, die das Unternehmen unter Umständen gegen seine Aktionäre vertreten müsse. Das ist etwas lange her, und die Wissenschaft ist längst über diese These hinweg, weil sie nämlich erkannt hat, daß diese These des Unternehmens an sich zu nichts anderem führt als dazu, die jeweilige Verwaltung zu stärken. Denn ein Unternehmen an sich gibt es nicht.
Wir Juristen sind zwar sehr tüchtige Leute. Wir haben es fertiggebracht, eine juristische Person zu erfinden und diese juristische Person im Rechtsleben so zu stellen wie eine natürliche Person. Aber eins haben wir nicht gekonnt: Wir haben ihr nicht Geist einhauchen und haben sie nicht lehren können, als Unternehmen an sich zu denken und zu handeln; dazu brauchen wir vielmehr Menschen, und diese Menschen sind eben der Vorstand, der Aufsichtsrat und die Hauptversammlung. Die müssen das tun und tun's ja auch, und ich darf hinzufügen: sie tun's sehr gut. Aber das Problem bleibt natürlich bestehen, daß eine solche Gesellschaft ihren Willen in verschiedenen Gremien bilden muß und daß die Tätigkeit dieser Gremien sinnvoll koordiniert sein muß. Ich gebe Ihnen völlig recht, Herr Dr. Deist, daß nicht der Aktionär allein bestimmen kann und bestimmen soll. Aber das können Sie doch auch wirklich nicht aus dem Entwurf herauslesen. Meines Erachtens ist in diesem Entwurf sehr sauber entwickelt, daß der Aktionär über alles das bestimmen soll, was sein Geld angeht, wenn ich es mal primitiv sagen soll. Er hat ein erhöhtes Mitbestimmungsrecht nach dem neuen Entwurf bei der Frage der Gewinnverteilung, die ihn besonders angeht. Er stellt sein Geld zur Verfügung, also muß er auch mit darüber entscheiden können, wieviel an Gewinnen als Verzinsung seines hineingesteckten Geldes an ihn auszuschütten ist, und wieviel etwa aus dem Gewinn wieder neu angelegt wird, wieviel also von seinem Geld in das Unternehmen hineinkommt. Das ist eine ganz vernünftige Regelung und ist einer der Punkte, durch die die Stellung des Aktionärs verstärkt wird.
Ich habe an diesem Punkt des Entwurfs eine gewisse Kritik anzumelden, daß nämlich hier vielleicht der Verwaltung zu enge Grenzen gezogen sind. Ich bin der Auffassung, daß die Entscheidung über die Frage, wieviel Gewinn auszuschütten ist, bis zu einem gewissen Grad Aufgabe der Verwaltung sein muß; denn sie ist dafür verantwortlich, daß der Bestand und die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens erhalten bleibt. Das kann nicht bestritten werden. Aber nun kommen wir zu dem etwas umstrittenen Punkt, inwieweit die Verwaltung auch die Verantwortung allein dafür tragen muß, daß Rücklagen geschaffen werden, um beispielsweise Strukturveränderungen, die im Unternehmen notwendig sind, vorzunehmen. Wir werden uns in den Ausschüssen darüber unterhalten müssen, ob die in ,dem Entwurf gesetzten Grenzen richtig sind. Aber das sind Einzelfragen, auf die ich nicht eingehen will. Der Entwurf sieht auch an dieser Stelle vor, daß der Aktionär eine stärkere Stellung haben soll.
Was können wir nun unter dem Gesichtspunkt der Stärkung des Aktionärs in der Gesellschaft Entscheidendes tun? Ich glaube, das Wichtigste ist, daß wir dem Aktionär und auch demjenigen, der Aktionär werden will, zunächst einmal sagen, was eine Aktie wert ist. Dieses Thema haben wir schon in der Kleinen Aktienrechtsform angeschnitten, nämlich das Thema der Publizität in der Gewinn- und Verlustrechnung. Jetzt gehen wir auch an die Bilanzen heran und vor allem an die Bewertungsprinzipien für Rücklagenbildung, stille und offene Rücklagen. Das scheint mir eines der wichtigsten Themen zu sein.
In diesem Zusammenhang ist von Herrn Deist Herr Kronstein erwähnt worden, der eine sehr wichtige Schrift zu diesem Thema geschrieben hat, dem man in manchen Punkten zustimmen kann.
Wir werden uns auch darüber im Ausschuß eingehend unterhalten müssen. Es geht nicht, daß man die amerikanischen Prinzipien, die sich teilweise aus einem ganz anderen Aufbau des Aktienrechts ergeben haben, einfach auf unsere Verhältnisse überträgt. Das sind also Dinge, über die man im Ausschuß noch reden muß.
Aber es ist nun doch nicht richtig, was Herr Deist gesagt hat, daß der Aktionär nur die Möglichkeit habe, bei der Gewinnverteilung. und bei der Wahl des Aufsichtsrats mitzuwirken. Es sind ihm eine Fülle von Rechten gegeben, die noch weiter ausgebaut werden. Zu diesen Rechten gehört z. B. das Auskunftsrecht:
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Das Auskunftsrecht ist wesentlich dadurch ausgebaut worden, daß die Anfechtung der Verweigerung des Auskunftsrechts in einem besonderen Gerichtsverfahren eingeführt ist. Im übrigen gibt es das Anfechtungsrecht als solches für Beschlüsse über die Verwendung von Gewinnen, das neu und praktisch geregelt ist, so daß der Aktionär also eine Fülle von Rechten hat, die letzten Endes darauf hinauslaufen, die Verwaltung zu kontrollieren. Alle diese Dinge sind ja eine Auswirkung der Kontrolle über die Tätigkeit der Verwaltung. Die Frage, wie der Aufsichtsrat gewählt wird und damit das Organ, das u. a. die Vertretung der Aktionäre darstellt, vor allem aber das eigentliche Aufsichtsratsorgan, wird in den Ausschüssen noch sehr eingehend behandelt werden müssen. Ich glaube, hier liegt in der Tat ein sehr ernstes Anliegen vor. Wir sind auch der Auffassung, daß die Hauptversammlung in irgendeiner Weise griffiger gestaltet werden muß, daß irgendeine Lösung dafür gefunden werden muß, wie gerade die Wahl des Aufsichtsrats auch durch eine Riesenhauptversammlung noch praktikabel ist. Das ist eine echte Aufgabe, und das gehört logischerweise in den ganzen Gedankenzug des neuen Entwurfs hinein. Es ist ja mit Recht von Ihnen, Herr Deist, gesagt worden, man müsse dem Aktionär mehr Rechte geben. Gut, dazu sind wir durchaus bereit. Wir wollen dem Aktionär mehr Rechte geben. Aber wir sind der Ansicht, daß er typisch dafür da ist, die Kontrolle auszuüben, wobei ich nicht meine, daß er es selber machen muß.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Deist?
Bitte sehr!
Herr Kollege, darf ich Sie im Anschluß an diese, wie ich meine, sehr bemerkenswerten Ausführungen fragen: Sind Sie wirklich der Auffassung, daß Ihr Beitrag zu diesem wichtigen Problem der Unternehmensverfassung wesentlich konkreter war als das, was Sie an unseren Ausführungen zu diesem Problem bemängelten? Ich will damit nur fragen: Ist das nicht ein Problem, bei dem wir uns solche Vorwürfe nicht machen sollten, weil es sich wirklich um eine schwierige Aufgabe handelt?
