Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Sitzungsbericht aufgenommen:
Die Abg. Schmidt ({0}) und Frau Keilhack haben auf ihre Mitgliedschaft im Bundestag verzichtet. Der Vorstand des Bundestages hat die Wirksamkeit der Niederlegung der Mandate beschlußfähig anerkannt.
Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums der Justiz hat am 15. Januar 1962 unter Bezug auf den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 22. August 1961 - Drucksache 2978 der 3. Wahlperiode lfd. Nr. 336 - über die Petition der Frau Otti Foss in Brebach-Fechingen vom 16. Februar 1961 betr. Währungsrecht berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/141 verteilt.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Tagesordnung ein.
Punkt 1:
Fragestunde ({1}).
Die erste Frage - des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen - ist vom Fragesteller zurückgezogen.
Ich komme damit zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz - Fragesteller ist der Abgeordnete Dr. Kohut -:
Hält es der Herr Bundesjustizminister für richtig, daß einerseits Unterhaltstitel aus der Sowjetzone in der Bundesrepublik mehr und mehr im Verhältnis 1 : 1 vollstreckt werden, andererseits aber die Erzielung von Unterhaltsurteilen gegen Schuldner in der Sowjetzone von den dortigen Gerichten in immer stärkerem Maße behindert und außerdem die Erfüllung von Unterhaltsverpflichtungen in der Sowjetzone durch Verrechnung mit dort wohnenden Personen untersagt wird?
Herr Staatssekretär, bitte sehr!
Ich halte die Zwangsvollstreckung auf Grund eines sowjetzonalen Unterhaltsurteils im Umrechnungsverhältnis 1 : 1 insoweit nicht für unbillig, als nur auf diese Weise - zur Zeit jedenfalls - dem in der Sowjetzone lebenden Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit gegeben wird, die für seinen Unterhalt erforderlichen Mittel zu erlangen. Ich glaube hierüber einer Meinung mit dem Bundesgerichtshof zu sein. Im übrigen darf die Einzelzahlung nicht isoliert gesehen, sondern muß in einem größeren Zusammenhang betrachtet werden.
Unrecht ist es dagegen, daß die Gerichte in der Sowjetzone auf Anweisung der dortigen Machthaber Sowjetzonenflüchtlingen, ja, sogar ihren Kindern den ihnen zustehenden Unterhaltsanspruch versagen. Eine Beseitigung dieses Unrechts wird sich jedoch nicht dadurch erzwingen lassen, daß für die Umrechnung sowjetzonaler Unterhaltsforderungen das Verhältnis 1 :1 grundsätzlich abgelehnt wird.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kohut.
Ist das Ministerium demnach nicht der Meinung, daß das Verhalten der ostzonalen Behörden gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstößt, wenn diese unterhaltspflichtigen Bundesbürgern das Recht verweigern, durch Verwandte oder Bekannte in der Zone den Unterhalt begleichen zu lassen?
Bei unserer Haltung diesen Fragen gegenüber steht das Interesse des Unterhaltsberechtigten im Vordergrund. Im übrigen sind sowohl die Tatbestände als auch die Rechtslage so komplex, daß ich nicht glaube, daß sie sich im Rahmen einer Fragestunde behandeln lassen. Ich bitte daher sehr herzlich um Ihr Verständnis dafür, daß eis uns erwünscht wäre, wenn wir diese Fragen entweder schriftlich beantworten oder in einem gemeinsamen Gespräch behandeln könnten.
Dem kann ich mich nicht verschließen. Ich stelle weiterhin keine Frage.
Danke sehr.
Ich danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen.
Frage III/1 - Abgeordneter Funk ({0}) -:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der bayerischen Staatsregierung vorstellig zu werden, damit die Gemeinde Zell bei Schweinfurt für Waldabtretung für den Exerzierplatz Brönnhof Ersatzwald zur Verfügung gestellt bekommt?
Herr Abgeordneter Funk, der frühere reichseigene Militärübungsplatz in Brönn290
hof ist nach dem Krieg von ursprünglich 250 'ha durch die Amerikaner auf ungefähr die zehnfache Größe erweitert worden. Für diese Erweiterung auf die heutige Größe von 2550 ha haben das Land Bayern schon Staatswald im Ausmaß von 400 ha und die Gemeinde Zell nur 12 ha zur Verfügung stellen müssen Bisherige Versuche, im Austausch anderen Staatswald statt des Gemeindewaldes für diese Zwecke freizumachen, waren ohne Erfolg. Trotzdem werden wir die Oberfinanzdirektion bitten, mit der bayerischen Landesregierung nochmals darüber zu verhandeln, daß, wenn möglich, bayerischer Staatswald an Stelle des Gemeindewaldes herangezogen wird. Nach den bisherigen Verhandlungen kann ich ein positives Ergebnis nicht vorhersagen.
Danke schön.
Ich rufe auf die Frage III/2 - des Abgeordneten Dr. Böhm ({0}) -:
Trifft es zu, daß das Bundesverwaltungsamt seit Inkrafttreten des Abkommens zwischen der Bundesregierung und dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge betreffend Leistungen zugunsten von Nationalgeschädigten vom 6. Oktober 1960 bis Ende des Jahres 1961 erst eine einzige Entscheidung getroffen hat?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe auf die Fragen III/3 bis III/5 - des Abgeordneten Glüsing ({1}) -:
Wie hoch ist die fiskalische Belastung für 1 kg importierten Dieselkraftstoff ({2})?
Wie hoch ist der Anteil der heimischen Erdölförderung am Verbrauch von Dieselkraftstoff in der Bundesrepublik?
Wie hoch ist der Preis für 1 kg Dieselkraftstoff, den die
Landwirtschaft in den einzelnen Ländern der EWG zahlt?
Ich fasse die Beantwortung der drei Fragen des Abgeordneten Glüsing zusammen.
Herr Abgeordneter, zuerst fragen Sie nach der fiskalischen Belastung für 1 kg eingeführten Dieselkraftstoff. Die Belastung setzt sich aus Zoll und Steuer zusammen. Hinsichtlich der Belastung ist zwischen Dieselkraftstoff, der aus dem Ausland eingeführt wird, und Dieselkraftstoff, der aus der Sowjetzone eingeführt wird, zu unterscheiden. Bei der Einfuhr aus der Sowjetzone wird der Dieselkraftstoff nur mit Mineralölsteuer belastet. Bei der Einfuhr aus dem Ausland wird der Dieselkraftstoff mit Zoll, Umsatzausgleichsteuer und Mineralölsteuer belastet.
Die Belastung bei Einfuhr aus dem Ausland setzt sich zusammen aus Zoll mit 12,09 Pfennig, Mineralölsteuer mit 22,75 Pfennig und Umsatzausgleichsteuer mit 1,37 Pfennig. Die Gesamtbelastung bei Dieselkraftstoff aus dem Ausland beträgt also für 1 kg genau 37,02, rund 37 Pfennig.
Der Dieselkraftstoff aus der Sowjetzone, den wir auf Grund des Interzonenhandelsabkommens beziehen, kommt ausschließlich aus Hydrierwerken der Sowjetzone und ist infolgedessen bei uns noch mineralölsteuerbegünstigt, so daß die Belastung für 1 kg Dieselkraftstoff aus Hydrierwerken der Sowjetzone tatsächlich nur 16,45 Pfennig beträgt gegenüber einer Belastung bei Einfuhr aus dem Ausland von, wie ich schon sagte, 37 Pfennig.
Ich komme zur Beantwortung Ihrer zweiten Frage: nach dem Anteil der heimischen Erdölförderung am gesamten Verbrauch von Dieselkraftstoff in der Bundesrepublik. Der Anteil der heimischen Erdölförderung betrug im Jahre 1960 1,7 Millionen t gleich rund 28 v. H.; im Jahre 1961 waren es 1,9 Millionen t gleich 27 v. H.
Ich beantworte Ihre dritte Frage: nach dem Einzelhandelsverkaufspreis für Dieselkraftstoff für die Landwirtschaft. Der Dieselkraftstoff wird im Einzelhandel in Litern gehandelt, und ich bitte um Einverständnis, daß ich mich statt auf Kilogramm auf Liter beziehe. Die Landwirtschaft bezieht den Kraftstoff in aller Regel faßweise; deshalb nenne ich gleich die Faßpreise. Der Faßpreis beträgt - mit einem beträchtlichen Mengenrabatt - in Deutschland 19,6 Pfennig, in Belgien 19,7 Pfennig, in den Niederlanden 15,9 Pfennig, in Frankreich 17 Pfennig, in Italien 16,7 Pfennig und in Luxemburg 19,9 Pfennig.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Glüsing!
Herr Staatssekretär, Sie sagten eben, die deutsche Landwirtschaft zahle pro Liter 19,6 Pfennig. Sie haben dabei berücksichtigt, daß die deutsche Landwirtschaft einen Teil der fiskalischen Belastung rückerstattet bekommt.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, eine Frage zu stellen und keine Diskussion zu führen.
Ich darf dann so fragen: Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß die deutsche Landwirtschaft in Zukunft nur den Preis zu zahlen haben dürfte, den im Durchschnitt die Landwirtschaften der anderen EWG-Länder zahlen?
Im gegenwärtigen Augenblick sind die Minetalölbesteuerung und die Mineralölzölle innerhalb der EWG, wie Sie wissen, noch nicht angeglichen. Die Angleichung der Mineralölzölle und damit auch ein Umbau 'der Mineralölsteuer wird zum Ende des Jahres 1963 notwendig. Erst dann kommt eine gleichmäßige Belastung in Betracht. Bis dahin sind ungleichmäßige Belastungen vertraglich zulässig und, wie Sie gesehen haben, mit geringen Unterschieden auch vorhanden.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme zum Geschäftsbereich dis Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, zur Frage IV - des Herrn Abgeordneten Matthöfer -:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um Härten zu vermeiden, wie sie sich u. a. im Falle der 64jährigen herzkranken Witwe Marie Zilg geb. Klein aus Frankfurt ({0}), Motzstr. 6, daraus ergeben haben, daß ihr Anspruch auf eine Witwenrente - Aktenzeichen der Landesversicherungsanstalt Hessen in Frankfurt ({1}) VI-H-802-61 - nicht anerkannt wurde mit der Begründung, sie hätte nach der formalen und weithin unbekannten Vorschrift des § 44 der Übergangsbestimmungen zum Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz die Witwenrente bis zum 31. Dezember 1958 zum zweitenmal beantragen müssen?
Herr Staatssekretär, darf ich bitten!
Art. 2 § 44 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes setzt eine zweijährige Frist, innerhalb derer Neuanträge auf Renten in solchen Fällen gestellt werden konnten, in denen auf Grund der vor 1957 geltenden Vorschriften die Rente versagt worden war. Auf Grund des neuen Antrages hatte der Versicherungsträger zu prüfen, ob die Vorschriften des neuen Rechts günstiger waren, und gegebenenfalls eine früher abgelehnte Rente nunmehr zu bewilligen.
Man ging bei der Verabschiedung der Vorschrift davon aus, daß von einem bestimmten Zeitpunkt an Klarheit über die Forderungen bestehen sollte, die auf Grund dieser und einer Reihe weiterer Übergangsvorschriften ,des neuen Rechts auf die Versicherungsträger zukamen, und setzte zu diesem Zweck eine Antragsfrist von zwei Jahren fest. Gerade um Härten zu vermeiden, die bei einer kürzeren Frist hätten auftreten können, wurde die Frist so reichlich bemessen. Zwei Jahre erschienen auch dem Sozialpolitischen Ausschuß, der die Vorschrift einstimmig gebilligt hat, zweckmäßig und ausreichend.
Wenn trotzdem, Herr Abgeordneter, Fristversäumnisse vorgekommen sind, so kann man unter diesen Umständen kaum von einer Härte sprechen. Presse und Rundfunk haben seinerzeit laufend und eingehend über die Verbesserungen berichtet, welche die Neuregelungsgesetze gebracht haben. Die Presse und auch die Fachpresse einschließlich der Presseorgane der Rentnerverbände hat stets auf die Beachtung der auslaufenden Fristen aufmerksam gemacht.
Angesichts dieser Umstände konnte der Gesetzgeber meines Erachtens mit Recht davon ausgehen, daß die Zweijahresfrist ausreichend war. Man wird, deswegen auch nicht sagen können, daß die Vorschrift formal und weithin unbekannt gewesen sei.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, warum enthielt dann nicht einmal die zum Zwecke der Unterrichtung der Versicherten und Rentner über die Rentenneuregelungsgesetze im Jahre 1957 herausgegebene Rentenfibel des Bundesarbeitsministeriums eine diesbezügliche Aufklärung?
Die Rentenfibel konnte selbstverständlich nicht das ganze Gesetz wiederholen. Sie mußte sich darauf beschränken, einzelne besonders wichtige Tatbestände hervorzuheben. Auf den Tatbestand, den Sie, Herr Abgeordneter, hier anführen, Ist aber in den interessierten Presseorganen eingehend hingewiesen warden.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung, wenn sie an der Auffassung festhält, daß die Anwendung der betreffenden Bestimmung in den Übergangsvorschriften der Rentenneuregelungsgesetze nach dem Gesetzeswortlaut zwingend sei, bereit, sich trotz ihrer Bedenken dafür einzusetzen, daß im Rahmen einer Novellierung diese Härten beseitigt werden?
Angesichts der Umstände, die ich soeben ausgeführt habe, Herr Abgeordneter, denkt die Bundesregierung zur Zeit nicht daran, eine solche Änderung der Gesetze herbeizuführen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die beiden Fragen - V/1 und 2 - sind gestellt von Herrn Abgeordneten Funk:
Aus welchen Gründen wird in der Gemarkung Reupelsdorf der Staatswald der die schlechteren Bestände aufweist, geschont und Gemeinde- und Privatwald mit wesentlich besseren Beständen für ein Übungsgelände ({0}) beansprucht?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Staatswald in der Gemarkung Reupelsdorf in den dreißiger Jahren gerodet werden sollte zwecks Aufstockung der zahlreichen kleineren landwirtschaftlichen Betriebe?
Herr Staatssekretär, darf ich bitten!
In Volkach am Main wird für ein Pionierbataillon ein Landübungsplatz benötigt. Für diesen Zweck stehen nach eingehender Erkundung nur zwei Geländeflächen zur Wahl. Die erste Fläche umfaßt ausschließlich Staatswald, die zweite Fläche rund 36 ha Staatswald, 32 ha Körperschaftswald und 6 ha Gemeindewald.
Bayern hat sich im Anhörungsverfahren nach dem Landbeschaffungsgesetz gegen die Inanspruchnahme der erstgenannten Fläche, also des Staatswaldes, ausgesprochen. Auf Gegenvorstellungen des Herrn Fragestellers hatte ich die zuständigen Landesstellen um ihre Stellungnahme gebeten. Aus dieser Stellungnahme geht folgendes hervor.
Von der Planung 1 - also Staatswald - werde die ganze Staatswaldabteilung Untere Heid und ein Teil der Staatswaldabteilung Mittlere Heid mit rund 52 ha erfaßt. Dieses Gelände sei mit im Durchschnitt hundertjährigen reinen Eichen bestockt, für
die der Boden besonders geeignet sei. Die Ministerialforstabteilung könne sich deshalb nicht entschließen, die im besten Wachstum stehenden Bestände abzugeben.
Anders verhalte es sich mit der Planung 2, also dem gemischten Wald. Hier seien zwar auch 36 ha Staatswald der Abteilung Obere Heid und 6 ha des Gemeindewaldes mit wertvollen Föhren vorgesehen, doch stellten diese reinen Föhrenbestände auf dem gegebenen Boden nicht die für den Boden zwingende Bestockung dar. Waldbaulich gesehen beständen deshalb keine Bedenken, das Gelände abzugeben. Hinzu komme, daß der Körperschaftswald Reupelsdorf, der mit 32 ha ebenfalls in die Planung einbezogen sei, sich wegen seines forstlich schlechten Zustandes sehr gut für den vorgesehenen Zweck eigne.
Ich habe mich dieser Auffassung des Landes, die sich auf die Beurteilung einer staatlichen Fachbehörde stützt, angeschlossen. Im übrigen werde ich mich aber bemühen, den Gemeindewald wegen seines wertvollen Föhrenbestandes möglichst nicht in Anspruch zu nehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Funk!
Ist der Bundesregierung bekannt, ob der Gutachter diesen Wald überhaupt jemals betreten und gesehen hat?
Das Verteidigungsministerium hat ein Gutachten der zuständigen Landesstelle angefordert. Wir haben nicht die Möglichkeit, zu kontrollieren, zu überwachen oder Vorschriften darüber zu machen, wer und in welcher Form er das Gutachten erstattet.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe auf die Frage VI/1 - des Abgeordneten Ritzel -:
Kann die Bundesregierung verbindlich erklären, daß der deutsche Flugsicherungsdienst zur Zeit allen Anforderungen entspricht, die im Interesse des immer stärker und schwieriger werdenden Flugverkehrs notwendig und möglich sind?
Der deutsche Flugsicherungsdienst entspricht weitgehend dem Stand in den führenden Luftfahrtländern. Eine verbindliche Erklärung, daß er allen gegenwärtigen Anforderungen, die man nach der technischen Entwicklung und der in Entwicklung befindlichen Anlagen zu stellen vermag, vollkommen entspricht, kann weder die Bundesregierung noch eine andere der luftfahrttreibenden Nationen für ihren Bereich abgeben, weil bei der stürmischen Entwicklung der Luftfahrt Technik und Verfahren der Flugsicherung laufend neuen Anforderungen und Erkenntnissen angepaßt werden müssen. Berechtigte Wünsche und Forderungen im Sinne einer idealen
Flugsicherung lassen sich aus technischen Gründen meist nicht kurzfristig erfüllen. Zu berücksichtigen ist dabei, daß zwischen der Erkenntnis gewisser Unzulänglichkeiten, der daraus resultierenden Entwicklung neuer technischer Einrichtungen und ihrem endgültigen Einsatz zwangsläufig jeweils Zeitspannen liegen. Auch erfordert die Bereitstellung der erforderlichen Mittel einen gewissen Zeitaufwand. Die Bundesregierung ist selbstverständlich ständig bestrebt, den stets steigenden Anforderungen der Flugsicherung so schnell wie möglich nachzukommen, wie es sich bei allen entscheidenden Fragen der Verkehrssicherheit geziemt. Bei der Behandlung des Ratifikationsgesetzes zum EUROCONTROL-Vertrag, der jetzt den Ausschüssen vorliegt, werden alle Flugsicherungsfragen im einzelnen in diesen zuständigen Ausschüssen erörtert und besprochen werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel!
Herr Bundesverkehrsminister, wie verhält es sich mit der Zusammenarbeit zwischen den zivilen und den militärischen Stellen in Fragen der Flugsicherung?
Diese Zusammenarbeit ist in den letzten Jahren laufend besser und enger geworden. Wir sind von der Entwicklung durchaus befriedigt, gerade auch bezüglich der durch den EUROCONTROL-Vertrag geschaffenen weiteren Möglichkeiten dieser Entwicklung.
Eine zweite Frage, Herr Abgeordneter Ritzel!
Gibt es, Herr Minister, noch unkontrollierte Sichtflüge?
Sichtflüge sind sicherlich noch unkontrolliert bei Segelflugzeugen, bei Flugzeugen, die mehr sportlichen Zwecken dienen, und ähnlichen Fällen, also im allgemeinen bei Flugzeugen, die in niedrigen Höhen fliegen, weil die notwendigen Einrichtungen für die Verbindung mit den Flugsicherungsstellen in diesen Flugzeugen natürlich nicht vorhanden sind. Ich habe das schon einmal in der Beantwortung einer Anfrage im vorigen Jahr ausgeführt, indem ich drei verschiedene Gebiete ausgegliedert habe: einmal das Gebiet der Segelflugzeuge und der Sportflugzeuge, dann das Gebiet der bisher normalen Verkehrsflugzeuge mit Kolbenmotorantrieb und endlich jenes Gebiet über 6000 m, in dem die Düsenflugzeuge sowohl militärischer wie ziviler Art verkehren, jenes Gebiet, das durch den EUROCONTROL-Vertrag einer grundsätzlichen allgemeinen europäischen Kontrolle unterstellt wird, an der wir ja arbeiten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Börner!
Herr Minister, wie viele Stunden täglich sind die Radarsichenungsanlagen der großen deutschen Flugplätze mit internationalem Flugverkehr besetzt?
Wenn ich Ihnen diese Frage exakt beantworten soll, muß ich Sie bitten, auf eine schriftliche Antwort zu warten. Ich bin gerne bereit, die Antwort schriftlich zu erteilen. Ich habe sie voriges Jahr schon einmal genau erteilt. Ich habe aber heute diese Unterlagen nicht da.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Börner.
Ich möchte, wenn Sie gestatten, Herr Präsident, vorweg bemerken, daß ich mit schriftlicher Beantwortung dieser Frage zufrieden bin. Ich möchte abschließend fragen: Können Sie verbindlich erklären, daß die Flugsicherung der großen deutschen Flughäfen mit internationalem Flugverkehr der Flugsicherung gleichartiger auswärtiger Flughäfen in jedem Falle gleichwertig ist?
Ich glaube, eine so weitgehende Erklärung kann ich nicht abgeben, weil die Entwicklung auf den einzelnen Häfen verschieden ist und weil wir auf den verschiedensten Häfen noch neue Anlagen in der Montage und im Aufbau hatten. Im großen und ganzen kann man sagen, daß die Flugsicherung (in der Bundesrepublik, also auch auf den deutschen Flughäfen, wie ich gesagt habe, der Flugsicherung gleichwertiger europäischer Länder und Häfen entspricht und besser ist als die Flugsicherung vieler Flughäfen in der übrigen Welt.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut.
Herr Minister, sind Sie der Auffassung, daß die Einstufung der Planstellen den hohen Anforderungen an Vorbildung, geistiger Beweglichkeit und Verantwortung gerecht wird?
Wir stehen seit längerer Zeit wegen dieser Angelegenheit in Beratungen mit idem Herrn Bundesminister der Finanzen und dem Herrn Bundesminister des Innern. Wir können diese Verhandlungen aber erst so, wie wir sie wünschen, insbesondere im Hinblick auf die Verbeamtung einer Anzahl von Stellen, fortsetzen und abschließen, wenn der neue Haushalt genehmigt ist und wenn es uns gelungen ist, dabei unsere Forderungen durchzusetzen.
Eine weitere Zusatzfrage ides Herrn Abgeordneten Dr. Kohut.
Ist Ihnen bekannt, daß bereits in aller Öffentlichkeit aus berufenem Munde ein Befremden darüber zum Ausdruck gebracht wurde, daß die Auffassung des 'Bundesrechnungshofes und einiger Finanzstellen Ihres Ministeriums den Notwendigkeiten eines verantwortungsbewußt geführten und technisch einwandfreien Flugsicherungsdienstes nicht entsprechen?
Ich weiß nicht, Herr Kollege, wen Sie als ,,berufenen Mund" bezeichnen. Ich möchte da um nähere Angaben bitten; denn Sie wissen, daß wir natürlich in dieser Angelegenheit einer gewerkschaftlich organisierten Gruppe von Mitarbeitern gegenüberstehen, mit denen wir uns über diese Sache unterhalten: Forderungen, die aus gewerkschaftlichen Gründen gestellt werden, entsprechen nicht immer unbedingt den Auffassungen, die die entsprechenden arbeitgebenden Stellen dazu haben. Ich bemerke noch einmal, daß die Flugsicherung noch im. Aufbau ist und daß das Hohe Haus unseren Wünschen auf Erfüllung bestimmter Forderungen, insbesondere der Verbeamtung, seinerzeit noch nicht nachgekommen ist, weil man die Entwicklung abwarten wollte, weil man sehen wollte, ob es sich hier tatsächlich um Beamten- oder ob es sich um Angestelltenstellen handelt, ob hoheitliche Aufgaben zu erfüllen sind oder nicht. Bezüglich 'der Einstufung haben sich zwischen der Gewerkschaft und den diese Angelegenheit behandelnden Stellen der Bundesregierung - Bundesinnenministerium, Bundesfinanzministerium, Bundesverkehrsministerium - naturgemäß gewisse unterschiedliche Auffassungen ergeben, deren Überbrückung unser Bestreben sein wird.
({0})
- Bitte sehr, aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß diese fachliche Kritik, wenn sie gewerkschaftlich bestimmt ist, auch im Interesse der von der Gewerkschaft vertretenen Leute vielleicht etwas weitgehend ist.
Eine weitere Frage zur Flugsicherung? - Herr Abgeordneter Brück.
Herr Bundesverkehrsminister, darf ich Sie einmal fragen, ob in den letzten Jahren durch ungenügende Flugsicherung tatsächlich ein Luftverkehrsunfall entstanden ist, nachdem Ihre Herren Beamten uns im Verkehrsausschuß wiederholt bestätigt haben, daß das nicht der Fall sei?
Mir ist ein solcher Unfall nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage zur Flugsicherung? - Bitte sehr.
Herr Minister, ich hätte Sie gerne gefragt, wieviele Beinahe-Verkehrsunfälle durch mangelnde Flugsicherung entstanden sind.
Keine -. Zur Erläuterung darf ich noch bemerken, Herr Kollege, daß die sogenannten Fast-Berührungen, die ja gemeldet werden müssen und über die ich schon sehr eingehend in diesem Hohen Hause be294
richtet habe, ungefähr das gleiche sind wie wenn auf einer Straße ein Auto einem anderen Auto begegnet. Dann gibt es auch eine Fast-Berührung.
({0})
Ich komme nunmehr zur Frage VI/2 - des Herrn Abgeordneten Hermsdorf -:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es erforderlich ist, Cuxhaven als Seenot-Heien auszubauen?
Ich darf annehmen, daß sich Ihre Frage auf die Hafenanlagen in Cuxhaven und nicht auf den sogenannten Amerikahafen bei Cuxhaven bezieht. Der Bund unterhält an der deutschen Küste nur auf Helgoland einen besonderen Seenothafen. Er baut auch vorhandene Häfen, die in der Landesobhut oder kommunale Häfen sind, nicht als Seenothäfen aus. Alle vorhandenen Häfen sind übrigens verpflichtet, in Seenotfällen und bei schlechter Wetterlage Schutz zu gewähren. Eines besonderen Ausbaues des Landeshafens Cuxhaven für diesen Zweck bedarf es also nicht. Der sogenannte Amerikahafen wird von Hamburg betreut. Es bestehen wohl in Hamburg Pläne, ihn auszubauen. Daran ist auch der Bundesminister der Verteidigung interessiert. Doch steht die Entscheidung, ob und wann dies geschehen soll, noch aus und betrifft nicht den Bundesminister für Verkehr.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hermsdorf!
Herr Bundesminister, sind Sie der Auffassung, daß ein Seenothafen für die Durchgangsschiffe und insbesondere für die Windlieger überhaupt nicht notwendig ist?
Es ist keine Frage, ob ein solcher Hafen notwendig ist. Selbstverständlich sind Seenothäfen notwendig; denn sie werden ja auch immer zum Schutz von den Schiffen aufgesucht. Aber die Frage, die Sie gestellt haben, geht doch dahin, wer für die Anlage eines Seenothafens zuständig ist, und ich habe Ihnen geantwortet, daß dafür nach den geltenden Staatsverträgen und nach dem Grundgesetz der Bund an der Küste nicht verantwortlich ist.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, steht Ihre jetzige Erklärung nicht in Widerspruch zu den Erklärungen, die Sie zu dieser Frage in Cuxhaven selbst abgegeben haben?
Nein, Herr Kollege Hermsdorf, sie steht dazu nicht in Widerspruch. Wenn ich für eine Sache nicht zuständig bin, kann ich doch an ihr interessiert sein, und ich habe den Herren in Cuxhaven gesagt, daß ich meine unterstützende Hilfe gern zur Verfügung stelle, um die Lösung der Probleme weiter zu fördern. Ich habe ihnen aber ausdrücklich gesagt, eine Zuständigkeit des Bundesministers des Verkehrs für diese Hafenfragen ist nicht gegeben.
Wir kommen zur Frage VI/3 - des Abgeordneten Müller-Hermann, vertreten durch den Abgeordneten Brück -:
Kann die Bundesregierung eine Erklärung abgeben, wann die Sachverständigenkommission zur Untersuchung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden entsprechend dem vom Bundestag am 29. Juni 1961 verabschiedeten Gesetz eingesetzt wird?
Mit den Verhandlungen über die Bildung der Sachverständigenkommission wurde im Juli begonnen. Sie mußten Anfang September wegen der Wahlen unterbrochen werden. Die Auswahl der für die Sachverständigenkommission vorgesehenen Persönlichkeiten ist nach der Regierungsbildung mit den beteiligten Bundesministerien wieder aufgenommen worden. Die Länder, deren Zustimmung der Bundesrat verlangt hatte, haben in der Länderverkehrsministerkonferenz in Goslar am 12. Januar 1962 der vorgelegten Liste zugestimmt. Am 18. Januar 1962 ist die Liste dem Kabinett zur Entscheidung vorgelegt worden. Ich hoffe, daß die Kabinettsvorlage sehr bald verabschiedet werden kann, so daß ich dann an die als Sachverständige vorgesehenen Herren heranzutreten vermag. Die Sachverständigenkommission wird ihre Arbeit sicher im Laufe des Februars 1962 aufnehmen können.
