Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, das Präsidium des Bundestages hat gestern dem Herrn Bundespräsidenten die Glückwünsche des Hauses zu seinem 70. Geburtstag übermittelt.
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Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Tagesordnung um folgende Punkte erweitert werden:
1. Erste Beratung des von den Abgeordneten Drachsler, Dr. Sinn, Dr. Höchst, Adorno, Lemmrich, Wagner und Genossen und Fraktion der CDU/CSU und den Abgeordneten Ramms und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache IV/2417 -2. Erste Beratung des von den Abgeordneten Wendelborn und Fraktion der CDU/CSU und den Abgeordneten Ramms und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes - Drucksache IV/2418 -3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten im Nahverkehr - Drucksache IV/2433 2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze ({1}) - Drucksache IV/2442 3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Anderung des Soldatengesetzes - Drucksache IV/2470 4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe 1965, 1966 und 1967 - Drucksache IV/2471 7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über Umstellung der Abgaben auf Mineralöl - Drucksache IV/ 2441 8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Mühlengesetzes - Drucksache IV/2472 9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung sowie zur Änderung der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze ({2}) - Drucksache IV/2476 -
10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verteilung des auf die Bundesrepublik Deutschland entfallenden Anteils an der von Israel für das deutsche weltliche Vermögen in Israel nach dem Abkommen vom 1. Juni 1962 gezahlten Entschädigung - Drucksachen IV/ 2516 -
11. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksache IV/2531 -
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft ({3}) - Drucksache IV/2529 12. Erste Beratung ides von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Reisekostenvergütung für die Bundesbeamten, Richter im Bundesdienst und Soldaten ({4}) - Drucksache IV/2533 _13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Blindenwarenvertriebsgesetzes ({5}) - Drucksache IV/2534 14. Erste Beratung des von der Bundesregierung ,eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schiffssicherheitsvertrag vom 17. Juni 1960 -Drucksache IV/2542 15. Erste Beratung 'des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Aufgaben des
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt - Drucksache IV/2548 16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen - Drucksache IV/2572 17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes - Drucksache IV/2577 18. Beratung des Antrags 'der Abgeordneten Ehnes, Sühler, Lemmrich, Hösl, Dr. Supf, Murr und Genossen betr. Förderung von Qualität und Absatz im Tabakbau - Drucksache IV/2421 19. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wächter, Freiherr von Kühlmann-Stumm, Dr. Effertz, Sander, Ertl, Peters ({6}), Logemann, Struve, Bauknecht, Dr. Pflaumbaum und Genossen betr. Festsetzung des Orientierungspreises für Rindfleisch - Drucksache IV/2427 20. Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen. betr. Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1962 - Drucksache IV/2487 21. Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Inneres ({7}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EAG zur Änderung und Ergänzung des Artikels 95 des mit Verordnung Nr. 31 ({8})/Nr. 11 ({9}) in Kraft gesetzten Statuts der Beamten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft - Drucksachen IV/2485, IV/2593 22. Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses ({10}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats zur Regelung des Handels mit einzelnen landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen,
eine Verordnung des Rats mit der Warenliste zur Verordnung /64 des Rats zur Regelung des Handels mit einzelnen landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen - Drucksachen IV/2482, IV/2596 23. Beratung des Berichts des Außenhandelsausschusses ({11}) über die von der Bundesregierung erlassene Achtundsechzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 ({12}) und über die von der Bundesregierung erlassene Einundsiebzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Zollkontingent für getrocknete Weintrauben - Drucksachen IV/2440, IV/2439, IV/2597 24. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({13}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats über die Abschöpfung, die auf bestimmte Mischungen von Milcherzeugnissen und auf bestimmte Butter enthaltende Zubereitungen anzuwenden ist. - Drucksachen IV/2494, IV/2598 25. Beratung des Berichts des Außenhandelsausschusses ({14}) über die von der Bundesregierung erlassene Fünfzehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Drucksachen IV/2445, IV/2595 -
26. a) Mündlicher Bericht des Ausschusses für Petitionen ({15}) über seine Tätigkeit gemäß § 113 Abs. 1 der Geschäftsordnung Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Rieger ({16})
b) Beratung der Sammelübersicht 33 des Ausschusses für Petitionen ({17}) über Änträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen - Drucksache IV/2567 -
c) Beratung der Sammelübersicht 34 des Ausschusses für Petitionen ({18}) über
Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen - Drucksache IV/2568 -
d) Sammelübersicht 35 des Ausschusses für Petitionen ({19}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 17. Oktober 1961 bis 31. August 1964 eingegangenen Petitionen - Drucksache IV/2569 27. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte - Drucksache IV/2425 28. Beratung des Antrags der Abgeordneten Kulawig, Hussong, Wilhelm und Fraktion der SPD betr. Schiffbarmachung der Saar - Drucksache IV/2575 29. Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({20}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen
betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1959 auf Grund der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes - Drucksachen IV/854, IV/2475 -.
Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Außerdem soll die Tagesordnung erweitert werden um zwei Mündliche Berichte des Vermittlungsausschusses zu dem Durchführungsgesetz EWG Milch und Milcherzeugnisse - Drucksache IV/2603
- und dem Durchführungsgesetz EWG Rindfleisch
- Drucksache IV/2604 -. - Das Haus ist auch damit einverstanden; es ist so beschlossen.
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- Gibt das eine Debatte?
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Präsident D. Dr. Gerstenmaier
- Keine Debatte, dann um 15 Uhr.
Die Fraktion der FDP hat mir unter dem 14. Oktober 1964 folgendes Schreiben übersandt:
Herr Robert Margulies ist aus dem Europäischen Parlament ausgeschieden. Meine Fraktion
- schreibt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende schlägt an seiner Stelle zur Wahl durch den Deutschen Bundestag Herrn Bundestagsabgeordneten Dr. Ernst Achenbach vor.
Herr Dr. Ernst Achenbach hat sein ordentliches Mandat als Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates und der Versammlung der Westeuropäischen Union niedergelegt. Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei schlägt an seiner Stelle als ordentliches Mitglied Herrn Bundestagsabgeordneten Dr. Walther Hellige vor.
Herr Dr. Walther Hellige hat sein Mandat als stellvertretendes Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates und der Versammlung der Westeuropäischen Union niedergelegt. An seiner Stelle schlagen wir Herrn Bundestagsabgeordneten Klaus Freiherr von Mühlen vor.
Ich bitte, die Wahl der Bundestagsabgeordneten Dr. Ernst Achenbach, Dr. Walther Hellige und Klaus von Mühlen auf die Tagesordnung der 137. Sitzung des Deutschen Bundestages zu setzen.
Das ist hiermit geschehen. Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden? - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Folgende amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Staatssekretär im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hat am 12. Oktober 1964 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schäfer, Schmitt-Vockenhausen und Fraktion der SPD betr. Erhaltung der Amerika-Häuser - Drucksache IV/2573 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/2602 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat mit Schreiben vom 13. Oktober 1964 gemäß § 76 Abs. 2 GO überwiesen:
Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen ({23}) sowie das Gutachten des Sozialbeirats über die Rentenanpassung - Drucksache IV/2566 an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend Bericht der Bundesregierung über die Wettbewerbsverfälschungen, die sich aus Sitzverlagerungen und aus dem zwischenstaatlichen Steuergefälle ergeben können - Drucksache IV/2412 an den Finanzausschuß.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden EWG-Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rats über die Regelung für Getreide und Reisverarbeitungserzeugnisse - Drucksache IV/2561 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und an den Wirtschaftsausschuß - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 11. November 1964
Verordnung des Rats zur Durchführung von Erhebungen über die Schweinebestände in den Mitgliedstaaten - Drucksache IV/2574 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 4. November 1964
Verordnung der Räte zur Änderung des Statuts der Beamten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft - Drucksache IV/2589 an den Ausschuß für Inneres mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 4. November 1964
Richtlinie des Rats über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der selbständigen Berufstätigkeiten der Zweige Elektrizität, Gas, Wasser und sanitäre Dienste ({24}) ({25}) - Drucksache IV/2590 an den Wirtschaftsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Arbeit - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 2. Dezember 1964
Verordnung Nr. 119/64/EWG des Rats vom 22. September 1964 über die Festsetzung der Abschöpfungsbeträge gegenüber dritten Ländern für Schweine, Schweinefleisch und Schweinefleisch enthaltende Erzeugnisse ({26})
an den Außenhandelsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - mit der Bitte um Berichterstatung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden
Verordnung Nr. 120/64/EWG des Rats vom 22. September 1964 zur Verlängerung und Anpassung einiger Bestimmungen über die Erstattung bei der Erzeugung von Getreide- und Kartoffelstärke ({27})
an den Außenhandelsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden
Verordnung Nr. 62/64/EWG des Rats vom 3. Juni 1964 über die Festlegung der Grundsätze für die Interventionen auf dem Buttermarkt
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden.
Der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirstchaft und Forsten hat unter dem 29. Juli 1964 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die Verordnung keine Bedenken erhebt.
Verordnung Nr. 77/64/EWG des Rats vom 26. Juni 1964 zur Verlängerung der in den Verordnungen Nr. 156 und 10/63/EWG getroffenen Regelungen
an den Außenhandelsausschuß - federführend__- und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - mit der Bitte um Berichterstattung, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden.
Der Herr Vorsitzende des Außenhandelsausschusses hat unter dem 7. Oktober 1964 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die Verordnung keine Bedenken erhebt.
Verordnung Nr. 78/64/EWG des Rats vom 26. Juni 1964 zur Ergänzung der Verordnungen Nr. 50/64/EWG und Nr. 51/64/EWG
an den Außenhandelsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - mit der Bitte um Berichterstattung, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden.
Der Herr Vorsitzende des Außenhandelsausschusses hat unter dem 7. Oktober 1964 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die Verordnung keine Bedenken erhebt.
Verordnung Nr. 79/64/EWG des Rats vom 26. Juni 1964 über Maßnahmen, die von einzelnen Bestimmungen der Verordnungen Nr. 20, 21, 22 und 84/63/EWG des Rats abweichen, und zur Änderung der Verordnungen Nr. 59/64/EWG und 60/64/EWG des Rats
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten -federführend - und an den Außenhandelsausschuß - mitberatend - mit der Bitte um Berichterstattung, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden.
Der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 12. Oktober 1964 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die Verordnung keine Bedenken erhebt.
Verordnung Nr. 82/64/EWG des Rats vom 30. Juni 1964 zur Änderung des Zeitpunkts der Anwendung gewisser Akte bezüglich der gemeinsamen Agrarpolitik
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden.
Der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 29. Juli 1964 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die Verordnung keine Bedenken erhebt.
Der Herr Vorsitzende des Außenhandelsausschusses hat mit Schreiben vom 16. Juni 1964 mitgeteilt, daß er gegen die Verordnung Nr. 56/64/EWG des Rats vom 21. Mai 1964 zur Änderung und Verlängerung der Verordnung Nr. 31/63/EWG des Rats betreffend die vorherige Festsetzung der Abschöpfung für bestimmte Erzeugnisse keine Bedenken erhebt.
Der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 13. Oktober 1964 mitgeteilt, daß der Ausschuß zu den nachstehenden Vorlagen
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
nicht mehr Stellung nimmt, da sie im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften bereits verkündet sind:
Verordnung des Rats über den Absatz von aus Interventionsmaßnahmen stammendem Gefrierfleisch - Drucksache IV/ 2447 Verordnung des Rats über die Gruppenbildung auf dem Gebiet der Milch und Milcherzeugnisse - Drucksache IV/2448 Verordnung des Rats über die Änderung der für die Erzeugung von einem Kilogramm geschlachteter Enten festgesetzten Futtergetreidemenge sowie über die Änderung des Einschleusungspreises für geschlachtete Enten - Drucksache IV! 2450 Verordnung des Rats über den Aufschub der Anwendung der Verordnung Nr. 16/64/EWG des Rats bezüglich einiger Verarbeitungserzeugnisse - Drucksache IV/2452 Verordnung des Rats über die Durchführungsbestimmungen betreffend die Ausgleichsabgaben und die Gewährung von Subventionen gemäß Artikel 10 der Verordnung Nr. 13/64/ EWG - Drucksache IV/2453 Verordnung des Rats zur Festsetzung der Referenzpreise für Milcherzeugnisse - Drucksache IV/2483 Verordnung des Rats über abweichende Bestimmungen für Milchpulver, Butter, Kondensmilch und einige Käsesorten - Drucksache IV/2493 -.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Sechzehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Drucksache IV/2594 - an den Außenhandelsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 20. Januar 1965.
Damit kommen wir zur Tagesordnung. Ich rufe auf Punkt 1:
Fragestunde ({28}).
Hier stehen wir bei der Frage X/13 - des Herrn Abgeordneten Wächter - aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe sie auf:
Liegen Beschwerden von Landwirten aus dem Einflußgebiet der Flugplätze Upjever und Wittmundhaven ({29}) vor, wonach durch Düsenjägerlärm Verkalbungen und andere Schädigungen bei Rindvieh zu beklagen sind?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister der Verteidigung!
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich die Fragen 13 und 14 zusammen beantworte.
Einverstanden. Dann rufe ich auch auf die Frage X/14 - des Abgeordneten Wächter -:
Teilt die Bundesregierung den Eindruck des Luftwaffeninspekteurs General Panitzki, wonach die in Frage X/13 genannten Bauern einen zweiten „Grünen Plan" über die Bundeswehr finanziert haben wollen?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Zu der Frage 13 darf ich folgendes erklären. Es liegen aus dem unmittelbaren Einfluggebiet der Flugplätze Upjever und Wittmundhaven sieben Schadensmeldungen vor, die jedoch keine Verkalbungen oder andere Schäden bei Rindvieh zum Inhalt haben. Von den sieben Schadensmeldungen beziehen sich sechs auf Gebäudeschäden, eine betrifft einen verendeten Hund.
Zur Frage 14 darf ich folgendes antworten: Diese Frage betrifft einen Sachverhalt, dessenthalben sich auch der Herr Präsident des Deutschen Bauernverbandes mit einem Schreiben vom 16. September an mich gewandt hat. Ich bitte, mein Antwortschreiben an Herrn Präsidenten Rehwinkel, das ich anschließend verlesen darf, zugleich als Stellungnahme zu dieser Frage anzusehen.
Ich habe ihm folgendes geantwortet:
Über Ihren Brief vom 16. September bin ich betroffen. Zunächst möchte ich jedoch meinem Dank für das Verständnis Ausdruck geben, das Sie der Bundeswehr entgegenbringen.
Ich bedaure sehr, daß Äußerungen des Inspekteurs der Luftwaffe, Generalleutnant Panitzki, in einer Pressekonferenz Anlaß zur Verärgerung in Kreisen der Landwirtschaft gegeben haben. General Panitzki hat auf meine Veranlassung eine Pressekonferenz über den Flugzeuglärm abgehalten, nachdem in letzter Zeit die Klagen darüber zugenommen haben, was ich durchaus verstehe. Der stärkere Lärm hängt mit der Einführung neuer Hochleistungsflugzeuge zusammen.
Die Äußerung des Generals Panitzki, die Sie sinngemäß zitieren, ist nicht im Rahmen des Statements gefallen, das Panitzki zu Beginn der Pressekonferenz abgegeben hat, sondern im Laufe des nachfolgenden Frage- und Antwortspiels mit Journalisten. Nach der Tonbandaufnahme hat General Panitzki auf die Frage eines Pressevertreters, ob auch aus Kreisen der Landwirtschaft Klagen über den Flugbetrieb vorlägen und ob der Bund in Schadensfällen Ersatz leiste, geantwortet: „Es gehen auch" - so sagt Panitzki - „von dieser Seite Klagen ein, daß durch unseren Flugbetrieb Kühe verkalben. In tierärztlichen Gutachten wird dann oft vorsichtig geschrieben, daß das Verkalben vermutlich durch den Flugzeuglärm verursacht wurde. In begründeten Fällen wird selbstverständlich Schadensersatz geleistet."
Scherzhaft fügte General Panitzki hinzu: „Es gibt aber auch Fälle, in denen man beinahe den Eindruck haben könnte, als ob nun auch die Luftwaffe zur Finanzierung eines zweiten Grünen Planes herangezogen werden solle."
Bereits daraus dürfte hervorgehen, daß es Herrn Panitzki völlig ferngelegen hat, die deutsche Landwirtschaft zu kränken
({0})
und ihr zu unterstellen, daß sie sich auf Kosten unserer Luftwaffe finanzielle Vorteile verschaffen wolle.
({1})
Es handelt sich auf keinen Fall um eine vorbedachte Äußerung, sondern um eine scherzhafte Anspielung auf übertriebene Schadensersatzforderungen in dem einen oder anderen Fall. Derartige Fälle werden sich niemals ausschließen lassen.
({2})
General Panitzki bedauert außerordentlich,
daß seine Äußerungen zu Mißverständnissen geführt haben. Was auf der Pressekonferenz dargelegt werden sollte, geht aus der anliegenden Studie hervor, die ich zu Ihrer Kenntnisnahme beifüge.
Bundesminister von Hassel
Die Studie haben auch die Abgeordneten des Bundestages bekommen.
Dann kommt die Schlußformel.
Zusatzfrage?
Herr Minister, darf ich Ihnen für Ihre Ausführungen recht herzlich Dank sagen.
({0})
Verübeln Sie es mir bitte nicht und haben Sie Verständnis dafür, Herr Minister, wenn ich mich hier schützend - ({1})
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. In der Fragestunde gibt es halt nun einmal nur Fragen. Ich kann es auch nicht ändern. Dabei bleibt es. Vielleicht fällt uns noch etwas anderes ein, was wir unter Umständen machen könnten. Aber einstweilen muß es in der Fragestunde bei Fragen bleiben, selbst dann, wenn Sie dem Minister 'für sein tiefes Verständnis danken wollen, was er sicher gern hört.
Ich rufe (auf Frage X/15 - des Herrn Abgeordneten Kaffka -:
Ist die Bundesregierung der gleichen Meinung wie General Panitzki, der sich in einer Pressekonferenz, die sich mit der Lärmbelästigung der Bevölkerung durch Düsenjäger befaßte, dahin gehend äußerte, daß das deutsche Volk nicht zu Opfern bereit sei?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Die Frage des Abgeordneten Kaffka beantworte ich wie folgt.
'Der Inspekteur der Luftwaffe hat anläßlich der Pressekonferenz am 1. September 1964 nicht geäußert, daß das deutsche Volk nicht zu Opfern bereit sei. Er sagte, zu den Journalisten gewandt, wörtlich:
Ich bitte Sie, uns zu helfen, daß die Bevölkerung für die unvermeidbare Belastung Verständnis aufbringt, wie es - das möchte ich hier deutlich sagen - alle Völker unserer westlichen Verbündeten tun. Leider ist bei uns die Bereitschaft des Volkes, auch bier Opfer zubringen und auf sich zu nehmen, nicht so wie in unseren westlichen Staaten. Ich glaube, daß diese Bitte an die Bevölkerung gerechtfertigt ist und durchaus zu dem gehört, was unser Bundeskanzler in seiner heutigen Erklärung meinte, wenn er sagte: Daß wir 'für den Frieden und die Erhaltung der Freiheit Opfer bringen müssen. Auch
diese Belastung, die wir der Bevölkerung zugestandenermaßen zufügen müssen, ist meinem Gefühl nach eines dieser Opfer, die unsere Bevölkerung zu tragen hat.
Ich vermag aus dieser Bitte, aus diesem Appell des Inspekteurs der Luftwaffe nicht die ihm von Herrn Abgeordneten Kaffka unterstellte Behauptung zu entnehmen, das deutsche Volk sei nicht zu Opfern bereit.
Zusatzfrage.
Herr Minister, glauben Sie, daß es im Rahmen der Aufgaben eines Generals liegt, ein derartiges Pauschalurteil über das eigene Volk abzugeben, auch wenn es in der Weise geschah, wie Sie es jetzt darstellen?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Ich ,habe die Antwort und die Stellungnahme des Generals Panitzki hier verlesen. Ich vermag daraus kein Pauschalurteil zu entnehmen, wie Sie es in der Zusatzfrage formulierten.
({0})
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Cramer.
Herr Minister, treffen meine Informationen zu, daß die von Ihnen angeordnete Mittagsruhe im Schulbetrieb der Luftwaffenschule X durch verstärkten Einsatz in den Vor- und Nachmittagsstunden wieder ausgeglichen und die Erleichterung für die Bevölkerung, die Sie herbeiführen wollten, damit wieder aufgehoben wird?
Herr Abgeordneter, ich kann überhaupt nicht erkennen, daß diese Frage in einem Zusammenhang mit den hier gedruckten Fragen steht. Steht sie damit in irgendeinem Zusammenhang?
Dann die zweite Zusatzfrage.
Also, sie steht nicht in einem Zusammenhang? Dann darf sie auch nicht gestellt und beantwortet werden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie bereit, über den gesamten Fragenkomplex, der vorgestern und heute hier im Zusammenhang mit dem Düsenjägerlärm in der Bundesrepublik angesprochen worden ist, mit uns im Verteidigungsausschuß zu diskutieren?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Ich darf diese Frage mit Ja beantworten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerlach.
Herr Minister, ist es so zu verstehen, daß sich durch die Äußerung des Herrn General Panitzki der Herr Bischof Jacobi veranlaßt sehen mußte, ein Kinderdorf bei Vechta einzurichten, um Kinder aus den lärmgefährdeten Gebieten herauszunehmen, weil sie nicht Opfer dieses Düsenjägerlärms werden sollten?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Herr Bischof Jacobi hat mir in einem Brief seine Besorgnis aus seinen Beobachtungen über den Flugzeuglärm dargelegt.
Keine weitere Zusatzfrage? - Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Flitz.
Herr Minister, sind Sie nicht der Ansicht, daß es nach allem nun vielleicht doch richtig wäre, daß Sie sich einmal persönlich in diese betroffenen Gebiete begeben, damit Sie während mindestens dreier Stunden bei Tag und dreier Stunden bei Nacht selber erleben, welche Opfer von der Bevölkerung dort verlangt werden? Sie kommen dann vielleicht zu der Einsicht -
Frage, Frage, Frau Abgeordnete!
Kommen Sie dann zu der Ansicht - - , vielleicht kommen Sie dann - -. Nein, Sie kommen dann sicher - -. Nein, noch anders: ({0})
Frage!
Vielleicht, ich sagte: Darf ich annehmen, daß Sie dann zu der Ansicht - ({0})
Ich - -, ich möchte, - - nein, ich frage -
Frau Abgeordnete - Frau Dr. Flitz ({0}) : Darf ich annehmen, daß Sie dann zu der gleichen Ansicht kommen wie Ihr Staatssekretär Gumbel, der bei der Pressekonferenz in Jever schließlich zugeben mußte: „Es fehlten uns die praktischen Erfahrungen; vielleicht haben wir die Auswirkungen nicht richtig eingeschätzt; jetzt aber haben wir die Erfahrungen sammeln können."
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Und auf Grund der gesammelten Erfahrungen, Frau Abgeordnete, ist der Flugbetrieb um 25 %, wie ich gestern darlegte, bereits vermindert worden. Ob ich in der Lage bin, in den nächsten Wochen nach Jever zu kommen, ist eine zweite Frage. Wenn ich kommen sollte, werde ich gemeinsam mit Ihnen die Lärmstudien betreiben, Frau Abgeordnete.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wächter.
Können wir uns, Herr Minister, nicht wenigstens darüber einig werden - und hierbei beziehe ich mich auf Ihre Antwort, die Sie vorgestern auf die Frage meines Kollegen Mertens gegeben haben -, daß die Bemühungen des Bischofs Dr. Jacobi sicherlich nicht unter dem Einfluß von Absichten stehen, wie Sie und auch Ihr General
Panitzki sie doch teilweise bei uns Abgeordneten vermuten?
({0})
Wir kommen. zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr.
Die Herren, die die Fragen XI/1 bis XI/9 gestellt haben, sind alle mit der schriftlichen Beantwortung einverstanden, zunächst; vielleicht wären sie es nach der Lektüre der heutigen Morgenpresse nicht mehr.
Ich rufe auf die Frage XI/1 - des Abgeordneten Dr. Müller-Emmert -:
Wann wird - eingedenk der Erklärung, die der Herr Bundesverkehrsminister anläßlich einer Pressebesprechung im März 1963 im Stadthaus in Lauterecken abgegeben hat und die dahin ging, daß mit dem Bau der Umgehungsstraße der B 270, die an Lauter-ecken vorbeiführen und am Reckweilerhof enden soll, im nächsten halben Jahr begonnen werde - das genannte Projekt wirklich in Angriff genommen, nachdem schon fast eineinhalb Jahre vergangen sind?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 30. Juli 1964 lautet:
Bezüglich der Umgehungsstraße Lauterecken im Zuge der B 270 möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich auch weiterhin bemüht bin, mit dem Bau zu beginnen, sobald die Planungen abgeschlossen sind. Unmittelbar beeinflußt wird die Umgehungsstraße Lauterecken durch den Knotenpunkt B 270/B 420 am Ende der Umgehungsstraße Langweiler-Grumbach. In der Planung sind in der letzten Zeit Schwierigkeiten insofern eingetreten, als gegen die beabsichtigte Ausbildung dieses Knotenpunktes Einwendungen der betroffenen Gemeinde vorgebracht worden sind. Ich hoffe jedoch, daß diese Schwierigkeiten bald ausgeräumt sein werden und die Planung bis Ende d. J. abgeschlossen sein wird. Ich weise jedoch hierbei darauf hin, daß die derzeitige Haushaltssituation des Bundes mir keine feste Zusage ermöglicht, daß mit dem Bau der Umgehungsstraße 1965 begonnen wird. Wie Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege, bekannt sein wird, reichen die vorhandenen Straßenbaumittel nicht aus, alle dringenden Bauvorhaben in den kommenden Jahren durchzuführen.
Ich rufe auf die Fragen XI/2, XI/3 und XI/4 - des Abgeordneten Schwabe -:
Trifft es zu, daß der Herr Bundesverkehrsminister am 23. Juli 1964 erklärt hat, daß die Mittel für den Straßenbau nur noch bis zum 1. September 1964 ausreichen?
Wird mit der in Frage XI/2 erwähnten Erklärung bestätigt, daß die Kapazität des deutschen Straßenbaugewerbes sogar in der ausgesprochenen Bausaison weitgehend brachliegen wird?
Gedenkt die Bundesregierung Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um dem Straßennotstand und dem Straßenbaunotstand wirkungsvoller als seither zu begegnen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 13. August 1964 lautet:
Zu Ihrer Anfrage über die Situation im Straßenbau darf ich Ihnen folgendes mitteilen: Es trifft zu, daß ich im Verlauf der diesjährigen Bereisung der Baustellen der Bundesstraßen und Bundesautobahnen am 23. Juli d. J. in Stuttgart vor Vertretern der Presse die schwierige Situation des Straßenbauhaushalts in diesem Rechnungsjahr angesprochen habe. Ich habe dabei zum Ausdruck gebracht, daß die verfügbaren Mittel dieses Jahres wahrscheinlich nicht ausreichen würden, um eine ungehinderte Weiterführung der laufenden Arbeiten bis zum Jahresschluß zu gewährleisten, und zwar deshalb nicht, weil wir dank der besonders günstigen Witterungsbedingungen einen erheblich höheren Leistungsstand erreicht haben als zur gleichen Zeit der Vorjahre. Wie Sie wissen, ist der Straßenbauplan 1964 mit seiner Endsumme von 3100 Mill. DM kassenmäßig nicht voll gedeckt. Zwischen diesem Endbetrag und den jetzt zur Verfügung stehenden Mitteln des ordentlichen und des außerordentlichen Haushalts, einschl. der mit verplanten Kredite, in Höhe von 2916,5 Mill. DM besteht ein Fehlbetrag von 183,5 Mill. DM, um dessen Abdeckung ich mich z. Z. beim Bundesfinanzministerium bemühe. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn dem Straßenbau weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden könnten, um die günstigen Witterungsbedingungen ausnützen zu können. Das wird jedoch
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
nur möglich sein, wenn das Prinzip der Stabilität dabei unangetastet bleibt. Die Verhandlungen mit dem Bundesfinanzministerium sind hierüber eingeleitet.
Sie haben weiterhin angefragt, ob durch diese Haushaltssituation bestätigt werde, daß die Kapazität des deutschen Straßenbaugewerbes weitgehend brach liegen würde. Dazu ist zunächst zu sagen, daß auf den Bundesfernstraßenbau nur etwa 1/3 des gesamten Straßenbauvolumens entfällt. Es wird also auch von der Auftragslage im Straßenbau der Länder und Kommunen abhängen, inwieweit die Kapazität des Straßenbaugewerbes ausgelastet werden kann. Aus dem bei den Ausschreibungen in letzter Zeit festzustellenden Wettbewerb kann geschlossen werden, daß in diesem Jahre die Kapazität des Straßenbaugewerbes schwächer ausgenutzt wird als in den Vorjahren.
Sie fragen weiter, ob die Bundesregierung Sofortmaßnahmen zu ergreifen gedenkt, um dem Straßenbaunotstand wirkungsvoller als seither zu begegnen. Hierzu möchte ich darauf hinweisen, daß dem Herrn Bundesminister der Finanzen bereits ein Antrag vorliegt, weitere Mittel bereitzustellen, soweit das im Rahmen der gesamten Haushaltslage möglich ist.
Sie können versichert sein, sehr geehrter Herr Kollege, daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die günstig verlaufenden Arbeiten an den Bundesfernstraßen zügig weiterzuführen. Für Ihr erneutes Interesse an meinen Sorgen um die Finanzierung der Bundesfernstraßen danke ich Ihnen herzlich.
Ich rufe auf idie Frage XI/5 - des Abgeordneten Bading -:
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, eine Begradigung der kurvenreichen Bundesstraße 253 zwischen Löhlbach und Dainrode im Kreise Frankenberg ({0}), die zu einer Reihe schwerer Verkehrsunfälle geführt hat, vornehmen zu lassen?
Der Fragesteller hat sich mitschriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Seebohm vom 11. August 1964 lautet:
Es ist mir bekannt, daß die Bundesstraße 253 zwischen Löhlbach und Dainrode sehr kurvenreich verläuft und auch ein rundes Querprofil aufweist. Infolge der relativ geringen Verkehrsbelastung konnte seinerzeit diese Bundesstraße nicht in das Grundnetz der Bundesstraßen ({1}) aufgenommen werden. Da der Ausbau der Straßen des „Blauen Netzes" schon wegen ihrer größeren Verkehrsbedeutung bevorzugt durchgeführt werden muß, muß der Ausbau der übrigen Bundesstraßen aus finanziellen Gründen zwangsläufig zurückstehen. Es ist aber beabsichtigt, den von Ihnen genannten, etwa 4 km langen Straßenabschnitt der B 253 in den nächsten 2 Jahren im Rahmen eines Zwischenausbaues mit einem Kostenaufwand von etwa 1,0 Mio DM zu verbessern. Hierbei sollen die Fahrbahndecke erneuert und die gefährlichen Kurven begradigt werden. Die hessische Straßenbauverwaltung wird mit den Bauarbeiten im kommenden Haushaltsjahr beginnen.
Ich rufe auf die Fragen XI/6, XI/7 und XI/8 - des Abgeordneten Flämig -:
Besteht die Möglichkeit - nachdem zwischen Bundeskanzleramt, Bundesverkehrsministerium und Bundesfinanzministerium Einigkeit darüber erzielt wurde, daß weitere Mittel für den Ausbau der Bundesautobahnen und Bundesstraßen durch einen Haushaltsvorgriff für den Straßenbau bereitgestellt werden sollen -, die unhaltbaren und lebensgefährlichen Verkehrsverhältnisse an der Einmündung der Bundesstraße 43 in die Bundesstraße 8 bei Hanau/Wolfgang durch den unverzüglichen Bau des seit langem geplanten Hochkreisels zu beseitigen, um zu verhindern, daß sich allmorgendlich und allabendlich auf diesen stark befahrenen Bundesstraßen lange Autoschlangen bilden, die die Ein- und Ausfahrten in die dort liegenden großen Industriebetriebe blockieren?
Wann ist mit dem Bau einer weiteren Straßenbrücke über den Main mit Anschluß an die Bundesstraßen bei Hanau zur Entlastung des Durchgangsverkehrs durch die engen und dicht befahrenen Bundesstraßen, die durch die in Frage XI/6 genannte wichtige Industriestadt im Rhein-Main-Gebiet führen, zu rechnen?
Was wird die Bundesregierung tun, um zu verhindern, daß eine weitere Verzögerung des Ausbaues der Bundesstraße 40 im Landkreis Gelnhausen die wirtschaftliche Entwicklung im Kinzigtal empfindlich hemmt, der Kurstadt Bad Orb die dringend notwendige ordnungsgemäße Zufahrtsstrecke aus dem Raume Frankfurt und Fulda vorenthält und alle gut gemeinten Pläne der Bundesregierung für das Bundesaufbaugebiet zwischen Gelnhausen, Schlüchtern und Fulda illusorisch macht?
Der .Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 11. September 1964 lautet:
Zur Frage 1
Wie Ihnen bekannt ist, hat der Herr Bundesminister der Finanzen mit Einverständnis des Bundeskanzleramtes auf meine wiederholten Bemühungen hin nunmehr zugestimmt, daß die bei
Aufstellung des Straßenbauhaushaltes 1964 in Höhe von 3100 Mio DM in Kauf genommene Finanzierungslücke von 183,5 Mio DM aus dem zweckgebundenen Aufkommen aus der Mineralölsteuer finanziert wird. Dabei ist noch offen, ob dies durch einen Vorgriff gemäß § 30 der Reichshaushaltsordnung ({2}) oder über einen Nachtragshaushalt 1964 möglich ist. Über die Bereitstellung weiterer Mittel wird noch verhandelt. Hierdurch ist sichergestellt, daß der Bau von Bundesfernstraßen im Rahmen des 2. Vierjahresplanes kontinuierlich weitergeführt werden kann. Für die Finanzierung neuer im Straßenbauhaushalt 1964 nicht veranschlagter Bauvorhaben stehen dabei aber keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung.
Was die Maßnahme zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse an der Einmündung des östlichen Anschlusses der Bundesstraße 43 ({3}) in die Bundesstraße 8 bei Hanau/Wolfgang betrifft, so steht diese Planung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Südostumgehung von Hanau. Wie mir von der zuständigen Auftragsverwaltung, dem Herrn Hessischen Minister für Wirtschaft und Verkehr, Wiesbaden, mitgeteilt wurde, ist der Vorentwurf hierfür bereits fertiggestellt, jedoch steht die abschließende Stellungnahme der amerikanischen Dienststellen noch aus. Sie ist insofern erforderlich, als die B 43 über den jetzigen Endpunkt an der Einmündung in die B 8 hinaus in südlicher Richtung verlängert wird und in Anlehnung an die sogen. „Panzerstraße" den Truppenübungsplatz südlich Wolfgang berührt. Mit der Bearbeitung der baureifen Planung kann jedoch erst nach Zustimmung der Amerikaner und nach Prüfung des Vorentwurfes begonnen werden. Über die Gestaltung des Knotenpunktes, ob Hoch- oder Tiefkreisel oder eine andere Lösung, ist bis jetzt noch keine Entscheidung getroffen, zumal die stark einengende Bebauung hier größere Schwierigkeiten bereitet. Bei der Kompliziertheit dieses Verkehrsknotens und dem gleich. zeitig erforderlichen zweibahnigen Ausbau der B 8 im Kreuzungsbereich kann mit der Fertigstellung der Planung und dem Abschluß des Planfeststellungsverfahrens leider nicht vor 1965 gerechnet werden.
Zur Frage 2
Bezüglich Ihrer zweiten Frage nehme ich an, daß Sie den Bau einer weiteren Straßenbrücke über den Main südlich Groß-Auheim meinen. Hierfür gilt im wesentlichen das bisher Gesagte. Die geplante Main-Brücke wird im Zuge der künftigen Südostumgehung von Hanau, die eine Verbindung zwischen der B 45 westlich und der B 8 bzw. B 43 und B 40 östlich des Mains herstellt, liegen, so daß hierfür die gleichen Voraussetzungen wie für den Knotenpunkt bei Wolfgang gelten. Insbesondere fehlt auch hierzu die abschließende Stellungnahme der US-Streitkräfte, die mit ihren militärischen Anlagen weitgehend betroffen sind.
Zur Frage 3
Der Ausbau der Bundesstraße 40 im Landkreis Gelnhausen ist im Endzustand 4spurig, mit zwei getrennten Fahrbahnen, vorgesehen. Für die Verlegung der B 40 im Raume Gelnhausen, zwischen der Kreisgrenze bei Rothenbergen und Höchst einschl. der dabei erforderlich werdenden Änderungen der kreuzenden klassifizierten Straßen, ist ein Vorentwurf bereits fertiggestellt und wird z. Z. von der Auftragsverwaltung geprüft. Die Gesamtkosten der Maßnahme belaufen sich schätzungsweise auf rd. 55 Mio DM. Schon wegen der Höhe der Kosten ist ein Bau in einzelnen Stufen unerläßlich. Dabei ist beabsichtigt, die Westspange Gelnhausen im Zuge der L 3202, die eine spürbare Entlastung der Stadt vom Militärverkehr bringen wird, zuerst in Angriff zu nehmen. In den vergangenen Jahren - also schon vor Beginn dieser Großmaßnahme - sind u. a. bereits die Ortsdurchfahrten Gelnhausen und Höchst sowie der Abzweig der B 276 nach Bad Orb verbessert worden. Ferner ist die B 276 zwischen der B 40 und Bad Orb durch Zwischenausbau den verkehrlichen Erfordernissen angepaßt worden. Die Ortsdurchfahrten Wirtheim und Aufenau werden in diesem Jahre ausgebaut.
Für die Umgehungsstraße Wirtheim im Zuge der B 40 ist zwar der REE-Entwurf genehmigt, jedoch müssen infolge Einspruchs der Gemeinde wegen der Führung der L 3199 und ihres Anschlusses an die B 40 noch erneute Untersuchungen durchgeführt werden.
Ich darf hoffen, daß Sie, sehr geehrter Herr Kollege, aus dieser Mitteilung ersehen, daß sowohl meinerseits als auch seitens meines Ministeriums und der zuständigen Straßenbauverwaltung alles getan wird, um die Planung und den Bau der genannten Vorhaben mit Nachdruck voranzutreiben.
Ich rufe auf die Frage XI/9 - des Abgeordneten Peiter -:
Ist noch damit zu rechnen, daß das seit vielen Jahren geplante
Teilstück der Lahntalstraße Diez-Laurenburg gebaut wird?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 14. Oktober 1964 lautet:
Der Neubau einer Straße zwischen Diez und Laurenburg entlang der Lahn ist nicht beabsichtigt. Diese in früheren Jahren geplante Lösung würde sehr kostspielig sein. Abgesehen von den technischen Schwierigkeiten, die durch den Bau von Stützmauern - oder sogar Tunnel - entstehen, sind die Baukosten auch im Hinblick auf das derzeitige und künftige Verkehrsbedürfnis nicht vertretbar. Es ist dagegen geplant, die vorhandene Bundesstraße von Diez über Hirschberg-Holzappel nach Lauren6768
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
burg durch einen Zwischenausbau, d. h. Aufbringen neuer Teppichbeläge, Heben der Fahrbahnränder, geringe Verbreiterungen usw. der Verkehrsbelastung entsprechend herzurichten. Darüber hinaus ist an eine Umgehung von Hirschberg, ggf. auch von Altendiez, gedacht. Die Verwirklichung dieser Maßnahmen hängt jedoch entscheidend von den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln ab, die zur Zeit kaum ausreichen, um wesentlich dringendere Bauvorhaben durchzuführen.
Ich rufe auf die Frage XI/10 - des Herrn Abgeordneten Josten -:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, den alten Straßentunnel der B 267 bei Altenahr zu verbreitern bzw. dem heutigen Verkehr anzupassen?
Ist Herr Abgeordneter Josten im Saal? - Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.
Herr Kollege, eine Verbreiterung des Straßentunnels im Zuge der Bundesstraße 267 bei Altenahr ist nicht beabsichtigt und wegen der großen Baukosten wirtschaftlich auch deswegen kaum vertretbar, weil geplant ist, eine Umgehungsstraße für Altenahr zu hauen, die so weit vor idem Ort beginnt, daß dieser Straßentunnel vom Durchganigsverkehr nicht mehr benutzt werden würde. Der Tunnel würde dann lediglich idem Ziel- und Quellverkehr von und nach Altenahr zu dienen haben. Angesichts dieser Tatsache wären die Aufwendungen nicht vertretbar.
({0})
Zusatzfrage!
Herr Minister, können Sie einen Termin nennen, zu dem der Beginn des Baus der von Ihnen erwähnten Umgehungsstraße für Altenahr geplant ist?
Herr Kollege, das kann ich leider nicht, weil uns die endgültigen Planungen des Landes Rheinland-Pfalz noch nicht vorliegen und deswegen auch das Planfeststellungsverfahren noch nicht eingeleitet werden konnte. Erst nach Abschluß des Planfeststellungsverfahrens wird es möglich sein, sichere Terminangaben zumachen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie bereit, zu überprüfen, olb es möglich ist, in diesem Straßentunnel zur Sicherheit der Fußgänger den Bürgersteig zu verbreitern, da ja nach Ihren jetzigen Darlegungen mit einem baldigen Beginn des Baus der Umgehungsstraße nicht zu rechnen ist?
Ich werde diese Frage gern prüfen lassen. Aber an sich, Herr Kollege, ist ja die Verbreiterung der Fußgängerwege nicht eine Angelegenheit des Bundesstraßenbaus, sondern eine Angelegenheit der zuständigen Gemeinden,
Ich rufe auf die Frage XI/11 - des Herrn Abgeordneten Dr. Luda -:
Ist die Bundesregierung bereit zu prüfen, ob der in den Vereinigten Staaten von Nordamerika entwickelte Auspuffgasnachbrenner, mit dem künftig in Kalifornien neu zugelassene Kraftwagen ausgerüstet werden müssen, auch in der Bundesrepublik zur Entgiftung der Auspuffgase verwendet werden kann?
Herr Kollege, eine wissenschaftliche Untersuchung des Auspuffgasnachbrenners, der in Kalifornien neben drei weiteren Geräten als geeignet anerkannt wurde, ist im Rahmen der Arbeiten der VDI-Kommission „Reinhaltung der Luft" durch den Obmann des Unterausschusses ,,Nachbrenner für Kraftfahrzeuge", Herrn Professor Luther, im Institut für Chemische Technologie und Brennstofftechnik der Bergakademie Clausthal eingeleitet. Erst nach Vorliegen des Untersuchungsergebnisses wird entschieden werden können, ob das Gerät bei uns verwendet werden kann. Gesichtspunkte dabei sind neben der Entgiftungswirkung auf die Zusammensetzung der Auspuffgase u. a. die Dauer und die Kontrollierbarkeit dieser Wirkung, die Möglichkeit des Einbaus in unsere gegenüber den amerikanischen Typen kleineren und leistungsschwächeren Fahrzeuge und der notwendige Material- und Kostenaufwand.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, bis wann rechnen Sie mit dem Vorliegen des Ergebnisses dieser Untersuchung?
Ich hoffe, recht bald. Aber, Herr Kollege, Sie wissen, wissenschaftliche Untersuchungen kann man nicht terminieren.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß es außerordentlich dringlich ist, zu einer Entgiftung der Autoabgase zu gelangen?
Ja, dieser Auffassung sind wir. Wir bemühen uns ja schon seit Jahren zusammen mit den Herren der Wissenschaft intensiv, hier eine endgültige und gute Lösung zu finden. Aber sie muß natürlich auch wirklich brauchbar sein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Büttner.
Büttner ({0}) Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung bereit, diese kostspieligen Untersuchungen auch finanziell zu unterstützen, weil sie doch im Interesse der Volksgesundheit durchgeführt werden?
Ja, diese Untersuchungen werden ja von uns finanziell gefördert. Wir haben im Haushalt im Rahmen unserer Forschungsmittel entsprechende Mittel ausgewiesen, mit denen diese Untersuchungen gefördert werden.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, auch andere Einrichtungen zu unterstützen, also nicht nur die Arbeiten, die unter der Leitung von Professor Dr. Luther stehen?
Das hängt von der VDI-Kommission „Reinhaltung der Luft" ab. Hier sind ja die ganzen Experten vereinigt, und dieser Ausschuß bestimmt, welche Institute und welche Professoren mit der Untersuchung betraut werden. Das bestimmen nicht wir, sondern wir überlassen das diesem Expertenausschuß des Vereins Deutscher Ingenieure.
Frage XI/12 - des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut -:
Welche Gründe stehen dem sofortigen notwendigen Bau einer Umgehungsstraße im Zuge des Main-Neckar-Schnellweges zur Entlastung der überforderten Bundesstraße 3 zwischen Darmstadt und Frankfurt noch im Wege?
Herr Kollege, durch den Einspruch der Stadt Neu-Isenburg gegen die westlich der Bundesstraße 46 geplante Trassenführung des Main-Neckar-Schnellweges wird leider der weitere Fortgang der Entwurfsbearbeitung sehr aufgehalten. Die anderen beteiligten Städte und Gemeinden und die zuständigen Behörden sind mit der Planung einverstanden. Bei der von Neu-Isenburg geforderten Verlegung nach Osten ist jedoch eine brauchbare Lösung für die Verbindung des Schnellweges mit der Bundesautobahn Frankfurt/Main-Nürnberg und dem übrigen klassifizierten Straßennetz kaum durchführbar, jedenfalls nur mit erheblich höherem Kostenaufwand möglich. Das Planfeststellungsverfahren soll auf meine Veranlassung trotzdem eingeleitet werden, damit, falls es bis dahin trotz des Einspruchs von Neu-Isenburg durchgeführt ist, 1965 mit dem Bau begonnen werden kann.
Eine Zusatzfrage.
Darf ich hiermit eindeutig feststellen, Herr Minister, daß die Verzögerung lediglich auf das Verhalten einiger Städte und Gemeinden im Kreis Offenbach, durch die die B 3 führt, zurückzuführen ist?
Herr Kollege, es sind nicht „einige" Städte und Gemeinden. Alle anderen sind sich einig: es ist nur noch die Stadt Neu-Isenburg.
Frage XI/13 - des Herrn. Abgeordneten Dr. Kohut -:
Warum wird der Bau der Ost-Tangente von der B 8 über den Main bei Groß- und Klein-Auheim wieder hinausgeschoben, obwohl die Verkehrslage dort, insbesondere während der Zeit des Berufsverkehrs, inzwischen unerträglich geworden ist?
Herr Kollege, der Vorentwurf für die Südostumgehung von Hanau, der eine neue Mainbrücke bei Groß- und Klein-Auheim vorsieht, mit der eine Verbindung zwischen der Bundesstraße 45 westlich und den Bundesstraßen 8, 43 und 40 östlich des Mains geschaffen werden soll, ist fertiggestellt; es fehlt jedoch noch die abschließende Stellungnahme der amerikanischen Dienststellen, die betroffen werden. Sie ist erforderlich, da die Streitkräfte der Vereinigten Staaten mit ihren militärischen Anlagen von der Umgehungsstraße erheblich berührt werden. Mit der Bearbeitung der baureifen Planung und den Folgemaßnahmen können wir leider erst beginnen, wenn über die grundsätzlichen Fragen der Linienführung mit diesen Streitkräften Übereinstimmung erzielt worden ist.
Eine Zusatzfrage.
Glauben Sie, Herr Minister, daß diese Stellungnahme der amerikanischen Streitkräfte kurzfristig erfolgen kann?
Ich hoffe es, Herr Kollege. Aber Erfahrungen mit diesen Dienststellen haben uns gezeigt, daß wir mit diesen Hoffnungen vorsichtig sein müssen.
Frage XI/14 - des Herrn Abgeordneten Dr. Imle -:
Kann die Bundesregierung einen Zeitpunkt angeben für den endgültigen Ausbau der sehr stark befahrenen Bundesstraße 76 von Flensburg nach Schleswig mit einer Gesamtstrecke von 35 km, nachdem seit Beginn im Jahre 1954 bis 1964 ganze 22,2 km, also durchschnittlich im Jahr 2,2 km, fertiggestellt worden sind?
Herr Kollege, zwischen Flensburg und Schleswig fehlt nur noch der Bau eines 9,3 km langen Teilstückes. Wie Sie wissen, handelt es sich ab Helligbek nicht mehr um einen Ausbau, sondern um einen völligen Neubau. Davon ist der Abschnitt zwischen der Landstraße erster Ordnung 28 bei Idstedt und der Bundesstraße 201 im Bau.
Der restliche Abschnitt bis zum Ende der bereits fertigen Umgehungsstraße von Schleswig am Regierungsgebäude ist wegen der bekannten Gelände- und Untergrundverhältnisse sehr schwierig. Er erfordert große Aufwendungen, unter anderem den Bau einer 400 m langen Talbrücke. Insgesamt sind für diese Reststrecke noch 26 Millionen DM aufzuwenden.
Mit der endgültigen Fertigstellung der Bundesstraße 76 auf diesem Teilstück zwischen Flensburg und Schleswig wird daher erst im Jahre 1967 zu rechnen sein.
Eine Zusatzfrage.
Wenn Sie, Herr Minister, darauf hinweisen, daß es sehr schwierig ist, dieses restliche Teilstück fertigzustellen, darf ich mir die Frage erlauben, warum man, da man seit zehn Jahren an der Straße baut, diese Maßnahmen nicht schon früher eingeleitet hat.
Herr Kollege, wir bemühen uns immer, möglichst rasch gute Verkehrserfolge bei unserem Ausbau zu erzielen. Dabei ist es verständlich, daß man mit den vorhandenen Mitteln möglichst große Strecken ausbaut und sie nicht an den schwierigsten Stellen konzentriert, weil dann alles übrige zurückbleiben müßte.
Zweite Zusatzfrage.
Glauben Sie nicht, Herr Minister, daß man doch etwas zügiger vorangekommen wäre, wenn man das rechtzeitig vorbereitet hätte?
Das ist eine Frage, die natürlich auch mit der Einstellung der Stadt- und der Landesverwaltung zusammenhängt. Man hat in Schleswig erst sehr, sehr schwierige und langwierige Untergrunduntersuchungen führen müssen, um sich Klarheit über den dort, wie Ihnen bekannt, sehr ungünstigen Untergrund zu verschaffen und die technisch richtige Lösung zu finden. Das scheint jetzt gelungen zu sein.
Frage XI/15 - des Herrn Abgeordneten Moersch -:
Billigt die Bundesregierung die in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Nr. 206 vom 5. September 1964 zitierte Äußerung des Diplom-Ingenieurs Ihm vom Autobahnamt Nürnberg zum Bauzaun an der Saale-Brücke: „Wenn Leute von drüben flüchten wollen, dann sollen sie sich eine andere Stelle aussuchen. Es gibt noch mehr Wege, 'rüberzukommen"?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.
Herr Kollege, die Bundesregierung billigt nicht die in einer Frankfurter Zeitung vom 5. September 1964 wiedergegebene Äußerung eines Bediensteten des Autobahnamtes Nürnberg, einer bayerischen Dienststelle, die im Auftrag des Bundes für den Fernstraßenbau tätig wird, da sie mit dem in Art. 11 des Grundgesetzes verankerten verfassungsmäßigen Recht jedes Deutschen auf Freizügigkeit innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland unvereinbar ist.
Frage XI/16 - des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}) -! Die Frage wird vom Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann übernommen:
Welche Auswirkungen hat die Entwicklung des Personenkraftverkehrs auf die öffentlichen Verkehrsmittel, insbesondere im Nahverkehr?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.
Mit Ihrer Frage haben Sie, verehrter Herr Kollege, ein sehr umfangreiches und komplexes Problem angeschnitten, das mich leider zu einer längeren Antwort zwingt.
({0})
Die starke Zunahme des Individualverkehrs mit Kraftfahrzeugen hat in den letzten Jahren zu einem Rückgang des öffentlichen Personenverkehrs, insbesondere des Eisenbahnverkehrs über kurze Entfernungen, geführt. Von 1957 bis 1963 hat sich die Zahl der Fahrgäste der öffentlichen Verkehrsmittel um 8 % verringert. Dabei sind der Berufsverkehr der Bundesbahn auf Schienen um 45 %, der gesamte Personenverkehr der nichtbundeseigenen Eisenbahnen auf Schienen um 40 % zurückgegangen. Im Straßenbahn- und Omnibusverkehr ist eine starke Umschichtung zugunsten des Kraftomnibusverkehrs erfolgt; beide Verkehrsarten zusammen hatten erstmals von 1962 auf 1963 ebenfalls einen Rückgang um 3 % zu verzeichnen. Dieser Entwicklung steht die zunehmende Motorisierung und der Übergang zahlreicher Pendler auf den Individualverkehr gegenüber. Es ist anzunehmen, daß sich diese Entwicklung, nämlich Rückgang des öffentlichen Personenverkehrs, insbesondere des Schienenverkehrs, bei weiterem Anstieg des privaten Kraftfahrzeugverkehrs, in der nächsten Zeit fortsetzen wird, wenn es nicht gelingt, diese öffentlichen Verkehre wesentlich zu verbessern und preiswerter durchzuführen.
Ergänzend darf ich bemerken: Die durch Gesetz vom 1. August 1961 gebildete Sachverständigenkommission für eine Untersuchung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden hat die Frage eingehend untersucht, wie die öffentlichen Verkehrsmittel und der Individualverkehr so aufeinander abgestimmt werden können, daß ein flüssiger und wirtschaftlicher Gesamtverkehr sichergestellt wird. Die Kommission gibt hierzu eine große Anzahl von Vorschlägen und Empfehlungen, die u. a. auch auf eine nachdrückliche Förderung der öffentlichen Nahverkehrsmittel hinzielen.
Der Ende August abgeschlossene Bericht wird dem Hohen Hause sobald als möglich zugeleitet werden. Er wird als Grundlage für Entscheidungen aller Gebietskörperschaften dienen, die zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse auch auf dem Gebiete des Nahverkehrs unbedingt notwendig sind.
Wichtige Fragen des Personenverkehrs auf Schienen im Nahverkehrsbereich werden außerdem in dem Ihnen zugehenden Bericht über Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Deutschen Bundesbahn zu behandeln sein. Diesem Bericht des Vorstandes wird eine erste Stellungnahme der Bundesregierung beigefügt werden.
Zusatzfrage.
Herr Bundesverkehrsminister, teilt die Bundesregierung meine
Meinung, daß im Gegensatz zur Darstellung der „Bildzeitung" von gestern über angebliche Absichten der Bundesregierung eine prohibitiv gedachte Kraftfahrzeugsteuer weder sachlich noch gesellschaftspolitisch zu rechtfertigen noch geeignet wäre, zu einer Entlastung der Straßen oder zu einer Verbesserung der Situation der öffentlichen Verkehrsmittel beizutragen?
Herr Kollege Müller-Hermann, über diese Frage ist in der Bundesregierung nicht gesprochen worden. An sich kann sie nur der Herr Bundesminister der Finanzen beantworten. Ich habe mit ihm nicht darüber gesprochen und hatte auch nicht die Absicht, derartige Vorschläge zu machen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Bundesverkehrsminister, können wir uns darauf verlassen, daß der Bericht der Sachverständigenkommission über die Verkehrssituation in den Städten von der Bundesregierung veröffentlicht wird, bevor die SPD ihn veröffentlicht?
({0})
Ich hoffe, daß die Geheimhaltung in diesem Fall vielleicht etwas besser gewahrt wird. Es ist nicht zweckmäßig, daß man solche Vorschläge veröffentlicht, ohne daß dazu auch die Stellungnahme der Regierung und des Parlaments eingeholt wird. Nach meiner Ansicht ist der erste Adressat für derartige Berichte, sobald sich die Regierung damit beschäftigt hat, der Bundestag.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Geiger.
Herr Bundesverkehrsminister, sind Sie nicht der Auffassung, daß die von Ihnen vorgetragene Entwicklung - nämlich die Verlagerung des Berufsverkehrs von der Schiene zur Straße - durch die in den letzten Jahren fast zu 100 % erhöhten Fahrpreise im Berufsverkehr mit verursacht wurde?
Nein, ich bin nicht der Meinung, daß das der alleinige Grund ist. Der Grund liegt auch darin, daß die Menschen, nämlich die Arbeiter und Angestellten, sich dieses Fahrzeuges nicht nur zur Fahrt zur Arbeitsstätte, sondern auch zu anderen Zwecken bedienen. Sie schließen sich zusammen, um auf diese Weise das Motorfahrzeug auch für ihren anderen Verkehr, nämlich am Sonnabend und Sonntag, zur Verfügung zu haben.
Zweite Zusatzfrage!
Ich bin mit Ihnen einer Meinung, daß das nicht die alleinige Ursache ist. Aber teilen Sie nicht meine Ansicht, daß der von mir angeführte Grund die Entwicklung wesentlich beeinflußt hat?
Das kann gegebenenfalls bei Nahverkehrsbetrieben aller Art der Fall sein. Ich habe ja gesagt, daß die Kommission der Meinung ist - die ich teile -, daß die Nahverkehrsbetriebe insgesamt wirtschaftlich und verkehrsmäßig entsprechend ausgestattet werden müssen, damit sie den Individualverkehr stärker anziehen, als das bisher der Fall ist.
Frage XI/17 - des Herrn Abgeordneten Kaffka -:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die erst teilweise neu ausgebauten Teile mancher Bundesstraßen, z. B. der B 10, sich bereits jetzt schon als zu schmal für die derzeitige Verkehrsbelastung erweisen?
Herr Kollege, die Bundesregierung weist zu dieser Frage auf die den Herren Abgeordneten seinerzeit vorgelegte Übersichtskarte zum 2. Vierjahresplan des Ausbauplans für die Bundesfernstraßen hin, die zeigt, daß geplant ist, Straßenabschnitte mit großer Verkehrsdichte in der Regel durch neue vierspurige und zweispurige Straßen auf neuer Trasse parallel zu den vorhandenen Straßenzügen zu entlasten. Der verkehrssichere Ausbau der vorhandenen Straßenzüge, bei denen meist nur eine Verbreiterung auf die Regelmaße einer zweispurigen Straße - 7,50 m plus Randstreifen - technisch möglich ist, darf deshalb nicht unterbleiben. Er ist in vielen Fällen sogar vordringlich.
So ist die Sachlage auch bei der Bundesstraße 10, wo zwischen Pirmasens und Landau wegen der schwierigen topographischen Verhältnisse der vorhandene Straßenzug bei den Ausbauarbeiten nicht auf mehr als zwei Fahrspuren - mit 7,50 m Breite und Randstreifen - verbreitert werden kann und wo später eine neue Entlastungsparallelstraße zwischen Zweibrücken und Karlsruhe durch den Pfälzerwald geführt werden soll, die sich zur Zeit aber noch in der Planung befindet.
Demgegenüber wird die Bundesstraße 10 in den Abschnitten, in denen ein vierspuriger Ausbau möglich ist, in dieser Weise geplant und gebaut werden, so z. B. im Saarland zwischen der Landesgrenze und Zweibrücken und zwischen Landau und Karlsruhe.
Zusatzfrage!
Herr Minister, warum legt man bei Ausbaustrecken statt der üblichen zweispurigen Fahrbahn die ausgebaute Strecke, wenn schon vier Spuren nicht möglich sind, nicht in drei Spuren an?
Herr Kollege, wir haben den Verkehr auf dreispurigen Straßen, den unsere Nachbarländer haben, wegen seiner Unfallgefährlichkeit nicht eingeführt. Wir legen Wert darauf, daß unsere Straßen zwei6772
spurig oder vierspurig befahren werden, damit Auffahrunfälle gegeneinander fahrender Fahrzeuge ausgeschaltet werden.
Zweite Zusatzfrage!
Herr Minister, sind Sie nicht der Ansicht, daß auf einer zweispurigen Fahrbahn die Unfallgefahr viel höher ist als auf einer dreispurigen?
Nein, wir sind nach .den Erfahrungen der Nachbarländer zu der Auffassung gekommen, daß das nicht der Fall ist. Auf einer dreispurigen Fahrbahn wird viel leichtsinniger überholt als auf einer zweispurigen Straße.
Frage XI/18 - des Herrn Abgeordneten Lemper -:
Hält es die Bundesregierung für richtig, daß mit Beginn des Sommerfahrplans 1965 die im Kreise Bergheim eingesetzten Schienenbusse aus dem Verkehr gezogen werden und statt dessen mehrere Omnibusse eingesetzt werden sollen, obschon die Schienenunterbauten erst vor kurzer Zeit mit mehreren Millionen DM Kosten instand gesetzt wurden?
Herr Kollege, in die Bemühungen der Deutschen Bundesbahn, die Wirtschaftlichkeit des Personennahverkehrs zu verbessern, hat die Bundesbahn, wie sie berichtet, auch die Verkehrsbedienung im Kreis Bergheim ({0}) einbezogen. Es handelt sich dabei bislang nur um erste Überlegungen, deren wirtschaftliches Ergebnis noch eingehend überprüft werden muß und die sich noch nicht zu Anträgen verdichtet haben. Deshalb ist es laut Angaben der Deutschen Bundesbahn zum augenblicklichen Zeitpunkt noch nicht möglich, über irgendwelche Veränderungen der Verkehrsbedienung im Kreis Bergheim etwas Entscheidendes auszusagen.
An diesen Schienenwegen sind in den letzten Jahren allerdings nur die unbedingt notwendigen Oberbauarbeiten durchgeführt worden. Nach mir vorliegenden Angaben der Deutschen Bundesbahn wurden im Jahre 1964 für die Strecken im Kreisgebiet nur 80 000 DM aufgewendet. Diese Investitionen waren zur Erhaltung des Schienenweges, der ja auch dem Güterverkehr sehr stark zu dienen hat, unbedingt erforderlich.
Zusatzfrage!
Herr Minister, trifft es zu, daß auch laufende Fehlinvestierungen zu den „roten Zahlen" bei der Deutschen Bundesbahn geführt haben, wie z. B. der Bau des Verschiebebahnhofs Mödrath im Kreise Bergheim, der mit einem Kostenaufwand von 17 bis 18 Millionen DM errichtet und bis heute noch nicht benutzt wurde, ebenso der Schienenweg Bergheim-Alsdorf, auf dem, der Verkehr mit Schienenbussen eingestellt wurde, nachdem nicht. nur 80 000 DM, sondern 1,7 Millionen DM für die Instandsetzung ausgegeben worden waren?
Ich kann Ihnen, Herr Kollege, nur das sagen, was mir der Vorstand der Deutschen Bundesbahn berichtet. Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn verfügt ja in diesen Angelegenheiten in eigener Zuständigkeit und nicht mit meiner ausdrücklichen Genehmigung oder nach Prüfung durch mich.
Wir kommen zu Frage XI/19 - des Abg. Lemper -:
Falls die in Frage XI/18 bezeichnete, für die Bevölkerung unverständliche Maßnahme zutrifft, wie stellt sich die Bundesregierung zu der Frage der Personenbeförderung im Kreise Bergheim bzw. wer trägt die Mehrkosten im Schülerverkehr?
Ritte sehr, Herr Minister.
Nach dem augenblicklichen Stand der Untersuchungen bei der Deutschen Bundesbahn ist, wie mir mitgeteilt worden ist, nicht zu übersehen, ob und in welchem Umfang der Reiseverkehr von der Schiene auf die Straße verlegt werden soll. Für den Fall, daß der Verkehr. verlagert werden sollte und dieser Omnibusverkehr der Deutschen Bundesbahn übertragen wird, werden die allgemein geltenden Bahnbustarife Anwendung finden. Diese Tarife sind dem allgemein im gewerblichen Omnibusverkehr geltenden Preisniveau angeglichen. Die Tarifsätze für den Schillerverkehr enthalten erhebliche Ermäßigungen gegenüber dem Normaltarif, nämlich 84 bis 88 %, wenn auch nicht völlig in dem im Schienenverkehr üblichen und vorgesehenen Ausmaß. Die Kosten der Schülerbeförderung sind auch im Straßenverkehr der Bundesbahn durch die Fahrpreise bei weitem nicht gedeckt. Auf die finanzielle Lage der Eltern wird dabei weitgehend Rücksicht genommen. Bekanntlich wirke ich seit langer Zeit darauf hin, daß die Schüler auf Kosten der Schulträger von den Fahrtkosten freigestellt werden. Dabei ist die Kulturhoheit der Länder zu beachten, und daher laufen seit Jahren die entsprechenden Verhandlungen zwischen uns, der Kultusministerkonferenz der Länder und der Deutschen Bundesbahn.
Keine Zusatzfrage. - Wir kommen zu Frage XI/20 - des Herrn Abgeordneten Lemper -:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die innerhalb des Kreises Bergheim verkehrenden Bundesbahnbusse ({0}) nicht immer pünktlich und regelmäßig verkehren und hierdurch der Arbeiter- und Berufsverkehr stark vernachlässigt wird?
Herr Kollege, abgesehen von vorübergehenden Verkehrsbehinderungen durch Straßenbauarbeiten im Erft-Tal bewegen sich die Verspätungen der Bahnbusse, also auch der Busse, die im Auftrag der Deutschen Bundesbahn fahren, wie mir die Deutsche Bundesbahn berichtet, in normalen Grenzen. Die Deutsche Bundesbahn hat keine Vernachlässigung des Berufs- und Schülerverkehrs feststellen können.
Sollten Ihnen jedoch bestimmte Einzelfälle einer über das normale Maß hinausgehenden Verkehrsverzögerung bekanntwerden oder bekanntgeworden sein, bitte ich Sie um nähere Unterrichtung,
damit ich das Nötige veranlassen kann. Unzuverlässige Unternehmer werden bzw. sind ausgeschaltet. Das erfordert schon allein die Sicherheit des Betriebes.
Zusatzfrage!
Herr Minister, sind Sie bereit, die Bestrebungen des Kreises Bergheim zu unterstützen, eine kreiseigene Omnibuslinie einzurichten, damit für die Zurücklegung von 10 bis 15 km keine Tagesreisen erforderlich sind, sondern diese Strecke in wenigen Stunden überbrückt werden kann?
Herr Kollege, ich will das gern unterstützen, aber ich muß Sie .darauf hinweisen, daß dies in erster Linie in der Zuständigkeit des Landesverkehrsministeriums liegt.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut!
Herr Minister, kann man aus Ihren Antworten entnehmen, daß sich die Bundesregierung schon entschieden hat - aus den Alternativvorschlägen, die aus gewissen Gutachten stammen -, gewisse Bahnstrecken aus wirtschaftlichen Gründen stillzulegen und durch Busse zu ersetzen, obwohl feststeht, daß der Bahnverkehr im allgemeinen zuverlässig und pünktlich ist, daß dagegen die Pünktlichkeit bei (den Bussen oft fraglich ist, insbesondere bei (der Zunahme des Straßenverkehrs?
