Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung isst eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 3. November 1959 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Betreuung der in den Sammellagern Nürnberg und Zirndorf untergebrachten Ausländer ({0}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1358 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 6. November die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Friese-Korn, Mischnick und Genossen betr. Wanderversicherungsausgleich zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung ({1}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1359 verteilt.
Meine Damen und Herren! Ich schlage vor, daß wir zunächst Punkt 5a und b der Tagesordnung durch die Regierung begründen lassen, dann Punkt 5c, d und e durch die Fraktionen, die die Anträge gestellt haben, begründen lassen und, nachdem wir alle Begründungen gehört haben, in die allgemeine Aussprache eintreten. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann rufe ich auf Punkt 5 der Tagesordnung:
a) Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der Rentenversicherungen ({2}) ({3}),
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1959 ({4}) ({5}),
c) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Angestelltenversicherungsgesetzes und des Angestelltenversicherungs-
d) Neuregelungsgesetzes ({6}),
e) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung der Reichsversicherungsordnung und des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes ({7}),
f) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. finanzielle Verpflichtungen des Bundes gegenüber den Trägern der Rentenversicherung ({8}).
Zunächst hat zur Begründung der Vorlagen unter 5a und b der Herr Arbeitsminister das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat den gesetzgebenden Körperschaften alljährlich bis zum 30. September über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen, über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie über die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen im voraufgegangenen Kalenderjahr zu berichten. Sie hat das Gutachten des Sozialbeirates vorzulegen und Vorschläge für eine etwaige Anpassung der laufenden Renten zu machen. Diese Verpflichtung hat die Bundesregierung mit der Vorlage des Sozialberichts 1959, dem das Gutachten des Sozialbeirates beigefügt ist, und dem vorgelegten Entwurf eines Zweiten Rentenanpassungsgesetzes erfüllt.
Die Bundesregierung schlägt vor, die Renten, die auf einem Versicherungsfall im Jahre 1958 oder früher beruhen, um 5,94 v. H. zu erhöhen, also um den Prozentsatz, um den sich die allgemeine Bemessungsgrundlage von 1958 auf 1959 erhöht hat. Hierzu möchte ich ausdrücklich feststellen, daß dieser Vorschlag keine schematische Fortsetzung der Regelung des Vorjahres bedeutet, durch die die Renten ebenfalls in Höhe der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlagen angepaßt wurden. Der Vorschlag beruht vielmehr auf einer erneuten eingehenden Prüfung sämtlicher Tatsachen, die bei der Entscheidung über die Rentenanpassung zu berücksichtigen sind. Das Gesetz verlangt, daß in jedem Jahr erneut die wirtschaftliche und finanzielle Vertretbarkeit der Anpassung geprüft wird. Das Ergebnis der diesjährigen Prüfung ist im Sozialbericht 1959 niedergelegt.
In Teil A des Berichts wird über die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik im Jahre 1958 mit einem Ausblick auf die Jahre 1959 und 1960 berichtet. Teil B enthält die Darstellung der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen; mit der Beurteilung der Gesamtlage im Hinblick auf die
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Frage der Rentenanpassung, wie sie sich aus Teil A und B ergibt, schließt der Bericht in seinem Teil C. Ich darf auf folgende Einzelheiten eingehen:
I. Im ersten Teil des Sozialberichtes ist die wirtschaftliche Entwicklung im Jahre 1958 dargestellt.
Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Produktivität und das Volkseinkommen je Erwerbstätigen nahmen auch im Jahre 1958 zu. Allerdings zeigte sich, daß das wirtschaftliche Wachstum langsamer war als in den voraufgegangenen Jahren und, wie erkennbar wird, auch langsamer als im laufenden Jahr. Diese für das vergangene Jahr typische konjunkturelle Atempause, verbunden mit strukturellen Anpassungsvorgängen, führte in einzelnen Wirtschaftsbereichen - so besonders in der Montan- und in der Textilindustrie - zu Produktionsrückgängen, die indessen durch Produktionssteigerungen in nahezu allen anderen Bereichen mehr als aufgewogen wurden. Als besondere Merkmale der wirtschaftlichen Entwicklung des vergangenen Jahres lassen sich die Stabilität der Preise bei abermals gestiegenen Masseneinkommen und die erneute beachtliche Zunahme der privaten Spartätigkeit anführen.
Der Sozialbericht 1959 geht im einzelnen auf die folgenden, im Zusammenhang mit der Rentenanpassung bedeutsamen wirtschaftlichen Tatbestände ein, die ich in wenigen Sätzen zusammenfassen darf:
Die Wohnbevölkerung und die Zahl der Erwerbspersonen und der Beschäftigten nahmen 1958 nur geringfügig zu; lediglich der Anteil der beschäftigten Frauen stieg wie in den voraufgegangenen Jahren überdurchschnittlich. Die Arbeitslosigkeit hielt sich im Mittel auf dem schon 1956 und 1957 erreichten niedrigen Stand.
Die Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die auch 1958 konkret zu einer Wohlstandsmehrung aller Schichten der Bevölkerung führte, spiegelt sich in der Wertzunahme des Sozialprodukts um rund 6 v. H. wider. Das mengenmäßige Wachstum des Sozialprodukts betrug knapp 3 v. H. ({0}). Nachhaltige Preisänderungen hat es 1958 nicht gegeben. Der Maßstab für den Wert, den die Mark in der Hand der Hausfrau hat, der Preisindex für die Lebenshaltung, hat am Jahresende nur eine geringe Erhöhung um einen Punkt gegenüber dem Beginn des Jahres angezeigt. Ich erwähne das besonders, weil sich die Rentenreform erst im Jahre 1958 voll ausgewirkt hat; wie sich zeigte, ohne daß die von manchen Kreisen befürchteten Störungen eintraten. Seit der Jahresmitte 1958 kam es sogar - vor allem bei gewerblichen Konsumgütern - zu spürbaren Verbilligungen, obwohl die Masseneinkommen durch Lohn- und Rentenerhöhungen um über 8 v. H. gestiegen sind. Der besonnene Verbrauch der erhöhten Einkommen, vor allem die Tatsache, daß beträchtliche Teile davon gespart wurden, bewirkten jedoch, daß Preissteigerungstendenzen nicht aufkamen. Die schon 1957 einsetzende hohe Spartätigkeit verstärkte sich; von den verfügbaren privaten Einkommen wurden 1958 nicht weniger als knapp 9 v. H. gespart. Rund ein Drittel der gesamtwirtschaftlichen Vermögensbildung wurde auf diese Weise durch private Ersparnisse finanziert, wodurch der Rückgang der Kapitalbildung durch die gesetzlichen Rentenversicherungen mehr als wettgemacht wurde.
Die gesamtwirtschaftliche Produktivität hat sich auch 1958 erhöht, und zwar um rund 2 v. H. In der Industrie, wo die Voraussetzungen für Produktivitätserhöhungen besonders günstig sind, wurde eine Produktivitätsverbesserung von knapp 3 v. H. gemessen. Gleichzeitig wurde die Arbeitszeit in der Industrie um über 2 v. H. verkürzt. Pro Arbeitsstunde ergab sich somit eine Produktivitätserhöhung von mehr als 5 v. H. Ich sehe in dieser erfreulichen Entwicklung einen Beweis dafür, daß Möglichkeiten, die Produktion zu steigern, auch dann gegeben sind, wenn Arbeitskraftreserven nur noch sehr beschränkt zur Verfügung stehen.
Das Volkseinkommen je Erwerbstätigen nahm 1958 um rund 41/2 v. H. zu. Die im Herbst dieses Jahres beobachteten wirtschaftlichen Daten lassen erwarten, daß die kräftige Belebung der Wirtschaftstätigkeit, die Anfang dieses Jahres eingesetzt hat, auch weiter anhalten wird. Auftragseingänge, Beschäftigung, Produktion und Außenhandel - vor allem die Einfuhr - erreichten neue Höchststände. Das mengenmäßige Wachstum des Sozialprodukts im Jahre 1959 wird auf 5 v. H. geschätzt, womit die Zunahme des Vorjahres erheblich überschritten wird. Die Produktivität wird nach vorläufigen Schätzungen um 3 1/2 v. H. steigen. Die Nachfrage der Endverbraucher hat sich dagegen bisher weiter sehr zurückhaltend entwickelt, so daß von da her keine Bedrohung des Geldwertes zu erwarten ist. Auch aus einer Rentenerhöhung würde sich keine spürbare Ausweitung des Verbrauchs ergeben. Die Verbrauchszunahme würde weniger als 1/2 v. H. des Gesamtverbrauchs ausmachen.
Im zweiten Teil des Sozialberichts, der die Finanzlage der Rentenversicherungen behandelt, sind die Rechnungsergebnisse in den Rentenversicherungen im Jahre 1958 dargestellt und dann die Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherungen im Jahre 1959 vorausgeschätzt worden.
Durch die Rechnungsergebnisse sind die Vorausschätzungen, die im vorjährigen Sozialbericht über die Einnahmen und Ausgaben in den Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten im Jahre 1958 enthalten waren, im wesentlichen bestätigt worden. Die Vorausschätzungen der Einnahmen und Ausgaben im Jahre 1959 im neuen Sozialbericht führen zu einem etwas günstigeren Endergebnis als die Vorausschätzungen für 1959 im vorigen Sozialbericht. Deshalb können aus dem vorjährigen Sozialbericht auch die Vorausschätzungen für den ganzen ersten Deckungsabschnitt, die sich auf die Einnahmen- und Ausgabenrechnung des Jahres 1958 stützen, grundsätzlich beibehalten werden. Es können ohne eine ins Gewicht fallende Unterschreitung des für das Ende des ersten Deckungsabschnitts - 1966 - vorgesehenen Rücklagesolls in der Rentenversicherung der Arbeiter noch drei weitere Rentenanpassungen ab
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1. Januar 1960, 1961 und 1962 erfolgen, in der Rentenversicherung der Angestellten noch die zweite Rentenanpassung ab 1. Januar 1960.
Diese Feststellung könnte hinsichtlich der Rentenversicherung der Angestellten noch verbessert werden, wenn man den Saldo aus Mehreinnahmen und Mehrausgaben der Versicherungsträger berücksichtigte, die für die Zukunft zu erwarten wären, wenn das im Entwurf vorliegende Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz und die in Arbeit befindliche Verordnung über die Feststellung von Rentenleistungen bei verlorengegangenen Versicherungsunterlagen geregelt, die Erstattungen des Bundes nach dem ehemaligen § 90 des Bundesversorgungsgesetzes für die Zeit bis zum 31. Dezember 1956 endgültig abgerechnet und der Finanzausgleich in der Wanderversicherung zwischen der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten abschließend geregelt sein werden. Unter diesen Voraussetzungen könnte in der Rentenversicherung der Angestellten noch eine dritte Rentenanpassung ab 1961 ohne eine ins Gewicht fallende Unterschreitung des Rücklagesolls durchgeführt werden.
Nach dem Ergebnis der wirtschaftlichen Entwicklung, wie sie in Teil A des Sozialberichts 1959 dargelegt ist, läßt sich nach Auffassung der Bundesregierung eine Anpassung in Höhe von 5,94 v. H. verantworten, ohne daß dadurch eine Störung der wirtschaftlichen Entwicklung zu befürchten wäre. Die zusätzlichen Ausgaben für die Anpassung in Höhe von 770 Millionen DM jährlich fallen zwar in die Zeit einer gegenüber dem Vorjahr beschleunigten konjunkturellen Entwicklung. Anders als im Vorjahr kann auch nicht mehr davon ausgegangen werden, daß eine zusätzliche Nachfrage auf nicht ausgelastete Kapazitäten mit freien Arbeitskraftreserven stoßen würde. Die gegenüber dem Vorjahr geänderten konjunkturellen Bedingungen sind aber nach Auffassung der Bundesregierung, die sich mit der Auffassung des Sozialbeirats deckt, nicht so zu werten, daß die Anpassung um 5,94 v. H. nicht verantwortet werden könnte. Die 770 Millionen DM Mehrausgaben stellen 0,3 v. H. des für das Jahr 1960 zu erwartenden Brutto-Sozialprodukts von 250 Milliarden DM dar. Im Jahre 1957, als das Sozialprodukt niedriger war als heute und unter einem stärkeren Nachfragedruck stand, haben die Mehraufwendungen aus der Rentenreform in Höhe von mehr als 4 Milliarden DM zu keiner feststellbaren Veränderung der Angebots- und Nachfragerelationen und zu keinem Preisdruck geführt.
Die finanzielle Seite der Anpassung bereitet demgegenüber größere Sorge. Aber auch hier steht fest: die vorgeschlagene Anpassung ist möglich, ohne daß das bis zum 31. Dezember 1966 vorgeschriebene Rücklagesoll unterschritten wird. Ich betone: die vorgeschlagene Anpassung; eine darüber hinausgehende Anpassung, insbesondere eine rückwirkende auch für das Jahr 1959 geltende Anpassung, ist im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Finanzlage der Rentenversicherungen nach Auffassung der Bundesregierung nicht vertretbar.
({1})
Die Vorausberechnungen des Vorjahres, denen nur die Rechnungsergebnisse für das Jahr 1957 und für einen Teil des Jahres 1958 zugrunde gelegt werden konnten, sind - wie ich bereits erwähnte - durch die endgültigen Rechnungsergebnisse bestätigt worden. Die Vorausberechnungen im Sozialbericht 1959 bauen bereits auf einer breiteren Basis gesicherter Daten auf. Ich erwähne das, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, der Vorschlag der Bundesregierung stünde auf einem finanziell ungesicherten Boden. Die zukünftige Finanzlage der Rentenversicherungen, der unser besonderes Augenmerk gelten muß, wird aber entscheidend davon abhängen, welche Mehrbelastung die bevorstehende Neuregelung des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts und die in Vorbereitung befindliche Verordnung über die Feststellung von Leistungen bei in Verlust geratenen Versicherungsunterlagen bringen werden, ferner davon, welche Einnahmen die Versicherungsträger aus der noch durchzuführenden Abrechnung der Erstattungsforderungen - u. a. nach § 90 BVG - zu erwarten haben, und schließlich davon, wie zwischen Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung der Ausgleich wegen der Wanderversicherung geregelt wird. Ihre volle Berücksichtigung werden diese im Teil B des Sozialberichts berührten Probleme nach Ergehen der notwendigen Rechtsvorschriften allerdings erst in der versicherungstechnischen Bilanz zum Stichtag 1. Januar 1959 finden. Die versicherungstechnische Bilanz wird auch insofern ein sicheres Urteil über die. zukünftige Finanzlage zulassen, als sie auf den Ergebnissen besonderer statistischer Erhebungen wird aufbauen können, die zu diesem Zweck durchgeführt worden sind und noch durchgeführt werden.
Der den gesetzgebenden Körperschaften zugleich mit dem Sozialbericht zugeleitete Entwurf des 2. Rentenanpassungsgesetzes bestimmt, daß an der Anpassung alle Bezieher von Versicherten- und Hinterbliebenenrenten teilnehmen, deren Rente nicht nach der allgemeinen Bemessungsgrundlage des Jahres 1959 berechnet ist. Dazu zählen vor allem sämtliche Renten, die auf Versicherungsfällen des Jahres 1958 und früher beruhen, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um umgestellte Renten alten Rechts oder um Renten handelt, die schon nach neuem Recht berechnet sind.
Mit der Erhöhung der allgemeinen Bemessungsgrundlage von 1958 auf 1959 war ab 1. Januar 1959 auch eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze von 9000 auf 9600 DM jährlich verbunden. Als Folge dieser Erhöhung hat sich eine Erhöhung der Rentenhöchstbeträge ergeben, und deshalb sind diesmal in die Anpassung auch die Renten der Arbeiter- und Angestelltenversicherung einbezogen, die infolge des Erreichens oder Überschreitens der Rentenhöchstbeträge von der 1. Rentenanpassung ausgeschlossen waren. Das Gesagte gilt jedoch für die Renten aus der knappschaftlichen Rentenversicherung nicht, weil in diesem Versicherungszweig die
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Beitragsbemessungsgrenze unverändert geblieben ist. Sie beträgt nach wie vor 12 000 DM jährlich oder 1000 DM monatlich.
Die für die Rentenanpassung gewählte Technik stellt sicher, daß die Masse der anzupassenden Renten von den Rechnungsstellen der Bundespost mit Hilfe elektronischer Rechenautomaten umgerechnet werden kann, ohne daß die Versicherungsträger dabei eingeschaltet zu werden brauchen. Dem Berechtigten wird mit der Auszahlung der Rente für den" Monat März eine schriftliche Mitteilung über die Anpassung gegeben. Wenn das Gesetz noch in diesem Jahr verabschiedet und im Bundesgesetzblatt verkündet wird, wird die Post in der Lage sein, die Erhöhungsbeträge für die Monate Januar, Februar und März im Laufe des Monats März 1960 auszuzahlen. Die laufende Auszahlung des neuen Rentenzahlbetrages kann dann ab April 1960 erfolgen.
Ich darf zum Schluß noch mit einigen Worten auf die Arbeit des Sozialbeirats eingehen. Der Vorschlag der Bundesregierung deckt sich mit dem Vorschlag des Sozialbeirates. Der Beirat spricht sich ebenfalls für eine Anpassung um 5,94 v. H. mit Wirkung vom 1 Januar 1960 aus. Im Vorjahre hatte der Beirat zwar einen Vorschlag zur Anpassung gemacht, konnte sich aber nicht auf eine Begründung des Vorschlags einigen. Die Bedenken, die sich daraus gegen ihn und seine Aufgabe ergaben, können jedoch durch das Ergebnis seiner diesjährigen Beratungen als ausgeräumt gelten. Meine Zuversicht, daß die Mitglieder des Sozialbeirates sachlich und methodisch aus ihrer vorjährigen Zusammenarbeit so wertvolle Erfahrungen gewonnen hätten, daß sie bei Fortsetzung ihrer Tätigkeit in diesem Jahr nicht nur zu einem Beratungsergebnis, sondern auch zu einer gemeinsam erarbeiteten Begründung komme würden, hat sich zu unser aller Genugtuung bestatigt. Ich glaube auch im Sinne dieses Hohen Hauses zu handeln, wenn ich den Mitgliedern des Beirates für die geleistete verantwortungsvolle Arbeit danke.
({2})
Das Wort zur Begründung der unter c und d aufgeführten Entwürfe hat Frau Friese-Korn.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Atmosphäre, unter der wir gestern abend die Plenarsitzung beendeten, war nicht gut. Und nun ist es wieder genauso gekommen wie das letzte Mal, als wir sozialpolitische Fragen berieten: es ist wieder der letzte Tag der Woche, die Abgeordneten sind erschöpft, und wir sprechen vor einem leeren Haus. Wir sind der Ansicht, daß es im Interesse einer ordentlichen Behandlung der sozialpolitischen Anliegen nicht zweckdienlich ist, weiterhin so zu verfahren. Wir wären den Herren Geschäftsführern der Fraktionen sehr dankbar, wenn sie sich in Zukunft bei solchen permanenten Verschiebungen, wie sie gestern nachmittag wieder vorgenommen worden sind, auch einmal in die Lage derjenigen versetzten, die mit den folgenden Punkten der Tagesordnung befaßt sind. Wir mußten nach dem Verlauf der gestrigen Sitzung annehmen, daß unsere Materie erst in der nächsten Woche behandelt würde.
Der Herr Minister hat heute sein Zweites Rentenanpassungsgesetz zum Teil fast mit den gleichen Argumenten vorgelegt, die er schon vor einem Jahr vorgebracht hat. Wir haben getreu einem Versprechen, das ich hier vor einem Jahr bei der dritten Lesung des Ersten Rentenanpassungsgesetzes abgelegt habe, eine Novelle zu den Rentenneuregelungsgesetzen eingebracht. Mit dieser Novelle wollen wir das Versprechen einlösen, daß wir uns nicht nur negativ zur Anpassung verhalten, sondern daß wir auch positive Vorschläge zur Regelung machen wollen.
Wir haben im vorigen Jahr beanstandet, daß keine versicherungsmathematische Bilanz vorlag. Wir haben beanstandet, daß überhaupt keine klare Übersicht über die finanzielle Lage der Rentenversicherungsträger besteht - gar nicht bestehen kann -, bevor der Wanderversicherungsausgleich vorgenommen worden ist. Der Minister ist heute wieder darauf eingegangen und hat uns wieder einmal beruhigend gesagt, daß dieser Ausgleich nun kommt. Wie gesagt, genau dasselbe ist im vorigen Jahr gesagt worden.
Wir hatten kein rechtes Vertrauen zu diesen Versprechungen. Daß' diese Haltung berechtigt war, zeigt uns der heutige Tag. Denn es ist inzwischen gar nichts geschehen. Es ist kein Bundesausgleich nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes erfolgt. Es ist kein Ausgleich nach § 72 dies Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der 131 er erfolgt, und es ist der Wanderversicherungsausgleich nicht erfolgt.
Dabei handelt es sich um Beträge von solchen Ausmaßen, daß bei einer ,anderen Regelung, als sie in den Neuregelungsgesetzen ursprünglich vorgesehen war, die Eigenständigkeit der jetzt geltenden Rentenversicherung erheblich gefährdet werden könnte. Wenn man weiß, daß die Forderungen der Angestelltenversicherung aus dem Wanderversicherungsausgleich etwa 3 Milliarden betragen und daß, wie hier wieder betont wurde, eine Anhebung in den verschiedenen Rentenversicherungen - je nachdem, wie der Ausgleich vorgenommen wird - entweder bei der einen oder bei der 'anderen Versicherung früher zu einem finanziellen Fiasko führt, dann wird ganz deutlich, daß sich die Gefahr einer Nivellierung beider Gesetze abzeichnet. Unsere Befürchtung, daß auf Kosten der Angestelltenversicherung ein manipulierter Ausgleich vorgenommen werden könnte, trägt mit dazu bei, daß wir Ihnen heute unsere Novelle vorlegen.
Wie gesagt: um 10 Monate ist der Termin überschritten, zu dem die versicherungsmathematische Bilanz erstellt werden sollte. Im vorigen Jahr haben Sie uns mit Recht gesagt, noch stehe die versicherungsmathematische Bilanz aus...
({0})
- 1959!
({1})
- Es sollte der Stichtag zum 1. 1. 1959 sein; es sind seitdem immerhin 10 Monate verstrichen. Ich verstehe, ich habe mich korrigiert. Der Regierungsentwurf veranlaßt jedoch noch einmal eine volle Anpassung ohne Vorlage der versicherungsmathematischen Bilanz.
Nun, wie es auch sein mag: die Unruhe um die finanzielle Sicherheit der Rentenversicherungsträger hat viele Kollegen auch .aus Ihren Reihen erfaßt. Nicht also der Ehrgeiz, hier als erste Fraktion eine notwendige Novelle einzubringen, hat uns bewogen, diese Gesetzesnovelle vorzulegen. Es ist bedauerlich, daß der Ernst, der hinter diesem Anliegen steht, einfach mit dem Hinweis abgetan werden soll, für eine solche Novelle sei jetzt noch nicht die richtige Zeit. Wann ist denn die richtige Zeit? Wenn wir jetzt nicht bei der zweiten Anpassung warnen, haben wir wahrscheinlich auch vor einer dritten die notwendige Klarheit noch nicht.
Auf welche Weise wollen wir mit der Novelle die Gefahren des Vermögensschwundes verringern? Das Hauptanliegen unseres Gesetzentwurfes ist die Forderung, die jährliche Feststellung der Bemessungsgrundlage durch Gesetz vorzunehmen. Während nach den jetzigen Gesetzesbestimmungen erst die Anpassung durch Gesetz erfolgt, halten wir es für notwendig, daß auch die Neufestsetzung der Renten durch Gesetz vorgenommen wird, und zwar unter Berücksichtigung derselben finanzpolitischen Faktoren, deren Beachtung bisher erst bei der Anpassung vorgeschrieben ist. Wir sehen darin eine doppelte Sicherung.
Wir möchten aber noch eine weitere einbauen. Um in die Dynamik eine gewisse Bremse einzubauen, schlagen wir vor, daß die Erhöhung nur dann vorgenommen wird, wenn sich die Beitragsbemessungsgrundlage um mindestens 10 % erhöht hat.