Ich danke Ihnen im Namen meines Kollegen Müller-Hermann.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister. Wir kommen zu der Frage VII aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen - des Abgeordneten Freiherr von Kühlmann-Stumm, vertreten durch den Abgeordneten Dr. Kohut -:
Wann werden die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die Bevölkerung im nordhessischen Raum das zweite Fernsehprogramm empfangen kann?
Im nordhessischen Raum wird das zweite Fernsehprogramm durch die Fernsehsender Kassel und Fulda bereits jetzt ausgestrahlt. Die Leistung dieser beiden Sender wird bis 1963 beträchtlich erhöht werden. Ein weiterer Teil von Nordhessen wird von dem im Aufbau befindlichen Großsender Soiling, der voraussichtlich noch in diesem Jahr in Betrieb gehen wird, versorgt werden. Darüber hinaus werden Fernsehsender auf dem Hohen Lohr bei Bad Wildungen, auf dem Rimberg und auf dem Hohen Meißner errichtet werden. Mit der Inbetriebnahme dieser Sender kann im nächsten und übernächsten Jahr gerechnet werden. Außerdem wird wegen der schwierigen topographischen VerBundespostminister Stücklen
hältnisse in Nordhessen die Errichtung von FernsehFrequenzumsetzern in großzügigster Weise vorbereitet.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich komme zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen - des Abgeordneten Matthöfer -:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Freilassung des nach Ostberlin verschleppten Bundesbürgers Heinz Brandt, Redakteur bei der Industriegewerkschaft Metall, wohnhaft in Frankfurt ({0}), zu erreichen?
Die Bundesregierung hat sich sofort nach Bekanntwerden der Verhaftung ihres Mitbürgers, des Redakteurs Heinz Brandt, mit besonderem Nachdruck des Falles angenommen und alle ihr zu Gebote stehenden Wege beschritten, um sich für den Verhafteten einzusetzen und ihm ihre Hilfe angedeihen zu lassen. Zu ihrem Bedauern sieht sie sich - und ich glaube, in. Übereinstimmung mit diesem Hohen Hause - im Interesse .des Betroffenen sowie im Hinblick auf das gegen ihn in der Zone schwebende Verfahren im Augenblick nicht in der Lage, hierüber an dieser Stelle nähere Auskunft zu erteilen. Die Bundesregierung bedauert das Schicksal dieses widerrechtlich Verhafteten auf das tiefste und wird auch weiterhin ihr besonderes Augenmerk auf die weitere Entwicklung der Angelegenheit richten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Matthöfer!
Herr Minister, ist es der Bundesregierung bekannt, daß Hunderttausende gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer in der Bundesrepublik und im westlichen Ausland mit Nachdruck die Freilassung von Heinz Brandt gefordert haben und noch fordern und daß sich dieser Forderung zahlreiche bekannte Persönlichkeiten des In- und Auslandes angeschlossen haben?
Der Bundesregierung sind diese Tatsachen nicht nur bekannt, sondern sie findet sie sehr erfreulich. Sie begrüßt es, daß weite Kreise der deutschen Bevölkerung, insbesondere die Gewerkschaften, und auch des westlichen Auslandes an dem Schicksal dieses - ich wiederhole es - widerrechtlich in der Zone festgehaltenen Mitbürgers Anteil nehmen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordnete Matthöfer!
Herr Minister, wird die Bundesregierung die Rechte des Mitbürgers Heinz Brandt mit Nachdruck vertreten lassen, wenn sein Fall im Frühjahr vor dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen verhandelt wird?
Diese Frage, Herr Kollege, kann ich zustimmend beantworten. Die Bundesregierung begrüßt es, wenn sich der Wirtschafts- und Sozialrat der UNO mit dem Schicksal von Heinz Brandt befaßt. Ich werde den Herrn Bundesminister des Auswärtigen bitten, die deutsche Beobachter-Delegation bei der UNO zu beauftragen, alles nur Mögliche zur Förderung der zweckentsprechenden Behandlung zu tun, was im Interesse des in der Zone Verhafteten dort getan werden kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Neumann!
Herr Bundesminister Lemmer, ist Ihnen bekannt, ob Heinz Brandt das in einem Rechtsstaat übliche Recht der freien Wahl eines Verteidigers hat?
Diese Frage bringt mich insofern in Verlegenheit, als im Machtbereich des Herrn Ulbricht Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, wie wir sie kennen, unbekannt sind.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Zimmer!
Herr Minister, gilt die Haltung, die Sie im Falle des Redakteurs Heinz Brandt eingenommen haben, auch für den vor kurzem in Ostberlin verhafteten Privatdozenten der Forstwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen Dr. Röhrig? Ist Ihre Haltung in diesem Fall die gleiche?
Dieser Fall findet unser gleiches Interesse.
Herr Bundesminister, ich danke Ihnen.
Wir kommen zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familien- und Jugendfragen - es ist die Frage des Abgeordneten Dr. Kohut-:
Trifft es zu, daß der Herr Bundesfamilienminister der Bundesregierung eine Rechnung über 787,82 DM Reisekosten ({0}) für seine Ehefrau, die ihn auf seiner Reise nach Rom zum 80. Geburtstag des Papstes begleitet hat, vorgelegt hat?
Das Wort hat der Herr Bundesminister!
Auf Ihre Frage, Herr Kollege Kohut, muß ich erwidern, daß Ihre offenbar aus dem „Spiegel" bezogenen Informationen unrichtig sind. Ich habe der Bundesregierung keine Rechnung des angenommenen Inhalts vorgelegt. Die betreffenden Kosten, deren im „Spiegel" genannte Summe mir übrigens bis dato völlig unbekannt war, sind ausschließlich aus mir persönlich zur Verfügung stehenden Mitteln gezahlt worden.
Ich habe, wie wohl bekannt, im Auftrage des Herrn Bundeskanzlers den Herrn Außenminister bei den Feierlichkeiten in Rom vertreten. Als ich kurzfristig zwei Tage zuvor den Auftrag dazu erhielt, war die Mitreise der Damen der Delegationsmitglieder den internationalen Gepflogenheiten entsprechend bereits vorgesehen. Ich bemerke aber, daß ich auch aus eigener Verantwortung so entschieden hätte, weil die Bundesregierung bei der Ehrung des Heiligen Vaters anläßlich seines 80. Geburtstages auch nach meiner Auffassung nicht hinter anderen Völkern aller Erdteile zurückstehen sollte. Dies zum rein Tatsächlichen.
Ich muß aber auch auf das antworten, was deutlich zwischen den Zeilen Ihrer Frage steht, nämlich auf die mich vor der Öffentlichkeit diffamierende Wirkung Ihrer Frage. Wenn Ihnen aus rechtschaffenen Gründen eine Aufklärung zu der „Spiegel"-Meldung erwünscht war, dann hätten Sie diese Aufklärung als Bundestagskollege sehr schnell von mir bekommen können,
({0})
ohne eine „Spiegel"-Meldung, deren diffamierende Absicht jedem offenkundig ist, hier in öffentlicher Plenarsitzung weiter zu verbreiten. Nach einer mehr als 40jährigen Berufsbeamten- und Ministertätigkeit, in der ich gewiß politische Kritik erfuhr, in der mir aber noch nicht die geringste Inkorrektheit in meinem Amt vorgeworfen werden konnte, darf ich mich in Beantwortung Ihrer Frage ausdrücklich gegen solche „Spiegel"-Fechtereien verwahren. Wenn wir schon als Abgeordnete und Minister für ein Blatt wie den „Spiegel" vogelfrei sind, so sollten wir uns doch als Kollegen dieses Hauses deutlich von solchen Methoden absetzen, anstatt durch solche Anfragen mitzumachen.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kohut!
Herr Minister, Sie halten es für richtig, die Fragestunde, bei der den Sprechern, den Abgeordneten die Hände gebunden sind, weil sie nur Fragen stellen dürfen, zu mißbrauchen, indem Sie mit belehrenden und polemischen Dingen aufwarten.
({0})
Herr Bundesminister, bitte!
Herr Kollege, wenn Sie eine Frage stellen, die meines Erachtens nicht in die Fragestunde gehört, zwingen Sie mich zu einer Antwort, die sonst nicht in die Fragestunde gehören würde.
({0})
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kohut!
Warum haben Sie, Herr Minister, der Sie hier eine deutliche und weitgehende Erklärung abgegeben haben, es nicht für richtig gehalten, die schon vor Wochen veröffentlichte Meldung des „Spiegel" in aller Öffentlichkeit richtigzustellen?
({0})
Dr. Wuermeling. Bundesminister für Familien- und Jugendfragen: Für diese Frage, Herr Kollege, habe ich Verständnis, und ich antworte Ihnen: Ich habe dem „Spiegel" keine Berichtigung gesandt, weil ich den „Spiegel" nicht für berichtigungswürdig halte,
({1})
weil ich den „Spiegel" da nicht für berichtigungswürdig halte, wo er sattsam bekannte Schnüffeleien aus der persönlichen Sphäre des Mitmenschen falsch publiziert. Über Geschmack, Herr Kollege, läßt sich streiten, über Takt aber nicht.
({2})
Keine Zusatzfrage mehr. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Atomkernenergie. Ich rufe auf die Frage X/1 - des Abgeordneten Dr. Bechert -:
Trifft es zu, daß die endgültige Sammelstelle für den in der Bundesrepublik anfallenden Atommüll im Landkreis Karlsruhe liegen wird?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.
Herr Kollege Bechert, Ihre Frage kann ich mit Nein beantworten. Ich darf es vielleicht kurz erläutern. Wir haben in der Bundesrepublik zur Zeit nur geringe Mengen von radioaktivem Abfall, und zwar mit durchschnittlich sehr schwacher Aktivität. Diese 'Substanzen werden nach der Ersten Strahlenschutzverordnung zunächst in privaten oder staatlichen Zwischensammelstellen eingelagert und auch dort physikalisch behandelt, zum Beispiel in ihrem Volumen eingeengt. Wir rechnen damit, daß wir etwa in fünf Jahren dazu schreiten müssen, den sogenannten Atommüll für längere Zeit einzulagern. Hierzu haben wir die Bundesanstalt für Bodenforschung herangezogen, die zur Zeit die geologischen Voraussetzungen für eine einwandfreie - wie man heute sagt - „säkulare" Einlagerung solcher radioaktiven Abfälle prüft. Hierfür kommen geeignete Erdschichten in Frage, z. B. tiefgelagerte Salzschichten. Wir können heute das Ergebnis dieser Untersuchungen noch nicht mitteilen. Aber ich möchte erklären, daß der Landkreis Karlsruhe für diese endgültige Ablagerung von radioaktiven Abfällen sicher nicht in Frage kommt.
Bine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bechert? - Bitte schön.
Herr Bundesminister, ist beabsichtigt, im Landkreis Karlsruhe eine der von Ihnen eben genannten Zwischensammelstellen für Atommüll einzurichten?
Die Anlagen in Karlsruhe dienen als eigene Sammelstelle. Sie könnten auch als Zwischensammelstelle benutzt werden, weil dort alle fachlichen und technischen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Das ist aber im wesentlichen eine Entscheidung, die das Land Baden-Württemberg als zuständige Hoheitsverwaltung treffen muß.
Wir kommen zur zweiten Frage des Abgeordneten Dr. Bechert:
Hat die Kernreaktor-Bau- und Betriebs-GmbH in Karlsruhe vom Bundesatomministerium eine Genehmigung zur Sicherstellung oder Beseitigung von Atommüll erhalten?
Herr Kollege Bechert, die Karlsruher Betriebsgesellschaft, also die Kernreaktor Bau- und Betriebs-GmbH, hatte am 29. März 1957 vom Bundesministerium für Atomkernenergie eine Genehmigung erhalten, die noch auf dem damals gültigen Gesetz Nr. 22 der Alliierten Hohen Kommission beruhte. Danach war sie berechtigt, radioaktive Abfälle aufzubereiten und zu lagern. Dann kam im Zuge der Ausführung des Atomgesetzes die Erste Strahlenschutzverordnung vom 24. Juni 1960. Die Genehmigung nach dem Gesetz der Alliierten Hohen Kommission wurde durch einen Bescheid des Arbeitsministeriums des Landes Baden-Württemberg vom 20. November 1961 ersetzt. Nach diesem Bescheid ist die Gesellschaft berechtigt, die auf dem Gelände des Kernforschungszentrums Karlsruhe anfallenden radioaktiven Abfallstoffe aufzubereiten und zu lagern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Bechert.
Wenn ich Sie recht verstanden habe, Herr Bundesminister, sagten Sie eben, daß die Gesellschaft berechtigt ist, - ich möchte fragen: Ist sie nach der Auflage, die Sie soeben genannt haben, verpflichtet, alles, was an Atommüll bei ihr anfällt, auf ihrem Gelände zu lagern?
Ja, bis zu dem Erlaß von Vorschriften über die sogenannte säkulare Aufbewahrung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wie ist es nach Ihrer Meinung zu erklären, daß die Reaktorgesellschaft Karlsruhe durch den von ihr beauftragten Diplomingenieur Waibel vom Landkreis Karlsruhe verlangt hat und noch heute verlangt, daß dieser Landkreis einen Lagerplatz für den chemischen und eventuell auch für den radioaktiven Abfall des Reaktorbetriebes im Gelände des Landkreises, also außerhalb des Reaktorgeländes, zur Verfügung stellt?
Ich müßte erst feststellen, Herr Kollege Bechert, ob es sich tatsächlich um die Lagerung von radioaktivem Abfall handelt. Diese Frage kann ich im Moment nicht beantworten.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. Ich rufe die erste Frage - des Abgeordneten Dr. Kohut - auf:
Welche Ergebnisse hat die von Staatssekretär' Ritter von Lex in der 107. Sitzung des 3. Deutschen Bundestages am 16. März 1960 angekündigte Prüfung, ob und wie die Eintragung von Blutgruppen in die Personalausweise durchgeführt werden soll, bisher gehabt?
Frau Bundesministerin, bitte!
Ich antworte folgendes. Die Bundesländer und das Bundesgesundheitsamt haben sich mit dieser Frage eingehend befaßt. Sie haben dahin gehend Stellung genommen, daß es nicht notwendig und nicht zweckmäßig ist, die Blutgruppenmerkmale in den Personalausweis einzutragen. Das Bundesministerium für Gesundheitswesen hat sich den Gründen dafür nicht verschließen können und ist im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern der Auffassung, .daß von einer Eintragung der Blutgruppenmerkmale in den Personalausweis abgesehen werden sollte.
Die Gründe dafür sind folgende. Erstens sind zur Zeit im Bundesgebiet weder die Fachkräfte noch die Einrichtungen für die nach den Anforderungen der Wissenschaft zu treffende Feststellung der Blutgruppenmerkmale eines größeren Bevölkerungskreises vorhanden. Zweitens bestehen erhebliche Bedenken, ob eine fehlerfreie Übertragung der Merkmale von den ärztlichen Befundaufzeichnungen in den Personalausweis durch die damit beauftragte Behörde wirklich sichergestellt werden kann. Eine falsche Eintragung kann aber ein schweres Mißlingen der Blutübertragung zur Folge haben und Schaden an Leib und Leben des Verletzten hervorrufen. Drittens: Demgegenüber bedeutet die Unkenntnis der Blutgruppenmerkmale eines Verletzten 'direkt aim Unfallort nach Auffassung namhafter Experten eine geringere Gefahr; denn für eine zur Schockbekämpfung oder zum sofortigen Blutersatz notwendige Übertragung stehen universal verträgliche Blutplasmakonserven und künstliche Blutersatzmittel zur Verfügung, die in jedem Fall sofort Verwendung finden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kohut.
Frau Ministerin, wenn ich nichtig verstanden habe, ist es doch so, daß immer noch als höchstes Ziel die Eintragung der Blutgruppen in den Personalausweis erwünscht wäre, damit man bei der Gefährdung der Menschen sofort weiß, welche Blutgruppe in Frage kommt, und daß diese wünschenswerte Möglichkeit daran scheitert, daß man nicht die nötigen Fachkräfte und Einrichtungen hat und daß man mit der Unfähigkeit der Beamtenschaft - so habe ich Sie verstanden - rechnet, also damit, daß die Beamten bei der Übertragung Fehler machen?
Nein, Herr Kollege Kohut, es ist nicht ganz so. Es ist vielmehr eher erwünscht und sicherer, einen anderen Weg zu gehen. Man hat heute andere Konserven und andere Überbrükkungsmittel zur Verfügung, die man am Unfallort sofort ohne Rücksicht auf die Blutgruppe anwenden kann, so daß der Betreffende erst im Krankenhaus sachgemäß und unter Beachtung aller notwendigen Vorsichtsmaßnahmen auf seine Blutgruppe überprüft zu werden braucht. Das ist nicht deshalb der sichere Fall, weil unsere Beamtenschaft unfähig wäre, sondern weil immer Fehlerquellen entstehen, wenn solche komplizierten Übertragungen von einem ärztlichen Befund in einen polizeilichen Ausweis notwendig sind. Der sicherere Weg ist der andere. Deshalb wird ihm der Vorzug gegeben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kohut.
Haben Sie nicht auch das Gefühl, Frau Ministerin, daß Sie damit der Leistung unserer Ärzteschaft gerade kein Lob ausgesprochen haben?
Nein, Herr Dr. Kohut, das Gefühl habe ich durchaus nicht. Im Gegenteil, ich freue mich darüber, daß die Ärzteschaft und die Wissenschaft andere Wege gefunden haben, die eine sofortige Rettung am Unfallort ermöglichen, ohne daß man auf eine Prüfung der Blutgruppen mit den dabei möglichen Fehlerquellen angewiesen ist.
({0})
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Pannhoff
Frau Ministerin, sind für solche Fälle genügende Mengen von Blutplasma in den Krankenhäusern vorhanden?
Es ist vorgesehen, 'daß alle Unfallkrankenwagen und alle Arztunfallkoffer damit ausgerüstet werden, so daß diese Konserven sofort zur Verfügung stehen.
Wir kommen zur Frage XI/2 - des Herrn Abgeordneten Dr. Bechert -:
Warum hat das Bundesgesundheitsministerium die Zulassung von Hexamethylentetramin als Konservierungsstoff für weitere 2 Jahre angeordnet, obwohl durch Versuche an der Taufliege nachgewiesen ist, daß Hexamethylentetramin eine keimschädigende Wirkung hat und es also grundsätzlich möglich ist, daß auch beim Menschen keimschädigende Wirkungen auftreten?
Frau Ministerin, bitte!
Ich beantworte die Frage von Herrn Dr. Bechert wie folgt. Hexamethylentetramin kann bei der Haltbarmachung von bestimmten Fischerzeugnissen trotz intensiver Bemühungen der Wissenschaft zur Zeit noch nicht völlig entbehrt werden. Soweit heute schon auf den Stoff verzichtet werden kann - das trifft für gut 50 % der Erzeugnisse zu -, ist dies in der Verlängerungsverordnung berücksichtigt worden. Die Verlängerung gilt also nur noch für etwa 50 % derjenigen Fischkonserven, die bisher mit diesem Mittel in den Verkehr gebracht werden durften. Die mit Zustimmung aller Länder - außer Hessen - ergangene Entscheidung ist darauf gestützt, daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Bundesgesundheitsamt bei Abgabe ihrer gutachtlichen Äußerungen über Hexamethylentetramin alle widerstreitenden Gesichtspunkte sorgfältig gegeneinander abgewogen haben. Die befragten Sachkenner halten die Gefahren der Entstehung von Vergiftung durch nicht ausreichend konservierte Fischerzeugnisse für schwerwiegender als die gesundheitlichen Bedenken bei einer vorübergehenden weiteren Duldung des Konservierungsstoffes, der ja außerdem gekennzeichnet sein muß. Sowohl die Deutsche Forschungsgemeinschaft als auch das Bundesgesundheitsamt haben daher die Verlängerung der Auslauffrist als vertretbar angesehen. Eine nochmalige Verlängerung ist nicht in Erwägung gezogen.
Die durch die Versuche an der Taufliege nachgewiesene keimschädigende Wirkung des bei der Spaltung von Hexamethylentetramin frei werdenden Formaldehyds berechtigt nach Auffassung des Bundesgesundheitsamtes nicht zu der Annahme der gleichen Wirkung auch beim Menschen. Bisher hat sich keine besondere Affinität des Hexa zu den Keimzellen beweisen lassen. Die zur Spaltung des Stoffes in Formaldehyd erforderlichen Säuregrade werden in den Keimzellen nicht erreicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Bechert.
Frau Ministerin, ist Ihnen klar, daß Ihre Argumentation, die sich auf die mögliche oder Ihrer Meinung nach nicht wahrscheinliche Keimschädigung bezieht, andersherum formuliert ist, als sie auf Grund des Lebensmittelgesetzes formuliert sein müßte? Es muß ja bewiesen werden, daß keine keimschädigende Wirkung auftritt. Sie sagen, bei der Taufliege sei zwar eine solche Schädigung nachgewiesen, erklären aber weiter: es ist nicht nachgewiesen, daß beim Menschen eine Keimschädigung auftritt. Ich frage also danach: mit welchem Recht argumentieren Sie so? Warum verlanDr. Bechert
gen Sie nicht, daß die Betriebe, die solche Stoffe verwenden, nachweisen, daß keine Keimschädigung auftritt?
Herr Dr. Bechert, die Dinge sind doch so: Die Aufgabe des Lebensmittelgesetzes ist es, den Schutz des Verbrauchers zu gewährleisten. Dabei haben wir folgendes gegeneinander abzuwägen, einmal die Gefahr, daß bei nicht hinreichend konservierten Fischerzeugnissen Vergiftungen entstehen, andererseits den von der Wissenschaft in keiner Weise bestätigten Verdacht, daß eine keimschädigende Wirkung eintreten könnte. Die Versuche an der Taufliege allein können nicht genügen, um ein Verbot und damit die Hinnahme der Gefahr von Vergiftungen zu rechtfertigen; denn solche mutierenden Wirkungen wie bei der Taufliege haben noch eine Menge anderer Stoffe, die Sie wahrscheinlich selbst nicht alle verbieten wollen, z. B. Alkohol, Koffein oder Nikotin.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Bechert.
Frau Ministerin, ich darf vorausschicken, daß ich mich auf meinen Brief an Sie vom 13. Dezember 1961 beziehe. In Ihrem- Schreiben, das Sie an die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände gerichtet haben und das im Bulletin der Bundesregierung vom 7. Dezember 1961 abgedruckt ist, haben Sie eine Argumentation gebracht, aus der hervorgehen soll, daß beim Menschen keine keimschädigende Wirkung auftritt. Ich habe Ihnen diese Argumentation in meinem Brief widerlegt. Sind Sie der Meinung, daß meine Widerlegung wissenschaftlich falsch ist?
Herr Dr. Bechert, ich hin der Meinung, daß Ihre Widerlegung falsch ist. Ich würde Ihnen dies aber lieber in einer schriftlichen Antwort darlegen, weil es sehr ins Fachliche geht, damit wir nicht den Kreis dieses Hauses, der aus Laien besteht, mit gar zu sehr ins Fachliche gehenden Argumenten langweilen. Das soll kein Ausweichen sein, Herr Dr. Bechert. Ich habe die Unterlagen bei mir. Ich werde Ihnen gern schriftlich antworten.
Ich darf nur noch hinzufügen, daß ich seit fünf Wochen auf diese Antwort warte.
Ich danke der Frau Ministerin. Wir stehen damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Schutz der Gesundheit gegen radioaktive Strahlung ({0}),
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP
betreffend Radioaktivität der Luft und des Regens ({1}).
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage der SPD hat Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter den Umweltschädigungen, denen die menschliche Gesundheit heute ausgesetzt ist, stellt die Zunahme der radioaktiven Strahlung eines der ernstesten Probleme dar, denen wir uns gegenübersehen. Sie bewirkt nicht nur die Zunahme schwerer Erkrankungen - etwa der Leukämie oder des Knochen- und Knochenmarkkrebses
sondern schädigt durch Einwirkung auf die Fortpflanzungsorgane des Menschen auch die zukünftige Generation in einer Weise, deren ganzes Ausmaß wir zur Zeit noch nicht kennen, von der wir aber wissen, und zwar sowohl durch die Ergebnisse der Forschung wie auch durch die Folgen der Bombenabwürfe auf Nagasaki und Hiroschima.
Von der Euratombehörde sind Normen festgelegt worden, wieviel die Radioaktivität, der die Gesamtbevölkerung oder Teile von ihr ausgesetzt werden, betragen darf. Die Radioaktivität ging in den letzten Jahren zeitweise schon hart an die maximal zulässige Konzentration heran. Die letzten Atombombenversuche Sowjetrußlands mit einer HundertMegatonnen-Bombe - wir wissen nicht, ob nicht noch weitere Bombentests dort oder anderswo erfolgen werden - lassen für die nächste Zeit - die Meteorologen meinen, vor allem für das nächste Frühjahr - eine erhöhte atmosphärische Radioaktivität befürchten, die sich in einer Größenordnung bewegen kann, daß Schädigungen zu erwarten sind.
Die einzige Reaktion der Bundesregierung auf eine mögliche Gesundheitsschädigung der Bevölkerung war bisher, daß sie verlauten ließ, sie werde künftig die Umweltradioaktivität bekanntgeben. Bezüglich der Luft hat sie das auch getan. Aber mit dieser Bekanntmachung allein kann die Bevölkerung natürlich sehr wenig anfangen.
Es gibt allein im Lande Niedersachsen etwa 330 000 Menschen, die ihr Trinkwasser aus Zisternen beziehen. Steigt die Radioaktivität des Regens über die zulässige Norm, muß dieses Wasser unter Umständen als verseucht angesehen werden. Wie liegen die Verhältnisse in Schleswig-Holstein, in Bayern oder in anderen ländlichen Gegenden der Bundesrepublik?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um für diese Bevölkerungsteile gegebenenfalls für einwandfreies Trinkwasser zu sorgen: Man kann in die Brunnen Filter einbauen; man kann die Bevölkerung auch mit frischem einwandfreiem Trinkwasser beliefern. Welche Wege hat die Bundesregierung hier beschritten? Das ist unsere erste Frage.
Die in der Atmosphäre sich befindlichen, durch die Atomtests freigesetzten radioaktiven Elemente gelangen vor allem durch die Ernährung in den menschlichen Körper. So lagert sich das langlebige und darum so gefährliche radioaktive Isotop Strontium-90 wegen seiner Ähnlichkeit mit Kalzium im menschlichen Knochengerüst ab, wenn nicht genügerade Mengen Kalzium sonst angeboten werden. Milch und Milchprodukte stellen nach einem Bericht
- ich glaube, er stammt sogar vom Atomministerium - in unserer Nahrung etwa 76 % unserer Kalziumzufuhr. Man kann sich denken, wie wichtig einwandfreie Milch ist, und zwar besonders für den wachsenden Organismus des Kleinkindes, das vor allen Dingen auf Kalkzufuhr angewiesen ist. Nach Professor Hinzpeter, Hannover, wird das zulässige Strontium-Kalzium-Verhältnis im menschlichen Skelett 1960 bei Erwachsenen im Durchschnitt mit 7 %, bei Kleinkindern mit 21 % erreicht. Es kann bei verstärktem Befall mit Radioaktivität noch schneller und höher steigen, als bisher zu erwarten war. Daher interessiert uns naturgemäß ganz besonders, in welchem Umfang und ob überhaupt die Bundesregierung Vorräte an Kondens- und Trockenmilch für Kleinkinder angelegt hat.
Wie steht es nun mit der Vorratshaltung für Mehl und Brotgetreide? Wir wissen, daß die Verseuchung des Brotgetreides unter allen Nahrungsmitteln am höchsten gewesen ist. Es ist zu befürchten, daß auch die Verseuchung des Brotgetreides, wenn die Radioaktivität etwa des Regens im Frühjahr die Grenze überschreitet, ein Ausmaß annehmen könnte, das zu Gesundheitsschäden führen kann. Deshalb müßte man 1962, vor allem aber 1963 auf Getreidevorräte aus früheren, einwandfreien Ernten zurückgreifen können, um Schädigungen zu verhindern.
Man wird überhaupt bei verstärkter radioaktiver Strahlung bestimmte Vorsichtsmaßnahmen hinsichtlich der Ernährung befolgen müssen. Kürzlich hat sich ein Kongreß von Ernährungs- und Agrarwissenschaftlern mit dieser Frage befaßt. Wir möchten von der Bundesregierung wissen, ob sie Vorbereitungen getroffen hat, die dabei zur Sprache gekommenen Erkenntnisse der Bevölkerung rechtzeitig mitzuteilen. Fast von selbst versteht es sich wohl, daß man sich die Erfahrungen anderer Länder, vor allen Dingen Englands, Japans, auch Dänemarks und Hollands, zunutze macht. Das ist der letzte Punkt unserer Anfrage.
Natürlich werden alle diese Maßnahmen auch organisatorische Vorbereitung erfordern. Wir hoffen, daß uns die Bundesregierung auch hierüber einige Aufklärung geben wird.
