Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Eine amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte hat unter dem 10. Juni 1959 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Aufbaudarlehen für die Landwirtschaft ({0}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1161 verteilt.
Wir fahren in Punkt 2 der Tagesordnung fort:
Fortsetzung der dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1959 ({1}) ({2}) .
Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung ({3}).
Ich rufe auf:
Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern.
Wird eine allgemeine Aussprache gewünscht? - Das Wort hat Herr Professor Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Haushaltsdebatte ist eine politische Debatte, und politische Debatte bedeutet im allgemeinen Streit und Widerstreit. So haben wir denn in den letzten Tagen wacker miteinander gestritten. Manchmal kam man sich vor wie an Etzels Hof zu der Zeit, da der grimme Hagen
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und der Markgraf Rüdiger von Bechlarn miteinander kämpften. Man hat auch stramm geweihräuchert, so stramm, daß mir gelegentlich der Gedanke kam, die Nibelungentreue könnte auf dem Umwege über, na, sagen wir, Konstantinopel zu uns gekommen sein.
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Aber es gibt auch Gebiete, auf denen man gerade dann politisch handelt, wenn man nicht streitet, sondern wenn man zusammenzufinden sucht, wie es Menschen tun, die, von verschiedenen Seiten herkommend, einen und denselben Acker zu bestellen haben.
Ein solches Gebiet scheint mir das Feld der Bildung zu sein, jener Acker, auf dem die gestern berufenen nächsten Generationen Korn oder Dornen ernten werden, je nachdem wie wir pflügen und wie wir säen.
Die „kulturellen Angelegenheiten", wie man sagt, stehen nach dem Grundgesetz mit geringen Ausnahmen in der Zuständigkeit der Länder. Einige der Zuständigkeiten freilich liegen beim Bund, und innerhalb der Bundesregierung ressortieren sie beim Bundesministerium des Innern. Sofern es geboten erscheint, in diesem Hause über kulturpolitische Angelegenheiten zu sprechen, muß es also bei der Beratung des Haushalts des Innenministeriums geschehen, so seltsam es erscheinen mag, daß man diese Dinge zusammen mit Polizeifragen, mit Fragen des Gesundheitswesens, mit Apothekenangelegenheiten usw. besprechen muß. Mir wäre es lieber, wenn diese Dinge an einem anderen Ort unseres Regierungsgefüges eingeordnet wären - an einem zentraleren Ort.
Ich sprach von „Kulturpolitik". Ich mag dieses Wort eigentlich nicht. Es sieht so aus, als habe man den Glauben, der Staat habe Kultur zu machen oder könne sie machen. Der Staat kann keine Kultur machen, er kann nur Hebammendienste leisten, wo Kultur entstehen will, und er kann das Neugeborene, bis es seine ersten Schritte tun kann, begleiten und hegen. Mehr kann der Staat nicht. Die Vorstellungen Fichtes vom Kulturstaat sind wohl nicht mehr die unseren. Man hat sie zu sehr mißbraucht, und es gibt da und dort noch einige Spuren, die uns wohl alle miteinander schrecken, und vielleicht auch einige Beispiele, die uns noch schrecken sollten. Was der Staat kann, ist, für Anstalten zu sorgen, an denen wir die Elemente der Bildung vermittelt bekommen und in denen wir für die Besorgung bestimmter Dinge tüchtig gemacht werden. Das ist eine hohe Aufgabe, in die sich der Staat mit der Familie, mit den Verbänden unserer Gesellschaftsordnung und den anderen Faktoren unserer Lebenswirklichkeit teilt.
Ich will hier von einigen Aspekten der Probleme der Bildung reden, die den Staat betreffen. Ich will das nicht allgemein und abstrakt tun, sondern konkret vor dem Hintergrunde einer Not, die es zu wenden gilt. Ich werde auch keine Anträge begründen; das werden andere tun.
Dr. Schmid ({2})
Haushaltsdebatten sind nicht auf Dinge beschränkt, die sich unmittelbar in Zahlen und Positionen niederschlagen. Sie sind auch eine Gelegenheit, uns der Dinge zu erinnern, die wir nur auf lange Sicht ordnen und in Verfassung bringen können. Ein Haushaltsplan ist ein Mosaik, aber ein Mosaik wird nur dann zu einem Bild, wenn die Steinehen nach einem vorgeordneten Plane gefügt sind, einem Plane, der auf ein Menschenbild hin begriffen wird, das wir vor dem Hintergrund einer geistigen, seelischen, materiellen Umwelt schauen. Was uns da dann je und je zu Bewußtsein kommt, kann eine Grundlage für die Aufstellung künftiger Haushaltspläne ergeben.
So seltsam eis manchmal scheinen mag: auch ein Haushaltsplan ist Projektion eines Menschenbildes, des &ides, das jene, die die Verantwortung tragen, vom Menschen haben, und das sind heute wir, in diesem Raume.
Politik sei, hat einer gesagt, darum eine so schwierige Sache, weil sie uns zwinge, unbegrenzte Bedürfnisse mit beschränkten Mitteln zu befriedigen. Nun, wir werden immer nur beschränkte Mittel zur Verfügung haben, und unsere Bedürfnisse werden fast immer so gut wie unbegrenzt sein. Das wird uns zwingen, eine Wahl unter verschiedenen Notwendigkeiten und Wünschbarkeiten, verschiedenen Möglichkeiten und Mitteln zu treffen. Aber eine Wahl kann man nur treffen, wenn man vorher eine Rangordnung aufgestellt hat, die uns die Kriterien gibt. Ich will versuchen, dazu, einen Beitrag zu leisten.
Die Bundesrepublik ist nach föderalistischen Grundsätzen aufgebaut. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zu diesen Prinzipien, nicht aus Biedermeierei, sondern aus staatspolitischen Erwägungen. Die Übernahme bestimmter Rechte und Pflichten auf den Bund und von anderen Rechten und Pflichten auf die Länder ist letztlich eine der vielen Möglichkeiten der Anwendung des Prinzips der Gewaltenteilung. Dieses Prinzip scheint uns wohltätig und nützlich zu sein. Es hütet die Freiheit, indem es die Macht einhegt, ohne sie aufzulösen. Es soll möglichst wenig Macht in einer Hand konzentriert werden. Aber dies schließt nicht aus, daß man akzeptiert, daß gewisse Dinge vom Ganzen aus gesehen werden müssen, auch wenn sie vielleicht von den Gliedern besorgt und verwaltet wenden können.
Zu diesen Dingen gehören die Leitlinien, nach denen unser Bildungswesen zu orientieren ist. Konnte man früher, wenn man warnen wollte, von der Gegenüberstellung: „Kultur oder Barbarei" reden, so müssen wir uns jetzt fast mit einer tieferen Stufe der Betrachtung begnügen, auf der sich „Bildung oder Untergang" gegenüberstehen, wobei wir hoffen können, daß aus geretteter Bildung, aus neu lebendig gewordener Bildung lebendige Kultur emporwachsen möge.
Damit ist gesagt, daß es bei Bildungsfragen heute um das Schicksal der Nation geht, das wir als ein gemeindeutsches erkennen und bewältigen müssen und das wir nur meistern können durch Anstrengung aller Deutschen, der Deutschen im Bund und der Deutschen in den Ländern; denn auch in den Ländern ist doch Deutschland! Auch dort ist die Not eine deutsche Not, auch dort erfüllt sich deutsches Schicksal. Darum haben wir in die Winkel unseres Landes hineinzurufen, allen, die es angeht, zuzuschreien, wie es um uns alle steht, darum haben wir aufzurufen, zusammenzuwirken, um eine Not zu wenden, die unser aller Not ist, eine Not, die man nicht aufteilen kann. Wenn es eine Teilung der Gewalten gibt, eine Teilung der Not gibt es nicht!
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Der Bundestag hat diese seine gesamtdeutsche Verpflichtung auch auf diesem Felde erkannt und in seinem Beschluß vom 3. Oktober letzten Jahres einige Leitsätze aufgestellt. Ich habe nicht gehört, daß man ihn deswegen angeschuldigt hätte, gegen das Prinzip des Föderalismus verstoßen zu haben. So hoffe ich, daß man auch mich eines solchen Verbrechens wegen dessen, was ich sagen werde, nicht anschuldigen wird.
Manche glauben, man müsse dem Bildungswesen eine ruhige Entwicklung verstatten. Das ist sicher ein guter Grundsatz, das mag so sein. Man kann nicht alle Augenblicke wechseln, wo es um die Vermittlung von Gütern geht, die dauern sollen. Aber von Zeit zu Zeit muß eine Anpassung an den Wechsel der Lebensordnungen geschehen, sonst bilden wir ins Leere hinein; sonst schaffen wir einen Schematismus, aber keine Form. Wo wir abseits vom Lebendigen zu gestalten versuchen, können wir zu nicht sehr viel mehr kommen als zu Schemen, d. h. zu Schattenbildern.
Die Anschauung von dem, was dem Bildungswesen zugemutet werden solle, wandelt sich mit dem Wandel der Verhältnisse. Zur Zeit Wilhelm von Humboldts ging es darum, daß sich das emanzipierende Bürgertum, diese Schicht von Besitz und Bildung, wie Max Weber sie genannt hat, sich den Lebensraum zu schaffen suchte, dessen es bedurfte, um seine Anlagen voll zu entfalten. Bildung war Teilnahme an allem, was die Wissenschaft geben konnte, Teilhabe an den Werken der Kunst. Der Staat war Obrigkeit. Sie kennen die Schrift Humboldts über die Grenzen der Staatsgewalt. Bildung hatte vom Politischen abzusehen und ganz und gar zweckfrei und auf das Individuum bezogen zu bleiben.
Dieses System hat großartige Leistungen vollbracht, wie reine Begriffe das fast immer tun, und den Grund für vieles Großartige gelegt, das noch wirken konnte, als sich die Voraussetzungen für seine Möglichkeit geändert hatten.
In der Mitte des letzten Jahrhunderts lernte man die Bedeutung der exakten Wissenschaften, insbesondere der angewandten Wissenschaften schätzen. Die Realschulen, die Technischen Hochschulen entstanden. Das Kriterium des Bildungswesens wurde nunmehr weniger Bildung im Humboldtschen Sinne als Ausbildung, eine Art von Propädeutik für die künftige Berufsausbildung im engeren Sinn. Nicht so sehr der sich voll entfalDr. Schmid ({4})
tende Mensch als der zweckhaft richtig handelnde Mensch und der Erfolg wurden die Kriterien.
Ein halbes Jahrhundert später begriff man dann, daß diese unsere Welt bestimmt ist durch das Phänomen der in funktionelle Prozesse aufgeteilten Arbeit. Was die arbeitsteilige Industriegesellschaft alles im Menschen verändern mußte, das hat man allerdings erst langsam begriffen. Das Phänomen der Selbstentfremdung des Menschen durch diese arbeitsteilige Industriegesellschaft wurde nur von wenigen erkannt. So verlor man allmählich den Boden unter den Füßen. Freilich versuchte man das Bildungswesen den veränderten Umständen anzupassen, aber im Grunde nur so, daß man aufstockte und anflickte, wo man Lücken zu erkennen glaubte. Es war dies die Zeit, in der man das Humboldtsche Ideal der Einheit von Forschung und Lehre zu durchbrechen begann und an die Errichtung von Instituten ging, die nur noch forschen sollten. Die Ergebnisse waren auch dann noch recht bedeutsam, aber nur dort, wo es um vom Menschen losgelöste Forschung und um die Auswertung des Erforschten ging. Dieses System versagte gegenüber der Menschenbildung, versagte - in Deutschland wenigstens - allem Politischen gegenüber.
Einer der Gründe, weswegen bei uns die „Gebildeten" politisch so oft versagt haben - als Schicht versagt haben -, liegt darin, daß man geglaubt hat, ein Verhältnis zum Staat zu lehren gehöre nicht in die Aufgaben derer, die zu bilden hätten. Als ob man dieses Verhältnis zum Staat von selbst bekommen könnte! Als wachse es gewissermaßen in einem hinein, wenn man nur treu und redlich seine Berufspflicht erfülle! Leider ist es nicht so.
Dann kam die böse Zeit, die Herrschaft des Unmenschen, die Zeit des Glaubens an den biologischen Automatismus einer Herrenrasse, die nur dazusein brauche, weiter nichts als dazusein, um die Welt in die vollkommenste Verfassung zu bringen. Das warf uns so weit zurück, daß die Gefahr besteht - ich zitiere ein Wort Hellmut Beckers -, daß wir ein wissenschaftlich unterentwickeltes Volk werden. Wenn wir nicht vom Grunde aus ans Werk gehen, um die Fundamente wiederherzustellen, dann könnte sein, daß diese Angst Hellmut Beckers Wirklichkeit wird.
Aber darüber hinaus - jenseits des eisigen Bezirks der reinen Forschung - besteht die Gefahr, daß, wenn unser Bildungswesen im allgemeinen Verstande nicht mehr genügt, immer weniger Menschen bei uns mit dem ausgerüstet sein werden, dessen es bedarf, um den Zwängen und den Reizen der Umwelt gegenüber Herr seines Willens und verantwortlicher Gestalter seiner Lebensordnungen bleiben zu können.
Wir werden unser Bildungswesen so einrichten müssen, daß es uns in den Stand setzen kann, mit den mächtigen Umwälzungen, die zwei Weltkriege mit sich gebracht haben und die nunmehr eine zweite industrielle Revolution in unserem gesellschaftlichen und vielleicht auch in unserem seelischen Gefüge hervorrufen wird, fertig zu werden.
Und diese Aufgabe ist schwer. Ich nenne einige Probleme.
Dieses: wie sollen die Menschen mit der immer größer werdenden Freizeit fertig werden können, wenn sie nicht gebildet genug sind, um mit sich etwas anfangen zu können - um zu verhindern, daß Freizeit nur leere, öde Zeit wird und nicht Muße? Denn wenn sie das nicht wird, ist sie ein Fluch!
Ein anderes Problem: Wohin werden wir kommen, wenn wir nicht auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Forschung wieder fähig werden, mit eigener Kraft zu immer eindringlicherer Erkenntnis dessen vorzustoßen, was die geistige und die materielle Welt im Innersten zusammenhält? Heute wird es vielleicht vom Wirtschaftspotential eines Volkes abhängen, ob ein Volk imstande bleibt, seine Geschicke selbst zu führen, oder ob es, was es an wissenschaftlicher Erkenntnis braucht, um das Leben meistern zu können, von anderen Völkern beziehen muß und ob mit der Hinnahme der Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung in anderen Ländern auch die Bevormundung dieser anderen Länder wird hingenommen werden müssen. Wenn wir nicht den Mut haben, Milliardenbeträge in unser Bildungs- und Erziehungswesen zu investieren, Milliardenbeträge über das hinaus, was wir jetzt schon investieren, und wenn wir dabei nicht weitsichtig planen, dann werden wir noch weiter zurückfallen.
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Bildung lebt nur in ewiger Neuschöpfung ihrer selbst weiter. Es mag vielleicht auch in unserem Volke welche geben, die der Gedanke, wir könnten aufhören, ein geistig schöpferisches Volk zu sein, nicht um den Schlaf bringt. Nun, auch denen möchte ich sagen, daß es bei den Dingen der Bildung nicht nur um den Luxus - wie sie meinen - kultureller Werte geht, sondern um unsere reale Zukunft; diese steht auch dabei auf dem Spiele!
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Mit so kurzsichtigem Denken kann man vielleicht im Tagesgeschäft etwas verdienen, um darum um so sicherer am Verfalltage alles zu verlieren.
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Es werden uns, wenn wir nicht große Anstrengungen machen, ganz schlicht die Menschen fehlen, die gebildet genug sind, einen modernen Produktionsapparat in Gang halten zu können; - um vom untersten anzufangen, Herr Kollege. Ich fange ganz unten an, ganz unten. Ich möchte nämlich auch die überzeugen, die glauben, Bildung sei eine Angelegenheit von Spinnern, von Leuten, die mit dem Leben nichts Rechtes anzufangen wissen.
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Uns werden - und nun werden Sie nicht mehr so skeptisch blicken - einfach die Bürger fehlen, die gebildet genug sind, die sich ständig weiter komplizierenden Probleme des öffentlichen Lebens zu durchschauen und zu beurteilen. Die parlamentarische Demokratie - wir sollten das auch in diesem
Dr. Schmid ({9})
Hause nicht vergessen - setzt eine sich ständig hebende allgemeine Volksbildung voraus!
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Sonst funktioniert diese Form der Demokratie nicht.
Ins Konkrete übersetzt bedeuten diese Perspektiven folgendes: Wenn wir diese viele Milliarden mehr als bisher kostenden Anstrengungen nicht auf uns nehmen, dann bekommen wir falsch oder ungenügend gebildete Produzenten, hilflose, dem Reklameterror ausgelieferte Konsumenten; und was das bedeutet - was das auch unter dem Gesichtspunkt der Degradierung des Menschen bedeutet - brauche ich hier wohl nicht besonders auszuführen.
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Wir bekommen politische Analphabeten, die wehrlos jedem Propagandasog ausgeliefert sind. Wohin das führen muß, das sollte man in Deutschland nicht noch besonders auszuführen haben. Wir werden Menschen bekommen - und das ist vielleicht das Schrecklichste -, die weder Kraft noch Lust haben, Gut und Böse zu unterscheiden, und die nicht mehr wissen wollen, was schön und edel ist.
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Denn auch diese Dinge wachsen nicht einfach wie Unkraut auf den Feldern, auch sie wachsen am Baume der Erkenntnis!
So etwa hat Professor Rodenstein am 29. Mai letzten Jahres auf dem Kongreß der Lehrer und Erzieher in München gesprochen. Ich glaube, man sollte diesem gelehrten Mann dankbar dafür sein, daß er so unmittelbar mit dem Finger auf die Wunden gezeigt hat, aus denen wir bluten.
Machen wir einmal Inventur, ganz nüchtern und solid, wie sich das für eine Haushaltsdebatte gehört. Fangen wir auch dabei unten an, Herr Kollege.
Uns fehlen Tausende von Ingenieuren, uns fehlen Tausende von Lehrern, uns fehlen immer mehr Menschen, deren Bildung den Problemen dieser Zeit gerecht werden könnte. Fast in der ganzen Welt wird dieser Aufgabenbereich gleichgesehen. In der östlichen Welt versucht man, was nottut, mit anderen Methoden zu bewältigen als in der westlichen. Die Zielrichtung aber ist auf beiden Seiten die gleiche. Sie lautet: Wie werden wir fertig mit all dem, was durch die technischen Umwälzungen, die Notwendigkeit, den Menschen Raum zur Weiterentfaltung ihrer Vermögen zu schaffen, an Unbewältigtem auf uns zugekommen ist?
Was haben da andere Länder getan? In der Sowjetunion werden im Jahre 1960 rund hunderttausend junge Naturwissenschaftler und Ingenieure die Hochschulen verlassen und zu denen hinzukommen, die heute schon da sind. Ich hatte Gelegenheit, vor einigen Monaten in Moskau mir den Betrieb - anders kann ich nicht sagen - einer solchen Universität anzusehen - ein Alpdruck von Marmor und allen möglichen kostbaren Hölzern und Bronzen, eine Lernfabrik, wenn Sie wollen. Ich möchte dort nicht studieren; aber ich möchte, daß unseren Studenten die Arbeitsmöglichkeiten zur
Verfügung gestellt werden könnten, die dort die Studenten haben.
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Solche Bibliotheken und Laboratorien für den Gebrauch der Studenten habe ich bei uns leider noch nicht gesehen. Und das läßt sich ändern, meine Damen und Herren,
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nur kostet es Geld.
Das Schulsystem ist dort nunmehr auf die zehnklassige allgemeine, sogenannte polytechnische Schule abgestellt, durch die in der Tat gleiche Bildungschancen geschaffen worden sind und auch die letzte Begabung noch erfaßt und nutzbar gemacht werden kann. Ich gebrauche das Wort „nutzbar" für jene, die meinen, nur, was sich auszahlt, sei auf dem Gebiet des Bildungswesens wert, daß man dafür bezahle.