Die Frage (der Stillegung von Eisenbahnstrecken und die - wie das häßliche Wort heißt - sogenannte Verkraftung des Personenverkehrs ist von der Deutschen Bundesbahn durch ihre Dienststellen eingehend, und zwar in jedem Einzelfall, zu prüfen. Dieser E'inze'lfall ist jeweils von ihr mit den zuständigen Landesbehörden abzustimmen. Danach hat sie einen entsprechenden Antrag bei dem Verwaltungsrat der Bundesbahn zustellen. Wenn das Land und der Verwaltungsrat der Bundesbahn zustimmen, ist der Bundesminister für Verkehr (allgemeinen gehalten, ebenfalls zuzustimmen, weil erwartet werden kann, daß die von Ihnen angeschnittenen Fragen dann eingehend geprüft sind. Stimmt das Land dagegen nicht zu oder ergeben sich eventuell Möglichkeiten, durch Übernahme der sogenannten Verlustbeträge für diese Strecke durch seinen anderen Träger die Strecke aufrechtzuerhalten, so wird die Stillegung der Strecke im allgemeinen nicht genehmigt.
Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Ritzel.
Herr Bundesverkehrsminister, bezieht die Bundesregierung, speziell der Bundesverkehrsminister, bei der Prüfung eines solchen Falles in die Überlegungen auch das Problem der Überlastung der vorhandenen Straßen ein, und hat das Bundesverkehrsministerium auch Vorstellungen darüber, welche Maßnahmen auf idem Gebiet der Straßenbaupolitik durch eine 'solche Entwicklung erzwungen werden, wenn nicht der gesamte Straßenverkehr stocken oder gar zum Erliegen gebracht werden soll?
Herr Kollege Ritzel, ich darf Ihnen versichern, daß wir uns über diese Frage schon immer große Sorgen gemacht haben. Ich habe schon vor Jahren die - damals viel kritisierte - Äußerung getan: Es ist nicht zweckmäßig, auf engen Straßen mit Omnibussen zu verkehren, während auf den Schienen das Gras wächst. Sie sehen aus dieser meiner Äußerung aus dem Jahre 1952, daß ich mich um diese Frage ganz besonders bemühe und daß ich diese Diskrepanz,. die sich zwischen Wirtschaftlichkeit der Eisenbahn einerseits und Überlastung der Straßen andererseits ergibt, sehr genau verfolge. Ich kann daher auch den Wünschen der Bundesbahn nicht immer entsprechen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, hat Ihr Haus Berechnungen darüber angestellt, welche Mehrbelastungen den Straßenhaushalt treffen werden, wenn diese Politik der Bundesbahn, den Verkehr immer mehr von der Schiene auf die Straße zu verlagern, weiterhin verfolgt wird?
Herr Kollege Ritzel, wir haben ja erst seit etwa sechs Wochen die Vorschläge der Bundesbahn vorliegen. Sie sind nur global. Wie ich eben dargelegt habe, können solche globalen Maßnahmen nach dem Bundesbahngesetz nicht durchgeführt werden. Vielmehr ist jeder Einzelfall genau zu überprüfen. Deswegen können wir erst dann endgültige Überlegungen anstellen, wenn die Bundesbahn - wozu die Bundesregierung sie hoffentlich auffordern wird - in einem Stufenplan aufzeigt, was sie beabsichtigt. Bisher hat sie bekanntlich 600 km Strecken eingestellt. Bei diesen Umlegungen, die sich über viele Jahre erstreckt haben, Sind wir im Einzelfall immer zu einigermaßen vernünftigen Regelungen gekommen.
Ich rufe die von dem Abgeordneten Hilbert gestellte Frage XI/21 auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Deutsche Bundesbahn die Wohnungsmieten in bundesbahneigenen Gebäuden in der letzten Zeit weit über das in der Bundesrepublik übliche Maß, zum Teil über 200 %, erhöht hat?
Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn hat, wie sie mir berichtet, angeordnet, daß die Mieten der bahneigenen Wohnungen in den sogenannten weißen Kreisen bis zu den in § 2 Abs. 2 der Verordnung über die angemessene erhöhte Miete nach der Miet6774
preisfreigabe vom 25. Juli 1963 festgelegten. Sätzen anzuheben sind. Dabei sollen die nach der Richtlinie Nr. 9/64 des Herrn Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung vorgesehenen Mieten für Vertragswohnungen in der Regel nicht überschritten werden. Die Deutsche Bundesbahn hat sich daher mit ihrer Mieterhöhungsmaßnahme, wie sie berichtet, genau an diese gesetzlichen Bestimmungen gehalten.
Wie sie mir weiter berichtet, sind bei insgesamt rund 50 000 bundesbahneigenen Wohnungen bisher 17 Fälle bekanntgeworden, in denen die Mieterhöhungen bedenklich hoch waren. Der Vorstand läßt diese Fälle, die auf bisher sehr niedrigen Mieten beruhen, durch die zuständigen Bundesbahndirektionen nachprüfen und hat veranlaßt, daß dazu der nach der Wohnungsvorschrift bei jeder Bundesbahndirektion gebildete Wohnungsbewertungsausschuß in allen Zweifelsfällen gehört wird.
Ungewöhnlich hohe prozentuale Steigerungen sind daher nur dort eingetreten, wo die Mieten vorher ungewöhnlich niedrig waren. Bei der ihm gesetzlich gegebenen Auflage, die Bundesbahn wie ein Wirtschaftsunternehmen zu führen, glaubt der Vorstand der Deutschen Bundesbahn verpflichtet zu sein, die gesetzlichen Vorschriften über Mieterhöhungen auch anzuwenden, und ich halte das auch für richtig.
Zusatzfrage.
Herr Minister, halten Sie es für gerechtfertigt, daß eine keineswegs komfortabel eingerichtete bundesbahneigene Wohnung ohne Bad und ohne WC, die bisher 39 DM Miete erbracht hat, für einen kleinen Bundesbahnarbeiter jetzt auf 135 DM erhöht wird? Oder wollen Sie sagen, daß gerade dieser Fall zu den von Ihnen genannten bedenklichen 17 Fällen bei der Bundesbahn zu rechnen ist?
Ich kann Ihnen nicht sagen, welches die 17 Fälle sind. Wie Sie gesehen haben, habe ich auf Grund Ihrer Anfrage die Bundesbahn befragt, was sie in diesen Fällen zur Überprüfung zu tun beabsichtigt. Die Bundesbahndirektionen sind beauftragt, mit den dort vorhandenen Wohnungsbewertungsausschüssen, die sich ja auch aus den Mitarbeitern zusammensetzen, diese Fragen zu überprüfen. Ich hoffe, daß Entscheidungen, die offenbar Fehlentscheidungen sind, baldigst auf das normale Maß zurückgeführt werden können.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Geiger.
Herr Minister, sind Sie nicht der Auffassung, daß, wenn die Miete für eine nicht abgeschlossene Wohnung ohne Wasserspülung in einem bundesbahneigenen Gebäude - dazu noch in einem Bahnhof - von 46 auf 128 DM, also um nahezu 280 % erhöht wird - und zwar handelt es sich um eine nicht abgeschlossene Wohnung ohne Wasserspülung -, bei einem Beamten mit 570 DM Einkommen einschließlich Kinderzulage der Tatbestand des Mietwuchers erfüllt ist?
Herr Kollege, die Bundesbahn muß sich nach den gesetzlichen Bestimmungen richten. Meine persönliche Meinung dazu spielt dabei leider keine Rolle.
Herr Abgeordneter Dröscher zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß diese Entwicklung durch die von Herrn Abgeordneten Hilbert mit unterstützte Gesetzgebung entstanden ist?
Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß die gesetzlichen Vorschriften die Bundesbahn zu ihrem Verhalten veranlassen. Selbstverständlich müssen wir alle gesetzlichen Vorschriften, die erlassen werden, auch befolgen.
Ich rufe die Frage XI/22 - des Herrn Abgeordneten Hilbert - auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich bei der Deutschen Bundesbahn für tragbare Wohnungsmieten in ihren bundesbahneigenen Wohnungen einzusetzen?
Die neuen Wohnungsmieten, Herr Kollege, müssen als zumutbar angesehen werden, solange sie sich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen halten. Sie sind in der Regel bei der Bundesbahn auch dann noch niedriger als gleichwertige Privatwohnungen. Ich sagte Ihnen schon eben, daß ich den Vorstand der Deutschen Bundesbahn, da diese Sache in seine eigene Zuständigkeit fällt, gebeten habe, die Bestimmungen exakt einzuhalten und nicht extensiv auszulegen. Ich habe ihn nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Geiger.
Herr Minister, Sie haben durchblicken lassen, daß Sie persönlich eine andere Meinung haben. Sind Sie bereit, dabei mitzuwirken, daß dieses Gesetz, welches so unsoziale Maßnahmen zu- läßt, geändert wird?
Herr Kollege, das ist eine Frage, die Sie nicht an mich, sondern an die gesetzgebenden Körperschaften richten müssen.
Ich rufe die Frage XI/23 - des Herrn Abgeordneten Anders - auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei der Deutschen Bundesbahn den Bewohnern von bundeseigenen bzw. finanziell geförderten Wohnungen bereits ab 1. August 1964 die Mieten in einer Höhe bis zu rd. 100 % erhöht worden sind?
Herr Kollege, ich darf mich auf die soeben geführte Diskussion und die Beantwortung der Fragen des Herrn Abgeordneten Hilbert beziehen.
Die Mieten für finanziell geförderte Wohnungen der Deutschen Bundesbahn sind entsprechend der Richtlinie 9/1964 des Herrn Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung nicht vor dem 1. Oktober 1964 angehoben worden. Vorher durchgeführte Erhöhungsmaßnahmen bezogen sich ausschließlich auf die in den weißen Kreisen belegenen bundesbahneigenen Wohnungen, die seitens des Bundes nicht finanziell gefördert worden sind und daher dem allgemeinen Mietpreisrecht unterliegen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie bereit, der Deutschen Bundesbahn die Zahlen des Bundeswirtschaftsministers mitzuteilen, wonach die Mieten bis zum August dieses Jahres gegenüber dem vorigen Jahr in weißen Kreisen im Durchschnitt um, 6,8 % erhöht worden sind, während die Bundesbahn Erhöhungen vorgenommen hat, wie sie hier schon genannt worden sind. In dem mir vorliegenden Fall ist ab 1. 8. 1964 die Miete von 64,78 auf 120,13, also um 55,35 DM erhöht worden, während die Besoldungserhöhung im ganzen 60,33 DM zum 1. Oktober beträgt. Wie vereinbart sich das?
Herr Kollege, ich darf Ihnen nur sagen, daß die Dienststellen der Bundesbahn das in eigener Zuständigkeit gemacht haben. Die Bundesbahn ist von mir aufgefordert worden, all diese Sonderfälle noch einmal zu überprüfen unter Heranziehung der Wohnungsbaubewertungsausschüsse, die bei jeder Direktion gebildet sind und in der die Mitarbeiter mitwirken. Ich hoffe also, daß die vielleicht im Anfang entstandenen Ungerechtigkeiten, die die einzelnen Dienststellen zu vertreten haben, im, Laufe der Zeit wieder aufhören.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, wenn es ein Privatmann wäre, würde dann nicht auch nach Ihrer Meinung in einem solchen Fall der Herr Bundeswohnungsbauminister Lücke Strafanzeige wegen Wuchers stellen?
Wenn der Herr Bundesminister für Wohnungsbau sich veranlaßt sieht, Strafanzeige gegen den Vorstand der Deutschen Bundesbahn zu stellen, und die Deutsche Bundesbahn wirklich freventlich gehandelt haben sollte, so stehe ich bei der Stellung einer solchen Strafanzeige durchaus an seiner Seite.
Frage XI/24 - des Herrn Abgeordneten Eisenmann -:
Ist der Bundesregierung der schlechte Bauzustand der Ufer des Nord-Ostsee-Kanals bekannt?
Herr Präsident, ich bitte, sofern Herr Kollege Eisenmann einverstanden ist, wegen des Sachzusammenhangs die drei Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.
Einverstanden.
Dann rufe ich auch die Fragen XI/25 und XI/26 auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um ein Abrutschen der teilweise unterspülten Ufer des Nord-Ostsee-Kanals zu verhindern?
Ist die Bundesregierung bereit, ein Sofortprogramm vorzulegen, um die vorhandenen Schäden am Nord-Ostsee-Kanal zu beseitigen und den Kanal in seinem vollen Verkehrswert zu erhalten?
Nachdem 1960 durch entsprechende Bagger- und Reparaturarbeiten die ursprüngliche Solltiefe des Nord-Ostsee-Kanals nach dem letzten Krieg wieder erreicht wurde, ist der Kanal auch für Schiffe bis 15 000 BRT und einen Tiefgang bis 9,50 m freigegeben worden. 1962 wurden ;bei den regelmäßigen Untersuchungen des Kanals schon vereinzelt Abbrüche an den Unterwasserböschungen des NordOstsee-Kanals festgestellt. Daraufhin wurden sofort eingehende Untersuchungen über den Umfang, die Art der Schäden und über deren Ursache angeordnet und eingeleitet. Dabei sind zugleich die technischen Möglichkeiten und der erforderliche Finanzbedarf für die Instandsetzung zu ermitteln. Das Ergebnis dieser Untersuchungen liegt bisher nur für einige Teilstrecken vor. Das von mir angeforderte umfassende Programm zur endgültigen Behebung der Uferschäden kann erst in etwa einem Jahr fertiggestellt sein. Daher wurde veranlaßt, daß für die Beseitigung einzelner besonders wesentlicher Schadensstellen ein Sofortprogramm vorzulegen ist. Die Arbeiten zur Beseitigung festgestellter Schäden bei solchen einzelnen kritischen Abschnitten werden 1965 vorbereitet und sollen 1966 begonnen und möglichst auch beendet werden. Die Mittel müssen im Haushaltsplan 1965 bereitgestellt werden, notfalls zu Lasten des laufenden Programms.
Der Verkehrswert des Nord-Ostsee-Kanals wird durch die Reparaturen, die auch an anderen Großkanälen durchaus üblich sind, nicht beeinträchtigt. Die in Aussicht genommenen Maßnahmen dienen ja gerade der Erhaltung der vollen Leistungskapazität und sollen auch dem ständig wachsenden Verkehrsumfang Rechnung tragen. Die Zahl der Schiffe im Nord-Ostsee-Kanal hat sich gegenüber 1936 um 80 %, die Tonnage um 100 %, die Zahl der größeren Schiffe, der sogenannten Weichenschiffe, um 110 % vergrößert. Es ist natürlich, daß - wie bei den Reparaturen anderer Verkehrswege - auch gewisse Beschränkungen im Verkehrsablauf während der Reparaturzeit in Kauf genommen werden müssen. Die Verwaltung wird aber bestrebt sein, wie bei den
Autobahnreparaturen diese Einschränkungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren.
Frage XI/27 - des Herrn Abgeordneten Müller-Erbendorf -:
Treffen die Zeitungsmeldungen zu, wonach die Bundesstraße 15 mit der Umgehung der Stadt Weiden ({0}) bis Pfreimd erst nach 1971 ausgebaut wird?
Herr Kollege, der geplante Neubau der Bundesstraße 15 zwischen Regensburg und Weiden erstreckt sich auf eine Länge von rund 83 km und erfordert allein schon für die erste Ausbaustufe, die die Errichtung von zunächst nur einer Fahrbahn vorsieht, etwa 255 Millionen DM. Hiervon entfallen auf die 56 km lange Teilstrecke zwischen Regensburg und Pfreimd, der aus verkehrlichen Gründen unbestreitbar der Vorrang zu geben ist, 175 Millionen DM. Hier wird mit den Arbeiten im Raum Schwarzenfeld-Nabburg jetzt begonnen. Auch werden Maßnahmen im Zuge der Westumgehung von Weiden jetzt hoffentlich bald anlaufen können, die im Einvernehmen mit der Bundeswehr durchgeführt werden. Außerdem werden in Weiden selbst Verbesserungen an den Bahnunterführungen vorbereitet, die absolut vordringlich sind. Die umfassende Bauaufgabe des Ausbaus der Bundesstraße 15 von Regensburg bis Marktredwitz läßt sich selbst unter größten Anstrengungen nur innerhalb eines längeren Zeitraumes und stückweise bewältigen. Es wird angestrebt, dies noch größtenteils innerhalb des dritten Vierjahresplanes zu ermöglichen. Jedoch haben hierbei die sehr kostspieligen Maßnahmen zur Westumgehung von Regensburg, die mit dem Bau der Pfaffendorfer Brücke schon im Gang sind, Vorrang.
Zusatzfrage.
Ich möchte Sie bitten, sich doch noch einmal zu überlegen, ob dieses Straßenbauprojekt mit Rücksicht auf das Grenzland etwas vorgezogen werden kann.
Herr Kollege, wir bemühen uns sehr um diese Fragen. Es handelt sich aber natürlich auch um die erforderliche Fertigstellung der Planungen, und hier habe ich die Oberste Baubehörde in München schon bei meiner letzten Bereisung im Sommer dieses Jahres gebeten, sich des Ausbaus zwischen Schwarzenfeld und Nabburg, der besonders vordringlich ist, anzunehmen und mit diesen Arbeiten möglichst sofort zu beginnen.
Ich rufe auf die Frage XI/28 - des Herrn Abgeordneten Folger -:
Ist die Bundesregierung bereit, der Deutschen Bundesbahn im Interesse der Förderung der Berufsausbildung zu empfehlen, Schülermonatskarten auch an Praktikanten auszugeben?
Angesichts des sehr hohen Defizits im Personenverkehr und vor allem im Schülerverkehr der Bundesbahn, dessen Deckung den verantwortlichen Stellen größte Sorgen bereitet, sieht sich die Bundesregierung zu ihrem Bedauern nicht in der Lage, der Bundesbahn die Ausgabe von Schülermonatskarten an Praktikanten zu empfehlen. Natürlich stehen den Praktikanten die Fahrpreisermäßigungen des Berufsverkehrs voll zur Verfügung.
Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, sehen Sie nicht eine grobe Ungerechtigkeit darin, daß Lehrlingen und Schülern die Monatskarten zugebilligt werden, der kleinen Anzahl von Praktikanten aber nicht, obwohl auch sie in der Berufsausbildung stehen und obwohl auch sie nur ein ganz geringfügiges Entgelt, meistens sogar weniger als die Lehrlinge bekommen.
Herr Kollege, die Praktikanten sind ja richtig in den Arbeitsprozeß eingegliedert. Ich bin selbst einmal Praktikant gewesen. Da besteht doch ein Unterschied zwischen dem Lehrling und dem Praktikanten. Wenn die Praktikanten später die Schule besuchen, haben sie wieder die Möglichkeit, die Schülerkarten in Anspruch zu nehmen.
Meine Damen und Herren, wir kehren zurück zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident, darf ich aus den für Freitag vorgesehenen Fragen die Frage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen gleich mitbeantworten?
Ist der Herr Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen im Saal? - Ich rufe auf die für morgen vorgesehene Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr:
Bis zu welchem Zeitpunkt rechnet der Herr Bundesverkehrsminister mit dem Abschluß der Maßnahmen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Schleuse Kostheim am Main?
Sofern es gelingt, die notwendigen Haushaltsmittel in Höhe von 2,1 Millionen DM rechtzeitig bereitzustellen, wird die Grundüberholung und Modernisierung der wenig leistungsfähigen und überholungsbedürftigen Südschleuse der Doppelschleuse Kostheim voraussichtlich bis Mitte 1966 abgeschlossen werden können. Die Verbesserung des unteren Vorhafens, für die erstmals Mittel im Bundeshaushalt 1964 eingesetzt sind, wird sich jedoch wegen der vordringlich gewordenen Arbeiten in der Südschleuse auf Grund der Haushaltslage verzögern müssen, so daß mit der Fertigstellung des Vorhafens etwa 1968 zu rechnen ist.
Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie sich bewußt, daß die Termine, die Sie genannt haben, für die Wirtschaft des Untermaingebiets sehr wenig tröstlich sind?
Ja, verehrter Herr Kollege, wenn ich mehr Geld habe, kann ich auch mehr und schneller bauen; aber ich muß mich nach der Decke strecken.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe auf die Frage VIII/1 - des Herrn Abgeordneten Dröscher -:
Was gedenkt die Bundesregierung gegen eine Handhabung des Grundstückverkehrsgesetzes zu tun, wie sie zum Beispiel im Falle des Verkaufes des „Hödeshofes" bei Traben-Trarbach an industrielle Nichtlandwirte dadurch vorgekommen ist, daß das zuständige Landratsamt eine Erklärung abgegeben hat, bäuerliche Interessenten seien für den Erwerb des Gutes nicht bekannt, obwohl die Landsiedlung in Verbindung mit dem ansässigen bäuerlichen Pächter Kaufverhandlungen für den betreffenden Hof führte?
Zur Beantwortung der Herr Minister.
Ich darf die Frage wie folgt beantworten.
Die Durchführung der Bundesgesetze, damit auch des Grundstückverkehrsgesetzes, obliegt den Ländern. Die Bundesregierung vermag daher auf die den Genehmigungsbehörden der Länder übertragene Entscheidung bei der Veräußerung land- oder forstwirtschaftlicher Grundstücke keinen Einfluß zu nehmen.
Im angesprochenen Fall läßt die Entscheidung des zuständigen Landratsamtes im übrigen auch keinen Ermessensmißbrauch erkennen. Die Genehmigung der Veräußerung des Hödeshofes hätte allerdings nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grundstückverkehrsgesetzes bei bestehendem Landbedarf von Landwirten versagt werden können. Von Landwirten war aber kein Kaufinteresse bekundet worden. Der Genehmigungsbehörde war lediglich bekannt, daß die Landsiedlung das Vorkaufsrecht ausüben wollte. Die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen hierfür waren jedoch nicht gegeben. Nach § 4 Abs. 1 des Reichssiedlungsgesetzes kann das Vorkaufsrecht erst bei Grundstücken in Größe von 2 ha aufwärts ausgeübt werden. Grundstück im Sinne dieser Bestimmung ist das Grundstück im Rechtssinne, also eine Fläche, die im Grundbuch unter einer besonderen Nummer eingetragen ist. Diese Auffassung wird auch in dem Schriftlichen Bericht des federführenden Bundestagsausschusses - Drucksache 2635 der 3. Wahlperiode - klargestellt und auch von den Kommentatoren des Grundstücksverkehrsgesetzes überwiegend vertreten. Eine höchstrichterliche Bestätigung dieser Rechtsauffassung steht allerdings gegenwärtig noch aus.
Da der Hödeshof aus 62 Grundstücken mit einer Größe von weniger als 2 ha bestand, war das siedlungsrechtliche Vorkaufsrecht nicht gegeben. Ich
übersehe nicht, inwieweit die Möglichkeit, das Vorkaufsrecht auszuüben, dann bestanden hätte, wenn das Land Rheinland-Pfalz von der Ermächtigung des § 4 Abs. 4 des Reichssiedlungsgesetzes Gebrauch gemacht und die Mindestgröße von landwirtschaftlichen Grundstücken, für die das Vorkaufsrecht ausgeübt werden kann, auf weniger als 2 ha festgesetzt hätte.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, teilen Sie demnach die Auffassung des Landes Rheinland-Pfalz, daß zwar Einzelgrundstücke über 2 ha den siedlungsrechtlichen Beschränkungen unterliegen und nicht verkauft werden können, daß aber ein ganzer Hof, obwohl ein Interesse eines darauf wirtschaftenden Bauern gegeben ist, weil er 62 kleinere Parzellen hat, an industrielle Nichtlandwirte verkauft werden kann?
Ich teile diese Auffassung, weil sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht und der Bundestag so verfügt hat.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ist in diesem Falle untersucht worden, ob die Stellungnahme des Landratsamtes Zell nicht auf Grund einer falschen Angabe der Stadtverwaltung Traben-Trarbach abgegeben wurde?
Wir haben dazu keine Veranlassung gehabt, Herr Kollege. Es ist eine Landes-sache.
Ich rufe auf die Frage VIII/2 - des Abgeordneten Dröscher -:
Ist die Bundesregierung bereit, die immer unrentabler werdende öffentliche und private Forstwirtschaft zum Ausgleich für die sogenannte „Wohlfahrtswirkung des Waldes" zu unterstützen und diese Leistung der waldbewirtschaftenden Stellen zu honorieren?
Die Bundesregierung weiß, daß große Teile der Forstwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland sich gegenwärtig in einer kritischen wirtschaftlichen Lage befinden. Auf etwa 40 % der 7,1 Millionen ha großen Waldfläche erzielt die Forstwirtschaft keinen Gewinn mehr.
Die Bundesregierung unterstützt schon seit Jahren im Rahmen ihrer Zuständigkeit und der finanziellen Möglichkeiten die Forstwirtschaft, besonders den nichtstaatlichen Waldbesitz im Bemühen um Selbsthilfe. Sie läßt sich dabei auch von dem Gedanken leiten, daß die Wohlfahrtswirkungen des Waldes der Allgemeinheit nur dann ohne besondere Aufwendungen zugute kommen, wenn angemessene
Erträge die Bewirtschaftung und Erhaltung des Waldes gestatten.
Die Unterstützung geschieht vornehmlich. dadurch, daß die Bundesregierung erstens Mittel des Grünen Plans zur Förderung forstlicher Maßnahmen bereitstellt, die dem notwendigen Anpassungsprozeß der Landwirtschaft dienen und sich darüber hinaus zugunsten der Volkswirtschaft und Landeskultur auswirken; zweitens angemessene steuerliche Erleichterungen und Hilfen auf handels- und verkehrspolitischem Gebiet für die Forst- und Holzwirtschaft anstrebt.
Die Bundesregierung verfolgt die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Lage in der Forstwirtschaft mit Aufmerksamkeit und wird auch künftig bemüht sein, der Forstwirtschaft mit wirtschaftskonformen Mitteln zu helfen.
Erst wenn alle diese Möglichkeiten erschöpft sind, wird die Frage der besonderen Honorierung der Wohlfahrtswirkungen, d. h. des Ausgleichs aus öffentlichen Mitteln, zu prüfen und zu befinden sein, ob die Vergütung der Wohlfahrtswirkungen des Waldes als ein geeignetes Mittel zur wirtschaftlichen Gesundung des Waldbesitzes angewendet werden soll.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, hat die Bundesregierung bestimmte Vorstellungen, wie angesichts der wachsenden Bedeutung der Wohlfahrtswirkungen für die Reinhaltung der Luft, für die Sicherung des notwendigen Trinkwassers usw. diese Unterstützung der Forstwirtschaft aussehen soll?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat allgemeine wirtschaftliche Momente im Sinne, die der Forstwirtschaft dienen. Ich darf hier an die Mittel des Grünen Plans erinnern, die von 1959 bis 1963 zur Neuaufforstung und zur Anlegung von Schutzpflanzungen 37 Millionen DM betragen haben. Ich darf ferner daran erinnern, daß wir derzeit in Verhandlungen stehen über Verbesserungen auf dem Gebiet der Umsatzsteuer und der Einkommensteuer und daß wir bei der Einheitsbewertung Rücksicht auf die prekäre Lage der Forstwirtschaft nehmen wollen.
Ich darf schließlich daran erinnern, daß wir verschiedene Forschungsvorhaben für die Forstwirtschaft laufend unterstützen, um den Stand der Forstwirtschaft zu verbessern.
Ich muß die Fragestunde abbrechen; die Zeit ist vorbei. Wir setzen die Fragestunde morgen vormittag um 9 Uhr fort.
Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1965 ({0}) ({1})
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen zur Abwicklung unseres Tagesordnungspunktes 2 eine amtliche Mitteilung zugehen lassen, der ich zu entnehmen bitte, daß wir nach einer Vereinbarung im Ältestenrat mit der Entgegennahme einer Erklärung des Bundeskanzlers beginnen. Daran soll sich eine allgemeine politische Aussprache anschließen. Die Haushaltsdebatte im eigentlichen Sinn des Wortes soll am nächsten Mittwochvormittag um 10 Uhr nach der Fragestunde beginnen.
Ich gebe dem Herrn Bundeskanzler das Wort zu einer Erklärung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn des letzten Jahres der Legislaturperiode möchte ich einige Bemerkungen zur außen- und innenpolitischen Lage machen.
Der 15. Jahrestag unseres wiedererstandenen parlamentarischen Staatswesens liegt bereits über einen Monat zurück. Trotzdem will ich hier jenes 7. September 1949 gedenken, an dem der Bundestag zum ersten Male zusammentrat. Unsere Zeit ist zwar schnellebig, aber dennoch sind in diesem Hause Frauen und Männer tätig, die auch schon dem ersten deutschen Parlament der Nachkriegszeit angehörten. Sie wissen, welche Anstrengungen es gekostet hat, die Not des Anfangs zu überwinden und das deutsche Staatswesen auf gesunde und geordnete Grundlagen zu stellen.
Zu diesem Gedenktage geziemt es sich, dem Hohen Hause Dank zu sagen. Ein Wort des Dankes gilt auch den Völkern und Regierungen, die uns Freundschaft und Treue bezeugt haben. Dank aber gebührt vor allem dem deutschen Volk, das nach völligem Niederbruch in Glauben und Hoffnung von neuem ans Werk ging.
In dieser Stunde denke ich auch an die jungen Menschen, die 1949 noch Kinder waren und den Beginn der Bundesrepublik nicht bewußt erlebt haben. Es ist das gute Recht der Jugend, sich mit der Generation ihrer Eltern auch kritisch auseinanderzusetzen. Damit ist aber auch die Pflicht der Jugend verbunden, das Blut, die Tränen und den Schweiß der Väter und Mütter nicht zu vergessen und sich durch eigene Leistung zu bewahren, was ihnen bis heute als Geschenk in den Schoß fiel.
({0})
„Was erhofft sich das deutsche Volk von der Arbeit des Bundestages?" So fragt an jenem 7. September 1949 der
„Daß wir eine stabile Regierung, eine gesunde Wirtschaft, eine neue soziale Ordnung in einem gesicherten Privatleben aufrichten, daß wir unser Vaterland einer neuen Blüte und einem neuen Wohlstand entgegenführen." Dieser Wunsch ist wahrlich in Erfüllung gegangen.
({0})
Die Deutschen haben zu einem gesunden Selbstbewußtsein zurückgefunden, das sich vornehmlich, aber doch nicht allein auf die große Aufbauleistung gründet, die nach dem Kriege vollbracht wurde. Die große Bürde, die uns die Vergangenheit auferlegte, ist nicht mehr gepaart mit der Verneinung des eigenen Vaterlandes. Das deutsche Volk findet zunehmend seine Reife im Bewußtsein echter nationaler Würde; es erkennt die Zeichen der Zeit, die es herausfordern, ohne inneren Zwiespalt Deutsche und Europäer zugleich zu sein.
({1})
Unser Verlangen richtet sich darauf, Aufgaben und Leistungen friedlichen Charakters zu erfüllen; auf dem Gebiet der Bildung, der Wohlfahrt und der Kultur Fortschritte zu erzielen. Immer deutlicher wird das Streben, wieder Anschluß an die großen geistigen Überlieferungen unseres Landes zu finden. In der Mitte Europas erweist sich das deutsche Volk als ein Element der Zuverlässigkeit und der Stabilität. Wir haben in Deutschland einen so hohen Stand wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit erreicht, wie ihn das deutsche Volk in der ganzen deutschen Geschichte noch nie hat genießen dürfen.
Nicht zuletzt ist durch die Überwindung des Klassenkampfes der Weg für Verständigungen frei geworden. Das erreichte Maß an Zufriedenheit und Glück hat uns zwar nicht das Paradies beschert, aber es ist doch die Lebensangst von unserem Volke genommen, und die gesellschaftlichen Spannungen sind mit dem wachsenden Wohlstand einem besseren gegenseitigen Verstehen gewichen. Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß das Verlangen in weiten Kreisen unseres Volkes heute nicht nur nach „Mehr" geht, sondern wesentlich nach Besserem, nach Höherem. Die Vorstellungen, die sich der einzelne über die von ihm erstrebten Ziele macht, sind im allgemeinen vernünftig und maßvoll. Deshalb werden sie sich, wenn auch nicht an einem Tage, verwirklichen lassen.
Aber trotz aller Erfolge der deutschen Politik konnte unser höchstes Ziel - die Wiedervereinigung unseres Volkes - bis heute nicht erreicht werden. Wir arbeiten auf vielen Ebenen unserer Politik, deren Einzelheiten erst später einmal überschaubar sein werden, auf dieses Ziel hin. Diese Einheit Deutschlands in einem geeinten Europa ist und bleibt das zentrale Problem unserer Politik.
({2})
Das ist für uns nicht nur eine nationale oder gesellschaftliche, sondern entscheidend auch eine menschliche Frage. Die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts für die Deutschen bleibt deshalb für uns mit der Aufgabe verbunden, zielstrebig und konsequent auf jede erdenkliche Weise das Los der Menschen unter dem kommunistischen Zonenregime bis zu jenem Tage erträglich zu machen, an dem sie wieder gemeinsam mit uns ihr Leben in Freiheit gestalten dürfen. Dabei handeln wir aus unserer Verantwortung für ganz Deutschland.
Wenn wir uns nicht selbst täuschen wollen, müssen wir erkennen, daß uns auch alle anderen Erleichterungen, die wir für die Deutschen jenseits des
Eisernen Vorhanges erringen und gewinnen können, der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts nicht automatisch näherbringen.
({3})
Die Passierscheinübereinkunft, die Möglichkeit für ältere Rentner, Verwandte in der Bundesrepublik zu besuchen, der Bau der Saale-Brücke, die Amnestie für politische Häftlinge, - all das hat die Zone nicht in der Absicht zugestanden, damit einen Schritt in Richtung auf die Wiedervereinigung zu tun.
({4})
Die Mauer wird nicht durch Passierscheine abgetragen.
({5})
Sie wird verschwinden, wenn Moskau sein eigenes Interesse an einer Befriedung im Herzen Europas erkennt. Wer um eines falschverstandenen, eines trügerischen Scheinfriedens willen am Ende doch unerträgliche Zustände hinzunehmen bereit sein könnte, beschwört geradezu tödliche Gefahren herauf.
({6})
Aus der Zerspaltung dessen, was im Innersten zusammengehört, was überhaupt nur als Einheit zu begreifen ist, kann kein Frieden erwachsen. Wir dürfen das Heute nicht mit dem Morgen bezahlen
({7})
und nicht für Erleichterungen eines Augenblicks die Zukunft aufs Spiel setzen.
({8})
Chruschtschow hat am 8. April 1959 in Ungarn gesagt, jedes Volk habe das Recht auf die Staatsordnung, die es wünsche. Genau das und nichts anderes ist unsere Forderung.
({9})
Wenn er dann in seiner Unterhaltung mit japanischen Parlamentariern ausführte, die Deutschen müßten selbst entscheiden, ob ein wiedervereinigtes Deutschland kommunistisch oder demokratisch sein werde, dann können wir ihm nur zustimmen. Möge man also die Deutschen selbst entscheiden lassen, frage man sie direkt und ohne dialektische Kunstgriffe nach ihrer wahren Meinung! Gebe man allen Deutschen die Möglichkeit, den „kapitalistischen" und den „sozialistischen" Teil ihres Vaterlandes frei zu bereisen! Lasse man sie miteinander sprechen und dann ihr Urteil mit Bedacht fällen! Ich glaube, wer ständig von der „Realität zweier deutscher .Staaten" spricht, sollte dem frei geäußerten Willen von mehr als 70 Millionen Menschen den Charakter der Realität nicht aberkennen dürfen.
({10})
Die Bundesregierung ist getadelt worden, weil sie die Wiedervereinigung noch nicht erreicht hat. Man vergißt nur, daß der Schlüssel zur Wiedervereinigung nicht in Bonn, sondern in Moskau liegt.
({11})
Der größte Teil des deutschen Volkes darf sich im
Bündnis mit den uns befreundeten Nationen des Segens der Freiheit erfreuen. Damit hat die Bundes6780
regierung eine entscheidende Voraussetzung für eine Wiedervereinigung geschaffen. Zähe Geduld, klare Zielstrebigkeit und das gute Recht sind starke Waffen gegenüber jenen Mächten, die gegen menschliche Freiheit zuletzt nur Panzer einzusetzen wissen.
({12})
Wer, wie das Regime in der SBZ, nur den Zwang zu bieten hat, steht als Anachronismus in einer Welt, in der die Erfüllung des menschlichen Lebens unabdingbar die Freiheit voraussetzt.
Lassen Sie mich nun anschließend zu einigen Fragen der Innenpolitik Stellung nehmen. Der Bundesminister der Finanzen hat Ihnen vorgestern in seiner überzeugenden Haushaltsrede ein umfangreiches Zahlenwerk unterbreitet. Die vorgebrachten Beispiele sprechen für sich. Sie beweisen eindeutig, daß sich die Leistungen der Bundesregierung auch und gerade in dieser Legislaturperiode sehr wohl sehen lassen können.
({13})
Vor allem rücken sie die Aussage des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei, daß die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode nichts geleistet habe, ins rechte Licht
({14})
- ja, ich meine sogar in das helle Licht einer parteipolitischen Propaganda, die den realen Gegebenheiten Hohn spricht und aus dem Munde des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei
({15}) merkwürdig genug anmutet,
({16})
weil er in seiner Position eigentlich besser unterrichtet sein müßte.
({17})
Betrachten Sie z. B. nur die höheren Leistungen des Bundes für einige wichtige Gemeinschaftsaufgaben in der 4. gegenüber der 3. Legislaturperiode. So wurden beispielsweise in dieser Legislaturperiode gegenüber der vorhergehenden mehr aufgewendet: für die Berlinhilfe 67 %,
({18})
für Sozialleistungen 39 %, für den Agrarhaushalt einschließlich Grüner Pläne 60 %, für Bundesfernstraßen 95 %, für Ersatzleistungen und Entschädigungen 34 % und für Wissenschaft und Forschung
110 %. Daß gleichzeitig die Verteidigungsaufwendungen um 98 % gesteigert werden konnten - und mußten -, zählt ja wohl auch zu den Leistungen der Bundesregierung.
({19})
Es fehlt jetzt wirklich nur noch die Behauptung, daß die Soziale Marktwirtschaft, die die menschliche Arbeit fruchtbar gestaltete und den wirtschaftlichen Wiederaufbau einleitete, eine Erfindung der Opposition gewesen sei.
({20})
- Sie kommen ja noch dran, meine Herren.
({21})
- Schwören Sie nicht wieder ab, meine Damen und Herren, werden Sie nicht rückfällig!
({22}),
Bei Jailer Zufriedenheit mit dem Erreichten kommt es heute vor allem darauf an, den hohen Leistungsstand unserer Wirtschaft und die finanzielle Leistungskraft als Voraussetzung jedes weiteren sozialen Fortschritts zu erhalten und zu mehren. Die Bundesregierung hat daher im Interesse der Sicherung der Stabilität von Wirtschaft und Währung die Zuwachsraten der Bundeshaushalte für 1964 und 1965 auf den realen Zuwachs des Bruttosozialprodukts begrenzt.
Seien Sie überzeugt, daß es der Bundesregierung nicht immer leicht gefallen ist, manche berechtigten oder verständlichen Wünsche zurückstellen zu müssen. Sie ist indessen unbeirrt der Überzeugung, daß die Stabilerhaltung unserer Währung oberstes Gebot für alle sein muß,
({23})
wenn dann auch nicht alle Anliegen gleichzeitig erfüllt wenden können. Es ist ein Selbstbetrug, zu glauben, daß die Überforderung der Volkswirtschaft, die überall als die entscheidende Quelle von Preissteigerungen anzusehen ist, einem Volke nützen kann. Das Gegenteil ist der Fall.
Ich kann im übrigen mit Genugtuung feststellen, daß sich auch fast alle Länder dem disziplinierten Verhalten der Bundesregierung angeschlossen und die Steigerung ihrer Haushalte ebenfalls an der realen Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts orientiert haben. Mit Sorge betrachte ich allerdings, daß sich die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer konjunkturgerechten Ausgabenpolitik bei den Gemeinden offenbar nicht im gleichen Maße durchgesetzt hat.
({24})
- Eine objektive Tatsache, meine Damen und Herren.
({25})
Ich möchte mit dem Finanzminister das Hohe Haus,
d. h. alle Fraktionen, dringend bitten, dieser Politik
derStabilität die Gefolgschaft nicht zu versagen.
Mit der Entscheidung über diesen Haushalt tragen
Regierung und Bundestag eine hohe Verantwortung
für die Erhaltung der Kaufkraft unserer Währung.
Wir wissen, die Wirtschaftsentwicklung war zu
Beginn dieses Jahres überschattet von der Sorge um
die Erhaltung der Preisstabilität. Gefahren drohten
vor allem von inflationären Entwicklungen in einigen europäischen Nachbarländern. Der von der
Übernachfrage im europäischen Raum ausgelöste
Sog nach preiswerten deutschen Waren sowie die
durch den Preisanstieg im Ausland bedingte Abschwächung der deutschen Importe ließen unsere
Ausfuhrüberschüsse um die Jahreswende 1963/64
extrem ansteigen. Hinzu kam ein starker Zustrom von ausländischem Kapital. Die Besorgnis war berechtigt, daß die Bundesrepublik in den Strudel jener inflationären Bewegungen hineingezogen werden könnte, ja vielleicht sogar müßte, wenn nicht rasch wirksame Abwehrmaßnahmen ergriffen wurden.
In erster Linie galt es, die EWG-Partner von der Notwendigkeit einer energischen Politik der Inflationsbekämpfung zu überzeugen. Das auf deutsche Initiative zustande gekommene Stabilisierungsprogramm der EWG vom April dieses Jahres war ein bedeutsamer Erfolg in dieser Richtung. Gleichzeitig bereitete die Bundesregierung Maßnahmen zur Abwehr des unerwünschten Kapitalzustroms und zur Förderung des Kapitalexports vor. Daneben hat die Bundesbank in enger Fühlungnnahme mit der Regierung auf dem Gebiet der Währungs- und Kreditpolitik eine Reihe von ergänzenden Regelungen getroffen. Auf dem Felde der Handelspolitik nutzte die Bundesregierung den ihr noch verbliebenen Spielraum autonomen Handelns weitgehend aus, indem sie dem Hohen Hause eine Senkung des. EWG-Binnentarifs um 50 % und eine Herabsetzung der noch über dem Gemeinsamen Zolltarif der EWG liegenden deutschen Außenzollsätze vorschlug. Außerdem ergriff die Bundesregierung eine Initiative zur Senkung der Außenzölle der EWG. Sie wird auch weiterhin alles tun, um den Gemeinsamen Markt stärker zu öffnen.
Der Bundesregierung wurde für ihre Stabilisierungsbemühungen von der Kommission der EWG besonderes Lob gezollt. Es ist großenteils der Aktivität der Bundesregierung zuzuschreiben, daß wir das güterwirtschaftliche und monetäre Gleichgewicht im ganzen recht gut bewahren konnten. Bei einem internationalen Vergleich des Anstiegs der Verbraucherpreise seit 1950 zeigt sich, daß die Bundesrepublik für die rückliegenden 14 Jahre zu jenen Ländern des freien Westens gehört, die, etwa auf gleicher Höhe mit Belgien, Schweiz, USA und Kanada, den geringsten Preisauftrieb zu verzeichnen haben. Die Erhöhungen schwanken in diesen Ländern, 1950 = 100 % gesetzt, um 30 bis 35 %. Vergleichsweise steht der Index, auf gleicher Basis umgerechnet, für Dänemark auf +69 %, Italien +72 %, Großbritannien +70 %, Schweden +78 %, Norwegen +84 %.
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Andere Länder weisen noch höhere Sätze aus. Die Bundesrepublik hat sich also tatsächlich als eine Insel wirtschaftlicher Stabilität erwiesen und mit ihrem Verhalten zugleich einen stabilisierenden Einfluß auf die übrigen westeuropäischen Länder ausgeübt.
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Ein halbes Jahr nach den eingeleiteten konjunkturpolitischen Maßnahmen können wir mit Befriedigung eine nachhaltige Entspannung der außenwirtschaftlichen Situation feststellen. Seit dem Frühjahr dieses Jahres geht der Handelsbilanz-Überschuß von
Monat zu Monat kontinuierlich zurück. Der Zustrom von Auslandskapital hat Ende März aufgehört und wurde sogar von einem Netto-Abfluß abgelöst. Seit der Jahresmitte bahnt sich allerdings beim langfristigen Kapitalverkehr mit dem Ausland wieder ein Überschuß an, der die Notwendigkeit einer alsbaldigen Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung der Kapitalertragsteuer besonders unterstreicht. Käme dieses Gesetz nicht zustande, so wäre fast mit Sicherheit zu erwarten, daß wir bald wieder vor ähnlichen Problemen wie zu Beginn dieses Jahres stehen.
Sowohl beim Staatsverbrauch als auch bei den öffentlichen Investitionen ist immerhin eine Verlangsamung der Expansion festzustellen. Nicht zuletzt aber verdanken wir es dem vernünftigen Verhalten der Konsumenten, daß wir von einer schädlichen Konjunkturüberhitzung verschont blieben. Die Ersparnisse der privaten Haushalte haben im ersten Halbjahr 1964 mit 22 % weit stärker als die Einkommen zugenommen; die Sparquote erreichte mit gut 101/2 % eine Rekordhöhe.
Die Preisentwicklung selbst zeigt zwar, daß wir gewiß noch nicht aller konjunkturpolitischen Sorgen ledig sind; immerhin blieb der Anstieg der Verbraucherpreise von Januar bis August 1964 mit 1,4 % niedriger als in der entsprechenden Vorjahrszeit mit 1,6 %. Zu den Ursachen, die eine völlige Preisstabilität erschwerten, gehört neben den notwendigen Preisanpassungen in den öffentlich reglementierten Bereichen eine in diesem Jahr besonders starke Verteuerung auf den Weltrohstoffmärkten.
Die Bundesregierung zieht aus den konjunkturpolitischen Erfahrungen dieses Jahres vor allem die Schlußfolgerung, daß bei dem gegenwärtigen Stand der Integration alles getan werden muß, um die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Konjunktur- und Währungspolitik wesentlich zu verstärken. Sie wird auch im Rahmen ihrer EuropaInitiative hierzu neue Vorschläge unterbreiten.
Nach dem Zusammenbruch haben wir ein System der sozialen Sicherheit geschaffen, das es auch den alten und arbeitsunfähigen Menschen sowie den Opfern des Krieges ermöglicht, frei von Not und Sorge zu leben. Nach Untersuchungen der EWG-Kommission weist die Bundesrepublik im Durchschnitt der Jahre 1955 bis 1960, gemessen am Volkseinkommen, die höchsten Leistungen für die soziale Sicherheit auf, und seit 1960 wurden bekanntlich weitere wesentliche Verbesserungen vorgenommen. Die Bundesrepublik gehört zu den Ländern mit den höchsten Sozialleistungs-Quoten in der Welt.
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Gleichwohl sind wir gewillt, das System der sozialen Sicherungen vor allem auch qualitativ weiter zu verbessern.
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Die Lage der alten Menschen ist zu einem besonders dringlichen Sozialproblem geworden. Zwar hat die Rentenreform die wirtschaftliche Lage der meisten alten Mitbürger weitgehend gebessert, aber wir
müssen über das Materielle hinaus den alten Menschen auch zu Lebensbedingungen verhelfen, die ihrer Lage gemäß sind. Die Bundesregierung wird dieses Problem zusammen mit den Ländern und Gemeinden verstärkt in Angriff nehmen.
In meiner Regierungserklärung habe ich die Bedeutung jener Anstrengungen unterstrichen, die dem Ausbau unseres Bildungswesens, des Gesundheitswesens, der Raumordnung und des Verkehrsnetzes dienen. Unsere Haushaltspolitik wird sich in Zukunft verstärkt auf die Förderung dieser „Sozialinvestitionen" ausrichten müssen. Sozialinvestitionen sind vordringliche Anliegen des Gemeinwohls, sie bereichern das Leben jedes einzelnen Bürgers.
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Alle diese Anstrengungen dienen nicht allein der Wohlstandssicherung. Wir müssen mehr noch als bisher erkennen, daß Sozialinvestitionen im weiteren, aber recht verstandenen Sinne die Voraussetzung für eine bessere Lebensordnung überhaupt schaffen. Mehr und bessere Sozialinvestitionen kommen indirekt auch dem privaten Lebensstandard zugute und verbessern dazu noch die Leistungsfähigkeit und Wettbewerbskraft unserer Wirtschaft. Das bedeutet durchaus nicht: Mehr Staat in der Wirtschaft, wohl aber mehr öffentliche Vorsorge in all jenen Bereichen, die die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen unseres Lebens setzen.
Der Aufwand für Sozialinvestitionen ist in meinen Augen fast gleich bedeutsam wie der Sozialkonsum selbst. Der Ihnen vorliegende Haushalt für das Jahr 1965 enthält eine Reihe von deutlichen Ansatzpunkten, die diesem Grundsatz Rechnung tragen. Eine solche Politik kann indessen nur bei langfristiger Anlage Erfolg haben. Sie erfordert nicht zuletzt eine gute Zusammenarbeit von Regierung und Parlament und setzt den Mut voraus, überwuchernden partiellen Wünschen die Zustimmung zu versagen, wenn es um das Gemeinwohl geht. Hier handelt es sich im wahrsten Sinne um eine langfristige Aktion des politischen und ökonomischen Gemeinsinns. Sie ist vergleichbar mit der Wirtschafts- und Währungsreform der ersten Jahre unserer politischen Arbeit. Ich werde mich dieser Aufgabe besonders annehmen, aber rechne dabei nicht minder auf Ihrer aller Unterstützung.
Auf allen Gebieten des Verkehrs hat die Bundesrepublik erhebliche Mittel eingesetzt. Mit ihren Ausgaben für den Straßenbau steht sie schon heute - das verdient wiederholt zu werden - an zweiter Stelle hinter den Vereinigten Staaten. Aber es bleibt noch sehr viel zu tun. Die drei Binnenverkehrsträger Schiene, Straße und Binnenschiffahrt befinden sich in einer Phase starker struktureller Umstellung.
Ich kann an dieser Stelle nicht darauf verzichten, ein Wort zu der Veröffentlichung einzelner Teile eines Berichts der Deutschen Bundesbahn über Rationalisierungsmaßnahmen zu sagen. Dieser Bericht ist gestern durch eine sozialdemokratische Pressemitteilung in Auszügen veröffentlicht worden, offenbar nicht mit der Absicht, einen verkehrspolitischen Beitrag zu leisten, sondern um Unruhe und Unsicherheit zu stiften.
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Dieses durchsichtige Verfahren ist im Interesse der Deutschen Bundesbahn und ihrer Mitarbeiter entschieden abzulehnen.
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Wir brauchen gute Lösungen, aber keinen politischen Krawall.
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Die Bundesregierung hat ihren ablehnenden Standpunkt bereits bekanntgegeben. Gewiß müssen Personen- und Güterverkehr neu geordnet werden. Strukturpläne für die nächsten Jahre sollen das Leistungsangebot der Verkehrsträger verbessern und modernisieren. Ziel der Neuordnung ist eine volkswirtschaftlich und technisch optimale Verteilung der Aufgaben auf die einzelnen Verkehrsträger. Mit einer solchen langfristigen Modernisierung und Rationalisierung will die Bundesregierung zusammen mit den Ländern und Gemeinden für den Bereich des Verkehrs die Voraussetzungen einer besseren Ordnung schaffen und die Leistungsfähigkeit und Wettbewerbskraft der Wirtschaft stärken. Die Bundesregierung hat die notwendigen Vorarbeiten eingeleitet.
Lassen Sie mich noch auf eine weitere wichtige Gemeinschaftsaufgabe zu sprechen kommen, die wir vordringlich bewältigen müssen, ich meine die Raumordnung. Der wirtschaftliche Aufstieg in der Bundesrepublik hat sich bisher naturgemäß auf der Basis der gegebenen Wirtschafts- und Sozialstruktur vollzogen. Bereits vorhandene strukturelle Mängel sind dabei oft noch verstärkt worden. Wohl ist schon manches geschehen. Das trifft besonders für den Bereich der regionalen Wirtschaftsförderung und der Ansiedlung von Flüchtlingsindustrien zu. Gleichwohl bleiben uns aber noch große Aufgaben gestellt. Ich denke dabei insbesondere an Maßnahmen zur strukturellen Verbesserung in den Ballungsräumen, an die Förderung der wirtschaftlich schwachen Gebiete und an die Erneuerung unserer Städte und Dörfer. Nur so kann auf die Dauer ein gesundes Leben der Bevölkerung im ausgewogenen soziologischen Verhältnis zwischen Stadt und Land erreicht werden. Ich bitte daher den Bundestag, den Entwurf des Raumordnungsgesetzes möglichst bald zu verabschieden, damit dieses Vorhaben in verstärktem Maße verwirklicht werden kann.
Zu den großen Gemeinschaftsaufgaben gehört nicht zuletzt auch die Familienpolitik. Ihr tiefster Sinn liegt in dem Bemühen, die Familie in ihrem Wert und in ihrer Aufgabe als Kernzelle jeder gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung zu schützen.
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Wo sich die Familie zurückzieht, rückt der Staat nach. Aber der Staat kann und soll nicht allmächtig und nicht allzuständig sein.
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Wir verneinen diese Allzuständigkeit des Staates und sehen es daher als unsere Aufgabe an, der Familie in der Erfüllung ihrer eigentlichen Bestimmung zu helfen.
Eine soziale Familienpolitik muß .der Jugend ohne Rücksicht auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern eine an der Begabung ausgerichtete Berufsmöglichkeit eröffnen.
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Wir erstreben, ,daß mehr Kinder auch aus Schichten mit geringerem Einkommen, insbesondere aus Arbeiterfamilien, höhere Schulen und Universitäten besuchen wollen und können. Es empfiehlt sich dabei, die in den letzten Jahren geschaffenen Grundlagen weiter auszubauen. Zu Beginn dieses Jahres wurden das Kindergeldgesetz verbessert und die Leistungen auf den Bundeshaushalt übernommen. Daneben wurden auch die Kinderzuschläge im öffentlichen Dienst erhöht. Das Steueränderungsgesetz 1964 sieht weitere Entlastungen der Steuerzahler mit Kindern vor.
Ein weiterer zielbewußter Ausbau des Familienlastenausgleichs bleibt auch künftig eine der wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschafts- und Sozialpolitik.
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Zu ihm gehört auch die Förderung der Bildung und Ausbildung aller jungen Deutschen, die in der Zukunft neben der Meisterung ihres eigenen Schicksalls die Verantwortung für unser Land zu tragen haben. Zwischen dem Wachstum der materiellen und der geistigen Kräfte muß in der Nation ein ausgewogenes Verhältnis bestehen, wenn nicht die Gefahren des materiellen Wohlstandes auf die Dauer seinen Nutzen ernsthaft in Frage stellen sollen.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Ausgaben für eine verbesserte Ausbildung, die den gesteigerten Anforderungen von heute und morgen gerecht werden soll, zu den wichtigsten Investitionen des Staates gehören. Deswegen sollten als nächster Schritt auf diesem Wege wirksame Ausbildungsbeihilfen vor allem jenen Familien zugute kommen, die das Opfer für eine qualifizierte und daher kostspielige Ausbildung ihrer Kinder auf sich nehmen.
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Seit vielen Jahren ist die Bundesregierung auch bemüht, die Eigentums- und Vermögensbildung in breitesten Schichten der Bevölkerung zu fördern. Diese Politik erwies sich trotz Ablehnung durch die Opposition als erfolgreich.
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Wir - ich möchte das unterstreichen -, wir begannen mit dieser Politik, die heute schon in vielen Ländern als beispielhaft empfunden wird.
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Wir werden sie konsequent fortsetzen.
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Es wurden in der Bundesrepublik 21/2 Millionen Eigenheime und Eigentumswohnungen gebaut, die sich überwiegend in Händen von Arbeitnehmern befinden.
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Dazu wurden drei Millionen Sozialwohnungen erstellt. Seitens der öffentlichen Hand wurden 30 Milliarden ,DM für den Wohnungsbau aufgewendet. In diesen Wochen wird die achtmillionste Wohnung fertiggestellt.
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Die Bundesregierung prüft zur Zeit alle Möglichkeiten, um breiten Schichten der Bevölkerung das Recht einzuräumen, die mit öffentlichen Mitteln bereits erstellten und die künftig zu errichtenden Wohnungen als Eigentum erwerben zu können.
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Das Prämiensparen wird vereinheitlicht werden. Zur Zeit arbeitet ein besonderer Kabinettsausschuß an neuen Vorschlägen für eine verstärkte Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer.
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Dabei wird auch zu prüfen sein, ob und in welcher Form individuelle Sparleistungen des Arbeitnehmers durch entsprechende Zuleistungen des Arbeitgebers gefördert werden können.
Die Bundesregierung lehnt die Konzentration massenhaften Vermögens in der Verfügung weniger oder in kollektiv verwalteten Fonds ebenso ab
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wie etwa ein Verfügungsrecht der Tarifpartner über die Verwendung eines Teils des Lohnes.
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Auch wünscht sie keine zu langfristige Bindung dieser Mittel. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß an der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers über die Verwendung aller Anteile seines Einkommens festgehalten werden muß.
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Der Arbeitnehmer soll nicht Eigentümer minderen Rechts werden. Insbesondere muß dem Arbeitnehmer stets auch ein Wechsel der Anlageform zugestanden werden.
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Volkswirtschaftlich wäre es auch nicht zu verantworten, den deutschen Kapitalmarkt in eine Vielzahl von branchengebundenen bzw. brancheninteressierten Spartöpfen aufzuspalten und damit praktisch funktionsunfähig werden zu lassen.
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Das Steueränderungsgesetz 1964 wird mit der Entlastung der Steuerzahler einen weiteren Beitrag zur Bildung privater Ersparnisse leisten.
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Der erfolgreiche Weg der Überführung von Anteilsrechten an Bundesunternehmen in privater Hand wird in Kürze durch die bevorstehende Teilprivatisierung der VEBA fortgesetzt werden.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich über Europa sprechen.
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Mit meinem Amtsantritt sind die Gespräche über eine gemäße Form der politischen Zusammenarbeit Europas, die 1962 ins Stocken gerieten, wieder in Gang gekommen. Wir ließen uns dabei von der Erkenntnis leiten, daß Europa im Weltgeschehen nur dann das ihm zukommende Gewicht erhalten wird, wenn in das Einigungswerk, das mit der Schaffung der Europäischen Gemeinschaften begonnen wurde, die Bereiche der Außenpolitik, der Verteidigung und der kulturellen Beziehungen einbezogen werden. Unserem alten Kontinent Gestalt und Kraft in der Gemeinschaft zu geben, ist die Voraussetzung für eine echte Partnerschaft zwischen Europa und Amerika im Rahmen des atlantischen Bündnisses. Das ist zugleich die Grundlage dafür, daß dieses Europa, das der Welt in der Vergangenheit so viel gegeben hat, auch in Zukunft an der Formung der Menschheitsgeschicke aktiv teilhaben und seiner Jugend hoffnungsvolle Möglichkeiten eröffnen kann.
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Als Fazit der politischen Gespräche, die ich in einer Reihe von Hauptstädten führte, ist festzustellen, daß zwar die Auffassungen über das, was kurzfristig realisierbar ist, noch nicht voll übereinstimmen, daß aber das Verständnis und auch der Wille, die politische Einigung Europas weiterzuführen, durchaus lebendig ist. Entscheidende Bedeutung kommt dabei zweifellos dem deutsch-französischen Verhältnis zu. Nach meiner Überzeugung ist das Einvernehmen zwischen diesen beiden Völkern die Voraussetzung jeder europäischen Politik überhaupt.
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Dieser Erkenntnis trägt die Bundesregierung bei ihren Bemühungen um die politische Einigung Europas in vollem Maße Rechnung.
In den vergangenen Monaten hat die Bundesregierung Vorstellungen und Pläne entwickelt, die geeignet erscheinen, uns der politischen Einigung Europas näherzubringen und zugleich die Integration innerhalb der Europäischen Gemeinschaften zu beschleunigen. Beides ist notwendig: Die uns selbst gestellte Aufgabe konnte sich nicht darin erschöpfen, etwa nur den originären deutschen Standpunkt aufzuzeigen, sondern vielmehr die optimale Lösung zu suchen, d. h. ein Modell zu entwickeln, das Aussicht hat, von allen Partnern angenommen zu werden. Dieser Sachlage sollten sich auch jene Kritiker bewußt sein, die der Bundesregierung vor Abschluß der Konsultationen mangelnde Präzisierung vorwerfen.
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Die aus diesen Gesprächen gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen werden uns in Kürze befähigen, einen Plan vorzulegen, der den Weg aufzeigen soll, der aus zunächst lockerer Zusammenarbeit in ein immer fester gefügtes europäisches Ordnungssystem einmündet. Wenn es dabei auch zweckmäßig erscheint, daß die Mitgliedstaaten der EWG den Anfang machen, so setzt eine Einigung doch voraus, daß sich in der Folge auch andere freie Länder Europas der sich formierenden politischen Gemeinschaft zugesellen können. Das gilt im besonderen im Hinblick auf Großbritannien, dessen Einbeziehung in das europäische Einigungswerk die Bundesregierung unverändert wünscht, aber es gilt nicht minder für unsere anderen europäischen Freunde.
Wir hegen die Hoffnung, daß es noch in diesem Jahre zur Aufnahme von formellen Regierungsverhandlungen zwischen den Sechs kommt. In jedem. Falle werden wir es nicht an Geduld und Phantasie, aber auch nicht an Intensität des Bemühens fehlen lassen.
Auch im wirtschaftlichen Bereich sind nach Auffassung der Bundesregierung neue Anstrengungen der sechs Mitgliedsstaaten erforderlich. Alle Möglichkeiten der Römischen Verträge sollen deshalb voll ausgeschöpft werden. Die deutsche Regierung tritt aus dem gleichen Grunde für die baldige Vollendung des Gemeinsamen Marktes ein. Das letzte Ziel muß die Zusammenfügung des ganzen freien Europas sein. Nur auf diese Weise erlangt unser Kontinent das ihm zukommende politische Gewicht.
Unsere Entschlossenheit, ein wirtschaftlich und politisch geeintes Europa zu schaffen, wird ergänzt durch unsere Arbeit an der Begründung und Festigung der atlantischen Partnerschaft. Europa braucht diese Partnerschaft, da Frieden und Freiheit in der Welt nur durch gemeinsame Anstrengungen Nordamerikas und Europas mit Erfolg verteidigt werden können.
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Dieses Bewußtsein ist bei uns in Deutschland besonders lebendig, weil wir die Gefahren unmittelbar erkennen und die Bedrohung vielleicht am stärksten empfinden. Unsere amerikanischen Freunde wissen umgekehrt, daß ihre Position in Europa und ihre Stellung in der Welt des festen Bündnisses mit einem starken europäischen Partner bedarf.
Die Bundesregierung erblickt nach wie vor in einer allgemeinen und kontrollierten Abrüstung den Weg zu echtem und dauerhaftem Frieden, sofern die eigentlichen, die inneren Ursachen der Spannungen beseitigt werden. In diesem Sinne hat sich die Bundesregierung stets für die weltweite Verwirklichung eines allgemeinen Interessenausgleichs eingesetzt, und sie wird das auch weiterhin tun. Wir hegen jedoch Bedenken gegenüber solchen Einzelmaßnahmen, deren optische Wirkung nur geeignet ist, darüber hinwegzutäuschen, daß sich am Spannungszustand in der Substanz nichts geändert hat und daß der Westen als Ganzes, Europa und Deutschland, dadurch geschwächt werden würden.
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Die historische Erfahrung lehrt, daß nur ein echtes
und ausgewogenes Geben und Nehmen eine SpanBundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
nung zur Ruhe kommen läßt und ein echter Frieden nur auf dieser Grundlage gefunden werden kann.
Es ist unzählige Male dargelegt worden, welche Vorleistungen die Bundesregierung bereits erbracht hat, um auch den Staaten des Ostens den Beweis friedlicher deutscher Politik zu bezeugen. Obwohl wir feststellen müssen, daß alle Beweise unseres guten Willens einfach nicht zur Kenntnis genommen werden oder durch verlogene politische Hetze in das Gegenteil verfälscht werden, erkläre ich auch heute wieder, daß die Bundesregierung bereit ist, den Staaten des Ostens im Zuge einer Friedensregelung in Europa, die Deutschland als natürliche Einheit einschließt, alle denkbaren und zumutbaren Garantien anzubieten und gemeinsam mit unseren Verbündeten dafür einzustehen.
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Unsere Verteidigungskonzeption stützt sich auf die enge Zusammenarbeit mit unseren NATOVerbündeten. Die innere Struktur der Bundeswehr ist in den letzten Monaten Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung geworden, die noch nicht abgeklungen ist. Was zur Frage der „Inneren Führung" der Bundeswehr zu sagen ist, habe ich diesem Hause am 25. Juni dargelegt. Ich wiederhole heute meine Aussage, daß die Männer der Bundeswehr unsere volle Anerkennung und unser ganzes Vertrauen verdienen.
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Daß, gemessen an der Größe der Bundeswehr, auch Unzulänglichkeiten zutage treten, soll uns den Blick für die Proportionen nicht trüben und darf unser politisches Urteil nicht verfälschen. Die äußere Struktur der Bundeswehr und das ihr zugrunde liegende strategische Konzept bedürfen zweifellos ständiger Überprüfung und Anpassung an die politischen, militärischen und technologischen Gegebenheiten.
Es ist dafür gesorgt, daß die differenzierten Expertenmeinungen analysiert und gewogen werden,
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um daraus im gemeinsamen Interesse den größten Nutzen ziehen zu können. Die NATO-Verteidigung bildet im Ganzen zugleich den Rahmen für die nationale Verteidigung. Diese vielseitige und vielschichtige Materie kann mithin auch nur in der Einheit verstanden werden. Unter den derzeitigen Gegebenheiten und unter Berücksichtigung unserer Lage ist sie insbesondere aus zwei Gründen unteilbar. Erstens: Der Aufbau unserer Streitkräfte als deutscher Beitrag zur NATO entspricht im wesentlichen der eingegangenen Verpflichtung. Nunmehr gilt es, die Bundeswehr auf einem modernen und schlagkräftigen Stand zu halten. Für die Bundesregierung stellt sich damit die Aufgabe, die territoriale Verteidigung und die Vielfalt der im zivilen Bereich erforderlichen Verteidigungsmaßnahmen mit dem ihnen gebührenden Rang zu behandeln, ohne die Effektivität ihrer .der NATO unterstellten Truppenverbände zu schmälern. Zu den nationalen und internationalen Verpflichtungen aus dieser Aufgabe
treten zweitens die finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die es zwingend geboten erscheinen lassen, im Rahmen einer Gesamtkonzeption all e r Verteidigungsmaßnahmen zu ausgewogener Verteilung von Prioritäten und Mitteln zu gelangen.
