Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/15/1959

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich eröffne diese Sitzung nach Artikel 56 des Grundgesetzes. Ich begrüße namens des Deutschen Bundestages und des Bundesrates alle Ehrengäste aus dem In.- und Ausland, darunter insbesondere eine Delegation des kanadischen Unterhauses unter Führung ihres Speakers Mr. Mitchener. ({0}) Meine Herren Präsidenten, Exzellenzen, meine Damen und Herren! Was sind zehn Jahre in der langen, wechselvollen Geschichte des deutschen Volkes! Eine kurze Zeit im Gang der Jahrhunderte, aber das Schicksal von Generationen bestimmend, wenn sie Höhen und Tiefen von so gewaltigem Ausmaß umspannen, wie es uns zu erleben bestimmt war. Zwei Jahrzehnte sind vergangen, seitdem ,der zweite Weltkrieg Deutschland in den Abgrund riß und die Welt zu verwandeln begann. Und ein Jahrzehnt ist dahin, seitdem sich auf den Trümmern des Reiches eine neue Ordnung des Überganges für das staatliche Zusammenleben der Deutschen gebildet hat. Wir sind heute hier in diesem Ersatzbau des Deutschen Reichstages zusammengetreten, nicht um zu ,arbeiten, auch nicht um zu kämpfen, wie wir das sonst hier tun, auch nicht um über das Unvollendete zu klagen oder herkömmliche Feierstunden zu absolvieren. Nein, wir sind hier, um schlicht einen Augenblick innezuhalten, einen Blick zurückzuwerfen in die Tiefen und Niederungen, aus denen wir emporgestiegen sind, und dessen eingedenk zu sein, was uns an Glück widerfahren, an Gnade zuteil geworden ist. Meine Damen und Herren, ich mache keinen Versuch der chronologischen Wiederholung der Stationen, die wir auf unserem Weg durch die letzten zehn Jahre deutscher Geschichte passiert haben. Die Vergeßlichkeit im Tempo unserer Tage und in der Fülle der unablässig auf uns eindringenden Ereignisse ist zwar so 'groß, daß auch das gerechtfertigt wäre. Ich verzichte auch ,auf alle noch so eindrucksvollen Zahlen, die unseren wirtschaftlichen, unseren sozialen Aufstieg in die Wohlfahrt eines modernen Industriestaates dokumentieren. Daß wir es so weit gebracht haben, weiß ohnehin jeder, auch der Nörgler. Und daß nicht alle Wünsche unserer materiellen und sozialen Existenz erfüllt sind, das wissen wir auch. Wenn ich darüber kurz hinweggehe, so gewiß nicht deshalb, weil es seit einiger Zeit bei uns Mode geworden ist, in einer recht unverbindlichen und herablassenden Kritik ,an unserem moralischen Zustand vom Wirtschaftswunder zu sprechen. Wenn ich recht unterrichtet bin, 'sind es nicht wir Deutsche gewesen, die das Wort geprägt haben, sondern die Ausländer, die uns am Hungertuche nagen sahen und die uns einige Jahre nach der Währungsreform wieder besuchten. Sie sprachen vom Wirtschaftswunder. Und wir? Nun, wir brauchen davon keinen Ton zu reden, denn wir wissen ja, mit wieviel Schweiß und Mühe .es in unserem zerstörten und demontierten Land zustande gekommen ist. Uns steht nur an, dankbar und ohne alle Selbstüberhebung dessen eingedenk zu sein, daß wir mit Gottes Hilfe von einer großen Not frei geworden sind und daß wir eine solide Grundlage unserer materiellen Existenz wiedergewonnen haben. Im Winter 1947/48 sah ich bei den Missouri-Lutheranern in St. Louis einen großen Raum vom Boden bis an die Decke aufgeschüttet mit Briefen .aus Deutschland, alles samt und sonders Bittbriefe um ein Liebesgabenpaket. Nein, meine Damen und Herren, wer die Not um das tägliche Brot gekannt hat wie wir, der darf weder gedankenlos noch herablassend von der materiellen Sicherheit sprechen. Sie ist in unserem Leben nichts Beiläufiges, sondern etwas Fundamentales! Das allerdings ist nun auch keine Rechtfertigung jenes Tanzes um das Goldene Kalb, der uns Bundesbürgern so oft nachgesagt wird. Als allgemeine Behauptung ist dieser Vorwurf eine Schmähung des deutschen Volkes. Aber wir können bei einem Rückblick auf die letzten Jahre leider auch nicht in Abrede stellen, daß sich da und dort bei uns ein Stil entwickelt hat, der in unerträglich banaler Weise das Materielle statt zu einem Mittel der Freiheit zum bedenkenlos verfolgten Sinn und Zweck menschlicher Existenz macht. Das ist gewiß ein makabrer Selbstbetrug. Aber es hat wenig Sinn, dagegen statt des eigenen Gewissens und der öffentlichen Meinung den Staat mobil zu machen. Seine Möglichkeiten, das Gewissen seiner Bürger zu schärfen, sind Präsident D. Dr. Gerstenmaier beschränkt. Die Aufgabe des Staates war und ist es vielmehr, neben der Rechtssicherheit den wirtschaftlich-sozialen Aufbau zu ermöglichen. Diese Aufgabe hat denn auch Bund, Länder und Gemeinden seit den Zeiten des Wirtschaftsrates bis zur Kohlenkrise unserer Tage in Atem gehalten. Das Grundgesetz, meine Herren Kollegen, hat uns aufgegeben, aus diesem Staat einen sozialen Rechtsstaat zu machen. Der Streit darüber, was denn das konkret heiße, ist unter den Gelehrten nicht sehr viel geringer, als der Streit der Politiker um die beste Methode. Aber kein Zweifel kann darüber bestehen, daß das Grundgesetz diesen Staat und damit uns alle nicht für diese oder jene Gesellschaftstheorie in Dienst zu nehmen wünscht, sondern für die soziale Gerechtigkeit. Natürlich sind wir auch auf diese Weise unmittelbar vor unsere Vergangenheit gefordert. Die Katastrophe, von der wir herkommen, war eben nicht nur mit dieser oder jener Steuererhöhung zu bewältigen, sie führte im Lastenausgleich und in der Wiedergutmachung auch zu so etwas wie einer Neuordnung der Besitzverhältnisse. In der Rentenreform, in der Kriegsopferversorgung und in zahlreichen anderen Sozialmaßnahmen setzte sich das Bemühen um die Durchgestaltung der Bundesrepublik zu einem sozialen Rechtsstaat fort. Mit der sozialen verband sich von Anfang an die spezifisch kulturelle Leistung im Staatsneubau. Nun, ich habe hier nicht von der Qualität der deutschen Nachkriegskunst zu reden. Ich habe hier weder den Genius ,der alten noch der jungen deutschen Dichtung noch den Rang unserer geistigen nationalen Leistung in diesem Jahrzehnt überhaupt zu würdigen. Ich spare mir auch das Wort der Klage dort, wo nur der Zorn über den arroganten Schund am Platze ist. Ein Staat der Freiheit kann weder den Mißbrauch der Freiheit absolut verhindern, noch soll er Geist und Gesinnung kommandieren oder Kunst und Wissenschaft reglementieren. Ich rede hier lediglich von den dem Staat obliegenden Voraussetzungen geistig-kulturellen Wirkens. Ich rede hier z. B. von dem Schulhausneubau der Länder und Gemeinden, ich spreche von ,der Erweiterung und Verbesserung der Hochschulen, der Kliniken, der Theater und Kulturinstitute aller Art. Ich rede hier von dem, was für ,die deutsche Jugend geschah, vom Bundesjugendplan bis zum Honnefer Modell der Studienförderung. Ich behaupte nicht, daß alles geglückt ist, aber ich sage, daß etwas geschah, auch wenn es dem subjektiven Anspruch oder der objektiven Notwendigkeit nicht genügte. Die konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem Staat und der geistigen Schicht in Deutschland ist ebenso wie die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden ein selbstverständliches Erfordernis der Pflege und Verdichtung unserer Kultur. Denn wir möchten nicht, daß unser Staat schließlich nur eine mehr oder weniger perfekt funktionierende, aber seelenlose Mammutapparatur ist, sondern wir möchten ihn als einen Kulturstaat begreifen, zu dem seine Bürger eine innere Beziehung haben. Je brutaler die Spaltung Deutschlands und je mächtiger die materielle und technische Realität unseres Lebens ist, desto notwendiger ist die Kraft und Einheit unserer, auf den Glauben an die Macht des Geistes gegründeten nationalen Kultur. Es ist und soll eine Einheit in blühender Vielfalt und in kräftigen Unterschieden sein. Denn wir sehen das Glück unserer Zeit nicht in der Gleichschaltung und nicht in der individualitätsfeindlichen Gleichförmigkeit, sondern in der Entfaltung des Eigenen im Rahmen unserer gemeinsamen Kultur und Geschichte. Die föderative Verfassung der Bundesrepublik und die in ihr gründende Kulturhoheit der deutschen Länder sind darum wesentliche Elemente unserer staatlichen Ordnung. Diese Verfassung macht allerdings das willige Zusammenwirken von Bund und Ländern zur Voraussetzung staatlichen Gelingens. Das Zusammenspiel von Bundestag und Bundesrat, von Bundesregierung und Länderregierungen ist eine Notwendigkeit in dieser Ordnung. Man