Herr Kollege, Sie zeigen in der Tat eine Wunde auf. Ich gebe zu, daß das eines der wenigen Probleme im Aktienrecht ist, bei dem ich bis jetzt keine Lösung gefunden zu haben glaube. Aber das ist ein einziges Problem, und Sie haben uns ein ganz großes Gesetz offeriert, ohne auch nur eine Idee ausführen zu können. Also ich glaube, da liege ich noch ganz gut im Rennen im Verhältnis zur SPD.
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Also wir werden uns mit diesem Problem befassen, und ich bin jedem dankbar, der hier eine Anregung bringt.
Was müssen wir weiter für den Aktionär tun, und was hat der Entwurf in dieser Richtung getan? Wir müssen dafür sorgen, daß der Wille des Aktionärs in der Hauptversammlung tatsächlich zum Ausdruck kommt. Damit stehen wir sofort vor dem Problem des Depotstimmrechts der Banken. Ich bin der Auffassung, daß die Lösung, die der Entwurf hier vorsieht, durchaus akzeptabel ist. Sie führt nämlich dazu, daß der Aktionär gezwungen ist, sich vor jeder Hauptversammlung darüber schlüssig zu werden, ob er der Bank eine Vollmacht geben will oder nicht. Dadurch wird verhindert, daß mit der Stimme eines Aktionärs, der seine Stimme im Grunde überhaupt nicht abgeben will, weil ihm die Sache ganz gleichgültig ist, ein anderer abstimmen kann. Also es wird verhindert, daß eine Stimme, die der Inhaber gar nicht abgeben will, von einem Dritten abgegeben wird.
Das scheint mir das einzige zu sein, was am Depotstimmrecht bisher nicht in Ordnung war. Es geht nach unserer ganzen Rechtsauffassung nicht an, daß man jemandem verbietet, den Bevollmächtigten zu bestellen, den er sich wünscht. Die Banken sind ja in der Tat die geborenen Vertreter der Aktionäre in den Hauptversammlungen. Denn sie sind die Orientiertesten, sie sind in der Lage, Fachleute in die einzelnen Hauptversammlungen zu schicken, die auch dann, wenn einmal eine unvorhergesehene Situation eintritt, von sich aus sachgemäß entscheiden könhen. Also es ist absolut richtig, daß man das Depotstimmrecht beibehält und nicht etwa, wie das einmal verlangt worden ist, ganz streicht. Aber ich halte es für wichtig, daß die Gewähr dafür geboten ist, daß sich der Aktionär vor jeder Hauptversammlung in Kenntnis der Tagesordnung der Hauptversammlung entscheidet, ob er bevollmächtigen will.
Zweitens kann und soll er nach dem Gesetzentwurf zusammen mit dieser Vollmacht Weisungen geben, an die die Bank dann gebunden ist. Gibt er solche Weisungen nicht, so erteilt er der Bank eine Vollmacht, im Sinne der Verwaltungsvorschläge zu stimmen.
Diese Regelung unterscheidet sich von der bisherigen Regelung dadurch, daß in Zukunft eine Spezialvollmacht für jede Hauptversammlung gegeben werden muß, während bisher einmal im Jahr eine Ermächtigung an die Bank gegeben wurde, die sich auf sämtliche Aktien bezog, die der betreffende Kunde im Depot der Bank hatte. Diese besondere Bevollmächtigung verhindert es, daß nur eine soge598
nannte Pseudovollmacht vorliegt, daß nämlich von einer Vollmacht Gebrauch gemacht wird, bei deren Erteilung sich der Aktionär gar nicht darüber klar war, was nun eigentlich im einzelnen mit ihr geschehen würde. Damit ist aber auch alles nur Mögliche getan, um 'den wirklichen Willen des Aktionärs zum Ausdruck zu bringen, und sei es der Wille des Aktionärs, daß er sagt: Gut, ich gebe eine Vollmacht ohne Weisung. Dann hat er eben Vertrauen zu der Bank, daß sie das schon richtig machen wird, und dieses Vertrauen darf man ihm nicht einfach wegnehmen und sagen: du darfst der Bank keine Vollmacht geben.
Ich bin auch eindeutig gegen die im Volkswagengesetz vorgesehene Beschränkung, daß die Banken nur bis zu 2 % des Kapitals vertreten können. Ich bin dagegen, einfach aus meiner Erfahrung mit dem Volkswagengesetz heraus. Das hat nämlich nur dazu geführt, daß ein Teil der Aktionäre, die ihre Aktien bei den Großbanken hinterlegt hatten - nur die Großbanken kommen in Frage - und die nicht abstimmen konnten, weil die Zeit aus technischen Gründen nicht langte, die Aktien woanders anlegen. Ich sehe da auch gar keine Gefahr. Wieviel Anteile jemand vertritt, der eine echte Vollmacht hat, soll mir gleich sein.
Nun zu der Frage des weiteren Schutzes der Aktionäre. Auch das spielt eine erhebliche Rolle, vor allem im Konzernrecht. Natürlich kann ich hier nicht auf Einzelheiten eingehen. Wir haben einen sehr weitgehenden Schutz der Minderheiten im neuen Aktienrecht. Die Anträge der SPD gehen noch darüber hinaus. Das wird noch zu beraten sein. Ich glaube, daß das, was im Gesetz festgelegt ist, genügt. Es steht auch in einem organischen Zusammenhang mit den sonstigen qualifizierten Mehrheiten im ganzen Gesetz. Aber das sind alles Einzelheiten, über die wir uns unterhalten können.
Das Entscheidende ist wohl, daß wir an der Gesamtkonzeption des Entwurfs festhalten und daß wir von der CDU/CSU diesen Entwurf voll und ganz begrüßen. Alle Vorschläge, die wir zu machen haben, werden nicht, wie es heute in einem Artikel in der „Welt" heißt, der Regierung Schwierigkeiten machen. Vielmehr werden sich alle Vorschläge, die wir zu machen haben - und wir haben eine ganze Masse von Vorschlägen, die wir bei den Beratungen anbringen werden; Gott sei Dank, daß wir noch eigene Ideen haben -, in der Richtung der Grundgedanken des Entwurfs bewegen.. Sie werden höchstens dazu beitragen, diese Grundgedanken zu vertiefen und festzulegen.
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Schließlich darf ich zur Beruhigung der Opposition sagen: wir Deutschen neigen sehr dazu, immer vom Grundsätzlichen auszugehen. Das hat etwas Gutes; wir . wollen die deutsche Art nicht verleugnen. Aber es passiert manchmal, daß wir uns stundenlang über die Grundsätze streiten, daß sich dann aber folgendes ereignet - das sehe ich häufig auch in der großen Politik -: daß das Ziel dasselbe ist. Das Ziel nämlich, daß unsere großen Aktiengesellschaften, bei denen ein großer Teil unserer Wirtschaftskraft liegt - darüber sind wir einig - auch unter dem neuen Gesetz so gut funktionieren wie unter dem bisherigen Gesetz und nach Möglichkeit noch besser; denn davon sind wir alle abhängig. Im Ziel sind wir uns also einig.
Ich darf sagen, die Gesamtkonstruktion der Aktiengesellschaft - ich meine jetzt nicht die Unterschiede zwischen dem alten und neuen Gesetz, sondern die Aktiengesellschaft allgemein - hat sich bewährt.
