Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf dem Haus die erfreuliche Mitteilung machen, daß der Abgeordnete Dr. Dr. h. c. Dresbach heute seinen 70. Geburtstag feiert.
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Wir treten in die Tagesordnung ein. Wir beginnen mit der
Fragestunde ({1}).
Zunächst kommen wir zu den Dringlichkeitsfragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts - Drucksache IV/2715 -.
Ich rufe die Frage 1 - des Abgeordneten Dr. Stoltenberg - auf:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die Augsburger Rede des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Wehner, in der er die Frage stellte, welche Verrücktheiten sich der französische Staatspräsident noch leistet, um uns zu erpressen?" einen förderlichen Beitrag zur deutsch-französischen Diskussion bildet?
({2})
- Abgeordneter Müller-Hermann übernimmt die Frage. Wer antwortet? - Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort auf diese Frage lautet: Die Bundesregierung verurteilt diese Äußerungen, die nach Pressemeldungen gefallen sind und nie dementiert wurden, auf das entschiedenste. Ein derartiger Ton gegenüber dem Staatsoberhaupt einer befreundeten Nation ist unerträglich und unverantwortlich.
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Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Müller-Hermann.
Herr Bundesaußenminister, ist Ihnen eine Äußerung des SPD-Abgeordneten Mommer bekannt, wonach der deutsch-französische Freundschaftsvertrag eine Art
Fremdkörper in der außenpolitischen Konzeption der Bundesregierung darstellt?
Eine solche Äußerung ist mir nicht bekannt.
({0})
Noch eine Zusatzfrage.
Sieht der Herr Bundesaußenminister in ,der ja wohl unbestrittenen Äußerung des Abgeordneten Wehner eine loyale Unterstützung des deutsch-französischen Vertrages, den wir in diesem Hohen Hause einstimmig begrüßt und unterstützt haben?
Herr Kollege Müller-Hermann, ich glaube, ich habe mich in meiner ersten Antwort mehr oder weniger summarisch und abschließend geäußert.
Zu einer weiteren Frage Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Minister, würden Sie es als im wohlverstandenen Interesse unseres Vaterlandes liegend ansehen,
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wenn der Abgeordnete Wehner seine unqualifizierbare Äußerung mit dem Ausdruck des Bedauerns förmlich zurücknehmen würde?
Ich glaube, eine Entscheidung darüber muß man dem Herrn Abgeordneten Wehner selbst überlassen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Minister, würden Sie diese Äußerung als besonders bedeutungsvoll ansehen, weil es sich bei dem Abgeordneten Wehner
unzweifelhaft um die absolute Nummer 1 der Sozialdemokratischen Partei handelt?
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Ich glaube daß zu dieser Frage das gilt, was ich vorhin gesagt habe.
Zu einer Frage Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Minister, Sie würden es also für unstatthaft halten, wenn ein deutscher Abgeordneter, zugegebenermaßen im Zorn, fragt, was denn noch alles im Zeichen des deutsch-französischen Vertrages auf uns zukommen mag, wenn unmittelbar vor dieser Äußerung, die in der Form sicherlich zu bedauern ist,
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zu lesen war, daß sogar mit der Errichtung einer französischen Handelsmission im Bereich der östlichen Separatisten gedroht wird?
({1})
Herr Kollege Wehner, ich stelle mit Befriedigung fest, daß Sie den eigentlich angegriffenen Teil gerade bedauert haben. Für die andere Sache sehe ich keine tatsächliche Unterlage, und für diese angebliche Ankündigung sehe ich nicht den geringsten amtlichen Hinweis. Deswegen möchte ich dazu nicht Stellung nehmen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Wehner.
Ich habe natürlich auch keine Unterlage als das, was man heute in der deutschen Politik als Unterlagen nehmen muß, nämlich Presseäußerungen und Rundfunkerklärungen,
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und möchte Sie, Herr Minister, fragen, ob ein Abgeordneter also z B. „Pression" sagen darf, aber nicht „Erpressung"?
Ich möchte nicht in einen generellen Katalog eintreten. Ich habe mich hier nur mit der Grundfrage zu beschäftigen gehabt, und bei meiner Stellungnahme dazu möchte ich bleiben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Josten.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß in der sowjetisch besetzten Zone jede beleidigende Kritik in der Bundesrepublik an dem französischen Staatspräsidenten politisch gegen unseren Staat ausgewertet wird?
Das ist mir nicht bekannt. Aber ich glaube, wir sollten Dinge, die in der Sowjetzone passieren, nicht zum Maßstab unseres politischen Urteils machen.
({0})
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Josten!
Herr Minister, wissen Sie, daß in der sowjetisch besetzten Zone über 100 Städte mit französischen Städten Freundschaftsverträge haben und daß besonders dort jede mißbilligende Äußerung, die von uns aus gegenüber dem französischen Staatspräsidenten vorgetragen wird, stark gegen uns ausgewertet wird?
Herr Kollege Josten, mir ist das Zusammenarbeiten auch deutscher sowjetzonaler Kommunisten mit französischen Kommunisten sehr wohl bekannt. Wir bedauern es sehr. Wir versuchen, auf die französische Regierung einzuwirken, das äußerste zu tun, um sich das nicht weiter ausweiten zu lassen. Aber die Möglichkeiten der französischen Regierung demgegenüber sind auch begrenzt.
Keine weiteren Fragen mehr? Ich rufe die ebenfalls von dem Abgeordneten Dr. Stoltenberg gestellte Frage 2 auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den Vorwurf Wehners, der Bundeskanzler „verunglimpfe verbündete Regierungen in Europa in einer dummen, dösigen und schmuddeligen Weise"?
Auch diese Frage wird von Herrn Abgeordneten Müller-Hermann übernommen.
Herr Präsident, die Antwort auf diese Frage lautet: Die Bundesregierung ist nicht bereit, auf das tiefe Niveau derartiger Anwürfe einzugehen.
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Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Müller-Hermann!
Darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, Herr Bundesaußenminister, daß die Bundesregierung diesen Umgangston zwischen Regierung und Opposition auf das entschiedenste ablehnt?
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In der Tat.
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Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wehner!
Herr Bundesminister, Sie würden also zwischen dieser - ({0})
- Ja, ich bin gerade dabei. - Sie würden also bei dieser Abwehr gegen eine generelle und in der Sache durchaus unzutreffende Beurteilung sozialdemokratischer Regierungen in anderen Ländern der Welt durch die scharfen Worte, ,die Sie hier mit dem „tiefen Niveau" gekennzeichnet haben, keine Berührung zu Ausdrücken sehen wie: „allmählich sind die Leute es leid, mit Seelenschmalz zusammengeleimt zu werden", womit ja ausgedrückt werden sollte, man müsse den Mut haben, in schwierigen Situationen den Leuten reinen Wein einzuschenken?
Herr Kollege Wehner, die Sachen liegen doch sehr weit auseinander. Die Worte, die Sie gebraucht haben und die hier zum Gegenstand der Frage 'gemacht worden sind, würden Sie ja selber nicht gern in diesem Hause wiederholen wollen. Aber diese anderen Worte wie „Seelenschmalz" und dergleichen sind ja ziemlich unschädlich.
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Noch eine Frage des Abgeordneten Wehner!
Wenn Sie, Herr Minister, die Worte, die ich gebraucht habe, hier nicht wiederholen wollen - was ich verstehen kann -, würden Sie mir sagen, ob Sie bereit wären, die generelle Verurteilung einer Regierung, wie es die britische Regierung ist, durch ein Interview des Herrn Bundeskanzlers - so ist es mindestens aus der Wiedergabe zu ersehen, wobei man nie weiß, ob der Wortlaut 'authentisch ist - zu wiederholen?
Herr Kollege Wehner, Ihre Voraussetzung ist falsch. Der Bundeskanzler hat keine generelle Anschuldigung gegen die britische Regierung erhoben. Es ist geradezu undenkbar für die deutsche Regierung, sich gegenüber befreundeten Regierungen unfreundlich zu verhalten.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage.
Die nächste Frage, Frage 3, ist von .dem Herrn Abgeordneten Erler gestellt:
Hat die Bundesregierung den Eindruck, daß der französische Staatspräsident von dem Verhalten der Bundesregierung während seines Besuches in Bonn im Juli dieses Jahres enttäuscht worden ist?
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt. Ich glaube nicht, daß es im deutschen Interesse läge, wenn sich die Bundesregierung öffentlich zu solchen Bewertungsfragen äußern würde. Es ist bekannt, daß sich die Auffassungen der deutschen und der französischen Regierung nicht in .allen Punkten decken. Ich möchte aber betonen, daß eine der wesentlichen Grundlagen unserer Außenpolitik, nämlich die deutsch-französische Freundschaft, unberührt ist. Ich möchte ferner hervorheben, daß wir mit gutem Willen nach Verständigungen suchen, die den Interessen beider Völker gerecht werden.
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Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Metzger.
Wenn Sie also, wenn ich Sie recht verstehe, davon ausgehen, daß eine Enttäuschung bei der französischen Regierung unter diesen Umständen nicht vorliegen kann, wie erklärt sich dann das in einem Interview des früheren Bundeskanzlers Dr. Adenauer geäußerte Urteil, das Verhalten des französischen Staatspräsidenten sei vielleicht auf eine zu kühle Behandlung durch die Bundesregierung zurückzuführen, die sich ein Mann wie General de Gaulle einfach nicht gefallen lasse?
({0})
Herr Kollege Metzger, Sie haben selber das entscheidende Wort zitiert; das ist dieses „vielleicht". Das zeigt, daß zutrifft, was ich gerade gesagt habe, daß es sich hier um Bewertungsfragen handelt. Sie werden mir einräumen wollen, daß sich die Bundesregierung nicht zu solchen Bewertungsfragen, die sie unter sich natürlich erörtern wird, öffentlich äußern kann.
Noch eine Frage!
Metzger (SPD: Herr Außenminister, sind Sie nicht der Meinung, daß dieses „vielleicht" die Bedeutung dieser Frage sogar noch unterstreicht?
Herr Kollege Metzger, es ist ein großer Unterschied, ob die Bundesregierung hier eine Bewertung vornimmt oder ob irgendein anderer deutscher Politiker, selbst wenn es ein sehr hochgestellter Politiker ist,
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dies tut. Die Bundesregierung spricht für das ganze Deutschland und für das ganze deutsche Volk. Der Politiker hat den Vorzug, seine eigene Meinung manchmal unverblümter ausdrücken zu können.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß es bei den Verstimmungen mehr um sachliche politische Meinungsunterschiede und nicht um Fragen der Behandlung und auch nicht einmal um Fragen der Personen geht?
Ich möchte mich jetzt nicht auf das Bewertungsgebiet begeben, von dem ich gerade gesagt habe, daß es nicht gut wäre, wenn die Bundesregierung sich dazu öffentlich äußern würde. Das deutschfranzösische Verhältnis ist keineswegs problemfrei. Es wäre sehr merkwürdig, wenn es das sein könnte. Die Beziehungen zwischen zwei so großen und bedeutenden Nationen haben ihre Probleme. Das Entscheidende ist nur der Geist, in dem man an die Beseitigung von bekannten Schwierigkeiten herangeht.
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Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Herr Minister, wenn emotionale Momente in dieses Verhältnis hineingekommen sind, ist das nicht mehr deswegen, weil der französische Staatspräsident mit seinem besonderen Charakter in Brüssel sein Veto gegen den Beitritt Großbritanniens ansprach
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und ein inzwischen abgemildertes Ultimatum in der Getreidepreisfrage aussprach und schließlich ansetzte,
({1})
um das MLF-Projekt zu torpedieren?
({2})
Wenn ich auf diese Fragestellung eingehen würde, würde ich mich wieder auf das Bewertungsgebiet einlassen. Ich bitte Sie, zu verstehen, daß es nach Meinung der Bundesregierung dem deutsch-französischen Verhältnis besser dient, wenn wir von solchen öffentlichen Bewertungen absehen.
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Die nächste Frage, Frage 4 - des Herrn Abgeordneten Erler - wird von dem Herrn Abgeordneten Metzger übernommen:
Beabsichtigt der Bundesaußenminister angesichts der Verschlechterung des deutsch-französischen Verhältnisses und der Schwierigkeiten in der Europa-Politik, „nochmals anzufangen und unter der veränderten Situation mit neuen Vorschlägen zu kommen" ({0})?
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt. Die Bundesregierung hat die seit langem unverändert beibehaltenen Hauptlinien ihrer Außenpolitik häufig und zuletzt hier am 15. Oktober durch den Mund des Herrn Bundeskanzlers dem Hohen Hause dargelegt. Ich wiederhole sie gern. Es ist unser Ziel, die deutsch-französischen Beziehungen zu festigen und zu vertiefen. Wir bemühen uns, die Politik der europäischen Einigung vorwärtszutreiben. Unsere Europa-Initiative, hinsichtlich deren augenblicklich mit den Partnerstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft konsultiert wird, ist ein neuerlicher Beweis dafür. Wir bemühen uns darum, Europa und die Vereinigten Staaten in einer atlantischen Partnerschaft miteinander zu verbinden und das Bündnis mit den Vereinigten Staaten zu stärken und zu pflegen. Wir setzen alle Kräfte ein für eine erfolgreiche Deutschland-Politik, die zu einer Wiedervereinigung unseres Vaterlandes führen soll. Das ist in nuce der Ausdruck unserer Außenpolitik. Das ist unsere klare Linie, und wir möchten diese klare Linie auch durch nichts beeinträchtigen lassen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Metzger.
Das höre ich gern.
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-Sie kommt sofort; seien Sie nicht so ungeduldig!
Das können Sie mir überlassen.
Trifft es aber zu, daß die zuständigen Bundesministerien in der Kabinettsitzung am vergangenen Mittwoch beauftragt worden sind, möglichst umgehend Vorschläge für ein neues EuropaPaket zu machen, zu dessen Inhalt auch der Getreidepreis zählen soll?
Ich bin, wie Sie wissen, nicht befugt, über Kabinettssitzungen Aufschluß zu geben, und ich vermute, daß das Zitat, das Sie gerade vor sich haben und das ich nicht kenne, aus einer Pressekonferenz stammt. Meine Vermutung über die Bedeutung dieses Zitats ist diese: Was wir in Brüssel vorgelegt haben, sind sowohl Vorschläge, die eine politische Union umfassen, als auch in einem weiteren Sinne wirtschaftliche Vorschläge, die den Ausbau der europäischen wirtschaftlichen Einrichtungen betreffen. Wir befinden uns nun, von unseren Vorschlägen ganz abgesehen, in Brüssel in einer Phase, in der über ein paar sehr schwierige konkrete Dinge gesprochen wird, nämlich die Vollendung des europäischen Agrarmarktes und die Beziehung dieses Problems zur Kennedy-Runde. Damit beschäftigt sich die Bundesregierung, nicht nur in einer der voraufgegangenen Kabinettssitzungen, sondern wahrscheinlich noch in zahlreichen Sitzungen bis zum Ende dieses Jahres.
Sonst noch eine Frage? - Herr Abgeordneter Metzger!
Darf ich nach dem, was vor allen Dingen in der ersten Beantwortung gesagt worden ist, unterstellen, daß die Bundesregierung mit dem einverstanden ist, was die Kommission der EWG in ihrer Initiative 1964 gesagt hat, nämlich daß die europäischen Gemeinschaften heute als ein Erfolg von weltweiter Ausstrahlung \dastehen und daß
diese Gemeinschaften das Herzstück der Bemühungen um die Einheit Europas geworden sind?
Ich habe das Zitat nicht ganz und gar in Erinnerung.
({0})
- Nein, vielen Dank, Herr Kollege.
Ich habe vor einigen Tagen in Brüssel über unsere Bewertung der sogenannten Initiative 1964 der Kommission gesprochen, der wir uns ganz weitgehend positiv anschließen, ebenso wie der Präsident der Kommission, Professor Hallstein, sehr positiv - ich möchte das gern hier noch einmal unterstreichen - die deutschen Vorschläge begrüßt hat. Es gibt zwischen der Initiative der Kommission und den deutschen Vorschlägen weitgehend Übereinstimmung, und ich kann daher Ihrer Bewertung durchaus folgen.
Ich rufe auf die Frage 5 - des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer -:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß durch einen Wechsel an der Spitze des Bundesministeriums des Auswärtigen die Beziehungen zu Frankreich verbessert werden können?
Zur Beantwortung der Herr Bundeskanzler.
Die Bundesregierung ist nicht dieser Meinung.
Eine weitere Frage.
Herr Bundeskanzler, würden Sie in diesem Zusammenhang dem Hause auch sagen wollen, welches die künftige Rolle Ihres Vorgängers im Amt, unseres verehrten Kollegen Dr. Adenauer, sein wird:
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Sonderberater? Sonderbotschafter? Sonderminister? Wie wird seine Rolle sein?
Die Beziehungen des Herrn Dr. Adenauer zur Bundesregierung sind so geartet wie die aller anderen Kollegen.
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Keine weiteren Fragen mehr? - Dann rufe ich auf die Frage 6 - des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer -:
Vertritt die Bundesregierung als ganzes die Politik, die der Bundesaußenminister in seinem Interview mit der „Mainzer Allgemeinen Zeitung" wie folgt charakterisiert hat: „Warum den Blick verengen, warum an die Stelle des Ganzen, das im Interesse unserer Sicherheit eine gute Partnerschaft mit Washington, eine Abstimmung mit London und Freundschaft mit Frankreich erforderlich macht, nur das Detail setzen"?
Die Antwort darauf lautet wie folgt:
Die Bundesregierung vertritt die Meinung, daß die Ziele unserer Außenpolitik - so wie ich sie zu einer der voraufgegangenen Fragen dargelegt habe - stets als ganzes verstanden werden sollen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Herr Minister, bleibt es also dabei - wie es in der Präambel zum Ratifikationsgesetz vorgesehen ist -, daß auch die deutsch-französischen Beziehungen in die .europäische und atlantische Integration eingebettet bleiben?
({0})
Die Frage ist ganz eindeutig mit Ja zu beantworten. Dieses Ja der Bundesregierung wird unterstrichen durch einen Beschluß, den ,der Vorstand und - soviel ich weiß - auch ,die Fraktion der CDU/CSU gestern gefaßt haben.
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Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Mommer.
Dr. Mommer (SPD: Ist es richtig, Herr Minister, daß in diesem Sinne auch der Ausbau der deutschfranzösischen Beziehungen, den alle wünschen, immer zum Teil Selbstzweck, zum Teil aber auch Mittel zum Zweck der größeren Integration ist?
Ja, nicht in der Präambel, aber in dem sogenannten Vorspruch - so ähnlich heißt er, glaube ich - zu dem deutsch-französischen Vertrag, der von dem früheren Bundeskanzler Dr. Adenauer und dem französischen Staatspräsidenten unterzeichnet worden ist, und schließlich auch an anderer Stelle ist als einziges Ziel der deutsch-französischen Zusammenarbeit ein vereintes Europa bezeichnet worden.
({0})
Es gibt keine andere Zielsetzung in diesem Vertragswerk.
({1})
Ich rufe aus der Drucksache IV/2715 die Frage 7 - des Abgeordneten Dr. Mommer - auf:
Würde die Bundesregierung bereit sein, bei einem Scheitern der mehrseitigen Verhandlungen über einen politischen Zusammenschluß Europas mit einer Zweierunion Deutschland - Frankreich zu beginnen, wie das die Abgeordneten Dr. Gerstenmaier, Dr. Adenauer und Strauß geäußert haben?
Zur Beantwortung der Herr Bundesaußenminister.
Herr Präsident, die Antwort lautet wie folgt. Ohne mich darüber zu äußern, ob die von Ihnen genannten Kollegen ihre persönlichen Bemerkungen tatsächlich in der von Ihnen behaupteten Form und in der von Ihnen unterstellten Absicht gemacht haben, möchte ich ihre Frage wie folgt beantworten.
Die Bundesregierung sieht es als eines ihrer vornehmsten Ziele an, die europäische Einigung im Rahmen der SechserGemeinschaft vorwärtszutreiben. Darüber hinaus versuchen wir, andere europäische Staaten mehr an die Gemeinschaft heranzuführen. Die mehrseitigen Verhandlungen über den politischen Zusammenschluß Europas haben im übrigen soeben erst begonnen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Herr Minister, halten Sie es für eine gute Sprache gegenüber den vier anderen Partnern in der EWG, wenn ein prominentes Mitglied der CDU sagt: „Wenn sie nicht mittun wollen, gut, dann sollen sie das verantworten"?
Herr Kollege Mommer, die Bundesregierung kann sich immer besser für ihre eigenen Taten verantworten. Das ist auch ihre eigentliche Aufgabe.
({0})
- Ja, das kann mal vorkommen.
({1})
Herr Kollege Mommer, was ich gerade gesagt habe, bitte ich sozusagen nicht qualitativ, sondern mehr quantitativ zu bewerten. Es wäre für die Bundesregierung sehr schwer, wenn sie zu so zahlreichen politischen Meinungsäußerungen wie die, mit denen wir jeden Tag konfrontiert werden, Stellung nehmen müßte.
({2})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier.
Herr Bundesaußenminister, darf ich davon ausgehen, daß Sie - anders als die Herren Fragesteller - den Text genauer gelesen haben und dabei gemerkt haben, daß ich selber von einer deutsch-französischen „Union" überhaupt nicht geredet habe, daß ich vielmehr auf diese Frage ausschließlich und allein mit dem Verweis auf einen Vertrag geantwortet habe, der von diesem Hause - zusammen mit der Opposition - einstimmig angenommen worden ist, daß ich geantwortet habe unter Verweis auf eine Präambel, die auf Wunsch dieses Hauses in das Gesetz gekommen ist und in der es heißt, daß die Aussöhnung -und Freundschaft zwischen dem deutschen und dem französichen Volk vertieft und ausgestaltet werden solle nach dem Willen dieses Hauses, und daß ich überhaupt keine Zweifel darüber gelassen habe, daß es sich nicht um eine Gegenkonstruktion,
({0})
um eine Ersatzlösung gehandelt hat, sondern allein
darum, sich gemäß dieser Präambel und damit einem
Beschluß des Hauses entsprechend zu verhalten?
({1})
Herr Kollege Gerstenmaier, ich werde mir sicherlich nicht die Lektüre Ihrer Ausführungen entgehen lassen, gleich, wo sie publiziert werden.
({0})
Aber ich möchte Ihnen wirklich ausdrücklich bestätigen - weil ich es aus einer anderen, vorausgegangenen Zusammenkunft weiß -, daß Sie großen Wert darauf legen und gelegt haben, die Präambel zum deutschfranzösischen. Vertrag in das richtige Licht zu heben. Daraus ergibt sich jede weitere Beantwortung.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Minister, Sie legen also nach den heutigen Erklärungen des Abgeordneten Dr. Gerstenmaier und nach einer vorausgegangenen Unterredung diese Erklärungen so aus, daß man hinsichtlich des Wortlauts des Interviews, das die „Bild-Zeitung" gebracht hat, nicht besorgt sein muß über eine Sonderrolle des Abgeordneten Gerstenmaier hinsichtlich der Auslegung, auch zu einer Zweierunion bereit zu sein?
({0})
Herr Kollege Wehner, ich habe mich, glaube ich, gerade zu der Sache geäußert, indem ich hervorgehoben habe, was der Kollege Gerstenmaier selbst sagte, daß er die Präambel als ein wesentliches Element des deutsch-französischen Vertrags ansieht. Ich habe - wenn Sie mir erlauben, das zu sagen - den Streit über Zweierunion oder dergleichen immer als einen recht verbalen Streit empfunden. Das deutsch-französische Verhältnis, so wie es sich in dem deutsch-französischen Vertrag darstellt, ist ja, wie jeder weiß oder doch wissen könnte, sozusagen das verkleinerte Abbild des Fouchet-Plans, der ursprünglich für sechs vorgesehen war, und die politische Aufgabe ist, das verkleinerte Abbild auf den größeren Kreis auszuweiten. Das ist zunächst einmal, von der Zahl der Teilnehmer her gesehen, die politische Aufgabe.