Manchmal hat man den Eindruck, als scheue sich die Bundesregierung, der Öffentlichkeit die wirklich drohenden Gefahren umfassend klarzumachen. Es wäre aber unklug, ja gefährlich, die Schäden durch erhöhte Radioaktivität verharmlosen zu wollen, auf die uns die Wissenschaftler immer wieder hinweisen. Nur muß die Bevölkerung wissen, wie sie sich selbst, z. B. in ihrer Ernährung, zu verhalten hat, und vor allem, ob von der Bundesregierung in genügendem Ausmaß die notwendigen Vorbereitungen zum Schutze der Bevölkerung getroffen sind.
({0})
Das Wort zu der Beantwortung der Großen Anfrage hat Frau Bundesministerin Dr. Schwarzhaupt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Bundesregierung beantworte ich die Große Anfrage der SPD. Sie werden daraus sehen, daß die Mitteilung der Meßzahlen nicht das einzige ist, was die Bundesregierung auf diesem Gebiet bisher getan hat.
Allgemein ist folgendes vorauszuschicken. Als Ausfluß von Kernwaffenversuchen gelangten bis zum Jahre 1958 größere Mengen künstlicher radioaktiver Stoffe in die Atmosphäre der Erde, zu einem erheblichen Teil bis in die Stratosphäre. Sie verteilten sich in ungleichmäßigen, bandförmigen Zonen über den gesamten Erdball und kamen aus den troposphärischen Schichten relativ schnell, aus der Stratosphäre langsamer auf die Erdoberfläche zurück.
Der Gehalt der Luft und auch der Niederschläge an radioaktiven Stoffen schwankte dabei ziemlich stark, abhängig von meteorologischen Faktoren. Er stieg 1957 und 1958 ungleichmäßig an, erreichte im ersten Halbjahr 1959 seinen Höhepunkt und fiel dann weiter in der zweiten Hälfte 1959, im Jahre 1960 und auch 1961 auf Werte ab, die sogar unterhalb der Werte lagen, die bei Beginn der Messungen 1956 zu beobachten waren. Wenn dabei auch an einigen Tagen relativ hohe Werte gemessen wurden, so lag doch der höchste Mittelwert der auftretenden Aktivitäten über größere Zeiträume hinweg bei nur wenigen Prozenten der natürlicherweise vorhandenen Radioaktivität und fiel 1960 auf weniger als 1 Promille der natürlichen Aktivität ab. Die für die Gesamtbevölkerung höchstzulässigen Konzentrationen des gefährlichsten Stoffes, des Strontium 90, wurden nie erreicht. Die Summe aller radioaktiven Stoffe in Luft überschritt allerdings im Jahre 1959 mit einigen Tagesspitzen die für Strontium zulässigen Werte; der Strontiumgehalt dieser Gemische von radioaktiven Stoffen lag aber wiederum nur bei rund 1 % der Gesamtradioaktivität.
Als Folge der neuerlichen Atomwaffenversuche Sowjetrußlands traten im Laufe des September und Oktober 1961 Erhöhungen der Radioaktivitätswerte auf, die jedoch durchaus im Rahmen der Spitzenwerte des Jahres 1959 lagen, so daß auch voraussichtlich im Frühjahr 1962 die Mittelwerte der künstlichen Radioaktivität, über größere Zeiträume berechnet, nur einen Bruchteil der natürlichen Radioaktivität betragen werden. Dies gilt allerdings nur für den Fall, daß keine besonderen Ereignisse eintreten oder die neuen Versuchsexplosionen nicht in noch verstärktem Maße fortgesetzt werden.
Infolge der jahrelangen Zuführung künstlicher radioaktiver Stoffe ist der Gehalt unseres Bodens an langlebigen radioaktiven Stoffen langsam angestiegen, damit auch die zusätzliche Strahlendosis, die wir durch diese Stoffe aus dem Boden erhalten. Allerdings zeigt auch diese Dosis seit 1960 schon wieder einen Rückgang. Die dem Boden insgesamt zugeführten Aktivitäten brauchen deshalb noch keine besondere Besorgnis zu erregen.
Im Jahre 1960 und im ersten Halbjahr 1961 betrugen die fließenden Gewässern oder Talsperren, aus denen Trinkwaser gewonnen wird, zugeführten
Mengen an Strontium 90 weniger als ein Zehntel der für die Gesamtbevölkerung zulässigen Konzentrationen. Im Grundwasser war dieser Stoff kaum nachweisbar. Auch im Zisternenwasser, das in nördlichen Teilen der Bundesrepublik teilweise noch als Trinkwasser benutzt wird, lagen die Mittelwerte nur etwa 3 mal so hoch wie in fließenden Gewässern, also auch weit unterhalb der maximal zugelassenen Konzentrationen.
Das Auftreten künstlicher radioaktiver Stoffe wurde und wird auch in allen anderen wichtigen Lebensmitteln, wie Milch, Käse, Korn, Gemüse usw. sowie in Tierprodukten aufmerksam verfolgt. Auch hier zeigten sich die höchsten Werte im Jahre 1959 und ein Abfallen des Gehalts in der darauffolgenden Zeit. Gegenüber dem Auftreten der Spaltprodukte in Luft und Wasser ist ihr Auftreten in Lebensmitteln zeitlich etwas verschoben. Bedenkliche Mengen radioaktiver Svffe konnten ebenfalls in Lebensmitteln nicht festgestellt werden. Entgegen manchen früheren Annahmen steigt die in Pflanzen enthaltene Radioaktivität im wesentlichen nicht mit der dem Boden insgesamt zugeführten, sondern hängt weitgehend von der aktuellen Zufuhr durch Staub und Regen ab.
Zusammenfassend kann somit gesagt werden, daß die Atomwaffenversuche von 1954 bis 1958 einen Anstieg der Umgebungsradioaktivität mit einem Maximum im Jahre 1959 ergeben haben und daß die neuerlichen Atomwaffenversuche Sowjetrußlands seit September 1961 wiederum einen Anstieg der Radioaktivität bedingen. Die Gesamtmengen der künstlichen Radioaktivität, die sich durch diese Versuche in der Umgebung des Menschen, in Luft und Wasser, befanden und befinden oder in nächster Zukunft zu erwarten sind, ebenso die Mengen an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und im Menschen selbst betragen bisher nur einen Bruchteil der in der Umwelt vorhandenen natürlichen Radioaktivität.
Im Hinblick auf .die in der letzten Zeit von verschiedenen Seiten veröffentlichten Angaben über die gemessene Radioaktivität erscheint es notwendig, darauf hinzuweisen, daß die zum Teil sehr verschiedenen Meßwerte nur bei Kenntnis der physikalischen und technischen Unterlagen wirklich beurteilt werden können. Die von den Wissenschaftlern erarbeiteten und festgestellten maximal zulässigen Konzentrationen einzelner Nuklide oder bekannter bzw. unbekannter Gemische von Nukliden sind so berechnet, daß eine Dauerzufuhr in Höhe des maximalen Schwellenwertes für die Dauer von einem Jahr auch für Kinder noch vertretbar ist. Eine kurzfristige, sogar eine mehrmonatige gering über diesem Schwellenwert liegende Zufuhr bedeutet daher, von dieser Basis ausgehend, keine akute Gefahr.
Auf die Fragen der sozialdemokratischen Fraktion ist im einzelnen folgendes zu antworten. Die erste Frage lautet:
Was hat die Bundesregierung getan, um einwandfreies Trinkwasser für den Bevölkerungsteil zu sichern, der auf Regenwasser als Trinkwasser angewiesen ist, und wie groß ist dieser Bevölkerungsteil?
Nach .den neuesten Erhebungen der zuständigen Landesbehörden, insbesondere in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, sind derzeit noch rund 180 000 Personen, die in etwa 35 000 Anwesen leben, auf Regenwasser als Trink- und Brauchwasser angewiesen. Schwerpunkte sind dabei die Marschgebiete Norddeutschlands sowie die kleineren Inseln und die Halligen. Bund und Länder sind bemüht, in etwa zwei Jahren den Ausbau der zentralen Wasserversorgung in diesem Gebiet so weit zu fördern, daß die Bevölkerung für Notfälle aller Art ohne große und aufwendige Maßnahmen mit Wasser aus öffentlichen Wasserwerken versorgt werden kann.
Bis heute war es bereits möglich, mindestens 40 000 Zisternen außer Betrieb zu setzen und dabei rund 200 000 Menschen hinsichtlich ihrer Wasserversorgung vom Regenwasser unabhängig zu machen. Für ,den Fall einer gefährlichen Kontaminierung von Wasser in den jetzt noch bestehenden Zisternen wird man weitgehend durch Ausfahren von gutem Trinkwasser und Abgabe an die Bevölkerung in Eimern oder ähnlichem, wie dies bereits in Trockenzeiten geübt wird, Abhilfe zu schaffen suchen. Dies wird bei rund zwei Dritteln der genannten Anwesen möglich sein.
Soweit eine Abhilfe aber nicht möglich ist, müssen entsprechende Filtergeräte bei den Zisternen eingesetzt werden. Die Bundesregierung hat, um den Ländern ein einheitliches Vorgehen zu erleichtern, bereits 1959 Verbindungen mit den Herstellern aufgenommen. Sie hat aus der Vielzahl der angebotenen Geräte eine Auswahl von geeignet erscheinenden Typen getroffen und diese vom Bundesgesundheitsamt auf ihre Brauchbarkeit prüfen lassen. Die bisherigen Untersuchungsergebnisse lassen erkennen, daß die Geräte für diesen Zweck nur bedingt den an sie zu stellenden Anforderungen genügen. Es ist aber damit zu rechnen, daß in absehbarer Zeit brauchbarere Geräte geliefert werden können. Die Landesbehörden werden über diese Entwicklung ständig auf dem laufenden gehalten.
Es ist noch zu bemerken, daß das Zisternenwasser von den Landesbehörden, die ohnedies für dieses Gebiet der Wasserwirtschaft zuständig sind, laufend auf Radioaktivität untersucht wird und daß die bisher ermittelte Kontamination des Zisternenwassers noch nicht gefährlich ist.
Zu Frage 1 b:
Hat die Bundesregierung Vorräte von Trocken- und Kondensmilch zur Versorgung von Kleinkindern im Gefahrenfalle angelegt?
Für die Versorgung von Säuglingen und Kleinkindern bis zu 6 Jahren zu Zeiten erhöhter Radioaktivität der Atmosphäre kommen Milchdauerwaren ({0}) in Frage, die bereits vor Eintritt der Gefahrenzeit hergestellt wurden. Von diesen Erzeugnissen sind bei normalem Wirtschaftsablauf beim Handel und den Herstellern Bestände
vorhanden. Diese Bestände reichen jedoch nicht aus, um den besonders gefährdeten Personenkreis für längere Zeit zu versorgen. Es ist daher erforderlich, darüber hinaus rechtzeitig weitere Vorräte anzulegen. Seit November 1961 wird hierüber mit den Ländern verhandelt. In dem größten Verbrauchergebiet der Bundesrepublik sind Vorbereitungen für eine Einlagerung von Dauermilcherzeugnissen bereits im Dezember 1961 angelaufen. Aus Gründen der einwandfreien Überwachung der Qualität und um zu verhindern, daß kontaminierte Ware eingeführt wird, sollen die Vorräte aus der inländischen Produktion entnommen werden.
Es dürfte im übrigen die Möglichkeit bestehen, die Trinkmilchversorgung des gefährdeten Personenkreises in ländlichen Gegenden und in den Kleinstädten aus landwirtschaftlichen Betrieben sicherzustellen, die ihre Kühe während der Gefahrenzeit nicht auf die Weide treiben, sondern mit nicht kontaminiertem Futter im Stall ernähren. Für den Fall einer länger andauernden Kontamination werden Verfahren zur Dekontaminierung der Milch geprüft.
Zu Frage 1 c:
Hat die Bundesregierung in Erkenntnis der Tatsache, daß die Verseuchung des Brotgetreides durch Strontium 90 in den letzten Jahren unter allen Lebensmitteln am höchsten gewesen ist, Maßnahmen ergriffen, um Mehl- und Brotgetreidevorräte für 1962, vor allem aber für 1963, anzulegen?
Die Bundesregierung unterhält zur Sicherstellung der laufenden Versorgung der Bevölkerung mit Brot und anderen Backwaren Vorräte an Brotgetreide. Von einer Vorratshaltung an Mehl konnte auch im Hinblick auf die möglichen Auswirkungen der sowjetischen Kernwaffenversuche abgesehen werden, weil für die Verarbeitung des Brotgetreides zu Mehl leistungsfähige Mühlen, über das gesamte Bundesgebiet verstreut, vorhanden sind.
Mit den Vorräten an Brotgetreide, über die die landwirtschaftlichen Betriebe, Handelsbetriebe, Genossenschaften, Mühlen und die Bundesregierung aus der Ernte 1961 und aus den früheren Ernten verfügen, ist die Versorgung der Bevölkerung mit Brot und anderen Backwaren über den Beginn der Ernte 1962 ({1}) hinaus sichergestellt.
Für den Fall, daß bei dem inländischen Brotgetreide der kommenden Ernte die Radioaktivität ansteigen sollte, erwägt die Bundesregierung die folgenden Maßnahmen. Erstens: Das neuerntige inländische Brotgetreide wird mit anderem Brotgetreide vermischt. Zweitens: Nach dem derzeitigen Stand der Forschung wird Strontium 90 von der Getreidepflanze zum größten Teil über die Wurzeln aufgenommen und lagert sich überwiegend in den äußeren Schichten des Kornes ab. Der Mehlkern des Getreidekornes weist somit eine wesentlich geringere Radioaktivität auf. Der jetzige durchschnittliche Ausbeutesatz des Brotgetreides beträgt etwa 80 %. Bei einem überhöhten Anteil an Strontium 90 im Korn wird auf Grund des Getreidegesetzes durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmt werden, daß für die Herstellung von Mehl das Brotgetreide nur noch his zu etwa 70 % ausgebeutet werden oder das Mehl einen bestimmten Höchstaschegehalt nicht übersteigen darf. Die Herstellung von Mehlerzeugnissen mit einem höheren Ausbeutesatz oder einem höheren Aschegehalt wäre dann also zunächst nicht möglich. Grieß zur Ernährung der Kleinkinder wird nur aus dem Mehlkern des Getreidekorns hergestellt. In beiden Fällen müssen zusätzliche Brotgetreidemengen rechtzeitig eingeführt werden.
Ich komme zu der zweiten Frage:
Was hat die Bundesregierung vorbereitet, um die Bevölkerung rechtzeitig aufzuklären über die Möglichkeiten, durch zweckmäßiges Verhalten die Gefahreneiner erhöhten Radioaktivität zu vermeiden?
Der Bundesregierung steht heute ein dichtes Netz von Meßstellen zur Verfügung, die laufend die Radioaktivität der Luft, des Wassers und der Lebensmittel überwachen. Dadurch ist jede Änderung der Umwelt-Radioaktivität kurzfristig erkennbar. Sollte sich aus dieser Erkenntnis zu irgendeinem Zeitpunkt die Notwendigkeit ergeben, die Gesamtbevölkerung oder einzelne Bevölkerungsgruppen über zweckmäßiges Verhalten gegenüber einer erhöhten Radioaktivität zu unterrichten, so wird sich die Bundesregierung der üblichen Mittel wie Presse, Rundfung und Fernsehen bedienen, die eine unmittelbare Unterrichtung gewährleisten. Es bedarf daher keiner Vorbereitung, zusätzliche Sondereinrichtungen zu schaffen.
Darüber hinaus ist beabsichtigt, in gewissen Zeitabständen eine amtliche Darstellung der jeweiligen Situation der Umwelt-Radioaktivität in der Presse zu veröffentlichen.
Nun zur dritten Frage:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um die in anderen Ländern gewonnenen Erfahrungen dem Schutze der Bevölkerung nutzbar zu machen?
Die Bundesregierung steht mit anderen Ländern seit Jahren in ständigem Erfahrungsaustausch über die Schutzmöglichkeiten bei einer eventuellen Erhöhung der Umwelt-Radioaktivität. Alle Erwägungen stützen sich dabei auf die Empfehlungen der International Commission on Radiological Protection, deren Grundnormen von autorisierten internationalen Wissenschaftlern erarbeitet und fortlaufend redigiert werden. Darüber hinaus werden diese Fragen im Rahmen der Organization for Economic Cooperation and Development, der Europäischen Atomgemeinschaft und in speziell darauf ausgerichteten Symposien, Seminaren und Tagungen der Weltgesundheitsorganisation, der Food and Agricultur Organization und der Internationalen Atomenergiebehörde sowie der Weltorganisation für Meteorologie, an denen auch jeweils Vertreter der Bundesregierung teilnehmen, bearbeitet, so daß die Sammlung und Auswertung internationaler Erfahrungen durch die Bundesregierung gewährleistet sind.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dittrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD- Fraktion vom 21. November 1961 und der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vom 14. November 1961 sind ohne Zweifel verursacht durch die Drohungen Moskaus, neue Monsterbomben in die Luft zu jagen. Der unmittelbare Anlaß mag die Explosion der 50-Megatonnen-Bombe - oder mag sie größer gewesen sein - über den arktischen Gewässern gewesen sein. Das hat die sozialdemokratische Fraktion, das hat die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP dazu geführt, an die Bundesregierung Anfragen zu stellen oder - wie es aus der Drucksache IV/15 zu entnehmen ist - Ersuchen an die Bundesregierung zu richten.
Meine Damen und Herren! Die radikalste Änderung einer künstlichen Verseuchung der Luft mit radioaktiven Strahlen wäre ohne Zweifel das Einstellen der Atomwaffenversuche. In den Tageszeitungen des In- und Auslandes ist wiederholt diskutiert worden, ob die Versuche der Sowjets überhaupt noch Tests darstellen oder ob sie nicht als Schreckmittel aus machtpolitischen Gründen betrachtet werden müssen, ob sie nicht dazu bestimmt sind, Angst zu verbreiten oder die Luft so mit radioaktiven Strahlen zu versehen, daß andere Mächte gar nicht mehr oder nur noch schwerlich in der Lage sind, weitere Versuche zu starten. Ist es nicht bezeichnend, daß Chruschtschow, als die Kritik aus der ganzen Welt an ihn herangetragen wurde, weil diese neuen Atomwaffenversuche gestartet wurden, erklärte, er wäre ein blöder und fauler Ministerpräsident, wenn er die letzten sowjetischen Kernwaffenversuche nicht angeordnet hätte?
Meine Damen und Herren! Wir ersehen daraus ein Auseinanderklaffen der Einstellung, der Gesinnung der beiden Welten, und wir ersehen daraus eine Mißachtung des Menschen und seiner Gesundheit, von denen aus wir ja heute die Große Anfrage und das Ersuchen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zu beurteilen haben. Es ist ein Erzeugen einer Atomangst, die ohne Zweifel beabsichtigt ist, und wir sollten dem Kreml, wir sollten Chruschtschow nicht den Gefallen tun, diese Angst in unserem deutschen Volke noch zu vertiefen.
({0})
Die Tageszeitungen und Wochenzeitschriften haben, zum Teil in Schlagzeilen, von einer Atomangst gesprochen. Die Gefahr für Neugeborene wächst, hieß es. Ein Teil der Presse hat objektiv berichtet und hat die Dinge so gesehen, wie sie gesehen werden müssen.
Meine Damen und Herren! Die Besorgnis nicht nur in der Bevölkerung der Bundesrepublik, sondern darüber hinaus, ist nicht unbegründet. Nach dem Ansteigen der Radioaktivität der Luft in den Jahren 1957 und 1958 bis Mitte 1959 kam einmal eine Zeit der Beruhigung. Durch die in sehr schneller Folge in den Monaten September, Oktober und
November 1961 abgewickelten Atomwaffenversuche ist die Radioaktivität der Luft schnell angestiegen. Es hatte den Anschein, als ob die UdSSR die Atmosphäre so stark wie möglich mit Radioaktivität belasten wollte, um wenigstens für einige Zeit den anderen Atommächten keinen Raum mehr für Atomwaffenversuche zu lassen. Der höchste Monatsmittelwert betrug in der Zeit nach den russischen Atomexplosionen etwa 10 Pikocurie pro cbm, wie aus den wöchentlichen Mitteilungen des Bundesatomministeriums hervorgeht. Hier darf ich anmerken, Frau Kollegin Hubert, - und Sie, wenn ich Sie nicht falsch verstanden habe, auch berichtigen - daß die Radioaktivität sowohl in der Luft als auch im Wasser als auch in den Lebensmitteln in der Bundesrepublik gemessen wird und die Meßergebnisse auch veröffentlicht werden.
Es hat sich gezeigt, daß diese Veröffentlichung im Fernsehen und in den Tageszeitungen, soweit sie sie aufgenommen haben und noch aufnehmen - hier ist eine Verminderung festzustellen -, auf die Bevölkerung außerordentlich beruhigend gewirkt hat, weil die Gefahren, die von den Wissenschaftlern vermutet wurden, Gott sei Dank nicht in dem angenommenen Ausmaß eingetreten sind.
Die Tageseinzelwerte schwanken natürlich. Als höchster Tageseinzelwert wurde ein Wert von ca. 50 Einheiten gemessen. Diese Werte müssen mit den maximal zulässigen Werten in eine vernünftige Beziehung gesetzt werden. Die maximal zulässigen Werte sind nun aber keine Festwerte, sondern veränderliche Werte, da sie von der Zeitspanne nach der Explosion abhängen. In der letzten Zeit konnte ein zulässiger Wert von 200 bis 400 Einheiten zugrunde gelegt werden. Man kann also sagen, die Luftradioaktivität hat diese Werte nicht überschritten.
Durch die russischen Atomwaffenversuche stieg auch die Rädioaktivität des Regenwassers an. Der höchste Monatsmittelwert betrug etwa 1500 Einheiten. Er kann wiederum aus den Informationen des Atomministeriums entnommen werden. Eine Einheit ist gleich 1 Picocurie pro Liter. Die Meßwerte hinsichtlich der Radioaktivität schwanken für einzelne Regenfälle sehr stark. Insbesondere ist zu beachten, daß bei sehr geringen Regenmengen oder bei Beginn eines Regens die Radioaktivität unverhältnismäßig hoch ist. Die Physiker wissen diese Erscheinung gut zu erklären. Sie hängt mit dem Prozeß des starken Auswaschens der Atmosphäre zusammen. Es ist daher nicht verwunderlich, daß kurzzeitige Einzelwerte der Regenaktivität von bis zu 50 000 Einheiten gemessen worden sind. Dies bedeutet aber gesundheitlich für den Menschen gar nichts, wenn es sich, wie dies tatsächlich der Fall war, dabei nicht um eine Dauererscheinung handelt.
Die für Trinkwasser zulässigen, zeitlich veränderlichen Werte betragen zur Zeit etwa 4000 bis 7500 Einheiten. Das sind Durchschnittswerte, meine Damen und Herren! Einige wenige kurzzeitige Spitzenwerte des Regenwassers überschreiten diese für das Trinkwasser gültige Grenze. Das darf aber aus den
dargelegten Gründen nicht zu einer Panik führen. Das Regenwasser wird ja im allgemeinen nicht getrunken. In das Grundwasser oder in das Flußwasser aber wird nachweislich wegen der Selbstreinigung keine nennenswerte Radioaktivität eingeführt. Selbst bei Trinkwasserzisternen sind die Radioaktivitätswerte in der Vergangenheit noch unter der Schädigungsgrenze geblieben, weil die Selbstreinigung die Radioaktivität des Zisternenwassers auf etwa den fünften Teil der durchschnittlichen Radioaktivität des Regenwassers herabdrückt. Trotzdem ist es vernünftig, daß die öffentliche Hand Filtergeräte für die Zisternen-Wasserversorgungsanlagen bereitstellt, damit notfalls die Selbstreinigung durch technische Reinigungsmittel unterstützt werden kann.
Wenn zum Vergleich maximal zulässige Werte für die Radioaktivität der Luft und des Wassers genannt worden sind, so muß hinzugefügt werden, daß diese Werte von Radiologen und Medizinern unter Anwendung eines sehr strengen Maßstabs und eines sehr großen Sicherheitsfaktors in internationalen Vereinbarungen festgelegt worden sind. Weiterhin muß mit Nachdruck festgestellt werden, daß diese zulässigen Werte unter der Voraussetzung gelten, daß die Luft und das Trinkwasser diese Radioaktivität dauernd aufweisen, es sich also um eine Dauerzufuhr handelt, die praktisch das ganze Leben hindurch fortgesetzt wird. Die kurzzeitigen Erhöhungen wirken sich sehr viel weniger oder gar nicht aus.
Angesichts dieser Situation fasse ich die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion so auf, daß die SPD von der Bundesregierung wissen will, was sie angesichts der möglichen Gefahren zu veranlassen gedenkt. Das hat letztlich - eine Woche vor Einbringen der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion - die Fraktionen der CDU/CSU und FDP veranlaßt, einen Antrag auf Drucksache IV/15 zu stellen, nämlich:
Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht,
angesichts des Ansteigens der Radioaktivität der Luft und des Regens unverzüglich alle Maßnahmen zu ergreifen, die zur Abwendung von Gefahren für die Bevölkerung erforderlich sind.
Verstehen Sie mich deshalb richtig, meine Damen und Herren: Eine unmittelbare Gefahr ist nicht zu erkennen. Aber die Bundesregierung und nicht sie allein, sondern darüber hinaus auch die Länder, die Kommunen und der einzelne sind aufgerufen, Vorsorge für einen Ernstfall zu treffen. Denn wir wissen ja nicht, in welcher Weise die UdSSR diese Versuche über der Erde fortsetzt, so daß vermehrte Gefahren auf uns zukommen können. Wir sind auch bei der Obsorge nicht allein. Die umliegenden Staaten machen sich in ebenderselben Weise Gedanken darüber, was geschehen soll, wenn die Radioaktivität der Luft so zunimmt, daß eine gesundheitliche Gefahr unmittelbar bevorsteht.
Wir wissen beispielsweise aus Belgien und aus Holland, daß sich dort die zuständigen Gremien, insbesondere die Kabinette und die Parlamente mit der
Angelegenheit beschäftigt haben. Wir wissen, daß dort die zuständigen Minister Antworten auf Anfragen gegeben haben, die etwa in derselben Richtung liegen, wie sie heute in den Ausführungen der Gesundheitsministerin deutlich geworden ist. In Holland hat zum Beispiel Minister Dr. Veldkamp zum Ausdruck gebracht, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt besondere Maßnahmen für die Lebensmittelversorgung nicht notwendig sind. Nach einer hoch gegriffenen Schätzung, so sagt er, soll achtmal soviel radioaktives Strontium auf die Erde niederkommen als 1958 und 1959 nach den russischen Versuchen auf den gleichen Strecken. Das Strontium, das sich im Knochenmark festsetzt, soll bei den gebräuchlichen niederländischen Nahrungsmitteln dann noch nicht höher als auf ungefähr 10 % der zulässigen Menge kommen.
Aus Belgien wird uns berichtet, daß dort auf die Diskussion geantwortet wurde, daß sich infolge der Wiederaufnahme der Atombombenversuche der Grad der Radioaktivität im Lande Belgien im Vergleich zu den früheren Werten, die praktisch dem naturgegebenen Zustand entsprechen, erhöht habe; es sei jedoch noch nicht so weit, daß ein beunruhigendes Ausmaß erreicht worden sei, selbst wenn sich dieser höhere Grad auf ein ganzes menschliches Leben erstrecke.
Wir sehen daraus, daß nicht allein in der Bundesrepublik Besorgnisse hochkommen, sondern auch in den anderen Ländern, und daß man sich mit diesen Fragen beschäftigt.
Nun kurz noch einiges, was in diesem Zusammenhang auszuführen ist. Die Frau Gesundheitsministerin hat bereits dargelegt, daß in der Bundesrepublik ein umfangreiches Meßnetz vorhanden ist - und das ist zunächst einmal die Grundlage, die wir benötigen - und daß die Meßergebnisse für die gesamte Bevölkerung publiziert werden, so daß jeder Wissenschaftler und auch der Laie daraus das entnehmen kann, was erforderlich ist, sofern er die Werte zu lesen versteht. Kommentationen erscheinen ja ohnedies in Zeitungen und Zeitschriften, was ich für notwendig halte; denn die Werte allein genügen natürlich dem Laien nicht; es ist erforderlich, sie in einer allgemein verständlichen Weise zu interpretieren. Es kann aber festgestellt werden, daß der Deutsche Wetterdienst an elf über die Bundesrepublik verteilten Stationen regelmäßig die Gesamt-Radioaktivität der Luft und an 16 Stationen die der Niederschläge mißt und untersucht, welchen Anteil elf besonders gefährliche radioaktive Stoffe an der Gesamtaktivität haben. Der Deutsche Wetterdienst veröffentlicht die Meßergebnisse und warnt nach einem festgelegten Plan die zuständigen Bundes- und Landesbehörden, wenn die Toleranzwerte erreicht werden. Es darf weiterhin ausgeführt werden, daß die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung in Zusammenarbeit mit den Landesbehörden die Radioaktivität des Oberflächenwassers der Bundeswasserstraßen mißt. Das Deutsche Hydrographische Institut bereitet die systematische Untersuchung des Seewassers, insbesondere die Feststellung der Bruttotamma-Aktivität der deutschen Küste und Stichprobenmessungen in Seegebieten, die für die DeutDr. Dittrich
sehe Hochseefischerei und Seeschiffahrt von besonderer Bedeutung sind, vor. Einzeluntersuchungen werden bereits durchgeführt. Auch die Radioaktivität unserer Nahrung wird untersucht. Damit hat die Bundesregierung in Verbindung mit den Landesregierungen, die bekanntlich in Friedenszeiten die Sorge für die Gesundheit der Bevölkerung haben, ein Meßnetz über das ganze Bundesgebiet ausgedehnt, das genügend Möglichkeiten zum Erkennen radioaktiver Gefahren in sich birgt.