kann nicht sagen, daß dieses Zusammenspiel im vergangenen Jahrzehnt immer problemlos funktioniert habe, aber man darf sagen, daß die kräftig gewahrte Eigenart der deutschen Länder, ihrer Landschaften und Stämme dem Bund keinen Abbruch getan hat und daß die unterschiedlichen parlamentarischen Mehrheiten in den Ländern nicht verhindert haben, daß alle großen politischen Entscheidungen des Bundestages und der Bundesregierung mit der Zustimmung des Bundesrates vollzogen wurden. An solchen großen politischen Entscheidungen hat es in diesen zehn Jahren bei uns wahrlich nicht gefehlt. Sie waren nahezu alle bitter umkämpft. Und sie verbinden sich fast alle mit dem Namen des Bundeskanzlers, der nach dem Willen des Grundgesetzes die Richtlinien der Politik bestimmt und der auch allein die parlamentarische Verantwortung für die von ihm geführte Regierung trägt. Ich verzichte hier auf jeden Versuch der Harmonisierung der in diesen zehn Jahren im deutschen Volk wirksamen und hier in diesem Hause ausgetragenen politischen Gegensätze. Diese Gegensätze haben sich nicht erst an den Entscheidungen dieses Jahrzehnts entzündet. Sie sind, zum Teil mindestens, viel älter und kennzeichnen das politische Leben Deutschlands, ja Europas, seit langem. An Streit um Doktrinen hat es uns in Deutschland bekanntlich noch nie gemangelt, und auch die letzten zehn Jahre waren davon niemals frei. Aber irre ich mich, meine Damen und Herren, wenn ich sage, dal unser politisches Leben in diesem Jahrzehnt doch weit mehr vom Ringen um die besten Methoden als durch den Streit um die Doktrinen bestimmt war? Wurde bei uns z. B. nicht unvergleichlich viel energischer gerungen um die zweckmäßigsten Methoden zur Erlangung einer ausreichenden Sicherheit als um die Geltung dieser oder jener Doktrin? Gewiß gingen in diesem Hause auch die Vorstellungen über die richtige Plazierung Deutschlands in der Welt, über seine Bündnisse oder seine Bündnislosigkeit weit auseinander. Aber es bestand zum Beispiel bei allen hier vertretenen Parteien völlige Übereinstimmung darüber, daß wir uns hinsichtlich unserer politischen Methoden und Zielsetzungen strikt an die Übereinkünfte halten, die im Statut der Vereinten Nationen niedergelegt sind, und daß wir unser eigenes Recht und unsere eigene Staatspraxis nur Präsident D. Dr. Gerstenmaier in der Übereinstimmung mit der Konvention zum Schutze der Menschenrechte weiterbilden. Daraus folgt u. a., daß wir nicht nur für die Bundesrepublik, sondern für ganz Deutschland auf Freiheit und Recht bestehen. Und es folgt daraus ebenso, daß wir jedem Gedanken an Gewalt im Kampf um die Wiedervereinigung Deutschlands und um die Bereinigung seiner künftigen Grenzen definitiv entschieden absagen. Neben der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands haben die Bemühungen um die Einigung Europas hier und in der Politik des letzten Jahrzehnts überhaupt einen breiten Raum eingenommen. In dieser Europapolitik bestehen bis zur Stunde vielleicht kaum weniger Meinungsverschiedenheiten in diesem Haus als in der Deutschlandpolitik. Aber der Glaube ist uns gemeinsam, daß die alten Rang- und Wertvorstellungen der nationalstaatlichen Souveränitätspolitik samt ihren Methoden und Zielen hinfällig geworden sind. Und wir sind alle davon durchdrungen, daß das alte Europa ein neues, ein glücklicheres Gesicht bekommen muß. Die, wie mir scheint, bedeutendste politische Leistung der vergangenen zehn .Jahre beruht vielleicht noch nicht einmal darin, daß wir am 5. Mai 1955 unsere politische Handlungsfreiheit wiedergewonnen haben. Ich glaube, das wichtigste politische Ereignis liegt darin, daß wir mit -unseren ehemaligen Gegnern im Westen heute in Freundschaft leben und daß wir nicht nur ihren verläßlichen Schutz, sondern auch ihre politische Unterstützung genießen in unserem Ringen, mit der schwersten politischen Hinterlassenschaft des zweiten Weltkriegs fertigzuwerden. Denn was im Westen gelang - von der Entwicklung neuer übernationaler Gemeinschaftsformen bis zur Heimkehr der Saar -, dafür fehlt im Osten einstweilen leider lede Voraussetzung. Die an den Besuch des Bundeskanzlers in Moskau geknüpften Erwartungen - die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Rußland und die Heimkehr der Kriegsgefangenen - wurden zwar pünktlich erfüllt, aber die weitergehender Hoffnungen auf Herbeiführung einer allgemeinen. Entspannung als Voraussetzung der Wiedervereinigung Deutschlands wurden schwer enttäuscht. Die bescheidenen Ansätze der ersten Genfer Konferenz von 1955 wurden in Ost-Berlin alsbald wieder zunichte ..gemacht, und alles, was danach geschah, konnte nur als der Versuch Moskaus verstanden werden. die Teilung Deutschlands zu verewigen und die Freiheit West-Berlins zu gefährden. Auf das Ganze gesehen, kann das deutsche Volk heute nur mit großer Dankbarkeit der Bemühungen seiner Verbündeten um seine Sicherheit und Einheit gedenken. Ohne diese Hilfe wäre die ohnehin in Tat und Wahrheit doch verzweifelt schwere Aufgabe der deutschen Außenpolitik noch weit schwerer. Denn diese Aufgabe verlangt von uns gleichzeitig die energische Bemühung um die Wiedervereinigung Deutschlands und die Teilnahme an der Einigung Europas. Sie verlangt unseren vollen militärischen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes und die tätige Bereitschaft zu Entspannung und Abrüstung. Sie verlangt den Schutz unserer eigenen Wirtschaft, Landwirtschaft und ihrer Produktion und zugleich die Mitwirkung an einer neuen Ordnung der europäischen Wirtschaft. Sie verlangt den energischen Einsatz für das Heimatrecht von zehn Millionen vertriebener Deutschen und gleichzeitig eine überzeugende Politik der Versöhnung mit unseren Nachbarvölkern im Osten. Sie verlangt die Bereitschaft, auch mit dem kommunistischen Rußland zu einem guten, nachbarlichen Verhältnis zu kommen, und sie fordert gleichzeitig die entschiedene Selbstbehauptung unserer eigenen Ordnung und Entscheidungsfreiheit. Jeder vernünftige Mensch muß verstehen, daß über die Mittel und Wege zur Lösung dieser uns von der Geschichte, eben vor allem von unserer eigenen, schuldhaften Geschichte gestellten Aufgaben die Meinungen auseinandergehen können. Manchem ging es in dieser Auseinandersetzung zu hart her. Zweifellos läßt unser politischer Stil im Parlament, in der Presse, in der Massenversammlung noch allerhand zu wünschen übrig. Aber man muß sich klar sein darüber, daß wir die fragwürdigen Erscheinungen unseres öffentlichen Lebens nicht deshalb hinnehmen, weil uns das Bewußtsein für ihren Wert oder Unwert im Stiche ließe. Nein, wir nehmen sie hin, weil es uns mit der Sache der Freiheit ernst ist. Sie muß großherzig, aber sie muß allerdings auch im Bewußtsein fester, vom Recht gesetzter Grenzen geführt werden. Denn unsere Bahn der Freiheit ist etwas anderes als der Dschungel, in dem der Stärkere, der Bedenkenlose, der Brutale das Faustrecht übt. Der freiheitliche Rechtsstaat, meine Damen und Herren, davon sind wir doch alle miteinander überzeugt, ist das edelste Gut, dessen wir nach den Jahren der Verführung und des Terrors wieder teilhaftig geworden sind in diesem Land. Es gibt nichts, was wichtiger für uns wäre, als seine Bewahrung. Man kann vielleicht darüber klagen, daß die Parlamente in dem vergangenen Jahrzehnt eher zu viele als zu wenige Gesetze gemacht haben. Man mag mit Recht darüber besorgt sein, daß sich auf viele Weisen die Grenzen des Staates zuungunsten der Ermessensfreiheit des Bürgers ausdehnen, und man kann die nachdenkliche Frage eines unserer höchsten Richter aufnehmen, ob denn nicht zuviel prozessiert und zuviel bestraft wird in deutschen Landen. Das alles ist nicht unbegründet. Aber was besagt es gegenüber dem Gefühl der Rechtssicherheit, - der Rechtssicherheit, die wir in Deutschland so lange und so bitter entbehrt haben! In diesen zehn Jahren ist der Respekt vor der Verfassung, man sage, was man will, wieder großgeschrieben worden in Bund und Ländern. Das Bundesverfassungsgericht und mit ihm unsere anderen obersten Gerichte erfreuen sich hohen Ansehens, und dies, obwohl die Unzulänglichkeit vieler gesetzlicher Vorschriften und die -Notwendigkeit einer Reform z. B. unseres Strafrechts auf der Hand liegen. Die Unabhängigkeit der Gerichte steht auf dieser Seite Deutschlands so außer jedem Zweifel, daß die Neigung, auch Streitfragen von entschieden politischer