Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 5. November 1959 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wehr, Odenthal, Hansing, Hermsdorf, Peters, Regling und Fraktion der SPD betr. Arbeitsschutz für Seeleute ({0}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1364 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 9. November 1959 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schneider ({1}), Heye, Burgemeister, Dr. Dollinger und Genossen betr. Anerkennung der Ansprüche von Angestellten des öffentlichen Dienstes aus dem Versorgungsstock ({2}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1373 verteilt.
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 7. November 1959 gemäß § 19 Abs. 6 des Postverwaltungsgesetzes den Geschäftsbericht der Deutschen Bundespost über das Rechnungsjahr 1958 vorgelegt, der als Drucksache 1363 verteilt ist.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 10. November 1959 die Empfehlungen 105 bis 111 und die Übereinkommen 108 bis 111 der 41. und 42. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz übersandt. Sie werden als Drucksachen 1369 und 1370 verteilt.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde.
Auf Grund einer Absprache im Ältestenrat wird die Fragestunde in veränderter Form durchgeführt.
Die bis zur Sperrfrist eingegangenen Fragen zur Fragestunde werden auf zwei Fragestunden, die heutige und eine Fragestunde morgen, verteilt.
Die Fragen werden nach Sachgebieten geordnet. Heute stehen auf der Tagesordnung die Fragen, zu deren Beantwortung die Minister der Finanzen, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, für Arbeit und Sozialordnung, für Verteidigung, für das Post-und Fernmeldewesen und für wirtschaftlichen Besitz des Bundes zuständig sind.
Die Mitglieder der Bundesregierung werden gebeten, künftig die Fragen von ihrem Platz auf der Regierungsbank aus zu beantworten.
Ziel dieser Maßnahmen ist, einen flüssigeren Ablauf der Fragestunde zu erreichen. Dies wird nur gelingen, wenn die Fragesteller und die antwortenden Regierungsmitglieder dabei mithelfen. Die Zusammenfassung der Fragen nach Sachgebieten bedingt, daß alle Fragen in einer Fragestunde mündlich beantwortet werden, da sonst Mitglieder, die
ihre Fragen frühzeitig eingereicht haben, benachteiligt werden könnten, wenn ihre Fragen nach der neuen Gruppierung jetzt am Ende der Liste der zu beantwortenden Fragen stehen und wegen Ablaufs der Fragestunde nicht mehr mündlich beantwortet werden. Ich wiederhole daher die an die Mitglieder der Bundesregierung schriftlich gerichtete Bitte, die Fragen kurz zu beantworten, Ich appelliere an die Fragesteller, nur notwendige Zusatzfragen zu stellen. Dies entspricht dem klaren Wortlaut der Geschäftsordnung, die ausdrücklich von „notwendigen" Zusatzfragen spricht. Die Beantwortung von 20 Fragen in einer Fragestunde müßte möglich sein. Im englischen Unterhaus beträgt der Durchschnitt der in einer Fragestunde beantworteten Fragen immerhin 44, also mehr als das Doppelte.
Ich rufe auf die Frage des Abgeordneten Jahn ({3}) betreffend überplanmäßige Ausgaben des Bundesfinanzministeriums für Prozeßkosten:
Welcher Rechtsstreit hat unvorhersehbaren und unabweisbaren Mehrbedarf in Höhe von 166 936,45 DM erforderlich gemacht ({4})?
Um welche Fragen und mit welchem Ergebnis wurde der Rechtsstreit geführt?
Wie setzen sich die Kosten im einzelnen zusammen?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Bundesministerium der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Jahn fragt nach einer überplanmäßigen Ausgabe von 166 000 DM, die durch die Kosten eines Prozesses der Bundesregierung verursacht ist. Es handelt sich um eine aus dem Jahre 1953 herrührende Feststellungsklage der Bundesrepublik gegen die Hamburgische Landesbank und ihren Generaldirektor. Grund zu dieser Klage war ein hoher Verlust, den der Bund, vertreten durch das Bundesernährungsministerium, bei der Hamburger Handels- und Gewerbebank erlitten hat. Diese Bank ist im Jahre 1953 in Konkurs geraten. Von einem Guthaben des Bundes - einer Sonderdienststelle - von 6,8 Millionen DM sind nur 2,3 Millionen DM an uns zurückgekommen. Um den Restbetrag möglichst noch hereinzubekommen, hat die Bundesregierung die Hamburgische Landesbank und ihren Generaldirektor verklagt, weil sie der Meinung war, daß eine Auskunft dieser Bank über die Bonität der anderen Bank, bei der das Bundesguthaben bestand, falsch gewesen sei.
Dieser Haftungsprozeß ist durch zwei Instanzen durchgeführt und in beiden Instanzen von der Bundesregierung verloren worden. Der Streitwert war
außerordentlich hoch, so daß sich daraus die hohen Verfahrenskosten erklären, für die die überplanmäßige Ausgabe beantragt und damals genehmigt worden ist.
Eine Zusatzfrage?
Wie setzen sich die Kosten im einzelnen zusammen?
Es sind nur Anwaltskosten - keine Gerichtskosten -, und zwar sowohl der beklagten Landesbank und ihres Generaldirektors als auch des klagenden Bundes. Außerdem sind Prozeß-, Verhandlungs-, Beweis- und Urteilsgebühren berechnet worden.
Danke schön.
Wir kommen zur nächsten Frage Abgeordneter Bucher - betreffend Tanken der Kraftfahrzeuge:
Warum muß das im Tank der Kraftfahrzeuge enthaltene Benzin bei Deutschen, die aus dem Ausland einreisen, und insbesondere auch bei Deutschen, die durch die SBZ reisen, verzollt werden?
Ist sich die Bundesregierung nicht darüber im klaren, daß dies zu unangebrachten und - wie etwa in dem im „Spiegel" vom 14. Oktober 1959 S. 32 geschilderten Fall - zu grotesken Ergebnissen führt?
Zur Beantwortung wiederum der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen.
Der Herr Abgeordnete Bucher fragt, wie es sich mit der Verzollung und der sonstigen einfuhrrechtlichen Behandlung von Treibstoff verhält, der in der Sowjetzone getankt wird. Dabei bezieht er sich auf einen Artikel des „Spiegel", der einen bestimmten Vorfall zum Anlaß kritischer Überlegungen nimmt.
Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten in zwei Punkten beantworten.
Zunächst einmal muß zwischen der Einreise über die internationale Grenze ins Bundesgebiet und dabei der Mitnahme von Kraftstoff einerseits und der Einreise durch die Sowjetzone oder aus der Sowjetzone nach Berlin andererseits unterschieden werden. Bei der Einreise von deutschen Personenkraftfahrzeugen über die internationale Grenze bleiben 25 Liter Kraftstoff im Tank abgabenfrei. Praktisch erhöht sich diese Menge auf 29 Liter, weil immer auf volle 5 Liter abgerundet wird, die nach dem Tarif zum Zoll herangezogen werden.
Darüber hinaus sind die Zollstellen angewiesen, im großen Reiseverkehr, also nicht im kleinen Grenzverkehr, großzügig zu verfahren und nur gelegentliche Kontrollen zum Schutze des grenznahen Tankstellengewerbes vorzunehmen. Diese Kontrollen werden in der Regel nur an Kraftfahrzeugen vorgenommen, die in einem grenznahen Ort beheimatet sind und bei denen die Vermutung naheliegt, daß sie in das nahe Zollausland ausschließlich oder überwiegend zum Zwecke des Tankens fahren. Dies betrifft also die Herübernahme von Treibstoff über die internationale Grenze.
Bei dem Verkehr aus der Sowjetzone nach WestBerlin und bei dem Verkehr aus dem Bundesgebiet nach Berlin durch die Sowjetzone ist die Rechtslage ganz anders. Bei Deutschen, die durch die Sowjetzone nach Berlin reisen, braucht das im Tank enthaltene Benzin nicht verzollt zu werden. Das ist innerdeutscher Verkehr. Das gesamte Bundesgebiet, West-Berlin und die Sowjetzone sind bei uns heute zollrechtlich ein Zollgebiet.
Das Einbringen von Kraftstoff in Fahrzeugen in das Westberliner Gebiet ist aber aus wirtschaftspolitischen Gründen und zum Schutz der Westberliner Wirtschaft durch alliiertes Recht und durch eine Interzonen-Handelsverordnung aus dem Jahre 1951 genehmigungspflichtig gemacht worden. Die Genehmigungen erteilt der Senat von Berlin. Es handelt sich also nicht um Zoll-, sondern um AußenhandelsBestimmungen, die in Berlin angewendet werden. Nach diesen warenrechtlichen Bestimmungen sind genehmigungsfrei die Kraftstoffe - wie es in der Interzonen-Handeisverordnung heißt -, die „ihrer Art nach üblicherweise mitgeführt werden und der Menge nach im Einzelfall dem notwendigen Bedarf entsprechen."
Die Kontrollen, die bei der Einreise nach Berlin notwendigerweise gemacht werden müssen, werden recht großzügig gehandhabt. Dabei werden nur Stichproben gemacht. Es ist den Beamten gesagt, daß sie bei diesen Kontrollen hinsichtlich der warenrechtlichen Erlaubnis für die Einfuhr nach Berlin die willkürliche Teilung Deutschlands und die dadurch geschaffenen besonderen Verhältnisse weitgehend berücksichtigen sollen.
Die Zahl der Beschwerden von Verkehrsteilnehmern über diese Kontrollen der Treibstoffeinfuhr nach Berlin ist verschwindend gering im Verhältnis zu der großen Zahl -von Abfertigungen, die überhaupt notwendig sind.
Eine Zusatzfrage?
Halten Sie nicht in dem von mir angezogenen Fall - vorausgesetzt, daß er richtig dargestellt ist - die Verhängung einer Ordnungsstrafe für ungerechtfertigt, zumal doch niemand ohne Not Benzin in der Sowjetzone tanken wird, das ja von notorisch schlechter Qualität ist?
Herr Abgeordneter Bucher, ich vermute, daß Sie sich auf den Bericht im „Spiegel" beziehen und daß das der Anlaß zu Ihrer Frage gewesen ist. In diesem Fall ist von zwei Instanzen rechstkräftig ein Bußgeld wegen Zuwiderhandelns gegen das Zollrecht verhängt worden. Nur die Gerichte haben über das Ausmaß der Strafe zu entscheiden. Wir haben die Akten darüber angefordert. Ich bin gern bereit, Ihnen persönlich dazu eine zusätzliche Auskunft zu geben.
Meine Damen und Herren, eine Zwischenbemerkung. Der Deutsche Bundestag ist kein Theater, sondern eine Stätte der Arbeit. Der Gebrauch von Ferngläsern und Operngläsern auf der Galerie ist deshalb untersagt. Ich müßte bei Zuwiderhandlungen die Galerie räumen lassen.
Ich komme zu der Frage des Abgeordneten Baur ({0}) betreffend die Organisation StEG:
Ist es richtig, daß die vom Zweizonen-Wirtschaftsrat in Frankfurt ({1}) errichtete Organisation StEG noch besteht? Wie groß ist der Personalbestand? Wie hoch sind die Warenbestände und welcher Art sind sie?
Wie hoch ist die Rentabilität der noch bestehenden Organisation StEG, und wie lange wird es noch dauern, bis die restliche Liquidierung der Organisation StEG erfolgt sein wird?
Der Abgeordnete Baur fragt nach dem Schicksal der ehemaligen StEG und der noch immer währenden Liquidation dieser berühmten Einrichtung aus den ersten Nachkriegsjahren.
Herr Abgeordneter, die StEG ist am 29. August 1946 von den Ländern der damaligen amerikanischen Besatzungszone als „Gesellschaft zur Erfassung von Rüstungsgut GmbH" gegründet worden. Sie hat später ihre Firma in „Staatliche Erfassungsgesellschaft für öffentliches Gut", abgekürzt StEG, geändert. Ihre Gesellschafter sind noch bis heute die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen und Hessen. Das damalige Vereinigte Wirtschaftsgebiet und der Bund waren und sind nie Gesellschafter der StEG gewesen.
Die StEG wird seit dem 1. Januar 1953 ununterbrochen liquidiert. Liquidator ist die Deutsche Wirtschaftsförderungs- und Treuhand GmbH in Frankfurt. Soweit mir bekannt ist, hat die StEG kein Personal und keinen Warenbestand mehr, aber noch Forderungen. Diese Tatsache erlaubt es, sie unentwegt weiter zu liquidieren. Über die Frage der Rentabilität der StEG und über den Zeitpunkt des Abschlusses der Liquidation kann ich leider keine Auskunft geben. Das könnte nur der Liquidator, die eben erwähnte Frankfurter Treuhand Gesellschaft.
Herr Abgeordneter Baur, eine Zusatzfrage? Baur ({0}) ({1}) : Ist das Ministerium bereit, dem Hause möglichst bald einen etwas ausführlicheren Bericht über diesen ganzen Vorgang vorzulegen?
Wir sind gerne bereit, Ihnen das Material zur Verfügung zu stellen.
Danke!
Ich komme zur Frage des Abgeordneten Schultz, der heute durch den Abgeordneten Walter vertreten wird, betreffend die Einfuhr von sogenannten Kräuterweinen od er minderwertigen Medizinalweinen:
Trifft die Meldung in Nr. 42 der .Deutschen Bauernzeitung" vom 15. Oktober 1959 zu, daß die Bundesregierung die Einfuhr von sogenannten Kräuterweinen oder Medizinalweinen minderwertigster Art zuläßt, die mit Kartoffelsprit auf 24% Alkohol aufgespritet sind und den Importeuren Gewinne bis zu 2 DM pro Liter gestatten?
Wenn ja, welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, uni die Umgehung der Zollvorschriften und des Branntweinmonopolgesetzes zu verhindern?
Meine Damen und Herren, ich vermute, daß die Frage des Herrn Abgeordneten Schultz auf Zeitungsartikel zurückgeht. Ein solcher Zeitungsartikel ist in der Frage angezogen, nämlich der Artikel in der „Deutschen Bauernzeitung" mit der Überschrift „Millionengeschäfte mit aufgespritetem Wein".
Ich darf vorweg sagen, daß dies« Nachricht der „Deutschen Bauernzeitung" über Millionengeschäfte mit aufgespritetem Wein im wesentlichen richtig ist. Es handelt sich hier um die etwas komplizierte Frage der Behandlung von Kräuterweinen und anderen Südweinen bei der Einfuhr in das Bundesgebiet.
Der Fragesteller geht davon aus, daß die Bundesregierung Maßnahmen treffen könne, um die Einfuhr dieser sogenannten Kräuter- oder Medizinalweine in das Bundesgebiet zu erschweren. Für die Einfuhr dieser Weine sind das Lebensmittelrecht und das Weinrecht maßgebend, und je nachdem, ob diese Flüssigkeiten als Wein oder andere alkoholhaltige Flüssigkeiten anzusprechen sind, werden sie unterschiedlich behandelt.
Nach deutschem Zollrecht ist es möglich, Flüssigkeiten, die im Sinne des deutschen Weinrechts nicht Wein sind, durch Aufspriten im Ausland zu alkoholreicheren Weinen zu machen, und zwar bis zu 180 g im Liter; das entspricht ungefähr 22 % Alkoholvolumen. Diese Weine sind nach einer Anordnung des Bundesministers des Innern vom 29. Juli 1959 der besonderen Aufmerksamkeit der Landesgesundheitsbehörden empfohlen worden, damit diese feststellen, ob sie dem deutschen Lebensmittelrecht entsprechen. Wenn diese aufgespriteten Weine - Südweine, Einfuhrweine - mehr als 140 g Alkohol je Liter enthalten, werden sie auf Grund des Lebensmittelgesetzes nicht zugelassen.
Die Grenze zwischen dem, was nach deutschem Weinrecht als Wein gilt und damit besonders zollpflichtig ist, und dem, was nicht als Wein, sondern als anderes alkoholhaltiges Getränk anzusehen ist, ist leider fließend. Wir haben zwei Prozesse angestrengt, um eine höchstrichterliche Grenzziehung zu bekommen. In der Zwischenzeit haben wir die Aufmerksamkeit der Gesundheitsämter der Landesregierungen auf diese Frage gelenkt und hoffen, daß es möglich sein wird, durch verschärfte lebensmittelpolizeiliche Überwachung eine übermäßige und unzulässige Aufspritung zu verhindern. Ganz läßt sich das nach dem bisherigen Recht und der bisherigen Rechtsprechung leider noch nicht abstellen.
Es ist weiter gefragt worden, ob solche Weine, die mit Fremdsprit aufgespritet worden sind, auch als
Medizinalweine bezeichnet und ins Bundesgebiet eingeführt werden können. Wir haben nur einen einzigen Fall kennengelernt, in dem aufgespriteter Wein nach einem geringen Zusatz von Vitamin C unter der irreführenden Bezeichnung „Medizinalwein" als Arzneimittel zu dem günstigen Zolltarif für Arzneimittel bei uns eingeführt und an Spirituosenhersteller abgegeben worden ist. Gegen die Zollbeteiligten läuft ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren. Die Zollbehörden sind auf diese Form der Umgehung durch Deklarierung als Arzneimittel und als Medizinalwein hingewiesen und aufgefordert worden, bei der Überwachung darauf zu achten.
Die Frage ist erledigt.
Ich komme zur Frage des Abgeordneten Mischnick betreffend Auslegung der Vorschriften über die Bewertungsfreiheit:
Ist der Herr Bundesfinanzminister bereit, für eine großzügige Auslegung der Vorschriften über die Bewertungsfreiheit von Anlagen zur Verhinderung, Beseitigung oder Verringerung der Verunreinigung der Luft und der Verschmutzung der Bäche und Flüsse zu sorgen?
Herr Abgeordneter, ich darf mir erlauben, Ihre Frage verhältnismäßig kurz zu beantworten. Der Bundesminister der Finanzen hat im Einvernehmen mit den Länderfinanzministern sichergestellt - und zwar in der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung -, daß die Bestimmungen über die Bewertungsfreiheit für Anlagen zur Verhinderung, Beseitigung oder Verringerung der Schäden durch Abwässer und für Anlagen zur Verhinderung, Beseitigung oder Verringerung von Luftverunreinigung nicht kleinlich ausgelegt werden. Meinungsverschiedenheiten über den begünstigten Kreis von Wirtschaftsgütern sind mit den Ländern jetzt einvernehmlich geregelt; einige Länder wollten großzügiger, andere wollten weniger großzügig den Kreis der abschreibungsbegünstigten Güter abgrenzen. Seitdem bereitet die Anwendung dieser Bestimmung keine Schwierigkeiten mehr.
Der Bundesminister der Finanzen ist bereit, darauf hinzuwirken, daß an der bisherigen großzügigen Verwaltungspraxis festgehalten wird, die dem mit Vergünstigungen verfolgten Zweck Rechnung trägt. Auch uns liegt daran, mit steuerlichen Mitteln der Verschmutzung der Gewässer und der Luft nach bestem Vermögen Einhalt zu gebieten.
Auch diese Frage ist erledigt.
Ich komme zur Frage des Abgeordneten Benda betreffend Abschreibungsmöglichkeiten gemäß § 14 des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin:
Teilt der Herr Bundesfinanzminister die Auffassung des Landesfinanzamtes Berlin, daß von den besonderen Abschreibungsmöglidhkeiten des § 14 des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin ({0}) in der Fassung des Fünften Änderungsgesetzes vom 25. März 1959 ({1}) nur die Gewerbetreibenden, nicht jedoch die Angehörigen der freien Berufe und der Land- und Forstwirtschaft in Berlin Gebrauch machen können?
Falls ja, gelten die gleichen Beweggründe, die zur Neufassung des § 14 geführt haben, nicht auch für die Angehörigen der freien Berufe und der Land- und Forstwirtschaft in Berlin?
Die Frage des Herrn Abgeordneten richtet sich auf die Auslegung einer den Steuerzahler begünstigenden Vorschrift für die Westberliner Wirtschaft. Der Bundesfinanzminister teilt die Auffassung des Landesfinanzamtes Berlin, daß die besonderen Abschreibungsmöglichkeiten aus § 14 des Gesetzes zur Förderung der Berliner Wirtschaft nur Gewerbetreibenden zugute kommen sollen, also nicht der Landwirtschaft und nicht den freien Berufen.
Entscheidend für diese Beschränkung der Steuervergünstigungen nur auf Gewerbetreibende ist die Vorschrift selbst, nach der die Inanspruchnahme der Bewertungsfreiheit nur bei solchen Wirtschaftsgütern möglich ist, die zum Anlagevermögen einer in Berlin ({0}) gelegenen Betriebsstätte gehören. Eine Betriebsstätte im steuerrechtlichen Sinne - das ist verbindlich durch das Steueranpassungsgesetz definiert - kann nur ein Gewerbetreibender haben, so daß nur Gewerbetreibende, nicht aber Land- und Forstwirte und nicht Angehörige der freien Berufe Bewertungsfreiheit für Güter des Anlagevermögens haben.
Diese auf den ersten Blick etwas enge Auslegung entspricht den Beweggründen, die damals zu dieser Steuerbegünstigung für Investitionen in Berlin geführt haben. Das sollten ausgesprochen wirksame gewerbliche Investitionen sein, die ihrerseits zu einer Vermehrung der Arbeitsplätze in Berlin beitragen. Die Einbeziehung der freien Berufe in die Begünstigung hätte diesem Ziel kaum dienen können, weil die Beschäftigung bei den freien Berufen von Investitionen in der Regel unabhängig ist und weil die Investitionen auch nicht zur Erhaltung bestehender oder zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen können. Die Einbeziehung der Land- und Forstwirtschaft war in Berlin gegenstandslos, weil das in West-Berlin fast keine Rolle spielt.
Die Frage ist erledigt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die nächste Frage ist zurückgezogen.
Ich komme zur Frage des Abgeordneten Gewandt betreffend Drosselung der Rindfleischeinfuhr aus Dänemark:
Aus welchem Grunde hat die Bundesregierung die Rindfleischeinfuhr aus Dänemark gedrosselt?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch diese Maßnahme erhebliche Erhöhungen der Fleischpreise eintraten?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe auf die Frage des Herrn Abgeordneten Gewandt folgendes zu antworten.
Infolge der Trockenheit ergab sich, abweichend von früheren Jahren, zeitiger als sonst eine Erhöhung der Rinderauftriebe auf den deutschen Märkten. Die Einfuhr- und Vorratsstelle hat deshalb bereits in der Woche vom 22. bis 28. Juni 1959 Marktentnahmen durchgeführt. Der Rinderdurchschnittspreis des Bundesgebietes, der in der Woche vom 15. bis zum 21. Juni noch 110,5 DM betrug, sank in der folgenden Woche auf 106 DM und in der darauffolgenden Woche auf 103,7 DM. Aus diesem Grunde wurde veranlaßt, daß die Rindereinfuhren aus den Ländern Irland, Jugoslawien, Ungarn und Osterreich eingestellt bzw. gekürzt wurden. Entsprechend der im deutsch-dänischen Handelsvertrag vorgesehenen Regelung, daß während der Weideabtriebszeit eine Einschränkung der dänischen Einfuhren auf 2000 Stück je Woche stattfinden darf, wurde zum 31. Juli 1959 der deutschdänische Regierungsausschuß einberufen, um über eine Einschränkung der Einfuhren, die damals 6200 Stück pro Woche betrugen, zu verhandeln. Es wurde jedoch nicht eine Einschränkung auf 2000 Stück vereinbart, sondern für 2 Wochen, nämlich für die beiden ersten Augustwochen, eine Verminderung der Einfuhren auf 4500 Stück. Als sich wegen der inzwischen erfolgten Regenfälle die Auftriebe auf den deutschen Märkten verminderten, stellte die Einfuhr- und Vorratsstelle ihre Marktentnahmen ein, und die Wochenlieferungen der Dänen wurden von der dritten Augustwoche an wiederum auf 6200 Stück erhöht.
Als die Rinderauftriebe auf den Großmärkten in der zweiten Septemberwoche stark anstiegen, wurden die dänischen Lieferungen für die dritte Septemberwoche auf 4500 Stück und für die Zeit vom 21. September bis 15. November 1959 auf 2000 Stück wöchentlich beschränkt.
In der Zeit vom 1. Juni 1959 bis 1. Oktober 1959 sanken die Preise für Rinder von 112,6 DM je 50 kg auf 99 DM je 50 kg; sie sind in der Folgezeit weiter und bis heute auf 97,8 DM abgesunken. Es muß daher festgestellt werden, daß eine Erhöhung der Fleischpreise durch die Verminderung der dänischen Einfuhren nicht eingetreten sein kann.
Herr Minister, hat Ihr Haus auch Einfluß auf die Einfuhr von Schweinefleisch genommen?
Darauf darf ich folgendes antworten. Während die Einfuhren aus Dänemark während der Weideabtriebszeit auf 2000 Stück Rinder je Woche reduziert wurden, wurde die Einfuhr von Schweinen und Schweinefleisch seit Ende August von 15 000 Stück je Woche auf 19 000 Stück und ab Ende Oktober auf 24 000 Stück erhöht. Diese Einfuhrmenge läßt sich gegebenenfalls noch erhöhen.
Ich komme zur Frage des Abgeordneten Jahn ({0}) betreffend überplanmäßige Ausgaben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten für Prozeßkosten:
Welche Rechtsstreitigkeiten haben einen Mehrbedarf von 34 266,88 DM erforderlich gemacht ({1})?
Um welche Fragen und mit welchem Ergebnis wurde der Rechtsstreit geführt?
Wie setzen sich die Kosten im einzelnen zusammen?
Ich darf darauf folgendes antworten. Der Mehrbedarf über die im. Haushalt 1958 vorgesehenen 20 000 DM, von denen zunächst für mehrere kleinere Prozesse rund 7000 DM in Anspruch genommen waren, ist durch zwei umfangreiche Prozesse entstanden.
In dem Zivilprozeß mit einer Samenvertriebsfirma hatte diese auf Schadensersatz geklagt aus einem Rechtsverhältnis, das 1948 zwischen ihrer Rechtsvorgängerin und der damaligen Außenhandelsstelle für Saatgut des Vereinigten Wirtschaftsgebietes begründet warden war und die Einfuhr von Gemüsesaatgut zum Gegenstand hatte. Sie ist in drei Instanzen unterlegen. Da die Firma inzwischen in Liquidation gegangen ist, mußte das Bundesministerium die eigenen Anwaltskosten der Revisionsinstanz in Höhe von rund 14 700 DM vorerst verauslagen. Das Einziehungsverfahren läuft.
Im zweiten Falle handelt .es sich um einen Musterprozeß, den ein Gruppenverteiler für Zucker vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig gemacht hatte. Mit der Klage wurde wegen einer grundlegenden Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eine Erhöhung der Gruppenverteilerspanne für die Zeit vom 1. 10. 1951 his 30. 9. 1953, dem Zeitpunkt der Aufhebung des Gruppenverteilersystems, verlangt. Auf Vorschlag des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Vergleich abgeschlossen worden, in dem der Klageanspruch auf etwa die Hälfte ,ermäßigt worden ist und die Kosten des Rechtsstreites gegeneinander aufgehoben worden sind. Als Anwaltskosten mußten vom Bundesministerium bei einem Streitwert von 1,5 Millionen DM und einem Vergleichswert von 9,8 Millionen DM im Rechnungsjahr 1958 rund 32 400 DM aufgewendet werden.
Ich komme zur Frage des Abgeordneten Memmel betreffend Bundesmittel für die bayerischen Winzergenossenschaften :
Ich frage die Bundesregierung, welche Mittel - aufgegliedert nach verlorenen Zuschüssen und zinsverbilligten Darlehen - bisher den bayerischen Winzergenossenschaften vom Bund zugeflossen sind.
Ich darf dem Herrn Abgeordneten Memmel darauf folgendes antworten. Für die Förderung von Winzergenossenschaften sind dem Land Bayern bisher insgesamt 124 000 DM aus Mitteln des Grünen Planes 1958 als Zuschüsse zugeflossen.
Bayerische Winzergenossenschaften konnten unter dem Gesichtspunkt „Gemeinschaftseinrichtungen" bis zum 30. 6. 1959 auch an der Zinsverbilligung für Darlehen zur Förderung vordringlicher agrar- und ernährungswirtschaftlicher Maßnahmen teilhaben. Wegen der Frage, in welchem Umfange diese Möglichkeit speziell von bayerischen Winzergenossenschaften in Anspruch genommen wurde, habe ich mich an das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gewandt und werde mir erlauben, dessen Antwort dem Herrn Abgeordneten Memmel schriftlich zu übermitteln. Von der seit Anfang dieses Jahres bis vor kurzem gegebenen Möglichkeit, zinsgünstige ERP-Baukredite aufzunehmen, haben die bayerischen Winzergenossenschaften keinen Gebrauch gemacht.
Eine Zusatzfrage?
Gestatten Sie, Herr Bundesminister, eine Zusatzfrage! Haben Sie eine Möglichkeit der Kontrolle darüber, daß die gewährten und noch zu gewährenden Zuschüsse und Zinsverbilligungen tatsächlich zum Ausbau von Genossenschaftskellereien - so lautet der Titel, glaube ich -und nicht etwa zum Aufbau von mittelstandsschädigenden Absatzorganisationen verwendet werden?
Hierfür bestehen natürlich genaue Richtlinien. Wir überwachen die Einhaltung dieser Richtlinien und sorgen dafür, daß die Beträge die entsprechende Verwendung finden.
({0})
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zur Frage des Abgeordneten Meyer ({0}), betreffend deutsch-österreichisches Sozialabkommen:
Ist dem Herrn Bundesarbeitsminister bekannt, daß rund 20 000 Rentner, die unter die deutsch-ôsterreichischen Sozialabkommen fallen, wegen des Währungsgefälles Schilling/ Deutsche Mark sehr niedrige Renten erhalten?
Kann gesagt werden, wann die neuen, seit längerer Zeit angekündigten Verhandlungen über eine Neufassung und Verbesserung dieser Abkommen zum Abschluß gebracht werden?
Ich gebe das Wort dem Herrn Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf auf die gestellte Frage wie folgt antworten: Die Tatsache ist ebenso bekannt wie die Ursache. Die österreichischen Renten sind zwar neuerdings erheblich erhöht und vergleichsweise den deutschen Renten angenähert worden. Außerdem wird nach österreichischem Recht eine dreizehnte Rente gewährt. Trotzdem bleiben aber Unterschiede. Es ist nach unserer Meinung nicht Aufgabe der Rentenversicherung, ein Währungsgefälle, sei es nach oben oder nach unten, auszugleichen.
Zum zweiten Teil der Anfrage darf ich sagen: Die deutsch-österreichischen Verhandlungen zur Revision der beiden bestehenden Abkommen haben im Juli 1958 begonnen. Wir werden sie voraussichtlich im Frühjahr nächsten Jahres fortsetzen und nach Möglichkeit auch beenden. Sie haben den Zweck, die Abkommen der Rechtsentwicklung auf dem Gebiete der Sozialversicherung in beiden Staaten anzupassen und dadurch auch einzelne vorhandene Härten auszugleichen.
Eine Zusatzfrage?
Sieht das Ministerium einen Weg, wenigstens die Rentner, die als deutsche Staatsangehörige im „Dritten Reich" vorübergehend in Österreich tätig waren und deren Beiträge beispielsweise an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nach Berlin gegangen sind, aus diesem Abkommen auszuklammern, da hier nach meiner Kenntnis der Dinge die größten Schwierigkeiten liegen?
Herr Abgeordneter, ich kann diese Frage im Augenblick nicht beantworten. Darf ich darum bitten, mir zu gestatten, daß ich Ihnen einen schriftlichen Bescheid gebe. Die Frage ist außerordentlich kompliziert und läßt sich in einer kurzen Wechselrede wahrscheinlich gar nicht beantworten. Ich habe hier ein umfassendes Material, das ich Ihnen sehr gerne zur Verfügung stelle.
({0})
Wir kommen nun zur Frage des Abgeordneten Matthes betreffend die Aufteilung des Arbeitsamts Bassum:
Ist dem Herrn Bundesarbeitsminister bekannt, daß die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung plant, im Wege der Neuabgrenzung der Arbeitsamtsbezirke das Arbeitsamt Bassum aufzuteilen und Teile dieses Arbeitsamtes einem neu zu errichtenden Landesarbeitsamt in Bremen anzugliedern, und billigt der Herr Bundesarbeitsminister die bei einer evtl. geplanten Neuabgrenzung der Arbeitsamtsbezirke vorgesehene Einbeziehung rein ländlicher Arbeits- und Wirtschaftsbezirke in Großstadtbezirke?
Die beabsichtigte Neuabgrenzung des Arbeitsamtsbezirks Bassum war dem Bundesarbeitsminister bis zu dem Augenblick nicht bekannt, an dem Ihre Frage gestellt wurde, weil dafür ausschließlich der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zuständig ist.
Der Herr Präsident der Bundesanstalt hat mir auf meine Frage mitgeteilt, daß der Verwaltungsrat den Auftrag erteilt habe, eine Neuabgrenzung der Arbeitsamtsbezirke vorzuschlagen. Der Nebenstellenbezirk Kirchweyhe des Arbeitsamts Bassum soll aus wirtschaftlichen Gründen und im Interesse einer Verwaltungsvereinfachung dem Arbeitsamtsbezirk Bremen angegliedert werden.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung kann auf die Entscheidung der SelbstverwaltungsStaatssekretär Dr. Clausen
organe nur dann einen Einfluß nehmen, wenn Gesetz oder Satzung verletzt worden sind, was in diesem Falle nicht zutrifft.
Die Frage des Abgeordneten Dr. Kohut betreffend Personalbestand der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wird im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage des Abgeordneten Bauer ({0}) betreffend die Abwerbung von Arbeitskräften:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um den immer mehr um sich greifenden und sogar auf Lehrlinge sich erstreckenden unstatthaften Abwerbemethoden auf dem Arbeitsmarkt zu begegnen?
Hält sie die internen kartellähnlichen Absprachen gewisser Arbeitgeberverbände zur Steuerung dieser Mißstände für Rechtens, und wie gedenkt sie ggf. einer Verletzung des Grundrechts der freien Arbeitsplatzwahl nach Artikel 12 Abs. 1 GG entgegenzutreten?
Herr Abgeordneter, ich darf Ihnen wie folgt antworten. Nach Presseberichten sind Arbeitgeber wegen des Mangels an Arbeitskräften vereinzelt dazu übergegangen, in Rundschreiben und Aufrufen ihren Belegschaftsangehörigen Geldprämien anzubieten, wenn sie für den Zuzug von neuen Arbeitskräften in die betreffenden Betriebe gesorgt haben.
Die Bundesanstalt ist von mir auf diesen Tatbestand aufmerksam gemacht und veranlaßt worden, zu prüfen, was sich dagegen tun läßt, insbesondere auch hinsichtlich einer strafrechtlichen Verfolgung.
Kartellähnliche Absprachen von Arbeitgeberverbänden zur Unterbindung von Abwerbungen sind uns nicht bekanntgeworden. Wir werden uns darum bemühen, festzustellen, ob solche Absprachen getroffen wurden und welchen Inhalt sie haben. Erst dann wird zu erkennen sein, ob eine Verletzung des Artikels 12 des Grundgesetzes vorliegt oder nicht.
Darf ich folgende Zusatzfrage stellen: Ist in die Erwägungen des Arbeitsministeriums die Frage einbezogen worden, inwieweit man mit den Bestimmungen des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und des Gesetzes gegen den unlauteren Wett-bewarb eventuell eingreifen kann, und ist überlegt worden, ob Maßnahmen im Sinne einer Veröffentlichung oder Anprangerung angebracht sind, wie sie in ähnlicher Form bei notorischen Steuersündern ergriffen werden? Ist eventuell auch daran gedacht, eine großzügige Aufklärungskampagne durchzuführen, um diesen Mißständen zu steuern?
Herr Abgeordneter, welche Maßnahmen erforderlich sind, werden wir erst feststellen können, wenn feststeht, welche Übertretungen gegenenfalls bei den Arbeitgebern vorgekommen sind. Bis jetzt sind bei uns lediglich Pressemitteilungen über solche Mißstände bekannt. Daß wir und insbesondere auch die Bundesanstalt selbst selbstverständlich alles tun werden, um ihr
Monopol der Arbeitsvermittlung uneingeschränkt aufrechtzuerhalten, ist sicher.
Eine weitere Zusatzfrage!
Welchen Zeitraum setzen Sie ungefähr an, bis Sie zu einem Ergebnis in der Überlegung kommen, welche Maßnahmen statthaft sind, da es besonders geboten wäre, diesen Mißständen eilig zu steuern?
Sechs Wochen!
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Ich komme zur Frage des Abgeordneten Lohmar über den Herausgeberkreis der Zeitschrift „Wehrkunde":
Hält die Bundesregierung es für zweckmäßig, daß Generalleutnant Kammhuber und Vizeadmiral Ruge angesichts des Inhalts mancher Beiträge in der Zeitschrift „Wehrkunde" ({0}) weiterhin zum Herausgeberkreis dieser Zeitschrift gehören?
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Verteidigung das Wort.
Ich beantworte die Frage des Kollegen Lohmar folgendermaßen: Die in der „Wehrkunde" erscheinenden Beiträge geben grundsätzlich die Auffassung des Verfassers wieder und brauchen nicht mit der Ansicht der Herausgeber der Zeitschrift übereinzustimmen. Solche Beiträge werden abgedruckt, weil sie zur Diskussion anregen und damit zur Klärung des behandelten Themas beitragen.
Im Impressum der Zeitschrift ist daher ausdrücklich folgender Vermerk aufgenommen: „Gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Auffassung der Herausgeber oder der Schriftleitung wieder".
Die Bundesregierung hat aus diesen Gründen keine Bedenken, daß Generalleutnant Kammhuber und Vizeadmiral Ruge auch weiterhin zum Herausgeberkreis der Zeitschrift „Wehrkunde" gehören.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Lohmar!
Herr Bundesminister, sehen Sie eine Möglichkeit, in Fällen wie bei dem von mir erwähnten Aufsatz des Herrn von Schramm dennoch die Unterschiede zwischen den Auffassungen der Bundeswehrführung und den in solchen Artikeln vertretenen Ansichten deutlicher hervortreten zu lassen, als das bisher üblich war?
Die Ansicht des Ministeriums zu der Frage „Bundeswehr und Tradition" drückt ein Erlaß aus, der mir zur Zeit in zweiter Fassung zur Unterschrift vorliegt. Der Verteidigungsausschuß wird demnächst Gelegenheit haben, sich mit diesem Erlaß zu befassen.
Erledigt.
Ich komme zur Frage des Abgeordneten Schultz betreffend Behandlung von Anträgen auf Entschädigung nach dem Unterhaltssicherungsgesetz für eine abgeleistete Wehrübung:
Ist dem Herrn Bundesverteidigungsminister bekannt, daß der Antrag auf Entschädigung nach dem Unterhaltssicherungsgesetz für eine abgeleistete Wehrübung eines freiberuflich tätigen, wehrfreudigen Reservisten sämtliche Landesinstanzen durchläuft, um schließlich nach einem halben Jahr an den Herrn Bundesinnenminister abgegeben zu werden, damit er die „rechtliche Besonderheit" prüfe?
Sieht der Herr Bundesverteidigungsminister eine Möglichkeit, außerhalb seines Hauses auf eine beschleunigte Bescheidung solcher Anträge hinzuwirken, damit eine allzugroße Diskrepanz zwischen seiner Zusage vor der Wehrübung und Leistung nach derselben vermieden wird?
Auf die Frage des Kollegen Schultz darf ich folgende Antwort geben: Das Unterhaltssicherungsgesetz wird in der vom Bundesgesetzgeber beschlossenen Form von den Ländern durchgeführt. Die Länder haben ihrerseits die Verwaltungen der Landkreise und der kreisfreien Städte mit der Durchführung beauftragt. Die Dienststellen für die Unterhaltssicherung entscheiden über die Anträge und leisten auch die Zahlungen. Lediglich in den wenigen Fällen, in denen die Gewährung nur der Regelleistungen für den Antragsteller eine besondere Härte bedeuten würde und die obersten Landesbehörden deshalb zusätzlich einen Härteausgleich zu gewähren beabsichtigen, bedürfen sie hierzu nach dem Gesetz des Einvernehmens des Bundesministers des Innern und des Bundesministers für Verteidigung. Die bisher von den obersten Landesbehörden vorgeschlagenen Bewilligungen im Wege des Härteausgleichs habe ich in jedem Einzelfall gemeinsam mit dem Bundesminister des Innern kurzfristig entschieden.