Wenn auch die Gefahr nicht eingetreten ist, die wir in der zweiten Hälfe des vergangenen Jahres glaubten befürchten zu müssen, so stehen wir doch vor der Notwendigkeit, Vorsorge zu treffen. Ich glaube, die SPD-Fraktion hat aus dem Mund der Bundesministerin für Gesundheitswesen entnommen, daß sich die Bundesregierung in Verbindung mit den Ländern - das sei immer wieder zum Ausdruck gebracht - Gedanken darüber gemacht hat, wie diesen Gefahren begegnet werden kann, daß die Bundesregierung hier aber nicht allein die Verantwortung trägt, sondern daß darüber hinaus auch die Länder das Ihre tun müssen. Ich erinnere nur an mein Heimatland Bayern, wo sich der Innenminister Goppel bemüht, den Gefahrenmöglichkeiten zu begegnen. Ich erinnere an Baden-Wüttemberg und an Nordrhein-Westfalen, die zum Teil schon nicht unerhebliche Mittel für die Bevorratung von radioaktivverseuchten Lebensmitteln eingesetzt und ausgegeben haben.
Es wäre mir ein leichtes, auch noch auszuführen, daß Überwachungen der Radioaktivität der Seefischanlandungen vorgenommen werden. Man kann daraus ersehen, daß die Bundesregierung alles tut, um Gefahrenquellen rechtzeitig zu erkennen. Es ist nicht meine Aufgabe, die besonderen Gefahren des Trinkwassers, der Milch und des Brotgetreides hier zu dramatisieren. Aus all den Messungen, die uns zugänglich gemacht worden sind, geht hervor, daß unmittelbare ,Gefahrenquellen in dieser Hinsicht nicht vorhanden sind.
Wenn man die Arbeiten kompetenter Wissenschaftler und die offiziellen Äußerungen und Berichte wie die Vierteljahresberichte des Bundesministeriums für Atomenergie und Wasserwirtschaft, den zweiten Report des Britischen Medizinischen Forschungsrates 1960 sowie unter acht anderen die Messungen der Leitstellen für Radioaktivität in der Bundesrepublik, die Beurteilung von Einlagerungen radioaktiver Stoffe im menschlichen Knochen und die Messungen von Privatdozent Dr. Pribilla aus dem Gerichtmedizinischen Institut der Universität Kiel usw. zugrunde legt, so ist es nach unserer Meinung falsch und gefährlich, draußen in der Öffentlichkeit eine Panik zu erzeugen und das zu tun, was der Kreml so gern bei uns tun möchte, nämlich eine Angst zu verbreiten, die mindestens im gegenwärtigen Zeitpunkt und für die nächste Zeit nicht veranlaßt ist Wer im Hinblick auf Dinge, von denen die Allgemeinheit im großen und ganzen nicht allzuviel weiß und nicht allzuviel informiert ist, so verfährt, der handelt nicht pflichtgemäß.
Freilich müssen wir der Öffentlichkeit sagen, was sie in einem solchen Fall zu tun hat. Das geschieht auch von seiten der Bundesregierung. Frau Bundesministerin, wäre nicht einmal die Veranlassung gegeben, die Öffentlichkeit in einer Broschüre darauf aufmerksam zu machen, wie die einzelne Familie durch eine gewisse Bevorratung - der Gedanke daran ist leider bei uns in der Bundesrepublik noch nicht allzusehr heimisch geworden - selbst 'dafür Sorge tragen kann, daß sie für den Ernstfall gewappnet ist?
Alles in allem glauben wir, daß wir mit diesem Ersuchen an die Bundesregierung, alles zu tun, was in ihren Kräften steht, um solchen Gefahren zu begegnen, das getan haben, was notwendig ist. Die Große Anfrage der SPD, die eine Woche später eingebracht wurde, ergänzt das. Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung in Verbindung mit den Ländern auf dem besten Weg ist, ihre Pflicht für 'den Fall zu tun, daß eine solche Gefahr drohen sollte.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bechert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein verehrter Vorredner, Herr Dr. Dittrich, sagte eben: Wer so verfährt, der handelt nicht pflichtgemäß. Wer also die Öffentlichkeit vor diesen Gefahren warnt, der handelt nicht pflichtgemäß.
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- Das war aber der Sinn der Aussage.
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Das bedeutet also: Albert Schweitzer hat unrecht. Das bedeutet: die 9000 Wissenschaftler, die vor der Fortsetzung der Atomwaffenversuche gewarnt haben, sind Idioten und Narren und haben zu Unrecht gewarnt. Ich verbitte mir eine solche Äußerung im Namen der Wissenschaftler,
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die angesichts ihres Wissens über das, was kommen kann, die Verantwortung fühlen, darüber zu reden.
Das ist auch der Sinn unserer Großen Anfrage. Es heißt ja im ersten Satz:
Angesichts der Wiederaufnahme von Atombombenversuchen in der Atmosphäre durch die Sowjetunion ist im Frühjahr 1962 mit einem verstärkten Befall durch radioaktive Stoffe zu rechnen.
Das ist die Meinung aller sachverständigen Meteorologen, aller führenden Wissenschaftler auf diesem Gebiet, die sich zu dieser Frage geäußert haben. Es ist weiter die Meinung der führenden Wissenschaftler, daß eine sehr viel größere radioaktive Bedrohung infolge der neuen Atomwaffen306
versuche auf uns zukommt, als das bisher der Fall war.
Es ist jetzt etwa sechs Jahre her, daß ich in der deutschen Öffentlichkeit als erster auf diese Gefahren, die kommen können, hingewiesen habe. Ich hatte darauf hingewiesen, .daß die Radioaktivität des Regens damals - 1956 - und schon einige Zeit vorher - 1955 und 1954 - bedenklich hoch gewesen war. Seinerzeit hat die Bundesregierung wesentlich anders geantwortet, als sie es heute tut. Ich hatte damals darauf aufmerksam gemacht, daß die radioaktive Verseuchung des Regens für die Menschen, die Regenwasser als Trinkwasser verwenden müssen, weil sie keine anderen Wasserquellen zur Verfügung haben, eine Gefährdung bedeuten könne. Damals hatte die Bundesregierung die Kühnheit, durch ihren Sprecher antworten zu lassen, es seien ja nur einige wenige Höfe im Hochschwarzwald, auf denen Regenwasser als Trinkwasser verwendet werde. Damals war Atomminister der jetzige Verteidigungsminister Strauß. Heute hat man etwas anderes gehört.
Von der Sprecherin unserer Fraktion, der Kollegin Dr. Hubert, ist darauf hingewiesen worden, daß Professor Hinzpeter von der Technischen Hochschule Hannover, der im Auftrage der niedersächsischen Regierung diese Probleme zu bearbeiten hat, im Oktober vorigen Jahres betont hat, daß allein in Niedersachsen etwa 300 000 Menschen auf Regenwasser als Trinkwasser angewiesen sind. Vorhin hat uns die Frau Bundesministerin für das Gesundheitswesen versichert, daß sich diese Zahl unterdessen verringert habe. Worauf geht das zurück? - Darauf, daß die Warner - ich gehöre zu denen, die zuerst gewarnt haben - verlangt haben, daß das geändert wird, daß für diese Menschen die Wasserversorgung auf Grundwasser umgestellt wird!
Nebenbei gesagt: wie notwendig es ist, in dieser Frage aufklärend zu wirken, das haben die Äußerungen, die hier im Bundestag getan worden sind - auch die Antwort des Bundesministeriums für Gesundheitswesen - ganz deutlich gemacht.. Das hat auch die Äußerung gezeigt, die sich der Herr Bundesinnenminister Höcherl vor kurzem im Fernsehen geleistet hat, nämlich, daß nach einem Atomwaffenangriff, nach einer Atomwaffenexplosion der radioaktive Befall auf den Boden nur einige Wochen dauere und die Gefahr dann vorbei sei. Das zeigt, wie notwendig die Aufklärung ist. Die Wissenschaftler wissen, daß es Jahre dauert, bis die radioaktiven Stoffe einigermaßen vollständig wieder auf der Erde gelandet sind.
Es sind einige Gebiete in der Bundesrepublik genannt worden, in denen Regenwasser als Trinkwasser verwendet wird. Es ist aber nicht davon gesprochen worden, daß das nicht nur in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen der Fall ist. Es gibt Landgemeinden am Rand des Neckartals, in der Rauhen Alb, im Hochschwarzwald, in denen Regenwasser als Trinkwasser verwendet wird.
Die Öffentlichkeit hat nicht erfahren, daß der Boden durch die Niederschläge der letzten Monate sehr viel stärker radioaktiv verseucht worden ist, obwohl die Aufklärungsaktion der Bundesregierung angeblich den Zweck hatte, die Bevölkerung über das zu unterrichten, was an radioaktiver Gefährdung zur Zeit gegeben ist. Wir haben nichts darüber erfahren, wie hoch die Radioaktivität des Regens war.
Wie steht es überhaupt mit der Zuständigkeit? Es ist uns heute versichert worden, zuständig sei das Bundesministerium für Gesundheitswesen.
Am 27. November vorigen Jahres hat der Deutsche Wetterdienst auf Anweisung des Bundesverkehrsministeriums damit begonnen, die Radioaktivität der Luft in den Wetterberichten bekanntzugeben. Das geschah dann einige Wochen lang, von Ende November bis Mitte Dezember. Schon lange steht nichts mehr darüber in der Zeitung.
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Aber das Wesentliche ist - alle Sachverständigen haben es als wahrscheinlich vorausgesagt -: nicht die Radioaktivität der Luft ist das Bedenkliche. Professor Hinzpeter hat z. B. vor vielen Monaten darauf hingewiesen, daß es nicht um die Radioaktivität der Luft, sondern um die der Niederschläge geht. Über die Stärke der Radioaktivität der Niederschläge ist uns aber nichts berichtet worden. Daß es darum geht, konnte der Herr Bundesverkehrsminister natürlich nicht wissen. Das Bundesatomministerium hätte ihn aber darauf aufmerksam machen können, daß nicht die Veröffentlichung der Radioaktivität der Luft, sondern die der Niederschläge notwendig gewesen wäre. Ich werde später die Zahlen nennen. Ich habe sie vom Präsidenten des Deutschen Wetterdienstes auf meine Bitte zugeschickt bekommen. Ich werde dann auch von den Mittelwerten sprechen, die Herr Dr. Dittrich als weit unter der höchstzulässigen Grenze liegend bezeichnet hat. Ich werde Ihnen deutlich machen, ob das richtig ist oder nicht.
Ich wiederhole: man hat der Öffentlichkeit nur mitgeteilt - was die Fachleute von vornherein als wahrscheinlich angenommen haben; auch das Atomministerium hat das gewußt -, daß es nicht zu einer Überschreitung der höchstzulässigen Menge in der Luft kommen könne. Man hat aber nur von der Radioaktivität der Luft und nicht von der der Niederschläge berichtet.
Herr Abgeordneter Dr. Bechert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Geisendörfer?
Bitte !
Herr Kollege, sind Sie nicht darüber im Bilde, daß in der Presse tatsächlich noch immer über die Radioaktivität berichtet wird? Sie haben vorhin festgestellt, daß Berichte über die Radioaktivität nicht mehr erscheinen.
Ich darf gleich antworten. In den großen Tageszeitungen, z. B. in der „FrankfurDr. Bechert
ter Allgemeinen" und in der „Welt", wird die Radioaktivität der Luft nicht mehr angegeben.
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- Heute habe ich die Zeitung noch nicht gesehen.
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Bis Mitte Dezember wurde sie angegeben und dann nicht mehr. Aber viel wesentlicher ist doch dies: es wurde nur die Radioaktivität der Luft und nicht die der Niederschläge angegeben; d. h. das, was harmlos ist, ist berichtet worden, und nicht das, was bedenklich ist.
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- Lassen Sie mich dies zunächst darstellen, bevor Sie mit weiteren Fragen kommen, auf die zu antworten ich dann gern bereit bin.
Lassen Sie mich zunächst darstellen, wie es mit der Radioaktivität der Niederschläge wirklich bestellt war.
Herr Abgeordneter Bechert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dittrich?
Wenn sie sich auf den Zusammenhang bezieht, ja.
Herr Abgeordneter Dittrich!
Herr Professor Bechert, wissen Sie nicht, daß sämtliche Tageszeitungen sowohl die Messungen der Radioaktivität des Wassers als auch der Luft ständig erhalten können und daß die Tageszeitungen, die sich anfänglich bemüht haben, die Meßwerte abzudrucken, allmählich dazu übergegangen sind, sie nicht mehr abzudrucken, daß nur einzelne Tageszeitungen der Bundesrepublik sie noch aufnehmen, beispielsweise „Die Welt", die fortlaufend Angaben über die Radioaktivität des Wassers und der Luft bringt?
Das ist einfach nicht nichtig. Die Radioaktivität der Niederschläge ist in keiner mir bekannten großen Tageszeitung bekanntgegeben worden. Nie, an keinem einzigen Tag! Nennen Sie mir einen Tag!
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- Doch, aber das ist keine Tageszeitung - davon will ich gleich sprechen -, sondern das ist eine Information, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit erscheint. Ich will sie Ihnen gleich beschreiben. Ich sprach davon, daß in den Tageszeitungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, die Radioaktivität der Luft, von der jeder Fachmann voraussehen konnte, daß sie mit großer Wahrscheinlichkeit harmlos bleiben würde, veröffentlicht worden ist, nicht aber die Radioaktivität der Niederschläge.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Geisendörfer?
Ja, bitte!
Frau Abgeordnete Geisendörfer!
Herr Kollege, sind Sie sich darüber im klaren, daß diese Informationen des Bundesatomministeriums allen Tageszeitungen zugänglich sind und daß das dazu anregen soll, sie der Offentlichkeit zugänglich zu machen? Darf ich Sie fragen, ob Sie nicht gelesen haben, daß einige Zeitungen festgestellt haben: Die Meldungen des Atomministeriums zeigen uns, daß wir hinsichtlich des Grades der Überwachung durch die zuständigen Stellen beruhigt sein können und daß es deswegen nicht mehr nötig ist, diese Berichte laufend zu veröffentlichen? Im übrigen möchte ich Sie aber fragen, ob es nicht möglich ist, daß Sie nicht regelmäßig die Veröffentlichungen in den großen Tageszeitungen verfolgt haben, von denen einige trotzdem immer noch weiter laufend diese Meldungen abgedruckt haben.
Ich wiederhole, weil ich offenbar nicht richtig verstanden worden bin: In den großen Tageszeitungen ist die Radioaktivität der Luft, niemals die der Niederschläge bekanntgegeben worden. Widerlegen Sie es, wenn Sie es können. Sie haben es nicht widerlegt.
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Ich möchte nun von der Radioaktivität der Niederschläge sprechen. Wenn nicht im einzelnen nachgemessen ist, um welche radioaktive Stoffe es sich handelt, insbesondere wenn zum Beispiel nicht nachgemessen ist, wieviel Strontium 90 in dem radioaktiven Niederschlag enthalten ist, dann gilt nach den Euratom-Grundnormen, nach der Ersten Strahlenschutzverordnung Anlage II - Sie können sie nachlesen, ich habe sie hier und kann Ihnen die Seitenzahl zitieren - und im Zusammenhang damit nach § 42 dieser Strahlenschutzverordnung als höchstzulässige Menge 100 Picocurie pro Liter Niederschlag. Das steht gedruckt und hat für uns in der Bundesrepublik Gesetzeskraft.
Sehen Sie sich bitte einmal die Messungen des Deutschen Wetteramtes an. Im November lagen die Mittelwerte - also die Durchschnittswerte, nicht die Einzelwerte, Herr Dr. Dittrich - bei 15 von den 16 Stationen des Deutschen Wetterdienstes nicht in der Gegend von 100 Picocurie pro Liter und darunter, sondern über 1000, in Hannover über 7000. Ich habe die Meßwerte von dem Präsidenten; ich kann sie Ihnen runterreichen. Einzelwerte lagen - das hat Herr Dr. Dittrich mit einem einzigen Wert belegt - in der Größenordnung von 52 000. In der Station Hannover sind an aufeinanderfolgenden Tagen Meßwerte von 12 000, 21 000 und 42 000 gefunden worden. Diese Werte liegen über der höchstzulässigen Grenze von 100 Picocurie pro Liter, und
die Durchschnittswerte liegen ebenfalls weit über dieser Grenze. Sie liegen sogar weit über 1000. Im Oktober waren die Werte geringer. Aber bei einer ganzen Reihe von Stationen lagen sie über 1000 und bei allen erheblich über 100.
Herr Abgeordneter Bechert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Pannhoff?
Einen Augenblick! Ich möchte den Gedanken noch zu Ende führen. - Im Dezember - ich habe die Meßwerte bis 16. Dezember einschließlich - gingen die Meßwerte herunter.
Die Meßwerte von Oktober bis Dezember zeigten, da ja die Hauptmenge der Radioaktivität nach der Meinung aller Wettersachverständigen erst in diesem Frühjahr zu erwarten ist, d. h. da wir von Februar bis etwa Mai mit noch sehr viel höheren Mengen zu rechnen haben, wie notwendig es gewesen wäre, darauf hinzuweisen, daß es mit der Radioaktivität durchaus nicht so harmlos bestellt ist, wie uns das auf Grund der Messungen über die Radioaktivität der Luft gesagt wurde. Dabei wurde immer wieder beruhigend hinzugefügt, daß sie ja noch weit unter dem höchstzulässigen Wert liege. Die Meßwerte zeigen vielmehr, daß es notwendig gewesen wäre, auch die Radioaktivität der Niederschläge in der Presse bekanntzugeben.
Ich wiederhole: Der Bundesverkehrsminister hat nur Anweisung gegeben, die Radioaktivität der Luft bekanntzugeben. Der Herr Bundesatomminister hat es im deutschen Rundfunk am 26. November so gesagt. Im Bulletin der Bundesregierung können Sie beim Nachlesen feststellen, daß er es so gesagt hat. - Bitte!
Herr Professor Bechert, Sie haben vorhin bei der Angabe der Zahlen, der Einzelwerte und der Mittelwerte, erschrekkend hohe Zahlen für die Zeit im Anschluß an die Detonation der Superbomben angegeben, wie sie auch tatsächlich festgestellt sind, und haben daraus abgeleitet, daß die in der Strahlenschutzverordnung angegebenen Höchstgrenzen überschritten sind.
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Ich frage Sie: Wissen Sie oder wissen Sie nicht, daß Mittelwerte für das ganze Jahr und nicht für den einzelnen Monat zu berechnen sind? Wir müssen die Mittelwerte doch auf das ganze Jahr beziehen. Das wissen Sie doch!
Sie irren sich, Frau Kollegin. In den Berichten des Atomministeriums werden ja auch jeweils die Mittelwerte für den einzelnen Monat angegeben. Das ist durchaus üblich. Man kann natürlich die Zahlen auch auf das Jahr beziehen. Wenn man verharmlosen will, kann man es für das vorige Jahr so machen, obwohl im ersten Teil des Jahres die Atomwaffenversuche seit 2 1/2 Jahren eingestellt waren und die Radioaktivität erst in den letzten Monaten in Massen herunterkam. Wenn Sie dann durch 12 dividieren, erhalten Sie natürlich einen kleinen Wert.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Aber Herr Professor Bechert, sind die international festgelegten Höchstgrenzen nicht doch
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auf das ganze Jahr und nicht auf den Monat zu beziehen?
Sie sollen im Durchschnitt nicht überschritten werden. Wenn Sie den Durchschnitt für ein Jahr errechnen, in dem nichts geschehen ist, bekommen Sie natürlich einen niedrigen Wert. Wir haben deswegen gewarnt, weil die Radioaktivität in den Monaten seit dem Wiederbeginn der russischen Atomwaffenversuche bedrohlich gestiegen war.
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Da beziehen wir uns selbstverständlich auf das, was passiert ist, und nicht auf das, was vorher war, wo keine Atomwaffenversuche stattgefunden hatten.
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Ich sprach eben von der Höchstgrenze, die nicht überschritten werden soll und die für uns gesetzlich bindend ist. Sie können nicht darüber hinweg. Der Bundestag hat es so beschlossen, und in den Euratom-Grundnormen steht es, daß die Zahl 100 Picocurie nicht überschritten werden darf. Der Herr Vizekanzler hat in dem Schreiben, mit dem er diese Grundnorm dem Bundestag zur Beschlußfassung zugeleitet hat, darauf hingewiesen, daß es sich um Mindestanforderungen handelt.
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- Ich habe ja nicht von einzelnen Niederschlägen gesprochen, sondern von Monatsdurchschnitten, und deren Werte lagen weit über hundert, ja weit über tausend Picocurie pro Liter.
Nun möchte ich von dem sprechen, was zu beachten ist, wenn man weiß, welche gefährlichen Stoffe im Niederschlag vorhanden sind, wenn man festgestellt hat, wieviel von dem Element Strontium 90, das ja zur Zeit der gefährlichste dieser Stoffe ist -nicht in der Nähe des Ortes der Atomwaffenversuche, da sind noch andere Stoffe mit gefährlich -, im Niederschlag oder im Trinkwasser, insbesondere im Zisternenwasser, vorhanden ist. Wie Sie in einem physikalischen Nachrichtenorgan vom Oktober vorigen Jahres nachlesen können, hat das Gesundheitsamt der Vereinigten Staaten als Maßzahl für die höchstzulässige Menge von Strontium 90 in Trinkwasser die Menge von 10 Picocurie pro Liter festgesetzt.
Wenn Sie sich ansehen, was das Bundesatomministerium im Frühjahr 1961, d. h. zu einer Zeit, wo seit mehr als zwei Jahren keine Atomwaffenversuche stattgefunden hatten, über die Zisternenwasserverseuchung in Niedersachsen und Schleswig-Holstein veröffentlicht hat, dann werden Sie als Vierteljahres-Mittelwert zwei Picocurie pro Liter finden. Das ist ein Fünftel der höchstzulässigen Menge, und zwar zu einer Zeit, ich wiederhole es, wo seit zwei Jahren keine Atomwaffenversuche mehr stattgefunden hatten. Es war also sehr nötig, daß wir diese Große Anfrage eingebracht und verlangt haben, daß für die Menschen etwas geschieht.
Ich habe vorhin gesagt, es sei etwa sechs Jahre her, daß ich angefangen hätte, in der deutschen Öffentlichkeit auf diese Gefahren hinzuweisen. Ein Angehöriger der CDU/CSU-Fraktion hat mir vor einigen Jahren gesagt, weshalb ihre Fraktion damals gegen diese Warnungen gewesen sei. Er hat mir gesagt: Unsere Fraktion steuerte damals auf die Atombewaffnung zu.
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Am 1. September vorigen Jahres, an dem Tag, an dem die deutschen Zeitungen von der bevorstehenden Wiederaufnahme der russischen Atomwaffenversuche berichteten, habe ich den Bundesatomminister in einem Brief darum gebeten, die deutsche Öffentlichkeit über den Stand der Radioaktivität aufzuklären. Was geschehen ist, habe ich schon berichtet. Der Atomminister hat selber gesagt, daß der Bundesverkehrsminister das Bundeswetteramt angewiesen habe, die Radioaktivität der Luft, also nicht die der Niederschläge, bekanntzugeben. Ich frage: Was soll man daraus schließen, daß diejenige Stelle, die gewußt hat, daß wahrscheinlich nicht die Radioaktivität der Luft, sondern die der Niederschläge bedrohlich werden würde, mindestens gewußt haben muß, daß der Bundesverkehrsminister nur die Radioaktivität der Luft bekanntgeben lassen wollte?
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Ich sprach vorhin von den wirklichen Meßwerten. Sie nannten das Informationsblatt des Bundesatomministeriums „Atom und Wasser", das Blatt mit dem blauen Rand; Sie haben es vorhin vorgezeigt. Es erscheint, wie ich sagte, mehr oder weniger unter Ausschluß der Öffentlichkeit, d. h. es wird an die Interessenten verschickt, und die Art seiner Darstellung der Radioaktivitätsmenge kann man nicht als gemeinverständlich bezeichnen. Vor allen Dingen möchte ich darauf hinweisen, daß in diesem Informationsblatt zwar gelegentlich auch die Radioaktivität der Niederschläge angegeben war, nicht aber die Radioaktivität der Niederschläge an den Meßstationen, wo sie am höchsten war. Die Werte von Schleswig und München sind angegeben worden, nicht aber der Wert von Nürnberg, der besonders hoch war, nicht der Wert von Hannover, wo im November eine außerordentlich hohe Radioaktivität zu verzeichnen war, nicht die Werte von Oberstdorf und von Norderney, wo die Zahl von 53 000 Picocurie pro Liter erreicht worden ist!
Die Radioaktivität des Bodens ist ebenfalls stark gestiegen. Wir haben in dem Bericht des Atomministeriums „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung" vom ersten Vierteljahr 1961 den Zahlenwert - als Mittelwert vom März 1961 - genannt bekommen; das war zu einer Zeit, als sich die kleinen französischen Atomwaffenversuche in dem Grad der Verseuchung auswirkten, und zwar mit 0,8 Millicurie, also mit rund 1/1000 Curie, pro qkm. Es ist der deutschen Öffentlichkeit nicht bekanntgegeben worden - auch nicht in den Informationen „Atom und Wasser" -, daß z. B. an der Station Essen die Radioaktivität, die im Monat November dem Boden zugeführt worden ist, rund das 300fache der Radioaktivität betragen hat, die ich gerade genannt habe und die mit durch die französischen Atomwaffenversuche hervorgerufen war. In Essen hat man im November vorigen Jahres 250 Millicurie pro qkm gemessen.
Der Verseuchungsgrad unserer Durchschnittsnahrung im Bundesgebiet hängt davon ab, von welchen Lebensmitteln wir hauptsächlich das Kalzium - den Kalk - beziehen. Bei der Ernährung des Bundesbürgers sind die Hauptkalklieferanten im allgemeinen Milch und Milchprodukte, Käse, Quark usw. Die Milch war, im Vergleich zu anderen Lebensmitteln, verhältnismäßig wenig verseucht, nämlich nur mit etwa 1/10 der Verseuchung, die die Getreideerzeugnisse der verschiedensten Arten aufwiesen. Wie ich schon sagte, ist die Milchverseuchung für die Durchschnittsverseuchung der Nahrung, die wir zu uns nehmen, maßgebend. Sie lag in den letzten Jahren in der Größenordnung von 10 bis 15 Strontiumeinheiten. Was das Strontium 90 in den Knochen anlangt, gelten 100 Strontiumeinheiten als höchstzulässig.
Wir halten es für notwendig, daß die Bundesregierung dann, wenn die Radioaktivität im Frühjahr dieses Jahres wesentlich steigen sollte, der Bevölkerung den Rat gibt, die Ernährung nicht zu sehr auf Brotgetreide und Getreideerzeugnisse abzustellen, weil das Getreide erheblich höher verseucht ist. Das war in den letzten Jahren schon immer der Fall. Da lag die Getreide-Verseuchung in der Größenordnung von 100 bis 150 Strontiumeinheiten. Nordamerikanisches Getreide zu kaufen und einzulagern, liegt, wenn ich recht verstanden habe, nicht in der Absicht der Bundesregierung. Das würde ich auch nicht anraten. Denn amerikanisches Getreide war in den letzten Jahren mit bis zu 660 Strontiumeinheiten verseucht. Das hängt damit zusammen, daß die Amerikaner den Blödsinn der Atomwaffenversuche in ihrem eigenen Land machen.
Die Völker, bei denen die Ernährung wesentlich auf Getreide und Getreideerzeugnissen beruht, die Inder und die Japaner, sind sehr viel schlechter daran als wir. Bei ihnen betrug die Strontiumverseuchung in der Nahrung bereits 1959 rund 88 Strontiumeinheiten. Wenn also bei uns jemand seine Ernährung von Milch auf Getreide umstellen würde, wäre er ebenfalls etwa so schlecht daran wie die japanische und die indische Bevölkerung.
Es kann notwendig werden, der Bevölkerung zu empfehlen, wenn stark radioaktiver Regen gefallen
ist, die Dinge, die draußen im Garten wachsen und auf dem Felde stehen, nicht ungewaschen zu verwenden oder überhaupt nicht zu verwenden. So hat die schwedische Regierung dem schwedischen Innenminister Vollmacht gegeben, anzuordnen, dann, wenn die Radioaktivität sehr hoch steigen sollte, Lebensmittel aus dem nördlichen Teil des Landes nicht ausführen zu lassen und zu verbieten, daß solche Lebensmittel überhaupt verwendet werden. Solche Anordnungen können auch bei uns notwendig werden. Ich erinnere daran, daß die japanische Regierung vor einigen Jahren ihre Bevölkerung hat warnen müssen, Obst und Gemüse aus gewissen Teilen Japans zu verwenden, weil sie zu hoch radioaktiv verseucht waren.