Ich möchte noch etwas sagen, was mir am Herzen liegt. Es wird soviel in wegwerfender Weise vom sogenannten Managertum gesprochen. Das ist ein Begriff, der sich aus der Tatsache ergibt, daß bei den großen Gesellschaften die eigentliche Leitung und das Eigentum nun einmal auseinanderfallen. Es regt sich kaum ein Mensch auf, wenn ein Einzelkaufmann große und vielleicht auch gewagte Geschäfte macht, weil man das Gefühl hat: er trägt wirklich die Verantwortung; wenn es schief geht, hat er sein Vermögen verloren. Das ist bei den großen Aktiengesellschaften insofern nicht der Fall, als der Vorstand keinen persönlichen Schaden hat, wenn es der Gesellschaft schlecht geht. Den Schaden hat der Aktionär, und deshalb soll der Aktionär auch den Vorstand beaufsichtigen.
Es hat sich aber doch gezeigt, daß der unternehmerische Geist, der in jeder Wirtschaft vorhanden sein muß und der letztlich entscheidend dafür ist, eine Wirtschaft voranzubringen, in den Vorständen unserer Aktiengesellschaften in hervorragender Weise vertreten 'ist. Deshalb sollten wir bei allem, was wir tun, um das Privateigentum des Aktionärs in seinen Kontrollrechten, in seinen maßgeblichen Funktionen zu stärken, nicht vergessen, daß für das Funktionieren der Wirtschaft das Funktionieren der unternehmerischen Leitung - neben anderen Faktoren natürlich - entscheidend ist.
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Über das Konzernrecht wäre noch unendlich viel zu sagen. Aber lassen Sie mich mit diesen Worten schließen: ich .glaube, hier ist ,ein bahnbrechender Schritt gemacht worden. Das muß sich alles noch bewähren. Wir werden nicht allzuviel Änderungswünsche haben; aber es gibt Probleme, über die wir sprechen müssen. Gehn wir alle an die Arbeit in den Ausschüssen! Ich könnte 'mir denken, Herr Deist, daß wir, wenn wir diese Arbeit hinter uns haben, sagen: Wir gingen zwar von ganz verschiedenen Ausgangspunkten aus, wir redeten viel über die Prinzipien, aber zum Schluß haben wir in der praktischen Arbeit einige Übereinstimmung erzielt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Wir führen diese Debatte zum zweiten Male. Wesentlich neue Gesichtspunkte sind nicht vorgetragen worden und werden auch von mir nicht zu erwarten sein.
({0})
- Herr Dr. Deist, alles das haben wir im vergangenen Jahr gehört,
({1})
und was ich Ihnen sage, 'haben Sie wahrscheinlich auch gehört. Wir wollen ja erst an die praktische Arbeit herangehen.
Die Haltung der Freien Demokratischen Partei ist heute, wo sie in der Regierung ist, keine andere als die, die sie im vergangenen Jahr vertrat, als sie Oppositionspartei war. Ich könnte meine Ausführungen aus ,dem vergangenen Jahr fast wörtlich wiederholen.
Ich hoffe nur, daß dieses Gesetz, das wir begrüßen, den Engpaß des Rechtsausschusses überwinden wird und daß wir es wirklich frühzeitig verabschieden können. Ich hätte es für günstiger gehalten, wenn der Wirtschaftsausschuß schneller in die Arbeit hätte hineingebracht werden können.
Meine Damen und Herren, ich mache deshalb nur einige grundsätzliche Ausführungen und setze mich in einigen Punkten mit dem Kollegen Deist auseinander.
Dieser Gesetzentwurf entspricht im wesentlichen unseren Vorstellungen vom Eigentumsbegriff, wenn wir auch eine Reihe von Wünschen haben, deren Erfüllung unseren Idealen mehr entspräche.
In dem Aktionär sehen wir in erster Linie den Eigentümer der Gesellschaft. Ich bin der Meinung, daß Eigentum, über das ich nicht verfügen kann, praktisch kein Eigentum ist.
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Deswegen ist die Stärkung des Rechts, Herr Dr. Deist, über den Gewinn und seine Verwendung zu bestimmen, notwendig, während Sie das dem Aktionär vorenthalten wollen; wir wollen es ihm geben.
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- Sie haben recht: jetzt ist es ihm vorenthalten; aber wir wollen es ihm mit diesem Gesetz geben. Hier liegt der Unterschied unserer beiderseitigen Auffassungen. Wir halten das jetzt noch gültige Recht von 1937 - mit dem Führerprinzip auch auf dem wirtschaftlichen Gebiet - für überholt und nicht mehr angemessen.
Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Deist?
Herr Kollege Atzenroth, kennen Sie die erste Seite der Begründung des Bundesjustizministeriums, die dieser sehr unfruchtbaren Diskussion, die Sie soeben beginnen, den Boden entzieht und deutlich sagt, daß es nicht richtig wäre, zu behaupten, daß die wesentlichen Grundlagen des Gesetzes von 1937 auf nationalsozialistischen Überlegungen - Führerprinzip usw. - beruhten, sondern auf eingehenden Erörterungen über eine Aktienrechtsreform, die jahrelang vorher angestellt worden sind?
Es wäre natürlich vermessen von mir, auf die Tribüne zu gehen, wenn ich die erste Seite nicht gelesen hätte. Ich habe hier die Aufgabe, nicht für die Regierung, sondern für die Freie Demokratische Partei zu sprechen. Das ist ein kleiner Unterschied, nicht wahr?
Herr Dr. Deist, wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe, teilen Sie unseren Begriff vom Eigentum, soweit die kleinen, mittleren und insbesondere .die Familien-AG in Frage kommen. Für diese haben Sie eine Sonderregelung gewünscht und gefordert, die, soviel ich das aus Ihren Ausführungen habe entnehmen können, im wesentlichen dem entspricht, was auch der Regierungsentwurf vorsieht.
({0})
- Es geht noch weit darüber hinaus, umfaßt also noch weitere Rechte. Wenn Sie diese Rechte konkretisieren, Herr Dr. Deist, würden Sie wahrscheinlich - ich weiß noch nicht, wie sie aussehen -unsere Zustimmung haben. Wenn Sie darüber hinaus weitergehende Rechte für kleine, mittlere und insbesondere Familien-AG wünschen und fordern, mögen Sie das konkret sagen. Wir sind dann wahrscheinlich bereit, Ihnen sehr weitgehend zu folgen.
Der Streit zwischen uns über den Eigentumsbegriff bezieht sich also im wesentlichen auf die großen Gesellschaften. Dort bestreiten Sie, daß man noch mit dem Eigentumsbegriff bei der Aktie operieren könne.
Sie haben uns zunächst einige Beispiele aus der Weimarer Zeit vorgetragen, in der sich eine Entwicklung abzeichnete, die Ihren Gedankengängen entsprach. Aber die Weimarer Zeit glauben wir jetzt überwunden zu haben. Beispiele, die Sie vorgetragen haben, sind für uns, besonders was die Personen angeht, auch nicht sehr überzeugend. Sie haben ein Zitat vorgetragen, das von dem damaligen Justizminister Dr. Bredt von der Wirtschaftpartei stammt. Aber das kam aus der ganzen Sphäre seiner Beamten wie des Herrn Schlegelberger usw. Dessen Gedankengut wollen wir doch heute auf keinen Fall kritiklos übernehmen. Er ist der Verfasser der Ausführungen, die sein Minister nach Ihrer Darlegung dann vorgetragen hat.