Da die Durchführung des Gesetzes den Ländern und den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften übertragen ist, hat der Bundesminister für Verteidigung keinen Einfluß auf die Bearbeitung der einzelnen Anträge. Er hat jedoch die Länder schon vor einiger Zeit gebeten, um eine schnelle Abwicklung und Entscheidung der Anträge auf Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz besorgt zu sein. Klagen über zu langsame Bearbeitung sind ihm in letzter Zeit im Einzelfalle nicht mehr bekanntgeworden. Der Bundesminister für Verteidigung macht auch bei dieser Gelegenheit kein Hehl daraus, daß die von den Ländern getroffene Regelung, wonach die Durchführung der Unterhaltssicherung durch die Fürsorgeämter, Wohlfahrtsämter und Sozialämter erfolgt, nicht seine Billigung findet.
Die Frage ist damit erledigt.
Wir kommen zur Frage des Herrn Abgeordneten Bauer ({0}) betreffend Dienstwaffen für Sanitätsoffiziere der Bundeswehr:
Ist es üblich, daß Sanitätsoffiziere der Bundeswehr in Normalzeiten mit Dienstwaffen ausgestattet werden und daß sie diese auch außerhalb des Dienstbereichs bei sich führen können? Wodurch ist diese Praxis ggf. veranlaßt?
Erfolgt eine Unterweisung hinsichtlich der Voraussetzung des Waffengebrauchs?
Ich beantworte die Frage des Herrn Kollegen Bauer wie folgt.
Dienstliche Schußwaffen werden an Offiziere nur zu dienstlichen Zwecken ausgegeben; außerhalb des normalen Dienstes führen Offiziere nur bei besonderen Anlässen, z. B. bei Kurierfahrten, dienstliche Schußwaffen mit sich. Das gleiche gilt auch für Sanitätsoffiziere, bei denen allerdings die Führung von Dienstwaffen außerhalb des normalen Dienstes in der Regel nicht in Frage kommt.
Damit ist nicht ausgeschlossen, daß ein Soldat - somit auch ein Sanitätsoffizier - nach den für alle Staatsbürger geltenden Bestimmungen eine eigene Waffe erwerben und führen darf. Für die Bundeswehr gilt der Erlaß im Ministerialblatt des Bundesministers für Verteidigung 1957, Seite 602, wonach das Führen einer privaten Schußwaffe nur gestattet wird, wenn es aus dienstlichen Gründen geboten ist. Die genehmigenden Bundeswehrdienststellen sind nach diesem Erlaß gehalten, bei der Genehmigung einen strengen Maßstab anzulegen.
Im Rahmen des militärischen Unterrichts findet auch eine Unterrichtung aller Soldaten einschließlich der Sanitätstruppe über Waffengebrauch statt. Ich habe darüber hinaus angeordnet, daß künftig bei Aushändigung des Waffenerwerbscheines eine schriftliche Belehrung über den Waffengebrauch dem Erwerbschein beigefügt wird.
Eine Zusatzfrage? Bauer ({0}) ({1}): Ja!
Ist Ihnen bekannt, Herr Bundesverteidigungsminister, daß ein Genfer Abkommen aus dem Jahre 1949 existiert, demzufolge das Tragen von Waffen für Sanitätspersonal nicht statthaft ist, und halten Sie es für unbedingt geboten, daß in Friedenszeiten ohne Not Sanitätsoffiziere mit Waffen ausgestattet werden?
Ich werde diese Angelegenheit gebührend prüfen.
Die Frage ist damit erledigt.
Wir kommen zur Frage des Herrn Abgeordneten Wittrock betreffend den Erlaß einer Rechtsverordnung auf Grund des § 5 Abs. 5 des Arbeitsplatzschutzgesetzes:
Wann wird die Bundesregierung die nach § 5 Abs. 5 des Arbeitsplatzschutzgesetzes vom 30. März 1957 ({0}) vorgesehene Rechtsverordnung erlassen, welche die Erstattung von Beiträgen zur zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung der zum Wehrdienst einberufenen Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes regelt?
Ich beantworte die Frage des Herrn Kollegen Wittrock folgendermaßen.
In der genannten Verordnung muß nicht nur das Verfahren zur Erstattung von Beiträgen für ArbeitBundesverteidigungsminister Strauß
nehmer im öffentlichen Dienst, sondern auch die Erstattung von Beiträgen zur betrieblichen und überbetrieblichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung der Arbeitnehmer der privaten Wirtschaft geregelt werden. Zwischen beiden Teilen besteht ein untrennbarer Zusammenhang.
Der Teil der Verordnung, der die Verhältnisse der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst zu regeln hat, wirft keine besonderen Probleme auf.
Dagegen verursacht die Frage, welche Arten von Versorgungseinrichtungen aus dem Bereich der privaten Wirtschaft zu berücksichtigen sind, erhebliche Schwierigkeiten, da es sich um eine Vielzahl von Versorgungseinrichtungen handelt, die in ihren Formen, der Aufbringung der Mittel und der Art der Versorgungszusagen sehr unterschiedlich gestaltet sind. Eine vollständige Übersicht über die bestehenden Versorgungseinrichtungen der privaten Wirtschaft fehlt. Deshalb müssen auch Stellen außerhalb der Bundesverwaltung, unter anderem die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e. V. in Heidelberg und andere interessierte Verbände und Einrichtungen, gehört werden. Dieses Verfahren wird noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Ich hoffe jedoch, daß der Entwurf der Verordnung in etwa drei Monaten dem Kabinett zur Beschlußfassung vorgelegt werden kann.
Eine Zusatzfrage?
Herr Minister, ist bei Ihren Überlegungen berücksichtigt, daß bereits im Haushaltsplan für das Jahr 1957 in Kap. 14 23 Tit. 114 480 000 DM für den den Gegenstand der Frage bildenden Zweck eingesetzt worden sind, weiterhin im Jahre 1958 1 150 000 DM und im Jahre 1959 2 1/4 Millionen DM? Stimmen Sie der Auffassung zu, daß gerade im Hirnblick auf diese schon seit Jahren bestehenden Etatansätze der Erlaß dieser Rechtsverordnung längst überfällig ist?
Die Tatsache der Ausbringung dieser Mittel in Haushaltsplänen ist den bearbeitenden Stellen sicherlich bekannt. Mit der Ausbringung der Mittel in den Haushaltsplänen allein aber sind die Schwierigkeiten für die Erarbeitung der Verordnung nicht beseitigt.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich komme zur Frage des Abgeordneten Benda betreffend Zulassung sogenannter geheimer Telefonnummern durch die Landespostdirektion Berlin.
Billigt der Herr Bundespostminister die kürzlich mitgeteilte Absicht der Landespostdirektion Berlin, in ihrem Bereich keine sog. geheimen Telefonnummern mehr zuzulassen, die bisher in das amtliche Telefonbuch nicht aufgenommen wurden?
Falls ja: weshalb wird bloße Zweckmäßigkeit höher eingeschätzt als das in vielen Fällen berechtigte Interesse eines Fernsprechteilnehmers, vor unerwünschten Anrufen geschützt zu werden?
Ist vor Einführung der auch für den Bereich der Landespostdirektion Berlin geplanten Maßnahme hinreichend geprüft worden, ob nicht bei einigen Fernsprechteilnehmern eine besondere politische Gefährdung für ihren Wunsch maßgebend war, daß ihre Telefonnummer nicht allgemein bekanntgemacht wird?
Das Wort hat der Bundesminister für Post- und Fernmeldewesen.
Herr Kollege Benda, ich habe nicht die Absicht, im Bereich der Landespostdirektion Berlin die Zuteilung sogenannter Geheimnummern und die Nichteintragung in das amtliche Fernsprechbuch zu unterbinden, besonders wenn Gründe vorliegen, wie Sie sie in Ihrer Frage angeführt haben. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß nach wie vor meine Verfügung über Nichteintragung dieser Fernsprechnummern gilt.
Kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß die Meldung in der Berliner Presse über angeblich von der Landespostdirektion Berlin beabsichtigte Maßnahmen nicht zutreffend ist?
Mir ist die Pressemeldung nicht bekannt. Wenn sie irgendwo erschienen ist, muß ich erwidern, daß sie nicht zutreffend ist.
Danke sehr.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich komme zur Frage des Abgeordneten Wehr betreffend Mieterhöhungen in Bremen durch die Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft München.
Hält es der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes für sozial gerechtfertigt, daß die Mieter der Einfamilienhäuser der bundeseigenen ,,WIFO" ({0}) in Bremen-Nord ab 1. Januar 1959 eine Mieterhöhung von 78,5 v. H. hinnehmen müssen, durch die die bisherige Monatsmiete von 68 DM auf 121,44 DM erhöht worden ist?
Ist dem Herrn Bundesminister bekannt, daß diese Mieter wegen der Wohnungsnot Untermieter aufnehmen mußten, die für diese Einliegerwohnungen eine Miete von 27,05 DM zugebilligt bekamen, und nun lt. Gerichtsbeschluß Mietpreiserhöhungen nicht anteilig umlegen dürfen, obwohl die bundeseigene WIFO für diese Wohnungen, die sie selbst vermietet, 40 bis 43 DM monatlich einzieht?
Was gedenkt der Herr Bundesminister zu tun, um in diesem
Falle eine erträgliche und gerechte Lösung zu erreichen?
Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anfrage des Abgeordneten Wehr beantworte ich wie folgt:
Die von der Wifo beanspruchte Miete von 121,44 DM für Einfamilienhäuser entspricht - ohne Berücksichtigung des Gartens - einem Quadratmeterpreis von 1,27 DM. Dieser Preis ist unter Berücksichtigung der Zuschläge nach dem Bundesmietengesetz auf Grund eines bereits am 10. Februar 1949 erlassenen und in einem Musterprozeß durch Bundesgerichtshofurteil vom 26. September 1958 bestätigten Bescheides der zuständigen Preisbehörde festgesetzt. Ein Teil der Mieter hat sich bereits in früheren Jahren auf Grund dieses Mietfestsetzungsbescheides mit der Wifo über die Neufestsetzung der Miete geeinigt. Diese Miete ist angesichts der Größe und
Ausstattung der Einfamilienhäuser auch bei Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte angemessen.
Zu dem in der Anfrage erwähnten Gerichtsbeschluß zur Frage einer Anpassung der Untermieten an die nunmehr von der Wifo erhobenen Mieten vermag ich nicht Stellung zu nehmen, da dieser Gerichtsbeschluß auch der Wifo nicht bekannt ist.
Bei der gegebenen Sachlage habe ich keine Handhabe, auf die zuständigen Organe der Wifo einzuwirken.
Eine Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage. - Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Damit sind wir mit den Fragen sogar vor der vorgesehenen Zeit fertig geworden. 44 Fragen allerdings, wie in England, hätten wir in dieser Zeit nicht geschafft.
Morgen folgt der zweite Teil der Fragestunde. Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:
a) Nachwahl eines deutschen Mitgliedes des Europäischen Parlaments ({0}) ;
b) Nachwahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Vermittlungsausschusses ({1}).
Es wird keine Begründung und keine Aussprache gewünscht.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 1371, betr. Nachwahl eines deutschen Mitgliedes des Europäischen Parlaments. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich stelle einmütige Annahme fest.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Drucksache 1372 betr. Nachwahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Vermittlungsausschusses. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig beschlossen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
a) Dritte Beratung des von der Bundesregierung
renngebrachten Entwurfs einer Verwaltungsgerichtsordnung ({2}) ({3}),
Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung ({4}),
({5});
b) Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Beschränkung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ({6}),
Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung ({7}),
({8}).
Wir verbinden die allgemeine Aussprache zu a und b; ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kuchtner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat sich am 23. Oktober mit der zweiten Lesung der Verwaltungsgerichtsordnung befaßt. Die Grundzüge dieses Gesetzentwurfs sind Ihnen aus dieser Lesung bekannt. Er hat das Ziel, als grundlegender Baustein unseres Rechtsstaates die Position des Bürgers im Staat gegenüber der öffentlichen Gewalt mit soviel Freiheit wie möglich, aber auch unter Berücksichtigung des Gesamtinteresses, des Allgemeinwohls mit der notwendigen Bindung an das Gemeinwesen zu regeln. Die bisherige Behandlung in diesem Hause hat nichts ergeben, was Veranlassung geben könnte, die Grundlinien des vom Rechtsausschuß erarbeiteten Entwurfs abzuändern.
Gegenüber den Vorwürfen in bezug auf das Verfahren, die von seiten der SPD bei der zweiten Lesung e rh o b en worden sind, darf ich an dieser Stelle nochmals betonen, daß es wirklich das Bestreben aller ,an der Beratung im Rechtsausschuß Beteiligten, und zwar wohlgemerkt einschließlich der Vertreter der SPD, war, in einer nur von der Sache her bestimmten und, wie ich glaube, sorgfältigen Arbeit allen Anregungen nachzugehen, die irgendwie von ernst zu nehmender Seite an uns herangetragen worden sind. Dieses Bestreben hat, wie ich in der Öffentlichkeit und im Gespräch mit Vertretern z. B. der Richterschaft und der Anwaltschaft feststellen konnte, auch Anerkennung gefunden. Ich kann mich aus der letzten Zeit aus Berichten über die Gesetzgebung nur selten der Anerkennung erinnern, die hinsichtlich der Verwaltungsgerichtsordnung von einem berufenen Sachkenner, einem hohen Richter, in der Fachliteratur zum Ausdruck gebracht wurde, indem von weitsichtigen Beschlüssen des Rechtsausschusses gesprochen wurde, deren Aufrechterhaltung im Interesse der Allgemeinheit dringend zu erhoffen sei.
Der CDU/CSU-Fraktion liegt daran, die noch offenen Streitpunkte in einem Sinne geklärt zu wissen, der diesen Vorstellungen gerecht wird. Vorzüglich geht es dabei um die Besetzung der Senate der Oberverwaltungsgerichte, um das Erfordernis einer Verwaltungspraxis für Verwaltungsrichter, um die Einführung des von seiten der Gerichte dringend geforderten Anwaltszwanges beim Oberverwaltungsgericht und um die Beschränkung der Berufung.
Zunächst zur Frage der Verwaltungspraxis der Verwaltungsrichter, § 15 Abs. 3 und 5 des Entwurfs. Darüber ist in der zweiten Lesung so ausführlich gesprochen worden, daß ich glaube, die Gründe für und wider hier nicht nochamls wiederholen zu müssen. Nur eines möchte ich in diesem Zusammenhang richtigstellen, daß niemand, der von den Richtern einzelner Gerichtszweige mit Rücksicht auf die ihnen anvertrauten besonderen und verschiedenartigen Aufgaben zusätzliche Berufskenntnisse verFrau Dr. Kuchtner
langt, befugt pst, den Richtern anderer Gerichtszweige ihren angeblich individualistischen, dem Gemeinwesen nicht gebührend Rechnung tragenden Standort vorzuwerfen.
Zur Frage der Besetzung der Senate des Oberverwaltungsgerichts darf ich ebenfalls weitgehend auf die Ausführungen in der zweiten Lesung Bezug nehmen. Die Zuziehung von Laienrichtern empfiehlt sich überall dort, wo vorwiegend Tatsachen- und Ermessensfragen zu entscheiden sind. Infolgedessen ist auch im ersten Rechtszug des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, also beim Verwaltungsgericht, die Zuziehung von Laienbeisitzern ausdrücklich vorgesehen. Das Oberverwaltungsgericht aber ist - und das bitte ich doch zu bedenken - erst dann zur Entscheidung berufen, wenn sich mit der Angelegenheit zwei Verwaltungsinstanzen und wie gesagt auch die mit Laienrichtern besetzte erstrichterliche Instanz befaßt haben. Hinzu kommt, daß im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Offizialmaxime herrscht, die nach der tatbestandlichen Seite den Parteien im Gegensatz zu einem Zivilrechtsstreit keine oder keine so weitgehende Dispositionsbefugnis einräumt. Auch innere Tatbestände, d. h. die Beurteilung der Persönlichkeit und der inneren Einstellung des vor Gericht Stehenden, spielen im Verwaltungsprozeß in keiner Weise die Rolle wie in anderen Zweigen der Gerichtsbarkeit, etwa im Strafprozeß, bei dem mit guten Gründen zur Vorbeugung gegen schematisierende Gerichtsurteile Laienbeisitzer tätig sind. Auch das Arbeitsgerichtsverfahren kann hier kein Vorbild sein, weil dort die Kenntnis der Parteien und des unmittelbaren tatbestandlichen Geschehens stark im Mittelpunkt stehen. Es bleibt dabei, daß die Tätigkeit der Verwaltungsgerichte, insbesondere der zweiten Instanz, reine Anwendung und Rechtsfindung oft schwierigen Grades ist und daß die tatbestandlichen Momente von Anbeginn feststehen. Hier Laienbeisitzer einschalten heißt diese überfordern und zum Vorspann juristischer Thesenstreitigkeiten machen.
Ich bitte doch zu bedenken, daß alle von uns gehörten Sachverständigen - Wissenschaftler und Praktiker, darunter der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts - eindeutig davon abgeraten haben, beim Oberverwaltungsgericht Laienbeisitzer beizuziehen.
({0})
Ich bin der Meinung, daß durch die Besetzung der Oberverwaltungsgerichte mit fünf Richtern die von allen Seiten so sehr erstrebte Beschleunigung der Verfahren erreicht wird.
Aus dem gleichen Grunde, weil es sich häufig um höchst schwierige Rechtsfragen handelt, die vor den Oberverwaltungsgerichten anstehen, hat sich der Rechtsausschuß in Übereinstimmung mit dem Bundesrat und gleichfalls in Übereinstimmung mit den Sachverständigen zur Einführung des Anwaltszwanges vor dem Oberverwaltungsgericht entschieden. Der Verwaltungsrichter braucht den Anwalt als fachmännische Ergänzung, wenn dem Rechtsuchenden Genüge geschehen soll. Der Anwaltszwang besteht nicht zugunsten der Anwälte - das möchte ich ausdrücklich betonen -, sondern liegt im Interesse der Parteien. Darüber hinaus stellt der Anwaltszwang eine weit bessere, weil organische Einschränkung der Zahl der Prozesse dar als jede Rechtsmittelbeschränkung, die sehr viel schwerwiegender wirkt. Mit Rücksicht auf dieses Ziel soll auch verhindert werden, daß Sondervertreter für irgendwelche Spezialgebiete vor dem Oberverwaltungsgericht auftreten. Was wir erreichen wollen, ist, daß dem Gericht gegenüber der Partei Vertreter zur Seite stehen, die nicht nur in Spezialfragen, sondern auch im Verfahrensrecht zu Hause sind.
Zum Schluß noch ein Wort zur Rechtsmittelbeschränkunq. Hier ist sogar der Einwand der Verfassungswidrigkeit erhoben worden. Daß er nicht berechtigt ist, ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach das rechtsstaatliche Prinzip auch dann gewahrt ist, wenn nur eine Instanz zur Verfügung steht. Faktisch ist es doch in vielen Fällen völlig gleichgültig, ob jemand gar kein Rechtsmittel zur Verfügung hat, weil infolge der Überlastung der Gerichte die Durchführung eines Prozesses unabsehbare Zeit in Anspruch nimmt und man 2 bis 5 Jahre auf Entscheidung warten muß. Eine Beschränkung der Rechtsmittel aus prozeßhygienischen Gründen muß, so bedauerlich dies ist, in Kauf genommen werden, wenn nicht die ganze Gerichtsbarkeit an Wert verlieren soll.
Im übrigen möchte ich an dieser Stelle wirklich einmal das aussprechen, was man überall im Volke empfindet und was Sie bei jeder Aussprache mit Richtern und Verwaltungsstellen hören können, daß nämlich die nun seit Jahren pausenlos andauernde Hochflut von Gesetzen und unser deutsches Streben nach totaler Regelung im Bundesgesetzblatt mit eine der Hauptursachen für die bedrohliche Überlastung der Gerichte und der Verwaltung ist. Wir sollten hier wirklich einmal scheiden zwischen Wichtigem und Unwichtigem, zwischen dem, was der Tag erfordert und wieder entbehrlich macht, und dem. was ein dauerndes Anliegen unseres rechtlichen Zusammenlebens ist.
Ein solches auf lange Zeit angelegtes und erforderliches grundlegendes Gesetz ist die Verwaltungsgerichtsordnung. Ich darf Sie bitten, ihr in der vorliegenden Fassung zuzustimmen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsdent! Meine Damen und Herren! Die Verwaltungsgerichtsordnung ist der erste Versuch einer bundesgesetzlichen Regelung des gesamten Rechts des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und der Verfassung der Verwaltungsgerichte. Wenn ich auch mit der verehrten Kollegin Frau Kuchtner durchaus einig darüber bin, daß der sehr überlastete Rechtsausschuß sich mit großem Ernst und vollständiger Sachlichkeit in langen Beratungen bemüht hat, dieser schwierigen Aufgabe gerecht zu werden, so zwingt mich das noch nicht zu dem Anerkenntnis, diese Verwaltungsgerichtsordnung sei schon so ausgereift, daß wir sie
als ein Modellgesetz für künftige Verfahrensordnungen ansehen dürften.
({0})
Die Kollegin Frau Kuchtner irrt sich auch darin, daß ich anwesend gewesen sei, als der Vorsitzende, Herr Kollege Hoogen, einmal in einem sehr frühen Zeitpunkt die protokollarisch festgehaltene Bemerkung machte, es sei nach seiner Auffassung im Ausschuß Einigkeit darüber, daß nur eine Lesung stattfinden sollte. Die Ausschußmitglieder werden sich erinnern, wie ich jedenfalls zu späteren Zeitpunkten wiederholt beklagt habe, daß nur eine Lesung stattfinde. Der Herr Vorsitzende hat seine Bemerkung zu einem Zeitpunkt gemacht, als noch nicht einmal die Sachverständigen gehört waren, also noch nicht absehbar war, welche Fragen sich als schwierig erweisen könnten.
Weil es aus einer Reihe zwingender sachlicher Gründe nicht möglich war und nicht möglich ist, die Verwaltungsgerichtsordnung bereits als ein so ausgereiftes Gesetz anzusehen, daß sie für die Zukunft als Modell dienen könnte - darin liegt gar kein Vorwurf gegen irgendeinen von uns -, haben wir bewußt in der Verwaltungsgerichtsordnung eine Anzahl von Fragen offengelassen oder haben der Rechtsentwicklung und der Rechtsprechung Raum für eine weitere Klärung gegeben.
Ich möchte dabei zu Protokoll des Bundestages einen Punkt festgehalten wissen, der mir besonders wichtig ist. Wir haben im Gesetz bewußt keine abschließende Aufzählung der Klagearten vorgenommen, wie es in der Regierungsvorlage vorgesehen war. Denn wir wollen der Rechtsprechung freie Hand darin geben, ob sie es nicht für notwendig hält, auch vorbeugende Unterlassungsklagen im Verwaltungsrecht dann als statthaft anzusehen, wenn ein Eingriff insbesondere in ein Grundrecht ernstlich und unmittelbar zu befürchten ist. Ich habe die Sorge, daß in der bisherigen Rechtsentwicklung der Begriff des Rechtsverhältnisses von den Verwaltungsgerichten zu eng ausgelegt wird und daß man dabei der Eigenart der im Bonner Grundgesetz verbrieften Grundrechte nicht gerecht wird. Grundrechte bedeuten Dauerrechte, die ständig aktuell sind. Infolgedessen kann sich bei einer gegenwärtigen Gefahr für ein Grundrecht durchaus die Notwendigkeit ergeben, schon vorbeugend eine Unterlassungsklage zu erheben.
In der Öffentlichkeit und im Fachschrifttum ist vielfach erörtert worden, ob sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit in einer Krise befinde. Ich glaube, daß das Wort von der Krise der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht gut und auch sachlich nicht begründet ist. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Grund der Generalklausel, wie sie verfassungsrechtlich durch Art. 19 Abs. 4 GG verbürgt ist, ist ja für unser Rechtsleben neu. Diese Gerichtsbarkeit hat daher vor einer bisher so nicht bekannten Aufgabe gestanden. Es ist deshalb ohne weiteres erklärlich, daß in der Anlaufzeit Schwierigkeiten entstehen konnten und sich Engpässe ergeben haben. Hier stimme ich vollauf mit Frau Kollegin Kuchtner überein, daß manchmal die Langwierigkeit der Verwaltungsstreitverfahren und die Schwierigkeiten, die dabei aufgetreten sind, mehr an einer Mangelhaftigkeit der Gesetze als an der Verwaltungsgerichtsbarkeit selbst liegen. Ein einziges in seiner Auslegung oder in seiner Gültigkeit streitiges neues Gesetz kann Tausende von Verwaltungsstreitverfahren verursachen. Dann liegt die Verantwortung bei dem Gesetzgeber des Bundes oder der Länder, aber nicht bei der Richterschaft, die sich mit einem solchen Gesetz abmühen muß.
Das ist auch nach der Richtung hin von Bedeutang, daß bei einer verhältnismäßig jungen Gerichtsbarkeit dieser Art, die als allgemeine Gerichtsbarkeit erst nach 1945 entstanden ist, die Vorausplanung sehr viel ungewisser ist als etwa bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit, in der man ungefähr schätzen kann, wieviel Zahlungsklagen, wieviel Scheidungsklagen, wieviel Strafsachen zu erwarten sind, während sich hier noch ein starkes Auf und Ab im Anfall der Streitigkeiten aus Gründen ergibt, die nicht von der Gerichtsbarkeit zu vertreten sind.
Allerdings muß ich betonen - und das ist eine gewisse Klage, die hier zu führen ist -, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit sowohl im Bund als auch in den Ländern zu eng und in der personellen Besetzung zu klein geplant worden ist. Wenn ich nicht irrre, steht das Bundesverwaltungsgericht in seiner Personalstärke noch immer hinter dem Preußischen Oberverwaltungsgericht zurück, obgleich dieses nur für den Bereich Preußens zuständig war und nach dem Enumerationsprinzip verfuhr, während das Bundesverwaltungsgericht für den gesamten Bund zuständig ist und auf Grund der Generalklausel tätig werden muß.
Die geringe Richterzahl ist namentlich in den Ländern zu beklagen. Ich möchte an dieser Stelle dem Herrn Bundesminister des Innern die Anregung geben, zu prüfen, ob es sich nicht empfiehlt, für die Verwaltungsgerichtsbarkeit eine ähnliche Einrichtung zu schaffen, wie wir sie bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Gestalt der Justizministerkonferenz haben, an der der Bundesminister der Justiz und die Landesjustizminister teilnehmen. Es wäre doch gut, wenn tauch die Verwaltungsstellen, die für die Verwaltungsgerichtverwaltung zu sorgen haben, in einer ähnlichen Weise in permanenten Konferenzen zusammenkämen, um sich mit den Fragen der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu beschäftigen und dafür zu sorgen, daß die Verwaltungsgerichte nicht zu klein geplant werden.
Ein so sachkundiger Mann wie der Professor Bachof, der selbst noch Verwaltungsrichter ist, hat einmal errechnet, daß eine Vermehrung der Zahl der Verwaltungsrichter, die im Bund immer noch, wenn ich nicht irre, unter 1000 liegt, um nur etwa ein Zehntel des gegenwärtigen Bestandes schon ganz entscheidend dazu beitragen würde, die Langwierigkeit der Prozesse und die Engpässe zu beheben.
Wir haben aber auch ein Mißverhältnis zwischen der gegenwärtigen Größe der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der außerordentlichen Größe der Verwaltung in Bund und Ländern und unseres Rückstandes in der Verwaltungswissenschaft zu bedauDr. Arndt
ern. Auch das möchte ich dem Herrn Bundesminister des Innern nahelegen: daß eine Konferenz der zuständigen Minister des Bundes und der Länder einmal prüft, was in Deutschland geschehen kann und muß, um ein besseres Größenverhältnis zwischen der Verwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit herzustellen und auch zur Entwicklung der Verwaltungswissenschaft beizutragen.
Der Haushaltsausschuß des Bundestages hat sich im vergangenen Jahre nicht in der Lage gesehen - und ich glaube, aus leider zwingenden Gründen nicht in der Lage gesehen -, der Anforderung der Bundesregierung zu entsprechen, den Haushaltstitel zur Unterstützung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer um 40 000 DM zu erhöhen, weil es an einer klaren Konzeption für den Begriff der Verwaltungswissenschaften und für die Förderung der Verwaltungswissenschaften noch fehlte. Das mag nicht allein in der Verantwortung des Bundesministeriums des Innern gelegen haben. Ich habe den Eindruck, daß vielleicht auch bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften oder an anderer Stelle nicht genug geschehen ist, um hier einmal hinreichende Vorstellungen zu entwickeln, damit der Bundestag die erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stellen kann, um solchen Planungen zur Verwirklichung zu verhelfen.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß im vergangenen Jahre André Molitor, ein belgischer Verwaltungsrechtler, im Auftrage der UNESCO einen umfassenden Bericht über die Lage der Verwaltungswissenschaft im internationalen Leben veröffentlicht hat. Wenn man sich diesen Bericht ansieht, muß man leider sehen, daß Deutschland, nach Robert von Mohl und Lorenz von Stein einst in der Verwaltungswissenschaft führend, heute in diesem Bereich zu den vielleicht nicht unterentwickelten, aber doch zu den zurückgebliebenen Ländern gehört. Wir haben da noch viel aufzuholen; denn erst, wenn wir wieder wissenschaftlich eine solche Verwaltungstheorie entwickeln, die das beste Vorbeugungsund Heilmittel gegen die Entwicklung ist, die nach dem Parkinsonschen Gesetz eintreten müßte, daß sich nämlich die Verwaltung angeblich durch Zellteilung unendlich vermehren muß, werden wir auch zu einem organischen Verhältnis zwischen der Größe der Verwaltungsgerichtsbarkeit und dem Umfang der Verwaltung kommen. Dann wird es hoffentlich auch möglich sein, daß der Bundestag in einem künftigen Haushaltsplan einen hinreichenden Betrag zur Förderung der Verwaltungswissenschaft zur Verfügung stellt.
Es ist auch darum zu bitten, daß sich die Länder und der Bund, da wir, soweit ich weiß, außer den Meinberger Hochschulwochen nur noch die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer besitzen, durch Verträge zwischen den Ländern und durch einen Staatsvertrag zwischen den Ländern und dem Bund über Gemeinsamkeiten und gemeinsame Unterstützung, Planung und Förderung dieser Hochschule einigen. Da liegt vieles im argen. Es wird von einer Krise der Verwaltungsgerichtsbarkeit gesprochen. Ich halte diesen Begriff für verfehlt. Das darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß noch manches geschehen kann und geschehen muß, um hier zu besseren Zuständen zu kommen, als wir sie gegenwärtig haben. Es müssen nämlich die sachlichen Voraussetzungen für eine Verwaltungsgerichtsbarkeit geschaffen werden, die ihren schweren Dienst reibungslos tun kann.
Ich habe die Gelegenheit dieser allgemeinen Aussprache ergriffen, um diese ganz bestimmten Wünsche an die Bundesregierung und das Bundesministerium des Innern zu richten, damit nicht später einmal gesagt wird, das sei im Bundestag noch nie zur Sprache gekommen.
In diesem Zusammenhang schließlich noch eins. Ich empfinde die Aufgabe und die Verpflichtung, an dieser Stelle und zu dieser Stunde bei der Verabschiedung der Verwaltungsgerichtsordnung den Verwaltungsrichtern auch ein Wort des Dankes zu sagen. Ich bin der Auffassung, daß die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung nach 1945, wenn man auch sicherlich über manche Entscheidungen oder manche Entwicklungen der Rechtsprechung streiten kann, einen sehr beachtlichen und dankenswerten Beitrag zur Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland geleistet hat.
({1})
Meine Damen und Herren, da wir zu unserem Bedauern aus Gründen, die zu ändern wahrscheinlich gar nicht in unserer Macht liegt, einsehen, daß wir die Verwaltungsgerichtsordnung hier und jetzt nicht als ein Modellgesetz betrachten dürfen, hat meine Fraktion davon abgesehen, ihren Antrag aus der zweiten Lesung zu wiederholen, das Präsidium der Verwaltungsgerichte zu reformieren. Wir vertrauen dabei auf das Wort des Herrn Kollegen Weber aus der zweiten Lesung, daß diese Frage noch nicht abschließend entschieden ist, sondern daß wir sie demnächst bei der Beratung des Richtergesetzes von neuem aufgreifen wollen.
Entschuldigen Sie aber, wenn ich trotzdem noch mit einigen Worten auf die Frage des Präsidiums zurückkomme, und zwar unter zwei ganz bestimmten Gesichtspunkten. Der Herr Kollege Schlee hat sich in der zweiten Lesung gegen eine Wahl der Hälfte der Mitglieder des Präsidiums mit dem Bemerken gewandt, dadurch werde etwas Gerichtsfremdes in die Gerichtsbarkeit hineingetragen und eine solche Wahl sei mit der Kollegialität in der Richterschaft und im Gerichtskörper nicht vereinbar.
Ich will nun nicht den Herrn Kollegen Schlee bloßstellen. Ich bitte mir so etwas nicht anzusinnen. Trotzdem muß ich jedoch erwähnen, daß dem Herrn Kollegen Schlee dabei ein Irrtum unterlaufen ist, ein Fehler, wie er uns allen jederzeit unterlaufen kann. Denn diese Wahlen zum Präsidium finden auf Grund des Gerichtsverfassungsgesetzes in Deutschland seit 84 Jahren statt. Ich habe den Eindruck, daß das in meiner Stegreiferwiderung das vorige Mal nicht zum Ausdruck gekommen ist. Bereits seit 1875 werden beispielsweise bei jedem Landgericht, das mehr als zehn Kammern hat, drei Richter des Richterkörpers durch Richterwahlen in das Präsidium berufen.
Ich erwähne das aus zwei Gründen, einmal, weil es zeigt, wie doch Zufallsentscheidungen im Plenum, sei es in zweiter, sei es in dritter Lesung, erheblichen Bedenken begegnen; denn sie können manchmal von den Damen und Herren des Hohen Hauses auf Grund im Augenblick gegebener durchaus irriger Informationen getroffen werden. Aber ich erwähne es noch aus einem zweiten und sehr viel ernsthafteren Grunde. Daß man 1875 im Deutschen Reichstag kein Bedenken getragen hat, diese demokratische Richterwahl zuzulassen, um das autonome Kollegium des Präsidiums hervorzubringen, daß man sich davor 1875 nicht gescheut hat, während man heute vor einer demokratischen Einrichtung dieser Art zurückschreckt, das scheint mir ein sehr bedenkliches Zeichen zu sein.
({2})
Das wirft die Frage auf - der sich jeder in diesem Hause ernsthaft stellen muß -, ob wir nicht hinsichtlich der Freiheitlichkeit unseres Denkens manchmal noch hinter dem Jahre 1875 zurück sind.
({3})
Ich werde darauf in anderer Beziehung noch entscheidender zurückkommen.
Ich habe jetzt die Ehre, die Anträge der sozialdemokratischen Fraktion kurz zu begründen. Das verbinde ich deshalb mit der allgemeinen Aussprache, weil wir im Interesse des ganzen Hauses hoffen, daß sich vielleicht Einzeldebatten um jeden Antrag und um jede Vorschrift erübrigen und unser Verfahren erheblich verkürzt wird, wenn von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, gleich im Zusammenhang das Grundsätzliche der Anträge zu zeigen.
Die erste Gruppe unserer Anträge bezieht sich auf die Besetzung des Oberverwaltungsgerichts. Wir haben bereits von der Frau Kollegin Kuchtner gehört, daß der Streit darum geht: Sollen die Oberverwaltungsgerichte als Berufungsinstanz, die über Tatsachen zu entscheiden hat, lediglich mit fünf rechtskundigen hauptamtlichen Berufsrichtern oder, wie es gegenwärtig in einer Reihe von Ländern der Fall ist, mit Berufsrichtern u n d ehrenamtlichen Richtern besetzt werden? Nach unserem Vorschlage sollen sie mit drei rechtskundigen Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt werden.
Sicher, eines ist zuzugeben: Wenn man auf das Tempo der Entscheidung und auf die Routine sieht, die ein Gericht entwickeln kann und auch durchaus entwickeln darf, dann wird sich die Rechtsprechung mit Senaten von fünf Berufsrichtern ohne die auch verwaltungsmäßig reichlich komplizierte Mitwirkung ehrenamtlicher Beisitzer sehr viel schneller und reibungsloser abwickeln. Aber ist das wirklich der entscheidende Gesichtspunkt?
Die Beratungen im Ausschuß und die Debatte während der zweiten Lesung haben mich veranlaßt, einmal der Frage nachzugehen, wie denn die Verhältnisse in der preußischen Monarchie im 19. Jahrhundert waren. Dabei bin ich zu folgenden bemerkenswerten Feststellungen gekommen, die ich vermutet habe, aber ich wollte meine Erinnerungen doch an Hand der Gesetzestexte festigen: in der preußischen
Monarchie gab es seit dem Zuständigkeitsgesetz von 1883 in beiden Tatsacheninstanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit kein Verwaltungsgericht ohne ehrenamtliche Beisitzer.
({4})
Das Königlich Preußische Oberverwaltungsgericht entschied zwar in Senaten, die nur mit Berufsrichtern besetzt waren, wenn es sich, wie heute das Bundesverwaltungsgericht als reine Revisionsinstanz, nur mit Rechtsfragen befaßte. Aber in dem einzigen Fall, in dem auch das Oberverwaltungsgericht als Berufungsgericht tätig wurde und sich mit Tatsachen zu beschäftigen hatte, nämlich in Wasserstreitigkeiten, wurden ihm zwei ehrenamtliche Beisitzer aus dem Kreise derer, die durch ihre Beschäftigung mit Wasserfragen dazu besonders berufen waren, beigegeben. Wenn wir heute in einem Gesetz von 1959 die ehrenamtlichen Beisitzer in der Tatsacheninstanz ausschlössen, würden wir also hinter den Zustand des preußischen Obrigkeitsstaates vom Jahre 1883 zurückgehen.
({5})
Ich bitte Sie, zu bedenken, ob das wirklich sinnvoll ist und ob es das Demokratische und Freiheitliche des Geistes unserer Gesetzgebung zum Ausdruck bringt.
Ich habe mir angelegen sein lassen, auf Grund dieser Forschungen, muß ich schon beinahe sagen, in einem berühmten Handbuch der Verfassung und Verwaltung in Preußen nachzuschlagen, dem Handbuch des Grafen Hue de Grais, Auflage vom Jahre 1902; das liegt also 56 Jahre zurück. Hue de Grais erklärt, warum das in der preußischen Monarchie so sei, und führt dazu aus - wenn ich das mit der freundlichen Genehmigung des Herrn Präsidenten einmal kurz verlesen darf -:
In dem Zusammenwirken der Beamten und Laien,
- damals wurden ja Richter als Beamte aufgefaßt, und sie waren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Tat zum Teil Beamte wie es schon von dem Minister vom Stein geplant war, verbinden sich in zweckentsprechendster Weise Gesetzes- und Geschäftskunde mit unmittelbarer Anschauung und praktischer Erfahrung. Die Verwaltung wird dadurch vor einseitiger Auffassung bewahrt, das Interesse der Bevölkerung an den öffentlichen Angelegenheiten und ihr Vertrauen zur Regierung wächst, und die Gegensätze zwischen den Interessen beider finden ihren Ausgleich.
Das waren die Motive für die preußische Gesetzgebung des Jahres 1883. Es hat gar keinen Sinn, daß wir heute im Schulunterricht den Kindern etwas vom Freiherrn vom und zum Stein erzählen und daß alle Jahre ein Freiher-vom-Stein-Preis verliehen wird, wenn dort, wo es darauf ankommt, in der Gesetzgebung des Bundes, der Geist des Reichsfreiherrn vom Stein abwesend ist.
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Wenn Sie diesem Geiste entsprechen wollen, müssen
Sie für die ehrenamtlichen Richter wenigstens in
allen Tatsacheninstanzen sein, d. h. auch bei dem Oberverwaltungsgericht.