({2})
- Bei dem Vorschlag, den wir jetzt unterbreiten, bleibt die Lohnbezogenheit der Rente absolut erhalten, Herr Stingl; sie wird nur in einem gewissen Sinne gebremst.
Außerdem würde dann - das ist ein wesentlicher Vorteil dieser Lösung - die Anpassung automatisch erfolgen können. Wenn die Vorsichtsmaßnahmen bei der Neufestsetzung eingebaut werden, dann kann die Anpassung automatisch erfolgen. Bisher konnte sie nur durch eine politische Automatik erreicht werden. Die Neu- und Altrenten dürfen sich nicht so weiter auseinanderentwickeln. Ich erinnere an die Anträge der SPD vom vorigen Jahre, die auf die sofortige Anpassung hinsteuerten. Bei der jetzigen Regelung wird die Entwicklung immer weiter auseinandergehen. Wir halten das nicht für gut. Unruhe und Unzufriedenheit unter den Rentnern ist um so verständlicher, je weiter sich die Alt- und Neurenten auseinanderentwickeln.
Wir glauben, daß wir mit der von uns vorgeschlagenen gesetzlichen Umstellung zweierlei erreichen, einmal eine größere und dauernde Sicherheit für eine versicherungsgerechte Rente durch eine gesunde Entwicklung der finanziellen Lage der Versicherungsträger und zum anderen die gleichmäßige Entwicklung von Alt- und Neurenten.
Der diesjährige Bericht des Sozialbeirats enthält die gleichen Warnungen wie der des Vorjahres. Danach kann die Anpassung nur noch ein Jahr für die Angestelltenversicherung und drei Jahre für die Rentenversicherung erfolgen. Das ist eine unglückliche Lösung, wenn man genau weiß - und es ist schon im Gesetz vorgesehen -, was zu geschehen hat, wenn ein Defizit droht. Alle drei für diesen Fall vorgesehenen Maßnahmen - entweder drastische Beitragserhöhung oder Leistungseinschränkung oder wesentliche Erhöhung des Bundeszuschusses - müssen wir gleichermaßen ablehnen.
Meine Herren und Damen, eine drastische Beitragserhöhung können wir den Versicherten unmöglich zumuten. Wir können auch nicht einer Einschränkung der Leistungen zustimmen. Es ist ein ungeeignetes Mittel, die Illiquidität hiermit ausgleichen zu wollen. Wahrscheinlich wird keiner in diesem Raume eine Leistungseinschränkung für zweckdienlich halten. Aber eine Erhöhung des Bundeszuschusses würde steuerliche Maßnahmen nötig machen! - Oh, ich muß mit Bedauern feststellen, daß der Herr Finanzminister gar nicht anwesend ist. Bei der Behandlung eines Gesetzes mit so wesentlichen finanziellen Auswirkungen wäre die Anwesenheit des Herrn Finanzministers dringend erwünscht; das möchte ich hiermit feststellen.
({3})
Wir haben in unserer Gesetzesnovelle weitere Verbesserungen vorgesehen, Verbesserungen, die schon bei der Beratung des Gesetzes erörtert wurden. Daß sie nicht schon damals vorgenommen wurden, hat man inzwischen bedauert, und gerade die hier in Betracht kommenden Probleme haben seitdem oft die Sozialgerichte beschäftigt. Die Änderungen haben nicht einmal große finanzielle Auswirkungen, sind aber für die Versicherten von wesentlichem Interesse.
({4})
Ich möchte zwei dieser vorgeschlagenen Änderungen herausgreifen. Wir halten es für notwendig, daß für alle unselbständig Beschäftigten, deren Einkünfte die Versicherungspflichtgrenze überschreiten, die Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht bestehenbleibt, die bei Übergang zum Rentenneuregelungsgesetz möglich war. Wir möchten ferner, daß Versicherte, die erst nach Erreichung des 50. Lebensjahres versicherungspflichtig werden, ebenfalls von der Versicherungspflicht auf Antrag befreit werden können, weil sie wohl nur in den seltensten Fällen noch eine befriedigende Versicherungsleistung erreichen können.
({5})
- Herr Präsident, ich muß gestehen, es ist fast unmöglich, sich verständlich zu machen.
Meine Damen und Herren, seien Sie bitte so höflich und galant, es der Rednerin möglich zu machen, zu Gehör zu kommen!
Ich bitte darum vor allen Dingen mit Rücksicht darauf, daß wir in der Tat durch den gestrigen Nachmittag auch stimmlich schon stark in Anspruch genommen worden sind. Ich habe zwar nicht in der Debatte geredet, aber wir haben alle die schlechte Luft mitatmen müssen.
({0})
- Sehr richtig, die schlechte Atmosphäre!
Dann hat offenbar die Klimaanlage nicht richtig funktioniert ...
Über die bisher genannten Verbesserungen hinaus machen wir noch einige weniger bedeutsame Vorschläge. Damit wollen wir andeuten, daß wir jetzt schon darangehen können, eine Novellierung des Gesetzes Ausschuß ernsthaft zu betreiben. Wir geben damit die Richtung an und behalten uns vor, noch weitere Ergänzungsvorschläge zu machen. Sie bezwecken z. B. eine Verbesserung der Witwenrenten.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte eindringlich um ein bißchen mehr Ruhe.
Es ist ischwer, sich zu konzentrieren.
({0})
„Parlament" kommt zwar von „parlieren", von ,,sprechen", aber das bedeutet, von der Tribüne aus mit dem Hause zu sprechen und nicht so, daß sich unsere Stimmen in das allgemeine Stimmengewirr privater Unterhaltungen mischen.
Weitere Verbesserungen beziehen sich auf die Verlängerung der Anschlußzeiten bei Berufen, die sehr lange Vorbereitungs- und Ausbildungszeiten haben.
Außerdem planen wir einen 10 %igen Aufschlag für die Umstellungsrenten von Versicherten, die außer den Barbezügen noch Sachbezüge haben und in der gewerblichen Wirtschaft tätig sind. Sie wissen. daß diese Möglichkeit für die in der Landwirtschaft und in der Hauswirtschaft Tätigen jetzt schon vorgesehen ist. Wir können nicht einsehen, warum die Versicherten, die in der gewerblichen Wirtschaft tätig sind, nicht dieselben Rechte haben sollen. Wir denken dabei z. B. an Lehrlinge in Bäckereien und dergleichen. Eis handelt sich also um die Sicherstellung einergerechten Behandlung für alle Betroffenen.
Ein wesentliches Anliegen bedeutet uns die Korrektur des § 34, den wir ersatzlos gestrichen sehen möchten. § 34 enthält die Höchstrentenbestimmung. Sie ist eine der für uns Freien Demokraten unerfreulichsten Enscheinungen im Gesetz. Denn wenn wir schon versicherungsgerecht sein wollen und wenn wir die beitragsgerechte Rente verlangen, können wir nicht einsehen, daß es hier einen Paragraphen gibt, der die verdiente und durch Beitrag erworbene Rente von etwa 20 % der Angestelltenschaft beschneidet. In welcher Form wir das vornehmen wollen, ob Sie auf diese völlige, ersatzlose Streichung im Ausschuß eingehen werden, wird sich herausstellen. Aber jedenfalls können wir so diesen Paragraphen nicht mehr bestehen lassen; denn es ist ein Schritt hin zur Nivellierung.
Nun hat uns der Herr Minister gerade gesagt, daß dieses Anpassungsgesetz - was wir auch schon aus dem Sozialbericht wissen - die Möglichkeit bietet, die von der Höchstrentenbestimmung betroffenen Renten diesmal anzuheben. Der Anhebungsbetrag macht aber nur so viel aus, daß er sich allmählich dem Erhöhungsprozentsatz nähert, der im vergangenen Jahr für die übrigen Renten festgesetzt wurde, also in gar keinem Verhältnis zu der jetzigen Anpassung aller übrigen Renten steht. Sie werden sich über die jetzt angehängten 50 DM, die den einzelnen vielleicht betreffen können - bei dem einen wird es etwas mehr, beim anderen etwas weniger sein -, freuen. Aber das ist keine sozialpolitisch gute Lösung, und darum können wir uns auch nicht damit zufrieden geben. Es heißt jetzt immer weiter für diese Streichung des § 34 zu kämpfen, genau wie für die Änderung, die ich einleitend vorgetragen habe, die sich vor allen Dingen auf die gesetzliche Festsetzung der allgemeinen Bemessungsgrundlage bezieht.
Gleichzeitig mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfs haben wir eine Kleine Anfrage an die Regierung gerichtet, in der wir fragen, wie sie es mit dem Wanderversicherungsausgleich zu halten gedenkt. Immerhin stehen wir jetzt nach einem Jahr des Wartens vor dieser Frage, deren Lösung sich nicht aufschieben läßt. Bei der Rentenversicherung hat sich ein erheblicher Betrag angesammelt, der bei der Angestelltenversicherung fehlt: es sind nämlich 3,9 Milliarden. Aber bis jetzt sind nur zwei kleine Raten gezahlt worden. Wir sehen nun die Möglichkeit, daß hier eine Lösung vorgenommen wird, die - noch einmal muß ich mit dem bösen Wort kommen einer Nivellierung beider Versicherungen gleichkäme. Wir legen also Wert darauf, daß die Regierung jetzt klar ausspricht, wie sie sich den Wanderversicherungsausgleich, d. h. also die Abzahlung, die Leistung an die Angestelltenversicherung denkt. Wie sie sich ihn denkt, hat vorhin auch wieder der Herr Minister in etwa angedeutet, allerdings in Abwesenheit des Finanzministers, der ja dabei auch noch ein Wort mitzusprechen hätte.
Das Betrüblichste oder Kennzeichnendste ist aber, daß die Antwort auf unsere Kleine Anfrage in dieser Sache in einer Form erfolgt ist, die uns beweist, daß die Methode des Hinhaltens und der Aufrechterhaltung von Ungereimtheiten und zum Teil sogar Ungerechtigkeiten noch genauso weitergehen kann - ich sage: kann -; denn es ist nicht ein konkreter Hinweis darauf erfolgt, was man zu tun gedenkt.
Gerade das ist es aber, meine Herren und Damen, was uns dazu veranlaßt hat, die Gesetzesnovelle in diesem Zeitpunkt einzubringen, und zwar, wie ich
Ihnen sagte, als einen positiven Beitrag vor einer möglichen Ablehnung des zweiten Anpassungsgesetzes. Nicht eines unserer Bedenken, die wir im vorigen Jahr von diesem Platz aus ausgesprochen haben, ist im Laufe dieses Jahres beseitigt worden. Ein zweites Mal hat der Bericht des Sozialbeirats ergeben, daß alle die Gefahren, die auf die Rentenversicherungsträger zukommen, weiter bestehen. Eine zweite Bestätigung ist eine Abstimmung im Sozialbeirat mit der knappen Mehrheit von 6 zu 4 Stimmen. Das sollte allen in diesem Hause eine Warnung sein, damit wir nicht die Hände in den Schoß legen und eine finanzielle Krise, wenn nicht sogar eine Katastrophe in der Rentenversicherung auf uns zukommen lassen. Wir sollten vielmehr beizeiten Hand anlegen, und dem sollte unsere Gesetzesnovelle dienen.
({0})
Der Antrag unter Punkt 5e der Tagesordnung soll nicht begründet werden; die Fraktion der SPD verzichtet. Ehe wir in die allgemeine Aussprache eintreten, erteile ich dem Abgeordneten Dr. Bucher zur Geschäftsordnung das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der FDP beantrage ich gemäß § 46 der Geschäftsordnung, daß der Herr Bundesminister der Finanzen gebeten wird, im Hause zu erscheinen. Zur Begründung darf ich mich auf das beziehen, was Frau Friese-Korn soeben ausgeführt hat.
Zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Schellenberg das Wort.
Wir unterstützen diesen Antrag der FDP, zumal auch in unserem Antrag Fragen angesprochen werden, die den Herrn Finanzminister entscheidend berühren.
Herr Abgeordneter Arndgen zur Geschäftsordnung!
Meine Damen und Herren, ich bitte, den Antrag, der soeben von dem Vertreter der FDP-Fraktion gestellt wurde, abzulehnen, weil sich der Herr Bundesfinanzminister zur Zeit in einer sehr wichtigen Besprechung befindet.
({0})
Wäre nicht gerade diese Besprechung, wäre der Herr Bundesfinanzminister hier unter uns.
({1})
- Das entscheiden Sie nicht!
Die Feststellung, die Herr Arndgen soeben getroffen hat, scheint eine Nutzanwendung des Satzes des Aristoteles zu sein, daß niemand gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten sein kann.
({0})
Frau Abgeordnete Kalinke!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich unterstütze den Geschäftsordnungsantrag, bin aber der Meinung, daß wir dem Herrn Bundesfinanzminister Gelegenheit geben sollen, seine jetzt laufende Besprechung abzuschließen, das heißt, daß wir ihn jetzt bitten, beschleunigt hierher zu kommen. Er muß wissen, daß die Beratungen, die hier stattfinden, eine ungeheure Bedeutung für den Bundeshaushalt heute und morgen haben. Es handelt sich eben nicht um ein Vergnügen der Opposition, den Herrn Finanzminister herzurufen. Es geht hier bei der Beratung des Sozialberichts um eine Sache von großer staatspolitischer Bedeutung.
({0})
- Meine Kollegen von der CDU, ich weiß, daß die Referenten des Bundesfinanzministeriums hier anwesend sind; leider können sie nicht das Wort nehmen. Wir müssen alle wünschen, dem Herrn Bundesfinanzminister oder seinem Staatssekretär Gelegenheit zu geben, das Wort zu nehmen, wenn die von der Regierung vertretene Auffassung angegriffen wird. Deshalb sage ich als Mitglied der Koalition, daß es gut wäre, wenn der Herr Bundesfinanzminister bald hier wäre.
({1})
Wir werden abstimmen müssen.
Ich bin der Meinung, daß bei der Abschätzung der Wichtigkeit kollidierender Veranstaltungen Parlamentsdebatten ,als die jeweils wichtigeren angesehen werden sollten. Ich kann davon leider nur im Konjunktiv sprechen; aber sie sollten wirklich als das Wichtigere angesehen werden.
({0})
- Aber der Herr Bundesminister der Finanzen ist gewünscht!
Es liegt ein Antrag vor. - Wünschen Sie eine Erklärung abzugeben, Herr Minister? - Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte vor, mich zum Wort zu melden, wenn der Antrag der Fraktion der SPD begründet worden wäre. Nun hat die SPD-Fraktion darauf verzichtet, ihn zu begründen; deshalb hatte ich natürlich im Moment davon Abstand genommen, zu sprechen. Darf ich aber nunmehr namens der Bundesregierung eine Erklärung dazu abgeben.
Ziffer 1 des Antrages geht dahin, die Bundesregierung zu ersuchen, im Entwurf des Bundes4778
Bundesarbeitsminister Blank
haushaltsplans einen angemessenen Teilbetrag einzustellen. Ich darf erklären, daß die Bundesregierung in den Entwurf des Haushaltsplans für das Jahr 1960 als Teilbetrag 200 Millionen DM einsetzen wird.
Ziffer 2 des Antrages der SPD-Fraktion geht dahin, die Bundesregierung zu ersuchen, bei Vorlage des Entwurfs des Bundeshaushaltsplans zu berichten, in welcher Weise die restlichen Verpflichtungen abgedeckt werden sollen. Die Bundesregierung wird selbstverständlich diesem Verlangen Rechnung tragen und berichten.
Ich glaube, eine weitergehende Erklärung können Sie gegenwärtig auch von meinem Kollegen, dem Herrn Finanzminister, nicht verlangen. Aber diese meine Erklärung ist vollinhaltlich mit dem Herrn Finanzminister abgestimmt.
Werden die Anträge aufrechterhalten? - Sie werden aufrechterhalten. Wir müssen also über den Antrag auf Herbeirufung des Herrn Finanzministers abstimmen. Dabei gehe ich davon aus, daß keine der Fraktionen, die die Herbeirufung wünscht, der Meinung ist, daß er in der nächsten Minute schon hier sein könnte.
({0})
Er soll nur „unverzüglich" kommen; unverzüglich heißt: ohne schuldhaftes Zögern.
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3) Wer die Herbeirufung des Finanzministers wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! -- Bei der ungleichen Besetzung des Hauses kann man nicht einfach nach Fraktionen rechnen; man muß diesmal wirklich nach Köpfen oder nach Händen schätzen. Vielleicht wiederholen wir die Abstimmung durch Erheben von den Sitzen. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Das Sitzungspräsidium fühlt sich nicht in der Lage, festzustellen, wo die Mehrheit ist; wir müssen durch Hammelsprung abstimmen. Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Es haben sich beteiligt 309 Mitglieder des Hauses. Mit Ja haben gestimmt 135, mit Nein 165; enthalten haben sich 9. Der Antrag ist abgelehnt; der Herr Finanzminister braucht nicht zu erscheinen.
({2})
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
({3})
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Plätze einnehmen zu wollen. - Der Abgeordnete Schellenberg kann nicht beginnen, solange nicht die Plätze eingenommen sind, - trotz seines jeden Saal meisternden Organs.
({4})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie nochmals, Ihre Plätze einzunehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Gesetzentwurf über die Rentenanpassung, den Antrag der SPD, die Gesetzentwürfe der FDP und den Sozialbericht können wir nicht erörtern, wenn wir hier nicht eine Klärung der Finanzlage der Rentenversicherungen herbeiführen. Das ist die Aufgabe, mit deren Lösung hier in der ersten Lesung begonnen und deren Lösung in den Ausschußberatungen fortgesetzt werden muß. Dies bereitet über die Schwierigkeiten, die in der Natur der Sache liegen, hinaus deshalb besondere Schwierigkeiten, weil einmal - Frau Kollegin Friese-Korn hat darauf hingewiesen - die versicherungstechnische Bilanz nicht vorliegt, wofür ich im Gegensatz zu Ihnen, Frau Kollegin, wegen der Schwierigkeit ihrer Erstellung Verständnis habe, und weil zum andern der Sozialbericht kein ausreichendes Zahlenmaterial über die Finanzlage bietet, wofür ich kein Verständnis habe.
Wenn wir die Finanzlage der Rentenversicherungen erörtern wollen, müssen wir zwei Probleme behandeln. Wir müssen erstens die finanziellen Erfahrungen seit Verabschiedung der Rentenneuregelungsgesetze zu überschauen versuchen, wir müssen zweitens uns Gedanken über die voraussichtliche Weiterentwicklung der Finanzlage machen.
Zum ersten: die finanzielle Entwicklung seit Verabschiedung der Rentenneuregelungsgesetze. Der Sozialbericht bietet leider keinen Gesamtüberblick über die Einnahmen und Ausgaben seit der Neuregelung im Jahre 1957. Man kann sie sich zusammenstellen, aber ein Gesamtüberblick wird im Sozialbericht nicht geboten. Man muß also verschiedene Unterlagen, die bei verschiedensten Gelegenheiten zur Verfügung gestellt wurden, selbst zusammentragen, um einen Gesamtüberblick über die Finanzlage zu erhalten. Es gibt im Sozialbericht viele interessante Einzeldaten, aber der finanzielle Gesamtüberblick kann aus dem Sozialbericht nicht entnommen werden. Das ist zur Klärung der Finanzprobleme unerläßlich, zumal da die Finanzlage teilweise unter Berufung auf diesen Sozialbericht als kritisch bezeichnet wird.
Wie sind nun die Erfahrungen, die finanziellen Ergebnisse seit dem 1. Januar 1957? Aus den verschiedenen Vorlagen der Bundesregierung kann man sich errechnen, daß die Bundesregierung von 1957 bis 1959 mit einem Einnahmeüberschuß von insgesamt 1,2 Milliarden gerechnet hatte. Das hat sie nicht im Jahre 1957 gesagt, sondern sie hat sich im Laufe der Zeit berichtigen müssen.
Nachdem jetzt die Erfahrungen dieser drei Jahre vorliegen, ergibt sich, wenn man das Material für 1959 zugrunde legt, daß der Überschuß nach eigenen I Angaben der Bundesregierung 3,2 Milliarden DM betragen hat, Der Verband der Rentenversicherungsträger gibt für die Zeit seit dem 1. Januar 1957 als Überschuß sogar den Betrag von 3425 Millionen DM an. Wir stehen also heute vor der Tatsache, daß der Überschuß in den ersten drei Jahren fast das Dreifache dessen betrug, was die Bundesregierung erwartet hatte.
Entsprechend günstig ist auch die Entwicklung des Vermögens der Rentenversicherungsträger. Auch
das steht nicht im Sozialbericht, man muß es sich vielmehr aus verschiedenen Berichten zusammensuchen. Das Vermögen betrug am 1. Januar 1957 9,276 Milliarden DM und wird am Ende dieses Jahres 12,558 Milliarden DM betragen. Hierin spiegelt sich die bisher günstige finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung wider.
Wer bei einer solchen finanziellen Entwicklung von einer kritischen Finanzlage spricht oder wie Frau Kollegin Friese-Korn sogar das Wort „katastrophale Entwicklung" in den Mund nimmt und wer unter Berufung auf die bisherige Entwicklung erklärt, in diesem Jahre dürfe nicht weiter angepaßt werden, der hat sich über die bisherige finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung nicht genau unterrichtet.
({0})
- Herr Kollege Ruf, Sie werden mir zutrauen, daß ich darauf noch komme. Im übrigen habe ich das auch schon angekündigt.
An dieser Fehlbeurteilung ist das Bundesarbeitsministerium, ist die Bundesregierung mitverantwortlich, und zwar deshalb, weil sie in dem Sozialbericht leider nicht einen Gesamtüberblick über die Entwicklung von 1957 an gegeben, sondern, wie der Herr Bundesarbeitsminister vorhin ausgeführt hat, auch erklärt hat, die Vorausschätzungen hätten sich im wesentlichen bestätigt. Das stimmt für das Jahr 1958/59 mit einem Zuwachs von einigen hundort Millionen DM. Aber wenn man einen Gesamtüberblick seit 1957 fertigt, ergibt sich in der Tat ein viel günstigeres Ergebnis, als vom Bundesarbeitsministerium und von außenstehenden Versicherungsmathematikern, die sich um die Angelegenheit bemüht haben, vorausgeschätzt wurde.
Auf Grund dieser bisher so erfreulich günstigen Entwicklung wäre es möglich gewesen und ist es möglich, Altrenten und Neurenten in der gleichen Weise anzupassen. Es wäre nicht nötig, wie es Frau Kollegin Friese-Korn will, nach unten zu nivellieren, sondern möglich, durch eine Angleichung nach oben Gerechtigkeit zu schaffen, indem Altrentner in der gleichen Weise wie Neurentner mit ihren Renten an der Lohnentwicklung teilnehmen.
({1})
- Aber an der wirtschaftlichen Entwicklung. ({2})
- Einig? Na, dann werden wir sofort einen Änderungsantrag einbringen, wonach die Anpassung automatisch gleichzeitig für Neurentner und für Altrentner zu erfolgen hat.
({3})
- Herr Kollege Schütz, wenn Sie das meinen, haben Sie den Gesetzentwurf der FDP nicht gelesen und Frau Kollegin Friese-Korn nicht zugehört.
Ich stelle angesichts der bisherigen Entwicklung nur fest, daß, wenn man die volle Automatik für Altrentner und Neurentner 1957 beschlossen hätte, die finanzielle Entwicklung bis zum Ende dieses Jahres günstiger gewesen wäre, als sie die Bundesregierung vorausgeschätzt hat.
Jetzt komme ich zu der zukünftigen Entwicklung. Es wird die Meinung vertreten, die zukünftige Entwicklung werde zu einer schwierigen oder sogar katastrophalen Situation um noch einmal das aufzunehmen, was Frau Kollegin Friese-Korn erklärt hat - führen. Ich frage, worauf sich diese Behauptung stützt, Frau Kollegin Friese-Korn. Sie haben sie aus dem letzten Teil des Sozialberichts und aus dem, was der Sozialbeirat sagt, entnommen.
