Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich die traurige Pflicht,
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das Haus von dem Tod unseres Kollegen Dr. Josef Brönner in Kenntnis zu setzen. Unser Kollege Dr. Brönner ist gestern nach längerer Krankheit gestorben.
Dr. Brönner wurde am 12. Mai 1884 in Grünsfeld geboren. Nach einer Handwerkslehre weilte er von 1903 bis 1906 in den Vereinigten Staaten. Anschließend machte er sein Gymnasialabitur in Tauberbischofsheim und ging zu Sprachstudien nach Frankreich und Italien. Während des ersten Weltkriegs war er Dolmetscher an der Westfront. Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Würzburg und Freiburg promovierte er 1921 zum Dr. rer. pol. 1928 wurde Dr. Brönner Bürgermeister der Stadt Bad Mergentheim, 1933 wegen sogenannter „politischer Unzuverlässigkeit" seines Dienstes enthoben. Bis zum Kriegsende arbeitete er bei der Öffentlichen Bausparkasse Württemberg. 1945 wurde er Landrat in Bad Mergentheim. 1946 wurde er Mitglied der Vorläufigen Volksvertretung und im Juni des gleichen Jahres Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung Württemberg-Baden. Dr. Brönner war seit 1949 Mitglied des Bundestages, Mitglied im Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen sowie im Ausschuß für Bau- und Bodenrecht, er war Mitglied im Ausschuß für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge, Stellvertretendes Mitglied in den Ausschüssen für Inneres und für Wiedergutmachung.
Wir verlieren in unserem Kollegen Brönner einen freundlichen, hilfsbereiten, fleißigen und treuen Mitarbeiter, dem wir ein ehrendes und dankbares Angedenken bewahren werden. Ich habe den Angehörigen die Teilnahme des Bundestages ausgesprochen. Ich spreche die gleiche Teilnahme dem Herrn Fraktionsvorsitzenden und der Fraktion der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union aus. - Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben; ich danke Ihnen.
Die Glückwünsche des Hauses spreche ich zum heutigen 65. Geburtstag dem Herrn Kollegen Dr. Baade aus.
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Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zur Tagesordnung. Zunächst:
Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung.
Das Wort hat -der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seiner Sitzung vom 29. Oktober 1957 hat sich das Hohe Haus zum letztenmal mit Fragen der auswärtigen Politik beschäftigt. Die Bundesregierung begrüßt es, daß sie heute in der Lage ist, einen Bericht über die außenpolitische Entwicklung der vergangenen Monate zu geben. Es war der ausdrückliche Wunsch der Bundesregierung, dem Parlament über den Verlauf und die Ergebnisse der Konferenz der Regierungschefs der Atlantischen Gemeinschaft zu berichten.
Es liegt auf der Hand, daß die Verhandlungen in Paris auch eine Prüfung der sowjetrussischen Initiativen dienten, wie sie aus den zahlreichen Briefen der Sowjetunion erkennbar wurden. Als Sprecher der Bundesregierung benutze ich aber auch die Gelegenheit, einige kurze Ausführungen über die Sitzungen der Außenminister der sechs Länder zu machen, die zusammengetreten waren, nachdem die Römischen Verträge am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten sind.
Die große Bedeutung dieser Entwicklung auf dem europäischen Kontinent hat das Hohe Haus seinerzeit durch die nahezu einmütige Verabschiedung der Verträge selbst unterstrichen. Auch wenn es in der ersten Sitzung der Außenminister nicht möglich war, bereits jetzt den endgültigen Sitz der europäischen Institutionen festzulegen, so glaube ich doch sagen zu dürfen, daß die grundsätzliche Entscheidung, die wir getroffen haben, auch den Vorstellungen und Wünschen des Deutschen Bundestages entspricht: Wir haben uns einmütig zu der Notwendigkeit bekannt, die Organe der europäischen Organisationen an einen gemeinsamen Sitz
Bundesaußenminister Dr. von Brentano
zu legen, weil wir davon überzeugt waren, daß nur die enge Zusammenarbeit zwischen diesen Organen die Verwirklichung der Ziele verbürgt, die wir uns in diesen Verträgen gesetzt haben.
Nachdem der Ministerrat die erforderlichen personellen Entscheidungen getroffen hat, können die neugeschaffenen Organe nunmehr ihre Tätigkeit aufnehmen. Ich stelle dabei mit großer Befriedigung fest, daß der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Herr Professor Dr. Hallstein, einmütig zum Präsidenten der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bestellt wurde.
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Diese Entscheidung ist ein Ausdruck des Vertrauens in die Politik der Bundesregierung, aber auch in die Person des gewählten Präsidenten. Ich möchte darum auch heute von dieser Stelle aus Herrn Staatssekretär Hallstein, meinem nächsten Mitarbeiter, die aufrichtigen guten Wünsche der Bundesregierung für seine neue verantwortungsvolle Tätigkeit aussprechen.
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Ich verschweige dabei nicht, daß mir die Entscheidung, ihn für diese Aufgabe freizugeben, nicht leicht gefallen ist, und ich danke ihm für die hervorragende Arbeit, die er im Auswärtigen Amt für die Bundesregierung und damit für das ganze deutsche Volk geleistet hat.
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Die außenpolitische Entwicklung der vergangenen Monate war vor allem bestimmt durch den ergebnislosen Abbruch der Abrüstungsverhandlungen in der Unterkommission der Vereinten Nationen. Wir haben alle mit steigender Sorge beobachtet, daß die Spannungen in der Welt, die zu beseitigen unsere besondere Aufgabe und Verpflichtung ist, in den vergangenen Monaten nicht nachgelassen haben. Ob und inwieweit die technische Entwicklung in einzelnen Bereichen der Welt dazu beigetragen haben mag, will ich offenlassen.
Die Regierung der Staaten, die sich in der Atlantischen Gemeinschaft zur Erhaltung des Friedens und zur Sicherung der Freiheit zusammengeschlossen haben, verfolgen das weltpolitische Geschehen mit ernster Sorge. Die Bundesregierung hat die Initiative des Präsidenten der Vereinigten Staaten und des Premierministers Großbritanniens, die Konferenz der Atlantischen Gemeinschaft im Dezember auf der Ebene der Regierungschefs abzuhalten, begrüßt und unterstützt. Zur Vorbereitung dieser Konferenz hatte die Bundesregierung bestimmte Anregungen gegeben und Vorschläge ausgearbeitet. In der gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse des Deutschen Bundestages für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung habe ich am 3. Dezember über diese Erwartung der Bundesregierung berichtet.
Die Vorstellungen, mit denen wir an diese Konferenz herangingen, möchte ich kurz zusammenfassen:
Zunächst glaubte die Bundesregierung, daß die Atlantische Gemeinschaft noch einmal vor der Weltöffentlichkeit darlegen sollte, daß sie es als ihre
ausschließliche Aufgabe betrachtet, die Voraussetzungen für eine wirksame Verteidigung zu schaffen, um jedem Angriff begegnen zu können, der gegen einen der Bündnispartner gerichtet sein könnte.
Zum zweiten war die Bundesregierung der Meinung, daß die laufende politische Konsultation zwischen den Mitgliedstaaten verstärkt werden sollte. Die Atlantische Gemeinschaft kann ihre Aufgabe nur dann erfüllen, wenn hinter ihrem Bemühen, den Frieden und die Freiheit zu sichern, auch ein gemeinsamer politischer Wille erkennbar ist.
Wir wußten darüber hinaus, daß wir die uns gestellte Aufgabe, Frieden und Freiheit zu sichern, nur dann lösen, wenn wir gleichzeitig unsere gemeinsame Abwehrkraft stärken und die Bereitschaft zeigen, die Verhandlungen über eine allgemeine und kontrollierte Abrüstung wieder in Gang zu bringen, die durch die ablehnende Haltung der Sowjetunion zum Stillstand gekommen sind. Und ferner waren wir uns darüber im klaren, daß die Verstärkung unserer Abwehrkraft gleichzeitig eine engere wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit und eine enge Koordinierung auf den Gebieten der Forschung, der Entwicklung und der Produktion verlangt.
Das Ergebnis der Konferenz, die am 19. Dezember ihren Abschluß fand, ist in einer gemeinsamen Erklärung und in einem gemeinsamen Kommuniqué festgehalten. Ich kann mit großer Befriedigung feststellen, daß dieses Ergebnis unseren Wünschen entsprochen hat. Die Zeit, die für die Vorbereitung der Konferenz zur Verfügung stand, war nur kurz. Wir haben versucht, sie auszunützen, und ich selbst habe eine Anzahl von vorbereitenden Gesprächen geführt, so mit den Regierungen in Paris, in Rom, in Washington und in London. Da auch die anderen Mitgliedstaaten sich mit gleichen oder ähnlichen Vorstellungen in die Vorbereitungen einschalteten, war es möglich, in Paris zu grundsätzlichen Entscheidungen zu gelangen, die in Kürze zu weiteren praktischen Ergebnissen führen werden. Ohne den Anteil des einen oder anderen Mitgliedstaates zu schmälern, möchte ich in diesem Zusammenhang doch hervorheben, wie stark die persönliche Einschaltung und Initiative des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu diesem Erfolg beigetragen hat.
Die genannte Erklärung und das Kommuniqué, die nach der Sitzung veröffentlicht wurden, darf ich als bekannt unterstellen. Ich kann mich daher wohl auch darauf beschränken, Ihnen einige zusätzliche Erläuterungen zu geben. In der Beurteilung der weltpolitischen Lage bestand zwischen den Teilnehmern an der Konferenz eine volle und uneingeschränkte Übereinstimmung. Wir waren uns bewußt, daß die Bedrohung der freien Welt durch die Sowjetunion uns auf allen Gebieten in nicht nachlassender Stärke und in immer neuen Formen entgegentritt. Wir haben aus dieser gemeinsamen Erkenntnis gemeinsam die nötigen Konsequenzen gezogen. Die Staaten der freien Welt, die sich in diesem Bündnis zusammengeschlossen haben, müssen ihre Stärke erhalten und ausbauen, urn mit der
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Entwicklung in der unfreien Welt Schritt zu halten. Das bedeutet für jeden einzelnen Bündnispartner, daß er seine Pflichten einhalten und an den Lasten des Bündnisses auch in angemessener Weise mittragen muß. Das ist, wie ich namens der Bundesregierung erneut und mit allem Nachdruck feststellen möchte, nicht ein Bekenntnis zur Politik der Stärke, das die fünfzehn Regierungschefs in Paris abgelegt haben. Es ist vielmehr der Ausdruck der Entschlossenheit, gemeinsam alle Kräfte dafür einzusetzen, daß aus der Bedrohung des Friedens keine Gefährdung des Friedens wird. Wenn wir uns zu der Freiheit des Menschen und der Nation bekennen, dann müssen wir auch den Mut und die Entschlossenheit zeigen, jedem entgegenzutreten, de' es etwa unternehmen könnte, diese Freiheit anzutasten.
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Die Erklärungen, die wir in Paris abgegeben haben, sind klar und unmißverständlich. Wir haben nicht die Absicht, uns den militärischen Notwendigkeiten zu entziehen, die eine wirksame Verteidigung uns vorschreibt. Die Freiheit, das politisch Richtige zu tun, wird dadurch nicht eingeschränkt, sondern überhaupt erst hergestellt. Das konnte um so weniger das Ziel unserer gemeinsamen Beratungen sein, als wir vielleicht mehr als jemals zuvor spürten, wie stark die gegenseitige Abhängigkeit und Verpflichtung der Mitgliedstaaten in der Atlantischen Gemeinschaft zur Wirklichkeit geworden ist. Es gilt dies für alle Partner des Bündnissystems, auch für die führende Macht in der Gemeinschaft, die Vereinigten Staaten; aber es gilt dies in besonderem Maße für die Bundesrepublik Deutschland. Die politische Entwicklung seit dem Zusammenbruch des Jahres 1945 und die geographische Lage haben das deutsche Volk vor besondere Aufgaben und besondere Probleme gestellt, von denen wir wohl wissen, daß wir sie allein zu lösen nicht in der Lage sind, Probleme aber auch, von denen wir fürchten müssen, daß sie ohne Rücksicht auf die Lebensinteressen des deutschen Volkes gelöst werden würden, wenn wir durch eine fehlerhafte Politik die Unterstützung der freien Welt verlieren und das tödliche Risiko einer selbstgewählten Isolierung erneut auf uns nehmen wollten.
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Die Bundesregierung beklagt es auf das tiefste, daß die Ablehnung der westlichen Vorschläge für eine allgemeine kontrollierte Abrüstung auf dem Gebiete aller, auch der atomaren und nuklearen Waffen uns erneut vor die Notwendigkeit gestellt hat, die Fragen der gemeinsamen Verteidigung ernsthaft zu überprüfen.
In dem Abrüstungsunterausschuß haben die Vertreter Kanadas, Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten noch am 27. August einen konkreten und detaillierten Abrüstungsvorschlag vorgelegt. Es war nicht eine einseitige Initiative, die etwa die anders gearteten Vorstellungen de'. fünften Verhandlungspartners, der Sowjetunion, außer acht ließ. Vielmehr stellen diese Vorschläge das Ergebnis monatelanger Verhandlungen dar. Die vier westlichen Staaten haben dabei weitgehend
auch die Gegenvorschläge und die Einwendungen der Sowjetunion berücksichtigt.
Die Ablehnung dieser Vorschläge hat dann dazu geführt, daß die Diskussion in der Vollversammlung der Vereinten Nationen wiederaufgenommen wurde. Mit überwältigender Mehrheit haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sich diese Abrüstungsvorschläge in ihrem grundsätzlichen Inhalt zu eigen gemacht und den Wunsch nach Wiederaufnahme der Verhandlungen ausgedrückt. Die Sowjetunion hat sich diesem Appell der Vereinten Nationen bisher versagt.
Das verpflichtet uns alle, auch die Bundesrepublik, die gemeinsamen Anstrengungen, die auf die Verteidigung gerichtet sind, fortzusetzen. Die Bundesregierung ist aber darüber hinaus auch noch durch die eindeutige Entscheidung des deutschen Volkes vorn 15. September vorigen Jahres gebunden und verpflichtet, und sie wird sich dieser Verpflichtung nicht entziehen. Sie glaubt auch, vor dem gefährlichen Irrtum warnen zu müssen, daß man die solidarische Garantie der Atlantischen Gemeinschaft durch Spekulationen ersetzen oder einem unverantwortlichen Wunschdenken opfern könnte.
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Die Bundesregierung bekennt sich auch heute zu den freiwillig übernommenen Beschränkungen auf dem Gebiete der Rüstung. Der Verzicht auf die Herstellung nuklearer Waffen und strategischer Offensivwaffen ist nach wie vor gültig. Angesichts der wachsenden militärischen Macht der Sowjetunion kann die Bundesregierung aber nicht, ohne ihre Pflicht gegenüber dem deutschen Volk zu verletzen, darauf verzichten, die Bundeswehr so auszurüsten, daß sie ihre Verteidigungsaufgaben gemeinsam mit den Bündnispartnern zu erfüllen vermag. Sie sieht sich ebenso außerstande, ihren Verbündeten, die im Einvernehmen mit der Bundesrepublik und zum Zwecke der gemeinsamen Verteidigung Truppen in Deutschland stationiert haben, einschränkende Vorschriften für ihre Ausrüstung zu machen, selbst wenn sie, was nach den Verträgen nicht der Fall ist, solche Beschränkungen vorschreiben könnte. Es wäre eine gefährliche Utopie, wenn man annehmen wollte, wir könnten diese auch zu unserem eigenen Schutz und zu unserer eigenen Sicherheit in Deutschland stehenden Truppen und die für diese Truppen verantwortlichen Regierungen an der Bündnispflicht festhalten, wenn wir ihnen gleichzeitig die Möglichkeit nehmen würden, einem potentiellen Angreifer mit der gleichen Kraft und mit der gleichen Wirksamkeit zu begegnen, über die der Angreifer verfügt.
Die Bundesregierung hätte es begrüßt, wenn wir uns anläßlich der NATO-Konferenz mit einer Herabsetzung der Rüstungen und damit der Verteidigungslasten unserer Völker hätten befassen können. Eine nüchterne und realistische Betrachtung der internationalen Lage gestattet uns dies zur Zeit noch nicht. Wir haben aber damit keineswegs die Hoffnung auf einen grundlegenden Wandel in der Haltung der Sowjetunion aufgegeben. Die ungeheure Verantwortung, die auf allen Regierungen liegt, und die sie alle auch vor den eigenen Völkern
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verpflichtet, an der Aufrechterhaltung des Friedens und an dem Abbau des unerträglichen Spannungsverhältnisses in der Welt mitzuwirken, wird nach der festen Überzeugung der Bundesregierung auch die Sowjetunion veranlassen, die unterbrochenen Verhandlungen, sei es auch in einem anderen Kreise und unter anderen Voraussetzungen, wiederaufzunehmen.
Aus diesem Grund finden Sie in den Schlußerklärungen der Konferenz an erster Stelle und mit besonderer Klarheit auch das Bekenntnis zu den gemeinsamen Grundsätzen, in denen die Mitgliedstaaten der Sehnsucht nach Frieden und dem Wunsche nach Entspannung mit großer Eindringlichkeit Ausdruck verleihen. Die Konferenz der Regierungschefs hat sich zum obersten Ziel der Gemeinschaft bekannt, den Frieden, den Wohlstand und den Fortschritt in der Welt zu fördern.
Wir müssen uns aber über die Absichten und die Vorstellungen der Sowjetunion und ihrer Verbündeten auch im klaren sein. Die Erklärung der 12 kommunistischen Parteien, die im November verabschiedet wurde, klingt keineswegs beruhigend. In dieser Erklärung kommt der feste Wille zum Ausdruck, den Kommunismus in der Welt mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auszubreiten. Wir müssen ihm die feste Entschlossenheit entgegensetzen, uns dieser Drohung nicht zu beugen. Nur solange an dieser Entschlossenheit kein begründeter Zweifel besteht, haben wir eine echte Chance, aussichtsreiche Verhandlungen wiederaufzunehmen.
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Die Atlantische Gemeinschaft hat aber trotz wiederholter Rückschläge, die der Sache der kontrollierten Abrüstung und damit des Friedens durch die Sowjetunion zugefügt wurden, keine Möglichkeit vorübergehen lassen, die Rüstung innerhalb der durch die Sicherheit bedingten Grenzen einzuschränken. Sie hat weiter die Bereitwilligkeit bekundet, sich für alle Verhandlungen mit der Sowjetunion insbesondere im Rahmen der Vereinten Nationen einzusetzen, die irgendwie Aussicht auf die Durchführung der Abrüstungsvorschläge bieten. Sie ist darüber hinaus bereit - ich zitiere aus der Erklärung -, „jeden Vorschlag aus jeder Quelle für eine allgemeine oder teilweise Abrüstung zu prüfen und darüber hinaus jeden Vorschlag, der zu einem Abkommen über die kontrollierte Begrenzung der Rüstung auf allen Gebieten führen könnte".
Ich möchte dabei für die Bundesregierung die bereits früher abgegebene Erklärung ausdrücklich hinzufügen, daß sie bereit ist, sich einem im Rahmen der Vereinten Nationen abgeschlossenen Abrüstungsabkommen - die Bundesregierung ist nicht Mitglied dieser Organisation - anzuschließen. Die Bundesregierung ist aber nicht bereit, sich durch irgendwelche auf den ersten Blick anziehend erscheinende Vorschläge von ihrem Ziel allgemeiner und wirksam kontrollierter Abrüstung abbringen zu lassen. Sie ist wohl bereit, mitzuwirken, das Ziel in Stufen zu erreichen, aber alle zu treffenden Maßnahmen müssen uns näher an das Ziel heranbringen.
Gerade das deutsche Volk hat nach den schweren Erfahrungen der Vergangenheit ein leidenschaftliches Interesse daran, die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden zu gestalten. Niemand kann sehnlicher als wir eine echte Entspannung wünschen, um damit die Grundlage für eine umfassende Verständigung zwischen Ost und West und damit auch zu einer Lösung der deutschen Frage zu schaffen.
Die Regierung der Sowjetunion hat in letzter Zeit mit einer ungewöhnlichen diplomatischen und propagandistischen Aktivität zahlreiche Vorschläge gemacht, die angeblich zur Minderung der internationalen Spannungen dienen sollen. Der Ausgangspunkt aller dieser Vorschläge ist die Anerkennung des Status quo durch den Westen. Was bedeutet das? Nichts anderes, als daß auf die Lösung aller der gefährlichen, die internationale Atmosphäre vergiftenden Streitfragen verzichtet werden soll, die sich seit dem Ausgang des letzten Krieges entwickelt haben und deren Fortbestehen die Hauptursache für die internationalen Spannungen und das gegenseitige Mißtrauen in der Welt bildet. Es ist unverständlich, wie man auf dieser Grundlage zu einem Mindestmaß gegenseitigen Vertrauens und damit zu der unerläßlichen Voraussetzung für eine allgemeine Abrüstung kommen soll. Und es ist ebenso unverständlich, wie die Forderung nach Anerkennung und Festigung dieses auf Willkür und Zufall aufgebauten und mit schwersten Ungerechtigkeiten belasteten Status quo mit der von der Sowjetregierung gleichzeitig erhobenen Forderung nach dem Abschluß eines gerechten Friedensvertrags zu vereinbaren ist.
Tatsächlich heben sich diese beide Forderungen gegenseitig auf, - es sei denn, der Regierung der Sowjetunion schwebe ein Friedensdiktat vor, das die Spaltung Deutschlands verewigen und damit die ungelösten territorialen Probleme Europas im Sinne der sowjetischen Vorstellungen und Interessen bestätigen würde. Eine solche Regelung wäre weder gerecht noch würde sie dem Weltfrieden dienen.
Man muß den Eindruck gewinnen, daß die technische Entwicklung der jüngsten Zeit die Sowjetunion dazu verführt hat, an Stelle einer Politik echter Entspannung eine Politik der massiven Einschüchterung zu setzen.
Nur so kann man auch die zahlreichen Vorschläge interpretieren, die die Sowjetunion unterbreitet hat.
Nach diesen Vorschlägen sollen auf den von ihr angeregten Konferenzen eine Reihe von Fragen erörtert und gelöst werden, die die Sowjetregierung selbst ausgewählt hat; andere, ihrer Auffassung nach minder wichtige oder minder dringliche Fragen sollen von der Erörterung von vornherein ausgeschlossen werden.
Schon dieses Verfahren einer einseitigen und willkürlichen Begrenzung des Konferenzthemas muß Bedenken hervorrufen. Sie werden noch dadurch vermehrt, daß die Sowjetregierung anscheinend auf eine sorgfältige diplomatische Vorbereitung der von ihr vorgeschlagenen Konferenzen verzichten will. Sollte sie ernstlich die Gefahr nicht erkennen, die
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darin liegt, daß derartige Konferenzen auf der Ebene der Regierungschefs ohne gründliche Vorbereitung nur ein öffentliches Schauspiel, nicht aber eine ernsthafte Verhandlung bedeuten können?
Wir haben die Erfahrungen der Konferenz der Ministerpräsidenten in Genf im Juli 1955 noch nicht vergessen. Das Vertrauen in ein von den sowjetischen Führern feierlich und schriftlich gegebenes Wort ist nachhaltig dadurch erschüttert worden, daß man es am Tage danach wiederrief und mißachtete. Darum ist die Sowjetunion auch von westlicher Seite immer wieder an die Verpflichtung erinnert worden, die sie zusammen mit den Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten in der Direktive vom 23. Juli 1955 ausdrücklich übernommen und anerkannt hat. Wegen ihrer besonderen Bedeutung für die gesamte deutsche Politik verlese ich diese Erklärung:
In Anerkennung ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Regelung der deutschen Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands haben sich die Regierungschefs darüber geeinigt, daß die Regelung der Deutschlandfrage und die Wiedervereinigung Deutschlands im Wege freier Wahlen im Einklang mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes und den Interessen der europäischen Sicherheit erfolgen muß.
Zu dieser klaren schriftlichen Verpflichtung nimmt der Ministerpräsident der Sowjetunion, Herr Bulganin, in seinen Schreiben an Präsident Eisenhower, an Premierminister Macmillan und an den Bundeskanzler in sehr verschiedenartiger Form Stellung.
In dem an Präsident Eisenhower gerichteten Schreiben lauten die entscheidenden Sätze:
Natürlich konnten wir nicht unbeachtet lassen, daß in einigen westlichen Ländern Stimmen gegen Verhandlungen mit der Sowjetunion laut werden. Man versteigt sich sogar so weit, daß man versucht, die von uns gemeinsam auf der Genfer Konferenz der Regierungschefs geleistete große Arbeit für die Festigung des Friedens auszulöschen. Außerdem versucht man durch Auftürmung einer unsinnigen Behauptung auf die andere, der Sowjetregierung zuzuschreiben, sie erfülle irgendwelche Beschlüsse dieser Konferenz in bezug auf die Deutschlandfrage nicht. Sie werden sich ohne Zweifel entsinnen, daß weder in den Ausführungen von N. S. Chruschtschow noch in meinen Erklärungen auf der Konferenz auch nur eine Anspielung darauf enthalten war, daß die Sowjetunion der von den Westmächten vorgeschlagenen Plattform zur Deutschlandfrage zustimmen kann, die von der Berücksichtigung der realen Situation in Deutschland sehr weit entfernt ist.
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Auf der Genfer Konferenz und nach ihr erklärten wir mit aller Eindeutigkeit, daß die Wiedervereinigung Deutschlands ohne Annäherung und Übereinkommen der beiden souveränen deutschen Staaten nicht vollzogen werden kann.
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In dem Schreiben an Herrn Macmillan lauten die maßgeblichen Stellen wie folgt:
Ihnen, Herr Premierminister, als Teilnehmer dieser Konferenz, ist aber gut bekannt, daß kein derartiger Beschluß gefaßt und nur eine Direktive an die Außenminister für künftige Verhandlungen erlassen worden ist. Wenn man aber schon von Erfüllung der Beschlüsse der Genfer Konferenz spricht, so muß man leider konstatieren, daß die Politik gewisser Westmächte nach der Genfer Konferenz dem in der Direktive geäußerten Wunsch nicht entspricht, zur Minderung der internationalen Spannung und zum Verzicht auf Gewaltanwendung beizutragen.
In dem an den Bundeskanzler gerichteten Schreiben dagegen wird gesagt:
Wenn man davon absieht, .... eigene Wünsche für Wirklichkeit auszugeben, so wird es niemandem gelingen, die Bedeutung der Genfer Konferenz, die eine wesentliche Entspanspannung der internationalen Lage herbeiführte, herabzusetzen. Andererseits, kann man etwa, wenn man schon von Verletzungen der Beschlüsse der Genfer Konferenz spricht, davor die Augen verschließen, daß gerade einige Westmächte die in den Richtlinien der Regierungschefs der vier, Mächte festgelegten Verpflichtungen, von Gewaltanwendung abzusehen und dem Aggressor nicht zu helfen, fortgeschleudert haben? Der „Geist von Genf" wurde nicht am Verhandlungstisch, sondern in den Ruinen von Sues und Port Said begraben. Ist es nicht sonderbar,
- so fährt das Schreiben fort daß sogar jene, die der Genfer Konferenz fern-standen und ihre Schlußfolgerungen auf einseitige Informationen aus dritter Hand gründen, Behauptungen aufstellen, die die auf dieser Konferenz getroffenen Entscheidungen falsch auslegen?
Glaubt man denn ernstlich, durch eine derartige Interpretation einer übernommenen Verpflichtung ledig zu werden? Ist die Regierung der Sowjetunion sich nicht darüber im klaren, daß sie die eigene Glaubwürdigkeit erschüttert, wenn sie die Erklärung des eigenen Ministerpräsidenten in solcher Weise ableugnet?
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Es ist eine durchsichtige und nicht überzeugende Ablenkung, wenn man sagt, der Geist von Genf sei in den Ruinen von Sues ausgelöscht worden. Ich will nicht davon sprechen, was in Ungarn geschehen ist. Ich will nur um der Wahrheit willen feststellen, daß der Geist von Genf, wenn er jemals bestanden hat - was nach dieser Interpretation allerdings zweifelhaft zu sein scheint -, untergegangen ist, als die russischen Staatsmänner am Tage nach der Genfer Konferenz das feierlich gegebene Wort und die eigene Unterschrift leugneten und als der damalige Außenminister, Herr Molotow, in der zweiten Genfer Konferenz die den Außenministern einstimmig erteilte Direktive beiseite schob.
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Bundesaußenminister Dr. von Brentano
Darum, meine Damen und Herren, beklagt es die Bundesregierung, daß dem letzten Brief des sowjetrussischen Ministerpräsidenten zu entnehmen ist, daß die Sowjetregierung die Frage der Wiedervereinigung aus der internationalen Diskussion überhaupt ausschalten will. Und ich muß es als ungewöhnlich bezeichnen, daß die Regierung der Sowjetunion der Bundesregierung die Teilnahme an einer Konferenz zur Beseitigung der Ost-West-Spannungen vorschlägt unter der Auflage, daß das zentrale Problem deutscher Politik auf der Tagesordnung nicht erscheinen darf.
Die Bundesregierung weiß sich mit dem Hohen Hause wohl einig, wenn sie feststellt, daß der von der Sowjetunion vorgezeichnete Weg zur Wiedervereinigung über eine Konföderation der angeblich bestehenden beiden deutschen Staaten auf der Grundlage der Anerkennung und allseitigen Wahrung ihrer Interessen für das deutsche Volk ungangbar ist.
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Meine Damen und Herren, was soll eine Konföderation zwischen einer Demokratie und einer kommunistischen Diktatur? Schon wegen des inneren Widerspruchs der staatstragenden Ideen wäre eine solche Konföderation zur Aktionsunfähigkeit verurteilt. Die Bundesrepublik würde durch den Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrags mit der sowjetisch besetzten Zone deren Eigenstaatlichkeit anerkennen, ohne konkrete Fortschritte oder auch nur Zusicherungen hinsichtlich der endgültigen Wiedervereinigung zu erlangen. Die Vier Mächte wären aus ihrer Verantwortlichkeit für die Wiedervereinigung Deutschlands entlassen. Diese würde allein von der Zustimmung der auf die Aufrechterhaltung ihres Herrschaftssystems bedachten sowjetzonalen Machthaber abhängen.
Diese Haltung der Sowjetunion verpflichtet uns um so mehr, die solidarische Unterstützung unserer Bündnispartner bei der Verfolgung des großen nationalen Ziels der Wiedervereinigung anzurufen, aber auch die Solidarität zu stärken.
Darum hat es die Bundesregierung auch dankbar begrüßt, daß die Konferenz der Regierungschefs der Atlantischen Gemeinschaft erneut ein Bekenntnis zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands abgelegt und die feierliche Zusage wiederholt hat, den Status der freien Stadt Berlin zu garantieren.
Daraus erklären sich auch die weiteren Entscheidungen der Pariser Konferenz auf dem Gebiete der wissenschaftlichen, der technischen und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Daraus ergibt sich aber auch die Bereitschaft der Bundesrepublik, gemeinsam mit ihren Partnern die Verteidigungsanstrengungen zu verstärken. Die NATO-Konferenz hat dazu unter anderem folgendes gesagt:
Solange die Sowjetunion bei ihrer ablehnenden Haltung verharrt, solange sie verlangt, daß alle europäischen Nationen mit Ausnahme der Sowjetunion selbst, ohne auf eine allgemeine Abrüstung zu warten, auf Atomwaffen und Flugkörper verzichten und sich mit konventionellen Waffen begnügen sollen, so lange
sehen wir keine andere Möglichkeit als wachsam zu bleiben und auf unsere Verteidigung bedacht zu sein. Wir sind daher entschlossen, der militärischen Verteidigungsstärke der NATO die wirksamste Form zu geben und damit den jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiete der Waffentechnik Rechnung zu tragen.
Diesem Ziele dient die Anlage von Lagern mit Atomsprengköpfen; diesem Ziele dient auch die Ausstattung der alliierten Streitkräfte in Europa mit Mittelstreckenraketen. Eine Entscheidung darüber, ob und wann und wo diese Verteidigungseinrichtungen auch auf deutschem Boden geschaffen werden sollen, wird dann fallen, wenn die militärischen Sachverständigen ihre Überprüfung beendet haben.
Die Bundesregierung wird dann ihre Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen haben. Die Sicherung des Friedens dient der Erhaltung des Friedens,
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die Stärkung der Abwehrkraft dient der Erhaltung der Freiheit.
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Auch die Vorschläge des polnischen Außenministers Rapacki vom 13. Dezember, also unmittelbar vor Beginn der Sitzung der Regierungschefs der Atlantischen Gemeinschaft, können uns dieser pflichtgemäßen Entscheidung nicht entheben. Sie zielen auf ein Verbot der Herstellung und Lagerung von Kernwaffen in Polen, der Tschechoslowakei, der Bundesrepublik und der sowjetisch besetzten Zone. Nach der Überzeugung der Bundesregierung würde eine solche isolierte Maßnahme die Spannungen auf der Welt nicht vermindern und die Aussichten auf eine echte umfassende und kontrollierte Abrüstung nicht verstärken. Im Gegenteil:
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Einmal wäre eine solche Maßnahme überhaupt nur durchzuführen auf dem Wege über eine Anerkennung der sowjetisch besetzten Zone als Verhandlungs- und Vertragspartner; und die Vermutung liegt nahe, daß der Vorschlag gerade gemacht wurde, um dieses Ziel zu erreichen, das von der Sowjetunion seit langem hartnäckig verfolgt wird.
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Der Vorschlag ist im übrigen auch nicht neu und überraschend; er war schon in einem Vorschlag enthalten, den die Sowjetregierung am 27. März 1956 der Abrüstungskommission der Vereinten Nationen unterbreitet hat, ein Vorschlag, den sie am 18. März 1957 wiederholt hat. Es ist also schwerlich anzunehmen, daß es sich hierbei um eine eigene Initiative der polnischen Regierung handelt, wobei hinzukommt, meine Damen und Herren, daß die polnische Regierung ja zu den Unterzeichnern des von mir schon erwähnten kommunistischen Manifestes vom November vorigen Jahres gehört, das wahrlich nicht
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für den Verständigungsgeist und die Friedensbereitschaft seiner Autoren spricht.
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Darüber hinaus würde die Annahme eines solchen Vorschlages zwangsläufig - und das ist ja wohl der Sinn des Vorschlages - zu einem Abzug der Truppenkontingente unserer Verbündeten aus Deutschland führen. Ich habe oben schon erwähnt, daß wohl niemand ernstlich annimmt, wir könnten diese Verteidigungskräfte auf deutschem Boden und an der gefährdeten Grenze erhalten, wenn wir ihnen die Ausrüstung mit geeigneten Verteidigungswaffen verbieten wollten. Es kommt weiter hinzu, daß wir durch eine solche Teillösung das Verteidigungspotential des Westens in entscheidender Weise gegenüber dem Angriffspotential des Ostens schwächen würden. Die Sowjetunion, die sich ja rühmt, über Langstreckenraketen zu verfügen, würde durch eine solche Maßnahme am Angriff nicht gehindert, sondern vielleicht dazu ermutigt, weil sie die unmittelbare Reaktion dann weniger zu fürchten hätte. Und das Ganze würde geschehen, ohne daß wir der Entspannung, ohne daß wir einer kontrollierten Abrüstung, ohne daß wir der Lösung der deutschen Frage auch nur um einen Schritt näherkämen. Die Gefahr, den Wirkungen dieser Massenvernichtungsmittel ausgesetzt zu sein, würde aber auch nicht verringert.
In seinem zweiten Brief spricht der sowjetrussische Ministerpräsident, Herr Bulganin, davon, daß Erwägungen moralischer und humanitärer Art die Wahrscheinlichkeit begründen würden, daß atomare Waffen nicht gegen Staaten eingesetzt werden, die selbst keine Atomwaffen besitzen und deren Gebiet für die Lagerung solcher Waffen nicht benutzt wird. Er glaubt, daß auch eine entsprechende internationale Garantie gegeben werden könne.
In seinem ersten Brief sagt er etwas anderes. Er spricht davon, daß die Anwendung und Wirkung derartiger Vernichtungsmittel keine geographischen Grenzen kenne. Ich fürchte in der Tat, daß diese Feststellung richtiger ist und der Wahrheit näherkommt.
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Im übrigen weist Herr Bulganin in diesem ersten Brief ausdrücklich darauf hin, daß „der jetzige Rüstungsstand beibehalten werden solle." Ich glaube, daß es nicht unfair und nicht polemisch ist, wenn ich feststelle, daß gerade dieser Vorbehalt die Glaubwürdigkeit des Vorschlags erschüttert.
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Denn er zeigt, daß es der Sowjetunion in erster Linie darauf ankommt, ih r en Rüstungsstand aufrechtzuerhalten, aber gleichzeitig die Abwehrkraft und Abwehrmöglichkeit des Verteidigers nachhaltig und endgültig zu schwächen.
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Meine Damen und Herren, ich will auf die Vorschläge, die dem letzten Schreiben des sowjetrussischen Ministerpräsidenten beilagen, nicht im einzelnen eingehen. Es werden alle Vorschläge aus
vergangener Zeit wiederholt, ohne daß man bedauerlicherweise auch nur den Versuch unternimmt, die Bedenken, die beispielsweise in den Abrüstungsverhandlungen in London gegen diese Vorschläge erhoben wurden, auszuräumen. Auf die von den Westmächten gemachten und von den Vereinten Nationen ausdrücklich gebilligten Vorschläge geht der sowjetrussische Regierungschef nicht ein.
Aber gerade diese Art, eigene Vorschläge zu machen und fremde zu ignorieren, hat die Mitgliedstaaten der NATO und darunter auch die Bundesrepublik bestimmt, eine diplomatische Vorbereitung neuer Verhandlungen vorzuschlagen. Wir alle versprechen uns wenig von der Fortsetzung eines derartigen Briefwechsels, in dem alte Behauptungen und Angriffe wiederholt werden. Diese Art dient nicht dazu, das Klima für aussichtsreiche Verhandlungen zu schaffen. Im Gegenteil, man erhöht die Spannung und weckt Prestigevorstellungen, die sich gefährlich auswirken müssen.
Die Bundesregierung hat sich darum auch in ihrer Antwort auf den ersten Brief des sowjetischen Ministerpräsidenten darauf beschränkt, einige Behauptungen zu widerlegen, die mit der Wahrheit nicht übereinstimmen, und Bedenken gegen die Fortsetzung dieses Schriftwechsels und gegen konkrete Vorschläge anzumelden, die nach Überzeugung der Bundesregierung keinen Ansatzpunkt bieten, das erstrebte Ziel zu erreichen.
Sie hat gleichzeitig eine diplomatische Vorbereitung einer auch von ihr gewünschten Konferenz vorgeschlagen. Sie ist bereit und entschlossen, sich in eine solche Vorbereitung aktiv und mit eigenen Vorstellungen und Gedanken einzuschalten, natürlich nicht, ohne ihr Vorgehen mit ihren Bündnispartnern abzustimmen.
Die Bundesregierung kann nur wiederholt ihrem ausdrücklichen Wunsch Ausdruck verleihen, daß die Sowjetregierung diese Anregung aufnehmen möge. Wir sind bereit, dann mit Geduld und Anpassungsfähigkeit, aber auch mit Beharrlichkeit die Vorbereitung einer Konferenz zu fördern.
Ich glaube, daß ich hier auf den Verlauf der derzeitigen deutsch-russischen Verhandlungen verweisen darf. Die Bundesregierung ist seinerzeit mit der Regierung der Sowjetunion übereingekommen, in dieser Frage keine Noten mehr zu veröffentlichen, sondern die Verhandlungen den instruierten und informierten Delegationen zu überlassen. Dieses Vorgehen hat sich bewährt. Ich glaube, daß wir die begründete Aussicht hegen dürfen, daß diese Verhandlungen - die augenblicklich in beiderseitigem Einvernehmen für kurze Zeit unterbrochen werden mußten -, zum erfolgreichen Abschluß gebracht werden. Wenn das gelingt, so werden wir damit, wie ich glaube, einen, wenn auch bescheidenen, Beitrag zur Entspannung leisten. Wir werden darüber hinaus aber auch bestätigt finden, daß dieser von der Bundesregierung auch jetzt wieder vorgeschlagene Weg der richtige ist.
Ich bitte das Hohe Haus, überzeugt zu sein, daß die Bundesregierung sich der großen Verantwortung, die sie vor dem ganzen deutschen Volke und
Bundesaußenminister Dr. von Brentano
vor der Welt trägt, voll bewußt ist. Sie wird in voller Übereinstimmung mit ihren Bündnispartnern nichts unversucht lassen, um den Weltfrieden zu sichern und damit auch dem verhängnisvollen Rüstungswettlauf ein Ende zu bereiten. Die Bundesregierung läßt allerdings keinen Zweifel daran, daß sie sich vor dem deutschen Volke und vor der Welt verpflichtet fühlt, unablässig darauf hinzuweisen, daß die Entspannung, daß die Schaffung der Voraussetzungen für ein friedliches Nebeneinanderleben der Völker nur möglich sind, wenn der quälende Unrechtstatbestand der Teilung Deutschlands ein Ende findet, und zwar derart, wie 70 Millionen Menschen in Deutschland es fordern und verlangen: durch eine freie Willensentscheidung des ganzen deutschen Volkes diesseits und jenseits der Zonengrenze.
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Die Sowjetunion sollte sich bewußt sein, daß ihre Mitwirkung an einer solchen Lösung geeignet wäre, im deutschen Volke die Erinnerung an die tragische Zeit der Teilung und Zerrissenheit verblassen zu lassen. Das deutsche Volk, das weiß, daß seine Zukunft in gesicherter Freiheit und in einer dauerhaften Friedensordnung gewährleistet ist, wird ein gutwilliger und aufrichtiger Partner aller Völker sein, die an seinen Grenzen leben.
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Die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung wird verbunden mit der Aussprache über die Punkte b und c unserer heutigen Tagesordnung. Ich rufe auf:
Große Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 ({0}).
Zur Begründung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hat unter dem 11. Dezember vorigen Jahres eine Große Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, deren Text Ihnen unter der Drucksache 82 vorliegt. Ich darf der Begründung dieser Großen Anfrage einige Bemerkungen zur Geschäftsordnung voranstellen.
Die Bundestagsfraktion ging bei der Einreichung ihrer Großen Anfrage von der Voraussetzung aus, daß Große Anfragen im Parlament durch die einreichenden Fraktionen begründet werden und daß die Regierung dann auf diese Großen Anfragen antwortet.
({0})
Zum zweitenmal hat die Bundesregierung es für
richtig gehalten, umgekehrt zu verfahren und der
Begründung der Großen Anfrage eine Regierungserklärung voranzustellen. Wir Freien Demokraten sehen darin eine Aushöhlung des Initiativ- und Interpellationsrechts einer Bundestagsfraktion.
({1})
Wir haben bereits in einem ähnlichen Fall bei der 152. Sitzung des Deutschen Bundestages am 22. Juni 1956 Anlaß gehabt, gegen diese Methode zu protestieren. Wir haben auch diesmal an den Herrn Bundestagspräsidenten unseren brieflichen Protest gerichtet. Der Herr Bundestagspräsident antwortete der Fraktion, daß er eine Möglichkeit, auf die Abgabe von Regierungserklärungen einzuwirken, nicht habe. Er habe daher dem Herrn Bundeskanzler das Schreiben der Fraktion zugeleitet mit der Bitte um Kenntnisnahme und direkte Stellungnahme gegenüber der Fraktion. Der Bundestagspräsident selbst habe mehrfach die von der Fraktion angeschnittene Frage zum Gegenstand von Erörterungen mit dem Herrn Bundeskanzler gemacht.
Der Herr Bundeskanzler hat bis zur Stunde der Fraktion weder eine Antwort zugeleitet noch ist, wie zu erwarten war, nach unserem Wunsch verfahren worden.
Ich erlaube mir daher, an die Bundesregierung die Frage zu richten: Soll das eine neue Methode sein, den Fraktionen das Initiativrecht auf diese Weise zu stehlen, oder soll das auch diesmal eine Ausnahme sein?
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Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir noch eine zweite Frage an die Bundesregierung zu richten. Der Herr Bundeskanzler hat es für richtig gehalten, über den deutschen Rundfunk wenige Tage vor dieser Debatte ausschließlich zu außenpolitischen Fragen Stellung zu nehmen. Wir fragen die Bundesregierung: Ist die Bundesregierung der Überzeugung, daß es der Stellung des Parlaments in einer rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung entspricht, wenn der Bundeskanzler wenige Tage vor der außenpolitischen Debatte des Deutschen Bundestages über den deutschen Rundfunk ausschließlich zu außenpolitischen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung Stellung nimmt?
({3})
Wir sehen darin eine Mißachtung des Parlaments
({4})
als des höchsten Trägers der Souveränität in einer rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung, wenn der Regierungschef sich über den kleindeutschen Rundfunk in außenpolitischen Fragen, die wahrlich keine Marktware sein sollten, an das Volk wendet, wie
seinerzeit über den großdeutschen Rundfunk in
ähnlicher Weise der Reichstag ausgeschaltet wurde.
({5})
Weil wir nicht wollen - ({6})
Weil wir nicht wollen, meine Damen und Herren, daß der Deutsche Bundestag ähnlich denaturiert, wie seinerzeit der Reichstag nur noch zum Gesangverein degradiert wurde, erheben wir dagegen unsere Stimme.
({7})
Gestatten Sie noch eine dritte Frage an die Bundesregierung.
({8})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich zu beruhigen und den Redner aussprechen zu lassen.
({0}) Ich bitte, den Redner aussprechen zu lassen!
({1})
Meine Damen und Herren, es ist doch bezeichnend, daß eine Oppositionspartei offensichtlich nicht mehr das Recht hat, vor dem Bataillon der CDU zu sprechen.
({0})
Entspricht es den Vorstellungen von einer gemeinsamen Außenpolitik - wie sie in der Regierungserklärung vor dem 3. Deutschen Bundestag in Aussicht gestellt wurde -, wenn der Herr Bundeskanzler vor der Absendung der Antwortnote an den sowjetischen Ministerpräsidenten weder die Vorsitzenden der Koalitionsparteien und ihre außenpolitischen Experten noch der Oppositionsparteien, noch den Außenpolitischen Ausschuß von den Grundzügen seiner Antwort in Kenntnis setzt, so daß das Parlament und seine zuständigen Ausschüsse den Text der Antwort erst der deutschen Tagespresse entnehmen müssen?
({1})
Nach diesen Bemerkungen einer Oppositionspartei, die Ihnen ungewöhnlich sind - aber Sie sollten nach Voltaire handeln: „Ich mißbillige schärfstens das, was Sie sagen; aber ich werde das Recht, daß Sie es sagen dürfen, mit meinem Leben verteidigen" ({2})
nach diesen Ihnen unangenehmen Bemerkungen zur Begründung.
Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hat vor der NATO-Konferenz auf Grund einer ungewöhnlichen Lage auch ungewöhnliche Schritte unternommen. Sie hat einen Brief an den Herrn Bundespräsidenten und an den Herrn Bundeskanzler gerichtet; an den Herrn Bundespräsidenten, weil der Herr Bundespräsident in seinem Eid verspricht, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden. Wir hatten die Sorge, daß wir vor einem unmittelbaren Schaden standen, wenn der Herr Bundeskanzler in Paris auf der NATO-Konferenz Bindungen eingegangen wäre, die weder das Parlament noch die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages vorher auch nur zur Kenntnis nehmen konnten. Denn auch hier hat die Regierungsfraktion der CDU/CSU einer außenpolitischen Debatte auf Grund der absoluten Mehrheit widersprochen, und die Auskünfte, die der Außenpolitische Ausschuß und der Verteidigungsausschuß durch den Herrn Bundesaußenminister und den Herrn Verteidigungsminister erhielten, waren spärlicher als das, was die „Stuttgarter Nachrichten" am nächsten Tage der deutschen Öffentlichkeit berichten konnten. Wir Freien Demokraten haben gewisse Erfahrungen, daß Bindungen auch gegen ausdrückliche vorherige Versicherungen des Regierungschefs eingegangen wurden. Ich erinnere daran, daß der Bundeskanzler trotz gegenteiliger Versicherung gegenüber seinem Kabinett beim Saar-Vertrag in Paris Bindungen eingegangen ist. die zu scharfen Reaktionen einiger Kabinettsmitglieder führten, als man sie damals ebenfalls vor vollendete Tatsachen stellte.
Die in der Großen Anfrage gestellte Frage Nr. 1 gilt nicht nur für die NATO-Konferenz; sie gilt gewissermaßen für alle internationalen Konferenzen. Ich darf sie daher redaktionell dem heutigen Tag anpassen:
Wir fragen die Bundesregierung:
Beabsichtigt die Bundesregierung, auf allen internationalen Konferenzen sich bei den Vertragspartnern zu bemühen, daß die besondere Lage des gespaltenen Deutschland berücksichtigt wird, und will sie auf solchen Konferenzen eine eigene Konzeption zu der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands vortragen?
Die besondere Lage des zweigeteilten Deutschlands ist gerade uns Parlamentariern augenfällig demonstriert worden, als wir am 13. Oktober 1957 auf dem Wege nach Berlin waren, um dort zur konstituierenden Sitzung des 3. Deutschen Bundestages zusammenzutreten. Wir, die wir mit Recht nach dem Grundgesetz für ganz Deutschland zu sprechen haben und die wir auch für jene handeln, denen gegenwärtig mitzubestimmen versagt ist, mußten leider feststellen, daß die normative Kraft des Faktischen uns hinderte und daß Volkspolizisten zwischen Hamburg und Kassel entschieden, ob, wann und wie wir nach Berlin kommen konnten, - eine makabre Situation!
({3})
Die Entwicklung, die dazu geführt hat, ist bekannt. Wir wissen, daß wir nach dem ersten Zu306
sammentritt des Bundestages selbst vor die Frage gestellt wurden, ob wir trotz des weiteren Vordringens des stalinistischen Bolschewismus in Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Tschechoslowakei, ja in Mitteldeutschland schutzlos bleiben sollten oder ob nicht auch wir aus der Erkenntnis, daß Deutschland keine ruhige Insel im internationalen Meer der Spannungen bleiben konnte, uns unter den Schutz der freien Welt stellen sollten, mit entsprechenden Konsequenzen auch für einen eigenen militärischen Beitrag.
Die Schutzfunktion der NATO ist unbestritten; denn es ist in der Tat nach dem Zusammenschluß der freien Staaten im Nordatlantikpakt und nach dem Warnschuß vor den Bug des kommunistischen Expansionismus in Korea ein weiteres gewaltmäßiges Vorgehen des Kommunismus nicht zu verzeichnen. Wir Freien Demokraten haben den Pariser Verträgen, also dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATO und zur Westeuropäischen Union, zugestimmt. Wir stehen zu diesen Verpflichtungen; aber wir sehen in diesen Verträgen nicht ein militärpolitisches oder politisches Dogma. Wir glauben, daß die völligen Veränderungen technischer, aber auch politischer Entwicklungen der letzten Jahre dazu zwingen, zu prüfen, was man in einer Weiterentwicklung der Verträge von Paris und Warschau tun kann, um die Spaltung Deutschlands zu beenden.
Was war die seinerzeitige Konzeption der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hauses in der I Bündnispolitik des Westens in Beziehung zu der deutschen Wiedervereinigung? Wir waren der Meinung, daß die freie Welt durch ihren Zusammenschluß und durch den Druck ihrer NATO-Klammer es erreichen könnte, daß die Sowjets sich aus Mitteldeutschland und aus den osteuropäischen Staaten zurückziehen. Denn ein Blick auf die Weltkarte zeigt uns die prekäre Situation, in die der Sowjetblock durch die NATO-Klammer und durch das Stützpunktsystem der Vereinigten Staaten gekommen war. Man sitzt nicht gern am äußersten Rand einer Einschließungsklammer mit dem großen Teil seiner bewaffneten Macht; man zieht sich nach den allgemeinen strategischen Regeln dann zweckmäßigerweise auf eine innere Linie zurück. Wir glaubten alle, daß der Druck dieser Klammer der NATO, verlängert um den Bagdad-Pakt, dazu führen könnte, daß die Sowjets Mitteldeutschland und Osteuropa freigeben, daß wir also die deutsche Wiedervereinigung, die Frage Nr. 1 des deutschen Schicksals, auf dem Wege der Bündnispolitik und ihrer Reflexwirkungen auf die deutsche Frage erreichen könnten. Aber wir wissen, daß immer in der Politik Imponderabilien die Konzeptionen gestört haben. Die Sowjetunion, die damals noch nicht im Besitz atomarer Vergeltungswaffen war, ist 1949 in den Besitz der Atombombe und 1954 in den Besitz der Wasserstoffbombe gekommen. Das atomare Gleichgewicht hat eine Situation zuwege gebracht, in der keiner der beiden Giganten dieser Erde mehr dem anderen drohen oder den anderen unter Druck setzen kann. Die Phase, über die Bündnispolitik und über einen atomaren Druck die Sowjets
zu veranlassen, uns Mitteldeutschland herauszugeben, ist daher beendet. Es beginnt die neue Phase, die Phase der Verhandlungen unter der Maßgabe, daß einer wie der andere sich in einer gleichwertigen strategischen Position befindet, wenn gelegentlich auch der eine durch interplanetarische Vorstöße, der andere vielleicht durch stationäre Rampen gewisse temporäre Vorteile erzielen kann.
Wir fragen nun die Bundesregierung: Glaubt die Bundesregierung immer noch wie in der ersten Zeit der Bündnispolitik, daß die Wiedervereinigung Deutschlands im Rahmen des Drucks der NATOKlammer auf die Sowjetunion erreicht werden kann? Wir Freien Demokraten sehen die Verträge nicht statisch, wir sehen sie dynamisch. Wir stellen sie hinein in die Gesamtentwicklung unserer globalen Lebensverhältnisse auf dieser Erde. Jede weitere Integration der Bundesrepublik in die westliche Allianz muß zwangsläufig zu einer weiteren Eingemeindung Mitteldeutschlands und Osteuropas in die Allianz des Warschauer Paktes führen, das heißt, die beiden Teile Deutschlands werden durch jeden weiteren Schritt der Bundesrepublik nach Westen und der Sowjetzone nach Osten noch weiter voneinander entfernt, die Wiedervereinigung wird noch illusorischer, als sie gegenwärtig bereits ist.
({4})
Die Bundesrepublik ist für uns Freie Demokraten ein Provisorium und nicht mehr. Sie ist für uns ein Weg, um, wie das Grundgesetz wörtlich sagt, „dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben ... Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden." Der Art. 146 spricht davon, daß das Grundgesetz seine Wirksamkeit an dem Tag verlieren soll, an dem eine Verfassung durch das ganze deutsche Volk in freier Entscheidung zustande gebracht werden kann.
({5})
Wir stellen als Ergebnis der Nachkriegspolitik zwischen Washington und Moskau fest, daß Deutschland heute nicht nur politisch in zwei völlig voneinander verschiedene Staatswesen geteilt ist, sondern daß Deutschland auch Aufmarschgebiet zweier Militärblöcke wurde, deren vordere Linien sich mitten in Deutschland gegenüberliegen.
Angesichts dieser Lage ergibt sich die Frage, wie bei einem Fortbestehen dieses Zustands die deutsche Wiedervereinigung überhaupt herbeigeführt werden kann. Die vier Siegermächte haben sich im Potsdamer Abkommen verpflichtet, die staatliche Einheit Deutschlands zu gewährleisten. Hierin liegt ihre Rechtsverpflichtung und gleichzeitig der Rechtsanspruch des deutschen Volkes auf seine staatliche Einheit, und in der Tat - hier stimmen wir der Regierungserklärung zu -: wir denken gar nicht daran, die Vier aus dieser Rechtsverpflichtung für die deutsche Einheit zu entlassen.
Darum sind Pläne für eine deutsche Konföderation, wie sie uns aus Pankow angeboten wurden, für uns keine Diskussionsgrundlage.
Aber wir brauchen das Ja aller vier Siegermächte zur deutschen Wiedervereinigung.
({6})
Es ist jedoch nicht zu erwarten, daß die Sowjets ihre Zone in Mitteldeutschland räumen werden, wenn sie befürchten müssen, daß auch diese noch dem NATO-Potential Zugeschlagen wird. Umgekehrt werden die Westmächte schwerlich zu einer deutschen Wiedervereinigung ja sagen, wenn sie ihrerseits befürchten müssen, daß ein wiedervereintes Deutschland über ein neues Rapallo in den Sog des großenkontinentalen Nachbarn, der Sowjetunion, kommen könnte. Diese beiden Vorstellungen schließen ein gegenseitiges Ja aus.
Zur deutschen Wiedervereinigung gehört daher zunächst eine Einigung der vier Siegermächte über einen militärischen Status des wiedervereinigten Deutschlands.
({7})
Die freien gesamtdeutschen Wahlen stehen am Ende dieser Entwicklung gewissermaßen als die Krönung unserer Bemühungen.
({8})
Wir glauben daher, daß das wiedervereinigte Deutschland keine militärische Handlungsfreiheit in dem Sinne haben wird, daß es in alleiniger Verantwortung entscheiden kann, wem es sich militärisch anschließen will.
Der Bundeskanzler selbst hat sich in seinem Brief am 22. November 1955 an den Fraktionsvorsitzenden der Freien Demokratischen Partei über die militärische Entscheidungsfreiheit eines wiedervereinigten Deutschlands wie folgt geäußert:
Von den Westmächten und den NATO-Mächten eine Änderung der Pariser Verträge zu verlangen, die Deutschland nach seiner Wiedervereinigung volle Freiheit geben, ob und wem es sich anschließen will, ist zwecklos und nur dazu geeignet, die ablehnende Haltung Sowjetrußlands zu stärken.
So der Herr Bundeskanzler am 22. November 1955.
In der Tat, Herr Bundeskanzler, das wiedervereinigte Deutschland muß seine politische, wirtschaftliche und kulturelle Entscheidungsfreiheit haben; das ist außer Streit! Es wird sich jedoch im militärischen Bereich gewissen Beschränkungen unterwerfen müssen, wenn das Ja aller vier Siegermächte zur deutschen Wiedervereinigung erreicht werden soll.
Welche Lösung gibt es für den militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschland? Wenn das wiedervereinigte Deutschland militärisch weder einem West- noch einem Ostblock angehören soll, bietet sich auf den ersten Blick eine militärische Neutralisierung an. Wir lehnen eine Neutralisierung, die das wiedervereinigte Deutschland militärisch isolieren müßte, ab. Statt dessen treten wir
für eine militärische Verklammerung des wiedervereinigten Deutschlands in einem Bündnissystem ein, dem sowohl die Vereinigten Staaten wie die Sowjetunion angehören müßten.
({9})
Es bietet sich entweder ein Fünfmächtepakt zwischen den Vier Mächten und dem wiedervereinigten Deutschland an oder, was wir für besser halten, ein europäisches Sicherheitssystem, dem sowohl osteuropäische, westeuropäische und skandinavische wie südeuropäische Staaten angehören, dazu die Vier Mächte und das wiedervereinigte Deutschland.
Als wichtigster Inhalt dieser Paktsysteme wären zu fordern: 1. Garantierung des jeweiligen Staatsgebiets der Partnerstaaten; 2. Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des Partnerstaates; 3. Regelung aller Streitigkeiten nur im Rahmen internationaler Schiedsgerichtsbarkeit; 4. automatische Bündnispflicht gegenüber jedem Angreifer; und 5. Aufnahme des wiedervereinigten Deutschlands und seine Mitarbeit in den Vereinten Nationen.
Ordnung und Sicherheit im wiedervereinigten Deutschland müßte eine mit den vier Siegermächten in ihrer Stärke festzusetzende deutsche Bundeswehr garantieren, die in ihrer Bewaffnung und Ausrüstung modernen Auffassungen entspricht, sich jedoch auf freiwilliger Basis gleichen Beschränkungen unterwerfen kann, wie das bereits die Bundesrepublik im Protokoll der Westeuropäischen Union mit dem Verzicht auf die ABC-Waffenproduktion getan hat. Diese Gedankengänge scheinen uns die einzig mögliche reale Weiterentwicklung der gegenwärtigen Paktsysteme NATO und Warschauer Pakt zu sein, wenn man die deutsche Wiedervereinigung erreichen will.
({10})
Wir fragen die Bundesregierung: Ist sie bereit, diese Konzeption mit den Vertragspartnern zu erörtern? Wer die Rote Armee, meine Kolleginnen und Kollegen, aus Mitteldeutschland abrücken sehen will, muß nach unserer Auffassung bereit sein, einen gleichen Raum in Westdeutschland durch die amerikanischen, englischen und französischen Truppen frei machen zu lassen.
({11})
Die Dezember-Note des sowjetischen Ministerpräsidenten Bulganin eröffnet hier geradezu die Verpflichtung für die Bundesregierung, zu prüfen, was der .sowjetische Ministerpräsident im einzelnen meint, wenn er erklärt:
Ich halte es für notwendig, Sie aufmerksam zu machen auf die entsprechende Erklärung der Sowjetregierung über die Bereitschaft, ihre Truppen in Deutschland zu reduzieren oder aus Deutschland sowie aus den anderen Ländern, wo sie sich gemäß dem Warschauer Pakt befinden, abzuziehen, wenn vom Territorium der Bundesrepublik und anderer NATO-Teilnehmerländer die Streitkräfte der USA, Großbritanniens und Frankreichs abgezogen werden.
({12})
Ihr Lachen vorhin, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, als ich von dem Paktsystem und der Verklammerung auch der Sowjetunion in einem solchen Paktsystem sprach, beweist mir, daß manche von Ihnen offensichtlich immer noch auf der Basis des Fuldaer Manifestes stehen.
({13})
Man kann und muß den Kommunismus ablehnen, und wem sagen Sie das? Wir Freien Demokraten fühlen uns in unserem Bekenntnis zur Freiheit geradezu als die extreme Gegenseite gegen den Kommunismus.
({14})
Aber sosehr man den Kommunismus ablehnt und ablehnen muß, die Sowjetunion ist eine Realität, und wie Sie die geographische Karte auch immer hängen, diese Sowjetunion und die osteuropäischen Staaten werden geographische Nachbarn dieses Deutschland bleiben.
({15})
Wenn das aber so ist, muß man sich ein Minimum von Vertrauen auch für Verhandlungen mit der Sowjetunion bewahren. Wer das nicht kann und nicht will, der bekennt, daß es auf dieser Erde eben kein Nebeneinanderleben geben kann. Das bedeutet die Bejahung eines Krieges, der dann mit mathematischer Sicherheit eines Tages kommen muß.
({16})
Wer sich also nicht die atomaren Kreuzzugsgedanken des Fuldaer Manifestes zu eigen machen will, muß bereit sein, zu verhandeln, und wenn es mit dem Teufel wäre.
({17})
Wir fragen weiterhin die Bundesregierung: Will die Bundesregierung nach Ablehnung sämtlicher innerhalb und außerhalb Deutschlands diskutierten Deutschlandpläne, angefangen vom Pfleiderer-Plan 1952 bis zu den Vorstellungen des ehemaligen USABotschafters in Moskau George Kennan Ende 1957, endlich eine eigene Konzeption und konkrete Vorstellungen der Bundesregierung für die Wiedervereinigung bekanntgeben, oder soll auch weiterhin die bisher vertretene Auffassung gelten, daß sich an den gegenwärtigen Bündnissen der Bundesrepublik nichts ändern darf? Das heißt, daß die Bundesrepublik bei der NATO und entsprechend die Sowjetzone beim Warschauer Pakt weiterhin verbleiben sollen; das heißt, daß Deutschland weiterhin geteilt bleiben soll.
In der 188. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages am 31. Januar 1957 erklärte der Bundesaußenminister von Brentano:
Der Herr Kollege Wehner hat vorhin ausgeführt, die Bundesregierung habe den ersten Edenplan abgelehnt. Herr Kollege Wehner, erinnern Sie sich denn nicht,
- so sprach Herr von Brentano daß wir diesen ersten Edenplan abgelehnt
haben, weil er kein Wort von der Wiedervereinigung enthielt? Das war das Entscheidende. ... Er enthielt einen Plan über den Beginn einer sogenannten Abrüstung, dem die Zonengrenze zugrunde gelegt worden war, ohne auch nur das Wort „Wiedervereinigung" zu erwähnen!
Sir Anthony Eden, damals britischer Ministerpräsident, hatte auf der Genfer Gipfelkonferenz zwei Pläne vorgelegt, den ersten am 18. Juli, den zweiten am 21. Juli 1955. Der Plan vom 18. Juli, also der erste Eden-Plan, enthielt die Vorschläge eines Sicherheitspaktes der vier Mächte mit einem wiedervereinigten Deutschland - jetzt können Sie lachen, meine Herren von der CDU/CSU, aber diesmal über Herrn Eden -, einer Begrenzung der Sreitkräfte und Rüstungen in Deutschland und in seinen Nachbarstaaten und einer entmilitarisierten Zone beiderseits des Eisernen Vorhanges. Wer den Wortlaut dieses ersten Eden-Planes liest, stellt fest, daß der Plan mehrfach ausdrücklich auf ein wiedervereinigtes Deutschland Bezug nimmt.
Es ist demnach festzuhalten, daß die Bundesregierung nach der Äußerung des Bundesaußenministers vom 31. Januar 1957 zwar den ersten Eden-Plan abgelehnt hat, daß aber ihre Begründung, der Plan habe kein Wort von der Wiedervereinigung enthalten, nicht zutrifft.
Die Ablehnung des von Sir Anthony Eden eingebrachten Vorschlages einer entmilitarisierten Zone zwischen Ost und Weist nicht nur durch die Bundesregierung, sondern auch durch die drei Westmächte ergibt sich aus einer Feststellung, die der damalige französische Außenminister Antoine Pinay am Vorabend der Genfer Außenministerkonferenz im Herbst 1955 getroffen hat. Die amerikanische Zeitschrift „U.S. News & World Report" brachte am 21. Oktober 1955 ein Interview mit dem französischen Außenminister. Auf die Frage, ob er mit Edens Vorschlag, daß in Deutschland eine entmilitarisierte Zone geschaffen werde, um eine Pufferzone zwischen Vorschläge durch die drei Westmächte noch kräfte zu legen, einverstanden sei, gab Antoine Pinay die eindeutige Antwort: „Die drei Mächte haben den Vorschlag einer entmilitarisierten Zone nicht akzeptiert."
Wir fragen die Bundesregierung: wie begründet die Bundesregierung es, daß sie zwischen den beiden Genfer Konferenzen von 1955 keine Schritte unternahm, um die genannten Vorschläge Edens, die übrigens in die Genfer Direktiven aufgenommen wurden, zu fördern? Wie rechtfertigt sie es, daß sie eingestandenermaßen zur Ablehnung der Edenschen Vorschläge durch die drei Westmächte noch vor Zusammentritt der Genfer Außenministerkonferenz beigetragen hat?
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei hat bezüglich der zweiten Frage unserer Großen Anfrage bereits in der Atomdebatte des Bundestages vom 10. Mai des vergangenen Jahres einen atomwaffenfreien Raum zumindest auf deutschem Boden gefordert. Die Frage 2 unserer Großen Anfrage lautet:
Will sich die Bundesregierung dafür einsetzen, daß im mitteleuropäischen Raum eine atomwaffenfreie Zone als erste Stufe einer Entspannung entstehen kann?
Ich betone: wir sehen die atomwaffenfreie Zone nicht als etwas Isoliertes, sondern sie muß kombiniert werden mit der entsprechenden Reduzierung der auf beiden Seiten auch stehenden klassischen Truppen, sie muß kombiniert werden mit dem Plan einer Luftinspektion, sie muß kombiniert werden mit dem Plan einer Erdkontrolle und weiteren Maßnahmen. Wer die Pläne für eine atomwaffenfreie Zone, wie sie später vom polnischen Außenminister aufgenommen wurden, begrenzt oder weiter ausgedehnt, isoliert sieht, wird dem Vorschlag nicht gerecht. Er verschließt die Augen vor den Chancen, die ein erst er Schritt für weitere Schritte bietet.
({18})
Die damalige Entschießung der Freien Demokraten vom 10. Mai 1957 hatte in den beiden ersten Absätzen folgenden Inhalt. Die FDP-Fraktion ersuchte damals die Bundesregierung - also weit vor dem Vorschlag des polnischen Außenministers -, einen Beitrag zur allgemeinen Abrüstung durch den Verzicht auf die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen zu leisten, zweitens unter Berücksichtigung der Spaltung unseres Vaterlandes und der Bemühungen zur Wiedervereinigung mit Hilfe geeigneter Kontrollmaßnahmen zu erreichen, daß sowohl in der Bundesrepublik als auch im anderen Teil Deutschlands Atomwaffen weder stationiert noch gelagert werden dürfen.
Unsere heutige Auffassung ist die gleiche. Wir halten die Einrichtung von Raketenrampen auf dem Gebiet der Bundesrepublik, ja auch auf dem Gebiet Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs militärisch für unsinnig. Das dürfte auch die Auffassung des Verteidigungsministers sein, der erklärt hat: Man stellt keine schwere Artillerie in den vordersten Graben. In der Tat, die Bundesrepublik ist geographisch ein schmales Handtuch von rund 800 km Länge, aber von nur 250 km Breite, an der breitesten Stelle, zwischen Freiburg und Passau von fast 400 km. An der schmalsten ist der Weg für sowjetische Panzervorstöße aus dem Thüringer Wald bis zum Rhein nur 170 km weit. Wer will in diesem schmalen Raum jene Areale von Raketenrampen einrichten? Sie würden dem Zugriff im ersten Anstürmen gegnerischer Kräfte ebenso ausgeliefert sein, wie 1940 die Befestigungen in Belgien, Holland und Frankreich, wie Fort Eben-Emael und die Maasbrükken und andere Anlagen auch bereits vor dem ersten Schuß durch abgesprungene Fallschirmjäger in Besitz genommen wurden, ohne daß diese großen Werke überhaupt zur Wirkung kommen konnten.
Aber diese Frage des Militärischen erscheint uns nebensächlich gegenüber der politischen Bedeutung. Wer die Wiedervereinigung Deutschlands will, der darf zu den Spannungen, die sich beiderseits der Elbe und Werra bereits in der Vergangenheit gezeigt haben, nicht noch die atomaren Spannungen hinzufügen, wenn er nicht Gefahr laufen will, daß
eines Tages durch unsere Mitschuld Deutschland
zum Atombombenversuchsfeld beider Parteien wird.
({19})
Wir verstehen das Interesse der Vereinigten Staaten, sich bis zur Serienproduktion eigener Interkontinentalraketen vom Typ Atlas die Mittelstreckenraketen vom Typ Jupiter und Thor in den NATO-Ländern so nahe an den Sowjetblock bringen zu lassen, daß ein Inschachhalten des Sowjetblocks mit Mittelstreckenraketen erfolgen kann. Aber dazu bedarf es nicht der Stationierung von Raketenrampen und Mittelstreckenraketen in allen NATO-Staaten. Es bieten sich geographisch - aber auch politisch - Raketen-Rampen anderswo eher an als im zweigeteilten, in Grenz- und Frontnähe liegenden Deutschland. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf das, was der Senator Jackson in den Vereinigten Staaten vor seinem Ausschuß, aber auch auf der Pariser NATO-Parlamentarierkonferenz über die floating bases gesagt hat, über die Möglichkeit, mittels U-Booten Raketen in die Nähe jener Stellen zu bringen, aus denen heraus man möglicherweise eines Tages zur Gegenwehr gezwungen ist. Jene floating bases vom Eismeer über die Nordsee und den Atlantik bis zum Mittelmeer würden die Vereinigten Staaten aus dem gegenwärtigen Dilemma befreien.
Wenn schon der dänische und der norwegische Ministerpräsident in Paris nein zu den Raketenrampen gesagt haben, verstehen wir nicht, warum nicht auch Sie, Herr Bundeskanzler, aus der gleichen Not in Paris nein gesagt haben.
({20})
Die heutige Regierungserklärung - ich bin ja dank eines Kunstgriffs der Bundesregierung in der glücklichen Lage, in einer Großen Anfrage gleich auf die Beantwortung eingehen zu können - enthält einige eigenartige Passagen. Sie verschiebt - wie am 10. Mai vorigen Jahres - das Problem in die Zukunft und sagt: Die Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen ist gegenwärtig nicht aktuell, und mit der Frage der Rampen wollen wir warten, bis das Gutachten der Militärs vorliegt; wenn die Militärs im März oder April uns vor die Notwendigkeit stellen, auch unsererseits in Deutschland Rampen und Raketen zu haben, dann werden wir uns im Rahmen des atlantischen Bündnisses dieser Verpflichtung nicht entziehen können. - Diese Antwort bedeutet erstens die Leugnung des besonderen Status des fünfzehnten Bündnispartners, der Bundesrepublik Deutschland, des besonderen Status, der in der Zweiteilung und in der besonderen frontnahen Lage besteht, und zweitens bedeutet eine solche Stellungnahme - und das ist noch viel wesentlicher - die Kapitulation der Politik vor den Militärs.
({21})
Das Militär soll Objekt der Politik sein. Wehe dem, der militärische Überlegungen an den Anfang aller
politischen Überlegungen stellt; wehe uns, wenn das Militär Subjekt unserer politischen Entscheidungen wird!
({22})
Das hat in der Geschichte unseres Volkes bisher immer zu großen Tragödien geführt. Wir bitten daher den Herrn Bundeskanzler, alles zu tun, damit die politische Entscheidung nicht allein von dem militärischen Gutachten abhängig ist. Der Primat der Politik ist das höchste Gut, das wir zu verteidigen haben.
({23})
Der Herr Bundeskanzler hat - damit komme ich zu der letzten Frage - in der 101. Sitzung des 2. Bundestages am Donnerstag, dem 22. September 1955, zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion folgendes ausgeführt:
Die Sowjetunion ist eine der vier Siegermächte, ohne deren Mitwirkung das vornehmste Anliegen unserer Politik, die Herstellung der Einheit unseres Landes, nicht verwirklicht werden kann. Das Fehlen von Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten, die sich daraus für uns ergebende Unmöglichkeit, unsere nationalen Anliegen auch selbst in Moskau zu vertreten, ist eine Anomalie.
Wir fragen den Herrn Bundeskanzler: Ist es auch heute noch seine Meinung, daß man diplomatische Beziehungen deswegen aufnimmt, um sie zum zweiseitigen Gespräch zu nutzen, natürlich mit Wissen der Partner - niemand von uns will eine Schaukelpolitik treiben -; oder richtet man diplomatische Beziehungen ein, um nachher den einen Diplomaten in Bonn zu brüskieren und den anderen in Moskau in den Wartestand zu versetzen?
({24})
Diese diffizilen Fragen schneiden wir auch mit dem letzten Punkt unserer Großen Anfrage an, der lautet:
Was hat die Bundesregierung unter Ausnutzung der diplomatischen Beziehungen bisher getan, um die durch die Erklärungen des ehemaligen USA-Botschafters in Moskau, George Kennan, wieder in Gang gekommene Erörterung der Deutschlandfrage zu konkreten Anträgen und Stellungnahmen bei den vier Mächten des Potsdamer Abkommens zu nützen?
Die jetzt eingetretene Situation sollte gerade den diplomatischen Draht zwischen Bonn und Moskau, aber auch zwischen Bonn, London, Paris und Washington geradezu heiß werden lassen. Wir haben aber das Gefühl, daß das Gegenteil geschieht.
Herr Bundeskanzler, die deutsche Wiedervereinigung ist in erster Linie eine Frage der deutschen Politik.
({25})
Amerikanische strategische Interessen und deutsche nationale Fragen müssen nicht unbedingt immer kongruent sein.
({26})
Es ist das Recht, es ist die Pflicht der amerikanischen Politik und Strategie, in erster Linie an Amerika zu denken. Es ist das Recht, es ist die Pflicht auch der britischen und französischen Politik und Strategie, in erster Linie an ihre Länder zu denken. Unsere Pflicht, Herr Bundeskanzler, ist es, in erster Linie an Deutschlands Einheit und Freiheit zu denken.
({27})
Wir erwarten daher, daß Sie, gestützt auf das Vertrauen des Westens, diplomatische Gespräche und Verhandlungen mit dem Osten suchen, um zur Entspannung beizutragen. Der Austausch von Propagandanoten beiderseits sollte zu Ende gehen.
Wir fragen Sie daher als Letztes: Sind Sie, Herr Bundeskanzler, immer noch der Meinung, daß eine Parlamentarierreise unter Führung des Bundestagspräsidenten nach der Sowjetunion
({28})
trotz seinerzeitiger Annahme der Einladung durch alle Fraktionen des Bundestages, auch durch Ihre, meine Herren Zwischenrufer,
({29})
zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zweckmäßig ist? Ist es wirklich so, daß eine Reise einer Delegation von Abgeordneten der CDU/CSU und DP unter Teilnahme der Vorsitzenden der Ausschüsse für Verteidigung und Außenhandel nach Formosa den deutschen Interessen mehr dienlich sein soll?
({30})
Wir erwarten daher als Ausfluß der heutigen
außenpolitischen Debatte, daß nicht alles beim alten
bleibt, sondern sich in diesem Hause Neues regt.
({31})
Wir erwarten für die Zukunft, daß nicht mehr propagandistische Noten gewechselt werden, sondern daß man zu Verhandlungen und diplomatischen Gesprächen bereit ist.
({32})
Außenpolitik, meine Damen und Herren, ist keine Marktware,
({33})
sie sollte kein Objekt von Postwurfsendungen sein, aber ebensowenig Anlaß bieten, sich über den kleindeutschen Rundfunk an das bundesrepublikanische Volk zu wenden und so dieses Parlament in seiner staatsrechtlichen Stellung zu degradieren.
({34})
Ehe ich das Wort dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen gebe, möchte ich im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Vorredners folgendes zur Präzisierung sagen und damit eine allgemeine Feststellung für das Haus treffen. Es handelt sich bei der Einladung von seiten des sowjetrussischen Parlaments um eine offizielle Einladung, gerichtet an den Deutschen
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Bundestag, über die gesprochen worden ist. Wenn der Einladung gefolgt würde, geschähe es mit einer formellen Delegation des Deutschen Bundestages. Im Unterschied dazu handelt es sich bei der Reise einiger Bundestagsabgeordneter nach Formosa um ein völlig privates Unternehmen,
({0})
auf Grund einer Einladung der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft.
({1})
Der Deutsche Bundestag hat diese Reise nicht unterstützt und hat mit ihr nichts zu tun.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Mende werden ja noch Gegenstand der Diskussion bilden. Ich behalte mir vor, zu dem Teil, der sich nicht unmittelbar auf die Anfrage bezieht, zu einem späteren Zeitpunkt Stellung zu nehmen.
Zunächst hat der Herr Abgeordnete Mende davon gesprochen, daß die Stellungnahme der Bundesregierung im Rundfunk durch die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und die Regierungserklärung dazu geeignet seien, einer Fraktion das Initiativrecht zu nehmen. Meine Damen und Herren, es ist mir nicht bekannt, daß eine Verfassungsbestimmung besteht, die der Opposition etwa das Monopol gibt, am Rundfunk über Außenpolitik zu sprechen.
({0})
Wir haben die Redefreiheit auch für die Bundesregierung, und wir beabsichtigen, auch in Zukunft davon Gebrauch zu machen.
({1})
Im übrigen hat der Herr Kollege Mende seine Ausführungen in einer Weise begründet, die es mir unmöglich macht, dazu Stellung zu nehmen.
({2})
Der Vergleich mit Methoden des Dritten Reichs steht ausgerechnet einem Sprecher der FDP schlecht an.
({3})
Zu der Anfrage selbst bemerke ich folgendes:
Zu Punkt 1 der Anfrage: Die Bundesregierung hat nicht nur auf der Konferenz der Atlantischen Gemeinschaft, sondern auch auf allen vorausgegangenen Konferenzen die besondere Lage Deutschlands, die Teilung Deutschlands nämlich, hervorgehoben und betont. Ihre Konzeption in dieser Frage entspricht voll und ganz und ohne jede Einschränkung den wiederholten, einstimmig gefaßten Beschlüssen des Deutschen Bundestages.
Zu Punkt 2: Ich habe zu dieser Frage schon in der Regierungserklärung Stellung genommen. Die Bundesregierung ist nicht der Meinung, daß die
Verwirklichung des Rapacki-Planes eine erste Stufe der Entspannung bedeuten würde. Sie ist nicht der Meinung,
({4})
daß die Verwirklichung dieses Planes die Wiedervereinigung erleichtern würde. Sie ist vielmehr der Meinung, daß Voraussetzung seiner Durchführung die Bestätigung des Status quo wäre. Deswegen diese Haltung der Bundesregierung gegenüber diesem Plan.
In diesem Zusammenhang eine Bemerkung. Der Herr Kollege Mende hat meine Erklärung offenbar nicht genau gelesen. Ich habe nicht gesagt, daß wir uns nach der Vorlage der gutachtlichen Stellungnahmen der militärischen Stellen diesen anschließen, sondern, daß wir nach Vorlage dieser Stellungnahmen unsere Entscheidungen nach pflichtgemäßem Ermessen treffen werden.
Ich darf vielleicht darauf verweisen, daß Herr Kollege Mende nicht immer so dachte wie heute. Er hat am 10. Juli 1952 hier von diesem Platze aus gesagt:
Man sollte deswegen diese und vielleicht auch andere sich ergebende Schwierigkeiten ruhig der Entwicklung überlassen und der Einsicht der militärischen Organe vertrauen, jener militärischen Organe, die in ihrer Zusammenarbeit den Politikern oft voraus sind.
({5})
Demgegenüber vertritt die Bundesregierung allerdings den Standpunkt, den der Kollege Mende in Erinnerung gerufen hat, den Standpunkt vom Primat der Politik.
({6})
Zum dritten Punkt: Ausgangspunkt der Denkschrift unseres verstorbenen Kollegen, des späteren Botschafters Pfleiderer, war - und das bitte ich nicht zu vergessen - die Wiedervereinigung Deutschlands nach den Vorstellungen des Bundestags.
({7})
Im übrigen sagt die Denkschrift vom 2. September 1952:
Der Gedanke der Neutralisierung durch Dritte oder einer auf eigenem Willen und eigener Verteidigung beruhenden Neutralität der Bundesrepublik kann hierbei ebenso beiseite gelassen werden wie der sowjetische Verhandlungsvorschlag, wonach die Bundesrepublik keinem westlichen System angegliedert werden dürfe. Die Gefahren dieser Scheinlösung sind so häufig und so gründlich erörtert worden, daß es zu sagen genügt, die Ablehnung in Deutschland sei ziemlich allgemein.
Soweit Herr Kollege Pfleiderer in seiner Denkschrift vom 2. September 1952. Die Bundesregierung schließt sich diesem Standpunkt an. Sie ist bereit
Bundesaußenminister Dr. von Brentano
wie sie es in ihrer Note vom September 1955 der sowjetrussischen Regierung mitgeteilt hat -, über die Frage der Wiedervereinigung und der mit der Freigabe der sowjetrussisch besetzten Zone verbundenen militärischen Probleme verhandeln zu lassen.
Meine Damen und Herren, das gilt auch von den Plänen des früheren englischen Außenministers und Premierministers Eden. Auch hier scheint der Fragesteller zu übersehen, daß diese Vorschläge - ich darf auf eine sehr eingehende Interpretation dieser Vorschläge in der Londoner diplomatischen Konferenz vom 10. Mai 1957 verweisen - gewisse europäische Sicherheitsarrangements vorsahen, die Hand in Hand mit der deutschen Wiedervereinigung in Kraft treten sollten. Die beklagenswerte Tatsache, daß die Sowjetunion ein Gespräch über die Wiedervereinigung zur Zeit abzulehnen scheint, zwingt auch die Bundesregierung, diese Pläne deswegen so lange zurückzustellen, bis sie in Verbindung mit der Wiedervereinigung wiederaufgenommen werden können.
({8})
Ein Viertes: Herr Kollege Mende hat gefragt, ob die Bundesregierung eigene Gedanken und Konzeptionen entwickeln wolle, nachdem die Deutschland-Frage durch die Vorträge des früheren Botschafters Kennan wieder in Gang gekommen sei. Meine Damen und Herren, es ist der Bundesregierung unbekannt, daß die Deutschland-Frage durch diese Vorträge wieder in Gang gekommen ist.
({9})
Sie ist der Meinung, daß wir uns schon länger, intensiver und ernsthafter mit dieser Frage hier in diesem Hause beschäftigt haben als der frühere Botschafter Kennan.
({10})
Die Bundesregierung hat nach Kenntnisnahme dieser Vorschläge, die zum Teil sehr beachtliche Analysen enthalten, von ihnen auch nicht den Eindruck gewonnen, daß sie sich als Grundlage für eigene Vorschläge und Konzeptionen eignen. So hat die Bundesregierung beispielsweise nicht die Absicht, den vier Mächten die Vorbereitung der Bundesrepublik und des deutschen Volkes zum Partisanenkrieg und zu einer Werwolf-Ideologie als eine sinnvolle Lösung des deutschen Problems vorzuschlagen.
({11})
Damit ist die Große Anfrage der Fraktion der FDP beantwortet.
Ich rufe auf den nächsten Gegenstand:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Bemühungen der Bundesrepublik um internationale Entspannung und Einstellung des Wettrüstens ({0}).
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte beginnen mit einer Bemerkung über die Vorgeschichte und die Prozedur der heutigen außenpolitischen Debatte hier im Plenum des Bundestages, und zwar nicht aus irgendeiner Freude am Streit über Formalien, sondern aus der Sache heraus. Wir haben bei Beginn der Arbeit des 3. Deutschen Bundestages eine Erklärung des Herrn Bundeskanzlers gehört, er hoffe, daß es in diesem 3. Deutschen Bundestag möglich sein werde, in den großen nationalen Fragen zu Übereinstimmungen, vielleicht auch zu einer gemeinsamen Politik zu kommen. Nach den Erfahrungen der letzten acht Jahre waren wir gegenüber dieser Hoffnung des Herrn Bundeskanzlers skeptisch, und wir müssen heute feststellen, daß das Verhalten sowohl des Herrn Bundeskanzlers wie des Herrn Bundesaußenministers unserer Skepsis leider in vollem Umfange recht gegeben hat.