In den Vereinigten Staaten von Amerika werden 1960 etwa 30 000 Naturwissenschaftler und Ingenieure die Hochschulen verlassen, - ein Drittel. Um in dem Wettbewerb mit dem anderen Giganten nicht zu unterliegen, will man dort bis 1970 die Zahl der Hochschulen verdoppeln. Auch das allgemeine Schulsystem soll einem grundlegenden Wandel unterzogen werden.
Nun einige Zahlen aus unserem Lande. Ich entnehme sie einer sehr verdienstvollen Denkschrift des Bundesministeriums des Innern. Im März 1957 wurde in dieser Denkschrift vermerkt, daß im Herbst 1956 bei uns tätig waren rund 73 000 Diplomingenieure, rund 53 000 Ingenieure und rund 133 000 Techniker. Der voraussichtliche Bedarf im Jahre 1970 wird nach dieser Denkschrift des Bundesministeriums des Innern aber 85 000 Diplomingenieure und 270 000 Ingenieure ausmachen - an Ingenieuren also das Fünffache dessen, was wir heute haben. Die Kapazität der Ingenieurschulen muß nach dieser Denkschrift - es ist der Bundesminister des Innern oder es sind seine Sachbearbeiter, die sprechen! - bis 1970 um 60 % auf dem Gebiet des Maschinenbaus, um 100 % auf dem Gebiet der Elektrotechnik erhöht werden. Das erfordert einen Neubau von 20 Ingenieurschulen zu je fünf Lehrgängen. Dabei sind die Techniker im engeren Sinne des Wortes nicht mitgerechnet, die heute für ihre Weiterbildung nur Abendschulen zur Verfügung haben. Das ist jedoch zuwenig; da muß man auch auf diesem Geschoß einen zweiten Bildungsweg schaffen, und auch das wird Geld kosten.
Ein zweiter Inventurposten sind die Lehrer, und da wird, glaube ich, noch deutlicher, an welchem Abgrund wir stehen. Die Gesamtzahl der Lehrer an öffentlichen und privaten Schulen betrug 1956 169 545, darunter 11 717 Mittelschullehrer und 36 828 Lehrer an höheren Schulen. Professor Heckel in Frankfurt, einer der besten Kenner des Problems, hat berechnet, daß im Januar 1958 bei unveränderter Schulorganisation, also auch dann, wenn wir unsere Grundschule nicht aufstocken, ein ungedeckter Bedarf von rund 7000 Lehrern bestanden hat, und zwar reiner Nachholbedarf, wobei der verstärkte Abgang älterer Lehrer in den nächsten Jahren nicht berücksichtigt ist. Wenn wir das 9. SchulDr. Schmid ({15})
fahr allgemein einführen - und es muß eingeführt werden! -,
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werden wir zu den 7000, die uns noch fehlen, einen zusätzlichen Bedarf von 11 500 Lehrern haben. Weitere 1500 Lehrer werden wir brauchen, um die gewerblichen Fachschulen und Ingenieurschulen auf den Stand zu bringen. Für die Erweiterung der höheren Schulen werden wir außerdem noch 7000 Lehrer brauchen. Senken wir die Klassenfrequenzen, die heute doch unerträglich sind, auf 35 Schüler pro Klasse in der Volksschule, dann ergibt das einen Mehrbedarf von 16 000 Lehrern. Wenn wir das 10. Schuljahr einführen - und wir werden es einführen müssen -, brauchen wir weitere 10 000 Lehrer. Das macht nach Professor Heckel insgesamt einen Mehrbedarf von 53 000 aus.
Die Lehrerverbände verlangen, daß die Pflichtstunden um ein Viertel gesenkt werden. Ich glaube, sie verlangen es zu Recht, nicht sosehr um ihrer selbst willen als um der Schüler willen,
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die von ermüdeten Lehrern nicht richtig unterrichtet, geschweige denn gebildet werden können. Der französische Studienrat hat eine Pflichtstundenzahl von 13 Stunden in der Woche. Nun, das zahlt sich für die Schüler aus. Wir werden wahrscheinlich aus einer ganzen Reihe von Gründen nicht dahin kommen, die Pflichtstunden um ein Viertel zu senken. Wir sollten aber wenigstens zu etwas anderem kommen.
Heute beginnen jährlich ganze 6000 Menschen ein Studium an lehrerbildenden Anstalten. Das reicht nicht einmal aus, um den jährlichen Nachwuchsbedarf von 7000 Lehrern zu decken. Ich glaube, daß diese Zahlen für sich sprechen und daß hier kein Widerspruch laut werden wird, wenn ich sage, daß die Beseitigung des Lehrermangels zu unseren dringendsten Aufgaben gehört.
In diesem Hause sind viele Pläne beraten worden, Grüne Pläne und andere Pläne, alle haben Geld gekostet. Sollte es nicht möglich sein, auch einen Lehrerplan zustande zu bringen?
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Das wäre sogar volkswirtschaftlich ebenso angebracht wie die anderen sehr wichtigen und notwendigen Pläne.
Sehr viel hängt damit zusammen, daß - um es klar heraus zu sagen - der Lehrerberuf bei uns in Deutschland nicht das Ansehen genießt, das er verdient. Manche glauben, das hänge mit der Bezahlung zusammen. Sicher mag sie eine Rolle spielen. Ich denke an das ganz andere Ansehen, das der Lehrer in der Schweiz genießt. Vor allen Dingen aber sind die Gründe in den ungünstigen Arbeitsbedingungen zu suchen, unter denen die Lehrer tätig sein müssen - Schulraumnot, zu hohe Klassenstärken, zu hohe Pflichtstundenzahlen -, sowie darin, daß man dem Lehrer nicht den sozialen Rang gibt, den er haben muß, wenn er so geachtet werden soll, daß sein Lehren auch Früchte trägt. Lehren kann nur dort Früchte bringen, wo jemand vor einem steht, von
dem man weiß, daß er auch aus seinem Stand heraus zu achten ist.
Das kann nur dadurch geändert werden, daß man an der Lehrerbildung etwas ändert. Sozialer Rang wird in Deutschland im allgemeinen begriffen als eine Funktion des Ranges, des durchlaufenen Bildungsweges. „Wir Akademiker" pflegen wir doch zu sagen, und wir sind dann sehr stolz. Ich wundere mich oft darüber; aber eis ist nun einmal so.
Es hat sich gezeigt, daß die Zahl der Anwärter für den Lehrerberuf anstieg, nachdem die Anforderungen an die Lehrerbildung erhöht worden waren. Diese Erfahrung hat man in den letzten Jahren z. B. in Bayern gemacht, und ich meine, das ist eine Erfahrung, von der wir lernen sollten.
Die Schulraumnot ist in aller Munde. Aber weiß man wirklich, was für einen Skandal sie heute noch darstellt? Nach den Berechnungen Heckels fehlten in der Bundesrepublik im Januar 1958 bei unveränderter Schulorganisation in den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen 22 000 Klassenräume. Das macht Schichtunterricht notwendig. Was das bedeutet, wissen wir alle, die wir in dieser Zeit des Schichtunterrichts Kinder in die Schule schicken oder geschickt haben. Sinken der Leistungen, ungenügende Begabtenauslese sind die notwendige Folge, und das für die Erziehung entscheidende persönliche Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler kann so nicht entstehen. Führen wir aber noch das notwendige neunte Schuljahr ein, dann brauchen wir zusätzlich weitere 11 000 Klassenräume. Insgesamt fehlen, auf den Bedarf bezogen - ich schließe hier alle Schulgattungen ein -, in der Bundesrepublik 63 000 Klassenräume.
Im allgemeinen rechnet man, daß ein Klassenraum 100 000 DM kostet, alles zusammengenommen. Das macht einen Gesamtbedarf von 6,3 Milliarden DM. Der Deutsche Städtetag hat den Bedarf auf seine Weise berechnet und kommt zu genau den gleichen Zahlen.
Außer den Klassenräumen fehlen uns aber Turnhallen. 3000 Turnhallen fehlen uns in Deutschland. Wir sollten das gerade heute nicht leicht nehmen - in dieser Welt, in dieser Gesellschaft, in der auf den jungen Menschen so vielfältige, oft unwiderstehliche Reize einstürmen, die nicht immer zum besten hinführen. Da ist der Sport eine gute Sache. Menschen, die sich im Wettkampf mit dem anderen glauben messen zu sollen, bleiben von der Straße weg und gehen nicht so oft ins Kino, um Kurvenstudien zu treiben. Ich meine, von solchem abzulenken, ist auch wert, daß man in den Beutel greift.
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Es ist klar, daß unsere Gemeinden diesen Aufwand allein nicht werden tragen können. Auch die Länder werden es nicht allein können. Hier muß der Bund Geld geben.
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Ich meine, heute sollte der Bund wenigstens für den Ersatz der kriegszerstörten Schulräume Geld geben.
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Dr. Schmid ({22})
Deswegen werden wir den Antrag auf Einstellung von 300 Millionen DM für diesen Zweck wiederholen.
Nun einige Worte über wissenschaftliche Forschungsanstalten, Universitäten und Hochschulen. Bei uns in Deutschland betreibt man wissenschaftliche Forschung allgemein an Hochschulen, Universitäten, speziellen Forschungsinstituten - der MaxPlanck-Gesellschaft usw. - und auch, das möchte ich hier erwähnen, an Forschungseinrichtungen der Wirtschaft. Die Industrie hat Bedeutendes in der Forschung geleistet. Ich möchte das hier ausdrücklich sagen. Dafür gebührt ihr Dank, auch dann, wenn wir wissen, daß sie nicht aus reinem Altruismus handelt. Auch dann gebührt ihr Dank, und ihre Aktivität auf diesem Gebiet sollte nicht nachlassen.
Aber die Hauptarbeit wird doch in Forschungsanstalten geleistet werden müssen, die der Staat unterhält oder kontrolliert oder die einen halböffentlichen Charakter tragen, wie etwa die Anstalten der Max-Planck-Gesellschaft.
Wir besitzen auch heute noch eine ganze Anzahl von Forschern von Weltruf, wenngleich wir Anlaß haben, traurig zu sein, wenn wir lesen, daß wieder einer einen Nobelpreis bekommen hat, der einmal in Deutschland gelehrt hat, den wir in jenen bösen Jahren ausgetrieben haben und der nun als Amerikaner gilt.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie dem Hochschullehrer, einiges zu sagen. Unseren Forschern und Gelehrten muß ein 'größerer Sach- und Personalapparat beigegeben werden, wenn sie ihre Zeit, ihre Arbeit wirklich der Forschung und Lehre so sollen widmen können, wie das 'erforderlich ist. Wenn ich an das denke, was ein Professor alles an Verwaltungsarbeit, 'an Personalarbeit usw. selber tun muß, und zwar ohne irgendwelche Hilfe, wenn ich sehe, wieviel Zeit ihm dabei für seine .eigentliche Arbeit verlorengeht, dann schüttle ich den Kopf. Überall schreit man nach Rationalisierung, überall wird rationalisiert. Offenbar aber glaubt man, bei den Universitäten noch so arbeiten zu können wie einst, als Großvater die Großmutter nahm. Das geht nicht mehr, so kann man es nicht mehr machen.
Das Laboratorium, in dem Faraday seine großen Entdeckungen gemacht hat, hat
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100 Mark gekostet - nach heutigem Geldwert. Das Laboratorium, in dem Heinrich Hertz seine Wellengesetze entdeckt hat, hat 10 000 Mark gekostet. Ein physikalisches Laboratorium der Weimarer Zeit, ein sehr gut ausgestattetes - ich spreche von dem Tübinger Laboratorium, das ich kenne und das als eines der modernsten galt -, hat 300 000 Mark gekostet. Heute kostet der Bau des kleinsten kernphysikalischen Laboratoriums über 10 Millionen DM. Unter dem kann man gar nicht anfangen. - Herr Kollege, Sie verziehen das Gesicht.
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- Ich wurde gefragt, wieviel Laboratorien dieser Art in der letzten Zeit errichtet worden sind. Leider zuwenig,
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weil das Geld gefehlt hat.
Ich habe die Ehre, Mitglied des Senats der MaxPlanck-Gesellschaft zu sein. Wir haben uns dort vor einigen Jahren überlegt, wieviel Leute wir in Deutschland haben, die als Physiker, Ingenieure und Techniker genügend ausgebildet sind, um Reaktoren bedienen zu können. Wir kamen auf nicht einmal 100. Sie werden zugeben, daß das zuwenig ist. Man braucht Ausbildungsanstalten, um die Leute zu bekommen, die man benötigt, wenn man nicht hinter Bulgarien zurückbleiben will. Mir fällt gerade Bulgarien ein; ich könnte auch andere Länder nennen. Man muß sich die Ausbildung etwas kosten lassen, sonst geht es eben nicht. Um das Richtige zu finden, wird man vielleicht sogar manche Fehlinvestitionen riskieren müssen.
Aber es geht nicht nur um die Naturwissenschaften. Wir müssen auch auf dem Gebiet der humanen Wissenschaften, der Gesellschaftswissenschaften, der Wissenschaften vom Menschen sehr viel mehr als bisher tun. Auch hier muß im weitesten Ausmaß Grundlagenforschung betrieben werden. Nehmen wir z. B. die Sozialwissenschaften, die Soziologie, in der wir doch einst, zur Zeit Max Webers, die Lehrer der ganzen Welt gewesen sind. Von überallher kam man zu uns, um diese Dinge zu lernen. In der heutigen Zeit hat die sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Frankfurt Jahre gebraucht, um einen Soziologen zu finden, der die Gesellschaftswissenschaft lehrt. Sie hat ihn aus dem Ausland zurückrufen müssen.
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Prof. Horkheime.r ist nach seinen eigenen Angaben Philosoph! Das kann doch so nicht bleiben! Wir können doch nicht einfach übernehmen, was in Amerika und sonstwo an sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen erarbeitet wird. Dann 'bekommen wir vielleicht ein gutes Bild der amerikanischen Gesellschaft und des Verhältnisses des Menschen in Amerika zu seiner Gesellschaft, aber nicht ein Bild der deutschen Gesellschaft und des Verhältnisses des deutschen Menschen zu seiner Umwelt.
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Das müssen wir doch bekommen. Hier müßte ein bißchen mehr geschehen.
Wir klagen immer mit Recht über das geringe politische Wissen unserer Abiturienten. Es ist wirklich fatal. Wenn man das ändern will, muß man auf diesem Gebiet etwas tun. Das können nur besser gebildete Lehrer machen, und diese brauchen eben an den Universitäten Lehrer, die sie bilden und ausbilden können.
Dr. Schmid ({28})
Mit dem, was heute da ist, geht es einfach nicht. Ich spreche hier wirklich aus Erfahrung. Es geht nicht, wenn auf einen Professor 300 Studenten im Seminar entfallen und in das Seminar aufgenommen werden wollen. Das geht einfach nicht. Da braucht man mehr Lehrstühle. Anders kann man es nicht machen.
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Wenn man Vorlesungen hat, in denen 1000 Studenten sitzen, dann geht doch vollkommen der Kontakt mit den Studenten verloren, dann spricht man doch gegen eine schwarze oder graue Wand und nicht mehr als Lehrer zu lebendigen Schülern. So kann man zwar Vorlesungen halten. So kann man aber nicht bilden, und der Hochschullehrer sollte doch in erster Linie „bilden".
Ich will von Bibliotheken usw. gar nicht sprechen. Wie es da steht, wissen wir alle. Sie kennen die Pläne, die es hier gibt - Wissenschaftsrat, Stifterverband -, 1 % des Volkseinkommens solle man für Bildungszwecke aufwenden. Auch dieser Betrag wird nicht dazu ausreichen, unsere Forschungseinrichtungen schon heute der kommenden Entwicklung anzupassen. Man darf nämlich nicht hintendreinhinken, man muß vorauslaufen. Man kann heute die wahrscheinliche Entwicklung der Forschung einigermaßen vorauskalkulieren.
Die Ausgaben für wissenschaftliche Zwecke betragen in der Bundesrepublik ein Viertel der Ausgaben der Vereinigten Staaten von Amerika bei voller Berücksichtigung des Kaufkraftunterschiedes.
Nun will ich Ihnen einige Zahlen geben, die die Ausgaben für das Schulwesen in den verschiedenen Ländern aufzeigen. Ich beziehe diese Zahlen aus der Schrift Eddings: „Internationale Tendenzen in der Entwicklung der Ausgaben für Schulen und Hochschulen", Kiel 1958. Die Vereinigten Staaten von Amerika geben pro Kopf der Bevölkerung für ihr Schulwesen, alles zusammengerechnet, 86,83 DM aus, die Sowjetunion 76,15 DM, die Bundesrepublik 21,27 DM. Die Zahlen sprechen für sich. Man hat in diesen Ländern gegenüber 1938 die Schulausgaben wie folgt gesteigert: in den Vereinigten Staaten um 256 %, in der Sowjetunion um 334 %, in der Bundesrepublik um 66 %. Auch diese Zahlen sprechen für sich. Der Erfolg des Wettbewerbes auf diesem Felde wird nicht nur durch gelegentliche Nobelpreise markiert, er zeigt sich auch in solchen Ziffern. Ich will nicht sagen, daß die Ergebnisse eine reine Funktion des Geldaufwandes sind, aber ein bißchen ist das zu erwartende Ergebnis au c h Funktion des Geldaufwandes.
Was die Hochschulen anbetrifft - ich habe meinen Augen nicht getraut, aber die Quelle, die ich angab, ist eine gediegene Quelle -, so gab man in den Vereinigten Staaten hierfür pro Kopf der Bevölkerung im Jahre 1955 45,82 DM aus, in der Sowjetunion 54,40 DM, in der Bundesrepublik 9,50 DM.
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- Gewiß, Herr Kollege, ich weiß das durchaus. Ich
mache da durchaus meine Abstriche. Ich kenne die
deutsche Universität, ich kenne die amerikanische, ich kenne aber auch die sowjetische, an einem Beispiel wenigstens. Das hat mir zu denken gegeben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Halten Sie die statistische Methode, pro Kopf der Bevölkerung zu rechnen, in Anbetracht der Tatsache für richtig, Herr Professor Schmid, daß in den USA und in der Sowjetunion die in Frage kommenden Jahrgänge prozentual etwa doppelt so stark wie in der Bundesrepublik sind?
Sicher, jede statistische Methode hat ihre Mängel. Glauben Sie nicht, daß ich auf Grund dieser Zahlen den Bleistift nehmen und ausrechnen werde, wie gebildet wir werden können - und wie ungebildet wir bleiben müssen -, ganz gewiß nicht! Aber diese Zahlen, auch wenn sie nur grobe Annäherungswerte sind, sind doch immerhin etwas wie Leitziffern, an denen man sich orientieren kann. Auch über den Daumen kann man peilen. Zwar findet man dann nicht immer ganz genau den Punkt, wo man hinwollte, aber etwa die Richtung, in der man segeln sollte, Herr Kollege.
({0})
Nun eine weitere Zahl. Die Industriegesellschaft hat die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf Berufe ausgedehnt, bei denen man früher ohne solche Kenntnisse auskam. Die Folge ist, daß immer mehr Menschen zu Universitäten und Hochschulen strömen, einfach weil man nur als Hochschulabsolvent in bestimmte Berufe kommen kann. Die Folge ist, daß nicht nur ausschließlich leidenschaftlicher Erkenntniseifer die Studenten zur Universität treibt - das hat es auch früher nicht immer gegeben, aber immerhin ein bißchen mehr, als es heute ist. Auf jeden Fall hat sich die Zahl der Studenten von 1950 bis 1956 um 312 % erhöht, also verdreifacht.
Man kritisiert diesen Zustand schon lange. Man sagt: Da muß etwas geschehen, da muß man Vorsorge treffen. Sicher, aber wenn man etwas tun will, was Wert hat, muß man es sich das kosten lassen, was notwendig ist.