Wenn heute innerhalb der NATO des öfteren von Krisen gesprochen wird, so sollte darüber doch nicht vergessen werden, daß die Verteidigungskraft der NATO heute stärker ist als je zuvor. Der unbestreitbare Erfolg dieses Bündnisses bestätigt, daß diese Form der Integration nationaler Streitkräfte zu einem notwendigen Bestandteil der internationalen Sicherheit geworden ist. Die NATO ist trotz aller Diskussionen in ihrer Struktur gesund. Ihre Notwendigkeit, wenn auch nicht ihre Organisation im einzelnen, wird überdies von keinem NATOstaat bestritten.
Die unverzichtbare Notwendigkeit politischer und militärischer Zusammenarbeit gibt uns die Hoffnung, daß die NATO eines Tages zu einem wirklich integrierten Bündnis mit gemeinsamer Politik in einem umfassenderen Sinne werden wird. Wir streben dieses Ziel unbeirrt an. Die Bundesregierung ist jedoch auf diesem Wege bereits weiter gegangen, als andere Staaten bisher zu folgen bereit waren. Der militärischen Solidarität gegenüber dem gemeinsamen Gegner sollte entsprechend auch eine politische Solidarität in den wichtigsten Bereichen außenpolitischen Handelns sichtbar werden.
Zu dem Projekt der multilateralen Atomstreitmacht ist folgendes zu sagen. Es ist heute fast auf den Tag genau ein Jahr vergangen, daß in Paris zwischen den NATO-Botschaftern von acht Partnerstaaten, nämlich der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Italiens, der Niederlande, Griechenlands, Belgiens, der Türkei und Deutschlands, die Beratungen über den amerikanischen Vorschlag zum Aufbau einer multilateralen Atomstreitmacht begonnen haben. Dieser Plan, der die Bildung einer strategischen Atomstreitmacht von etwa 25 Schiffen mit ca. 200 strategischen Nuklearraketen vom Typ Polaris A 3 vorsieht, wurde im Laufe dieses Jahres seitens der beteiligten Staaten eingehend beraten. Diese Verhandlungen haben zu einer Klärung der meisten Sachfragen und zu einer weitgehenden Übereinstimmung geführt. Der Stand der Arbeiten berechtigt zu der Hoffnung, daß bis Ende dieses Jahres ein unterschriftsreifer Vertrag über die Gründung der MLF erarbeitet werden kann.
Die Bundesregierung hat bereits unter meinem Amtsvorgänger einer Teilnahme an den Beratungen des Projekts zugestimmt und ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Mitwirkung an der MLF erklärt. Ich bin überzeugt, daß die Verwirklichung dieses Projekts nicht nur im Interesse der gesamten Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft liegt, sondern auch dem europäischen Interesse dient. Die MLF basiert auf dem Grundsatz der Nichtverbreitung von Atomwaffen, nämlich einer Nichtvermehrung derjenigen Staaten, die eine eigene nationale Kontrolle über Atomwaffen ausüben.
Wir streben, um das deutlich und unmißverständlich zu sagen, eine multilaterale Streitmacht an, d. h.
eine solche, an der sich möglichst viele europäische Staaten beteiligen. Wir möchten zudem darauf vertrauen dürfen, daß eine Reihe der angesprochenen Länder mit den USA und uns zusammen den in Vorbereitung befindlichen Vertrag unterzeichnen werden.
Die Bundesregierung hat oft genug versichert, daß ihr nichts ferner liegt, als die Sowjetunion zu bedrohen. Solange uns aber umgekehrt vom Osten her sozusagen täglich der Schrecken der Atomwaffen und Raketen vor Augen geführt wird, ist es die Pflicht der Bundesregierung als der Sachwalterin der Lebensinteressen des deutschen Volkes und auch aus der Verantwortung für Europa, nach Mitteln und Wegen zu suchen, dieser ständigen Bedrohung im Bündnis mit der freien Welt wirksam begegnen zu können.
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Die politische Notwendigkeit gebietet uns, einen Weg zu finden, die europäischen und amerikanischen Interessen am atomaren Schutz Europas zusammenzuführen und ihnen sichtbaren Ausdruck zu verleihen.
Was unsere Beziehungen zur Sowjetunion anlangt, so haben wir in den vergangenen Jahren wiederholt Vorschläge unterbreitet, die nach unserer Überzeugung zu einer Normalisierung der Beziehungen hätten führen können. Zu unserem Bedauern mußten wir jedoch feststellen, daß bisher alle unsere Bemühungen an der starren Deutschland-Politik der Sowjetunion gescheitert sind. Während diese das Recht auf Selbstbestimmung jedem der zahlreichen jungen Staaten zubilligt, verweigert sie uns dieses Recht immer noch mit der Willkür des Siegers und verlangt, daß wir das Regime ihrer Statthalter auf deutschem Boden hinnehmen. Diese Haltung, die an die Rückständigkeit kolonialer Systeme erinnert, paßt nicht mehr in unsere Zeit
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und ist meines Erachtens eines Volkes, dessen Söhne sich anschicken, den Weltraum zu erschließen, unwürdig. Wir haben den aufrichtigen Wunsch, auch mit dem sowjetischen Volk zum Frieden zu kommen und den Auftakt für vertrauensvolle und dauerhafte Beziehungen zu geben.
Es ist schon eine eigentümliche Verdrehung und mißbräuchliche Darstellung, uns als Revanchisten zu bezichtigen, wenn wir darauf verweisen, daß Deutschland nach dem erklärten Willen der Siegermächte, einschließlich der Sowjetunion, bis zu einem Friedensvertrag mit einem wiedervereinigten Deutschland in den' Grenzen vom 31. Dezember 1937 fortbestehen soll. Wir erheben keinen Anspruch auf anderes Territorium und sind willens, auch die Grenzfragen im Osten ausschließlich auf dem Wege friedlicher Verhandlungen zu klären.
Während in unseren Landen niemand auf Revanche sinnt, ist -es eine verlogene Unterstellung, daß wir auch nur entfernt an gewaltsame Auseinandersetzungen mit unseren Nachbarn im Osten dächten. Genau das Gegenteil ist richtig. Wir lehnen den Krieg nicht nur deshalb ab, weil er einem Selbstmord gleichkäme, sondern weil er mit unseren politischen und moralischen Grundsätzen unvereinbar ist!
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Alle Welt weiß - dessen bin ich überzeugt -, daß wir den Frieden wollen. Auch unsere östlichen Nachbarstaaten wissen das sehr wohl. Keine politische Propaganda kann diese Wahrheit übertönen.
Wir begrüßen jeden Ansatzpunkt für eine Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses. Wir schätzen es auch, daß von sowjetischer Seite Zeichen einer solchen Bereitschaft erkennbar sind. Um so mehr bedauern wir, daß eine Aufgeschlossenheit gegenüber der deutschen Frage offensichtlich nicht besteht. Die Sowjetunion glaubt leider immer noch, daß ihren Interessen durch die Teilung Deutschlands besser als durch die Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes gedient sei.
Dies aber gerade ist das entscheidende Hemmnis für die Normalisierung der deutsch-sowjetischen Beziehungen. In dem Wunsch, gerade auf diesem Felde Fortschritte zu erzielen, habe ich erklärt, daß ich es, eine gleiche Bereitschaft von seiten des sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow vorausgesetzt, begrüßen würde, einen der Befriedigung dienenden Gedankenaustausch zu pflegen. Ich begrüße es, daß Herr Chruschtschow die Nützlichkeit eines solchen Gesprächs anerkannt hat.
Ich hoffe auch, daß ein solcher Besuch Herrn Chruschtschow vielseitige Gelegenheit geben wird, deutsche Vorstellungen kennenzulernen, und daß nicht zuletzt auch die Eindrücke, die er in Deutschland aus eigener Anschauung sammeln kann, ihm verdeutlichen werden, wie sehr der Wunsch des deutschen Volkes nach Wiedervereinigung die Grundlage unseres gesamten politischen Denkens und Handelns ist und sein muß.
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Der Besuch wird Herrn Chruschtschow auch- davon bin ich überzeugt - ein realistisches Bild von der politischen Gesinnung des freien Teiles des deutschen Volkes vermitteln. Vielleicht wird er dann darüber nachdenken, ob ein wiedervereinigtes Deutschland nicht auch für die Sowjetunion ein besserer Partner wäre als eine durch widerrechtliche. und widernatürliche Spaltung zur Unruhe verurteilte deutsche Nation.
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In unseren Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten können wir Ansätze zu einer positiven Entwicklung verzeichnen. Nach der Eröffnung einer Handelsvertretung in Warschau haben wir seither auch mit Rumänien, Ungarn und Bulgarien den Austausch von Handelsvertretungen vereinbart und neue Warenabkommen geschlossen, die West-Berlin einschließen. Wir hoffen, daß entsprechende Abmachungen auch mit der Tschechoslowakei getroffen werden können. Mit Jugoslawien haben wir im Juli dieses Jahres wirtschaftliche Abmachungen vereinbart, die zu einer Verbesserung der Beziehungen beitragen können. Wir hoffen insgesamt, daß die Errichtung deutscher Handelsmissionen in den ostBundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
europäischen Staaten der Verständigung mit diesen Völkern nützt. Die Tätigkeit amtlicher deutscher Vertreter sollte es beiden Seiten möglich machen, bestehende Vorurteile abzubauen und an traditionell gute kulturelle, wirtschaftliche und menschliche Beziehungen anzuknüpfen.
Unser Verhältnis zu Warschau ist verständlicherweise besonders wichtig und schwierig. Im Interesse beider Länder werden wir bemüht sein, daß Mißtrauen zu überwinden. Wir glauben, dem polnischen Volk die Überzeugung vermitteln zu können, daß, unbeschadet der bis zu einem Friedensvertrag noch offenen und dabei einvernehmlich zu klärenden Fragen, Deutschland niemals den Versuch machen wird, diese mit Gewalt lösen zu wollen.
Die Aufnahme amtlicher wirtschaftlicher Beziehungen zur Tschechoslowakei wird, wie wir hoffen, dazu beitragen, auch mit diesem Volke gutnachbarliche Beziehungen zu pflegen. Dieses Ziel müßte bei beiderseitigem gutem Willen um so eher zu erreichen sein, als es zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland - was ich hiermit erneut bekräftigen möchte - keine ungeklärten Grenzfragen gibt.
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Wir sind uns darüber im klaren, daß der Weg zur Verständigung mit den osteuropäischen Staaten lang und mühsam sein wird, besonders deshalb, weil ihre Regierungen glauben, der sowjetischen Politik folgen zu müssen, die das Recht des deutschen Volkes auf Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit leugnet. Wir werden deshalb nichts unversucht lassen, um den Völkern dieser Länder immer wieder vor Augen zu führen, daß nur die ungelöste Deutschlandfrage einer endgültigen Aussöhnung im Wege steht und darum eine baldige Regelung dieses Problems auch in ihrem eigenen Interesse gelegen wäre.
Ganz anders liegen die Dinge, was die sowjetische Besatzungszone Deutschlands betrifft. Was Herr Ulbricht - der immerhin sowjetischer Staatsbürger ist - und seine Helfershelfer in diesen Tagen auch zur Verherrlichung ihres Zwangsregimes sagen mögen, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß die Bevölkerung der Zone eine Gewaltherrschaft ablehnt, die weder deutsch noch demokratisch ist.
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Unsere Brüder an der Zone leben in der Hoffnung auf baldige Wiedervereinigung. Sie vertrauen und erwarten, daß es der Politik der freien Welt gelingen wird, dieses Ziel in Frieden und Freiheit zu verwirklichen. Die deutsche Regierung würde daher gegen ihre elementarste Pflicht verstoßen, wenn sie mit dem Gewaltregime der SBZ auch nur entfernt paktieren würde.
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In diesem Zusammenhang möchte ich auch feststellen, daß sich die Staats- und Regierungschefs der
Konferenz in Kairo - einer Konferenz übrigens, die
wachsende Bedeutung dieser Staaten ein der heutigen Welt zeigt - zum Selbstbestimmungsrecht der
Völker bekannt halben. Sie erklärten, „daß alle
Völker das Recht lauf Freiheit und die Wahl ihres eigenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen System haben müßten". Die deutsche Regierung erkennt mit großer Genugtuung das Verständnis an, das die ungebundenen Länder mit dieser Entschließung idem deutschen Volke und seinem Selbstbestimmungsrecht entgegenbringen.
Die Spannungen zwischen der Sowjetunion und Rotchina, die in den letzten Monaten zu vielen Spekulationen Veranlassung gaben, werfen Probleme auf, die wir nicht nach Maßstäben ides Tagesgeschehens beurteilen sollten. Zweifellos bahnen sich hier langfristige Entwicklungen an, die wir angesichts der Dynamik des Geschehens mit größter Aufmerksamkeit zu verfolgen haben, die uns aber für den Augenblick keine endgültige Stellungnahme abverlangen.
Etwas anderes sind unsere Wirtschaftsbeziehungen zu Rotchina zu beurteilen. Die Bundesregierung wird sorgfältig prüfen, ob, in welchem Umfang, zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Mitteln ein Ausbau ides Warenverkehrs politisch zu rechtfertigen ist. Wir werden gerade auch in dieser Frage mit unseren Verbündeten in ständiger Fühlungnahme bleiben.
Nun noch einige Worte zu Israel. Die Spannungen im Nahen Osten stellen nach wie vor einen Gefahrenherd für den Weltfrieden dar. Unsere NahostPolitik bedarf daher ganz besonderer Sorgfalt und Behutsamkeit. Wir haben in idiesem Gebiet keine politischen Sonderinteressen, sondern wünschen nur, daß seine Völker, mit denen wir gleichmäßig gute Beziehungen pflegen wollen, in einer friedlichen Ordnung wirtschaftliche und soziale Fortschritte erzielen können.
Unser Verhältnis zum Staate Israel ist nicht nur von politischen Erwägungen bestimmt. Es läßt sich nicht von der Bürde trennen, die der Nationalsozialismus idem deutschen Volke auferlegt hat. Wir haben versucht, zu heilen, was mit Menschenkraft geheilt werden kann. Aber wir wissen, daß kein noch so guter Wille das Geschehene vergessen läßt. Die Bundesregierung bedauert es aufrichtig, daß gewisse Vorgänge die fortschreitende Verbesserung ides deutsch-israelischen Verhältnisses gestört und in Israel Gefühle der Besorgnis ausgelöst haben. Um so mehr begrüße ich die jüngste Erklärung des israelischen Ministerpräsidenten vor der Knesseth. Ich verzeichne mit Dankbarkeit, daß sich Ministerpräsident Eschkol
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um Verständnis für die Lage Deutschlands bemüht.
Wir verstehen sehr wohl, daß die Tätigkeit gerade deutscher Wissenschaftler in Ländern, deren Verhältnis zu Israel außerordentlich gespannt ist, dort Bitterkeit und Erregung wachruft. Ministerpräsident Eschkol hat anerkannt, daß eine solche Tätigkeit von weiten Kreisen des deutschen Volkes verurteilt wird. In diesem Zusammenhang bedauert und mißbilligt die Bundesregierung jede Tätigkeit von Deutschen im Ausland, die zu einer Gefahr für den Frieden werden könnte.
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Ich füge dem hinzu, daß wir alle Möglichkeiten ausschöpfen werden, die dazu beitragen, dem israelischen Volke dais Gefühl der Bedrohung durch Deutsche zu nehmen.
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Ich kann meine Reide nicht abschließen, ohne ein Wort an die Opposition zu richten.
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Die Opposition versucht, den Anschein zu erwecken, in entscheidenden Fragen auf die Linie der Regierungspolitik eingeschwenkt zu sein,
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die sie lange Zeit erbittert, aber vergeblich bekämpft hat.
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Ich kann der SPD nicht die Feststellung ersparen, daß es redlicher und der Pflicht gegenüber dem Wähler angemessener wäre, dies endlich offen zuzugeben.
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Denn das ist ja die Wahrheit, daß sich in allen wesentlichen Bereichen der deutschen Innen- und Außenpolitik keine Konzeption der Opposition als brauchbar erwies.
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Nicht wir - Regierung und Koalition - haben von der SPD gelernt; sie hingegen versucht, uns zu kopieren.
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Die Sozialdemokraten wußten früher, daß zu einer Opposition die echte Alternative gehört.
({78})
In den ersten sieben Jahren unserer gemeinsamen parlamentarischen Tätigkeit boten sie eine solche Alternative. Sie war falsch, aber ehrlich.
({79})
Heute, nach dem Fehlschlag ihrer Alternative, wäre die SPD logischerweise gezwungen, der Regierungspolitik klar und mit allen Konsequenzen zuzustimmen.
({80})
Statt dessen möchte sie aber durch den Anschein, sie habe einen eigenen gangbaren Weg vorzuschlagen, wieder Profil gewinnen.
({81})
Für alle etwas mehr zu fordern und überall etwas mehr zu versprechen - das ist kein politisches Programm.
({82})
Das hat auch nichts mit den Aufgaben einer verantwortungsbewußten Opposition zu tun.
Manche kritische Äußerung aus dem publizistischen Bereich entspringt heute weniger mangelnder Übereinstimmung mit der Politik der Bundesregierung als der staatsbürgerlichen Überzeugung, daß die parlamentarische Opposition Staat und Gesellschaft seit Jahr und Tag ihren naturgegebenen Beitrag schuldig bleibt.
({83})
Damit ist eine gefährliche Entwicklung eingeleitet.
({84})
Für die Bundesregierung ist der Bundestag die verfassungsrechtliche Institution, vor der sie sich in erster Linie zu verantworten hat. Die Bundesregierung erachtet es als ihre selbstverständliche Pflicht, dem Parlament das zu geben, was des Parlamentes ist.
({85})
Dieses Hohe Haus soll und muß in unserem Staate
der Mittelpunkt unseres politischen Lebens bleiben.
Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. - Fortgesetzte Zurufe von der SPD.)
Wir treten in die Aussprache über die Regierungserklärung ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren!
({0})
Angesichts dieses Haushalts gebührt das erste Wort dem deutschen Volk, das durch Fleiß und Tüchtigkeit das geschaffen hat, was diesem Haushalt hier zugrunde liegt.
({1})
Das zweite Wort gebührt der Politik, geführt von dieser Bundesregierung, der Politik, die uns Frieden, Freiheit und Wohlfahrt sichert.
({2})
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesminister der Finanzen hat mit einer großen Rede, für die wir danken, pünktlich diesen Haushalt vorgelegt. Dieser Haushalt drückt die Arbeit, den Willen und die Politik der Bundesregierung sowie der sie tragenden Koalition aus. Darum ist es gut, daß Sie, Herr Bundeskanzler, durch Ihre ausgezeichnete Erklärung selber diese Debatte eröffnet haben. Wir stimmen Ihrer Erklärung zu, wir danken für diese Erklärung, und wir bekräftigen unser Ja zur Politik der Bundesregierung.
({3})
Ich bin froh, daß - dieses Mal wenigstens -, wie ich höre, anders als früher, die Opposition die Gelegenheit zu diesem parlamentarischen Gespräch sogleich nutzen wird. Das freut uns; denn wir haben, miteinander, dieses Parlament als den eigentlichen Ort des politischen Gesprächs in Deutschland zu erhalten. Wir sollten - wir alle miteinander - ernst nehmen, was in den letzten Wochen an Kritischem auch über unser Parlament gesagt worden ist; auch ernst nehmen, was sich an dritten Orten für das politische Gespräch in Deutschland zunehmend entwickelt. Ich meine, daß hier alle drei Fraktionen
angesprochen sind und ein gemeinsames Gespräch führen müssen.
({4})
- Ach, Herr Kollege Mommer, wegen der guten Ordnung des Hauses! Das scheint Ihnen ja furchtbar auf die Nerven zu gehen. Wir wollen uns doch hier in Ruhe aussprechen. Lassen Sie uns doch wenigstens einander zuhören; denn Parlament heißt ja nicht nur reden, sondern auch dem anderen zuhören, Herr Kollege Mommer.
({5})
Ich meine, wir müssen dann auch sprechen über ein lebendigeres, schnelleres Verfahren. Auch über die Länge der Sommerpause sollten wir einmal sprechen.
({6})
In diesem Zusammenhang habe ich noch eine Bitte an die Herren von der Presse, ohne die ja im deutschen Volk nicht das rechte Bild von seinem Parlament entstehen kann. Ich bitte Sie, dazu mitzuhelfen, daß sich wenigstens einige von uns noch den Luxus erlauben können, vornehmlich hier ihre Meinung zu sagen.
({7})
Meine Damen und meine Herren, die Kritik an der Arbeit des Hauses wird sicher nicht genährt durch das, wenn ich so sagen darf, etwas sehr lebendige Gespräch innerhalb der Koalition. Ich glaube, daß diese Kritik viele Ursachen hat; ich meine, eine wesentliche Mitursache liegt darin, daß der Führer der Opposition nicht selbst hier mitarbeitet,
({8})
daß er mit dem guten Flair Berlins via Fernsehen direkt auf den Stuhl des Bundeskanzlers möchte. Der Führer der Opposition äußert sich vornehmlich vor dem Fernsehschirm, auf Kundgebungen.
({9})
- Aber, Herr Kollege Wehner, den Herrn Bundeskanzler können Sie hier -
Herr Dr. Barzel, einen Augenblick! Herr Abgeordneter Wehner, ich bitte doch, solche harten Ausdrücke wie „schwätzen" zu unterlassen.
({0})
Herr Kollege Wehner, mit dem Bundeskanzler Ludwig Erhard können Sie hier diskutieren. Mit dem Kanzlerkandidaten der Opposition können wir hier nicht sprechen. Das beklagen wir, und das wollen wir hier einmal aussprechen.
({0})
- Ach, Herr Kollege Mommer, ({1})
bleiben Sie doch beim Zuhören. Wir hören ja nachher auch dem zu, was Sie sagen.
Ich würde gern den Kollegen Brandt hier einiges fragen, z. B. nach seiner Rede in Bochum. Ich würde ihn auch gern fragen, was er in einer anderen Rede mit diesem Satz meinte, den ich hier zitieren möchte:
Der Stand der Dinge zwischen Ost und West ist nicht mehr ausschließlich vom Freund-FeindVerhältnis bestimmt.
Ich würde gern so etwas mit ihm besprechen. Der Führer der Opposition ist uns ein Gespräch schuldig. Er ist nicht hier anwesend, und das beklagen wir.
({2})
- Aber, Herr Kollege Wehner, daß Sie jetzt Bemerkungen auf einem Nebenkriegsschauplatz machen, - - Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung eingangs an die denkwürdige Rede des früheren Reichstagspräsidenten und Alterspräsidenten des ersten Bundestages Paul Löbe vom 7. Dezember 1949 erinnert. Ich will dieses Zitat nicht verlängern. Aber ich meine, daß wir vor dem Hintergrund dieser Rede eine gute Bilanz ziehen können. Fünfzehnmal hat dieses Haus den Bundeshaushalt diskutiert und verabschiedet. Es ging bergauf, Haushalt auf Haushalt; nicht eine Periode des Stillstands oder des Rückschritts war und ist dazwischen. Die Fraktion der CDU/CSU ist - das werden Sie verstehen -froh olb dieser Bilanz; denn sie ist es, die die längste Periode der demokratischen Geschichte Deutschlands verantwortlich führen durfte. Dabei erkennen wir dankbar an, daß uns in mehr als der Hälfe dieser Zeit mit der FDP gemeinsame erfolgreiche Arbeit verband und verbindet.
Es ist, meine Damen und meine Herren, der Politik - leider nur im freien Teil 'Deutschlands - gelungen, der Energie und dem Fleiß des deutschen Volkes in allen seinen Schichten Raum zu geben, diese Energie und diesen Fleiß voll zur Auswirkung kommen zu lassen. Ein Blick in ,die Wirklichkeit der Zone zeigt, daß man beides braucht: ein gutes Volk u n d eine gute Politik.
Es kann nicht schlecht bestellt sein um unsere Entwicklung, wenn sogar der Führer der Opposition, der Herr Regierende Bürgermeister von Berlin, Brandt, am 5. Oktober 1964 dem Herrn Bundeskanzler in Berlin erklärte - ich zitiere -, „daß es zur Zeit keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Berlin
gebe und daß die Stadt keine besonderen Sorgen drückten." Ich danke für dieses Kompliment.
({3})
Sollte die Opposition gleichwohl den Erfolg unseres Weges bestreiten, so sollte sie, bevor sie das tut, auch dieses bedenken: zum einen die Hemmnisse, die Sie selber uns in den Weg legten; zum anderen die Ergebnisse 'sozialistisch regierter Länder in Europa. Schließlich darf ich vielleicht - noch kann man es wohl mit Schmunzeln tun, weil das Ergebnis nichtbekannt ist - darauf hinweisen, daß im britischen Wahlkampf die Labour Party den Konservativen auch vorwarf, es sei ihnen nicht gelungen, den Wohlstand so zu entwickeln, wie wir ihn haben. Wir haben - und das muß man doch wirklich als Tatsache gelten lassen - Vollbeschäftigung, wir haben steigende Reallöhne, steigende Sozialleisungen, wir haben wachsende Freizeit, wir haben ein gesundes wirtschaftliches Wachstum und eine gute internationale Geltung. Der Bundesminister der Finanzen hat im einzelnen die Daten genannt. Ich glaube, die Bilanz ist überzeugend; und es bleibt mir in der Tat unerfindlich, wie die Opposition in ihrer ersten offiziellen Stellungnahme, einer Presseverlautbarung zu dieser Rede des Herrn Bundesministers der Finanzen, vom Jahre 1951 als der Stunde Null sprechen konnte. Wer so spricht, der weiß nicht, was 1945 war, und der weiß nicht, was von 1945 bis 1951 das deutsche Volk geschaffen hat.
({4})
Der Haushalt für 1965 sieht wiederum, wie nun schon traditionsgemäß bei uns, eine besondere Steigerung der Sozialausgaben vor. Wir begrüßen das und werden das realisieren. In diesem Zusammenhang hoffen wir, Herr Bundeskanzler, daß die Beratungen über die so wichtige Sozialenquête zügig vorangehen. Es stellt sich nämlich immer mehr auch die Frage, ob unser Sozialaufwand schon heute beim einzelnen die höchstmögliche Effizienz bewirkt. Die wissenschaftliche Durchleuchtung all dieser Phänomene wird für 'die praktische Politik und, ich meine, für uns alle immer dringlicher.
Wir werden, Herr Bundeskanzler, Ihren Appell und den Appell des Finanzministers, bei den Beratungen des Haushalts 1965 immer auf den Einfluß des Bundeshaushalts auf die Gesamtentwicklung, auf die Konjunktur, auf die Beschäftigung und auf den Wert des guten deutschen Geldes Bedacht zu nehmen, beherzigen und berücksichtigen. Wir erklären auch hier: wir können nicht alles auf einmal, wenn wir nicht das Erreichte aufs Spiel setzen wollen.
({5})
Meine Damen und Herren, wir beraten einen Haushalt für das nächste Jahr. Darum sollten wir in dieser politischen Aussprache den Blick auch in die Zukunft richten. Drei große Aufgaben bleiben uns durch das Grundgesetz selbst gestellt: die Wiedervereinigung, die Einigung Europas, der Ausbau des sozialen Rechtsstaates. In allen drei Richtungen ist die Bundesregierung aktiv und mit Erfolg bemüht.
Ich fürchte, daß wir trotz unserer Bereitschaft, den Frieden - der Herr Bundeskanzler hat es unterstrichen - durch kontrollierte Abrüstung und durch Beseitigung der Spannungsursachen zu sichern, den Frieden in Freiheit nur durch ausreichende Zurüstung, glaubhafte Abschreckung und eine Politik wirksamer Bündnisse werden sichern können. Also bleibt Verteidigung Priorität. Die NATO bleibt essentiell wie die militärische Anwesenheit der USA. Unsere Bundeswehr verdient weiter Dank, Hilfe und Vertrauen.
Anläßlich der NATO-Tagung in Den Haag hat die Bundesregierung erneut die Unterstützung unserer Freunde im politischen Kampf um die Selbstbestimmung aller Deutschen erhalten. Gestützt darauf, begrüßen wir die Ankündigung des möglichen Besuchs des Herrn sowjetrussischen Ministerpräsidenten. Wir erwarten von diesem Besuch kein Wunder, aber doch Fortschritte. Das Dokument der Bundesregierung vom 21. Februar 1962 - in Moskau übergeben, aber bisher kaum beantwortet - könnte eine gute Basis für dieses Gespräch abgeben. Wir würden es begrüßen, wenn mit unseren Verbündeten ein konkretisierter und aktualisierter Vorschlag zur Lösung der deutschen Frage durch Selbstbestimmung vertraulich erarbeitet und bis zum Besuch Chruschtschows fertiggestellt würde. Die Vorarbeiten der Botschafterlenkungsgruppe in Washington sollten weiter vorangetrieben werden. Unter dem Dach der Vier und zum Zweck der Überwindung des Status quo ließe sich auch in Deutschland einiges einrichten, aber nur so. Ich nehme an, daß Moskau selber ein Interesse daran haben wird, den Fall Schwirkmann durch voll ausreichende Erklärungen abzubauen. Ebenso nehme ich an, daß Moskau ein Interesse haben wird, das dpa-Büro in Moskau wieder zu eröffnen. Meine Damen und meine Herren, der Status quo steht gegen Deutschland wie gegen Europa. Er ist - wir stimmen dem Bundeskanzler darin zu - auch nicht im Interesse der Sowjetunion. Wir müssen ihn auch dadurch überwinden, daß wir durch Einwirken einen „Status quo plus" in den Realitäten erreichen. Die Begegnungen im unfreien Teil der deutschen Hauptstadt, die Besuche der Rentner, die Freilassung von Gefangenen, der Bau der Saalebrücke - um nur das zu nennen - stärken die Realitäten und wirken wider den Status quo. Hier ist die Wirkung das Maß und nicht die Lautstärke.
Aber in diesem Zusammenhang: Wir hoffen, daß wir vor weiteren Überraschungen über das wirklich Gemeinte ebenso verschont bleiben wie vor unrichtigen Erklärungen des Senats aus Berlin.
({6})
- Eine Sekunde, Herr Kollege.
Wir ermuntern die Bundesregierung, initiativ zu bleiben und die besonderen Chancen dieses Zeitpunktes zu nutzen und immer wieder aus der Rolle des Befragten in die des Fragers zu wechseln. - Bitte, Herr Kollege Wehner.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte.
Ich wollte Sie fragen, Herr Dr. Barzel, ob Sie mit dieser Bemerkung die Maßnahmen und die Haltung der sowjetzonalen Machthaber auf eine Stufe mit Maßnahmen und Erklärungen des Berliner Senats stellen wollen. Ich möchte das gern erklärt wissen. Ich habe Sie vielleicht nicht richtig verstanden, als Sie das mit einem Bindestrich hier erwähnten.
Herr Kollege Wehner, diese Frage enthält in sich so viele Unterstellungen,
({0}) daß ich es ablehne, darauf zu antworten.
({1})
- Herr Kollege Wehner, ich glaube, daß das, was ich hier sagte, völlig klar war.
({2})
Wenn Sie die Unterstellung in Ihrer Fragestellung zurückziehen, dann bin ich gern bereit, zu sagen, daß ein solcher Gedanke Ihnen - wie ich hoffe - genauso fernliegt, wie er mir immer ferngelegen hat und fernliegt.
({3})
Meine Damen, meine Herren! Wir unterstreichen, was der Kanzler über die Mauer in Berlin sagt: Diese Mauer bleibt eine Frage an ihre Erbauer ebenso wie die Fremdherrschaft über einen Teil unseres Landes. Wir meinen, wenn wir diese Politik der Stärkung der Realitäten sehen, daß es gut wäre, wenn die Bundesregierung die Frage der Medikamentenverordnung, der zurückgehaltenen Kinder, des Sportverkehrs, des Zeitungsaustausches - um nur das zu nennen - erneut in geeigneter Weise stellt, ohne natürlich hierbei irgendwie in Fragen der juristischen Position hereinzukommen.
Wir meinen zum weiteren, daß es sicher gut wäre, wenn die Bundesregierung vielleicht in der Form einer Klageschrift, einmal an Hand der Menschenrechtserklärungen der Vereinten Nationen die Verletzung der Menschenrechte unserer Landsleute drüben belegen und weltweit kundmachen würde. Ich glaube, daß es so leichter wäre, die Positionen zu halten wie auch weiter alle an die Freundespflicht zu erinnern, die heißt: Wer unser Freund ist, kann nicht zugleich der Pankows sein. Wir meinen, daß auch die zuständigen Stellen die leidige Frage der Patenschaften von Städten unserer Verbündeten mit Orten in der SBZ ansprechen und ernsthaft diskutieren sollten.
({4})
Bei all diesen Dingen möchte ich, damit sich nicht irgendwo ein falsches Bild entwickelt, doch daran erinnern, daß wir weiter wissen: wir haben es mit Kommunisten zu tun, mit Feinden der Freiheit, die uns ans Leder wollen. Gleichwohl werden wir weiter die Bemühungen der Bundesregierung unterstützen, die sie in den kommunistisch beherrschten Ländern Mittel- und Osteuropas unternimmt. Da dort neben dem Einfluß Moskaus immer mehr auch der Rotchinas spürbar wird, sollte schon aus diesem Grunde in unseren Überlegungen Peking immer seinen Platz haben.
Wir meinen, daß alles das dazu beitragen kann, nicht abzuwarten, sondern einen Zeitpunkt herbeizuführen, zu dem die durch Einwirkung veränderten Realitäten so stark gegen den Status quo stehen, daß dieser fällt. Es liegt an uns, die Realitäten, die die Kommunisten setzen, zu unseren Gunsten zu verändern. Unsere Festigkeit im Prinzipiellen, unser unbezweifelbares Festhalten an den rechtlichen Positionen erlaubt uns diese Beweglichkeit in den Methoden, und darum sagen wir auch dies: Nicht „Wandel durch Annäherung", sondern „Änderung durch Einwirken" ist die richtige Politik.
({5})
Meine Damen und Herren, ein Wort zu den jungen Menschen in der Zone. Sie haben sich - und wir sollten das der Welt sagen und die Verpflichtung, die aus dieser Haltung spricht, selbst übernehmen - nicht arrangiert. Trotz antireligiöser Pädagogik, trotz Zwangs zur Jugendweihe wächst die Zahl jugendlicher Kirchgänger. Trotz aller Angebote zur sozialistischen Feierabendgestaltung wird die Freizeit privat genutzt. Trotz verordneten Geschmacks haben die jungen Menschen westliche Musik und westliche Tänze durchgesetzt. Trotz „Staatsjugend" - und wir wissen, was das bedeutet - sinkt die Mitgliederzahl der FDJ. Trotz Todesstreifen fliehen gerade junge Menschen unter Lebensgefahr. Diese Jugend nimmt uns in die Pflicht, vom Unrecht an Deutschen in Deutschland nicht zu schweigen, sondern für sie davon zu sprechen
({6})
und niemals unsere Wohlfahrt zu erkaufen um den Preis der Menschenrechte unserer Landsleute. Das gilt auch, wenn irgendwann eben dies, etwa unter einer Überschrift wie „Entspannung", von uns verlangt werden sollte.
Meine Damen und meine Herren! Die Entwicklung im kommunistisch besetzten Teil Europas läuft ganz anders, als die Kommunisten es wollten und dachten. Das Nationale gewinnt wieder an Bedeutung, wie die Kraft der Religion und die der Familie bleibt. Die menschliche Natur hat dem Kommunismus in diesen Bereichen einen Bewegungsspielraum abgetrotzt, der eines Tages Freiheit heißen könnte. Die Kommunisten, im Zwange, ihre ökonomische Basis zu stärken, beginnen zu ahnen, daß Produktivität sich nicht befehlen und erzwingen läßt. Die Konsequenzen ziehen sie bitter, und sie tun es gegen ihr Programm.
Ich sage dies, weil ich möchte, daß wir nicht einstimmen, daß keiner von uns einstimmt in den „Chor der Blinden", die ob dieser erregenden Phänomene meinen, der Kommunismus hätte sich gewandelt. Was sich gewandelt hat, ist dies: Die Völker haben ihren kommunistischen Zwingherren ein Stück Bewegungsraum abgetrotzt, und in der Pflicht
dieser Völker sind wir und nicht in der der kommunistischen Unterdrücker.
({7})
Meine Damen! Meine Herren! Bei dieser Lage, wo wir die Chance haben, das Humanum auch dort zu stärken, wo Kommunisten regieren, sollte der Westen mehr noch als bisher gemeinsam handeln, auch bei den Krediten, auch beim Kulturaustausch, auch bei der Harmonisierung der Art und des Tempos dieser Politik wie bei der Aufteilung der Aufgaben. Die Bundesregierung hat unsere Unterstützung für eine solche gemeinsame westliche Politik, und sie ist herzlich von uns ermuntert, die Vorhaben und Initiativen weiter fortzusetzen.
Damit wir uns aber hier recht verstehen: Nichts zwingt uns, durch nichts sind wir gezwungen, etwa zugunsten dieser aktiveren Politik irgend etwas aufzugeben von unserer prinzipiellen Position in der deutschen Frage. Nichts zwingt uns, etwas aufzugeben zugunsten einer aktiveren Ostpolitik. Unsere Politik der Einigung Europas und der atlantischen Gemeinschaft - alles dies bedingt einander - ist eine Sache, nämlich europäisch und freiheitlich gedachte deutsche Politik. S
({8})
Bei alledem unterstreichen wir auch, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung andeutete: daß Moskau ein Platz Europas ist und wir mit dem russischen Volk noch manches zu bereinigen haben.
Damit aber nun gar kein Mißverständnis aufkommen kann, möchte ich noch folgendes erklären, und ich tue dies auch auf Grund eines Gerüchts, das aus Berlin in diesem Zusammenhang gegen mich verbreitet worden ist: Die rechtlichen, die moralischen und die historischen Argumente der Nichtanerkennung der Zone wie der Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Linie sind bekannt, sie gelten fort und sind durch den Deutschlandvertrag verbindlich. Es gibt keinen Grund, diese Position zu ändern. Im Gegenteil! Wenn die Analyse der Verhältnisse in Ost- und Mitteleuropa stimmt, dann haben wir die Pflicht, die europäische Funktion unserer Politik der Nichtanerkennung zu begreifen und fest zu beziehen.
({9})
In der Pflicht dieser Völker, von denen viele Menschen ein Stück ihrer eigenen Hoffnung darauf setzen, daß wir uns nicht mit den von den Kommunisten geschaffenen Tatsachen arrangieren, und viele hoffen, daß, solange die Deutschen sich nicht mit dem abfinden, was die Kommunisten schufen, eine westliche Dynamik gegen den Status quo erhalten bleibt, in der Pflicht dieser Völker sollten wir die europäische Funktion der Politik der Nichtanerkennung beziehen. Denn solange wir das tun, halten wir dort mehr als Hoffnung aufrecht.
Ich möchte zu den anderen Fragen, die der Herr Bundeskanzler in diesem Teil seiner Regierungserklärung angeschnitten hat, nichts sagen als dies: Er sprach von Warschau und Polen. Wir wissen, daß nicht nur 11 Millionen Deutsche durch die Sowjetunion vertrieben sind, sondern auch 3,5 Millionen
Polen. Wir sind zum Ausgleich auf der Basis des Rechts bereit. Könnten alle Völker Europas, könnten alle Nachbarn frei sprechen, nichts stünde dem Weg der Verständigung im Wege. Gerade so gesehen bleiben unsere Position der Selbstbestimmung, unsere Position in der Frage der Oder-Neiße-Linie - die nicht mehr ist als eine Demarkationslinie; wir stehen zu der Erklärung des Kanzlers hierzu - Positionen von hohem europäischem Rang. Dies allerdings ist der unbequemere Weg. Bequemer - aber das wäre dann das Bezahlen des Heute mit dem Morgen, wie der Bundeskanzler gesagt hat - wäre das, was der eine oder andere uns in einer Illustrierten nahebringt.
Zum zweiten! Anders als früher bestreitet heute niemand mehr, daß die Politik zur Wiedervereinigung unser Mühen um die Einheit Europas nicht nur nicht ausschließt, sondern erfordert. Wir danken Ihnen, Herr Bundeskanzler, daß Sie den Mut und die Beharrlichkeit aufgebracht haben, allen Widerwärtigkeiten zum Trotz das europäische Gespräch zu beleben, den toten Punkt zu überwinden und alle an diesen Punkt weiterer gemeinsamer Schritte heranzuführen.
({10})
Ihr realistisches Konzept in dieser Frage findet unsere Zustimmung. Wir sagen ja dazu, weil es die heute möglichen Schritte empfiehlt, ohne den Weg zu dem größeren Ziel zu verbauen. Wir hoffen, daß alle Mitgliedstaaten der EWG mitmachen werden. Indem die Sechs - alle Sechs - voranschreiten, beleben sie auch - dessen bin ich sicher - das angelsächsische Interesse an Europa neu.
Wir freuen uns, Herr Bundeskanzler, daß es gelungen ist, das Klima zwischen Paris und Bonn wieder zu verbessern. Die deutsch-französische Freundschaft bleibt die Basis unserer Politik. Hier ist noch ein weites Feld nicht ausgeschöpfter praktischer Möglichkeiten gemeinsamer Politik. Die Bundesregierung ist unserer Unterstützung hierfür sicher.
Zugleich hoffen wir, daß die Bundesregierung wie bisher ihren konstruktiven Beitrag zum Erfolg der „Kennedy-Runde" wie zum Abschluß der MLF leisten wird. Die weitere atlantische Verzahnung macht immer mehr den Atlantik zu einem Binnenmeer unserer Zeit und damit die Anwesenheit der amerikanischen Truppen hier zu einer erwünschten und dankenswerten Selbstverständlichkeit. Wir begrüßen diese Entwicklung, denn die USA bleiben unser wichtigster Verbündeter.
Gerade weil die USA durch die Aggressivität Rotchinas besonders und weltweit engagiert sind, müssen wir Europäer endlich mehr Verständnis für den Wunsch der USA .nach einem einigen Europa als atlantischem Partner aufbringen.
({11})
Der Rang Europas in der Welt wie in der NATO wird von Europa selbst bestimmt, durch den Grad seiner Vereinigung. Wir meinen deshalb, daß jetzt der Zeitpunkt ist, daß die Mitgliedstaaten der EWG einen weiteren Schritt tun sollten, um diese Gemeinschaft weiter attraktiv zu machen. Die Bundesregierung kann der Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion
sicher sein für alle Schritte, die zu vermehrter Gemeinsamkeit in Europa führen. Das heute Mögliche jetzt zu tun, ist auch für Europa besser, als auf ein glücklicheres Morgen zu warten. Inzwischen sehen auch unsere Kritiker, wie unlösbar der Zusammenhang zwischen westlicher Einigung und Fortschritten gegenüber den Kommunisten ist. Ich füge deshalb hinzu - um hier einmal ein Mißverständnis von hinten auszuräumen -, daß sich ohne die Politik westlicher Stärke, die ein Hauptteil auch in Kennedys „Strategie des Friedens" ist, der östliche Polyzentrismus, wie man es nennt, nicht so und nicht in diesem Tempo entwickelt hätte.
Hinter allem steht doch, daß die ökonomische Basis der Kommunisten zu schwach ist, weil sie militärisch zu sehr beansprucht wird.
({12})
Meine Damen, meine Herren, die kommunistische These vom „Vorrang der Ökonomie" zeigt, daß diese Basis zu schwach ist. Diese These ist nicht zufällig, sie ist eine der Folgen der Politik westlicher Stärke.
Nun zum dritten, zum Ausbau des sozialen Rechtsstaates. Meine Damen, meine Herren, vieles ist schon erreicht, Weiteres bleibt zu tun. Die Wiederaufbauphase hatte ihre eigenen Prioritäten. Sie geht zu Ende. Vor uns steht eine Periode, von der wir meinen, daß es die des sozialen Ausbaues und der kulturellen Gestaltung sein sollte.
Wir wollen - ich sage es ganz ehrlich und ermutigt insbesondere durch die Ergebnisse der letzten Tage innerhalb der Koalition - in dieser Legislaturperiode noch möglichst viele der anstehenden Gesetze verabschieden und hoffen für die Verabschiedung des Notstandsrechts und die wesentlichen Punkte in diesen Gesetzen auf die Zustimmung auch der Opposition.
Schwerpunkte des innenpolitischen Programms werden weiter in der Bildungs-, in der Familien- und in der Eigentumspolitik sowie im Straßenbau, in der Flüchtlingsgesetzgebung und in der Förderung des bäuerlichen Familienbetriebs liegen. Wir unterstreichen erneut: Wir bekennen uns zu zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 19. März 1964, die das Festhalten am deutschen Getreidepreis zum Inhalt hat.
Hier und da sind im deutschen Volk Unruhe und Besorgnis wegen des Wohnungsbaues entstanden. Hierzu möchte ich in aller Form für die Fraktion der CDU/CSU folgendes erklären. Erstens: Es wird weiter gebaut, der soziale Wohnungsbau wird weiter gefördert.
({13})
Zweitens: Wir denken nicht daran, Menschen aus Sozialwohnungen herauszusetzen. Ich erwähne dies auch, weil draußen im Lande hierzu oft eine falsche und böswillige Propaganda betrieben wird.
Darum auch diese Zahlen: Das Jahr 1964 wird ein Rekordjahr des Wohnungsbaues werden. 600 000
Wohnungen werden erstehen. Seit 1953 wird in der Bundesrepublik jede Minute eine Wohnung fertig.
({14})
- Aber, Herr Kollege Wehner, wollen wir uns hier vielleicht über die schwedische Wohnungsbausituation unterhalten? Das wäre nicht richtig.
({15})
Ich darf einmal die deutschen Erfolge erwähnen. Wir haben über 21/2 Millionen Familienheime gebaut. 1939 hatten wir 3,8 Einwohner je Wohnung, während es 1962 noch 3,3 waren. Herr Kollege Wehner, ich gestehe gern - vielleicht verstehe ich Ihren Einwand richtig -, daß dies alles, wie ich in meinem ersten Satz sagte, das Gemeinschaftswerk des deutschen Volkes ist. Dies alles wurde aber möglich durch eine kluge Politik, die uns bis hierher geführt hat.
({16})
Eine andere Frage, die ich eben noch aufgreifen muß, weil die Opposition sicher erneut darauf zu sprechen kommen wird, ist die Finanzreform. Wir haben mit Freude zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten gesprochen und mit ihnen gemeinsam eine Kommission von sogenannten vier Weisen eingesetzt hat, die erst einmal die Aufgabenverteilung prüfen soll.
({17})
- Wenn die Opposition das beklagt, Herr Kollege Schäfer, dann kann sie sich mit ihrem Tempo und ihrer Beschleunigung mindestens in ebensolchem Umfang, wie sie sich hier betätigt, in den sozialdemokratisch regierten Ländern betätigen und sich vielleicht auch bei dem Mitglied der Kommission der vier Weisen, das Ihnen nahesteht, ein bißchen mehr erkundigen. Wir freuen uns auch zu hören, daß die Vorarbeiten für eine längerfristige Finanzplanung voranschreiten.
Noch zwei Punkte in diesem kurzen innenpolitischen Teil. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung sich seit zwei Jahren verstärkt um Hilfe für das Zonenrandgebiet bemüht. Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU unterstützt das. Sie sieht hierin einen weiteren innenpolitischen Schwerpunkt und erwartet weitere Vorschläge der Bundesregierung.
Wir begrüßen besonders, daß der Bundeskanzler heute morgen die Gelegenheit genommen hat, hier im Hause zu einigen Fragen der Bundesbahn Stellung zu nehmen. Ich möchte dazu nur sagen, daß auch wir nicht daran denken, uns die gestern publizierten Vorschläge zu eigen zu machen. Wir wollen weiter die bewährten Dienste unserer Eisenbahner in Anspruch nehmen, auch im Personenverkehr, auch auf kleinen Bahnhöfen.
({18})
Ich komme zum Schluß. Die Fraktion der CDU/CSU wird weiter diese Bundesregierung unterstützen. Wir werden diese Koalition fortsetzen. Wenn der Herr Regierende Bürgermeister von Berlin erklärt, die deutsche Hauptstadt habe keine Sorge, so ist das
ein Indiz dafür, daß die Bundesregierung auf dem rechten Weg ist.
({19})
Aber ich muß nun, damit der Kreis sich schließt, noch einmal auf den Führer der Opposition zu sprechen kommen, diesmal in seiner Eigenschaft als Kolumnist. In seiner letzten, ich glaube, etwas lyrischen Kolumne im „Stern", wo er uns ermuntert: „Schaut nach Norden", hat er uns ein Ziel gesetzt und dem deutschen Volk ein Paradies verkündet, nämlich: Deutschland nach schwedischem Muster. Meine Damen und meine Herren, wir bedauern, daß wir so gezwungen sind, innenpolitische Dinge eines befreundeten Landes hier kontrovers zu erörtern. Aber hier ist ein böser Anfang gemacht. Wenn ich Ihnen, Herr Kollege Erler, noch einen Tip gleich für Ihre Rede geben kann,
({20})
dann darf ich Ihnen sagen, daß der Weg über Stockholm nach Rom wahrscheinlich erheblich gestört sein wird. Wenn Sie genau wissen wollen, was ich meine, lesen Sie vielleicht die „Stimmen der Zeit" hierzu nach.
Meine Damen und Herren, wir haben hier die Daten über die Entwicklung in Schweden. Wir sind bereit, die Debatte über die Entwicklung in Schweden aufzunehmen. Ist das im Interesse der ganzen Sache, wenn wir hier Datum auf Datum vergleichen und die Innenpolitik eines befreundeten Landes durchgehen? Ich kann es tun. Wir haben die Daten hier. Ein paar Kollegen kommen gerade aus Schweden zurück. Sie sind bereit, Ihnen das Material, die Zahlen aufzublättern. Aber ich hoffe doch, daß durch eine tunliche Erklärung der Opposition diese Debatte noch verhindert werden kann und wir nicht weiter gehalten werden, die sozialdemokratischen Antworten auf die deutschen Fragen von heute nach schwedischem. Vorbild zu bekommen.
({21})
Ich habe nichts gegen die Schweden - ({22})
- Wenn das die ganze Erklärung ist, die sie hierzu zu geben haben, Herr Kollege Erler, dann würde schon bald jemand mit der albernen Retourkutsche kommen können, nachdem nun bei uns die „Gaullisten" und „Atlantiker" gestorben sind, vielleicht nun bei Ihnen die „Römer" und die „Schweden" auseinanderzudividieren.
({23})
Ich möchte nochmals sagen, daß es Mir gut schiene, diese Debatte zu vermeiden. Wir haben in Schweden einen wichtigen Freund. Aber wir haben hier unsere Probleme und müssen unsere Antworten geben.
({24})
Aber, Herr Kollege Erler, nehmen Sie zur Kenntnis, daß wir ob dieses Artikels Sie etwas fragen den Herrn Regierenden Bürgermeister können wir ja nicht fragen -, nämlich: ob etwa indirekt dieser Hinweis „Schaut nach Norden" und die Formulierung eines der vorletzten Absätze irgendein Hinweis auf das Vorbild auch der Bündnisfreiheit sein könnte. Hierzu erwarten wir, erwartet das deutsche Volk die Antwort ,der sozialdemokratischen Fraktion.
({25})
Unsere Bilanz ist positiv. Die Koalition hat das menschenmögliche getan. In dem Maße, in dem die Opposition das Unmögliche und alles zugleich fordert, in dem sie uns fremde Wege weist, bestätigt sie: wir sind auf dem rechten Wege.
Wir gehen mit Zuversicht auch in die Zukunft, - mit dieser Regierung, mit ihrem Erfolg und mit ihrer Erfahrung.
({26})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ursprünglich hatten wir angenommen, daß vielleicht nach der Rede des Herrn Bundeskanzlers eine Unterbrechung der Sitzung nötig werden würde, um sich mit neuen, dem Hause bisher unbekannten Gedanken und Tatsachen zu beschäftigen.
({0})
Dazu bestand kein Anlaß, weil es außer allgemeinen Bekenntnissen sehr wenig präzise Aussagen gab und kaum etwas Neues zu hören war.
({1})
Sie wollten durch die Art des Aufzugs der Debatte die Erfüllung der Aufgabe einer politischen Durchleuchtung des Bundeshaushalts verhindern. Das ist danebengegangen. Diese Durchleuchtung findet, wie es sich gehört, in der nächsten Woche statt.
Sie haben heute - das war von Anfang an zu erkennen - diese Debatte als eine Art Einigkeitsfest der Koalition angelegt. Das war auch dringend nötig, nachdem es vorher einige Uneinigkeitsfeste gegeben hatte.
({2})
Mit Napoleons Mutter kann man da nur sagen: pourvu que ça dure!
({3})
- „Hoffentlich dauert's!", wenn Sie es genau wissen wollen.
Für dieses Einigkeitsfest brauchen Sie zwei Dinge, die heute in reichlichem Maße serviert wurden: einmal eine selbstgefällige Rückschau auf die Gemeinschaftsleistung unseres ganzen Volkes und zweitens einen wortreichen Angriff auf die Sozialdemokraten. Sie brauchen diese beiden Dinge, weil Sie in dem, was heute und morgen praktisch zu tun ist, selber heillos zerstritten sind.
({4})
In einer Reihe von Fragen ist es Ihnen nicht einmal gelungen, noch vor dieser Debatte die Gegensätze unter den Teppich zu kehren. Aber selbst die unter dem Teppich liegenden Gegensätze sind eine unbequeme Grundlage für einen Marsch zum Sieg - die kommen nämlich doch wieder zum Vorschein.
({5})
An den polemischen Ton des Herrn Bundeskanzlers sind wir ja durchaus gewöhnt. Er ist zur Demonstration der Einigkeit in der Koalition nötig, weil es ja außer dem Gegensatz zur SPD nichts gibt, was Sie überhaupt noch einig hält, meine Damen und Herren von der Koalition!
({6})
Aber dieser polemische Ton ist kein Ersatz für die Lösung der heute anstehenden großen Fragen.
({7})
Wenn die Bundesregierung meint, daß die politische Diskussion wichtiger Fragen - statt sie der Bevölkerung vorzuenthalten - ein politischer Krawall sei, so geht das doch wohl an den wirklichen Aufgaben dieses Hauses und an der Notwendigkeit der Wachsamkeit der Opposition völlig vorbei.
({8})
Allerdings verstehe ich den Zorn des Kanzlers; denn mindestens einige Regierungsmitglieder scheinen das Monopol für politische Krawalle selber in Anspruch nehmen zu wollen.
({9})
Sicher sehnt sich der Wahlkämpfer Erhard nach den Zeiten zurück, als sein Vorgänger die Sozialdemokratie als „Untergang Deutschlands" diffamierte und dabei leider auch mehr Glauben fand, als unserem Volke dienlich war. Diese Zeit, darauf können Sie sich verlassen, gehört der Vergangenheit an, die werden Sie auch mit den größten rhetorischen Kunststücken nicht wieder lebendig machen können.
({10})
Erfreulich an der Regierungserklärung war die Aufzeichnung des Rahmens, in dem in den großen Lebensfragen der Nation die verantwortlichen politischen Kräfte zusammenstehen - ich hätte allerdings dabei gern etwas genauer gewußt, ob sich das auch immer auf die ganze Regierungskoalition bezieht -, und zum zweiten das Bekenntnis - bis in die Worte hinein - zu den Gemeinschaftsaufgaben. Ich fand mich sehr an das sozialdemokratische Regierungsprogramm von 1961 erinnert,
({11})
das ja damals von Ihnen mit Spott und Hohn übergossen wurde. Sicher sind wir uns einig darin, daß uns - ({12})
- Bei Ihnen konnten wir nicht abschreiben, weil Sie ja stolz darauf sind, gar kein Programm zu haben; das haben Sie draußen immer verkündet.
({13})
Sie halten den jeweiligen Kanzler durchaus als Ersatz für brauchbar. Manchmal hat es geholfen, aber immer langt es nicht. Verlassen Sie sich darauf!
({14})
Wir sind uns einig darin, daß es keine Allzuständigkeit des Staates geben darf. Auch das steht im Godesberger Programm, meine Damen und Herren. Das darf aber keine Ausrede dafür sein, daß der Staat sich der Verantwortung gegenüber bestimmten Gruppen seiner Bürger entzieht. Hier helfen keine philosophischen Bekenntnisse, sondern nur Taten. Wenn wir uns einmal mit der Begabtenförderung in diesem Lande beschäftigen, dann darf man doch wohl an die Leidensgeschichte all der Dinge erinnern, die wir Land für Land haben durchsetzen und durchtrotzen müssen, von der Schulgeldfreiheit angefangen bis hin zum Ausbau des Honnefer Modells und bis hin zu dem heute noch in den Ausschüssen des Bundestages liegenden Ausbildungsförderungsgesetz, an das Sie doch nicht herangegangen sind.
({15})
Vieles von dem, meine Damen und Herren, worauf
Sie heute so stolz sind, ist Ihnen abgetrotzt worden.
({16})
Teils in hartem Ringen hier im Parlament, teils durch die Angst vor dem Wahlausgang ist Ihnen manches in letzter Stunde eingefallen, was wir vorher gefordert hatten. Sie beschäftigen sich ja jetzt wieder mit einem ganzen Bündel solcher Dinge, für die Sie nicht Zeit genug hatten, dafür zu sorgen, daß sie noch in den Bundeshaushaltsplan eingearbeitet wurden.
({17})
Das wiederholt sich immer etwa dreiviertel Jahr vor der Wahl. Wir kennen das ja nun schon langsam.
Der Kollege Barzel hat hier einige Fragen des parlamentarisch-politischen Diskussionsstils angeschnitten. Das Parlament leidet sicher, wenn es statt eines Dialogs zwischen Regierungsmehrheit und Opposition sich dem Versuch gegenübersieht, die politische Mehrheit dreimal in verschiedenem Gewande auftreten zu lassen: als Kanzler, als Minister und dann außerdem auch noch als Parteiensprecher, und dann noch je nach Bedarf getrennt. Wenn es um die Besetzung von Positionen geht, dann ist die CDU/CSU-Fraktion eine Fraktion, bei Sendezeiten und aus anderen Anlässen handelt es sich um zwei Parteien, wie es gerade nützlich ist.
({18})
Herr Barzel vermißt hier im Hause den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei. Herr Barzel, Sie müssen sich mit mir trösten. Ich bin der gewählte Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion,
({19})
bin stellvertretender Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und bin, im Gegen6796
Satz zu vielleicht bei Ihnen geltenden Bräuchen, legitimiert, mit voller Autorität für meine Partei hier zu sprechen und überall, wo wir uns hinstellen.
({20})
Ihre Bemerkungen zeugen von einem völligen Unverständnis für das System eines föderativen Staatsaufbaus.
({21})
Gerade Sie, die sie sich immer als Föderalisten gebärden, meine Damen und Herren: Länderminister
und Länderregierungschefs sind von der Funktion
eines Parteivorsitzenden nicht ausgeschlossen! ({22})
- Gut, dann sollen Sie folgendes noch hören. In den Vereinigten Staaten von Amerika, einer Föderation wie bei uns, sind bisher mehr frühere Gouverneure denn Senatoren zu Präsidenten gewählt worden. Oder wissen Sie das nicht?
({23})
Gewählt wird ein Parlament, und aus dem Parlament heraus wählen wir nachher den Kanzler. Die Sozialdemokratische Partei stellt sich jeder Auseinandersetzung hier im Bundestag. Verantwortlich ist dem Bundestag idie Regierung und nicht der Parteivorsitzende, das wissen Sie genauso wie ich.
({24})
- Wenn er es ist, dann ist er Ihnen verantwortlich, vorher nicht.
({25})
- Selbstverständlich! Vorher stellt er sich der öffentlichen Diskussion. Sie wenden ihn schon noch genug in der Verantwortung erleben, dafür werden wir sorgen.
({26})
Natürlich sind auch Parteivorsitzende - einschließlich des Ihren - nicht der Kritik entzogen; aber dafür gibt es andere Plattformen. Auf einer stellt sich ja z. B. heute der Regierende Bürgermeister in Berlin. Sie können sich doch hier nicht hinstellen und seine Abwesenheit beklagen, während Ihr Parteifreund Amrehn ihn gleichzeitig in Berlin verhaftet.
({27})
Die Gabe der Bilokation ist keinem Sterblichen verliehen, das wissen Sie genau wie ich. Für die anderen, die das nicht verstanden haben, bedeutet dies: die Gabe der gleichzeitigen Anwesenheit an zwei verschiedenen Plätzen.
({28})
- Nein, es war gar kein geistiger Hochmut; das war ein Appell an die Einsicht der katholischen Gläubigen in diesem Hause.
({29})
Meine Damen und Herren, nun komme ich zu den Fragen, die sich bei einem Überblick über die Lage unseres Volkes nach außen und innen ergeben. Es ist mit Recht vorhin auf die in Fluß geratene Weltpolitik aufmerksam gemacht worden. Wir müssen uns mit den gesellschaftlichen Veränderungen im Sowjetblock, auch innerhalb der einzelnen Staaten, einschließlich der Sowjetunion selbst, beschäftigen. Die stärkere nationale Identität der osteuropäischen Länder und das wachsende Gefühl der Verbundenheit zu Europa hin sind Faktoren von wachsender Bedeutung. Demgegenüber nehmen sich die Zustände in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, selbst innerhalb des Sowjetblocks, als anachronistisch aus.
({30})
Woran liegt das? Das liegt daran, daß in einem gespaltenen Land Herr Ulbricht eben nicht wie andere kommunistische Führer an der Spitze einer Nation - wenn auch auf Gewalt gegründet - steht, sondern daß er allein unter dem Schutz fremder Gewalt der eigenen Nation, einschließlich des von ihm beherrschten Teils, im Wege steht. Das ist der wesentliche Unterschied.
Es ist hier davor gewarnt worden - und ich teile diese Warnung -, sich etwa von dem langfristigen Konflikt zwischen der Sowjetunion und China kurzfristige Dividenden zu erhoffen. Mit dem Eintritt einer Reihe von Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas in die Weltpolitik beginnen auch manche Gewichte sich neu zu verschieben und zu ordnen. Demgegenüber haben wir nun eine leider lange Liste von Schwierigkeiten in der westlichen Allianz. Das fängt mit den Diskussionen über die Strategie an, geht über die Lastenverteilung und den Anteil an der Verantwortung bis hin zum Stillstand des europäischen Einigungswerks, bis hin zu den hier mit Recht erwähnten Fragen der mangelnden Koordinierung der Handelspolitik im Ostwesthandel, einschließlich der Frage der Kredite.
Auf allen diesen Gebieten ist die deutsche Politik nach ihrem Standort gefragt; sonst wird sie von dem Fluß weggeschwemmt. Die Ziele dabei bleiben - sie sind uns gemeinsam -: die Sicherung des Friedens, die Bewahrung der Freiheit und die friedliche Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts auch für das deutsche Volk, die gleichbedeutend mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit in gesicherter Freiheit ist. Als Mittel dazu - das ist bei der gegenwärtigen weltpolitischen Lage völlig offenkundig - ist die atlantische Solidarität vorrangig. Sie ist für die Bewahrung des weltpolitischen Gleichgewichts notwendig. Es ist entscheidend, daß die Sowjetunion weiß, daß sie die verschiedenen Partner in der Solidarität nicht gegeneinander ausspielen kann. Natürlich muß diese Solidarität auf Gegenseitigkeit beruhen. Wir müssen sie festigen und dürfen sie nicht schwächen lassen.
Die MLF ist ein denkbares Mittel zur Stärkung dieser Solidarität, aber nur, wenn sie multilateral, als Gemeinschaftsunternehmen konzipiert bleibt und nicht etwa zu einem deutsch-amerikanischen Sonderbund führt.
({31})
Dann würde sie zu einer ähnlichen Belastung der Allianz werden wie leider manche Versuche, aus der sehr guten deutsch-französischen Freundschaft eine Art von spezieller Allianz ohne oder gar gegen andere zu machen, die die Allianz nicht gestärkt, sondern geschwächt haben.
Wenn man so an die Dinge herangeht, dann dient die MLF der dauerhaften physischen Verklammerung eines wesentlichen amerikanischen Potentials mit der europäischen Sicherheit; dann ist sie ein Gemeinschaftsunternehmen, das der Allianz neuen Schwung einhauchen kann und bietet viele Möglichkeiten, auf die Gesamtplanung besser einzuwirken. Dann ist sie auch ein Mittel der nuklearen Erziehung der europäischen Staaten, die bisher auf diesen Gebieten allzu leichtfertige Vorstellungen haben, und dann führt sie damit auch Europa in ein gewisses Maß an Mitverantwortung hinein. Wir müssen wissen, daß man einer Weltmacht die letzte Entscheidung nicht aufzwingen kann; sie muß von der Solidarität der Interessen überzeugt bleiben. Deswegen hilft uns keine Politik des Mißtrauens. Wer Mißtrauen sät, wird kein Vertrauen ernten. Hier muß eingewirkt, mit geraten, mit gedacht werden. Nur dann können wir die deutschen Interessen richtig einfügen.
Dazu bedarf es auch der Entstehung Euroaas als eines gleichwertigen und gleichgewichtigen Partners in der atlantischen Solidarität. Hierzu müssen wir die europäische Gemeinschaft im Innern festigen und durch beitrittswillige andere Staaten des freien Euroaas anwachsen lassen. Die Ziele dürfen wir frei und offen aussprechen, auch wenn sie nicht auf einmal erreichbar sind, und jeder Schritt muß in die richtige Richtung hinführen und darf nicht von dieser Richtung wegführen.
Die deutsch-französische Freundschaft, vom ganzen Haus bejaht und getragen, ist für uns ein großer Akt der Versöhnung, ohne den es keine europäische Gemeinschaft geben kann; aber sie muß eingebettet bleiben oder wieder eingebettet werden in die europäische Gemeinschaft und in die atlantische Solidarität.