({0})
Meine Damen und Herren und Herr Außenminister, es handelt sich nicht darum, daß die Opposition ein Monopol beansprucht, in außenpolitischen Fragen vor dem Rundfunk oder sonst in der Öffentlichkeit zu sprechen. Es handelt sich darum, daß die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 15. Januar und die Reden des Herrn Außenministers am letzten Wochenende in Friedberg und in Berlin einfach eine Vorwegnahme des Inhalts dieser Aussprache dargestellt haben,
({1})
und ob gewollt oder nicht, darin liegt eine Mißachtung des Parlaments.
({2})
Vielleicht hat die Rede des Herrn Bundeskanzlers am 15. Januar auch noch eine andere, interne Bedeutung gehabt. Vielleicht sollte sie auch für den Herrn Außenminister für seine Rede hier von vornherein die Richtlinien der Politik festlegen.
({3})
Aber wenn sie diese pädagogische Absicht gehabt haben sollte, ist damit die Behandlung des Parlaments noch keineswegs gerechtfertigt.
Meine Damen und Herren, noch ein Wort. Ich meine, Herr Bundesaußenminister, Sie sollten Besorgnisse und Kritiken der Opposition in bezug auf die Prozedur in der Behandlung dieser außenpolitischen Fragen doch etwas weniger von oben herab behandeln.
({4})
Ich will Ihnen eines sagen: Ich glaube, alle Mitglieder des Außenpolitischen Ausschusses haben seit Montag dieser Woche ein sehr schlechtes Gefühl
({5})
wegen der Behandlung dieses Ausschusses. Ich weiß, die Verhandlungen sind vertraulich, und ich werde hier selbstverständlich nichts über den materiellen Inhalt der Verhandlungen sagen. Aber ich darf folgendes feststellen. Diese Sitzung des AußenOllenhauer
politischen Ausschusses hat am Montag um 16 Uhr in diesem Hause stattgefunden.
({6})
Im Laufe seiner Berichterstattung hat der Herr Bundesaußenminister dem Ausschuß die Mitteilung gemacht,
({7})
daß es nicht möglich sei, jetzt schon über den Wortlaut der Antwort des Herrn Bundeskanzlers an den sowjetischen Ministerpräsidenten zu sprechen, da das Dokument noch nicht abgeschlossen und die Unterschrift noch nicht vollzogen sei; das werde erst am nächsten oder übernächsten Tage geschehen.
({8})
Zur gleichen Stunde am Nachmittag haben die Rundfunksender mitgeteilt, daß der Text der Antwort des Herrn Bundeskanzlers am Mittag dem deutschen Botschafter in Moskau übermittelt worden sei und daß nur noch nicht der Zeitpunkt feststehe, an dem die Note dem Außenminister der Sowjetunion überreicht werden würde.
({9})
Das ist die Mitteilung gewesen. Sie ist auch bestätigt worden durch die Mitteilung in der Presse, die wir später lesen durften.
Der Herr Bundesaußenminister kann sich aussuchen, welche Erklärung er für sein Verhalten gegenüber dem Ausschuß gibt: daß er nicht besser informiert war oder daß er es für die richtige Methode hielt, dem Ausschuß diese nicht ganz korrekte Darstellung zu geben. Ich überlasse Ihnen die Entscheidung. Ich sage nur folgendes: Ich halte es für eines Parlaments und auch einer Regierung unwürdig, in außenpolitischen Fragen mit dem wichtigsten Ausschuß des Parlaments so umzugehen.
({10})
Ich wünschte, daß wir, die Opposition, wenn wir doch wahrlich - nicht aus Freude am Streit, sondern aus der Besorgnis in der Sache - Beschwerden vortragen, eine etwas fundiertere Auskunft bekämen, als sie soeben der Bundesaußenminister gegeben hat.
Meine Damen und Herren, noch eine Bemerkung zu dem, worauf auch Herr Kollege Dr. Mende schon hingewiesen hat.
({11})
- Wir haben hier nicht die Sache der FDP zu vertreten; aber das hat Herr Dr. Mende sehr gut gemacht.
({12})
Ich hoffe, Sie können Ihre Sache hinterher auch so gut vertreten!
Was hätte sich eigentlich die Regierung vergeben, wenn sie in diesem Falle der Gepflogenheit in jedem Parlament gefolgt wäre, wenn sie nicht
darauf bestanden hätte, mit einer Regierungserklärung an die erste Stelle zu kommen, sondern dem Parlament wenigstens die Reverenz erwiesen hätte, die Vorlage einer Großen Anfrage einer Fraktion dieses Hauses zum Anlaß zu nehmen, ihren Standpunkt darzustellen? Es wäre ihr kein Stein aus der Krone gefallen.
({13})
Aber in der öffentlichen Meinung wäre vielleicht zum ersten Male das Bewußtsein lebendig gewesen, daß diese Regierung auch weiß, daß sie vom Parlament abhängt, weil sie von ihm gewählt ist, daß sie diesem Parlament verantwortlich ist und daß darum das Parlament den Vorrang hat vor der Regierung.
({14})
Es ist bedauerlich, daß wir diese Debatte haben. Vielleicht bekommen wir aber Anregungen durch bestimmte Reisen, die Parlamentarier der CSU jetzt unternehmen, die so hochentwickelte Demokratien wie Formosa besuchen.
({15})
Ich hoffe nur, daß die Tendenz zur Abwertung des Parlaments durch die Regierung nicht noch Unterstützung durch einen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages findet, der der Mehrheit dieses Hauses angehört.
({16})
- Seien Sie bitte mit solchen Bemerkungen vorsichtig! Wir können ja mal überlegen, wer schon mehr in Jugoslawien war, Sie oder wir.
({17})
Nun aber zur Sache. Wir müssen uns, wenn wir diese Debatte in diesem Zeitpunkt und unter diesen Umständen haben, darüber klar sein, daß es zentral um zwei Probleme geht: Abrüstung und Entspannung, und daß wir in beiden Fragen vor dem Tatbestand einer ernsten Zuspitzung der internationalen Lage stehen, zugespitzt durch zwei Umstände: durch gewisse bedeutsame technische Entwicklungen auf dem Gebiet der militärischen Rüstung und der Technik überhaupt in beiden Lagern, vor allem aber auch in der Sowjetunion, und durch den Abbruch der Abrüstungsverhandlungen in den Vereinten Nationen am Ende des vorigen Jahres.
Als wir im Dezember vor der NATO-Konferenz in Paris eine Debatte über die Haltung unserer Regierung auf der NATO-Konferenz verlangten, waren wir vor allem von der Besorgnis erfüllt, daß angesichts dieser Entwicklung - des Stillstandes in den Abrüstungsverhandlungen, der weiteren Aufwärtsentwicklung des Wettrüstens - der Westen in der Atlantischen Gemeinschaft vor allem auf die Entwicklung in der Sowjetunion rein militärisch in der Weise reagiert, daß man sich entscheidet, alle NATO-Mächte mit Kernwaffen der verschiedensten Art einschließlich der Mittel- und Langstreckenraketen auszustatten. Wir waren und wir sind der Meinung, daß, wenn es zu einer solchen Entscheidung gekommen wäre oder in Zukunft kommen sollte,
die gefährlichste Lage in der Welt seit Kriegsende geschaffen sein würde. Diese Gefahr können wir gar nicht groß genug einschätzen. Vor allem müssen wir uns auch darüber klar sein, daß es sich jetzt nicht mehr um eine graduelle Steigerung des Wettrüstens in den herkömmlichen Formen handelt, sondern um eine Entwicklung des Wettrüstens, an deren Ende nur ein unvorstellbares Chaos für alle steht.
Es bedarf bei dieser Entwicklung keiner großen Phantasie und es bedarf keiner großen Leichtfertigkeit irgendeines einzelnen, diese Gefahr zu einer unmittelbaren zu machen. Ich will das nicht im einzelnen vertiefen, ich will nur eines sagen. Heute gibt es noch eine gewisse Sicherheit für die Erhaltung des Friedens, weil nur drei der heutigen Weltmächte Atommächte sind. Jede Entwicklung, die die Zahl dieser Atomwaffenbesitzer vermehrt, vervielfacht die Gefahr. Alle Sachverständigen sind sich darüber einig, daß eine Streuung des Besitzes an Kernwaffen und atomares Wettrüsten auf beiden Seiten in einer übersehbaren kurzen Frist jede effektive Kontrolle einer Beschränkung oder Einstellung dieser Rüstung unmöglich macht.
({18})
Das ist die Lage. Das aber heißt: wir sind in Gefahr, daß eine solche Entwicklung die Aussichten auf ein wirksames Abrüstungsabkommen zerstört, und die Alternative ist, daß die Welt in eine Katastrophe gerät. Das ist die, wenn Sie wollen, rein militärische Seite.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich politische Konsequenzen des Wettrüstens. Da möchte ich sagen, daß die unmittelbare und unvermeidliche Konsequenz der Fortsetzung des Wettrüstens vor allem auch auf atomarem Gebiete die Verhärtung des Status quo bedeutet,
({19})
d. h. wer die Entwicklung dieses Wettrüstens fördert, festigt den Status quo der Teilung der Welt,
der Teilung Europas und der Teilung Deutschlands,
({20})
einfach deshalb, weil man heute die Feststellung treffen kann, ohne dabei ernsthaften Widerspruch mit sachlichen Argumenten zu finden, daß mit Sicherheit über das Wettrüsten kein Weg zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit führt.
({21})
Es gibt da keine Chance, wenn es bei der jetzigen internationalen Situation des Stillstands in der Abrüstungsfrage und in der Entspannungspolitik bleibt oder wenn wir gar noch darüber hinausgehen und das Wettrüsten fortsetzen.
Der Herr Bundesaußenminister hat heute noch einmal über Paris berichtet, und er hat, sicher mit Recht, darauf hingewiesen, daß die Konferenz der Regierungschefs in Paris tatsächlich nicht nur eine rein militärische Antwort auf die mit der gegenwärtigen internationalen Situation zusammenhängenden Fragen gegeben hat. Er hat, auch mit Recht, unterstrichen, daß man Wert darauf gelegt hat, die politische Konsultation zwischen den Mitgliedstaaten der NATO auszubauen, daß man auch Wert darauf gelegt hat, die wissenschaftliche Forschung in den beteiligten Ländern zu koordinieren, ja, daß man auch gewisse Überlegungen angestellt hat, wie man durch wirtschaftliche Hilfe die Lage im Nahen und Mittleren Osten erleichtern könnte. Kein Zweifel, das sind gewisse politische Elemente, mit denen man mindestens den Versuch gemacht hat, mit der gegebenen Situation anders als mit militärischen Mitteln fertig zu werden.
Es ist auch richtig, daß in Paris keine verbindliche Entscheidung über die atomare Ausrüstung der NATO-Mitgliedstaaten oder die Stationierung von Abschußrampen für die Raketen getroffen worden ist. Aber ich glaube - gerade auch auf Grund des Berichts des Herrn Bundesaußenministers -, wir haben sehr aufmerksam und sehr sorgfältig zu untersuchen, was denn die weitere Entwicklung sein wird und was insbesondere die Regierung der Bundesrepublik Deutschland in der nächsten Zukunft zu tun beabsichtigt oder nach ihrer eigenen Darstellung zu tun gezwungen sein wird. Und da beginnt schon eine sehr ernste Feststellung. Es ist richtig: es gibt keinen Beschluß in Paris über die generelle atomare Ausrüstung der Mitgliedstaaten, aber es gibt leider auch keine Erklärung der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland, daß sie die atomare Ausrüstung der Bundeswehr und die Errichtung von Abschußbasen auf dem Gebiet der Bundesrepublik ablehnen.
({22})
Wir haben solche Erklärungen in Paris gehört, und zwar von den Vertretern der dänischen und der norwegischen Regierung, deren Loyalität gegenüber den Verpflichtungen der NATO wohl für jedermann außer Zweifel steht. Warum hat die Bundesregierung diese Erklärung nicht abgegeben, von der wir überzeugt sind, daß sie hundertprozentig mit den Lebensinteressen der Bevölkerung in der Bundesrepublik und den Lebensinteressen des ganzen deutschen Volkes übereinstimmt?
({23})
Man sagt: Wir wollen uns die Entscheidung vorbehalten - der Herr Bundesaußenminister hat das heute in seiner zweiten kurzen Intervention noch einmal unterstrichen -, bis das Gutachten der Militärs der NATO vorliegt. Diese Antwort ist in jeder Beziehung unbefriedigend.
({24})
Der Herr Bundesaußenminister hat ja in seiner Rede noch einmal unterstrichen, daß sich die Bundesregierung selbstverständlich nicht der Verpflichtung entziehen würde, die Verteidigung der Bundesrepublik so stark wie möglich zu machen.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben gesagt: Die Bundesregierung wird dann ihre Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen haben. Das ist richtig; aber dann kommt ein sehr dunkler Satz: „Die Sicherung des Friedens dient der Erhaltung des
Friedens." Ich habe lange darüber nachgedacht, was das heißt.
({25})
„Die Stärkung der Abwehrkraft dient der Erhaltung der Freiheit." Nun, wenn dieser Satz überhaupt einen Sinn haben soll, dann kann er doch nur den Sinn haben, daß sich unsere Bundesregierung die Freiheit vorbehält, in der Frage der atomaren Aufrüstung und der Abwehrbasen eine positive Entscheidung zu fällen.
({26})
Was wir hier verlangen können, ist, daß die Regierung uns offen sagt, was sie will.
({27})
Ich glaube, hier handelt es sich nicht um eine Frage der internen diplomatischen Verhandlung oder um eine Detailfrage der Außenpolitik oder um Militärpolitik, hier steht eine Lebensfrage des deutschen Volkes zur Debatte, und darauf hat die Regierung ja oder nein zu antworten.
({28})
Es ist doch klar, daß jedes Mitglied in NATO frei ist, zu entscheiden, ob es z. B. die atomare Aufrüstung oder die Stationierung solcher Abschußbasen akzeptieren will oder nicht. Es handelt sich überhaupt nicht um die Frage unserer Verpflichtungen oder unserer Treue gegenüber der NATO. Es handelt sich um die Frage, ob unter unseren speziellen Bedingungen diese Art von Aufrüstung uns nützlich ist, zu verantworten ist oder nicht. Wir sehen in dem Ausweichen der Regierung vor einer klaren Beantwortung - in einer Weise, die das Ja schon enthält - eine sehr bedenkliche und von uns sehr kritisch zu beurteilende Haltung der Regierung.
Ich füge noch ein Wort hinzu. Meine Damen und Herren, darf dieses Parlament erfahren, was denn die gestern und vorgestern durchgeführten deutschfranzösisch-italienischen Militärbesprechungen eigentlich bedeuten? Wir haben im Auswärtigen Ausschuß nichts darüber gehört; ich weiß nicht, ob es gestern im Ausschuß für Verteidigungsfragen zur Sprache gekommen ist. Wir lesen aber lange Berichte in der Presse. Wir haben eine außenpolitische Debatte, die den ganzen Komplex behandelt. Wir hören nicht ein Wort von dem Herrn Außenminister. Was ist hier eigentlich Inhalt der Verhandlungen? Welchen Hintergrund im Militärischen, Technischen und Politischen haben diese Verhandlungen?
Wir stellen diese Frage aus politischen Gründen. Denn es gibt ja auch in der Auseinandersetzung unter den Großmächten noch gewisse Divergenzen. Wir möchten wissen, ob die Bundesregierung hier etwa im Gefolge einer französischen Politik ist, die darauf aus ist, Frankreich zur vierten Atomgroßmacht zu machen.
({29})
Stehen wir hier etwa vor Überlegungen und Verhandlungen über eine Zusammenarbeit einer Gruppe von, sagen wir mal: Kleinsteuropa, von Anwärtern auf Atommachtansprüche in Europa gegenüber den drei bisherigen Atommächten?
({30})
Ist das nicht eine Frage, über die man hier wenigstens etwas von der Regierung hören muß? Denn schließlich kann sich ein wesentlicher Teil der außenpolitischen Vorstellungen dieser Regierung da etwas klarer herausschälen, als wir es aus den Ausführungen des Herrn Bundesaußenministers heute erfahren konnten. Wir hoffen jedenfalls, daß wir auch über diesen Punkt in dieser Debatte eine klare Antwort bekommen. Aber da es hier unter der Führung des Chefs der Regierung oft üblich ist, unangenehme Fragen nicht zu beantworten, möchte ich schon jetzt, am frühen Vormittag, hinzufügen: Keine Antwort wäre für uns auch eine Antwort.
({31})
Was ist angesichts dieser Lage zu tun, und was kann die Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten, und ich sage: im Rahmen ihrer vertraglichen Verpflichtungen tun, aktive Bestrebungen zur Förderung der Abrüstung und zur Entspannung zu unterstützen? Ich glaube, daß unser Bewegungsfeld größer ist, als man der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik immer wieder glaubhaft machen will. Wir sind nämlich in bestimmten Punkten frei, und auf diese Punkte geht auch unser Antrag ein, den wir Ihnen hier mit zur Debatte und Entscheidung vorgelegt haben.
Wir sind z. B. frei, zu beschließen: keine atomare Aufrüstung der Bundeswehr. Die Frage nimmt uns niemand ab. Sie muß hier entschieden werden, und wir wünschen, daß Sie heute durch Ihre Abstimmung darüber entscheiden.
Wir sind zweitens frei, darüber zu entscheiden, daß wir keine Stationierung von Mittel- und Langstreckenraketen und keinen Bau von Abschußrampen für diese Raketen auf dem Gebiet der Bundesrepublik wünschen. Wir sind frei, uns im Rahmen unserer vertraglichen Verpflichtungen mit Ja oder Nein zu entscheiden. Bitte, meine Damen und Herren, Sie haben die Möglichkeit, das zu tun, und wir wünschen auch, daß noch einmal ausdrücklich unterstrichen wird - so wie es der Herr Bundesaußenminister in seiner Erklärung auch getan hat -, daß die Verpflichtung, auf dem Gebiet der Bundesrepublik keinerlei ABC-Waffen herzustellen, ohne jede Einschränkung aufrechterhalten bleibt. Es gibt, wie gesagt, keine Bestimmungen der Verträge, die einer solchen Haltung und Entscheidung der Bundesrepublik entgegenstehen.
Ich füge hinzu: diese Beschlüsse bedeuten auch keine Schmälerung der Sicherheit der Bundesrepublik. Im Gegenteil, sie wenden neue große Gefährdungen ab, und sie würden durch konkrete Schritte unseren ernsten Willen zur Förderung der Abrüstungsbesprechungen unterstreichen.
Ich finde, es ist die Zeit gekommen, daß wir uns so entscheiden sollten, um auch auf diese Weise über den toten Punkt in der Frage der internationalen Abrüstung in einem sehr bescheidenen Rahmen, aber immerhin doch in einer praktisch greifbaren und wirksamen Form hinwegzukommen.
Dann bleibt die Frage: Wie kommen wir in größerem Zusammenhang, international, über den toten
Punkt in der Frage der Abrüstung und der Entspannung hinweg? Wir sind uns darüber klar, daß das keine leichte Frage ist und daß es kein Wunderrezept gibt. Die Fronten haben sich verhärtet. Die Sowjetunion fühlt sich offensichtlich heute in einer stärkeren Position.
Ich will hier gar nicht im einzelnen die Ursachen für diese Entwicklung untersuchen; sie sind auf beiden Seiten zu suchen. Aber eines müssen wir, wenn wir selbst zu richtigen Schlußfolgerungen für unsere weitere Politik kommen wollen, feststellen: Die Politik der militärischen Aufrüstung des Westens einschließlich der Bundesrepublik hat diese Entwicklung der Versteifung und Verhärtung nicht verhindern können.
({32})
Im Gegenteil, heute besteht eine Situation, bei der es sehr großer Anstrengung bedürfen wird, um die beiden entscheidenden Mächte in der Welt wieder zu einem Gespräch über vernünftige Lösungen in der Frage der Entspannung und der Abrüstung zu bringen. Wir behaupten, daß es auch die bedauerliche Folge der einseitigen Politik der militärischen Aufrüstung ist, daß gewisse ernsthafte, bessere Verständigungs- und Verhandlungsmöglichkeiten bis zurück in das Jahr 1952 heute nicht mehr so einfach gegeben sind. Es erweist sich offensichtlich jetzt als ein schwerer Fehler der Außenpolitik der Bundesregierung, daß wir damals diese Möglichkeiten nicht ernsthafter untersucht haben.
({33})
Der Herr Bundesaußenminister hat heute gesagt: Was bedeutet schon der sogenannte Rapacki-Plan? Das haben wir ja alles schon mal gehabt, sogar in umfassenderer Form. - Das ist doch eine, ich möchte sagen, scharfe Selbstkritik der Regierung an ihrer eigenen Politik, daß sie jetzt rückwärts gerichtet sagt: Ja, früher hat es vielleicht andere, bessere Möglichkeiten gegeben, aber heute -?
Das ist die Lage. Trotzdem bin ich der Meinung, wir sollten auch heute versuchen, das, was wir tun können, zu tun, um neue Möglichkeiten zu untersuchen, die vielleicht geeignet sind, in der Frage der Entspannung und der Abrüstung ein Stück voranzukommen. Auch das ist ja Gegenstand der Beratung der Regierungschefs und Außenminister auf der NATO-Konferenz gewesen. Wir haben auch heute wieder gehört, daß der erste Brief des sowjetischen Ministerpräsidenten Bulganin von 10. Dezember den Beratungen in Paris eine Rolle gespielt hat.
Inzwischen ist ein neuer, zweiter, sehr ausführlicher Brief des sowjetrussischen Ministerpräsidenten eingegangen - vom 8. Januar -, mit einem sehr ausführlichen Memorandum. Ich möchte, ehe ich auf die Sache selber eingehe, einige Bemerkungen vorausschicken. Ich glaube, daß die Bedeutung des ersten Briefes des sowjetrussischen Ministerpräsidenten auch darin lag, daß er in einer sachlichen, korrekten Form ohne viel Polemik eine Reihe von konkreten Vorschlägen gemacht hat, und daß das auch die Ursache dafür war, daß dieser
Brief doch Gegenstand von Unterhaltungen in Paris wurde. Der Herr Bundeskanzler selbst hat in seiner Pariser Rede diese positive Seite des BulganinBriefes anerkannt. Ich möchte sagen, daß der zweite Brief Bulganins der Sache der Verständigung und der Schaffung einer Atmosphäre des ernsthafte Verhandelns einen sehr schlechten Dienst erwiesen hat.
({34})
Denn es hat keinen Sinn - ich sage das ganz allgemein, aber auch speziell in diesem Falle -, in dieser Art gegeneinander und miteinander zu polemisieren. Ich weiß nicht, was die Überlegung der russischen Regierung war, aber ich möchte hier sagen, daß die russische Regierung die Wirkung solcher Argumentationen und Polemiken mindestens auf die Bevölkerung der Bundesrepublik völlig verkennt
({35})
und daß es der Sache nicht dient, wenn man Briefe dieser Art so anlegt, daß sie als Mustertext für kommunistische Propagandaflugblätter dienen können.
({36})
Damit kommen wir nicht weiter. Es wäre an der Zeit, daß man auf beiden Seiten - ich sage, auf beiden Seiten - einsähe, daß Verhandlungen über internationale Probleme zwischen Ost und West nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn beide Seiten von vornherein die Unvereinbarkeit ihrer grundlegenden Vorstellungen über unsere Lebensprinzipien zur Kenntnis nehmen. Dann bleibt die Aufgabe, vor der wir konkret stehen, trotz dieser Gegensätze auf internationaler Ebene einen Weg zu finden, der die Existenz unserer Völker in einer Welt der Entspannung und der Abrüstung ermöglicht. Ich meine, dieser Versuch, einen solchen Ansatzpunkt oder Ausgangspunkt zu finden, muß angesichts der Entwicklung der Rüstung jetzt gemacht werden.
Da kommt der zweite wesentliche Einwand gegen die Erklärung des Herrn Bundesaußenministers, die wir heute gehört haben. Sie ist völlig unbefriedigend in bezug auf die Darstellung der Absichten, die die Bundesregierung selber hat.
({37})
Wir haben zu allen möglichen Vorschlägen, die zur Debatte stehen - ich meine nicht nur in der heutigen Erklärung des Herrn Außenministers, sondern auch in den Ouvertüren-Reden, die in der vorigen Woche gehalten wurden nur immer das Nein gehört,
({38})
immer nur die negative Einstellung, gegenüber welchem Vorschlag auch immer.
Ich frage mich wirklich: was ist denn jetzt die Politik der Bundesregierung? Ist es die Politik, die in der Rede des Herrn Bundeskanzlers in Paris am 16. Dezember anklingt, in der er sagte, es sei bemerkenswert, daß der Bulganin-Brief in einem so
sachlichen und konkreten Ton gehalten sei, und er, der Bundeskanzler, sehe keinen Grund, ein Gespräch mit der Sowjetunion über aktuelle Fragen abzulehnen? Sie wissen, es gibt viele Leute, die damals die Hoffnung gehabt haben, es zeige sich ein Silberstreifen. Andere waren bestürzt über die sich anscheinend abzeichnende Aufweichung der festen Haltung des Herrn Bundeskanzlers. Nun, die Hoffnungen oder Befürchtungen - wie immer - hat der Herr Bundeskanzler ja durch seine Rede vor dem Rundfunk am 15. Januar mit Erfolg wieder aus der Welt geschaffen. Das war die Rede in der alten, vertrauten Sprache des Kalten Krieges.
({39})
Denn da hat der Herr Bundeskanzler erklärt: Was heißt das alles; das ist doch nicht anderes - er hat sogar hinzugefügt: „je mehr man die Sache untersucht" - als ein großangelegtes Störungsmanöver, nichts anderes als der Versuch, die Einheit und die Verteidigungskraft des Westens zu schwächen und aufzuheben.
Was ist nun die Politik des Herrn Bundeskanzlers? Auf welche Haltung oder auf welche Überlegung, Herr Bundeskanzler, stützen Sie die Bemerkungen in Ihrem Antwortbrief?
(
Den zweiten Brief übersehen Sie!)
- Nein, nein, ich übersehe gar nicht; ich habe dazu ja einige kritische Bemerkungen gemacht. Herr Bundeskanzler, Sie haben ja zunächst den ersten Brief beantwortet. Vielleicht haben wir aber nachher die Gelegenheit, auch über den zweiten zu diskutieren. - Als Antwort auf den ersten Brief haben Sie, Herr Bundeskanzler, gesagt - wenn ich richtig gelesen und richtig verstanden habe -: Wir sind bereit, auf diplomatischem Wege alle Probleme zu behandeln. - Ja, Herr Bundeskanzler und Herr von Brentano, wollen Sie dann über das „Störungsmanöver" reden, das der Herr Bundeskanzler angeprangert hat, oder wollen Sie über praktische Vorschläge reden, die wir finden können, um zu einem vernünftigen Verhältnis zu beiden Seiten zu kommen?
({0})
Was ich bedaure, ist: diese Art von Rundfunkreden, Herr Bundeskanzler, wie Ihre letzte ist doch im Grunde genau dasselbe, was Sie - mit Recht -dem Herrn Bulganin in bezug auf seinen zweiten Brief vorgeworfen haben.
({1})
Wo kommen wir da hin, wie soll da eine Atmosphäre entstehen, wenn wir den Gesprächspartner von morgen heute zunächst einmal in der massivsten Weise vor aller Welt als einen Störenfried herabsetzen?!
({2})
Es geht gar nicht darum, ob uns Herr Bulganin gefällt; es geht darum, ob wir eine Möglichkeit sehen, mit dem Chef dieses Landes und dieser Regierung in ein Gespräch zu kommen. Herr Adenauer und Herr von Brentano sagen: Ja, wir wollen es. Aber
wir können dann doch nicht mit Fausthandschuhen dorthin fahren und den Leuten in dieser Weise entgegentreten.
({3})
- Ja, vielleicht wegen der Kälte; aber das ist eine andere Sache.
Herr Bundeskanzler, ich frage mich wirklich: was ist Ihre Politik? Mir ist das auch durch die heutige Erklärung des Herrn Außenministers nicht klarer geworden. War die Rundfunkrede sozusagen nur für den innerdeutschen Hausgebrauch? Das soll es ja auch geben, sozusagen vielleicht auch zur Beruhigung der Unterzeichner des Fuldaer Manifests; etwas müssen Sie für die Leute auch tun.
({4})
Oder meinen Sie den diplomatischen Ton in der Note? Es kann auch der Verdacht aufkommen, daß der diplomatische Ton überhaupt nur eine Art von Tarnung ist.
({5})
Das wäre das schlechteste, was dem deutschen Volk passieren könnte;
({6})
denn die anderen würden einen solchen Versuch der Irreführung oder der Täuschung viel länger aushalten als wir hier in unserer besonderen schwierigen Lage.
({7})
Abgesehen einmal von der Sache: Wäre es nicht auch für uns hier in der Bundesrepublik an der Zeit, wenn schon Minister vor solchen Debatten im Rundfunk oder in öffentlichen Versammlungen sprechen, immer daran zu denken, daß wir nicht in einem Wahlkampf für die CDU, sondern in einem Schicksalskampf für das deutsche Volk stehen?
({8})
Die Frage ist, wie wir in ernsthafte Verhandlungen kommen und mit welchen Vorstellungen wir hineingehen. Lassen Sie mich auch da eines sagen. Wir haben nicht die Absicht, mit der Regierung hier irgendeinen Disput über die beste Form anzufangen, in der solche Gespräche in Gang gebracht werden. Ich glaube, es besteht eine weitgehende Übereinstimmung darüber, daß es töricht wäre, ohne eine wirklich gründliche Vorbereitung nur eine neue Schau mit all den Komplikationen und Schwierigkeiten zu machen, die sich daraus ergeben. Wir sind durchaus der Meinung, man soll eine solche Konferenz, die die Regierung im Grunde auch heute wieder akzeptiert hat, ernsthaft vorbereiten. Aber lassen Sie mich ebenso offen hinzufügen: man muß sie ernsthaft vorbereiten, mit dem ernsten Willen, in den Verhandlungen zu einem positiven Resultat zu kommen,
({9})
und darf nicht nur etwa mit der Tendenz an die
Arbeit gehen, eine Art von neuer Alibikonferenz zu
haben: „Seht Ihr, mit den Sowjets kann man doch nicht reden!" Das entspricht nicht dem Ernst der Situation.
Nun noch einige Bemerkungen zu dem Verhandlungsprogramm oder den -vorstellungen. Wir haben eine sehr lebhafte internationale Diskussion, und es würde viel zu weit führen, alle Vorschläge in diesem Zusammenhang im einzelnen zu erörtern. Aber immerhin, die Lage ist völlig anders als vor einem Jahr, weil auch im Westen eine große Zahl von verantwortlichen und bedeutenden Staatsmännern und Politiker sich mit der Frage beschäftigt: Wie können wir in dieser Situation in der Abrüstungs- und Entspannungsfrage einen neuen Ansatzpunkt finden? Genügt es, einfach am alten Schema festzuhalten, oder müssen wir sogar den Versuch machen, dieses Schema aufzugeben, weil es in seiner Konsequenz angesichts der Entwicklung des Wettrüstens zur Katastrophe führen muß? Das ist doch der Hintergrund. Nicht mangelnde Treue oder Zuverlässigkeit gegenüber der Sache des Westens ist der Hintergrund, sondern die tiefe, berechtigte und verständliche Unruhe über den Gang der internationalen Politik. Da gibt es Vorschläge von Kennan, Vorschläge von Gaitskell, da gibt es Vorschläge von Staatsmännern, von Regierungen, wie den Rapacki-Plan und andere. Da erleben wir lebhafte Kontroversen über die positiven und negativen Seiten bestimmter Vorschläge, z. B. des RapackiPlanes. Die Sache ist doch nicht so einfach, wie sie hier dargestellt wird: „Es lohnt sich nicht, darüber zu reden!" oder: „Das sind alles mehr oder weniger Phantastereien!" Dagegen stehen doch Äußerungen von Männern wie Pearson, dem früheren kanadischen Außenminister, und seinem jetzigen Nachfolger, es müsse der Versuch gemacht werden, solche reale Möglichkeit ernsthaft zu untersuchen. Da haben wir die Haltung des dänischen Ministerpräsidenten und des norwegischen Ministerpräsidenten, da hören wir aus New Delhi, daß der britische Ministerpräsiden Macmillan durchaus ernsthaft die Frage gestellt und untersucht habe, ob man dem Projekt nicht nähertreten müsse. Da haben wir die Äußerung eines Mannes, der für seine kühle Zurückhaltung gerade in solchen Fragen bekannt ist, nämlich des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Hammarskjöld: Warum sollte nicht ein solcher Plan, eine solche Idee ein Beitrag für einen ersten Schritt in der Entspannung sein?
Meine Damen und Herren, ich bin bereit, mit der Regierung ernsthaft das Für und Wider zu erörtern. Wir werden es hoffentlich tun. Aber mich empört es, wenn ich höre oder lese, daß z. B. der Herr Bundesaußenminister - nicht in seiner heutigen Rede, aber doch am letzten Sonntag - alle diese Überlegungen und Vorschläge so mit der Handbewegung abtut: Wir haben weder Zeit noch Lust, uns mit solchen Vorschlägen einzelner Politiker oder Oppositioneller zu beschäftigen.
({10})
Ich habe das, Herr Bundesaußenminister, aus einem Bericht in der „Frankfurter Rundschau" über Ihre Rede, ich glaube, in Friedberg ersehen.
({11})
Wie können solche Äußerungen verstanden werden? Ich will es Ihnen sagen: als ob heute im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik schon wieder der alte Hochmut der kaiserlichen Außenpolitik lebendig würde.
({12})
Ich verstehe das um so weniger, Herr Bundesaußenminister, als Sie in Ihrer heutigen Rede ein wörtliches Zitat aus den Empfehlungen der Konferenz der Atlantischen Gemeinschaft gebracht haben. Darin wird gesagt, man müsse sich über die verschiedenen Vorschläge der Sowjetunion unterhalten, und dann wird wörtlich erklärt: „Sie sind darüber hinaus bereit, jeden Vorschlag aus jeder Quelle für eine allgemeine oder teilweise Abrüstung zu prüfen und darüber hinaus jeden Vorschlag, der zu einem Abkommen in der Rüstungsfrage führen könnte."
Ja, meine Damen und Herren, wo bleibt denn da die Praxis, selbst in bezug auf die heiligen Beschlüsse der Atlantischen Gemeinschaft, wenn hier so argumentiert wird? Ich bedaure das, weil wir mit dieser Methode in unserer Lage überhaupt nichts gewinnen, sondern nur etwas verlieren können.
({13})
Die Bundesregierung hat erklärt - wir können darauf in der Debatte noch zurückkommen; jetzt will ich nur einige Worte dazu sagen -: Wir lehnen den Rapacki-Plan ab! Gut, aber, meine Damen und Herren, ich wünschte, daß man die Ablehnung sachlich besser fundierte, als es geschehen ist. Zum Beispiel wird gesagt, er sei eine russische Erfindung. Ja, was sollen denn Regierungen, die im russischen Machtblock leben, eigentlich tun? Werden sie selber aktiv, sagt man: Hat ja keine Bedeutung! Wird ein solcher Vorschlag von der russischen Regierung ausdrücklich unterstützt, wie es im ersten Bulganin-Brief geschehen ist, sagt man: Seht ihr, was hat das zu bedeuten, das ist nur die Idee der Russen gewesen; die wollen uns auf dem Umweg über Warschau hereinlegen! Meine Damen und Herren, gibt es denn niemanden im Auswärtigen Amt, der etwas mehr weiß über die viel kompliziertere Geschichte dieses Vorschlages
({14})
mit sehr ernsten möglichen Konsequenzen auch für das Problem der Einheit Deutschlands?
({15})
Ich wünschte, daß man da das Gefühl hat, man geht den Dingen auf den Grund, ehe man zu einem Nein kommt.
({16})
Dann wird gesagt: Das ist doch eine rein einseitige militärische Stärkung der Position der Sowjetunion. Ja, meine Damen und Herren, muß das denn so sein? Sieht die Sache nicht schon viel anders aus, wenn man im Rahmen einer ernsthaften Verhandlung über diesen Plan auch mit der anderen Seite über einen gleichwertigen Rückzug konventioneller Truppen aus dem gesamten atomOllenhauer
waffenfreien Raum diskutiert? Wäre die Lage in der Welt nicht besser, wenn zwischen diesen beiden Blöcken, die sich heute an der Zonengrenze gegenüberstehen, 800, 1000 oder 1200 km lägen, in denen die Gefahr eines Zusammenpralls wesentlich geringer sein würde?
({17})
Ist das nicht wenigstens des Versuchs des Verhandelns wert?
({18})
Darum geht es doch.
Der Herr Bundeskanzler hat sogar die Behauptung aufgestellt, der Rapacki-Plan bedeute das Ende der NATO, das Ende der Freiheit bei uns und in Westeuropa.
({19})
Herr Bundeskanzler, ich möchte wirklich darum bitten, daß Sie uns das hier einmal an Hand des konkreten Inhalts dieses Vorschlages und der Äußerungen des polnischen Außenministers im einzelnen begründen.
({20})
Wenn ich, Herr Bundeskanzler, die Dinge richtig sehe, ist z. B. vom polnischen Außenminister von vornherein klargemacht worden, daß im ersten Stadium die Mitgliedschaft der beteiligten Länder in der atomwaffenfreien Zone in ihren heutigen Vertragsverpflichtungen - NATO oder Warschauer Pakt - gar nicht zur Debatte steht. Ich halte das auf die Dauer für eine unerträgliche Lösung. Aber völlig unmöglich ist es, zu behaupten, daß die Schaffung eines solchen atomwaffenfreien Raumes das Ende der NATO wäre. Ich weiß nicht, Herr Bundeskanzler, wer Sie da beraten hat.
({21})
Es wäre überhaupt interessant, Herr Bundeskanzler, auch hier vor dem Hause von Ihnen noch zu hören, ob und inwieweit das Gutachten der militärischen Experten für ihre Ablehnung eine Rolle gespielt hat. Da haben wir eine Erklärung von Herrn von Eckardt vor der Pressekonferenz nach Ihrer Rundfunkrede, in der von einem solchen Gutachten deutscher militärischer Stellen die Rede war. Könnte man nicht einmal hören, ob diese Behauptung richtig ist und in welcher Weise hier tatsächlich eine Meinungsäußerung verlangt und vorgelegt wurde? Ich finde, es wäre für unsere eigene Information über die Einwirkung von Militärs auf politische Entscheidungen sehr wichtig. Aber ich könnte mir auch denken, es könnte den militärischen Experten sehr daran liegen, klarzustellen, was ihre wirkliche Funktion war.
({22})
Denn wir haben ja auch kein Interesse daran, unsere eigenen militärischen Vertreter im Bewußtsein der Öffentlichkeit unseres Volkes in eine falsche Position zu bringen.
({23})
Ich will die Dinge, soweit dieser Plan in Frage kommt, nicht im einzelnen weiter vertiefen. Ich will nur folgendes sagen. Ich kenne niemanden, weder hier noch in der freien Welt, der den Standpunkt vertreten hat: Hier ist sozusagen das Ei des Kolumbus, hier ist die Lösung, sondern immer wieder ist gesagt worden: Die Idee, der Plan könnte ein erster Schritt auf dem Wege der Entspannung sein. Niemand hat gesagt: Jetzt wissen wir, wo wir anfangen! Vielleicht gibt es hier ein en Anfang. Und müssen wir darüber reden, daß es der Sinn solcher Verhandlungen natürlich sein muß, daß unser Interesse, wenn Sie wollen, das Interesse des Westens selbstverständlich bei diesen Verhandlungen gewahrt werden muß? Sicher! Aber vielleicht gibt es da tatsächlich eine Brücke, eine Möglichkeit, einen Schritt weiterzukommen.
Man hat gesagt: Was hat es für einen Sinn, eine solche atomwaffenfreie Zone zu etablieren, wenn man die Dinge und diese Zone nicht kontrollieren kann? Lesen Sie nach, was der polnische Außenminister öffentlich über die Notwendigkeit einer effektiven Kontrolle dieses Gebietes durch internationale Einheiten gesagt hat!
({24})
Vielleicht hat die polnische Regierung bei diesem Gedanken einer solchen umfassenden Kontrolle sogar gewisse eigene Überlegungen. Wir sollten doch wenigstens so weit gehen, uns zu überlegen, ob es denn nicht ein gewisses gemeinsames Interesse der freien Welt geben könnte.
({25})
Ich möchte hier noch eines hinzufügen: Wir würden wahrscheinlich nicht so viel über die Absichten, den Wert oder das Problem dieses Planes zu spekulieren brauchen, jedenfalls würde unsere Regierung vielleicht in einer sehr viel besseren Position sein, wenn wir nicht immer noch den beklagenswerten Zustand hätten, daß wir in Warschau ohne jede offizielle Vertretung der Bundesrepublik Deutschland sind!
({26})
Konnte überhaupt offensichtlicher werden als im Laufe der Diskussion der letzten Wochen, welchen praktischen positiven Wert eine offizielle Vertretung der Bundesrepublik in Warschau für unsere Regierung und für die deutschen Interessen gehabt hätte? Ich möchte hier noch einmal sagen, daß wir es gerade auch in diesem Zusammenhang, wenn man über solche Möglichkeiten spricht, für notwendig halten, daß wir hier endlich den toten Punkt überwinden und unsere Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten zu normalisieren versuchen. Leider haben wir auch darüber in der Erklärung des Herrn Bundesaußenministers nichts gehört.
Wie gesagt, sicher ist auch dieser Rapacki-Plan wie manche andere Überlegung nicht mehr als eine Teillösung. Aber vergessen Sie eins nicht: die Lage ist so, daß die ganze Welt nach dem Scheitern der Verhandlungen über die Abrüstung in den Vereinten Nationen nach einem solchen Ansatzpunkt sucht!
({27})
Irgendwo müssen wir über den toten Punkt wegkommen, wenn nicht eine so gefährliche Situation
entstehen soll wie die, von der ich gesprochen habe.
Warum zögern eigentlich die Mächte des Westens, die Regierungen, immer wieder, sich über solche Vorschläge mit der anderen Seite konkret auseinanderzusetzen? Wir reden immer von der überaus starken politischen und moralischen Position des Westens. Warum nutzen wir sie nicht und verhandeln in der Sache klar, hart und entschieden über den Kern der Dinge: ob es hier eine gemeinsame Linie gibt?
({28})
- Wir müssen jetzt von neuem anfangen. Ich finde, Herr Kiesinger, in vielen Fällen haben wir doch der Sowjetunion ihre Propaganda erleichtert, weil wir sie in solchen Verhandlungen nicht konkret darauf gestellt haben, was sie real will.
({29})
Ich meine, wir sollten das jedenfalls jetzt tun. Das ist es, was wir in dieser Lage für unbedingt erforderlich halten. Das ist auch das, was uns in dieser Erklärung der Bundesregierung am meisten deprimiert. Wir haben nicht mehr gehört, als daß die Regierung die Absicht hat, diplomatische Gespräche zu führen, und daß sie auch das Ziel sieht, eine neue Konferenz abzuhalten. Aber sie hat zu all dem, was bisher konkret vorgetragen wurde, nein gesagt und sie hat hier dem Parlament keinen einzigen eigenen Vorschlag vorzulegen gewußt.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, es sich auch nicht so leicht zu machen, daß Sie jetzt dieser Diskussion ausweichen durch die Verlagerung des Schwergewichts der Debatte auf die Beziehungen zwischen der Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und der Entspannung durch eine solche Teillösung.
Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich feststellen: die Sozialdemokratische Partei hat immer die Idee der Konföderation abgelehnt und lehnt sie nach wie vor ab. Sie werden aber der Sache, um die es jetzt geht, nicht gerecht, wenn Sie die Dinge so darstellen, als könnte man über die Frage einer atomwaffenfreien Zone überhaupt nicht reden, ehe nicht in der Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nach unseren Vorstellungen eine Vereinbarung erzielt worden sei. Die Dinge liegen heute leider umgekehrt. Wenn wir beim jetzigen Status quo bleiben, bei dem sich die beiden Militärblöcke unmittelbar gegenüberstehen, gibt es kein Gespräch und gibt es kein Verhandeln über die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nach unseren Vorstellungen. Die erste Voraussetzung, um über dieses entscheidende nationale Problem ernsthaft verhandeln zu können, wird gegeben sein, wenn wir hier einen ersten Schritt zur Entspannung tun. Wer von Ihnen, meine Damen und Herren, will denn im Ernst bestreiten, daß es ungeheuer viel schwerer, ja praktisch aussichtslos ist, mit den
anderen Partnern der Sowjetunion über die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu reden, wenn wir in beiden Teilen Deutschlands die atomare Aufrüstung haben, wie Sie sie wollen? Wer will bestreiten, daß die Chance für ein Gespräch über politische Lösungen leichter sein wird, wenn diese mitteleuropäische Zone in ihrer militärischen Spannung mindestens etwas entlastet wird? Lohnt es sich nicht, einen solchen Versuch zu machen, zumal da zur Zeit niemand die Aufgabe irgendwelcher Ihrer vertraglichen Verpflichtungen von Ihnen verlangt?
Wir bringen diese Dinge hier noch einmal in ihrem zentralen Zusammenhang mit solchem Nachdruck, ja, wenn Sie wollen, mit solcher Leidenschaft vor, weil wir glauben - das ist keine Schwarzmalerei -, daß die Fortsetzung der Aufrüstung der Bundesrepublik, die Fortsetzung des Wettrüstens in beiden Teilen der Welt die Chance für friedliche politische Lösungen einschließlich unserer Kernfrage, der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, zunichte machen wird. Es kommt jetzt darauf an, daß wir hier den Vorstoß unternehmen, unter Anerkennung der Verpflichtungen in den internationalen Verträgen und auch in voller Klarheit darüber, daß wir hier nicht etwa die Schutzlosigkeit der Bundesrepublik als das Ziel verfolgen. Sehen sie unseren Antrag in diesen Punkten; Sie sehen daraus, daß wir hier sehr klare und bestimmte Vorstellungen haben.
Warum diese Fragestellung? Was ist das wirkliche Problem? Es geht viel weiter, über die Diskussion über territoriale, regionale Regelungen hinaus. Wir sind in der Welt in der Lage - und zwar durch die Entwicklung von Wissenschaft und Technik und ihrer Ausnützung für das Rüsten in der Welt -, daß die Politik der Stärke, betrieben mit militärischen Mitteln, wie sie das Kernstück auf beiden Seiten im letzten Jahrzehnt gewesen ist, ihren Scheitelpunkt überschritten hat. Das mag eine neue Alternative sein. Heute ist die Fortsetzung des Wettrüstens mit allen diesen Konsequenzen eine Politik ohne Alternative, weil am Ende unvermeidlich das Chaos steht.
({30})
Keine Seite kann damit rechnen, den nächsten Krieg zu überleben oder ihn als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ideen und Vorstellungen verwenden zu können. Man kann eine Gesellschaft nur so lange nach eigenen Vorstellungen organisieren, als eine solche Gesellschaft besteht. Nach einem dritten Weltkrieg wird es diese fundamentale Voraussetzung nicht mehr geben. Daher müssen wir jetzt auch unter diesem allgemeinen Gesichtspunkt überlegen: Wo gibt es einen Ansatzpunkt für erste Schritte der Abrüstung und Entspannung? Wir sollten jede einigermaßen ernsthafte Möglichkeit in Verhandlungen untersuchen.
Ich möchte noch eines hinzufügen. Es handelt sich ja nicht nur darum, daß wir an Sie appellieren, sich mit dem Vorschlag eines Mannes wie des polnischen Außenministers auseinanderzusetzen, der sicher in seinem Lande und nach seiner ganzen politischen
Einstellung und Vergangenheit eine völlig andere Politik betreibt. Wie die wirkliche Lage ist, zeigt doch, daß auch im Lager unserer freien Welt, der Atlantischen Gemeinschaft, eine ganze Reihe von verantwortlichen und sehr gewichtigen Mitgliedern dieser Gemeinschaft ähnliche Überlegungen haben. Lohnt es sich nicht, daß die Bundesrepublik, für die die Entspannung und die Abrüstung d i e Lebensfrage ist - wegen der nationalen Spaltung unseres Landes -, mit den Kräften in der NATO, die nach neuen Möglichkeiten und Wegen suchen, aktiv zusammenwirkt, um den toten Punkt zu überwinden? Ich bin überzeugt, auch die andere Seite weiß, wie die Lage in bezug auf die Chancen und die Risiken eines neuen Krieges ist; und was immer sie dabei aushandeln will, um zu einem Akkord zu kommen, sie wird hart verhandeln, und wir sollen auch hart verhandeln.
({31})
Aber in diesen Verhandlungen liegt die Chance - wie ich glaube: die einzige Chance! -, eine Katastrophe zu vermeiden. Es liegt darin eine Hoffnung für die Menschen in der Welt; und ich meine, darin liegt auch unsere Aufgabe. Sie zu erfüllen, sollte und muß Inhalt und Ziel der Politik der Bundesregierung sein. Denn diese Politik allein kann uns Einheit, Freiheit und Frieden für das ganze deutsche Volk bringen.
({32})
Meine Damen und Herren! Ehe ich das Wort weitergebe, habe ich die Freude, Ihnen mitzuteilen, daß Herr Pierre Schneiter, früherer Präsident der französischen Nationalversammlung, nunmehr Sonderbeauftragter des Europarats für Flüchtlingsfragen, unseren Verhandlungen beiwohnt.
({0})
Ich begrüße Herrn Schneiter im Namen des Hauses herzlich und bitte ihn, versichert zu sein, daß dieses Haus sich der Ehre bewußt ist, die er ihm durch seinen Besuch erweist. Ich bitte ihn weiter, der Freundschaft versichert zu sein, die dieses Haus dem französischen Volk gegenüber empfindet.
({1}) Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle sind mit sorgenvollem Herzen über die Schwelle dieses neuen Jahres gegangen, und ich teile durchaus die Sorgen, die der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion zu Beginn seiner Rede hier vorgetragen hat. In der Tat haben wir allen Grund, die Entwicklung, die die Welt zur Zeit nimmt, mit großer Sorgfalt zu beobachten und uns zu überlegen, wie wir uns dieser Entwicklung anzupassen haben.
Es gibt Menschen, die bei Betrachtung der Weltlage glauben, sich in einem Teufelskreis zu befinden, in dem es keine andere Alternative gibt, als entweder eines Tages den Atomtod zu erleiden oder eben unter kommunistische Herrschaft zu geraten. Wer so denkt, ist nicht mehr fähig, politisch zu handeln, und versucht er es doch, dann gerät sein Handeln zu einer flackernden Unruhe.
Würde unser Volk so denken und fühlen oder auch nur annähernd so denken und fühlen, dann hätten wir keine Hoffnung, diese schwere Zeit zu bestehen. Glücklicherweise denkt unser Volk nicht so, und wir müssen uns daran erinnern, mit welcher Ruhe und Festigkeit es im vergangenen Jahre seine politische Entscheidung getroffen hat,
({0})
eine Entscheidung, die der bisherigen Politik der Regierung zugestimmt hat. Wir - die ChristlichDemokratische Union und die Christlich-Soziale Union - haben durch diese überwältigende Zustimmung einen Auftrag bekommen
({1})
- nein, einen Auftrag -, und dieser Auftrag lautet: Wir haben euch diese große Mehrheit verschafft, damit ihr eure Politik mit Kraft und Entschlossenheit weiterführt;
({2})
schafft etwas mit dieser Mehrheit, sonst verfälscht ihr unseren Willen.
({3})
Ich weiß, man hat auf gewissen Seiten mit Lieschen Müller operiert und gemeint, man habe selbst die Weisheit mit Löffeln gegessen und überlasse die Zustimmung des Volkes der CDU. Nun, das sind billige Argumente. Die Opposition sagt uns aber, die Situation habe sich geändert, und deswegen müßten wir unsere Politik neu überlegen. Gut, fragen wir uns: Was hat sich geändert, und gibt uns diese Veränderung Anlaß, eine neue Politik zu beginnen? Oder ist es nur wieder einmal der alte, wohlbekannte Streit, den wir heute in diesem Hause führen, über den wir hier so oft gesprochen haben und bei dem es manchem schwerfällt, neue Formulierungen zu finden?
({4})
Herr Ollenhauer meinte, die neue Situation bestehe in zweierlei, in der inzwischen erfolgten militärtechnischen Entwicklung auf dem atomaren Gebiet und dem Gebiet der Raketenwaffen und in der Gefahr eines unbeschränkten Wettrüstens, die dadurch hervorgerufen worden sei, daß die Sowjetunion sich geweigert habe und sich noch weigere, bei den gemeinsamen Anstrengungen zur Abrüstung mitzuwirken. Ich stimme Herrn Ollenhauer zu: das sind tatsächlich zwei sehr ernste Entwicklungen. Die Frage ist: Können und müssen sie uns Anlaß geben, unsere Politik zu ändern?
Herr Ollenhauer hat noch einen dritten Punkt angeführt, nämlich den, daß ein Umdenken in der westlichen Welt begonnen habe. Professor Carlo Schmid hat es in seiner Rede in Straßburg auch gesagt. Das sei ein neuer Faktor, und wir müßten ihn ebenfalls berücksichtigen.
Nun, wie steht es mit dem letzteren? Ich glaube nicht, daß ein Umdenken in der westlichen Welt in dem Sinne, wie es Herr Ollenhauer hier und auch
Herr Professor Carlo Schmid in Straßburg vorgetragen haben, stattfindet. Ich will den Unterschied unserer Auffassung an einem kleinen Beispiel klarzumachen versuchen. Der Sozialdemokratische Pressedienst vom 22. Januar hat den Rapacki-Plan behandelt in dem Artikel „Das Dilemma Warschaus". Da wird dem Bundeskanzler vorgeworfen, er habe den traurigen Ruhm, zu den Totengräbern des Rapacki-Plans zu zählen, und er habe in seiner Rundfunkrede die vielleicht beste Idee der Nachkriegszeit mit leichter Hand zerstörend abgetan. In den weiteren Ausführungen wird dann gesagt, hier handle es sich um einen ersten beachtenswerten Versuch Polens, das keineswegs mehr ein Satellit des Ostens sei, in die Dinge der Welt mit eigenen Vorschlägen einzugreifen usw.
Ich habe sehr sorgfältig nachgelesen, in welchem Zusammenhang der polnische Außenminister seinen bekannten Plan vorgetragen hat. Es ist ganz offensichtlich, daß dabei polnische Interessen eine Rolle mitspielen. Er hat in seiner Rede vor den Vereinten Nationen darauf hingewiesen, daß es einen deutschen Revisionismus gebe, daß die Deutschen die Oder-Neiße-Grenze nicht anerkennen wollten und daß schon aus diesem wichtigsten Grunde ein dringendes Interesse Polens vorliege, einen solchen Plan vorzuschlagen.
Ich kann Herrn Rapacki verstehen. Nun ist es aber tatsächlich so, wie der Außenminister gesagt hat: dieser Plan ist alt. Er stammt schon aus dem Jahre 1956, und er ist von Herrn Sorin zweimal in der Abrüstungskommission vorgetragen worden, ich glaube, jeweils im März 1956 und 1957. Ich habe mir den Text der damaligen Rede Herrn Sorins besorgt und finde in der Tat alle wesentlichen Merkmale dieses Vorschlags damals schon vorgetragen, eben die Schaffung eines atomwaffenfreien Raums zwischen Deutschland und seinen Nachbarn, wie es dort heißt. Wenn man dann nachliest, was für Nachbarn gemeint sind, dann ersieht man das aus dem Satz, ein solches Abkommen könne Höchstniveaus der Truppen der Vereinigten Staaten, der UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs auf den Territorien anderer Staaten in dieser Zone, die Nichtzulassung der Stationierung von militärischen Atomeinheiten und irgendwelchen Atom- und Wasserstoffwaffen usw. festlegen. Es handelt sich also in der Tat um einen alten Plan. Aber ich bestreite nicht, daß die polnische Regierung ihn auch aufgegriffen haben kann um ihrer eigenen Interessen willen. Doch das ist kein Umdenken in der Welt.
Genauso ist es mit den Vorschlägen von George Kennan. Wir wissen, daß George Kennan - und Dean Acheson hat es jüngst noch einmal in die Erinnerung gerufen - von Anfang an gegen den Aufbau der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft gewesen ist. Wir haben seine Pläne seit Jahren zur Kenntnis genommen. Ich selbst hatte im vergangenen Jahr Gelegenheit - als man von mir behauptete, ich zöge wie ein fliegender Radiergummi hinter Herrn Ollenhauer her, in Wahrheit auf einer Konferenz in Amerika -, mit Herrn Kennan über seine Pläne zu sprechen.
({5})
- In Wahrheit, so ist es, Herr Kollege Wehner. Ich war noch friedlich-schiedlich mit Herrn Ollenhauer, als er seine Reise begann,
({6})
in New York bei einem Essen des Generalkonsuls zusammen, und ich habe Herrn Ollenhauer damals gesagt: Ich gehe nach Süden, Sie gehen anderswohin; ich habe andere Aufgaben. So ist es dann auch geblieben. Zur selben Zeit war auch der Kollege Erler drüben bei derselben Konferenz. Da haben wir auch alle diese Pläne schon besprochen. Auch Herr Denis Healy, der brillante Abgeordnete der Labour-Party, war dort, und auch mit ihm konnten wir seinen Plan, den er jetzt in einer neuen Schrift der Fabier-Gesellschaft veröffentlicht hat, den Plan über einen neutralen Gürtel in Europa, durchdiskutieren. Ich gestehe, daß mir das alles hochinteressant war, daß ich sehr sorgfältig die Argumente abgewogen habe, um mich zu fragen, ob meine eigene Auffassung richtig ist oder ob sie berichtigt werden müßte.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie haben bei den Bemerkungen zur Geschäftsordnung, die Sie gemacht haben, der Bundesregierung den Vorwurf gemacht, sie mißachte das Parlament. Ich muß dazu einiges sagen. Ich habe die Mißstimmung von Herrn Ollenhauer verstanden. Aber ich muß mich gegen die, ich muß schon sagen, um in seiner Sprechweise zu bleiben: dynamische Unbefangenheit wehren, mit der Herr Kollege Mende hier über diese Dinge gesprochen hat.
({7})
Wenn ich Bundeskanzler wäre, Herr Ollenhauer - eine interessante Vorstellung -,
({8})
dann würde ich vielleicht anders gehandelt haben als der Herr Bundeskanzler. Ich würde jederzeit Vergnügen daran haben, mich mit Ihnen über außenpolitische Probleme zu unterhalten. Ich habe nicht das Recht, dem Herrn Bundeskanzler vorzuschreiben, wie er die Dinge hält; das ist eine Stilfrage.
({9})
- Ich habe nicht gesagt, was guter und was schlechter oder was richtiger und was falscher Stil wäre. Es steht im Ermessen des Regierungschefs, es so oder anders zu machen.
({10})
Herr Mende meinte, wir übten eine Art Diktatur aus. Er erinnerte an die Zeit des Dritten Reichs, und er beschwor den demokratischen Rechtsstaat. Nun, kehren wir nüchtern zur Erde zurück. Wie ist es denn in Wahrheit? Ich habe jüngst einen englischen Labour-Abgeordneten in Paris gefragt, wie es denn eigentlich bei ihnen gehalten werde, ob sie von der Regierung unterrichtet würden, wenn es sich um wichtige Entscheidungen handle. „Oh," sagte er,
„das ist leider gar nicht der Fall. Wenn ich z. B. etwas über militärische Dinge erfahren möchte - das kriege ich nicht von unserer Regierung gesagt -, dann muß ich nach Paris reisen, um bei der NATO nachzufragen." Ich habe ihm dann gesagt, das sei mir interessant, weil sich bei uns die Opposition sehr häufig darüber beklage, daß die Regierung sie nicht genügend unterrichte. Er meinte, das englische System sei eben anders. Bei ihnen verwirkliche die Regierung, da sie ja die absolute Mehrheit habe, entschlossen ihr Programm, und die Opposition beschränke sich darauf, die Regierung zu beobachten und zu kontrollieren, so gut sie könne, und sich im übrigen darauf vorzubereiten, gelegentlich die Macht zu übernehmen und es dann genauso zu machen wie die Regierung.
({11}) Nun, die Engländer haben daraus ja auch die Konsequenz gezogen.
({12})
- Aber nein, Herr Wehner, machen wir es uns doch nicht so einfach; Sie sind doch ein gescheiter Mann. Ich muß mich doch mit Herrn Mende auseinandersetzen.
({13})
Der Herr Mende sagt: Wir zerstören die demokratisch-rechtsstaatliche Ordnung, wenn wir so verfahren. Ich war immer ein Mann der Konzilianz, der sagte: Laßt uns versuchen, soviel wie möglich miteinander zu sprechen, und so werde ich's auch weiter halten. Aber das hat nichts mit der Frage zu tun, ob wir unsere Verfassung und die demokratischrechtsstaatliche Ordnung in diesem Lande respektieren oder nicht. Wir respektieren sie, und die Regierung tut es auch.
({14})
Eine andere Frage! Ich möchte wohl wissen, welche der westlichen Regierungen - Herr Eisenhower, Herr Macmillan, Herr Gaillard, Herr Zoli usw. - ihre Antworten, die sie an Herrn Bulganin gerichtet haben, vorher mit ihren Auswärtigen Ausschüssen oder mit ihren Parlamenten besprochen haben. Fragen Sie nach, und Sie werden die Antwort bekommen: es ist nicht geschehen. Ist das auch ein Verstoß gegen die demokratisch-rechtsstaatliche Ordnung? Nein, das ist einfach die Übung, und zwar deswegen, weil überall in der Welt die Regierungen das Recht haben, Außenpolitik zu machen, und das Parlament sich darauf beschränkt, die Regierung dabei zu kontrollieren. Wenn dem Parlament die außenpolitische Haltung der Regierung nicht mehr gefällt, dann muß das Parlament die Regierung eben absetzen. Das ist natürlich schwer, wenn die Regierung über eine absolute Majorität verfügt.
({15})
Das ist schwer bei uns, das wäre schwer in Großbritannien. Es hängt eben mit gewissen politischen
Faktoren zusammen - Zweiparteiensystem und dergleichen-, die man sich bei solchen Erwägungen doch vorher durch den Kopf gehen lassen sollte.
({16})
Im übrigen - das will ich gleich vorwegnehmen
- bin ich der Meinung, daß wir in diesem Parlament - Herr Ollenhauer hat den Gedanken anklingen lassen - tatsächlich versuchen sollten, in den kommenden Wochen und Monaten die großen Probleme gemeinsam miteinander zu besprechen, und was ich als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses dazu tun kann, um wirklich sachgerechte, bis ins einzelne dringende Aussprachen zustande zu bringen, das werde ich tun. Ich werde alles aufbieten - und ich bin überzeugt: ich werde da auf keine Schwierigkeiten stoßen -, daß auch die Regierung, insbesondere der Herr Außenminister, an dieser Arbeit tätigen Anteil nehmen.
Die Situation, vor der wir im Augenblick stehen, ist vor allen Dingen durch die beiden Briefe Herrn Bulganins und die übrige Lawine von Briefen, Botschaften, Interviews ausgelöst worden, die die Regierung der Sowjetunion in die Welt geschickt hat. Ich darf das alles als bekannt voraussetzen und brauche nicht darauf einzugehen. Nur einen Gedanken hebe ich hervor. Immer wieder fragt man
- und das ist auch bei unseren jüngsten Beratungen in der Beratenden Versammlung des Europarats geschehen -: Meinen es denn eigentlich die Sowjets mit ihren Vorschlägen ehrlich? Sind sie aufrichtig? Ich meine, wir sollten, bevor wir diese Frage stellen, eine andere Frage aufwerfen, nämlich: Was schlagen die Sowjets denn eigentlich vor? Lassen Sie mich daraufhin die jüngsten Briefe Herrn Bulganins kurz analysieren.
Wenn ich recht sehe, schlagen die Sowjets vor
- ich stimme darin mit dem Herren Außenminister überein -, den Status quo in Europa zu verfestigen. - Herr Ollenhauer, nicht wir würden diesen Status quo verfestigen, wenn wir unsere Politik weitertreiben, sondern es liegt nach unserer Auffassung gerade umgekehrt. Wenn wir den sowjetrussischen Wünschen so, wie sie vorgetragen werden, entsprächen, dann allerdings wäre der Status quo in Europa endgültig gefestigt.
({17})
Ich entziehe mich nicht dem Ernst der Frage, was werden soll, wenn dieses Wettrüsten ununterbrochen weitergeht. Auch ich bin mit Ihnen der Überzeugung: wenn es in der Tat unbegrenzt weiterginge, dann stünde am Ende doch wohl die Katastrophe. Auch ich weiß es, es steckt etwas Wahres in dem Gedanken, daß eine deutsche Wiedervereinigung schlecht vorstellbar ist, wenn sich auf die Dauer geballte militärische Kräfte beider Seiten unmittelbar gegenüberstehen.
Aber nun denken Sie auch umgekehrt: In all diesen Feststellungen stecken doch halbe Wahrheiten und halbe Irrtümer!
Wenn wir z. B. der Sowjetunion die Zugeständnisse machten, die sie will, d. h. ihr eine zweifellose militärische Erleichterung etwa durch den Rapacki-Plan plus Truppenreduktion verschafften - also
allmähliche Hinausdrängung der Amerikaner aus dem Kontinent -, und sie verspricht dagegen nichts als, das werde dann ein Klima des Vertrauens schaffen, von dem man hoffen dürfe, daß es die spätere Lösung der schwierigen und hinausgeschobenen Probleme erleichtern werde, - ich frage Sie mit allem Ernst: Was würde in einem solchen Falle überhaupt noch als Anreiz für die Sowjetunion übrigbleiben, der politischen Lösung des Problems der deutschen Wiedervereinigung zuzustimmen?
({18})
- Herr Wehner, Sie machen den Zwischenruf „Reizen Sie einmal weiter". Sie unterliegen einem großen Irrtum. Die Herren in Moskau sind Leute, die stark im Nehmen sind; sie erwarten es auch von uns. Ich unterstelle den Herren in Moskau keine bösen Absichten; es würde schon das einfache Gewicht der Tatsache einer überwältigenden Vorherrschaft der Sowjetunion in einem Europa genügen, dessen westlicher Teil von jeder Abwehrkraft entblößt wäre.
({19})
Ich weiß nicht genau, was die Sowjetunion im einzelnen will. Aber gewisse Dinge will sie, und das sagt sie laut und deutlich.
Ich sagte eben: was sollte dann noch der Anreiz für die Sowjetunion sein, in der großen politischen Frage der Wiedervereinigung Entgegenkommen zu zeigen? Das ist eine sehr ernste Frage. Ich versetze mich nämlich in die Lage und das Denken der sowjetrussischen Führer hinein. Was bedeutet es denn für die Sowjetunion, wenn sie der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zustimmt? Wir wissen doch, daß das für die Sowjetunion gewaltige Konsequenzen hätte, nicht nur was Deutschland selbst anlangt und die in Zukunft mit diesem wiedervereinigten Deutschland zu bewältigende Politik, sondern auch was den von 100 Millionen Menschen bewohnten Riesenraum der sogenannten Satellitenländer betrifft. Jedermann kann sich doch vorstellen, wie eine Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit dort wirken könnte. Warum sollen wir diese Dinge nicht aussprechen? Ich habe sie in Gesprächen mit jedem sowjetrussischen Politiker berührt, mit dem ich mich unterhalten konnte. Wir müssen, wenn wir die deutsche Wiedervereinigung wollen, nach Wegen suchen, um diese Gesamtproblematik auf irgendeine Weise lösen zu können. Wir bekommen die deutsche Wiedervereinigung nicht, natürlich nicht, wenn uns dies nicht gelingt. Aber das zeigt uns doch, daß das Problem weit, weit über die kleinen Vorschläge hinausgeht, die uns gemacht werden.
Nun sagt man mir: „Was heißt das: kleine Vorschläge - ihr könnt nicht die Politik des Alles oder Nichts betreiben, wir müssen eine Lösung in Stufen anstreben, Teil nach Teil." Auch damit bin ich einverstanden, und der Herr Außenminister hat es ebenfalls gesagt. Aber es kommt darauf an, wie diese Stufen aussehen, welchen Teil wir erreichen. Wenn wir etwa die Zustimmung zu der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone gäben - ich sage das auf erste Prüfung hin und gebe zu, daß ich durchaus bereit bin, diese Dinge noch genauer durchzudenken -, wenn wir also unsere Zustimmung zur vorgeschlagenen Waffen- und Truppenreduktion in diesem Raum gäben, dann müßten wir uns doch fragen: wo liegt denn die Stufe, wo denn die Teillösung? Es muß doch auch für uns, für den Westen etwas herausspringen. Und was springt heraus? Nichts als die angebliche Entspannung, die angebliche Anbahnung eines Klimas des Vertrauens.
({20})
Politik der Vorleistungen kann man machen, und die Bundesregierung hat sie in den vergangenen Jahren ihren jetzigen Bündnispartnern gegenüber gemacht. Ich selbst habe bei der Debatte über das Petersberger Abkommen diese Politik der Vorleistungen ausdrücklich verlangt, indem ich hinzufügte, diese Politik könne fehlschlagen, wenn unsere Partner im Westen sie nicht begriffen und unser Vertrauen nicht mit demselben Vertrauen erwiderten. Man muß auf den Partner schauen, wenn man eine Politik der Vorleistungen treiben will. Ich sage nicht, daß der Partner im Osten unbedingt böswillig ist .Aber ich muß Sie auf etwas anderes hinweisen.
Herr Kennan, den Sie häufig zitieren - ich muß ja für Sie unverdächtige Zeugen benennen -, spricht an einer Stelle seiner Vorträge über die Mentalität der Sowjetführer. Die Ausführungen, die er da macht, sind sehr beachtenswert. Er trifft sich da mit Herrn Djilas, der in seinem Buch „Die neue Klasse", dessentwegen er eine langjährige Gefängnisstrafe auf sich genommen hat, dasselbe sagt. Beide Männersagen, das Quälende sei, daß die Sowjetführer nicht imstande seien, einen Teil der Wirklichkeit, die vor ihnen stehe, richtig zu sehen. Diese Schwäche der Sowjetführer sei in der kommunistischen Ideologie und der jahrelangen Praxis des Opportunismus begründet. Wenn das nun so ist - und Herr Kennan behandelt dieses Thema über ganze Seiten; er warnt den Westen davor, anzunehmen, daß die Sowjetführer die Wirklichkeit mit denselben Augen sähen wie der Westen -, dann müssen wir das bei allen Vorschlägen, mit ihnen zu verhandeln, in Rechnung stellen. Eines dieser Elemente des Falsch-Sehens scheint mir das tiefe Mißtrauen zu sein, das die Sowjetführer immer noch gegenüber der westlichen Welt und gegenüber den Absichten der Politiker der westlichen Welt haben.
Infolgedessen stimme ich zwar zu, Herr Ollenhauer: Verhandeln, Anstrengungen machen, Teillösungen anstreben; aber Lösungen anderer Art als diese reinen und gefährlichen Vorleistungen. Eine deutsche Zeitung hat geschrieben: Sieht denn die Opposition nicht, daß die Verwirklichung des Rapacki-Plans der deutschen Wiedervereinigung geradezu entgegenläuft? Dort sind dieselben Gedankengänge genannt, die ich eben darzulegen versucht habe. Sowjetrußland muß, wenn es den großen Schritt tut, der Wiedervereinigung in Freiheit zuzustimmen, Anreize haben.
Ein anderer Kronzeuge, auf den Sie sich gerne berufen, ist Herr Denis Healy. Ja, Denis Healy ist ein nüchterner Mann. Et spricht auch über die Frage, wie die Sowjetunion wohl bewogen werden könne, seinem Plan, der sich ja auch mit truppen-
und waffenfreien Zonen in Mitteleuropa und einem Teil Westeuropas beschäftigt, zuzustimmen. Da klingt es ganz anders. Was sagt er? Von entscheidender Bedeutung für eine positive Haltung der Sowjetunion seinem Plan gegenüber sei die Furcht der Sowjetführer, sich andernfalls in Kürze einem voll atomar aufgerüsteten Westeuropa einschließlich der Bundesrepublik gegenüberzubefinden. Ich glaube in der Tat, daß solche Erwägungen bei den Führern der Sowjetunion eine Rolle spielen. Gerade deswegen sollte der Westen klar zeigen, daß er entschlossen ist, entweder die Freiheit seiner Bürger und Völker unter allen Umständen zu verteidigen oder eine wirklich durchgreifende rettende Abrüstung zu erreichen, daß er sich aber weigert, einen zwischen diesen Alternativen liegenden unnützen oder gar lebensgefährlichen Mittelweg zu gehen.
({21})
Ich sage damit nicht, daß ich der Politik des „Alles oder Nichts" das Wort rede.
({22})
- Aber es muß bei der Verhandlung über eine Teillösung, die Herr Ollenhauer gefordert hat, die Chance eines Ergebnisses vorhanden sein, daß man eben mehr erreicht als die einseitige Schwächung des Westens.
Herr Ollenhauer, Sie sagten, die Regierung sei Ihnen den Beweis schuldig geblieben, warum der Rapacki-Plan zu einer entscheidenden Schwächung der NATO führen werde. Nun, das Ergebnis dieser gesamten militärischen Überlegungen, die nicht nur mit dem Rapackiplan, sondern auch mit der technischen und militärtechnischen Entwicklung der letzten Zeit etwas zu tun haben, wird zur Zeit - es wurde erwähnt - im Bereich der NATO von den Regierungsexperten studiert. Herr Mende hat mit hohem Pathos den Vorrang der Politik vor dem militärischen Denken beschworen; ich stimme ihm zu.
({23})
- Ich habe mich inzwischen etwas nüchterner entwickelt.
({24})
- Ja, man wird älter und weiser; das geht uns allen so.
({25})
Ich habe den sicheren Eindruck, daß in diesem Lande und Staate der Primat des Politischen über das Militärische über jeden Zweifel erhaben sei.
({26})
Sie haben historische Reminiszenzen angestellt. Ich
glaube, das Unglück in der Vergangenheit, Herr
Mende, war nicht der Vorrang des militärischen
Denkens - ich spreche nicht von 1939, sondern von 1914 -, sondern die Unfähigkeit und der Zickzackkurs einer Regierung, die nicht fähig war, einer komplizierten weltpolitischen Situation klar und fest zu begegnen.
({27})
Nicht nur bei uns, auch anderswo war es so, und deswegen schlitterten alle damals in den Weltkrieg hinein.
({28})
- Nein, nein, Herr Altmaier; wir verstehen uns sonst, wenn wir uns über historische Dinge unterhalten, im allgemeinen ganz gut. Ich glaube nicht, daß man der deutschen Politik von damals den Vorrang des militärischen Denkens vorwerfen kann; es fehlte ihr nur ein adäquates politisches Denken.
Nun zu den ganzen Plänen! Da muß ich etwas richtigstellen. Nicht hier in der Debatte des Bundestages, nicht in den Worten des Herrn Kollegen Ollenhauer, aber so oft draußen im Lande - während des Wahlkampfes und auch jetzt noch - findet man die Vorstellung, als sei das alles nicht so schlimm, als sei die Sowjetmacht uns gar nicht so gefährlich. Im Grunde genommen liege es nur an einem bißchen guten Willen auf seiten des Bundeskanzlers, der Bundesregierung und bei uns, um die Dinge in Ordnung zu bringen. Nicht Sie, Herr Ollenhauer, haben das gesagt; ich habe das ausdrücklich festgestellt. Aber es findet sich in der politischen Vulgärliteratur Ihrer Seite. Da lese ich z. B. in einer süddeutschen sozialdemokratischen Zeitung - -({29})
- Ja, solche Lektüre muß man treiben; man muß das Ohr am Volke halten.
({30})
- Wir leben in einer akustisch gewandelten Welt, Herr Wehner.
In dieser Zeitung sagt der Schreiber des Aufsatzes „Schweitzer gegen Adenauer", der - auch von mir hochverehrte - Professor Schweitzer vertrete das Prinzip der Liebe gegen alle, während es Adenauer nicht um die Rettung der Kreatur, sondern um die Rettung des Christentums, wie er sie verstehe, gehe; er setze statt Liebe allen unüberwindliche Feindschaft entgegen, auch denen, die lieben wollten.
({31})
Nun, meine Damen und Herren, ich würde es begrüßen, wenn uns unsere Partner im Osten wirklich lieben wollten.
({32})
Ich fürchte aber, bei manchen von ihnen - - ({33})
- Es ist die „Schwäbische Volkszeitung" in Augsburg, und geschrieben hat das ein Herr Wilhelm Riepkohl.
({34})
- Das weiß ich nicht.
({35})
- Also, ich kann weder ja noch nein dazu sagen. Bitte, prüfen Sie es selber nach. Ich sage nur: diese Stimmung - man hat sie auch im Wahlkampf gefunden - war weit verbreitet, und Ihre Propaganda hat oft genug gesagt: Die CDU und der Bundeskanzler malen den Teufel an die Wand! Sie - und gerade Sie, Herr Wehner - haben gesagt, wir hätten den Wahlkampf von 1953 gewonnen, weil wir das bolschewistische Schreckgespenst an die Wand gemalt hätten.
Und nun glaube ich wirklich, Sie tun uns unrecht.
({36})
Kann man in dieser Weltsituation die Gefahr, die uns bedroht, stark genug schildern? Ist es denn nicht so, daß sich Europa in einer tödlichen Gefahr befindet? Hat man das alles vergessen? Auch wenn ich gar nicht unterstellen will, daß uns die sowjetrussischen Führer, obwohl sie uns vielleicht zum Fressen gern haben, demnächst mit einem Krieg überziehen wollen! Die Gefahr, in der wir uns befinden, ist - da stimme ich Herrn Kennan zu - eine doppelte: eine politische und eine militärische. Ich würde auch wie er dabei der politischen Gefahr den Vorrang einräumen. Die Gefahr kommt einfach aus der dynamischen Kraft des kommunistischen Systems, das sich mit der Weltmacht Sowjetrußlands verbündet hat. Und die Kommunisten machen auch kein Geheimnis daraus. Der erwähnte kommunistische Führerkongreß hat doch gesagt, daß die Weltrevolution erstrebt werde und daß dabei zwar das Mittel der sogenannten friedlichen Machtergreifung - hierbei denkt man dann an so etwas wie in der Tschechoslowakei -, aber auch das Mittel der Machtergreifung mit Gewalt vorgesehen sei.
Soll ich Ihnen vorlesen, was George Kennan, Ihr Gewährsmann, über diese Gefahr über ganze Seiten hin sagt, wie er den Westen beschwört, diese Gefahr nicht zu verkleinern, sondern zu begreifen, daß wir es hier mit einer unheimlich entschlossenen Kraft und Macht zu tun haben?
Das hat ihm dann ja auch den ersten Tadel aus Moskau eingetragen; denn dieser Vortrag stand noch am Beginn seines Vortragszyklus. Erst hinterher ist er gelobt worden, als er seinen erstaunlichen Schluß aus den Prämissen zog.
Was für einen Vorschlag hat Herr Kennan? Er sagt: wir müssen in Europa ein Disengagement schaffen, wir müssen diesen Raum militärisch uninteressant machen, die Giganten müssen auseinandergerückt werden. Das ist auch das wichtigste, was wir auch in den Ausführungen Herrn Ollenhauers gehört haben. Gut, aber dann muß man doch zugleich etwas darüber aussagen, wie es in diesem Fall um unsere Sicherheit bestellt sein wird, wie
wir gegenüber der ungeheuren Überlegenheit Sowjetrußlands in Europa geschützt sein sollen.
Ich will Ihnen Herrn Kennans Vorschlag nicht vorenthalten. Man muß ihn mit Aufmerksamkeit hören. Er sagt:
Die Europäer müssen sich selbst helfen. Sie trauen sich viel zuwenig zu., Sie schreien immer nach der Hilfe Amerikas, aber in Wahrheit liegt die Abwehr bei ihnen. Die Menschen haben sich zu sehr an den Gedanken gewöhnt, daß ihre Gefährdung rein militärischer Art sei. Aber sie ist hauptsächlich politischer Art.
Er hat keinen Zweifel, daß die Sowjetunion bereit sein könnte, für die politischen Ziele schließlich auch die militärischen Kräfte einzusetzen. Und nun hören Sie - der Herr Außenminister hat bereits darauf Bezug genommen -, was er vorschlägt, und sagen Sie mir, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, von einem solchen Vorschlag halten. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten diese kurze Stelle vorlesen. George Kennan sagt:
Was diese Länder Europas also brauchen, ist eine strategische Doktrin, die den Realitäten Rechnung trägt. Nach einer solchen Doktrin würden bewaffnete Streitkräfte durchaus benötigt. Ich würde jedoch vorschlagen, daß diese Streitkräfte in der Regel halbmilitärischer Art sein sollten, eine Art Landmiliz also, etwa nach Schweizer Vorbild. Ihre Funktion sollte mehr innenpolitischer als außenpolitischer Art sein. Der Bedrohung durch den russischen Kommunismus muß in erster Linie auf der Ebene polizeilicher Realitäten begegnet werden und nicht auf regelrechten militärischen Schlachtfeldern. Die Ausbildung dieser Kräfte müßte nicht nur darauf vorbereiten, einem fremden Eindringling jedweden offenen Widerstand entgegenzusetzen, sondern auch darauf, die Kerntruppe für eine zivile Widerstandsbewegung in jenem Gebiet, das vom Feinde überrannt werden könnte, zu bilden. Aus diesem Grunde braucht und sollte sie nicht mit schwerer Ausrüstung oder komplizierten Versorgungsbedürfnissen belastet sein. Ich möchte noch einmal betonen, daß der Hauptzweck der von mir vorgeschlagenen Maßnahme nicht die Verteidigung des Landes an seinen Grenzen bedeuten würde, obwohl man natürlich in dieser Hinsicht alles zu tun versuchen würde. Mein Vorschlag besagt vielmehr
- hören Sie! die Verteidigung des Landes an jeder Dorfstraßenkreuzung.
({37}) Und dann sagt er:
Wenn ein Volk so organisiert wäre, daß es dann überdies noch nicht einen einzigen gäbe, der sich der eindringenden kommunistischen Macht als Gehilfe zur Verfügung stellen würde, dann allerdings, glaube ich, kann ich mich ganz persönlich dafür verbürgen, daß jedes Land, das sich in der Lage befindet, so etwas Moskau zu
sagen, wenig Bedarf an fremden Truppen haben wird, um sicherzustellen, daß ihm ein russischer Angriff nichts anhaben kann.
({38})
Meine Damen und Herren, das mußte ich deutlich sagen.
({39})
- Herr Kollege Ollenhauer, Sie wissen ganz genau, daß auch der Kennan-Plan ein Teil jenes großen Problems ist, das Disengagement heißt, das also, wie es Carlo Schmid ausgedrückt hat, auf die Schaffung einer militärisch uninteressanten Zone zielt. Ich habe, weil ich ja einen für Sie unverdächtigen Zeugen haben wollte, Herrn Kennan zitiert. Wenn man also vorschlägt: Schafft Entspannung!, dann erheischt die ewig unbeantwortete, die ewig von Ihnen unbeantwortete Frage, eine Antwort: Wie steht es dann mit unserer Sicherheit?
({40})
Ich habe Ihnen am Beispiel Herrn Kennans, Herr Ollenhauer, gezeigt, wie außerordentlich schwer es ist, das Sicherheitsproblem zu lösen, wenn man sich einmal auf solche Pläne einläßt.
({41})
- Herr Wehner, ich habe den ganzen Kennan von A bis Z gelesen, und ich habe mit ihm darüber gesprochen.
({42})
- Wissen Sie, Herr Wehner, unterstellen Sie doch ihrem politischen Gegner nicht immer Infamie! Sie sollten mich zur Genüge kennen. Ich habe in der Vergangenheit wohl bewiesen - auch Ihnen gegenüber bewiesen -, daß ich weitab davon bin, meinen politischen Gegner nicht zu respektieren,
({43})
wenn er eine nach meiner Meinung zwar falsche, aber ehrliche politische Auffassung vertritt.
Herr Ollenhauer, Sie sagen dann: Lesen Sie doch unsere Vorschläge in puncto Sicherheit! - Ich habe bis heute, Herr Ollenhauer, keinen sozialdemokratischen Sicherheitsvorschlag gelesen, der mir die Überzeugung gibt, daß, wenn man diesen Plan annähme, unsere Sicherheit gewährleistet wäre.
({44})
Immer wieder erscheint Ihr alter Vorschlag des europäischen kollektiven Sicherheitssystems.
({45})
Herr Mende hat heute sogar als gelehriger Schüler
- Ihr gelehriger Schüler, Herr Ollenhauer! - von
einem Bündnis zwischen den USA und der Sowjetunion gesprochen,
({46})
nicht einmal mehr von einem kollektiven Sicherheitssystem. Ja, in diesem System steckt zwar das Wort „Sicherheit" drin, aber ich suche die Sicherheit in Wirklichkeit vergebens.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mende?
Bitte schön!
Ist dem Herrn Kollegen Kiesinger bekannt, daß ich an den Eden-Plan der ersten Genfer Konferenz, d. h. an Edens Äußerungen vom 18. Juli 1955 anknüpfte, als ich heute von dieser Verklammerung der Vier Mächte mit dem wiedervereinigten Deutschland sprach und nicht als „gelehriger Schüler" des Herrn Ollenhauer?
({0})
Mir ist das nicht bekannt gewesen, denn Ihre Ausführungen klangen außerordentlich konform mit den uns wohlbekannten Formeln der bisherigen Opposition.
({0})
Aber wenn Sie Ihr „kollektives Sicherheitssystem" in einem anderen Sinne verstehen, als es die Sozialdemokratie versteht, dann würde ich Sie doch bitten, uns das noch einmal genau darzulegen.
Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?
Bitte!
Halten Sie, Herr Kollege Kiesinger, die Güte politischer Ideen für abhängig von der Größe der Fraktion und Partei, aus der sie kommen?
