Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
,Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung spreche ich die Glückwünsche des Hauses aus dem Herrn Abgeordneten Etzenbach zum 70. Geburtstag am 25. Oktober,
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dem Herrn Abgeordneten Lermer zum 65. Geburtstag am 3. November
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und dem Herrn Abgeordneten Dr. Conring zum 65. Geburtstag am heutigen Tage.
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Ferner teile ich mit, daß als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Kunze mit Wirkung vom 26. Oktober 1959 der Abgeordnete Brüns in den Bundestag eingetreten ist. Als Nachfolger für den ausgeschiedenen Abgeordneten Recktenwald ist mit Wirkung vom 27. Oktober 1959 der Abgeordnete Bach in den Bundestag eingetreten. Ich nehme an, daß ,die Herren heute anwesend sind, und heiße sie herzlich willkommen.
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Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 23. Oktober 1959 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz zu dem Zweiten Protokoll vom 15. Dezember 1956 zum Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates
Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der Polizeivollzugsbeamten des Bundes
Gesetz zur Bereinigung des Bundesrecht gewordenen ehemaligen bayerischen Landesrechts
Gesetz zum Abkommen vom 23. August 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern
Gesetz zum Abkommen vom 18. November 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuer
Der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes hat unter dem 22. Oktober 1959 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Simpfendörfer, Bausch und Genossen betr. Wiederherstellung deis früheren Rechtszustandes auf dem ehemaligen Fliegerhorst Oedheim ({4}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1316 verteilt.
Der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes hat unter dem 26. Oktober 1959 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Holzverzuckerungs-GmbH, Holzminden ({5}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1324 verteilt.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dam 24. Oktober 1959 gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 7. August 1953 ({6}) den Geschäftsbericht der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für das Rechnungsjahr 1957 vorgelegt, der als Drucksache 1317 verteilt ist.
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 19. Oktober 1959 seine Stellungnahme zum Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über die Bewertungsrichtlinien der Deutschen Bundespost übersandt. Sie liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 23. Oktober 1959 den Bericht über die soziale Krankenversicherung lm Jahre 1957 vorgelegt, der im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
Der Herr Präsident der Versammlung der Westeuropäischen Union hat die Empfehlungen Nr. 35 und 36, die Entschließung Nr. 14 und Berichte der Ausschüsse übersandt. Sie sind an die Mitglieder des Hauses verteilt worden.
Der Abgeordnete Glahn hat mit Wirkung vom 2. November 1959 sein Mandat niedergelegt.
Wir kommen zur Tagesordnung. Ich rufe auf die Punkte la und l b :
a) Nachwahl von deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments ({7});
b) Wahl eines stellvertretenden Mitgliedes des Wahlprüfungsausschusses ({8}).
Meine Damen und Herren, Sie haben die Anträge vor sich liegen.
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- Meine Herren, vielleicht finde ich Ihre freundliche Unterstützung, bevor wir zur Abstimmung kommen. Ich bitte doch, Platz zu nehmen.
Wer den vorliegenden Anträgen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf die Punkte 2a bis 2e der Tagesordnung:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Lage des Kohlebergbaus ({10}) ;
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhebung einer Ergänzungsabgabe für soziale Hilfsmaßnahmen im Kohlebergbau ({11}) ;
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Bestellung eines Bundesbeauftragten für die Kohlewirtschaft ({12});
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes ({13});
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
e) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe ({14}) ; Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses ({15}) ({16}).
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Burgbacher
({17}).
Für den Ablauf der Beratungen ist im Ältestenrat folgendes vereinbart worden: zuerst gemeinsame Begründung der Großen Anfrage der SPD Drucksache 1300 zusammen mit dem Gesetzentwurf Drucksache 1318 und dem Antrag Drucksache 1319, dann Beantwortung der Großen Anfrage durch die Regierung und danach gemeinsame Aussprache.
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat Herr Abgeordneter Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine wichtige Etappe in der Entwicklung der Kohlenkrise war jene Erklärung, durch die sich die Bundesregierung veranlaßt sah, den Bergarbeitern im Kohlenbergbau gewisse soziale Hilfen zuzusagen. Ich möchte feststellen: wir sind der Auffassung, daß es sich um einen entscheidenden sozialpolitischen Grundsatz handelt, zu dessen Anerkennung sich die Bundesregierung bereit gefunden hat, nämlich um den Grundsatz, daß die Lasten aus Stilllegungen, aus Entlassungen und aus schwerwiegenden sonstigen Maßnahmen, die auf tiefgreifende strukturelle Veränderungen zurückzuführen sind, nicht die betreffenden Arbeitnehmer treffen dürfen,
sondern daß es eine Pflicht der Gemeinschaft ist, diese Lasten gemeinsam zu tragen.
Wir begrüßen es, daß sich die Bundesregierung bereit gefunden hat, diesen Grundsatz anzuerkennen, und wir können ihr versprechen, daß wir sie im Wort halten werden.
({0}) Wir wissen, - ({1})
Einen Augen- blick, Herr Abgeordneter! Die Konzentration ist in diesem Hause beklagenswert gering. Ich bitte auch die künftigen Herren Redner, ihrem Vorredner im Interesse der Debatte ein gewisses Gehör zu schenken.
Bitte, Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.
Sie wissen, daß der Bundesregierung diese Anerkennung schwer geworden ist. Im Frühjahr 1954 haben wir im Eisenerzbau ähnliche Verhältnisse gehabt, als im Siegerland 20 % der Belegschaft entlassen werden mußten. Damals hat sich - gegen unseren Antrag - die Bundesregierung geweigert, diesen sozialen Grundsatz anzuerkennen. Wir wissen, daß sie sich auch in der jetzigen Kohlenkrise bis zu den großen Demonstrationen der Bergarbeiter geweigert hat, diesen Grundsatz anzuerkennen, und wir haben leider erfahren müssen, daß die Bundesregierung versucht, die Einfügung dieses Grundsatzes in den Montanunion-Vertrag zu verhindern, obwohl nach Ablauf der Übergangsbestimmungen die Notwendigkeit gegeben ist, diesen Grundsatz, der bereits in der Vergangenheit befolgt war, auch bei einer Änderung des Montanunion-Vertrags zu berücksichtigen.
Wir werden jedenfalls alles tun, daß sich die Regierung von diesem Grundsatz nicht wieder entfernen kann, und wir werden ihr auch nicht mit Rücksicht auf Überlegungen über die Deckung dieser Beträge gestatten, sich dieser von ihr anerkannten sozialen Verpflichtung zu entziehen.
Dabei möchte ich gleich eine Bemerkung zur Deckungsfrage einschalten. Die Bundesregierung hat eine Heizölsteuer vorgeschlagen, die nach ihren eigenen Angaben ein Aufkommen von 300 Millionen DM pro Jahr, also etwa eine Milliarde in der dreijährigen Laufzeit erbringen soll. Die Bundesregierung hat bisher nicht verlauten lassen, wie hoch schätzungsweise nach ihrer Ansicht die sozialen Lasten aus den Zusagen sein könnten, die sie gemacht hat. Nach sachverständigen Schätzungen sollen sie zwischen 100 und 120 Millionen DM im Jahr, also bei etwa 350 Millionen im Lauf von drei Jahren liegen. Ich wäre für eine Auskunft darüber dankbar, wie hoch die Bundesregierung diese Beträge schätzt, und wenn es zutreffen sollte, daß bei einem Aufkommen von einer Milliarde nur etwa 350 Millionen benötigt werden, wäre ich für eine Auskunft darüber dankbar, wofür der differierende Betrag von mehr als 600 Millionen DM verwendet werden soll.
Ich wäre insbesondere für eine Auskunft darüber dankbar, ob inzwischen die Differenz zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister bereinigt ist, nachdem wir erst heute morgen haben lesen dürfen, daß der Herr Bundeskanzler der Auffassung ist, auch die Eigentümer der stillzulegenden Zechen müßten entschädigt werden. Das wäre immerhin eine neue Nuance.
Wir haben erleben müssen, daß diese Bundesregierung in den letzten Jahren die Verluste des Kohlenbergbaus praktisch restlos sozialisiert hat und daß diese Verluste vom Verbraucher über erhöhte Steuern und Zölle getragen werden. Es wäre eine neue Nuance, wenn nunmehr den Eigentümern von Zechenanlagen, die ohne öffentliche Hilfe nicht mehr aufrechterhalten werden können, noch das Kapitalrisiko abgenommen würde, um zu zeigen, wie wenig eigentlich das Privateigentum im Kohlenbergbau heute noch zu bedeuten hat.
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Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine zweite Feststellung treffen. Wir haben seit Jahren von der Bundesregierung Beteuerungen und Feststellungen gehört, wir würden uns auf einen Versorgungsstaat zu bewegen, der den Staatsbürgern Lasten auferlege, die einfach nicht mehr zu tragen seien. Wir haben bei der Kriegsopferversorgung erleben müssen, daß gesagt wurde, es ständen die erforderlichen Mittel nicht bereit, so daß die geplante Erhöhung erst Mitte des Jahres 1960 vorgenommen werden könne. Jetzt können wir feststelDr. Deist
len, daß infolge des Versagens der Bundesregierung in der Kohlenpolitik neue soziale Lasten auf die Bevölkerung zukommen. Hier erhebt sich doch wirklich die Frage: Ist es eine gute Politik, auf der einen Seite über den Versorgungsstaat zu wettern und auf der anderen Seite den Verbrauchern bzw. den Steuerzahlern soziale Lasten aufzubürden, die bei einer vorausschauenden Politik in dieser Höhe jedenfalls nicht erforderlich gewesen wären?
Eine weitere Frage: Ist es nicht mehr die Auffassung der Bundesregierung, daß die beste Sozialpolitik in einer guten Wirtschaftspolitik bestehe? Darum fragen wir die Bundesregierung in unserer ersten Frage, ob sie ihre Aufgabe in der Hauptsache darin sieht, eingetretene soziale Schäden zu mildern, oder ob sie ihre Hauptaufgabe nicht darin erblickt, soziale Notstände durch vorbeugende wirtschaftspolitische Maßnahmen zu verhindern.
Das Problem, vor dem wir stehen, ist - wie man so schön sagt - ein strukturelles Problem; das heißt, auf dem Energiemarkt machen sich Entwicklungen bemerkbar, die für die Absatzmöglichkeiten der verschiedenen Energiestoffe und Energieträger wesentliche Konsequenzen haben werden. Mein Freund Bleiß hat bereits im Frühjahr 1956 in einer großen Kohlendebatte (auf dieses strukturelle Problem hingewiesen, das insbesondere in der Konkurrenz des Heizöls besteht. Die Bundesregierung hat damals versucht, das Problem zu bagatellisieren.
Dabei muß man sich klar sein, daß wir hier am Anfang einer sehr schwerwiegenden Umstellung auf dem Energiemarkt stehen. Auch hier gehören wir gewissermaßen zu den „Spätheimkehrern". In allen übrigen europäischen Staaten ist nämlich der Anteil des Heizöls an der gesamten Energieversorgung wesentlich höher als in Deutschland. Hier kommt also schon ein Problem auf uns zu.
Die Frage ist zunächst, wie die kurzfristigen Auswirkungen der strukturellen Veränderung zu beurteilen sind und wie die Probleme mit kurzfristigen Maßnahmen gelöst werden können; die Heizölsteuer - begrenzt bis zum Jahre 1962 - ist ja wohl eine kurzfristige Maßnahme. Daneben stellt sich das langfristige Problem, und man muß fragen, wie man dieser langfristigen Strukturveränderung beikommen kann.
Einige Bemerkungen zu den kurzfristigen Problemen. Es scheint mir wichtig, sich über die Größenordnung eine Vorstellung zu machen. Wir haben im Jahre 1958 - 1959 wird es voraussichtlich ebenso sein - eine Zunahme des Heizölverbrauchs von etwa 2 bis 3 Millionen, sagen wir rund 2,5 Millionen Tonnen Rohöl zu verzeichnen; das entspricht 3 bis 4 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten. Der gesamte Energieverbrauch in Deutschland beträgt beinahe 200 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten. Man kann sich also ausmalen, welche Bedeutung eine solche Zuwachsrate, die etwa 11/2 % des gesamten Energieverbrauchs ausmacht, bei einer kurzfristigen Betrachtung - für dieses, für das nächste und für das übernächste Jahr - hat. Ich komme daher zu dem Ergebnis: in bezug auf diese Entwicklung besteht kein Grund zur Dramatisierung der augenblicklichen wirtschaftlichen 1 Lage in der Kohlen- und Energiewirtschaft, zumal wir die Konjunkturschwäche des vergangenen Jahres, angesichts derer das Problem stark hervorgetreten ist, inzwischen überwunden haben. Es besteht daher kein Anlaß zu Kurzschlußreaktionen, und es besteht auch kein Anlaß zu der Stillegungshysterie, die wir heute in Deutschland erleben.
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Unter diesem Gesichtspunkt frage ich mich: ' Welche Wirkung soll eine Heizölsteuer, begrenzt bis zum Jahre 1962, haben?
Die Industriegewerkschaft Bergbau hat einmal einen Preisvergleich angestellt, bei dem die Wärmeeinheiten zugrunde gelegt sind. Die Ergebnisse dieses Preisvergleichs sind seit etwa einem Monat veröffentlicht und bisher von niemandem bestritten worden, so daß man annehmen muß, daß sie im wesentlichen zutreffen. Aus ihnen ergibt sich, daß der Preisunterschied zwischen Kohle und Heizöl, auf Kalorien umgerechnet, jedenfalls bei leichtem Heizöl so hoch ist, daß er weder durch eine Heizölsteuer von 30 DM noch durch eine Heizölsteuer von 45 DM übersprungen werden kann. Das heißt: auf diesem Gebiet ist schon rein preislich gesehen die Heizölsteuer eine völlig unwirksame Maßnahme.
Eine zweite Bemerkung. Bei der Wahl des Verbrauchers - sowohl in der Industrie wie auch beim Hausbrand - zwischen Kohle und 01 spielt nicht nur, und häufig nicht einmal entscheidend, die Preisdifferenz eine Rolle, sondern die Tatsache, daß in vielen Fällen Heizöl sich wirtschaftlicher verwerten läßt als Kohle, daß seine Nutzung erhebliche Produktionsvorteile zur Folge hat und daß in vielen Fällen auch für den Hausbrand Arbeitskräfte, die man bei der Heizung mit Kohle und Koks haben muß, nicht zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren! Entgegen allen schriftlichen Dokumentationen: wer weiß, wie die wirkliche Meinung im Kohlenbergbau ist, der weiß, daß die Behauptung, mit der Heizölsteuer sei eine wesentliche Veränderung der Lage zu erreichen, von niemandem wirklich ernst genommen wird.
Wir haben diese Frage im Wirtschaftsausschuß an den Herrn Bundeswirtschaftsminister gestellt. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat laut Protokoll dazu gesagt, es handele sich nur darum, das Vordringen des Heizöls etwas abzudämmen. In meinen Notizen habe ich stehen, daß er etwa ausgeführt hatte, die psychologische Wirkung sei unter Umständen stärker als die reale. Auch Herr Kollege Burgbacher hat auf die psychologische Wirkung auf den Verbraucher hingewiesen. Er hat hinzugefügt, es sei auch eine wichtige Aufgabe, dem Bergbau Mut zu machen, damit er Rationalisierungsmaßnahmen durchführe. Meine Damen und Herren, mir scheint, das ist ein Experiment, das schon nicht mehr in den Rahmen der Psychologie, sondern vielleicht sogar in den Rahmen der Pathologie gehört. Es ist für mich eine große Frage, ob die' „Mutspritze" für den Bergbau mit einer Milliarde Belastung für den Verbraucher nicht ein wenig zu teuer bezahlt ist.
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Dann eine Zusatzfrage, Herr Bundeswirtschaftsminister, auf die ich bitte zu antworten, obwohl sie in den schriftlichen Fragen nicht enthalten ist. Ich glaube, es besteht kein Zweifel darüber, daß ein großer Teil des schweren Heizöls einen Schwefelanteil von etwa 3 bis 5 % hat, während er bei der Kohle im Schnitt wohl 1/2 bis höchstens 1% beträgt. Das heißt: wir haben bei zunehmender Verwendung von Heizöl mit einer weiteren Verpestung der Luft insbesondere in den großen Industrie- und Wohnzentren zu rechnen. Es ist kein Geheimnis, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß man sich im August 1959 z. B. im Bundesarbeitsministerium mit diesem Problem des hohen Schwefelanteils des Heizöls befaßt hat. Ich möchte daher fragen: Wäre es nicht eine marktkonformere Maßnahme, mit gewerbe- und gesundheitsbehördlichen und ähnlichen Mitteln dafür zu sorgen, daß dieser gesundheitsgefährliche hohe Schwefelanteil beseitigt wird? Das würde Investitionen bei der Mineralölindustrie erfordern und eine Verteuerung, wenn ich recht unterrichtet bin, zwischen 25 und 35 Mark bedeuten. Das würde also heißen: man würde diese Ausgabe von der Mineralölwirtschaft verlangen, um der Gesundheit in diesen Bezirken eine Stütze zu geben.
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Wir bemühen uns doch gerade zur Zeit, die Verpestung der Luft zu beseitigen.
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Meine Frage: Warum haben der Herr Bundesminister und die Bundesregierung an diese Frage überhaupt nicht gedacht, obwohl sie doch eigentlich auf der Hand liegt?
Damit komme ich aber zu dem langfristigen strukturellen Problem, d. h. der Entwicklung der nächsten zehn bis zwanzig Jahre. Wir sollten uns darüber klar sein, daß hier Entwicklungen auf uns zukommen, die wesentlich größere Aufmerksamkeit verdienen als diese punktuelle Aufmerksamkeit, die heute die Bundesregierung der angeblich so dramatischen Lage bei der Ruhrkohle widmet.
Das erste ist die Erdölförderung. Es besteht kein Zweifel darüber, daß wir laufend Neuaufschlüsse in Erdölgebieten zu verzeichnen haben, die ständig die laufende Förderung übersteigen, und daß noch kein Ende dieser Neuaufschlüsse abzusehen ist. Weite Gebiete der Welt - dazu gehören Afrika, der Ferne Osten und Teile der Sowjetunion - sind überhaupt noch nicht erschlossen. Dieser Druck steigender Erdölförderung führt dazu, daß gegenüber den sieben internationalen Erdölkonzernen, die bis heute den Markt beherrschen, die Außenseiter ein größeres Gewicht bekommen. Für unsere Betrachtung ergibt sich das Problem, daß die Ölpreise in Zukunft möglicherweise nicht etwa, wie angenommen, steigen werden, sondern sogar sinken werden. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt.
Zweitens kommt spätestens in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren die steigende Erdgasausbeutung auch im europäischen Raum auf uns zu. In den USA wird der Energiebedarf bereits zu etwa 30 %
aus Erdgas gedeckt. Wir haben in Italien heute bereits eine Deckung des Energiebedarfs zu 15 % aus Erdgas. Wir können damit rechnen, daß in Frankreich im Jahre 1961 6 Millionen t Steinkohle durch Erdgas aus dem Markt geworfen sein werden. Wir wissen, welche Möglichkeiten der Erdgasversorgung in der Sahara liegen, wobei es sich um ein Erdgas handelt, das nach allen bisherigen Erfahrungen billiger sein wird als Kohle und 01. Wir müssen also damit rechnen, daß 1965 etwa 23 Milliarden cbm Erdgas - das entspricht 40 Millionen t Steinkohleneinheiten - mit der Ausdehnung des europäischen Erdgasnetzes und der Folge unerhörter Veränderungen in der Wettbewerbslage auf dem Energiemarkt auf den europäischen Markt kommen. Und das ist nicht alles.
Eine große Rolle auf diesem Gebiet spielt die Mineralölverarbeitung. Alle deutschen Mineralölkonzerne sind wegen des steigenden Überangebots an Erdöl dazu übergegangen, in großem Umfange in Erdölleitungen und in Mineralölraffinerien zu investieren. Auch hier ein beinahe ruinöser Kampf um den Marktanteil gegen Außenseiter. Dieses Investitionstempo bringt ein Angebot an Mineralöl mit sich, das bei der Beurteilung der zukünftigen Energiepolitik auch beachtet werden muß.
Im Jahre 1957 hat die Bundesregierung uns eine Drucksache vorgelegt, in der sie angegeben hat, bis 1965 würde sich der Ausbau der Mineralölraffinerien auf eine Raffineriekapazität von 34 Millionen t erstrecken. Von 30 Millionen t Durchsatz war damals die Rede. Tatsächlich war bereits Anfang 1959 eine Raffineriekapazität von 27 Millionen t vorhanden, und der Zuwachs betrug allein im Jahre 1958 11 Millionen t. Nach den ursprünglichen Angaben der Mineralölindustrie werden wir damit rechnen müssen, daß die Raffineriekapazität bis zum Jahre 1965 auf 58 Millionen t ausgedehnt werden wird. Das heißt, daß dann 35 Millionen t Steinkohle durch Heizöl bedroht sind, daß 35 Millionen t - das entspricht einem Drittel der gesamten Kohleförderung - bei uns auf den Energiemarkt kommen. In diesen Planungen ist die mögliche Errichtung einer Mineralölraffinerie in München überhaupt noch nicht berücksichtigt. Das Problem ist, daß in diesen sieben, acht Jahren ein Heizölangebot in Höhe von einem Drittel des heutigen Kohleangebots auf uns zukommt.
Die Mineralölindustrie hat versucht, das zu bagatellisieren, und nachträglich erklärt, die Kapazität würde nicht auf 58 Millionen t, sondern nur auf 40 Millionen t ausgedehnt werden. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, welche Erdölleitungen bei uns im Bau und im Betrieb sind. Die Leitung Wilhelmshaven-Köln ist im Betrieb. Die Leitung Rotterdam-Wesseling ist im Bau. Die Leitung GenuaMailand-Schweiz-Bayern ist, jedenfalls mit der Trasse nach der Schweiz, im Bau. Die Leitung Marseille-Straßburg--Karlsruhe ist in der Planung. Eine neue Linie von Venedig über München nach Regensburg befindet sich in der Erörterung. Die Durchsatzkapazität aller dieser Erdölleitungen geht weit über die vorveranschlagten Raffineriekapazitäten hinaus. Das heißt, allein von diesen ErdölDr. Deist
leitungen geht ein Druck auf die Mineralölwirtschaft aus, mehr Heizöl als bisher auszubringen und nicht weniger.
Wenn das die Entwicklungsaussichten sind, was soll da eigentlich die Heizölsteuer bedeuten? Ist sie überhaupt ein Instrument, das man hier zur Debatte stellen kann? Das ist schon keine Frage der Psychologie mehr; da sind offenbar Medizinmänner am Werke, die meinen, Sand in die Augen zu streuen sei eine gute Medizin. So einfach ist das Strukturproblem der Energiewirtschaft nicht zu lösen.
Aus der Entwicklung, die ich aufzeichnete, ist, glaube ich, folgendes deutlich zu erkennen. Es wäre eine völlig falsche Politik, die normale Entwicklung des Heizöls, so wie sie wirtschaftlich bedingt und gerechtfertigt ist, aufhalten zu wollen; denn Mineralöl, Heizöl ist ein billiger und leistungsfähiger Energieträger. Worauf es für eine Wirtschaftspolitik, die sich ihrer Aufgabe bewußt ist, ankommt, ist vielmehr, die Entwicklung in einem Rahmen zu halten, der eine geordnete Umstellung des Kohlenbergbaus ermöglicht. Und da ist die willkürliche Investitionspolitik der Mineralölwirtschaft ein ungeheures Hemmnis für eine gesunde Umstellung im Rahmen der ganzen Energiewirtschaft. Dieser Expansionsdrang, gestützt auf eine ungeheure Finanzkraft, geht ohne jede Rücksicht auf volkswirtschaftliche Bedenken, ohne Rücksicht auf die Schwierigkeiten im Kohlenbergbau, ohne Rücksicht auf die Folgen für die Kommunalwirtschaft z. B. im Ruhrgebiet, ohne Rücksicht auf die sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft im Kohlenbergbau vor sich.
Eine solche Investitionspolitik muß jede vorausschauende Energiewirtschaftspolitik unmöglich machen. Darum die Frage an die Bundesregirung, ob sie eigentlich eine solche Investitionspolitik in der Mineralölwirtschaft noch volkswirtschaftlich für vertretbar hält, ob sie ,es für vertretbar hält, daß die Kohle dieser Entwicklung ohne ernsthafte Hilfen ausgeliefert wird, ob sie nicht der Auffassung ist, daß mindestens ,gleiche, wenn nicht schärfere Investitionskontrollen in der Mineralölwirtschaft eingeführt werden müssen, wie sie bereits seit Jahren für die Kohle gelten. Wenn die Bundesregierung diese Frage nicht bejahen kann, müßte sie wenigstens andere Möglichkeiten andeuten, wie sie der ,auf uns zukommenden Entwicklung begegnen will.
Damit komme ich zu dem Problem des Kohlenbergbaus. Ich sagte bereits, die Aufgabe kann nicht darin bestehen, die Entwicklung auf dem Heizölsektor aufzuhalten, die Aufgabe kann nur darin bestehen, sie in vernünftige Bahnen zu lenken. Das muß bei der Kohlepolitik in Rechnung gestellt werden.
Wenn man eine realistische Untersuchung über die Möglichkeiten der Kohlepolitik anstellt, muß man zu folgenden Ergebnissen kommen. Zunächst einmal muß eine realistische Beurteilung, die sich nicht von vorübergehenden Erscheinungen wie beispielsweise der Konjunkturabschwächung des vergangenen Jahres restlos beherrschen läßt, zu dem Ergebnis kommen, daß die Kohle in Deutschland auf lange Zeit als Energieträger weiterhin ihre
Rolle spielen wird. Das heißt, entscheidend ist gar nicht die Frage, ob Stillegung oder Einschränkung der Förderung, sondern das entscheidende Problem ist, den Kohlenbergbau, die Kohlenförderung und was dazu gehört, wirtschaftlicher zu gestalten.
Wer meint, diesem Problem mit Stillegungen, Entlassungen, Verminderung der Förderung, Senkung der Arbeitskosten beikommen zu können, sieht die Dinge viel zu primitiv. Wirtschaftlicher gestalten heißt, eine tiefgreifende Umgestaltung im Kohlenbergbau herbeizuführen, d. h. eine Rationalisierung der Förderung, aber auch eine Rationalisierung des Verteilungsapparats. Das bedeutet: dort zu modernisieren, wo es möglich ist, und nach Möglichkeit die Förderung in hochrentable Zechenanlagen zu verlagern. Das bedeutet auf lange Sicht vielleicht sogar: Abteufung neuer Schachtanlagen in Gebieten, wo ein großes Vorkommen sehr billig und sehr rentabel abgebaut werden kann.
Zu einer solchen Entwicklung wird dann auch ein Auslaufen unrentabler Schächte gehören, aber nur im Rahmen eines solchen Gesamtprogramms der Umgestaltung, während der Ruf allein nach Stilllegungen und Entlassungen von einer höchst primitiven Einstellung zeugt und nur diese Einzelmaßnahme keine Wirkungen verheißt.
Wenn die Bundesregierung sich aufraffen könnte, ein solches Anpassungsprogramm zu entwerfen und zielbewußt und systematisch durchzuführen, dann würden damit nicht nur Probleme der Kohlewirtschaftspolitik gelöst werden können, sondern es würden sich damit auch neue, bisher nicht erkannte Chancen für die Kohle auf dem Energiemarkt ergeben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Problem herausgreifen: Ich bin der Auffassung, daß es mit Hilfe einer solchen Politik möglich ist, wesentliche Preissenkungen für jene Kohlensorten herbeizuführen, die in scharfem Wettbewerb mit dem Heizöl stehen. Ich möchte das kurz begründen. Wir haben bereits heute bei zahlreichen Unternehmungen Mengenrabatte. Es wäre sehr vernünftig und gut, wenn diese Mengenrabatte in die normale Preisgestaltung eingefügt würden.
Ein Zweites! Am Ende des Jahres läuft die Bergarbeiterwohnungsbauabgabe aus, die die Kohle mit 2 DM bzw. mit 2,60 DM bei Koks belastet. Wenn man davon ausgeht, daß nur ein Drittel der Kohlenförderung wegen des Wettbewerbs mit dem Heiz61 eine Preissenkung erfahren müßte, so ergibt sich, daß der Wegfall der Bergarbeiterwohnungsbauabgabe eine Preissenkung von 6 DM je Tonne für diese Kohlensorten ermöglicht.
Ein Weiteres! Es besteht heute kein Zweifel mehr, daß die Bahntarife für Kohle überhöht sind. Diese Überhöhung macht einen Gesamtbetrag von 120 bis 140 Millionen DM pro Jahr aus. Wir erleben also die Groteske, daß man die Bundesbahn durch den Kohlenbergbau subventionieren läßt. Das wirft in der Tat ein Schlaglicht sowohl auf die Bundesbahnpolitik der Bundesregierung als auch auf ihre Kohlepolitik. Ich bin der Meinung, daß
die Kohlefrachten für einen notleidenden Industriezweig auf ein angemessenes Maß herabgesetzt werden müßten.
Eine vierte Möglichkeit! Wenn es so ist - wie der Bergbau verkündet -, daß 6 bis 10 Millionen Tonnen Förderung eingespart und dabei die Belegschaft um 100 000 Mann vermindert werden kann, dann bedeutet das eine Senkung der Förderung um 5 bis 8% und der Personalkosten - die bis zu 60% der Gesamtkosten ausmachen - um 25%. Aus einer solchen Kostensenkung ergäbe sich die Möglichkeit erheblicher Preissenkungen.
Schließlich liegen in einer Umgestaltung und Modernisierung des Kohlenbergbaus, wie ich sie angedeutet habe, ebenfalls Möglichkeiten zu Kosten- und damit zu Preissenkungen. Eine solche Politik wirkt sich nicht in kleinen Ergebnissen aus, sondern in erheblichen Beträgen, wenn man nur zielbewußt eine Preissenkung für jene Kohlensorten anstrebt, die mit dem Heizöl in Konkurrenz stehen. Mir scheint, das ist auch dem Herrn Bundeskanzler bei seinem letzten Aufenthalt in Cadenabbia eingefallen. Jedenfalls hat die Presse verlauten lassen, der Herr Bundeskanzler sei der Auffassung, mit der Kohlepolitik müsse nunmehr auch eine Preissenkung für Kohle verbunden werden.
Aus dieser Überlegung heraus fragen wir die Bundesregierung:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für eine Preissenkung insbesondere bei
den Kohlensorten, die im Wettbewerb mit
Heizöl stehen?
Dazu muß allerdings eine Vorfrage gestellt werden; sie lautet in unserer Großen Anfrage:
Hat die Bundesregierung eine ausreichende Übersicht über die tatsächliche Kosten- und Ertragslage des Kohlenbergbaus?
Wir haben die Bundesregierung wiederholt gefragt, ob sie eigentlich eine klare Erkenntnis dieser Verhältnisse hat. Wir haben bisher keine Auskunft bekommen. Wir haben auch in der letzten Sitzung des Wirtschaftsausschusses als Ausschuß und Vertreter des Parlaments keine Mitteilung darüber bekommen können, weil es sich angeblich um vertrauliche Dokumente der Hohen Behörde handelt. Wir haben auch keine Auskunft darüber bekommen können, wieviel kalkulatorischer Gewinn eigentlich in die Kosten hineingerechnet ist, ob nicht, wenn der Kohlenbergbau einen Verlust von 1 DM ausweist, darin ein Ansatz von 6 DM kalkulatorischer Gewinn enthalten ist, so daß statt eines Verlustes von 1 DM tatsächlich ein Gewinn von 5 DM erzielt wird.
Auf alle diese Fragen erhielten wir keine Auskunft. Ich frage daher die Bundesregierung: Wie lange wollen Sie eigentlich dem Steuerzahler und Verbraucher zumuten, so ungeheuer große Beträge für den Kohlenbergbau aufzuwenden, ohne ihm einen klaren Nachweis dafür zu bringen, daß diese Aufwendungen erforderlich sind?
Wir Sozialdemokraten haben nie einen Zweifel über die Notwendigkeit dieser Aufwendungen gehabt. Wir sind auch gern bereit, zuzustimmen, wenn es darum geht, dem Kohlenbergbau Lasten abzunehmen, soweit das volkswirtschaftlich notwendig ist. Aber wir möchten wissen, wofür, warum und mit welchem Ergebnis.
Das sinnlose Alarmgeschrei, daß 12 bis 15 Zechen stillgelegt werden müssen, daß im Bergbau 100 000 Mann zuviel sind, daß nunmehr Stillegungen und Entlassungen in großem Umfang erfolgen müßten, hat bedenkliche Folgen gehabt. Bisher sind aus dem Bergbau etwa 60 000 Mann ausgeschieden, davon 50 000 unter Tage. Es ist wohl nicht zuviel behauptet, wenn man sagt, daß sich insbesondere unter denjenigen, die unter dem Zwang der Verhältnisse freiwillig abkehren, zwischen 80 und 90 °/o junge Bergarbeiter, vor allem junge Hauer, befinden.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wie lange wollen Sie dem Steuerzahler zumuten, daß er die Steuern für eine Bergarbeiterprämie aufbringt, durch die in den vergangenen Jahren mit aller Gewalt einige zehntausend Bergarbeiter für den Bergbau gewonnen wurden, wenn Sie heute durch die Duldung einer solchen sinnlosen Politik tatsächlich die jungen Bergarbeiter wieder aus dem Bergbau hinausjagen?
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Ich glaube, daher ist die Frage berechtigt: Was beabsichtigt eigentlich die Bundesregierung zu tun, um dieser Entwicklung der Belegschaft im Kohlenbergbau zu begegnen?
Damit komme ich zu der letzten Frage unserer Großen Anfrage:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu treffen, um sicherzustellen, daß die Anpassung des Kohlenbergbaus an die veränderte Lage in der Energiewirtschaft so durchgeführt wird, daß volkswirtschaftliche Schäden und soziale Härten vermieden werden?
Meine Damen und Herren, ich hoffe verdeutlicht zu haben, daß Strukturveränderungen auf die Energiewirtschaft und damit auf den Kohlenbergbau zukommen, die man ohne Übertreibung vielleicht als von säkularer Bedeutung bezeichnen kann; denn das Zeitalter der Kohle geht allmählich zu Ende. Bei einem solchen Prozeß kann man nicht mehr mit Palliativmittelchen arbeiten, da kann man nicht mehr an Symptomen herumkurieren, sondern da muß man umfangreiche, tiefgreifende Umgestaltungsmaßnahmen ergreifen.
Dazu gehört einmal das allmähliche Auslaufen von Zechenanlagen, dazu gehört die Modernisierung und eventuell das Abteufen neuer Zechenanlagen. Dazu gehört eine zielbewußte Investitionspolitik für den Modernisierungsprozeß, weil der Kohlenbergbau erfahrungsgemäß die Investitionsmittel nicht aus eigener Kraft aufbringen kann. Dazu gehört die Umgruppierung der Arbeitnehmerschaft mit erheblichen sozialen Aufwendungen. Dazu gehört die Berücksichtigung kommunaler Interessen; denn gerade im Ruhrrevier ist der Kohlenbergbau die Grundlage der Kommunalwirtschaft. Dazu gehört die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Meine Damen und Herren, wie wollen Sie dafür sorgen, daß diese vielfältigen Maßnahmen miteinDr. Deist
ander synchronisiert werden, daß sie nicht nebeneinander herlaufen, wenn Sie nicht eine verantwortliche Stelle schaffen, die diese großen Aufgaben und die Einzelmaßnahmen koordiniert? Deshalb unser Antrag auf Bestellung eines Bundesbeauftragten.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, wie sich diese sinnlose, nicht koordinierte Politik im Kohlenbergbau an der Ruhr zur Zeit auswirkt. Seit drei, vier Tagen sind die Einwohner der Stadt Bochum in heller Aufregung, weil plötzlich verkündet wurde, daß in ganz kurzer Frist drei Schachtanlagen, „Prinzregent", „Friedlicher Nachbar" und „Engelsburg", stillgelegt werden sollen. Betroffen sind 6500 Arbeiter; das sind mit Familien 20- bis 25 000 Menschen. Im Laufe der letzten anderthalb Jahre wurde die Zahl der Bergarbeiter in Bochum mit mehr oder minder sanftem Druck bereits um 7500 gesenkt. Das bedeutet binnen kurzer Zeit eine Veränderung der Arbeitsplätze im Kohlenbergbau in der Stadt Bochum für 14 000 Mann; mit Familien werden also 40- bis 50 000 Menschen davon betroffen. Das ist für diese Städte ein entscheidendes soziales und kommunalpolitisches Problem.
Man sehe sich an, welche Folgen diese „guten" privatwirtschaftlichen Überlegungen bei einer großen Bergbaugesellschaft wie der Gelsenkirchener Bergwerks AG haben. Dort wurde im Jahre 1957 beschlossen, auf der Zeche „Prinzregent" ein neues, modernes Großkraftwerk mit Investitionskosten von insgesamt 150 Millionen DM zu errichten. Ende 1958, als die Krise in vollem Gange war, wurde überlegt, ob das Projekt weitergeführt werden sollte. Beschluß: Dieses Projekt ist so gut fundiert, daß es weitergeführt wird. Inzwischen sind ...zig Millionen für Investitionen aufgewandt worden. Jetzt auf einmal soll die Zechengrundlage für dieses Großkraftwerk - und auf dieser Zechengrundlage war es aufgebaut - wieder stillgelegt werden. Dabei sind bereits hohe Millionenbeträge an Investitionen aufgewandt, Gebäude errichtet und Straßen gebaut worden! Diese Aktion geht ohne Rücksicht auf die sozialen Folgen, ohne Rücksicht auf die Kommunalwirtschaft vor sich. Von Koordinierung keine Spur. Da kann man nur sagen: ist es schon Tollheit, hat es doch Methode.
Meine Damen und Herren, so laufen die Dinge unkoordiniert. Jetzt ist wirklich die Frage zu stellen, ob Sie es sich gestatten können, künftig noch mehr Porzellan dadurch zerschlagen zu lassen, daß Sie weiterhin solchen willkürlichen Entscheidungen keine Grenzen setzen. Dabei ist von großer Bedeutung, daß nach der ganzen Regelung für die Anpassungsbeihilfen alle diese Entscheidungen im Laufe der nächsten zwei bis drei Monate getroffen werden müssen. So klug ist das also angelegt, daß über einen langfristigen Strukturwandlungsprozeß, der vor uns steht, abrupt und unüberlegt innerhalb von zwei bis drei Monaten entschieden werden muß. Das ist keine Kohlenpolitik mehr!
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir jetzt eine abschließende Bemerkung zu diesem Problem. Wir bemühen uns in allen interessierten Kreisen seit Jahren um diese Aufgabe. Die Ballung
großer Menschenmassen und großer, insbesondere schwerindustrieller Betriebe auf engem Raum ist gesellschaftspolitisch, gesundheitspolitisch und arbeitsmarktpolitisch sehr schlecht, geradezu eine Gefahr für eine gesunde Entwicklung. Überall hören wir das Schlagwort von der „Erstballung der großen Ballungsräume", zu denen ja auch das Ruhrgebiet gehört. Überall sprechen wir davon, daß ein solches Gebiet wie das Ruhrgebiet auf eine breitere, gesundere wirtschaftliche Basis gestellt werden müßte. Wäre es nicht doch eine Aufgabe und der Überlegung wert, hier aus der Not eine Tugend zu machen? Wäre es nicht die Aufgabe der Bundesregierung, zu sagen: Wenn schon dieser Anpassungsprozeß, wenn schon diese allmähliche Umgestaltung im Kohlenbergbau, dann gekoppelt mit Maßnahmen der Landesplanung und Raumordnung, die diesem Industriegebiet eine gesundere Grundlage als bisher geben?
({6})
Meine Herren von der Bundesregierung, das wäre wirklich eine große Tat. Es wäre wirklich gut, wenn die Bundesregierung zeigen würde, daß sie großzügige Pläne und entsprechend große Finanzmittel nicht nur für Kriegs- und Vernichtungswerkzeuge, sondern auch für Aufgaben des friedlichen wirtschaftlichen, sozialen Aufbaues zur Verfügung hat.
({7})
Da helfen keine großen Worte, und hier ist wirklich - ich sage das ganz ernsthaft, und ich meine es so - eine große Chance. Wir wissen, wie viele junge Menschen bei uns in Deutschland kein Verhältnis zur demokratischen Staatsform und zur demokratischen Staatsordnung haben, weil sie auch kein Gespür dafür bekommen, daß hier wirklich etwas aufgebaut wird, wofür sich der Einsatz eines jungen Menschen lohnt. Hier hätten Sie die Aufgabe, diesen gegenüber der Demokratie weitgehend skeptischen jungen Leuten den Glauben an die Leistungsfähigkeit der Demokratie zu stärken.
({8})
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage und zur Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf Drucksache 1327 hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde zunächst die einzelnen Fragen der Großen Anfrage der SPD beantworten und dann im einzelnen zu den Argumenten meines Herrn Vorredners Stellung nehmen. Selbstverständlich behalte ich mir vor, auch noch in die Debatte einzugreifen.
Frage 1 lautet:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß ihre Aufgabe sich im wesentlichen darin erschöpft, eingetretene soziale Schäden zu beseitigen? Oder teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß ihre Hauptaufgabe darin besteht, Krisenerscheinungen und damit soziale Not4624
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stände durch wirtschaftliche Maßnahmen vorbeugend zu verhindern? Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Heizölsteuer eine wirksame Maßnahme zur Beseitigung der Kohlenkrise ist?
Meine Damen und Herren! Schon in den einleitenden Sätzen der Großen Anfrage wird von der SPD durch die Art der Formulierung unterstellt, daß die Maßnahmen der Bundesregierung nichts anderem als der Beseitigung der sozialen Folgen der Kohlenkrise dienen sollen. Ich möchte hierzu eindeutig klarstellen, daß die Bundesregierung keineswegs ihre Aufgabe darin erschöpft sieht. Die Bundesregierung betrachtet es selbstverständlich als ihre Pflicht, im Zusammenwirken mit den eigenen Anstrengungen der Wirtschaft die Kohlenkrise dauerhaft zu beheben und damit soziale Schwierigkeiten in der Zukunft überhaupt zu vermeiden.
({0})
Die von der Bundesregierung beschlossenen sozialen Maßnahmen zugunsten der Bergarbeiter sollen die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Rationalisierung im Bergbau ohne soziale Härten durchgeführt werden kann. Diese sozialen Maßnahmen sind damit ein konstruktiver Bestandteil einer Politik, die insgesamt darauf abgestellt ist, die Anpassung des Bergbaus an die veränderte Energiemarktlage zu ermöglichen.
Im übrigen hat sich die Bundesregierung keineswegs mit sozialen Maßnahmen auf dem Energiegebiet begnügt. Der im Februar dieses Jahres eingeführte Kohlenzoll von 20 DM je Tonne hat in Verbindung mit dem im September 1958 eingeführten Genehmigungszwang für neue Kohleneinfuhrkontrakte in verhältnismäßig kurzer Zeit seine Wirksamkeit voll unter Beweis gestellt, eine Entwicklung, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, damals bezweifelt haben.
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Die Kohleneinfuhr aus Ländern außerhalb der Montanunion wird in diesem Jahr nur noch 5 bis 6 Millionen Tonnen betragen gegenüber 13 Millionen Tonnen im Vorjahre und gegenüber 17 Millionen Tonnen im Jahre 1957.
({2})
Das zu Anfang dieses Jahres zustande gekommene Öl-Kartell hat gezeigt, daß die Außenseiter in rasch zunehmendem Maße den Kartellpreis von 88 DM je Tonne bei schwerem Heizöl mit Preisen von 58 bis 72 DM zu unterbieten in der Lage waren. Rechnet man diese Preise auf vergleichbare Heizwertbasis für Steinkohle um, so hätte dem ein Steinkohlenpreis von 40 bis 50 DM entsprechen müssen, während der tatsächliche Ab-Zeche-Preis für die gängigsten Steinkohlensorten etwa 66 DM beträgt. Die großen Ölgesellschaften kündigten aus Besorgnis über das Vordringen der Außenseiter im August dieses Jahres das Kartell.
Diese Entwicklung machte die Reaktion des Bergbaus, aber auch der Bundesregierung verständlich, an Stelle des Ölkartells eine wirksamere Beeinflussung des Heizölangebots zu suchen. Eine Reihe der hierzu erwogenen Maßnahmen mußten aus innerrechtlichen Gründen oder wegen der von der Bundesrepublik eingegangenen internationalen vertraglichen Verpflichtungen aus dem Bereich des praktisch Möglichen ausscheiden. Andere Maß nahmen kamen mangels der notwendigen Kontrollmöglichkeiten nicht in Frage oder weil sie in einen undiskutablen Energiedirigismus hineingeführt hätten. Auch das verschiedentlich vorgeschlagene Zwangskartell für Heizöl erwies sich bei näherer Prüfung, ungeachtet starker wirtschaftspolitischer und moralischer Bedenken, als rechtlich unzulässig und daher undurchführbar. Für die Heizölsteuer bestehen diese Schwierigkeiten nicht.
Damit komme ich zur Beantwortung des letzten Teils der Frage 1, der Frage nach der Wirksamkeit der Heizölsteuer. Ich möchte noch einmal wiederholen: Der eben von mir mit einigen Zahlen gekennzeichnete verstärkte Wettbewerbsdruck des Heizöls, und zwar angesichts der Kohlenhalden von 17 Millionen Tonnen, des Ausmaßes von Feierschichten, aber auch angesichts der von den Unternehmen eingeleiteten eigenen Anstrengungen zur Anpassung, mußte - versetzen Sie sich einmal in die Lage der Bergarbeiter oder der Bergwerksunternehmer! - stark beunruhigend und geradezu entmutigend wirken. Wo lag noch der Sinn eines für den Bergbau kostspieligen, aber auch wirtschaftspolitisch schwierigen starken Zurückdrängens der Kohleneinfuhr, wenn gleichzeitig der angestrebte Absatzgewinn für die heimische Kohle an das Heizöl wieder verloren zu gehen droht?
Aber es war nicht nur die wachsende Unzufriedenheit, daß Angehörige eines besonders schweren Berufes inmitten einer glänzenden Konjunktur ihre Lohntüten schmaler werden sahen, es war nicht nur jene für eine mit allen Mitteln arbeitende Ostpropaganda anfällige Unruhestimmung, sondern es war auch jene gefährliche Erscheinung, daß die jüngeren Arbeitskräfte aus dem Gefühl der Unsicherheit dem Bergbau den Rücken kehrten, um woanders unterzukommen.