Da entsteht eine Frage, die heute noch nicht angesprochen worden ist: Wer ersetzt dann den Erzeugern und den Händlern den Schaden, wenn sie ihre Erzeugnisse nicht absetzen? Wen will die Bundesregierung dann zur Zahlung anhalten? Die Bundesregierung ist eine der Regierungen, die in Moskau nicht gegen die Atomwaffenversuche protestiert haken.
Es kann dann nötig werden - das hat Frau Bundesministerin schon gesagt -, der Bevölkerung zu empfehlen, das Milchvieh nicht auf die Weide zu treiben oder frisches Gras, das hochradioaktiv sein kann, nicht zur Fütterung zu verwenden. Ich frage: Hat die Regierung vor, die Bevölkerung zu warnen, wenn es stark radioaktiv regnet? Hat sie vor, der Bevölkerung zu raten, wie sie sich dann zweckmäßigerweise verhält? Oder will sie das Verfahren fortsetzen, daß wir nur das Harmlose in den Zeitungen erfahren?
Herr Dr. Dittrich hat betont, daß die Körperverseuchung gering sei. Das ist nicht nichtig. Ich beziehe mich gerade auf einen Forscher, den er selbst als Autorität genannt hat, auf Dr. Pribilla vom Milchforschungsinstitut des Bundes in Kiel. Es gibt einen Bericht, den das Bundesatomministerium selbst veröffentlicht hat - es ist der vierte Vierteljahresbericht von 1960 - und in dem dargestellt ist, wie die Strontium-90-Verseuchung in menschlichen Fortpflanzungsorganen im Jahre 1960 war. Sie lag im Durchschnitt bei 15 Strontiumeinheiten. Bedenken Sie, daß in Knochen 100 Strontiumeinheiten als höchstzulässig gelten, und bedenken Sie, daß es sich um Fortpflanzungsorgane handelt, wo schon geringste Strahlungsmengen Erbschäden verursachen können, wo Sie also die höchstzulässige Menge von 100 Strontiumeinheiten gar nicht zum Vergleich heranziehen können. Solche Verseuchung kann man nicht als unbedenklich bezeichnen. Es ist zu erwarten, daß diese Verseuchung durch die Radioaktivität, die jetzt herunterkommt, anwächst, wenn man sich unzweckmäßig ernährt und verhältnismäßig viel Strontium in den Körper bekommt. Nachfolgende Generationen in kommenden Jahrhunderten werden dann den Schaden zu tragen haben, wenn wir heute nicht verantwortungsbewußt handeln.
Herr Dr. Dittrich hat mit Recht gesagt, die Einstellung der Atomwaffenversuche sei das einzig wirksame Heilmittel für diesen Schaden. Ich meine, der Bundestag sollte eine Entschließung fassen und von den Großmächten verlangen, daß die Atomwaffenversuche eingestellt werden.
({5}) Das gilt für alle.
({6})
- Wir sollen es den Russen sagen, der Deutsche Bundestag!
Herr Dr. Dittrich hat gesagt, die Angst solle man nicht vertiefen und man solle keine Atomangst erzeugen. Ich habe vorhin schon einige Kronzeugen der Warnung genannt. Ich möchte hinzufügen, daß jeder Bericht der Vereinten Nationen immer wieder die Forderung enthält, die Atomwaffenversuche einzustellen.
Herr Dr. Dittrich hat weiter gesagt, es bestehe keine unmittelbare Gefahr. Wenn eine unmittelbare Gefahr gegeben ist, dann ist es zu spät. Wir müssen vorher handeln.
({7})
Das ist der Sinn unserer Anfrage, und das ist sicher auch der Sinn Ihres Antrages.
({8})
Ein Mittel ist nicht genannt worden, ich möchte es hier kurz erwähnen. Man kann es für notwendig halten, der Bevölkerung zu empfehlen, dann, wenn es stärker radioaktiv regnen wird, wie es in diesem Jahr wahrscheinlich der Fall sein wird, mit Kalk zu düngen, weil das Kalzium das Strontium im Boden und in den Pflanzen, also in unserer Nahrung, verdrängt. Der Nobelpreisträger Pauling hat empfohlen, daß Erwachsene und vor allem Jugendliche und schwangere Frauen mehr Kalk zu sich nehmen, um die Aufnahme des gefährlichen Strontium herabzusetzen. Auch das sind Fragen, die bearbeitet werden müssen.
({9})
- Die Bundesregierung hätte längst handeln müssen. Ich will Ihnen gleich die Daten nennen, die zeigen, wie es mit der Bearbeitung steht.
Nachdem ich am 1. September an den Bundesatomminister geschrieben und gebeten hatte, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, und nachdem die CDU-Fraktion am 14. November den Antrag und wir, wenn ich mich recht erinnere, am 21. November die Anfrage eingebracht hatten, wurde am 21. Dezember 1961 von den Innenministern der Länder unter Vorsitz von Frau Bundesministerin Schwarzhaupt beschlossen, einen Ständigen Ausschuß zu bilden, der die Sache zunächst einmal beraten soll. Geschehen war da also noch nichts. Der Ausschuß soll Vorschläge für Maßnahmen zur Sicherung einwandfreier Lebensmittel in Zeiten erhöhter Radioaktivität erarbeiten. Er soll außerdem Vorschläge für ein einheitliches Warnsystem machen. Am 12. Januar dieses Jahres ist dieser Ausschuß zum ersten Mal zusammengekommen.
Es sind weiterhin im Bundesatomministerium drei Unterausschüsse gebildet worden. Das ist am 30. November 1961 beschlossen worden. Einer dieser Unterausschüsse wird am 5. Februar, ein anderer am 20. März dieses Jahres tätig. Das kann man nicht als sehr eiliges Handeln bezeichnen.
In der Regierungserklärung hat die Bundesregierung den Schutz der Gesundheit vor Strahlengefahren als dringliche Aufgabe bezeichnet. Es ist wirklich hohe Zeit, daß etwas geschieht. Auf mein Schreiben vom 1. September 1961 hat mir der Herr Bundesatomminister Mitte Oktober geantwortet. Er hat mir geschrieben, daß mit den Ländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein Verhandlungen wegen der Anschaffung von Filtergeräten geführt würden. Die Verhandlungen hätten das Ziel, daß solche Filtergeräte sowie entstrahltes Wasser der Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden könnten, wenn öffentliche Mittel dafür vorhanden seien. Mitte Oktober waren also noch keine da. Ich frage: sind jetzt solche Mittel vorhanden, und unter welchem Haushaltstitel und in welcher Höhe werden sie geführt? Darüber haben wir heute nichts gehört.
({10})
Zum Schluß möchten wir an die Bundesregierung die Auforderung richten, das zu tun, was getan werden kann und zum Schutz der Gesundheit unserer Bevölkerung getan werden muß. Sie können unserer Unterstützung dabei sicher sein.
({11})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Atomkernenergie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an das anknüpfen, was Herr Kollege Bechert zum Schluß gesagt hat. Ich glaube, wir sind in diesem Hause alle daran interessiert, die Gefahren, die aus der radioaktiven Verseuchung kommen, richtig zu beurteilen und zweckmäßige Maßnahmen zu ergreifen. Ich möchte aber dabei auf folgendes hinweisen. Es wird doch wohl keinen Zweck haben, diese Frage durch das Aufwerfen einer Schuldfrage beantworten zu wollen.
({0})
Wir haben heute über zwei Fragenkomplexe der Radioaktivität gesprochen. Das eine ist die Gefahr, die aus technischen Anlagen herrührt, das andere ist die Gefahr, die aus Atombombenversuchen oder aus ernsthaften Angriffen entsteht oder entstehen kann. Es handelt sich um zwei grundsätzlich verschiedene Gebiete des Strahlenschutzes.
Gegen die Gefährdung durch radioaktive Anlagen können die Schutzmaßnahmen am Orte der Gefahr getroffen werden. Wir können also technische Anlagen und die Verwendung radioaktiven Materials und radioaktiver Strahlen dadurch ungefährlich machen, daß wir Schutzvorrichtungen am Gerät anbringen und Schutzmaßnahmen an den Verwendungs- und Erzeugungsstellen treffen. Das geschieht, und wir können heute, ohne überheblich zu werden, sagen, daß technische Anlagen auf der Welt relativ, im Rahmen des menschlich Möglichen, strahlungsfrei gehalten werden können. Das ist teuer und umständlich, aber es ist technisch möglich.
Schwieriger wird .das natürlich in einem Bereich, auf den ich heute nicht einzugehen habe, nämlich auf dem Gebiete der medizinischen Verwendung radioaktiver Präparate. Dieses Problem betrifft das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten, in das der Gesetzgeber im allgemeinen nicht eingreift und das vom ärztlichen Verantwortungsbewußtsein bestimmt werden muß.
Bei der radioaktiven Gefährdung durch den sogenannten Fall out, dem radioaktiven Ausfall aus Anlaß von Atombombenversuchen, handelt es sich um eine Gefährdung, bei der man die Schutzmaßnahmen nicht an der Quelle ansetzen kann. Praktisch ist die gesamte Lebewelt auf der Erde - nicht nur der Mensch - dieser Gefahr ausgesetzt. Sie addiert sich zu einer anderen radioaktiven Gefahr, an die wir uns längst gewöhnt haben, nämlich der natürlichen Radioaktivität, die aus der Entstehung der Erde stammt.
Es hat gar keinen Sinn, meine Damen und Herren, daß wir hier durch die Diskussion von Meßwerten, Durchschnittswerten und Zahlen den Eindruck erwecken, als ob die Gefahr beseitigt werden könnte, wenn wir die Zahlen genauer ermittelten oder wenn wir sie besser mitteilten oder häufiger veröffentlichten. Die Gefahr liegt in der Radioaktivität und nicht in den Mitteilungen darüber.
Nun wird behauptet, wir teilten nicht genug mit, was geschieht. Herr Kollege Bechert hat unsere Mitteilungen fleißig zitiert; also muß es sie doch wohl geben. Wir veröffentlichen das, was die Tagespresse nach ihrer Struktur aufnehmen kann, in Informationen, die in einer Auflage von 1800 Stück wöchentlich an die Presse und sonstige Interessenten hinausgehen.
({1})
Wir haben natürlich kein Mittel, die Presse zu zwingen, diese Mitteilungen abzudrucken.
Ich möchte hier auf eine Kuriosität hinweisen: Das Interesse der Presse und des Rundfunks an der Radioaktivität war sehr groß nach den russischen Atombombenversuchen, und wir hatten in unserem Ministerium durchschnittlich täglich sieben bis zehn Anfragen von Presse und ähnlichen Einrichtungen nach der Radioaktivität. Als die Sache mit dem Contergan bekannt wurde, hörten diese Nachfragen schlagartig auf, und heute interessiert sich bei der Presse anscheinend kein Mensch mehr für die Radioaktivität.
Andererseits, Herr Kollege Bechert, glaube ich, Sie tun der verantwortungsbewußten Presse Unrecht, wenn Sie sagen, sie berichte nicht mehr. Ich habe leider die Presseausschnitte nicht da; aber bei meinen Papieren habe ich etwas gefunden: Am 6. Januar dieses Jahres hat Professor Glubrecht, der Ihnen ja bekannt ist, in der „Hannoverschen Rundschau" einen sehr großen Artikel veröffentlicht; er
steht Ihnen zur Verfügung. Das ist ein Zeichen dafür, daß die Presse tatsächlich dauernd über diese Dinge berichtet, Gott sei Dank nicht mehr unter den schlagzeilenartigen Überschriften, als ob morgen die Welt unterginge.
Unsere Aufgabe ist also, durch sachliche Veröffentlichungen dafür zu sorgen, daß über die Radioaktivität sachlich berichtet werden kann. Ich betrachte es auch nicht als meine Aufgabe, dazu beizutragen, daß Geschäfte mit der Angst, die heute so beliebt sind, noch verstärkt betrieben werden können.
({2})
Ich muß Herrn Kollegen Bechert leider - ich tue es höchst ungern - noch in einem Punkt berichtigen. Wir veröffentlichen die Radioaktivität der Niederschläge; Sie können sie ja selbst bei uns nachlesen, und in den Vierteljahresberichten, die wir herausgegeben - ich kann sie hier unmöglich verlesen -, ist jede einzelne Meßstelle angeführt und angegeben, wo gemessen wird, was gemessen wird und was gefunden worden ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?
Bitte sehr!
Herr Minister Balke, Sie sagten soeben, man solle nicht mit der Angst Geschäfte machen. Das will sicher niemand. Ferner sagten Sie vorhin, man solle hier nicht irgendwie eine Schuldfrage aufwerfen. Darf ich Sie aber fragen - damals waren Sie ja für diese Fragen noch zuständig -: Woher kommt es, daß zum Beispiel die englische Regierung sehr bald nach den Atombombenversuchen der Sowjets ihrer Bevölkerung mitgeteilt hat: „Wir haben Vorräte an Kondensmilch usw. angelegt", und die Bundesregierung, wie uns Frau Dr. Schwarzhaupt soeben mitgeteilt hat, immerhin erst im November/Dezember Schritte unternommen hat? Mir scheint doch - und Sie werden mir hoffentlich recht geben -, daß unsere Große Anfrage hier der Bundesregierung etwas Antrieb gegeben hat.
Selbstverständlich, Frau Kollegin! Ich darf aber darauf hinweisen, daß bei der Struktur unseres Staates in allererster Linie die Gesundheitsbehörden der Länder zuständig sind, wenn es sich um den Gesundheitsschutz der Bevölkerung handelt. Die Bundesregierung hat erst eingegriffen, als sie den Eindruck hatte, der Föderalismus bedürfe in dieser Hinsicht einer kleinen Anregung.
({0})
- Nicht nur, Herr Kollege Mommer! Wir haben uns auch schon etwas dabei gedacht.
Ich darf jetzt aber auf einige Extremwerte eingehen, die Herr Kollege Bechert immer als Maßstab für die Gefährdung nimmt. Meine Damen und Herren, es ist doch auch unsere Aufgabe, bei diesen Überlegungen den Verstand zu behalten. Die Radioaktivität der Luft ist natürlich maßgebend für die Radioaktivität der Niederschläge; denn die Radioaktivität der Niederschläge kommt ja - durch Auswaschen - aus der Radioaktivität der Luft.
Nun werden Sie, je nachdem, welche Meßwerte Sie gerade erfahren, sehen, daß große Unterschiede in der Radioaktivität der Niederschläge bestehen. Zunächst wird beim Auswaschen natürlich die natürliche Radioaktivität mit ausgewaschen. Diese ist sehr kurzlebig und verschwindet nach einiger Zeit. Deshalb werden die Meßwerte im allgemeinen erst nach einer gewissen Abklingzeit bekanntgegeben. Das führt z. B. dazu, daß Sie Unterschiede in den Meßwerten vom selben Tage etwa in Niedersachsen oder in der Jülicher Kernanlage oder in Karlsruhe oder sonstwo feststellen können. Hier muß man berücksichtigen, eine wie lange Zeit von der Entnahme der Probe bis zur Messung vergangen ist. Das hat also physikalische Gründe.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Bundesminister, es muß Ihnen doch bekannt sein, daß alle Meßwerte des Deutschen Wetterdienstes so gewonnen sind, daß man diese Zeit des Abklingens der natürlichen Radioaktivität, also die 48 Stunden, abgewartet hat. Ich frage Sie: Ist Ihnen nicht bekannt, daß die Meßwerte, auf die ich mich bezogen habe und die ja vom Deutschen Wetterdienst stammen, wirklich nur die Aktivität aus den Atomwaffenversuchen betreffen und daß daher der Einwand, den Sie eben gebracht haben, sachlich nicht gerechtfertigt ist?
Herr Kollege Bechert, ich habe nicht von Ihren Werten, sondern davon gesprochen, daß Sie in Veröffentlichungen über die Meßwerte sehr unterschiedliche Zahlen finden können. Es kann also passieren, daß Sie einen Meßwert von Jülich finden, der mit dem aus Hannover oder Karlsruhe vom selben Tag nicht übereinstimmt, weil die Abklingzeit verschieden ist.
Aber bei den Werten in den Niederschlägen muß man auch berücksichtigen, welche Menge gemessen worden ist. Die extremen Werte, die Herr Kollege Bechert anführt, sind natürlich auch uns bekannt. Sie werden auch in den eingehenden Veröffentlichungen genannt. Ich habe hier z. B. einen Wert von Nürnberg vom 5. November vorigen Jahres. Er beträgt 47 100 Picocurie pro Liter. Das ist also ein ganz extremer Wert. Die gemessene Wassermenge, aus der dieser Wert stammt, waren 45 Kubikzentimeter.
({0})
Also man muß auch berücksichtigen, welche Wassermenge gemessen wird. Es gibt auch Werte aus sogenannten Dreitropfenregen, die natürlich ganz
enorme Werte bedingen, und man muß bedenken, daß die natürliche Radioaktivität mit ausgewaschen wird.
Meine Damen und Herren, wir haben in der ersten Strahlenschutzverordnung Werte festgelegt, die dazu geführt haben, daß das Abwasser aus kerntechnischen Anlagen eine geringere Radioaktivität als der natürliche Regen aufweist, auch wenn keine Atombomben fallen, weil die natürliche Radioaktivität nun einmal eben eine ständige Radioaktivität der Niederschläge bedingt.
Die entscheidende Frage - nicht nur für Herrn Kollegen Bechert, sondern für uns alle - ist die: Ist die Radioaktivität GO gefährlich geworden, daß die Regierungen der Länder so tiefgreifende Eingriffe in die Lebensweise der Bevölkerung - sichtlich der Ernährung und der sonstigen Lebensgewohnheiten - vornehmen müssen, wie es für nötig erklärt wird? Ich glaube, ehe man zu den Maßnahmen greift, die auch Herr Kollege Bechert hier als Ausfluß der Warnung vor der Gefährdung bezeichnet, muß man sich doch sehr genau überlegen, was das für Konsequenzen hat. So wird etwa erklärt: Milchernährung einstellen, auf Getreide umstellen! Oder: keine Nahrungsmittel mehr nehmen, die auf dem freien Feld gewachsen sind, ohne sie zu waschen! Womit waschen, wenn alles Wasser kontaminiert sein sollte? Bei all diesen Maßnahmen muß man doch überlegen, ob sie nötig sind
Aus den Urteilen darüber, was zweckmäßig und was notwendig ist, rühren die vielen Meinungsverschiedenheiten her, die auch hier in der Diskussion immer wieder aufkommen. Wir messen die Gefährdung nach einem internationalen Übereinkommen. Das sind Werte, die von einer internationalen Organisation - in diesem Fall von der ICRP - festgelegt worden sind. Man ist übereingekommen, zu erklären, daß eine Radioaktivität, die z. B. den Meßwert 100 überschreitet, gefährlich Ist. Auch das ist natürlich ein statistischer Durchschnittswert.
Ich darf für mich in Anspruch nehmen, meine Damen und Herren, daß ich auf diesem Gebiet weder in meinen wissenschaftlichen noch in meinen amtlichen Arbeiten den Ausdruck „Toleranzdosis" verwende, weil ich glaube, daß dieser Begriff der Toleranzdosis durch die genetischen Forschungen widerlegt worden ist. Aber wir müssen aus praktischen Gründen zu einem Übereinkommen kommen, das angibt, von welchem Wert an im statistischen Durchschnitt eine Gefährdung der Bevölkerung anzunehmen ist. Ich möchte also gar keinen Irrtum aufkommen lassen: Die Einhaltung eines statistischen Durchschnitts, auf eine sogenannte Population angewendet, auf soundso viel Millionen Menschen, bedeutet keinesfalls, daß nicht ein Individuum oder eine Region oder ein einzelner Punkt stärker gefährdet sein kann. Dieses Mißverständnis möchte ich von vornherein ausräumen. Wir reden also, wenn wir von Gefährdung sprechen - auch Herr Kollege Bechert tut das -, von der Überschreitung eines statistischen Durchschnittswertes, und es ist gar nicht gesagt, wenn wir unter einem Wert von Hundert oder X bleiben, 'daß dann nicht ein einzelner stärker betroffen werden kann. Das sollten wir uns klarmachen.
Deshalb, glaube ich, sollten wir nicht so viel Mühe l darauf verwenden, uns gegenseitig nachzuweisen, daß wir den einen oder anderen Meßwert anders interpretieren oder hätten genauer messen oder genauer bekanntgeben müssen, sondern wir sollten uns überlegen: Ist die Gefährdung so groß, daß wir diese tiefgreifenden Maßnahmen, die die Lebensweise der Bevölkerung sehr stark beeinflussen, verantworten können? Hier haben die Ärzte das Wort, und die Ärzte erklären bis heute: Wenn der statistische Durchschnittswert eingehalten wird, ist keine Gefährdung gegeben. Nichts anderes haben wir veröffentlicht.
In unseren sämtlichen Mitteilungen beziehen wir uns selbstverständlich auf die internationalen Durchschnittswerte. Wir wissen andererseits, daß diese internationalen Werte in den letzten zehn Jahren in den meisten Fällen laufend verschärft worden sind. Das hat seine guten Gründe, weil man natürlich in der Wissenschaft Fortschritte gemacht hat, insbesondere im Hinblick auf die genetischen Folgen. Eine Diskussion hierüber ist auch dadurch belastet, daß die somatische und die genetische Gefährdung meist miteinander verwechselt oder nicht unterschieden wird. Hierüber kann ich heute aus Zeitgründen nicht sprechen.
Ich glaube aber, es wäre nötig, jetzt gemeinsam zu überlegen: Können Bundestag und Bundesregierung zu Maßnahmen schreiten, die solche tiefgreifenden Wirkungen haben werden? Wir sind der Meinung, daß Vorbereitungen getroffen werden müssen. Das ist wieder eine Frage der Technik, also der Lagerungsmöglichkeit, auch der Finanzierung selbstverständlich, und der Organisation. Hierfür müssen natürlich die Gesundheitsbehörden der Länder in erster Linie sorgen. Das ist auch vernünftig, weil die Dinge regional verschieden sind und regional verschieden bleiben werden. Die Bundesregierung wird ihrerseits das Nötige veranlassen müssen, um Fragen, die in den Ländern nicht geregelt werden können, von sich aus zu regeln. Dafür bedürfen wir dann der Unterstützung dieses ganzen Hauses, und ich bin froh, daß Herr Kollege Bechert erklärt hat, in dieser Frage könne die Bundesregierung mit der Unterstützung des ganzen Hauses rechnen.
({1})
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, es ist vorgeschlagen, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zu überweisen an den - -Wollten Sie noch das Wort, Frau Abgeordnete Dr. Hubert?
({0})
- Eine Sekunde! Ich will nun erst einmal mitteilen, was vorgesehen ist: Ausschuß für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft - federführend - und Ausschuß für Gesundheitswesen - mitbera314
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
tend -. Dazu hat das Wort Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Herr Präsident, meine Herren und Damen! Wir haben jetzt ein Gesundheitsministerium, das auch für den Strahlenschutz zuständig ist. Ich wollte daher bitten, den Antrag an den Gesundheitsausschuß als federführenden Ausschuß zu überweisen und zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Atomkernenergie und und Wasserwirtschaft. Diese Bitte habe ich, und ich bitte .die Kollegen und Kolleginnen, dem zuzustimmen.
({0})
Frau Bundesminister für Gesundheitswesen, wollten Sie dazu das Wort?
({0})
Die Aussprache ist geschlossen, aber die Regierung hat nach dein Grundgesetz ein verbrieftes Recht, jederzeit das Wort zu nehmen.
({1})
- Wenn Sie das Wort nehmen, was ich Ihnen unmöglich verweigern kann, eröffnen Sie damit automatisch die Aussprache von neuem. Das wollten Sie nicht?
({2})
- ,Das möchten Sie? - Das Wort hat die Frau Bundesminister für Gesundheitswesen.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nur zu einer sehr speziellen Frage das Wort nehmen, weil ich meine, daß einige Äußerungen aus dem Diskussionsbeitrag des Kollegen Bechert nicht unerwidert bleiben sollten. Er hat sehr ausführlich über die Information der Öffentlichkeit gesprochen und der Presse dien Vorwurf gemacht, daß sie ihre Leser nicht hinreichend über die Gefahren informiere, die hier bestehen. Ich glaube, daß diese Vorwürfe nicht gerechtfertigt sind.
Das ganze Ziel dieser Debatte und auch der Erklärung, die ich für die Regierung abgegeben habe, war, Information, und zwar sachgerechte Information, zu geben. Daß dies bisher in dem Maße, wie eis vielleicht viele von uns gewünscht hätten, nicht möglich war, liegt meiner Meinung nach nicht an der Presse und nicht an einem Fehlen der Bereitschaft, hier die Wahrheit zu sagen. Die Schwierigkeiten liegen durchaus in der Sache. Das Gespräch zwischen Herrn Bechert und Herrn Minister Balke hat Ihnen gezeigt, um wie komplizierte, diffizile wissenschaftliche Begriffe es sich dabei handelt und wie schwer es ist, diese Dinge, denen wir selbst in manchen Punkten - das wollen wir doch offen sagen - nicht ganz folgen konnten, in die Sprache des Laien und des Lesers unserer Tagespresse zu übersetzen. Darin liegen die Schwierigkeiten. Was ist denn dem Leser unserer Tagespresse damit gedient, wenn er da etwas von 100 oder von 52 000 Picocurie liest? Es ist erforderlich, diese Begriffe ausführlich in die Sprache des Laien und dies Lesers zu übersetzen.
Ich habe von den ersten Tagen der Errichtung des Bundesgesundheitsministeriums an mit meinen Mitarbeitern über die Frage gesprochen, wie wir durch eine sachgerechte, redliche Information dem Volk hier das geben können, was es verlangen kann. Wie können wir einer vielleicht untergründigen, vielleicht vielfach verdrängten Furcht begegnen, indem wir klare Tatsachen mitteilen? Ich bin nämlich der Meinung, daß im Nebel Gefahren größer erscheinen und daß man durch redliche Information beruhigen kann und daß man das tun sollte. Ich habe in dier Erklärung, die ich verlesen habe, in Aussicht gestellt, daß wir von Zeit zu Zeit der Presse dm Rahmen des Übersetzbaren eingehende Informationen geben und auf diesem Gebiet mehr tun wollen. Insofern bin ich den beiden Fraktionen, die diese Debatte angeregt haben, und auch der Opposition, die damit ein legitimes Recht ausgeübt hat, dankbar, daß wir über diese Dinge in der Öffentlichkeit sprechen konnten.
({0})
- Ja, den Fraktionen, die das getan haben.
Wir werden in dieser Beziehung in der nächsten Zeit wahrscheinlich noch mehr tun. Aber ein Vorwurf, Herr Kollege Bechert, wäre doch nur berechtigt, wenn wir die gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse und die physikalischen Feststellungen, die hier zu treffen waren, der Wissenschaft vorenthalten hätten. Das aber haben wir nicht getan. Das Atomministerium hat laufend Veröffentlichungen herausgegeben, die den Wissenschaftlern zugänglich waren und die sie verwerten konnten. Daß die Tagespresse diese komplizierten und für den Laien auch leicht mißdeutbaren Mitteilungen nicht gebracht hat, ist ihr wirklich nicht zum Vorwurf zu machen.
Ich möchte wünschen, daß diese Debatte aller Fraktionen ein Ausgangspunkt dafür ist, daß die Öffentlichkeit über diese Fragen in Zukunft eingehender und in einer für den Laien verständlichen Weise unterrichtet wird.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Bechert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf das, was Frau Bundesministerin soeben gesagt hat, kurz antworten. Ich habe der Bundesregierung folgendes vorgehalten. Der Herr Bundesverkehrsminister hat das Bundeswetteramt angewiesen - angewiesen! -, nur die Radioaktivität der Luft in den Wetterberichten beDr. Bechert
kanntzugeben, also nicht, füge ich hinzu, die Radioaktivität der Niederschläge. So wie Sie die Radioaktivität der Luft bekanntgegeben haben, hätten Sie auch die Radioaktivität der Niederschlge bekanntgeben müssen. Das ist der eine Vorwurf. Und weiter!
({0})
- Einen Augenblick, bitte! Wenn Sie die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß unterrichten wollten, warum haben Sie dann nur das berichtet, was bei der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken mußte, die Sache sei harmlos? Diesen Eindruck hat man auch wirklich erweckt, wie ich durch Anruf beim Westdeutschen Rundfunk weiß, der mir gesagt hat: Das ist alles so minimal, das brauchen wir nicht zu veröffentlichen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Der Satz ist noch nicht zu Ende. - Warum haben Sie nur das veröffentlicht, was den Eindruck erwecken mußte, der Grad der Radioaktivität sei harmlos? Warum haben Sie nicht das veröffentlicht, was nach den Euratomgrundnormen als höchst bedenklich an Radioaktivität erscheinen muß?
Bitte, Herr Dr. Dittrich!