({4})
Natürlich, dazu ist er da. Aber er hat faktisch
das Zahlenmaterial des Bundesarbeitsministeriums übernommen und zugrunde gelegt. Das mußte er tun, denn es waren gar keine anderen Zahlenunterlagen da.
Meine Damen und Herren, was hat es denn mit diesem Zahlenmaterial für eine Bewandtnis? Wir haben eine Vorausschätzung lediglich im letzten Jahr erhalten. In diesem Jahr hat es sich das Bundesarbeitsministerium mit der Vorausschätzung sehr einfach gemacht. Es hat nämlich noch nicht einmal die tatsächliche Zahlenentwicklung bis 1966 im einzelnen spezifiziert, sondern hat lediglich Differenzbeträge aufgeführt, d. h. von soundso viel hundert Millionen Mark mehr oder weniger als die Vorausschätzungen gesprochen. Es bleibt jedem Leser des Berichtes überlassen, auszurechnen, was da herauskommt.
Meine Damen und Herren, es liegen keine genauen Unterlagen vor - und das ist das Entscheidende -, auf die sich jene Behauptungen der zukünftigen ungünstigen Entwicklung stützen. Wir meinen, man hätte aus der unbestreitbaren Tatsache, daß in den ersten drei Jahren die Entwicklung so wesentlich günstiger war, als vorausgeschätzt wurde, doch mindestens die Lehre ziehen sollen, in bezug auf ungünstige Prognosen für die Dauer des ersten Deckungsabschnitts, also bis Ende 1966, etwas vorsichtiger zu sein.
Wir Sozialdemokraten erklären, um es ganz deutlich zu machen, daß man eine Vorausschätzung für die Zeit bis 1966 oder auch noch später erst treffen kann, wenn eine versicherungstechnische Bilanz vorliegt und wir diese durchgearbeitet haben.
({5}) - Einverstanden! Aber dann sagen Sie bitte dem Bundesarbeitsministerium, es soll aus dem Sozialbericht den Abschnitt über die Vorausschätzung bis 1966 streichen; denn dieser ist in keiner Weise fundiert, sondern beruht auf Unterlagen, die hierfür völlig fragwürdig sind.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen das an einem einzigen Beispiel verdeutlichen, damit es allgemein klar wird.
Wenn man die Höhe der Rentenausgaben bis zum Jahre 1966 vorausschätzen will, benötigt man viele Daten. Man muß mindestens wissen, wie hoch die durchschnittlichen Renten nach neuem Recht für die einzelnen Rentenarten, z. B. Altersrenten, sein werden. Man kann eine solche Vorausschätzung nur vornehmen, wenn man weiß: die Altersrente wird z. B. für Arbeiter, für Angestellte im Durchschnitt x Mark betragen.
Diese wichtige Zahlengrundlage fehlt bis heute. Auch ein Sachverständiger kann dazu noch nichts Genaues sagen. Er wird es, wie ich hoffe, bald sagen können. Er kann zur Stunde noch keine genaue Auskunft geben, weil das gesamte Rentenrecht durch die Neuregelung in der Umstellung begriffen ist. In Zukunft werden die Renten nach neuem Recht entscheidend sein.
Wenn so wichtige Tatsachen wie die Höhe der Renten unbekannt sind, tut derjenige, der Vorausschätzungen macht und erklärt, im Jahre 1962 oder 1963 und 1966 werde es ungünstig aussehen, nichts anderes als spekulieren. Bei der Bedeutung dieser Angelegenheit sollen wir uns gemeinsam bemühen, möglichst exakte Grundlagen zu gewinnen. Da die versicherungstechnische Bilanz aus vielen Gründen bis zur Stunde noch nicht vorliegt und vielleicht nicht vorliegen kann, sollte man nicht die Bevölkerung dadurch in Unruhe versetzen, daß man sagt, dann und dann werde aber die finanzielle Katastrophe eintreten. Man sollte das nicht in einem Augenblick tun, in dem wir aus der Erfahrung der letzten drei Jahre wissen, daß ein Überschuß von über 3 Milliarden DM erzielt worden ist.
Natürlich soll und muß man sich als verantwortungsbewußter Politiker, auch wenn man über genaue Zahlenunterlagen noch nicht verfügt, Gedanken darüber machen, vor welchen finanziellen Problemen man stehen könnte. Wer ungünstige Prognosen macht, der hat eben nur einfach das übernommen, was im Sozialbesitz bezüglich der weiteren Auswirkung für 1962 oder 1963 stand, ohne geprüft zu haben, ob die Unterlagen überhaupt richtig sein können.
Der Sozialbericht schneidet - dafür bin ich dem Bundesarbeitsminister dankbar - in der Vorausschau zwei finanziell wichtige Probleme an, nämlich einmal die finanziellen Auswirkungen des Fremdrenten- und Auslandsrentenneuregelungsgesetzes und zum anderen die Frage der noch ausstehenden Bundeserstattungen. Aus dem Sozialbericht ist ersichtlich, daß die Bundesregierung die Mehrbelastung durch das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz für die erste Deckungsperiode auf 1,01 Milliarden DM beziffert. Wenn auch die Dinge sich noch in den Ausschußberatungen befinden, so kann es - das muß ich hier mit aller Deutlichkeit erklären - nicht hingenommen werden, daß diese Belastung, die nach unserer Überzeugung eine Kriegsfolgelast ist, vom Bund auf die Sozialversicherung verlagert wird.
Jetzt wollen Sie einen Zwischenruf machen, bitte schön, Herr Kollege Schütz.
({6})
- Aber, Herr Kollege Schütz, wir befinden uns im System der Sozialversicherung!
({7})
- Wir befinden uns in einem System der Sozialversicherung. Der Grundsatz ist und muß doch der sein, daß die Leistungen erhält, wer persönlich zu dieser Sozialversicherung Beiträge gezahlt hat.
({8})
Wir sind uns doch darüber einig, daß die Fremd- und Auslandsrenten gewährt werden müssen; darüber gibt es doch zwischen uns keinen Streit. Wer das aber finanzieren soll, das ist im Grundgesetz geregelt.
({9})
- Das ist im Grundgesetz geregelt! Nach Art. 120 des Grundgesetzes zahlt der Bund die Kriegsfolgelasten.
Herr Kollege Schütz, vielleicht machen Sie sich einmal die Mühe, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juni 1959 durchzuarbeiten. Da heißt es nämlich:
Wenn also der Bund gesetzliche Regelungen trifft, die zusätzliche Aufwendungen für Kriegsfolgelasten zur Folge haben, so muß er zugleich bestimmen, daß und wie er
- der Bund sie trägt.
Das ist die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts. Wir befinden uns damit in voller Übereinstimmung, wenn wir sagen: Bei der Erörterung der weiteren finanziellen Lage muß eine Entscheidung dahingehend getroffen werden, daß Kriegsfolgelasten vorn Bund getragen werden und nicht auf eine solche Weise auf die Versicherten abgewälzt werden.
({10})
- Wir sprechen hier von den Kriegsfolgelasten! Wenn Sie Kriegsfolgeeinnahmen errechnen, geben Sie uns darüber im Ausschuß einmal eine genaue Aufstellung, Herr Kollege.
({11})
- Aber meine Damen und Herren, es handelt sich um eine Belastung in einer Größenordnung von einer Milliarde. Wenn Sie, Herr Kollege Schütz, so temperamentvoll dafür eintreten, daß die Versicherten belastet werden -, vielleicht lesen Sie einmal nach, was der Herr Bundesfinanzminister noch im Juni hier im Plenum über diese Dinge
Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode
gesagt hat. Er hat, als er über die Leistungen des Bundes sprach, mit besonderem Nachdruck hervorgehoben, daß der Bund die Finanzierung der Fremd- und Auslandsrenten durchführen würde. Sie können auch die Vorlage der Bundesregierung vom 19. März 1953 studieren, in deren Begründung
- ich zitiere - es heißt:
Die Bereitstellung von Bundesmitteln nach § 15
- d. h. für Fremd- und Auslandsrenten beruht auf der Erwägung, daß es sich bei den vom Bund zu tragenden Aufwendungen um Kriegsfolgen handelt, die nach Artikel 120 des Grundgesetzes vom Bund getragen werden müssen. Es kann den Versicherungsträgern angesichts der durch die Aufteilung Deutschlands herbeigeführten Dezimierung ihrer Finanzbasis nicht zugemutet werden, die Mehraufwendungen im Sinne des § 15 allein zu tragen. Dies wäre gleichbedeutend mit einer Abwälzung von Kriegsfolgelasten auf die Beitragszahler der Sozialversicherung statt auf die gesamte Steuerkraft der Bevölkerung des Bundesgebietes.
({12})
Das sagt die Bundesregierung im Jahre 1953! An den Grundlagen hat sich seitdem nichts geändert. Wir müssen deshalb, wenn wir über die zukünftige Finanzlage der Rentenversicherung sprechen, diese Bundesverpflichtung sehr sorgsam erörtern.
Noch etwas anderes: die Erstattungen, die der Bund für die Zeit vor 1957 zu leisten hat. Der Herr Bundesarbeitsminister hatte die Freundlichkeit, uns unter dem Druck des Antrages auf Herbeirufung des Herrn Finanzministers schon die Mitteilung zu machen, daß in den nächsten Bundeshaushalt hierfür 200 Millionen DM eingesetzt werden. Wir nehmen mit Interesse davon Kenntnis. Es handelt sich jedoch bei der Verpflichtung um eine Größenordnung, die vom Bundesarbeitsministerium auf rund 1,9 Milliarden DM berechnet worden ist. Man muß bei Erörterung von Finanzfragen der Sozialversicherung eine verbindliche Klärung herbeiführen. Die Mitteilung, daß diese 200 Millionen DM in den Haushalt eingesetzt werden, ist in der Tat ein erstes positives Wort in dieser Angelegenheit. Aber das bedeutet nicht, daß darauf verzichtet werden kann, die Erstattungsfragen im Zusammenhang mit dem Haushalt 1960 prinzipiell zu klären.
Deshalb unser Antrag auf Drucksache 1333, in dem wir gefordert haben, einen ersten Teilbetrag einzusetzen. Wir freuen uns, daß unser Antrag offenbar ein wenig dazu beigetragen hat, die Entscheidung der Bundesregierung über die Bereitstellung von 200 Millionen DM herbeizuführen.
In diesem Zusammenhang muß abschließend folgendes festgestellt werden. Das Verhalten der Bundesregierung in bezug auf die Finanzentwicklung der Rentenversicherung ist etwas zwiespältig. Auf der einen Seite erklärt die Bundesregierung, auch im Sozialbericht, die zukünftige finanzielle Entwicklung sei immerhin noch so schwierig, daß die weitere Anpassung für den ersten Zeitraum nicht gewährleistet werden könne. Auf der anderen Seite verhält sich die Bundesregierung in bezug auf Fremd- und Auslandsrenten - Größenordnung 1 Milliarde - oder in bezug auf Erstattung vor 1957 außerordentlich zurückhaltend oder sogar negativ. Das ist weder sozialpolitisch noch finanzpolitisch noch staatspolitisch zu vertreten. Deshalb fordern wir, daß diese Probleme im Zusammenhang mit einer Erörterung der künftigen finanziellen Entwicklung geklärt werden. Wenn der Bund seine finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Rentenversicherung voll erfüllt, brauchen wir uns hinsichtlich der weiteren Entwicklung, hinsichtlich der weiteren Anpassung keine Sorgen zu machen. Alle späteren Finanzprobleme werden wir erörtern, wenn dem Hause die versicherungstechnische Bilanz vorliegt.
({13})
Meine Damen und Herren, ehe ich weiter das Wort erteile, möchte ich Ihnen anvertrauen, daß noch - bisher - sieben Wortmeldungen vorliegen.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Wunsche, daß sich die einzelnen Sprecher möglichst kurz fassen, von mir aus Folge leisten, auch um damit einen Hinweis darauf zu geben, daß wir die Debatte heute morgen möglichst konzentriert, straff und ohne unnötige Ausweitungen führen sollten. Die Sozialpolitiker kommen sonst so oft im Ansehen dieses Hauses etwas schlecht weg,
({0})
weil in den sozialpolitischen Debatten eben Dinge gesagt werden müssen, die eine gewisse Sachkenntnis voraussetzen. Aber wir haben in den letzten Wochen hier auch Debatten erlebt, an denen wir Sozialpolitiker uns auch nicht gerade ein besonderes Beispiel nehmen konnten.
({1})
Erlauben Sie mir ein paar grundsätzliche Bemerkungen. Ich möchte zunächst dem Herrn Kollegen Schellenberg meine Anerkennung dafür aussprechen, daß er die Probleme hier in einer so sachlichen Art und Weise - selbstverständlich von seinem Standort und von seinem Standpunkt aus - behandelt hat. Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch allen Fraktionen des Hausas das Verantwortungsbewußtsein zusprechen, das uns bei der Schwierigkeit solcher Materien und bei den Auseinandersetzungen darüber leiten muß, damit wir mit ihnen überhaupt in einer vernünftigen Weise fertig werden können. Ich kann aber auch nicht umhin, meiner Freude darüber Ausdruck zu geben, daß dem Herrn Kollegen Schellenberg bei seiner diesmaligen Rede die vorjährige Einleitung erspart blieb. Gleichzeitig möchte ich der Bundesregierung meine Anerkennung dafür
aussprechen, daß sie Sozialbericht und Gesetzentwurf dem Hause fristgerecht zugehen ließ, so daß wir auch in dieser Beziehung die Unterlagen haben, die wir für die Entscheidung über die Rentenanpassung benötigen.
({2})
Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Herr Blessing, hat unlängst vor der Industrie- und Handelskammer in Essen einen Vortrag gehalten. Nach Presseberichten hat er dabei sowohl an das Parlament als auch an die Sozialpartner Mahnungen gerichtet. In dem mir hier vorliegenden Bericht wird als erstes folgender Satz des Herrn Blessing zitiert: „Wer den Wert der D-Mark antastet, wird sich die Finger verbrennen." Damit hat der Präsident der Bundesbank den klaren Willen bekundet, alles für die Aufrechterhaltung der Sicherheit der Währung zu tun.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle miteinander sind darin mit dem Herrn Präsidenten der Deutschen Bundesbank einig.
({3})
Ich möchte für meine Freunde und in Übereinstimmung mit der Bundesregierung - Herr Blank hat das in seiner Einführung deutlich durchblicken lassen -- hier erklären, daß wir in der Durchführung dieser Gesetzesvorlage eine Gefährdung der Währung nicht sehen. In Übereinstimmung mit der Bundesregierung glauben wir, die Anhebung der laufenden Renten in dem Ausmaße, wie es in der Vorlage vorgesehen ist, zur Zeit durchaus vertreten zu können.
Die Gefährdung des Kapitalmarkts oder eben auch der Währung als solcher, wird sicher vermieden werden, wenn der Sparwille der Bevölkerung - davon gehen wir in Übereinstimmung mit der Bundesregierung aus - auch nach dieser Anpassung in demselben anerkennenswerten Maße vorhanden sein wird, wie wir das in der Vergangenheit erlebt haben. Die Feststellung, die der Herr Bundesarbeitsminister bei der Einbringung der Vorlage hier getroffen hat, ist mir wertvoll, und wir alle sollten sie entsprechend bewerten. Er hat nämlich festgestellt, daß die bisherige private Spartätigkeit den Rückgang der Kapitalbildung, der durch die höheren Anforderungen der Rentenversicherungsträger eintreten mußte, mehr als wettgemacht hat. Ich lege Wert darauf, diese Feststellung von unserer Seite aus zu unterstreichen. Wir wollen damit dafür sorgen, daß nicht die Meinung aufkommt, wir unternähmen mit der Gesetzesvorlage etwas, was den Absichten und den Pflichten insbesondere derjenigen, die über die Währung und ihre Sicherheit zu wachen haben, widerspreche. Zu denen, die darüber veranwortungsbewußt zu wachen haben, gehört auch, und zwar nicht in letzter Linie, wie Herr Blessing mit Recht festgestellt hat, dieses Parlament.
({4})
Ich möchte nun mit einigen Worten auf den Sozialbericht und das Gutachten des Sozialbeirats, insbesondere auf die finanzielle Seite der Angelegenheit, eingehen. Herr Kollege Dr. Schellenberg hat im ersten Teil seiner Ausführungen dargelegt, die finanzielle Entwicklung habe sich wesentlich günstiger gestaltet, als es nach den im vorjährigen Sozialbericht enthaltenen Schätzungen vorauszusehen gewesen sei. Ich will nicht im einzelnen darauf eingehen, worauf diese günstigere Entwicklung zurückzuführen ist. Der Hauptgrund liegt natürlich in dem höheren Beitragseingang gegenüber den damaligen Aussichten.
({5})
Wir sollten uns darüber freuen, daß die Entwicklung so gelaufen ist. Sie darf uns aber nicht dazu verleiten, in unseren Plänen und Absichten für die Zukunft allzu optimistisch zu sein oder in diesen oder jenen Entscheidungen sogar mit etwas weniger Verantwortungsbewußtsein oder klarer Überschau der Zusammenhänge vorzugehen. Trotz der Verbesserungen im Vergleich zum vorjährigen Sozialbericht müssen wir die tatsächlich gegebene finanzielle Lage der Rentenversicherungsträger mit allem Ernst betrachten.
({6})
Verehrter Herr Kollege Dr. Schellenberg, das hat nichts mit einer vorzeitigen Beunruhigung der Bevölkerung zu tun. Hier muß ich wieder unsere gemeinsame Verantwortung ansprechen. Es ist unsere Verantwortung und auch die Pflicht der Bundesregierung, so wie sie es in diesem Bericht getan hat, darauf hinzuweisen, wie die Verhältnisse sich voraussichtlich gestalten und entwickeln. Sie muß auch darauf hinweisen, daß wir als Gesetzgeber alle Maßnahmen mit dem notwendigen Ernst treffen müssen und daß man in dieser Frage mit großer Vorsicht zu Werke gehen muß.
Gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr!
Ist Ihnen bekannt, daß beispielsweise der „Rheinische Merkur" aus dem Sozialbericht die Konsequenz gezogen hat, am 16. Oktober einen Artikel mit der Überschrift „Defizit droht der Sozialversicherung" zu schreiben? Offenbar hat also der Sozialbericht dazu angeregt, derartige alarmierende und beunruhigende Nachrichten in die Bevölkerung zu tragen.
Selbstverständlich habe auch ich diesen Artikel gelesen, Herr Kollege. Ich muß aber im Interesse der Sache bei der Feststellung, die ich soeben getroffen habe, bleiben. Wir müssen den Versicherten und den Rentnern den klaren Blick, wenn sie ihn nicht haben, dafür öffnen, daß man mit diesen Dingen nun wirklich ernst und sorgsam umgehen muß. Unsere erste Verpflichtung ist ja, der versicherten Bevölkerung und den Rentnern zu garantieren, daß die Konzeption, die wir 1957 geschaffen haben, die ja beileibe nicht unbestritten
ist und die nach wie vor ihre Gegner hat, was die Sicherung der Rente angeht, auch in die Zukunft hinein erhalten bleiben kann. Ich glaube, wenn wir den Menschen sagen, daß wir alles tun werden, um diese Dinge auch für die Zukunft zu sichern, tun wir ihnen einen größeren Dienst, als wenn wir ihnen einmal eine geringe Anhebung der laufenden Renten gewähren.
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Der Herr Kollege Schellenberg hat zunächst einmal kritisiert, daß die Drei-Jahres-Übersicht der Einnahmen usw. im Sozialbericht nicht enthalten ist. Ich attestiere der Bundesregierung, daß sie gut daran getan hat, auch ihrerseits ein wenig vorsichtig zu sein. Das gilt insbesondere für die neuralgischen Punkte, die in der zukünftigen Entwicklung stecken.
Was das Fremdrentengesetz angeht, würde ich mich nicht gleich aufregen, wenn jemand die Meinung vertritt, das seien in erster Linie Kriegsfolgelasten. Wir sollten das ertragen. Es handelt sich hier um ein Problem, über das man sehr wohl diskutieren kann. Wir als CDU/CSU-Fraktion haben uns hinter den Gesetzentwurf der Bundesregierung betreffend die Fremd- und Auslandsrenten gestellt. Die verehrlichen anderen Fraktionen haben das im Grundsatz im Sozialpolitischen Ausschuß ebenfalls getan.
({1})
- Die Frage der Finanzierung, verehrter Herr Kollege, ist ja nun in diesem Gesetz immerhin auch von so grundsätzlicher Bedeutung, daß man sich schon klar dazu bekennen und darüber entscheiden muß. Wir zu unserem Teil haben die Entscheidung getroffen: Wir stellen uns über das Prinzip der Eingliederung hinaus auch hinsichtlich des finanziellen Teils hinter den Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Was nun die Frage der Erstattungen aus dem § 90 des Bundesversorgungsgesetzes angeht, darf
ich daran erinnern, daß wir in den letzten zwei Jahren bei der Beratung des Bundeshaushalts ja schon sehr klare, übereinstimmende Auslassungen der Fraktionen zu diesem Thema gehört haben. Wir dürfen aber doch, glaube ich, nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß es sich auch nach den zahlenmäßigen Feststellungen im Sozialbericht immerhin insofern um eine besonders schwierige Angelegenheit handelt, als wir vom Bundesfinanzminister und damit vom Bundeshaushalt nicht verlangen können, diesem im Grunde berechtigten Anspruch - selbst wenn ich diese Zahlengröße unterstelle - in einem oder in zwei Haushaltsjahren in voller Höhe zu entsprechen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Horn, ist Ihnen noch der Antrag der Fraktion der CDU/CSU vom 1. Juli 1958 in Erinnerung, in dem es u. a. heißt: „Die Bundesregierung wird deshalb ersucht, die Regelung dieser Frage so zu beschleunigen, daß die in Frage kommenden Erstattungsbeträge im Haushalt 1959 ihren Niederschlag finden"? Deshalb ist es doch wohl nicht unziemlich, wenn wir beantragen, die Frage der rückständigen Erstattung im Jahr 1960 zu regeln.
Es ist ihr gutes Recht, und ich freue mich, daß Sie bei diesem Anlaß noch einmal auf unseren damaligen Antrag hinweisen, der von dem Hohen Hause angenommen worden ist. Es ist und bleibt - wie wir bei der Beratung des vorigen Haushaltes noch einmal betont haben - unsere Absicht, die Regelung zu beschleunigen.
Aus einer Überschau über die gesamte haushaltspolitische Situation aber müssen wir auch Verständnis für die Lage des Bundeshaushaltes und die Situation des Bundesfinanzministers haben. Wir sind mit dem für das Haushaltsjahr 1960 zur Verfügung gestellten Betrag von 200 Millionen DM einverstanden, eben aus der Gesamtverantwortung für den Haushalt, geben aber der zuversichtlichen Erwartung Ausdruck, daß in den kommenden Haushaltsjahren die weiteren Raten so gestaltet werden, daß das leidige Thema - § 90 Bundesversorgungsgesetz - in diesem ersten Deckungsabschnitt, will ich einmal sagen, endlich hinter uns gebracht wird.
Mit ein paar Schlußsätzen möchte ich noch einmal auf die in der Debatte wiederholt gebrauchte Wendung zurückkommen, man solle die Menschen nicht unnötigerweise beunruhigen. Die Bundesregierung hat im Sozialbericht ausgesprochen, daß weitere Erhöhungen der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nur nach sehr sorgfältiger und verantwortungsbewußter Prüfung vorgenommen werden können. Ich möchte das noch einmal mit allem Nachdruck unterstreichen. Den anerkennenden Worten, die der Herr Arbeitsminister für die Tätigkeit des Sozialbeirates gefunden hat, möchte ich mich nachhaltig anschließen. Wir sind dankbar dafür, daß der Sozialbeirat - obschon er sich in einem Mehrheitsbeschluß für die Anhebung der Renten um 5,94 % ausgesprochen hat - in seinem Gutachten sehr deutlich zum Ausdruck bringt, bei seinen Beratungen seien sehr wohl auch andere Überlegungen angestellt worden. Ich möchte auch denjenigen Mitgliedern des Beirates danken, die bei diesen Beratungen, wie aus dem Gutachten hervorgeht, sich für eine geringere Anhebung der Renten in diesem Jahr ausgesprochen haben. Sie haben damit nämlich die Problematik aufgezeigt, die in diesen Dingen steckt. Sie haben deutlich gemacht, daß man um der Zukunftssicherung der Rentenversicherung willen sehr wohl auch diesen Standpunkt einnehmen kann. Ich bin überzeugt, daß diese Mitglieder ihren Standpunkt auch begründet haben. In dem letzten Satz seines Gutachtens - er glaube sich mit Beruhigung für diese Anhebung um 5,94 % aussprechen zu können - sagt der Sozialbeirat dann aber ganz deutlich:
Der Beirat sieht sich aber veranlaßt, um so dringender auf die für die nächsten Jahre voraussehbare Lage aufmerksam zu machen.