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Herr Abgeordneter Wehner, eine weitere Frage?
Würden Sie mir also, Herr Bundesminister, nach dieser interessanten Auslegung geschriebenen Wortes und gesprochenen Wortes zustimmen, wenn ich sage, daß es besser wäre, wenn der Herr Abgeordnete Dr. Gerstenmaier in seiner
Eigenschaft als Präsident des Bundestags in der von ihm angestrebten aktuellen Stunde zu Fragen der Politik aufriefe - zu denen sich dann vielleicht auch der Herr Bundeskanzler unmittelbar äußert und nicht erst mehrere Tage später -, und daß uns dann manches erspart bliebe, was sonst durch InterviewPolitik verworren wird?
Herr Kollege Wehner, Sie wissen, ich bin Anhänger eines Parlamentssystems, wie es vor allen Dingen in Großbritannien gehandhabt wird, eines Parlamentssystems, das übrigens wesentlich schärfere Anforderungen an die Regierung richtet, als das bei uns der Fall ist.
({0})
Deswegen zögere ich immer ein bißchen, es vorzuschlagen; denn die britische Regierung - das weiß jeder, - und die britischen Minister seufzen unter der Fragestunde ganz (anders, als das hier der Fall ist.
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Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schultz!
Herr Minister, wenn der Gedanke der Zweierunion in der Tat verfolgt würde - von wem auch immer in diesem Haus -, müßte die Bundesregierung dann nicht, wenn sie (der Meinung wäre, man sollte so prozedieren, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Ratifikationsgesetzes zum deutsch-französischen Vertrag einbringen?
Herr Kollege Schultz, vielleicht darf ich doch, da diese Frage sehr wichtig ist, einmal klarmachen, wie ich das Problem sehe. Für mich ist dieses Wort „Zweierunion" irgendwie irreführend. Es erscheint mir 'als Versuch, Plakate an etwas zu kleben, die nachher mißverstanden werden. Ich sage noch einmal, der deutsch-französische Vertrag ist zustande gekommen, nachdem eine größere Bemühung, nämlich die um die Sechs, nicht erfüllt werden konnte. Ich bin ja selbst Zeuge der Entstehungsgeschichte von Akt zu Akt gewesen, und in dem Vorspruch ist, wie ich gerade schon einmal gesagt habe, als Ziel das vereinte Europa genannt.
Niemand, der bisher von „Zweierunion" - sozusagen abseits des Zustandes, den ich gerade geschildert habe - gesprochen hat, hat auch nur von fern klargemacht, was Inhalt einer solchen Zweierunion sein sollte. Darauf warte ich bis heute vergeblich, und aus diesem Grunde würde 'ich vorschlagen, diese Vokabel nicht mehr zu gebrauchen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier
Herr Bundesaußenminister, befinde ich mich in Übereinstimmung mit der Bundesregierung, wenn ich davon ausgehe, daß das, was dieses Haus in der Präambel gesagt hat, als eine Art Beispiel dienen sollte für Verhältnisse, die wir mindestens innerhalb der europäischen Gemeinschaft, also innerhalb der Sechsergemeinschaft, möglichst aber auch innerhalb der Atlantischen Gemeinschaft überhaupt, anstreben?
Herr Kollege Gerstenmaier, die Präambel, deren Entstehungsgeschichte ja allen im Hause bekannt ist, ist zunächst einmal von einer Entschließung des Bundesrates ausgegangen. Diese Entschließung des Bundesrates hat die damalige Bundesregierung ausdrücklich bekräftigt und mit ihrer Stellungnahme an das Hohe Haus weitergeleitet.
Es ist dann eine Kontroverse darum entstanden, ob man daraus eine Präambel machen solle oder nicht. Ich bin selbst derjenige gewesen, der gegen die Präambel war, nicht des Inhalts wegen, sondern aus viel weittragenderen Erwägungen, weil ich nämlich dann, wenn die Praxis aufkommt, internationale Vertragswerke mit Präambeln zu versehen, eine erhebliche Einschränkung der Bewegungsfähigkeit der Bundesregierung befürchtet habe. Deswegen habe ich mich gegen diese Präambel ausgesprochen; zum übrigen auch deswegen, weil es gegenüber anderen Vertragspartnern immer sehr mißlich ist, wenn man ihnen nachher den Text zurückschickt, den man mit ihnen unterschrieben hat, sondern noch einen Zusatz bietet. Das sieht niemand sehr gern. Das sind die beiden Gründe gewesen, aus denen ich gegen die Form der Präambel war. In der Sache ist sie hundertprozentig richtig und bleibt richtig.
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Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Strobel.
Herr Bundesminister, Sie haben vorhin den deutsch-französischen Vertrag so ausgelegt, daß er Ihrer Meinung nach für den Beitritt anderer beitrittswilliger europäischer Staaten offen ist. Wo finden Sie im deutsch-französischen Vertrag die Bestätigung für diese Auslegung? Sind Sie der Meinung, daß der französische Staatspräsident diese Auslegung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages mit Ihnen teilt?
Frau Kollegin, ich kann Ihnen jetzt nur aus dem Gedächtnis antworten. Es gibt nach meiner Erinnerung unter den Schlußbestimmungen des deutschfranzösischen Vertrages einen Hinweis darauf, daß alle anderen Partner laufend unterrichtet werden sollen und daß man - mindestens ist das bei der Verabschiedung erklärt worden - bereit sei, mit ihnen über ähnliche Abmachungen zu sprechen. Ich habe mich gerade auf den Vorspruch bezogen. Im Vorspruch steht ausdrücklich, daß das Vertragswerk einem vereinten Europa dienen soll.
Noch eine Frage, Frau Abgeordnete Strobel.
Ist die Bundesregierung bereit, Herr Minister, diese Ihre Auffassung nicht nur hier in der Fragestunde, sondern ganz allgemein gegenüber unseren europäischen Partnern zu vertreten?
({0})
Frau Kollegin Strobel, öffentlicher als in der Fragestunde kann ich nicht sprechen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Metzger.
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß es gar nicht die Frage ist, ob unsere Nachbarn - dabei handelt es sich vor allen Dingen um die kleinen Nachbarn - mittun wollen oder nicht mittun wollen, sondern daß die Frage längst entschieden ist, daß unsere Nachbarn in der EWG usw. mitgetan haben, lange bevor der deutschfranzösische Vertrag überhaupt existiert hat?
Das ist nicht das Problem, Herr Kollege Metzger. Es gibt hier zwei Probleme. Das eine ist der systematische Ausbau der europäischen wirtschaftlichen Einrichtungen, wenn ich einmal so sagen darf der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der MontanUnion und von Euratom, mit dem Versuch, diese drei zu verschmelzen. Das ist eine große Aufgabe. Wir hoffen, daß wir uns der Verwirklichung dieser großen Aufgabe im nächsten Jahr nähern können.
Das zweite geht darüber hinaus. Das zweite ist die Bemühung darum, ob Außenpolitik, Verteidigungspolitik und Kulturpolitik - das sind die drei hier genannten Bereiche - unter den Sechs in irgendeine institutionelle oder prozedurale Form gebracht werden können. Im übrigen haben das nicht einmal wir, sondern das hat die französische Regierung vorgeschlagen. Das muß wirklich einmal wieder als ein Schritt der französischen Regierung in Erinnerung gebracht werden. Der Fouchet-Plan ist - sein Name deutet bereits auf Frankreich hin - schließlich ein französischer Vorschlag gewesen, an dem sehr lange gearbeitet worden ist. Wir haben uns entschlossen, nachdem man über den Fouchet-Plan keine Einigung erzielen konnte, wenigstens in dem begrenzteren Rahmen anzufangen. Deswegen sind alle Betrachtungen darüber, daß man erst in begrenzterem Rahmen anfangen sollte, mehr oder weniger müßig. Man hat bereits den Versuch begonnen, in begrenzterem Rahmen anzufangen.
Ich will die Frage einmal so stellen: Wenn man morgen auf die deutschen politischen Vorschläge von seiten aller Beteiligten einginge, bekäme man ein sehr ähnliches Bild wie das, was etwa zwischen dem ersten und zweiten Fouchet-Plan liegt. Das ist die deutsche Politik. Das haben wir vorgeschlagen, und wir warten auf die Antwort unserer Partner.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Metzger.
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß angesichts der Unterstellung eines immerhin prominenten Abgeordneten, daß - zunächst einmal jedenfalls - die Nachbarstaaten nicht mittun wollen, es bedeutsam ist, festzustellen, daß in der EWG, die ja bereits im Ansatz als politische Union gedacht ist, diese Nachbarstaaten bereits ihren Willen bekundet haben, mitzutun, und daß sie bereits mittun; daß also dieser Vorwurf gegenüber den kleinen Staaten unberechtigt ist?
Ob Vorwürfe berechtigt sind oder nicht, das sind sehr diffizile Bewertungsfragen. Aber man muß die Sache sehen. In der Sache sind die Sechs weitgehend wirtschaftlich und damit auch in ihrer politischen Existenz bereits miteinander verflochten. Die Frage ist, ob sie es fertigbekommen, auf den Gebieten der Außenpolitik, der Verteidigungspolitik und der Kulturpolitik institutionelle Formen zu finden oder nicht. Eine institutionelle Form dafür haben sie auf jeden Fall schon gefunden; denn alle diese Partner sind Mitglieder der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft, was gelegentlich vergessen wird. Die Frage ist aber, ob im Sechser-Rahmen hier eine bessere Zusammenarbeit, eine organisierte Zusammenarbeit möglich ist oder nicht. Diese Frage werde ich erst dann beantworten können, wenn wir definitive Antworten auf die deutschen Vorschläge haben. Wir haben ja Vorschläge dafür gemacht. Das müssen wir abwarten. Die sind für jeden, sei es für die Größeren, sei es für die Kleineren, unter den anderen Fünf doch völlig offen. Deswegen will ich jetzt nicht prophezeien, was die anderen Fünf tun. Das werden wir im Laufe der nächsten Wochen sehen. Da werden wir sehr sorgfältig die Stellungnahmen der einzelnen Staaten analysieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier.
Herr Bundesaußenminister, darf ich lediglich wegen der Bedeutung der Sache noch einmal fragen, ob ich mich in völliger Übereinstimmung mit der Bundesregierung insoweit befinde, als die Frage der - ich stimme mit Ihnen überein - nicht definierten Zweier-Union überhaupt nicht aktuell ist, daß es sich jedenfalls nicht um eine Gegenkonstruktion, nicht einmal um eine Alternative zur Struktur der EWG handeln kann, sondern es sich, wenn von dem Veto die Rede ist, lediglich darum handelt, daß dieses Haus zusammen mit der Bundesregierung nicht wünschen kann, daß die Aussöhnung und die Freundschaft zwischen dem deutschen und dem französischen Volk in ihrer Vertiefung und Ausgestaltung dem Veto anderer Mächte unterworfen wird?
Herr Kollege Gerstenmaier, ich würde sagen, ein Veto gegen die Ausgestaltung von Freundschaft kann es überhaupt nicht geben.
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Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Herr Minister, würden Sie so freundlich sein, aus dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag, dessen Text ich Ihnen hinübergegeben habe, die Stelle vorzulesen, die besagt, daß er dem Beitritt anderer Mitglieder offen sei?
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Also, es ist im Laufe einer so langen Fragestunde ein bißchen schwierig, die genaue Stelle zu finden. Ich werde sie gern dem Haus schriftlich mitteilen.
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- Warten Sie doch bitte ab, was ich dem Hause mitteilen werde.
Ich habe mich auf ein Dreifaches bezogen. Ich habe mich darauf bezogen, daß in dem Vertrag an irgendeiner Stelle steht - und ich sollte mich sehr wundern, wenn das im letzten Moment gestrichen worden wäre -,
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daß die anderen Partner unterrichtet werden und die Sache also offen bleibt. Ganz bestimmt steht es, wenn es hier nicht steht, in den bei Abschluß des Vertrages abgegebenen Erklärungen. Daran gibt es gar keinen Zweifel, daß wir diese Erklärungen in Paris abgegeben haben. Im übrigen steht in dem Vorspruch, den ich gern gleich noch einmal vorlesen werde, daß das Ziel dieses Vertrages ein vereintes Europa ist. Vielleicht kann ich aber gegen Schluß der Fragestunde noch einmal darauf zurückkommen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier.
Ich frage nur, ob ich dem Herrn Bundesaußenminister beispringen darf und ihn auf den letzten Abschnitt der gemeinsamen Erklärung von Paris
({0})
vom 22. Januar 1963 hinweisen darf, wo, glaube ich, genau die Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Mommer erteilt ist?
Würden Sie so liebenswürdig sein - ?
Das verbietet mir leider die Geschäftsordnung dieses Hauses.
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Aber mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten frage ich doch bei dieser Gelegenheit die Bundesregierung, ob sie nicht mit mir der Meinung ist, daß es höchste Zeit ist, daß wir unsere „aktuelle Stunde" hier in diesem Hause einführen.
Wollen Sie darauf antworten, Herr Minister?
Eine Sekunde. Ich möchte noch gern die betreffende Stelle aus der gemeinsamen Erklärung vorlesen. Ich vermute, es ist die Stelle, die der Herr Abgeordnete Gerstenmaier gemeint hat. Es heißt dort:
In der Erkenntnis, daß die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern einen unerläßlichen Schritt auf dem Wege zu dem vereinigten Europa bedeutet, welches das Ziel beider Völker ist.
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Wir kommen zur Frage 8 - der Abgeordneten Frau Strobel -:
Ist der Bundesregierung eine Bitte Frankreichs bekannt, die französische Regierung finanziell beim Aufbau der französischen Atomstreitmacht zu unterstützen?
Die Antwort auf diese Frage lautet nein.
Frau Abgeordnete Strobel zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, hat die französische Regierung die Bundesregierung um Finanzmittel anderer Art gebeten, um dadurch die französischen Rüstungsausgaben zu entlasten?
Die Antwort lautet nein.
Herr Bundesminister, sind der Bundesregierung französische Vorschläge unterbreitet worden, die ein deutsches Einwirkungsrecht auf eine französisch-europäisch genannte Atomstreitmacht mindestens in dem Umfange vorsehen, wie es in der MLF für die Bundesregierung vorgesehen ist?
Dr. Schröder Bundesminister des Auswärtigen: Die Antwort lautet nein.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr. Abgeordneter Börner.
Herr Bundesminister, sind bei dem Besuch des ehemaligen Bundeskanzlers Dr. Adenauer oder bei anderen Gelegenheiten dem französi7234
schen Staatspräsidenten irgendwelche Zusicherungen auf eine Unterstützung der französischen Force de frappe durch die Bundesrepublik Deutschland gemacht worden?
Die Politik der vergangenen Regierung und die Politik dieser Regierung sind in dieser Frage völlig identisch, wie sich aus den Regierungserklärungen selbst ergibt. Das atomare oder das nukleare Projekt, das wir unterstützten, ist das der MLF.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneten Professor Bechert.
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung bereit, zu erklären, daß sie keiner irgendwie beschaffenen Hilfe von seiten der Bundesrepublik Deutschland beim Aufbau der französischen Atomstreitmacht zustimmt und keiner solchen Hilfe zustimmen wird?
Ich verweise auf die Erklärung, die ich über die grundsätzliche atomare Politik - wenn Sie mir den Ausdruck erlauben - der Bundesregierung vorhin abgegeben habe.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Müller-Hermann.
Meint die Bundesregierung, daß den deutschen Interessen und dem Sicherheitsbedürfnis der Bundesrepublik gedient ist, wenn die Opposition mit ständig wiederholten, ich möchte sagen: Suggestivfragen, mit Unterstellungen in der Art, wie sie n der Frage der Frau Abgeordneten Strobel vorkamen,
({0})
die friedlichen Absichten der Bundesregierung in Mißkredit bringt und einer Bibelwollenden Auslandspresse Vorschub leistet,
({1})
indem sie den Eindruck hervorruft, als ob die Bundesregierung nichts Dringlicheres anstrebe als den Griff nach Atomwaffen?
({2})
Ich möchte 'darauf folgendes sagen, Herr Kollege Müller-Hermann: Was die atomare Politik der Bundesregierung ist, hat sie selbst dargelegt und ist bekannt. Wenn es nach uns ginge, wären wir morgen bereit, einem Beschluß zur Abschaffung aller Atomwaffen zuzustimmen.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schultz.
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß verteidigungspolitische Fragen, das strategische Konzept des NATO-Bündnisses betreffend, tunlichst auch im Rahmen des NATO-Rates behandelt werden sollten, und will sich die Bundesregierung dafür einsetzen, daß die Spannungen im Bündnis gerade bei der bevorstehenden Dezembersitzung des Rates dort ausgeglichen werden?
Ja, ich teile Ihre Meinung völlig. Der bedeutendste und umfassendste Zusammenschluß der hier interessierten Nationen liegt in der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft, und sie und ihre Institutionen sind natürlich der Raum, in dem über diese Fragen gesprochen werden muß.
Herr Abgeordneter Felder, wollen Sie noch eine Frage stellen?
({0})
- Bitte!
Herr Minister, sind Ihnen die Äußerungen des Generalsekretärs der Gaullistischen UNR Jacques Baumel und des früheren Informationsministers Christian de la Malène, eines Verteidigungsexperten der Gaullistischen Partei, bekannt, wonach an eine Verteidigung der Bundesrepublik durch französische Atomwaffen nicht zu denken sei? Er verstehe sehr wohl, daß sich die Männer, auf denen die Last der Verantwortung für die deutsche Verteidigung ruhe, in einer nahezu verzweifelten Situation befänden; aber es habe ja keinen Zweck, sich gegenseitig etwas vorzumachen; die einzig denkbare Lösung sei, daß die Bundesrepublik sich später von Frankreich Atomwaffen kaufe, um so zu einer eigenen Force de frappe zu kommen.
Ich frage deshalb, weil es sich um sehr einflußreiche Leute handelt, und ich frage Sie, ob nicht solche Äußerungen wenig förderlich für das deutschfranzösische Verhältnis sind.
Herr Kollege, ich möchte mich darauf beschränken, das Zitat zur Kenntnis zu nehmen.
Sie können es nachlesen; es ist in einer direkten Äußerung gemacht worden.
Keine weitere Frage.
Die nächste Frage - der Frau Abgeordneten Strobel -, Frage 9:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß Deutschland in eine weltpolitische Isolierung und Neutralisierung gerät, wenn sie die französischen Wünsche hinsichtlich der multilateralen Atomstreitmacht und der EWG-Agrarpolitik nicht erfüllt?
Unbeschadet unserer Bemühung um ein enges freundschaftliches Zusammengehen mit unseren Partnern ist das Ziel der deutschen Außenpolitik, die Lebensgrundlagen des deutschen Volkes zu sichern. Die Bundesregierung ist überzeugt, daß sie
mit einer so orientierten Politik weder in eine weltpolitische Isolierung noch in eine Neutralisierung geraten kann.
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung der Meinung, daß uns neben der Freundschaft mit Frankreich in erster Linie eine Zusammenarbeit mit den USA als der Hauptmacht der westlichen Welt vor der Gefahr bewahrt,
({0})
zum Spielball der Weltpolitik zu werden?
({1})
Frau Kollegin Strobel, ich habe in meiner voraufgehenden Kurzfassung der Politik der Bundesregierung bereits auf die Bedeutung der Vereinigten Staaten für die Bundesrepublik hingewiesen, und ich habe gestern in Berlin darüber eine längere Rede gehalten.
Nächste Frage - ebenfalls der Frau Abgeordneten Strobel -, Frage 10:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Europäische Parlament in einer Resolution am 22. Oktober 1964 den Ministerrat der EWG aufgefordert hat, bis zum 15. Dezember 1964 das gemeinsame Getreidepreisniveau festzusetzen, und daß die überwiegende Mehrheit der deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments dieser Aufforderung zugestimmt hat?
Die Antwort auf diese Frage lautet: Ja, das ist bekannt.
Herr Bundesminister, darf ich dazu dann noch fragen: Kam die Tatsache, daß ein großer Teil der CDU/CSU-Abgeordneten in Straßburg mit dem Europäischen Parlament die Entscheidung über die Preisangleichung bis 15. Dezember verlangt hat, für die Bundesregierung überraschend, oder war das mit ihr vorher abgesprochen?
Die Bundesregierung läßt sich natürlich nicht gern und nur selten überraschen.
({0})
Aber, Frau Kollegin Strobel, jedermann weiß, daß die Meinungen über die 'beste Regelung dieses Problems noch etwas kontrovers sind und im übrigen durch die Parteien etwas durcheinandergehen. Deshalb wird es Sache der Bundesregierung sein, in den internationalen Verhandlungen einen Weg zu finden, der schließlich, wie wir hoffen, alle befriedigen wird.
Die nächste Frage, Frage 11, kommt vom Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}).
Weiß die Bundesregierung, wie es zu Gerüchten kommt, daß Festlegungen über den europäischen Getreidepreis in einem deutsch-französischen Geheimabkommen getroffen werden sollen, um eine Entscheidung in dieser Frage vor Ende der gegenwärtigen Legislaturperiode des Bundestages nicht öffentlich vornehmen zu müssen?
Die Antwort auf diese Frage lautet: Nein.
Eine Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Stellvertretende Vorsitzende der CDU, Herr Dr. Gerstenmaier, eine derartige Möglichkeit öffentlich zur Diskussion gestellt hat?
Hm- - ({0})
Herr Kollege Schmidt ({1}), ich habe vorhin gesagt, daß ich mir selten eine schriftliche Auslassung des verehrten Kollegen Gerstenmaier entgehen lasse. An diese kann ich mich allerdings nicht erinnern.
({2})
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist sich die Bundesregierung darüber klar, daß ein derartiges Geheimabkommen lediglich zur Täuschung der deutschen Landwirtschaft dienen würde?
Wir leben 'im Zeitalter der sehr, sehr offenen Diplomatie, und wir haben nicht die Absicht, irgend jemand zu täuschen, schon gar nicht die deutsche Landwirtschaft.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier, Sie wollten eine Frage stellen?
Verzeihen Sie, Herr Präsident; ich habe die Frage nicht mitbekommen, weil ich gerade mit dem Herrn Fraktionsgeschäftsführer der SPD beschäftigt war zur Klärung der Dokumente. Mir selbst ist die Voraussetzung der Frage des Herrn Kollegen Schmidt ({0}) völlig unbekannt.
Herr Abgeordneter Frehsee zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesaußenminister, hatte vielleicht Herr Dr. Adenauer einen Auftrag der Regierung oder vielleicht des Herrn Bundeskanzlers, bei seinem letzten Besuch in Paris mit Herrn Staatspräsident de Gaulle über ein Stillhalten in der Getreidepreisfrage zu verhandeln?
Nein. Die Antwort lautet ganz klar: nein.
Keine weitere Frage. Wir kommen zu der Frage 12 - des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) -:
Teilt die Bundesregierung die von Staatssekretär Neef gegenüber einem Vertreter von Associated Press geäußerte Meinung, der 15. Dezember 1964 sei ein entscheidendes Datum für den europäischen Getreidepreis, oder ist sie der Auffassung des Staatssekretärs von Hase, daß bis zu diesem Tag über den Getreidepreis der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft keine Entscheidung getroffen zu werden brauche?