Viele fragen - und das ist ein echtes Problem -: Wenn wir jetzt eine große Zahl neuer Professuren schaffen wollten, haben wir denn die Professoren dafür? Das ist durchaus eine Frage. In welchem Maße uns das „Dritte Reich" auf diesem Gebiete ausgepowert hat, kann man sehr deutlich spüren, wenn man selber zur Zunft gehört. Aber es genügt nicht, daß man den Zustand beklagt. Man wird ihn schon anpacken müssen, man wird schon versuchen müssen, etwas daran zu ändern, und auch das kostet Geld.
Man muß insbesondere Methoden entwickeln, einen Begabtennachwuchs auszulesen. Das scheint mir eines der Kernprobleme dieser Zeit zu sein.
Dr. Schmid ({1})
Wir verschwenden doch eine Unmenge von Begabungen, indem wir sie nicht rechtzeitig auf Bildungswege führen, in denen ihre spezifische Begabung so voll ausgebildet werden kann, daß alles, was in dem Menschen an Potential für uns alle steckt, für uns alle auch wirklich zum Zuge kommen kann.
({2})
Ich will hier eine sehr unverdächtige Quelle zitieren. Herr Kollege Hellwig, sie steht unter Ihrer Botmäßigkeit. Es ist ein Unternehmerbrief - der 31. - des Industrieinstituts vom 31. Juli, in dem lauter Wahrheiten stehen.
({3})
- Ich mußte Ihnen das sagen. - Ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten:
In dem Wettbewerb zwischen Ost und West spielt die Mobilisierung der Begabungen eine ausschlaggebende Rolle. Die Notwendigkeit dieser Mobilisierung muß nicht nur im Bereich des Technischen, des Ökonomischen, sondern auch im Geistigen und Kulturellen erkannt werden. Bildungsbeihilfen für die Jugendlichen sollten den Aufstiegswilligen ermöglichen, selbständig und selbsttätig mit den geistigen, den politischen und gesellschaftlichen Problemen fertig zu werden.
Unsere Zeit fordert die Entwicklung eigener Wertvorstellungen, eigener Verhaltensweisen, die in den traditionellen Bildungsprogrammen bisher übersehen worden sind. Durch die Beachtung einer breitspurig angelegten Verbindung von Bildung, die unter Berücksichtigung der menschlichen und gesellschaftlichen Situation im Atomzeitalter geschieht, und von Ausbildung, die unter Zweckgesichtspunkten erfolgt, werden die humanistischen Ideale nicht verletzt, aber die Wege zu einem humanistischen Realismus geebnet.
Wo haben Sie das her, Herr Martin?
({4}) - Ein vortrefflicher Ratgeber!
Jedem tüchtigen Menschen ist eine Chance zu geben. Neue Bildungswege sind nötig. Es geht um Begabtenförderung und nicht um Begabtenfürsorge.
Unterschrift unter diesen Satz!
Was hat der Westen begabten Berufstätigen zu bieten? Viel sorgfältiger, als bisher geschehen, muß das pädagogische Werk der Russen studiert werden. Die Wege dürfen um des Leistungswettbewerbs willen parallel verlaufen, soweit die grundsätzlichen Unterschiede nicht berührt werden.
Auch das unterschreibe ich.
Wo dies aber geschieht, haben wir besonders bei der Bildung und Ausbildung für eine überzeugende geistige Untermauerung unserer Welt und unserer Bildung zu sorgen.
Nun, wer könnte dem nicht zustimmen? Wer könnte sagen: dem will ich nicht zustimmen? Herr Bucerius, Sie schauen mich so skeptisch an, aber auch Sie stimmen doch sicher zu.
Wenn man diese Dinge ernst nimmt - ich glaube, wir sollten sie blutig ernst nehmen -, müssen wir Konsequenzen ziehen, müssen wir dafür sorgen, daß alle Begabungen mobilisiert werden können, die es in unserem Volke gibt. Wenn wir es nicht tun, verliert der Westen den Kampf.
({5})
Es geht dabei um soziale Gerechtigkeit, aber nicht n u r um soziale Gerechtigkeit, es geht doch vor allem darum, daß wir es uns nicht leisten können, auf die Ausbildung von Begabungen zu verzichten, nur weil der Junge oder das Mädchen so unvorsichtig war, sich Eltern auszusuchen, die ihm ein Studium nicht bezahlen konnten.
({6})
Obendrein haben wir in unserem Grundgesetz, das man in den letzten Tagen mit so viel Recht gerühmt hat, einen Art. 2 Abs. 1, der allen Deutschen gleiche Bildungschancen garantiert. Wenn man sich das nichts kosten läßt, ist dieser schöne Artikel des Grundgesetzes ein Scheck ohne Deckung.
({7})
- Ich weiß, 80 Millionen Mark im Jahr, Herr Dr. Vogel. Das ist viel, aber es ist zu wenig. Man muß wählen, Herr Dr. Vogel - ich sprach im Anfang davon -, man muß dafür eine Rangordnung aufstellen.
Vier Fünftel unserer Jugendlichen verlassen die Schule mit 14 Jahren. Sie werden mir zugeben, daß unter diesen Jungen mancher steckt, der, wenn man ihn auf die höhere Schule hätte schicken können, einiges mehr in seinem Leben aus sich herausgestellt hätte, als er so aus sich herausstellen konnte. Bitte, mißverstehen Sie mich nicht! Ich bin keiner von denen, die sagen: es muß jeder, der begabt ist, studieren. Wir brauchen sehr begabte Leute bei den Handwerkern und bei den Arbeitern; durchaus brauchen wir sie.
({8})
Aber wir brauchen mehr Leute, mehr begabte Leute, als wir heute haben, auch für die höheren Berufe -,,höher" in Anführungszeichen -; was ich meine ist keine soziale Wertung. Die brauchen wir auch, und da brauchen wir Ausleseverfahren. Ich finde z. B., daß unsere Universitäten von einer Menge von Studenten bevölkert, überlaufen sind, die nicht an die Hochschule gehören, weil sie nicht genug können und nicht begabt genug sind.
Deswegen bin ich ein Anhänger des Wettbewerbsverfahrens in den Schulen. Man soll an die Universitäten oder die jeweiligen höheren Schulen nur gehen dürfen, wenn man sich in Prüfungen ausgewiesen hat, daß man geeignet ist, diese Schule mit Nutzen zu absolvieren. Ich weiß, das ist lästig. Ich weiß, man mag heute das Wort Examen nicht
Dr. Schmid ({9})
hören. Ich finde, es ist schade, daß man in Deutschland so wehleidig geworden ist.
({10})
Ich ging noch in eine Schule, in der man jedes Jahr eine Abschlußprüfung machen mußte, und das war sehr gut. Das las nämlich aus. Wir fingen unten in Sexta an mit 44 und landeten in Oberprima mit 17. Das geschah eben durch Prüfungen, nicht in Funktion des Geldbeutels der Eltern - der war bei allen etwa gleich -, es waren die Prüfungen, die auslasen. Ich meine, wir sollten die Begabten auf diese Weise - durch strenge Prüfungen - auslesen. Man soll sich sein Stipendium verdienen müssen.
({11})
Das wird auf der einen Seite die Hochschulen von sehr viel Ballast entlasten. Glauben Sie mir, es ist schrecklich, wenn Sie als Professor prüfen und eine Frage stellen - nicht gerade „Wer war Bismarck?", aber „Wer war Metternich?" - und keine Antwort bekommen von einem Mann, der einmal Studienrat werden wird!
({12})
- Ja wirklich, wirklich, so ist es.
({13})
- Doch, Stefan Zweig lesen sie heute, Hören Sie eine Sache an, die mir passiert ist: Als ich Kultusminister war, ließ ich mir von verschiedenen Schulen, stichprobenweise Abituraufsätze vorlegen. Abiturienten eines recht guten Gymnasiums hatten einen Aufsatz zu schreiben: „Das Verhältnis von Pflicht und Neigung ist zu untersuchen." Drei der Prüflinge verstanden das Thema so: „Wann besteht die Pflicht, sich zu verneigen?"
({14})
Ist das nicht schrecklich? Ein schreckliches Urteil über
die Schule, die diese Abiturienten produziert hat!
({15})
-- Sie haben recht, Herr Bundesminister, das ist ein sehr schwieriges Problem. Aber wenn man davon spricht - verzeihen Sie, wenn ich abschweife, Sie gaben mir das Stichwort -, warum haben unsere Kinder, die 16- und 17jährigen, vom „Dritten Reich", von dieser Zeit so gut wie keine Kenntnis? Warum gibt es noch Antisemitismus? Warum sagen denn die Eltern und die Lehrer diesen Kindern nicht, was war?
({16})
Das kommt daher, daß manche der Eltern und Lehrer die Frage gewärtigen müssen: Vater, was hast denn du in der Zeit getan?
({17})
Das ist etwas Tragisches, wir können das nicht wegverdrängen und wegdiskutieren. Wir müssen sehen, daß es so ist. Es genügt nicht, zu klagen und zu lamentieren. Man sollte versuchen, etwas zu ändern. Vielleicht kann man durch die Schule
ein bißchen ändern, nichts Entscheidendes, aber ein bißchen.
Und wenn Sie wieder vom Elternhaus sprechen: Viel von dem, was ein Kind in einer guten Schule an Bildungsgütern vermittelt bekommt, wird in ihm aufgelöst, wenn es nachmittags nach Hause kommt und am Familientisch banalste Gespräche mit anhören muß. Das ist nun mal so.
({18})
- Soweit der Familientisch überhaupt noch vorhanden ist, Sie verstehen doch, was ich meine.
Deswegen bin ich seit geraumer Zeit der Meinung, daß man Internate braucht, und zwar in einem ganz anderen Ausmaß, als wir sie heute haben. Ich bin in meiner Jugend selbst in eins gegangen. In den Internaten ist es anders, weil man da, wenn die letzte Schulstunde am Tag aus ist, beisammen bleibt und noch weiterspricht von den Dingen, die man in der Schule gehabt hat. Da entsteht ein ganz anderes Bildungsbewußtsein, als wenn das alles aufgelöst wird, sobald man den Schulraum verläßt.
({19})
-- Ich weiß, was gegen Internate spricht, ich weiß es durchaus. Es gibt da eine ganze Reihe von Dingen, die zu Bedenken Anlaß geben. Aber trotzdem - man könnte etwas schaffen.
Ich habe als Kultusminister in dem Ländchen Württemberg-Hohenzollern - es war ein ganz kleines Ländchen; es hatte daher den Vorteil der Überschaubarkeit, man konnte manchmal sehen, was die Dinge, die man tat, bewirkt haben - aus diesem Gedanken heraus das Leibniz-Kolleg geschaffen, wo Abiturienten, ehe sie ein Fachstudium beginnen, ein Jahr zusammen sind und von Tutoren -meistens Habilitanten und Professoren, die als Gäste kommen - in die Fragwürdigkeiten unseres Daseins eingewiesen werden, sie sollen lernen, zu erkennen: was ist denn wert, daß man es befragt, welches sind die großen Fragestellungen? Ich glaube, das Resultat ist gut gewesen.
Was auf dieser Stufe durch ein Internat geleistet werden konnte, das könnte auch auf der Gymnasialstufe geleistet werden. Aber wir werden das - einfach aus finanziellen Gründen - nicht können; Herr Dr. Vogel als sorgsamer Mithausvater wird das nicht gestatten.
({20})
- Ihre Kapazität habe ich nie überschätzt.
Begabungen muß man so frühzeitig fördern, daß sie wirklich zur Hochschule finden können. Ich weiß: Honnefer Modell! Sicher, eine schöne Sache! Aber insgesamt werden nur 19 % unserer Studenten damit gefördert; das ist zuwenig.
({21})
In England werden 70 % der Studenten durch öffentliche Stipendien gefördert.
({22})
Dr. Schmid ({23})
- Aber 70 % der 70 000! Auch wenn Sie diese Zahlen umbeziehen, sind es bei uns zuwenig. Wir sollten auch bei uns dazu kommen, 60 bis 70 % der Studenten zu fördern. Ich kenne bereits den Warnruf: „Sie machen aus Studenten Staatspensionäre!".
({24})
- 19 % sind es beim Honnefer Modell. Ich habe die Zahlen.
({25})
- Mit anderen Förderungen sind es insgesamt ein Drittel; da haben Sie vollkommen recht. Aber diese Förderungen sind zum Teil noch recht mager. Zum Glück finde ich gelegentlich einen Industriellen, der Sinn für diese Dinge hat und der mir Geld gibt, mit dem ich dann privat einige Studenten fördern kann. Aber das sind nur Aushilfen. Mit Aushilfen kommen wir doch nicht weiter. Wir müssen mehr tun!
Was die Staatspensionäre anbetrifft - schlicht, und wenn Sie in Ohnmacht fallen: wäre das wirklich so schlimm, wenn die Studenten Staatspensionäre sind, wenn sie vom Staat aus so gefördert werden, daß sie wirklich studieren können, ohne sich in Werkarbeit verzetteln zu müssen,
({26})
ohne Pensionäre ihrer Eltern werden zu müssen?
({27})
- Ja, ich weiß, aber man kann es sich nicht so leicht machen, daß man sagt: Wir wollen keine Staatspensionäre haben. Wenn man so sehr Angst davor hat, Pensionär des Staates zu sein, dann muß man sich an sehr vielen Orten an die eigene Brust klopfen!
({28})
Ich sehe, die Zeit ist schon sehr weit vorgerückt. Ich kann nicht mehr alles sagen, was ich glaubte sagen zu sollen. Vielleicht war es jetzt schon zuviel.
Das allgemeine Schulsystem bedarf einer Veränderung. Wir haben in den letzten Wochen eine Denkschrift lesen können, die von denen, die es angeht, verfaßt worden ist. Ich glaube, daß man sich an diese Denkschrift halten sollte, nicht in dem Sinne, daß man sie einfach so, wie sie ist, ausführt, aber als Diskussionsgrundlage sollte man sie ernst nehmen. Wir sollten in diesem Hause über die Dinge sprechen, die in der Denkschrift vom 29. April dieses Jahres vom Deutschen Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen veröffentlicht worden sind.
Ihre Grundzüge besagen, daß drei Wege der Bildung geöffnet werden sollen, wobei jedem Kind ein Weg erschlossen werden soll, der seiner Begabung entspricht. Der Schulaufbau müsse darauf hingeordnet werden, die geistige Einheit des Volkes in den elementaren Grunderfahrungen, -übungen und -einsichten kräftig zu erhalten und für das Bewußtsein dieser Einheit einen breiten gemeinsamen Grund zu legen. Zugleich müsse er Raum und Zeit dafür geben, daß die unterschiedliche Bildungsfähigkeit der Kinder sich unter den gleichen
Bedingungen wiederholt, d. h. immer wieder bewähren kann und immer wieder nach dieser Bewährung beurteilt werden kann.
Das ist ein schönes Rezept. Über die Ausgestaltung im einzelnen wird man sich wahrscheinlich verschiedene Gedanken machen können und müssen. Ich bin durchaus dafür, daß in den Ländern differenziert wird - wenn nur diese Grundgedanken bei der Differenzierung beibehalten werden! Die Länder werden nach unserem Grundgesetz die Dinge, von denen ich spreche, im wesentlichen machen müssen. Aber wir - der Bund - müssen mit den Ländern in diesen Fragen zusammenarbeiten. Den Ländern soll nichts von ihrer Kulturhoheit genommen werden; aber sie müssen diese Kulturhoheit im Rahmen von Leitbildern ausüben, deren Aufstellung Sache des ganzen Volkes, heute der Organe der Bundesrepublik ist.
Unsere Fraktion wird im Laufe dieses Jahres eine Reihe von Anträgen im Sinne der Gedanken, die ich entwickelt habe, einbringen, und die Landtagsfraktionen der SPD werden es in ihren Landtagen auch tun. Wir werden uns mit diesen Dingen beschäftigen - wir werden dafür sorgen.
Aber manche Dinge können die Länder einfach nicht allein machen. Manche Zweige wissenschaftlicher Forschung werden nur auf Bundesgrundlage sinnvoll betrieben werden können. Es nimmt der Kulturhoheit der Länder weiß Gott keinen Stein aus der Krone, wenn wir das tun. Die Max-Planck-Gesellschaft sollte hier unser Vorbild sein und sollte es bleiben. Man kann nach diesem Vorbild weitere staatsfreie Anstalten - so möchte ich sie nennen: zwar öffentliche, aber staatsfreie Anstalten schaffen.
Ein besonderer Gedanke hat sich in mir auf Grund einiger praktischer Fälle entwickelt. Viele junge Gelehrte, die ein Forschungsgebiet bearbeiten wollen, auf dem man nur dann zu Ergebnissen kommen kann, wenn man sich ganz eng spezialisiert - die Virusforschung ist ein Bespiel -- können nicht damit rechnen, einmal einen Ruf auf einen Lehrstuhl an einer Universität zu bekommen; einfach deshalb, weil der Kultminister mit Recht sagt: Dein Forschungsgebiet ist nicht breit genug, als daß du als allgemeiner Biologie- oder Physiklehrer an der Universität am Platze wärest. Was passiert dann? Der junge Mann wird Assistent, wird Oberassistent und sagt sich: Aber jetzt muß ich mich habilitieren, und zwar auf breiterer Grundlage; ich muß also mein engspezialisiertes Forschungsgebiet aufgeben oder vernachlässigen. Er geht dann dem verloren, wofür er eigentlich da ist - vielleicht ist er dafür der einzige Mann in Deutschland ...
({29})
Ich kenne solche Fälle, ich habe eine Reihe davon selbst erlebt. Sollten wir nicht einmal den Ländern von uns aus den Rat geben, etwas wie Forschungsprofessuren zu schaffen, Stellen für Leute zu schaffen, die Beamte sind, wie ein lehrender Professor es ist, so daß sich einer wirklich auf ein enges Forschungsgebiet beschränken kann, und er nicht darDr. Schmid ({30})
auf angewiesen ist, nach Berufungslisten zu schielen?
({31})
Dasselbe gilt für die Auslandsschulen. Auch hier habe ich in letzter Zeit einige böse Erfahrungen machen müssen: Lehrer werden gerade dann, wenn sie eingeschlagen haben, zurückberufen; manche sagen selber: Ich muß jetzt zurück, sonst verliere ich den Anschluß bei der Beförderung.
({32})
Sollte man nicht eine eigene Laufbahn für Lehrer an Auslandsschulen schaffen,
({33})
so daß deren Lehrer wirklich wissen: Ich bin gesichert, ich kann mich dieser Aufgabe ganz men?
Noch eine Sache! Hilfe für Entwicklungsländer leisten wir auch dadurch, daß wir den jungen Menschen Gelegenheit geben, bei uns zu studieren. Im Laufe der Zeit wird das anders werden: da werden diese jungen Leute bei sich zu Hause studieren wollen, und man wird ihnen Professoren an ihre Universitäten schicken müssen.
({34})
Aber wie wollen Sie das machen, wenn der deutsche Gelehrte, der dorthin geht - etwa nach Teheran oder sonstwohin -, sich sagen muß: Wenn meine Zeit dort abgelaufen ist oder ich es nicht mehr aushalten kann, was wird aus mir?, dann bin ich abgemeldet, bekomme keinen Ruf mehr oder stehe irgendwo ganz hinten! Auch da muß man Sicherungen schaffen. Auch dais kostet Geld. Vielleicht kann man solche Dinge sogar institutionalisieren. Ich meine, daß man es tun sollte; es wird sich auszahlen.