({0})
Meine Damen und Herren, an einer solchen Erklärung dürfen wir nicht etwa achtlos vorbeigehen. Bei der späteren Behandlung dieser Fragen, erst recht, wenn die versicherungsmathematische Bilanz vorliegt und wir sie geprüft haben, werden wir auf Grund der Erkenntnisse, die wir daraus gewinnen werden, und der Schlußfolgerungen, die wir zu ziehen haben, unsere künftigen Entscheidungen zielsicher auch auf die Zukunftssicherung dieser neuen Rentenversicherungen abzustellen haben.
({1})
Erlauben Sie mir, mit einem Satz noch auf die Anträge der Fraktion der Freien Demokratischen Partei einzugehen. Bei allem Respekt muß ich doch sagen, daß mir nicht erfindlich ist, wieso die Kollegin Friese-Korn hier ausgeführt hat, sie habe bereits im vorigen Jahre bei der Diskussion über den Sozialbericht das Fehlen der versicherungsmathematischen Bilanz beanstandet. So hat sie sich ausgedrückt.
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- Frau Kollegin, es war damals noch gar nichts zu beanstanden; denn der Termin, zu dem die Bilanz aufgestellt werden muß, war noch gar nicht vorhanden und erst recht nicht verwirkt.
Ich bin mit Herrn Kollegen Dr. Schellenberg durchaus der Meinung, daß wir für alle weiteren Überlegungen bezüglich einer eventuellen Novellierung dieser Rentenneuregelungsgesetze die versicherungstechnische Bilanz abzuwarten haben, daß wir vorher in keiner Weise Entscheidungen treffen können. Meine politischen Freunde sind nicht gewillt, über die Anträge der FDP-Fraktion Drucksachen 1276 und 1277 zu entscheiden, bevor wir unsere Schlußfolgerungen aus der versicherungsmathematischen Bilanz haben ziehen können.
Das gilt auch für alle etwa sonst noch angestellten Überlegungen bezüglich einer eventuellen Novellierung dieser Neuregelungsgesetze. Wir sollten uns, meine Damen und Herren, darüber einig sein, daß wir uns nicht nur selber genügend Zeit nehmen müssen, sondern vor allen Dingen der Bundesregierung genügend Zeit lassen müssen, damit sie auf Grund der Erfahrungen, die in den ersten Jahren des Bestehens der Neuregelungsgesetze gemacht werden, dem Hohen Hause zur gegebenen Zeit eine Vorlage über die Punkte machen kann, die ,nach ihrer Auffassung dann einer Korrektur bedürfen.
Warum sollen wir in dieser Beziehung nicht offen sein? Wenn dieses Hohe Haus und insbesondere sein Sozialpolitischer Ausschuß die Arbeiten, die auf beiden lasten, hinter sich gebracht haben werden und wir die versicherungsmathematische Bilanz genügend geprüft haben werden, wird es, so glaube ich, sehr zweifelhaft sein, ob dann dieser 3. Bundestag noch große Novellen zu den Rentenversicherungsgesetzen wird verabschieden können. Der nach uns kommende Bundestag muß ja auch noch sozialpolitische Arbeit zu leisten haben; wir können ihn ja nicht gleich bei den Arbeitsämtern als beschäftigungslos melden.
({3})
Wir werden, wenn wir die Vorlage im Sozialpolitischen Ausschuß im einzelnen beraten werden, gewiß noch über diesen oder jenen Punkt sprechen, der einer Erörterung wert ist. Im ganzen aber, so kann ich nur nochmals erklären, wird die Christlich-Demokratische Union auf Grund der Schlußfolgerungen, die wir aus dem Sozialbericht ziehen, und zwar in. Übereinstimmung mit der Bundesregierung ziehen werden, der Vorlage zustimmen.
({4})
- Die habe ich ausnahmsweise vergessen. Das sollte eigentlich nicht passieren, wenn ein so prominenter Vertreter der CSU unmittelbar vor mir sitzt. Aber sie ist einbezogen, und ich bin dankbar dafür, daß darauf noch einmal besonders hingewiesen wird.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die letzten Bemerkungen des Kollegen Horn, daß dieser Bundestag wahrscheinlich nicht mehr dazu kommen werde, eine Neuregelung, falls sie für erforderlich gehalten wird, durchzuführen, steht eigentlich etwas im Widerspruch zu den Überlegungen, die er selber hier angestellt hat, wie aufmerksam wir die Bedenken, die der Sozialbeirat vorgebracht habe, beachten müßten und daß wir damit rechnen müßten, daß nach Vorliegen der versicherungstechnischen Bilanz von der Bundesregierung vielleicht eine Korrekturvorlage kommen werde. Immerhin glaube ich feststellen zu können, daß auch bei den Regierungsparteien die Meinung besteht, in absehbarer Zeit könnte eine Korrektur notwendig werden. Wir stellen das mit Dankbarkeit fest, weil das beweist, daß unsere Überlegungen, die wir sowohl bei der Verabschiedung der Rentenreform 1957 als auch danach hier vorgebracht haben, richtig waren und immer mehr Resonanz finden.
Es ist schon beanstandet worden, daß der Herr Bundesfinanzminister und sein Staatssekretär zu dieser Stunde eine Besprechung durchführen müssen. Das ist insbesondere deshalb bedauerlich, weil - worauf Herr Kollege Schellenberg mit Recht hingewiesen hat - im vergangenen Jahre auf Antrag der CDU beschlossen worden ist, in den nächsten Haushaltsplan die entsprechenden Beträge gemäß § 90 einzusetzen. Es wäre daher recht interessant gewesen, heute von dem Herrn Finanzminister zu hören, weshalb der Antrag seiner eigenen Partei, der ja wohl in Abstimmung mit ihm gestellt worden war, nicht verwirklicht werden konnte, und inwieweit wir nach der Zusicherung, daß 200 Millionen DM im nächsten Haushalt eingesetzt werden sollen, damit rechnen können, daß die offenbleibenden Beträge in den nächsten Haushaltsplänen erscheinen werden. Denn das ist ja eine wesentliche Voraussetzung für die Gesamtbeurteilung der Rentenversicherung und, worauf noch nicht hingewiesen worden ist, für die unterschiedliche Entwicklung der beiden Versicherungsträger, der Arbeiterrentenversicherung wie der Angestelltenversicherung. Es
kommt ja noch der Wanderversicherungsausgleich hinzu, und wenn die Angaben zutreffen, die man allenthalben lesen kann, ist mit einer Umkehrung der Vermögenslage innerhalb der Versicherungsträger für die Zukunft zu rechnen, wenn alle gesetzlichen Voraussetzungen, die von diesem Hohen Hause beschlossen worden sind, auch erfüllt werden. Ich denke hierbei insbesondere an die Frage des Ausgleichs zwischen der Arbeiterrentenversicherung und der Angestelltenversicherung.
Wir haben vor kurzem eine Kleine Anfrage eingebracht, in der wir um Auskunft darüber bitten, ob Pressemeldungen zutreffen, wonach die Absicht bestehe, den Wanderversicherungsausgleich nicht in der ursprünglich vorgesehenen Form durchzuführen, weil dann die Gefahr der Illiquidität der Arbeiterrentenversicherung eintreten würde. Die Antwort steht noch aus. Ich wäre dankbar, wenn Sie, Herr Bundesarbeitsminister, hier heute schon sagen könnten, ob diese Meldungen zutreffen. Denn wenn sie zuträfen, wäre die gesamte Grundlage der bisherigen Überlegungen z. B. für die Angestelltenversicherung restlos verschoben, und wir müssen doch diese Überlegungen bei der endgültigen Beratung mit berücksichtigen. Wir hoffen aber, daß an diesen Behauptungen nichts Wahres ist. Andernfalls würde das nämlich bedeuten, daß die berechtigten Forderungen der Angestelltenversicherung praktisch ersatzlos gestrichen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das Bundesarbeitsministerium so vorgehen will. Hier wäre also ein klärendes Wort zu unser aller Information außerordentlich wichtig und gut.
Die Schlußfolgerungen, die aus dem Sozialbericht gezogen werden, waren in den Diskussionsreden unterschiedlich. Herr Kollege Schellenberg meinte, da das Zahlenmaterial nicht vollständig und da eine versicherungstechnische Bilanz nicht vorhanden sei, so sei auch der Pessimismus, der in diesem Sozialbericht zum Ausdruck komme, nicht fundiert, deshalb solle man sich nicht kopfscheu machen lassen. Umgekehrt, lieber Herr Kollege Schellenberg! Die Tatsache, daß keine versicherungstechnische Bilanz vorliegt - ich will hier gar nicht darüber streiten, ob sie technisch möglich war oder nicht -, sollte uns alle doch warnen, Entschlüsse zu fassen, die uns für die Zukunft festlegen, nicht mehr reparabel sind und uns dann vielleicht zu viel drastischeren Maßnahmen zwingen, als sie heute bei vorsichtigem Handeln notwendig wären.
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- Bitte, Herr Kollege Schellenberg!
Aber Herr Kollege Mischnick, ich verstehe wirklich nicht, weshalb Sie dann Ihren Gesetzentwurf einbringen, der die gegenwärtige Rechtslage ändern soll.
Herr Kollege Schellenberg, Sie haben selbst gesagt, daß die versicherungstechnische Bilanz kommen muß. Da die Regierung im Sozialbericht zugesagt hat, daß das im nächsten halben Jahr geschehen soll, und da nach den Erfahrungen in diesem Hause nicht damit zu rechnen ist, daß unser Gesetzentwurf vor einem halben Jahr zur Verabschiedung kommt, wird die versicherungstechnische Bilanz also wohl noch rechtzeitig zur Beratung unseres Gesetzentwurfs vorliegen.
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- Nein, wir wissen nicht, wie sie aussieht. Aber wir können aus dem, was bisher berichtet worden ist und was man aus den statistischen Unterlagen, z. B, beim Statistischen Bundesamt, ersatzweise erfahren kann, schließen, daß diese Bilanz voraussichtlich nicht so aussehen wird, wie Sie es sich wünschen, wie vielleicht wir alle es wünschen. Wir haben hierbei vielmehr das Bedenken, daß die versicherungstechnische Bilanz die heute gute Liquidität der Rentenversicherung für die Zukunft als gefährdet ansieht. Wenn wir schon eine dynamische Rente haben, dann dürfen wir die Sozialberichte nicht statisch betrachten, sondern müssen sie auch dynamisch, im Blick auf die Zukunft betrachten. Wir haben ja nicht ein reines Umlageverfahren. Wir haben das zehnjährige Abschnittsverfahren mit drin und sind deshalb auch verpflichtet, die Frage der Vermögensbildung - Vermehrung oder Minderung - der Sozialversicherungsträger zu beachten.
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Noch ein Weiteres, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich habe das Gefühl, bei all diesen Diskussionsreden ist zu wenig bedacht worden, daß wir bei einem solchen Gesetzentwurf praktisch für vier Gruppen die Verantwortung tragen, erstens für die Rentner, zweitens für die Beitragszahler, drittens für die Verbraucher, die eventuell durch Beitragserhöhungen und nachfolgende Preiserhöhungen betroffen sein könnten, und viertens für die Steuerzahler, die eventuell durch einen höheren Staatszuschuß in Anspruch genommen werden. Dabei stellen wir fest, daß zwischen Rentner, Verbraucher und Steuerzahler ein enger Zusammenhang besteht, daß auch ein enger Zusammenhang besteht zwischen Beitragszahler, Verbraucher und Steuerzahler. Es kann sich hier also sehr schnell ein Ring schließen und die Erhöhung auf der einen Seite zu einer negativen Folge auf der anderen Seite führen. Unserem Gesetzentwurf liegt der Wunsch zugrunde, dem Beitragszahler eine so große Sicherheit wie nur irgend möglich zu geben, daß er für die Zeit, in der ,er ,einmal Rentner ist, wenigstens mit den gleichen Rentensätzen rechnen kann, die heute gezahlt werden. Die Entwicklung darf nicht dazu führen, daß der Beitragszahler von heute morgen, weil die Konstruktion einen Fehler hat, nicht mehr die gleiche Rente erhält, auf die er heute rechnen kann.
Ein weiterer Gesichtspunkt! Ich bin sicher, daß ein privates Versicherungsunternehmen, das ohne versicherungstechnische Bilanz beim Versicherungsaufsichtsamt eine Genehmigung beantragte, mit diesen und jenen Beiträgen und Leistungen zu arbeiten, keine Genehmigung erhielte. Sie werden
mir entgegenhalten, hier stehe der Staat dahinter. Sehr richtig! Aber der Staat sind doch wir alle, d. h. wir haben dann, wenn die Bilanz negativ werden sollte, dafür zu sorgen, daß den Versicherungsträgern über den Haushalt die entsprechenden Mittel zufließen. Deshalb ist es unserer Meinung nach besonders wichtig, daß auch der Herr Finanzminister in dieser Debatte einmal sagt, welche Möglichkeiten, in Zukunft Zuschüsse an die Rentenversicherungsträger zu gewähren - die jetzigen Zuschüsse betragen ja rund 15 % unseres derzeitigen Bundeshaushalt , nach seinen Überlegungen bestehen.
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Sie haben natürlich völlig recht, Herr Kollege Schellenberg, daß die Kriegsfolgelasten, die auf Grund des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes und anderer Maßnahmen, die ich hier nicht alle aufzählen will, auf die Rentenversicherungsträger zukommen, nicht durch den Beitragszahler als solchen getragen werden können. Auf der anderen Seite müssen wir uns dabei wieder vor Augen halten, daß dieser selbe Beitragszahler über die Steuerzahlung für die Aufbringung der Kriegsfolgeleistungen in Anspruch genommen wird. Ich erwähne das deshalb, weil ich meine, daß wir all diese Fragen immer im Gesamtzusammenhang sehen müssen und auch bei einer solchen Spezialdebatte uns davor hüten müssen, nur den Rentner oder nur den Beitragszahler zu sehen. Wir müssen also den Zusammenhang mit der schweren Hypothek der Kriegsfolgelasten in ihrer Gesamtheit - ich ,erinnere nur an die Kriegsopferversorgung, über die wir vor I) zwei Wochen diskutiert haben - sehen.
Deshalb ist unserer Auffassung nach jene Konstruktion gefährlich, die die Möglichkeit - ich betone: die Möglichkeit - in sich birgt, daß die letzte Ausflucht ein erhöhter Staatszuschuß ist, also praktisch der Steuerzahler in Anspruch genommen werden muß, damit man das, was im Gesetz versprochen ist, erfüllen kann.
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- Herr Kollege Schellenberg, Sie haben selber gesagt, der Sozialbericht baue auf Zahlen auf, die nicht vollständig seien bzw. für die keine ausreichenden Unterlagen vorhanden seien, und demzufolge sei die Schlußfolgerung Prophetie. Wir sind in diesem Hause leider alle darauf angewiesen, unsere Überlegungen für die Zukunft auf Grund mangelhafter Unterlagen anzustellen. Ich hoffe, daß wir durch die Vorlage der versicherungstechnischen Bilanz zu den ganz konkreten Zahlen kommen, die wir brauchen. Unsere Bedenken richten sich ja auf das Fehlen einer solchen Bilanz. Natürlich ist es richtig, wie hier gesagt wurde, daß sie bis zum 1. Januar 1959 vorliegen sollte. Meine Kollegin Frau Friese-Korn wollte nur zum Ausdruck bringen: auch damals war es schon an sich nicht richtig, eine Rentenanpassung zu beschließen, solange wir nicht durch eine versicherungstechnische Bilanz eine volle Übersicht über die Gesamtentwicklung bekommen haben.
Durch unseren Gesetzentwurf soll ausgeschlossen werden, daß weiterhin eine Schere zwischen Altrenten und Neurenten entsteht. Natürlich betrifft das den Rentnerjahrgang, der jeweils hinzuwächst. Es bedeutet aber, daß - ich gehe einmal davon aus, daß die Lebenserwartung der 65jährigen gegenwärtig rund 10 Jahre beträgt - zehn Rentnerjahrgänge in der gleichen Weise behandelt werden wie der eine, der hinzutritt, während es jetzt umgekehrt ist, daß ein neu hinzutretender Rentnerjahrgang automatisch eine Erhöhung bekommt, während die Renten der im Schnitt zehn anderen Rentnerjahrgänge nur durch Gesetz nachgezogen werden, aber auch noch nicht einmal auf die volle Höhe, weil durch die vorherige Erhöhung der Bemessungsgrundlage bereits eine Änderung der Grundlage erfolgt ist. Diese unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Rentnerjahrgänge würde durch unseren Gesetzentwurf ausgeräumt.
Über die Höchstgrenze schließlich ist in der Diskussion kaum ein Wort gefallen.
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- Ich bin sicher, Frau Kollegin Kalinke, daß Sie zu dieser Frage sprechen werden. - Auch damals, 1957, ist sehr wenig hierzu gesagt worden. Aber wenn wir uns immer wieder darauf berufen, wir wollten durch die Rentenreform eine möglichst - ich sage: möglichst - beitragsgerechte Rente haben, dann müssen wir die Frage der Höchstgrenze jetzt mit behandeln, und wenn wir einen gesunden Überblick über die Gesamtentwicklung haben wollen, müssen wir auch die Überlegung einbeziehen, welche Folgen die Beseitigung der Höchstgrenze haben wird. Gerade im Hinblick auf die immer wieder von der Regierung und von den Regierungsparteien betonte Absicht, sich Nivellierungstendenzen entgegenzustellen, hoffen wir hier auf Ihre Unterstützung, damit wir eine Lösung finden, durch die verhindert wird, daß den Beitragszahlern, die 30 und 40 Jahre in den Höchstgruppen zahlen - sie sind natürlich nicht die gesamte Zeit in den Höchstgruppen -, der Höchstrentenbetrag, der ihnen zusteht, durch eine Renten-Guillotine abgeschnitten wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir bitten darum, unseren Gesetzentwurf an den Ausschuß zu überweisen, und hoffen, daß die Vorlage der versicherungstechnischen Bilanz durch unseren Gesetzentwurf eine gewisse Beschleunigung erfährt; denn sie ist natürlich eine wesentliche Voraussetzung für die Gesamtberatung.
Wir sollten auf der anderen Seite aber nicht die Augen davor verschließen, daß auch die Annahme der jetzt vorgeschlagenen Rentenanpassung ohne Vorlage der versicherungstechnischen Bilanz ein Hineingehen ins Unbekannte, ein Hineinschlittern in Schwierigkeiten bedeuten kann, die von uns allen heute noch nicht übersehen werden.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Auch die heutige Debatte in diesem Hause hat, wie es in Zukunft alle sozialDeutscher Bundestag 3. Wahlperiode Frau Kalinke
politischen Debatten zeigen werden, den Zwang deutlich gemacht, in Zusammenhängen zu denken, und uns an die heilsame Notwendigkeit erinnert, alle finanzpolitischen und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte bei der Diskussion sozialpolitischer Probleme stets zu berücksichtigen und die Auswirkung auf die Volkswirtschaft, auf die Steuerzahler, auf die Beitragszahler, ja selbst auf die Konsumenten, wie Kollege Mischnick mit Recht gesagt hat, zu prüfen. Weder eine Gesamtrechnung, die unseren sozialpolitischen Etat deutlich macht, noch eine Durchleuchtung in den einzelnen Positionen ist entbehrlich, wenn Koalition und Opposition in Zukunft solche Probleme wie heute verantwortungsbewußt diskutieren wollen.
Auch ich möchte bei dem Gespräch über den Sozialbericht dem Bundesminister für Arbeit und den verantwortlichen Mitarbeitern in seinem Hause, auch den Mitgliedern des Beirats, insbesondere denen, die den Mut zu einer Minderheitsmeinung hatten, meinen aufrichtigen Dank sagen, weil es ihre mühevolle und nicht immer populäre Arbeit uns im Parlament erst ermöglicht, alle Probleme zu erkennen und mutig und aufrichtig eine redliche Stellungnahme abzugeben, die unsere Staatsbürger von uns fordern können. Ich halte trotz aller umstrittenen Probleme daher das Experiment mit dem Beirat für unersetzlich und durchaus positiv, auch dann, wenn deutlich wird, ja, vielleicht gerade weil deutlich wird, daß man sich nicht zu einer einheitlichen Meinung gezwungen, sondern den Mut gehabt hat, klar zu sagen, wie die Dinge aussehen, auch wenn sie eine Mehrheit anders sah als eine Minderheit des Beirats.
Der Jahresbericht von 1958 hat die bedrohliche Entwicklung der Finanzlage schon sehr sichtbar gemacht. Wenn auch der vorliegende Bericht dank der Vollbeschäftigung und eines steigenden Beitragsaufkommens nicht ganz so pessimistisch ist, so bleibt doch die große Sorge um die finanzielle Entwicklung am Ende des ersten Zehnjahresabschnitts nach der Reform.
Die von mir ausgesprochene Besorgnis bezieht sich nicht auf die Finanzlage von heute, sondern auf morgen und übermorgen. Wenn wir hier von der Zukunft sprechen, so heißt das, daß wir in der Sozialpolitik nicht denken wollen „nach uns die Sintflut", sondern daran denken müssen, wie die Renten auch in der Zukunft finanziert werden können.
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Ich gehe ganz einig mit dem, was der Bundesminister für Arbeit in ,seinem Bericht zwischen den Zeilen und was der Kollege Horn ebenso verantwortungsbewußt soeben ausgeführt hat: daß es nämlich darauf ankommt, eine Konzeption für die Zukunft zu erhalten und zu sichern. Das muß ein moralisches Ziel jeder Sozialgesetzgebung sein!
Aber wir dürfen Augen und Ohren nicht vor der Kettenreaktion verschließen, die es nun einmal in der Sozialpolitik gibt, und auch nicht vor der Gefahr, die sozialpolitische Versprechungen in sich tragen. Diese Gefahr ist allerdings auf allen
Gebieten der Sozialpolitik permanent. Deshalb sind die Warnungen des Kollegen Horn und des Arbeitsministers wie die Signale im Sozialbericht nicht zu übersehen. Das im Sozialbericht gegebene Warnsignal ist, wenn ich es mit dem Verkehrssignal an der Straßenkreuzung vergleichen darf, zur Zeit auf Gelb gestellt. Aber wir dürfen dabei nicht übersehen, daß die nächste Farbe nicht Grün, sondern Rot sein wird.
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Es gibt wahrscheinlich keine freie Fahrt in eine dritte Rentenanpassung, wenn nicht vorher der Finanzausgleich, von dem der Kollege Schellenberg zu Beginn gesprochen hat, durch die Rechtsverordnung geregelt sein wird und wenn nicht die Frage der Beitragserhöhung und der Staatszuschüsse redlich und offen diskutiert und gelöst wird.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schellenberg?
Herr Kollege Schellenberg, ich möchte gern jede Zwischenfrage beantworten, aber Sie haben vorgeschlagen, daß wir uns in der Zeit begrenzen. Sie haben von Ihrer Fraktion drei oder vier Redner angemeldet, ich muß aber als einzige Rednerin meiner Fraktion alle Probleme beantworten.
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Ich muß deshalb heute darum bitten, daß Sie mich nicht unterbrechen.
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Sie wissen, daß das nicht aus Feigheit geschieht und daß ich jede Ihrer Fragen beantworten kann.