Das hat für uns in unserer Zeit noch eine ganz besondere Bedeutung. Es geht für uns - was damals dem Denken der preußischen Monarchie noch fern-lag - doch auch um die Glaubwürdigkeit des Demokratischen. Das ist von keinem so treffend dargestellt worden wie von Helmut Coing, dem Frankfurter Rechtslehrer, auf dem Heidelberger Richtertag, als er sagte: Das Problem Nr. 1 der Gerichtsbarkeit in unserer Zeit ist ihre demokratische Legitimation und ihre demokratische Glaubwürdigkeit.
Selbstverständlich besitzen auch die hauptbeamteten rechtskundigen Berufsrichter eine, wenn auch abgeleitete, demokratische Legitimation; sie gehen ja, wenn auch mittelbar, aus den Äußerungen des mündigen Volkes durch Wahlen hervor. Aber das alleine genügt noch nicht, sondern es gehört als eine wesentliche Hilfe für das Vertrauen und für die Glaubwürdigkeit der Gerichte, und zwar gerade der Verwaltungsgerichte, wo der Bürger der Behörde gegenübersteht, dazu, daß aus dem Volk gewählte ehrenamtliche Beisitzer im Gericht tätig sind. Nur dadurch kann das Erlebnis der Rechtsprechung als einer eigenen Angelegenheit des Volkes in der Demokratie hervorgerufen werden.
Ich bitte deshalb, daß wir nicht in einen Zustand zurückfallen, der sich nicht neben dem im Preußen von 1883 sehen lassen kann, und ich warne davor, auch in diesem Zusammenhang ein Stück Demokratie abzubauen, das wir gegenwärtig in den Ländern schon haben.
({7})
Meine Damen und Herren, ich gehe zu einem anderen Punkt über, zu der leidigen Frage, ob die Verwaltungsrichter eine zusätzliche und besondere Qualifikation haben müssen oder ob sie sie nicht haben dürfen. Das ist der Streit um die neuen Absätze in § 15 des Entwurfs der Verwaltungsgerichtsordnung.
Dieser Streit ist leider zum Teil emotional und auch ideologisch geführt worden. Ich darf Sie herzlichst bitten, einmal das Emotionale und Ideologische beiseite zu lassen. Glauben Sie mir - das wissen wir, durch Leid geprüft, doch eigentlich alle in diesem Hause -: Immer wenn sich die Auseinandersetzung ideologisch färbt, wird die Vernunft getrübt oder entweicht ganz. Also, lassen wir das doch beiseite und prüfen wir mit aller Nüchternheit, worum es sich hier sachlich handelt!
Die beiden sachlichen Fragen sind die, ob eine zusätzliche gesetzliche Qualifikation der Rechtsprechung im allgemeinen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit im besonderen dient. Ich für mein Teil und jedenfalls auch die Mehrheit meiner Fraktion sind der Auffassung, daß es der Gerichtsbarkeit im allgemeinen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit im besonderen nicht dient. Ich habe den Eindruck, daß die Damen und Herren, die es sich so angelegen sein lassen, für eine zusätzliche gesetzliche Qualifikation der Verwaltungsrichter zu kämpfen, eine etwas einseitige Blickrichtung haben, und zwar aus dem mir durchaus verständlichen Gesichtspunkt: sie wollen die Exekutive binden, eine ganz bestimmte Personalpolitik zu treiben, nämlich niemand in das Amt eines Verwaltungsrichters zu berufen, der nicht erst in einer Reihe von Jahren so oder so bestimmte Erfahrungen gesammelt hat. Das ist ein mir verständliches Anliegen. Bei der Rechtsanwaltsordnung gab es ein ähnliches Anliegen von der Rechtsanwaltschaft, dem wir aber auch nicht entsprechen konnten, weil dieser einseitige Blick nicht das ganze Problem erschöpft.
Im übrigen fällt mir dabei eins auf. Das Mißtrauen gegen die für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständige Exekutive richtet sich ja nicht gegen die Justizminister, die meines Wissens in keinem Lande für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig sind, sondern gegen die Innenminister, teilweise gegen die Ministerpräsidenten. Manchmal verwirrt das Ideologische so den Blick für die Tatsachen, daß der ideologisch Engagierte nicht merkt, in welche Widersprüche er sich verrennt. Denn wenn die Damen und Herren, die für die besondere Qualifikation sind, vor dem Schreckgespenst eines Rechtspflegeministeriums Sorge haben, das - nach dem Worte von Fontane - „ein weites Feld ist" und gar nicht am Horizont erscheint, dann dürften sie eigentlich den gegenwärtig zuständigen Innenministern und Ministerpräsidenten nicht gesetzlich ihr Mißtrauen bezeugen.
Darin steckt aber auch ein bißchen von dem deutschen Aberglauben an die Macht eines Gesetzes. Man kann nicht alles gesetzlich regeln, und man kann auch durch keine Kraft eines Gesetzes gute Personalpolitik herbeirufen. Im Gesetz mag noch so viel an zusätzlichen Qualifikationen stehen. Wenn der verantwortliche Minister kein guter Mann ist und wenn der Landtag nicht hinreichend auf ihn aufpaßt, dann kann er auch bei zusätzlichen Qualifikationen in der Verwaltungsgerichtsordnung keine gute Personalpolitik machen. Dieser Blickwinkel scheint mir also nicht nur einseitig, sondern auch widerspruchsvoll zu sein. Man scheint vom Gesetz etwas zu erwarten, was das Gesetz gar nicht leisten kann.
Gegen eine solche Regelung bestehen nach meiner Überzeugung durchgreifende Bedenken. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich das in Ruhe anhörten, und ich bitte auch gerade die Andersdenkenden um ihre Aufmerksamkeit. Ich bitte das Haus um Verzeihung, daß ich es etwas mit juristischen Ausführungen langweilen muß. Nach meiner zehnjährigen Erfahrung ist zwar das Plenum des Bundestages kein geeigneter Ort für rechtliche Auseinandersetzungen. Aber wir sind nun einmal durch die Entscheidung über die Vorschrift gezwungen, uns auch mit der Möglichkeit der rechtlichen Folgen und der rechtlichen Wirkungen zu beschäftigen.
Wenn ich die gesetzliche Qualifikation schaffe, binde ich damit nicht nur die Exekutive, wie die Anhänger der Vorschrift meinen. Diese Bestimmungen sind nicht nur eine Verpflichtung für die Verwaltungsinstanz, die berufen ist, die Verwaltungsrichter zu ernennen, sondern da wir es mit einer Verfahrensordnung und mit einer Gerichtsverfassung zu tun haben, so ist jede dieser Vor4822
schriften auch ein Stück Verfahrensrecht und ein Stück Gerichtsverfassungsrecht mit der Folge, daß das Revisionsgericht, d. h. das Bundesverwaltungsgericht, auf Rechtsmittel hin nachzuzprüfen hat, ob die Vorschriften über die Gesetzlichkeit des Richters gewahrt sind, und daß außerdem sogar die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde an das', Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe besteht; denn das Grundgesetz verbürgt ein grundrechtsähnliches Recht auf die Gesetzlichkeit des Richters, und das Bundesverfassungsgerichtsgesetz hat für diese grundrechtsähnliche Befugnis die Verfassungsbeschwerde zugelassen.
Auch wenn es sich hier nur um eine Soll-Vorschrift handelt, so bedeutet sie doch, daß davon nicht ohne stichhaltigen oder zwingenden Grund in der Sache abgewichen werden darf. Ist die Abweichung nicht begründet, ist sie etwa gar willkürlich, dann kann die Frage, ob die Gesetzlichkeit des Richters gewahrt wurde - etwa dergestalt, daß mindestens die Hälfte der Verwaltungsrichter einmal Verwaltungsbeamte oder Verwaltungsrechtsräte gewesen sein müssen -, mit der Revision beim Bundesverwaltungsgericht und unter Umständen mit der Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung gestellt werden. Sie machen es hier zu einem Kriterium der Gesetzlichkeit des Richters, und zwar sowohl der Gerichtsbehörde im ganzen als auch des einzelnen Spruchkörpers. Es ist sehr fraglich, ja es ist wahrscheinlich zu verneinen, daß der einzelne Senat und die einzelne Kammer gesetzlich besetzt sind, wenn nicht in jeder Kammer und in jedem Senat mindestens die Hälfte - und das heißt hier, da es sich um ungerade Zahlen handelt, die Mehrheit der Richter - irgendwann einmal in ihrer Vergangenheit auf eine dreijährige Tätigkeit als Verwaltungsbeamter oder als Verwaltungsrechtsrat zurückblicken können.
Ich halte deshalb die Vorschrift für rechtlich undurchführbar; denn sie setzt die Verwaltungsgerichte der Gefahr aus, daß ,auf Revision hin und auf Verfassungsbeschwerde hin sich herausstellen wird, daß die Gesetzlichkeit des Richters bei derartigen Kriterien gar nicht zu wahren ist. Ich bitte Sie, sich einmal zu überlegen, wie denn das Präsidium eines Oberverwaltungsgerichts, wie das Präsidium des Bundesverwaltungsgerichts die Verteilung der Richter und der Geschäfte auf die Senate vornehmen soll, wenn sie in jedem Senat darauf zu achten haben, daß mindestens die Hälfte der Richter der besonderen Qualifikation Genüge leisten muß, einmal Verwaltungsbeamter auf mindestens drei Jahre gewesen zu sein. Das ist rechtlich undurchführbar, das ist praktisch undurchführbar. Das läßt die Feststellung, wer gesetzlicher Richter ist, nicht mehr zu.
Das alles hat nämlich mit einer Absicht, die damit verfolgt wird, gar nichts zu tun: der Absicht, eine gute Personalpolitik zu treiben und dem selbstverständlichen Erfordernis Rechnung zu tragen, daß wir in der Verwaltungsgerichtsbarkeit niemand brauchen können, der nicht von Verwaltung so oder so etwas versteht, der nicht in seinem ganzen Denken eine gewisse Verwaltungsnähe besitzt, ohne daß allerdings die Verwaltungsgerichtsbarkeit als eine Fortsetzung der Verwaltung mit anderen Mitteln aufgefaßt werden dürfte. Das darf nicht sein. Das ist auch eine Gefahr, der wir hierbei entgehen müssen.
Wie Herr Kollege Jahn doch schon in der zweiten Lesung gesagt hat, ist eine solche gesetzliche, formale Qualifikation, die ein revisionsrichterlich und verfassungsrichterlich prüfbares Kriterium für die Gesetzlichkeit des Richters schafft, in gar keiner Weise zu vergleichen mit dem, was wir etwa im Arbeitsgerichtsgesetz und Sozialgerichtsgesetz oder im Bundesverfassungsgerichtsgesetz finden. Dort ist nur - ich weiß nicht, ob das ein guter Gesetzgebungsstil ist - sozusagen ein erhobener Zeigefinger. Dort steht etwa für die Arbeitsgerichtsbarkeit, daß der Arbeitsrichter in besonderem Maße soziales Verständnis haben soll - eine Selbstverständlichkeit und sozusagen ein Wink an die politisch verantwortlichen Stellen. Würde man in dieses Gesetz etwas Entsprechendes hineinschreiben wollen, müßte man es ganz anders sagen, als es jetzt in § 15 steht. Dann müßte man etwa sagen: Zum Verwaltungsrichter soll nur berufen werden, wer eine besondere Kenntnis im Verwaltungswesen und im Verwaltungsrecht hat. Dagegen wäre in keiner Weise etwas einzuwenden - ich halte das für eine Selbstverständlichkeit -, daß ein guter Minister so verfährt. Aber das ist eine gesetzliche Deklamation und nichts weiter.
Was jetzt hier geschieht, ist verfassungsrechtlich außerordentlich bedenklich und meines Erachtens undurchführbar. Es ist nicht praktikabel, wie sich daran zeigt, daß nach der Mitteilung des Chefpräsidenten des Oberverwaltungsgerichts von Rheinland-Pfalz von den 21 Verwaltungsrichtern der ersten Instanz auf Grund der Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung zweiter Lesung ein Drittel gut qualifizierter Verwaltungsrichter ausscheiden müßte, weil sie nicht die Voraussetzungen erfüllen. Damit würde - wie der Chefpräsident schreibt eine „katastrophale" Lage eintreten. Ich habe wohl gesehen, daß inzwischen schnell ein Heftpflaster gekommen ist, nämlich ein neuer Änderungsantrag, sozusagen eine „Lex Süsterhenn" für RheinlandPfalz, damit diese sieben Verwaltungsrichter ihren Ämtern erhalten bleiben.
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Nun, das mag hingehen. Aber, meine Damen und Herren, was ist das für eine schlechte Gesetzgebung, wenn in der dritten Lesung eines Gesetzes nach einer so langen Beratung noch, nur weil ein Außenstehender einen Hinweis gibt, schnell etwas eingeflickt werden muß, um eine unmögliche Vorschrift wenigstens insoweit zu entschärfen. Das ist also ein Indiz dafür, daß es mit dieser Sache so nicht geht. Ich habe volles Verständnis für den politischen Kern dessen, was die Antragsteller meinen. Aber ich möchte Sie hier zu überzeugen wenigstens versuchen, damit Sie nicht Gespenster sehen wie jene „Eintopfrichter" und das sagenhafte Rechtspflegeministerium und was weiß ich noch alles. Auch die Verwaltungsrichter möchte ich davon überzeugen, daß keiner hier im Hause ihnen etwas Übles will, sondern daß wir überzeugt sind, daß wir der VerDr. Arndt
waltungsgerichtsbarkeit keinen Gefallen tun, wenn wir hier eine solche Sonderqualifikation formaler Art - denn das sind die drei Jahre nur - gesetzlich festlegen.
Um ein letztes Beispiel zu geben - ich könnte die Beispiele beliebig verlängern , zu welchen unmöglichen Schwierigkeiten das in der Praxis führt, darf ich folgendes sagen. Nehmen Sie an - und das gibt es -, wir haben einen Verwaltungsrichter -sei er Verwaltungsgerichtsdirektor, sei er Oberverwaltungsgerichtsrat oder vielleicht sogar Präsident eines Verwaltungsgerichts -, der seit zwanzig Jahren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit steht und auch wissenschaftlich einen Ruf hat, der aber niemals die berühmten drei Jahre Verwaltungsbeamter war. Nun wird eine Stelle beim Bundesverwaltungsgericht vakant, und sie soll besetzt werden. Wenn dann festgestellt wird, daß von den Richterstellen des Bundesverwaltungsgerichts bereits die Hälfte mit Richtern besetzt ist, die keine dreijährige Verwaltungspraxis haben, scheidet dieser mit zwanzig Dienstjahren qualifizierte Verwaltungsrichter von der Berufung zum Bundesverwaltungsgericht aus, weil der Richterwahlausschuß und der Herr Bundesminister des Innern in die Personalakten sehen müssen, um festzustellen: wer von den Richtern des Bundesverwaltungsgerichts hat die berühmten drei Jahre - fast hätte ich gesagt: abgesessen; das wäre ein schwerer Lapsus linguae und wer nicht, und können wir jetzt diesen qualifizierten Mann an das Bundesverwaltungsgericht berufen oder nicht? Das ist einfach nicht praktikabel.
Es liegt mir daran, Sie nicht vor den Kopf zu stoßen, sondern Ihnen einmal in aller Nüchternheit zu sagen, warum im Rechtsausschuß die Vertreter aller Fraktionen einstimmig, glaube ich, gesagt haben: Das geht nicht, das kann man so nicht machen; das ist auch nicht im Dienste der Verwaltungsgerichtsbarkeit, etwas Derartiges zu tun. Ich möchte deshalb das, was ich am Schluß dazu noch zu sagen habe, mehr in den Hintergrund treten lassen. Wir haben keine Veranlassung, uns hinsichtlich des Richtergesetzes, dessen Beratung erst noch bevorsteht, zu präjudizieren. Die Frage, die nicht nur bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit, sondern bei jeder Gerichtsbarkeit zu stellen ist, ob es in der Richterschaft - die Richter sind keine Beamten - überhaupt eine solche „Ochsentour" in der Weise geben darf, daß der Assessor unmittelbar nach dem Assessorexamen in die Gerichtsbarkeit hineingeht, oder ob wir vielleicht, ähnlich wie in England, dazu kommen müssen, daß vor jeder Richtertätigkeit erst noch andere Bewährungen zu liegen haben, ist äußerst schwierig zu beantworten. Wir werden diese Frage beim Richtergesetz ernsthaft untersuchen müssen; wir können und dürfen sie hier nicht präjudizieren in der Weise, daß wir uns in bezug auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit festlegen und damit auch einen Wertunterschied zwischen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und anderen Gerichtsbarkeiten machen, weil es in keiner anderen Gerichtsbarkeit - auch nicht in der Arbeitsgerichtsbarkeit, auch nicht in der Sozialgerichtsbarkeit - derartige Qualifikationen gibt. Es darf niemals einen Einheitsrichter geben, der lediglich auf Grund rechtstheoretischer Vorbildung glaubt, er könne jede Sache entscheiden.
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Das ist einfach nicht diskutabel. Aber, Herr Kollege Schutz, auf der anderen Seite müssen wir, wenn wir - wozu wir ja als Abgeordnete verpflichtet sind - den Blick auf das Gesamte der Rechtspflege richten, auch sagen: Es darf keinen Rangunterschied in der richterlichen Verantwortlichkeit gleicher Instanz geben. Der Arbeitsrichter, der durch ein einziges Urteil über den Arbeitsplatz und damit über die soziale Existenz eines Menschen entscheidet, trägt keine geringere Verantwortung als der Verwaltungsrichter, der über den Verwaltungsakt eines Regierungspräsidenten oder „sogar" eines Ministers entscheidet. Der Jugendrichter, der durch einen einzigen Fehler, den er begeht, ein ganzes Menschenleben verderben kann, weil das, was er macht, erzieherisch falsch ist, weil er vielleicht einen Jungen, der das nicht verdient oder bei dem das nicht angebracht ist, in der Strafanstalt oder sonstwo mit anderen zusammenbringt, von denen er nur noch Schlechteres lernt, trägt keine geringere Verantwortung als der Verwaltungsrichter, der über einen Verwaltungsakt, etwa über eine Baugenehmigung, zu entscheiden hat.
Ich möchte Sie also bitten: wir wollen doch in diesen Wettkampf, welcher Richter welcher Gerichtsbarkeit größere oder geringere Verantwortung trägt, gar nicht erst eintreten. Es gibt in allen Gerichtsbarkeiten Sachen Schema F, Bagatellsachen, die am laufenden Band gehen. Es gibt aber in jeder streitigen Gerichtsbarkeit Fälle von höchster, richtiger gesagt: von tiefster richterlicher Verantwortung. Da sollten wir den Entscheidungen des Richtergesetzes nicht vorgreifen, indem wir hier eine solche scheinbare Ungleichwertigkeit der Richter statuieren und besondere gesetzliche Voraussetzungen in dem Gesetz verbriefen.
Darum unser Antrag und meine herzliche Bitte an. Sie alle, den § 15 in der vom Rechtsausschuß einstimmig beschlossenen Fassung wiederherzustellen. Sie tun damit der Verwaltungsgerichtsbarkeit wirklich einen Dienst.
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Nun ein anderes Problem; und da muß ich etwas polemischer werden. Das ist die Frage des Oberbundesanwalts. Herr Kollege Benda irrt, wenn er meint, daß meine Freunde und ich ein Unbehagen an der Institution des Oberbundesanwalts hegten. Das ist in keiner Weise der Fall. Ich bin für diese Institution schon gewesen, als wir seinerzeit unter dem Vorsitz des Geheimrats Laforet das Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht machten. Ich halte es, da die Bundesgesetze von den Ländern ausgeführt werden, für unentbehrlich, daß der Bund in einem Rechtsstreit vor dem Bundesverwaltungsgericht auch die Auffassung der Bundesregierung zur Geltung bringen kann, wenn der Bund nicht ohnehin selber Parte in diesem Rechtsstreit ist. Ich weiß auch, daß die Einrichtung der Staatsanwalt4824
schaften bei den Verwaltungsgerichten der Länder, insbesondere in Bayern, sich durchaus bewährt hat. Denn ,es kann ein berechtigtes Interesse der Landesregierung geben, ihre Meinung in einem Rechtsstreit zwischen Bürger und Gemeinde oder zwischen zwei Gemeinden oder zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts zum Ausdruck zu bringen. Das gehört zum Wesen des öffentlichen Rechts, das ja andersartig ist als das Privatrecht. Es wirkt stets gewissermaßen allseitig, und darum muß es die Möglichkeit der Prozeßbeteiligung jeweils der Landesregierung und beim Bundesverwaltungsgericht auch der Bundesregierung geben.
Ich bekenne mich also zu dieser Institution. Aber, meine Damen und Herren, hängen Sie ihr kein falsches Etikett um! Der Oberbundesanwalt ist nicht der Vertreter des allgemeinen Interesses, er ist auch nicht der Vertreter des öffentlichen Interesses, sondern er ist weisungsgebunden und hat in aller Redlichkeit die Aufgabe, die berechtigten Rechtsinteressen der Bundesregierung zu wahren; er spricht, wenn er vor Gericht auftritt, im Namen der Bundesregierung. Äußerlich gehört er deshalb nicht an den Richtertisch. Der Herr Oberbundesanwalt muß, bei aller Achtung vor der Würde seines Amtes, herunter vom Richtertisch, genau wie in Strafsachen der Staatsanwalt herunter muß vom Richtertisch;
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denn er gehört da nicht hin. Das 'ist wirklich keine Diskriminierung, 'sondern das ist einfach eine rechtsstaatliche und demokratische Redlichkeit, daß auch der richtige Ort gefunden wird.
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Der gegenwärtig amtierende Herr Oberbundesanwalt hat bei seiner Amtseinführung in Berlin kürzlich gesagt, er sei in diesen Streitigkeiten eine neutrale Stelle. Es tut mir leid zu sagen, daß der Herr Oberbundesanwalt irrt. Er Ist keine neutrale Stelle. Er ist geschaffen und berufen, um das legitime Rechtsinteresse der Bundesregierung an ihrer Auslegung von Bundesgesetzen vor dean Bundesverwaltungsgericht zur Geltung zu bringen. Er hat also für die Bundesregierung und im Namen der Bundesregierung Partei zu ergreifen. Eine Instanz, die neutral ist, die feststellt, was das öffentliche Interesse ist, gibt es in einem Gerichtsverfahren nur in einer einzigen Form, nämlich in Gestalt des Gerichts selber, und sonst ist niemand berufen, im Namen des öffentlichen Interesses zu sprechen und zu sagen, er vertrete das öffentliche Interesse.
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Wer in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren für die Allgemeinheit spricht und das höherwertige Interesse, das weitere Interesse vertritt, kann sehr unterschiedlich sein. Herr Kollege Benda hat daran erinnert, daß die Bundesregierung durch ihre Minister einen Eid darauf geleistet habe, das gemeine Wohl und das öffentliche Interesse zu wahren. Selbstverständlich hat sie das und soll sie das auch; aber sie kann es ja nur aus ihrer subjektiven Sicht tun. Das ist kein Vorwurf. Sie ist sogar dazu da, aus ihrer subjektiven Sicht das zu wahren, was sie für das öffentliche Interesse hält. Die Fraktionen dieses Hauses werden sich doch alle, wie ich denke, bemühen, bei der gesetzgeberischen Arbeit dem Gemeinwohl und dem öffentlichen Interesse zu dienen.
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- Eben, selbstverständlich. Aber das sieht nun einmal aus der Sicht der CDU legitim anders aus als aus der Sicht der SPD, und aus der Sicht der Freien Demokraten sieht es anders aus als aus der Sicht der Deutschen Partei, und keiner von uns kann sagen, daß er neutral und objektiv auszusprechen berufen sei, was das öffentliche Interesse ist und was im Gemeinwohl liegt. Genauso ist es vergleichsweise auch bei den Prozeßbeteiligten.
Wovor ich warnen muß, ist doch die obrigkeitsstaatliche Ideologie, die dahintersteht, die hier zum Ausdruck gekommen ist und die manchem vielleicht nicht so bewußt ist. So hat Herr Kollege Benda gesagt, die ehrenamtlichen Richter gehörten eben nicht zum Gericht, und deshalb sollte man sie dabei auch nicht aufführen, oder es ist hier gesagt worden, der Bürger vertrete immer das einzelne Interesse und die Behörden verträten das allgemeine Interesse. Ich darf da meinen Faden von vorhin wieder aufnehmen. Ich bemühe mich, der Geschäftsordnung zu entsprechen und frei zu reden. Das dauert erstens einmal doppelt so lange - es tut mir leid - und zweitens vergißt man dann manchmal seinen Gedankengang.
Die Bundesregierung hat beschworen, das öffentliche Interesse zu wahren, aber auch die Landesregierungen haben beschworen, das öffentliche Interesse zu wahren. Sie könnten in den Verwaltungsstreitigkeiten mit demselben subjektiven Recht sagen, daß es ihnen um das öffentliche Interesse geht. Deshalb kann man nicht aus dem Oberbundesanwalt auf einmal diese obrigkeitsstaatliche Figur machen, die das falsche Etikett trägt: er allein wahrt das öffentliche Interesse. Wer es wahrt, das entscheidet das Gericht in dem Streit zwischen Bürger, Gemeinde, Land und Bund, und was es sonst noch an Prozeßbeteiligten gibt.
Worum es mir aber geht - und deshalb warne ich vor dieser obrigkeitsstaatlichen Ideologie, die dahintersteckt -, das ist das Klima im Gerichtssaal. Die Rechtsprechung ist ein eigen Ding, so wie Blut ein besonderer Saft ist. Bei der Rechtsprechung spielt vieles an Imponderabilien mit. Schon dadurch, daß man dieser von uns doch wohl mit großer Mehrheit bejahten Rechtsinstitution des Oberbundesanwalts ein falsches, nämlich ein obrigkeitsstaatliches Etikett gibt und daß man den Vertreter dieses Amts an eine falsche Stelle, an den Richtertisch, setzt, schafft man Imponderabilien, schafft man im Gerichtssaal eine falsche Atmosphäre, ein unzuträgliches Klima. Das ist der Grund, weshalb uns an der Redlichkeit der Bezeichnung liegt, ohne daß sich in der Sache etwas ändert.
Ich komme zum letzten Abschnitt meiner Ausführungen, die immer zugleich der Begründung unseres Antrags dienen: dem Problem des sogenannten Anwaltszwangs vor den Oberverwaltungsgerichten. Es herrscht Einigkeit darüber, daß beim Bundesverwaltungsgericht künftig nur Anwälte die Vertretung führen dürfen. Wir sind uns wohl auch darin einig, daß wir das in Zukunft bei allen Bundesgerichten durchzuführen haben.
Der Streit geht darum, ob auch bei den Oberverwaltungsgerichten, also bei der Berufungs- und Tatsacheninstanz, der sogenannte Anwaltszwang angebracht ist oder nicht. Ich stimme in diesem Punkt gern einmal wieder Frau Kollegin Kuchtner zu. Sie sagte, der sogenannte Anwaltszwang habe die Aufgabe, den Rechtsschutz zu erhöhen, und solle dem Bürger eine Hilfe sein. Das ist völlig richtig. Wir sollten deshalb auch das unglückliche Wort vom Anwaltszwang vermeiden und sollten eigentlich lieber von „Anwaltserfordernis" sprechen, einem Anwaltserfordernis, das dem Rechtsschutz des Bürgers und des Rechtsuchenden dient und das der armen Partei einen. Rechtsanspruch darauf gibt, von Staats wegen aus Steuergeldern einen Anwalt dort zur Seite gestellt zu bekommen, wo es zur Rechtswahrnehmung erforderlich ist.
Dieses Anwaltserfordernis bedeutet einen erhöhten Rechtsschutz und sollte eigentlich eine Einrichtung sein, die dem Volke am Herzen liegt. Gegenwärtig ist das nicht der Fall.
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Weite Kreise der Bevölkerung glauben, der sogenannte Anwaltszwang sei der Grüne Plan für - wie Herr Kollege Miessner neulich sagte - die „Gewerkschaft der Rechtsanwälte", damit diese beim Wirtschaftswunder nicht zu kurz kämen und eine Pfründe hätten; ihnen solle die Garantie gegeben werden, an jeder Verwaltungsgerichtsbarkeit beteiligt zu sein; zwar nicht „Eigentum für alle", sondern .„Gebühren für alle". - Das ist gerade nicht der Sinn der Geschichte; denn damit bringt man das Anwaltserfordernis und auch die Anwaltschaft in Verruf. Herr Kollege Miessner, daß das reichlich unbedachte Wort von der „Gewerkschaft der Anwälte"
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der Grundlage entbehrt, ergibt sich schon daraus, daß sich hier in diesem Hause eine ganze Reihe von Rechtsanwälten befindet, die mit Eifer und Ernst sehr scharf und mit starken Gründen gegen das Anwaltserfordernis vor dem Oberverwaltungsgericht sprechen, und zwar wiederum deshalb, weil sich - ich fange auch hier ganz nüchtern und mit den praktischen Dingen an - das Anwaltserfordernis bei dem Oberverwaltungsgericht gar nicht durchführen läßt, mindestens so lange nicht durchführen läßt, solange wir bei diesen Gerichten keine Streitwertregelung haben; denn die Anwaltschaft kann nach ihrer Gebührenordnung nur tätig werden, wenn eine gewisse Verbindung der Tätigkeiten zu den Streitwerten besteht, so wie das in der ordentlichen Gerichtsbarkeit der Fall ist. Wir haben bisher keine Streitwertregelung, und die Festlegung
des Streitwertes ist außerordentlich schwierig. Die praktische Folge ist, daß häufig Verwaltungsgerichtsprozesse um Objekte von sehr geringem Geldwert geführt werden.
Daraus ergibt sich folgendes - ich spreche diese Sache mit der Nüchternheit an, deren ich mich, befleißige, mit aller Offenheit -: Wenn Sie ein Anwaltserfordernis einführen, das sich auf Streitigkeiten mit einem so geringen Geldwert - er liegt häufig unter 100 DM oder bei wenigen hundert Mark - erstreckt, dann werden Sie die Anwälte zwingen, da sie es anders gar nicht können, bei solchen Streitigkeiten Sonderhonorare zu vereinbaren, die die Partei des Prozesses nicht erstattet bekommt.
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Damit schaffen Sie bei dem rechtsuchenden Bürger berechtigten Ärger, Sie bringen die Rechtsanwaltschaft in Mißkredit und haben einen untauglichen Versuch gemacht, das Anwaltserfordernis dort einzuführen, wo es nicht hingehört. - Das ist zunächst einmal das allernüchternste Argument.
Hinzu kommt folgendes. Vor den Verwaltungsgerichten wird über eine Reihe von sozialrechtlichen Ansprüchen der Kriegsopfer entschieden - nämlich soweit die Kriegsopfer an die Fürsorge verwiesen sind -, und die Kriegsopfer haben ein berechtigtes Interesse daran, auch in der Berufungsinstanz vor Gericht nicht den Rechtsschutz ihrer großen Organisationen zu entbehren. Vor den Oberverwaltungsgerichten kommen zur Entscheidung Streitigkeiten über Abgaben und Steuern, mindestens solcher der Gemeinden, und auch hier ist es durchaus sachdienlich, man läßt eine Vertretung durch die Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Bücherrevisoren zu, die sich mit diesen Angelegenheiten befassen. Auch da sehe ich unter den Änderungsanträgen ein Heftpflästerchen in Gestalt einer Regelung, wonach das Anwaltserfordernis in Steuersachen zugunsten einer Reihe anderer Berufe durchbrochen werden soll. Das ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes! Entweder es gibt ein zwingendes Rechtsschutzinteresse für das Anwaltserfordernis wie etwa in der Revisionsinstanz vor dem Bundesgericht: dann muß ein Anwaltserfordernis bestehen, aber auch ganz und gar. Oder aber dieses Argument greift nicht Platz: dann wird kein Anwaltserfordernis benötigt, und dann können die Wirtschaftsprüfer und Bücherrevisoren ihrer Tätigkeit auch vor den Oberverwaltungsgerichten nachgehen, dann können die Kriegsopferverbände durch ihre Vertreter tätig werden, dann können die Beamten z. B. in Personalvertretungsangelegenheiten und in den übrigen beamtenrechtlichen Streitigkeiten, die vor die Verwaltungsgerichte gehören, den Rechtsschutz ihrer Verbände in Anspruch nehmen usw.
Wie das gegenwärtig mit dem Anwaltserfordernis bei den Oberverwaltungsgerichten dort, wo es nicht hingehört, verquer ist, sehen Sie an dem Streit, der dieser Frage - erlauben Sie mir einen medizinischen Ausdruck - wie ein Blinddarm, wie ein Appendix anhängt, nämlich dem Streit, ob es das Behördenprivileg geben darf oder nicht. Dieser Streit kann ja erst entstehen, wenn man das Anwaltserfor4826
dernis dort hinbringt, wo es sachlich und rechtlich nicht angemessen ist. Wir alle haben in den letzten Tagen von den verschiedenen Herren Ministern und Ministerpräsidenten heftige Briefe und Fernschreiben bekommen, worin sie erklären, beim Anwaltserfordernis müsse das Behördenprivileg wiederhergestellt werden; die Behörde müsse sich durch einen ihrer Beamten mit Assessorexamen vertreten lassen können. Ein Ministerpräsident hat uns im Namen seiner Landesregierung sogar geschrieben - ich nehme an, daß viele der Damen und Herren diesen Brief bekommen haben -, es sei eine „Diskriminierung" der Behörden, wenn man sie dem Anwaltserfordernis unterwerfe. Diese Unterwerfung besteht übrigens seit 84 Jahren bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit, auch etwa in den Streitigkeiten aus Amtspflichthaftung, aus Enteignung, aus Landbeschaffung, aus einer ganzen Reihe öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten, die es vor den sogenannten ordentlichen Gerichten gibt.
Aber dem Ministerpräsidenten, der hier von der Diskriminierung der Behörden schreibt, scheint in der Hitze dieser emotionalen Niederschrift nicht zum Bewußtsein gekommen zu sein, daß, wenn ich das Erfordernis eine Diskriminierung der Behörde nenne, auch eine Diskriminierung des Bürgers vorliegen müßte. Da bitte ich Sie um alles in der Welt, zu überlegen, ob denn das noch richtig ist. Das ist doch ein starkes Stück.
Ich darf Sie bitten - diese Bitte richte ich auch an das Bundesministerium des Innern -, sich in diesem Zusammenhang die Frage des Behördenprivilegs einmal unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 des Bonner Grundgesetzes zu überlegen. Wir können das Bonner Grundgesetz gar nicht oft genug aufschlagen. Die Gleichheit vor dem Gesetz bedeutet, wie die Wissenschaft zutreffend lehrt, gerade auch die Gleichheit vor dem Richter, bedeutet die Waffengleichheit im Prozeß, bedeutet also, daß an die verschiedenen Prozeßparteien des verwaltungsgerichtlichen Streitverfahrens keine unterschiedlichen Anforderungen gerichtet werden dürfen, etwa in der Weise, daß man dem Bürger sagt: Du mußt dir für die Wahrung deiner Rechte vor Gericht aber einen Anwalt nehmen; sonst wirst du nicht gehört; die Bundesregierung oder das Land oder die Bundesbehörde können sich durch einen ihrer Beamten vertreten lassen, wenn er das Assessorexamen hat.
Nun könnte einer einwenden, daß die Differenzierung in dem Assessorexamen liegt. Meine Damen und Herren, wenn das richtig wäre, daß wir nach dem Assessorexamen differenzierten, dann bekämen wir Bürger erster und zweiter Klasse, dann müßten alle diejenigen, die das Assessorexamen haben, vertretungsberechtigt sein, auch soweit sie für ihre Person tätig werden, auch soweit sie für einen Kriegsopferverband, eine Gewerkschaft, den Deutschen Beamtenbund oder für irgendeine andere Organisation auftreten. - Also das alles ist doch völlig unmöglich.
Ich habe gar keinen Zweifel, daß auf die erste Verfassungsbeschwerde hin eine solche Imparität der Parteien - daß die eine Partei dem Anwaltserfordernis unterliegt und die andere nicht - vom Bundesverfassungsgericht wegen des Gleichheitssatzes nicht zugelassen würde. Das möchte ich auch den Herren Ministern und Ministerpräsidenten gesagt haben, die in den letzten Tagen ein solches Ansinnen so heftig an uns stellten.
Das Fazit, das ich daraus ziehe, ist dies: Widerstehen wir allen diesen ideologischen Versuchungen! Widerstehen wir allen diesen Anfällen obrigkeitlichen Denkens, daß die Exekutive etwas anderes sei und daß sie eine Obrigkeit darstelle, die einer besonderen Behandlung bedürfe. Vor dem Verwaltungsgericht sind Bürger und Behörde gleich. In einer Demokratie ist gerade auch der Bürger den Umständen nach berufen, öffentliche Interessen berechtigt wahrzunehmen.
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Das müssen die Gesichtspunkte sein, von denen aus wir diese Frage zu entscheiden haben. Dann zeigt uns dieser ganze Wust von Verwirrungen um das Behördenprivileg, daß es nur eine Lösung gibt, die klar und einfach ist, nämlich vom Anwaltserfordernis bei den Oberverwaltungsgerichten abzusehen, weil es unangemessen, nicht sachdienlich und nicht förderlich ist. Es steht jeder Partei frei, sich eines Anwalts zu bedienen. Man könnte auch an die Beiordnung von Anwälten im Armenrecht denken. Aber das Anwaltserfordernis ist so, wie es hier im Gesetz steht, nicht durchführbar und für das Verfahren nicht gut.
Aus diesen Gründen bitte ich Sie, unseren Anträgen zu entsprechen. Es ist unser sehr starkes Bestreben, dadurch doch Mängel in diesem Entwurf der Verwaltungsgerichtsordnung auszugleichen. Ganz entscheidend liegt uns an den ehrenamtlichen Richtern. Dieses Problem bewegt uns so, daß meine Fraktion ihr Verhalten zu diesem Gesetz von einer Entscheidung darüber wird abhängig machen müssen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur ganz weniges sagen, weil sich diese Auseinandersetzung noch längere Zeit hinziehen wird.
Herr Kollege Arndt hat einige Anregungen gegeben, die sich auf die Zusammenarbeit der Verwaltungsgerichte untereinander einerseits und die Zusammenarbeit der für die Verwaltungsgerichte zuständigen Ressortminister andererseits beziehen. Ich will alles, was er dazu gesagt hat, gerne sorgfältig prüfen und sehen, ob wir seinen Anregungen entsprechen können.
Ich nehme das Wort eigentlich wegen eines anderen Punktes. Der Herr Kollege Arndt hat sich dafür eingesetzt, daß wir uns im Bund gegenüber der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer und dem Institut für Verwaltungswissenschaft etwas stärker - ich gebe es einmal etwas abgekürzt wieder - engagieren sollten. Wir haben es bei diesem Versuch schon einmal - er hat das geschildert -bis zur Beratung im Haushaltsausschuß gebracht.
Bundesinnenminister Dr. Schröder
In dem diesjährigen Haushalt werden Sie jedoch nichts darüber finden. Wir wollen aber diese Gedankengänge gerne erneut aufnehmen.
Nun komme ich zu dem, was ich wirklich möchte. Herr Kollege Arndt, wenn ich Ihnen hier zusage, daß wir uns in diesem Sinne engagieren wollen, darf ich Sie dann um eine gewisse Abdeckung dahin bitten, daß wir nicht mit den Ländern in weitere Kontroversen geraten, wenn wir uns Ihren Gedankengängen geneigt zeigen. Sie wissen, daß ich in diesen Tagen ziemlich heftig unter dem Vorwurf stehe, daß der Bund bei unzulänglicher oder, sagen wir einmal, bei angeblich unzulänglicher kultureller Zuständigkeit zu sehr die Neigung zeige, sich um die in den Ländern beheimateten Hochschulen und die Studenten zu kümmern. Wenn Sie mich in dieser Beziehung, in der Abwehr solcher Angriffe, etwas unterstützen könnten, machen Sie es mir leichter, auf Ihre Anregungen einzugehen.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der dritten Lesung findet eine allgemeine Aussprache statt. Schon in den Reden meines Vorredners bzw. meiner Vorrednerin kam die Bedeutung des jetzt zur dritten Lesung anstehenden Gesetzes zum Ausdruck. Ich kann diese Bedeutung für meine Fraktion nur unterstreichen. In einem Rechtsstaat muß die Garantie des Bürgers nicht nur im materiellen Recht begründet sein, sondern ihm müssen auch im Verfahrensrecht die Rechtsgarantien zugebilligt werden. Es muß also ein Verfahren geschaffen werden, das ihm eine gerechte Beurteilung verbürgt.