({0})
Herr Kollege Mende, ich weiß, daß das nun eine Art Komplex geworden ist.
({0})
Ich kann's verstehen; es ginge mir in Ihrem Falle vielleicht genauso. Man hat dann natürlich die Neigung, das, was an reinem Gewicht fehlt, durch Lautstärke zu ersetzen.
({1})
- Nein, sicher nicht! Aber, Herr Kollege Mende, Sie werden mich und meine Fraktion und sicher auch die Regierung immer bereit finden, Ratschläge und Pläne, die aus Ihren Reihen kommen, nüchtern daraufhin zu untersuchen, was darin stecken könnte, um mit ihnen etwas Gutes anzufangen zur Erreichung des gemeinsamen Ziels.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie dem Abgeordneter Erler eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Kiesinger, ist Ihnen bekannt, daß Mr. Kennan nach den sechs Rundfunkvorträgen noch im britischen Rundfunk ein Gespräch mit dem britischen Luftmarschall Sir John Slessor und zwei anderen Herren gehabt und in diesem Gespräch ausdrücklich betont hat, daß auch Deutschland nach dem Status, wie er ihn sich vorstellt, gewisse konventionelle Streitkräfte brauche, daß zur Ergänzung dessen ein europäischer Sicherheitsvertrag abgeschlossen werden müsse, der diese deutschen Leistungen einschließe, und daß darüber hinaus die Vereinigten Staaten - und er sei davon überzeugt, daß das praktikabel sei - diesem Deutschland eine Garantie gewähren sollten und müßten? Er sagt dann weiter:
Meiner Meinung nach sollten wir das auch tatsächlich tun, denn ich halte Deutschland für absolut entscheidend. Es liegt zwischen den Russen und der westlichen Welt und ist somit An gelpunkt der Weltmächte.
Ist Ihnen klar, daß Sie infolgedessen dem gesamten Gedankengebäude Kennans, wenn Sie nur einen einzigen Detailgedanken seiner Milizvorstellungen herausgreifen - über deren praktische Verwirklichung wir auch gern einmal die Vorstellungen des Herrn Verteidigungsministers kennenlernen möchten; da haben wir noch nichts gehört, das müssen wir erst einmal abwarten -, Unrecht tun?
Nein, Herr Erler. Dieser Detailgedanke von Herrn Kennan bildete einen zentralen Teil seiner militärischen Überlegungen und Vorstellungen in seinen Vorträgen; das können Sie nicht leugnen. Wenn Herr Kennan hinterher - aufmerksam gemacht durch Leute, die die Realitäten besser zu sehen vermögen - eine gewisse Korrektur angebracht hat, z. B. die Stützung des Milizsystems durch eine koventionelle Armee, beweist das nur, daß er sich vernünftigen Vorstellungen von Sachkennern zugänglich gezeigt hat; aber es beweist -({0})
Es beweist zu gleicher Zeit - denn er hat ja vor der Weltöffentlichkeit gesprochen -, wie schwer es für einen solchen Mann zu sein scheint, sich mit den realen Problemen der Macht und der Machtverhältnisse auseinanderzusetzen. Das ist ja genau das gewesen - es tut mir leid, daß Sie mich dazu herausfordern, das zu sagen -, was sein früherer Vorgesetzter Dean Acheson ihm bescheinigt hat: daß diesem ehrenwerten Mann - den auch ich
respektiere und achte - der Sinn für die realen
Machtverhältnisse, für die Macht überhaupt abgehe.
({1})
- Herr Wehner, vielleicht besitzen Sie ihn; das ist ein ander Ding!
({2})
Wir behaupten nicht, daß wir das Monopol auf diesem Gebiet haben.
({3})
- Herr Wehner, Sie selbst haben vielleicht eine Konzeption, die Macht-Verständnis einschließt. Aber viele, die solche Vorschläge befürworten, sind einfach Utopisten, politische Romantiker, die für den Ernst der Situation keinen Instinkt mehr haben.
({4})
Der Kern dieser Auseinandersetzung ist das verlangte Auseinanderrücken der Giganten, damit es zu keiner Katastrophe komme. Was hat es damit wirklich auf sich? Wenn man in die Diskussion der westlichen Welt hineinblickt, sieht man allerdings eine große und erstaunliche Verwirrung. Oft im selben Zeitungsartikel die entgegengesetzten Argumente! Da sagt z. B. eine große englische Zeitung, wenn man diesen Plan durchführe, könnten ja die beiden Teile Deutschlands, die Bundesrepublik und die sogenannte Deutsche Demokratische Republik, ihre Garantien - nämlich die Garantie der NATO für die Bundesrepublik und die Garantie des Warschauer Paktes für die sogenannte Deutsche Demokratische Republik - behalten. Als ob in der Deutschen Demokratischen Republik außer den Marionetten, die dort von Sowjetrußland unterhalten werden, jemand Interesse daran hätte, die Garantie des Warschauer Paktes zu behalten! Aber wenige Zeilen später, im selben Artikel, springt dann plötzlich die Katze aus dem Sack. Wenn es gelinge, die Sowjetrussen hinter die polnische Grenze zurückzudrängen - wobei übrigens das Gebiet Ostpreußens dauernd außer Diskussion bleibt; dieses Gebiet haben die Sowjetrussen ja für sich beansprucht -, könne sich das kommunistische System in den Ländern Osteuropas nicht mehr halten, sei es, daß es sofort zusammenbrechen werde, sei es, daß es im Wege einer allmählichen Evolution geändert werde.
Meine Damen und Herren, ich gebe zu, von westlicher Seite ist manchmal gesagt worden, alle diese Vorschläge hätten gar keinen Sinn, die Sowjetrussen würden sie gar nicht annehmen. Man kann aber wohl nicht überzeugend sagen: Diese Vorschläge seien für den Westen unmöglich, und außerdem werde sie der Osten nicht annehmen. Ich weiß, es gibt Begründungen, die beides miteinander vereinen wollen. Aber ich kann da nicht ganz folgen. Aber wenn es so wäre, daß die sowjetrussische oder die kommunistische Herrschaft in diesen Ländern nicht mehr weiter bestehen könnte, wenn die Truppen abzögen, wüßten das die Führer der Sowjetunion ganz genau, und dann würden sie nur eine Lösung annehmen, bei der sie sicher sind, daß diese von einigen westlichen Plänemachern erhoffte Entwicklung nicht eintreten wird.
({5})
Und sie hätten guten Grund, das zu hoffen; denn der Westen - jedenfalls die Schutzmacht des Westens, die Vereinigten Staaten - wäre dann weit abgerückt, vielleicht sogar über den Atlantik hinüber, aber Sowjetrußland wäre präsent, wäre in Europa übermächtig zugegen. Ich frage mich, was geschehen würde, wenn dann irgendwo aufsässige Tendenzen gegen die Sowjetunion deutlich würden. Die Sowjetunion würde sicherlich nicht zögern, die Konsequenzen zu ziehen.
Herr Kollege Kiesinger, sehen Sie denn irgendeine Lösung, die man erreichen kann, ohne daß die Sowjetunion sie annimmt?
Sie fragen, ob ich irgendeine Lösung sehe, - Erler ({0}) : Sie selber sagten eben eindeutig, Lösungen, die also von der Sowjetunion angenommen werden sollten, könnten diesen Vorgang der Befreiung von der kommunistischen Herrschaft nicht zur Konsequenz haben. Sehen Sie irgendeine Lösung unter diesen Umständen, die je von der Sowjetunion angenommen werden kann? Oder meinen Sie, es müßten Lösungen aufgezwungen werden?
Nicht, daß wir der Sowjetunion Lösungen aufzwingen; das ist eine Simplifizierung, die man zurückweisen muß.
({0})
Aber wir wissen, daß in den großen Machtauseinandersetzungen der Welt so große Zugeständnisse, wie wir sie von der Sowjetunion erwarten, z. B. in der Frage der deutschen Wiedervereinigung, nicht gemacht werden, ohne daß die Umstände einen Druck auf die Sowjetunion ausüben.
({1})
Auch Sie glauben doch nicht, daß die Sowjetunion um unserer schönen blauen Augen willen ein so großes Zugeständnis machen wird.
({2})
Oder aber die Sowjetunion ist überzeugt, daß die Entwicklung, wie sie von einigen westlichen Plänemachern erhofft wird, eintreten würde. Dann dürfen Sie überzeugt sein, daß die Sowjetunion es mit Geschick - mit gewohntem Geschick - verstehen wird, zwar vielleicht über solche Pläne zu diskutieren, aber sie niemals zu realisieren, und daß sie in der Zwischenzeit versuchen wird, den Westen daran zu hindern, seine Solidarität zu stärken.
Wir können nicht anders, als alle diese Pläne einer nüchternen Betrachtung zu unterziehen. Das ist die Pflicht des Politikers. Es liegt in unserer Lage nahe, aufgeregt, hektisch zu werden und zu sagen: „Wir müssen doch endlich irgend etwas tun!" Die Frage ist: Was können wir im Augenblick tun? Lassen Sie mich ein paar kurze Sätze dazu sagen. Wieder lassen Sie mich bitte Herrn Kennan zitieren, deswegen, weil er ja parallel liegt zu vielen Ihrer
Vorstellungen. Was sagt Herr Kennan? Ich verstehe diesen Widerspruch nicht. Er sagt an einer wichtigen Stelle seiner Vorträge, das Hauptinteresse der Sowjetunion richte sich auf die non-committed nations, auf die weiten Gebiete Asiens und Afrikas, und es sei anzunehmen, daß die Sowjetunion sich in Europa auf keine Lösung einlassen werde, bis sie wisse, ob die Entwicklung in jenen Gebieten ihren Absichten gemäß verlaufe. - Ich stimme Herrn Kennan zu. Ich habe immer die Auffassung vertreten, daß die aktivste Aufmerksamkeit der Sowjetunion zur Zeit auf jene Gebiete gerichtet ist und daß sie, gerade um sich dort mit Erfolg durchzusetzen, in Europa den Status quo in ihrem Sinne befestigen will. Wenn es so ist, daß die Sowjetunion sich zur Zeit auf keine Lösung in Europa einlassen wird, warum wird dann jetzt für Europa diese Politik des Disengagement vorgeschlagen? Ich muß gestehen, ich habe für eine solche Gedankenführung kein Verständnis.
Was also tun?
({3})
- Es wird mir zugerufen: „Abwarten!" Ich weiß, daß dieser Einwurf immer kommt, obwohl eine Politik des Abwartens durchaus nicht immer falsch ist. Die Cunctatoren der Geschichte waren nicht immer die schlechtesten Generäle und nicht immer die schlechtesten Politiker.
({4})
Aber ich glaube nicht, daß wir uns völlig auf die Rolle des Abwartens beschränken müßten. Wir sind der Meinung, daß verhandelt werden soll. Das ist ja auch in dem Antwortschreiben des Herrn Bundeskanzlers klar gesagt worden. Die Frage ist nur, wie und worüber verhandelt werden soll. Wie, darüber sind wir uns ja einig: nur in einer gut vorbereiteten Konferenz. „Gut vorbereitet" bedeutet aber ein Doppeltes: Erstens, daß der Westen versuchen muß, seine Politik abzustimmen. Es wäre ungeheuer gefährlich, wenn man in eine Konferenz mit der Sowjetunion hineinginge und dann jeder einzelne der westlichen Staaten seine eigene politische Konzeption verträte. Daß wir im Westen keineswegs im reinen sind über unser Bild der politischen Beziehungen zwischen Westen und Osten, - das brauche ich nicht besonders zu betonen. Die zweite notwendige Vorbereitung ist die, daß wir mit der Sowjetunion vor der Konferenz nüchtern, handwerklich, solide sprechen.
Aber worüber? Nun, etwa so, wie es der Bundeskanzler in seinem Antwortschreiben getan hat. Die Vorschläge, die Sie, meine Herren, machen, bedeuten vor allen Dingen die Zementierung des Status quo, und das können wir nicht annehmen. Wir erwarten von den Sowjets nicht, daß sie in der Frage der deutschen Wiedervereinigung sofort kapitulieren. Wir machen das nicht zur unbedingten Voraussetzung jeder Verhandlung. Aber ebenso warne ich vor dem auch durch Herrn Ollenhauer und durch Professor Carlo Schmid in Straßburg zum Ausdruck gebrachten Gedanken, daß in der gegenwärtigen Situation gar nichts anderes übrigbleibe, als das Problem der deutschen Wiedervereinigung
auszuklammern und eine Art politischen Waffenstillstands auf der Grundlage des Status quo abzuschließen
({5})
in der Hoffnung, daß es später einmal gelingen werde, dieses Problem zu lösen.
Die Haltung unserer Regierung in der Abrüstungsfrage war und ist, glaube ich, weise. Sie hat darauf bestanden, daß die beiden Probleme der Abrüstung und der Wiedervereinigung in einem bestimmten Stadium der Verhandlungen miteinander verbunden werden sollten. Aber sie hat nicht darauf bestanden, daß das von Anfang an geschieht. Sie hat gesagt: Wir wollen sehen, ob sich nicht in der Abrüstungsfrage gewisse konkrete .Anfangserfolge erreichen lassen, die dann die Voraussetzungen dafür schaffen, daß das politische und das militärische Problem miteinander behandelt werden können.
Wir haben jüngst in der Beratenden Versammlung des Europarats, wo Vertreter aus 15 europäischen Staaten ihre Meinung sagten, diesen selben Problemkreis, über den wir heute sprechen, diskutiert. Was ist dabei herausgekommen? Es sind u. a. der militärische und der politische Aspekt solcher Entspannungspläne besprochen worden. Mit allem Ernst wurde darauf hingewiesen, daß das Ziel der Sowjetunion eine allmähliche Zurückdrängung der Amerikaner vom Kontinent ist. Wie aber, wenn dieses Ziel erreicht würde? Wäre das eine Entspannung? Wäre dann Westeuropa wirklich militärisch uninteressant? Ich fürchte, das Gegenteil würde der Fall sein. Es würde ein militärisch und politisch unerhört interessantes Gebiet vor allen Dingen für die Sowjetunion werden.
({6})
Es wird oft sorgenvoll darüber geredet, was wohl geschähe, wenn einmal in Westeuropa etwas Ähnliches passierte wie in Ungarn, wenn vielleicht einmal Führer der Sowjetunion versuchen sollten, einen Vorstoß nach Westeuropa zu machen - und diesen Vorstoß kann man sich auf alle mögliche Weise ausmalen -, ob dann wohl die „deterrent power" wirken würde, ob dann wohl die Amerikaner bereit sein würden, das gewaltige Risiko eines atomaren Krieges einzugehen. Diese sorgenvolle Frage ist angesichts der ungarischen Ereignisse nur zu berechtigt. Aber dann ist es doch unser wichtigstes Anliegen, dafür zu sorgen, daß, wenn immer in Sowjetrußland einmal dieser Gedanke entstehen könnte - wie gesagt, ich klage niemanden an -, dann in demselben Kopf aber auch die Überzeugung lebt, daß der amerikanische Gegenschlag mit Sicherheit erfolgen würde. Und wie erreichen wir das? Dadurch, daß wir die Amerikaner aus Europa hinausdrängen? Meine Damen und Herren, es gibt eine verläßliche Garantie einer entsprechenden amerikanischen Reaktion für einen solchen Fall, und das ist die Anwesenheit amerikanischer Truppen in den bedrohten Gebieten.
({7})
In Ungarn gab es keine solchen Truppen.
Es wird nun verlangt, daß sich die amerikanischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik zurückziehen, ja vielleicht sogar aus den Gebieten der westeuropäischen Staaten. Sicher, einmal muß das kommen. Ich habe selber von dieser Stelle aus gesagt, die NATO sei für uns kein Dogma. Ich habe es ernst gemeint, wiederhole es und meine es ebenso ernst. Wir haben die NATO immer nur als einen Notbehelf betrachtet angesichts der Situation, in die Europa durch die sowjetrussische Politik nach dem Ende des zweiten Weltkrieges geraten ist. Wenn die dadurch geschaffenen Voraussetzungen durch eine entsprechende Politik der Sowjetunion im Zusammenwirken mit dem Westen einmal wegfallen sollten, dann wäre in der Tat die NATO überflüssig geworden.
Bei der NATO handelt es sich um ein ganz anderes Problem als bei der europäischen Integration. In Europa wollen wir dauernde Integration bis zu dem Tag, an dem man von den Vereinigten Staaten von Europa sprechen kann, unabhängig von der militärpolitischen Situation. Im weiten Bereich der Familie der NATO-Völker wollen wir gemeinsame Verteidigung, Schutz unserer Freiheit und gar nichts weiter, und das nur so lange, als die Verhältnisse uns dazu nötigen.
({8})
Ich glaube, das ist eine sehr konkrete Zweckbestimmung, die wir der Sowjetunion immer wieder deutlich machen müssen.
Nein, Ihre Politik scheint uns, so wie die Situation liegt, nicht möglich zu sein. Wir müssen einen anderen Weg gehen, und dieser andere Weg bedeutet das, was die NATO-Konferenz erstrebt hat: erstens Solidarität der westlichen Welt angesichts der sowjetrussischen Wirklichkeit, nicht nur militärische Solidarität, sondern auch, solange diese Siutation in der gesamten westlichen Welt besteht, politische Solidarität - das große Anliegen des Bundeskanzlers auf der letzten NATO-Konferenz -, und zweitens die deutliche Bereitschaft der westlichen Welt - und ich sage das nicht als eine Floskel, als eine Phrase-, über jeden vernünftigen und annehmbaren Vorschlag zur Lösung der Probleme, und sei es auch eine Lösung in Stufen, zu verhandeln.
Wie Sie wissen, hat Herr Bulganin in seinem Brief Punkte für die Tagesordnung ausgesucht, die für die westliche Welt unannehmbar sind, weil sie die Verewigung des Status quo bedeuten würden. Er hat aber gesagt, es könnten unter Umständen auf einer Konferenz auch andere Punkte besprochen werden, man müßte sich dann eben darüber verständigen, daß sie auf die Tagesordnung gesetzt werden, und man müßte sich über ihre Reihenfolge einigen. Wenn nun die westliche Welt ihre Vorbereitungen trifft, sollte sie an diese Bemerkung in dem Brief Marschall Bulganins anknüpfen und sollte ihrerseits Vorschläge für die Tagesordnung machen.
Herr Ollenhauer, es ist nicht wahr, daß die westliche Welt noch nie konkrete Vorschläge gemacht hat. Sie haben doch die Abrüstungsverhandlungen verfolgt. Sie mögen vielleicht die AbrüstungsvorKiesinger
schläge des Westens kritisieren und sagen, der Westen habe von der Sowjetunion zuviel verlangt. Sie müssen auf der anderen Seite sicher zugestehen, daß die Sowjetunion vom Westen viel, viel mehr verlangt hat. Ich war sehr froh, als Professor Carlo Schmid in Straßburg sagte, bisher sei die Abrüstung am sowjetischen Njet gescheitert. Das ist wahr. Der Westen hat bei den Londoner Verhandlungen Zugeständnisse gemacht, er ist Sowjetrußland entgegengekommen, und trotzdem hat Sowjetrußland in Bausch und Bogen abgelehnt.
Ich will nicht - und ich kann es auch nicht - von dieser Stelle aus sagen, daß der Westen dabei hundertprozentig im Recht gewesen sei. Dazu bedürfte es von meiner Seite eines viel gründlicheren Studiums des Problems, eines Studiums, das die westlichen Mächte in den kommenden Monaten werden unternehmen müssen. Aber ist es denn nichts, Herr Kollege Ollenhauer, ist es denn einfach eine Schauprozedur der westlichen Welt, wenn die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit nicht nur eine erweiterte Abrüstungskommission eingesetzt hat, in der auch Polen und die Tschechoslowakei vertreten sind, sondern wenn sie sich auch mit der überwältigenden Mehrheit die Londoner Vorschläge der westlichen Mächte über eine kontrollierte Abrüstung zu eigen gemacht hat? Das ist doch nicht einfach ein Versuch, sich hinter Formulierungen zu verstecken, weil man etwa eine wirkliche Abrüstung nicht will. Welcher verantwortliche Staatsmann des Westens könnte es
wagen, die Abrüstung nicht zu wollen in dieser Zeit, in der die ganze Menschheit unter diesem Alpdruck stöhnt? Aber er muß eine wirkliche Abrüstung wollen, .d. h. eine kontrollierte.
({9})
Wenn die Sowjetunion die sofortige Einstellung der Versuche mit Atomwaffen vorschiebt - wie froh wären wir, wenn diese Einstellung tatsächlich erfolgte -, dann muß ihr der Westen immer wieder entgegenhalten: das Entscheidende bei der Abrüstung ist nicht die Einstellung der Versuche, sondern die Einstellung der fortgesetzten Erzeugung von nuklearem Material und atomaren Waffen.
({10})
Vielleicht wird man einen Kompromiß finden müssen. Das Gebiet ist außerordentlich schwierig. Ich sehe noch nicht, wie es gelingen könnte, einen gemeinsamen Weg zu finden.
Zum Schluß noch wenige Worte zum Problem der Wiedervereinigung. Sie haben an das Jahr 1952 erinnert. Ich weiß, es gibt schon eine Legende - die insbesondere Herr Paul Sethe erzeugt hat -, wonach im Jahre 1952 eine Chance für eine deutsche Wiedervereinigung in Freiheit verpaßt worden sei. Ich weiß, daß es fruchtlos ist, so nahe den geschichtlichen Vorgängen einen Streit zu führen. Ich kann nur sagen, daß jeder, der das behauptet, bis heute den Beweis schuldig geblieben ist.
({11})
Ich habe schon erwähnt, daß ich in der Weihnachtspause das Buch des interessanten einsamen Gefangenen, „Die herrschende Klasse" von Herrn Djilas, gelesen habe, ein sehr ernst zu nehmendes Buch, das ohne jedes Ressentiment, ohne Haß versucht, die kommunistische Wirklichkeit zu schildern, das nicht, wie Herr Trotzky es tat, die Herrscher im Kreml anklagt, sie hätten den Kommunismus falsch realisiert, sondern das sagt: So ist der Kommunismus, so muß er sein. Das sagt eine der führenden Gestalten des Weltkommunismus. Heute bekennt er, daß er etwa Sozialdemokrat sei. Djilas sagt in diesem Buch, er erinnere sich an gewisse Aussprüche von Stalin aus dem Jahre 1948. Zwei Aussprüche ruft er in die Erinnerung, die Stalin damals zu den Jugoslawen getan habe, erstens: „In einem modernen Krieg wie diesem wird der Sieger dem Besiegten sein politisches System aufzwingen", zweitens: „Die Westmächte werden aus Westdeutschland eines ihrer eigenen Länder machen, und wir werden aus Ostdeutschland eines der unseren machen. Das ist unvermeidlich."
Ich weiß, daß Politiker später mitunter anders handeln, als sie gesagt haben. Aber gerade bei Stalin und den sowjetrussischen Politikern dürfen wir eine durchgehende Konsequenz des politischen Denkens und Handelns annehmen. Bilden wir keine Geschichtslegenden, sondern sehen wir die Entwicklung mit aller Nüchternheit. Denn wenn wir das nicht sehen, wenn wir gar - nicht Sie - wie manche kleinen Schlauberger dieses gewaltige Problem lösen wollten - mit Patent- und Kurpfuscherrezeptchen, die jeden Tag am laufenden Band fabriziert werden -, dann wird das Spiel mit der Zeit lebensgefährlich.
Ich will ein Wort zu Polen sagen. Wenn Herr Rapacki seinen Vorschlag in der Sorge um das zukünftige deutsch-polnische Verhältnis gemacht hat, dann will ich nicht über seinen Plan gesprochen haben, ohne von dieser Stelle aus dem polnischen Volk und auch seiner gegenwärtigen Regierung zu versichern, daß auch uns an der Herstellung des Verhältnisses guter Nachbarschaft zwischen dem deutschen Volk und dem polnischen Volk liegt.
({12})
Ich darf das polnische Volk und Herrn Rapacki darauf aufmerksam machen, daß die Bundesregierung einen entscheidenden Schritt, ja vielleicht den entscheidenden Schritt im Aufbau dieses Verhältnisses schon getan hat, daß sie sich nämlich trotz der Aufrechterhaltung der deutschen Ansprüche auf die deutschen Ostgebiete verpflichtet hat, auf Gewalt zur Wiedergewinnung dieser Gebiete zu verzichten. Ich glaube, daß man drüben in Polen verstehen sollte, was das bedeutet.
Gewiß, es gab Politiker, die ebenfalls Gewaltverzichte ausgesprochen haben und die diesen Verzicht dann nicht eingehalten haben. Ich frage: Besteht der geringste Grund für das polnische Volk, gerade dieser Regierung und dieser Christlich-Demokratischen Partei zu unterstellen, sie nehme dieses Versprechen nicht ernst und sie habe gar im geheimen vor, es zu brechen?
Wir können unseren Anspruch nicht aufgeben. Wir können Herrn Rapacki nicht den Gefallen tun, zu sagen: Ja, diese Gebiete sind polnisch. - Sie sind es nicht; sie waren es nicht. Sie sind es auch formalrechtlich, wie die Polen genau wissen, nicht. Ich denke hier nicht daran, einen billigen nationalistischen Appell zu erheben. Als ich einmal in Straßburg auch vor Vertretern der polnischen Emigration über dieses Problem sprach, sagte ich ihnen noch ein Weiteres: In der Bundesrepublik leben über 10 Millionen heimatflüchtiger und vertriebener Menschen. Was hätte man erwarten müssen, wenn es nach den alten Vorstellungen gegangen wäre? Man hätte erwarten müssen, daß sich dieses gute Fünftel der Bevölkerung der Bundesrepublik - fern der Heimat, mit dem nagenden Schmerz des aus der Heimat Vertriebenen -- einem wilden Nationalismus zuwenden würde und daß dadurch unser ganzes politisches Leben in der Bundesrepublik vergiftet worden wäre.
Meine Damen und Herren, diejenigen, die versucht haben, die Millionen Vertriebenen in dieser Weise anzusprechen, haben vom deutschen Volk bei der letzten Wahl das Verdikt bekommen.
({13})
Es muß einmal ausgesprochen werden, daß den Vertriebenen und Heimatflüchtigen dafür Ehre und Dank gebührt, daß sie ihr schweres Schicksal getragen haben, ohne einem fanatischen Nationalismus zu verfallen.
({14})
Ich habe nicht behauptet - das will ich gleich sagen, um Verletzungen vorzubeugen, die vielleicht durch meine Worte entstehen könnten -, daß alle Mitglieder der hier nicht mehr vertretenen Parteien so gehandelt hätten.
({15})
Jeder hier kennt ja die Mitglieder
({16})
dieser Partei, und manche von ihnen waren uns hochgeschätzte und liebe Kollegen,
({17})
die dieselben Ziele verfolgten wie wir. Aber es gab und gibt auch andere, und wir sollten alle zusammen, das ganze Haus, darüber froh sein, daß sie keinen Erfolg gehabt haben.
Polen ist unser Nachbar, nicht die Sowjetunion, und das wird für die Zukunft vielleicht einmal wichtig sein. Aber wir werden das Problem nicht etwa dadurch lösen, daß wir schlaumeierlich anfangen, Polen gegen die Sowjetunion auszuspielen. Herr Wehner, auch hier bin ich ganz ehrlich: ich will, daß wir eines Tages mit der Sowjetunion zu einem soliden Abkommen gelangen, und dazu helfen solche Tricks nicht. Allerdings sage ich ebenso freimütig, daß wir auch das Recht des polnischen Volkes - wie jedes Volkes auf dieser Erde - anerkennen, sein eigenes politisches System nach freiem Willen zu bestimmen.
({18})
Dem sollte auch die Sowjetunion eines Tages Rechnung tragen.
Die Welt, in der wir leben, ist schwierig. Patentrezepte zu geben ist noch schwieriger. Es wird uns vorgeworfen: Was tut ihr eigentlich, was tatet ihr eigentlich? Nun, lesen Sie doch bitte die Vorschläge der Regierung genauer, auch das Memorandum der Bundesregierung, jetzt wieder die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und die Erklärung des Außenministers! Da steht viel mehr darin als bloß ein paar billige Phrasen.
Wir haben mit den Westmächten zusammen eine Arbeitsgruppe gebildet, in der ständig das Problem der deutschen Wiedervereinigung unter dem Aspekt der Weltpolitik behandelt wird. Daß über die Arbeit dieser Gruppe nicht viel in die Öffentlichkeit gedrungen ist, hat selbstverständlich seine guten Gründe; denn es ist besser, in der Stille zu arbeiten, als vor aller Öffentlichkeit spektakuläre Erfolge, die man doch nicht produzieren kann, aus dem Hut zu zaubern.
Ich sprach davon, daß die Beratende Versammlung des Europarates in der vergangenen Woche dasselbe Problem wie wir diskutiert hat. Sie hat am Schluß eine Resolution angenommen, mit 83 Stimmen gegen eine Nein-Stimme bei 11 Enthaltungen, unter denen sich die Stimmen unserer sozialdemokratischen Kollegen befanden.
({19})
Die sozialdemokratischen Kollegen hatten für ihre Haltung dieselben Gründe, die wir aus den Ausführungen von Herrn Ollenhauer hörten. Es war ihr gutes Recht, sich so zu verhalten; ich versuche nicht, sie deswegen etwa madig zu machen.
({20})
- Herr Wehner, in jeder Fraktion, in jeder Partei gibt es Eifrige, Übereifrige und Allzueifrige,
({21})
bei Ihnen genauso oder vielleicht noch ein bißchen mehr als bei uns.
Die Resolution, die die Beratende Versammlung angenommen hat, besagt: Die Mitgliedstaaten des Europarats sollten ihren Verpflichtungen treu bleiben, sich angesichts der gemeinsamen politischen Probleme untereinander politisch zu konsultieren. - Die westlichen Mächte sollten es nicht ablehnen, Besprechungen auf einer Gipfelkonferenz mit der Sowjetunion zu führen. Dabei wird die Terminologie „kapitalistische und sozialistische Staaten" abgelehnt; die Länder, die miteinander zu verhandeln hätten, könnten nicht in diese Kategorien gezwängt werden. Es wird gesagt, daß die Gipfelkonferenz sorgfältig vorbereitet werden müsse und daß dabei die westlichen Staaten sich anstrengen müßten, ihre Politik zu koordinieren. - Hinsichtlich der
Abrüstung wird erklärt, daß zum Zwecke der Verhandlungen mit der Sowjetunion von den westlichen Mächten das Gesamtproblem der Abrüstung, auch einer beschränkten oder regionalen, studiert werden solle. Damit befindet sich die Beratende Versammlung in Übereinstimmung mit dem Beschluß des NATO-Rates, der sowohl von dem Herrn Außenminister wie von Herrn Ollenhauer erwähnt worden ist. - Die Beratende Versammlung lehnt ferner die endgültige Anerkennung des Status quo in Europa ab, weil das, wie sie sagt, unter anderem die Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands bedeuten würde. Es wird gesagt, es könne keine dauernde Regelung geben, solange dieses deutsche Problem ungelöst bleibe. Wir haben der Beratenden Versammlung dafür unseren Dank auszusprechen.
({22})
Außerdem wurde noch einmal das Recht aller Völker, auch der Völker Osteuropas, betont, ihr Regierungssystem nach eigenem Willen zu bestimmen. Wir haben ihnen keine Freiheit und keine Befreiungsaktion versprochen, sondern wir haben uns nur zu diesem unverzichtbaren Prinzip bekannt.
Ich kann diese Ausführungen nicht schließen, ohne die Aufmerksamkeit des Hauses noch einmal auf das Problem zu lenken, das uns zwar manchmal fernab zu liegen scheint, das uns aber doch so nahe wie irgend jemanden in der Welt angeht, nämlich das der sogenannten unterentwickelten Völker, der weiten Gebiete und Millionenheere Asiens und Afrikas, um deren Seele der Westen mit dem Osten ringt. Ich bin tief davon überzeugt, daß die endgültige Entscheidung darüber, was einmal auf dieser Erde sein wird, welches Wertesystem für die Menschen gelten wird, auf jenem Feld ausgetragen wird. Daher sollte auch die Bundesrepublik, ihre Regierung und ihr Parlament, nicht aufhören, an dieses Problem zu denken, um so mehr, als ein Mann wie Kennan gesagt hat, solange die Sowjetunion dieses Problem nicht in ihrem Sinne gelöst sehe, werde sie nicht daran denken, sich in Europa auf irgendwelche Lösungen einzulassen.
Wir, Herr Ollenhauer, wollen mit Ihnen den Frieden der Welt und die Freiheit erhalten. Wir streiten uns über die Methoden. Ich bin nicht der Mann, der sich unnötig streiten will. Wir werden auch in Zukunft auf jedes Wort, das aus Ihrem Lager kommt, und auf jede Kritik hören. Aber bis jetzt hat uns nichts in dieser Kritik zu der Überzeugung gebracht, daß die Politik, die von der Mehrheit des deutschen Volkes gebilligt wird und die dieses Volk aus der tödlichen Einsamkeit der Katastrophe zurück in die Völkerfamilie als deren geachtetes Mitglied geführt hat, falsch war. Wir sind überzeugt, sie ist richtig, und wir werden sie fortsetzen.
({23})
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung. Das Haus tritt um 15 Uhr wieder zusammen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder aufgenommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Maier ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Abgeordneten! Ich habe zunächst einiges aus der heutigen Vormittagssitzung aufzuräumen.
({0})
Es ist sehr die Frage gewesen, ob die vorangegangenen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers, des Herrn Bundesaußenministers in der Öffentlichkeit vor dieser Debatte, die Absendung der Antwortnote parlamentarisch korrekte Handlungen gewesen seien. Ich glaube, daß es nicht nötig ist, über diese Dinge sehr viel zu sagen. Es ist aber vielleicht zweckmäßig, ein neutrales Urteil zu dieser Frage vorzulesen, das heute früh in der Stuttgarter Zeitung stand. Mit Zustimmung des Herrn Präsidenten lese ich nur vier Zeilen aus dem von Herrn Helmut Lindemann verfaßten Leitartikel der Stuttgarter Zeitung vom 23. Januar vor. Da wird gesagt:
Die heute stattfindende außenpolitische Debatte hätte ein wichtiges Ereignis im Leben des westdeutschen Parlamentes werden können, wenn nicht die Regierung ihr möglichstes getan hätte, diese Debatte abzuwerten.
({1})
Was brauchen wir ein weiteres Zeugnis!
({2})
Nun ist leider der Herr Außenminister nicht vorhanden.
({3}) - Meinen Gruß zuvor!
({4})
Der Herr Bundesaußenminister hat am heutigen Vormittag meinem sehr verehrten Parteifreund Herrn Dr. M e n d e gegenüber mit einem Zitat aus dem Jahre 1952 aufgewartet. Es liegt eine ganze Sammlung von Zitaten des Herrn Bundesaußenministers Dr. von Brentano, z. B. aus den deutsch-englischen Gesprächen im Jahre 1952, vor. Ich werde diese Ausführungen des Herrn Dr. von Brentano später auf dem Büro niederlegen. Er wird erstaunt sein, welche Äußerungen er früher zur Neutralität und ähnlichen Dingen gemacht hat.
Aber ich möchte nicht in seinen Fehler verfallen. Es ist ein alter Trick - ich kann mich nicht anders ausdrücken -, gewisse Worte aus dem Zusammenhang zu reißen und sie dann in einem ganz anderen Zusammenhang wiederzugeben. Das ist eine sehr beliebte, eine sehr fragwürdige und wenig noble Methode, die von einem Vertreter der Bundesregierung heute in dieser Debatte anscheinend übernommen worden ist. Es wird bei dieser Gele334
Dr. Maier ({5})
genheit auch sehr oft oberflächlich zitiert. Die Worte, die vom Herrn Bundesaußenminister als Äußerungen von Herrn Dr. Mende hervorgeholt worden sind, stehen in einem vollkommen anderen Zusammenhang. Sie sind in der 222. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 10. Juli 1952 gemacht worden und stehen in den Stenographischen Berichten auf Seite 9885 B. Herr Dr. Mende hat damals diese Äußerung in einer ausgesprochen militärtechnischen Debatte getan. Es handelte sich darum, ob in der EVG für die deutsche Seite die Selbständigkeit auf der Ebene der Division oder, wie er wollte, auf der Ebene des Armeekorps endigen sollte. Er hat damals ausgeführt: „Das Geheimnis militärischer Erfolge liegt in dem reibungslosen Zusammenarbeiten der verbundenen Waffen zu Lande, zu Wasser und in der Luft und in der personellen und materiellen Schwerpunktbildung." Er hat dann darauf hingewiesen, daß im modernen Krieg, der binnen 24 Stunden völlig neue Situationen schaffen kann und ebenso schnelle Entschlüsse zur Folge haben muß, das Problem der Befehlssprache und Nachrichtenübermittlung sehr wichtig ist. In diesem Zusammenhang hat er nun die Worte gebraucht, die ihm der Herr Bundesaußenminister heute vorgehalten hat. Er hat folgendes gesagt: Man soll deswegen diese und vielleicht auch andere sich ergebende Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer Lösung der Entwicklung überlassen und auf die Einsicht der militärischen Organe, jener militärischen Organe, die in ihrer Zusammenarbeit oft den Politikern voraus sind, vertrauen.
Damals sind also rein militärische Fragen erörtert worden. Die rein militärischen Fragen sollten nach der Ansicht von Herrn Dr. Mende den Militärs, die militärpolitischen Fragen, also die militärischen Fragen, die anfangen, zu politischen Fragen zu werden, und die rein politischen Fragen den Politikern überlassen werden.
Der Herr Bundesaußenminister hat sich dann mit seinen Bemerkungen über FDP und Drittes Reich auf ein sehr heikles Gebiet begeben.
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Ich spreche nicht von der CDU, ich spreche nicht von der CSU, ich spreche davon, daß ein Mitglied der Bundesregierung solche Bemerkungen gemacht hat. Einige aktive Bundesminister waren Parteigenossen.
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Einer von ihnen war aktiv und hatte einen hohen Rang in der SA. Und es ist leider auch eine Tatsache, auf die sehr oft hingewiesen worden ist, aus der aber keine Konsequenz gezogen wird, daß der Staatssekretär des höchsten Amts Kommentator der Rassengesetze war.
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Ich habe lediglich das eine gesagt: der Herr Bundesaußenminister hat sich auf ein sehr heikles Gebiet begeben.
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- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die zwölf Millionen eingeschriebenen Mitglieder der NSDAP FDP gewählt hätten, wären wir gerade so groß wie die CDU/CSU.
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Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, Vorsicht, Vorsicht, die Kiste enthält Porzellan und Glas!
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- Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich der CDU gegenübergestellt werde oder wenn mich die CDU kritisieren will: dann bin ich der Linksdemokrat und der Linksliberale, und ich habe das Nötige veranlaßt, daß wir in diesen Fragen absolut vorsichtig sind
({12})
und daß wir diesen Dingen jede Aufmerksamkeit schenken.
({13})
Und ich würde Ihnen raten, meine sehr verehrten Herren von der CDU, dieselbe Vorsicht walten zu lassen.
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Nun möchte ich Ihnen namens der Bundestagsfraktion der FDP die Ansicht der Fraktion zu den gegebenen aktuellen Fragen mitteilen. Es wird mir niemand widersprechen, wenn ich sage, daß über einem ganzen Dutzend internationaler Streitfragen heute jeden Tag die Welt in die Luft gehen kann. Daneben besteht eine Unzahl von Konflikten. Jeder einzelne kann sich jeden Tag zur gefahrvollen Unruhe über einen Erdteil oder über ganze Erdteile hinweg entwickeln. Im innersten Mittelpunkt der unheilgeladenen Gegensätze unserer Zeit, ja sogar der offenen Feindschaft unter den Weltvölkern, steht das Verhältnis Deutschland-Sowjetunion. Es hat sich weit unter den Nullpunkt entwickelt. Die Schuldfrage - daran schuldig, daran unschuldig, daran mitschuldig - ist keineswegs unwichtig, und sie steht auch zur Debatte. Sie ist aber kein Mittel zur Lösung, auch sogar kein Mittel zur Besserung. Fest steht, mit dem Verhältnis Deutschland-Sowjetunion steht der Weltfriede oder fällt der Weltfriede.
Dieser Komplex durch und durchdringender Kausalität trägt eine tragische Komplikation in sich. Er ist weder von der Sowjetunion noch von Deutschland allein noch von beiden miteinander allein aufzulösen. Jedenfalls ist das Deutschland allein nicht möglich. Und würden Deutschland und die Sowjetunion, wozu die Voraussetzungen fehlen, sich heute einigen, so wurde es massive Proteste aus allen Himmelsgegenden wegen Verletzung vitaler Interessen anderer sozusagen hageln. Die Sowjetunion hat sich festgehakt, die Bundesrepublik hat sich festgehakt, die Bundesrepublik ist außerdem festgehakt worden, und die Weltpolitik hat sich mit allen ihren Gewichten daraufgelegt und sich darein festgekrallt. Gewiß, die Sowjetunion verfügt über
Dr. Maier ({15})
eine völlige Unabhängigkeit. Es wäre ihr unbenommen, in der Deutschlandfrage eine edelmütige Geste und eine großzügige Konzession zu machen. Mit einem Federstrich vermöchte sie das entstellte und verzerrte Bild dieser Welt zu ändern. Aber: „Das ist die Zeit der Könige nicht mehr", läßt Hölderlin den sterbenden Empedokles sagen. Es ist eine Zeit voll grobschlächtiger Rücksichtslosigkeit und Eigennutz, oder mit anderen Worten: einen diplomatischen Garten Eden gibt es nicht und hat es wohl auch nie gegeben.
Die unbestreitbare Realität der Verquickung des deutsch-russischen Verhältnisses in die höchste Region erbitterter Welthändel entbindet beide Teile nicht, auf Wege und Mittel der Milderung und Besserung und schließlich der Beseitigung dieses schlimmen Zustandes sich zu besinnen. Insbesondere muß die Bundesrepublik trotz der Schlingen, die über sie geworfen sind, sich nun bemühen, jede Aktivität zu entfalten. Die Bundesrepublik muß mit Macht aus der gegenwärtigen Situation herauswollen, weil sie nämlich die negativen Seiten am allermeisten spürt. Die Bundesrepublik hat sich allzusehr und allzufrüh mit den schimmernden Gewändern eines perfekten Staates umkleidet.
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Sie ist aber kein perfekter Staat, sie ist nur ein Teilstaat. Die Haupterfordernisse eines Staates nach den gültigen Regeln des deutschen Staatsrechts sind ein Staatsgebiet und ein Staatsvolk. Beides haben wir nicht und sind wir nicht. Vollends fehlt uns das dritte Erfordernis: eine einzige Staatsmacht über dem ungeteilten Staatsgebiet und über dem ungeteilten Staatsvolk. Es war sehr unklug, der Bundesrepublik das Ansehen und das Aussehen eines vollkommen fertigen Staates zu geben. Das gab der Fiktion einer Staatlichkeit der Sowjetzone eine willkommene, aber vermeidbare Stütze.
Es gibt keine zwei deutschen Staaten, weder faktisch noch rechtlich. Bonn ist handlungsfähig als faktischer politischer Mittelpunkt von 50 Millionen Deutschen, welche sich vorläufige demokratische Organe geschaffen haben.
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Pankow ist nicht allein wegen seines rein autoritären Aufbaus kein Verhandlungspartner. Es wäre nur eine seiner Besatzungsmacht hörige, allein ihr gehorchende Zwischenstation. Es hätte nur die Aufgabe, die sowjetrussische Politik in die deutsche Sprache zu übersetzen. Die nicht ausbleibende Wirkung wäre zudem, daß Deutsche mit Deutschen über eine lange Zeit über ihre Lebensfragen heftig streiten würden. Die ganze Welt würde von einem solchen Schauspiel angewidert und das deutsche Ansehen gewaltig geschädigt.
Gegenwärtige Situationen sind Ausfluß früherer Situationen. Schlecht ist die Situation in der aktuellen Gegenwart nicht deshalb, weil sie schlechthin, weil sie zwangsläufig schlecht sein müßte. Das deutsch-russische Verhältnis war selbst zu Zeiten der in beiden Ländern heute lebenden Generation korrekt. Es war weit mehr positiv als negtiv. In
den letzten hundert Jahren war es, wenn man von den letzten zwanzig Jahren absieht, im zeitlichen Durchschnitt eher gut. Diese Feststellung gilt vor allem für das 19. Jahrhundert. Die entscheidende Zäsur wurde mit der Nichterneuerung des deutschrussischen Rückversicherungsvertrages 1890 vorgenommen, unmittelbar nach Bismarcks Sturz, einer Aktion intriganter deutscher Diplomaten. Es ist wohl eine historische Wahrheit, daß dieser Vorgang in allerdings langsamer Auswirkung dem europäischen Frieden das Genick gebrochen hat. Es dauerte trotzdem noch ein Vierteljahrhundert. Diesen Zeitraum erforderte es, bis die Nagetiere im Innern dieser Staaten und von außen her die Hohlräume geschaffen hatten, um den Einsturz herbeizuführen.
Die Deutschen und die Russen begegneten sich auf den Schlachtfeldern des ersten Weltkriegs. Beide verloren den Krieg, beide die überlieferte Staatsform. Die Russen verkämpften sich für ihren in blutiger Revolution erstrittenen Kommunismus und blieben dabei. Die Deutschen wehrten sich gegen denselben Kommunismus, und sie blieben seiner Herr. Zwei Staatswesen, die Weimarer Republik und das eben bolschewistisch gewordene Rußland, kamen relativ recht gut aus. Sie waren nämlich beide schwach. Sie fanden sich in Rapallo. Nicht in gleicher Ohnmacht wie 1945, aber in Ohnmacht fand Deutschland damals eine Stütze vom Osten her durch ein diametral entgegengesetztes System.
Deutschland verblieb aber nicht dabei. Es fand zum Westen durch Locarno. Es fand damit zum Westen nicht etwa gegen den Osten. Locarno führte schließlich zur Symbiose beider Bindungen. Es war die für Europa adäquate, natürliche Lösung. Sie gab Deutschland eine Position, ohne die es selbst nicht leben kann, ohne die aber auch Europa nicht leben kann.
Wir wollen heute, wo zuerst die Bindung zum Westen erfolgt ist, nicht vom Westen weg schnurstracks in die Arme des Ostens. Rapallo-Hintergedanken liegen uns durchaus fern. Der einzige zukunftsträchtige Plan ist und bleibt NATO plus europäischer Sicherheitspakt. Es sieht so aus, als ob die internationale Diplomatie noch dorthin und dahin stolpern werde. Landen wird sie unfehlbar in dieser Kombination. Hoffen wir, daß sich in der Zwischenzeit das alte Wort bewährt: Ein guter Stolperer fällt nicht. Auf plumpe Erfahrungssätze müssen wir vertrauen anstatt auf den klaren Verstand und den festen Willen der Staatsmänner einschließlich unserer eigenen.
Selbst als Stalin erstarkte und Hitler kam, ging es zwischen Deutschland und Rußland zunächst ohne Eklat. Hitler schlug der Reihe nach mitteleuropäische Mächte auf den Kopf, die westeuropäischen Mächte schlug er vor den Kopf. Er flüchtete von einer Aktion und vor ihren Folgen in die andere und deren Folgen. Die Sowjetunion trat auf der Stelle, auch Hitler trat ihr gegenüber auf der Stelle. Hitler versuchte es zunächst mit Polen gegen die Russen, was aber mißlang. Das Wasser stieg ihm an die Kehle. Es kam der 23. August 1939: Nichtangriffspakt mit Rußland. Am 1. September
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wurde der deutsche Gegenangriff gegen Polen eröffnet. Der polnische Staat war 20 Jahre zuvor nach drei Teilungen durch und an seine drei Nachbarn, nämlich Rußland, Österreich-Ungarn und Preußen, am Ende des ersten Weltkrieges wiedererstanden. Dieser Staat wurde erneut zusammengeschlagen, von den Deutschen vom Westen her, von den Russen vom Osten her. Das war damals alles, nur kein Heldenstück. Und ein aktiver Bundesminister hat damals gesagt: Das ist eine klare Lösung der Volkstumsfrage.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, beide, Deutsche und Russen, haben damals eine bitterböse Tat vollzogen. Sie hat fortzeugend Böses geboren; zuerst gegen andere Völker, im Rückschlag ab 1941 auf dem Umweg über den deutsch-russischen Krieg, über die Vernichtungsschlacht von Stalingrad und die Eroberung von Berlin durch die Russen in Form einer radikalen und totalen Katastrophe gegen uns selbst.
Die Bundesrepublik ist im Begriff, eine eigene militärische Karte zu spielen. Deshalb ist der Augenblick gekommen, an grundverfehlte Entschlüsse auf dem militärischen Sektor in der Vergangenheit zu erinnern. Als der zweite Weltkrieg schon handgreiflich verloren war, konnte nochmals eine deutsche Armee von bedeutender Schlagkraft zusammengerafft werden. Zur Wahl stand ein Einsatz gegen die Westalliierten, welche zum Oberrhein vorgedrungen waren und sich dem Niederrhein näherten, und die andere Wahl ein Einsatz im Osten. Die deutsche Staatsführung hatte es in der Hand, welchem der Kriegsgegner im Falle einer vollständigen Niederlage das Land geöffnet oder verschlossen bleiben sollte. Hitler war es, welcher in seinem fanatischen, krankhaften Haß gegen die westliche Zivilisation mit voller Absicht gegen den Westen optiert hat. Er nahm die Überflutung Deutschlands durch die Russen in Kauf. Wäre der Rundstedt-Offensive die umgekehrte Stoßrichtung gegeben worden, so wären bei der Konferenz in Jalta die Russen noch östlich von Warschau gestanden,
({20})
und die ganze Besatzungskarte würde ein anderes
Bild zeigen. Deutsche sind es gewesen, welche das
Unheil auf Deutschland selbst herabgezogen haben.
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Wehleidigkeit steht uns nämlich sehr schlecht zu Gesicht.
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Deutsche demokratische Politiker waren an den erwähnten Aktionen himmelschreienden ungerechten Friedensbruchs von 1939 nicht beteiligt. Moralisch sind sie persönlich zwar nicht kompromittiert; aber Deutschland ist kompromittiert. Auch das deutsche Volk in seiner heutigen Gesamtheit kann keine Kollektivschuld formaler Art treffen. Aber trotzdem - wir sehen es ja, wie wir alle miteinander haften, Daß wir haften, ist für jeden einzelnen sichtbar. Denn uns allen miteinander ist die Last und Bürde auferlegt, einen gigantischen Knäuel zu entwirren. Von Jahr zu Jahr hat er sich stärker verwirrt. Vielleicht ist er heute in das Stadium der objektiven Unentwirrbarkeit eingetreten. Zunehmend werden wir von dem Gefühl übermannt, vom Schicksal zu einer gleich furchtbaren wie fruchtlosen Sisyphusarbeit verurteilt zu sein. „Quidquid deli-rant reges, plectuntur Achivi", was die Herrscher sündigen, büßen die Bürger. Der Bürger der Bundesrepublik büßt es bisher nicht; es büßen es in der Bundesrepublik die Männer und Frauen, welche in den Regierungen und Parlamenten des Bundes und der Länder mühselig an der moralischen und materiellen Trümmerbeseitigung arbeiten und doch jeden Tag sehen, wie brüchig ihr Werk ist. Täglich kann der nach oben gewälzte Felsblock wieder zurücksausen. Die passiv und negativ Betroffenen wohnen außerhalb der Grenzen unseres deutschen Staatsteils. Das sind die 17 Millionen Deutschen, die von uns ferngehalten und in politischer Knechtschaft, in unsagbarer politischer Not und aussichtslosen wirtschaftlichen Umständen leben.
Nach der Pariser NATO-Konferenz war vielfach von einem Wendepunkt die Rede. Auch die westdeutschen Regierenden von heute setzen Kausalreihen in Bewegung. Dies kann der nachfolgenden Politikergeneration die Last erleichtern, auch nochmals erschweren. Die Nachwelt hat mehrmals den deutschen Staatsführungen das Prädikat erteilt: „Gewogen, gewogen und zu leicht befunden."
Ich hatte einst den Vorzug, mit einem hervorragenden politischen Mann aus einem anderen Lager persönlich verbunden zu sein. Er ist heute vor 13 Jahren dem Scharfrichter zum Opfer gefallen; sonst säße er jetzt in den Reihen der Regierungspartei oder der Bundesregierung. Als die Nationalsozialisten begannen, nach der militärischen Karte zu greifen, sagte er in tiefer Sorge um das Vaterland: „Wir können noch viel verlieren, z. B. Ostpreußen und Oberschlesien", und damals hätte nicht ein Prozent dieser Voraussage geglaubt. Viel mehr als das haben wir verloren, und wir sind einen Schritt weiter. Wir können vollends alles verlieren. Zweimal nach Krieg und Niederlage erschienen Bücher mit messerscharfen Argumenten: Warum verloren wir den Krieg? Wir wollen solche Bücher nicht mehr erleben. Das Thema der neuen soll lauten: Warum und wie gewannen wir Deutschland?
Die FDP warnt in dieser Schicksalsstunde. Sie selbst wird positiv mitarbeiten, nicht wegen der Regierung und nicht für die Regierung, die diesem Volk vorsteht, sondern wegen dieses schwergeprüften, geduldigen, opferbereiten Volkes und für dieses Volk.
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Von der Schuld und dem Anteil des nationalsozialistischen Deutschlands am Unrecht ist von mir offen gesprochen worden. Deutschland hatte es damals auf sich genommen, dem polnischen Staat das Lebenslicht auszublasen. Es hat ferner im deutschpolnischen Interessenstreit um Danzig und den Korridor vollkommen unbeteiligte freie Staaten
Dr. Maier ({24})
- Livland, Lettland und Litauen - der Unfreiheit des bolschewistischen Rußlands überantwortet. Es hat die Freiheit des tapferen finnischen Volkes auf das Spiel gesetzt. Finnland sollte schonungs- und schutzlos der Sowjetunion einverleibt werden. Durch ein Wunder konnte es sich gegen erdrückende militärische Übermacht mit Glück verteidigen. Das allergrößte und allerhöchste Gut, das Völker ihr eigen nennen, nämlich das der Freiheit, haben wir damals mitverschachert. Dieser Handel ging aus mit einer grausamen Schlußabrechnung zu unseren Lasten. Weite Gebiete in Ostdeutschland wurden losgerissen, dahin und dorthin verteilt. 17 Millionen Mitteldeutsche - Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Pommern, Mecklenburg und das halbe Berlin - blieben als Faustpfand in der Hand des Siegers. 13 Jahre sind sie den Drangsalen eines volksfremden Systems ausgesetzt. Der Passivsaldo von 1939 bis 1945 ist jetzt durch den Passivsaldo von 1945 bis 1958 ausgeglichen. War Deutschland lange Zeit der Schuldner, so drehen sich heute die Rollen. Die Waage von Schuld und Sühne neigt sich auf die deutsche Seite. Die Sowjetunion kommt in der Deutschlandfrage von Jahr zu Jahr sinnfälliger in das Debet; ihr Unrechtsanteil wächst.
Privat gibt es kein größeres Unrecht als den unbegründeten Entzug der Freiheit, verübt an einem Menschen. International gibt es kein größeres Unrecht als die Vorenthaltung der Freiheit, verübt an einem abgespaltenen Teil eines Volkes, das zusammenwill und das zusammengehört. Wir leben im 20. Jahrhundert. Auch die Russen leben im 20. Jahrhundert. Gewiß, die Wertungen von Mensch und Persönlichkeit sind hüben und drüben verschiedenartig. Doch ein so großer Unterschied kann einfach nicht sein, daß die Gefangenhaltung von 17 Millionen Menschen über 13 Jahre hin nicht auch dort als ein der ganzen Menschheit verabreichter Schlag ins Gesicht empfunden werden müßte. Nicht einmal der jedem Hausknecht und jedem Dienstmädchen selbstverständlich gewährte „Ausgang" wird diesen Menschen von den sowjetzonalen Gefängnishütern mehr bewilligt.
'Die Sowjetunion hat sich einer Ideologie verschrieben. Sie will also einer höheren Moral nachjagen. Sie lehnt die Freiheit ab. Sie will, in einer Art Gegenreligion verfangen, durch Unfreiheit im Prinzip die Freiheit in der Praxis austilgen, im klassenlosen Staatswesen jeder Unterdrückung eines jedweden ein Ende setzen. Auf diesem grauenvollen Umweg kommt diese extrem freiheitsfeindliche Staats- und Gesellschaftstheorie praktisch zu nichts anderem als auch wieder zum Postulat der Freiheit. Die Geistesschärfe eines Philosophen wie Karl Marx in gebührender Ehre. Hörte er von diesem Resultat, daß 17 Millionen 13 Jahre oder gar lebenslänglich eingesperrt worden sind, er würde sich im Grabe herumdrehen, nicht wegen der Deutschen, sondern wegen seiner russischen Anbeter. In Kairo hat sich die Sowjetunion auf der afro-asiatischen Konferenz zum Anwalt unterdrückter Völker aufgeworfen. Gegen Unterdrückung darf sich nur wenden, wer selbst nicht unterdrückt.
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Wir haben den Gewaltakt in Ungarn erlebt, und drüben über der Zonengrenze sind Deutsche ohne Zahl und ohne Zeitbegrenzung wie einst in Kriegen unterworfene Völker Objekt der Freiheitsberaubung. Kampf dem Kolonialismus ist die Parole. Was in Mitteldeutschland vorgeht, ist die modernste Form kolonialistischer Herrschaft, es ist ein Rückfall in die barbarische Sitte der Abführung eines Volkes, eines hochqualifizierten Volkes in die Kriegsgefangenschaft.
Nun erhebt sich die Frage: Wird die Sowjetunion je einmal weichen, kann sie es, wird sie es? Das ist eine Hauptfrage. Die zweite Hauptfrage: Kann Deutschland, kann die Bundesrepublik einen solchen Entschluß der Sowjetunion beeinflussen oder fördern? Gibt es hierzu einen deutschen Beitrag? Eine große Anzahl der Voraussetzungen - wahrscheinlich die hauptsächlichsten - liegt in anderen Händen. Niemand unter uns würde jedoch den Namen eines deutschen Volksvertreters, was ein Ehrenname ist, verdienen, wenn nicht mit aller und jeder Kraft den denkbaren und möglichen Beiträgen, den kleinsten, kleinen und großen, nachgespürt würde, sie zusammengetragen und einmütig dem Vaterland zum Opfer gebracht würden.
Niemand hat das Recht zu träumen. Der russische Bär gibt ungern etwas heraus. Eine seltene und seltsame Kontinuität zeigt in Jahrhunderten die Politik Rußlands, unterschiedslos das Zarenreich von einst und die kommunistische Sowjetunion jetzt. Sie drängt nach dem Westen. Einmal ging es um das Fenster nach Europa an der Ostsee, dann verbissen sie sich um die Dardanellen, dann ging es um den Balkan. Nichts ist an diesen Plänen aufgegeben worden. Viel ist dazugekommen. Es gab in der Vergangenheit Höhepunkte der russischen Macht, es gab aber auch Tiefpunkte. Anschließend hat dieses Land just zum Jahresende 1957 wohl den steilsten Gipfel von Glück und Erfolg seiner Geschichte erklommen. Zu imponierender militärischer Macht gesellen sich die reife Frucht rastloser Bemühung um die Bildung des Volkes und in Verbindung damit durch eine Arbeitsleistung ohnegleichen sagenhafte technische Leistungen und Fortschritte. Der Glanz dieses Staates strahlt so intensiv, daß er die Augen beizt. Die Gegenwart wird überangestrahlt. Der Geschichtskenner aber weiß, daß solche Hochblüte in sich die Wurzeln des Verfalls trägt, natürliche Wurzeln. Die immerwährende Gefahr ist das Überspannen des Bogens. Die immerwährende Gefahr ist weiter die Staatsmacht in der Hand weniger oder eines einzelnen. Das Propagandabedürfnis dieses mächtigen Staates gibt zu denken. Er vermittelt den Eindruck erheblicher innerer Nervosität, und er ist noch nicht voll konsolidiert. Aber auch die Sowjetunion braucht ihre Nachbarn, alle ihre Nachbarn. Sie braucht die Welt, sie braucht den Frieden, und darüber wird sie, wenn auch in langen Etappen, zur Wiedererkenntnis des Menschheitswertes der Freiheit gelangen, auch wenn sie ihrer heute noch sehr spottet.
Die beiden Weltmächte, USA und Sowjetunion, haben so etwas wie den lang gesuchten Stein der Weisen gefunden, Er ist vorläufig ein Stein des
Dr. Maier ({26})
Grauens, der Zerstörung und Vernichtung. Er ist für Menschengehirne noch nicht faßbar. Aber er wird es werden. Man kann die Völker der Erde allesamt mit diesem neuen Instrument austilgen. Kein Volk aber, das dieses Mittel anwendet, ist davor sicher, daß es nicht auch ihm gegenüber angewendet wird. Niemals ist ein Wort wahrer gewesen als ein Bibelwort aus der Leidensgeschichte. Es heißt in geringfügiger Veränderung: „Wer zum Atomschwert greift, wird durch das Atomschwert umkommen."
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Das Atomschwert kann theoretisch geführt werden. Es wird aber nicht geführt werden, es wird nie geführt werden. Die Furcht vor ihm und seinen Zerstörungswirkungen steht dem, der es besitzt und über es verfügt, sein eigenes Dasein bedrohend sinnfällig vor Augen, sinnfälliger als dem, der es nicht besitzt und nicht kennt. Die Sicherheit der Welt hiervor ist sozusagen garantiert. Es hat nämlich nicht nur einer diese Todeswaffen. Nur einige wenige haben sie, und zwar Staatswesen, welche die Verantwortung für ein eigenes großes Reich, eigene große Völker tragen. Diese Todeswaffen werden dann zur tödlichen Weltgefahr, wenn sie Allgemeingut vieler, schließlich aller werden sollten.
Aber auch ein Alleingänger aus dem Kreis der mittleren und kleineren Mächte dürfte die Atomwaffe nicht in Gang setzen. Eine im höchsten Maße begründete allgemeine Todesfurcht ist eben auch eine gemeinschaftsbildende Kraft. Sie würde alle anderen zusammenführen. Gerade die Eventualität des Atomwaffenmißbrauchs durch Kleine wird in der Zukunft die Weltvereinbarung über den Gebrauch bzw. Nichtgebrauch erzwingen. So viel Gemeingeist werden die Völker aufbringen, daß sie durch Vereinbarung und Kontrolle sich davor schützen, daß ein Kleinstaat, der nichts zu verlieren hat, die ganze Menschheit in den Atomvulkan hineinzustoßen vermag. Der kleine Pinscher wird in diesem Falle die großen Hunde, also die Wolfshunde, die Neufundländer, die Bernhardiner, die Bulldoggen, zu der geschlossenen Front einer Antiatomgemeinschaft zusammenführen. Von der Gefahr durch die Kleinen wird die internationale Kontrolle die stärksten Impulse empfangen.
Selbst wenn man dem Atomkrieg eine aktuelle Bedeutung nicht beimißt, gehören die Kapitel Atomwaffenherstellung, Atomwaffenlagerung, Atomwaffenverwendung zu den heißesten Eisen der internationalen Politik. Die Verhältnisse der einzelnen NATO-Länder sind der Natur der Sache nach total verschieden. Es gibt keine schlüssige Berufung auf diese oder jene Entscheidung dieses oder jenes anderen Landes. Für USA und Sowjetunion liegen die Dinge klar. Sie sind die Atomwaffenträger der Welt. Neuerdings hat sich auch Großbritannien mit zur Atommacht emporgeschwungen. Man vermeidet in diesem Zusammenhang den freudigen Ausruf: Vivant sequentes! Jedenfalls steht die Bundesrepublik in einer Gesamtsituation völlig verschiedener, vielfach entgegengesetzter Art. Kein NATO-Land ist mit dem anderen zu vergleichen. Schlagen wir uns
eine Einbildung aus dem Kopf; die Bundesrepublik ist keine Weltmacht. Man tut im Überschwang manchmal so. Hoffentlich besteht auch sachlich Übereinstimmung über alle Lager hinweg, daß sie seit 1945 auch keine Großmacht wieder geworden ist. Sie ist eine Macht mittlerer Größe, belastet mit vielen Hypotheken. Möge sie sich nicht übernehmen.
Wir stehen in einem engen Bündnis mit der unter Führung von USA stehenden NATO, und wir halten daran fest. Wir entziehen uns den Lasten, soweit sie in den Verträgen eine rechtliche Stütze haben, in keiner Weise. Hierzu gehören z. B. die Stationierungskosten nicht mehr. Wir anerkennen vor allem die Verpflichtung, die Verteidigung unseres Gebietes im Zusammenwirken mit der NATO zu führen. Unsere Verbündeten werden bezüglich der Zuverlässigkeit der Bundesrepublik auf diesem Gebiet nicht enttäuscht werden, weil das nämlich unsere eigenen und ersten Lebensinteressen sind. Aber, wie gesagt, es bestehen Differenzierungen zwischen uns und unseren Verbündeten, auch den USA.
Das sind an und für sich Selbstverständlichkeiten eindringlichster Art; nur das Bestreben, Mißverständnisse nicht aufkommen zu lassen, erfordert ihre gründliche Darlegung. Die Unterschiede folgen aus der geographischen Lage der Bundesrepublik. Diese hat Konsequenzen für die militärische Gesamtdisposition, also zunächst für den normalen Landkrieg. Sie hat insbesondere auch Konsequenzen für die atomaren militärischen Vorkehrungen.
Das deutsche Volk lebt und wohnt auf dem strittigsten Punkt des Erdballs. Es ist bisher nicht zu Westeuropa gezählt worden. Es gehört zu Mitteleuropa. Mitteleuropa ist aber nur partiell am Leben. So ist Mitteleuropa zwangsweise einige Längengrade nach Westen gerückt. Wir finden uns aber nicht damit ab, daß wir endgültig dort verbleiben. Unser Europa ist dort, wo ganz Deutschland ist.
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Das schwächliche Teil-, West- und Resteuropa ist vielleicht ein Ersatz für Europaüberbegeisterte. Gegenüber dem, was mit Mitteleuropa auf dem Spiel steht, ist das Europa im Kleinformat eine grandiose intellektuelle Spielerei. Wer hier mitmacht, dem winkt allerdings reicher Lohn an hohen Posten und an reichen Pfründen.
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Wer dieses Stückchen Europa als vollgültige Neubildung und nicht als Provisorium betrachtet, der gibt Europa auf, und damit gibt er nämlich Deutschland auf. Er überantwortet den innersten Kern Europas, nämlich Mitteleuropa, in seinen wesentlichen Teilen dem Osten. Wer Resteuropa ansteuert, der weicht aus auf den leichteren Weg des Verzichts. Wer Mitteleuropa wiederherstellen will, der wandelt auf dem mühseligen und strapaziösen Weg der Pflicht für Europa und für Deutschland.
In diesem Zusammenhang ein Wort zu unserem politischen Kampf gegen die sogenannten Abendländer. Dieser Kampf erschöpft sich nicht in der
Dr. Maier ({30})
Polemik, er ist für uns prinzipiell. Das Wort, das wir neulich gehört haben, ist nicht richtig: die Abendländer sind keineswegs timide, sie sind aggressiv, ihr Kampf gilt dem Deutschen Reich von 1871. Einen traurigen Höhepunkt erklimmen die abendländischen Reichsfeinde mit dem Satz: „Berlin hat noch nie zum Reich gehört."
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Da reisen 494, glaube ich, waren es, Abgeordnete zur Eröffnung des Bundestages nach Berlin, um dann dieses Wort schwarz auf weiß um die Ohren geschlagen zu bekommen. Da leisten anderthalb Dutzend Bundesminister den Eid auf das Grundgesetz, um dann von den Abendländern zu hören und zu lesen: „Das Grundgesetz ist auf dem Schwemmsand der jakobinischen Demokratie aufgebaut."
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Von Deutschen über der Elbe und der Werra drüben will diese Gattung von Politikern am liebsten gar nichts hören. Eine solche Bewegung wird von den höchsten Spitzen unseres Staates gefördert. Bundesminister sind haufenweise in diesem Verein.
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Wir aber blicken unverwandt nach dem uns zugehörigen Lebenskreis in Mitteleuropa hinein und nach den entrissenen Bruchstücken in Osteuropa. Überall treffen wir auf die russische Einflußsphäre, und umgekehrt stößt die Sowjetunion auf uns. Das strategische Bild, das die Sowjetunion ohne die schwer überblickbaren Veränderungen durch die Atomwaffen bietet, war bis jetzt folgendes. Die Sowjetunion ist von keiner Seite angreifbar, weder von ihrem Norden her noch im Osten noch im Süden. Sie ist geschützt durch das Nördliche Eismeer, durch die unendliche Weite von Fernost, und schon dort beginnen natürliche Hindernisse. Diese steigern sich im Süden zu unübersteigbaren Gebirgsketten: über den Himalaja und über den Kaukasus bis zum Schwarzen Meer. Der russische Koloß ist relativ verwundbar vom Balkan aus; hier ist zur Zeit vorgebaut. Der klassische Raum aber für Angriff und für Abwehr war stets die breite Front an der norddeutschen bzw. nordrussischen Tiefebene. Auf das, was dort geschieht, was sich dorthin zubewegt, auch nur zubewegen kann, wird der Russe unverrückt blicken. Er hat 1813 die Franzosen in Moskau erlebt, 1941 die Deutschen vor Moskau. Dort oben und drüben ist die Region seines Mißtrauens. Schon die kleine Bundeswehr wird mit Argwohn betrachtet. Vorläufig hat sie für den Russen nur die Bedeutung eines möglichen Mückenstiches. Mit Argusaugen wird er die weitere militärische Erstarkung beobachten.
Hier, meine Damen und Herren, eine Zwischenbemerkung! Was geschähe eigentlich, wenn die Sowjetunion nach Erreichung einer Ist-Stärke der Bundeswehr von, sagen wir, 350 000 oder gar 500 000 Mann auf den Tisch schlägt und sagt: Bis hierher und nicht weiter! Die Situation in diesem Fall könnte an und für sich der Phantasie jedes einzelnen überlassen werden. Die NATO ist keine
unzerreißbare Einheit. Sie ist eine Koalition, wie wir das neulich im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten gehört haben, von freien, unabhängigen, souveränen Mächten. Sie ist eine Koalition mit allen Sorgen und Schwächen einer militärischen Koalition. Der cauchemar des coalitions, der Alpdruck der Koalitionen, liegt auch auf der NATO. Nochmals: was wird geschehen, wenn der Russe eines schönen Tages weiterer deutscher Aufrüstung widerspricht? Es wird darüber nicht geschossen werden, weil gar nicht geschossen werden kann. Dann allerdings wird verhandelt werden, nicht von uns und mit uns, sondern von anderen über uns.
An sich sollten weitere Teufel nicht an die Wand gemalt werden, aber folgende Frage sollte doch angeschnitten werden: Wie wollen wir eine hochmoderne Aufrüstung der Bundesrepublik bezahlen, wie wollen wir dieser überdimensionalen Finanzlasten Herr werden? Da ist zuerst die Bundeswehr mit ihren drei Abteilungen, jede einzelne teurer als die andere. Dann kommt die Territorialarmee, völlig wertlos, ohne hochwertige Ausrüstung und Ausbildung. Dann beginnen erst die ziffernmäßig unübersehbaren Aufwendungen zum persönlichen Schutz der Zivilbevölkerung. Der Wohlstand der Bundesrepublik ist neidischen Blicken zur Schau freigegeben worden, ja noch übertrieben worden. Hoffentlich erleben wir es nicht, wie die Milliarden, deren wir uns rühmen, in einem auch nur leichten Konjunkturrückgang zusammenschmelzen wie Butter an der Sonne. So oder so besteht die Tatsache: d i e Rüstung, ohne die unsere Rüstung keine Rüstung ist und nicht wird, können wir niemals finanziell verkraften.
Bleiben Ausgaben dieser Art nicht in einer tragbaren Relation zur Wirtschaftskraft, so erfolgt rasch eine Auspowerung. Es folgt noch mehr: die Grundelemente unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung werden über den Haufen geworfen werden. Die wirtschaftliche und soziologische Seite unseres Systems wird dadurch in gefährliche Nähe des kommunistischen Niveaus herabgedrückt werden. Die Sowjetunion spielt mancherlei Karten, die militärische, die ideologische Karte. Immer deutlicher tritt aber hervor, daß durch ein völliges Obsiegen in der wirtschaftlichen Wettbewerbskraft die Sowjetunion in einiger Zeit ohne Krieg, ohne kommunistische Expansion eine erdrückende Vormachtstellung erkämpft haben kann. Deshalb: an die Front der Bundesrepublik gehören Bildung und Wissenschaft. Hierzu gehören die Milliarden, die vielleicht in anderer Hinsicht viel zu unbesehen ausgegeben werden. Wir stieren das Wirtschaftswunder an, wir bemerken aber gar nicht, wie bildungsrückständig wir geworden sind. In der Zentralfrage einer modernen Lehrerbildung kommen wir nicht voran. Warum kommen wir nicht voran? Weil wir vor lauter konfessionalistischen Bäumen den grünen Wald des bitter notwendigen Fortschritts nicht mehr sehen.
({34})
Dr. Maier ({35})
- Meine Damen und Herren, man müßte das noch viel deutlicher sagen.
({36})
Denn in der Tat sind sich über die Form und den Inhalt einer modernen Lehrerbildung alle Parteien in allen Parlamenten, wahrscheinlich auch hier im Deutschen Bundestag, einig; aber vor lauter konfessionalistischen Bremsen kommen wir nicht voran, und es wäre dringend notwendig, daß wir vorankommen.
({37})
Die für den Landkrieg und den Atomkrieg für den Ernstfall zu unterstellenden Entwicklungen überschneiden sich. Die USA, Großbritannien usw. waren bis vor einiger Zeit weit vom Schuß. Jetzt sind sie der Gefahrenzone näher und vielleicht auch in ihren unmittelbaren Bereich gerückt. Dagegen ist Deutschland - sei es Landkrieg, sei es Atomkrieg - bei beiden Eventualitäten mittenmang. Ein zukünftiger Krieg ist eine schwer vorstellbare Sache. Der Atomkrieg ist unvorstellbar.
Der Deutsche Bundestag hat den Pariser Verträgen zugestimmt. Nach den Erklärungen des ganzen Parlaments sind sie bindend. Den Landkrieg mit seinen Konsequenzen müssen wir wegen der Verträge vom Februar 1955 wohl oder übel auf den Buckel nehmen. Wenn dazu der Atomkrieg ausbricht, dann haben wir sein Elend ebenfalls. Ich frage aber: ist es nur entfernt, auch nur ein Stückchen vertragsuntreu, wenn sich die Bundesrepublik über ja oder nein zu militärischen Dispositionen als Auswirkung der in den Vordergrund getretenen atomaren Kriegführung Gedanken macht und Vorbehalte vorbringt? Die Antwort darauf lautet: das ist keine Vertragsuntreue. Das zu prüfen ist die Pflicht und das Recht der Bundesregierung.
({38})
Die Bundesregierung zaudert ja selber; sogar die NATO hat gezaudert. Jedenfalls hat die Bundesregierung bei der Pariser Konferenz und nachher den Anschein des Zauderns erweckt.
Die FDP hat schon in den Jahren ihrer Regierungsbeteiligung eine klare, feste, auch anschauliche Vorstellung über die Staffelung der Streitkräfte auf dem Gebiet, in welchem Ost und West aufeinanderstoßen, erarbeitet. Die FDP hat diese Auffassung gegen alle Widerstände verteidigt, und sie verbleibt bei ihr. Warum? Weil sie dem gesunden Menschenverstand entspricht. Je weiter an dieser Grenze zweier Welten die Streitkräfte voneinander entfernt sind, desto geringer ist die Gefahr, daß aus Kriegsvorbereitungen Krieg wird. In der Kriegsgeschichte haben in vielen Fällen Grenzzwischenfälle den Krieg ausgelöst.
Das ist aber nicht der Hauptgrund. Werden durch bindende, kontrollierbare und kontrollierte Vereinbarungen die Hauptstreitkräfte in möglichst weiter Entfernung voneinander gehalten, so entstehen entschärfte Zonen jenseits und diesseits.
Der grundsätzliche Vorzug dieser Auffassung springt so in die Augen, daß dieses Friedenssicherungsbild der FDP oft übernommen worden ist. Mit dieser oder jener Abwandlung ist es auch außerhalb Deutschlands in der Form seriöser Vorschläge von seriösen Sachverständigen und Staatsmännern aufgetaucht. Gerade neuerdings taucht es wieder auf. Wir kopieren aber keine fremden Ideen. Wir jagen keinen ausländischen Plänen nach. Wir bewegen uns auf unserem ureigensten Feld. Mister George Kennan hat diese Tendenzen wiederum sichtbar für jedermann in die öffentliche Meinung der Welt eingeschlagen. Er ist für uns kein Säulenheiliger; wir haben ein eigenes Urteil. Wir möchten aber hier doch darauf hinweisen, daß Mister Kennan in keiner Weise eine Deutschland abträgliche Haltung eingenommen hat. Es ist kein Grund vorhanden, ihn mit Überheblichkeit zu behandeln, wie dies der Herr Bundesaußenminister in Reden außerhalb dieses Hauses getan hat.
({39})
Überheblichkeit ist eine deutsche Untugend, der in den Anfängen zu wehren ist. Auch der polnische Außenminister ist für uns keine Autorität, weil wir auf unserem eigenen Urteil aufbauen.
Dem Geistesgut der FDP in dieser Richtung ist es etwa gegangen wie im Gleichnis vom Sämann: das Geistesgut der FDP ist bei der Bundesregierung oft und sehr hörbar auf das Steinige gefallen.
({40})
- Ich habe ja den Leidensweg dieses Geistesgutes einigermaßen persönlich mitgemacht. Deshalb kann ich auch sachverständig darüber sprechen. Es ist vom Bundesverfassungsschutzamt unter hohen Druck gesetzt worden. Sehr zweifelhafte Nachrichtenhändler sind damals einem edlen Wild auf die Fährte gesetzt worden.
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Dieses Geistesgut drohte zu verwelken und dürre zu werden. Es fiel in die Dornen enragierter Gegner hier in der Mitte des Hauses und sollte erstickt werden. Vieles fiel aber auf gutes Feld. Der Gedanke ist so lebenskräftig, daß er jetzt schon vielfältig Frucht getragen hat. International gedeiht da! Samenkorn auch bei unseren Bundesgenossen mächtig.
Wir sind überzeugte Gegner dogmatischer Außenpolitik. Wir prüfen das Programm der schrittweise zu entschärfenden Zone in jedem Einzelfall auf seine praktische Anwendbarkeit und Wirksamkeit, auf seine Nützlichkeit oder Schädlichkeit. Im Falle der Freihaltung der Bundesrepublik von Atomwaffen paßt es wie angegossen. Die Atomwaffenfreiheit der Bundesrepublik ist die direkte Konsequenz dieser wohlüberlegten schlüssigen Gedankengänge. Wir fühlen uns in keiner Weise legitimiert, für Gebiete außerhalb der Bundesrepublik auf eine gleichartige Regelung zu plädieren. Für die Bundesrepublik verlangen wir aber die Atomwaffenfreiheit mit allem Nachdruck.
Dr. Maier ({42})
Die Vorgänge auf der Pariser Konferenz sind trotz der Hochflut der Nachrichten und Kommentare eigentlich unschwer zu analysieren. Die Konferenz sollte eine Dokumentation verstärkter militärischer Kraftanstrengung werden. Militärische Überlegungen und rein politische Strömungen innerhalb der NATO-Mächte standen der vollen Erreichung dieses Ziels entgegen.
Will man dieser hochrepräsentativen, in kritischer Weltstunde zusammengetretenen Konferenz ein positives Ergebnis abgewinnen, so kann dies doch unter verständigen Menschen nur in folgendem liegen. Die NATO verbleibt sachlich bei Zweck und Ziel ihrer Gründung und ihrer bisherigen Entwicklung. Sie gibt ihre Grundsätze und auch den Willen zu deren Ausführung nicht auf. Sie hält aber eine Änderung im Verfahren für nötig; sie hält das Bemühen um die Entspannung für gerade so notwendig wie das Bemühen um die Erhaltung und Steigerung der militärischen Kraft. Sie wollte die zum leitenden Grundsatz der beiden streitenden Weltblöcke gewordene Formel „Fortsetzung der Politik mit den Mitteln des kalten Krieges auch auf die Gefahr des heißen Krieges hin" in die Formel umgewandelt wissen: „Fortsetzung der Politik durch Politik, Fortsetzung der Politik durch die Diplomatie". Wenn diese Wegleitung gegeben wurde, so war es eine glatte Selbstverständlichkeit. Das alte Wort „Si vis pacem, para bellum" ist grundwahr, aber es ist allein nicht wahr. Es wird zum vollkommenen Blödsinn, wenn es abstrakt, ohne Rücksicht auf alle Umstände praktiziert wird. Zum Potential von Macht und Stärke muß die Verhandlungskunst über Bedingungen beiderseitiger Nichtanwendung von Macht und Stärke kommen. Nur so gesehen war diese höchste Konzentration westlicher Macht ein Erfolg.
Der Herr Bundeskanzler selbst hat sich in Paris zum eifrigen Anwalt der Tendenz „Zwar Rüstung, aber gleichzeitig Versuch der Entspannung" gemacht. Jedenfalls ist während der Konferenz und nach der Rückkehr dieser Eindruck offiziell und offiziös geflissentlich begünstigt worden.
Das deutsche Publikum hat diese Kunde gern vernommen. Der Herr Bundeskanzler ist zur Weihnachtszeit zwar nicht mit allen Attributen eines Friedensengels heimgekehrt. Man war zufrieden, daß keine hochbrisante Weihnachtsbescherung des deutschen Volkes stattfand. Schon das wurde nämlich als Erleichterung empfunden.
Die Rundfunkansprache des Herrn Bundeskanzlers vom 15. Januar hat die Dinge wieder zurechtgerückt. Es geschieht nichts, alles bleibt unverändert, nicht nur in der Sache, auch im Verfahren. Die Hoffnung auf „Entdullesionierung" des Herrn Bundeskanzlers hat sich leider nicht erfüllt.
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Meine Damen und Herren, ich bitte mich nicht mißzuverstehen: nicht Desillusionierung, sondern Entdullesionierung.
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Der Herr Bundeskanzler wird laufend mit den bedeutendsten Figuren der ganzen Weltgeschichte auf die gleiche Stufe gestellt.
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Die letzten Tage zwingen einen Vergleich mit Kaiser Karl V. auf,
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einer Persönlichkeit, die wohl auf keine Ablehnung stößt.
Der junge Kaiser ritt einst in Brüssel zum erstenmal aus. Ein Hütlein trug er, funkelnagelneu. Doch der Himmel machte ein mißvergnügtes Gesicht: Regne ich oder regne ich nicht? Als die ersten Tropfen fielen, fürchtete der Kaiser für seine Kopfbedeckung und schickte fort nach einer anderen.
Und das fiel mir ein, als ich auf der Landstraße im Auto die forschen Worte des Kanzlers hörte: Der Chronist hat damals gesagt:
Das wird nicht gut, sein erster Ruf geht nach dem alten Hut.
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Der Chronist ist allerdings Ulrich von Hutten, was nun viele Leute in diesem Hause ebenfalls nicht freuen wird.
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Mit dieser Rundfunkansprache ist das Weihnachtsglück beendigt worden. Die Verhandlungstüre ist knallend zugeschlagen worden. Das war unverfälschtes Urprodukt, das war rhöndorfisches Eigengewächs.
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Der Bundeskanzler hat eben die Notwendigkeit empfunden, sich zu decouvrieren, Schluß zu machen mit diesen Ansichten und seine wankenden Haufen. wieder in Ordnung zu bringen.
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Die der Rede eiligst nachgesandten „Türwiederöffner" sind wohl verlorener Aufwand; sie sind deklamatorisch. Konstitutiv ist die öffentliche Rede, die wir alle gehört haben. Auch die dienstbereiten Eideshelfer können nichts ändern. Sie sagen, diese Form der Absage erhöht die Position des Westens, sie macht den Gegner schließlich weich. Ein Staat fern von Europa kann so denken und handeln. Wir stehen, wie wir alle wissen, hart an der Grenze von Gut und Böse, und Millionen von Deutschen sind der vom Kanzler in öffentlicher Rede so angesprochenen Weltmacht ausgeliefert. Das Wiederzusammenkommen aller Deutschen hängt von einem Arrangement mit dieser Weltmacht ab.
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Sind wir, d. h. die Bundesrepublik, berufen - wie der Kanzler es tat -, die schärfste Sprache von allen zu sprechen? Wir glauben, daß sich das nicht empfiehlt. Die Flugzeuge mit Atombomben kreisen schon über den Häuptern. Muß man nochmals die
Dr. Maier ({52})
Weltgefahr steigern oder aber beginnen, Ballast abzugeben, hier und dort? Gewiß, die Zahl der Njets und nochmals Njets ist Legion. Das gibt aber nicht das Recht, die Dinge mit diplomatischen Mitteln überhaupt nicht weiterzuführen. Wenn in diesem Bereich einer nein sagt, so sagt er meistens nicht total nein. Durch die Neins schimmern ja auch Jas durch, halbe Ja, viertel Ja. Für die galanten Diplomaten können auch solche bedingten Jas interessant sein. Die Sprache der Diplomaten vollzieht sich doch so: Was würdest du sagen, wenn ich folgendes sagen würde? Die Konjugation, die wir immer hören: Er sagt nein, du sagst nein, ich sage nein, ist vollkommen geist- und phantasielos.
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Eine Methode dieser Art wäre eine infantile Diplomatie, welche niemand machen will. Wenn das weltbewegende Problem Deutschland-Sowjetunion ernsthaft nach diesem Rezept behandelt werden wollte, so könnten wir das Auswärtige Amt ruhig schließen.
({54})
In der Hauptpartie nämlich, in der Deutschland-Frage war in bald zehn Jahren die deutsche Außenpolitik erfolglos. Das kann, soll und mag überwiegend die Folge höherer Gewalt sein. Es ist aber kein Anlaß zur Untätigkeit und zur Negation.