Die Antwort auf diese Frage ist ein bißchen länger, Herr Präsident. Ich darf der Einfachheit halber die im Bulletin der Bundesregierung vom 10. November 1964 abgedruckte Erklärung des Bundesministeriums für Wirtschaft wiedergeben - ich zitiere jetzt -:
Die Erklärung des Sprechers der SPD-Fraktion vom 6. November 1964, die Staatssekretäre Dr. Neef und von Hase hätten sich zur Getreidepreisfrage kontrovers geäußert, ist unzutreffend. Staatssekretär Dr. Neef hat auf der Tagung der Außenhandelsvereinigung des deutschen Einzelhandes in Köln nicht gesprochen, sondern der Veranstaltung als Gast beigewohnt. Auf eine Frage nach der Bedeutung der Ministerratsbeschlüsse der EWG vom 3. Juni 1964 erklärte er: „Die Bundesregierung hat damals zugestimmt, daß sie bis zum 15. Dezember 1964 ihre Antwort zu dem Teil des Mansholt-Planes geben werde, der sich mit der Frage des gemeinsamen Getreidepreises befaßt." Darin liegt keinerlei Widerspruch zu der Erklärung des Sprechers der Bundesregierung. Beide Äußerungen besagen, daß die Bundesregierung bis zum 15. Dezember 1964 zu den Mansholt-Vorschlägen Stellung nehmen wird.
Das ist eine bereits veröffentlichte Erklärung, die ich vorgelesen habe.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt.
Warum hat die Bundesregierung die Presseerklärung noch nicht dementiert?
Herr Kollege Schmidt ({0}), was die Dementis angeht, sehen wir uns einer solchen Flut falscher Nachrichten gegenüber,
({1})
daß ich jedenfalls mich irgendeiner nützlichen Tätigkeit nicht mehr würde zuwenden können, wenn ich mich den ganzen Tag nur mit der Abgabe von Dementis beschäftigte.
({2})
Herr Abgeordneter Schmidt!
Wollen Sie also damit sagen, daß die ap-Meldung eine Falschmeldung war?
Ich verweise auf die Stellungnahme der Bundesregierung, die ich gerade vorgelesen habe und die bereits publiziert ist.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Minister, ist also jener im Westdeutschen Rundfunk am 11. November vorgetragene Bericht von Elmar Mundt 'zutreffend, der mit der Bemerkung versehen wurde, er sei telegraphisch von Brüssel durchgegeben, und der mit dem Satz beginnt:
Der Knoten ist durchschlagen; der deutsche Getreidepreis fällt.
Das sei keine Hiobsbotschaft und keine erneute Kapitulationserklärung. Aber
zuerst mußten wohl noch die Illusionen und Träume vieler Parteipolitiker durch den Spähtrupp des greisen Staatsmannes Konrad Adenauer nach Paris zerstört werden.
({0})
Wer geglaubt hatte, der ehemalige Bundeskanzler hätte seinem Freund de Gaulle die Forderung nach einer baldigen Entscheidung über den europäischen Getreidepreis entwinden können, hat sich verspekuliert.
({1})
- Sie hatten sich ja vorhin über Pausen beklagt, verehrter Herr Zensor!
({2}) Mit dem Schluß:
In Brüssel atmet man auf: Europa hat Vorfahrt vor den deutschen Bundestagswahlen. Das haben die deutschen Unterhändler heute schweigend, aber mit voller eigener Überzeugung eingestanden. Gleichgültig, wer in den nächsten Wochen in Bonn die Richtlinien der Politik bestimmen wird, wer den Versuch in Brüssel wagt oder aus der Regierungsverantwortung aussteigt: Die deutschen Ratsvertreter brauchen eine robuste Gesundheit, Glück und Verstand, damit ein konstruktiver Kompromiß zustande kommt.
({3})
Meine Frage ist, ob dieser so bestimmt gebrachte Kommentar, der so dringend war, daß er telegraphisch mitgeteilt und verlesen werden mußte, den Tatsachen entspricht oder nicht.
Ich sehe in diesem Kommentar das Gebrauchmachen von sehr weitgehender journalistischer Freiheit,
({0})
sehr verehrter Herr Kollege Wehner, und ich habe zu ihm nichts weiter zu bemerken als dies: daß wir uns, wie jedermann weiß, bemühen, möglichst bald ohne Druck, ohne irgendeine Pression, ohne Ungeduld zur Lösung der in Brüssel strittigen Fragen zu kommen. Aber ich weigere mich, hier irgendeiner Art von Prophetie nachzugehen; das ist nicht meines Amtes. In dieser Beziehung ist ein Journalist freier als ein Minister.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Wehner.
Ich wollte nur durch eine Frage feststellen, Herr Minister, ob wir uns über die Bedeutung des Begriffs „Prophetie" einig sind; denn hier ging es ja um einen Bericht über eine gewesene Sitzung und nicht um eine Voraussage für eine kommende Sitzung.
({0})
Doch, doch! In dem Bericht sind ja geradezu prophetische Stellen. Ich kann sie jetzt nicht alle wiedergeben. Aber darin ist ja eine große Schau: „gleichgültig, wer in den nächsten Wochen in Bonn ..." Das war eine große Prophetie.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schultz.
Herr Minister, welches sind eigentlich die Gründe für das französische Drängen auf Annahme des Mansholt-Plans? Ist es nicht so, daß die Annahme des Plans für die französische Landwirtschaft eine Preiserhöhung für Getreide bringt und daß man es sich lieber von der EWG verordnen läßt, als daß man dem Drängen der französischen Bauern nachgibt, wie es überhaupt so ist, daß sich Regierungen nie gerne von den Bauern drängen lassen?
({0})
Herr Kollege Schultz, der letzte Satz entspricht wahrscheinlich allgemeiner Erfahrung.
({0})
Aber im übrigen bin ich nicht in der Lage, die Motive der französischen Regierung hier zu erklären.
Herr Abgeordneter Frehsee, noch eine Frage.
Herr Bundesminister, trifft es nicht zu, daß Staatssekretär Dr. Neef von dem Vertreter der ap in Köln auf die Staatssekretärsvorlage von Anfang dieses Jahres angesprochen wurde und auf die klare Frage, ob der 15. Dezember für den deutschen Getreidepreis ein entscheidendes Datum sei, mit einem klaren Ja geantwortet hat?
Dazu, was Staatssekretär Neef wirklich gesagt hat, kann ich hier nichts sagen. Ich habe nur nach sorgfältiger Prüfung die Pressemitteilung wiedergegeben, die bereits veröffentlicht ist.
Aber nun will ich einmal sagen, was ich selbst davon halte. Wenn Herr Neef das gesagt hat, hat er ja völlig recht.
({0})
- Natürlich! Wir haben uns im Frühjahr verpflichtet, bis zum 15. Dezember etwas zu erklären. Wir haben uns nicht verpflichtet, etwas Bestimmtes zu erklären.
({1})
Aber daß, gleichgültig, was wir erklären, es für die Landwirtschaft wichtig ist, das ist doch eine wahre Banalität.
Herr Abgeordneter Struve zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, haben Sie jemals den Eindruck gehabt, daß die deutschen Bauern die Regierung arg bedrängt hätten?
Herr Kollege, ganz so war meine Antwort nicht, das möchte ich doch klarmachen wegen meiner Beziehungen zu den deutschen Bauern. Der Kollege hat gefragt, ob es nicht bekannt sei, daß sich Regierungen nicht gerne von den Bauern drängen lassen. Das ist etwas ganz anderes als die Frage, ob die deutschen Bauern die Regierung bedrängen. Die deutschen Bauern, Herr Kollege Struve, sind die besten Freunde der deutschen Regierung und umgekehrt.
({0})
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Struve.
Herr Minister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die deutschen Bauern in der Frage des gemeinsamen Agrarmarkts ihre berechtigten Interessen vertreten?
Der Meinung bin ich.
({0})
Herr Abgeordneter Illerhaus zu einer Frage.
Herr Bundesminister, wenn ich zurückkommen darf auf die Frage von Frau Strobel bezüglich der Entschließung des Europäischen Parlaments: Sind Sie mit mir der Meinung, daß dieser Beschluß des Europäischen Parlaments mit den Beschlüssen der Bundesregierung und des Minister7238
rates nach Ihrer Antwort auf die vorherige Frage übereinstimmt?
Ich kann das jetzt nicht in allen Nuancen ausgewogen beantworten. Ich hatte den Eindruck, daß dieser Beschluß etwas weiterging als der Beschluß des Ministerrats. Ich mag mich darin täuschen, Herr Kollege Illerhaus, aber ich habe diesen Beschluß - das ist das, worauf es Ihnen ja wohl ankommt - keineswegs als irgendwie störend empfunden. Er ist für unsere Politik keineswegs störend, wie ich - wenn Sie mir das erlauben - in Parenthese hinzufügen möchte: Die Regierungen können die ermunternden Antriebe des Europäischen Parlaments immer sehr gut gebrauchen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zoglmann.
Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen, ob auch Sie aus dem bisherigen Verlauf der Fragestunde ,den Eindruck gewonnen haben, daß es die SPD-Fraktion unternommen hat, die Position des Außenministers in diesem Hause zu stärken?
({0})
Herr Kollege Zoglmann, die Motive der SPD-Fraktion sind mir verborgen.
({0})
Herr Abgeordneter Metzger zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß die Erklärung, die die Bundesregierung bis zum 15. Dezember abzugeben hat, dadurch beeinflußt ist, daß der Ministerrat mit Zustimmung des Vertreters der Bundesregierung beschlossen hat, daß die Festsetzung des Getreidepreises erwünscht sei?
Es geht hier um eine Interpretation der Beschlüsse des Ministerrats, die in der Tat etwas umstritten war. Aber ich glaube, ich habe sie richtig interpretiert: Wir haben uns verpflichtet, zu dieser Frage bis zum 15. Dezember eine Erklärung abzugeben, aber wir sind inhaltlich in gar keiner Weise verpflichtet; das möchte ich doch mit großem Nachdruck hervorheben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 13 - des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) - auf:
Glaubt die Bundesregierung an die Möglichkeit von Fortschritten in der europäischen Politik entsprechend ihren jüngsten Vorschlägen, und gefährdet sie nicht sogar das bisher Erreichte, solange sie nicht in der Getreidepreisfrage eine klare Entscheidung fällt?
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt. Die Bundesregierung glaubt an die Möglichkeit von Fortschritten in der Europapolitik gemäß ihren jüngsten Vorschlägen trotz der noch laufenden Verhandlungen über den Getreidepreis. Wir sehen einen Kreis von Staaten, die unserer Initiative positiv gegenüberstehen. Wir glauben, daß unser Plan eine Basis für ein Gespräch der sechs EWG-Staaten untereinander sein wird.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 14 - des Herrn Abgeordneten Wehner - auf:
Hält es die Bundesregierung für denkbar, eine Lockerung des Verhältnisses zu den USA bei den Verhandlungen über die MLF als Gegenleistung für ein Entgegenkommen Frankreichs bei der Beibehaltung des höheren deutschen Getreidepreises zu erwägen?
Die Antwort darauf lautet: Die Bundesregierung lehnt derartige Erwägungen ab.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Bundesminister, würde also die Auslegung in der Rheinischen Post vom 12. November - „Bonn kommt Frankreich entgegen", „Atomflotte auf Eis gelegt", und dann kommt eine entsprechende Unterüberschrift zur Senkung des Getreidepreises - den Standpunkt der Bundesregierung in bezug auf MLF nicht korrekt wiedergeben?
Es tut mir leid, daß ich mich zur Rheinischen Post, einem Blatt, dem ich freundschaftlich verbunden bin, wie Sie von mir als Düsseldorfer wissen, äußern muß. Ich halte diese Auffassung der Rheinischen Post für nicht zutreffend.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Wehner.
Es ist also nicht so, Herr Bundesminister - einmal völlig abgesehen von der Rheinischen Post, der Sie freundschaftlich verbunden sind -, daß gewisse Verzögerungen im Ablauf der Verhandlungen über MLF das Ergebnis von französischen Interventionen bei der Bonner Regierung und gegebenenfalls Erkundigungen unserer Regierung in Paris sind?
({0})
- Wohl nicht nur. Darüber werden wir vielleicht in
einer anderen Fragestunde einmal sprechen dürfen.
({1})
Die Antwort lautet: Nein. Der derzeitige Stand der Behandlung des MLF-Projekts hängt mit der TatBundesminister Dr. Schröder
sache zusammen, daß Großbritannien eine neue Regierung gebildet hat und es notwendig sein wird, diese Fragen auch mit der neuen britischen Regierung zu besprechen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Mommer.
Herr Minister, gibt es gar keinen Zusammenhang zwischen dem Beschluß des Vorstandes und der Fraktion der. CDU/CSU, die MLF-Frage nicht als eilbedürftig zu behandeln, und der Pression, die die französische Regierung auf die Bundesregierung in der Frage des Getreidepreises ausgeübt hat?
Ich kann mich nur für die Bundesregierung äußern. Da lautet die Antwort ganz klar: Nein. Der derzeitige Stand der MLF-Beratungen hängt damit zusammen, daß sich die britische Regierung zu diesem Projekt mit angemessener Frist natürlich erst neu einrichten muß, wenn ich mich so ausdrücken darf.
Keine weitere Frage.
Ich rufe die Frage 15 - des Abgeordneten Wehner - auf:
Ist die Bundesregierung bereit, über Lebensfragen der Nation in engen Konsultationen mit dem Deutschen Bundestag und seinen zuständigen Organen zu handeln, um einer Erörterung dieser Fragen durch kontroverse Zeitungsinterviews vorzubeugen?
Ihre Frage, Herr Kollege, klingt so, als ob die Bundesregierung in der Vergangenheit nicht so gehandelt hätte. Sie hat es aber getan, und ich möchte Ihnen versichern, daß sie auch in Zukunft in enger Verbindung mit dem Deutschen Bundestag und seinen zuständigen Ausschüssen handeln wird.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Wehner.
Meine Frage betraf nicht die Vergangenheit. Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie für das, was vor uns steht, eine solche Konsultation, eine enge Konsultation mit dem Deutschen Bundestag und den zuständigen Organen dieses Bundestages bei Erörterung dieser Fragen den kontroversen Zeitungsinterviews vorziehen? Diese - die Zeitungsinterviews - sind ja die Gegenwart.
Herr Kollege Wehner, Sie sprechen in Ihrer Frage von Lebensfragen der Nation. Dazu möchte ich ganz eindeutig sagen, daß ich keine Lebensfrage der Nation kenne, die nicht wirklich sehr gründlich im Deutschen Bundestag, mit dem Deutschen Bundestag und den zuständigen Ausschüssen behandelt worden wäre.
({0})
Es wird an unserer Bereitwilligkeit in dieser Beziehung nie fehlen. Alle anderen Fragen, deren Behandlung von der Regierung gewünscht wird oder deren Behandlung in den zuständigen Ausschüssen Sie etwa wünschen sollten, brauchen dort nur vorgebracht zu werden. Der Auswärtige Ausschuß und der Verteidigungsausschuß beschäftigen sich doch im Grunde laufend mit demselben Komplex, den wir behandeln, selbst wenn derzeit durch Publizität vorübergehend vielleicht ein falscher Eindruck entstanden sein sollte.
Die letzte Frage des Herrn Abgeordneten Wehner, Frage 16:
Was gedenkt die Bundesregierung angesichts der schwierigen internationalen Lage zu tun, um der deutschen Politik ein Höchstmaß an Geschlossenheit und Stabilität zu geben?
Geschlossenheit und Stabilität sind unverzichtbare Grundlagen der deutschen Politik. Die Bundesregierung strebt die Geschlossenheit der deutschen Politik auf allen erfolgversprechenden Wegen an. Dafür wäre es aber u. a. gut, wenn solche unqualifizierbaren Äußerungen, wie ich sie eingangs behandelt habe, unsere Arbeit nicht erschwerten.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wehner.
Sind Sie, Herr Bundesminister, mit mir darin einig,
({0})
daß das Parlament vornehmlich nicht die Stätte von Deklamationen, sondern von Sachdebatten zu sein hat und daß da, statt einseitige Belehrungen entgegennehmen zu müssen, die Möglichkeit gegeben sein muß, über die Sachfragen konkret auch mit Ministern und dem Bundeskanzler dieser Regierung zu diskutieren?
Ich möchte Ihre Frage eindeutig mit Ja beantworten. Niemand von uns ist hier für Deklamationen, sondern jeder nur für Entscheidungen nach voraufgegangener Beratung.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Wehner.
Herr Minister, würden Sie es für angemessen halten, wenn ich jetzt - weil Sie auf den Ausgangspunkt dieser Fragestunde zurückgekommen sind - den Wortlaut des Interviewteils des Herrn Bundeskanzlers zur Verlesung brächte, auf den sich meine - zugegebenermaßen scharfe und im Zorn gemachte - Äußerung bezogen hat?
({0})
- Oder ist das eine Belehrungsstunde?
({1})
Herr Kollege Wehner, ich möchte dazu folgendes sagen. Es gibt zwei Teile der politischen Auseinandersetzung. Das eine ist der Teil, der sich hier in verfassungsmäßig geregelten Formen abspielt. Das andere ist der öffentliche Teil außerhalb des Hauses. Die Bundesregierung kann nur etwas für den Teil in diesem Hause tun.
({0})
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gerstenmaier.
Darf ich mich an den Herrn Bundesaußenminister, stellvertretend - mit der Erlaubnis des Herrn Bundeskanzlers - gewissermaßen für die Bundesregierung, mit der Frage wenden, ob er mit mir das Unangemessene eines Dreieckschießens empfindet, das in dieser Art von Fragestunde steckt und von dem ich hoffe, daß es mit Hilfe der Bundesregierung auf geordnetem Wege hier in diesem Hause anders gelöst wird?
Ich habe mich auf die verfassungsmäßigen Formen bezogen, Herr Kollege Gerstenmaier. Ich bin ein Anhänger - Sie wissen, ich war lange Jahre Innenminister - der Durchführung verfassungsmäßiger Vorschriften.
({0})
Die Fragestunde ist beendet.
({0})
Die nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe auf Punkt 13:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes ({2}) Drucksache IV/2699).
Das Wort zur Berichterstattung für den Vermittlungsausschuß hat der Abgeordnete Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat in seiner 132. Sitzung am 24. Juni 1964 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung und, des Gerichtsverfassungsgesetzes angenommen. Ziel dieser sogenannten Kleinen Reform des Strafprozeßrechts war insbesondere eine Neuordnung des Rechts der Untersuchungshaft und eine stärkere, den Vorstellungen des Grundgesetzes angepaßte Rechtsstellung des Beschuldigten und seines Verteidigers. Der Bundesrat hat in seiner 272. Sitzung am 10. Juli 1964 beschlossen, den Ausschuß gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes anzurufen; er ist der Ansicht, daß das Gesetz gemäß Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes seiner Zustimmung bedarf. Ich werde die einzelnen Punkte des Vermittlungsbegehrens gemeinsam mit den jeweiligen Vorschlägen des Vermittlungsausschusses behandeln.
Zunächst ist der Vermittlungsausschuß wegen des § 119 der Strafprozeßordnung angerufen worden. Dieser Paragraph hat zum Ziel, die Unterbringung des Untersuchungshäftlings zu regeln. Die Anträge des Bundesrates haben eine den Bedürfnissen der Praxis besser gerecht werdende Formulierung der Voraussetzungen zum Inhalt, unter denen ein Häftling ausnahmsweise gefesselt werden darf. Die beiden Vorschläge enthalten keine wesentlichen sachlichen Änderungen gegenüber den Beschlüssen des Bundestages. Der Vermittlungsausschuß hat deshalb dem Begehren des Bundesrates entsprochen.
Nach der Fassung des § 148 auf Grund der Beschlüsse des Bundestages ist der uneingeschränkte und freie Verkehr des Verteidigers mit dem Beschuldigten gewährleistet. Der Bundesrat verlangt entsprechend der ursprünglichen Vorlage der Bundesregierung, daß von diesem Grundsatz unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen und der Verkehr des Beschuldigten mit seinem Verteidiger auch richterlicher Aufsicht unterworfen werden könne. Diese Auffassung berücksichtigt nicht die Funktion des Rechtsanwalts als Verteidiger. Nach § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung ist der Rechtsanwalt Organ der Rechtspflege. Mit dieser Stellung ist es nicht zu vereinbaren, daß der Richter als ein anderes Organ der Rechtspflege den Rechtsanwalt beaufsichtigt. Dem Einwand, daß man sich vor der möglichen Gefahr schützen müsse, unter Umständen könne ein Verteidiger seine Pflichten als Organ der Rechtspflege verletzen, ist entgegenzuhalten, daß für diesen Fall die Berufsgerichtsbarkeit eine hinreichende Sicherung bietet. Entscheidend ist, daß das Recht der Verteidigung nicht eingeschränkt werden darf. Der Vermittlungsausschuß hat sich deshalb das Begehren des Bundesrates nicht zu eigen gemacht.
In § 136 der Strafprozeßordnung ist festgelegt, daß der Beschuldigte vor der ersten Vernehmung uneingeschränkt auf seine Rechte hinzuweisen ist, insbesondere auch auf das Recht, vor der Vernehmung einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Der Bundesrat hielt einen solchen Hinweis auf das Recht des Beschuldigten, zunächst mit seinem Verteidiger sprechen zu können, für zu weitgehend; er sieht darin eine empfindliche Beeinträchtigung der Strafverfolgung. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Rechte des Beschuldigten nicht einseitig zugunsten der Strafverfolgungsbehörden verkürzt werden dürfen. Gerade auch der Schutz eines erstmalig gestrauchelten Täters verlangt es, daß er in vollem Umfange seine Rechte wahrnehmen und seine Verteidigung zweckentsprechend mit Hilfe sachkundigen Rates einrichten kann. Der Vermittlungsausschuß hat deshalb dem Begehren des Bundesrats auch insoweit nicht entsprochen.
In § 154 a Abs. 3 Satz 3 der Strafprozeßordnung hat der Bundesrat mit Recht eine redaktionelle Änderung verlangt. Diesem Begehren hat der Vermittlungsausschuß zugestimmt.
In § 202 a der Strafprozeßordnung hatte der Bundestag vorgesehen, dein Beschuldigten auch im Eröffnungsverfahren eine stärkere Stellung .zur besseren Wahrung seiner Rechtsposition zu geben. Der Bundesrat hat sein Begehren, diese Bestimmung zu streichen, vor allen Dingen damit begründet, daß eine derartige Regelung der Systematik unserer Strafprozeßordnung widerspreche. Nach Einführung des staatsanwaltschaftlichen Schlußgehörs und dem Scheitern aller Bemühungen, das Zwischenverfahren schon im Rahmen dieser Kleinen Strafprozeßreform neu zu gestalten, wäre das Festhalten en der Bestimmung des § 202 a in der Tat eine Lösung gewesen, die einen Fremdkörper im jetzigen System dargestellt hätte. Die Diskussion um eine zweckmäßige Gestaltung des Strafprozeßrechts auch in diesem Verfahrensabschnitt muß einer großen Reform vorbehalten bleiben. Der Vermittlungsausschuß hat deshalb dem Streichungsverlangen des Bundesrats zugestimmt.
In § 273 der Strafprozeßordnung hatte der Bundestag dahin entschieden, daß nicht mehr nur vor dem Amtsrichter und dem Schöffengericht, sondern für die Hauptverhandlung vor allen Gerichten ein Inhaltsprotokoll geführt werden muß. Der Bundesrat- hatte die Wiederherstellung des früheren Zustandes verlangt mit der Begründung, damit werde ein erheblicher Arbeitsaufwand verursacht, der den Vorsitzenden bei umfangreichen und komplizierten Verfahren übermäßig belaste. Im übrigen komme der Bestimmung wenig praktische Bedeutung zu.