({32})
Wir haben die sozialdemokratischen Vorstellungen zu wiederholten Malen präzise niedergelegt; sie sind von jedermann nachprüfbar: daß alles, was jetzt geschieht, die Gemeinschaften nicht schwächen darf, daß alle Lösungen die Türen für Großbritannien und andere beitrittswillige freie Staaten Europas offenhalten müssen, daß wir uns auch um ein faires Verhältnis zu den europäischen Neutralen bemühen müssen. Und hier ein offenes Wort zu den Ausfällen in Richtung Norden:
Schweden ist eine gerechte Heimstatt freier Menschen geworden. Das sollten wir nicht unterschätzen,
meine Damen und Herren. Da hat kleinliches Herumnörgeln gar keinen Sinn.
({33})
Man kann nicht alles von einem anderen Land abschreiben.
({34})
Aber man sollte sich hüten, die schwedische Neutralitätspolitik, die eine Politik der eigenen Kraft ist, in ihrer Bedeutung - auch für unsere Sicherheit und für die Sicherheit des Ostseeraumes und für die Freiheit Finnlands - so zu unterschätzen, wie das hier der Fall gewesen ist.
({35})
- Entschuldigen Sie, ich habe hier meine Meinung gesagt.
({36})
- Nein, nein, Sie haben Herrn Brandt völlig falsch interpretiert. Dagegen wird er sich selber zur Wehr setzen, aber selbstverständlich!
({37})
- Sie haben ihn völlig falsch interpretiert, es gibt keinen Gegensatz in dieser Frage. Sie versuchen, aus Schweden einen Buhmann zu machen.
({38})
- Natürlich.
({39})
- Entschuldigen Sie, meinen Sie vielleicht, ich läse die „Neue Bildpost" nicht und läse nicht, was dort seit Jahren an Unfug im deutschen Volk verbreitet wird als Stimmungsmache gegen unser schwedisches Nachbarland, nur weil die vielleicht evangelisch sind?!
({40})
Distanzieren Sie sich bei Gelegenheit bitte einmal von diesem Organ, das sich darum bemüht, in unserem Volke zu spalten, statt die demokratischen Elemente zusammenzuführen.
({41})
Herr Dr. Barzel möchte eine Zwischenfrage stellen. Herr Abgeordneter Erler, gestatten Sie?
Bitte.
Herr Kollege Erler, sind Sie bereit, zuzugeben, daß es von den verantwortlichen Sprechern aller politischen Parteien dem Regierenden Bürgermeister von Berlin vorbehalten blieb, uns in einem Blatt mit Massenauflage zum erstenmal Schweden als ein Vorbild hinzustellen?
Warum eigentlich nicht?
({0})
- Entschuldigen Sie, von der Neutralität war keine Rede, aber von einer „gerechten Heimstatt freier Menschen". Wenn wir diese bei uns erreichen könnten, wäre ich außerordentlich glücklich, Sie vielleicht nicht.
({1})
- Herr Majonica, wir wollen doch petzt keine Schweden-Debatte machen. Ich finde, das genügt doch.
({2})
Herr Kollege Erler, wollen Sie keine Zwischenfrage gestatten?
Doch.
Abgeordneter Majonica!
Herr Kollege Erler, wollen Sie damit erklären, daß die Bundesrepublik keine gerechte Heimstatt freier Menschen ist?
Noch nicht! Noch nicht!
({0})
- Noch nicht! Entschuldigen Sie - ({1})
Darf ich bitten, die Ruhe zu bewahren.
({0})
Eine weitere Zwischenfrage?
Erler ({1}) Nein, ich muß erst die eine beantworten. Tut mir leid, Frau Kalinke, jetzt komme ich erst mal.
({2})
Irgendwann muß ich ja hier antworten können.
({3})
- Nein, nein, Ihre Schreie des Entsetzens eben waren Schreie über die Regierungserklärung Ihres eigenen Bundeskanzlers,
({4})
- sicher! - der gesagt hat, was alles bei uns noch getan werden muß, um die noch vorhandenen Ungerechtigkeiten überwinden zu helfen.
({5})
In dieser Frage stehe ich beim Kanzler.
Herr Kollege Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Frau Kollegin Kalinke, wollen Sie noch eine Zwischenfrage stellen? - Bitte, Frau Abgeordnete Kalinke!
Ich mache Sie auf folgendes aufmerksam, Frau Kalinke. Ich nehme Ihre Frage selbstverständlich gern an, einmal weil ich grundsätzlich jede Frage annehme, und zweitens, weil Sie außerdem als Dame natürlich einen besonderen Respekt verdienen. Aber ich möchte in aller Behutsamkeit darauf aufmerksam machen: ich möchte Ihnen auch noch meine Gedanken vortragen. Alles, was Sie jetzt durch Zwischenfragen von meiner Zeit wegnehmen, bitte ich den Herrn Präsidenten mir nachher zuzugeben, auch wenn es in die Mittagspause geht.
Selbstverständlich.
- Bitte, Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Kollege Erler, ich möchte Sie zusätzlich zu der Frage des Kollegen Majonica fragen: Sind Sie, weil das ja auch für das gemeinsame Gespräch mit denen, die die Freiheit in Deutschland noch nicht besitzen, wichtig wäre, bereit, zu erläutern, worin hier im freien Teil Deutschlands den Menschen ihre Freiheit bestritten ist?
Ich rede gar nicht von der Freiheit, sondern von der Gerechtigkeit. Das war doch der Punkt, um den es ging.
({0})
- Die Heimstatt freier Menschen! Die gerechte Heimstatt freier Menschen! Unsere Menschen sind frei, und in dem Punkt der Gerechtigkeit hat der Bundeskanzler eine lange Liste aufgezählt: von der Vermögensbildung, zu der ich noch etwas sagen möchte,
({1})
über die Schließung der Lücken in unserem sozialen Sicherheitssystem, - wenn Sie das alles nicht für nötig halten, sagen Sie es draußen! Ich halte es für nötig.
({2})
Ich würde es ja, wenn ich ein Wort sagen darf, für richtig halten, doch dem Redner der Opposition die Möglichkeit zu gewähren, seine Gedanken zu entwickeln.
({0})
Vizepräsident Dr. Dehler
Einverstanden? - Ich danke Ihnen, Herr Kollege Stoltenberg. Bitte, Herr Abgeordneter Erler!
({1})
Ich denke nicht daran, einen Satz zurückzunehmen, den ich inhaltlich für richtig halte. Die Bundesrepublik Deutschland muß eine gerechte Heimstatt freier Menschen werden, weil es in der Gerechtigkeit hier noch eine ganze Reihe von Dingen zu vollenden gilt. Das ist unsere Aufgabe.
({0})
- Ja, weil es in der Gerechtigkeit noch eine ganze Reihe von Dingen zu erfüllen gilt. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.
({1})
- Meine Damen und Herren, regen Sie sich doch nicht künstlich auf! Auf Ihren Kriegsopfer- und Gesundheitskongressen führen Sie eine andere Sprache. Wir sind es gewohnt, nicht mit zwei Zungen zu reden,
({2})
sondern hier die Wahrheit genauso auszusprechen wie draußen.
({3})
- Kommen Sie darauf zurück! Sie können ja Ihr Fest heute hier haben. Ich habe ja gar nichts dagegen. Ich bin nur der Meinung, daß wir eigentlich, nachdem Sie also Ihre Freude hatten, auch noch über einige der wirklich wichtigen politischen Fragen zu reden haben.
({4})
- Sicher! Sie wollen Ihren Wahlkampf gegen Schweden führen. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen.
({5})
Wer hat denn das Thema hier eingeführt?
- Nein, nicht gegen die Bundesrepublik, für den Ausbau der Bundesrepublik unter sozialdemokratischer Führung. Dazu führen wir den Wahlkampf, jawohl.
({6}) Wie Sie sich vor dieser Auseinandersetzung fürchten,
({7})
wie Ihnen das Wahlresultat von Nordrhein-Westfalen die schlotternde Nervosität eingegeben hat, hat gezeigt - ({8})
- In Baden-Württemberg haben wir der Koalition schließlich drei Mandate abgenommen. Da sind Sie trotzdem noch mit einem blauen Auge davongekommen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist notwendig, daß Sie sich nun allmählich etwas zügeln.
({9})
- Die Zwischenfragen haben Sie doch gestellt!
({10})
- Das müssen Sie bei Ihren Zwischenfragen. - Wir sollten uns nun wieder dem Problem des europäischen Einigungswerks zuwenden.
({11})
- Herr Barzel, zügeln Sie sich doch bitte hier. Bei der „Heimstatt der Deutschen" waren wir doch längst. Müssen wir die gerechte „Heimstatt der Deutschen" ,immer wieder behandeln? Sie haben doch nun die Zitate, von denen Sie glauben, daß sie bei der Wahl Ihnen helfen; das langt doch. Wir meinen, daß sie uns helfen; das langt uns. Nun können wir doch weitergehen.
Also zurück zum europäischen Einigungswerk. Ich bleibe dabei, daß es verdienstvoll wäre, auch wenn Ihnen das vielleicht nicht schmeckt, den europäischen Neutralen einschließlich Schwedens, Österreichs und der Schweiz eine faire Behandlung durch die europäischen Gemeinschaften zuteil werden zu lassen.
({12})
Vielleicht einigen wir uns wenigstens in dieser Frage. Für die Einbeziehung der politischen und der Verteidigungsfragen in das Werk der europäischen Einigung sind die Erfahrungen der vorhandenen Gemeinschaften von größtem Wert. Unentbehrlich ist ein Organ, das vom Gemeinschaftsinteresse her die politischen und Verteidigungsprobleme erörtert und Vorschläge macht und frei ist von Weisungsgebundenheit durch die nationalen Regierungen. Sonst kommen wir nicht zu gemeinschaftlichem Denken und damit zur Vorbereitung einer gemeinschaftlichen Politik.
Interessant sind hierzu die Vorschläge, welche die EWG-Kommission in ihrer Initiative 1964 vorgelegt hat. Ich hätte mich gefreut, wenn die Bundesregierung durch den Kanzler etwas präziser zu diesen Vorschlägen Stellung genommen hätte.
({13})
Europa, meine Damen und Herren, muß demokratisch organisiert sein. Ich wundere mich, daß Vertreter der christlich-demokratischen Parteien in Rom für direkte Wahlen eintreten, hier aber offenbar große Bedenken gegen die Beratung des Gesetzentwurfs der Sozialdemokraten haben, der diesem Ziel dient. Ich möchte annehmen, daß wir nach den Beschlüssen der Christlichen Demokraten in Rom endlich Ihre Unterstützung bei der Durchsetzung der
direkten Wahl der Abgeordneten finden werden, weil man schließlich nicht woanders anders reden kann als hier zu Hause.
({14})
Wichtig ist, daß der Widerstand eines Mitgliedstaates gegen Gemeinschaftslösungen kein Grund zur Aufgabe des als richtig erkannten Ziels sein darf. Die Bundesregierung muß allen Beteiligten klar sagen, was sie will, weil diese Klarheit das beste Mittel ist, um den noch abseits Stehenden allmählich von seiner Abseitslage zu überzeugen und damit durch das eigene Interesse auf den Weg gemeinschaftlicher Lösungen zurückzuführen.
Wir haben auch gefordert, daß bis zum Abschluß der entsprechenden neuen Verträge die regelmäßigen Konsultationen der Regierungen im Rahmen der Gemeinschaft der Sechs, die seit 1962 eingeschlafen sind, wieder aufgenommen werden. Für eine solche Konsultation brauchen wir gar keinen neuen Vertrag. Ein Vertrag, der nur dies enthielte, verdiente den Namen „politische Union" nicht; der wäre nur eine Vorspiegelung falscher Tatsachen.
({15})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung sollte allen Fehldeutungen ein Ende machen und, nachdem sie ihre Sondierungen weitgehend gefördert hat, ihre Vorschläge vorlegen und gleichzeitig bekanntgeben, welche dieser Vorschläge nicht voll mit ihrem Ziel übereinstimmen, d. h. wo sie weiter will, weil es für die anderen Partner wichtig ist, die Marschroute zu erkennen. Wenn man nämlich in Kommuniqués immer nur von Übereinstimmung mit Partnern liest, die untereinander gar nicht übereinstimmen, dann gerät man in den Verdacht, daß man es heimlich mit dem anderen halte. Das ist der sicherste Weg, zum Schluß zwischen allen Stühlen zu landen. Die Klarheit in diesen Fragen litt unter den Rivalitäten im Regierungslager. Europa kann nur eine Gemeinschaft in atlantischer Solidarität sein. Es kann sich also nicht um die Unterstützung einer Politik der dritten Kraft handeln, die „Europa" sagt, aber Anschluß an die derzeitige Haltung Frankreichs in allen wesentlichen außenpolitischen und Verteidigungsfragen bedeutet. Diese Kernauseinandersetzung geht in Wahrheit um die Geltung der vom Deutschen Bundestag in diesem Hause beschlossenen Präambel zum deutsch-französischen Vertrag.
Die andere Kernfrage, die in Ihren eigenen Reihen heiß umstritten war, ist die, ob wir noch zu dem von uns im Jahre 1961 beschlossenen sogenannten Jaksch-Bericht stehen oder nicht. Dabei handelt es sich um Schritte zu einem besseren Verhältnis zu den osteuropäischen Nachbarn.
In diesen beiden Fragen, der Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten und der Konstruktion Europas, haben wir ein ergötzliches Schauspiel innerhalb der größten Regierungspartei erlebt. Es gab heftige Attacken und Gegenangriffe. Das las sich dann etwa so - der Herr Bundeskanzler auf dem Parteitag der CSU -:
Sind wir tatsächlich noch so einig? Man müsse
die Diskussion ehrlich und wahrhaftig führen
und nicht mit Verbrämungen und Verdächtigungen, die man nur als schamlos bezeichnen kann.
Ein bemerkenswertes Wörterbuch! Sehr interessant! Es ist also nicht immer nur der Opposition vorbehalten, heftig abgestraft zu werden. Dann folgt die Versöhnung auf Raten mit gelegentlichen Essen bis zum nächstenmal.
({16})
Wir haben in diesem Jahr schon mehrere Versionen erlebt. Das Schauspiel zeugt von viel persönlichem Ehrgeiz und Profilneurose.
({17})
Die kleineren Parteien suchen ihre Eigenständigkeit zu bekunden. Sie wollen gern ein Achtellos in der Regierung mitspielen, aber sich gleichzeitig draußen im Lande oppositionell gebärden.
({18})
Meine Damen und Herren, ein richtiges Mitte] deutscher Außenpolitik muß darin bestehen, Vertrauen zu schaffen zu unserem Kurs,
({19})
das, was da ist, zu erhalten und zu vermehren und nicht aufs Spiel zu setzen. Dazu gehört, sich als verantwortungsvolles Glied in den europäischen Gemeinschaften zu zeigen, keine gefährlichen nationalistischen Einzelgänge auch nur durchschimmern zu lassen,
({20})
volle Vertragstreue und Zuverlässigkeit.
Gilt das eigentlich auch für die Reden des Bundesverkehrsministers in Nürnberg und Lichtenfels? Meint der Herr Bundeskanzler, daß die dortige Wahl der Worte dazu dienlich ist, Verständnis und Solidarität in der Umwelt für die deutschen Sorgen zu wecken?
({21})
- Ich spreche von der Wahl der Worte eines Mitgliedes der Regierung. Daß Sie natürlich gern ablenken möchten, kann ich verstehen. Aber verantwortlich vor diesem Hause ist die Regierung der Bundesrepublik Deutschland.
({22})
- Herr Jaksch hat sich auch in der Wortwahl erheblich vernünftiger ausgedrückt, um es einmal ganz klar zu sagen.
({23})
Wie paßt das eigentlich zu der Regierungserklärung, in der es hieß:
Alle meine Kabinettskollegen stimmen mit mir darin überein, daß sie sich nicht nur als Ressortminister, sondern nicht minder als Mitglieder des Gesamtkabinetts verantwortlich fühlen.
Die Frage ist erlaubt, ob der Bundeskanzler Ordnung im eigenen Hause zu schaffen gedenkt, nachdem der Minister trotz der Rüge die früheren Reden wörtlich bestätigt hat. Oder bedeutet die damalige sogenannte Bereinigung, daß der Bundeskanzler mit Herrn Seebohms Reden und ihren Wiederholungen voll einverstanden ist? Nach der heutigen Regierungserklärung kann das gar nicht der Fall sein.
Wir bleiben bei unserem vor Monaten gemachten Angebot, daß die Parteien unter Hinzuziehung der Vertriebenenvertreter, weil nicht hinter ihrem Rükken Politik gemacht werden kann - selbstverständlich nicht! -, einige dornige Fragen und auch die Art ihrer öffentlichen Behandlung gemeinsam erörtern sollten. Leider haben wir bisher darauf keine Antwort erhalten.
({24})
Für Vertrauen in der Welt draußen ist auch unser Verhältnis zu Israel wichtig.
({25})
- Unser Angebot, dieses Thema gemeinsam zu erörtern, ist von Ihnen leider auf den Bundestag verlagert worden. Das Angebot, die Parteien müßten weiterreden, haben Sie abgelehnt.
({26})
-Nein, wir warten auf die Antwort. Wir haben damals die Frage gestellt: wann sieht man sich zu dem Thema wieder? - Schweigen im Walde!
({27})
Für Vertrauen in der Welt ist das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Israel wichtig, nach allem, was geschehen ist, ein besonders delikates Problem. Die Regierung jenes Landes befindet sich in einer schwierigen Lage; Angriffsdrohungen der Umwelt mehren sich. In dem Appell des Ministerpräsidenten Eschkol findet sich - in dieser Lage finde ich das besonders bemerkenswert - viel Anerkennung für unser Volk mit dem Hinweis darauf, daß sich in diesem Millionenvolk Kräfte der Erneuerung und der Abschüttelung der jüngsten Vergangenheit regen: „hervorbrechen" sagt er. Jetzt ist es an uns, zu zeigen, daß diese Kräfte in Parlament und Regierung sichtbaren Ausdruck finden.
({28})
Deshalb müssen wir dafür sorgen, daß das vor den
Ferien eingebrachte zweite Ausführungsgesetz zu
Art. 26 des Grundgesetzes endlich behandelt wird.
({29})
Die Regierung muß klarmachen, daß die Tätigkeit
Deutscher bei der Waffenproduktion gegen Israel
unvereinbar mit den Lebensinteressen unseres Volkes ist und daß das nicht mit anderen Problemen zu vermischen ist.
({30})
Ein Ansatz ist heute gemacht worden. Wir sollten es aber nicht bei der Aufforderung zur Rückkehr bewenden lassen, sondern ein Gesetz so gestalten, daß jeder weiß: die Nichtbefolgung ist strafbar. Dies stört die guten Beziehungen zu den arabischen Staaten nicht, was auch von dort immer gesagt werden mag. Wir wünschen den arabischen Staaten Erfolg beim Aufbau eines menschenwürdigen Lebens nach errungener Unabhängigkeit und helfen doch weiß Gott nach Kräften dabei mit. Aber jene Völker müssen verstehen, daß nach allem Geschehenen Deutsche nicht Handlanger eines neuen Anschlages gegen die Überlebenden des jüdischen Volkes werden dürfen.
({31})
Unser Volk hat auf Gewalt als Instrument der Politik verzichtet, der Herr Bundeskanzler hat das heute noch einmal ausdrücklich wiederholt. Es darf an seine Freunde appellieren, ein Gleiches zu tun. Eine allmähliche Normalisierung des Verhältnisses zu Israel allgemein ist erwünscht. Wir müssen daran arbeiten, um Voraussetzungen zu schaffen, daß besseres Verständnis auch bei anderen für dieses Problem geweckt werden kann.
Auch unsere Entwicklungspolitik ist ein Stück bewiesener Solidarität. Leider ist die Geschäftsverteilung auf diesem schwierigen Gebiet immer noch nicht verbessert worden.
(
Doch!)
Die Bundesregierung hat rasch, kurz vor Toresschluß, eilig etwas beschlossen, aber sachlich kaum etwas verbessert, obwohl uns hier zugesagt worden ist, daß die Verhandlungen darüber noch vor der Behandlung des Haushalts im Plenum abgeschlossen sein würden.
Die Politik der Bundesrepublik Deutschland den osteuropäischen Staaten gegenüber - außerhalb der Sowjetunion - gehört gleichfalls in dieses Kapitel hinein. Grundlage dafür ist der Jaksch-Bericht. Auf dieser Basis sollten wir weiterfahren. So muß die Furcht abgebaut und das Deutschlandbild korrigiert werden. Dazu kann man die wirtschaftlichen und kulturellen Möglichkeiten nutzen. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist ein Beispiel der Aussöhnung früherer Gegner und des Einbringens der Probleme in eine Gemeinschaft, die es Deutschland unmöglich macht, nationalistische Eigengänge zu unternehmen. Das Beispiel sollten wir, Schule machend, unseren osteuropäischen Nachbarn darlegen.
Beim Handel gilt es, die wachsende nationale Eigenständigkeit jener Länder zu beachten, nicht alles über einen Kamm zu scheren. Im Verhältnis zur Sowjetunion selber muß der Ost-West-Handel innerhalb des Westens einschließlich der Fragen der Kredite besser koordiniert werden. Dann erst ist auch ein politischer Ertrag einer solchen langfristigen Handels- und Wirtschaftspolitik möglich. Blinde Konkurrenz schafft die Vorteile nur in sowjetische
Hände, auch wenn wir diesen Ertrag nicht überschätzen wollen. Die Bundesregierung sollte dieses Thema auf die NATO-Konferenz im kommenden Dezember bringen.
Der Besuch des sowjetischen Ministerpräsidenten kann nützlich sein. Wir sollten uns dabei aber auch vor Illusionen hüten. Wir müssen vor allem - das ist ja wohl auch eingeleitet - unsere Freunde über die Einzelheiten unserer Gedanken dabei informieren und konsultieren. Es ist richtig und die gemeinsame Auffassung dieses Hauses, daß bei den Besprechungen kein Thema ausgeklammert werden kann. Man muß die deutsche Frage, auch wenn das noch so schwierig ist, erörtern. Eine Normalisierung im deutsch-sowjetischen Verhältnis kann es nur geben, wenn die Deutschen normal leben, d. h. in einem Staatsverband in Freiheit zusammen ihr eigenes Schicksal gestalten können.
({0})
Adressat für die Lösung der deutschen Frage bleibt Moskau. Der Westen kann der Sowjetunion nicht die Lösung der deutschen Frage in seinem Sinn aufzwingen, aber wir brauchen uns auch nicht von der Sowjetunion die Lösung der deutschen Frage im sowjetischen Sinne, d. h. auf der Grundlage der Spaltung und des Herausbrechens Berlins aus dem Raum der Freiheit, aufzwingen zu lassen. Was unter diesen Umständen also möglich ist, ist, die deutsche Frage offen zu halten und Zug um Zug allmählich wieder ins diplomatische Gespräch und damit vorwärts zu bringen.
Dazu gehört dann auch ein entsprechendes deutsches Verhalten in den Abrüstungsproblemen. Die Rede des Bundeskanzlers hierzu war sehr unpräzise. Selbstverständlich kann es keine Abrüstungsvereinbarung geben, die das weltpolitische Gleichgewicht zerstören, den Westen einseitig schwächen und nicht durch angemessene Kontrollen die Einhaltung der Vereinbarungen sichern würde. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die Spaltung Deutschlands bestehen bleibt, solange das Wettrüsten allgemein und auch auf deutschem Boden unbegrenzt weitergeht. Umgekehrt führt die Abrüstung nicht automatisch zur Wiedervereinigung Deutschlands. Die Kunst der deutschen Politik muß darin bestehen, Fortschritte auf dem Wege zur Abrüstung nicht zu blockieren - sonst geht die Friedenssehnsucht der Völker über unseren Kopf hinweg -, sondern sie so mit deutschen Anregungen zu fördern, daß die deutschen Interessen dabei nicht in Mitleidenschaft gezogen, sondern sogar gefördert werden. Dazu gehört zunächst ein Bremsen des Wettrüstens und dann Schritt für Schritt Rüstungsbegrenzung und -kontrolle.
Das ist bei der schnellen Veränderung der Machtverhältnisse und der Technologie ein sehr dorniges Problem. Dringend notwendig ist daher zu seiner Lösung, daß wir unsere Regierung mit einem Instrument ausstatten, das alle Einzelheiten dieses Problems so im Griff hat, daß auch deutsche Anregungen schnell erarbeitet werden können. Deshalb haben wir die Einrichtung eines Abrüstungsamtes
gefordert. Die organisatorische Gestalt ist weniger wichtig. Die Hauptsache ist, daß es ausreichend ausgestattet wird und seine Gedanken an die auswärtige, die Verteidigungspolitik und die Regierungsspitze heranbringen kann.
Bis Erfolge in der deutschen Frage erzielt sind, sind zum Offenhalten eine Reihe von Voraussetzungen zu schaffen. Die erste ist, daß wir uns um Berlin scharen. Hier geht uns wohl allen nahe das großartige Wort des Bundespräsidenten, daß wir uns zu Berlin so verhalten müssen, daß unbeschadet der Verantwortung anderer wir so handeln, als hinge das Schicksal dieser Stadt allein von uns Deutschen ab.
Das hat dann aber auch Konsequenzen. Berlin, das freie Berlin, ist ein Symbol für die nicht gelöste deutsche Frage. Es ist eine Ermutigung unserer Landsleute in der Zone und in Ostberlin, daß auch für sie die Stunde der Freiheit einmal kommen wird, und es ist ein Beweis, daß das sowjetische Ultimatum vorn November 1958 gescheitert ist. Die Lebenskraft dieser Metropole, die Aufrechterhaltung und Stärkung der Verbindung mit dem anderen, größeren Teil des freien Deutschland haben dazu beigetragen, und deshalb sollten wir auch an die Haushaltsprobleme nicht engherzig fiskalisch herangehen, sondern wissen, daß die Berliner Wirtschaft eine stärkere Expansion als die Wirtschaft in der Bundesrepublik nötig hat, weil immer noch ein gewisser Nachholbedarf zu stillen ist und weil Standortnachteile, die sich offenkundig ergeben, in vernünftiger Weise ausgeglichen werden müssen.
Ein zweites, psychologisch ähnliches Problem betrifft die Zonenrandgebiete. Wir dürfen sie nicht veröden lassen. Schließlich hieß es früher von Thüringen, jetzt auf der anderen Seite, es sei das grüne Herz Deutschlands. Wir haben es also mit Randgebieten an einer Demarkationslinie, aber nicht mit einem fernen Grenzland zu tun. Wir müssen Konsequenzen ziehen für Straßen, Bahnen, Wirtschaft, kulturelles Leben aller Art bis hin zum Ausbau des Schulwesens, damit die Menschen Ausbildungs- und Aufstiegschancen haben, ohne ihre Heimat verlassen zu müssen.
Gerade bei den Bahnen geschieht leider das Gegenteil. Auch ohne das vorhin erwähnte Gutachten sind viele für jene Gebiete wichtige Strecken stillgelegt worden, was große Unbill für die Betroffenen gebracht hat und einer Verödung Vorschub leistet. Die Diskussion wird nun ja wohl doch wieder in Gang kommen. Die Bundesregierung hat heute ein paar Prinzipien verkündet. Ich hoffe, daß aus diesen Prinzipien auch sehr präzise Entscheidungen gegenüber den Plänen mancher Sachverständiger der Bundesbahn werden.
Der dritte Punkt zum Offenhalten der deutschen Frage ist das Sichtbarmachen des Willens zur Einheit. Hier dürfen wir an den großen Erfolg der Weihnachtsbegegnung in Berlin erinnern, ein Besuch, der sich jetzt wiederholt, ein Beweis für die Welt, daß die Deutschen sich auch durch Mauer und Stacheldraht nicht auseinanderreißen lassen. Wir müssen uns zur Wehr setzen, wenn der Versuch unternommen wird, einschränkende Schikanen einErler
zuführen oder politisches Kapital für die Kommunisten daraus zu schlagen. Aber wir dürfen nicht die Nerven verlieren und den Kommunisten den Gefallen tun, von uns aus die Mauer dicht zu machen oder kommunistische Behauptungen als bare Münze hierzulande zu verbreiten. Der Bundeskanzler hat recht: die Mauer wird nicht durch Passierscheine abgetragen. Durch Sonntagsreden auch nicht! Ich möchte annehmen, daß dazu wesentlich mehr an politischen Taten gehört. Die menschliche Bewährungsprobe der Verbundenheit der Deutschen beseitigt die Mauer nicht. Aber sie ist unentbehrlich dafür, daß die Welt weiß, daß die Deutschen noch zusammenkommen wollen. Denn ohne diesen Beweis gibt es überhaupt keine Lösung der deutschen Frage.
({1})
Ich hoffe, daß die Bemerkungen des Bundeskanzlers
nicht etwa bedeuten, daß er seine Verantwortung
für die Vereinbarung von Berlin abschwächen will.
Vor uns steht das Problem der Aufnahme Hunderttausender von alten Menschen, die aus der Zone auf Besuch kommen. Hier handelt es sich um eine nationale und menschliche Bewährungsprobe. Wir müssen sie ohne falsches Getue und Propagandagetöse bestehen.
({2})
Es handelt sich nicht um arme Verwandte, sondern um Menschen, die uns in der gemeinsamen deutschen Heimat besuchen. Sie müssen spüren, daß wir alle es ihnen in der großen Familie unseres Volkes leichtmachen, damit sie ohne Sorgen einige Zeit im anderen Teile ihres und unseres Vaterlandes verbringen können. Das geht nicht nur die Behörden an; aber auch die Behörden müssen unbürokratisch einzuspringen bereit sein.
Herr Barzel regte einen Vorstoß wegen der Menschenrechte bei der Menschenrechtskommission an. Ich darf annehmen, daß die Bundesregierung sich unseren in dieser Sache seit Jahren gegebenen Anregungen künftig also nicht mehr widersetzen wird.
({3})
- Aha, das war schon wieder eine erhebliche Abschwächung.
({4})
- Eine Publikation?
({5})
- Keine Abschächung? Na ja, wir haben uns verstanden. Man muß also immer einiges abstreichen.
({6})
Von Erklärungen, bei denen man glaubte, es sei mehr drin, muß man dann, wenn man sie genauer prüft, etwas abstreichen.
Unentbehrliche Grundlage für kraftvolle Vertretung nach draußen ist eine stabile freiheitliche, sozial gerechte - ich darf das wiederholen; es gefällt Ihnen ja wohl nicht nach dem vorigen Disput - innere Ordnung. Es handelt sich um die Anpassung an die Bedingungen der modernen Industriegesellschaft. Der Wiederaufbau war eine gewaltige Gemeinschaftsleistung. Der Bundeskanzler hat dafür zu Recht unserem ganzen Volk gedankt. Dennoch bleibt ein Nachholbedarf auf einer Reihe vernachlässigter Gebiete.
Im Vordergrund steht hier - ich verweise auf die jüngste Diskussion - das Erziehungswesen. Wir müssen uns endlich angewöhnen, das nicht pauschal zu beurteilen. Es gibt ein gewaltiges Gefälle zwischen den Bundesländern. Wir müssen endlich an die Sachfragen gehen, statt um Institutionen zu streiten. Wir hoffen, daß das von uns angeregte Parteiengespräch, das positives Echogefunden hat, bald aufgenommen wird. Es sind nämlich politische Impulse nötig, die bis in jeden Landtag hineinwirken müssen. Wir sind für einen Bildungsrat, aber vor allem muß man doch an die Lücken heran. Wenn wir einen relativen Schulbesuch der 15- bis 19jährigen in Deutschland zwischen 31,1 v. H. in Hamburg, 19,7 v. H. in Hessen und nur 11,8 v. H. an der Saar oder 13,6 v. H. in Rheinland-Pfalz haben, während er in Schweden - jetzt können Sie wieder „buh" rufen - 32,3, in Frankreich 30,8, im Bundesdurchschnitt 17,6 und in Italien 15,7 v. H. beträgt, id. h. mehr als in Nordrhein-Westfalen, Bayern, an der Saar und in Rheinland-Pfalz,
({7})
dann ist das doch ein Zeichen dafür, daß nicht nur Körperschaften, sondern vor allem Entschlüsse der Nachzügler in bestimmten Ländern nötig sind.
({8})
Außerdem sind neue Probleme entstanden, zum Teil durch den Wiederaufbau geschaffen, zum Teil überall in der Welt mit der Industriegesellschaft neu im Entstehen begriffen.
Die Gesundheit ist ein durch Tempo, Lebensform und Umweltbedingungen unserer Zeit gefährdetes Gut. 1959 haben wir hier wegen der Umweltbedingungen eine Novelle zur Gewerbeordnung verabschiedet. Noch heute fehlen die damals angekündigten technischen Anleitungen. Mit einem solchen Stillstand der Verwaltung kann man die Verschmutzung der Gewässer und der Luft nicht bekämpfen.
Schwere Unterlassungssünden sind in der Bekämpfung der Mütter- und der Säuglingssterblichkeit begangen worden. Auch hier, meine Damen und Herren, Vergleichszahlen aus dem Jahre 1960. Sie dürfen wieder „buh" rufen. Auf 100 000 Lebendgeborene starben in Schweden 37,2, in Frankreich 51,6, in Großbritanien 39,5, in der Bundesrepublik Deutschland 105,7 Mütter.
({9})
Das sollte ein Alarmsignal für uns alle sein. Genauso steht es mit der Säuglingssterblichkeit. Da ist Schweden wieder beispielhaft. Auf 1000 Lebendgeborene beträgt die Säuglingssterblichkeit im
ersten Lebensjahr in Schweden 15,3, in Frankreich 25,9, in Großbritannien 22,1 und in der Bundesrepublik Deutschland 29,3.
Vielleicht verstehen Sie jetzt, daß es sich empfehlen würde, nicht ganz von Schweden abzuschreiben - das geht nicht -, aber sich doch einige Leistungen daraufhin anzuschauen, ob wir nicht Erfahrungen in der Bekämpfung der Gesundheitsgefahren für unser Land nutzbar machen können.
({10})
Ein weiteres großes Problem ist der Städtebau. Da geht es um mehr als Verkehr. Er ist ein Teil der Strukturpolitik. Das Problem ist langfristig nur zu bewältigen, wenn das Dogma überwunden wird, daß in der Strukturpolitik, die ja auch Wirtschaftspolitik ist, das Nichtstun die beste Regierungstätigkeit sei, daß nur die Privatwirtschaft weit voraussehen dürfe, der Staat aber nicht. Die Christlichen Demokraten haben die Altstadtsanierung als eine vordringliche wohnungspolitische Aufgabe bezeichnet. Dennoch bringt die Regierung kein Städtebauförderungsgesetz zustande.
({11})
Meine Damen und Herren, keine der Gemeinschaftsaufgaben ist lösbar ohne Finanzreform. Dabei handelt es sich um eine neue Zuordnung der gesamten öffentlichen Finanzmasse an Bund, Länder und Gemeinden - das ist die dritte Säule - unter Berücksichtigung ihrer wirklichen Aufgaben und der Frage, wo eine gewisse Flurbereinigung erforderlich ist.
({12})
- Warum haben sich denn die Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland so verschulden müssen? Weil durch die Mängel unseres Finanzausgleichs der Bund in derselben Zeit als Darlehengeber aufgetreten ist, und zwar in Höhe von vielen Milliarden DM, während sich die Gemeinden verschulden mußten.
({13})
Dafür sind auch im Interesse der Bürger kommunalpolitische Leistungen hingestellt worden, die sich sehen lassen können. Man hat für die Zukunft etwas hingestellt, was auch Ihre hessischen Landsleute sehr gern genießen.
({14})
Also: die Finanzreform ist nötig. Es tut uns leid, daß viele Jahre vertan worden sind, bevor die von der Regierung so oft angekündigte Reform endlich durch Berufung der Sachverständigenkommission in Angriff genommen werden konnte. Jetzt, nachdem man Jahre nichts getan hat, sollen nun plötzlich der Kommission die Sporen angesetzt werden. Damit kommen Sie, meine Damen und Herren, über die Mitverantwortung für die Nichtberufung der Kommission seit vielen Jahren nicht hinweg. Ohne diesen Schlüssel der Finanzreform ist keine der großen Gemeinschaftsaufgaben lösbar.
Aber die Finanzreform verteilt natürlich nur um, sie bringt nicht mehr Mittel. Deshalb gehört die Steuerreform in diesen Zusammenhang hinein. Niemand bestreitet die Notwendigkeit höherer steuerlicher Gerechtigkeit. Aber unvermeidbare Ausfälle müssen dann wenigstens teilweise durch eine bescheidene Mehrleistung derer gedeckt werden, die ohne nennenswerte Einbuße ihrer Stellung dazu fähig sind. Hier handelt es sich um eine bescheidene Erhöhung des Spitzensatzes für die Spitzeneinkommen, um die großen Vermögen, und darum, daß z. B. die großen Vermögen die Vermögensteuer nicht mehr bei der Einkommensteuer praktisch abziehen können. Sonst bekommt die Steuerreform nur den Geschmack eines Geschenkes für das Wahljahr.
({15})
Nach unserem Willen wäre das Problem ja längst abgeschlossen. Seit 1963 liegen unsere Entwürfe mit den Ausgleichsvorschlägen vor, an die Sie ja nicht heran wollen.
({16})
- Sicher, die föderativen Probleme liegen darin, daß Sie im wesentlichen Steuersenkungen zu Lasten der Länder beschließen.
({17})
Für jede ernsthafte Steuerreform ist ein neues Bewertungsgesetz nötig. Wo bleibt das Bewertungsgesetz, zu dem am 13. Oktober 1964 der Finanzminister hier zu Recht sagte, „daß die letzte Feststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes fast 30 Jahre zurückliegt. Die von Jahr zu Jahr größer werdenden Verzerrungen der Wertverhältnisse können mit dem Gebot steuerlicher Gerechtigkeit kaum noch länger vereinbart werden." Gerade hiergegen gibt es Widerstand in der Koalition bei den Interessenten, die eine gerechtere Verteilung der Steuerlast nach dem wirklichen Vermögen befürchten. Hierzu hat Minister Dahlgrün unter Ihrem stürmischem Beifall gesagt: „Möge das Parlament seiner Berufung zur Gesetzgebung rechtzeitig nachkommen." Es bezog sich auf das Bewertungsgesetz, als er sagte: „Wer den Wünschen einzelner Gruppen nachjagt, mag vielleicht hier und da einen Zipfel von Popularität erhaschen; ein dauerhafter Erfolg wird ihm versagt bleiben." Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß wir das nun endlich einmal vom Eis bringen.
Sie bemühen sich, den Eindruck zu erwecken, Sie verteidigten das Gemeinwohl gegen die privaten und Einzel- und Sonderinteressen. Ich habe eben an einem Beispiel das Gegenteil dargetan. Zu diesem Kapitel wurde auch in der „Welt" am 12. Oktober kritisch Stellung genommen: relativ kleine Gruppen könnten ,die Entscheidung beeinflussen, wenn es im Parlament um steuerliche oder finanzielle Fragen gehe; eine an übergeordneten Gesichtspunkten orientierte Arbeit sei in jenem Klima kaum möglich. Ich weiß, daß das SteueränderungsErler
Besetz ein Konfliktstoff in der Koalition ist. Schon bisher ist es völlig verstümmelt worden, obwohl die Regierung doch aus der Flickarbeit herauskommen wollte. Daraus ist nichts geworden.
Bei der Sparförderung ist immer noch keine wirkliche Harmonisierung in Sicht, obwohl dazu seit 1962 ein sozialdemokratischer Entwurf vorliegt. Es fehlt das steuerliche Konjunktur-Rahmengesetz.
Herr Abgeordneter Stoltenberg möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr!
Ist Ihnen, Herr Kollege, bei der harten Kritik an der Behandlung des Steueränderungsgesetzes nicht bekannt, daß der Finanzausschuß heute morgen einmütig mit den Stimmen der Koalition dem Plenum eine Vorlage zugeleitet hat?
Meine Damen und Herren, wer hier gleichzeitig im Hause spricht, dem ist es natürlich nicht möglich, außerdem auch noch zu verfolgen, auf welcher Grundlage im einzelnen Sie ihre Gegensätze nun unter den Tisch gekehrt haben. Da möchte ich erst einmal die Vorlage sehen, ehe ich mir dazu ein Urteil erlaube. Alles andere wäre leichtfertig und ein Schnellschuß.
({0})
- Oh nein! Entschuldigen Sie! Wenn Sie dazu heute früh in der Angst vor dieser Debatte gekommen sind,
({1})
dann können Sie nicht sagen, daß Sie gute Arbeit geleistet haben.
({2})
- Nein, ich enthalte mich jeder Bewertung. ({3})
Bisher war es also klar, daß Sie an die entscheidenden Fragen einer wirklichen Reform nicht heran wollten.
({4})
- Wie ist es denn? Haben Sie sich auch über das Bewertungsgesetz geeinigt?
({5})
- Ach so, darüber liegt noch gar keine Einigkeit vor?! - Na, dann ist es ja gut.
({6})
- Ich sprach von den steuerpolitischen Differenzen innerhalb der Koalition. Lassen Sie mich das doch einmal im Zusammenhang behandeln. Wir werden ja noch sehen, wieviel der kleine Einzelpunkt in Wahrheit bedeutet.
({7})
Es fehlt das steuerliche Konjunktur-Rahmengesetz, obwohl der Bundeskanzler die Fortentwicklung eines konjunkturpolitischen Instrumentariums in seiner Regierungserklärung angekündigt hatte. Es fehlt auch, gerade wegen der Sparförderung, die Berücksichtigung jenes Einwandes der europäischen Wirtschaftskommission, die gesagt hat: Stabilisierungsprogramm mit Steuersenkung nur dann, wenn die Sparförderung einen angemessenen Ausgleich bietet.
Ähnliches gilt für die Preispolitik, ,wo die Bundesregierung schlechte Beispiele für „Maßhalten" bietet. Postgebühren- und Telefongebührenerhöhung sind uns ja noch in Erinnerung. Das geht hin bis zur Mietgesetzgebung. Auch die landwirtschaftliche Marktordnung, ohne immer entsprechende Vorteile für den Erzeuger zu bringen, hat Nachteile für den Verbraucher, weil die von uns seit langem geforderte Durchleuchtung der Marktverhältnisse fehlt.
({8})
Der Kartellgesetzentwurf bleibt hinter dem Kartellbericht der Bundesregierung zurück. In der Regierungserklärung wurde der Auftrag angekündigt,. möglichst bald die Errichtung einer Körperschaft für neutrale Warentests zu veranlassen. Das Parlament hat keinen Gesetzentwurf erhalten. Eine privatrechtliche Stiftung reicht doch hier nicht aus.
Zum Thema Gerechtigkeit, Herr Barzel, weil Ihnen das gerade Spaß macht: Reden wir doch einmal ein bißchen von der Vermögensverteilung!
({9})
Seit der Währungsreform sind die Sachwertbesitzer begünstigt worden. Korrekturen für die Zukunft sind nötig. Die Bundesregierung selbst hat ungerechte Vermögensverteilung festgestellt. Das verträgt sich nicht mit der Bemerkung des Bundeskanzlers, wir seien hier auf alle Fälle bereits mit vorbildlichen Leistungen hervorgetreten. Wie sieht denn das aus? Nach den „Sozialpolitischen Informationen" des Bundesministers für Arbeit haben wir bei der Eigentumsbildung der Arbeitnehmer eine rückläufige Tendenz zu verzeichnen und gleichzeitig eine fortschreitende Vermögenskonzentration in den Händen der Großwirtschaft.
({10})
Das zeugt von der Dringlichkeit des Problems. Bisher haben Sie jedenfalls in Ihren Gesprächen mit den Kirchen beider Konfessionen die Dringlichkeit dieses Problems zugegeben. Ich bin ganz überrascht, daß Sie das heute leugnen. In jeder Regierungserklärung wurden Lösungen angekündigt; geschehen ist wenig. Die Verschleuderung des Bundesvermögens löst doch nicht das wirkliche Problem.
({11})
Dieses Problem lautet: Wie können bisher Vermögenslose einen gerechteren Anteil am künftigen
volkswirtschaftlichen Vermögenszuwachs erhalten, den sie ja mit erarbeiten?
({12})
Das ist das wirkliche Problem.
({13})
- Herr Stoltenberg, ich bin nicht kleinlich, aber angesichts der vorgerückten Zeit, - Sie haben auch Hunger.
({14})
- Das freut mich. Sie haben mir vorhin 20 Minuten weggeredet; es ist gar nicht so einfach, das aufzuholen.
Dann muß der Anteil anderer an dem Vermögenszuwachs sinken; denn es geht nicht um den öffentlichen Anteil, weil ja wohl Vermögensbeteiligung sich nicht auf Straßen und Schulen, sondern auf gewinnbringende Vermögen und eigene Nutzung bezieht. Das volkswirtschaftliche Problem lautet: Wie kann man es erreichen, daß die künftigen Investitionen teilweise Eigentum anderer werden als bisher? Das ist der Punkt. Das ist eine Frage der Erhöhung der Sparfähigkeit und der Sparwilligkeit und bedeutet eine Einkommensübertragung zu einem gewissen Teil von den bisherigen Vermögenseigentümern und Nutznießern auf die künftigen. Das ist das wirkliche Problem.
({15})
Nach mehreren Wahlkämpfen über diesen Punkt war ja anzunehmen, daß die Regierung fertige Entwürfe hat. Weit gefehlt!
({16})
Erst jetzt, als der Leber-Plan großes Echo fand, wurde ein Auftrag an fünf Minister erteilt und im übrigen so viel an kritischen Einwänden vorgebracht, daß man heraushören konnte: Wir möchten, daß die Leute durch Sparen selber Vermögen bilden. Das war so ziemlich alles, was übrigblieb von der Vermögensbildung.
({17})
Meine Damen und Herren, dem sogenannten 312-DM-Gesetz hat die SPD schon bei seiner Verabschiedung im Jahre 1962 einen Mißerfolg vorausgesagt. Inzwischen hat die Bundesregierung diesen Mißerfolg zugeben müssen. Es ist nötig, nicht nur dieses Gesetz vollständig zu überarbeiten, sondern auch das Recht der Sparförderung durch Prämien und Einkommensteuervergünstigungen. Die zur Zeit bestehende Sparförderung trägt der allgemein anerkannten Tatsache, daß vor allem die Sparfähigkeit der Bezieher kleiner Einkommen gestärkt werden muß, überhaupt nicht Rechnung. Das geltende Einkommensteuerrecht berücksichtigt die Vermögensbildung am stärksten bei den Beziehern höchster Einkommen.
Herr Barzel, was ich aufgezählt habe, zeugt doch davon, daß auf vielen Gebieten zwar vieles angekündigt, aber wenig getan worden ist.
({18})
Nein, - objektiv sind nur Sie.
({19})
Es fehlt eine politische Führung, die weiß, was sie will, und die die eigene Anhängerschaft noch davon überzeugt, sonst ist sie keine Führung.
Besonders sichtbar wird das auf dem Gebiet der Sozialpolitik. Der Kanzler sieht dem Streit in der Koalition zu, als wäre er völlig unbeteiligt. Über Krankenversicherungs-Neuregelung und Lohnfortzahlung ist die Koalition heillos zerstritten. Jetzt heißt es plötzlich, es seien keine einwandfreien Grundlagen vorhanden, weil man früher die von den Sozialdemokraten geforderte Sachverständigenkommission abgelehnt hat. Erst am 29. April hat man den Beschluß betreffend die Sozialenquete gefaßt.
In dem Zusammenhang rasch noch die Zerstörung einer Legende, der Legende vom steigenden Anteil der Sozialleistungen am Bundeshaushalt! Das muß man doch wohl über größere Zusammenhänge hin sehen. Nach dem Finanzbericht der Bundesregierung, Seite 130, hat der Anteil der Bundesleistungen für die soziale Sicherheit im Jahre 1950 37 %, im Jahre 1957 31 % betragen, und er wird im Jahre 1965 28 % der gesamten Bundesausgaben betragen. Die Beträge sind absolut gestiegen, aber langfristig im Anteil zurückgegangen.
({20})
Meine Damen und Herren, ich habe lediglich die von Ihnen verbreitete Legende des unerhörten Wachstums dieses Anteils am Bundeshaushalt richtiggestellt, weiter gar nichts.
({21})
Da Sie vorhin so von den Gemeinden sprachen: Das steht wohl etwas im Widerspruch zu dem, was der Bundeskanzler - übrigens im Gegensatz zu manchen seiner früheren Äußerungen - heute über den Wert der sozialen Investitionen hier gesagt hat. Für das Wachstum unentbehrlich sind auch die öffentlichen Investitionen, und gerade die der Gemeinden, für Bildung, für Verkehr und Nachrichtenwesen.
({22})
Alles das ist erforderlich, wenn Sie den Produktionsanstieg haben wollen. Und ohne Gesundheit - das zeigt sich ja auch im gemeindlichen Gebiet - ist keine leistungsfähige Arbeitskraft zu erhalten. Entschuldigen Sie, wenn ich das in diesem Hause hinzufüge: Kulturelle Bauten sollten nicht nur bewunErler
derter Gegenstand von Ausgrabungen mit Stolz auf die Vorfahren sein, sondern auch Ausdruck des kulturellen Lebensgefühls unseres Volkes und unserer Zeit.
({23})
Einige Bemerkungen noch zum Regierungsstil. Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, er wolle sich direkt ans Volk wenden. Natürlich, niemand will ihm den Mund verbinden. Wichtige Mitteilungen können und müssen ,auf schnellstem Wege ans Volk, aber vor allem dorthin, wo diskutiert wenden kann.
({24})
Demokratie gleich government by discussion, und zwar dort, wo der Betreffende dem Parlament gegenüber direkt Verantwortung trägt. Sie haben Herrn Brandt nicht hier gewählt, aber Sie haben Herrn Erhard gewählt: diesem Haus ist er verantwortlich.
({25})
- Sobald ein sozialdemokratischer Bundeskanzler seinen Platz eingenommen hat, wird er sich um ein Höchstmaß an Verantwortung auch Herrn Barzel gegenüber bemühen.
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Meine Damen und Herren, Demokratie durch Diskussion muß von der Regierungsspitze vorgelebt wenden.
({27})
Ja, sicher, der geht zu dieser Stunde in sein Parlament.
({28})
- Was haben Sie für seltsame verfassungspolitische Vorstellungen von der verfassungsrechtlichen Stellung der Bundesregierung! Die Bundesregierung ist direkt der gesamten Wählerschaft verantwortlich. In welcher Weise ein Parteiführer seine Auffassungen vor dem Volke darlegt, darüber werden die Wähler entscheiden, aber nicht das Parlament, dem er nicht angehört.
({29})
Jedenfalls sollte man nicht unmittelbar vor Wahlen mit Sendezeiten für die Regierung Mißbrauch treiben.
Dann muß man entweder die Parteizeiten nutzen oder brennende Nachrichten mitzuteilen haben.
({30})
- Sicher, da findet ja auch nicht jede Woche eine Wahl statt; da ist es keine Herabwürdigung des Parlaments.
({31})
Wenn Debatten, die sich kritisch mit der Regierungspolitik auf bestimmten Gebieten befassen,
vom Bundeskanzler als „Schauprozesse" bezeichnet
werden, so müssen wir das zurückweisen. Herr Bundeskanzler, Sie müssen es hinnehmen, daß Sie dem Parlament, aus dessen Mitte Sie hervorgegangen sind, verantwortlich sind, auch wenn Herr Barzel versucht, Ihnen einzureden, daß dieser Sachverhalt so nicht zutreffe.
({32})
Es ist ein seltsamer Ausspruch, wenn gesagt wird, es sei nicht genug, daß das Volk einmal im Jahr an die Wahlurne „geführt und verführt" würde.
({33})
Das darf man auch nicht im Wahlkampf sagen. Welche Reflexe werden da geweckt? Oder meinen Sie vielleicht, daß „geführt" werde, wenn die CDU die Wahl gewinnt, und „verführt", wenn ,die SPD gewinnt? Vielleicht! Ich wünsche Ihnen viel Glück zu dieser Art.
Es ist auch eine seltsame Behauptung, die Opposition fordere immer mehr als die Koalition. Ist dabei in Vergessenheit 'geraten, wer für einen Ausgleich der Steuersenkungen durch entsprechende Mehreinnahmen in diesem Hause unbeirrt eingetreten ist? Ist dabei auch der Antrag der 116 aus Ihren eigenen Reihen vergessen worden, der nicht zurückgezogen wurde, obwohl er 18 Milliarden DM kosten würde?
({34})
Meine Damen und Herren, die früheren Regierungserklärungen haben immer die Rechtsstaatlichkeit hervorgehoben. Dazu gehört natürlich auch die Rechtssicherheit. Vor nunmehr zwei Jahren wurde eine Zeitschrift 'besetzt, als handle es sich um den Vorposten einer feindlichen Macht im Kriege.
({35})
Über die Verfassungsbeschwerde gegen die dabei angewandten Methoden ist bis heute noch nicht entschieden.
({36})
Der damalige Regierungschef nahm das Urteil in der Sache vorweg und verkündete, es handle sich um einen „Abgrund von Landesverrat" und den größten Fall von Landesverrat in unserer Geschichte.
({37}) Und immer noch kein richtiges Verfahren! ({38})
Eine handfeste Regierungskrise brach aus; alle Minister mußten gehen, weil einer das Verteidigungsministerium einsetzte, als unterstünde ihm die Justiz.
({39})
Dabei war er nicht ganz frei von Rachedurst. ({40})
Parlament und Öffentlichkeit wurden falsch informiert; Minister ließen sich die Wahrheit nur stückweise entreißen. Jedermann hoffte auf wirklich
schnelle, energische und gründliche Untersuchung. Bisher, nach zwei Jahren, Fehlanzeige!
Wir erwarten, daß das Verfahren endlich von der Stelle kommt, daß man weiß, was ist und was nicht ist. Es mag . manche geben, die sich das noch bis kurz vor dem Wahlkampf aufsparen wollen, damit Beschuldigungen laut werden, die Urteile aber erst nach der Wahl gefällt werden können.
({41})
Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu wissen, was ist und was nicht ist. Wenn sich jemand vergangen hat, muß er sühnen; darüber herrscht Einmütigkeit. Aber auch die durch das Verfahren Betroffenen haben einen Anspruch auf baldige und einwandfreie rechtliche Klärung.
({42})
Wir haben doch in diesem Hause die Dauer der Untersuchungshaft nicht deswegen verkürzt, damit auf andere Weise der Eindruck eines Makels geschaffen und künstlich verlängert werden kann.
({43})
Die Bundesbehörden müssen an der Klärung mitwirken und dürfen nicht Sand ins Getriebe streuen; ob es sich dabei nun um die Genehmigung für Gutachter oder das Erscheinen von Zeugen handelt oder um Ministerentscheidungen, damit bestimmte Verfahren endlich durchgeführt oder auf rechtlich einwandfreie Weise abgeschlossen werden können.
({44})
Schnellere und verantwortungsbewußtere Arbeit als bisher ist nötig, und die in damit zusammenhängende Verfahren Verwickelten sollten aussagen statt verschleppen zu helfen.
({45})
Wo der Bundestag Immunitäten aufgehoben hat, besteht ein Anspruch der Volksvertretung auf unverzügliche, einwandfreie Bearbeitung, wen immer es auch angeht.
({46})
Meine Damen und Herren, diese Affäre entstand damals aus Übergriffen nicht zuständiger Stellen, durchmischt mit persönlichen Motiven. Diese persönlichen Motive waren der Vorstellung nicht ganz fern, die Partei sei der Staat. Das darf nicht durchgehen.
Am 29. September tagte unter Vorsitz des Kanzlers der außenpolitische Arbeitskreis der CDU/CSU mit dem Hauptziel - ich zitiere wörtlich - „einer besseren Abstimmung führender CDU/CSU-Politiker mit den deutschen Vertretern in der Führung der europäischen Gemeinschaften". Ich verstehe, daß die CDU/CSU vor allem untereinander eine solche Abstimmung braucht und auch Informationen nötig hat. Aber eines möchte ich klarmachen: bei den deutschen Vertretern handelt es sich nicht um CDUVertreter.
({47})
Wir haben einen Staat und kein Parteiregime.
({48})
- Ich habe zitiert.
({49})
Besonders abstoßend wirkt die Identifizierung von Staat und Partei, wenn ein hoher Beamter parteipolitisch polemisiert, obwohl er die Funktion des Ausgleichs mit einer politisch andersgeführten Landesregierung hat, nämlich mit der von Berlin. Dann muß er sich entscheiden, ob er als Beamter wirken oder als Politiker kämpfen will.
Staatsmacht und Staatsgeld dürfen auch nicht zur Verlängerung von Parteimacht mißbraucht werden, wo immer die Versuchung dazu besteht. Wir erhoffen ein Abkommen über einen fairen Wahlkampf, über eine Begrenzung der Wahlkampfkosten, und wir hoffen auf ein Parteiengesetz, das Klarheit über die Finanzgebarung bringt. Das Übermaß staatlicher Parteifinanzierung gefährdet die Unabhängigkeit der Parteien.
({50})
Es ist ganz amüsant, daß es manchem wohl nicht
gefällt, wenn die Sozialdemokraten die öffentlichen
Mittel nicht zur reinen Parteipropaganda verwenden.
({51})
Aber das Echo zeigt, daß die Bürger es zu schätzen wissen, wenn eine politische Partei zur staatsbürgerlichen Bildung beiträgt, ohne parteiegoistische Akzente zu setzen.
({52})
- Sicher! Natürlich fühle ich Ihren Konkurrenzneid nach, daß wir sogar das Buch von Schwering zur Frühgeschichte der CDU verteilen. Das halten Sie für unlauteren Wettbewerb.
({53})
Aber so sind wir nun mal, meine Damen und Herren!
Sorgen wir dafür, daß in unserem Lande allgemein verstanden wird: Das Wirken der Parteien ist ein Stück lebendiger Demokratie. Ihr Wettbewerb sichert die Freiheit der Bürger. Die Chance des Wechsels hält Regierung wie Parteien im Zaum. Der Wechsel selbst, meine Damen und Herren, reinigt, erfrischt und erneuert. Nach den Tönen, die zu Anfang angeschlagen wurden, darf ich also mit einem entsprechenden Ton schließen: Wir verstehen, daß Sie den Wechsel verhindern wollen.
({54})
Sie müssen verstehen, daß wir kraftvoll, zäh und mit klaren Vorstellungen von den Aufgaben unserer Zeit diesen notwendigen Wechsel herbeizuführen suchen.
({55})
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
({0})
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Ehe wir in der Debatte über die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers fortfahren, haben wir uns mit folgenden zwei Vorlagen des Vermittlungsausschusses zu befassen:
Mündlicher Bericht des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 13/64/EWG ({1}) des Rats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ({2}) ({3})
und
Mündlicher Bericht des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({4}) zu dem Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 14/64/EWG ({5}) des Rats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ({6}) ({7})
Berichterstatter ist in beiden Fällen der Abgeordnete Brand. Ich schlage aber vor, daß wir trotzdem die beiden Vorlagen getrennt begründen.
({8})
- Dann werden wir zusammen begründen und getrennt abstimmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, mir zu gestatten, der Einfachheit halber die Berichte zu den beiden EWG-Durchführungsgesetzen für Milch und Milcherzeugnisse bzw. für Rindfleisch zusammenzufassen, da es sich bei den Anrufungsbegehren des Bundesrates um genau die gleichen Rechtsfragen handelt und diese deshalb auch im Vermittlungsausschuß, der sich gestern mit den beiden Gesetzen befaßt hat, im gleichen Sinne entschieden worden sind.
Bei den Beratungen des Vermittlungsausschusses ging es um folgendes: In § 1 Abs. 2 und in § 6 Abs. 2 des Durchführungsgesetzes EWG Milch und Milcherzeugnisse sowie in § 1 Abs. 1 und in § 5 Abs. 1 des Durchführungsgesetzes EWG Rindfleisch war nach dem Gesetzesbeschluß des Bundestages der Erlaß von Rechtsverordnungen durch die Bundesregierung bzw. den zuständigen Bundesminister an die Zustimmung des Bundestages geknüpft worden, während dem Bundesrat jeweils nur das Recht eingeräumt worden war, binnen zwei Wochen zu den Entwürfen von Rechtsverordnungen Stellung zu nehmen. Der Bundesrat hat deshalb zu beiden Gesetzen den Vermittlungsausschuß angerufen mit dem Antrag, jeweils die Zustimmung des Bundestages durch
die Zustimmung des Bundesrates zu ersetzen. Zur Begründung hatte der Bundesrat darauf hingewiesen, daß die Zustimmung des Bundestages zum Erlaß von Rechtsverordnungen das Prinzip der Gewaltenteilung verwischen würde; nach Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens sollte der Erlaß von Rechtsverordnungen allein Sache der Exekutive, d. h. der Bundesregierung bzw. des zuständigen Bundesministers, sein, wobei jedoch nach Art. 80 Abs. 2 des Grundgesetzes grundsätzlich die Zustimmung des Bundesrates zum Erlaß dieser Rechtsverordnungen vorgeschrieben ist.
Der Vermittlungsausschuß hat sich diesen verfassungspolitischen und verfassungsrechtlichen Argumenten des Bundesrates angeschlossen; er schlägt deshalb vor, in den fraglichen Ermächtigungsvorschriften jeweils das Wort „Bundestages" durch das Wort „Bundesrates" zu ersetzen und demzufolge das Anhörungsrecht des Bundesrates jeweils zu streichen. Nach Art. 80 Abs. 2 des Grundgesetzes wäre es zwar zulässig gewesen, den Erlaß von Rechtsverordnungen ausschließlich der Exekutive zu überlassen, d. h. das Zustimmungsrecht des Bundesrates ausdrücklich auszuschließen. Der Vermittlungsausschuß sah jedoch keinen Anlaß, von der Grundkonzeption des Art. 80 Abs. 2 des Grundgesetzes abzugehen.
Schließlich hatte der Bundesrat den Vermittlungsausschuß noch wegen des § 10 Abs. 2 des Durchführungsgesetzes EWG Milch und Milcherzeugnisse sowie wegen des § 9 Abs. 2 des Durchführungsgesetzes EWG Rindfleisch angerufen. Er wollte klargestellt haben, daß die in diesen Vorschriften vorgesehene Delegation der Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen ihrerseits „durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates" zu erfolgen hat, wie sich dies an sich bereits aus Art. 80 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 des Grundgesetzes ergibt. - Der Vermittlungsausschuß ist auch in diesem Punkte dem Wunsch des Bundesrates gefolgt.
Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß über die Einigungsvorschläge zu den beiden Gesetzen jeweils gemeinsam abzustimmen ist. Namens des Vermittlungsausschusses darf ich das Hohe Haus bitten, die Vermittlungsvorschläge anzunehmen.
({0})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wind das Wort gewünscht? - Wenden Erklärungen abgegeben? - Das ist nicht der Fall.
Vielleicht könnte die Sache Veranlassung geben, noch einmal darüber nachzudenken, ob man bei völkerrechtlich gebotenen Durchführungsverordnungen, die in ihrem Inhalt festliegen, überhaupt eine Mitwirkung des Bundestages oder sogar des Bundesrates vorsehen sollte; eine Sache, die der Überlegung wert ist.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer den beiden Vorschlägen des Vermittlungsausschusses - Drucksachen IV/2603, IV/2604 -zustimmen will, der möge das Handzeichen geben. - Gegenprobe! 6810
Vizepräsident Dr. Schmid
Enthaltungen? - Eine Gegenstimme! Ich stelle die Annahme bei einer Gegenstimme fest.
Wir kommen nunmehr zurück zur Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1965.
Das Wort hat der Abgeordnete Zoglmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat zum erstenmal den Haushalt für das nächste Jahr rechtzeitig vorgelegt. Sie hat ihren Willen bekundet, diesem Hohen Hause die Beratung des Schicksalbuches der Nation ohne Zeitdruck und mit aller gebotenen Gründlichkeit zu ermöglichen. Wir begrüßen das aufrichtig.
Der Bundesfinanzminister hat mit der Vorlage des Haushalls für das Jahr 1965 zugleich aber einen eindrucksvollen Rechenschaftsbericht über die Leistungen der Bundesregierung in den vergangenen drei Jahren erstattet. Er hat diesen Rechenschaftsbericht dankenswerterweise mit einer Übersicht über Möglichkeiten verbunden, die uns im nächsten Jahr zur Verfügung stehen.
Die Zusammenarbeit der Fraktionen der Regierungskoalition ist in der Vergangenheit und bis in die jüngste Zeit hinein häufig ,kritisiert worden. Wir haben auch am heutigen Vormittag von dem Kollegen Erler in dieser Richtung einiges gehört. Die Opposition hat sich im wesentlichen darauf beschränkt, angebliche oder wirkliche Meinungsunterschiede zwischen den Regierungsparteien festzustellen und ihnen Ideenlosigkeit oder Tatenlosigkeit vorzuwerfen. Merkwürdigerweise hat das die Opposition nicht darangehindert, der deutschen Öffentlichkeit zu versichern, sie wolle das ,gleiche wie die Bundesregierung, nur ein bißchen besser.
({0})
Mit der Übernahme der Mitverantwortung in der Bundesregierung haben die Freien Demokraten
({1})
sich mit der CDU in dem Willen zur Partnerschaft zweier unabhängiger Fraktionen verbunden. Sie haben sich zur Durchführung gemeinsamer Ziele zusammengefunden.
({2})
Die Kollegen aus der Fraktion der CDU/CSU sind mir sicher nicht böse, wenn ich hier feststelle, daß diese Verbindung ihre Wurzel nicht so sehr im Bereich gefühlsmäßiger Neigungen, sondern im Bereich vernunftmäßiger Überlegungen hat. Sie entspricht dem Willen des Wählers, wie er am 17. September 1961 zum Ausdruck gekommen ist. Sie ist eine Vernunftehe. Jeder von uns weiß, daß solche Vernunftehen oft besser sind als stürmische Liebeshochzeiten.
({3})
Die Unabhängigkeit der Fraktionen der Regierungskoalition hat ein gesundes Spannungsverhältnis geschaffen.
({4})
Dieses Spannungsverhältnis hat einen konstruktiven Charakter und wird auch durch manchen Mißton, der da oder dort auftritt, nicht beeinträchtigt.
({5})
Für die fruchtbare Arbeit in diesem Hohen Hause ist dieses Spannungsverhältnis
({6})
um so notwendiger, als der Deutsche Bundestag in weiten Bereichen ganz oder teilweise auf das der parlamentarischen Demokratie eigentümliche Spannungsverhältnis zwischen Regierung und Opposition
({7})
bedauerlicherweise verzichten muß.