Wir als Freie Demokraten haben uns für das Rechtspflegeministerium ,eingesetzt. Das wissen Sie. Wir haben auch schon bei früheren Gesetzentwürfen gefordert, man möge, soweit es angebracht ist, einheitliche Verfahren und einheitliche Gesetze schaffen. Wir begrüßen es daher, daß wir jetzt in einem so wichtigen Zweig wie der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu einer einheitlichen Verfahrensordnung kommen.
Heute im Laufe der Debatte und auch schon bei der zweiten Lesung ist rühmend auf das Preußische Oberverwaltungsgericht und ,auf seine jahrzehntelange Erfahrung hingewiesen worden. Wir, die wir als Anwälte tätig sind, können eigentlich aus unseren eigenen Erfahrungen nach 1945 am augenfälligsten beurteilen, welche Bedeutung das Funktionieren der Verwaltungsgerichtsbarkeit tatsächlich hat. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie nützlich sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit nach dem Zusammenbruch erwiesen hat. Sie hat zu einem guten Teil dazu beigetragen, daß sich die Verwaltung, besonders auf der kommunalen Ebene, wieder daran gewähnte - ich erinnere an die Wohnraumsachen -, die Entscheidungen nicht mehr so mit leichter Hand, sondern unter genauer Beachtung der Gesetze zu treffen. Nach meinen Erfahrungen hat sich auf Grund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts die Verwaltung jedenfalls wesentlich gebessert. Natürlich kommt hinzu, daß in der Zwischenzeit auch wieder einganz anderer Personalbestand da ist als unmittelbar nach dem Zusammenbruch. Die Tatsache, daß die Entscheidungen der Verwaltung der Kontrolle durch das Verwaltungsgericht unterliegen, hat manches bewirkt. In dieser Beziehung hat das Verwaltungsgericht heute wie in der Vergangenheit eine große Aufgabe.
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat aber in der heutigen Zeit eine Bedeutung erhalten, die das mögen mir die Anhänger des früheren Preußischen Oberverwaltungsgerichts nicht übelnehmen - noch weit über die Bedeutung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Zeit des Preußischen Oberverwaltungsgerichts hinausgeht. Man hört immer wieder - und daran wird Kritik geübt , wie stark das Personal in den verschiedenen Verwaltungen, auf Bundes-, auf Landes- oder auf Gemeindeebene, vermehrt wird und wie große Teile der Haushalte durch die Verwaltungskosten gebunden sind. Wir müssen uns klarmachen, daß, je mehr Verwaltung, je mehr Behörden vorhanden sind, um so mehr Eingriffe gegebenenfalls auch in Rechte der einzelnen Bürger erfolgen. Um so größer ist die Bedeutung der Verwaltungsgerichtsibarkeit, aber - das kam bereits in den Ausführungen des Herrn Kollegen Arndt zum Ausdruck, der meinte, hier müsse eine gewisse Relation bestehen - um so größer werden auch die Verwaltungsgerichte und um so mehr wird an sie herangetragen.
Bei den Beratungen im Rechtsausschuß haben wir uns sehr eingehend Gedanken darüber gemacht, wie man die Belastung der Verwaltungsgerichte beseitigen könnte, die von den Präsidenten der höchsten Bundesgerichte eingehend geschildert wurde. Diese 'Belastung wird trotz der weitgehenden Reform durch die Beschränkung der Revisionsmöglichkeit fortbestehen. Das zeigt, daß man an dieses Problem nicht nur von dieser Seite aus herangehen kann, sondern daß wir uns als Gesetzgeber auch bemühen müssen, solche Gesetze zu 'schaffen, deren Ausführung nachher nicht Anlaß zu zahlreichen verwaltungsgerichtlichen Klagen geben kann.
Die Verwaltung erstreckt sich heute auf außerordentlich viele Bereiche. Denken Sie z. B. an die Erteilung einer Gewerbeerlaubnis, von der die berufliche Existenz eines Menschen abhängt, oder denken Sie 'an das Verfahren zur Anerkennung als Flüchtling und die Konsequenzen, die die Entscheidung der Verwaltungsbehörde in diesem Falle hat. Auf die zahlreichen anderen Gebiete will ich gar nicht eingehen. Schon diese (beiden 'Beispiele genügen.
Ich habe bereits davon gesprochen, welche Bedeutung die Verfahrensordnung auch als Rechtsgarantie für den Bürger hat. Gerade im verwaltungsgerichtlichen Verfahren kommt es darauf an, daß für die Beteiligten gleiche Rechte gelten. Es muß dafür gesorgt werden, daß der Bürger, der in Rechtsfragen Laie ist und oft nicht weiß, worauf es bei
den gesetzlichen Bestimmungen ankommt, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht von vornherein der sehr facherfahrenen Behörde, der er gegenübersteht, unterlegen ist. Wenn Herr Kollege Arndt darauf hingewiesen hat, daß auf der Ebene des Bundesverwaltungsgerichts der Oberbundesanwalt als Vertreter des „öffentlichen Interesses" die Interessen der Bundesregierung zu vertreten habe, so macht das offenkundig, daß sich der Bürger gegebenenfalls nicht nur der Behörde, mit der er prozessiert, sondern auch noch dem Oberbundesanwalt bzw. dem Vertreter des öffentlichen Interesses gegenübersieht. Wir waren der Auffassung: wenn man eine Gleichheit der Interessenlagen schaffen und erreichen will, daß der Bürger auch sachgemäß vertreten ist, sollte man nicht bei den Oberverwaltungsgerichten den Weg gehen, den der Herr Kollege Arndt wieder vorgeschlagen hat, den Anwaltszwang zu beseitigen. Es liegt vielmehr gerade im Interesse des rechtsuchenden Bürgers, wenn das Erfordernis einer anwaltlichen Vertretung erhalten bleibt, um seine Position gegenüber der Behörde zu verstärken.
Ich habe vorhin von der Überlastung gesprochen. Bei den Oberverwaltungsgerichten tritt weitgehend doch eine Entlastung ein, wenn ein entsprechend sachgemäßer Vortrag beider Parteien erfolgt. Es ist gesagt worden, man könne nicht die Parallele zu der zivilen Gerichtsbarkeit ziehen, bei der das Erfordernis des Anwaltszwanges seit Jahrzehnten für die Behörden wie für die Bürger gleichermaßen besteht. Bei der zivilen Gerichtsbarkeit ist auch sehr oft über fiskalische Fragen zu entscheiden. Wir Freien Demokraten wünschen Gleichheit für die verschiedenen Verfahrensordnungen, wir halten sie gerade auch hier für notwendig.
Eine sehr umstrittene Frage war, ob § 15 in der dritten Lesung in der Fassung des Rechtsausschusses verabschiedet werden oder ob die in der zweiten Lesung beschlossene Änderung jetzt aufrechterhalten bleiben soll. Auch diese Frage möchte ich in aller Ruhe behandeln. Aus unserem Fraktionsantrag ersehen Sie, daß die Mehrheit der Fraktion der FDP der Auffassung ist, man solle ein derartiges zusätzliches Erfordernis einer besonderen Tätigkeit, einer besonderen Erfahrung nicht in einem Gesetze statuieren. Nach der sehr lebhaften Debatte in der zweiten Lesung habe ich den Eindruck gehabt, daß hier manche Dinge verkannt worden sind. Dieser Eindruck hat sich noch verstärkt durch die Zuschriften, die anschließend gekommen sind, und auch durch eine Veröffentlichung in der Zeitschrift „Die öffentliche Verwaltung". Es wird immer unterstellt, diejenigen, die gegen eine gesetzliche Verankerung sind, wollten einen Bruch mit der bisherigen Praxis herbeiführen, daß bei den Verwaltungsgerichten verwaltungserfahrene Richter tätig sind, und die bisherige Praxis solle dadurch abgeschnitten werden. So war das doch überhaupt nicht gemeint. Auch das hat schon mein Vorredner, Herr Kollege Arndt, mit Recht hervorgehoben. Es dreht sich gar nicht darum, daß Richter ohne entsprechende Kenntnis bei den Verwaltungsgerichten tätig sein sollen - wer das behauptet, stellt die Dinge auf den Kopf -, sondern es dreht sich nur darum, ob man hier eine derart enge gesetzliche Bindung schaffen will, wie sie in der zweiten Lesung beschlossen worden ist. Es handelt sich hier um eine grundsätzliche Frage, ob nach Ablegung des Assessorexamens, mit dem die Befähigung zum Richteramt erlangt wird, der Jurist sofort in den Justizdienst eintreten kann. Man kann sich fragen, ob das das richtige ist oder ob es nicht richtiger wäre, daß jeder zuerst einmal in einer sonstigen Tätigkeit entsprechende Erfahrungen sammelt. Ich bin eine ausgesprochene Anhängerin dieses Systems. Mich hat bestärkt, was mir viele Richter sagten, die nach 1945 zuerst in der Wirtschaft oder als Anwalt tätig waren und danach in den Richterdienst zurückkehrten: sie möchten diese praktische Tätigkeit nicht missen.
Aber es handelt sich hier um eine grundsätzliche Frage für alle Gerichtszweige. Dies muß mit allen Konsequenzen beim Richtergesetz behandelt und einheitlich entschieden werden. Die Frage muß gleichmäßig für die verschiedenen Zweige der Gerichtsbarkeit geregelt werden. Deswegen ist die überwiegende Auffassung meiner Fraktion und meine eigene die, daß man die hinzugekommenen Absätze 3 und 5 in § 15 wieder streichen sollte.
Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß in unserem Änderungsantrag Umdruck 415 ein Druckfehler enthalten ist. Es heißt da: „§ 15 Abs. 3 bis 5 werden gestrichen." Es muß natürlich heißen: „§ 15 Abs. 3 u n d 5 werden gestrichen."
Es liegt aber dazu noch ein interfraktioneller Antrag vor, und ich nehme an, daß dieser der Abstimmung zugrunde gelegt wird.
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten haben, wie Sie wissen, in der zweiten Lesung die Erörterung auf wenige Punkte beschränkt; wir wollten nicht noch einmal eine Debatte entfachen, wie sie eigentlich nur im Ausschuß geführt werden kann. Für die dritte Lesung überlegten wir natürlich noch mehr, welche grundsätzlichen Fragen zur Entscheidung stehen. Wir erachteten es aus rechtsstaatlichen Grundsätzen für erforderlich, in der dritten Lesung den Antrag auf Streichung des § 130 zu stellen, durch den die Berufung ausgeschlossen bzw. von einer besonderen Zulassung abhängig gemacht werden kann, wie das jetzt auch bei der eingeschränkten Revision der Fall ist. Wir halten es füraußerordentlich bedenklich, einen Weg wie in § 130 zu beschreiten. Der Gesetzesvorschlag enthält auch die Ermächtigung für den Landesgesetzgeber, für Landesgesetze die Berufung in der gleichen Weise einzuschränken. Meine Damen und Herren, Sie müssen sich darüber klar sein: die Folge wird sein, daß von dieser Ermächtigung in dem einen Land Gebrauch gemacht wird, in dem anderen nicht. Das kann dazu führen, daß z. B. in Mannheim auf einem bestimmten Gebiet, sagen wir auf dem Gebiet der Vergnügungsteuer, der Jagdsteuer oder dgl., die Berufungsmöglichkeit besteht. Ich muß ausdrücklich sagen: die Berufungsmöglichkeit besteht. Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg sieht ja die zwei Instanzen vor; sie erachtet eine andere Handhabung aus rechtsstaatlichen Gründeneinfach für unmöglich. Auf der anderen
Seite des Rheins, nämlich in Ludwigshafen, besteht, wenn von der Ermächtigung Gebrauch gemacht wind, diese Möglichkeit vielleicht nicht. Genauso kann es zwischen Ulm und Neuulm sein, überhaupt überall, wo zwei Städte, die verschiedenen Ländern angehören, nahe beieinander liegen. Dazu kommt dann noch die in § 130 vorgesehene und uns sehr fragwürdig erscheinende Beschränkung der Berufung für die Dauer von höchstens fünf Jahren. Die Bürger, die in diesen fünf Jahren von einem derartigen Bescheid betroffen werden, sind in der Wahrung ihrer Rechte beeinträchtigt, und zwar schon in der Tatsacheninstanz, während es andererseits nach fünf Jahren wieder nicht der Fall ist. Das halte ich nicht für richtig, besonders wenn ich mir noch den Katalog ansehe.
Es ist von einer Entlastung der Oberverwaltungsgerichte gesprochen worden. Man kann die Gerichte nur dann wirklich entlasten, wenn man Berufungsmöglichkeiten auf solchen Sachgebieten streicht, wo viele Verfahren anhängig sind. Wie verhält es sich aber bei dem Gesetz über [die Beschränkung der Berufungsmöglichkeiten, das ebenfalls zur Diskussion steht?
Zunächst einmal ist die Wohnraumbewirtschaftung genannt. Wir werden uns morgen mit dem Lücke-Plan befassen. In ihm geht die Bundesregierung davon aus, daß die Wohnraumbewirtschaftung innerhalb weniger Jahre gänzlich in Wegfall kommt. Wir haben weiter im Rechtsausschuß gehört, daß die Zahl der anhängigen Fälle schon stark abgenommen hat. Sie wird weiterhin abnehmen, da bei ,einem Fehlbestand von, wie es jetzt heißt, 1,5 Millionen Wohnungen - ich will diese Zahl einmal als richtig ansehen - jedes Jahr 500 000 Wohnungen gebaut werden. Von den immer weniger werdenden Fällen ist keine echte Entlastung zu erwarten.
Zu den anderen Gebieten, die aufgeführt sind, gehören die Notaufnahme von Deutschen im Bundesgebiet, die Anerkennung als ausländischer Flüchtling, die Feststellung als heimatloser Ausländer sowie die Aufenthalts- (und Niederlassungsrechte von Ausländern.
Meine sehr verehrten Kollegen, das alles sind keine umfangreichen Rechtsgebiete mit zahlreichen Berufungen. Ich bin deshalb der Auffassung, daß man das gewählte Ziel überhaupt nicht mit diesen Mitteln erreicht. Durch die Aufnahme des § 130 hat man vielmehr einen schweren Einbruch in die Rechtsgarantien des Staatsbürgers vorgenommen. Sollte hier etwa die Absicht bestehen - was ich aber nicht unterstellen möchte -, das Gesetz, das gleichzeitig zur Behandlung steht, als Vortrupp für weitere Gesetzesvorlagen mit weiteren Einschränkungen zu gebrauchen?
({0}) Das wäre natürlich noch bedenklicher.
Wir Freien Demokraten haben es deshalb für erforderlich erachtet, den § 130 zu streichen. Insofern stimmen wir mit der SPD überein, die einen entsprechenden Antrag gestellt hat, der allerdings noch nicht begründet worden ist.
Meine Damen und Herren, mit dem Sprechen kommen einem auch die Ideen wieder. Im Zusammenhang mit dem Anwaltszwang bei den Oberverwaltungsgerichten wollte ich vorhin noch ausführen, daß es zur Entlastung der Gerichte darauf ankommt, daß das Vorbringen von beiden Seiten schon sachgemäß ist. Wie ist es aber, wenn ein juristischer Laie Tatsachen vorbringt? Wir wissen, daß verwaltungsrechtliche Fälle meistens noch viel schwieriger als Zivilsachen sind. Ich denke nur an einen Termin, den ich am Montag vor dem Amtsgericht hatte. Vor mir - ich mußte auf meinen Kollegen warten - hatten zwei Geschäftsleute eine kleinere, durchaus handelsübliche Sache beim Amtsgericht. Sie hatten keine Anwälte, und der Richter mußte mit diesen beiden Geschäftsleuten zuerst ein längeres Gespräch führen, um ihnen klarzumachen, was sie alles vorzubringen hätten. Das zeigt, welche Aufgabe wir Anwälte für einen sachgemäßen Vortrag im Interesse der Gerichte zu erfüllen haben und wie das Erfordernis der anwaltschaftlichen Vertretung zu einer Entlastung der Gerichte beiträgt.
Die Offizialmaxime bedeutet in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren folgendes. Es findet nicht gleich eine mündliche Verhandlung statt, sondern der Berichterstatter stellt fest: Ich brauche, nachdem das und das vorgebracht ist, noch die und die Aufklärung. Jetzt wird bei den Parteien angefragt. Und nun nehmen Sie einen juristischen Laien in irgendeiner Verwaltungssache, z. B. in einer Wasserrechtssache, die für einen Bauern weit draußen im Land von großer Bedeutung ist. Er unterliegt in erster Instanz und geht in die Berufung. Jetzt soll dieser Bauer sich ohne Anwalt gegebenenfalls schriftlich zu sehr schwierigen wasserrechtlichen Fragen, mit denen wir uns ja hier in Kürze auch eingehend zu befassen haben werden, äußern. Glauben Sie, daß er fähig ist, dem Gericht wirklich sachverständig an Tatsachen mitzuteilen, was das Gericht braucht? Dann kommt nicht die entsprechende Auskunft, die Stellungnahme geht zuerst zu der Behörde, dann kommt eine weitere Auskunft von der Behörde, und dann geht eine weitere Anfrage an den Bauern usw. Wir haben doch - das hat sich leider heute schon bei den Verwaftungsgerichten gezeigt - hierdurch weitgehend ein schriftliches Verfahren statt einer echten mündlichen Verhandlung bekommen.
Vorhin wurde von der Krise der Verwaltungsgerichtsbarkeit gesprochen. Insofern muß ich unsere Verwaltungsrichter ausdrücklich in Schutz nehmen. Ich kann nur sagen, ich habe mit der Arbeit der Verwaltungsgerichte nur gute Erfahrungen gemacht; dort wird mit Sorgfalt gearbeitet. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Richter sich wirklich große Mühe geben, den Sachverhalt zu erforschen und aufzuklären. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß nachher besonders in erster Instanz eine echte mündliche Verhandlung stattfindet, wie sie sein soll. Aber man soll dann den Verwaltungsrichtern die Arbeit auch nicht erschweren, sondern erleichtern, und wir können sie erleichtern, wenn an dem Erfordernis der anwaltlichen Vertretung auch bei den Oberverwaltungsgerichten festgehalten wird.
Zum Abschluß noch ein kurzes Wort zu Ihrem Hauptanliegen, meine Damen und Herren von der SPD, daß ehrenamtliche Richter auch bei den Oberverwaltungsgerichten zugezogen werden. Sie haben den Geist des Freiherrn vom Stein zitiert. Es wurde gesagt: Wer nicht für diese ehrenamtlichen Richter ist, der kehrt zurück in ein obrigkeitliches Denken hinter das Jahr 1884.
({1})
Ich glaube, Sie kennen uns als Freie Demokraten zur Genüge und wissen sehr genau, wie gerade wir den Geist des Freiherrn vom Stein in einer echten Selbstverwaltung, in einer echten Selbstverantwortung immer wieder betonen.
({2})
Sie können uns wohl nicht den Vorwurf machen, daß derjenige von uns, der Ihrem Antrag nicht zustimmt, eine weniger gute demokratische Gesinnung wie Sie hat. Ich weise noch einmal darauf hin: solange unsere Oberverwaltungsgerichte so belastet sind, müssen wir es auch hier bei einer Regelung belassen, die sich bei den anderen Gerichtszweigen bewährt hat. Ich weise darauf hin, daß wir ehrenamtliche Beisitzer bei den Kammern für Handelssachen bei den Landgerichten in erster Instanz haben. Wenn aber nachher die Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt wird, entscheiden nur Berufsrichter. Das ist eine Regelung, die durchaus mit einem demokratischen Rechtsstaat vereinbar ist. Wir halten es für richtig, diese Regelung auch für die Verwaltungsgerichte vorzusehen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich darf Sie namens der Freien Demokratischen Partei bitten, unseren Anträgen zuzustimmen. Wir haben uns wirklich auf das beschränkt, was wir für unbedingt notwendig erachten. Wir würden uns sehr freuen, wenn es uns bei diesen Beratungen der Verwaltungsgerichtsordnung glückt, ein Gesetz zu schaffen, das eine Beständigkeit hat, wie wir sie von unseren klassischen Gesetzen, auch von den Verfahrensgesetzen wie der Zivilprozeßordnung, gewohnt sind.
({4})
Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache liegen nicht vor. Sie ist hiermit geschlossen.
Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe den § 9 auf, zu dem der erste Änderungsantrag auf Umdruck 406 Ziffer 1 vorliegt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühlthau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion verbleibt bei ihrer bisherigen Meinung. Sie wird den Antrag der SPD, bei den Oberverwaltungsgerichten die ehrenamtlichen Richter einzuführen, ablehnen.
Herr Kollege Dr. Arndt, ich darf hier an das anknüpfen, was meine verehrte Vorrednerin gesagt hat. Das Ja oder Nein zu diesem Antrag kann nicht als Maßstab für das demokratische Verhalten des einzelnen Abgeordneten angesehen werden. Eine solche Auffassung geht zu weit.
Die Entscheidung, daß ehrenamtliche Richter be den Verwaltungsgerichten nicht berufen werden sollen, ist das Ergebnis sehr eingehender Beratungen sowohl im Rechtsausschuß als auch in dem mitberatenden Innenausschuß. Beide Ausschüsse haben mit sehr deutlicher Mehrheit an der Regierungsvorlage festgehalten, der auch der Bundesrat zugestimmt hatte. Bei der Anhörung von Sachverständigen im Rechtsausschuß hat sich ergeben, daß auch von diesen die Regierungsvorlage in vollem Umfange bejaht wird.
Der Herr Kollege Dr. Arndt hat erklärt, diese Frage sei der Angelpunkt für die Stellungnahme der SPD-Fraktion zu dem gesamten Werk der Verwaltungsgerichtsordnung. Ich darf die Gründe vortragen, die uns bewegen, an unserem bisherigen Standpunkt festzuhalten. Die Oberverwaltungsgerichte sind in überwiegendem Maße mit der Entscheidung von Rechtsfragen betraut, bei denen es sich in der Regel um sehr komplizierte Probleme handelt. Gerade auf dem Gebiete der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist es notwendig, in starkem Maße auf allgemeine Rechtsbegriffe, auf die Rechtslehre und die Rechtsprechung zurückzugreifen. Wir glauben, daß der ehrenamtliche Richter am Oberverwaltungsgericht einfach nicht in der Lage wäre - Ausnahmen gibt es selbstverständlich -, sich die erforderlichen Kenntnisse der Einzelmaterie zu verschaffen, die zur rechtlichen Entscheidung notwendig sind. Es wurde schon bei der zweiten Lesung gesagt, daß das Oberverwaltungsgericht zudem letzte Instanz in Fragen des Landesrechtes ist. Deshalb ist hier eine konkrete und präzise Rechtsprechung erforderlich. Sie ist nach unserem Dafürhalten nur gewährleistet, wenn die Oberverwaltungsgerichte mit einer angemessenen Zahl von Berufsrichtern besetzt sind.
Zur Begründung der Betätigung von ehrenamtlichen Richtern bei den Oberverwaltungsgerichten verweist man auf das Beispiel der Oberverwaltungsgerichte Lüneburg und Münster, bei denen man mit den ehrenamtlichen Richtern gute Erfahrungen gemacht habe. Beide Städte haben den Vorteil, daß sie alte Regierungssitze sind und daß gerade an diesen Orten in erheblichem Umfange pensionierte Beamte des höheren Verwaltungsdienstes und pensionierte Verwaltungsrichter zur Verfügung gestanden haben, auf die man zurückgreifen konnte.
({0})
- Ja, Herr Kollege, das spielt durchaus eine Rolle. Es ist Ihnen sicherlich nicht unbekannt, daß gerade in diesen beiden Städten - es gibt noch einige wenige andere - sich doch in erheblichem Umfange Beamte des höheren Verwaltungsdienstes wie auch Verwaltungsrichter nach ihrer Pensionierung niedergelassen haben. Das sind Personen, die hier als ehrenamtliche Verwaltungsrichter berufen werden, die aber die Voraussetzungen erfüllen, die sonst für die Berufung als Berufsrichter gefordert werden.
Aber die Verhältnisse sind von Ort zu Ort unterschiedlich. Es ist keineswegs überall so wie in den genannten Orten, so daß man auch auf Personen zurückgreifen müßte, welche diese Befähigung, die eben höhere Verwaltungsbeamte oder Verwaltungsrichter aus ihrer früheren beruflichen Tätigkeit mitbringen, nicht besitzen. Bedeutet es - meine Damen und Herren, das darf ich einmal persönlich fragen; es ist also nicht eine Frage, die meine Fraktion stellt - nicht geradezu eine Überforderung solcher Persönlichkeiten, wenn sie zur gerichtlichen Entscheidung über zum Teil doch sehr komplizierte Fragen bei den Oberverwaltungsgerichten berufen werden sollen?
Herr Kollege Dr. Arndt wies auf das Preußische Oberverwaltungsgericht hin, bei dem seit 1883 stets mit ehrenamtlichen Richtern gearbeitet worden sei. Das wird von uns nicht bestritten. Ich darf aber darauf hinweisen, daß beispielsweise das Bayrische Oberverwaltungsgericht schon seit 1875 besteht und seit dieser Zeit stets ohne ehrenamtliche Beisitzer gearbeitet hat.
Nach unserer allein auf sachlichen Gründen beruhenden Meinung wäre es Rechtens, daß die Richter bei den Oberverwaltungsgerichten ausschließlich Berufsrichter sein sollten.
In diesem Zusammenhang darf ich ausdrücklich etwas unterstreichen, was Frau Kollegin Dr. Kuchtner vorhin bemerkt hat. Es handelt sich, wenn wir den ehrenamtlichen Richter bei den Oberverwaltungsgerichten ablehnen, nicht um den „ersten Streich", dem der zweite sogleich folge, d. h. also, die Beseitigung des ehrenamtlichen Richters auch in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit; eine Befürchtung, die man immer wieder hört. Davon kann keine Rede sein; wie wir auch keineswegs schlechthin den ehrenamtlichen Richter ablehnen. Wir achten ihn, bejahen ihn, glauben aber, daß im Hinblick auf die besondere Schwierigkeit der Materie gerade in der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf den ehrenamtlichen Beisitzer verzichtet werden sollte.
Aus diesen sachlichen Gründen allein, meine Damen und Herren, sind wir der Meinung, daß es nicht richtig ist, bei den Oberverwaltungsgerichten ehrenamtliche Richter zu ernennen. Ich darf Sie daher bitten, den vorliegenden Antrag der SPD abzulehnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kanka.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Insonderheit: Sehr geschätzter Herr Kollege Dr. Arndt!
({0})
Wir beide kommen aus dem „demokratischen
Musterland" Hessen. Sie waren in dem demokrakratischen Musterland Hessen, ich glaube, bis zum
Jahre 1949, Ministerialrat. Ich war in diesem demokratischen Musterland Hessen bis zum Jahre 1957 einfacher Landtagsabgeordneter.
({1})
Wir haben an sehr vielen Gesetzen zusammen gearbeitet. Wir haben, so glaube ich, auch zusammen gearbeitet an dem hessischen Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das ist uns zwar in seinen Anfängen noch von der Besatzungsmacht serviert worden als ein zoneneinheitliches Gesetz. Es ist aber dann in die Kompetenz der Landesgesetzgebung hineingewachsen, und der Hessische Landtag hat sich mit diesem Gesetz befaßt. Er hat beispielsweise im Jahre 1954 eine Änderung zu diesem Gesetz beschlossen. Dieses Gesetz aus dem „demokratischen Musterland" Hessen nun sieht - horibile dictu - beim Verwaltungsgerichtshof fünf Berufsrichter und keinen Laienrichter vor.
({2})
Nur bei den Verwaltungsgerichten in der unteren Instanz haben wir - so wie wir es auch für unsere Verwaltungsgerichtsordnung hier vorgesehen haben - das Laienelement.
({3})
Das ist eine sehr gute und sehr richtige Sache; und man kann dem Lande Hessen sagen, daß es auch auf diesem Gebiet geradezu „pionierhaft vorbildlich" gewesen ist.
({4})
- Sie hören es hin und wieder, wenn es gerade in den Kram paßt. - Aber die Demokratisierung unserer Justiz besteht wahrhaftig nicht darin, daß wir das Laienelement auch da einsetzen, wo es weniger zu suchen hat. Die Demokratisierung ist vielleicht in viel vollkommenerer Weise dadurch gewährleistet, daß der Zugang zum Berufsrichtertum auch den breiten Schichten unseres Volkes eröffnet ist. Seit zehn Jahren bekomme ich etwa allvierteljährlich die Akten von Kandidaten für das Richteramt in die Hand. Das sind nicht nur die Söhne von Landgerichtsräten und Oberlandesgerichtspräsidenten - die sind in der Minderzahl -; das sind echte, wie es in einem schönen Liede der Sozialdemokraten aus der Zeit vor 1914 heißt, Söhne des Volkes, Söhne von Lokomotivführern, von Hilfsarbeitern, von Bäckermeistern, von Justizsekretären. Die Demokratisierung unserer Justiz findet ihre Garantie darin, daß die akademischen Berufe und auch der „erlauchte" Beruf des Juristen
({5})
allen Leuten aus unserem Volke, die die entsprechende Begabung haben, zugänglich sind. Die brauchen dann nur noch die „niederen Weihen" des Referendariats und des Assessorats zu haben,
({6})
und schon sind sie als Söhne des Volkes und Vertreter des Volkes berufen, an seinen Gerichten teilzuhaben.
({7})
Und nun ein Wort an meine sozialpolitisch besonders interessierten Freunde von der CDU. Wir Juristen stehen manchmal in dem Ruf, etwas heimtückisch zu sein, und wenn wir einen Paragraphen produzieren, hat man uns manchmal im Verdacht, wir dächten schon an etwas anderes, was wir bei nächster Gelegenheit produzieren. Dem ist in diesem Falle nicht so.
({8})
Ich kann Ihnen hier die Erklärung abgeben: Wir sind allesamt davon überzeugt, daß das Laienelement bei den Arbeitsgerichten und den Sozialgerichten von ganz entscheidender Bedeutung ist. Da gehört es hin. Es ist aber nicht so wichtig, es ist in der oberen Instanz absolut überflüssig, auf dem Spezialgebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit ebenso wie in der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Was wir hier wollen, hat also nichts zu tun mit irgendeinem ersten Akt des Angriffs auf das Laienrichtertum in der Arbeitsgerichtsbarkeit und in der Sozialgerichtsbarkeit. Dort ist es absolut notwendig, und dort werden wir auch weiterhin dafür eintreten.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider muß ich das mir selbst gegebene Versprechen brechen, daß ich nicht debattieren wollte. Ich werde mich aber ganz kurz fassen.
Herr Kollege Kanka, ich bin in Hessen niemals mit dem Verwaltungsgerichtsgesetz befaßt gewesen. Das ist, wie Sie wissen werden, unter den Fittichen der amerikanischen Militärregierung von einer Professorenkommission ausgebrütet worden. Es ist stets auf den heftigsten Widerstand des hessischen Justizministeriums gestoßen, dem damals anzugehören ich die Ehre hatte. Aber leider lag die Zuständigkeit für die Verwaltungsgerichtsbarkeit später beim Innenministerium.
({0}) - Auch 1949. - Aber das nur nebenbei.
Ich habe mich zu Wort gemeldet, als Frau Kollegin Diemer sprach. Hier besteht ja eine gewisse Diskrepanz. Frau Kollegin Diemer sagt: Keine ehrenamtlichen Richter; nur eine Notmaßnahme; es muß heute für die Geschwindigkeit bei den Prozessen gesorgt werden. Von Herrn Kollegen Kanka hören wir, daß er „in diesem Fall" zwar keinen Hintergedanken hat, aber jedenfalls die ehrenamtlichen Richter für immer abschaffen will. Meine Damen und Herren, ich möchte dazu nur eines sagen. Die Zeit des Freiherrn vom Stein war Preußens ärmste Zeit. Sie war eigentlich, wenn das möglich ist, noch bedrängter als unsere Gegenwart. Damals hat gerade der Freiherr vom Stein gelehrt, daß wir nicht an der Freiheit und im Grundsätzlichen sparen sollen; denn das ist das kostspieligste Sparen, das wir treiben könnten. Aus dem Grunde möchte ich Sie doch davor warnen, aus derlei Erwägungen hier zu sagen: Wir geben zwar das institutionelle Denken auf, heben uns aber die unmittelbare demokratische Beteiligung der Bevölkerung an ihrer eigenen Rechtsprechung für Zeiten auf, in denen das Wirtschaftswunder vielleicht noch größer sein wird. Das halte ich für ungeheuer gefährlich.
Bei der Gelegenheit nur noch eins. Ich habe inzwischen den neuen Antrag gelesen, jetzt eine Soll-Vorschrift einzufügen, wonach die Hälfte aller Richter eine Verwaltungsbeamtentätigkeit absolviert haben soll. Ich habe schon gesagt, daß ich es durchaus für gut und notwendig halte, daß der Verwaltungsrichter Verwaltungskenntnisse hat. Aber ich hege die Sorge, daß Sie damit - und das bitte ich sich sehr zu überlegen - eine Art Reservat für die Verwaltungsbeamtenschaft gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit begründen; denn die Verwaltung erzieht, und zwar mit Recht - das ist ein Ethos, auf das die Beamtenschaft stolz sein kann - zum Dienst, auch im Wege des Zweckdenkens. Was in der Verwaltung nicht gelernt werden kann, was vielleicht nirgends gelernt werden kann als im Gericht selber, ist die richterliche Unabhängigkeit und die Unabhängigkeit des Denkens.
({1})
Daher ist vor Maßnahmen zu warnen, die doch die von Ihnen auch nicht gewollte Tendenz entwikkeln könnten, als ob später Richterstellen gewissermaßen Beförderungen innerhalb einer Beamtenlaufbahn wären. Es ist etwas sehr Verschiedenes, ob ich Beamter bin oder ob ich Richter bin. Das soll nach keiner Seite hin eine Überbewertung oder eine Abwertung sein. Gerade in der Verwaltungsgerichtsbarkeit geht es - das hat die bisherige Verwaltungsgerichtsbarkeit auf diesem heiklen Felde mit großem Geschick bewiesen - um die unabhängige Bemessung einer schmalen Gratwanderung zwischen Gestaltungsfreiheit der zweckdenkenden, aber rechtsgebundenen Verwaltung und dem rechtlichen, rechtsgestaltenden Denken des Richters. Greifen Sie nicht in diese Dinge ein, indem Sie hier eine solche Maßnahme beschließen!
Noch etwas anderes. Herr Minister, ich habe versucht, Ihnen auf Ihre letzten Bemerkungen zuzurufen: Wir haben Beamte des Bundes, aber wir haben keine Studenten des Bundes! Deswegen ist der Bund durchaus legitimiert, für die Ausbildung seiner Beamtenschaft Sorge zu tragen im Rahmen der Zuständigkeiten, die ich hier jetzt nicht weiter überprüfen will. Aber welch ein Widerspruch liegt darin, daß wir die Sparmaßnahmen und die Maßnahmen zur Beschleunigung in dem Abbau der ehrenamtlichen Richter suchen, daß wir dagegen nicht den Weg gehen, die geringe Zahl der gegenwärtig in der Verwaltungsrechtspflege tätigen Richter zu vermehren - eine Zahl, die durchaus vergrößert werden könnte -, und diese geringe Vermehrung in einem Augenblick unterlassen, in dem wir sagen: Um Himmels willen; wir haben so viel Studenten, daß jeder vierte herausgeprüft werden muß!
({2})
Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 89. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den I 1. November 1959 4833
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehöre zwar nicht zu jenem erlauchten Kreis, der in der Alchimistenwerkstatt des Rechtsausschusses an jenem Arkanum arbeiten durfte, über das wir brüten.
({0})
Ich bin ein schlichter Jurist, der versucht, sich gelegentlich auch über Anträge und Vorlagen Gedanken zu machen, an deren Vorbereitung er nicht beteiligt war und die ihn fraktionsressortmäßig nichts angehen, für die er darum nicht als Redner bestimmt ward. Aber ich glaube doch einige Legitimation zu haben, zu diesem wichtigen Problem einiges zu sagen.
Freilich möchte ich hier nicht mit folkloristischen Argumenten operieren, also weder auf das „demokratische Musterland" Hessen rekurrieren noch - was ich immerhin als Schwabe könnte - auf das klassische Musterland" Schwaben. Es gibt wahrscheinlich auch ein „Musterland" Niedersachsen, ein „Musterland" Hamburg, ein „Musterland" Bremen, ein „Musterland" Nordrhein-Westfalen, ja auch ein „demokratisches Musterland" Bayern. Ich nehme an, alle Länder sind „Musterländer"; jedes auf seine Weise, aber insgesamt alle. Ich möchte abseits von solcher Folklore argumentieren.
Man hat davon gesprochen, es sei ein demokratisches Postulat, den Laienrichter auch in die Oberverwaltungsgerichte zu tun. Demgegenüber kam das Argument: heute werde auch der „Sohn des Lokomotivführers" Richter. In meinen Augen hat das mit Demokratie ganz und gar nichts zu tun. Man kann ein Demokrat sein, auch wenn man - sagen wir - Abkömmling eines ehemals regierenden Hauses ist, und man kann das Gegenteil davon als Sohn eines Lokomotivführers sein. Der Sohn eines kleinen Finanzbeamten - er hieß, glaube ich, Hitler - hatte einen Sohn Adolf ... Ihre Bemerkung ist also kein Argument, sie hat mit Demokratie ganz und gar nichts zu tun. Ich bitte mich nicht mißzuverstehen, wenn ich nun sage: Demokratie hat mit „die kleinen Leute" nichts zu tun. Demokratie hat etwas zu tun mit Bürgersinn, d. h. damit, daß man als Bürger so unmittelbar wie möglich an die Verantwortung heranzukommen versucht, die auf dem Staat lastet, sei es in der Verwaltung, sei es bei der Gesetzgebung, bei der Rechtsprechung oder anderswo.
Warum haben wir denn eigentlich in unserem Gerichtswesen im Gegensatz zu anderen Ländern, Frankreich z. B., die Schöffen? Ich selber bin über zehn Jahre meines Lebens Richter gewesen und hatte mit Schöffen zu tun. Es war gar nicht immer ganz leicht, mit Schöffen umzugehen; die hatten ihre eigenen Vorstellungen und waren manchmal gar nicht sehr „liberal". Ich bitte die Damen im Hause um Entschuldigung, wenn ich sage: Wenn eine Schöffin in der Kammer saß und angeklagt war ein Dienstmädchen, das ein Wollknäuel gestohlen hatte, war es oft sehr schwer, das Gericht davon zu überzeugen, daß eine Zuchthausstrafe nicht unbedingt notwendig ist.
({1})
Ich sage das, damit Sie sehen, daß ich auch patentdemokratischen Institutionen gegenüber durchaus meine Skepsis habe. Es kommt auch hier auf den Menschen an.
Aber schließlich gibt es so etwas wie eine Art von institutionellem Querschnitt und Normalfall. Einer der Gründe, weswegen ich es immer als gut empfunden habe, daß es Schöffen gibt, ist, daß so das Laienvolk wenn ich so sagen darf - immer das Gefühl hat, „die dort oben" - wie man in Schwaben sagt: „die Herren" - sind nicht ganz allein, wir schauen zu, es ist auch unsere Sache, die hier geschrieht, wir wirken mit. Es wird damit ,gewissermaßen eine Art von Kontrollfunktion erfüllt, die nicht diesen Namen hat, aber doch sehr effektiv ist. Nicht daß ich meinte, die Richter müßten kontrolliert werden, weil sie schlecht seien. Aber es ist gut, wenn die, die Objekt der Wahrsprüche staatlicher Organe sind, mit „dabei" sind, zusehen, mitwirken und so das Gefühl bekommen: wir sind nicht nur Objekt, sondern wir wirken mit. Das scheint mir eine sehr wichtige Sache, ich möchte fast sagen, ein Stück politische Hygiene zu sein. Man sollte sie in ihrer Bedeutung und Wirkung nicht unterschätzen.