Herr Professor Bechert, bestreiten Sie, daß die Informationen des Bundesministers für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft - Pressestelle - der gesamten Presse zugänglich gemacht werden? Bestreiten Sie, daß die Presse die Möglichkeit hat und von der Möglichkeit Gebrauch machen kann, diese Werte sowohl hinsichtlich der Radioaktivität der Luft als auch des Wassers zu veröffentlichen?
({0})
Ich möchte zweierlei darauf antworten. Erstens: Ich habe schon vorhin gesagt, in diesem Informationsblatt sind nicht einmal die Höchstwerte d e r Stationen, die den höchsten Grad an Radioaktivität gemessen haben, veröffentlicht worden, sondern nur die anderer Stationen. Zweitens, ich wiederhole mit etwas anderen Worten: In den großen deutschen Tageszeitungen steht der tägliche Wetterbericht. Aus ihm erfährt man, was mit dem Wetter los ist. Da der Bundesverkehrsminister dem Bundeswetteramt den Auftrag gegeben hat, bei den täglichen Wettermeldungen die Werte über die Radioaktivität der Luft - ich setze hinzu: nur der Luft! - bekanntzugeben, haben also die großen Tageszeitungen an der Stelle, wo sie etwas über die Radioaktivität brachten, nur die Werte über die Radioaktivität der Luft gebracht. Sie haben das offenbar für ausreichend gehalten, weil das Bundesverkehrsministerium im Namen der Bundesregierung angeordnet hatte, daß nur die Werte über die Radioaktivität der Luft veröffentlicht werden. Das ist der Grund, weshalb die Presse nach meiner Ansicht so reagiert hat. Jedenfalls hat sie so reagiert. Die Bundesregierung hat genau gewußt, daß der Grad der Radioaktivität der Luft wahrscheinlich nicht bedenklich werden würde, daß aber die Radioaktivität der Niederschläge in den letzten Jahren schon bedenklich hoch war.
Keine weiteren Wortmeldungen. Auch diese Zusatzaussprache ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hatte vorgesehen, den Antrag Drucksache IV/15 an den Ausschuß für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft - federführend - zu überweisen. Es meldeten sich allerdings sofort Stimmen, die für die Überweisung an den Ausschuß für Gesundheitswesen als federführenden Ausschuß waren. Unser Sachverstand reichte aber nicht so weit, um definitiv zu entscheiden. Wir waren der Meinung, vorwiegend sei der Ausschuß für Atomkernenergie zuständig. Vielleicht besteht jetzt aber Einigkeit darüber, daß der Ausschuß für Gesundheitswesen federführend sein soll?
({0})
- Ich höre Widerspruch. Dann wird abgestimmt. Wer dafür ist, dem Ausschuß für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft die Federführung zu übertragen, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist sicher die Mehrheit. Diese Mehrheit deute ich so, daß der Ausschuß für Gesundheitswesen federführend sein soll. Der Antrag wird also an den Ausschuß für Atomkernenergie zur Mitberatung überwiesen.
Damit, meine Damen und Herren, ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung erachtet es als ihre Pflicht, das Hohe Haus mit den in Brüssel getroffenen Beschlüssen über eine gemeinsame Agrarpolitik in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bekannt zu machen.
Diese Beschlüsse haben schon allein dadurch eine außerordentliche Bedeutung erlangt, daß sie die politische Voraussetzung für den Schritt in die zweite Stufe der Übergangszeit zum Gemeinsamen Markt gewesen sind. Sie haben außerdem bewiesen, daß die in der EWG bisher schon festgestellte starke wirtschaftliche Dynamik sich fortsetzen konnte.
Die übrige freie Welt hat die Verhandlungen in Brüssel mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Sie sah in ihnen einen Prüfstein für die Fähigkeit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, mehr als nur Erklärungen abzugeben - nämlich echt und übernational, unter Hintanstellung der nationalen Sonderinteressen zusammenzuarbeiten. Damit wird der
316 Deutscher Bundestag 4. Wahlperiode Bundesminister Schwarz
Weg frei für die laufenden Verhandlungen über den Beitritt weiterer europäischer Staaten.
Die Bewertung des jetzt vollzogenen Schrittes kann nicht auf die. Landwirtschaft selbst beschränkt bleiben. Er stellt ein Politikum ersten Ranges dar. Der Welt ist damit bewiesen worden, daß die kommunistische These vom sterbenden und sich selbst zerfleischenden Kapitalismus nicht zutrifft. Vielmehr ist gerade die freie Welt imstande, neue Formen des Zusammenlebens der Völker zu finden, zum Wohle ihrer Bürger und im Geiste der Freiheit und der Würde des Menschen.
Während das selbständige Bauerntum in einem fortschreitenden Prozeß mit ungeheurer Grausamkeit in der kommunistisch beherrschten Welt vernichtet wird,- räumt die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft dem Bauerntum und damit der Landwirtschaft einen besonderen Platz ein; einen Platz,- der die speziellen Bedingungen dieses Berufsstandes berücksichtigt und ihm zugleich die volle Integration in Wirtschaft und Gesellschaft im gleichen Maße sichern soll, wie es bisher schon das Ziel der Bundesregierung war.
Der 2. Deutsche Bundestag hat in Erkenntnis dessen das Landwirtschaftsgesetz im Jahre 1955 verabschiedet. In den Spezialbestimmungen des EWG- Vertrages ist für die Landwirtschaft nicht nur fast der gleiche Wortlaut, sondern auch der gleiche Geist wie in unserem Landwirtschaftsgesetz enthalten.
Es gibt keinen Wirtschaftszweig, der in allen
Ländern so durch staatliche Maßnahmen beeinflußt wird wie gerade die Landwirtschaft. Angesichts der -unterschiedlichen nationalen Politiken sowie der historisch gewachsenen Strukturen ergibt sich ein völlig verschiedenartiges Bild der Landwirtschaft in den sechs Staaten der Gemeinschaft. Dem muß die landwirtschaftliche Integration besonders Rechnung tragen. Hier wird eine Integrationsform geschaffen, deren besonderes Kennzeichen eine gemeinsame Agrarpolitik ist. Andererseits sollen die in den Artikeln 38 bis 47 des Römischen Vertrages niedergelegten Spezialbestimmungen bewirken, daß dieser Integrationsprozeß besonders behutsam und unter Berücksichtigung der besonderen Belange der Landwirtschaft vorgenommen wird.
Um der Landwirtschaft der sechs Staaten eine gemeinsame Orientierung geben zu können, mußte zunächst einmal eine Bestandsaufnahme erfolgen. Sie geschah - gemäß Art. 43 des Vertrages - in einer Landwirtschaftskonferenz der Mitgliedstaaten, wobei zugleich die Grundlagen für die zukünftige gemeinsame Politik gelegt wurden.
Diese Konferenz, fand vom 3. bis 12. Juli 1958 in Stresa statt. Sie endete mit einer Entschließung der Mitgliedstaaten, die in einem Neun-Punkte-Programm Grundsätze für die gemeinsame Agrarpolitik geschaffen hat. Hierbei wurde unter anderem bestätigt, daß die Landwirtschaft als integrierender Bestandteil der Wirtschaft und als wesentlicher Faktor des sozialen Lebens anzusehen ist, daß zwischen der Politik zur Strukturverbesserung und der Marktpolitik eine enge Wechselbeziehung hergestellt werden muß, daß zwischen Produktions- und Absatzmöglichkeiten ein Gleichgewicht hergestellt werden muß, daß die Subventionen, die dem Geist des Vertrages widersprechen, zu beseitigen sind und daß alle Mittel eingesetzt werden müßten, um die Leistungskraft und die Wettbewerbsfähigkeit der Familienbetriebe angesichts ihrer Bedeutung für die Struktur der europäischen Landwirtschaft zu heben.
Die Europäische Kommission wurde ersucht, nach diesen Prinzipien ihre Vorschläge zur gemeinsamen Agrarpolitik zu unterbreiten.. Sie tat dies in einem Vorentwurf vom November 1959. Auf der Grundlage der hier entwickelten Ideen fand bald ein lebhafter Gedankenaustausch zwischen den Regierungen, der Wirtschaft, den Verbänden und allen sonstigen interessierten Stellen statt, der dazu führte, daß am 30. Juni 1960 die Kommission neue, überarbeitete Vorschläge vorlegte, zu denen der Wirtschafts- und Sozialausschuß der Gemeinschaft sowie das Europäische Parlament Stellung nahmen.
Am 20. Dezember 1960 entschied der Ministerrat der Gemeinschaft, daß als ein Mittel der gemeinsamen Agrarpolitik ein Abschöpfungssystem eingeführt und in zunehmendem Maße eine gemeinsame finanzielle Verantwortung für die Agrarpolitik der Gemeinschaft durch die Mitgliedstaaten übernommen werden könnte. Nachdem somit eine Grundlage und eine Übereinstimmung der Absichten der Mitgliedstaaten über die gemeinsame Politik geschaffen war, konnte die Kommission ihre endgültigen Vorschläge im Laufe des Jahres 1961 gemäß Art. 43 des Vertrages vorlegen. Sie waren die Grundlage für die Verhandlungen im Ministerrat vom November 1961 bis Januar 1962. Aufbauend auf den Erfahrungen der sechs Länder ist nun das Konzept für eine in die Zukunft weisende Agrarpolitik geschaffen worden. Zur Entscheidung standen Vorschläge über gemeinsame Marktregelungen für Getreide, Schweinefleisch, Eier, Geflügel, Obst und Gemüse sowie für Wein. Sie wurden ergänzt durch Entwürfe über die Festlegung von objektiven Grundsätzen für die Anwendung von Mindestpreissystemen nach Art. 44 des Vertrages, für die Erhebung von Ausgleichsabgaben bei gewissen Erzeugnissen, die aus landwirtschaftlichen Rohstoffen hergestellt werden, nach Art. 235 des Vertrages, für die Anwendung der allgemeinen Wettbewerbsregeln im Bereich der Landwirtschaft nach Art. 42 des Vertrages sowie für die Festlegung von Einfuhrkontingenten für Weine in die Bundesrepublik Deutschland sowie in die Republiken Frankreich und Italien.
Die Bundesregierung sah sich bei ihrer Stellungnahme zu den Vorschlägen in einer besonderen Situation. Die Bundesrepublik ist das größte Importland für Agrarerzeugnisse der Gemeinschaft; über 50 % der Agrarausfuhren der Partnerstaaten nimmt sie auf. Dazu kommt, daß die Bundesrepublik auch hinsichtlich der Preise für Agrarerzeugnisse ein besonders anziehender Markt ist. Das hatte zur Folge, daß sich die Wünsche der Partnerstaaten, die alle auf irgendeinem Gebiet Exportinteressen haben, sehr stark auf die Möglichkeit des Zuganges zum deutschen Markt ausrichteten. Die Bundesregierung mußte aber bei allem Verständnis für diese Wünsche
die Lage der deutschen Landwirtschaft berücksichtigen und die Ziele des Landwirtschaftsgesetzes beachten.
Aber nicht nur im Raume der Wirtschaftsgemeinschaft, sondern im weltweiten Maße ist die Bundesrepublik am stärksten von allen Mitgliedstaaten in den internationalen Handel verflochten. Ihre politische, insbesondere ihre handelspolitische Interessenlage gebot ihr, hierauf Rücksicht zu nehmen, um den internatiolen Handelsaustausch nicht zu gefährden, was im übrigen auch einen Grundsatz des Vertrages darstellt. Sie war demzufolge bestrebt, den gemeinsamen Agrarmarkt nicht von den übrigen Märkten abschließen zu lassen, so daß auch weiterhin ein vernünftiger Wettbewerb aufrechterhalten bleiben kann.
Im übrigen hat sich die Bundesregierung wahrend der Verhandlungen weitaus am stärksten dafür eingesetzt, bei der Regelung der Agrarmärkte auch auf die Belange der Verbraucher Rücksicht zu nehmen. In dem nunmehr sich abzeichnenden größeren Markt wird sich die bereits begonnene Arbeitsteilung in der Landwirtschaft aller EWG-Länder weiter fortsetzen und im größeren Raum verstärken, so daß die Verbraucher auf lange Sicht zu günstigeren Bedingungen versorgt werden können. Damit wird auch der gemeinsame Agrarmarkt zur Hebung des Wohlstandes, der eines der Ziele der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist, mit beitragen können.
Zu den gemeinsamen Marktordnungen in der EWG ist grundsätzlich folgendes zu sagen. Auf Grund des Ergebnisses ,der Brüsseler Beratungen werden die einzelstaatlichen Marktordnungen durch gemeinsame Marktregelungen abgelöst, soweit hierüber Beschlüsse vorliegen oder noch gefaßt werden. Obwohl noch ,einige wesentliche Regelungen für andere Erzeugnisse fehlen - z. B. für Rindfleisch, Zucker, Milch und Milcherzeugnisse, Reis und Fettrohstoffe -, muß man das nunmehr beschlossene System als ,ein Ganzes ansehen. Das erkennt man daraus, daß wesentliche Grundgedanken in fast allen Regelungen wiederkehren.
Lassen Sie mich nun zu den allgemeinen Problemen der Marktregelungen kommen.
Entgegen den Vorschlägen der Kommission und den ursprünglichen Wünschen aller anderen Mitgliedstaaten wurde eine Verkürzung der vertraglichen Übergangszeit nicht beschlossen, weil die Bundesregierung - in Übereinstimmung mit den Erklärungen des Bundestages - die volle Übergangsfrist für notwendig erachtete, um zusätzliche soziale und wirtschaftliche Spannungen zu vermeiden. Dies schließt nicht aus, daß, wenn die Entwicklung günstig verläuft, diese Frage später noch einmal überprüft werden kann.
Ein wesentliches Element des Gemeinsamen Marktes wird ein einheitliches Preisniveau für landwirtschaftliche Erzeugnisse Isein. Über die, Frage der Preisannäherung und insbesondere das zukünftige Preisniveau für Getreide ist bereits viel diskutiert worden. Das Europäische Parlament hat in seiner Stellungnahme zur Getreidemarktordnung vorgeschlagen, als zukünftigen EWG-Preis für Brotgetreide denjenigen vorzusehen, den das Haupteinfuhrland - also die Bundesrepublik - bisher festgelegt und angewandt hat. Die Bundesregierung hat ihrerseits auch stets erklärt, daß sie einer Getreidepreissenkung nicht zustimmen könne, wenn damit Einkommenseinbußen für die Landwirtschaft verbunden wären.
Im Laufe der Brüsseler Verhandlungen legte die niederländische Regierung dem Ministerrat einen Vorschlag vor, der neben der Beibehaltung der jetzigen Preise auch schon die Modalitäten einer sofort nach dem 1. Juli 1962 zu beginnenden jährlichen Annäherung an den gemeinsamen Richtpreis während der Übergangszeit zwingend festlegen wollte. Die Bundesregierung erklärte sich damit einverstanden, daß in der Endphase ein einheitlicher Richtpreis für Getreide in der Gemeinschaft vorhanden sein muß. Sie lehnte jedoch niederländische Wünsche, vom Erntejahr 1962 an für die Hochpreisländer mit einer Preisermäßigung und für die Niedrigpreisländer mit einer Preiserhöhung zu beginnen, ab und behielt sich die volle Entscheidungsfreiheit für das zukünftige Getreidepreisniveau vor. Sie wies insbesondere darauf hin, daß in der Bundesrepublik erst einmal die Erfahrungen aus der Anwendung des ab 1. Juli 1962 geltenden Richtpreissystems abgewartet werden müssen.
Der Rat wird erstmalig im Frühjahr 1963 über die Getreidepreisannäherung während der Übergangszeit beschließen. Die Frage, in welcher Weise die Preisannäherung erfolgen soll, ist ausdrücklich bisher offengelassen worden.
Das wesentliche Schutzinstrument gegenüber marktstörenden Einfuhren aus anderen Ländern, die andere Preise und andere Wettbewerbsbedingungen haben, war bisher für die Bundesrepublik die mengenmäßige Beschränkung der Einfuhren, bei Getreide und Zucker auch die Abschöpfung der Preisunterschiede. Durch das nunmehr angenommene System wird die Schutzwirkung in erster Linie auf die Preisangleichung an der Grenze abgestellt. Diese Preisangleichung erfolgt im Wege der Abschöpfungen. Mit ihnen allein wird jedoch nach den langjährigen deutschen Erfahrungen unter gegebenen Umständen nicht jede Marktlage gemeistert werden können. Sollten daher ernsthafte Schwierigkeiten auftreten, die durch Einfuhren hervorgerufen werden, so wird auch in Zukunft die Anwendung zusätzlicher Schutzmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten möglich sein. Diese zusätzlichen Maßnahmen können in vorübergehender Einstellung der Einfuhren oder darin bestehen, daß vorübergehend die Einfuhrabgaben erhöht werden. Der Mitgliedstaat kann zunächst von den Schutzmaßnahmen autonom Gebrauch machen, muß diese aber der Kommission und den übrigen Mitgliedstaaten sofort mitteilen. Die Kommission hat innerhalb von vier Werktagen in Zusammenarbeit mit dem zu bildenden Verwaltungsausschuß eine Entscheidung zu treffen, ob diese Maßnahmen aufrechterhalten, geändert oder beseitigt werden sollen. Die Entscheidung der Kommission ist unverzüglich vom Mitgliedstaat durchzuführen; dieser kann jedoch binnen einer Frist von höchstens drei Werktagen den Ministerrat anrufen, der unverzüglich zusammentritt und den
Beschluß der Kommission mit qualifizierter Mehrheit ändern oder für nichtig erklären kann. Bei Getreide wird der Kommissionsentscheid jedoch für 10 Tage ausgesetzt, wenn der Mitgliedstaat, der von der Schutzklausel Gebrauch gemacht hat, den Ministerrat anruft.
Bei Obst und Gemüse hat die Kommission verbindlich erklärt, daß ein Absinken des Preisniveaus unter 82 % des Durchschnittspreisniveaus der vergangenen drei Jahre eine ernsthafte Marktstörung darstellt und als ein wesentliches Kriterium in jedem Falle die Anwendung der Schutzklausel erlaubt. Bezüglich der Handelsklasse „Extra" kann jedoch der Mitgliedstaat selbst nicht Maßnahmen ergreifen, sondern muß diese bei der Kommission beantragen.
In jedem Falle müssen gleiche Maßnahmen gleichzeitig oder vorher auch gegenüber Drittländern getroffen werden.
Da das Preisniveau für Agrarerzeugnisse in den Mitgliedstaaten in der Regel höher ist als das Weltmarktpreisniveau und zwischen den Mitgliedstaaten auch noch unterschiedliche Preishöhen bestehen, muß in gleichem Maße, wie bei der Einfuhr eine Abschöpfung vorgesehen ist, bei der Ausfuhr eine Rückerstattung gewährt werden können. Mit dieser Rückerstattung soll erreicht werden, daß der Ausführer das jeweilige Preisniveau auf dem Markt erreichen kann, den er beliefern will. Deshalb werden bei Getreide und Veredlungserzeugnissen bei Ausfuhren in Drittländern Rückerstattungen gewährt werden können, die etwa der Höhe der Abschöpfung bei der Einfuhr entsprechen. Ein besonderes Problem stellt dabei die Rückerstattung bei der Ausfuhr von Hochpreisländern der EWG nach Niedrigpreisländern der EWG dar. Um diesen Hochpreisländern den Zutritt zu den Märkten der anderen Länder zu gewährleisten, dürfen sie Rückerstattungen bis auf das Weltmarktpreisniveau gewähren, während der einführende Mitgliedstaat dann wieder eine Abschöpfung erheben darf, wobei jedoch eine Präferenz gegenüber den einführenden Drittländern zu gewähren ist.
Bezüglich weiterer Marktregelungen hat der Rat auf Wunsch der niederländischen, französischen und italienischen Delegationen beschlossen, die Kommission aufzufordern, Vorschläge für eine gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse, Zucker, Rindfleisch und Reis vorzulegen; der Rat will sie dann so rechtzeitig verabschieden, daß sie zum 1. November 1962 bzw. für Zucker zum 1. Januar 1963 in Kraft treten können.
Nun, meine Damen und Herren, ein Wort zur Frage der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik. Im Geiste der gemeinsamen Verantwortung, der sich auch die Bundesregierung nicht entziehen will, hat sie erklärt, daß sie sich an den finanziellen Anforderungen, die die gemeinsame Agrarpolitik stellen wird, in einem zumutbaren Ausmaß beteiligen werde. Zur Durchführung der gemeinsamen Finanzierungsaufgaben ist ein Agrarfonds geschaffen worden. Dieser Fonds wird die Aufgabe haben, die Erstattungen bei der Ausfuhr nach dritten Ländern, die Interventionen auf den inneren Markt sowie in begrenztem Umfang Ausgaben für die Strukturänderungen, die durch die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes erforderlich werden, zu finanzieren. Der von der Gemeinschaft zu übernehmende Teil der Finanzierung dieser Maßnahmen beginnt mit 1/6 und steigt während der ersten drei Jahre jährlich um 1/6.
Diese Ausgaben werden durch Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten gedeckt, wobei die Bundesrepublik ihren Beitrag auf 31 % im Höchstfall beschränkt hat. Auch die Benelux-Staaten haben sich zu einem höheren Beitrag, als ihrem Anteil nach dem Haushaltsschlüssel entsprochen hätte, bereit erklärt. Frankreich und Italien dagegen werden weniger zu zahlen haben, als ihrem Anteil nach diesem Schlüssel - nämlich 28 % - entsprochen haben würde.
An den Entscheidungen und der Durchführung der gemeinsamen Marktordnungen werden sich der Ministerrat der Gemeinschaft, die Europäischen Kommission und die Mitgliedstaaten in enger Zusammenarbeit beteiligen müssen. Die Bundesregierung hat sich von der Überlegung leiten lassen, daß einmal die Mitgliedstaaten selbst noch die Verantwortung gegenüber ihren Staatsbürgern tragen und daß daher sie und der Ministerrat die berufenen Stellen sind, die die wesentlichen Entscheidungen oder die sachliche Durchführung zu vertreten haben. Um den Ministerrat zu entlasten und die Marktordnungen elastisch zu handhaben, sind für die einzelnen Warenbereiche Verwaltungsausschüsse geschaffen worden, die bei der Durchführung der Marktordnungen, bei der Vorbereitung von grundlegenden Beschlüssen durch den Rat mit der Kommission zusammen tätig werden. Diese Verwaltungsausschüsse, in denen die Mitgliedstaaten vertreten sind, haben jedoch keine Entscheidungsbefugnis, so daß sie keine neuen Organe der Gemeinschaft darstellen, die das auch im Vertrag wohlabgewogene Gefüge der Regelung von Zuständigkeiten zwischen Rat, Kommission und Mitgliedstaaten verzerren könnten. Wird der Verwaltungsausschuß von der Kommission befaßt, so gibt er mit qualifizierter Mehrheit seine Stellungnahme zu den Vorschlägen der Kommission ab. Diese kann zunächst ihre Entscheidungen sofort durchführen. Ist der Verwaltungsausschuß zu einem anderen Ergebnis gekommen, als es dem Kommissionsvorschlag entspricht, so muß die Kommission ihren Vorschlag dem Ministerrat vorlegen. Dieser entscheidet mit qualifizierter Mehrheit. Die Kommission kann ihre Entscheidungen in bestimmten Fällen bis höchstens einen Monat nach der Mitteilung an den Rat aussetzen. Mit diesem Verfahren übernimmt die Kommission eine weitgehende Verantwortung. Ich bin davon überzeugt, daß sie alles daran setzen wird, sich das Vertrauen der Mitgliedstaaten zu erwerben.
Für die Regelungen der Einzelmärkte ist folgendes beschlossen worden, zunächst für Getreide: Bei der Interessenlage der Mitgliedsländer der Gemeinschaft und der besonderen Bedeutung des Getreidepreises und der Getreidemarktordnung für das gesamt Preis- und Einkommensgefüge der Landwirtschaft ist es verständlich, daß sich ein großer Teil
der Brüsseler Verhandlungen auf den Getreidebereich konzentrierte. Bei dieser Sachlage ist es auch erklärlich, daß wir nicht alle unsere Forderungen auf diesem Gebiet durchsetzen konnten. Es ist uns jedoch gelungen, im wesentlichen die Forderung durchzusetzen, daß das gegenwärtige Preisniveau vorläufig erhalten bleibt. Auf Grund der vom Ministerrat beschlossenen Verordnung, die am 1. Juli dieses Jahres wirksam werden soll, ergeben sich erhebliche Änderungen unseres Getreidepreissystems. Zur Regelung des Inlandmarktes werden zukünftig an Stelle unserer Erzeugermindest- und -höchstpreise Interventions- und Richtpreise auf 'der Großhandelsstufe festgesetzt. Somit wird ,den Erzeugern zukünftig nicht mehr der Preis ab Hof oder frei Verladestelle unmittelbar, sondern nur mittelbar dadurch garantiert, daß ein Interventionspreis auf der Großhandelsstufe festgesetzt und durch Intervention gesichert wird. Aus dieser Änderung der Preisparität werden sich jedoch wirksame Einkommensverluste der Landwirtschaft nicht ergeben, weil es uns gelungen ist, die Preisgrenzen, innerhalb welcher die Mitgliedstaaten ihre Getreidepreise ab 1. Juli dieses Jahres festzusetzen haben, so abzustecken, daß die Erzeuger im Hauptzuschußgebiet dieselbe Preishöhe garantiert bekommen, die ihnen bisher in Form unseres Mindestpreises gesichert wurde. Das heißt, daß der zukünftige Interventionspreis auf der Großhandelsstufe um den Wert der Paritätsverschiebung höher als unser bisheriger Erzeugermindestpreis festgesetzt werden darf.
Als weiteres wesentliches Element ist zu vermerken, daß im Rahmen des neuen Richtpreissystems an Stelle unserer in allen Gebieten etwa gleich hohen Getreidepreise ein ausgeprägtes regionales Preisgefälle treten soll. Demgemäß soll für das Hauptzuschußgebiet, also in unserem Falle das Ruhrgebiet mit dem Vermarktungszentrum Duisburg, ein Grundrichtpreis festgesetzt werden, der dem bisherigen Niveau entspricht. Von diesem Grundrichtpreis sollen regionale Richt- und Interventionspreise abgeleitet werden, die dem natürlichen Preisgefälle, d. h. dem Frachtkostengefälle entsprechen. Die absolute Anwendung eines solchen Preisgefälles hätte für die deutsche Landwirtschaft erhebliche Einnahmeausfälle zur Folge gehabt. In den marktfernen Gebieten, z. B. im östlichen Bayern, hätte sich eine Getreidepreissenkung um etwa 50 DM je Tonne ergeben.
In sehr zähen Verhandlungen ist es jedoch gelungen, eine Möglichkeit zu schaffen, im Rahmen einer größeren Zahl von Paritäts- und Interventionspunkten das regionale Preisgefälle so zu mildern, daß die genannten Preisminderungen nur zu etwa einem Viertel wirksam werden. Die Milderung wird allerdings in diesem Umfang nach dem Wortlaut der Verordnung nur insoweit möglich sein, als eine ausreichende Senkung unserer Frachtkosten für Getreide vorausgeht. Da die Frachtsätze unseres Eisenbahntarifs ganz erheblich höher liegen als die Frachtsätze in den anderen Mitgliedstaaten, dürfte auch eine Berechtigung bestehen, eine erhebliche Senkung der Frachtkosten durchzuführen, wenn - wie im vorliegenden Falle - das Einkommen der
Landwirtschaft, insbesondere in den marktfernen Gebieten, davon abhängt. Die nach einer solchen wirksamen Milderung noch verbleibenden Auswirkungen des regionalen Preisgefälles sind relativ gering. Die Bundesregierung hat in Aussicht genommen, den betroffenen Gebieten in geeigneter Weise einen Ausgleich zu bieten.
Des weiteren muß der Vollständigkeit halber noch darauf hingewiesen werden, daß die Festsetzung von Interventions- und Richtpreisen und damit die Preisgarantie nicht für alle Getreidearten vorgesehen ist. Auch für Roggen hatte die Kommission zunächst keine garantierten Preise vorgesehen. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung des Roggenanbaues, insbesondere für die von der Natur weniger begünstigten Gebiete, habe ich jedoch die Aufnahme des Roggens in das Preissystem gefordert und auch durchsetzen können,
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so daß die Preisgarantie für Roggen der Landwirtschaft auch zukünftig erhalten bleibt.
Im übrigen ist bei den Getreidearten, für die Richtpreise festgesetzt werden, auch ein saisonales Preisgefälle mit 5 bis 10 Monatsreports vorgesehen, wie wir es bei Brotgetreide seit Bestehen unseres Marktordnungsgesetzes bereits kennen.