({8})
Der Herr Kollege Erler hat heute morgen hier den Versuch unternommen, eine konstruktive Opposition - na, sagen wir - ein bißchen durch einen parlamentarischen Donner zu ersetzen. Er hat davon gesprochen, daß dieser Regierung auf dem Gebiet der sozialen Leistungen alles abgetrotzt werden mußte. Ganz abgesehen davon, Herr Kollege Erler, daß das, was Sie über die Schulgeldfreiheit gesagt haben, objektiv unrichtig ist,
({9})
daß in Nordrhein-Westfalen die Schulgeldfreiheit von einer CDU-FDP-Regierung auf unseren Antrag hin im Jahre 1955 eingeführt worden ist,
({10})
muß ich Ihnen nun leider sagen, was wir Ihnen in diesem Hause und auch sonst in der Bundesrepublik in den letzten Jahren alles abtrotzen mußten.
({11})
Wir haben Ihnen abgetrotzt das Bekenntnis zur Bündnispolitik der Bundesregierung mit dem Westen, wir haben Ihnen abgetrotzt das Bekenntnis zu den Werten des deutschen Soldatentums,
({12})
wir haben Ihnen abgetrotzt das Bekenntnis zur Notwendigkeit eines deutschen Verteidigungsbeitrages zur Erhaltung der Freiheit dieses Landes,
({13})
und wir haben Ihnen das hoffentlich ehrliche Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft abgetrotzt,
({14})
jene Form der wirtschaftlichen Betätigung, die den
Fleiß und den Erfindergeist aller deutschen Menschen zu höchstmöglichem Erfolg geführt hat. Wir
haben Sie schließlich gezwungen, aus dem Ghetto einer marxistischen Partei des vergangenen Jahrhunderts auszubrechen.
({15})
Es zeigt die ganze Widersprüchlichkeit Ihrer Aussage, daß Sie dem deutschen Volk versprechen, Sie wollten unsere richtige erfolgreiche Politik fortsetzen, daß Sie uns hier aber zugleich das sozialistische Schweden als nachahmenswertes Beispiel vor Augen halten. Sie wissen wie ich, daß das schwedische Volk dank einer weitschauenden Politik seit mehr als eineinhalb Jahrhunderten in keine kriegerischen Katastrophen gestürzt wurde.
({16})
- Seine Ausgangslage, Herr Kollege Erler, ist nicht zu vergleichen mit der Lage unseres Volkes am Ende des Zweiten Weltkrieges. Millionen von Vertriebenen, Flüchtlingen, Kriegsopfern,
({17})
zerbombte Städte, das ist die Wirklichkeit der Jahre 1945/46. Das ist zwar nicht die Schuld der Schweden, aber das ist die andere Eröffnungsbilanz der Deutschen.
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Was beweisen Ihre Statistiken, Herr Kollege Erler? Ich glaube, daß es gar nicht abwegig wäre, hier einmal darauf hinzuweisen, daß sich das schwedische Volk in Jahrhunderten freier Aufbauleistung einen Lebenszuschnitt erarbeitet hat, der es ihm gestattet, sich auf Zeit den Luxus eines sozialistischen Experiments zu leisten. Für uns Liberale hat alle Politik dem Glück und der Zufriedenheit des einzelnen Menschen zu dienen. Wenn Sie schon Statistiken an-. führen, dann sollten Sie in diesem Zusammenhang auch nicht verschweigen, daß z. B. Schweden in der Selbstmordstatistik eine Spitzenposition einnimmt.
Sie haben, Herr Kollege Erler, uns vorgeworfen, daß wir auf Kosten der Länder - so haben Sie sich ausgedrückt - unseren arbeitenden Menschen eine Steuerentlastung geben wollten.
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Für uns haben Bund, Länder und Gemeinden in gleicher Weise dem Wohl des Staatsbürgers zu dienen. Für den Bürger ist es gleich, welche Steuerkasse ihn zur Zahlung seines schwerverdienten Geldes heranzieht.
Und noch eines, Herr Kollege Erler! Sie haben auch das Heimatrecht der Deutschen heute vormittag zu einem innenpolitischen Streitpunkt gemacht. Herr Kollege Jaksch wird später noch Gelegenheit haben, auf die Gedanken einzugehen, die Sie hier vorgetragen haben. Sie haben darauf hingewiesen, daß der Parteivorsitzende der SPD, Herr Brandt, die Vorsitzenden der übrigen im Bundestag vertretenen Parteien zu Gesprächen über das Problem
des Heimat- und Selbstbestimmungsrechts der Sudetendeutschen eingeladen hat.
Wir gingen davon aus, daß diese Frage für Sie längst geklärt ist. Nicht allzu lange vor der Bundestagswahl 1961 nämlich hat das Präsidium der SPD mit dem Sprecher der sudetendeutschen Landsmannschaften, Herrn Bundesminister Seebohm, Übereinstimmung darüber erzielt, daß die sudetendeutsche Frage durch die Vertreibung der Sudetendeutschen nicht erledigt sei. Die Vertreibung war nach Ihrer damaligen Erklärung widerrechtlich. Sie haben weiter übereinstimmend erklärt: die Feststellung, wonach Deutschland in den Grenzen von 1937 rechtlich fortbesteht, schließt das Heimat- und Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen nicht aus. Soll diese Erklärung, Herr Kollege Erler, erst wieder im nächsten Jahr Gültigkeit erlangen, oder gilt sie auch heute und in diesem Hause?
Herr Abgeordneter Zoglmann, gestatten Sie dem Abgeordneten Jaksch eine Zwischenfrage?
Selbstverständlich, bitte schön!
Herr Kollege Zoglmann, was hat denn Ihre Partei daran gehindert, diesen guten Gedankengängen der Bergneustädter Erklärung beizutreten? Dann wäre doch die Absprache der Parteien, die Bürgermeister Brandt vorgeschlagen hat, gar nicht nötig.
Herr Kollege Jaksch, Sie wissen ebenso gut wie ich - denn Sie sind ja dazu eingeladen -, daß heute abend ein Gespräch mit Ihnen und den Vertretern der sudetendeutschen Landsmannschaft genau über diesen Punkt stattfindet.
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Nun, meine Damen und Herren von der SPD, ich möchte Ihnen auch ein Kompliment machen. Ich möchte nämlich diese Aussage, die hier gemacht werden mußte, damit die Dinge wieder geradegerückt werden, verbinden mit der Feststellung, daß wir es durchaus dankbar anerkennen, wenn im Bereich der Außenpolitik, insbesondere der Deutschland- und Berlin-Politik, die sozialdemokratische Fraktion heute ihre Opposition gegen die Bündnispolitik der Bundesrepublik eingestellt hat und die Außen- und Deutschlandpolitik der Regierung unterstützt.
Die Mitverantwortung der Freien Demokraten in der Bundesregierung und ihre Funktion als notwendiger Teil der Regierungsmehrheit dieses Hauses üben wir im Geiste und im Rahmen der Vereinbarungen aus, die im Koalitionsabkommen niedergelegt worden sind. Diese Politik der Bundesregierung, die auch in der Regierungserklärung vom 18. Oktober 1963 zum Ausdruck gekommen ist, wird von uns mitbestimmt. Wir tragen sie mit, und wir werden sie gegen jeden Versuch der Verfälschung und Veränderung verteidigen.
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Nach gründlicher Überlegung haben wir uns bei der Bildung der Bundesregierung im Jahre 1961 dafür entschieden, an die Spitze des Bundesministeriums der Finanzen ein Mitglied unserer Fraktion zu entsenden. Diese Entscheidung war durchaus nicht leicht. Ein Bundesminister der Finanzen aus den Reihen des kleineren Koalitionspartners kommt zwangsläufig immer wieder in die Lage, sich vielen Forderungen, die an ihn herangetragen werden, versagen zu müssen, wenn er den Blick auf das Ganze nicht verlieren will.
({2})
Wir haben uns aber nicht von parteipolitischen, sondern von staatspolitischen Überlegungen leiten lassen. Heute können wir feststellen, daß diese Entscheidung nicht nur für uns als Partei, sondern für unser ganzes Volk eine richtige war.
({3})
Was vor drei Jahren noch niemand für möglich hielt, ist uns gelungen. Das oberste Gesetz der Haushaltspolitik der FDP-Finanzminister ist die Orientierung an der Zuwachsrate des Sozialprodukts. Die Ausweitung des Haushaltsvolumens ist ohne Gefahr für die Sicherheit unserer Währung nur innerhalb dieser Zuwachsrate möglich. Durch die Bildung von Schwerpunkten und durch verantwortungsvolle staatspolitische Entscheidungen über den Vorrang bestimmter Aufgaben war es uns in diesem Jahr dennoch möglich, wichtigste, seit langem geforderte Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Die Bundesregierung bekennt sich zu einer Gesellschaftspolitik, in der Selbständige und Nichtselbständige, Klein- und Großbetriebe eine möglichst gleiche Chance haben sollen. Dem mußte notwendigerweise der Abbau jener Wettbewerbsverzerrungen folgen, die in der Vergangenheit, wie wir annehmen mit Recht, als mittelstandsfeindlich bezeichnet worden sind.
Die Übernahme des Kindergeldes auf den Bundeshaushalt war hier die Abkehr von einer Politik der Vergangenheit, die wir als falsch erkannt hatten. Es ist ein eindrucksvoller Beweis für die Richtigkeit unserer Auffassungen, daß es möglich war, gleichzeitig mit der Übernahme des Kindergeldes auf den Bundeshaushalt eine wesentliche Verbesserung der Leistungen nach diesem Gesetz für die kinderreichen Familien zu erreichen.
({4})
Mit der Reform der Unfallversicherung haben wir einen wichtigen Bereich der Sozialpolitik einer zukunftsweisenden Lösung entgegengeführt.
Eine der bedeutendsten Leistungen dieser Regierungskoalition war die Reform der Kriegsopferversorgung am Ende des letzten Jahres. Wir haben unseren Willen sichtbar gemacht, auch in diesem Bereich trotz anfänglicher Schwierigkeiten endlich für diejenigen gerechte Lösungen zu schaffen, die in besonders starkem Maße an den Folgen des Krieges und der Nachkriegszeit zu tragen haben.
({5}) Das ist für uns Freie Demokraten - wie die gesamte Kriegsfolgengesetzgebung überhaupt - nicht nur eine Angelegenheit sozialer Gerechtigkeit, sondern zugleich eine Angelegenheit unserer Gesellschaftspolitik;
({6})
ihr Ziel ist es, dem Nivellierungsprozeß als unmittelbarer Kriegsfolge dort entgegenzuwirken, wo dem einzelnen die Kraft dazu fehlt.
({7})
Ein weiteres Kernstück unserer Gesellschaftspolitik ist die Förderung der privaten Vermögensbildung. Wir waren daher seit 1961 unablässig bestrebt, auf eine möglichst breite Streuung von Eigentum in den Händen vieler hinzuwirken.
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Wir wollen ein Volk von bewußten Eigentümern. Unser Bekenntnis zur differenzierten Leistungsgesellschaft bedeutet: nicht die Ungleichheit der Eigentumsbildungschance, sondern allein das Leistungsprinzip soll differenzieren. Das richtige Verhältnis zum Eigentum gefährdet derjenige, der zum Eigentum zwingt oder der Eigentum schenkt. Grundlage jeder privaten Vermögensbildung muß die Eigenleistung sein.
Der Kollege Erler hat heute gesagt, die Regierung verweise den Bürger bei der Vermögensbildung auf das Sparen. Darf ich die Frage stellen, wie sonst, wenn nicht durch Sparen, jemand zu Eigentum kommen soll?
({9})
Die Bundesregierung hat vor einigen Tagen eine Kabinettskommission gebildet, die ein Programm zur Förderung der Vermögensbildung vorlegen wird.
({10})
Wir sehen auch in dieser Initiative der Bundesregierung und der Koalition einen Beweis unseres Willens und unserer Entschlossenheit, eine breite Vermögensstreuung tatkräftig zu fördern.
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Die Sozialisierung des Lohnes und des Einkommens durch Steuern und andere Zwangsabgaben ist ein Feind jeder eigenverantwortlichen Lebensgestaltung. Wir haben das oft genug gebrandmarkt. Das jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz zur Reform der Einkommensteuer mit der darin vorgesehenen Steuersenkung vor allem für die kleinen und mittleren Einkommen ist das Ergebnis einer Politik, die die Belastung des einzelnen auf ein Mindestmaß beschränken will und damit seine private Gestaltungsmöglichkeit auf das größte Maß erhöht. Daß in einer Zeit höchster Anspannung des Haushalts die Vorlage eines solchen Gesetzes möglich ist, scheint mir der sichtbare Beweis für die Wirksamkeit einer Finanz- oder Haushaltspolitik zu sein, die sich nicht an dem Grad der Begehrlichkeit einzelner Gruppen orientiert, sondern an der RangZoglmann
ordnung der Werte und der Bereitschaft zur verantwortungsvollen Entscheidung.
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Dem Herrn Bundesfinanzminister, unserem Freund Dr. Rolf Dahlgrün, ist daher in der deutschen Öffentlichkeit seine Absage an Gefälligkeitsdenken und Gruppenegoismus mit Recht hoch angerechnet worden.
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Im Rahmen der weiteren Beratungen des Steueränderungsgesetzes werden wir zu prüfen haben, welchen Notwendigkeiten noch Rechnung getragen werden muß. Unabdingbar ist für uns das Inkrafttreten der Tarifreform auch für die Lohnsteuerzahler zum 1. Januar 1965.
({14})
Daneben werden wir im Bewußtsein des gesellschaftspolitischen Wertes selbstverantwortlicher Eigenvorsorge an Stelle oder neben kollektiver Sicherung einen Ausbau der steuerlichen Sonderausgaben für diesen Bereich als besonderes Anliegen betrachten.
Der Wissenschafts- und Bildungspolitik mißt die Bundesregierung einen besonderen Vorrang zu. Sie hat das mit der Schaffung eines Wissenschaftsministeriums deutlich gemacht. Jetzt gilt es, die Wissenschafts- und Bildungspolitik in die allgemeinen politischen Entscheidungen einzuordnen. Dazu gehören vor allem langfristige Finanzprogramme. Sie sollen es uns ermöglichen, diese wichtigsten Investitionen für die Zukunft eines Volkes sinnvoll zu planen und durchzuführen. Ein Bedarfsplan für die wissenschaftliche Forschung und Entwicklung muß uns dafür die notwendigen Unterlagen liefern. Die geringen Kompetenzen, die der Bund auf diesem Gebiet bedauerlicherweise hat, sollten durch eine Straffung der Koordinierung beim Bundesminister für wissenschaftliche Forschung zu höchster Wirksamkeit gebracht werden.
Darüber hinaus soll die Zusammenfassung der Kompetenzen in diesem Haus auch im zwischenstaatlichen Bereich der zunehmenden internationalen Verflechtung von Wissenschaft und Forschung Rechnung tragen. Analog zu anderen Gebieten, in denen dies bereits geschehen ist oder geschieht, sollte diesem Hohen Hause durch die Bundesregierung in jedem Jahr ein Bericht über den Stand und die Fortschritte des Bildungswesens vorgelegt und sollte zugleich auf das künftig Notwendige hingewiesen werden.
Die Regierungskoalition ist sich in ihrer Gesamtheit der Verantwortung insbesondere für das Gebiet der Wissenschafts- und Bildungspolitik voll bewußt. Das kommt auch in unserem gemeinsamen Antrag zum Ausdruck, in dem wir die Bundesregierung auffordern, in organisatorischem Zusammenwirken mit dem Wissenschaftsrat einen Bildungsrat zu errichten. Nach seiner Errichtung werden wir sehr schnell die Grundlage für die von uns geforderte umfassende Bildungsplanung schaffen können. Ohne daß wir dabei die Kulturhoheit der Länder antasten, wollen wir durch den Abschluß von Abkommen
zwischen Bund und Ländern und mit gemeinsamer Finanzierung neue Hochschulen entstehen lassen. Alle diese Maßnahmen sind für uns ein Kernpunkt einer vorausschauenden langfristigen und verantwortungsbewußten Politik. Ihre Realisierung ist die Verwirklichung eines Sofortprogramms unabdingbarer Notwendigkeiten.
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Eine wirksame Bildungspolitik setzt die Bildungsbereitschaft voraus. Diese Bildungsbereitschaft durch Bildungshilfen zu stärken ist eine wichtige Aufgabe der Allgemeinheit.
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Sie gewährt allen Eltern Bildungshilfe, die durch eine qualifizierte Ausbildung ihrer Kinder einen Beitrag zur Gestaltung der Zukunft leisten. Ich hoffe, daß es möglich sein wird, in gemeinsamer Arbeit zwischen den beiden Regierungsfraktionen ein solches Gesetz in aller Kürze dem Parlament vorzulegen.
({17})
Im Bereich der privaten Wirtschaft sind diese Bildungshilfen durch abgestufte Zuwendungen an Lehrlinge im ersten, zweiten und dritten Lehrjahr längst vorbildlich geregelt. Wenn die Regierungskoalition jetzt für den staatlichen Bereich eine ähnliche Regelung für diejenigen jungen Menschen schafft, die weiterführende Schulen, Fachschulen und Universitäten besuchen, so schließt sie damit eine Lücke, die wir seit langem schmerzlich empfunden haben.
In den ersten Jahren nach dem Krieg war ein qualifiziertes Berufsbeamtentum nicht unbestritten. Es mußte erst wieder politisch durchgesetzt werden. Lange Jahre haben wir vermeidbare Auseinandersetzungen zwischen Staat und Staatsdienern in der Besoldungsfrage und in Strukturfragen des Beamtenrechts beklagen müssen. Es ist ein Verdienst dieser Bundesregierung, wenn wir nun feststellen können, daß im Bereich des öffentlichen Dienstes am Ende des Jahres 1963 das umstrittene Weihnachtsgeld für Beamte und Pensionäre endlich verwirklicht wurde.
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Die vorausschauende Haushaltspolitik der Bundesregierung hat es darüber hinaus ermöglicht, den Beamten in diesem Jahr eine achtprozentige Gehaltsaufbesserung zu gewähren.
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Wir sprechen die Erwartung aus, daß auch in Zukunft notwendig werdende Besoldungsverbesserungen rechtzeitig in den Haushaltsplänen berücksichtigt werden. Damit würde das unerfreuliche öffentliche Tauziehen um die Beamtengehälter verhindert.
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Die Soldaten unserer Bundeswehr haben eine schwere Aufgabe zu erfüllen. Es. wird eine gemeinsame Aufgabe nicht nur der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien, sondern auch der parlamentarischen Opposition sein, dem Soldaten der Bundeswehr seinen Platz in unserem Staat und in
unserer Gesellschaft zu sichern. Es ist uns gelungen, manchen Mangel zu beheben, der sich aus dem schnellen Aufbau der Bundeswehr ergeben hat. Aber noch stehen ungelöste Probleme vor uns. Das gilt insbesondere für die Gewinnung eines ausreichenden qualifizierten Nachwuchses an Offizieren und Unteroffizieren. Hier sind erschreckende personelle Engpässe zu überwinden. Die Rücksichtnahme auf die Berufssoldaten und ihre Familien, eine Verbesserung der Laufbahnrichtlinien für Offiziere und Unteroffiziere, die Anerkennung von Verantwortung, Funktion und Spezialkenntnissen des einzelnen Offiziers und Unteroffiziers im Rahmen der Besoldung und die Anleitung zur modernen Menschenführung müssen ein Schwerpunkt der Fürsorgemaßnahmen für die Soldaten der Bundeswehr werden.
In diesem Hohen Hause haben wir Fehler, die bei der Aufstellung neuer deutscher Streitkräfte aufgetreten sind, offen erörtert. Mit derselben Offenheit und Bereitschaft wollen wir uns aber dort vor die Soldaten der Bundeswehr stellen, wo sie beabsichtigt oder unbeabsichtigt ins Zwielicht gezogen werden sollen.
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Der deutsche Wiederaufbau nach dem Kriege ist eindrucksvoll und in aller Welt anerkannt. Die Ergebnisse dieses Wiederaufbaus dürfen nicht 50 Kilometer vor der Zonengrenze haltmachen. Das Zonenrandgebiet darf nicht zum Hinterhof des deutschen Wirtschaftswunders werden. Wir begrüßen es, daß nicht nur der zuständige Minister und der zuständige Bundestagsausschuß, sondern auch der Herr Bundespräsident sich der Nöte der Zonenrandgebiete angenommen haben.
In den Koalitionsabkommen sind als oberste Ziele der Außenpolitik der Bundesregierung festgelegt worden: erstens Erhaltung des Friedens, zweitens Erfüllung des Verfassungsauftrags des Grundgesetzes, die deutsche Einheit in gesicherter Freiheit zu vollenden, und drittens die Festigung der Bindung der Bundesrepublik an den Westen.
Die Grundlage des europäischen Einigungswerkes ist durch die deutsch-französische Aussöhnung gelegt worden. Mit der Einfügung der Präambel in das Ratifizierungsgesetz zum deutsch-französischen Freundschaftsvertrag haben wir dieses Vertragswerk aus dem Zwielicht nationalstaatlicher Allianzen der Vergangenheit herausgehoben. Auf dieser Grundlage muß die Politik der europäischen Einigung fortgesetzt werden.
Die angekündigte Europa-Initiative der Bundesregierung muß auf ein lebensfähiges, für alle europäischen Staaten offenes Europa aufgebaut werden, so wie es gestern auch der italienische Ministerpräsident Moro mit dem belgischen Außenminister Spaak in Rom gefordert hat. Dieser Europa-Initiative der Bundesregierung kommt gerade heute eine besondere Bedeutung zu. Die Verwirklichung der Vorschläge für die politische Union, für die parlamentarische Kontrolle der Beschlüsse des Ministerrats und für ein organisches Hineinwachsen aller Bereiche unserer Wirtschaft in den europäischen Markt ist unentbehrlich, wenn Europa werden soll.
Wir Freien Demokraten sagen ja zu diesem Europa. Wir stellen aber zugleich fest, daß wir nicht bereit sind, die deutsche Landwirschaft dem europäischen Markt zu opfern.
({22})
Hier ist uns eine besondere Aufgabe gestellt, und wir werden diese Aufgabe wahrnehmen. Wir werden alles tun, um der deutschen Landwirtschaft die Bedingungen zu schaffen und die Starthilfen zu gewähren, die ihr den Eintritt in den gemeinsamen Agrarmarkt überhaupt erst möglich machen. Es geht uns dabei nicht darum, der deutschen Landwirtschaft Vorrechte zu verschaffen. Unsere Agrarpolitik ist ein Teil unserer Gesellschaftspolitik, so wie ein gesundes Bauerntum ein unentbehrlicher Bestandteil unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung ist.
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Ein geeintes Europa wird nur dann gesund und funktionsfähig sein, wenn es in allen Bereichen und in allen seinen Teilen gesund ist. Das gilt auch für die deutsche Landwirtschaft, deshalb begrüßen wir es, daß die Bundesregierung am deutschen Getreidepreis festhalten wird.
Die Wirksamkeit unserer Politik darf nicht an dem von den Sowjets geschaffenen Eisernen Vorhang haltmachen. Die Errichtung von Handelsmissionen in den Staaten des Ostblocks ist daher ein wichtiger außenpolitischer Schritt. Er sichert einen unmittelbaren Kontakt des freien Teiles Deutschlands zu den kommunistisch regierten Staaten und macht eine mittelbare Einflußnahme möglich. Zugleich aber trägt die Errichtung dieser Handelsmissionen einer Entwicklung Rechnung, in deren Verlauf es im Ostblock zu einer immer stärkeren Betonung der nationalen Komponente kommt.
Wir wollen hier nicht darüber streiten, ob es sich bei dieser Politik der Bundesregierung um eine neue Politik oder um die Fortsetzung der alten Politik handelt.
({24})
- Auf jeden Fall, lieber Kollege Barzel - da stimme ich Ihnen bei -, ist diese Politik zukunftsträchtig und richtig.
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Sie erfüllt die Voraussetzungen, die das Berliner Programm meiner Partei mit den Worten umschrieben hat:
Die deutsche Außenpolitik muß unserer Lage in Mitteleuropa Rechnung tragen, den entspannenden Ausgleich nach allen Seiten suchen und damit der Erhaltung des Friedens dienen.
Diese Politik des entspannenden Ausgleichs darf nicht die Politik des Schweigens und der Inaktivität nach einer Seite sein. Sie muß die Politik der freundschaftlichen Zusammenarbeit mit den Verbündeten im Westen und die Politik des mahnenden Gesprächs mit der Seite sein, die dem deutschen Volk bisher das Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten hat.
({26})
Von dieser Erkenntnis ließ sich unser Freund Thomas Dehler leiten, als er im vergangenen Jahr nach Moskau fuhr und dort in einem offenen Gespräch mit dem sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow die Forderung des deutschen Volkes nach Freiheit und Selbstbestimmung vertrat.
Wir bedauern es sehr, daß eine seit mehreren Jahren diesem Hause vorliegende Einladung zu einem Besuch einer Bundestagsdelegation in der Sowjetunion bisher unbeantwortet blieb. Der Besuch des sowjetischen Ministerpräsidenten in Bonn kann zu einem wichtigen Schritt in dem Gespräch mit dem Osten werden.
Es geht aber nicht allein darum, Chruschtschow mit der Wirklichkeit eines Volkes zu konfrontieren, das nichts anderes will als den Frieden und seine staatliche Einheit. Chruschtschow muß auch konfrontiert werden mit einem konkreten Programm der Bundesregierung, in dem sie die Wege zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit unseres Volkes aufzeigt. Deshalb bedarf dieser Besuch der gründlichsten Vorbereitung. Der sowjetische Ministerpräsident soll auch erfahren, daß die Politik der Bundesregierung bewegt wird von den Grundsätzen der nationalen Selbstbestimmung, der freiheitlichen Menschenrechte und des Rechtes auf Heimat für alle Deutschen. Und wir wollen keinen dabei ausnehmen!
({27})
Die Initiative, die dem sowjetischen Ministerpräsidenten nahezubringen ist, muß in allen ihren Teilen die uneingeschränkte Unterstützung der drei verbündeten Mächte haben. Die vorgesehenen Begegnungen des Herrn Bundeskanzlers mit den führenden Staatsmännern dieser Länder in den nächsten Wochen bekommen damit ihr besonderes Gewicht.
Diese Initiative der Bundesregierung soll aber nach unserer Vorstellung die Unterstützung aller Fraktionen dieses Hauses haben. Damit sollen dem sowjetischen Ministerpräsidenten die Entschlossenheit und die Einmütigkeit aller tragenden politischen Kräfte des freien Teils Deutschlands in dieser Lebensfrage unseres Volkes unabhängig von allen Parteischranken sichtbar gemacht werden.
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Wir halten es dabei nach wie vor für richtig, daß durch eine Deutschland-Konferenz der Vier Mächte und durch die Bildung gesamtdeutscher technischer Kommissionen unter Verantwortung der Vier Mächte der Weg zu einem unmittelbaren freien Willensentschluß des gesamten deutschen Volkes in seinen heute noch getrennten Teilen ermöglicht wird. Wir unterschätzen gewiß nicht die Bedeutung dieser oder jener innerpolitischen Entscheidung. Aber wir wissen, daß der Erfolg oder Mißerfolg unserer politischen Arbeit am Ende daran gemessen wird, ob wir die zentrale Aufgabe deutscher Politik, die Wiederherstellung der deutschen Einheit, erfüllt haben oder ob wir an ihr gescheitert sind.
({29})
Der 13. August 1961 hat den schmerzlichen Zustand der deutschen Spaltung zu einer offenen
Wunde am Körper unseres Volkes werden lassen. Er sollte nach dem Willen jener Kräfte, die die Berliner Mauer errichtet haben, die ohnehin unerträgliche Teilung unseres Vaterlandes zur Zerreißung des Volkes, ja sogar zur Zerreißung der Familien ausweiten. Die ganze Welt weiß heute, daß diese Politik Ulbrichts gescheitert ist. Sie ist gescheitert an dem untrennbaren Zusammengehörigkeitsgefühl der deutschen Menschen diesseits und jenseits der Zonengrenze.
Wir sind nun in eine Periode eingetreten, in der es gilt, die Zeit der staatlichen Trennung durch Erleichterungen auf allen nur denkbaren Gebieten menschlicher Begegnungen zu überbrücken. So gesehen war die Passierschein-Vereinbarung vom Dezember 1963 ein humanitäres Anliegen. In ihrer Dokumentation des Willens des deutschen Volkes, ein einziges Volk zu sein und zu bleiben, wurde sie eine Tat von allerhöchster politischer Bedeutung. Demgegenüber müssen alle Bedenken zurücktreten, die mit Recht oder zu Unrecht gegen Teile der damaligen Vereinbarung zu erheben sind und die auch heute noch trotz mancher Fortschritte in der jüngsten Vergangenheit festgestellt werden können. Das entbindet uns aber alle nicht von der Pflicht, bei Verhandlungen mit Behörden der Sowjetzone ein Höchstmaß an Geschlossenheit, an Festigkeit und Weitsicht zu üben. Die neuesten Zuständigkeitsregelungen für den gesamtdeutschen Bereich sollen hier ein erster Schritt zur Verbesserung der Verhandlungsposition des freien Teiles Deutschlands sein. Manches, was bei den Verhandlungen über Passierscheine, besonders aber bei den Verhandlungen über die Saale-Brücke, geschehen ist, soll sich nicht wiederholen.
Die Entlassungsaktion für politische Häftlinge ist ein Ereignis, das jeden von uns zutiefst menschlich anrührt. Die Weiterführung dieser Aktion, die Zusammenführung von Kindern mit ihren Eltern, die Möglichkeit, Medikamente frei innerhalb ganz Deutschlands zu versenden, müssen die nächsten Schritte sein. Der Besuch älterer Menschen aus der Sowjetzone bei uns muß zu einem Akt gesamtdeutscher Begegnung und gesamtdeutscher Solidarität werden. Als weiterer Schritt zur Freizügigkeit in ganz Deutschland sollte ein Nachbarschaftsabkommen entlang der Zonengrenze angestrebt werden.
Das alles, meine Damen und Herren, sind - ebenso wie die Weihnachtsbegegnung an der Jahreswende 1963/64 - Demonstrationen unserer Zusammengehörigkeit und Demonstrationen unseres Willens zur Wiedervereinigung. Die ganze Welt muß wissen, daß dieses Volk sich niemals mit seiner Teilung und mit Mauer und Stacheldraht abfinden wird.
({30})
Aus diesem Grunde appelliere ich auch an die Mitglieder dieses Hohen Hauses, abzulassen von dem Vorhaben, ein Parlamentszentrum in Bonn zu errichten und damit den Anschein zu erwecken, als hätten wir uns ganz oder auch nur auf Zeit mit der Teilung Deutschlands abgefunden.
({31})
Wenn dieses frei gewählte Parlament Deutschlands baut, dann baut es in Berlin!
({32})
In den Verhandlungen über Erleichterungen für die Menschen in Mitteldeutschland ringen nicht nur unterschiedliche Weltanschauungen miteinander. Es begegnen sich Freiheit und Unfreiheit. Die Verhandlungen über die deutsche Einheit mit der Sowjetunion sind vom gleichen Gegensatz bestimmt. Wir gehen in diese Verhandlungen hinein in dem Bewußtsein, die bessere Sache zu vertreten, und in der sicheren Erkenntnis, daß keine politische Kraft auf die Dauer der Freiheit widerstehen kann. Chruschtschow hat das in der sowjetischen Innenpolitik in manchen Teilbereichen bereits anerkennen müssen. Machen wir ihm deutlich, daß er auch in der deutschen Frage dieser Erkenntnis nicht ausweichen kann.
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Das Wort hat der Abgeordnete Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In jüngster Vergangenheit ist vielfach beklagt worden, daß das Parlament, der Deutsche Bundestag, kein Forum mehr für große politische Aussprachen sei, besonders keine Tribüne mehr für die Behandlung großer politischer Probleme. An Stelle dessen würden Ersatztribünen verwendet. Unser Kollege Herbert Wehner hat vor kurzem nach Pressemeldungen beklagt, daß im Bundestag über die entscheidenden Fragen der Nation nicht mehr diskutiert werde. Eine Zeitung hat vor kurzem geschrieben, daß der Weg, der hier von allen Parteien in anscheinend stillem Einklang begangen werde, von tödlicher Gefährlichkeit für die Demokratie sei. Es ist auch die Auffassung meiner Fraktion, daß die Arbeit des Parlaments - um eine andere Stimme zu zitieren - sich nicht in die Ausschüsse verkriechen, in gesetzeshektische Geschäftigkeit flüchten und sich nicht davor scheuen darf, dringende Probleme anzusprechen. Gerade aus diesem Grunde hat meine Fraktion gewünscht, aus Anlaß dieser Debatte, der letzten Haushaltsdebatte vor den kommenden Bundestagswahlen, eine Generalaussprache durchzuführen, weil das entscheidende Forum der deutschen Politik nach wie vor dieses Haus ist und bleiben und in der politischen Wirklichkeit als solches erhalten werden muß.
({0})
Vielleicht liegt die Ursache dieser Klagen aber auch darin - damit kommen wir zu einem heute schon mehrfach angesprochenen Thema -, daß die Opposition im Laufe der vergangenen Jahre die zwei wesentlichen Punkte der Regierungspolitik doch mehr oder minder übernommen hat, und zwar genau die zwei Punkte, die im Mittelpunkt der großen Debatten der 50er Jahre standen. - Ich hoffe, daß das, was heute wieder angeklungen ist, nicht sozusagen der Abgesang der homerischen Helden im Seniorenzustand aus den 50er Jahren sein sollte. - Es sind erstens die Marktwirtschaft und zweitens
die europäisch-atlantisch fundierte und bedingte Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Diese beiden Punkte sind in diesem Hause erarbeitet und in hitzigen Auseinandersetzungen erstritten worden und sind heute weitgehend Gemeingut aller politischen Parteien, wenn wir auch wissen, daß hier von Patentschutz natürlich - und Gott sei Dank - nicht viel zu reden ist.
({1})
Heute ist aber, und das hat zum großen Teil auch die Rede des Kollegen Erler gezeigt, die Politik der Opposition weitgehend - ich sage: weitgehend; ich hüte mich vor verabsolutierenden Formulierungen - kein originäres und eigenständiges Produkt mehr, sondern Begleitmusik zu den politischen Überlegungen und Entscheidungen in der Regierung und in den Koalitionsparteien.
({2})
Oppositionspolitik ist heute zum Teil sozusagen phasenverschobene Regierungspolitik und Begleitecho der jeweiligen Vorgänge.
Es ist darum kein Widerspruch, daß in der Öffentlichkeit oft mehr Interesse für die Diskussion innerhalb der CDU/CSU besteht
({3})
und daß sich die Opposition deshalb lieber mit diesem Thema als mit eigenen Plänen und Überlegungen beschäftigt.
({4})
Es ist ein gutes Zeichen für die Aufgeschlossenheit, Entwicklungsfähigkeit und Daseinsberechtigung der Regierungspolitik, wenn in der Fraktion der CDU/ CSU und innerhalb der Koalition die Diskussion über ihre richtige Gestaltung und ihre zeitgemäße Fortsetzung unter Beteiligung des Staatsbürgers erfolgen kann. Ich brauche mich nicht zu scheuen, wenn ich sage, daß bei uns die großen innen- und außenpolitischen Themen unserer Zeit wirklich diskutiert, daß um sie gerungen wird. Bei der Opposition wird häufig die Begleitmusik dazu gemacht, wird kommentiert, kombiniert, auch programmiert, gelegentlich spekuliert und häufig kritisiert,
({5})
was im übrigen das gute Recht der Opposition ist, besonders dann, wenn sie bessere Lösungen aufzuzeigen in der Lage wäre. Aber ohne diese unsere Diskussion könnte heute der Bundesbürger oft gar nicht mehr an politischen Überlegungen Anteil nehmen. So wird der Mann auf der Straße angesprochen, unterrichtet und beteiligt, im übrigen mit der politisch selbstverständlichen Tatsache konfrontiert, daß die Entscheidungen heute weniger denn je bei der Opposition liegen, - trotz der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege Erler. Ich freue mich .allerdings, daß Sie heute zur Hälfte als Oppositions- und zur Hälfte als Regierungssprecherbereits in Stellvertretung in Erscheinung getreten sind.
Wir müssen uns bei dieser Diskussion über die großen Probleme unserer Zeit vor jeder SchwarzDr. h. c. Strauß
weiß-Malerei hüten. Sie kann nur zu einer Verzerrung der Maßstäbe führen.
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- Ich würde Ihnen gern darauf antworten, weil Sie allein schon mit der Reihenfolge der Farben beweisen, daß Sie in der deutschen Heimatkunde gelegentlich gefehlt haben.
({7})
- Wenn jemand blau- weiß sagt, muß ich halt weißblau antworten. Die Bundesrepublik ist sicherlich kein irdisches Paradies; sie ist aber auch kein Land der sozialen Ungerechtigkeit, der unbefriedigenden Innenpolitik, der ungelösten Lebensprobleme und der dumpfen Zukunftsangst.
({8})
In diesem Zusammenhang darf ich auf einige Bemerkungen zurückkommen, die Herr Kollege Erler heute im ersten Teil seiner Ausführungen gemacht hat. Er hat dem Bundeskanzler vorgeworfen, daß er keine präzisen Aussagen gemacht habe. Ich glaube, daß sowohl die Klarheit der Aussagen der Bundesregierung wie die Klarheit der Politik der Regierung der jeweiligen Koalition im Laufe dieser Jahre erheblich größer waren als das reichhaltige, aber oft widerspruchsvolle Arsenal der Oppositionsparteien.
({9})
- Ich glaube auch, daß Sie manchmal nichts glauben, aber ich weiß manchmal auch mindestens genauso viel, wie Sie wissen.
Es ist z. B. auch davon gesprochen worden, daß die Wachsamkeit der Opposition es erfordert habe, das Bundesbahn-Gutachten zu veröffentlichen. Nun, das Bundesbahn-Gutachten, ein Gutachten von Experten nach Rationalisierungsgesichtspunkten kaufmännischer Art, liegt seit geraumer Zeit vor. Dieses Gutachten ist in keiner Weise verbindlich für die Absichten und Pläne der Bundesregierung oder der Koalition. Ich halte es aber für keinen allzu guten Stil, daß dieses Gutachten, das zwar keine materiellen Staatsgeheimnisse enthält, aber gerade wegen seines Charakters als vertraulich bezeichnet worden ist, in dieser Weisse zur Beunruhigung der Öffentlichkeit vor dieser Haushaltsdebatte publiziert worden ist.
({10})
- Wir würden solches nicht tun.
({11})
Aber Sie bringen mich gerade auf einen Nebengedanken. Der Herr Kollege Zoglmann hat soeben mit großer Emphase gegen den Neubauplan des Präsidenten Gerstenmaier für den Bundestag gesprochen. Aus dem Bundesbahn-Gutachten könnte man ja eines entnehmen: daß vielleicht dieser Bundestag im Zeichen seiner temporären Improvisation eine Reihe außer Dienst gestellter BundesbahnGüterwagen verwenden, sie rund um das Bundeshaus aufstellen und als Arbeitsräume für die Abgeordneten verwenden könnte.
({12})
- Das war nur eine ironische Bemerkung, Herr Kollege Wienand. Herr Kollege Erler sagte, die Zeit sei vorbei, wo man in Deutschland mit dem aus dem Wahlkampf 1957 noch in Erinnerung stehenden Wort des damaligen Bundeskanzlers, die SPD sei der Untergang Deutschlands, noch operieren könnte; man könnte es auch durch Rhetorik nicht wieder neu beleben. Das war eine ganz geschickte Bemerkung, im Zusammenhang mit den Wahlergebnissen in Nordrhein-Westfalen und anderswo verwendet. Ich darf Ihnen allerdings dazu sagen, daß die Politik, die Sie nach 1957 - siehe Deutschlandplan - noch über eine Reihe von Jahren getrieben haben, unter den damaligen Aspekten leider dieser sehr harten kritischen Bemerkung des Bundeskanzlers eine gewisse Glaubhaftigkeit und eine beträchtliche Note der Berechtigung gegeben hatte. Wenn Sie heute mit Recht sagen können, daß dieses Wort nicht berechtigt sei, dann dank der Tatsache, daß Sie Ihre Politik in entscheidenden Ansätzen geändert haben.
({13})
Das heißt, Ihre Politik ist, das gebe ich gern zu, in dem Maße glaubwürdiger geworden, je näher Sie an die Regierungspolitik herangekommen sind.
({14})
Sie haben heute der CDU/CSU vorgeworfen, daß für sie jeweils der Bundeskanzler ein Ersatz für ein Programm sei. Nun, über dieses Wort läßt sich reden. Ich hüte mich vor Schwarz-weiß-Malerei. Aber das Wort läßt sich auch zurückgeben. Ich halte nicht allzuviel von Programmen. Man braucht Leitlinien und Ziele, man braucht auch gewisse Programme. Aber uns scheint es schon so zu sein, daß für Sie seit geraumer Zeit das Programm der Ersatz für den richtigen Bundeskanzler ist.
Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.
- Abg. Metzger: Sehr geistreich! Sehr
geistreich!)
- Ich bewege mich immer auf dem Niveau des Kollegen Erler, - ({15})
Sie haben Ihren Parteifreund, den Regierenden Bürgermeister von Berlin, in Schutz genommen, weil er heute nicht hier sein kann, weil er im Berliner Abgeordnetenhaus eine wichtige Sache zu vertreten hat, und Sie haben auf demselben von Ihrem Kollegen Metzger eben für mich festgestellten Niveau durchaus richtig vermerkt, daß der „Bilokalismus", wenn ich Sie richtig verstanden habe, für uns leider
noch nicht möglich sei. Wir täten uns alle in unserem Geschäft leichter, wenn wir den Bilokalismus oder Trilokalismus manchmal verwirklichen könnten.
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- Wenn Sie von Selig- und Heiligsprechung reden, darf ich Sie allerdings daran erinnern, daß Sie in jüngerer Zeit als ich an der geeigneten Stelle vorgesprochen haben.
({17})
Ich glaube aber auch sagen zu dürfen, daß die Aufforderung des Kollegen Barzel durchaus ihre Berechtigung hatte. Denn Kollege Brandt, wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf, ist seinerzeit in den Bundestag gewählt worden. Es kommt auch in anderen Fällen bei uns vor, daß das Mandat dann wieder niedergelegt wird. Das wollen wir in keiner Weise kritisieren; sonst müßten wir uns selbst mindestens genauso kritisieren. Aber er hat damals im klaren Wissen, daß er nicht im Bundestag bleiben kann, als Sprecher der Opposition bei der Debatte über die Regierungserklärung hier eine Rede gehalten. Darum wäre es gar nicht so abwegig - und ich glaube, das hätte sich mit Berlin arrangieren lassen -, wenn er bei der letzten großen Debatte anläßlich der Behandlung des letzten Haushalts dieser Wahlperiode, des Haushalts des Wahljahres, in anderer Funktion, als Regierender Bürgermeister von Berlin, hier seine Politik vertreten hätte;
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darüber läßt sich durchaus sprechen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr, Herr Kollege Erler.
Darf ich hiermit also Ihr Einverständnis voraussetzen, daß bei künftigen Debatten gleich welcher Art die Bundesratsbank nicht zur Vertretung des Standpunkts eines Mitglieds des Bundesrates, sondern zur Vertretung des Standpunkts einer politischen Partei benutzt wird? Ich hielte das nicht für gut. Aber wenn Sie es anders haben wollen, bitte ich, sich klar dazu zu äußern.
Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten,
({0})
und man soll größere und kleinere Anlässe voneinander zu trennen verstehen. In diesem Fall handelt es sich um eine generelle Aussprache über unsere Regierungspolitik, und hier läßt sich sehr wohl der Wunsch der Regierungsparteien verstehen, unbeschadet Ihrer Stellung, zu der Sie mit großer Mehrheit gewählt worden sind - niemand bestreitet das, Herr Kollege Erler -, auch mit dem Mann politisch
zu diskutieren in dem Forum der deutschen Politik, im Deutschen Bundestag, der von Ihnen als der zukünftige Gestalter der Richtlinien der deutschen Politik ausgewählt ist.
Es gab heute eine Einlage. Ich könnte sie ironisch die Schwedenpunscheinlage nennen. Ich möchte sie aber trotzdem als etwas Ernsteres bezeichnen. Wir wissen, daß von Ihrer Seite - nicht nur wegen dieser Kolumne, sondern überhaupt - der Blick nach dem Norden gewissermaßen als Teil Ihres Wahlprogramms schon seit geraumer Zeit geübt wird. Kollege Zoglmann hat dazu einige absolut richtige und treffende Bemerkungen gemacht. Man kann einfach nicht zwei Länder in völlig verschiedener geographischer, geschichtlicher und politischer Situation mit völlig verschiedenen Lebensformen und zum Teil auch Systemen - ich meine nicht im Grundsatz der Demokratie, aber in der Ausgestaltung derselben - ohne weiteres miteinander vergleichen. Jeder solche Vergleich muß entweder einseitig sein wegen seiner Verallgemeinerung, oder er müßte einmal bis in das letzte Detail analysiert werden. Wenn wir in Deutschland seit dem Jahre 1815, seit den napoleonischen Kriegen, keine militärische Auseinandersetzung mehr gehabt hätten - an der weder Ihre Partei noch die CDU/CSU schuld war -, dann brauchten wir uns heute über den Vergleich mit irgendeinem anderen Land überhaupt nicht zu unterhalten. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel.
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Ich möchte sehr deutlich sagen - Kollege Erler, das war ein echter Lapsus linguae -, daß wir nicht daran denken, den Wahlkampf gegen Schweden zu führen. Wir führen den Wahlkampf mit der deutschen Politik und weder gegen noch für ein anderes Land, weder für noch gegen Frankreich. Wir führen ihn am allerwenigsten mit konfessionellen Fragen, etwa weil Schweden evangelisch und Frankreich katholisch ist. Das wäre ja ein Rückfall in die Zeit der Glaubenskriege
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und wäre ein sprechender Beweis gegen Toleranz und Aufgeschlossenheit in religiösen Fragen, die auch Sie seit geraumer Zeit sehr demonstrativ und glaubhaft nach außen - ich sage nicht: zur Schau tragen - zu verwirklichen suchen.
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- Ach, Herr Dr. Schäfer, müssen Sie unbedingt solche Zwischenrufe machen?
Ich glaube nicht, daß ein ausländischer Staatsmann oder ein Fraktionsführer dort die Bundesrepublik Deutschland als Muster schlechthin wählen würde, selbst wenn die Verhältnisse in seinem Land nicht mit den unseren verglichen werden könnten, weil die unseren dann besser wären.
Da kam dieses gefährliche Wort von der „gerechten Hein statt freier Menschen". Ich sage ausdrücklich, es ist fast unmöglich, wegen der geschichtlichen, geographischen und gesellschaftlichen Verschiedenheit hier überhaupt solche Vergleiche zu wählen und
sie dann auf allgemeinen Nennern zu begründen: „Gerechte Heimstatt freier Menschen" ! Bei allem Respekt vor der Leistung des schwedischen Volkes, vor der Unabhängigkeit seiner Politik, vor dem dort herrschenden demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen System glaube ich doch sagen zu dürfen, daß die Form der sozialistischen Demokratie - wie ich ausdrücklich sage: der sozialistischen Demokratie - in Schweden auch ihre Gefahren für die Unabhängigkeit des Menschen als Individuum und als Staatsbürger in sich birgt.
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Wir haben uns mit den bisherigen Mehrheiten im Bundestag gegen einen totalen Versorgungsstaat entschieden, und zwar nicht, weil wir den Schweden etwa eine weniger gut funktionierende Demokratie vorwerfen dürften, sondern weil wir glauben, daß das Individuum, der Mensch mit seinen Rechten und seinen Freiheiten, in unserer Form der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik bessergestellt ist als in der nordischen Demokratie. Es ist unser gutes Recht, das festzustellen, aber ohne daß damit irgendein polemischer Begleitton oder Unterton verbunden sein soll.
Im übrigen glaube ich nicht, Herr Kollege Erler, daß Sie auf einem Gebiet, auf dem hier schon viele Debatten von einer Garnitur von Rednern bestritten worden sind, zu denen wir nicht gehören, nämlich von den Sozialpolitikern, es wagen würden, dem Deutschen Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit die in Schweden bestehenden Regelungen zur
Übernahme zu empfehlen.
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Bei uns herrscht, wie Sie wissen, seit geraumer Zeit der volle Anspruch auf die Zahlung des Nettolohns im Krankheitsfalle während einer Zeit von sechs Wochen. Bei uns gibt es keine Karenztage mehr. In Schweden gibt es nach wie vor, auch nach der Novelle von 1962, noch drei Karenztage. Sie haben die Abschaffung der Karenztage als einen sozialen Fortschritt bezeichnet. - „Gerechte Heimstatt freier Menschen!" - Das ist eben dort vielleicht gemäß der schwedischen Entwicklung angemessen. Das will ich gar nicht bestreiten. Aber darum sind eben Vergleiche so schwer möglich.
In Schweden werden 60 % bis 70 % des Lohnes als Krankengeld gewährt. Bei uns werden 100 % als Krankengeld gewährt. In Schweden gibt es bei der ärztlichen Behandlung eine Selbstkostenbeteiligung von 25 %.
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Das ist doch genau die Frage, um die wir in all den Jahren, ich darf sagen, nahezu beinahe für jeden Bundestag regelmäßig wiederkehrend, gefochten haben. In Schweden gibt es eine Selbstkostenbeteiligung von 50 % bei Arzneien, Heilmitteln, soweit sie über 3 Kronen kosten. In Schweden kann jemand die Arbeit nur verweigern, wenn er mindestens zu 50 % arbeitsunfähig ist. Nach der alten Regelung mußte der Arzt ihm sogar das Arbeiten verbieten, oder er mußte echt arbeitsunfähig sein. Das ist eine Regelung in Schweden!
In Schweden gibt es vielleicht Ausgleiche dafür. Ich möchte jetzt nicht als rascher Autodidakt, der ich in diesem Falle bin, in eine Darstellung der schwedischen Verhältnisse eintreten.
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- Herr Kollege Wehner, ich will das Wort „Unfug" hier gar nicht zur Diskussion stellen. Wenn aber heute ein Unfug geschehen ist, dann ist er nicht von uns begonnen worden. Wir versuchen nur, in den Dingen wieder Klarheit herzustellen.
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Eine Zwischenfrage! Herr Kollege Strauß, ist Ihnen bei der letzten Bemerkung entgangen, daß es Herr Barzel war, der Schweden hier in die Debatte eingeführt hat?
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Herr Kollege Erler, ein Vergleich mit bestimmten ausländischen Zuständen kann durchaus, auch ohne daß man deshalb - ({0})
- Wir sprechen doch oft über Amerika, Kanada, England, Frankreich, Italien und andere. Aber was diese Debatte entfesselt hat, war Ihre Feststellung, Schweden sei eine gerechte Heimstatt freier Menschen, und Ihre ausdrückliche Feststellung, Sie könnten das heute noch nicht für die Bundesrepublik feststellen.
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Ich weiß auch nicht, ob sich unser Volk heute, wenn es speziell über diese Frage entscheiden könnte, nach gewissenhafter Aufklärug zur schwedischen Form der Volkspension bekennen würde. Aber diese Fragen kann man jetzt im einzelnen nicht erwähnen.
Sie haben davon gesprochen, daß in der Bundesrepublik noch eine ganze Reihe von Dingen unvollständig sei. Da haben Sie absolut recht. Aber ich glaube, selbst wenn S i e vier, acht, zwölf oder sechszehn Jahre an der Regierung wären, würde jede Opposition feststellen können, daß noch eine ganze Reihe von Dingen - hoffentlich keine größere als jetzt - zu vollenden wäre.
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Angesichts des raschen technisch-industriellen Fortschritts, angesichts der dadurch bedingten soziologischen Veränderungen, angesichts der politischen Verschiebungen gibt es in der Geschichte der Menschheit, die sich in einem immer rascheren Tempo vollzieht - das ist ja eine der beängstigenden Erscheinungen, mit denen die Politik heute kaum fertig zu werden vermag -, eine Fülle von Problemen, bei denen man Ziele anstrebt, nach deren Erreichen man feststellt, daß schon wieder neue Ziele gestellt sind. Ich glaube, daß das nicht nur auf die Bundesrepublik zutrifft, sondern auf
sämtliche Länder der Welt und auf manche in wesentlich höherem Maße als auf uns.
Was wir vermeiden wollen - das sollte auch in diesem Hause unterbleiben -, das ist, durch eine Art von Qualifizierungen die Bundesrepublik in das Licht zu rücken, in das sie nicht gerückt werden darf; denn die Bundesrepublik ist ein wirtschaftlich blühender, sozial stabilisierter und auch heute noch in starker Aufwärtsentwicklung befindlicher Rechtsstaat, der sich sehr wohl mit jedem Land vergleichen kann, das im Kriege gewesen ist - vielleicht mit Ausnahme der Vereinigten Staaten von Amerika -, aber auch mit vielen Ländern, die nicht von der Furie des Krieges heimgesucht worden sind. Was der Krieg an menschlicher und materieller Zerstörung bedeutet hat, das braucht in diesem Hause nicht mehr im einzelnen gesagt zu werden.
Weil Sie noch ein paar innenpolitische Themen angeschnitten haben, Herr Kollege Erler, ist es einfach meine Pflicht, darauf zu antworten.
Sie haben vom Mißbrauch von Sendezeiten durch den Bundeskanzler gesprochen. Zunächst muß ich leider feststellen, daß Sie und Ihre Partei, was Ihr gutes Recht ist und was wir manchmal nicht ohne etwas Beklemmung feststellen, ohnehin Vorzugskunden bei den meisten Rundfunk- und Fernsehstationen sind.
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Das liegt nicht so sehr an der arithmetischen UnBleichheit der Sendezeiten, die uns zuteil werden, als vielmehr an der Besetzung gewisser Redaktionsstellen. Aber ich darf daran erinnern, daß mit gutem Recht - wir haben uns darüber nie empört - der Regierende Bürgermeister von Berlin wöchentlich
wöchentlich! - im Fernsehen seine Politik in Berlin vertritt. Mir ist von unseren Berliner Freunden gesagt worden, daß es ihnen kaum jemals möglich ist, auch nur annähernd zu einem Bruchteil des Umfanges zu Worte zu kommen, der dem Regierenden Bürgermeister im Fernsehen in Berlin gewährt wird.
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Schließlich haben Sie noch etwas angeführt; ich gehe dem in keiner Weise aus dem Wege, Herr Kollege Erler. Ich hätte das sonst heute sicherlich nicht gebracht. Aber Sie haben davon gesprochen - und damit will ich an sich meine eigentlichen polemischen Bemerkungen weitestgehend abschließen -, daß vor zwei Jahren ein Prozeß eingeleitet worden sei - Herr Barzel hätte es sonst an meiner Stelle gesagt, wenn wir in umgekehrter Reihenfolge gesprochen hätten -, bei dem heute immer noch keine Entscheidung getroffen sei.
Ich habe keine Ahnung von dem Stand der Dinge; aber ich darf sehr wohl darauf aufmerksam machen, daß damals die Justiz durch ein beinahe terrorartiges Trommelfeuer auch von Ihrer Seite zu einem höchst langsamen und vorsichtigen Vorgehen veranlaßt worden ist. Heute wirft man der Justiz vor, daß sie zu langsam gearbeitet habe, und das scheint mir nicht ganz angemessen zu sein.
Sie haben zweitens erwähnt, daß damals die I Minister stückweise die Wahrheit gesagt, das Parlament nicht wahrheitsgemäß informiert hätten usw. Ich kann Ihnen dazu sehr wohl - und ich werde es auch zu geeigneter Zeit tun - Rede und Antwort stehen; aber erlauben Sie mir das Sprichwort: Im Hause des Gehenkten soll man vom Strick am allerwenigsten reden! Was wir im Laufe der letzten Tage an Informationspolitik durch den Westberliner Senat erlebt haben mit stückweiser Preisgabe der Wahrheit, mit halben Eingeständnissen und Dreiviertel-Dementis, ist auch ein Stück Informationspolitik gegenüber Parlament und Öffentlichkeit, das
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- Lieber Herr Wienand, ich zitiere nicht den „Tagesspiegel" vom letzten Sonntag,
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ich zitiere nicht den „Tagesspiegel" vom letzten Sonntag, in dem auf adn-Meldungen Bezug genommen wird, weil ich genauso wie Kollege Erler der Meinung bin, daß man diese Ostberliner und kommunistischen Indiskretionen mit meistens falschen und gelegentlich in Details richtigen Enthüllungen nicht zum Gegenstand von Auseinandersetzungen machen soll.
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- Ich rede auch gern zu Ihnen, lieber Kollege Kohut. Ich zitiere nur den „Tagesspiegel" vom letzten Dienstag. Da wird ja auf diese Sache Bezug genommen. Dort heißt es:
Der Regierende Bürgermeister Brandt hat gestern vor Berliner Journalisten zugegeben, daß der Senat von dem sowjetzonalen Plan, den Besucherstrom auf Grund des Berliner Passierschein-Abkommens an bestimmten Tagen zu steuern, nicht nur Kenntnis hatte. Er bestätigte vielmehr auch, daß der West-Berliner Senatsrat Korber als Gegenleistung für die Einräumung eines zweiten Besuchstages zu Weihnachten in einem Gespräch unter vier Augen dem sowjetzonalen Staatssekretär Wendt erklärt habe, daß der Senat Verständnis für die Vermeidung von Spitzenbelastungen an bestimmten Tagen habe.
Auf die Frage, warum der Senat diese Tatsache verschwiegen habe, antwortete der Regierende Bürgermeister Brandt, der Senat sei diesem Thema ausgewichen, „um keine schlafenden Hunde zu wecken". Die Erklärung des Senatspresseamtes, daß das sowjetzonale Verhalten gegen Sinn und Buchstaben der Passierschein-Vereinbarung verstoße, sei aus „taktischen Notwendigkeiten" erfolgt.
Wenn wir also von bruchstückweiser oder wahrheitsgemäßer Information der Öffentlichkeit und des zuständigen Parlaments sprechen, sollten wir jedenfalls mit gleichen Maßstäben messen.
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- Ich sage meine Meinung als Parlamentarier zu diesen Dingen. Das ist mein gutes Recht. Wenn wir das nicht mehr hätten, brauchten wir keine Parlamentsdebatte mehr.
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Ich gehe der persönlichen Anspielung, die Sie heute morgen gebraucht haben - Sie haben es in maßvoller und zurückhaltender Form getan -, trotzdem nicht aus dem Weg. Ich sage Ihnen nur eines: Jeder Staatsbürger hat das Recht, die Beachtung des Gesetzes von allen Behörden zu verlangen. Und jeder Staatsbürger hat auch das Recht, von den ihm gesetzlich zustehenden Rechten Gebrauch zu machen. Und wenn ich der Überzeugung bin, daß ein Verfahren objektiv rechtswidrig ist, dann nutze ich das demokratische Gesetz aus, um meine Überzeugung durchzusetzen.
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Mehr will ich heute und aus diesem Anlaß nicht sagen.
Aber sehen Sie einmal Ihren SPD-Pressedienst an! Ich darf Ihnen sagen - und da benutze ich ein Wort des Kollegen Wehner, das er einmal gegen Beamte des Bundespresse- und Informationsamts gebraucht hat -: hier sind ja Fälscher am Werke! Wenn es dort heißt: Der Staatsbürger ist verpflichtet, vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen, ansonsten ihm schwere Strafen drohen, so ist das die Mentalität totalitärer Staaten, nicht aber die Regelung unseres Strafgesetzbuches und unserer Strafprozeßordnung. Sie haben so viele Juristen in Ihren Reihen, daß Sie ganz genau wissen, daß diese meine Feststellung richtig ist.
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine Frage? - Sehen Sie bitte nach rechts, Herr Abgeordneter Kohut möchte eine Frage stellen.
Ich möchte Herrn Kollegen Wehner nach der Priorität zuerst nehmen.
Ist Ihnen bekannt, daß das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen bekanntgegeben hat:
Der ehemalige Verteidigungsminister Dr. h. c. Franz-Josef Strauß hat nach einer Mitteilung der CSU-Korrespondenz am 13. Oktober geäußert, er habe die vom Amtsgericht Bonn auf Antrag der Bonner Staatsanwaltschaft anberaumten Vernehmungstermine nicht wahrgenommen, weil die in einem Rechtsstaat geltenden Voraussetzungen für eine Vernehmung nicht erfüllt seien. Hierzu erklärt heute Justizminister Dr. Arthur Sträter:
Ich hatte schon einmal Anlaß, darauf hinzuweisen, daß unqualifizierte Äußerungen des Abgeordneten Strauß die Staatsanwaltschaft in Bonn nicht in ihren Pflichten beirren werden. Erneut stelle ich mit Nachdruck fest, daß die von der Bonner Staatsanwaltschaft gegen
den Abgeordneten Strauß durchgeführten strafrechtlichen Ermittlungen nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen. Der Amtsrichter in Bonn wird in wenigen Tagen einen neuen Vernehmungstermin anberaumen. Damit wird dem Beschuldigten letztmalig die Gelegenheit gegeben, vor dem Richter auszusagen. Sollte der Abgeordnete Strauß diesen Termin nicht wahrnehmen, wird die Bonner Staatsanwaltschaft das Verfahren, in dem noch das Ergebnis einer anderen Ermittlungshandlung im Ausland aussteht, ohne richterliche Anhörung des Beschuldigten zum Abschluß bringen. Eine Möglichkeit, die Aussage zu erzwingen, besteht nicht.
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Wie jeder Beschuldigte hat auch der Abgeordnete Strauß das Recht zur Aussageverweigerung.
Ich hatte Sie, Herr Abgeordneter, gefragt, ob Ihnen das bekannt ist, und nachdem Ihnen an einer bezeichnenden Stelle Beifall gegeben worden ist, möchte ich fragen, ob Sie nach dieser Erklärung Ihre eigentümliche Bezugnahme auf Methoden totalitärer Staaten in bezug auf das Land Nordrhein-Westfalen aufrechterhalten.
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Herr Wehner, Sie sind ein großer Dialektiker. Darum haben Sie wie immer den ersten Teil weggelassen und zu etwas Stellung genommen, was in diesem Fall nicht zur Diskussion stand. Lesen Sie im SPD-Pressedienst vom 14. Okober nach - ich weiß nicht, ob Sie nach der Geschäftsverteilung für ihn verantwortlich sind -; dort steht zu lesen, daß der Staatsbürger zur Aussage vor dem Staatsanwalt verpflichtet ist, ansonsten ihm schwere Strafen drohen. Darum ging es. Eine solche Bestimmung, daß der Staatsbürger vor dem Staatsanwalt aussagen muß, gibt es in einem Rechtsstaat nicht.
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- Die deckt genau meine Auffassung.
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- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hätte diese persönliche Bemerkung nicht gemacht, wenn mich der Kollege Erler nicht darauf angesprochen hätte. Aber ich warte nunmehr seit anderthalb Jahren darauf, daß mir mitgeteilt wird, durch welche Handlungsweise welche Strafrechtsnorm verletzt worden ist - das ist der Inhalt des § 136 der Strafprozeßordnung -, und diese Mitteilung ist mir bisher nicht gemacht worden. Vielmehr sind die Beschuldigten darauf verwiesen worden, sich die
Presse, Magazine und anderes anzusehen und daraus die Beschuldigungen zu entnehmen.
({2})
Ihr Kollege Ritzel kennt den Akt, zum Teil mindestens, ebenfalls.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ritzel?
Bitte!
Herr Kollege Strauß, ist Ihnen nicht das Protokoll der Sitzung dieses Hauses bekannt, in der auf Grund eines Berichtes des Immunitätsausschusses wörtlich nach den Mitteilungen der Justizbehörden ausgeführt worden ist, aus welchen Gründen Ihre Immunität aufgehoben wurde?
Aus welchen Gründen der nicht auszuschließende Verdacht einer möglichen Amtsanmaßung besteht, verehrter Herr Kollege Ritzel! Ich darf Sie, da ich das Glück habe, diese Akten besser kennen zu müssen als Sie, in diesem Falle instruieren. Zweitens sage ich noch einmal, 'daß Ihr Pressedienst den Bericht gefälscht hat, als er in dieser Veröffentlichung schrieb, es laufe ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung. Auch das ist falsch. Das wissen Sie ganz genau, Herr Kollege Ritzel.
Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege Strauß, daß in dem hier in den Akten, in den Wortprotokollen des Bundestages niedergelegten Text die Rede ist von elf Strafanzeigen, von denen die Staatsanwaltschaft nur einen Teil aufgegriffen hat, daß dieser aufgegriffene Teil die Grundlage für den Beschluß des Bundestages auf Aufhebung Ihrer Immunität geworden ist und daß Sie durchaus in der Lage waren und sind, sich genau zu informieren - Sie haben es auch getan -, aus welchen Gründen das Hohe Haus Ihre Immunität aufgehoben hat?
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Ich habe mich genau darüber informiert. Aber eine Feststellung, ob es fünf oder elf older hundert Strafanzeigen sind, ist völlig irrelevant. Wenn man weiß, was im Laufe der letzten Jahre an Strafanzeigen ,gegen Verantwortliche in der Politik eingelaufen ist, dann spielt dieser Gesichtspunkt höchstens eine nur demagogische Rolle.
Gestatten Sie dem Abgeordneten Schäfer eine Zwischenfrage?
Herr Schäfer. ich bedauere, ich muß jetzt meine Rede weiter halten.
({0})
Ich wäre auf diese Sache ohnehin nicht eingegangen,
wenn nicht der Kollege Erler diese Bemerkung gemacht hätte, zu der ich ja Rede und Antwort stehen muß. Es ist Sache jedes Staatsbürgers, sein Recht zu verlangen.
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- Soll ich Ihnen in diesem Zusammenhang sagen, daß ich in zwei Schriftsätzen auf über 120 Seiten eine genaue Darstellung der Sach- und Rechtslage gegeben habe, wie sie erschöpfender überhaupt nichtmöglich ist? Ich werde zu gegebener Zeit darauf zurückkommen.
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Die Haushaltsrede des Bundesministers der Finanzen enthält eine Fülle von Zahlen, Vergleichen und Argumenten, die eine eindeutige und durch keine Kasuistik ,aus der Welt zu schaffende Beweisführung dafür sind, daß unter dieser Politik nicht nur der Wiederaufbau eines mit verzweifelten Menschen überfüllten Trümmerhaufens erfolgt ist, sondern in den letzten Jahren .auch der innere Ausbau, der wirtschaftliche Aufstieg, die soziale Ausgestaltung und der Bau des Weges in die Zukunft weiter gediehen sind.