Auch Rathenau ist für uns heute kein Kronzeuge mehr. Ich gestehe Ihnen ganz offen, daß ich in meiner Jugend die Schriften von Walther Rathenau begeistert gelesen habe. Aber wenn ich sie heute nachträglich wieder einmal durchlese, stoße ich auf viele Dinge, die heute völlig wirklichkeitsfremd wirken. Er konnte ja auch nicht die Entwicklung voraussehen, die wir insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet der Wirtschaft genommen haben, insbesondere diese Art der Marktwirtschaft, die wir damals ja nicht hatten.
Was die Aktiengesellschaften angeht, so war auch in der Weimarer Zeit keine breite Streuung von Aktionären vorhanden. Sie gibt heute ganz andere Grundlagen für die Betrachtung dieser Fragen. Lassen wir also die Beispiele aus der Weimarer Zeit. Sie können uns heute nicht mehr überzeugen.
Herr Dr. Deist, Sie sind in Ihrer Kritik unseres Eigentumsbegriffs merkwürdige Wege gegangen, Sie haben zunächst einmal sehr drastisch aufgezeigt, wie wenig die kleinen Aktionäre in Wirklichkeit ihre Rechte ausüben können. Ich gebe Ihnen da völlig recht. Der kleine Aktionär des Volkswagenwerks kann sein Eigentumsrecht verhältnismäßig nur gering ausnutzen. Trotzdem bleibt sein Eigentumsrecht. Wollen Sie ihm das wegnehmen? Wollen Sie ihn zu einem Darlehensgeber, oder was weiß ich, degradieren? Er will es doch nicht! Er will Aktionär sein, er will Anteilsrechte haben. Denn sonst kaufte er sich doch ein anderes Papier.
Außerdem ist es in unserer Massengesellschaft unvermeidbar, daß man nur geringe Möglichkeit hat, sein Recht auszuüben. Meine Herren von der SPD, wie übt denn das Mitglied einer Gewerkschaft sein Recht aus, wenn es unter 25 000 Menschen steht?
({1})
Wie kann das einzelne Gewerkschaftsmitglied, wenn es etwa anderer Meinung ist, diese Meinung zum Ausdruck bringen? Doch praktisch nicht. Das ist ein ähnliches Beispiel. Wollen Sie ihm deswegen die Mitgliedsrechte innerhalb dieser Gewerkschaft entziehen?
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- Aber Herr Dr. Deist, ich habe doch kein Wort B) vom Depotstimmrecht gesagt! Sie wollen das Eigentumsrecht des kleinen Aktionärs verneinen,
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weil er nicht die Möglichkeit hat, sein Eigentumsrecht wirkungsvoll auszuüben. Er kann es nur mit seiner kleinen Stimme ausüben, und das ist für Sie nicht wirkungsvoll genug. Sie wollen damit den Eigentumsbegriff in Frage stellen, und damit habe ich den Vergleich gezogen.
Der Aktionär soll sein Recht selbst ausüben können. Er soll insbesondere - und wir wollen ihm das Recht verstärken - über das Eigentum auch dadurch verfügen, daß er bei der Festsetzung des Ertrages seines Unternehmens und über die Verwendung des Ertrages mitbestimmt.
Damit kommen wir gleich zu dem großen Problem, das ja auch hier bei der Frage der Aktienrechtsänderung angeschnitten ist, dem Problem der Konzentration wirtschaftlicher Macht. Zweifellos sind die Gefahren einer solchen Konzentration, die Sie ja auch sehen, in erster Linie bei großen Aktiengesellschaften vorhanden. Die Macht wird ausgeübt durch die Leitungen der Gesellschaften, und wenn wir deren Rechte beschneiden, so tun wir einen ersten Schritt, um gegen diese Machtkonzentration anzugehen. Wollen Sie, Herr Dr. Deist, wenn Sie an die Stelle des bisherigen eine Art Unternehmensrecht setzen, nun jemandem anders diese Machtausübung übertragen und wem? Das haben Sie uns nicht gesagt. Wer soll bei Ihrer neuen Form - wie nannten Sie das: des sozialen Gesellschaftsrechts, der Ausgestaltung des sozialen Gesellschaftsrechts - diese Macht anstelle des Aktionärs aus- (I üben? Wir würden es für außerordentlich unglücklich halten, wenn Sie an diese Stelle irgendeine öffentliche Macht, irgendeine staatliche Stelle setzen wollten. Denn, Herr Dr. Deist, nehmen Sie es mir nicht übel, das wäre doch - ({4})
- Ja, aber Sie haben uns nicht gesagt, wer diese Rechte anstelle des Aktionärs ausüben soll. Sie haben hier doch ausführlich dargelegt, daß der kleine Aktionär nicht die Möglichkeit der Ausübung seiner Rechte hat. Also: wer soll sie an seiner Stelle ausüben? Das sagen Sie uns nicht.
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- Ja, aber Herr Lange, „gemeinsam überlegen" - wenn Sie hier Ihre Kritik anbringen, dann müssen Sie doch natürlich Ihre kritischen Gedanken so konkretisieren, daß wir zu diesen Gedanken Stellung nehmen können. Wir sind der Meinung: der Aktionär soll dieses Recht ausüben kraft seines Eigentums. Das ist unsere Überlegung. Wenn Sie eine andere haben, bitte, sagen Sie sie! Dann werden wir dazu Stellung nehmen. Solange Sie das nicht tun, müssen wir unterstellen - oder befürchten, will ich lieber sagen,
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- befürchten, Herr Lange! -, daß Sie an diese Stelle staatliche Organe setzen wollen, also das, was man früher eben Sozialisierung nannte, hier, bloß auf dem anderen Wege, wieder einführen wollen.
Auch wir sind für die Verstärkung der Publizität. Darin sind wir einig. Mir ist nicht ganz klargeworden, ob Herr Dr. Deist die hier vorgesehenen Veröffentlichungspflichten noch weiter ausgedehnt haben wollte. Sie sagten, wenn ich Sie recht verstanden habe, der Aktionär könne aus den Publizierungen, die jetzt nach dem Gesetz vorgeschrieben sind, nicht alles ersehen; er könne z. B. die Bewertungen nicht überprüfen. Wollen Sie die Publizität so weit ausdehnen, daß auch die einzelnen Bewertungsfragen vor der Öffentlichkeit breitgelegt werden? Das, glaube ich, würde doch auch von Ihnen als zu weitgehend betrachtet werden. Wir stimmen mit Ihnen darin überein, daß wir weitgehende Publizitätsvorschriften fordern. Wir ziehen daraus aber nicht dieselbe Folgerung, die man in Amerika zieht. Dort ist festgelegt, daß der Aktionär über die Verwendung dieses Ertrages nicht mitbestimmen darf. Darauf bezog sich vorhin mein Einwand, wir könnten die Amerikaner nicht als Vorbild in allen Eigentumsfragen ansehen. Die Amerikaner - das war der Grund für meinen Zwischenruf vorhin - gestehen dem Aktionär nicht das Recht zu, über dieses Eigentum, den Ertrag, der ihm offengelegt wird, auch zu bestimmen. Das macht das Management, und der amerikanische Aktionär muß sich mit dem begnügen, was ihm von der Unternehmensleitung
als Anteil zugebilligt wird. Das war bisher auch bei
uns so. Künftig soll in die Machtverfügung der großen Unternehmungen stärker eingegriffen werden.