Substanz einer gerichtlichen Entscheidung zu4374 Präsident D. Dr. Gerstenmaier zuführen, in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Daß die Gerichte damit nicht selten überfordert werden, ist deutlich und muß im übrigen auch im Interesse der Parlamente vermieden werden. Denn ihnen und den von ihnen kontrollierten Regierungen sind die politischen Entscheidungen aufgetragen. Sie können sie nicht abwälzen, weder auf ein Gericht noch auf ein Plebiszit. So will es unsere Verfassung. Sie unterwirft zwar die Macht dem Recht, die politische Entscheidung aber - außer in den Wahlen - den dafür verfassungsmäßig zuständigen Institutionen, Regierung und Parlament. Das Parlament, meine Damen und Herren, ist insbesondere auch das legitime Operationsfeld der Opposition. Wenn sich in diesen zehn Jahren ein demokratisches Staatsbewußtsein in Deutschland entwickelt hat, so ist das der parlamentarischen Opposition mit zu verdanken. Auch in der scharfen politischen Auseinandersetzung bewährte sie ihre rechtsstaatliche Haltung und ihre freiheitliche Gesinnung. Den von der Herrschaft des totalitären Staates her aber noch sehr mißtrauischen Deutschen hat insbesondere die parlamentarische Opposition vor Augen geführt, daß im Rechtsstaat auch Minderheiten, die wissen, was sie wollen, nicht zur Wirkungslosigkeit verurteilt sind, sondern ihre Chancen haben. Es gibt einige Anzeichen dafür, daß die starken inneren Vorbehalte, die es in Deutschland zweifellos gegen die politischen Parteien insgesamt gegeben hat, sich bei uns in einem langsamen Abbau befinden. Ich hoffe mit dieser Aussage nicht zu optimistisch zu sein. Aber wenn das zutrifft, dann wäre es ein Zeichen der Entwicklung und des Reifens unseres Staatsbewußtseins. Denn ein freiheitlicher Staat der parlamentarischen Demokratie kann auf den freien Dienst seiner Bürger eben nicht verzichten. Und die Parteien sind auch in diesen zehn Jahren nicht nur notwendige Elemente der politischen Organisation unseres Staates gewesen, sie waren auch nicht nur die Instrumente des Machtkampfes, sondern sie waren eben auch die Schule der Bewährung für viele im praktischen Dienst für das Vaterland. Dafür schulden wir ihnen Dank. Meine Damen und Herren! Diese knappe Vergegenwärtigung einiger Grundfragen unserer neuen deutschen Staatlichkeit und ihrer Entwicklung innerhalb eines Jahrzehntes kann nicht mehr sein als ein Ausschnitt, gesehen mit einigem guten Willen von diesem Hause und von diesem Platze aus. Als Sprecher der obersten Vertretung des deutschen Volkes danke ich damit in dieser Stunde allen Gutwilligen in allen Schichten, Berufen und Landschaften Deutschlands, die nach dem Maße ihrer Kraft das Ihre für den Wiederaufstieg des Vaterlandes getan haben. Ich danke dem Bundeskanzler und den von ihm geführten Regierungen. Diese zehn Jahre werden im Bewußtsein der Deutschen mit keinem anderen Namen so verbunden bleiben wie mit dem Konrad Adenauers. Was ich zu seiner Erscheinung in der deutschen Geschichte vor diesem Hause sagen darf, das habe ich aus Anlaß seines 80. Geburtstages vor dem Deutschen Bundestag gesagt. Ich brauche es heute und hier nicht e zu wiederholen. Ich danke den frei gewählten gesetzgebenden Körperschaften Deutschlands, den Parlamenten in Bund, Ländern und Gemeinden, und ihren Regierungen. Ich danke den Dienern des Staates in allen Behörden, in der Armee und in der Polizei. Wir verneigen uns in dieser Stunde vor teuren Toten, vor Weggefährten, die wir in diesem Jahrzehnt verloren haben. Wir grüßen in Dankbarkeit und Treue alle, die in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands nicht aufgehört haben, auf die Einheit und Freiheit des ganzen Vaterlandes zu hoffen. Und schließlich grüßen wir die Deutschen im Ausland. Viele von ihnen blieben auch als loyale Bürger fremder Staaten in den dunklen Jahren ihrer alten Heimat von Herzen zugetan. Besonderes Gewicht, meine Damen und Herren, gewinnt diese Stunde aber durch den Wechsel im Amte des Staatsoberhauptes. Es ist die Stunde des Dankes an Theodor Heuss und des Willkommens für den künftigen Bundespräsidenten Heinrich Lübke! Zu dem, was uns an Glück in den vergangenen zehn Jahren zuteil wurde, rechnen wir auch dies, daß wir ein volles Jahrzehnt hindurch Theodor Heuss als Bundespräsidenten an der Spitze Deutschlands gehabt haben. Herr Bundespräsident! „In der Ordnung des gesetzten und uns bindenden Rechtes" - um mit Ihren eigenen Worten zu sprechen - verlassen Sie das höchste Amt, das Deutschland zu vergeben hat. Sie tun es, nachdem Sie ein Leben lang dem deutsche Volk ehrenvoll gedient und ein Jahrzehnt hindurch Deutschland als Staatsoberhaupt untadelig vor der Welt vertreten haben. Das Besondere dieser Stunde tritt, wie ich meine, auch darin zutage, meine Damen und Herren, daß zum ersten Male seit dem Ende des Kaiserreiches ein deutsches Staatsoberhaupt die ihm verfassungsmäßig gesetzte maximale Amtszeit vollendet. Der um die Rettung des Reiches aus schweren Gefahren hochverdiente erste Reichspräsident Friedrich Ebert starb unter der Bürde seines Amtes und vielleicht auch deshalb, weil sein Volk ihn nicht gebührend zu schützen wußte vor den Angriffen unehrerbietiger Gegner. Der in Ehren ergraute und verdiente Heerführer Paul von Hindenburg wurde als zweiter Reichspräsident das Opfer grauenhaften Mißbrauchs. Eine gnädige Fügung hat ihm den Blick auf die Folgen erspart. Aber als er starb, war das Amt eine machtlose, entwürdigte Fassade. Und der danach kam, dessen Namen ich hier nicht ausspreche, der danach kam, hat Deutschland in Nacht und Schande gestoßen. Herr Bundespräsident, das deutsche Volk schuldet Ihnen bleibenden Dank dafür, daß Sie vor diesem düsteren Hintergrund unserer Geschichte sein höchstes Staatsamt makellos wiederhergestellt und der Lauterkeit des deutschen Namens in der Welt redlich gedient haben. Es gibt vielleicht Menschen, die es für einen besonders geschickten Griff der Deutschen halten, daß sie in diesen Jahren einen gar nicht machtgierigen Professor an die Spitze ihres Staates stellten und aus der Not ihrer MachtPräsident D. Dr. Gerstenmaier losigkeit dergestalt eine Tugend machten. Nun, das ist schief gedacht. Denn Sie, Herr Bundespräsident, haben jenseits von Machtgier und billiger Demut Ihr Amt wahrgenommen mit den Rechten und Pflichten, die ihm verfassungsmäßig zukommen. Sie haben diesem Amt gerade damit Rang und Ansehen gegeben, daß Sie es würdig, gerecht und gelassen über den Kampf um die Macht gestellt und daß Sie seine Grenzen vorbildlich innegehalten haben. So haben Sie die Voraussetzungen geschaffen für das ehrerbietige, niemals getrübte Verhältnis von Parlament und Staatsoberhaupt, und so haben Sie dieses auf Achtung und Selbstachtung gegründete Zusammenwirken von Bundespräsident und Bundeskanzler ermöglicht, ohne das unser Staat nicht gedeihen kann. Dieses und vieles mehr darf zum Ruhm der Einsicht gesagt werden, die Sie - ich rede wieder mit Ihren eigenen Worten - „von dem Range staatlicher Institutionen" besitzen. Aber Ihr Eigentliches und für ein deutsches Staatsoberhaupt Besonderes liegt unzweifelhaft in dem von Ihnen geübten Miteinander von geistigem Schaffen und staatspolitischem Wirken. Es ist nicht dies allein, daß Sie auch in diesem Jahrzehnt Ihrem Beruf und Ihrer Berufung als Schriftsteller, als Historiker, als Gelehrter treu blieben. Nein, Sie sind darüber hinaus mit dieser Ihrer Existenz und Erscheinung zum Prototyp und Symbol einer deutschen Möglichkeit geworden, die ganze Epochen hindurch - mindestens für das leitende deutsche Staatsamt - in Frage gestellt war. Zu den Vorbehalten gegen Deutschland und seine Staatlichkeit gehört seit- langem - seit langem! - der Vorwurf, daß in Deutschland die Macht dumpf und geistlos und die Politik ohne Kultur sei. Ich will hier nicht daran erinnern, welche Schmähgesänge nach dieser Melodie jahrzehntelang gesungen wurden, bevor sie der Nationalsozialismus in wildem Exzeß bestätigt hat. Nicht wenige Deutsche glauben auch heute noch resigniert, daß in der Politik eben Geist und Gewissenskultur den Bedürfnissen der Macht im Staate oder in den Parteien untergeordnet, ja im Zweifelsfall geopfert werden müßten. Sie, Herr Bundespräsident; Sie haben gegen diese Melancholie ein Beispiel gesetzt. Sie haben uns die Einheit von schöpferischer geistiger und staatsmännischer Existenz wieder