Ich kann es ruhig aussprechen, auch gerade gegenüber der SPD, daß die Heizölsteuer gleichzeitig eine politische Maßnahme ist. Sie soll einen wesentlichen Beitrag zu einer Beruhigung im Ruhrrevier bringen, an der der Oppositon nicht minder gelegen sein sollte als der Bundesregierung.
({3})
Sie soll gleichzeitig den Bergbau ermutigen und anspornen, selbst alle Kräfte daranzusetzen, sich anzupassen, um in einem angemessenen Zeitraum seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den konkurrierenden Energieträgern zu stärken.
Die vorgeschlagene Heizölsteuer soll nach zwei Seiten wirken. Sie soll einmal das Vordringen des Heizöls durch eine Belastung verlangsamen. Andererseits ist vorgesehen, das Aufkommen aus der Heizölsteuer für Maßnahmen zur Anpassung des Steinkohlenbergbaus und der Wirtschaftsstruktur der Steinkohlengebiete an die veränderte Lage auf dem Energiemarkt, insbesondere zur Vermeidung
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sozialer Härten, zu verwenden. Es wird entscheidend darauf ankommen, daß der Bergbau die Verpflichtung erkennt, die ihm diese Hilfe auferlegt.
Die Kohlenkrise kann letztlich nicht beim 01 und vom 01 und bei der Einfuhrkohle gelöst werden, sie muß vom Bergbau selbst gelöst werden. Die Heizölsteuer und der Kohlenzoll haben nur dann einen Sinn und können nur dann wirtschaftspolitisch verantwortet werden, wenn der Bergbau die ihm zugestandene Anpassungsfrist voll nutzt. Die Bundesregierung wird ihrerseits die Bedingungen des Wettbewerbs zwischen den einzelnen Energieträgern sorgfältig zu überprüfen haben.
Ich weiß, daß gerade in dem wichtigen Punkte der eigenen Anstrengungen des Bergbaus bei vielen Skepsis herrscht. Ich hege hierzu große Erwartungen. Als Ergebnis der bisherigen Anstrengungen des Bergbaus ist die Schichtleistung beträchtlich gestiegen, und zwar an der Ruhr binnen Jahresfrist um nicht weniger als 280 kg auf fast 2 Tonnen. Ich kann Ihnen sagen, daß am 1. Januar 1958 die Schichtleistung auf 1600 kg stand, und nach den letzten Meldungen hat sie bereits 2 t überschritten. Dies scheint mir der richtige Weg. Hier geht es genau um das, was ich schon in dien Kohlendebatten der Jahre 1956 und 1957 gesagt habe, nämlich um eine nachhaltige Senkung der Kosten, die es im Zuge einer längerfristigen Entwicklung gestatten wird, die Kohlenpreise auf ein wettbewerbsfähiges Niveau zu bringen. Ich bin davon unterrichtet, daß der \Bergbau dabei ist, die Aufgabe der strukturellen Bereinigung durch Ausschaltung unwirtschaftlicher Zechen, durch Zusammenlegung und Rationalisierung mit großem Nachdruck fortzuführen. Der Bergbau hat, wie der Vorsitzende des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau auf dem Steinkohlentag vorige Woche wörtlich erklärte, den Zwang zur Rationalisierung rerkannt. Bei der Bereitschaft zur Durchführung der Rationalisierung wirkt mit - das möchte ich erneut betonen -, daß die Beschlüsse des Bundeskabinetts und dier Hohen Behörde die entscheidende Vorbedingung auf sozialem Gebiet geschaffen haben. Ich glaube erwarten zu können, daß der Bergbau sehr bald weitere Taten folgen lassen wird.
Ich komme nun zur Beantwortung der Frage 2:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Investitionspolitik der Mineralölkonzerne volkswirtschaftlich vertretbar ist? Wenn nein, welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um zu erreichen, daß sich diese Investitionen in einem volkswirtschaftlich vertretbaren Rahmen halten?
In einer Marktwirtschaft, die auf dem Grundprinzip des Wettbewerbs beruht, ist es der Unternehmer, der die Marktchancen sorgfälig abzuwägen, danach die Dimensionierung des Produktionsapparates zu bestimmen und dementsprechend über Art und Umfang der Investitionen zu entscheiden hat. Auch der Ausbau der Raffineriekapazitäten in der Bundesrepublik steht unter dieser Unternehmerverantwortung. Unter den Gesichtspunkten einer volkswirtschaftlichen Beurteilung ist festzustellen, daß die
Entwicklung der Raffineriekapazitäten einer steigenden Entwicklung des Verbrauchs folgt. Das trifft insbesondere auch für die Erhöhung ides Heizölausstoßes zu. Der zu erwartenden Zunahme ides Heizölverbrauchs tragen die Mineralölfirmen bei Raffinerieneubauten auch dadurch Rechnung, daß die Kapazitäten auf einen immer größeren Heizölanteil an der gesamten Produktion ausgerichtet werden. Von einer Überkapazität kann so lange keine Rede sein, als zur Deckung ides Bedarfs noch erhebliche Heizölmengen eingeführt werden müssen. Obwohl 1958 der Heizölanteil an der Gesamterzeugung von Mineralölprodukten schon rund 31% betrug, reichte diese Produktion zur Bedarfsdeckung nicht aus; eis wurden noch 4,3 Millionen Tonnen Heizöl - das sind in Steinkohleneinheiten 6,1 Millionen Tonnen - eingeführt. Trotz der Inbetriebnahme neuer Raffinerien in diesem Jahr ist die Heizöleinfuhr im ersten Halbjahr 1959 gegenüber dem Vorjahreszeitraum nahezu auf gleicher Höhe geblieben.
Ich brauche nicht zu betonen, daß in einem hochindustrialisierten Land das wirtschaftspolitische Interesse darauf gerichtet ist, Verarbeitungs- und Veredelungsvorgänge im Inland zu haben und nicht in idas Ausland abzudrängen. Unter diesem Gesichtspunkt erhebt die Bundesregierung keine Einwendungen gegen die bisherigen Investitionen der Mineralölindustrie.
({4})
Es erscheint volkswirtschaftlich durchaus vertretbar, wenn ein Industriezweig die investitionspolitischen Voraussetzungen schafft, um einen billigen Energieträger wie das Heizöl auf den deutschen Markt zu bringen. Selbstverständlich liegt es auch im Interesse der Mineralölindustrie selbst, bei ihrer Investitionspolitik das Ausmaß der nicht zuletzt sozialpolitisch bestimmten Anpassungsfähigkeit des Steinkohlenbergbaus zu berücksichtigen. Die Bundesregierung kann, wie es der von ihr vorgelegte Gesetzentwurf zeigt, einer anders gearteten Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Ich glaube, davon ausgehen zu können, daß die Notwendigkeit derartiger Anpassungsmaßnahmen auf die Dispositionen der Mineralölindustrie insgesamt nicht ohne Rückwirkung bleiben wird. Je sorgfältiger alle beteiligten Wirtschaftskreise die konkrete Energiesituation in ihre Überlegungen einbeziehen, um so reibungsloser wird diese strukturelle Verlagerung vor sich gehen können. Dagegen müßte eine unmittelbare Beschränkung der Investitionen heute als völlig verfehlt erscheinen. Die Nachfrage nach Heizöl würde hiervon nicht berührt werden. Die Einfuhren würden entsprechend ansteigen. Es zeigt sich also, daß eine Investitionsbeschränkung nur wirksam werden könnte, wenn sie von einer Beschränkung der Einfuhren begleitet wäre. Dem stehen nicht nur erhebliche wirtschafts- und handelspolitische Bedenken entgegen, sondern auch Bestimmungen des EWG-Vertrages. Holland und Italien treten z. B. schon jetzt in großem Umfang als Exporteure von Heizöl in die Bundesrepublik auf. Frankreich befindet sich im Hinblick auf das Sahara-Öl in der gleichen Interessenlage.
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard Die Frage 3 lautet:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für eine Preissenkung insbesondere bei den Kohlensorten, die im Wettbewerb mit Heizöl stehen? Hat die Bundesregierung eine ausreichende Übersicht über die tatsächliche Kosten- und Ertragslage des Kohlenbergbaus?
Ich nehme dazu wie folgt Stellung. Der deutsche Bergbau hat inzwischen schon die ersten Schritte unternommen, um seine Verkaufspreise an die veränderten Wettbewerbsbedingungen, insbesondere an die verstärkte Konkurrenz des Heizöls anzupassen. So hat der Ruhrbergbau am 1. April d. J. die Listenpreise der Kohlenarten, die unter besonders starkem Wettbewerbsdruck des Heizöls stehen, nämlich der Gasflammkohle und eines Teils der Esskohlennüsse, nicht unwesentlich, und zwar um 3 bzw. 8%, gesenkt. Bei den übrigen Kohlenarten und -sorten wurden die Preise nicht generell herabgesetzt, jedoch hat der Ruhrbergbau in verstärktem Maß auf die Listenpreise Rabatte gewährt. Zu erwähnen sind hier insbesondere die gegenüber der bisherigen Regelung erhöhten Sommerrabatte bis zu 6 DM je Tonne, die vor allem auch der Hausbrandkohle und dem Brechkoks zugute kamen. Ferner werden gewährt: Prämien beim Abschluß langfristiger Verträge und Abnahme von jährlich mehr als 50 000 t, Gleichmäßigkeitsprämien von 5 DM pro Tonne für den Kohleneinzelhandel und schließlich Mengenrabatte von 10% des Listenpreises für Mengen, die über die im Vorjahr bezogenen hinausgehen. Außerdem möchte ich noch darauf hinweisen, daß auch die Exportpreise gesenkt wurden.
Der Bergbau stellt gegenwärtig ernsthafte Überlegungen über eine marktgerechtere Gestaltung seines Preisfächers an. Der Bergbau sollte in diesem Zusammenhang dafür sorgen, das Vertriebssystem der Kohle der veränderten Lage am Energiemarkt anzupassen. Ich bin der Meinung, daß in der Rationalisierung des Kohlenverkaufs noch erhebliche Möglichkeiten einer Verbilligung der Kohle für den Verbraucher liegen.
Andererseits kann der Bergbau bei seiner Preispolitik die langfristige Entwicklung seiner Produktionskosten nicht außer acht lassen. Es wäre jedoch falsch und verhängnisvoll, wenn man die Entwicklung der Selbstkosten als zwangsläufig und naturgegeben hinnehmen würde. Diese Entwicklung ist vielmehr wesentlich eine Aufgabe unternehmerischer Gestaltung. Ich verkenne allerdings nicht, daß diese Aufgabe im Bergbau wesentlich schwieriger als in anderen Wirtschaftszweigen ist, weil die naturbedingte Lagerung und Mächtigkeit der Kohlenflöze für die Kostengestaltung von größter Bedeutung ist. Auch für den Bergbau gilt der Grundsatz, daß die Kosten auf die Dauer nicht die auf dem Markt erzielbaren Erlöse übersteigen dürfen.
Die SPD fragt, ob die Bundesregierung eine ausreichende Ubersicht über die tatsächliche Kosten-und Ertragslage des Kohlenbergbaus besitzt. Ich kann darauf antworten, daß die Bundesregierung eine ausreichende Übersicht über die Entwicklung der Hauptdaten in dieser Beziehung besitzt, so daß sie in der Lage ist, sich ein Gesamturteil bilden zu
können. Im übrigen wird die vom Bundestage beschlossene Energienenquete uns wichtige Ergebnisse zur Kostengestaltung des Bergbaues, aber, so hoffe ich vor allem, auch über das Verhältnis der verschiedenen Kostentrends in der Energiewirtschaft bringen.
Nun komme ich zur Frage 4:
Die Ankündigung von Stillegungen und der Entlassung von rd. 100 000 Bergarbeitern hat dazu geführt, daß insbesondere junge Bergarbeiter und gelernte Fachkräfte, die in den letzten Jahren mit Hilfe umfangreicher öffentlicher Mittel - z. B. Bergmannsprämie - für den Bergbau gewonnen wurden, wieder abwandern. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um dieser Entwicklung zu begegnen?
Seit Februar 1958, als die Krise begann, bis Ende Oktober 1959 hat sich die Belegschaft des Bergbaus - ohne Saar - um rd. 67 000 Mann oder um über 130/o verringert, ohne daß es deshalb zu Stauungen oder Spannungen auf dem Arbeitsmarkt gekommen wäre. Hier zeigt sich mit Deutlichkeit, daß die vielgestaltige Wirtschaft der Bundesrepublik durchaus in der Lage ist, auch insoweit mit Strukturveränderungen und Verschiebungen im Wirtschaftsgefüge fertig zu werden. Es ist allerdings richtig, daß ein sehr hoher Prozentsatz dieser Belegschaftsverringerung im Bergbau gerade auf jüngere und besonders leistungsfähige Arbeitskräfte entfiel. Dies war ein Tatbestand, der auch die Bundesregierung mit Sorge erfüllt hat; denn hierdurch wird zweifellos die Leistungsfähigkeit des gesamten Bergbaus für die Zukunft beinträchtigt. Die Gründe für diese Abwanderung dürften nicht zuletzt in den Feierschichten zu suchen sein, die eine Minderung des Arbeitsverdienstes bedeuten und daher gerade junge Arbeiter und Spezialkräfte veranlassen, den Arbeitsplatz zu wechseln. Soll hier Wandel geschaffen werden, so kommt es in erster Linie darauf an, die Feierschichten zu vermindern. In dieser Beziehung ist in den letzten Wochen, das möchte ich besonders betonen, eine beachtliche Wendung zum Besseren eingetreten. Während die 117 Schachtanlagen des Ruhrbergbaus im März d. J. insgesamt noch 246 Feierschichten oder rund 2 Feierschichten je Belegschaftsmitglied verfahren mußten, hat sich die Zahl der Feierschichten im Oktober auf 30 oder rund 0,2 je Kopf der Belegschaft vermindert.
Ich will nicht behaupten, daß es in Zukunft keine Feierschichten mehr geben wird. Ich hoffe jedoch, daß sie sich auch in den kommenden Monaten in engen Grenzen halten werden. Aufhören werden sie endgültig erst, wenn durch die Stillegung unwirtschaftlicher Zechen, durch Teilstillegungen oder sonstige planmäßige Rationalisierungsmaßnahmen die Förderung wieder im Einklang mit dem Absatz stehen wird. Ich darf hier immerhin darauf hinweisen, daß auch der Vorsitzende der IG Bergbau, Herr Gutermuth, die Notwendigkeit der Stillegung von Zechen und Entlassung von weiteren Arbeitskräften im Kohlenbergbau durchaus anerkannt hat, und zwar in einer Größenordnung, die vielleicht noch höher liegt, als es unseren eigenen Vorstellungen entspricht.
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Bei der jetzt beabsichtigten Schließung von drei Zechen im Bochumer Revier hat Herr Gutermuth - ich weiß nicht, ob als Vorsitzender der IG Bergbau oder als Aufsichtsratsmitglied der GBAG - der Schließung nur einer Zeche zugestimmt, und zwar mit dem Hinweis, daß die Einschränkung der Kapazität oder der Förderung gleichmäßig über alle - über gute und über schlechte - Zechen verteilt werden müsse. - Eine solche Politik würde allerdings die Gesetzesvorlage völlig illusorisch machen.
({5})
Das würde bedeuten, daß wir die Feierschichten zu einer ewigen Institution im Bergbau zu erheben bereit wären.
({6})
Die Abwanderung der leistungsfähigen Arbeitskräfte wird aber schon dann nachlassen, wenn Klarheit über diejenigen Schachtanlagen, die stillgelegt werden müssen, und diejenigen, die unter wirtschaftlichen Bedingungen in Betrieb gehalten werden können, gewonnen ist.
Auch hier darf ich sagen, daß der Vorsitzende der IG Bergbau ausdrücklich darauf hingewiesen hat, wie unbedingt notwendig es sei, möglichst schnell Klarheit über die zu schließenden Zechen zu gewinnen. Gerade die Ungewißheit über die Sicherheit des Arbeitsplatzes ist es ja, außer den Feierschichten, die die Bergleute zu einem Wechsel in andere Industriezweige veranlaßt. Die Entscheidung über die Stillegung liegt im konkreten Einzelfall bei den Unternehmen. Mehrere Bergwerksgesellschaften haben diese Entscheidung bereits getroffen, bei anderen dürfte sie in Kürze zu erwarten sein. Auch die Bergwerksgesellschaften müssen interessiert sein, gerade ihre jüngeren Bergleute zu halten.
Die Maßnahmen der Bundesregierung sind insgesamt darauf gerichtet, die Anstrengungen des Bergbaus auf eine nachhaltige Verbesserung seiner Wirtschaftlichkeit zu fördern. Damit wird erreicht, daß der Bergmannsberuf auch in Zukunft für junge Menschen aussichtsreich und lohnend erscheint und deshalb seine Anziehungskraft behalten wird. Unter den sozialen Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung dient die Gewährung von Abfindungen an Bezieher von Bergmannsrenten, Knappschaftsrenten und Inhaber von Bergmannsversorgungsscheinen mittelbar dazu, Arbeitsplätze für die jungen und leistungsfähigen Bergleute zu erhalten, indem den älteren Arbeitnehmern der Entschluß zum freiwilligen, vorzeitigen Ausscheiden erleichtert wird.
Damit komme ich zur letzten Frage; ihr erster Satz lautet:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu treffen, um sicherzustellen, daß die Anpassung des Kohlenbergbaus an die veränderte Lage in der Energiewirtschaft so durchgeführt wird, daß volkswirtschaftliche Schäden und soziale Härten vermieden werden?
Auf die volkswirtschaftliche Seite des Problems bin ich bereits mit meinen Ausführungen zur Frage 1 eingegangen. Die von der Bundesregierung vorgesehenen und inzwischen bereits angelaufenen
sozialen Hilfsmaßnahmen sind Ihnen aus der Grundsatzerklärung des Kabinetts vom 16. September 1959 bekannt. Ich darf, um Wiederholungen zu vermeiden, hierauf verweisen und nur hinzufügen, daß mit der Hohen Behörde volles Einverständnis hinsichtlich der auf Grund von § 23 des Übergangsabkommens zum Montanunionsvertrag zu treffenden Maßnahmen erzielt wurde und daß auch mit der Arbeitsverwaltung die praktische Durchführung sowohl dieser als auch derjenigen Maßnahmen, die außerhalb des Montanunionsvertrages von der Bundesregierung getroffen werden, geregelt wurde.
Besonders zu erwähnen ist der Härteausgleich, der den Beschäftigten des Steinkohlenbergbaus in Höhe von 75 Millionen DM gezahlt wird. Er wird gewährt für die fünfte und jede weitere in der Zeit vom 1. Februar 1958 bis zum 30. September 1959 infolge Absatzmangels entgangene Schicht. Es ist ausdrücklich abgesprochen, daß es sich um eine einmalige Regelung und eine Regelung für die Vergangenheit handelt. Künftige Feierschichten können also nicht entschädigt werden. Würde man eine solche Regelung getroffen haben, so würde dies das „Produzieren" von, Feierschichten bedeutet haben: Das kann aber nicht der Wille der Bundesregierung sein.
Über alle diese Maßnahmen ist zwischen der Bundesregierung und den Beteiligten volles Einverständnis erzielt worden. In zahlreichen Besprechungen wurden in einer besonderen Arbeitsgruppe sowohl alle sozialen Fragen grundsätzlich als auch die Einzelheiten des Verfahrens gemeinsam durchgesprochen. Hervorheben möchte ich, daß diese Maßnahmen selbstverständlich in vollem Umfang auch dem Saarland zugute kommen werden.
Der zweite Teil der Frage 5 heißt:
Was geschieht, um die notwendigen Maßnahmen auf dem Gebiet der Anpassungsbeihilfen, der Arbeitsplatzvermittlung, der Schaffung neuer Arbeitsplätze und der Investitionspolitik unter Berücksichtigung der Interessen der Landesplanung, der Kommunalwirtschaft und der Arbeitnehmer zu koordinieren?
Ich darf dazu auf folgendes hinweisen. Wenn die Bundesregierung die Durchführung der eben erwähnten Hilfsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung übertragen hat, so geschah dies mit der ausgesprochenen Absicht, die Anpassungsbeihilfen mit der Arbeitsvermittlung zu koppeln, um damit in erster Linie die Beschäftigung frei werdender Bergarbeiter auf anderen Zechen oder die Wiederbeschäftigung in anderen Wirtschaftszweigen zu sichern. Die Unternehmen sind aufgefordert worden, ihre Anpassungsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung so rechtzeitig bekanntzugeben, daß die notwendigen Vermittlungsbemühungen schon vor der Entlassung einsetzen und Maßnahmen für erforderliche Umschulungen für andere Tätigkeiten unverzüglich eingeleitet werden können. Mit der Arbeitsvermittlung gekoppelt sind auch die Eingliederungsbeihilfen, durch die die Bereitschaft der Arbeitgeber geweckt werden soll, leistungsgeminderte, insbesondere ältere arbeitslose Bergarbeiter einzustellen.
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
Darüber hinaus soll durch die Gewährung von Darlehen Betrieben, die ihre Kapazität erweitern können oder müssen, ein Anreiz gegeben werden, zusätzliche Arbeitsplätze für schwer zu vermittelnde Arbeitnehmer zu schaffen.
Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie bei der Vorbereitung und Durchführung aller Maßnahmen auf ein enges Zusammenwirken mit allen zuständigen Stellen, auch mit dem Land Nordrhein-Westfalen, besonders bedacht sein wird, und sie hat auch bisher danach gehandelt. Die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen hat die gleiche Bereitschaft bestätigt, in schneller Zusammenarbeit mit der Bundesregierung dafür zu sorgen, daß wirksame Hilfe geleistet wird. Alle nachgeordneten Stellen sind angewiesen, in diesem Sinn zu arbeiten. Die Regierung des Saarlandes setzt sich in gleicher Weise ein.
Auf Veranlassung des Bundesministeriums für Wirtschaft ist beim Ruhrsiedlungsverband eine Arbeitsgruppe gebildet worden, die die Frage untersuchen soll, welche Maßnahmen getroffen werden müssen, wenn diese oder jene Schachtanlage stillgelegt wird. Der Ruhrsiedlungsverband, der in enger Fühlung mit allen beteiligten Stellen des Reviers steht, erschien als koordinierende Stelle deshalb besonders geeignet, weil er sich bereits seit Jahren mit den Auswirkungen von Zechenstilllegungen beschäftigt, nicht nur unter dem Blickpunkt der gegenwärtigen Absatzkrise, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der naturbedingten Wanderung des Ruhrbergbaus nach Norden. Diese Entwicklung wird durch die gegenwärtige Absatzkrise zum Teil nur vorweggenommen.
Welche Maßnahmen im einzelnen getroffen werden müssen, ob etwa die Unterbringung der bei Stillegung entlassenen Bergleute auf Nachbarschachtanlagen möglich ist, ob dazu neue Verkehrsverbindungen eingerichtet oder gegebenenfalls auch Ersatzindustrien angesiedelt werden müssen, hängt selbstverständlich von der Lage des Einzelfalles ab. Es kann - hier bin ich mit Ihnen, Herr Dr. Deist, einer Meinung - natürlich nicht die Absicht der Bundesregierung sein, die industrielle Ballung in Nordrhein-Westfalen noch weiter zu verstärken. Sie können aber versichert sein, daß alle nötigen Maßnahmen getroffen werden. Verhältnisse, wie sie in den zwanziger Jahren eintraten, wo zahlreiche Zechenstillegungen am Südrand des Ruhrreviers zu großer Arbeitslosigkeit unter der dortigen Bevölkerung und als Folge davon zu Abwanderungen und zu großen Schwierigkeiten ganzer Gemeinden führten, werden sich mit Sicherheit nicht wiederholen.
Damit habe ich die Anfrage behandelt; aber nun möchte ich zu den Ausführungen und Argumentationen und auch zu einigen Redewendungen von Herrn Deist Stellung nehmen.
Er behauptete, erst die Demonstrationen hätten die Bundesregierung veranlaßt, an soziale Hilfsmaßnahmen, an den Ausgleich sozialer Härten zu denken. Das ist objektiv unrichtig.
({7})
Denn als die Krönung dieser Demonstrationen, die
Schlußapotheose in Bonn, erfolgte - dabei will
ich den Arbeitern und der Gewerkschaft das gute Recht der Demonstration gewiß nicht bestreiten -, da war materiell bereits alles in bester Ordnung. Die Demonstration war, so gesehen, so überflüssig wie ein Kropf.
({8})
Wir haben auch in der Montanunion sozialen Hilfen nicht widersprochen; wir wollten lediglich, daß sie nicht für 43 Jahre verankert werden, weil wir - um eine weitere Frage von Ihnen zu beantworten - trotz dieses sozialen Härteausgleichs für die Ruhr wegen strukturbedingter Veränderungen nicht die Absicht haben, unsere Sozial- und Wirtschaftspolitik im Grundsatz zu ändern.
Dann sprachen Sie von einer „Hysterie", von einer „Dramatisierung". Mir ist davon, jedenfalls bei mir oder im Regierungslager und auch unter den Koalitionsparteien, nichts bekannt.
({9})
Wer hat denn eigentlich die Schlagworte von „Katastrophe" und „Chaos an der Ruhr" erfunden? Doch nicht wir;
({10})
das waren doch Sie, meine Damen und Herren!
({11})
Auch bei der Behandlung dieser Materie im Bundestag haben doch gerade Sie die Lage im Kohlenbergbau immer dramatisiert. Sie waren es, Herr Dr. Deist, der gesagt hat, Sie kennten Leute, die im Bett Liegen müßten, weil sie keine Kohle bekämen.
({12})
Ich darf Ihnen mal einiges vorlesen, um zu zeigen, wer die Lage richtig gesehen hat. Herr Dr. Bleiß hat z. B. am 29. November 1956 von einer auf Jahre hinaus bestehenden echten Unterversorgung mit deutscher Kohle gesprochen,
({13})
zu einer Zeit, in der wir schon darauf hingewiesen haben, daß es notwendig ist, die deutsche Kohle mehr und mehr in den Wettbewerb mit anderen Energieträgern zu stellen, weil wir immerhin im Trend die Entwicklung vorausgesehen haben.
({14})
- Ich habe die Einfuhrverträge nicht ,gemacht, aber ich habe dafür gesorgt, daß sie herunterkommen.
({15})
Herr Dr. Deist, ich darf daran erinnern, daß wir
in der Spitze Kohlenkontrakte - d. h. Einfuhrverträge für Lieferungen aus den Vereinigten
Staten von Amerika - von 44 Millionen t vorliegen hatten. Wir haben da nicht schon am 1. Januar 1958 ,eingreifen können, als noch keine Kohle
auf Halde lag. Hier bestanden internationale BinBundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
dungen und Vereinbarungen, und unsere Politik war dabei loyal gegenüber unseren Partnern. Es war schon bedenklich genug, daß wir im Herbst 1958 den Stopp für den Abschluß neuer Kontrakte verfügten und dann schließlich dm Dezember in die schon genehmigte Einfuhr aus dritten Ländern eingriffen. Das ist auch ,eine Leistung, daß wir diese 44 Millionen t auf jetzt unter 12 Millionen t, lieferbar in zwei Jahren, reduziert haben, was in etwa den zollfreien Kontingenten entspricht.
({16}) Wer also gehandelt hat, das waren Sie,
({17})
- das waren nicht Sie,
({18})
- Ja, S i e haben auch gehandelt, nur verkehrt!
({19})
Ich darf Sie aber selber zitieren, Herr Dr. Deist. Sie haben nach einer Veröffentlichung der Pressestelle der SPD-Bundestagsfraktion am 19. August 1957 ausgeführt, daß die strukturell knappe Energieversorgung und die ständigen Energieeinfuhren eine grandiose Steigerung der heimischen Steinkohlenförderung notwendig machten. Es heißt wörtlich:
Die Pläne, innerhalb von 20 Jahren zusätzlich 40 Millionen t heimischer Steinkohle zu fördern, sind nur durchzuführen, wenn 10 bis 15 moderne Schachtanlagen auf grüner Wiese errichtet werden.
({20})
Sie erfordern einen Kapitalaufwand von mindestens 7 bis 8 Milliarden DM, der durch die Unternehmungen selbst oder über den Kapitalmarkt einfach nicht aufzubringen ist. Hier sind öffentliche Mittel und andere öffentliche Stützungsmaßnahmen in größtem Umfange erforderlich.
({21})
- Ich habe ja wohl das Recht, Ihnen zu antworten, nachdem Sie mich in einem Schwarzbuch so liebenswürdig angesprochen haben.
({22})
Ich kann nur sagen: welches Glück hat die deutsche Volkswirtschaft, daß seinerzeit nicht Sie und die SPD an der Regierung waren!
({23})
Welche Fehlinvestitionen wären dann vorgekommen, und wieviel Geld wäre zu Lasten des deutschen Steuerzahlers vertan und verschwendet worden!
({24})
Wie paßt das, was Sie seinerzeit gesagt haben - und Sie hören ja auf energiewirtschaftlichem Gebiet immer das Gras wachsen -, mit dem zusammen, was Sie jetzt über die Ausweitung des Ölverbrauchs gesagt haben?
Sie meinen, die Heizölsteuer sei unwirksam. Ich habe nie behauptet - ich möchte das hier klarstellen -, daß die Heizölsteuer dem Zweck dient, den Ölverbrauch zu senken oder den Kohleverbrauch zu steigern. Mir genügt es vollkommen, wenn der Zuwachs an Ölverbrauch in überschaubaren Grenzen und Dimensionen gehalten werden wird. Wenn wir diesen Vorgang einer überschaubaren Reduktion der Kohleförderung, vor allen Dingen durch die Stillegung schlechter und unwirtschaftlicher Zechen, in etwa kanalisieren können, dann hat die Heizölsteuer ihre Wirkung getan.
Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Diejenigen, die es eigentlich am besten wissen sollten, nämlich die Kohle selbst - und zwar die Unternehmer und die Gewerkschaften - haben wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß, gleichgültig wie man sonst die Steuer beurteilen mag - eine Steuer ist natürlich nie besonders populär -, nach ihrer Meinung dem Problem damit doch in etwa wirksam wird begegnet werden können. Herr Dr. Deist behauptet das Gegenteil: niemand soll es glauben!
Auch Ihr Gedanke, das Öl zu entschwefeln, ist nicht neu. Wir befassen uns damit, und ich gebe zu: wenn das gelingen sollte - aber das schiene mir dann angesichts der Pipelines über die Grenzen auf europäischer Ebene notwendig zu sein -, würde die Heizölsteuer insoweit überflüssig werden, da diese Kosten sich tatsächlich auf etwa 30 DM je Tonne belaufen. Aber das geschieht auch nicht von heute auf morgen. Ich bin jedoch überzeugt, daß bis die Heizölsteuer ausläuft, dieses Anliegen auf europäischer Ebene gelöst sein kann; dann stehen wir vor einer grundsätzlich anderen Situation.
Mit der Frage, ob die Ölpreise steigen oder sinken werden, hängt natürlich auch die Beurteilung zusammen, ob die Heizölsteuer wirksam sein kann. Dazu muß ich zuerst einmal sagen: In keinem anderen europäischen Land sind die Ölpreise so heruntergedrückt, um nicht zu sagen: heruntergewirtschaftet worden wie bei uns in der Bundesrepublik. In allen anderen Ländern werden auch Zölle erhoben. Im übrigen haben wir ebenfalls bis zum Jahre 1953 eine Steuer von 10 DM und bis 1956 einen Zoll von 15 DM erhoben. Wir haben dann zuerst die Steuer und im Jahre 1956 den Zoll gestrichen. Das heißt, das 01 war bei uns mit 25 DM belastet. Ich habe damals aber niemanden gehört, der gesagt hätte, das sei ein untragbarer oder unzumutbarer Zustand.
Wenn wir jetzt mit einer Steuer eingreifen, tun wir es deshalb, weil uns wegen der Bindung im EWG-Vertrag die Erhebung von Zoll nicht möglich ist. In der sozialen Wirkung bedeuten aber Steuer und Zoll praktisch genau das gleiche. Im übrigen kann ich auch nicht sagen, ob die Ölpreise steigen oder sinken werden. Darüber kann man durchaus verschiedener Meinung sein. Allerdings wissen wir ja, daß der Ölpreis kein reiner Marktpreis ist, sondern sehr stark der Strategie der größeren Mächte, der Oligopolisten, unterliegt.
({25})
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
Darum kann es auch sehr wohl sein, daß ein Teil dieser Steuer nicht vom Verbraucher, sondern vom Verkäufer getragen wird. Hinsichtlich der Größenordnung gibt es zweifellos einige offene Fragen, aber das kann uns ja nicht hindern, etwas zu tun. Wir können die Wirkung nicht exakt auf Mark und Pfennig genau voraussagen. Aber was hätte eine Marktwirtschaft überhaupt für einen Sinn, wenn eine Steuer von 30 DM sozusagen geräuschlos untergehen könnte. So liegen die Dinge ja auch nicht.
Sie wissen dazu, daß das 01 keinen Kostenpreis im üblichen Sinne hat; denn es ist ein Kuppelprodukt.
({26})
Die Raffinerien können sehr variieren zwischen Benzin, Dieselkraftstoff und Heizöl. Insofern ist also der Ölpreis eine schwankende Größe. Immerhin ist der Ölpreis, wie er sich in den anderen europäischen Ländern abzüglich des Zolls gestaltet, ein Beweis dafür, daß auf dem deutschen Markt eine ganz bewußte Strategie getrieben worden ist, nämlich ein Dumping, und es ist ein legales Anliegen, wenn sich eine Volkswirtschaft gegen offenkundiges Dumping zur Wehr setzt.
({27})
Im übrigen bin ich der Meinung, wir müssen zugleich den Boden für eine europäische Lösung bereiten. Deshalb muß uns auch daran liegen, daß die deutsche Kohle bei den Auseinandersetzungen, die ganz bestimmt nicht leicht sein werden, und bei dem zu treffenden Übereinkommen als deutscher Beitrag zu einer europäischen Energieversorgung eine starke Schachfigur im Spiele bleibt. Das kann nur durch einen gesunden Kohlenbergbau geschehen, den wir von den Unwirtschaftlichkeiten bereinigen, die heute noch die Kohlenwirtschaft belasten.
Sie sprachen von den Raffineriekapazitäten. Die Zahlen, die hier genannt worden sind, beruhen auf Meldungen der großen Ölgesellschaften. Inzwischen sind der Ölverbrauch und die Nachfrage nach 01 weiter angestiegen. Selbstverständlich hat das die Gesellschaften veranlaßt, ihre Raffineriekapazitäten auszuweiten. Man sollte sich aber von diesen Ziffern der Raffineriekapazitäten auch nicht übermäßig blenden lassen; denn einmal kann man im Durchschnitt nur mit einer 80%igen Ausnutzung dieser Kapazitäten rechnen, und zum anderen ist das ja nicht alles Heizöl. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß die Raffinerien nur zu etwa 30 % Heizöl ausspeien.
({28})
Von einer Investitionspolitik für die Raffinerien halte ich auch deshalb nichts, weil es im Gemeinsamen Markt zum Schluß nicht darauf ankommen wird, wo die Raffinerien errichtet werden, entweder rund um uns herum - in Frankreich, in Belgien, in Holland und in Italien - oder bei uns selbst. Wir sollten uns aus guten volkswirtschaftlichen Gründen hier nicht desinteressiert zeigen und hinsichtlich der Energie- und der Ölpolitik nicht andere Maße anwenden, als sie in den anderen europäischen Ländern angewendet werden.
Im übrigen scheint mir in Ihren Ausführungen ein gewisser Widerspruch zu liegen. Auf der einen Seite sagten Sie - und Sie haben es auch heute wieder angedeutet: Man sollte oder müßte vielleicht die Kohlenproduktion noch weiter steigern; auf der anderen Seite weisen Sie darauf hin, daß die Ölpreise wahrscheinlich sinken und trotz der Steuer die Kohle praktisch in eine hoffnungslose Position bringen werden. Was ist nun eigentlich richtig? Rechnen Sie mit dem Vordringen des Heizöls? Wollen Sie den deutschen Verbraucher durch das billigere Heizöl auf die Dauer entlasten? Ich bin durchaus der Meinung: ja, das sollten wir tun. Aber dann möchte ich dabei die Kohle nicht absterben lassen, sondern ich möchte nur gesunde und rationell geförderte Kohle in Deutschland haben, die im Wettbewerb mit dem 01 bestehen kann.
Wir werden also gar nicht darauf verzichten können, weitere Zechen stillzulegen und zu einer weiteren Verkürzung der Beschäftigtenzahl zu gelangen. Wann sollten wir denn eigentlich diesen Prozeß bei der Kohle durchführen, wenn nicht im Zeichen einer Hochkonjunktur, die alle Kräfte aufzusaugen in der Lage ist und die uns unter Umständen auch an eine wirksame Lösung des Problems der industriellen Ballungsräume heranführt?!
Also nur über Kosten- und Preissenkungen auch bei der Kohle kann, zusammen mit einer von uns mit steuerlichen Mitteln oder später vielleicht auch mit Zöllen betriebenen Herstellung einer angenäherten Wettbewerbsgleichheit, die Zukunft der deutschen Kohle gesichert werden.
Die Zahl jener hunderttausend Bergleute, die immer noch im Raume steht, habe ich niemals genannt. Wer die hunderttausend Mann erfunden hat,
({29})
die vom Kohlenbergbau abwandern müssen, weiß ich nicht. Jedenfalls stammt diese Angabe auf gar keinen Fall von uns.
({30})
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Bundesbeauftragten sagen. Sie wissen, daß eine solche Institution zu den Methoden kollektivistischer, totalitärer Staaten gehört.
({31})
Wenn sie nicht mehr weiter wissen, dann arbeiten
sie mit Kommissaren und Räten. Wenn einer
keinen Rat mehr weiß, dann setzt er einen Rat ein.
({32})
Im übrigen scheint mir dieser Vorschlag auch sonst
äußerst problematisch zu sein. Was soll dieser
Kohlekommissar oder Kohlebeauftragte machen?
Wir unterhalten uns die ganze Zeit darüber und auch Sie haben mit Recht darauf hingewiesen
daß man die Kohle nicht mehr allein betrachten kann, sondern daß man sie eingebettet in
das gesamte Energieproblem behandeln muß. Wir
wissen, daß auf europäischer Ebene die Hohe Behörde allein das Energieproblem nicht lösen kann;
wir beraten, wie man hier eine Verzahnung, eine
Koordinierung, eine möglichst enge Zusammeno Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
arbeit mit den angrenzenden Bereichen herstellen soll. Und in Deutschland soll dieser unglückselige Beauftragte das Kohleproblem ganz für sich allein lösen?!
({33})
- Sie wollen doch einen Beauftragten für die Kohlewirtschaft!
({34})
- Aber Sie wollen doch einen Beauftragten für die Kohlewirtschaft! Im übrigen würde eine solche Institution zu einer Vermischung von unternehmerischer Verantwortung und den noch unklaren Funktionen dieses Beauftragten führen, von der Zuständigkeit und der Verantwortlichkeit der Bundesregierung ganz zu schweigen. Nach Art. 65 Abs. 2 des Grundgesetzes trägt jeder Minister für seinen Bereich die unmittelbare Verantwortung. Wie sollen der Arbeitsminister, der Finanzminister und der Wirtschaftsminister die Verantwortung tragen, wenn ein Kohlebeauftragter im luftleeren Raum herumfuchtelt?
({35})
Nein, so wird es nicht gehen.
Im übrigen ist die Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Stellen, Ländern, Bergbauunternehmern, Gewerkschaften, Kommunen, Siedlungsverbänden, durchaus hergestellt. Sie dürfte sehr viel fruchtbarer sein und zu sehr viel besseren Ergebnissen führen als die Tätigkeit Ihres Kohlebeauftragten.
Soviel zu Ihren Fragen, meine Damen und Herren. Zu Ihrem Schwarzbuch werde ich noch besonders Stellung nehmen. Aber ich muß schon sagen: mit Ihrer „Schwarzen Kunst" ist es auch nicht weit her!
({36})
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soweit ich Herrn Kollegen Deist verstanden habe, hat er sich zu der an sich positiv zu wertenden Feststellung durchgerungen, daß die Lage nicht dramatisch ist. Das entspricht völlig unserer Auffassung. Soweit ich ihn weiter verstanden habe, glaubt er, wir hätten keine energiewirtschaftliche Konzeption. Ich will versuchen, ihm das auszureden und dem Hohen Hause darzulegen, was wir meinen.
Hundert Jahre lang hat das deutsche Volk und die jeweilige Regierung Deutschlands vom Kohlenbergbau als Lebensprinzip verlangt: Jede Tonne Kohle muß aus der Erde geholt werden. Seit gut zwei Jahren steht nun der deutsche Bergbau an Ruhr und Saar im Wettbewerb mit neuen, im Interesse der Entwicklung der Menschheit, des technischen und sozialen Fortschritts zu begrüßenden, billigeren Energieträgern. Der deutsche Bergbau muß sich umstellen, und wir haben aus ökonomischen und sozialen Gründen die Pflicht, diese Umstellung nicht zu verhindern, sondern sie in einer nach Lage der Sache angemessenen Zeit zum Zuge kommen zu lassen und Härten auszugleichen, besonders wenn sie sich unter ungleichen Wettbewerbsvoraussetzungen ergeben haben.
Am 29. Januar 1959 haben wir hier über den Kohlenzoll gesprochen. Auf einen Zwischenruf des Herrn Kollegen Atzenroth habe ich gesagt: Wir treten für den Kohlenzoll ein, um dem Bergbau die Zeit zur echten Umstellung auf die Wettbewerbswirtschaft auf dem Energiegebiet zu lassen. Auf einen weiteren Zwischenruf, ob das mit einem Jahr gehe, habe ich erklärt, das glaubte ich nicht, denn die Zeit dazu reiche nicht.
({0})
Immerhin haben wir 10 Monate seit der Debatte hinter uns, und es ist nun zunächst einmal an uns, zu testen, ob das, was wir damals gesagt haben, eingetreten ist oder nicht. Das habe ich zu beweisen.
1. Die Förderung in der Bundesrepublik wird im Jahre 1959 um etwa 7 Millionen t geringer sein, im EWG-Gebiet um etwa 14 Millionen t.
2. Die Schichtleistung ist, wie schon gesagt, von 1600 auf knapp 2000 kg gestiegen. Ich darf hier wohl so kühn sein, zu sagen, daß sie in absehbarer Zeit sicherlich auf 2200 kg, wenn nicht noch etwas mehr steigen wird.
3. Die Haldenentwicklung verlief so: Ende 1957 1 Million t, Ende 1958 13 Millionen t, also plus 12 Millionen t, im 1. Halbjahr 1959 nicht mehr plus 6 Millionen t, wie es dem 1. Halbjahr des Vorjahres entsprochen hätte, sondern plus 3,5 Millionen t. In den letzten Monaten, also Juli, August, September, Oktober, betrug der Zuwachs 500 000 t; das sind weniger als 150 000 t pro Monat.
4. Die Feierschichten sind bedeutend zurückgegangen, wie es der Herr Bundeswirtschaftsminister soeben zahlenmäßig erklärt hat.
5. Stillegungen und Teilstillegungen sind erfolgt. 16 Anträge auf Stillegungen liegen vor.
6. Die Preise sind im Schnitt um 5 % zurückgegangen. Es werden noch 92 % der Listenpreise erzielt. Das ist ein Beweis für eine beginnende Preisflexibilität.
7. Die Importablösung ist so verlaufen, daß 8,4 Millionen t abgelöst und Lizenzen von 17,2 Millionen t eingezogen sind, so daß 25,6 Millionen t drohender Importe unter dem Druck des Kohlenzollgesetzes abgewandt wurden. Darf ich hier einmal die Frage einblenden, wie heute die Halden und der deutsche Bergbau aussehen würden, wenn wir die Debatte am 29. Januar nicht geführt oder wenn wir sie verloren hätten?
({1})
- Die Halden wären gigantisch gestiegen, Herr Atzenroth. Nebenbei bemerkt hat diese Politik der Kohle erhebliche Kosten verursacht.
8. Die Fünftagewoche hat sich bewährt. Ich erlaube mir allerdings, hier einmal die Frage aufzuwerfen, warum die Fünftagewoche nicht auch schon in den übrigen Ländern der EWG eingeführt ist. Es würde eine wesentliche Erleichterung für die Kohlensituation im Gemeinsamen Markt bedeuten, wenn dieser dem Bergmann nach unserer Ansicht zustehende soziale Fortschritt nicht nur bei uns, sondern auch im übrigen Teil des Gemeinsamen Markts zum Zuge käme,
({2})
dies um so mehr, als der Ruhr/Saar-Bergbau mit seinen Schichtleistungen im Gemeinsamen Markt weit an der Spitze liegt. An der Saar beträgt die Schichtleistung 1820 kg, an der Ruhr knapp 2000 kg. In den anderen EWG-Ländern liegt sie zwischen 1220 und 1640 kg.
9. Die Bergarbeiterfrage ist bis jetzt befriedigend gelöst worden, wenn es auch bedauerlich ist, daß von den freiwillig Ausgeschiedenen, wie Kollege Deist richtig gesagt hat, 85% jüngere Bergleute waren.
({3})
Es ist an uns, dem Bergmann durch die Darlegung unserer Politik wieder das Gefühl der Sicherheit für seinen Arbeitsplatz zu geben. Es ist an uns, denen zu helfen, die durch die Umschichtung in soziale Not kommen. Darüber wird ein Kollege noch zu sprechen haben.
Auch im Montangebiet macht man sich Vorstellungen über die Energiepolitik. Zur Zeit betragen die gesamten Haldenbestände im Montangebiet 33 Millionen t Kohle und 9 Millionen t Koks. Die Hohe Behörde hat eine Prognose für 1960 ausgearbeitet, in der die Rationalisierungserfolge in Minderung der Förderung für 1960 noch nicht mitberücksichtigt sind, weil sie schwer zu errechnen sind. Nach dieser Prognose werden 1960 im gesamten EWG-Gebiet nur noch vielleicht 7 Millionen t Kohle neu auf Halden kommen, wenn nicht die Förderung im Jahre 1960 durch Rationalisierungsmaßnahmen in einem entsprechenden Ausmaß zurückgeht.