Wie gesagt, meine Damen und Herren, all diese Dinge werden uns viel Geld kosten, und wir werden uns da wahrscheinlich noch ziemlich viel streiten müssen. Wir werden uns vielleicht nicht über die Grundsätze streiten, die ich hier dargetan habe. Aber wir werden uns wahrscheinlich über das „Wie" streiten, wenn es zum Schwur kommt. Dann werden wir dies 'eben tun. Ich hoffe, wir kommen dann doch zusammen. Die Mobilisierung des Geistes kostet genauso Geld wie die Mobilisierung des militärischen Potentials einer Nation. Auch hier gilt der Satz Montecuccolis: Danaro, danaro, ancora danaro! Das ist nun mal so. Diese Ausgaben müssen wir machen; es wird gut angelegtes Geld sein. Tun wir es nicht, meine Damen und Herren, dann unterlassen wir vielleicht den wirksamsten Verteidigungsbeitrag, den ein Volk für die Verteidigung seiner Freiheit leisten kann.
({35})
Das Freiheitsproblem haben wir bei uns im Westen leider zu lange als ein Problem des materiellen Lebensstandards gesehen. Nicht alle haben das getan - aber man hat zu oft gesagt: „Freiheit und Demokratie sind ja etwas viel Schöneres als Totalitarismus; ihr seht es doch: der Güterkonsum
steigt in der Demokratie und in der Freiheit recht rasch." Das ist richtig. Aber auch totalitäre Regime können die Produktion steigern und eines Tages die Konsumtion vermehren. Dann könnte es sein, daß manche Leute sagen: „Nanu, zu was denn Freiheit, wenn es drüben genauso viel Butter gibt wie bei uns?"
Dann ist das eigentliche Problem da. Dann werden wir etwas anderes zur Erhaltung des Freiheitswillens vorweisen müssen als den Hinweis auf Standards, wenn den Versuchungen widerstanden werden soll, die Machtballungen immer auf die Menschen wirken zu lassen. Die Verführungen sind da groß. Machtballung führt für sich allein in die Versuchung, ihr zuzujubeln und zuzustimmen. Wir haben das doch erlebt.
Letztlich ist nur der gebildete Mensch sicher, dieser Verführung nicht zu erliegen.
({36})
- Freiheit ist in erster Linie ein Bildungsproblem, Herr von Haniel, und wenn Sie es nicht glauben wollen: es ist in erster Linie ein Bildungsproblem.
:({37})
- Herr von Haniel, ich weiß nicht, ob Sie in der Schule einmal Platon gelesen haben. Da werden Sie wohl gelernt haben, daß die Entscheidung zwischen Gut und Böse die doxa voraussetzt, das heißt Erkenntnis.
({38})
Die Stimme in der Brust ist manchmal trügerisch. Man muß sie kontrollieren können, und dafür braucht man feste Regeln. Sonst brauchten wir nämlich auch keinen Katechismus und keine Zehn Gebote.
Im Jahre 1870 hat man gesagt - ein stolzes Wort, Herr Brese kennt es ganz bestimmt -: Der preußische Schulmeister habe den Krieg gewonnen. Vielleicht stimmt das.
({39})
- 1866 war das; da bin ich also vier Jahre zu spät daran. - Der 'deutsche Schulmeister habe den Krieg gewonnen, der schließlich zur Einigung Deutschlands 'geführt hat. Sorgen wir dafür, daß der Mangel an Schulen uns nicht den Frieden und die Einheit verlieren läßt!
Lassen Sie mich schließen, indem ich ein Wort des Herrn Bundesinnenministers zitiere - ich bin manchmal mit ihm ganz einig -, das er in der 23. Sitzung des Deutschen Bundestages gesprochen hat. Er sagte - Herr Präsident, ich bitte, mir das Zitat zu gestatten -:
Die Diskussion der Bildungsfragen ist eines der aktuellsten Themen in der ganzen Welt. Sie betrifft Australien so gut wie Deutschland. ... In allen Ländern ertönt der Ruf nach einer besseren und umfassenderen Bildung. ... Die Frage ... an uns ... lautet also: Wollen wir an dem großen geistigen Ringen in der Welt und um die Welt weiterhin Anteil haben, oder wollen wir uns
Dr. Schmid ({40})
auf den Weg simpler Spezialisierung einlassen? Wollen wir geistig produktiv bleiben, oder wollen wir bestenfalls nur die Erkenntnisfrüchte anderer verwerten? Wollen wir die Apparatur über den Menschen herrschen lassen, oder wollen wir dem Menschen in Übereinstimmung mit den Leitbildern von Christentum und Humanismus seinen Rang auch in der so tief gewandelten Welt bewahren helfen? Das ist die Schicksalsfrage, die vor uns steht. Es leuchtet danach ein, daß unser Volk auf dem Gebiete des Bildungswesens große Anstrengungen machen muß.
Der Herr Bundesinnenminister fährt fort, Herr Dr. Vogel:
Bildung kostet Geld. Da sie kein Luxus, sondern eine Lebensnotwendigkeit ist, können die Bildungseinrichtungen nicht von dem leben, was an anderer Stelle erübrigt wird. Das Geld, das für sie benötigt wird, muß mit der gleichen Dringlichkeit gefordert und bereitgestellt werden wie die Mittel für andere vordringliche Aufgaben. Die notwendigen Beträge müssen ohne Rücksicht darauf verfügbar gemacht werden, ,daß ein Erfolg mancher Maßnahmen erst nach Jahren sichtbar wird.
Die Investitionen in Bildungseinrichtungen entziehen sich einer strengen wirtschaftlichen Bilanzierung. Sie schlagen aber langfristig zu Buche.
({41})
Ich unterschreibe jedes Wort. Diese Feststellungen verpflichten. Sie verpflichten nicht nur die Länder, sondern sie verpflichten uns alle. Sie verpflichten uns auch hier in diesem Bundestag. Ist es denn nicht so, daß, was wir Kultur nennen, daß die Bildungsgüter der Deutschen fast das einzige sind, das dieses Staatswesen, in ,dem wir leben, noch zur Persönlichkeit bindet? Friedrich Sieburg hat dies vor einigen Tagen geschrieben. Bilden wir doch - was Waldemar von Knoeringen neulich ins Land gerufen hat - eine Koalition der Bildung in unserer deutschen Politik! Bilden wir eine Phalanx derer, die ihre Lebenskräfte alle aus demselben Grund beziehen und die entschlossen sind, diesen Mutterboden zu halten und seine Reichtümer zu entbinden! Zeigen wir durch die Taten, daß wir entschlossen sind, nicht nur das Gute und Richtige abstrakt zu wollen, sondern auch all das mit zu wollen, was nötig ist, um dieses Gute und Richtige zu Wirklichkeiten zu machen.
({42})
Meine Damen und Herren, einige Mitteilungen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, bitte ich zu beachten, daß bei der Aussprache über den Einzelplan 06 nicht nur eine allgemeine Aussprache stattfindet, sondern daß auch Anträge vorliegen, und zwar die Änderungsanträge Umdruck 313, 335, 347 und 312 und der Entschließungsantrag Umdruck 288, daß der Änderungsantrag Umdruck 333 zurückgezogen ist, daß aber ferner vorliegen die Entschließungsanträge Umdruck 289, Umdruck 309 und 340. Es steht nichts im Wege, daß alle diese Anträge jetzt im Verlauf der Debatte mit begründet werden. Das läßt sich dann, wenn allgemein gesprochen wird, durchaus en passant machen, und würde, glaube ich, der Geschäftslage hier entsprechen.
Die zweite Mitteilung, die ich zu machen habe, ist die, daß entgegen der Ankündigung am Schluß der vorigen Sitzung nach der Behandlung des Einzelplans 06 der Einzelplan des Bundesministeriums für Wirtschaft behandelt werden wird - wenigstens wird ein interfraktioneller Antrag dahin gehend gestellt werden - und dann erst der Haushalt des Auswärtigen Amtes.
Endlich gebe ich bekannt, daß auf Einladung des Herrn Präsidenten Dr. Gerstenmaier um 11.30 Uhr eine Sitzung des Ältestenrates stattfinden wird.
Wir fahren fort. Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich mit dem Hauptanliegen, das Herr Kollege Professor Schmid hier vorgetragen hat, etwas auseinandersetze, darf ich eine Bemerkung zu seinen Eingangsworten machen. Er sprach von der Nibelungentreue, und er ist auf die etwas abenteuerliche Vermutung gekommen, die Nibelungentreue könnte auf dem Umweg über Byzanz zu uns gekommen sein..
({0})
- Konstantinopel, sagten Sie; oh! Aber ich glaube, wir bleiben in derselben Gegend. Ich möchte Ihnen sagen: ich meine, daß die Germanen bis zur Nibelungentreue einen ziemlich konsequenten Entwicklungsweg genommen haben.
Aber sehen wir von dieser scherzhaften Bemerkung ab! Im ganzen möchte ich sagen, daß hier vieles ausgeführt worden ist, dem ich voll und ganz zustimme. Ich begrüße es sehr, daß wir dazu gekommen sind - das gilt schon seit einiger Zeit -, die Fragen der Wissenschaft, der Forschung, der Bildung und Erziehung mehr oder weniger gemeinsam zu behandeln. Sicher gibt es dabei Nuancen; auf einige Nuancen werde ich gleich zu sprechen kommen. Aber ich glaube, man darf die Behauptung wagen, daß der Wille, für die Entwicklung auf diesem Gebiete Nachhaltiges zu tun, im ganzen Hause ausgeprägt ist, und ich meine auch, daß wir auf diesen Gebieten ein gutes Stück weitergekommen sind.
Herr Kollege Schmid hat die Frage aufgeworfen, wie weit wir in der Wissenschaftsentwicklung seien und ob wir hier den Wettbewerb, darf ich einmal sagen, mit der freien Welt aushalten könnten. Ich sehe diese Frage etwas optimistischer, als er sie offenbar sieht.
Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen jetzt einmal etwas zumuten. Ich tue es nur deswegen, weil es wohl die einzige Chance ist, Sie
Bundesinnenminister Dr. Schröder
mit diesen Daten bekannt zu machen, Ihnen nämlich einmal vorzutragen, wie der Wissenschaftsrat, also das Gremium, das Bund, Länder, Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft gemeinsam errichtet haben, um auf diesem Gebiete weiterzukommen, die bewilligten 85 Millionen sowie zusätzlich etwa 13 bis 14 Millionen DM Bindungsermächtigungen aufgeteilt hat. Dabei werden Sie interessante Zahlen und Gegenstände hören. Ich darf sie nach Ländern aufführen.
Für Baden-Württemberg ist folgendes vorgesehen: Universität Freiburg: Neubau eines zweiten Kollegiengebäudes, Neubau des Instituts für makromolekulare Chemie, Neubau des Hygiene-Instituts, Wiederaufbau eines Hörsaalgebäudes für die Naturwissenschaftliche Fakultät.
Universität Heidelberg: Neubau des Chemischen Instituts - 5. Bauabschnitt -, Neubau von Hörsälen für Chemie und Physikalische Chemie, Neubau eines Physikalisch-Chemischen Instituts.
Universität Tübingen: Erweiterung der Universitätsbibliothek, Neubau des Physiologisch-Chemischen Instituts, Neubau eines Tierversuchslaboratoriums.
Für die Technische Hochschule Karlsruhe: Neubau des Instituts für elektrische Nachrichtentechnik, Neubau des Instituts für Bodenmechanik, Neubau des Instituts für mechanische Verfahrenstechnik, Neubau des Kollegiengebäudes für Bau- und Ingenieurwesen.
Für die Technische Hochschule Stuttgart: Neubau des Instituts für Aerodynamik und Gasdynamik, Neubau der Kollegiengebäude für Bauwesen, Neubau eines zweiten Elektrotechnischen Instituts, Neubau für drei Fertigungsinstitute der Maschinenbauabteilung.
Für die Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim: Neubau des Instituts für Pflanzenschutz.
Für diese Projekte, die im Gange sind, wird aus den genannten Mitteln ein Betrag zwischen 10 und 11 Millionen DM aufgewendet.
In Bayern ist folgendes vorgesehen: Für die Universität Erlangen der Neubau des Geologischen Instituts, der Umbau des Hörsaalgebäudes der geisteswissenschaftlichen Fakultäten, der Erwerb eines 14 ha großen Grundstücks für Neubauten von Kliniken und Instituten, der Neubau der Nervenklinik.
Für die Universität München: der Neubau eines Institutsgebäudes für die Philosophische und die Theologische Fakultät, der Neubau eines Hörsaalgebäudes für die Chemischen Institute, der Neubau eines Instituts für Pharmazie, ein Neubau der tierärztlichen Anatomie, der Wiederaufbau des Zoologischen Instituts, der Neubau des Seminargebäudes für die Rechtswissenschaftliche Fakultät, der Neubau eines Zoologisch-Parasitologischen Instituts, der Neubau eines Hygiene-Instituts, der Neubau einer Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten und schließlich ein Sonnenobservatorium der Sternwarte.
Für die Universität Würzburg: der Erweiterungsbau der Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten, der Wiederaufbau der Philosophischen Fakultät, der Erweiterungsbau der Kinderklinik und der Neubau des Botanischen Instituts.
Für die Technische Hochschule München: der Neubau eines Instituts für Hochspannungstechnik, Neubau der Fakultät für Maschinenwesen, Neubau des Instituts für elektrische Maschinen und Geräte sowie technische Elektronik.
Für Bayern werden insgesamt zwischen 11 und 12 Millionen DM aufgewendet.
Berlin. Für die Freie Universität: der Neubau des Physiologischen und Physiologisch-Chemischen Instituts, der Neubau des Osteuropa-Instituts.
Für die Technische Universität in Berlin: Neubau des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft, des Instituts für Thermo-Dynamik, Neubau eines Instituts für Luftfahrt.
Insgesamt werden zwischen 4 und 5 Millionen DM aufgewendet.
Hamburg. Für die Universität Hamburg: Neubau des Seminargebäudes für die Philosophische Fakultät, Neubau des Bettenhauses für die UniversitätsFrauenklinik, Neubau eines Seminargebäudes für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Neubau der Medizinischen Klinik, Neubau der Chirurgischen Klinik.
Insgesamt beträgt der Aufwand etwa 5 Millionen DM.
Hessen. Für die Universität Frankfurt: Neubau eines Gebäudes des Instituts für die Philosophische Fakultät, Anbau Physikalisches Institut und Mathematisches Seminar, Erweiterungsbau PhysikalischChemisches Institut.
Für die Universität Gießen: der Neubau des Veterinär-Anatomischen Instituts und der Wiederaufbau des Landwirtschaftlichen Instituts.
Für die Universität Marburg: Neubau des Zahnärztlichen Instituts, Erweiterungsbau Pharmazeutisches Institut, Neubau eines Instituts für die Rechtswissenschaftliche Fakultät, Umbau des Physiologischen Instituts.
Für die Technische Hochschule Darmstadt: Neubauten des Starkstromtechnischen Instituts.
Für Hessen werden insgesamt zwischen 8 und 9 Millionen DM aufgewendet.
Niedersachsen. Für die Universität Göttingen: Neubau des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung, Neubau eines Poliomyelitis-Zentrums, Neubau eines Agrikulturchemischen und Bodenkundlichen Instituts, Neubau eines Seminargebäudes für die Rechtswissenschaftliche Fakultät, Neubau eines Anatomiegebäudes.
Für die Technische Hochschule Braunschweig: Neubau des Auditorium Maximum, Neubau Elektrotechnischer Institute, Neubau Maschinentechnischer Institute.
Bundesinnenminister Dr. Schröder
Für die Technische Hochschule Hannover: Neubau eines Instituts für Strömungsmaschinen, Neubau eines Gebäudes des Instituts für Maschinenwesen, Wiederaufbau der Chemischen Institute, Neubau eines Hörsaalgebäudes.
Für die Tierärztliche Hochschule Hannover: Neubau eines Experimentierhauses für das Parasitologische Institut, Neubau eines Tierhauses für Pathologie und Anatomie.
Für die Bergakademie Clausthal: Neubau des Instituts für Brennstoffchemie und Markscheidewesen.
In Niedersachsen beträgt der Aufwand insgesamt etwas mehr als 7 Millionen DM.
Nordrhein-Westfalen. Für die Universität Bonn: Neubau eines Instituts für Strahlen- und Kernphysik, Neubau der Universitätsbibliothek, Erweiterungsbau der Chirurgischen Klinik, Neubau eines Instituts für Bodenkunde und Photogrammetrie.
Für die Universität Köln: Neubau der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, Neubau eines Physiologischen und Physiologisch-Chemischen Instituts, Neubau der Frauenklinik.
Für die Universität Münster: Wiederaufbau des Seminargebäudes der Theologischen Fakultät, Neubau eines Instituts für Pharmazeutische Botanik, Neubau der Universitäts-Kinderklinik und Poliomyelitis-Zentrum.
Für die Technische Hochschule Aachen: Ersatzbau für Bauingenieurwesen, Neubau der Fakultät für Maschinenwesen und Elektrotechnik, Neubau der Fakultät für Allgemeine Wissenschaften, Erweiterungsbau des Instituts für Physikalische Chemie und theoretische Hüttenkunde.
Für die Medizinische Akademie Düsseldorf: Neubau der Wissenschaftlichen Zentralbibliothek.
Für Nordrhein-Westfalen beträgt der Aufwand etwas über 10 Millionen DM.
Rheinland-Pfalz. Für die Universität Mainz: Ankauf der Städtischen Krankenanstalten für Zwecke der Medizinischen Fakultät.
In Rheinland-Pfalz werden insgesamt 4 Millionen DM aufgewandt.
Universität Saarbrücken: Neubau des Chemischen Instituts, Neubau der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, Erweiterungsbau für die Naturwissenschaftliche Fakultät, Erweiterungsbau für die Philosophische Fakultät, insgesamt etwa 2,2 Millionen DM.
Schleswig-Holstein. Universität Kiel: Neubau des Chemischen Instituts, Neubau des Instituts für angewandte Physik, Neubau der Orthopädischen Klinik und Erweiterungsbau der Chirurgischen Klinik, insgesamt etwa 2,3 Millionen DM.
Dazu kommen nun noch einige Sonderprojekte, nämlich der Neubau eines Instituts für den wissenschaftlichen Film in Göttingen, der Erweiterungsbau der Biologischen Anstalt auf Helgoland, der Erweiterungsbau der Akademie der Wissenschaften in Mainz, der Ergänzungsbau des Römisch-Germanischen Museums in Mainz, der Neubau des Instituts für Spektrochemie und angewandte Spektroskopie in Dortmund, der Neubau der Technischen Universitätsbibliothek Hannover, der Wiederaufbau der Staatsbibliothek München, der Neubau des Instituts für Genetik in Köln und - nun kommt eine letzte Einrichtung, und sicher wird sie das Interesse des Hohen Hauses finden - die Sonnenbeobachtungsstation im Tessin.
Meine Damen und Herren, ich habe diese Liste -die Aufforderung, ihr zu folgen, stellte eine gewisse Zumutung an Ihre Aufmerksamkeit - deswegen vorgelesen, weil ich einmal eines zeigen möchte: Die Beschäftigung mit diesen Problemen muß sehr detailliert, sehr konkret sein. Wer der Aufzählung der Projekte, die hier genannt sind, etwas gefolgt ist oder ihr an Hand des Protokolls folgen wird, wird erkennen, in einer wie sorgfältigen, umfassenden und abgewogenen Weise der Wissenschaftsrat seine Aufmerksamkeit einer Fülle wissenschaftlicher Projekte zuwendet. Bei der Aufzählung habe ich die Sonnenbeobachtungsstation im Tessin, die sicherlich wichtig ist - ich kann das von mir aus gar nicht beurteilen -, nicht ausgelassen.
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- Die Station hat mit den Filmsternchen im Tessin natürlich nichts zu tun. Sie haben ja gehört: Sonnenbeobachtung im Tessin.
Die Liste, die ich vorgelesen habe, zeigt, daß es sich hier um ein nicht nur sehr umfassendes, sondern auch ein sehr ins einzelne gehendes Anliegen handelt. Wenn man in der Lage ist, für alle diese gerade genannten Projekte etwas zu tun, so zeigt das, daß hier Ausbau- und Erweiterungsarbeiten auf einem Gebiete vorgenommen werden, auf dem wir den notwendigen Grundbestand haben.