vorgelebt. Sie müssen gespürt haben, mit wieviel respektvoller Dankbarkeit dies viele nach den Wirren unse- rer Vergangenheit und angesichts der Zumutungen des politischen Alltags aufgenommen und sich daran aufgerichtet haben. Aber daß Sie uns Ihr Tagewerk und Amt so ohne Krampf, so unpathetisch und gelassen dargelebt haben, das ist einer der Gründe, weshalb Sie von vielen geliebt wurden. Ich weiß, daß vieles von dem, was Sie getan oder gesagt haben, weit leichter und einfacher aussieht, als es in Wirklichkeit ist. Nur der ein Leben lang geübte eherne Fleiß führt zu der Leichtigkeit und Klarheit, mit der Sie historische, politische und problemgeschichtliche Zusammenhänge im ganzen und im einzelnen uns so oft zum Bewußtsein gebracht haben. Auch von Ihrem Amte aus haben Sie so einen bedeutenden Beitrag zum geistigen Gehalt unseres Staates und der Politik überhaupt geliefert. Sie haben damit eine große deutsche Tradition von dem Schutt I der Barbarei befreit. In einer Zeit, in der die genormte Durchschnittsleistung Trumpf ist, haben Sie dem Respekt des Staates vor der großen geistigen und künstlerischen Leistung einen noblen Ausdruck verliehen, z. B. mit der Wiedererrichtung der Friedensklasse des Pour le mérite. Wer etwas davon weiß, meine Damen und Herren, wie das geschichtliche Bewußtsein den Menschen über den flüchtigen Augenblick erhebt und ihm Tiefe und Einheit gibt, der wird Ihnen, Herr Bundespräsident, bleibenden Dank dafür wissen, daß Sie mit der sorgsamen Pflege dieser vornehmen Tradition das Gedächtnis Preußens und die Bundesrepublik Deutschland zugleich geehrt haben. Hier wird in einer Einzelheit Ihrer Amtsführung der Grundzug sichtbar: die Unterwerfung der Macht unter den Anspruch des Geistes, die Durchdringung der staatlichen Institution mit befreiender, gewissenhafter Menschlichkeit. Nichts hat uns in diesem Amte nach dem, was hinter uns liegt, mehr notgetan. Dafür danken wir Ihnen! Dieser Abschied ist, wie Sie gesagt haben, zwar ein Abschied vom Amt, aber er ist gewiß kein Abschied für uns von Theodor Heuss. Im Gegenteil. Wir freuen uns auf jede neue Begegnung mit Ihnen. Gottes Güte beschere Ihnen einen langen, heiteren Lebensabend! Unsere Wünsche dafür sind so herzlich, wie sie nur sein können. In dieser Stunde aber, in der der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland aus seinem Amte scheidet, erheben sich die Mitglieder ihrer gesetzgebenden Körperschaften, um einhellig im Namen des deutschen Volkes zu bekunden: Theodor Heuss hat sich um das Vaterland verdient gemacht! Diesem Dank des Staates fügt sich an der Willkommensgruß an den Mann, der nunmehr seinen Eid als neues rechtmäßig gewähltes Oberhaupt der Bundesrepublik Deutschland ablegen und damit an die Spitze des deutschen Volkes treten wird. Der seitherige Bundesminister Heinrich Lübke hat als Mitglied des Preußischen Landtages vor 28 Jahren zum ersten Male ein politisches Mandat übernommen. Er gehört zu der Schar der nach 1933 Erniedrigten und Beleidigten und gehört zu den Männern, die alsbald nach dem Krieg schwere Staatsaufgaben von neuem übernahmen und mit beispielhafter Gewissenhaftigkeit und glücklicher Hand lösten. Er war als Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten allezeit ein redlicher Mittler zwischen dem deutschen Bauern und der deutschen Hausfrau. Als Vater des „Grünen Planes" ist er zu einem Wohltäter der deutschen Landwirtschaft geworden. Aber er hat damit zugleich einen staatsmännischen Weitblick bewiesen, der die Anerkennung aller verdient, die eine Ahnung davon haben, daß es für ein Volk ein Glück ist, wenn es nicht in industrieller Monokultur zu existieren braucht und wenn seine naturhaften Grundlagen sorgsam geschützt und gepflegt werden. Nun tritt der seitherige verdienstvolle Abgeordnete und Bundesminister in ein höheres Amt. Möge er in der ihm eigenen ruhigen Würde, mit dem Präsident D. Dr. Gerstenmaier seinem Wesen Eigentlichen in der Gnade Gottes sein Amt führen! Herr Dr. Heinrich Lübke, die Bundesversammlung hat Sie nach den Vorschriften des Grundgesetzes am 1. Juli 1959 in Berlin zum Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Sie haben vor der Bundesversammlung die Annahme der Wahl erklärt. Ich bitte Sie und den Herrn Präsidenten des Bundesrates, zur Eidesleistung neben mich zu treten. Das Haus wird gebeten, sich zu erheben. Herr Dr. Heinrich Lübke, ich übergebe Ihnen die Urschrift des Grundgesetzes zur Eidesleistung gemäß Artikel 56.

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Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich stelle fest, daß Herr Dr. Heinrich Lübke den nach Artikel 56 des Grundgesetzes vorgeschriebenen Amtseid geleistet hat. Herr Bundespräsident, Gottes Segen und unser aller guter Wille geleite Sie in Ihrem Amt!

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Ich danke Ihnen!

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Bundespräsident.

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Sehr verehrter Herr Professor Heuss! Meine Herren Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates! Exzellenzen! Sehr geehrte Mitglieder des Bundestages und Bundesrates! Liebe Mitbürger! Zunächst möchte ich dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Dr. Gerstenmaier, der mir in seiner Ansprache ein freundliches Willkommen geboten hat, meinen herzlichen Dank sagen. Seine Worte sind mir heute eine Freude und für die Zukunft eine Ermutigung. In dieser Stunde übernehme ich das mir übertragene Amt aus den Händen eines Vorgängers, dessen Scheiden allgemein tief bedauert wird. Nur der Respekt vor der Verfassung war es, der den Wechsel im Amte des Bundespräsidenten bedingte. Nach dem Grundgesetz ist die Stellung des Bundespräsidenten die einer neutralen Macht. Sie ist herausgehoben aus dem Bereich der Regierungsgeschäfte und an die Wahrung einer umgrenzten Anzahl von Funktionen gebunden. Die Ereignisse der vergangenen zehn Jahre haben gelehrt, daß die Pflichten des Bundespräsidenten sich nicht ohne weiteres im einzelnen festlegen lassen. Mein Herr Vorgänger hat allen aus der staatlichen Entwicklung anfallenden politischen Erfordernissen mit behutsamer und glücklicher Hand Rechnung getragen und damit bewiesen, daß menschliches Wirken auch im politischen Bereich bedeutsamer ist, als es Institutionen sind. Im Parlamentarischen Rat sind die Grenzen, die das Grundgesetz für das Amt des Bundespräsidenten festgelegt hat, sehr eingehend diskutiert worden. Es herrschte volle Übereinstimmung, daß die Machtbefugnisse des Bundespräsidenten gegenüber der Zeit der Weimarer Republik beschränkt werden müßten. Die Erklärung dafür ist leicht zu finden, wenn wir uns vor Augen halten, daß unser Grundgesetz in seinem materiellen Inhalt die Folgerung aus den sehr schmerzhaften Lehren zieht, die uns der jüngste Abschnitt unserer Geschichte erteilt hat. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates wollten die Wiederholung von zwei Übeln vermeiden: die völlige Aufsplitterung der politischen Kräfte, die in der Weimarer Republik zur Erschöpfung der Staatsautorität führte, und die Zusammenballung von großen Machtbefugnissen in einer Hand. Weder totale Staatsmacht noch totale Auflösung der Staatsautorität ist die Erwartung, die an das Grundgesetz der Bundesrepublik in seiner praktischen Wirksamkeit geknüpft wird. Dabei sollte man aber nie vergessen, daß alle darauf gesetzten Hoffnungen enttäuscht werden können, wenn die Masse der Bürger kein inneres Verhältnis zu ihrem Staate findet. Eine demokratische Verfassung, eine Verfassung eines sozialen Rechtsstaates, muß deshalb allen, die ein Stück Staatsautorität verkörpern, also ein öffentliches Amt innehaben, gleich einem unvergänglichen Siegel das Bewußtsein einprägen, daß sie eine dem Gemeinwohl dienende Funktion ausüben. Ich möchte damit sagen: Ein Amt ist recht geführt, wenn diese Verpflichtung des Dienens dem einzelnen Staatsbürger, der Rat und Hilfe bei der Behörde sucht, klar erkennbar wird. Sein positiver Eindruck wird sich dann auf den Staat und die Staatsform übertragen. Dieser Weg zur Schaffung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Bürger und Staat wird um so erfolgreicher beschritten werden, je mehr gute Vorbilder vorhanden sind, denen der jugendliche Nachwuchs nacheifern kann. Zehn Jahre haben wir im Amte des Bundespräsidenten ein Beispiel für ständig wachsende Autorität vor uns gehabt. Heute, am Tage des Ausscheidens unseres verehrten ersten Bundespräsidenten aus seinem Amte, möchte auch ich ihm herzlich danken, daß er mir durch seine vorbildliche Amtsführung, durch die von ihm geschaffene Tradition und durch die ritterliche Art seines Beistandes in den Tagen der Überleitung die Bewältigung der vor mir liegenden Aufgaben wesentlich erleichtert hat. Uns allen, besonders aber der Jugend, der selbstlose politische Arbeit vorgelebt werden muß, war er im uneigennützigen Dienst an der Gesamtheit ein leuchtendes Beispiel. Gestatten Sie mir jetzt einige persönliche Bemerkungen. Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode Bundespräsident Dr. h. c. Lübke Über mein bisheriges Leben und Wirken ist in den letzten Wochen viel geschrieben worden - sehr vieles, was mir selbst bis dahin völlig unbekannt war. ({0}) Aber es ist heute nicht der Tag, an dem man sich mit Ungereimtheiten oder mit Schlimmerem auseinandersetzen könnte. Aufgewachsen bin ich in, einer ländlichen Welt mit ihrem einfachen, vielfach schweren Leben, aber auch ihren Schönheiten. Dieser Welt, mit der mich tiefe Liebe verbindet, habe ich einen großen Teil meiner bisherigen Lebensarbeit gewidmet. Kindheit und Jugend verbrachte ich in dem mir bis heute nahegebliebenen Dorf Enkhausen im westfälischen Sauerland in einem Elternhaus, in dem man auf tätiger Arbeit ein sparsames und unabhängiges Leben aufbaute. Die wirtschaftliche Basis eines gutgehenden handwerklichen Betriebes mit Landwirtschaft war gesund und bot mir sorglose Kinderjahre, auch nach dem frühen Tode meines Vaters. Neben meiner guten Mutter, die überall half, wo Not war, hatte mein ältester Bruder den größten Einfluß auf meine Entwicklung. In seiner für dörfliche Verhältnisse beachtlichen Bibliothek fand ich Anregung aus vielen Wissensgebieten. Er sorgte dafür, daß die Ausbildung in geordneter Weise erfolgte. Auch an den Abenden im Familienkreise wurde in Lesestunden mit nachfolgenden Diskussionen oder mit musikalischen Übungen sozusagen „spielend" weitergelernt. So begann ich mit 18 Jahren nach dem Besuch der Gymnasien Werl und Brilon nach bestandenem Abitur meine eigentliche Berufsausbildung, die dann schon nach kurzem Anlauf durch den ersten Weltkrieg unterbrochen wurde. Am 1. August 1914 meldete ich mich als Kriegsfreiwilliger in Köln in der irrigen Annahme, ich würde sonst zu spät an die Front kommen. Erst nach Abschluß des Krieges konnte ich meine Studien fortsetzen, Examina machen und dann meine praktische Arbeit aufnehmen. Seit 1926 war ich Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Bauernschaft, von 1931 bis 1933 Mitglied des Preußischen Landtages. Am 1. April 1933 wurden alle landwirtschaftlichen Organisationen, natürlich auch unsere, aufgelöst, und ich wurde am gleichen Tage verhaftet und wieder freigelassen. Nach etwa 10 Monaten erfolgte die zweite Verhaftung, die mir mehr als 20 Monate Zeit gab, darüber nachzudenken, was Freiheit und Menschenwürde bedeuten. Im August 1944 sollte ich erneut verhaftet werden, aber man hat mich dann glücklicherweise vergeblich gesucht. Nach meiner Entlassung aus der Haft im Herbst 1935 war ich bis nach dem zweiten Weltkrieg im Bauwesen tätig. Im Januar 1947 übernahm ich als Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Nordrhein-Westfalen die Aufgabe, die durch Krieg und Kriegsfolgen schwer zurückgeworfene landwirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu steigern und die Ernährung der Bevölkerung des dicht besiedelten Landes zu sichern. 1953 wurde ich nach kurzer Tätigkeit beim Raiffeisenverband Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Besonderen Einfluß auf meine Entwicklung hatten mein Elternhaus, der erste Weltkrieg - so merkwürdig das auch klingen mag - und meine Tätigkeit als Minister. Im Elternhaus wirkten das Vorbild derer, die für mich sorgten, die Geborgenheit in der Familie und die Verwurzelung in der Heimat. Im Kriege und als Minister für Ernährung und Landwirtschaft lernte ich Verantwortung für Leben und Gesundheit anderer zu tragen und erkannte Sinn und Bedeutung der Verpflichtung des einzelnen für die Gesamtheit. - So viel über meine Entwicklung. Meine Damen und Herren, in dieser Stunde drängt es mich, über die Lebensfrage unseres Volkes, die deutsche Wiedervereinigung, zu sprechen. In dieser Sorge sind wir alle verbunden, ungeachtet der Parteizugehörigkeit, der Konfession und des Berufes, aber auch in der Auffassung, daß wir Deutschen nur e i n Deutschland kennen. Einem Teil unseres Vaterlandes, der in erzwungener Unfreiheit lebt, wird aber zur Zeit noch das unveräußerliche. Recht auf Selbstbestimmung und Heimat vorenthalten. Auf die Dauer wird es aber weder durch widersinnige Grenzen noch durch gewaltsame Unterbrechung der persönlichen Verbindung ausgeschlossen werden können. Denn es wäre ein unlösbarer Widerspruch, wenn diejenigen, die heute den asiatischen und afrikanischen Völkern ihr Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung zubilligen, uns Deutschen dieses natürliche Recht versagten. Deshalb trägt jeder von uns - solange die Zerrissenheit unseres Landes anhält - eine persönliche Verantwortung für die deutsche Einheit. In der tapferen Bevölkerung jenseits des Eisernen Vorhanges muß die Hoffnung lebendig bleiben, daß der Tag des Zusammenschlusses kommen wird. Nach allem, was unsere Landsleute in Mittel- und Ostdeutschland an Leid, Unterdrückung und Enttäuschung in den vergangenen Jahren erlebt haben, sollte jede unserer Erklärungen durch Taten erhärtet werden, Taten, die aus dem Gefühl der natürlichen Zusammengehörigkeit und gegenseitiger Hilfsbereitschaft geboren sein müssen. Allen Brüdern und Schwestern in Mittel- und Ostdeutschland möchte ich heute unseren Gruß entbieten und ihnen versichern, daß wir, die in Freiheit leben, uns in besonderem Maße verpflichtet fühlen, ein geeintes Deutschland zu schaffen. Die Welt soll erkennen, mit welcher Lebendigkeit und Strahlungskraft heute und in Zukunft die Gedanken um die Einheit und das Heimatrecht in unserem Volke wirksam sind. In dieser entscheidenden Frage wird unsere Standhaftigkeit und unsere Geduld nie erlahmen. Bei solcher Gemeinsamkeit des Willens zur Einheit kann auch Berlin seinen unveräußerlichen Rang als politischer Mittelpunkt Deutschlands erfolgreicher behaupten. Das Gefühl für die Bedeutung unserer deutschen Hauptstadt lebt in unserem Volke stärker ,denn je. Die dunklen Wolken, die vor wenigen Monaten über ihr auftauchten, haben die Ge4378 Bundespräsident Dr. h. c. Lübke danken und Energien 'aller Deutschen auf sie gerichtet. Deshalb war gerade in der Zeit der politischen Bedrängnis Berlins der Zusammenhalt mit der Bundesrepublik ganz besonders eng und herzlich. Daß das wirtschaftliche Leben unserer Hauptstadt damals in der westdeutschen Wirtschaft einen besonders starken Rückhalt fand, hat die Berliner Bevölkerung dankbar anerkannt. Man sieht daraus: Je schwerer die Bedrückung, desto stärker der Wille zur Freiheit und Einheit. Am heutigen Tage treffen sich der Präsident der Vereinigten Staaten, Eisenhower, dessen freundschaftlicher Besuch in Bonn in unserer Erinnerung lebendig bleiben wird, und der Ministerpräsident der Sowjetunion, Chruschtschow. Den Besprechungen, in denen auch Deutschland und Berlin eine große Rolle spielen werden, wünschen wir im Interesse des Weltfriedens und der Freiheit aller Völker 'den besten Erfolg. Auch bei bescheidensten Erwartungen muß man sagen, daß durch persönliche Aussprachen verantwortlicher Männer eine politische Entspannung wenigstens erhofft werden kann. Für die Verwirklichung der deutschen Wiedervereinigung sind wir auf ,die Unterstützung der freien Welt angewiesen. Wir können aber in unseren eigenen Anliegen nur dann auf Hilfe von außen rechnen, wenn auch wir der ungeheuren Not außerhalb unserer Grenzen, besonders in den Entwicklungsländern, aus menschlicher und christlicher Verpflichtung nach besten Kräften zu steuern suchen. Wir müssen deshalb unseren Idealismus sowie unseren Wiedergutmachungs- und Hilfswillen den übrigen Völkern durch eindrucksvolle Leistungen glaubhaft machen. Die Bekämpfung des Hungers in der Welt ist dabei aus politischen und menschlichen Gründen das vordringlichste Problem. Sie alle wissen, daß die Entwicklungsländer geradezu