Lassen Sie mich einige Einzelprobleme aus dem Bereich der Innenpolitik herausgreifen. Man geht nicht fehl in der Annahme, daß bei einer Umfrage nach den Problemen, an denen unser Volk auf dem Gebiet der Innenpolitik am meisten interessiert ist, die Frage der Geldwertstabilität mit Abstand im Vordergrund .steht.
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Es ist im Rahmen einer kurzen Rede nicht möglich, dieses Problem in seinen Einzelheiten zu behandeln. Man sollte sich aber auch hier vor jedem Extremismus hüten. Gerade in einer Hochkonjunktur stellt sich die Aufgabe, auf die Stabilität des Geldwerts .zu achten, besonders dringlich.
Die First National City Bank in New York hat in Ihrem Juli-Bericht eine Zusammenstellung auf der Grundlage der Lebenshaltungskosten und der Preisindizes veröffentlicht, in ,dem die Geldwertveränderungen von 1953 bis 1963 in 42 Ländern ausgewiesen werden. Man muß natürlich wie von jeder Statistik so auch hier einen behutsamen Gebrauch machen, weil ihr wirklicher Wert nur bei genauer Analyse der Grundannahmen ermessen werden kann. Immerhin geht daraus hervor, daß die Geldwertstabilität der Bundesrepublik unter .den genannten 42 westlichen Währungen zusammen mit der amerikanischen und der belgischen am wenigsten gelitten hat und daß die Geldentwertung sowohl in ,einer Reihe von EWG-Ländern wie besonders in den drei skandinavischen Ländern in diesem Zeitraum am stärksten in Erscheinung getreten ist.
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Der Bundeskanzler hat Zahlen genannt, die auf einem anderen Index aufgebaut sind, aber in der gleichen Richtung liegen.
Es bedarf keiner Erwähnung, daß der Geldwert kein Selbstzweck ist. Aber er ist ein relativ hoher Wert mit weitreichenden Auswirkungen für die wirtschaftliche Stabilität, für die soziale Sicherheit und für das gesellschaftliche Verhalten des einzelnen.
Ich möchte in dem Zusammenhang nicht auf die Rolle eingehen, die in den Jahren 1930 und 1931 gerade die Deflation mit ihren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hatte. Es ist aber falsch - ich möchte das in aller Deutlichkeit sagen -, das Gespenst einer Inflation ständig an die Wand zu malen;
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denn allein durch den Gebrauch dieses Wortes wird eine Wirkung erzeugt, die dann erst durch ihre Eigengesetzlichkeit geldwertschädigende Tendenzen aufweist.
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Immerhin hat die EWG-Kommission auch jetzt wieder der Bundesrepublik für ihre Konjunkturpolitik unter sämtlichen Mitgliedsländern der EWG das beste Zeugnis ausgestellt.
Der Vizepräsident der EWG-Kommission, Marjolin hat am 23. September dieses Jahres im Europäischen Parlament in Straßburg eine zusammenfassende Darlegung über den Stand der Durchführung der Empfehlungen des EWG-Ministerrats zur Wiederherstellung des inneren- und äußeren Gleichgewichts in der Gemeinschaft gegeben. Er hat dabei festgestellt, die Lage sei auch weiterhin in der Bundesrepublik zufriedenstellend. Die Konjunkturpolitik weise unter diesem Gesichtspunkt zahlreiche positive Aspekte auf, und die Produktion habe sich als bemerkenswert elastisch erwiesen. Sowohl die Entwicklung der Verbraucherpreise wie die Lohnkosten je Produktionseinheit gäben nach wie vor zu keinen Besorgnissen Anlaß. Das gehe Hand in Hand mit der Tatsache, daß die Zahlungsbilanzüberschüsse sich verminderten und die Gesamtzahlungsbilanz sogar leicht negativ geworden sei.
Auch bei diesem Anlaß möchte ich den Hinweis auf den notwendigen Unterschied zwischen Geldentwertung und gestiegenen Preisen geben. Beides ist nicht ohne weiteres identisch. Gestiegene Preise sind auch eine Folge der sozialen Umschichtung, der höheren Bewertung des Produktionsfaktors Arbeit, der damit verbundenen höheren Preise, besonders im Dienstleistungsgewerbe, und damit eine Folge der von uns gewünschten sozialen Integration, deren Konsequenzen dann aber nicht einfach geleugnet oder ignoriert werden dürfen.
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Man soll jetzt auch nicht mehr allzuviel von der Notwendigkeit einer Konjunkturdämpfung sprechen. Auch hier haben sich die Verhältnisse weitgehend beruhigt. Gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden, der großen Verbände und des einzelnen, der Parlamente und der Parteien ist es, zur Erhaltung des Geldwertes durch ihr Verhalten beizutragen.
Der Finanzminister hat ein großes Wort gelassen ausgesprochen: daß nämlich nur durch eine nachhaltige Verminderung des Einnahmeanstiegs eine Wachstumsbegrenzung der öffentlichen Ausgaben zu erreichen sei. Damit taucht die alte Frage auf: Nicht mehr ausgeben, als man einnimmt, - aber auch die Frage: So viel einnehmen, als man ausgeben muß.
Der Bundesminister der Finanzen hat sich eingehend mit der brennenden Frage der Investitionen der öffentlichen Hand befaßt. Erlauben Sie mir, hierzu meine Meinung zu sagen. Die Bedeutung der Investitionen der öffentlichen Hand wird in der Regel im Hinblick auf die private Produktion und das gesamte wirtschaftliche Wachstum völlig unterbewertet oder häufig mit negativem Akzent versehen. Die Gründe dafür sind historisch bedingt, hängen aber auch mit der Natur der Dienstleistungen des Staates zusammen. Die Urbedürfnisse des Menschen sind Nahrung, Kleidung, Wohnung und eine geordnete Umwelt; dabei findet man für das letzte häufig nicht genügend Verständnis. Dazu kommt noch, daß die Dienstleistungen meistens nicht materiell gemessen werden können und den staatlichen Investitionen der Vorwurf gemacht wird - der oftmals nicht stimmt -, sie stünden im Gegensatz zu der gütererzeugenden Privatwirtschaft.
Eine Ubersicht über die Verteilung der öffentlichen Investitionen auf die öffentlichen Aufgabengebiete zeigt, daß die staatliche Vermögensbildung nicht immer der Sucht der öffentlichen Hand entspringt, sich auf Kosten des Steuerzahlers zu bereichern, sondern daß sie eine zwangsläufige Folge der Aufgabenerfüllung des Staates ist, die sich aus dem Wachstum unserer Wirtschaft ergibt, verbunden mit dem oft übertriebenen Ruf nach dem Staate, und zwar in allen Bereichen.
Auch die technische Entwicklung und ihre industrielle Anwendung haben die Notwendigkeit der Investitionen in den letzten Jahren zunehmend verstärkt. Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten 15 Jahre hat sich aus diesen Gründen in der Bundesrepublik oft ein Widerspruch zwischen dem Wachstum auf privater Seite und den öffentlichen Einrichtungen entwickelt. Man sagt, die Üppigkeit des privaten Sektors - auch das ist ein Schlagwort - stehe im Gegensatz zur Dürre des öffentlichen Sektors. Aber eine wachsende Zahl an Autos erfordert mehr Straßen, mehr Parkplätze, mehr Verkehrsregeln, mehr Polizei, mehr Unfallschutz. Dazu kommen mehr Bauland, größere Ausgaben für die Reinhaltung von Luft und Wasser, steigende Anforderungen an Geist und Körper; sie erfordern mehr Schulen, mehr Sportplätze, mehr Spielplätze, mehr Krankenhäuser, Erholungsheime, Altersheime, mehr und bessere Wohnungen. Dazu kommen Stadtplanung und Raumordnung. Der Anteil der öffentlichen Investitionen an den gesamten Investitionen der Bundesrepublik beträgt heute ein Viertel. Um ein gesundes Verhältnis zwischen Leistungen der Privatwirtschaft und den Anstrengungen der Allgemeinheit einerseits sowie den öffentlichen Einrichtungen andererseits wiederherzustellen, müßte der Anteil der öffentlichen Investitionen
trotz allem noch erhöht werden. Ich weiß, daß das ein Wort ist, das nicht allseits Beifall finden kann. Aber uns sind auch Grenzen gezogen, Grenzen, die nur durch Umgestaltung der Haushalte und Erhöhung der dispositionsfähigen Teile des Haushalts wieder verschoben werden können.
Wir können an der Tatsache nicht vorbeigehen, daß die rasche Zunahme der Bevölkerung durch die erzwungene Ost-West-Wanderung, die natürliche Vermehrung der Bevölkerung, die damit verbundenen Probleme des Zusammenlebens von immer mehr Menschen auf engerem Raum, die Auswirkungen der modernen Technik in ihrem rapiden Fortschritt, die dadurch bedingten soziologischen Veränderungen und auch die damit Hand in Hand gehende Steigerung der Lebensansprüche, aber auch die Zukunftsvorsorge heute die öffentliche Hand vor gewaltige Aufgaben stellen, die sich in den Investitionsplänen von Gemeinden, Ländern und Bund niederschlagen.
Wer aber heute offenen Auges durch unser Land fährt, der wird feststellen, daß hier dank der konsequenten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik und dank der Leistung unseres Volkes Verhältnisse geschaffen worden sind, die sich mit denen in anderen europäischen Ländern und in Nordamerika, auch solchen Ländern, die nicht vom Krieg betroffen waren, sehr wohl vergleichen 'lassen.
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Selbstverständlich sagen wir damit nie, daß bei uns alles Gold sei, was glänzt. Es ist hier ein Engpaß entstanden, den man aber nicht einfach durch Drosselung der Investitionsprogramme beseitigen kann.
Aus diesem Anlaß eine spezielle Frage an den Finanzminister für die nächste Woche. Der Finanzminister hat darauf hingewiesen, daß der Bund noch nicht seinen vollen Bedarf auf dem Kapitalmarkt decken konnte. Aus den Übersichten der Bundesbank ergibt sich, daß auf dem Gebiete der Zahlungsbilanz sich die Dinge wieder normalisieren. Ich stelle deshalb anheim, zu prüfen, ob es unter diesen Umständen noch nötig ist, an der Kuponsteuer für Gebietsfremde bei Rentenwerten festzuhalten. Normalerweise muß man der Meinung sein, daß der Einstrom ausländischen Kapitals, soweit es nicht für wirtschaftsgefährdende Spekulationen angelegt wird, ein gutes Zeichen ist, nämlich ein Beweis des Vertrauens zu den wirtschaftlichen Verhältnissen eines Landes und zur Stabilität dieser Verhältnisse. Mindestens sollte ernsthaft geprüft werden, ob derjenige, der sozusagen im guten Glauben einmal die Papiere erworben hat, ebenso behandelt werden soll wie der Neuerwerber.
Wir haben gerade in den letzten Jahren auf dem Gebiet des Straßenbaus erlebt, daß die Begrenzung der Ausgaben auf Grund der voraussichtlichen Kapazität nicht der entscheidende Maßstab ist. Die Tatsache, daß gutes Wetter und vermehrte Kapazität geholfen haben, das Straßenbauprogramm 1964 schon in den ersten drei Quartalen zu bewältigen, konnte nicht dazu führen, den Straßenbau für den Rest des Jahres einzustellen. Es gibt Bedürfnisse, die nicht allein nach haushaltstechnischen oder konjunkturpolitischen Gesichtspunkten manipuliert werden können.
Wir haben ernste Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt, zum Glück nicht Arbeitslosigkeit, sondern Überbeschäftigung. Wir können leider nicht mehr der Meinung sein, daß heute eine Steuerbefreiung von Überstundenzuschlägen oder eine Steuerbefreiung von Überstundenlöhnen überhaupt noch ein wirksames Mittel wäre. Das einzige wirksame Mittel ist eine beschleunigte Investitionstätigkeit der Wirtschaft, eine erweiterte Investitionstätigkeit der Wirtschaft und eine staatliche Steuerpolitik, die ihr auch dazu verhilft. Der Zustand, den wir heute haben - 1 Million Fremdarbeiter, 600 000 offene Stellen -, ist unbefriedigend. Natürlich wird eine vermehrte Nachfrage nach Investitionsgütern auch hier die Gefahr in sich bergen, daß auf diesem Gebiete die Preise steigen. Aber erfahrungsgemäß führt eine vermehrte Nachfrage nach Investitionsgütern noch nicht zu einer unmittelbaren Auswirkung auf die Konsumgüterpreise.
Man soll auch bei uns nicht darauf hoffen, daß durch Strukturumgestaltung der Landwirtschaft in absehbarer Zeit noch eine größere Zahl von Arbeitskräften freigemacht werden kann.
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Für uns ist die Existenzerhaltung des bäuerlichen Familienbetriebs nicht allein eine wirtschaftspolitische Frage, sondern eine allgemeinpolitische Frage von größter, auch über den nationalökonomischen Bereich hinausgehender Bedeutung.
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Der Haushalt enthält eine Reihe von Schwerpunkten, auf die hier nicht im einzelnen eingegangen werden kann. Aber es muß diesem Haushalt zuerkannt werden, daß er trotz der starken gesetzlichen Bindungen und ihrer automatischen Wirkungen klar erkennbare Schwerpunkte aufweist. Es ist heute sehr häufig üblich geworden, auf eine Synopse zu verzichten und jeweils vor einem bestimmten Kreis in Form von Spezialtagungen, Spezialkonferenzen, Spezialkongressen die Interessen des betreffenden Kreises anzusprechen und dabei gezielte Zusagen zu geben. Die Addition dieser Zusagen ergibt dann durchweg eine Gesamtsumme, die weit jenseits des heute Vorhandenen oder überhaupt unter äußerster Ausnutzung der öffentlichen Einnahmenpolitik Erreichbaren läge.
Ich glaube, Herr Kollege Erler, daß die Festsetzung von Schwerpunkten eine Aufgabe auch der Opposition ist. Hier wird man um die Entscheidung zwischen konsumtiven und investiven Staatsausgaben, auch wenn eine Verlagerung auf das zweite manche politische Schwierigkeit mit sich bringt, nicht herumkommen.
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Das ist die Frage, vor der wir heute im besonderen stehen und in den nächsten Jahren immer noch stärker stehen werden.
Am Schluß der Haushaltsbetrachtung möchte ich auf ein besonderes Thema eingehen, nämlich auf die Frage der ständigen Verminderung des DispositivDr. h. c. Strauß
spielraums. Vor vier Jahren hat Kollege Schoettle festgestellt, daß der gesetzesgebundene oder durch andere Verpflichtungen gebundene Teil des Haushalts bereits 80 % betrage. Innerhalb weniger Jahre waren aus den 80 % 85 % geworden. Vom Finanzminister haben wir am Dienstag gehört, daß nunmehr bereits über 90 % gebunden seien. Wenn die heute noch bevorstehenden Programme auf dem Gebiet der Sozialpolitik, auf dem Gebiet des zivilen Bevölkerungsschutzes usw. durchgeführt werden, können wir uns das Jahr ausrechnen - es wird zwischen 1967 und 1970 liegen -, wo praktisch 100 % des Haushalts durch gesetzliche Bindungen oder gesetzesähnliche Verpflichtungen festgelegt sind. Damit ist aber für eine Regierung die Möglichkeit, eine gestaltende Politik zu treiben, weitgehend entfallen. Die Regierung ist damit nur noch ein Vollzugsorgan, eine Art Buchhaltungs-Durchleitungsstelle für das, was hier ohne weitschauende Planung an Gesetzen beschlossen wird. Das muß einmal gesagt werden, weil es die ernstesten Schwierigkeiten in sich birgt.
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Aber der Haushalt ist auch ein Spiegelbild, ist auch ein Dokument unserer Außenpolitik. Wenn man die Leistungen für die NATO, die Leistungen für die Bundeswehr, die Leistungen für internationale Organisationen, die Leistungen für die Entwicklungshilfe und all diese Dinge sieht, erkennt man, daß wir nicht allein auf der Welt sind. Aber worum geht es wirklich? Kollege Erler hat ja heute eine Reihe von Ausführungen außenpolitischer Art gemacht und dabei auch einige gezielte Bemerkungen eingeflochten, z. B. den Bundesminister für Verkehr erwähnt und dessen Reden in einem bestimmten Zusammenhang genannt.
Nun, dabei ist Ihnen schon durch einen Zwischenruf die Antwort gegeben worden: Wie steht es denn mit Ihrem Kollegen Wenzel Jaksch? Ich habe nicht etwa die Absicht, hier einige Zitate zu verlesen. Aber ich habe doch die Aufgabe, einiges dazu zu sagen.
Wenn von unserer Seite aus bestimmte klare, ich darf sagen: legitime nationale Ziele vertreten werden - z. B.: keine Anerkennung der Oder-NeißeGrenze, d. h. eine Aushandelung der deutschen Ostgrenze bei einer Friedenskonferenz mit einer legitimierten, ganz Deutschland vertretenden demokratischen Regierung -, wenn für das Selbstbestimmungsrecht aller Menschen, auch der Vertriebenen, für das Heimatrecht aller Menschen, auch der vertriebenen Deutschen, eingetreten wird und wenn hinsichtlich der Annäherung durch Anpassung oder der Anpassung durch Annäherung ein kritisches Wort gesagt wird, dann erleben wir es heute häufig - und ich gebe damit nur die Wirklichkeit wieder, in der wir auf diesem Gebiete seit Monaten stehen -, daß wir - ich bitte um Entschuldigung, wenn ich hier ein militärisches Bild gebrauche - von links starkes Flankenfeuer von gewissen Heckenschützen bekommen, durch das wir abgehalten werden sollen, uns zu dieser Sache zu äußern. Gleichzeitig erleben wir aber, daß auch der Kollege 'Wenzel Jaksch und andere längst dabei sind, uns
rechts zu überholen und im Kreise der Vertriebenen I dann eine entsprechende politische Ernte zu erzielen.
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- Ich gebe Ihnen darauf eine so klare Antwort, Herr Kollege Erler, daß ich sogar froh wäre, wenn Sie dazu dann eine Zwischenfrage stellten, damit ich weiß, ob ich ein falsches Dokument bei mir habe.
Ich habe vor mir die „Erklärung deutscher politischer Parteien zur sudetendeutschen Frage", und zwar a) die Erklärung der SPD, Bergneustadt, 22. Januar 1961:
Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung fand an diesem Wochenende
- im Wahljahr 1961 in Bergneustadt eine Begegnung zwischen dem Bundesvorstand und dem Präsidium der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft und Mitgliedern des Präsidiums der SPD statt.
Nach der Begrüßung durch Alfred Nau vom Vorstand der Stiftung und Erich Ollenhauer, den Vorsitzenden der SPD, hielten Herbert Wehner für die SPD und Minister Seebohm für die SL einleitende Referate, denen sich eine ausführliche und in freimütiger Offenheit geführte Diskussion anschloß. Beide Gesprächspartner waren sich über folgende Punkte einig:
1. Die sudetendeutsche Frage ist durch die Vertreibung der Sudetendeutschen nicht erledigt. Die Vertreibung war widerrechtlich; sie muß auf friedlichem Wege wiedergutgemacht werden, ohne daß anderen Menschen aufs neue Unrecht geschieht.
2. Wiedergutmachung der Vertreibung heißt: Rückkehr der Vertriebenen, d. h. Verwirklichung ihres Rechtes auf Heimat.
3. Das Recht auf die Heimat kann erst dann als verwirklicht gelten, wenn die politischen und menschlichen Freiheitsrechte in der Heimat verwirklicht und gewährleistet sind.
4. Neben dem Recht auf die Heimat wird der Grundsatz des Selbstbestimmungsrechtes der Völker verfochten.
5. Das Selbstbestimmungsrecht ist eine umfassende Idee. Sie läßt im gegebenen Falle verschiedene staats- und völkerrechtliche Lösungen zu.
6. Die Feststellung, wonach Deutschland in den Grenzen von 1937 rechtlich fortbesteht, schließt das Heimat- und Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen nicht aus.
7. Die offene Entnationalisierung der heute noch in der Tschechoslowakei zurückgehaltenen Deutschen widerspricht den Grundsätzen eines auf den Menschenrechten gegründeten Volks6826
gruppenrechts, zu denen sich die SPD in ihrem
Godesberger Grundsatzprogramm bekannt hat.
Quelle: SPD-Pressedient vom 23. Januar 1961
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Hier ist nicht der geringste materielle Unterschied zu den beiden Reden von Herrn Seebohm, die Sie heute zitiert und so heftig kritisiert haben.
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Darf ich - wenn Sie nicht eine Zwischenfrage stellen oder die Echtheit des Dokuments bestreiten wollen - aus Ihrer Zustimmung schließen, daß das die offizielle Politik der SPD ist? In diesem Falle darf ich Ihnen sagen, daß ich und wohl auch meine ganze Fraktion mit dieser Politik bis ins Letzte übereinstimmen.
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Wenn Sie aber diesen Grundsätzen zustimmen, dann dürfen Sie, Ihre Fraktion und Ihre Partei sowie Ihre Anhänger - soweit Sie die Kontrolle über diese haben - auch nicht an Bundesminister Seebohm wegen seiner beiden Reden eine solche Kritik üben, wenn Sie genau dasselbe vertreten, was Seebohm in seinen beiden Reden gesagt hat.
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Ich wäre sogar begierig, von Ihnen oder von dem Nachredner - wahrscheinlich Kollege Wehner - zu erfahren, ob Sie zu dieser Erklärung stehen und inwieweit sich diese Erklärung von dem Inhalt der Reden des Sprechers der Sudetendeutschen Landsmannschaft unterscheidet. Wenn wir uns hier einig sind, dann sollte dieses Thema nicht mehr Gegenstand parteipolitischen Streites werden, weil es um sehr ernste Fragen geht.
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Sie haben sich heute zum Teil durch witzige Bemerkungen, zum Teil durch lautes oder lauteres Lachen zu dem Thema „Diskussion in der Union" geäußert, und Sie haben heute morgen das Wort vom Zerstrittensein gebraucht - ich weiß nicht, ob für die Koalition oder auch für die CDU/CSU.
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- Ich komme Ihnen sogar entgegen, obwohl die verbale Interpretation das nicht unbedingt rechtfertigt. Ich habe vorhin schon eine Antwort darauf gegeben. Dadurch, daß die Opposition auf außenpolitischem Gebiet heute nicht in der Lage ist. irgendeine weiterführende Idee zu bringen, ein alternatives Konzept zu zeigen und ihre Funktion auf diesem Gebiet zu erfüllen, richtet sich die Öffentlichkeit auf unsere Überlegungen, weil wir bemüht sind, ,die Grundsätze und Ziele unserer alten Politik, den zeitgemäßen Umständen entsprechend und den Veränderungs- und Entwicklungsgesetzen
der Zukunft Rechnung tragend, in die Zukunft hinein zu gestalten. Daß das eine Diskussion ergibt, ist selbstverständlich, aber eine Diskussion, die nicht die Interpretation verdient, wie sie heute von Ihnen - ich darf sagen: in diesem Falle sogar noch sehr maßvoll - gegeben worden ist.
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- Nun, so deutlich war er auch wieder nicht.
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Aber sie haben ihm ja nach seiner Münchener Rede besonderen Beifall gezollt. Das war ihm hernach gar nicht so unbedingt angenehm.
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Während Sie sich - ich sage das ohne polemische Aggressivität, aber auch mit voller Deutlichkeit - heute mühsam dazu durchgerungen haben, im großen und ganzen den Standpunkt der bisherigen Regierungspolitik einzunehmen, denken wir darüber nach - nicht sie aufzugeben, aber sie richtig weiterzuentwicklen und sie angesichts einer Welt, die voller Veränderungen ist, zeitgemäß zu gestalten, ohne Grundsätze und Ziele aufzugeben, aber dafür die richtigen Wege und Methoden zu finden.
Ich weiß noch, daß - ich weiß nicht, ob es von Ihnen hier geschehen ist, Herr Kollege Erler, sicherlich aber von Ihrem Presseorgan - jahrelang gesagt worden ist, die CDU/CSU sei gar keine richtige politische Partei, da gebe es gar keine Diskussion, es sei eine Marschkolonne unter Konrad Adenauer, sie schwenke nach dieser oder jener Seite, wie der Kanzler es befehle. In dem Augenblick, wo wir angesichts entscheidender Einschnitte in der Welt, die sich vor unseren Augen anbahnen, um den richtigen Weg ringen, beanspruchen wir nur das Recht, eine echte politische Partei zu sein, in der der Wille zur gemeinsamen Politik stärker ist als der Spielraum unserer Überlegungen, mit dem wir aber auch zum Ziel kommen werden.
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Wenn wir fragen: haben wir unsere bisherige Politik zu modifizieren?, dann möchte ich von vornherein sagen, daß ,die heutige Entwicklung in der Welt, auch der Disput im westlichen Bereich, insbesondere aber die Veränderungen im bisherigen Sowjetblock uns in keiner Weise einen Anlaß zum Kleinmut oder zur Angst geben. Ganz im Gegenteil! Eine Politik, die den Glauben nicht als zweckmäßiges Propagandainstrument, sondern als ethischen Auftrag unter Verantwortung vor Gott und den Menschen empfindet, kann nicht nach radikalen, durchgreifenden und schnellen Lösungen mit allen Mitteln streben. Die erste Phase der Nachkriegspolitik ist vorbei. Ihre Stationen brauchen nicht aufgezählt zu werden, sie sind uns bekannt. Immerhin haben zwei große Lebenslinien der Politik der Bundesrepublik 'und der freien Welt sich bewährt. Das eine ist das wirtschaftliche und politische Zusammenwachsen Europas in verschiedenen Formen, das andere ist das Bündnis zwischen Amerika und Europa, das nicht nur jede weitere Ausdehnung des KommuDr. h. c. Strauß
nismus, sei es auf gewaltsamem, sei es sozusagen auf friedlichem Wege, in seinem Bereich verhindert hat, sondern dessen Existenz in Verbindung mit der waffentechnischen Entwicklung zu einer Umstellung der kommunistischen Politik geführt hat. Wir reagieren heute nicht auf eine von Chruschtschow eingeleitete neue Phase einer Koexistenz- und Entspannungspolitik, sondern das Verhalten des sowjetischen Ministerpräsidenten, der kommunistischen Führung ist eine Konsequenz aus der Tatsache, daß der Kommunismus mit den bisherigen Mitteln sein Ziel nicht mehr erreicht und seine Politik umstellen mußte.
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Wir haben nicht die Zeit, das im einzelnen auszuführen. Aber die kommunistische Geschichtsphilosophie ist gerade im Laufe der NATO-Zeit ad absurdum geführt worden. Ihre Prognose, daß sich die nichtkommunistische Welt durch blutige Kriege gegenseitig zermürben und gegenseitig vernichten werde, war falsch.
Das Mittel des Krieges gibt es heute zwischen den demokratischen Industriestaaten des Westens nicht mehr. Die Prognose von der revolutionären Erhebung der unterdrückten Arbeitermassen ist falsch; sie hat sich eindeutig als falsch erwiesen. Die Prognose vom Aufstand der Farbigen ist dank der Vernunft der ehemaligen Kolonialmächte nicht in die Wirklichkeit übergegangen; im Gegenteil, wir haben diesen Völkern geholfen, den Weg zu einer normalen Entwicklung zu finden. Und viertens: die Weltrevolution im Zusammenwirken von innerer Revolution und äußerer militärischer Unterstützung durch die Rote Armee wird nicht mehr stattfinden.
Das sind die Punkte; das sind die Entscheidungen, vor denen Chruschtschow heute steht.
Wir sollten uns aber von dieser Formel „Koexistenz und Entspannung" nicht bluffen lassen. Diese Formel ist nicht von Chruschtschow erfunden und der beglückten westlichen Welt als Morgengabe eines geläuterten, mit Demokratisierungs- und Liberalisierungstendenzen gesegneten Kommunismus geboten worden, sondern der Westen hat seit dem Jahre 1945 bewiesen, daß er immer nach Koexistenz und Entspannung gestrebt hat, wo immer die kommunistischen Machthaber einen Krieg entfacht, eine Unruhe erzeugt oder eine internationale Situation zur Ausdehnung der Weltrevolution zu benutzen versucht haben. Der Westen hat auch in der Zeit des Alleinbesitzes der Atomwaffen durch die Amerikaner weder militärischen noch politischen Mißbrauch getrieben, und er hat niemals versucht, den territorialen Status quo mit gewaltsamen Mitteln zu ändern. Dagegen hat der Kommunismus immer versucht, die staatliche Einheit Deutschlands zu verhindern, den Wiederaufstieg Europas unmöglich zu machen, das Bündnis Europa-Amerika zu verhindern oder zu zerschlagen. Er hat immer versucht und versucht auch heute noch, nur mit anderen Mitteln, die westliche Welt zu schwächen und die eigene Position zu stärken. Er hat sich dafür einer Fülle von Plänen, Methoden und Wegen bedient, die manchmal auch im Westen da oder dort ihre naive Unterstützung gefunden haben. Aber im großen und ganzen ist der Kommunismus gescheitert. Seine Parole heißt heute: Entspannung und Koexistenz.
Was geht denn vor sich?
Da mir so oft vorgeworfen worden ist, daß die außenpolitische Diskussion über gewisse Probleme, auch mit den Schlagworten „Gaullisten", „Atlantikur", „Europa" - diese oder jene Form -, „ZweierUnion", außerhalb dieses Hauses geführt wird, erinnere ich an das, was ich eingangs dieser Debatte gesagt habe. Sie kann sehr wohl auch hier geführt werden, weil damit sehr leicht falsche Akzente verwischt werden können, soweit der gute Wille dazu vorhanden ist.
Nach 1945 war die Welt in drei Bereiche geteilt: die freie Welt mit der Führungsmacht USA, die kommunistische Welt mit der Führungsmacht Moskau, also kommunistischer Block und die sogenannte Non-committed world, die farbige Welt mit verschiedenen Schwerpunkten und Zentren und verschiedenen Erscheinungsformen.
So sah die Welt nach 1945 aus. Bis vor einigen Jahren standen sich immer gegenüber auf der einen Seite die freie Welt mit den USA, auf der anderen Seite der kommunistische Block mit Moskau. Das war in Berlin der Fall, das war an der Zonengrenze der Fall, das war der Fall in Korea, das war der Fall in Indochina, auch wenn dort andere sozusagen im Auftrag gehandelt haben.
Wie sieht es heute aus?
Die Frage, ob das Schisma im Kommunismus den Kommunismus bereits weniger gefährlich gemacht hat, ihm seine Stoß- und Schwungkraft genommen hat, kann man heute noch nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Es ist sehr wohl möglich, daß die Varianten von zwei kommunistischen Erscheinungsformen je nach dem einzelnen Gebiet und nach der einzelnen regionalen Struktur vorübergehend eine noch größere Anziehungskraft haben könnten als eine Variante. Aber unbestreitbar ist, daß es zwischen Moskau und Peking nicht zu einem Spiel mit einem vorgetäuschten, geblufften Riß, sondern zu einem echten, zur Zeit unheilbar scheinenden Riß gekommen ist.
Was sind die Gegensätze? Nun, diese Fragen stehen mit den Denkansätzen unserer Politik in einem so engen Zusammenhang, daß sich niemand mit deutschen, europäischen oder atlantischen Fragen beschäftigen kann, ohne den Gesamtzusammenhang der Dinge in diese Betrachtung einzubeziehen. Wir haben zwischen Moskau und Peking einmal den Gegensatz der verschiedenen Anwendung der Ideologie. Wir haben zweitens den Kampf um die Führung innerhalb der kommunistischen Welt. Wir haben drittens den Kampf um die Führung in der farbigen Welt, wo China versucht, Moskau völlig zu verdrängen. Wir haben viertens den Gegensatz zweier Großmächte, die eine gemeinsame Grenze haben und auch imperiale Kontroversen miteinander haben. Ich wäge nicht moralisch zwischen Moskau und Peking. Ich erkläre nicht, daß die einen so und die anderen so zu beurteilen seien. Für uns ist nur eines von Bedeutung: daß die Einheit der kom6828
munistischen Welt und damit auch die Einheit ihrer politischen Parolen nicht mehr vorhanden ist. Das ist ein ungeheuerer Gewinn der Politik des Westens, sei es durch unsere Anstrengungen, sei es auch durch eine Fügung, an der wir kein Verdienst haben. Wenn es - ich sage das in Zusammenhang mit der deutschen Frage - im kommunistischen Bereich dahin kommt, daß die bisherige These Moskaus von den geschichtlichen Veränderungen durch den zweiten Weltkrieg und damit die Legitimation der Teilung Deutschlands und der Spaltung Europas nicht mehr einheitliche kommunistische Sprachregelung ist, so ist das für uns bereits ein gewaltiger Vorteil in der geistigen und politischen Auseinandersetzung mit der kommunistischen Welt.
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Das hat aber auch zur Folge, daß wir diese Fragen nicht nur sorgfältig beobachten, sondern unsere eigene Haltung von Phase zu Phase immer erneut auf ihre Richtigkeit überprüfen müssen. Hier geht es nicht um moralische Maßstäbe der Differenzierung zwischen Moskau und Peking. Beide vertreten den weltrevolutionären Gedanken in verschiedenen Formen. Hier geht es einfach darum, zu versuchen, mit den Mitteln unserer Politik das Bestmögliche für uns herauszuholen.
Aber es handelt sich nicht nur um den Dualismus im kommunistischen Bereich, es handelt sich hier auch um die polyzentrische Entwicklung innerhalb des europäischen Bereichs des früher als Monolith bezeichneten Sowjetblocks. Weil soviel die Rede ist von Koexistenz und Entspannung, weil die einen als Gegner und die anderen als Freunde der Entspannung bezeichnet werden, sollte man doch einmal versuchen, diese Dinge auf ihren wahren Gehalt zu reduzieren.
Ich glaube, daß innerhalb des europäischen Bereichs des Sowjetblocks interessante Tendenzen zu verzeichnen sind. Einmal scheint es so zu sein, daß sich die Massen in diesen Ländern nicht mehr mit dem Glück ihrer Urenkel trösten lassen wollen, weil sich die Wahrheit über die besseren Lebensverhältnisse des Westens auch trotz des Eisernen Vorhangs nicht verschweigen ließ. Zum zweiten hat der rapide Fortschritt der modernen Technik auch dort soziologische Veränderungen hervorgerufen, an denen die Machthaber nicht achtlos vorbeigehen können. Es ist dort eine neue technisch-bürokratische Mittelschicht herangewachsen, die weder aus kommunistischen Funktionären fanatischer Art noch aus überzeugten parlamentarischen Demokraten besteht, sondern aus Menschen, die besser leben wollen, mehr Spielraum haben wollen und die nicht unter der totalen Diktatur der Staatsfunktionäre stehen wollen.
Wenn man heute sagt: Handel mit dem Osten - neue Linie unserer Politik, so sollte man hier die Zusammenhänge und die Hintergründe sehen. Ich sage kein Wort gegen die Errichtung der Handelsmissionen, ganz im Gegenteil. Aber wir sollten sehen, daß hier zwei gegenläufige Strömungen miteinander um die Oberhand ringen. Wenn der Osten - Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien,
Bulgarien - einen verstärkten Handel mit dem Westen wünscht, dann erstens, weil die Massen besser leben wollen, und zweitens, weil diese Schicht, von der ich gesprochen habe, einen größeren Spielraum und bessere Lebensverhältnisse haben will. Moskau hat selber wirtschaftliche Engpässe. Moskau kann diesen Ländern zur Zeit nicht das liefern, was sie zu einer baldigen Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse brauchen; darum auch die Anlehnung an den Westen, das Bemühen um mittel- und langfristige Kredite. Wir sollten dazu nicht bloß nein sagen. Wir sollten nicht glauben, daß diese Bewegung einer gewissen wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Moskau, diese Bewegung nach besserem Leben und diese Bewegung nach Liberalisierung und Demokratisierung schon automatisch dem Ende des kommunistischen Systems zusteuert.
Die gegenläufigen Strömungen sind die: die kommunistischen Machthaber wollen mit dieser für sie auch riskanten Politik ihr Regime auf lange Sicht stabilisieren und normalisieren, und wir hoffen, daß sich durch diese Politik der Entspannung und der Koexistenz, durch die Mittel, die sie bietet, für uns eine verstärkte Einwirkung, eine verstärkte Einflußnahme ergibt, nicht für subversive Zwecke, sondern um den Gedanken der Freiheit auch dort zu einer politischen Kraft zu führen, die nicht mehr durch Rückkehr zum alten Terror ausgeschaltet werden kann.
({26})
Das ist die entscheidende Frage.
In diesem Spiele gilt es, die Differenzierungen zu sehen; und hier sind Differenzierungen zu vermerken. Es sei erlaubt, nicht auf die Einzelheiten einzugehen. Das kann vielleicht im Zusammenhang mit einer anderen Debatte geschehen. Aber wer soll heute im Westen als Gegenpartner für diese komplizierte Aufgabe in Erscheinung treten? Damit sage ich das, was meine politische Überzeugung ist. Sie sollen sie auch hier hören, trotz der knappen Zeit, und nicht bloß etwa aus Illustrierten, aus Kolumnen und aus ähnlichen Ersatztribünen vernehmen.
Die Vereinigten Staaten von Amerika sind und bleiben die starke Schutzmacht der freien Welt. Das Bündnis Europa-Amerika ist die Lebenslinie der freien Welt überhaupt. Die enge Verbindung mit Amerika muß ein Axiom der deutschen Politik sein und bleiben. Darüber gibt es keinen Zweifel.
({27})
Ich bitte Sie auch, Kollege Erler, wenn Sie von Mißtrauen gegen die Vereinigten Staaten sprechen, dann damit vielleicht irgendwelche anderen Kreise, aber nicht diese Überlegung zu meinen, wenn Sie es auch nicht wörtlich gesagt haben. Es gab nämlich in diesem Hause Mißtrauen gegen die Vereinigten Staaten von Amerika, als sehr viel Mut dazu gehörte, das Militärbündnis mit Amerika in diesem Hause durchzusetzen.
({28}) Aber das ist vorbei.
({29})
- Ich freue mich, daß die Auflagenzahl bei häufiger
Erwähnung aus dem Munde der Opposition steigt.
Aber sicherlich - und das sollen wir einfach sagen - hat sich auch im Westen seit 1949 einiges verändert. Einmal ist der Monopolbesitz von Atomwaffen bei den Amerikanern - ich muß sagen: leider - entschwunden. Die Welt würde glücklicher und ruhiger leben. Ich hielte nichts von dem Ausgleich. Wenn die Amerikaner die Atomwaffen allein hätten, wäre es besser. Sie würden bestimmt keinen Mißbrauch damit treiben. Die Sowjets haben ihre Atomwaffe. Sie haben in steigendem Maße Möglichkeiten, Langstreckenträger, entwickelt, um ihre Atomsprengkörper an jedem Punkt der Erde zur Explosion zu bringen, d. h. die beiden Supermächte - wir haben uns ja oft darüber in verteidigungspolitischen Debatten unterhalten, Kollege Erler - können sich heute gegenseitig vernichten. Die Amerikaner müssen also naturgemäß Wert darauf legen, daß an den empfindlichen Stellen der Weltpolitik nicht eine Konfliktmöglichkeit entstehen oder ein Zusammenstoß erfolgen kann, der dann automatisch zu einer verhängnisvollen Kettenreaktion ähnlich dem Ausbruch des ersten Weltkrieges, der unter den damaligen Mitteln möglich gewesen ist, und damit zu einem Flächenweltbrand führen kann, der diesmal irreparabel wäre. Diese Forderung der Amerikaner ist absolut berechtigt, und wir müssen volles Verständnis für sie haben. Das bedingt aber auch gewisse Arrangements, gewisse Versuche der Absprache mit der Sowjetunion, um nicht gleich die beiden Weltmächte mit ihren Superwaffen in jedem Fall zu konfrontieren. Das ist ein Ergebnis.
Das zweite Ergebnis seit dem Jahre 1949 ist die unbestreitbare Tatsache, daß die europäischen Mächte, damals hungernd, am Boden liegend, verzweifelt, ausgeblutet, einen Wiederaufstieg erlebten, wirtschaftliche Blüte, soziale Stabilität, auch eine gewisse militärische Bedeutung erlangt haben. Die Summe unserer Überlegungen geht dahin, daß es heute unter dem Druck der weltpolitischen Veränderungen brennend notwendig ist, daß Europa als zweiter Sprecher der freien Welt in einer mit den USA koordinierten Politik zum Zwecke dieses Spieles der Politik mit Koexistenz und Entspannung in Erscheinung treten kann.
({30})
Heute fehlt im Konzert der Weltmächte, heute fehlt in der friedlichen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in seinen differenzierten polyzentristischen Formen und Entwicklungen die Stimme Europas.
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Keine europäische Nation, auch Frankreich nicht -ich wage es, das hier ausdrücklich zu sagen; ich bin nicht Mitglied der Regierung; darum kann ich es sagen -, kann diese Aufgaben alle übernehmen und damit stellvertretend für Europa handeln, weil diese Aufgaben die Kräfte einer europäischen Nation bei weitem übersteigen.
({32})
Ich möchte das Thema Gaullismus hier überhaupt nicht abhandeln. Die Franzosen haben ihre Regierungsform, und de Gaulle ist gerufen worden, als die politischen Parteien gescheitert waren und das Land vor einem Bürgerkrieg stand. Halten wir unsere parlamentarische Demokratie aktionsfähig! Halten wir mit ihr die Lebensfragen unseres Volkes in Ordnung, dann brauchen wir uns nicht über irgendeinen Ismus zu unterhalten. Ich bekenne mich zur parlamentarischen Demokratie, wie sie ist, auch in ihren Schwächen und Fehlern, aber mit ihren wesentlich größeren Vorzügen und Vorteilen.
({33})
Wenn ich dieses Wort über die Notwendigkeit Europas gesprochen habe, dann deshalb, um zu sagen, daß wir nicht Zeit haben, nach innereuropäischen Gesichtspunkten zu warten. Die Frage ist sehr offen, ob das Warten nicht den zentrifugalen Tendenzen Auftrieb gibt.
Sie haben heute gesagt, Herr Kollege Erler, wir sollen unsere Ziele offen aussprechen. Unser Ziel - mein Ziel, ich bin nicht verantwortlich dafür; aber das wäre das Ziel, wenn ich verantwortlich wäre - ist doch nicht eine Zweierunion mit Frankreich. Wir betrachten ja schon die Sechser-Lösung als eine Minimallösung. Wir wollen gern Großbritannien, Skandinavien, die iberische Halbinsel, die südosteuropäischen Länder dabei haben. Ich rede nicht von den Bereichen jenseits des Eisernen Vorhanges. Aber wir stellen fest, daß wir heute an Grenzen stoßen, die wir nicht allein durch Fortsetzung der alten Überlegungen beliebig verändern können. Das ist doch unser gemeinsames Dilemma. Wir haben drei Gemeinschaften: Montanunion, EWG und Euratom. Es zeigt sich, daß eine Vollintegration auf Teilgebieten nicht möglich ist. Es zeigt sich, daß Faktoren von den Verträgen nicht erfaßt werden, die aber in diesen Bereich hineinwirken. Es zeigt sich, daß auf dem Gebiet der Außenbeziehungen, der Verteidigung, der Kultur und auch gewisser anderer Bereiche die Lebensverhältnisse so verschieden sind, die Ziele und Interessen noch so divergierend sind, daß wir dringend eine Periode der Harmonisierung und der Koordinierung brauchen, um dann mit der Integration fortfahren zu können.
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Ich unterstelle das eine als selbstverständlich: daß meine Überlegungen - die auch zum Teil richtig, zum Teil falsch kommentiert worden sind - wie alle menschlichen Überlegungen falsch sein können. Ich glaube .auch nicht an den Wundermechanismus einer automatischen Weiterentwicklung, ich glaube auch nicht an den Wundermechanismus eines Planes allein. Wir müssen versuchen, im Gespräch zwischen den Staatsmännern zugemeinsamen Auffassungen hinsichtlich der Lebensfragen der europäischen Politik zu kommen: das ist die europäische Einigung, das ist die Rolle Europas in der Einwirkung auf den Osten im Wechselspiel der neuen Phase, das ist die Reorganisation der NATO, die nicht ein bilaterales Bündnis zwischen Amerika plus A plus B plus C werden darf, das ist ein gemeinsames Auftreten möglichst vieler europäischer Länder in (den Entwicklungsländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens.
Ichsage ausdrücklich: Frankreich und Deutschland sind nach meiner Überzeugung nicht Europa; soviet Bildung und politischen Verstand haben wir auch, daß wir das nicht behaupten. Aber ohne eine Einigung zwischen Frankreich und Deutschland auf den soeben genannten vier Gebieten wird es keine europäische Politik geben, und wir mögen noch Generationen abwarten, dann wird es auch keine geben.
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Deshalb muß - und ich sage das ohne jeden Unterton gegen Großbritannien, der mir völlig fernliegt, oder die skandinavischen Länder oder gegen Amerika - jede europäische Politik mit der Einigung zwischen Frankreich und Deutschland beginnen. Wir haben die Pläne der Bundesregierung begrüßt, weil sie einen neuen Ansatz bieten, weil sie die Staatsmanner zusammenführen sollen. Es nützt nichts, nur eine Konstruktion zu bieten, es nützt nichts, ein Begegnungsforum zu schaffen; das Wesentliche ist die Entschlossenheit der europäischen Staatsmänner, in den vorhin genannten vier großen Fragen, wo heute Europas Stimme entweder überhaupt nicht ertönt oder nur in Form kleiner schwacher divergierender Nationalstaaten knapp zu hören ist, zu einer gemeinsamen Politik zu kommen.
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Ich darf das wirklich als persönliche Überzeugung sagen. Ich bin der Politik der Franzosen nach dem zweiten Weltkrieg sehr kritisch gegenübergestanden; die haben zwar nicht danach gefragt, aber das ist meine Einstellung gewesen. Ich bin dem damaligen Exministerpräsidenten de Gaulle noch kritischer gegenübergestanden, und besonders kritisch, als er dazu beitrug, in Frankreich die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu Fall zu bringen. So haben wir damals gesprochen, und wir haben keinen Grund, unsere Einstellung von damals heute etwa schamhaft zu unterdrücken oder zu verschweigen. Aber
die großen Europäer wie Robert Schuman, oder Antoine Pinay oder im besonderen de Gaulle haben einen seelischen Umschwung in Frankreich im Volk hervorgerufen, der eine einmalige geschichtliche Situation, eine Sternstunde darstellt, die man ausnutzen muß, weil sonst die Dinge sich wieder abkühlen würden.
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Aus diesem Grunde sind wir der Bundesregierung dankbar für ihre Pläne und bitten sie, diese Pläne vorwärtszutreiben.
Es geht nicht um die Verhältnisse innerhalb Europas. Es geht um die Stimme Europas in der Welt. Es geht darum angesichts der kommenden Gespräche mit Chruschtschow. Ich vermute, Präsident Johnson wird nach Deutschland kommen, Präsident Johnson wird Chruschtschow treffen, der Bundeskanzler wird Chruschtschow treffen. Wir sehen noch heute die starken Kontakte, die Frankreich nicht nur nach Moskau und Peking, sondern auch in den Raum der kommunistischen Satelliten oder Exsatelliten hinein unterhält, und man möge mir meine Bemerkung nicht als Ausdruck nationaler Würdelosigkeit unterstellen, wenn ich sage, daß die moralische Kraft und
die politische Reichweite Frankreichs in Osteuropa, in Polen, der Tschechoslowakei und auf dem Balkan größer ist als die deutsche, weil unsere tragische Vergangenheit den Ertrag und die Ernte von Generationen zerstört hat.
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Ein Deutschland, dessen Politik europäisch orientiert ist, ein Deutschland, dessen Politik mit Frankreich abgestimmt ist, wird in diesen Ländern viel mehr als unsere Friedensbeteuerungen und Deklamationen von Koexistenz und Entspannung glaubwürdig sein und das Gespenst einer militärischen Drohung durch ein wiedervereinigtes Deutschland aus den Herzen der Völker allmählich verdrängen können.
Das ist die Überlegung, warum wir glauben, keine Zeit zu haben, warum wir die Bundesregierung - nur in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überlegungen - gebeten haben, vorwärtszugehen. Europa hat keine Zeit. Europas Stimme muß heute im Konzert dieser Auseinandersetzung laut zu hören sein.
Ich möchte sagen, die deutsche Frage kann - leider - nicht so gelöst werden, wie es sich manche in unserem Lande vorgestellt haben, nämlich durch Pläne oder Arrangements von deutscher Seite mit Abstützung auf westlicher Seite gegenüber dem Osten. Die deutsche Frage wird nur mehr zu lösen sein, wenn eine handlungsfähige freie Welt mit zwei Polen auftritt, mit zwei Sprechern, einem Europa, das mit gleicher Zunge spricht und nicht mit verschiedenen Zungen spricht, und wenn die deutsche Frage europäisiert und atlantisiert wird.
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Um der deutschen Frage willen, um der Überwindung der Spaltung Europas willen, um der Überwindung der Teilung Deutschlands willen ist es heute notwendig, daß wir nicht inmitten europäischer Pläne und Diskussionen steckenbleiben, uns nicht in idealistischen Vorstellungen vom größeren Europa erschöpfen, ohne zu merken, daß die Zeit verrinnt und der große Strom der Zeit und der Entwicklung an uns vorbei und über uns hinweggeht. Das war der Grund: die einmalige geschichtliche Stunde mit Frankreich, die geschichtliche Notwendigkeit, Europa zu schaffen, und dann der große Rahmen Europa-Amerika, in dem allein die deutsche Frage dann als europäische und als atlantische Frage, auch im Zeitalter der Koexistenz und der Entspannung, einer Lösung, nicht einer kurzfristigen, aber einer Lösung auf längere Sicht zugeführt werden kann.
Das sind die politischen Überzeugungen, die ich in diesem Jahr erarbeitet und ausgedrückt habe - auf anderen Foren und Tribünen -, und deshalb glaubte ich, es Ihnen schuldig zu sein, es heute auch vor Ihnen, dem eigentlichen Forum der deutschen Politik, tun zu müssen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungsparteien hatten angekündigt, daß sie heute über die Sachfragen der deutschen Politik, insbesondere über die Europapolitik, reden wollten. Ich muß sagen, wir hatten erwartet, daß die Regierung heute hier zur Präzisierung und Konkretisierung ihrer seit Juni dieses Jahres angekündigten Europa-Initiative Konkretes sagen würde. Das ist nicht geschehen. In der Rede des Herrn Bundeskanzlers gibt es nur sehr allgemeine, oft ausgesprochene Formulierungen.
Zu dem, was Herr Kollege Strauß zum Ende seiner Rede bezüglich der Notwendigkeit, sich über die wesentlichen politischen Fragen in Europa zu einigen, und von der Zustimmung zu den Plänen der Bundesregierung gesagt hat, kann ich nur wieder die Frage stellen: Wo sind denn die Pläne der Bundesregierung, denen Sie Ihre Zustimmung gegeben haben? Nachdem offensichlich ist, daß diese Einigung nicht zustande gekommen ist, möchte ich fragen: Woran liegt es, daß die Einigung über die wesentlichen politischen Probleme bis jetzt nicht zustande kam? Es gab den Fouchet-Plan I, es gab den Fouchet-Plan II. Beide haben nicht die Zustimmung der Bundesregierung, nicht die Zustimmung der anderen Fünf in der SechserGemeinschaft gefunden. Es gab dann den Bonner Plan der anderen Fünf. Dieser hat nicht die Zustimmung de Gaulles gefunden. Das Veto de Gaulles gegen den Beitritt Englands hat die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten über die Politik in Europa deutlich gemacht. Wir haben immer gesagt, daß es notwendig ist, diese Meinungsverschiedenheiten auszuräumen, und daß erst, wenn diese Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt sind, eine Chance besteht, zu der politischen Union zu kommen, die wir alle wollen.
Gestatten Sie mir ein Wort zu den Eingangsausführungen des Herrn Kollegen Zoglmann. Er hat sich dort bemüht, zu beweisen, daß die FDP als Juniorpartner der CDU auch von dieser sich nicht übertreffen lassen will in der Aufstellung von falschen Behauptungen. Herr Zoglmann, Sie werden diese falschen Behauptungen auch durch noch so sichtbare Freude am Fabulieren nicht beweisen können. Im übrigen bin ich der Meinung, Herr Strauß hat bewiesen, daß er das noch besser kann als Herr Zoglmann.
Zu den von Herrn Strauß angeschnittenen Fragen im Zusammenhang mit wesentlichen Teilen der Außenpolitik - wenn ich die Europapolitik einmal ausklammern darf - werden Sie die erbetene Antwort von Herrn Wehner bekommen.
Bevor ich Vu den Sachfragen der Europapolitik komme, möchte ich unter dem Eindruck dessen, was jetzt Herr Kollege Strauß gesagt hat, bemerken: Es gibt sicher niemanden in diesem Hause und wohl auch nicht außerhalb dieses Hauses, der bezweifelt hätte, daß Herr Kollege Strauß die rhetorischen und auch die sonstigen Fähigkeiten besitzt, im Gegensatz zu seinen früheren Äußerungen, bei denen in der Öffentlichkeit der Anschein entstanden ist, daß er mit der Politik der Bundesregierung nicht übereinstimmt, den Eindruck zu erwecken, daß er völlig mit ihr übereinstimme, ja daß er die Politik des
Bundeskanzlers auch in den europäischen Fragen unterstütze. Für mich selber muß ich ehrlich sagen: Mir fehlt der Glaube,
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und ich nehme an, auch in den. Reihen der CDU/CSU im Hause - von der FDP ganz zu schweigen -wird manch einer genau so denken wie ich. Für die Glaubwürdigkeit und die Zuverlässigkeit der deutschen Europapolitik bei unseren Partnern, deren Vertrauen wir so dringend brauchen, ist das allerdings keine Plattform.
Der Herr Bundeskanzler hat sich in seinen Äußerungen zur Europainitiative der Bundesregierung bemerkenswert kurz und allgemein ausgedrückt. Aber ich möchte doch das Versprechen festhalten, das die deutsche Regierung für die baldige Vollendung des Gemeinsamen Marktes eingeht. In der Tat ist das eine wesentliche Voraussetzung für eine politische Gemeinschaft in Europa. Wir Sozialdemokraten haben immer betont und auch bewiesen, daß wir jede Initiative, die einen Fortschritt im europäischen Einigungswerk bringt, begrüßen. Wir sind auch der festen Überzeugung, daß die Integration auf wirtschaftlichem Gebiet nur dann zur vollen Entfaltung kommen kann, wenn sie durch die politische Integration ergänzt wird.
Wir verkennen nicht die Schwierigkeiten, die sich bei den institutionellen und organisatorischen Fragen ergeben, vor allen Dingen, wenn man ein Maximum an Zusammenarbeit ermöglichen will. In diesem Zusammenhang wäre es durchaus möglich, daß man die bereits bestehenden Gemeinschaften mit den politischen Aufgaben betraut, also ihre Zuständigkeit auf die politischen Aufgaben erweitert.. Ich brauche hierbei nicht zu wiederholen, was der Fraktionsvorsitzende der SPD, Kollege Erler, zu den minimalen Prinzipien, die dabei beachtet werden müssen, bereits ausgeführt hat.
Aber ich möchte doch noch einmal betonen, daß jede Vereinbarung über eine schrittweise politische Zusammenarbeit ein Rückschritt und nicht ein Fortschritt wäre, wenn sie diese minimalen Prinzipien nicht beinhaltete. Auch ein Feuerwerk über europäische Politik, mag es im Augenblick noch so brillant erscheinen, bringt uns nicht weiter.
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Die Europapolitik muß sich nämlich am politischen Alltag orientieren und bewähren.
Gerade zu diesem europäischen Alltag möchte ich einiges sagen, weil das bis heute nicht geschehen ist, vor allen Dingen nicht durch die Regierung und die Regierungsparteien. Je mehr anstehende Probleme in den bestehenden Gemeinschaften konkret und gemeinschaftlich gelöst werden, desto größer ist die Chance, daß die Integration vertieft und verbreitert werden kann. Ich meine, die Regierung muß den Ernst ihres bekundeten Willens in der Praxis beweisen. Das ist nicht immer genügend geschehen. Sie hat sich leider an der Verzögerung einer gemeinsamen Politik in den Gemeinschaften beteiligt. Ich möchte das nicht behaupten, ohne ein paar Beispiele dafür zu nennen.
Eine gemeinsame Energiepolitik ist eine wesentliche Grundlage eines gemeinsamen Marktes. Sie ist bis jetzt nicht zustande gekommen. Ihre Dringlichkeit kann nicht bestritten werden. Aber es fehlt den Regierungen, auch der deutschen Bundesregierung, der politische Wille dazu.
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Wenn die Regierung bereit wäre, einer klaren gemeinschaftlichen Konzeption für die Energiepolitik zuzustimmen, ihre Verwirklichung von ihren Partnern zu fordern, dann wäre das eine erhebliche Stärkung europäischer Politik.
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Bis jetzt hat die Regierung das versäumt, obwohl es ein Teil der Aufgaben der europäischen Gemeinschaften ist.
Zu einem anderen Punkt, der dazugehört. Ein europäisches Bergarbeiterstatut ist bisher nicht zustande gekommen. Es ist nicht zuletzt durch den Widerstand der Bundesregierung sogar verhindert worden.
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Ein einiges Europa, meine Damen und Herren, ist aber ohne die Zustimmung der breiten Arbeitnehmerschaft nicht denkbar, und bei den Bergarbeitern wächst jetzt bereits die Skepsis. Man kann der Bundesregierung nur empfehlen, sich möglichst bald der positiven Stellungnahme des derzeitigen Präsidenten der Hohen Behörde zum Bergarbeiterstatut anzuschließen.
In einem anderen konkreten Punkt, in der Harmonisierung der Sozialpolitik in den Gemeinschaften, hat die Bundesregierung bis jetzt jedes Verständnis vermissen lassen und die Initiativen der Kommission und des Europäischen Parlaments in dieser Beziehung immer wieder gebremst. In der Sozialkonferenz der Gemeinschaften im Dezember 1962 hat der Vertreter der Bundesregierung der EWG-Kommission das Recht abgesprochen, in der Harmonisierung der Sozialpolitik tätig zu werden. Wer denn anders als die europäische Institution sollte das denn? Das hat sich noch fortgesetzt. Bei der kürzlich durchgeführten Konferenz für soziale Sicherheit im Verkehr hat die Bundesregierung durch ihren Sprecher diesen Standpunkt wiederholt.
Ist die Bundesregierung bereit, frage ich deshalb, auch in diesem konkreten Fall ihren Widerstand gegen einen Fortschritt in Richtung einer gemeinsamen Politik endlich aufzugeben? Akzeptiert die Bundesregierung auch für die Sozialpolitik die Grundsätze, die in der Initiative 64 von der EWG-Kommission niedergelegt sind? Das wäre ein konkreter Schritt nach vorn. In der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers fehlt leider jede Bezugnahme auf diese Initiative 64, die gerade im Augenblick sehr aktuell ist.
Besonders wichtig für die weitere europäische Integration ist die Außenhandelspolitik. Von einer gemeinsamen Außenhandelspolitik sind wir weit entfernt, obwohl im Vertrag über die EWG dazu der Auftrag gegeben ist. Es hat auch nicht an Initiativen der EWG-Kommission gefehlt. Sie alle sind vom
Europäischen Parlament unterstützt worden. Aber es fehlt auch hier der politische Wille der Regierung. Auch die deutsche Regierung hat im Ministerrat nichts getan, um das im September 1962 gebilligte Aktionsprogramm für eine gemeinsame Handelspolitik zu verwirklichen. Wie wäre es denn anders möglich, daß heute noch 9 Vorschläge für Verordnungen und Entscheidungen zur schrittweisen Vereinheitlichung der Handelspolitik im Ministerrat unerledigt liegen, zum Teil seit 1963? Ein einheitliches Vorgehen in der Handelspolitik wird aber doch immer dringender - das ist heute wiederholt bewiesen worden , und zwar nicht nur wegen der Osthandelsprobleme, sondern au ch gegenüber allen Drittländern.
Dazu kommt noch, daß die Grenzen zwischen der Außenwirtschafts- und der klassischen Außenpolitik sich einfach nicht klar ziehen lassen. Jede wirtschafts- oder handelspolitische Maßnahme, durch die eine Beeinflussung der Außenbeziehungen erfolgt, hat außenpolitischen Charakter. Nirgends zeigt sich deutlicher der politische Gehalt der bereits bestehenden Gemeinschaften als gerade in den Außenhandelsfragen.
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Deshalb möchte ich den Satz zitieren, der in der Rede des Herrn Bundeskanzlers steht: „Alle Möglichkeiten der Römischen Verträge sollen voll, ausgenützt werden", heißt es dort. Nun, da sage ich dreimal ja. Aber dann bitte nicht nur sagen, sondern auch tun!
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Denn diese Verträge ausnutzen bedeutet doch nicht, die Initiative der europäischen Institutionen auf dem Gebiet der gemeinsamen Handelspolitik zu bremsen, sondern sie zu fördern. Das bringt uns einer europäischen Zusammenarbeit sehr viel näher als unverbindliche Regierungskonferenzen.
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Die Bedeutung einer gemeinsamen Handelspolitik für Europa wird auch besonders deutlich in der Kennedy-Runde. Hier möchte ich sehr klar und deutlich sagen: die Kennedy-Runde, ihre Vorbereitung und ihre Behandlung in Teilen durch die Bundesregierung ist ein konkreter Fall der Gefährdung kommunautärer Politik durch das deutsche Verhalten. Die Unklarheit über die Agrarpreispolitik beeinträchtigt die so dringend notwendige Handlungsfähigkeit der Kommission. Der Ministerrat hat ja der EWG-Kommission einstimmig, also mit der Stimme der Bundesregierung, das Mandat gegeben, in der Kennedy-Runde auf der Basis der Agrarstützungen die Verhandlungen zu führen. Das ist auch eine logische Folge des mit der Zustimmung der Bundesregierung geschaffenen Marktordnungs-
und Abschöpfungssystems. Meine Frage lautet: steht eigentlich die Bundesregierung zu diesen Beschlüssen? Das ist nämlich fragwürdig geworden. Sie hat aber auch keinen anderen Weg vorgeschlagen, wie man in der Kennedy-Runde die Agrarpolitik verhandeln könnte.
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- Entschuldigen Sie, lassen Sich mich meinen Satz zu Ende führen. - Dadurch wird die Ernsthaftigkeit des Mandats der Kommission beeinträchtigt. - Bitte!
Herr Abgeordneter Ertl zu einer Zwischenfrage.
Frau Kollegin Strobel, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Vereinigten Staaten auf die Verhandlungen auf der Basis der Stützungsbeträge keinen Wert legen, sondern mehr auf Mengenzusagen, d. h. Kontingentierung? Diese Frage ist wiederholt von uns zur Diskussion gestellt worden.
Herr Ertl, das ist mir natürlich bekannt. Wir befinden uns aber in der KennedyRunde im Zustand der Verhandlungen über das System, wie die Agrarzölle bzw. Abschöpfungen in die Verhandlungen über die Zollsenkungen einbezogen werden können. Die Amerikaner haben darauf bestanden, daß die Agrarfragen genauso behandelt werden wie die gewerblichen und industriellen. Die EWG-Kommission hat vom Ministerrat mit Zustimmung der Bundesregierung einstimmig, das Mandat bekommen, den Versuch zu machen, die Amerikaner dafür zu gewinnen, daß nicht nur die Agrarzölle, sondern die gesamte Agrarstützung auf den Tisch gelegt wird. Die Amerikaner sind auf diesen Verhandlungsvorschlag bis jetzt nicht eingegangen. Sie haben ihn aber auch noch nicht endgültig abgelehnt. Das ist bekannt; lesen Sie die heutigen Zeitungen. Wenn die Bundesregierung den Weg, den die Amerikaner beschreiten wollen, vorzöge, müßte im Ministerrat das Verhandlungsmandat, das sie der EWG-Kommission gegeben hat, zurückgezogen werden. Das hat sie nicht getan. Deshalb muß man doch annehmen, daß sie dieses Verhandlungsmandat aufrechtzuerhalten für notwendig hält und daß die EWG-Kommission auf der Basis dieses Mandats verhandeln muß. Das kann sie aber nicht, solange sie vom Ministerrat keine Antwort auf die Frage bekommt: Wie halten wir es mit den Agrarpreisen? Denn von den Agrarpreisen hängt die Abschöpfungshöhe ab, und die soll ja zur Debatte gestellt werden.
Weil das so ist, weil die Bundesregierung auf der einen Seite so tut, als ob sie großes Verständnis für die Forderungen der Amerikaner aufbrächte, auf der anderen Seite aber dieses Mandat gegenüber der EWG-Kommission aufrechterhält, ist eine ganz große Unsicherheit entstanden. Dadurch wird die Verhandlungsposition der EWG in der Kennedy-Runde geschwächt. Ich meine, es schadet den legitimen Interessen der Gemeinschaft nach innen und nach außen, daß hier eine solche Unsicherheit herrscht. Ich muß noch einmal sagen: die Bundesregierung hat weder einen anderen Verhandlungsvorschlag gemacht noch ist sie bereit, die Konsequenzen aus dem von ihr mitgefaßten Beschluß zu ziehen. Das trägt nicht zum gegenseitigen Vertrauen bei, im Gegenteil, das fördert das gegenseitige Mißtrauen, und das ist das stärkste Hemmnis für die Weiterentwicklung einer gemeinsamen Agrar- und einer gemeinsamen Handelspolitik.
Da ist auch der größte Widerspruch zwischen der Deklamation der Politik der Bundesregierung und ihrer Praxis. Denn in diesem Zusammenhang muß man doch sehen, wie denn eigentlich der Graben zwischen EWG und EFTA zugeschüttet werden soll, wenn die GATT-Verhandlungen blockiert werden. Der völlige Abbau der Binnenzölle und die Verwirklichung des gemeinsamen Außenzolls, vorgeschlagen von der EWG-Kommission in der Initiative 64, gefordert von der Bundesregierung, stellen die Zollunion für alle gewerblichen und industriellen Produkte her. Aber die Zollunion für landwirtschaftliche Erzeugnisse kann nicht hergestellt werden, solange nicht dieser Beschluß über ein gemeinsames Agrarpreisniveau gefaßt ist.
Abgesehen davon, daß dies für andere Partner in der Gemeinschaft ohne Beseitigung der Agrarabschöpfung nicht akzeptabel sein wird, wird vor allen Dingen die Frage immer wieder aufzuwerfen sein: Wie ist das denn, wenn jetzt die EFTA ihre Binnenzölle genauso beseitigt wie die EWG, was sie ja bereits angekündigt hat? Dann wird doch die Diskriminierung zwischen beiden Wirtschaftsblöcken noch größer mit allen Nachteilen für den Warenverkehr, vor allen Dingen für den Warenverkehr mit England und mit Skandinavien.