Das bringt mich dazu, folgendes zu sagen. Ich habe nach Unterhaltungen mit vielen Wissenschaftlern und vielen in diesen verschiedenen Sparten zuständigen Männern und Frauen die Überzeugung, daß wir uns auf den Gebieten, die herkömmlich den Ruf unserer Wissenschaft und Forschung ausmachen, auch heute im internationalen Wettbewerb sehr wohl sehen lassen dürfen. Wir sollten uns vor der Vorstellung hüten, daß wir gerade auf diesen Gebieten weit hinter andere Länder zurückgefallen seien. Das wäre sicherlich falsch und würde ein nicht zutreffendes Bild der wissenschaftlichen Situation in Deutschland geben. Wir täten uns im übrigen damit auch keinen guten Dienst. Denn wir haben ein großes Interesse daran, daß die Zahl der ausländischen Studenten - geeigneter Studenten, möchte ich sagen - noch zunimmt. Wir haben gerade in dieser Beziehung in den letzten Jahren eine durchaus erfreuliche aufsteigende Entwicklung zu verzeichnen.
Herr Kollege Schmid hat auf ein einziges Universitätsbeispiel im Ausland hingewiesen, und zwar auf die Moskauer Universität. Ich bin einstweilen noch nicht in Moskau gewesen. Ich habe den sowjetischen Vertretern, als sie hier waren, gesagt,
Bundesinnenminister Dr. Schröder
es sei noch nicht die richtige Zeit für mich, aber ich hätte die Hoffnung, Moskau doch eines Tages noch einmal kennenzulernen. Sie, Herr Kollege Schmid, haben mir also einen doppelten Besuch in Moskau voraus. Ich kenne die dortige Universität nur aus Beschreibungen, Bildern usw. Aber ich weiß eines, und das werden Sie sicher so beklagen wie ich. Sie haben die Moskauer Universität eine Lernfabrik genannt. Das wird sicher so sein. Aber, meine Damen und Herren, man muß doch noch etwas hinzufügen: es ist eine Lernfabrik mit eingebauten Mikrophonen, wie wir aus einem englischen Bericht wissen. - Ja, Herr Kollege Schmid, ich polemisiere hier ja nicht gegen Sie. Es ist eben nicht nur eine Lernfabrik, sondern es ist gleichzeitig ein Züchtungsinstitut mit ständiger Überwachung der dort Herangezüchteten. Man kann, glaube ich, nicht deutlicher die ganze Kluft kennzeichnen, die uns von solcher Ausbildung trennt.
Man muß sich aber auch davor hüten, die Zahlen mechanisch zu vergleichen. Was man dort einen Ingenieur nennt, würden wir schwerlich als solchen bezeichnen. Man muß die Nomenklatur im einzelnen kennen, um sich nicht davon überwältigen zu lassen, daß es dort relativ viel mehr gebildete Menschen gäbe als bei uns. Das ist sicherlich nicht der Fall.
Ich sage dies nicht, weil ich nicht der Überzeugung wäre, daß wir in Deutschland jede vorhandene Begabung ausschöpfen sollten. Ich habe hier im April des vergangenen Jahres in längeren Ausführungen einiges darüber gesagt. Ich bin der Meinung, daß jeder in Deutschland, der die geistigen Voraussetzungen - sprechen wir zunächst einmal von den geistigen Voraussetzungen - mitbringt, den bestmöglichen Entwicklungsgang haben sollte, den es gibt, ohne Rücksicht auf die finanziellen Verhältnisse seiner Eltern.
Ich warne aber vor der Überschätzung der Bildungsreserven. In dieser Beziehung, meine Damen und Herren - das sage ich gerade zu den sozialdemokratischen Kollegen - sind Sie zu optimistisch. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, daß es mit den Bildungsreserven nicht so großartig steht, wie Sie annehmen. Herr Kollege Schmid, Sie selbst haben im Grunde einen !gewissen Beitrag zu dieser Erkenntnis geleistet, und zwar durch die Worte, die sich auf Ihre eigene Ausbildung - nicht gerade in den jüngeren Jahren; das liegt natürlich schon ein Stückchen zurück - bezogen. Sie haben gesagt, daß - was natürlich typisch ist - Sie in Ihrem Internat mit 44 Schülern angefangen haben und daß von Ihnen am Schluß noch 17 blieben. Diese 44 -ich habe nicht den Vorzug, Ihre Mitschüler zu kennen; Sie kennen vielleicht auch in etwa deren soziologische Verhältnisse - waren ja alle mit beträchtlichen Hoffnungen in diesem Internat eingeschult worden, und der Test der Leistung - da gab es gar keinen anderen Test als den der Leistung - ließ von 44 noch 17 zurück. Ich darf Ihnen im übrigen sagen: wenn man so viele Schüler von der Grundstufe bis zur Universitätsreife durchzieht, so ist das angesichts der heutigen Verhältnisse noch ein relativ hoher Prozentsatz.
In diesem Zusammenhang kommt dann leicht das Wort vom zweiten Bildungsweg. Wir sind sehr dafür, daß es einen zweiten Bildungsweg geben soll. In dieser Beziehung ist schon manches geschehen. Ich erinnere an das Institut in Oberhausen und an das Institut in Frankfurt. Nach dem, was ich höre, ist auch in Braunschweig ein Institut im Aufbau begriffen.
Ich muß aber vor dem Glauben warnen, der zweite Bildungsweg bringe tatsächlich große Zahlen von Weiterbildungsfähigen. Er wird sicherlich eine sehr interessante und förderungswürdige kleinere Schicht ergeben können. Wir kennen auch unter uns hier und draußen eine ganze Reihe von Menschen, die mit sehr großem Fleiß das nachstuddert haben, was zu studieren ihnen aus irgendwelchen Gründen in früheren Jahren versagt geblieben war. Aber man darf nicht glauben, daß das rein zahlenmäßig wirklich zu Buche schlägt. In meinen Augen schlägt es stärker moralisch zu Buche als numerisch. Ich spreche also nicht etwa dagegen, ich möchte vielmehr nur vor allzu großen Erwartungen hinsichtlich der möglichen Zahlen auf diesem Gebiet warnen.
Bei der Ingenieur- und Lehrerheranbildung sind wir, so glaube ich, in doppelter Beziehung ein gutes Stück weitergekommen. Das Hohe Haus hat in den letzten Jahren - ich gebe jetzt nur einmal ganz runde Zahlen an - direkt und indirekt - etwa 72 Millionen DM für die Förderung der Ingenieurausbildung zur Verfügung gestellt. Man darf heute wohl die Prognose wagen, daß der Ausbau des Ingenieurschulwesens in den Ländern heute so weit ist, daß wir den erwarteten Bedarf in den Jahren, die wir in der Denkschrift genannt haben, werden decken können. Bezüglich des Ingenieurnachwuchses bin ich also durchaus optimistisch; nach meiner Meinung erlauben das die Unterlagen.
Das Problem der Lehrerausbildung ist sehr differenziert. Sie haben seine verschiedenen Aspekte hervorgehoben. Wir sind nicht alle übereinstimmend der Meinung, daß dem höheren Anspruch an die Lehrerausbildung auch höhere Zahlen gegenüberstehen werden.
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- Trotz dieses Hinweises auf Bayern habe ich gewisse Bedenken.
Wir haben auf dem Gebiet des Lehrernachwuchses folgendes zu verzeichnen. Die Bewerbungen an sich steigen. Ich habe mir einmal angesehen, was für Wünsche hinsichtlich der Berufsausbildung die letzten Abiturienten angegeben hatten. Es war nach meiner Meinung ein beträchtlicher Zuwachs an solchen Abiturienten zu verzeichnen, die den Wunsch hatten, Lehrer zu werden. Wir begrüßen das dankbar.
Aber in diesem Beruf ist auch das eingetreten, was bei meinen Mitarbeitern eine Feminisierung genannt wird.
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Bundesinnenminister Dr. Schröder
Gut. Ich finde das Wort scheußlich. Gemeint ist also ein zu starkes Überwiegen der weiblichen Kräfte. Das stimmt vielleicht mit der Entwicklung in Amerika etwas überein. Es hat aber natürlich den großen Nachteil, daß unter Umständen ein erheblicher Teil des Aufwandes, der in die Ausbildung dieser Kräfte gesteckt worden ist, sehr schnell wieder dadurch verlorengeht, daß es zu Eheschließungen kommt, die jedenfalls den Schulsektor als den Verlierer dastehen lassen, so wertvoll die andere Art der Lebensgestaltung natürlich sein mag.
Meine Damen und Herren, das rein politisch am meisten umkämpfte Problem war und ist wohl noch das des Schulbaues und der Nachholung wegen der Kriegsschäden auf diesem Gebiet. In dieser Beziehung möchte ich jetzt nicht mehr ins Detail gehen; das habe ich früher getan. Ich darf auf eines verweisen, was der Herr Kollege Stoltenberg bei der zweiten Beratung ausgeführt hat: daß in der Tat an sehr, sehr vielen Stellen - er hat Hamburg genannt, ich habe schon einmal das Düsseldorfer Beispiel angeführt, es gibt auch andere Beispiele - doch zu sehen ist, daß es Dutzende von Millionen noch unverbauter, bereitstehender Gelder für Schulen gibt und daß in diesen Städten die Baukapazität gar nicht ausreicht, die bereits bewilligten Mittel schnell genug zu verbauen. So glaube ich, daß wir, im großen gesehen - es versteht sich bei dem Stand der heutigen Schulzeitdauer -, den Nachholbedarf auf diesem Gebiet in zwei, drei Jahren gedeckt haben werden, vielleicht mit dieser oder jener Ausnahme.
Die anderen Fragen, die Sie stellen - Verstärkung des Lehrernachwuchses überhaupt, neuntes und zehntes Schuljahr -, liegen schwieriger. Ich möchte sie im Augenblick nicht behandeln. Ich selbst stehe auf dem Standpunkt, daß wir zu einer Verlängerung der - ich darf eis einmal so sagen - Grundschulausbildung kommen müssen und auch kommen werden.
Dann möchte ich gern noch ein Wort zur Frage der Studenten und ihrer Förderung sagen. Hier, verehrter Herr Kollege Schmid, haben Sie sich etwas widersprochen. Sie fanden meinen vollen Beifall, als Sie sagten, daß sich die Studenten das Stipendium verdienen sollen. Das hat natürlich meine herzliche Unterstützung.
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Sie haben aber dann, als Sie von den Staatspensionären sprachen, gesagt, es wäre eigentlich nicht schlimm, wenn die Studenten Staatspensionäre wären, sonst wären sie vielleicht Pensionäre ihrer Eltern. Dieser Gedankengang steht in einem gewissen Gegensatz zu dem Stipendiumverdienen.
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- Darf ich vielleicht meinen Gedankengang klarmachen. Herr Kollege Schmid, ich kämpfe seit langem um eines, das ganz im Einklang mit dem steht, was ich vorhin gesagt habe. Ich sage noch einmal: jede Begabung soll ohne Rücksicht auf den Vermögensstand der Eltern - vermögende Eltern sollen ihre Kinder natürlich gefälligst selbst ausbilden lassen,
das ist ja selbstverständlich - so intensiv wie möglich gefördert werden.
Aber - nun bin ich bei Ihrem Argument - das Stipendiumverdienen gilt offensichtlich nur für den Prozentsatz derjenigen, die überdurchschnittlich begabt sind. An der Förderung von, hochschulmäßig gesehen, unter dem Durchschnitt liegenden Kräften haben wir nur ein ganz begrenztes, wenn überhaupt ein Interesse. Wenn wir solche Menschen fördern sollten, würden wir sie wahrscheinlich besser mit einer Fachschul- als mit einer Hochschulausbildung fördern.
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Deswegen ist der Gedanke des Studienhonorars ein ganz schlimmer Gedanke. Ich habe - es mag sein, daß ich in dieser Beziehung schon nicht mehr modern genug bin - folgendes erlebt. Als wir Referendare waren, gab es kaum Unterhaltszuschüsse. Ich z. B. bin - wenn ich das aus meiner eigenen Vergangenheit sagen darf - während meiner Referendarausbildung auch Fakultätsassistent gewesen. Ich bin das hier gewesen, ich bin das in Berlin gewesen. Das waren zusätzliche Anstrengungen. Es ist gar keine Frage, daß das eine Tätigkeit ist, die über das hinausgeht, was ein normaler Referendar zu leisten hat.
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- Ich begrüße das und höre das sehr gerne.
Aber, Herr Kollege Schmid, was ist heute? Heute hält man es für völlig selbstverständlich, daß man als Referendar bereits sozusagen eine Staatsanstellung hat. Das wächst sich weiter und weiter aus. Ich will gar nicht ,sagen, daß es nicht eine gewisse Notwendigkeit gibt, die in diese Richtung drängt. Aber man muß sehen, daß in einer solchen Entwicklung auch große Gefahren liegen. Der Leistungswille des einzelnen wird nämlich bei uns heute nicht immer in dem nötigen Maße angeregt, wenn man es ihm allzu leicht macht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Dr. Schmid ({0}) ({1}) : Herr Minister, kennen Sie das alte württembergische Landexamen, durch das man in das Tübinger Stift kommt? Das ist es, was ich meine. Wir haben in Obertertia ein sehr schwieriges Konkursexamen gemacht, wo ganze 36 nach Punkten bestanden. Die wurden damm allerdings bis zum Schluß ihres Studiums „Staatspensionäre". Einer davon - vor langer Zeit - hieß Hegel, einer hieß Schelling, einer hieß Hölderlin, einer hieß David Friedrich Strauß usw. usw. Ich will nur sagen, daß diese Leute ebenfalls Staatspensionäre gewesen sind. Es hat sich gelohnt, das Landexamen, seit 400 Jahren.
Herr Kollege Schmid, Sie haben in diesem Punkt meine - wenn es das gibt - mehr als hundertprozentige Zustimmung. Ich bin ja sehr dafür, und wir, im Blick
Bundesinnenminister Dr. Schröder
auf die Studienstiftung des deutschen Volkes, würden uns freuen, wenn der Prozentsatz der Hochbegabten in unserem Volk etwas höher wäre, als er ist. Heute sind wir dabei, in unserem Lande eine so breite Verwaltung und Organisation aufzubauen, daß wir sie überhaupt nicht mit Begabten decken können. Wir haben so viel an neuen Institutionen, für die Juristen gebraucht werden, aufgebaut, daß wir so viele Juristen hervorzubringen in Deutschland gar nicht in der Lage sind. Das ist meine Überzeugung. Die Fähigkeit eines Volkes, begabten Nachwuchs hervorzubringen, hält sich in gewissen Grenzen. Man soll sie richtig einschätzen, um auf diesem Gebiet sinnvoll handeln zu können. Sonst gibt man sich Illusionen hin, mit denen man nur schlimme und schwere Enttäuschungen erleiden kann.
Sie haben weiter darauf hingewiesen oder haben anklingen lassen, daß die Verleihung des Nobelpreises, international betrachtet, ein bißchen - ich sage: ein bißchen, Herr Kollege Schmid; ich will das nicht übertreiben - ein Gradmesser ist. Aber in dieser Beziehung - ich möchte das Wort „zufrieden" vermeiden - brauchen wir uns jedenfalls nicht unterwertig zu fühlen.
Sie gehören dem Senat der Max-Planck-Gesellschaft an. Ich habe nicht mehr in Erinnerung, ob Sie bei dem schönen Ereignis der Feier des 80. Geburtstages von Professor Hahn dabeigewesen sind. Man sah dort, wer von den deutschen Teilnehmern den Nobelpreis hatte. Ich bin jedenfalls von der Veranstaltung mit dem Gefühl zurückgekommen, daß das eine einzigartige Versammlung war, die für uns eine Ermutigung bedeutet, weil diese Männer, die unter uns wirken, in der Lage sind, soweit ein Anschluß nicht in allen Punkten gegeben sein sollte, unseren Anschluß an die internationale Entwicklung wiederzufinden, zu behalten, zu festigen und den deutschen Ruf auf diesem Gebiete unbeschädigt in die Zukunft zu tragen. Wir haben auf diesem Gebiet - wenn ich den Namen Hahn nenne, nenne ich ihn als einen für viele - allen Anlaß, durchaus zuversichtlich zu sein.
Aber, Herr Kollege Schmid, in einem kann ich Ihnen nicht zustimmen. Sie haben den Gedanken geäußert, daß in der Konkurrenz mit den Totalitären der Mobilisierung des Geistes eine ganz besondere Rolle zukäme. Sie haben dann gesagt, der Gebildete erliege der Versuchung nicht so leicht. Ich habe gerade in Heidelberg eine Rede über diese Frage, die Wachsamkeit des Geistes, gehalten. Ich habe bei der Vorbereitung darauf ein ziemlich erschütterndes Stück Literatur zu mir nehmen müssen, darüber, in welcher Weise viele Gebildete der Verführung des Kommunismus anheimgefallen sind.
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Das macht mich hinsichtlich der Immunisierung des Gebildeten gegen solche Gefahren außerordentlich skeptisch. Ich glaube, der Gebildete bedarf nicht nur dieser Bildung, sondern er bedarf - wie alle anderen, die weniger den Vorzug einer guten Ausbildung gehabt haben -oder Wachsamkeit des Geistes. Die Wachsamkeit des Geistes ist eine Forderung, in ,der wir uns ohne Zweifel alle vereinigen werden.
Abschließend darf ich folgendes sagen. Ich begrüße es sehr - ich habe auch mit Ihrem Kollegen von Knoeringen eine längere Unterhaltung darüber geführt -, daß wir auf diesem Gebiete eine gemeinsame Anstrengung machen. In der Darstellung der Zahlen und Projekte gehen wir auseinander, aber im Kern haben wir hier dasselbe Anliegen. Ich kann nur dasselbe sagen, was ich in diesem Hause vor etwa mehr als einem Jahr ausgeführt habe: dies sind Fragen, die wir in ihrer Bedeutung nur dann richtig einordnen, wenn wir ihnen die - so möchte ich beinahe sagen - höchste Priorität zuerkennen. Wenden Sie bitte dagegen nicht ein, die höchste Priorität komme dem Versuch zu, etwa die Ausgaben ,des Verteidigungshaushalts zu überziehen. Das verstehe ich darunter nicht. Ich verstehe „höchste Priorität" in dem Sinne, daß die Anstrengungen eines Volkes wie des unseren, das den Anspruch erhebt, mindestens das freie westliche internationale Niveau zu haben, wenn nicht auf gewissen Gebieten zu überragen - ,diese Anstrengungen sind ganz entscheidend -, nicht gehindert werden können und dürfen durch den Aufwand, der für die Verteidigung zu leisten ist. Ich bin aber der Meinung - gerade deswegen habe ich Ihnen eine solche Reihe konkreter Projekte vorgelesen -, daß bei uns, so gut man es kann, der Aufwand sowohl auf dem Gebiete der Entwicklung wie auf dem der Verteidigung einigermaßen ausgeglichen ist. Wir sind gern bereit, um jede Verbesserung, die möglich ist, mit Ihnen gemeinsam zu ringen.
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Meine Damen und Herren, damit wir uns recht verstehen: alle Änderungsanträge und alle Entschließungsanträge zu Einzelplan 06 sind aufgerufen. Wir haben außerdem eine allgemeine Aussprache.
Es ist der Wunsch geäußert worden, die Themen etwas zu 'gruppieren. Ich bitte, zur Hand zu nehmen die Umdrucke 313, 335, 347, 289 und 309. Das scheinen mir diejenigen Anträge zu sein, die sich mit der Frage der Kulturpolitik im weitesten Sinne beschäftigen. Die Anträge Umdruck 312 und Umdruck 340 gehören zu der Gruppe der Krankenanstalten und was dazu gehört. Daneben haben wir noch den Antrag auf Umdruck 288, der sich mit dem Stresemann-Denkmal befaßt; ich möchte ihn zu der ersten Gruppe rechnen, weil ich nicht glaube, daß es sich um eine Krankheit handelt, sondern um eine Frage der Kultur im weitesten Sinne. Ich darf also bitten, mit dieser Gruppierung einverstanden zu sein. Sollte noch jemand allgemein sprechen wollen, dann bitte ich, das zunächst zusagen.