Diese Auffassung ist nicht richtig, weil die neue Regelung gesehen werden muß in Verbindung mit dem ebenfalls neugefaßten Abs. 3 des § 273, wonach unter gewissen Voraussetzungen zukünftig die Protokollierung bestimmter Vorgänge oder Aussagen in der Hauptverhandlung erzwungen werden kann. Unter diesen Umständen ist die Protokollierung aber sowohl möglcherweise im Rechtsmittelverfahren als insbesondere auch für Wiederaufnahmeverfahren und gegebenenfalls auch für die Überprüfung bei dem Verdacht des Meineides von erheblicher Bedeutung. Deshalb dient eine weitergehende Protokollierung auch der Rechtssicherheit und der Klarheit im Verfahren. Dieses Ziel muß nach Auffassung des Vermittlungsausschusses Vorrang vor technischen Schwierigkeiten haben. Der Vermittlungsausschuß hat dem Verlangen des Bundesrats deshalb nicht entsprochen und empfiehlt, die vom Bundestag beschlossene Fassung beizubehalten.
In § 349 Abs. 2 bis 5 hatte der Bundestag dahin entschieden, daß in den Fällen, in denen eine Revision auf Antrag der Staatsanwaltschaft als offensichtlich unbegründet verworfen werden soll, dem Beschwerdeführer bzw. seinem Verteidiger Gelegenheit gegeben werden müsse, abweichend vom bisherigen Rechtszustand vor der Entscheidung über einen solchen Antrag dazu Stellung zu nehmen. Der Bundesrat hat demgegenüber verlangt, es im wesentlichen beim bisherigen Rechtszustand zu belassen, weil eine Begründung der Auffassung der Staatsanwaltschaft kaum möglich sei. Ziel der neuen Bestimmung ist es aber gerade, die Staatsanwaltschaft dazu anzuhalten, von den bisherigen floskelhaften
Anträgen abzugehen und die Gründe, aus denen sie zu ihrer Auffassung gelangt, darzulegen. Nur auf diese Weise kann auch in diesem Verfahrensabschnitt dem Beschwerdeführer das ihm verbürgte rechtliche Gehör gesichert werden. Darüber hinaus geht es nicht an, daß der Rechtsuchende darüber im unklaren gelassen wird, aus welchen Gründen seine Revision verworfen wird. Der Vermittlungsausschuß hat deshalb dem Begehren des Bundesrats nicht zugestimmt.
Der Bundestag hat die Bestimmung des § 153, der die Einstellung eines Verfahrens wegen Geringfügigkeit geregelt, neu gefaßt. Bildete bisher eine Übertretung oder ein Vergehen den Gegenstand des Verfahrens, dann konnte dieses nur dann eingestellt werden, wenn die Schuld des Täters gering und die Folgen der Tat unbedeutend waren; weil der Begriff der Tatfolgen und ihrer Bedeutung nur schwer zu bestimmen sind, hielt der Bundestag den Fortfall dieser Voraussetzung für geboten.
Demgegenüber macht der Bundesrat geltend, daß bei dem Vorwurf eines Vergehens eine Einstellung nicht nur von der Schuld des Täters abhängig gemacht werden dürfe, sondern auch mit dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung müsse vereinbart werden können, wie es der Regelung bei den Übertretungen entspricht. Der Vermittlungsausschuß hat dieser Überlegung deshalb entsprochen, weil er es für notwendig erachtet, daß neben der subjektiven Schuldvoraussetzung auch für die Frage der Einstellung eines Verfahrens, das ein Vergehen zum Gegenstand hat, ein möglichst objektiver Maßstab, nämlich die Vereinbarkeit mit dem öffentlichen Interesse, gesetzt werden sollte.
Im § 453 b der Strafprozeßordnung hat der Bundestag den jahrelangen Streit, ob das Gericht oder die Vollstreckungsbehörde die Lebensführung des Verurteilten und die Erfüllung der Auflagen zu überwachen hat, wenn die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach § 23 StGB zur Bewährung ausgesetzt und kein Bewährungshelfer bestellt worden ist, entschieden. Dadurch ist diese Frage aber nur für die Fälle des § 23 StGB geregelt. Der Bundesrat hat mit Recht darauf hingewiesen, daß dann aber noch die Fälle der bedingten Entlassung nach § 26 StGB ungeregelt blieben. Im Interesse einer einheitlichen Regelung ist deshalb die Einfügung einer neuen Nr. 10 a im Sinne des Antrags des Bundesrates erforderlich.
Der Bundestag hielt es in Übereinstimmung mit seinen früheren Entscheidungen in anderen Verfahrensgesetzen für notwendig, auch den § 69 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes neu zu fassen, um die Frage der zweifelsfreien Bestimmung des gesetzlichen Richters auch im Rahmen der Geschäftsverteilung der Gerichte gesetzlich klarzustellen. Demgegenüber hat der Bundesrat die Streichung dieser Bestimmung verlangt, weil sie angeblich zu praktischen Schwierigkeiten führe und es darüber hinaus nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1964 ohnehin einer weiteren. Klärung nicht bedürfe.
Hierzu ist festzustellen, daß gerade die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Notwendigkeit einer eindeutigen gesetzlichen Regelung aufzeigt. Der Vermittlungsausschuß hat sich dahin entschieden, es bei der durch den Bundestag beschlossenen Fassung zu belassen, legt jedoch Wert auf die Klarstellung, daß diese neue Vorschrift keinen Anspruch auf einen bestimmten Berichterstatter begründen könne. Nach Auffassung des Vermittlungsausschusses wird die Bestellung des Berichterstatters durch die Neufassung des § 69 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht berührt.
Durch die Einfügung des § 134 b in das Gerichtsverfassungsgesetz hatte der Bundestag beschlossen, die Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes dahin zu erweitern, daß es für die Aufgaben, welche auf dem Gebiete der Strafverfolgung den Behörden und Beamten des Polizeidienstes obliegen, dann tätig werden könne, wenn der Generalbundesanwalt oder der Untersuchungsrichter des Bundesgerichtshofs in Sachen, in denen der Bundesgerichtshof für die Untersuchungen und die Entscheidungen im ersten und im letzten Rechtszug zuständig ist, um die Vornahme von Ermittlungen ersucht. In dieser Bestimmung liegt eine Erweiterung der Exekutivbefugnisse des Bundeskriminalamtes, die in der Regelung des Grundgesetzes keinen hinreichenden Rückhalt findet.
Der Vermittlungsausschuß hat die Schwierigkeiten, die sich für die Ermittlungstätigkeit des Generalbundesanwaltes in seinem Zuständigkeitsbereich ergeben, eingehend erörtert und gewürdigt. Es kann nicht bestritten werden, daß der bestehende Zustand unbefriedigend ist, die Regelung im § 4 des Bundeskriminalamtsgesetzes nicht ausreicht und die dazu getroffene Vereinbarung zwischen Bund und Ländern in der Praxis häufig zu ernsten Schwierigkeiten geführt hat. Der Vermittlungsausschuß hat die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten für eine Änderung des bestehenden Zustandes deshalb eingehend geprüft. Er hat sich bei aller Anerkennung der vorhandenen Schwierigkeiten nicht entschließen können, der von der Bundesregierung und dem Bundestag vertretenen Auffassung zu folgen, wonach sich aus einer sinnentsprechenden Auslegung des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 73 Nr. 10 des Grundgesetzes eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage herleiten lasse. Er ist vielmehr der Auffassung, und zwar ausdrücklich in Übereinstimmung mit der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift, daß die Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes nach dem Wortlaut des Grundgesetzes darauf beschränkt bleiben müsse, als Zentralstelle zu wirken, und selbständige polizeiliche Ermittlungstätigkeit als Exekutivbehörde nicht wahrnehmen darf. Er hat deshalb dem Vermittlungsbegehren des Bundesrats entsprochen und empfiehlt die Streichung des Art. 12 und in Verbindung damit in Art. 17 die Streichung der Worte „mit Ausnahme des Artikels 12".
Der Vermittlungsausschuß war allerdings der Auffassung, daß zur Behebung der bestehenden und auch von ihm ernst genommenen Schwierigkeiten eine Neuregelung aus Zweckmäßigkeitsgründen dringend geboten ist, und empfiehlt deshalb zunächst, die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern auf Grund der bisher gesammelten Erfahrungen zu überarbeiten und neuzufassen.
Die räumlichen Verhältnisse in den Haft- und Strafanstalten bedürfen der Verbesserung. Sie erlauben es derzeit noch nicht, überall den Grundsatz der Trennung des Verhafteten von anderen Gefangenen zu verwirklichen. Die entsprechenden Voraussetzungen müssen zu einem erheblichen Teil erst geschaffen werden. Aus diesem Grunde hatte der Bundestag eine Übergangsfrist von sechs Jahren vorgesehen. Sie erschien dem Bundesrat zu kurz. Er verlangte eine Verdoppelung dieser Zeit. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, dem Begehren des Bundesrats durch eine Erhöhung des Zeitraums von sechs auf acht Jahre wenigstens teilweise Rechnung zu tragen.
Die Anrufung des Vermittlungsausschusses hat zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung geführt. Das Gesetz kann deshalb nicht, wie ursprünglich vorgesehen, am 1. Januar 1965 in Kraft treten. Der Vermittlungsausschuß schlägt deshalb vor, das Gesetz am 1. April 1965 in Kraft treten zu lassen.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, diesen Vorschlägen des Vermittlungsausschusses Ihre Zustimmung zu geben.
({0})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und stelle die Frage, ob von den Fraktionen Erklärungen abgegeben werden sollen. - Das ist offenbar nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses hat der Ausschuß beschlossen, daß über die Änderungen an dem Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes gemeinsam abgestimmt werden soll. Wer dem Entwurf des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes mit den vom Vermittlungsausschuß erarbeiteten Änderungen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Eine Gegenstimme. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Das Gesetz ist in dieser Fassung angenommen.
Wir kommen zu Punkt 14 der Tagesordnung:
a) Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, FDP betr. Situation des Energiemarktes, insbesondere Lage des Steinkohlenbergbaus ({0});
b) Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Energiepolitik und Lage des Steinkohlenbergbaus ({1}).
Zu diesem Punkt der Tagesordnung ist ein Antrag der Fraktion der SPD eingegangen, der als Umdruck 510*) noch vervielfältigt wird. Er wird wohl mit zur Debatte stehen.
*) Siehe Anlage 2
Vizepräsident Schoettle
Zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP hat das Wort der Herr Abgeordnete Brand.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Begründung der Großen Anfrage der Koalitionsfraktionen über die Situation des Energiemarkts und des Steinkohlebergbaus beginne ich mit der Feststellung, daß kein erkennbarer Grund dafür vorliegt, an der Energiepolitik der Bundesrepublik eine negative Kritik zu üben oder gar, wie es geschehen ist, von einer Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung auf dem Gebiete der Energiepolitik zu sprechen. Wir haben diese Große Anfrage eingebracht, um durch sachliche Feststellungen klärend und damit beruhigend einer verständlichen Nervosität zu begegnen, die durch die Stillegungsankündigungen im Ruhrgebiet ausgelöst worden sind. Darüber hinaus wünschen wir zu untersuchen, ob die bisherigen erfolgreichen Maßnahmen der Bundesregierung ausreichen, um unter sich wandelnden Verhältnissen die jetzige Produktion aufrechtzuerhalten, und was zu geschehen hat, um den Bergleuten, den Unternehmensleitungen und der Bevölkerung des Ruhrgebiets das zu geben, worauf sie Anspruch erheben können, nämlich ein Höchstmaß an Sicherheit in bezug auf die voraussehbare Entwicklung in den kommenden Jahren.
Die einzelnen Fragen werde ich in der Reihenfolge der Anfrage begründen.
Die dem Steinkohlenbergbau zugesagte Absatzmöglichkeit von 140 Millionen t konnte bis heute eingehalten werden, wenn auch ein vorwinterliches Ansteigen der Halden zu verzeichnen ist, deren Abbau von der Entwicklung des Winterwetters beeinflußt werden wird. Wir verbinden mit dieser Feststellung die Frage, ob der Absatz nicht durch zusätzliche Maßnahmen gesichert werden sollte, wobei wir z. B. an die Mitfinanzierung moderner Verstromungsanlagen und von Blockheizwerken denken. Wir dürfen bei dieser Betrachtung nicht übersehen, daß bei einem jährlichen Anstieg des allgemeinen Energiebedarfs um 2 bis 4% der relative Anteil der Kohle am Energiebedarf bei gleichbleibender Kohleförderung eine Einbuße erleidet. Ich möchte gerade im Hinblick hierauf betonen, daß, wenn wir das schon in Kauf nehmen, es aber unserem erklärten Willen entspricht, die absoluten Fördermengen in Höhe von 140 Millionen t zu halten.
({0})
Ich möchte hier nicht noch einmal alles das aufzählen, was in den zurückliegenden Jahren von seiten der Regierung für den Bergbau getan worden ist. Wir sollten in dieser Stunde den Blick nach vorn und nicht nach rückwärts richten. Und doch muß ich eines hier klar zum Ausdruck bringen: Ohne die auf eine Rationalisierung des Bergbaus ausgerichtete Energiepolitik der Bundesregierung wären die Voraussetzungen nicht geschaffen worden, die zu der anerkennenswerten Leistungssteigerung von 1,6 auf 2,6 t pro Schicht geführt haben. Hiermit liegen wir an der Spitze des europäischen Steinkohlenbergbaus.
Hierfür sind wir den Führungskräften und den Belegschaften der Zechen Dank schuldig, aber auch der Bundesregierung. Wir haben hier das Ergebnis einer Rationalisierung vor uns, das nicht nur in unserem nationalen, sondern auch im europäischen Interesse liegt.
Ein wesentliches Mittel dieser Rationalisierungsbestrebungen ist der Rationalisierungsverband, der gesetzgeberisch in diesem Hohen Hause aus der Taufe gehoben wurde. Gestatten Sie mir, mit wenigen Worten an die Entstehungsgeschichte dieser Organisation zu erinnern. In der Energiedebatte, die auf Grund einer Großen Anfrage der Opposition am 16. Mai 1962 stattfand, kündigte die Bundesregierung ein Gesetz zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau an. Dieses Gesetz ist am 1. September 1963 in Kraft getreten.
In der Energiedebatte vom 29. März 1963 nannte der damalige Bundeswirtschaftsminister und heutige Bundeskanzler zwei Hauptaufgaben des Rationalisierungsverbandes, die es dem Bergbau ermöglichen sollten, selbst Wege zu finden, um sich gegenüber konkurrierenden Energieträgern behaupten zu können. Erstens sollen dem Verband mit Finanzierung der öffentlichen Hand durch die Gewährung von Darlehen und Übernahme von Bürgschaften mit einem Gesamtvolumen von 1,5 Milliarden DM die Investitionen ermöglicht werden, die zur inner- und überbetrieblichen Rationalisierung sowie zur Durchführung sonstiger im Interesse einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit liegenden Vorhaben unerläßlich sind. Der Verband soll auf diese Weise den Impuls für die Bereitschaft zu den sehr großen und langfristig wirkenden Investitionen geben.
Die zweite wichtige Aufgabe des Verbandes ist die Gewährung einer Beihilfe für die Stillegung unrentabler Schachtanlagen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Bergbau .die ihm gebotene Möglichkeit zur Rationalisierung nach besten Kräften genutzt hat. Er konnte unter dem ihm durch Kohlezoll und Heizölsteuer gewährten Marktschutz die Jahresförderung von 140 Millionen t aufrechterhalten, obwohl seit 1958 rund 200 000 Bergarbeiter den Bergbau verlassen haben und seit 1957 37 Schachtanlagen mit einer Förderungskapazität von 18 Millionen t stillgelegt wurden.
Mit dem Inkrafttreten des Rationalisierungsverbandes war von Anfang an ,die Erwartung verbunden, .daß der Steinkohlenbergbau mit seiner Hilfe weitere Anstrengungen zur Fortführung der Rationalisierung unternehmen würde. Die Frist für die Anmeldung von Stillegungsabsichten im Rahmen des Verbandes war am 31. Oktober 1964 abgelaufen. Dem Verband sind in den letzten Wochen nach Abzug der bereits stillgelegten Anlagen noch 26 Schachtanlagen mit einer jährlichen Förderungskapazität von rund 22 Millionen t zur Stillegung angezeigt worden. Es ist verständlich, meine Damen und Herren, daß Stillegungsanträge in einem solchen Ausmaß Aufregung und Unruhe bei den Betroffenen hervorrufen müssen. Wir legen deshalb Wert darauf, daß die Bundesregierung sobald wie möglich feststellt, inwieweit es sich hier nur urn vorsorgliche Anmeldungen handelt, das heißt, wann, wo und von
wem nun wirklich stillgelegt wird. Es wäre auch gut, wenn erklärt werden könnte, daß es sich auf absehbare Zeit um die letzte Stilllegungswelle handelt. Das aber hat natürlich zur Voraussetzung, daß sich die Absatzlage nicht weiter verschlechtert.
Leider haben die sich widersprechenden Erklärungen und Gegenerklärungen, Behauptungen und Gegenbehauptungen, die in den letzten Wochen in der Öffentlichkeit abgegeben wurden, nicht klärend und versachlichend, sondern dramatisierend und beunruhigend gewirkt. Der Rationalisierungsverband - das möchte ich hier auch einmal ausdrücklich feststellen - ist weder als Schrumpfungsapparatur für den Bergbau gedacht, noch ist er ein Beerdigungsinstitut, sondern, wie der Name schon sagt, ein Instrument zur Rationalisierung. Der Rationalisierungseffekt wird natürlich nur erreicht werden können, wenn die stillgelegten Kapazitäten möglichst vollständig auf die weiterlebenden Anlagen übertragen werden können. Ein Absinken der Förderung würde neben den bekannten übrigen Folgen auch die einer Kostenprogression haben, die den Rationalisierungseffekt wieder aufzehren würde. Auch das ist ein Grund für uns, der Erhaltung der Absatzmöglichkeit unsere ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Meine Damen und Herren, das Gefühl der Unsicherheit der persönlichen Existenz gehört zum Unerträglichsten im menschlichen Leben. Es ist unmöglich, einem Menschen von der Wiege bis zur Bahre einen bestimmten Arbeitsplatz zu garantieren. Es ist aber ebensowenig angängig, ihn auf Jahre hinaus in dem Schwebezustand einer latenten beruflichen Existenzgefährdung zu halten.
({1})
Deshalb unsere Forderung nach Klarstellung, damit der Bergbau und jeder dort Beschäftigte sobald als möglich weiß, wohin die Reise geht.
({2})
Von der Schließung einer Zeche werden nicht allein die dort Beschäftigten und deren Angehörige, sondern auch - zumindest ist das in allen kleineren Gemeinden der Fall - die Geschäftsleute und das Diensleistungsgewerbe hart betroffen, da sie alle mehr oder weniger von der betreffenden Zeche und den dort beschäftigten Menschen leben. Wenn die Unsicherheit in der Beurteilung der Existenzmöglichkeit unseres Bergbaues weiter wächst, dann hungern wir ihn hierdurch technisch und personell auf die Dauer aus. Die Bereitschaft, Geld für technische Neuanlagen zu investieren, wird immer geringer werden. Immer weniger Eltern werden ihre Kinder in eine Bergbaulehre schicken wollen, und die notwendigen wissenschaftlichen Nachwuchskräfte werden ausbleiben. Zur Zeit studieren in Aachen fünf, in Berlin zwölf und in Clausthal acht, also zusammen 25 Studenten im ersten Semester Bergbau. Das ist eine alarmierende Zahl, die uns wohl zu denken geben sollte.
Die Probleme des Bergbaues als eines der Primärenergieträger können heute nicht mehr isoliert, sondern müssen im Zusammenhang mit den übrigen
Energiearten gesehen und beurteilt werden. Die deutschen Raffinerien erzeugten in den ersten neun Monaten dieses Jahres 22% mehr Fertigprodukte als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, wobei das leichte Heizöl um 55% und das schwere Heizöl um 27% anstieg. Die Folge davon ist ein geradezu grotesker Verdrängungswettbewerb der Heizöllieferanten untereinander. Der Verbraucher mag es begrüßen, daß er sein Heizöl auf diese Weise in der Bundesrepublik zu Preisen kaufen kann, die bis zu 50% unter denen anderer Länder liegen. Doch er muß auch sehen, daß dies nur ein vorübergehender Zustand sein kann.
Wir anerkennen, daß es der Regierung gelungen ist, den Energiepreis in der Bundesrepublik auf einem für Wirtschaft und Privatverbrauch tragbaren Niveau zu halten. Wir halten es aber für erforderlich, in Zukunft eine Kapazitätsabstimmung und eine Rechtsangleichung für die verschiedenen Energieträger vorzusehen, wobei u. a. die Zweckmäßigkeit eines Pipeline-Gesetzes und einer Raffinerielizenzierung zu untersuchen wäre. Es kommt darauf an, eine Synthese zu finden zwischen der Aufrechterhaltung eines gesunden Wettbewerbs der Energieträger untereinander und der Existenzerhaltung unseres heimischen Energieträgers Bergbau.
Meine Damen und Herren! Strukturwandlungen in der Wirtschaft bleiben nie ohne Folgewirkungen für die in dem betreffenden Wirtschaftszweig Beschäftigten. Das ist ein Vorgang, der nicht auf die Kohle beschränkt ist. Worauf es "ankommt, ist, die Umsetzung freigewordener Arbeitskräfte so reibungslos wie möglich zu vollziehen. In der Vergangenheit hat sich dieser Prozeß über Erwarten glatt vollzogen, nicht zuletzt dank der Vielzahl der sozialen Maßnahmen im Rahmen einer aktiven Bergbaupolitik der Bundesregierung. Doch wollen wir nicht verkennen, daß trotzdem menschliche Härten unvermeidbar auftreten. Wir haben deshalb in Form einer Frage den erneuten Appell an die Bundesregierung gerichtet, alles zu tun, um Härten für die von den Zechenstillegungen Betroffenen zu vermeiden. Diese sozialpolitische Seite des Problems der Strukturbereinigung hat uns immer vorrangig beschäftigt. Ihr wird auch in Zukunft unsere besondere Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft gelten.
Die europäische und auch die Weltenergielage sind labil. Ich will damit sagen, sie sind permanenten Veränderungen unterworfen, die ausgelöst werden durch das Versiegen alter Vorkommen, durch das Fündigwerden neuer Vorkommen, durch das Auftreten neuer Energiearten wie des Erdgases und durch eine technische Entwicklung, die zu einer besseren Ausnutzung der konventionellen Energien und zur Erschließung der Nuklearenergie hinführt. Diese sich gebietsweise oft spontan und schnell vollziehenden Veränderungen machen eine zunächst noch nationale, aber morgen schon europäische Abstimmung der Energieträger untereinander erforderlich. Wir hoffen und wünschen, daß diese notwendige Abstimmung bei uns auf freiwilliger Grundlage ohne gesetzlichen Zwang möglich ist. Sollte sich dies jedoch als nicht möglich erweisen, dann müssen wir von der gesetzlichen Möglichkeit
des § 10 des Außenwirtschaftsgesetzes Gebrauch machen.
({3})
Das ist nichts Neues, sondern in dem Entschließungsantrag der Energiedebatte vom 16. Mai 1962 bereits zum Ausdruck gekommen. Wir können es uns in Deutschland auf dem Energiesektor nicht leisten, einen Kampf aller gegen alle nach Art eines Freistilringkampfes eintreten zu lassen, bei dem dann die Gefahr besteht, daß die deutsche Kohle auf der Strecke bleibt. Einen Wasserhahn können Sie zudrehen und wieder aufdrehen; eine Zeche können Sie nur schließen, aber nicht wieder aufmachen.