Es wäre unsinnig, Besprechungen mit der Sowjetunion damit zu beginnen, daß wir ihr mit dem globalen Wiedervereinigungskomplex ins Gesicht springen. Mit vielen kleinen Problemen kann der Anfang gemacht werden.
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Positive Lösungen im kleinen bereiten positive Lösungen in den größeren Bereichen vor. Nichts bringt bisher gegnerische, ja feindliche Menschen wirksamer zusammen als gelingende Arbeit an derselben Sache von den beiden entgegengesetzten Enden her. Das weiß jeder, der seit 1945 dabei war. Auf diese Weise kam man ja auch zum Verständnis und zur Verständigung mit den anfänglich, wie wir ja rückblickend ruhig sagen dürfen, sehr kratzbürstigen Amerikanern. Man kann immer, wenn man will. In x Fällen hat der Bundeskanzler unerwartet eine nicht veränderte Tatsache plötzlich anerkannt, die er früher getadelt, verdammt und verfolgt hat. Am 18. Dezember 1957 hat er im ersten Bulganin-Brief positive Stellen entdeckt. Am 15. Januar 1958 hat er offensichtlich keine mehr gesehen. Laut ist verkündet worden, daß ohne Anhörung des Parlaments keine Entscheidung in der Frage der Atombewaffnung getroffen werde. Seit einigen Tagen hat sich die Bundesregierung in rasch aufeinanderfolgenden Erklärungen dezidierten Inhalts festgelegt. Absichtlich hat sie sich selbst präjudiziert, um dem Parlament zuvorzukommen,
({56})
um auch den Zweiflern im eigenen Regierungslager zuvorzukommen.
({57})
Das politische Seelenleben hinter der Regierungsmaschinerie liegt nach vielen Jahren offen zutage. Die Methoden sind bekannt. Es wird längst nicht mehr darüber gestritten, ob die Methoden gut oder ungut sind. Die Methode ist bundesrepublikanisches Faktum geworden, sie ist da. Warum debattieren wir eigentlich noch? Das Parlament darf sich nur post festum äußern, und die einzige würdige Reaktion des in dieser ostentativen Weise übergangenen Parlaments, des Deutschen Bundestages, ist, daß eine Abordnung seiner Mitglieder nach Moskau reist, dort selbst sieht, hört und spricht.
({58})
Zum Schluß, meine Damen und Herren, eine ernste Warnung.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Bitte!
Herr Dr. Maier, kennen Sie den Ausspruch von Herrn Dr. Dehler aus der 16. Sitzung vom 25. Februar 1954: - ({0})
Einen Augenblick! Wer hat den Zwischenruf gemacht?
({0})
- Herr Abgeordneter Greve, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
({1})
- Den Anklang an den Dialekt wollen wir hier nicht verurteilen. Deshalb war auf diesen Zwischenruf ein Ordnungsruf fällig.
({2})
Herr Dr. Maier, kennen Sie das Wort von Herrn Dr. Dehler aus der 16. Sitzung vom 25. Februar 1954:
Hier noch einmal ein Wort zu der Verpflichtung, die die Opposition auch gegenüber der Regierung hat. Am Ende gibt es in der Außenpolitik nur den Weg der Regierung und der die Regierung bildenden Mehrheit des Parlaments. Daneben gibt es keinen anderen Weg in der Außenpolitik.
({0})
- Auch bei der FDP. Das ist das Wesen der Demokratie. Eine Regierung ist vor allem berufen, ein Volk nach außen zu vertreten. Sie ist die Sprecherin eines Volkes nach außen, und sie entscheidet,
({1})
wie sich ein Volk nach außen verhält. Eine
Opposition kann ihre Meinung geltend machen,
aber wenn die Regierung und die Mehrheit des Parlaments entschieden haben, dann hat die Opposition die verdammte Pflicht
- so Dr. Dehler und Schuldigkeit, sich diszipliniert einzuordnen.
Das hat Dr. Dehler 1954 gesagt.
Herr Abgeordneter Höcherl, ich bin der Meinung, daß diese Art der Fragestellung über das Maß dessen hinausgeht, was hier als erlaubte Frage angesehen werden kann.
({0})
Ich glaube, daß die heutige Situation eine sehr singuläre ist, schon deshalb, weil ausdrücklich gesagt worden ist, daß vor einer Entscheidung das Parlament gehört werde. Aber ich möchte mich auf diese Dinge hier im einzelnen nicht einlassen. Ich glaube, daß das nicht meine Aufgabe ist.
Eine ernste Warnung: Hoffentlich hat diese neue Regierungsaktion, die im Dezember in Paris vieldeutig, im Januar in Bonn eindeutig war, nicht allzuviel innenpolitischen Gehalt. Hoffentlich wird in den kommenden zwölf Monaten mit vier oder fünf Länderwahlen nicht wiederum die sachliche Außenpolitik, bei der es um das deutsche Vaterland geht, innenpolitischen Zielen des egoistischen Parteiinteresses geopfert. Am 15. Januar hat diese Komponente unüberhörbar durchgeklungen.
Bekanntlich neigen nicht gefestigte Staatswesen zu dem System, außenpolitische Aktionen zu entfachen, um innerpolitische Erfolge zu erzielen. Das hat schon manchen Staat und seine Bürger in das Unglück gestürzt. Leider stoßen wir bei der Außenpolitik der Bundesregierung häufig auf diesen Zusammenhang. Dieses Verfahren mag einer Regierung da und dort aus einer schlimmen Situation heraushelfen. Per saldo führt dieses Prinzip die Regierung in gesteigerte Bedrängnis. Wie oft muß der Bolschewistenschreck an die Wand gemalt werden, um wieder der inneren Zweifel der Bevölkerung Herr zu werden!
({0})
Auf die Dauer ist nur der umgekehrte Weg der richtige: gute Innenpolitik zur festen Stütze der Außenpolitik. Auf die Wirtschaftswunderphilister kann der Staat in einer Krise nicht bauen. Den ernsten, ruhig und fest hinstehenden, aufrechten demokratischen Mitbürger müssen wir kultivieren. Er muß in den Vordergrund gestellt werden. Der Staat steht auf wankendem Boden, der sich auf den Wohlstandsgläubigen verläßt. Der Bevölkerung ist nur gedient, wenn ihr der wirkliche Ernst der Lage mit klaren Worten auseinandergesetzt wird. Lassen wir die materiellen Wunschvorstellungen auf der Seite, fassen wir die 50 Millionen in der Bundesrepublik an der Ehre, und sie werden sich der Verpflichtung dem Vaterland gegenüber ganz be-. stimmt nicht entziehen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der Deutschen Partei möchte ich folgendes erklären.
Ich habe gewiß keine Zensuren zu verteilen; aber ich nehme mir doch die Freiheit, zu bemerken, daß eine außenpolitische Debatte nicht zum Objekt des innenpolitischen Kampfes gemacht werden sollte, wie es leider heute morgen hier vom Vorsitzenden der FDP-Fraktion zum Teil gemacht worden ist. In Lebensfragen der Nation hört unseres Erachtens die Parteipolitik auf.
({0})
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, muß vor der Öffentlichkeit auch klargestellt werden, daß die Außenpolitik nicht mit dem Rechenschieber berechnet werden kann, daß wir hier allesamt, gleichgültig, wo wir in diesem Hause sitzen, praktisch nur unsere Meinung zu den Dingen zu sagen vermögen; im übrigen ist die Außenpolitik so wandelbar, daß wir uns jeweils den Gegebenheiten anpassen müssen. Es gibt also keine Patentrezepte; und wenn wir uns hier oftmals gegenseitig - es ist heute nicht so schlimm gewesen wie in den verflossenen Debatten - einzureden versuchen, daß nur dieser oder jener Weg richtig sei, dann sollte vor aller Öffentlichkeit einmal festgestellt werden, daß es eben kein Patentrezept gibt und daß man erst an dem Tage, an dem sich gewisse Dinge entscheiden oder an dem gewisse Dinge passieren, festzustellen vermag, daß dieser oder jener recht gehabt hat.
Wir müssen uns in der Lage, in der wir uns befinden, überhaupt fragen, ob unser politisches Tun und Handeln der Wirklichkeit in dieser Welt, in der wir uns heute befinden, immer noch voll und ganz entspricht. Die Wirklichkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist doch die, daß ganz offensichtlich völlig neue Faktoren in die weltpolitische Auseinandersetzung gekommen sind, die wir mit den alten Methoden, die schon oftmals so wenig erfolgreich gewesen sind, einfach nicht mehr zu bewältigen vermögen. Anders ausgedrückt: Die Ergebnisse der atomaren und nuklearen Forschung erfordern unseres Erachtens den Mut, sich von Betrachtungsweisen zu lösen, die gestern vielleicht noch Gültigkeit gehabt haben, für heute aber einfach nicht mehr ausreichen. Sie erfordern den Mut, sich vom rein militärpolitischen, militärtechnischen Denken zu lösen, die Politik wieder stärker in den Vordergrund zu schieben und miteinander zu sprechen, zu reden; nicht Briefe zu schreiben, in denen es dann oftmals von Unterstellungen und Verdächtigungen nur so strotzt. Ich glaube, meine Damen und Herren, das Gefühl dafür, daß der Primat der
Schneider ({1})
Politik gewahrt werden muß, wenn es nicht eines Tages zu einem Zusammenstoß kommen soll, ist in weitesten Teilen nicht nur in Deutschland, sondern auch in der übrigen Welt verbreitet.
Ich kann aus der Anerkennung dieser veränderten Situation nach Auffassung meiner Fraktion nur folgendes sagen: Es ist notwendig, endlich zu begreifen, daß nicht nur das deutsche Volk, gleichgültig, zu welchem politischen Auffassungen immer wir uns bekennen, in einem Boot sitzt, sondern daß darüber hinaus, real betrachtet, sich kein Volk dieser Welt mehr aus dem gemeinsamen Schicksal und aus der gemeinsamen Verantwortung hinwegstehlen kann.
Deshalb spreche ich hier mit voller Absicht noch einmal von einem Gedanken, der in der Vergangenheit von allen Gutwilligen immer wieder als ein Wunschbild herausgestellt worden ist. Ich meine das Bekenntnis zu einer in den Grundauffassungen übereinstimmenden Außenpolitik. In der heutigen Debatte haben sich wieder einmal erfreuliche Ansätze dazu gezeigt. Ich darf die Frage stellen, ob wir es uns in unserer Lage überhaupt gestatten können, nicht eine gemeinsame Außenpolitik zu betreiben, die wenigstens in den Grundsätzen zwischen Regierung und Opposition übereinstimmt. Diese Forderung, meine Damen und Herren, ist aus unserer Sicht mehr als die banale Forderung: „Seid nett zueinander!" Diese Forderung bedeutet auch nicht etwa den Verzicht auf die Darlegung eigener Überzeugungen und Überlegungen, sie bedeutet auch keineswegs ein billiges Verwischen der verschiedenen Standpunkte. Sie bedeutet aber die absolute Notwendigkeit, sich in unserer Situation zu gemeinsamen Anstrengungen zusammenzufinden, um mit unseren Kräften beizutragen, das zu verhindern, was Millionen von uns bereits wieder als ein drohendes Ungewitter über ihren Köpfen spüren. Ich wage das so freimütig auszusprechen, weil ich mir darüber im klaren bin, daß Angst und Verwirrung nicht nur in unserem eigenen Volke vielfältig, sondern auch in der übrigen Welt herrschen und daß die Beseitigung dieser Unsicherheit einer der wesentlichsten Faktoren ist, wenn auch die Regierungen zu einem vernünftigen Gespräch gelangen sollen.
In welcher Situation wir uns befinden, hat meines Erachtens ganz besonders deutlich das Erscheinen der künstlichen Monde der Russen am Welhimmel gezeigt, eine Tatsache, die nicht von allen Nationen mit Beifall begrüßt wurde, sondern die teilweise, ich möchte sagen, eine Hysterie in der Welt ausgelöst hat. Wir sind also auch gar nicht mehr frei, uns über eine großartige technische Leistung nur zu freuen, sondern an ihr wächst auch sofort der Verdacht und wächst das Mißtrauen. Auch diese Dinge gilt es abzubauen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich allerdings auch mit aller Eindeutigkeit zum Ausdruck bringen, daß die Versuche der Opposition, und zwar sowohl der SPD wie der FDP - wenn ich noch mit einem kurzen Streiflicht auf die Grundzüge einer gemeinsamen Außenpolitik zurückkommen darf -,
z. B. ausgerechnet in den Tagen der Pariser NATOKonferenz in den Landesparlamenten der Bundesrepublik außenpolitische Debatten zu entfesseln, um daraus parteipolitisches Kapital zu schlagen, die begrüßenswerten Ansätze zu einer gemeinsamen Außenpolitik leider von vornherein wieder zerstört haben. Da lobe ich mir - mit allem Respekt darf ich es sagen - die Neujahrsrede des Herrn Bundespräsidenten, die bekanntlich nicht nur in unserem Lande, sondern darüber hinaus auch in allen übrigen politischen Zentren dieser Welt große Aufmerksamkeit und weitgehende Zustimmung gefunden hat. Besonders seine ernste Warnung vor der Öffentlichkeit zwischenstaatlicher Gespräche, die immer wieder in eine Propagandapolitik ausartet, ist mit großer Aufmerksamkeit gehört worden. Seine Forderung nach Rückkehr zu einer klugen Geheimdiplomatie wurde als beachtenswerter Rat eines erfahrenen Politikers gewertet, und ich möchte für meine politischen Freunde diese Ausführungen und diese Auffassungen des Herrn Bundespräsidenten an dieser Stelle mit allem Nachdruck noch einmal unterstreichen.
Meine Damen und Herren! Wir meinen, daß diese Worte des Herrn Bundespräsidenten im abgewandelten Sinne auch für unsere außenpolitischen Auseinandersetzungen in Westdeutschland ihre volle Bedeutung haben. Es genügt nämlich nicht, daß insbesondere die Opposition einem Satz des Herrn Bundespräsidenten wie dem „Politik ist unser Schicksal" zustimmt. Notwendig ist vielmehr, daß wir allesamt bereit sind, auch ,aus den anderen Mahnungen unseres Staatsoberhauptes die Konsequenzen zu ziehen, d. h. insgesamt gerade in unserem Lande als gespaltenes Volk in einem der Hauptbrennpunkte der großen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West endlich auf jede Propagandapolitik zu verzichten, die alle bisherigen Auseinandersetzungen immer so unfruchtbar gemacht hat.
({2})
Was hat es noch mit ernsthafter Politik zu tun - und hier wende ich mich an den Vorsitzenden der Fraktion der Freien Demokratischen Partei -, wenn in diesem Augenblick, wo es darum geht, vielleicht erste Möglichkeiten zu erfolgversprechenden Kontaktaufnahmen zu entwickeln, der Vorsitzende der FDP-Fraktion nichts Besseres zu empfehlen weiß, als nunmehr schleunigst eine Bundestagsdelegation nach Moskau zu entsenden?
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Zu einer solchen Methode, Herr Kollege Mende -in aller Freundschaft möchte ich es sagen -, muß ich erklären, daß uns die Lage als zu ernst erscheint, als daß wir versuchen dürften, mit derartigen, sagen wir einmal, Schlagzeilenvorschlägen kleine innenpolitische Augenblickserfolge zu erzielen.
({4})
Ich behaupte, meine Damen und Herren, daß weder die „Intouristen" Springer und Zehrer noch eine Bundestagsdelegation in Moskau erfahren wird, was man dort wirklich will.
({5})
Schneider ({6})
Wie sieht es in der Welt denn wirklich aus? Das Zusammenleben der Nationen, speziell der politisch und militärisch führenden Nationen ist trotz aller voraufgegangenen schweren Erschütterungen und der jeweils erfolgten Ernüchterung durch ein Ausmaß von Mißtrauen und gegenseitigen Verdächtigungen gekennzeichnet, daß es im Augenblick oftmals schier ausweglos erscheint, ohne einen Abbau dieser Grundstimmung auch nur zu einem ersten Schritt der Verständigung zu kommen, noch dazu, wenn eine Weltmacht der anderen ständig aggressive Absichten unterstellt und letztere wiederum alle Vorschläge, die nicht von vornherein in ihr eigenes Konzept passen, als utopisch und nicht realisierbar betrachtet. Man fragt sich manchmal wirklich, ob denn die Weltmächte von allen guten Geistern - ich bitte um Verzeihung für dieses Wort - verlassen sind; aber es ist ihnen offenbar nicht mehr möglich, in dieser Lage eine andere Entwicklung als zu einem immer weiter gesteigerten Rüstungswettlauf fortzusetzen.
({7})
Hier stimme ich - ich bekenne es: auch das gehört zu den Grundzügen einer gemeinsamen Außenpolitik in diesem Hause - den Befürchtungen des Kollegen Ollenhauer insoweit zu, als auch wir befürchten, daß bei einer Aufrüstung von sehr viel mehr Staaten mit atomaren Waffen natürlich gewisse Gefahren größer werden, als dann, wenn sich diese Waffen in Händen nur einiger führender Mächte befinden. Die waffentechnische Entwicklung speziell der letzten zehn Jahre hat natürlich - so sehr man das auch immer beklagen mag, und wir beklagen es sehr - dazu beigetragen, daß das Gleichgewicht der militärischen Kräfte wenigstens einen Zustand bewirkt hat, den wir in schöner Selbsttäuschung als „Frieden" bezeichnen, der in Wahrheit aber nichts anderes ist als - ich muß das so offen aussprechen - eine mühselig aufrechterhaltene Fiktion des wirklichen Friedens, wie ihn sich die Völker der Welt wünschen.
Wer aber von uns stellt sich nicht täglich wieder die Frage, wann jener Funke in das Pulverfaß fällt, der dieses heute noch mühsam aufrechterhaltene Gleichgewicht in seinen Grundfesten erschüttert. Und hier beginnt auch für uns als den Teil des deutschen Volkes, der noch in Freiheit seine Auffassungen zur Weltlage äußern kann, die Verantwortung, von der uns niemand freisprechen kann. Diese Verantwortung heißt: mit allem Ernst die Situation zu durchdenken, für uns realisierbare Entschlüsse zu fassen und alles in unserer Kraft "Stehende zu tun, um besserer Einsicht und besserem Willen zum Durchbruch zu verhelfen.
Wie kann das aussehen? Lassen Sie mich das Wort eines der größten Staatsmänner zitieren. Bismarck - wie oft ist er verkannt worden, gerade auch in den letzten zehn Jahren unserer Geschichte - erklärte 1876:
Es ist meines Erachtens ein Irrtum, wenn öffentlich angenommen wird, der Friede könne dadurch erhalten werden, daß staatsmännische Weisheit ein Arkanum
- ein Geheimmittel, um es mit einem deutschen Wort zu sagen erfinde, während doch in der Tat seine Sicherstellung nur auf dem Wege gefunden werden kann, daß eine oder mehrere der beteiligten Mächte den anderen Konzessionen machen, indem sie entweder ihre Ansprüche oder ihr Miß- trauen herabmindern. Wenn das von keiner der beteiligten Seiten geschieht, so glaube ich nicht, daß menschliche Weisheit ein Rezept erdenken kann, welches dem schließlichen Zusammenstoß der einander widerstrebenden Kräfte vorbeugte.
Genau an diesem Punkt stehen wir nach unserer Überzeugung heute. Ich stehe wohl außerhalb des Verdachts, vor Ihnen als Abgesandter irgendeines östlich dirigierten Weltfriedenskongresses zu sprechen. Aber wenn wir zu einem richtigen Ansatz kommen wollen, müssen wir uns der Mühe unterziehen, die Positionen und Absichten des Gegenspielers so klar wie möglich zu erkennen. Nach unserer Auffassung spielen die Machthaber in Moskau ein großes Spiel, bei dem sie in Europa zwei Ziele mit aller Konsequenz anstreben: entweder durch Aufweichung der NATO dieses Verteidigungssystem der westlichen Welt zum Einsturz zu bringen und auf diese Weise die Vereinigten Staaten von Amerika aus Europa hinauszudrängen, um dann um so leichteres Spiel mit ihren weiteren Zielen zu haben, oder in einer globalen Absprache mit den Vereinigten Staaten den augenblicklichen Zustand in Europa wenigstens für absehbare Zeit zu zementieren. Also auch hier wieder nur die Fiktion des wirklichen Friedens. Es gibt im Augenblick, meine Damen und Herren, keine Anzeichen dafür, daß Moskau bereit wäre, auf diese Pläne zu verzichten.
Aber zu einer realistischen Analyse der Situation gehört ebenso die Erkenntnis, daß das Mißtrauen in Moskau gegenüber den Absichten und Plänen der westlichen Welt und auch der Bundesrepublik offenbar um keinen Grad geringer ist als das Mißtrauen gegenüber der Sowjetunion, das die westliche Welt als stärkste Klammer heute miteinander verbindet. Der viel zitierte George Kennan hat mit vollem Recht darauf hingewiesen, in welchem Ausmaß die Sowjetunion selbst inzwischen ein Opfer ihrer eigenen jahrzehntelangen Propaganda geworden ist. Aber auch dieser Sachverhalt ist natürlich eine nicht wegzuleugnende Realität in der großen politischen Auseinandersetzung. Die Frage, die uns gestellt ist, lautet deshalb: Was kann geschehen, um dieses gegenseitige Mißtrauen abzubauen und zu Vereinbarungen zu kommen, deren Hauptfolge eine Herabminderung der Spannungen sein müßte?
Lassen Sie mich auf diese Frage ebenfalls mit aller Deutlichkeit erklären: Der sicherste Weg zum Mißerfolg in Verhandlungen, von denen wir alle hoffen, daß sie letztlich doch zum Erfolge führen werden, ist der Selbstmord aus Angst vor dem Tode, d. h. die Kapitulation vor jeder Drohung, d. h. der Verzicht auf das notwendige Maß an Selbstschutz und Selbstbehauptungswillen und die Sucht, jeden von irgendeiner in die Debatte geworfenen
Schneider ({8})
Plan ohne großes Besinnen und Nachdenken als
einen rettenden Ausweg und als das Allheilmittel
zu betrachten; ({9})
denn genau diese Methode verhindert das, was in dieser Situation notwendig ist: ohne Druck von irgendeiner Seite alle Pläne einer wirklich eingehenden Prüfung und Überlegung unterziehen zu können mit dem Ziel, herauszubekommen, in welcher Weise sie vielleicht doch zu einem für beide Seiten tragbaren Ergebnis führen könnten. Ich meine also ganz klar, daß es darauf ankommt, weder jeden vorgebrachten Plan vorbehaltlos aufzunehmen noch ihn ebenso vorbehaltlos als utopisch oder unrealistisch in den Papierkorb zu werfen.
Wenn man der Überzeugung ist, daß es nicht von vornherein eine globale Lösung aller bestehenden Probleme gibt, dann müssen eben alle erkennbaren Möglichkeiten wahrgenommen werden, damit man wenigstens zu Teillösungen gelangt. Ich glaube, daß Sie dieser Auffassung zustimmen. Daß hierbei alle Gesprächspartner, natürlich in erträglichen Grenzen, zurückstecken müssen, ist ebenfalls eine Selbstverständlichkeit.
In diesem Zusammenhang darf ich mir erlauben, auf den viel besprochenen Plan des polnischen Außenministers Rapacki zu kommen, der eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa unter Einschluß Westdeutschlands, der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik, der Tschechoslowakei und Polens vorsieht. Es ist bekannt, meine Damen und Herren, daß dieser Plan in den verschiedenen Staaten eine unterschiedliche Aufnahme gefunden hat, und es ist notwendig, sich in dem Zusammenhang noch einmal daran zu erinnern, welche Gründe Westdeutschland bewogen, 1955 dem Schutz- und Verteidigungsbündnis der NATO beizutreten. Haben wir etwa vergessen, daß es die Politik der europäischen Verständigung und der daraus resultierende Vertrag waren, die uns unsere durch den Krieg zerschlagene politische Bewegungsfreiheit im Rahmen der Möglichkeiten eines gespaltenen Landes an der Grenzlinie zwischen Ost und West zurückgegeben haben? Damit endete allerdings jene bequeme Ara des passiven Zuschauens im Welttheater, wo andere sich um unser Schicksal und um das der Welt bekümmerten, während wir uns der Illusion hingeben konnten, wir hätten für alle Zeiten den Frieden für den westdeutschen Teilstaat gerettet. Diese Zeit des „Du, glückliche Bundesrepublik, arbeite, während andere für deinen Schutz sorgen" ist nun vorbei, und die Verantwortung steht riesengroß auch vor uns.
Was haben wir in dieser Situation festzustellen? Doch erst einmal zwei Dinge, meine Damen und Herren. Erstens ist die Bundesrepublik Deutschland aus dem Kreise der Großmächte, die das Schicksal dieser Welt bestimmen, ausgeschieden. Man mag das beklagen; aber das ist ein reales Faktum. Zweitens hat Europa oder, besser gesagt, der noch freie Teil Europas seine Rolle als führender Kontinent auf dieser Erde zumindest vorläufig ausgespielt.
Niemand anders als der sozialdemokratische Präsident des Bremer Senats, Wilhelm Kaisen, hat das
vor einigen Tagen noch einmal unterstrichen, als er allen Gedanken an ein Europa als dritte Kraft zwischen den beiden großen beherrschenden Weltmächten eine deutliche Absage erteilte. Er erklärte wörtlich:
Das Gewicht zwischen Ost und West kann sich deshalb zugunsten des Westens nur behaupten, wenn Amerika mit Europa verbunden bleibt. Wenn manchmal davon gesprochen wird, durch die Vereinigung der westeuropäischen Staaten könnte so etwas wie eine dritte Kraft zwischen Amerika und Rußland entstehen, so halte ich
- Kaisen das für wirklichkeitsfremd.
Das heißt, daß es keinen Ausgleich mit der Sowjetunion in Europa geben darf und geben kann, als dessen Folge ein Hauptziel der sowjetischen Europapolitik verwirklicht wird, nämlich die Herausdrängung der Amerikaner aus dem Kontinent.
Bezüglich des Rapacki-Plans hat der Herr Bundeskanzler in seiner kürzlichen Rundfunkrede die Situation klargestellt. Der Rapacki-Plan, in der vorliegenden Form verwirklicht, kann zu keinem anderen Ergebnis führen als dem Rückzug der amerikanischen Truppen aus der Bundesrepublik.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren von der Opposition, an diesem Punkte die Frage stellen, in welch ganz anderer Position sich die Bundesrepublik heute befände - auch gerade bei der Diskussion über den Rapacki-Plan -, wenn nicht Sie in den vergangenen Jahren mit allen Ihren politischen Möglichkeiten die Verwirklichung des deutschen Verteidigungsbeitrags verzögert und behindert hätten.
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Denn es wird an diesem Punkt der Auseinandersetzungen völlig klar, von welcher Bedeutung die konventionellen Waffen in Europa werden, wenn das Problem einer atomwaffenfreien Zone ernsthaft behandelt wird.
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Und in diesem Augenblick, wo allen Einsichtigen und Sachverständigen diese Zusammenhänge klarwerden, hält es leider eines der prominentesten Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion für notwendig, sich sogar gegen die Errichtung von Raketenbasen für Luftabwehrraketen - wohlgemerkt, für Luftabwehrraketen - auszusprechen.
Trotzdem sollte der Gedanke verfolgt werden, ob in dem Rapacki-Plan eventuell doch Ansätze vorhanden sind, die es verdienen, ergründet und weiterentwickelt zu werden. Es sollte die Frage geprüft werden, ob es möglich ist, dadurch in Mitteleuropa einen Zustand der Entspannung herbeizuführen, der einmal den Absichten und Interessen beider Weltmächte entgegenkommt und zum andern so gestaltet ist, daß er das übrige Europa doch nicht des Schutzes der Vereinigten Staaten zu berauben braucht. Der Rapacki-Plan, möge er sein, wie er will, ist jedenfalls oder sollte eine Diskussionsgrundlage sein.
Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2a. Januar 1958 347
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Dabei stellt sich eine derartige Fülle von Fragen ein, die von den oftmals reichlich kritiklosen Befürwortern des Plans offenbar nicht einmal in Ansätzen überschaut werden. Eine derartige Lösungsmöglichkeit ist, um nur diesen Punkt hier anzuführen, in stärkstem Maße von der Frage abhängig, auf welche Weise die Nichteinmischung der Weltmächte in einer solchen Zone realisiert und garantiert werden kann, um zu verhindern, daß auch nur die kleinste selbständige Regung in diesem Gebiet sofort den dritten Weltkrieg auslöst. Dieser Hinweis genügt allein schon, um zu zeigen, daß wir erst am Anfang der geistigen Bewältigung der uns gestellten Aufgaben stehen.
Die ganze Kompliziertheit der Situation wird uns aber erst deutlich, wenn wir uns fragen, auf welche Weise eine Verbindung zu dem Hauptanliegen des deutschen Volkes, nämlich der Wiedervereinigung der gespaltenen Nation, hergestellt werden kann.
Ich kann es mir nicht versagen, an dieser Stelle auf die Äußerungen des Kollegen Professor Carlo Schmid von der SPD vor dem Straßburger Europarat zu verweisen, in denen er deutlich gemacht hat, daß auch die Opposition einsehe, daß angesichts des Berges von Problemen, deren wichtigste die Abrüstung und Entspannung sind, kein Patentrezept für die Wiedervereinigung gefunden werden kann. Er hat damit die ständigen Vorwürfe der Opposition gegen die Bundesregierung selber als unbegründet entlarvt. Wenn ich dies als einen Fortschritt auf dem Wege zu der Einsicht im gesamten I Hause werten darf, daß es in diesem Hause niemanden gibt, der die Wiedervereinigung weniger oder mehr will, dann möchte ich dies ausdrücklich begrüßen.
Ob der vom Kollegen Schmid aufgezeigte Verzicht im übrigen bei künftigen Verhandlungen um einer schnelleren Erreichung des Ziels der Abrüstung und Entspannung willen notwendig werden wird oder nicht, vermag ich im Augenblick, ehrlich gesprochen, noch nicht zu beurteilen. Auf jeden Fall bleibt es aber für alle Deutschen eine beruhigende Gewißheit, daß die Bereitschaft unserer westlichen Verbündeten, uneingeschränkt für die deutsche Wiedervereinigung einzutreten, vor aller Weltöffentlichkeit festgestellt bleibt. Dabei sollten wir selbstverständlich jene Stimmen im Ausland, die sich, aus welchen Gründen auch immer, gegen eine Wiedervereinigung ausgesprochen haben, nicht überbewerten, aber auch nicht unterschätzen. Unsere Aufgabe ist es, mehr noch als bisher deutlich zu machen, daß es keinen wirklichen Frieden in diesem Teile der Welt geben wird, solange nicht dem deutschen Volke das Recht auf Selbstbestimmung und Wiedervereinigung in Freiheit zurückgegeben worden ist.
Wenn Herr Bulganin sich immer wieder berufen fühlt, in seinen Reden und Propagandabriefen Klage darüber zu führen, daß noch nicht alle Völker auf dieser Erde frei ihr Schicksal bestimmen könnten, dann haben gerade wir als Deutsche ein Recht, daran zu erinnern, daß es in seine Macht gegeben ist, diesen Zustand jedenfalls in Mitteleuropa für
das deutsche Volk zu beenden. Wenn er weiter darüber klagt, daß die friedlichen Absichten der Sowjetunion gerade in der Bundesrepublik auf so viel Mißtrauen stoßen, dann muß auch an dieser Stelle wiederum erklärt werden, worauf dieses Mißtrauen des freien Teiles des deutschen Volkes zurückzuführen ist, nämlich darauf, daß die Sowjetunion nach wie vor offenbar nicht bereit ist, dem deutschen Volke im Herzen Europas das zu gewähren, worauf es Anspruch hat: das Recht auf Selbstbestimmung. Das ist ein Umstand, der hinsichtlich der Ehrlichkeit des Bemühens um Entspannung nicht schwerwiegend genug gekennzeichnet werden kann.
So einmütig wir alle in diesem Hause dieser Feststellung zustimmen mögen, so sehr besteht auch Übereinstimmung in der Auffassung, daß es auch in dieser Frage keine Lösung geben kann, solange die eine Seite der anderen ihre Vorstellungen ohne Einschränkungen aufzuzwingen versucht. Wenn die Sowjetunion in nicht zu überbietender Starrheit auf die Forderung des deutschen Volkes nach Wiedervereinigung nur mit dem Verlangen nach Anerkenntnis der Existenz zweier deutscher Staaten und Schaffung eines Staatenbundes zwischen beiden Teilen Deutschlands antwortet, dann sei an dieser Stelle auf den Schlußabsatz der so viel geschmähten Berliner Erklärung vom 29. Juli 1957 hingewiesen, in dem Möglichkeiten angedeutet werden, die sich vom sowjetrussischen Verhalten ganz erheblich unterscheiden. So heißt es dort unter anderem - ich bitte um die Erlaubnis, Herr Präsident -:
Bevor es zu ernstlichen Verhandlungen kommt, können die Westmächte ihre Auffassung zu allen Punkten nicht endgültig festlegen. Auch können sie nicht im voraus die Gewährung von Zugeständnissen erwägen, bei denen gegenwärtig nicht mit einem entsprechenden Entgegenkommen der sowjetischen Seite gerechnet werden kann. Wenn Verhandlungen erfolgreich sein sollen, müssen beide Seiten sie in einem Geiste der Verständigungsbereitschaft und der Beweglichkeit beginnen.
Ich glaube, es ist notwendig, diesen Passus der Berliner Erklärung der gesamten Öffentlichkeit wieder einmal ins Gedächtnis zurückzurufen.
Diese Hinweise genügen, so meine ich, um deutlich zu machen, vor welch einer Fülle von Problemen wir in den kommenden Monaten und - leider! - Jahren stehen werden. Sie zu bewältigen bedarf es in Wahrheit der Phantasie und der Aktivität, von der der Herr Bundeskanzler in seiner Rede vor der NATO-Konferenz am 16. Dezember vorigen Jahres in Paris gesprochen hat.
Ich möchte aber die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, ohne an dieser Stelle unserer großen Befriedigung auch darüber Ausdruck zu geben, daß die NATO speziell durch die Rolle des deutschen Regierungschefs auf der Pariser Konferenz einen starken politischen Akzent erhalten hat. Das ist eine Entwicklung, die wir, so glaube ich, alle nur begrüßen können und von der wir wünschen, daß sie sich fortsetzen möge. Ist es doch gerade die Festig348
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keit im Grundsätzlichen und die Wandelbarkeit und Geschmeidigkeit in den Methoden, die bei der heutigen schwierigen Weltlage allein zu Erfolgen führen kann. Nicht nur wir, sondern wohl die ganze Welt spürt, daß ein Denken allein in militärischen Vorstellungen nicht mehr ausreicht, um der Probleme Herr zu werden, vor denen wir stehen.
Dabei sollten wir uns daran erinnern, daß Europas Gedanken, seine Intuition und seine schöpferische Kraft zu allen Zeiten sein kostbarstes Geschenk an die Welt gewesen sind. Wenn eines nicht zu diesem alten Kontinent gehört, so ist es ein Maginot-Geist des Denkens.
In diesem Zusammenhang begrüßen es meine Freunde auch, daß auf der NATO-Konferenz in Paris ernsthafte Überlegungen angestellt worden sind, auf welche Weise es gelingen kann, die Absichten der freiheitlichen Welt gegenüber den sogenannten neutralen und nichtgebundenen Staaten deutlicher und verständlicher als bisher zu machen. Das gilt auch für die deutsche Politik, Ich habe bereits in meiner Antwort auf die Regierungserklärung von diesem Platze aus Anfang November vorigen Jahres darauf hingewiesen, von welcher Bedeutung es für uns ist, die Unterstützung der nichtgebundenen Nationen für die Erreichung des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes zu gewinnen. Dank an alle, die in dieser Frage in der Vergangenheit Verständnis für unsere Sorgen bewiesen haben.
Vor einigen Tagen haben nun acht afrikanische und europäische Länder in London eine Stiftung für gegenseitigen Beistand in Mittelafrika angekündigt. Wir haben meines Erachtens alle Veranlassung, solche Pläne mit großer Befriedigung zur Kenntnis zu nehmen, sollten gleichzeitig aber auch der Erwartung Ausdruck geben, daß die westliche Welt in einem viel größeren Umfange als bisher den nichtgebundenen Staaten und ihren Sorgen Verständnis entgegenbringt und ihnen wirkliche Hilfe anbietet, aber keine Almosen. Auf diesem Gebiet darf der Sowjetunion nicht das Feld allein überlassen werden, wenn es gelingen soll, im Zusammenwirken aller Kräfte zu einem wirklich friedlichen Ausgleich in der Welt zu kommen.
Was ich hier an Aufgaben für die westliche Welt gegenüber den Menschen der sogenannten nichtgebundenen Staaten aufgeführt habe, gilt aber nach Auffassung meiner Freunde in verstärktem Maße auch für unser eigenes Volk. Herr Ollenhauer hat noch kürzlich wieder davon gesprochen, daß der geistigen und sozialen Aufrüstung der Vorrang vor der Wiederherstellung der Verteidigungsbereitschaft gebühre.
Lassen Sie mich hier die Frage stellen, was denn nun in den vergangenen Jahren wirklich für diese geistige Aufrüstung in unserem Volke geschehen ist. Der Herr Bundeskanzler hat noch kürzlich von der Verwirrung gesprochen, die weite Teile unseres Volkes erfaßt hat. Für uns bedeutet dieser Zustand keine Überraschung. Ich habe vorher schon davon gesprochen, daß wir alle uns daran gewöhnen müssen, wieder selber die Verantwortung für unser Geschick in die Hand zu nehmen. Der Platz in der Loge, von dem aus man als mehr oder weniger unbeteiligter Zuschauer das Weltgeschehen beobachten konnte, ist inzwischen zu einem Platz inmitten der Arena geworden.
Haben wir - das ist die Verantwortung aller in diesem Hause - unsere Bevölkerung auf diese Situation vorbereitet? Haben wir alles getan, deutlich zu machen, daß Freiheit und Sicherheit, insbesondere auch materielle Sicherheit, keine Geschenke sind, sondern einen Preis erfordern, der immer wieder von neuem gezahlt werden muß? Es wird heute wohl niemand in diesem Hohen Hause bestreiten, daß in dieser Beziehung in den vergangenen Jahren große Versäumnisse begangen und schwere Fehler gemacht worden sind. Im Gegenteil, ich hoffe, daß endlich Einmütigkeit darüber besteht, daß die wichtigste politische Kraft für uns das lebendige Gefühl des ganzen Volkes für die nationale Not ist und der Wille, sie zu überwinden. Einer Lösung unserer politischen Aufgaben dient man nicht dadurch, daß man Tag für Tag immer wieder den Teufel an die Wand malt und unser Volk reif macht für jede Erpressung und Atomdrohung, die im gegebenen Augenblick den Machthabern in Moskau einfallen könnte, sondern indem man unserer Bevölkerung die feste Gewißheit gibt, daß wir die wiedergewonnene Freundschaft mit den freien Völkern dazu benutzen sollten, um all solchen Drohungen und Erpressungen mutig und geschlossen entgegenzutreten. So unabdingbar unser Wille ist, in Verhandlungen mit den Völkern des Ostens die Tür zur Verständigung zu öffnen, so klar muß es auch sein, daß unter Drohungen und Erpressungen und Verdächtigungen nicht verhandelt werden kann. Das ist keine billige Kraftmeierei, sondern die erste Voraussetzung für eine zielbewußte Politik überhaupt.
Es schlägt jedoch dem guten Willen der Regierung und letzten Endes dem Interesse der Nation ins Gesicht, wenn unter Ausnutzung der psychologischen Situation in der Öffentlichkeit, ähnlich wie es im letzten Bundeswahlkampf geschehen ist, von seiten der Oppositionsparteien versucht wird, die Regierung von vornherein festzulegen, und insbesondere auch dem Parlament zugemutet wird, Beschlüsse zu fassen, die eindeutig nichts anderes sein können als Vorleistungen, für die Moskau keinen Heller zu zahlen braucht. Man kann nicht auf der einen Seite diplomatische Gespräche und damit Feststellungen über die wahren Absichten der Sowjetunion fordern und auf der anderen Seite, ohne diese Absichten zu kennen, der eigenen Regierung die Hände binden und sie auf Lösungen festzulegen versuchen, deren Auswirkungen für die Sicherheit der Nation unübersehbar und deren Auswirkungen für unsere Verhandlungsposition ebenfalls katastrophal sein müssen.
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Meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie hier mit Ihrem Antrag vorschlagen, freiwillig sämtliche Vorleistungen an die Sowjetunion zu gewähren, haben Sie schon festgestellt - ich frage
Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21 Januar 1958 349
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Sie -, welche Gegenleistungen die Sowjetunion und ihre Partner dafür zu zahlen bereit sind?
({16})
- Sie wollen aber hier heute bereits die Vorleistung beschließen, Herr Kollege Schmid. Halten Sie es mit den Interessen unseres Landes für vereinbar, wenn Sie alle Faustpfänder für hoffentlich kommende Verhandlungen bereits heute freiwillig aus der Hand geben?
({17})
Glauben Sie wirklich, meine Damen und Herren von der Opposition, daß ein Friedensplan mit den Sowjets zu erreichen ist, wenn Deutschland getrennt von seinen westlichen Partnern vorgeht? Das aber bedeuten in der derzeitigen Situation die hier uns vorlegten Forderungen der sozialdemokratischen Fraktion.
Wir wollen ja verhandeln, verhandeln und noch einmal verhandeln, aber nicht mit leeren Händen. Wollen Sie es riskieren, daß wir uns mit der freiwilligen Preisgabe aller Faustpfänder und insbesondere mit der Preisgabe der Rückenstärkung durch unsere Verbündeten eines Tages zwischen sämtliche Stühle setzen, so daß nicht mehr mit uns, sondern über uns verhandelt wird? Wenn das bislang verhindert werden konnte, dann nur, weil Regierung und Koalition weitsichtig genug waren, alle diese Vorschläge zurückzuweisen.
Ich stehe hier nicht als Kalter Krieger. Ich habe, ') glaube ich, deutlich genug gemacht, daß wir genauso wie Sie, meine Damen und Herren, die Tür zu Verhandlungen und Besprechungen ganz weit aufzustoßen bereit sind. Aber was wir nicht wollen, ist, daß wir mit leeren Händen in diese Verhandlungen hineingehen.
Es gibt nach unserer Auffassung nur einen Weg der Entspannung, um dem Frieden und auf diese Weise auch der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes näherzukommen, nämlich den, alles zu tun, um die Voraussetzungen für unseren Selbstschutz und unsere Sicherheit zu schaffen, und gleichzeitig keine Möglichkeit irgendwelcher Art, zu verhandeln und zu ergründen, außer acht zu lassen. Nur auf diese Weise haben wir die Möglichkeit, auch unser Gewicht in die Waagschale zu werfen und dazu beizutragen, daß eines Tages der Druck von der Welt genommen wird, der heute auf ihr lastet. Nur dieser Weg - das eine tun und das andere nicht lassen - bietet Gewähr für die Sicherheit der Nation und für die Aussicht, in Verhandlungen zum Erfolg zu kommen.
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Dabei wird sich Deutschland in seinem Friedenswillen von keiner anderen Nation übertreffen lassen.
({19})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gradl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir, wie sich das für einen Neuling in diesem Hause gehört, die Darlegungen insbesondere der Herren von der Opposition sehr sorgfältig angehört. Ich habe mich auch bemüht, unbefangen zuzuhören. Dabei ist mir - das will ich gleich gestehen - eine etwas merkwürdige und sehr ausgeprägte Einseitigkeit der Betrachtungsweise aufgefallen. Kein Zweifel, in den Reden der Opposition wird der gegenwärtige Zustand zutiefst beklagt, der Status quo wird abgelehnt, die Konföderation wird abgelehnt. Niemand wird auch bestreiten, daß Sie sich bei Ihren Überlegungen von einer sehr ernsten Sorge um die deutsche Wiedervereinigung leiten lassen.
Wenn ich mir aber Ihre eigentliche Argumentation ansehe, wenn ich beobachte, wohin Sie sich mit Ihrem oppositionellen Zorn eigentlich wenden, dann habe ich das Gefühl, daß Sie sich einen falschen Adressaten ausgesucht haben. Es sieht so aus - vielleicht merken Sie das gar nicht mehr, weil Sie schon seit einer geraumen Zeit in dieser Weise argumentieren -, als ob Sie glaubten - vielleicht glauben Sie es tatsächlich -, die Ursache dafür, daß der gegenwärtige Zustand unseres Landes anhält, liege in erster Linie in der Haltung der westlichen Politik, insbesondere in der Haltung der Bundesregierung. Ich bin der Ansicht, daß in diesem Punkt einiges zurechtgerückt werden muß. Dabei wird sich nicht vermeiden lassen, daß ich meinerseits mit einer gewissen Einseitigkeit nach dem Osten sehe. Die Sowjetunion ist ja ohnehin ein Gesprächsteilnehmer. Ich werde mich bemühen, das nicht in einer Weise zu tun, daß ich das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und unserem Land unnötig belaste. Ich werde mich bemühen - vorhin ist ein diesbezüglicher Zwischenruf gemacht worden -, nicht zu reizen.
Ich halte es für erforderlich, daß in dieser Diskussion gegenüber der Argumentation der Opposition bestimmte Realitiäten klar dargestellt werden. Die entscheidende Realität scheint mir die Haltung zu sein, die die Sowjetunion gerade in den letzten Monaten und gerade angesichts der internationalen Diskussion eingenommen hat; ich meine ihre Sprache, ihre Handlungen, ihr Verhalten, das insbesondere in und gegenüber unserem eigenen Land.
Wir können uns, wenn wir die Haltung der Sowjetunion beurteilen wollen, zunächst nur auf ihre eigenen Meinungsäußerungen stützen, - nicht auf das, was wir in ihre Meinungsäußerungen hineingeheimnissen, sondern nur auf das, was die Sowjetunion selbst sagt, insbesondere wenn sie das unentwegt immer wieder sagt.
Es ist nicht leicht, sich durch die Dokumentationen, die einem die Sowjetunion zur Erkenntnis ihrer eigenen Auffassung bietet, hindurchzuarbeiten. Ich gestehe wiederum, daß ich jede Note, jedes Interview und jede Äußerung, die von der Sowjetunion kommen, nicht nur mit der notwendigen Gründlichkeit, sondern auch mit einer gewissen Befangenheit lese. Ich suche nämlich jedesmal - vielleicht denkt manch einer: das ist ein Naivling, wenn er das nach diesen vielen Jahren immer noch tut - in diesen Äußerungen nach irgendeinem lösenden Wort, nach
einem Wort, von dem man sagen kann: Hier endlich werden wir in der deutschen Frage auch einmal vom Osten, von der Sowjetunion her ein Stückchen weitergebracht.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat heute mittag hier gesagt, von der Bundesregierung höre er immer nur ein Nein. Ich glaube, dem Sinne nach zitiere ich das richtig. Vielleicht darf ich an das Memorandum der Bundesregierung vom September 1956 zur Frage der Wiedervereinigung erinnern, das damals der Sowjetunion überreicht worden ist und in dem sich - wenn man es nur unbefangen liest - eine Fülle konkreter Darlegungen und Anregungen für ein vernünftiges Gespräch mit der Sowjetunion finden.
Dann haben wir eben von dem Herrn Kollegen Maier das nette Wort gehört: „Er sagt nein, du sagst nein, ich sage nein; das ist doch phantasielos." Meine Damen und Herren, ich glaube, gegen unsere Seite und gegen die Bundesregierung kann man diesen Vorwurf der Phantasieslosigkeit nicht erheben.
({0})
Wenn man ihn erheben will, kann man nach allem, was wir von der Sowjetunion bisher als Beitrag zu dieser Frage bekommen haben, nur sagen. daß bei ihr Phantasielosigkeit das Wort führt.
({1})
Die eigentliche Enttäuschung ist, daß man in den Verlautbarungen der Sowjetunion immer wieder mit einer tatsächlich bedrückenden Monotonie wiederkehrend liest und hört: Anerkennung des Status quo, Anerkennung der bestehenden Verhältnisse. Übrigens ist das auch die Grundlage für den Rapacki-Plan.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat vorhin gesagt: Ja, wir wissen, die Sowjetunion wird hart verhandeln, und wir werden eben auch hart verhandeln. Sehr gut. Nur störte mich daran das Wort „wird". Denn im Grunde bewegen wir uns ja in den ganzen Jahren schon irgendwie in Verhandlungen, und die Sowjetunion zeigt dabei durch ihr Verhalten, daß sie nicht nur später einmal hart verhandeln wird, sondern daß sie in der Gegenwart sehr hart handelt. Das ist offenbar gegenwärtig ihre Form des Verhandelns. Es ist ja doch nicht Mangel an politischen Einfällen, der die Sowjetunion dazu veranlaßt, immer mit dieser Monotonie von uns die Anerkennung der bestehenden Verhältnisse zu verlangen. Sicherlich ist es auch nicht Mangel an Erkenntnisvermögen und an Einfühlung in das, was etwa auf unserer Seite hier empfunden wird. Nichts gibt es, was die Sowjetunion hindern könnte, erkennbar zu machen, daß sie bereit ist, ernsthaft über eine Öffnung wenigstens des Weges zur Wiedervereinigung zu verhandlen. Dennoch tut sie das alles nicht. Nun frage ich: Warum tut sie das nicht? Ich glaube, daß der Grund hierfür gar nicht so schwer zu erkennen ist.
Ich nehme das Beispiel des Rapacki-Planes, der hier besonders intensiv debattiert wird. Es ist gar kein Zweifel, daß bei der isolierten Durchführung
des Rapacki-Plans die militärische Position des
Westens mehr betroffen würde als die des Ostens.
({2})
Ich nehme, um das zu demonstrieren, eine Erklärung, die amerikanische Deutschland-Experten in diesen Tagen abgegeben haben in einer Stellungnahme zu den Vorträgen von Mr. Kennan. In dieser Erklärung der amerikanischen Deutschland-Experten - unter denen sich eine ganze Reihe uns allen bekanter Männer befindet, von denen wir wissen, daß für sie auch die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands ein sehr ernstes Anliegen ist - heißt es - ich darf das verlesen -:
Gewiß schlösse die atomwaffenfreie Zone, die Kennan vorschlägt, auch Ostdeutschland, Polen und die Tschechoslowakei ein. Doch ist dieses Zugeständnis ohne Bedeutung, da Westeuropa dem Beschuß durch sowjetische Mittelstreckenraketen offenliegt, die von russischem Gebiet aus abgeschossen werden können.
({3}) Dann heißt es weiter:
In Anbetracht des sowjetischen Vorteils bei den konventionellen Streitkräften würde sich ähnlich auch eine Ächtung taktischer Atomwaffen in den Satellitenländern und Ostdeutschland nur zugunsten der Sowjets auswirken.
Diese Erklärung trägt übrigens die Unterschrift auch eines Mannes, der früher jedenfalls zur Sozialdemokratischen Partei gehört hat. Er unterzeichnet „Gerhard Seger, früher Mitglied des Reichstags".
({4})
Ich sage nicht, daß ich jede Einzelheit der ganzen Erklärung für zutreffend halte. Aber die Feststellung ist zweifellos richtig, daß bei einer isolierten Durchführung des Rapacki-Planes die militärische Position zugunsten der Sowjetunion verbessert würde.
Ich will das, was ich damit ausdrücken will, in aller Vorsicht und völlig unaggressiv zu formulieren suchen: Je mehr die militärischen Elemente in Zentraleuropa abgebaut werden, um so behaglicher wird für die Sowjetunion das politische Verbleiben in diesem Raum,
({5})
um so interessanter wird für die Sowjetunion das politische Besitztum, das die sowjetisch besetzte Zone für sie darzustellen scheint. Darüber, was dieses politische Besitztum für sie bedeutet, sollten wir uns nach den Erfahrungen, die wir in den ersten Jahren nach der Besetzung bereits gemacht haben, keinen Illusionen hingeben. Diese sowjetisch besetzte Zone ist für die Sowjetunion ein ungemein wertvolles Besitztum; denn sie ist eine kommunistische Bastion hier in Mitteleuropa, und sie kann unter Umständen, wenn man sie über alle Fährnisse der jetzigen internationalen Auseinandersetzung hinweg bewahren kann, in der Zukunft irgendwann einmal als eine kommunistische Sprungschanze benutzt werden.
Nun hat der Herr Kollege Ollenhauer vorhin in ähnlichen Zusammenhängen gesagt, wir machten uns die Sache zu leicht, wenn wir alles ablehnten, ehe die Frage der Wiedervereinigung gelöst sei. Daran ist richtig, daß wir nicht erwarten können, daß die Frage der Wiedervereinigung in der gegenwärtigen Situation der allgemeinen Spannung und des allgemeinen Mißtrauens gelöst werden wird. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition - und ich darf dabei etwas unterstreichen, was der Herr Kollege Schneider eben schon gesagt hat -, verstehen Sie denn eigentlich wirklich nicht, daß es bei den politischen Entscheidungen, die wir in unserem Land zu fällen haben, keine schwierigere Frage gibt als die der Grenze, die man beachten muß, wenn man durch Vorleistungen nicht eine neue Realität schaffen will, die der Sowjetunion ein weiteres echtes Konzessionenmachen in der deutschen Frage ersparen könnte. Das ist doch ein entscheidendes politisches Problem.
Die Sorge vor unentgeltlichen Vorleistungen muß um so größer sein, wenn wir daran denken, wie hart gerade dieser politische Gegner ist. Seine volle Härte sehen wir doch an seinem Auftreten in unserem eigenen Land. Ich habe nicht die Absicht, das nationale Gefühl in Wallung zu bringen. Wir alle sind ohnehin zutiefst bewegt von dem, was sich im sowjetischen Besatzungsbereich in unserem Lande tatsächlich vollzieht. Es ist auch nicht nötig, daß man, um die Härte dieses politischen Gegners an seinem tatsächlichen Verhalten hier in unserem Lande zu demonstrieren, nun die ganze Misere noch einmal darstellt, die in der sowjetischen Besatzungszone besteht. Dazu genügt wahrscheinlich eine einzige Zahl: daß nämlich allein im vergangenen Jahr 265 000 deutsche Männer, Frauen und Kinder die sowjetische Besatzungszone als Flüchtlinge verlassen haben und daß es sogar jetzt trotz der Erschwerungen jede Woche 2- bis 3000 Menschen sind, die aus der sowjetischen Besatzungszone hierher kommen.
({6})
Seit einigen Monaten - schon deshalb, Herr Kollege Mende, gehört es hierher - ist etwas Neues in diesem Bereich eingetreten. Dieses Neue, meine ich, muß gerade hier im Rahmen einer außenpolitischen Debatte hervorgehoben werden, und zwar nicht nur deshalb, weil die neuen Erschwerungen der Lebensverhältnisse im sowjetischen Besatzungsbereich ohnehin wichtig genug sind, um auch hier zur Kenntnis genommen zu werden, sondern vor allen Dingen deshalb, weil sie gerade in diesem Zeitpunkt vorgenommen werden, in diesen Monaten, in denen sich die Welt und auch wir uns alle möglichen Gedanken darüber machen, wie man zu einer besseren Ordnung und zu einer tatsächlichen Entspannung kommen könnte.
({7})
In dieser Situation hält es die Sowjetunion für richtig, oder - ich will noch vorsichtiger sein -, sie läßt es jedenfalls zu, daß sich in ihrem Verantwortungsbereich die neuen Erschwerungen der Lebensverhältnisse vollziehen, die wir in der sowjetischen Besatzungszone feststellen müssen, Erschwerungen,
die einmal darin bestehen, daß die menschlichen Beziehungen innerhalb unseres gesamten Vaterlandes erneut und stärkstens behindert werden, und zum anderen darin, daß man in der sowjetischen Besatzungszone nun so weit geht, sogar einen weltanschaulichen Bürgerkrieg durchzuführen.
Was die Erschwerung der menschlichen Verbindung zwischen drüben und hier gerade in dieser Zeit angeht, so genügt es im Grunde, wenn ich dazu nur zwei, drei Zahlen nenne. Der Deutsche Bundestag hat ja noch in der letzten Sitzung des alten Jahres einmütig und sehr scharf gegen diese Erschwerungen Stellung genommen. Sie kennen den Protest gegen die Einführung des Paßzwanges und gegen die Strafandrohungen eines nicht genehmigten Hinüberreisens aus der sogenannten DDR in die deutsche Bundesrepublik. Aber, meine Damen und Herren, mittlerweile wissen wir, was das tatsächlich bedeutet. Im letzten Dezember sind nur noch 123 000 Zonenbewohner aus der Zone in die Bundesrepublik herübergefahren gegen 261 000 im Dezember 1956. Das heißt: bereits im Weihnachtsmonat ist der Reiseverkehr aus der Sowjetzone in die Bundesrepublik unter die Hälfte des früheren Standes herabgedrückt worden. Und wenn Sie die allerletzten Zahlen nehmen: in der zweiten Januarwoche ist es den Zonenherren sogar gelungen, den Reiseverkehr auf den Stand von 38 % der gleichen Zeit des Vorjahres herabzudrücken.
({8})
Was das für den einzelnen, der drüben zu leben gezwungen ist, bedeutet, brauche ich in diesem Hause nicht darzulegen; es genügt das Faktum an sich, ein Faktum, das demonstriert, wie die Sowjetunion gegenwärtig einen Beitrag zur Entspannung der allgemeinen Atmosphäre leistet oder leisten läßt.
({9})
Aber - und das muß ich nun etwas ausführlicher darstellen - schlimmer noch vielleicht als das, was sich in der Erschwerung der menschlichen Beziehungen vollzieht, ist das, was auf dem Gebiete des Religions- und Kirchenkampfes geschieht. Dabei wissen wir, daß dieser Kampf als solcher nicht neu ist. Wir haben in den vergangenen Jahren eine Fülle von Vorgängen erlebt, die diesen Kampf deutlich gemacht haben. Wir wissen z. B. aus dem Jahre 1953 um den Kampf gegen die Jugendgruppen in der sowjetischen Besatzungszone; wir wissen um die Eingriffe und Verbote gegen die Bahnhofsmission, gegen die Seelsorge in Krankenhäusern usw. Wir wissen auch, wie im vergangenen Jahr der Evangelische Kirchentag dadurch verhindert worden ist, daß man ihm unerträgliche politische Auflagen zu machen suchte.
Das alles ist aber wenig gegen das, was sich jetzt - ich betone wiederum: ausgerechnet in dieser Zeit - drüben vollzieht und bei dem eine solche Gewaltmaßnahme wie die Verhaftung des Leipziger Studentenpfarrers Schmutzler und der Prozeß gegen ihn, die als Einzelvorgang hier in der Bundesrepublik besondere Aufmerksamkeit gefunden haben, eben doch nur ein Einzelvorgang, wenn auch leider ein typischer Vorgang ist. In dem Gerichts352
saal, in dem der Pfarrer Schmutzler verurteilt worden ist, steht übrigens über der Richterbank der Satz: „Neue Macht schafft neues Recht". Wir kennen das ja wohl. Man kann es auch übersetzen: „Recht ist, was dem System nützt".
Aber, meine Damen und Herren, es handelt sich bei dem, was sich jetzt dort vollzieht, beileibe nicht etwa um Übergriffe irgendeiner Schar wildgewordener Funktionäre, sondern um einen ganz systematischen Kampf gegen Religion und Kirche, der in der ganzen Breite und mit der ganzen Wucht abrollt, die einem totalitären Apparat zur Verfügung steht, der sich gegen den einzelnen genau so richtet wie gegen die Kirchen als solche. Dafür gibt es eine Fülle von Beispielen. Das vollzieht sich unter dem Leitmotiv - man kann das da drüben auch recht wissenschaftlich formulieren -: „Der Sieg des Sozialismus ist unmöglich ohne die Überwindung der Unwissenheit und des Obskurantismus in Form von religiösem Glauben unter der Arbeiterklasse". Dies ist gewissermaßen das Leitmotiv, zu lesen in einer angeblich wissenschaftlichen Schrift, die gerade jetzt im Dietz-Verlag in Ost-Berlin herausgekommen ist. In das Vulgärpolitische übersetzt, sieht das folgendermaßen aus. In Frankfurt an der Oder z. B. hat der Erste Sekretär der SED beim Beginn der Jugendstunden erklärt:
Bei uns wird die Wahrheit gelehrt, und die ist einfacher zu begreifen als bestimmte Hirngespinste. Der künstliche Erdtrabant geht doch nicht um die Erde, um dem lieben Gott und den Engeln guten Tag zu sagen!
Herr Kollege Gradl, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Ich schätze Sie als Kenner der Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone. Sind das, was Sie hier alles vortragen, nicht die besten Argumente für eine viel aktivere Deutschlandpolitik? Muß man nicht mit Moskau sprechen, um diesem Spuk möglichst bald ein Ende zu setzen?
({0})
Herr Kollege Mende, Sie haben völlig recht.
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Diese Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone zeigt uns die Dringlichkeit einer Lösung der deutschen Frage mit ganz besonderer Deutlichkeit. Selbstverständlich muß man mit allen sprechen, mit denen man darüber sprechen kann. Aber gerade diese Vorgänge zeigen doch, daß sich die Sowjetunion leider Gottes für ein echtes Gespräch über diese Dinge nicht zur Verfügung stellt, daß sie vielmehr gegenteilig handelt und Situationen schafft, die den Weg zu einer verständigen Lösung eben nicht verbessern können.
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Ich habe gesagt, daß dieser Kampf, der sich gegenwärtig in der sowjetischen Besatzungszone vollzieht, auf der Grundlage systematischer Bedrückung
und Verächtlichmachung der Religion und der Kirchen beginnt. Daß die Kirchen als Gehilfen des „NATO-Imperialismus" oder des „kriegslüsternen Imperialismus" hingestellt werden, ist ohnehin drüben ein vertrauter Wortschatz. Auch das ist dabei kennzeichnend, daß Ende Dezember das „Neue Deutschland" es für notwendig hielt, Verlautbarungen wie „Rerum novarum" und „Quadragesimo anno" der Bevölkerung als eine „Ausbeuteordnung mit päpstlichem Segen" darzustellen. Ich lasse es bei diesen kurzen Hinweisen. Ich sage es nur, um deutlich zu machen, mit welchem Geist tatsächlich in der sogenannten DDR dieser negative Beitrag zur Entspannung in unserem eigenen Lande geleistet wird.
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Natürlich ist das wichtigste Instrument in diesem Kampf gegenwärtig die sogenannte Jugendweihe. Man kann das, was sich auf diesem Gebiet jetzt drüben vollzieht, gar nicht ernst genug einschätzen. Die Jugendweihen werden in der sogenannten DDR systematisch zu einem integrierenden Bestandteil der kommunistischen Erziehung gemacht. Dabei ist der Gelöbnistext gar nicht allein entscheidend. Es ist auch nicht entscheidend, daß die Jugendweihe noch nicht zu einer staatlich-obligatorischen Einrichtung gemacht worden ist. In einem totalitären System genügt es bekanntlich, wenn die totalitäre Staatspartei den Willen hat, etwas wirksam werden zu lassen, auch wenn es formal nicht Gesetz ist.
Das Entscheidende und das Verhängnisvolle in dieser Entwicklung ist, daß man die Jugend in Mitteldeutschland nun in eine völlig wesensfremde atheistische Ideologie hineinzudrängen sucht und daß man damit einen tiefen Graben weltanschaulicher Entfremdung und sogar weltanschaulicher Verfeindung mitten durch unser Land zu legen versucht.
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Wenn es sich nur darum handelte, in freier Auseinandersetzung Standpunkte zu klären und die Weltanschauungen gegenüberzustellen, wäre vom Standpunkt der Toleranz aus nichts dagegen zu sagen. Aber die Wirklichkeit dort drüben ist ja wieder ganz anders. Die Wirklichkeit ist, daß die eine, die materialistische Weltanschauung sich die gesamte Macht, die gesamten Möglichkeiten des Apparats zunutze macht und daß die andere Seite mit allen Mitteln verhindert wird, in dieser Auseinandersetzung in Freiheit ihre Meinung zu sagen und aufklärend zu wirken. Ich erinnere z. B. daran, daß jetzt da drüben, um diesen Kampf durchzusetzen, die gesamte Lehrerschaft systematisch in den Dienst dieser atheistischen Jugenderziehung gestellt wird. In der „Deutschen Lehrerzeitung" wird gesagt: „Eine besondere Aufgabe haben dabei naturgemäß die Lehrer." Und dann: „Die Lehrer sind dazu besonders berufen." Auch die Elternbeiräte werden eigens dazu aufgefordert. Die Lehrer werden gezwungen, Reverse zu unterschreiben, in denen sie sich verpflichten müssen. Im Zeitalter des angeblichen Wunsches nach Entspannung, den die östliche Seite uns in so zahlreichen Erklärungen einreden will, in diesem Augenblick werden da drüDeutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 233. Januar 1958 353
ben die Eltern, wird die Lehrerschaft, werden die Kinder unter den schlimmsten Gewissenszwang gestellt. Wenn sich dann die Kirchen gegen den Gewissenszwang wenden und die Eltern auf diese Dinge aufmerksam machen, wird das einfach abgetan als ein „Bekenntnis der Gegner unseres Arbeiter- und Bauernstaates zur NATO-Politik". So also müssen sich gegenwärtig die Menschen drüben in der Zone unter dem Zeichen des Entspannungswillens mit diesem Regime, das unter dem Schutz der Sowjetunion steht, auseinandersetzen.
Es darf auch nicht übersehen werden, daß sich ein besonders massiver Kampf gegen die Geistlichkeit und gegen die Kirchen als solche richtet. Dabei wird kein Unterschied der Konfessionen und kein Unterschied des Ranges gemacht. Das geht durch das ganze Land der sogenannten DDR. Eine Zählung, die schon vor anderthalb Monaten durchgeführt worden ist, hat ergeben, daß bereits damals in der Presse der DDR über 60 Geistliche jeden Ranges - das geht vom Bischof bis herunter zum Theologiestudenten und Katecheten - diffamierend genannt worden sind. Das geschieht mit dem Willen, sie einzuschüchtern, sie in den Augen ihrer Gemeinden und der Bevölkerung überhaupt herabzusetzen. Man macht auch Sonderaktionen gegen sie. Einwohnerversammlungen, Aktivs werden zusammengerufen, müssen irgendwelche Beschlüsse fassen, denen man von vornherein ansieht, daß sie von einer zentralen Instanz für alle formuliert worden sind. Es werden Hetzschriften herausgegeben. Ich habe vor wenigen Tagen noch aus der Zone eine solche Betriebszeitung des VEB Kombinat Otto Grotewohl bekommen, in der ein Angriff gegen den evangelischen Pfarrer in Böhlen gerichtet worden ist. Meine Damen und Herren, das „Schwarze Korps" und die SS haben das nicht besser oder, wenn Sie wollen, schlechter gekonnt, als es jetzt drüben geschieht.
Das also und vieles andere vollzieht sich gegenwärtig an hemmungsloser antikirchlicher und antireligiöser Kampagne im Einflußbereich und unter dem Schutz der Sowjetunion in der sogenannten DDR. Und in diesen Hexenkessel des Religions-. und Kirchenkampfes, der Erschwerung der menschlichen Beziehungen, der allgemeinen Not und des allgemeinen Druckes sind nun die Menschen in der Zone hineingestellt und sollen sich darin zurechtfinden, sie, die damit rechnen müssen, wenn sie nicht nachgeben, daß ihnen die materiellen Existenzmöglichkeiten erschwert werden, daß ihren Kindern die berufliche Entwicklung genommen wird. Das, meine Damen und Herren, ist die Realität, das ist der Status quo, den wir anerkennen sollen, das ist der gegenwärtige Zustand in Mitteldeutschland, und das ist friedliche Koexistenz in der Praxis, wie sie uns gegenwärtig demonstriert wird.
Als Leitsatz verkündet die Sowjetunion in aller Welt ihre berühmten Prinzipien der friedlichen Koexistenz, in denen auch von Nichteinmischung in die inneren Verhältnisse die Rede ist. In Mitteldeutschland aber wird die Wirklichkeit demonstriert. Wenn die Sowjetunion selber nichts dazu beigetragen haben will, daß das gerade jetzt in dieser Zeit
geschieht, dann scheint es mir um so notwendiger zu sein, darauf aufmerksam zu machen, wie es bei uns aufgenommen werden muß.
Nun noch ein Wort zu dem Weg, den uns die Sowjetunion zur Überwindung der Teilung Deutschlands vorschlägt. Sie schlägt uns ja einen Weg vor, mit derselben monotonen Wiederholung wie das Beharren auf dem Status quo: die Konföderation der beiden deutschen Staaten. Ich darf im Namen meiner Fraktion sagen, daß wir jedes Wort unterstreichen, das in der Regierungserklärung für die Ablehnung dieses Weges gesagt worden ist. Wir erkennen dankbar an, daß sich auch die Redner der einzelnen Parteien in dieser Weise geäußert haben. Ich weiß nicht, ob die Sowjetunion sich darüber im klaren ist - aber man muß es ja unterstellen -, was sie in Wirklichkeit von uns verlangt, wenn sie uns als Weg zur Wiedervereinigung die Konföderation der beiden deutschen Staaten vorschlägt. Das heißt nicht nur einfach, daß man damit den Zonenstaat anerkennt und daß man ihn völkerrechtlich sanktioniert, daß man dem Regime, das dort besteht, also völkerrechtlichen Schutz zubilligt. Sondern das würde dann auch heißen, wir stimmen de facto zu, daß dieses Regime auf unbestimmte Zeit bestehenbleibt.
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Und wir würden damit hinnehmen, daß die 17 Millionen in der Zone sich weiter unter diesem System durchs Leben quälen müssen. Wenn wir das täten, würden wir im Grunde für diese 17 Millionen die politische Kapitulation aussprechen, während sie selber in einer bewundernswerten Weise immer noch und immer wieder widerstehen.
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Man sagt bei der Diskussion der Frage der Wiedervereinigung immer wieder: Wir dürfen doch nicht eine Haltung einnehmen, die der Sowjetunion gewissermaßen eine Kapitulation zumutet. Natürlich hat das etwas Richtiges an sich. Aber zunächst müssen wir davon ausgehen, daß die Sowjetunion mit dem, was sie uns als Weg für die deutsche Wiedervereinigung vorschlägt, uns ganz ungeniert von ihrer Seite aus die Kapitulation zumutet.
Wenn die Welt zur Entspannung kommen soll, dann, so meine ich, kann man in unserem deutschen Bereich jedenfalls eine Entspannung nicht auf den Wegen erreichen, die uns in den offiziellen Äußerungen der Sowjetunion vorgeschlagen werden und die uns in der Praxis ihres Einflußbereichs in Mitteldeutschland vorexerziert werden. Ich vermag jedenfalls in diesem Verhalten keinen positiven sowjetischen Beitrag zur Entspannung in unserem Bereich zu erkennen.
Es wird gesagt - ich erwähnte es schon -, daß man zur Wiedervereinigung nicht kommen kann, wenn man der Sowjetunion eine Kapitulation zumute. Das sei irreal. Dabei versteht man dann unter Kapitulation ein Verlangen an die Sowjetunion, sie möge den Weg zur Wiedervereinigung durch freie Wahlen freigeben, und dann werde man hinterher weitersehen. - Man unterstellt der RegieDr. Gradl
rung und den Regierungsparteien gerne - ausgesprochen und unausgesprochen -, wir seien so naiv und hätten eine solche Vorstellung von dem Weg zur Wiedervereinigung.
In Wirklichkeit sehen wir die Dinge natürlich ganz anders. Es war gar nicht nötig, daß der Herr Kollege Mende heute mittag besonders betonte, daß die freien Wahlen doch am Ende der Wiedervereinigung stehen müßten. Was soll das? Daß sich die Wiedervereinigung nicht (in einem einzigen Akt vollzieht, wissen wir alle. Die Wiedervereinigung ist selbstverständlich ein Prozeß. An der Forderung nach freien Wahlen halten wir betont fest, weil in dieser Forderung am deutlichsten zum Ausdruck kommt, daß wir uns eine Wiedervereinigung nur auf einem Wege vorstellen können, der unserem Volk die Möglichkeit gibt, in Zukunft sein Leben und seine innere Ordnung nach eigenem Willen frei zu gestalten.
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Aber, Herr Kollege Mende, wenn etwa in dem Prozeß der Wiedervereinigung dieser Vorgang der freien Wahlen weit hinausgeschoben werden sollte, dann können wir jedenfalls nicht so weit gehen, daß wir erstens einmal dieses Ende ungarantiert hinnehmen und daß wir uns zweitens damit abfinden, daß ein solches Ende in einer nebelhaften Ferne liegt. Auch sind wir natürlich nicht so naiv, wie man uns gern hinstellt, daß wir eine isolierte Erfüllung unseres Verlangens nach Wiedervereinigung für möglich halten. Wir geben das Recht darauf nicht auf und wir haben das Recht dazu. Das kann uns nicht genommen werden. Aber selbstverständlich muß man die Aufgabe, die die Wiedervereinigung stellt, in den größeren Zusammenhängen sehen, im Zusammenhang mit den Fragen der Entspannung, der Abrüstung und der Sicherheit. Wir wissen, daß das ein sehr komplexes Problem ist, daß es komplex betrachtet und auch behandelt werden muß. Die Diskussion über die Wiedervereinigung und über alle diese Fragen in unserem Lande zeigt, daß bitter ernst um diese Erkenntnisse gerungen worden ist. Nun frage ich: was leistet dazu die Sowjetunion als Beitrag? Nichts leistet sie als Beitrag als das unentwegte Beharren auf dem Status quo, auf dem gegebenen Zustand. Hier liegt doch der eigentliche Kern des Übels.
Herr Kollege Mende, Sie fragen nach der Konzeption. Pläne und Konzeptionen, die uns der Wiedervereinigung näherbringen oder die eine Lösung dieses Gesamtkomplexes von Fragen bringen könnten, gibt es weiß Gott zur Genüge. Darauf kommt es doch gar nicht an. Das, worauf es ankommt, ist, daß von der anderen Seite, mit der wir es zu tun haben, nicht immer nur gesagt wird: „Wir verlangen die Anerkennung der Zustände, wie sie sind", sondern daß endlich einmal von dieser Seite aus ein wirklicher Beitrag dazu geleistet wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bin gleich fertig. - Die Diskussion würde heute doch sicherlich völlig
anders verlaufen, wenn von der anderen Seite nicht immer nur dieses Nein zu hören wäre, sondern wenn von der anderen Seite wirklich einmal auch ein konstruktives Wort gesprochen würde. Hier also - ich wiederhole es - ist der eigentliche Kern dieses Übels. Es gehört doch nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie eine echte Entspannung entstehen könnte und welche wirkliche Verbesserung der internationalen Atmosphäre zu erreichen wäre, wenn die Sowjetunion nicht immer nur starr auf ihrem alten Standpunkt in der deutschen Frage verharren würde. Aber solange die Sowjetunion an dieser kommunistischen Position in Mitteldeutschland festhält, so lange ist die Entspannung blokkiert, und zwar nicht durch uns, nicht durch die Christlich-Demokratische Union und nicht durch die Bundesregierung, sondern eben durch die Sowjetunion selbst.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kiesinger hat in seiner beachtlichen Intervention in dankenswerter Weise das Problem der Stilfrage angesprochen. Ich nehme an, daß er dabei unter „Stil" nicht das gleiche gemeint hat, was man sonst „Geschmack" zu nennen pflegt, - also das, worüber sich streiten läßt, - sondern mehr in dem Bezug „Le style c'est l'homme" oder vielleicht in dem Hegelschen Verstand, daß der Stil den Sinn und das Wesen des Inhalts zu bestimmen vermag. - Ich hatte angenommen, Sie hätten es vielleicht so verstanden, und deswegen möchte ich mich ganz gern mit der Intervention des Herrn Außenministers auf die Rede des Kollegen Mende befassen. Ich glaube, wir alle sind Kollegen, wir sind alle füreinander verantwortlich, und wir haben auch alle füreinander einzustehen, wenn wir der Meinung sind, daß man einem von uns nicht so begegnet ist, wie man es in diesem Hause tun sollte. Ich habe den Eindruck, als ob die Sprache des Herrn Außenministers - es ist selten, daß ich das von ihm sagen muß, aber diesmal muß ich es tun - ungefähr die Sprache war, die man im Konvent eines feinen Korps, etwa des Weißen Ringes, gegenüber einer, sagen wir, nicht ganz feinen Turnerschaft übt,
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von der man glaubt, daß sie sich eines unkommentmäßigen Verkehrs befleißige.
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Der FDP nazistische Wahlverwandtschaften vorwerfen hören, könnte einen reizen, nach dem Grundsatz zu handeln: Wenn du ihre Nazis haust, dann haue ich die deinen!
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Aber ich will das nicht tun; wenn ich das täte, läge
darin zuviel tierischer Ernst. Ich glaube aber sagen
zu müssen, daß wir nicht in dieser Weise miteinDr. Schmid ({3})
ander diskutieren sollten. Unsere Diskussionen sollen hart sein, wenn es sein muß, und scharf. Der alte Löwe des Unterhauses, Morrison, sagte mir einmal: „Schärfe der Diskussion im Parlament ist das Lebensblut der Demokratie." Ich glaube, er hat recht. Wir sollten scharf diskutieren und hart, aber wir sollten nicht mit Geringschätzung voneinander sprechen,
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auch nicht in Untertönen, denn das wäre das Ende der Politik in demokratischen Formen.
Herr Kollege Kiesinger, Sie haben uns gesagt - Sie haben das oft getan -, das deutsche Volk, die Wähler hätten der CDU den Auftrag gegeben, die alte Außenpolitik fortzusetzen. Herr Kollege Kiesinger, ich glaube, wir sollten vom Parlament anders denken als nur von einem Konglomerat von Parteien; es ist ein Ganzes. Das deutsche Volk hat diesem Parlament einen Auftrag gegeben, nämlich den, alles zu tun, was unserem Land die Kriegsfurie fernhält, was unser Volk wieder vereinigen kann.
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Es hat uns nicht gesagt, daß wir die Dinge beurteilen sollen, wie der Wähler es im einzelnen tun mag. Ich bitte zu beachten, daß jedes Wort gewogen ist. Ich weiß, daß man mir vorwerfen wird: ich sei ein schöner Demokrat. Das Volk hat uns gewählt, damit w i r auf Grund unserer Beurteilung der Tatsachen und Möglichkeiten die richtige Entscheidung treffen.
Mehrheiten sind kein Urteil über wahr oder falsch, sondern Bezeugung von Motiven, Bezeugung von Wünschen. Die Entscheidung der Wähler vom September 1957, die wir respektieren, entbindet u n s nicht von der Verpflichtung, immer wieder zu prüfen, vor welchen Tatsachen wir stehen - denn Tatsachen wechseln - und welche Chancen sie uns geben, das Notwendige möglich zu machen.
({6})
Was die Praxis der englischen Regierung anbetrifft, Herr Kollege Kiesinger, so haben Sie in einem Recht: Die englische Regierung betrachtet sich durchaus als etwas Eigenes, das dem Parlament gegenübersteht. Aber auch das englische Parlament betrachtet sich als etwas Eigenes, das der Regierung gegenübersteht,
({7})
und eine englische Regierungspartei betrachtet sich im allgemeinen nicht als bloßen Eideshelfer und Büchsenspanner der Regierung,
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sondern eben als ein Element dieses unteilbaren Parlaments. Zu dem Begriff „governed by parliament" gehört bei den Briten auch die Opposition. Es ist noch nie vorgekommen in England - in Großbritannien, im Vereinigten Königreich, wie man heute sagt -, daß der Ministerpräsident eine Sache, die zu den Traktanden des Parlaments gehört,
oder in absehbarer Zeit zu den Traktanden gehören wird, in der Öffentlichkeit behandelte, bevor er dem Parlament Rede und Antwort gestanden hat.
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- Nein, keine Sache, die zu den unmittelbaren Traktanden des Parlaments gehört; denn das würde sich in England auch die Regierungspartei nicht gefallen lassen.
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Dann, Herr Kollege Kiesinger, haben Sie einige Zitate aus der sozialdemokratischen Provinzpresse gebracht. Man hört so etwas immer gern. Aber wie wäre es, wenn man aus der CDU-Provinz zitierte? Das ist doch sicher auch nicht die pädagogische Provinz Wilhelm Meisters.
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Ich meine, wir alle sollten solche Zitate den lokalen Wahlversammlungen überlassen, denen es an Stoff fehlt. Auch Äußerungen von den Bänken - ich sage es mit allem Respekt, Herr Außenminister
- der Europäischen Abendländischen Akademie
({12})
- nein, nein, das geht an eine andere Adresse - sollten wir beiseite lassen.
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Es lohnt sich nicht, solche Dinge hier zu zitieren.
Was den Kollegen Gradl betrifft, so möchte ich ihn berichtigen. Es ist nicht wahr - Herr Kollege Gradl, wenn Sie länger in diesem Hause wären, wüßten Sie das -, daß wir der Bundesregierung vorwerfen, sie habe den jetzigen Zustand Deutschlands zu verantworten, sie habe ihn verschuldet. Das ist nicht richtig. Wir kennen doch die Rolle der Sowjetunion dabei so gut wie irgendein anderer, und wir haben das doch nie verschwiegen. Was wir sagen, ist doch nicht: die Bundesregierung ist schuld, daß Deutschland gespalten ist. Wir sagen vielmehr, daß die bisherige Politik der Bundesregierung uns auf dem Weg, aus diesem bösen Zustand herauszukommen, nicht weiter gebracht hat; das ist es, was wir sagen!
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Sie haben völlig recht, Herr Gradl, die russische Politik zeichnet sich nicht - jedenfalls in den Äußerungen, die an uns gelangen - durch besondere Phantasie aus. Aber ich halte es für falsch, nun zu glauben, daß man auf diese Phantasielosigkeit - Sie selber haben das Wort gebraucht - Sturheit setzen sollte. Ich glaube im Gegenteil, daß diese Phantasielosigkeit uns geradezu zwingt, um so mehr eigene Phantasie aufzuwenden, um die Lage aufzuweichen!
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- Herr Kollege, ich will versuchen, dazu noch etwas zu sagen.
Dr. Schmid ({16})
Die Politik einer Reihe von Staaten in Ost und West steht heute im Zeichen der Rüstung, einmal, weil man fürchtet, angegriffen zu werden - jeder fürchtet es von jedem -, dann, weil man glaubt, sich militärisch immer stärker machen zu sollen, um politisch in die optimale Verhandlungssituation zu kommen, - also entweder stärker zu werden als der andere oder zu warten, bis der andere schwächer geworden ist als man selber. Aus diesem primitiven Stärkekomplex ist das Wettrüsten dieser Zeit entstanden, mit ihm weitgehend politische Unsicherheit, politisches Ressentiment, das das klare Denken oft kränkt. Jedes Mehr bei sich selber löst ein Hurragefühl aus, jedes Weniger, das man bei sich feststellt, Niedergeschlagenheit. Ein Sputnik konnte eine große Nation mehr als nur nervös machen! Wo das Selbstbewußtsein wankt, besteht die Gefahr, daß Überkompensationen vorgenommen werden, und was das heißt, das haben wir doch schon erlebt.
Das Wettrüsten wird immer ruinöser, ein Ende ist nicht abzusehen. In manchen Ländern hat es schon in die Inflation hineingeführt. Die Stimmung in den Völkern - wenigstens in manchen Völkern - wird immer mehr erhitzt. Man kann ein Ende mit Schrecken befürchten. Parallel damit geht eine stille Offensive im Vorderen Orient, wo der Westen eine Position nach der anderen verliert, ohne daß die Sowjets einen Soldaten in Bewegung zu setzen brauchten. Der Westen verliert dort seine Positionen vielleicht auch und, wie ich glaube, nicht zuletzt, weil das Wettrüsten Hilfeleistungen produktiver Art an die Völker dieses Teils der Erde unmöglich macht.
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Beim Wettrüsten sind die totalitären Staaten leider im Vorteil; die können ihren Völkern zumuten: „Lieber Kanonen statt Butter!" Wir haben das erlebt. Demokratien können das, Gott sei Dank, nicht; denn dann sagen die Völker: „Nein, so haben wir nicht gewettet!" Das ist gut und schön und das ist die Zierde und der Ruhm der Demokratie. Aber seien wir uns klar darüber: wenn man Politik auf Wettrüsten abstellt, dann sind die totalitären Regime im Vorteil; sie haben damit von vornherein einige Punkte voraus. Deswegen sollte man sich überlegen, ob man sich auf eine Politik einlassen oder bei einer Politik bleiben soll, zu deren Wesen nun einmal das Wettrüsten gehört.
Natürlich wäre es das Törichtste, was es gibt, Schwäche anzustreben, weil Schwäche etwa besser wäre als Stärke;
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das wäre ein Unsinn. Ich glaube nicht, daß Sie mir zutrauen, daß ich so unsinnig denke. Aber ich meine, man könnte die heute noch bestehende Gleichgewichtslage nützen, um Voraussetzungen für eine Änderung der politischen Interessenlage und damit für eine Veränderung der Konstellationen sowie für eine Verbesserung der Chancen zu schaffen, die für unsere Lebensinteressen entscheidenden Probleme lösen zu können.
Es scheint mir auf jeden Fall verkehrt, an die Stelle politischer Denkformen - die immer beweglich sein und immer auf Bewegung ausgehen müssen - das quantitativ operierende Denken aus der Vorstellungswelt der Strategie zu setzen, die immer starr ist und darum leicht zu Bruch geht.
Natürlich gibt es keine ernsthafte Politik, ohne daß man strategische Verhältnisse berücksichtigte - das ist auch eine Binsenwahrkeit -; aber man kann politisches Denken nicht durch strategisches Kalkül ersetzen. Wohin es führt, wenn dies geschieht, hat man vor einigen Jahrzehnten beim Schlieffen-Plan gesehen. 1914 hat man, statt Politik zu machen, Generalstabsdenken praktiziert, und man hat damit den Krieg verloren, politisch zuerst, dann auch militärisch.