In der allgemeinen Debatte hat der Abgeordnete Dresbach das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre vielleicht zweckmäßig, wenn ich die wenigen Worte, die ich vorzubringen habe, bei der Beratung des Einzelplans 60 vortrüge und nicht bei 06. Man kommt sonst leicht in den Geruch „nix kultura", ein Vorwurf, den ja auch der Herr Kollege Schmid schon in nicht netter
Weise gegen meinen Freund Vogel erhoben hat. Meine Damen und Herren, der Kollege Schmid sieht den Föderalismus als Ausdruck der Machtverteilung an. Übrigens etwas mehr als ich; denn ich sehe im Föderalismus von heute im wesentlichen ein Organisationsproblem der Verwaltung. Aber es gibt ja so komische Dinge auf dieser Welt, linke Hand, rechte Hand, alles vertauscht. Politische Straße, wie sieht du mir aus? Die linke wird föderalistisch, die Mitte kommt etwas mehr zum Unitarismus. - Aber wer so tut wie der Kollege Schmid, der muß sich auch zu einer entsprechenden Finanzverfassung, einer parallel laufenden Finanzverfassung bekennen. Das Grundgesetz kennt das Prinzip der Trennung der Steuerquellen, hat es sogar intensiviert, indem es den Gemeinden die Realsteuergarantie zusprach und damit diese Steuern den Ländern entzog. Es hat allerdings Ausnahmen zulassen müssen, insbesondere bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, wie wir sie im Artikel 106 niedergelegt haben. Das gilt vor allen Dingen für den vertikalen Finanzausgleich von Bund zu Land. Wir haben aber auch den horizontalen Finanzausgleich von Land zu Land, vom reichen Land zum armen Land, und wir haben den innerstaatlichen Finanzausgleich zwischen Land und Gemeinden und Gemeindeverbänden.
Ich bin der Meinung, daß die Erfüllung der Kulturaufgaben auf der Grundlage der allgemeinen Finanzausgleiche zu erfolgen hat. Ich bin aber - und da glaube ich allen Damen und Herren hier nahezukommen - der Meinung, daß die Kulturaufgaben als wichtige Komponente für die Bemessung der Anteile und auch für die Bemessung der Steuerquellen sehr viel stärker herausgestellt werden müssen.
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Ich möchte gerade auf Grund meiner Verwaltungserfahrung vor der Fülle der Spezialfonds warnen, die alle in ihrer Art zu Spezialfinanzausgleichen ausarten und zu zweckgebundenen Zuschüssen werden. Man kann den Art. 120 des Grundgesetzes mit den Kriegsfolgelasten so intensivieren, daß er zu einer allgemeinen Aushöhlung der allgemeinen Finanzausgleiche führt, und das möchten Sie, glaube ich, nicht und möchte ich jedenfalls nicht.
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Diese Spezialfonds, wie Sie sie hier vorschlagen, gelangen ja zur Verteilung bei den Landesregierungen oder bei den oberen Verwaltungsbehörden, d. h. in größeren Ländern bei den Regierungspräsidenten. Sie sind dann bei der Austeilung sehr stark eine Angelegenheit der Beziehungen irgendwelcher Art,
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von Beziehungen, die auch leicht zu Korruption hinneigen. Dann kommt der unschöne Zustand heraus, daß der Herr Abgeordnete mit herangezogen wird und dann am Zimmer des Herrn Ministerialrats anklopft. Derselbe Abgeordnete, der sich sonst in Ausschußverhandlungen gern als Brötchengeber der Ministerialbeamtenschaft darstellt, sagt dann:
Bitte, geben Sie mir doch etwas ab für meinen Wahlkreis!
Meine Damen und Herren, alle diese speziellen Fonds und Zuschüsse führen aber auch zu einer Verstärkung der Finanzaufsicht in jeglichem Sinne; denn kein Geldgeber gibt Geld, ohne nachzuschauen, was damit geschieht. Bei den Gemeinden und Gemeindeverbänden führt dieses System der Spezialfonds und der zweckgebundenen Zuschüsse zu einer Einengung der Selbstverwaltung.
Sicher brauchen wir für den Nachholbedarf noch diese speziellen Zuwendungen vom Bund aus, über deren Fülle uns der Herr Bundesinnenminister soeben unterrichtet hat. Aber wir müssen darauf bedacht sein, daß die Kulturaufgaben bei der Bemessung der allgemeinen Finanzausgleiche berücksichtigt werden. Das gilt für das Verhältnis von Bund zu Ländern, das gilt für das Verhältnis Land zu Land und für das Verhältnis Land und Gemeinden. Ich glaube, wir müssen bei der zukünftigen Regelung der Finanzausgleiche, wie sie uns als Bundesgesetzgeber auferlegt sind - das ist der vertikale und der horizontale Finanzausgleich -, alle Anstrengungen machen, damit die Kulturaufgaben mehr als bisher berücksichtigt werden. Ich erkläre mich dazu bereit.
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Meine Damen und Herren, nun habe ich eine etwas weniger willkommene Mitteilung zu machen. Angesichts der Geschäftslage wird keine Mittagspause stattfinden; wir werden durchtagen. Ich bitte um Ihre Präsenz, da mir angekündigt worden ist, daß auch Anträge auf namentliche Abstimmung zu erwarten sind, und zwar, - soweit sich bisher die Geschäftslage überschauen läßt - wahrscheinlich im Laufe des zweiten Teils des Nachmittags. Zwei Anträge dieser Art sind mir - ich muß sagen - angedeutet worden. Ich möchte bitten, davon Notiz zu nehmen.
Ich möchte Sie ferner davon unterrichten, daß die am 10. Juni verteilte Drucksache 1151 voraussichtlich bei der Behandlung des Einzelplans 09 mit zur Debatte gestellt werden wird, wenn das Haus der Aufnahme in die Tagesordnung zustimmt. Ich bitte, davon Kenntnis zu nehmen.
Wir fahren dann in der allgemeinen Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Bechert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, zur Frage des zivilen Bevölkerungsschutzes zu sprechen.
Wir fragen die Bundesregierung, was sie getan hat und was sie tun will, um die Zivilbevölkerung gegen die Schrecken eines heutigen Krieges mit nicht atomaren Waffen zu schützen, also eines Krieges, der mit heutigen biologischen und chemischen Waffen geführt wird.
Vor einigen Monaten ist ein amtlicher militärischer Bericht an den amerikanischen Senatsausschuß für Verteidigung gegeben worden über die heutigen Waffen eines solchen Krieges. Da gibt es
Gifte, die man als feinverteilten Nebel herunterkommen lassen kann, der unsichtbar und geruchfrei ist und den man auch nur schwer chemisch nachweisen kann, Gifte, die Menschen auf Zeit blind machen können. Man kann die Wirkung solcher Gifte dosieren „je nach Wunsch und Bedarf", wie es in diesem Bericht so schön heißt. Es gibt Gifte, die Menschen bewegungsunfähig machen, weil sie das geordnete Zusammenwirken von Nervenvorgängen angreifen, das notwendig ist, damit wir Bewegungen machen können. Es gibt Gifte, die Menschen geisteskrank machen, so daß sie den Sinn für vernünftiges Verhalten verlieren. Das alles kann auf Zeit bewirkt werden, je nach Dosierung. Es gibt Gifte, die das Blut allmählich und unaufhaltsam zersetzen; sie bringen den Tod nach Stunden, Tagen, Wochen, je nach Dosierung. Es gibt Gifte, von denen ein einziger kleiner Tropfen an irgendeiner Hautstelle genügt, den Menschen innerhalb kurzer Zeit unrettbar zu töten.
Wenn man solch einen Nebel über eine Großstadt herunterkommen läßt, werden die Bunker, in die sich die Bevölkerung geflüchtet hat, zu Massengräbern, auch ohne daß sie zerstört wären. Man kann heute im biologischen Krieg ohne Kriegserklärung beim Gegner langsam Krankheitsziffern ansteigen, Seuchen sich ausbreiten lassen, man kann seine Nutztiere und Nutzpflanzen durch Viruskrankheiten vernichten und so Hungersnot über das Land bringen, man kann die fürchterlichsten Bakterienkrankheiten über den Gegner kommen lassen. Und natürlich kann man alles, was der Atomkrieg an Strahlengefahren mit sich bringt, Strahlentod, Erbschäden, auch ohne Explosion auf den Gegner loslassen - in Form von feinverteiltem radioaktivem Staub, der für unsere Sinne unmerklich ist. Was will die Bundesregierung tun, um die Bevölkerung vor den Schrecken eines solchen Krieges zu schützen?
Die neueste Entwicklung auf dem Gebiete der Atomwaffen sind die sogenannten „gesalzenen Atombomben", über die der amerikanische Verteidigungsminister an den amerikanischen Senat berichtet hat. Mit solchen Waffen kann man verhältnismäßig kurzdauernde, aber schauerlich hohe Strahlengefahr über das angegriffene Volk bringen, man kann es damit weitgehend ausrotten - und nach einigen Monaten kann das Land ziemlich ungefährdet besetzt werden.
Es ist nicht wahr, was in dem Buch des Bundesverteidigungsministeriums über Kernexplosionen steht, daß die Entwicklung moderner Kernwaffen in Richtung auf geringere Strahlengefahr geht.
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Für den Angegriffenen jedenfalls wird die Strahlengefahr durch die heutigen Waffen nur noch größer.
Vor drei Jahren habe ich vorausgesagt, daß die radioaktive Verseuchung des Regenwassers bald so bedenklich werden würde, daß man es nicht mehr ungefährdet als Trinkwasser verwenden kann. Damals hatte die Bundesregierung die unerhörte Bedenkenlosigkeit, durch einen ihrer Sprecher verkünden zu lassen: Es sind ja nur einige wenige Höfe im Hochschwarzwald, in denen Regenwasser als Trinkwasser verwendet wird. Nun, mittlerweile hat sogar die Bundesregierung gemerkt, daß dieser Standpunkt auch im schlafmützigen Deutschland Anstoß erregen könnte. Der Herr Staatssekretär des Innenministeriums hat uns versichert, daß die Radioaktivität des Regenwassers eine weitere Gefahrenquelle ist. Aber was tut die Regierung wirklich? Hat sie die Bevölkerung etwa auch nur gewarnt? Hat sie Filtergeräte und Filteranlagen gekauft, verteilen oder einbauen lassen? Der Herr Staatssekretär hat uns gesagt, daß Strahlenmeßgeräte verteilt worden sind. Aber Strahlenmeßgeräte helfen nicht dagegen, daß das Trinkwasser verseucht ist. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, kommt es nicht dadurch wieder heraus, daß man feststellt, daß es drinliegt.
In Dänemark hat die Regierung der Bevölkerung einer Insel, die auf Regenwasser als Trinkwasser angewiesen ist, vorerst verbieten müssen, Regenwasser als Trinkwasser zu verwenden. Man baut jetzt dort Filter in die Zisternen ein. Das gleiche tut man in der Schweiz im Jura.
Und was geschieht bei uns? Ist Trinkwassergefährdung und -verseuchung für Hunderttausende von Menschen kein Anlaß für das Bundesinnenministerium, wirksam einzugreifen? Ich habe schon gesagt und wiederhole es: nicht einmal gewarnt hat man die Bevölkerung! Oder fühlt man sich wieder einmal nicht zuständig?
Ich stelle fest: erst durch eine Anfrage der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ist das Bundesatomministerium zu der Feststellung veranlaßt worden, daß das Regenwasser im Januar dieses Jahres 60mal stärker radioaktiv verseucht gewesen sei, als der höchstzulässigen Verseuchung bei Dauergebrauch als Trinkwasser entspricht. Daß die Regenwasserverseuchung bei uns im Februar aber noch viel höher war, nämlich fast 91mal größer war, als der höchstzulässigen Verseuchung entspricht, das hat die Bundesregierung in ihrer Antwort der deutschen Öffentlichkeit nicht gesagt. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage kam vor vier Wochen, und seitdem ist es wieder still. Offenbar hat man nicht die Absicht, wirklich etwas zu tun.
In der Schweiz gibt es einfache Geräte zum Entseuchen von Trinkwasser. Wir haben bisher nichts davon gehört, daß die Bundesregierung ,etwas Ähnliches zum Schutze unserer Bevölkerung anwendet oder auch nur bekanntmacht.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Durchschniittsnahrung des Bundesbürgers zur Zeit etwa ein Siebtel der höchstzulässigen Strontium90-Menge enthalten ist und daß diese Verseuchung in den letzten Jahren langsam, aber sicher gestiegen ist? In Indien und Japan ist die Strontium-90Verseuchung der Nahrung bereits bei 88 % der höchstzulässigen Verseuchung angelangt. Was tut die Bundesregierung, um bei uns einzugreifen? Nichts. Was tut sie, um der Bevölkerung bekanntzumachen, daß gewisse Nahrungsmittel erheblich stärker verseucht sind als andere, daß z. B. Roggenkörner fast neunmal stärker verseucht sind als
Milch, daß Vollkornbrot stärker verseucht ist als gewöhnliches Brot, daß Gemüse und Obst drei- bis siebenmal stärker verseucht sind als Milch? Wenn die Bundesregierung bei dieser Verseuchung schon in Friedenszeiten nichts tut, bei einer Verseuchung, die überschaubar ist, was kann man von ihr erwarten an Vorsorge gegen die Auswirkungen einer Katastrophenlage, wie sie nach einem Atomangriff gegeben ist?
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Zu der Frage, welche Maßnahmen sinnvoll sind, kann man sagen: gewisse Maßnahmen sind bestimmt sinnvoll, z. B. die Ausbildung von Ärzten im Strahlenschutz, Beschaffung von Strahlenmeßgeräten, von Schutzkleidung, Ausbildung von Ärzten in der Behandlung von Strahlenkranken, Ausstattung der Wasser- und Energieversorgungsbetriebe mit Notversorgungsanlagen. Für alle diese Maßnahmen sind lächerlich geringe Summen in den Haushaltsplan eingesetzt. Für die Rüstung haben Sie immer Geld, aber Sie denken zu wenig daran, daß das Volk leben, nicht sterben will!
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Den Schutz gegen radioaktive Niederschläge nach einem Atomangriff hält die Bundesregierung für verhältnismäßig einfach, so ist uns hier in dieser Debatte versichert worden. Offenbar müssen bei uns erst H-Bomben fallen, damit sogar für Regierungsmitglieder glaubhaft wird - wenn sie dann noch leben -, daß Radioaktivität eine gefährliche Sache ist. Ich frage: Wie schützt man sich gegen die Verseuchung nach einem Atomangriff? Wollen Sie gegen den radioaktiven Staubfall und Niederschlag, der nach dem Angriff noch stundenlang anhält, einen Bundesregenschirm aufspannen?
Meine Damen und Herren, alle wirklich Sachverständigen sind sich darüber einig, daß diese radioaktive Verseuchung von Boden, Luft und Wasser, Pflanze, Tier und Mensch und die durch Strahlung erzeugten Erbschäden die fürchterlichste Gefahr sind, die über die Menschen kommen kann. Die Behauptung, daß man sich dagegen, verglichen mit dem Schutz gegen die Sprengwirkung, verhältnismäßig leicht schützen könne, zeugt von einer erschütternden Ahnungslosigkeit. Begreifen Sie das denn wirklich erst, wenn das Unheil da ist?
Der Herr Bundeskanzler, der ja fast überall sachverständig ist, hat sich in Mainz geleistet, über Voraussagen zur radioaktiven Verseuchung zu spotten. Trotz seiner 17 Doktorhüte scheint er nicht zu wissen, daß die Wissenschaft häufig die Aufgabe und heute sogar die Pflicht hat, Voraussagen zu machen. Dieser sachverständige Geist scheint auch bestimmend gewesen zu sein für die erstaunliche Ansicht, die wir hier hörten, daß man sich gegen Radioaktivität ziemlich leicht schützen könne.
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Damit das Durcheinander und das heillose Stümpern im Bereich des zivilen Bevölkerungsschutzes aufhört, wird die SPD-Fraktion in dieser Debatte in einem Entschließungsantrag fordern, eine unabhängige Studienkommission einzusetzen, die zu prüfen hat, welche Schutzmaßnahmen für den Schutz der Bevölkerung wirklich sinnvoll sind.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt ({0}) zu den Entschließungsanträgen Umdrucke 288 und 289.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion beantragt auf Umdruck 288, daß der Haushaltsausschuß beauftragt wird, die für das Stresemann-Ehrenmal vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel auf ihre zweckentsprechende Verwendung zu überprüfen.
Meine Damen und Herren, der Herr Ministerpräsident Dr. Altmeier hat offensichtlich - wenn man die Presseberichte aus Mainz liest - in Grundstücksfragen eine sehr glückliche Hand. Der Deutsche Bundestag hat in den Haushaltsjahren 1956 und 1957 im Einzelplan 06 600 000 DM und 320 000 DM zur Schaffung einer Stresemann-Gedächtnisstätte im Zeughaus in Mainz zur Verfügung gestellt. Diese Gedächtnisstätte, die dem Andenken des früheren deutschen Reichskanzlers und Außenministers Gustav Stresemann gewidmet sein soll und für die Bundestag, Länder und nicht zuletzt zahlreiche private Spender große Beträge gestiftet haben, ist jetzt im Rahmen der Mainzer Staatskanzlei entstanden. Da dem Bundestag darüber kein Bericht vorliegt, beantragen wir zur Aufklärung des Sachverhalts, daß der Haushaltsausschuß die zweckentsprechende Verwendung der vom Deutschen Bundestag zur Verfügung gestellten Mittel überprüft.
Ich bitte im Namen meiner Fraktion um Annahme dieses Antrages.
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Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich darf dann noch den Antrag auf Umdruck 289, der sich mit der Trägerschaft für das Institut für Zeitgeschichte beschäftigt, begründen. Zur Begründung unseres Antrages muß ich in einigen Sätzen die Geschichte, die Aufgaben und die Arbeit des Instituts für Zeitgeschichte darstellen, und ich bitte dafür um Ihr Verständnis.
Das Institut für Zeitgeschichte in München ist im Herbst 1947 von den Ministerpräsidenten der damaligen US-Zone gegründet und 1950 endgültig konstituiert worden. Das Institut sollte neben der Sammlung aller erreichbaren Quellen zum Nationalsozialismus und seiner Vorgeschichte dieses Material sowohl wissenschaftlich als auch allgemeinverständlich auswerten und entsprechende Darstellungen vorbereiten und unterstützen. Leider waren die Mittel, die dem Institut für seine Arbeit zur Verfügung standen und stehen, nur verhältnismäßig gering, so daß es nicht alle Aufgaben erfüllen konnte, die die Sache erfordert hätte. Die Frage, wie es in den Jahren nach 1933 in Deutschland zu solch ungeheuerlichem Geschehen kommen konnte, ist wichtig; sie ist vor allem aber auch wichtig, um
Schmitt ({1})
diese Vergangenheit zu bewältigen, die ja in unsere Zeit hinein fortwirkt und die die Menschen in ihrem Bann hält, wenn sie sie nicht „aufarbeiten" und sich mit ihr wirklich auseinandersetzen.
Diese Auseinandersetzung, meine Damen und Herren, ist von großer politischer Bedeutung, und es ist keine Frage, daß dabei die Autorität der Wissenschaft durch die Überwindung von Emotionen, Vorurteilen und nicht zuletzt der zahlreichen Legenden, die das Ergebnis einer hemmungslosen Propaganda sind, große Dienste leistet.
Ich glaube, meine Damen und Herren, in dieser Zielsetzung sind wir uns einig; und ich darf hier sagen, daß das Bundesinnenministerium sich ja auch in der Vergangenheit um die Arbeit des Instituts und seine Sicherung bemüht hat. Ich würde natürlich gern auch die Forschungsarbeit und die Publikationen des Instituts und nicht zuletzt seine Beiträge zur politischen Bildung würdigen, aber ich muß aus Zeitgründen heute darauf verzichten und mich der Frage zuwenden, die das Ziel unseres Antrages ist.