Schon aus diesem Grunde halte ich es für eine gute Sache, daß man den Laienrichter, den ehrenamtlichen Richter hat. Gerade dort, wo es sich um die Kontrolle des Staates handelt, wo es sich darum handelt, festzustellen, ob Behörden ihr Ermessen mißbraucht haben, dem Übermut der Ämter zu wehren - das ist es doch, was die Verwaltungsgerichte in erster Linie zu tun haben , hat die Institution der nicht mit der Robe bekleideten Richter ihre besondere Bedeutung. - Das ist das eine.
Das zweite ist - auch da spreche ich aus einer langen Erfahrung als Richter und als Professor -: Es tut dem Berufsjuristen manchmal ganz gut, wenn der Laie eine Kinderfrage an ihn richtet:
({2})
Die Frage: „Sag mal, Onkel, warum ist das denn eigentlich so?" hat uns doch gelegentlich recht nervös gemacht, wenn uns die kleinen Neffen und Nichten so fragten. Ich habe das zunächst mit einem Achselzucken quittiert; doch nachdem ich dreimal geschluckt hatte, fand ich es doch ganz gut, daß man mich so gefragt hat. Manchmal kam dann in meinen Gedankenetwas anderes zutage als vorher. Ich sah manches deutlicher und auch klarer, und manchmal sah ich es ,einfacher, einfacher nicht im Sinne von „simpel", sondern im Sinne von „nicht mehr so kompliziert, nicht mehr so verwickelt". Es zwang mich zu klarerem Denken, es zwang mich, auf den Rekurs, auf die Bequemlichkeit des Fachjargons zu verzichten.
({3})
Das ist etwas sehr Notwendiges, etwas, was wir alle, überall, in allen Professionen nötig haben.
Dr. Schmid ({4})
Auch das ist ein Grund, weswegen ich meine, daß man den ehrenamtlichen Richter, also den Laienrichter, den Mann, der manchmal „saudumm daherfragt", wie man im Schwäbischen sagt - auf bayerisch sagt man das, glaube ich, auch -, im Gericht haben sollte, auch beim Oberverwaltungsgericht.
Dieses Argument hat mit Demokratie z. B. ganz und gar nichts zu tun. Aber, ich glaube, es hat etwas mit der Frage zu tun, ob die Gerichte bei Hinzuziehung von Laienrichtern besser oder schlechter Recht sprechen. Mit Demokratie hat das andere etwas zu tun, von dem ich jetzt sprechen werde.
Alles spricht vom Freiherrn vom Stein. Ich möchte hoffen, daß alle, die von ihm reden, ihn auch gelesen haben. Der Hauptgrund, weswegen er für die Selbstverwaltung plädierte, war nicht etwa der, daß er der Meinung war, Beamte, die von einem kommunalen Personalreferenten ausgesucht und angestellt werden, seien besser als solche, die von einem ministeriellen Personalreferenten oder einem Minister ausgesucht werden. Das hat er nicht gemeint; beide hätte ,er für „Bürokraten" gehalten - was nichts Schlechtes ist. Was er meinte, war: man soll den Bürger auf so vielen Plätzen wie möglich und so nahe wie möglich verantwortlich und eigentätig an den Staat heranbringen!
({5})
Das sollte man, glaube ich, wo der Bereich überschaubar ist, auch bei den Gerichten machen. Es gibt durchaus Bereiche, die nicht überschaubar genug sind, wo man den Bürger sich durch eine Minderheit von Bürgern repräsentieren lassen muß. Aber es ,gibt ,auch Bereiche, die ;so überschaubar sind, daß der Mündige die Dinge, mit denen er öffentlich zu tun hat, in seinem täglichen Leben selbst übersehen kann, also imstande ist, sich zu fragen: Was verantworte ich eigentlich damit, daß ich ja oder nein sage?
Ich glaube, das ist ein guter demokratischer Gedanke, demokratisch nicht im Sinne des Formalismus „Mehrheit gilt", sondern in dem Sinne: der Bürger besorgt die Angelegenheiten der res publica - das sind wir alle - so weit wie möglich selbst. Das scheint mir ein Argument zu sein, dais wir nicht übersehen sollten.
Die Meinung, es gehe nicht ohne den Fachmann - das wollen Sie doch sagen, wenn Sie vom Berufsrichter ,sprechen -, erinnert mich an das Biedermeier-Axiom vom beschränkten Untertanenverstand. Ich glaube, man sollte in diesen Dingen dem Bürger etwas zutrauen. Sehen Sie, man wirft ja auch uns Parlamentariern gelegentlich vor, wir beschlössen Gesetze zu Materien, von denen wir, fachmännisch gesprochen, nichts verstünden. Es wäre doch viel besser, sagt man, die Apothekerordnung würde von Apothekern beschlossen usw. usw.
({6})
- Ja, das sagt man doch sehr oft. Es wäre freilich entsetzlich; entsetzlich wäre das!
({7})
Ich glaube aber, daß es auch nicht sehr gut wäre, wenn man, was man uns gelegentlich entgegenhält, der Gerichtsbarkeit entgegenhielte. Schließlich sind ja an diesen Gerichten auch fachkundige, sogenannte „gelehrte", Richter. Ich habe dieses Wort immer sehr geliebt, dieses Wort „gelehrter Richter". Der Richter sollte wirklich ein gelehrter Mann sein. Ein gelehrter Mann kann auch selber lehren. Er kann auch seinen Beisitzern, die nicht Berufisrichter sind, sagen, was je und je das Gesetz will. Das ist das eine.
Das zweite, zu dem Herr Dr. Arndt gesprochen hat, war, ab man unbedingt drei Jahre Verwaltungsbeamter gewesen sein muß, um in einem Verwaltungsgericht Richter zu sein. Ich persönlich glaube das nicht. Natürlich, die Verwaltungsbeamten sind bei uns fast alle Juristen, sie haben ihren Assessor gemacht usw. Aber der „Jurist" ist noch kein „Richter", durchaus nicht! Der Beamte ist durch die ganze Art seiner Tätigkeit in eine andere Art des Denkens und des Sehens der Dinge hineingewachsen als der Richter. Der Verwaltungsbeamte entscheidet zeit seines Lebens Einzelfälle meistens - im Rahmen der Rechtmäßigkeit natürlich - auf die Zweckmäßigkeit hin. Der Richter tut das nicht.
Auf die Gefahr hin, für einen rettungslosen Mann von vorgestern gehalten zu werden, bin ich der Meinung - cum grano salis -, daß den Richter die Frage nach der Zweck mäßigkeit einer Entscheidung nichts angeht. Ihn geht ausschließlich die Frage nach der Recht mäßigkeit an.
({8})
Das Wort „Fiat iustitia, et pereat mundus!" sollte man nicht nur lächerlich nehmen, wie das so häufig geschieht: Wir Ließen die Welt zugrunde gehen, nur um recht zu behalten. So ist das nicht gemeint, und so meine ich das auch nicht. Ich glaube aber, daß auf die Dauer die Welt nur dann Bestand haben wird, wenn Richter nichts anderes tun als fragen: „Was ist hier Recht", und nicht, wenn sie fragen: „Was hätte man hier aus Zweckmäßrigkeit tun oder unterlassen sollen!"
({9})
Ehe ich weiter das Wort erteile, darf ich daran erinnern, daß insgesamt 31 Änderungsanträge zu diesem Gesetz vorliegen, von denen sich allerdings einige decken und einige überschneiden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So gern ich, Herr Präsident, auf Ihren liebenswürdigen Hinweis hin auf eine Wortmeldung verzichtet hätte, ich muß leider doch einige Worte sagen.
So war es auch nicht gemeint.
Sie betreffen nicht so sehr den Kollegen Schmid. Ich bin
Bundesinnenminister Dr. Schiöder
etwas zu spät zu Wort gekommen; ich wollte ein Wort an die Adresse des Kollegen Arndt richten. Aber dem Kollegen Schmid möchte ich folgendes sagen:
Er hat die Laienbeisitzer - er kann sich das als Süddeutscher erlauben, mir würde man das nie im Leben abnehmen - etwas leichtfertig bezeichnet als Leute, die einmal saudumm daherreden dürfen.
({0})
- Na gut, fragen!
({1})
Saudumm fragen oder saudumm daherreden!
({2})
- Also gut, ich akzeptiere ja gern das „SaudummFragen", Herr Kollege Schmid.
Nun haben diese Gerichte ja alle einen stufenförmigen Aufbau.
({3})
Sie wissen auch - das brauche ich Ihnen als Jurist nicht erst zu sagen -, daß sie sich sozusagen nach oben rechtlich verfeinern. Deshalb ist doch hier die Frage, ob das „Saudumm-Fragen" nicht in der untersten Instanz genügt und ob man sich nicht in den oberen Instanzen unter Juristen unterhalten sollte.
({4})
Eine Frage: Wenn Sie sich an Ihre Gymnasialzeit erinnern möchten, Herr Minister: die Sokratischen Dialoge bestanden darin, daß einer „saudumm daherfragte" und damit einem gewissen Sokrates Gelegenheit gab, das Richtige zu definieren . . .
Herr Kollege Schmid, ich erinnere mich daran gern, das ist bestimmt eine vorzügliche Methode. Die Frage ist nur, ob sie zur Entscheidung von Rechtsfragen in drei Instanzen gebraucht wird oder ob nicht eine Instanz genügt.
({0})
Meine Damen und Herren, ich darf zu dem zurückkehren, was der Kollege Arndt gesagt hat. Ich hatte mir nun einmal vorgenommen, mit Ihrem neuen Spruch zu gehen. Sie kennen doch Ihren schönen Spruch: „Geh mit der Zeit, geh mit der SPD!" Ich habe vorhin einen Versuch gemacht - ({1})
- Das stammt doch von Ihnen!
({2})
- Das habe ich, Herr Kollege Jahn, wahrhaftig nicht auf allen Wegen vor.
({3})
Aber hier hatte ich also ein kleines Stück Land gesehen, und ich dachte, daß mein Do-ut-des-Angebot an den Kollegen Arndt doch eine etwas freudigere Resonanz gefunden hätte. Ich dachte nämlich gerade, daß ich ihn und seine Freunde so ein bißchen für die Steigerung der kulturellen Aktivität des Bundes einspannen könnte. Darauf hat er leider nicht so positiv reagiert, wie ich das gern gesehen hätte.
Der Herr Kollege Arndt hat aber etwas anderes angeschnitten, und das ist der eigentliche Grund, der mich hier heraufgeführt hat. Das möchte ich doch gern gleich vor dem Hohen Hause klarstellen. Ich hatte vorhin gesagt, daß ich angegriffen würde, weil angeblich der Bund dazu neige, in die Rechte der Länder auf kulturellem Gebiet einzugreifen. Ich möchte folgendes ganz klarmachen. Der Bund hat eine sehr schöne und eine sehr weitreichende Zuständigkeit durch den Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes bekommen, wonach er, hier konkurrierend mit den Ländern, die Förderung der wissenschaftlichen Forschung zu betreiben hat. Das ist ein weites Feld, und ich darf das Hohe Haus daran erinnern
wir werden ja in wenigen Tagen bei der Beratung des Haushalts erneut Gelegenheit haben, darüber zu sprechen -, daß wir dafür inzwischen schon viele Hundert Millionen DM ausgegeben haben. Wir sind eigentlich recht stolz darauf, daß wir trotz großer Mühen dieses Geld aufgebracht und zur Verfügung gestellt haben.
Hierher gehört aber noch ein Weiteres, und das geht nun exakt auf den Punkt, den der Kollege Arndt angesprochen hat. Dazu gehören auch die Studenten. Ich darf das Hohe Haus darauf hinweisen, daß wir für die Förderung der Studenten im kommenden Haushalt, für das Honnefer Modell usw., einen Betrag von 60 Millionen DM aufwenden werden. Das rechtfertigt sicher, daß wir uns mit diesen Fragen beschäftigen und daß wir uns darum kümmern, in welcher Weise über dieses Geld verfügt und wie damit verfahren wird.
Das Bundesinnenministerium hat sich erlaubt, eine Denkschrift des zuständigen Referenten vorzulegen. Es ist übrigens nicht die erste Denkschrift auf diesem Gebiet; ihr sind schon zwei andere voraufgegangen, einmal eine über den Ingenieurnachwuchs und dann eine zweite über das soeben genannte Honnefer Modell der Studentenförderung.
*Ich wollte das hier gern einmal klargestellt haben, damit deutlich wird, daß sich die Bundesregierung auf der Linie bewegt, die das Hohe Haus jahrelang verfolgt hat.
Nun ein Letztes. Der Kollege Arndt hat zitiert, in dieser Denkschrift - nicht etwa in meinen Ausführungen - finde sich ein Hinweis darauf, daß man notfalls für eine gewisse Zeit einen Teil der Studenten „herausprüfen" müsse. Ich habe mich, wie Sie wissen, von dieser Formulierung distanziert. Ich bin der Meinung, daß das Entscheidende ein beträchtlicher Ausbau der Hochschulkapazität sein wird. Ich habe einen Ausbau um etwa 50 % als notwendig bezeichnet. Im übrigen ist ja von Ihrer Seite, meine Damen und Herren, eine Große Anfrage zu diesem Gegenstand angekündigt worden - ich weiß nicht,
ob Sie sie inzwischen beschlossen haben -, so daß
wir demnächst das Vergnügen haben werden, hier
im Hause eine komplette Kulturdebatte zu führen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Kanka.
Dr. Kanka ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen Ausführungen über die Hochschullage will ich zum § 9 unserer Verwaltungsgerichtsordnung zurückschalten.
({1})
Ich komme auf das zurück, was mein sehr verehrter Herr Kollege Schmid gesagt hat. ,Es ist natürlich ungemein schwer, nach einem so blendenden Plädoyer für das Laienelement in der Justiz noch etwas Schönes zu sagen.
({2})
- „Etwas Schönes", habe ich gesagt; etwas Wahres werde ich sagen! ({3})
Vor allem dem gelingt es nicht, der über den hohen feuilletonistischen Ton - feuilletonistisch in dem Sinne und mit dem Gehalt, wie er diesem Worte von der „Frankfurter Zeitung" gegeben worden ist
- nicht verfügt, sondern nüchterner spricht.
Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem Richter und dem Bürger. Auch der Richter ist Bürger nach seiner ganzen Herkunft und nach der ganzen Art seines Lebens.
({4})
Dem Laienelement ist auf dem Sondergebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit wahrhaftig hinreichend Raum gegeben. Wir haben es ja nicht nur bei den Verwaltungsgerichten, sondern wir haben es auch bei den Einspruchausschüssen - oder wie die Ausschüsse heißen, die da vorangehen -, in denen unter dem Vorsitz, meist eines Juristen oder Verwaltungsmannes, zwei Laien sitzen.
Das Laienelement ist also in die Verwaltungsgerichtsordnung bereits hinreichend eingebaut. Es geht hier nur um die Frage, ob dieses Element auch bei den Obergerichten noch vonnöten ist; und da sage ich: es ist ebensowenig vonnöten wie in der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Ich meine, wir könnten den Änderungsantrag zu § 9, wie ihn die SPD gestellt hat, mit gutem Gewissen ablehnen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesinnenminister hat eine Ablenkungsoffensive führen wollen, zu der man nur den „Spiegel" dieser Woche zitieren kann:
Der Innenminister des Bundes, Gerhard Schröder, hält den absoluten Rekord in der Disziplin, am falschen Ort aus dem falschen Anlaß zum falschen Zeitpunkt das Falsche zu verkünden.
({0})
Meine Damen und Herren, heute wird nicht über seine verfehlte Denkschrift gesprochen und den schlechten Eindruck, den er in der deutschen Öffentlichkeit damit hervorgerufen hat. Heute wird über die Verwaltungsgerichtsordnung und die ehrenamtlichen Beisitzer gesprochen. Wenn der Herr Bundesinnenminister hier das Wort ergreift, dann wäre auch diese wichtige Frage eines Beitrages wert gewesen. Wir werden über die Kulturfragen beim Haushalt und bei anderer Gelegenheit sprechen, nicht in Illustrierten, nicht im Fernsehen, sondern hier. Es kommt darauf an, was wirklich für den Schulbau, für das Honnefer Modell und für den Wissenschaftsrat getan wird, und wir hoffen, daß dann der Herr Innenminister hier ist und einen Beitrag zu diesen Themen leistet.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Antrag Umdruck 406 Ziffer 1; er betrifft § 9 Abs. 3. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist abgelehnt. § 9 bleibt also in der Fassung der zweiten Lesung bestehen.
Wir kommen jetzt zu dem vielumstrittenen § 15. Hierzu liegen folgende Anträge vor: Umdruck 415 Ziffer 1, Umdruck 406 Ziffer 2, Umdruck 419 Ziffer 1
- die wahrscheinlich alle gleichlautend sein werden -, ferner Umdruck 421 Ziffer 1 und Umdruck 422. Ich darf annehmen, daß eine besondere Begründung nicht gewünscht wird, weil die Begründungen in der Debatte über diese Anträge, falls sie stattfindet, gegeben werden können. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
({0})
- Zur Begründung? - Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man heute im Bundestag die erste und die zweite Reihe der verehrten Kollegen ansieht, fällt es einem als Nichtjuristen nicht leicht, dieser juristischen Großkoalition standzuhalten, die sich heute im Bundeshaus auch zur Verteidigung des Antrages, die Absätze 3 und 5 des § 15 zu streichen, in der dritten Lesung zusammengeschlossen hat. Ich erinnere den Herrn Abgeordneten Jahn daran, daß er in einem Zwischenruf in der zweiten Lesung die Meinung bekundet hat, es gehe bei diesem Streichungsantrag, den die Kollegen des Innenausschusses in Abweichung von der Meinung des Rechtsausschusses gestellt haben, eigentlich nicht um eine Gewissensfrage, das sei zu pointiert gewesen. Aber ich habe nach den Ausführungen sowohl des Herrn Abgeordneten Arndt
als auch des Herrn Abgeordneten Schmid, der am Schluß gerade auch allgemeine Gesichtspunkte herausgestellt hat, das Gefühl, daß wir bei § 15 Abs. 3 und 5 eben doch bei einer Frage angekommen sind, wo sich die Geister scheiden. Ich bleibe da bei meiner Auffassung, die ich in der zweiten Lesung vertreten habe.
Ich darf noch einmal daran erinnern, daß es den Kollegen vom Innenausschuß nicht darauf ankam, in einem großen Streitgespräch unseren Standpunkt gegenüber dem des Rechtsausschusses aus Prestigegründen durchzusetzen. Wir haben wochenlang gewartet, ob wir zu einem Gespräch kämen. Nach der zweiten Lesung wäre durchaus Zeit gewesen, mit uns über die Dinge zu sprechen und den Versuch einer Einigung zu machen.
Die Unterzeichner des Antrags Umdruck 421 wollten vor diesem Hohen Hause den Beweis liefern, daß es ihnen darauf ankommt, eine breite gemeinsame Basis zu finden. Unser Antrag Umdruck 421 ist nicht ein Eventualantrag wie der Änderungsantrag Umdruck 422, der erst zum Zuge kommen soll, wenn die Anträge auf Streichung des § 15 Abs. 3 abgelehnt werden sollten. Im Gegensatz zu unserem Antrag in der zweiten Lesung wollen wir aus freien Stücken Ihrem Anliegen, meine Damen und Herren, insoweit entgegenkommen, als wir vorschlagen, daß die Hälfte der Richter keine drei Jahre in einer Verwaltung tätig gewesen zu sein braucht; eine erweiterte Ausbildung wird für diese Hälfte nicht verlangt. Wenn Sie unseren Vorschlag mit der Regierungsvorlage und mit Ihren eigenen Anträgen vergleichen, werden Sie zugeben müssen, daß das ein Kompromiß ist, der den guten Willen der Kollegen des Innenausschusses, insbesondere der Unterzeichner des Antrages, dartut, zu einer Einigung auf breiter Basis zu gelangen und es nicht auf eine Entscheidung mit einer knappen Mehrheit ankommen zu lassen.
Der Herr Abgeordnete Arndt hat vorhin gesagt, ihm komme das Anliegen des Innenausschusses so vor, als ob dabei von einem obrigkeitsstaatlichen Denken ausgegangen würde, einem Denken, das einer vergangenen Zeit angehöre. Ich darf ihm versichern, wenn er auch jetzt nicht im Saale ist, daß uns das völlig fernliegt. Im Gegenteil, der Regierungspräsident, der Präsident eines Landschaftsverbandes, der Minister, der sich in zivilen oder Verkehrssachen vor dem zuständigen Amts- oder Landgericht verantworten muß, genießt hier keinen Vorzug. Auch die Entscheidungen, die er in seinem Amt fällt, dürfen vor dem Gericht keinen Vorzug genießen. Da decken sich unsere Meinungen völlig. Ich möchte klar aussprechen, daß, wenn wir für einen Teil der Richter eine berufliche Erfahrung fordern, das in gar keiner Weise so ausgelegt werden kann, daß wir im obrigkeitsstaatlichen Denken befangen sind.
Meine Damen und Herren, überlegen Sie doch folgendes: Wenn die Streitfälle vor das Verwaltungsgericht gehen, waren sie bereits in einem Behördenbescheid und in einem Widerspruchsbescheid festgelegt. Das Verwaltungsgericht ist eigentlich, wenigstens in der Sache, sozusagen die dritte. Instanz, und es ist schon ein sehr hohes Maß von Sachkenntnis notwendig, um die Fragen zu beurteilen und zu entscheiden. Es ist doch nicht möglich, daß etwa eine Kammer, die mit drei jungen Gerichtsassessoren besetzt ist, nachher über diese Dinge entscheidet.
({0})
Bei den Verwaltungsgerichtsverfahren ist noch etwas anderes zu bedenken. Der Bürger - und von dem Bürger ist viel gesprochen worden - empfindet die Ausführung, die Anwendung der Gesetze und Verordnungen manchmal als viel eingreifender, viel wichtiger als die Gesetze selbst. Die Gesetze, die wir im Bundestag machen - von ganz großen optischen Gesetzen jetzt einmalabgesehen -, empfindet er nicht so unmittelbar wie die Anwendung dieser Gesetze, die Ausführungsverordnungen und die anderen Maßnahmen, die von den Behörden ausgehen. Für ihn repräsentiert sich der Staat weitgehend in der Verwaltung, die man manchmal, sei es zu Recht, sei es zu Unrecht, als Bürokratie bezeichnet.
Die Erfahrung zeigt, daß ein großer Teil der Prozesse vor den Verwaltungsgerichten und auch vor den Oberverwaltungsgerichten in der Berufungsinstanz verlorengehen. Ich weiß nicht, wie viele es sind. Ich bin aber überzeugt, daß die Mehrheit der Prozesse verlorengeht. Das hängt zum Teil damit zusammen, daß die Kläger sich über die rechtliche Situation nicht im klaren sind.
Ich glaube nun, daß es sehr wichtig ist - das liegt auch im Staatsinteresse -, schon in der ersten Instanz und natürlich noch viel mehr in der zweiten Instanz die Möglichkeit offenzuhalten, auf dem Vergleichswege noch zu helfen und auch da noch Vorschläge zu machen, wo der Buchstabe des Gesetzes dem Richter leider nicht die Möglichkeit gibt, Anträgen stattzugeben.
Der Bürger, der im Verwaltungsgerichtverfahren und auch in der Berufung unterlegen ist, trägt - das mag gut oder schlecht sein - eine Verbitterung in sich. Wenn er ,das abweisende Urteil vor sich hat, wendet sich seine Stimmung oft gegen den Staat.
Heute morgen hat ein von mir sehr verehrter Kollege in einem Gespräch im Innenausschuß den Standpunkt vertreten, daß der Bürger eben das Risiko tragen müsse, wenn er in den Prozeß gehe. Das ist so. Aber bei einem Verwaltungsstreitverfahren soll der Bürger das Empfinden haben, daß der Richter auch in den Fällen, wo die Klage nach dem Buchstaben nicht mehr zum Zuge kommen kann, noch die Möglichkeit besitzt, die Verwaltung in diesem oder jenem Punkt vergleichsweise zum Nachgeben zu bringen oder zumindest einen Weg zu suchen, der dem Anliegen in etwa entspricht. Auf diesem Gebiet gibt es viele praktische Beispiele.
Ich bin überzeugt, daß der Verwaltungsrichter, der aus der Verwaltung kommt und seine Kenntnisse auch aus der Verwaltungspraxis schöpft, durch Vergleichsvorschläge manche Dinge aus der
Welt schaffen kann, die sonst nicht befriedigend erledigt werden können.
Die Regelung, die wir auf dem Umdruck 421 beantragen, ist die mildeste Form, die man sich überhaupt denken kann. Es gibt keine mildere Form; denn dadurch, daß die Hälfte der Richter genau wie die anderen Richter berufen wind, ist dem Anliegen des Rechtsausschusses weitgehend Rechnung getragen. Ich möchte daher annehmen, daß der Antrag auf Umdruck 421 angesichts der Gesamtsituation dazu beitragen kann, daß der § 15 des Gesetzes auf einer breiten Basis verabschiedet wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Bitte schön!
Herr Kollege, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir erklären könnten, wie es bei Ihrer Vorschrift möglich sein soll, das verfassungsrechtliche Gebot der Gesetzlichkeit des Richters zu wahren.
Ich habe keine Bedenken. Ich weiß nicht, inwieweit die Rechtmäßigkeit des Richters in irgendeiner Weise berührt wird.
({0})
Darf ich noch einmal fragen - ich habe sehr ausführlich darüber gesprochen -: wie soll das Bundesverfassungsgericht sowie die Revisionsinstanz die Gesetzlichkeit des Richters dann feststellen?
In vielen Ländern, Herr Kollege Arndt, gilt bereits die Bestimmung, daß Richter die Verwaltungserfahrung besitzen müssen, und ich habe noch nirgends gehört, daß das rechtliche Schwierigkeiten gegeben hat.
Ich bitte den Herrn Redner, mich hier einschalten zu dürfen. Ich habe auch darauf zu achten, daß klare Bestimmungen vorliegen. Ich hatte mir vorgenommen, die gleiche Frage, die der Herr Kollege Arndt als Zwischenfrage soeben gestellt hat, an Sie und die Antragsteller des Umdrucks 422 zu richten. Wenn die Soll-Vorschrift als solche angenommen wird - ich will nicht darüber urteilen, ich will nur die Frage stellen -, ist es gegebenenfalls, wenn die Soll-Vorschrift betreffend die Besetzung eines Gerichts nicht eingehalten wird, unter Umständen ein Revisionsgrund? Ich bitte, das zu überlegen. Ich bitte ferner, zu bedenken - ich darf mich in dieser Beziehung auch an den Herrn Redner wenden -, daß, wenn diese Anträge angenommen werden, auch der § 15 Abs. 5 gestrichen werden müßte. Dazu fehlt dann noch ein entsprechender formeller Antrag.
Ich bitte, weiterzusprechen.
Diese Soll-Bestimmung muß von seiten der Regierung selbstverständlich als eine Muß-Bestimmung ausgelegt werden.
({0})
- Das kann ja gar nicht anders sein. Absatz 5 ist natürlich mit der Annahme des Absatzes 3 zu streichen.
Noch eine letzte Bemerkung an die Antragsteller aus dem Rechtsausschuß, soweit sie sich interfraktionell zu der Unterzeichnung bereit gefunden haben! Sie haben darauf hingewiesen, daß sie unter keinen Umständen diese erweiterte Ausbildung des Richters im Gesetz verankert wissen wollen. Das war ein wesentliches Argument bei der zweiten Lesung. Wenn ich aber den Eventualantrag auf Umdruck 422 betrachte, stelle ich fest, daß sie auch bereit sind, das Erfordernis gewisser Kenntnisse im Gesetz zu verankern.
({1})
- Das Argument, daß die besondere Ausbildung im Gesetz nicht verankert werden soll, ist aber mit der Einbringung des Antrags Umdruck 422 sehr abgeschwächt.
({2})
- Nun, das ist eine Auffassungssache.
Abschließend möchte ich sagen: ich kann mir nicht denken, daß es nicht möglich ist, auf der Basis des Umdrucks 421 zu ,einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Ich möchte Sie bitten, diesem Antrag zuzustimmen.
Ich darf fragen, ob zur Begründung oder in der Debatte noch das Wort gewünscht wird? Damit wir nicht Begründung und Debatte doppelt haben!
({0})
Der Herr Kollege Weber hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gehöre zu den Unterzeichnern des Antrags Umdruck 419, eines interfraktionellen Antrags, der in erster Linie die Streichung des § 15 Abs. 3 und 5 - in der zweiten Lesung so angenommen - vorsieht. Ich glaube, daß Argumente zu dieser Frage kaum noch vorgetragen werden können. Das ist schon so ausführlich geschehen, daß ich mich auf einige Bemerkungen beschränken kann.
Wir wollen verhindern, daß für die Richter der verschiedenen Gerichtsarten eine voneinander abweichende Qualifikation gesetzlich verankert wird. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß das Haus vor wenigen Monaten eine nicht unwichtige Vorentscheidung getroffen hat. - Herr Kollege Arndt hat schon darauf hingewiesen. - Als wir bei der Beratung der Bundesrechtsanwaltsordnung vor der Frage standen, ob das Anwaltsassessorat aufrechterhalten werden sollte, hat sich der Rechtsausschuß, obschon das vielen Mitgliedern schwerfiel - ich gehörte auch dazu -, schließlich entschlossen, um der EinDr. Weber ({0})
heitlichkeit der Voraussetzungen für die Tätigkeit als Richter, Staatsanwalt oder Rechtsanwalt willen zuzustimmen, daß das Assessorat für die Anwaltschaft beseitigt wird. Die Anwaltschaft wollte für den Zugang zu ihrem Beruf die gleichen Voraussetzungen vorgesehen haben, wie sie für die Richter und die Staatsanwälte bestehen. Aus diesem Grunde wurde die Streichung des Anwaltsassessorats vorgesehen. Sollen wir hier nun einen Rückschritt machen und wiederum eine Verschiedenheit einführen, die wir in einem anderen Bereiche gerade beseitigt haben?
Herr Kollege Dr. Werber, nach Ihrem Antrag auf Umdruck 421 soll die Hälfte der Richter des Verwaltungsgerichts eine dreijährige hauptberufliche Verwaltungstätigkeit haben. Ich kann nicht anerkennen, daß damit unserem Anliegen entscheidend Rechnung getragen wird. Der Antrag auf Umdruck 422 unterscheidet sich ganz entscheidend von Ihrem Antrag auf Umdruck 421. Der Antrag auf Umdruck 422 nimmt zu der Frage, ob der Richter eine besondere Qualifikation haben muß, überhaupt nicht Stellung. Er besagt meines Erachtens lediglich etwas, was sogar selbstverständlich ist. Wir haben auch in anderen Gesetzen solche Selbstverständlichkeiten ausgesprochen. Ich darf an das Arbeitsgerichtsgesetz und an das Sozialgerichtsgesetz erinnern, in denen bestimmt ist, daß die Richter, die in die Sozialgerichtsbarkeit und in die Arbeitsgerichtsbarkeit kommen, im Sozial- und im Arbeitsrecht erfahren sein müssen.
Etwas Derartiges sagt auch der Antrag auf Umdruck 422. Er ist als Eventualantrag für den Fall gestellt, daß die Streichung des Abs. 3, die zunächst beantragt ist, abgelehnt wird. Ich habe in den Beratungen bereits betont, Herr Kollege Werber, daß ich es als eine Selbstverständlichkeit ansehe, daß der für die Personalpolitik verantwortliche Ressortminister nur solche Richter an das Verwaltungsgericht beruft, die vom Verwaltungswesen und vom Verwaltungsrecht eine genügende Ahnung haben, also sich diesem Spezialgebiet zugewandt haben. Der Antrag auf Umdruck 422 ist also nur eventualiter gestellt, falls die Streichung des § 15 Abs. 3, wie sie in dem Antrag auf Umdruck 419 Ziffer 1 auch von mir beantragt wird, abgelehnt werden sollte.
Damit würde auch das Problem, das Herr Kollege Dr. Arndt berührt hat und das in der Verwaltungsgerichtsbarkeit von Rheinland-Pfalz, aber wohl auch in der anderer Länder auftritt, ohne weiteres gelöst werden. Wir brauchten dann keine Sonderbestimmung vorzusehen. Dann würden die Assessoren, die sich von vornherein für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entschieden und inzwischen eine gute Ausbildung bekommen haben, wenn sie jetzt als Verwaltungsrichter tätig sind, weiter tätig sein können. Ich würde es sogar begrüßen, wenn sich in Zukunft bereits der junge Jurist entschiede, ob er in die Verwaltungsgerichtsbarkeit gehen will,
({1})
und wenn er eine entsprechende Ausbildung zunächst am Verwaltungsgericht bekäme. Das wäre der richtige Weg.
Ich halte es für eine Utopie, anzunehmen, daß ein Verwaltungsbeamter, der drei Jahre hauptberuflich in der Verwaltung tätig gewesen und dort reüssiert hat, sich nach den drei Jahren, wenn er in der Verwaltung inzwischen Regierungsrat geworden ist, noch bereit findet, in die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu gehen. Es könnte nämlich etwas eintreten, was wir alle nicht wollen. Es könnte sein, daß sich diejenigen zur Verwaltungsgerichtsbarkeit melden, die zwar die formelle Voraussetzung der dreijährigen hauptberuflichen Tätigkeit in der Verwaltung erfüllen, aber in der Verwaltung nicht den nötigen Anklang gefunden haben und dort nicht vorangekommen sind. Das wollen auch Sie sicherlich nicht. Das wäre ein Ergebnis, das eintreten könnte und auf das in diesem Zusammenhang und in dieser Debatte hingewiesen werden muß.
({2})
Zur Begründung wird, wenn ich recht sehe, nicht mehr das Wort gewünscht. Dann eröffne ich die Debatte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Miessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich zunächst den Kollegen Arndt dahin berichtigen, daß ich in zweiter Lesung die Anwälte weder diffamiert habe noch überhaupt von einer „Gewerkschaft der Anwälte" gesprochen habe. Ich habe vielmehr ohne jeden Unterton eines persönlichen Angriffs von einer „Fraktion der Anwälte" gesprochen, so wie es sich aus dem Bild ergab, daß die Auffassung des Rechtsausschusses bis dahin eben nur von Anwälten vertreten worden war.
({0})
Nochmals möchte .ich, wie schon in der zweiten Lesung, darauf hinweisen, daß bei der Regierungsvorlage - jetzt bei der abgewandelten Regierungsvorlage, dem Antrag des Kollegen Dr. Werber, Umdruck 421 - Rang- oder Standesunterschiede zwischen den Richtern bei den verschiedenen Gerichtsbarkeiten keine Rolle spielen, daß es solche Unterschiede heute doch überhaupt nicht mehr gibt. Die nette Geschichte, die man sich früher erzählte, daß ein Oberlandesgerichtspräsident geträumt hatte und diesen Traum freudig erzählte, daß er zum Preußischen Regierungsreferendar ernannt sei, ist doch heute nur noch ein Witz aus alter Zeit, und man kann darüber schmunzeln. Das juristische Studium, die Referendarausbildung und das abschließende Große Staatsexamen sind in der Bundesrepublik einheitlich geregelt. Jeder Assessor hat nach bestandenem Großen Examen dieselben Chancen, und auch das darf ich hier ebenfalls noch sagen, weil es in der zweiten Lesung fälschlich angeführt worden ist - die Besoldung ist für die Assessoren im öffentlichen Dienst völlig gleich. Die Besoldungsfrage steht also nicht im Hintergrund.
({1})
- Die Verwaltungsrichter erhalten nicht mehr als die anderen Richter.
Wenn ich heute ebenso wie eine Minderheit der FDP-Fraktion dem Antrag des Kollegen Dr. Werber gegenüber der Regierungsvorlage den Vorzug gebe, so gerade deshalb, weil die Fassung des Antrages von Dr. Werber eleganter ist, eben im Hinblick auf die sonst vielleicht bestehende Gefahr der Revisionsmöglichkeit für den Fall, daß die Bestimmung, die ja ursprünglich durch das Wort „muß" sehr stark war, etwa nicht eingehalten worden ist; ich glaube, ein Kollege von der SPD fragte eben danach. Dieses Gegenargument also, das in der zweiten Lesung hier vorgebracht wurde, ist jetzt durch die weichere Fassung des Antrags des Kollegen Werber ausgeräumt.
({2})
Worin liegt nun eigentlich der Unterschied zwischen einem Assessor, der Zivil- oder Strafrichter, und einem Assessor, der Verwaltungsrichter wird? Die Richter der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit haben während der dreieinhalb Jahre dauernden Ausbildung zweieinhalb Jahre die einzelnen Gerichtsabteilungen der Zivil- und Strafjustiz vom kleinen Amtsgericht bis zum Oberlandesgericht durchlaufen. Sie haben eine Vielzahl von zivil- und strafrechtlichen Fällen bearbeitet und die praktische Anwendung der Gesetze und auch die Tätigkeit der Zivil- und Strafrichter kennengelernt. Während ihrer Ausbildung sind sie eine mehr oder weniger lange Zeit auch in einer Kommunalverwaltung und bei einer Regierung gewesen und haben während dieser Zeitspanne einen kurzen Einblick in die Verwaltungstätigkeit bekommen. Dies genügt aber eben nicht für die Anforderungen, die an einen Richter zu stellen sind, der in einer solchen Spezialmaterie zu entscheiden hat. Es ist vielmehr nötig, daß sie die Schwierigkeiten, die bei dieser Spezialmaterie bestehen und immer wieder auftreten, am eigenen Leibe erfahren haben. Das ist nötig, wenn sie später als Richter über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns richtig urteilen wollen. Andernfalls besteht doch ganz einfach die Gefahr weltfremder Entscheidungen zum Schaden des einzelnen Staatsbürgers ebenso wie zum Schaden der Allgemeinheit. Dem Ruf nach einer lebensnahen Verwaltung und einer lebensnahen Gerichtspraxis, der immer wieder erhoben wird, entspricht das Verlangen nach einer lebensnahen Verwaltungsgerichtsbarkeit mit entsprechend vorgebildeten Richtern. - Wenn wir diese Vorbildung für nötig halten, müssen wir dem Verwaltungsrichter aber auch die Möglichkeit geben, die Verwaltung vorher praktisch kennenzulernen. Der Regierungsentwurf sah hier vor, daß die Hälfte der Verwaltungsrichter eine dreijährige Verwaltungserfahrung haben soll.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Kollege, sind Sie etwa der Meinung, daß der Jugendrichter fünf Kinder haben muß oder der Ehescheidungsrichter verheiratet gewesen sein muß? Wenn Sie auf die Erfahrung abstellen, die einer haben muß, müssen Sie dann nicht auch für den Jugendrichter oder den Ehescheidungsrichter die Erfüllung solcher Voraussetzungen fordern?
Herr Kollege, wir wollen doch die Dinge hier nicht ins Lächerliche ziehen.
({0})
Sind Sie etwa der Meinung, daß ein Richter, der 'einen Mörder zum Tode verurteilt, vorher selbst jemanden totgeschlagen haben muß? - Also so kann man doch nicht argumentieren.
Meine Damen und Herren, was ich damit sagen wollte und was in der zweiten Lesung schon ganz klar herausgestellt worden ist, ist doch, daß es sich bei der normalen richterlichen Tätigkeit um zivil- und strafrichterliche Fragen handelt, mit denen der Referendar zweieinhalb Jahre praktisch zu tun hatte. Wenn er also diese Tätigkeit später fortsetzt, so ist sie ihm bereits von seiner Ausbildung her in der Praxis geläufig. Ich habe schon dargelegt, daß seine Tätigkeit in der Verwaltung sehr kurz war und vor allem nicht mit der Eigenverantwortlichkeit ausgeübt wurde, die. in der Verwaltung entscheidend ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte jetzt zum Schluß kommen; wir halten uns hiermit sonst zu lange auf.