Was nun dieses Denken aus der Vorstellungswelt der Strategie betrifft, so scheint es mir um so weniger erlaubt zu sein, sich darauf zurückzuziehen, wenn dieses strategische Kalkül auf Hypothesen über die Glaubwürdigkeit fremder Regierungen beruht. Denn das zu entscheiden ist nicht Sache der Generale; das zu entscheiden ist Sache der Politiker.
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- Na, lesen Sie doch das Gutachten der Generale.
Wenn man das politische Denken durch solches quantitativ-strategische Denken ersetzt, wird das den Rückzug auf die politische Ideenlosigkeit, auf den Verzicht auf Politik überhaupt bedeuten; letztlich bedeutete es, daß man sich vom Gegner in eine Sackgasse manöverieren ließe und sich schließlich die Marschroute von ihm vorschreiben lassen müßte.
Statt auf eine Bombe anderthalb Bomben setzen zu wollen, ohne - leider - viel Aussicht, dabei zu gewinnen, sollte man versuchen, Methoden und Ziele der Außenpolitik ausfindig zu machen, durch die man die Tendenz zum Wettrüsten gegenstandslos machen kann. Dabei sollte man alle Hoffnung darauf fahren lassen - wir müssen leider diese Hoffnung fahren lassen -, daß der Sowjetunion der Atem ausgehen könnte. Ich rufe in Erinnerung, daß sich die industrielle Produktion der Sowjetunion seit 1920 etwa verfünfzigfacht hat und daß diese Produktion die Tendenz hat zu wachsen, und vielleicht nicht nur im arithmetischen Verhältnis.
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Dabei geht es nicht, ohne daß man anerkennte, daß auch die Sowjets Interessen haben, Interessen, die uns gar nicht gefallen können, die aber existieren! Bei Interessen kommt es nun leider Gottes ausschließlich darauf an, ob einer glaubt, sie zu haben. Es hat keinen Sinn, ihm vorzurechnen, daß er sich dabei täuscht. Er meint es nun einmal und verhält sich dementsprechend. Das Subjektive ist in der Politik sehr oft ein Faktum, und gerade bei Interessenfragen ist das so. Ihre Interessen beruhen zum Teil in strategischen Positionen. Diese stehen für die Russen teils auf der Haben-Seite, teils auf der Soll-Seite des Buches der Geschichte dieser Zeit. Für die Aufgabe der Positionen, die auf der HaDr. Schmid ({21})
ben-Seite zu ihren Gunsten stehen, werden sie etwas heraushaben wollen, und für den Ausgleich der Positionen, die auf der Soll-Seite stehen, werden sie vielleicht bereit sein, etwas zu geben.
Das ist die Formel im Abstrakten. Die Frage ist, wie man sie konkretisiert. Ich will versuchen, auch darüber zu sprechen. Ich bin nicht gewohnt, nur in Abstraktionen zu denken, ich denke am allgemeinen recht konkret. Das gehört u. a. auch zu meinem Beruf, und ich habe diesen Beruf, wie Sie wissen, ja nicht aufgegeben, obwohl ich ins Parlament gegangen bin.
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Do ut des! Wo man nicht zwingen kann, muß man bereit sein, Gegenleistungen zu machen, - eine ganz einfache Binsenwahrheit. Dabei muß man gelegentlich auch an die Frage des Zeitpunktes denken. Da fallen einem manchmal so alte Geschichten ein - Frau Kollegin Weber, Sie haben sie sicher auch nicht vergessen -, die Geschichte von den Sibyllinischen Büchern zum Beispiel. Es ist ganz nützlich, sie gelegentlich nachzulesen.
Man sollte bei seinen politischen Entschlüssen von den gegebenen Machtverhältnissen ausgehen. Anders geht es nicht. Man muß dabei die Risiken kalkulieren. Ich bin der Meinung - ich mag mich täuschen, aber meine Meinung ist es -, daß das Risiko des Beharrens das größte Risiko wäre, größer jedenfalls, als wenn wir versuchten, die Dinge mit Wagemut in Bewegung zu bringen.
Natürlich hat es keinen Sinn, nach Utopia zu
blicken. Es ist auch nicht Zeit, an den ewigen Frieden zu denken. - Denken sollten wir immer an ihn, ja, aber es so zu tun, als könnten wir ihn herbeizaubern, nein, das geht nicht. - Auch der Weltstaat ist heute noch sehr, sehr, sehr weit entfernt. Und die UNO? Ich glaube, die UNO hat uns davon überzeugt, daß auch internationale Gremien uns nicht davon dispensieren, Politik machen zu müssen, d. h. mit Machtverhältnissen zu rechnen. Dessen sollten wir eingedenk bleiben.
Was bleibt denn? Vielleicht eines: Daß man den schlimmsten Faktoren dieser Welt der Machtverhältnisse einiges von ihrer Virulenz nimmt. Das Schlimmste scheint mir die gegenwärtige Form zu sein, in der sich das militärische Denken der Regierungen und damit auch ihr politisches Denken vollzieht. Mit anderen Worten, man sollte den Versuch machen, die Rüstungen zu beschränken.
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- Warten Sie! Ich sage etwas dazu. Ich weiß genau, was Sie mir zurufen werden. Ich vermisse bisher das übliche „Aha".
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Aber offenbar scheint sich der neue Bundestag andere Sitten angewöhnen zu wollen. - Sehen Sie, die Abrüstung ist bisher gescheitert. Denn jeder verstand unter Abrüstung die Abrüstung des anderen,
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qualitativ und quantitativ.
Wer sich an Atomwaffen stärker fühlte, war dafür, daß man die konventionellen Waffen zuerst herabsetzte. Wer sich auf diesem Gebiet stärker fühlte, der verlangte, daß man zuerst die atomaren Waffen reduzierte. Lesen Sie doch die Verhandlungen des Londoner Unterausschusses nach! Ich habe es getan, Sie können es auch tun. Keiner wollte den Vorteil aufgeben, den er hat. Leider! Aber es ist eine Tatsache.
Ich bin der Meinung, daß Abrüstung als eine umfassende Maßnahme heute keine Chance hat. Die allgemeine Abrüstungskonvention, auf die man hinauswollte, als man die UNO schuf, wird noch lange auf sich warten lassen müssen. Da sind eine ganze Reihe von Voraussetzungen nicht gegeben, ohne deren Vorhandensein sie nicht wahrscheinlich ist. Aber vielleicht kann man einiges Wenige tun, weil es, obwohl es ein Weniger ist, doch etwas nutzen kann. Man könnte z. B. damit beginnen, dem Wettrüsten, d. h. der Steigerung der bisherigen Rüstungen, ein Ende zu machen, indem man z. B. zunächst auf die Testexplosionen verzichtet. Es ist gesagt worden, damit werde man nicht sehr viel erreichen; viel wichtiger sei - das ist natürlich richtig, und es wäre besser -, die Fabrikation von A- und H-Bomben auf beiden Seiten des politischen Meridians überhaupt einzustellen. Aber mit der Einstellung der Testexplosionen wäre doch wenigstens et was geschehen! Der irre Wettlauf nach immer perfekteren Selbstmordwaffen wäre gestoppt, von den moralischen Rückwirkungen auf die immer mehr in Lebensangst versinkenden Menschen ganz abgesehen. Meine Damen und Herren, verkennen wir doch die Bedeutung moralischer Rückwirkungen nicht!
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Ein anderes! Man könnte doch verhindern, daß der Besitz atomarer Waffen weiter gestreut wird, als er schon gestreut ist.
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Ich glaube, daß es eine schlimme Sache wäre, wenn außer den bisherigen drei Atommächten weitere Mächte Atomwaffen in die Hand bekämen. Stellen Sie sich vor, die Bundesrepublik bekäme welche! Dann wird doch die Sowjetunion den Polen, den Tschechen und anderen auch welche geben!
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Dann wird die Türkei welche haben wollen, dann bekommt Syrien auch welche und Ägypten bekommt welche. Stellen Sie sich vor, wie groß dann die Chance noch sein kann, daß man jemals zu einer Begrenzung dieser Teufelswaffen kommt! Ich sehe dann keine Chance mehr.
Deshalb meine ich, daß eines der Hauptanliegen sein sollte, den Besitz von Atomwaffen auf die Mächte zu beschränken, die heute schon welche haben.
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Denn es ist nichts falscher - ich meine damit nicht die Bundesrepublik -, als wenn manche Mächte glauben, sie müßten sich verlorengegangenen Großmachtlorbeer dadurch neu verschaffen, daß auch sie
Dr. Schmid ({30})
jetzt ihre eigene Atombomben machen, irgendwo in irgendeiner Wüste! Ich glaube, sie gewinnen dabei nichts, und die Welt verliert dabei sehr viel.
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Ich sage das ohne Überheblichkeit, ohne moralisch zensieren zu wollen. Ich würde das genauso sagen, wenn es sich um mein eigenes Land handelte.
Das alles ist natürlich sehr schwer, das weiß ich auch. Aber es ist leichter zu erreichen als die Perfektion. Ich meine - und hier bin ich ganz Ihrer Auffassung, Herr Kiesinger -, wir müssen mit einem stufenweisen Vorrücken schon recht zufrieden sein. Die Frage zwischen uns ist nur die, ob, was ich für eine Stufe halte, die nach oben führt, für Sie auch eine Stufe nach oben ist oder eine Stufe nach unten.
Diese Dinge aber sollte man nicht so sehr unter militärischen Erwägungen überdenken als unter politischen. Außenpolitik besteht doch letztlich darin, daß man über das jeweils Bedrohlichste und über die Voraussetzungen seiner Beseitigung verhandelt und daß man die Verhandlungen darüber mit den am Bestand Interessierten ebenso führt wie mit den an der Veränderung Interessierten. Man kann sich nämlich seine Verhandlungspartner nicht aussuchen. Man ist gezwungen - wenn man überhaupt Lösungen will -, gerade mit dem zu verhandeln, dessen Verhalten einem das Beharren im jetzigen Zustande am unleidlichsten macht. Ich möchte sagen: Mit seinen Freunden braucht man nicht zu verhandeln; aber mit denen, die einem das Leben schwermachen, muß man verhandeln. Dazu ist man verurteilt als Staat und als Regierung, und das Amt einer Regierung ist schwer.
Was ist aber heute das Bedrohlichste? Was blokkiert denn die Möglichkeiten, die drängendsten Probleme politisch zu lösen? Doch im wesentlichen eines: die Atomwaffen und ihre Einstellung in die politischen Gleichungen der Mächte! Solange das so ist, wird nichts zur Ruhe kommen, solange wird keines der Probleme, die uns auf den Nägeln brennen, gelöst werden können. Denn jedes territoriale Problem hängt mit der Bewertung eines Gebiets als Faktor der atomaren Strategie zusammen. Es gibt heute kaum ein territoriales Problem - z. B. die Spaltung Deutschlands -, das nicht letzten Endes mit dadurch bedingt wäre, daß die eine und die andere Seite fragen: Wie wirkt sich eine Veränderung oder die Beibehaltung des jetzigen Zustandes auf unsere Chancen aus, unsere atomare Ausrüstung strategisch optimal verwerten zu können?
Deswegen glaube ich nicht - es fällt mir nicht leicht, das zu sagen -, daß man diese Probleme allein aus sich heraus lösen kann. Man wird sie nur lösen können, fürchte ich, wenn man sie militärisch uninteressant gemacht hat, wenn man die militärische Virulenz aus dem Problem herausgenommen hat.
Man kann sich über die Methoden streiten. Ich halte nichts von der epistolaren Diplomatie, die heute üblich geworden ist. Sie ist, wenn man so will, eine Methode, Propaganda zu machen, vielleicht eine
sehr wirksame. Ich bin jedenfalls nicht überzeugt, daß wir darauf immer in der richtigen Weise propagandistisch reagiert haben; das ist eine Sache für sich. Aber Politik im Sinne von Schaffung von Tatsachen, durch die reale Verhältnisse verändert werden, kann man so, glaube ich, nicht machen.
Ich für mein Teil halte auch nicht viel von der Konferenzdiplomatie, die man uns 1919 beschert hat; von Gipfelkonferenzen nur dann etwas, wenn vorher schon die Arbeit geleistet worden ist, auf die es ankommt.
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Das ist wirklich meine Meinung, und etwas, was ich sage, ist doch nicht schon deswegen falsch, weil es auch von Ihnen gesagt worden ist!
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Ich meine, man sollte es mit der guten, alten, klassischen Diplomatie versuchen. Ich sage das heute nicht zum erstenmal. Ich glaube, daß ich das in diesem Hause schon vor neun oder acht Jahren gesagt habe;
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ich habe es auch in Straßburg oft genug gesagt. Das hängt nicht damit zusammen, daß ich eine besondere Vorliebe für bestickte Fräcke hätte, ganz und gar nicht. Aber ich bin der Meinung, daß Verhandeln eine Sache ist, die man am besten nicht vor aller Öffentlichkeit betreibt, und daß der Mann, der das letzte Ja und Nein zu sagen hat, das nicht in der Atmosphäre des Verhandlungszimmers zu tun haben sollte, sondern es in der Kühle seines Büros zu Hause tut, nachdem er die Berichte seiner Unterhändler studiert hat. Das zur Methodenfrage. Ich glaube, daß wir uns hier vielleicht einigen könnten. Das wäre schon etwas.
Aber da ist noch etwas anderes. Sehen Sie, die Abrüstungsverhandlungen sind unter anderem - mit einer Reihe anderer Gründe - deswegen gescheitert, weil man sich darauf beschränkt hat, es ausschließlich mit der quantitativen und qualitativen Methode zu versuchen: soundsoviel Soldaten, die und die Art von Waffen. Ich glaube, daß bei dieser Methode die Verhältnisse aus Gründen, die hier niemand zu verantworten hat, nicht reif gewesen sind.
Vielleicht käme man weiter, wenn man die Methode änderte, indem man es mit einer regionalistischen Methode versucht. Diese Methode ist nicht neu; sie ist recht alt. Schon im Westfälischen Frieden - verzeihen Sie den historischen Exkurs; Herr Kollege Maier, wir Schwaben haben es nun mal gern mit der Geschichte - hat man eine gefährliche Wetterecke der damaligen Weltpolitik aus dem Kräftefeld ausgeklammert, die Scheldemündung, weil man wußte: Wenn dieser Platz im Spiel ist, ist der Anreiz zu Kriegen groß; also klammern wir ihn aus. Das hat sich einige Jahrhunderte lang sehr vorteilhaft ausgewirkt. Dann hat man die Schweiz neutralisiert; nicht so sehr, um die Eidgenossen zu schoDr. Schmid ({35})
nen, sondern um ein Durchmarschgebiet aus dem politischen Kalkül auszuklammern, ein Gebiet, das man brauchte, wenn man in Oberitalien Krieg führen wollte oder von Süden her in dem süddeutschen Raum zwischen Donau und Bodensee. Dann hat man es mit Belgien so gemacht - das Band ist 1914 zerschnitten worden, immerhin hat es einige Jahrzehnte lang gehalten -; dann hat man die ÅlandInseln, entmilitarisiert, und auch das hat seinen Nutzen gehabt; man kann wohl sagen, daß die Dinge in der Ostsee nicht so wären, wie sie heute sind, wenn die Åland-Inseln nicht aus dem politischen Kräftefeld des Koordinatensystems der Weltpolitik ausgeklammert worden wären. Ich glaube, daß die Ausklammerung - ich will es einmal pathetisch-summarisch ausdrücken - notwendiger Schlachtfelder - notwendig, wenn bestimmte Staaten miteinander Krieg führen wollen - aus dem Kalkül der Politik auf alle Fälle die Kriegsgefahren vermindert, auch wenn sie sonst nichts weiter bringen sollte.
({36})
Auch wenn es bei den bisherigen Truppenstärken und Bewaffnungsarten bleiben sollte, wäre das schon ein Vorteil. Es wäre nicht der letzte Vorteil, der angestrebt werden könnte; aber es wäre dem bisherigen Zustand gegenüber ein Vorteil.
Man spricht davon, daß eine solche Politik den Status quo zementiere. Meine Damen und Herren, ich kann das nicht verstehen. Der Status quo wird doch am härtesten zementiert, wenn die Dinge so bleiben, wie sie heute sind!
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Durch Ausklammerung dieses Gebiets - von dem ich nachher sprechen werde - wird eine Lockerung doch eher erleichtert als erschwert!
Die Anerkennung des Status quo - um es hier klar zu sagen - kommt für uns nicht in Frage.
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- „Aha!" Jetzt kommt das bekannte „Aha!"
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Eine solche Anerkennung kommt nicht in Frage.
Die Frage ist, wie man aus dem Status quo herauskommt. Sicher nicht schon dadurch, daß man erklärt
- wie der Kollege Gradl -, daß er schrecklich ist. Das ist er. Aber diese Erklärung für sich allein nützt nichts. Man kommt nur durch politische Arbeit heraus. Politische Lösungen setzen aber wahrscheinlich militärisch-strategische Lageberichtigungen voraus. Das ist es, was ich in Straßburg gesagt habe und was gelegentlich falsch interpretiert worden ist.
Solcher politischer Lösungen gibt es wahrscheinlich in der Theorie sehr viele, nur eine wird aber stechen. Ich sprach zu Beginn von der politischen Phantasie. Ohne sie ist Politik nicht möglich. Nur muß es eine wissenschaftlich exakt operierende Phantasie sein. Ich glaube damit nicht mißverstanden zu werden.
Was in der Berliner Erklärung der Botschafter der NATO-Mächte letztes Jahr gesagt worden ist, halte ich für keine gute Lösung. Natürlich war es gut, daß die Botschafter gesagt haben: „Unsere Regierungen stehen hinter der Wiedervereinigung Deutschlands." Das war gut, und dafür hat man zu danken. Aber nicht gut war es, daß sie dazu hier gesagt haben, die Regierung eines wiedervereinigten Deutschlands müsse frei sein, sich unter Umständen für den Eintritt ganz Deutschlands in die NATO zu entscheiden. Die Londoner „Times" hat darüber einiges Beachtliche gesagt. Sie hat gesagt: Wenn dem so sei, wenn die Mächte das wollten, dann sollen sie doch jeden Gedanken an die Wiedervereinigung Deutschlands begraben! Es ist doch so: Vor einer Wiedervereinigung Deutschlands muß leider Gottes die Einigung der interessierten Mächte über den politischen und militärischen Status dieses wiedervereinigten Deutschlands erfolgt sein!
({40})
Solange eine Seite fürchten muß, daß die Regierung
des wiedervereinigten Deutschlands auf die andere
Seite geht, wird sie doch nicht grünes Licht geben!
({41})
Man hat Herrn Dr. Mende vorgeworfen, er habe von uns gelernt. Nun, es wäre keine Schande, auch von uns zu lernen. Warum denn? Auch wir haben von anderen gelernt.
({42})
- Aus Ihren Fehlern haben wir auch gelernt; aus eigenen auch.
({43})
Wir sollten uns nicht genieren, das zu sagen. Wir sollten immer lernen! - Herr Kollege Kunze, ich glaube, wenn Sie mir zunicken, so tun Sie es aus tiefstem Herzen.
({44})
Wenn wir nicht bereit sind, bei Verhandlungen politischer Art das Problem des politischen und militärischen Status des wiedervereinigten Deutschlands in die Verhandlungen hineinzugeben, dann kommt es eben nicht zur Wiedervereinigung. Es ist schrecklich, aber es ist so.
Ich glaube jedoch, daß man noch etwas anderes tun sollte. Ich glaube, man muß, was die Reihenfolge der Maßnahmen, die man anzugehen hat, anlangt, umdenken und auch Umkehrungen in den Methoden vornehmen. Ich habe früher selber geglaubt - sehen Sie, ich spreche auch von meinen Fehlern! -, zunächst müsse man die politischen Probleme lösen, insbesondere die territorialen, dann könne man entspannen, und dann könne man auch abrüsten. Die Erfahrung hat gezeigt, daß das falsch gedacht war. Zumindest wäre es falsch, wenn ich es heute noch dächte. Vielleicht war es damals unter den damaligen Voraussetzungen nicht falsch; heute wäre es falsch. Ich glaube, daß man heute wohl so denken muß: Erst muß man Schritte auf dem Wege zur Abrüstung getan haben, dann sind im Verhältnis zu diesen Schritten politische Lösungen möglich,
Dr. Schmid ({45})
Natürlich meine ich das nicht so, daß der eine alles zu kriegen hat, so daß man nachher als der Geprellte dasteht.
({46})
- Aha!
({47})
- Ja, das Vokabular der verschiedenen Menschen ist verschieden groß.
({48})
Und dann gibt es gewisse Urlaute, die selbst dem Weisesten auf die Zunge kommen können.
({49})
Ich glaube, daß der Versuch, auf dem Wege der Abrüstung voranzukommen, damit beginnen müßte, daß man gewisse Bereiche Mitteleuropas militärisch uninteressant macht. Das ist auch kein neuer Gedanke. Hier in diesem Hause haben ihn unser verstorbener Kollege Pfleiderer und unser Kollege Lütkens öfters angesprochen. Man sprach damals von militärisch verdünnten Zonen. Eden hat dasselbe getan, als er Ministerpräsident des Vereinigten Königreichs war. Seine Pläne hat man sich totlaufen lassen. Heute haben wir den Vorschlag Rapackis, heute haben wir die Vorstellungen Kennans.
Was den Rapacki-Plan betrifft, so meint doch keiner von uns, daß man nur auf den Tisch zu greifen, und ihn anzunehmen braucht. Natürlich muß auch darüber verhandelt werden.
({50})
Aber der Vorschlag ist ein möglicher Ausgangspunkt für Verhandlungen, von denen heute niemand weiß, wohin sie schließlich führen würden. Sehr häufig kommt man ja zu etwas anderem, als man anstrebte. Die Alchimisten des Mittelalters wollten Gold suchen. Sie haben es nicht gefunden; aber sie haben Blei und Zinn gefunden, und die moderne Chemie geht letztlich auf sie zurück. Ich will damit sagen, daß Verhandeln oft den Wert haben kann, daß dabei etwas anderes abfällt, als was man eigentlich angestrebt hatte - oft etwas Nützliches. Wenn etwas gefährlich abfallen sollte, muß man sich eben vorsehen. Politik ist eine Sache, bei der es nicht ohne Risiken geht. Wenn Sie jedes Risiko ausschließen wollen, dann bleibt doch nur übrig - verzeihen Sie mir, Herr Kollege -, daß wir uns offen zum Biedermeier bekennen.
({51})
Das Gebiet, das Rapacki meint, soll Deutschland, Polen und die Tschechoslowakei umfassen. Es sollen dort keine Atomwaffen irgendwelcher Art stationiert sein. Natürlich hat das nur einen Sinn, wenn dieses Gebiet wirksam kontrolliert wird, wobei ich Ihnen gleich sagen möchte, daß ich keinen Vertrag unterschreiben würde, in dem nur stünde „Kontrolle", sondern nur, wenn er einen Katalog von Kontrollmaßnahmen enthielte.
({52})
- Aha! Die Urlaute!
({53})
Ich muß gestehen, daß solche Zwischenrufe die Diskussion beleben.
({54})
Man hat die Initiative Rapackis zu entwerten versucht, indem man sagte, das sei ja keine eigene Initiative Polens. Nun, ich kann nicht in das Gehirn von Herrn Rapacki hineinschauen; ich weiß nicht, was er denkt. Nur eines möchte ich sagen - ich habe es schon in Straßburg gesagt -: wir sollten von den Polen nicht immer als „Satelliten" sprechen. Immerhin hat dieses Volk gezeigt, daß es imstande ist, sein Schicksal in recht wirksamer Weise innerhalb bestimmter Möglichkeiten selbst in die Hand zu nehmen.
({55})
Was die Polen in dieser Zeit geleistet haben - Sie wissen, was ich meine -, ist aller Ehren wert.
({56})
Ich meine, daß ein solches Volk doch durchaus imstande ist, auch außenpolitisch von seinem Interesse aus zu denken, und vielleicht könnte es sein, daß man in Warschau der Meinung ist, das Interesse Deutschlands könnte auf Gebieten, auf denen beide Staaten gefährdet sind, mit dem Interesse Polens identisch sein.
({57})
Das zu überdenken und sich hier zu informieren, ist zumindest der Mühe wert, und schon deswegen sollten wir in Warschau einen Botschafter haben, damit man fragen kann!
({58})
Nun gibt es Leute, die sagen: Ach der Rapacki-Plan, der ist doch ganz unerheblich; bei der heutigen Reichweite der Raketen ist es doch sinnlos, ein paar hundert Kilometer auszuklammern! Wenn es wahr ist, wenn es keinen Wert hätte, dieses Gebiet zu „entnuklearisieren", wie das neue Wort heißt, dann ist es auch in positivem Sinne bedeutungslos, ob dort Atomwaffen stehen.
({59})
Im übrigen sagt man, man könne über den Rapacki-Plan nur verhandeln, wenn man die DDR an- erkenne. Das ist nicht richtig. Es genügt doch völlig, daß die Mächte, die Atomwaffen haben - die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien -, untereinander vereinbaren, auf den genannten Gebieten keine Atomwaffen zu stationieren. Da brauchen sie weder uns zu fragen noch die Herrschaften in Pankow, und sie können sich gegenseitig verpflichten, keiner Regierung dieses Gebiets atomare Waffen zu überlassen.
({60})
Dr. Schmid ({61})
- Richtig, Herr Kollege!
({62})
- Nun, ich sagte ja, daß ich nicht bereit sei, den Plan einfach vom Tisch zu nehmen und in meine Tasche zu stecken; aber ihn als Ausgangspunkt zu nehmen - ({63})
- Mit wem? Zunächst einmal würde ich, Frau Kollegin Weber, mit den Polen darüber sprechen.
({64})
Ich glaube aber, daß das nur ein erster Schritt sein könnte und sein würde: Gesetzt den Fall, man käme dazu, Mitteleuropa atomwaffenfrei zu machen, dann würde es wohl auch zur Zurückziehung der Stationierungstruppen aus diesem Gebiet kommen, wobei ich betone, daß nur ein gleichwertiger Rückzug der Stationierungstruppen - so steht es in unserem Antrag - einen Sinn hätte.
Dabei sind Kilometer nicht einfach zu messen, sondern strategisch zu wägen.
({65})
- Dann muß man aushandeln, Herr Kollege. Da genügt es nicht, zu sagen: Das will ich. Der andere wird sagen: Ich will etwas anderes. Dann muß man eben versuchen, ob man sich irgendwo begegnen kann, wo man zustimmen kann oder nicht. Das ist der Sinn des Verhandelns.
({66})
- Aber wenn Sie immer nur dann verhandeln wollen, wenn der andere Ihnen von vornherein schon konzediert hat, was Sie für richtig halten, dann werden Sie nicht sehr weit kommen. Mancher Ihrer Zwischenrufe ist so zu deuten.
({67})
- Ich glaube sie so deuten zu sollen. Wenn ich
mich getäuscht habe, bitte ich sehr um Vergebung.
Auch das bedingt keine Anerkennung des Status quo. Auch hier betone ich und wiederhole ich: der Status quo wird sehr viel stärker festgehalten, wenn beide Teile Deutschlands besetzt bleiben! Zum mindesten würde ein Zurückziehen fremder Truppen aus dem ganzen Raum - ich betone: dem ganzen Raum; das macht für den Westen 200 km, für den Osten 600 km - unsere Lage nicht zum Schlimmeren, sondern zum Besseren ändern. Denken Sie doch an die Freude, die Herr Ulbricht haben würde, wenn die sowjetischen Truppen sich zurückzögen!
({68})
- Sie meinen, er hätte eine Freude? Dann beurteilen Sie ihn anders als ich, Frau Kollegin Weber.
({69})
Was das Militärische betrifft, zwei deutliche Worte - ich habe sie schon anderswo ausgesprochen -: Wenn es zu einem Weltkrieg mit massivem Einsatz nuklearer Waffen größter Ordnung käme, brauchten doch bloß die beiden Giganten über Deutschland zwischen Alpen und Nordsee atomares Sperrfeuer zu schießen, und kein Mensch kann dort mehr Truppen bewegen. Denken wir an den anderen Fall, den Buschfeuerkriegsfall, wie die Amerikaner heute sagen, an den lokalen Konflikt! Glauben Sie nicht, daß unsere Situation strategisch sehr viel besser wäre, wenn in Polen, in der Tschechoslowakei keine Russen stünden und in Deutschland nur Deutsche? Auf jeden Fall würde eine solche Operation das strategische Interesse an Mitteldeutschland vermindern und damit die Verhandlungschancen steigern, Chancen von Verhandlungen, durch die wir vielleicht erreichen könnten, daß der unmenschliche Zustand, von dem unser Kollege Gradl gesprochen hat, zu Ende geht.
Manche sagen, die Sowjetunion werde das nicht annehmen. Ich verstehe, daß man das sagt. Aber schieben wir ihr doch einmal den Schwarzen Peter zu!
({70})
Warum ihr denn die Wiedervereinigungs- und Friedensparolen überlassen? Bieten wir ihr doch einmal Verhandlungen über dieses Thema an! Hören wir, wie sie reagiert, und ziehen wir die Konsequenzen aus der Art, wie sie reagieren wird!
({71})
Aber legen wir in die Verhandlungen nicht bloß die Randprobleme, sondern die Kerne der Problematik hinein! Nur dann haben sie einen Sinn.
Man meint, jetzt, wo die Russen den Sputnik lanciert haben, werde es schwer sein, mit ihnen zu verhandeln. Ich glaube genau das Gegenteil. Mit den Russen kann man wahrscheinlich leicht verhandeln, wenn sie ganz schwach sind und kapitulieren müssen; mit den Russen kann man wahrscheinlich sehr schlecht verhandeln, wenn sie stark genug sind, nein zu sagen, aber nicht so stark, daß sie das Gefühl haben können: Wir könnten eigentlich alles, was wir möchten. Am leichtesten kann man mit ihnen verhandeln, wenn sie das Gefühl haben, wirklich an der Spitze zu sein. - Das zeigt die ganze russische Geschichte.
({72})
- Am leichtesten konnte man mit dem zaristischen Rußland nach der Schlacht bei Leipzig verhandeln
- wegen des gewachsenen Selbstgefühls der Russen. Sie brauchen nur die Dokumente dieser Zeit nachzulesen.
({73})
- Qui gratte le communiste, trouvera le Russe! Wenn es zu einer Vereinbarung dieser Art käme, bestünde auch die Notwendigkeit - und das scheint mir wichtig zu sein und ein Grund mehr, auf eine solche Operation hinzuwirken -, den „RapackiRaum" politisch und militärisch zu organisieren. Dann könnte es möglich werden, ein funktionieren362
Dr. Schmid ({74})
des Sicherheitssystem zu schaffen, nicht auf dem Reißbrett, sondern auf Grund ad hoc geschaffener konkreter politischer Machtverhältnisse.
Und dann müßte man notwendigerweise über das Deutschland-Problem sprechen; denn ohne das läßt sich auf die Dauer der Zustand, von dem ich sprach, nicht halten.
Damit kein Zweifel an unserer Haltung besteht: Wir Sozialdemokraten wollen keine Neutralisierung des wiedervereinigten Deutschlands. Wir wollen aber, daß man bereit sei, über den politischen und militärischen Status des wiedervereinigten Deutschlands rechtzeitig zu verhandeln. Warum dies fürchten? Die Vereinbarung müßte ja u. a. die Unterschrift der Vereinigten Staaten von Amerika tragen!
Zweitens: Wir wollen auch keine Neutralisierung der Bundesrepublik. Wir wollen lediglich, daß die militärischen Vorkehrungen auf ihrem Gebiet durch Vereinbarungen aller Beteiligten beschränkt werden - wie auch in Polen, wie auch in der Tschechoslowakei. Dieses Gebiet ist für uns dabei ein untrennbares Ganzes.
Nun ist hier über die „Werwolf-Strategie" George F. Kennans gesprochen worden. Warum soll auch ein so bedeutender Mann nicht einmal einen skurrilen Gedanken haben können?
({75})
- Nein, das ist kein entscheidender Punkt. Vielleicht denkt er dabei an die alten Zeiten in West-point. Vielleicht reichen seine amerikanischen Vorfahren auch noch in jene Zeit zurück, die wir aus dem Lederstrumpf kennen. Ich weiß es nicht. Atavismen spielen aber gelegentlich eine Rolle.
({76})
Ich halte das für Unsinn, und ich glaube, niemand in meiner Fraktion denkt darüber anders. Aber das nimmt doch dem Plan als solchem nichts von seinem Wert.
Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß in diesem Fall dieser Raum, auch der deutsche Raum, durch ernst zu nehmende Truppenkontingente verteidigt werden müßte, die modern bewaffnet sind
- mit Ausnahme atomarer Waffen.
({77})
Ich sage das klipp und klar und wiederhole es. Ich habe es übrigens schon immer gesagt.
({78})
- Fragen Sie die Generale; die sind der Meinung, daß 12 Divisionen schon sehr viel sind.
Darf ich Sie fragen, Herrr Kollege Schmid, wie Sie das Dilemma lösen wollen, das sich einerseits durch Ihre Forderung nach starken deutschen Kontingenten und andererseits durch Ihre Ablehnung der Wehrpflicht ergibt?
Distinguendum est inter et inter, Herr Kollege Kliesing. Wir lehnen die bisherige NATO-Politik der Bundesregierung ab, weil wir der Meinung sind, daß sie so, wie sie geführt ist - d. h. für sich allein geführt ist -, nicht die Chancen der Wiedervereinigung Deutschlands fördert, sondern diese Chancen kränkt. Deswegen sagen wir dazu nein. Wird aber eine Politik betrieben, die die Chancen der Wiedervereinigung mehrt - und wir glauben, daß die Politik der „Denuklearisierung", verzeihen Sie dieses Wort, Mitteleuropas die Wiedervereinigung fördert -, dann sind wir bereit, daraus die Konsequenzen zu ziehen; denn wir bejahen die Landesverteidigung.
({0})
- Wenn die Unruhe sich gelegt hat, will ich gerne weiter sprechen.
({1})
Solange kein Sicherheitspakt an die Stelle von NATO und Warschauer Pakt getreten ist, kein Sicherheitspakt, in den Gesamttdeutschland einzuplanen wäre, könnten die Bundesrepublik in der NATO und die Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes in diesem Pakt verbleiben. Das hat Herr Ollenhauer heute morgen gesagt, ich wiederhole es.
Nun sagt man, das sei nicht möglich. Warum denn nicht? Militärisch-politisch würde es bedeuten, daß die Vertragsverpflichtungen erhalten bleiben - mit den vereinbarten Modifikationen, was die Truppenstärke usw. betrifft -, daß aber die Hauptkampflinie der beiden großen Blöcke auseinandergeschoben würde und daß die Selbstmordbatterien weiter auseinanderstünden. Das wäre schon ein Vorteil, um den zu kämpfen es sich lohnen könnte!
Man sagt, damit würde das Angriffspotential der Sowjetunion gestärkt und das Verteidigungspotential des Westens geschwächt. Ich bin genau der gegenteiligen Auffassung: damit würden nämlich atomare Überfälle erschwert, und die konventionelle Abwehr würde gestärkt. Die strategische Verteitdigung durch atomare Gegenschläge könnte ja sowieso - das hat uns unser Bundesverteidigungsminister schon mehrmals gesagt - nicht von deutschem Boden ausgeführt werden.
Auf dieser Grundlage könnte man über die Wiedervereinigung Deutschlands mit mehr Aussicht auf Erfolg verhandeln als heute; denn die Verhandlungen würden dann nicht mehr so sehr mit militärisch-strategischen Hypotheken belastet bleiben; es gibt andere Hypotheken, die sie belasten, die schwer genug sind. Wir sollten froh sein, wenigstens eine loszuwerden.
Nun sagen manche, mit den Russen seien keine Vereinbarungen möglich, die ihre politische Position außerhalb ihrer eigenen Grenzen gefährdeten, z. B. solche, die zur Lockerung der Bande führen
Dr. Schmid ({2})
könnten, in denen sie gewisse Völker halten. Was gibt es denn dann noch für Alternativen? Die eine wäre: sie zwingen, mit Gewalt. Was das bedeutet, weiß jeder: den dritten Weltkrieg; den will niemand, auch niemand in diesem Hause, das weiß ich.
Her Kiesinger hat gesagt, die Umstände könnten sie schließlich zwingen. Was sind das für Umstände? Früher, als auf dem Schachbrett noch eine Reihe großer Figuren standen, war das eine durchaus mögliche Art zu denken. Das ist aber heute nicht mehr der Fall. Heute stehen nur noch wenige große Figuren auf dem Schachbrett, zwei Könige, vielleicht noch ein Läufer und einige Bauern ganz weit im Hintergrund.
({3})
- Die sind weg, Kollege Hilbert! Letzten Endes kommt es dazu, daß König gegen König ziehen müßte, und das gäbe ein Remis - das ist der Status quo, aus dem wir doch herauswollen.
Die zweite Alternative wäre: wir warten eben, bis das Regime in Moskau zusammenfällt. Nun, darauf warten wir seit 40 Jahren, seit 41 Jahren bald, und werden wir wohl noch lange warten müssen.
Wenn man das alles nicht will und Vereinbarungen nicht für möglich hält, nun, dann sollte man harte, aber ehrliche Konsequenzen ziehen und sollte sie aussprechen. Ich hoffe, daß niemand so leicht den Mut finden wird, dies auch nur in Gedanken in sich zu vollziehen.
Ich meine, daß wir den Weg, den ich hier aufgezeichnet habe, gehen sollten. Wir sollten auch unsere Partner von der Notwendigkeit, diesen Weg zu gehen, zu überzeugen versuchen. Ich sage ganz offen, daß ich nicht sicher bin, daß wir damit zum Ziele kommen. Wenn dies der Fall werden sollte, nun dann werden wir die Situation neu durchdenken und Konsequenzen ziehen müssen. Vielleicht werden wir nicht gewinnen; auf jeden Fall aber werden wir, wenn wir diesen Weg nicht versuchen, verlieren.
({4})
Im Widerstreit zwischen „Vielleicht" und „Nie" entscheiden wir uns mit Vorsicht, aber entschieden für das Vielleicht.
({5})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich fürchte, ich muß Sie aus dem Höhenflug der Gedanken, den wir soeben von dem Herrn Kollegen Schmid gehört haben, wieder auf den Boden der Erde zurückführen. Ich möchte beginnen - obgleich das vielleicht das Leichtere ist - mit der Abwehr der persönlichen Angriffe, die heute zunächst Herr Mende gegen mich gerichtet hat, dem dann der große Bruder Ollenhauer so tapfer zu Hilfe gekommen ist.
({0})
Herr Mende hat sich heute morgen - nach dem Stenogramm - bitter darüber beklagt, daß den Fraktionen des Bundestages von der Bundesregierung das Initiativrecht gestohlen werde. Ich finde den Ausdruck „stehlen" nicht sehr schön. Ich nehme an, Herr Mende hat ihn nur im übertragenen Sinn des Wortes gemeint. Aber auch Herr Kollege Ollenhauer hat sich darüber beklagt.
Demgegenüber möchte ich folgendes feststellen. Der ursprüngliche Antrag der SPD datiert vom 5. Dezember, die Große Anfrage der FDP vom 11. Dezember des vergangenen Jahres. In der Sitzung vom 12. Dezember, der letzten vor Weihnachten, ist mit Stimmenmehrheit hier im Hause beschlossen worden, die Verhandlung über den Antrag wie über die Anfrage auf den 24. Januar - später vorverlegt auf den 23. - festzusetzen. Sofort am 12. Dezember, sobald der Beschluß hier gefaßt war, ging in der sozialistischen Presse ein Trommelfeuer gegen uns los. Herr Ollenhauer hat mehrfach über den ersten Bulganinbrief gesprochen; der Tagesspiegel, die Stuttgarter Nachrichten, das Hamburger Abendblatt, die Frankfurter Neue Presse, Die Freiheit usw. haben darüber geschrieben.
({1})
Herr Mende hat gesprochen, und am 5. Januar haben Herr Hausmann und Herr Mende in Stuttgart über Außenpolitik gesprochen. Es war geradezu grausam, was ich da las.
({2})
Nicht für uns, meine Damen und Herren, aber es war grausam.
({3})
Und nun soll die Bundesregierung einfach einen Maulkorb angelegt bekommen und nicht mehr das Recht haben, zu sprechen, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, weil die Herren sprechen!
({4})
Meine Freunde, - meine Damen und Herren - verzeihen Sie, es sind nicht alles meine Freunde! -,
({5})
ich nehme das gute Recht für die Bundesregierung und für mich als Chef der Bundesregierung in Anspruch, zu sprechen, wo und wann ich will.
({6})
Ich glaube, das deutsche' Volk ist gar nicht unzufrieden, wenn ich das tue. Im übrigen hat sofort nach mir am selben Abend der Herr Kollege Ollenhauer auch über Rundfunk gesprochen. Darum weiß ich nicht, weshalb denn nun ungefähr das ganze Grundgesetz - laut Herrn Mende - auf den Kopf gestellt worden sein soll.
({7})
Ich habe mich über Mittag, obwohl ich den ganzen
Vormittag mit Andacht gelauscht hatte und müde
war - ich gebe es ohne weiteres zu -, darange364
geben, meine Radioansprache nochmals durchzulesen. Ich lese sehr ungern nochmal etwas durch, was ich gesagt oder geschrieben habe;
({8})
denn wenn ich es weg habe, habe ich genug davon.
({9})
Aber nachdem ich hier so ermahnt worden war, habe ich die Rede noch einmal zur Hand genommen. Ich werde mir gestatten, Ihnen, Herr Kollege Ollenhauer, und Ihnen, Herr Mende, je ein Exemplar zuzuschicken; denn ich kann nur annehmen, Sie haben - was ich wieder von Ihnen verstehen würde - das Radio abgeschaltet, als ich gesprochen habe.
({10})
Was habe ich eigentlich getan? Ich bin geradezu ein Unschuldsengel.
({11})
Ich habe wirklich mit großem Ernst davon gesprochen, daß Herr Bulganin das deutsche Volk in seinem zweiten Brief mit seiner Stellungnahme zur Wiedervereinigung außerordentlich enttäuscht habe. Ich glaube, ich habe damit dem allgemeinen Empfinden des deutschen Volkes ehrlich Ausdruck gegeben.
({12})
Ich habe weiter gesagt, daß wir die Ausführungen
mit Ruhe, mit Sorgfalt und gewissenhaft prüfen werden. Ich nehme an, es ist ein Kompliment für Herrn Bulganin und keine Beleidigung, wenn wir bekanntgeben, wir würden das, was er gesagt hat, sorgsam prüfen. Ich habe gesagt, daß auch wir für eine Konferenz nach geeigneter Vorbereitung wären. Dann habe ich ausgeführt, daß wir den Rapacki-Plan ablehnen müßten. Das ist doch alles nichts Beleidigendes.
Aber wenn Sie bis zum Ende gehört hätten, Herr Mende und Herr Ollenhauer, würden Sie auch gehört haben, daß ich zum Schluß sehr friedliche Worte ausgesprochen habe. Ich habe - das war das letzte Drittel meiner Radioansprache - den Tag in Löwen geschildert, der für mich ein ganz unvergeßlicher Tag war. Ich habe gerade gestern einen Brief des belgischen Außenministers bekommen, der mich hoch befriedigt hat; denn Sie wissen alle, welch besondere Schuld wir gegenüber Belgien abzutragen gehabt haben. In der Radioansprache habe ich ausgeführt: Wenn es gelungen ist, Belgien, das belgische Volk, zu versöhnen, dann müßte es doch auch möglich sein, das russische Volk zu versöhnen, und es müßte doch möglich sein, auch das russische Volk davon zu überzeugen, daß auch für das russische Volk der allgemeine Friede das beste und erstrebenswerteste Ziel sei.
({13})
Ich wiederhole: Ich glaube, Sie haben zu früh abgeschaltet, als Sie am Radio waren. Wenn es auch manchmal nicht angenehm ist, so soll man doch Radioreden, wenn man nachher dazu Stellung
nehmen will, bis zum Schluß ertragen und bis zum Schluß anhören.
({14})
Ich möchte mich jetzt der Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer zuwenden. Es war eine sehr realistische Rede; ich erkenne Ihnen das ohne weiteres als Kompliment zu, Herr Ollenhauer! Ich sehe die ganze Situation in vieler Hinsicht ähnlich wie Sie. Aber trotzdem, glaube ich, muß man der Schilderung der Lage noch einige Akzente hinzufügen. So etwas klang soeben auch in der Rede vom Herrn Kollegen Schmid zum Schluß durch. Wir Deutsche sollten uns nicht einbilden, wir hätten das Schicksal der Welt in der Hand.
({15})
Sie haben es nicht genau so gesagt; Sie haben von den Bauern gesprochen.
({16})
- Verzeihen Sie, wenn ich recht verstanden habe, hat der Kollege Maier gesagt, das Schicksal der Welt hänge an dem Verhältnis zwischen der Sowjetunion und Deutschland. Das ist eben ein ganz großer Irrtum. Der große Gegensatz, der in der Welt leider Gottes besteht, ist doch der Gegensatz zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Um alles das gruppieren sich die kleinen Völker, zu denen auch wir gehören. Wir sind eben keine Großmacht mehr. Es gibt überhaupt keine europäische Großmacht mehr. Darum fällt in der freien Welt, insbesondere auch in der NATO, den Vereinigten Staaten von selbst die Führung zu.
Nun wurde von dieser Seite des Hauses ({17}) über NATO nicht freundlich gesprochen. Seinerzeit wurde von dieser Seite auch der Beitritt zur NATO abgelehnt. Ich darf Sie aber daran erinnern, daß die NATO im Jahre 1949 ins Leben gerufen wurde, als eine Aggression nach der anderen von Sowjetrußland ausging, und daß, seitdem NATO ins Leben getreten ist, keine weitere Ausdehnung Sowjetrußlands in Europa erfolgt ist. Das ist ein großer Erfolg der NATO.
({18})
Ich bin überzeugt - ich kann es nicht beweisen, aber es ist meine Überzeugung -: wenn NATO nicht ins Leben getreten wäre, wenn die Vereinigten Staaten, England, Frankreich und die anderen weiter untätig dem Vormarsch Sowjetrußlands zugeschaut hätten, wäre uns in der Bundesrepublik schon lange, lange dasselbe Geschick zuteil geworden wie der Sowjetzone.
({19})
Ich meine, daran sollte man auch denken und sollte sich klar darüber sein, daß für unsere Freiheit NATO eine entscheidende Rolle spielt. Es handelt sich nicht nur um die Hilfe, die wir uns von der NATO für die Wiedervereinigung erhoffen, es
handelt sich bei NATO auch um den Schutz der 50 Millionen Deutschen in der Bundesrepublik.
({20})
Wir müssen, wenn wir die gegenwärtige Lage analysieren wollen - und glauben Sie mir, ich nehme die Sache furchtbar ernst, und ich bin ganz genau wie Sie, Herr Ollenhauer, der Ansicht: die Situation ist seit 1945 nicht so ernst gewesen, wie sie heute ist ({21})
- Meine Damen und Herren, wenn jemand es nicht ertragen kann, daß der Bundeskanzler sagt, er pflichte seinem Fraktionsführer darin bei, daß die Situation außerordentlich ernst sei, dann habe ich darauf kein Wort zu erwidern.
({22})
Eines muß man bei der ganzen Entwicklung noch bedenken, und das wird leider nicht nur heute, sondern in der deutschen Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet. Der Herr Außenminister von Brentano hat in seiner Regierungserklärung davon gesprochen. Ich meine den Beschluß, den die kommunistischen Parteien der sozialistischen Länder am 16. November in Moskau gefaßt haben. Darin heißt es:
Die kommunistischen Parteien aller Länder werden aufgefordert, die Machtergreifung des Kommunismus auf kaltem Wege oder durch bewaffneten Aufstand vorzubereiten.
Weiter wird in diesem damals gefaßten Beschluß Sowjetrußland ein Interventionsrecht für den Fall zugesprochen, daß es in einem der kommunistischen Länder, die dieses Abkommen unterzeichnet haben, zu einer Erhebung kommt, die das kommunistische Regime stürzen will. Die Länder, die das unterzeichnet haben, sind Albanien, Bulgarien, China, sowjetische Besatzungszone, Nordkorea, Mongolei, Polen, Rumänien, Sowjetunion, Tschechoslowakei, Ungarn und Nordvietnam. Meine Damen und Herren, das ist von Bedeutung, wenn wir uns über den atomwaffenfreien Raum unterhalten. Ich werde darauf zurückkommen.
Einer meiner Herren Vorredner - ich glaube, Herr Kollege Schmid - hat gesagt, Polen und Deutschland hätten eventuell gemeinsame Interessen. Meine Damen und Herren, ein sehr gefährliches Wort für den ersten deutschen Botschafter, der nach Warschau geht!
({23})
- Der Tag wird kommen, natürlich wird er kommen.
({24})
Seien wir uns über eines völlig klar: niemals wird ein deutscher Botschafter durch seine Arbeit in einem der Satellitenstaaten eine Wirkung auf Moskau in einem für uns günstigen Sinne hervorrufen. Das ist völlig ausgeschlossen.
({25})
Auch diejenigen Mächte, die seit jeher Botschafter da haben, geben, wenn man sie fragt, unumwunden zu: Unsere Botschafter in den Satellitenstaaten sind nichts anderes als Beobachter; sie können da natürlich nichts gegen den Willen Moskaus ausrichten.
({26})
Wenn wir also dazu kommen, in diese Staaten Botschafter zu entsenden, dann, glauben Sie mir, werden diese Botschafter von uns gar nicht den Auftrag bekommen, dort auf ihren Posten irgendwie gegen Moskau zu intrigieren.
({27})
- Dann würde ich nicht gesagt haben, daß Polen und Deutschland vielleicht gemeinsame Interessen hätten. Denn diese gemeinsamen Interessen richten sich doch nur auf eine Zurückdrängung des Kommunismus.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Bundeskanzler?
Bitte sehr!
Herr Bundeskanzler, glauben Sie, daß man gemeinsame Interessen nur im Wege der Intrige gegen einen Dritten wahrnehmen kann?
({0})
Nun, dann lassen Sie mich das Wort „Intrige" korrigieren. Keinesfalls kann ein deutscher oder auch ein anderer ausländischer Botschafter in einem Satellitenstaat irgendwie etwas tun, um dieses Land der Herrschaft Moskaus zu entziehen.
({0})
- Dann weiß ich nicht, warum Sie davon sprechen, daß Polen und Deutschland gemeinsame Interessen haben.
({1})
-Sie können es ja nachher erklären.
Nun gebe ich ohne weiteres zu, daß die Situation sehr schwer entwirrbar ist. Aber es ist nicht so, wie einer der Herren gesagt hat, daß bei Abrüstungsverhandlungen der eine von dem andern verlange, er solle abrüsten, aber selbst nichts bieten wolle. Der Herr Kollege Ollenhauer ist meines Wissens auf der Tagung, die unlängst in Paris stattfand, bei der Sozialistischen Abrüstungskonferenz, genauer über das unterrichtet worden, was alles den Russen in London von den Verhandlungspartnern auf der anderen Seite, den Vertretern der Vereinigten Staaten, Kanadas, Frankreichs und Großbritanniens, geboten worden ist. Wer das weiß, wer gelesen und studiert hat, was dort geboten worden ist, der wird
die Abrüstungsverhandlungen sind so geführt worden, daß man verlangt, der andere solle abrüsten, aber selbst nichts tut.
Der ganz klare Beweis dafür ist doch auch, daß in der Vollversammlung der UNO bei wenigen Stimmenthaltungen nur gegen die Stimmen der Sowjetunion und ihrer acht Satellitenstaaten alle anderen Staaten den Vorschlag, der den Russen in London gemacht worden ist, angenommen haben.
({0}) Aber auch da hat Sowjetrußland nein gesagt.
Um den Russen dann noch weiter entgegenzukommen - weil sie es gewünscht hatten -, hat man in der UNO vorgeschlagen, einen neuen, größeren Ausschuß zu wählen, in dem man über die Abrüstung verhandeln könne. Sowjetrußland hat von vornherein erklärt: An den Verhandlungen dieses Ausschusses werden wir nicht teilnehmen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich sage das, damit Sie sehen, daß tatsächlich die freien Völker der Welt, nicht nur die in der NATO verbündeten Nationen - auch wir haben die Sache immer unterstützt, obwohl wir nicht zur UNO gehören und an den Verhandlungen in London nicht teilgenommen haben -, sondern 20, 30, 40 andere Nationen diese Vorschläge als fair und vernünftig anerkannt haben. Rußland hat gesagt: Nein!
Das erschwert es natürlich außerordentlich, neue Abrüstungsgespräche in Gang zu bringen; denn es hat wenig Zweck, sich eine neue Abfuhr von den Russen zu holen. Erst muß - und deswegen auch die Vorschläge - durch Vorarbeiten auf diplomatischem Gebiet, eventuell durch eine Konferenz der Außenminister, versucht werden, eine andere Atmosphäre zu schaffen, damit man nicht von neuem zu einer sogenannten Gipfelkonferenz zusammentritt, die dann wieder auseinanderplatzt, ohne daß sich irgend etwas dabei ergeben hat. Ich bin überzeugt, man wird einen neuen Versuch machen. Der Vorschlag einer Konferenz, wie Bulganin sie angeregt hat, ist ja ungefähr von allen akzeptiert worden unter den Voraussetzungen, die ich soeben skizziert habe. Nach unserer Auffassung muß jeder mögliche Weg mit größter Geduld gesucht werden, der eine, wenn auch geringe, Aussicht bietet, eventuell stufenweise zu einer allgemeinen, kontrollierten Abrüstung sowohl der konventionellen wie der atomaren Waffen zu kommen. Das ist die Richtlinie unserer Außenpolitik.
({2})
Seien Sie überzeugt - und alle, die uns jetzt zuhören und die es morgen in der Presse lesen, mögen auch davon überzeugt sein -: Wir verwenden auf diese Aufgabe unsere ganze Kraft, unsere ganze Geduld, unsere ganze Zähigkeit und, wenn Sie wollen, auch unsere ganze Phantasie. Denn auch wir sind der Auffassung, es muß alles Menschenmögliche getan werden, damit ein neuer Krieg verhindert wird.
({3})
Lassen Sie mich ein Wort zu der sogenannten atomwaffenfreien Zone sagen. Es ist heute morgen schon davon gesprochen worden, daß der Vorschlag nicht neu sei. Als ich noch Außenminister war, habe ich mich unter Zuziehung der Militärs mit meinen Herren zusammengesetzt, und wir haben geradezu mit größter Hingebung versucht, einen Vorschlag zu finden, in Europa eine solche Zone des Friedens oder der geringeren Bewaffnung zu schaffen, kurz und gut, etwas in dem Sinne, wie es soeben hier ausgeführt worden ist. Ich war der Treiber dabei. Aber ich habe mich davon überzeugen müssen, daß man es nicht schaffen kann, daß es wirklich keine Aussicht auf Erfolg bot und jetzt weniger als noch vor wenigen Jahren.
Sie, Herr Kollege Schmid, haben soeben gesagt
- und ich glaube, Herr Ollenhauer hat es auch gesagt -, man müsse die beiden Blöcke auseinanderschieben. Wenn bei uns die einzige Reibungsfläche zwischen den beiden Blöcken läge und wenn es gelingen könnte, die Blöcke weit genug auseinanderzuschieben, dann lohnte es sich, den Gedanken zu verfolgen.
({4})
- Nein, die gefährlichste Reibungsfläche, verehrter Herr Kollege Schmid, wechselt. Bald sind wir es, bald ist es der Mittlere Osten, bald ist es der Ferne Osten. Das ist doch die Taktik Sowjetrußlands, daß es mal hier, mal da Schwierigkeiten hervorruft. Wir sind hier in Europa eine der Reibungsflächen, aber eine relativ nicht große Reibungsfläche. Was soll hier der Russe viel holen?
({5})
Im vorderen Orient ist für ihn ja unendlich viel mehr zu holen. Ich möchte mich darüber hier nicht verbreiten; aber glauben Sie es mir, das ist eine viel gefährlichere Zone, als wir es sind.
Und nun „die Blöcke auseinanderschieben" ! Ich möchte Ihnen da nur mit dem antworten, was Chruschtschow vor einigen Monaten einem Journalisten erklärt hat, und mit dem, was Bulganin in seinem ersten Brief gesagt hat. Chruschtschow hat dem Journalisten gesagt - es stand in der ganzen deutschen Presse -, daß sie die Satellitenstaaten gar nicht nötig hätten, um dort Basen für Raketen aufzustellen. Sie könnten von ihrem eigenen Territorium aus ganz Europa erreichen. Bulganin hat - und zwar, glaube ich, mit Recht - gesagt, daß eine Atomwaffe nicht haltmacht an geographischen Grenzen; ganz abgesehen davon, daß doch, Gott sei's geklagt, die Kriege - wir haben es in den letzten Kriegen gesehen - so verwildert sind, daß die völkerrechtlichen Regeln, die früher eingehalten wurden, kaum mehr beachtet werden. Wie ist es denn Belgien ergangen, dem neutralen Belgien! Und wenn nicht die neutrale Schweiz zwischen Italien und Deutschland gelegen hätte und wenn nicht Mussolini sie Hitler und Hitler sie Mussolini nicht gegönnt hätte, wäre man darüber auch hergefallen.
({6})
Diese atomwaffenfreie Zone hat Bulganin in seinem Brief aufgegriffen. Er hat jedoch eines hinzugesetzt - und jetzt komme ich zur Beantwortung der Frage, die Herr Kollege Ollenhauer heute an mich gestellt hat -: auch die fremden Truppen dürften in dieser Zone keine nuklearen Waffen besitzen. Das, glaube ich, würde das Ende von NATO bedeuten.
({7})
Sie schütteln den Kopf? Ich bin hier nicht in der Lage, verehrter Herr Kollege Ollenhauer - ich bin wirklich nicht in der Lage -, sehr vertrauliche Mitteilungen der Öffentlichkeit preiszugeben. Aber es liegt doch in der Natur der Sache: Wie kann man von den Amerikanern verlangen, daß sie ihre Söhne zum Schutze Deutschlands hierhin stellen einem eventuellen Gegner, dem Russen gegenüber, der Atomwaffen besitzt und sie gebraucht, während sie selbst keine bekommen! Es ist doch völlig klar, daß sich da in den Vereinigten Staaten eine solche Empörung zeigen würde, daß die amerikanische Regierung gezwungen würde, ihre Truppen zurückzuziehen.
({8})
- Bitte sehr!
Lautet der Vorschlag tatsächlich, daß nur die amerikanischen Truppen in diesem Gebiet keine Atomwaffen haben dürften, aber die russischen welche haben dürften?
Nein, Verzeihung, Herr Erler: Vergessen Sie nicht, daß Herr Chruschtschow gesagt hat, sie brauchten keine Basen für Raketen mit nuklearen Köpfen in den Satellitenstaaten aufzustellen, weil sie aus ihrem eigenen Territorium heraus das Ganze besorgen könnten.
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Nun, meine Damen und Herren, ich glaube annehmen zu können, daß der Herr Kollege Ollenhauer über die Anzahl der Basen, die die Russen auf ihrem Territorium haben und mit denen sie ganz Westeuropa erledigen können, genauer Bescheid weiß. Auch ich weiß darüber Bescheid. Worin besteht denn das, was wir jetzt Frieden nennen, Herr Kollege Erler? Das besteht doch lediglich darin, daß Sowjetrußland weiß, daß, wenn es an einer Stelle etwas unternimmt, der amerikanische Gegenschlag erfolgt.
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Und das ist eben jetzt auch der Schutz gegenüber den Raketenbasen und Raketen der Russen.
({2})
Nun hat der Kollege Schmid davon gesprochen, daß man eine Zone in Mitteleuropa ihres strategischen Interesses entkleiden müsse. Darum handelt
es sich aber gar nicht, Herr Kollege Schmid, sondern es handelt sich darum, daß dieses Mitteleuropa eine Quelle großen Kriegspotentials ist. Es handelt sich dabei nicht um strategische Fragen,
({3})
nicht um Fragen der Strategie, sondern es handelt sich darum, daß, wenn Sowjetrußland diese Bundesrepublik und Frankreich und Belgien und Holland mit ihren hochentwickelten Industrien in die Hände bekäme, sein Kriegspotential das amerikanische ungefähr erreichen würde. Also das sind keine strategischen Fragen, es sind vollkommen andere Fragen.
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- Einen Augenblick, Herr Kollege Schmid! - Daraus folgt noch eins. Welches Land könnte seinem eventuellen Gegner den Besitz dieses Landes zugestehen?
Genau das ist es doch, Herr Bundeskanzler, was ich gesagt habe. Es muß ein Zustand geschaffen werden, der verhindert, daß dieses Gebiet dem einen oder dem anderen zugeordnet wird.
Ja, Herr Kollege Schmid, wenn Sie uns das Geheimnis verraten könnten, wie das möglich ist, dann wären wir einen Schritt weiter.
({0}) Ich kann es nicht lösen.
Glauben Sie nicht, Herr Bundeskanzler, daß es möglich ist, auch darüber Verträge zu schließen, die Aussicht haben, gehalten zu werden?
Nein, ich glaube es nicht.
Ich frage mich nur: warum wollen Sie dann eine Politik einleiten, die auch auf Verhandlungen beruhen soll?
Weil es nach meiner Überzeugung nur ein faktisches Mittel gibt, die Gefahr aus der Welt zu schaffen, die kontrollierte Abrüstung.
({0})
Haben Sie überhört, Herr Bundeskanzler, daß ich genau das gesagt habe, nämlich: kontrollierte Abrüstung? Man fange an mit einer kontrollierten regionalen Abrüstung; dann wird man weiterkommen!
Sie haben von der kontrollierten Abrüstung gesprochen.
({0})
- Jawohl, das haben Sie gesagt, und ich habe soeben, Herr Kollege Schmid, von einer eventuellen stufenweisen Abrüstung gesprochen. Aber bei dieser stufenweisen Abrüstung wird natürlich peinlich darauf geachtet werden müssen, daß eine teilweise Abrüstung, mag sie regional oder sonstwie sein, nicht den einen stärker werden läßt als den anderen.
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Deshalb muß das pari passu gehen. Die Tschechoslowakei und Polen spielen jedoch gar nicht die Rolle wie wir und Westeuropa. Also wenn Sie, Herr Kollege Schmid, uns aus dem Ganzen ausklammern wollen, wie Sie gesagt haben, würden die Vereinigten Staaten dem nach meiner Meinung nur zustimmen können, wenn auch im Sowjetbereich ein gleich großes Kriegspotential unter Kontrolle beiseitegelegt würde.
({2})
Herr Bundeskanzler, erinnern Sie sich nicht, daß ich gesagt habe: „gleichwertige Maßnahmen", daß ich gesagt habe, daß man Kilometer nicht messen, sondern strategisch wägen soll?
Strategie ist ein militärisches Wort. Das Wort „strategisch" hat damit nichts zu tun, sondern es ist eine Frage der Höhe des Kriegspotentials,
({0})
der Wirtschaft also und natürlich der Menschen, die dazugehören.
Nun muß ich sagen, alles, was der polnische Außenminister gesagt hat, ist so vage und so andeutungsweise - wir haben es sehr sorgfältig zusammengestellt -, daß wir damit gar nichts anfangen können. Aber Bulganin kommt darauf zurück, und er schließt, wie soeben schon betont worden ist, für uns Deutsche darin ein den Verzicht auf die Wiedervereinigung durch die Anerkennung der DDR als souveränen Staates. Machen Sie sich bitte klar, was das wirklich bedeutet: daß wir auf die Wiedervereinigung für eine unabsehbare Zeit werden verzichten müssen.
({1})
Denn sollten wir Deutschen, die wir doch das allererste Recht auf die Wiedervereinigung haben, jemals wieder, wenn wir jetzt für eine unbegrenzte Zeit darauf verzichten, erwarten können, daß eines Tages die Engländer, die Franzosen, die Amerikaner kommen und sagen: So, jetzt wollen wir ein-. mal an die Wiedervereinigung gehen? Meine Damen und Herren, dann ist es damit vorbei.
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- Dann ist es damit vorbei! Bulganin verlangt es ja von uns. Ich werfe es ja Ihnen nicht vor, sondern ich sage: Bulganin verlangt das von uns mit der völkerrechtlichen Anerkennung der sogenannten DDR, und das ist eben für uns völlig unmöglich.
Nun bin ich nicht etwa ein restloser Pessimist, obgleich ich mir über die Schwierigkeit der Situation und die große Gefahr sehr klar bin. Aber ich kann mich dem Gedanken nicht verschließen, daß auch Sowjetrußland in seiner Arbeit eine Pause einlegen muß, eine Pause von 10, 20, 30 Jahren. Das müssen wir zu erkunden versuchen, und dann müssen wir sehen, daß wir zu einem Modus vivendi in einer kontrollierten Abrüstung kommen in der Hoffnung, daß dann im Laufe einer Entwicklung, die sich, wie ich soeben schon sagte, über eine Reihe von Jahren erstrecken könnte, auch in Sowjetruß-land der Gedanke, daß der Kommunismus die Welt erobern müsse, abnimmt oder ganz schwindet. Wenn wir das aber erreichen wollen, müssen wir das wertvollste Gut, das der Westen hat, bewahren, und das ist die Einigkeit und Geschlossenheit.
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Sowjetrußland schöpft aus jedem Anzeichen, daß wir sowohl innerhalb der NATO wie auch innerhalb der einzelnen NATO-Länder nicht einig und geschlossen sind, Hoffnung.
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Darum ist es, glauben Sie mir, unsere vornehmste Pflicht, einig zu sein im Widerstand, einig zu sein im Versuch, zur Abrüstung und zum Frieden zu kommen. Wir werden das Ziel um so eher erreichen, je einiger wir sind.
Zum Schluß möchte ich noch an meinen verehrten Kollegen Maier ein Wort richten.
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Er hat zum Schluß so nett etwas von dem „alten Hut" gesagt. Nun, verehrter Kollege Maier, ich meine, es wird Ihnen nicht zu Unrecht die gutwürttembergische Tugend der Sparsamkeit nachgesagt, und darum dürften Sie an dem Alter des Huts keinen Anstoß nehmen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordneter Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich angenommen, daß der Herr Präsident bereits bekanntgegeben hätte, daß ich der nächste Redner sein würde, und daß infolgedessen ein Teil Ihres stürmischen Verlangens, die Rede des Herrn Bundeskanzlers noch einmal zu hören, vielleicht schon der Ankündigung des nächsten Redners galt.
({0}) Aber das war sichtlich ein Irrtum.
Der Herr Bundeskanzler hat vor allzu großen Höhenflügen in der heutigen Debatte gewarnt. Ich
möchte seine Warnung beherzigen und möchte an den Beginn meiner Ausführungen die Feststellung von drei harten Tatsachen setzen, die man leider nicht einfach durch Wunschdenken aus dieser Welt, in der wir nun einmal leben, entfernen kann.
Die erste Tatsache, an die wir immer denken müssen, ist die: Solange das Atomwettrüsten weitergeht, gibt es überhaupt keine Sicherheit für irgendein Volk auf der Welt, für unseres nicht und andere nicht.
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Die zweite Tatsache: Solange fremde Truppen Aug' in Auge auf deutschem Boden einander gegenüberstehen, ist die Wiedervereinigung unseres Landes dadurch automatisch ausgeschlossen.
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Auch ein wichtiger Tatbestand! Und der dritte Punkt - und damit schließt sich der Ring -: Die fremden Truppen bleiben auf deutschem Boden stehen, solange das Atomwettrüsten weitergeht.
Hier zeigt sich deutlich, welche Aufgabe vor uns steht. Wer die Sicherheit und die Wiedervereinigung will, der muß das Seine dazu tun, daß das Atomwettrüsten beendet wird, und wer das will, der darf zunächst einmal nicht durch seine eigene Politik das bisherige Wettrüsten noch verstärken. Darum handelt es sich. Es handelt sich nicht nur um allgemeine Pläne, an deren Ende einmal der erwünschte und ersehnte Zustand eines umfassenden Abrüstungsabkommens steht, sondern es handelt sich darum, die Politik der Bundesrepublik Deutschland zurückzureißen, damit nicht durch sie, durch Teilnahme der Bundesrepublik am Atomwettrüsten, jeder Weg zu einer Beendigung dieses Wettrüstens verbaut wird. Das ist der Punkt, um den es hier geht.
Da liegen nun, wie mein Kollege Professor Schmid hier dargelegt hat, einige wichtige Entscheidungen vor uns. Deshalb haben wir in unserem Antrag von dem Ende der Versuchsexplosionen und von der Abwehr des Versuchs gesprochen, weitere Staaten in dieses Wettrüsten hineinzuziehen. Deshalb aber, meine Damen und Herren, ist es auch so wichtig, daß wir uns bei dem schrittweisen Bemühen, zur Abrüstung vorzudringen, ernsthaft alle Vorschläge ansehen, die dem Weg zur Abrüstung nachspüren, nicht nur in der Begrenzung der Zahl von Truppen oder der Art ihrer Waffen, sondern auch in der kontrollierten Rüstungsbegrenzung in bestimmten Spannungsgebieten.
Das, was uns angeht, ist also der Vorschlag der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone, wie er heute hier schon sehr eingehend diskutiert worden ist. Natürlich ergibt sich aus diesem Zusammenhang, daß man diesen Vorschlag nicht einfach so, wie er da steht, in seiner unvollkommenen Form annehmen kann. Genauso kann man ihn aber auch nicht einfach verwerfen, sondern man muß sich daransetzen und prüfen, durch welche eigenen Vorstellungen dieser Vorschlag dahin entwickelt werden kann, daß
wir das Ziel der Erreichung von Sicherheit in Europa und der Wiedervereinigung unseres Landes in greifbare Nähe rücken können.
Der Herr Bundeskanzler hat hier eine Schilderung des Ringens um die Abrüstung in den Gremien der Vereinten Nationen gegeben. Er hat zutreffend dargelegt, wie es in dem Abrüstungsunterausschuß in London in den letzten Monaten und zum Schluß dann in der Vollversammlung der Vereinten Nationen gewesen ist. Es trifft zu, daß der sicher mit der Materie sehr gut vertraute Bevollmächtigte der französischen Regierung, Jules Moch, bei einer Zusammenkunft in Paris den Vertretern der sozialistischen Parteien sehr eingehend dieses Ringen geschildert hat.
Was aber der Herr Bundeskanzler nicht hinzugefügt hat, ist die Tragödie, an der beide Weltmächte jahrelang hindurch in den Abrüstungsverhandlungen mitgewirkt haben: immer dann den eigenen Vorschlag fallenzulassen, wenn die andere Seite im Begriff war, diesen Vorschlag zu akzeptieren.
({3})
Der Herr Bundeskanzler hat auch nicht dargelegt, welch einen Leidensweg die Antwort der Westmächte in monatelangem Ringen hat durchlaufen müssen, bis man auf die April-Vorschläge der sowjetischen Regierung endlich im Herbst das Gesamtpaket der westlichen Antwort parat hatte, weil die Bundesgenossen in Europa den Vereinigten Staaten sogar ein gewisses Maß an Handlungsfreiheit in diesem Abrüstungsunterausschuß einfach streitig gemacht haben. Daran muß man auch erinnern. Aber lassen wir das.
Wichtiger ist noch bei dieser Besprechung - das kann ich Ihnen zu Ihrer Unterrichtung sagen, Herr Bundeskanzler; aber Sie werden es ja wohl wissen, denn die Beteiligten haben daraus auch der Öffentlichkeit gegenüber gar kein Hehl gemacht -: Die skandinavischen Länder - nicht nur die sozialdemokratischen Parteien, sondern auch die Regierungen-sind einmütig genauso wie die große britische Arbeiterpartei der Überzeugung, daß man die Vorschläge der polnischen Regierung wenigstens als einen Ausweg aus der Sackgasse, in die das Abrüstungsgespräch jetzt hineingeraten ist, zu nehmen versuchen sollte. Auch das ist von der Bundesregierung bisher abgelehnt worden.
Wir versuchen mit unseren Anträgen, eine Stellungnahme des Hauses zu dem Gesamtproblem der Abrüstungsbemühungen und des Atomwettrüstens herbeizuführen. In diesem Zusammenhang möchte ich doch noch einmal ganz kurz auf einen Punkt zu sprechen kommen, bei dem, glaube ich, eine Stellungnahme der Bundesregierung für das Hohe Haus erwartet werden könnte. In Ziffer 3 c unseres Antrags heißt es, daß die Bundesregierung klarstellen solle, daß sie an ihrer Verpflichtung festhält, d. h. auch in Zukunft festhält, in der Bundesrepublik die Herstellung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen nicht zu erlauben. Die Bundesregierung hat Behauptungen der Sowjetregierung, die von möglichen Verletzungen dieser Verzichterklärung spre370
chen, zurückgewiesen. Dennoch besteht das Bedürfnis nach Klärung.
Laut französischen Pressemeldungen „zögert" die Bundesregierung noch, sich mit der Herstellung atomaren Kriegsmaterials in der Bundesrepublik oder in Gemeinschaft mit den Partnern der Westeuropäischen Union einverstanden zu erklären. „Zögern" ist keine Klärung. Wir lesen heute in der „Times" im Zusammenhang mit den französisch-italienischdeutschen Rüstungsbesprechungen, von denen in der Debatte schon die Rede war, daß Frankreichs Hauptbeweggrund für einen Anschluß an eine europäische Waffengemeinschaft im kleinen mit Deutschland und Italien wahrscheinlich der sei, zu versuchen, sich die deutsche technische und finanzielle Hilfe für sein Atomwaffenprogramm zu sichern. Vielleicht wäre es ganz nützlich, wenn der Herr Bundeskanzler oder der Verteidigungsminister hier verbindlich sagte, ob die Bundesregierung zögert oder ob es auch in Zukunft bei den eingegangenen Verpflichtungen bleibt.
Nach diesem Punkte nun zu der vom Herrn Außenminister erklärten Bereitschaft, ernsthafte Vorschläge ernsthaft zu prüfen! Worauf soll sich eigentlich diese Bereitschaft erstrecken, wenn jeder konkrete Vorschlag, der bisher nicht schon von der Bundesregierung oder vom Westen irgendwann einmal vorgelegt worden ist, wenn jeder Vorschlag aus einer anderen Quelle ohne weiteres als nicht durchführbar, als unrealistisch, oder wie dergleichen Sprüche mehr sein mögen, zurückgewiesen wird? Die eigenen Vorschläge hat man doch hoffentlich geprüft, bevor man sie vorgelegt hat. Um die kann es sich also nicht handeln; es kann sich doch nur um andere handeln. Frage also: welche sind das? Denn wir haben doch bisher nur ein Nein der Regierung in harter Form gegen die Vorschläge etwa der polnischen Regierung gehört, obwohl wir von Herrn Minister Hellwege vernommen hatten, daß er auf dem Standpunkt stehe, die Vorschläge seien einer ernsthaften Erwägung wert, obwohl der Herr Kollege Schneider sich heute im gleichen Sinne für die DP geäußert hat und obgleich auch eine ganze Reihe von Stimmen im Ausland - vom britischen Außenminister bis zur „Times" - gleichfalls geraten haben, die Vorschläge auf ihre Verwendbarkeit wenigstens ernsthaft zu prüfen. Ernsthaft prüfen kann man nur, wenn man rückfragt, welche von einem selber für notwendig gehaltenen Ergänzungen unter Umständen möglich sind.
({4})
Alles andere ist keine ernsthafte Prüfung.
Wir haben von der Bundesregierung früher schon ein Nein zu Vorschlägen gehört, wie sie etwa von dem Frakionsführer der Arbeiterpartei, Gaitskell, vorgebracht worden sind. Wir haben nein gehört zu den Vorschlägen, die wieder und wieder, Jahr um Jahr die Opposition in diesem Hause vorgetragen hat.
Wir haben noch ein Nein, ein sehr dezidiertes Nein zu den Vorschlägen gehört, die der Amerikaner Kennan im britischen Rundfunk gemacht hat. Auf die Frage: Wie stehen Sie denn zu den anderen Punkten des Kennanschen Vorschlags?, wurde nur
der eine über die milizähnliche Form der Landesverteidigung aufgegriffen und daran die ganze Ablehnung aufgehängt. Meine Damen und Herren, Kennan ist kein Mann, der eine Werwolf-Ideologie predigt, weiß Gott nicht.
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Was in seinen Bemerkungen ziemlich deutlich zum Ausdruck kommt, ist der Hinweis darauf, daß außer dem Schutz nach außen durch konventionelle Streitkräfte, von denen er ausdrücklich spricht, etwas anderes für die Sicherheit eines Landes gegenüber kommunistischen Ansprüchen ganz entscheidend ist: die Gesinnung und die innere Gesundheit dieses Landes, die Stabilität der demokratischen Ordnung in diesem Lande
({6})
und damit auch der Wille, die Freiheit dieses Landes unter allen Umständen zu schützen.
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Das ist der Kern dieses Gedankens. Kennan hat sich da nicht als militärischer Sachverständiger aufgespielt. Aber was mich, der ich den Mann kenne, ein bißchen in Erregung versetzt hat bei der Art, wie man in der Bundesrepublik versucht, Kennan abzutun, ist die Behauptung, er sei ein Mann, der nicht gerade zu den Freunden Deutschlands zähle. Was hat Kennan zur Begründung seiner Darlegungen gesagt, deren Kern die Schaffung einer anderen Form der Sicherheit ist - auch mit eigenen Kräften der vereinigten Staaten in Europa und mit ihren Garantien -, um überhaupt hier die Politik in Bewegung zu bringen und den Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands zu öffnen?
Was also hat Kennan gerade dazu gesagt? Ich zitiere wörtlich aus dem Rundfunkgespräch, das im Anschluß an die Vorträge stattfand:
Wie sieht denn die Alternative aus? Sollen wir Deutschland auf ewig geteilt lassen? Das aber bedeutete, daß auch Europa auf ewig geteilt bliebe und daß die Satelliten auf ewig in ihrer jetzigen Lage verharren müßten. Und ich halte es für unvernünftig, wenn man von den Russen erwartet, daß sie sich völlig zurückziehen, ohne daß es zu irgendeiner Gegenleistung auf unserer Seite käme.
Die Sorge, die den Mann quält, ist doch die unsere, die Sorge um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. So spricht kein Mann, von dem man guten Gewissens behaupten kann, daß er etwa nicht zu den Freunden unseres Volkes gehöre.
({8})
- Es ist nicht hier an dieser Stelle gesagt worden, aber in der Ihnen nahestehenden Presse hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen.
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- Ja, der Ausschuß ist vertraulich; deshalb habe ich mich hinter Zeitungen verschanzt.
Wir haben zu all diesen Vorschlägen immer nur das Nein der Regierung gehört. Wir haben zwar gehört, daß die Regierung jetzt, wie sie selber sagt, Verhandlungen, Besprechungen, diplomatische Sondierungen einleiten wolle, aber nicht, worüber sie denn eigentlich verhandeln wolle. Das ist doch immerhin auch wichtig. Nachdem man genau weiß, daß die Vorschläge beider Parteien diametral und unversöhnlich gegenüberstehen, nachdem jeder weiß, daß das, was bisher vorgetragen worden ist, auf ein Nein der anderen Seite stößt, ist es doch erforderlich, abzutasten - und da bietet der Vorschlag, um den wir heute so erbittert ringen, eine Möglichkeit -, ob man durch eine solche Diskussion über den toten Punkt hinwegkommt. Über die Methode hatten wir uns ja schon verständigt. Allerdings möchte ich sagen: dann sollte man auch nicht einfach nur in Noten erneut anfragen, ob der andere bereit sei, sich mit einem zu unterhalten; da gibt es einen viel einfacheren Weg: wenn man einen Botschafter hat, kann man ihn ja mal hinschicken und fragen lassen.
Natürlich ist der Vorschlag, um den es sich dreht, ergänzungsbedürftig. Das mag das Gebiet betreffen - da die verschiedensten Anregungen in bezug auf die Ausdehnung gegeben worden -, das mag die Kontrolle betreffen. Heute ist erfreulicherweise nicht mehr die Behauptung aufgestellt worden, daß etwa der Vorschlag keine wirksame Kontrolle der Einhaltung der getroffenen Vereinbarung vorsehe. Denn dazu hat sich der polnische Minister Rapacki in aller Deutlichkeit erklärt. Ich bin überzeugt, daß gerade bei der Diskussion der Kontrollmöglichkeiten über den betroffenen Raum hinaus ein Beispiel für die Großmächte gesetzt werden kann. Denn was sich hier bewährt, das ist auch für größere Räume praktikabel. Herr Rapacki hat gesagt, was die zu übernehmenden Verpflichtungen anbetreffe, so sei Polen für eine wirksamste Kontrolle, eine Kontrolle, die allen interessierten Staaten ein Höchstmaß an Gewißheit und Sicherheit gewähre. Dann fuhr er mit einem interessanten Satz fort:
Wir glauben, daß eine Verwirklichung dieses Vorschlags die Schaffung einer Zone begrenzter und kontrollierter Rüstungen in Europa erleichtern würde.
Das heißt, der Vorschlag steht gar nicht so isoliert da, wie man immer tut. Hier knüpft er an etwas an, was bereits im März vergangenen Jahres als mögliche Ausweitung eines solchen Gedankens in London diskutiert worden ist.
Kollege Kiesinger hat hier so getan, als ob die einzige Gegenleistung, die die Sowjetunion bei einem Eingehen auf derartige Gedanken zu erbringen hätte, nichts mehr wäre als eine vage Aussicht auf ein künftiges besseres Verhalten, Aussicht auf Entspannung. Aber das Zitat, das ich soeben brachte, führt uns auf den Kern der Frage, nämlich dahin, daß es sich um nicht mehr und nicht weniger handelt als eine Vorstufe zum Abzug fremder Truppen in
Etappen, gebietlich, zeitlich und zahlenmäßig. Das ist das Wesentliche, woraufhin dieser Vorschlag abgetastet werden muß. Dann kann doch niemand sagen, daß es sich bei einem solchen möglichen Truppenabzug, der den Herrn Bundeskanzler so erschreckt hat, nur um einen Abzug auf der westlichen Seite handele. Sieht man denn die Bedeutung dieser Frage, der Anwesenheit sowjetischer Truppen in der Sowjetone und in den osteuropäischen Staaten nicht,
({10})
und sieht man nicht, wie die politische Lage sich verändern könnte, wenn einmal das Gewicht dieser militärischen Macht dort nicht mehr die politischen Enscheidungen jener Länder allein bestimmte?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Ja!
Herr Abgeordneter von Haniel-Niethammer!
Herr Kollege Erler, haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, was, falls die fremden Truppen, und damit auch die sowjetischen Truppen, aus dem osteuropäischen Raum herausgingen, dann aus der sogenannten „DDR" werden soll? Denn falls Sowjetrußland, was anzunehmen ist, auf dem politischen Status der DDR besteht, auch wenn keine russischen Truppen mehr da sind, würde es, falls sich doch ein politischer Wechsel dort vollzieht, das Recht zu einem Eingriff haben, und dann würden sich dort unter unseren deutschen Brüdern Vorgänge abspielen, die an die Verhältnisse in Ungarn erinnern würden.
Sehen Sie, Herr Kollege, das ist genau die Frage, über die wir alle uns natürlich Gedanken machen müssen. Aber können Sie mir erklären, wie Sie die Wiedervereinigung Deutschlands bei Anwesenheit russischer Truppen zustande bringen wollen?
({0})
Können Sie mir erklären, wie Sie die Wiedervereinigung Deutschlands bei Aufrechterhaltung des Ulbricht-Regimes zustande bringen wollen? Also ist es eine Aufgabe unserer Politik, mit der Sowjetunion zu klären - denn die weiß auch, daß ohne ihre Bajonette der Herr Ulbricht die Zone nicht regieren kann -, in welchen Etappen und Zeiträumen auch der Vorgang der Liquidierung der jetzigen Gewaltherrschaft auf dem Wege zur Wiederherstellung der deutschen Einheit - wenn es ein friedlicher Weg sein soll - einkalkuliert werden muß.
({1})
Lassen Sie mich das mal ganz klar sagen: Wir verhandeln erfolgreich über die Schaffung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Da haben
wir Fristen gesetzt: 15 Jahre; wenn man die Übergangszeit hinzunimmt, sind es 18 Jahre bis zur Vollendung. Wir sind da hineingegangen und wissen: jetzt läuft die Frist, die Uhr tickt; das kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. In der deutschen Frage faßt niemand Fristen ins Auge, sondern da wird einfach angenommen, daß von heute auf morgen, wenn man sich mit den Russen einigt, alles passiert ist. Meine Damen und Herren, eine kurze Frist, die überhaupt nicht zu laufen anfängt, kann mir gestohlen bleiben; dann ziehe ich eine längere Frist vor, die vereinbart und ausgehandelt ist und bei der ich weiß, daß an ihrem Ende auch wirklich ein in Freiheit wiedervereinigtes Deutschland stehen wird.
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Entscheidend ist doch, daß die Uhr endlich einmal zu ticken anfängt; denn solange die Uhr stillsteht, bleibt es, wie es ist.
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- Ja bitte, deswegen müssen Sie mit hm reden.
Der Herr Bundeskanzler selber hat gesagt, daß der Austausch von Briefen oder, um Carlo Schmid zu zitieren, die Epistolardiplomatie ein ungeeigneter Weg sind, um das wirklich auszuhandeln und ins Gespräch zu bringen.
Ich weiß, manche von Ihnen, meine Damen und Herren, werden sagen: Das ist alles utopisch. Wer so spricht, der hat in seinem Herzen die Einheit unseres Landes einfach abgeschrieben und sät Hoffnungslosigkeit!
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- Nicht aus Bewußtsein, nicht aus bösem Willen, sondern weil er das Ziel nicht mehr für erreichbar hält. Man kann ein Ziel nur erreichen, wenn man das für möglich hält.
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Doch nun zurück zu dem, was ich für eine der Kernfragen dieser Auseinandersetzung halte. Der Truppenabzug ist eine der Kernfragen für die Wiedervereinigung und für die politische Entwicklung Mittel- und Osteuropas. Wer für immer - sei es, weil er sich fürchtet, oder aus welchen Gründen auch sonst - die Truppen der Vereinigten Staaten auf dem deutschen Boden festhalten will, hält damit automatisch auch die sowjetischen Truppen auf deutschem Boden fest.