Wir können also bei allen Vorbehalten, die hier zu machen sind, sagen, daß wir möglicherweise den Tiefpunkt dessen, was man die „Kohlenkrise" nennt und was in Wahrheit ein Anpassungprozeß struktureller Art ist, überschritten haben.
Nun, warum doch Zoll und warum doch Heizölsteuer? Den Zoll brauchen wir, damit nicht noch einmal Importe in Höhe von 10 bis 12 Millionen t Kohle auf uns zukommen. Die Heizölsteuer brauchen wir, damit nicht durch ein zu stürmisches Tempo in der Entwicklung des Heizölverbrauchs wieder die Wende der Wende herbeigeführt wird. Herr Kollege Deist meinte, bei einer Gesamtenergiebilanz der Bundesrepublik von 210 Millionen t Steinkohleneinheiten spielten einige Millionen Tonnen keine Rolle. Ich muß ihm widersprechen. Es ist nun einmal so, daß das Problem immer in dieser Spitze von einigen Millionen Tonnen liegt. Hiervon hängen auch neue Feierschichten und neue Haldenbildung ab. Wir müssen auf eine Regulierung des Tempos des an sich erwünschten Fortschritts bei der Verwendung von Heizöl bedacht sein, weil wir - ich wiederhole es - es als eine Aufgabe der Wirtschafts- und Sozialpolitik ansehen, Übergangshärten auszugleichen, nicht etwa aber Übergänge zu verhindern.
({4})
Die Höhe der Importe beruhte vorwiegend auf einer Fehldisposition, beim Öl handelt es sich um eine Strukturfrage. Wie aber sind die Ölgesellschaften vorgegangen? Das Kohle-Öl-Kartell habe ich an diesem Platze als eine „dünne Suppe" bezeichnet. Es hat sich als noch viel dünner ,als eine dünne Suppe herausgestellt. Im Kohle-Öl-Kartell ist der von den Ölgesellschaften als der Marktsituation entsprechend anerkannte Kartellpreis von 88 DM je Tonne bestimmt. Verkauft wird es bei uns für 60 DM. Nebenbei bemerkt: mit der Heizölsteuer erreichen wir bis auf 2 DM genau den Marktpreis, der nach Ansicht der Heizölgesellschaften schon Anfang dieses Jahres hätte verlangt werden müssen, wenn man die Rohöl-Einsatzkosten hätte decken wollen. Das leichte 01 kostet bei uns 130 DM, in Belgien 205 DM und in Frankreich 192 DM.
({5})
Das schwere 01 kostet .bei uns 60 DM, in Belgien 127 DM und in Frankreich 115 DM.
({6})
Ich will gar nicht untersuchen, warum das so ist. Ich stelle fest, daß es so ist. Ich stelle weiter fest, daß mit der Heizölsteuer auf den gedumpten Preisen noch nicht einmal die Wettbewerbspreise für die gleichen Ölarten im übrigen Europa erreicht werden.
({7})
Was den Zoll betrifft, so wollen wir die zwei Jahre zusammennehmen. Die Regierung soll im Einvernehmen mit dem Parlament gewisse Vollmachten hinsichtlich des Auf oder Ab der Kontingenthöhe haben. Ruhr und Saar werden weiter ablösen, wo es notwendig ist.
Nebenbei bemerkt sind alle Besorgnisse - ich will zugeben: begreifliche Besorgnisse -, es hätte doch Zoll gezahlt werden müssen, im Winde verweht. Niemand spricht mehr davon, daß doch Zoll gezahlt werden müßte. Wir haben unser Wort eingelöst.
Daß wir jetzt die Basis von 1955 bis 1958 statt von 1956 bis 1958 nehmen, entspricht einem Wunsch der Importeure und erleichtert auch die Abwicklung. Wir belassen es auch bei 5% für die nicht durchgehandelten Verträge, damit vor allem in den revierfernen Gebieten die mittleren und kleineren Importeure, die keine durchgehandelten Verträge abgeschlossen haben, Importkohle bekommen können. Vielleicht werden auch noch Anträge auf eine gewisse Flexibilität der Kontingentmenge kommen. Ich glaube, daß meine Fraktion eine wohlwollende Prüfung dieser Anträge in Aussicht zu stellen bereit ist.
Ab 1961 werden wir wahrscheinlich überhaupt nicht mehr über Kohlezoll zu sprechen brauchen.
Denn ich hoffe, daß die dann genehmigten Importverträge einen solchen Umfang haben, daß man diese Politik ohne Kohlezoll so lange fortsetzen kann, wie es erforderlich ist.
Herr Kollege Deist möge es mir verzeihen, wenn ich einmal auf eine Debatte im Europa-Parlament vom 28. November 1956 zurückkomme. Damals ging es um die Frage, ob man in der Montanunion die Kohlen-Mangellage verkünden müsse. Damals hat Herr Kollege Deist gesagt:
Der Preis der US-Kohle in der Gemeinschaft
wird bestimmt durch die überhöhten Frachten,
- 28. November 1956! die sicherlich zu einem erheblichen Teil spekulativ bedingt sind und in keiner Weise die Richtschnur abgeben können für eine sachgemäße Preisbildung in der Gemeinschaft. Das heißt, wir werden darauf achten müssen, daß die Auswirkung dieser Preisgestaltung auf die Preisgestaltung für Inlandskohle abgeschirmt wird.
Eine völlig richtige Überlegung! Nur müssen wir, wenn wir diese Überlegung logisch fortführen, sagen: wenn die Frachten, die damals spekulativ hoch waren, jetzt destruktiv zusammengebrochen sind, brauchen wir die Preise der Kohle nicht mehr abzuschirmen, aber wir müssen die Kohle selbst vor solchen Folgen abschirmen. Deshalb der Zoll, dem Sie hoffentlich auch zustimmen werden.
({8})
- Ich bin noch am Zoll, die Steuer kommt gleich.
Nun zur Heizölsteuer. Es ist schon ausgeführt worden, daß wir eigentlich nichts anderes tun, als daß wir die Steuer in Höhe von 25 DM, die wir seinerzeit aufgehoben haben, als wir das Heizöl wegen eines nicht nur vermeintlichen, sondern damals echten Kohlenmangels brauchten, jetzt, wo wir einen Ölüberfluß haben und die Kohle in Absatznot ist, in Höhe von 30 DM wieder einführen. Das ist die ganze Geschichte, um die es sich handelt. Wenn die Steuer in Höhe von 25 DM seinerzeit nicht aufgehoben worden wäre, würde heute kein Hahn danach krähen.
Im übrigen haben wir heute die erste Lesung. Die Sache kommt noch in die Ausschüsse und wird sicherlich noch gründlich durchberaten werden. Vielleicht sind in den Ausschüssen auch noch Verbesserungen möglich. So könnte ich mir denken, daß während der Ausschußberatungen auch darüber nachgedacht wird, ob hinsichtlich der Wettbewerbsvoraussetzungen bei Kohle und Öl alles in Ordnung ist. So wäre es der Erwägung wert, ob man, wenn man Wettbewerbsverzerrungen entdeckt, sich nach deren Beseitigung überlegen sollte, was dann eventuell noch notwendig ist.
Daran, daß etwas notwendig ist, kann kein Zweifel bestehen. Das einfachste wäre die glatte Verabschiedung der Heizölsteuer. Dann sollte man die Zeit, in der die Heizölsteuer läuft, dazu benutzen, Wettbewerbsverzerrungen auszugleichen. Vielleicht
ergibt sich - um die Frage des Kollegen Deist zu beantworten - bei den Überlegungen, was mit der Heizölsteuer eventuell geschehen kann, auch eine Möglichkeit, die revierfernen Gebiete für den Absatz der Kohle besser zu erschließen, als das zur Zeit der Fall ist. Die Heizölerzeugung lag 1957 bei 2,8 Millionen t und soll 1965 24,6 Millionen t betragen. Eine Tonne Heizöl entspricht 1,4 t Kohle. Der jetzige Preis liegt 20 bis 25 DM unter dem Rohölpreis.
Was wollen wir aber während der Laufzeit des Zolls und während der Laufzeit der Heizölsteuer erreichen? An wen haben wir Wünsche und Forderungen? Wir haben zunächst den dringenden Wunsch und die dringende Forderung an Ruhr und Saar, weiter zu rationalisieren, weiter zu technisieren, weiter den Preisfächer zu revidieren. Wir haben auch an die Montanunion einen Wunsch, nämlich den, die Preisvorschriften und die Vertragsbestimmungen der Montanunion etwas großzügiger auszulegen und zu handhaben als bisher. Wir haben weiter den Wunsch, die Veredelung der Kohle zu entwickeln. Und wir haben den Wunsch, daß der Sozialausschuß des Europaparlaments sich auch mit der Fünftagewoche - nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in den fünf anderen Ländern des Gemeinsamen Marktes - befaßt.
Die Kohle an Ruhr und Saar - hierzu bitte ich Sie höflichst einmal um Ihre besondere Aufmerksamkeit - hat im Gemeinsamen Markt in dem Maße, in dem der Gemeinsame Markt ein echter gemeinsamer Markt sein wird, die allerbeste Chance gegenüber allen anderen Kohlenvorräten in Europa. Sie deshalb bis dahin in Förderung und Wettbewerb auf Hochleistung zu bringen, das ist eine große Aufgabe. Sie ist des Schweißes der Edlen wert. Ist sie gelöst, ist dem Bergarbeiter wahrhaftig wieder die Sicherheit gegeben, die er früher gehabt hat.
({9})
Meine Damen und Herren, wir beantragen also die zweite und dritte Lesung des Kohlenzollgesetzes und die Überweisung der Heizölsteuervorlage an die zuständigen Ausschüsse. Wir beantragen auch die Überweisung der Anträge der Kollegen von der SPD an die Ausschüsse. Das soll aber nicht heißen, daß wir die Absicht haben, sie dort anzunehmen. Wir halten den Zuschlag in Höhe von 2 °/o zur Körperschaftsteuer für eine völlig abwegige Regelung. Wir sind der Meinung, daß die Übergangs- und Strukturschmerzen in der Energiewirtschaft von dem bezahlt werden sollen, dem wahrscheinlich ein großer Teil der Zukunft gehört, und nicht von dem gesamten deutschen Volk.
({10})
- Die Wirtschaft ist mehr das deutsche Volk, als
es die Energiewirtschaft oder Teile derselben sind.
Herr Kollege Deist hat, was die Kohle betrifft, mit großer Besorgnis der Zukunft entgegengesehen. Die Zukunft hängt davon ab, ob es der bundesrepublikanischen und der EWG-Energiepolitik gelingt, den Energieverbrauch in der Bundesrepublik und im Gemeinsamen Markt auf eine Höhe zu bringen, die
er anderswo schon hat. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich erneut daran erinnere, daß der Energieverbrauch pro Kopf der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten viermal so groß ist wie in der Bundesrepublik. Was dort möglich ist, müßte bei uns, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß, aber doch in der gleichen Tendenz möglich sein, besonders wenn man in Betracht zieht, daß in diesem Jahr in der Sowjetunion die Energiedarbietung pro Kopf der Bevölkerung größer ist als zur Zeit in der Bundesrepublik und im Gemeinsamen Markt.
({11})
Wir müssen also Energieangebot und Energienachfrage steigern. Das werden wir niemals mit Institutionen wie einem Kommissar oder einer Planungsbehörde erreichen, sondern nur, wenn wir dem Spiel der Kräfte freien Lauf lassen, soweit es möglich ist, ohne daß soziale Spannungen werden oder wirtschaftspolitische Revolutionen statt Evolutionen eintreten. Das bewegende Prinzip ist auch in der Energiewirtschaft die Freiheit. Die Politik hat lediglich die Aufgabe eines Regulativs. Es ist nicht anders, als wenn man einen Strom reguliert, um Überschwemmungen oder Untiefen zu verhüten. Die Freiheit aufheben und Kommissare einsetzen, das wäre auf dem Gebiet der Energie eine schlechtere Lösung als eine freie Wettbewerbswirtschaft, auch wenn sie uns ab und zu zu Debatten wie der heutigen zwingt; denn auch die heutige Debatte ist trotz ihres ernsten Akzents ein Beweis für technischen und ökonomischen Fortschritt und nicht für einen Rückschritt.
({12})
Man mag in der Zwischenzeit, in der die beiden Vorlagen als Gesetze in Kraft sind, noch vieles andere prüfen. Die Frage der Wettbewerbsentzerrung und -entschärfung habe ich erwähnt. Auch von der Notwendigkeit der Entschwefelung ist gesprochen worden. Ich erlaube mir, auf einen weiteren Punkt hinzuweisen, auf den man seine Aufmerksamkeit während der Laufzeit der beiden Gesetze richten sollte. Sie wissen, daß ich die Sicherheit der Belieferung mit Kohle nicht nur auf das Bundesgebiet beziehe, sondern daß diese Sicherheit in der Belieferung auch durch einen größeren politischen Raum gegeben ist. Die Sicherheit in der Belieferung ist aber ein kalkulatorischer Posten. Man sollte sich überlegen, ob man nicht bei anderen Energiearten, soweit eine Lagerung möglich ist, eine gewisse Lagerhaltung vorschreiben sollte, gewissermaßen als eine Art Äquivalent für den Wettbewerbsvorzug der sicheren Belieferung mit Kohle. Der Wettbewerbsdruck - unter gleichen Voraussetzungen - auf die Kohle soll bleiben.
Irrtümer in der Beurteilung der energiewirtschaftlichen Entwicklung sind nicht auszuschließen. Auch bei steigendem Energiebedarf können vorübergehend Rückschläge besonders bei den Primärenergien eintreten, wenn in der Veredelung und damit auch in der Vielseitigkeit der Verwendung technische Fortschritte gemacht werden. Wie groß die Gefahr des Irrtums ist, darf ich Ihnen an folgendem Beispiel zeigen. In der Debatte vom 27. November 1956 im Europäischen Parlament, als es darum ging, ob die Kohlenmangellage zu erklären sei, wurde von dem Kollegen D r. Deist ge- sagt, daß es sich bei den gegenwärtigen Spannungen nicht um einen vorübergehenden Zustand handle. Er erklärte:
Das, was wir auf dem Kohlemarkt seit mindestens zwei Jahren beobachten, wird durch die derzeitigen Verhältnisse nur besonders unterstrichen. Wir wissen, daß wir bereits im vergangenen Jahr erhebliche Schwierigkeiten in der Kohlenversorgung hatten. Wir wissen, daß der Energiebedarf sich von Jahr zu Jahr steigert, so daß die Probleme einer angemessenen Kohlenversorgung ständig, zumindest auf nicht absehbare Zeit, vor der Hohen Behörde stehen werden.
27 Monate später gab es vor der Hohen Behörde die Debatte über die manifeste Krise, d. h. über den strotzenden Kohlenüberfluß. Ich will nicht behaupten, daß ich damals wesentlich anders gesprochen hätte, sondern erwähne das nur, um die Opposition, die von ihrem legitimen Recht der Kritik Gebrauch macht und auch Gebrauch machen soll, zu einer gewissen Mäßigung zu veranlassen, damit nicht der Eindruck erweckt wird, die Dummheit säße in der Regierung und die Klugheit in der Opposition, während in Wirklichkeit in beiden Lagern nur Menschen sind.
({13})
In dem Schwarzbuch ist Herr Professor Erhard erwähnt - ich bitte den Herrn Bundeswirtschaftsminister um Vergebung, wenn ich ihm in seine Erwiderung hineinpfusche -, und zwar soll er danach gesagt haben, im Grunde liege das Geheimnis einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik im rechtzeitigen Erkennen von Entwicklungsmöglichkeiten und der zu treffenden Maßnahmen. - Nun, ich bin neugierig. Ich habe nachgelesen, wie es weitergeht. Herr Erhard sagte weiter: Die Wirtschaft ist einem Organismus vergleichbar. Sie will sich natürlich entfalten, und sie birgt ein gewaltiges Maß selbstheilender Kraft, dem der handelnde Mensch nur zum Durchbruch verhelfen muß. Wenn wir in unserem Bilde bleiben wollen, so können wir sagen: Der gute und der schlechte Wirtschaftspolitiker unterscheiden sich vornehmlich dadurch, daß der eine seine Medizin zum richtigen Augenblick in kleineren Dosen verabreicht, die der natürlichen Heilung, dem natürlichen Gedeihen und Wachsen voranhelfen, während der andere schmerzbetäubende oder aufputschende Medikamente gibt, die eine Krankheit lediglich bis zu ihrem um so stärkeren Durchbruch unfühlbar machen oder gar den Keim einer ernsten Erkrankung erst legen. - Soweit Herr Erhard. Ich weiß mit Sicherheit nur, wer der eine ist. Wir wünschen die beiden Medikamente Kohlenzoll und Heizölsteuer zu verordnen. Wer der andere ist, darüber mag jeder, der zuhört, nachdenken.
Ich bin der Auffassung, daß wir mit dieser unserer Politik der Ruhr und der Saar die Chance geben, sich der Wettbewerbswirtschaft ein- und unterzuordnen, daß wir ihnen durch diese beiden Gesetze angemessene Zeit geben, zu rationalisieren bei den Menschen und bei den Einrichtungen zu
mechanisieren. Daß dann Ruhr und Saar im Gemeinsamen Markt die beste Kohlenposition haben werden, die der Gemeinsame Markt nach der natürlichen Gegebenheit zu vergeben hat, das ist unser Wunsch und unser Ziel.
({14})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir obliegt es, die ablehnende Haltung meiner Fraktion gegenüber dem Problem der Heizölsteuer zu begründen. Dabei möchte ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten den Herrn Wirtschaftsminister an ein Zitat erinnern, das in der Begründung eines Gesetzes steht, über das wir heute auch noch beraten werden. Es lautet:
In einem auf marktwirtschaftlichen Prinzipien beruhenden Wirtschaftssystem muß sich die Unternehmerische Initiative frei entfalten können. Eingriffe in diese Freiheit sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie aus übergeordneten gesamtwirtschaftlichen Gründen nötig sind.
Das ist von jeher das Leitmotiv der Freien Demokratischen Partei gewesen, in letzter Zeit leider in. zunehmendem Maße nicht mehr die Praxis des Herrn Bundeswirtschaftsministers.
Als wir uns über den Kohlenzoll unterhielten, hat er auf die Einwürfe etwas verärgert geantwortet: Na, dann sündige ich eben einmal. Er hat damit zu erkennen gegeben, daß er diese Haltung gegenüber dem Kohlenzoll als eine Sünde gegen die Markte wirtschaft, gegen seine Marktwirtschaft betrachtet. Schon nach so kurzer Zeit erfolgt jetzt der zweite Sündenfall. Gerade das stimmt uns bedenklich.
Wir bedauern das außerordentlich, und wir haben uns Gedanken gemacht, woher eine solche unterschiedliche Haltung zwischen Theorie und Praxis kommt. Einige Ausführungen des Kollegen Burgbacher haben mich jedenfalls etwas hellhöriger gemacht, und ich bin sehr gespannt auf die Entwicklung, die gerade die grundsätzliche wirtschaftspolitische Haltung der CDU in nächster Zeit nehmen wird.
Herr Minister Erhard könnte mir antworten, daß eine Steuer noch keinen unberechtigten Eingriff in die unternehmerische Initiative darstellt. Das ist sicher richtig. Aber das gilt nicht für eine Steuer, die das klar erkennbare und ausgesprochene Ziel hat, einem strukturell bedrohten Wirtschaftszweig dadurch zu helfen, daß konkurrierende Gruppen zu Preiserhöhungen gezwungen werden und daß damit ein wirtschaftlicher und technischer Fortschritt künstlich und gewaltsam zurückgehalten wird. In der Begründung zu diesem Gesetz wird zwar versichert, daß keine fiskalischen Zwecke mit dem Gesetz verfolgt werden. Es handelt sich auch nicht um eine Steuer zur Deckung des Staatsbedarfs. Warum also diese Steuer?
In seiner Erwiderung hat Herr Minister Erhard zum erstenmal davon gesprochen, daß es sich um
eine politische Maßnahme handelt. Das müssen wir hier klar erkennen.
({0})
- Auch um eine politische Maßnahme, gut, das ist eine gewisse Einschränkung. Wir haben aber immer das Gefühl gehabt, daß es sich um eine politische Maßnahme handelt, und das ist auch nicht gut. Wir glauben nicht, daß es der richtige Weg ist, eine wirtschaftspolitisch falsche Maßnahme zu treffen, um einen politischen Zweck zu erreichen.
Hier hat es eben eine kleine Debatte darüber gegeben, wer eigentlich die Frage der Schwierigkeiten, in die die Kohle geraten ist, dramatisiert hat. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß die Dramatisierung zum großen Teil von der Seite der Sozialdemokratischen Partei gekommen ist. Ich kann mich an einen Zuruf erinnern, den Herr Deist damals gemacht hat: „Es sind schon Arbeitnehmer wegen der Kohlenkrise der Wohlfahrt zur Last gefallen!" Ich habe ihm schon damals geantwortet: „Es ist ja völlig unmöglich - auch wegen einzelner Feierschichten ist es völlig unmöglich -, daß Arbeitnehmer so weit mit ihrem Einkommen herabsinken, daß sie Wohlfahrtsunterstützung beziehen müssen."
Eine Zwischenfrage? - Herr Abgeordneter Deist.
Herr Kollege Atzenroth, irren Sie sich nicht? Habe ich nicht seinerzeit gesagt, daß Bergarbeiter durch die Feierschichten mit ihrem Einkommen unter dem Satz der Wohlfahrtsfürsorge lagen, nicht aber, daß sie zur Wohlfahrt gehen müßten?
Richtig, ich will mich berichtigen, das haben Sie gesagt. Aber auch dagegen wehre ich mich, daß durch diese Krise jemals ein Bergarbeiter unter den Satz der Wohlfahrtsfürsorge kommen könnte; denn so stark ist die Einkommensminderung in keinem Fall gewesen.
({0})
- Sie haben mir bisher den Beweis dafür noch nicht erbracht.
Herr Minister Erhard, ich habe auch das Gefühl, daß alle diese Dinge von einer bestimmten Seite dramatisiert worden sind.
({1})
Was haben Sie aber gegen diese Dramatisierung getan? Sie sprechen heute noch von einem Schwerkranken. Das ist doch auch Dramatisieren! Wir sind der Meinung, daß es gar kein Schwerkranker ist, um den wir uns zu kümmern haben. Die Dinge sind gar nicht so ernst und so hart und so scharf, daß nun Mittel gesucht und angewandt werden müßten, die Ihrer sonstigen Wirtschaftskonzeption nicht entsprechen.
Ich will nicht die Vorwürfe wiederholen, die wir der Bundesregierung seit Jahren mit Bezug auf ihre Kohlenpolitik gemacht haben. Gerade in der Markt4636
wirtschaft muß man konsequent sein. Ich erkenne auch die schwierige Lage an, in der sich der Kohlenbergbau jetzt befindet, zum Teil ohne sein Verschulden. Aber darauf kommt es für einen Unternehmer nicht an. So wie er seinen Gewinn, vielleicht ohne sein eigenes Verdienst, aus guten Konjunkturen zieht und ziehen soll - die Kohle wird mir antworten: wir hatten keine guten Konjunkturen; das ist nur bedingt richtig, aber zum Teil ja wohl -, so muß er auch die Folgen aus einer schlechten Wirtschaftslage tragen, auch wenn sie ohne sein Verschulden entstanden ist. In der Marktwirtschaft darf man dann nicht sofort nach der Hilfe des Staates rufen.
Auch die Bundesregierung wird anerkennen, daß die strukturelle Krise keineswegs in erster Linie auf die Verdrängung von Kohle durch Heizöl zurückzuführen ist. Das zeigt sich schon aus folgender Gegenüberstellung: 130 Millionen t Kohle wurden in einer Zeit erzeugt, als 11 Millionen t - schon in Steinkohleneinheiten umgerechnet - Heizöl verbraucht wurden. Von diesen 11 Millionen t entfielen 4,3 Millionen t auf leichtes, 0,7 Millionen t auf mittleres und 5,6 Millionen t auf schweres Heizöl.
Der erste starke Druck auf die Kohle ging davon aus, daß die amerikanische Kohle, mit der sie schon immer konkurrieren mußte, durch außergewöhnlich niedrige Frachten begünstigt wurde; demgegenüber hatten wir in Deutschland starre Kohlenpreise und Frachten. Noch stärker ist die Kohle aber durch die technische Entwicklung in Schwierigkeiten geraten. Einen Mangel an Kohle, der bis in das Jahr 1957 andauerte, haben fast alle Verbraucher auf breitester Basis dadurch zu überwinden versucht, daß sie technische Erfindungen ausnutzten und den Kohleverbrauch einschränkten. Die Bundesbahn hat im weitesten Maße elektrifiziert und dadurch weniger Kohle verbraucht. Die großen Stahlwerke haben neue Methoden gefunden, um den Verbrauch an Kohle pro Tonne Stahl ganz wesentlich herunterzuschrauben, und selbst an kleinen Feuerungsanlagen hat man neu erfundene Vorrichtungen angebracht, .die zu einer rationelleren Feuerung und damit zu einer starken Einsparung an Kohle führten. Ich kann das aus meiner eigenen Erfahrung bestätigen. Die Not hat damals geradezu erfinderisch gemacht.
Hier liegt der wichtigste Grund für den starken Rückgang des Kohlenverbrauchs; das Heizöl kommt erst an einer viel späteren Stelle. Der technische Fortschritt soll und wird nicht mehr rückgängig gemacht werden. Darum wird auch der Minderverbrauch an Kohle bleiben.
Alle diese Erkenntnisse sind an sich nicht neu. Herr Minister Erhard hat wiederholt dargelegt, daß die Bundesregierung schon Anfang Januar 1958 auf die für die Kohle 'ungünstige Entwicklung am Energiemarkt hingewiesen hat. Herr Minister, Sie haben uns im Ausschuß gesagt: „Im Januar 1958 habe ich auf die bedrohliche Lage hingewiesen." Das haben Sie aber in einem kleinen Kreis getan. Sie haben nichts getan, um im Laufe des Jahres 1958 die Öffentlichkeit aufzuklären. Schon vor anderthalb Jahren hätte die Öffentlichkeit von Ihrer Seite erfahren müssen, daß sich etwas geändert hat, daß die Kohle gar nicht mehr so knapp ist, daß wir auf andere Energiequellen übergehen müssen.
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- Alle Energieträger wußten ,es, aber nicht die Öffentlichkeit. Wußte es auch die große Masse der Verbraucher? Zum Teil wußten es die Verbraucher natürlich. Alle diejenigen, die aufgepaßt haben, haben es gewußt.
Ich hätte von der Bundesregierung zu dieser Zeit mindestens eine aufklärende Tätigkeit erwartet. Dadurch wären dann vielleicht die Kohleverbraucher zu einer ganz anderen Mentalität gekommen. Sie hätten mit dem Kohleverbrauch noch mehr zurückgehalten. Dann wären alle diese Dinge damals schon eingetreten. Jetzt braucht der Herr Bundeswirtschaftsminister für die Anpassung sehr viel Zeit. Wenn wir damals schon begonnen hätten, brauchte die Steuer nicht für drei Jahre festgelegt zu werden, wie Sie es jetzt vorschlagen.
Sie, Herr Minister, haben damals den totalen Einfuhrstopp verhängt. Das war doch schon die erste einschränkende Maßnahme. Dann haben Sie den Kohlenzoll eingeführt; rechtlich ist er zwar noch nicht fundiert. Nun soll die Heizölsteuer folgen. Das sind alles kleine Maßnahmen. Für den einzelnen sind sie vielleicht von Bedeutung. Gemessen an dem Umfang, den Herr Deist meiner Meinung nach richtig dargestellt hat und der später einmal auf uns zukommen wird, handelt es sich jedoch nur um kleine, vorübergehende Behelfsmaßnahmen, mit denen das Grundproblem nicht angegangen wird.
Herr Deist hat der Bundesregierung eine Reihe von Ratschlägen gegeben, wie die Kohle an die veränderten Verhältnisse angepaßt werden sollte. Einer ganzen Reihe dieser Maßnahmen stimme ich zu; nur sollten diese Ratschläge nicht der Bundesregierung, sondern den Unternehmern im Kohlenbergbau gegeben werden. Diese Unternehmer sind dafür verantwortlich, daß in ihren Betrieben das Zweckmäßige getan wird. Sie müssen allerdings auch die Folgen ihrer Entscheidungen tragen. Das liegt im Wesen der unternehmerischen Tätigkeit begründet, und dem können sich auch die Unternehmer im Kohlenbergbau nicht entziehen.
Auf dem Gebiet allerdings, das der Regierung zusteht, vermissen wir einen zielbewußten Plan für eine Überwindung dieser Strukturkrise. Man hätte z. B. gewisse Wettbewerbsverzerrungen ausbügeln können, die die Kohle - es ist schon darauf hingewiesen worden - auf dem Gebiet des Transports, der Frachten, benachteiligen. Auch wir sind der Meinung, daß es eine Verzerrung darstellt, wenn wir die Bundesbahn subventionieren und ihr gestatten, hohe Frachten von der Kohle zu erheben. Da muß man den direkten Weg gehen und den Fehler bei der Bundesbahn selbst suchen, wo er auch wirklich liegt.
Wenn wir aber einmal unsere grundsätzlichen Bedenken gegen die Heizölsteuer zurückstellen würden, dann müßten wir untersuchen, ob mit ihr tatsächlich das erstrebte Ziel zu erreichen ist. Herr Minister, Sie haben jetzt gesagt, es solle nicht ein Rückgang im Heizölverbrauch und eine Erhöhung des Kohlenverbrauchs eintreten, Sie wollten nur den derzeitigen Stand für eine Zeit, also für diese drei Jahre, halten. Anders kann ich mir das Ziel nicht denken.
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- Sie wollen das Tempo verringern. Das Tempo der Zunahme des Ölverbrauchs kann nicht beliebig gesteigert werden. Es sind Investitionen nötig, die anlaufen müssen; das hält den Umfang der Zunahme in einem gewissen Rahmen. Der Teil der Verbraucher, der jetzt auf 01 umgestellt hat, wird auch durch eine Steuer nicht davon zurückgeschreckt werden; er wird beim Öl bleiben.
Wir haben also eine Prognose aufzustellen: Welche Gefahr eines starken Ansteigens des Heizölverbrauchs besteht denn in den nächsten Jahren? Ich lege einige Zahlen zugrunde, die mir bekanntgeworden sind. Die Steinkohlenerzeugung hat im Jahre 1958 132,5 Millionen t betragen. Im ersten halben Jahr 1959 ist sie gegenüber dem gleichen Zeitraum 1958 von 66,7 auf 63,9 Millionen t gesunken. Auf das Jahr umgerechnet, wären das vielleicht 8 Millionen t, also 7%
({4})
oder vielleicht noch weniger. Der Verbrauch an
Heizöl hat im Jahre 1958 etwas über 11 Millionen t
- umgerechnet schon in Kohleeinheiten - betragen. Davon entfielen nur 5,6 Millionen t auf schweres Heizöl. Wenn man unterstellt, daß der Verbrauch an schwerem Heizöl im Jahre 1960 vielleicht auf 7 Millionen t, also um 2 bis 3 Millionen t, steigen wird, dann muß man zunächst einmal feststellen: ein Teil davon wird auch durch keine Steuer aufgehalten werden.
({5})
Es werden also weniger als 2 Millionen t sein. Kann das die Ursache für eine katastrophale Lage bei der Kohle bilden, wenn man der Kohle zumutet, ihre bisherigen Drosselungen um 2 oder 3 Millionen t zu erhöhen?
Sie, Herr Professor Burgbacher, haben heute zum ersten Mal das Wort gebraucht: „Es kommt auf die Spitzen an!" Auch das kann ich Ihnen nicht abnehmen. Diese Spitzen können Sie nicht errechnen, und die kann das einzelne Kohlenunternehmen noch viel weniger errechnen. Das muß man in der Wirtschaft sich auspendeln lassen. Auf keinen Fall kann man aber aus einer solchen Gefahr, daß im nächsten Jahr etwa 3 Millionen t - oder, wie wir eben festgestellt haben, 2 Millionen t - Heizöl zusätzlich verbraucht werden, schließen, es werde für die Kohle eine katastrophale Lage eintreten. Nur die
Befürchtung einer katastrophalen Lage aber kann zu einer solchen Maßnahme wie der Heizölsteuer Veranlassung geben.
({6})
- Bitte!
Herr Kollege Atzenroth, habe ich Sie richtig dahin verstanden, daß Mittel der Staatspolitik nur bei Katastrophen eingesetzt werden sollen? Oder sind Sie nicht der Meinung, daß sie dazu da sind, Katastrophen zu vermeiden?
Diese Frage kann ich noch nicht mit einem klaren Ja beantworten. Denn die Frage, wann Katastrophen zu befürchten sind, ,ist sehr verschieden zu beurteilen. Ich könnte für bestimmte Regierungen Bedenken haben.
({0})
- Ich will Herrn Wirtschaftsminister Erhard dabei ausnehmen. Mit der Begründung, man wolle eventuell eintretende Katastrophen verhindern, könnte man manches tun, was sonst nicht erlaubt ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Frage?
Bitte sehr.
Herr Kollege Atzenroth, sind Sie vielleicht sogar der Meinung, daß es der freien Unternehmerinitiative überlassen bleiben müsse, eventuell Katastrophen auszulösen, und daß der Staat nur hinterher Schäden beseitigen, aber nicht etwa der Katastrophe vorbeugen dürfe?
Aber welche freie Unternehmerinitiative hätte eine Veranlassung, eine Katastrophe auszulösen?
({0})
- Das ist mir nicht verständlich. Es wird sich doch niemand den Ast absägen, auf dem er sitzt.
({1})
Denn ein Unternehmer, der eine Katastrophe auslöst, richtet sich selber zugrunde; das ist doch selbstverständlich.
({2})
Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat in der Begründung seines ablehnenden Beschlusses mit Recht darauf hingewiesen, daß die von der Einführung der Steuer erwartete Bremswirkung deswegen ausbleiben wird, weil Erzeuger und Händler bemüht sein werden, durch eine weitgehende Übernahme der steuerlichen Belastung ihren bisherigen Marktanteil zu sichern oder zu vergrößern. Jede trotz dieser Bemühungen entstehende Verteuerung des Heizöls wird zu einer
besonderen Belastung de rervierfernen Industriezentren führen und damit den Bemühungen um eine Dezentralisation der Industrie entgegenwirken. Diesen Ausführungen des Bundesrates stimmen wir absolut zu.
Es wird nun von der Kohle eingewendet, daß die Mengenangaben allein nicht auf die Ursache der Schwierigkeiten führen. Sie sagt also, wie Sie, Herr Burgbacher, es auch dargelegt haben, daß die Kohle in ihren Rationalisierungsbestrebungen entmutigt würde, wenn sie sich einem ruinösen Wettbewerb - übrigens ein Wort, das Sie, Herr Minister Erhard, im Ausschuß einmal gesagt haben; ich habe mir immer wieder vorgenommen, Ihnen das einmal zu rügen - gegenübergestellt sähe. Tatsächlich wird der Wettbewerb aber nur ein Teilgebiet der Kohle betreffen; die große Masse der Betriebe wird unberührt bleiben. Dort kann in vollem Umfange weiter produziert werden, und das sollte in aller Deutlichkeit in der Öffentlichkeit gesagt werden, schon zur Beruhigung der Bergarbeiter und der Öffentlichkeit. Dort braucht kein Bergarbeiter arbeitslos zu werden.
Bei der Verteidigung des „ruinösen Wettbewerbs" wird vor allem mit etwas bedenklichen Zahlen operiert. Sie, Herr Burgbacher, haben sich auch wieder auf diesen „ruinösen Wettbewerb" berufen. Man spricht davon, daß in der Bundesrepublik für das Heizöl Preise von 60 DM und sogar noch darunter gefordert worden seien. Das ist richtig. Aber worum handelt es sich dabei? Es handelt sich um ein Angebot frei Rotterdam. Es kommt
also noch die Fracht von Rotterdam hinzu. Insofern ist die Preisangabe nicht richtig. Und von wem ist das Angebot gemacht worden? Von einem Staat, der dem Ostblock angehört, also zu Dumpingpreisen. Wenn die zu 50 DM anbieten, können wir es auch nicht verhindern. Also da müßten wir uns über ein ganz anderes Thema unterhalten.
({3})
- Aber es war innerhalb eines Kontingents, Herr Professor! Ich möchte Sie bitten, das vielleicht noch einmal nachzuprüfen. Nach den mir vorliegenden Unterlagen handelt es sich bei diesem immer wieder so als Tiefstpunkt angegebenen Beispiel um das Angebot aus einem der Ostblockstaaten. Da liegen die Dinge natürlich ganz anders als bei einem Angebot, das aus Ländern kommt, die mit uns, wenigstens einigermaßen, in Wettbewerb stehen.
Ferner wird gesagt, die Kohle sei einem Verdrängungswettbewerb ausgesetzt, Deutschland sei eine „Niedrigstpreisinsel" in Europa. Dieses Wort ist auch heute wieder gefallen. Es sind auch wieder Vergleiche zu anderen europäischen Ländern gezogen worden. Dabei sind natürlich die Länder genannt worden, die man gern für das Beispiel heranziehen wollte.
({4})
In Frankreich ist das Heizöl kontingentiert. Frankreich hat einen sehr hohen Heizölpreis, der mit dem
unsrigen gar nicht zu vergleichen ist. Daß man aber
Belgien angeführt und Frau Kollegin Weber dan auch noch „Sehr richtig!" dazu gerufen hat, das hat mich doch etwas befremdet; denn Belgien hat seine Kohlenhalden trotz des hohen Heizölpreises bekommen. Dort sind die Kohlenhalden eher noch höher als bei uns. Sie kennen ja die Verhältnisse in Belgien.
Aber nehmen wir doch einmal ein anderes Land. Denken wir einmal an Schweden, ein Land, in dem es keine Kohle gibt und folglich auch keinen Wettbewerb zwischen Kohle und Heizöl. Dort hat das Heizöl schon den Stand erreicht, von dem man hier sagt: Wenn einmal das Heizöl die Kohle aus dem Markt verdrängt hat, dann werden die Preise hinaufschnellen. In Schweden, in dem eine Konkurrenz also nicht besteht, ist ein solcher Zustand erreicht, aber dort beträgt der Heizölpreis, der bei uns etwa dem Preis von 60 DM - also die unterste Stufe - entspricht, 63 DM. In Dänemark liegen die Verhältnisse ähnlich. Da liegt mir sogar die Zahl 60 vor. Ich meine nur: Wenn man schon Vergleiche anstellt, muß man alle Seiten heranziehen; erst dann kann man einen klaren Überblick gewinnen.
Schließlich wind, allerdings ohne einen Beweis zu erbringen, behauptet, die Ölwirtschaft stelle eine so große geschlossene Gemeinschaft dar, daß sie in dem Augenblick, in dem sie den Markt erobert habe, willkürlich ihre Preise heraufsetzen werde. Ich glaube, Sie, Herr Burgbacher, haben das gesagt.
({5}) - Dann war es der Herr Minister.
Auch dieses Argument hält aber einer genaueren Nachprüfung nicht stand. Es gibt keine geschlossene Ölwirtschaft ohne Außenseiter. Herr Dr. Deist hat sehr eingehend dargelegt, daß sich überall neue Ölerzeuger aufmachen und immer wieder neu in den Wettbewerb hineindrängen. Also so ist das dort mit dem geschlossenen Monopol nicht.
({6})
- Das wollte ich gerade sagen. Wir haben mit Freude gehört, daß das Kartell geplatzt ist; denn ein Kartell, das von Außenseitern gesprengt wird, ist uns das liebste. Ich habe auch nur gegen den Hinweis auf die Gefahren argumentiert, die aus dem bösen Monopol entstehen könnten, das auf dem Ölsektor entsteht, wenn die Kohle zu Boden gewalzt worden ist. Also dieses Argument zieht nach unserer Meinung nicht.
Außerdem könnten wir dann natürlich immer wieder auf die Änderung unseres Kartellgesetzes drängen, auf die wir immer noch warten. Bezüglich der Monopole und Oligopole ist ja vorläufig noch nichts entschieden. Der Drang des Öls, seinen Marktanteil zu erweitern, wird nicht aufhören. Die Zahlen, die Herr Dr. Deist genannt hat, haben mich sehr beeindruckt. Das war allerdings auch schon im Ausschuß so. Sie sind auch wirkungsvoll, und das Mittel der Heizölsteuer ist demgegenüber tatsächlich eine Bagatelle.
Aus all diesen Gründen müssen wir zu der Einsicht kommen, daß die Steuer kein geeignetes Mittel ist, das erstrebte Ziel zu erreichen.
Ich komme nun zu den Gefahren, die diese Steuer heraufbeschwört, zunächst einmal beim leichten Heizöl. Die Gefahren sind schon in der Öffentlichkeit allgemein dargelegt worden. Das soziale Element, das bei der Kohle so stark hervorgehoben wird, liegt bei der Steuer für leichtes Heizöl in ebenso starkem Maße vor.
Aber auch bei einer Steuer auf schweres Heizöl gibt es Verdrängungen und Wettbewerbsverschiebungen, und zwar nicht nur regional und zwischen den Branchen, sondern auch innerhalb ein und derselben Branche. Ich darf Ihnen ein Beispiel vortragen, das mir bekanntgeworden ist: Ein Unternehmen der Zellstoff- und Papiererzeugung in Süddeutschland würde bei einer Heizölsteuer von 30 DM je Tonne eine Mehrbelastung von 4,5 Millionen DM im Jahre zu tragen haben. Damit ergäbe sich eine Erhöhung der Kosten des Endproduktes um 2,5 bis 3%. Um diesen Satz würde das Unternehmen also in seiner Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Konkurrenten in Nordrhein-Westfalen, die sich nicht auf Heizöl umgestellt haben, zurückgedrängt werden.
Eine Maßnahme, die solche Auswirkungen zeitigt, ist mit Ihrem Appell an die Preisdisziplin, den Sie in Köln so deutlich an die deutsche Wirtschaft gerichtet haben, Herr Minister, eigentlich nicht zu vereinbaren. Man kann auch nicht immer das Argument anführen, die Heizölsteuer bringe nur eine Verteuerung um 1 bis 2%. Es wird häufig vergessen, daß die Wirkungen sich kumulieren. Auf der ersten Stufe fängt die Verteuerung an, auf der nächsten verstärkt sie sich und so fort. Wir finden hier dasselbe Problem wie bei der Umsatzsteuer. Darin sehen wir eine Gefahr auch im Hinblick auf die Ziele, die Sie, Herr Minister, sich gestellt haben und in denen wir Sie unterstützen: unter allen Umständen das deutsche Preisniveau zu halten. Wir dürfen da unter keinen Umständen auch nur den kleinsten Einbruch zulassen.
Schließlich möchte ich die Bundesregierung noch auf Art. 95 Abs. 2 des EWG-Vertrages hinweisen. Nach dieser Bestimmung ist es den Mitgliedsstaaten der EWG untersagt, auf Waren aus anderen Mitgliedsstaaten inländische Abgaben zu erheben, die geeignet sind, andere Produktionen mittelbar zu schützen. Da ein Teil des in Deutschland verbrauchten Heizöls in italienischen, französischen und holländischen Raffinerien verarbeitet wird, besteht also die Möglichkeit, daß diese Staaten auf Grund des EWG-Vertrages gegen die Heizölsteuer Einspruch erheben. Wir haben diese Frage schon einmal in der Öffentlichkeit gestellt. Leider ist niemand darauf eingegangen. Wir wären also interessiert, sie heute beantwortet zu bekommen.
Eine besondere Gefahr stellt die Ermächtigungsklausel in Art. 3 des Gesetzentwurfs Drucksache 1327 dar. Herr Minister, wozu braucht die Bundesregierung über den vorgesehenen Steuersatz hinaus noch die Ermächtigung? Die Ausnutzung der Ermächtigung nach unten ist ja wohl kaum beabsichtigt.
({7})
Es würde mich sehr freuen, wenn die Ermächtigungsklausel bei den Ausschußberatungen verschwände. Bedenken Sie einmal folgende theoretische Möglichkeit: Die zecheneigenen Handelsgesellschaften haben auf dem deutschen Heizölmarkt beim leichten Heizöl einen Anteil von 40 % und beim schweren Heizöl von 25%. Die Raffineriekapazität der Kohle in der Bundesrepublik beträgt zur Zeit 48%. Wenn nun die Gesellschaften des Bergbaus die Ölpreise weiter senken, dann könnten Sie gezwungen werden, die Steuer vorübergehend auf den Höchstsatz zu bringen. Das wollen Sie doch eigentlich auch nicht. Infolgedessen sollten Sie keinen Wert auf die Ermächtigungsklausel im Gesetz legen.
Herr Kollege Burgbacher hat als einziger das nationale Argument vorgebracht. Er hat gesagt, die Kohle sei ein nationales Produkt, das wir schützen und erhalten müßten, selbst wenn dadurch wirtschaftliche Schwierigkeiten in Kauf genommen werden müßten.
({8})
Das Argument zieht nicht. Herr Minister Erhard hat in Köln stolz verkündet, daß wir nunmehr im Export die zweite Stelle einnehmen. Wir sind also auf Gedeih und Verderb mit der übrigen Welt verbunden. Wenn wir vom Ausland abgeschnitten würden, also kein Öl mehr hereinbekämen, würde ein großer Teil unserer Industrie sofort die Produktion einstellen müssen. Damit würde auch unser Export absinken, und wir brauchten so große Energiemengen nicht mehr. Was dann noch an Energie benötigt würde, würde immer von der Kohle bedient werden können. So viel Hoffnung und Zuversicht für die Kohle spreche ich .ebenso aus, wie Sie es bisher getan haben.
Man sollte also den Autarkiestandpunkt in bezug auf Kohle nicht einnehmen, wenn man unsere Aufgabe als Exportland weiterhin bejaht. Schließlich könnte man auch die Möglichkeit ins Auge fassen, größere Reserven in 01 anzulegen, wobei die Ölwirtschaft entscheidend mit eingeschaltet werden könnte.