Meine Damen und Herren! Es geht hier keinesfalls um irgendwelche Grundsatzentscheidungen. Ich bin der Meinung, daß das in der zweiten Lesung schon ganz klar zum Ausdruck gekommen ist; denn die Abstimmung ging quer durch alle Parteien. Es geht um weiter nichts als darum, ob man es für zweckmäßig hält, daß ein Verwaltungsrichter zusätzliche Spezialkenntnisse hat. Ich erinnere hier nur noch einmal ganz kurz an das vielgerühmte Vorbild des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, das in der zweiten Lesung schon lang und breit erörtert worden ist. Entgegen der Ansicht des Herrn Kollegen Jahn mußte nach § 17 Abs. 1 des Gesetzes über die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsgerichtsverfahren von 1875 bzw. 1880 die eine Hälfte der Mitglieder des OVG zum Richteramt, die andere Hälfte zur Bekleidung von höheren Verwaltungsämtern befähigt sein. Damit hatte das Gesetz das Erfordernis der Verwaltungserfahrung bei mindestens der Hälfte der Mitglieder dieses Gerichts aufgestellt. Darum geht es im Grunde auch heute. Diese Tradition des Preußischen Oberverwaltungsgerichts hat mehr als 70 Jahre mit bestem Erfolg bestanden. Man sollte daran festhalten und etwas Gutes nicht ohne Not über Bord werfen!
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem, was wir soeben von dem Kollegen Miessner gehört haben, kann man eigentlich nur ganz kurz feststellen: er hat offenbar von den tatsächlichen Dingen überhaupt keine Ahnung.
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Er hat hier erklärt, daß die Referendarausbildung als Vorbildung für den Verwaltungsrichter unzureichend sei. Demgegenüber muß ich darauf hinweisen, daß ein Referendar im Lande Nordrhein-Westfalen von 42 Monaten, die er insgesamt in der Ausbildung zu verbringen hat, allein 18 Monate in der Verwaltung, und zwar in verschiedensten Zweigen der Verwaltung und an Verwaltungsgerichten, tätig ist. Mit solchen Argumenten, wie Herr Kollege Miessner sie hier vorgetragen hat, kommen wir doch in der Sache nicht weiter, wie ich überhaupt den Eindruck habe, daß es allmählich eine Zumutung für das ganze Haus ist, wenn hier die Argumente aus der zweiten Lesung nahezu wörtlich wiederholt werden.
({1})
Der Herr Kollege Dr. Arndt hat hier sehr ausführlich, sehr gründlich und, wie ich glaube, sehr überzeugend auf die Gefahren hingewiesen, die sich ergeben, wenn man eine solche Fassung annimmt, wie Sie sie in Ihrem sogenannten Kompromißantrag formuliert haben. Es geht wirklich nicht an, Herr Kollege Dr. Werber - Sie haben übrigens ständig den Turnvater mit dem „Gott, der Eisen wachsen ließ" verwechselt,
({2})
als Sie den Kollegen Arndt angesprochen und von mir geredet haben -, daß Sie eine Frage des Kollegen Arndt, was Sie zu diesen Argumenten zu sagen hätten, einfach damit beantworten, Sie hätten dazu nichts zu sagen. Das würde uns nun wirklich in die Situation bringen, daß wir mit keinem Punkt der Diskussion überhaupt jemals zu einem Ergebnis kämen.
Der Herr Kollege Werber hat mit großem Nachdruck gesagt, daß die Formulierung in das Gesetz hinein müsse, um die genügende Sachkenntnis der Richter an den Verwaltungsgerichten zu gewährleisten. Dieses Argument ist einfach nicht überzeugend. Die Sachkenntnis der Verwaltungsrichter will niemand verhindern. Auch wir sind der Meinung - das ist in der zweiten Lesung x-mal gesagt worden -, daß Verwaltungsrichter nur jemand werden kann, der von diesen Dingen etwas versteht. Aber das gehört nicht ins Gesetz. Dafür spricht schon das, was uns der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter in den letzten Tagen geschrieben hat. Seine Ausführungen machen sehr deutlich, daß ein hohes Maß an Überheblichkeit in die ganze Auseinandersetzung hineingetragen wird. Ich darf das Schreiben einmal wörtlich zitieren. Es heißt dort:
Die Gegner
- die Gegner dieser besonderen Vorschriften des § 15 Abs. 3 halten für jede richterliche Tätigkeit die Ablegung des Assessor-Examens für ausreichend.
Jawohl, so muß es sein, an der Einheitlichkeit der juristischen Ausbildung muß festgehalten werden! Dann heißt es weiter:
Dem können wir nicht zustimmen. Die in der Ausbildungszeit als Student und Referendar gewonnenen Kenntnisse . . . reichen zwar dafür aus, um Streitigkeiten zwischen Zivilpersonen, wie sie bei Amts- und Landgerichten vorkommen, zu entscheiden und Strafurteile zu fällen. Keinesfalls genügt dies aber, um staatliche Hoheitsakte und kommunale Verwaltungsentscheidungen rechtlich zutreffend zu beurteilen und kritisch würdigen zu können, . . .
- Ich überspringe einiges. -Im Hinblick auf die staatspolitisch bedeutsamen Aufgaben der Verwaltungsgerichtsbarkeit muß daher für ihren Bereich außer dem Bestehen der Großen Staatsprüfung als zusätzliche Qualifikation eine mehrjährige Berufserfahrung, wie die Regierungsvorlage sie vorgesehen hat, verlangt werden.
Nein, meine Damen und Herren, das ist gerade der Punkt, gegen den wir uns nicht nachdrücklich genug wenden können. Die Verantwortung des Richters in jedem Zweig der Gerichtsbarkeit ist gleich, ob er nun als Strafrichter, als Zivilrichter oder als- Verwaltungsrichter tätig ist.
Deswegen bitten wir Sie, unserem Antrag und dem interfraktionellen Antrag auf Streichung des § 15 Abs. 3 zuzustimmen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schließe mich gern dem Appell des Herrn Kollegen Jahn an und möchte nicht mehr das wiederholen, was in der zweiten Lesung zum § 15 gesagt worden ist, sondern beschränke mich auf den Änderungsantrag Umdruck 421 der Abgeordneten Dr. Werber und Genossen.
An diesem Antrag ist schon der Ausgangspunkt falsch. Herr Dr. Werber hat wieder davon gesprochen, daß das Verwaltungsgericht eine dritte Instanz sei. Nachdem man zwei Instanzen der Verwaltung, zwei Behörden durchlaufen habe, komme dann die dritte. Ich habe mich bemüht, in der zweiten Lesung klarzulegen, daß das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ein aliud ist, ein Gerichtsverfahren. Das ist etwas völlig anderes; das ist keine Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens. Der Herr Kollege Arndt hat heute das wiederholt und noch vertieft. Herr Arndt, es ist uns beiden nicht gelungen, den als Kollegen sehr geschätzten „Laienbeisitzer" Dr. Werber zu überzeugen.
Infolge seiner falschen Grundeinstellung ist natürlich auch dieser Antrag falsch. Ich halte die darin vorgeschlagene Regelung sogar für noch schlechter
als die in der zweiten Lesung beschlossene. Denn nach der Fassung zweiter Lesung soll die Hälfte der Richter jedes Gerichts die Voraussetzungen des Absatzes 3 Nr. 1 oder 4 erfüllen, während nach dem Antrag Dr. Werber die Hälfte der Richter die Voraussetzungen erfüllen soll, die bisher in Abs. 3 Nr. 1 stehen. Durch diesen Antrag würde also der Kreis derer, die als Verwaltungsrichter in Frage kommen, noch mehr eingeengt als nach der Fassung zweiter Lesung, um so mehr, wenn man hier, was Herr Dr. Werber zugegeben hat, „sollen" gleich „müssen" setzt, und es ist ja selbstverständlich, daß das hier gleichgesetzt werden muß. Deshalb sind wir der Ansicht, daß dieser Antrag abgelehnt und entweder § 15 Abs. 3 und 5 überhaupt gestrichen oder der vom Kollegen Weber begründete Eventualantrag angenommen werden sollte.
Bei diesem Anlaß glaube ich dem Hause schuldig zu sein, von einem Brief Kenntnis zu geben, damit mich niemand der Unfairneß zeihen kann. Ich habe in der zweiten Lesung ein Telegramm des Richterbundes erwähnt, worin sich der Richterbund für die Streichung der Absätze 3 und 5 ausgesprochen hat. Daraufhin hat mir der Vertreter der Verwaltungsrichter im Deutschen Richterbund, Herr Dr. Ostreicher, geschrieben, er habe von diesem Telegramm nichts gewußt; es stehe im Widerspruch zu der Meinung der Verwaltungsrichter im Richterbund. Obwohl ich also das von mir zitierte Telegramm richtig wiedergegeben habe, halte ich es für korrekt, dieses Schreiben bekanntzugeben.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Kanka.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit meinen Darlegungen zum Antrag Umdruck 419 wende ich mich in erster Linie an den Herrn Bundesinnenminister und an die Herren vom Ausschuß für Inneres, insonderheit an den Herrn Kollegen Dr. Werber. Es ist mir gesagt worden, daß die Fronten zwischen den Vertretern des Ausschusses für Inneres und den Mitgliedern des Rechtsausschusses schon absolut verhärtet seien und daß es keinen Sinn mehr habe, zu dem Thema, das durch § 15 angeschnitten wird, zu reden. Ich tue es trotzdem, weil ich das Vertrauen habe, daß der Herr Kollege Werber jetzt genau hinhört, daß er sein Herz und sein Ohr dem öffnet, was ich jetzt sagen will. Ich wünschte mir, daß ich mit Engelszungen reden könnte, obwohl ich noch keine Erfahrungen darüber habe, wie etwas mit Engelszungen Gesagtes in diesem Hohen Hause ankommt.
({0})
Was in § 15 Abs. 3 und 5 der Fassung zweiter Lesung steht, könnte - vielleicht mit einigen Änderungen - durchaus der Inhalt von Richtlinien sein, nach denen sich die für die Besetzung unserer Verwaltungsgerichte zuständigen Stellen, also die Staatsminister und der Herr Bundesminister des Innern sowie die etwaigen Richterwahlausschüsse, richten. Es gehört meines Erachtens aber nicht in ein Gesetz hinein. Das ist eine ganz grundsätzliche Frage. Wir sollten daran denken, daß jedes Gesetz um so besser ist, je kürzer es ist. Denn je kürzer es ist, um so weniger ist seine Auslegung und seine Anwendung Gegenstand des Streits. Unser Leben ist zwar sehr kompliziert; auch die Verhältnisse, die wir durch unsere Gesetze regeln wollen, sind ungemein kompliziert. Wir kommen mit einem ZwölfTafel-Gesetz nicht mehr durch. Aber ich glaube, die hohe Aufgabe des Gesetzgebers ist es gleichwohl, sehr sparsam zu sein, nur das wirklich Wesentliche in das Gesetz aufzunehmen und das übrige der Praxis zu überlassen; gegebenenfalls kann man dieses Übrige auch durch Durchführungs- und Ausführungsvorschriften regeln. Das Gesetz aber soll wirklich nur das Wesentliche enthalten.
So gesehen können wir uns Bestimmungen von der Art, wie sie in § 15 Abs. 3 und 5 enthalten sind, restlos sparen. Es hat nach meiner Meinung etwas geradezu Hybrides an sich, es ist ein gut Stück Vermessenheit, zu glauben, man könne die Dinge, die hier zu regeln sind, durch gesetzgeberische Feinmechanik meistern. Im Garten der Juristenschaft, auch in der Abteilung des Gartens, in der die Fachleute für das Verwaltungsrecht wachsen und blühen, herrscht das Element der Freiheit; und das kann man nicht durch Reglementierungen, wie sie im § 15 Abs. 3 und 5 versucht werden, ersetzen wollen.
In der Kürze liegt die Würze. Das gilt sowohl für den Gesetzgeber als auch für mich, der ich mich verabschiede mit der Bitte: streichen Sie § 15 Abs. 3 und 5, machen Sie das Gesetz gut, kurz und richtig!
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Werber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin genau derselben Auffassung wie mein sehr verehrter Herr Vorredner: möglichst kurz und bündig. Aber dieses Gesetz, Herr Kollege, hat 180 Paragraphen!
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Jetzt werden Sie mir doch nicht sagen wollen, daß diese beiden Absätze, die von großer Wichtigkeit sind, hier unter dem Gesichtspunkt der Ersparnis an Text behandelt werden müssen. Es ist eine wichtige Frage, ob die Voraussetzung der Verwaltungserfahrung ins Gesetz kommt oder nicht. Wenn Sie und Ihre Freunde das nicht gewollt hätten, hätten Sie nicht den Eventualänderungsantrag Umdruck 422 eingebracht, mit dem diesem Anliegen Rechnung getragen werden soll. Da liegt doch der Hund begraben!
({1})
Sie sind ja bereit, mit Ihrem Antrag Umdruck 422 dem Rechnung zu tragen. Aber Sie wollen erst total siegen, und wenn Sie gesiegt haben, haben Sie natürlich kein Interesse mehr daran, daß diese Bestimmung hineinkommt.
Nein, so geht es mit der Juristerei nicht. Die Verwaltung ist auch etwas Wichtiges. Wir wollen, daß
die Verwaltungserfahrung des Richters in diesem Gesetz genauso wie im Arbeitsgerichtsgesetz und wie im Sozialgerichtsgesetz verankert wird.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur noch einige wenige Worte. Ich habe Besorgnisse, ob die in dem Antrag Umdruck 421 vorgeschlagene Bestimmung rechtlich möglich ist. Das Grundgesetz schreibt vor: Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Wer gesetzlicher Richter ist, muß so bestimmt sein, daß die Revisionsinstanz auf Grund der Prozeßakte nachprüfen kann, ob das Gericht „gesetzlich" besetzt gewesen ist.
({0})
Es muß dies nachprüfen können, ohne daß es die Personalakten der Richter beizuziehen braucht
({1})
und ohne daß es in ein Untersuchungsverfahren eintritt, um festzustellen, wie die Mitglieder der Kammer ausgebildet worden sind, ob sie wirklich drei Jahre bei einer Gemeindeverwaltung tätig waren, ob diese Behörde wirklich eine Verwaltung der vorgeschriebenen Art war. Die Gerichtsverfassung schreibt darum vor, daß gesetzlicher Richter entweder jemand ist, der die Befähigung zum Richteramt hat - wer sie hat, ist genau festgelegt -, oder ein Laie, der von der zuständigen Behörde berufen ist. Aber ob ein zum Richteramt Befähigter dazu hier noch Verwaltungserfahrung hat oder drei Jahre irgendwo geamtet hat, das ist in der Revisionsinstanz nicht nachprüfbar; denn die Revisionsinstanz darf ja nicht in eine Sachuntersuchung eintreten.
Meine Damen und Herren, Sie beantragen hier etwas, das juristisch unmöglich ist.
({2}) Ich warne davor, so etwas zu tun.
Ich spreche hier weder ein „Feuilleton", noch spreche ich hier zum Ruhme der Laien. Ich spreche als jemand, der mit diesen Dingen lange Zeit in seinem Leben zu tun hatte und der weiß, wie entscheidend wichtig die Bestimmung des Gesetzes ist, daß keiner seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf.
({3})
Sie sagen, dies sei eine Soll-Bestimmung; warum bringen Sie sie dann? Bei einer Soll-Bestimmung müßte der Revisionsrichter prüfen - falls eine Partei die „Gesetzlichkeit" des Richters beanstandet -, ob der Minister bei der Bestallung des Richters sein Ermessen überzogen hat oder nicht; ob er sein Ermessen mißbraucht hat oder nicht, als er sagte: die Ausbildung, die Praxis reicht, deswegen ernenne ich den Mann zum Verwaltungsrichter. So etwas geht wirklich nicht!
Meine Damen und Herren, dies ist keine „politische" Frage. Ich spreche nicht so, weil ich auf der linken Seite des Hauses sitze, sondern weil ich Sorge habe, ob man mit diesem Text operieren kann, ob damit wirklich Recht geschaffen werden kann.
Das Anliegen des Kollegen Werber ist mir in seiner Tragweite völlig klar, es ist ein lobenswertes Anliegen: Lebensnah soll die Rechtsprechung sein, nicht wirklichkeitsfremd; also müssen Leute zu Richtern ernannt werden, die etwas von den Lebensordnungen verstehen, mit denen sich das Gericht abzugeben hat. Richtig! Aber wenn man das will, muß man den Text anders fassen; dann darf man keine Soll-Bestimmung einbringen, dann muß man eine Muß-Bestimmung einbringen! Dann müssen feste formale Begriffsbestimmungen vorgeschrieben werden, aus denen sich klipp und klar ergibt, ob ein Mann befugt ist, in diesem Gericht zu sitzen oder nicht, und ohne daß man erst als Revisionsgericht Personalakten beizieht. Wie es hier vorgeschlagen ist, kann man es nicht machen.
({4})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hierzu nur ganz kurz Stellung nehmen und darauf verweisen, daß in dem Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht, das ja doch hier sehr lange und sehr sorgfältig behandelt worden ist, die Bestimmung lautet:
Der Präsident und mindestens die Hälfte der Senatspräsidenten und der weiteren Bundesrichter müssen drei Jahre Richter eines Verwaltungsgerichts gewesen sein.
Die Bestimmung in der Militärregierungsverordnung 165, die im Bereich der britischen Zone gilt, sagt auch: Sie „müssen ... mindestens drei Jahre, nachdem sie .. erlangt haben" - dann kommt der ganze Katalog -. Das ist also zunächst einmal ein Hinweis darauf, daß wir in geltenden und unangefochtenen Gesetzen entsprechende Bestimmungen haben. Das bezieht sich auf dreijährige richterliche Tätigkeit.
({0})
- Ja, das ändert aber nichts daran, Herr Kollege Weber, daß hier die Erfüllung ganz bestimmter Voraussetzungen gefordert wird. Ich spreche jetzt davon, ob die Frage des gesetzlichen Richters hier eine Rolle spielen könnte. Nur von diesem Punkte her bleibt eine Differenz.
({1})
- Darf ich eben den Gedanken zu Ende führen. Ich stehe Ihnen dann gerne zur Verfügung.
Hier bliebe dann nur noch Raum für eine Diskussion, ob die Wahl einer Soll- oder Muß-Bestimmung einen Unterschied machen würde. Das ist nach meiner Meinung nicht der Fall. Dieses „soll" ist auf jeden Fall das geringere, ist also etwas, was nicht im negativen Sinne entgegenstehen würde.
Das ist das, was ich dazu sagen möchte. Das hat nichts mit der Frage zu tun, ob diese Bestimmung rechtspolitisch zweckmäßig ist; aber daß sie eine verfassungsmäßig zulässige Bestimmung ist, ist nach Meinung des Ministeriums durchaus sicher.
Bitte, Herr Kollege Jahn!
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es hier, wo es um die ordnungsgemäße Besetzung eines Revisionsgerichtes geht, eine völlig andere Frage ist als die, um die wir die Auseinandersetzung seit ich weiß nicht wie lange, mindestens seit eineinhalb Stunden, führen?
Nein, Herr Kollege Jahn. Ich habe ja zwei Bestimmungen
die andere bezieht sich nicht auf das Revisionsgericht - vorgelesen. Nach meiner Meinung gilt in beiden Fällen dasselbe. Sie werden doch wohl auch der Meinung sein, daß an die Zusammensetzung des Revisionsgerichts keine geringeren Anforderungen zu stellen sind, so daß also für den Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit da durchaus dasselbe gilt. Denn auch diese Bestimmung könnte der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterzogen werden, sollte sie als verfassungswidrig angefochten werden.
Also aus der Tatsache, daß sich die eine der beiden Bestimmungen in einem Gesetz über ein Revisionsgericht befindet - die eine der beiden, wohlgemerkt -, kann man keine gegenteiligen Schlüsse herleiten.
({0})
Zur Geschäftsordnung Frau Abgeordnete Kalinke!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben zu dieser Frage bereits in der zweiten Lesung ausführlich das Für und Wider gehört, und wir wissen alle, daß die Meinungen innerhalb sämtlicher Fraktionen geteilt sind, daß also in keiner Fraktion einheitlich die eine oder die andere Auffassung besteht. Ich teile die Auffassung des Herrn Ministers, folge also hier der Regierungsvorlage. Ich bin jedoch der Meinung, daß wir darüber nun in der Sache nicht mehr diskutieren sollten. Vielmehr sollten wir angesichts der Aufgabe, die wir heute noch zu lösen haben, nun die Rednerliste schließen und zur Abstimmung kommen. Es sind wirklich sowohl in der zweiten als auch in der dritten Lesung alle Argumente für und wider ausreichend diskutiert worden.
({0})
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich stimme als Mensch Ihrem Antrag zu. Als Präsident dieses Hauses darf ich es nicht, weil in der Geschäftsordnung steht, daß, sobald der Minister gesprochen hat, die Beratung von neuem eröffnet ist. Es steht nur noch ein Name auf der Rednerliste. Darf ich Ihren Antrag so auffassen, daß Sie Abschluß der Rednerliste wünschen?
({0})
- Sie sind einverstanden. Dann würde nur noch der Kollege Memmel sprechen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Als letzter Redner hat das Wort der Abgeordnete Memmel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß bei den Verteidigern des Abs. 3 und des Abs. 5 im Unterbewußtsein ein gewisses Mißtrauen gegen das kommende Rechtspflegeministerium mitschwingt. Ich glaube, die Verteidiger dieser Bestimmung befürchten, daß der kommende Rechtspflegeminister bei der Besetzung dieser Gerichte nun nicht etwa Leute aus der Verwaltung nimmt. Da muß ich sagen, die Leute, die diesen Gedanken haben, sind zu optimistisch in bezug auf das Kommen eines Rechtspflegeministeriums, und sie sind zu pessimistisch in bezug auf den kommenden Rechtspflegeminister. Es wird noch sehr lange dauern, bis wir das haben, was wir in SchleswigHolstein bereits heute haben, nämlich ein Rechtspflegeministerium, und ein kommender Rechtspflegeminister wird doch nicht ,ein solcher - verzeihen Sie - Simpel sein, daß er hergeht und das Verwaltungsgericht mit dem Amtsrichter von Üchtelstücht besetzt, der bisher nur Privatklagen verhandelt hat. Vielmehr wird auch er jemanden aus der Verwaltung nehmen. Die Verwaltung kommt also nicht zu kurz.
Meine Damen und Herren, die Debatte hierzu ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung.
Ich stelle zunächst die Anträge auf den Umdrucken 415 Ziffer 1, 406 Ziffer 2 und 419 Ziffer 1 zur Abstimmung. Ich stelle fest, daß diese Anträge wörtlich übereinstimmen. Sie können also durch eine Abstimmung erledigt werden. Ich stelle weiter fest, daß diese Anträge, weil sie die Beseitigung einer Muß-Vorschrift bezwecken, die weitergehenden Anträge sind, so daß erst nach Abstimmung über sie die Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 421 Ziffer 1 - das ist der Antrag, den der Kollege Dr. Werber gestellt hat - stattfinden kann. Ich höre keinen Widerspruch. Dann stelle ich fest, daß das Haus damit einverstanden ist.
Wer den gleichlautenden Anträgen auf den Umdrucken 415 Ziffer 1, 406 Ziffer 2 und 419 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, dein bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Damit sind also die Absätze 3 und 5 in § 15 gestrichen.
Ich darf feststellen, daß der Antrag auf Umdruck 422 als Eventualantrag durch die eben erfolgte Abstimmung erledigt ist.
({0})
Wir stimmen also über den Antrag ab, den der Kollege Dr. Werber begründet hat, Umdruck 421 Ziffer 1. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um
Vizepräsident Dr. Becker
die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Damit ist über § 15 'in dritter Lesung entschieden.
Die nächsten Änderungsanträge liegen zu § 18 vor, und zwar auf Umdruck 421 Ziffer 2, Umdruck 406 Ziffer 3, Umdruck 419 Ziffer 2. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Debatte gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Die Debatte isst geschlossen.
({1})
({2})
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Jahn.
Dieser Antrag ist meiner Auffassung nach erledigt. Denn nachdem wir eben den Absatz 3 gestrichen haben, braucht hier nicht mehr darüber abgestimmt zu werden.
Herr Abgeordneter Jahn, dann müssen aber mindestens in dem Abs. 1 die Worte „und 3" gestrichen werden. Das ist dann also beschlossen. Damit erledigen sich diese Abstimmungen.
({0})
- Wir haben soeben bereits beschlossen, daß in § 18 Abs. 1 Satz 2 die Worte „und 3" gestrichen werden.
({1})
- Damit ist, glaube ich, die Sache endgültig erledigt.
Weitere Anträge liegen zu § 34a vor. Die sind auch erledigt.
({2})
- Umdruck 406 Ziffer 6 und Ziffer 5. Ziffer 5 lautet:
Die Überschrift des 4. Abschnitts ({3}) wird aus „Vertreter des öffentlichen Interesses" geändert in „Vertreter des Interesses der Regierung".
({4})
- Zur Begründung?
({5}) - Zu dem Antrag.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über diesen Punkt ist in der zweiten Lesung ausführlich genug gesprochen worden. Ich stimme dem Kollegen Jahn darin zu, daß es keinen Sinn hat, heute die Debatte aus der zweiten Lesung zu wiederholen. Namens meiner
Freunde bitte ich, diesen Antrag auf Umdruck 406 abzulehnen.
Die Begründung hatten Sie bereits gehört, die Stellungnahme des Herrn Abgeordneten Benda nunmehr ebenfalls. Wir stimmen über den Änderungsantrag Umdruck 406 Ziffer 5 ab.
({0})
Sie betreffen alle das gleiche. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen mit großer Mehrheit abgelehnt.
Der Änderungsantrag Umdruck 417 Ziffer 1 - zu § 35b - hat sich durch die vorausgegangene Abstimmung zu § 15 erledigt.
Zu § 69 liegen Änderungsanträge auf den Umdrucken 406 Ziffer 9, 420 Ziffer 1, 405 Ziffer 1 und 418 vor; der letztere bezieht sich auf Abs. 5.
Nach dem Änderungsantrag Umdruck 406 Ziffer 9 sollen im ersten Satz die Worte „und vor dem Oberverwaltungsgericht" sowie im zweiten Satz die Worte „der Berufung und" und die Worte „es gilt nicht für die Stellung des Antrags nach § 46" gestrichen werden.
Wird hierzu noch das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie für meine Freunde aus dem Rechtsausschuß, diesen Änderungsantrag zu § 69 ({0}) abzulehnen. Wir haben im Rechtsausschuß die Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte gehört; sie haben sich für die Einführung des Anwaltszwangs beim Oberverwaltungsgericht ausgesprochen. Der Bundesrat hat die Einführung angeregt, und die Bundesrechtsanwaltskammer hat sich dafür ausgesprochen. Sollte es dazu kommen, daß der Staat nicht verpflichtet wäre, sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen, sollte der Anwaltszwang für den Staat überhaupt fallen, dann - und das war unser besonderes Anliegen - wollten wir verhindern, daß der Bürger in seinem Rechtsstreit mit dem Staat nicht die Gleichheit der Waffen hat, indem er nicht durch einen Anwalt vertreten ist. Wir sehen durchaus ein, daß die Streitwertbestimmungen im Verwaltungsstreitverfahren gewisse Schwierigkeiten, worauf Herr Kollege Arndt hingewiesen hat, bieten können; aber wir meinen, daß man diese Schwierigkeiten beseitigen und im Interesse des Rechtsschutzes des Bürgers auf dem Anwaltszwang bestehen sollte.
Herr Abgeordneter Bauer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für meine Freunde aus dem Rechtsausschuß darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß der Anwaltszwang keineswegs so unein4846 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode
Bauer ({0})
geschränkt als Wohltat für den Rechtsuchenden bezeichnet werden kann, wie es der Herr Kollege Schlee getan hat. Die Frau Berichterstatterin hat in ihren einleitenden Worten darauf hingewiesen, daß in Zuschriften aus der Anwaltschaft und aus der Richterschaft der Anwaltszwang gefordert wurde. Ich habe in der zweiten Lesung schon dargelegt - ich will nicht mehr darauf zurückkommen -, daß der Anwaltszwang für die Anwaltschaft und für die Richterschaft überwiegend Vorteile hat. Wir sollten aber nicht verkennen, daß der Anwaltszwang für den schlichten Rechtsuchenden auch erhebliche Nachteile hat. Wir erkennen das vor allem, wenn wir an die Kosten denken. Wir sollten auch nicht übersehen, daß eine große Anzahl von Berufsverbänden und -organisationen, die ausgezeichnete Justitiare an der Hand haben, gezwungen wären, einen zugelassenen Anwalt zu nehmen. Das würde für diese Verbände eine gewaltige Erschwerung bedeuten. Zudem muß ich noch einmal betonen, daß auch die zweite Instanz noch zu einem großen Teil Tatsacheninstanz ist. Mich hat niemand davon überzeugen können, daß die Rechtsfragen in der zweiten Instanz so wesentlich komplizierter sind, daß sich die Notwendigkeit des Anwaltszwanges begründen läßt.
Schließlich wären die Änderungsanträge auf den Umdrucken 405, 418 und 420 nicht notwendig, wenn man sich entschließen könnte, den Anwaltszwang, der ein Novum in der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist, abzulehnen.
Aus diesen Gründen bitte ich, unserem Antrag zuzustimmen.
({1})
Meine Damen und Herren! Sie haben Pro und Kontra gehört.
Wir stimmen über den Antrag Umdruck 406 Ziffer 9 ab. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Die Anträge Umdruck 420 und Umdruck 405 Ziffer 1 sind damit gegenstandslos.
Der Antrag Umdruck 418 ist ebenfalls erledigt.
Dann liegt ein Änderungsantrag erst wieder zu § 130 vor. Die Anträge Umdruck 406 Ziffer 10 und 415 Ziffer 2 sind gleichlautend: Der § 130 wird gestrichen. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist offenbar nicht der Fall.
Wir stimmen ,also über die gleichlautenden Anträge Umdruck 406 Ziffer 10 und Umdruck 415 Ziffer 2 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; die Anträge sind abgelehnt.
Zu § 141 liegt ein Streichungsantrag auf Umdruck 406 Ziffer 11 vor. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer der Streichung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.- Ich bitte um die
Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Die zu den §§ 159, 169c und 170 vorliegenden Änderungsanträge
({0})
sind durch die bisherigen Abstimmungen anscheinend erledigt.
({1})
Zu § 178 liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 412 vor. Danach soll der letzte Satzteil des ersten Absatzes die Fassung erhalten: ,,... sowie dabei die Besetzung und das Verfahren regeln." Mit diesem Antrag soll die Besetzung neu eingefügt werden. Wird der Antrag begründet? - Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer dem Änderungantrag auf Umdruck 412 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.
- Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen?
- Mit großer Mehrheit angenommen.
Der Antrag Umdruck 421 Ziffer 3 zu § 180 ist erledigt, weil § 15 Absatz 3 gestrichen wurde.
({2})
- Auch die Anträge Umdrucke 417 Ziffer 2, 406 Ziffer 14 und 419 Ziffer 3 sind anscheinend erledigt.
({3})
- Wenn Sie zur Geschäftsordnung sprechen wollen, kommen Sie bitte nach vorn. Ich kann Sie dort nicht verstehen, und das Plenum auch nicht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine kleine Korrektur anzubringen. Nach Umdruck 418 sollte bei § 69 Abs. 5 die Regierungsvorlage in der Fassung des Rechtsausschusses wiederhergestellt werden, so daß die Behörden sich selber vertreten lassen können. Da nun der Anwaltszwang vor dem Oberverwaltungsgericht gefallen ist, muß natürlich § 69 Abs. 5 so wiederhergestellt werden, wie er in der Fassung des Rechtsausschusses bestand, sonst besteht ein Widerspruch. Ich möchte bitten, so zu beschließen.
Wenn das Haus der Meinung ist - entgegen der vorherigen Auffassung -, daß das sachlich gerechtfertigt ist - ({0})
- Dann muß es beim vorherigen Beschluß verbleiben, es sei denn, es wird ein anderweitiger Antrag gestellt.
({1})
- Dann müssen wir noch einmal darüber abstimmen, ob bei § 69 Abs. 5 die Fassung des Rechtsausschusses wiederhergestellt werden soll, wie es in Umdruck 418 begehrt wurde. Damit sind die Unklarheiten beseitigt. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich habe offensichtlich den Eindruck, daß sich im Augenblick nicht alle
Vizepräsident Dr. Preusker
Damen und Herren über die Frage, um die es hier geht, haben entscheiden können. Ist es notwendig, noch einmal abzustimmen? - Das Wort wird gewünscht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf nur zur Klärung der Sachlage folgendes sagen. Der Anwaltszwang oder das Anwaltserfordernis ist zwar im Verfahren vor den Oberverwaltungsgerichten gestrichen worden, es besteht aber nach wie vor im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Infolgedessen ist der Antrag Werber nur noch insofern sinnvoll, als er das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht betrifft. Dieser Antrag verlangt, daß auch vor dem Bundesverwaltungsgericht trotz des dort herrschenden Anwaltserfordernisses Behördenvertreter auftreten können, wenn sie die Qualifikation zum Richteramt haben.
Ich bitte, diesen Antrag des Herrn Dr. Werber abzulehnen und es bei der Fassung der zweiten Lesung zu belassen.
({0})
Meine Damen und Herren, Sie haben die Ausführungen des Abgeordneten Kempfler gehört.
Wir wiederholen die Abstimmung noch einmal. Wer dem Antrag des Abgeordneten Werber zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Zweifel ist der Antrag abgelehnt.
Damit ist die Abstimmung über alle zur dritten Lesung vorliegenden Anträge beendet. Vor der Schlußabstimmung hat der Herr Abgeordnete Bauer ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zwar gelungen, in diesem Gesetz einige Verbesserungen durchzusetzen. Aber gleichwohl kommen wir nicht daran vorbei, daß die Berufungsbeschränkung in diesem Ausmaß bestehenbleibt. Vor allen Dingen aber halten wir es für einen gewaltigen Rückschritt, daß die Laiengerichtsbarkeit - besser gesagt, der Einbau der ehrenamtlichen Verwaltungsrichter in der zweiten Instanz - vor den Oberverwaltungsgerichten nicht zum Zuge kommt. Diese zwei Elemente scheinen uns für die Gesamtdemokratie so ungeheuer wichtig zu sein, daß wir deswegen dem Gesetz unsere Zustimmung nicht zu geben vermögen.
Wird sonst noch zur Schlußabstimmung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer dem Entwurf einer Verwaltungsgerichtsordnung mit den in der dritten Lesung beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich darf um die Gegenprobe bitten. - Enthaltungen? - Enthaltungen sehe ich im Moment keine. Damit ist die Verwaltungsgerichtsordnung in dritter Lesung mit Mehrheit angenommen. *)
Jetzt eröffne ich die
dritte Beratung
des Gesetzes über die Beschränkung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - Drucksachen 55, 1094 Anlage 2 -. Änderungsanträge sind nicht gestellt. Wird noch das Wort gewünscht?
Das ist offenbar nicht der Fall; dann schließe ich die dritte Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Entwurf eines Gesetzes über die Beschränkung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in der Fassung der zweiten Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; damit ist in dritter Lesung das Gesetz zur Beschränkung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes ({0}) ({1});
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung ({3}),
b) Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses ({4}) ({5}) .
({6})
Der Bericht des Haushaltsausschusses liegt Ihnen vor. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Der Schriftliche Bericht des Wirtschaftsausschusses liegt Ihnen ebenfalls vor.
Ich eröffne die zweite Beratung und rufe den Artikel 1 auf. Wird dazu das Wort gewünscht? - Offenbar nicht. Wer dem Art. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen eine Stimme angenommen.
Art. 2! Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Wiederum gegen eine Stimme angenommen.
Art. 3! Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer zuzustimmen wünscht, den darf ich um das Handzeichen bitten. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Angenommen.
Einleitung und Überschrift! Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Angenommen.
Damit ist die zweite Beratung beendet. Ich eröffne die
dritte Beratung.
*) Ermächtigung zu redaktionellen Anpassungen siehe Seite 4852 C
Vizepräsident Dr. Preusker
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes in der in zweiter Lesung soeben beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - In dritter Lesung - soweit ich sehe, einstimmig - angenommen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
a) Zweite Beratung des von der Fraktion der
SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
({7}),
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
({8}) ({9}),
({10});
b) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ({11}).
Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, die Beratung beider Gegenstände zu verbinden.
Wir behandeln zunächst den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes.
Ich rufe auf Art. 1! Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Leber, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mir erlauben, Ihre Aufmerksamkeit, wenn auch nur für einige Minuten, noch zu so später Stunde in Anspruch zu nehmen.
Der bisherige Zustand in bezug auf die Weihnachtsgratifikationen war der, daß solche Gratifikationen, soweit sie im einzelnen Fall insgesamt 100 DM nicht übersteigen, steuerfrei bleiben. Das ist der Zustand, den auch die CDU beibehalten möchte.
Meine Fraktion hat Ihnen mit Drucksache 618 einen Antrag unterbreitet, der darauf hinausläuft, im Monat Dezember 200 DM des Einkommens eines Arbeitnehmers steuerfrei zu lassen, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber zusätzlich zum Arbeitseinkommen eine Weihnachtsgratifikation gewährt oder nicht. Ich möchte diesen Antrag in bezug auf die wesentlichen Gründe, die dafür sprechen, kurz erläutern.
Bei dem bisherigen Zustand kam der Steuervorteil nur einem geringen Teil der Beschäftigten zugute. In der Regel war es so, daß nur ein Teil der langjährig in einem Betrieb Tätigen eine Weihnachtsgratifikation erhalten haben; in der Regel gewährten nur solche Betriebe eine Weihnachtsgratifikation, die finanziell dazu in der Lage waren, Industriebetriebe usw. Die größte Zahl der Klein-und Mittelbetriebe, vor allen Dingen so gut wie alle Handwerksbetriebe, waren und sind nicht in der Lage, Weihnachtsgratifikationen zu gewähren. Auf diese Weise kam es dahin, daß ein Arbeitnehmer, der in einem Betrieb beschäftigt war, welcher finanziell in der Lage war, eine Weihnachtsgratifikation zu zahlen, dadurch sowieso schon besser gestellt war und obendrein vom Staat auch noch ein Steuergeschenk erhielt, während der Handwerksbetrieb oder der kleine mittelständische Betrieb, der dazu nicht in der Lage war, der seinen Arbeitnehmern also nicht den gleichen Vorteil gewähren konnte, auch das Steuergeschenk für die bei ihm Beschäftigten nicht erhielt. Was das bedeutet, darf ich mit einem Satz kennzeichnen. Der Sog vom mittelständischen und vom kleinen Handwerksbetrieb hinein in den großen Industriebetrieb ist sowieso schon erheblich, und er wird durch diese Steuergesetzgebung in wesentlichem Maße gefördert.
Der dritte Grund, der gegen den bisherigen Zustand und für den Antrag meiner Fraktion spricht, ist die Tatsache, daß eine große Anzahl von Betrieben und Wirtschaftszweigen, selbst wenn sie wollten, gar nicht in der Lage sind, das gleiche zu tun wie mancher Industriebetrieb, in dem die Beschäftigten jahrzehntelang tätig sind, und zwar deswegen nicht, weil die Arbeitnehmerschaft zu Hunderttausenden fluktuiert. Es ist nicht gut möglich, einem Arbeitnehmer, der am 15. November oder 1. Dezember in den Betrieb eintritt, sogleich die Weihnachtsgratifikation zu gewähren, die man nach 20- oder 30jähriger Tätigkeit geben würde. Ich nehme an, dieser Zustand ist allen Damen und Herren klar.
Aus dieser Tatsache ergeben sich ganz natürliche Spannungen in der Wirtschaft. Die Betriebe gehen teilweise dazu über, ein dreizehntes Gehalt, ein halbes Monatsgehalt oder einen größeren Betrag als Weihnachtsgratifikation zu zahlen. Das ist ein Vorteil für den Arbeitnehmer. Der Staat erklärt nun einen Teil dieser Weihnachtsgratifikation noch als steuerfrei, begünstigt also diese Regelung. Auf der andern Seite gibt es keine Möglichkeit, auch dem mittleren und dem kleinen Betrieb Gelegenheit zu geben, den gleichen Vorteil seinen Arbeitnehmern zukommen zu lassen. Es ist also so, daß derjenige, der von seinem Unternehmen etwas erhält, obendrein ein Steuergeschenk bekommt, während der Arbeitnehmer, der in einem Betrieb beschäftigt ist, welcher sich dieser Übung nicht anschließen kann, auch auf das Steuergeschenk verzichten muß. Wie sich das mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung decken soll, vermag ich nicht zu verstehen.