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Diesen Zusammenhang muß man endlich einmal einsehen.
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- Bitte, meinen Sie, daß die sowjetischen Truppen abziehen, bevor sie nicht wissen, daß auch die Amerikaner entsprechende Gegenleistungen in der Bundesrepublik erbringen? Um diese „Zuversicht" beneide ich Sie.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier die „Times", ein von Ihnen früher sehr hoch geschätztes Blatt, zitieren, die am 7. Januar dieses Jahres ganz einfach feststellt:
Grob gesagt stellen sich die Alternativen so dar: entweder Raketenabschußrampen in Westdeutschland, was die Teilung des Landes auf Generationen hinaus versteinern wird, oder irgendein System des militärischen Desinteresses in Mitteleuropa entsprechend den von Kennan und Rapacki unterbreiteten Vorschlägen.
Wenn wir glauben, daß wir auch um der Wiedervereinigung und der politischen Entwicklung in Mittel- und Osteuropa willen nicht bereit sein dürfen, irgendeine Berichtigung der amerikanischen Stellungen auf deutschem Boden ins Auge zu fassen, dann zeugt das von zweierlei: einmal von mangelndem Selbstvertrauen in die demokratische Standfestigkeit unseres eigenen Volkes, zweitens sogar von mangelndem Vertrauen in das freundschaftliche Interesse der Vereinigten Staaten gerade an der Wiederherstellung der deutschen Einheit;
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und da habe ich mehr Vertrauen zu den Amerikanern.
Natürlich bleibt dann die Frage, die gleichermaßen Sie wie uns quält: Wie kann man das Gebiet einer solchen Zone - nicht nur das deutsche - gegen äußere Gefahren schützen?
Wir haben uns in Punkt 5 unseres Antrages dazu geäußert. Wir wollen Verhandlungen, „die den gleichwertigen Abzug der fremden Truppen aus dem zu schaffenden atomwaffenfreien Raum und" - jetzt kommt das Entscheidende - „die Festsetzung der Höchststärken der eigenen Truppen der am atomwaffenfreien Raum beteiligten Staaten und Gebiete in einem angemessenen Verhältnis bei, wirksamer Kontrolle zum Ziele haben."
Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen hier gleich sagen, daß das gemeinsame Ziel die Abrüstung ist und daß wir auch diese Vorschläge nur als Durchgangsphase zu einem umfassenderen Abkommen sehen. Dann entstünde unter Ausnutzung der Ergebnisse, auf die sich West und Ost in London bei den konventionellen Waffen schon weitgehend geeinigt hatten, ein vernünftiges Zahlenverhältnis der europäischen Kräfte, sogar allein schon im Verhältnis zur Sowjetunion. Denken Sie einmal über diese Dinge nach, dann werden Sie vielleicht spüren, daß dort auch für das wiedervereinigte Deutschland ein durchaus vernünftiges Maß an Sicherheit gefunden werden kann, jedenfalls ein höheres, als wir es heute haben. Denn Rüstungsbegrenzung und -kontrolle nach Punkt 4 unseres Antrags werden als Schritte auf dem Wege zu einer allgemeinen Abrüstung betrachtet.
Der Herr Bundeskanzler hat einen Einwand wiederholt, der in der Debatte öfter auftauchte: man könne doch mit Kernwaffen jederzeit in einen solchen atomwaffenfreien Raum hineinschießen. Das ist sicher richtig. Das kann man sogar, wenn
Atomwaffen drin sind; dann kann man auch in diesen Raum hineinschießen. Aber eines ist sicher: in einen Raum, in dem Atomwaffen stehen und der so hart an der militärischen Demarkationslinie von heute liegt, wird im Konfliktsfall auf alle Fälle mit Atomwaffen hineingeschossen; das ist die Gewißheit, die wir haben.
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Deshalb sollte man diese Frage zum Gegenstand von Verhandlungen machen, um entsprechende Leistungen auch auf der anderen Seite - darauf kommt es an - zu erlangen. Man darf die politische Bedeutung eines solchen Schrittes nicht unterschätzen. Hier geht es um einen Schritt in Richtung auf eine Entspannung der Beziehungen nicht nur zwischen uns und unseren östlichen Nachbarn, sondern auf eine Entspannung der Beziehungen zwischen den beiden großen Machtblöcken überhaupt. Da kann ein solcher Schritt in Verbindung mit dem Kontrollsystem Mißtrauen erst einmal abbauen. Der Bundeskanzler hat selbst geschrieben und gesprochen von einem Mindestmaß an Vertrauen, das entstehen müßte. Sicher, aber bevor überhaupt Vertrauen entstehen kann, muß man erst einmal das vorhandene Mißtrauen abzubauen bereit sein, auf beiden Seiten und nicht nur auf einer.
({11})
Herr Bundeskanzler, ich komme in diesem Zusamenhang noch auf Ihre Zusammenarbeit mit den militärischen Sachverständigen zu sprechen. Sie haben in Paris mit Recht dargelegt, daß die Politik den Vorrang haben müsse. Ich verstehe dann nicht ganz, weshalb der Herr Bundespressechef später so getan hat, als gründe sich Ihre in der Rundfunkrede ausgesprochene Ablehnung der polnischen Vorschläge bereits auf ein vorliegendes Gutachten der Generalität. Ich hätte gern folgendes gewußt: Wann ist Ihre Rede gehalten worden und wann sind Ihnen die Aufzeichnungen der Militärs zu diesem Punkt zugegangen? Das hätte ich gern gewußt, um klar zu wissen, daß es sich hier doch um den stolzen Vorrang der Zivilgewalt vor den Militärs gehandelt hat.
({12})
Es wäre mir interessant, darüber Näheres zu hören.
(
Von Eckardt hat das nie gesagt! - Abg. Wehner: Ach, hat man Ihnen wieder einmal falsch berichtet? -
Man hat mir das Stenogramm heute morgen vorgelegt!)
- Ich freue mich über diese Korrektur. Demnach sind also die Generale doch nicht an Ihrer Rundfunkrede schuld. Das ist für beide Seiten gut zu wissen.
({0})
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat Redefreiheit für sich in Anspruch genommen. Natürlich, er ist ein freier Mann mit viel Lasten. Wir sind auch freie Männer und sprechen
auch. Es gibt dennoch Unterschiede. Im Dezember hat es, nachdem Sie hier eine Debatte über die Außenpolitik vor der NATO-Konferenz abgelehnt hatten, erklärlicherweise ein lebhaftes öffentliches Hin und Her gegeben, an dem sich alle möglichen Männer und Frauen, die etwas zu sagen hatten oder zu sagen haben glaubten, beteiligt haben. Vielleicht kommt da bei Ihnen, Herr Bundeskanzler, doch ein Gespür für diese unsere Sorge auf, daß es ein Unterschied ist, ob man eine solche öffentliche Auseinandersetzung zu einem Zeitpunkt führt, nachdem das Parlament in die Ferien gegangen ist, oder ob der Regierungschef sich in einer so wichtigen Frage praktisch am Vorabend einer außenpolitischen Debatte des Parlaments äußert, das ein Vorrecht auf die Äußerungen des Regierungschefs zu einem solchen Problem hat.
({1})
Aber unabhängig von der vielleicht verschiedenen Beurteilung der demokratischen Kleiderordnung: es ist doch immer wieder in diesem Hause ein schönes Gespenst beschworen worden, eine gemeinsame Außenpolitik. Manche sahen sie schon herangeistern, wenn mal ein paar Leute vernünftig miteinander redeten, ohne gleich zu gemeinsamen Auffassungen gekommen zu sein. Herr Bundeskanzler, ich finde, daß man, ohne deshalb gleich von gemeinsamer Außenpolitik reden zu müssen, dem Gedanken auch nur einer Zusammenarbeit der demokratischen Kräfte in unserem Staate einen schlechten Dienst erweist, wenn man eine so wichtige Note wie den Brief an Bulganin oder eine so wichtige Erklärung wie die dezidierte Ablehnung des Rapacki-Planes erläßt, ohne auch nur den Versuch gemacht zu haben, mit Vertretern der Oppositionsparteien über diese Frage zu sprechen.
({2})
Herr Bundeskanzler, da wird gefordert - die Bundesregierung hat sich in Paris dafür stark gemacht -, man müsse innerhalb der NATO zu einer engeren Konsultation zwischen den befreundeten Regierungen kommen, bevor irgendwelche politischen Schritte getan werden. Gut, Wohltun fängt zu Hause an. Konsultation unter Bundesgenossen mit fremden Regierungen mag eine nützliche Sache sein. Die Konsultation im eigenen Hause sollte auf alle Fälle den Vorrang haben!
({3})
Nun noch zu einigen Einwänden mehr militärtechnischer Art, die gegen Gedanken, wie ich sie hier vorgetragen habe, erhoben worden sind. Etwa der, ohne Atomwaffen in .der Bundesrepublik sei man den sowjetischen Truppen hoffnungslos unterlegen. Sicher, deshalb auch die Verbindung des Vorschlags der atomwaffenfreien Zone mit dem Abzug fremder Truppen und einer Festsetzung der in dem Raum verbleibenden Truppenstärken überhaupt, damit ein vernünftiges Stärkeverhältnis entsteht. Das Ganze ist doch nur die Vorstufe zu einer kontrollierten Herabsetzung der konventionellen Streitkräfte überhaupt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Einen Augenblick, ich komme gleich darauf zurück. Lassen Sie mich nur diesen Gedanken noch zu Ende bringen. - Auf beiden Seiten werden diese Streitkräfte ja schon herabgesetzt. Was ich bedaure, ist, daß man das nicht zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht hat, um damit einen Anstoß zur Regelung auch der politischen Probleme zu geben.
({0})
Und zum dritten: Meinen Sie denn vielleicht, daß, wenn es nicht zu solchen Vereinbarungen käme, die westlichen Truppen und die Bundeswehr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland dann ein Monopol auf Atomwaffen hätten, oder sind Sie nicht auch der Meinung, daß dann auch die sowjetischen Truppen ihre Überlegenheit erneut herstellen würden durch eine entsprechende Ausstattung mit Atomwaffen auch ihrer Verbände? Davon wird gar nicht gesprochen!
Und nun bitte Ihre Zwischenfrage!
Herr Kollege Erler, haben Sie sich einmal darüber Gedanken gemacht, daß bei dieser militärisch entspannten, militärisch verdünnten Zone in Mitteleuropa die Gefahr gerade vergrößert würde, daß ein solches Gebiet eine Verlockung für Sowjetrußland zu militärischen Testversuchen bilden würde, was dann Amerika vor die Alternative stellen würde, entweder die furchtbaren letzten Konsequenzen zu ziehen oder aber die Dinge zu tolerieren, was den Anfang eines fortschreitenden Geländegewinns Sowjetrußlands in Europa bedeuten würde?
Natürlich habe ich mich mit dem Problem beschäftigt, und ich darf Ihnen versichern, daß das Problem in Wahrheit heute schon besteht. Aber gerade wenn man aus dieser Lage einen Ausweg finden will, muß man sich darüber klar sein, daß es, da man es durch das Wettrüsten nicht schafft, darauf ankommt, durch politische Vereinbarungen ein vernünftiges Stärkeverhältnis der Truppen in Europa, auch zwischen der Sowjetunion und uns, herzustellen. Darum ging es doch in London jahrelang. In diesem Punkt waren sich der Westen und der Osten übrigens überraschend nahe. Wenn Sie Lust haben - jetzt führt das nur zu weit -, kann ich Ihnen die drei Etappen, auf die man sich im Prinzip schon geeinigt hatte, mit den dazugehörigen Zahlen nachher sogar noch mitteilen. Die Schlußzahlen waren jedenfalls die: je 11/2 Millionen Mann für die Chinesen, die Russen und die Amerikaner, je 650 000 Mann für die Franzosen und die Briten und etwa so um die Größenordnung von 200 000 Mann für die kleineren Staaten, zu denen dann auch das wiedervereinigte Deutschland gehören würde. Das hätte im ganzen dann ein erheblich anderes Bild ergeben als das heutige.
Aber - Sie erwähnten gerade die amerikanischen Truppen - es gibt einen weiteren Einwand: Wenn man solche Vorschläge ins Auge faßte, dann hätten die Vereinigten Staaten nichts Eiligeres zu tun, als Europa zur Strafe für schlechtes Verhalten zu verlassen und uns schutzlos den Russen zum Fraße vorzuwerfen. - Ich denke nicht so pessimistisch von den Amerikanern und ihrem Interesse an einer Aufrechterhaltung der Freiheit in Europa. Aber darüber hinaus: davon ist in keinem der bisher gemachten Vorschläge die Rede. Eine solche Zone umfaßt als einziges bisheriges NATO-Land die Bundesrepublik. Die übrigen NATO-Partner sind davon gar nicht betroffen. Alle Vorschläge gehen davon aus, daß die Truppen der Vereinigten Staaten auf dem Kontinent bleiben. Darüber muß man verhandeln - natürlich auch mit den Freunden - und darf nicht einfach den Gedanken ablehnen, weil er vielleicht unbequem ist und einen zu neuen Überlegungen zwingt. Vor allem sollte man nicht geradezu den Druck drüben bestellen, daß sie abzögen, wenn wir hier in Europa auf derartige Ideen kämen.
Ich bin überzeugt, wenn wir derartige Lösungen wirklich wollen, dann sind sie in Freundschaft mit den Vereinigten Staaten auch in der Praxis durchführbar. Das ergibt sich aus einem interessanten Dokument des amerikanischen Kongresses selbst. Der Abrüstungsunterausschuß des Senats hat am 8. September 1957 zu genau dieser Frage gesagt, im Falle eines Abzugs amerikanischer Truppen aus Deutschland müßten die amerikanischen Truppen jedoch noch auf der östlichen Seite des Atlantik stationiert bleiben, solange die NATO-Strategie das erfordere. Wenn das ausdrücklich in einem Ausschußbericht des amerikanischen Senats vorgelegt wird, warum versuchen wir dann, den Amerikanern ohne Not das Gegenteil einzureden?
Eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Erler, erinnern Sie sich an den Satz von Kurt Schumacher, den er in Richtung auf die Amerikaner gesagt hat: Deutschland will verteidigt und nicht befreit werden?
({0})
Sicher; das ist völlig richtig. Ich habe nur noch nicht ganz verstanden, was eigentlich die bei Ihnen zugrunde liegende Konzeption ist. Vielleicht können Sie sich nachher noch zum Wort melden, entschuldigen Sie; das Dazwischensprechen führt sonst zu weit.
({0})
Wie Sie die Befreiung der Sowjetzone erlangen wollen, solange Deutschland im ganzen Stationierungsplatz für fremde Heere ist, das Geheimnis müssen Sie mir erst noch einmal verraten.
Ich glaube im einzelnen hier dargelegt zu haben, daß ich für das wiedervereinigte Deutschland durchErler
aus ein anständiges Maß an Sicherheit auch gegenüber einer sowjetischen Aggression verlangt habe.
({1})
Meine Damen und Herren, wir sollten vor derartigen Gedanken nicht schon automatisch Angst haben. Der Herr Bundeskanzler hat hier einen interessanten Satz über den Ernst der Lage gesagt. Er hat gesagt, die Lage sei in den letzten zwölf Jahren noch nie so ernst gewesen wie jetzt. Wir haben diesen Satz schon öfter vernommen. Er hat sicher sein Gewicht dadurch gefunden, daß jetzt auch der Oppositionsführer die gleiche Bemerkung gemacht hat, mit Recht. Aber, meine Damen und Herren, vom Regierungschef nimmt es sich etwas merkwürdig aus, wenn er - doch auch als Ergebnis seiner Politik - dem Volke von Jahr zu Jahr nur verkünden kann, daß die Lage noch ernster geworden sei, als sie im vergangenen Jahr gewesen sei.
({2})
Wenn dann der Sprecher der größten Partei des Hauses, der Abgeordnete Kiesinger, seine Rede mit der Bemerkung schließt, diese Politik habe sich als so richtig erwiesen, daß man sie auch künftig fortsetzen werde, dann wird die Lage eben immer noch ernster werden, bis wir schließlich in die Katastrophe hineinkommen.
({3})
Meine Damen und Herren, hier ist eine echte Sorge genannt worden, nämlich die, daß man sich I nicht auf eine Lösung festlegen lassen dürfe, welche den Status quo und damit die Teilung Deutschlands verhärte und festschreibe. Sicher, aber ich will Ihnen ganz offen sagen: der Status quo wird nicht dadurch überwunden, daß Sie sagen, sie erkennten ihn nicht an. Der Status quo bleibt, wenn nichts geschieht, um ihn zu überwinden. Er kann nur durch Bewegung in der Politik und nicht durch Stillstand überwunden werden.
Es gibt Leute - z. B. gehören die Unterzeichner des „Fuldaer Manifests" dazu -, die halten überhaupt kein Abkommen mit der Sowjetunion für möglich; und einiges klang ja auch in den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers fast an, in den letzten, die er hier gemacht hat: solange also die Sowjetunion nicht im großen und ganzen zu unseren Ansichten bekehrt sei. Meine Damen und Herren, wer das verlangt, daß ein Regime gewissermaßen erst ideologisch abschwören müsse, bevor man überhaupt die Fragen, die einen selber angehen, mit dem anderen erörtern könne, der verzichtet in Wahrheit auf Politik überhaupt.
({4})
Ein solches starkes Wort verbirgt doch nur die Hoffnungslosigkeit, mit politischen Mitteln auf dem Wege zur Wiedererlangung unserer Einheit überhaupt fortschreiten zu können.
Es ist hier aufgerufen worden zu einer Einigkeit in der westlichen Welt. Sicher, meine Damen und Herren, die brauchen wir. Deshalb ist es unsere
Aufgabe, eine solche elastische und bewegliche Politik nicht zur Grundlage deutscher Extratouren, sondern zur Grundlage einer gemeinsamen westlichen Politik überhaupt zu machen. Das ist die Aufgabe, die vor uns steht.
Wenn ich da gelegentlich höre: „Was ihr da vorschlagt, das ist die Neutralisierung Deutschlands!", so ist darauf zu sagen: Jeder, der ein Gegner dessen ist, was man so allgemein als eine Neutralisierung bezeichnet, sollte sich überlegen, daß Deutschland heute neutralisiert ist, und zwar in der denkbar schlimmsten Form. Deutschland ist dadurch neutralisiert, daß sich auf seinem Boden zwei feindliche Militärblöcke Aug in Aug einander gegenüberstehen. Das ist die Neutralisierung unseres Landes.
({5})
Wir wollen ja gerade über diesen Zustand, diese Form der Neutralisierung hinaus. Die Wiedervereinigung in gesicherter Freiheit wird nur zu erlangen sein - das ist der alte Gegenstand unserer Diskussion -, wenn das wiedervereinigte Deutschland einen anderen militärischen Status hat, als ihn die beiden Teile Deutschlands heute haben. Das wird das Ergebnis von Verhandlungen sein müssen; und wir wissen genau, daß politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell das wiedervereinigte Deutschland ein Teil der Familie der freien Völker sein wird.
Das alles ist aber nur erreichbar, wenn daran gearbeitet wird. Auch der Herr Bundeskanzler hat ja diplomatische Erkundung vorgeschlagen. Allerdings meine ich, daß alle diese Erkundungen einen Erfolg nur haben können, wenn man nicht gleichzeitig durch politisch-militärische Entscheidungen in Richtung auf die Teilnahme der Bundesrepublik am Atomwettrüsten jede Aussicht auf eine zukunftsträchtige Lösung zerstört.
({6})
Das Wort hat der Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Erler hat behauptet, ich hätte verlangt, daß die Russen ihrer Ideologie abschwören.
({0})
Das ist nicht wahr; davon habe ich kein Wort gesagt. Ich habe folgendes gesagt - Herr Erler, Sie können es ja im Stenogramm nachlesen -: Wenn wir nur eine Pause von 10, 20, 30 Jahren bekommen, dann sind wir schon ein Stück weiter, und dann ist es vielleicht auch so weit, daß die Kommunisten in Rußland nicht mehr das Axiom haben, die Welt beherrschen zu wollen. Das habe ich gesagt.
({1})
Das Wort hat der Bundesverteidigungsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sowohl der Oppositionsführer Kollege Ollenhauer wie auch Kollege Erler haben heute einige Fragen angeschnitten, auf die ich glaube Auskunft geben zu können. Vielleicht ist diese Auskunft nicht so umfangreich, wie erwartet wird; jedenfalls wird sie dem Sachverhalt entsprechen.
Herr Kollege Erler hat drei Thesen aufgestellt. Die erste These lautet, wenn ich sie richtig in Erinnerung habe, die Fortsetzung des Atomwettrüstens bedeute, daß es keine Sicherheit gebe. Man muß ihm recht geben darin, daß es seit der Entwicklung, seit der Produktion und vor allen Dingen seit der zunehmenden, man kann beinahe sagen, Fließbandproduktion nuklearer Waffen, sowohl Kernspaltungswaffen wie Kernverschmelzungswaffen, im technischen Sinne des Wortes überhaupt keine Sicherheit mehr gibt. Sicherheit ist heute nicht mehr allein durch technische Vorkehrungen zu gewinnen, sondern nur mehr im politischen Bereich zu gewinnen, allerdings unter der Voraussetzung, daß bei dieser Politik die oft so sehr geschmähten strategischen Überlegungen, die heute zum Teil von verschiedenen Seiten falsch definiert worden sind, zumindest berücksichtigt werden. Insofern gebe ich dieser ersten These recht. Es gibt im Zeitpunkt der nuklearen Waffen keine technische Sicherheit mehr.
Er hat eine zweite These daran angeschlossen: Solange sich fremde Truppen auf deutschem Boden gegenüberstehen, ist eine Wiedervereinigung praktisch ausgeschlossen. Das brauchte eigentlich nicht der Fall zu sein. Gerade von Ihrer Seite, Herr Kollege Erler, und von der Seite Ihrer Freunde ist ja des öfteren lobend auf Osterreich hingewiesen worden. In Osterreich sind die entscheidenden politischen Schritte zu einem Zeitpunkt getan worden, zu dem sich die Truppen der beiden Blöcke, und zwar beide hochgerüstet und in beträchtlicher Zahl, noch gegenüberstanden. Ich bin mir dabei der Verschiedenartigkeit der Verhältnisse im österreichischen Fall und im deutschen Fall durchaus bewußt. Man sollte aber auf Ihrer Seite auch anerkennen, daß eine österreichische Lösung, wie auch die verantwortlichen österreichischen Staatsmänner einem jederzeit bestätigen, überhaupt nur möglich gewesen ist, weil auf der andern Seite ein starkes abwehrfähiges Bündnis zur Sicherung der österreichischen Lösung erhalten geblieben ist.
({0})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Minister, ich entnehme Ihren letzten Worten, daß Sie die heutige Situation unseres Landes nicht mit der Situation in Vergleich setzen wollen, in der Österreich damals zu seiner Lösung gekommen ist. Aber weil Sie dieses Problem hier anschneiden, das uns vor einem Jahr
schon einmal beschäftigt hat, möchte ich Sie fragen, wie es sich dann erklärt, daß zu einer Zeit, in der wir noch keine Truppen hatten und diese Frage noch offen war, zur Zeit nämlich der Berliner Außenministerkonferenz, intern jedenfalls der Westen darauf festgelegt war, eine solche österreichische Lösung, wie Sie sie jetzt für denkbar halten und wie sie ja wirklich denkbar ist, für unmöglich zu halten. 1954!
Ich bin anders informiert als Sie, Herr Kollege Wehner. Das läßt sich aber wahrscheinlich hier zur Stunde nicht klären.
({0})
Ich bin informiert, daß der damalige französische Außenminister - meiner Erinnerung nach war es Bidault - eine solche Frage in einer vertraulichen Sitzung gestellt hat und darauf, wie er in einem Ausschuß der französischen Kammer mitgeteilt hat, eine glatte Absage oder auch überhaupt keine Reaktion von russischer Seite hat verzeichnen können. So ist meine Erinnerung.
Ich will ja nicht in dieser Frage polemisieren, Herr Minister; aber da Sie sagen, das sei Ihnen nicht gegenwärtig, möchte ich, wenn Sie erlauben, das Recht zu einer Zusatzfrage für die Bitte gebrauchen, daß Sie sich einmal die interne Direktive ansehen, die „Geheim" gestempelt, aber Ihnen als Kabinettsmitglied wohl zugänglich sein dürfte. Dann können wir vielleicht einmal später in den Ausschüssen über dieses Versäumnis oder über diesen Unterschied der Meinung eines Kabinettsmitglieds heute und der Praxis der Minister damals sprechen.
Darf ich fragen, Herr Kollege Wehner: geheime Direktive von wem an wen?
Das ist eine Festlegung der Westmächte und der Bundesregierung auf die Politik während der Berliner Außenministerkonferenz.
Die Bundesregierung war ja als Partner an der Berliner Außenministerkonferenz überhaupt nicht vertreten,
({0})
und die Frage Bidaults scheint immerhin zu beweisen, daß er zumindest den Versuch gemacht hat, einmal die Lage zu testen.
({1})
- Ich habe sie nicht, und Sie haben mir sicherlich in Kenntnis der Hintergründe vieles voraus.
({2})
- Nein, so war es nicht gemeint. Ich habe mich mit diesen Dingen nicht so beschäftigt, weil es
Bundesverteidigungsminister Strauß
nicht zu meinem Aufgabengebiet gehört. Da hat sicher der Kollege Wehner in seiner jahrelangen Beschäftigung manches an Detailkenntnis voraus, das ich mir erst beschaffen müßte, wenn ich dazu heute autoritativ - und ich bitte, das Wort richtig zu verstehen - eine Auskunft geben sollte.
Aber die These des Kollegen Erler, daß, solange sich fremde Truppen gegenüberstehen, eine Wiedervereinigung ausgeschlossen sei, scheint mir falsch zu sein; denn eine politische Lösung zwischen den Großmächten mit deutscher Beteiligung könnte ja trotzdem freie Wahlen vorsehen. Es kommt hier auf etwas anderes an, nämlich - und das ist der entscheidende Unterschied zwischen der österreichischen Lösung, dem österreichischen Problem und dem deutschen Problem - daß die Sowjets in Deutschland während ihrer Anwesenheit freie Wahlen mit einem manifesten Zusammenbruch des kommunistischen Systems und den ganzen sich daraus ergebenden Folgen für ihren Satellitenblock, möglicherweise noch für die Verhältnisse im Innern ihres Landes, nicht wagen können, und wann sie es wagen können oder wagen wollen, ist eine Frage, die einer sorgfältigen Analyse bedarf. Mir scheint doch der entscheidende Punkt die Frage zu sein, was die Sowjets wollen, eine Frage, die wir hier schon oft gestellt haben und auf die wir allerdings bisher verschiedene Antworten gegeben haben. Darüber ist heute gesprochen worden und wird auch in Zukunft noch zu sprechen sein. Aber die These, daß eine Wiedervereinigung ausgeschlossen sei, solange sich fremde Truppen auf deutschem Boden gegenüberstehen, scheint mir nicht richtig zu sein.
Die dritte These heißt: Die fremden Truppen bleiben weiterhin auf deutschem Boden stehen, wenn das Atomrüsten weitergeht. Herr Kollege Erler, die erste These war richtig, die zweite kann richtig oder falsch sein, die dritte ist bestimmt falsch. Es kann sehr wohl eine Lage eintreten, daß, gerade wenn das Atomrüsten weitergeht, die Amerikaner mit der zunehmenden Entwicklung der interkontinentalen Waffen, mit all den Risiken und auch der europäischen Uneinigkeit nicht mehr Wert darauf legen, auf europäischem Boden stehenzubleiben, wie sie es in der Vergangenheit getan haben. Und dann zahlen wir die Zeche: die Russen bleiben da und die Amerikaner in diesem Fall nicht.
({3})
Dann würden Sie die These mindestens insofern akzeptieren, als sich das auf die russischen Truppen bezieht? Das genügt aber für den Fall hier!
In dem Fall genügt das nicht; denn man kann sehr wohl davon ausgehen, daß bei einem Fehltritt der europäischen Politik, bei einem Auseinanderbrechen der NATO auf europäischem Boden eine Wirkung eintreten kann, die den vorher geschilderten Folgen entspricht. Ich möchte sie jetzt gar nicht im einzelnen erwähnen, um nicht den Schwarzen Mann an die Wand zu malen.
Ich darf hier einen weiteren Punkt erwähnen. Sie sagten, es sei bei den Abrüstungsverhandlungen immer so gewesen, daß die eigenen Vorschläge, die man monatelang vorgetragen habe, immer dann verleugnet worden seien, wenn die andere Seite begonnen habe, sich diese Vorschläge zu eigen zu machen. Ich glaube, das ist doch etwas zu einfach gesehen. Sie haben die Protokolle im einzelnen studiert. Ich habe sie mir in den letzten Tagen angesehen. Der Westen ist sehr stark auf die Vorschläge der Sowjets eingegangen, aber die Sowjets sind jedem Versuch zu einer Festlegung auf eine wirkliche Kontrolle aus dem Wege gegangen. Darüber wird allerdings bei anderer Gelegenheit noch im einzelnen zu sprechen sein.
Wenn Sie dem Bundeskanzler vorwerfen, er habe festgestellt, daß Jahr für Jahr die Lage noch ernster geworden sei, und wenn Sie dann sagen: Was ist das für eine deutsche Politik!, dann begehen Sie den Fehler, den vorher der Bundeskanzler, glaube ich, dem Kollegen Reinhold Maier vorgeworfen hat, nämlich anzunehmen, die deutsche Politik sei der Schlüssel der Weltpolitik; je nachdem, wie wir uns verhielten, werde die Lage besser oder schlechter; wenn wir uns verhielten wie die Politik der CDU, werde sie immer ernster. Daraus käme dann die Antithese: Wenn wir es so machen, wie Sie wollen, wird es immer heiterer auf dieser Welt.
({0})
Ich glaube, daß das eine falsche Prämisse ist. Die Lage ist sicherlich heute ernster geworden, seit einigen Jahren. Ich vermag nicht zu sagen, wie oft wir seit 1945 an Abgründen vorbeigewandelt sind. Es war sicherlich mehrfach der Fall. Allerdings haben wir jetzt ohne Zweifel Grund, unsere Situation sehr genau zu prüfen.
Es sind heute sehr weitgehende Analysen angestellt worden. Ich sehe leider den Kollegen Reinhold Maier nicht, der heute in einer für mich so interessanten Weise in seiner enzyklopädischen Rede - die er selbst nur als schlichte Gedankengänge bezeichnete - das deutsch-russische Verhältnis erwähnte. Dabei ist der Name Bismarck gefallen, es ist von der weiteren Entwicklung der deutschen Ostpolitik, dem Verhältnis Deutschland-Rußland usw. gesprochen worden. Ich möchte jetzt - dahingestellt, ob ich es könnte - keine Darstellung des Ablaufs der deutsch-russischen Beziehungen geben. Es ist auch vielleicht nicht richtig, bis in die napoleonische Zeit zurückzugehen. Da läßt sich vieles strapazieren. Aber was war denn eigentlich die Tragik der deutschen Politik, unabhängig von dem grundlegenden Wandel des Systems in Rußland vom Zarismus zum Bolschewismus? Die Tragik der deutschen Politik und damit regelmäßig auch die Katastrophe der deutschen Politik war die Festlegung eines falschen Standortes in der Weltpolitik, die Überschätzung der eigenen Kräfte, keine Allianzen oder falsche Allianzen, d. h. in diesem Falle eine Schaukelpolitik zwischen Westen und Osten, die uns in den ersten Weltkrieg getrieben und die uns, wenn auch unter anderen, sehr intentionellen Voraussetzungen, in den zweiten Weltkrieg getrieben, die uns aber beide Male in die Katastrophe ge378
Bundesverteidigungsminister Strauß
trieben hat. Wenn man deshalb heute versucht, unseren Standort festzulegen, dann sollte man gerade dafür sehr empfänglich sein, daß die Orientierung unserer Politik zur europäischen Einheit und zu einer europäisch-atlantischen Sicherheitsgemeinschaft vielleicht die erste Voraussetzung dafür ist, daß wir nicht zum drittenmal in diesem Jahrhundert in eine neue Katastrophe hineintreiben.
({1})
Ich bin auch etwas betrübt - Herr Kollege Mende, Sie schauen mich an; Sie werden es nicht als ein pathetisches Wort empfinden -, daß Reinhold Maier heute Kleineuropa als eine große intellektuelle Spielerei bezeichnet hat, in der es so viele Pfründen und Posten zu besetzen gebe. Nun, wollen wir das letzte beiseite lassen; das entspricht dem ironischen Stil. Aber ich glaube, daß die Gegner dessen, was man so in ironischer und unterbewertender Weise als Kleineuropa bezeichnet, sich viel mehr einer intellektuellen Gedankenspielerei in der Vergangenheit hingegeben und damit manchen großen Schaden angerichtet haben als wir, die wir uns zur Sechserlösung bekannt haben, bei der die Türen für weitere Anschlüsse offen sind.
({2})
- Das weiß ich, aber ich möchte heute nicht ein Klagelied über EVG, und darüber daß sie nicht zustande gekommen ist, singen. Wir haben der Montanunion zugestimmt, wir haben mit überwältigen- der Mehrheit dieses Hauses der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zugestimmt, wir hoffen auch die Freihandelszone zu bekommen, wir haben der Europäischen Atomgemeinschaft zugestimmt und wir stehen heute immer noch vor dem gleichen Sachverhalt. Hätten wir nicht auf den möglichen Gebieten die Einheit der Sechs geschaffen, stünden wir vor einem vollendeten europäischen Trümmerhaufen, der die europäische Katastrophe und damit den Zusammenbruch der atlantischen Sicherheitsgemeinschaft noch mehr herbeiführen würde.
({3})
Ich glaube, man leistet den besten Beitrag für die deutsche Zukunft nicht, indem man den Zusammenschluß der kontinentalen europäischen Völker als intellektuelle Spielerei bezeichnet, sondern indem man einen echten Beitrag zur Wiedergutmachung der deutschen Schuld an Europa leistet, indem man für dieses Europa arbeitet und sein Zustandekommen beschleunigt und wirksamer macht.
({4})
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zur Rede des Kollegen Reinhold Maier machen. Er sprach von dem schimmernden Gewand des perfekten Staates, das sich die Bundesrepublik Deutschland zugelegt habe. Er und Sie, Herr Kollege Mende. sprachen vom Provisorium und vom Definitivum. Nun, wird sind uns alle in dem Wunsche einig, daß die Bundesrepublik ein Provisorium sein möge und daß wir eines Tages das Definitivum eines wiedervereinigten, in seiner staatlichen Einheit wieder zusammengefügten deutschen Volkes in einem, wie wir auch hoffen dürfen, vereinigten Europa erleben dürfen. Aber wir müssen uns über eines im klaren sein - Sie haben es nicht so gemeint, Ihr Kollege auch nicht; aber es wird manchmal falsch ausgelegt-: hinsichtlich der Rechte, die die Bundesrepublik gegenüber ihren Bürgern hat, und hinsichtlich der Pflichten, die wir gegenüber diesem Staate haben, haben wir ihn so lange als Definitivum zu behandeln, bis er durch unsere Arbeit zum Provisorium geworden ist.
({5})
Denn sonst taucht sehr leicht die verführerische Parole auf, daß die Verweigerung der bürgerlichen Pflichten gegenüber diesem Staate etwa ein Verdienst für Gesamtdeutschland werden könnte.
({6})
So haben Sie es nicht gemeint, jawohl, das weiß ich. Aber ich habe diese Schlußfolgerung so oft draußen gehört, daß ich hier auf eine gefährliche Mißdeutung des berechtigten Begriffs des Provisoriums hinweisen wollte, - nicht mehr als das.
({7})
Eine Frage ist heute nur am Rande angeklungen; sie ist vom Kollegen Maier in einer sehr plastischen, bizarren Formulierung angeschnitten worden. Der Kollege Erler hat vor einigen Wochen in München zu dieser Frage Stellung genommen. Ich habe seine Ausführungen nicht im Originaltext gelesen, sondern nur, wie üblich, die Pressemeldung, und weiß, wie anfällig der Mensch - der schreibende und der lesende - in diesem Fall ist.
({8})
Der Kollege Maier sprach von dem Bolschewistenschreck, mit dem man immer wieder die deutsche Öffentlichkeit sozusagen beisammenhalte, und Sie, Herr Erler, haben auch - nicht unter Verwendung des Wortes „Bolschewistenschreck" - davon gesprochen, daß es keine sowjetische Gefahr, jedenfalls in militärischer Hinsicht, gebe.
({9})
- Ich sage nur: der schreibende und der lesende Mensch ist anfällig.
Nur zur Information! Ich habe das so ähnlich gehalten wie der Bundeskanzler, der gesagt hat: Das ist jetzt hier nicht die Hauptfront. Das haben wir vorhin vorn Bundeskanzler gehört, und dem schließe ich mich an. Nach der Meinung des Kanzlers ist die Drohung nicht so schrecklich.
Es ist auch jetzt nicht der Zeitpunkt, über die lange Vorgeschichte der militärischen Gefahr in Europa im einzelnen zu sprechen; aber, Herr Kollege Erler, um die Gemeinsamkeit wollten wir eigentlich doch bitten; wir haben uns hier auf diesem Gebiete immer gegenseitig zu verstehen bemüht. Eine politische Lösung im Sinne von Verhandlungen ist
Bundesverteidigungsminister Strauß
überhaupt nur möglich, wenn die militärische Gefahr mit unserer Hilfe, als nicht realistisch oder als nicht akut, ausgeschaltet werden kann. Wenn man jedenfalls sagt, eine militärische Gefahr von sowjetischer Seite sei nicht vorhanden, erweckt man sehr leicht den Eindruck, als ob .überhaupt keine potentielle Gefahr vorhanden sei. Die akute Gefahr ist deshalb in der Vergangenheit nicht vorhanden gewesen und ist deshalb in der Gegenwart nicht vorhanden, weil das Risiko für einen potentiellen Angreifer zu groß gewesen ist.
({0})
Darum sind wir der Meinung, daß dieses Risiko aufrechterhalten werden muß, damit der Weg zu politischen Lösungen überhaupt frei gemacht werden kann.
({1})
Heute ist ein bekannter Zeitgenosse sehr häufig genannt und beinahe strapaziert worden: George Kennan ist von verschiedenen Seiten in Anspruch genommen worden. Sie, Kollege Erler, haben aber öfter das nach diesen sechs Reden erfolgte Interview des ehemaligen amerikanischen MoskauBotschafters erwähnt. In diesem Interview mit dem Feldmarschall Slessor und einigen Publizisten hat George Kennan auf die Frage, ob eine Pearl Harbour-artige Überfallaktion von seiten der Sowjetunion von ihm für möglich gehalten werde, mit einem klaren Ja geantwortet.
({2})
Er hat allerdings dazu noch einige einschränkende Bemerkungen gemacht, daß die Sowjets wohl mehr die politische Aggression als die akute militärische Aktion vorzögen. Aber er hat jedenfalls die Möglichkeit eines Pearl Harbour in Rechnung gestellt.
Wodurch ist denn die ganze westliche Verteidigungskonzeption - lassen Sie mich ruhig einmal sagen - belastet? Belastet ist sie durch zwei Vorstellungen. Die eine Vorstellung ist von Deutschland, die andere Vorstellung ist von Japan erweckt worden, Deutschland damals in der Zeit des Dritten Reiches und Japan mit dem bekannten Überfall im Dezember 1941. Die eine Vorstellung heißt: Man darf einem Diktator, einem, für den Moral oder Unmoral nur eine Frage der Zweckmäßigkeit und nicht etwas anderes ist, auch nicht einen kleinen Finger geben; denn mit jeder Aktion, die man ihm hinausgehen läßt, steigert man seinen Appetit und provoziert damit bereits die nächste gewaltsame Aktion.
({3}) Das war die eine These.
Die andere These! Sie werden sicher bei der 6. Flotte im Mittelmeer erlebt haben - wenn Sie, wie eine Reihe von Kollegen, dabei waren -: die Amerikaner leben ständig und nicht zu Unrecht heute noch unter den psychologischen Nachwirkungen von Pearl Harbour. Angesichts der Überlegenheit, die ein Überraschungsangriff bei der Wirksamkeit der thermonuklearen Waffen dem Angreifer heute gibt, muß man auch das in Rechnung stellen, daß eine ständige Abwehrbereitschaft heute
von den Amerikanern als eine Voraussetzung dafür gehalten wird, daß man auch in Europa die Position behaupten und den Weg für politische Verhandlungen noch freihalten kann. Diese beiden Voraussetzungen kann niemand bestreiten.
({4})
Natürlich ist die Sowjetunion, rein militärisch gesehen, mit ihren gegenwärtigen Präsenzstärken im Gegensatz zum Westen zu einer überfallartigen Aggression in der Lage. Aber das Risiko für sie ist, solange es besteht, wohl ausreichend, um eine solche Aktion zu verhindern. Deshalb müssen wir vor einer Auflösung des Risikos warnen.
({5})
Es gibt ja eine Reihe von Plänen. Ich habe vom Ollenhauer-Plan heute nichts mehr gehört. Er hat in der Vergangenheit immer wieder ein schemenhaftes Dasein geführt. Ich bin ihm sehr oft im Wahlkampf begegnet, und es war beinahe so, als ob er am 15. September schlagartig verschwunden sei. Der Ollenhauer-Plan, der heute eine Abwandlung durch den Kollegen Mende erfahren hat,
({6})
schließt ohne jeden Zweifel in sich ein, daß er das Risiko für den Angreifer in Europa de facto auflöst, nur theoretisch beibehält. Das ist der Unterschied - wollen wir ganz ernsthaft darüber diskutieren! zwischen dem Ollenhauer-Plan und dem GaitskellPlan. Der Gaitskell-Plan versucht noch, das Risiko aufrechtzuerhalten, während der Ollenhauer-Plan - in der Art und Weise, wie ich ihn gelesen habe, wie er monatelang verkündet worden ist - das theoretische Risiko durch eine Garantieerklärung beibehält, das praktische Risiko für den Angreifer beseitigt. In dem Augenblick, in dem ein Angreifer gemerkt hat, daß das Risiko nicht mehr für ihn vorhanden ist, werden wir alle ernstere Probleme haben, als wir sie heute noch hier besprochen haben.
({7})
Gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Herr Minister, es gibt keinen Unterschied zwischen den Vorschlägen Gaitskells und Ollenhauers gerade in diesem Punkt. Vielleicht lesen Sie freundlicherweise beide noch einmal nach und übertragen dann Ihr Wohlwollen von Gaitskell auf Ollenhauer!
({0})
Ich habe nicht gesagt, daß ich ein Anhänger des Gaitskell-Planes bin. Aber der Gaitskell-Plan ist eine Diskussionsgrundlage durch die Aufrechterhaltung des Risikos. Die Zeit erlaubt es nicht, daß man hier
Bundesverteidigungsminister Strauß
in die Einzelheiten geht. Aber allein mit einer amerikanischen Sicherheitsgarantie, mit .der Sicherheitsgarantie einer Nation, die mit ihren Truppen 6000 km weit über den Ozean verschwunden ist, und mit einer Sicherheitsgarantie - ({0})
Eine Nation, die mit ihren Truppen 6000 km über den Ozean verschwunden wäre, könnte nurmehr thermonukleare Fernkampfwaffen einsetzen. Das darf ich doch wohl sagen. Und diese Sicherheitsgarantie ist sogar für den Garantierten noch gefährlich, nicht nur für den anderen.
({1})
Gestatten Sie die Frage?
Bitte sehr!
Herr Minister, sind Sie bereit, nunmehr zur Kenntnis zu nehmen, daß auch Ollenhauers Vorschläge davon ausgingen, daß außer der Änderung des militärischen Status Deutschlands im übrigen die NATO aufrechterhalten bleibt?
({0})
Ich gebe ehrlich zu: das ist mir neu. Dann weiß ich aber nicht, warum der Ollenhauer-Plan „OllenhauerPlan" und nicht „Gaitskell-Plan" heißt; denn dann ist er ja praktisch dasselbe!
({0})
- Das ist keine Spielerei, denn er ist ja als solcher bezeichnet worden.
Aber kehren wir zu der entscheidenden Frage zurück, und die entscheidende Frage ist dieselbe, über die wir uns schon mehrfach unterhalten haben: Was wollen die Sowjets eigentlich? Es gibt zwei Möglichkeiten, die natürlich ihrerseits wieder zahlreiche Varianten haben. Wollen die Sowjets Sicherheit, oder wollen sie die Weltherrschaft mit der nächsten Station der Herrschaft über Europa?
Wollen sie Sicherheit? Angesichts aller historischen Erfahrungen, angesichts aller strategischen Belastungen, angesichts aller technischen Hypotheken, die wir heute haben, läßt sich dieses Problem mit gutem Willen auf beiden Seiten, mit dem ehrlichen Willen zur Abrüstung, mit Geduld, mit der Fähigkeit, auch im kleinen zu verhandeln, durchaus lösen.
({1})
Wollen die Sowjets aber mit all den Vorschlägen, die sie jetzt entweder machen, machen lassen oder
unterstützen - halten wir einmal die drei Möglichkeiten offen -, nichts anderes, als das Gegengewicht gegen sie in Europa so zu lähmen, daß praktisch die Amerikaner sich nicht mehr auf europäischem Boden halten können oder halten wollen, wollen die Sowjets mit der Neutralisierung der Ostsee, mit der Verschlechterung des Status quo im Rapacki-Plan, mit ihren Vorschlägen im Nahen und Mittleren Osten nichts anderes, als den nächsten Schritt auf fünf, acht oder zehn Jahre vorzubereiten, dann ist jetzt eine Einigung mit ihnen nicht möglich, und wenn Sie jede Woche in Moskau mit einem neuen Plan aufkreuzen und ihnen heute dies und morgen jenes anbieten.
({2})
Denn den Preis, den die Sowjets verlangen - von dem Sie glauben, daß man ihn durch Verhandlungen senken könne -,
({3}) können und dürfen wir nicht zahlen.
({4})
- Den Zuruf „das sind Behauptungen", den ich soeben aus Ihren Reihen gehört habe, nehme ich besser nicht so ernst. Das sind keine Behauptungen. Es sind Tatsachen, daß die Sowjets die Föderation mit der DDR verlangen, es sind Tatsachen, daß sie die Beibehaltung der Sklaverei für 17 Millionen Deutsche verlangen, es sind Tatsachen, daß sie in Europa einen Gürtel schwacher, pseudoneutraler Staaten gründen wollen, die die Opfer der nächsten Überfälle werden sollen. Das sind keine Behauptungen, das sind traurige Tatsachen, und die, die es einige hundert Kilometer östlich von hier früher nicht geglaubt haben, wären heute gern bereit, es zu glauben, wenn sie noch die Freiheit hätten, das auszudrücken, was sie glauben.
({5})
Ein Motiv ist heute zum Glück bloß noch schwach angeklungen, und dafür muß man der Opposition danken, nämlich das Motiv der Politik der Stärke mit umgekehrtem Vorzeichen. Es ist niemals von dieser oder von einer anderen Stelle aus von einer Politik der Stärke im Sinne einer ultimativen Drohung gegenüber der Sowjetunion gesprochen worden. Wohl aber heißt für uns „Politik der Stärke" - wenn Sie uns das Wort unbedingt weiterhin auflasten wollen; man kann auch andere Termini verwenden - nichts anderes, als uns gemeinsam mit unseren Bundesgenossen die Verhandlungsfreiheit zu sichern. Haben wir sie nicht mehr, wird mit uns auch niemand mehr verhandeln.
({6})
Wenn Herr Ollenhauer sagte - vielleicht erscheint dann im PPP oder Neuen Vorwärts ein Artikel von wegen Machtpolitik oder ähnlichen Dingen; darüber kann man bei anderer Gelegenheit einmal reden -, wenn also Herr Ollenhauer sagte „hart verhandeln" : hart verhandeln kann nur, wer etwas hinter sich hat, an Bundesgenossen und an eigenem Gewicht. Darüber gibt es keinen Zweifel.
({7})
Bundesverteidigungsminister Strauß
Damit Sie mich aber nicht mißverstehen, möchte ich klarstellen, daß ich mit Gewicht nicht Divisionen, Atomkanonen oder Panzerstärken meine.
({8})
- Das Wort ist nie gefallen, aber von Ihrer Propaganda verwendet worden.
({9})
Im übrigen sollten wir uns darüber gegenseitig keine Vorwürfe machen. Wenn man in einer ernsten Situation in einem Gebiet, dessen Bevölkerung angesichts der Vorgänge in Budapest Angst hat, dieser Bevölkerung sagt: Euch kann nichts passieren, euch greift niemand an, weil der Angreifer weiß, was ihm passieren würde, so ist das sogar eine karitative Tat, Herr Kollege Wehner, auch wenn Sie es nicht glauben wollen.
({10})
Wir sollten hinsichtlich der Frage: was wollen die Sowjets, wollen sie Welteroberung oder wollen sie Sicherheit? nicht in denselben Fehler verfallen, in den in den 30er Jahren - mit katastrophalem Ausgang - die Nachbarn Deutschlands, gerade Belgien, Holland und Dänemark unter dem Regime Hitlers verfallen sind.
({11})
Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich sage: die Sowjets werden nicht gehen, solange man bei uns glaubt, immer neue Pläne erfinden zu müssen, um sie damit aus Deutschland herausmanövrieren zu können, solange man der Bundesregierung de facto die Schuld beimißt, die Wiedervereinigung verhindert zu haben.
Ich möchte mich einmal in die Rolle der sowjetischen Machthaber versetzen, wenn sie unsere heutige Debatte und unsere früheren Debatten gehört haben, wenn sie sehen, daß diejenigen, denen sie frei nach ihrem Belieben das Tor auf- oder zumachen können, sich gegenseitig herabsetzen, sich gegenseitig angreifen, sich gegenseitig beschimpfen, statt ihre gemeinsame Kraft für das Ziel der Freiheit und Einheit Deutschlands zu konzentrieren.
({12})
Ich kann leider keinen Plan machen. Es gibt nach meiner Auffassung zur Zeit keinen Plan, und wenn man einen Plan hätte, wäre man töricht, wenn man ihn in der Öffentlichkeit nennte.
({13})
- Sie haben großes Vertrauen zu mir; ich hoffe es nicht zu enttäuschen, Herr Kollege Wehner.
Ich glaube, über die Verfahrensfragen sind wir uns einig. Die Frage des Plans wird aus anderen Gründen, nicht aus diesem Grund, hier immer hochgebracht.
Ich darf Ihnen sagen: die Sowjets werden gehen erstens, wenn sie sehen und davon überzeugt sind, daß sie in Europa nicht mehr vorankommen, daß sie ihre Herrschaft in Europa nicht mehr weiter ausdehnen können, zweitens, wenn ihnen die Herrschaft über die sowjetische Besatzungszone und über ihr Satellitenregime zur Last geworden ist, und drittens, wenn sie es sich ohne Konsequenz für ihr eigenes Regime leisten können, eine politische Generalflurbereinigung vorzunehmen, die beiderseits auf Konzessionen beruht. Dazu werden sie bereit sein, wenn der Status quo ihnen lästig ist oder wenn die auszuhandelnde Lösung ihnen den Preis wert ist, den sie zahlen sollen, oder geringere Nachteile bietet als der Status quo. Eine andere Definition der Lösung läßt sich zur Zeit nicht geben, so schwierig es klingt. Aber eine andere Lösung ist zur Zeit theoretisch nicht zu definieren. Ein praktisches Angebot im Sinne einer praktischen Politik zu machen, ist nur auf dem Wege diplomatischer Verhandlungen möglich nach sorgfältiger Sondierung der Möglichkeiten und wieder vorausgesetzt, daß der andere überhaupt verhandeln und nicht nur Zeit gewinnen und uns auseinanderbringen will.
Es ist heute sehr oft von den Bulganin-Briefen gesprochen worden und von der Art der Beantwortung der Bulganin-Briefe. Ohne Zweifel ist es auch ein Ziel der Bulganin-Briefe, Gegensätze innerhalb der Verbündeten zu erzeugen. Man spricht die Franzosen mit einem Ressentiment gegen Deutschland an, man spricht die Engländer mit einem Ressentiment gegen Deutschland an. Man macht den Amerikanern bestimmte Angebote und nennt ihnen bestimmte Möglichkeiten. Zur Zeit sind die Sowjetrussen mehr daran interessiert, mit den USA in ein bilaterales Gespräch zu kommen, als daran, mit uns in bilaterale Verhandlungen zu kommen. Deshalb sollten wir vor allen Dingen darauf sehen, daß zwischen uns und den USA nicht ein politisches Mißtrauen, eine Verkühlung des Klimas oder gar eine Verschlechterung der Beziehungen durch irgendwelche sowjetische Lock- und Drohaktion herbeigeführt werden kann.
({14})
Es gibt vier Gebiete, aus denen die Sowjets abgezogen sind: Aserbeidschan, Ferner Osten, das Gebiet Osterreichs und ein Stück Finnlands. Man sollte einmal analysieren, warum sie aus diesen Gebieten abgezogen sind und ob die Voraussetzungen, die dort zum Abzug geführt haben, auch für die Bundesrepublik oder für die Satellitenstaaten insgesamt angewendet werden können. Hier ist nicht die Zeit für eine solche Analyse.
Lassen Sie mich zu den beiden letzten Problemen kommen. Ein Problem ist der Rapacki-Plan. Es ist über seinen Ursprung gestritten worden. Man hat gesagt, er sei polnischen Ursprungs, und es ist - auch vom Außenminister - gesagt worden, es spreche manches dafür, daß er sowjetrussischen Ursprungs sei und im Auftrage Moskaus von Polen vertrieben werde. Ohne Zweifel hat der Rapacki-Plan auch für Polen selbst manche verlockenden Möglichkeiten im Sinne einer gewissen Unabhängigkeit oder einer Verstärkung der Unabhängigkeit von der Sowjetunion.
Wir sollten uns darin einig sein - um welche Gespräche es sich auch handelt, ob sie heute über
Bundesverteidigungsminister Strauß
den Rapacki-Plan oder morgen über ähnliche Möglichkeiten geführt werden -, daß, wie Sie es, Herr Kollege Erler, heute angedeutet haben, eine atomwaffenfreie Zone keinerlei Schutz dagegen bietet, daß Raketenwaffen gegen sie angewendet werden können. Das wäre nur in technischen Dimensionen sozusagen die Rolle Belgiens vor oder am Anfang beider Weltkriege.
Sie sagen: wenn Atomwaffen da sind, zieht man den Gegenschlag um so mehr auf sich. Wissen Sie, daß das ein sehr gefährliches Argument ist? Ich habe während der NATO-Konferenz und in den Besprechungen der letzten Wochen eine Fülle von Bemerkungen von unseren Nachbarn gehört. Der Generaltenor dieser Bemerkungen war: Wenn ihr sagt, das Risiko sei euch zu groß, warum verlangt ihr dann von uns, daß wir das Risiko auf uns nehmen? Wenn das jeder für sich kontinuierlich fortsetzen wollte, gäbe es bei der interkontinentalen Rakete niemand mehr, auch nicht die USA, der sagen würde: Wir übernehmen für irgend jemanden das Risiko. Das wäre die Kapitulation der freien Welt vor der Sowjetunion.
({15})
Man kann das Problem 1. vom Standpunkt der Wiedervereinigung, 2. vom Standpunkt gerade des Risikos, 3. vom Standpunkt der technischen Zweckmäßigkeit aus prüfen. Aber wenn Sie es vom Standpunkt des Zweckmäßigen aus prüfen, liefern Sie unseren Bündnispartnern die beste Handhabe dafür, wegen des Risikos ihre Garantiepflicht uns gegenüber dann nicht mehr zu erfüllen.
Was ist denn Politik der Stärke? Ist denn nicht eine Politik der Stärke die laufende Drohung, die gegen uns angewandt wird, die laufende, systematische Erzeugung der Atompanik in Deutschland, mit der doch nichts anderes erreicht werden soll, als uns müde, resigniert und verzweifelt zu machen wie das Kaninchen vor der Schlange, bis es gefressen wird?
({16})
Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, nehmen Sie mir die Bitte, die genauso ernst ist, wie Ihre Sorge heute war, nicht übel: Tragen Sie Ihrerseits nicht mehr dazu bei, daß in Deutschland mit der Atompanik politische Geschäfte gemacht werden!
({17})
Denn die Sorge derer, die - ich sage es ganz drastisch - um die biologische Zukunft ihres Volkes ehrlich besorgt sind, wird von verantwortungslosen Elementen sehr leicht für ihre dunklen Geschäfte im Hintergrund ausgenutzt. Und Angst ist ein schlechter Ratgeber in einer Frage, bei der die Menschen der freien Welt im Bewußtsein des möglichen Schreckens zusammenstehen sollten, um sich den Schrecken vom Leibe zu halten.
({18})
Sie wissen auch genau, daß es beim Rapacki-Plan Fragen der Kontrolle gibt, bei denen Polen ja gesagt hat und bei denen man - ich wäre sogar sehr dankbar dafür, wenn es geschähe - den Versuch machen sollte, die Sowjets auf das technische Funktionieren einer solchen Kontrolle festzulegen. Denn damit, daß es Kontrollkommissionen gibt, ist die Sache noch nicht erledigt. Wer die technischen Voraussetzungen einigermaßen kennt, wird zugeben, daß eine lückenlose Inspektion für den als sogenannte atomwaffenfreie Zone gedachten Raum nicht möglich ist, d. h. aller Kasernen, aller Flugplätze, aller Depots, aller unterirdischen Anlagen. Wieweit das mit dem bolschewistischen System im allgemeinen, seiner Spionagefurcht und seinem Geheimhaltungswahn vereinbar ist, ist eine Frage, für deren Beantwortung wir uns sehr interessieren würden. Gerade deswegen sollte man darüber diskutieren.
Aber noch schwieriger ist die Frage des Hineinbringens der Atomwaffen. Es gibt eine Fülle von Mehrzweckwaffen, Kanonen, Raketenträger und Flugzeuge, die normale Sprengköpfe befördern, liegen in diesem Gebiet. Innerhalb von drei Stunden ist es mit Transportflugzeugen möglich, innerhalb einer Nacht ist es mit Eisenbahn und Fernlastern möglich, Hunderte von taktischen Atomwaffen in das Gebiet hineinzubringen. Bei uns geht das nicht, weil wir Gott sei Dank die Kontrolle der Öffentlichkeit und der Presse haben. In einem diktatorisch beherrschten System geht es ohne große Mühe.
Die Kontrollkommission legt sich nachts um 12 Uhr beruhigt hin mit der Überzeugung, daß kein einziger Atomsprengkörper in diesem Gebiet ist, und morgens um 6 Uhr wacht sie auf, wenn die Atomsprengkörper verwendet werden. Das ist technisch fast unlösbar. Denn dann kommt man zu dem Problem, noch hinter die atomwaffenfreie Zone greifen zu müssen, um überhaupt die atomwaffenfreie Zone zu ermöglichen. Dann kommt man wieder zu dem Problem, von dem der Herr Bundeskanzler sprach und das auch Sie verfolgen, nämlich der Frage der allgemeinen kontrollierten Abrüstung.
({19})
Wenn die Polen in ihrer Politik so selbständig wären, wie sie heute dargestellt worden sind, warum haben sie dann in New York mit acht weiteren Nationen im Schlepptau Moskaus gegen die Abrüstungsvorschläge gestimmt, die von 71 in der UN vertretenen Nationen angenommen worden sind? Hier hätte Polen beweisen können, daß es unabhängig von Moskau nicht nur die atomwaffenfreie Zone, sondern eine generelle Lösung des Abrüstungsproblems anstrebt, und dann wäre auch unsere Sorge geringer.
({20})
- Alles oder nichts? Das ist nicht alles! Abrüstung ist im Laufe der Zeit alles, ja. Anfangen mit der ersten Stufe, aber nicht allein geographisch mit der ersten Stufe, sondern modalfiter anfangen mit der ersten Stufe überall! Die geographische Lösung allein ist dafür nicht ausreichend.
Völlig offen ist das Problem des Überschießens einer atomwaffenfreien Zone. Wer gibt uns dageBundesverteidigungsminister Strauß
gen Garantien? Die Russen haben an die italienische Adresse bereits geäußert, daß ja Italien gar keine Mittelstreckenraketen haben dürfe, weil es in jedem Falle neutrales Gebiet überschießen müßte. Als Herr Bulganin im November 1956 gegen Paris und London mit Raketen drohte, da hatte er nicht die Sorgen, daß er neutrales Gebiet überschießen müsse, und die Raketen eventuell keine Kurven machen könnten.
Dann bleibt die Frage, daß bei der Einführung einer atomwaffenfreien Zone die Amerikaner nach den uns zugänglichen Informationen - ich bitte, es bei dieser allgemeinen Formulierung zu belassen - nicht bereit sind, für dieses Gebiet mit der vollen Funktionsfähigkeit und mit dem sicheren Automatismus die Garantie zu übernehmen oder auch nur ihre Truppen weiterhin hier auf diesem Gebiet zu lassen.
Für die Polen liegt ein großes Interesse darin. Eine atomwaffenfreie Zone in Gesamtdeutschland -beide Teile - bietet ihnen Ruhe gegenüber der Angst vor Deutschland, - das stimmt - und die Möglichkeit einer Lockerung gegenüber Rußland. Aber wir dürfen hier auch nicht nur die polnische Politik sehen, sondern müssen auch die sowjetrussische sehen. Und was sehen wir hier? Den Versuch zur Neutralisierung der Ostsee. Was hier in zwei Artikeln im SPD-Pressedienst in diesem Jahre gestanden ist, kann von niemandem in Ihrer Fraktion ({21}) gebilligt werden. Es hatte etwa den Tenor, daß der Aufbau der lächerlich kleinen Bundesmarine - darf ich beinahe sagen - in der Ostsee das Marinegleichgewicht, das dort bisher geherrscht hat, stören könne.
({22})
Ein Artikel ist im März und einer ist vor wenigen Wochen geschrieben worden. In der letzten Nummer kam ein Artikel, der dem Chefredakteur glatt durchgegangen sein muß, wo er von der Notwendigkeit einer abschreckend starken Verteidigung ira skandinavischen Raum gesprochen hat.
Da haben sich die Dinge wieder einigermaßen beruhigt. Aber wenn man sieht, daß die TASS z. B. die Meldungen Ihres Informationsdienstes in die ganze Welt hinausgibt und sagt: Selbst die sonst so militärfreundliche SPD sagt, daß Schleswig-Holstein jetzt ein starker, mit Milliarden ausgebauter Stützpunkt der NATO wird, was soll man dann dazu sagen? Damit fördern Sie ja geradezu diese Propaganda und nützen einer wirklichen Entspannung, so gut es gemeint sein mag, gar nicht. Aber Neutralisierung - mare clausum - heißt doch praktisch Sowjetisierung der Ostsee, in Mitteleuropa der Status quo, aber verschlechtert mit dem Zusatz, daß eine wirksame Verteidigung im unmittelbaren Falle nicht mehr möglich ist. Denn auch wenn die sowjetischen Truppen - was noch dahingestellt sein möge - sich hinter die Ostgrenze Polens zurückzögen, würde sich die Sicherheitslage Mitteleuropas und unseres Landes erheblich verschlechtern.
Aber darum geht es mir gar nicht. Sie könnten mir mit Recht vorwerfen, man denke nur in strategischen oder gar militärischen Überlegungen. Ich werfe Ihnen etwas anderes vor. Der Rapacki-Plan ist zunächst ein rein militärischer Plan. Der Rapacki-Plan bedeutet nichts anderes, als daß eine bestimmte Sorte von Waffen mit einer angesichts der Verschiedenartigkeit der Verhältnisse zweifelhaften Kontrolle in einem bestimmten Gebiet nicht vorhanden sein darf. Wenn man schon einem militärischen Plan zustimmt, dann muß man mit ihm eine politische Lösung verbinden. Und wenn man über den Rapacki-Plan spricht, sollte man nicht die Hoffnung erwecken, daß wir so etwas annehmen würden, ohne daß man damit gleichzeitig einen erträglichen, praktikablen und mit unseren Vorstellungen zu vereinbarenden Vorschlag über eine Wiedervereinigung ganz Deutschlands in Freiheit verbindet.
({23})
Herr Minister, darf ich fragen, wie Sie diesen Vorschlag über die Wiedervereinigung Deutschlands mit einem Plan verbinden wollen, den Sie vorher überhaupt abgelehnt haben?
So liegen die Dinge nicht. Der Herr Bundeskanzler hat unter Aufgreifung des Eden-Plans schon vor Jahren und später mit den durch die technische Entwicklung notwendig gewordenen Varianten immer wieder Möglichkeiten genannt, wie man erstens eine allgemeine kontrollierte Abrüstung der konventionellen und atomaren Waffen durchführen kann und soll, und hat dazu sogar einen Blankoscheck für die Bundesrepublik ausgestellt. Er hat zweitens immer den Gedanken einer verdünnten Zone im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands und der Aufrechterhaltung einer Sicherheitsbürgschaft im Sinne eines funktionsfähigen Bündnisses vertreten und hat dazu nie nein gesagt. Was wir aber ablehnen, ist, daß man eine Vorleistung macht, die den Status quo nicht nur zementiert, wie heute gesagt worden ist, sondern ihn sogar noch erheblich verschlechtert, was noch nicht gesagt worden ist, aber ruhig auch einmal gesagt werden kann.
Lassen Sie mich nun zum Schluß noch etwas richtigstellen, was heute hier angeklungen ist, was in den letzten Tagen in der sozialdemokratischen Presse oder in der der SPD nahestehenden Presse behauptet worden ist und was heute auch Kollege Mende wieder aufgegriffen hat. Ich meine den Primat der Politik gegenüber dem Primat der militärischen Seite, wobei der Unterton war: jetzt machen die Generale wieder Politik. Ich kann hier eine ganz klare Auskunft geben. Der Herr Bundeskanzler hat vom Bundesverteidigungsministerium und nicht von der Generalität ein Gutachten über den Rapacki-Plan angefordert hinsichtlich der militärisch-technischen Punkte dieses Planes. Das Verteidigungsministerium hat, unterschrieben von mir und auch weitgehend von mir redigiert - denn es geht kein Schriftstück von Herrn Heusinger an den Bundeskanzler, was nicht durch die Hände des Ministers geht, der zumindest einen Zusatz machen würde, wenn er anderer Meinung wäre -, die Dar384
Bundesverteidigungsminister Strauß
stellung in diesem Falle noch ausführlicher gestaltet, als sie ursprünglich im Originalentwurf gehalten war. Ich würde einen Kanzler für leichtsinnig halten, der sich über einen solchen Plan ein Urteil bilden würde, ohne sich von den politisch-diplomatischen Fachleuten - das ist das Auswärtige Amt - und von den militärischen Fachleuten dazu Argumente liefern zu lassen.
({0})
Aber so wie ich den Bundeskanzler kenne, würde er zu dem Rapacki-Plan auch ohne die Argumente, die ihm von uns geliefert worden sind, aus seinem gesunden Instinkt heraus dieselbe Stellung eingenommen haben.
({1}) Erler ({2}) : Herr Minister, eine Frage!
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Erler?
Bitte sehr!
Dann brauche ich nämlich nicht noch einmal in die Diskussion einzusteigen. - Herr Minister, darf ich Ihr Schweigen auf die Frage nach den italienisch-französisch-deutschen Verhandlungen über gemeinsame Waffenproduktion als eine Antwort im Sinne des Kollegen Ollenhauer von heute früh auffassen: Keine Antwort ist auch eine Antwort!?
Die Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit Frankreich und Italien, ferner auch mit einigen anderen Staaten hat ihre besondere, im Rahmen der WEU und der NATO vorgesehene Vorgeschichte. Wir bemühen uns im Rahmen der NATO im sogenannten Standardisierungsausschuß seit Jahren, im Rahmen der WEU im sogenannten Rüstungsausschuß auch seit geraumer Zeit, zu gewissen konkreten Fortschritten zu kommen. Die dabei erzielten Fortschritte sind aus einer Reihe von Gründen sehr gering gewesen. Die Infanteriepatrone, die Lastwagenkupplung und der Tankanschluß bei Flugzeugen sind die prominentesten Errungenschaften dieser jahrelangen Arbeit.
({0})
Wir sind deshalb zu der Überzeugung gekommen, daß die beste Standardisierung z. B. die Lieferung amerikanischer Waffen an alle europäischen Staaten war. Damit löst sich das Problem von selbst.
Aber so läßt sich das Problem nicht weiterhin lösen. Deshalb sind wir zu der Auffassung gekommen, daß eine bilaterale oder trilaterale Zusammenarbeit viel leichter zu den gewünschten Ergebnissen führt als eine Zusammenarbeit im SiebenerRahmen oder im Fünfzehner-Rahmen. In diesem Rahmen - das sind immerhin drei kontinentale Staaten, die im kontinentalen Gebiet der NATO
ausschlaggebend sind: Frankreich, Italien und Deutschland - kann man - nicht hinsichtlich der bestehenden Waffen, aber hinsichtlich derer, die dann kommen, der Flugzeuge, der Abwehrraketen gegen Panzer, der Abwehrraketen gegen Flugzeuge, der Raketen gegen Flugziele - viel leichter zu gemeinsamen Lösungen kommen, als wenn man von Kanada bis Luxemburg eine Fünfzehner-Lösung herbeizuführen versucht. Ich werde deshalb vielleicht wieder in einem gewissen Kreise getadelt werden. Im Dreier-Rahmen sind trotz verschiedener militärtechnischer Auffassungen - die überbrückt werden können - und trotz nicht einheitlicher industrieller Interessen - die Produktion wird im Ausland jedenfalls zum Teil in Staatsbetrieben durchgeführt - auch die industriellen Möglichkeiten aufeinander abzustimmen.
Kollege Ollenhauer hat eine Antwort auf die Frage verlangt, ob damit eine Produktion von Atomwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik in Zusammenarbeit von Frankreich, Deutschland und Italien vorgesehen ist. Darüber ist nicht gesprochen worden. Wir stehen nach wie vor zu dem in den Brüsseler Verträgen hinsichtlich der ABC-Waffen ausgesprochenen Verzicht.
Es gibt aber in dem zweiten Protokoll zu den Brüsseler Verträgen einige Punkte, bei denen ein Versehen passiert ist, z. B. bei der ferngesteuerten Panzerabwehrrakete. Man hat vergessen, sie in die Ausnahmeliste aufzunehmen, wie Ihnen selbst bekannt ist. Daß wir hier punktartig verschiedene Änderungen herbeizuführen versuchen werden, entspricht nicht nur unseren Notwendigkeiten, das entspricht auch dem Sinn der NATO-Beschlüsse vom Dezember, die darauf hinauslaufen, daß das ganze geistige, technische und wissenschaftliche Potential der NATO-Mächte in der ökonomischsten Weise für die wirksamste Form der Verteidigung konzentriert werden soll.
({1})
Meine Damen und Herren, es hat eine interfraktionelle Vereinbarung stattgefunden, nach der wir die Tagesordnung durchberaten sollen, solange sich Redner bereitfinden, zu sprechen. Es haben sich eine Reihe von Rednern gemeldet.
Die Vereinbarung geht weiter dahin, daß, falls wir mit unseren Beratungen heute die Mitternacht überschreiten sollten, dafür der morgige, Tag als Sitzungstag ausfällt.
({0})
Wir bekommen gewissermaßen, wie der Herr Innenminister sagte, schulfrei. Ihm untersteht ja auch so nebenbei das Kulturdezernat; das hat ihm wohl dieses Wort aus der Jugendzeit auf die Zunge gelegt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten hat mich etwas so traurig gestimmt wie die heutigen Ausführungen des Herrn
Bundespräsidenten; Entschuldigung, des Herrn Bundeskanzlers, - des präsumtiven Bundespräsidenten.
({0})
Von solchen Erwägungen, meine Damen und Herren, und von solchen Entscheidungen
({1})
- ich bin kein Lautsprecher; hier sind ja wohl welche -, wie wir sie heute gehört haben, hängt das Schicksal unseres Volkes ab. Nun, wir tragen dafür nicht die Verantwortung. Aber er verkörpert diese Politik, die heute wieder zur Debatte steht. Wir haben ganz entscheidende Fragen, Sachfragen zu dieser Politik gestellt. Wir sind der Meinung, sie sind zum Teil nicht, zum Teil" ungenügend, sie sind auch in schlechter Form beantwortet worden. Eine schlechte Form ist ein Beweis für eine schlechte Sache, manchmal auch ein Beweis für ein schlechtes Gewissen.
({2})
Ich muß noch einmal darauf zurückkommen. Der Herr von Brentano - ich muß schon sagen: „Noblesse oblige" - hat es für richtig gehalten, uns, die Freie Demokratische Partei, politisch zu diffamieren,
({3})
zu behaupten, wir seien nazistisch.
({4})
- Herr Mende hat etwas ganz anderes gesagt; ich werde darauf eingehen. Herr Mende hat von der Entwertung unserer Demokratie und unseres Parlamentarismus gesprochen und als schlechtes Vorbild das angeführt, was mit dem Parlamentarismus in einer schlimmen Zeit geschehen ist. Das war der Zusammenhang. - Herr von Brentano hat es für richtig gehalten, uns zu diffamieren. Herr Kiesinger, das ist eines der Mittel, wie sie auch im Wahlkampf angewandt worden sind und wodurch man dann die Mehrheit in diesem Hause bekommen hat
({5})
- Ja, ich unterhalte mich mit Ihnen noch darüber!
- Meine Damen und Herren! Ich habe mein persönliches Schicksal mit dieser Partei verbunden. Ich bin der Überzeugung, das Schicksal dieser Partei ist mit der Frage, ob es geistige, ob es politische, ob es wirtschaftliche Freiheit in unserem Staate gibt und ob diese Demokratie Bestand hat, ganz entscheidend verknüpft. Ich lasse mir den Vorwurf, den Herr von Brentano zu machen für richtig gehalten hat, nicht gefallen.
({6})
Deshalb sage ich ein persönliches Wort. Ich lasse es mir nicht gefallen, daß diese Partei, die ich mit geschaffen habe, für die ich die Verantwortung mit getragen habe,
({7})
und mit der ich nach wie vor verbunden bin, derartig beschmutzt wird. Und deshalb sage ich Ihnen
auch ein Wort von mir. Meine Damen und Herren, ich möchte einen in diesem Raume kennen, der - verzeihen Sie, wenn ich von mir spreche, aber das tut not; nicht meinetwegen, sondern der Sache wegen - so klar und so unbeirrt nun fast vierzig Jahre lang eine politische Überzeugung, die gegen die Grundsätze des Nationalsozialismus stand, durchgehalten hat.
({8})
- Das ist bezweifelt worden, wenn Sie generell, kollektiv unsere Partei herabzusetzen wagen. Ich habe die Möglichkeit gehabt, mehr und besser als ein anderer die Gefahr des Nationalsozialismus zu erkennen. Ich habe ihn an der Wiege, in seinem Entstehen, ich habe ihn in München seit 1918 erlebt.
({9})
- Nun, ich habe erlebt, Herr Arnold, daß dort eine geistige und politische Atmosphäre - ich möchte fast sagen, ein geistiger und politischer Morast - geschaffen worden ist von der Bayrischen Volkspartei, die damals die christliche Partei in Bayern war, und daß auf diesem Morast dort die Giftblüte des Nationalsozialismus gewachsen ist.
({10})
Ich bin seit 1919 in den Kampf gegen den Nationalsozialismus gegangen. Ich bin in die nazistischen Versammlungen gegangen und habe mich verfolgen lassen. Ich habe Versammlungen gehalten, die man gesprengt hat. Ich habe diese Überzeugung durchgehalten, und ich lasse nicht zu
({11})
- aus Gründen, die mein Freund Reinhold Maier heute auch sehr treffend dargelegt hat -, daß man in diesem Kreis uns herabzusetzen versucht und eine schlimme Atmosphäre schafft, meine Damen und Herren, wenn es in Wirklichkeit gilt, eine böse Vergangenheit zu überwinden.
Schlecht - ich muß es noch einmal sagen - war die Form, in der diese politische Aussprache vor dem heutigen Tage und heute stattfand, und es gibt keine Entschuldigung dafür. Nicht darum geht es, daß man sich geäußert hat, nicht darum, daß man über außenpolitische Fragen im Rundfunk oder in Versammlungen gesprochen hat; es geht darum. daß man Entscheidungen getroffen und verkündet hat, so daß das, was sich heute vollzieht, eben doch zu einer reinen Form, zu einer Farce geworden ist.
Herr Kollege Höcherl hat vorhin meine frühere Äußerung zu dieser Frage vorgelesen. Herr Kollege Höcherl, das war reizend. Wenn mir etwas von dem vorgelesen wird, was ich einmal gesagt habe - mir geht es ähnlich wie dem Herrn Bundeskanzler; ich lese nie etwas nach, was ich jemals rednerisch oder schriftlich verbrochen habe ({12})
- nein, gar nicht! -, freue ich mich immer wieder, was für gescheite und richtige Dinge ich schon gesagt habe.
({13})
Meine Damen und Herren, ich habe doch ausdrücklich erklärt, daß selbstverständlich die Bundesregierung die Außenpolitik treibt, aber erst nach der Aussprache, nachdem - das steht ausdrücklich in meiner Erklärung - die Opposition gehört worden ist. Das ist ja das Wesen des Parlaments, daß man hier zusammenkommt und spricht. Ich möchte auch mit einer Wendung des Herrn Bundeskanzlers etwas dazu sagen. Ich bin der Meinung, auch bei der CDU/CSU gibt es nicht nur anständige,
({14})
sondern auch kluge Leute, mit denen zu reden sich lohnt. Aber hier ist die Stätte der Rede, und hierauf beruht das Parlament, das seinen Namen von parlare bezieht, daß die Chance besteht, in Rede und Gegenrede die Probleme zu entscheiden. Es ist doch einfach unwürdig, wie die Bundesregierung vorgeht.
({15})
- Ja, der Herr Bundeskanzler hat mich so lange nicht mehr gesehen, daß er richtige Wiedersehensfreude an mir hat.
({16})
Meine Damen und Herren, hier soll man parlieren und dann am Ende entscheiden. Das Gegenteil ist geschehen, und das ist wahrlich ein schlechter Stil. Es ist schlecht - ich muß es noch einmal sagen -, wenn man das vornehmste Recht des Parlaments verkümmert. Es ist bedauerlich, wenn man dafür keinen Sinn hat, wie schlimm es ist, daß man mit kleinen Mätzchen Politik macht, daß man dann, wenn eine Partei das vornehmste Recht im Parlament in Anspruch nimmt, nämlich ihr Kontrollrecht dadurch auszuüben, daß sie Fragen stellt und die Bundesregierung zwingt, hier Rede und Antwort zu stehen, ihr dieses Recht dadurch nimmt, auf jeden Fall weitgehend aushöhlt, daß man eine Regierungserklärung vorschaltet.
Es sind Symptome für eine schlechte Art, die sich auch sonst äußert. Was wir im Außenpolitischen Ausschuß erleben, meine Damen und Herren, das ist eine Karikatur des Parlamentarismus und der Demokratie.
({17})
Sie hören, daß dieser Ausschuß vertraulich ist. Wir erfahren aber weniger, als ein aufmerksamer Zeitungsleser feststellen kann, und wir erfahren das Wenige noch dazu tendenziös präpariert. So sind doch die Dinge!
({18})
Es sind Symptome einer schlechten Haltung.
Ich sage: unsere Fragen sind nicht beantwortet oder ungenügend beantwortet. Aber wir sind über eines einig, und ich nehme hier auch wieder ein Wort des Antwortbriefes an Bulganin, ein Wort, das heute zitiert worden ist, vielleicht noch viel mehr ernst auf, wirklich mit Ernst. Auch nach meiner Meinung war die Lage nie so ernst wie jetzt. Das Wort ist abgegriffen. Man muß sich erst wieder vor Augen stellen, wie ernst es ist. Ich
meine: der gegenwärtige Abschnitt der Nachkriegsgeschichte und der Geschichte der Bundesrepublik wie der Geschichte der weltpolitischen Entwicklung ist entscheidend. Wenn je, dann müssen wir jetzt sorgfältigst überlegen, ob der bisherige Weg weiter gegangen werden kann.
Der bisherige Weg hat dazu geführt, daß die Lage immer ernster geworden ist. Er führt zur Verhärtung der Weltlage, zum Wettlauf der Rüstungen mit ihren unabsehbaren Folgen auf allen Gebieten, nicht nur militärischen, sondern auch politischen und wirtschaftlichen, mit der Folge - das ist meine Überzeugung -, daß Deutschland auf Generationen hin zerrissen ist.
Was uns heute von der Regierungsbank gesagt worden ist, was heißt denn das anders, als daß dieser Weg weiter gegangen wird!? Man sieht zwar in der Ferne eine Abrüstung. Aber zu der Abrüstung will man dadurch kommen, daß man zunächst aufrüstet, daß man sogar atomar aufrüstet. Also wie wird das Bild sein?
Das müssen wir als Resümee der heutigen Aussprache feststellen: in wenigen Monaten - auf jeden Fall in wenigen Jahren - Atombasen in der Eifel, vielleicht im Fichtelgebirge, im Bayerischen Wald,
({19})
Atombasen drüben im Thüringer Wald und in Pommern. Und dann glauben Sie an Entspannung, und dann glauben Sie an die Möglichkeit, daß das getrennte Deutschland zusammenkommt! Ich möchte meinen, das Gegenteil wird diese Politik herbeiführen. Es wird nach dem Wort von Dulles weiterhin hart am Rande des Abgrunds marschiert werden.
({20})
Das ist die traurige Überzeugung, die man heute von hier mitnehmen muß.
({21})
Wir sind tief ergriffen von dem, was uns Kollege Dr. Gradl heute von dem unerträglichen Zustand drüben in der Sowjetzone gesagt hat. Wer etwas weiter denkt, weiß doch, daß diese Dinge von Tag zu Tag schlimmer werden, sich immer mehr verhärten, daß auch die Existenz der ostdeutschen Regierung immer fester und stärker wird, daß uns dadurch immer härtere Bedingungen für die Erreichung unserer politischen Ziele gesetzt werden.
Wie schlecht ist es schon um die deutsche Einheit bestellt! Spielt sie in der Weltpresse, im Weltbewußtsein überhaupt noch eine Rolle? Ja, ich möchte schon fragen: Ist das deutsche Volk, ist gerade auch das Volk in der Bundesrepublik noch angerührt von dieser heiligen Aufgabe, die deutsche Einheit wieder herbeizuführen?
({22})
- Das ist das Schlimme, Herr Kollege Rasner: weil ich von Ihrer Politik schlecht denken muß, muß ich auch von der Wirkung Ihrer Politik leider schlecht denken.
({23})
Das ist die Bedeutung der Führung. Am Ende ist ein Volk sehr feinhörig und sehr feinfühlig.
({24})
Es weiß ganz genau, wie die Männer denken, die oben stehen. Der letzte in unserem Volk weiß, daß man hier zwar von deutscher Einheit und von Wiedervereinigung spricht, aber sie nicht ernstlich erstrebt. Darum geht es doch.
({25})
- Ich werde mich mit Ihnen darüber auseinandersetzen. Was ist denn geschehen? Was haben Sie getan, um im deutschen Volk das Gefühl, daß diese Spaltung ein Unglück, ein Unrecht ist, lebendig zu halten? Haben Sie sich verhalten wie das französische Volk, das niemals Elsaß und niemals Lothringen vergessen, aber den Verlust immer gefühlt hat?
({26})
Wo fühlt man denn noch in Deutschland? Das ist doch das Traurige!
({27})
Sie haben doch alle Möglichkeiten unterbunden, wenn wir Freien Demokraten aus heiliger Verpflichtung heraus gesagt haben:
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Wir wollen den Eisernen Vorhang nicht anerkennen, sondern wir wollen uns leidenschaftlich dagegen wenden, wir wollen das Gespräch, wir wollen diesen Eisernen Vorhang durchstoßen, wir suchen das Gespräch mit den deutschen Menschen drüben, koste es, was es wolle. Sie haben die Schale Ihres Hohnes über uns ausgegossen, und die Tatsache ist, daß der Eiserne Vorhang zwei Teile des deutschen Volkes auseinanderreißt.
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- Ach, wir haben uns doch Gedanken gemacht! Wenn ich daran denke, wie Sie mich ironisiert haben, als ich einmal forderte, eine Volksbefragung durchzuführen, als ich vorschlug, das Volk hier und dort zum Bekenntnis zur Wiedervereinigung auch unter bestimmten militärtechnischen Voraussetzungen aufzurufen. Sie haben das abgelehnt, wie Sie doch alles abgelehnt haben und wie Sie alles ablehnen.
Meine Damen und Herren, das ist nicht nur die Reaktion im deutschen Volke, daß man an schönen Feiertagen von der deutschen Einheit und der deutschen Wiedervereinigung spricht und daß niemand mehr ernstlich daran glaubt und sie gar nicht mehr
will und daß dem satten deutschen Bundesbürger seine Ruhe, sein Behagen wichtiger ist und daß er auch nicht die politische Belastung, die konfessionelle Änderung und vieles andere, was damit verbunden sein könnte, in Kauf nehmen will! Welche Verkümmerung des gesunden nationalen Empfindens! Glauben Sie doch nicht, daß ein Volk sein Schicksal besteht, wenn es sich in den nationalen Lebensfragen so verhält!
Das Ausland denkt - wir wissen es doch, was in Princeton in den USA gesagt wurde, und was Taylor in Oxford sagt -: Es gibt doch nichts Schöneres als die Lösung, die der Hitler-Krieg herbeigeführt hat! Glauben Sie, daß die Franzosen anders empfinden: Deutschland ist geteilt, damit sind die Gefahren beschworen? Ach, wie weit reichen diese Dinge!