Der Entwurf einer neuen Satzung vom 1. Juli 1955, der eine gesicherte Rechtsform für das Institut für Zeitgeschichte schaffen soll und der eine Beteiligung des Bundes vorsieht, ist leider vom Finanzministerium immer noch nicht genehmigt. Ich kann hier den Leidensweg der interministeriellen Verhandlungen nicht wiedergeben. Aber ich freue mich, daß das Innenministerium immer wieder darauf hingewiesen hat, wie wichtig und notwendig es ist, daß das Institut eine geeignete Rechtsgrundlage erhält. Erfreulicherweise hat die Konferenz der Kultusminister die Aufnahme des Instituts in das Königsteiner Abkommen beschlossen, obwohl die Frage der Rechtsform noch nicht gelöst war, deren Lösung zunächst als Voraussetzung für die Aufnahme in das Königsteiner Abkommen von der Kultusministerkonferenz gefordert war.
Bedauerlicherweise haben alle Bemühungen des Innenministeriums, selbst das Angebot einer mündlichen Erörterung des Problems mit dem Finanzministerium, bisher nicht zu Ergebnissen geführt. Der Verwaltungsausschuß des Königsteiner Abkommens hat diese unbefriedigende Lage zuletzt auf seiner Sitzung vom 11./12. Dezember 1958 bemängelt und nicht zuletzt mit Rücksicht darauf eine Erhöhung des Zuschußbetrages der Länder von 150 000 auf 165 000 DM abgelehnt. Wenn auch Bayern gegebenenfalls bereit ist, das Institut allein zu tragen, so sehen wir, meine Damen und Herren, wirklich keinen vernünftigen Grund, warum die Bürokratie des Bundesfinanzministeriums hier Sand ins Getriebe streut. Ich brauche die Nachteile, die sich aus dem Fehlen einer Rechtsform für das Institut ergeben, nicht im einzelnen aufzuführen; sie sind jedem klar, der solche Institutionen kennt, deren Existenz ungesichert ist.
Wir bitten daher das Hohe Haus, der Bundesregierung den Auftrag zu erteilen, daran mitzuwirken, daß das Institut so bald wie möglich eine endgültige Rechtsform erhält. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Wir sollten uns hier nicht darüber
auseinandersetzen, sondern der Bundesregierung den Auftrag geben, Lösungen zu suchen und zu schaffen, die den tatsächlichen Bedürfnissen gerecht werden. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bitten wir, unserm Antrag zuzustimmen.
({2})
Zur Begründung des Änderungsantrags Umdruck 347 hat Frau Abgeordnete Dr. Lüders das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich nur einige wenige Worte zu unserm Änderungsantrag Umdruck 347 sagen und Sie schon im vorhinein bitten, diesen Antrag anzunehmen. Sie ersehen daraus, daß wir bei dem Tit. 974 - Zur Beseitigung der durch Krieg und Kriegsfolgen verursachten Schulraumnot - dem hohen Ansatz von 300 Millionen DM, den die SPD gefordert hat, nicht zustimmen, sondern einen Betrag von 50 Millionen DM vorgeschlagen haben. Aber beachten Sie bitte, daß sich unser Antrag Umdruck 347 mit dem Zuschuß für die finanzschwachen Gemeinden befaßt, die es in erster Linie nötig haben, daß ihre Bildungsinstitute von der Schule bis zur Universität gefördert werden. Wir glauben, daß das ein guter Anfang sein wird. Wir sind beunruhigt, daß die Kinder seit über 50 Jahren Versuchskarnickel für die mehr oder weniger praktisch erfahrenen reformfreudigen Herren nicht nur in den Länderverwaltungen sind. Was ich in meinem langen Leben an Schulreformplänen erlebt habe und habe durchlesen müssen, ergibt beinahe ein Buch von dem Umfang einer kleinen Bibel. Durch die ewigen Änderungen und die immer neuen Vorschläge für Maßnahmen der Schulreform werden die Eltern und die Kinder gleichermaßen verwirrt. Es wird Geld für die verschiedensten Experimente vergeudet, und zum Schluß fängt man wieder von vorn an.
Die Lehrer werden nach wie vor maßlos überfordert, da ihre Zahl viel zu gering ist. Ich bin kein Freund einer Sechsstundenarbeit, auch nicht einer 40-Stunden-Woche für den Lehrer, weil ich glaube, daß man auf diesem Gebiet nicht schematisieren kann. Aber auch der Lehrer hat einen Anspruch darauf, daß man ihm nach der keineswegs leichten Erziehungsarbeit an den Kindern und Jugendlichen und der Korrektur von Arbeiten wenigstens ein bißchen Ruhe gewährt.
Ganz allgemein darf ich noch hinzufügen, daß nach unserer Meinung kein Geld so hohe, ja tausendfache Zinsen trägt, wie es bei der Verwendung von Geldern für Schulen und Hochschulen der Fall ist. Es ist das Gebiet, auf dem eine wirklich systematische Verwendung der Gelder sich stets bezahlt und überbezahlt macht. Diese Mittel bringen auf wissenschaftlichem Gebiet direkt Zinsen ein. Sie bringen sie auf allgemein erzieherischem Gebiet ein, und sie sind das beste Mittel für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. Sie sind die beste Stütze für die soziale Situation der ganzen Familie wie für die geistig-seelische Entwicklung
jedes einzelnen und dienen dazu, daß er seine innere Sicherheit gegenüber allen Bedrohungen und Versuchungen, auch durch politische Versucher, behält.
Wir bitten Sie, trotz der Reduktion der Mittel auch Sie, meine Freunde von der Sozialdemokratie, unseren Antrag anzunehmen. Wir hoffen und glauben mit Sicherheit, daß wenigstens die finanzschwachen Gemeinden dadurch eine fühlbare Hilfe erhalten können.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Stoltenberg.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu den beiden vorliegenden Anträgen Umdruck 313 und Um-347 sowie zu unserem Entschließungsantrag Umdruck 309 sprechen. Bei den Debatten über die Frage, ob Bundesmittel für den Schulbau gegeben werden sollen, haben sich die Antragsteller der SPD auf Art. 120 des Grundgesetzes berufen. Ich halte es nicht für zweckmäßig, hier noch einmal alle in der zweiten Lesung vorgebrachten Argumente zu wiederholen, aber diese Frage ist von so grundsätzlicher Bedeutung, daß ich dazu Stellung nehmen möchte.
Herr Kollege Frede hat angekündigt, seine Fraktion wende eine Gesetzesvorlage einbringen, um die Pflicht des Bundes auf Grund von Art. 120 des Grundgesetzes zu fundieren. Damit ist doch zum Ausdruck gebracht, daß eine Rechtsgrundlage für die Anträge bei diesen Beratungen genauso wie in der zweiten Lesung fehlt.
Wir haben kurz das Thema der Verfassung und ihrer Interpretation berührt. Im Kommentar von Professor von Mangoldt ist klar herausgestellt, daß Forderungen an den Bund - und das berührt auch den Antrag der FDP - nach Art. 120 nur auf Grund eines Gesetzes möglich sind. Dieses Gesetz besteht nicht.
Dann stellt sich eine zweite Frage, die wir schon berührt haben. Erscheint es jetzt, 15 Jahre nach Kriegsende, 10 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes, berechtigt, ein solches Gesetz überhaupt in Erwägung zu ziehen? Ist das - so müssen wir fragen - im Sinne unserer Verfassung? Der Art. 120 steht in den Übergangsbestimmungen. Ich darf von Mangoldt zitieren:
Die Aufnahme in die Übergangsbestimmungen ist damit begründet worden, daß eis sich dabei urn temporäre Ausgaben handelt und daß der Bund für diese nicht als dauernde Belastung anzusehenden Ausgaben bei der Verteilung der Steuern nicht die endgültige Zuweisung von Einnahmen beanspruchen könne.
Das scheint mir ganz klar zu zeigen: Eine Berufung auf diesen Artikel ist heute, nach der Regelung der Finanzverfassung zwischen Bund und Ländern und
10 Jahre nach Erlaß des Grundgesetzes kaum noch möglich.
Ich will nur kurz neben diesen verfassungspolitischen Erwägungen die drei Argumente wiederholen, die wir in der zweiten Lesung dargelegt haben. Erstens ist zu betonen, daß die Länder die Forderung an den Bund überhaupt nicht erhoben haben.
({0})
Ene Bundeshilfe würde jetzt zu einer ungerechten Behandlung der Gemeinden führen. Zwar ist der Schichtunterricht noch nicht völlig beseitigt, aber die Situation in den einzelnen Gemeinden ist doch völlig unterschiedlich.
({1})
Manche haben es mit einer langfristigen Verschuldung geschafft, andere nicht. Dazu nur ein Beispiel aus meinem Heimatland. In Schleswig-Holstein haben heute 18 von 21 Kreisen den Schichtunterricht überwunden, darunter auch 2 Großstädte. Ich möchte das besonders im Hinblick ,auf Herrn Eilers' Ausführungen von gestern abend erwähnen. Die drei anderen Kreise stehen kurz davor. Sie werden aus Eigenmitteln und aus den Mitteln des Landes die Aufgabe in etwa zwei Jahren gemeistert haben. Das ist die Wirklichkeit gegenüber vielem, was hier gesagt worden ist.
({2})
- Vielleicht ist die Situation in den sozialdemokratisch regierten Ländern ungünstiger!
({3})
Zweitens entspricht der Antrag der SPD nicht den realen Möglichkeiten der Länder. Ich habe Ihnen das in der zweiten Lesung dargelegt und bin erstaunt, daß Sie trotzdem wieder den Betrag von 300 Millionen DM beantragt haben. Ein Land wie Hamburg - also ein sozialdemokratisch regiertes Land - hat heute Jahr für Jahr hohe Reste, jährlich 30 bis 40 Millionen DM, weil die Länderhaushaltsmittel bedauerlicherweise nicht verbraucht werden können. Die Kultusminister, die in dieser Frage sicher optimistisch sind und sicher für die Länder, für ihren Bereich, das Maximum fordern, sind davon ausgegangen, daß es, was die Baukapazität anlange, maximal möglich sei, jährlich 100 Millionen DM zusätzlich zu verbauen. Sie haben insgesamt 200 Millionen DM Bundesmittel gewünscht, ohne daß die Länder über den Bundesrat sich diese Forderung zu eigen gemacht haben.
Ich darf von hier aus zu unserem Entschließungsantrag auf Umdruck 309 überleiten, der mit diesem Problem in einem gewissen inneren Zusammenhang steht.
Ich darf zu diesem Antrag im einzelnen folgendes ausführen. Unter Ziffer i schlagen wir vor, die Bundesregierung zu ersuchen, dringende Bedürfnisse im Bereich der Wissenschaft, insbesondere Bauvorhaben an wissenschaftlichen Hochschulen, in den kommenden Rechnungsjahren in weiter verDr. Stoltenberg
stärktem Umfang finanziell zu fördern. Hierzu ist zu sagen - Herr Kollege Brand hat es schon in der zweiten Lesung ausgeführt -: Der Ansatz des Etats 1959 von 85 Millionen DM plus 25 Millionen DM Bindungsermächtigung entspricht voll den gegenwärtig baureifen Vorhaben, die vom Wissenschaftsrat empfohlen und von der Regierung geprüft worden sind. Im Hinblick aber auf die dringenden Bedürfnisse durch den hohen Nachholbedarf, der an Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen fraglos besteht - darüber sind wir uns völlig einig -, treten wir für eine Verstärkung der Bundesmittel in den kommenden Jahren ein, und zwar in Form von Zuschüssen zu den Bauvorhaben und in gezielter Form auch für die Ausstattung.
Hier liegt unseres Erachtens ein Schwerpunkt, an dem Bundeshilfe nach der Verfassung möglich und sinnvoll ist. Wir sind für eine solche Schwerpunktbildung, nicht für die Verzettelung auf immer neue Einzelfonds und neue Aufgaben, für die der Bund nicht zuständig ist.
Zu den anderen drei Punkten des Antrages darf ich folgendes bemerken. Wir sind bereit, auch in dem Bereich der überregionalen Forschungsinstitute die Lasten und Aufgaben für den Bund zu erweitern. Allerdings sprechen wir von Aufgaben und Ausgaben, nicht nur von Ausgaben.
({4})
Art. 74 des Grundgesetzes entkräftet die Argumente der Länder, daß das nicht möglich sei. Er sagt, daß die konkurrierende Gesetzgebung sich auf die Förderung der wissenschaftlichen Forschung erstreckt. Nach der Rede von Professor Schmid, der leider nur von Ausgaben und nicht von Aufgaben gesprochen hat, ist es hochinteressant, festzustellen, wie diese Bestimmung in das Grundgesetz aufgenommen wurde.
Ich darf kurz aus dem Kommentar von von Mangoldt zitieren, in ,dem es bei Art. 74 zu Ziffer 13 heißt:
Diese Ziffer geht auf einen in der 30. Sitzung des Hauptausschusses gestellten Antrag der SPD zurück, der aber auch noch die „Organisation" der wissenschaftlichen Forschung aufgenommen zu sehen wünschte. Gegen dieses Wort erhob sich indes ... scharfer Widerspruch ... Im übrigen wurde angezweifelt ..., ob die ganze Ziffer überhaupt erforderlich sei, da es zur Förderung der Wissenschaften doch nur der haushaltsmäßigen Bewilligung bedürfe, die auch ohne Aufnahme der Ziffer möglich sei ({5}).
({6})
... Der Vorsitzende Dr. Schmid bemerkte dazu, Förderung der wissenschaftlichen Forschung bedeute nicht nur, daß Geld gegeben werde, sondern eine Förderung der wissenschaftlichen Forschung könne auch darin liegen, daß man für
diese Forschung bestimmte Organisationen schaffe.
Damals, bei der Formulierung unserer Verfassung, hat sich Professor Schmid klar für diesen Grundsatz eingesetzt, ,den wir heute gegenüber Ihren Anträgen aufrechterhalten.
Es geht also nicht an, die Bundeszuständigkeit für Ausgaben immer weiter ausdehnen zu wollen, ohne damit eine entsprechende parlamentarische und administrative Zuständigkeit in der Etatgestaltung und der Etatkontrolle zu verbinden. Das gerade von der linken Seite ,des Hauses so oft beschworene parlamentarische Prinzip verlangt es meines Erachtens, daß wir den Grundsatz, der hier in der Verfassung ausgesprochen ist, auch in der Praxis beachten.
Darum müssen wir die Länder, die nach Bundeshilfe rufen, fragen - und das wollen wir mit unserem Entschließungsantrag auch erreichen -, ob sie bereit sind, dem Bund die Trägerschaft von überregionalen Forschungsinstituten, die nicht unmittelbar von einem Land getragen werden, zuzuerkennen. Wenn sie diese Frage trotz der Verfassung verneinen, verliert ihre Forderung an Überzeugungskraft.
Die Übernahme von überregionalen Forschungsinstituten auf den Bund kann zu einer Entlastung der Länder bis zu 50 Millionen DM pro Jahr führen. Wir sind bereit, die Länder zur verstärkten Förderung des Schulbaus mit in Stand zu setzen, aber nur in einer Weise, die unserer Rechtsordnung, dem Willen der Väter unserer Verfassung, entspricht.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Brand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Begründung des Antrags Umdruck 335, der von Haushaltsausschußmitgliedern aller Fraktionen unterzeichnet und mit dem Innen- und dem Finanzministerium abgestimmt wurde, bedarf es nur ganz weniger Sätze.
In dem vorhin vom Kollegen Stoltenberg interpretierten Entschließungsantrag 309 wird die Bundesregierung ersucht, vom Rechnungsjahr 1960 an überregionale Einrichtungen des Königsteiner Abkommens, zu denen neben der Deutschen Forschungsgemeinschaft in erster Linie die Max-Planck-Gesellschaft gehört, in die finanzielle Trägerschaft des Bundes zu übernehmen, um einmal die Länder finanziell zu entlasten, dann aber auch, um eine klarere Abgrenzung zu erreichen und eine ausreichende Finanzierung der Institute sicherzustellen. Das soll in der Zukunft geschehen.
In diesem Haushaltsjahr sollen die laufenden Kosten für die Max-Planck-Gesellschaft noch einmal aus dem Königsteiner Abkommen gedeckt und die einmaligen Ausgaben aus Titel 614b bestritten werden. Herr Professor Hahn hat nun als Präsdient der Max-Planck-Gesellschaft an den Herrn Bundestagspräsidenten und die Mitglieder des Haushaltsaus4088
schusses einen Brief gerichtet, in dem er der Sorge Ausdruck gegeben hat, daß man mit den einmaligen Mitteln, die in der Regierungsvorlage in Höhe von 8 Millionen DM ausgewiesen sind, nicht auskomme. Professor Hahn hält eine Erhöhung auf 14,3 Millionen DM für notwendig.
Eine Prüfung des von der Max-Planck-Gesellschaft vorgelegten Programms hat ergeben, daß es sich hier zu einem wesentlichen Teil um Baumaßnahmen handelt, deren veranschlagte Kosten nicht alle im Laufe des Haushaltsjahres anfallen werden. Um jedoch für die Übergangszeit, d. h. für die Zeit bis zur Neuordnung der finanziellen Grundlagen für die Max-Planck-Gesellschaft, eine reibungslose Arbeit dieser wissenschaftlich hochbedeutenden Institute sicherzustellen, haben wir uns entschlossen, mit diesem Antrag auf Umdruck 335 eine Aufstockung des Regierungsansatzes von 8 Millionen DM um 3 Millionen DM auf 11 Millionen DM zu beantragen. Hiermit ist auch die Max-Planck-Gesellschaft einverstanden und zufrieden.
Ich bitte deshalb das Hohe Haus, diesem Antrag Umdruck 335 einmütig seine Zustimmung zu geben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bei der Debatte über unseren Antrag in der zweiten Lesung des Haushalts, zur Behebung der wirtschaftlichen Notlage der Krankenanstalten 50 Millionen DM als unverzinsliche Darlehen für eine teilweise Deckung des Nachholbedarfs schon in diesem Etatsjahr einzusetzen, erklärte der Herr Innenminister, daß der Antrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in die gleiche Richtung ziele wie die Absichten der Bundesregierung. Leider vertrat er aber die Ansicht, daß die Bundesregierung erst in den Haushaltsplänen der Rechnungsjahre 1960 bis 1963 Mittel bis zu einer Höhe von je 25 Millionen DM, insgesamt also 100 Millionen DM, für diesen Zweck zur Verfügung stellen und daß sich die Bundesregierung angesichts der begrenzten Mittel mit dieser Hilfe zunächst auf die freien und gemeinnützigen Krankenanstalten beschränken wolle.
Darüber hinaus begründete der Herr Bundesinnenminister seine Ablehnung unseres Antrages damit, daß die Ausarbeitung und Prüfung der Bau- und Beschaffungspläne der Krankenanstalten noch so viel Zeit erfordere, daß mit einem Geldbedarf vor Beginn des Rechnungsjahres 1960 überhaupt nicht zu rechnen sei. Herr Kollege Krammig stellte sich hinter diese Ausführungen und teilte in der Diskussion mit, daß auch ein Teil der Gesundheitsminister der Länder diesen Gedankengängen bei der Gesundheitsministerkonferenz gefolgt sei.
Wir sind bereit, uns der Argumentation des Herrn Innenministers insoweit anzuschließen, daß man zu einem endgültigen Überblick über die wirtschaftliche Lage aller Krankenanstalten in der Bundesrepublik sicher noch eine Reihe von Erhebungen und Überprüfungen vornehmen muß, die eine gewisse Zeit erfordern. Das erkennen wir ohne weiteres an.