Ich sehe ein, daß ich meine Ausführungen zu sehr ausgedehnt habe. Ich habe deshalb noch eine letzte Frage an den Herrn Bundesfinanzminister. Der Herr Bundesfinanzminister hat uns feierlich verkündet: Bis 1961 keine neuen Steuern und keine Steuererhöhung! Was sagt er zu dieser Steuer? Die Kohlewirtschaft hat ,erklärt, sie brauche dieses Geld nicht. Uns jedenfalls ist diese Erklärung klar und deutlich abgegeben worden. Für soziale Maßnahmen wird mit einem nur ganz geringen Geldbedarf zu rechnen sein. Wir sind davon überzeugt, daß echte soziale Schwierigkeiten überhaupt nicht eintreten werden. Wenn die Umstellung jetzt, im Zeichen der Hochkonjunktur, nicht gelingt, wird sie niemals gelingen. Die Mittel ,also, die wir für soziale Zwecke aufwenden müssen, werden sich in geringem Umfang halten. Außerdem werden sie nur zur Hälfte von uns bestritten werden müssen. Die andere Hälfte wird die Montanunion beischießen müssen.
Warum also diese Steuer? Was soll mit .den 300 Millionen DM geschehen, wenn sie niemand haben will?
({9})
- Herr Minister Etzel, dann werden Sie notwendigerweise nach einem neuen Verwendungszweck suchen müssen. Das wäre doch bedauerlich. Aber eigentlich sollten Sie ihr Wort halten: Keine neuen Steuern in diesem Jahr!
Ich darf zusammenfassen. Diese Steuer ist marktwidrig. Sie kann keinen Erfolg haben und ist in ihrer Gestaltung unwirksam. Sie führt zu Wettbewerbsverzerrungen. Deshalb lehnen wir sie ab.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bleiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben auf unsere Große Anfrage teilweise mit einer vorbereiteten Erklärung geantwortet. Das ist Ihr gutes Recht. Aber bei einer solchen vorbereiteten Erklärung läuft man Gefahr, auf zusätzlich gestellte Fragen nicht einzugehen. Uns scheinen diese zusätzlichen Fragen so wichtig zu sein, daß ich sie noch einmal aufnehmen und um ihre Beantwortung bitten möchte.
Die erste zusätzliche Frage ist soeben auch von Herrn Kollegen Atzenroth angeschnitten worden. Die Heizölsteuer soll dem Vernehmen nach in drei Jahren ein Aufkommen von 1 Milliarde DM erbringen. Die sozialen Maßnahmen, die Sie vorschlagen, bewegen sich um 400 Millionen DM. Es bleibt also ein Rest von rund 600 Millionen DM. Einige Dispositionen sind uns bekanntgeworden. Ich werde nachher darauf zurückkommen. Trotzdem wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie uns sagten, was mit dem Rest geschehen soll.
Die zweite, wie mir scheint, wichtige Frage ist die Entschwefelung des Heizöls. Diese Problematik geht den Bergbau natürlich sehr stark an. Unsere Frage an Sie heißt: Halten Sie es für notwendig und für geboten, daß man Heizöl zum mindesten auf denselben Schwefelgehalt herunterbringt, wie es bei der Kohle der Fall ist? Ich bin der Meinung, daß sich dann die Wettbewerbsverhältnisse völlig anders gestalten.
({0})
Nun, Herr Bundeswirtschaftsminister, möchte ich auf einige Bemerkungen in Ihrer Rede zurückkommen. Sie hatten die Freundlichkeit, mich zu zitieren, und haben u. a. gesagt, von mir sei 1956 dargestellt worden, daß wir auf Jahre hinaus
({1})
- 1956, habe ich gehört - mit einer Unterversorgung mit deutscher Kohle rechnen müßten. Das war damals auch richtig. Sie haben ja noch 1957 sehr stark kontingentiert. Ich kann Ihnen Schriftwechsel
beibringen, in denen sich die verarbeitende Wirtschaft darüber beklagt, mit welchen harten dirigistischen Methoden Sie die Kontingente zuteilten. Ich glaube, man sollte mit solchen Zitaten doch etwas vorsichtig sein.
({2})
Sie sagten, damals hätten sich Ihre Dispositionen schon in einer völlig anderen Richtung bewegt. Ich glaube, Herr Professor Erhard, das war zweifellos nicht der Fall; hier hat Sie Ihr Gedächtnis etwas im Stich gelassen.
({3})
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben dann von Irrtümern gesprochen. Man soll nicht mit Steinen werfen, wenn man selbst im Glashaus sitzt.
({4})
Herr Bundeswirtschaftsminister, sind Ihnen nicht gerade in der Beurteilung der Kohlensituation in den Jahren 1957 bis 1958 ständig schwere Irrtümer unterlaufen, die zu der großen Kohlenschwemme im Ruhrgebiet geführt, die uns die Rekordhaldenbestände an der Ruhr beschert und die uns auch die Absatzkrise gebracht haben? Sie haben sich doch in der Beurteilung der Situation völlig verschätzt. Wenn das aber nicht der Fall sein sollte, Herr Professor Erhard, wenn Sie sich also nicht laufend geirrt haben, drängt sich die Frage auf, ob Sie die Kohlenschwemme an der Ruhr etwa bewußt herbeigeführt haben und damit bewußt diese Sorgen und Nöte an der Ruhr haben entstehen lassen.
({5})
Das ist doch eine Frage, die man an Sie richten muß.
({6})
Nun, Herr Bundeswirtschaftsminister, ich habe noch mehrere Fragen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft: War es nicht Ihre Partei, die immer wieder auf die katastrophale Unterversorgung der deutschen Bevölkerung mit Kohle hingewiesen hat? Habe ich nicht immer darauf hingewiesen, daß wir es immer noch zuwege gebracht haben, den deutschen Kohlenbedarf zu decken? Bin nicht ich es immer gewesen, der gesagt hat: die Kohle muß in den Wettbewerb, wir müssen die Kosten und die Preise herunterbringen? Daß wir Knappheit hatten, wußten wir auch. Aber ich wollte die Kohle in den Wettbewerb stellen und Sie nicht.
Nein, Herr Professor Erhard, Sie verwechseln zweierlei. Wir haben bis 1956/57 in einer Unterbedarfsdeckung gelebt. Wir haben damals gefordert, daß die deutsche Wirtschaft und insbesondere die Haushaltungen besser mit Kohle verDr. Bleiß
sorgt werden. Wir haben damals auch darum gekämpft, daß der gespaltene Preis, der letzten Endes immer zu Lasten der Verbraucher ging, beseitigt wird, daß man eine zentrale Importstelle einrichtet, um diese unterschiedliche Preisbildung zu beseitigen.
Sie haben damals einen völlig anderen Standpunkt eingenommen. Im Jahre 1958 haben Sie dann übermäßig Kohle eingeschleust, ohne Rücksicht auf alle Warnungen, die auf die zunehmenden Haldenbestände hindeuteten. Sie haben auch dann noch Importlizenzen erteilt, als wir an der Ruhr schon 10 und 11 Millionen t Haldenbestände hatten. Ich bin der Meinung, Sie haben hier doch wirklich schwerwiegende Irrtümer begangen und sind mit dem Lizenzstopp um Monate zu spät gekommen.
({0})
Herr Professor Erhard, Sie haben noch Ende 1958 die Meinung vertreten, daß z. B. das Schwerpunktprogramm der Bundesbahn dazu ausreiche, die Frage der Feierschichten positiv zu lösen. Weiter haben Sie, Herr Professor Erhard, noch 1958 mit Nachdruck betont, daß es sich an der Ruhr nur um eine vorübergehende konjunkturelle Krisenerscheinung handle, die bald wieder verschwinden werde. Heute sind Sie mit uns der Meinung, daß es eine echte strukturelle Krise ist.
Aber wir können auf die jüngste Vergangenheit zurückkommen, Herr Bundeswirtschaftsminister. Sie haben noch am 29. Januar 1959 vor dem Bundestag erklärt:
Es ist das eindeutige Ziel aller von der Bundesregierung heute ergriffenen und eingeleiteten Maßnahmen-über die ich soeben im einzelnen gesprochen habe -, Massenentlassungen im Steinkohlenbergbau und Stillegungen von Zechen als Folge der gegenwärtigen Absatzkrise zu vermeiden.
Nun, Herr Professor Erhard, dieses Ziel, das Sie damals angestrebt haben, ist doch offensichtlich nicht erreicht worden.. Das Kohle-Öl-Kartell, das Sie als eine besondere Maßnahme gepriesen und von dem Sie sich so viel versprochen haben, ist inzwischen mit lautem Getöse geplatzt. Der Wettbewerb ist heute noch schärfer denn je.
Der Bundeswirtschaftsminister hat nun von der Heizölsteuer als von einem neuen Mittel gesprochen, durch das dem Bergbau eine geschützte Übergangszeit eingeräumt werden soll. In dieser Übergangszeit müsse der Bergbau die Rationalisierung durchführen. Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben uns leider wenig oder gar nichts darüber gesagt, was denn die Bundesregierung von sich aus tun will, um die Leistungsfähigkeit des Bergbaus zu steigern.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine allgemeine Bemerkung machen. Ich habe die Sorge, daß die heutige Debatte nach dem gleichen Schema abläuft, wie es uns von der Mehrheit dieses Hauses bei den früheren Kohledebatten vorexerziert worden ist. Zunächst versichert uns der Bundeswirtschaftsminister, alles sei rechtzeitig erkannt worden, und man habe alles Erdenkliche getan, um Krisenerscheinungen aufzufangen. Dann schlägt die Bundesregierung eine bestimmte Maßnahme vor und behauptet, daß diese, ausschließlich diese Maßnahme geeignet und ausreichend sei, das Energiewirtschaftsproblem zu lösen. Und die Mehrheit dieses Hauses packt dann diesen einen Vorschlag in eine Holzhammermethodik ein. Das heißt, sie arbeitet mit der Behauptung, daß derjenige, der dieser einen Maßnahme - die ja nur eine von mehreren Alternativen sein kann-nicht zustimme, gegen den Bergbau sei. Meine Damen und Herren, diese Methodik ist nicht die geeignete.
Lassen Sie mich nun zu einigen positiven Maßnahmen für den Bergbau Stellung nehmen. Ich möchte zunächst kurz auf die Kohlenfracht zu sprechen kommen. Mein Freund Deist hat sie in seiner Begründung schon angesprochen. Ich möchte die Motive noch etwas mehr vertiefen. Die Kohlenfracht ist ein wesentlicher Bestandteil des Endverbraucherpreises für Kohle. Sie wird nach einem Ausnahmetarif 6 B 1 berechnet. Dieser Ausnahmetarif ist alt und überholungsbedürftig. Nach Pressemeldungen soll der Tarif für die Bundesbahn einen Überschuß von etwa 240 Millionen DM einbringen. Vielleicht ist dieser Betrag etwas überhöht. Aber zweifellos ist es richtig, daß der Kohlentarif erheblich über den Selbstkosten liegt.
Wenn man einen solchen Tarif senkt, verbessern sich automatisch die Absatzchancen für die Kohle, besonders in den Marktgebieten, die vom Ruhrgebiet weiter entfernt sind. Über die Tarifsenkung ist auch verhandelt worden, allerdings mit einem negativen Ergebnis. Das Ergebnis war negativ unter Hinweis auf die defizitäre Lage der Bundesbahn und das mögliche Veto des Bundesfinanzministers, der sich weigern könnte, das höhere Defizit der Bundesbahn abzudecken. Ich glaube, daß gerade hierin eine doppelt negative Kettenreaktion liegt. Denn einmal ist es durch das ständige Hinausschieben der Sanierung der Bundesbahn einfach nicht möglich, einem in seiner Wirtschaftlichkeit und teilweise in der Existenz bedrängten Industriezweig, dem Bergbau, durch eine angemessene Tarifgestaltung die notwendige Hilfe zuteil werden zu lassen. Zum anderen scheint mir eine solche Tarifsenkung letzten Endes auch im Interesse der Bundesbahn selber zu liegen. Denn die Kohle macht etwa ein Drittel aller Gütertransporte der Bundesbahn aus, und wenn der Kohlenversand infolge eines zu hohen Preisniveaus und insbesondere durch zu hohe Tarife stark zurückgeht, verliert die Bundesbahn einen erheblichen Teil ihres Transportvolumens.
Diese Tatsachen sind der Bundesregierung bekannt, sie haben auch, wenn ich recht unterrichtet bin, das Kabinett beschäftigt. Aber die Lösungsvorschläge, die das Kabinett gemacht hat, scheinen mir doch sehr problematisch zu sein. Wenn ich recht unterrichtet bin, soll ein Teil der Heizölsteuer - wenn sie überhaupt kommt - dazu verwendet werden, über den Bergbau gezielte Frachtzuschüsse an bestimmte Abnehmer zu geben. Die Summe der Zuschüsse soll etwa die Hälfte der möglichen Frachtsenkung ausmachen. Ich bin der Meinung,
daß eine unübersichtliche Situation dadurch nur noch unübersichtlicher gemacht wird. Ich halte den geraden Weg einer echten und direkten Tarifsenkung für besser und für korrekter.
Eine zweite notwendige Aktion zur Hebung der Wirtschaftlichkeit im Bergbau ist die Zusammenlegung von Grubenfeldern und der Austausch von Feldesteilen. Diese Maßnahme ist geeignet, die Förderung rationeller zu gestalten. Der Bundeswirtschaftsminister hat in einer früheren Rede vor diesem Hohen Haus geäußert, daß er mit der Zielsetzung, die von dem Unternehmensverband Bergbau verkündet worden sei, voll einverstanden sei. Nun, Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist neun Monate her. Was ist inzwischen in der Feldesbereinigung und in dem Austausch von Grubenfeldern geschehen? Es ist ,an der Zeit, die vernünftigen Gedanken im Interesse des Bergbaus möglichst schnell zu verwirklichen.
Ich bin der Meinung, daß beim Bergbau eine Reihe von Möglichkeiten gegeben sind, die zu einer weiteren Senkung des Preises führen können.
Herr Bundeswirtschaftsminister: warum wind denn die Kohlenenquete immer wieder verschleppt? Wir haben den Antrag 1956 gestellt. Das sind jetzt dreieinhalb Jahre her. Ich darf Sie heute fragen, ob Sie die Prüfungsaufträge erteilt haben oder ob Sie noch immer Bedenken erheben. Hier liegt wirklich eine grobe Unterlassungssünde vor, was sich zum Schaden des Bergbaus auswirkt.
Abschließend möchte ich zu diesem Kapitel sagen: ich habe den Eindruck, daß die Bundesregierung nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, die Wettbewerbsfähigkeit des Bergbaus zu heben. Die private Wirtschaft geht einen anderen Weg. Der Unternehmensverband Bergbau versucht auf seine Weise, eine Anpassung an die veränderte Marktlage vorzunehmen. Er glaubt, daß der geeignete Weg dazu das Quotenkartell sei. Zweifellos werden dabei die kartellkräftigen Unternehmen in den Stand gesetzt, Verkaufsquoten anderer Bergwerksgesellschaften zu erwerben und auf diese Weise Zechenstillegungen zu erzwingen. Die Aktionäre bekommen als Pflaster einen angemessenen Ablösungsbetrag. Das Schicksal der Werktätigen hängt jeweils von dem Stand der Beschäftigung ab. Sie werden verstehen, daß wir ,gegen eine solche Regelung erhebliche Bedenken haben.
Lassen Sie mich weiter argumentieren! Bei einem Quotenverkauf entscheidet häufig die Kapitalkraft. Die Förderbedingungen brauchen beim Quotenerwerber nicht besser zu sein, sie können sogar schlechter sein; denn der Quotenkauf wird schon durch eine bessere Ausnutzung interessant werden. Das ist volkswirtschaftlich nicht vertretbar; denn wenn schon Zechen stillgelegt werden müssen, ist es richtig, die mit der schlechtesten Förderung zu schließen.
Ein anderer Einwand gegen das Quotenkartell und den Quotenverkauf ist der, daß der Quotenhandel zu überstürzten Betriebseinschränkungen und zu überstürzten Belegschaftsverminderungen führen kann. Auch dafür gibt es Beispiele
im deutschen Bergbau. Wenn wir im Buch der Geschichte ein bißchen zurückblättern, finden wir, daß es in den Jahren 1923 bis 1926 ebenfalls eine scharfe Rationalisierung gab. In jenen drei Jahren sind 25 Zechenbetriebe stillgelegt worden; die Zahl der Bergarbeiter ist in der gleichen Zeit um fast ein Drittel zurückgegangen. Sie werden zugeben, meine Damen und Herren, daß diese Tatsachen aus der Vergangenheit zur Vorsicht mahnen. Ich bin der Ansicht, daß allein schon die Tendenz einer solchen Entwicklung sich verheerend auf die Jungbergleute auswirken muß.
Uns interessiert, wie das Bundeswirtschaftsministerium zum Quotenkartell steht. Herr Bundeswirtschaftsminister, finden die Maßnahmen zur Schaffung eines Quotenkartells Ihre Billigung? Wenn nein, was gedenken Sie zu tun, um solche privatwirtschaftlichen Maßnahmen zu verhindern? Herr Staatssekretär Westrick hat auf die Frage meines Freundes Deist im Wirtschaftspolitischen Ausschuß geantwortet, die Frage sei noch nicht besprochen worden, aber er persönlich sehe die Quote ungern. Nun, Herr Bundeswirtschaftsminister, was heißt das, daß man die Quote ungern sehe? Ist das .Bundeswirtschaftsministerium dafür oder dagegen? Was gedenken Sie im letzteren Fall gegen die Schaffung eines Quotenkartells zu tun?
Aus den dargelegten Gründen sind wir der Meinung, daß die Quotenregelung nicht das geeignete Mittel ist, die Strukturkrise im Bergbau zu lösen. Wir befinden uns dabei in der guten Gesellschaft des Herrn Kollegen Burgbacher. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich zitieren, was Sie, Herr Kollege Burgbacher, in der Sitzung des Europäischen Parlaments am 9. April 1959 geäußert haben:
Nun noch etwas zum Quotenproblem. Die Quotierung in der Industrie ist immer eine gefährliche Sache. Sie mag als Notmaßnahme in einer Branche, die sich nicht in einem Umstellungsprozeß, nicht in einer strukturellen Krise befindet, noch angehen. Aber eine Quotierung ohne Behinderung der Rationalisierungsmaßnahmen der Kohle einführen zu wollen, das entspricht fast dem Vorhaben, das Problem der Quadratur des Kreises zu lösen.
Herr Kollege Burgbacher, so weit sind wir mit Ihnen völlig einverstanden. Wir sind aber der Meinung, daß es einer tunlichst genauen und vorausschauenden energiewirtschaftlichen Planung bedarf, um die Strukturwandlung reibungslos und in einer für die Bergarbeiter erträglichen Form ablaufen zu lassen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben sich gegenüber der langfristigen Planung wiederholt sehr skeptisch geäußert. Anläßlich der Eröffnung der Frankfurter Herbstmesse haben Sie am 30. August 1959 u. a. ausgeführt:
Wer Ihnen sagt, daß es möglich sei, einen über fünf oder zehn Jahre langfristigen Energieplan aufzustellen, in dem verzeichnet steht, wie viel dabei auf Kohle und wie viel dabei auf Elektrizität, wie viel auf Braunkohle und Gas und wie viel auf Öl entfällt, der ist ein Scharlatan.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich hätte Sie gern gefragt, wie weit Sie eigentlich den Begriff der Scharlatanerie erstrecken. Ist Ihnen nicht bekannt, Herr Professor Erhard, daß die Hohe Behörde an die Bundesregierung mit einer Erinnerung herangetreten ist, daß auf Grund des Protokolls von Oktober 1957 regelmäßig kurzfristige Vorausschätzungen für ein Jahr, regelmäßig mittelfristige Vorausschätzungen für mehrere Jahre und auch langfristige Vorausschätzungen des verfügbaren Aufkommens und des Bedarfs aufzustellen sind, und daß die Hohe Behörde es für notwendig erachtet, in jedem Mitgliedstaat die Koordinierung der Energiefragen zu organisieren? Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist genau das, was auch wir wollen. Beziehen Sie solche Vorhaben auch in den Begriff der Scharlatanerie ein?
Herr Professor Erhard, Sie waren in der gleichen Rede auch der Meinung, daß der Plan, der schwarze Plan, der kohlschwarze Plan, von dem Sie gesprochen haben, eine denkbar schlechte Angelegenheit sei. Sie haben u. a. erwähnt - wenn ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren darf -:
Der Schwarze Plan nämlich, das würde bedeuten, daß wir einen Energiedirigismus schlimmsten Ausmaßes einführen müßten. Wir müßten Quoten, wir müßten Kontingente setzen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Kontingentierung jahrelang in Ihrem Ministerium betrieben wurde und daß das Bundeswirtschaftsministerium gerade der verbrauchenden I Wirtschaft immer sehr scharfe Zügel angelegt hat, daß die verbrauchende Wirtschaft von Ihnen darüber hinaus veranlaßt worden ist, die Lücke zwischen dem effektiven Bedarf und ihrer Zuteilung durch Einfuhr amerikanischer Kohle zu schließen? Herr Bundeswirtschaftminister, ich möchte noch einmal fragen: Ist Ihnen nicht bekannt, daß sich die verbrauchende Wirtschaft über Ihre harte Kontingentierung und über Ihren harten Dirigismus wiederholt bitter beklagt hat? Was aber sollen dann solche Reden bedeuten, Herr Bundeswirtschaftsminister? Ich glaube, hier liegt ein tiefer Abgrund zwischen dem Wort und der Tat.
Meine Damen und Herren, aus diesen inneren Widersprüchen erklärt es sich vielleicht auch, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister bisher so wenig für den Aufbau einer Energiewirtschaftsabteilung getan hat. Darf ich Sie fragen, Herr Professor Erhard: Wann werden Sie endlich den Bagatellen-Streit in Ihrem Hause beenden, so z. B. den, ob diesem Energiewirtschaftsreferat ein oder zwei Rechtsreferate zugeteilt werden sollen? Ich glaube, daß es dringend notwendig ist, endlich zu der Einrichtung , einer solchen Abteilung zu kommen, damit die Koordinierung der Energiewirtschaft einen Anfang nehmen kann.
Das planlose Hereinströmen der amerikanischen Kohle in den vergangenen Jahren mit all den Nöten und Sorgen, die damit verbunden waren, läßt uns wieder die Forderung nach einer leistungsfähigen Einfuhrorganisation erheben. Diese Einfuhrorganisation soll nicht nur die Mengen steuern; sie muß
und soll auch dem Zweck dienen, Preisschwankungen auf dem Weltmarkt abzufangen. Sie haben heute in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage u. a. auch von den Dumpingmaßnahmen gesprochen. Wenn man eine solche zentrale Importstelle hat, die auch Preisschwankungen auffangen kann, ist die Gefahr, daß Dumpingmaßnahmen den deutschen Markt zerrütten könnten, nicht mehr so groß.
Wir sind der Meinung, daß im Bereich der Energieträger auch eine straffe Kartell- und Preiskontrolle erforderlich ist. Diese Kontrolle erscheint uns vor allem deswegen dringend geboten, um einen Machtmißbrauch besonders der Mineralölwirtschaft zu verhindern.
Wir halten es im Interesse einer vernünftigen Koordinierung auch für notwendig, daß wir zu einer Steuerung der Investitionen kommen, und zwar nicht nur für Kohle und Mineralöl, sondern auch für den Energieträger, der in absehbarer Zeit eine bedeutende Rolle auf dem deutschen Energiemarkt spielen wird, für die Atomenergie. Ich glaube, man sollte sich auch hier rechtzeitig Anpassungsmaßnahmen überlegen, um das Durcheinander zu verhüten, das wir heute auf dem Energiemarkt zu beklagen haben.
Für den Bergbau hat die Aufstellung eines langfristigen Planes und die Anpassung an Strukturverschiebungen dafür Sorge zu tragen, daß die Lage der betroffenen Bergarbeiter und auch kommunalpolitische Gesichtspunkte berücksichtigt werden. In rein oder überwiegend bergwirtschaftlich orientierten Städten und Gemeinden können Zechenstillegungen zu ungewöhnlichen sozialen Härten und auf die Dauer zu unerträglichen kommunalpolitischen Belastungen führen. Deswegen erheben wir die Forderung, daß Entlassungen im Zuge von Anpassungsmaßnahmen nur dann erfolgen dürfen, wenn geeignete gleichwertige Dauerarbeitsplätze zur Verfügung stehen oder geschaffen werden können.
Die Fülle der Aufgaben, die sich aus der Strukturwandlung, aus der langfristigen Planung und aus der Koordinierung der Energieträger ergeben, ist so umfangreich und so vielseitig, daß wir eben die Einsetzung eines Kohlenbeauftragten für erforderlich halten, der mit den entsprechenden Vollmachten ausgestattet sein muß. Wieder eine neue Institution?, werden Sie fragen. - Ja!, aber eine Institution, die infolge des gewaltigen Umschichtungsprozesses, der sich heute auf dem Energiemarkt abzeichnet, erforderlich geworden ist. Eine Einrichtung, die wieder verschwinden kann, sobald sie ihre Aufgabe erfüllt hat, je eher das möglich ist, um so besser.
Wir haben Ihnen, meine Damen und Herren, heute ein sehr umfassendes Programm vorgelegt, das nach unserer Überzeugung geeignet ist, die schiefe Situation in der Energiewirtschaft wieder geradezurücken. Wir wollen mit diesem Programm erreichen, daß soziale Härten bei den notwendigen Strukturanpassungen vermieden werden. Ich möchte Sie bitten, nicht wieder nach der alten Methode zu verfahren, die Vorschläge der sozialdemokratischen Fraktion ohne Diskussion einfach vom Tisch zu schieben. Im Interesse der in der Energiewirtschaft
arbeitenden Menschen möchte ich Sie vielmehr darum bitten, unsere Vorschläge im Ausschuß ernstlich zu diskutieren.
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Das Wort hat der Herr Minister Erhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem ich unmittelbar um Antwort gebeten wurde, möchte ich diesem Wunsche entsprechen.
Herr Dr. Bleiß, Sie haben gefragt, wie das Steueraufkommen, das auf 1 Milliarde DM geschätzt werde, verwendet werden solle, wenn nur ein Bedarf von 400 Millionen DM nachweisbar sei. Ich glaube, es gibt in diesem Hause niemanden, der exakt sagen kann, wie hoch die sozialen Leistungen wirklich sein werden. Ihre Höhe wird ja von der weiteren Entwicklung abhängen.
Ich darf aber auf folgendes hinweisen, und damit gebe ich zugleich Herrn Dr. Atzenroth Antwort. Von 1958 auf 1959 machte die Minderproduktion an Kohle 71/2 Millionen t aus. 71/2 Millionen t wurden weniger importiert, und 5 Millionen t fielen auf Grund der Feierschichten weniger an. Das ist insgesamt eine neuralgische Kohlenmenge von rund 20 Millionen t. Sie müssen gleichzeitig mit einem weiteren Vordringen des Heizöls rechnen. Von seiten der Kohle werden also sehr energische Maßnahmen wie Feldbereinigungen, Teilstillegungen und Ganz-stillegungen ergriffen werden müssen, damit Bedarf und Förderung in etwa wieder einander angeglichen sein werden.
Auf das Problem der Entschwefelung möchte ich nicht besonders eingehen, denn es ist an sich schon bekannt. Ich meine, daß hier eine Lösung auf breiter Grundlage gefunden werden muß.
({0})
Im übrigen sind schon gewerbepolizeiliche Vorschriften in Vorbereitung.
Herr Dr. Bleiß und Herr Dr. Deist, Sie kommen nicht davon herunter, daß Sie in den Jahren 1956/ 1957 die Kohlennot sehr viel stärker dramatisiert haben, als sie tatsächlich war.
({1})
Ich bin sozusagen als der leichtsinnige Mann geschildert worden, der das alles offenbar nicht so ernst genommen hat, wie Sie es genommen wissen wollten. Daß wir in dieser Zeit Importkohle - Kohle aus Amerika - hereingenommen hatten, war selbstverständlich. Wir haben es ja mit Ihrem Willen und Wissen getan, damit Ihre Freunde nicht mehr frieren mußten, damit sie aus dem Bett herauskamen, Herr Dr. Deist.
({2})
Deswegen können Sie uns doch bei Gott im Himmel keinen Vorwurf machen.
Ich sage noch einmal: die erste Instanz, die die Entwicklung überhaupt richtig eingeschätzt hat, war
das Bundeswirtschaftsministerium, das zu Ende 1957 - verkündet Anfang 1958 - darauf hingewiesen hat, daß wir im Jahre 1958 in einen Energieüberschuß von schätzungsweise 8 Millionen t hineinlaufen.
({3})
- Ja.
Herr Bundeswirtschaftsminister, haben Sie nicht festgestellt, daß ich das in früheren Reden loyalerweise anerkannt habe? Aber eine Frage ergibt sich doch, Herr Bundeswirtschaftsminister! Diese Frage heißt nicht: was haben Sie erkannt und was haben Sie verkündet?, sondern sie heißt: was haben Sie wirtschaftspolitisch getan, um diesem Überangebot auf dem deutschen Kohlenmarkt entgegenzuwirken?
Das will ich Ihnen gleich sagen. Erstens war nichts Geheimnisvolles geschehen. Im Januar 1958 konnten Sie in der „Frankfurter Allgemeinen" lesen, daß das Bundeswirtschaftsministerium diese Energiebilanz mit diesem Ergebnis aufgestellt hat.
({0})
Das hat dann allerdings eine dramatische Wirkung gehabt. Während im Jahre 1957 monatlich rund 2 Millionen t an Amerika-Kohle kontrahiert wurden, wurden nach dieser Vorausschau im Februar 5,568 Millionen t und im März gar 12 Millionen t kontrahiert.
({1})
- Freie Unternehmerinitiative, jawohl. - Warum? Weil es uns niemand geglaubt hat; weil zu viele Leute da waren, die sagten: „Die Kohlenknappheit wird unter allen Umständen anhalten."
Aber daß wir etwas getan haben, will ich Ihnen jetzt auch nachweisen. Nicht ganz von ungefähr, sondern durch unsere Einwirkung - die ich Ihnen auch aktenkundig machen kann - sind die neuen Kontrakte von 12 Millionen t im März abgesunken auf 540 000 t im April, auf 307 000 t im Mai und auf 292 000 t im Juni. Wenn das keine Wirkung ist, wenn sich das also nicht gelohnt hat, dann weiß ich nicht, was sich lohnt.
Ich sagte vorhin schon: wir haben dann zugewartet. Wir haben immer wieder gewarnt und gemahnt, keine Importkohle mehr hereinzuholen. Als wir dann sahen, daß trotz der Abnahme der Kontrakte auf Grund geschlossener Lieferungen zu viel Kohle hereinkam, haben wir im Herbst 1958 - wie ich vorhin schon sagte - den Stopp für die Lizenzen von Importkontrakten verfügt. Sie wissen, Herr Dr. Bleiß, daß Herr Staatssekretär Westrick in jener Zeit in den Vereinigten Staaten war - ich habe das auch schon in der Debatte vom 29. Januar dieses Jahres gesagt -, um dafür zu sorgen, daß diese Maßnahme, die nach bestimmten internationalen Spielregeln, nämlich Anwendung des Art. 19 von GATT, erfolgen mußte, dort
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
keine scharfen Reaktionen auslöste. Wir haben vom September bis Dezember mit der amerikanischen Regierung, mit den Unternehmern, mit den Gewerkschaften dort verhandelt, um Verständnis zu finden. Wir haben die Unternehmer gebeten, ihrerseits Verhandlungen aufzunehmen. Wir haben auch die Gewerkschaften gebeten, das zu tun, allerdings vergebens, muß ich dazu sagen.
({2})
Man kann natürlich der Meinung sein, daß die Importe, die hereingekommen sind, durch einen Mischpreis hätten verrechnet werden sollen. Wir waren der Meinung, wir sollten anders operieren. Denn eine staatliche Instanz zu schaffen, die die Importe durchführt, wäre uns nicht gerade gemäß erschienen. Im übrigen aber - was haben wir denn getan?
Wir haben vor allen Dingen dafür gesorgt, daß der Hausbrand mit billiger deutscher Kohle bedacht wird, und wir haben auch diejenigen Wirtschaftszweige, bei denen die Kohlekosten stärker ins Gewicht fallen, insbesondere das Kleingewerbe usw., mit billiger deutscher Kohle versorgt. Wir waren bestrebt, die teurere amerikanische Importkohle da verwenden zu lassen, wo das Gewicht der Kohlekosten im Rahmen der Gesamtkalkulation nicht so zu Buch schlägt oder wo man, wie bei großen Unternehmungen, annehmen konnte, daß sie dieses volkswirtschaftliche Opfer zu bringen bereit sind. Daß dabei auch manche Manipulationen vorgekommen sind, die nicht schön waren, sei hier gar nicht geleugnet. Aber jedenfalls war die Absicht der Bundesregierung durchaus sozial.
Wenn ich die Kohlenkrise, Herr Dr. Bleiß, im Jahre 1958 nur als eine vorübergehende konjunkturelle Erscheinung angesehen hätte, dann hätte ich mich nicht zu diesen drastischen Maßnahmen entschlossen, die wir doch angewandt haben, sei es im Stopp der Einfuhr-Kontrakte, sei es im Kohlenzoll und sei es jetzt auch schließlich noch in der Heizölsteuer. Das alles spricht, zusammen mit Aktenbelegen über ein Jahr lang dauernde Verhandlungen mit der IG Bergbau und den Unternehmern, eindeutig dafür, daß wir nicht an eine konjunkturelle Erscheinung geglaubt haben, sondern uns des strukturellen Charakters dieser Erscheinung bewußt waren.
Im übrigen - „Massenentlassungen"? Herr Dr. Bleiß, Sie sagten am 29. Januar: Zechenstillegungen scheiden völlig aus. Darf ich einmal fragen, wie Sie glauben, dann mit diesem Problem fertig werden zu können. Ich bin heute noch der Meinung, und ich glaube, ich befinde mich durchaus - ({3})
- Bitte, Sie können es nachlesen. Nicht Sie, sondern Herr Bleiß hat in der Kohlendebatte am 29. Januar gesagt: „Zechenstillegungen scheiden also völlig aus." Wenn Zechenstillegungen ausscheiden, dann haben Sie das Gespenst der Feierschichten auf dem Tisch und werden es niemals wegbringen. Wir können nicht auf Stillegungen verzichten.
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Aber mit „Massenentlassungen" hat dies ja nichts zu tun. Darf ich Ihnen sagen, daß von den 67 000 Bergleuten, die seit dem 1. Januar 1958 ihre Arbeitsplätze verlassen haben, nur 12% auf Grund von Entlassungen ausgeschieden sind. Alle anderen sind freiwillig gegangen, oft sogar unter Kontraktbruch. Also das müssen Sie, glaube ich, auch berücksichtigen.
Gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr.
Da ich nicht argumentieren kann, nur eine Frage: Wissen Sie, wieviel Entlassungen auf die Bergarbeiter in den drei Zechen in Bochum, die ich genannt habe, zukommen? Man pflegt so etwas doch wohl Massenentlassungen zu nennen?
Ja, das weiß ich. Bei den drei Zechen, die vorgesehen sind, handelt es sich um das Ausscheiden von 6500 Bergarbeitern. Aber Sie können überzeugt sein, daß diese 6500 Bergarbeiter nur dann entlassen werden, wenn im Zusammenwirken mit allen beteiligten Instanzen, die ich vorhin schon genannt habe, die Unterbringung dieser 6500 Mann gesichert erscheint. Sie werden es nicht erleben, daß infolge dieser notwendigen Maßnahmen soziale Notstände an der Ruhr auftreten.
({0})
Dann bin ich gefragt worden, was die Bundesregierung zur Leistungssteigerung des Bergbaues getan hat. Zunächst einmal bin ich der Meinung: das ist die Aufgabe der Wirtschaft selbst.
({1})
Trotzdem haben wir uns wirklich bemüht, in allen beteiligten Instanzen wie eine Gouvernante dem Bergbau immer wieder mit Rat und Tat und mit unserem Drängen zur Seite zu stehen. Wenn Sie ins Wirtschaftsministerium kommen, dann lesen Sie einmal die Protokolle! Ich gebe sie Ihnen alle. Vielleicht können Sie sie dann ¡in Ihrem nächsten Werk über mich verwenden.
({2})
Im übrigen war es möglich, die völlig erstarrten Fronten aufzusprengen. Bis in die Zeit der Kohleknappheit haben wir fast vergeblich darum gerungen, die Leistung pro Mann und Schicht zu steigern. Es ist uns immer wieder gesagt worden: Wir sind am Ende angelangt; man kann nur mit ungeheuer großen Investitionen etwas erreichen. Sie kennen ja alle den Leidensweg des Bergbaus. Die Arbeitszeit wurde verkürzt, und die Löhne wurden erhöht. Bei dem hohen Kostenanteil bedeutet das immer eine Steigerung der Kohlen-preise. Ich kritisiere nichts daran, vor allem nicht ¡die Lohnhöhe; denn wir waren uns einig, daß der
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard Bergarbeiter ,an der Spitze der Lohnpyramide stehen soll. Aber daß die dadurch ausgelöste Verteuerung der Kohle ihrer Situation nicht gerade günstig war, ist doch selbstverständlich. Dem hätte seinerzeit schon die Anstrengung zur Seite gestellt werden müssen, die Leistung pro Mann und Schicht zu steigern.
({3})
Das war seit Jahren mein Anliegen; ,seit 1956 predige ich es pausenlos. Von dem Augenblick an, wo die Kohle mehr und mehr in den Wettbewerb gestellt wurde - und ich glaube, das ist auch mit ein Verdienst der Bundesregierung -, ist innerhalb von 22 Monaten die Leistung pro Mann und Schicht von 1600 auf 2000 kg gestiegen.
({4})
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Bleiß?
Ja, bitte.
Herr Bundesminister, zu den positiven Maßnahmen, die die Bundesregierung ergreifen könnte: Was halten Sie von einer Tarifsenkung der Bundesbahn?
Ich habe dazu nicht Stellung zu nehmen. Das kann ich allein nicht entscheiden. Aber daß das bei der Behandlung des Gesetzes in den Ausschüssen eine Rolle spielen wird, kann ich schon nach der internen Beratung innerhalb meiner eigenen Fraktion sagen. Natürlich kann ich noch kein Ergebnis mitteilen.
({0})
Sie fragen nach den Quoten. Ich persönlich bin gegen einen Quotenhandel und habe in dieser Beziehung auch aus meinem Herzen keine Mördergrube gemacht. Es scheint sich eine Lösung dahingehend abzuzeichnen - jedenfalls sind Verhandlungen im Gange, und es werden Überlegungen angestellt , daß ebenso wie bei der Ablösung der seinerzeitigen Amerikaverträge eine Notgemeinschaft gebildet wird, die dann auf breiterer Grundlage das Problem der Zechenstillegungen in Angriff nehmen kann.
Die Frage der kurz-, mittel- und langfristigen Vorausschätzungen wird im Augenblick von den drei europäischen Organisationen, der Hohen Behörde, der EWG-Kommission und der Euratom-Kommission, geprüft. Sie soll im Einvernehmen mit den Regierungen beraten werden. Ich bin gar nicht dagegen, daß man solche Überlegungen anstellt. Aber ich bin auch nicht so gläubig, zu meinen, daß das, was dort errechnet wird, ein Fahrplan für das unternehmerische Verhalten sein könnte. Das Bundeswirtschaftsministerium hat mit seiner Schätzung, daß wir jährlich mit einem Energiezuwachs im Verbrauch von ungefähr 2,8 % rechnen können, recht
gehabt. Der Zuwachs machte nicht jedes Jahr genau 2,8 % aus, aber wenn Sie die letzten fünf Jahre nehmen, dann stimmt die Rechnung genau. Sie hat bloß nicht gestimmt in bezug auf die von den Energieträgern angegebene Aufteilung auf die einzelnen Energiearten -, aber an sich war die Rechnung als solche richtig.
Sie meinten, das Bundeswirtschaftsministerium habe einen Dirigismus in der Kohleverteilung getrieben. Selbstverständlich mußten die Hohe Behörde und wir in der Zeit, in der jeder nach Kohle geschrien hat, so handeln, wie wir es getan haben, schon auf Grund der Bestimmungen des Montanvertrages, der eine redliche Versorgung vorschrieb. Es war also gar nicht der originäre Wille des Wirtschaftsministeriums, sondern es war die Bindung an die Bestimmungen und an die Grundsätze des Montanvertrages, die diesen Weg notwendig erscheinen ließ.
Im übrigen kann ich Sie trösten: die energiepolitische Abteilung ist begründet; sie wird arbeiten, und ich hoffe nur, daß ich auch noch mehr qualifizierte Menschen dafür bekomme.
Gestatten Sie eine weitere Frage?
Bitte.
Sie haben auch jetzt wieder die Frage nicht beantwortet, ob die Aufträge für die Enquete des Bergbaus schon erteilt worden sind!?
Sie sind erteilt.
({0}) Sind Sie zufrieden?
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Freund Professor Burgbacher 'hat in einem sehr temperamentvollen Plädoyer die Heizölvorlage wie saures Bier verteidigt, als ob es sich um eine gute Sache handele. Er hat sie noch viel leidenschaftlicher verteidigt als der Ressortchef, der doch ein gewisses ungutes Gefühl bei der ganzen Angelegenheit hatte. Das spricht für ein gutes Gewissen.
({0})
Es kann gar keinen Zweifel darüber geben, daß die Heizölsteuer, so wie sie vorgeschlagen ist, ein ganz abscheulicher Wechselbalg ist.
({1})
Einmal ist eine Branchensondersteuer sowieso nichts Gutes. Zweitens ist sie zweckgebunden. Der Herr Kollege Dr. Dresbach führt einen ewigen Krieg gegen die Zweckbindung. Drittens enthält sie eine sehr dicke Ermächtigung, die sehr, sehr anfechtbar ist. Ganz abgesehen von den sozialen und wirtschaftspolitischen Auswirkungen und allein von der steuerpolitischen und steuertechnischen Seite her betrachtet, kann nicht bestritten werden, daß es sich um etwas ganz Miserabeles handelt.
({2})
Nun, meine Damen und Herren, Sie sollten nicht zu früh jubeln. Sie dürfen nicht glauben, daß aus dieser Debatte ein Arm-in-Arm-Gehen mit Ihnen herauskäme und daß Sie die CSU in Ihrer Nachbarschaft sähen; das wird jetzt und in aller Zukunft nicht passieren.
({3})
Ich möchte auch keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß wir jederzeit bereit waren, etwas zu unternehmen. Wir sprechen ja nicht zum erstenmal über die Kohle. Wir haben alle schon einiges hinter uns. Von der Bergarbeiterwohnungsabgabe über die Prämie und das Knappschaftsrecht bis zum Kohlenzoll und zum Kontingentgesetz haben wir schon einiges geleistet. Wenn dort Not am Mann war, waren wir immer bereit, unsere Mithilfe zu gewähren. Das wird auch in aller Zukunft so sein. Wenn echte Strukturänderungen und echte Notstände auftreten, sind wir bereit, mitzuhelfen. Wir haben uns immer auf den Standpunkt gestellt, daß Strukturänderungen Aufgaben des Bundes sind. Wir haben diesen Standpunkt immer bezogen, wenn auch weniger erfolgreich, als uns das jeweils die Kohle vormachen konnte.
Was ist nun eigentlich geschehen? Ich war ganz überrascht über die Bemerkung des Herrn Dr. Deist, daß irgend jemand nach der Methode „Haltet den Dieb!" gesagt habe, man habe die Sache dramatisiert. Sie haben es dramatisiert, draußen und drinnen! Durch Ihre Große Anfrage - das war ja eine parlamentarische Dramatisierung - haben Sie es dramatisiert und das dann draußen fortgesetzt. Ich bin auch der Meinung, daß man gar nicht soviel Aufhebens hätte machen sollen. Am Anfang muß eine saubere Prüfung dessen stehen, was sich eigentlich ereignet hat.
Sehr interessant dürften die Ergebnisse einer solchen Prüfung insbesondere in bezug auf das sein, was auf sozialem Gebiet behauptet wird. Ich möchte wissen, wie es uns ergehen würde, wenn wir einen Antrag auf irgendeine strukturelle Hilfe angesichts einer solchen sozialpolitischen Bilanz stellten, wie sie hier vorgelegt wird. Sie lautet: einige tausend Bergarbeiter werden gesucht, wenige hundert sind arbeitslos. Wenn ich mit einer solchen sozialpolitischen Bilanz Strukturschäden nachweisen und dafür beim Bundestag kassieren wollte, würde ich wahrscheinlich sehr schlechte Geschäfte machen.
({4})
Das ist der erste Tatbestand, der aufgezeigt werden muß.
Weiter muß klargestellt werden, welcher Tatbestand in bezug auf die Feierschichten vorliegt. In der Öffentlichkeit wird es so dargestellt, als ob es Feierschichten erst ganz neuerdings gebe. Ich habe eine Aufstellung über die Zahl der Feierschichten. Im August 1957 entfielen auf 100 unter Tage arbeitende Bergleute 13,46 Feierschichten - freiwillige Feierschichten -; im August 1958 waren es 21,90 und im August 1959 22,52. Zweifellos ist eine Steigerung der Zahl der Feierschichten festzustellen, aber es hat sie jedenfalls auch früher gegeben. Zur Grundlage sozialer Hilfsmaßnahmen dürfen nur solche Feierschichten gemacht werden, die von den Betriebsleitungen angeordnet und von den Berg leuten erzwungenermaßen verfahren worden sind.
Die Vorlage sollte dem Ausschuß überwiesen werden. Dort muß genau geprüft werden, wie die Situation im Verhältnis von Kohle und Öl tatsächlich ist. Es muß geprüft werden, ob eine Heizölsteuer, ganz allgemein betrachtet, geeignet ist, einen Effekt der Art zu erzielen, wie ihn sich die Kohlewirtschaft erträumt. Die Kohlewirtschaft ist der Auffassung, daß durch die Heizölsteuer eine Trendverschiebung erreicht wird. Man nimmt an, daß durch sie der sehr stark gestiegene Verbrauch an Heizöl zurückgedrängt und dem Kohleverbrauch ein gewisser Raum eröffnet wird. Ich darf darauf hinweisen, daß wir in der Vergangenheit schon viel höhere Heizölpreise gezahlt haben, als sie sich jetzt nach Einrechnung der Steuer ergeben würden, und daß sich dennoch niemand dadurch in seinen Investitionen hat beeinflussen lassen: der Betrieb nicht, der sich seine Kostenlage genauestens ausgerechnet hat, und die Hausfrau nicht, die über gar keine Ausweichmöglichkeit verfügt, weil in der Zeit der Vollbeschäftigung niemand die Mehrarbeit bei Kohlefeuerung übernehmen könnte, und die auch aus vielen anderen Gründen die bequeme, einfache und arbeitsparende Ölheizung vorzieht. Ich bin also der Überzeugung, daß der Wunsch der Kohlewirtschaft, durch eine Heizölsteuer von 30 DM oder einem anderen Satz eine Trendverschiebung zu erreichen, nicht in Erfüllung gehen wird.