Ich möchte doch, nicht in Kritik, sondern als ein historisches Zeitdokument, als eine Äußerung höchster Stelle für das, wie man die deutsche Frage empfindet, die Sätze wiedergeben, die Papst Pius XII. beim Empfang des Bundespräsidenten im November gesagt hat:
Wir kennen die Sorge des deutschen Volkes um die Zone. Es
- das deutsche Volk tut jedoch wohl daran, die Bekundung, die es dieser Sorge verleiht, immer am Gemeinwohl auszurichten und so zu bemessen, daß sie die Staatsführung nicht erschwert, sondern erleichtert.
Ein Zeitdokument! So wird es empfunden, mit Recht empfunden, weil es hier so empfunden wird und weil die Regierung diese entscheidende Lebensfrage unseres Volkes so vorlebt, so vorfühlt, so dem deutschen Menschen und der Welt darstellt. Und da bin ich ein Hegelianer: In der Welt geschieht nichts, was nicht mit Leidenschaft gefühlt, gewollt, durchgesetzt wird, nicht mit Nüchternheit, wahrlich nein! Wenn nicht das deutsche Volk leidenschaftlich eine Einheit sein will, zusammenkommen will, dann geben wir dieses nationale Ziel der deutschen Einheit auf. Wie stellt sich die Bundesregierung die Wiedervereinigung vor? Was haben wir heute gehört, was hat schon die Regierungserklärung vom 29. Oktober gebracht? Immer wieder die alten Dinge! Die Regierungserklärung - sehr charakteristisch! -: „Es ist unsere Überzeugung, daß nur die Befreiung der sowjetisch besetzten Gebiete Deutschlands von der bedrückenden Gewaltherrschaft, auf lange Sicht gesehen, Europa Frieden und Freiheit bringen kann." Ist das ein Aktionsprogramm? Ist das Politik auf nahe Sicht? Glauben Sie, daß die Menschen drüben - hören Sie doch Ihren Freund Gradl - das ertragen werden?
Die entscheidende Frage, die wir an die Regierung gerichtet haben: Glaubt die Bundesregierung immer noch, wie in der ersten Zeit der Bündnispolitik, daß die Wiedervereinigung Deutschlands im Rahmen der NATO-Klammer erreicht werden kann, daß die Wiedervereinigung im Rahmen eines Druckes auf die Sowjetunion erzielt werden kann?
Das ist die entscheidende Frage, die wir gestellt haben. Man kann die Frage auch anders formulieren: Glaubt die Bundesregierung, daß man die Politik des Kalten Krieges fortsetzen soll, oder nicht? Was wir heute vom Bundesaußenminister, vom Bundeskanzler und vom Verteidigungsminister gehört haben, das ist die Fortsetzung dieses Kalten Krieges, wie er 1949/50 begonnen worden ist.
({30})
- So einfach sind ja die Dinge nicht,
({31})
daß ein Zustand nur von einem Teil begonnen worden ist. Ich stehe wahrlich nicht hier, um die sowjetrussische Politik zu verteidigen. Im Gegenteil, ich halte sie auch vom sowjetrussischen Standpunkt aus für schlecht, für komplexbeladen, für unsicher. Darum geht es doch nicht. Es geht doch darum, ob w i r die richtige Politik machen, ob wir überhaupt Politik machen, ob wir auch den Kreml am Ende bestimmen, von seinen Fehlern abzulassen. Das ist doch die Aufgabe unserer Politik!
Die Politik des Kalten Krieges ist in Wirklichkeit keine Politik, ist Verzicht auf Politik, ist Verzicht darauf, im Wege der Politik - d. h. doch des Verhandelns, des Einwirkens auf allen möglichen Wegen der Rede - den politischen Willen des anderen zu beeinflussen. Der Kalte Krieg, der begonnen worden ist, ist der Verzicht auf diese Politik gewesen, und was wir heute hören, heißt doch in Wirklichkeit: Man will trotz allem diesen Weg weitergehen. Das ergibt sich auch aus dem, was der Herr Kollege Kiesinger gesagt hat. Ach Gott, man hat dann viele Gründe, Scheingründe, und am Ende sagt man doch: Mit den Russen kann man nicht. Mit diesen Sowjetrussen ist es nicht möglich zu verhandeln. Die sind nicht verhandlungsfähig, die sind nicht verhandlungswürdig. Man kann ihnen nicht vertrauen, sie 'halten ja nicht ihr Wort. Die Vorstellung des Kalten Krieges erwartet eine ganz andere Entwicklung: Diese Sowjetunion ist ja innerlich zersetzt; man muß warten, bis sich dieser Zersetzungsprozeß fortsetzt. Der Herr Bundeskanzler hat heute in geradezu klassischer Weise diese Meinung wieder vertreten: Wir müssen warten, bis die Russen eine Pause einlegen - nämlich infolge der inneren Schwäche -, und die Pause müssen wir dann ausnützen. Und dann kommt unser großer Augenblick, dann werden wir handeln!
Man will nichts aus den letzten 40 Jahren lernen, man will nichts erkennen. Nicht die einfachsten Tatsachen nimmt man zur Kenntnis, daß innere Vorgänge einer Diktatur niemals die Haltung einer Diktatur nach außen ändern. Wir haben es doch am eigenen Leib erfahren!
({32})
Ich brauche Sie an die Vorgänge von 1945 nicht zu erinnern. Wir wissen doch, daß in Rußland Millionen und aber Millionen Menschen umkamen, daß man sie verhungern ließ. Wie kann man sich dieser trügerischen Hoffnung hingeben, wie sie uns heute der Herr Bundeskanzler zeigt, daß dann mit einem
Male eine Pause bei den Russen kommt, daß sie schwach werden, daß sie weiche Knie bekommen, um uns dann zu Gebote zu stehen?
Und was der Herr Kiesinger sagt, - ach, es sind ja immer wieder die alten Erwägungen: Die Sowjetrussen haben zusammen mit den anderen das und das beschlossen, und das beweist doch, was sie für gemeine Kerle sind.
Der Herr Kiesinger hat wie viele andere in den Weihnachtsferien das Buch gelesen, das Milovan Djilas, der frühere Kampfgefährte Titos, im Gefängnis geschrieben und herausgeschmuggelt hat. Da steht doch schwarz auf weiß, wie zwangsläufig alles bei den kommunistischen Diktatoren ist. Und was ist die Konsequenz? Also keine Politik! Statt umgekehrt zu sagen: Es ist viel schwerer, mit diesen Leuten Politik zu machen. Das verlangt also einen viel stärkeren Einsatz des Intellekts, des Verstands, des Willens. Das ist doch die Konsequenz! Was nützt denn der Weg, den Sie sich jetzt wieder vorgenommen haben!
Der Herr Verteidigungsminister hat auch diese merkwürdige Vorstellung entwickelt. Vielleicht ist er schon professionell etwas belastet, wenn er glaubt, die Sowjets würden eines Tages zurückgehen, die Sowjets würden die Zone und würden auch irgendwelche Zwischenländer räumen, wenn sie dieser Länder - so führte er aus - leid geworden seien. Das soll Politik sein? So soll Jahr auf Jahr ins Land gehen? Welche trügerische Hoffnung, daß gerade eine Diktatur Räume aufgibt, ohne Grund, aus Mißstimmung! Welche Naivität, auch welche Verkennung der Kraft des ideologischen Bandes, das zwischen diesen Scheinregierungen und der Sowjetunion besteht!
Aber man will diesen Weg, der keinen Erfolg gehabt hat, weitergehen. Zu den Erwägungen hat Erler nach meiner Meinung - in Übereinstimmung mit meinem Freund Mende - doch entscheidende Dinge, militärtechnische Dinge gesagt. Wenn es notwendig wäre zur Sicherheit des Westens, wenn es notwendig wäre auch nur zur Sicherheit der Bundesrepublik, hier atomare Waffen zu haben, hier aufzurüsten, hier nicht nur Kleinraketen, sondern auch Mittelraketen zu haben, wenn das notwendig wäre, um unsere Sicherheit oder die Sicherheit des Westens zu schaffen, dann ja. Das Gegenteil ist doch der Fall. General Norstad hat ganz klar und eindeutig gesagt, daß es nicht notwendig ist, in diesem Raum Mittelraketen zu postieren, daß sie durchaus peripher aufgestellt werden können. Alles, was Strauß gesagt hat, liegt doch neben der Sache.
({33})
Wer spricht denn davon, daß wir die NATO auflösen wollen?
({34})
- Ach, wieso denn!? Lesen Sie nach, was der General Norstad gesagt hat! Das Gegenteil werden Sie daraus erkennen. Die anderen sind viel vernünftiger und verständiger und haben viel mehr Sinn für unsere Lage als Sie selbst!
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Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23 Januar 1958 389
Wir sind Mitglied von NATO. Wir haben für diesen Vertrag mitgestimmt und wollen ihn auch nicht lösen. Der Weg ist doch ein ganz anderer. Wir wollen für ein wiedervereinigtes Deutschland einen anderen militärischen Status schaffen. Wieweit er dann mit einer Mitgliedschaft bei der NATO vereinbar ist, ist eine Frage für sich. Aber darüber zu reden und darüber zu verhandeln, das ist doch der Witz des Ganzen. Nichts geschieht, und man glaubt, weil man mit einem Mal von den Russen nicht mehr als von Gangstern und Verbrechern spricht und eine höfliche Note schickt, daß sich damit der politische Wille drüben geändert habe. Ich glaube es nicht. Nein, man betreibt die gleiche Politik wie bisher. Natürlich ist es die „Politik der Stärke". Was ist es denn sonst? Vielmehr: es ist das Verhalten der Stärke. Es ist das Verhalten der Stärke, wenn man darauf verzichtet, politisch zu wirken. Das ist der Witz der ganzen Geschichte.
Nun, man hat es dann - Sie wissen es - in den Vereinigten Staaten anders formuliert: Strategie der massiven Vergeltung, Abschrecken durch drohende Stärke - das ist der offizielle Terminus, den I man gewählt hat -, eingesetzt an selbstgewählten Punkten mit selbstgewählten Mitteln; so hieß es. Strategie der massiven Vergeltung! Hat es einen Sinn gehabt? Es hat nur die Verteidigungsbestrebungen der Russen noch intensiviert. Sie haben nicht nur die Rückstände aufgeholt, sie haben die Wasserstoffbombe geschaffen, sie haben jetzt sicherlich einen großen Vorsprung in den interkontinentalen Raketen.
Sehr reizend das, was in der Regierungserklärung heute dazu gesagt worden ist! Da ist gesagt worden: Man muß den Eindruck haben, daß die technische Entwicklung der jüngsten Zeit die Sowjetunion dazu verführt hat, an die Stelle einer Politik der Entspannung eine Politik der massiven Einschüchterung zu setzen, - nämlich dadurch, daß sie Noten in die Welt schickt. Wenn man daran denkt, was die Strategie der massiven Vergeltung in Amerika bedeutet hat: Einsetzen militärischer Stärke an selbstgewählten Punkten mit selbstgewählten Mitteln, dann ist die Bedrohung mit Noten, und mögen sie noch so lästig sein, jedenfalls ein ziemlich unschuldiges Mittel.
({36})
- In Korea ist vieles vorgefallen, was die Skepsis gegen die Sowjetunion zweifellos rechtfertigen konnte, nicht anders als in Nordgriechenland, in der Türkei, in Nordpersien, in der Tschechoslowakei.
Was war Korea? Ich war damals der festen Überzeugung, das ist eine russische Aggression. Wenn man den Dingen nachgeht, kommt man immerhin zu der Möglichkeit anderer Hintergründe.
({37})
- Man muß ungeheuer viel wissen, wenn man in der Außenpolitik ein Urteil abgeben will.
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Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern - weil Sie gerade von Korea sprechen -, daß im Januar 1950 Dean Acheson eine Rede hielt, in der er die Stützpunkte aufführte, auf die die Vereinigten Staaten Gewicht legen. Bei diesen Stützpunkten war Korea nicht erwähnt. Ich weiß es nicht: auf jeden Fall ist die Deutung beinahe zwingend, ,daß die Sowjetunion daraus den Schluß gezogen hat, Korea gehöre nicht zum Interessengebiet der USA. So war der Zusammenhang.
({39})
- Ich verteidige die Sowjetunion doch nicht! Ich will nur erklären, wie die Dinge waren.
Mao Tse-tung war im Februar 1950 in Moskau und hat damals einen ersten Vertrag mit der Sowjetunion geschlossen. Meine feste Überzeugung ist, damals ist diese Aggression auf Korea beschlossen worden, wobei es noch sehr strittig ist, wer die erste Aktion ausgeführt hat. Herr Syngman Rhee - ({40})
- Wir sind ja nicht für ihn verantwortlich. Vielleicht entdeckt Herr Majonica demnächst Sympathien für ihn und fährt zu ihm; ein würdiger Bundesgenosse!
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Wie ist die augenblickliche militärtechnische Situation? Dazu sagen uns ja die Vertreter der Regierung sehr wenig. Worum hat es sich denn in Paris im wesentlichen gehandelt? Wenn es notwendig war, sich abzustimmen, sich zu konsultieren, einen gemeinsamen Willen zu schaffen: dazu brauchte man nicht zusammenzukommen. Es ging doch offensichtlich, wenn man zugrunde legt, was der amerikanische Verteidigungsminister McElroy gesagt hat, um ganz andere Dinge, um das Abfangen der Überlegenheit der Sowjetunion in interkontinentalen Raketen. Bis nach dem Gaither-Plan die Vereinigten Staaten aufgeholt haben, sollen als Drohung Mittelstreckenraketen in Europa stationiert werden. Das ist doch die Situation.
Da kommt immer wieder die Frage: Haben wir irgendeinen Anlaß, uns daran zu beteiligen? Haben wir nicht noch viel mehr als Norwegen und Dänemark - im Hinblick darauf, daß wir ein gespaltenes Volk sind - das Recht, etwas, was militärtechnisch nicht notwendig ist, abzulehnen?
({42})
Ich habe das Gefühl, wir suchen mit einem gewissen Masochismus das Heil in Entwicklungen, die für Deutschland nur schädlich sein können.
Was war eigentlich das Wesen unserer Außenpolitik in den letzten Jahren? Wir haben nur zwei Ziele gehabt: die Vereinigten Staaten nicht verstimmen, nach Möglichkeit ihren Willen erfüllen, und auf der anderen Seite nach Osten verhindern, daß die mitteldeutsche Zone, die sich Deutsche Demokratische Republik nennt, als Staat anerkannt wird. Bei dem ersten politischen Ziel darf man nicht verkennen, in welch starkem Maße die Haltung der Vereinigten Staaten durch den Bundeskanzler Dr.
Adenauer mitbestimmt worden ist, in wie weitern Maße er der Initiator dieser außenpolitischen Haltung der Vereinigten Staaten war. Ich habe heute so oft den Ratschlag gehört, wir sollten uns doch nicht überschätzen. Nun, Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer hat sich nicht unterschätzt, sondern hat die Entwicklung, auch die Haltung seinerzeit - ({43})
- Nun, ich weiß es doch; das ist mein Vorteil, daß ich mehr weiß als viele andere.
({44})
- Ich habe hinter die Kulissen geschaut, ich habe hinter die Masken geschaut, meine Herren!
({45})
Das war keine Freude, das waren schmerzhafte Prozesse. Ich bin ein gläubiger Mensch, ich habe es schon einmal gesagt. Ich habe das Wort wichtig genommen, bis ich erkannt habe, daß Talleyrand recht hat, daß dem Menschen die Sprache gegeben ist, um Gedanken zu verbergen. Es hat lange gedauert, und das Erwachen war dann um so schlimmer.
Eines verstehe ich nicht. Wie kann sich der Herr Strauß hierherstellen und es wagen, von einer Atompanik zu sprechen? Wer hat sie in die Welt gebracht? Wer hat die erste Bombe über Hiroshima abgeworfen? Wir wollen unsere intellektuelle Mitschuld an der wissenschaftlichen Entwicklung nicht leugnen. Ich bin zufällig - so kurios ist die Welt - nun etwas damit befaßt. Es ist gut, einmal über diesen dramatischen Kampf um die kriegerische Verwertung der Atomenergie nachzudenken. Wer hat sie in die Welt gebracht, wer hat den Vorsprung gehabt und wer hat die Politik der Stärke auf den Besitz der nuklearen Waffen, auf den Besitz der Wasserstoffbombe gestützt? Wer will diesen Weg weitergehen? Da hat der Herr Strauß den Mut, sich hierherzustellen und von Atompanik zu sprechen. Weiß er, was Männer, die höchstes Ansehen genießen, gesagt haben, oder weiß er es nicht mehr? Er war doch einmal Atomminister. Weiß er, was Jaspers, was Einstein, was Papst Pius XII., was Albert Schweitzer, was die Göttinger und Heidelberger Professoren gesagt haben? Und das alles ist Atompanik?
Ich denke daran, was uns der Herr Bundeskanzler als großer Stratege - Strategie ist, glaube ich, ein bißchen mehr, wenn man an die Vielfalt der Gebiete denkt - gesagt hat: „Ach Gott, die weiterentwickelte Artilleriewaffe! Laßt Euch doch nicht verrückt machen durch das Atomgerede" und „Da steckt doch nichts drin in dem Rapacki-Plan!". - Ist das die Sachkunde, die notwendig ist, um die politischen Entscheidungen zu treffen? Die Frage werfe ich auf, ganz abgesehen von dem Maße der Verantwortung, die ein Staatsmann haben muß.
({46})
Der Herr Strauß hat, als die erste Meldung über den Aufstieg des Sputniks kam, von einem Bluff
gesprochen. Der Herr Bundeskanzler sagte: „Der fliegt hoch, aber nicht flach."
({47})
Das sind Weisheiten, die von keiner Sachkenntnis zeugen;
({48})
ich spreche noch gar nicht einmal von der politischen Verantwortung, von der die Entscheidungen dieser Regierung getragen sein sollen. Wir sollen dazu schweigen und sollen das hinnehmen!
Kann man es wagen, zu sagen, es handele sich jetzt um die Sicherheit Deutschlands? Dadurch, daß irgendein Plan verwirklicht werde, werde die Sicherheit Deutschlands gefährdet. Das Gegenteil ist doch richtig. Atomare Aufrüstung bei uns heißt, die Bundesrepublik zum Ziel von atomaren Angriffen zu machen.
Ich wiederhole: Es ist nicht wahr, daß die Sicherheit des Westens oder die Sicherheit der Bundesrepublik von einer atomaren Aufrüstung der Bundeswehr oder auch nur von der Lagerung atomarer Waffen in der Bundesrepublik abhängig wäre.
({49})
- Ach, Sie sind jetzt bei der Post; Sie kommen nicht mehr mit, natürlich.
({50})
Bei der schlechten Zustellung der Post bekommen Sie die Briefe und Zeitungen auch acht Tage verspätet.
({51})
Nein, Herr Stücklen, lassen Sie die Hände von der Sache! Ich habe Ihnen doch erzählt, was der maßgebende Mann für Europa, der Kommandeur von NATO - wenn ich so sagen darf -, der General Norstad, gesagt hat. Wir Freien Demokraten haben es nicht nötig, uns auf Pläne zu beziehen. Mein Kollege Reinhold Maier hat das richtig gesagt. Wir brauchen uns nicht auf die Herren Kennan und Rapacki zu beziehen. Lesen Sie nach, was wir seit 1951, seit 1952 fortgesetzt an Vorschlägen gemacht haben! Wir sind auf Ihren Hohn gestoßen. Ich beneide Sie nicht, meine Damen und Herren, und am wenigsten diese Bundesregierung ob der Verantwortung, die sie wegen ihres bisherigen Verhaltens zu tragen hat.
Ich will noch ein Wort darüber sagen, daß sie jede Chance ausgelassen hat. Wir haben überhaupt keine Politik betrieben, sondern uns nur auf militärische Stärke, nur auf die Politik der massiven Vergeltung verlassen.
({52})
Was der Herr Bundeskanzler über Polen gesagt hat, kann ja nur meine Heiterkeit, muß ich schon sagen, erregen. Ich war in Warschau und habe mir die Dinge einmal angesehen. Stellen Sie sich vor:
ich war im Juni vorigen Jahres in Warschau, ich war der erste deutsche Politiker - ({53})
- Na, ich meine, es war so. Es ist ja keine Ruhmestat. Ich war der erste deutsche Politiker, der den Mut hatte, als deutscher Bundestagsabgeordneter nach Warschau zu gehen
({54})
mit den Möglichkeiten des Gesprächs mit allen Schichten - wahrlich nicht mit einer einseitigen Beeinflussung -, auch mit der Möglichkeit, gerade westliche Diplomaten mit ihren gewaltigen Erfahrungen dort kennenzulernen.
Ich bin nicht unterrichtet, was der Herr Bundeskanzler von Polen weiß. Ich weiß ja nicht, aus welcher Quelle er Informationen bezieht. Vielleicht hat er sie auch nicht nötig.
Dieser ganze europäische Zwischenraum ist nicht politisch bearbeitet. Ich war auch in Jugoslawien. Wir haben die Möglichkeit, einen Vorposten in Belgrad zu haben, durch eine doktrinäre Politik leichtfertig verscherzt, nämlich dadurch, daß wir uns einen Galgen aufgerichtet haben, an dem wir uns am Ende selber aufgehängt haben. Eine Doktrin war die Ursache!
({55})
In Moskau hat man zwei deutsche Botschafter zugelassen - ich werde noch ein Wort darüber sagen -; aber anderswo darf es nicht sein, da ist es auf einmal Todsünde.
({56})
Die unverzeihliche Todsünde, die Sünde, die nie verziehen wird, die zur Hölle führt, war, die beiden deutschen Botschafter in Moskau hinzunehmen und dadurch die deutsche Spaltung sinnfällig zu machen.
Ich spreche von Warschau. Da sagt der Herr Bundeskanzler: Niemals wird ein Botschafter in Warschau eine ungünstige Entwicklung des Verhältnisses von Polen zur Sowjetunion erreichen. Dazu kann man nur sagen: wenn ein Botschafter mit diesem Ziele nach Warschau käme, wäre er wahrhaftig ein törichter Mann oder hätte eine törichte Regierung zu Hause, die ihm falsche Aufträge gäbe. Wer so spricht, der weiß gar nicht, was dort lebendig ist, was dort aufgewühlt worden ist, welche geistige Revolution sich dort vollzogen hat, nun, Gott, mit allen Schwierigkeiten und Belastungen. Mir sind in Warschau diese entscheidenden Stunden im November 1956 geschildert worden. Sie machen sich keine Vorstellung von der Dramatik der Ereignisse, als der Chruschtschow mit Schukow anfuhr, um den Gomulka klein zu machen, und am Ende mit dem Rokossowski, dem russisch-polnischen Marschall, als geschlagener Mann abzog. So waren die Dinge.
({57})
- Ach, da können Sie lachen? Wenn noch dazu eine
Frau lacht, statt zu erwägen, was ich immerhin auf
Grund eigener Eindrücke festgestellt habe, ist es schlimm. Man kann doch nicht glauben, ein deutscher Botschafter könne dort hinübergehen, der Intrigen macht. Aber eines habe ich festgestellt: dieser Botschafter der Deutschen Demokratischen Republik, wie sie sich nennt, steht bei allen Zusammenkünften gemieden, verachtet in der Ecke. So also ist die Situation, und wir nutzen sie nicht!
Ich habe festgestellt, daß für Polen die sowjetisch besetzte Zone, oder, ich will einmal sagen, die sowjetisch beherrschte Zone, eine schlimme Belastung ist. Durch sie umklammert doch die Sowjetunion Polen, das aus vielfachen Gründen - aus konfessionellen Gründen, aus geschichtlichen Gründen, aus kulturellen Gründen - die Nachbarschaft mit Deutschland will. So sind die Dinge. Dieser Aufgabe könnte sich ein deutscher Botschafter in Warschau widmen. Polen könnte für uns Partner für die die Erreichung des Ziels der deutschen Einheit sein. Meine persönliche Meinung: ich bin gegen jede Vorleistung; diplomatische Beziehungen sind richtig, wenn wir uns dieser Kampfgemeinschaft sicher geworden sind. Ich bin der Meinung, die Möglichkeit ist gegeben. Aber darum muß man sich doch bemühen, und durch Indolenz, durch Nichtstun, durch Passivität, wie sie die Regierung in unverantwortlicher Weise an den Tag legt, erreicht man gar nichts.
Ich will die waffentechnischen Dinge nicht mehr erwähnen und auch nichts zu dem sagen, was Herr Strauß von Schaukelpolitik gesagt hat. Wer will eine Schaukelpolitik? Mit dieser lächerlichen These verbaut man doch alles. Wir wollen doch nicht schaukeln, wir gehören zum Westen, selbstverständlich. Und wir wollen doch nicht kommunistisch werden. Wir wollen auch nicht unter bolschewistischen Einfluß kommen. Wenn man über diese Grundvoraussetzungen einer Politik reden muß, wie traurig ist es dann bestellt, meine Damen und Herren!
({58})
Wenig, nichts ist geschehen. Wo die Politik beginnen sollte, verzagt man eben und gibt das auf, was uns als geschichtliche Aufgabe in dieser Zeit gestellt ist.
Nun, ich will zu dem Entscheidenden kommen, was mir auf der Seele liegt.
({59})
- Ach, glauben Sie, ich habe diese Aussprachen, wie sie heute wieder stattgefunden haben, bis hierher satt!
({60}) - Ach, da höre ich doch lieber auf?!
({61})
Nein, nein, so geht es nicht weiter. Seit 1950 immer dieselben Geschichten, dieselben Personen. Man kann sich ja wirklich beinahe gegenseitig nicht mehr hören. Man weiß, dann kommt der Herr Strauß usw. usw. Ja, meine Damen und Herren, glauben Sie, dadurch, daß wir fortgesetzt an den entscheidenden Dingen vorbeireden, machen wir in diesem Hause Politik?
Eines hat der Herr Bundeskanzler mir nie verziehen, nämlich das, was ich einmal auf unserem Oldenburger Parteitag im Jahre 1954 gesagt habe: Ein Volk, das sich nicht zu dem Ziel gemeinsamer Außenpolitik zusammenfindet, taugt politisch nichts. Ich habe gesagt: Da kann man natürlich den Kurt Schumacher beschuldigen, da kann man sagen, die Sozialdemokratie will nicht; aber am Ende trägt die geschichtliche Verantwortung der, der die Regierung führt. - Herr Dr. Adenauer hat mir das nicht verziehen. Ich halte den Vorwurf aufrecht.
({62})
Warum gibt es keine gemeinsame Außenpolitik? Herr Kiesinger hat heute das entscheidende Wort gesagt. Ach, er hat das natürlich in seiner bestrikkenden Liebenswürdigkeit ganz anders gemeint. Er hat gesagt: Ihr lieben Sozialdemokraten, wir sind uns doch so einig; es ist doch nur ein Streit um die Methode. - Ist es nur ein Streit um die Methode? Sind wir uns alle einig in dem, was wir aktuell wollen?
Die Einheit Deutschlands angehen? Sie sagen: Sofort, selbstverständlich ohne ein Risiko unserer Freiheit. Ganz ohne Risiko wird es nicht gehen. Sind wir bereit, auch dieses Risiko zu tragen? Wollen wir zu diesem Zwecke alles unternehmen, was möglich ist, oder nicht?
Ich spreche darüber vor allem deswegen, meine Damen und Herren, weil diese Frage für meine Partei und mich schon in der Vergangenheit von großer Bedeutung war. Mein Bruch mit Dr. Adenauer beruht auf dieser Frage. Ich habe ihm nicht mehr geglaubt. Ich habe nicht mehr geglaubt, daß er das deutsche Ziel, die Wiedervereinigung, anstrebt.
({63})
Meine Partei ist aus der Koalition herausgegangen, weil wir nicht mehr geglaubt haben, daß die CDU/CSU und die Bundesregierung die deutsche Einheit wollen.
({64})
Bis zum heutigen Tage noch bewegen uns diese Fragen und Zweifel. Das war und ist die Frage! Das liegt zwischen ihm und mir.
({65})
Ich glaube ihm nicht.
Da gerade Herr Pferdmenges hinter Ihnen, Herr Bundeskanzler, sitzt: Sie wissen es vielleicht noch, es war für mich sehr eindrucksvoll. Wir haben damals - wann war das? im Herbst 1956, wir waren schon lange aus der Koalition ausgeschieden - erwogen, ob nicht aus bestimmten Gründen wieder ein Zusammenwirken möglich sei. Wir haben uns im Hause des Herrn Pferdmenges getroffen. In seiner sehr lockeren, überlegenen Art hat Dr. Adenauer dabei zu mir gesagt: Na also, Herr Dehler, wir wollen vergessen, was da alles vorgefallen ist! Aber eines hat mich schwer verletzt: daß Sie mir vorwerfen, ich wolle die Wiedervereinigung nicht. - Ich habe ihm geantwortet: Herr Bundeskanzler, Sie
haben sich ein ganz bestimmtes Ziel gesetzt: diese Bundesrepublik, diese 50 Millionen Menschen zu Wohlfahrt zu bringen, ihnen Sicherheit zu geben. Das ist verständlich. Sie gehören einer anderen Generation an als ich. Mein Ziel ist ein anderes. - Er hat mir nicht mehr widersprochen. Aber darum geht es, meine Damen und Herren, und da kommt es nicht auf Alter und Generation an, sondern darauf, daß die uns vor der Geschichte jetzt aufgegebene Verantwortung getragen und die uns gestellte Aufgabe erfüllt wird.
Da muß ich nun ein klein wenig in die Vergangenheit zurückgehen. Wir handeln ja nicht nur aus der gegebenen Situation, sondern die gleichen Vorstellungen standen doch schon seit 1950 immer und immer wieder vor uns. Vieles wäre in einem kritischen Überblick hierzu zu sagen; ich will nur einige markante Ereignisse erwähnen.
Ich bedaure, Herr Kiesinger, daß ich Sie mitten im genußfrohen Gähnen stören muß.
({66})
- Doch, Sie sahen sehr glücklich dabei aus, wie ein Kind vor dem Einschlafen.
({67})
Sie haben heute vormittag von dem Mythus gesprochen, den der Herr Sethe aufgerichtet hat von den Möglichkeiten des Jahres 1952, die außer acht gelassen worden sind usw. Meine Damen und Herren, ein Politiker, der nicht dauernd überdenkt, ob er nicht Fehler gemacht hat, der nicht zurückdenkt, der nicht beachtet, was ein anderer, der leidenschaftlich über diese Dinge nachdenkt, an Bedenken geltend macht, der ist fehl am Platze. Wenn wir überdenken, was wir 1952 ausgelassen haben!
({68})
- Ich erzähle Ihnen das genau, Herr Stücklen,
({69})
warten Sie nur, haben Sie nur Geduld; ich sage Ihnen genau, wie die Dinge waren.
Damals hatten wir ein Angebot Stalins, ein Jahr vor seinem Tod, am 10. März 1952. Man muß sich das wieder einmal in die Erinnerung zurückrufen, was dem deutschen Volke damals an Verhandlungsmöglichkeiten - mehr zu sagen wäre nicht zu verantworten - geboten war. Stalin hat uns damals angeboten: gesamtdeutsche freie Wahlen unter Viermächtekontrolle, Freiheit der Presse usw. usw., Friedensvertrag, Abzug aller Truppen innerhalb eines Jahres, nationale Bewaffnung des wiedervereinigten Deutschlands - von 300 000 Mann war die Rede -, eine Rüstungsproduktion für diese 300 000 Mann unter bestimmten Beschränkungen, keine Neutralisierung - nicht Neutralität war die Bedingung, sondern es war lediglich gefordert, daß Deutschland nicht in eine Militärallianz eintritt -,
({70})
Einverständnis damit, daß eine gesamtdeutsche
Regierung sofort, wenn sie gebildet ist, in Beziehungen zu allen anderen souveränen Völkern tritt.
Vom Abzug habe ich schon gesprochen. Was war damals die Gegenbedingung? Verzicht auf EVG! Das lag darinnen: Verzicht auf den Vertrag, der dann nach Jahr und Tag, am 30. August 1954, in der Französischen Nationalversammlung auf schändliche Weise vom Tisch gefegt wurde; man ging darüber zur Tagesordnung über. Hier hätte man eine Verhandlungsmöglichkeit gehabt.
({71})
- Sie sind zu übereifrig, Herr Stücklen! Kümmern Sie sich um Ihre Post!
({72})
Ich sage es Ihnen: Der Herr Bundeskanzler - - ({73})
- Schreien Sie nicht so; haben Sie doch Geduld! Ich weiche doch nicht aus. Ich war Mitglied des Kabinetts.
({74})
Der Herr Bundeskanzler hat uns damals erklärt: Das ist ein Störungsmanöver! - Genau das gleiche, was er heute erklärt. Ich habe ihm vertraut.
({75})
- Ach Herr Stücklen, seien Sie doch - ({76})
- Ich bin in der Regierung geblieben. Ich schäme mich, ja!
({77})
Ich beneide den Heinemann wegen seines Mutes. ({78})
Aber Herr Heinemann, lieber Herr Stücklen, kannte
seine Pappenheimer besser; er war ja in der CDU.
({79})
Ich war am Ende ein kleiner Mann, der glaubte, was dieser große, geniale Staatsmann uns sagt, sei richtig.
Aber das Entscheidende ist doch, daß sich erwiesen hat und daß jeder von Ihnen, selbst der Herr Stücklen, heute einsehen muß, was damals falsch gemacht, was geschadet worden ist. Wir wissen doch heute viel mehr. Wir haben inzwischen den 20. Bolschewistischen Kongreß erlebt, wir haben die Reden von Chruschtschow gelesen. Wir wissen jetzt, daß damals, im März 1952, Stalin innenpolitisch in einer verzweifelten Lage war. Das laste ich dem Herrn Bundeskanzler und den Westalliierten an. Damals war die Pause - die Pause, von der er uns heute etwas vorgaukelt -, die ihm geboten war, die er hätte benutzen müssen.
({80})
Wir wissen heute, wie dieser so allmächtig erscheinende sowjetrussische Diktator in Wirklichkeit ein vereinsamter Mann war. Die Ärzteprozesse! Lesen Sie doch nach, was Chruschtschow gesagt hat! Er hat uns in dieser schwierigen inneren Lage,
({81})
um seine Schwierigkeiten nach außen abzulenken
- gerade das, worauf Sie spekulieren -, diesen Vorschlag gemacht. Und was das Schlimme war: man hat nicht einmal darüber debattiert; man hat nicht einmal versucht, ein Wort zu wechseln.
Das sage ich, ohne, so glaube ich, meine Pflicht zur Diskretion zu verletzen: daß die Haltung Dr. Adenauers auch für das Verhalten der drei Westmächte wesentlich war.
({82})
- Ich war nicht Außenminister, Herr Stücklen.
({83})
- Versagt hat der, der die Verantwortung trug, der die Richtlinien der Politik gab.
({84})
- Warten Sie doch erst einmal, welche Schlußfolgerung ich aus diesen Tatsachen ziehe, daß dieser Dr. Adenauer nicht nur versagte - er war Bundeskanzler, er hatte die Richtlinien der Politik bestimmt -, sondern daß er uns auch nicht richtig ins Bild setzte, und ich frage Sie - deswegen sage ich es ja -: Welcher Wille stand dahinter?
Aber noch einmal etwas zu den Tatsachen. Antwort der drei Westmächte vom 25. März, maßgebend von Dr. Adenauer mit bestimmt: „Nicht zu billigen ist der sowjetische Vorschlag, Deutschland nationale Kräfte zu gewähren". - Meine Damen und Herren, stellen Sie sich einmal diese Illusion, nein, ich sage: diese Ironie der Situation vor. Die Sowjetunion bietet uns nationale Streitkräfte an, so wie wir sie heute auf Grund der Westeuropäischen Union und der Pariser Verträge haben, und die drei Westmächte lehnen dieses Angebot auf Veranlassung des Bundeskanzlers ab.
Aber ich will die ganze Geschichte nicht weiter verfolgen.
({85})
- Herr Kliesing, was klittere ich? Bitte sagen Sie es mir! Sagen Sie mir, was ich klittere!
({86})
- Herr Kliesing, Sie sind ein Lügner! ({87})
Sie sind ein Lügner! Sie machen mir den Vorwurf, ich klitterte, das heißt, ich stellte unwahre Behauptungen auf oder zöge bewußt unwahre Folgerungen. Dieser Vorwurf ist ungerechtfertigt, ist für mich beleidigend.
({88})
In späteren Noten, die gewechselt worden sind, wieder die Erklärung der Sowjetunion: „Deutschland muß die zu seiner Verteidigung erforderlichen Streitkräfte haben." Dr. Adenauer hat es abgelehnt!
Nun mein Schluß aus diesem Tatbestand. Aber, Herr Stücklen, damit wir uns recht verstehen: ich denke keinen Augenblick daran, meine Verantwortung, die ich damals trug, zu leugnen. Darum geht es doch nicht, sondern die Frage ist: Was damals beschlossen wurde - war es richtig, war es falsch? Welche Intentionen waren bei dem, der diese Entscheidung traf, maßgebend? Herr Stücklen, Sie sind ja jetzt Mitglied des Kabinetts. Ich weiß nicht, ob die Dinge sich geändert haben. Ich sage für das ganze Haus: Dem Kabinett geht es um kein Haar besser als Ihnen, meine Damen und Herren.
({89})
Meine Erfahrung: die eigentlichen Entscheidungen gehen wie am Parlament, so auch am Kabinett vorbei.
({90})
Meine Schlußfolgerung aus dem, was damals geschah: Hier fehlte der Wille, das Mögliche zu tun, eine Chance zu ergreifen.
({91})
Das müssen Sie wissen. Da hat sich das Schicksal der Sibyllinischen Bücher wahrlich vollzogen. Von Jahr zu Jahr ist unsere Chance schlechter geworden. Und auch heute will die Bundesregierung die noch angebotenen letzten Bücher nicht ergreifen und nicht bezahlen.
Ich muß Ihnen natürlich auch ein bißchen aus meinen persönlichen Eindrücken erzählen. Ich war nicht mehr im Kabinett, da kam die Berliner Konferenz, Januar bis Februar 1954. Sehr wichtig! Was hat die Bundesregierung getan, damit etwas zustande kam? Ich will Ihnen nur eine Szene schildern. Ich bin damals im Auftrage meiner Fraktion nach Berlin gefahren. Beobachter bei dieser Konferenz war der jetzige Botschafter Blankenhorn. Er empfing mich mit den Worten: „Herr Dehler, Sie brauchen keine Angst zu haben; es kommt nichts zustande."
({92})
Der Herr Bundeskanzler hat hinterher gesagt: „Da war nichts auszuhandeln, und da ist nichts einzuhandeln." Auch hochinteressant, was der Herr Bundeskanzler nach der Berliner Konferenz sagt! Es zeigt, welcher Geist, welcher Wille in ihm stecken: „Es ist nichts auszuhandeln und nichts einzuhandeln." „Die europäische Integration ist notwendiger denn je." „Ich bin bereit, die Einführung einer gemeinsamen deutsch-französischen Staatsbürgerschaft zu erwägen." - Das sind die Vorstellungen, in denen sich der Herr Bundeskanzler bewegt.
Was war die Folge der Berliner Konferenz, meine Damen und Herren? Die Folge, unter der wir leiden: die Erklärung der Sowjetunion, daß sie in Zukunft die Deutsche Demokratische Republik als souveränen Staat anerkennen werde. Das war die Konsequenz davon, daß wir, Herr Bundeskanzler, unsere Pflicht nicht erfüllten. Den Zustand haben wir mit verschuldet.
({93})
„Unerhört!", sagen Sie. Bitterste Tatsache! Ich sage Ihnen doch nur, was geschehen ist, auch als Folge unseres Versagens.
Nur einige Tatsachen noch. Die Bindungsklausel! Wenn Sie erkennen wollen, was im Herzen dieses Mannes, der die deutsche Politik bestimmt, vorgeht, dann müssen Sie sich die Geschichte der Bindungsklausel vergegenwärtigen. Sie wissen, worum es geht. Im ursprünglichen Deutschland-Vertrag vom 26. Mai 1952 war vorgesehen: Bindung eines wiedervereinigten Deutschland an die Verträge. Professor Grewe hat es einmal so umschrieben, daß diese ursprünglich vorgesehene Fassung auf eine automatische Bindung des wiedervereinigten Deutschlands an die Bonner Verträge sowie an die europäischen Integrationsverträge abzielte. Diese Bindungsklausel hat der Herr Bundeskanzler damals mit den Alliierten ausgehandelt. In letzter Stunde haben wir uns dagegen gestemmt. Sie wissen, was diese Bindungsklausel bedeutet hätte. Wenn im Falle einer Wiedervereinigung Mitteldeutschland ohne weiteres in sämtliche vertraglichen Verpflichtungen, damals die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, in sämtliche Europaverträge eingetreten wäre, hätte die Sowjetunion niemals zustimmen können, die Zone freizugeben. Das ist selbstverständlich.
Der Herr Bundeskanzler hat diese Bindungsklausel, die die deutsche Wiedervereinigung unmöglich machte, gewollt.
({94}) - Wie können Sie sagen „Unverschämtheit"?
({95})
Dann sagen Sie wieder einmal, ich klittere. Das sind doch Tatsachen! Der Herr Bundeskanzler regt sich nicht so auf. Das ist sein Wille!
({96})
Er weiß, daß ich die Wahrheit sage.
({97})
Ich rechne es mir, ich rechne es uns Freien Demokraten als ein geschichtliches Verdienst an, daß wir uns damals dagegen gewandt haben. Herr v o n Brentano war damals Vorsitzender der CDU/ CSU-Fraktion und ist in sehr loyaler und sehr kluger Weise - damals war er noch nicht im Joche des Kabinetts ({98})
mit uns gegangen. Wir haben gemeinsam den Herrn Bundeskanzler bedrängt, auf diese Bindungsklausel zu verzichten. Er hat es abgelehnt; er hat es nicht getan.
Daraufhin sind wir - Herr von Brentano war dabei - unmittelbar an den damals schon anwesenden amerikanischen Staatssekretär Dean A c h es o n herangetreten, und, meine Damen und Herren, in kürzester Zeit - bitte, fragen Sie Herrn von Brentano! - hat Dean Acheson gesagt: „Na selbstverständlich, gar keine Frage für uns!" Wir haben dann
eine Formulierung gefunden, die er aus dem Handgelenk geschüttelt hat, die diese Bindungsklausel aufgehoben hat. Der Herr Bundeskanzler hat - Sie wissen ja, er ist ein Jupiter tonans ({99})
noch monatelang den Beteiligten, auch Herrn von Brentano, besonders auch Herrn Blücher deswegen gezürnt.
Nun gibt es etwas sehr Interessantes. ({100})
Es gibt wunderbare Zusammenhänge, die es rechtfertigen, wenn ich sage, diese Bindungsklausel ist von ihm und nicht von den Westalliierten gewollt gewesen.
({101})
Auch hier ist Herr von Brentano Zeuge. Er hat ja
- wann war es? - am 29. Juli eine Berliner Erklärung der Vertreter der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und der Bundesrepublik zur Frage der Wiedervereinigung abgegeben, eine schöne Deklamation, Makulatur, an sich längst in den Papierkorb gewandert. Wer glaubt, daß man so die Welt bewegen könnte, - was ist er für ein Illusionist! Aber da steht in Ziffer 8:
Die Westmächte haben nie verlangt, daß ein wiedervereinigtes Deutschland der Organisation des Nordatlantikvertrages beitreten muß; die Bevölkerung eines wiedervereinigten Deutschlands wird durch ihre frei gewählte Regierung selbst bestimmen können, ob sie an den Rechten und Pflichten dieses Vertrages teilhaben will.
Das erklären die Westalliierten: sie haben es niemals verlangt. Es stand aber in dem Vertrag. Wer
hat es also verlangt? Ein Mann, Konrad Adenauer!
({102})
Ich sage es Ihnen, damit Sie wissen, was ich will. Es kommt doch nicht auf schöne Reden an. Der Mann der schönen Rede, Herr Kiesinger, ist schon geflüchtet, er war doch sehr müde von den Strapazen. Nein, nicht auf die Rede kommt es an. Hier, Herr Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, haben Sie bewiesen, daß Sie alles taten, um die Wiedervereinigung zu verhindern.
({103})
- Da war ich noch der gläubige Thomas! ({104})
Herr Stücklen, stellen Sie sich einmal vor, was geschehen sein muß, daß ich, ein gläubiger Mann, ein Mann, der ihm auch vertraute, so erschüttert wurde, daß eine Welt zwischen ihm und mir liegt. Was mußte hier geschehen, daß es zu den Erkenntnissen führte, die ich unter Schmerzen gesammelt habe!
Deswegen sollten Sie es mit ein bißchen Respekt anhören, meine Damen und Herren!
({105})
Der Herr Bundeskanzler ist ja ein, - - ach, er ist nicht nur ein charmanter Mann, er kann ja jonglieren, er kann heute das und er kann morgen jenes sagen mit einer Sicherheit, und wenn er dann die Stimme ein bißchen erhebt, - - dieser ganze Haufen da, - - er kann sagen, was er will, eine Oktave höher, - ({106})
- Ich will es Ihnen ja beweisen, - ({107})
Einen Augenblick!
({0})
- Einen Augenblick! Es ist mir völlig unmöglich, festzustellen, was gesagt worden ist, total unmöglich.
({1})
Meine Damen und Herren, der Bundestagspräsident kann nur gegen etwas vorgehen, was er selber hört oder was er aus dem Protokoll entnimmt. Ich stelle fest, daß ich einfach nichts verstehen konnte.
Ich habe keinen beleidigenden Ausdruck gebraucht.
({0})
- Wer hat soeben gesagt: „unverfroren"?
Herr Abgeordneter Dehler, - Dr. Dehler ({0}) : Wer hat soeben gesagt „Narrenfreiheit"?
Herr Abgeordneter Dehler, lassen Sie mich bitte ausreden. Ich werde im Stenogramm feststellen, worum es sich gehandelt hat.
Aber Herr Abgeordneter Dr. Dehler, ich möchte Sie doch dringend bitten, zum Schluß zu kommen. Wir haben noch immer eine Reihe von Rednern, und wir haben beschlossen, diese Tagesordnung heute zu erledigen. Ich darf deshalb bitten, zum Schluß zu kommen. Die Debatte - ({0})
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
- Einen Augenblick! Herr Abgeordneter Wehner, wollen Sie mir unterstellen, daß ich hier die Debatte abzuwürgen versuche?
({1})
- Erstens wird sie nicht abgewürgt, aber nicht nach Ihrer Weisung! Wenn das eine Rüge sein soll, dann rufe ich Sie zur Ordnung; ich lasse mich hier nicht rügen.
({2})
- Herr Abgeordneter Wehner, ich warne Sie. Ich lasse hier den Präsidenten nicht rügen. Das kommt Ihnen nicht zu!
Herr Dr. Dehler, ich muß Sie noch einmal dringend bitten, zum Schluß zu kommen. Fahren Sie bitte fort!
({3})
Ich bin mitten in meinen Ausführungen, die mir wichtig sind. Ich will einen schweren Vorwurf begründen. Aber bitte, meine Damen und Herren: ich habe den Vorwurf erhoben, daß die Behauptung des Herrn Kiesinger, es gehe nur um einen Streit über die Methode, falsch ist. Es geht um einen Streit in der Sache. Ich habe einen Vorwurf gegen die Bundesregierung erhoben, wie er schwerer gar nicht sein kann und den ich nicht erheben würde, wenn ich nicht in tiefstem Herzen überzeugt wäre, daß er berechtigt ist. Ob Sie es anhören oder nicht, der Vorwurf steht in der Welt.
Ich habe gesagt: der Herr Bundeskanzler hat in ganz entscheidenden Fragen widerstreitende Angaben gemacht. Mein Freund Mende hat heute früh schon einen Brief zitiert, den der Herr Bundeskanzler damals auf dem Höhepunkt der Krisis zwischen ihm und mir und meiner Partei an mich geschrieben hatte, in der wir da gezwungen werden sollten, klein beizugeben und keine eigene Meinung mehr zu haben. Es ging ja gerade um diese Frage. Da schrieb er also am 22. November 1955:
Steht die Bundestagsfraktion der FDP wie bisher auf dem Boden der Pariser Verträge, und zwar ohne Änderung? Von den Westmächten und den NATO-Mächten eine Änderung der Pariser Verträge zu verlangen, die Deutschland nach seiner Wiedervereinigung volle Freiheit geben, ob und wem es sich anschließen will, ist zwecklos und nur dazu geeignet, die ablehnende Haltung Sowjetrußlands zu stärken.
Also klarer Standpunkt des Herrn Bundeskanzlers: Bindung besteht; es gibt keine Entscheidungsfreiheit, sondern das wiedervereinigte Deutschland ist an die Bündnisse und Verträge der Bundesrepublik gebunden. Das sagte er in diesem Schreiben.
Am 5. November 1957 - ich glaube, der Herr Kollege Erler hat damals eine Frage an den Herrn Bundeskanzler gestellt - antwortete er in diesem
Hause: „Es steht für mich fest, daß nach den Pariser Verträgen das wiedervereinigte Deutschland frei ist, seine Position selbst zu bestimmen."
({0})
So fahrlässig wird hier in den entscheidenden Fragen unserer Nation Politik getrieben, daß es möglich ist, daß in dieser entscheidenden Frage völlig widersprechende Erklärungen abgegeben werden!
Meine These ist: Man will nicht das Notwendige zur deutschen Wiedervereinigung tun. Gibt es einen besseren Beleg als die Saarfrage?
({1})
Ich könnte viel erzählen. Diese erste Möglichkeit der deutschen Wiedervereinigung hat Dr. Adenauer, unser Bundeskanzler, mit allen Mitteln zu verhindern versucht.
({2})
- Sie haben die Saar beschimpft! Ich habe sie nicht beschimpft, sondern ich habe die Menschen an der Saar angerührt. Ich zeige Ihnen Hunderte von Briefen, die ich habe, in denen sie mir begeistert - ({3})
- Ach, das ist ja nicht wahr, was da behauptet wird. Ich habe die Menschen an der Saar in ihrer nationalen Verantwortung getroffen. So sind die Dinge!
({4})
- Jetzt lassen Sie doch mal Ihr dummes Händewinken!
({5})
Genfer Konferenz! Der Eden-Plan der Gipfelkonferenz, der sich selbstverständlich, Herr Bundesaußenminister, auf die Wiedervereinigung und vor allem auf die Wiedervereinigung bezog, ist bei der Außenministerkonferenz im Herbst 1955 unter den Tisch gefallen. Warum ist er unter den Tisch gefallen? Mein Freund Mende hat es in der Sitzung dieses Hohen Hauses vom 6. Juli 1956 schon erwähnt. Er hat berichtet, daß bei dem englisch-deutschen Gespräch in Königswinter im Jahre 1956 drei britische Unterhausabgeordnete - teilweise Minister, Elliot, Robins und Richard Crossman -, erklärt haben, daß die Zurückziehung des Eden-Plans ausschließlich auf den deutschen Bundeskanzler zurückging. Man stelle sich vor, ein ausländischer Regierungschef, der damalige Ministerpräsident Eden, kommt auf die Gipfelkonferenz in Genf und entwickelt einen ausgezeichneten Plan, einen Plan, der unseren Vorschlägen entsprach: selbstverständlich entmilitarisierte oder entschärfte, militärisch verdünnte Zone; selbstverständlich die beiden Militärblöcke auseinander - genau das, was heute von meinem Freund Mende gesagt worden ist -, ein Sicherheitsabkommen, dem gegenseitig - anders geht es doch gar nicht - die USA und die Sowjetunion beitreten. Das hat ein ausländischer StaatsDr. Dehler
mann vorgeschlagen. Der deutsche Bundeskanzler hat veranlaßt, daß dieser Plan, der eine echte Chance hatte, zurückgezogen wurde!
({6})
Glauben Sie noch, daß dieser Mann den Willen hat, die deutsche Einheit herbeizuführen?
({7})
- Unerhört?! Ich will Ihnen einmal etwas sagen: ich war auf der zweiten Genfer Konferenz. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einmal die Tatsachen erzählen, damit Sie wissen, was gespielt wird. Sie haben doch keine Ahnung, was in Wirklichkeit vorgeht. Woher können Sie das denn haben?
({8})
- Das könnte Ihnen so gefallen, weil Sie die Wahrheit nicht ertragen können!
({9})
Ich will Ihnen ein persönliches Erlebnis von der zweiten Genfer Konferenz, von der Außenministerkonferenz im Herbst 1955 erzählen. Ich bin damals zufällig mit Herrn von Brentano nach Genf gefahren. Vorher war die Reise des Bundeskanzlers mit einigen Abgeordneten nach Moskau gewesen. Dort ist der Beschluß gefaßt worden, diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Der Herr von Brentano hat damals mit allen Außenministern der drei Westmächte - Macmillan, Antoine Pinay und Mr. Dulles - Gespräche geführt; mit Molotow, mit dem Außenminister, mit dem man diplomatische Beziehungen aufzunehmen beschlossen hatte, ist er nicht zusammengetroffen.
Glauben Sie, das ist eine Politik, hinter der der Wille zur Wiedervereinigung steht? Man hat damals die diplomatischen Beziehungen aufgenommen, doch nicht in dem Willen, sie zu nützen! Eine Ironie, wenn der Herr Bundeskanzler plötzlich in Paris entdeckt, daß man auch diplomatisch sprechen kann. Seit Juli 1955 diplomatische Beziehungen mit Moskau, und ein ernsthaftes Gespräch ist weder in Moskau durch den Botschafter Hass noch hier mit Sorin oder mit Smirnow geführt worden. Kein Gespräch fand statt, in dem man den Russen nahezubringen versuchte, was unser Anliegen ist, in dem man den russischen Willen zu beeinflussen versuchte, kein einziges.
Was sagte Herr Sorin unseren Freunden Frau Dr. Lüders und Dr. Mende? „Die Bundesregierung will ja nicht mit uns sprechen, die Bundesregierung will boxen. Boxen lassen wir mit uns nicht." Und er zog ab, immerhin doch nicht der erste beste, sondern der Mann, der dann in Landon die Abrüstungsverhandlungen für die Sowjetunion führte.
Man hat bis heute Rußland niemals ein Konzept, niemals einen politischen Vorschlag vorgelegt, sondern man treibt Politik der Stärke, jetzt Politik der atomaren Raketen.
Die Europapolitik, meine Damen und Herren! Herr Strauß, ich würde ja gern mit Ihnen einmal
die Hintergründe beleuchten. Daß diese TalmiEuropapolitik in Wirklichkeit nicht konstruktiv ist, wer hier zweifelt noch daran? Die EVG, an sich schon an den Franzosen gescheitert. Montanunion! Glauben Sie, die Montanunion hat wirtschaftlich irgendeinen Sinn gehabt oder hat gar ein europäisches Gefühl entstehen lassen? Glauben Sie, die anderen Verträge - wir haben sie bekämpft -
führen zu Europa? Nein, sie führen noch einmal zur Aufspaltung von Europa. Aber für diese Bundesregierung war dieses Europa - mein Freund Reinhold Maier hat durchaus recht - doch nichts als ein Alibi. Bei jeder Gelegenheit, wenn eine politische Schwierigkeit kam, sagte man: Aber wir schaffen jetzt Europa, und wenn wir Europa geschaffen haben - in Wirklichkeit diese kleine Gruppe, dieses Sechstel von Europa -, dann kommt die Wiedervereinigung automatisch.
Was steckt denn hinter dem Ganzen, meine Damen und Herren? Was steckt denn hinter Ihrer Politik? Was wollen Sie denn in Wirklichkeit? Wohin geht sie hinaus? Ich will einmal von dein Dilettantismus ganz absehen, von dem, was wir heute schon erlebt haben, diesem Glauben, es komme eine Pause, die man benützen könnte. Eine Zeitlang gab es im Kabinett einen großen Politiker, den Herrn Oberländer.
({10})
Er sagte dem Herrn Bundeskanzler, als er die Weisheit Starlingers erfuhr: Warten Sie nur, der Druck der Chinesen auf die Russen ist so stark, daß sie nachgeben müssen.
({11})
Mit solchem Dilettantismus werden die Schicksalsfragen des deutschen Volkes behandelt! So sind doch die Dinge.
({12})
Was steckt denn hinter dem Ganzen? Meine Damen und Herren, verkleinern Sie das Fuldaer Manifest - so heißt es doch - nicht, Fulda ist bedeutend für jeden Katholiken. Es sind immerhin doch auch Personen aus diesem Hause, die es unterzeichnet haben. Daß manche zu klug waren, es zu unterzeichnen, ist auch verständlich. Dieses Fuldaer Manifest ist der Geist, der hinter Ihnen steckt.
({13})
- Viele von Ihnen, meine Damen und Herren, sind nur nicht hellsichtig genug, das zu erkennen.
({14})
Ich will Ihnen noch etwas anderes erzählen. Die Welt ist ja kurios. Ich habe jetzt in Bayern einen Koalitionsfreund oder, wie will ich sagen, einen Koalitionskollegen, das ist Alois Hundhammer.
({15})
- So merkwürdig ist das Leben. - Der hat am Dreikönigstage in meiner Bamberger Heimat gesprochen immerhin aktiver Minister, sitzt im Bundesrat -, und er hat folgendes gesagt: „Christ
und Antichrist stehen sich augenblicklich stärker gegenüber als jemals in der Geschichte." - Christ und Antichrist! Der Glaube, man könnte eine Lösung dahin suchen, sich mit den Sowjets an einen Tisch zu setzen, der ist natürlich völlig verfehlt. Wer sich mit den Russen arrangieren will, ist irrgläubig; den muß man bekehren. Von den Russen werden solche Leute so behandelt, wie es der italienische Kommunist Togliatti gesagt hat: „Das sind nützliche Idioten."
Immerhin, ein aktiver Minister, aus Ihren Kreisen!
Aber, meine Damen und Herren, ich erinnere mich, daß einmal der Präsident der Vereinigten Staaten - es war am Beginn seiner Tätigkeit - davon sprach: „Die Heere Gottes und des Teufels stehen sich gegenüber." Das ist ein Geist, den Herr Dr. Adenauer maßgebend mit geschaffen hat in vielen, vielen Reden: Es geht um die ideologische Auseinandersetzung, der Kampf zwischen Christentum und Bolschewismus, zwischen Christ und Antichrist. - Wer so spricht - das ist die Schlußfolgerung, die ich ziehe -, will keine Politik. Er will sie nicht, er geht ihr aus dem Wege. Er sagt: Diese Menschen drüben sind Verbrecher, Gangster! - Wir haben es doch hier gehört. Ich weiß nicht, wer sich alles beteiligt hat; einige von ihnen sind in Formosa. So wurde gesagt: Mit denen kann man nicht verhandeln, die sind des Teufels. Was sind die Schlußfolgerungen? Keine Politik! Am Ende der Kreuzzug! Das steht hinter Ihrer Politik!
Das trojanische Pferd, meine Damen und Herren! Haben Sie dieses Plakat - Inbegriff der Gemeinheit - am letzten Tag des Wahlkampfes vergessen?
({16})
Ein Plakat Ihres Geistes, man muß schon sagen:
Ihres Ungeistes, heimtückisch unter Aufwand von
Hunderten und aber Hunderten, von Tausenden
Mark. Wenige Zeitungen waren tapfer genug, dieser Versuchung zu widerstehen; sie gehören aber
gelobt.
Die Behauptung von unverantwortlicher Seite, die aus Ihrem Kreise kommt: „Wer mit den Sowjetrussen verhandelt - und das ist die FDP, das ist die SPD -, die sind so töricht und ziehen das trojanische Pferd in die eigene Festung und werden veranlassen, daß bei uns die Freiheit untergeht" - so treiben Sie Politik! -, ist das Gegenteil von dem, was mit vielen schönen Reden gesagt wird. Das geht nicht auf Friede, das geht nicht auf deutsche Wiedervereinigung, das geht auf Trennung, das geht auf Katastrophe!
Ich muß noch einmal erwähnen, was im „Neuen Abendland", in der zweiten Nummer des letzten Jahres, mit Wirkung auf die Wahl gesagt worden ist. Das ist ja nicht gleichgültig, was da geschrieben worden ist. Der Herr Bundeskanzler hat ein Vorwort zu dieser Nummer geschrieben, hat mit seinem Namen als Bundeskanzler und als Chef der CDU diese Nummer gedeckt, in dieser Nummer - Sie wissen es sicherlich noch -, in der gesagt wird: Dieses Gerede von der Wiedervereinigung. - Wie
von einem Tabu! Es ist die Nummer, in der das Bestreben nach der deutschen Einheit lächerlich gemacht und herabgesetzt wird, in der ein ganz anderes Ideal aufgerichtet wird - und der Herr Bundeskanzler setzt seinen Namen davor! -: es ist das Ideal, daß diese Bundesrepublik die Lösung ist, daß sie uns gerade recht ist, diese katholisch bestimmte und gebundene Bundesrepublik!
({17})
- Das ist es gewesen; lesen Sie es nach!
Das führt mich zu dem Schluß, zu sagen: hier geht es nicht um die Methode, hier geht es um die Sache; sie ist nicht die unsere.
({18})
Ich will noch ein Wort zum Abschluß sagen, aber auch ein sehr hartes Wort.
({19})
In dem Entwurf der Regierungserklärung - ich weiß nicht, ob der Herr Bundesaußenminister diesen Passus so verlesen hat - heißt es:
Die Bundesregierung ist durch die eindeutige Entscheidung des deutschen Volkes vom 15. September gebunden und verpflichtet, und sie wird sich dieser Verpflichtung nicht entziehen.
Wie gesagt, ich weiß nicht, ob der Herr Außenminister es noch so vorgelesen hat. - Ja, der Herr Kiesinger hat es aufgenommen und hat erklärt, die Wahl habe der Bundesregierung eine außenpolitische Weisung gegeben, in dieser Wahl sei die außenpolitische Richtung der Bundesregierung bestätigt worden. Ich bestreite das nachdrücklich, nachdrücklich, meine Damen und Herren! Man muß sich vergegenwärtigen, wie diese Mehrheit hier zustande gekommen ist. Ich weiß wahrlich nicht, meine Damen und Herren, ob Sie stolz darauf sein sollten. Sie werden eines Tages die geschichtliche Verantwortung fühlen, die diese Mehrheitswahl Ihnen auflastet. Diese Mehrheit ist nicht mit guten Mitteln erreicht worden. Das muß man schon sagen, wenn man überhaupt noch den Glauben haben kann, daß hier ein anständiger, sauberer, von einem klaren Willen der Staatsbürger getragener Staat, eine lebenskräftige Demokratie entstehen kann. Dieser Wahlsieg ist nicht mit guten Mitteln erstritten worden.
({20})
Man hat heilige Gefühle für politische Zwecke verwendet: das Christentum, die Religion; Bamberger Rede, Nürnberger Rede. Es geht um Christentum oder Politik. Ich weiß nicht, ob sich das so fortsetzen soll, wie es jetzt immer war, daß die Kanzel für politische Zwecke mißbraucht wird. Es ist in massiver Weise geschehen. In der Woche vor der Wahl haben die Bischöfe ihre geistliche Autorität dafür eingesetzt, daß eine Partei gewählt wird.
({21})
Und die vielen anderen Reden! Wie können Sie behaupten, diese Wahl sei eine Entscheidung unseres Volkes für eine politische Sache gewesen?! Sie war doch das Gegenteil. Sie haben doch verhindert, daß unser Volk sich gerade über die außenpolitischen Dinge auch nur Gedanken gemacht hat!
({22})
Sie haben unser Volk von der politischen Entscheidung weggeführt. So gewinnt man Wahlen, aber man verliert die Demokratie.
Noch ein Wort darüber, wie hier taktiert wird, wie in diesem Staat Politik gemacht wird!
Herr Abgeordneter Dehler, Sie haben heute am längsten gesprochen, Sie haben mehr als anderthalb Stunden gesprochen.
({0})
Ich muß Sie dringend bitten, zum Schluß zu kommen. - Nein, das ist gar nicht sein gutes Recht. Die Geschäftsordnung schreibt vor: „. . . soll nicht länger als eine Stunde sprechen".
({1})
Ich habe gesagt: So gewinnt man Wahlen - und es gibt keinen, der das besser versteht als Herr Dr. Adenauer -, aber so verliert man die Demokratie.
Ich nenne jetzt noch einen Vorgang, die MoskauReise des Herrn Bundeskanzlers, - sehr interessant für die ganze Situation, auch für das, was ich Ihnen darzulegen versucht habe! Man wußte ganz genau, in welche Situation man damals fuhr. Der Herr Bundeskanzler hat damals - nicht nur den Westalliierten, sondern auch uns, den Vertretern der westdeutschen Parteien, wofür Herr Ollenhauer und wohl auch Herr Carlo Schmid Zeuge sind - ausdrücklich erklärt, er werde in Moskau keine diplomatischen Beziehungen aufnehmen. Ich habe ihm zugestimmt und noch einmal ausdrücklich gesagt: Die Sowjetunion hat uns eingeladen - die „Beziehungen", das war die Konsequenz ihres Handelns, daß sie sich sagte, die DDR ist ein souveräner Staat - zum Zwecke der Normalisierung diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion. Ich habe dem Herrn Bundeskanzler gesagt: Es gibt keine Normalisierung der Beziehungen der Bundesrepublik; die Bundesrepublik ist immer das Anomale; es gibt nur die Beziehungen zwischen einem wiedervereinigten Gesamtdeutschland und der Sowjetunion.
Der Bundeskanzler hat uns das versprochen. Er ist nach Moskau gegangen und kannte doch die Situation ganz genau. Er wußte ganz genau, daß die Frage der Kriegsgefangenen zur Debatte stand. Er hat von Möglichkeiten, diese Frage der Kriegsgefangenen vorher zu regeln, keinen Gebrauch gemacht. Mende und ich haben ihm einen konkreten
Vorschlag vorgetragen. Wir wissen nicht, ob er zuverlässig war. Er hat ihn nicht sondiert. Ich weiß genau, daß ihm ein maßgebender Beamter des Auswärtigen Amtes den vollkommen richtigen Rat gegeben hat, doch nicht in diese unmögliche Lage nach Moskau zu gehen, sondern den Russen, dem Kreml, zu sagen: Ich komme, aber erst, wenn die Kriegsgefangenen zu Hause sind.
({0})
Er hat es nicht getan.
Dann kam die Situation - wollen Sie mir zeugen, vom Regierungstische bis hierher! -, das war die Alternative, in die man sich leichtfertig begeben hatte: entweder man geht ohne Kriegsgefangene nach Hause oder man schluckt die bittere Pille, daß man diese von den anderen gewollten diplomatischen Beziehungen nicht aufnimmt. Und dann - deswegen erzähle ich das - das klassische Wort des Herrn Globke: „Herr Bundeskanzler, denken Sie an die nächsten Wahlen." So gewinnt man Wahlen, so verliert man das Vaterland!
({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte, sich zu beruhigen und Platz zu nehmen.
Es sind hier eine Reihe Klagen eingegangen; ich kann sie jetzt nicht in allen Einzelheiten nachprüfen. Ich habe, soweit das Stenogramm übertragen ist, jetzt einen Text vor mir. Herr Dr. Dehler hat nach dem Stenogramm gesagt: „- - dieser ganze Haufen da". - Meine Damen und Herren, das reicht für einen Ordnungsruf nicht aus; das ist eine landläufig-burschikose Bezeichnung, aber man kann sie nicht als eine Beleidigung ansehen.
({0})
Ich muß mir vorbehalten - da es mir beim besten Willen nicht möglich war, diesen Ausführungen auch nur lautlich zu folgen -, nach Vorlage des Protokolls unter Umständen auf diese Sache zurückzukommen.
Nun hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner, der Herr Abgeordnete Dr. Dehler, hat hier eine Reihe von Behauptungen aufgestellt
({0})
- Behauptungen -, die nicht unwidersprochen bleiben können. Die Achtung vor der Würde des Hauses verbietet mir allerdings, in den Ton zu fallen, in dem er gesprochen hat.
({1})
Bundesaußenminister Dr. von Brentano
Der Herr Kollege Dr. Dehler hat sich zunächst darüber beschwert, daß ich in meiner Antwort auf die Rede des Herrn Kollegen Dr. Mende seine Partei und ihn diffamiert hätte. Ich möchte Herrn Dr. Dehler unterstellen, daß er nicht gehört hat, was Herr Mende gesagt hat. Ich darf es aus dem stenographischen Protokoll verlesen. Er hat erklärt:
Wenn der Regierungschef sich über den kleindeutschen Rundfunk in außenpolitischen Fragen ... an das Volk wendet, wie seinerzeit über den großdeutschen Rundfunk in ähnlicher Weise der Reichstag ausgeschaltet wurde ...
({2})
Herr Dr. Mende hat dann weiter gesagt, er protestiere, weil er nicht wolle, daß der Deutsche Bundestag ähnlich denaturiert werde, „wie seinerzeit der Reichstag nur noch zum Gesangverein degradiert wurde".
({3})
- Das ist sehr klar gesagt, meine Damen und Herren. Es war so klar, daß ich es zurückgewiesen habe und jetzt auch noch einmal feststelle: wenn ein Mitglied dieses Hohen Hauses den traurigen Mut findet, dieses Parlament und diese Regierung mit den Erscheinungsformen des Dritten Reiches zu vergleichen, verdient das eine Zurückweisung.
({4})
- Meine Damen und Herren, ich habe nicht geschimpft, sondern Sie haben angefangen zu schimpfen.
Der Herr Kollege Dehler hat dann erklärt - ich zitiere ziemlich wörtlich -, er denke von der Bundesregierung schlecht, denn sie spreche von der Wiedervereinigung, erstrebe sie aber nicht ernstlich.
({5})
Meine Damen und Herren, wollen wir denn dieses traurige Spiel hier weiterspielen?
({6})
- Ja. Es ist nicht ganz leicht, eine Formulierung zu finden, um das auszudrücken, was ein anständiger Mensch empfinden muß, der dieser Regierung angehört und der für sich in Anspruch nimmt, daß ihm diese Schicksalsfrage des deutschen Volkes mindestens so viel am Herzen liegt wie den Kritikern in diesem Hause.
({7})
Ich meine, wer den Appell des Herrn Bundeskanzlers vorhin gehört hat, sollte doch empfunden haben, daß aus ihm vielleicht mehr Wärme und Überzeugungskraft sprach als aus der theatralischen Darstellung, die wir hier erleben mußten.
({8})
Herr Dr. Dehler findet keine andere Formulierung als die Frage an die Regierung: „Wollen Sie die Politik des Kalten Krieges fortsetzen?" Nun,
Herr Dr. Dehler, soll ich Ihnen die Frage zurückgeben? Wollen Sie vor dem Bolschewismus kapitulieren?
({9})
- Sie verwahren sich gegen diese Frage, aber Sie klatschen Beifall, wenn man die andere Frage an die deutsche Bundesregierung richtet.
({10})
Welches Maß, erlauben Sie mir zu sagen, von Verfolgungswahn aus diesen Worten sprach,
({11})
zeigt doch auch das Zitat aus der Ansprache, die der Heilige Vater Pius XII. an den Herrn Bundespräsidenten gerichtet hat. Meine Damen und Herren, hat denn jemand nicht empfunden, daß hier in Wahrheit ein warmer Freund des deutschen Volkes sprach und daß diese Formulierung - lesen Sie sie doch nach, Herr Dr. Dehler - nichts anderes war als der Appell eines Menschen mit Gewissen, der sagte: Um Gottes willen habt ein wenig Geduld, damit sich in diesem Deutschland nicht das ereignet, was in Ungarn geschehen ist!?
({12})
Haben Sie dafür kein Verständnis? Wollen Sie damit unterstellen, daß dieser Mann die Teilung wünscht, wenn er hier in dieser menschlichen Wärme das ausspricht, wenn er warnt und bittet, damit das Schicksal des ungarischen Volkes nicht das deutsche werde?
Meine Damen und Herren, die Rede, die Herr Dr. Dehler gehalten hat, war der Versuch - erlauben Sie mir zu sagen, der peinliche Versuch -, die Politik der Bundesregierung unglaubwürdig zu machen.
({13})
- Herr Kollege Welke, ich spreche soeben nicht mit Ihnen, ich spreche mit Herrn Dr. Dehler.
({14})
- Deswegen ist es mir auch völlig gleichgültig, was Sie sagen.
({15})
Ich möchte, daß wir hier ernsthaft diskutieren,
({16})
so wie es heute morgen geschehen ist, auch in den Worten des Herrn Kollegen Ollenhauer, in den Ausführungen des Herrn Kollegen Schmid und in den Ausführungen anderer Redner. Meine Damen und Herren, das ist, glaube ich, gut.
Aber ich spreche nur für die Bundesregierung und sage: es steht einem Abgeordneten hier nicht zu,
({17})
Bundesaußenminister Dr. von Brentano
die Bundesregierung, den Bundeskanzler, die gesamte Außenpolitik für unglaubwürdig zu erklären. Das steht niemandem hier zu.
({18})
- Meine Damen und Herren, ob Sie schreien oder nicht, ich wiederhole diese Erklärung: das ist nicht der Stil, in dem wir diskutieren wollen. Kritisieren Sie uns, aber halten Sie uns mindestens für so glaubwürdig und verantwortungsbewußt, wie Sie das für sich selbst in Anspruch nehmen!
({19})
Ich sehe deswegen auch davon ab, andere Unrichtigkeiten - objektive Unrichtigkeiten - in der Rede des Herrn Kollegen Dr. Dehler richtigzustellen. Ich begnüge mich mit der Feststellung, daß ich hoffe, daß solche Reden nicht mehr gehalten werden.
({20})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Heinemann.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 71/2 Jahren trennten sich die Wege, die der Bundeskanzler und ich nach dem Kriege zunächst gemeinsam gegangen waren.
({0})
Nun begegnen wir uns hier erstmalig wieder in einem Augenblick, da der Herr Bundeskanzler sagte, es habe noch nie so ernst um uns gestanden wie heute, d. h. mit anderen Worten, daß die Sicherheit der Bundesrepublik noch nie so gefährdet war und daß die Wiedervereinigung unseres Volkes noch nie so wenig in Sicht war wie gegenwärtig. An diesem Urteil ist leider vieles richtig, und dieses Urteil besagt zugleich, daß die Zeit gegen uns gearbeitet hat und daß wir alle miteinander gerufen sind, die Richtigkeit des Weges zu überprüfen, der in den letzten Jahren verfolgt wurde.
({1})
Das Thema des Gesprächs von 1950, als wir auseinandergingen, und von heute ist im Grunde unverändert. Damals ging es auch um Eigenmächtigkeiten des Bundeskanzlers. Er war es ja, der ohne einen Beschluß der Bundesregierung den Westmächten westdeutsche Soldaten gegen die vierte, östliche Besatzungsmacht anbot.
({2})
so wie heute zur Erörterung steht, ob er die Bundeswehr nun auch eigenmächtig in atomare Bewaffnung verstricken wird.
Im Jahre 1950 ging es um die Frage Bundespolizei oder Aufrüstung. Auch damals rumorte in den Köpfen - ich muß mich wirklich wundern, daß das immer noch der Fall ist - Korea. Die Koreageschichte sieht anders aus, als sie damals erzählt wurde.
({3})
Ich will nur schnell das allerletzte Stück aus der Koreageschichte hinzutragen. In diesem Januar hat der Generalstaatsanwalt von Südkorea die Koreanische Fortschrittspartei für ungesetzlich erklärt, weil sie die friedliche Wiedervereinigung Koreas betreibt, das Ziel der Politik Syngman Rhees aber nur die Wiedervereinigung mit Gewalt, mit Krieg, ist. Ich hoffe, daß man die Freundschaft mit Südkorea nicht auch hierauf ausdehnt.
Meine Damen und Herren, wir haben heute dieselbe Schwarzmalerei vernommen wie damals. Aber ich sage Ihnen: das beeindruckt nachgerade nicht mehr.
({4})
Denn auch mir geht es, wie es Herrn Dehler gegangen ist. Das Vertrauen ist zerbrochen, und die Wahrheiten, die nun nachgerade ausgesprochen worden sind und zu denen ich einige hinzufügen werde, sind bitter. Es wird nicht genügen, sehr verehrter Herr von Brentano, daß Sie das mit einer großen Geste zurückweisen, anstatt zu den vorgetragenen Tatsachen Stellung zu nehmen.
({5})
Der erste politische Konflikt in der ersten Bundesregierung ergab sich über die Frage, ob die Bundesrepublik dem Europarat beitreten sollte. Darüber gab es im Mai 1950 in der Bundesregierung eine stundenlange Aussprache. Jakob Kaiser und ich waren gegen diesen Beitritt, weil er geeignet erschien, die Spaltung Deutschlands zu vertiefen. Nach stundenlanger Beratung im Kabinett wurde eine Kompromißformulierung gefunden, und drei Wochen später erlebte ich in der Bundesratssitzung, daß der Berichterstatter einen anderen Text vortrug, als die Bundesregierung ihn beschlossen hatte!
({6})
Der zweite Konflikt, der entscheidende, ergab sich
aus dem eigenmächtigen Angebot der Aufrüstung.
Meine Damen und Herren, Herr Dehler ist besonders auf die Vorgänge vom März 1952 zu sprechen gekommen, als die Sowjetunion anbot: Wiederherstellung der deutschen Einheit, Redefreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, freie wirtschaftliche Entwicklung, nationale Streitkräfte für ein wiedervereinigtes Deutschland, Aufnahme in die Vereinten Nationen, gesamtdeutsche Regierung, hervorzugehen aus freien Wahlen, alles das unter der Bedingung, daß Deutschland sich nicht an Militärbündnissen beteilige.
Verehrte frühere Freunde aus der CDU! Als diese Note der Sowjetunion 1952 auf den Tisch kam, gab es in Ihren Reihen eine weite Zustimmung zu dieser Note. Damals tagte in den gleichen Tagen des März 1952 der Evangelische Arbeitskreis der CDU in Siegen. Sie können im CDU-Informationsdienst über diese Tagung nachlesen, daß dort ausgesprochen wurde:
Wir sehen in der Note der Sowjetunion vom
10. März 1952 einen Erfolg der Politik der Bundesregierung, da damit ein Gespräch zwischen
den Mächten veranlaßt wird, auf denen die Verantwortung für die Teilung Deutschlands ruht. Wir bitten die Bundesregierung, bei ihren Beratungen mit den Westmächten sich dafür einzusetzen, daß auch diese nichts unversucht lassen, das von ihnen gleichfalls bejahte Ziel der deutschen Wiedervereinigung zu verwirklichen.
Was wurde aus diesem Appell des Evangelischen Arbeitskreises? Der Herr Bundeskanzler hat damals, als die Note ihm bekannt wurde, gleich wegwerfend gesagt - wie ja immer, wenn so etwas passiert -: „Belanglos". Er nahm in Siegen zu dem Arbeitsergebnis des Evangelischen Arbeitskreises selbst Stellung und sagte: Der Westen muß erst stärker werden, ehe wir in eine Verhandlung eintreten können! Noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen! Und als Inhalt dieser anzustrebenden Verständigung beschrieb er: Wiedervereinigung Deutschlands sowie Bereinigung und Neuordnung im Osten.
({7}) Was hieß das?
Wenige Tage vorausgegangen war die Rede des Bundeskanzlers vor dem CDU-Tag in Heidelberg am 1. März 1952, wo er mit aller Klarheit gesagt hatte „Erst stärker werden", und dann sollte es gehen, so hieß es wörtlich, „um die Neuordnung der Verhältnisse in Osteuropa". Ebenso hieß es im Rundfunk in einer Rede vom 5. März 1952, es gehe nicht nur um die Ostzone; es gehe darum, ganz Osteuropa östlich des Eisernen Vorhangs zu befreien.
Kaum wurde eine Möglichkeit sichtbar, mit der Sowjetunion wirklich weiterzukommen, da war auch schon der ganze Übermut, die ganze Hybris wieder im Spiel, es uns als Aufgabe zuzuschreiben, ganz Osteuropa neu zu ordnen.
({8})
- Ja, Herr Dr. Krone, ich verweise Sie wörtlich genau auf die Reden von damals. Was heißt denn das: „ganz Osteuropa östlich des Eisernen Vorhangs befreien"? Das war doch schon der Anlauf auf die Zumutung an die Sowjetunion zur Kapitulation.
({9})
Dem Volke hier gegenüber wurde das alles zugedeckt durch eine ungewöhnlich verheerende Parole, verheerend, weil sie in einer tückischen Weise das Richtige und das Falsche miteinander vermengte, nämlich die Parole: „Zuerst freie Wahlen!" - Gewiß, freie Wahlen wollen wir alle. Aber zu sagen „zuerst" - das mußte genau den Weg zu diesen Wahlen verschließen. Wenn Herr Dr. Gradl heute morgen hier gesagt hat, daß es ihm nicht im Sinne stehe, daß die freien Wahlen der Anfang seien, sondern daß sie das Ergebnis von mancherlei Zwischenbemühung sein müßten, so kann ich nur dankbar zur Kenntnis nehmen, daß diese Einsicht mittlerweile da ist. Aber 1952 hieß es und noch lange danach: „Zuerst freie Wahlen", also eben nicht voraufgehend die Lösung der militärischen, strategischen Fragen in bezug auf das mitteleuropäische Gebiet.
({10})
- Das mag ja sein, und trotzdem: die Wahrheit, auch wenn sie eine Geschichte hat, ist deshalb nicht falsch.
({11})
- Entschuldigen Sie gütigst, nicht alle haben das damals so trompetet wie Sie von der CDU, ich jedenfalls nicht!
Zu den „freien Wahlen" will ich noch folgendes sagen. Es gab auch einmal einen Augenblick - längst vor der Bundesrepublik -, wo die Sowjetunion die freien Wahlen anbot, nämlich. 1947, wo sie eine vorläufige gesamtdeutsche Regierung aus Wahlen entstehen lassen wollte. Damals sagte der englische Außenminister Bevin: „Ich bin nicht gewillt, die Sicherheit Englands einer Volksabstimmung durch die Deutschen auszusetzen." Also: von der westlichen Seite so gut wie von der östlichen Seite in bezug auf freie Wahlen von Anfang an die Überlegung: was hat das für Sicherheitsauswirkungen für uns Besatzungsmächte? Für die Westmächte so gut wie für die östliche Besatzungsmacht liegt der Schlüssel zu jeder Änderung hier in Deutschland bei den Sicherheitsfragen. Erst wenn wir über diese hinwegkommen, kommen wir im deutschen oder mitteleuropäischen Bereich zu politischen Ordnungen.
({12})
Aber jedenfalls 1952, als die Sowjetunion diese Offerte auf den Tisch legte, von der ein großer Teil der CDU damals sagte, das sei ein Erfolg und darauf solle man zugehen, wurde vom Bundeskanzler der Weg verfolgt: erst stärker werden! Nicht wahr? Der stärkste Bundesgenosse, der Amerikaner, ist ja auf unserer Seite.
1953 traten Eisenhower und Dulles ihr erstes Regiment in den Vereinigten Staaten an, und der Herr Bundeskanzler machte seinen ersten Besuch bei dem amerikanischen Präsidenten. Verehrte Freunde von der CDU, haben Sie in Erinnerung, was auf Ihrem Parteitag in Hamburg im April 1953 von dem unmittelbar von Amerika nach Hamburg zurückgekommenen Bundeskanzler gesagt wurde wörtlich, Informationsdienst der CDU, 29. April 1953 -:
In unserer Hand, in der Hand der CDU und CSU zusammen mit den beiden anderen Koalitionsparteien,
- damals waren die Freien Demokraten noch dabei, die mittlerweile von ihrem Ausflug in die Politik der Stärke zurückgekehrt sind liegt bei der zukünftigen Wahl in Wahrheit das Schicksal der Welt. ... Die Nachwelt wird einmal darüber das Urteil fällen, ob in der Bundesrepublik Deutschland sich in diesem historischen Jahr 1953 Männer und Frauen zusammengefunden haben, die erkannt haben, daß Deutschland jetzt tatsächlich im MittelDr. Dr. Heinemann
punkt des Weltgeschehens steht und daß es von uns abhängt, ob die Welt Frieden bekommt. ... Sternstunden der Menschheit sind nur einmal da; wenn man sie ungenutzt verstreichen läßt, kehren sie nicht wieder.
Richtig an alle dem ist nur das allerletzte: daß die Stunde, die man verstreichen läßt, nicht wiederkehrt.
({13})
Wo sind die Sprecher der CDU, die heute noch
sagen wollen: „Sternstunden der Menschheit",
„Deutschland im Mittelpunkt des Weltgeschehens"?
Im Januar 1954 folgte die Berliner Konferenz. Haben Sie in Erinnerung, was die Bundesregierung damals auf sämtlichen Plakatsäulen in der ganzen Bundesrepublik als Anrede an diese Berliner Konferenz plakatieren ließ? Nämlich die drei Thesen: „Freie gesamtdeutsche Wahlen" - jawohl; „Verfassunggebende Nationalversammlung" - jawohl; „Gesamtdeutsche Regierung mit völliger Handlungsfreiheit" - da steht es wieder; da sollte wieder einmal überrannt werden, was die Besatzungsmächte an Sicherheitserfordernissen uns gegenüber erheben, ehe sie Wahlen, Nationalversammlung, gesamtdeutsche Regierung und all dergleichen zulassen.
Eine letzte Chance, lediglich über die Sicherheitsfragen zu einer Wiedervereinigung zu kommen, war im Winter 1954i55, eingeleitet durch eine Note der Sowjetunion vom 23. Oktober 1954, in der noch einmal die Vorschläge vom März 1952 auflebten, nämlich der Vorschlag einer Viererkonferenz, freier Wahlen in Deutschland unter internationaler Kontrolle, aber alles unter der Bedingung, daß eine Einigung über den militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands erreicht werde. Und die Antwort des Westens: „Erst die Pariser Verträge! Die Sowjetunion wird hinterher auch noch verhandeln. Lassen wir uns nicht einschüchtern! Erst stärker werden!" Das war die Antwort.