eine Bevölkerungsexplosion erleben und daß sich in diesem Punkt für die Entwicklung in der Welt nicht nur wir Deutsche, sondern auch viele andere interessieren. Es war mir sehr interessant, daß gerade auch der Präsident Eisenhower von uns Deutschen sehr nachdrücklich gefordert hat, bei der Lösung dieses Problems zu helfen. Dais unvermeidliche Heranwachsen von Milliarden hungernder Menschen, die leicht eine Beute kommunistischer Ideen werden können, ist die Schicksalsfrage unserer Zeit. Es ist klar, daß das Nebeneinander von satten Völkern, bei denen täglich Tausende von Tonnen Lebensmitteln verderben oder vernichtet werden, und hungernden, von Seuchen und grenzenloser Armut und Unwissenheit geplagten Menschenmassen auf die Dauer völlig unmöglich ist. So wie der Bruder ,gegenüber dem Bruder Verantwortung trägt, so haben auch die Völker füreinander einzustechen. Beachten wir dieses Gebot nicht, so wird das ungelöste Problem den Fortbestand unserer Zivilisation in Frage stellen. Eine Sicherung unseres Lebens ist nur möglich durch allmähliche Eingliederung der Entwicklungsländer in unsere geistige und ökonomische Welt. Dafür Opfer zu bringen ist leicht, wenn man bedenkt, welche Summen allein in der Bundesrepublik jährlich für Tabak und alkoholische Getränke ausgegeben werden - ich nenne das nur als Beispiel -, während aus weiten Teilen der Welt der Jammer der Mütter um ihre hungernden Kinder zu uns dringt. Wollen wir uns diesem Ruf verschließen? Was wird sich ereignen, wenn die hungernden Massen, organisiert durch zerstörerische Ideologien, aufstehen und die wohlhabenden Völker zum Kampf um das Brot zwingen? Es ist eine überparteiliche gesamtdeutsche und darüber hinaus eine Aufgabe aller Industrieländer, auf die Dauer auch der Sowjetunion, hier gemeinsam zu helfen. Wie Sie aus meinem Lebensbild ersehen konnten, habe ich meine bisherige Arbeit in großem Umfange der Entwicklung der Landwirtschaft und damit der Sicherung der Ernährung und der Bekämpfung des Hungers gewidmet. Ich möchte mich auch dm Weltweiten Bereich in meinem neuen Amt im Zusammenwirken mit allen Bevölkerungskreisen und allen zuständigen Stellen um die Durchführung wirksamer Förderungsmaßnahmen zur Bekämpfung des Hungers in der Welt im Wege der „Hilfe zur Selbsthilfe" bemühen. Da s bedeutet praktisch, in Zusammenarbeit mit dein Entwicklungsländern deren eigene Nahrungsquellen zur vollen Ausnutzung zu bringen, damit sie 'aus eigener Kraft ihre Nahrungssorgen verringern können. Fassen wir diese Aufgabe richtig und in uneigennützigem Sinne an, dann helfen wir anderen, aber ,auch unis selbst. Ich trete mein Amt mit idem Vorsatz an, mit allen meinen Kräften idem Wohle unseres Volkes und Vaterlandes zu dienen. Unser Volk und allen voran die Träger seines Willens bitte ich um Vertrauen und Mitarbeit.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Bundespräsident, ich danke Ihnen. Das Wort hat der Herr Präsident des Bundesrates.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Meine Herren Präsidenten, Exzellenzen, meine Damen und Herren! Nach der Eidesleistung des neuen Herrn Bundespräsidenten und seiner Antrittsrede möchte ich ihm zunächst die herzlichsten Glückwünsche des Bundesrates übermitteln. Ich möchte versichern, daß alle unsere guten Gedanken und besten Wünsche ihn in sein hohes Amt begleiten. Möge sich vor allem unsere Hoffnung erfüllen, daß mit ihm nach Theodor Heuss erneut ein Politiker in dieses hohe Amt berufen worden ist, der sich durch sein Wirken als ein Volks- und Friedenspräsident erweisen wird. Unser Staatsakt ist, wie schon der Herr Bundestagspräsident betonte, einfach und formlos. Trotzdem spürt ein jeder von uns hier in dieser Versammlung, daß es sich um einen historischen Akt handelt, wenn jetzt vor den frei gewählten Vertretern des deutschen Volkes und den Vertretern der deutschen Länder der neue Bundespräsident sein Amt übernimmt. Dieser schlichte Staatsakt entspricht unserem Staatswesen. Wir haben, staatsrechtlich gesehen, keinen Adel, keine Patrizier mehr, aber wir haben auch keine Untertanen mehr. Unsere Verfassung kennt nur einen Stand, den des Bundesratspräsident Kaisen Staatsbürgers schlechthin, jeder ausgestattet mit gleichen Rechten, aber auch gleichen Pflichten. Es ist daher kein Wunder, daß die Auswahl der Staatsmänner anders vor sich geht als früher und daß heute die Wiege so mancher unserer Politiker und Staatsmänner in einem engen und niedrigen Haus stand; viele von ihnen haben dazu eine harte, entbehrungsreiche Jugendzeit durchlebt. Diese Zeit wiederum hat für manchen von ihnen die politische Lebensarbeit bestimmt. Das gilt auch für unseren neuen Bundespräsidenten. Sie haben soeben gehört, aus welchen Verhältnissen er kommt: aus kleinbäuerlichen landwirtschaftlichen Verhältnissen auf dem Dorfe; sie haben sein Leben bestimmt. Gewiß haben auch diese Verhältnisse in ihm eine Stimme wachgerufen, die ihn hieß, sich für diejenigen einzusetzen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Er hat dabei auch bald die Reibungen und Auseinandersetzungen im politischen Leben zur Genüge kennengelernt und stand als Agrarpolitiker - was ich bezeugen kann - bald mitten drin im Meinungsstreit über die richtige Agrarpolitik; darüber kann man bekanntlich sehr lange streiten. Sie, Herr Bundespräsident, haben über 30 Jahre hindurch an führender Stelle im landwirtschaftlichen Organisationswesen und in der Regierung erfolgreich für Ihre Auffassungen - z. B. über die Hebung der Produktion auf dem landwirtschaftlichen Gebiet - gearbeitet, und Sie haben sich in schwerster Zeit dafür eingesetzt, dem hungernden deutschen Volk die Schnitte Brot zu verschaffen, die auch zum Leben gehört. Ihr soeben vorgetragener Appell an die Weltöffentlichkeit, an die hungernde Menschheit zu denken, ist mit ein Ausfluß Ihrer Erfahrung aus dieser Zeit, wo um jede Schnitte Brot gekämpft werden mußte und in der uns, was wir heute dankbar anerkennen, wohl jede zweite von den Amerikanern gegeben wurde. Wer das miterlebt hat, kann empfinden, wie sehr Sie in diesem Augenblick an die unerhörten sozialen Spannungen zwischen den Völkern der Erde, zwischen den hungernden und den satten, denken. Daher glaube ich, daß Sie in Ihr Amt einen Schatz von Erfahrungen mitbringen, die Sie in der Verbindung zwischen Amt und Volk gebrauchen können. Unser neuer Bundespräsident kann von sich aus ebenso wie sein Vorgänger sagen: „Ich habe dieses Amt wahrlich nicht gesucht!" Wenn er sich letzten Endes nicht zu einem Verzicht entschloß, so aus dem einfachen Pflichtbewußtsein, daß man sich in solcher Zeit einem politischen Auftrag eben nicht entziehen darf, auch wenn er noch so viele Schwierigkeiten mit sich bringen mag. Und das ist sicher: an Schwierigkeiten aller Art und an politischen Problemen, die noch manches Kopfzerbrechen verursachen werden, wird es auch dem neuen Bundespräsidenten nicht fehlen. Unsere Bevölkerung hat mit den Jahren durch das vorbildliche Wirken von Theodor Heuss einen bestimmten Begriff von diesem hohen Amt bekommen. Es ist in ihren Augen ein Amt, das bindende Kraft auszustrahlen vermag. Unsere Bevölkerung hat daher auch diesen Wechsel auf dem Präsidentenstuhl mit einer ungewöhnlichen Aufmerksamkeit und großer Anteilnahme verfolgt. Ich will auf die einzelnen Phasen nicht eingehen; aber ich habe mir immer gesagt: ich kann es nur begrüßen, daß dem so ist. Denn die Ordnung der Bundesrepublik beruht nicht zuletzt auf dem Ansehen der Institutionen, die die Verfassung schuf. In dieser Ordnung erlebte unser Volk im Laufe des letzten Jahrzehnts die Wendung zum Besseren, und ein jeder erlebte sie in seinem persönlichen Schicksal. Ein jeder spürt daher, daß diese Wendung nicht nur mit der Wirtschaft, sondern auch irgendwie mit dem neuerstandenen deutschen Staatswesen verbunden ist. Es ist daher verständlich, wenn sich jetzt viele Augen auf den neuen Bundespräsidenten richten mit der Frage: „Wie wird er sein Amt ausüben?" Nun, darüber wird die Zeit zu urteilen haben. Ich kann hier nur nochmals betonen, daß sich Heinrich Lübke auf den vielen Stationen seines politischen Wirkens bewährt hat. Aus diesem Grunde verdient er Vertrauen, und aus diesem Grunde gebe ich auch im Namen der Länder dem neuen Präsidenten die Versicherung, daß er in seinem Amt als Staatsoberhaupt jederzeit die loyale Unterstützung der Länder finden