In der Regierungsvorlage wird dargelegt, daß durch die Heizölsteuer die soziale Anpassungshilfe ermöglicht werden soll. Der Herr Bundesfinanzminister hat in dem von ihm übernommenen Teil der Begründung scherzhaft bemerkt, daß es sich bei der Heizölsteuer nicht um eine fiskalische Maßnahme handle. Meine Damen und Herren, um was dreht es sich? Geld soll besorgt werden für eine ganze Reihe von Maßnahmen. Ich habe eingangs erklärt, wenn ernste Tatbestände vorliegen, sind auch wir bereit, an dieser Geldbeschaffung mitzuhelfen. Nur wollen wir sie in einer anderen Form vorgenommen sehen. Zunächst aber muß das Vorliegen jener Tatbestände nachgewiesen werden.
Es ist dann behauptet worden, die Dumpingpreise des Heizöls sollten beseitigt und in etwa gleiche Wettbewerbsverhältnisse geschaffen werden. Meine Damen und Herren, es gibt gar keinen Zweifel daran - das ist heute mehrfach zum Ausdruck gekommen -, daß eine genaue Kostenrechnung auf dem Mineralölsektor für niemanden möglich ist. Es kann
also auch nicht die Frage beantwortet werden, ob Dumpingpreise vorliegen. Es ist möglich, sicher ist es keinesfalls. Das schwedische Beispiel jedenfalls spricht dagegen. Daß wir die bezeichneten Ziele über einen Steuerdirigismus anstreben, entspricht unserer guten und bewährten sozialen Marktwirtschaft vielleicht doch nicht so ganz.
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Wenn sich nun herausstellen sollte, daß Geld benötigt wird - und zwar in einem Umfang, der, wie auch der Herr Bundeswirtschaftsminister vorgetragen hat, absolut unbestimmt ist -, dann muß unter allen Umständen eines gesichert sein. Es muß gesichert sein, daß wir nicht auf Vorrat Geld hinlegen, damit es dann auch verbraucht wird. Ein altes Prinzip heißt: Keine Ausgabe ohne Deckung. Es gibt aber auch das umgekehrte Prinzip: Keine Einnahmebewilligung ohne eine rechtlich peinlich genau konkretisierte Formulierung und Beschreibung, wofür es ausgegeben werden soll.
Ich will nun einige Posten aufgreifen, für die solche Ausgaben vorgesehen sind. Es ist ein Novum - ich glaube, daß es in der Geschichte der Subventionen kein Beispiel dafür gibt -, daß zurückliegende Feierschichten bezahlt werden. Dies wurde zugesagt. Ich bin dafür, daß wir das Versprechen, nachdem es dem Bergarbeiter gegeben worden ist, einlösen. Aber wir müssen eine absolute Gewähr dafür haben, daß nur für den Teil der in einem festen, genau spezifizierten Rahmen liegenden Feierschichten, der auf Strukturänderungen und auf strukturellen Entwicklungen beruht, ein Ausgleich gewährt wird, daß aber der Ausfall auch nicht voll ausgeglichen wird. Zweitens muß festgelegt werden, daß eine solche Ausgleichsleistung künftig für keine andere Branche auch nur in Frage kommt, und drittens muß sichergestellt werden, daß Feierschichten, die manipuliert werden könnten, ausgeschlossen bleiben, um auf diese Weise Anreiz zur Manipulierung auszuschließen.
Wenn der vorgesehene Ausgabetitel in dieser spezifizierten, genau überlegten und genau fundierten Form beschrieben wird, werden sich meine Freunde und ich für eine Entschädigung auch von Feierschichten aussprechen.
Die weitere Überlegung, was im Rahmen des Montanrechts an Unterstützung, an sozialen Leistungen usw. gegeben werden soll, ist von uns rechtlich nicht zu beanstanden. Etwas anderes ist es schon mit der Abfindungsbeihilfe. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Man könnte im Knappschaftsrecht hinsichtlich der Altersgrenze irgendeine Möglichkeit finden. Wir haben ja früher ein niedrigere Altersgrenze gehabt. Wir können auch nach anderen Wegen suchen. Wenn der Kausalzusammenhang zwischen dem Strukturschaden und dem jeweiligen sozialen Tatbestand genau gewahrt wird, werden wir keine Schwierigkeiten machen.
Ganz überrascht war ich über den Vorschlag, daß man als Ersatz für ausfallende Arbeitsplätze neue Industrien in diesem Gebiet ansiedeln solle. Meine Damen und Herren, wir haben es leider nicht fertiggebracht, diese großen Ballungsgebiete zu entflechten. Bis zu einem gewissen Grade ist das überhaupt unmöglich. Aber wir haben auf diesem Gebiet einige Versäumnisse zu verzeichnen. Daß wir ausgerechnet in diesem Zusammenhang vielleicht genau das Gegenteil einer Entballung vornehmen, scheidet vollkommen aus. Das wird von uns unter gar keinen Umständen akzeptiert werden.
Interessant ist, daß man auch an einen Gewerbesteuerausgleich denkt. Ich meine, daß der hier anwesende Ministerpräsident - es handelt sich ja nur um wohlhabende Leute in diesem Land - zunächst einmal ein Armutszeugnis vorlegen muß, bevor der Bundestag einen solchen Ausgleich bewilligen könnte.
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Meine Damen und Herren, erst wenn feststeht, wie die Lage und wie die Entwicklung ist, und wenn alle Tatbestände genau abgegrenzt, d. h. in der haushaltsrechtlichen Form peinlich genau beschrieben sind, kann man sich Gedanken darüber machen, wieviel Geld notwendig ist - nicht Geld auf Vorrat! - und auf welche Weise es aufgebracht werden muß.
Es sind heute schon Vorschläge gemacht worden. Ein Vorschlag geht dahin, durch geeignete Maßnahmen Wettbewerbsungleichheiten auf umsatzsteuerlichem Gebiet zu beseitigen.
Man wird also einen Weg finden. Aber für den Weg, verehrliche Opposition, den Sie vorgeschlagen haben, sind wir nicht. Ich war ganz überrascht; ich habe so etwas noch gar nicht erlebt, daß die Opposition, abgesehen vom Verteidigungssektor, in negativem Sinn eigene Deckungsvorschläge macht. Bisher waren wir von dieser Seite folgendes gewöhnt. Wenn wir Ausgaben vorgesehen hatten - abgesehen vom Verteidigungsbereich -, hat sich die Opposition eingeschaltet und erklärt, vor allem im sozialen Bereich: mal zwei, mal drei oder mal x. Das war ihr Standpunkt. Es war selbstverständlich Aufgabe der Regierung und der Regierungsparteien, das Geld für die Durchführung der großen Anträge der Opposition zu besorgen. Zum erstenmal sehen wir jetzt einen Deckungsvorschlag, und zwar soll es eine Deckung aus der Körperschaftsteuer sein. Das ist eine sehr interessante und feine Erfindung. Als ich davon las, habe ich mir schon gedacht, daß der Schoettle-Geist, der Geist des gewissenhaften Haushaltsexperten der SPD, vielleicht durch die ganze Fraktion der verehrlichen Opposition gegangen sei. Aber nein, das war eine, ich möchte einmal sagen, sehr wohl angelegte Überlegung, und zwar ganz einfach so: wir machen die sozialen Maßnahmen mit. Wir machen uns draußen damit beliebt. Die Regierung muß das Geld besorgen, und zwar werden wir einen Weg vorschlagen, der ihr außerordentlich peinlich ist, den Weg über die Körperschaftsteuer. Einmal wäre das rechtlich gar nicht zulässig, zumindest bestehen erhebliche Bedenken, weil die Ermächtigung zu dieser Ergänzungsabgabe nur für Einkommen- und Körperschaftsteuer vorgesehen ist. Auch der Betrag würde nicht ausreichen. Aber immerhin, Sie waren der Meinung, Sie könnten uns mit einem solchen Vorschlag eine recht unangenehme Aufgabe stellen. Wir würden es doch vielHöcherl
leicht vermeiden wollen, uns dort unbeliebt zu machen. Meine Damen und Herren, der erste Dekkungsvorschlag ist unecht!
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Nun darf ich noch zu einem Thema sprechen, das schon angeklungen ist, das auch Herr Professor Burgbacher und verschiedené andere Redner, vor allem die Herren von der FDP, haben anklingen lassen. Es gibt gar keinen Zweifel, daß diese ganze Frage im Rahmen der Strukturverhältnisse der Bundesrepublik im ganzen gesehen werden muß. Der Bundesrat hat seine Meinung dahin gehend geäußert - das ist die Wiedergabe eines Tatbestandes -, daß die revierfernen Gebiete im Norden und Süden bisher wegen der starken Frachtbelastung der Kohle entsprechend benachteiligt waren. Durch das Vordringen des Heizöls wurden diese Nachteile etwas verringert. Es ist vollkommen klar, daß eine Besteuerung, wie sie hier geplant ist, dieses Aufholen zu einem großen Teil wieder zurücknähme.
Ich kann mir eine Lösung ,des ganzen Problems überhaupt nicht vorstellen - das möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen -, wenn nicht auf diesen Tatbestand der Strukturänderung und der Strukturverschlechterung im Norden und im Süden bei dieser Lösung Rücksicht genommen wird. Wer sich selbst auf Strukturänderungen beruft, der muß auch so großzügig sein, die Bedeutung von Strukturfragen, die in diesem Zusammenhang entstehen, gleichfalls zu honorieren, genauso wie wir das umgekehrt immer gemacht haben.
Es gibt nur eine einzige Form der Lösung, das ist die marktwirtschaftliche. Eine Lösung ergibt sich einmal aus der Expansion der Wirtschaft und aus dem damit steigenden Energieverbrauch. Herr Professor Erhard, Sie haben ja in dieser Frage bei dieser Konjunktursituation schon mehr getan, als alle übrigen jemals getan haben, weil jeder Verlust eines Arbeitsplatzes sofort ausgeglichen wurde. Der einzige und .auf die Dauer erfolgversprechende Weg ist die allgemeine Expansion der Wirtschaft. Nicht das Kommissar-Denken, nicht die Beauftragten können uns helfen. Ich halte es für eine schwere Sünde wider die Demokratie, wenn einem in Schwierigkeiten nichts anderes einfällt, als nach einem Staatsbeauftragten oder nach einem Bundesbeauftragten oder nach einem Kommissar zu schreien. Nein, meine Damen und Herren, wir wolfen alle diese Dinge nicht, die Verfassung will sie nicht und Sie als echte Demokraten sollten das auch nicht wollen.
Aber noch einmal, Herr Professor Erhard: Der Weg, den Sie bisher gegangen sind, der Weg der Expansion, der guten Konjunktur, bietet auch die Lösung. Auf diesem Wege werden wir Sie begleiten, gegen alle planwirtschaftlichen Theorien, gegen alle Beauftragten-Theorien der Opposition!
({8})
Meine Damen und Herren, um allen die Möglichkeit zu geben, eventuelle Rededispositionen einigermaßen mit der
Uhr in Einklang zu bringen, möchte ich daran erinnern, daß wir uns dem Bundesrat gegenüber verpflichtet haben, um 20 Uhr das Gesetz über das Kreditwesen zu beraten. Die Frage wird sein, wie wir danach den jetzigen Punkt der Tagesordnung weiter beraten werden. Es liegen noch etwa 12 Wortmeldungen vor. Wir haben jetzt viertel vor sieben. - ({0})
- Ich höre das Wort „Nachtschicht". Ich schätze, daß wir diese Nachtschicht wirklich werden verfahren müssen. - Meine Bemerkung hat nicht im geringsten den Zweck verfolgt, irgend jemanden zu veranlassen, eine Wortmeldung zurückzuziehen; nein, keineswegs. Ich wollte das Haus nur auf die Lage aufmerksam machen. Ich überlasse es jedem einzelnen, sich so einzurichten, wie er es glaubt tun zu ,sollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Steinmetz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach diesen einleitenden Worten des Herrn Präsidenten wage ich es eigentlich schon gar nicht mehr, auf Wesen und Ursachen der Kohlenkrise einzugehen. Ich glaube, es hat auch gar keinen Sinn mehr. Wir haben darüber heute abend schon so viel gehört, daß eigentlich alles gesagt ist, was dazu gesagt werden konnte. Ich will mich daher darauf beschränken, kurz auf das einzugehen, was bei den Überlegungen, die wir alle anstellen, das Einigende ist.
Das Einigende ist vielleicht folgendes. Wir wollen doch alle, daß der Verbraucher, auf die Dauer gesehen, mit Energie und mit Brennstoffen zum niedrigsten Preise versorgt wird. Es geht hier durchaus nicht etwa darum - das will ich in Paranthese sagen -, ein „altes, überholtes" Produkt vor einem „neuen, vordringenden" zu schützen. Das hätte auch gar keinen Zweck. Die Wirtschaftsgeschichte hat gezeigt, daß sich das Neue, wenn es wirklich überlegen ist, doch immer durchsetzt. Aber eines müssen wir meiner Meinung nach gemeinsam tun: wir müssen die Anpassungsvorgänge so steuern, daß ein echter, fairer Wettbewerb stattfindet und daß die Gefahr volkswirtschaftlicher Verluste und sozialer Schäden vermieden wird.
Zweitens sollten wir uns auch darüber einig sein - ich habe allerdings nach den Ausführungen des Kollegen Atzenroth den Eindruck, daß wir es nicht sind -, daß die Kohle eine nationale Energiereserve ist, die wir nicht, auch nicht teilweise, leichtfertig opfern dürfen. Herr Kollege Atzenroth hat gesagt, dieser Gedanke sei falsch; denn wenn einmal das Öl vom Ausland nicht mehr fließe, seien die Verbindungen unterbrochen, wir hätten keine Exportaufträge mehr und brauchten dann auch nicht mehr so viele Energie und Brennstoff. Diese Überlegung ist falsch; denn das Öl kommt nur aus bestimmten Gebieten, aber wir exportieren in alle Gebiete der Welt. Also es wird auch dann, wenn einmal das Öl aus irgendeinem
Gebiet nicht mehr fließt, noch Kohle in sehr großen Mengen vorhanden sein müssen. Darum müssen wir sehr sorgfältig darauf achten - das betone ich besonders -, daß uns diese nationale Reserve erhalten bleibt. Darum sollten wir alle Rationalisierungsmaßnahmen, die vom Kohlenbergbau ja schon seit langem ergriffen worden sind, unter- stützen und weiter fördern. Ich glaube, das wird zu einem guten Ziele führen.
Wir sind uns schließlich alle darüber einig, daß die Ölkonkurrenz sehr schnell, praktisch über Nacht, auf uns und die Kohle zugekommen ist und daß sie durch außergewöhnliche Umstände stark begünstigt wurde.
Die notwendigen Anpassungen, von denen ich sprach, sind nötig in einem Wirtschaftszweig, in dem besondere Schwierigkeiten bestehen, weil in ihm hohe Investitionen erforderlich sind und weil er eine große Menge hochqualifizierter Arbeitskräfte beschäftigt. Diese Schwierigkeiten werden weiter andauern. Man kann sie nicht von heute auf morgen beseitigen.
Darum haben wir hier eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen. Aber gerade weil sie schwerwiegend ist, sollten wir sie auch nicht überstürzt treffen. Die vorgeschlagene Heizölsteuer ist meiner persönlichen Meinung nach durchaus ein Mittel, hier eine Hilfe zu geben. Der größte Teil meiner Freunde ist der gleichen Meinung. Andere meiner Freunde sind anderer Ansicht; aber daß die Ansichten auseinandergehen, scheint auch in den übrigen Fraktionen der Fall zu sein. Deshalb sollten wir uns die bisher gemachten Vorschläge unter den Arm nehmen und damit in die Ausschüsse gehen. Wir sollten dort sehr sachlich und ruhig., ohne starke Worte beraten und den richtigen Weg suchen, dieser Krise auf vernünftige Weise zu begegnen. Lassen Sie uns also nicht überschnell entscheiden, sondern lassen Sie uns alle Vorschläge nehmen und darüber beraten, nicht, wie der Kollege Burgbacher sagt, um sie dann abzulehnen. Das will ich damit durchaus nicht sagen. Vielmehr sollten wir sie sogar ernsthaft beraten und das Beste aus ihnen herausholen. Das ist der einzige Weg, der aus dieser Krise herausführt.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Bergmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin tief enttäuscht, daß der Abgeordnete Höcherl hier gesagt hat, die Große Anfrage der Bundestagsfraktion der SPD trage zu Unruhe bei oder enthalte Übertreibungen.
({0})
Leider hat der Bundeswirtschaftsminister das gleiche zum Ausdruck gebracht. Ich bin der gleichen Auffassung wie die CDU-Abgeordneten des Ruhrgebietes, die in den entscheidenden Wochen und Monaten zu dieser Frage Stellung genommen und sogar öffentlich durch ihre Presse gefordert haben,
daß der Herr Bundeswirtschaftsminister endlich einmal seine Pläne darüber kundtut, wie man das Problem der Feierschichten lösen könne.
In der Öffentlichkeit, aber auch in diesem Hause ist viel über das Kohleproblem und ,über die Schwierigkeiten im Ruhrbergbau gesprochen und geschrieben worden. Ihnen wird es wie mir ergehen: Man wird fast täglich angesprochen von Leuten, die Klarheit bekommen wollen, was eigentlich los ist. Wenn man einmal die in der Öffentlichkeit gebrauchten Argumente prüfen will, stößt man auf ein wirres Durcheinander. Ich glaube übrigens, daß dieses Durcheinander durch Ausführungen und Andeutungen des Herrn Wirtschaftsministers nur noch gefördert wird. Ich habe dabei den Eindruck, daß Kräfte am Werke sind, die dazu bewußt beitragen; hinterher will es natürlich keiner gewesen sein.
Nehmen Sie doch einmal die Überschriften der Tagespresse der letzten Monate. Ich will nur einiges davon zitieren, besonders aus dem Ruhrgebiet: Es heißt hier: „Feierschichten ohne Ende", Elastische Kohlepreispolitik notwendig", „Entlassung droht 50 000 Bergleuten", „4450 Bergarbeiter gesucht". Weiter: „Erhard beruhigt die Bergarbeiter", „Blank spricht von Demagogie", „Ruhrbischof sagt: Helft den Bergleuten!", „12 Zechen sollen stillgelegt werden - Vorschlag des Unternehmensverbandes", und - Herr Bundeswirtschaftsminister, passen Sie sehr gut auf! - „Burckhardt: 15 Zechen stillegen - Weitere 50 000 bis 60 000 Bergleute sollen entlassen werden". - Hier wissen Sie also, wer es gesagt hat. - „Blank in Essen ({1}) : Die Ruhr ist kein Notstandsgebiet". Oder: „Die Heizölsteuer die eleganteste Lösung". „Dr. Burckhardt sagt: Die Kohle kapituliert nicht!" „Kohlepreise in Bewegung". „Ruhrkohleverkauf bleibt bei seinem neuen Plan". „IG Bergbau ist zum Kampf entschlossen". Oder: „60 000 Bergleute in Bonn". Und: „Professor Erhard sagt hier: Demonstrationen können der Kohle nicht helfen". „Arbeitskräfte lassen sich nicht wie Maschinen einmotten". So ging es durch die Presse. Sie müssen doch wohl selbst zugeben, daß das ein Durcheinander von Argumenten ist und daß unsere Bürger, insbesondere die im Bergbau beschäftigten, das einfach nicht mehr verstehen können.
Ich will versuchen, zu einigen Fragen Stellung zu nehmen. Auch Sie, meine Damen und Herren, werden in diesen Tagen die Stellungnahme der Unternehmensverbände des Ruhrbergbaus, der Saar, Bayerns, Niedersachsens und Aachens erhalten haben. Die Überschrift auf der zweiten Seite heißt: „Der Bergbau hilft sich selbst". Was verbirgt sich dahinter, was soll damit gesagt sein? Ich werfe die Frage auf, hilft er sich wirklich selbst? Dabei kommt es mir auf das Wort „selbst" an. Ich frage weiter, kann er sich überhaupt selbst helfen? Ich sage: Nein! Das hängt sicherlich auch mit der freien Unternehmerpersönlichkeit zusammen. Ich meine, die wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte sind von entscheidender Bedeutung. Daß den wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten Rechnung getragen wird, dafür sind der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung verantwortlich. Weil es den Bergbauunternehmern bis jetzt überlassen blieb, zu entBergmann
scheiden, was zu tun ist, kam es zu Entlassungen, von denen bis jetzt 60 000 Bergleute betroffen wurden. Die Entlassung weiterer 50 000 ist angekündigt. So kam es auch zu der Parole, daß 12, 15 oder sogar 16. Schachtanlagen stillgelegt werden sollen. Können Sie sich vorstellen, welche Wirkung das nicht nur für die im Bergbau Beschäftigten, sondern auch für die Geschäftswelt, für den Mittelstand, für alle, die vom Bergbau leben, hat? Das ist doch ein Schrumpfungsprozeß von ungeheurem Ausmaß. Die Äußerungen von Herrn Burckhardt sind die Ursache der Stimmung. Da streitet man sich darüber, ob es eine Panik sei, ob es eine Krisenlage sei oder ob man von einer Katastrophe sprechen könne. Ich finde es sehr eigenartig, daß der Bundesarbeitsminister Blank in Essen erscheint, um den Vorsitzenden der IG Bergbau anzugreifen und von Demagogie zu sprechen. Gerade der Herr Bundesarbeitsminister hätte Veranlassung, sich darum zu bemühen, daß die Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze behalten. Die ganzen Auswirkungen wird er mittlerweile auch von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister erfahren haben. Wir wissen jetzt auf Grund von Unterlagen, daß unter den 60 000 ausgeschiedenen Arbeitnehmern 80% Bergleute bis zum Alter von 30 Jahren sind. Diese jungen Leute, die mit großem Aufwand öffentlicher Mittel für den Bergbau geworben wurden, stehen nun also nicht mehr zur Verfügung. Aber auch für diejenigen, die noch beschäftigt sind, ist es eine Katastrophe; denn man muß feststellen, daß von Ende Februar 1958 bis Mitte 1959 11 Anlagen 28 Feierschichten, 9 Anlagen 29 Feierschichten, 1 Anlage 30 Feierschichten, 5 Anlagen 31 Feierschichten und 3 Schachtanlagen sogar 33 Feierschichten hinnehmen mußten. Das entspricht fast einem Einkommen von zwei Monaten. Sage mir da doch keiner, daß das soziale Gefüge einer Bergarbeiterfamilie nicht in Unordnung gerät, ich möchte sogar sagen: in große Schwierigkeiten kommen muß! Betrachten Sie doch einmal einen Beschäftigten, der in einer solchen Anlage im Schichtlohn tätig ist! Suchen Sie einmal einen solchen Mann auf! Sie werden dann feststellen, daß fast jeder nur noch ein Einkommen hatte, das in der Höhe des Fürsorgerichtsatzes lag, wenn man das auch vorhin abgestritten hat. Letzten Endes sind im Bergbau nicht nur Gedingearbeiter, sondern in großem Umfange auch Schichtlöhner beschäftigt. Da komme man doch nicht zum Ruhrgebiet, um so etwas zu beschönigen, um dabei der zuständigen Berufsorganisation eins auszuwischen! Herr Bundesarbeitminister, Sie sollten besser - wie der Ruhrbischof in Essen - sagen: Helft den Bergleuten!
({2})
Ich möchte einmal unsere Angestellten und Beamten sehen, wenn sie wie viele Kumpels auf fast zwei Monatsgehälter verzichten müßten. Ich glaube, sie würden genauso unruhig wie unsere Bergleute. Oder Sie nicht, Herr Bundesarbeitsminister?
Die ganze Angelegenheit hat letzten Endes auch eine politische Seite. Uns sollten die Erfahrungen der zwanziger Jahre an der Ruhr noch mahnend in Erinnerung sein. Deutlich war auch jetzt zu spüren, welche Kräfte am Werke waren. Im Interesse einer
geordneten demokratischen Entwicklung sollte man daher die Akzente nicht verschieben.
Wir sind auch der Auffassung, daß die Bundesregierung, wie schon gesagt, ohne Konzeption, ohne Plan einer Energiepolitik, es den Bergbauunternehmen nicht gestatten kann, nach alter Manier sich auf Kosten der Arbeitnehmer im Bergbau gesundzuschrumpfen. Die Rationalisierungsbemühungen müssen sicher anerkannt werden. Aber man hat jetzt fast den Eindruck, daß Entlassungen und Feierschichten die Hauptlösung darstellen sollen.
Eine Glanzleistung der öffentlichen Beeinflussung der Entscheidung in der hier anstehenden Frage der Heizölsteuer erlebten wir heute morgen in unserer Presse. Nach dem Bericht einer westdeutschen Zeitung soll Herr Burckhardt gesagt haben: Stillegungen hängen von der Heizölsteuer ab. Ich finde diese Koppelung Stillegung - Heizölsteuer unerhört. Für den Bergarbeiter wäre es sehr interessant, hierzu einmal die Meinung des Herrn Bundeswirtschaftsministers zu hören. Dahinter steht für mich die Frage: Erfolgen keine Stillegungen von Schachtanlagen, wenn die Heizölsteuer beschlossen wird?
Ich sagte schon: Man kann in der Öffentlichkeit nicht verstehen, daß man mehr als hunderttausend Bergleute entlassen will und zugleich die Außenstelle Bergbau des Landesarbeitsamts in Recklinghausen mitteilt, daß die Zahl der offenen Stellen gegenwärtig rund 4450 beträgt. Das kann stimmen. Aber hier offenbart sich die ganze Dramatik des Bergarbeiterberufs. Glauben Sie es mir, hier offenbart sich das Bergmannsleben überhaupt.
Ich möchte einen Brief eines Bergbauangestellten an den Westdeutschen Rundfunk mit Genehmigung des Herrn Präsidenten teilweise vorlesen. Ich finde hier folgende Frage:
Wie kommt es, daß der Bergbau Bergleute entlassen will und auf der anderen Seite Bergleute sucht?
Das kann man draußen einfach nicht verstehen. Die Antwort lautet folgendermaßen:
1. Der Bergbau löst sich von Arbeitskräften ... , die nicht mehr voll einsatzfähig sind und die auch für andere Industriezweige uninteressant sind. Diese Bergleute, die bisher für den Bergbau und für die Allgemeinheit ihre Pflicht und Schuldigkeit getan haben, werden im Zuge der Rationalisierung und Kostensenkung ausgebootet.
Weiter wird in diesem Brief gesagt:
2. Junge Bergleute kehren von sich aus aus folgenden Gründen ab:
a) Sie wollen später nicht das Schicksal ihrer älteren Kameraden teilen.
b) Die Industrie zahlt an jüngere Leute, die sie auch sucht, bei günstigeren Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten des Aufstiegs zur Zeit Löhne, die über dem Tarif liegen.
c) Die Zukunft des Energieträgers Kohle ist zur Zeit noch unbestimmt.
Hier sehen Sie schon einen Ausdruck der Unsicherheit. Der Arbeitsplatz erscheint nicht gesichert.
Weiter heißt es:
d) Verdienstausfall durch Feierschichten, die sich in anderen Industrien nicht so zeigen.
Ferner:
e) Die Leistungssteigerung in den letzten Wochen im Bergbau ist nicht nur allein auf Rationalisierung und Mechanisierung, sondern zum Teil auf die Existenzangst verheirateter Bergleute zurückzuführen.
Zum Schluß heißt es:
Durch die Punkte a bis e ist das Betriebsklima nicht besser geworden.
Ich möchte hier öffentlich mahnend die Stimme erheben. Sie haben soeben alle so Beifall geklatscht, als über die Leistungssteigerung pro Mann und Schicht unter Tage berichtet wurde. Beachten Sie auch die Leistungssteigerung anderer Bergarbeiter in Europa! Sie werden dann feststellen müssen, daß der deutsche Bergarbeiter verglichen mit diesen Leuten eigentlich viel zuviel leistet.
Warum sage ich das? Schon bei den Beratungen über das Rentenanpassungsgesetz für die Bergleute kam es zum Ausdruck. Man weiß, der Kräfteverschleiß kommt mit einer so ungeheuren Wucht auf die Arbeitnehmer im Bergbau zu, daß auch die heute im Gesetz festgelegten Ansprüche nicht genügen. Sie, die Regierungsmehrheit, waren leider damals nicht bereit, den sozialdemokratischen Anträgen in dieser Hinsicht zu folgen. Ich möchte also auch auf den gesundheitlichen Raubbau, der sich im Augenblick zum Teil auf diesem Gebiet vollzieht, und damit auch auf die Verantwortung der Bergbauunternehmer in dieser Hinsicht aufmerksam machen.
Sie sehen aus diesem Brief, welche große Unruhe besteht. Daher müssen sich die jungen Leute zwangsläufig die Frage vorlegen, ob sie abwandern sollen. Wenn sie fast täglich das Schicksal ihrer älteren Arbeitskollegen erleben, wissen sie, was sie zu tun haben. Glauben Sie nur nicht, diesen Fragen mit einigen Randbemerkungen aus dem Wege gehen zu können! Ich kenne einige Kollegen, die ihren Hauer-beruf nicht mehr ausüben können, ja nicht mehr ausüben dürfen; die Betriebsleitungen weigern sich, diesen Leuten über Tage eine Beschäftigung zu geben. Da reden Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, von sozialen Maßnahmen, die garantieren sollen, daß keine Nachteile für Leute entstehen, die den Betrieb verlassen müssen. Die erwähnten Kollegen wurden also entlassen, obgleich sie die Bergmannsrente wegen verminderter Berufsfähigkeit beantragt hatten. Jetzt beziehen sie Arbeitslosenunterstützung. Können Sie sich vorstellen, wie es in der Seele eines solchen Mannes aussieht?
Hier steht die Wirtschaftspolitik zur Diskussion. Die Bundesregierung kann aus ihrer Verantwortung nicht entlassen werden. Diese Auffassung wird nicht nur von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion oder den Gewerkschaften vertreten. Selbst der Unternehmensverband Ruhrbergbau spricht in seiner Denkschrift von einer Krise der Wirtschaftspolitik und sagt, daß mit den Begriffen „Strukturkrise" oder „Konjunkturkrise" allein die Schwierigkeiten nicht erklärt werden könnten.
Vorhin erlebten wir das Zwischenspiel, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard sagte, man habe schon vor einem Jahr nicht nur die konjunkturellen, sondern auch die strukturellen Veränderungen gesehen. Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um das Gedächtnis des Herrn Wirtschaftsministers etwas aufzufrischen. Vielleicht kann er sich daran erinnern, daß am 18. November 1958 im Palais Schaumburg ein Gespräch zwischen den Vertretern der IG Bergbau und dem Herrn Bundeskanzler stattgefunden hat, bei dem auch der Herr Finanzminister und er selber - der Herr Wirtschaftsminister - anwesend waren. Dabei haben Sie, Herr Wirtschaftsminister, diesen Vertretern gesagt: „Die Feierschichten sind nicht beunruhigend." Sie haben weiter gesagt: „mit einem Auftrag der Bundesbahn von 500 Millionen DM, der von der Bundesregierung ausgeht, werden wir das Problem lösen". Es ist vielleicht zu wenig bekannt - die Presse hat es jedoch berichtet -, daß auch Ihr Chef, unser Herr
„Niemand denkt an Entlassungen, niemand denkt an Stillegungen."
So haben Sie vor 'einem Jahr - es ist noch nicht einmal ein ganzes Jahr her - die Zukunft gesehen. Ich muß Ihnen sagen: Sie haben da vollkommen danebengehauen; seien Sie doch ehrlich.
Ich möchte noch auf eine andere Tatsache hinweisen. Am 6. August dieses Jahres hat Herr Burckhardt vor Journalisten gesagt: „Die Abwanderung von Bergleuten reicht nicht aus. Wie stark diese Belegschaftsminderung durchgeführt werden kann, hängt ganz von der Entscheidung der Bundesregierung ab." Das sagt ein Unternehmensverband, dem Sie heute ein so großes Lob gespendet haben. Wollen Sie noch mehr hören, Herr Wirtschaftsminister? Das ist auch die Auffassung der Arbeitnehmer im Bergbau. Darum wurde auch der Aufmarsch in Bonn veranstaltet. Es geht um die Sicherheit der Bergleute.
Sie müssen sich auch darüber klar sein, welche Folgen es hatte, wenn Herr Staatssekretär Dr. Westrick in der 129. Sitzung des Deutschen Bundestages am 10. Februar 1956 folgendes erklärte - ich verlese wörtlich aus dem Protokoll -:
Es läßt sich voraussehen, daß trotz aller Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Energiearten die Kohle auch in den kommenden Jahren, vorläufig jedenfalls noch, der Hauptträger unserer Energiewirtschaft sein wird. Der Energiebedarf wird so stark steigen, daß alle Möglichkeiten auszunutzen sein werden, . . .
Wohin das geführt hat, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben meine Vorredner mit aller Deutlichkeit gesagt. Die Bergleute jedenfalls sagen: Zu Halden und Feierschichten hat es geführt. Weiterhin sprach Herr Staatssekretär Dr. Westrick in diesem Zusammenhang von der Heranziehung von Kohle und Öl im Einfuhrwege. So hat die Bundesregierung doch die Verantwortung für die Kohlenhalden zu tragen.
Zu den Feierschichten und Entlassungen kommt die Sorge um die Wohnung. Auch hierzu ein kurzes Wort. Wir sehen nicht ein - wenn schon jeden Tag Entlassungen öffentlich angedroht werden -, warum die im Bergbau Beschäftigten, denen gekündigt wird oder die sogar freiwillig den Bergbau verlassen, auch noch in die unmögliche Lage kommen, ihre Wohnung räumen zu müssen. Was es bedeutet, eine Räumungsklage zu bekommen, können wir fast täglich erleben. Wir sind gegen die Bindung der Wohnung an den Betrieb und halten an dem Grundsatz fest: Keine Einschränkung der Freizügigkeit. Selbstverständlich sind wir auch gegen einen Mißbrauch; wir möchten daher im zuständigen Ausschuß dazu beitragen, eine gerechte Lösung zu finden.
Nun noch ein Letztes. Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben soeben behauptet, daß der Aufmarsch der IG Bergbau, daß der Aufmarsch der Bergleute unnötig gewesen sei.
({0})
Ich bin tief entrüstet darüber, daß Sie sich eine Antwort so einfach machen.
({1})
So sollte man darüber nicht sprechen. Sie behaupteten, daß schon vor den Demonstrationen alles in Ordnung gewesen sei. Ich glaube, das stimmt nicht; das ist objektiv unrichtig. Am 26. September dieses Jahres war die Kundgebung in Bonn. Nur zehn Tage vorher haben Sie in einer Grundsatzerklärung zum Ausdruck gebracht, welche Maßnahmen letzten Endes möglich sind. Glauben Sie nicht - wir sind fest davon überzeugt! -, daß das Bekennen der Bergarbeiterschaft auf den Kundgebungen mit dazu beigetragen hat, daß Sie diese Lösung gefunden haben? Sie vergessen vielleicht ganz, daß schon Ende August die erste Kundgebung in Dortmund, anschließend die Kundgebungen in Bochum, Essen und anderen Städten stattgefunden haben. Ich glaube, es war gerade mit ein Ergebnis dieser Kundgebungen, daß die Bundesregierung sich zu einigen positiven Maßnahmen entschlossen hat.
Ich will Ihr Gedächtnis weiter auffrischen. Sie wissen doch, daß in der Grundsatzerklärung jedenfalls für den Härteausgleich erst 50 Millionen DM vorgesehen waren. Sicherlich ist mit durch das energische Hervortreten der IG Bergbau erreicht worden, daß nunmehr 75 Millionen DM zur Verfügung stehen.
Ich möchte mich hier auf einen Zeugen berufen, der vielleicht ebenfalls dazu beitragen kann, Klarheit in die Dinge zu bringen. Sie werden nicht abstreiten, daß eine Ihrer Parteizeitungen. die „Rheinische Post", folgendes geschrieben hat - sie berichtete über ein Zusammentreffen Erhards mit dem Vorstand der IG Bergbau vom 25. September vor dem Abflug Erhards zur Tagung der Weltbank
({2})
- ja, Sie mögen das vielleicht nicht gern hören, aber die Zeitung schreibt es -:
Ein Beschluß des Bundeskabinetts, aus Steuermitteln Zuschüsse für die Bezahlung von Feierschichten aufzubringen, liegt bisher noch nicht
vor. In Regierungskreisen gibt es nach wie vor Kräfte, die sich gegen eine solche Maßnahme wenden, weil dadurch der Anreiz für den Bergbau zu durchgreifenden Rationalisierungsmaßnahmen abgeschwächt werden könnte.
Und nunmehr die Überraschung:
Die Bundeshilfe soll daher nach Meinung dieser Kreise nur in der Gewährung von Krediten bestehen.
({3})
- Wenn Sie jetzt dazwischenrufen: „Das stimmt nicht!", dann kann ich Ihnen nur antworten: Sie können ja den Artikel der „Rheinischen Post" öffentlich widerrufen. Warum warten Sie damit bis heute? - So wird die öffentliche Meinung beeinflußt.
Damit bin ich am Schluß. Ich habe einen Teil der mir vorliegenden Zeitungsausschnitte vorgetragen. Nach allem bin ich der Meinung: Herr Bundeswirtschaftsminister, mit Ihrer „Schwarzkunst" ist es auch nicht weit her.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Scheppmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bergmann hat hier einiges vorgetragen, wozu ich leider Stellung nehmen muß. Er hat einige Zitate aus der Presse verlesen. Es wäre richtig gewesen, Herr Kollege Bergmann, wenn Sie auch das einmal zitiert hätten, was Sie im Essener Saalbau anläßlich einer Delegiertenkonferenz der SPD gesagt haben und worüber in den Zeitungen geschrieben worden ist. Sie haben sich hier darüber beklagt, daß die jungen Leute den Bergbau verlassen und daß die Besetzung der Arbeitsplätze umsicher ist. Im Essener Saalbau dagegen haben Sie - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten Ihre Parteizeitung - folgendes gesagt:
Verlaßt den Bergbau! Ich gestehe ganz offen, daß ich es gern sähe, wenn die jungen Arbeitskräfte den Bergbau verlassen.
({0})
Wir müssen endlich wieder dahin kommen, daß die Arbeitskraft Mangelware wird. Erst dann dürfen wir mit gerechten Sozialleistungen rechnen.
({1})
Die Bergleute, die bisher entlassen wurden, stünden ohne Aussicht auf einen neuen Beruf da. Es sind Männer, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben, die aber auch noch keine Invaliden sind.
Herr Kollege Bergmann, wenn Sie von Sozialmaßnahmen sprechen, dann müßten Sie eigentlich auch wissen, daß bereits am 9. Oktober die von der Bundesregierung beantragten Sozialmaßnahmen von der Hohen Behörde gebilligt worden sind. Ich
werde darauf nachher im einzelnen noch zu sprechen kommen. Ich bin der Auffassung, daß man so, wie das eben hier geschehen ist, nicht argumentieren kann.
({2})
Dann ist von den Kundgebungen der IG Bergbau die Rede gewesen. Dazu muß ich sagen, Herr Kollege Bergmann, daß die Bundesregierung die genannten Schritte schon vorher eingeleitet hatte. Ich will gern zugeben, daß sich die Kundgebungen in einem vernünftigen Rahmen gehalten haben. Aber wenn hier behauptet wird, daß nur durch diese Kundgebungen die Bundesregierung veranlaßt wurde, entsprechende Maßnahmen einzuleiten, dann muß ich darauf erwidern, daß das einfach nicht stimmt.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte in der heutigen Kohlendebatte über die sozialen Probleme sprechen, die sich aus der gegenwärtigen Situation und der Lage des Bergbaues ergeben. Es wird mir nicht möglich sein, das, wie es gewünscht wird, in fünf Minuten zu tun; denn die Ausführungen, die hier gemacht worden sind, veranlassen mich, etwas weiter auszuholen. Denken wir einmal an die ersten Jahre der Nachkriegszeit und insbesondere daran zurück, wie die verantwortlichen Stellen in der damaligen Zeit sich mühten, die Förderkapazität möglichst bald zu erhöhen. Damals hatten wir nur einen Energieträger, das war die Kohle. Nach dem Zusammenbruch 1945 und in den folgenden Jahren war es nicht so einfach, ein I stetiges Ansteigen der Kohleförderung durchzusetzen. Sie sind sicher bestens darüber unterrichtet, welche Anstrengungen von allen Beteiligten, sei es der Arbeitnehmer, sei es der Unternehmungen, gemacht wurden. Es fehlte in der damaligen Zeit einfach an allem, was für eine ordnungsmäßige Durchführung und für eine Aufwärtsentwicklung der Kohleförderung notwendig war.
Dennoch, so darf man heute wirklich sagen, ist es von den Beteiligten geschafft worden. Durch übermenschliche Anstrengungen hat in dieser Zeit die Kohleförderung eine Entwicklung genommen, die die Grundlage für den gesamten Wiederaufbau in Deutschland bildete.
({4})
Die Gruben waren nach dem zweiten Weltkrieg völlig vernachlässigt, weil man während des Krieges einen Raubbau getrieben hatte. Von jungen Leuten im Bergbau war in der damaligen Zeit überhaupt keine Rede. Im Bergbau war eine starke Überalterung zu verzeichnen. Auf weitere Einzelheiten möchte ich aus Zeitgründen nicht eingehen.
Heute liegen die Verhältnisse genau umgekehrt. Seit anderthalb Jahren bedrücken uns die Sorgen des Absatzes. Jetzt fördert der Bergbau zu viel Kohle, und die Absatzschwierigkeiten sind bei weitem noch nicht behoben. Hierzu ist zusagen: Kohle, die sich nicht verkaufen läßt, kann man auch nicht fördern, nur um ,sie auf Halde zu legen. Gewisse Maßnahmen sind notwendig, damit wir aus dieser Situation herauskommen. Im Augenblick haben wir
- das ist schon vorhin gesagt worden - rund 171 Millionen t Kohle und Koks auf Halde liegen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister und mein Fraktionskollege Professor Burgbacher haben dargelegt, wie die Entwicklung in der Kohlewirtschaft in den letzten Jahren gewesen ist und welche Maßnahmen erforderlich sind, um zu einer vernünftigen Regelung zu kommen.
Hierbei möchte ich erwähnen, daß die Schwierigkeiten nicht nur in der Bundesrepublik auftreten, sondern in allen Bergbau treibenden Ländern. Dort ist die Situation teilweise vielleicht noch schlimmer als bei uns. Nach einer Mitteilung vom 29. Oktober hat sich der britische Oppositionsführer im Unterhaus darüber beklagt, daß in England täglich noch 100 000 t Kohle auf Halde gelagert würden und daß insgesamt jetzt schon über 50 Millionen t Kohle in England auf Halde lägen. Mir scheint, daß der verstaatlichte englische Kohlenbergbau mit dem Prozeß der Verdrängung von Kohle durch andere Energien weniger gut fertig wird als der privatwirtschaftliche Kohlenbergbau in der Bundesrepublik, der sich mit Hilfe der Bundesregierung elastischer an die veränderte Marktlage anzupassen beginnt.
({5})
Die wichtigste Aufgabe in diesem Anpassungsprozeß ist aber für uns alle, für die von dem Strukturwandel betroffenen Menschen zu sorgen, die in schwerster und gefahrvoller Arbeit ihre Pflicht erfüllen und aus dem Schoß der Erde das für unsere Wirtschaft so notwendige Gut bergen, eben die Kahle. Die im Bergbau Beschäftigten, das ,soll nicht vergessen werden, haben für den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach dem Kriege Bedeutendes geleistet. Sie haben in schwerer und gefahrvoller Arbeit die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die für den Wiederaufbau wichtige Energie in immer größerer Menge erzeugt werden konnte.
Denken wir auch daran, wie die Bergleute, wie junge Menschen als Nachwuchs geworben wurden! Mit welchen Versprechungen warb man in allen Teilen der Bundesrepublik Arbeitskräfte für den Bergbau! Man hat von einem sicheren Arbeitsplatz, einer guten Entlohnung und einer guten Altersversorgung gesprochen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß die Bundesregierung in der Vergangenheit erhebliche Maßnahmen zugunsten der Bergarbeiter getroffen hat. Mit Hilfe der Bergarbeiterwohnungsbauabgabe wurden 160 000 Bergarbeiterwohnungen erstellt. Die Bergmannsprämie wird seit Jahren gezahlt. Herr Dr. Deist hat eingangs der Debatte dargelegt, wie man nach seiner Meinung den Steuerzahler damit noch belasten könne. Ich bin überzeugt, daß die IG Bergbau eine andere Meinung vertritt. - Das Knappschaftsversicherungsgesetz ist durch die von dem Hohen Hause beschlossene Neuregelung so gestaltet worden, daß man es als eines der besten Sozialgesetze der ganzen Welt bezeichnen kann.
({6})
Zurückblickend darf mit großer Genugtuung festgestellt werden, daß für den Bergmann viel getan worden ist und daß die Anstrengungen, die seitens der Bundesregierung unternommen worden sind, auch Erfolg gehabt haben. Das bedeutet nicht, daß wir nunmehr keine Verpflichtungen mehr hätten. Das Problem, das sich jetzt stellt, ist weltweit und nicht auf das Bundesgebiet beschränkt. Was diesem Parlament und was der Bundesregierung zu tun bleibt, ist, für den Menschen im Bergbau zu sorgen. Wir müssen den Bergmann in echter Würdigung seiner harten Pflichterfüllung von den Lasten der Anpassung des Steinkohlenbergbaus an die neue Lage befreien. Das ist nicht nur eine politische Aufgabe, sondern ist eine menschliche und moralische Verpflichtung, der sich niemand, ganz gleichgültig, wo er steht, entziehen darf.
Gestatten Sie mir nun, einiges von dem vorzutragen, was an sozialen Maßnahmen vorgesehen ist. Daraus mag der Herr Kollege Bergmann erkennen, was in den letzten Monaten eingeleitet und festgelegt worden ist.