Neben den Änderungen des Preissystems auf dem Inlandsmarkt erfahren auch die Maßnahmen auf dem Gebiet der Einfuhr eine gewisse Änderung. Während die Sicherung des Inlandsmarktes gegen störende Wirkungen der Einfuhren bei uns durch Abschöpfungen und mengenmäßige Regelungen erfolgt, soll diese Aufgabe zukünftig in der Regel nur von der Abschöpfung erfüllt werden. Das ist jedoch nur möglich, wenn die Abschöpfungen entsprechend wirksam gestaltet werden. Das von der Kommission vorgeschlagene und vom Rat nunmehr beschlossene Verfahren der Festsetzung von Schwellenpreisen für eingeführtes Getreide und der Ermittlung der frei-Grenz-Preise bzw. cif-Preise entspricht unserer bisherigen Verfahrenstechnik der Festsetzung von Abgabe- und Übernahmepreisen; in der Wirksamkeit dürfte es jedoch unsere Abschöpfungsregelung so verbessern, daß eine ausreichende Sicherung unseres Inlandsmarktes gewährleistet sein dürfte. Darüber hinaus ist - wie ich schon eingangs erwähnte - die Anwendung einer Schutzklausel vorgesehen, wonach die Einfuhren vorübergehend gesperrt werden können, wenn es die Marktlage erfordert.
Schließlich muß noch darauf hingewiesen werden, daß die Abschöpfungsregelung auch für die meisten industriellen Veredelungserzeugnisse aus Getreide - soweit sie zu den landwirtschaftlichen Erzeugnissen gemäß dem Vertrag von Rom zählen - angewendet wird. Dadurch ist es möglich, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Einfuhrabgaben für den Rohstoff Getreide und denen für die daraus hergestellten Erzeugnisse herbeizuführen. Das dürfte für die Ernährungsindustrie von besonderem Interesse und besonderer Bedeutung sein. Im übrigen ist nicht ausgeschlossen, daß Sonderregelungen, die es bezüglich der Abschöpfung für
bestimmte Getreidearten und bestimmte Verwendungszwecke des Getreides bei uns in großer Zahl gibt, nicht mehr oder nicht mehr im bisherigen Umfang angewendet werden können, um die Geschlossenheit und Wirksamkeit des Systems nicht zu beeinträchtigen.
Schließlich enthält die beschlossene Verordnung eine Unzahl von Einzelheiten, auf die ich in diesem Zusammenhang nicht näher eingehen kann.
Wenn ich nun eine kurze Würdigung der Beschlüsse deis Ministerrates - soweit sie sich auf Getreide beziehen - anschließen darf, so möchte ich feststellen, daß sich die Auswirkungen sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Verbraucher in relativ engen Grenzen halten werden. Es werden jedoch schon im Rahmen des neuen Richtpreissystems Tendenzen sichtbar, die zu einer gewissen Neuorientierung der landwirtschaftlichen Produktion Anlaß geben können. Gewisse Milderungen bei der Durchführung dieses Systems sind zwar für die nächsten Jahre gesichert. Es muß aber damit gerechnet werden, daß spätestens am Ende der Übergangszeit, also nach annähernd acht Jahren, die jetzt nur in gemilderter Form hervortretenden Tendenzen voll wirksam werden. Darauf sollten sich die deutsche Landwirtschaft sowie alle übrigen beteiligten Wirtschaftskreise schon heute einstellen. Allerdings kann damit gerechnet werden, daß die Wettbewerbsverhältnisse zu diesem Zeitpunkt weitgehend angeglichen sein werden. Die Bundesregierung wird jedenfalls ihre Bemühungen in dieser Richtung mit allem Nachdruck fortsetzen.
Für einige wichtige Erzeugnisse der Veredelungswirtschaft sind in Brüssel ebenfalls Verordnungen über eine schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktordnung beschlossen worden. Ihnen kommi. bei der Bedeutung der Veredelungswirtschaft eine besondere Rolle zu. Rund 28 % der Verkaufserlöse der Landwirtschaft stammen aus der Vermarktung von Schweinen, Eiern und Geflügel. In den anderen Mitgliedstaaten der EWG liegen die Verhältnisse ähnlich. Das System der Brüsseler Marktordnung weicht erheblich von dem ab, was zur Zeit in der Bundesrepublik gilt. Bei Schweinefleisch ist durch das Vieh- und Fleischgesetz und die bestehenden bilateralen handelsvertraglichen Vereinbarungen mengenmäßiger Regelungen bisher ein verhältnismäßig ausreichender Schutz gegeben; dagegen risst die Einfuhr von Geflügel und Eiern gegenüber allen Ländern - mit Ausnahme der Ostblockstaaten - rechtlich oder de facto liberalisiert. Für Geflügel und Eier, die für die bäuerliche Veredelungswirtschaft immer mehr an Bedeutung gewinnen, wurde für Eier schon 1956, für Geflügel 1961 durch das Gesetz zur Förderung der Bier- und Geflügelwirtschaft ein System von Ausgleichsbeträgen in der Bundesrepublik zu dem Zweckeingeführt, der Landwirtschaft einen Teil der Futtermittelkostendifferenzen in Form von Ausgleichsbeträgen zu erstatten. Der Verbraucher konnte bei diesem System die Eier und das Geflügel aus dem Ausland, abgesehen von einem mäßigen Zoll, zu Weltmarktpreisen kaufen.
Die Vorschläge der Kommission sehen wie bei Getreide auch bei auf Getreidebasis veredelten Produkten ein Abschöpfungssystem an Stelle von mengenmäßigen Regelungen und Zöllen vor. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, einem solchen System zuzustimmen. Sie ist jedoch von Anfang an dafür eingetreten, daß für alle drei Warengebiete die Methode gleich sein sollte. Die Abschöpfung sollte nach ihrer Auffassung umfassen einen Teilbetrag, der den. Unterschied in den Futterkosten ausgleicht, einen weiteren, gegenüber allen Mitgliedsländern und Drittländern gleichen Betrag, welcher die nicht futterbedingten Kosten ausgleichen sollte, und gegenüber Drittländern einen mäßigen Präferenzzoll, der sich allmählich bis zum Ende der Übergangszeit erhöhen sollte. Frankreich forderte für alle drei Warengebieteeine Abschöpfung auf der Basis von Referenzpreisen, d. h. es sollte von den durchschnittlichen Marktpreisen während der letzten drei Jahre ausgegangen und der Unterschied dieser Marktpreise abgeschöpft werden. Es liegt auf der Hand, wie schwierig es ist, wirklich vergleichbare Preise zu finden. Unterschiede bei der Feststellung der Preise in den zum Vergleich heranzuziehenden Qualitäten und Handelsklassen, Verschiedenheiten in den Marktorganisationen, in den Handelsspannen und anderes mehr machen echte Vergleiche außerordentlich schwer. In längeren Beratungen ist es zu einem Kompromiß gekommen. Zwar wird bei allen drei Warengebieten entsprechend den deutschen Wünschen und in Konsequenz des bei Getreide angewandten Systems der sogenannte Futterkostenanteil bei der Abschöpfung gesondert berücksichtigt; bei Eiern wird auch hinsichtlich des zweiten Abschöpfungsbetrages nach deutscher Vorstellung verfahren. Bei Geflügel ist aber wahlweise für solche Länder, die mengenmäßige Beschränkungen zur Zeit anwenden, eine Abschöpfung auf der Basis von Referenzpreisen zugestanden worden. Und bei Schweinen ist für alle Länder der Gemeinschaft die Abschöpfungsregelung nach dem Referenzpreissystem unter Wahrung der Futterkostendifferenz beschlossen worden. Wir haben den Kompromiß angenommen, jedoch durchgesetzt, daß die Abschöpfungsbeträge, die für die Anwendung der Verordnung entscheidend sind, einstimmig vom Rat festgelegt werden. Dadurch besteht eine genügend starke Möglichkeit, Einfluß auf die Errechnung der Referenzpreise zu nehmen.
Um zu verhindern, daß zu anomal niedrigen Preisen eingeführt wird, die unter den Produktionskosten der Lieferländer liegen, ist für alle drei Warengebiete - Schweinefleisch, Eier und Geflügel - die Festsetzung eines Einschleusungspreises gegenüber Drittländern beschlossen worden. Es wird für alle Drittländer einheitlich in fairer Weise ein Preis berechnet, zu dem diese Länder in der Lage sind, Schweine, Eier und Geflügel zu produzieren und anzubieten. Sofern die tatsächlichen Angebote aus Drittländern unter diesen Preis fallen, kann das importierende Land die Abschöpfung um den Betrag erhöhen, um den der Einschleusungspreis unterschritten ist. Der sogenannte Einschleusungspreis ist also praktisch ein Mindestangebotspreis.
Für Schweinefleisch ist eine entsprechende Regelung auch gegenüber Mitgliedstaaten vorgesehen,
nicht aber bei Geflügel und Eiern. Außerdem ist für alle drei Warengebiete die Anwendung der Schutzklausel vorgesehen, über die ich bereits gesprochen habe.
Ich bin überzeugt, daß dieses Marktordnungssystem der Landwirtschaft die Möglichkeit gibt, auch auf dem Gebiet der Veredelungswirtschaft zu konkurrieren. Für Eier und Geflügel dürfte eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem bisherigen Zustand der vollen Liberalisierung mit oft ungenügendem Futterkostenausgleich und wenig wirksamem Schutz gegen Niedrigpreiseinfuhren verwirklicht worden sein. Die deutsche Delegation hat der Bundesregierung die Möglichkeit offengehalten, die Zahlung von Ausgleichsbeträgen bei Eiern für einige Zeit fortzusetzen. Die Auswirkungen des Abschöpfungssystems auf den innerdeutschen Markt können somit zunächst beobachtet werden.
Für Obst und Gemüse sollten nach dem Vorschlag der Kommission sämtliche mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen und die Anwendung von Mindestpreisen für die Handelsklasse EXTRA bis zum 1. Juli 1962, für die Klasse I bis zum 1. Januar 1964 und für die Klasse II bis zum 1. Juli 1965 aufgehoben werden. Die Kommission meinte, daß schon die Einführung gemeinsamer Qualitätsnormen für diese Klassen die Verhältnisse auf dem Obst- und Gemüsemarkt so grundlegend bessern würde, daß auf die Anwendung von Mindestpreisen verzichtet werden könne. Demgegenüber stand Frankreich auf dem Standpunkt, daß nur eine ins einzelne gehende
Marktordnung die Möglichkeit geben könnte, auf die Schutzwirkung der Anwendung von Mindestpreisen zu verzichten. Im Hinblick auf die Erfahrungen, die die Bundesregierung vor geraumer Zeit mit der Behandlung eines Gesetzentwurfes über die Schaffung einer Marktordnung für Obst und Gemüse gemacht hatte, konnte sie sich diesem französischen Verlangen nicht anschließen. Die jetzt verabschiedete Verordnung für Obst und Gemüse sieht jedoch immerhin vor, ,daß der Rat bis zum 1. Juli 1964 gemeinschaftliche Vorschriften für das Funktionieren der Märkte und der Handelsgeschäfte erläßt. Im übrigen tritt an Stelle der Vorschriften über die Anwendung von Mindestpreisen zu den vorher genannten Zeitpunkten die Schutzklausel. Auf die von der. Kommission zu Protokoll gegebene Zusage, daß sie eine ernstliche Marktstörung normalerweise als gegeben ansehen werde, wenn der Preis für ein Erzeugnis unter 82 % der Durchschnittspreise der voraufgegangenen Jahre absinkt, möchte ich hier noch einmal hinweisen.
Für die Klasse EXTRA kommt eine autonome Anwendung der Schutzklausel nicht in Betracht. Entgegen den Wünschen verschiedener anderer Delegationen hat jedoch die Kommission die Möglichkeit, auf Antrag auch hier Schutzmaßnahmen des Importlandes zu genehmigen. Im übrigen werden gemeinsame verbindliche Qualitätsnormen für jedes Erzeugnis durch Übernahme von Genfer Standards ab 1. Juli 1962 eingeführt. Gleichzeitig wird eine entsprechende Qualitätskontrolle verbindlich angeordnet. Schließlich hat der Rat die Möglichkeit, einheitliche Einfuhrregelungen gegenüber Drittländern zu treffen, wobei je nach den gegebenen Verhältnissen Einfuhren unterbunden oder Ausgleichsabgaben erhoben werden können.
Die vom Rat beschlossene Weinmarktordnung sieht neben einigen Bestimmungen zur Errichtung eines Weinbaukatasters sowie über Ertrags- und Bestandsmeldungen den Erlaß einer Gemeinschaftsregelung für Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete vor, wie es auch im deutschen Weinbaugesetz enthalten ist. Bis zuletzt war umstritten, ob die französische Vorstellung von Qualitätsweinen im Sinne einer Ursprungsbezeichnung oder der deutsche Wunsch, sich an die in der Bundesrepublik geltenden Herkunftsbezeichnungen anzuschließen, maßgebend sein sollte. Schließlich wurde beiden Gesichtspunkten Rechnung getragen. Der Rat wird eine solche Gemeinschaftsregelung für Qualitätsweine bis zum 1. Januar 1963 erlassen.
Im Rahmen des Beschlusses über die Eröffnung von Weinkontingenten durch Frankreich und Italien wurde dem Wunsche der Bundesregierung Rechnung getragen, auch die deutsche Einfuhr von der Automatik einer jährlichen Kontingentserhöhung zu lösen. Es wurde vielmehr anerkannt, daß sich auch die Weineinfuhr in die Bundesrepublik nach denselben Grundsätzen richten soll wie die Einfuhr nach Frankreich und Italien. Das deutsche Weineinfuhrkontingent wurde für 1962 noch um 10 % gegenüber 1961 erhöht, wobei ein bestimmter Teil für Qualitätsweine vorgesehen ist. Ab 1963 findet diese automatische Aufstockung nicht mehr statt.
Die Bundesregierung hat immer wieder entscheidenden Wert darauf gelegt, daß gleichzeitig mit der Annahme gemeinschaftlicher Marktordnungsgrundsätze die Wettbewerbsunterschiede innerhalb der einzelnen Wirtschaftszweige und die wettbewerbsverzerrenden Exportsubventionen und ähnliche Maßnahmen abgebaut werden. \Die jetzt auch verabschiedete Verordnung zu Art. 42 des EWG-Vertrages ist ein wesentlicher Beitrag dazu.
Mit Wirkung vom 1. Februar 1962 hat die Kammission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaten fortlaufend ein Inventar aller Beihilferegelungen zu erstellen und die geltenden Regelungen im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Vertrage zu prüfen. Mit Wirkung vom 1. Juli 1962 - also gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der einzelnen Warenverordnungen - hat die Kommission gegen Dumping-Praktiken einzuschreiten. Außerdem ist in den Warenverordnungen für Schweinefleisch, Eier und Geflügel sowie Obst und Gemüse die Anwendung von staatlichen Beihilfen, soweit sie den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten verfälschen oder zu verfälschen drohen, verboten.
Ferner konnte schließlich erreicht werden, daß die Bestimmungen über das Verhalten der landwirtschaftlichen Erzeuger und Erzeugerverbände im Rahmen des deutschen Kartellrechts auch im Gemeinsamen Markt ihre Gültigkeit behalten.
In der Entscheidung nach Art. 44 des Vertrages sind objektive Grundsätze für die Festsetzung von Mindestpreisen aufgestellt worden, die die Mitgliedstaaten autonom anwenden können. Diese Ent322
scheidung hat jedoch nur dort Bedeutung, wo ein gemeinsames Marktordnungssystem noch nicht existiert oder noch nicht voll in Kraft getreten ist. Im Falle derartiger Systeme haben die Mitgliedstaaten auf die Anwendung .dieses autonomen Rechts verzichtet. Nach der genannten Entscheidung halben die einzelnen Mitglieder die Möglichkeit, verschiedene Mindestpreissysteme zu wählen. Es geht insbesondere um die Frage, ob Mindestausfuhrpreise oder Mindesteinfuhrpreise eingeführt werden sollen. Die Bundesrepublik hat bisher beide Systeme im Einvernehmen mit den beteiligten Exportländern erfolgreich angewandt. Bei der Bestimmung der Höhe der Mindestpreise wird zwischen Marktordnungswaren mit feststehenden Interventionspreisen und anderen Erzeugnissen unterschieden. Bei den letzteren werden die Mindestpreise an Hand von bestimmten Referenzpreisen der letzten drei Jahre errechnet. Dabei können auch die Gestehungskosten berücksichtigt werden.
Ernährungsindustrie und Ernährungshandwerk hatten bisher darunter zu leiden, daß sie im Zuge der fortschreitenden Liberalisierung der Wareneinfuhr und der Zollsenkung mit Auslandsangeboten zu rechnen hatten, die auf der Grundlage niedriger Rohstoffkosten zustande gekommen waren. Die Bundesregierung hat hier nach hartnäckigen Verhandlungen erreicht, daß nunmehr die Möglichkeit gegeben ist, diese Wettbewerbsunterschiede durch die Erhebung von Ausgleichsabgaben an .der Grenze so lange auszugleichen, bis die Rohstoffpreise im Gemeinsamen Markt einander angeglichen sind. Darüber hinaus sieht die Verordnung nach Art. 235 vor, daß die dann noch vorhandenen Kostenunterschiede in der Verarbeitungstätigkeit durch die zusätzliche Erhebung eines zollähnlichen Betrages 'bis zu 5% ausgeglichen werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie sich nun noch ein paar Worte über die Auswirkungen der Brüsseler Beschlüsse sagen. Diese Beschlüsse werden weitreichende Auswirkungen auf das wirtschaftliche und staatliche Leben in der Bundesrepublik haben, die naturgemäß noch nicht bis in alle Einzelheiten zu übersehen sind und daher im jetzigen Augenblick nur angedeutet werden können.
Die Verordnungen des Ministerrats sind europäisches Recht und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Sie setzen Idas nationale Recht außer Kraft, soweit es mit ihnen nicht vereinbar ist. Wenn also z. B. am 1. Juli 1962 die neue Getreidemarktordnung in Kraft tritt, dann sind mit ihr wesentliche Bestimmungen des Getreidegesetzes sowie des Getreidepreisgesetzes nicht mehr vereinbar. Es wird noch geprüft, ob und wie bekanntgemacht werden soll, um welche Bestimmungen der einzelnen deutschen Gesetze es sich handelt, die als aufgehoben betrachtet werden müssen. Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten die Pflicht, die Verordnungen des Ministerrats durch nationale Durchführungsverordnungen auszufüllen. Dazu werden Rechtsvorschriften erforderlich sein. Es wird noch geprüft, ob die Bundesregierung beim Deutschen Bundestag um eine allgemeine gesetzliche Ermächtigung nachsuchen soll, entsprechende Rechtsverordnungen zu erlassen.
Die Frage ist aufgeworfen worden, ob die Brüsseler Beschlüsse nicht vertragsändernd seien und damit vom Parlament ratifiziert werden müßten. Insbesondere ist dabei darauf hingewiesen worden, daß im Rahmen .der Marktregelungen die Anwendung von Mindestpreisen nach Art. 44 des Vertrages nicht mehr möglich sei. Nach Ansicht der Bundesregierung stellt dies keine Vertragsänderung dar; es handelt sich vielmehr um eine einstimmige Willenserklärung der Mitgliedstaaten, von einem nach dem Vertrag zustehenden Recht in bestimmten Fällen keinen Gebrauch mehr zu machen.
Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß zufolge der Geschlossenheit des jetzt gefundenen Systems die Grundlagen der Wettbewerbsgleichheit auch für die deutsche Landwirtschaft gegeben sind. Sie wird die gleichen Chancen auf dem Markt haben wie die Landwirtschaften der anderen Mitgliedstaaten auch. Sie hat dabei den Vorteil, daß sie sich mit einem großen Teil ihrer Produktion in der Nähe großer Verbrauchszentren befindet. Diese Chance wird sie in dem Maße ausnützen können, wie sie imstande ist, gleichbleibende, hochwertige, vom Verbraucher gewünschte Qualitäten in notwendigem Umfang liefern zu können.
Aber auch die Exportmöglichkeiten sind für sie verbessert worden. Die Märkte der Mitgliedstaaten werden ihr nicht mehr durch Maßnahmen verschlossen sein, die einen echten, fairen Wettbewerb bisher ausgeschlossen haben.
Insbesondere sieht aber die Bundesregierung verstärkte Absatzchancen für die Landwirtschaft bei .den Veredelungserzeugnissen und hier insbesondere bei Eiern und Geflügel. Auf diesen Märkten gibt es nicht nur Ausdehnungsmöglichkeiten im Hinblick auf noch mögliche Verbrauchssteigerungen. Die deutsche Landwirtschaft ist vielmehr in die Lage versetzt, ihren eigenen Anteil an der Gesamtversorgung zu steigern.
Gewisse Veränderungen werden sich für die marktfernen Gebiete in der Bundesrepublik ergeben. Als Folge der sich schrittweise anbahnenden Regionalisierung der Preise wird hier die Landwirtschaft prüfen müssen, inwieweit sie ihre Produktionsstruktur ,den neuen Bedingungen anpassen muß.
Da die beschlossenen Verordnungen erhebliche Änderungen in den nationalen Agrarsystemen mit sich bringen und da auch Erfahrungen über die neuen agrarpolitischen Instrumente noch nicht vorliegen, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob das vom Ministerrat beschlossene System durch die Praxis noch gewissen Anpassungen oder Änderungen unterworfen werden muß. Die Bundesregierung wird darauf achten, daß die Vorteile des Gemeinsamen Marktes der Landwirtschaft und den Verbrauchern gleichermaßen zugute kommen.
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Meine Damen und Herren, Sie haben die Regierungserklärung ge-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
hört. Die Aussprache soll vereinbarungsgemäß am 31. Januar stattfinden.
Ich rufe auf den Punkt 4 der Tagesordnung:
a) Mündlicher Bericht des Ausschusses für Petitionen ({0}) über seine Tätigkeit gemäß § 113 Abs. 1 der Geschäftsordnung,
b) Beratung der Sammelübersicht 2 des Ausschusses für Petitionen ({1}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Übersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 17. Oktober 1961 bis 31. Dezember 1961 eingegangenen Petitionen ({2}).
Das Wort als Berichterstatterin hat Frau Abgeordnete Wessel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, Ihnen den ersten Mündlichen Bericht des Ausschusses für Petitionen in dieser Wahlperiode zu erstatten. Er soll ihnen einen Einblick in Art und Umfang der Tätigkeit des Ausschusses, vornehmlich in der vergangenen dritten Legislaturperiode, vermitteln, gleichzeitig aber auch dessen Aufgabe und Bedeutung den zahlreichen neuen Mitgliedern des Hohen Hauses aufzeigen.
Der Petitionsausschuß leitet seine Tätigkeit aus Artikel 17 des Grundgesetzes der Bundesrepublik ab, in dem die Ausübung des Petitionsrechts verfassungsrechtlich festgelegt ist. Nach dieser Bestimmung darf sich jeder, der imstande ist, seine Gedanken vernünftig und in verständlicher Form zu äußern, ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht, Beruf, Konfession oder Nationalität einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen bittend und beschwerdeführend an den Deutschen Bundestag wenden. Die Bitten und Beschwerden müssen möglichst in deutscher Sprache vorgebracht werden und eigenhändig unterschrieben sein. Sie sollen an den Deutschen Bundestag, seinen Präsidenten oder unmittelbar an den Ausschuß für Petitionen gerichtet werden. Schreiben mit anderen, oft den seltsamsten und phantasievollsten Adressen erreichten aber ebenfalls durchweg die richtige Stelle.
In den vier Jahren der dritten Legislaturperiode wurden 44 499 Petitionen an den Ausschuß herangetragen, abgesehen von 288 858 Massenpetitionen zur Rot-Kreuz-Konvention gegen Atomwaffen, bei denen es sich um Petitionen handelte, die nicht auf die Initiative von einzelnen, sondern auf eine Aktion des Arbeitsausschusses „Kampf dem Atomtod", zurückgingen, die alle das gleiche, und zwar das politische Anliegen enthielten, die Bundesregierung gemeinsam mit anderen Staaten zur Ächtung der nuklearen Massenvernichtungswaffen aufzufordern.
Im 1. Bundestag, also von 1949 bis 1953, gelangten 27 200 Petitionen an den Ausschuß; in der 2. Legislaturperiode, von 1953 bis 1957, waren es schon 33 000 Eingaben. Diese Zahlen geben allerdings nicht alle an den Bundestag gerichteten Petitionen wieder, weil viele Petenten unmittelbar an
Abgeordnete, Fachausschüsse, Fraktionen und andere Stellen schreiben. Zur Gewährleistung einer einheitlichen Behandlung der Eingaben, einer leichteren Scheidung der Querulanten von echten Bittstellern, zur Vermeidung überflüssiger Behördenarbeit und möglicherweise unterschiedlicher Bescheide durch Rückfragen bei mehreren Stellen und zwecks Erfassung der Gesamtzahl der Petitionen wäre es allerdings angebracht, alle Bitten und Beschwerden möglichst über den Ausschuß für Petitionen an das Büro des Bundestages zu richten. Dennoch weisen die genannten Zahlen einen stetigen, nicht unerheblichen Anstieg - vor allen Dingen in der dritten Wahlperiode - auf, der meines Erachtens zeigt, daß sich das Petitionsrecht und die Institution ,des Petitionsausschusses als Hilfe in mancherlei Not und Sorge immer mehr im Bewußtsein der Öffentlichkeit verankern. Er offenbart aber auch, daß die 29 Ausschußmitglieder - in dieser Wahlperiode sind es allerdings 27 - und die Verwaltungsangehörigen niemals so viel Arbeit hatten wie in den vergangenen vier Jahren.
Alle Eingaben werden im Büro für Petitionen registriert und auf die Formerfordernisse vorgeprüft. 735 beleidigende, erpresserische, absolut unklare oder anonyme Zuschriften - selbstverständlich gibt es bei den Petitionen auch solche -, die etwa 2 % aller Einsendungen betrafen, wurden in der dritten Wahlperiode nicht behandelt oder nicht beantwortet. 12 317 Eingaben, also 30 % aller Zuschriften, waren zur Beratung im Bundestag entweder aus Zuständigkeitsgründen nicht geeignet oder weil sie Gerichtsverfahren betrafen, weil der Rechtsweg oder der Instanzenweg nichterschöpft war oder weil sie keine neuen Tatsachen oder Beweismittel gegenüber früheren Eingaben enthielten. Den Einsendern gingen entsprechende Mitteilungen zu. Eingaben, die wegen Unzuständigkeit des Bundestages zur Beratung nicht geeignet waren - sie machten etwa 1/5 % aus -, wurden den Volksvertretungen der Länder, die dafür in Frage kamen, übersandt. Es handelte sich dabei im wesentlichen um Beschwerden wegen Handlungen oder Unterlassungen von Länderbehörden auf den Gebieten der Kriegsopferversorgung, des Kriegsgefangenenentschädigungs- und des Heimkehrerrechts, der Rentenversicherung der Arbeiter, der Wiedergutmachung, der Kultur, des Gesundheitswesens, des Sozialrechts, des Flüchtlingswesens, des Wohnungsbaus, des Siedlungswesens, der Wohnraumbewirtschaftung oder des Justizwesens. Alle diese Gebiete liegen nicht im Zuständigkeitsbereich des Bundes, sondern sind den Ländern übertragen worden.
Bei allen übrigen Petitionen, für deren Behandlung der Bundestag zuständig ist, werden den Einsendern Eingangsbestätigungen erteilt und schriftliche oder, falls notwendig, auch mündliche Stellungnahmen der zuständigen Bundesminister eingeholt; das ist vor allem bei Beschwerden aus dem Bereich der Verwaltung der Fall, insbesondere bei Fragen des auswärtigen Dienstes, des Verkehrs, der Bundesbahn, der Bundespost, der Verteidigung, der Zoll- und Arbeitsverwaltung, des Rechts der bei den Bundesbehörden beschäftigten Personen sowie der
Rentenversicherung der Angestellten und des Lastenausgleichs.
Die Stellungnahmen der Bundesregierung werden zusammen mit der Eingabe zwei nach ihrem Beruf und ihrer fachlichen Eignung ausgewählten Berichterstattern, die Mitglieder des Petitionsausschusses sind, zur Überprüfung und Bearbeitung vorgelegt. Diese haben dem Ausschuß zu berichten und die Art der Erledigung jeder einzelnen Petition vorzuschlagen. Der Ausschuß berät jede Petition und beschließt die Art ihrer Erledigung. Er legt seine Beschlußfassung und die Empfehlung für eine Beschlußfassung .des Plenums dem Hohen Hause durchschnittlich mindestens einmal im Monat - wie heute - in einer Sammelübersicht vor. Heute liegt diese Sammelübersicht als Drucksache IV/114 in Ihrer Mappe. Erst nach der Annahme dieser Sammelübersicht durch das Plenum kann das Büro den Einsendern die Erledigung ihrer Petition in Form eines mit Gründen vorsehenen Bescheides des Bundestagspräsidenten mitteilen.
Die gesamte Bearbeitung von der Registrierung bis zur Bescheiderteilung nimmt durchschnittlich etwa 4 bis 5 Monate in Anspruch, weil die Ermittlungen der Bundesregierung zu den erbetenen Stellungnahmen in den meisten Fällen bis hinunter in die untersten Instanzen beim Bund und bei den Gemeinden erstreckt werden müssen. Ich erwähne diese Tatsache deshalb, weil es Damen und Herren dieses Hohen Hauses gibt, die sich für Petitionen interessieren, bei denen die Petenten aus ihrem Wahlkreis stammen. Ich wiederhole, daß die Bearbeitung durchschnittlich eine Zeit von 4 bis 5 Monaten erfordert.