Ich möchte ganz kurz ein Problem anschneiden, das im Regierungsentwurf kurz übergangen und mit sehr wenigen Worten abgetan ist. Ich meine die Frage der nennwertlosen Aktie. Es geht darum, ob auch bei uns diese Form der Aktie eingeführt werden soll. Hier würden wir einem amerikanischen Beispiel folgen. Wir werden dieses Problem in den Ausschußberatungen zu untersuchen haben.
Darf ich noch einmal kurz zusammenfassen. Unsere Vorstellungen von diesem Aktiengesetz beruhen in allererster Linie auf der Auffassung, daß wir den Aktionär als den Eigentümer des Unternehmens ansehen und daß wir ihm alle Rechte geben müssen, die wir dem Besitzer von Eigentum zuerkennen. Darum die Stärkung des Aktionärs. Andererseits müssen aber der Unternehmensleitung soviele Möglichkeiten der unternehmerischen Führung belassen bleiben, daß sie das Unternehmen wirklich so führt, wie es in der Wettbewerbswirtschaft notwendig ist.
Wenn wir diese Gedanken in diesem Gesetz ausbauen - und ich glaube, daß wir eigentlich mehr gemeinsame Ideen dabei haben, auch mit der Opposition, als sich bei der heutigen Kontroverse herausgestellt hat -, dann glauben wir, daß doch, Herr Dr. Deist, auch von dieser Regierungskoalition ein wirklicher Reformentwurf auf dem Gebiet des Aktienrechts geschaffen wird, wir hoffen sogar, zum 1) Teil mit Ihrer Hilfe und Ihrer Unterstützung.
Zum Schluß darf ich noch den Wunsch vortragen, die Beratungen über dieses Gesetz zügig in die Wege zu leiten. Ich weiß nicht, wie die Bestimmungen unserer Geschäftsordnung lauten. Die Entwürfe werden ja voraussichtlich dem Rechtsausschuß - federführend - und dem Wirtschaftsausschuß - mitberatend - überwiesen. Meine Frage: Wird sich der Wirtschaftsausschuß sofort an die Beratung dieses Gesetzes machen dürfen, obwohl er nur mitberatend tätig ist? Ich hoffe es, Sie doch sicherlich auch. Dann würden die Arbeiten sofort zweigleisig in Angriff genommen werden können, und damit bestünde die Hoffnung, daß wir schneller fertig werden, als wenn ein Ausschuß hinter dem anderen arbeiten muß.
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- Nur zu einer allgemeinen ersten Aussprache.
Ich möchte ein Wort zu der Anregung des Herrn Kollegen Dr. Atzenroth sagen. An sich führt der federführende Ausschuß die Beratung durch und leitet dann den von ihm beschlossenen Entwurf dem mitberatenden Ausschuß zu. Das Plenum kann eine andere Regelung treffen. Ich würde es also für zweckmäßig halten, wenn Rechtsausschuß und Wirtschaftsausschuß sofort die Beratungen beginnen würden. Darf ich das als Wille des Hauses feststellen? - Herr Kollege Wilhelmi, bitte.
Die interfraktionellen 1 Anträge lauten dahin: der Rechtsausschuß federführend, der Wirtschaftsausschuß mitberatend. Der Wirtschaftsausschuß ist im Augenblick nicht belastet, so daß er sofort - in der nächsten Woche - mit der Arbeit beginnen kann. Ich halte das auch für sinnvoll; denn der mitberatende Ausschuß ist ja dazu da, die wirtschaftlichen Grundlinien zu geben, und der Rechtsausschuß hat dann zu prüfen, inwieweit diese wirtschaftlichen Grundlinien mit den rechtspolitischen Grundlinien in Übereinstimmung stehen, und hat dann das Gesetz zu vollenden. Ich glaube, daß diese Arbeitsweise einer Beschleunigung dient.
Herr Dr. Mommer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entwürfe enthalten auch wesentliche arbeitsrechtliche Probleme. Es ist deshalb nötig, den Ausschuß für Arbeit zu beteiligen. Das bedeutet keine Erschwerung der Arbeit, da wir uns darüber einig sind, daß die Beratung in einem kombinierten Unterausschuß vor sich gehen wird. An diesem Unterausschuß muß aber der Ausschuß für Arbeit beteiligt sein, und das ist nur möglich, wenn wir ihn hier als mitberatenden Ausschuß einschalten.
Herr Atzenroth!
Meine Damen und Herren! Wir können uns dieser Auffassung nicht anschließen. Ich kann nicht anerkennen, daß bei diesem Gesetzentwurf arbeitsrechtliche Fragen zur Erörterung stehen. Es handelt sich um gesellschaftsrechtliche, aber nicht um arbeitsrechtliche Fragen. Wir sehen also keine Veranlassung, noch einen dritten Ausschuß mit dieser sehr komplizierten und schwierigen Materie zu befassen.
Es besteht also Einigkeit darüber, daß der Rechtsausschuß die drei Entwürfe federführend behandelt und daß der Wirtschaftsausschuß mitberatend tätig ist und seine Beratungen sofort aufnimmt.
Kontrovers ist die Frage, ob auch der Arbeitsausschuß als mitberatender Ausschuß eingeschaltet werden soll. Wir müssen darüber abstimmen. Wer dem Antrag, daß der Arbeitsausschuß mitberatend tätig sein soll, zustimmt, gebe Zeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; auch der Arbeitsausschuß wird also mitberatend tätig.
Ich rufe dann als zusätzlichen Tagesordnungspunkt auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Bundesurlaubsgesetzes ({0}).
Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Scheppmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem vorliegenden Antrag
der CDU/CSU-Fraktion betreffend den Entwurf eines Bundesurlaubsgesetzes möchte ich namens meiner Fraktion eine nur kurze mündliche Begründung geben, weil dem Antrag eine eingehende schriftliche Begründung beigefügt ist.
Meine Damen und Herren! Als die SPD-Fraktion Ihren Antrag betreffend den Mindesturlaub vom 23. Januar dieses Jahres, Drucksache 142, eingebracht hatte und dieser Antrag dem Ausschuß für Arbeit überwiesen wurde, haben wir uns damit einverstanden erklärt, auf eine Aussprache zu verzichten, obwohl eine schriftliche Begründung nicht beigefügt war. Heute soll nun auf Wunsch der SPD- Fraktion eine Aussprache stattfinden. Wir scheuen uns nicht, in eine solche Aussprache einzutreten, müssen aber die Frage aufwerfen, ob es sinnvoll und richtig ist, das jetzt zu tun, nachdem hierüber schon in der dritten Legislaturperiode gesprochen worden ist und die Dinge ja nicht ganz unbekannt sind.
Der Deutsche Bundestag hat sich bereits in der dritten Wahlperiode mit dem Entwurf eines Bundesurlaubsgesetzes beschäftigt. Die Fraktion der SPD hatte unter dem 11. November 1959 einen dahingehenden Gesetzesantrag eingebracht, der seinerzeit auch in erster Lesung behandelt worden ist. Wir haben auch im Verlaufe der Beratungen die Sozialpartner angehört und haben deren Meinung also inzwischen kennengelernt. Das Hauptanliegen meiner Fraktion besteht darin, zu einer bundesgesetzlichen Regelung des Urlaubsrechts zu kommen, um der unerfreulichen Rechtszersplitterung auf diesem Gebiete ein Ende zu machen.