Zum Zwecke der Vermeidung sozialer Härten, die durch die rückliegenden Feierschichten entstanden sind, hat die Bundesregierung inzwischen 75 Millionen DM bereitgestellt. Der dahin gehende Erlaß des Bundesministers für Arbeit an die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ist unter dem 29. Oktober 1959 veröffentlicht. Die Auszahlung der Beträge wird in den ersten Tagen des Monats Dezember beginnen und bis zum 10. Dezember durchgeführt sein.
Ich habe soeben schon über die Bewilligung der von der Bundesregierung gestellten Anträge auf Anpassungsbeihilfen durch die Hohe Behörde gesprochen. Die von der Bundesregierung beantragten und von der Hohen Behörde gebilligten Beihilfemodalitäten sehen Beihilfen für 3 Kategorien von Arbeitnehmern vor: 1. Arbeitnehmer, die von der gesamten oder teilweisen Stillegung ihres Unternehmens betroffen, jedoch nicht entlassen worden sind, sondern in einer anderen Schachtanlage des gleichen Unternehmens weiterbeschäftigt werden, 2. rentenbeziehende Arbeitnehmer, die freiwillig ausscheiden, um für Arbeitnehmer aus stillgelegten Schachtanlagen einen Arbeitsplatz frei zu machen, und 3. entlassene Arbeiter.
Zu 1 ist folgendes zu sagen. Es soll Ersatz für die tatsächlich entstehenden täglichen Fahrkosten für die Dauer von 12 auf die Überstellung auf andere Zechen folgenden Monaten, höchstens jedoch bis zum Ende des 18. Monats nach der Erteilung der Genehmigung von der Hohen Behörde gezahlt werden. Dann soll Ersatz von Reisekosten für unverheiratete Arbeitnehmer, sofern diese bis zum Ende des 12. Monats nach Erteilung der Genehmigung der Hohen Behörde endgültig überstellt sind, gewährt werden. Ersetzt werden sollen die tatsächlich entstandenen Reise- und Umzugskosten, und es soll eine Wiedereinrichtungsbeihilfe für die verheirateten Arbeiter gewährt werden. Die Einrichtungsbeihilfe wird in Höhe eines doppelten Nettolohnes gewährt. Weiter soll eine Trennungsentschädigung gezahlt werden, sofern nach der Überstellung eine
tägliche Rückkehr an den früheren Wohnort nicht möglich und eine doppelte Haushaltsführung erforderlich ist. Die Entschädigung beläuft sich auf 7,50 DM je Kalendertag. Ferner ist Ersatz der Kosten für eine Fahrt monatlich zum Besuch der Familie vorgesehen.
Dann ist der Lohnausgleich vorgesehen, sofern durch Einstufung in eine niedrige Lohngruppe oder infolge Überganges vom Gedinge- zum Schichtlohn ein geringeres Entgelt als bisher gezahlt wird. Der Lohnausgleich entspricht dem Unterschied zwischen 95% des alten und dem neuen Lohn und wird für die Dauer von 6 Monaten gewährt.
Weiterhin sind Maßnahmen für rentenbeziehende Arbeitnehmer vorgesehen, die freiwillig ausscheiden. Sie sollen eine Abfindung in Höhe von 3000 DM, vermindert um den monatlichen Rentenbetrag, jedoch höchstens um 500 DM, erhalten. Diese Abfindung erhöht sich um 300 DM für jedes Kind, für das Anspruch auf Kindergeld besteht. Für den Ausfall an Deputatkohle soll ebenfalls ein Betrag von 240 DM erstattet werden.
Dann spricht man von dem Wartegeld bei Arbeitslosigkeit während der Zeit von 12 Monaten nach der Entlassung. Es sollen in den ersten 4 Monaten 90 %, in den folgenden 4 Monaten 80% und in den restlichen 4 Monaten 70 % des früheren Monatslohns gewährt werden. Im Falle der Umschulung gilt ebenfalls der Satz von 90% als Wartegeld. Diese Beihilfe wird Arbeitern gewährt, die seit mindestens zwei Jahren im Kohlenbergbau beschäftigt sind.
Es folgen noch gewisse Bestimmungen über den Lohnausgleich, über die Fahrkostenerstattung und die entlassenen Rentenempfänger. Es würde zu weit führen, wollte ich das im einzelnen hier noch aufzählen.
Die gleichen sozialen Leistungen für. Stillegungen und Teilstillegungen nach § 23 des Übergangsabkommens des Montanvertrags werden gewährt - sie werden von der Bundesregierung dann allein finanziert -, wenn sie sich im Rahmen planmäßiger Rationalisierungsmaßnahmen als notwendig erweisen.
Meine verehrten Damen und Herren, man könnte über die sozialen Maßnahmen bestimmt noch sehr lange und breite Ausführungen machen. Ich möchte aber davon Abstand nehmen. Wir wissen alle, daß die Durchführung all dieser Maßnahmen zur Umstellung im Bergbau mit enormen finanziellen Aufwendungen verbunden sind, die nach dem Willen der Bundesregierung und meiner Freunde nur durch zusätzliche Einnahmen gedeckt werden können. Aus den derzeitigen Mitteln des Bundeshaushalts können diese hohen Ausgaben auch nach der Auffassung der SPD, die eine Ergänzungsabgabe vorgeschlagen hat, nicht bestritten werden. Die Ergänzungsabgabe erbrächte außerdem jährlich nur ein Drittel des von der Bundesregierung angestrebten Aufkommens an Heizölsteuer.
Ich habe Ihnen, verehrte Damen und Herren, dargelegt, welche politische, sozialpolitische, morali4656
sche und menschliche Verpflichtung das Parlament gegenüber den Bergleuten hat. Wir können auch für die Zukunft auf einen wirtschaftlich gesunden deutschen Bergbau nicht verzichten. Ich bin der Auffassung, daß wir uns bei der Energieversorgung nicht von dem abhängig machen dürfen, was eingeführt wird. Wir haben vielmehr die Verpflichtung, unseren Bergbau gesund zu machen.
Ich weiß, daß damit Schwierigkeiten verbunden sind. Wir müssen durch Stillegungen oder Teilstilllegungen zu einem wettbewerbsfähigen Bergbau kommen. Es sind Maßnahmen vorgesehen, damit keine sozialen Härten für die Bergleute auftreten. Wenn wir die von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen durchführen wollen, wird es notwendig sein, die Heizölsteuer einzuführen. Führten wir keine Heizölsteuer ein, müßten die Zechen entweder Feierschichten einlegen oder sie würden zu noch größeren Haldenbeständen kommen. Beides ist einfach untragbar. Die Zechen kämen, weil sie ihre Kohle nicht absetzen könnten, zu erneuten Stilllegungen.
Die Anpassung der Förderungskapazität an den tatsächlichen Verbrauch soll in einem bestimmten Zeitabschnitt durchgeführt werden. Hierfür benötigt der Bergbau eine gewisse Zeit, damit soziale Härten soweit wie möglich vermieden werden.
Es muß Wert darauf gelegt werden, daß wir unsere eigenen Energiequellen und einen gesunden Bergbau erhalten, damit wir nicht übermäßig von aus dem Ausland eingeführter Energie abhängig werden. Bei all diesen Maßnahmen ist entscheidend, daß wir den Menschen im Bergbau, die davon betroffen werden, die Sorge um ihre berufliche Existenz abnehmen und in dieser Richtung nichts überstürzen. Wenn alle Stellen gewillt sind, in dieser Richtung gemeinsam zu arbeiten, müßte es möglich sein, auch diese für den Bergbau schwierige Zeit zu überwinden. Dann kämen wir nach ziemlich kurzer Zeit zu gesunden Verhältnissen im Bergbau.
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Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert. Darf ich jedoch den Herrn Kollegen Seuffert fragen, ob er glaubt, bis 20 Uhr fertig zu sein?
({0})
- Dann darf ich Sie bitten, das Wort zu ergreifen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht vor, zu der wirtschaftspolitischen Seite der Heizölsteuer zu sprechen. Dazu haben andere genug zu sagen. Ich möchte vielmehr nur zu der finanziellen oder zur finanzhaushaltlichen Seite der Heizölsteuer ein kurzes, aber, wie ich denke, deutliches Wort sagen.
In der Begründung der Steuervorlage steht, die Steuer werde nicht aus fiskalischen Gründen erhoben, weil ihr Aufkommen in vollem Umfang zweckgebunden sei, - zweckgebunden allerdings für Maßnahmen, die hier nur sehr vage bezeichnet werden und hinsichtlich derer man auf Regierungsseite bereits die liebe Gewohnheit angenommen hat, sie als die sozialen Hilfsmaßnahmen zu bezeichnen, obwohl es sich teilweise um etwas ganz anderes handeln dürfte. Das erkennt man, wenn man sich den Text des Gesetzes selbst ansieht. Ich bin allerdings überzeugt, daß wir in der nächsten Bilanz über die Sozialleistungen der Bundesrepublik auch diesen Posten, d. h. diese Kosten einer verfehlten Wirtschaftspolitik, als Sozialleistungen entgegengehalten bekommen werden.
Hierzu hat mein Freund Deist vorhin immerhin die präzise Frage gestellt, was denn mit dem Überschuß, der nach den Schätzungen als Differenz zwischen dem sicheren Aufkommen an Heizölsteuer und den etwaigen Kosten für die sogenannten sozialen Hilfsmaßnahmen auf drei Jahre berechnet 600 Millionen DM betragen müßte, geschehen soll. Auf diese Frage ist bisher nicht die geringste Antwort gegeben worden.
({0})
Herr Minister Erhard hat erklärt, kein Mensch wisse, was die sogenannten sozialen Hilfsmaßnahmen kosten würden. Er hat in diesem Zusammenhang dann allerdings angefangen, von Kosten für Stillegungen, Feldbereinigungen usw. zu sprechen, die sicherlich überhaupt nicht unter diese Kategorie gerechnet werden können.
Der Herr Kollege Burgbacher hat gesagt, daß der Überschuß, mit dem offenbar auch er rechnet, vielleicht für Zuwendungen an revierferne Gebiete verwandt werden könne.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei dieser Unklarheit läßt sich doch die Erhebung der Steuer, auf jeden Fall aber ihre finanzpolitische Behandlung unter gar keinen Umständen rechtfertigen. So kann man mit Finanzen und mit Steuerverteilung nicht umgehen!
({1})
Die Sache hat deswegen ihre grundsätzliche Bedeutung, weil dies nur wieder ein Beispiel für die recht willkürliche Art ist, in der mit Auskünften über Haushaltszahlen, Haushaltsschätzungen usw. von Regierungsseite auch in der letzten Zeit immer wieder vorgegangen wird. Schließlich und endlich muß man mit Zahlen und mit dem Rechenstift feststellen können, was in einem Haushalt ist und was auf der Ausgabeseite steht. Es kann nicht immer auf politische Wertungen abgestellt werden, wenn man in dem einen Fall erklärt, es sei Geld da, in dem anderen Fall, es sei nicht da, und in wieder einem anderen Fall, es sei schon verbraucht usw.
Gewiß, wie das Geld dann ausgegeben werden soll, das ist jeweils Sache der politischen Entscheidung.
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Aber dann, verehrter Herr Kollege Burgbacher, soll man auch die klare Verantwortung für seine Entscheidungen übernehmen und nicht immer da, wc es nicht so erwünscht, nicht so interessant ist, mit der Ausrede kommen, es sei kein Geld da. Dies€ Feststellung sollte von solchen Wertungen unabhängig sein.
Ich sagte, daß vieles, was über die Haushaltslage in diesem Hause, auch in der letzten Zeit, immer wieder gesagt wurde, von solchen Wertungen nicht frei gewesen ist. Wir haben das mit den Kriegsopfern erlebt. Es war kein Geld da, es war absolut kein Geld da, - bis etwas mehr Druck dahinter kam. Dann war doch Geld aufzubringen. Allerdings macht man die Sache erst ein Jahr später, indem man inzwischen etwas anspart; außerdem wird es dann etwas billiger, weil wieder einige Leute weggestorben sind.
Wir haben ein Steuermehraufkommen, das zur Zeit auf über 1 Milliarde für dieses Haushaltsjahr geschätzt wird. Ich glaube, das ist eher zu niedrig geschätzt. Das Steuermehraufkommen ist, wenn man mit diesem oder jenem Antrag kommt - es sind eine Reihe von derartigen Ausführungen schon gemacht worden -, wieder nicht verfügbar, weil es zur Reduzierung des haushaltsmäßig vorgesehenen Kassendefizits von 3 Milliarden gebraucht wird. Ich habe in der letzten Rede des Herrn Bundesfinanzministers gelesen, jetzt habe sich herausgestellt, daß man das im Plan enthaltene Loch von 3 Milliarden, dessen Deckung durch Kreditaufnahme vorgesehen war, nicht so decken könne. Meine verehrten Damen und Herren, niemand hat jemals daran gedacht, daß diese 3 Milliarden etwa auf dem Anleihewege zu decken seien. Daß sie aber durch normale Kreditaufnahmen anderer Art ohne Bedenken zu decken sind, weiß man heute genauso wie in dem Zeitpunkt, in dem man den Haushaltsplan aufstellte. Und was den Anleiheweg anlangt, so hätte
man bei richtigem Verfahren früher die Sache wohl etwas billiger und vielleicht auch etwas schmerzloser erledigen können. Das ist keine Neuigkeit. Es liegt kein Grund vor, das vorhandene Haushaltsmehraufkommen willkürlich nach politischen Entscheidungen zu binden.
Ich könnte noch eine Reihe von anderen Beispielen anführen. Da ist die Drucksache 515, Ihr Umsatzsteuerantrag, bei dem Sie sich streiten, ob dafür eine Deckung nötig ist oder nicht, und was damit alles zusammenhängt. Da ist die Angelegenheit mit dem Kaffeezoll, dessen 100 Millionen dringend benötigt würden, um kein Loch in der Kaffeesteuer entstehen zu lassen. Heute deckt das Aufkommen der Kaffeesteuer mehr als die 100 Millionen. Ich will gar nicht davon sprechen, wie man mit der Ausrede, es sei kein Geld da, Anträge zugunsten von Arbeitnehmern immer wieder abgewimmelt hat.
Ich ziehe das Fazit; das sei insbesondere für den Kollegen Höcherl gesagt. Sie haben bisher keine Zahl darüber auf den Tisch legen können, was für die von Ihnen beabsichtigten Maßnahmen - die wir im Grunde auch für richtig halten - wirklich benötigt wird. Deswegen unsere Frage: Wo sind diese Zahlen? Wenn solche Zahlen auf den Tisch gelegt worden sind, wird man den Bedarf allerdings auf andere Weise decken können als wieder durch eine Verbrauchsteuer, die irgendwie auf den Verbraucher zurückschlagen muß. Deswegen - da mag der Kollege Höcherl recht haben: es gibt eine Reihe von Leuten in unserer Fraktion, eigentlich ist es unsere ganze Fraktion, die dem guten Vorbild unseres Freundes Schoettle immer nachzustreben bemüht sind - haben wir uns erlaubt, einen Dekkungsvorschlag vorzulegen. Die verfassungsmäßigen Bedenken, die der Kollege Höcherl vorgebracht hat, sind ja wohl nicht ganz ernst zu nehmen.
Zur Höhe der Deckung: der Antrag kann nach Bedarf modifiziert werden. Wir haben nach unseren Schätzungen gearbeitet. Wenn Sie andere Zahlen vorlegen können, wird auch die Deckung mit anderen Zahlen arbeiten müssen. Das ist der Sinn dieses Antrages.
Meine Ausführungen sollten dazu dienen, festzuhalten, daß in diesem Fall, aber auch in anderen Fällen die Opposition auf die haushaltsmäßige Klarheit und Ordnung mehr Wert legt als offenbar die Regierung.
({3})
Meine Damen und Herren, mir ist mitgeteilt worden, daß man sich inzwischen interfraktionell darauf geeinigt hat, vor dem Aufruf der ersten Beratung des Gesetzentwurfs über das Kreditwesen noch die Begründung des Änderungsantrags Umdruck 407 entgegenzunehmen. Ich darf dazu dem Herr Abgeordneten Engelbrecht-Greve das Wort geben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf kurz die Ziffern la, b und c und 2 des Umdrucks 407 begründen. Zunächst muß ich darum bitten, einen Druckfehler zu berichtigen. In der Ziffer lb muß es in der zweiten Zeile heißen:
durch die Worte „im Durchschnitt der Jahre 1955, 1956, 1957 und 1958"
Nach dem Änderungsantrag Ziffer la soll die Referenzperiode auf den Zeitraum von 1955 bis 1958 erweitert und für die Kontingentfestsetzung der Prozentsatz von 68 auf 77 vom Hundert erhöht werden. Damit tritt, meine Damen und Herren, eine Erhöhung des Zollkontingents auf 5 132 000 t jährlich - für den Zeitraum 1959/1960 also auf 10 264 000 t - ein. Diese Kontingentserhöhung kommt allen Ländern zugute; den größten Anteil hieran erhält jedoch Großbritannien mit 200 000 t. Diese Steigerung der Liefermöglichkeit für englische Kohle wird im vollen Umfang vom Importhandel und den Verbrauchern im norddeutschen Küstenraum ausgenutzt werden. Auf diese Weise können die gerade in diesem Raum bestehenden traditionellen Beziehungen zu Großbritannien wieder in stärkerem Maße aufgenommen werden. Damit wird also auch handelspolitischen Wünschen und Erfordernissen in diesem Küstenraum Rechnung getragen.
Zur Begründung der Ziffer lb weise ich auf das hin, was ich zu Ziffer la gesagt habe. Es geht da nur um die Einfügung der Jahreszahl 1955.
Mit dem Antrag unter Ziffer lc, einen neuen Abs. 5 in der Anmerkung 3 anzufügen, streben wir an, daß die Wirtschaft in den Randgebieten mit ihren seriösen Verträgen und mit dem legitimen Verbrauch mit Sicherheit in das Freikontingent ein4658
bezogen wird. Ich bitte hierbei zu bedenken, daß durch den von der Bundesregierung im September 1958 ausgesprochenen Stopp der Erteilung neuer Importlizenzen eine Ausnutzung der derzeitigen niedrigen Weltmarktpreise und Frachten ohnehin zur Zeit nicht möglich ist. Von der Wirtschaft in den Randgebieten, vor allem im Küstenraum, werden die Bemühungen der Ruhr um die Ablösung anerkannt. Hierdurch sind die Aussichten für eine Einbeziehung in das Freikontingent gebessert worden; aber nach Ansicht von Sachverständigen ist die Gefahr, daß wichtige Energieversorgungsunternehmen oder exportorientierte Verbraucher Zoll zahlen müssen, noch nicht endgültig ausgeräumt. Jedenfalls muß die Möglichkeit gegeben sein, von solchen Verbrauchern ausländischer Kohle, die wegen der damaligen bekannten Verhältnisse an der Ruhr zu den Bezügen aus dem Ausland genötigt waren, ernsthafte Benachteiligungen und Störungen der Wettbewerbsfähigkeit fernzuhalten, wenn es aus gesamtwirtschaftlichen Gründen geboten ist.
Mit dem vorgeschlagenen neuen Abs. 5 möchten wir also das Gesetz flexibler gestalten und der Bundesregierung die Möglichkeit geben, das Zollkontingent bis zu 20% zu erhöhen, wenn dies aus gesamtwirtschaftlichen Gründen geboten ist. Durch eine solche Erweiterung hätte dann die Bundesregierung die Möglichkeit, die von ihr in Aussicht gestellte angemessene Behandlung der Küstengebiete in die Tat umzusetzen.
Ich darf jetzt zu Ziffer 2 kommen. Die Begründung ergibt sich aus den Darlegungen zu der Ziffer la.
Die Ziffern 3 und 4 wird mein Kollege Dr. Philipp begründen.
Ich darf bitten, die Ziffer la, b und c und die Ziffer 2 anzunehmen.
Ich habe die stille Hoffnung, daß die weitere Begründung ,etwas schneller geht.
Herr Abgeordneter Dr. Philipp!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Begründung wird sehr kurz sein. Die bisherige Fassung des § 3 Abs. 2 Nr. 6 und des § 5 Abs. 2 ließ Zweifel aufkommen, ob die in der Zeit vom 1. Januar bis 28. Februar 1959 eingeführten Kohlenmengen auf die 5 % der Mengen angerechnet werden sollen, die im Zollkontingent für nicht durchgehandelte Importverträge, die sogenannten Schubladenverträge, vorgesehen werden. Um klarzustellen, daß dieses 5%ige Zollkontingent den Berechtigten ungeschmälert zukommt und daß sie dieses Kontingent ohne Bindung an durchgehandelte Verträge verwenden können, schlagen wir Ihnen vor, gemäß Ziffern 3b und 4 des Umdrucks 407 die entsprechenden Sätze in den §§ 3 Abs. 2 Nr. 6 und 5 Abs. 2 neu zu fassen. Die in Frage kommenden Mengen aus den nicht durchgehandelten Verträgen sollen ausschließlich den traditionellen Verbrauchern von Einfuhrkohle an der Küste zur Verfügung gestellt werden.
Meine Freunde und ich gehen überdies davon aus, daß nach den Verhandlungen des Bundeswirtschaftsministeriums mit der Verhandlungskommission der Importeure sichergestellt ist, daß Importeure, die noch Lizenzen im Besitz haben, keinesfalls mittels Schubladenfreikontingente durch Mischrechnung größere Mengen verkaufen können, als dem ihnen zugeteilten Kontingent entspricht.
Ich bitte, diese Änderungsvorschläge zu akzeptieren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die soeben begründeten Anträge zur Änderung dessen, 'was der Wirtschaftsausschuß beschlossen hat, sind nur geeignet, die bisherige Verwirrung noch weiter zu steigern. Der ,,Sündenfall" unseres Herrn Wirtschaftsministers in der Kohlenfrage ist von seinen Beamten offenkundig nicht verstanden warden. Ich habe das Gefühl, daß die Bürokratie des Wirtschaftsministeriums sich von der Zeit her, als die Bundesregierung für die soziale Marktwirtschaft war und Herr Erhard den freien Wettbewerb vertrat, noch nicht umgestellt hat;
({0})
denn jeder einzelne Schritt in dieser Angelegenheit trägt so deutlich den Stempel des Schuldbewußtseins, daß es gar nicht besser zum Ausdruck zu bringen ist.
Das fing mit der Vorlage einer Rechtsverordnung über einen Kohlenzoll an. Mit dieser Rechtsverordnung wurde eindeutig die Ermächtigung überschritten, die das Zollgesetz gibt. Infolgedessen war die Kohlenzollverordnung ungesetzlich und ist es noch bis heute.
Die Überschrift, die über diesem Gesetz steht Gesetz über das Zollkontingent für feste Brennstoffe -, muß ich leider als Vorspiegelung falscher Tatsache bezeichnen; denn das ist in Wirklichkeit der erste Versuch, den Kohlenzoll durch ein Gesetz zu legalisieren.
Sie erinnern sich, daß die Kohlenzollverordnung vom Bundesrat abgelehnt wurde. Darauf hat die CDU/CSU-Fraktion einen Initiativgesetzentwurf eingebracht. Als er beraten werden sollte, übernahm die Bundesregierung die Initiative und brachte einen eigenen Gesetzentwurf ein. Als wir diesen im Ausschuß beraten wollten, kam die CDU/ CSU-Fraktion mit einer zweiseitigen neuen Vorlage, die wir dann als Änderungsantrag zur Regierungsvorlage beraten und beschlossen haben. Das ist es, was Ihnen jetzt vorliegt. Nun kommt dieselbe CDU/CSU-Fraktion und krempelt die ganze Geschichte noch einmal ,um. Eine solche Gesetzesmacherei in einer solchen Frage scheint mir doch etwas abwegig zu sein.
Und nun das ganze Unternehmen! Was sollte denn mit diesem Kohlenzoll erreicht werden? Da 70% der Importverträge von den Zechenhandelsgesellschaften abgeschlossen sind, konnte es doch
Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode
nur darum gehen, die restlichen 30 % unter Druck zu setzen. Hierbei haben wir uns nun einen Riesenkrach mit den Niederlanden an den Hals gezogen. Wir haben in dieser Sache einen Streit mit den Engländern. Man muß sich doch fragen, ob wir es uns überhaupt leisten können, wegen ,solcher Dinge mit der halben Welt Krach anzufangen. Ich bin jedenfalls der Meinung, daß sich das nicht lohnt.
Bei dem hier eingeschlagenen Verfahren will man den Wettbewerber durch Einführung einer Steuer schädigen. Wir haben das ja auch im Kampf Schiene-Straße immer so gemacht: da wurde die Straße schikaniert und belastet, ohne daß man damit der Bundesbahn half. Hier will man nun das Heizöl belasten - das Kohle-Öl-Kartell ist ja inzwischen aufgeflogen -, ohne daß man damit der Kohle nachdrücklich hilft. Wir sind der Meinung, daß man der Kohle Kredite geben sollte, daß man ihr jede Möglichkeit verschaffen sollte, ihren Absatz zu fördern, zu rationalisieren, neue Verwendungszwecke zu suchen. Wir sind aber nicht dafür, das auf dem Wege zu machten, daß man die Konkurrenz schädigt.
({1})
Meine Damen und Herren, jetzt wird die Weiterberatung des Punktes 2 Buchstaben a bis e unterbrochen. Vereinbarungsgemäß rufe ich nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Kreditwesen ({0}).
Das Wort zur Begründung hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Einführung des Regierungsentwurfs eines Kreditwesengesetzes möchte ich mich im Hinblick auf den von dem Hohen Hause in Aussicht genommenen „neuen Stil" und angesichts der vorgerückten Zeit so kurz wie irgend möglich fassen.
In Deutschland wurde eine staatliche Bankenaufsicht erst ziemlich spät, nämlich erst nach den bitteren Erfahrungen der Bankenkrise von 1931, durch Notverordnung eingeführt und später durch ein Reichsgesetz von 1934 ausgebaut. Es besteht allgemeine Einigkeit darüber, daß auch heute noch eine Staatsaufsicht über das Bankgewerbe notwendig ist, um das Kreditwesen unseres Landes gesund zu erhalten.
Den wesentlichen Inhalt des Gesetzes bilden Vorschriften, die die Kreditinstitute verpflichten, in ihrer Geschäftspolitik gewisse sogenannte goldene Regeln einzuhalten, die übrigens ein vernünftiger Bankier auch ohne Gesetz beachten würde. Das Gesetz wird daher nicht für die guten, sondern für die schlechten Bankiers geschrieben. Es handelt sich um Vorschriften über die ausreichende Ausstattung eines Kreditinstitutes mit haftendem Kapital, über
Erfordernisse der Liquidität, d. h. der jederzeitigen Verfügbarkeit oder Beleihbarkeit gewisser Aktiven im Verhältnis zu gewissen Passiven, um die Mobilität der Aktiven, d. h. die Begrenzung ihrer Anlage in Grundstücken und Beteiligungen, um die Vermeidung von Risikoballungen durch richtige Streuung der Kredite, beispielsweise durch Begrenzung von Großkrediten oder von Krediten an eigene Organe oder abhängige Gesellschaften.
Alle diese Vorschriften werden in dem zuständigen Fachausschuß sorgfältig untersucht und womöglich sogar noch verbessert werden. Hier kann ich mich darauf beschränken, mitzuteilen, daß erfreulicherweise wesentliche Meinungsverschiedenheiten in allen diesen materiellen Fragen nicht vorliegen.
Die einzige, leider sehr umstrittene Frage ist nicht von materieller, sondern nur von organisatorischer Bedeutung. Es handelt sich um den gar nicht sosehr von den betroffenen Kreditinstituten als mehr von den staatlichen Stellen aufgeworfenen Streit darüber, ob die Bankenaufsicht zentral durch eine Bundesoberbehörde oder dezentral durch elf Länderbehörden ausgeführt werden soll. Ich habe den Eindruck, daß dieser Streit übertrieben ist. Insbesondere kann ich nicht recht verstehen, aus welcher Sicht die Landesregierung von Baden-Württemberg in einem an alle württembergbadischen Bundestagsabgeordneten - und deshalb auch an mich - gerichteten Schreiben behauptet, der Regierungsentwurf bedeute eine planmäßige Attacke auf die im Grundgesetz verankerte bundesstaatliche Ordnung.
Die Bundesregierung ist sicher, daß ihr Vorschlag im Rahmen der Verfassung liegt. Es ist zwar richtig, daß nach Art. 83 des Grundgesetzes grundsätzlich die Länder die Bundesgesetze ausführen. Aber Art. 87 des Grundgesetzes sieht trotzdem in geeigneten Fällen die Errichtung einer Bundesoberbehörde vor. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß gerade im vorliegenden Falle alle rechtlichen und sachlichen Voraussetzungen für eine Bundesoberbehörde gegeben sind.
Ich möchte hier nicht alle Argumente und Gegenargumente vor Ihnen ausbreiten; man kann sie ausführlich in der Drucksache 1114 nachlesen. Ich beschränke mich auf zwei einfache Beweisführungen.
Erstens erinnere ich daran, daß der Deutsche Bundestag seinerzeit ohne jeden Widerstand des Bundesrates für das dem Bankgewerbe verwandte Versicherungsgewerbe eine Bundesoberbehörde errichtet hat, das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen. Zweitens weise ich besonders darauf hin, daß die derzeit für die Bankaufsicht zuständigen elf Länderbehörden infolge des überregionalen Charakters des Kreditwesens genötigt sind, ihre Aufsichtspraxis mit einer Intensität zu koordinieren, wie sie sonst in keinem anderen Falle üblich ist. Die elf Landesregierungen unterhalten zu diesem Zweck einen sogenannten „Sonderausschuß Bankenaufsicht", der routinemäßig in Frankfurt zusammenkommt, um gemeinsam das zu beschließen, was dann in den elf Länderhauptstädten gesondert durchgeführt wird.
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
Unsere Verfassung kennt keinen solchen Sonderausschuß der Landesregierungen. Die verfassungsmäßig in solchen Fällen vorgesehene Verwaltungsform ist die Bundesoberbehörde. Man kann also mit Berechtigung sagen, daß der von den Landesregierungen eingesetzte „Sonderausschuß Bankenaufsicht" mindestens verfassungsfremd, aber die von der Bundesregierung vorgeschlagene Oberbehörde verfassungsgemäß ist.
Abgesehen aber von verfassungsrechtlichen Betrachtungen erscheint ein Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen auch als die zweckmäßigere Verwaltungform. Bei der Beurteilung dieser Frage darf man allerdings nicht verkennen, daß es nicht der Sinn einer Bankenaufsicht sein darf und soll, die Millionen Einzelgeschäfte zu überprüfen, die von den rund 13 000 Kreditinstituten Jahr für Jahr abgeschlossen werden. Das wäre ein unvorstellbarer Dirigismus. Es handelt sich lediglich um die Überwachung der vorhin angedeuteten goldenen Regeln, hauptsächlich vermittels einer Analyse der Jahresbilanzen und gewisser ergänzender Meldungen der Kreditinstitute.
Diese Verwaltungsarbeit kann aber am besten so durchgeführt werden, wie die Bundesregierung es vorschlägt, nämlich durch eine kleine Zentralbehörde unter tatkräftiger Unterstützung der bis in die Provinzstädte dezentralisierten Deutschen Bundesbank. Im Ausland wird zum Teil die Bankenaufsicht überhaupt nur durch die Notenbank ausgeübt. Die Bundesregierung hält diesen Weg nicht für gut, weil dann entweder die Unabhängigkeit der Notenbank aufgehoben werden müßte oder das Prinzip der parlamentarischen Verantwortung Schaden erlitte. Beides wird dadurch vermieden, daß neben die Notenbank eine mit Entscheidungsbefugnis ausgestattete staatliche Behörde gesetzt wird, die sich in technischer Beziehung der Notenbank bedient. Diese Lösung ist nach Ansicht der Bundesregierung die beste Organisationsform und daher dem derzeitigen Verfahren vorzuziehen.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf eine juristische Besonderheit hinweisen. Bankenaufsichtsbehörde und Notenbank haben verwandte Funktionen und berühren sich daher in ihrer Tätigkeit. Engste Zusammenarbeit beider Stellen ist infolgedessen dringend erwünscht. Im Regierungsentwurf erscheint daher an mehreren Stellen das Erfordernis des „Einvernehmens". Das ist ein weiterer wichtiger Grund dafür, die beiden verwandten Funktionen auch in die Hand von Organisationen derselben staatsrechtlichen Ebene, nämlich des Bundes, zu legen. Gerade der Bundesrat hat in ständiger, allerdings von der Bundesregierung bestrittener Praxis die berühmte These vom Verbot der Mischverwaltung zwischen Bundes- und Länderinstanzen entwickelt. Wenn also die Bankenaufsicht in der Hand von Landesbehörden bliebe, wäre es nach Ansicht des Bundesrates unmöglich, durch Bundesgesetz die einvernehmliche Zusammenarbeit zwischen Bankaufsichtsbehörde und Notenbank vorzuschreiben. Die Bundesregierung würde das für einen schwerwiegenden Nachteil halten.
Ich habe Ihnen versprochen, mich kurz zu fassen, und möchte Sie deshalb bitten, sich mit diesen Ausführungen zu begnügen. Die Bundesregierung wird alle sachlichen Anregungen sorgfältig würdigen und daran mitwirken, dieses wichtige Gesetz in die bestmögliche Form zu bringen. Ich glaube aber nicht, daß unser Vorschlag zur Organisation der Bankenaufsichtsbehörde durch irgendeinen anderen Vorschlag sachlich verbessert werden könnte.
Das Wort für den Bundesrat hat Minister Dr. Veit.
Dr. Veit, Minister des Landes Baden-Württemberg: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Ihre freundliche Nachsicht, daß ich Sie in so später Stunde in Anspruch nehmen muß. Aber ich habe den Auftrag des Bundesrates, seinen Standpunkt hier vor Ihnen zu vertreten. Daß das zu dieser Stunde geschehen muß, habe ich nicht zu vertreten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geschieht nicht häufig, daß ein Vertreter des Bundesrates sich an der Aussprache des Hohen Hauses über einen von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf beteiligt. Aus der Tatsache, daß der Bundesrat für die Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Kreditwesen im Plenum und gegebenenfalls in den Ausschüssen des Bundestages besondere Vertreter bestellt hat, mögen Sie, meine Damen und Herren, entnehmen, daß es bei dieser Vorlage um mehr geht als nur um eine notwendige Neuordnung des Gewerberechts der Kreditinstitute.
Der Bundesrat ist der Auffassung, daß durch diesen Gesetzentwurf das Verhältnis des Bundes zu den Ländern und unsere bundesstaatliche Ordnung betroffen werden; er erachtet die Vorlage als einen Versuch, die grundgesetzliche Verfassungsregel, wonach die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen, durch eine weitere Ausnahme zu durchbrechen, die weder notwendig noch zweckmäßig ist.
Mit wachsender Sorge beobachten die Länder die sich mehrenden Eingriffe in ihre Verwaltungshoheit. Dem Fortschreiten dieses Prozesses entgegenzuwirken, ist nicht nur das Recht, sondern sogar eine konstitutionelle Pflicht der Länder. Das Grundgesetz ist unter dem Eindruck schlechter Erfahrungen der drei vorausgegangenen Jahrzehnte bewußt so gestaltet worden, daß im Gegensatz zur Weimarer Verfassung die föderativen Elemente des Staatsaufbaues vermehrt und verstärkt worden sind. Dieses fundamentale Prinzip ist für Legislative und Exekutive gleichermaßen verbindlich; diese Maxime hat die Stellungnahme des Bundesrates zum vorliegenden Gesetzentwurf bestimmt, und diese Maxime war auch Veranlassung, daß nicht nur die Landesregierung von Baden-Württemberg, Herr Bundesminister, sondern auch andere Landesregierungen auf Grund eines Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz sich an die Abgeordneten ihrer Länder gewandt haben.
Zur Verhütung von Mißverständnissen, die gelegentlich schon laut wurden, möchte ich hinzufügen,
Landesminister Dr. Veit
daß es sich bei der Abwehr des Bundesrates keineswegs um das Kleben von Landesressorts an liebgewordenen Kompetenzen handelt. Als Beweis des Gegenteils sei zum Beispiel erwähnt, daß der Landtag von Baden-Württemberg bei der Verabschiedung des Haushaltsplans 1959 mit den Stimmen aller anwesenden Abgeordneten einen Entschließungsantrag der CDU-Fraktion angenommen hat, durch den die Landesregierung ersucht wurde - ich zitiere wörtlich -,
bei der geplanten Revision des Kreditwesengesetzes sich mit allen gegebenen Möglichkeiten gegen die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen und für die Beibehaltung der Bankenaufsicht auf Länderebene einzusetzen.
Der Bundesrat hat die grundsätzlichen Bedenken gegen die Regierungsvorlage, die im Organisatorischen zu weit geht, andererseits drängende materiell-rechtliche Probleme ungelöst läßt, im allgemeinen Teil seiner Stellungnahme auf den Seiten 49 bis 56 der Drucksache 1114 dargelegt. Sie sind durch die Entgegnung der Bundesregierung auf den Seiten 65 bis 67 leider nicht entkräftet.
Art. 87 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes, auf den die Bundesregierung sich zur Begründung des Vorschlags beruft, eine neue selbständige Bundesoberbehörde, nämlich ein Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, zu errichten, ist eine Ausnahmevorschrift. Gemäß Art. 83 des Grundgesetzes ist die landeseigene Verwaltung die Regel. Der Bundesrat
hält eine Ausnahme von dieser fundamentalen Regel nur dann für verfassungspolitisch und verfassungsrechtlich zulässig, wenn feststeht, daß die Länder ein Gesetz nicht ordnungsgemäß ausführen können, daß also ein unabweisbares Bedürfnis für die Zentralisierung der Verwaltung vorliegt.
Dieser Nachweis ist hier nicht erbracht und läßt sich auch nicht erbringen. Die Länder üben seit dem Beginn des staatlichen Wiederaufbaues die Bankenaufsicht reibungslos, rasch, pünktlich, zuverlässig und wirksam aus. Sie arbeiten dabei sowohl miteinander als auch mit der Deutschen Bundesbank so vorbildlich zusammen, daß ihre Verwaltungspraxis in allen grundsätzlichen Dingen harmoniert. Man kann die Tätigkeit der Bankaufsichtsbehörden der Länder geradezu als Musterbeispiel für erfolgreiches föderatives Zusammenwirken ohne Bundeszwang anführen. Diese Feststellung ergibt sich einwandfrei aus der unbestrittenen Tatsache, daß die Bundesregierung bisher noch nicht ein einziges Mal veranlaßt war, allgemeine Verwaltungsvorschriften nach Art. 84 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Handhabung der Bankenaufsicht zu erlassen oder von den ihr nach Art. 84 Abs. 3 und 4 des Grundgesetzes zustehenden Aufsichtsbefugnissen Gebrauch zu machen.
Angesichts dieser verfassungspolitischen und verfassungsrechtlichen Situation ist das Bemühen um die Zentralisierung der Bankenaufsicht in einer neuen Bundesoberbehörde um so weniger verständlich, als man andererseits den Ländern trotz ihrer seit Jahren wiederholten Hinweise und Bitten noch immer nicht eine Kompetenz abgenommen hat, die
nach allgemeiner Überzeugung nicht zur Bankenaufsicht gehört, sondern eine Funktion der Wirtschafts-und Währungspolitik ist, nämlich die staatliche Regelung von Zinsen und sonstigen Entgelten im Kreditgewerbe, und das ist ja allein die Ursache, weswegen der Sonderausschuß für Bankenaufsicht, von dem der Herr Bundeswirtschaftsminister vorhin gesprochen hat, ins Leben gerufen und am Leben erhalten werden mußte.
Diese Regelung kann, sofern sie in einer Wettbewerbswirtschaft überhaupt notwendig und vertretbar ist, ganz gewiß nur bundeseinheitlich dekretiert werden. Trotzdem sind noch immer die Länder dafür zuständig. Es kennzeichnet das Maß ihres guten Willens und ihrer Fähigkeit zur freiwilligen Einheit, daß die Bankaufsichtsbehörden sich dieser ihnen gar nicht gemäßen, rechtlich und praktisch heiklen Aufgabe bisher mit Erfolg entledigt haben. Es ist aber ebenso bemerkenswert, daß man in zehn Jahren von Bundes wegen nichts unternahm, um die Länder von dieser ihnen nicht gebührenden Kompetenz zu befreien, sondern die Gesetzesinitiative dazu ihnen selbst überließ. Der Bundesrat hat schließlich im Dezember vorigen Jahres einen entsprechenden Entwurf verabschiedet, der seit Ende Februar dieses Jahres als Drucksache 884 dem Hohen Hause vorliegt und sich zur Zeit beim Wirtschaftsausschuß befindet. Ich erlaube mir, hier die Bitte des Bundesrates zu wiederholen, daß die Beratung dieses Inititiativgesetzentwurfs beschleunigt und nicht mit dem Entwurf des Kreditwesengesetzes gekoppelt werden möge, weil sonst unter Umständen die Zinsen und sonstigen Entgelte der Kreditinstitute bis auf weiteres vielleicht überhaupt nicht mehr geregelt werden könnten.
Bei der Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs im Bundesrat hat der Vertreter der Bundesregierung auf die zentrale Organisation der Versicherungsaufsicht hingewiesen - auch der Herr Bundeswirtschaftsminister hat soeben darauf aufmerksam gemacht - und bemerkt, noch niemand sei auf den Gedanken gekommen, deren Verfassungsmäßigkeit in Zweifel zu ziehen. Herr Staatssekretär Dr. Westruck hat dabei besonders hervorgehoben, daß der Bundesrat in diesem Fall die Errichtung einer selbständigen Bundesoberbehörde gebilligt habe. Das trifft zu. Ein Vergleich dieser Tatsache mit der Ablehnung des vorliegenden Gesetzentwurfs ergibt jedoch nicht, wie der Regierungsvertreter glaubte, daß der Bundesrat inkonsequent sei. Vielmehr beweist er, daß die nach Artikel 50 des Grundgesetzes durch den Bundesrat bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mitwirkenden Länder keineswegs eigensinnig an Kompetenzen kleben, sondern .zugunsten des Bundes darauf verzichten, sofern die verfassungsmäßigen Voraussetzungen für eine bundeseigene Verwaltung gegeben sind.
Bei der Versicherungsaufsicht ist dies der Fall. Bei der Bankenaufsicht jedoch nicht; denn die Bankenaufsicht entspricht in ihrem Inhalt nicht der Versicherungsaufsicht. Nur Grund und Zweck der Staatsaufsicht stimmen bei Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen überein. In beiden Fällen geh es nämlich darum, die Erfüllbarkeit der Ver4662
Landesminister Dr. Veit
pflichtungen nach Möglichkeit zu gewährleisten; die Wege zu diesem Ziel sind aber grundverschieden. Das Versicherungsgeschäft ist vom Gesetz der großen Zahl bestimmt. Seine besonderen Risiken liegen einerseits in einer unzulänglichen Prämienberechnung, andererseits in einer unsicheren, unrentablen oder illiquiden Anlage der Deckungswerte. Dementsprechend ist Gegenstand der Versicherungsaufsicht grundsätzlich nicht das einzelne Aktiv- oder Passivgeschäft, sondern der Geschäftsplan, die allgemeinen Versicherungsbedingungen, die Tarife, die Bildung und Anlage der Deckungsmittel. Hierfür braucht die Aufsichtsbehörde die Möglichkeit des ständigen Vergleichs vieler gleichartiger Versicherungsunternehmen. Außerdem ist der Geschäftsbetrieb der Versicherungsunternehmen weitgehend vomiert durch Gesetz und Verwaltungsvorschriften, und die Aufgabe der Versicherungsaufsicht besteht im wesentlichen darin, die Einhaltung dieser Normen zu überwachen. Dafür ist Ortsnähe nicht erforderlich. Aus diesen Gründen ist die zentrale Organisation der Versicherungsaufsicht notwendig, zweckmäßig und praktikabel, also auch verfassungsrechtlich zulässig.
Ganz anders die Bankenaufsicht. Im Gegensatz zum Versicherungsgeschäft ist die Struktur des Bankgeschäfts nicht normiert und auch nicht normierbar. Die Zusamensetzung und Fristigkeit der Einlagen ist bei jeder Bank anders und ständigem Wechsel unterworfen. Die Kreditinstitute können sich außerdem Geld noch auf andere Weise beschaffen. Ihre Zweckbestimmung ist auch nicht nur, fremde Gelder möglichst sicher und liquide anzulegen, sondern ebenso den Kreditbedarf der Wirtschaft zu decken. Die sich hieraus ergebende äußerst differenzierte Struktur jedes einzelnen Kreditinstituts läßt weder für das Passivgeschäft noch für das Aktivgeschäft feste Normen zu. Daraus folgt zwangsläufig, daß sich die Bankenaufsicht nicht mit der Überwachung der strukturellen Entwicklung an Hand von allgemeinen Geschäftsbedingungen und Bilanzen begnügen kann, sondern daß eine intensive individuelle Kontrolle insbesondere des Kreditgeschäfts jeder Bank notwendig ist. Hierfür bedarf .es subtiler Kenntnis der Verhältnisse des einzelnen Kreditinstituts und in der Regel auch seiner Kreditnehmer. Dagegen sind überregionale Vergleiche nur beschränkt geeignet, konkrete Aufsichtserkenntnisse zu vermitteln. Hier ist also Ortsnähe von entscheidender Bedeutung für den Wirkungsgrad der Bankenaufsicht und demgemäß deren regionale Organisation zweckmäßig und notwendig.
In diesem Zusammenhang ist überdies festzustellen, daß die Bundesregierung sich zwar hier zur Rechtfertigung ihres Zentralisierungsplans auf das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen beruft, zugleich aber nicht bereit ist, bei der personellen Besetzung des vorgeschlagenen Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen dem Bundesrat die gleichen Rechte wie dort einzuräumen. Dieses Verfahren ist sicher nicht konsequent und wohl kaum im Sinne des Grundgesetzgebers.