Das Gutachten des Sozialbeirats betont, daß die Schere zwischen den Bestandsrenten und den Neurenten nicht beseitigt wird. Niemand - auch nicht die Kollegen aus der Freien Demokratischen Partei - wird bestreiten. daß eine Anpassung der Bestandsrenten dringend notwendig ist, nachdem das bisher nicht geschehen war. Alle Einsichtigen werden von dieser Notwendigkeit überzeugt sein, auch wenn ,sie von der Sorge erfüllt sind, die uns die heute vorliegenden Berichte vermittelt haben.
Ich will auch nicht verschweigen, daß die Besorgnis, die uns bei wachsenden Bundeszuschüssen erfüllt, in vermehrtem Maße auf uns zukommen wird, weil die Diskussion um die Altersversorgung des Handwerks, um die Wünsche der freien Berufe und um die Reform sonstiger Gesetze, die uns bevorsteht, erst beginnt.
Es ist für uns alle außerordentlich bedenklich, den Rentnern schon heute sagen zu müssen, daß weitere Anpassungen in gleicher Höhe - ganz gleich, wie der Finanzausgleich erfolgt - nur noch
ein-, zwei- oder dreimal, bestimmt aber in ferner Zukunft nicht mehr alljährlich möglich sind.
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- Herr Kollege Schellenberg, das ist für jeden, der rechnen kann und rechenhaft denken kann, eindeutig.
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Teilt man Ihre Auffassung, Herr Kollege Schellenberg, daß die Kosten, ganz gleich, was geschieht, durch Umlage, durch Steuern und Beiträge und durch Subventionen, auch solcher versteckter Art, vom Staat gedeckt werden müssen, kann man so sprechen. Hat man aber eine andere Auffassung, nämlich daß der Etat des Bundes - Regierungsparteien müssen nun einmal verantwortungsbewußt an den Haushalt denken - uns zu Deckungsüberlegungen zwingt, dann werden Sie mir zustimmen müssen, weil Sie die Zusammenhänge kennen, daß die Möglichkeit wachsender Bundeszuschüsse Grenzen hat.
Die Wanderversicherung und der Finanzausgleich, wenn man sich vorstellt, daß in der Angestelltenversicherung rund 68 % aller Angestelltenrenten, die im zweiten Halbjahr 1957 zugingen, Wanderversicherungsrenten sind, bedeuten ja, daß mit einer einfachen Übertragung von Teilen der Erstattung von der Arbeiterrentenversicherung auf die Angestelltenversicherung das Problem keineswegs gelöst wird. Wir müssen leider befürchten, daß der Vorschlag des Beirates, den die Regierung aufgegriffen hat, hinsichtlich des Prozentsatzes zu Mißverständnissen führt.
Der Herr Bundesminister hat sehr deutlich gesagt
- und ich bedanke mich bei ihm für diese Deutlichkeit -, daß mit dem gleichen Hundertsatz für die Erhöhung nun nicht etwa auch für die Bestandsrenten die Automatik eingeführt werden soll. Aber in der Sozialpolitik ist es nun einmal so, daß sehr leicht Wünsche, Hoffnungen und falsche Vorstellungen geweckt werden, wenn man die gleichen Millionenzahlen für die Anpassung bei Bestandsrenten und Neurenten nennt. Ich möchte nachdrücklich die Auffassung des Arbeitsministers unterstreichen. Es wäre besser und klarer, wenn der Beirat für die Anpassung der laufenden Bestandsrenten nicht den gleichen Prozentsatz vorgeschlagen und die Regierung von sich aus differenziert hätte. Es wäre mir lieb, wenn wir in Höhe von 10 % oder 5 % hätten anpassen können; nach dem Sozialbericht dürften es wahrscheinlich weniger sein.
Ich fürchte, daß durch den gleichen Hundertsatz auch Mißverständnisse über die Gründe der Anpassung in der vorgesehenen Höhe entstehen werden, und zwar deswegen, weil man das denjenigen, die die Zusammenhänge weniger kennen, die Gründe schwer erläutern kann.
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- Ich weiß, Herr Kollege Schellenberg, daß ohnehin eine Ungerechtigkeit darin besteht, daß wir eine unterschiedliche Formel für die Bestandsrenten und für die neu hinzukommenden Renten haben.
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- Wir werden sie beseitigen, nur nicht entsprechend Ihren Zielen, sondern so, wie es im Interesse einer verantwortungsbewußten Politik in der Zukunft richtig ist.
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Mit großer Sorge erfüllen uns auch die fortwährenden Forderungen nicht nur der Sozialdemokraten, sondern vieler Gruppen in unserem Volk nach immer höheren Bundeszuschüssen. Die Bundeszuschüsse bergen angesichts unserer dynamischen Rentenformel all die Verlockungen in sich, über die wir hier mehrfach gesprochen haben. Die Schichten unseres Volkes, die diese Zuschüsse als Steuerzahler aufbringen müssen, haben zu einem großen Teil keinen Anteil an den Segnungen dieser Bundeszuschüsse. Wir müssen daran denken, welche Auswirkung eine Erhöhung der Bundeszuschüsse auf die Forderungen der freien Berufe und weniger gesicherter kleiner Existenzen in der gewerblichen Wirtschaft haben muß.
Der Sozialbericht zeigt daher - das sage ich besonders dem Kollegen Schellenberg, der die Dinge mit Sachverstand überblicken kann , daß sich aus sozialpolitischen Versprechungen an Rentner in Zukunft wahrscheinlich wenig parteipolitisches Kapital wird herausschlagen lassen. Unsere Arbeiter erkennen immer deutlicher, daß sie das, was ihnen der Staat an Renten zuteilt, selber bezahlen müssen. Daher wird der Opposition in diesem Hause, für die ja noch drei Redner sprechen werden, sicherlich einmal etwas Gescheiteres einfallen müssen, als immer nur nach mehr zu rufen. Denn ihre eigenen Mitglieder und die ihr nahestehenden Gruppen im Volke werden eines Tages den Zusammenhang zwischen der Beitrags- und Steuerbelastung und der Rentenhöhe erkennen, der sich heute auf Grund der hohen Beitrags- und Steuerlast bereits zeigt.
({7})
- Soll ich Ihnen voraussagen, was Sie in der Zukunft noch alles fordern werden? Ich könnte es, Herr Kollege Schellenberg!
Der Bericht, den der Vertreter der deutschen Bundesbank Herr Dr. Wolf im Sozialbeirat gegeben und den er im „Volkswirt" veröffentlicht hat, bestätigt in seiner bestechenden Realität und seiner sehr desillusionierenden Darstellung der Wirklichkeit nur die Sorgen und Bedenken, die ich - nicht weil ich weniger geben möchte, wie es die Opposition immer unterstellt, sondern weil ich eine stetige Entwicklung wünschte - hier bei den Beratungen der Rentenreform zum Ausdruck gebracht habe. Von nun an bleibt die Frage, die der Kollege Horn angeschnitten hat, auf der Tagesordnung, nämlich ob es nicht verantwortungsbewußter und richtiger ist, in die Zukunft hinein soziale Leistungen zu gaFrau Kalinke
rantieren, auch wenn man in der Gegenwart den Mut zur Unpopularität haben und überhöhten Forderungen gegenüber nein sagen muß.
({8})
Ich will mich wegen der geringen Redezeit nicht dazu verführen lassen, hier viel zum großen Problem „Kapitalmarkt" zu sagen. Ich darf nur darauf hinweisen, daß die Wirkungen jeder Rentenpolitik auf den Kapitalmarkt gesehen werden müssen. Die Hoffnung des Herrn Bundesministers für Arbeit und sein optimistischer Glaube an eine Atempause in der Konjunktur können doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Beitragseinnahmen zwar noch so lange steigen, wie die Löhne steigen, daß aber die Lage auf dem Arbeitsmarkt, das Fehlen der Arbeitskraftreserven, die Zunahme der weiblichen Beschäftigten, der mitarbeitenden Ehefrauen mit ihren Problemen der frühen Invalidisierung und der frühen Beanspruchung der Altersrente uns sehr ernsthafte Probleme aufgeben.
({9})
Daß der 2-Milliarden-Ausgleich der Arbeiter- an die Angestelltenversicherung als Finanzausgleich zwingend vorgeschrieben ist, wird uns allein nicht helfen, die finanziellen Probleme, die auf uns zukommen, auf Dauer zu lösen. Auch dazu möchte ich ein warnendes Wort sagen, nämlich, daß die Behauptung, „die Dynamik werde von automatisch steigenden Einnahmen wieder kompensiert", eine recht optimistische und sehr gefährliche Annahme ist, die im neuen Sozialbericht, Herr Minister, wirklich keine Bestätigung findet.
Besorgt habe ich auch gelesen, daß in absehbarer Zeit die Rücklagen angegriffen werden müssen.
({10})
- Das ist keine Prophetie, sondern das ist so deutlich bei der Angestelltenversicherung zu errechnen, daß ich, wenn ich mehr Zeit hätte, es Ihnen in Zahlen sagen könnte.
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Herr Kollege Schellenberg, ich denke, daß Sie auch jene schöne biblische Geschichte in Erinnerung haben von den Speichern, die für die sieben mageren Jahre gebaut werden. Dieses biblische Beispiel gilt genauso für die Rücklagen in der Sozialpolitik. Sie werden nämlich für die Zeiten der Not, für Konjunkturschwierigkeiten, für unvorhergesehene Belastungen angelegt.
({12})
Nun ist es so, daß die Rücklagen aber schon in der Vollbeschäftigung, in einer Hochkonjunktur ohne Arbeitskräfte, angegriffen werden soll. Wenn das schon am grünen Holz geschieht, was soll dann geschehen, wenn Konjunkturschwankungen, Beitragsrückgänge, Arbeitslosigkeit und ähnliches Unglück - Gott möge es verhüten - eintreten, womit wir nach den Erfahrungen der Politik doch rechnen müssen?
Der Kollege Schellenberg hat den Überschuß und das Vermögen gerühmt und gesagt, es wachse weiter. Darüber ist kein Zweifel. Bisher ist die erfolgreiche Wirtschaftspolitik, eine maßvolle und vernünftige Sozialpolitik der Bundesregierung und der Koalitionsparteien eine der Grundlagen dafür gewesen, daß dieses Vermögen wächst und die Beitragseinnahmen steigen. Das darf uns aber nicht zu der leichtfertigen Folgerung verführen, eine Reihe von Faktoren, die ich hier genannt habe, und eine weitere Reihe von Faktoren, die noch nicht einmal bekannt sind, ließen es in der Zukunft zu, sich vagen Vorstellungen von der Finanzkraft hinzugeben, wie Sie, meine Herren von der SPD, sie hier vertreten haben.
Die Verordnung über die Feststellung von Leistungen, über die in Verlust gegangenen Versicherungsunterlagen wird dabei genauso eine Rolle spielen wie das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenempfängern, das sich laufend ungünstig verändert. Dazu gehören weiter die Auswirkungen des vermehrten Frauenarbeitseinsatzes wie die Frage der noch gar nicht recht angelaufenen Rehabilitationsmaßnahmen und ihre Kosten. Das alles wird uns die technische Bilanz, so hoffe ich, nicht erst am Ende des nächsten Jahres, sondern sehr bald sagen können.
Meine Herren von der Opposition, auch Sie können das doch nicht verschweigen. Denn ich kann mir nicht denken, daß Sie nicht wissen, wieviel unbekannte Faktoren da sind. Wir wissen heute nicht einmal, wieviel Versicherte es gibt. Wir wissen nicht einmal, wieviel neue Anwartschaften nach dem Inkrafttreten der Rentenreformgesetze und dem Fremdrentengesetz auf uns zukommen werden.
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Weil ich das nicht weiß, muß ich vorsichtig sein, darf ich nicht leichtfertig sein, sondern muß alles das in Rechnung setzen, was an möglichen Überraschungen auf uns zukommt. Wir wissen noch nicht einmal, Herr Schellenberg; wer wirklich ein Versicherter ist. Die 500 Millionen Versicherungskarten, die angesammelt sind, zeigen es, wenn wir sie auswerten, durchaus nicht deutlich. Die Mathematiker streiten sich darüber, wer ein Versicherter ist; ob jeder, der einmal irgendwann Beiträge gezahlt hat, ein Versicherter ist - was doch klar sein sollte -, ob jeder, der die Beitragszahlung unterbrochen oder ganz aufgegeben hat, noch ein Versicherter ist.
Der Mathematiker, der die Bilanz vorbereiten muß, wird sicher alle als Versicherte ansehen, die zu irgendeinem Zeitpunkt Ansprüche an die Versicherungen stellen könnten. Dazu kämen dann auch die vielen Hausfrauen und Weiterversicherten mit geringen Beiträgen. Dazu kämen die Arbeitslosen, Kranken und Berufsunfähigen ohne Arbeitsverdienste, die „als Versicherte" die Bilanz unklar machen, sei es bei dem Problem der Feststellung der Bruttoarbeitsentgelte aller Versicherten, sei es bei der Ermittlung von Durchschnittszahlen für § 32 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes. Der
Begriff „alle Versicherten" ist anders zu verstehen als bei der Ermittlung des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts, wenn es um die Ermittlung künftiger Rentenlasten geht. Ich möchte auf diesen Punkt nur als auf einen von sehr vielen unbekannten Faktoren hingewiesen haben.
Wir Sozialpolitiker haben zuerst zu fragen: Was dient den Versicherten? Denn die Versicherten richten an uns, an den Staat und die die Regierung tragenden Fraktionen, sehr ernste Fragen - und darauf müssen sie eine Antwort erhalten -: Bekommen wir für unsere hohen Beiträge, für den Eigentumsverzicht, den wir durch so hohe Beiträge leisten müssen, in der Zukunft auch die versprochenen Renten? Garantiert uns der Staat, daß sich die bösen Erfahrungen der Vergangenheit, in der die Ersparnisse so vieler Staatsbürger zunichte gemacht wurden, nicht wiederholen? Macht ihr uns auch nicht leichtfertige Versprechungen und müssen wir nicht eines Tages sehr viel höhere Beiträge zahlen?
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- Ich bin ein Mensch, der in solchen Fragen sehr gern die Kräfte des Verstandes und nicht optimistische Gefühle walten läßt.
Wir haben weiter zu fragen: Was dient unseren Rentnern wirklich? Unsern Rentnern dient eine Garantie, daß sie beruhigt an ihren Lebensabend denken können. Und denen, die noch keine Rentner sind, muß dieselbe Sicherheit gegeben werden, daß das, was ihnen versprochen ist, auch in Zukunft erfüllt werden kann.
Was nun das Rentenanpassungsgesetz betrifft, das der Herr Bundesminister für Arbeit begründet hat, so darf ich im Gegensatz zu Herrn Mischnick sagen: ich begrüße es, daß die Renten derer, die während ihrer Versicherungszeit hohe und höchste Beiträge geleistet haben und die an der Erhöhung durch das Erste Rentenanpassungsgesetz nicht teilhatten, endlich eine Anpassung erfahren sollen.
Es ist besser, eine gewisse Ungleichmäßigkeit -ich sehe sie auch in der Schere zwischen Zugangs-und Bestandsrenten in Kauf zu nehmen, als etwa - die Erfahrungen der Rentenversicherungsträger sollten uns da eine Lehre sein - das Ganze in Frage zu stellen. Darum glaube ich, Herr Kollege Mischnick, daß es falsch ist, was Sie sagen, „wir dürften jetzt keine Rentenanpassungen vornehmen", weil wir noch keine versicherungstechnische Bilanz haben. Eine Anpassung können wir vornehmen, weil alle Unterlagen deutlich machen, daß sie heute möglich ist.
Ich habe anfangs schon gesagt, daß ich es lieber gesehen hätte, es handele sich um einen anderen Prozentsatz. Aber das ist wirklich keine entscheidende Frage. Entscheidend ist, daß die laufenden Renten jetzt angepaßt werden. Wir sollten aber nicht vergessen, daß die Erhöhung der Durchschnittsrenten nach der Rentenreform nahezu 42 % ausmachte. Das war für die Altersrenten in der Bundesrepublik eine sehr erfreuliche Verbesserung; aber es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß in der Zukunft mit solch hohen Verbesserungen nicht mehr gerechnet werden kann. Man muß den Mut haben, das deutlich zu sagen. Ich weiß, die Rentner und auch die Versicherten sehen das ein. Es ist unsere politische Aufgabe, ihnen die Wahrheit über den Preis ihrer Rente heute, morgen und übermorgen zu sagen.
Gegen eine grundsätzliche Weiterverfolgung des Ziels der Rentenreform, von dem Herr Horn sprach, nämlich den Lebensabend zu sichern und die Renten in ein angemessenes Verhältnis zum Lebensstandard, zur Beitragsleistung und zur Arbeitsleistung zu setzen, habe ich nicht nur keine Bedenken, sondern ich unterstreiche diesen Grundsatz; nur bin ich der Meinung, daß das, was wir zur Zeit in der Rentenformel haben, diesem Grundsatz nicht oder nur sehr unvollkommen entspricht. Die Verwirklichung dieses Gesetzes mit den in ihm vorgesehenen Rentenanpassungen ist natürlich, wie der Arbeitsminister gesagt hat, in diesem Jahre noch ohne Gefahr für die Währung; sie bringt auch keinen Konsumstoß mit sich. Das hat auch niemand behauptet. Bei der Diskussion um die dynamische Rente und ihre Gefahren wird den Kritikern immer vorgeworfen, sie könnten nicht rechnen und wüßten nicht, daß die dynamische Rente heute und morgen möglich sei. Wir müssen aber auch in die Zukunft sehen. Daß sie dann nicht mehr möglich sein wird, scheint mir für jeden klar zu sëin, der den Mut hat, ein solches Anpassungsgesetz nicht isoliert zu betrachten.
Ich meine auch nicht, daß der Mehraufwand von 770 Millionen DM einschneidende Wirkungen haben könnte. Von solchen Wirkungen kann heute nicht die Rede sein. Die Maßnahmen würden aber nach meiner Auffassung dann einschneidend, wenn man sie als Präjudiz für zukünftige Forderungen nach noch mehr Automatie ansähe. Deshalb bin ich der Minderheit im Sozialbeirat sehr dankbar, daß sie immer wieder darauf hingewiesen hat, daß es sich hierbei um ein Präjudiz handelt.
Heute muß es ehrlichen Sozialpolitikern darum gehen, daß die Wunden im Gesetz nicht mit irgendeinem Pflästerchen geheilt werden können, sondern zu gegebener Zeit mit einer Operation beseitigt werden müssen. Über diese Operation haben wir verschiedene Auffassungen. Das ist kein Unglück. Über den Zeitpunkt und den Inhalt einer Novelle werden wir uns eines Tages verständigen müssen. Schon jetzt möchte ich den Kollegen von der Freien Demokratischen Partei sagen, daß diese höchst bedeutsame Operation ohne die technische Bilanz nach meiner Auffassung überhaupt nicht denkbar ist. Wenn wir darin übereinstimmen, dann betrachte ich Ihren Antrag als einen guten Anstoß, daß uns die technische Bilanz vom Bundesminister für Arbeit so schnell wie möglich vorgelegt wird.
In diesem Zusammenhang sollte ein Problem, das in dieser Woche das Haus beschäftigt hat, uns allen vor Augen stehen: das wachsende Defizit der Knappschaft, das weit besorgniserregender ist als die sogenannte und augenblicklich sehr dramatisierte Krise im Bergbau. Der Bund hat für die Dekkung des Defizits voll aufzukommen. Eine Folge dieser sogenannten Kohlen-Krise ist das 50 %ige Steigen der Bundesaufwendungen für die Knappschaft,
und zwar in einem Augenblick, in dem es noch keine Katastrophe, Frau Kollegin Friese-Korn, noch nicht einmal Konjunkturschwankungen, sondern, wie der Wirtschaftsminister nach meiner Ansicht mit Recht gesagt hat, nur Strukturschwankungen gibt. Daß das schon zu einer um 50 % höheren Bundesbezuschussung der Knappschaft führt, mag zeigen, welche Auswirkungen einmal eine wirkliche konjunkturelle Krise für die Sozialversicherungsträger haben kann. Wer sich die prekäre Lage des Bundeshaushalts und alle auf uns zukommenden Belastungen deutlich macht, weiß, was ein Kassendefizit von Milliarden bedeutet.
Meine Herren und Damen, es gibt keine Mittelzone zwischen Stabilität und Unstabilität, wie es auch keine Halbdynamik oder Halbautomatik gibt. Insofern sind die Forderungen der Sozialdemokratischen Partei nach einer vollen Automatik von ihrem Standpunkt aus verständlich. Ich stehe dagegen auf dem Standpunkt, daß wir eine volle Stabilisierung brauchen.
Bei aller sachlichen und verantwortungsbewußten Kritik - das möchte ich heute noch einmal sagen - handelt es sich um einen Hinweis auf langfristig wirkende Gefahren, nicht um einen Hinweis auf Probleme des Tages. Der Wandel unserer Haushaltslage heute und morgen ist offenbar. Ein Durchdenken aller Finanzfragen, der Geldwertprobleme, der Kreditpolitik und der Konjunkturtendenzen kann diese Problematik nur unterstreichen. Ich hoffe, daß wir darin einig sind, daß eine staatspolitische Aufgabe darin liegt, alle Krisenentscheidungen, die währungspolitisches Gewicht haben, so ernst wie möglich zu bewerten. Man mag es bedauern, daß wir auf Grund des Gesetzes alljährlich eine Grundsatzdebatte führen müssen; ich bedaure sie nicht und finde sie nicht unangenehm, weil sie uns eben jedes Jahr an die Verantwortung mahnt, die das Parlament hat und die niemand dem Parlament und den Regierungsparteien abnehmen kann.
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Nun möchte ich zum Inhalt der Novelle der Freien Demokratischen Partei noch einige Bemerkungen machen und einige Fragen ansprechen, die bisher weder von der Opposition noch von meinen Freunden aus der CDU/CSU behandelt worden sind.
Das Prinzip des FDP-Antrags halte ich für richtig. Es besteht darin, die allgemeine Bemessungsgrundlage durch Gesetz festzulegen und die im Gesetz verankerten Bremsen anzuziehen. Wie man bei einem modernen Wagen mit mehr Pferdestärken stärkere Bremsen braucht, braucht man sie gerade bei einer so modernen Rentengestaltung.
Die Anwendung der Rentenautomatik - das wird heute nicht zum erstenmal von mir gesagt; ich habe schon bei der Rentendebatte darauf hingewiesen - ist deshalb als eine ungute Lösung anzusehen, weil sie auf die Dauer nur ungerechte und damit unsoziale Anpassungen ermöglicht. Deshalb sollten wir zur gegebenen Zeit - wenn die Bilanz vorliegt - über diese Dinge sehr sorgfältig sprechen und sehr sorgfältig abwägen, wann und inwieweit wir sie ändern können. Ich sage ausdrücklich: wann. Bei mir häufen sich Ordner in solcher Höhe mit lauter Anfragen und Problemen, die zu einer Novelle der Rentenreform führen müssen. Es ist ,gar kein Wunder, daß bei einem so umfassenden Gesetz, das unter solchem Zeitdruck entstanden ist, viele Einzelfragen überprüft werden müssen. Ich bin überzeugt, daß das im Ministerium und bei den Kollegen, die als rentensachverständig gelten, genauso ist.
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- Ich bin der Meinung, daß wir uns gemeinsam an der Novellierung zu gegebener Zeit mit dem gegebenen Ernst beteiligen" müssen. Ich bin nicht dafür, Novellen einzubringen, über die man zum Fenster hinaus spricht, weil uns allen bekannt ist, Herr Kollege Schellenberg, daß wir sie im Sozialpolitischen Ausschuß einfach gar nicht mehr als Gesetze beraten können, wenn wir die Krankenversicherungsreform noch vollenden wollen
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und die Unfallversicherungsreform auch verabschieden wollen.
Trotzdem bin ich der Freien Demokratischen Partei für den Hinweis auf das Notwendige dankbar. Es ist keine Erfindung von Ihnen. Wir alle haben ja über diese Dinge immer wieder gesprochen. Sie können nachlesen, daß das auch bei der Rentendebatte und beim ersten Anpassungsgesetz von mir deutlich gesagt wurde. Nur die Frage des Wann und der Verantwortung wird anders beurteilt, wenn man auf den Oppositionsbänken sitzt. Das sollte man gerechterweise anerkennen.