Bundeseinheitliche Urlaubsregelungen bestehen zur Zeit nur für Teilbereiche. So regelt das Seemannsgesetz den Urlaubsanspruch der Kapitäne und der Besatzungsmitglieder auf Kauffahrteischiffen selbständig und abschließend. Ebenfalls abschließend regelt das Jugendarbeitsschutzgesetz vom 9. August 1960 den Erholungsurlaub der Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr. Außerdem ist im Schwerbeschädigtengesetz eine Regelung wegen des Zusatzurlaubs für die Schwerbeschädigten enthalten.
Ich darf zu der Frage, ob einer solchen gesetzlichen Regelung die Tarifautonomie der Tarifpartner entgegensteht, sagen: der vorliegende Entwurf enthält lediglich Mindestnormen, die dem weiteren Ausbau des Urlaubsrechts und seiner Fortentwicklung durch die Sozialpartner nicht entgegenstehen. Ebensowenig wie in den Länderurlaubsgesetzen bisher eine Beeinträchtigung der Tarifautonomie gesehen worden ist; kann man sie im vorliegenden Entwurf sehen, der den Tarifpartnern einen weiten Raum für ihre eigenverantwortliche Rechtsgestaltung läßt.
Das weitere sozialpolitische Anliegen des vorliegenden Entwurfs ergibt sich aus der Zweckbestimmung des den Arbeitnehmern gewährten Erholungsurlaubs, der Erhaltung und Wiederauffrischung ihrer Arbeitskraft zu dienen. An diesem Zweck muß die Urlaubsdauer gemessen werden. Die Frage, wie lang ein wirklich zweckgerechter Urlaub sein muß, läßt sich also nur beantworten, wenn man die Arbeitsbelastung des Menschen in der modernen Wirtschaft zum Ausgangspunkt der Überlegungen macht.
Nur noch kurz ein Wort über den Inhalt der Vorlage. Insbesondere möchte ich zu § 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs einiges sagen. Nach den Länderurlaubsgesetzen beträgt die Mindestdauer des Urlaubs für alle Arbeitnehmer gleichmäßig 12 Werktage. § 3 des Entwurfs setzt in Verbindung mit § 13 die Mindestdauer des Urlaubs unabdingbar auf 15 Werktage fest. Die Mindestdauer erhöht sich nach Erreichung des 35. Lebensjahres oder fünfjähriger Dauer des Arbeitsverhältnisses auf 18 Werktage. Mit dieser Erhöhung des Mindesturlaubs entspricht der Entwurf einem dringenden sozialpolitischen Anliegen. Stichtag für den Eintritt der Erhöhung des Urlaubs auf 18 Werktage ist der Beginn des Kalenderjahres.
Ich glaube, daß damit im wesentlichen gesagt worden ist, warum die Fraktion der CDU/CSU diesen Antrag eingebracht hat. Ich bin der Auffassung, daß der Entwurf dem Ausschuß für Arbeit überwiesen werden sollte, damit da in der Beratung zu den einzelnen Fragen, die in den Paragraphen aufgeworfen sind, Stellung genommen werden kann. Für heute möchte ich mich damit begnügen. Ich bitte also um Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Arbeit.
({0})
Herr Abgeordneter Behrendt hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Behandlung unserer Großen Anfrage am gestrigen Tage ging es auch um die Methoden der Arbeits- und Sozialpolitik. Es wurde hier erklärt, daß weiter zügig vorangegangen würde. Wir waren erstaunt, in den Zeitungen und sonstigen Pressemeldungen zu lesen, daß sich die CDU/CSU auch zu einem Bundesurlaubsgesetz - allerdings nach einigen Geburtswehen - durchgerungen hat, das einen Mindesturlaub für Arbeitnehmer festlegt. Der zweimaligen Gesetzesvorlage der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion folgt nun heute der Entwurf der CDU/CSU. Wie vorhin schon Kollege Scheppmann erwähnte, hat bekanntlich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bereits im 3. Deutschen Bundestag am 16. März 1960 und kürzlich erneut am 24. Januar 1962 den Entwurf eines Gesetzes über Mindesturlaub für Arbeitnehmer eingebracht. Der letzte Entwurf wurde dem Ausschuß für Arbeit zur weiteren Beratung überwiesen.
Anstatt nun im zuständigen Ausschuß für Arbeit an Hand des sozialdemokratischen Gesetzentwurfes in die Sachberatung einzutreten, wurden dessen Verhandlungen blockiert. Warum geschieht das eigentlich? Zunächst sicherlich, weil sich die Koalitionsparteien über ein Bundesurlaubsgesetz nicht einig waren und sind. Das Fehlen der Unterschrift der Freien Demokraten unter diesem Gesetzentwurf beweist das sicherlich. Zum anderen aber auch, weil sich die CDU selbst nicht einig war und es erst recht langwieriger und eigenartig anmutender BeratunBehrendt
gen bedurft hat, um diese Gesetzesvorlage als Kompromiß zustande zu bringen und heute einzubringen.
Dieser Gesetzentwurf, ein Kompromiß also, von einer Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion beschlossen, hat in der entscheidenden Frage, der Länge der Mindesturlaubsdauer, zu einem völlig unzureichenden und auch sehr bedenklichen Ergebnis geführt. Ich will zu drei Komplexen des Gesetzentwurfs grundsätzliche Bemerkungen machen, zunächst zu dem Komplex, der die Dauer des Urlaubs betrifft.
Nach Ihrem Vorschlag soll der Mindesturlaub 15 Werktage betragen. Weiter soll, wie auch vorhin begründet wurde, nach Erreichung des 35. Lebensjahres oder nach fünfjähriger Dauer des Arbeitsverhältnisses beim gleichen Arbeitgeber die Mindestdauer des Urlaubs auf 18 Werktage erhöht werden. Was soll nun eigentlich eine bundesgesetzliche Regelung von 15 Werktagen Mindesturlaub?! Deutlicher konnte die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion nicht die Tendenz aufzeigen, die in diesem unsinnigen Vorschlag ihren Niederschlag fand.
({0})
- Aber, aber, warten Sie, ich werde etwas zu den 15 Tagen sagen.
({1})
Rücksichtslos hat man sich hier über die Belange zur Erhaltung der Volksgesundheit hinweggesetzt,
({2})
die doch bei einer einheitlichen bundesgesetzlichen Regelung Beachtung hätten finden müssen. Rücksichtslos hat man sich auch über die Forderungen der Arbeitsmediziner und anderer Wissenschaftler hinweggesetzt, die doch nach einer gutachtlichen Anhörung - ({3})
- Sagen Sie doch nicht unsinnigerweise: sieben Wochen; solche Äußerungen sind doch hier völlig deplaziert. Die Wissenschaftler haben eindeutig gesagt, daß ein dreiwöchiger Urlaub das Minimum dessen ist, was ohne Zweifel erwünscht ist.
Haben Sie sich wirklich genau überlegt, was 15 Werktage Urlaub in der Praxis bedeuten?
({4})
Arbeitnehmer, die mit ihren Ehepartnern und Kindern in den Urlaub fahren wollen, müssen dann in den weitaus meisten Fällen aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, ihren Urlaub bereits nach 14 Tagen abbrechen. Die anderen Tage werden vertan und kommen nicht der Erholung selbst zugute, was eigentlich beim Erholungsurlaub der Fall sein sollte. Das würde darauf hinauslaufen, daß gerade nach der Umstellungszeit von zwei Wochen, wenn in der dritten Woche die eigentliche Erholung anfängt, durch eine solche Regelung eine Unterbrechung eintrit.