Auch die wirtschafts- und verwaltungspolitischen Argumente, die für die vorgeschlagene Zentralisierung der Bankenaufsicht vorgebracht worden sind, überzeugen nicht. Sie beruhen teils auf unrichtigen Prämissen, teils verkennen sie Aufgaben und Inhalt der Bankaufsichtspraxis. Zum großen Teil sind sie allerdings auch schon widerlegt durch die Verwaltungserfahrungen, die wir seit 1945 gesammelt haben. Objekt der gewerbepolizeilichen Bankenaufsicht ist stets und überall nur das einzelne Kreditinstitut, nicht der Kreditapparat als Ganzes, wie die Bundesregierung meint. Die Lenkung des Kreditapparates ist Sache der für die Wirtschafts- und Währungspolitik verantwortlichen Stellen. Aufgabe der Bankaufsichtsbehörde ist hingegen, darüber zu wachen, daß jedes Kreditinstitut die einschlägigen Ordnungsvorschriften befolgt. Diese Aufgabe ist selbstverständlich um so leichter, schneller und wirksamer erfüllbar, je näher die damit betraute Stelle am Objekt ist. Das bedarf keiner weiteren Begründung. Auch die Bundesregierung konnte sich dieser Erkenntnis nicht entziehen. Ihr Organisationsplan läuft deshalb in Wirklichkeit darauf hinaus, Aufsichtsbefugnisse weitgehend auf die Deutsche Bundesbank und ihr Zweigstellensystem zu übertragen. Dies aber wäre, wie der Bundesrat in seiner grundsätzlichen Stellungnahme auf den Seiten 54 und 55 der Drucksache 1114 ausgeführt hat, nur zulässig unter den Voraussetzungen des Art. 87 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes, die hier zweifelsfrei nicht gegeben sind.
Unbegründet und durch die Praxis einwandfrei widerlegt ist die Behauptung, daß eine regionale Bankenaufsicht die wirksame Beaufsichtigung der überregionalen Großinstitute beeinträchtige. Dieses Argument hatte die Bundesregierung schon vorgebracht, als sie zu Beginn des Jahres 1957 überraschend den Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen vorlegte, wobei sie für die angebliche Dringlichkeit die damals bevorstehende Wiedervereinigung der Großbanken anführte. Der Bundesrat hatte damals entgegnet, daß die Befürchtungen unbegründet sind. Dies hat sich inzwischen allgemein überzeugend bestätigt. Die überregionalen Kreditinstitute, insbesondere die Großbanken mit ihrem ausgedehnten Filialnetz, aber auch die Hypothekenbanken und die Investmentgesellschaften werden von den Aufsichtsbehörden ihrer Sitzländer wirksam beaufsichtigt. Diese Feststellung ist weder erstaunlich noch berechtigt sie zur Skepsis, denn die Bankaufsichtsbehörde hat es in jedem Fall und stets nur mit der Geschäftsleitung eines Kreditinstituts, also mit der Zentrale zu tun. Die Filialen erstatten keine Kreditanzeigen, ihre Tätigkeit ist überhaupt nicht Gegenstand besonderer Berichterstattung, und sie sind im übrigen auch nicht gegenüber der Bankaufsichtsbehörde unmittelbar verantwortlich. Etwaige Verstöße z. B. gegen die Zinshöchstsätze oder eine Wettbewerbsregel werden gleichfalls nicht mit der Filiale verhandelt, in der sie. begangen wurden, sondern mit der Zentrale und deshalb wiederum ausschließlich von der Bankaufsichtsbehörde des Sitzlandes. Für die Effizienz der Bankenaufsicht spielen also die Größe und die räumliche Organisation eines Kreditinstituts keine ausschlaggebende Rolle. Wenn die Bundesregierung auf diese unwiderlegbare
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Feststellung des Bundesrates allerdings erwidert - ich zitiere wörtlich aus der Drucksache 1114 Seite 66 Buchst. d -:
Die Tatsache, daß die überregionalen Großinstitute bisher der Länderaufsicht unterliegen, ist mangels besonderer Vorkommnisse bei diesen Instituten noch kein Beweis dafür, daß diese Aufsicht ebenso wirksam ist wie eine zentrale Aufsicht,
so wird eine sachliche Diskussion mindestens nicht erleichtert.
In diesem Zusammenhang verdient außerdem nochmals hervorgehoben zu werden, daß das Schwergewicht der Bankenaufsichtsarbeit nicht in der Überwachung der etwa 300 Kreditinstitute mit Bilanzsummen von je mehr als 50 Millionen DM liegt, sondern in der Beaufsichtigung der nahezu 13 000 mittleren und kleinen Institute. Der Umfang und die Intensität des Bankaufsichtsaufwands stehen erfahrungsgemäß in umgekehrtem Verhältnis zur Größe eines Kreditinstituts. In Abwandlung eines bekannten Sprichwortes können wir sagen: Die kleinsten Kreditinstitute haben die dicksten Akten. Auch aus dieser Erwägung lehnen wir die Zentralisierung der Bankaufsicht als unnötig und sogar unzweckmäßig ab. In bezug auf die Wirksamkeit der Aufsicht wäre die Errichtung eines Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen nicht nur kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt.
Damit kommen wir zum Problem der Verwaltungsökonomie. In diesem Punkt hat die Erwiderung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrats dessen Bedenken nicht nur nicht entkräftet, sondern sogar noch bestärkt. Die Bundesregierung ist der Auffassung, die - zu Unrecht behauptete - größere Wirksamkeit einer zentralen Organisation der Bankenaufsicht gebiete die Beseitigung des regionalen Aufsichtsapparats, selbst wenn dardurch höhere Kosten entstünden. Das ist eine bedenkliche Äußerung, und zwar deswegen, weil sie die der bundesstaatlichen Ordnung immanente Verwaltungshoheit der Länder zu leicht nimmt und obendrein den ,allgemeinen Wunsch der Öffentlichkeit nach Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung nicht respektiert.
Der Bundesrat meint, man sollte sich davor hüten, den Verwaltungsapparat noch weiter zu komplizieren und zu verteuern. Diesem selbstverständlichen Gebot läuft aber der Vorschlag zur Schaf-lung einer zentralen Organisation strikt zuwider; er vergrößert und erschwert die bürokratische Apparatur, indem er ,sie beim Bund und bei der Bundesbank weit mehr aufbläht, als sie bei den Ländern durch die Entziehung der Aufsichtskompetenz eingeschränkt werden könnte. Der Bundesrat hat dies auf den Seiten 52 und 53 der Drucksache 1114 im einzelnen dargetan.
Der Vorschlag der Bundesregierung ist aber auch deswegen unökonomisch und unausführbar, weil es in einer Zeit der Vollbeschäftigung und des allenthalben fühlbaren Mangels an qualifizierten Arbeitskräften grundsätzlich nicht zu verantworten ist, neue Planstellen in der öffentlichen Verwaltung zu schaffen.
Aus diesen schwerwiegenden politischen, rechtlichen und praktischen Gründen ist der Bundesrat nahezu einmütig zur Ablehnung der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Errichtung einer neuen selbständigen Bundesoberbehörde gelangt. Die Bankenaufsicht ist bei den Ländern in guter Hand und sollte deshalb dort bleiben. Was bundeseinheitlich zu regeln ist, z. B. die Bankzinsen, soll durch Rechtsverordnung der Bundesregierung oder des Bundesministers für Wirtschaft geschehen. Außerdem hat die Bundesregierung die ihr nach Art. 84 des Grundgesetzes zustehenden Einwirkungs- und Kontrollbefugnisse.
Der Bundesrat bittet durch mich das Hohe Haus, seine diesbezüglichen Vorschläge für die Änderung des Gesetzentwurfs anzunehmen und ihm dadurch die nach seiner Auffassung notwendige Zustimmung dm zweiten Durchgang zu ermöglichen.
Der materielle Inhalt des Regierungsentwurfs basiert im wesentlichen auf dien bewährten Grundsätzen des geltenden Kreditwesenrechts. Hieran rütteln auch die zahlreichen Änderungsvorschläge des Bundesrats im allgemeinen nicht. Ich brauche also wohl nicht im .einzelnen darauf einzugehen, zumal die Bundesregierung einigen dieser Vorschläge inzwischen zugestimmt hat.
Auf zwei Punkte möchte ich aber doch kurz hinweisen. Der erste betrifft die allgemeinen Kosten der Bankenaufsicht. Wir halten es für unvereinbar mit den Prinzipien des Rechtsstaats, mit modernen verwaltungsrechtlichen Erkenntnissen und mit dem Gleichheitsgrundsatz, aufs neue zu bestimmen, daß diese Kosten auf die Kreditinstitute umzulegen sind. Die Begründung der Bundesregierung, daß vom Kreditgewerbe Gefahren für die Allgemeinheit ausgehen, deren Abwehr von ihm selbst finanziert werden müsse, ist nicht überzeugend, erscheint sogar verfehlt. Mit diesem Argument könnte man wahrscheinlich die Kosten jeder polizeilichen Institution auf bestimmte Berufs- oder Personengruppen umlegen, z. B. auf Gastwirte, Ladeninhaber, Kraftfahrzeughalter usw.
Noch wichtiger ist uns aber, daß im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens die Lücken geschlossen werden, auf die der Bundesrat unter III seiner grundsätzlichen Stellungnahme auf den Seiten 53 und 54 der Drucksache 1114 hingewiesen hat.
Es steht nun einmal fest - die Erfahrungen gerade des letzten Jahres haben es eindringlich bestätigt -, daß sowohl nach geltendem Recht als auch nach dem Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfes der optimale Wirkungsgrad der staatlichen Bankenaufsicht nicht an die Vorstellungen des Publikums heranreicht. Die Öffentlichkeit erwartet von der Existenz und Tätigkeit einer Bankaufsichtsbehörde die absolute Sicherheit aller einem Kreditinstitut anvertrauten Spargelder und sonstigen Einlagen. Solche Vorstellungen sind leider gelegentlich auch durch amtliche Publikationen genährt worden. Daß diese Sicherheit nicht allein durch die staatliche Bankenaufsicht garantiert werden kann, stellt die
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Bundesregierung selbst zutreffend auf Seite 20 unter III des Allgemeinen Teils ihrer Begründung in der Drucksache 1114 fest. Diese Resignation ist aber unbefriedigend. Es erscheint uns nicht vertretbar, ein neues Kreditwesengesetz zu erlassen, ohne das Problem einer wirksamen Einlagensicherung zu lösen. Nachahmenswerte Beispiele dafür gibt es in der Schweiz mit einem Konkursvorrecht für Spareinlagen und vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika mit der Depositenversicherung. Diskutable Vorschläge sind schon gemacht worden. Auf Einzelheiten kann bei den Ausschußberatungen eingegangen werden.
Der Bundesrat hält es ebenso wie die Bundesregierung für dringend notwendig, so schnell wie möglich ein neues Kreditwesengesetz zu schaffen, das in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise das volkswirtschaftlich wichtige Problem einer wirksamen und sparsamen Staatsaufsicht über die Kreditinstitute löst. Die Vorschläge des Bundesrates werden nach unserer Überzeugung diesen Erwartungen gerecht; insbesondere ist nicht zu bezweifeln, daß die Beibehaltung der regionalen Organisation der Bankenaufsicht den Bestimmungen des Grundgesetzes entspricht, jedenfalls also verfassungsrechtlich unangreifbar ist. Von dem Organisationsplan der Bundesregierung läßt sich dies nicht sagen, ihr Entwurf bietet auch sonst erhebliche Angriffsflächen. Der Bundesrat würde es lebhaft begrüßen, wenn es gelänge, in gemeinschaftlichem Bemühen ein allgemein anerkanntes, dauerhaftes Gesetzgebungswerk zu vollbringen, das noch vor Ablauf dieser Wahlperiode des Hohen Hauses wirksam werden sollte.
Sie haben die Stellungnahme des Herrn Vertreters des Bundesrates gehört. Ich eröffne die. Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Scharnberg.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben nun das Für und Wider einer zentralen und dezentralen Lösung gehört. Ohne hier auf die Einzelheiten dieses Für und Wider einzugehen, möchte ich an die Zeit erinnern, als wir die Bundesbank schufen und eine ähnliche Differenz hatten. Wir erlebten damals, daß diese Differenz sechs Jahre lang anhielt, bis die Sache in den Bundestag kam und dem Bundestagsausschuß überwiesen wurde. Damals haben wir den Bundesrat gebeten, an den Verhandlungen des Ausschusses durch Vertreter teilzunehmen. Es gelang in einer sachlichen Arbeit, eine Verständigung herbeizuführen, die, wie ich glaube, auch heute noch alle beteiligten Kreise zufriedenstellt.
Wir sollten mit diesem Gesetz denselben Versuch machen. Ich zweifle nicht, daß der Versuch zum Erfolg führen wird; denn in der Hauptsache sind wir uns doch einig. Wir wollen eine gute, schlagkräftige und schnell handlungsfähige Bankenaufsicht haben und wir sind uns auch in den Zielen dieser Aufsicht einig. Diese Ziele sind erstens die Unterstützung der Währungspolitik der Bundesregierung und der Notenbank und zweitens der Schutz der Gläubiger
der Banken, um Wirtschaftskrisen, die von Vertrauenskrisen innerhalb des Bankgewerbes ausgehen könnten, zu vermeiden. Ich erinnere an die Ereignisse im Jahre 1931, um das zu verdeutlichen, was hier gemeint ist. Im übrigen erinnere ich auch daran, daß das Jahr 1931 und die damalige Bankenkrise der Ausgangspunkt für die Schaffung der Bankenaufsicht war, die bis dahin ja nicht existierte.
Alle anderen Punkte des Gesetzes sind vorwiegend fachlicher Natur. Ich darf es mir deshalb versagen, auf diese Punkte im einzelnen einzugehen. Sie sind Sache der Ausschußberatung unter den erwähnten Zielsetzungen des Gesetzes. Ich beantrage die Überweisung der Vorlage an den Wirtschaftsausschuß - federführend - und den Finanzausschuß - mitberatend -.
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Das Wort hat der Abgeordnete Seume.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bankenkrise des Jahres 1931 - das möchte ich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister sagen - war nicht nur der Anlaß für die Erkenntnis, daß dem Staate endlich eine Kompetenz geschaffen werden müsse, um im gegebenen Falle mit schnell wirkenden Maßnahmen nachhaltig eingreifen zu können
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und auf die Dauer durch die Schaffung einer ständigen Aufsichtspflicht das Geld- und Kreditwesen gesund zu erhalten, sondern diese Bankenkrise hat auch nachdrücklich zu der wachsenden Erkenntnis verholfen, daß der gewerbsmäßige Umgang mit fremden Einlagen, mit Geld und Kredit keine Angelegenheit ausschließlich privater Entscheidungen sein darf, sondern in hohem Maße das öffentliche Interesse beansprucht.
Die ursprünglich zentrale Bankenaufsicht wurde erst nach 1945 durch die bekannten Ereignisse - Wegfall der Instanzen des Reiches und der Reichsbank -, durch die allgemeinen Bestrebungen in Richtung auf eine sehr starke Dezentralisierung sowie durch den Aufbau des Landeszentralbankensystems eine Angelegenheit der Länder. Mit der späteren Konsolidierung der zentralen Bundesinstanzen, mit der Zurückführung der Dezentralisierung auf ein vernünftiges Maß, mit der Wiederzulassung der Bankenkonzentration und mit der Schaffung der Bundesbank und der Umwandlung der Landeszentralbanken wieder in Bundesinstanzen ist der nunmehr verbliebene Rest der Bankenaufsicht der Länder auf der Grundlage des bisherigen Gesetzes über das Kreditwesen organisatorisch und auch materiellrechtlich überholt.
Schließlich ist mit der Schaffung neuer Zentralinstanzen, insbesondere der Bundesbank, die bisherige überaus dankenswerte Koordinierungsarbeit des auf der Ebene der Länder seit 1948 tätigen „Sonderausschusses Bankenaufsicht" sowohl in gewerbepolizeilicher als auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht verfassungsrechtlich schwierig geworden,
abgesehen davon - auch das muß betont werden -, daß seine Beschlüsse nur Empfehlungen an die Landesregierungen darstellen, die keine bindende Wirkung haben, und daß abweichende Maßnahmen der einen oder der anderen Landesbehörde nicht ausgeschlossen sind.
Vorschläge der Länder, wie diesem Mangel in gewerbepolizeilicher Hinsicht abzuhelfen ist, sind bisher nicht unterbreitet worden. Eine Neuordnung der Bankenaufsicht ist also unerläßlich und dringend geworden.
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Sie ist auch deswegen erforderlich, weil die Vereinbarung von Konditionen durch die Spitzenverbände des Bankgewerbes von den Vorschriften der §§ 1 und 15 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nur unter der zwingenden Bedingung befreit ist, daß solche Vereinbarungen der Genehmigung oder Überwachung der Bankaufsichtsbehörde unterliegen. Eine solche Aufsichtsbehörde kann entsprechend der überregionalen Bedeutung solcher Vereinbarungen über die Konditionen auch nach der Meinung der Länder entgegen der heutigen Regelung eben nur eine Bundesbehörde sein. Eine entsprechende gesetzliche Neuordnung ist daher auch aus diesem Grunde zwingend notwendig geworden.
Die Regierungsbegründung enthält eine Reihe zutreffender Feststellungen, so die, daß aus übergeordneten und gesamtwirtschaftlichen Gründen eine quantitative und eine qualitative Einflußnahme nicht nur auf das einzelne Kreditinstitut, sondern auf den gesamten Kreditapparat erforderlich ist, weiter die, daß durch die Einlagensammlung der Banken und ihre freie Entscheidung in der Kreditversorgung diese eine zentrale und damit machtpolitische Stellung besonderer Art haben, aus der sich die Pflicht zu einer staatlichen Aufsicht im Interesse der Währung und der Wirtschaft, überhaupt im Interesse der sozialen Ordnung ergibt. Der Gesetzentwurf kann eingetretene gefährliche Unklarheiten beseitigen, und er ist geeignet, eine empfindliche Lücke zu schließen.
Es ist heute angesichts der vorgerückten Zeit nicht mehr möglich, auf die so nachhaltig und mit so großem Ernst schriftlich und mündlich vorgetragenen Bedenken des Bundesrates einzugehen, auch nicht darauf, wieweit bestimmte Teilgebiete der rein gewerbepolizeilichen Aufsicht bei den Ländern verbleiben könnten, selbstverständlich nur ohne Beeinträchtigung einer zentralen Bankenaufsicht da, wo sie der Sache und der Wirkung nach zwingend notwendig ist.
Es wird Aufgabe der Beratungen im Wirtschaftsausschuß sein, die verfassungsrechtlichen, wirtschaftspolitischen und verwaltungsökonomischen Bedenken des Bundesrates und die Argumente der Bundesregierung zu prüfen, und zwar ausschließlich unter dem Leitgedanken, eine den Umständen nach beste und wirksamste Bankenaufsicht zu schaffen. In der Forderung nach Beibehaltung der gewerbepolizeilichen dezentralen Bankenaufsicht, so wie sie heute von der Ländern geübt wird, liegt gewiß eine Überspitzung. Sie bedeutet nämlich nach den Darlegungen des Herrn Vertreters des Bundesrates
bei den überregional tätigen Bankinstituten, d. h. bei den Großbanken, eine Konzentrierung der Aufsicht bei ganz bestimmten Bankaufsichtsbehörden, z. B. in Frankfurt oder in München.
Es wird gewiß nötig sein, sich einmal ,über eine sinnvolle Teilung der bestehenden gewerbepolizeilichen Bankenaufsicht zu unterhalten, etwa auf der Basis, daß die überregional tätigen Bankinstitute einer zentralen Bankenaufsicht unterworfen werden und daß alle Norm- und Ordnungsvorschriften, die überregionalen Charakter haben - z. B. Eigenkapitalausstattung, Liquiditätsvorschriften und anderes mehr - von zentraler Stelle festgelegt werden.
Es ist vielleicht unzweckmäßig, den Landesbehörden ihre parlamentarische Verantwortlichkeit für den Wirtschaftsablauf in ihrem Bereiche auf dem Gebiete der gewerbepolizeilichen Bankenaufsicht da abzunehmen, wo sie unzweifelhaft die bessere Sach- und Personenkenntnis haben, d. h. insbesondere bei kleineren und mittleren Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft einschließlich der Bankwirtschaft.
Unzweifelhaft bagatellisiert andererseits auch der Regierungsentwurf das Ausmaß der notwendigen Bankenaufsicht, wenn er sich in seiner Begründung darauf beruft, daß von 13 300 Kreditinstituten rund 12 600 bereits einer Überwachung durch öffentliche oder staatlich beauftragte Prüfungsorgane unterliegen. Die Überwachung, die hier gemeint ist, hat nichts mit den hoheitlichen Funktionen einer exekutiven Bankenaufsicht dieses Gesetzentwurfs zu tun. Abgesehen von der mangelnden Kompetenz dieser Überwachungsorgane würden sie zudem in vielerlei Interessenkonflikte kommen. Die Bankaufsichtsbehörde muß, wenn sie ihre Aufgabe richtig erfüllen will, auch diese Arbeit selber leisten.
Schließlich wird es erforderlich sein, einmal darüber zu beraten, wieweit es nunmehr geboten erscheint, in zweckmäßig und sorgsam dosierten Umfang gewisse Anlagevorschriften auch für Bankspareinlagen zu erarbeiten und der angeschnittenen Frage einer weiteren Einlagesicherung, sei es in der Form einer Haftungsgemeinschaft, sei es in der Form einer Depositenversicherung, im Interesse der Anleger Aufmerksamkeit zu schenken.
Über alle diese Fragen werden die Ausschußberatungen gewiß die erforderlichen Klärungen bringen. Im Interesse der Währung, der Wirtschaft, überhaupt im Interesse der sozialen Ordnung kann es nur der Sache gemäße Entscheidungen geben, und zwar unbeeinflußt von Gesichtspunkten des Prestiges oder der Tradition.
Wenn der vorliegende Gesetzentwurf die wünschenswerte rechtliche und wirtschaftliche Stabilität bringen und die erforderliche wirtschaftspolitische Einflußnahme sichern soll, dann werden - das kann schon heute gesagt werden - eine Reihe von Ergänzungen unerläßlich sein. Sie betreffen zunächst in verschiedener Hinsicht den § 22 des Entwurfs. Nach der jetzigen Fassung des § 22 sind die
Spitzenverbände des Kreditgewerbes von der Vereinbarung von Konditionen nicht ausgeschlossen. Mit Rücksicht auf die zentrale wirtschaftspolitische und währungspolitische Bedeutung solcher Vereinbarungen durch die Spitzenverbände bedarf es einer gesetzlichen Charakterisierung der erforderlichen Beschlüsse und der Beschlußgremien; denn, meine Damen und Herren, nicht jeder Spitzenverband im Bankgewerbe hat die gleiche wirtschaftspolitische Bedeutung. Vor allem aber ist es wegen dieser den Wettbewerb der Kreditinstitute normierenden und beschränkenden Tätigkeit der Spitzenverbände nötig, im § 22 des Entwurfs eine ausdrückliche Verbindung zu § 102 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen herzustellen, auf die Meldepflicht der Spitzenverbände an das Aufsichtsamt und auf die obligatorische Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsamt und Kartellbehörde hinzuweisen. Ferner ist es unerläßlich, bei dem Erlaß von Rechtsverordnungen des Bundeswirtschaftsministers über Konditionen die in der Regierungsbegründung nur fakultativ erwähnte sachverständige Mitwirkung der Bankaufsichtsbehörde auch im § 22 des Entwurfs für obligatorisch zu erklären.
Eine weitere, ebenso notwendige Ergänzung betrifft die in § 58 festgelegte Behandlung von Zweigstellen ausländischer Kreditinstitute. Sie gelten zwar als Kreditinstitute im Sinne dieses Entwurfs, sind jedoch von einer Reihe wichtiger wirtschaftspolitischer und ordnungspolitischer Normvorschriften befreit, wie z. B. über Eigenkapital, Großkredite, Haftungsbestimmungen und vieles andere mehr. Wir halten es für richtiger, diesen Zweigstellen ausländischer Niederlassungen aus Gründen der rechtlichen Gleichheit und der wirtschaftlichen Sicherheit nicht so weitgehende Befreiungen von ordnungspolitischen Normvorschriften zu gewähren und vor allem dann Einfluß zumindest auf die Eigenkapitalausstattung zu nehmen, wenn diese Niederlassungen das Depositengeschäft betreiben.
Schließlich bedarf das Problem der Bausparkassen einer Regelung im Kreditwesengesetz. In § 2 des Entwurfs wird ihnen allerdings bescheinigt, daß sie nicht als Kreditinstitute gelten. Es ist aber eine Tatsache, daß sie in der Entwicklung der letzten Jahre zu Kreditinstituten geworden sind und daß sie von den Bankaufsichtsbehörden auf eigenen Wunsch in bestimmten Beziehungen tatsächlich als Kreditinstitute behandelt werden. Heute haben sie ein Geschäftsvolumen, das kreditpolitisch und kreditwirtschaftlich nach den Erfordernissen einer Bankenaufsicht und nicht einer Versicherungsaufsicht behandelt werden muß; das aber auch aus einer Reihe anderer Gründe. Von den Auszahlungen der Kapitalsammelstellen für den Wohnungsbau entfiel z. B. 1958 der bei weitem größte Anteil, nämlich rund 38 %, auf die Bausparkassen, denen erst mit Abstand Pfandbriefinstitute, Sparkassen, Lebensversicherung und Sozialversicherung folgen. Weiter hat das starke Anwachsen der liquiden Mittel der Bausparkassen zu ausgedehnten bankmäßigen Zwischenanlagen geführt, und schließlich drängen die Bausparkassen selbst in das Depositengeschäft der Banken hinein, Nicht zuletzt bedarf das Problem der
schmalen Eigenkapitalbasis der Bausparkassen einer sorgsamen Behandlung durch eine sachverständige Bankenaufsicht.
Gerade im Zusammenhang mit der gegenwärtig unzureichenden Beaufsichtigung der Bausparkassen ist zu berücksichtigen, daß im Jahre 1958 fast drei Viertel der abgeschlossenen Verträge bei privaten Bausparkassen auf unselbständige Beschäftigte sowie auf Rentner und Pensionäre entfielen, daß also vornehmlich Ersparnisse der wirtschaftlich Schwächeren den Bausparkassen anvertraut wurden.
Lassen Sie mich nunmehr zum Schluß als Berliner Abgeordneten noch darauf hinweisen, daß nach einem Beschlusse dieses Hohen Hauses der Sitz neu zu schaffender zentraler Bundesbehörden vorzugsweise nach Berlin gelegt werden sollte. Aus diesem Grunde sollte in diesem Sinne über den Sitz des Bundesaufsichtsamtes entschieden und von der Festlegung des § 5 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs - „am Sitz der Bundesbank" - Abstand genommen werden. Nach den bisherigen Erfahrungen mit den zentralen Bundesbehörden in Berlin kann die notwendig enge Zusammenarbeit mit der Bundesbank auch von Berlin aus nicht mehr zweifelhaft sein.
Ich darf Ihnen für meine Fraktion erklären, daß sie mit der Überweisung des Gesetzentwurfs an die vorgesehenen Ausschüsse einverstanden ist und daß sie auf die Behandlung der vorgetragenen Probleme Wert legt.
({2})
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weitergebe, gestatten Sie mir eine kurze Zwischenbemerkung.
Es besteht eine interfraktionelle Vereinbarung, daß wir angesichts der überbelasteten Tagesordnung von morgen und übermorgen mit dem Punkt 2 und allen dazu gehörigen Gesetzes- und Überweisungsabstimmungen heute zu Ende kommen. Wir müssen also eine „Nachtschicht" verfahren, wie es gegen Nachmittag angedeutet wurde.
Ich darf deshalb an alle, die sich noch zu Wort gemeldet haben, noch einmal den dringenden Appell richten, sich im gemeinsamen Interesse auf das Allernotwendigste und Wesentliche zu beschränken.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dahlgrün.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende dieser ersten Lesung bleibt mir nur die Hoffnung, der Graben des Verfassungsstreites zwischen der Bundesregierung und dem Bundesrat möge nicht so tief sein, wie die Ausführungen des Herrn Vertreters des Bundesrates und des Herrn Kollegen Seume lang waren.
({0})
Die materiell-rechtlichen Vorschriften des Gesetzes sind wichtig. Darüber ließe sich sehr viel sagen und daran muß im Ausschuß sehr gearbeitet werden. Ich glaube an Bundesregierung und Bundesrat die Bitte richten zu sollen, sich in der Zwischenzeit
noch einmal zusammenzusetzen und zu versuchen, den Verfassungsstreit möglichst zu bereinigen und zu einer Vereinbarung zu kommen. Um so besser wird die Bearbeitung der materiell-rechtlichen Vorschriften des Gesetzes im Ausschuß gelingen.
({1})
Wir sind damit in der ersten Beratung am Schluß der Aussprache über den Entwurf eines Gesetzes über das Kreditwesen angelangt.
Es ist Überweisung an den Wirtschaftsausschuß als federführenden Ausschuß sowie an den Finanzausschuß zur Mitberatung beantragt. Wer diesen Überweisungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kehren zu Punkt 2a bis e der Tagesordnung zurück, zur Beratung der zusammenhängenden Gro-ßen Anfragen, Anträge und Gesetzentwürfe betreffend den Kohlebergbau.
Nach der Rednerliste hat nunmehr das Wort Herr Abgeordneter Schneider ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, die Geduld der Damen und Herren, die hier noch ausgeharrt haben, allzusehr zu strapazieren,
({0})
insbesondere auch deshalb nicht, weil die Vertreter der Bundesregierung nicht mehr anwesend sind.
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- Aber die maßgebenden nicht!
({2})
Darf ich einen Augenblick unterbrechen! Ich glaube, daß der Herr Kollege Schneider sagen wollte: die zuständigen Vertreter der Bundesregierung.
Das habe ich gemeint, Herr Präsident. - Sie werden aus meinen weiteren Ausführungen entnehmen können, warum ich den Herrn Bundeswirtschaftsminister als den „maßgebenden" Vertreter bezeichne. Ich bin der Auffassung - das möchte ich in bezug auf die Verhältnisse des saarländischen Bergbaus sagen, für den ich spreche --, daß man das Problem nicht mit Geld lösen kann. Deshalb möchte ich in aller Kürze einige Feststellungen treffen.
Wir im Saarland sind alle miteinander ohne Rücksicht auf die Parteizugehörigkeit von tiefer Sorge über das Problem erfüllt, das wir hier behandeln. Im Saarland stellen sich die Verhältnisse stärker und schärfer dar; sie lassen aber auch andere und vielleicht klarere Schlußfolgerungen zu, als das mitunter der Fall ist, wenn man die Probleme nur in bezug auf die Ruhr betrachtet.
Im Saarland sind bisher insgesamt 24 Feierschichten verfahren worden, die für die beteiligten Bergarbeiter einen Ausfall von 21 Millionen DM oder im Durchschnitt 386 DM pro Kopf ausmachten. Der Durchschnitt für die Ruhr beträgt etwa 316 DM. Wir haben im Saarland bereits zwei Gruben stillgelegt. Die Stillegung der dritten ist im Gange und einer vierten in Erwägung. Wenn Sie davon ausgehen, daß wir 16 Gruben haben, dann werden Sie die Bedeutung einer Stillegung von vier Gruben ermessen können. Die Auswirkungen auf die betroffenen Bergarbeitergemeinden brauche ich nicht besonders hervorzuheben.
Abgesehen von den schon erfolgten Stillegungen ist aber die Frage der künftigen Behandlung des Problems von dem saarländischen Finanz- und Wirtschaftsminister Dr. Schäfer sehr eindeutig umrissen worden. Er hat vor etwa 14 Tagen erklärt, daß man die Produktion des Saarbergbaus auf 12 Millionen t reduzieren müsse, und das bedeute eine Abwanderung von 20 000 Bergleuten. Die könne man - so meinte der Herr Finanz- und Wirtschaftsminister im Saarland - in der Schwerindustrie unterbringen.
Diese Auffassung ist leider nicht begründet; denn die Schwerindustrie, die Hüttenindustrie im Saarland beschäftigt nur 32 000 Menschen, und sie kann allenfalls bei Einführung der Fünftagewoche noch 3- bis 4000 aufnehmen. Nun ist es im Saarland vielleicht im Gegensatz zur Ruhr völlig unmöglich, 15- oder auch nur 10 000 Bergleute in irgendwelchen anderen Berufen, insbesondere in der Bauwirtschaft, unterzubringen. Wer also davon ausgeht, daß man 10-, 15- oder gar 20 000 Bergleute an der Saar in andere Berufe überführen müßte, der muß in Kauf nehmen, daß diese saarländischen Bergleute dann irgendwo anders, außerhalb des Saarlandes beschäftigt werden. Das ist die Konsequenz. Deshalb habe ich vorhin gesagt, daß man an der Saar das Problem nicht mit Geld lösen kann und daß nicht der Herr Finanzminister, sondern - die Anwesenheit des Herrn Bundeswirtschaftsministers stelle ich jetzt mit besonderer Freude fest - der Herr Bundeswirtschaftsminister zuständig ist. Das ist eine Erkenntnis, die vielleicht im Widerspruch zu all den Erfahrungen steht, die man an der Ruhr gemacht hat.
Wir haben aber noch eine zweite Erkenntnis gewonnen. Es wird oft als Allheilmittel angeboten, den Bergbau zu sozialisieren. Auch hierfür liefert die Saar den lebendigen Gegenbeweis, denn an der Saar ist der Bergbau seit seinem Bestehen sozialisiert. Wäre die Sozialisierung ein geeignetes Mittel, dann dürfte es bei uns keine Kohlenhalden geben. Leider sind die Kohlenhalden an der Saar prozentual jetzt schon höher als an der Ruhr. Unsere Kohlenhalden betragen schon über 10% des Standes der Halden der Ruhr.
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Entscheidend war der Rückgang des Absatzes nach Süddeutschland; er ließ unsere Halden ständig anwachsen. Der Absatzrückgang an der Saar ist relativ geringer, und auch in der Lieferung nach Frankreich ist dank des Saarvertrages noch kein Rückgang ein4668
Dr. Schneider ({1})
getreten. Wir sehen also, daß das Problem auf dem Wege der Sozialisierung nicht zu lösen ist.
Entscheidend ist für uns an der Saar, daß es sich um ein soziales Problem handelt. Deshalb muß unbedingt eine Lösung gefunden werden; da bin ich mit allen Kollegen von der Saar aus allen Parteien einig. Wir haben 1955 im Saarland vor der Abstimmung den Arbeitnehmern - auch den Bergleuten - gesagt, daß für uns die Erhaltung und die Sicherung ihres Arbeitsplatzes die oberste Verpflichtung sei. Diese Verpflichtung haben wir im Rahmen des Aufrufs, bei der damaligen Abstimmung mit Nein zu stimmen, übernommen. Es ist selbstverständlich, daß diese Verpflichtung für uns alle weitergilt und daß wir daraus Folgerungen zu ziehen haben.
Bei der Erhaltung des Bergbaus handelt es sich jedoch auch um ein nationales Problem. Auch darüber ist schon gesprochen worden. Was würde geschehen, wenn einmal eine Schrumpfung des Bergbaues um ein Drittel - ich verweise auf die Zahlen von der Saar, die ich vorhin genannt habe - eingetreten wäre und es gäbe irgendeine Störung, beispielsweise in der Ölzufuhr? Ich glaube, es gibt niemand hier im Hause, der uns für fünf bis zehn Jahre garantieren kann - auch der Herr Bundeswirtschaftsminister kann das nicht -, daß es keine Krise oder Störung in der Zufuhr ausländischer Brennstoffe geben wird. Wir erinnern uns noch sehr gut daran, daß, als die Suezkrise eintrat, bei uns an der Saar, damals noch im französischen Wirtschaftsraum, über Nacht folgendes passierte: Es wurden über Nacht sämtliche Vorräte an Treibstoffen und Olen beschlagnahmt, und am nächsten Morgen wurden Bezugsscheine eingeführt. Das ist vor 21/2 Jahren gewesen. Das war ein Chaos. Ich möchte einmal sehen, was geschehen würde, wenn sich so etwas in zwei oder drei Jahren hier ereignete. Dann würde die Wirtschaft, die Industrie usw. mit den Verantwortlichen Fraktur reden. Man kann also sagen, daß es sich bei der Erhaltung des Bergbaus auch um ein nationales Problem handelt.
Weiter handelt es sich dabei aber auch um ein übernationales Problem. Auch das erkennen wir an der Saar ganz deutlich. Wir wollen ja alle die EWG. Wie glauben Sie, daß die EWG zu verwirklichen ist, wenn in Saarbrücken die Tonne schweres Heizöl 130 DM und nur 5 km von uns entfernt jenseits der französischen Grenze 202 DM oder - wie heute die Preisunterschiede liegen - das leichte Heizöl pro Tonne bei uns rund 88 DM und in Forbach an der Grenze 145 DM kosten, wenn Frankreich beim leichten Heizöl eine Steuereinnahme von rund 21 DM pro Tonne hat und wir nur 5,14 DM bekommen oder wenn Frankreich beim schweren Heizöl 10,95 DM an Steuern erhält und wir nur zwei Mark und etliches? Meine Damen und Herren, bei solchen Unterschieden gibt es keine EWG; das ist ausgeschlossen. Die Frage „Heizölpreis" wird sich also dann auch in aller Deutlichkeit stellen, wenn es an die Aufhebung der Grenzen geht. Dann muß eine Nivellierung kommen, so oder so. Auch das ist ein Problem, über das hier noch nicht gesprochen worden ist, das sich aber für uns an der Grenze mit großer Deutlichkeit zeigt.
Es muß also etwas geschehen; in erster Linie aus sozialen Verpflichtungen heraus, aus der Verpflichtung, die Arbeitsplätze zu erhalten. Die Frage ist nur: Was kann geschehen und was ist ausreichend?
Ich bin nicht der Meinung, daß die Heizölsteuer ein ausreichendes Mittel ist, um der gesamten Krise - oder der Strukturwandlung, oder wie Sie es nennen - zu begegnen. Ich bin eher der Meinung, daß nach gründlicher Prüfung aller Voraussetzungen ein Bündel von Maßnahmen getroffen oder, wenn Sie wollen, ein Blumenstrauß gebunden werden muß, um mit den Problemen fertig zu werden, Die Heizölsteuer ist - ich befinde mich da im Widerspruch zu vielen meiner Parteifreunde, das erkläre ich offen - nach meiner Auffassung eine Blume, die mit in den Strauß hinein muß, auch wenn das, wie der Kollege Höcherl sagt, eine Sumpfdotterblume ist oder, wie andere Kollegen sagen, ein Nolimetangere. Entscheidend wird sein, daß man sich in der Ausschußarbeit darüber klar wird, welche Maßnahmen außerdem noch notwendig sind, um das Problem zu lösen. Es sind eine ganze Reihe von Fragen, die in diesen Rahmen hineingehören.
Ich denke auch an die Sonderbelastung des Bergbaues durch den Lastenausgleich. Wir werden uns hier demnächst noch darüber unterhalten müssen, wenn das Saar-Lastenausgleichsgesetz besprochen wird. Ich denke des weiteren an das Problem der Frachten. Nur eine Zahl. Seit der wirtschaftlichen Eingliederung zahlt der Saarbergbau 20 Millionen DM mehr an Frachten als vorher, die Gesamtsaarwirtschaft 70 Millionen. Also auch das ist ein Problem, das gelöst werden muß. Dazu kommt noch die besondere steuerliche Behandlung des Bergbaues im Verhältnis zum 01 und andere Fragen mehr.
Ich glaube, man sollte die Probleme Ausschuß gemeinsam anpacken, und zwar nicht nur konzentriert auf die Ölsteuer, sondern gerichtet auf eine langfristige Ordnung der Probleme mit dem Ziel: Erhaltung der Arbeitsplätze und Erhaltung der nationalen Kohlenproduktion.
({2})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Deist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß mich zunächst mit den beiden Zitaten befassen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister aus Äußerungen gebracht hat, die ich angeblich vor einiger Zeit getan habe. Das Urteil über diese Methode des Zitierens möchte ich dem Bundestag überlassen.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat - ich habe das Protokoll nicht lesen können, weil es noch nicht vorliegt - so getan, als wenn die Sozialdemokratie den Kohlenzoll bekämpft hätte, weil sie in ihm eine unwirksame Maßnahme gesehen habe. Er muß wissen, daß das unzutreffend ist. Wir wußten, daß der Kohlenzoll die einzige Maßnahme der BunDeutscher Bundestag 3. Wahlperiode Dr. Deist
desregierung war, die eine gewisse Wirkung haben würde. Wir haben das nie bestritten. Der Herr Minister kann das auch aus schriftlichen Unterlagen feststellen. Wir haben den Kohlenzoll aus ganz anderen Gründen kritisiert. Wir haben nämlich darauf hingewiesen, daß der Kohlenzoll zwölf Monate zu spät kam und daß deshalb, weil man gezögert hatte, irgend etwas auf dem Einfuhrgebiet zu tun, im September des Jahres 1958 über mehr als 30, ich glaube 39, Millionen t Kohleeinfuhrverträge vorlagen. Wir haben ihm vorgeworfen, daß diese Verzögerung jeder wirksamen Maßnahme zu diesen weitgehenden Einfuhrverträgen und den hohen Einfuhren von etwa 13 Millionen t im Jahre 1958 geführt hat, die in etwa auch dem Zugang an Haldenzugängen an der Ruhr entsprach. Wir haben weiterhin Kritik daran geübt, daß die Situation im Außenhandel dadurch außerordentlich belastet würde. Wir haben schließlich darauf hingewiesen - ein Tatbestand, der leider eingetreten ist -, daß die Ablösung dieser Kohleverträge dazu führen könnte, daß die Kohleverbraucher in revierfremden Gebieten auf Heizöl umschalten, daß also diese Ablösung nicht etwa dem deutschen Kohlebergbau zugute kommen würde, sondern dem Heizöl, eine Annahme, die sich bestätigt hat.
Wir haben weiterhin kritisiert, daß diese Verzögerung, die Untätigkeit während neun bzw. zwölf Monaten bis zur Erhebung des Kohlenzolls dazu geführt hat, daß der Verbraucher über den Preis 300 Millionen DM an Ablösungslasten tragen muß, die zur Ablösung der Einfuhrverträge nötig waren. Es ist durchaus irreführend, so zu tun, als hätte die Sozialdemokratie damals wider die Vernunft behauptet, der Kohlenzoll würde nicht wirksam sein. Ich überlasse es Ihnen, zu beurteilen, wie solche Zitierkunst zu werten ist.
Meine Damen und Herren, ich will dazu noch ein paar Zahlen nennen. Es trifft zu - und zwar habe ich das, glaube ich, in der Debatte im Januar 1959 deutlich gesagt -, daß das Bundeswirtschaftsministerium im Januar 1958 bereits berechnet hatte, daß ein Überangebot von, ich glaube, 6 Millionen t, vielleicht auch mehr, im Laufe des Jahres 1958 auf den deutschen Markt zukommen würde. Wir haben immer kritisiert, daß nicht sofort in jenem Augenblick Gegenmaßnahmen ergriffen wurden. Es ist nämlich festzustellen, daß in den Monaten Februar und März, nachdem die ersten Feierschichten verfahren waren, insgesamt über 17 Millionen t neue Einfuhrverträge abgeschlossen worden sind. Der Herr Bundeswirtschaftsminister tut jetzt so, als wäre die Wirkung seiner Tätigkeit zwar nicht sofort eingetreten, sondern immerhin nach zwei Monaten, als diese 17 Millionen t glücklich in freier Unternehmerinitiative entgegen allen volkswirtschaftlichen Überlegungen abgeschlossen waren. Damals, Ende März, hatten wir nämlich bereits einen Bestand von 45 Millionen t, über die Einfuhrverträge abgeschlossen waren, während die gesamte Einfuhr im Jahre 1957 nur 17 Millionen t betragen hatte. Daß da einigen ein Licht aufging, daß man wohl weitere Kohleeinfuhrverträge nicht abschließen könne, ist weiß Gott kein Verdienst des Bundeswirtschaftsministeriums.
({0})
Ich darf darauf hinweisen, daß in jenen Zeiten Besprechungen bei der Hohen Behörde der Montanunion stattgefunden haben. Ich weiß nicht, ob Herr Minister Etzel damals noch Vizepräsident war. Damals wurde die Bundesregierung aufgefordert, mitzuteilen, wieviel Kohleeinfuhrverträge eigentlich liefen und mit welchen Einfuhren zu rechnen sei. Damals hat die Bundesregierung, die angeblich soviel Wesentliches getan hat, um die Kohleeinfuhr herabzudrücken, erklärt, sie habe keine Möglichkeiten, exakte Feststellungen zu treffen; dafür fehlten in Deutschland die gesetzlichen Voraussetzungen.
({1})
So sieht die „vorsorgliche Kohlepolitik" der Bundesregierung im Jahre 1958 aus.
Nun das zweite Zitat. Ich habe es hier vorliegen; es stammt vom 19. August 1957: Damals lagen Vorausschauen der. Hohen Behörde, die zusammen mit der Bundesregierung ausgearbeitet waren, vor. Wenn ich nicht irre, sind die Zahlen auch in Dokumenten der Bundesregierung und des Kohlenbergbaues enthalten. Diese hatten eine Schätzung vorgenommen. Die Pläne der Hohen Behörde, der Bundesregierung und des Kohlenbergbaues gingen dahin, daß innerhalb von zwanzig Jahren zusätzlich 40 Millionen t gefördert werden sollten. Ich habe damals erklärt, wenn diese Pläne, innerhalb von zwanzig Jahren zusätzlich 40 Millionen t zu fördern - die offiziellen Pläne der Hohen Behörde und der Bundesregierung! -, durchgeführt werden sollten, sei es notwendig, zehn bis fünfzehn neue moderne Schachtanlagen auf grüner Wiese zu errichten. Das ist es, was ich gesagt habe.
({2})
Und was hat der Herr Bundeswirtschaftsminister aus dieser Darlegung gemacht? Wenn er noch zwei Zeilen weiter gelesen hätte, hätte er lesen können,
({3})
daß ich am selben Tage in dieser Erklärung gesagt habe:
Bisher sind alle Planungen für eine zusätzliche Förderung von 40 Millionen t unrealistisch. Sie sind im übrigen für den unsozialen Kurs der deutschen Bergbauunternehmungen bezeichnend. Sie gehen nämlich davon aus, daß weiterhin an sechs Tagen, also an 300 Arbeitstagen im Jahr gearbeitet wird.
Dabei war vorauszusehen, daß wir die 5-TageWoche bekommen.