wird. Einige Worte noch zum Abschied an Theodor Heuss. Es sollen keine abschließenden Worte über sein Wirken sein. Dazu bin ich gar nicht in der Lage, das kann ich gar nicht überblicken, dazu steht auch noch zu viel von ihm vor uns; er steht lebendig unter uns. Ich möchte nur zum Ausdruck bringen, welch große Genugtuung überall darüber empfunden wird, daß er durch sein Beispiel gezeigt hat, welche Form und Gestaltungskraft auch in der Demokratie dem höchsten Staatsamt innewohnt, wenn dieses Amt bewußt von einem überzeugten Demokraten ausgeübt und von ihm immer wieder gezeigt wird, daß auch in der Demokratie und mit den Mitteln der Demokratie ausgezeichnet regiert werden kann, was bekanntlich früher oft bezweifelt wurde. Theodor Heuss sind in den letzten Monaten aus allen Kreisen unserer Bevölkerung eine Fülle von Beweisen der Achtung, der Verehrung und der Liebe zuteil geworden, so daß ich mich nach der Würdigung seiner Leistung durch den Herrn Bundestagspräsidenten darauf beschränken kann, im Namen des Bundesrates und der Länder nur noch ein Wort des Dankes über sein Wirken als Staatsmann hinzuzufügen. Seine größte Leistung besteht nach unserer Meinung darin, daß es ihm zum erstenmal in der deutschen Geschichte gelang, die demokratische Idee als festen Bestandteil in die höchste Stelle des demokratischen Staatswesens einzuordnen und diese Idee mit dem Staatsamt auf das engste zu verbinden. Wir wissen leider aus bitteren Erfahrungen nur zu gut, daß echtes demokratisches Staatsgefühl nicht durch eine demokratische Verfassung allein zur Entwicklung gelangen kann; dieses Staatsgefühl wird nur lebendig durch die Vermittlung von Männern und Frauen, die sich durch ihr Vorbild im Dienste der Demokratie bewähren. Zu solchen Männern zählt seit Jahren Theodor Heuss. Ihm gebührt daher ein hervorragender Platz in der Geschichte nicht nur der deutschen Demokratie, sondern auch in der Geschichte der Bundesrepublik, für Bundesratspräsident Kaisen die er zehn Jahre hindurch im höchsten Staatsamt Hervorragendes geleistet hat. Zum Schluß lassen Sie mich bitte in diesem Zusammenhang des schon von dem Herrn Bundestagspräsidenten gewürdigten ersten Reichspräsidenten der ersten deutschen Republik kurz gedenken. Ich habe mich damals für Friedrich Ebert in meinem politischen Wirkungskreis eingesetzt, weil ich mir in der damaligen turbulenten Zeit darüber klar wurde, daß gerade seine Figur, seine Person, sein Wollen, seine Schlichtheit, seine Selbstsicherheit und Klarheit nötig waren, um an dieser Spitze dem politischen Geschehen wenigstens einigermaßen eine Richtung zu geben. Ich habe auch in ihm angesichts der widerwärtigen Treibereien der Gegner der Demokratie die große Tragik des Schicksals unseres Volkes persönlich verkörpert gesehen, sich dann erst recht zu zerfleischen, wenn es eigentlich darauf ankam, endlich einmal zusammenzustehen. Wer die politischen Auseinandersetzungen in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg miterlebte und sie mit den politischen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit des zweiten Weltkrieges vergleicht, der wird zugeben müssen, daß es heute bedeutend ruhiger zugeht, weil eines fehlt, etwas, worauf schon der Herr Bundestagspräsident hingewiesen hat. Was die Gemüter damals entzweite und die Menschen in Bruderzwist und Bürgerkriege verstrickte, war der Kampf darum, ob die Prinzipien der Demokratie oder die Prinzipien der Diktatur - die nur eine Diktatur über das Proletariat oder eine Diktatur über das Volk sein kann - Geltung haben sollten. Dieser Streit ist heute in der Bundesrepublik entschieden, und zwar zugunsten der Prinzipien der Demokratie. Hitler und Stalin, die erbittertsten Gegner der Demokratie, deren Ziele zwar verschieden waren, die sie aber mit den gleichen barbarischen Methoden zu erreichen suchten, haben mit dafür den Ausschlag gegeben. Aber nicht zuletzt ist die Wendung zur Festigung der Demokratie in der heutigen Zeit auch der Entwicklung auf wirtschaftlichem Gebiet zu verdanken, in deren Verlauf sich durch Anwendung besserer Technik und Arbeitsmethoden das Produktionsergebnis gegenüber früher gewaltig erhöhte, so daß sich manche neue Möglichkeit ergab, Elend und Nachkriegsnot heute besser als früher überwinden zu können. Friedrich Eberts Amtsperiode fiel allerdings in eine Zeit, die erfüllt war von sozialen Spannungen und politischen Zerreißproben. Das Reich blieb schließlich zwar zusammen, aber das dauernde Minus in der Handelsbilanz riß immer neue Löcher auf, so daß es nicht zu einer Beruhigung kam. Heute ist Deutschland leider geteilt, aber das Merkwürdige ist, daß die Bundesrepublik mehr wirtschaftliche Energie und Kraft auf den Weltmarkt ausstrahlt, als es jemals in der deutschen Geschichte der Fall gewesen ist. Heute, 40 Jahre später, erkennen wir, welche unerhörten Lasten den Politikern von Weimar - und hier wiederum auch Friedrich Ebert - auferlegt waren. Heute wissen wir auch zur Genüge, daß die damalige Periode deutscher Zwietracht und Zerrissenheit den Nährboden abgab für sehr gefährliche totalitäre Entwicklungstendenzen, und leider wurde die deutsche Politik in dem Jahrzehnt nach Weimar von ihnen bestimmt. Vor 40 Jahren erhielt auch unser Verhältnis zu Rußland sein Gepräge. Daß es bis heute nicht gelungen ist, dieses Verhältnis auf der Grundlage gegenseitiger Achtung und Anerkennung dauerhaft zu gestalten, ist eine der wahrhaft tragischen Seiten, nicht nur unserer, sondern der gesamten europäischen Geschichte und auch der russischen Geschichte. Lenin hatte damals im stillen alles berechnet und alles, was zum Sieg gehört, in seine Rechnung einkalkuliert. Er hatte auch nicht übersehen, daß die wirtschaftliche, politische, soziale und gesellschaftliche Struktur Deutschlands und Europas anders war als die russische. Aber er hatte daraus nicht die Folgerung gezogen, daß der deutsche Zusammenbruch 1918 keine gleichen revolutionären Konsequenzen wie der Zusammenbruch in Rußland zuließ. Die Folgen dieser Verkennung, dieses grundsätzlichen Irrtums wirken sich bis heute in der russischen Politik aus, die bekanntlich die Lehren Lenins befolgt und darauf hofft, daß die Weltrevolution trotz allem noch einmal siegen wird. Ich bin der festen Überzeugung, daß diese Hoffnung vergebens sein wird, wenigstens in den großen Industrieländern. Auch wenn der Kommunismus heute nach 40jähriger Herrschaft im Materiellen manches erreicht hat und unter ihm der russische Mensch heute besser lebt als zur Zeit des Zaren, so bleibt der Bolschewismus doch auf geistigem und politischem Gebiet im Vergleich zu unserer gesellschaftlichen 'und politischen Struktur in vormärzlicher Gebundenheit stecken, einer Gebundenheit, wie sie unsere Verhältnisse vor hundert Jahren zeigten. Wenn die Sowjets den Westen in seiner Produktion einholen oder ihn übertreffen wollen - wozu wir Glück wünschen -, dann müssen sie sich letzten Endes auch unserer Produktionsmethoden und der von ihnen bedingten politischen Methoden bedienen, sonst kommen sie nicht zum Ziel. Es war aber schon das Ziel von Weimar, den Rückfall in diese überholten Zustände wenigstens für Deutschland zu verhindern. Es war das größte Verhängnis, daß die demokratischen Kräfte damals schließlich der Diktatur der Faschisten unterlagen. Die Folgen sind schwer. Es ist hier schon auf diese düsteren Perioden hingewiesen worden, an deren Ende ein zerrissenes Deutschland stand. Wir können für die Lösung des Problems heute noch keine Zustimmung von Rußland erhoffen; wir können nur von unserer Verbindung mit der freien Welt erhoffen, daß wir nicht obendrein von Rußland gleichgeschaltet werden. Unser politischer Wille und unser gemeinsames Ziel muß auf ein freies, geeintes, demokratisches Deutschland gerichtet bleiben. In diesem Sinne haben Friedrich Ebert und Theodor Heuss an höchster Stelle zu wirken gesucht. Ihr Wirken und Wollen war getragen von ihrer engen Verbindung mit der Ideenwelt der deutschen Demokratie. Die Gegenwart und damit auch die Zukunft der Demokratie in Deutschland werden nach wie vor davon bestimmt, wie die Politiker und Staatsmänner zu ihr stehen. Hier ergibt sich nicht zuletzt auch eine Aufgabe für die Parteien. Bundesratspräsident Kaisen Wesentlich ist, ob die drei Parteien, die in der Hauptsache das Grundgesetz schufen, sich trotz aller Meinungsverschiedenheiten unbedingt dann aufeinander verlassen können, wenn es darum geht, den demokratischen Boden zu erhalten und gegen jeden Angriff zu sichern. Mit den drei von mir genannten Präsidenten der Republik ist jetzt jede dieser drei Parteien zum Zuge gekommen. Die Hoffnung ist nicht ohne Zuversicht, daß auch der neue - dieses Mal von der CDU gestellte - Bundespräsident Heinrich Lübke das Werk seiner beiden, aus der FDP und der SPD kommenden Vorgänger fortsetzt und mit innerer Anteilnahme an der ihm gestellten politischen und sozialen Aufgabe arbeitet: nämlich ein freies Deutschland formen zu helfen von Bürger zu Bürger, von den Ländern zum Bund. In diesem Sinne übermittle ich Ihnen, Herr Bundespräsident, im Namen des Bundesrates und der Länder die besten Wünsche für eine erfolgreiche Tätigkeit.