Ihre Regelung greift also rigoros in den Prozeß der beginnenden Erholung ein, und dem eigentlichen Zweck des Urlaubs, nämlich der Wiederherstellung und Erhaltung der Leistungsfähigkeit und der Arbeitskraft wird nicht im mindesten Rechnung getragen. Ich spreche unzweideutig aus, daß wir im Hinblick auf den heutigen Stand der Erkenntnis 18 Tage Urlaub auf die Dauer für zuwenig halten. Wir werden in wenigen Jahren diesem Hohen Hause unsere Forderung auf einen Mindesturlaub von vier Wochen jährlich vorlegen.
({5})
Nun zu der Steigerung des Urlaubs und Ihrer Treueprämie bei fünfjähriger Betriebszugehörigkeit bei demselben Arbeitgeber! Beachtenswert ist, daß Sie die Erhöhung des Mindesturlaubs auf 18 Tage, wie es Kollege Scheppmann ausgeführt hat, mit einem dringenden sozialpolitischen Anliegen begründen, - beachtenswert im Hinblick auf das 35. Lebensjahr. Begrüßenswert ist Ihr neuer Standpunkt, mit dem Sie unserer bisherigen Auffassung beitreten, daß durch ein Mindesturlaubsgesetz nicht in die Tarifautonomie der Sozialpartner eingegriffen wird. Um so mehr sind wir jetzt darüber erstaunt, daß Sie eine Steigerung des Urlaubs von der Dauer der Zugehörigkeit zum selben Betrieb abhängig machen wollen. Das ist nach unserer Auffassung tatsächlich ein Eingriff in die Tarifautonomie, da viele bestehende Tarifverträge solche Urlaubsregelungen enthalten.
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- Das haben Sie ja mit der Regelung nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit bewiesen!
Noch unverständlicher wird dieser Teil des Gesetzentwurfs, wenn ich an die Ergebnisse der Untersuchungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung über das Urlaubsrecht für Arbeit erinnere. In der amtlichen Bekanntmachung vom 10. Januar 1962 heißt es darüber - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen -:
Die Merkmale, nach denen eine Steigerung des Grundurlaubs möglich ist, wurden in annähernd einem Drittel der neu abgeschlossenen Tarifverträge verändert. Dabei läßt sich vor allem ein zunehmendes Gewicht des Merkmals Lebensalter an Stelle des bisher überwiegenden Merkmals Betriebszugehörigkeit feststellen.
Obwohl der Trend also eindeutig von der Betriebszugehörigkeit wegführt,
({7})
gehen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf zum Teil genau den entgegengesetzten Weg und fallen damit einer gesunden Entwicklung hemmend und rückschrittlich in den Arm.
Ferner muß noch auf folgendes hingewiesen werden. Junge und beruflich interessierte Menschen, die ihren Arbeitsplatz wegen ihrer beruflichen Fort604
entwicklung wechseln, bestrafen Sie durch Ihren Gesetzentwurf, ebenso jene, die nur durch einen Stellenwechsel berufliche Aufstiegschancen wahrnehmen können.
Geradezu grotesk wird es aber, wenn Arbeitnehmer wie z. B. im Falle der Borgward-Werke ihren Arbeitsplatz verlieren, ohne selbst diesen Arbeitsplatzverlust verhindern zu können. Hier müßten Sie selber spüren, wie ungerecht eine solche Regelung, die von der Dauer der Betriebszugehörigkeit ausgeht, ist. Wenn man der Auffassung ist, daß, wie Sie selber in Ihrer Begründung sagen, die Frage nach der notwendigen Länge des Urlaubs sich nur auf Grund der Arbeitsbelastung des Menschen in der Wirtschaft und, wie .ich hinzufüge, nach dem Stand unserer Volksgesundheit beantworten lasse, kann man doch der Dauer der Betriebszugehörigkeit keinen Einfluß auf die Länge und Notwendigkeit des Urlaubs einräumen. Das sollte doch eigentlich klar sein, Herr Kollege Stingl.
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Weiter möchte ich zu Ihrem Vorschlag über die Urlaubsentgeltberechnung einiges sagen. Ich meine, hier haben Sie ungewollt ein Arbeitsbeschaffungsprogramm mit aufgenommen. Warum, will ich Ihnen sagen. In Ihrer Begründung sagen Sie, daß die beiden Methoden für die Urlaubsentgeltberechnung, nämlich die Berechnung nach einer in der Vergangenheit liegenden Referenzperiode oder nach dem Lohnausfallprinzip, sowohl Vor- wie Nachteile hätten. Sie haben sich für das Lohnausfallprinzip entschieden und verweisen auf das Jugendarbeitsschutzgesetz und das Seemannsgesetz. Das Jugendarbeitsschutzgesetz scheint mir hier eine schlechte Begründung zu sein; denn was ein Jugendlicher verdient, liegt in den weitaus meisten Fällen genau fixiert fest.
Urlaubsentgeltberechnung ist sicherlich keine Grundsatzfrage. Wir meinen daher - und ich glaube, auch Sie sind dieser Auffassung -, daß wir hier die praktikabelste Lösung suchen sollten. Deshalb sind wir dafür, das Urlaubsentgelt nach dem Arbeitsverdienst zu bemessen, den der Arbeitnehmer in den letzten drei Monaten vor Antritt des Urlaubs durchschnittlich bezogen hat. Ein solches Verfahren hat sich als sehr praktikabel erwiesen, z. B. auch beim Mutterschutzgesetz, beim Arbeiterkrankheitsgesetz, bei der Zahlung von Arbeitslosen- und Krankengeld. Das Lohnausfallprinzip führt nach allen Erfahrungen zu zu vielen Schwierigkeiten, und eine solche Regelung führt unweigerlich und sicherlich ungewollt zu einer ungeheuren Mehrbelastung unserer Arbeitsgerichte. Wir Blauben, das sollte noch einmal gründlich durchdacht werden.
Zum Schluß will ich die Frage des Inkrafttretens noch kurz anschneiden. Sie haben in Ihrem Entwurf den 1. Januar 1963 vorgesehen. Wir wenden uns mit aller Entschiedenheit gegen diese Verschleppungstaktik.
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Unser erster Entwurf datiert vom 11. November 1959, der zweite vom 22. Januar 1962. Bei gutem Willen hätten wir bereits im 3. Deutschen Bundestag eine bundeseinheitliche Mindesturlaubsregelung verabschieden können. Wir meinen, daß es den deutschen Arbeitnehmern nicht zuzumuten ist, durch die Saumseligkeit des Parlaments ein weiteres Jahr um eine gerechte Urlaubsregelung gebracht zu werden.
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Der Ausschuß für Arbeit ist in der Lage, in kürzester Teit dem Hohen Hause ein Bundesgesetz über Mindesturlaub für Arbeitnehmer zur Beschlußfassung vorzulegen, das als Tag des Inkrafttretens den 1. Januar 1962 tragen kann. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird alles daransetzen, um zu einer solchen schnellen Regelung zu kommen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, wenn jemand wie der Kollege Behrend in den frühen Nachmittagsstunden des Freitags noch eine so temperamentvolle Rede hält; aber ich glaube, er hat auf seiner Fanfare viel zu grelle Töne ausgestoßen, und in meiner schwäbischen Heimat würde man ihm in aller Freundschaft anraten, er solle doch etwas die Kirche im Dorf lassen. Er hat ein paarmal mit den Worten „unsinnig" um sich geworfen, hat davon gesprochen, man setze sich rücksichtslos über die Belange der Volksgesundheit hinweg, „Verschleppungstaktik", und bei gutem Willen hätte bereits der 3. Deutsche Bundestag dieses Gesetz fertigmachen können. Also unterstellt er dem 3. Deutschen Bundestag bzw. seiner Mehrheit schlechten Willen. Er redete von der Saumseligkeit des Parlaments. Lieber Herr Kollege Behrend, ich hoffe, daß wir nach dieser wohl hauptsächlich aus Gründen der Propaganda so laut tönenden Fanfare im Ausschuß wieder zu ruhigerer Zusammenarbeit kommen.