Das Wachstum unseres Sozialhaushalts ist das ,einzige, was ich mit Gewißheit voraussagen kann. Daß die Gleichbehandlung aller Staatshilfen der sozialen Gerechtigkeit entspricht, wird niemand bestreiten.
Der Kollege Schellenberg hat zu .Frau Friese-Korn gesagt, von Katastrophe könne noch keine Rede sein. Da stimme ich ihm zu. Aber von einer bedenklichen Entwicklung in bezug auf die Zukunft muß die Rede sein, Kollege Schellenberg, auch wenn Sie und andere es wegen der heute günstigen Entwicklung nicht gern aussprechen wollen. Das kann ich sogar verstehen.
Daß die für die Bestandsrenten geltende Festsetzung der Bemessungsgrundlage eine entscheidende Rolle spielt, gestehe ich den Freien Demokraten zu. Ob allerdings eine Veränderung erst im § 32 bei einer Veränderung der Bruttoarbeitsverdienste um 10 % nicht dazu führen würde, daß die Schere noch viel weiter klafft, bitte ich doch sehr ernsthaft zu prüfen und zu bedenken. Ich glaube, Sie haben es sich in diesem Punkt mit der Forderung nach einer Novellierung ein wenig leicht gemacht.
Alle Parteien und alle Mitglieder dieses Hauses, aber auch die vielen Mitarbeiter draußen in der Bundesrepublik, die dieses 'Problem als Rentenberater, noch mehr aber als Vertrauenspersonen der
Rentenversicherung immer wieder behandeln müssen, werden uns recht geben. Ich sage „uns", weil ich weiß, daß in der CDU/CSU eine große Anzahl von Kollegen - ich glaube, es ist die überwiegende Mehrheit - vorhanden sind, die in Übereinstimmung mit mir die Begrenzung bei einer beitragsgerechten Rente für unmöglich halten. Ich meine, daß eine solche Grenze dem Versicherungsprinzip genauso widerspricht wie die Gestaltung der Rentenformel und ihre Begründung. Man belohnt also nicht, sondern bestraft denjenigen, der hohe Beiträge gezahlt hat, der. fleißig gewesen ist, mehr gearbeitet und mehr gezahlt hat. Diese Begrenzung wirkt demoralisierend und ist sozial ungerecht.
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Ich bin überzeugt, daß es keines Appells bedarf und daß die jetzt vorliegenden Ergebnisse und die uns in wenigen Wochen bekanntwerdenden Zahlen beweisen werden, daß diese Änderung finanziell tragbar ist.
Lassen Sie mich wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Änderung nur kurz sagen, daß die Aufhebung der Begrenzungsvorschriften in der Angestelltenversicherung nach dem heute vorliegenden Material nicht einmal 100 Millionen DM ausmachen würde; dieser Preis für die Verwirklichung der sozialethischen Forderung, die Ansprüche an die geleisteten Versicherungsbeiträge anzupassen, ist sehr niedrig.
Wichtig ist - das darf ich den Kollegen von der freien demokratischen Fraktion zu ihren Anträgen noch einmal sagen - auch folgendes. Jede Novellierung wird eine mehr oder weniger lange Anlaufzeit mit sich bringen, und zwar nicht nur eine Anlaufzeit für die Erstellung der technischen Bilanz; die Versicherungsträger selber brauchen eine Anlaufzeit für die Bearbeitung der Unterlagen und die notwendigen Überprüfungen.
Das Unbehagen über die Regelung ist jedoch nicht nur bei einzelnen Gruppen in diesem Hause vorhanden. Es wird sich zeigen, daß Opposition und Koalition eines Tages Farbe bekennen müssen und nicht zulassen können, daß bei steigenden Beiträgen Leistungen gemindert werden.
Dazu ein praktisches Beispiel, das ich eigentlich von den Antragstellern erwartet hätte. Die allgemeine Bemessungsgrundlage wird für die Versicherungsfälle, die 1960 eintreten, in beiden Versicherungen - in der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung - auf 5072 DM und in der Knappschaftsversicherung auf 5126 DM festgesetzt. Da die Beitragsbemessungsgrenze das Doppelte beträgt, ergibt sich für 1960 eine Beitragsbemessungsgrenze für Monatsbezüge von 850 DM. Da das den Anfangsbetrag der letzten Beitragsklasse um mehr als 50 DM übersteigt, ist eine neue Beitragsklasse mit einem Anfangsbeitrag von mehr als 825 DM und einem Monatsbeitrag von 119 DM anzufügen. Daß der bisherige Beitrag von 112 DM damit ab 1. Januar 1960 dynamisch auf 119 DM steigt, ist im Hinblick auf die Abschneidung der sich daraus ergebenden Leistungen von niemandem, auch nicht von der Regierungspartei und vom Arbeitsminister, zu verantworten, auch wenn er vorläufig zu diesem Problem geschwiegen hat.
Die genaue Zahl der auf einen der in Art. 2 § 33 des Angestelltenversicherungsgesetzes vorgeschriebenen Höchstbeträge begrenzten Renten wird noch vor dem Jahresende bekannt sein, sobald die zum Zwecke der sich aus dem Zweiten Rentenanpassungsgesetz ergebenden Umstellungen notwendigen Lochkarten von der Post zurückgegeben sind. Man kann aber schon nach dem bisherigen Material sagen, daß der größte Teil der Versichertenrenten mit einem Umstellungsbetrag von monatlich 450 DM und der .Witwenrenten mit einem Umstellungsbetrag von 270 DM und mehr zu den begrenzten Renten gehört. Die Bestandsstatistik der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Stand April 1957, zeigt diese Zahlen, die ich hier wegen des Zeitdruckes nicht vorlesen möchte, allen interessierten Personen deutlich.
Die auf die Zugangsrenten anzuwendende Begrenzungsvorschrift des § 32 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes hat, was den Anteil der begrenzten Renten am gesamten Zugang betrifft, ungleich größere und andere Auswirkungen als die soeben erwähnte Begrenzung der Höchstbeträge. Hier zeigt sich in der Rentenzugangsstatistik, daß von den Versichertenrenten an Männer 23,9 %- in der Statistik ist ein Druckfehler, ich nenne die richtige Zahl -, von den Frauenrenten 2,5 % und von den Witwenrenten 23,4 % der nach der neuen Rentenformel berechneten Renten betroffen sind. In den Zugangsrenten des Jahres 1958 werden Sie dieselbe Tendenz haben.
Ich wollte mich auf diese ganz geringen und keineswegs erschöpfenden Darstellungen zu den drei anstehenden Problemen - Sozialbericht, Rentenanpassungsgesetz und Anträge der Freien Demokratischen Partei - beschränken.
Abschließend möchte ich sagen, daß das ideale sozialpolitische Ziel eben nicht realisierbar ist ohne nüchterne Klarstellung der finanziellen Auswirkungen in Gegenwart und Zukunft, daß es nur erreicht wird bei Kenntnis der Probleme des Haushalts und der voraussichtlichen Entwicklung der Volkswirtschaft. Die Einsichten, die hier bei den Beratungen schon deutlich wurden und die, wie ich weiß, in diesem Hause wachsen werden - wachsen bei Freund und Feind der Rentenformel -, werden durch die technische Bilanz des Bundesministers für Arbeit, um deren beschleunigte Herstellung wir nur immer wieder bitten können, weiter wachsen.
Ich bitte daher, daß bei der Rentendebatte in Zukunft aufgehört wird, diejenigen zu kritisieren, die die Folgen des Abgehens von der Kapitaldeckung, die Folgen des Nichtvorhandenseins der klaren Rechenhaftigkeit immer wieder aus großer Verantwortung deutlich gemacht haben.
Daß wir in Zeiten der Vollbeschäftigung auf dem Wertpapiermarkt nicht mehr festverzinsliche Papiere für die Angestelltenversicherung kaufen können, wird den Herrn Wohnungsbauminister und alle, die den Familienheimbau im sozialen WohFrau Kalinke
nungsbau fördern wollen, aber auch alle, die das Eigentum in Arbeitnehmerhand fördern wollen, sehr bedenklich stimmen müssen.
Die Fraktion der Deutschen Partei wird der Überweisung des Rentenanpassungsgesetzes in den Sozialpolitischen Ausschuß zustimmen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Im Auftrage meiner Fraktion möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf ein Einzelproblem lenken, das wir im Zusammenhang mit der Rentenanpassung für wichtig halten und das ich deshalb trotz der vorgeschrittenen Zeit hier heute in der ersten Lesung noch kurz anschneiden möchte. Wir haben uns in diesem Hause schon des öfteren damit beschäftigt, ohne daß wir bislang - wir bedauern das sehr - zu einer befriedigenden Lösung dieses Problems gekommen sind. Es handelt sich um die sehr leidigen Anrechnungsbestimmungen.
Die Anrechnungsbestimmungen sahen bisher vor - in § 7 des Zweiten Rentenanpassungsgesetzes hat diese Regelung erneut ihren Niederschlag gefunden -, daß erhöhte Rentenleistungen aus der Sozialversicherung - die wir auf Grund der Entwicklung heute festlegen - auf andere Sozialleistungen angerechnet werden. Davon betroffen sind, wie Sie, meine Damen und Herren, wissen, besonders die Empfänger aus der Kriegsopferversorgung, dem Lastenausgleich und der Fürsorge.
Bereits im vergangenen Jahre, bei der Verabschiedung des Ersten Rentenanpassungsgesetzes, haben wir in der Debatte darauf hingewiesen, daß der Staat mit einer solchen Regelung widersprüchlich handelt: mit der einen Hand gibt er, und mit der anderen Hand nimmt er, nämlich die erhöhten Leistungen aus der Rentenanpassung bei den anderen von mir erwähnten Sozialleistungen. Dieser Personenkreis spürt also praktisch nichts von der Anpassung der Renten, die wir auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung vornehmen wollen. Angesichts der Preisentwicklung insbesondere in den letzten Monaten brauche ich nichts darüber zu sagen, wie sehr gerade dieser Personenkreis einen Ausgleich für die- erhöhten Lebenshaltungskosten braucht.
Die Anrechnungsbestimmungen, die von den Betroffenen immer wieder als so hart empfunden werden und die - ich möchte das in diesem Zusammenhang noch einmal sagen - auch der Herr Bundeskanzler vor der Wahl als so unangenehm bezeichnet hat, daß er sie geändert haben wollte,
({0})
beweisen immer wieder die Fragwürdigkeit unseres Sozialleistungssystems und beweisen auch, daß, die Teillösungen, die wir leider statt der versprochenen umfassenden Sozialreform immer wieder schaffen, in keiner Weise aufeinander abgestimmt sind. Diese
Tatsache - und das ist mit der Grund, weshalb wir
diese Frage schon in der ersten Lesung anschneiden
- wird besonders deutlich, wenn wir an die Situation in der Kriegsopferversorgung denken. Mir ist nicht ganz klar, wie der Herr Bundesarbeitsminister mit dieser Frage fertig werden will, ohne die betroffenen Kriegsopfer allzu hart zu treffen und ohne von den durchführenden Behörden ein Übermaß an Berechnungs- und Verrechnungsarbeit zu verlangen.
Trotz unseres Antrags im vergangenen Jahr, die Anrechnungsbestimmungen ganz fallenzulassen, und trotz unseres Alternativantrags, die Anrechnungsbestimmungen so lange auszusetzen, bis die Leistungen der übrigen Sozialgesetze verbessert worden seien, blieben Sie, meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, durch ihre verneinende Haltung damals bei der Regelung, die Anrechnungsbestimmungen des 1. Rentenanpassungsgesetzes am 1. Juni 1959 in Kraft treten zu lassen. Sie lehnten unseren Alternativantrag mit der Begründung ab, daß man alles das nicht nötig habe, daß man die Unterhaltsbeihilfe, daß man die Renten aus der Kriegsopferversorgung so schnell wie möglich nachziehen würde. Herr Kollege Stingl, der dazu sprach, erklärte - Sie werden sich sicher noch daran erinnern -, daß im Frühjahr dieses Jahres eine Neuordnung der Kriegsopferversorgung kommen werde
({1})
und daß man dabei alles ausbügeln wolle. Wir alle haben im Fruhjahr vergeblich auf den Gesetzentwurf gewartet. Wir wissen nun, daß es der Wille der Regierungskoalition und der Wille der Bundesregierung ist, daß eine Verbesserung der Leistungen der Kriegsopferversorgung erst am 1. Juni 1900 in Kraft treten soll.
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- Darf ich erst einmal weiter ausführen, was ich zu meinem Thema zu sagen habe.
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Meine Damen und Herren! . Im Hinblick darauf, daß wir uns dem Wochenende nähern, wäre es wohl gut, die Verhandlungen zu beschleunigen, indem man die Redner, zumal wenn es sich um eine Dame handelt, nicht allzuoft unterbricht.
Ich danke Ihnen. - Ich möchte zunächst - ({0})
- Lassen Sie mich doch erst einmal meinen Satz zu Ende führen! Ich möchte zunächst über das Problem der Kriegsopferversorgung sprechen, das wahrscheinlich erhebliche Schwierigkeiten machen wird. Hier hat sich folgendes ereignet. Offensichtlich unter dem Eindruck der optimistischen Meinung, daß der Bundesminister für Arbeit den Gesetzentwurf zur Kriegsopferversorgung schon im Frühjahr
dieses Jahres vorlegen könne, hat das Bundesarbeitsministerium die Länder durch Rundschreiben angewiesen, die Anrechnungsbestimmungen in der Kriegsopferversorgung vorläufig nicht anzuwenden, um - das ist aus der Beantwortung unserer Kleinen Anfrage hervorgegangen - eine doppelte Berechnung und Verrechnung und wahrscheinlich auch eine allzu große Beunruhigung des betroffenen Personenkreises durch eine doppelte Berechnung zu vermeiden.
Was soll nun eigentlich werden? Wie soll diese Frage geregelt werden? Soll den Kriegsopfern, obwohl sie nach Ihrem Willen erst ab 1. Juni 1960 eine Verbesserung ihrer Leistungen erfahren sollen, rückwirkend vom 1. Juni 1959 diese 6,1%ige Erhöhung aus der Rentenanpassung wieder wegkassiert werden, oder wie soll das geschehen?
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Ich glaube, sowohl die Betroffenen als auch wir hier im Parlament haben ein Recht darauf, ein klärendes Wort vom Herrn Bundesarbeitsminister zu hören, wie er sich die Regelung dieser Frage vorstellt.
Auch bei der Beratung der Kriegsopferversorgung im Bundesrat wurde darauf aufmerksam gemacht und wurden die Schwierigkeiten dargestellt, die sich aus dieser Situation ergeben können. Ich frage mich wirklich, ob es, wie der Herr Bundesarbeitsminister vorhin bei der Begründung der Gesetzentwürfe angeführt hat, wirklich möglich sein wird, daß die Versicherungsträger dabei nicht eingeschaltet zu werden brauchen.
Viel mehr aber bewegt mich die Frage: Wie sollen die Kriegsopfer dabei behandelt werden? Soll ihnen das, was ihnen schon jetzt nicht angerechnet wurde, rückwirkend ganz wieder weggenommen werden?
Zum Abschluß muß ich noch einmal - ich kann es Ihnen leider nicht ersparen - auf das zurückkommen, was der Herr Bundeskanzler vor der Bundestagswahl 1957 wortwörtlich zu diesen Bestimmungen über die gegenseitige Anrechnung gesagt hat:
Es muß unter allen Umständen vermieden werden, daß die vorgesehenen Verbesserungen durch eingehende Anrechnungsvorschriften in vielen Fällen kaum zur Auswirkung kommen.
Im Sinne des Schreibens des Herrn Bundeskanzlers werden wir in die Beratungen des Ausschusses gehen. Wir würden uns freuen, wenn wir Sie bei den Beratungen auf unserer Seite hätten und - ich muß auch das in diesem Zusammenhang sagen - auch auf der Seite der Versprechungen des Herrn Bundeskanzlers.
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Das Wort hat der Abgeordnete Meyer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe - ich mache mich zum Dolmetscher für zwei Millionen
Rentner -, die Aufmerksamkeit des Hauses auf die „kleinen Renten" zu lenken. Ich denke dabei nicht an die Renten, wie sie jetzt - ich möchte sagen: hunderttausendfach - auf Grund der harten Bestimmungen des § 41 zu Kleinstrenten von 3, 4 und 5 Mark gemacht werden. Darüber will ich hier nicht sprechen, obwohl dieses Problem die Gemeinden, die den § 41 ausführen müssen, in immer stärkerem Maße beschäftigt. Wegen der Kürze der Zeit muß ich das ausklammern.
Hier geht es um die weitere Zurücksetzung der niedrigen Renten, insbesondere der Renten von ungefähr zwei Millionen Rentnern, die einen Sonderzuschlag erhalten haben. Auch das Zweite Rentenanpassungsgesetz schließt den Sonderzuschlag von 21 bzw. 14 DM für die Witwen von der Erhöhung aus. Dabei müssen nach der Meinung der Mehrheit unseres Volkes gerade diese niedrigen Renten erhöht werden. Denn der Lebensstandard dieser Millionen Rentner ist sehr niedrig und steht im Gegensatz zu der so gepriesenen wirtschaftlichen Lage in der Bundesrepublik. Die Betroffenen haben kein Verständnis dafür, daß die Rentenformel, also eine tote Formel es verhindert, ihre Renten insgesamt in die Erhöhung einzubeziehen, so daß das Gefüge der Renten noch weiter auseinandergerissen wird.
({0})
- Die alte Platte habe ich im „Spiegel" gelesen! Ich möchte wissen, worauf Sie sich berufen, wenn Sie behaupten, daß Sie im Namen der Rentner sprechen, und was Sie ihnen sagen werden, wenn die Rentenanpassung weiter verzögert wird. Ich möchte einmal den Rentner sehen, auf den Sie sich berufen bei Ihren Briefen an den Herrn Bundeskanzler!
({1})
Sie sagen, das sei eine alte Platte. Gut, ich werde gerade dieses Wort von der alten Platte draußen in den Rentnerversammlungen sehr deutlich herausstellen. Ich werde sagen, daß Sie es eine alte Platte nennen, wenn ich darauf hinweise, daß zwei Millionen Rentner in dieser Weise erheblich benachteiligt werden.
({2})
Sie haben sich da in einer Auffassung festgebissen, die von der Mehrheit Ihrer Fraktion nicht vertreten wird und nicht vertreten werden kann.
({3})
- Ich werde mich durch Ihre Zurufe auf keinen Fall davon abbringen lassen, dieses Problem erschöpfend zu behandeln.
Die Umstellung der 6,5 Millionen Altrenten hat eine sehr starke Verzerrung des Rentengefüges gebracht. Ich möchte die Auswirkung der Rentenumstellung, weil sie mit der hier zu behandelnden Frage aufs engste zusammenhängt, an Hand eines Beispiels aufzeigen. Ich gehe aus von zwei Renten, die vor der Umstellung ungefähr gleich hoch waren. Obwohl die eine Rente einen um ungefähr 6 DM höheren Steigerungsbetrag hatte, liegt sie heute
Meyer ({4})
nach der Rentenumstellung um 90 DM unter der anderen Rente. Der Rente mit dem um rund 6 DM im Monat höheren Steigerungsbetrag wurde der Sonderzuschlag von 21 DM hinzugerechnet, der jetzt in die jährliche Anpassung nicht einbezogen wird. Ich will Ihnen in Anbetracht der vorgerückten Zeit nicht das gesamte von mir durchgerechnete Zahlenmaterial unterbreiten; Sie würden es wahrscheinlich auch gar nicht so schnell nachrechnen können. Aber ich frage Sie: Mit welcher Berechtigung gibt man einem Rentner, der einen um rund 6 DM höheren Steigerungsbetrag hatte, nach der Rentenreform 90 DM weniger als einem anderen Rentner, der vorher den gleichen Rentenbetrag erhielt?
({5})
- Ich weiß nicht, Herr Kollege Ruf, warum Sie fortgesetzt unsere Redner stören, wenn sie hier einen Gedanken vortragen. Das ist nicht konziliant. Ich habe Sie sonst für einen Menschen gehalten, der einen guten Ruf hat.
({6})
Sie dürften sich ja auch nicht als ein Rufer in der Wüste fühlen, denn Sie geben sonst immer vor, ein Rufer in einem Garten Eden zu sein, in einem wirtschaftlich blühenden Land. Ich kann absolut nicht verstehen, daß Sie diesen meinen Gedankengängen, in denen ich mich mit dem Schicksal von 2 Millionen Rentnern befasse, nicht zugänglich sind und meine Ausführungen nicht in Ruhe anhören.
Herr Abgeordneter, es gibt nicht nur einen guten Ruf, sondern auch einen Zwischenruf.
({0})
Ausgezeichnet, ich möchte sagen, fast ein Epigramm!
Nach der schematischen Umstellung der Renten - ich verzichte darauf, das Zahlenmaterial anzuführen, das vor mir liegt - bekommt der Rentner mit einem höheren Steigerungsbetrag - diese Zahl muß ich nennen - 144,10 DM und der mit dem geringeren Steigerungsbetrag - allerdings weil er ab 1928 Frühinvalide war - eine Rente von 210 DM. Bei diesem kommt die Rente mit den vollen 210 DM jetzt in die Anpassung, und bei dem anderen wird vor der Anpassung der Sonderzuschlag von 21 DM ausgeklammert. Sie werden uns nicht ein einziges Argument beibringen können, warum Sie zu dieser Regelung kommen.
Ich möchte auch die Frage aufwerfen, warum Sie seinerzeit - es scheint mir paradox zu sein - diesen Sonderzuschlag gewährt haben, wenn Sie dabei nicht von der Voraussetzung ausgegangen sind, daß auch die Niedrigst- oder Kleinrenten, oder wie man sie sonst nennen will, an die wirtschaftliche Entwicklung, also an den „Garten Eden", Herr Kollege, angepaßt werden müssen. Ich sehe gar keine Erklärung dafür. Oder lag es vielleicht daran, daß Sie vor den Bundestagswahlen standen und damals ungefähr 1,5 bis 2 Millionen Rentner nicht vollkommen leer ausgehen lassen wollten? Meine sehr verehrten Kollegen, das ist absolut keine Frage zum Lachen. Wenn Sie die Fülle, die Hunderte von Zuschriften, die ich im Laufe einer Woche von diesen Rentnern bekomme, wenn Sie die Lebenslage dieser Millionen Menschen einmal anschauten, würde Ihnen das Lachen vergehen.
({0})
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern - um einen Begriff der kleinen Rente zu geben -, daß ja 600 000 Witwen der Arbeiterrentenversicherung - eine amtliche Zahl - eine Durchschnittsrente von 56,50 DM im ganzen Monat hatten. Mit dieser kleinen Rente haben die alten Witwen jahrelang vor der Rentenreform ein geradezu kümmerliches Leben in unserem Volk geführt.
({1})
Bereits bei der ersten Anpassung wurde also der Sonderzuschlag nicht berücksichtigt
Schauen wir uns einmal vernünftig und völlig ruhig an, welche Auswirkung die Rentenanpassung bei den niedrigen Renten hatte. Die erste Anpassung brachte dem Rentner mit der Rente von 100 DM, der eine feste Rente von 79 DM hatte, eine Rentenerhöhung auf 83 DM. Der Sonderzuschlag von 25 DM kam wieder hinzu. Seine ganze Rente betrug dann also 104 DM. Bei der jetzigen Rentenanpassung - es handelt sich um Millionen Renten - werden nur die 83,40 DM berücksichtigt. Sie würde sich also auf 88,80 DM erhöhen. Der Rentner würde demnach zusammen mit dem Sonderzuschlag nach dem Zweiten Rentenanpassungsgesetz jetzt 109,80 DM bekommen.