Deshalb muß man immer wieder betonen, wenn es um die konkreten Probleme geht - und um sie sollte man sich nicht drücken -, daß die GATT-Verhandlungen eine einmalige Gelegenheit sind, den Graben zwischen EWG und EFTA zuzuschütten, und daß sie darüber hinaus sogar noch eine einmalige Gelegenheit sind, daß die USA mit dem Abbau ihrer Hochschutzzollpolitik beginnen. Ich glaube, auch daran haben wir ein ganz großes Interesse. Niemand von uns leugnet, daß es für die Kennedy-Runde auch andere Gefahren gibt. Das macht aber doch die Verantwortung Deutschlands nicht kleiner; denn das deutsche Verhalten schwächt die Verhandlungsposition der Gemeinschaft und ermuntert andere Kräfte, die am Scheitern der Kennedy-Runde, ich würde nicht sagen: interessiert sind, dies aber mindestens nicht in dem Maße bedauern würden wie wir. Die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung wird aber doch an der konkreten Politik gemessen und nicht an dem, was man lautstark verkündet.
Das gilt im Zusammenhang mit der konkreten Politik in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft z. B. auch für die Beziehungen zu Israel. Herr Kollege Erler hat heute das Politische in diesen Beziehungen angeschnitten. Ich möchte darauf hinweisen, daß es auch absolut unvertretbar ist, daß man die Assoziierung Israels zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verhindert, daß man nur einen Handelsvertrag mit Israel geschlossen hat, in dem die Zugeständnisse völlig unbefriedigend sind. Israel ist ganz einfach wirtschaftlich auf den EWGMarkt angewiesen. Das wissen wir, und deshalb müssen wir etwas unternehmen, damit die Ausfuhren Israels in die EWG nicht weiter rückläufig sind. Das kann man machen durch größere Zuge6834
ständnisse. Das kann man verschlimmern, wenn man anderen Handelspartnern größere Zugeständnisse macht als Israel. Von daher droht Israel sogar eine neue Diskriminierung. Nach dem EWG-Vertrag sind Assoziierungen mit nichteuropäischen Ländern ja nicht verboten. Unsere Frage lautet: Warum hat sich die Bundesregierung nicht stark gemacht für größere Zugeständnisse an Israel, für eine Assoziierung Israels? Das würde dann übereinstimmen mit dem, was in der Öffentlichkeit verkündet wird. Wenn die Bundesregierung in diesem und in anderen konkreten Fällen ihren Widerstand gegen eine gemeinsame Politik aufgibt, hat sie unsere volle Unterstützung.
Wir alle sagen immer wieder: das Mißtrauen auch der EWG-Partner gegeneinander muß abgetragen werden. Nun, der deutsch-französische Freundschaftsvertrag hat, vor allem durch das zeitliche Zusammentreffen mit dem Veto de Gaulles, Mißtrauen bei unseren anderen Partnern erzeugt. Es ist bis jetzt schon gelungen, einen wesentlichen Teil davon abzutragen. Das Deutsch-Französische Jugendwerk kann, richtig angewendet, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Aber diese Möglichkeit, diese freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Völkern zu vertiefen, müssen wir auf ganz Europa übertragen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat im Januar durch den Antrag auf Drucksache IV/1855 den Vorschlag gemacht, nach diesem Modell des Deutsch-Französischen Jugendwerks ein europäisches Jugendwerk zu schaffen. Das wäre ein besonders positiver Beitrag zum europäischen Einigungswerk, zur Minderung der Spannungen, die durch die Teilintegration geschaffen worden sind. Dieser Antrag schlummert in den Ausschüssen. Wir fordern Sie auf zur Beratung und Verabschiedung. Das ist ein positiver Beitrag auf dem Weg zu einem größeren Europa.
Zu einem anderen konkreten Punkt, der leider in den Verlautbarungen der Bundesregierung und auch in der heutigen Rede des Herrn Bundeskanzlers völlig gefehlt hat! Die Möglichkeiten, die der Vertrag über die Westeuropäische Union für den Ausbau der Beziehungen im politischen und wirtschaftlichen Bereich gibt, sind bisher nicht genügend genutzt worden. Dabei hat dieser Vertrag den Vorteil, daß England dabei ist. Alle Beteuerungen der Sechs, daß sie nicht exklusiv sein wollen - und auch nicht sein dürfen -, sind sicher gut gemeint. Aber die guten Absichten der fünf Partner Frankreichs sind eben durch das Verhalten de Gaulles in der EWG weitgehend blockiert worden. Das schadet der europäischen Politik. Deshalb meinen wir, daß durch die volle Ausschöpfung aller Möglichkeiten des WEUVertrages die Ernsthaftigkeit des deutschen Wollens, über die Sechs hinaus mit den anderen europäischen Ländern zu einer engen Zusammenarbeit zu kommen, unterstrichen wird.
Ich muß noch einen anderen Punkt anschneiden, meine Damen und Herren. Wenn wir auf dem Gebiete der europäischen Einigung vorwärtskommen wollen, ist es unbedingt notwendig, daß die Bemühungen um die Demokratisierung der europäischen Gemeinschaften endlich einen Erfolg haben.
({0})
Wir haben die Aufmerksamkeit immer wieder auf die unvertretbare Entwicklung gelenkt. Die Bundesregierung ist in dem Bemühen um ein pragmatisches Vorgehen in dieser Beziehung auch sehr bescheiden. Es ist bekannt - und wir sind uns dessen natürlich auch bewußt -, daß vorläufig keine Vertragsänderung zu erreichen ist, durch die die Grundsätze der parlamentarischen Demokratie verwirklicht werden könnten. Also muß man die bestehenden Möglichkeiten nutzen. In unseren Anträgen auf Drucksachen IV/2211 und IV/2212, die wir im April dieses Jahres dem Hause vorgelegt haben, sind Ansätze dafür aufgezeigt. Das Europäische Parlament hat eine Reihe von Vorschlägen entwickelt.
Solche Ansätze sind unter anderem auch möglich, wenn zum 1. Juli 1965 die Finanzierung des Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft neu beschlossen werden muß. Es ist bekannt, daß dann Milliarden-Beträge über die Abschöpfungen direkt in die Kassen der europäischen Gemeinschaften fließen. Diese Mittel werden dann idem Haushalts- und Kontrollrecht der nationalen Parlamente entzogen.
({1})
Im Dezember 1963 - damals bei dem „Marathon" - hat die holländische Regierung gefordert, daß die Rechte, die die nationalen Parlamente bei der Kontrolle dieser Mittel verlieren, an das Europäische Parlament übergehen. Es hat auch hier leider an der Unterstützung dieser holländischen Initiative durch die deutsche Bundesregierung gefehlt.
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Deshalb die Frage: Was hat die Regierung für Vorstellungen in bezug auf die endgültige Festlegung? Denn schließlich ist es nicht mehr lange 'hin, bis diese endgültige Festlegung getroffen werden muß.
Wir machen einen weiteren konkreten Vorschlag, meine Damen und Herren, um den Staatsbürger in Europa mehr mit den politischen Entscheidungen der europäischen Gemeinschaften zu konfrontieren. Die vom Ministerrat - leider nicht vom Parlament - zu beschließenden Verordnungen sind europäische Gesetze, sind unmittelbar geltendes Recht auch bei uns in der Bundesrepublik. Die Art und Weise, wie sie in vertraulichen Sitzungen zustande kommen, widerspricht aber allen parlamentarischen Grundregeln. Die Geschäftsordnung des Ministerrates sieht diese Vertraulichkeit vor. Das steht aber im Widerspruch zum Ratifizierungsgesetz ides Deutschen Bundestages zu den Römischen Verträgen.
Um nun endlich die sechs nationalen Parlamente und die Öffentlichkeit in den Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, die Politik des Ministerrates nach demokratischen Grundsätzen zu beurteilen, muß dieses Abstimmungsgeheimnis für den Rat aufgehoben werden.
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Wir werden in der nächsten Woche einen Antrag
einbringen, der die Bundesregierung auffordert, im
Rat die öffentliche Beratung und Beschlußfassung über die Gesetze zu verlangen. Das wäre ein weiterer konkreter Schritt zu einem demokratischen Europa.
Die Gesetzgebung durch das Parlament und das Haushaltsrecht für das Europäische Parlament müssen für die Zusammenlegung der europäischen Gemeinschaften angestrebt werden. Die Bundesregierung hat sich dazu noch nicht geäußert. Aber man muß das heute schon in ein Aktionsprogramm für die Zusammenlegung der Gemeinschaften aufnehmen; sonst würde nämlich die Fusion in dieser Beziehung genauso schlecht vorbereitet wie die Fusion der europäischen Exekutiven. Die Fusion der europäischen Exekutiven ist als solche ein Fortschritt; sie möglich zu machen, ist ein wichtiges politisches Ziel. Sie bringt die Stärkung der Europäischen Kommission, weil sie eine Kommission bringt; sie bringt die Stärkung der Ministerräte, weil sie einen Ministerrat bringt, d. h. sie bringt eine Verstärkung des kommunautären Gewichts, aber auch die Gefahr, daß sich das Ungleichgewicht zwischen den Institutionen weiter zu Lasten der parlamentarischen Demokratie verschlechtert, wenn nicht wenigstens ein Minimum an Mitwirkungs- und Kontrollrecht des Europäischen Parlaments darin verankert wird.
Der Deutsche Bundestag muß sehen, wohin der Hase läuft. Wir dürfen nicht weiter zusehen, daß immer mehr Entscheidungen aus diesem Parlament verlagert werden, nicht in ein europäisches Parlament, sondern in eine Art Zwitter zwischen Exekutive und Legislative, den ja der Ministerrat darstellt.
Das Europäische Parlament muß darüber hinaus aber auch durch die entsprechenden organisatorischen Voraussetzungen in die Lage versetzt werden, seine Aufgaben voll wahrzunehmen. Seit vielen Monaten sind diese Probleme in Verhandlung. Gelegentlich konnte der Parlamentarier in den Zeitungen lesen, daß die Ständigen Stellvertreter der Minister in Brüssel darüber verhandelt und dem Ministerrat Vorschläge gemacht haben. Aber erst, nachdem das Europäische Parlament durch seinen Präsidenten und seinen Politischen Ausschuß selbst in dieser Frage initiativ geworden ist, hat sich der Ministerrat, vertreten durch den gegenwärtigen deutschen Vorsitz, zum Gespräch mit einer Vertretung des Parlaments veranlaßt gesehen. Das Europäische Parlament kann doch in einer solchen Angelegenheit nicht schweigen. Es kann nicht übergangen werden, wenn es um seine ureigensten Angelegenheiten geht. Die Bundesregierung muß sich dafür einsetzen, daß es nicht nur bei diesem Gespräch mit einer Vertretung des Parlaments am kommenden Montag bleibt, sondern daß eine offizielle Konsultation des Parlaments durchgeführt wird. Unser Bundestag, meine Damen und Herren, hat diese Fusion zu ratifizieren. Er muß seine Entscheidung doch nicht zuletzt daran orientieren, ob bei dieser Fusion ein Mindestmaß an parlamentarischer Demokratie gesichert ist.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Für die politische Zusammenarbeit wird das Vetorecht eines
Mitgliedstaates genauso problematisch werden, wie es das bereits für .die bestehenden Gemeinschaften ist. Es ist aber dort nur für eine Übergangszeit gedacht und läuft am 1. Januar 1966 für fast alle Gebiete der Gemeinschaftspolitik aus. Nun hat der Herr französische Außenminister Couve de Murville am 29. April dieses Jahres in der außenpolitischen Debatte der Französischen Nationalversammlung angedeutet, daß auch in Zukunft Entscheidungen von großer politischer und wirtschaftlicher Tragweite nicht ohne Zustimmung aller Mitgliedstaaten getroffen würden. In der europäischen Öffentlichkeit und bei unseren Partnern ist der Eindruck entstanden, daß die Bundesregierung dieser Auffassung gar nicht ablehnend gegenübersteht, daß ihr diese Auffassung nicht unsympathisch ist. Hier kann ich nur sagen: hoffentlich trügt dieser Schein.
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- Ich würde demjenigen, der diesen Zwischenruf machte, empfehlen, in diesem Zusammenhang einmal zu prüfen, wie man dann überhaupt noch zu einer Weiterentwicklung der europäischen Gemeinschaften kommen will. Denn die Aufrechterhaltung des Vetorechts kann nur einer Blockierung der Entwicklung zum Gemeinsamen Markt gleichkommen. Die Bremswirkung des Vetorechts ist so offensichtlich, daß sie eigentlich von niemandem unterstützt werden kann, es sei denn, man will tatsächlich auf die nationale Ebene zurück. Dann soll man das aber auch ehrlich sagen. Wir vermissen auf alle Fälle eine klare Stellungnahme der Bundesregierung, daß sie auch in diesem Punkt auf der Erfüllung des Vertrages besteht.
Die Äußerungen der Regierung zur politischen Union verstehe ich so, daß sie nach einem maximalen Nenner für eine Zusammenarbeit mindestens der Sechs auf den Gebieten der Politik sucht, für die vertraglich noch nichts vereinbart ist. Wir unterstützen und fördern jede Initiative, die zu einer Übereinstimmung der europäischen Staaten in den wichtigen politischen Fragen führt. Wir wollen die Überwindung der Teilintegration, und wir wissen, daß auch die wirtschaftliche Gemeinschaft erst zur vollen Entfaltung kommen kann, wenn sie durch die politische ergänzt wird. Deshalb unterstützen wir alle Bemühungen, die in diese Richtung gehen, die zur politischen Gemeinschaft führen. Wir werden aber auch wachsam bleiben, daß dabei nicht Bremsklötze eingebaut werden, die die politische Gemeinschaft in Wirklichkeit verhindern.
({5})
Meine Damen und Herren, es sprechen jetzt vier Vertreter der Bundesregierung. Als erster hat das Wort Herr Bundesminister Scheel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur zu einem Punkt aus der Rede des Kollegen Erler Stellung nehmen, nämlich zu der Frage der Zuständigkeiten auf dem Sektor Entwicklungspolitik. Herr Kollege Erler, Sie haben
heute morgen gesagt, die Bundesregierung habe offenbar schnell ein Arrangement getroffen, um hier noch etwas vorweisen zu können. Nun, ich wollte, es wäre schnell gegangen. Es hat sehr lange gedauert. Es war kein schnell zustande gekommenes Arrangement.
({0})
- Ja, es hat lange gedauert.
({1})
- Herr Kollege Wehner, es ist doch ein glücklicher Zufall,
({2})
daß nach unwahrscheinlich schwieriger Arbeit noch vor dieser Sitzung eine Einigung erzielt werden konnte.
({3})
Ich glaube, es ist ja doch kein schlechtes Zeichen, daß nicht schnell vor der Sitzung ein Dekret erlassen wurde, sondern alle beteiligten Ministerien sich geeinigt haben auf einer Basis, der der Bundeskanzler, der ja die Organisationsgewalt in der Bundesregierung hat, beigetreten ist. Ich hatte aber den Eindruck, Herr Kollege Erler, daß Sie das Ergebnis nicht durchgelesen haben. Wenn Sie es nämlich durchgelesen hätten, dann hätten Sie eigentlich erkennen müssen, daß ich zufrieden bin. Denn wir haben eine Regelung getroffen, die logisch ist, die absolut klar und sauber ist in dem Zusammenwirken der Beteiligten auf diesem Sektor.
({4})
Es kommt jetzt darauf an, daß wir aus der klaren Zuständigkeitsregelung eine vernünftige organisatorische Folgerung ziehen. Das bedarf noch einiger Arbeit, auch in Zusammenarbeit mit den Kollegen des Parlaments und auch in meinem eigenen Ministerium. Ich bin absolut sicher, daß die klare Grundlage, die wir jetzt haben, eine Regelung, die auch zentrale Zuständigkeiten schafft, eine geeignete Basis für eine sparsame und wirkungsvolle Verwaltung der Entwicklungspolitik in der Zukunft ist. Insofern sollten wir alle gemeinsam über diese Regelung recht glücklich sein.
({5})
Das Wort hat der. Bundesminister Dahlgrün.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir einige kurze Anmerkungen zu der Rede unseres sehr verehrten Herrn Kollegen Erler, der mit großer rhetorischer Überzeugungskraft hier ein leider falsches Bild gezeichnet hat. Ich sage ausdrücklich: kein falsches Bild mit Absicht und falschen Angaben, sondern ein Bild, das nicht vollständig, und zwar ganz und gar nicht vollständig ist. Außerdem ist dieses Bild, das Herr Erler gezeichnet hat, einseitig gesehen, vom Standpunkt der Opposition die vielleicht in den langen Jahren ihrer Tätigkeit als Opposition betriebsblind geworden ist.
({0})
Ich will Ihnen das an einem ganz handfesten Zahlenbeispiel beweisen. Herr Erler hat von der Legende gesprochen, die die Behauptung des Herrn Bundeskanzlers und meine eigene Behauptung von dem unerhörten Anstieg der Sozialleistungen darstelle; eine Legende, also etwas Falsches, etwas Unrichtiges. Er hat das damit beweisen wollen, daß er aus dem Finanzbericht 1964 zitiert hat, bei zwar absolutem Anstieg der Ausgaben seien die Sozialleistungen von 37 % im Jahre 1950 auf voraussichtlich 28 % im Jahre 1965 zurückgegangen; es sei also eine Legende, wenn davon geredet werde, daß die Bundesrepublik ihre Sozialleistungen in sehr starkem Ausmaße gesteigert habe, daß diese ein sehr starkes Wachstum erreicht hätten.
({1})
In Mark und Pfennig hat Herr Erler zugegeben, daß mehr herausgekommen ist: von 5,6 Milliarden DM auf 17,9 Milliarden DM. Aber er hat vergessen zu erklären, wie der Rückgang von 37 auf 28 % zustande kommt, nämlich einfach deshalb, weil die Arbeitslosenhilfe auf Grund der guten Lage in Deutschland von 8 % auf 0,2 % gefallen ist, in Mark und Pfennig: von einer Milliarde DM auf 78 Millionen DM.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Seuffert?
Bitte schön, Herr Kollege Seuffert.
Herr Bundesfinanzminister, wenn der Herr Bundeskanzler in seiner heutigen Rede die Zuwachsraten für verschiedene Sparten des Haushaltsplans in dieser Legislaturperiode, verglichen mit der vorhergehenden, angegeben hat und wenn unter diesen Zuwachsraten die Zuwachsrate der Sozialleistungen mit 39 % die geringste ist, ausgenommen die Zuwachsrate der Ersatzleistungen und Entschädigungen, gegenüber Zuwachsraten von 98 % für Verteidigung, 60 % für den Agrarhaushalt usw., - ist das nicht für jeden, der Zahlen lesen kann, ein klarer Beweis dafür, daß der Anteil der Sozialleistungen am Gesamtetat zurückgegangen ist?
({0})
Herr Kollege Seuffert, ich sage Ihnen ganz offen: Erstens habe ich und hat Herr Erler die Sozialleistungen nicht von einer Legislaturperiode zur anderen verglichen, sondern von 1950 auf 1965. Ich weiß, Herr Kollege Seuffert, es ist Ihnen unangenehm,
Bundesminister Dahlgrün
daß mal heraus gefischt wird, wie stark die Leistungskraft gestiegen ist
({0})
und wie gut und richtig die Schwerpunkte gesetzt sind. Ich halte es nun einmal für unzulässig - Herr Kollege Erler, nehmen Sie mir das nicht übel -, ausgewählte statistische Zahlen zu bringen, ohne zu begründen, wie sie zustande kommen, indem man einfach die Zahlen in den Zeilen darüber unterschlägt. Das geht nicht.
Zur Finanzreform! Herr Kollege Erler hat der Bundesregierung den Vorwurf gemacht, sie habe die Finanzreform verschleppt, verzögert, sei sich nicht einig gewesen, habe die Dinge nicht vorangetrieben. Meine Damen und Herren, dazu etwas Grundsätzliches. Eine Finanzreform einseitig vom Bund her ist eine Illusion, und wer fordert, daß sie einseitig vom Bund her durchgeführt werde, will die Finanzreform in Wirklichkeit gar nicht.
({1})
- Mal langsam, Herr Wehner, langsam! Sie kommen ja wahrscheinlich auch noch dran.
Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ist viele Jahre durch verschiedene Mißhelligkeiten belastet gewesen. Ich darf daran erinnern, daß es Jahr für Jahr, hauptsächlich in den ersten Jahren der Bundesrepublik, notwendig war, wegen des Bundesanteils an der Einkommen- und der Körperschaftsteuer zum Vermittlungsausschuß zu gehen, auch im letzten Jahr noch. Es war also die erste Aufgabe, die Frage des Bundesanteils an der Einkommen- und der Körperschaftsteuer mit den Ländern zu bereinigen. Die Bundesregierung -
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?
Ich darf diesen Satz eben zu Ende führen.
Die Bundesregierung hat es fertiggebracht, mit den Ländern eine Regelung bis zum Jahre 1966 - Sie wissen es alle - auf der Basis von 39 bzw. 61 % zu treffen. Wir haben es zusätzlich im Zusammenhang damit fertigbekommen, das Problem der Ausgleichsforderungen - Dürkheimer Abkommen - zu regeln. Auch hier ist eine Vereinbarung zustande gekommen, und die beiden großen Komplexe, die das Verhältnis zwischen Bund und Ländern belastet hatten, sind damit aus dem Wege geräumt. Damit waren die Voraussetzungen, gemeinsam mit den Ländern die Finanzreform anzufassen, gegeben. Die Bundesregierung hat das sofort ausgenutzt und hat mit den Ländern die Vereinbarung getroffen.
Nun, Herr Kollege Schäfer, bitte schön!
Herr Bundesfinanzminister, war es nicht so, daß die SPD-Bundestagsfraktion im
Januar 1962 in diesem Hause den Antrag gestellt hat, man solle zusammen mit den Ländern und Gemeinden eine Expertenkommission einsetzen? Haben nicht die internen Schwierigkeiten innerhalb der Bundesregierung dazu geführt, daß man zwei Jahre, bis zum Januar 1964, gebraucht hat, um endlich diesem Verlangen nachzukommen?
Herr Kollege Schäfer, Ihre Frage beantworte ich schlicht und ergreifend mit Nein.
({0})
- Einen Augenblick, Herr Schäfer, jetzt beantworte ich immer noch Ihre Frage, ich gebe nämlich die Begründung für das Nein.
Auf Grund verschiedener Initiativen auf allen Ebenen ist eine Sachverständigenkommission zusammengesetzt worden, und zwar haben Bund, Länder und Gemeinden, jeder dazu beigesteuert. Als sich der Herrgott das Ende besah, war es eine 21 erKommission, die, als ich mein Amt übernahm, nach meiner Überzeugung arbeitsunfähig war; denn mit 21 Leuten können Sie diese so schwierige, äußerst schwierige Materie der Finanzreform nicht anfassen. Ich war der Meinung - und habe das dem Bundeskanzler vorgetragen -, daß eine Kommission aus 21 Mitgliedern - dabei waren die Wünsche von allen Seiten berücksichtigt: Bund, Länder, Gemeinden, Fraktionen, Parteien und wer auch immer nicht möglich sei. Aber dadurch, daß das Klima verbessert war, daß das Problem des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer geregelt war, daß das Problem der Ausgleichsforderung aus der Welt geschafft war, ging es. Meine Damen und Herren, wir wollen uns doch nichts vormachen. Es kam noch etwas anderes hinzu.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Minister, wie können Sie nach dieser Begründung meine Frage von vorhin mit Nein beantworten?
Mit dieser Begründung kann ich Ihre Frage deshalb mit Nein beantworten, weil damals noch nicht die Voraussetzungen gegeben waren. Zunächst mußte das Verhältnis zwischen Bund und Ländern geklärt sein, ehe überhaupt etwas Praktikables in die Welt gesetzt werden konnte.
({0})
Das ist aber kein Versäumnis der Bundesregierung, sondern es herrschte auf allen Seiten der Wunsch, sich zu beteiligen; und das ging eben nicht.
({1})
Aber es kam noch etwas anderes hinzu; wir wollen vor dieser Tatsache die Augen nicht verschlie6838
Bundesminister Dahlgrün
ßen. In den Zeiten des rasanten Wiederaufbaus, in den Zeiten, wo das Bruttosozialprodukt jedes Jahr stark anstieg, wo in jedem Jahr eine Fülle von Geld in die Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden floß, waren der Wunsch und der Wille, hier etwas Grundlegendes zu tun, überdeckt. Erst als sich die Finanzlage, als sich die Steuerlage geändert hatte, vom Jahre 1961/62 an, war beim Bund, bei den Ländern und Gemeinden viel eher eine Resonanz für diese Pläne zu finden.
Meine Damen und Herren, ich habe in meiner Etatrede gesagt, daß wir voraussichtlich im nächsten Jahr zum erstenmal die Traumgrenze der Steuereinnahmen in Höhe von 100 Milliarden DM überschreiten werden, daß wir mit 104 bis 106 Milliarden DM an Steuereinnahmen auf allen drei Ebene rechnen können. Ich will Ihnen sagen, daß auf allen Seiten die Erkenntnis gewachsen ist, daß diese Summe ausreichen müßte, daß sie aber nicht richtig verteilt, nicht richtig geschichtet ist. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, daß sich der Bund und die elf Länder, und zwar der Herr Bundeskanzler und die elf Ministerpräsidenten der Länder, einstimmig auf die Einsetzung der Finanzreformkommission geeinigt haben.
Darf ich Ihnen in diesem Zusammenhang einmal die Steigerungsraten des Haushaltes einiger Jahre nennen: 1961 zu 1960 waren es 14,8 %, 1962 zu 1961 noch einmal 11,2 %, 1963 zu 1962 6,7 %, 1964 zu 1963 5,6 % und 1965 werden es 6 bzw. 5 % sein, je nachdem, wie Sie es konjunkturintern wirksam sehen oder nicht. Sie sehen: Bei Zuwachsraten von 15 und annähernd 12 % war die Neigung, etwas zu tun, noch nicht vorhanden. Sie ist jetzt Gott sei Dank vorhanden.
Der Bundeskanzler und die elf Ministerpräsidenten haben die Kommission verpflichtet, ihre Arbeit im stillen ohne Öffentlichkeit zu tun, das heißt, alles, was dort erarbeitet wird, soll geheim oder vertraulich gehalten werden und nicht in die Öffentlichkeit kommen. Es tut mir leid, ich kann Ihnen deshalb über die Arbeit der Kommission nichts sagen. Ich glaube, Sie haben alle Verständnis dafür. Ich möchte nur mitteilen, daß im nächsten Monat erste Arbeitsergebnisse durch eine kleine Kommission des Bundes und der Ministerpräsidenten im Zusammenhang mit den Sachverständigen ausgewertet werden sollen.
Aber das ist nicht alles, was wir im Laufe der letzten drei Jahre angefaßt haben. Ich habe in meiner Haushaltsrede erwähnt, daß die Leiter der Haushaltsabteilungen von Bund und Ländern einen Arbeitskreis gebildet haben, in dem sie z. B. die langfristige Programmierung der Etats in Angriff genommen haben. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses wissen, daß der Haushaltsausschuß mir für ein Referat zur Reform der Haushaltsordnung die notwendige Grundlage sofort bewilligt hat, als ich mit begründeten Anträgen kam. Mit einer Haushaltsordnung aus den zwanziger Jahren ist eine moderne Finanz- und Steuerpolitik eben nicht zu machen, wenn auch das Gesetz in der Zwischenzeit hin und wieder einmal reformiert worden ist, wenn wir in den jährlichen Haushaltsgesetzen uns hin und
wieder von Ihnen einige Vollmachten haben bewilligen lassen, um weiterzukommen. Eine gründliche Reform halten der Haushaltsausschuß, nicht zuletzt sein Vorsitzender, Herr Kollege Schoettle, und alle Eingeweihten für absolut erforderlich.
Herr Kollege Erler, Sie haben im übrigen eines vergessen. Sie haben die Mißhelligkeiten, die Sorge und die Schwierigkeiten vergessen, die die Finanzlage der Länder und der Länderfinanzausgleich machen. Auch das ist ein Problem, das durch die Veränderung der Finanz- und Steuerverhältnisse hochgekommen ist. Sie wissen, daß das Grundgesetz der Bundesregierung vorschreibt, für eine gleichmäßige Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in den Bundesländern zu sorgen. Sie wissen aber auch, Herr Kollege Erler, daß die Verhältnisse in den Bundesländern sehr unterschiedlich sind und daß es in einigen Bundesländern sehr große und sehr ernste Sorgen gibt. Auch das ist zu bearbeiten. Ich hoffe, daß, wenn dieses Problem in Kürze angefaßt wird, auf seiten des Bundes und auf seiten der Länder auf Grund des Verhältnisses, das inzwischen erreicht worden ist, das notwendige Verständnis auch in diesen Fragen vorhanden ist. Sie haben selber, Herr Kollege Erler, von dem Gefälle zwischen den Bundesländern gesprochen.
Alles, Herr Erler, was Sie über das Bewertungsgesetz gesagt haben, wird von mir voll und ganz unterstrichen, denn das Bewertungsgesetz - ich sage das hier noch einmal - ist das Fundament für das Gelingen und das Fortführen der Finanzreform.
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Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen dazu einmal etwas sagen. Der Zeitplan, den ich mir bei der Einbringung des Gesetzes vorgenommen hatte, wird nicht einzuhalten sein. Die Arbeiten, die auf Grund dieses steuerneutral gehaltenen Gesetzes - wenn es dieser Bundestag noch beschließt - eingeleitet werden müssen, leiden darunter, daß in der Vergangenheit - in den Jahrzehnten, meine Damen und Herren, die vergangen sind - auch die Zahl der Sachkenner geringer geworden ist, die sich mit dieser Materie befaßt haben. Das sind hochspezialisierte Fachkräfte, von denen ein großer Teil inzwischen pensioniert oder leider Gottes verstorben ist, und Nachwuchs ist angesichts der Situation auf dem Bewertungsgebiet leider zahlenmäßig nur schwach vorhanden. Also auch von daher gesehen sind Schwierigkeiten zu bewältigen. Wir schätzen, daß, wenn dieser Bundestag das Bewertungsgesetz noch verabschiedet, etwa drei Jahre vergehen werden, bis sich überhaupt ein Bundestag mit den Folgerungen der Bewertung befassen kann, d. h. voraussichtlich nicht der nächste, sondern erst der übernächste Bundestag. Das sollte Sie doch alle nachdenklich machen und dazu bringen, auf diesem Gebiet wirklich voranzuschreiten und zu versuchen, dieses Gesetz, das schon einige Male gescheitert ist, wirklich in diesem Bundestag durchzubringen.
Nun muß ich Herrn Erler aber noch etwas entgegenhalten. Er schlägt vor, eine Entlastung beim Steueränderungsgesetz zu schaffen, nämlich bei der Vermögensbesteuerung Änderungen vorzunehmen
Bundesminister Dahlgrün
und z. B. die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer bei der Einkommensteuer zu beseitigen - Ihrem Vorschlag entsprechend bis zu einem Betrag von 200 DM. Alles das, Herr Kollege Erler, hängt auch vom Bewertungsgesetz ab. - Sie sagen nein. Ich bin der Meinung: solange Sie keine neue Bewertung haben, solange Sie das Volumen nicht kennen, stochern Sie mit der Stange im Nebel herum, wenn Sie an der Vermögensbesteuerung etwas so grundlegend ändern, wie Sie es vorhaben.
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Meine Damen und Herren, Herr Erler hat auch in dieser allgemeinen Haushaltsdebatte - wir werden das ja beim Steueränderungsgesetz in der nächsten Woche alles noch einmal hören - wieder einmal vorschlagen, die Spitzensteuersätze zu erhöhen. Wir wissen alle, daß die Besteuerung bei uns - die 53 % und alles, was dazukommt, Gewerbesteuer und was es alles ist - in der Spitzengruppe der freien Welt überhaupt liegt, und wir sollten an dieser Stelle nichts tun, ohne genauer Bescheid zu wissen. Herr Erler hat dem Sinne nach selber gesagt, es sei Optik dabei: Er hat weder das Wort „Optik" noch das Wort „Augenauswischen" gebraucht, aber er hat gesagt, man könne dadurch zum Ausgleich für den Steuerverzicht einen bescheidenen Anteil hereinholen.
Alle Eingeweihten wissen, daß jeder Punkt über 53 % hinaus etwas über 30 Millionen DM mehr bringt, daß also bei einer Erhöhung von 53 % auf, sagen wir einmal, 56 oder 58 % bestenfalls 150 oder etwas mehr Millionen DM hereinkämen. Damit, Herr Kollege Erler, können Sie keine Steuersenkung in Milliardenhöhe ausgleichen.
Weiterhin haben Sie - und das soll der vorletzte Punkt sein, den ich heute nachmittag noch herausgreife - die 18 Milliarden DM des Entwurfes zu einem Reparationsschädengesetz erwähnt, eines Gesetzentwurfs, der nach Ihren und, wie ich glaube, auch nach den Berechnungen des Ministeriums etwa soviel kosten wird. Die Initiatoren des Antrags behaupten, es sei sehr viel weniger. Schön und gut. Diesen Entwurf haben Sie als Beispiel für die Maßlosigkeit und Direktionslosigkeit der Regierungsfraktionen in die Debatte geworfen.
Herr Kollege Erler, erstens haben Sprecher aller drei Fraktionen sich gegen ,dieses Initiativgesetzgewandt, zweitens sind selbst die Initiatoren dieses Initiativgesetzentwurfs der Meinung, daß 18 Milliarden DM eine irreale Zahl darstellen, daß man die Summe also herunterdrücken müsse; in welcher Höhe, steht dahin. Aber Herr Erler, Sie hätten mit dem Hinweis auf die Zahl 18 Milliarden und ,diesen Gesetzentwurf nicht so tun sollen, als ob nur die Regierungsfraktionen dem Bundesfinanzminister Schwierigkeiten machen. Das tut Ihre Fraktion ebensogut und gern.
({4})
Ich bin gern bereit, Ihnen im einzelnen anzugeben,
wie die Milliardenbeträge, die ich jetzt vorrechne,
zusammenkommen. Wenn die Initiativanträge der
SPD durchgehen würden, hätten wir im Jahre 1965 eine Belastung von 5,4 Milliarden DM und im Jahre 1966 von 5,7 Milliarden DM. Also bitte, machen Sie nicht einer Gruppe von Kollegen auf der anderen Seite einen Vorwurf, wenn auch bei Ihnen Gruppen vorhanden sind, die durchaus verstehen, vorzuhalten.
({5})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erler?
Bitte!
Ist Ihnen entgangen, daß ich lediglich gerügt habe, daß der Herr Bundeskanzler die im Verhältnis zu dem Antrag der 116 maßvolle Forderung der Opposition vor der Öffentlichkeit so hart abstraft, während die 116 dabei sehr gelinde wegkommen, nämlich mit Schweigen behandelt werden?
({0})
Herr Kollege Erler, ich habe bei den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers nichts gehört, was man als Kritik an maßvollen Forderungen der Opposition deuten könnte. Daß die Forderungen, die ich Ihnen hier vorgetragen habe und die ich im einzelnen belegen kann, ebensowenig maßvoll sind wie die 18 Milliarden, müssen Sie mir doch zugeben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage, diesmal des Herrn Abgeordneten Seuffert?
Bitte!
Herr Bundesfinanzminister, haben Sie ebenso, wie Sie Anträge der SPD - die teils zurückgestellt, teils ausgewechselt worden sind - haben zusammenstellen lassen, auch einmal informationshalber z. B. die Anträge, die aus der Industrie, aus Verbänden, aus der Landwirtschaft usw. allein zum Steueränderungsgesetz gekommen sind und mit denen Investitionsrücklagen, Begünstigungen usw. gefordert werden, zusammenstellen lassen?
Herr Kollege Seuffert, ich habe eine Strichliste, die laufend ergänzt wird, auf der jede Fraktion, jede Fraktionsgruppe und der ganze Bundestag vertreten ist.
({0}) - Doch, gern, Herr Metzger.
({1})
Bundesminister Dahlgrün
- Was heißt „heraus"?! Hier sind von Herrn Erler 18 Milliarden angesprochen worden, Herr Schäfer, und ich habe der SPD die Milliarden entgegengehalten, die sie fordert. Ich kann Ihnen nur sagen: wenn wir das Spiel 'fortsetzen wollen, so rechne ich Ihnen ohne diese Milliarden auf Ihrer Seite und ohne die 18 Milliarden der 116 leicht und lässig 9 bis 10 Milliarden DM vor, die 'insgesamt im Gespräch und in Gefahr sind.
({2})
Das Wort hat Herr Staatssekretär Dr. Carstens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ergreife für den Bundesminister des Auswärtigen das Wort, um einem Eindruck entgegenzutreten, der sich vielleicht aus der Rede des Herrn Abgeordneten Erler ergeben haben könnte, nämlich als ob die Außenpolitik der Bundesregierung durch Unklarheit, mangelnde Präzision oder sogar einen Zwiespalt innerhalb der Regierung selbst gekennzeichnet wäre. Ich möchte dem folgendes entgegenhalten.
Die Politik der Bundesregierung ist in Übereinstimmung mit der einmütigen Auffassung dieses Hohen Hauses durch das Ziel der Lösung des Deutschlandproblems und der Wiedervereinigung Deutschlands bestimmt. Dieses Ziel macht eine eindeutige und klare Sprache in den drei Bereichen unserer auswärtigen Politik: gegenüber unseren westlichen Freunden, gegenüber der neutralen Welt und gegenüber den kommunistischen Staaten, zu einem unabweislichen Gebot, und ich hoffe Ihnen zu zeigen, daß unsere Außenpolitik durch Klarheit und Bestimmtheit in allen diesen drei Bereichen gekennzeichnet ist.
Gegenüber unseren westlichen Partnern werden wir von dem Bestreben geleitet, den inneren Zusammenhalt innerhalb der freien Welt zu festigen. Deswegen unsere Politik der europäischen Einigung im Rahmen des Europarats, der Westeuropäischen Union und der OECD.
Ich darf ,an dieser Stelle vielleicht auf eine Bemerkung eingehen, die Frau Abgeordnete Strobel soeben gemacht hat. Wenn es eine Regierung im Rahmen der Westeuropäischen Union gibt, die sich für eine verstärkte Zusammenarbeit der sieben Partner dieses Bündnisses einsetzt, dann ist es die Bundesregierung. Ich darf daran erinnern, daß es der Bundesaußenminister gewesen ist, der im April 1963 nach dem Zusammenbruch der Verhandlungen über den Beitritt Großbritanniens zur EWG die Initiative ergriffen und ein Aktionsprogramm vorgelegt hat,
({0})
das nicht nur eine Verstärkung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine intensivere Zusammenarbeit innerhalb der Westeuropäischen Union vorsah. Die Folge dieses Schritts ist es gewesen, daß seitdem in regelmäßigen Abständen von drei bis vier Monaten die
Außenminister der Westeuropäischen Union zu Konsultationen zusammentreten, was sie jahrelang jedenfalls in dieser Häufigkeit nicht mehr getan hatten, und daß dadurch die Zusammenarbeit zwischen ihnen belebt worden ist.
Zugleich ist das Ziel der deutschen Politik im Rahmen der europäischen Gemeinschaften natürlich die Festigung und Stärkung des Zusammenhalts innerhalb der freien Welt überhaupt. Deswegen ist es auch das Ziel unserer Politik, die europäischen Gemeinschaften durch den Beitritt und die Assoziierung anderer europäischer Staaten zu stärken.
Herr Abgeordneter Erler hat hier an die Bundesregierung appelliert, sich auch für eine faire Behandlung der neutralen Staaten einzusetzen. Dazu möchte ich sagen, daß es innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft keine Regierung gibt, die sich nachdrücklicher als ,die Bundesregierung für die Herstellung von Verbindungen zu den außerhalb der EWG stehenden Staaten einschließlich der neutralen Staaten einsetzt. Ich könnte das durch zahlreiche Beispiele im einzelnen belegen.
Die Bundesregierung hat auch ganz klare Vorstellungen über die Initiative, die sie im Bereich einer weiteren Verstärkung der europäischen Zusammenarbeit sowohl auf den politischen wie auf den wirtschaftlichen Bereich erstrecken soll, d. h. auf die Verstärkung der EWG und der anderen europäischen Gemeinschaften.
Die Bundesregierung wird ihre Ideen zu gegebener Zeit schriftlich fixieren und veröffentlichen. Allerdings kann sie selbst um den Preis einer so wichtigen Debatte wie der heutigen nicht darauf verzichten, ihre Gedanken in Vorgesprächen mit den europäischen Partnern zu sondieren.
({1})
Deswegen kann und will sie hier heute nicht alle Einzelheiten ausbreiten. Daraus aber den Schluß zu ziehen, die Bundesregierung hätte solche Vorstellungen nicht, wäre abwegig. Die Bundesregierung mißt dieser Frage eine sehr große Bedeutung bei und wird ihre Aktivität auf ihre Lösung konzentrieren.
Ich darf nun mit einigen Bemerkungen auf das eingehen, was Frau Abgeordnete Strobel soeben zu dem EWG-Komplex vorgetragen hat. Mit allem schuldigen Respekt, Frau Abgeordnete, möchte ich Ihnen sagen, daß es mir so vorgekommen ist, als wenn Sie die Mängel und Schönheitsfehler, die den europäischen Gemeinschaften noch anhaften, mit einem sehr starken Vergrößerungsglas gesehen und Ihren Blick vor dem gewaltigen Erfolg verschlossen hätten, den die europäischen Gemeinschaften und gerade die deutsche Regierung innerhalb dieser Gemeinschaften erzielt haben.
({2})
Vielleicht darf ich in ganz wenigen Stichworten darauf hinweisen, was uns im Zuge der Römischen Verträge gelungen ist. Es ist nicht nur der Übergang von der ersten zur zweiten Etappe planmäßig vollzogen worden, sondern es ist zweimal eine Beschleunigung des im Vertragswerk vorgesehenen
Bundesminister Dahlgrün
Tempos eingetreten. Große Vertragswerke, Vertragssysteme sind geschlossen worden, die es ermöglicht haben, andere Staaten, sowohl europäische wie auch nichteuropäische Staaten, mit diesen europäischen Gemeinschaften zu verbinden. Eine neue Initiative steht bevor, eine Binnenzollsenkung; so hat es die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgeschlagen. Die Bundesregierung wird - das darf ich sagen, ohne gegen den Grundsatz zu verstoßen, den ich eben hier mitgeteilt habe - diese Initiative unterstützen. Aber diese Initiative, die von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft jetzt ausgeht, ist ausgelöst worden durch eine Initiative, die die Bundesregierung vor einigen Monaten ergriffen hat, nämlich: durch eine autonome nationale Entscheidung die deutschen Binnenzölle zu senken.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erler?
Ja, gern.
Herr Staatssekretär, haben Sie Ihre zutreffenden Bemerkungen über den Erfolg der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nur an meine Kollegin Strobel gerichtet, oder galten sie auch dem Kollegen Strauß, als er in sehr lyrischer Weise das Haus beschwor, nun endlich mit Europa anzufangen, es sei sonst eine Sternstunde verpaßt?
({0})
Herr Abgeordneter Erler, ich habe meine Bemerkungen soeben an Frau Strobel gerichtet, weil Frau Abgeordnete Strobel eine Reihe von Kritiken an der Arbeit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geübt hat; ich werde mir erlauben, gleich darauf noch im einzelnen einzugehen. Aber ich hielt es doch für meine Pflicht, darauf hinzuweisen, daß ungeachtet gewisser Schönheitsfehler und Mängel, die sicherlich an dem Werk noch vorhanden sind - wer könnte darüber erstaunt sein, daß das nach so wenigen Jahren noch so ist -, gewaltige Erfolge erzielt sind, auf die wir nach meiner Auffassung unseren Blick in erster Linie richten sollten.
({0})
Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß es die deutsche Regierung gewesen ist, die im April 1963 in der vielleicht schwersten Krise, die die Zusammenarbeit in den Europäischen Gemeinschaften seit ihrem Bestehen getroffen hat - nämlich als die Verhandlungen mit Großbritannien zusammengebrochen waren -, ein Aktionsprogramm vorgelegt hat, das es in seinen vier oder fünf Teilen ermöglichte, über den kritischen Punkt hinwegzukommen und die Arbeit wieder in Gang zu bringen.
({1})
Dazu gehörte ein großes agrarpolitisches Programm, dazu gehörte die Festsetzung der Ausgangsposition für die Kennedy-Runde, dazu gehörte der Vorschlag der Fusion der Organe der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der jetzt allgemein einhellige Zustimmung findet, und dazu gehörte, wie ich gesagt habe, der Vorschlag, die Westeuropäische Union zu aktivieren.
Nun darf ich noch ein Wort zur Außenhandelspolitik sagen, über die auch einige kritische Bemerkungen gemacht worden sind. Der Römische Vertrag schreibt ganz klar vor, in welcher Weise die Gemeinschaft zu einer gemeinschaftlichen Außenhandelspolitik zu kommen hat. Das wird sich etappenweise vollziehen. Erst am Ende der Übergangszeit wird dieser Prozeß beendet sein. Die Bundesregierung steht voll und ganz auf dem Boden der Verträge und unterstützt alle Schritte, die dazu dienen, den vorgesehenen Rhythmus durchzuführen und fristgemäß zu beenden. Es kann keine Rede davon sein, daß die Bundesregierung sich etwa vornähme, für die dritte Phase der Übergangszeit eine Änderung der Verträge - oder sei es auch nur eine Änderung der Praxis der Verträge - in dem Sinne zu befürworten, daß etwa das Veto nachträglich wieder eingeführt werden sollte, welches die Verträge für diesen Zeitraum ausdrücklich ausschließen.
Sie haben dann, Frau Abgeordnete, von der Sozialpolitik gesprochen. Soweit ich das eben habe feststellen können - ich wäre dankbar, wenn Sie mich berichtigten, falls ich etwas Falsches sage -, schreibt der Römische Vertrag nicht eine Harmonisierung, sondern eine Zusammenarbeit der Regierungen im Bereich der Sozialpolitik vor. Die Bundesregierung mißt diesem Komplex eine sehr große Bedeutung bei.
({2})
- Nein, das tut er ganz gewiß nicht, da haben Sie recht. Dennoch möchte ich sagen: Die Bundesregierung mißt diesem Komplex eine sehr große Bedeutung bei. Sie ist aber der Auffassung, daß, bevor es zu einer Harmonisierung, d. h. zu einer Vereinheitlichung der Sozialpolitik in den sechs Ländern der Gemeinschaft kommen kann, eine Klärung von Vorfragen notwendig ist, die noch nicht weit genug fortgeschritten ist, um jetzt schon die Harmonisierung ins Auge fassen zu können.
Was die Stellung der Bundesregierung zum Europäischen Parlament angeht, so wiederhole ich wirklich Dinge, die sehr oft hier gesagt worden sind, wenn ich betone, daß die Bundesregierung stets für eine Stärkung der Stellung des Europäischen Parlaments und seiner Befugnisse eingetreten ist und daß sie das auch in Zukunft tun wird, daß sie es grundsätzlich auch tun wird im Hinblick auf die jetzt bevorstehende Fusion der europäischen Exekutivorgane. Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß durch die Fusion gewisse Veränderungen im Budgetrecht eintreten werden und daß das Parlament daher für die Befugnisse, die es bei der Fusion verlieren wird, auf der anderen Seite durch zusätzliche neue Befugnisse entschädigt werden sollte. Das ist
unsere Politik, und an ihr wird die Bundesregierung festhalten.
Dann noch ein Wort zur Agrarpolitik. Ich sagte vorhin schon, daß durch die bereits verabschiedeten europäischen Verordnungen 86 % der Agrarproduktion der europäischen Gemeinschaften erfaßt werden. Das ist ein gewaltiger Schritt. Das ist etwas, was man auch nicht von vornherein annehmen konnte, als die europäischen Gemeinschaftsverträge geschlossen wurden. Allerdings steht ein wichtiger Sektor noch aus, das ist die Frage der Getreidepolitik und des Getreidepreises. Hier möchte ich zwei Dinge sagen: Die Bundesregierung steht zu den Beschlüssen, die der Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gefaßt hat, und ich darf das Wort wiederholen, das der Herr Bundeskanzler bei mehreren Gelegenheiten gesagt hat: Die Kennedy-Runde wird an der deutschen Haltung zur Getreidepreisfrage nicht scheitern.
Aus dem gleichen Motiv, das unserer Europapolitik zugrunde liegt, nämlich Stärkung und Festigung der Gemeinschaft der freien Völker, trat und tritt die Bundesregierung für eine Stärkung des nordatlantischen Bündnissystems ein. Deswegen unsere Forderung nach verstärkter politischer Konsultation, nach Stärkung der Verteidigungskraft der Allianz und schließlich auch deswegen unsere Bereitschaft, an dem Projekt der multilateralen Atomstreitmacht mitzuwirken.
Die gleiche Klarheit und Bestimmtheit zeichnet unsere Politik gegenüber den nicht gebundenen Staaten aus. Wir sind in jedem dieser Staaten heute diplomatisch vertreten. Wir bemühen uns, den Staaten der nicht gebundenen Welt durch Wort und Tat zu zeigen, daß wir an ihren Sorgen wie ein uneigennütziger Freund teilnehmen, und zugleich suchen wir ihnen das Deutschlandproblem nahezubringen und ihr Verständnis dafür zu gewinnen, daß die Lösung der Deutschlandfrage auch in ihrem Interesse liegt.
Ich darf an dieser Stelle hinzufügen, daß wir mit dem Erfolg gerade dieses Teils unserer Politik zufrieden sein können. Die Äußerungen von Staatsmännern aus der neutralen Welt, die Sympathie für das Deutschlandproblem und für seine Lösung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts bekunden, sind so zahlreich, daß ich sie hier nicht vortragen kann. Die jüngst zu Ende gegangene Konferenz von Kairo hat erneut bestätigt, daß unsere Politik gegenüber diesem Raum der nicht gebundenen Welt richtig ist.
Klarheit und Eindeutigkeit aber, so möchte ich meinen, ist schließlich auch für die Politik kennzeichnend, die die Bundesregierung gegenüber den kommunistischen Staaten betreibt. Hier steht an erster Stelle, daß wir auch diesen Staaten gegenüber unablässig und unermüdlich die Forderung nach Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts für das deutsche Volk erheben und daß wir im engsten Kontakt mit unseren westlichen Partnern jede Möglichkeit ergreifen, in der Deutschlandfrage schrittweise weiterzukommen.
Der zweite Eckpfeiler unserer Außenpolitik gegenüber diesen Staaten ist unser wiederholt erklärter Verzicht auf Gewalt oder Drohung mit Gewalt, um irgendeine außenpolitische Frage, sei es die Gewährung des Selbstbestimmungsrechts an die Deutschen, seien es Grenzfragen, zu regeln. Es ist - um es anders auszudrücken - eine Politik der Erhaltung und der Sicherung des Friedens auch und gerade angesichts des Ost-West-Konflikts, die unser Verhalten gegenüber unseren kommunistischen Nachbarn kennzeichnet.
Zu den eindeutigen und klaren Äußerungen der Bundesregierung gegenüber dem osteuropäischen Raum gehört schließlich auch, daß wir zu wiederholten Malen und auch heute durch den Mund des Bundeskanzlers wieder erklärt haben: Zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei gibt es keine ungeklärte Grenzfrage.
({3})
Zugleich bemüht sich die Bundesregierung, gegenüber den osteuropäischen Staten wie Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Tschechoslowakei und Jugoslawien im Rahmen des Möglichen und Vertretbaren eine Verbesserung der Beziehungen herbeizuführen. Sie befindet sich damit in Übereinstimmung mit dem hier heute mehrfach zitierten einstimmigen Beschluß des Bundestages vom Sommer 1961 über die deutsche Ostpolitik. Wir können nicht hoffen, daß diese Politik zu schnellen Ergebnissen führt. Aber auch hier dient alles, was wir tun, dem klaren und von uns eindeutig ausgesprochenen Ziel, unsere osteuropäischen Nachbarvölker davon zu überzeugen, daß Deutschland seine politischen Ziele mit ausschließlich friedlichen Mitteln zu erringen sucht und daß daher die Lösung der Deutschland-Frage für sie nicht neue Gefahren mit sich bringen, sondern im Gegenteil eine Beruhigung und Konsolidierung der Gesamtsituation in Europa herbeiführen würde.
Klarheit und Bestimmtheit kennzeichnen schließlich unsere Politik im Bereich der Abrüstung. Die deutsche Regierung hat als eine der ersten Regierungen überhaupt die Forderung nach allgemeiner kontrollierter Abrüstung erhoben. Das ist kein Gemeinplatz. Es ist und bleibt das höchste Ziel aller Abrüstungsanstrengungen. Im Rahmen dieser Politik hat die Bundesregierung als erste und bisher einzige Regierung auf die Herstellung bestimmter Waffen verzichtet und sich dabei zugleich einer internationalen Kontrolle unterworfen. Auch dieses große Ziel der allgemeinen kontrollierten Abrüstung ist nicht sofort zu verwirklichen. Auch hier bedarf es langwieriger und mühevoller Verhandlungen, um ihm schrittweise näherzukommen. Die Bundesregierung wirkt an diesen Bemühungen mit. Sie ist alsbald nach dem Zustandekommen des Teststoppabkommens diesem Abkommen beigetreten, und sie steht mit den ihr befreundeten Regierungen in der Abrüstungskommission der Vereinten Nationen in ständigem Meinungsaustausch. Sie hat einen besonderen Fachmann für Abrüstungsfragen nach Genf entsandt, der an den Erwägungen der Partnerstaaten der Abrüstungskommission teilnimmt und ihnen
eigene deutsche Vorschläge unterbreitet. Wir haben zu jedem Projekt, das in Genf diskutiert wurde, Stellung genommen.
So fügen sich die Teile unserer auswärtigen Politik zu einem geschlossenen Ganzen zusammen. Jeder dieser Teile hat, wie ich gezeigt habe, einen unmittelbaren Bezug zu dem zentralen deutschen Ziel, der Beseitigung der Teilung unseres Landes. Es ist eine Politik, die sowohl in ihren Zielen wie in ihren Mitteln wie in ihren Methoden klar und bestimmt ist. Mir lag daran, dies noch einmal hervorzuheben.
({4})
Das Wort hat Frau Bundesministerin Dr. Schwarzhaupt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur ganz kurz zu zwei Punkten Stellung nehmen, die Herr Kollege Erler angesprochen hat und die Fragen des Gesundheitswesens betreffen.
Zunächst möchte ich etwas zu dem von ihm angeführten Zahlenvergleich zwischen Schweden und der Bundesrepublik in bezug auf die Müttersterblichkeit sagen. Diese Zahlen sind allerdings beängstigend und besorgniserregend. Es sind die Zahlen aus dem Jahre 1960. Sie haben gesagt, Herr Erler, daß damals auf 100 000 Lebendgeburten 105 Mütter starben. Das ist richtig. Richtig ist aber weiter, daß wir inzwischen das Jahr 1964 haben und daß die Mütter-Säuglingssterblichkeit seit der Normalisierung der Verhältnisse in der Bundesrepublik von Jahr zu Jahr sinkt. Inzwischen liegen uns zwar noch nicht die Zahlen dieses Jahres, aber doch die Zahlen von 1962 vor. 1962 starben in der Bundesrepublik auf 100 000 Lebendgeburten 87 Mütter. Auch das ist noch viel. Nur möchte ich doch die von Ihnen gebrachten Zahlen, soweit es die heutige Statistik zuläßt, rektifizieren. Wie gesagt, auch damit will ich nichts bagatellisieren. - Herr Schmidt, Sie wollen eine Frage stellen?
Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt ({0})?
Bitte!
Frau Ministerin, meinen Sie nicht, daß man, wenn man die gesunkenen Müttersterblichkeitszahlen aus den Jahren 1961 und 1962 anzieht, darauf hinweisen müßte, daß die Zahlen auch in vergleichbaren anderen Ländern zurückgegangen sind, beispielsweise in Frankreich, wo die Müttersterblichkeit 1960 bei 51,6 auf 100 000 Lebendgeburten lag und 1961 45,2 auf 100 000 Lebendgeburten betrug, und in England, wo die Müttersterblichkeit von 39,5 bei 100 000 Lebendgeburten im Jahre 1960 auf 34,1 im Jahre 1961 gesunken ist, so daß das Entscheidende, nämlich der
Abstand, immer noch gleich ist und die Bundesrepublik nach wie vor am Ende rangiert?
Herr Kollege Schmidt, ich danke Ihnen für diese Ergänzung. Sie haben mich aber nicht ausreden lassen. Ich wollte keineswegs die Zahlen, die auch heute noch gültig sind, bagatellisieren. Im Gegenteil, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß wir - solange noch eine Mutter auf 100 000 Lebendgeburten aus Gründen stirbt, die vermeidbar sind - nicht ruhen können. Wir müssen auch von Staats wegen alles uns Mögliche tun, um diese Zahlen herabzusetzen.
({0})
Ich will Ihnen sagen, was notwendig ist. Notwendig ist eine Verbesserung der Bestimmungen in bezug auf den Arbeitsschutz für werdende Mütter. Notwendig ist eine Verbesserung der Bestimmungen der Sozialversicherung. Es müssen Vorsorge-Untersuchungen für werdende Mütter mit einbezogen werden. Notwendig ist, daß wir zu einer Regelung kommen, durch die keine Mutter aus finanziellen Gründen daran gehindert wird, die notwendigen Vorsorge-Untersuchungen vornehmen zu lassen. Notwendig ist eine Festlegung dessen, was zu den Vorsorge-Untersuchungen gehört, nämlich Blutuntersuchungen, die Feststellung des Rhesus-Faktors, der Blutgruppe usw. Es darf ferner bei keiner Mutter an der Geldfrage scheitern, daß sie nach der Geburt eine ärztliche Nachuntersuchung vornehmen läßt, daß sie regelmäßig während der Schwangerschaft durch Hebammen betreut wird und daß sie beraten wird. Notwendig und hilfreich zugleich wäre die Einführung eines Mütterpasses.
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmidt?
Bitte!
Frau Ministerin, meinen Sie nicht, daß der Katalog dieser Forderungen, die Sie eben aufgezählt haben, nicht schon längst erfüllt sein könnte, wenn das Parlament den sozialdemokratischen Antrag auf Verbesserung des Mutterschutzes, der alle diese Forderungen enthält und der nun schon seit über zwei Jahren dem Bundestag vorliegt, verabschiedet hätte?
Herr Kollege, auch in meinem Hause liegt ein Entwurf, der diese Bestimmungen enthält. Dieser Entwurf wäre auch schon Gesetz. Er ist etwas systematischer. Er nimmt auch Maßnahmen zugunsten der Säuglinge mit auf und sieht den Mütterpaß vor, der in Ihrem Entwurf nicht vorgesehen ist.
Dieser Entwurf wäre längst vorgelegt worden, wenn nicht bei vielen Gemeinschaftsaufgaben vom Bundesrat Schwierigkeiten gemacht würden und wenn nicht gerade die von Ihren Parteifreunden
geführten Länder, Herr Kollege Schmidt, mit einer ganz besonderen Geschlossenheit dem Bund die Zuständigkeit für Aufgaben der Gesundheitsfürsorge und -vorsorge bestritten.
({0})
Der zweite Punkt, zu dem ich etwas sagen möchte, ist folgender.
({1})
- Ich möchte keine Zwischenfragen mehr hören. Ich möchte zuerst einmal aussprechen.
Herr Erler, Sie haben mit dem Ton einer ernsthaften Rüge beanstandet, daß die technische Anleitung zu dem § 16 der Gewerbeordnung in bezug auf die Reinhaltung der Luft nicht erlassen worden sei. Ich darf mir erlauben, Ihnen diese technische Anleitung zu überreichen. Sie trägt das Datum vom 8. September und ist in dem Gemeinsamen Ministerialblatt der Bundesregierung vom 14. September 1964 veröffentlicht. Herr Kollege Erler, man kann sich mal irren; das kommt bei uns allen vor.
({2})
Ich nehme an, verehrter Herr Kollege, daß Sie den Vorwurf und die strenge Rüge zurücknehmen.
({3})
Sie können doch, nicht bestreiten ({4})
- Sehr verehrter Herr Kollege, ob man eine so komplizierte und 'diffizile technische Anleitung schneller hätte machen können, werden Sie vielleicht erst beurteilen können, wenn Sie das Stück einmal gelesen haben, was ihre Fraktion aber offenbar nicht getan hat.
({5})
Ich nehme an, Herr Kollege Erler, daß Sie den Vorwurf zurücknehmen. Ich glaube, wenn Sie den Entwurf geprüft hätten, dann hätten Sie gesehen, daß in ihm sehr strenge Maßstäbe für Fragen der Luftreinhaltung enthalten sind, Maßstäbe, die strenger sind als diejenigen, die auch die von Ihrer Partei regierten Städte in den industriellen Ballungsgebieten die ganzen letzten Jahre hindurch angewandt haben. Sie werden also vielleicht nicht nur sagen, daß Sie den Vorwurf zurücknehmen; ich glaube, Sie müßten sagen: ich behaupte das Gegenteil.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Leber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war ursprünglich; nicht meine Absicht, und auch nicht vorgesehen, daß ich in dieser Debatte spreche. Der Herr Bundeskanzler hat aber in seiner Regierungserklärung ein Problem berührt, das Problem der Vermögensbildung, und hat es in einer Weise berührt, daß ich
ich mich direkt angesprochen fühle. Deshalb glaube ich, daß es richtig ist, wenn ich dazu hier einige Ausführungen mache.
Niemand bestreitet, daß in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren in der Bundesrepublik auch bei unselbständig Beschäftigten privates Vermögen gebildet worden ist. Wir freuen uns alle darüber. Wir haben das unterstützt und sind unzufrieden darüber, daß das nicht noch mehr geschehen ist. Ich denke insbesondere auch an den privaten Hausbesitz von Arbeitnehmern usw. Das ist sehr wichtig, und das sollen wir auch künftig unterstützen.
Das ist aber nicht der Kern des Problems, um den es dabei geht. Der Kern des Problems ist: Beteiligung der unselbständig Beschäftigten, der Arbeitnehmer, am Produktionskapital unserer Wirtschaft, Beteiligung der Arbeitnehmer am Wertzuwachs in der Wirtschaft. Dieses Problem ist heute noch so ungelöst wie eh und je. Das ist die Frage, um die es hier geht, und ich möchte, weil ich das Gefühl habe, daß wir auch heute wieder mit zu allgemeinen Bemerkungen und allgemeinen Thesen über das Thema hinweggegangen sind, das Problem hier doch noch einmal so aufzeigen, wie es sich uns darbietet.
Vermögen kann man nur aus Einkommen bilden. Die erste Frage ist also: Wie sieht die Einkommenssituation aus? Ist der Mensch, um den es hier geht, aus der bestehenden Einkommenssituation heraus in der Lage, Vermögen zu bilden?
({0})
- Ich komme schon darauf zu sprechen. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einiges dazu sagen.
Nach den amtlichen Statistiken, die im Auftrage der Bundesregierung erstellt worden sind, ist das Einkommen ides Arbeitnehmers, des Unselbständigen von 1950 bis 1963 um netto 154 % gewachsen. Der Arbeitnehmer verdiente in der Bundesrepublik 1963 im Durchschnitt 539 DM monatlich. Das sind die amtlichen Zahlen. Das ist ein Beweis dafür, daß die Mehrzahl - -({1})
- Arbeitnehmer: da sind auch die Direktoren darin, sie gelten euch als Arbeitnehmer.
({2})
- Natürlich auch die Lehrlinge! Ich habe ja vom Durchschnitt im Monat gesprochen. Da spielt auch die Arbeitszeit keine Rolle.
({3})
- Sie sind auch darin. - Das ist der Beweis dafür, daß die Mehrheit der Arbeitnehmer à conto dieses Einkommens nicht sparfähig ist. Damit ist aber ein weiterer Beweis angetreten, und zwar daß sie an sich sparwillig wären, wenn sie auf Grund ihres Einkommens eine Möglichkeit dazu hätten. Das beweist die Tatsache, daß es viele Millionen Sparbücher gibt. Aber auch da gibt es wieder eine interessante
Feststellung: 40 % aller Arbeitnehmer haben kein Sparkonto; 47 % aller Inhaber eines Sparkontos haben eine Einlage von unter 100 DM. Hier haben wirwieder den Beweis der nicht vorhandenen Sparfähigkeit. Und eine weitere Feststellung: 60 % aller Sparguthaben, die bei den Sparkassen zusammengetragen sind, ,sind von 6 % aller Inhaber von Sparguthaben zusammengetragen. Auch hier gibt es also so etwas wie eine Konzentration.
Im Auftrage der Bundesregierung hat der Professor Föhl ein Gutachten erstellt. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, daß 75 % allen privaten Vermögens im Besitz von 17 % der bundesdeutschen Bevölkerung sind und daß sich die übrigen 83 % unserer Bevölkerung in die restlichen 25 % des privaten Vermögens teilen. Dieser Statistik ist bisher von niemandem widersprochen worden; man kann ihr auch, glaube ich, schlechterdings nicht widersprechen.
In absoluten Zahlen bedeutet das, daß 18,9 Millionen Arbeitnehmer im Jahre 1959 6,1 Milliarden DM an Vermögen gebildet haben. Das sind auf den Kopf des unselbständig Beschäftigten umgerechnet im Jahre 1959 322 DM gewesen. Es gibt 3,2 Millionen Selbständige. Die haben 1959 6,8 Milliarden DM an Vermögen gebildet. Das sind auf den Kopf des Selbständigen umgerechnet 2125 DM. Dazu kommen 10,8 Milliarden DM an unverteilten Gewinnen aus Personengesellschaften und Einzelunternehmungen. Wenn man das auf den Kopf des Selbständigen umrechnet, kommen dazu noch einmal 5500 DM je Kopf. Es sind nicht einbezogen die unverteilten Gewinne der Kapitalgesellschaften, weil sich das schlecht errechnen läßt, weil man nicht genau weiß, ob das identisch ist mit selbständig oder unselbständig. Das bedeutet - wenn ich also bei den unverteilten Gewinnen der Personalgesellschaften aufhöre und das Ausweisbare hinzuziehe -, daß die Selbständigen im Jahre 1959 23mal so viel Vermögen gebildet haben, wie es den Unselbständigen möglich war.