Ich bin der Auffassung, daß der Antrag der SPD eine gerechtere Behandlung herbeizuführen geeignet ist. Denn wenn 200 DM steuerfrei bleiben, wie es unser Antrag vorsieht, bleibt es dem Arbeitgeber ja unbenommen, eine Weihnachtsgratifikation zu zahlen. Das möchten wir natürlich nicht abstellen. Die Weihnachtsgratifikation soll steuerfrei sein. Aber auch bei demjenigen, der in einem mittleren oder kleineren Betrieb tätig ist und der keine Weihnachtsgratifikation erhält, sollen 200 DM des normalen Arbeitseinkommens von der Steuer abgesetzt werden können, so daß er auf diese Weise ein kleines Steuergeschenk erhält, das ja auch der andere bekommt, der zusätzlich zu seinem Arbeitseinkommen eine Weihnachtsgratifikation erhält.
Dagegen ist im Ausschuß von der Mehrheit der Einwand vorgebracht worden, das koste natürlich
mehr. Das bestreite ich nicht; das bestreitet auch meine Fraktion nicht. Aber gegen das Argument, das koste mehr, ,gibt es einiges zu sagen. Zunächst sind die Kosten auf keinen Fall so hoch, wie von der Mehrheit im Ausschuß behauptet worden ist. Dort ist ein Betrag von 250 Millionen DM genannt worden. Diese Summe ist entschieden zu hoch. Sie wird in Wirklichkeit wesentlich niedriger liegen. Von der Mehrheit im Ausschuß ist aber auch eine Diskussion über einen Freibetrag von 100 DM mit der Begründung abgelehnt worden, eine Steuerermäßigung im Ausmaß von 80 Millionen DM gehe schon zu weit. Demgegenüber sind wir der Auffassung, daß das zu verkraften ist und den Rahmen des Haushaltsplanes nicht sprengt. Denn die Schätzungen, die der Herr Bundesfinanzminister in bezug auf das Steueraufkommen vorgenommen hat, haben sich in der Zwischenzeit bereits als unrichtig herausgestellt. Das Steueraufkommen in der Bundesrepublik wird in diesem Jahre mindestens um 2 bis 3 Milliarden DM höher sein, als es im Haushaltsplan veranschlagt worden ist, so daß ein genügend großer Spielraum vorhanden ist, eine solche Leistung zu verkraften, ohne daß der Haushaltsplan dadurch in Gefahr gerät.
Nun gibt es auch noch einen dritten Grund. Sie werden mir gestatten, daß ich darauf noch mit ein paar Sätzen eingehe.
Die Deutsche Bundesbank hat in ihrem Bericht vom Oktober genauso wie das Statistische Bundesamt den Arbeitnehmern in der Bundesrepublik bescheinigt, daß sie in bezug auf ihre Einkommensgestaltung im Jahre 1959 außerordentliche Zurückhaltung geübt haben, und festgestellt, daß daher eine Stabilität in unserem gesamten Wirtschaftsgefüge eingetreten sei. Die Gewerkschaften haben eine solche Lohnpolitik im Jahre 1959 deshalb betrieben, weil sich anfangs dieses Jahres erkennbare Ansätze einer Stabilisierung, ja einer Rückentwicklung der Preise gezeigt haben.
Die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften sind allerdings im Jahre 1959 stark enttäuscht worden. Im Jahre 1959 sind die Lohnerhöhungen im Durchschnitt bisher nicht über 4,5 % hinausgegangen. Das Produktivitätsergebnis für 1959 liegt noch nicht vor. Aber das Produktionsergebnis pro geleistete Arbeitsstunde ist im ersten Vierteljahr 1959 um 5,2 % höher gewesen als im vergleichbaren Quartal des Jahres 1958, und im zweiten Quartal 1959 lag das Produktionsergebnis pro Arbeitsstunde um 10,1 % über dem des zweiten Quartals 1958.
Diese Zahlen lassen darauf schließen, daß der Spielraum, der an sich auch nach der Ansicht der Deutschen Bundesbank gegeben ist, von den Gewerkschaften und Arbeitnehmern in Deutschland, gemessen an dem Einkommen, nicht ausgeschöpft worden ist, und zwar im Vertrauen darauf, daß die Preise sinken würden.
Was ist eingetreten? Im Sommer dieses Jahres ist bei uns unter der Führung der Kartoffelerzeuger ein Preisfeldzug gegen die Stabilität unserer Verhältnisse gestartet worden, und zwar trotz bester Konjunktur. Ich möchte die Frage aufwerfen, ob das nötig war. Die Ernte ist kaum geringer als in den Vorjahren. Ich bin kein Ernährungsfachmann, aber ich habe mir sagen lassen, daß der übliche Ernteanfall an Kartoffeln 201/2 Millionen Tonnen betrage und wir in diesem Jahr etwa eine halbe Million Tonnen weniger geerntet hätten. Von der Ernte verbraucht die Bevölkerung etwa 81/2 Millionen Tonnen als Speisekartoffeln; der Rest wird verfüttert.
Die Ernte hätte also ausgereicht, die Bevölkerung zu ernähren, aber man hat dem Verbraucher in den Sommermonaten und im Herbst dieses Jahres eingeredet, es seien zuwenig Kartoffeln da. Dieser allgemeinen Hetze ist nicht widersprochen worden. Im Zuge der Entwicklung, die sich dann anbahnte, haben manche Verbraucher überhöhte Kartoffelpreise bezahlt, weil sie der Auffassung gewesen sind, daß die Ernte für die Ernährung der Bevölkerung nicht ausreiche.
({0})
Hier liegt eine echte Schuld der Regierung vor.
({1})
Die Bundesregierung hat es unterlassen, die Verbraucher in den Sommermonaten auf die tatsächlichen Verhältnisse hinzuweisen.
({2})
Sie hat es gestattet, daß manche Leute in Deutschland mit der Trockenheit ihr Geschäft gemacht haben.
({3})
Dieser Zustand hat auf die Einkommen gedrückt.
({4})
Herr Abgeordneter Leber, ich bitte Sie, sich etwas mehr an die Sache zu halten, die hier zur Beratung steht, nämlich ein Gesetzentwurf zur Änderung des Einkommensteuergesetzes.
({0})
Das Einkommensteuergesetz steht an, und ich rede im Augenblick über Einkommen. Ich glaube, daß meine Ausführungen mit dem Beratungspunkt im Zusammenhang stehen.
({0})
Die Bundesregierung hat sich durch ihre Passivität an der Preisentwicklung auf wichtigen Gebieten der Ernährung mitschuldig gemacht.
Ich möchte noch ein Wort zu den Fleischpreisen sagen.
({1})
Ich kann verstehen, daß Sie das nicht gern hören,
({2})
aber das gehört dazu; ich kann Ihnen das nicht ersparen. Niemand hört gern zu, wenn ihm seine Sünden vorgeworfen werden.
({3})
Bei den Kartoffeln hat man die Trockenheit zu einer Überhöhung der Preise ausgenutzt. Die Fleischpreise, die an sich hätten sinken müssen, weil der Viehauftrieb größer war, hat die Regierung durch Einlagerung großer Mengen Fleisch gestützt. Damit ist den Verbrauchern ein möglicher Preisvorteil nicht zugute gekommen. Das sind zwei Tatsachen, die man sehen muß, wenn man über eine Frage wie die der Weihnachtsgratifikationen spricht. Hier hätte die Regierung eine Gelegenheit, das, was sie im Sommer durch diese schlechte Politik - die ihr ja sogar vom Deutschen Bundestag bestätigt worden ist - verursacht hat, wieder auszugleichen.
Ich möchte Sie daher bitten, dem Antrag meiner Fraktion zuzustimmen. Geschieht das, so würde der Masse der Verbraucher ein Steuervorteil gewährt, der in etwa das, was im Sommer bei den Kartoffelpreisen zu verkraften gewesen ist, ausgleichen könnte.
({4})
Meine Damen und Herren, ich darf zunächst einmal bitten, der Debatte mit etwas mehr Aufmerksamkeit zu folgen. Ich bitte Abgeordnete auf allen Seiten des Hauses, wieder ihre Plätze einzunehmen und private Unterhaltungen möglichst zu beschränken.
Wollen die Antragsteller der Fraktion der Freien Demokraten ihren Antrag begründen, den Steuerfreibetrag auf 300 DM zu erhöhen? - Das Wort hat der Abgeordnete Miessner.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
- Ja, meine Kollegen, dazu wollte ich gerade sprechen: Wer bietet mehr?! Ich wollte Ihnen nämlich klarmachen, daß es sich hier nicht etwa um zwei Anträge handelt, von denen der eine lediglich weitergeht als der andere, sondern daß beide Anträge zwei völlig verschiedene Regelungen anstreben. Der soeben begründete Antrag läuft im Grunde darauf hinaus, einen allgemeinen Arbeitnehmerfreibetrag in Höhe von 200 DM vorzusehen. Darüber ist in den vergangenen Jahren immer wieder gesprochen worden. Das mag ein lobenswertes Unterfangen sein, doch ist es bisher immer daran gescheitert, daß angesichts der großen Zahl der Arbeitnehmer die finanzielle Auswirkung außerordentlich ist. Darüber hinaus trifft die Begründung des Finanzausschusses, daß bei Annahme dieses Antrags erhebliche Arbeit anfiele, in der Tat zu. Denn dann müßte bei allen Arbeitnehmern die Steuer für den Monat Dezember neu berechnet werden.
Ich habe aber hier die Aufgabe, namens meiner Fraktion den Antrag Drucksache 1263 zu begründen. Der Antrag hat zum Ziel, den Steuerfreibetrag für Weihnachtsgratifikationen, also eine Steuervergünstigung, die dem Grunde nach seit langem besteht, von 100 DM auf 300 DM zu erhöhen. Dieser
Antrag hätte zweifellos nicht die hohen finanziellen Auswirkungen wie der andere Antrag. Wir haben auch bewußt diese gelindere Maßnahme gewählt, um die Regelung nicht etwa von vornherein an den finanziellen Auswirkungen scheitern zu lassen.
Es ist richtig, daß derartige Anträge immer wieder jedes Jahr von neuem gestellt wurden. Aber irgendwann muß man sich ja einmal Gedanken darüber machen, ob der vor vielen Jahren eingesetzte Freibetrag von 100 DM für Weihnachtsgratifikationen nach der allgemeinen Steigerung der Lebenshaltung, nach einer gewissen Entwertung des Geldes und einer Erhöhung der Löhne nicht änderungsbedürftig ist. Vielleicht sollte er auf 200 DM oder, wie wir beantragt haben, auf 300 DM erhöht werden; darüber könnte man im Ausschuß sprechen. Darum möchte ich das Hohe Haus bitten, den Antrag der FDP an den Finanzausschuß zu überweisen, damit diese Fragen dort noch einmal erörtert werden können.
({1})
Herr Abgeordneter Miessner, ich glaube, das Hohe Haus ist sich bewußt, daß es hierbei um zwei verschiedene Materien geht. Nur der Einfachheit halber ist vorgeschlagen worden, die Beratung der beiden Anträge zu verbinden.
Das Wort hat der Abgeordnete Neuburger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben soeben aus dem Munde des Präsidenten gehört, daß die beiden Anträge in verschiedene Richtungen zielen.
Nach dem Antrag der FDP soll die bisherige Regelung im Prinzip bestehenbleiben, aber der Betrag von bisher 100 DM auf 300 DM erhöht werden. Es soll also heißen: Werden neben der bisherigen tariflichen Entlohnung aus Anlaß des Weihnachtsfestes noch zusätzliche Zuwendungen gegeben, so sollen sie bis zum Betrag von 300 DM steuerfrei sein. - Nach der derzeitigen Regelung sind solche Zuwendungen bis zu 100 DM steuerfrei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen ist diese Materie nicht fremd. Wir haben uns praktisch jedes Jahr mit diesem Antrag beschäftigen müssen. Ich glaube, vor einem Jahr hatten wir zum erstenmal eine Ausnahme. Wir haben im Frühjahr 1958 das Einkommensteuergesetz neu geregelt und haben damals des langen und breiten insbesondere um die Höhe der Freibeträge sehr lange gerungen.
Der Antrag der SPD hat praktisch zum Ziel, einer gewissen Gruppe von Steuerpflichtigen einen zusätzlichen Freibetrag von 200 DM zu geben. Es handelt sich um die Gruppe der steuerpflichtigen Arbeitnehmer, die im Monat Dezember Lohn und Gehalt beziehen. Nun sind dieses Jahr Gott sei Dank alle im Dezember in Arbeit. Es hat aber auch schon Jahre gegeben, wo es gerade im Dezember eine gewisse Zahl von Arbeitslosen gab. Ich weiß nicht, wie es voriges Jahr war. Vielleicht gab es voriges Jahr zu diesem Zeitpunkt einige Hunderttausend ArbeitsNeuburger
lose. Der Antrag der SPD zielt also jedenfalls darauf ab, einer gewissen Gruppe von Steuerpflichtigen entgegen der im Jahr 1958 gemeinsam getroffenen Regelung diesen zusätzlichen Freibetrag zu geben. Wir haben im Ausschuß erklärt, daß diese Regelung als Sonderregelung gegen den Grundsatz der Steuergleichmäßigkeit verstößt, gegen jenen Grundsatz, den wir der Steuerreform des Jahres 1958 zugrunde gelegt haben.
({0})
Daher haben wir im Ausschuß den Antrag abgelehnt, und aus den gleichen Gründen möchte ich das Hohe Haus bitten, den Antrag der SPD abzulehnen.
Herr Abgeordneter Neuburger, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Seuffert?
Bitte schön!
Herr Kollege Neuburger, können Sie mir erklären, wieso es mehr gegen den Grundsatz der Steuergleichmäßigkeit verstoßen soll, daß man eine Steuerbegünstigung allen Arbeitnehmern gibt, die im Dezember Arbeitsentgelt beziehen, als es der bisherige Zustand tut, wonach die Steuerbegünstigung nur denjenigen zusteht, die von ihren Betrieben eine zusätzliche Gratifikation erhalten?
Meine Damen und Herren, ich habe im Ausschuß erklärt - und ich stehe nicht an, es auch hier zu sagen -, es wäre richtig gewesen, im Frühjahr 1958 diesen Passus über die steuerliche Behandlung von Weihnachtszuwendungen zu streichen.
({0}) Dann hätten wir ein gutes Werk getan.
All die Gründe, die hier vorgetragen wurden, sind sicher nicht von der Hand zu weisen. Wenn jemand schon über sein tarifliches Gehalt hinaus eine Zuwendung zu Weihnachten bekommt, soll er so zufrieden sein, daß er gern den entsprechenden Obolus an den Fiskus und damit an die Allgemeinheit abführt.
({1})
- Ja, Herr Kollege Seuffert. Gerade als Ihr Fraktionskollege vorhin hier oben stand und diese Bestimmung so sehr geißelte, habe ich mir gedacht, die eigentliche Folge wäre doch nun die, daß er sagt: Wir stellen nunmehr den Antrag, diese Bestimmung ersatzlos zu streichen.
({2})
Wäre der Antrag gestellt worden, wäre ich hier heraufgekommen und hätte meinen Parteifreunden empfohlen, diesem Antrag zuzustimmen.
({3})
Aber so wollen Sie ihn nicht streichen, nicht ersatzlos, sondern wollen ihn durch eine Bestimmung ersetzen, bei der, wie gesagt, die Ungleichmäßigkeit in der Behandlung der Steuerpflichtigen auf der Hand liegt. Wir können also diesem Antrag nicht zustimmen.
Nun brauche ich nur noch ein Wort zu dem zu sagen, was Herr Miessner vorgetragen hat.
Darf ich Sie zuvor fragen, ob Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leber beantworten wollen?
Bitte!
Glauben Sie nicht, Herr Kollege Neuburger, daß bei Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes - daß nur derjenige eine Steuervergünstigung erhält, der in einem Betrieb arbeitet, der finanziell dazu fähig ist - die mittelständischen Betriebe und die Handwerksbetriebe, die nicht in der Lage sind, eine solche Leistung zu vollbringen, angesichts der hohen Konjunktur mit der Arbeitskräfteknappheit, die in Deutschland herrscht, in eine äußerst schlimme Situation gebracht werden, weil eine solche Begünstigung ein Grund mehr ist, die Arbeitnehmer von kleinen und mittelständischen Betrieben in die Großbetriebe abwandern zu lassen?
Dazu darf ich Ihnen folgendes sagen. Es ist noch keine Stunde her, daß ich mich über diese Materie geäußert habe. Aber die Gefahren für die Abwanderung oder die Abwerbung liegen nicht bei den 100 DM.
({0})
Die Möglichkeiten, die hier gegebenenfalls die gutverdienenden Betriebe - das brauchen nicht die großen zu sein - haben, liegen auf ganz anderem Gebiet. Jedenfalls ist dieses Kapitel nur ein ganz kleines Kapitel,
({1}) das in dem Sinne nicht zu Buche schlägt.
Nur noch ein Wort zu dem Antrag der FDP. Herr Miessner, Sie haben die Kritik gehört, die an den Zuwendungen bis zu 100 DM geübt wurde. Sie haben auch meine Auffassung gehört, daß es mir am liebsten wäre, wenn man diese Bestimmung striche. Der Antrag auf eine Erhöhung auf 200 DM ist schon mehrmals gestellt worden; er ist vom Hause immer abgelehnt worden. Nun wollen Sie auf 300 DM gehen. Das vergrößert noch die Einwendungen, die hier vorgetragen wurden. Aus diesen Gründen bitte ich das Hohe Haus, auch diesen Antrag abzulehnen.
Herr Abgeordneter Miessner, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte doch, uns nicht das Opfer der geschäftlichen Handhabung werden zu lassen daß nun zufällig diese beiden Anträge hintereinander hier anstehen. Sie haben in der Tat, wie
nun alle ausgeführt haben, nichts miteinander zu tun. Wenn man schon eine allgemeine Erhöhung des Arbeitnehmer-Freibetrages hätte erreichen wollen, wie es der SPD-Antrag vorsieht, gäbe es nach meiner Meinung doch noch Möglichkeiten, die sehr viel eleganter sind und gleichzeitig eine Verwaltungsvereinfachung mit sich bringen. Insofern kann in der Tat auch meine Fraktion diesem Antrag nicht viel Sympathie abgewinnen, obwohl wir darüber sprechen könnten, daß man vielleicht einmal den Arbeitnehmerfreibetrag erhöhen müßte.
Aber ich sehe, daß sich hier inzwischen schon etwas getan hat. Ich bitte Sie wirklich sehr dringend, diesen Antrag der FDP, der heute zur ersten Lesung ansteht, dem Ausschuß zu überweisen.
Das Wort hat noch einmal Herr Abgeordneter Neuburger.
Ich darf meinen Antrag korrigieren. Herr Miessner war, als wir die Sache berieten, nicht im Finanzausschuß. Dort sind von seiten der FDP die diesem Antrag zugrunde liegenden Anregungen schon zur Debatte gestellt, aber nicht zum Antrag erhoben worden. Ich hatte ursprünglich gemeint, der Antrag sei damals schon im Finanzausschuß gestellt und behandelt worden. Ich beantrage nunmehr für diesen Antrag Überweisung.
Meine Damen und Herren, jetzt liegen weitere Wortmeldungen I nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer Art. 1 des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf Art. 2. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf Art. 3. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit der gleichen Mehrheit abgelehnt. Damit ist der gesamte Entwurf in zweiter Beratung abgelehnt, also erledigt.
Für den von der Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf Drucksache 1263 ist Überweisung an den Finanzausschuß beantragt worden. Im Ältestenrat ist außerdem die Überweisung dieses Antrages an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung erwogen worden. Wer der Überweisung dieses Antrages an den Finanzausschuß als federführenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und einer Enthaltung an die genannten Ausschüsse überwiesen.
Ehe ich den Punkt 6 der Tagesordnung aufrufe, darf ich das Hohe Haus sicherheitshalber noch um eine Ermächtigung hinsichtlich der soeben in dritter Lesung beschlossenen Verwaltungsgerichtsordnung bitten. Ich darf Sie um die Ermächtigung bitten, daß die bei der Annahme der verschiedenen Anträge, insbesondere der Anträge auf Umdruck 406 Ziffern 2, 3 und 9 möglicherweise übersehenen erforderlichen redaktionellen Anpassungen und Korrekturen noch vorgenommen werden, damit das Hohe Haus sich nicht noch einmal mit dieser Materie beschäftigen muß. Wer diese Ermächtigung zur redaktionellen Anpassung entsprechend den genannten Anträgen zu erteilen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? Das ist so beschlossen. Ich hoffe, daß wir uns nun mit dieser Materie nicht mehr zu befassen brauchen.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}), Ruhnke, Margulies, Dr. Elbrächter und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs ({1}),
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen ({2}) ({3}) ;
({4}).
Hierzu hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Dr. Even, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist auf die Schaffung rechtlicher Handhaben gerichtet, die eine wirksame Bekämpfung der Luftverschmutzung und der Lärmentwicklung durch die Industrie ermöglichen sollen. Außerdem soll er die Rechtsstellung der durch fremde Einwirkungen geschädigten Eigentümer verbessern.
Der Antrag der Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}), Ruhnke, Margulies, Dr. Elbrächter und Genossen ist am 25. April 1958 dem Ausschuß für Gesundheitswesen als federführendem Ausschuß und dem Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung überwiesen worden. Entsprechend einem Beschluß des Ältestenrates vom 3. Juni 1958 haben der Ausschuß für Arbeit und der Rechtsausschuß - letzterer nur zu § 906 BGB - Stellungnahmen abgegeben. Eine Delegation des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat an den Sitzungen des Gesundheitsausschusses .mitberatend teilgenommen.
Bereits der 2. Deutsche Bundestag hatte sich mit der Verunreinigung der Luft durch Industriebetriebe befaßt. Auf sein Ersuchen vom 11. Januar 1957 - Drucksache 2598 - hatte die Bundesregierung am 31. Juli 1957 - Drucksache 3757 - einen Bericht über den Umfang und die Folgen der LuftDr. Even ({1})
verschmutzung vorgelegt. Sie hatte darin Vorschläge unterbreitet, welche gesetzlichen Maßnahmen ergriffen werden müßten, um eine wirksamere Bekämpfung der Luftverunreinigungen zu ermöglichen. Die antragstellenden Abgeordneten, die aus allen Fraktionen des Hauses kommen und Mitglieder der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft sind, haben diese Vorschläge ihrem Initiativgesetzentwurf Drucksache 301 zugrunde gelegt. Er zielt auf die Anpassung der Gewerbeordnung an die neuzeitlichen Gegebenheiten sowie auf eine Änderung des Nachbarrechts im Rahmen des Bürgerlichen Gesetzbuches ab.
Der Gesundheitsausschuß hat zu den Problemen der Luftverschmutzung zahlreiche Sachverständige sowie Vertreter der betroffenen Kreise gehört. Er hat verschiedene Industriestädte im Ruhrgebiet besucht, mehrere Großbetriebe besichtigt und sich ein Bild von den Folgen der Luftverunreinigung auf Menschen, Tier- und Pflanzenwelt gemacht.
Aus diesen Untersuchungen ergab sich folgender Tatbestand. Die Verunreinigung der Luft hat vielenorts, vor allem in den Industriegebieten, einen Grad erreicht, dessen Ertragen der betroffenen Bevölkerung nicht mehr zugemutet werden kann. Nach einer Schätzung von Sachverständigen erzeugen die im Bundesgebiet für Feuerungszwecke verbrauchten Stein- und Braunkohlen jährlich 2000 Milliarden Kubikmeter Rauchgase. Hinzu tritt eine wachsende Menge von Rauch und Ruß bei der Verbrennung von Heizöl und anderen Kraftstoffen. Mindestens 2 Millionen Tonnen Staub rieseln jährlich auf das Bundesgebiet herab. Außerdem muß mit der gleichen Menge gasförmiger Verunreinigungen gerechnet werden; dabei handelt es sich vor allem um Kohlen-, Schwefel- und Stickstoffoxyde, um Schwefel- und Fluorwasserstoff sowie Ammoniakgase. Etwa drei Viertel der genannten Verschmutzungen entstehen im Ruhrgebiet.
Hauptquelle dieser Immissionen sind die Industriebetriebe. An der Spitze stehen die Eisen- und Stahlindustrie, die Kokereien, die chemische und die Zementindustrie sowie alle Betriebe, die Großkesselanlagen unterhalten. In gewissem Umfang wirken aber auch das Kleingewerbe, der Verkehr und die Haushaltungen mit. Da ständig neue Industrieanlagen errichtet oder bestehende vergrößert werden, würde sich die Luftverschmutzung ohne ein wirksames Eingreifen noch weiter verstärken.
Die Folgen der Luftverunreinigung können für die menschliche Gesundheit schädlich sein, vor allem beim Zusammentreffen mit ungünstigen Witterungsverhältnissen. Wenn diese Frage von der medizinischen Wissenschaft auch noch nicht abschließend geklärt worden ist, so steht doch bereits fest, daß bestimmte Verunreinigungen der Luft zu Reizungen der Schleimhäute und Augen, zu Katarrhen und Allergien führen können. Neueste Untersuchungen des Gesundheitsamtes der Stadt Oberhausen und des Hygieneinstituts in Gelsenkirchen haben ergeben, daß Luftverschmutzungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geeignet sind, Gesundheitsschäden bei Menschen hervorzurufen.
Beim Vergleich zwischen Industriestadtkindern und Landkindern zeigten sich als Folge der Luftverschmutzung negative Beeinflussungen des Blutbildes, zahlreiche Rachitissymptome, Hemmungen im Größenwachstum sowie häufigere Augenentzündungen und Hauterkrankungen. Der größte Teil dieser Beeinträchtigungen der Gesundheit wurde nicht durch die unmittelbare Einwirkung der in der Luft enthaltenen Fremdkörper und Chemikalien hervorgerufen, vielmehr erweist sich vor allem die gewaltige Dunstglocke als schädlich, die ständig über den Industriegebieten lagert, da sie einen großen Teil des Sonnenscheins und der Frischluftzufuhr abschirmt.
Weiterhin bedeuten die Industrieimmissionen für den Menschen eine schwere Belästigung. Bauwerke und Landschaft werden mit einer Schmutzschicht überzogen, der sich der Mensch überall gegenübersieht. Seine Lebensfreude und sein allgemeines Wohlbefinden werden gemindert. Für Reinigung und Kleidung sind höhere Aufwendungen erforderlich, und oft ist er wegen der drohenden Verschmutzung in der farblichen und stofflichen Auswahl seiner Kleidung begrenzt. Geruchsbelästigungen treten häufig noch hinzu. Noch größere Schäden entstehen jedoch der Landwirtschaft und Forstwirtschaft, dem Hausbesitz und dem Gartenbau. Viele müssen fortwährend gegen die Schäden an ihrem Eigentum kämpfen, und manche werden sogar zur Aufgabe ihrer bisherigen Lebensgrundlage gezwungen.
Die gegenwärtigen gesetzlichen Handhaben reichen nicht aus, diesem unbefriedigenden Zustand abzuhelfen. Sicherlich wird niemand erwarten, daß in den Industriegebieten wieder eine Luftreinheit erreicht werden kann, wie sie vor der Industrialisierung bestanden hat. Dennoch wären weit wirksamere technische Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung möglich, als sie zur Zeit angewendet werden. Obwohl zahlreiche Betriebe unter Aufwendung hoher Beträge bereits vieles zur Minderung der Verschmutzung geleistet haben, bleibt das Gesamtbild unbefriedigend. Für die meisten Immissionen sind Filteranlagen entwickelt worden, die ein Abfangen der Verunreinigung bis zu 99 v. H. ermöglichen; aber sie werden nur zum Teil benutzt. Bei einzelnen Verschmutzungen ist das Problem des Abscheidens technisch noch nicht gelöst; das gilt z. B. für anfallendes Schwefeldioxyd. Um das Bestmögliche zu erreichen, bedarf es schärferer gesetzlicher Handhaben, als sie bisher bestehen.
Der Gesetzentwurf der Antragsteller sieht zu diesem Zweck vor allem folgende Neuerungen vor: Die Gewerbeordnung wird dahin ergänzt, daß gewerbliche Anlagen, die bisher nicht der Genehmigungspflicht unterlagen, nunmehr erfaßt werden können. Auch nichtgewerbliche Betriebe, die im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmen eingesetzt werden, wie z. B. Laboratorien oder Müllverbrennungsanlagen, werden der Gewerbeaufsicht unterworfen. Ebenso werden nunmehr neue Anlagen des Bergwesens, wie Zechenkraftwerke und Kokereien, erfaßt. Die Gewerbeaufsicht soll darüber hinaus berechtigt werden, auch nachträgliche Auflagen zu erteilen. Dadurch sollen die Unternehmer verpflichtet
Dr. Even ({2})
werden, die jeweils nach dem neuesten Stand der Technik geeigneten Schutzvorkehrungen zu treffen. Die Betriebe müssen die Überwachung ihrer gewerblichen Anlagen auf ihre Kosten dulden. Im Bürgerlichen Gesetzbuch soll der § 906 mit dem Ziel ergänzt werden, die Duldungspflicht gegenüber fremden Einwirkungen enger zu umgrenzen.
Der Gesundheitsausschuß ist diesen Vorschlägen in Übereinstimmung mit den anderen beteiligten Ausschüssen gefolgt. Er hat jedoch neben einer Reihe von redaktionellen Änderungen vor allem zwei wesentliche Neuerungen beschlossen, einmal die Berufung eines ständigen Ausschusses zur Luftreinhaltung bei der Bundesregierung, zum andern eine weitergehende Reform des § 906 BGB. Im einzelnen sind die Beschlüsse des Gesundheitsausschusses durch folgende Überlegungen zustande gekommen.
Zu Art. 1 Nr. 1: Die Änderung in § 16 Abs. 1 Satz 2 der Gewerbeordnung - Hinweis auf das Erlaubnisverfahren - dient der Vereinfachung. Dadurch entfällt § 25 Abs. 4 des Entwurfs.
Der in § 16 Abs. 4 des Entwurfs enthaltene Gedanke ist aus rechtssystematischen Gründen als Abs. 3 beschlossen worden. Durch diese Vorschrift entfällt der erschöpfend aufzählende Katalog genehmigungspflichtiger Anlagen, der in der bisher geltenden Fassung des § 16 enthalten war. Statt dessen wird die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung zu bestimmen, welche Anlagen genehmigungspflichtig sind. Ferner hat sie mit Zustimmung des Bundesrates als Technische Anleitung allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die die Genehmigungsbehörden zu beachten haben. Dadurch soll gewährleistet werden, daß die rechtlichen Erfordernisse dem jeweils neuesten Stand der Technik angepaßt werden können, ohne daß ein zeitraubendes Gesetzgebungsverfahren neu in Gang gebracht werden muß.
Entgegen dem Entwurf der Antragsteller war der Gesundheitsausschuß in Übereinstimmung mit den beteiligten Ausschüssen der Auffassung, daß nicht ein einzelner oder zwei Bundesminister, sondern die Bundesregierung insgesamt zum Erlaß der Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften ermächtigt werden sollte. Der Grund ist darin zu suchen, daß bei den hier zu regelnden Fragen stets mehr ,als zwei Ministerien berührt werden dürften.
Die beteiligten Ausschüsse halten die hiernach zu treffenden Entscheidungen für so wesentlich, daß die Bundesregierung vor Erlaß der Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften einen Ausschuß zu hören hat, den sie zu ihrer ständigen Beratung berufen muß. In diesem ständigen Ausschuß sind alle von der Luftverschmutzung Betroffenen vertreten.
Der Gesundheitsausschuß ist davon ausgegangen, daß dieser unabhängige und ehrenamtlich arbeitende Ausschuß nicht identisch sein dürfe mit bereits bestehenden privaten Kommissionen zur Reinhaltung der Luft. Denn der Zweck des Ausschusses ist, sicherzustellen, daß sich die Bundesregierung unmittelbar durch die betroffenen Kreise ein Bild von den tatsächlichen Gegebenheiten und technischen Möglichkeiten machen kann.
In § 16 Abs. 4 Satz 1 - Abs. 3 des Entwurfs der Antragsteller - ist die Ausdehnung der Anzeigepflicht auf solche Anlagen beschlossen worden, bei denen die Genehmigungspflicht nach dem 30. Juni 1960 festgelegt wird. Die Änderung des Datums ergibt sich ,aus dem inzwischen eingetretenen Zeitablauf.
§ 16 Abs. 3 Satz 2 des Entwurfs der Antragsteller - Verwaltungsverfahren der Länder - wurde gestrichen, da er im Hinblick auf Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes überflüssig ist.
Zu Art. 1 Nr. 2: § 25 Abs. 2 ist gegenüber dem Entwurf der Antragsteller redaktionell überarbeitet warden. Ferner hat der Gesundheitsausschuß folgende Ergänzungen beschlossen. In Satz 1 ist die Aufzählung der Einwirkungen um Wärme, Energie, Strahlen und Schwingungen vervollständigt worden. Soweit Spezialvorschriften bestehen oder erlassen werden, sollen diese hierdurch nicht berührt werden. Durch die Einfügung der Worte in Satz 2 „für die Besitzer oder die Bewohner der benachbarten Grundstücke" sollen die Aufsichtsbehörden angehalten werden, die Lage dieses Personenkreises besonders ernsthaft zu berücksichtigen. Die Verwendung der Worte „zu befürchten sind" bedeutet eine Verschärfung. Nach Abs. 3 der beschlossenen Fassung kann die Aufsichtsbehörde von sich aus anordnen, daß die erforderlichen Feststellungen durch den Einbau geeigneter Meßgeräte laufend getroffen werden. Gewährleisten fest eingebaute Meßgeräte in nachweislich einwandfreier Weise die erforderlichen Feststellungen, so sollen gemäß Satz 4 Anordnungen nach den Absätzen 1 und 2 nicht getroffen werden. Satz 5 bestimmt nunmehr, daß die Ergebnisse der Aufsichtsbehörde auf Verlangen mitzuteilen sind. Durch die Neufassung des Satzes 7 wird festgestellt, daß der Unternehmer für außerhalb seines Betriebsgeländes vorgenommene Feststellungen auch insoweit kostenpflichtig ist, als er Auflagen nicht eingehalten hat.
Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1, der nachträgliche Anordnungen ermöglicht, sind die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke - ebenso wie nach Abs. 2 - besonders zu berücksichtigen. Die im Entwurf der Antragsteller vorgesehene Kann-Vorschrift ist in eine Soll-Vorschrift umgewandelt worden. Damit ist klargestellt, daß die technischen Aufsichtsbehörden bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen innerdienstlich verpflichtet sind, nachträgliche Anordnungen zu treffen. Der Ausdruck „nachträglich" trat an die Stelle des Wortes „zusätzlich", da auch diejenigen Fälle umfaßt werden sollen, in denen überhaupt noch keine Anordnungen erlassen worden waren. Die Anordnungen müssen nach dem jeweiligen Stand der Technik erfüllbar und für Anlagen dieser Art wirtschaftlich vertretbar sein. Durch die Einfügung der Worte „für Anlagen dieser Art" soll nach dem Willen des Gesundheitsausschusses verdeutlicht werden, daß die Frage der wirtschaftlichen Vertretbarkeit nicht vom subjektiven VerDr. Even ({3})
mögen des betreffenden Betriebes her, sondern nach einem objektiven Maßstab geprüft werden muß. Demnach hat für die wirtschaftliche Vertretbarkeit als Maßstab ein gesundes Durchschnittsunternehmen der jeweiligen Betriebsart zu gelten. Daher können sich sogenannte Grenzkostenbetriebe, die durch den Einbau kostspieliger Filter möglicherweise wirtschaftlich fühlbar beeinträchtigt werden, nicht auf die genannte Begrenzung berufen. Andererseits hat es der Gesundheitsausschuß als zu weitgehend erachtet, auf das Erfordernis der wirtschaftlichen Vertretbarkeit völlig zu verzichten. Eine derartige Regelung müßte zahlreiche Betriebe ruinieren und würde nicht nur für deren Eigentümer, sondern auch für Tausende Arbeitnehmer verhängnisvolle Folgen haben. Im Satz 4 hat der Gesundheitsausschuß die Muß-Vorschrift in eine Soll-Bestimmung umgewandelt, da für Einzelfälle Anordnungen nicht ausgeschlossen werden sollen, die über den Rahmen der Technischen Anleitung hinausgehen.
§ 25 Abs. 4 ist entsprechend der Neufassung des § 16 Abs. 1 Satz 2 gestrichen worden. Statt dessen wurde ,ein Hinweis auf die allgemeinen Befugnisse der Aufsichtsbehörden eingefügt.
Zu Art. 1 Nr. 3: Die Änderung des § 147, der Strafbestimmungen enthält, wurde redaktionell der vom Gesundheitsausschuß beschlossenen Fassung angeglichen.
Zu Art. 2: Der Gesundheitsausschuß hat in Übereinstimmung mit den beteiligten Ausschüssen eine weiter gehende Neufassung des § 906 BGB beschlossen. Die neue Fassung, die den § 906 in drei Absätze gliedert und bis auf eine Wendung wörtlich mit der Formulierung des Rechtsausschusses übereinstimmt, sieht folgendes vor. Die Duldungspflicht, die ein Eigentümer gegenüber fremden Immissionen - auch nicht gewerblicher Art hat, wird eingeschränkt. Der betroffene Eigentümer braucht - abgesehen vom Fall einer unwesentlichen Beeinträchtigung - nur noch solche Einwirkungen zu dulden, die sowohl ortsüblich als auch nicht durch Maßnahmen zu verhindern sind, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zugemutet werden können. Hiernach muß also der störende Eigentümer alles für einen gesunden Durchschnittsbetrieb seines Erwerbszweiges Zumutbare getan haben, um die Immissionen zu verhindern. Andernfalls verhält er sich rechtswidrig und ist bei Verschulden schadensersatzpflichtig. Der störende Eigentümer ist sowohl hinsichtlich der Ortsüblichkeit als auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit beweispflichtig.
Die teilweise anderslautende Ausdruckweise gegenüber § 25 Abs. 3 Satz 3 der Gewerbeordnung soll keinen sachlichen Unterschied begründen. Das Merkmal der „technischen Erfüllbarkeit" erschien im § 906 entbehrlich, da es selbstverständlich ist und eine technische Unmöglichkeit nicht als wirtschaftlich zumutbar angesehen werden kann. Das Wort „zumutbar" wurde an Stelle von „vertretbar" in den § 906 aufgenommen, weil das bürgerlich Recht den Begriff „Vertretbarkeit" in einem anderen Sinne verwendet.
Hat ,ein Eigentümer unter den genannten Voraussetzungen eine Einwirkung zu dulden, so soll ihm gegen den Störer ein Ausgleichsanspruch für eingetretene Schäden zustehen. Dieser Ausgleichsanspruch wird unter Fortentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung geschaffen, die in äußersten Härtefällen, nämlich bei drohender Existenzvernichtung, dem betroffenen Eigentümer auf der Grundlage des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses einen solchen Anspruch zubilligt. Nunmehr soll der Eigentümer ,einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen können, wenn er über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt wird. Das Wort „angemessen" wird dabei nicht als Einschränkung verwendet, sondern im Sinne von „gerecht". Entscheidend für den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit ist die Abwägung der sich aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ergebenden Vor- und Nachteile. Die vom Rechtsausschuß vorgeschlagene Wendung „aus den örtlichen Verhältnissen" erschien dem Gesundheitsausschuß zu unbestimmt. Denn einmal könnten dann dem Schädiger nachteilige örtliche Verhältnisse angelastet werden, zu denen er in keiner Beziehung steht. Andererseits müßte sich der Geschädigte unter Umständen örtliche Vorteile entgegenhalten lassen, die mit dem Störer nicht ursächlich zusammenhängen. Es erschien daher zur Ausschaltung von Auslegungsschwierigkeiten zweckmäßiger, hier den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zu verwenden. Daß auch dieser Begriff noch nicht völlig eindeutig ist, ergibt sich aus dem später zu behandelnden interfraktionellen Änderungsantrag zu § 906 BGB, auf den ich bereits jetzt hinweise.