Wir sind in Europa auf dein Energiesektor schon heute reichlich importabhängig. Es darf uns nicht gleichgültig sein, ob wir in unserer Energieversorgung noch abhängiger werden vom Ausland und sollten deshalb den Energieimport nicht über das notwendige Maß hinaus steigern. Das hat nichts zu tun mit einem anachronistischen Autarkiedenken. Es ist einfach ein Gebot vernünftiger Vorsorge. Wir haben in unserer Anfrage darauf hingewiesen, daß es uns nicht als vernünftig erscheint, wenn bei uns Zechen stillgelegt werden, die wirtschaftlicher arbeiten und leistungsfähiger sind als Zechen in anderen EWG-Ländern, die, staatlich subventioniert, über das Jahr 1970 hinaus in Betrieb bleiben.
({4})
Wir bitten deshalb die Bundesregierung, ihren ganzen Einfluß in Brüssel dahin gehend geltend zu machen, daß wir möglichst bald zu einer europäischen Energiekonzeption kommen und die Folgerungen hieraus rechtzeitig gezogen werden.
Was wir in der Bundesrepublik und im EWG-Raum wünschen, ist ein gesunder und leistungsfähiger Energiemarkt, der frei von Wettbewerbsverfälschungen aller Art auch dem deutschen Bergbau seinen ihm zukommenden Lebensraum beläßt.
({5})
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD hat der Abgeordnete Arendt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wer nicht abergläubisch ist, wird erschrecken, wenn er feststellen muß, daß ausgerechnet an einem Freitag, der noch dazu der Dreizehnte ist, in diesem Hause wieder einmal eine Energiedebatte stattfindet. Sie alle erinnern sich, daß die sozialdemokratische Fraktion sowohl im Jahre 1962 als auch im Jahre 1963 durch das Einbringen einer Großen Anfrage energiepolitische Debatten ausgelöst hat, und wenn dieses Hohe Haus heute, am 13. November 1964, sich erneut, und noch dazu gleich mit zwei Großen Anfragen auseinandersetzen muß, zeigt das, glaube ich, recht deutlich, wie schwierig die Probleme trotz sechsjähriger Krise im Steinkohlenbergbau auch heute noch sind.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat in zehn Fragen an die Bundesregierung versucht, einige Auskünfte zu bekommen, die notwendig sind, wenn man sich eine Vorstellung von der Zukunft des deutschen Steinkohlenbergbaues, der immerhin auch heute noch zu 49% an der Energieversorgung beteiligt ist, machen will. Sie alle wissen durch die Zeitungsmeldungen, durch Rundfunknachrichten und durch das Fernsehen, daß insgesamt 36 Schachtanlagen im Rahmen des Rationalisierungsverbandes zur Stillegung angemeldet worden sind. Sie alle wissen, daß mehr als 60 000 Arbeitsplätze im deutschen Steinkohlenbergbau wegfallen sollen.
Herr Kollege Brand, Sie haben - und damit komme ich gleich zur ersten Frage unserer Anfrage - davon gesprochen, die Bundesregierung solle es nicht einreißen lassen, daß sich ein Freistilringkampf auf dem Energiemarkt abspiele. Wir sind der Auffassung, daß sich nicht erst seit gestern, sondern schon seit langer Zeit so etwas wie Catch-as-catchcan auf dem Energiemarkt abspielt und daß insbesondere das Heizöl und andere Energieträger ungehindert und unkontrolliert bereits einen großen Teil des Marktes erobert haben. Ich will hier keine Prognosen für die Zukunft stellen, aber eines ist ganz sicher: würde das Öl, würden andere Energieträger eine dominierende, beherrschende Stellung im Markt erobert haben, dann wäre das Gerede von der Preisgünstigkeit dieser Energieträger sehr schnell zu Ende.
({0})
Deshalb und nur deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, den Gesichtspunkt der Sicherung der Versorgung nicht außer acht zu lassen. Es ist notwendig, eine energiepolitische Konzeption zu entwickeln, die wirklich alle Energieträger und insbesondere unsere heimischen Energieträger sinnvoll in dieses Konzept einarbeitet.
Wir wissen, daß die Bundesregierung in der Vergangenheit viele Erklärungen abgegeben hat. Ich möchte einmal bei der Erklärung über die sogenannten 140 Millionen Tonnen beginnen. Der Bundeswirtschaftsminister hat vor gar nicht langer Zeit noch einmal sehr deutlich unterstrichen, daß es das Ziel der Regierung sei, 140 Millionen Tonnen für die Förderung im Steinkohlenbergbau sicherzustellen. Einige Zeit später hat Herr Staatssekretär von Hase als Bundespressechef erklärt, die Bundesregierung sei der Meinung, diese 140 Millionen Tonnen seien die Obergrenze, die eingehalten werden müsse. Nun, Herr Minister, wenn Worte einen Sinn haben, kann man aus den Ausführungen des Staatssekretärs doch nur entnehmen, daß die Bundesregierung sich durchaus mit dem Gedanken trägt, unter Umständen auch eine Reduzierung dieser Kohleförderung von 140 Millionen Tonnen hinzunehmen. Denn anders wäre. der Begriff der Obergrenze nicht zu erklären. Oder mit anderen Worten: Wir haben den Eindruck, daß hier versucht wird, eine Hintertür offenzuhalten, durch die man, wenn die Situation sich verändert,. leise und unbemerkt entschlüpfen kann.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit zu den Fragen kommen, die auch in unserer Anfrage enthalten sind und die auf der Entscheidung dieses Hohen Hauses
Arendt ({1})
vom vergangenen Jahr fußen. Bei der letzten Energiedebatte im März 1963 wurde von der Bundesregierung die Schaffung eines Rationalisierungsverbandes angekündigt. Im Juni 1963 hat dieses Hohe Haus mit den Stimmen der Regierungsparteien den Rationalisierungsverband für den Steinkohlenbergbau gesetzlich verankert. Als die Bundesregierung die Schaffung dieses Rationalisierungsverbandes ankündigte, hat sie den Eindruck erweckt, als sei der Verband geradezu eine „Wunderwaffe" zur Lösung der energiepolitischen Probleme. Wenn Sie sich die Mühe machen, in den Protokollen der damaligen Debatte nachzulesen, werden Sie feststellen, daß die Sozialdemokraten recht nachdrücklich ihre Bedenken gegen den Rationalisierungsverband angemeldet haben.
Inzwischen ist der 31. Oktober 1964 vergangen, und es ist in der Öffentlichkeit bekanntgeworden, daß dieser Verband nicht nur der Rationalisierung dient, sondern daß das Wirklichkeit wird, was wir angekündigt hatten: daß er sich zu einem Schrumpfungsverband entwickelt. Das ist durch die Meldungen und durch die Vorgänge recht eindeutig unter Beweis gestellt worden.
({2})
36 Großschachtanlagen mit einer Gesamtbelegschaft von mehr als 60 000 Bergleuten sollen stillgelegt werden.
In diesem Zusammenhang muß ich gleich ein Wort zu den Terminen sagen. Im Gesetz war vorgesehen, daß am 31. August die Schachtanlagen die Anmeldung von zur Stillegung beabsichtigten und vorgesehenen Zechen vornehmen. Man hat dann diesen Termin auf den 31. Oktober verlegt, und man muß sich fragen, welche Gründe für diese Verlegung maßgeblich waren. Die Bergleute an Rhein und Ruhr können sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Terminverlegung vorgenommen wurde, um einen psychologischen Druck auf die Belegschaften auszuüben, weil an diesem Tage auch die gekündigten Tarifverträge ausliefen. Wenn man sich einige Erklärungen der Werksleitungen vergegenwärtigt, die ,dem Sinn nach ungefähr so lauteten: Nun, Belegschaften, arbeitet mal recht schön, nach Möglichkeit ohne Lohn oder für wenig Lohn, dann wird die Schachtanlage vielleicht nicht stillgelegt, ich glaube, meine Damen und Herren, dann wird klar, daß man mit solchen Methoden das Vertrauen in der Belegschaft zum deutschen Bergbau und zur Sicherheit des Arbeitsplatzes nicht wecken kann.
({3})
- Wenn Sie ({4}) abwinken, dann will ich Ihnen gleich noch eine Terminverlegung nennen. Im Gesetz ist vorgesehen, daß am 31. August 1965 mit der Stillegung begonnen wird, wenn die Entschädigungen und die Beihilfen aus der Bundeskasse gezahlt werden. Man trägt sich nun mit dem Gedanken, diesen Termin vom 31. August 1965 - das wäre drei Wochen vor der Bundestagswahl - auf das Jahr 1966 zu verlegen. Aber in diesem Jahr, Herr Philipp, sind die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, und ich bin sicher, daß dann der Termin auf den Januar 1967 verlegt werden wird. Ich sage
Ihnen jetzt gleich: Das ist nach unserer Auffassung keine Energiepolitik, sondern das ist das Vor-sichHerschieben der ungelösten Fragen in diesem wichtigen Wirtschaftszweig.
({5})
Welche Wirkungen hat nun der Rationalisierungsverband? Sie wissen, meine Damen und Herren - ich will hier den Inhalt des Gesetzes nicht im einzelnen darlegen -, daß Geld gegeben wird für etwas, was man gar nicht tut - und das ist ja für den Bergbau zumindest ein Novum -, und zwar 25 DM pro Tonne stillgelegte Jahresförderung. Die eine Hälfte dieses Betrages wird aus dem allgemeinen Steueraufkommen gezahlt. Die andere Hälfte dieses Betrages muß im Umlageverfahren von den übrigen Schachtanlagen aufgebracht werden.
Was hat das für eine Wirkung? Es hat die Wirkung, daß leistungsfähige und rentabel arbeitende Schachtanlagen zusätzlich belastet werden und an den Rand der Unwirtschaftlichkeit durch solche Maßnahmen geraten. Sie werden dadurch keine Ordnung auf dem Energiemarkt herbeiführen.
({6})
Eine andere Wirkung des Verbandes besteht darin, daß Schachtanlagen, die in der nächsten Zeit auf natürliche Weise zum Erliegen kommen würden, weil sie keine ausreichenden Kohlenvorräte mehr haben, jetzt in dieser gesetzlichen Frist die Stilllegung angemeldet haben, weil sie diese Gelegenheit zu einem Griff in den Steuersäckel ausnützen möchten.
Meine Damen und Herren, das mag sicherlich eine Methode sein. Nur ist es nach unserer Auffassung nicht die richtige Methode, die vielfältigen Probleme dieses Bereichs zu lösen. Sie erinnern sich, daß wir gesagt haben, daß in diesem Rationalisierungsverbandsgesetz eine ganze Reihe von Bestimmungen enthalten sind, die die Entschädigung der Aktionäre und der Besitzer von Kohlengruben regulieren - es sind ja auch noch steuerliche Vergünstigungen und Vorteile vorgesehen -, daß aber nicht eine einzige Zeile in diesem Rationalisierungsverbandsgesetz enthalten ist, welche etwas darüber aussagt, wie das Schicksal der betroffenen Menschen in diesen Betrieben geregelt werden soll.
Das hat dazu geführt, daß ein erheblicher Vertrauensverlust eingetreten ist. Ich glaube, die Zahlen sind Ihnen bekannt. Ich darf Ihnen nur zwei Zahlen nennen, die ein bezeichnendes Licht auf die Nachwuchsentwicklung werfen. Zu Ostern 1964, also in diesem Jahr, hatte der Ruhrbergbau einen Bedarf von 7000 Berglehrlingen. Es sind genau 638 in den Bergbau gekommen, also etwa 9 %. Ich glaube, man braucht kein Prophet zu sein, um sagen zu können, daß nach diesen Hiobsnachrichten, die in den letzten Wochen durch die Öffentlichkeit gingen, und bei dem Fehlen eines prinzipiellen Konzepts über die Energiepolitik zu Ostern 1965 höchstwahrscheinlich überhaupt keiner mehr bereit sein wird, die Arbeit als Berglehrling aufzunehmen. Der Anteil der jüngeren leistungsfähigen Arbeitskräfte ist erheblich zurückgegangen. Das wird eines Tages zu erheblichen Schwierigkeiten führen.
Arendt ({7})
Die Bundesregierung sagt zwar: Die Erklärungen liegen ja vor, und wir werden alles tun, um diese 140 Millionen t Steinkohlenförderung im Jahr Wirklichkeit werden zu lassen. Aber wir, die sozialdemokratische Fraktion, sind diesen Aussagen gegenüber recht skeptisch. Denn wir erinnern uns noch, daß auch der frühere Kanzler Adenauer einmal erklärt hat: Ich als Bundeskanzler erkläre Ihnen, es wird keine Schachtanlage stillgelegt, und es wird kein Bergmann entlassen.
Nun, die Lage bis zum 31. Oktober, also vor der Anmeldung, sah so aus, daß 37 Zechen bereits stillgelegt worden sind und daß mehr als 200 000 Bergleute den Arbeitsplatz nicht freiwillig verlassen haben, sondern in großem Umfang verlassen mußten, weil einfach keine ausreichenden anderen Möglichkeiten für sie bestanden.
({8})
- Ja, es gibt eine ganze Reihe.
({9})
Und da komme ich zum nächsten Punkt. Ich will Ihnen sagen, wie zwiespältig die Regierungsparteien und auch die Unternehmer in diesem Wirtschaftszweig die Dinge betrachten. Sie wissen, daß nach unserer Vorstellung ein Bergmann, der bestimmte Voraussetzungen erfüllt hat, der 25 Jahre in einem knappschaftlich versicherten Betrieb gearbeitet hat oder 15 Jahre Hauerarbeiten oder ähnliche Arbeiten verrichtet hat, die Möglichkeit bekommen sollte, mit 55 Jahren, weil er dann gesundheitlich verbraucht ist, aus dem Produktionsleben auszuscheiden und sich invalidisieren zu lassen. Die Vertreter des Bergbaus - vielleicht erinnern Sie sich an unsere Debatte in diesem Hause, als wir unseren Gesetzentwurf berieten - haben erklärt: Wir können auf diese routinierten und bewährten All-round-Bergleute nicht verzichten. Dann kam es zu Zechenschließungen, und daraufhin geschah es, daß noch nicht einmal die 50jährigen Bergleute von einer Schachtanlage zur anderen verlegt wurden, weil die Zechengesellschaften kein Interesse daran hatten, verbrauchte Arbeitskräfte aufzunehmen.
Dann mußten auf recht umständliche Weise von den Betriebsvertretungen - in Zusammenarbeit zwischen den Werksleitungen und den Betriebsräten - Sozialpläne entwickelt werden, um diesen betroffenen Menschen wenigstens ein Existenzminimum durch freiwillige Zahlungen zu gewähren.
({10})
- Sie sind nicht .arbeitslos, aber sie finden keinen anderen Arbeitsplatz, weil es nicht möglich ist, jemand, der 25 oder 30 Jahre im Bergbau unter Tage gearbeitet hat, ab morgen meinetwegen in die feinmechanische Industrie zu bringen und umzuschulen.
({11})
Bei den Gesellschaften, die zur Stillegung angemeldet sind, gibt es einen großen Teil von Belegschaftsmitgliedern, idie zu jung sind, um schon invalidisiert zu werden, aber auch zu alt, um noch in andere Berufe vermittelt oder umgeschult zu werden. Die Wirkungen für sie sind ganz erheblich und sehr bedenklich.
In dieses Kapitel fällt der Vertrauensschwund, das, was wir in unseren Fragen angesprochen haben. Wir möchten gern erfahren, wie die Bundesregierung ihre Zusage unter dem Gesichtspunkt aufrechterhalten wird, wenn die Belegschaften mehr und mehr den Bergbau verlassen oder die Arbeit gar nicht erst aufnehmen. Wie will man es dann sicherstellen, daß die Jahresförderung von 140 Millionen t nicht nur gefördert, sondern auch abgesetzt wird?
({12})
Meine Damen und Herren, es gibt einige, die die Auffassung vertreten: Nun, dann werden wir es mit Gastarbeitern aus Drittländern machen, dann werden wir aus Portugal, Spanien, Griechenland, Tunesien und aus der Türkei die erforderlichen Arbeitskräfte heranholen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein ganz deutliches Wort sagen: Wir sind der Auffassung, daß man dem Arbeitskräfteproblem und den Schwierigkeiten im Steinkohlenbergbau durch die Anwerbung von Gastarbeitern nicht beikommen kann.
({13})
Ich will Ihnen auch sagen, warum.
Seit 1958 sind im Steinkohlenbergbau eine Reihe von entscheidenden Veränderungen in den Abbau- und Fördermethoden eingetreten. Nur haben Sie das nicht gesehen, weil sich das unter Tage vollzogen hat. Der Betrieb ist technisierter und mechanisierter geworden. Das setzt voraus, daß wir in diesem Wirtschaftszweig eine gut ausgebildete, qualifizierte Stammbelegschaft zur Verfügung haben, um die geologischen und technischen Schwierigkeiten meistern zu können. Nun wissen Sie - das steht in jedem Lexikon -, daß 80 % der türkischen Bevölkerung Analphabeten sind. Es gibt aber eine Bestimmung in: der Bergpolizeiverordnung, wonach jeder, der unter Tage arbeiten will, der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig sein muß. Sie können sich ungefähr ausrechnen, wie es damit aussieht, wenn man in einem Zeitraum von sechs Wochen den türkischen Analphabeten im Schnellverfahren die Grundbegriffe der deutschen Sprache und besonders der Umgangssprache unter Tage beibringen will. Ich bedaure sehr, daß der Bundestagspräsident nicht anwesend ist.
Er ist hier, inzwischen wieder als Bundestagspräsident, nicht als Abgeordneter.
Entschuldigen Sie, Herr Präsident! Sie hatten ja selbst Gelegenheit, bei der Grubenfahrt festzustellen, wie weit es mit den Sprachkenntnissen der Gastarbeiter her ist.
Daraus ergibt sich eine Reihe von Schwierigkeiten, die ich hier im einzelnen nicht darlegen will; ich will sie nur kurz skizzieren. Zunächst nenne ich das Stichwort Unfallhäufigkeit. Aber das ist nicht
Arendt ({0})
das einzige Problem bei diesen Gastarbeitern unter Tage, sondern es tritt etwas anderes ein.
Einen Augenblick! - Herr Abgeordneter Friedensburg, bei der Begründung einer Großen Anfrage sind an sich Zwischenfragen nicht statthaft. Aber wenn der Redner es gestattet?! Wollen Sie das gestatten?
Bitte sehr!
Ist Ihnen bekannt, daß der Rückgang im Bergakademikernachwuchs unter dem Eindruck der jüngsten Entwicklung in noch viel katastrophalerer Form erfolgt ist und daß für die Führung der hochmechanisierten Zechen in der Zukunft der Akademikernachwuchs noch viel unentbehrlicher ist?
Das ist mir bekannt. Aber ich kann bei dieser Begründung - wir hatten uns verständigt, daß wir das nicht so ausführlich machen wollten - nicht auf alle Probleme eingehen. Aber zweifellos haben Sie recht: der Nachwuchs der Führungskräfte ist für die Zukunft des Bergbaus von Wichtigkeit, und man sollte auch diese Frage nicht vernachlässigen.
Aber ich möchte in diesem Zusammenhang noch ein Wort zu den Gastarbeitern sagen. Sie kennen vielleicht die Berechnung der Hohen Behörde in Luxemburg, die zu dem Ergebnis gekommen ist, daß für einen Gastarbeiter aus Drittländern ein finanzieller Mehraufwand in Höhe von 6000 DM jährlich erforderlich ist. Es gibt Berechnungen eines belgischen Kohleindustriellen, der zu dem Ergebnis gekommen ist, daß man etwa 110 000 belgische Franken mehr aufwenden muß, um einen Gastarbeiter aus Drittländern anzulegen; das sind etwa 9000 DM. Es gibt in der Bundesrepublik Untersuchungen, die zu dem Ergebnis geführt haben, daß pro Kalendertag im ersten Jahr Mehraufwendungen von 19 DM erforderlich sind und daß dieser Betrag sich dann im weiteren Verlauf der Arbeitstätigkeit verringert. Aber dabei muß man wissen, daß 50 % der angelegten Gastarbeiter den Bergbau bereits nach 11 Monaten wieder verlassen und sich in anderen Wirtschaftszweigen einzuordnen versuchen.
Mit anderen Worten, die Tatsache, daß in weitem Umfang die Heranziehung von Gastarbeitern als Lösungsmöglichkeit für die Beschäftigtenprobleme des deutschen Steinkohlebergbaus angesehen wird, führt zu einer ständigen Fluktuation innerhalb der Belegschaft und zu einer ständigen finanziellen Mehrbelastung. Ich meine, daß es an der Zeit wäre, darüber nachzudenken, ob man diese finanziellen Mehraufwendungen nicht zweckmäßigerweise gezielter einsetzen sollte, um für diesen wichtigen Wirtschaftszweig andere und stabile Belegschaftsverhältnisse zu schaffen. Es ist mehrfach gesagt worden - und wir würden uns freuen, wenn die Regierung es endlich einmal einsähe -, daß dieser Wirtschaftzweig unter ganz besonderen Bedingungen arbeiten und leben muß. Weder ein Bergassessor noch ein Gewerkschaftssekretär noch ein Betriebsrat, aber auch kein Minister kann die natürlichen Bedingungen verändern, die im Bergbau herrschen. Mit diesen natürlichen Verhältnissen, die wir dort vorfinden, sollten wir uns beschäftigen; wir sollten versuchen, mit ihnen fertig zu werden.
Der Rationalisierungsverband - das darf ich hier wiederholen - ist nicht das geeignete Instrument, die Schwierigkeiten im Steinkohlenbergbau zu lösen. Im Gegenteil! Wir werden in den nächsten Monaten recht schnell spüren, daß die Fragen der Energiepolitik und insbesondere der Kohlepolitik genauso ungelöst wie vor sechs Jahren sind. Wir haben gehört, daß erst in der nächsten Woche ein Gespräch zwischen den Vertretern der Ölwirtschaft und der Bundesregierung stattfindet. Ich glaube, daß der Ausgang dieses Gesprächs sicherlich auch für uns von Bedeutung ist. Dann erst werden wir wahrscheinlich erfahren können, welche Maßnahmen die Bundesregierung im einzelnen zu ergreifen gedenkt. Es sollte aber kein Zweifel daran bestehen, daß Maßnahmen eingeleitet werden müssen, weil sonst dieser Rationalisierungsverband - ich wiederhole es - genau das wird, was wir vermuten und befürchten: ein Schrumpfungs- und Stillegungsverband, ohne daß es gelingt, die Schwierigkeiten zu meistern.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang ein paar Bemerkungen zu den sozialen Auswirkungen. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß auf diesen Schachtanlagen ein Teil der Belegschaften zu jung ist, um invalidisiert zu werden, ein Teil zu alt, um auf andere Berufe umgeschult zu werden. Wir möchten gern erfahren, ob die Bundesregierung ihren früheren Erklärungen nicht die Tat folgen lassen möchte und ob sie nicht für die Bergleute, die besondere Voraussetzungen erfüllt haben, die Altersgrenze auf 55 Jahre herabsetzen will. Das wäre zweifellos ein ganz entscheidender Beitrag zur Lösung dieser sozialpolitischen Schwierigkeiten, die sich demnächst im Ruhrbergbau auftun werden.
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Wir meinen weiter, daß das Gesetz über die Knappschaftsausgleichsleistung, die ja befristet ist, geändert werden sollte. Die Altersgrenze in diesem Gesetz beträgt jetzt 55 Jahre. Wenn der betreffende Bergmann seinen Arbeitsplatz aus Gründen verliert, die nicht in seiner Person liegen, also durch Rationalisierungsmaßnahmen, die notwendig sind und die wir durchaus begrüßen, weil wir zu gesunden leistungsfähigen Betrieben kommen wollen, sollte die Altersgrenze auf 50 Jahre festgesetzt werden. Dadurch bestünde die Möglichkeit, die großen sozialen Härten und Auswirkungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Die sozialdemokratische Fraktion würde gern die Auffassung der Regierung zu diesem Punkte kennenlernen.