Nun, es geht hier nicht nur um die Frage, was ist, sondern es geht hierbei um noch etwas anderes. Wir haben eine ungeheure Entwicklung in unserer Wirtschaft. Das ist nicht nur eine Frage, ob der Arbeitnehmer auch etwas Vermögen bekommt, sondern auch eine frage, wie es in der Zukunft weitergeht, ob unsere Zukunft überhaupt erreichbar ist, ob unsere Zukunft stabil bleibt, wenn sich an den Situationen, an den Zuständen, wie wir sie haben, nicht etwas ändert.
Als ich ein junger Mann war und in das Baugewerbe hineingesehen habe - auch mein Vater war Maurer -, hat ein Baugeschäft je Kopf der Beschäftigten eine Kapitalausstattung von ungefähr 400 Mark nötig gehabt. Heute haben wir eine fabrikmäßige Herstellung von Wohnungen; das gleiche Gut wird heute technisch, falbrikmäßig hergestellt. Der Kapitaleinsatz pro Beschäftigten beträgt 46 000 DM. Das ist 120 mal mehr als vor ungefähr 30 Jahren.
Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel sagen. Der Kapitaleinsatz pro Beschäftigten in der gesamten Industrie ist seit 1950 von 12 800 DM auf 26 200 DM
gestiegen. Der Kapitaleinsatz pro Beschäftigten wird höher und höher, wird immer mehr zunehmen. Das haben wir gar nicht in der Hand. Das kann auch nicht anders sein; das müssen wir sogar begrüßen und für richtig halten, wenn wir in der Zukunft auf den Märkten der Welt wettbewerbsfähig sein wollen und wenn wir unsere Stellung auch in Hinsicht auf den Fortschritt in diesem Lande behaupten wollen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Riedel?
Bitte sehr.
Herr Kollege Leber, Sie haben soeben Einkommen der Unselbständigen und Einkommen der Selbständigen gegenübergestellt und eine 23fache Vergrößerung festgestellt. Jetzt rechnen Sie die Kapitalausstattung der Betriebe hier vor. Ist Ihnen nicht bewußt, daß in einer personal geordneten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung im Einkommen der Selbständigen und auch der öffentlichen Hand die Sicherung der Arbeitsplätze der 23 Millionen unselbständig Beschäftigen enthalten ist?
Natürlich weiß ich das. Aber das ist gar nicht der Punkt, auf den ich hinaus möchte. Der andere, den ich meine, ist viel wichtiger. Natürlich gehört Kapital dazu, Beschäftigung zu sichern. Aber mit dieser Kapitalbildung pro Beschäftigten für jeden Arbeitsplatz sind Gefahren verbunden, über die sich das deutsche Volk noch nicht im klaren ist, wo wir noch nicht den Weg gefunden haben, wie wir mit ihnen fertig werden sollen.
Ich will Ihnen noch ein Beispiel sagen. In der Nähe von Frankfurt ist vor etwa vier Wochen eine Raffinerie aufgemacht worden; 340 Millionen DM nach Angabe der Gesellschaft. Um die Produktion zu betreiben, sind 33 Arbeitnehmer erforderlich. Es ist je Kopf der in der Produktion Tätigen ein Kapitaleinsatz von 7 Millionen DM erforderlich. Es sind insgesamt, wenn die Raffinerie einmal fertig aufgebaut worden ist, 300 Personen nötig, vom ersten Manager bis zur Helferin in der Kantine. 300 Leute! Das ist ein Kapitaleinsatz in diesem Unternehmen von 800 000 DM je Beschäftigten.
Diese Entwicklung, meine Damen und Herren, wird weiter und weiter gehen, und niemand von uns kann sie aufhalten und darf sie aufhalten. Das ist nicht eine Frage der Beschäftigung, sondern die Frage: welche politischen Gefahren für unser Volk und für unsere Freiheit liegen in dieser Entwicklung nebenbei auch noch? Damit müssen wir uns befassen. Deshalb handelt es sich hier gar nicht um die Frage, ob man dem Arbeitnehmer auch etwas Vermögen gibt, sondern um die Frage, wie man mit diesem Problem, das sich da in der Wirtschaft ergibt, fertig wird.
Ich will Ihnen noch einige Beispiele nennen, weil es keine amtliche Statistik darüber gibt. - Bitte sehr.
Herr Kollege Leber, sind Sie der Auffassung, daß es eine Lösung dieses Problems wäre, was im Godesberger Programm festgehalten ist: die Überführung in Gemeineigentum?
({0})
Im Godesberger Programm steht nicht die Überführung in Gemeineigentum. Das stand im Ahlener Programm; das haben Sie noch im Kopf, glaube ich.
({0})
Ich möchte Ihnen aber gern noch an drei Tatbeständen etwas aufzeigen, was nicht in der Statistik steht. Ich wäre sehr dankbar, wenn der Herr Bundeskanzler hier erklären würde, daß die Bundesregierung bereit ist, auch da einmal mit statistischen Erfassungen hineinzuleuchten. Es geht um die Vermögensbildung in Kapitalgesellschaften. Ich will die Unternehmen nicht nennen. Ich bin aber gern bereit, jedem der Kolleginnen und Kollegen auch die Namen der Unternehmungen zu nennen. Ich habe sie hier, und wenn Sie die Zeitung aufschlagen, können Sie es nachlesen.
Da gibt es ein Unternehmen, dessen Aktienkurs 1950 bei 25,5 Punkten stand und am 30. Juni 1960 bei 1699 Punkten. Das ist ein Wertzuwachs dieser Aktie von 6563 %.
({1})
- Nach der Ausgabe von jungen Aktien und Gratisaktien steht er heute bei 690. Aber die Substanz ist die gleiche, Herr Kollege Etzel, das wissen Sie ja.
Ein zweites Beispiel: 65 im Jahre 1950, am 30. Juni 1960 1468 Punkte; Wertzuwachs 2158 %.
({2})
Dazu kommen Gratisaktien, anderthalbmal, so daß eine Aktie, die im Jahre 1950 mit einem Nominalwert von 1000 DM einen effektiven Wert von 650 DM hatte, heute mit einem Wert von 36 700 DM ausgestattet ist. Das ist der Wertzuwachs aus der Entwicklung der Wirtschaft, und darum geht es. Jetzt hätte ich dem Herrn Bundeskanzler gern ein paar persönliche Fragen gestellt, nachdem er sich hier mit dem Thema Vermögensbildung beschäftigt hat. Er geht davon aus, daß es in erster Linie auf dem Weg über die individuelle Sparleistung erreicht werden muß, dem Arbeitnehmer Vermögen in die Hände zu geben. Individuelle Sparleistung heißt Konsumverzicht, auf einen Teil dessen, was man an Einkommen jetzt hat, zu verzichten, es nicht zu verbrauchen, es zu sparen. Meine Fragen sind folgende.
Erstens. Herr Bundeskanzler, ist diese Vermögensbildung, die ich eben an einigen Beispielen aufgezeigt habe, das Ergebnis einer individuellen Sparleistung der Selbständigen oder das Ergebnis wovon?
Zweitens. Sind Sie, Herr Bundeskanzler, der Meinung - auch Sie können sich darüber Gedanken machen, meine Herren, nicht nur der Herr Bundeskanzler -, daß diejenigen, die diese Vermögen gebildet haben, die sie heute besitzen, sich von ihrem Einkommen, das höher ist und stärker gestiegen ist als das Einkommen der Unselbständigen, von ihrem Lebensstandard und von ihrem Konsum etwas abgespart haben, um dieses Vermögen zu bilden? - Sie können es ja erklären, Herr Kollege Schmidt. Ich wäre Ihnen ja dankbar. Ich habe aber das Gefühl, daß es so spärlich in den Haushalten der Selbständigen, verglichen mit den Haushalten der Unselbständigen, nicht zugeht.
Drittens. Sind Sie der Meinung, Herr Bundeskanzler, daß solche Vermögen überhaupt auf Grund einer persönlichen Sparleistung oder einer persönlichen Leistung gebildet werden können?
Viertens. Sind Sie nicht der Meinung, daß diese einseitige Vermögensbildung das Ergebnis eines unvergleichbaren, noch nicht dagewesenen, riesigen Zwangssparprozesses ist, dem das ganze Volk seit 15 Jahren unterworfen ist?
Fünftens. Sind Sie nicht der Meinung, daß dieser Zwangssparprozeß zugunsten der Vermögensbildung einer Minderheit unseres Volkes durch zahlreiche Maßnahmen der Regierung und der Mehrheit dieses Bundestages unterstützt und gefördert worden ist?
Auch wir sind für die Förderung des individuellen Sparens, vor allem auch bei den Unselbständigen. Aber wir wissen auch, daß das Geben von Anreizen allein nicht zum Ziele führen wird. Der Kanzler hat in seiner Regierungserklärung zu diesem Thema keine neuen Ideen genannt. Er hat lediglich gesagt, das Kabinett habe einen Auftrag erteilt. Ich weiß nicht, welchen Auftrag das Kabinett erteilt hat. Im übrigen hat er aber nur Dinge beim Namen genannt, die es jetzt schon gibt, Sparprämien, allgemeine Sparanreize, Steuervergünstigungen usw. Wie wollen Sie einen Familienvater, der 580 oder 600 DM verdient, der sowieso fast keine Steuern zahlt, der davon auch nichts abgeben kann, durch private, persönliche Sparanreize zur Vermögensbildung bringen? Wenn Sie auf dem Wege helfen wollen, den es jetzt schon gibt, oder auf all den Wegen, die es da gibt, dann werden immer nur die betroffen, die eigentlich die Hilfe gar nicht so sehr nötig haben; und die, die auch in Betracht kommen müssen, werden gar nicht oder viel weniger betroffen.
({3})
Das Problem liegt darin, daß es darum geht, den Arbeitnehmer an den Produktionsmitteln, an dem Produktionskapital, am Zuwachs dieses Produktionskapitals zu beteiligen. Es geht weiter darum, durch eine gerechtere Regelung diese Vermögensbildung herbeizuführen und gleichzeitig die Sicherstellung unserer Währung im Auge zu haben. Alle Vorschläge der Regierung führen nicht zum Ziel. Was der Bundeskanzler hier gesagt hat - der Arbeitnehmer müsse die Möglichkeit haben, alle paar Jahre zu entscheiden, ob das Geld weiter gespart bleiben soll oder nicht -, führt praktisch, ob Sie das wollen oder nicht, nicht zum Ziel - da reden alle Leute an dem eigentlichen Thema vorbei -; denn das Drei-Jahre- und Fünf-Jahre-Sparen und das Wiederfreigeben heißt nicht Vermögensbildung betreiben, sondern das heißt um drei Jahre oder fünf Jahre die Inflation hinausschieben, weil man nicht
den Mut hat, die Dinge offen anzusprechen und sie so zu nennen, wie sie sind.
({4})
Das muß man im Hinblick auf viele Dinge, die da erörtert werden - ich weiß nicht, ob der Bundeskanzler auch so darüber denkt -, einmal ganz offen sagen. .
Wenn die notwendige Kapitalbildung weiter so wie bisher zugunsten einer Minderheit unseres Volkes erfolgt, dann sehen wir große Gefahren. Erstens entsteht ein gefährliches Verhältnis der Arbeitnehnehmer, die nicht an dieser Entwicklung beteiligt sind, zur Investition an sich, weil bei einer Minderheit einseitig aufgestockt wird. Es kann sich eine Investitionsfeindlichkeit entwickeln, weil die Investition durch die Einseitigkeit der Eigentumsbildung diskriminiert wird. Das wäre für das ganze Volk, seine Wirtschaft, den Wettbewerb, die Zukunft und den Fortschritt schädlich.
Zweitens. Sie können so viel auf die Gewerkschaften schimpfen, wie Sie wollen, meine Damen und Herren, - die Gewerkschaften stehen in dieser Frage unter dem Druck der Arbeitnehmer, die die Einseitigkeit der Vermögensbildung tagtäglich vor Augen sehen. Sie stehen unter dem Druck, über Lohnpolitik im herkömmlichen Sinne den Versuch zu machen, eine Umverteilung des bestehenden Vermögens herbeizuführen. Jeder Wirtschaftswissenschaftler weiß aber, daß das gar nicht geht. Über diesen ständigen Druck, dem die Gewerkschaften ausgesetzt sind, wird nicht Vermögen umverteilt, sondern wird Inflation gemacht. Wem das nicht gefällt, der muß nach einem anderen Weg sinnen, der diesem Übel wirklich abhilft. Dafür liegen bisher bei Ihnen keine Vorschläge auf dem Tisch.
({5})
Ich weiß allerdings auch - ich möchte das hier einmal offen sagen; ich hoffe, daß hier im Hause niemand ist, der so denkt -, daß es im Unternehmertum, bei denen, die rückwärts denken, Leute gibt, die den Zustand, so wie er ist, erhalten möchten. Die reden von Inflation und möchten auch gerne die Gewerkschaften beständig der Inflationsmacherei bezichtigen können. Das ist ihnen lieber, als an diesem Zustand etwas zu ändern, weil ihnen das politisch bequemer ist, unter diesem Schirm dann die einseitige Vermögensakkumulation weiter zu betreiben. Auch das muß man sehen, daß das nichts anderes ist als eine Spekulation mit dem schwarzen Gegner, den man sich da ständig an die Wand malt, diesem Buh-Mann einer Inflation machenden Gewerkschaft.
Drittens. Ich halte das, wenn das so weitergeht - meine Damen und Herren, eine Zeitlang geht noch alles gut -, für eine ernsthafte Gefahr für unsere politische und staatliche Ordnung, besonders in der Lage, in der sich die Bundesrepublik Deutschland befindet. Ich bitte Sie um Verständnis dafür, wenn ich dazu spreche, da ich mich persönlich angesprochen fühle, weil einige Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers sicher auf einen Punkt gerichtet waren, der in den letzten Wochen häufig diskutiert worden ist und mit dem ich mich verbunden fühle.
Ich halte den Vorschlag, der da gemacht worden ist, für praktikabel. Wir haben noch keine Meinung aus dem wissenschaftlichen Bereich gehört, die darauf hinausläuft, daß er nicht praktikabel sei. Wir sind bereit - das darf ich hier in dieser Eigenschaft einmal sagen -, über jede Einzelheit dieses Vorschlages zu diskutieren.
({6})
- Nicht hier! Aber wer sagt, dieser-Vorschlag könne nicht durchgeführt werden, der hat kein moralisches Recht, von uns zu verlangen, daß wir ihm das zugestehen, solange er selbst nicht in der Lage ist, einen besseren auf den Tisch zu tun. Es gibt bis jetzt keinen praktikableren als den. Er hat in der ganzen Öffentlichkeit Beifall gefunden. Es gibt - das ist vielleicht sehr lehrreich im Hinblick auf einige Punkte, die der Herr Bundeskanzler hier genannt hat: man dürfe den Arbeitnehmer nicht bevormunden, man dürfe ihn nicht rechtloser machen als andere Leute, man dürfe ihn nicht zum Zwangssparen bringen usw. - nicht einen einzigen Bauarbeiter, der mir in den letzten fünf Wochen einen Brief geschrieben oder irgendwann gesagt hätte - ich bin viel unter die Leute gegangen -: das geht nicht, ich lasse mich nicht unter Zwang setzen, ich lasse mich nicht bevormunden. Im Gegenteil!
Ich habe eine politische Veranstaltung gehabt, bei der nicht nur Sozialdemokraten waren; da war ein halbes Dutzend Volkswirte da, vor denen ich im allgemeinen sehr viel Respekt habe, wie sich das einem Akademiker gegenüber gehört.
({7})
- Sie glauben es nicht, Herr Kollege Strauß? - Diese haben wer weiß was an den Haaren herbeigezogen, was das für Zwangselemente enthalten würde. Plötzlich ist ein Zimmermann von 60 Jahren aufgestanden und hat gesagt - und das wollte ich Ihnen auch sagen -: Wer Vermögen hat, der weiß, daß er es behalten muß, sonst hat er es nicht mehr; Vermögen kann man nicht aufessen, Vermögen kann man nicht verbrauchen; das hat man oder man hat es nicht; wer will, daß wir Vermögen ausgeben, daß es in Bargeld umgewandelt wird, der will nicht, daß wir persönlich Vermögen haben. Das sollten sich alle die, die alle drei Jahre Wahlmöglichkeiten schaffen wollen, ein bißchen hinter die Ohren schreiben. Das ist auch eine Frage der Entwicklung. Es gehört auch eine Entwicklung auf pädagogischem Gebiet dazu, bis wir so weit sind, das völlig der Freiheit des einzelnen überlassen zu können. Ich brauche wohl nicht deutlicher zu sagen, was ich damit meine.
Der Bundeskanzler hat in .seiner Rede heute vormittag gesagt, die Bundesregierung lehne die Konzentration massenhafter Vermögen in der Hand weniger oder in kollektiv verwalteten Fonds ab. Da hätte ich gern eine kleine Aufklärung. Meint der Herr Bundeskanzler, wenn er von der Vermögenskonzentration in der Hand weniger spricht, die Vermögenskonzentration in den großen Wirtschaftsunternehmungen unseres Landes, über die sehr viel diskutiert worden ist? Herr Bundeskanzler, Sie sa6848
gen, Sie lehnten sie ab. Wie heißt es hier? Sie lehnten sie in der Hand weniger oder in kollektiv verwalteten Fonds ab, wie etwa ein Verfügungsrecht der Tarifpartner über einen Teil des Lohnes. Da möchte ich Sie fragen: Was tun Sie dann, damit diese Vermögenskonzentration beseitigt wird? Ich möchte das hier gar nicht zum Thema machen und dem gar nicht das Wort reden. Sie sagen: ich möchte keine Vermögenskonzentration schlechthin. Ich kann verstehen, daß Sie keine Konzentration bei irgendwelchen Banken oder Fonds haben wollen, auch nicht in der Sozialversicherung, wenn nicht genügend Sicherungen da sind, die bewerkstelligen, daß damit kein Mißbrauch getrieben werden kann. Ich halte es aber für nicht so gefährlich, einen Fonds zu haben, ein Kapitalsammelbecken zu haben, in dem Unternehmer und Arbeitnehmer vertreten sind und in dem auch die Allgemeinheit ihre Positionen einnehmen kann, damit nichts hinterm Rücken geschehen kann, wie wenn man gleich hohe Milliardenvermögen in der Hand von zwei, drei Leuten zuläßt, ohne daß man ihnen ein gleiches Quantum an Mißtrauen entgegenbringt.
({8})
Über diese Dinge kann man reden. Mir kommt es nur darauf an, zu erfahren, ob das eine Festlegung war, die Sie hier 'getroffen haben. Mir schien es so. Das war ein wichtiger Grund, warum ich mich überhaupt gemeldet habe. Denn wenn das eine Festlegung wäre, wenn das die letzte Meinung der Bundesregierung wäre, dann hätte es nicht mehr viel Sinn, sich darüber noch weiter zu unterhalten.
Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände hat gestern und vorgestern Beschlüsse gefaßt. Sie hält die Vorschläge, die gemacht worden sind, für diskussionswert, auch wenn sie in einzelnen Punkten anderer Meinung ist. Ich bin auch nicht der Meinung, daß das alles gut ist. Bei der Haltung der Arbeitgeberverbände zeigt sich, daß sich eine Mehrheit gegen die rückständigen Gesinnungen durchgesetzt hat. Bei einigen Bemerkungen, Herr Bundeskanzler, die Sie heute vormittag gemacht haben, hatte ich den Eindruck - vielleicht haben Sie es gar nicht so gemeint; das können sie dann korrigieren, wenn ich Sie mißverstanden habe -, daß Sie sich zum Sprecher des rückständigen Teils der Unternehmer gemacht hätten.
({9})
Es wäre sehr interessant, zu erfahren, ob das, was ich aus Ihrer Rede angeführt habe, von mir richtig verstanden worden ist, ob Sie sich also zum Sprecher derjenigen Unternehmer gemacht haben, die eine Vermögensbildung auf eine besondere Art gar nicht wollen, die sich die Möglichkeit erhalten wollen, ständig darüber zu reden, 'die aber nichts tun wollen, was an den bestehenden Eigentumsverhältnissen der Wirtschaft etwas ändert, die also nicht wollen, daß auf eine andere Weise etwas übertragen werden soll. Das ist es, um was es uns geht.
Im Hintergrund steht auch ein bedeutsames politisches Problem. Wir haben die Reaktion im Osten verfolgt. Wir wissen, daß die Kommunisten - das ist vielleicht interessant im Hinblick auf das, was
Herr Kollege Strauß heute morgen hier angeführt hat - einen solchen Vorschlag, von dem sie wissen, daß er praktikabel ist, für das Gefährlichste halten, was ihrer politischen Vorstellung seit 50 Jahren passiert ist, weil das dem Kommunismus die Basis nimmt, auf der er steht, weil das den Kapitalismus überwindet, diesen Auswuchs des Liberalismus, und damit auch jeden Ansatzpunkt für den Kommunismus beseitigt und diese Entwicklung, an der wir gar nicht uninterssiert sein können, noch beschleunigt, die sich da vollzieht.
Ich möchte für vieles, was ich noch gern dazu sagen möchte, aber mit Rücksicht auf die kurze Zeit und unsere Mägen nicht sagen will, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein kurzes Wort zitieren aus der italienischen Zeitung „Corriere de la Sera" ; das ist keine Gewerkschaftszeitung und keine sozialdemokratische Zeitung, glaube ich. Dort heißt es:
Falls dieser Vorschlag verwirklicht würde, würde das Deutschland zur Vorhut des sozialen Fortschritts machen in Europa und in der Welt und ihm einzigartige politische Vorteile, vor allem gegenüber der DDR, einräumen.
Das wollen wir, Herr Bundeskanzler; darum geht es. Es geht darum, auch wenn es weh tut und wenn es unbequem ist. Diese Partei und, ich bin sicher, auch alle Gewerkschaften werden auf diesem Weg bleiben, daß im Zentrum unseres gesellschaftspolitischen Anliegens die Veränderung stattfindet. Wer dagegen ist, der kann die Entwicklung vielleicht noch eine Zeitlang aufhalten, dann kann manches über uns alle hinweggehen und vieles mehr mitschwemmen als das, um was es eigentlich dabei geht.
Wer bereit ist, diese Entwicklung evolutionär zu verfolgen, der wird damit Freiheit, die Achtung und den Respekt vor dem Eigentum und die Sicherung des Eigentums - weil es dann entdiskriminiert ist - für künftige Zeiten gewährleisten und noch viel mehr, nämlich auch die politische Stabilität des Staates, an der wir alle interessiert sind. Das ist das, was wir wollen, und das ist das, was ich unter dem Wort meines Kollegen Fritz Erler heute morgen verstanden habe, als er sagte: eine gerechte Heimstatt für freie Menschen schaffen.
Unsere Sache ist gut. Wir haben noch nie soviel Rückenwind und soviel Verbündete gehabt wie diesmal. Diese Sache läßt sich überhaupt nicht verlieren. Ich hoffe, daß wir sie gewinnen und daß es gelingt, sie mit der Bundesregierung und nicht gegen sie durchzuführen, besonders angesichts der Situation, in der wir uns in der kommenden Zeit befinden werden.
({10})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist fast eine persönliche Ansprache an Herrn Leber, die ich halten muß. Es ist bekannt genug, und meine
Freunde wissen es sehr gut, daß ich sehr positiv zu dem Gedanken einer breiten Vermögensstreuung stehe - da ist gar kein Zweifel möglich -, und ich meine auch Vermögen in Arbeitnehmerhand. Ich darf aber etwas doch einmal richtigstellen, es jedenfalls aus einer falschen sozialen Beleuchtung herausbringen.
Das deutsche Volkseinkommen im ganzen machte im Jahre 1963 288 Milliarden DM aus. Davon betrug das Masseneinkommen 188 Milliarden DM, so daß also das Unternehmereinkommen und das aller freien Berufe, sowie Erträge aus Kapitalvermögen insgesamt 100 Milliarden DM ausmachten.
Ich behaupte nicht - und ich habe das auch wiederholt gesagt -, daß diese Verteilung bis zum letzten gerecht wäre. Nein, dabei kommt es auch auf die Entwicklung an. Es gilt zu erkennen, wo wir angefangen haben, und den Weg zu ermessen, den wir zurückgelegt haben. Da allerdings bin ich der Meinung, daß die Vermögen, die sich in Unternehmerhand gebildet haben - man kann natürlich, sehr extreme Beispiele anführen, aber das sind dann nicht Einzelunternehmer, sondern in der Hauptsache Aktiengesellschaften -, nicht dadurch zustande gekommen sind, daß die Leute Entsagung geübt oder gehungert haben. Es wäre dumm, das behaupten zu wollen. Aber man kann auch nur eine gewisse Anzahl Schnitzel essen; dann hört es auf. Im übrigen aber ist von diesem Einkommen, das ich, wie gesagt, gern breiter gestreut sehen möchte, doch) ein vernünftiger Gebrauch gemacht worden.
({0})
Woher kämen sonst all die Arbeitsplätze, die wir geschaffen haben? Woher käme sonst der Zuwachs unseres Sozialprodukts, die deutsche Stellung in der Weltwirtschaft, unsere Wettbewerbskraft? Das ist doch alles ein Ausfluß dieser Tatsache. Wir können uns also wohl darauf einigen, daß von dem privaten Unternehmereinkommen ein für alle nützlicher Gebrauch gemacht wurde. Daß es da auch einige Sünder gegeben hat, die über Gebühr Luxus trieben, sei zugegeben, hat aber kein Gewicht. Ich behaupte also, daß im allgemeinen, im ganzen und gerade von der breiten Schicht unserer mittelständischen Wirtschaft von dem Unternehmereinkommen ein volkswirtschaftlich nützlicher Gebrauch gemacht worden ist.
({1})
Sie können mir aber nicht nachsagen, daß ich nicht auch den deutschen Arbeiter am Wohlstand unseres Volkes habe teilnehmen lassen wollen. Das war ja meine Devise, mit der ich ins Feld gezogen bin. Aber hier geht es um etwas ganz anderes, Herr Leber! Sie haben einen Plan entwickelt, und ich habe ihn sehr sorgfältig studiert. Aber Sie konnten doch von mir nicht erwarten, daß ich vor einer eingehenden Erörterung dieses Vorschlags - ich spreche z. B. am Montag mit den beiden Kirchen, ich höre, daß ich auch mit Ihnen diskutiere, und im eigenen Kreis müssen wir das heute noch erörtern - auf das Podium gehe und sage: Was ist der Herr Leber für ein großartiger Kerl, was hat der für einen großartigen Plan vorgelegt! Wir hören auf, zu denken, wir sind bereit, ihn in Bausch und Bogen zu akzeptieren! - Das können Sie doch wohl nicht erwarten.
Im übrigen habe ich Ihren Plan auch nicht rundweg abgelehnt. Ich habe vielmehr gesagt, man solle hinsichtlich der Frage der Vermögensbildung und einer breiteren Vermögensstreuung auch in Arbeitnehmerhand prüfen, ob man dabei nicht den Gedanken mit erörtern sollte, eine private Spartätigkeit durch einen gleichgearteten Zuschuß von Arbeitgeberseite zu ergänzen. Ich habe mich auch dazu noch nicht bekannt; ich will mir die innere Freiheit vorbehalten, das alles sorgfältig zu überlegen. Wenn wir uns alle darüber klar sind, hat diese Diskussion nichts Gegensätzliches in sich. Denn das kann ich Ihnen sagen: Meine Fraktion ist mit Ihnen der Meinung, daß wir zwar nicht in die kalte Sozialisierung schlittern wollen - das unterstelle ich auch Ihnen nicht -, daß wir aber sehr sorgfältig prüfen wollen, welche Art von Machtpositionen sich dabei herausbilden könnten. Daß ich kein Freund einer übermäßigen Konzentration bin, ist bekannt genug. Aber, verehrter Herr Leber, Sie werden auch einsehen: Ob sich eine Konzentration von Kapital in einer Kapitalgesellschaft bildet oder ob diese Konzentration von Kapital in einem der Fonds, die Sie bilden wollen, stattfindet, bedeutet genau das gleiche.
Die Überlegungen hinsichtlich der Anlage werden, wie ich hoffe, die gleichen sein. Der Kapitalmarkt ist aber als ein Ganzes, ein Unteilbares zu begreifen, und die Volkswirtschaft funktioniert nur dann, wenn alle Kreditsuchenden gleichen Zutritt zum Kapitalmarkt haben, d. h., wenn er wie ein System kommunizierender Röhren funktioniert. Bei Ihrem Plan befürchte ich - vielleicht irre ich mich, ich lasse mich gern belehren -, daß jede Industriegewerkschaft sozusagen in sich Kapital ansammelt. Bei einer Lohnsumme von 180 Milliarden DM kann man sich ja ausrechnen, welche Beträge in diese einzelnen Fonds fließen. Dann besteht eben nicht mehr ein Kapitalmarkt, sondern er spaltet sich in eine ganze Reihe von Sparbüchsen auf, die nebeneinander stehen. Es wäre geradezu merkwürdig, wenn da nicht ein Denken Platz greifen würde, das zu einer branchenmäßigen Inzucht führt. Das heißt, es könnte dann die Neigung aufkommen, das, was bei Bau, Steine und Erden gesammelt wird, wieder nur in deren Interesse zu verwenden. Und entsprechend gilt das dann für alle anderen Bereiche. Das ist eine Sorge, die man ernst nehmen muß und die ausdiskutiert werden muß.
Ich hoffe also, daß wir uns darüber in Ruhe unterhalten. Unterstellen Sie aber weder mir noch meiner Fraktion, daß wir dem Gedanken einer breiten Streuung des Vermögens nicht aufgeschlossen gegenüberstehen würden. Das darf nicht im Raume stehenbleiben.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Katzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zuerst
- was der Herr Bundeskanzler sicherlich nicht selber tun konnte oder tun wollte - eine Bemerkung zurückweisen, die Sie, Herr Kollege Leber, zum Schluß gemacht haben. Ich glaube, sie entspricht nicht Ihrem Stil. Ich meine die Bemerkung, daß Herr Erhard möglicherweise als Sprecher des rückständigen Flügels der Unternehmer auftrete. Ich halte sie für nicht zumutbar.
({0})
Das ist eine Unterstellung, die Bundeskanzler Erhard wirklich in gar keiner Weise verdient.
({1})
Sie haben oft genug, Herr Kollege Leber, mit ihm selbst gesprochen, um zu wissen, daß Sie diese Feststellung nicht aufrechterhalten können.
({2}) - Das können Sie nicht.
Ich will ein zweites sagen. Herr Kollege Leber, Sie haben sich durch einige eigentumspolitische Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers angesprochen gefühlt. Ich habe mich darüber gefreut. Meines Wissens ist es das erstemal, daß Sie sich in dieser Frage angesprochen gefühlt haben.
Verehrter Freund Leber, lassen Sie mich hier einmal folgendes sagen, weil ich mir einen gewissen Groll von der Seele reden muß. Sie sagen, es gibt keinen praktikablen Plan außer dem, den Sie selber vorgelegt haben und der meines Wissens nicht der Plan der SPD ist. Sie tun durchaus so, als hätten wir einen SPD-Plan zur Eigentumspolitik. Meine Damen und Herren, wo ist denn der SPD-Plan zur Eigentumspolitik?
({3})
- Wo ist der SPD-Plan zur Eigentumspolitik? Ich kann es Ihnen genau sagen.
Falls Sie wirklich gefragt haben sollten, Herr Kollege Katzer, und nicht gleich sagen wollten, wo er ist, dann möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Sozialdemokratische Partei in Hannover auf ihrem Parteitag 1960 durch die Initiative des Kollegen Deist, dessen Initiative inzwischen leider durch eine höhere Macht gebremst worden ist, einen Vorschlag gemacht, zu dem sich bis jetzt keine andere Partei geäußert hat. Wir haben nicht gesagt, das sei der Weisheit letzter Schluß. Deshalb sind wir froh über weitere Vorschläge. Aber wir haben nicht deshalb einen Eckstein hingestellt, damit andere das tun, was gewisse Tiere mit Ecksteinen zu tun pflegen. Wir möchten gerne, daß angebaut wird.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Wehner, wo haben Sie denn diesen Antrag im Parlament zur Erörterung gestellt?
({0})
Darauf kommt es doch an, nicht darauf, was Sie auf einem Parteitag verabschiedet haben.
Ich stelle dazu weiter aus dem Gedächtnis fest - ich bitte mich notfalls zu korrigieren -: Ich erinnere mich genau, Herr Kollege Wehner, es war der 30. oder 31. Mai des Jahres 1961, da haben wir hier im Hause das Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer verabschiedet. Damals hat Ihr Sprecher, Herr Kollege Junghans, dazu erklärt, dieses Gesetz sei nicht der Weisheit letzter Schluß - der Meinung bin ich auch -, aber es sei ein Anfang, den man mitmachen sollte.
Im übrigen kündigte er unmittelbar nach dem Zusammentritt des Bundestages eine Vorlage der sozialdemokratischen Fraktion zur Eigentumspolitik an. Bis heute ist diese Vorlage dem Hohen Hause nicht vorgelegt worden. Das möchte ich feststellen, damit die Gewichte etwas richtig gelegt werden.
Herr Kollege Leber, ich kann dem, was Sie sagten - das habe ich in diesem Saal schon oft festgestellt -, in vielen Punkten durchaus zustimmen. Aber ich möchte Ihnen doch sagen: Die Unionsfraktion hat in der Eigentumspolitik ein geschlossenes Konzept vorgelegt und Stück für Stück erweitert und ausgebaut, vom Wohnungsbau-Prämiengesetz über das Sparprämiengesetz, über das Investmentsparen bis hin zur sozialen Privatisierung, die schließlich auch ein Teil der Politik unserer Fraktion gewesen ist.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie sprechen vom „Ausverkauf des Bundesvermögens". Ich würde Ihnen empfehlen, die Sie sich so gerne als Volkspartei von heute und Arbeiterpartei von gestern immer noch an die Arbeiter wenden, sprechen Sie doch bitte einmal mit Ihren Betriebsräten, sprechen Sie einmal mit sozialdemokratischen Betriebsräten in privatisierten Unternehmungen! Dann werden Sie hören, daß man Ihnen und den Gewerkschaften den Vorwurf macht, daß man die Leute davon abgehalten hat, Aktien z. B. von Preußag zu kaufen, so daß sie diese Aktien heute nicht besitzen. Das sollten Sie sehr beachten bei Ihren Diskussionen. Ich jedenfalls kenne Betriebsräte - sie sind bei mir gewesen -, die sich in dieser Weise geäußert haben.
Nun kommt das Letzte und das Entscheidende. Ich sage noch einmal: sich freue mich über Ihre Initiative, die Sie - nicht als Parlamentarier, sondern in Ihrer Eigenschaft als Vorsitzender einer Gewerkschaft - ergriffen haben. Ich begrüße das. Ich freue mich wirklich darüber. Und lassen Sie mich das, an die Adresse der Gewerkschaften gerichtet, einmal hier sagen: Ich wäre froh gewesen, wenn die deutschen Gewerkschaften, statt über die ungenügende Vermögensbildung zu zetern, mehr Gebrauch gemacht hätten von der Möglichkeit der Anwendung des 312-DM-Gesetzes.
({2})
- Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Katzer, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß das 312-DM-Gesetz die Mitwirkung der Gewerkschaften ausschließt und daß es Initiatoren des 312-DM-Gesetzes gegeben hat, die das Gesetz gerade deswegen in den betrielblichen
Bereich gelegt haben, weil sie die Mitwirkung der Gewerkschaften ausschließen wollten?
({0})
Herr Kollege Leber, ich bin nicht Ihrer Auffassung, daß die Gewerkschaften von der Anwendung des 312-DM-Gesetzes ausgeschlossen sind. Ich halte diese Auffassung - ich sage das ausdrücklich - für falsch. Ich bin der Auffassung, daß es wünschenswert wäre, wenn tarifvertragliche Vereinbarungen möglich wären. Aber man kann die Gewerkschaften aus ihrer Verantwortung nicht entlassen, der Verantwortung nämlich, daß sie über ihre Betriebsräte die Anwendung dieses Gesetzes in den Betrieben stärker hätten erreichen können, als es geschehen ist.
({0})
Ich hätte es sehr dankbar begrüßt, wenn hinsichtlich der Aufklärung unserer Freunde in den Betrieben und in den Betriebsräten von den deutschen Gewerkschaften mehr geschehen wäre, als es tatsächlich der Fall gewesen ist.
Eine letzte Bemerkung lassen Sie mich noch zu Ihrem Plan, Herr Kollege Leber, machen. Ich glaube, dieser Plan ist eigentlich nicht so sehr unter dem Kennzeichen Eigentumsbildung zu sehen. Wenn ich die Tendenz dieses Planes richtig verstehe, dann läuft er doch mehr auf eine Art zweite Ebene der Altersversorgung hinaus.
({1})
- Verzeihung, Herr Kollege Leber, ich habe ihn gelesen. Sie können mir nicht unterstellen, daß ich ihn nicht kenne. Ich gebe hier meinen Eindruck wieder. Sie können Ihre Auffassung dagegen äußern.
Jedenfalls wahr bleibt doch, daß nach Ihrem Vorschlag der Arbeitnehmer in den Genuß der Anteilscheine erst nach einem erfüllten Arbeitsleben kommt, wenn er in das Pensionsalter, in das Rentenalter eintritt.
({2})
- Nicht nur, aber überwiegend. Das ist der Normalfall. Dann stimmt es doch, wenn ich exakt sage, daß das doch offenbar mehr eine zweite Linie der Alterssicherung ist und nicht so sehr unter dem Stichwort der Eigentumsbildung steht.
({3})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Katzer, sind Sie nicht auch mit mir der Meinung, daß jede Art von Eigentum, wann immer und in welcher Eigenschaft man es entgegennimmt, auch die Funktion hat, den Menschen im Alter zu sichern - wenn er es bis dahin nicht ausgegeben hat -, so auch dieses Eigentum!?
Herr Kollege Leber, ich bin einverstanden, wenn Sie das „auch" setzen; dann
kann man damit einverstanden sein. Aber in Ihrem Gesetzentwurf sehe ich eben das „nur", und das stört mich dabei. Hier ist noch ein Kennzeichen vom Wesen, von der Funktion und der Bedeutung des Eigentums in unserer Gesellschaft, das gesehen werden muß, Kollege Leber. Ich halte eben persönliches Eigentum nicht nur für eine Form der zusätzlichen Sicherung und Alterssicherung. Das ist sicherlich wünschenswert und auch mit dabei. Aber Eigentum in der industriellen Welt des 20. Jahrhunderts gehört wesentlich auch zum Wesen des Menschen. Denn Eigentum schafft die Möglichkeit, zu verfügen, zu gestalten. Wir möchten eben nach einer relativ kurzen Zeitspanne von 5 Jahren, daß die volle Verfügbarkeit und damit die volle Verantwortlichkeit des einzelnen für .das Eigentum erhalten bleibt. Das scheint mir ein ganz wesentlicher Unterschied zu sein.
({0})
- Zu der Vorlage, die noch nicht im Parlament ist, würde ich folgendes sagen. In der Regierungserklärung ist von Herrn Bundeskanzler Erhard klar zum Ausdruck gebracht worden, daß die Bundesregierung auf eine Novellierung des 312-DM-Gesetzes hinarbeiten wird und daß bei dieser Novellierung das Ziel gesetzt wird, das Gesetz praktikabler zu machen und breiter anzuwenden. Nach Abwägung Ihres Vorschlags mit dem 312-DM-Gesetz bin ich der Auffassung, daß dieser unser Gesetzentwurf die bessere Lösungsmöglichkeit bietet. Ich werde mich deshalb nachdrücklich dafür einsetzen, daß dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verbreitert wird.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der 90. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 18. Oktober 1963 hat der Herr Bundeskanzler hier erklärt:
Ich halte es für eine besonders wichtige Aufgabe, die Verwaltungstechnik und -praxis so zu reformieren, daß sie den Anforderungen eines modernen Staatswesens gerecht werden und aufgeschlossenem Bürgersinn entsprechen.
({0})
Dem neu zu bestellenden Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit eröffnet sich hier ein weites Betätigungsfeld.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier liegt wieder einmal aus der Hauspostille der Formulierungskunst von Regierungserklärungen ein Musterbeispiel vor, dem leider die Praxis der Regierung nicht gerecht geworden ist. Es hat zehn Monate gedauert, bis ein neuer Präsident des Bundesrechnungshofes bestellt worden ist. Die Stelle des Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung ist seit über einem Jahr nach der Teilung der Ämter unbesetzt.
({1})
Meine Damen und Herren, was sind das für große Worte, und was ist das für eine miserable Praxis, wenn dann nicht die Taten folgen!
({2})
Ich könnte das auf vielen anderen Gebieten an Hand dieser Regierungserklärung weiterführen, meine Damen und Herren. Wir haben immer wieder an die Richtlinienkompetenz des Herrn Bundeskanzlers erinnert. Ich möchte hier bei der Frage des Sportes beginnen. Es hat in den letzten Wochen viele öffentliche Diskussionen um die Bedeutung des Sports gegeben. Sie haben sich immer wieder zu den Plänen der Olympischen Gesellschaft bekannt. Nur in den Haushaltsplänen hat das keinen Niederschlag gefunden. Minister für Sportfragen haben wir allerdings genug, so daß sogar zwei statt eines nach Tokio gereist sind.
({3})
- Nein, Herr Kollege Strauß, Herrn Höcherl gönne ich nach dem Ärger, den er auch gelegentlich mit Ihnen hat, daß er auch einmal eine Erholungspause hat.
({4})
- Den Ausgleich wird er von uns schon wieder bekommen. Er gibt ja selbst immer Anlaß genug dafür.
Meine Damen und Herren, ähnlich ist es mit unserer Jugendförderung. Wo haben sich konkret die Bekenntnisse zu dem Europäischen Jugendwerk niedergeschlagen, die hier die Sprecher aller Fraktionen abgelegt haben? Wo hat das in dem Haushalt für 1965 und in den Plänen der Regierung einen Niederschlag gefunden?
Es genügt auch nicht - um ein anderes Gebiet aufzugreifen -, daß der Herr Bundeskanzler a. D. spektakuläre Erklärungen anläßlich eines Taximordes abgibt, wenn man nicht gleichzeitig für die Sicherheit der Bevölkerung durch Verstärkung der Polizei und durch alle die Maßnahmen, die dem Bund im Rahmen des Bundeshaushalts möglich sind, sorgt.
({5})
- Der Altbundeskanzler, natürlich. Aber der ist ja noch Vorsitzender der CDU, Herr Hollege Kohut.
Meine Damen und Herren, im Haushalt 1965 ist wieder nicht die Durchführung des Verwaltungsabkommens über die Bereitschaftspolizei der Länder gesichert. Die personelle Verbesserung des Bundeskriminalamts, seine Ausstattung und die Verbesserung der räumlichen Möglichkeiten, das alles hinkt hinter den tatsächlichen Notwendigkeiten her. Es ist ein Musterbeispiel für die langsam arbeitende Regierung, daß die Laufbahnverordnung für das Bundeskriminalamt, auf die seit langem gewartet worden ist, um Personal herbeizubringen, sieben Jahre gebraucht hat, bis sie endlich verkündet worden ist.
Herr Kollege Zoglmann hat heute in einer anderen Sache auf die Vergeßlichkeit gehofft, als er
sagte: Wir haben den Beamten das Weihnachtsgeld gebracht.
Meine Damen und Herren, ich habe mir die Protokolle heute mittag noch einmal angesehen. Aus Ihren Reihen hat man gesagt: Das geht gar nicht, das gibt's überhaupt nicht! Und wir haben uns Jahr um Jahr hier mit Anträgen bemüht, bis wir es dann endlich durchgesetzt hatten. Das ist doch richtig, Herr Kollege Barzel. Soll ich's Ihnen vorlesen? Na, das brauchen wir doch nicht.
Ähnlich., meine Damen und Herren, ist es mit der Frage des öffentlichen Dienstes. Große Lobworte werden hier für eine Arbeit gespendet. Und wie sieht die Praxis aus? Wir haben hier eine Enquete-Kommission für den öffentlichen Dienst vorgeschlagen. Wir haben daran erinnert, daß Sie 1952 die Sozial-Enquete verweigert haben. Heute müssen Sie das unter Zeitdruck nachholen, und die ganzen Diskussionen leiden darunter, daß Sie die Tatbestände nicht festgelegt haben, wie das möglich gewesen wäre, wenn man es damals gemacht hätte. Sie haben diesen Vorschlag einer Enquete-Kommission abgelehnt. Sie haben gesagt: Wir werden den Gutachterrat beauftragen. Tatsächlich ist aber nichts geschehen.
Lassen Sie mich sagen: an Ihnen liegt es, wenn wir bei dem Problem der Objektivierung der Fragen der Besoldung des öffentlichen Dienstes nicht vorankommen. Wir haben Ihnen dazu Vorschläge unterbreitet. Wir werden uns auch um diese Fragen weiter bemühen. Ich kann Ihnen jetzt schon ankündigen, daß es mit dieser Ihrer Ablehnung nicht getan ist. Inzwischen mußte ja der Bundesinnenminister selbst eine Kommission berufen und auf das zurückkommen, was wir hier erklärt haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Barzel hat hier zur zivilen Notstandsplanung nichts gesagt. Herr Kollege Barzel, es geht ja auch nicht nur um die Gesetze. Es geht doch vor allem um die Frage, was wir für den einzelnen Bürger tun können, was hier geschehen kann; denn Notstand ist Notstand des Bürgers. Der Beitrag des Finanzministers in dieser Beziehung ist Jahr für Jahr der gleiche. Er hat am 7. Januar 1964 erklärt: Die zivile Verteidigung befindet sich in einer entscheidenden Entwicklungsphase; wir müssen neue Überlegungen über die Deckung des Finanzbedarfs anstellen. In seiner Haushaltsrede vom 13. 10. 64 hat er erneut dasselbe erklärt. Herr Minister, wann werden Sie diese Überlegungen anstellen? Wann werden Sie einmal für die Regierung den Finanzierungsplan vorlegen, damit wir wissen, was die Geschichte kostet? Es genügt nicht, daß ich lese, daß Herr Stoltenberg andere Zahlen als das Innenministerium errechnet hat. Das deutsche Volk hat einen Anspruch darauf, Klarheit über das zu bekommen, was das alles kostet.
Viele Maßnahmen kann man ohnehin durchführen, ohne daß dazu Gesetze erforderlich sind.
Sie haben selbst einige dieser Maßnahmen erwähnt, Herr Minister: die Arzneimittelbevorratung, die Lebensmittelbevorratung. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen eine Fülle weiterer MaßSchmitt-Vockenhausen
nahmen nennen. Hilfskrankenhäuser hätten Sie errichten können! Nichts ist geschehen. Wir haben in der Bundesrepublik zwischen 1200 und 1500 Bunker. Bis heute haben Sie noch kein einziges Programm auf die Beine gestellt, um diese Bunker wieder instand zu setzen. Und dann reden Sie ständig von dem Schutzbaugesetz, das Ihnen fehlt. Dabei haben Sie noch nicht einmal das, was sich in Bundesbesitz befindet, bisher instand gesetzt.
Meine Damen und Herren, die Ausrüstung des LSHD, die Durchführung von Übungen, das sind alles Probleme, die hier seit Jahren zur Debatte stehen! Es ist wenig geschehen, und die entscheidende Frage der Finanzierung ist nicht geklärt. Darüber hinaus haben Sie, was das große Problem der freiwilligen Mitarbeit der Verbände angeht, durch Ihr Verhalten bewirkt, daß Feuerwehr und Rotes Kreuz teilweise verärgert sind, statt daß wir ihre Mitarbeit honorieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben im Innenausschuß eine Reihe dieser Gesetze weitgehend beraten. Ich brauche hier daher nicht näher darauf einzugehen.
Lassen Sie mich noch einen anderen großen Bereich ansprechen: die Sicherung der Freiheit der Presse. Zeugnisverweigerungsrecht, Presserechtsrahmengesetz, - alles Sorgen und Probleme, die offensichtlich nicht mehr auf Ihrer Dringlichkeitsliste stehen, um noch im letzten Jahr der Legislaturperiode einer Regelung zugeführt zu werden.
Ein Weiteres. Herr Kollege Rollmann hat in diesen Tagen gesagt, das Tierschutzgesetz müsse verabschiedet werden. Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind bereit, ein modernes Tierschutzrecht zu verabschieden. Wir bedauern, daß wir nicht die Unterstützung finden, die wir gerade auch von Ihnen dabei erhofften.
Im Rahmen der Haushaltsberatungen werden wir auch noch auf die Fragen der Schulpolitik, der Wissenschaft und Bildung zu sprechen kommen.
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- Nein, Herr Kollege Althammer. Wir müssen früher darüber reden, wir müssen hier darüber reden. Wir müssen schon deswegen darüber reden, weil der Herr Kollege Zoglmann heute auch bei dieser Frage ein so schwaches Gedächtnis gehabt hat. Die Durchsetzung des Grundsatzes: gleiche Chancen für alle ist nach 1945 doch von der SPD in den Länderverfassungen begonnen worden. Wir haben als erste in Hessen die Schulgeldfreiheit durchgesetzt, und dann ist sie erst nach und nach gegen Sie, gegen die CDU, in den anderen deutschen Ländern erkämpft worden.
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Lassen Sie mich noch folgendes sagen. Jahrelang haben wir hier über die Probleme der Bildung und Wissenschaftsförderung gesprochen. Sie haben nicht auf uns gehört. Sie haben unsere Anträge verzögert, an die Ausschüsse verwiesen, und es ist zu keinen Ergebnissen gekommen, bis endlich ein Dr. Picht
seine Aufsätze veröffentlicht hat. Diese Aufsätze haben dann die deutsche Öffentlichkeit aufgerüttelt; dann sind Sie endlich auch an die Probleme herangegangen, und jetzt überstürzen sich ja bei Ihnen die Anträge. Hoffen wir, daß auch die Taten folgen, Herr Barzel. Wir werden sehen; videant consules! Bisher haben Sie allerdings nicht viel getan, auch wenn Sie sich heute so großzügig zu der Förderung der Ausbildung bekannt haben. Sie haben das Honnefer Modell nicht ausgeweitet; Sie haben hier immer wieder gebremst; Herr Stoltenberg - er ist nicht im Saal - ist doch der „Oberbremser" bei Ihnen in allen Fragen der Ausbildungsförderung und der Finanzierung der Studentenförderung.
So ist eine Fülle von Problemen nicht erledigt worden. Wenn ich mir noch einmal die Regierungserklärung in der 90. Sitzung des Deutschen Bundestages ansehe, stelle ich fest, daß sie nichts anderes war als ein Katalog von Versprechungen, die am heutigen Tag feierlich wiederholt worden sind, von denen man aber noch lange nicht weiß, was einmal Wirklichkeit wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch folgendes sagen. Das einzige Gebiet, auf dem der Herr Innenminister eifrig tätig war, ist - das muß man sagen - zweifellos sein Pensionsgesetz für Minister. Ein derartiges Selbstversorgergesetz ist zweifellos eine Fleißarbeit; aber darüber werden wir zu gegebener Zeit in den Ausschüssen noch zu sprechen haben.
Wir haben gerade im Bereich des Innenministeriums und auf dem großen Gebiet der inneren Politik zahlreiche Fehlanzeigen festgestellt. Wir bedauern nur, daß ein weiteres Jahr zwischen jenem 18. Oktober 1963 und heute vergangen ist, ohne daß Initiativen der Regierung sichtbar geworden sind, ohne daß die zahlreichen Versprechungen und Ankündigungen im Haushaltsplan für 1965 ihren Niederschlag gefunden haben.
Wir werden uns bemühen, in den Ausschußberatungen das Versäumte nachzutragen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf zwei Punkte der Kritik des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen möchte ich folgendes entgegnen.
Was erstens den Beauftragten für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung anbetrifft: Sie haben, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, gesagt, das Amt sei vom Amt des Rechnungshofpräsidenten getrennt worden. Das ist richtig. Nach der früheren Entscheidung der Bundesregierung war der jeweilige Präsident des Bundesrechnungshofes auch Beauftragter für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung. Diesen Beschluß hat die Bundesregierung geändert; sie hat einen Präsidenten des Bundesrechnungshofes er6854
Bundesminister Dahlgrün
nannt und diesen Präsidenten mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Beauftragten für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung betraut. Der Grund dafür, Herr Schmitt-Vockenhausen, war folgender. Wenn wir in der alten Weise bei der Neubesetzung dem Präsidenten des Bundesrechnungshofes gleichzeitig dieses Amt übertragen hätten, dann hätten wir ihm später etwas wegnehmen müssen, wenn sich bei den Arbeiten zur Finanzreform herausstellen sollte, daß ein Beauftragter für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung nicht allein im bisherigen Sinne, sondern mit sehr viel größeren Aufgaben, nämlich mit der Aufgabe, langfristige Haushaltspläne zu steuern und zu bearbeiten, sinnvoll wäre. Wenn, wie gesagt, nach den Untersuchungen der Finanzexperten ein solches Amt sinnvoll wäre, hätte man dem Präsidenten des Bundesrechnungshofes eine Aufgabe wegnehmen müssen. Das wollten wir nicht. Wir haben ihn jetzt beauftragt. Es ist alles gesichert. Der Präsident des Bundesrechnungshofes nimmt die Aufgabe wahr. Wenn die Finanzexperten einen Beauftragten für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung als Amt für die Haushaltsplanung in Bund, Ländern und Gemeinden für sinnvoll halten sollten - was ich nicht weiß -, können wir dafür jemand ernennen. Sonst bestünde ohne weiteres die Möglichkeit, wenn man auf diesen Plan verzichtet, den alten Zustand wiederherzustellen, nämlich den Präsidenten des Bundesrechnungshofes gleichzeitig zum Beauftragten für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung zu ernennen und das Amt oder die Aufgabe, die ihm zusteht, so zu fassen, wie er sie heute als mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt auch ordnungsgemäß wahrnimmt. Ich kann Ihnen nicht sagen, was die Finanzexperten sagen werden. Das wird sich möglicherweise schon im Laufe der nächsten Monate ergeben, da das eine der Grundsatzfragen ist, die man möglicherweise vorziehen wird.
Zu den Notstandsgesetzen: Herr Schmitt-Vockenhausen, im Haushaltsplan 1964 und im Entwurf eines Haushaltsplanes für 1965 stehen Mittel nach der Etatreife in einer meiner Überzeugung nach ausreichenden Höhe zur Verfügung; denn Reste, die auf diesem Gebiet vorhanden sind, machen mir sowieso schon Sorge.
Sie haben Arzneimittel- und Lebensmittel-Vorsorge erwähnt. Das konnte alles bezahlt werden und ist bezahlt worden. Wenn die Gesetze nicht vorangekommen sind - ist es ja nicht so, daß man die Finanzplanung ohne weiteres ohne die Grundlage der Gesetze machen könnte.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Bundesminister?
Bitte sehr!
Herr Minister, sind, wenn die Gesetze zum 1. Januar in Kraft treten, die Mittel in dem vorgesehenen Umfange im Haushaltsplan 1965, oder sind sie nicht darin?
Herr Schmitt-Vockenhausen, Sie wissen nicht, wieviel benötigt wird, ich weiß es nicht, weil wir die Gesetze noch nicht haben.
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- Nein, das ist mangels Etatreife gar nicht schlimm. Ich will Ihnen etwas sagen: Ich habe mir einmal die Tagesordnung Ihres Innenausschusses angesehen, an den die Notstandsgesetze zur Bearbeitung überwiesen sind. Sie hatten immer volle Tagesordnungen, aber die Notstandsgesetze waren nicht darauf. Das ist mir aufgefallen.
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- In Berlin z. B. hat es nicht daraufgestanden.
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- Das ist mir unbekannt. Ich habe lediglich die Tagesordnung gesehen.
Meine Damen und Herren, verabschieden Sie die Notstandsgesetze, dann können wir für die Durchführungsverordnungen und die Durchführungsgesetze auch den Finanzbedarf errechnen. Im Moment bin ich überfordert, weil ich nicht weiß, wie die Gesetze aussehen werden, wenn sie aus Ihrem Ausschuß herauskommen.
Gestatten Sie noch eine Frage, Herr Minister?
Aber selbstverständlich!
Herr Minister, ich frage Sie noch einmal: Haben Sie nicht endlich klare Unterlagen, was die Gesetze auf der Grundlage der Regierungsfassung kosten? Das ist die Frage, und dazu sind Sie vom Ausschuß aufgefordert, die Unterlagen beizubringen. Wir haben sie bis heute noch nicht.
Lieber Herr Schmitt-Vockenhausen, das kann ich doch gar nicht. Wenn Sie ein Notstandsgesetz X machen und mir nicht sagen, in wieviel Jahren Sie es durchführen wollen und können, dann kann ich Ihnen auch nicht die Kosten im einzelnen sagen. Ich kann Ihnen sagen, was es insgesamt kostet, das wäre möglich. Sie haben ja die Gesamtzahlen in unterschiedlichster Form.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer?
Bitte sehr!
Herr Minister, darf ich einmal fragen: Sie müssen doch einen Überblick haben, was die Durchführung eines Gesetzes in Zukunft kostet? Sie sind mit mir doch einig, daß wir bei der Verabschiedung von Gesetzen wissen müssen: Wieviel wird das nach der' Konzeption, die vorliegt, im ganzen kosten? Und dann müssen wir wissen - Sie und wir -: In wieviel Jahresraten kann so etwas durchgeführt werden? Denn Sie und wir sind nachher an die Durchführung dieser Gesetze gebunden, und es sind nachher für uns fixe Kosten.
Verstehen Sie nun unsere Frage - vielleicht können Sie sie erst nächste Woche beantworten, das ist ja auch möglich -: Wie hoch sind die Kosten?
Herr Schäfer, so fix sind die Kosten ja bekanntlich nicht, daß ich in der Lage wäre, Ihnen zu sagen, was das Paket der, ich glaube, zehn Notstandsgesetze kostet. Das kommt wirklich ganz darauf an, was Sie sich darunter vorstellen, und das soll mir der Innenausschuß gefälligst einmal sagen.
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Herr Minister, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr!
Herr Minister, bevor das Parlament sich eine Vorstellung darüber bildet, müssen Sie sich doch eine Vorstellung gebildet haben, was es nach Ihrer Meinung kostet. Könnten Sie denn nicht, nachdem. der Kollege Stoltenberg die Zahlen der Regierung bezweifelt hat, uns endlich eine Vorlage machen, was die Sache nach Ihrer Meinung kostet?
Das steht doch alles in der Begründung und in den Berechnungen. In dem Moment, in dem Sie es verändern, muß ich wieder mit anderen Zahlen rechnen. Das ist im Haushaltsausschuß besprochen worden, bei Ihnen besprochen worden. Das ist aber doch nichts Neues.
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Das Wort hat der Abgeordnete Riedel. Vielleicht darf ich, meine Damen und Herren, bevor Herr Riedel das Wort nimmt, dem Hause mitteilen, daß wir auf Grund einer interfraktionellen Absprache heute gegen 20.15 Uhr Schluß machen wollen. Die Debatte wird morgen nach der Fragestunde fortgesetzt.
Das Wort hat der Abgeordnete Riedel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die Auseinandersetzung zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Kollegen Leber ist die Frage der Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand heute in einem Ausmaß in das Licht der Öffentlichkeit gerückt worden, daß ich hier noch einmal auf diese Auseinandersetzung zurückkommen und ein Wort zum personalen Unternehmereigentum sagen muß, das ja auch, offensichtlich bei diesen Plänen nicht nur tangiert, sondern sehr stark in Mitleidenschaft gezogen wird. Bei den vielen Zahlen, die wir heute gehört haben, müssen wir einer Zahl noch Beachtung schenken: der Zahl der Ersparnisbildung in den Bereichen öffentliche Hand, Unternehmertum und private Haushalte. Da ergibt sich für die Jahre 1950 bis 1963, daß die Ersparnisbildung der öffentlichen Hand - die sich also in Vermögenszuwachs umgeschlagen hat - 218 Milliarden DM betrug, die Ersparnis, die durch nicht entnommene Gewinne im Unternehmertum ausgewiesen wurde, 168 Milliarden DM und die Ersparnis der privaten Haushalte 147 Milliarden DM. Zu der letzten Zahl muß man auch noch den Kapitalwert der Rentenversicherungen mit etwa 100 Milliarden DM hinzuzählen, der sich heute in 23 Milliarden DM Barvermögen dieser öffentlichen Versicherungsträger darstellt.
Wenn wir also darangehen, unsere mitwirtschaftenden Arbeitnehmer in jeder Form an Kapitalvermögen, an Produktionskapitalvermögen heranzuführen und sie daran zu beteiligen, muß das, wenn die Bekenntnisse zum Eigentum in unserer Demokratie keine Lippenbekenntnisse sind, in einer Form geschehen, daß das personale Vermögen und das personale Eigentum am Produktionskapital insbesondere der mittelständischen Wirtschaft nicht angetastet wird. Es ist doch nachzuweisen, daß auch heute noch das mittelständische Unternehmertum die größte Zahl der deutschen Arbeitsplätze finanziert. Wir müssen gerade dieser Schicht garantieren, daß sie bei dieser Gelegenheit nicht durch einen Substanzverlust aufgezehrt wird. Wir müssen also noch einige Vorfragen klären, ehe wir an diese Dinge herangehen. Da wäre es wirklich gut, wenn sich, auch hier die Regierungsparteien mit der Opposition finden könnten. Das Bekenntnis zum Mittelstand ist heute allgemein. Deswegen stelle ich hier einmal die Frage: Wie gedenkt man bei einer solchen Prozedur der Umverteilung von Betriebseigentum, von Produktiveigentum den Unternehmer zu seinem Produktionsvermögen zu stellen bzw. es ihm abzusichern?
Ich stelle eine weitere Frage: Wie verhalten wir uns künftig in unserer Vollbeschäftigungswirtschaft bei Lohnverhandlungen usw. mit der Bewertung von Dienstleistungen? Wir können doch nicht versuchen, die Eigentumsverteilung nur im Bereich der chemischen Industrie, der Ölindustrie und der Elektroindustrie - darüber hinaus wird es in der deutschen Industrie auch schon problematisch; Sie wissen ganz genau, welche Substanzerhaltungskämpfe die Montanindustrie, der Bergbau oder auch die Textilindustrie jedes Jahr zu führen hat -, also den prosperierenden Bereichen, aufzurollen. Wir reißen doch
Riedel ({0})
damit alle Strukturen ein, deren wir uns heute noch erfreuen und auf die wir stolz sind als Ausweis einer freien, personal geordneten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Deswegen habe ich die Dienstleistungen angesprochen. Wir müssen einmal zur Kenntnis nehmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß in einem ausverkauften Arbeitsmarkt Dienstleistungen aller Art teurer werden müssen. Sie wissen selbst, was es hier für Auseinandersetzungen gibt. Dienstleistungen gibt es nicht nur im gewerblichen Bereich, sondern auch im öffentlichen Bereich. Ich frage Sie: Woher sollen 1,5 % für die Vermögensübertragung im öffentlichen Dienst anders als aus dem öffentlichen Haushalt gezahlt werden, also aus dem Steuersäckel? Wir können unsere Krankenschwestern, Straßenbahnschaffner, Postboten usw. nicht von diesen Dingen ausschalten. Sie müssen sich bei dem Begehren, die Preise stabil zu halten, auch diese Frage einmal gründlich überlegen.
Es wird auch über einen weiteren Bereich zu sprechen sein, nämlich über das Begehren nach ständiger Arbeitszeitverkürzung und dien Tatbestand, den ich einmal als „unternehmerischen Arbeitsaufwand außerhalb der Tarifordnung" bezeichnen möchte, um das ominöse Wort „Schwarzarbeit" zu vermeiden. Ich möchte nicht in den Verdacht kommen, daß ich hier für irgendeinen Mittelständler noch einen Auftrag suche. Denn Gott sein Dank ist unsere Wirtschaft in allen Teilen so ausgelastet, daß es darum nicht geht. Aber wir müssen uns doch einmal fragen, meine sehr verehrten Damen und Herren, was für volkswirtschaftliche und sozialpolitische Probleme gerade auch in diesem Bereich stekken.
Dann wird noch ein Wort zu dem Normaleinkommen zu sagen sein, das heute immer angeführt worden ist, und zu der Tatsache, daß es sich bei den fast 25 Millionen Arbeitsplätzen, die wir heute in Deutschland haben, in weitesten Teilen doch um Familieneinkommen handelt. Heute erfahren unsere Arbeitnehmerfamilien dasselbe, was sie früher am Mittelständler so beargwöhnt haben. Das mittelständische Eigentum, der Verdienst im mittelständischen Bereich ist doch aus einer Vielzahl von
Arbeit entstanden, weil Mann, Frau und Kind in einem Betrieb ihre Arbeitskraft zusätzlich zu dem Kapitalrisiko zusammengelegt haben: Diese Erfahrungen machen heute unsere Arbeitnehmerfamilien ja gottlob auch.
Aus diesem Grunde möchte ich noch auf einen Gedanken eingehen, der dem Vorschlag des Herrn Leber anhaftet und der mich etwas befremdet hat, auch in seiner Argumentation zum 312-DM-Gesetz. Meine sehr verehrten Damen und Herren, so war der Vorschlag mit dem 312-DM-Gesetz nicht gemeint, daß mit seiner Hilfe Fonds, die irgendwie den Gewerkschaften zur Verfügung stehen sollten, gebildet werden können. Es handelt sich vielmehr gerade darum, eine Form zu finden, über diese Maßnahmen gebildetes Eigentum verfügbar zu halten. Darauf wird es bei allen Bemühungen in dieser Richtung auch in Zukunft ankommen. Es kann nicht der Sinn einer solchen Umverteilung sein, daß man ein neues Kollektiveigentum schafft, das irgendwie belieblig manipuliert werden könnte.
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Meine Damen und Damen und Herren, ich glaube, das ist jetzt der Punkt, wo wir für heute abbrechen können. Ich habe vorhin schon mitgeteilt, daß die Debatte morgen nach der Fragestunde fortgesetzt wird. Ich werde darauf aufmerksam gemacht, daß die Fragestunde möglicherweise nicht die ganze Stunde in Anspruch nimmt, so daß sich diejenigen für die Fortsetzung der Debatte bereithalten müssen, die die Absicht haben, noch einmal auf die Bühne zu steigen.
Damit sind wir für heute am Ende.
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- Nein, das habe ich ausdrücklich festgestellt.
Die nächste Sitzung wird auf morgen vormittag um 9 Uhr einberufen.
Die Sitzung ist geschlossen.