Andererseits haben sowohl der Gesundheitsausschuß als auch der Rechtsausschuß die Einführung einer Schadensersatzpflicht an Stelle des vorgesehenen Ausgleichsanspruchs abgelehnt. Denn bei Bestehen eines Schadensersatzanspruches im Sinne des BGB wäre es nicht möglich, die Vorteile anzurechnen, die der Geschädigte seinerseits aus dem Vorhandensein des störenden Industriebetriebes ziehen kann. Beispiele: eine Gastwirtschaft liegt vor dem Werkstor des störenden Betriebs und zieht aus dieser günstigen Lage Nutzen. Oder: ein Gemüsebauer beliefert die Werksküche des schädigenden Unternehmens. Es wird jedoch darauf hingewiesen, daß die der Luftreinhaltung dienenden Vorschriften der Gewerbeordnung als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sind und durch diese Vorschrift Schadensersatzansprüche begründet sein können.
Ebenso ist auch der Gedanke verworfen worden, eine gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Verursacher in den Fällen einer bestehenden Duldungspflicht zu begründen. Liegt keine Duldungspflicht vor, verhalten sich also mehrere Einwirkende rechtswidrig und tragen sie schuldhaft zum Schaden eines Eigentümers bei, so kann ohnehin eine gesamtschuldnerische Haftung gegeben sein. Sie aber auf alle Fälle rechtmäßigen Einwirkens auszudehnen, würde zu unabsehbaren Folgen führen.
Gesundheits- und Rechtsausschuß haben nicht verkannt, daß es für Geschädigte in diesen Sonder4856
Dr. Even ({4})
fällen zu prozessualen Schwierigkeiten kommen kann. Durch die Einführung einer gesamtschuldnerischen Haftung würden aber noch größere Ungerechtigkeiten in Kauf genommen werden müssen, weil dann der nächstbeste Industriebetrieb, der vielleicht mit nur 0,5 v. H. an der Verursachung des Schadens beteiligt ist, für den gesamten Schaden haftbar gemacht werden könnte. Diese Rechtsfolge haben die genannten Ausschüsse nicht für vertretbar gehalten.
Zu den Artikeln 3 und 4! Die Ausschußfassung der Artikel 3 und 4 enthält nur redaktionelle sowie durch den inzwischen eingetretenen Zeitablauf notwendig gewordene Änderungen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend folgendes betonen. Der Gesundheitsausschuß hat nahezu alle Beschlüsse einstimmig gefaßt; nur in wenigen Fällen gab es vereinzelte Gegenstimmen oder Stimmenthaltungen. Er ist der Auffassung, daß der vorliegende Entwurf die notwendigen rechtlichen Handhaben schafft, um nunmehr wirksam gegen die industrielle Luftverschmutzung und Lärmentwicklung einschreiten zu können.
In den Ausschußberatungen wurde auch die Frage erörtert, ob zur Bekämpfung der Verunreinigung und des Lärms im Straßenverkehr Gesetzesänderungen erforderlich sind. Dieses Problem soll im Gesundheitsausschuß noch weiter erörtert werden. Vor allem wurde betont, daß die Planung der Länder und Gemeinden noch mehr als bisher auf die Folgen weiterer Industrieballungen Rücksicht nehmen müsse. Die Durchgrünung unserer Städte und Siedlungen ist im Interesse der Volksgesundheit und des Wohlbefindens aller ein dringendes Gebot. Niemals darf außer acht gelassen werden, daß auch in der modernen Industriegesellschaft stets der Mensch im Mittelpunkt zu stehen hat.
({5})
Es gilt, gegen die bedrohlichen Schattenseiten der technischen Entwicklung vorzugehen. Es gilt, dem Menschen gesunde Umweltbedingungen zu schaffen, damit er seine Persönlichkeit und seine Familie innerhalb der Gemeinschaft frei entfalten kann.
Von diesen Überlegungen haben sich die beteiligten Ausschüsse leiten lassen. Der Gesundheitsausschuß bittet Sie, entsprechend seinen Anträgen zu beschließen.
({6})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die zweite Beratung.
Ich rufe den Art. 1 auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Art. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 2 auf. Dazu liegt auf Umdruck 414 ein interfraktioneller Änderungsantrag vor.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Even.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nunmehr als Abgeordneter, nicht mehr als Berichterstatter des Gesundheitsausschusses. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung fällt mir die Aufgabe zu, den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP und DP zu § 906 BGB zu begründen.
Wie ich bereits in meinem Bericht dargelegt habe, ist es bei dem neuen § 906 Abs. 2 letzter Satzteil BGB zu Formulierungsschwierigkeiten gekommen. Die vom Gesundheitsausschuß beschlossene Fassung, die bei der Ermittlung der Zumutbarkeit das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis zugrunde legte, stieß auf rechtliche Bedenken. Es ist daher interfraktionell die Streichung des letzten Satzteils vereinbart worden, ohne daß man damit den beabsichtigten Sinn der Vorschrift hat ändern wollen. Die Streichung soll einmal erfolgen, um möglichen Mißdeutungen in der Rechtsprechung vorzubeugen. Zum anderen bedarf es eines ausdrücklichen Hinweises auf die Abwägung von Vor- und Nachteilen nicht, da dieses richterliche Abwägen begrifflich bereits im Ausgleichsanspruch enthalten ist.
Als Ersatz für den gestrichenen Satzteil soll dem Wort „Maß" das Adjektiv „zumutbar" beigefügt werden. „Zumutbar" wird dabei im objektiven Sinne verstanden. Es wird auf einen normalen Geschädigten dieser Art bezogen. Daher fehlt das Wort „ihm", das auf besondere ungewöhnliche Eigenheiten des jeweils Betroffenen hindeuten könnte.
Sie haben die Begründung des interfraktionellen Änderungsantrages zu Art. 2 gehört. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen wenige Stimmen angenommen.
Wer dem Art. 2 in der soeben geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den darf ich um das Handzeichen bitten. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit der gleichen großen Mehrheit angenommen.
Art. 3! - Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den darf ich um das Handzeichen bitten. - Ich bitte um die Gegenprobe. -- Enthaltungen? - Angenommen, soweit ich sehe, einstimmig.
Art. 4! Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer zuzustimmen wünscht, den darf ich um das Handzeichen bitten. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Einleitung und Überschrift! Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Vizepräsident Dr. Preusker
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD - Umdruck 416 - vor. Soll er noch besonders begründet werden? - Das ist nicht der Fall.
Zu einer Erklärung zur Abstimmung für die Fraktion der SPD hat das Wort der Herr Abgeordnete Junghans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Herrn Abgeordneten Dr. Even für seine ausgezeichnete Berichterstattung danken. Ich bin der Meinung, daß die Sache bisher selten in so eindringlicher Form dargestellt worden ist, und bedauere außerordentlich, daß solche Reden in einer so wichtigen Sache vor so schwach besetztem Hause vonstatten gehen.
Für die SPD-Fraktion möchte ich zur Abstimmung in dritter Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des BGB folgende Erklärung abgeben:
In der Bundesrepublik wurden in den letzten zehn Jahren über den Wiederaufbau hinaus zahlreiche industrielle Produktionsstätten neu geschaffen, und bestehende Kapazitäten wurden erheblich vergrößert. Sowohl dieses Wachstum der Industrie als auch neue industrielle Verfahren haben den Staubund Gasanfall in den letzten Jahren in einem solchen Ausmaße ansteigen lassen, daß er zu erheblichen gesundheitsschädlichen und belästigenden Einwirkungen auf die Bevölkerung geführt hat. Die schädlichen Folgen der industriellen Emissionen auf Mensch, Tier und Pflanzen haben in der Öffentlichkeit eine große Unruhe hervorgerufen. Diese schädlichen Folgen beruhen nicht nur auf direkten chemischen oder physikalischen Reaktionen in den Organismen, sondern auch auf indirekten Wirkungen.
Durch die Emissionen der Betriebe werden auch die Wetterbedingungen ungünstig beeinflußt. Der Staub kann zu Kondensationskernen werden, die Dunst und Nebel hervorrufen. Das gilt auch für Staub, der infolge seiner chemischen und physikalischen Eigenschaften noch keine unmittelbaren Gesundheitsschäden auslöst. Dunst und Nebel ihrerseits absorbieren die Sonnen- und die ultraviolette Strahlung. Es ist bekannt, daß durch fehlende Sonnenstrahlung verschiedene Krankheiten, z. B. Rachitis bei Kindern, hervorgerufen werden.
Viel zuwenig beachtet wird auch heute, daß der Staub, wenn er in die radioaktiv verseuchte Atmosphäre aufsteigt, selbst zum Träger der schädlichen Radioaktivität wird. Bei Niederschlägen bedeutet das eine zusätzliche Gefahr für die Bevölkerung auf dem flachen Lande.
Nach den Grundsätzen der SPD kommt es in der Wirtschaft darauf an, nicht nur einen möglichst hohen industriellen Ausstoß zu erzielen, sondern auch Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen, die menschenwürdig sind. Die Bevölkerung hat Anspruch darauf, daß sie vor den gesundheitsschädigenden und belästigenden Einflüssen der Industrie, vor allem den Staub-, Rauch- und Gasemissionen, geschützt wird.
Die bisherigen Maßnahmen der Industrie und der Wirtschaft auf diesem Gebiet sind völlig unzureichend. Wir begrüßen daher den vorliegenden Gesetzentwurf in der Fassung des Gesundheitsausschusses auf Drucksache 1343. Wir möchten aber ausdrücklich betonen, daß nach unserer Meinung dieses Gesetzeswerk nur einen Anfang für weitere gesetzgeberische Maßnahmen auf dem Gebiet der Reinhaltung der Luft darstellt. Viele Forderungen blieben unberücksichtigt.
Bereits im 2. Bundestag hat die SPD die Initiative durch Einbringung einer Großen Anfrage über die Reinhaltung der Luft ergriffen. In der daraufhin von der Bundesregierung vorgelegten Denkschrift wurden Maßnahmen angekündigt, die bis heute zum Teil noch ausstehen. Erst eine interfraktionelle Vorlage hat den Anstoß zu dem vorliegenden Gesetzentwurf gegeben. So will auch heute die SPD-Fraktion mit dem vorliegenden Entschließungsantrag auf Umdruck 416 veranlassen, daß weitere Maßnahmen in kürzester Frist folgen. Hauptsächlich handelt es sich hierbei um die wesentliche Beschränkung der schädlichen Emissionen im Verkehrswesen und der Wohnhausfeuerungen. Durch die Zunahme im Kraftverkehr, besonders in den Großstädten, haben die Abgase zum Teil ein Ausmaß angenommen, das sogar Vergiftungserscheinungen auftreten ließ. Infolge der Zunahme des Verbrauchs von Heizöl in Industrie, Gewerbebetrieben und Wohnhäusern wird die Luft zunehmend mit schwefelhaltigen Abgasen verunreinigt, über deren negative Wirkungen auf Mensch, Tier und Pflanzenwuchs keine Zweifel bestehen.
Aber nicht nur die Verunreinigung der Luft, sondern auch die schädlichen Folgen der unerträglich gewordenen Lärm- und Geräuschbelästigungen, insbesondere auf dem Gebiet des Verkehrs, möchten wir mit unserem Entschließungsantrag ansprechen. Zahlreiche Wissenschaftler haben festgestellt, daß viele Erkrankungen, z. B. neurotische Erkrankungen bei Kindern, ihre Ursache in der Lärmüberflutung haben.
Wir wissen, daß die Industrie geräuscharme Motoren und Antriebe herstellen kann. Es scheint hier nur an den entsprechend scharfen Vorschriften und deren Beachtung zu fehlen.
Die SPD möchte in dieser Erklärung noch eine weitere Frage ansprechen. Schon häufiger haben wir auch aus wirtschaftlichen Gründen eine räumliche Strukturplanung gefordert. Auch im Zusammenhang mit der Luftbeschaffenheit ist es notwendig, die Wohngebiete, unter Umständen an Hand von Staub- und Rauchkatastern, so zu legen, daß sie der Bevölkerung ein Wohnen und Leben in gesunder Umgebung ermöglichen. Bei der Vielseitigkeit, ja oft Gegensätzlichkeit der Interessen von Betrieben und Anliegern in Industriegebieten ist ein im Interesse der Allgemeinheit liegender Ausgleich einzig und allein durch eine langfristige und sinnvolle Planung herbeizuführen, die ordnend einzugreifen hat.
Weiter fordern wir in diesem Zusammenhang Wissenschaft und Forschung auf, die Forschungs- und Entwicklungsarbeit für die Reinhaltung der Luft weitaus stärker zu betreiben als bisher. Vor allem aber müssen Ausbildungsstätten für Fachkräfte aller
Art auf dem Gebiet der Staubtechnik und Luftreinigung geschaffen werden. Bis heute haben wir in der Bundesrepublik noch keinen Lehrstuhl an den Technischen Hochschulen, der sich mit diesen Fragen ausschließlich befaßt.
In der Gesetzesvorlage begrüßen wir besonders die Einrichtung des ständigen Ausschusses, der die Bundesregierung in Fragen der Reinhaltung der Luft berät. So kann der ständige Ausschuß von sich aus der Bundesregierung wichtige Probleme nahebringen.
Wir begrüßen ebenfalls die Neufassung des § 906 BGB. Hierdurch wird die Möglichkeit des Anspruchs auf eine Ausgleichsforderung gegeben, wenn bei einer wesentlichen Beeinträchtigung die Abhilfe technisch nicht möglich und wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Es wird hiermit aber auch ohne Zweifel ein materieller Anreiz geschaffen, mehr zu tun, als die Neufassung der Gewerbeordnung und die noch zu erlassenden technischen Anleitungen vorschreiben werden.
Mit diesem Gesetz gibt das Parlament der Bundesregierung die Möglichkeit, durch den baldigen Erlaß der technischen Anleitungen den zweiten entscheidenden Schritt auf dem Gebiet der Reinhaltung der Luft zu tun. Die SPD-Fraktion erwartet daher von der Bundesregierung, daß die technischen Anleitungen so rechtzeitig erlassen werden, daß sie bei Inkrafttreten der Gesetzesänderungen vorliegen.
Die SPD-Fraktion stimmt der vorliegenden Gesetzesvorlage zu und beantragt, den Entschließungsantrag auf Umdruck 416 dem Gesundheitsausschuß zu überweisen.
({0})
Das Wort zu einer weiteren Erklärung zur Abstimmung für die Fraktion der CDU/CSU hat der Abgeordnete Dr. Schmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fühle mich in dieser Stunde, wenn auch leider vor schlecht besetztem Hause - angesichts der Bedeutung der Angelegenheit ein wirklich bedauerlicher Tatbestand -, veranlaßt, für die Antragsteller ein Wort des Dankes zu sagen an den Gesundheitsausschuß, den Rechtsausschuß und die übrigen Ausschüsse, die sich mit dieser Vorlage intensiv beschäftigt und den Antrag, der bekanntlich in der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft erarbeitet worden ist, nun auch entscheidend verbessert haben.
Dieser Vorgang ist im ganzen eigentlich auch ein Beitrag zur Parlamentsreform. Wir hören in der Öffentlichkeit immer wieder kritisierend, daß das Parlament nichts weiter zu tun habe, als den Anträgen der Regierung zu folgen, und daß es sich im Grunde genommen hier um ein manipuliertes Parlament handele. Ich möchte alle die radikalen Kritiker des Parlaments bitten, den Werdegang dieses Gesetzes einmal unter die Lupe zu nehmen und die Arbeit des Parlaments positiv zu würdigen.
Der vorliegende Antrag ist eine Gemeinschaftsarbeit aller Fraktionen im Rahmen der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft. Ohne daß uns irgendeine Bürokratie zur Verfügung gestanden hätte, haben wir ihn mit Hilfe von Sachverständigen frei erarbeitet und dann hier einbringen können.
Ich darf nochmals betonen: das heutige Ergebnis ist durch die Gemeinschaftsarbeit aller zustande gekommen. Dabei handelt es sich um ein sehr heißes Eisen. Daß es trotz erheblicher Spannungen und Interessengegensätze gelungen ist, sich auf eine wirkliche Kompromißlösung zu einigen, das ist in der Geschichte dieses Parlaments eine bemerkenswerte Tatsache.
({0})
Wir sollten aus diesem Beispiel lernen; denn es zeigt, daß es auch bei sehr heiklen Fragen, bei erheblichen Spannungen und Interessengegensätzen noch Möglichkeiten der Zusammenarbeit gibt, sofern wir nur bereit sind, ein Problem unter rein sachlichen Gesichtspunkten zu sehen und zu lösen.
Dieses Gesetz ist nicht nur eine wirkliche Kompromißlösung, es ist auch eine Chance. Wir sind uns sicherlich alle darüber einig, daß das Gesetz im Grunde noch gar nichts zu bewirken vermag, wenn nicht auf der Landesebene die Verwaltungen, insbesondere die Gewerbeaufsicht, die Bestimmungen mit einem hohen Maß von Verantwortung handhaben.
Aber auch das gnügt nicht. Es muß wirklich zu einer bürgerschaftlichen Verantwortung im größten Umfang kommen. Das ist in dieser Stunde weit über dieses Haus hinaus mein Appell an die ganze Bevölkerung, an die Verursacher und die Betroffenen. Denn letzten Endes können diese Kräfte nur gemeinsam versuchen, in Selbstverantwortung die Anwendung des Gesetzes überflüssig zu machen. Sie müssen erkennen, daß die Generation nach uns in 20, 30, 40 und 50 Jahren, in denen die Entwicklung der Technik weiter fortschreiten wird, in einem Raum leben wollen, in dem es sich noch zu leben lohnt, in dem man menschenwürdig leben kann. Daher dürfte dieser Appell an die bürgerschaftliche Verantwortung im Sinne von uns allen liegen.
Nun zu dem Entschließungsantrag der SPD, der dem Gesundheitsausschuß überwiesen werden soll. Diejenigen Damen und Herren Kollegen der SPD, die Mitglieder der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft sind, wissen, daß wir gerade in diesen Tagen eine umfassende Anfrage auf dem Verkehrsgebiet erarbeitet haben und daß im Verkehrsministerium bereits wesentliche Vorarbeiten im Gange sind, deren Ergebnis auf Grund unserer Kleinen Anfrage hoffentlich in Kürze dem Hohen Hause bekanntgegeben werden kann. Sie wissen, daß wir innerhalb der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft in Zusammenhang mit der Heizöldebatte auch die Frage der Verwendung entschwefelten Heizöls erörtern wollen. Insofern bedaure ich es, daß wir hier nicht die gemeinsame Initiative fortsetzen und gar nicht erst den Versuch machen, das eine oder andere für den oder jenen zu reklamieren. Lassen Sie uns weiter im Geiste guter Zusammenarbeit an die Lösung der Probleme auf dem GeDr. Schmidt ({1})
biete der Reinhaltung der Luft und auf dem Gebiet der Lärmbekämpfung gehen! Ich darf es mir mit Rücksicht darauf, daß die Entschließung dem Gesundheitsausschuß überwiesen wird, ersparen, auf Einzelheiten einzugehen. Es wird dazu manches noch zu sagen sein.
({2})
Das Wort zu einer weiteren Erklärung hat der Abgeordnete Stammberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen erfreulichen Ausführungen des Herrn Kollegen Schmidt ({0}), denen ich vollinhaltlich zustimme, kann ich mich in meiner Erklärung für die Fraktion der FDP verhältnismäßig kurz fassen.
Auch wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben. Auch wir sind uns durchaus bewußt, daß das, was jetzt vor uns liegt, noch nicht eine ideale Lösung des Problems der Reinhaltung der Luft ist, daß es aber einen ersten Schritt darstellt, der längst überfällig war. Wir sind uns darüber klar, daß wir bald weitere Schritte tun und weitere Maßnahmen ergreifen müssen.
In der Öffentlichkeit hat der Gesetzentwurf Drucksache 301 sehr viel Kritik gefunden. Ich bin überzeugt, daß auch das Gesetz sehr viel Kritik finden wird, obwohl es, wie Herr Kollege Dr. Even als Berichterstatter schon ausgeführt hat, in wesentlichen Punkten bedeutend mehr enthält, als zunächst im Entwurf vorgesehen war. Es wird häufig als unvollständig bezeichnet. Ich will hier nicht auf Einzelprobleme wie etwa das der gesamtschuldnerischen Haftung eingehen. Ich möchte nur auf die Kritik eingehen, daß es sich bei diesem Gesetz nicht um eine Magna Charta auf dem Gebiet der Reinhaltung der Luft schlechthin handelt, die alle Quellen der Luftverunreinigung erfaßt, beseitigt oder zumindest ihre Wirkungen einschränkt. Ein solcher Wunsch klingt ja auch aus dem Entschließungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion.
Es ist schon gesagt worden, daß es dazu sehr häufig noch an den notwendigen technischen Möglichkeiten fehlt. Andererseits sind vorhandene nicht immer ausgenutzt worden. Hier soll ja der vorliegende Gesetzentwurf Abhilfe schaffen.
Ich darf auch darauf hinweisen, insbesondere im Hinblick auf den Entschließungsantrag der SPD, daß die Zuständigkeit in der Gesetzgebung vielfach verteilt ist. Nicht allein der Bund ist zuständig, sondern auf einem großen Gebiet der Luftreinhaltung liegt die Zuständigkeit bei den Ländern. Für die Durchführung der Maßnahmen zur Luftreinhaltung sind neben dem Bund und den Ländern zu einem großen Teil auch die Gemeinden und Gemeindeverbände verantwortlich. Auf der gleichen Verwaltungsstufe finden Sie häufig sogar verschiedene Behörden, die sich mit dieser Materie befassen. Sie finden die Regelung dieser Maßnahmen in der Gewerbeordnung, im BGB, im Straßenverkehrs-, im Baupolizeirecht und im Raumordnungsrecht. Sie finden sie sogar im kommenden Atomgesetz, das wir augenblicklich beraten.
Wir werden die Frage der gesetzgeberischen Zuständigkeit bei der Behandlung des SPD-Antrags noch sehr sorgfältig prüfen müssen. Das alles erschwert nun einmal leider eine sofortige allumfassende Lösung oder schließt sie vielleicht sogar aus.
Wir glauben daher; daß es besser ist, schrittweise vorzugehen, und sind überzeugt, daß unser heutiger erster Schritt uns ein gewaltiges Stück vorwärtsbringen wird. Wir begrüßen daher als Freie Demokraten den vorliegenden Bericht als Teillösung und geben ihm unsere Zustimmung.
({1})
Meine Damen und Herren, damit haben Sie alle Erklärungen zur Schlußabstimmung gehört. Wir kommen damit zur Schlußabstimmung.
Meine Damen und Herren, nach § 48 der Geschäftsordnung kann nach Schluß der Beratung ein Mitglied der Bundesregierung noch einmal das Wort ergreifen. Mir liegt die Wortmeldung des Herrn Staatssekretärs Dr. Claussen vor. Damit ist die Beratung wieder eröffnet.
Herr Staatssekretär, bitte.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Plötzlich haben sich hier Unklarheiten in der Fassung des letzten Artikels hinsichtlich der Frage ergeben, wann das Gesetz in Berlin in Kraft tritt. Wir sind daher gebeten worden, damit die dritte Lesung noch eine Klarheit bringen kann, noch einmal den Versuch zu machen, den letzten Artikel klarer zu formulieren. Das ist im Augenblick schwierig. Auch die verschiedenen Abgeordneten, die sich mit der Frage befaßt haben, können eine neue Formulierung noch nicht vorlegen. Es bleibt die Bitte, die dritte Lesung und die Abstimmung zu vertagen. Nach Auffassung unseres Hauses ist eine Änderung des letzten Artikels nicht unbedingt nötig. Vielleicht könnte man aber die Formulierung so wählen, daß man in dem letzten Halbsatz des Art. 4 sagt: Der durch Art. 1 Nr. 1 neugefaßte § 16 Abs. 3 der Gewerbeordnung und der Art. 3 treten insoweit am Tage nach der Verkündung in Kraft. Das müßte aber meiner Meinung nach noch sorgfältig überprüft werden.
Die Frage wäre also, ob das Haus die dritte Lesung so lange vertagen will, bis eine richtige Formulierung gefunden wird.
({0})
Meine Damen und Herren, nach § 48 der Geschäftsordnung des Bundestages ist mit dieser Wortergreifung des Herrn Staatssekretärs als Vertreters der Bundesregierung die Beratung wieder eröffnet. Sie haben
Vizepräsident Dr. Preusker
die Bitte des Vertreters der Bundesregierung gehört, die Schlußabstimmung auszusetzen. Wird dieser Antrag aus dem Hause aufgenommen?
({0})
Wird weiter das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Stingl!
Meine Damen und Herren, die jetzige Fassung des Art. 4 bedeutet nach meiner Meinung, daß durch die Anziehung des Art. 3, wonach dieser am Tage nach der Verkündung in Kraft tritt, dieses Gesetz in Berlin entgegen den sonstigen Bestimmungen am Tage nach der Verkündung in Kraft tritt, während es im gesamten Bundesgebiet erst nach sechs Monaten in Kraft tritt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die beratenden Ausschüsse (gewollt haben, daß ein Gesetz, das nach dem Art. 4 im gesamten Bundesgebiet sechs Monate nach der Verkündung in Kraft treten soll, ausgerechnet in Berlin am Tage nach der Verkündung in Kraft treten soll. Das ist aber nach meiner Überzeugung unbedingt aus dieser Formulierung zu folgern. Ich kann mir nur vorstellen, daß die beratenden Ausschüsse meinten, insoweit, als das Gesetz schon frühzeitig in Kraft treten wird - nämlich der erste Halbsatz nach dem Komma -, sollte es auch in Berlin am Tage nach der Verkündung in Kraft treten. Ich wäre dankbar, wenn hierüber eine Klärung erfolgte.
Das Wort hierzu hat - als Berichterstatter oder als Abgeordneter? ({0}) der Abgeordnete Even.
Als Berichterstatter darf ich darauf hinweisen, daß es hinsichtlich des Inkrafttretens im federführenden Gesundheitsausschuß nicht die Absicht gewesen ist, irgendeinen Unterschied zwischen Berlin und dem übrigen Bundesgebiet zu machen. Wenn man den Artikel genau liest, wird man auch feststellen, daß die Bezugnahme auf Art. 3 mit dem Inkrafttreten des Gesetzes nichts zu tun hat; denn im Art. 3 wind lediglich bestimmt, daß das Gesetz überhaupt im Lande Berlin in Kraft treten soll, nicht aber, wann es in Kraft treten soll. Infolgedessen wird durch den Art. 4 nicht etwa für Berlin eine Sonderregelung hinsichtlich des Inkrafttretens getroffen.
({0})
Offenbar genügt es noch nicht. - Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin zwar der Meinung, daß das, was der Kollege Even hier gesagt hat, völlig richtig ist. Damit wir aber allen inneren Vorbehalten möglichst aus dem Wege gehen, beantrage ich in Übereinstimmung mit der Fraktion der CDU/CSU - ich weiß nicht, ob die Kollegen von der FDP ebenfalls mitmachen -,
({0})
die Worte „und der Artikel 3" in Artikel 4 zu streichen. Das ist die einfachste Regelung. Dann ist klargestellt, daß niemand eine Ausnahmeregelung für Berlin gewollt haben kann.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Abgeordneten Jahn gehört, in Artikel 4 die Worte „und der Artikel 3" zu streichen, so daß Artikel 4 jetzt heißt:
Das Gesetz tritt mit Beginn des sechsten auf seine Verkündung folgenden Kalendermonats, der durch Artikel 1 Nr. 1 neugefaßte § 16 Abs. 3 der Gewerbeordnung tritt jedoch am Tage nach der Verkündung in Kraft.
Statt „treten" muß es dann also „tritt" heißen. Damit ist offenbar dem Anliegen Rechnung getragen, das Herr Abgeordneter Stingl hier vertreten hat und das auch nach meiner Meinung im Grunde genommen bereits durch die vorherige Fassung gedeckt wurde.
({0})
Wer dem Antrag des Abgeordneten Jahn zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Bei einer Gegenstimme angenommen.
Dann können wir also nunmehr in die Schlußabstimmung eintreten. Wer diesem Gesetzentwurf zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der soeben in der zweiten und der dritten Beratung geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Soweit ich sehe, bei zwei Enthaltungen ohne Gegenstimmen in dritter Beratung angenommen.
Wer dem Antrag des Abgeordneten Junghans, den Entschließungsantrag auf Umdruck 416 an den Gesundheitsausschuß zu überweisen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist so beschlossen.
Dann liegt noch der Antrag des Ausschusses vor, die zu diesem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen. Damit ist Punkt 6 erledigt.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Sechsten Berichtigungs- und Änderungsprotokoll vom 11. April 1957 zum Wortlaut der dem Allgemeinen Zoll- und
Vizepräsident Dr. Preusker
Handelsabkommen beigefügten Zollzugeständnislisten ({1}) ; Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses ({2}) ({3}) ; ({4}).
Ich eröffne die zweite Beratung und rufe auf den Art. 1. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Art. 2. Wortmeldungen? - Keine Wortmeldungen. - Art. 3. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Art. 4 ist gestrichen worden. Art. 5. - Keine Wortmeldungen. Einleitung und Überschrift. - Ebenfalls keine Wortmeldungen.
Wer den Artikeln 1, 2, 3, 5, der Einleitung und der Überschrift in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Angenommen! Damit ist die zweite Beratung geschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem Gesetz zu dem Sechsten Berichtigungsund Änderungsprotokoll vom 11. April 1957 zum Wortlaut der dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen beigefügten Zollzugeständnislisten in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das Gesetz ist beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Kreyssig, Seuffert, Marx, Folger und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes ({5}). Mündlicher Bericht des Ausschusses für Inneres ({6}); ({7}); ({8}) .
Wird auf mündliche Berichterstattung verzichtet?
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Dann rufe ich den Art. 1 auf. Wird das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Folger!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine sehr verehrten Herren! Ich würde es begrüßen, wenn sich die vorhin gezeigte lobenswerte Einmütigkeit bezüglich der Reinhaltung der Luft auch in bezug auf die Gewinnung einer guten Münchener Luft zeigen würde.
Der Gesetzentwurf unter Punkt 8 unserer Tagesordnung hat das Ziel, die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von München den Beschäftigten in Berlin und Hamburg gleichzustellen. Die Berliner und Hamburger Beschäftigten des öffentlichen Dienstes genießen seit Jahrzehnten ein gerechtfertigtes Privileg; sie erhalten einen örtlichen Sonderzuschlag. Es erscheint notwendig, diesen Sonderzuschlag jetzt auch den Beschäftigten in München zu geben.
Dieser Gesetzentwurf hat das Plenum und die Ausschüsse schon wiederholt beschäftigt, und dementsprechend wurde auch in der Presse viel darüber berichtet. Anscheinend sind die 3 % inzwischen schon aufgegangen wie ein Schwamm im Wasser. In der Öffentlichkeit hört man bereits häufig: Da wollen die schon wieder mehr, die haben doch erst vor ein paar Wochen mehr bekommen.
Der Haushaltsausschuß hat gegen diesen Antrag eingewandt, daß seine Verwirklichung den Bund 13 Millionen DM kosten würde. Das ist ein wesentlicher Irrtum. Die Stadtverwaltung München beschäftigt 30 000 Arbeiter, Angestellte und Beamte, der Bund beschäftigt einschließlich Bahn und Post in München 32 500. Die Stadt München hat 13 300 Ruhegehaltsempfänger, der Bund hat 16 500 Ruhegehaltsempfänger. Die Belastung für die Stadt München macht exakt 5,8 Millionen DM aus. Dann kann sie für den Bund unmöglich 13 Millionen DM ausmachen, sondern schätzungsweise ca. 6 bis 7 Millionen DM. Davon bekommt der Bund einen Teil in Form seines Anteils an der Lohnsteuer wieder zurück, während die Gemeinden nichts davon zurückbekommen, die Gemeindebeamten und -angestellten aber die auf diesen Betrag entfallende Lohnsteuer zahlen müssen. Der Irrtum ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß das Zahlenmaterial von zentralen Verrechnungsstellen in München stammt, die die Münchner und die auswärtigen Beamten usw. nicht auseinandergehalten haben. Ein Aufwand von 13 Millionen würde erst bei ca. 80 000 Beamten und Ruhegehaltsempfängern entstehen, eine Zahl, mit der auch nach den schlimmsten Befürchtungen in den nächsten zehn Jahren nicht zu rechnen sein wird.
Vom Haushaltsausschuß wird ferner eingewandt, daß Zulagenwünsche von anderen Städten zu befürchten seien. Auch das ist nicht richtig.
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Die nach München nächstgrößere Stadt ist Köln.
Köln aber hat 750 000 Einwohner und wahrscheinlich noch zehn Jahre lang keine Million Einwohner.
Ferner wird ins Feld geführt, der Stadtrat von München habe seine Zustimmung davon abhängig gemacht, daß der Bund die Kosten trage. Das ist nicht richtig. Der Stadtrat in München hat bei seiner Zustimmung nur der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß beim Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern sowie Ländern und Gemeinden etwas geschieht, um solche Anforderungen auffangen zu können.
Der Ausschuß für Inneres hat ursprünglich dem Antrag zugestimmt. Auf eine mysteriöse Weise ist der Antrag dann wieder vom Plenum zurückverwiesen worden, wahrscheinlich deshalb, weil eine Mehrheit erreicht werden sollte.
Das waren die wesentlichsten Einwendungen, die vorgebracht wurden. Der Herr Kollege Brück hat in der 1. Lesung ausgeführt, der Antrag werde sehr ruhig, sachlich und wohlwollend überlegt werden. Eine sehr ruhige, sachliche und wohlwollende Überlegung kann nur dazu führen, daß Sie dem Antrag zustimmen. Ich würde mich freuen, wenn die Damen und Herren, die eine menschlich verständliche Abneigung gegen München haben,
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diese Abneigung einen Augenblick überwänden und unserem Antrag zustimmten, und zwar in der Fassung der Zusammenstellung auf Drucksache 999, d. h. in der Fassung, die der Ausschuß für Inneres ursprünglich beschlossen hat.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Kühlthau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte zu verzeihen, daß ich Sie zu später Stunde nun doch noch mit dieser Frage beschäftigen muß. Ich muß zu dem, was der Herr Kollege Folger gesagt hat, einiges sagen.
Vor allem hat er gesagt, der Gesetzentwurf sei, nachdem der Innenausschuß schon einmal darüber beschlossen gehabt habe, auf mysteriöse Weise nochmals an den Innenausschuß zurückgekommen. Da die Vorlage eine Vorlage mit haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen war, mußte sie an den mitberatenden Haushaltsausschuß gehen.
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- Es hat sich erwiesen, daß über das Votum des Haushaltsausschusses nach der Geschäftsordnung des Bundestages nicht hinweggegangen werden kann. Wir ständen praktisch, meine Damen und Herren, vor demselben Ergebnis, wenn Sie in diesem Augenblick den Gesetzentwurf annähmen.
Ich darf sachlich noch einmal auf folgendes hinweisen. Es handelt sich um die Frage der 3%igen örtlichen Sonderzuschläge, die in Hamburg und Berlin gezahlt werden. Sie ist gelegentlich der Beratungen des Bundesbesoldungsgesetzes in den Jahren 1956 und 1957 hier recht eingehend diskutiert worden. Diese örtlichen Sonderzuschläge gehen auf Sonderzuschläge zurück, die im Jahre 1924 eingeführt wurden, beispielsweise hier im Rheinland während der Besatzungszeit 15% betrugen und dann mit dem Besoldungsgesetz 1927 untergingen. Man war der Meinung, daß es lediglich wegen des ausgedehnten Stadtgebietes bei den großen Städten Berlin und Hamburg unter den damaligen Verhältnissen gerechtfertigt sei, diese 3 % weiter zu zahlen. Wir waren uns bei den Beratungen des Bundesbesoldungsgesetzes darüber einig, daß die Unterschiede, die in den Lebenshaltungskosten in den einzelnen Gemeinden bestehen, lediglich durch den Ortszuschlag abgegolten werden. Es war nicht die Rede davon, daß praktisch eine neue Ortsklasse, d. h. eine solche für Gemeinden mit über einer Million Einwohner, eine Ortsklasse S plus 3 % zum örtlichen Sonderzuschlag, eingerichtet werden sollte.
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- Herr Kollege Baur, Sie selbst haben immer wieder mit betont, daß man das System der Ortsklassen
- und das ist doch auch schon hier im Plenum des Hauses geäußert worden - überhaupt vereinfachen sollte. Es ist gelegentlich der Saarlanddebatte hier sogar beschlossen worden, die Bundesregierung zu ersuchen, die Ortsklasse B abzuschaffen, um zu einer möglichst einfachen Lösung zu kommen. Im selben Augenblick wird hier unter Anführung völlig
neuer Momente versucht, praktisch eine neue Ortsklasse aufzustocken.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie dringend, es bei dem Beschluß des Innenausschusses zu belassen und den vorliegenden Gesetzentwurf abzulehnen. Wie gesagt, es kämen die haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen noch hinzu. Aber schon aus sachlichen Gründen sollte man diesem Antrag nicht beitreten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Art. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ist abgelehnt.
Art. 2! Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Abgelehnt.
Art. 3! Ich bitte um zustimmende Handzeichen. - Ablehnende Handzeichen? - Das letzte ist die Mehrheit; abgelehnt.
Einleitung und Überschrift! Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ablehnung.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen; Art. 1, - 2, - 3, - Einleitung und Überschrift sind entsprechend dem Ausschußantrag abgelehnt.
Ich rufe nunmehr eine Reihe von Punkten auf, zu denen beim Ältestenrat keine Debatte mehr angemeldet wurde, zunächst Punkt 9:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung ({0}).
Eine Begründung soll nicht gegeben werden. Es wird Überweisung an den Rechtsausschuß vorgeschlagen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Berichtigungsprotokoll vom 1. Juli 1955 zu dem Abkommen über das Zolltarifschema für die Einreihung der Waren in die Zolltarife ({1}).
Auf Begründung wird seitens der Bundesregierung verzichtet. Es wird Überweisung an den Außenhandelsausschuß vorgeschlagen. Ich bitte um Zustimmung. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung ({2}).
Auf Begründung wird verzichtet. Es wird Überweisung an den Ausschuß für Verkehr, Post und Fernmeldewesen - federführend - und an den Ausschuß für Kommunalpolitik - mitberatend - vorgeschlagen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen,
Vizepräsident Dr. Preusker Ich rufe Punkt 12 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzstatistik ({3}).
Keine Begründung. Der Gesetzentwurf soll an den Finanzausschuß überwiesen werden. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses ({4}) über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Zwanzigsten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ({5}).
Der Bericht liegt Ihnen auf Drucksache 1360 vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 14:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6}) über den Entschließungsantrag der Fraktion der DP zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1959,
hier: Einzelplan 10 ({7}).
Wer dem Ausschußantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 15:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({8}) über den Entschließungsantrag der Fraktion der DP zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1959,
hier: Einzelplan 10 ({9}) ).
Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 16:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({10}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Verkauf eines Teils des bundeseigenen ehemaligen Marineartillerie-Arsenals in Wahlstedt Kreis Bad Segeberg ({11}).
*) Umdruck 338 siehe 75. Sitzung Anlage 29. **) Umdruck 350 siehe 75. Sitzung Anlage 36.
Wird mündlicher Bericht gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer entsprechend dem Beschluß des Haushaltsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 17:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({12}) über den Antrag des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes betreffend Veräußerung der Beteiligung des Bundes an der Südwestdeutsche Ferngas Aktiengesellschaft ({13}) ({14}).
Auf den mündlichen Bericht wird wohl ebenso verzichtet. - Wer dem Ausschußantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({15}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Zustimmung zur Überlassung junger Anteile an wirtschaftlichen Unternehmungen an andere Bezieher als den Bund
hier: Kapitalbeteiligung des Landes Berlin an der Gemeinnützigen Wohnungsbau-AG Groß-Berlin ({16}) ({17}).
Auf mündlichen Bericht wird auch hier verzichtet. Wer diesem Antrag des Ausschusses zu folgen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist ebenfalls so beschlossen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung der Entschließungen der 48. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union ({18}).
Hier soll Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten erfolgen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Als letzten Punkt rufe ich Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({19}).
Wer diesem Überweisungsvorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Auch das ist beschlossen.
Damit sind wir dann doch noch am Ende der heute vorgenommenen Tagesordnung angelangt. Ich danke Ihnen und berufe die nächste Sitzung ein auf Donnerstag, den 12. November 1959, 15 Uhr.
Ich schließe die heutige Sitzung.