({2})
Würde seine Gesamtrente von 100 DM bei den beiden Rentenanpassungen erfaßt, hätte er ganze 3,60 DM mehr. Das mag für den einen oder anderen keine bedeutende Summe sein. Wenn Sie aber sagen „das ist nicht sehr viel", dann bitte ich, uns doch folgende Frage zu beantworten: Warum berücksichtigen Sie nicht diesen Sonderzuschlag, den Sie doch seinerzeit bewußt gegeben haben, um die Renten an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen? Der Sonderzuschlag von 14 DM, den also die alten Witwen mit den geringen Renten bekommen, würde sich bei der ersten Anpassung um 85 Pfennige und bei der zweiten Anpassung erneut um 88 Pfennige erhöhen. Ich frage Sie nun, meine geschätzen Damen und Herren, ob es sich lohnt, Millionen Rentner wegen solcher Beträge - 85 und 88 Pfennige - zu beunruhigen. Lohnt es sich, Unruhe in diese Schichten hineinzutragen, Rentner zu beunruhigen, die um sich herum ein ganz anderes Leben beobachten, ein Leben, dessen Kosten in gar keinem Verhältnis zu diesen ihnen vorenthaltenen 85 Pfennigen im ganzen Monat stehen?
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4796 Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode Meyer ({4})
Wegen solch geringer Beträge stößt man anderthalb bis zwei Millionen Rentner in diese Unruhe.
Vor einem Jahr gab es bei der gleichen Debatte Zwischenrufe. Es wurde uns vorgehalten, daß die betroffenen Rentner diese Niedrigrenten - ich zitiere wörtlich - „auf Grund eigenen Verschuldens" in Kauf nehmen müßten. Diese Bemerkung zeigt nach unserer Auffassung eine große Unkenntnis der Zusammenhänge. Nach meiner Kenntnis der Dinge gehört nur der kleinste Teil der diesem Kreis zugehörigen Menschen zu denjenigen, denen man diesen Vorwurf machen könnte. Im übrigen sind es frühere Landarbeiter, Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen, Hausangestellte, insbesondere Krankenschwestern und Rentner und deren Witwen, die jetzt die schwere Auswirkung zu tragen haben, weil sie in früheren Jahren ein geringes Arbeitseinkommen erzielt haben. Der Anlaß zu der Rentenreform 1957 war doch, daß wir nicht mehr von den nominellen Löhnen einer weit zurückliegenden Zeit ausgehen konnten, weil ein Zurückgehen auf diese nominellen Löhne eben Hungerrenten ergab.
Ich komme zum Abschluß und darf zur Erhärtung der vorher erwähnten Tatsachen noch einmal auf das hier schon des öfteren herangezogene Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz eingehen. Aus ihm ergibt sich der Beweis, daß es sich nicht um „eigenes Verschulden" handelt. Die in dieser Gesetzesvorlage veröffentlichten Tabellen für verschiedene Berufe und Zeiten hat die Bundesregierung doch nicht willkürlich aufgestellt; sie sind doch wohl auf sicherer mathematischer Grundlage errechnet worden. Schauen Sie sich diese verschiedenen Tabellen einmal an. Beispielsweise sollen für die in der Landwirtschaft Tätigen - von den Frauen der Landwirtschaft möchte ich gar nicht reden - in Zukunft die Beitragsklassen II und III, ja, sogar die frühere Beitragsklasse I angesetzt werden!
Ein weiteres Problem! Für Teilnehmer des ersten Weltkrieges wird die Lehrlingsklasse II mit 14 Pfennigen zugrunde gelegt für die 41/2 Jahre, in denen sie ihr Vaterland im Felde verteidigt haben. Das konnten wir bisher nicht in Ordnung bringen, eine Regelung ist an Ihrem Widerstand bereits im 1. Bundestag gescheitert. Wenn Sie sich die Tabellen Ihres eigenen Gesetzes einmal anschauen, werden Sie uns zugeben müssen, daß hier doch der bündige Beweis dafür erbracht ist, daß sich auch auf Grund dieser Tabellen bei den darin errechneten Renten wieder solche Niedrig- oder Kleinstrenten ergeben müssen.
Wir werden auf diese Frage selbstverständlich in den Ausschußberatungen zurückkommen. Wir werden dort bei der Beratung des Zweiten Rentenanpassungsgesetzes aus den verschiedenen Gründen, die ich die Ehre hatte, Ihnen vorzutragen - manchmal stecken, wie Sie als Kenner der Materie wissen, in diesen 21 DM ja nur 2, 3 oder 4 DM, die in die Anpassung einbezogen werden -, beantragen, endlich die gesamte umgestellte Rente in die Anpassung ,einzubeziehen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Gestern abend konnten Sie im Fernsehen eine große Demonstration der Beschäftigten ides öffentlichen Dienstes in Saarbrücken verfolgen.
({0})
Seit heute morgen ruht in den Verkehrs- und Versorgungsbetrieben aller größeren Städte des Saarlandes die Arbeit.
({1})
Das „leider", werte Kollegin, haben Sie zu vertreten.
Die Menschen wollten mit dieser Demonstration ihre Empörung über die beträchtlichen Kaufkraftverluste und über die Abwertung des sozialen Besitzstandes zum Ausdruck bringen, die durch die von der Mehrheit dieses Hauses in diesem Sommer beschlossenen Gesetze zur wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung des Saarlandes eingetreten sind.
({2})
- Herr Kollege, unsere Vorschläge zur Wahrung des Besitzstandes und zur Erhaltung der Kaufkraft der Arbeiter, Angestellten und Beamten des Saarlandes sind im Juni dieses Jahres von der Mehrheit des Hauses rücksichtslos niedergestimmt worden.
Weshalb bringe ich das hier vor? Ich muß feststellen, daß Sie diese Fehler anscheinend jetzt auch in diesem Gesetz wiederholen wollen. Ich habe an die Bundesregierung die Frage zu richten, wie sie dazu kommt, durch § 9 Abs. 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs eine beträchtliche Zahl von Ruhegeldempfängern des Saarlandes willkürlich von der Anpassung ausschließen zu wollen. Ich muß hier um die besondere Aufmerksamkeit des Herrn Bundesministers für Arbeit bitten; denn es handelt sich um eine Regelung, die nach Auffassung meiner Freunde einen Verstoß gegen die bestehenden Rechtsgrundlagen der Rentenversicherung darstellt, ja, die unter Umständen sogar verfassungsrechtlich mehr als bedenklich ist.
In der Begründung zu diesem Gesetzentwurf ist über die Frage, warum die Ruhegeldempfänger des Saarlandes, die bereits mit 60 Jahren eine Rente beziehen, diesmal erstmalig bei der Rentenanpassung nicht berücksichtigt werden sollen, nichts ausgesagt. Ich möchte nicht annehmen, daß den Verfassern des Gesetzentwurfs die Bedeutung dieses Personenkreises nicht bekannt ist.
Worum handelt es sich? Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur einen Absatz des entsprechenden saarländischen Gesetzes zitieren. Dieser Absatz lautet in allen Gesetzen für Arbeiter-, Angestellten -und auch KnappschaftsversicheKillat ({3})
rungsrenten im Saarland gleich. Es handelt sich um Versicherte,
die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes
- Juli 1957 -ihren ständigen Wohnsitz im Saarland und das 60. Lebensjahr vollendet hatten oder die bis zum 31. Dezember 1961 das 60. Lebensjahr vollenden.
Diese Versicherten können auf Antrag an Stelle des Altersruhegeldes nach Paragraph 1248 Abs. 1 RVO mit dem 65. Lebensjahr das Altersruhegeld einschließlich des Sonderzuschusses in Höhe von 2100 Franken im Monat nach dem vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Recht erhalten.
({4})
Herr Abgeordneter Killat, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Memmel?
Bitte!
Herr Abgeordneter Memmel!
Herr Präsident! Gestatten Sie, Herr Kollege, die Frage: um wieviel Personen handelt es sich bei denen, von denen Sie gerade sprechen? Um welche Anzahl geht es?
Herr Kollege, ich kann im Augenblick diese Personenzahl nicht nennen. Aber wenn die gleiche Regelung, wie wir sie im Bundesgebiet haben, gilt, wenn Versicherte vom 60. bis zum 65. Lebensjahr ein Altersruhegeld beantragen können, dann darf ich angesichts, der Morbidität, angesichts der Tatsache, daß fast 80 % der Frauen und etwa 60 % der Männer schon nicht mehr arbeitsfähig sind, ehe sie das 65. Lebensjahr erreichen, wohl annehmen, daß dieser Persononkreis nicht klein ist.
({0})
- Ich bedanke mich. ({1})
- Um 'so leichter dürfte es sein, diese Personen nicht unter eine Ausnahmebestimmung zu stellen, für die Sie überhaupt keine rechtliche Handhabe haben.
Man kann auch nicht sagen, daß hier ein Personenkreis anders behandelt werden solle, weil er einen anderen Rechtsstatus habe als etwa die Versicherten in der Bundesrepublik. Sie wissen, daß nach den gesetzlichen Bestimmungen nur die Steigerungsbeträge aus der Höherversicherung und nach den Übergangsvorschriften nur die Sonderzuschüsse aus der Anpassung auszunehmen sind. Für den Vorschlag, den Sie jetzt machen, haben Sie keine rechtliche Grundlage.
Die Bundesregierung hat zu dieser wichtigen( Frage keine Begründung gegeben. Ich möchte fast annehmen, daß der Grund dafür wohl mehr das schlechte Gewissen war oder wahrscheinlich auch der Mangel an Argumenten für eine ausreichende Begründung.
({2})
Es könnte natürlich auch sein, daß das der neue Stil im Hause des Arbeitsministeriums ist, ganze Personengruppen in einem Jahr - so war es im vergangenen Jahr - mit einer Anpassung gewissermaßen als Weihnachtsgeschenk zu beglücken und vielleicht im anderen Jahr - wie diesmal - strafend auszunehmen. Ich könnte auch fragen: wie soll es dann im nächsten Jahr werden? Wollen Sie diese Personen unter Umständen - ich könnte mir das im Hinblick auf das Wahljahr 1961 vorstellen - wieder einbeziehen? Ich darf ferner darauf hinweisen, daß sich dieser Personenkreis bis 1961 ständig vergrößern wird, weil die Bestimmung über die wahlweise Beantragung einer Rente bis 1961 gilt.
Aber auch sozialpolitisch gibt es für die Ausnahmebestimmungen keine Begründung, denn auch in der Bundesrepublik erhalten die Versicherten, die mit dem 60. Lebensjahr eine Rente beantragen - entweder wegen einjähriger Arbeitslosigkeit oder die Frauen, weil sie die Beschäftigung aufgeben oder aufgeben wollen -, eine Rente.
Ich weiß also nicht, aus welchem wichtigen Grunde diese saarländischen Rentner jetzt ausgenommen werden sollen. Man könnte allerdings argumentieren: es handelt sich um einen Personenkreis, um Altrentner, die man nicht in die Dynamisierung einbeziehen möchte. Aber dies Argument zieht nicht, denn auch bei uns können bis zum 31. Dezember 1961 die Renten wahlweise nach altem oder nach neuem Recht berechnet werden. Trotzdem werden in diesen Fällen diese Renten nicht von der Anpassung ausgenommen. Wenn man sich ferner der Tatsache bewußt ist, daß diese saarländischen Versicherten in der Regel einen kürzeren Versicherungszeitraum haben als etwa Altersrentner mit dem 65. Lebensjahr, daß es also nicht Empfänger von Höchstrenten sind, wird man auch aus sozialpolitischen Erwägungen nicht so wie vorgeschlagen verfahren können.
Aber auch im Hinblick auf die politische Entwicklung, die wir nun einmal nach der Eingliederung des Saarlandes sehen müssen, halten wir eine solche Maßnahme wirklich für mehr als unglücklich.
Ich muß an den Herrn Bundesminister für Arbeit, nachdem die Regierung keine Begründung gegeben hat, die Bitte richten, uns zu sagen, warum die Bundesregierung in Abweichung von der Regelung des Ersten Rentenanpassungsgesetzes nunmehr einen nicht unbeträchtlichen Personenkreis im Saarland von der zweiten Rentenanpassung ausschließen will. Ich halte die Antwort auf diese Frage für bedeutsam, denn der Sozialpolitische Ausschuß wird seine Entscheidung unter Berücksichtigung dieser Antwort zu treffen haben.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten uns vorgenommen, etwa um halb eins die Debatte zu beenden. Ich möchte mich bei denen, die jetzt noch über diese Zeit hinaus zuhören, bedanken. Mein Dank soll sich in der Form niederschlagen, daß ich besonders kurz auf die Dinge eingehe, die notwendigerweise beantwortet werden müssen.
Meine Damen und Herren, Sie werden denken: jetzt sagt er wieder etwas, was er fast immer am Anfang solcher Debatten sagt; es ist beinahe schon langweilig. Hier rechts ({0}) wird beinahe von einer drohenden Katastrophe gesprochen, und hier ({1}) wird gesagt, es ist alles außerordentlich gut gegangen, es wird also optimistisch gesprochen, und deshalb kommt von dort ({2}) die Forderung, zurückzudämmen, und von dort ({3}) die Forderung, noch über das Bisherige hinauszugehen. Wir sagen wieder: Hier ({4}) war Sachverstand und auch dort ({5}) war Sachverstand. Wir selber haben ebenfalLs ein bißchen Sachverstand. Da die beiden Auffassungen hüben und drüben so stark auseinandergehen, scheint uns die Mitte einigermaßen richtig zu sein. Die Mitte, die wir vertreten, ist das, was die Bundesregierung vorgeschlagen hat, nämlich mit Wirkung vom 1. Januar 1960 die Anpassung des Rentenbestandes an den Rhythmus vorzunehmen, in dem sich die allgemeine Bemessungsgrundlage verändert hat.
Meine Fraktion unterstreicht - ich lege Wert auf diese Feststellung -, was der Herr Minister selbst gesagt hat: daß das keineswegs eine Präjudizierung für alle Zukunft sein darf und sein soll. Wir werden jedes Jahr erneut prüfen müssen, ob die vom Gesetz bestimmte Anpassung bei Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage in der gleichen Höhe, in der sich die allgemeine Bemessungsgrundlage verändert hat, vorgenommen werden kann oder ob die anderen Faktoren, die wir in Abänderung des ursprünglichen Regierungsentwurfs bewußt ins Gesetz hineingeschrieben haben, die Anpassung in einer anderen Höhe vorschreiben.
Sie wissen, daß uns der Sozialbericht darüber Auskunft gibt, wie sich das Volkseinkommen verändert, wie sich die Produktivität gewandelt hat und wie die allgemeine Wirtschaftsentwicklung gewesen ist. Nach den Erkenntnissen, die aus diesen Werten gewonnen werden, wird die Anpassung jedes Jahr durchgeführt werden. Wir wehren uns also dagegen, daß auf irgendeine Weise der Rentenbestand automatisch immer wieder mit der allgemeinen Bemessungsgrundlage steigt. Wir hatten wohlerwogene Gründe dafür, das ursprüngliche Konzept der Bundesregierung in diesem Punkt zu ändern. Wer zum erstenmal Rentner wird, hat ein Recht darauf, daß sein letzter Lohn die Bezugsgröße für seine Rente ist. Wer schon Rentner ist, hat ein Recht darauf, an der allgemeinen volkswirtschaftlichen Entwicklung teilzunehmen; aber die umfaßt nicht nur die Entwicklung der Löhne und Gehälter, sondern auch noch viele andere Faktoren.
({6})
- Sie sagen jetzt, Herr Mischnick: „Sehr richtig!" Aber nun kommt, was ich zu Ihrem Gesetzentwurf, dem Gesetzentwurf der FDP, zu sagen habe. Sie wollen nun plötzlich die Rente desjenigen, der jetzt Rentner wird, nicht mehr nach seinem bisherigen Lohneinkommen bemessen, sondern Sie wollen durch Gesetz jedes Jahr die allgemeine Bemessungsgrundlage festlegen, damit also die Lohnbezogenheit jedes Jahr vom Gesetzgeber abhängig machen. Sie übernehmen zwar die Definition der allgemeinen Rentenbemesungsgrundlage, lassen die gültige Definition stehen, sagen aber im selben Satz, daß neben diesen Werten, die mathematisch festliegen, noch andere Werte zu berücksichtigen sind. Das zerstört die Konzeption des Rentengesetzes. Wenn Sie das wollen, Herr Kollege Mischnick, meine Damen und Herren von der Fraktion der FDP, dann müssen Sie auf ein Kapitaldeckungsverfahren zurückgehen, dann können Sie nicht bei der lohnbezogenen Rente bleiben.
Ihr Vorschlag hat die Auswirkung, daß das Gesetz in seiner jetzigen Konzeption nicht durchgeführt werden kann; denn Sie können nicht jemandem zumuten, daß er, wenn Löhne und Gehälter steigen, seine Beiträge erhöht, weil er von einem höheren Einkommen Beitrag zahlt, wenn Sie ihm dann, wenn er Rentner wird, sagen: Die letzte Steigerung deines Einkommens und deines Beitrages interessiert uns nicht, weil sie nicht über 10 % hinausgegangen ist; aber auch wenn sie höher als 10 % war, werden wir erst noch prüfen, ob die allgemeine volkswirtschaftliche Entwicklung mitgegangen ist. Sie würden damit dem Beitragszahler der Zukunft etwas zumuten, was ihm einfach nicht zugemutet werden darf.
({7})
- Nein, hier ist keine Mitte zu finden. Die Mitte ist bei dem, was ich vorhin sagte: Wenn jemand Rentner wird, dann hat sein Lohn der Maßstab dafür zu sein, wie hoch seine Rente ist. Wenn er Rentner ist, dann hat er ein Recht, an der allgemeinen volkswirtschaftlichen Entwicklung teilzunehmen. Das ist das einzige, was gerechtfertigt ist.
({8})
Nun ein Wort zu der sehr optimistischen Beurteilung, die Sie, Herr Kollege Schellenberg, gegeben haben. Ich teile Ihre Grundüberlegung, daß wir keineswegs von einer Katastrophe reden müssen. Ich bin sogar der Meinung, daß wir im Augenblick noch nicht einmal von einer sehr ernsten Überlegung sprechen müssen. Aber, Herr Kollege Schellenberg, wir sind es unserer Verantwortung schuldig, nicht nur die Gesamtsumme zu sehen, sondern auch einmal in die Entwicklung bei einzelnen Landesversicherungsanstalten hineinzuleuchten.
({9})
- Ich weiß, wir haben selbstverständlich ein Gemeinlastverfahren. Aber wenn wir uns einen Maßstab für die Beiträge überlegen, sollten wir auch
einmal nachsehen, wie die Zusammenhänge in den einzelnen Landesversicherungsanstalten sind.
Meine bisherigen Ausführungen enthielten die grundsätzliche Stellungnahme zu den Gesetzentwürfen der Regierung und der FDP.
Nun noch einige besondere Anmerkungen. Teilweise ist das, was ich jetzt sagen will, bereits zur Sprache gekommen. Wenn ich auch glaube, daß nicht alles in die erste Lesung gehört, so habe ich, wenn ich diese Fragen beantworte bzw. neu stelle, doch die Hoffnung, daß wir im Ausschuß wenigstens über diesen oder jenen Punkt früher hinwegkommen. Die Kollegen, die nicht zum Sozialpolitischen Ausschuß gehören, mögen mir das verzeihen.
Der Vorschlag der Bundesregierung sieht eine Anhebung der Höchstgrenze vor. Ich begrüße das außerordentlich. Vor etwa zwei Jahren, etwa im Februar 1958, habe ich an dieser Stelle zu den Höchstgrenzen gesprochen. Ich möchte der Regierung ausdrücklich dafür Dank sagen, daß sie einen Modus gefunden hat, durch den diejenigen, denen wir die Renten abgeschnitten haben, jetzt an der Anpassung ebenfalls teilhaben, indem auch ihre Renten angehoben werden. Im Hintergrund bleibt immer noch, daß wir uns vielleicht einmal Gedanken darüber machen müßten, wie wir eine noch bessere Regelung finden könnten.
Im übrigen möchte ich mir eine Anmerkung der Regierung gegenüber gestatten. Die Regelung der Sonderrenten, der Renten, die beim Zusammentreffen mit Unfallrenten als Rententeil gezahlt werden, ist nach meiner Meinung nicht ganz befriedigend. Ich werde mir erlauben, im Ausschuß besonders darauf zurückzukommen.
Einige Sorge macht mir, wie ich gestehe, die Tatsache, daß die verschiedenen Kindergelder jetzt doch das Verrechnungssystem der Landesversicherungsanstalten und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erschweren. Auch darüber werden wir uns im Ausschuß unterhalten müssen.
Aber nun zu der Kritik, die Herr Kollege Meyer, Frau Korspeter und Herr Kollege Killat am Regierungsvorschlag geübt haben!
Die Anrechnungsbestimmungen haben im Grunde genommen - wie oft soll man das eigentlich noch sagen? mit unseren Rentengesetzen gar nichts zu tun. Wir legen hier fest, welche Ansprüche ein Rentner gegenüber den Rentenversicherungsanstalten hat. Alle anderen Fragen, auch die der Anrechnungsbestimmungen, müssen in den zuständigen Gesetzen geklärt werden.
Wir vermerken dankbar, daß im Hohen Hause rechtzeitig ein Gesetz verabschiedet wurde, durch das den Vertriebenen die Leistungen aus dem Lastenausgleichsgesetz voll, d. h. ohne Anrechnung, gewährt werden. Wir wissen, daß auch bei den Fürsorgeleistungen an verschiedenen Stellen Aushilfe geschaffen worden ist. Wir bedauern außerordentlich, daß die Verzögerung der Kriegsopferversorgungsnovelle durch Einflüsse, die nicht immer nur in diesem Hause massiv wirkten, uns nicht dazu gebracht hat, im Juni, wie es die Regierung vorgeschlagen hatte, eine Änderung durchzuführen.
({10})
- Das war im Regierungsentwurf drin! Man darf aber nicht diesen Regierungsentwurf dort, wo Rosinen in dem Teig sind, zerpflücken, die Rosinen herausnehmen und im übrigen mit den Rosinen aus einem anderen Kuchen zusammenbacken. Rosinen halten nur dann, wenn auch ein Teig drumherum ist.
({11})
Hätten wir die Vorlage des Arbeitsministers schneller durchgezogen, wäre das Problem in diesem Zusammenhang nicht aufgetreten.
({12})
- Sie haben ja gar nicht dazu mitgeholfen, daß das
passierte!
({13})
- Sie wissen ja, was alles in der Zwischenzeit gewesen ist.
({14})
Herr Kollege Meyer, Sie haben die Frage der Kleinstrenten angeschnitten. Wir wissen, daß es sehr kleine Renten gibt. Wir wissen noch mehr. Wir wissen, daß es in Zukunft sogar noch kleinere Renten geben kann, als sie bisher gezahlt wurden. Aber, Herr Kollege Meyer, man kann nicht von einem System, das auf die Höhe des Arbeitseinkommens Bezug nimmt und dieses Arbeitseinkommen in Beziehung zu den damaligen Durchschnittseinkommen setzt, zugunsten von Mindestrenten abgehen, es sei denn, man sei der Meinung, daß man alle Renten nivellieren müsse. Wenn Sie das wollen - ({15})
- Ja, genau diese zwei Beispiele waren es, die mich zu dieser Stellungnahme veranlaßt haben, Herr Kollege Meyer, Sie haben nämlich vergessen, das zu erläutern. Ich habe gespannt und gespannt und gespannt, was Sie gegeneinandersetzen, und dann kam es - ganz zum Schluß haben Sie es gesagt -: „und dies, obwohl der Zweite schon sehr früh Invalide wurde" oder ähnlich. Genau deshalb hat er nämlich die höhere Rente, weil wir ein soziales Gesetz gemacht haben, wonach derjenige, der vor Erreichen des 55. Lebensjahres Invalide wird, so gestellt wird, als ob er noch bis zum 55. Lebensjahr weitergearbeitet hätte. Ihre beiden Beispiele zeigen ganz deutlich, daß derjenige, der jetzt die niedrigere Rente hat, in seinem Einkommen und damit in seinen Beiträgen wesentlich unter demjenigen gelegen haben muß, der jetzt die höhere Rente mit Anpassung bekommt.