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Wenn Sie, Herr Kollege Behrendt, behaupteten, daß sich die CDU mit ihrem Entwurf rücksichtslos über die Belange der Volksgesundheit hinwegsetze, was müssen wir Freien Demokraten dann erst für böse Sünder sein, die wir diesem Entwurf nicht einmal beigetreten sind.
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- Wir werden sehen. An jedem Ende einer Legislaturperiode kommt eine Statistik heraus, aus der hervorgeht, wieviel Gesetze dieses Hohe Haus verlassen haben. Wir alle müssen in Versammlungen und in Gesprächen immer wieder zugeben, daß schon etwas Wahres daran ist, wenn man sagt, dieses Haus mache nicht nur Gesetze, die unbedingt nötig seien. Wir sind der Meinung, daß ein BundesDürr
urlaubsgesetz nicht unumgänglich nötig ist. Ich stamme aus der Gegend der Bundesrepublik, der einzigen, die noch keine gesetzliche Urlaubsregelung hat, nämlich aus dem Landkreis Süd-Württemberg-Hohenzollern des Landes Baden-Württemberg, und ich versichere Ihnen, daß mir in mehr als 400 Versammlungen, die ich in den letzten Jahren allein im Landesteil Süd-Württemberg gehalten habe, nicht einziges Mal die Notwendigkeit einer gesetzlichen Urlaubsregelung vorgetragen worden ist. Das scheint mir ein wenig symptomatisch zu sein.
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- Es mag in der Stadt Reutlingen in Süd-Württemberg sehr viele Millionäre geben. Aber wenn man etwas mehr als 400 Versammlungen abgehalten hat, kann man die nicht nur vor Millionären gehalten haben; es ist vielmehr auch noch ein anderer Personenkreis dabei, Herr Kollege Franzen.
Ich will gar nicht auf die Einzelheiten eingehen, die wir natürlich mitberücksichtigen müssen. Der Kollege Scheppmann hat in seiner Rede, die er in der 107. Sitzung des Deutschen Bundestages im März 1960 gehalten hat, mit Recht darauf hingewiesen, daß auch die Urlaubsfrage in ihrem volkswirtschaftlichen Zusammenhang mit Arbeitszeit und Lohn gelöst werden sollte. Hier stellt sich dem Ausschuß eine Aufgabe, die er keineswegs im Tempo eines Kurzstreckenläufers bewältigen kann, wenn er nicht eventuell schwere Fehler machen will. Wir müssen uns auch eines überlegen. Wir haben schon jahrelang eine Hochkonjunktur, und wir müssen immer daran denken, Gesetze zu machen, die nicht allein für Zeiten der Hochkonjunktur geeignet sind und die nicht mehr praktikabel wären, wenn das eintreten sollte, was wir alle nicht hoffen, nämlich ein Abflauen, ein starker Rückgang der Konjunktur.
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- Keineswegs, Herr Kollege, aber Sie haben mit Ihrem Zwischenruf das ausgesprochen falsche Beispiel gewählt. Daß diese Folgerung nicht von mir gezogen wird, ist wohl eine klare Sache; ein ganz klein wenig verstehe ich noch von der Logik. Wir müssen uns auch darüber klar sein, daß wir in der Bundesrepublik gemessen an den übrigen EWG- Ländern die kürzeste Jahresarbeitszeit haben. Über dieses Problem muß ebenfalls im Ausschuß gesprochen werden.
Ein letztes Wort, lieber Herr Kollege Behrendt, zu Ihrer Schlußfanfare, nämlich zu Ihrer Aufforderung, ein Bundesurlaubsgesetz bereits mit Wirkung vom 1. Januar 1962 in Kraft treten zu lassen. Im Satz zuvor haben Sie an einem Beispiel dargelegt, was Sie als eine Arbeitsbeschaffung für die Lohnbüros ansehen würden. Das betraf eine andere Sache. Wenn wir Ihrem letzten Vorschlag folgten, ein Bundesurlaubsgesetz bereits mit Wirkung vom 1. Januar 1962 in Kraft treten zu lassen, wäre das nebenbei ebenfalls eine kräftige Arbeitsbeschaffung für die Lohnbüros, schon deshalb, weil in der Zeit vom 1. Januar 1962 bis heute bereits einige Arbeitnehmer ihren Betrieb gewechselt haben und die Betriebe, aus denen diese Arbeitnehmer ausgeschieden sind, dann noch nachträglich mit erheblichen Schwierigkeiten, mit Abgeltung des Urlaubs usw., belastet würden.
Ich sage Ihnen dies nur, um darzulegen, daß dieses Gesetz nicht mit dem gewünschten Kurzstreckentempo im Ausschuß fertigberaten werden kann.
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- Ob zweieinhalb Jahre eine Kurzstrecke sind? Lieber Herr 'Kollege Folger, das hängt doch mit der Diskontinuität der Legislaturperioden zusammen. Aus gutem Grunde ist es eben so, daß mit dem September 1961 die halbfertigen Gesetzentwürfe zugunsten der neu ins Parlament hineinkommenden Kolleginnen und Kollegen als nicht mehr existent gelten. Weitere Einzelheiten bitte ich bei Ihrem rechtskundigen Kollegen Jahn zu erfragen. Er wird Ihnen sagen, daß ich im Grunde schon recht habe.
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- Ich glaube, lieber Herr Kollege Blachstein, bei diesem Urlaubsgesetz dreht es sich nicht nur um Machtfragen, sondern auch um Zweckmäßigkeitsfragen. Hier hat keine Partei die richtige Ansicht über Zweckmäßigkeit allein gepachtet. Ebenso haben sich ja gestern, als es um die Zweckmäßigkeitsfrage bezüglich des Gewehrs im Schrank ging, die Meinungen der Fraktionen nicht auf einen Nenner bringen lassen.
Aber hoffen wir, daß wir die Geschichte zu einem einigermaßen guten Ende bringen, wenn es auch nicht so schnell geht, wie es der Kollege Behrendt und seine 'Fraktion gewünscht hätten.
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Der Entwurf soll an den Ausschuß für Arbeit überwiesen werden. - Bitte, Herr Kollege Brand!
Mit Rücksicht darauf, daß dieses Urlaubsgesetz erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen hat, beantrage ich, daß es dem Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung überwiesen wird.
Darf sich annehmen, daß das die Meinung des Hauses ist: Federführend Ausschuß für Arbeit, mitberatend Wirtschaftsausschuß?
({0})
Vizepräsident Dr. Dehler
- Besteht Einigkeit darüber, daß der Ausschuß für Arbeit federführend sein soll?
({1}) - Das ist der Fall.
Dann lasse ich über den weiteren Antrag, daß der Wirtschaftsausschuß mitberatend sein soll, abstimmen. Wer zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es besteht noch keine Einigkeit im Präsidium. Ich wiederhole die Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmt, daß der
Wirtschaftsausschuß mitberatend sein soll, erhebe sich. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; dann ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Dienstag, den 13. März 1962, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.