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich danke Ihnen. Das Wort hat Herr Professor Theodor Heuss. Prof. Dr. Heuss ({0}): Meine Herren Präsidenten, Mitglieder des Bundesrates und des Bundestages, verehrte Gäste! Verfassungsrechtlichen Interpretationsspezialisten kann meine Anwesenheit in diesem Hause, zu dieser Stunde, gar an diesem Platze, ein schwieriges Seminarproblem anbieten; ({1}) denn Rechte und Zuständigkeiten sind seit drei Tagen von mir weggesunken. Wer bin ich denn? Ein Bürger, ein Mitbürger, dem man die Freundlichkeit erwies, daß er danken dürfe für die Würdigungen, die ihm von den Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates gewidmet wurden. Ich darf in dieser Stunde einige sehr persönlich klingende Worte sagen. Kurze Zeit, nachdem ich vor zehn Jahren in mein Amt berufen worden war, erhielt ich den Brief eines alten Freundes, der mir schrieb, diese Berufung sei die „Krönung meines Lebensweges". Ich antwortete ihm: Nicht diese Töne! Solche „Krönung" habe ich auf meinem Wege nie gesucht. Ich habe keinen, keinen Augenblick vergessen, daß neben diesem Weg die Millionen von Kriegstoten lagen, Tote aus vielen Nationen, nahe Verwandte und Freunde darunter, deren Gewaltsterben ich heute noch betraure; daß der deutsche Name geschändet wurde, und das politische Elend des Vaterlandes, mit dessen Werden und Sein, liebend und hadernd, unser eigenes Werden und Sein unlöslich verbunden war und bleibt und das als Erbe und als Aufgabe vor uns, den Überlebenden, siechte, zu sterben schien. Ein Staat kann zerbrechen, kann zerbrochen werden; ein Volk will weiterleben. Aber es bedarf der Herberge und damit, wenn Sie so wollen - das ist kein neuer verfassungsrechtlicher Begriff -, einer Hausordnung. Das war der Sinn der illusionslosen Arbeit und des Mühens, dem auch die meisten von Ihnen, ob mit, ob ohne Dank, nach 1945 sich zuwandten. Gerstenmaier hat mit warmen Worten die Rolle zu würdigen unternommen, die das Schicksal mir in dieser Zeit übertrug, und Kaisen hat die Leitmotive, die er gab, in seiner Weise variiert und paraphrasiert und das Bild der menschlichen Tragik und der sachlichen Leistung von Friedrich Ebert lebendig 'gemacht. Ich darf beiden danken. Es kann mir aber nun nicht einfallen, diese Kommentare meines öffentlichen Wirkens meinerseits kommentieren zu wollen; das wäre wohl unpassend. Aber ich darf ein Motiv, das Gerstenmaier darbot, aufnehmen, da er vom Sinn und Zweck des Parteienwesens sprach. Mein Amt in diesen zehn Jahren hat mich, nach seinem inneren Sinn, nach dem Sinn dieses Amtes, wie es nun eben geschaffen worden ist, der unmittelbaren Teilnahme an dem höchst legitimen kämpferischen Parteienwesen entrückt, einem Parteienwesen, dem doch einmal redend, schreibend, beratend, beschließend seit den Studentenjahren ein ganzes Menschenleben zugewandt war mit wichtigen Kräften. Es soll niemand in Ihrem Kreise befürchten, es soll aber auch keiner hoffen, daß ich wieder der Genußsucht frönen werde, Wahlreden zu halten; ({2}) mein „Soll" - wenn man ein solches angeben darf - ist, da ich ja schon 1903 mit derlei begann, nach meinem Gefühl in befriedigendster Weise dem Schicksal gegenüber erfüllt worden. ({3}) Aber ich spreche deshalb von dieser Frage, weil in vielen, vielen Briefen, die ich erhalte, die Mitteilung steht, die ganz offenkundig wohlwollende Beurteilung erwartet: der Briefschreiber sei nie Mitglied einer Partei gewesen. ({4}) Ich kann dann immer nur antworten und tue das oft genug: Die Arbeit, die Mitarbeit in politischen Gruppen bilden die Stufen eines aktiven Patriotismus. ({5}) In ihr prägt sich auch und bestätigt sich die Individualität, die dem öffentlichen Wesen die Farbe gibt, und die Farbe ist ja nicht bloß in dem Schwarz-WeißKontrast gegeben. Doch ich habe in dieser Stunde, da ich mich von Bundesrat und Bundestag verabschiede - gelt, eigentlich muß ich ja den Bundestag immer zuerst nennen, ({6}) aber das ist auch wurscht, ({7}) in dieser feierlichen Stunde ist ein Beifall für „wurscht" im Grunde unzulässig -, ({8}) nicht über allgemeine Dinge staatsrechtlich zu meditieren. Ich wende mich jetzt an meinen Amtsnachfolger, den Bundespräsidenten Dr. Lübke, mit dem Professor Dr. Heuss ich in den verwichenen Wochen manches gute, ernsthafte, männliche Gespräch führen konnte und der weiß, daß er um seiner Person wie um des Staates willen, wo immer ihm ein sachliches Bedürfnis vorzuliegen scheint, meines loyalen Rates sicher sein darf. Denn es geht ja nicht darum, daß, wie es manchem draußen erscheint, ein Schnitt zwischen einer Ara Heuss und einer Ara Lübke sich vollzieht, sondern darum, daß eine Kontinuität unseres staatlichen Seins gesichert wird. ({9}) Diese Kontinuität ist, glaube ich, im MenschlichElementaren auf eine ganz einfache Weise gegeben - gestatten Sie, Dr. Lübke, daß ich Sie sozusagen psychologisch interpretiere: Wir wissen beide, daß das, was man Macht nennt, eine geschichtliche Gegebenheit für alle staatlichen Gestaltungen und Entscheidungen ist. Wir haben sie beide nie in einem persönlichen Aspekt und gebundenen Sinn erstrebt, aber keiner von uns ist vor Verantwortungen aus Feigheit oder Bequemlichkeit davongelaufen. Es wird Ihnen in diesem Amte nicht an Anfechtungen fehlen. Dann mag Ihnen der Rat eines alten Mannes, der sein langes Leben in Goethes geistiger Nachbarschaft geführt hat, nicht unnütz sein: „Übers Niederträchtige niemand sich beklage, denn es ist das Mächtige, was man dir auch sage." Daß man dies weiß, schenkt der eigenen Kraft ,ihren Sporn, den Ansporn, für den Raum des Guten und des Anständigen zu kämpfen. Ich darf mit der Darstellung eines Jugend) eindrucks schließen, auch wenn er wie eine Anekdote wirkt. Auf zwei Stöcken waren in dem Heilbronner Gymnasium meiner Jugend, eine bauliche Ausweitung vor den Klassenzimmern dekorierend, Büsten großer Deutscher aufgestellt, auf Wandkonsolen angebracht, im sparsamen Schwaben natürlich nur in Gips: ({10}) Goethe, Schiller, .Herder, Klopstock, aus heimatlichen Gründen auch Uhland dabei. Nach meiner Erinnerung fehlte Hegel. Hölderlin war noch nicht wieder entdeckt. Knappe Zitate unter diesen Gipsbüsten waren als Merkworte an die Wand gemalt. Und dazwischen ein schmales Gesicht des Mannes, der den Deutschen und nicht nur den Deutschen rationales Denken lehren wollte, zum Teilgelehrt hat. Den Namen Immanuel Kant in dieser argen Gegenwart zu nennen, weckt schmerzhafte Gefühle - er ist nun eben für uns rund für die Welt nicht in Kaliningrad, sondern im preuBischen Königsberg geboren worden. Ich weiß nicht, aus welchem Werke, vielleicht auch aus welchem Briefe das Wort stammt, das da in strenger Antiqua unter diesen Kopf gemalt war: „Pflicht, du erhabener großer Name". Seltsam genug - das ist keine Floskel, die ich für diese Stunde erfunden habe -, dieses Wort hat als eine stille Melodie mein ganzes Lebenirgendwie begleitet und ist bei mancherlei Gegebenheiten aufgeklungen. Ich glaube, lieber Dr. Lübke, falls die Ausgestalter des humanistischen Gymnasiums in Brilon 'ebenso [anspruchsvoll gebildet waren, wie das im Schwäbischen nun einmal landesüblich war, ({11}) dann hätte auch Sie dies Wort aus seiner fordernden Unruhe auf den Weg der wollenden Bewährung geführt, den Sie in mancherlei Nöten Ihrem Schicksal abgezwungen haben. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für die freundliche Nachsicht, die Sie mir so oft, die Sie mir auch jetzt gewährt haben. ({12})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich danke unserem Theodor Heuss. Die Sitzung ist geschlossen.