Sie haben sich dagegen gewehrt, daß diese Sonderzuschläge nicht mit angepaßt werden. Ich glaube, Ihr Angriff dagegen ist ungerechtfertigt; denn diese Sonderzuschläge sind eben nicht aus dem Prinzip entstanden, dem die ganze Rentenreform ihre Begründung entnimmt, nämlich aus der
Lohnbezogenheit. Diese Zuschläge von 21 oder 14 DM oder der kleinere Betrag, der bei einigen übriggeblieben ist, sind eine Zulage ohne Beziehung auf das Arbeitserlebnis gewesen. Wenn wir jetzt wegen des Arbeitserlebnisses anpassen, können wir diese 21 oder 14 DM, diese Sonderzuschläge eben nicht mit anpassen.
Eine andere Frage haben Sie dabei vergessen, Herr Kollege Meyer. Es wird einem nämlich dabei folgendes Problem bewußt: Es wäre durchaus möglich, daß bei den doppelberechneten Renten seit 1957 die angehobene „Neuberechnung" über die „Altberechnung" hinauskommen könnte. Wir müßten einmal prüfen, ob sich nicht solche Fälle ergeben, in denen dann die Erstberechnung mit Anhebungen günstiger ist als die Zweitberechnung mit Sonderzuschlag. Darüber können wir reden und diese Angelegenheit einmal überprüfen.
Nun zu der Frage der Ruhegeldempfänger des Saarlandes, zu der Sie, Herr Kollege Killat, gesprochen haben. Sie haben nur eins versäumt: Sie haben versäumt, dazuzusagen, daß das keineswegs die 60- oder 61jährigen Rentner sind, die wir in der Bundesrepublik kennen, nämlich diejenigen, die nach unserem Gesetz ein Jahr arbeitslos gewesen sind. Das sind vielmehr Sechzigjährige, die sich in freier Wahl dafür entschieden haben, Rentner zu werden. Sie haben einen Vorteil, den ihnen das Gesetz bot, ausgenützt. Jetzt können sie nicht den damit verbundenen Nachteil plötzlich wegdiskutieren.
Herr Kollege Stingl, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr, Herr Präsident.
Herr Kollege Stingl, ist Ihnen nicht bekannt, daß diese wahlweise Beantragung einer Rente bei uns für Frauen in dem gleichen Ausmaß gilt wie auch für die 60jährigen Versicherten des Saarlandes?
Nein, es isst nicht die gleiche Wahlweise.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben hier kein Seminar. Ich bitte, sich mit den politischen Grundgedanken des Gesetzes zu beschäftigen; das ist der Sinn einer ersten Lesung. Einzelheiten können dann im Ausschuß erörtert werden.
Herr Präsident, ich folge Ihrer Anregung gern. Nur bitte ich Herrn Killat, daraus nicht zu schließen, daß ich ihm nicht antworten wolle. Wir werden darüber im Ausschuß sprechen.
Natürlich taucht immer wieder die Frage auf - Herr Kollege Horn hat auch darauf hingewiesen; das Problem ist schon mehrfach angesprochen worden -: Woran liegt es denn, daß auch von außerhalb dieses Hauses, von ernst zu nehmenden Wirtschaftlern gesagt wird, die Rentenanpassung sei eine große Gefahr? Wir meinen, daß es einem Gesetzgeber wohl ansteht, solche Bemerkungen sehr ernst zu nehmen. Wir glauben aber, daß die bisherige Entwicklung seit der Rentenreform keinerlei Veranlassung gibt, der Meinung zu sein, daß ausgerechnet durch die Renten unser Wirtschaftsgefüge in irgendeiner Weise in Gefahr kommen könnte. Man kann weder in finanzieller Sicht sagen, daß dadurch eine Inflation in Gang gebracht werden könnte, noch kann man gesamtvolkswirtschaftlich sagen, daß durch die Renten allzuviel Kaufkraft auf den Markt gebracht würde. Im Gegenteil, die Sparquote ist gerade in dem Jahr, in dem die höchsten Beträge an die Rentner ausgeworfen worden sind, gestiegen.
Trotzdem beobachten wir natürlich mit Ernst die zukünftige Entwicklung. Die versicherungstechnische Bilanz wird uns sehr viel Aufschluß geben. Allerdings teile ich die Vorstellung - sie gleicht einer Fata Morgana - nicht, durch die versicherungstechnische Bilanz werde alles ganz glasklar durchsichtig. Die versicherungstechnische Bilanz wird uns aber sehr viel Aufschluß darüber geben, wie die Verhältnisse wirklich aussehen.
Wir meinen, wir sind verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Beiträge zu den Sozialversicherungen ein notwendiges Maß nicht überschreiten. Es darf nicht dazu kommen, daß das Mehreinkommen der arbeitenden Menschen durch steigende Beiträge „weggesteuert" wird, wie ich es einmal nennen möchte. Wir wissen, daß die finanzielle Lage der Rentenversicherungsträger Augenblick überhaupt nicht besorgniserregend ist. Wir wissen aber auch, daß die Weiterentwicklung uns dazu zwingen wird, uns mit diesen Problemen zu beschäftigen. Wir müssen dann auch die Fragen überlegen, die sich aus diem § 90 BVG. der Wanderversicherung, der Fremd- und Auslandsrentenfinanzierung ergeben.
({0})
Aber Herr Kollege Schellenberg, ich kann Ihnen nicht folgen, wenn Sie sagen, es müsse einmal festgestellt werden, wie hoch der Betrag sei, der mehr an Renten gezahlt werde und als Kriegsfolgelasten anzusehen sei. Stellen Sie doch dann bitte aucheinmal fest, welcher Vorteilsausgleich notwendig ist, weil die Heimatvertriebenen, die hier sind, nicht nur Rentenempfänger, sondern auch Beitragszahler sind.
Wenn Sie dann einwenden, der hiesige Vermögensbestand sei auch zu berücksichtigen, dann sage ich Ihnen: seien Sie bitte einmal so ehrlich und geben Sie an, wo beispielsweise die Gelder geblieben sind, die die Sudetendeutschen 1938 mit ins Reich gebracht haben. Gelder, die in ausländischen Wertpapieren angelegt waren. Herr Kollege Schellenberg, sehen Sie sich bitte einmal das Zahlenbild an und stellen Sie dann bitte fest, wieviel
von dem Rentenbetrag von 151/2 Milliarden DM - das ist eine ungefähre Zahl; ich kann jetzt keine exakte Zahl nennen - durch Zinsen aus dem Vermögen gedeckt werden: es sind 0,5 Milliarden DM. Ist das ein wesentlicher Faktor? Der wesentliche Faktor für die Bezahlung der Renten ist und bleibt eben der Beitrag und die Bundeslast. Der Beitrag wird heute - verhältnismäßig - von den arbeitenden Heimatvertriebenen in höherem Maße gezahlt, weil die Zahl der Unselbständigen bei den Heimatvertriebenen - wir können dais beklagen; wir müssen aber feststellen, daß es so ist -, die Beiträge zahlen, größer ist, als die Zahl der Beitragszahlenden bei den Heimatverbliebenen. Das gilt mindestens für die Rentenversicherungen, andersartig ist es bei der Unfallversicherung.
Dann haben Sie, Herr Kollege Schellenberg, gesagt - mit Recht gesagt -, daß die Vorausschätzungen, von denen das Bundesarbeitsministerium ausgegangen sei, nicht zuträfen; die Entwicklung sei viel günstiger gewesen. Das ist einzusehen; niemand leugnet es. Aber das Bundesarbeitsministerium hätte nicht richtig gehandelt, hätte es einen höheren Produktionszuwachs als wahrscheinlich angegeben, als es das getan hat. Es muß einfach, will es den Dingen gerecht werden, gemäßigt rechnen, um es einmal so auszudrücken. Wenn dann, Herr Kollege Schellenberg, infolge unserer vorzüglichen Wirtschaftspolitik der Zuwachs größer ist, dann freuen wir uns
({1})
und sind mit Ihnen der Meinung, wir brauchen erst später Restriktionen vorzunehmen.
({2})
Meine Damen und Herren, wir hatten vor, um 1/2 1 Uhr fertig zu werden. Wenn Sie Zwischenfragen stellen, erschweren Sie die Durchführung dieses Vorsatzes sehr. Leider ist inzwischen auch die Rednerliste schon wieder länger geworden. Ich bitte also, sich ,kurz zu fassen. - Herr Abgeordneter Stingl, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ich muß es Ihnen überlassen.
({0})
Herr Kollege Stingl, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Überschuß gegenüber den Vorausberechnungen der Bundesregierung auch darin begründet ist, daß im Vergleich zu den Ansätzen die tatsächlichen Ausgaben urn 500 Millionen DM niedriger sind, als die Bundesregierung geschätzt hat?
Ja, Herr Kollege Schellenberg, ich weiß das, und ich freue mich darüber. Ich kann hier nur wieder sagen: Welch fürsorglicher Hausvater war das Bundesarbeitsministerium, daß es nicht zu optimistisch, sondern vielleicht zu pessimistisch geschätzt hat, damit aber die Gewähr dafür gegeben hat, daß wir auch in Zukunft diese Renten bezahlen können!
Im übrigen: Worauf kann es zurückzuführen sein? Es kann ja auch darauf zurückzuführen sein, daß die von uns gewollten Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gesundheit, die vorbeugenden Maßnahmen noch nichtdurchgeführt sind und wir vielleicht doch noch eine ganze Reihe von potentiellen Rentnern nicht zu Rentnern halben werden sehen, weil in dem Wirtschaftsablauf, in der Konjunktur eben noch im Arbeitsprozeß geblieben sind. Jedenfalls haben wir keine Veranlassung, jetzt so zu tun, als habe die Bundesregierung alles ganz richtig vorausgesagt. Auch die Herren der Regierung und die Beamten der Regierung sind keine Propheten; sie haben aber die Verpflichtung, in diesem Zusammenhang eher etwas zu pessimistisch als zu optimistisch zu sein.
Meine Damen und Herren, das war es, was ich nach dem Verlauf der Diskussion noch zu dem Gesetzentwurf sagen mußte.
Ganz wenige Worte zum Gesetzentwurf der FDP-Fraktion. Ich habe schon gesagt: Hier wird die Grundlage der Rentengesetze zerstört, wenn wir Ihren Vorschlag annehmen, die Rentenbemessungsgrundlage jedes Jahr durch Gesetz nur bei zehnprozentiger Änderung festzulegen und im übrigen noch mit anderen Faktoren zu koppeln. Das geht nicht.
Sie wollen aber etwas anderes. Sie haben einige Punkte darin, die eine Verbesserung für eine Anzahl betroffener Rentner oder Versicherter bedeuten. Sie haben durch die Befreiung eine Erhöhung der Last - nämlich Erniedrigung des Einkommens - der Rentenversicherungsträger. Sie haben durch die Wegschaffung der Höchstbegrenzung sowohl beim Rentenzugang wie beim Rentenbestand eine Erhöhung der Last. Sie haben bei der Ausdehnung der Ausfallzeiten für Schulbesuch eine Erhöhung der Last. Wenn Sie jetzt schon warnend davon sprechen, wie schlecht es den Rentenversicherungsträgern in absehbarer Zeit gehen werde, dann kann doch Ihr Gesetzentwurf nur so verstanden werden, daß Sie die Abschaffung der Automatik der Rentenbemessungsgrundlage dazu benutzen wollen, diese Dinge und noch andere zu Lasten derer zu finanzieren, die bis zum Schluß ihres Arbeitslebens vom Arbeitseinkommen Beiträge gezahlt haben.
({0})
Auch wenn wir sagen, daß die Frage der Witwenrenten, die Sie in Art. 2 Abs. 3 Ihres Gesetzentwurfs anschneiden, durchaus ernst zu nehmen ist - sie berührt uns selber schmerzlich -, auch wenn wir sagen es berührt uns schmerzlich, daß wir die Lehrlingsjahre gegenüber den Schuljahren benachteiligen, müssen wir doch insgesamt sagen, daß Ihr Gesetzentwurf nicht geeignet ist, das System der Rentenversicherung in der Bundesrepublik, so wie wir es im Jahre 1957 geschaffen haben, zu verbessern. Wir sind der Meinung, daß Ihr Antrag in dem ganz wesentlichen Teil der Rentenbemessungsgrundlage einfach falsch ist.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fürchten Sie nicht, daß ich Sie lange in Anspruch nehmen werde. Ich habe nur ein Interesse daran, nachdem wir diese Einzelheiten gehört haben, seitens der Freien Demokraten noch einmal auf die Grundsätze hinzuweisen, von denen wir ausgegangen sind. Das ist ja eine erste Lesung, die sich nicht damit zu befassen hat, wie alle Einzelheiten geregelt werden sollen. Ich möchte auf die Frage der Rentenanpassung und auf die Frage der Auswirkung der Anpassung auf die Konjunktur nicht eingehen. Ich stelle hier nur fest, daß wir, wenn wir jedes Jahr bei einer Anpassung sagen, sie habe keinen oder keinen großen Einfluß auf die Konjunktur, übersehen, welchen Einfluß das hier gewählte Prinzip im ganzen auf unsere volkswirtschaftliche Gesamtsituation auf die Dauer haben wird. Das ist der „Grundsatz", über den man in der ersten Lesung debattieren sollte.
Im übrigen darf ich sagen, daß ich gar nichts mehr darauf gebe, wenn jedes Jahr bei der Anpassung gesagt wird, sie sei bei der gegenwärtigen Konjunktur in keiner Weise gefährlich. Wenige Tage vor der Wahl von 1957, als das Gesetz, das Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, gemacht haben, noch gar nicht durchgeführt und in seinen Auswirkungen noch gar nicht zu übersehen war, hat der Herr Bundeskanzler im Bulletin vorsorglich geschrieben: Unterdessen hat sich auch schon gezeigt, daß die Unkenrufe derer, die das Ganze als inflationsgefährlich ansehen, falsch waren. Wie konnte man das schon im August oder September 1957 feststellen? Darum sage ich Ihnen: ich lege auf diese Ausführungen, die in jedem Jahre wiederholt werden; das sei gar nicht so gefährlich, das sei diesmal nur soundso viel, gar keinen Wert, weil sich die Spitze Ihrer Partei, lange bevor man überhaupt etwas dazu sagen konnte, darauf festgelegt hat, was Sie nun immer nachbeten müssen.
({0}) Uns kommt es auf den Grundsatz an.
({1})
- Das war genau zur Sache. - Deshalb spreche ich zu dieser Rentenanpassung nicht, sondern es kommt mir auf den Satz an, den der Kollege Stingl, den ich sehr hoch schätze und gegen den ich nichts Böses sage, gesprochen hat.
Sie haben gesagt, daß es im Prinzip falsch sei, was wir mit unserer Reform vortragen. Ich antworte Ihnen, Herr Kollege Stingl: Es muß so sein, daß es nach Ihrer Auffassung im Prinzip falsch ist; denn wir wollen ein anderes Prinzip. Nur eins gebe ich Ihnen nicht zu, daß wir mit unserem Vorschlag dem Rentner keinen Anteil an der volkswirtschaftlichen Entwicklung geben wollen. Wir wollen ihm einen Anteil geben,
({2})
aber wir wollen ihn auf die Dauer geben. Sie wissen, wie schwer es für eine Partei wie die unsrige
war, vor der Wahl 1957 ein solches Gesetz abzulehnen. Wir haben es wegen des Prinzips abgelehnt, weil wir der Meinung sind, daß dieses Prinzip dazu führen wird, daß entweder die Renten in der Höhe, die sie .nach den Anpassungen bekommen sollen, eines Tages denjenigen, die jetzt die Beiträge zahlen, n i c h t gezahlt werden, oder sie werden in der nominellen Höhe gezahlt werden, aber die Kaufkraft dieses Geldes wird entwertet sein. Das haben wir damals ausgeführt. Das mag nach Ihrer Auffassung falsch sein. Darüber wird im Ausschuß zu diskutieren sein. Ich nehme also zur Kenntnis, daß Sie das für falsch halten. Für uns ist es notwendig. Wir wollen ein entgegengesetztes Prinzip. Aber beide wollen wir einen Anteil des Rentners an der volkswirtschaftlichen Entwicklung.
({3})
Lassen Sie mich dazu weiter folgendes sagen. Das Gesetz, das Sie damals vor der Wahl gemacht haben und vor dem wir gewarnt haben, erzeugt draußen im Lande in zunehmendem Maße Unzufriedenheit, weil es eine ungeheure Mehrbelastung gebracht hat. Vergessen Sie bitte nicht, daß die Freien Demokraten damals in ihren Entwürfen eine Belastung vorgeschlagen haben, die nicht geringer war. Wir haben uns nur gegen das Prinzip gewendet, das Sie verteidigen und das Sie dazu führt, unsern neuen Entwurf als falsch zu bezeichnen. Es dreht sich doch darum, daß die Unzufriedenheit auch deshalb steigt, weil in jedem Jahre trotz Mehrbelastung der Volkswirtschaft draußen in der Bevölkerung von Ihnen, meine Herren von der Sozialdemokratischen Partei, der Eindruck erweckt wird, es werde nicht genug getan. Nehmen Sie es mir nicht übel; das wird von Ihnen, die Sie in der Opposition stehen, natürlich auch entsprechend ausgenutzt. Es wird also in jedem Jahre mehr gezahlt, und trotzdem gibt es mehr Unzufriedenheit. In jedem Jahre haben wir eine Debatte über die Anpassung ({4})
Jawohl, aber nicht mit der Begründung, daß es sich bei dem Gesetz um einen Anspruch handle, der den Leuten gegeben werden sollte. Nach unserem Entwurf hätte man eben die volkswirtschaftlichen Grundlagen jährlich geprüft und das der Bevölkerung unterbreitet, während es heute so ist, daß jeder draußen von Jahr zu Jahr stärker eingepaukt bekommt: Du hast einen gesetzlichen Anspruch. Das wird sich auch noch gegen Sie wenden, meine Herren von der CDU; denn eines Tages werden Sie es nicht bezahlen können. Dann wird es sich gegen Sie wenden, daß die CDU einen Anspruch des Rentners, den er nach dem Gesetz hat, nicht erfüllt. Das sagen wir Ihnen heute schon. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann möchte ich auf folgendes hinweisen, was mich zutiefst beeindruckt hat.
Sie haben im Jahre 1957 vor der Wahl ein Gesetz verabschiedet, und 1958 hat der Bundesfinanzminister, den wir wegen seiner Haushaltsführung eher gelobt haben, hier gesagt - ich habe es nicht gedruckt hier, aber ich kann es Ihnen geben; Sie wissen, daß er es gesagt hat, es steht ja auch im
Protokoll Wir haben das Gesetz gemacht, und
wir werden die Anpassung in diesem Jahr bezahlen. Ich sage Ihnen aber heute schon: so geht es in den kommenden Jahren nicht weiter. Ich frage Sie nun: Wer hat das Gesetz veranlaßt und gemacht? Das war doch die CDU, und der Finanzminister gehört ihr an.
({5})
Lassen Sie es mich mit den Worten des Herrn Bundesfinanzministers wiederholen: Dieses Gesetz wird sich so, wie Sie es sich gedacht haben, nach diesem Prinzip nicht durchführen lassen. Aus diesem Grunde schlagen wir ein anderes Prinzip vor, das dem, der heute Beiträge zahlt, garantiert, daß er später eine Rente bekommt, die dem entspricht, was er heute an Beiträgen zahlt. Das ist der Grund, weshalb wir ein neues Prinzip vorgeschlagen haben,
Verehrter Herr Kollege Stingl, es muß so sein, daß Sie das Prinzip als falsch bezeichnen. Wir halten es aber für das richtige Prinzip, um den Rentner in einem gesunden Maße an dem volkswirtschaftlichen Anstieg teilnehmen zu lassen. Das wollte ich Ihnen hier sagen.
Ich möchte wiederholen, das Gesetz, das Sie gemacht haben, um Zufriedenheit zu schaffen, diese Sozialreform, hat bei der Anpassung der anderen Sozialgesetze - das erleben wir immerfort seit dieser Zeit - zu immer erneuten Schwierigkeiten geführt. Es führt zu immer größeren Ungerechtigkeiten, weil nur für einen verhältnismäßig kleinen Teil Sonderrechte geschaffen worden sind, die Sie anderen Bereichen nicht gewähren können, Sie wissen, daß wir uns gerade auf dem Gebiet des Kriegsopferversorgungsrechts entschlossen haben, diese Ungerechtigkeit auszugleichen, mit der Folge, daß daraus die großen Haushaltsbelastungen entstehen. Das alles mußte aber schon bei Beginn der Sozialreform in einer Gesamtkonzeption bedacht werden. Das ist nicht getan worden.
Was wir jetzt mit unserem Antrag versuchen - das wissen Sie ja alle -, das erwarten draußen viele.
({6})
- Das Industrie-Institut, Herr Schellenberg? Da täuschen Sie sich! Das Industrie-Institut hat hiermit gar nichts zu tun. Wie Sie gestern nach der Rede des Kollegen Guttenberg die Großgrundbesitzer angegriffen haben, greifen Sie heute ruhig Herrn Starke an. Das scheint so langsam in diesem Hause zur Gepflogenheit zu werden. Auch das gehört zur Parlamentsreform.
({7})
- Ich fühle mich gar nicht getroffen. Aber ich bin der Meinung, daß zu Fragen der Sozialreform auch noch andere Leute sprechen sollten als diejenigen, die berufsmäßig damit zu tun haben.
({8})
- Ich habe Sie auch nicht gemeint. ({9})
Meine Damen und Herren, wer betroffen ist, kann man nie mit Sicherheit sagen. Manchmal merken es nicht einmal die Betroffenen.
Nun aber liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage Ihnen vor, sämtliche unter Punkt 5 der Tagesordnung aufgeführten Anträge und sonstige Vorlagen an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - zu überweisen. Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich bitte noch um Aufmerksamkeit für den Abgeordneten Mommer. Er hat das Wort zu einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung.
Bei den Besprechungen der Geschäftsführer der Fraktionen über die Beendigung der außenpolitischen Debatte ist gestern abend durch ein Versagen meines Gedächtnisses eine bedauerliche Kränkung des von mir nach zehnjähriger Zusammenarbeit besonders hochgeschätztere Kollegen Dr. Becker entstanden. Herr Dr. Becker war so liebenswürdig, auf meine Bitte hin, seinen zeitlich früheren Platz in der Rednerliste mit demjenigen meines Fraktionskollegen Helmut Schmidt zu tauschen.
Während der Rede des Abgeordneten Schmidt wurden zwischen den Geschäftsführern Gespräche über die Beendigung der Aussprache nach der Rede des Kollegen Schmidt geführt. Dabei widersprach Herr Dr. Bucher als Geschäftsführer der FDP-Fraktion der Beendigung der Debatte auch unter Hinweis darauf, daß der vorgesehene Redner der Fraktion nicht im Saale sei und nicht gefragt werden könne. Mir selbst ist in diesem Augenblick und bis nach der Abstimmung über den Schluß der Debatte nicht ins Gedächtnis gekommen, daß durch den Tausch Becker -Schmidt gegenüber Dr. Becker von mir eine Verpflichtung eingegangen wurde, über die nicht ohne Zustimmung Dr. Beckers selber hinweggegangen werden konnte. Als nach der Abstimmung an die Absprache erinnert wurde, habe ich sofort getan, was ich noch tun könnte, mich bei Herrn Dr. Becker und seiner Fraktion in aller Form zu entschuldigen.
Ich meine, daß zwischen Kollegen und Fraktionen getroffene Absprachen unbedingt gehalten werden müssen. Ich war erschrocken, als ich feststellen mußte, daß ich objektiv gegen diesen Grundsatz verstoßen hatte. Ich bin Herrn Kollegen Dr. Becker sehr dankbar dafür, daß er meine Versicherung, mich habe nur mein Gedächtnis im Stich gelassen, geglaubt hat.
Ich bitte ihn und seine Fraktion nochmals um Nachsicht und Entschuldigung.
({0})
Nach dieser dem Frieden des Hauses dienenden Erklärung darf ich die nächste Sitzung auf Mittwoch, dem 11. November, 15 Uhr, berufen. Ich schließe die Sitzung.