Aus der Dauer des Petitionsverfahrens erklärt sich, daß am Ende der dritten Wahlperiode noch 2373 Petitionen nicht erledigt waren. Ihre Zahl wird sich - nachdem der neue Bundestag und der Petitionsausschuß wieder konstituiert sind - schnell verringern.
In 1466 Fällen konnte in der dritten Wahlperiode dem Anliegen der Einsender voll entsprochen und ein positiver Bescheid erteilt werden; das sind zwar nur etwa 3 % aller erledigten Petitionen, aber doch immerhin etwa 16 % aller im Bundestag sachlich behandelten Eingaben um Abhilfe persönlicher Beschwerden, wenn man die zur Beratung im Bundestag nicht geeigneten und die im Interesse der Allgemeinheit - zwecks Annahme, Ablehnung oder Abänderung von Gesetzen - eingebrachten Petitionen ausnimmt.
Etwa ebenso viele Petitionen wurden der Bundesregierung zur Berücksichtigung, zur Erwägung, als Material oder zur Kenntnisnahme überwiesen, während etwa 7 % den zuständigen Fachausschüssen zugeleitet wurden, weil sich dort bereits entsprechende Gesetzesvorlagen befanden.
Ungefähr 17 % der Eingaben wurden durch überzeugende Stellungnahmen der Bundesregierung gegenstandslos, und weitere rund 37 % erledigten sich durch Beschlüsse über andere Gegenstände, weil der Bundestag bereits in anderem Zusammenhang der Sache nach das Anliegen des Einsenders geprüft hatte und daher eine erneute Beratung des Begehrens überflüssig erschien.
Meine Damen und Herren, weit gespannt ist der Bogen der Inhalte dieser Petitionen. Er umfaßt praktisch alle Sachgebiete des täglichen Lebens und der öffentlichen und hoheitlichen Betätigung des Staates. Der Petitionsausschuß ist daher ein instruktives und dankbares Arbeitsfeld für junge Abgeordnete, ich möchte sagen: für parlamentarische Neulinge. Nirgends lernt man so viel echte Demokratie, die Sorgen der Wähler und den Gang der Verwaltungsmaschinerie kennen wie hier.
Die größte Zahl der Einsender - etwa 35 % -befaßte sich in der dritten Wahlperiode mit Fragen der Verteidigung, was seinen Grund in dem Für und Wider um die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen hatte. In diesem Prozentsatz ist selbstverständlich nicht die hohe Zahl von rund 288 000 Massenpetitionen einbegriffen, die ich schon erwähnt habe; diese Petitionen wendeten sich ganz speziell gegen die atomare Aufrüstung.
Die nächstgrößere Gruppe der Petenten wünschte höhere Sozialversicherungsrenten - sie macht etwa 11 % aus -, Lastenausgleichsleistungen - etwa 8 % - oder Kriegsopferversorgungsrenten - etwa
6 % -.
Einem großen Teil der Einsender - auch das zu erfahren ist ganz interessant - ging es jedoch nicht nur um die Verwirklichung persönlicher Anliegen. Ihre Zuschriften hatten Vorschläge zu Gesetzesänderungen und -verbesserungen zum Inhalt und betrafen z. B. das Notdienstgesetz, die Ladenschlußregelung, das Jugendarbeitsschutzgesetz, das Lebensmittelgesetz, die Kriegsopferversorgung, die Krankenversicherung, den Lastenausgleich und das Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes.
Interessant ist vielleicht noch, daß ein Drittel der Bittsteller, die sich an den 3. Bundestag - mit nicht nur persönlichen, sondern zum Teil auch durchaus berechtigten allgemeinen Anliegen - wandten, Frauen waren. Das ist meines Erachtens ein Anzeichen dafür, daß das Interesse der Frauen nicht nur an der Tagespolitik, sondern auch an der Mitgestaltung und Einflußnahme bei der Beratung von Gesetzesvorlagen wächst.
Am meisten wurde vom Petitionsrecht - auf je 1 Million der Bevölkerung berechnet - in den Ländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Berlin - in dieser Reihenfolge - Gebrauch gemacht. Es ist ganz interessant, zu erwähnen, daß fast die Hälfte der Einzelpetitionen von Petenten kamen, die in NordrheinWestfalen wohnen. Ob das damit zusammenhängt, daß der Bundestag in Nordrhein-Westfalen tagt, kann ich natürlich nicht sagen. Aber immerhin sind auch solche Aufstellungen, die jetzt immer regelmäßig in den Sammelübersichten erscheinen, für das Interesse an der Arbeit des Petitionsausschusses des Bundestages nicht unwichtig.
Meine Damen und Herren, schenken Sie mir nun noch kurz Gehör für einige praktische Fälle aus unserer Arbeit, die Ihnen zeigen mögen, daß der
Ausschuß nicht überflüssig ist und daß seine Tätigkeit beachtet und gewürdigt wird.
Viele Petitionen gingen und gehen von Reparations- und Restitutionsgeschädigten ein. Einem Petenten, der als Deutscher schon 14 Jahre lang in Griechenland gelebt hatte, wurde nach Kriegsende seine Eigentumswohnung vom griechischen Staat zum Zwecke der Reparation beschlagnahmt. Der jetzt 78jährige Petent durfte zwar seine Wohnung zurückkaufen, mußte dafür aber fremdes Kapital im Werte von ca. 9380 DM und Zinsen aufwenden und begehrt nun von der Bundesrepublik die Erstattung des Darlehens.
Ein weiteres Kapitel möchte ich hier anfügen, und zwar betrifft es die in den ersten Nachkriegsjahren zwangsweise durchgeführten Besatzungs-Holzeinschläge, die sogenannten E- und F-Hiebe. Diese Holzeinschläge zu Reparationszwecken betrafen insbesondere den privaten Waldbesitz in den einzelnen Bundesländern. Die entstandenen Substanzverluste gefährden zusammen mit den allgemeinen Übernutzungen der Kriegs- und Nachkriegszeit die Wirtschaftlichkeit der betreffenden Forstbetriebe noch auf Jahrzehnte und machen daher eine Entschädigung dringend erforderlich.
Im Allgemeinen Kriegsfolgengesetz ist die Entschädigung für Reparations- und Restitutionsschäden sowie für Schäden aus der Durchführung des Bundesrückerstattungsgesetzes ausgeklammert worden und, wie man sagte, späterer Gesetzgebung vorbehalten. Leider ist es aber zu dieser Gesetzgebung in der vergangenen Legislaturperiode „wegen verschiedener rechtlicher Schwierigkeiten" noch nicht gekommen. Der Bundesminister der Finanzen hat daher als Übergangsregelung, wie es heißt, am 4. Juni 1960 Richtlinien über die Gewährung bedingt rückzahlbarer Darlehen erlassen. Diese Darlehen werden nach den Grundsätzen des Lastenausgleichsgesetzes, z. B. bei hohem Alter oder schwerer wirtschaftlicher Bedrängnis, gewährt. Gerade aus den Erfahrungen, die wir mit diesen Petitionen im Petionsausschuß gemacht haben, kommt es hoffentlich dazu, daß in dieser Wahlperiode das Gesetz zur Entschädigung von Rückerstattungs-, Reparations- und Restitutionsschäden verabschiedet werden kann.
Ein besonders interessanter, aber dazu sehr tragischer Fall hat den Ausschuß veranlaßt, sich mit dem Problem einer Haftung ohne Verschulden für nachteilige Folgen ärztlicher Eingriffe und der Einführung einer Operationsrisikoversicherung zu befassen. Bei der Einsenderin war nach einer in der Nähe der Wirbelsäule vorgenommenen Novocaineinspritzung durch den Arzt eines Versorgungskrankenhauses eine komplette Lähmung der ganzen unteren Körperhälfte mit weitgehender Bewegungsunfähigkeit, dauernder Bettlägerigkeit, Pflegebedürftigkeit und voller Arbeitsunfähigkeit eingetreten. Nach der rechtskräftigen Abweisung ihrer Schadensersatzhage gegen den Arzt und gegen das Land als Träger des Krankenhauses bat die Petentin um Hilfe und regte gleichzeitig eine Änderung des § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches dahingehend an, daß die Ärzte ohne Verschulden, auf Grund des bloßen Nachweises eines ursächlichen
Zusammenhanges zwischen einer Behandlung und den eingetretenen schädlichen Folgen, schadensersatzpflichtig gemacht werden sollten. Außerdem sollte eine Operationsrisikoversicherung zur Hilfe in den Fällen eingeführt werden, in denen eine Heilbehandlung schwere gesundheitliche Schädigungen des Patienten zur Folge hatte, ohne daß eine Haftung des Arztes besteht.
Der Ausschuß war sich mit der Bundesregierung darin einig, daß das rechtskräftige Urteil bindend ist und nicht Gegenstand einer Behandlung der Eingabe sein könnte und daß die gewünschten Gesetzesänderungen nicht mit rückwirkender Kraft getroffen werden könnten, wenn es überhaupt dazu kommen sollte. Im übrigen sei die Einführung einer Gefährdungshaftung für die ärztliche Tätigkeit mangels einer typischen Gefahrenquelle nicht veranlaßt, obwohl nicht zu verkennen ist, daß es bei ärztlichen Eingriffen für den Geschädigten oft sehr schwierig ist, ein fahrlässiges Handeln des Arztes nachzuweisen.
Der Ausschuß hat sich sehr eingehend mit diesem Fall befaßt. Besonders, der Kollege Dürr hat sich sehr dafür eingesetzt; er hat persönlich mit der Petentin gesprochen und hat die ganzen Fragen dem Petitionsausschuß sehr ausführlich dargelegt. Der Ausschuß war der Meinung, daß die Schaffung einer Operationsrisikoversicherung trotz der bestehenden Schwierigkeiten, die sich insbesondere auf die Abschätzung des zu übernehmenden Risikos beziehen, erneut und weiterhin geprüft werden sollte und daß in zurückliegenden Fällen der vorliegenden Art wegen der besonderen Tragik versucht werden sollte, eine einmalige Beihilfe bzw. eine Abfindung von dem staatlichen Krankenhausträger oder, wie wir auch erwogen hatten, auf Grund des neuen Bundessozialhilfegesetzes gewährt werden sollte.
Ich habe Ihnen diese Petition etwas ausführlicher dargelegt, damit Sie daraus ersehen, daß der Ausschuß es sich bei der 'Behandlung dieser Petitionen nicht leicht macht, besonders wenn er das Gefühl hat, daß es sich um einen Menschen handelt, der an den Petitionsausschuß als die letzte Stelle, von der er noch eine Hilfe erhofft, herantritt. Die Eingabe ist in der vorliegenden Sammelübersicht enthalten; Sie können das Nähere daraus entnehmen.
Voller Erfolg war den umfangreichen Ermittlungen und Bemühungen. des Ausschusses hinsichtlich der Wiederbeschäftigung eines früheren Postinspektoranwärters beschieden. Der Petent war aus dem Postdienst mit der Begründung entlassen worden, er habe seine Erkrankung - seine Eigenschaft als Typhusdauerausscheider - verschwiegen und die Bundespost könne die vom Gesundheitsamt geforderten Sicherungsvorkehrungen nicht erfüllen. Dem Petenten wurde von seiner Dienststelle nahegelegt, er solle doch versuchen, ob er nicht in der Wirtschaft eine entsprechende Stelle bekommen könne. Wir haben dann auf Veranlassung des Ausschusses bei dem Bundesressort, nämlich dem Postministerium, Ermittlungen anstellen lassen, die folgendes Ergebnis hatten. Die Dauerausscheidung von pathogenen Darmkeimen ist keine Erkrankung im
medizinischen Sinne und kein Grund zu einer Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis.
Wenn das für den privaten Arbeitgeber feststeht, muß es selbstverständlich auch für Arbeiter, Angestellte oder Beamte gelten, die im öffentlichen Dienst stehen. Nach dem Merkblatt Nr. 13 des Bundesgesundheitsamtes aus dem Jahre 1958, das wir auch herangezogen haben - betreffend die Arbeitsvermittlung von Bakterienausscheidern -, ist die Verwendungsfähigkeit dieser Personen nicht auf Berufe mit völlig isolierbarem Arbeitsplatz beschränkt; sie sollen lediglich aus gewissen Betrieben der Nahrungsmittelindustrie und ähnlichen Bereichen ferngehalten werden. Der Petent ist daher bei Einhaltung der entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen auch im Bereiche der Bundespost, so stellte der Ausschuß fest, ungefährlich, sofern die vorgeschriebenen Desinfektionsmaßnahmen in jedem Postbetrieb durchführbar sind. Da außerdem festgestellt wurde, daß der Vorwurf, der Petent habe bed seiner Untersuchung durch den Vertrauensarzt der Bundespost seine Dauerausscheidereigenschaft nicht angegeben, nicht begründet war, wurde der Petent zur Fortsetzung seines Vorbereitungsdienstes als Anwärter für den gehobenen Postdienst auf Antrag des Petitionsausschusses wieder eingestellt.
Auch dieser Fall zeigt ganz konkret, daß man doch, wenn man sich um die Angelegenheit sehr sorgfältig kümmert, die Möglichkeit hat, den Petenten zu helfen, damit sie auch Vertrauen zu der Arbeit unseres Ausschusses fassen.
Auf Grund einer anderen Petition - es ist ein ganz anderes Gebiet - regte der Bundesmindster für Verkehr an, daß die gelbe Ortstafel nach den Bildern 37 und 38 der Anlage zur Straßenverkehrsordnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite wiederholt wird, wenn das Ortsschild infolge starken Verkehrs zeitweilig verdeckt oder infolge dies Straßenverlaufs von dem Kraftfahrer erst spät bemerkt werden kann. Damit wurde dem Anliegen, die innerörtliche Geschwindigkeitsbegrenzung einzuhalten und die Ortstafel als geschwindigkeitsregelndes Zeichen beachten zu können, durch die Anregung teines Petenten Rechnung getragen.
Zum Schluß möchte ich Ihnen noch eine andere Petition vortragen, die etwas erheiternden Inhalts ist. Sie enthält einen zwar kaum realisierbaren Vorschlag einer „treuen Staatsbürgerin" aus Nürnberg, wie sie sich bezeichnet. Die sich als „modisch sehr beschlagen" ausgebende Dame bietet sich unter dem Motto „Alles fürs Vaterland" an, jedem Abgeordneten auf Bestellung komplett, wie sie sagt, „passend für seine Partei in der Farbe" einen Pullover zu stricken. Sie fügt hinzu, für den Herrn Bundestagspräsidenten wolle sie einen goldenen Pullover stricken und als besondere modische Vervollkommnung für jeden Abgeordneten eine zum Pullover passende Mütze, „bekrönt von dem flügelschlagenden Bundesadler in plastischer Häkelarbeit". Sie sehen, der Petitionsausschuß wird auch mit solchen Dingen befaßt, die wir im Ausschuß natürlich nicht behandeln, die wir aber immerhin als ein Zeichen dafür betrachten, welche Gedanken man sich über die äußere Ausstattung der Bundestagsabgeordneten macht.
Mein Bericht und auch die Beispiele, die ich angeführt habe, können Ihnen, meine Damen und Herren, nur einen kleinen Einblick in und einen kleinen Ausblick auf die vielseitige und vielgestaltige, interessante Tätigkeit des Petitionsausschusses geben. Dennoch denke ich, daß er Ihnen die besondere Bedeutung des Petitionsausschusses als eines Bindegliedes zwischen Bürger und Staat aufgezeigt hat. Er hört die Stimme des Volkes und vernimmt die Sorgen und Nöte, wie man sagt, des kleinen Mannes, die keineswegs nur Ausdruck von Querulantentum oder Besserwisserei sind, sondern oft von echter Beschwer und echter Bedrängnis zeugen.
Durch seinen nicht zu unterschätzenden Einfluß und durch seine Zusammenarbeit mit den Ministerien kann der Ausschuß viel dazu beitragen, die bei allem guten Willen noch immer nicht ausreichenden Bemühungen zu verstärken, jedem Menschen in unserem Staat sein ihm zukommendes Recht zu verschaffen. Gewicht und Bedeutung der Ausschußtätigkeit der Abgeordneten liegen daher nicht so sehr in der Beschäftigung mit den Ereignissen und Problemen der Tagespolitik wie in der Tiefen-, Breiten- und Dauerwirkung der Kleinarbeit für die Integrierung der Bürger in den Staat.
Die Mitglieder des Ausschusses für 'Petitionen können dazu beitragen, daß der einzelne Vertrauen zum Staat und dessen hoheitlicher Gewalt gewinnt und daneben das Bewußtsein erhält, mitverantwortlich zu sein für eine demokratische, soziale und rechtsstaatliche Ordnung. Das geschieht dadurch, daß der Ausschuß die Regierung hinsichtlich möglicher Mißbräuche und Gesetzesverletzungen gegenüber dem Bürger überwacht und daß er Anregungen und Vorschläge zur Verbesserung bestehender oder Schaffung neuer Gesetze, insbesondere bei Hinweisen auf Lücken, Härten oder Unbilligkeiten in den Gesetzen und ihrer Durchführung, auf Brauchbarkeit prüft, sammelt und auswertet.
Das Petitionswesen ist damit der Ausdruck des demokratischen Prinzips, daß der Bürger nicht für den Staat, sondern der Staat für den Bürger, für das Gemeinwohl aller da ist. Diesem Prinzip zu fortdauernder Wirkung zu verhelfen ist auch eine und wohl überhaupt die hohe, verantwortungsvolle, würdige und dankbare Aufgabe der Mitglieder und Mitarbeiter im Petiionsausschuß.
Meine Damen und Herren, damit habe ich meinen Bericht beendet. Ich bitte Sie abschließend, den Anträgen des Ausschusses zur Erledigung der in Drucksache IV/114 enthaltenen Petitionen zuzustimmen.
({0})
Ich danke der Frau Berichterstatterin. Wird das Wort gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Beschlußfassung über den Antrag des Ausschusses in Drucksache IV/114. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehemaligen Flakkaserne BremenLesum an den Verein für Innere Mission in Bremen ({0}).
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Haushaltsausschuß. - Ich höre keinen Widerspruch; das Haus stimmt dieser Überweisung zu.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Mindesturlaub für Arbeitnehmer ({1}) ({2}).
Hier liegt eine schriftliche Begründung vor, die mir übergeben worden ist. Ich nehme sie zu Protokoll. *)
Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Vorgeschlagen ist die Überweisung des Entwurfs an den Ausschuß für Arbeit. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung der Übersicht 1 des Rechtsausschusses ({3}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht ({4}).
Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - 'Enthaltungen? - Es ist beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({5}) - Immunitätsangelegenheiten - betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. Nissen gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 16. November 1961 ({6}).
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Dr. Dittrich, hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß ich zu dieser späten Stunde noch einen Immunitätsfall vortragen muß. Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hat mich ausdrücklich beauftragt, einen mündlichen Bericht zu geben, was ich hiermit tue.
Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hat in seiner zweiten Sitzung der vierten Legislaturperiode vom 17. Januar 1962 be-
*) Siehe Anlage 2 schlossen, dem Deutschen Bundestag zu empfehlen, I die Immunität des Abgeordneten Dr. Uwe Jens Nissen aufzuheben.
Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 16. November 1961 a) einen Bericht des Oberstaatsanwalts in Hildesheim vom 4. Oktober 1961 - Aktenzeichen 9 Js 1/61 -, b) die dem Bericht des Oberstaatsanwalts in Hildesheim beigefügte Fotokopie einer Anklageschrift vom 3. Juli 1961 zur Kenntnis gegeben.
Der Niedersächsische Minister der Justiz hat den Bericht des Oberstaatsanwalts in Hildesheim ohne die Bitte weitergeleitet, eine Entscheidung des Deutschen Bundestages darüber herbeizuführen, ob das Strafverfahren gegen das Mitglied des 4. Deutschen Bundestages, Herrn Abgeordneten Dr. Uwe Jens Nissen, fortgeführt werden darf. In einem Urteil des Oberlandesgerichts in Celle vom 11. Februar 1953 - vgl. Niedersächsische Rechtspflege 1953, Seite 72 - und auch in einem Beschluß des Oberlandesgerichts in Oldenburg vom 21. Juli 1953 wurde die Auffassung vertreten, daß eine Genehmigung zur Fortführung des Strafverfahrens, das bei Übernahme eines Mandats bereits angehängt war, nicht 'erforderlich sei.
Der Bundesminister der Justiz regt an, auch ohne Vorliegen eines formellen Antrags eine Entschließung darüber zu fassen, ob die Genehmigung erteilt wird, das Strafverfahren gegen den Bundestagsabgeordneten Henn Dr. Uwe Jens Nissen wegen des Gegenstandes der Beschuldigung eines Vergehens der schweren passiven Bestechung fortzuführen. Der Deutsche Bundestag nimmt diese Anregung auf, weil er der Ansicht ist, daß zur Durchführung eines Strafverfahrens, das bei Übernahme eines Mandats bereits anhängig war, eine Aufhebung der Immunität Voraussetzung ist.
({0})
Der Deutsche Bundestag vermag die Ansicht im Urteil des Oberlandesgericht in Celle vom 11. Februar 1953 und in einem Beschluß des Oberlandesgerichts in Oldenburg vom 21. Juli 1953 nicht zu teilen.
Dem bereits anhängigen Strafverfahren vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Hildesheim liegt folgende Anklageschrift zugrunde:
1. Der Werksarzt und Oberbürgermeister Dr. med. Uwe Jens Nissen, geboren am 26. 1. 1919 in Uelzen, wohnhaft in Wolfsburg, Rotehof Nr. 9, Deutscher, verheiratet, unbestraft, wird angeklagt, in Wolfsburg in den Jahren 1955 und 1956 als Bürgermeister und Mitglied des Bauausschusses der Stadt Wolfsburg und somit als Beamter für eine Handlung, die eine Verletzung seiner Dienstpflicht enthielt - seine Stimmabgabe zugunsten der Terra-Baubetriebe GmbH bei der Vergabe von Bauaufträgen der Stadt Wolfsburg -, Vorteile angenommen zu haben, nämlich unentgeltliche Bauarbeiten der „Terra" an seinem Wohnhaus im Werte von 8 049,27 DM.
Der Angeklagte Dr. Nissen läßt sich wie folgt ein:
a) Da er Eigenleistungen erbracht habe, seien, einige der Positionen des Angebotes der „Terra" entfallen. Er habe deshalb geglaubt, der Pauschalpreis, der niedriger als das Angebot gewesen sei, sei dadurch gerechtfertigt. Ein Preisnachlaß sei ihm nicht bewußt geworden, zumal die Einzelverhandlungen von seinem Architekten Guhl geführt worden seien.
b) Das Angebot für die Kläranlage sei erschreckend hoch gewesen. Deshalb habe er mit dem Mitangeschuldigten Mülmenstädt darüber gesprochen. Er habe ihm, nachdem er Fachleute befragt habe, Vorschläge zur Vereinfachung unterbreitet und um die Kosten zu senken, auch die Gräben selber ausgehoben, also geringe Selbsthilfe geleistet. Er habe daher angenommen, diese Maßnahmen hätten sich entsprechend auf den Preis ausgewirkt. Insbesondere 'habe 'er nicht bemerkt, daß aus dem Angebot nur 4 statt 48 Positionen in die Schlußrechnung aufgenommen worden seien, obwohl die Leistungen tatsächlich erbracht worden seien. Er sei nicht fachkundig genug gewesen, um das beurteilen zu können. Im übrigen habe er sich auf' den Architekten Guhl verlassen, der die Rechnungen vorgeprüft und gebilligt habe.
Die Schreiben der „Terra" an den Architekten Guhl vom 27. 2. und 17. 4. 1961 ... habe er nicht gelesen; sie seien ihm aber „dem groben Inhalt nach" bekannt geworden.
c) Da er die Ausschreibung nicht im einzelnen gekannt habe, sei ihm nicht aufgefallen, daß er Sonderwünsche geäußert habe. Zum anderen habe er nicht gewußt, daß die Wünsche hinsichtlich der Verwendung anderen Materials Mehrkosten verursachten. Schließlich seien die zusätzlichen Arbeiten auch teilweise von seiner Ehefrau bestellt worden.
d) Das Material für die Garage habe er selbst bezahlt. Insgesamt habe er dafür und für die Schwarzarbeit des Maurers 1300 DM aufgewendet. Damit habe er die Garage für bezahlt gehalten.
e) Die Abrechnung der Garageneinfahrt habe er vergessen, weil er zwischenzeitzeitlich längere Zeit krank gewesen sei. Er habe also keine Geschenke angenommen und auch nicht pflichtwidrig für die Firma „Terra" bei der Vergabe von Arbeiten an öffentlichen Bauten gestimmt.
Meine Damen und Herren, ich habe diese Einlassung des Angeklagten deshalb in dieser Ausführlichkeit gebracht, weil der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung der Ansicht ist, daß man dem Hohen Hause, wenn eine Anklage vorliegt oder die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten gefordert wird, auch sagen sollte, wie sich der Angeklagte verteidigt. Der Gerechtigkeit wegen und der objektiven Behandlung wegen wollten wir diese Einlassung des Angeklagten zur Kenntnis bringen. Der Tatbestand rechtfertigt - und das schlägt Ihnen der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vor - die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Nissen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Bericht gehört. Ich danke Ihnen, Herr Berichterstatter.
Ich glaube, meine Damen und Herren, wir stehen nach dem Petitum des Ausschusses hier vor einer besonderen Entscheidung. Ich möchte deshalb, wenn wir jetzt abstimmen, ausdrücklich sagen, daß das Haus, wenn es diesem Vorschlag des Ausschusses zustimmt, damit gleichzeitig seinen Willen bekundet, daß die Immunität in diesem Hause mit der Übernahme des Mandats wirksam wird und daß die Zustimmung des Hauses zur Einschränkung oder Aufhebung der Immunität unter allen Umständen in jedem Falle erforderlich ist, mit Ausnahme der in Art. 46 Ziffer 2 des Grundgesetzes vorgesehenen Fälle, d. h. es sei denn, daß der Abgeordnete bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird. Ist das klar? Das Haus bestätigt also jetzt, wenn es diesem Vorschlag des Ausschusses folgt, dáß es in jedem Falle, gleichgültig, ob ein Strafverfahren schon läuft oder nicht, in dem Augenblick, wo der Betreffende Mitglied des Hauses wird, der Zustimmung des Hauses zur Fort führung des Strafverfahrens bedarf.
Meines Wissens kommen wir heute zum erstenmal an diesen Fall. Ich möchte ihn deshalb mit allem Nachdruck in das Bewußtsein des Hauses stellen. Ich meinerseits stimme dieser Entscheidung des Ausschusses voll zu; ich halte sie für in völliger Übereinstimmung mit dem Sinn und auch dem Wortlaut des Art. 46 des Grundgesetzes stehend. Es besteht kein Zweifel: Die jetzige Entscheidung bedeutet, daß wir hier eine bestimmte Rechtsauffassung gegenüber anderen Auffassungen vertreten und für sie Nachachtung im Bereich der Bundesrepublik Deutschland sehen möchten.
Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Rechtsausschusses ({0}) über die Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht - Antrag der Bayerischen Staatsregierung auf Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen ({1}) vom 17. August 1960 ({2}) - ({3}).
Ich frage den Berichterstatter, Herrn Hoogen, ob er das Wort wünscht. - Der Herr Berichterstatter verzichtet.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Punkt 10 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Rechtsausschusses ({4}) betr. Antrag auf Normenkontrolle bei dem Bundesverfassungsgericht wegen des Sammlungsgesetzes ({5}).
Ich frage den Berichterstatter, Herrn Hoogen, ob er das Wort wünscht. - Der Herr Berichterstatter verzichtet.
Wird sonst das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig angenommen.
Punkt 11 der Tagesordnung:
Nachwahl eines Mitglieds des Rundfunkrats der gemeinnützigen Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutschlandfunk".
Meine Damen und Herren, Sie haben dazu keine Vorlage. Ich muß es also vortragen.
In der 164. Sitzung des 3. Bundestages ist der Abgeordnete Mischnick als Mitglied des Rundfunkrats der gemeinnützigen Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutschlandfunk" gewählt worden. Die Fraktion der FDP hat unter dem 22. Januar 1962 vorgeschlagen, für ,den aus diesem Gremium ausscheidenden Abgeordneten Mischnick den Abgeordneten Döring ({6}) in den Rundfunkrat zu entsenden. Wir haben das in ähnlichen Fällen, wenn kein Widerspruch erhoben worden ist, durch Handaufheben genehmigt. Ist das Haus damit einverstanden, daß auch diesmal so verfahren wird? - Kein Widerspruch. Wer damit einverstanden ist, daß der Abgeordnete Döring ({7}) in den Rundfunkrat entsandt wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Herr Abgeordneter Döring ({8}) ist an Stelle von Herrn Abgeordneten bzw. Bundesminister Mischnick in den Rundfunkrat entsandt.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der Tagesordnung. Zunächst eine Mitteilung an das Haus. Ich hebe die Präsenzpflicht für Freitag, den 26. Januar, auf. Ich habe nicht den Eindruck, daß die Präsenzpflicht in dieser Woche notwendig ist.
Die nächste Sitzung des Hauses findet statt am Mittwoch, dem 31. Januar, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.