Wie sieht denn nun das Ergebnis eben dieser ganzen Politik heute aus? Sie müssen ja selber sagen, daß die DDR stärker im Spiele ist als je zuvor. Wahrscheinlich fühlte die Sowjetunion in all diesen Jahren, daß ihr mehr und mehr an Stärke zuwuchs. Das heißt mit anderen Worten, daß die Politik der eingebildeten Stärke das Spiel der Sowjetunion gespielt hat,
({14})
daß diese Politik der eingebildeten Stärke, während der man die Chancen ausließ, der Sowjetunion die Zeit gab, aus dem Handicap herauszukommen, das doch noch so lange für sie bestand, als sie keine Wasserstoffbomben, keine Raketen usw. hatte. Heute ruft die CDU, ruft die Bundesregierung nach der Viererkonferenz. Als der Osten sie anbot, war die wegwerfende Antwort: „Belanglos!" Herr Bundeskanzler, was Sie in diesen Jahren betrieben haben, war die gleiche Politik der Preissteigerung in der deutschen Politik, wie wir sie auch hier in der Wirtschaft erleben.
({15})
Ich erachte es für die historische Schuld der CDU, daß sie bis zum Jahre 1954 in dieser leichtsinnigen Weise die damaligen Möglichkeiten ausgeschlagen hat, denen wir heute nachtrauern müssen.
({16})
Wie lange wollen Sie dieses Spiel noch fortsetzen? Wie lange noch?
Herr Dr. Gradl hat heute morgen namens der CDU mit sehr viel sachlicher Berechtigung auf die Zustände in der DDR hingewiesen. Herr Dr. Gradl, wir begegnen uns jetzt nach zehn Jahren erstmalig wieder. Uns beide haben die Nachkriegsjahre zusammengeführt zu einer Zeit, als Sie in der Führung der ostzonalen CDU standen, als Sie 1946, 1947 Parteitage und andere Konferenzen in Ost-Berlin veranstalteten und immer wieder CDU-Freunde aus dem Westen einluden. Manch einer ist hier, der gleich mir diesen Einladungen folgte. Aber einer ist diesen Einladungen damals nicht gefolgt. Es ging darum - das war der Wunsch der ostzonalen CDUFreunde -, einen Rückhalt an den westdeutschen CDU-Mitgliedern und Organisationsvertretern zu gewinnen. Einer beteiligte sich nicht daran, und als genau vor zehn Jahren, im Dezember 1947, die Schlußrunde zwischen Jakob Kaiser und Ernst Lemmer und den Sowjets um die Führung der ostzonalen CDU gespielt wurde, als Sie, Dr. Gradl, wieder einmal Freunde aus dem Westen aufgeboten hatten, an dieser Schlußrunde teilzunehmen, war Dr. Adenauer wiederum nicht dabei. Ich habe mein Lebtag nicht vergessen, wie bitter Sie, Herr Dr. Gradl, sich im Dezember 1947 uns Westdeutschen gegenüber beklagten, daß es nicht zu einer gesamtdeutschen CDU gekommen sei.
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Die Hausmacht in der britischen Zone stand hindernd im Wege.
Heute klagen Sie - und ich kann nur sagen, mit viel sachlicher Berechtigung - über die Zustände in der Deutschen Demokratischen Republik. Sie haben insbesondere die schweren Auseinandersetzungen erwähnt, die dort mit der Kirche im Gange. sind. Aber, lieber und verehrter Herr Dr. Gradl, darf ich Sie mal eins fragen. Erachten Sie es für gut, daß der Westen unter dem Schild und der Parole einer christlichen Front aufmarschiert? Wir hatten 1950 eine Synode der Evangelischen Kirche in Elbingerode, bekanntlich im östlichen Teil des Vaterlandes. Da hat einer der Sprecher auf dieser Synode gesagt: Ihr Westdeutschen, tut uns doch den Gefallen, macht das, was ihr politisch vorhabt, nicht unter dieser christlichen Parole; denn das hat zur Folge, daß wir hier in der Ostzone als 5. Kolonne des Westens angesprochen und behandelt werden.
({18})
Die politische Differenz ist ja tief genug. Wozu muß sie mit dieser christlichen Parole überkleidet werden?
Ein Letztes, Herr Dr. Gradl! Es ist ja heute auch manchmal von allerlei Presseerzeugnissen, von der Provinzpresse und dergleichen, die Rede gewesen.
Es gibt ein Blatt „Evangelische Verantwortung", herausgegeben vom Evangelischen Arbeitskreis der CDU. In der Nummer vor der Wahl, der Nummer vom August 1957, war eine Zuschrift zu lesen, wonach der Westen ja noch eine Waffe gegen das „Untier im Osten" habe und diese Waffe die aufhaltende Macht im Sinne des 2. ThessalonicherBriefes gegen den Antichristen sei. Ich bitte Sie herzlich, verehrte Freunde von der CDU und dem evangelischen Teil darin: sorgen Sie doch dafür, daß solche Klänge endlich verschwinden. Es geht nicht um Christentum gegen Marxismus.
({19})
- Sondern? Es geht um die Erkenntnis, daß Christus nicht gegen Karl Marx gestorben ist, sondern für uns alle.
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Meine Damen und Herren! Unsere politische Aufgabe nach dem Krieg war von Anfang an und ist bis zur Stunde eine doppelte, und das heißt mit anderen Worten, um ein wesentliches Stück schwerer, als die CDU sie uns vorstellt. Sie ist eine doppelte, nämlich das harte, das unerschütterliche Nein zum totalitären System zu verbinden mit dem Ja zur Nachbarschaft der totalitär regierten Ostvölker.
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Das müssen wir miteinander fertigbringen, dieses Nein und gleichzeitig dieses Ja. Ich habe dem Herrn Bundeskanzler nie und keinen Augenblick vorgeworfen, daß er mit den westlichen Nachbarn einen Ausgleich betrieb. Das war unerläßlich. Aber ich habe ihm immer vorgeworfen und tue es auch in dieser Stunde, daß er mit diesem westlichen Ausgleich neue Ostfeindschaft verbunden hat, in der Art, wie geredet wurde, von ihm und seinen Mitarbeitern bis tief in die Reihen der CDU hinein, und in der Art, wie gefordert wurde: Neuordnung usw. Bis wohin denn?
Diese doppelte Aufgabe endlich anzufassen, das ist das Gebot der Stunde, und dem gilt alle Bemühung um eine neue Überlegung, nachdem Sie ja selber sagen müssen: Es stand noch nie so schlecht um uns wie heute. Die Rüstung löst diese Doppelheit der Aufgabe nicht. Ehe die zwölf westdeutschen Divisionen da sind, sind ja zwölf westalliierte längst aus Europa abmarschiert, und vor allen Dingen haben die Sowjets längst das Tausendfache an Waffenkraft aus dem dagegen entwickelt, was sie heute haben. Das ist doch die Bilanz des ganzen Rüstungswettlaufs, oder ich will sagen: dieses dreifachen Wettlaufs in neuen Waffen, in alten Waffen und in der Wirtschaftshilfe gegenüber den Völkern in aller Welt. Dieser dreifache Wettlauf trägt sich nicht mehr aus. Wenn man diesen Weg trotz dieser Gegebenheit, trotz dieser Erkenntnis heute immer noch fortsetzen will, dann muß allerdings auch ich sagen: Wer Deutschland immer noch tiefer spalten will, kann es nicht besser machen als in Fortsetzung immer noch dieses Weges.
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Herr Bundeskanzler, für mich persönlich bedeutet dieses alles an Sie die Frage, ob Sie nicht nachgerade zurücktreten wollen.
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- Warum, Herr Bundeskanzler? Ich bitte Sie, das jetzt einen Augenblick zu hören. Ich verstehe zur Genüge, daß Sie sich in eine politische Sicht und in einen politischen Weg begeben haben, von denen Ihnen persönlich der Rückweg schwerfällt. Das verstehe ich. Dafür haben Sie vieles darangesetzt, die Dinge dahin zu entwickeln, wohin Sie sie geführt haben. Aber ich meine, daß eine ruhige Überlegung und Prüfung der gesamten Gegebenheiten es nachgerade nahelegen sollten, den Weg freizugeben für andere Kräfte, die nun aus dieser Gegebenheit wirklich und glaubwürdig das entwickeln, was geboten ist.
Ich verbinde damit an die früheren Freunde der CDU nun noch eine ganz besonders ernste Frage im Hinblick darauf, daß sie christliche Politik zu treiben angetreten sind. Ich meine dieses: Es soll ja nun - und das ist doch wohl klar durchzufühlen durch alles, was wir heute hier gehört haben - die Fortentwicklung auf die atomare Bewaffnung der Bundeswehr hingetrieben werden. Früher konnte man sicher sein, wenn man so stark war, den Gegner zerschlagen und erschlagen zu können. So stark ist der Westen heute auch. Aber er würde darüber selbst zerschlagen werden, und das bedingt die Notwendigkeit eines gründlichen Umdenkens. Dazu sind wir, wir Deutschen in dieser Mittellage, in diesem Eingeklemmtsein vielleicht mehr berufen als andere Völker.
Nun erstaunt es mich, nein, ich muß so sagen: es macht mich bis ins tiefste betroffen, mit welch einer Selbstverständlichkeit Sie im Begriff sind, auf eine' atomare Bewaffnung hier in Deutschland zuzugehen. Steht Ihnen überhaupt nicht zur Überlegung - und zwar so zur Überlegung, daß Sie sich getrauen möchten, das hier auch einmal auszusprechen -, daß die Massenvernichtungsmittel von heute einfach keine Waffen mehr sind? Herr von Brentano hat das am vergangenen Sonntag in seiner Berliner Rede laut Bulletin sogar wörtlich so gesagt. Wenn das eben keine Waffen mehr sind, sondern wenn das etwas ganz anderes ist, dann können Sie doch unmöglich in dieser Selbstverständlichkeit auf solch eine „Bewaffnung" zugehen.
Die Warnungen davor werden immer dringender. Ich muß es beklagen, daß der Herr Bundesverteidigungsminister hier von einer „Panikmache" redet. Verehrter Herr Dr. Strauß, Albert Schweitzer ist kein Panikmacher, die 18 Göttinger sind keine Panikmacher,
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die 9000 Wissenschaftler aus 40 Ländern, die gerade eine Eingabe an die Vereinten Nationen eingereicht haben, sind keine Panikmacher!
Aber die Geister scheiden sich nicht in den Erklärungen, sondern in den Konsequenzen, die sie
mit den Erklärungen verbinden. Das Aufregende an der Erklärung der 18 Göttinger war, daß sie ein persönliches Engagement mit ihrer Erklärung verbanden, indem sie nämlich sagten: Keiner von uns ist bereit, sich an Herstellung, Erprobung oder gar an dem Einsatz von Atomwaffen zu beteiligen. Da wurde die allgemeine Linie verlassen ({25})
- auch in der Sowjetunion gibt es einen gewissen Kapizka, der genauso erklärt hat -, daß man allgemein warnt, daß man anderen zuredet und dann wartet, was die anderen tun oder nicht tun. Hier wurde etwas Persönliches gesagt: Wir tun nicht mit.
Nun beobachten Sie doch bitte einmal, wie diese Bewegung in steigendem Maße um sich greift, insbesondere im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ich weise im Augenblick auf die Erklärung hin, die die sechs Dekane der sechs theologischen Fakultäten in der DDR im April 1957 abgaben, in der sie einen Dank an die Göttinger Professoren aussprachen und einen Dank an die ostdeutschen Atomforscher, die ähnliche Erklärungen abgaben, wo sie sagten:
... In den Massenvernichtungsmitteln werden Gottesgaben ... mißbraucht, wird der Mensch verraten. Wir warnen davor, in dieser Sache mitzumachen oder sich verantwortungsloser Gleichgültigkeit und Resignation zu überlassen. Die Weltgefahr, die nicht nur das gegenwärtige Geschlecht, sondern unsere Kinder und Kindeskinder bedroht, fordert den Einsatz jedes einzelnen, um das Ziel einer allseitigen Ächtung und Abschaffung der Massenvernichtungsmittel zu erreichen.
Diese Erklärung, die also zunächst von den Dekanen der theologischen Fakultäten in der DDR ausging, wurde alsbald von sämtlichen Bischöfen der evangelischen Gliedkirchen in der DDR einschließlich des Bischofs Dibelius in Berlin aufgegriffen. Sie wurde von einer Mehrzahl von Kirchenleitungen hier aus Westdeutschland aufgegriffen, und sie wurde in besonderer Weise vor sechs Wochen auf einer Synode der Kirchen der Union aufgegriffen. Aus dieser Entschließung von west- und ostdeutschen Kirchen auf einer Tagung in Berlin lese ich folgende Sätze vor:
Die Synode bekennt sich zu der vergebenden Langmut Gottes, der seinen Menschen auch in den notvollsten Verhältnissen das Leben schenkt und erhalten will bis an den Tag, an dem Er selbst die Welt und ihre Geschichte an sein Ziel bringt. Darum verwirft die Synode alle Massenvernichtungsmittel und alle Versuche, sie durch irgendwelche Zwecke rechtfertigen zu wollen. Durch die Massenvernichtungsmittel wird in jedem Falle verraten, was man retten will, und seien es Freiheit und Frieden. In ihrer Mitverantwortung für den Frieden in der Welt und für die Heilung des Risses, der durch unser Volk geht, warnt die Synode nicht nur vor einer Fortsetzung des selbstmörderischen atomaren Wettrüstens der Weltmächte, sondern insbesondere auch vor einer atomaren Bewaffnung deutscher Armeen. Sie warnt jeden einzelnen, in dieser Sache durch Beteiligung, Verharmlosung oder Gleichgültigkeit vor Gott und den Menschen schuldig zu werden.
Und immer noch weiter rollt das. Im Januar dieses Jahres tagte z. B. die Synode der Evangelischen Kirche Rheinland in Rengsdorf. Auch sie nahm diese Erklärung wieder auf, und so könnte ich Ihnen eine steigende Fülle derartiger Erklärungen aus dem kirchlichen Bereich vorlegen. Etwa noch drei Sätze aus einer Erklärung der rheinischen Pfarrbruderschaft:
Es ist Illusion, von den Massenvernichtungsmitteln die Erhaltung von Frieden und Freiheit zu erwarten. ... Darum verpflichten wir uns, auf dem Wege der atomaren Bewaffnung nicht einen einzigen Schritt mitzugehen. Darum werden wir das Gewissen der uns anvertrauten Menschen in der Erkenntnis schärfen, daß kein Zweck die Herstellung oder Anwendung von Massenvernichtungsmitteln rechtfertigt.
Seien Sie versichert, nein, seien Sie sich darüber klar, daß diese Entwicklung noch weiterschreiten wird! Als Beleg dafür nenne ich nur die Entschließung der Württembergischen Landeskirche vom November vorigen Jahres, wo gesagt wird, daß die Christenheit unausweichlich vor der Aufgabe steht, zu klären, ob sie sich an Massenvernichtungsaktionen beteiligen darf, auch wenn sie zur Verteidigung des Lebens und der Freiheit nötig erscheinen. Die Württembergische Landeskirche hat in ihrer Erklärung gesagt, daß die gesamtevangelische Kirche insbesondere die Fragen des Kriegsdienstes für den Christen in heutiger Zeit zu einer gründlichen Überprüfung führen möge. Seien Sie sich klar darüber, daß hier eine Entwicklung im Gange ist, die sich weiter ausbreiten wird und die letzten Endes uns alle, aber sonderlich eine christliche Partei immer wieder vor die Frage zwingen wird: Wie wollen wir das rechtfertigen, jemals etwa zu solchen Waffen - sogenannten - zu greifen?
Herr Bundeskanzler, der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat Ihnen Ende vorigen Jahres - im November - ebenso wie der Regierung in Ostberlin den Beschluß des Zentralausschusses des Weltkirchenrates in New Haven, Vereinigte Staaten, unterbreitet, und darum nachgesucht, mit dem Rat der Evangelischen Kirche darüber in ein Gespräch einzutreten. In diesem auch Ihnen unterbreiteten Beschluß des Weltprotestantismus - angeschlossen sind auch orthodoxe Kirchen usw. - steht - ich lese nur zwei Sätze - u. a.:
Die Verurteilung solcher Methoden stützt sich auf die Tatsachenerkenntnis, daß der Krieg, in dem alle Methoden erlaubt sind, mit dem Gewissen der Menschheit einfach nicht zu vereinen ist. Wir glauben, daß die Anwendung derartiger Kriegsmethoden unausweichlich eine Erniedrigung der geistigen Würde des handelnden Volkes bedeutet.
Die Regierung der DDR hat auf diesen Beschluß in einem Schreiben und in einer Erklärung in der Volkskammer geantwortet. Ich darf die Hoffnung
aussprechen, daß die Bundesregierung auch in einiger absehbarer Zeit Gelegenheit findet, darauf zu antworten. Das sage ich ohne jeden Ton des Vorwurfs. Ich weiß, daß besondere Behinderungen vorlagen. Aber die Hoffnung darf ich aussprechen.
Verehrte frühere Freunde von der Christlich-Demokratischen Union! Ich appelliere hier unter besonderem Hinweis auf Erklärungen aus kirchlichem Kreise an Sie mit der Frage, ob oder wie Sie glauben verantworten zu können, auf Massenvernichtungsmittel zuzuschreiten, von denen auch Herr von Brentano sagt, daß sie keine Waffen mehr seien. Sie werden nicht etwa mit dem Satz durchkommen, daß eine solche atomare Bewaffnung zwangsläufig sei, weil andere Mächte, weil die Sowjetunion solche Massenvernichtungsmittel besitze. „Zwangsläufig" - das ist eine atheistische Denkkategorie!
({26})
Von Zwangsläufigkeit kann nur derjenige sprechen, für den Gott nicht mehr im Weltregimente sitzt.
({27})
- Diese Dinge will ich jetzt nicht bis ins letzte vertiefen. Ich höre den Zwischenruf „Notwehr". Nehmen Sie einmal zur Hand, was der Professor Gollwitzer, der ja bis vor kurzem in Bonn gewirkt hat, dazu in seinem Vortrag vor der Bonner Studentenschaft im Juli gesagt hat! So billig kommt niemand davon - niemand -, daß hier einfach gesagt wird „zwangsläufig" oder „Notwehr" oder dergleichen.
Es wird auch nicht gelingen, die Menschen hierzulande an die Massenvernichtungsmittel einfach zu gewöhnen, so wie man ihnen die Aufrüstung nach 1950 angewöhnt hat. Seien Sie sich klar darüber. Ich spreche hier gar keine Drohungen aus, das liegt mir völlig fern. Ich möchte nur dazu helfen, daß hier nicht auf irrtümlichen Grundlagen, auf brüchigen Grundlagen politisch gehandelt wird. Seien Sie sich klar darüber, daß das, was der Herr Strauß „Panikmache" nennt, einer tiefen, nur zu begründeten, unüberwindlichen Furcht im Volke entspringt, daß hier ein Verhängnis heraufzieht, dem man sich entgegenstellen wird, so wie etwa das japanische Volk es tut, so wie etwa im Augenblick die Engländer sich dagegen auflehnen, daß ununterbrochen mit Atom- und Wasserstoffbomben ausgerüstete Flugzeuge über ihrem Vaterland umher-kreisen.
({28})
Das, was hier Panikmache genannt worden ist - ich kann diesen Ausdruck nur tief bedauern -, wird nicht weggewischt werden können, einfach weil hier die Wunden, die Sorgen viel zu tief brennen, viel zu echt sind; hier wird sich etwas mobilisieren.
Meine Damen und Herren, Sie haben heute in der Aussprache von den Sprechern der Opposition immer wieder zu hören bekommen, daß wir es leid sind, von Ihnen, von den Regierungsgruppen immer, wenn dies oder das gesagt oder vorgeschlagen wird, als Antwort zu erhalten, das sei belanglos, Störmanöver, Propaganda, Panikmache, „Keine Zeit zum Lesen", und wie das alles heißt. Nehmen Sie
bitte zur Kenntnis, daß niemand von uns irgendwie Apologet von Ostvorschlägen ist. Das haben wir gar nicht nötig. Aber uns treibt die Sorge, daß hier Versäumnisse geschehen. Sie werden uns unablässig am Werke finden, hier die Initiative, wenn Sie so wollen, auch die Phantasie anzuregen und zu beflügeln, damit wir über den toten Punkt hinwegkommen, ehe denn die Katastrophe vollends da ist und Sie uns noch einmal wieder sagen, es sei noch böser um uns bestellt und es sei noch viel risikoreicher geworden usw., wie wir das von Ihnen bis dato zu hören bekamen.
({29})
Halten Sie uns bitte auch nicht entgegen, daß auch das, was wir wollen, daß auch das, was wir anregen, mit Risiken verbunden sei. Das wissen wir selbst. Aber das Kriegsrisiko, das hier so drohend vor uns steht, das wird uns munter machen und, wie ich meine, auch willig machen müssen, ein anderes Risiko, ein Risiko friedlicher Begegnungen und Auseinandersetzungen einzugehen. Denn jedes Risiko ist geringer als das Risiko des Krieges.
({30})
Wiederholen Sie bitte auch nicht den Satz, daß die Sozialdemokratische Partei mit ihrer Politik den Untergang Deutschlands verursachen werde. Die Bundesrepublik ist nicht Deutschland. Sie, verehrte Damen und Herren, haben Deutschland nicht wiederhergestellt; wieso sollte ein anderer Deutschland untergehen lassen können?!
({31})
Der Untergang Deutschlands - das ist unsere Sorge - kann kommen, wenn nicht endlich wenigstens mit dem Wettrüsten Schluß gemacht wird, wenn nicht endlich einmal in all diesen Entwicklungen, von denen Sie selber sagen, daß sie sich bis heute zum Bösen ausgetragen haben, ein Stopp und ein Haltepunkt kommt. Das ist es, was uns veranlaßt hat, auf Rapacki-Plan, auf Kennan-Vorschläge und dergleichen hinzuweisen als eine Möglichkeit, wenigstens einen Ansatz zu finden, eine Möglichkeit, die ausgestaltet werden muß.
Ich will alles mit einem einzigen Satz zusammenfassen. Die Verdünnung des militärischen Aufmarschs in alten, sogenannten klassischen Waffen ist in Europa längst im Gange; lassen Sie bitte davon ab, diese Verdünnung in alten, klassischen Waffen aufzufüllen mit Atomwaffen! Darum geht es uns.
({32})
Zunächst bedaure ich feststellen zu müssen - inzwischen ist mir wieder ein Stück Protokoll vorgelegt worden -, daß Sie, Herr Abgeordneter Dr. Dehler, den Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing einen Lügner genannt haben.
({0})
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
- Herr Abgeordneter Dr. Dehler, es ist hier im amtlichen Protokoll festgestellt; ich muß Ihnen deswegen einen Ordnungsruf erteilen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Krone.
Meine Damen und Herren! Wir haben in einer im großen und ganzen sehr sachlich geführten außenpolitischen Debatte heute am späten Abend die Rede des Herrn Dr. Dehler und jetzt die Rede des Herrn D r. Heinemann gehört. Ich mache zwischen den beiden Reden einen Unterschied. Ich muß aber von beiden Rednern sagen, daß sie die Auffassungen der Gruppe, zu der sie früher gehört haben, nicht ganz aufgeben können, daß aus ihnen Gefühle der Enttäuschung sprechen und daß sie hier Ausdrücke gebraucht haben, die sie an ihre frühere Vergangenheit erinnern müssen.
({0})
Herrn Dr. Heinemann möchte ich in aller Kürze dreierlei sagen. Herr Dr. Heinemann, wenn ich in der Presse recht gelesen habe, haben Sie den Antrag gestellt, in Magdeburg als Anwalt eines hohen Mannes Ihrer Kirche, dem Sie zu seinem Recht verhelfen wollen, zugelassen zu werden. Ihr Antrag ist abgelehnt worden, weil es dem Regime drüben überhaupt nicht in den Sinn kommt, einen Anwalt des Westens zuzulassen,
({1})
während Anwälte des Ostens freie Wahl haben, hier für ihre Leute zu sprechen.
({2})
Meine Damen und Herren, da sehen Sie die ganze Diskrepanz zwischen dem Osten und dem Westen. Ich verstehe nicht, wie Sie als Mann Ihrer Kirche unter diesen Umständen den Mut aufbringen können, so von christlicher Politik zu sprechen.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Dr. Krone, ist Ihnen bekannt, daß in Berlin die Anwälte West-Berlins alle noch in Ost-Berlin zugelassen sind?
Es geht mir hier darum, festzustellen, daß ein führender Mann der Evangelischen Kirche, Herr Dr. Heinemann, der dem Recht im Osten verhelfen wollte, nicht die Gelegenheit dazu bekommen hat.
({0})
Ein Zweites. Herr Dr. Heinemann, Sie sprachen von der Verantwortung des Christen im öffentlichen Leben. Ich gehöre zu denen, die im alten Reichstag nie für einen Panzerkreuzer gestimmt haben.
({1})
Ich habe mich in keiner Weise daran beteiligt, ({2})
daß im Jahre 1933 eine Macht an die Regierung kommen konnte,
({3})
die sich so unheilvoll für Deutschland ausgewirkt hat.
Aber wollen Sie nicht zugeben, daß der Christ auch an sein Vaterland und an sein Volk denken muß
({4})
und daß er als Christ die Verpflichtung hat, für die Sicherheit, die Freiheit seines Volkes und für sein Recht einzutreten.
({5})
Ich bedaure Ihren Mut, die christliche Politik in einer solch einseitigen Auffassung hier vorzutragen, daß für diesen Punkt des Rechtes und der Freiheit des Volkes kaum noch Platz vorhanden ist.
({6})
Ein Drittes, Herr Dr. Heinemann. Wir schreiben heute das Jahr 1958. Es ist zehn Jahre her, daß wir von der CDU in Berlin einsehen mußten, daß es unmöglich war, bei der Gewaltmethodik des Ostens auch nur im geringsten mit der Macht des Ostens noch zusammenzuarbeiten. Damals ist der Versuch gemacht worden, auch mit der östlichen Besatzungsmacht zu einem Verhältnis zu kommen, das einem geschlagenen Volk zustand. Dann sind an uns Forderungen über Forderungen gestellt worden, nicht nur die Forderung der Enteignung des Privateigentums, sondern auch die Forderung der volksdemokratischen Ordnung dieses Raumes. Herr Dr. Heinemann, dieser Versuch mit der östlichen Macht ist damals gescheitert trotz besten Willens, mit dieser Macht zu arbeiten. Auch hier stand für uns die Sorge um unser Volk des Ostens viel zu hoch, als daß wir mit dieser Macht auch nur irgendwie einen schlechten Kompromiß eingehen konnten.
Wir sind dann gezwungen worden, unsere Bemühungen um die Wiedervereinigung des deutschen Volkes, die von Berlin aus nicht mehr fortgesetzt werden konnten, vom Westen aus zu unternehmen. Diese Politik des Westens soll und kann nur den Sinn haben, nicht nur für die 50 Millionen Menschen hier Sicherheit zu geben, sondern auch den Menschen der Zone drüben die Aussicht zu geben, einstmals wieder mit uns vereinigt zu werden.
({7})
Lassen Sie mich dann noch ein Wort zu Herrn Dr. Dehler sagen. Ich muß feststellen, daß das Hohe Haus und auch der Präsident mit großer Geduld diese Rede des Herrn Dr. Dehler angehört haben. Ich habe mir lange überlegt, ob ich auf diese Rede des Herrn Dr. Dehler, mit seiner infamen Art, mit seiner gehässigen Art, mit seiner beleidigenden Art, eingehen sollte. Auch der Herr Bundeskanzler war zuerst der Meinung, man sollte es nicht tun; denn es gibt gute Gründe, auf eine solche Rede nicht einzugehen. Aber würden wir hier schweigen, so würden wir die Angriffe, Beleidigungen und Infamien, wie sie in diesem Hause bisher meines Erachtens noch von keiner Seite ausgesprochen worden sind, hinnehmen.
({8})
Ich lehne es ab, im einzelnen darauf einzugehen. Diese Rede des Herrn Dr. Dehler, die nicht den gesamten Beifall seiner eigenen Fraktion, auch nicht den gesamten Beifall der Opposition auf der Linken gefunden hat,
({9})
war eine Beleidigung des gesamten deutschen Volkes,
({10})
eine Beleidigung des deutschen Volkes in seiner Intelligenz, in seiner nationalen Haltung und in seiner Würde.
({11})
Gegenüber den Angriffen gegen den Herrn Bundeskanzler stelle ich mit einem einzigen Satze fest: die Ehre des Kanzlers steht für uns und für mehr als die Hälfte des deutschen Volkes viel zu hoch, als daß der Haß und die Blindheit Dr. Dehlers diesen Mann beleidigen könnten.
({12})
Dr. Dehler, der hier auch bei dem größten Teil der Linken Beifall gefunden hat, hat eine Rede gehalten, wie sie in diesem Hause auch ein Kommunist früher nie gehalten hat.
({13})
Dr. Dehler hat mit seiner Rede nicht den Interessen des deutschen Volkes, schon gar nicht den Interessen der 18 Millionen Deutschen der Zone, sondern den Feinden des deutschen Volkes gedient.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offensichtlich als einer
der letzten Redner in der heutigen Debatte möchte ich mich auf ganz wenige Feststellungen beschränken.
Zunächst möchte ich feststellen, daß weder der Herr Bundeskanzler noch der Herr Bundesverteidigungsminister eine definitive, eindeutige Antwort auf die Frage vorgebracht hat, die ihnen vom Kollegen Ollenhauer und vom Kollegen Erler gestellt wurde, nämlich auf die Frage, ob jene in einer geheimnisvollen Atmosphäre im Gange befindlichen Rüstungsbesprechungen mit Regierungen anderer NATO-Länder die Absicht verfolgten, sich auch an der Entwicklung von Atomwaffen und Raketen mittlerer und großer Reichweite zu beteiligen. In sehr geschickten Formulierungen hat bis zur Stunde die Bundesregierung vermieden, hierauf ein eindeutiges Nein zu sagen.
Zweitens. Die Ausführungen, die der Kollege Dr. Dehler gemacht hat, sind nicht in einem einzigen Punkte widerlegt worden.
({0})
Weder Herr von Brentano noch Herr Dr. Krone hat
den Versuch gemacht, auch nur auf einen einzigen
Punkt aus dieser Fülle von Tatsachen einzugehen.
({1})
Daß am Schlusse dieser Auseinandersetzungen Herr Kollege Dr. Krone den Kollegen Dr. Dehler als einen noch schlimmeren Menschen als einen Kommunisten - und das will im Munde eines Christdemokraten etwas sagen - hingestellt hat, das beweist nur abermals, wie unter der Führung der Christlich-Demokratische Union die Institution des Parlaments denaturiert wird.
({2})
Auch die Tatsachenfeststellungen, die Herr Kollege Dr. Heinemann dem Hause vorgetragen hat, sind in keinem einzigen Punkte einer sachlichen Erwiderung durch Sie von der Rechten für würdig gehalten worden.
({3})
Jedermann, der den Ausführungen Dr. Dehlers und Dr. Heinemanns zugehört hat, und jedermann, der Ihre Erwiderungen angehört hat, jedermann im deutschen Volk, der Ohren hat zu hören, muß nach dem heutigen Tage wissen, was hier in Bonn gespielt wird.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Verlesung der Regierungserklärung begann heute die Aussprache schon mit einem Paukenschlag von Dr. Mende. Wer etwas Bescheid weiß mit den internen Verhältnissen hier,
({0})
der mußte sich sagen, daß noch ein Gewitter zu erwarten war.
({1})
- Ein Nachtgewitter, jawohl.
Nun muß ich aber zunächst feststellen, daß die Aussprache, die sich angeschlossen hat, sich sehr erfreulich und fruchtbar entwickelt hat. Ich darf vielleicht die Darlegungen herausgreifen, die Minister Strauß gemacht hat. Ich glaube, daß er eine große Aufmerksamkeit im ganzen Hause hatte und so ernst gesprochen hat, daß ihm auch nicht einmal die Opposition die Achtung vor dieser Gewissensdarlegung versagen konnte.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! - Meine Damen und Herren, ich lasse neue Listen auflegen. Ich bitte, sich einzutragen.
Bitte, fahren Sie fort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollten auf diesen kleinen Sundenfall von Dr. Mende vom frühen Morgen nicht weiter eingehen. Das hätten wir auch nicht getan, wenn nicht das gekommen ware, was sich soeben vor uns abgespielt hat. Ich meine das Verhalten von Dr. Dehler, einem Landsmann von mir. Ich habe überhaupt nicht gewußt, daß der menschliche Haß so weit gehen und solche Auswüchse treiben kann, daß es möglich ist, daß der menschliche Haß vor dieser Institution, vor der Würde seines Amtes, vor der Person des Bundeskanzlers, vor einem Mann, der sich in späten Jahren seines Lebens einer solchen Arbeit widmet, nicht haltmacht. Daß der Haß solche Formen annehmen kann, war mir nicht bekannt.
({0})
Ich bin auch der Überzeugung, daß es gar kein Zufall ist, daß die beiden früheren Herren Minister aus dem Kabinett Adenauer zusammen aufgetreten sind.
({1})
- Ja, ich habe den Verdacht, daß es verabredet war.
({2})
Ich hätte es sehr gern gesehen, daß sich Herr Dr. Dehler einer solchen Aussprache gestellt und nicht nur eine Rede in der Form gehalten hätte, wie sie noch nie gehalten worden ist. Diese Rede ist von Herrn Dr. Krone richtig gekennzeichnet worden. Jetzt soll er sich stellen, jetzt soll er sich Auge in Auge auch den Antworten stellen. Das hätte man von ihm erwarten können. Das wäre der letzte Rest von Fairneß, den ich erwartet hätte.
({3})
Wo ist Herr Dr. Dehler denn jetzt? Wir haben ja auch gewartet, bis er fertig war. Jetzt soll er sich das anhören, was auf seine Rede zu sagen ist. Ich bin deshalb zu meinem großen Bedauern gezwungen, einen Teil der Ausführungen, die Herr Dr. Dehler gemacht hat, in seiner Abwesenheit zu behandeln.
Er hat einen falsch aufgefaßten Vorgang vom Vormittag zum Anlaß genommen, uns zu sagen, wir hätten seine Freunde des Nazismus bezichtigt. Genau das Umgekehrte war der Fall. Sie haben den ganzen Fall ja selber miterlebt, im übrigen ist er wieder durch das Protokoll genau festgestellt worden. Mit solchen Methoden, so sagte Dr. Dehler, hätten wir den Wahlkampf gewonnen. Ich habe noch niemals eine größere Beleidigung des Wählers und damit des deutschen Volkes gehört.
({4})
Herr Dr. Dehler hat anschließend daran erklärt, er sei auch nicht der Meinung, daß das deutsche Volk eine fundierte Auffassung von der Wiedervereinigung habe. Das war ebenfalls eine schwere und wahrscheinlich noch schwerer wiegende Beleidigung. Er kann es eben nicht vergessen, daß ihm das deutsche Volk bei der Wahl die Gefolgschaft versagt hat. Das ist der Grund des Zorns und des Hasses.
({5})
Herr Dr. Dehler hat weiter erklärt, der Eiserne Vorhang müsse nun mit aller Gewalt durchstoßen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Herren sind ja nach Weimar und nach Jena gegangen, damals im Rampenlicht einer großen Publizität. Wie sind sie dann zurückgekommen?
({6})
Besonders schwer aber wiegt es, daß Herr Dr. Dehler im Rahmen seiner Ausführungen dem französischen Volk den Vorwurf gemacht hat, es behandle entgegen den Vertragsbestimmungen die Frage der Wiedervereinigung nicht ehrlich. So können wir mit unseren Freunden im Ausland nicht verfahren lassen, und so können wir sie nicht beleidigen lassen. Er hat damit dem deutschen Volke einen sehr, sehr schlechten Dienst erwiesen.
Interessant ist folgender Widerspruch, der auch in den Ausführungen von Herrn Dr. Mende zum Vorschein gekommen ist: Man denkt in diesen Kreisen selbstverständlich nicht daran, die NATO aufzulösen; aber man will sie etwas ändern, und zwar in wesentlichen Dingen. Man kann ja nicht gut sagen, man will sie auflösen; denn man war ja selbst dabei, als wir ihr beigetreten sind. Man ist auch nicht wegen der NATO-Politik aus der Koalition ausgetreten, wie es hier hingestellt worden ist, sondern dieser Austritt ist aus ganz anderen, oberflächlichen Gründen erfolgt.
({7})
Darum will man den Grundsatz der NATO beibehalten, aber man möchte der Entwicklung der Situation Rechnung tragen. Das ist doch ein platonisches Bekenntnis zur NATO. Man will sie zwar formell bestehen lassen, aber innerlich aushöhlen. Das ist nicht das, was man unter Politik versteht.
Herr Dr. Dehler hat dann im Rahmen seiner weiteren Ausführungen eine eingehende Stellungnahme zum Rapacki-Plan bezogen. Ich muß sagen - und dasselbe gilt von Herrn Dr. Heinemann -: ich
glaube, daß im Deutschen Bundestag russischen Noten, russischen Erklärungen und russischen Meinungen trotz Ungarn, trotz der Ostzone, trotz aller dieser Vorgänge noch niemals ein solches Wohlwollen, eine solche Glaubwürdigkeit entgegengebracht worden ist wie heute von diesen beiden Herren.
({8})
Was sich im eigenen Bereich abspielt, wird alles bezweifelt, wird alles bestritten; was von der anderen Seite kommt, wird dagegen für glaubwürdig gehalten.
Ich darf dann gleich auf den Vorgang von 1952 eingehen, der hier so großartig und legendenhaft dargestellt worden ist.
Einen Augenblick! Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Dr. Dehler!
Herr Höcherl, Sie behaupten, ich hätte mich zum Rapacki-Plan erklärt. - Höcherl ({0}) : Nein. Ich habe erklärt: Sie haben zu dem Vorgang von 1952 hier Ausführungen gemacht, wie sie noch nie gemacht worden sind.
Jetzt haben Sie behauptet, ich hätte mich in meiner Rede zum Rapacki-Plan bekannt. Ich habe das Gegenteil getan. Ich habe gesagt, ich bekenne mich zu der Politik, die meine Freunde und ich seit 1952 betrieben haben. Ich brauche dazu keinen Rapacki-Plan und keinen Kennan-Plan. Sie haben nicht zugehört, Herr Höcherl!
Herr Dr. Dehler, ich habe erklärt, Sie haben zum Rapacki-Plan Äußerungen gemacht und zum Jahr 1952 haben Sie eine Legende dargestellt. Ich will Ihnen das auch beweisen. Sie haben zu dem Vorgang von 1952, den Sie und Herr Dr. Heinemann zum Mittelpunkt Ihrer Ausführungen hinsichtlich der angeblichen Unglaubwürdigkeit der Bundesregierung gemacht haben, erklärt, damals sei ein Angebot von Sowjetrußland gekommen, eine einmalige Chance, die verludert worden sei. Das waren Ihre Äußerungen. Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, wie dieses Angebot gelautet hat.
Dieses Angebot stieß hinein in die damals laufenden EVG-Verhandlungen und enthielt u. a. folgende sowjetische Forderungen: erstens Neutralisierung Deutschlands; zweitens Anerkennung des Potsdamer Abkommens; drittens Anerkennung der Oder-NeißeLinie;
({0})
viertens Verbot aller politischen Parteien, die von der Sowjetunion nicht ausdrücklich als demokratisch anerkannt werden; fünftens Verbot aller Organisationen, die nach sowjetischer Terminologie friedensfeindlich, militaristisch oder nazistisch sind. Das weitere Procedere sah vor, daß ein Friedensvertrag vorbereitet werden solle. Über die Frage des Zeitpunkts und die Modalitäten der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung sowie über freie Wahlen
war darin kein Wort enthalten. Das war das „einmalige geschichtliche Angebot", das damals „versäumt" worden ist und dem man nicht stattgegeben hat. Ich sage: zu Recht nicht stattgegeben hat. Das wäre der Anfang vom Ende gewesen.
({1})
Dann wurden hier große Ausführungen über unsere „Politik der Stärke" gemacht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo ist denn die Politik der Stärke zu Hause? Wo erreicht sie in der Gegenwart ihren Höhepunkt, ihren Scheitelpunkt?
({2})
- Der Zwischenrufer kommt sich außerordentlich humorvoll vor. Mir sind die Dinge viel zu ernst, als daß ich auf eine solche Art von Zwischenrufen überhaupt antworten möchte. Mit solchen Methoden kommen Sie nicht weit. Es steht Ihnen gut an, wenn Sie den Ernst bewahren, den Sie in der Öffentlichkeit und hier im Plenum in Anspruch nehmen, und wenn Sie sich auch in der Debatte so verhalten.
({3})
Es war interessant, zu beobachten, als die beiden, Herr Dr. Dehler und Herr Dr. Heinemann, antraten. Sie, meine Herren von der SPD, hatten ursprünglich etwas Hemmungen. Aber Sie vermochten dann allmählich einen taktischen Vorteil darin zu sehen und spendeten Beifall selbst bei Stellen, die Ihnen sonst gar nicht so naheliegen, wie z. B. bei dem Schlagwort von Herrn Dr. Heinemann, daß Christus nicht gegen Karl Marx, sondern für uns alle gestorben ist. So kann man die Dinge auch formulieren; aber wenn das der Ernst oder die Verantwortung ist - ich habe eine andere Vorstellung davon.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, darf ich Ihnen einmal sagen, was nach meiner Überzeugung überhaupt der Kern dieser Debatte ist. Der Kern dieser Debatte und der Ausgangspunkt für jede Überlegung jedes verantwortlichen Deutschen, ganz gleich welcher Couleur, muß sein: zunächst einmal die Sicherheit in Freiheit für unsere 50 Millionen Menschen. Das ist der Ausgangspunkt von allem, denn ohne diese Sicherheit in Freiheit gibt es weder eine Wiedervereinigung noch einen sozialen und wirtschaftlichen Staat, wie wir ihn haben und wie Sie ihn mit genießen.
Vor welchen Hintergrund stellt sich diese Sicherheitsfrage? Heute ist das Wort „makaber" gefallen. Makaber ist der Hintergrund, vor dem sich diese Dinge abspielen, der Hintergrund dieser Sicherheits-, Lebens- und Existenzfrage. Auf Blut und Tränen, auf Opfer und Zwangsmaßnahmen hat Rußland ein Rüstungspotential und ein Waffenarsenal errichtet, wie es die Weltgeschichte und die russische Geschichte niemals gesehen hat. Es hat in der letzten Zeit, um auf das eigene Volk, auf seine Satelliten und - vielleicht die große Spekulation - auf die USA einen entsprechenden Eindruck zu machen, noch das spektakuläre Schauspiel des Sputnik gegeben, um vielleicht diese Zweierkonferenz, die sie wollen - sie wollen ja gar nicht mit uns reden Deutscher Bundestag - 1 Wahlperiode Höcherl
zu erzwingen, sich zu zweit auszusprechen und etwas auszuhandeln auf der Grundlage des gegenwärtigen Zustandes. Das war der eigentliche Sinn dieses Vorgangs.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sicherheitsfrage geht ja nicht nur uns, sondern alle europäischen Staaten und Nachbarn an. Kein einziger europäischer Staat, er mag heißen wie er will, ist in der Lage, für seine eigene Sicherheit einzustehen. Wir wären auch zusammen, wenn wir selbst die letzten Opfer brächten - ob Sie dazu bereit sind, ob Sie überhaupt zu solchen Opfern bereit sind, weiß ich nicht -, dazu nicht in der Lage; die europäischen Staaten wären nicht einmal zusammen und gemeinschaftlich in der Lage, dieses Sicherheitsbedürfnis aus eigener Kraft zu befriedigen.
Deswegen war es die Politik der Bundesregierung, in der Erkenntnis dieser schmerzlichen und schwierigen Lage, dieser technischen Entwicklung, die weit über alle Vorstellungen hinausgegangen ist, sich rechtzeitig bei derjenigen Macht umzusehen, bei der noch die Kraft, und eine vergleichbare Kraft, war, die eigene Sicherheit Europas und die Sicherheit auch Amerikas zu garantieren.
Nun hat man die Interessen der europäischen Nationen und die Interessen Amerikas zusammenspannen und verbinden, kombinieren können. Und das war immer die Ausgangssituation. Echte Interessenverbindung, echte Interessenlage waren die Ausgangspunkte für haltbare und sichere Abkommen und sichere Vereinbarungen.
Es wurde von mehreren Seiten wiederholt der Vorwurf geäußert, die Bundesregierung habe jedes Jahr gesagt: „Die Lage wird schwieriger, sie wird ernster", aber sie bringe es nicht fertig, uns aus diesen Schwierigkeiten herauszubringen, und sie habe nichts geleistet. - Meine lieben Freunde, wer diese Sicherheit einem Staat in so gefährdeter Lage in einer solchen Weise verschafft, der hat sich meines Erachtens um diese 50 Millionen Menschen, um uns alle verdient gemacht!
Das ist der wirkliche Tatbestand. Das alles wird aber vergessen, es ist vorbei, es ist eine Selbstverständlichkeit, und es werden Pläne geschmiedet. Dieses Sandkastenspiel mit außenpolitischen Plänen, das hier getrieben wird, nimmt nicht die Rücksicht und hat nicht das Verständnis für diese 50 Millionen Menschen, die ruhig, zufrieden und sicher leben wollen. Das allein ist die entscheidende Lebensfrage, auf die es ankommt.
({5})
Herr Schmidt, der sich den beiden Vorrednern, dem Herrn Heinemann und dem Herrn Dr. Dehler, angeschlossen hat, meint, wir hätten kein eindeutiges Nein zu der atomaren Bewaffnung gesagt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie selber an der Regierung wären und man Ihnen eine Frage vorlegen würde, die überhaupt nicht aktuell ist, überhaupt nicht zur Debatte steht - was würden Sie denn sagen? Würden Sie vorzeitig im Rahmen Ihrer Regierungsarbeit eine Antwort erteilen - ja
oder nein? Sie dürften es nicht, wenn Sie echte Interessenwahrer Ihres Volkes wären und Ihre Regierungsarbeit mustergültig auffassen würden.
Herrn Dr. Dehler, hat der Herr Schmidt erklärt, sei kein einziger Punkt widerlegt worden. - Seine ganze Rede ist - wie es von mir noch an einzelnen Punkten nachgewiesen worden ist,
({6})
nichts anderes als die Ausgeburt eines unauslöschlichen Hasses gegenüber einem einzigen Mann.
({7})
Herr Schmidt brachte es fertig, zu sagen, die Methoden der CDU und CSU denaturierten das Parlament. - Was sich heute mit diesen beiden Rednern abgespielt hat, das ist eine Denaturierung des Parlaments!
({8})
Diese beiden Redner brauchen auf diese parlamentarische Leistung nicht stolz zu sein. Wir müssen vieles tun, um diesen Verlust an Ansehen und Würde im Parlament wieder aufzuholen, den diese zwei Männer verschuldet haben.
({9})
Zum Schluß, meine Damen und Herren, ein recht ernstes Wort. Die Fragen der Sicherheit sind nicht nur eine Sache der Regierung, sondern auch eine Sache des ganzen Parlaments, wenn die Definition der repräsentativen Demokratie, wie sie Herr Professor Schmid gegeben hat, richtig ist, und sie ist zweifellos richtig. Alle zusammen drückt uns die Verantwortung. Gemeinsam haben wir sie zu tragen. Sie dürfen nicht glauben, daß es Ihnen verstattet ist, entgegen dem Interesse unseres Volkes, dieser 50 Millionen Menschen, und entgegen einer echt gewollten Wiedervereinigung so leichtfertige Behauptungen, die uns im Inland und noch mehr im Ausland schädigen, aufzustellen, wie sie z. B. auch Herr Dr. Maier vorgebracht hat, der im Rahmen seiner geschichtlichen Ausführungen z. B. erklärt hat, wir müßten uns „desdullesionieren". Ein sehr gefährliches Wort! Ich halte es schlechterdings für staatsabträglich, wenn wir in unserer Situation uns mit so leichtfertig hingeworfenen Formulierungen an einer Person vergreifen, die uns seit Jahren in unermüdlicher Arbeit im Eintreten für die Wiedervereinigung politisch und wirtschaftlich Unterstützung zukommen läßt. Wenn das der Dank ist - und die Dankbarkeit ist ein wesentlicher Faktor auch im politischen Leben -, dann, glaube ich, wäre eine sehr, sehr schlimme Periode eingeleitet.
Dasselbe gilt für die Frage der NATO. Kaum ist die Tinte trocken, kommen Leute daher, die selber diesen Federzug geführt haben: Nein, wir wollen diesen Vertrag ändern. Wir sind darauf bedacht, durch Vertragsehrlichkeit - und so hat es die Bundesregierung acht Jahre hindurch gemacht - unser Ansehen wiederherzustellen, und bei dieser Methode bleiben wir im Interesse der Regierung, im Interesse des Volkes und im Interesse der Wiedervereinigung, die nur durch Vertragstreue und
durch Hilfe unserer Freunde möglich ist, aus eigener Kraft aber ebensowenig wie unsere eigene Sicherheit.
({10})
Herr Abgeordneter Erler hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich müssen ernste Fragen - und um solche geht es - auch mit dem gebührenden Ernst behandelt werden. Aber ich habe mir sagen lassen, daß ihr Heimatland, Herr Kollege Höcherl, eigentlich ein recht humorbegabtes Land ist. Deswegen war ich sehr erstaunt über Ihre Reaktion auf einen wohlgelungenen und nicht einmal allzu bösartigen Zwischenruf.
({0})
Ich fürchte, der „Orden wider den tierischen Ernst"
wird Ihnen in diesem Jahre kaum verliehen werden.
({1})
Doch nun zu einigen Punkten, die Sie in Ihren Schlußausführungen noch behandelt haben. Es hat heute - und niemand von uns wird sich dem starken Eindruck dieser Ausführungen entziehen; das ist ja auch der Grund, warum wir zu so später Stunde noch beisammensitzen - einige sicher für manche Persönlichkeiten peinliche interne Darstellungen aus der Geschichte der Politik der jüngsten Jahre der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Nun sind wir hier vom Kollegen Höcherl beschworen worden, wir sollten es doch etwa mit dem Carlyleschen Essay über Helden und Heldenverehrung und das Heldische in der Geschichte halten und die Forschung dann, wenn es sich um einen solchen Helden handle, nicht im einzelnen allzu sehr betreiben.
({2})
Ich kann diese Auffassung nicht ganz teilen. Verehrter Kollege Höcherl, sicher verlangen die Würde des Amtes und das Alter den gebührenden Respekt; aber die Wahrheit macht weder vor der Würde des Alters noch vor der Würde des Amtes halt,
({3})
sondern folgt ihren eigenen Gesetzen und muß ihnen folgen.
Meine Damen und Herren, wir können hier nicht einfach mit allgemeinen Erklärungen zu ganz konkreten Tatbeständen Stellung nehmen, sondern ich möchte doch wohl meinen, daß, wenn wir diesen Dingen auf den Grund gehen und wissen wollen, wie es z. B. damals mit der Bindungsklausel gewesen ist, niemand anders dem deutschen Volk darüber an Hand der einzelnen Sätze Aufschluß geben kann als der Bundeskanzler Dr. Adenauer. Wer soll uns denn das sonst sagen können?
In den Schlußbemerkungen ist davor gewarnt worden, ein Vertragswerk, kaum daß die Tinte trocken sei, hier sogar von denen, die daran mitgearbeitet hätten, in Zweifel zu ziehen. Bei vielen, die damals an der Ausarbeitung ursprünglich des EVG-Vertrages und später der Pariser Verträge mitgewirkt haben - ich gehöre gar nicht zu ihnen -, ist die Vorstellung mit vorhanden gewesen, daß es sich bei diesen Verträgen nicht um einen Selbstzweck handelte, sondern um ein Mittel zu einem bestimmten Zweck. So muß man wohl das deuten, was Kollege Kiesinger hier gesagt hat. Die einen meinten, die Sicherheit der Bundesrepublik - das sagen Sie - stehe dabei im Vordergrund. Aber viele andere sagten doch, daß darüber hinaus diese Verträge auch ein Mittel seien, das als diplomatische Münze eingesetzt werden könne, um die Wiedervereinigung unseres Landes zu erreichen. Und sehen Sie: sobald wir diese Verträge auf alle Fälle nach unseren eigenen Vorstellungen für das wiedervereinigte Deutschland, das die Freiheit haben müsse, sich dafür zu entscheiden, sakrosankt sprechen, verlieren sie diesen Charakter. Sie können nicht ein Ziel erlangen, eine Ware bekommen, wenn Sie gleichzeitig feierlich versichern, daß Sie das Geld dafür auch behalten wollen. Das geht nicht. Da muß man sich dann einmal entscheiden, und an dieser Entscheidung kommen wir nicht vorbei.
Kollege Kiesinger ist wenigstens bereit, sich einmal zu entscheiden. Er sagt nur, der Tag sei noch nicht gekommen.
({4})
- Aber ein Großteil Ihrer Freunde, Kollege Kiesinger - das hat die Debatte heute bewiesen -, ist überhaupt nicht, ist nie und zu keiner Stunde bereit, eine solche Entscheidung zu fällen.
({5})
Hier ist der Vorwurf erhoben worden, man schenke auf manchen Seiten dieses Hauses sowjetischen Angeboten ein übergroßes Maß an Glaubwürdigkeit. Nun, sowjetische Noten teilen manches mit dem, was Talleyrand von diplomatischen Schriftstücken und Akten einmal behauptet hat: mancher Gedanke wird darin sicher nur verborgen, verhüllt, anders dargestellt, aber manches findet darin auch einen sehr klaren Ausdruck. Und lange genug hat man Noten der anderen Seite einfach in den Wind geschlagen. Haben wir nicht bitter dafür bezahlen müssen? Was wir uns vornehmen müßten, ist doch das Minimum, nämlich sie in Zukunft ernster zu prüfen als bisher. Hier ist von der Note von 1952 gesprochen worden. Gut, es mögen alle möglichen zusätzlichen Forderungen und Bedingungen der Sowjets über das hinaus, was vorhin hier vom Kollegen Heinemann vorgetragen worden ist, in der Note enthalten gewesen sein - das mit dem Verbot der Parteien z. B. steht gar nicht darin; das haben Sie bloß hineininterpretiert; das müssen Sie noch einmal nachlesen; der Kommentar auf unserer Seite ersetzt la nicht den Wortlaut -, aber selbst wenn das stimmt, so war andererseits dort auch so viel an interessanten Punkten für uns
darin, daß es eine nationale Pflicht gewesen wäre, diese Stunde nicht einfach ungenutzt und die Note nicht ungeprüft vorbeigehen zu lassen.
({6})
Das ist das, was man zu dieser alten Sache noch einmal sagen muß, obwohl ja leider diese Diskussion etwas Unfruchtbares an sich trägt; denn diese Chance ist vertan. Worauf es ankommt, ist aber, daß wir nicht künftig in ähnlichen Situationen -und eine solche steht bei der Prüfung des RapackiPlans wiederum vor uns - in den gleichen Fehler verfallen.
({7})
Man sollte nicht denselben Fehler zweimal begehen.
Dann ist hier das Wort von der Sicherheit für die 50 Millionen gefallen. Auch da scheiden sich unsere Auffassungen. Sicherheit für diese 50 Millionen gibt es nach meiner Überzeugung überhaupt nicht.
({8})
Solange Deutschland gespalten ist, solange uns die politischen Risiken aus dieser Spaltung jederzeit in eine Auseinandersetzung hineinreißen können, solange dann dieses Land dazu noch von beiden Seiten zum atomaren Pulverfaß gemacht wird und die sowjetischen Truppen ihre ersten Ausgangspositionen im Thüringer Wald haben, solange ist die Sicherheit für die 50 Millionen dieser Bundesrepublik ein Traum und keine Realität.
({9})
Der Kampf für die deutsche Wiedervereinigung ist kein Kampf, dem man den Verlust der Sicherheit gegenüberstellen kann, sondern der einzige Weg, um überhaupt zu Sicherheit für unser Volk zu kommen.
({10})
Als letztes danke ich dem Kollegen Höcherl für die Bestätigung der Zweifel, die wir zu den Erklärungen der Bundesrepublik zu dem Fortbestand des Verzichts geäußert haben, der in den WEU-Verträgen ausgesprochen worden ist, daß die Bundesrepublik Deutschland keine ABC-Waffen herstellen wolle. Ich habe gefragt, ob ,die Unterschrift nicht nur heute, sondern auch morgen gilt. Diese Unterschrift ist nicht schneller und nicht später trocken als die unter dem Atlantikvertrag, und heute ist sie von Ihnen in Zweifel gezogen worden. Denn uns ist gesagt worden, für die Zukunft könne man sich nicht festlegen. Wir sind gewarnt.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cillien.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur mit sehr großen Bedenken nehme ich das Wort in dieser späten Nachtstunde und nach so manchem turbulenten Wort, das heute gesprochen worden ist.
Auch ich darf einmal ein persönliches Wort vorausschicken. Ich habe mich bis zum Jahre 1945 niemals um Politik gekümmert; heute sage ich: leider nicht gekümmert. Weil viele so taten wie ich, haben andere eine Politik getrieben, die so miserabel war, daß wir ins Chaos gerieten. Deshalb fühlte ich mich 1945 auch aufgerufen, mich wie ein römischer Bürger für die Staatswohlfahrt zur Verfügung zu stellen. Ich tat es um der Not meines Volkes willen.
Ich tat es allerdings auch darum, weil ich aus dem Worte Gottes weiß, daß wir auch an den Nächsten verwiesen sind und niemals ein eigenes, egoistisches, selbstsüchtiges Leben führen dürfen. Ich glaube, daß Menschen, die aus christlicher Verantwortung in die Politik gehen, einige sehr wesentliche und sehr wichtige Voraussetzungen mitbringen. Sie werden niemals der Täuschung verfallen, als hätten sie es in dieser Welt mit Engeln zu tun. Sie werden auch niemals irgendwelchen Utopien nachjagen und selber glauben und andere glauben lehren, daß diese Welt zu einem Paradies gestaltet werden könne. Das ist uns als Christen verwehrt. Es ist uns im Gegenteil mit aller Deutlichkeit gesagt, daß wir in einer gefährdeten und mit Schuld beladenen Welt leben. Wir sind - wir haben es bislang vermieden, solche Worte hier zu sprechen; nur durch Ausführungen, die vorhin gemacht worden sind, bin ich dazu verpflichtet - allzumal Sünder.
Ich halte es nun allerdings nicht für angebracht, und es ist bislang auch in diesem Hause nicht üblich gewesen, von dieser innersten religiösen, christlichen Einstellung von dieser Tribüne aus zu sprechen.
({0})
Was wir an solchen Verpflichtungen in uns tragen und zu verantworten haben, sind Dinge, die wir in unserem eigenen Innern abzumachen haben.
({1})
Wir haben durchaus die Gelegenheit, die Worte der Synoden, die uns vorhin in reicher Fülle vorgelesen worden sind, auch an einer anderen Stelle zu hören, wo wir sie in größerer Stille und mit mehr Aufmerksamkeit in uns aufzunehmen vermögen.
({2})
- Sehr merkwürdig, wenn ein Zwischenruf kommt,
der fragt, wo man diese Worte zu hören bekommt!
Das sollte nun allerdings allgemein bekannt sein.
Nun zu dem Vorredner, der einmal aus derselben christlichen Verantwortung heraus zur Politik gegangen ist und uns in einem Grundsatzreferat darauf hingewiesen hat, was es bedeutet, aus christlicher Verantwortung heraus politisch zu handeln! Wenn man gezwungen ist, seinen politischen Weg zu ändern, so ist das eigentlich eine private und persönliche Angelegenheit, und es ist nicht notwendig, das hier in einer breiten Öffentlichkeit zu erörtern, außer wenn man das Gefühl hat, sich für dieses oder jenes rechtfertigen zu müssen. Ich wünsche keinen Beifall; aber ich glaube, daß es
Herrn Dr. Heinemann persönlich doch wohl sehr peinlich gewesen ist, zu beobachten, was sich nun in seiner dritten Fraktion ereignete, als er sagte: Christus ist nicht gegen Marx gestorben, sondern er ist für alle gestorben. Ein solches Wort der Wahrheit nimmt man in der Stille und in der Andacht hin, und ein Getrampel und ein Geklatsche ist wahrlich nicht die rechte Antwort auf ein solches Wort.
({3})
Ich weiß auch nicht, ob es sehr angebracht erscheint, Männer, die nun 10 Jahre lang zu diesem Programm, das auch Herr Heinemann einmal verkündet hat, stehen und in dieser Verantwortung Außerordentliches geleistet haben,
({4})
zu beschwören. Wir sollten doch alle einmal darüber nachdenken, was wir für eine Verantwortung tragen. - Die tragen wir, ohne daß wir von dieser Tribüne aus darüber sprechen, aus einer inneren Verpflichtung.
Ich würde meinen, es wäre gut, wenn solche Exkursionen in das kirchliche, religiöse, theologische Gebiet hier unterblieben.
({5})
Wir sollten mit der Nüchternheit und mit der Sachlichkeit, die im politischen Raum geboten ist, unsere Arbeit tun
({6})
und uns dabei nicht verwirren lassen. Das, was damals unser Panier gewesen ist, ist es auch heute noch. Aber wir wissen zugleich, daß es uns nicht vergönnt ist, alle Ziele zu erreichen, die Menschen sich setzen. Es ist falsch, so zu tun, als wenn durch menschliche Programme, durch menschliches Reden eine gewaltige Umwälzung des menschlichen Wesens und dieses irdischen Daseins herbeigeführt werden könnte. Der Christ empfindet eben stärker als jeder andere die Krise, in der wir alle stehen, und den Gewissenskonflikt, den wir durchzumachen haben. Die Welt ist allezeit eine gefährdete Welt gewesen. Es hat zu allen Zeiten Menschen gegeben, die sich mit den Problemen des Krieges auseinandersetzen mußten. Es ist aber evangelische und allgemein-christliche Verkündigung, daß der Obrigkeit auch das Schwert verliehen ist, um dem Bösen in dieser Welt zu wehren. Es ist falsch, das Böse übersehen zu wollen, bei uns und bei den anderen.
({7})
Und es ist deshalb wenig angebracht, hier nun Belehrungen auszugeben.
({8})
- Das sagen Sie doch Ihrem Redner!
({9})
Die Bedenken, die ich hatte, hier zu sprechen, beruhten eben darauf, daß ich vor vornherein damit rechnen mußte, daß Sie die Worte nicht mit der Ruhe anhören würden, mit der wir die Worte des Herrn Dr. Heinemann angehört haben.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als evangelischer Christ verwahre ich mich zugleich im Namen meiner evangelischen Kollegen aus der Fraktion der Deutschen Partei dagegen, daß der Abgeordnete Dr. Heinemann Dinge des Glaubens in dieser Form hier in die politische Arena getragen hat.
({0})
Ich frage Herrn Dr. Heinemann, ob es mit seinem Christentum vereinbar ist, daß er uns die christliche Verantwortung in all den Fragen bestreitet, in denen wir nicht seiner politischen Überzeugung sind.
({1})
Den Ausspruch, den der Herr Kollege Dr. Heinemann unter Nennung des Namens Christus im Zusammenhang mit Karl Marx, dem Lehrer der antichristlichen Weltanschauung, getan hat, betrachten meine Freunde als eine Lästerung.
({2})
Ich möchte Herrn Dr. Heinemann von dieser Stelle aus an den Katechismus Martin Luthers erinnern: Du sollst den Namen Deines Herrn nicht unnützlich führen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen,
({3})
der seinen Namen mißbraucht.
({4})
Meine Damen und Herren, auch auf die Gefahr hin, daß der Präsident dieses Hauses nunmehr von allen Seiten mißPräsident D. Dr. Gerstenmaler
deutet wird, bitte ich Sie um der Würde des Hauses willen: machen Sie diesem grausamen Spiel ein Ende!
({0})
Lassen Sie die Theologie draußen! Ich verstehe, meine Damen und Herren, daß man das nicht ohne weiteres trennen kann. Der Begründungszusammenhang, der in der Rede von Herrn Dr. Heinemann klar in Erscheinung getreten ist, ist deutlich. Der, um den sich die Vorredner bemüht haben, ist auch verständlich. Ich würde aber bitten, daß das Haus bei seiner politischen Themenstellung bleibt. Verzeihen Sie, wenn ich mich mit dieser Bemerkung in die Gefahr begebe, damit die Grenzen dessen zu überschreiten, was der Präsident von diesem Stuhl aus sagen darf. Ich fühle mich aber verpflichtet, zur Wahrung der Würde des Hauses und zur Erleichterung vieler Kollegen dies hier auszusprechen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Manteuffel-Szoege.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß mich an die Mahnung unseres Herrn Präsidenten halten, nicht theologisch zu sprechen; und ich tue es auch, schon weil ich das nicht kann.
({0})
Ich werde mich auch an die Mahnung des Herrn Kollegen Carlo Schmid halten und versuchen, einen „guten Stil" beizubehalten, der im Interesse des ganzen Hauses liegt.
Was ich zu sagen habe, Herr Heinemann, fassen Sie bitte nicht als eine persönliche Spitze in irgendeiner Richtung auf; es entspricht vielmehr einem inneren Bedürfnis. - Sie haben hier Zitate der Evangelischen Kirche vorgetragen. Ich kann Ihnen darauf gar nichts erwidern, weil ich diese Dinge nur teilweise kenne, und man kann auf Stückwerk nicht mit Stückwerk antworten. Aber eines möchte ich Ihnen in aller Offenheit sagen: Ich bin Vertriebener. Ein großer Teil meiner Angehörigen ist von den Bolschewiki nach dem ersten und nach dem zweiten Weltkrieg ermordet worden. Ich mühe mich, keinen Haß gegen diese Menschen zu haben. Ob mir das gelingt, vermag ich Ihnen nicht zu sagen. Aber eines weiß ich: wenn wir uns nicht wehren, wenn wir uns nicht schützen, dann lassen wir evangelische Deutsche die großen angelsächsischen evangelischen Nationen allein. Ich bin fest überzeugt, daß innerhalb der evangelischen Christenheit genauso wie in der katholischen die Menschen um eine richtige Erkenntnis ringen, und bei vielen wird die Erkenntnis dazu führen, daß man auch mit den alten und mit anderen Waffen das Böse bis zum letzten Atemzug bekämpfen muß.
({1})
- Ja!
({2})
- Jawohl!
({3})
- Ja! Ich weiß, Sie werden mich damit brandmarken, Sie werden mich damit bekämpfen,
({4})
und ich bleibe bei dieser inneren Überzeugung.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Heinemann.
Herr Präsident! Ich habe Ihre Mahnung gehört. Seien Sie versichert, daß ich die Würde des Hauses oder des Gegenstandes, von dem die Rede war, nicht verletzen werde. Vergessen Sie aber bitte auch nicht, daß das, was Sie mir vorhalten, durch einen Zwischenruf ins Spiel gekommen ist. Herr Oberkirchenrat Cillien hat darauf geantwortet, es sei nicht üblich, von diesem Podium christlich zu reden.
({0})
- Herr Cillien, dann bitte ich Sie um die Freundlichkeit, sich selber zu interpretieren. Was ist nicht üblich? - Nun gut, wenn ich Herrn Cillien mißverstanden habe: ich hatte den Eindruck, daß hier nicht so gesprochen werden solle wie im Wahlkampf.
({1})
Herr Cillien, Sie haben gesagt, Synodalerklärungen müsse man sich woanders anhören. Ich bitte Sie, doch einfach gelten zu lassen, daß solche Erklärungen an die allgemeine Öffentlichkeit gerichtet werden. Warum dürfen sie also in einem solchen Zusammenhang nicht genannt werden? Ich will jetzt gar nicht polemisch sein, wenn ich darauf hinweise, daß sie leider viel zuwenig in den Zeitungen, einschließlich der CDU-Zeitungen, erscheinen.
Zu dem Hinweis auf das Schwertamt antworte ich nur mit einer längst bekannten Art von Antwort des Präses Wilm der Westfälischen Landeskirche, daß das Atombombenamt nicht mit dem Schwertamt gleichgesetzt werden kann.
Herr Schneider, Sie haben die Frage an mich gerichtet, ob ich die christliche Verantwortung der Mitglieder der Deutschen Partei zu bestreiten gedenke. Darauf antworte ich mit einem runden Nein. Was ich hier getan habe, war lediglich die Bemühung, uns alle, meine Parteifreunde eingeschlossen und mit in erster Linie, aber auch meine alten politischen Freunde, nach christlicher Verantwortung zu fragen, mindestens alle diejenigen, die aus solcher Verantwortung handeln wollen.
({2})
Zu einer persönlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Mende das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für mich persönlich und im Namen der FDP-Fraktion folgende Erklärung abgeben.
416 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode .Dr. Mende
Der Kollege Dr. Dehler hat eine leidenschaftliche Anklage gegen den Herrn Bundeskanzler und gegen die Bundesregierung hier erhoben.
({0})
Das ist sein gutes Recht als Abgeordneter einer Oppositionspartei. Die Antwort wäre gewesen, ebenso leidenschaftlich in die Verteidigung einzutreten und sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen.
({1})
Das ist leider nicht erfolgt. Statt dessen hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion es für richtig gehalten, zu dem Mittel der persönlichen Diffamierung zu greifen, indem er sagte, Herr Dr. Dehler hätte hier gesprochen schlimmer als ein Kommunist.
({2})
Der Kollege Dr. Thomas Dehler, der einen 40jährigen politischen Weg hinter sich hat, ist über diesen Vorwurf hoch erhaben.
({3})
Ich muß ihn daher zurückweisen.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Furler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe am Ende dieser sehr
langen Debatte den Auftrag, den Entschließungsantrag zu begründen, den die Fraktionen der Deutschen Partei und der CDU/CSU Ihnen in den letzten Stunden vorgelegt haben. Ich will nicht erneut in die Debatte eintreten, sondern nur einige Bemerkungen dazu machen.
Wir haben das, was wir politisch für notwendig halten, in vier Punkten niedergelegt. Auch wir sind dafür - das ergibt sich aus unserem Antrag -, daß der Westen die Verhandlungen mit der Sowjetunion fortsetzt. Aber wir meinen - da stehen wir im Einklang, glaube ich, auch mit allen Rednern dieses Hauses -, daß solche Verhandlungen durch diplomatische Vorbereitung in der richtigen Form präpariert sein müssen, daß eventuell eine Konferenz der Außenminister stattfinden muß und daß letztlich eine Konferenz auf höchster Ebene durchgeführt werden soll, aber erst am Ende solcher vorbereitenden Verhandlungen, damit nicht diese Konferenz entweder von der Sowjetunion lediglich dazu benutzt wird, propagandistische Dinge zu tun, oder aber mit den Erfahrungen endet, die bei der ersten großen Genfer Konferenz gemacht worden sind; dort gelangte man nicht zu wirklichen Lösungen, weil, wie es seinerzeit bei den Erklärungen und Weisungen an die Außenminister geschah, von sowjetrussischer Seite schon am nächsten Tag und danach konsequent gesagt würde, man habe diese Erklärung gar nicht so verstanden, wie es der Wortlaut ergibt.
Der Zweck dieser Verhandlungen kann natürlich nur sein, die Entspannung zwischen Ost und West zu ermöglichen, Schritt für Schritt an sie heranzukommen. Aber wir betonen am Ende der ersten Ziffer weiter, daß diese Verhandlungen auch den Zweck haben müssen, die deutsche Wiedervereinigung herbeizuführen. Alle Anregungen haben das gemeinsam: das Ziel aller unserer politischen Bestrebungen ist, die Voraussetzungen, die Ausgangspositionen für die Wiedervereinigung zu schaffen und auszubauen. Das war auch der Sinn der Intervention der Bundesregierung noch während der Abrüstungsverhandlungen. Wir sagten: Tut einen ersten Schritt, beschließt aber nichts Endgültiges, ohne die Frage der Freiheit der 17 Millionen Deutschen jenseits des Eisernen Vorhanges einer Lösung zuzuführen.
Wir sind auch dafür - das ist der zweite Punkt -, daß die Verhandlungen über eine kontrollierte Abrüstung fortgesetzt werden. Wir sind aber der Meinung, daß der Westen die Aufgabe einer vorbereitenden Koordinierung hat. Lesen Sie, was wir dazu vorzuschlagen haben, daß nämlich zur Vorbereitung alle ernsthaften Vorschläge geprüft werden, die zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung führen können; diese Vorschläge sollen auf ihre politischen und militärischen Folgen untersucht werden.
Zum Schluß, in den Ziffern 3 und 4, behandeln wir die Frage der Wiedervereinigung und der Koordinierung der westlichen Politik. Ich glaube, in all diesen Punkten könnte das ganze Haus eigentlich einer Meinung sein. Aber damit komme ich zu einer grundlegenden Frage.
Zuvor möchte ich mich zu dem Antrag der SPD und der FDP erklären: „Die Bundesregierung wird ersucht, mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten." Ich beantrage, diesen Antrag an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen; denn es wäre im Augenblick unzweckmäßig, der Bundesregierung ein solches Ersuchen durch einen sofortigen Beschluß dieses Hauses zukommen zu lassen. Die Dinge müssen überprüft werden. Sie haben ja vom Herrn Bundeskanzler gehört, wie er sich, auf weite Sicht gesehen, zu dieser Frage stellt. Allerdings müssen die realpolitische Situation, die Auswirkungen und die Folgerungen einer Prüfung zugeführt werden.
Nun komme ich zu dem schwerwiegendsten Punkt, nämlich zum Antrag der Fraktion der SPD in der neuen Fassung. Dieser Antrag lag uns mit einem wesentlich gleichen Inhalt, aber anderem Wortlaut schon vor, vier Tage, bevor die große NATO-Konferenz begann. Wir hatten damals eine kurze Geschäftsordnungsdebatte, und ich sagte: Wenn ich diesen Antrag lese, muß ich leider sagen, wir sind offenbar noch weit von einer gemeinsamen Außenpolitik entfernt, und das wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern, wenn wir die außenpolitische Debatte durchführten, die von uns zu jenem Zeitpunkt für unzweckmäßig gehalten wurde. Die Probe auf das Exempel hat die Richtigkeit dieser Prognose ergeben. Wir sind in der Frage der Gestaltung unserer Außenpolitik in wesentlichen Punkten verschiedener Auffassung. Das hat die heutige Debatte gezeigt. Darüber wollen wir nicht
hinwegreden. Es ist ganz klar, daß wir die wesentlichen Fragen, die in dem Antrag aufgeworfen werden, nicht in der von der SPD vorgeschlagenen Form lösen wollen. Wir sind nicht geneigt, der Bundesregierung die Weisung zu geben, sich in dieser Richtung mit Vorleistungen oder auch mit endgültigen politischen Entschlüssen zu bewegen. Wir sind davon überzeugt, daß das die westliche Solidarität sprengen und zum anderen auch nicht zu dem Ziel, das angegangen werden soll, führen würde, nämlich zu einer wirklichen Entspannung und der Ermöglichung der Wiedervereinigung oder mindestens einer schrittweisen Annäherung an sie.
Wir wollen uns da gar keinen Täuschungen hingeben. Wir werden den Weg, den wir für richtig halten, den die Bundesregierung eingeschlagen hat und den Sie aus der Regierungserklärung entnommen haben, konsequent weitergehen, weil wir glauben, daß es für unsere Sicherheit und zur Erreichung unserer großen Ziele keine andere Möglichkeit gibt. Sie sind anderer Meinung. Die heutige Debatte hat dies geklärt. Es bestehen hier in entscheidenden Punkten außerordentliche Differenzen. Wir können hier nicht gemeinsam gehen. Wenn wir aber schon in wichtigen materiellen Punkten verschiedener Meinung sind, dann sollten wir doch gewisse Grenzen respektieren, die man auch bei differierenden Auffassungen respektieren muß. Einmal darf man dem Gegner nicht Dinge unterstellen, die er als ehrenrührig empfinden muß. Man darf uns nämlich nicht unterstellen, daß wir, wie Herr Erler sich ausdrückte, im Herzen die Einheit des Vaterlandes abgeschrieben hätten, also gar nicht mehr daran glaubten. Noch weniger darf man uns unterstellen, daß wir die Wiedervereinigung vielleicht überhaupt nicht wollten. Darüber sollten wir einig sein.
Aber noch etwas anderes. Es ist hier gesagt worden, man sei über den Ernst der Lage einig. Herr Ollenhauer hat es betont, der Bundeskanzler hat es betont, auch Herr Dehler hat es betont. Aber, meine Damen und Herren, es ist doch schon sehr schlecht, wenn dann gesagt wird: daß die Lage so ernst sei, habe seinen Grund in der Politik der Bundesregierung. Ich will gar keine langen Ausführungen darüber machen, daß wir nicht im Mittelpunkt der Welt stehen. Ich verweise lediglich auf das, was der Führer der Opposition, Herr Ollenhauer, erklärt hat. Er hat gesagt: Die Lage ist deshalb so ernst geworden, weil sich einmal die Waffentechnik, manifestiert durch den Sputnik, in einer Weise entwickelt hat, die beängstigend wirken mußte, und weil zum anderen die großen Abrüstungsverhandlungen abgebrochen worden sind. Meine Damen und Herren, beides sind Dinge, die nicht im geringsten mit der Politik der Bundesregierung zusammenhängen. Das wollte ich nur am Ende sagen.
Wir lehnen den Entschließungsantrag der SPD, auch wenn man über ein oder zwei Punkte dieses Antrages sprechen könnte, in allen Punkten als eine geschlossene Konzeption ihrer Politik ab. Wir sind uns klar, daß wir uns darüber nicht einigen können.
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Wir sind aber der Meinung, man sollte - - ({1})
- Nein, nicht „alles oder nichts". Gerade darauf will ich eingehen, Herr Wehner. Wir haben auch unsere Vorschläge, und Sie wissen, daß die Fragen durchaus ernsthaft geprüft werden. Ich möchte Ihnen nur empfehlen, den Brief genauer zu lesen, den Präsident Eisenhower an Bulganin als Antwort auf dessen Note geschrieben hat und der zur Deutschlandfrage immerhin eine außerordentlich konkrete und interessante Ausführung enthält. Er sagt nämlich:
Im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands sind die USA mit anderen Regierungen bereit, über spezifische Vereinbarungen bezüglich der Stärke der Streitkräfte und ihre Dislozierung und über weitgesteckte vertragliche Vereinbarungen zu verhandeln, Vereinbarungen nicht nur für den Fall einer Aggression, sondern Vereinbarungen mit positiver Wirkung auf die Möglichkeit einer Aggression in Europa.
Wer zu lesen versteht, weiß, daß hier positive Entwicklungspunkte vorhanden sind, aber Entwicklungspunkte, die sich grundlegend von dem unterscheiden, was von atomwaffenfreier Zone und ähnlichen daraus hervorgehenden politischen Bildungen zu halten ist. Hier sind Konzeptionen gegeben, die, wenn sie real betrachtet werden, in einer bestimmten Situation auch Sowjetrußland zur Akzeptierung eines Abkommens veranlassen könnten, das dann aber auf einer anderen politischen Linie läge.
Ich bitte Sie, den Anträgen in der von mir vorgeschlagenen Form zu entsprechen.
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Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion ist damit einverstanden, daß der Antrag der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion betreffend Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Polen dem Auswärtigen Ausschuß überwiesen wird. Wir sind der Meinung, daß unser Antrag weitergeht als die beiden weiter zur Abstimmung vorliegenden Anträge, nämlich der Antrag der Fraktion der SPD und der Antrag der Fraktionen der Koalition. Unser Antrag befaßt sich nicht nur, wie der CDU- und DP-Antrag, mit diplomatischen Verfahrensfragen, sondern wir schlagen darin sehr konkrete Inhalte für diplomatische Gespräche vor. Ich nehme an, es ist Einverständnis darüber erzielt worden, daß dieser Antrag als erster vor den beiden Anträgen zur Abstimmung gelangt.
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- Nun schön, wir sind uns darüber einig, daß
unser Antrag als erster zur Abstimmung kommt,
Zu Ihrem Antrag, dem Antrag der Mehrheit, darf ich folgendes sagen. Wenn man ihn so liest und nach seinem Oberflächenwert beurteilt, dann erscheint er durchaus annehmbar; aber er gaukelt uns das Bild einer verhandlungs- und wandlungsbereiten Mehrheit vor. Wir werden jedoch nicht in den Fehler verfallen, diesen Text nach seinem Oberflächenwert zu beurteilen, Wir bewerten ihn auf dem Hintergrund der heutigen Debatte
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und unter Würdigung der Tatsache, daß Ihre Fraktion entschlossen ist, unseren Antrag abzulehnen.
In unserem Antrag werden die konkreten Dinge beim Namen genannt. Da muß es sich zeigen, ob man wirklich für Entspannung und für Abrüstung ist, da nämlich, wo es darum geht, einen konkreten, wenn zunächst auch noch so kleinen Schritt in Richtung auf diese Entspannung und Abrüstung zu tun. Alle Ansatzpunkte für Entspannung und Abrüstung haben Sie abgelehnt.
So betrachtet, dient die Entschließung, die Sie uns vorgelegt haben, nur der Verschleierung Ihrer wahren Absichten.
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Diese wahren Absichten sind nun einmal die, die Politik der Stärke, die draußen in der politischen Wirklichkeit längst ad absurdum geführt ist, nicht nur wie bisher weiterzuführen, sondern auf einer noch höheren Stufe, auf der Stufe der atomaren und der Raketenbewaffnung fortzuführen. Das ist Ihr wirklicher politischer Wille. Sie können von uns nicht erwarten, daß wir einer solchen Entschließung zustimmen. Diese Politik hat draußen verspielt,
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und sie hat heute in einer der größten Redeschlachten, die wir in diesem Hause gehabt haben, eine große Niederlage erlitten.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir schlagen vor, die drei vorliegenden Anträge dem Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Für den Antrag betreffend Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Polen versteht sich das von selbst.
Dem Entschließungsantrag der Regierungskoalition würden wir in mehreren Punkten gern sofort zustimmen, so vor allem den Ziffern 1 und 3. Aber in dem Antrag sind doch auch einige Stellen von erheblicher Unklarheit, die uns das unmöglich machen. So heißt es in Ziffer 2, daß jeder ernsthafte Vorschlag zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung geprüft werde. Nach dem, was heute von den Antragstellern vorgetragen wurde, sind natürlich die Vorschläge, die etwa wir von der FDP dazu gemacht haben, genauso wenig ernsthaft wie die
Vorschläge von der SPD. Die Vorschläge des Herrn Kennan sind „unrealistisch", und die Vorschläge des Herrn Rapacki sind sogar „gefährlich". So können wir uns natürlich nicht auf das Risiko einlassen, einer solchen Formulierung unbesehen zuzustimmen. Wir würden Gefahr laufen, daß wir damit auch dem zustimmen, was in der heutigen Aussprache gesagt wurde und was teilweise das Gegenteil von dem Inhalt dieser Entschließung ist.
Dazu kommt nun noch, daß von zwei Rednern am Schluß dieser Debatte gegen die Politik der Bundesregierung ganz erhebliche und schwerwiegende Vorwürfe erhoben worden sind, auf die wir keine sachliche Erwiderung, sondern nur Verunglimpfungen gehört haben. Vor allem vor diesem Hintergrund wird die Unklarheit, die in dieser Entschließung steckt, besonders bedenklich.
Wir beantragen deshalb Überweisung an den Ausschuß; denn wir könnten uns trotzdem vorstellen, daß die Vorlage bei entsprechender Klarstellung eine Grundlage zu einer wirklich gemeinsamen Plattform geben könnte. Aus diesem Grunde beantragen wir, auch den Antrag der SPD an den Ausschuß zu überweisen.
Wenn dem vom Hohen Hause nicht entsprochen würde, könnten wir zwar dem SPD-Antrag zustimmen, da er sehr klare, konkrete, nicht weitgehende, sondern bestimmte Vorschläge enthält, wären aber bei einer Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der DP nur in der Lage, uns der Stimme zu enthalten.
Meine Damen und Herren, die Situation ist folgende. Wir haben zwei Anträge - ({0})
- Wollen Sie dazu sprechen? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schneider ({1}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat die Erklärung des Kollegen Mommer zur Kenntnis genommen. Ich möchte dazu feststellen, daß die Unterstellung, die er hier bezüglich des Koalitionsantrages ausgesprochen hat, daß nämlich unter der Oberfläche dieses Antrags eine Politik der erhöhten Stärke schlummere, eine Politik der atomaren und Raketenbewaffnung,
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nicht zutrifft. Wenn Sie allerdings von uns fordern, Herr Kollege Mommer, daß wir, die die Verantwortung tragenden Parteien und die Regierung,
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die selbstverständlichsten Voraussetzungen für die Sicherheit der Nation vernachlässigen, sind wir von Ihnen überfordert.
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Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.
Zur Abstimmung! Es liegen zwei Anträge - Umdrucke 6 und 7 - zu dem Punkt b unserer gestrigen und heutigen Tagesordnung und ein Antrag zu dem Tagesordnungspunkt c vor. Ich lasse deshalb wie folgt abstimmen: Erstens: Umdruck 6; zweitens: Umdruck 7; drittens: Drucksache 54. Beantragt ist in allen Fällen Überweisung an den Ausschuß. Dieser Antrag geht unter allen Umständen vor.
Zunächst Umdruck 6. Wer dem Antrag auf Ausschußüberweisung des Umdrucks 6 - Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß, nehme ich an - zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag Umdruck 6 ist mit großer Mehrheit an den Ausschuß überwiesen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 7. Auch hier ist von Herrn Abgeordneten Dr. Bucher Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß beantragt. Wer dieser Ausschußüberweisung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Die Überweisung an den Ausschuß ist abgelehnt.
Ich lasse über den Antrag selbst abstimmen. Wer dem Antrag Umdruck 7 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei Enthaltungen und zahlreichen Gegenstimmen angenommen.
Antrag Drucksache 54. Auch hier ist von dem Abgeordneten Dr. Bucher Ausschußüberweisung beantragt. Wer der Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; die Ausschußüberweisung ist abgelehnt.
Ich lasse über den Antrag selbst abstimmen. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die gleiche Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende unserer Beratungen.
Das Plenum, das auf heute früh 9 Uhr angesetzt ist, ist abgesagt. Die nächste Sitzung findet am Mittwoch, dem 12. Februar, 14 Uhr, statt.
Die Sitzung ist geschlossen.