An dieser Stelle sollte auch ein allgemeines Wort hinzugefügt werden. Es ist Ihnen sicherlich bekannt - es ist hier nicht der Ort, diese Dinge auszutragen; aber man muß darauf hinweisen -, daß die Tarifverhandlungen im Steinkohlenbergbau gescheitert sind und daß durch den Abbruch der Verhandlungen
Arendt ({1})
eine recht ernste Situation eingetreten ist. Wir alle sollten wohl Gelegenheit nehmen, die zukünftige Entwicklung mit dem notwendigen Ernst zu betrachten, und wir sollten auch Verständnis dafür haben, daß eine erhebliche Unruhe vorhanden ist. Diese Unruhe hat sich teilweise schon in spontanen Demonstrationen und Protestaktionen geäußert; sie kann leicht dazu führen, daß die Bundesrepublik durch solche Auseinandersetzungen in erheblichem Maße erschüttert wird. Die Bergleute verlangen mit Recht - das hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren einige Male zugestanden -, daß der Bergbau einen Anspruch auf eine sogenannte Spitzenposition hat. Die Kolleginnen und Kollegen des Europäischen Parlaments werden sich an die letzten Sitzungen in Straßburg erinnern, wo das Europäische Parlament sich mit der Frage des europäischen Statuts auseinandergesetzt hat. Da ging es um diese Spitzenstellung, die der Bergmann durch seine gesundheitsschädigende, lebenverkürzende Arbeit verdient hat, durch seine Arbeit, die im Dunkeln deutscher Geschichte mehr als einmal die Initialzündung für staatliche Ordnung und wirtschaftlichen Aufbau war. Diese Spitzenstellung sollte auch durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen hergestellt werden.
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Das ist eine Aufgabe des Gesetzgebers. Leider wurden entsprechende Vorstöße der sozialdemokratischen Fraktion nicht so beachtet, wie sie hätten beachtet werden müssen.
Der Bergbau ist ein besonderer Wirtschaftszweig, und er ist nicht - das sage ich hier noch einmal sehr deutlich - mit der Elle des freien Wettbewerbs zu messen; denn wenn man das täte, würde er im Verhältnis zu anderen Energieträgern hoffnungslos ins Hintertreffen geraten, und wir würden unsere heimische Energieversorgung in die Abhängigkeit anderer Energielieferanten bringen.
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Deshalb kann man die Gesetze der Marktwirtschaft nicht anwenden. Man muß berücksichtigen, daß es in der Bundesrepublik trotz schwieriger geologischer Verhältnisse nicht nur durch die Leistungen der Unternehmensleitung, sondern auch durch den Einsatz der Tausende und aber Tausende von Bergleuten gelungen ist, die deutschen Gruben zu den leistungsfähigsten innerhalb der Montanunion zu machen.
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In dieser Zeit melden wir im Rahmen des Rationalisierungsverbandes Schachtanlagen zur Stillegung an, um die uns andere Länder nicht nur in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch in der Welt beneiden. Durch Lohnverzicht oder durch soziale Verzichte kann - das sollte man ganz deutlich aussprechen - die Wirtschaftlichkeit und die Wettbewerbsfähigkeit des Bergbaus im Verhältnis zu anderen Energieträgern nicht herbeigeführt werden.
Deshalb sollte man sich überlegen, ob nicht durch gezielte Subventionen, durch gezielte Maßnahmen die Möglichkeit für die Beschäftigten im Bergbau geboten wird, wirklich stabile und auch für die Zukunft ausreichende Verhältnisse zu schaffen. Wir haben in unserer Anfrage auf diese Zusammenhänge hingewiesen und wären für eine Antwort recht dankbar.
Noch ein Wort zu den Auswirkungen allgemeiner Art. Das Ruhrgebiet besteht ja nicht nur aus Essen, nicht nur aus Dortmund oder anderen großen Städten, sondern dazwischen liegen noch eine Reihe von Kommunalverbänden, deren Existenz praktisch auf der Kohle basiert. Ich denke z. B. an die Stadt Waltrop. Die Zeche Waltrop ist zur Anmeldung vorgesehen. Man muß wissen, daß 40 % des kommunalen Steueraufkommens auf diese Schachtanlage, auf diesen Betrieb zurückzuführen sind. Die Stilllegung einer solchen Anlage würde erhebliche Auswirkungen bis in die letzten Bereiche des kommunalen Lebens haben.
Ich kann es mir wohl versagen, auf alle Einzelheiten hinzuweisen. Wir sollten aber das Problem auch von dieser Seite aus sehen, und wir werden dann zu dem Ergebnis kommen, daß diese wirtschaftlichen, sozialen und kommunalpolitischen Fragen mit dem freien Spiel der Kräfte nicht zu meistern sind, sondern daß eine klare energiepolitische Konzeption, wie sie die sozialdemokratische Fraktion schon seit sechs Jahren zumindest fordert, entwickelt werden muß, in der alle Energieträger, insbesondere aber der deutsche Steinkohlenbergbau, ihren festen Platz zugewiesen bekommen, damit in diesem wichtigen Wirtschaftszweig Ruhe und Sicherheit einkehren und die Beschäftigten auch in der Zukunft bestehen und existieren können.
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Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfragen hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Großen Anfragen zur Lage des Energiemarktes, weil ihr mit der Beantwortung die Gelegenheit gegeben wird, vor dem Deutschen Bundestage ein klärendes Wort zur Energiepolitik zu sagen. Parlament und Regierung müssen sich heute zu einem Problem äußern, das eine Vielzahl von Menschen, ja ganze Städte und industrielle Kerngebiete unseres Landes erregt.
Die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik erlebt heute, daß es auch in einer Zeit, die sich im übrigen mit Wohlstandssorgen plagt, auch eine Angst um die Erhaltung der Existenz gibt.
Die modernen Informationsmittel sorgen dafür, daß sich auch der Bundesbürger, der ansonsten mit den Verhältnissen in den Kohlegebieten nicht so vertraut ist, ein Bild machen kann. Ob das Bild, das ihm gegeben wird, immer das richtige ist, ist freilich eine andere Frage. Die letzten Wochen haben wieder einmal erwiesen, wie schwer es ist, einen Standpunkt lediglich mit Verlautbarungen und Pressekonferenzen hinlänglich darzustellen. Ich hoffe darum, daß unsere heutige Debatte dazu beiträgt, die Position von Parlament und Regierung für alle
deutlich zu machen, und daß es gelingt, auch diejenigen von der Notwendigkeit einer aktiven Hilfe zu überzeugen, die selbst von dem Strukturwandel nicht betroffen werden, die aber möglicherweise zu einem Solidaritätsbeitrag herangezogen werden müssen.
Es ist bisher offenbar nicht gelungen, der Bevölkerung klarzumachen, worum es bei diesem Strukturwandel eigentlich geht. Ich möchte diesem Thema, so heikel es ist, nicht ausweichen. Ich glaube, Sie geben mir zu, daß ich mehrfach in diesem Hohen Hause zu dieser Frage gesprochen habe. Der technische Fortschritt mit der zu ihm gehörenden Rationalisierung bedingt eine laufende Anpassung und fortgesetzte Umstrukturierung. Es handelt sich hier um einen natürlichen, in der modernen Wirtschaft unvermeidbaren Vorgang, der sich ständig in allen Wirtschaftsbereichen abspielt. Das Besondere an diesem Vorgang in der Energiewirtschaft sehe ich darin, daß wir hier einen Anpassungsprozeß in außerordentlichen Dimensionen vor uns haben, für die es in der modernen Industriewirtschaft kaum ein Beispiel gibt. Die zweite Besonderheit liegt in der Tatsache, daß hinsichtlich der Langfristigkeit der Investitionen und der Unüberschaubarkeit der zukünftigen Entwicklung für den Steinkohlenbergbau in der Tat andere Bedingungen gegeben sind als in der übrigen Wirtschaft. Der Staat muß dafür sorgen, daß sich dieser Anpassungsprozeß ohne vermeidbare Härten vollzieht und daß die mit der Durchführung der Anpassung zwangsläufig verbundene menschliche und wirtschaftliche Unruhe, die letztlich Rückwirkungen auf den gesamten Wirtschaftsablauf haben kann, beseitigt wird. Allen Beteiligten muß klarwerden, daß es sich hierbei um ein allgemeines wirtschaftliches Anliegen und nicht um die Berücksichtigung der Sonderinteressen eines bestimmten Wirtschaftszweiges handelt.
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Alle Beteiligten - und auch die von dem Strukturwandel begünstigten Wirtschaftszweige - müssen hierauf Rücksicht nehmen und dürfen eine derartige Situation nicht mißbräuchlich ausnutzen. Und über ein Weiteres müssen wir uns von vornherein klar sein: ein solcher Prozeß vollzieht sich nicht von heute auf morgen; er zieht sich über Jahre hin. „Endgültige" Lösungen dafür gibt es auch hier nicht.
Aktuell stellt uns der Strukturwandel eine ganz besondere Aufgabe: die Lösung der durch die Zechenstillegungen ausgelösten menschlichen Probleme. Ich betone, kurzfristig haben vor allen anderen Überlegungen in dieser Strukturfrage die sozialen und soziologischen Notwendigkeiten den Vorrang. Sicherlich kann man auf lange Sicht die sozialen und soziologischen Aufgaben grundlegend nur bei langfristig wirtschaftlich sinnvoller Gestaltung lösen, aber die Not des Tages muß so oder so auf jeden Fall erst einmal beseitigt werden. Darum bemüht sich die Bundesregierung, und sie hofft dabei auf die Unterstützung der Landesregierungen, der Kommunen, der Gewerkschaften und vor allem der Wirtschaft selbst.
Es ist keine Redensart, sondern die Wahrheit, daß der Beruf des Bergmanns ein Beruf besonderer
Art ist, daß man eine Zeche und die darin arbeitenden Menschen nicht mit jedem anderen wirtschaftlichen Unternehmen gleichsetzen kann. Es gibt in allen Bereichen der Wirtschaft immer wieder Wandlungen, es kommt in allen Gegenden und in allen Branchen vor, daß Menschen ihren Beruf aufgeben und eine neue Arbeit suchen müssen, aber es ist ein Unterschied, ob solche Vorgänge vereinzelt geschehen oder ob sie eine ganze Gemeinde oder eine Stadt, ja ein ganzes Wirtschaftsgebiet in Mitleidenschaft ziehen.
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Deshalb haben wir und deshalb hat die deutsche Öffentlichkeit soviel Verständnis für die Probleme in unseren Kohlengebieten an Rhein und Ruhr, im Aachener Becken und an der Saar.
Ich weiß, wie stark die Gefühle mitsprechen, wenn es um die Sorge für die eigene Existenz geht; aber gerade deshalb ist es zwingend erforderlich, daß wir uns hier in Ruhe und Sachlichkeit aussprechen. Die Bundesregierung weiß, daß die Stillegungsankündigungen zu Besorgnis und Unsicherheit bei der Bergarbeiterschaft im Revier geführt haben. Die Bergarbeiter können aber sicher sein, daß wir alles tun werden, um drohende Schwierigkeiten und Härten für sie im Rahmen dieser Stillegungen zu verhindern. Sie sollten sich aber gleichzeitig darüber im klaren sein, daß der Prozeß der Gesundung des Steinkohlenbergbaues - auch in ihrem Interesse - unausweichlich notwendig ist, da nur ein gesunder Bergbau langfristig die Stabilität des Arbeitsplatzes in diesem Wirtschaftszweig sichern kann.
Doch nun zu den einzelnen Fragen, und zwar zunächst denen der Koalitionsfraktionen:
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Einen. Augenblick, Herrn Bundeswirtschaftsminister! Herr Abgeordneter, während der Beantwortung Großer Anfragen ist es ebensowenig statthaft wie bei der Begründung Großer Anfragen, Zwischenfragen zu stellen. Aber wenn der Herr Minister das gestattet, dann habe ich nichts dagegen.
Herr Präsident, ich würde gern zuerst einmal im Zusammenhang die Darstellung der Auffassung der Bundesregierung geben. Ich glaube, das dient auch dem Fortgang der Debatte. Herr Kollege Arendt, natürlich bin ich nachher jederzeit bereit, auf Ihre Fragen zu antworten.
Ich darf also zu Frage 1 der ersten Großen Anfrage kommen. Mit dieser Fragestellung ist die Kohlepolitik der Bundesregierung insgesamt angesprochen. Die Bundesregierung hat immer wieder darauf hingewiesen, daß sie eine Steinkohlenförderung in der Größenordnung von 140 Millionen Tonnen als wünschenswert ansieht. In den letzten Tagen hat der Herr Bundeskanzler erneut versichert, die wirtschaftspolitischen Maßnahmen so ausrichten zu wollen, daß sie im Zusammenwirken mit den Bemühungen des Bergbaues wie bisher einen jährBundesminister Schmücker
lichen Absatz etwa in dieser Größenordnung erhalten. Es soll einem leistungsfähigen deutschen Steinkohlenbergbau ein fester Platz auf dem Energiemarkt gesichert werden. Diese Erklärungen bestätige ich für die Bundesregierung auch im Rahmen der Beantwortung dieser Großen Anfrage.
Grundlage dieser Orientierung ist das Vertrauen der Bundesregierung in die Leistungskraft des deutschen Steinkohlenbergbaus. Grundlage ist ebenso die Erkenntnis, daß es bei dem rasch wachsenden Gesamtenergieverbrauch für die Zukunft darauf ankommt, über möglichst zahlreiche leistungsfähige Anbieter von Energie zu verfügen. Es muß die langfristige Versorgung des Verbrauchers zu günstigen Preisen sichergestellt werden. Darum sollten wir es uns nicht leisten, einen verläßlich zur Verfügung stehenden Energieträger, wie es die deutsche Steinkohle ist, aufzugeben oder wesentlich einzuschränken.
Andererseits können wir den Steinkohlenbergbau nicht von dem Zwang zur äußersten Rationalisierung und damit zur Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Steigerung seiner Leistungsfähigkeit befreien. Nur bei starken Anstrengungen kann der Bergbau einen wirksamen Beitrag zur bestmöglichen Versorgung des Verbrauchers mit Energie leisten. Nur so wird er in den Stand gesetzt, ein Preisniveau einzuhalten, das der Forderung nach günstigen Energiepreisen für die deutsche Gesamtwirtschaft entspricht.
Von diesen Grundlagen ausgehend hat die Bundesregierung ihre Kohlepolitik konsequent betrieben. Sie hat dem Bergbau durch Kohlezoll und Entliberalisierung der Kohleeinfuhren einen weitgehenden Schutz gegen die Importkohle gewährt, ohne dabei die Interessen der traditionellen Verbraucher von Einfuhrkohle im norddeutschen Raum zu beeinträchtigen. Gegenüber dem beweglichsten Konkurrenten, dem Heizöl, ist durch die Heizölsteuer für die Entlastung des Bergbaus gesorgt, wiederum ohne daß der durch diesen modernen Energieträger bewirkte technische Fortschritt beeinträchtigt worden wäre. Mit der Verordnung vom 11. März 1963 sind schließlich die Fristen für den genehmigungsfreien Abschluß von Verträgen für die Einfuhr von Rohöl und Heizöl auf neun Monate verkürzt worden. Die Bundesregierung hat damit die Möglichkeit, notfalls kurzfristig Einfluß auf die Mineralöleinfuhren zu nehmen.
Auf der anderen Seite haben wir mit dem Rationalisierungsverband - und zwar Bundestag, Bundesregierung und Steinkohlenbergbau in gemeinsamer Arbeit - ein Instrument geschaffen, das die Bemühungen des Steinkohlenbergbaus um die Fortführung der Rationalisierung entscheidend begünstigen soll, ein Prozeß, der letztlich gleichermaßen dem Steinkohlenbergbau wie dem Verbraucher zugute kommt.
Die bisherige Kohlepolitik der Bundesregierung war erfolgreich. Schließlich verfügen wir nach wie vor über den leistungsfähigsten Steinkohlenbergbau Europas.
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Es sind Leistungssteigerungen erzielt worden, die früher von allen Experten für unmöglich gehalten worden sind. Wir können die berechtigte Erwartung haben, daß dieser Prozeß sich weiter fortsetzt. Die Förderung des Steinkohlenbergbaus konnte seit 1959 in der Größenordnung von 140 Millionen Tonnen, bei gleichzeitiger Preisstabilität, voll gehalten werden.
Die Frage, die jetzt konkret gestellt ist, geht dahin, ob die bisherigen Maßnahmen auch für 'die Zukunft ausreichen, um ein Fördervolumen von 140 Millionen Tonnen aufrechtzuerhalten. Es ist nicht zu bestreiten, daß sich die Absatzsituation der Steinkohle - ausgelöst vor allem durch einen ungewöhnlichen Preisrückgang beim Heizöl - im Laufe des Jahres 1964 erneut verschärft hat. Sichtbarstes Zeichen dafür sind Haldenzugänge in der Größenordnung von 4 Millionen Tonnen. Nach Lage der Dinge müssen wir auch für das kommende Jahr mit einem Anhalten dieses Trends rechnen. Die Bundesregierung ist daher in der Tat der Auffassung, daß es notwendig sein wird, zusätzliche Maßnahmen zu treffen.
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Im einzelnen werde ich mich zu diesen Maßnahmen
bei der Beantwortung der weiteren Fragen äußern.
Nun zur Frage 2! Am 31. Oktober 1964 ist die Frist zur Anmeldung von Stillegungen nach dem Rationalisierungsverbandsgesetz abgelaufen. Von den Unternehmen sind neue Meldungen mit einer Gesamtkapazität von 22 his 23 Millionen Tonnen abgegeben worden. Nach der Schätzung des maßgeblichen Sprechers des Bergbaues handelt es sich bei etwa 15 bis 16 Millionen Tonnen um unvermeidbare Rationalisierungsstillegungen, während er bei dem restlichen Drittel der Meinung ist, daß es sich um vorsorgliche Meldungen handelt, bei denen der Stillegungsentschluß noch nicht endgültig gefaßt ist.
Es muß an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß die Durchführung der Stillegungen nicht von heute auf morgen erfolgt. Nach dem Rationalisierungsverbandsgesetz steht dafür ein Zeitraum von rund vier Jahren zur Verfügung. Dieser Zeitraum wird den beteiligten Stellen - das sind Bundesregierung, Landesregierung, kommunale Stellen, aber auch die Unternehmen selbst - die geordnete Durchführung der Stillegung ermöglichen. So können Härten für die betroffenen Menschen, aber auch Schwierigkeiten für die Gemeinden und Städte vermieden werden. Die Bundesregierung versteht aber die Unsicherheit und Unruhe bei den Bergleuten. Nicht nur ihre soziale Stellung, sondern ihre gesamten Lebensumstände werden durch diese Maßnahmen berührt. Ich möchte deshalb auch an dieser Stelle, bei der es im Grunde wohl mehr um eine Beurteilung der wirtschaftlichen Folgen der Stilllegungen geht, aussprechen, daß die Bundesregierung alles tun wird, um das Schicksal der betroffenen Bergleute von jeder vermeidbaren Härte freizuhalten.
Das wirtschaftspolitische Ziel des Rationalisierungsverbandes sieht die Bundesregierung unverän7252
dert. Es handelt sich um ein umfassendes Instrument zur Förderung der Rationalisierung tim Steinkohlenbergbau, um Hilfen, die den Umstrukturierungsprozeß erleichtern sollen.
Dabei darf man die jetzt angezeigten Stillegungen nicht isoliert sehen. Sie sind nur ein Teil eines Gesamtprogramms, das zu einer umfassenden Bereinigung der Situation im Bergbau führen soll. Mit dem Gesetz sind auch - und die Bundesregierung sieht darin nach wie vor den Hauptzweck des Gesetzes - umfassende Hilfen für die positive Rationalisierung vorgesehen. Der Bergbau wurde mit einem Kreditvolumen von 1,5 Milliarden DM versehen, das mit weitreichenden Rückbürgschaften der öffentlichen Hand abgesichert ist. Umfassende steuerliche Erleichterungen stehen für die Durchführung der Rationalisierungsmaßnahmen zur Verfügung. Für den Erfolg des Rationalisierungsverbandes kommt es darauf an, daß der Bergbau von allen diesen Möglichkeiten Gebrauch macht und dadurch auch der Stillegungsaktion ihren positiven Sinn sichert.
Zu dem Gesundungsprozeß gehört zwangsläufig auch das Ausscheiden langfristig unwirtschaftlicher Schachtanlagen, so schmerzlich die Stillegungsentscheidung im Einzelfalle ist. Ziel der Stillegungsaktion soll es nach Auffassung der Bundesregierung sein, die Produktion auf wirtschaftlich günstiger arbeitende Zechen zu verlagern, um dort durch eine volle Kapazitätsausnutzung zu insgesamt niedrigeren Produktionskosten und damit zu einer besseren Ausgangsposition im Wettbewerb zu kommen.
Bereits heute können wir feststellen, daß der überwiegende Teil der Stillegungsanmeldungen sich in diesem positiven Rahmen hält. Von der gesamten deutschen Öffentlichkeit sollten die schwerwiegenden Entscheidungen, die ein Wirtschaftszweig hier um seiner inneren Gesundung willen getroffen hat, anerkannt werden. Für die Bundesregierung jedenfalls geht ,es heute darum, dem Steinkohlenbergbau, und zwar den Unternehmen wie den Belegschaften, Mut zu geben, den hier begonnenen schwierigen Weg geordnet weiterzugehen und zum Erfolg zu kommen. Bei einem Teil der angemeldeten Stilllegungen steht heute noch nicht fest, ob sie tatsächlich durchgeführt werden oder nicht.
Die Bundesregierung sieht in diesem Bereich ihre Aufgabe darin, den Unternehmen die für die endgültige Entscheidung in diesen Fällen notwendige Klarheit über die weitere Energiepolitik zu verschaffen. Sie kann aber nicht die Entscheidung selbst fällen. Denn es muß Sache der Unternehmen bleiben, die wirtschaftlichen Aussichten, die Rationalisierungsmöglichkeiten und die künftigen Marktchancen selbst zu beurteilen. Wer den Unternehmen die Verantwortung abnehmen will und sie dem Staat übertragen will, sollte das hier offen sagen. Die Bundesregierung hält eine solche Methode für falsch. Der Bergbau muß in der Verantwortung bleiben. Er muß dies schon, um das Vertrauen zu sich selber zu beweisen, das ihm niemand - auch nicht der Staat - abnehmen kann.
Um den Unternehmen die Möglichkeit zu geben,
sich in Ruhe über diese weitreichende Entscheidung
klarzuwerden, war die Bundesregierung bereit, dem Parlament eine Verlängerung der Frist für die Einleitung der Stillegungen bis zum 31. Dezember 1966 vorzuschlagen, was letztlich auf die Wiederherstellung der alten Regierungsvorlage hinausgelaufen wäre. Ich habe gehört, daß der Bergbau eine solche Fristverlängerung nicht wünscht. Also besteht kein Anlaß für die Bundesregierung, einen entsprechenden Vorschlag zu machen.
Im übrigen werden wir bei der Rechtsaufsicht über den Rationalisierungsverband mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten darauf achten, daß dieses Gesetz ordnungsgemäß durchgeführt und daß einer etwaigen mißbräuchlichen Ausnutzung von vornherein entgegengetreten wird.