Das heißt also: ich selbst habe diese Schätzungen von 40 Millionen als unrealistisch und zu hoch bezeichnet und nicht etwa die Fanfare geblasen: Wir müssen 40 Millionen mehr haben. Bitte, Herr Bundeswirtschaftsminister, nun haben Sie das Wort.
({4})
Meinen Sie nicht doch, daß die Art, wie Sie zitiert haben, irreführend war?
({5})
Noch ein paar Worte zu der Ar wie der Herr Bundeswirtschaftsminister hier argumentiert. Zunächst einmal stellte er bezüglich der Mineralölwirtschaft fest, es seien offensichtliche Dumpingpreise der Mineralölwirtschaft. Das ist zwar sehr überzeugend, wenn man begründen will, daß die Heizölsteuer eine wirksame Maßnahme sei. Ich darf aber darauf hinweisen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister im Ausschuß auf meine Frage bestätigt hat, es könne sehr zweifelhaft sein, ob derartige Preise Dumpingpreise seien; es sei auch sehr schwierig, das festzustellen. - Der Grund ist sehr einfach - der Herr Bundeswirtschaftsminister hat ihn selber angegeben -: es handelt sich um eine Kuppelproduktion, bei der die Kosten für Heizöl und Benzin durcheinandergerechnet werden. Es ist der deutschen Mineralölwirtschaft leicht, den Heizölpreis zu senken und demgegenüber ein im Verhältnis zu allen anderen europäischen Staaten überhöhtes Preisniveau für Benzin zu halten. Darum ist es sehr fragwürdig, von Dumpingpreisen zu sprechen.
Dann aber kam die merkwürdige Feststellung, der Ausbau der Raffinerien sei volkswirtschaftlich zu vertreten; denn er folge der Entwicklung des Verbrauchs. Offenbar hat die Mineralölindustrie Not, mit ihren Investitionen dem Verbrauch nachzufolgen, der beinahe hinterherhinkt. Dabei weiß jeder, der die Investitionspolitik der Mineralölwirtschaft zu beurteilen vermag, daß diese Investitionen dem Verbrauch meilenweit vorauseilen. Im übrigen kann man aus den vorliegenden Zahlen 1 errechnen, daß im Jahre 1958 die Mineralölraffinerien - bei einer normalen Ausnutzung von 85 % - nur zu 60 bis 65 % beschäftigt waren, weil nämlich die Kapazität dem Verbrauch wesentlich vorauseilt.
Wozu .eigentlich diese Verharmlosung, wenn vorher gesagt ist: Es sind Dumpingpreise?! Was für eine Aufgabe haben eigentlich die Dumpingpreise? Sie haben die Aufgabe, dabei zu helfen, über den normalen Verbrauch hinaus in den Absatzbereich anderer Energiestoffe einzubrechen. Das ist wohl nicht ganz so harmlos; denn wenn Dumpingpreise verlangt werden, dann will man mit aller Gewalt einen Verbrauch auf das Mineralöl zuleiten, der vorher nicht da war. So widerspruchsvolle Feststellungen über die Mineralölwirtschaft sollte man eigentlich nicht treffen. Und das alles nur, um zu beweisen, was nicht bewiesen werden kann, nämlich, daß die Heizölsteuer eine wirksame Maßnahme sei!
Ich habe mich, vielleicht vergeblich, bemüht, meine Argumente dafür vorzutragen, daß die Heizölsteuer nicht wirksam sein kann. Ich habe nicht feststellen können, daß sich der Herr Bundeswirtschaftsminister mit einem einzigen dieser Argumente auch nur ein klein wenig auseinandergesetzt hat.
({6})
Wozu die Feststellung, es liege eine beunruhigende Entwicklung an der Ruhr vor? Das wissen wir auch. Die jungen Arbeitskräfte wandern ab;
ich habe das selber festgestellt. Wozu die Feststellung, es drohten politische Schwierigkeiten? Die Frage ist doch nicht, ob diese Schwierigkeiten vorhanden sind. Wir kennen sie zur Genüge und wissen auch, auf welche Politik sie zurückzuführen sind. Die Frage ist einzig und allein: Ist die Heizölsteuer eine wirksame Maßnahme oder ist sie keine wirksame Maßnahme? Darauf hätten Sie antworten müssen. Wenn sie keine wirksame Maßnahme ist, dann ist es gefährlich, den Menschen draußen dieses Augenpulver zu streuen, während man genau weiß, daß nichts herauskommt.
({7})
- Ich glaube nicht, daß ich sehr viel überhört habe, Herr Kollege.
Der auch heute noch dem Bundestag formell angehörende Herr Dr. Hellwig,
({8})
Mitglied der Hohen Behörde in Luxemburg, hat vor dem Marktausschuß bei der Behandlung der Kohleschätzungen mitgeteilt, die Hohe Behörde sehe sich nicht in der Lage, eine Auswirkung der Heizölsteuer auf den Kohleverbrauch einzukalkulieren, weil sie, wenn überhaupt, frühestens in zwei Jahren zu einer gewissen Wirkung kommen werde.
({9})
Sie haben die Erhebung der Heizölsteuer für drei Jahre vorgesehen. Ich möchte wissen, was Sie da( an Verminderung des Heizölverbrauchs herbeiführen wollen! Darauf kommt es uns doch an!
Wenn irgend jemand dem Bergbau aus den Schwierigkeiten, in die er zum Teil durch die Politik der Bundesregierung geraten ist, helfen will, dann gehören wir bestimmt mit dazu. Aber wir weigern uns, so zu tun, als ob etwas getan würde, während in Wirklichkeit nur Sand in die Augen gestreut wird.
({10})
Dann hat der Herr Bundeswirtschaftsminister - er hat immer noch die alten Konzepte - davon gesprochen, wir hätten wie in den letzten Jahren so auch jetzt die Lage an der Ruhr dramatisiert. Herr Höcherl war so freundlich, uns zu sagen, was seine Fraktion unter dramatisieren versteht. Wenn man nämlich als Opposition aus der Verpflichtung, politische Vorgänge zur Sprache zu bringen, eine Große Anfrage vorlegt, dann gehört das nach seiner Auffassung bereits zur Dramatisierung der Vorgänge. Das ist eine merkwürdige Auffassung von Dramatisierung, aber auch eine merkwürdige Auffassung von den Aufgaben des Parlaments.
({11})
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat weiter gesagt, wir hätten in den letzten Jahren von der Katastrophe, von dem Chaos an der Ruhr gesprochen. Nun, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn Sie genauer zitieren, als Sie es heute getan haben, werden Sie nicht ein einziges Zitat als Beleg für diese Behauptung anführen können.
Ein Weiteres, Herr Bundeswirtschaftsminister! Darf man eigentlich in der Debatte so tun, als ob jeder die Situation im Kohlenbergbau, im Kohle-verbrauch, wie sie im Jahr 1956 war, vergessen hätte?! Damals hat die Bundesregierung jenes merkwürdige System der Zweipreisigkeit für Kohle gehabt. Mit hohen Frachten belastet, wurde sehr, sehr teure USA-Kohle eingeführt; sie durfte zu einem hohen Preis verkauft werden. Daneben kam billige deutsche Kohle auf den Markt; sie wurde von vielen Kohlenhändlern als amerikanische Kohle drapiert und auch zu dem hohen Preis für amerikanische Kohle verkauft. Zu jener Zeit gab es Menschen, die nicht in der Lage waren, diese Kohle zu kaufen, Menschen, die tatsächlich frieren mußten. Mehr habe ich damals nicht gesagt, und diese Behauptung entsprach den Tatsachen. Meinen Sie wirklich, daß es eine gute Methode ist, den Tatbestand, daß damals Menschen leiden mußten, zum billigen Anlaß für eine solch spöttische Bemerkung zu nehmen, wie Sie das heute getan haben?
Ich habe dann von der Stillegungs- und Entlassungshysterie gesprochen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gefragt, wer denn eigentlich von den hunderttausend Mann gesprochen habe. Ich weiß nicht, ob der Herr Bundeswirtschaftsminister keine Zeitungen liest. Sonst müßte er wissen, wer davon gesprochen hat. Ich habe nicht gesagt, daß die Bundesregierung verkündet habe, die Zahl der Beschäftigten im Bergbau müßte um hunderttausend verringert werden. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister weiß, daß die Herren des Kohlenbergbaues, mit denen er dauernd zu verhandeln hat, Erklärungen wie die, es würden 12 bis 15 Zechen-anlagen stillgelegt, die Förderung müsse um 10 bis 12 Millionen Tonnen verringert werden, hunderttausend Mann seien zuviel im Bergbau, seit Herbst vergangenen Jahres an der Ruhr vorgebracht und ständig wiederholt haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, man mag das für eine besondere Art von Unternehmerinitiative halten, die sich hier an der Ruhr auswirkt. Aber meinen Sie nicht, daß das Schicksal der Menschen den Gemeinden und des Bergbaus an der Ruhr so wichtig ist, daß die Bundesregierung nicht einfach sagen kann: „Das interessiert uns nicht, sollen die Leute reden, was sie wollen; wir haben das ja nicht gesagt"? Sie sind mit Ihrer Politik, mit Ihrem Versagen in der Einfuhrpolitik und dadurch, daß Sie dieser Stillegungshysterie an der Ruhr völlig freien Lauf lassen, mitverantwortlich für die Situation, die heute an der Ruhr besteht.
({12})
Jetzt geben wir uns Mühe und überlegen, wie den Schwierigkeiten an der Ruhr abgeholfen werden kann. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat liebenswürdigerweise zugegeben, er befasse sich auch mit dem Gedanken, wie man die Maßnahmen wohl koordinieren könne; denn da seien so vielfältige Maßnahmen zu treffen, daß sie koordiniert werden müssen. Sie haben dabei an den Ruhrsiedlungsverband gedacht. Schön, aber der Ruhrsiedlungsverband hat nur mit einer Seite der Angelegenheit zu tun, nämlich mit der Raumplanung. Für den Ruhrsiedlungsverband ist es kaum möglich, alles, was
mit dem Anpassungsprozeß im Kohlenbergbau, mit
der Neuschaffung von Arbeitsplätzen, mit Investitionsplänen usw. selber zu tun hat, zu koordinieren.
Was haben wir nun gemacht, Herr Bundeswirtschaftsminister? Wir haben gesagt: wenn schon koordiniert werden muß, dann sollte man eine Instanz schaffen, die sich dieser speziellen Aufgabe widmet. Wir haben die Bestellung eines Bundesbeauftragten für Kohle vorgeschlagen. Meinen Sie wirklich, daß es eine sachliche Reaktion und eine sachliche Auseinandersetzung ist, wenn man dann vom „Rätesystem", von „kollektivistisch" und „Kommissaren" spricht und so tut, als wenn die Bestellung eines Beamten zu einer bestimmten Aufgabe in einem Gebiet, in dem es im Augenblick einen Notstand gibt, eine so ungewöhnliche Angelegenheit wäre? Wenn das ungewöhnlich ist, dann bedeutet das Verzicht auf jede Wirtschaftspolitik in Notzeiten!
Dann sagte der Bundeswirtschaftsminister: Wir unterhalten uns die ganze Zeit, wie das Kohleproblem in das Gesamtproblem Energiewirtschaft eingebettet werden soll. Das ist es ja gerade, Herr Bundeswirtschaftsminister! Sie unterhalten sich die ganze Zeit, und wir möchten, daß endlich wirtschaftspolitisch auf diesem Gebiet etwas geschieht.
({13})
Weiter meinten Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, sagen zu können, da solle also der Mann, der Bundesbeauftragte, im luftleeren Raum arbeiten. Ich weiß nicht, wofür Sie uns halten und woher Sie solche Informationen bezogen haben. Dieser Mann soll im Rahmen einer Energiewirtschaftspolitik, für die er nicht zuständig ist, die speziellen Probleme der Kohle dadurch lösen helfen, daß er die verschiedenen Maßnahmen aufeinander abstimmt. Sie wissen genau, Herr Bundeswirtschaftsminister, aus allen unseren Darlegungen hier - und Sie scheinen auch unser Schwarzbuch studiert zu haben; daraus ergibt sich das auch -: unser erstes Anliegen ist, daß endlich eine Entscheidung darüber getroffen wird, in welcher Richtung die Energiewirtschaftspolitik der Bundesregierung in Zukunft marschieren wird.
Sie wissen, daß Ihr Kollege zur Rechten - zwei Stühle weiter - Ihnen bereits im Jahre 1957 geschrieben hat, daß die Bundesregierung nun endlich die organisatorischen und personellen Voraussetzungen schaffen müsse, damit eine solche einheitliche Energiewirtschaftspolitik betrieben werden könne. Es ist für uns nicht sehr neu, daß diese Maßnahmen nur in den Rahmen einer allgemeinen Energiewirtschaftspolitik gehören. Aber dann bleibt trotzdem auf dem Gebiet der Kohle einiges zu tun. Dazu sollte dieser Kohlebeauftragte helfen.
Sie sagten: Soll denn der Bundesbeauftragte das Kohleproblem ganz allein so im luftleeren Raum lösen, schließlich bin ich Bundeswirtschaftsminister, und ich trage die politische Verantwortung. - Sie sollten an uns bemerkt haben, daß wir alles darauf anlegen, Sie aus dieser politischen Verantwortung nicht herauszulassen.
({14})
Wir wünschten sehr, daß Sie sie etwas ernster nehmen, als Sie das bisher tun.
Dieser Bundesbeauftragte steht natürlich nicht im luftleeren Raum. Wo haben Sie das eigentlich gelesen? Sein Wirkungsbereich soll durch ein Gesetz bestimmt werden, das hier zu beschließen ist, ein Gesetz natürlich, das ihn in die Behördenapparatur eingliedert. Selbstverständlich soll er unter der Verantwortung der Bundesregierung, wahrscheinlich des federführenden Ministers, des Bundeswirtschaftsministers, arbeiten. Es ist also eine schlechte Sache, etwas zu unterstellen, was in unserem Antrag offensichtlich nicht enthalten sein kann, und dann mit dieser Unterstellung zu polemisieren.
Dann meinte der Herr Bundeswirtschaftsminister, es sei eine Aufgabe der unternehmerischen Verantwortung, diese Probleme zu lösen. Nun, Herr Bundeswirtschaftsminister, wir haben mit der unternehmerischen Verantwortung bei Aufgaben, die weit über den Rahmen des einzelnen Unternehmens hinausgehen und letzten Endes wirtschaftspolitische Entscheidungen von volkswirtschaftlicher Bedeutung in sich schließen, so einige Erfahrungen gemacht. Wir haben Ihnen hier schon einiges über die merkwürdigen Stillegungspläne aufgeführt: eine Kokerei wird stillgelegt; eine andere, an der zufällig Werke der französischen Stahlindustrie ein Selbstversorgungsrecht besitzen, wird im gleichen Augenblick ausgebaut. Ich habe Ihnen erzählt, was in Bochum vorgeht. In diesen Fragen kann ein einzelnes Unternehmen schwerlich aus der eigenen Sicht entscheiden; denn hier geht es um das Schicksal des gesamten Kohlenbergbaus und darüber hinaus um weittragende volkswirtschaftliche Interessen. Wir haben es doch bei den Zechenhandelsgesellschaften erlebt. Als der Absatz von Kohle schwierig wurde, haben sie in „freier unternehmerischer Verantwortung" entschieden: Jetzt verkaufen wir viel mehr Heizöl. Damit machten sie ihrem eigenen Kohlenbergbau Konkurrenz.
Wo führt heute die freie unternehmerische Entscheidung auf diesem Gebiet hin? Da fusionieren sich der Kohlenbergbau von Rheinpreußen und die Deutsche Erdöl Aktiengesellschaft. Was meinen Sie, zu welchem Zweck das geschieht und wohin das führt? Je nachdem, wie die Situation ist, kann dieses Unternehmen einmal über Öl und einmal über Kohle fahren. Meinen Sie, daß so eine sinnvolle Kohlepolitik möglich ist? Man sollte hier mit dem Anruf der „verantwortlichen Unternehmerinitiative" und mit der „freien marktwirtschaftlichen Betrachtung" etwas vorsichtiger sein.
Ich möchte dazu ein kleines Zitat des Kollegen Burgbacher anführen, das nicht uninteressant ist. Es tut mir leid, daß ich Sie aufhalte; ich werde mich kurz und höflicher noch als sonst fassen, da der Herr Kollege Burgbacher nicht im Saal und auch nicht mehr im Hause ist. Er gab sich Mühe, von der Einordnung der Kohle in den Wettbewerb und von der freien Marktwirtschaft und der freien Unternehmerinitiative im Kohlenbergbau zu sprechen. Er hat einmal etwas viel Klügeres geschrieben, und zwar in der Zeitschrift „Das Gas- und Wasserfach". Dort heißt es:
Man kann allerdings die Freiheit der Marktwirtschaft nur gefährden, wenn man sie auch da verlangt, wo kein echter Wettbewerb vorliegt.
Das sagte er mit Bezug auf die Energiewirtschaft und die Energiewirtschaftspolitik. Darum sollte man sich hüten, bei solchen Dingen, die im normalen Gang der Politik liegen, plötzlich von Dirigismus zu sprechen, wenn man für bestimmte Aufgeben bestimmte Beauftragte ernennt. Es ist natürlich eine leichte Methode, von Dirigismus zu sprechen, um darüber hinwegzutäuschen, daß die Bundesregierung selbst nicht ein einziges Mittel zur Lösung der Kohlenkrise anzubieten hat.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat selbst einmal geäußert: Außer der Heizölsteuer ist nichts drin. - Das wissen wir: bei dieser Bundesregierung ist „nichts drin". Wenn aber außer der Heizölsteuer nichts drin ist, dann sieht diese Bundesregierung offenbar keine Möglichkeit, dieser Schwierigkeiten Herr zu werden. Darum meinen wir, die Unternehmensverbände Bergbau haben nicht ganz Unrecht, wenn sie letzthin in einem Dokument - es war ein Schwarzbuch, das zur selben Zeit herauskam wie das unsrige - schrieben: „Diese Krise kann mit Begriffen wie Strukturkrise oder Konjunkturkrise allein nicht erklärt werden; sie ist auch eine Krise der Wirtschaftspolitik." Ich muß sagen, das ist für die Unternehmensverbände Bergbau eine recht interessante Erkenntnis.
Aber, meine Damen und Herren, ist es eigentlich richtig, mit dem Vorwurf „Dirigismus" zu diffamieren, wenn man selbst offensichtlich keine wirksamen wirtschaftpolitischen Maßnahmen zu ergreifen weiß? Was ist eigentlich an unseren Vorschlägen so dirigistisch? Wir wünschen eine leistungsfähige zentrale Stelle für die Entwicklung einer einheitlichen Energiewirtschaftspolitik. Ob das der Bundeswirtschaftsminister, ob das ein Energiewirtschaftsrat ist, - wir lassen über jede vernünftige Form dieser Institution mit uns reden. Bloß d a ß eine solche Instanz notwendig ist, hat sich inzwischen so weit herumgesprochen, daß es offenbar nur im Bundeswirtschaftsministerium hier in Deutschland noch nicht bekannt ist.
Und ein Zweites. Wir haben eine Einfuhrorganisation Kohle verlangt. Was ist daran eigentlich so furchtbar dirigistisch? Jedenfalls haben es Frankreich und Großbritannien mit der Organisierung der Einfuhr, mit Hilfe der Einfuhrorganisation fertiggebracht, in jener Zeit, als Kohle knapp war und Amerika-Kohle eingeführt wurde, die hohen Einfuhrpreise auf den Inlandspreis herabzuschleusen. Infolgedessen wurde in diesen beiden Ländern die übermäßige Verteuerung der Kohle, die in Deutschland eintrat und dem Kohleabsatz auf die Dauer nur geschadet hat, vermieden. Diesen beiden Ländern ist es im Gegensatz zu Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, gelungen, die Kohleeinfuhr bereits von Anfang 1958 an drastisch herabzusenken. Die Einfuhr ist daher in diesen beiden Ländern wesentlich stärker zurückgegangen als bei uns in Deutschland. Beide Länder gehören auch dem GATT an, Frankreich gehört auch der Europäischen WirtDr. Deist
schaftsgemeinschaft und der Montangemeinschaft an. Also daran kann es nicht gelegen haben. Es scheint mir doch an der Wirtschaftspolitik gelegen zu haben, die in diesen Ländern geführt wird.
Meine Damen und Herren, wenn Sie nun schon der Auffassung sind: es muß stillgelegt und es muß auch sonst einiges andere getan werden, - ist es dann dirigistisch, wenn wir sagen: Das muß man planmäßig machen, dazu muß man einmal wissen, welche Gruben in welcher Zeit und in welcher Form stillgelegt werden sollen und wie das abgestimmt werden kann? Das möchten wir. Wir wünschen, daß ein solcher Anpassungs-, ein solcher Sanierungsplan aufgestellt wird. Ist es so außer aller Welt, daß wir einen Beauftragten bestellen möchten, der diese Aufgabe, einen sorgfältigen Plan für diese Anpassung zu entwerfen - natürlich gemeinsam mit dem Kohlenbergbau und den interessierten Stellen -, wahrnimmt?
({15})
Ist es wirklich eine praktischere Methode, den Bergbau schreien zu lassen: Es müssen 10 bis 12 Millionen t Kohle weniger gefördert werden, es muß still- gelegt werden!, und dann damit die Arbeiter aus dem Bergbau und unter Umständen sogar aus den Zechenanlagen herauszujagen, die von Umstellungsmaßnahmen überhaupt nicht betroffen werden?
Ist es so furchtbar dirigistisch, zu sagen: Wenn schon die Kohle einer Investitionssteuerung unterliegt, warum soll die Mineralölwirtschaft mit diesem gefährlichen Expansionsdrang nicht in gleicher Weise einer Investitionssteuerung unterliegen? Und wenn wir eine straffe Kartell- und Preiskontrolle gegenüber den Mineralölkonzernen verlangen, damit sie dieses Spiel zwischen Heizölpreisen und Benzinpreisen nicht weiterführen können, - ist das dirigistisch oder dürfte das nicht eigentlich sogar in Ihr Konzept hineinpassen, Herr Bundeswirtschaftsminister? Wenn wir meinen, die Investitionsmittel für diesen Modernisierungsprozeß müßten zur Verfügung gestellt werden, - ist dies dirigistisch?
Man sollte nicht mit solchen überholten und völlig unangebrachten, doch nur zur Diffamierung gedachten und geeigneten Formeln arbeiten. Das scheint mir keine zulässige Methode zu sein: selbst keine überzeugenden Vorschläge und keine Andeutung zu machen, wie man eine einheitliche Energiewirtschaft führen will, und alle anderen Vorschläge, die in ehrlichem Bemühen um eine Lösung der Probleme gemacht werden, als dirigistisch zu beschimpfen. Zumindest sollte sich der Bundeswirtschaftsminister allmählich eine andere Vokabel angewöhnen.
Herr Professor Burgbacher hat ein Wort des Herrn Bundeswirtschaftsministers zitiert, das dieser am 29. Oktober, also gerade vor einigen Tagen, gesagt hat, ein Wort, das wir bewußt in das Schwarzbuch übernommen haben. Es lautet:
Im Grunde liegt das Geheimnis einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik im rechtzeitigen Erkennen von Entwicklungsvorgängen und i n den zu treffenden Maßnahmen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, niemand hat, glaube ich, jemals ein härteres Urteil über die Politik der
Bundesregierung gefällt als Sie mit dieser Anforderung, die Sie an einen Wirtschaftspolitiker stellen. Herr Kollege Burgbacher hat sich bemüht, Ihren Ausspruch zu interpretieren. Das war sehr loyal von ihm. Er meinte das erläutern zu müssen. Er hat aber nicht erwähnt, daß er selbst an der Stelle, die ich vorhin zitiert babe, auch folgendes gesagt hat:
Wo kein echter Wettbewerb besteht, muß die
politische Verantwortung gewisse Zuständigkeiten für sich in Anspruch nehmen können.
Das gerade ist es, was wir von Ihnen verlangen und erwarten.
({16})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem mir vorgeworfen wurde, nicht loyal zitiert zu haben, möchte ich in bezug auf die Behandlung des Kohlezolls Herrn Dr. Deist doch etwas ausführlicher zitieren, und zwar aus der Sitzung vom 29. Januar 1959. Hier heißt es wortwörtlich:
Die Bundesregierung weiß, daß durch den Kohlezoll die Einfuhr mit diesen 4,25 oder 5 Millionen t nicht einfach abgeschnitten werden kann, sondern daß mehr ,eingeführt werden muß. Sie weiß also, daß darauf der Kohlezoll gezahlt werden muß. Meint sie wirklich, daß sie darüber hinweg kann und sagen kann: „Ich hoffe, daß keine Preiserhöhungen kommen", obwohl sie genau wissen muß, daß die Bezieher zum großen Teil diese zusätzliche Belastung von 20 DM Zoll einfach nicht tragen können, sondern weitergeben müssen?
({0})
Ich kann hier behaupten, daß dieser Kohlezoll seine Wirkung voll getan hat, und zwar in dem von der Regierung vorgestellten Sinne und nicht in dem Ihren.
({1})
Lassen Sie mich weiter zitieren:
Wenn man sich ansieht, was die Bundesregierung gestern im Außenhandelsausschuß an Auskünften gegeben hat, dann kommt man zu dem ganz eindeutigen Ergebnis: die Einfuhren werden wesentlich über den 4,25, ja über 5 Millionen t liegen. Es kann auch kein Zweifel darüber bestehen, daß sich daraus nicht unwesentliche Preiserhöhungen ergeben.
({2}) Wieder nicht der Fall!
({3})
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
- Diese 5 Millionen t haben wir eingeführt.
({4})
- Und wenn es sechs wären - weil wir gewisse
Rücksichten auf England usw. genommen haben -,
({5})
ich bitte Sie, dann können Sie doch nicht sagen, daß wir die 5 Millionen t weit überschritten hätten.
({6})
Herr Dr. Deist zu einer Zwischenfrage!
Herr Bundeswirtschaftsminister, ist Ihnen nicht bewußt, daß alles das, was Sie hier zitieren und worüber Sie sprechen, mit der Frage, die ich gestellt habe und auf die ich eingegangen bin, nicht das mindeste zu tun hat, sondern daß es auf Ihre Behauptung ankommt, wir hätten den Kohlezoll abgelehnt, weil er keine Wirkung gehabt habe?
Nein, Sie haben bloß den Kohlenzoll falsch beurteilt in seiner Wirkung! Ich verlese weiter:
Aber ein Zweites: Dieser Kohlenzoll bringt unsere ganzen Außenhandelsbeziehungen in Unordnung und kostet uns einen ungeheuren Vertrauensverlust in der übrigen Welt.
Wollen Sie das heute noch behaupten?
({0})
- Dann schauen Sie sich den deutschen Außenhandel an, ob der Kohlenzoll uns ungeheure Vertrauensverluste gebracht hat!
({1})
Aber abgesehen davon, ich könnte noch weiter zitieren:
Aber der Kohlenzoll kam 12 Monate zu spät.
Wir haben ihn Ende des Jahres 1958 eingeführt!
Wir hätten ihn also Ende 1957 einführen müssen?
({2})
- Wir haben den Kohlenzoll eingeführt, als es in Deutschland noch keine Halden gab.
({3})
- Wir konnten den Artikel 19 der GATT-Bestimmungen - bitte, lesen Sie es nach! - nur bei außergewöhnlichen Schwierigkeiten anwenden; dann nur kann man sich von Verträgen lösen.
({4})
- Ja, bitte sehr, wir haben im September 1958 von der Möglichkeit des GATT Gebrauch gemacht. Aber wir konnten doch nicht zu Beginn des Jahres 1958 davon Gebrauch machen, denn zu Beginn des Jahres 1958 gab es doch in Deutschland überhaupt noch keine Halden.
({5})
- Ich stelle fest: wir hatten zu Beginn des Jahres 1958 noch keine Halden, und wenn wir zu Beginn des Jahres 1959 den Kohlenzoll verfügt hätten, hätte das bedeutet, daß wir das schon Anfang 1958 hätten tun müssen, und dann sage ich, daß wir nach den Bestimmungen des Artikels 19 des GATT- den Sie nachlesen können - zu Einfuhrbeschränkungen nur bei außergewöhnlichen Schwierigkeiten berechtigt waren!
({6})
Wir haben sogar ohne vorherige Konsultation die Einfuhrbeschränkungen eingeführt, um schnell zu handeln, und haben die Konsultation in viermaligen Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten nachgeholt.
Es ist natürlich sehr leicht, hier zu fragen: Warum ist die Einfuhr nicht früher abgestoppt worden? Ich darf darauf hinweisen, daß wir die Kontraktfristen für Lieferungsverträge mit Amerika auf drei Jahre erstreckt haben; ich glaube, sogar mit Ihrer Zustimmung.
({7})
- Wenn Sie nicht zugestimmt haben, so haben Sie doch jedenfalls seinerzeit mit den Vorteil daraus gezogen; denn dadurch war es uns möglich, billigere Frachten zu erhalten. In einer Zeit, in der die Frachten auf 120 sh stiegen, zahlten wir in Deutschland wegen der langfristigen Verträge nicht mehr als 55 bis 60 sh, und in den anderen Ländern war man damals - ich denke an die Suezkrise - eifrig bestrebt, unsere Importverträge zu poolen, weil wir niedrige und die anderen die höheren Frachten hatten. Das muß man gerechterweise auch sagen.
Zu den Dumpingpreisen. Ich habe nicht behauptet, daß es einen Marktpreis gebe, von dem aus das Dumping gemessen werden könnte, sondern ich habe ausdrücklich gesagt, daß es einen an den Kosten orientierten Preis für Heizöl schwerlich geben wird. Ich behaupte auch nicht, daß im rein juristischen Sinne ein Dumping vorliege. Aber wenn ich die Ölpreise in den Ländern rund um Deutschland nebeneinanderstelle und bei einem Vergleich sehe, daß die Preise bei uns um 30, 40% niedriger sind, dann habe ich in einer wirtschaftspolitischen Debatte den Mut und das Recht, zu sagen, daß mir hier ein Dumping vorzuliegen scheint, gegen das wir uns wehren müssen.
({8})
Wenn ich von Dramatik und Hysterie gesprochen habe, habe ich Sie gar nicht persönlich gemeint.
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
Aber vielleicht machen Sie sich doch einmal die Mühe, die SPD-Presse dieser Zeit nachzulesen; bitte, stellen Sie dann selber fest, ob da nicht in Hysterie, Chaos und Katastrophe gemacht wurde.
({9})
Im übrigen: so schlecht kann die deutsche Kohlenpolitik nicht sein; denn Deutschland hat in Europa die niedrigsten Energiepreise. Ob die Sozialisierung ein Allheilmittel ist, nun, darauf ist heute auch schon eingegangen worden. Ich brauche nur darauf hinzuweisen, daß in England nicht nur wie bei uns 17 Millionen t, sondern 40 Millionen t auf Halde liegen.
({10})
Sogar ein internationaler Vergleich der Energiekosten im Mittel, und zwar der Kohleenergie, Ölenergie, Wasserenergie und alles, was damit zusammenhängt, führt zu dem Ergebnis - ich habe die Unterlagen leider noch nicht hier -, daß Deutschland knapp hinter Amerika, in Dollar ausgedrückt, an zweiter Stelle steht; alle anderen europäischen Länder rangieren in den Energiekosten hinter uns. Das ist also die „Schuld" Deutschlands.
Im übrigen, was Ihren „Beauftragten" anlangt: Ich weiß nicht, ob Sie sich nicht daran erinnern, daß wir in Deutschland einmal einen Reichskohlenrat hatten. Haben Sie den Eindruck, daß der so übermenschliche Erfolge erzielt hätte und ein so strahlendes Vorbild wäre, daß wir auf solche oder verwandte Einrichtungen zurückgreifen sollten?
({11})
Sie machen sich über die unternehmerische Verantwortung lustig. Ich stehe zu der unternehmerischen Verantwortung,
({12})
und ich glaube, Sie sollten es auch tun. Ich möchte Sie mal fragen: Was für einen Sinn hat eigentlich die Mitbestimmung und die paritätische Vertretung im Aufsichtsrat, wenn man nicht mehr an die unternehmerische Verantwortung glaubt?
({13})
Ich an Ihrer Stelle würde den Aufsichtsratsvorsitz im Bochumer Verein niederlegen, wenn ich nicht mehr an die unternehmerische Verantwortung glaubte.
({14})
Meine Herren, nur keine Aufregung am späten Abend!
({0})
- Nein, hören Sie, jetzt will ich Ihnen mal was sagen, Herr Kollege Kreyssig. Vorhin habe ich meinem Vorgänger geraten, Ihnen, Herr Kreyssig, keinen Ordnungsruf zu geben, weil das, was Sie gesagt haben, nach meiner Meinung nicht ordnungswidrig war. Ich würde also das, was der Opposition recht ist, mindestens der Regierung auch zuerkennen.
Fahren Sie bitte fort, Herr Minister!
Dann wird hier Frankreich sozusagen als Musterbeispiel dafür hingestellt, wie man es machen kann. Herr Kollege Deist, Sie wissen wohl, daß im Augenblick ein Prozeß über die Politik der ATIC schwebt, die nicht nur ausländische Kohle aus dritten Märkten manipuliert und reguliert, sondern z. B. auch die deutsche Kohle so behandelt.
Sie haben mich aber bei meiner Loyalität, oder wie Sie meinen: mangelnden Loyalität, gepackt. In der ganzen Welt, von Großbritannien über Belgien, Niederlande, Frankreich, Deutschland, Polen, die Sowjetunion, Japan bis zu den Vereinigten Staaten von Amerika, weiß man, daß ein Problem aufgeworfen ist, daß eine Entwicklung über die Welt gekommen ist, die man nur aus weltweiter Sicht begreifen kann. Da wollen Sie dem deutschen Volk von diesem Podium aus begreiflich machen, daß das, was sich in aller Welt ereignet, in Deutschland ausgerechnet die Schuld der deutschen Regierung sei. Das heißen Sie fair und loyal!
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde nicht in die Tonart des Herrn Bundeswirtschaftsministers verfallen.
({0})
- Meine Damen und Herren, lesen Sie bitte nachher einmal diese Art der Polemik! Ich verlange gar kein Urteil von Ihnen. Sie können sich dieses Urteil selbst bilden.
({1})
Meine Herren, lassen Sie den Redner sprechen!
Irgendwo gibt es Grenzen, die man nicht überschreiten sollte, meine Damen und Herren.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat es sich sehr billig und einfach gemacht. Er hat gesagt, in Großbritannien und Frankreich seien die Schwierigkeiten nicht nur dieselben, sondern dort seien ,sie - Haldenbestände und dergleichen mehr! - noch größer. Ich habe bereits einmal darauf hinge4676
wiesen - und ich glaube, das sollten Sie akzeptieren -, daß die Organisationsform für den Kohlenbergbau eine organisatorisches Mittel ist, mit dem man bestimmten wirtschaftspolitischen Problemen besser oder schlechter begegnen kann. Die Wirtschaftspolitik selbst und die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die Konjunkturentwicklung, kann diese Organisationsform nicht ändern.
Die Frage ist nur, ob eine kritische Entwicklung, die, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister mit Recht gesagt hat, nicht nur bei uns vorhanden ist
- ich habe das nie behauptet und auch nicht so getan, als wenn dem so wäre - ({0})
- Ich habe nur gesagt, daß die Politik in Deutschland schlechter als anderswo ist. Ich habe nicht behauptet, daß die Entwicklung anders ist.
({1})
- Meine Damen und Herren, Sie sollten mir doch nichts unterstellen, was ich nicht gesagt habe. Ich habe nicht behauptet und behaupte nicht, daß die wirtschaftliche Entwicklung, das Auf und Ab der Konjunkturen auf Deutschlandallein beschränkt sei und daß das eine Folge der Regierungspolitik sei. Wenn Sie glauben, ich hätte so getan, als wenn die Entwicklung nirgendwo anders vorhanden sei, dann bitte ich Sie, sich an Hand der Protokolle zu vergewissern, daß dem nicht so ist. Selbst in dieser vorgerückten Stunde sollten Sie; auch wenn es ein solches Gefecht gibt, wenigstens diese sachliche Grundlage unangetastet lassen.
Es ist die Frage, wie der Kohlenbergbau in Deutschland, wie der Kohlenbergbau in Frankreich und wie der Kohlenbergbau in Großbritannien mit den auf ihn zukommenden Schwierigkeiten fertig, geworden ist. Das ist das einzige Kriterium, an dem man den Wert solcher Organisationsformen messen kann. Ich habe bereits über die Einfuhrpolitik berichtet. In der Einfuhrpolitik war es in Frankreich vom Jahre 1957/58 an möglich, die Einfuhren auf 50 % herabzusetzen, von 10 Millionen auf 5 Millionen t. In Großbritannien hat es von April 1958 an keine Einfuhren mehr gegeben. Wir brachten es nur fertig, sie von 17 auf 13 Millionen, d. h. um gut 20% herabzusetzen. Zugleich ließen wir uns einen Berg von 45 Millionen Einfuhrkohle durch Einfuhrverträge auf den Hals laden, deren Ablösungsverträge uns zu Lasten des Verbrauchers 300 Millionen DM gekostet haben. Das war in Frankreich und in Großbritannien nicht drin.
Die Zugänge zu den Haldenbeständen betrugen in der Zeit vom Januar 1958 bis Juni 1959 in .Frankreich 10% einer Jahresförderung, in Großbritannien 9 % einer Jahresförderung, in Deutschland 12% einer Jahresförderung. Die Haldenzugänge, gemessen an der Jahresförderung, waren also in Großbritannien und Frankreich niedriger als bei uns. Es ist natürlich eine andere Frage, welche Haldenpolitik im übrigen betrieben wurde. Man kann eine Haldenpolitik betreiben, zu deren ständiger Aufgabe es gehört - wie z. B. der Herr Bundesernährungsminister das im Übermaß mit allen möglichen. Ernährungsgütern tut -, ein gewisses Niveau an Haldenbeständen zu halten. Dann ist aber, wenn man die Auswirkung der Krise beurteilen will, allein entscheidend, wie hoch der Zugang zu den Haldenbeständen ist. Der Zugang war in Großbritannien und in Frankreich jedenfalls geringer als bei uns in Deutschland.
Aber dann kommt das Entscheidende: In Großbritannien hat es bis heute keine Feierschichten gegeben. In Frankreich hat es erstmalig im Juni 1959 im Centre Midi einige wenige Feierschichten gegeben. Bei uns in Deutschland gab es von Januar 1958 bis September 1959 6 Millionen Feierschichten, wenn ich die Zahl genau im Kopf habe.
In Frankreich gab es auch keine so großen Massenentlassungen oder Massenausscheidungen von Bergarbeitern, wie wir sie heute in Deutschland haben. Und in Großbritannien gab es sie auch nicht. Da liegt der Unterschied! Da ging es nicht nur um die Materie, um die Haldenbestände, sondern da gilt anscheinend der Mensch, der Bergbauarbeiter, noch etwas, und das ist die entscheidende Frage.
({2})
In einer nordfranzösischen Zeitung - ({3})
Meine Herren, diese Unterhaltung hat gar keinen Sinn. Auch wenn wir jetzt etwas mehr als 60 oder 70 Minuten über unsere Zeit sind, ist es kein Anlaß, hier ein solches allgemeines Gespräch zu führen. Hören Sie bitte dem Redner zu.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, man darf ja schließlich - ({0})
Nein, meine Herren, man kann das Geschäft so nicht aufhalten.
({0})
Meine Damen und Herren, Sie müssen doch in einer parlamentarischen Debatte dem Redner gestatten, daß er aus Tatsachen, die er vorträgt und die unanfechtbar sind, Schlußfolgerungen zieht. Und aus Tatsachen, die ich genannt habe, ließ sich keine andere Schlußfolgerung ziehen, als ich sie gezogen habe.
Das nur ganz kurz zu dem völlig unberechtigten Angriff, der nationalisierte Kohlenbergbau sei in Frankreich und in Großbritannien mit den Folgen der Kohlenkrisenentwicklung bei der Kohle schlechter fertig geworden als der deutsche.
Nun noch einige wenige Worte! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gesagt: Wer hat denn von Hysterie und Chaos geschrieben? War das nicht die SPD-Presse? - Der Bundeswirtschaftsminister hat nicht gewagt, zu bestreiten, daß seit Herbst vergangenen Jahres dieses Gerede von großen Entlassungen und dergleichen - und zwar auf der Unternehmerseite - im Gange war. Daß daraus Unruhe innerhalb der Bergarbeiterschaft, innerhalb der Bevölkerung an der Ruhr entstand und daß sie auch Ausdruck in der Presse findet, ist doch nur natürlich. Wollen Sie nunmehr diejenigen, die die Geschlagenen sind, zu den Schuldigen der Unruhe im Ruhrgebiet machen?
(Lebhafter Beifall bei der SPD. - Zurufe
von der Mitte.}
- Das ist haargenau das, was auf die Vorwürfe des Herrn Bundeswirtschaftsministers gesagt werden mußte.
({0})
- Lesen Sie einmal die Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers durch, dann werden Sie feststellen, was das gewesen ist. Das ist mindestens auch Polemik gewesen.
Sie haben dann weiter etwas gesagt, was auch nur polemisch war und sachlich überhaupt nicht vertretbar ist. Selbstverständlich hat die Mitbestimmung die Bedeutung, daß die unternehmerische Initiative dort, wo sie angemessen und am Platze ist und vernünftig gehandhabt wird, anerkannt wird. Das wissen wir ganz genau. Wir möchten nämlich unternehmerische Initiative nicht nur in privaten Unternehmungen, sondern wir möchten sie in gemeinwirtschaftlichen Unternehmungen genauso und besser, als sie in privaten Unternehmen vorhanden ist. Was wir sagen, richtet sich also nicht gegen die unternehmerische Initiative.
Aber kann man die Frage eigentlich so stellen? Die Lösung der wirtschaftspolitischen Probleme und die Beseitigung der Schwierigkeiten, die auf den Kohlenbergbau zukommen, sind Aufgaben der Wirtschaftspolitik. Kann man dann sagen: Warum wird das nicht mit dem Mittel der Mitbestimmung gelöst? Das ist doch noch unfairer.
({1})
- Ich würde mich freuen, wenn ich das mißverstanden hätte. Wenn ich nicht irre, ging dieser Angriff auf Mitbestimmung doch dahin, daß man mit ihr die Schwierigkeiten im Kohlenbergbau nicht beseitigen könne.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat dann mit Recht darauf hingewiesen, daß es sich um weltweite Probleme handle, um Probleme, die auf europäischem Boden gelöst werden müßten. Diese Probleme müssen auch im Rahmen der Montanunion und der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erörtert werden. Er weiß aber auch, daß gerade die Hohe Behörde noch in diesen Tagen bei ihrem letzten Besuch dargelegt hat, es sei eine Voraussetzung für
eine wirksame europäische Wirtschaftspolitik, daß zunächst von den einzelnen Mitgliedstaaten eine zielbewußte und planmäßige Energiewirtschaftspolitik entwickelt werde. Mit dem Teil einer europäischen Energiewirtschaftspolitik, der hier in Deutschland zu betreiben ist, haben wir uns zu befassen. Da müssen wir bei unserer Feststellung bleiben, daß wir dieser Politik leider nicht bestätigen können, sie habe Erfolge gebracht.
({2})
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich rufe zunächst den unter Punkt 2b aufgeführten, von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung einer Ergänzungsabgabe für soziale Hilfsmaßnahmen im Kohlebergbau - Drucksache 1318 - auf. Hier ist die Überweisung an den Finanzausschuß - federführend - und an den Wirtschaftsausschuß und Haushaltsausschuß zur Mitberatung vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 2c: Antrag der Fraktion der SPD betreffend Bestellung eines Bundesbeauftragten für die Kohlewirtschaft - Drucksache 1319 -. Es ist Überweisung an den Wirtschaftsausschuß vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 2d: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes - Drucksache 1327 . Es soll Überweisung an den Finanzausschuß - federführend - und an den Wirtschaftsausschuß und Haushaltsausschuß zur Mitberatung erfolgen. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen nun zu Punkt 2 e: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe. Ich rufe auf § 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag - Umdruck 407, Ziffer 1 - vor. Er ist begründet Die Aussprache hat stattgefunden. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen ist dieser Änderungsantrag angenommen.
§ 2! Dazu liegt ebenfalls ein Änderungsantrag - Umdruck 407, Ziffer 2 - vor. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei den gleichen Stimmenverhältnissen angenommen.
§ 3! Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 407, Ziffer 3 vor. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und zahlreichen Enthaltungen angenommen.
§§ 1, 2 und 3 in der so geänderten Fassung! Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
aufgerufenen Paragraphen sind in der geänderten Fassung angenommen.
§ 4! Dazu liegt kein Änderungsantrag vor. Wer dem § 4 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
§ 5! Dazu Änderungsantrag Umdruck 407 Ziffer 4. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen und einigen Gegenstimmen angenommen.
§ 5 in der so geänderten Fassung! Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Nun §§ 6, - 7, - 8, - 9, - 10, - 11, - Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - In zweiter Lesung angenommen.
Dritte Beratung.
Die allgemeine Aussprache hat stattgefunden. Wer dem Entwurf in der durch die Annahme der Änderungsanträge in der zweiten Lesung veränderten Fassung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Das ist eine Minderheit. - Enthaltungen? - Zahlreiche Enthaltungen. Das Gesetz ist in dritter Lesung angenommen.
Ich rufe auf Punkt 2 f:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Auge, Behrendt, Bergmann, Büttner, Dr. Deist, Geritzmann, Heiland, Dr. Dr. Heinemann, Iven ({0}), Keuning, Kriedemann, Lange
({1}), Meyer ({2}), Frau Rudoll, Sträter, Striebeck, Wilhelm und Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau ({3}).
Es ist vorgeschlagen Überweisung an den Ausschuß für Wohnungswesen, Bau- und Bodenrecht - federführend -, den Ausschuß für Arbeit - mitberatend - und den Haushaltsausschuß - gemäß § 96 der Geschäftsordnung -. Das Haus ist einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Schließlich Punkt 2 g:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Harnischfeger, Dr. Hesberg, Mick, Scheppmann, Wullenhaupt und Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau ({4}) .
Hier ist vorgeschlagen Überweisung an den Ausschuß für Wohnungswesen, Bau- und Bodenrecht federführend -, den Ausschuß für Arbeit - mitberatend - und den Haushaltsausschuß - gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Das Haus ist einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß der Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen vormittag 10 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.