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Nun zur Frage 3! Die Bundesregierung erkennt an, daß der Steinkohlenbergbau für seine weitere Gesundung eine Zeit der Ruhe und Ordnung braucht. Er soll und muß das Gefühl der Sicherheit haben, daß die außerordentlichen Anstrengungen, die er jetzt unternimmt, nicht umsonst sind. Die Bundesregierung ist bereit, dem Bergbau diese Ruhe und Sicherheit zu geben, soweit das in einer sich weiterentwickelnden Wirtschaft überhaupt nur irgendwie möglich ist.
Die Bundesregierung hat diese Frage auch in der Vergangenheit im Rahmen ihrer Wirtschaftspolitik immer berücksichtigt. Sie hat - das läßt sich nicht leugnen - bisher für einen ruhigen Ablauf des Strukturprozesses gesorgt. Der Ablauf einer solchen Entwicklung läßt sich nicht vorausberechnen. Er ist abhängig von kurzfristig wirksamen Marktschwankungen. Die Bundesregierung hat aber immer, wenn es notwendig war, rechtzeitig und wirksam eingegriffen und das Notwendige getan. Sie hat dafür gesorgt, daß die Steinkohlenförderung von 1959 bis heute konstant bleiben konnte. Gravierende Schwierigkeiten haben sich auch für die 70 000 Bergleute nicht ergeben, die von den bisherigen Stillegungen in der Größenordnung von 18 Millionen Tonnen Kapazität betroffen worden sind.
Angesichts der neuen großen Anstrengungen des Bergbaus, die von der Bundesregierung begrüßt werden, und angesichts der in letzter Zeit eingetretenen neuen Verschärfung der Absatzsituation halten wir jetzt neue Maßnahmen für erforderlich, um auch die weitere Entwicklung in geordneten Bahnen zu halten. Die Bundesregierung hat daher beschlossen:
1. an den bewährten Maßnahmen: Kohlenzoll, Heizölsteuer und Rationalisierungsverband festzuhalten,
2. im Interesse einer langfristigen Absatzstabilisierung die Verwendung von Steinkohle in Elektrizitätswerken steuerlich zu fördern,
3. für den gleichen Zweck für den Bau von Blockheizwerken auf Kohlebasis insgesamt 40 Millionen DM bereitzustellen,
4. eine Meldepflicht für Raffinerie- und Rohrleitungsbauten zu begründen, die dazu dienen soll, exaktere
Unterlagen für die weitere Entwicklung des Mineralölmarktes zu gewinnen.
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Der Herr Bundeskanzler wird die Mineralölindustrie in einem Gespräch am kommenden Dienstag auffordern, bei ihrer Weiterentwicklung auf die Absatzsituation des Steinkohlenbergbaus Rücksicht zu nehmen. Die Bundesregierung hat die Erwartung, daß sich auf Grund dieses Gesprächs eine Beruhigung der Gesamtlage ergeben wird.
Ich möchte schon heute sagen, daß die Bundesregierung fest entschlossen ist, in die Entwicklung des Mineralölmarktes einzugreifen, wenn sich diese Erwartungen nicht erfüllen. Wir werden gegebenenfalls für diesen Zweck auch von der Möglichkeit des § 10 des Außenwirtschaftsgesetzes Gebrauch machen.
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Frage 4! Die Bundesregierung hat in der Energiedebatte vom 29. März 1963 der Erwartung Ausdruck gegeben, daß die Mineralölindustrie ihre Bereitschaft verstärkt, die vorgesehenen neuen Raffineriebauten vorher mit ihr abzustimmen. Die tatsächliche Höhe der Raffineriekapazitäten bis zum Ende des Jahres 1964 liegt um 2,7 Millionen Tonnen über den früher angestellten Vorausschätzungen der Ölindustrie. Die vorgesehenen Planungen für die Jahre 1965 und 1966 gehen jedoch um nahezu 16 Millionen Tonnen über die früheren Schätzungen hinaus. Die Bundesregierung hat in diese Entwicklung bisher nicht eingegriffen, weil auch der Gesamtenergieverbrauch wesentlich stärker gewachsen ist, als er seinerzeit in den Abstimmungsgesprächen zugrunde gelegt wurde.
Auf Grund der Entwicklung der letzten Jahre hat der Mineralölverbrauch jetzt einen Anteil von 35 % am Gesamtprimärenergieverbrauch der Bundesrepublik erreicht. Das Mineralöl ist damit ebenfalls zu einem wesentlichen Faktor der Energieversorgung geworden. Bemerkenswert ist bei dieser Entwicklung, daß sich das Schwergewicht der neu erstellten Raffinerien im süddeutschen Raum befindet und daß damit Raffinerien an allen Verbrauchsschwerpunkten der Bundesrepublik vorhanden sind. Die Preise für Heizöl haben sich im Zusammenhang damit im gesamten Bundesgebiet einander genähert, eine Entwicklung, die prinzipiell nur begrüßt werden kann. Sie entspricht den Zielen der Empfehlung des Deutschen Bundestages vom 15. März 1963.
Daneben ist generell im Laufe des Jahres 1964 ein unverhältnismäßig starker Preisrückgang für Heizöl festzustellen. Auch diese Entwicklung könnte vom Standpunkt des Verbrauchers nur begrüßt werden, sofern es sich dabei um eine dauerhafte Entwicklung handeln würde.
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Ich befürchte allerdings, daß es sich hier nicht so sehr um eine normale Preisentwicklung handelt, sondern um eine Auswirkung des gerade derzeit besonders starken Kampfes um die Marktanteile. Auch für den Verbraucher wäre es gefährlich, wenn die Bundesregierung auf eine solche Situation Entscheidungen für langfristige Maßnahmen, insbesondere in bezug auf die Position des Steinkohlenbergbaus, stützen würde.
Das Erdgas fällt mengenmäßig heute noch kaum ins Gewicht. Sein Anteil betrug 1963 1,8 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten und damit weniger als 1 °/o des Gesamtenergieverbrauchs. Für die weiteren Jahre ist jedoch mit einer beträchtlichen Steigerung von Angebot und Verbrauch zu rechnen, und zwar auf Grund der verstärkten deutschen Erdgasproduktion, wegen des Angebots von holländischem Erdgas und auf Grund möglicher Funde im Nordseeschelf. Diese Entwicklung ist insgesamt gesehen zu begrüßen, da das Energieangebot sich verbreitern und damit die Versorgung des Verbrauchers sich verbessern wird.
Bei der Eingliederung des Erdgases in den Markt wird die Bundesregierung darauf achten, daß sich keine überstürzten Entwicklungen ergeben. Eine Wiederholung der Auseinandersetzungen Kohle -Öl wollen wir unter allen Umständen vermeiden.
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Die Bundesregierung begrüßt daher das Bemühen der am Erdgasgeschäft beteiligten Gruppen um eine Lösung. Wir müssen hier zu Absatzformen kommen, die der einseitigen Angebotsstruktur Rechnung tragen. Wir erwarten, daß sich auch die internationalen Gesellschaften zu einer Lösung bereit finden, die auf die berechtigten Interessen der deutschen Erdgasgesellschaften, des Steinkohlenbergbaus und der Ferngasgesellschaften Rücksicht nimmt. Die Bundesregierung wird vorsorglich für den Fall eines Fehlschlages der Bemühungen um eine kommerzielle Lösung auch prüfen, ob und in welcher Form gesetzgeberische Maßnahmen für eine Ordnung dieses Marktes erforderlich sind.
Frage 5! Bei der Beantwortung dieser Frage kann ich mich kurz fassen, denn die von der Bundesregierung jetzt beabsichtigten Maßnahmen habe ich bereits im Rahmen der Beantwortung der dritten Frage genannt. Ich zähle sie noch einmal stichwortartig auf: Verstromung der Kohle, Förderung des Baues von Bolckheizwerken auf Kohlebasis sowie Begründung einer Meldepflicht für Raffinerie- und Rohrleitungsbauten.
Nachtragen muß ich, daß die Regelung für eine dezentralisierte Bevorratung auf dem Energiesektor vorerst zurückgestellt worden ist, um nach Möglichkeit die Vorschläge der EWG für ein koordiniertes Vorgehen einzubeziehen. Abwarten heißt dabei aber nicht, die Sache endlos vertagen. Notfalls werden wir allein handeln.
Ebenso wurde die Frage einer Besteuerung des Raffineriegases in Übereinstimmung mit dem Hohen Hause zurückgestellt, da die Entwicklung der Erzeugung und Verwendung von Raffineriegas noch nicht überschaubar ist. Sollte sich herausstellen, daß wettbewerbliche Verschiebungen eintreten, werden wir diese Sache vor neuem aufgreifen.
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- Der Anteil, Herr Kollege Schmidt, ist zur Zeit
noch so gering, daß es nach unserer Meinung noch
nicht gerechtfertigt wäre - und wir handeln damit
in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Hohen Hauses -, ein Gesetz zu erlassen. Aber ich habe ja gesagt: bei der Gesamtprüfung werden wir diese Frage einbeziehen und erforderlichenfalls Vorschläge machen.
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Auf die Frage, ob die Bundesregierung gegebenenfalls die Anwendung der Möglichkeiten des Außenwirtschaftsgesetzes in Betracht ziehen wird, antworte ich entsprechend meinen Ausführungen zu Frage 3 mit Ja.
Frage 6! Ich habe bereits eingangs darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung es als ihre aktuellste Aufgabe ansieht, dafür zu sorgen, daß bei den Stillegungen Härten für den Bergmann vermieden werden. Sie hat in weitgehender Zusammenarbeit mit der Hohen Behörde ein umfassendes Instrumentarium entwickelt, um den Wechsel des Arbeitsplatzes, aber auch das Ausscheiden aus der beruflichen Tätigkeit für ältere Bergleute frei von sozialen Härten zu halten. Folgende Maßnahmen bestehen:
1. Bei einem Arbeitsplatzwechsel zu einer anderen Schachtanlage oder zu einem Unternehmen außerhalb des Bergbaus erhalten die betroffenen Bergleute Fahrt- und Anreisekosten zur Arbeitsaufnahme und im täglichen Berufsverkehr, Umzugsgelder, Trennungsentschädigung bei doppelter Haushaltsführung sowie Lohnbeihilfen bis zu 12 Monaten bei einer Einkommensminderung auf dem neuen Arbeitsplatz.
2. Die Arbeitsaufnahme in einem neuen Betrieb wird durch Umschulungsbeihilfen und Anlernzuschüsse erleichtert.
3. Für den Fall, daß es trotz der guten Arbeitsmarktlage in Einzelfällen zur Arbeitslosigkeit kommt, wird ein Wartegeld bis zu 12 Monaten als Zuschuß zum Arbeitslosengeld gewährt.
4. Für 50jährige und ältere Bergleute ist eine Übergangsbeihilfe während ihrer Beschäftigungslosigkeit vorgesehen, die den Anschluß an die Knappschaftsausgleichsleistung ermöglicht.
5. Die 55jährigen und älteren Bergleute, die von einer betriebsseitigen Kündigung betroffen werden, erhalten bei Erfüllung einer Wartezeit eine Knappschaftsaugleichsleistung, die während der Zeit der Arbeitslosigkeit gewährt wird. Dadurch wird ihnen die Möglichkeit gegeben, ihr Altersruhegeld ohne finanzielle Schwierigkeiten abzuwarten. Die Ausgleichsleistung erreicht etwa 80 % des Altersruhegeldes.
6. Daneben erhalten Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und von der Stillegung einer Schachtanlage betroffen sind, unter bestimmten Voraussetzungen einer Abfindungsbetrag in Höhe von 3000 DM.
7. Diejenigen Bergleute, die ihren Anspruch auf verbilligte Hausbrandkohle durch Zechenstillegung verlieren, erhalten eine besondere Abfindung für diesen Verlust,
8. Schließlich wird den betroffenen Bergleuten, die eine mit Bundestreuhandmitteln geförderte Wohnung innehaben, die Wohnberechtigung noch zwei Jahre voll erhalten, - eine Frist, die verlängert werden kann und erforderlichenfalls verlängert wird.
Die letzte Frage der ersten Großen Anfrage beantworte ich wie folgt. Die Bundesregierung bewegt sich mit ihrer Energiepolitik im Rahmen des zwischen den Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaften am 21. April dieses Jahres abgeschlossenen Abkommens. Für den Steinkohlenbergbau der Gemeinschaft ist darin vorgesehen, daß die Rationalisierung dieses Wirtschaftszweiges gefördert und daß dem Bergbau ergänzend dazu durch Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen geholfen werden soll. Beiden Aspekten wird durch die Energiepolitik der Bundesregierung, wie bereits dargelegt, Rechnung getragen.
Im übrigen müssen wir aber - leider - feststellen, daß die Bemühungen um eine Konkretisierung der gemeinsamen Politik im Energiebereich noch nicht sehr weit gediehen sind. Solange das noch nicht der Fall ist, kann sich keine Regierung ihrer nationalen Verantwortung für die Energiewirtschaft entziehen; das führt zwangsläufig dazu, daß die Energiepolitik aller Mitgliedstaaten letztlich durch nationale Besonderheiten bestimmt wird. Das gilt auch für den Kohlebereich, in dem alle Mitgliedstaaten, die über einen eigenen Steinkohlenbergbau verfügen, mit unterschiedlichen Mitteln intervenieren.
Diese Situation hat in der Tat z. B. dazu geführt, daß in der Bundesrepublik Zechen stillgelegt worden sind, die über eine höhere Leistungsfähigkeit verfügen als Schachtanlagen in anderen Ländern der Gemeinschaft. Bei der Frachtenintensität der Kohle ist die Schichtleistung allerdings nicht das einzige Kriterium für die Wettbewerbsfähigkeit. Im übrigen müssen wir bei der Beurteilung dieses Sachverhalts sehen, daß auch die anderen Länder in Verbindung mit ihrer Einstellung zum Steinkohlenbergbau Probleme der Sicherheit der Energieversorgung, soziale Probleme und Strukturprobleme haben, denen sie nicht ausweichen können und die sie so lange national zu lösen versuchen, wie eine gemeinsame Energiepolitik noch nicht existiert.
Wir können aus diesem Sachverhalt aber nicht den Schluß ziehen, daß wir auf die äußersten Anstrengungen zur Leistungssteigerung unseres Bergbaus verzichten sollten. Die Bundesregierung ist vielmehr der Meinung, daß wir auch im Hinblick auf den Gemeinsamen Markt die Leistungsfähigkeit des deutschen Bergbaus so stark steigern sollten wie nur irgend möglich. Wir können unsere Bemühungen um einen möglichst hohen Leistungsstand nicht nach einem niedrigeren Niveau ausrichten. Das gilt übrigens für alle Bereiche und damit auch für den Bergbau. Nur die Ausschöpfung aller Möglichkeiten für eine Steigerung der Leistungsfähigkeit sichert letztlich die Zukunftsaussichten des Steinkohlenbergbaus, und zwar auch im Gemeinsamen Markt.
Meine Damen und Herren, ich habe damit die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen beantwortet
und komme nun zu der Großen Anfrage der sozialdemoktratischen Bundestagsfraktion. Ich werde mich - um Wiederholungen zu vermeiden - kurz fassen, da der größere Teil der Fragen in seinem wesentlichen Gehalt bereits mit den bisher erteilten Antworten gedeckt wird.
Zu Frage 1! Die Bundesregierung hat mit ihrer Energiepolitik bisher erreicht, daß der deutsche Verbraucher wie kaum in einem anderen europäischen Land mit billiger Energie beliefert worden ist; sie hat ferner erreicht, daß der noch vor zwei Jahren bestehende krasse Preisunterschied zwischen Nord- und Süddeutschland sich stark vermindert hat; sie hat dabei ferner sichergestellt, daß trotz dieses Strukturwandels und der zwangsläufigen Zunahme der Einfuhrenergien der Anteil der einheimischen Energie auf einem Höchststand gehalten werden konnte. Die Bundesregierung wird an diesen Zielen auch langfristig für die Zukunft festhalten und ist überzeugt, daß die von ihr angewandten Methoden erfolgreich sein werden.
Meine Damen und Herren, die nächste Frage möchte ich Ihnen vorlesen dürfen. Die Frage 2 der sozialdemokratischen Anfrage lautet:
Durch welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung der Gefahr entgegenzutreten, daß die internationalen Mineralölkonzerne, die bereits jetzt auf dem Markt der Kfz-Treibstoffe in der Bundesrepublik eine marktbeherrschende Stellung haben, ihren Einfluß auf den gesamten Energiemarkt der Bundesrepublik schrittweise in einem Ausmaß ausbauen, das unsere Selbständigkeit in Frage stellt?
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sieht also, wenn ich den Text der Frage richtig verstehe, in dem wachsenden Einfluß der internationalen Mineralölkonzerne eine Gefahr für unsere Selbständigkeit.
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Ich nehme an, daß mit dem Wort Selbständigkeit die Souveränität in der Energiepolitik und nicht die Selbständigkeit schlechthin gemeint ist. Obwohl nicht übersehen werden sollte, daß eine Selbständigkeit ohne energiepolitischen Aktionsraum eine wacklige Sache ist.
Lassen Sie mich zunächst klarstellen: Die Bundesregierung hat sich vom ersten Tage ihrer Arbeit an für eine freiheitliche Wirtschaftspolitik nach innen und nach außen eingesetzt. Der ungehinderte Warenverkehr, aber auch der ungehinderte Geld- und Kapitalverkehr bleiben Ziele dieser freiheitlichen Wirtschaftspolitik. Die Erfolge beweisen auch, daß diese Ziele den deutschen Interessen dienen. Die Bundesrepublik ist die zweitstärkste Handelsnation der Welt geworden und hat gerade in den letzten Jahren bemerkenswerte Kapitalexportleistungen erbracht. Das selbstverständliche Gegenstück dazu ist die Chance für ausländisches Kapital, in den deutschen Markt hineinzugehen. Ich habe auf der Konferenz in Tokio darauf hingewiesen, daß der freie Geld- und Kapitalverkehr auf die Dauer nur gewährleistet ist, wenn langfristige ZahlungsbilanzUngleichgewichte, die auch durch übertriebenen Kapitalexport entstehen können, vermieden werden. Hier liegt einiges im argen, und es besteht zu recht Unruhe bei den Benachteiligten.
Ich warne aber vor Kurzschlußreaktionen. Jede nationale Abkapselung - leider sehen wir zur Zeit einige schlechte Beispiele in der Welt - ist gefährlich für den Fortschritt der Weltwirtschaft, von dem unser aller Lebensstandard abhängt. Es ist unsere Aufgabe, auch international für gleiche Start- und Wettbewerbsbedingungen einzutreten. Ich bitte den Deutschen Bundestag, die Bundesregierung bei diesen Bemühungen zu unterstützen.
Noch ein weiteres Wort zur Fragestellung der SPD: Die internationalen Ölgesellschaften sind keine Einheit. Sie stehen auch untereinander im Wettbewerb, wie der Heizölpreis beweist. Es wäre darum falsch, die Marktanteile der ausländischen Gesellschaften einfach zu addieren und aus der Gegenüberstellung zu den deutschen Gesellschaften Schlußfolgerungen zu ziehen.
Nach verschiedenen Quellen - ich gebe zu, es ist sehr schwer, herauszufinden, wie es in Wahrheit ist - schätzen wir die Anteile der internationalen Gesellschaften am deutschen Markt beim schweren Heizöl auf 65 %, beim leichten Heizöl auf 54 %, bei Diesel auf 52 %, bei Benzin auf 42 %. Die stärksten internationalen Gesellschaften am deutschen Markt sind die amerikanische ESSO, die britisch-niederländische SHELL, die britische BP, die amerikanische Mobil Oil. Um den deutschen Markt ringen weiter die amerikanische CALTEX, die belgische PETROFINA, die italienische AGIP und andere. Dabei ist zu berücksichtigen, daß diese Gesellschaften mit deutschen Mineralölgesellschaften, auch mit deutschen Gesellschaften, die der Kohle nahestehen, zusammenarbeiten, so daß eine säuberliche Aufteilung der Marktanteile nicht möglich ist. Die Mineralölgesellschaften, deren Aktienkapital sich in Händen der ausländischen Gesellschaften befindet, haben neben den schon erwähnten Möglichkeiten einen beträchtlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber den übrigen Gesellschaften.
Dieser liegt darin, daß sie über billige und ergiebige Rohölkonzessionen verfügen. Um ein Gleichgewicht im Wettbewerb zu erreichen, hat der Deutsche Bundestag das am 1. Januar 1964 in Kraft getretene Gesetz über Umstellung der Abgaben auf Mineralöl beschlossen. Die in diesem Gesetz bis zum Jahre 1970 vorgesehene Darlehnsgewährung in Höhe von 800 Millionen DM läuft schwerpunktmäßig darauf hinaus, daß die Darlehen an Gesellschaften ohne solche Rohölbasis vergeben werden können. Die bisherigen Aussichten für einen Erfolg derartiger Maßnahmen erscheinen günstig.
In Art. 6 des Mineralölsteuerneuregelungsgesetzes vom 1. 1. 1964 wird die Anspruchsberechtigung zum Schluß des ersten Absatzes eingeschränkt, soweit die Verweisung auf die bei solchen Vorhaben üblichen Finanzierungsmöglichkeiten zumutbar ist. Ich bin der Absicht, daß den deutschen Töchtern ausländischer Gesellschaften eine Verweisung auf die üblichen Finanzierungsmöglichkeiten zumutbar ist. Es wird daher von einer Beteiligung dieser Firmen an
den gesetzlichen Vorteilen abgesehen. Ich hoffe, in Übereinstimmung mit dem durch Gesetz erklärten Willen des Bundestages und des Bundesrates zu handeln. Wie ich höre, ist man im Haushaltsausschuß in einer kürzlich abgehaltenen Sitzung nicht zu diesen Konsequenzen gekommen. Ich wäre für eine baldige Klärung sehr dankbar.
Im Erdgasbereich bestehen Ansätze zu kommerziellen Vereinbarungen zwischen beiden Gruppen, die marktbeherrschende Einflüsse auf dem Energiemarkt vermeiden würden. In jedem Falle wird die Bundesregierung prüfen, ob gesetzgeberische Maßnahmen erforderlich sind. Auch hier lebt der Wettbewerb nur, wenn die Gewichte annähernd gleich sind. Daß die bisher erfolgreichste Erdgas-Bohrung, die allein eine Leistung von 1 Milliarde cbm verspricht - gegenüber einer deutschen Jahresförderung von bisher 1,3 Milliarden cbm - ausgerechnet wieder einer internationalen Gruppe zugefallen ist, kann schlecht der Verantwortung der Bundesregierung zugerechnet werden. Außerdem stammt die Konzession aus dem Jahre 1929.
Die Bundesregierung hält darüber hinaus die Angleichung der Wettbewerbsmöglichkeiten zwischen nationalen Gesellschaften und Gesellschaften in ausländischem Besitz für eine für alle Länder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wichtige Frage. Aus meinen ausführlichen Darlegungen sollte entnommen werden, daß diese Fragen von der Bundesregierung mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden, auch wenn sie darüber keine lauten Erklärungen abgibt.
Ich möchte nochmals an dieser Stelle den von dem Herrn Bundeskanzler im vorigen Jahr auf dem Welterdölkongreß ausgedrückten Wunsch nach einer wirklichen Partnerschaft zwischen den verschiedenen Gruppen am Energiemarkt in Erinnerung bringen. Ich bitte unter Hinweis darauf, daß wir den liberalsten Energiemarkt der Welt haben, die ausländischen Unternehmen um Verständnis und Maß. Wir wollen einen Wettbewerb, der allen offensteht, aber wir können unser Wollen nur durchsetzen, wenn Fairneß und Vernunft walten.
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Zur Frage 3! Diese Frage ist bei der Beantwortung der Großen Anfrage der Koalitionsparteien zu Punkt 1 und 3 in vollem Umfange behandelt. Ich muß hier aber ein Wort zur Methode dieser Fragestellung sagen. Sie unterstellt im zweiten Teil Erklärungen der Bundesregierung, wie sie in der dort zitierten Form nicht abgegeben worden sind. Derartige Methoden können nur zu einer Verwirrung beitragen.
Bei der Beantwortung der Frage eins habe ich die Auffassung der Bundesregierung hinsichtlich der erwünschten Größenordnung der deutschen Steinkohlenförderung erneut klargestellt. Genau das, was ich dort gesagt habe, gilt und nichts anderes!
Zur Frage 4! Die Aufgabe des Rationalisierungsverbandes des Steinkohlenbergbaus besteht darin, alle der Rationalisierung dienenden Maßnahmen zu fördern, die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Anlagen zu stärken und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Steinkohlenbergbaus insgesamt zu verbessern. Diese Aufgabenstellung trägt sowohl den Erfordernissen der Bergwirtschaft wie der Volkswirtschaft Rechnung. Die Bundesregierung sieht keine Gefahr, daß der Rationalisierungsverband von diesen ihm durch Gesetz übertragenen Aufgaben abweichen wird. Sie wird etwaige nicht im Einklang mit dem Gesetz stehende Maßnahmen im Wege der Rechtsaufsicht erforderlichenfalls aufheben.
Das Gesetz zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau gewährt bei Vorliegen der dort im einzelnen genannten Voraussetzungen in jedem Stillegungsfall einen Anspruch auf die Prämie. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der im zweiten Teil der Frage angesprochene Fall rein theoretischen Charakter hat und daß in der Praxis Prämien nur für solche Stillegungen in Anspruch genommen werden, die zu einer Leistungssteigerung des gesamten Steinkohlenbergbaus führen.
Zur Frage 5! Die Bundesregierung hält die im Gesetz getroffene Regelung, die ihrer Wirtschaftspolitik entspricht, nach wie vor für richtig. Im einzelnen habe ich die Frage bereits im Rahmen der Antwort zu Punkt 2 der Anfrage der Koalitionsparteien behandelt. Nach unserer wirtschaftspolitischen Auffassung stellt sich die Frage übrigens nicht nach Über- und Unterordnung, sondern nur nach einer Koordinierung.
Zur Frage 6! Die Lasten aus der Beteiligung an der Stillegungsprämie für die verbleibenden Schachtanlagen betragen - wie sich aus dem Gesetz ergibt - 12,50 DM je Tonne stillgelegter Kapazität. Es handelt sich dabei um eine gemeinschaftliche Anstrengung des Steinkohlenbergbaus. Der Übernahme dieser Lasten stehen entscheidende Vorteile gegenüber, die für die verbleibenden Anlagen durch die Stillegung entstehen. Da diese Vorteile den Unternehmen in jedem einzelnen Falle unterschiedlich zugute kommen, ist es bewußt der Selbstverwaltung des Verbandes überlassen worden, in welcher Form die Lasten aus der Beteiligung an der Stillegungsprämie verteilt werden.
Allgemeine Angaben über die Höhe der sonstigen Regressionskosten sind nicht möglich. Sie sind von Fall zu Fall verschieden und lassen sich nur für jeden einzelnen Stillegungsfall gesondert berechnen. Nebenbei möchte ich darauf hinweisen, daß die Frage 6 der SPD-Fraktion auch eine indirekte Teilantwort auf die eigene Frage 5 darstellt.
Zur Frage 7! Nach den bekanntgewordenen Stilllegungsanmeldungen stellt sich diese Frage nur für die Hausbrandsorten Anthrazit und Magerkohle. Die Bundesregierung wird daher das Ergebnis der Anmeldungen auf diesem Sektor besonders sorgfältig prüfen und - falls erforderlich - Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung treffen.
Zur Frage 8! Es ist sicherlich nicht auszuschließen, daß durch die Anmeldung von Zechenstillegungen junge Arbeitskräfte zu einer Abwanderung aus dem Bergbau veranlaßt werden können. Die Bundesregierung hat erfreulicherweise immer wieder festBundesminister Schmücker
stellen können, daß bei den Bergleuten für die begründete Stillegung unwirtschaftlicher Schachtanlagen durchaus Verständnis besteht. Und gerade die jüngeren Bergleute werden sich zu ihrem Beruf um so eher hingezogen fühlen, je moderner ihre Zeche arbeitet. In der konsequenten Durchführung einer zielstrebigen Rationalisierungspolitik kann ich daher keine Gefahren in der Richtung sehen, wie die Fragestellung sie andeutet; im Gegenteil, je leistungsfähiger der Bergbau ist, desto attraktiver ist der Beruf des Bergmanns.
Zur Frage 9! Nach den Erfahrungen der letzten Jahre können im allgemeinen auch Bergleute über 50 Jahre, die ihren Arbeitsplatz infolge einer Zechenstillegung verloren haben, in gleichwertige Arbeitsplätze vermittelt werden. Sollten hierbei Schwierigkeiten auftreten, so werden die sozialen Hilfsmaßnahmen etwaige Härten ausgleichen. Ich verweise auf meine Antwort zu Frage 6 der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP. Eine Änderung der Altersgrenze bei der Gewährung der Knappschaftsausgleichsleistung ist nicht vorgeschlagen. Darüber hinaus würde eine Festsetzung der Altersgrenze auf 50 Jahre auch aus allgemeinen wirtschafts- und sozialpolitischen Erwägungen nicht vertretbar sein. Wir halten es auch für besser, wenn diese Bergleute wieder voll in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden. Wir wissen, derjenige, der voll im Arbeitsprozeß steht und das Gefühl hat, daß er gebraucht wird, ist besser daran als der, der vorzeitig aufhören muß. Mit der Gewährung von Altersruhegeld vom 60. Lebensjahr an ist den Besonderheiten des Bergmannsberufs bereits Rechnung getragen.
Und nun zur letzten Frage! Natürlich ist sich die Bundesregierung der Auswirkungen der Zechenstilllegungen auf das kommunale. und wirtschaftliche Leben der betroffenen Bezirke bewußt. Sie kann den Umstrukturierungsprozeß, der notwendig ist, aber nicht aufhalten, wenn die Allgemeinheit in Zukunft vor großen zusätzlichen Lasten bewahrt bleiben soll. Wir wissen, daß Umfang und Bedeutung der vor uns stehenden Veränderungen vor allem im Ruhrgebiet besondere Anstrengungen erforderlich machen. Der Bund hat seit Jahren eine sehr bewußte und gezielte Regionalförderungspolitik betrieben. Diese Politik wird auch hinsichtlich der Strukturprobleme in den Steinkohlenrevieren eingesetzt werden. Sie kann nur in Zusammenarbeit mit den Ländern und Gemeinden verstärkt werden. Das, was das Land Nordrhein-Westfalen und die Gemeinden des Ruhrgebietes in den letzten fünfzehn Jahren an struktureller Umstellung geleistet haben, verdient hohe Anerkennung. Und wenn der Bund zu größeren Leistungen veranlaßt werden soll, so muß darauf hingewiesen werden, daß das auch eine Frage der Mittel, also des Etats ist.
Damit habe ich die Großen Anfragen zur Energiepolitik beantwortet.
Gestatten Sie mir ein kurzes Schlußwort. Die Diskussionen der letzten Wochen haben erfreulicherweise deutlich werden lassen, daß die heimische Steinkohle als grundlegendes Element unserer Energiewirtschaft fast überall befürwortet wird. Die
Bundesregierung sieht darin eine Bestätigung ihrer Energiepolitik. Sie wird diese Politik fortsetzen. Die Beseitigung der in diesem großen Rationalisierungsprozeß möglichen sozialen Härten hat für uns den absoluten Vorrang. Die Lösung dieser Aufgabe wird um so eher möglich sein, je erfolgreicher unsere Wirtschaftspolitik insgesamt ist.
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Meine Damen und Herren! Sie haben die Beantwortung der Großen Anfragen gehört. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Mitglied des Bundesrates der Herr Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Meyers.
Dr. Meyers, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden Verständnis dafür haben, wenn ich als Mitglied des Bundesrates das Wort in einer Debatte über die Steinkohle hier ergreife, von der das Land Nordrhein-Westfalen rund 90 % des deutschen Vorkommens besitzt. Dabei brauche ich in diesem Hause, in dem ich die Energiedebatten der letzten Jahre mitgemacht habe - auch Sie alle haben sie mitgemacht -, nicht auf die große Bedeutung hinzuweisen, die der Steinkohlenbergbau nicht nur für das Land Nordrhein-Westfalen, sondern für die gesamte Bundesrepublik besitzt und - wie ich aus voller Überzeugung hinzufügen möchte - auch in Zukunft besitzen wird. Der Steinkohlenbergbau war jahrzehntelang die solide und sichere Grundlage nicht nur - entsinnen Sie sich an die Zeit nach dem Kriege - der deutschen Energieversorgung, sondern darüber hinaus auch der Energieversorgung unserer Nachbarn. Nach unserer Auffassung sollte der deutsche Steinkohlenbergbau auch in Zukunft einen bedeutenden Anteil an einer billigen und sicheren Energieversorgung der Wirtschaft der Bundesrepublik behalten.
Wir verkennen bei dieser Forderung nicht den Strukturwandel, der sich auf dem Energiemarkt, bedingt durch das Vordringen des Heizöls und anderer Energieträger, vollzogen hat, noch vollzieht und sich vollziehen wird. Deshalb müssen wir in Bund und Ländern alles in unseren Kräften Stehende tun, um dem Steinkohlenbergbau einen angemessenen Marktanteil zu erhalten.
Nun haben Bund und Länder dankenswerterweise bereits Entscheidendes getan. Insbesondere sind wir für die Maßnahmen dankbar, die der Herr Bundeswirtschaftsminister hier erwähnt hat, die die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag in Verbindung mit dem Bundesrat ergriffen haben, als wichtigste das Gesetz über die Heizölsteuer, das Gesetz über den Kohlezoll und das Gesetz über den Rationalisierungsverband. Damit haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine aussichtsreiche Entwicklung für den deutschen Steinkohlenbergbau eingeleitet. Ich danke der Bundesregierung und dem Bundestag für diese Maßnahmen.
Die Landesregieurng von Nordrhein-Westfalen hat das Ihre getan, um den Absatz der Steinkohle,
Ministerpräsident Dr. Meyers
der schwierig ist, in Zukunft sicherzustellen. Zu erwähnen sind hier die finanziellen Unterstützungen für den Aufbau von Stromleitungskraftwerken und Heizwerken auf Kohlebasis. Hierzu hat der Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen im Landeshaushalt als erste Rate in diesem Jahr 54,5 Millionen DM eingesetzt. Das ist die Anlaufrate. Wir werden sehen, wie sich diese Angelegenheit weiter entwickelt. Ein wesentliches Mittel sehen wir in den Beihilfen zur Förderung von Untersuchungs- und Entwicklungsvorhaben im Bereich des Bergbaus sowie für Maßnahmen zur Verbesserung .der Grubensicherheit und des Gesundheitsschutzes. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ist auch zu weiteren Maßnahmen, die helfen, bereit.
Hierbei erkennt sie besonders an, daß auch der Steinkohlenbergbau selber, und zwar Arbeitnehmer und Unternehmer, erhebliche Anstrengungen zur Leistungssteigerung gemacht haben; sie sind heute morgen schon von verschiedenen Rednern vorgetragen worden. Durch die Steigerung der Leistung pro Mann und Schicht von 1,6 auf 2,6 Tonnen im Jahre 1963 ist sichtbar geworden, daß der deutsche Steinkohlenbergbau auch heute noch der leistungsfähigste Kohlebergbau in Westeuropa ist.
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Wir sind also sicher, daß der Steinkohlenbergbau auch eine weitere Zukunft haben wird. Diese Zukunft ist nach unserer Meinung dann gesichert, wenn der Kohle in einer bestimmten Größenordnung - so wie sie der Herr Bundeswirtschaftsminister soeben erneut vorgetragen hat - die Grundlast am deutschen Energieverbrauch erhalten bleibt. Die Voraussetzung dafür aber ist, daß sie nicht durch einen ruinösen Wettbewerb anderer Energieträger in Frage gestellt wird. Das Gesetz zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau wurde doch von uns allen, von Ihnen in diesem Hohen Hause und von uns im Bundesrat, verabschiedet in der Erwartung, daß die Mineralölgesellschaften getroffene Abmachungen einhalten würden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Meyers, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen: Bitte sehr.
Herr Ministerpräsident, halten Sie es für eine gute Wirkung des Rationalisierungsverbandes, wenn beispielsweise die Rheinstahl AG innerhalb ihres Bergbaubereichs die Schachtanlage Brassert, die nach Erklärungen in der Öffentlichkeit zu den besten Anlagen in diesem Bereich zählt, stillegt? Halten Sie das für eine aussichtsreiche Entwicklung dieses Rationalisierungsverbandes?
Dr. Meyers, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen: Ich habe soeben gesagt, wovon wir ausgegangen sind, aber nicht von den Auswirkungen gesprochen, wie sie sich heute zeigen. Sie wissen ganz genau, Herr Abgeordneter Arendt, was wir in unserem Gespräch darüber gesagt haben, und ich habe mich gefreut, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister mit einer solchen Offenheit und Deutlichkeit soeben erklärt hat, daß er Mißbräuche des Rationalisierungsverbandes im Rahmen der Rechtsaufsicht vermeiden will.
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Da stimme ich wohl mit allen, die irgendwie mit dem Steinkohlenbergbau zu tun haben, überein. Aber wir müssen darauf dringen, daß die Mineralölgesellschaften getroffene Abmachungen auch halten, und damals ging die Absprache doch dahin, daß diese Mineralölgesellschaften ihren Anteil am Energiebedarf entsprechend der ständigen Zuwachsrate, nicht aber auf Kosten des dem Bergbau verbliebenen und zugestandenen Anteils ausdehnen sollen. Heute müssen wir zu unserem Bedauern feststellen, daß die Abreden nicht gehalten worden sind. Dabei will ich nicht untersuchen, ob das die großen Ölgesellschaften oder die Zebras zu vertreten haben. Das müßte noch einer näheren Untersuchung vorbehalten bleiben. Tatsache ist jedenfalls, daß in die Bundesrepublik, die den freiesten Energiemarkt der ganzen westlichen Welt hat, mehr Öl eingeführt und .verarbeitet wurde, als den Abreden entspricht. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ist angesichts dieser Entwicklung deshalb der Meinung, daß künftig für die Einhaltung solcher Absprachen Sorge getragen werden muß, und wir geben dies ganz besonders dem Herrn Bundeswirtschaftsminister mit auf den Weg zu dem Gespräch in der nächsten Woche.
Unseres Erachtens - und damit gehen wir einen Schritt weiter als der Herr Bundeswirtschaftsminister und die Bundesregierung - kann mit einer Rechtsverordnung nach § 10 des Außenwirtschaftsgesetzes die Bundesregierung diese Einhaltung der Absprachen erreichen. Dabei fordert die Landesregierung noch nicht einmal in diesem Zeitpunkt die Kontingentierung als schärfste Waffe, sondern sie erwartet, daß bereits durch die Einführung einer Lizenzierung, die zwar für die Importe die Genehmigung, aber noch keine mengenmäßige Beschränkung zur Folge haben würde, der staatliche Wille zur Ordnung des Energiemarktes für alle Beteiligten sichtbar werden wird. Eine solche Maßnahme ist nach unserer Überzeugung kein dirigistischer Eingriff, sondern eine marktkonforme wirtschaftspolitische Maßnahme.
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Ich kann darauf verweisen - in Parenthese: etwas zu meinen bayerischen Freunden gewandt -, daß schon heute die Deutsche Erdöl AG einen weitergehenden Schutz des deutschen Erdöls fordert. Es kann durchaus sein, daß wir in absehbarer Zeit - die gar nicht so weit vor uns zu liegen braucht - einmal ähnliche Maßnahmen zum Schutze des Heizöls und des in ihm investierten Kapitals und der dort arbeitenden Menschen erwägen müssen, nämlich dann, wenn dieses Heizöl von anderen Energieträgern, wie z. B. dem Erdgas oder der Atomenergie, bedroht wird.
Ministerpräsident Dr. Meyers
Wenn die Landesregierung heute die Anwendung des § 10 des Außenwirtschaftsgesetzes fordert, so ist sie bereit, dafür auch einzutreten; denn sie ist der Überzeugung, daß dies nicht zu einer Erhöhung der Preise für das Heizöl führen muß. Sie alle wissen doch, daß in der Vergangenheit bei jeder Maßnahme, die Sie auf dem Sektor der Energiewirtschaft beschlossen haben, prophezeit worden ist, daß sie zu Preissteigerungen führen müsse. In Wirklichkeit haben wir trotz dieser Maßnahmen die niedrigsten Energiepreise seit 1957. Angesichts des ständig wachsenden Energiebedarfs in der Bundesrepublik steht dem Öl neben den anderen Energieträgern auch in Zukunft ein sich ständig erweiternder Markt zur Verfügung.
Im übrigen sollten wir bei unseren Überlegungen nicht von dem derzeit ungewöhnlich niedrigen Stand der Ölpreise hier im Bundesgebiet ausgehen. Die sind doch niedriger - das ist eben schon gesagt worden - als in allen übrigen westeuropäischen Ländern und sogar weit niedriger als vor der Einführung der Heizölsteuer. Nicht nur aus dem vorderen Orient, aus Mittelamerika und aus Afrika drängt das Öl auf unseren Markt; auch aus den Ostblockstaaten wird in zunehmendem Maße Öl angeboten. Der außergewöhnlich niedrige Preis - das hat der Herr Bundeswirtschaftsminister eben dargelegt - wird verursacht durch den harten Konkurrenzkampf der Ölgesellschaften bei der Eroberung des Marktes untereinander, aber auch im Verdrängungswettbewerb mit der Kohle.
Niemand sollte sich der Illussion hingeben, daß diese Preise auch dann unverändert bleiben würden, wenn das Öl einmal den Markt beherrschen sollte.
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Glauben Sie denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß dann der Ölpreis in Karlsruhe um die Hälfte billiger bleiben wird als in Straßburg, wie es heute der Fall ist?
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Sicherlich nicht! Das ist doch völlig undenkbar, insbesondere dann, wenn die Konkurrenz der Steinkohle ausgeschaltet und der Markt zwischen den großen Ölgesellschaften aufgeteilt worden ist.
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Seien Sie versichert, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen bei allen Maßnahmen von der Sorge um die betroffenen Menschen im Bergbau geleitet wird. Für den Bergmann ist eine Wirtschaftspolitik, die ihm einen sicheren und auch ertragreichen Arbeitsplatz erhält, die beste Sozialpolitik. Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sie nicht aus Nordrhein-Westfalen kommen, darf ich in Erinnerung rufen, daß das Ruhrgebiet das größte zusammenhängende Wirtschaftsgebiet Europas ist. Wenn in diesem Gebiet mit seinen vielfältigen Verflechtungen ernsthafte Störungen auftreten sollten, könnte das nicht ohne Folgen für uns alle in der gesamten Bundesrepublik und vielleicht darüber hinaus bleiben.
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Schon jetzt wird deutlich, daß radikale Elemente die zur Zeit auftretende Unruhe für ihre Zwecke auszunutzen versuchen.
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Meine Damen und Herren, damit sind Fragen angeschnitten, die uns alle unmittelbar berühren und die eine Entscheidung erfordern. Zu dieser Entscheidung ist die Bundesregierung und sind Sie, meine Damen und Herren, im Interesse der gesamten Bundesrepublik aufgerufen.
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Ich gebe das Wort dem Herrn Staatsminister Schedl als Mitglied des Bundesrates.
Dr. Schedl, Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf auch meinerseits - so wie mein Herr Vorredner - um Verständnis dafür bitten, daß ich einige Anmerkungen zu einem Problem mache, das mein Land nicht als Produzenten-, sondern als Verbraucherland trifft. Darf ich vorausschikken, daß ich mit weiten Teilen der Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten Meyers wie auch des Herrn Bundeswirtschaftsministers einverstanden bin. Wir alle sind der Auffassung, daß die Frage der Zukunft des deutschen Steinkohlenbergbaus keine regional begrenzte Frage, sondern ein Anliegen des ganzen deutschen Volkes und der ganzen Bundesrepublik ist.
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So bitte ich Sie, auch das zu werten und zu verstehen, was ich sage, selbst dann, wenn es um einiges von landläufigen Meinungen abweicht.
Ich darf noch vorausschicken, daß mein Land sich bei keiner Maßnahme, die geeignet erschien, die Zukunft des deutschen Steinkohlenbergbaus und damit in allererster Linie der Bergleute zu sichern und zu festigen, geweigert hat mitzuwirken. Wir haben daran mitgetragen, und wir sind willens, das auch in der Zukunft zu tun.
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Wir bitten nur, meine Damen und Herren, daß man nicht durch Verschärfung bestimmter Maßnahmen die Lasten für diese notwendigen neuen Maßnahmen einseitig auf bestimmte Schultern legt. Wir sind gern bereit, insgesamt an dieser nationalen Aufgabe mitzuwirken und mitzutragen, und wir haben dafür in der Vergangenheit die notwendigen Beweise geliefert. Ich darf auch mit Genugtuung und Dankbarkeit feststellen, daß bei bestimmten einzelnen Maßnahmen eine ausgezeichnete Zusammenarbeit mit der Bundesregierung möglich war, und ich hoffe, daß sich diese Zusammenarbeit im gemeinsamen Interesse intensiver fortsetzen läßt.
Allerdings versprechen wir uns und verspreche ich mir nichts von Maßnahmen, die auf die eine Seite restriktiv wirken. Wir halten den Durchbruch nach vorn bei der Steinkohle für die bessere Maßnahme Wir schließen uns jedem Vorschlag zur Unterstützung und Stützung, zur Gesundung und
Staatsminister Dr. Schedl
Kräftigung des deutschen Steinkohlenbergbaus an, wenn die dafür notwendigen Mittel nicht einseitig von einem bestimmten Teil der Verbraucher, von einem bestimmten Kreis der Bevölkerung aufgebracht werden müssen, sondern insgesamt über den Bundeshaushalt aufgebracht werden. Da werden wir unsere volle Unterstützung in jedem Umfang geben. Allerdings sind wir der Auffassung, daß Beschränkungen von Einfuhren, Lizenzierungen, Kontingentierungen, daß Meldepflichten und derlei Maßnahmen zwar dem einen schaden, dem anderen aber nichts nützen.
Es wäre z. B. viel besser, wenn es möglich wäre, den Kohlestrom, ganz gleich, wo er erzeugt wird, in den revierfernen Teilen der Bundesrepublik zu denselben Bedingungen auf den Markt zu bringen, zu denen es hier geschieht, so - und das ist ja eine der Maßnahmen, die in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung möglich war - wie das Kokereigas zum Teil heute schon und zu einem größeren Teil in abzusehender Zeit auch in revierfernen Gebieten zu den gleichen Bedingungen angeboten werden kann, zu denen es hier angeboten wird.
Wenn es auf diese Weise gelingt, die allgemeinen Interessen den Sonderinteressen überzuordnen, und wenn es auf diese Weise gelingt, eine Frage, die uns alle angeht, durch Zusammenarbeit und auch durch gemeinsame Opfer zu lösen, dann, meine ich, haben wir für die Kohle mehr getan, als wenn wir den Versuch unternehmen, durch Restriktion anderen zu schaden, und dabei dem einen, dem es dienen soll, doch, wie die Erfahrung zeigt, nicht nützen können.
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Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache jetzt nicht weitergeführt werden, sie soll vielmehr in Verbindung mit der Debatte über den Entwurf eines Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe am 2. Dezember dieses Jahres in diesem Hause durchgeführt werden. Ich unterstelle, daß das Haus damit einverstanden ist. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 2. Dezember, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.