Aber, Herr Innenminister, wir sind der Meinung, daß es eine Fülle von eklatanten Notfällen gibt, die schon in diesem Jahr die Einsetzung einer Summe erfordern, um den dringendsten Notfällen begegnen zu können. Wir nehmen auch als ganz sicher an, daß eine Rückfrage bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft oder bei den kommunalen Spitzenverbänden dem Ministerium sicher die Kenntnis der Tatsache vermitteln wird, daß seit Jahren ausgearbeitete Bau- und Beschaffungspläne von Krankenhausträgern vorliegen, die nur wegen der fehlenden Geldmittel noch nicht realisiert werden konnten.
In der Sache, daß den Krankenanstalten Hilfe vom Bund zuteil werden muß, wenn sie ihre Aufgabe an den kranken Menschen wirklich richtig erfüllen sollen, sind wir uns alle einig; das darf ich nach der Debatte in der vorigen Woche sagen. Ich möchte allerdings auch sagen, daß es eigentlich gar nicht anders sein kann; denn schließlich steht nach der amtlichen Überprüfung fest, daß sich allein der Nachholbedarf auf 575 Millionen DM beziffert, die von den Trägern sowohl der kommunalen als auch der karitativen Krankenanstalten, allerdings auch von den Ländern und den Gemeinden nicht allein aufgebracht werden können.
Wir stellen deshalb heute in der dritten Lesung erneut einen Antrag zur Krankenhausfinanzierung; er liegt Ihnen auf Umdruck 312 vor. Um Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die Zustimmung zu unserem Antrag zu erleichtern, haben wir uns auf die Summe von 25 Millionen DM beschränkt, die von dem Herrn Innenminister für das nächste Etatjahr sowieso vorgesehen ist und die - wir sind der Meinung, daß man das so betrachten sollte - als Anfangsbetrag zur Beseitigung der dringendsten Notfälle angesehen werden sollte.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal sagen, daß nach unserer Meinung allen Trägern der Krankenanstalten damit geholfen werden muß und daß man die Rangfolge der Hilfe nur nach dem Gesichtspunkt betrachten sollte, wo die größte Notlage ist, wo am dringendsten geholfen werden muß.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wir sind weiterhin bereit, unseren Antrag mit dem Sperrvermerk „bis zur Erarbeitung der Richtlinien" zu versehen. Die Summe von 25 Millionen DM ist angesichts des zur Behebung des Nachholbedarfs notwendigen Betrages von 575 Millionen DM wirklich mehr als bescheiden, ja, sie ist beinahe lächerlich gering. Da wir uns in der Sache einig sind, daß den Krankenanstalten angesichts ihrer Notlage geholfen werden muß, sollten Sie unserem Antrag Ihre Zustimmung nicht versagen, um die ich Sie sehr herzlich bitte.
({0})
Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode
Das Wort hat der Abgeordnete Dr, Stammberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst die Zustimmung der Fraktion der Freien Demokraten zu dem Antrag erklären, den Frau Kollegin Korspeter soeben namens der SPD begründet hat. Wir haben darüber bereits in der zweiten Lesung debattiert. Herr Kollege Horn hat dabei die Ablehnung der CDU-Fraktion in erster Linie damit begründet, für diese Fragen sei die Zuständigkeit des Bundes nicht gegeben. Meine Damen und Herren, die Nichtzuständigkeit des Bundes ist ja eine beliebte Eselsbrücke, wenn man nicht recht will. Das haben mir vorhin wieder die Worte des Herrn Kollegen Dr. Stoltenberg auf dem Gebiete der Kultur gezeigt. Nun ist zwar die Zuständigkeit des Bundes für diese Fragen in Art. 74 Nr. 19 des Grundgesetzes nicht gerade glücklich angesprochen. Aber in dem ursprünglichen Art. 106 des Grundgesetzes war ausdrücklich vorgesehen, daß der Bund Zuschüsse für das Gesundheitswesen der Länder leisten kann, wenn diese bei solchen Aufgaben finanziell überfordert werden. Der Art. 106 des Grundgesetzes hat zwar inzwischen eine etwas allgemeinere Fassung erhalten. Aber ich bin fest überzeugt, daß wir uns keines Verfassungsbruchs schuldig machen würden, wenn wir diesen Antrag annähmen.
Wir wollen uns doch einmal über folgendes klar sein. Das Hauptproblem bei der Krankenhausfinanzierung ist die Wiedergutmachung der Kriegsschäden und die Befriedigung des Nachholbedarfs, der vor allem aus der Kriegs- und der Nachkriegszeit noch vorliegt. Damit sind die Krankenhausträger überfordert. Sie werden es auch nicht durch das schaffen können, was bei der zweiten Lesung zur Sprache gekommen ist, nämlich durch die beabsichtigte Neuordnung der sozialen Krankenversicherung, durch eine etwaige Erhöhung der Pflegesätze in der Pflegesatzverordnung.
Diese Finanzierungslücke läßt sich nur aus Haushaltsmitteln, aus öffentlichen Mitteln schließen. Wie ein roter Faden zieht sich durch das Bonner Grundgesetz der Gedanke, daß gerade für solche Fragen, nämlich für den kriegsbedingten Nachholbedarf, für die Beseitigung von Kriegsschäden in erster Linie der Bund zuständig ist, der trotz seiner jetzt allmählich auftretenden und sichtbar werdenden Haushaltsnöte nun einmal immer noch im Vergleich mit den Ländern und den Gemeinden der finanziell stärkste Teil der öffentlichen Hand ist.
Die Neuordnung der sozialen Krankenversicherung ist schon angeschnitten worden. In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß gerade durch die beabsichtigte Neuordnung neue Aufgaben an die Krankenhäuser herangetragen werden. Nach den augenblicklichen Plänen des Herrn Bundesarbeitsministers soll die Krankenhausbehandlung Pflichtleistung werden und soll auch in unbegrenzter Dauer auf die Familienangehörigen der Versicherten ausgedehnt werden. Obwohl das teilweise nur eine De-jure-Fixierung eines de facto bereits bestehenden Zustandes sein wird, müssen wir uns
doch darüber klar sein, daß an die Krankenhäuser neue Anforderungen herangetragen werden, denen sie bei Aufrechterhaltung des augenblicklichen Mangelzustandes nicht werden nachkommen können.
({0})
Nun noch ein weiterer Einwand, dem ich entgegentreten möchte. Herr Kollege Horn hat eingewandt, die Dinge seien noch nicht genügend vorbereitet. Was die haushaltsrechtliche Seite angeht, so hat Frau Kollegin Korspeter bereits mit Recht darauf hingewiesen, daß ein Sperrvermerk eingesetzt werden soll. Darüber hinaus, Herr Kollege Horn, haben wir uns über diese Fragen nicht nur im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen weiß Gott oft genug unterhalten. Ich darf an die Debatte am 24. Mai 1957 anläßlich der Verabschiedung des Krankenpflegegesetzes erinnern, in welchem der Bundestag einstimmig beschlossen hat, die Regierung aufzufordern, alsbald einen Bericht vorzulegen. Daß die Bundesregierung bei solchen Beschlüssen des Bundestages nicht allzu eilfertig zu handeln pflegt, ist uns hinreichend bekannt. Deshalb kam es über ein Jahr später, nämlich am 4. Juli 1958 bei der Debatte über den letzten Haushaltsplan, abermals zu einer Diskussion über diese Frage. Wieder ungefähr ein Jahr später, nämlich am 10. April 1959, hat das Bundesinnenministerium nun wenigstens einen Teilbericht vorgelegt. Ich will hier nicht fragen, ob eine schuldhafte Verzögerung vorliegt. Der Herr Bundesinnenminister hat sehr gewichtige Gründe in diesem Teilbericht vorgetragen, warum die Vorlage nicht eher möglich war. Aber selbst aus diesem Teilbericht ergibt sich doch bereits, wie brennend das Problem ist. Nicht nur im Bund, sondern vor allen Dingen in den Ländern und in den Gemeinden, wo das Problem noch viel brennender spürbar wird, hat man sich sehr eingehend mit dieser Materie befaßt. Man kann weiß Gott nicht sagen, daß die 25 Millionen DM, die nun beantragt sind, etwa planlos ins Gelände geschmissen würden. Wir werden dem Antrag aus diesem Grunde unsere Zustimmung geben, vor allem aber auch deshalb, weil - entgegen den Absichten der Regierung - nicht nur die freien gemeinnützigen, sondern auch die kommunalen und die privaten Krankenanstalten berücksichtigt werden sollen.
Ich habe gleichzeitig den Auftrag, den Antrag Umdruck 340 mit der Entschließung zur Errichtung einer medizinischen Dokumentationsstelle zu begründen, der von Abgeordneten aller Fraktionen des Hohen Hauses gestellt worden ist. In zweiter Lesung hat hierzu ein Arzt gesprochen. Es scheint zweckmäßig zu sein, daß in dritter Lesung einige kurze Worte von einem Nichtarzt dazu gesagt werden, der bei der Ausübung der medizinischen Tätigkeit nicht Subjekt, sondern gegebenenfalls als Patient Objekt dieser Tätigkeit ist. Ich tue das bewußt, um den Eindruck zu vermeiden, es handele sich etwa um ein ärztliches Standesproblem. Es ist vielmehr eine Angelegenheit, die uns alle angeht.
Wie auf allen Gebieten der Wissenschaft, so hat man auch auf dem Gebiete der Medizin in den letzten Jahren und Jahrzehnten außerordentliche
Fortschritte in der Forschung gemacht. Es sind neue Erkenntnisse gewonnen, neue Erfahrungen gesammelt und neue Methoden entwickelt worden. Aber wie auf keinem anderen Gebiet hat gerade in der Medizin alles das nur Sinn, wenn die Ergebnisse den Menschen dienstbar gemacht werden, d. h. wenn sie bis in die letzte ärztliche Praxis zur Verfügung stehen, und zwar der Einzelpraxis wie den Krankenhäusern und den Instituten. Aber das ist zu einem großen Teil heute nicht mehr der Fall. Der Arzt steht hilflos vor einem Himalaja von Literatur, ohne den Ansatzpunkt für einen Überblick in einem speziellen Fall zu haben, in dem die Nutzanwendung des gesammelten Wissens oft vielleicht von lebenswichtiger Bedeutung für den Patienten ist. Hier setzt nun die Arbeit der medizinischen Dokumentationszentrale ein, die bereit ist, jedem anfragenden Arzt im Einzelfall die gewünschten Auskünfte und Nachweise zu geben, - ein Problem, mit dem jeder von uns heute oder morgen konfrontiert werden kann.
Der Herr Kollege Brand hat in der zweiten Lesung entgegengehalten, daß dieser Gedanke noch nicht haushaltsreif sei. Nun, Herr Kollege Brand, zunächst haben wir unseren Antrag etwas umgestellt, es handelt sich nur um einen Entschließungsantrag, daß das im nächsten Haushalt berücksichtigt werden soll. Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, daß wir zwar hier noch nicht darüber gesprochen haben - Herr Kollege Brand, da haben Sie recht -, aber zwischen der Bundesärztekammer und den zuständigen Referenten des Bundesinnenministeriums hat es bereits einen sehr fruchtbaren Gedankenaustausch über die Art und Weise der Einrichtung und der Arbeit eines solchen Instituts gegeben, und im Bundesinnenministerium hat man auch in finanzieller und organisatorischer Hinsicht eine Hilfe zugesagt, ohne sich selbstverständlich heute schon festlegen zu können, weil man in dieser Hinsicht das Etatrecht des Parlaments nicht übergehen wollte.
Ich bin also fest überzeugt, daß wir, wenn wir heute einen Ansatzpunkt zur Errichtung einer solchen Dokumentationsstelle finden, im kommenden Jahr entsprechende Beträge für die Volksgesundheit mit großem Nutzeffekt werden zur Verfügung stellen können.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich noch kurz mit den Ausführungen des Kollegen Stoltenberg beschäftigen. Wir werden Gelegenheit haben, bei der Ausschußberatung unseres Gesetzentwurfes über die Übernahme von Kriegsfolgelasten auf dem Gebiet des Schulwesens auf den Bund die Rechtslage noch einmal eingehend zu erörtern und die Argumente, die für unsere Auffassung und gegen seine Meinung sprechen, darzulegen, so daß ich im Hinblick auf die Geschäftslage jetzt darauf verzichten kann.
Einige Bemerkungen für unsere Fraktion zum Umdruck 309! Wenn, was zu befürchten ist, unser Antrag auf Erhöhung der Mittel für die Wissenschaftsförderung abgelehnt werden sollte, werden wir der Ziffer 1 Ihres Entschließungsantrags zustimmen.
Auch der Ziffer 2, die auf frühere Verhandlungen in diesem Hohen Hause zurückgeht, werden wir zustimmen.
Nun zu den Ziffern 3 und 4! Insbesondere die Ziffer 4 darf ich als eine erste verschämte Anerkennung unserer jahrelangen Forderungen auf Hilfe für den Wiederaufbau des Schulwesens ansehen. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, freue ich mich, daß bei Ihnen die ersten Erkenntnisse gereift sind, und ich hoffe, daß Sie auf diesem Wege weitergehen werden.
Ich muß allerdings sagen: Sehr bedenklich stimmt es unis, daß Sie diese Frage der Kriegsfolgenlast und des Finanzausgleichs dazu benutzen wollen, die Frage der Abgabe von Zuständigkeiten von den Ländern auf den Bund damit zu verbinden. Das ist keine gute Methode, die Finanznot der Gemeinden auszunutzen. Wir können dem Entschließungsantrag unter diesem Gesichtspunkt nicht zustimmen. Wir beantragen deshalb Ausschußverweisung, damit wir die Sache im Ausschuß klären können.
({0})
Herr Abgeordneter Schmitt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stoltenberg?
Bitte schön!
Isst Ihnen bekannt, daß Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß dieser Auffassung, die Sie als eine schlechte bezeichnet haben, zugestimmt haben?
Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben das vorhin gesagt. Ich habe mit den Kollegen Fühlung genommen. Sie waren der Meinung, daß das Gesamtproblem noch in den zuständigen Ausschüssen - der Haushaltsausschuß ist ja schließlich für diese Fragen nicht abschließend zuständig - erörtert werden sollte, und haben unter diesem Gesichtspunkt zugestimmt.
Wir bitten deshalb um Überweisung an die zuständigen Fachausschüsse.
Liegen noch weitere Wortmeldungen vor? - Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Haushalt Einzelplan 06, zunächst über Ziffer 1 des Änderungsantrags Umdruck 313 der Fraktion der SPD betreffend Förderung der Wissenschaft. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Vizepräsident Dr. Jaeger
Wir kommen zu Ziffer 2 betreffend Schulraumnot. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über Umdruck 335, Änderungsantrag der Abgeordneten Brand, Dr. Vogel und Genossen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Umdruck 347, Änderungsantrag der Fraktion der FDP. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; abgelehnt.
Umdruck 312, Änderungsantrag der Fraktion der SPD.
({0})
-Zur Abstimmung dürfen Sie sprechen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um eine grundsätzliche Frage der Krankenhausfinanzierung. Sie haben in der dritten Lesung nicht dazu gesprochen. Es geht um einen Betrag, der nur 5 % des Bedarfs ausmacht, den dier Herr Bundesinnenminister in seinem Zwischenbericht selbst gekennzeichnet hat.
Wir bitten wegen der Bedeutung dieses Antrages um namentliche Abstimmung.
Zu dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 312 ist dier Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt. Wer unterstützt den Antrag? - Das sind mehr als 50anwesende Mitglieder des Hauses. Wir schreiten zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 312. Ich eröffne die Abstimmung. Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Umdruck 312, 'bekannt. Es haben mit Ja gestimmt 180 uneingeschränkt stimmberechtigte und 13 Berliner Abgeordnete, mit Nein 222 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete und 5 Berliner Abgeordnete. Enthalten haben sich 3 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete und kein Berliner Abgeordneter. Der Antrag ist abgelehnt.
Ja
CDU/CSU
Dr. Gossel Simpfendörfer
SPD
Frau Albertz Altmaier
Dr. Arndt Bading
Dr. Bärsch Bäumer
Bals
Bauer ({0}) Baur ({1}) Bazille
Behrendt
Frau Bennemann Bergmann Berkhan
Berlin
Bettgenhäuser
Frau Beyer ({2}) Birkelbach
Dr. Bleiß
Dr Brecht Bruse
Büttner Conrad Corterier Cramer Dr. Deist Dewald Diekmann
Frau Döhring ({3}) Dopatka
Dröscher
Frau Eilers ({4}) Erler
Eschmann
Faller
Felder Folger Franke Frehsee Frenzel
Geiger ({5}) Geritzmann
Haage Hamacher
Hansing Dr. Harm
Hauffe Heide
Heiland
Dr. Dr. Heinemann Hellenbrock
Frau Herklotz Hermsdorf
Herold Höcker Höhmann
Höhne
Frau Dr. Hubert Hufnagel
Iven ({6})
Jacobi Jacobs
Jahn ({7}) Jürgensen
Junghans Kalbitzer Frau Keilhack
Frau Kettig
Killat ({8})
Kinat ({9})
Frau Kipp-Kaule
Könen ({10}) Koenen ({11})
Kraus
Kriedemann
Kühn ({12})
Kurlbaum
Lange ({13}) Lantermann
Leber
Lohmar Ludwig
Lücke ({14}) Lünenstraß
Maier ({15})
Marx
Matzner Meitmann
Merten Metter Metzger
Dr. Meyer ({16}) Meyer ({17}) Frau Meyer-Laule
Dr. Mommer
Müller ({18}) Müller ({19}) Müller ({20})
Frau Nadig
Odenthal
Ollenhauer
Paul
Peters Pöhler Pohle Prennel
Priebe Pütz
Rasch Regling
Rehs
Reitz Reitzner
Frau Rudoll
Frau Schanzenbach
Scheuren
Dr. Schmid ({21})
Dr. Schmidt ({22}) Schmitt ({23}) Schoettle
Schröder ({24})
Seidel ({25})
Seuffert
Stierle Sträter Striebeck
Frau Strobel
Wagner
Wehner
Wehr Welke Welslau
Weltner ({26})
Frau Wessel
Wienand
Wilhelm
Wischnewski
Wittrock
Zühlke
Berliner Abgeordnete
Frau Berger-Heise Dr. Königswarter Frau Krappe
Mattick
Neubauer
Neumann
Dr. Schellenberg Schröter ({27}) Schütz ({28}) Dr. Seume
Frau Wolff ({29})
FDP
Dr. Achenbach
Dr. Becker ({30})
Dr. Bucher Dr. Dahlgrün
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Döring ({31})
Dowidat
Dürr
Eisenmann Dr. Hoven Keller
Kreitmeyer Kühn ({32}) Lenz ({33})
Dr. Mende Dr. Miessner
Mischnick Murr
Rademacher
Ramms
Dr. Rutschke
Sander
Dr. Schneider ({34}) Schultz
Walter
Weber ({35}) Zoglmann
Berliner Abgeordnete
Frau Dr. Dr. h. c. Lüders Dr. Will
DP
Frau Kalinke
Schneider ({36}) Dr. Schranz
Nein
CDU/CSU
Frau Ackermann
Graf Adelmann
Dr. Aigner
Arndgen
Baier ({37})
Baldauf Balkenhol
Dr. Bartels
Dr. Barzel
Bauer ({38}) Bauereisen
Bausch
Becker ({39}) Berberich
Berger
Dr. Bergmeyer
Dr. Besold
Dr. Birrenbach
Fürst von Bismarck
Frau Dr. Bleyler
Blöcker
Frau Blohm
Dr. Böhm
Frau Brauksiepe
Frau Dr. Brökelschen
Brück
Dr. Bucerius
Bühler Burgemeister
Caspers Cillien Dr. Conring
Demmelmeier
Diebäcker
Diel ({40})
Dr. Dittrich
Dr. Dollinger
Drachsler Draeger
Dr. Eckhardt
Ehren
Dr. Elbrächter Engelbrecht-Greve
Enk
Eplée
Dr. Even ({41}) Franzen
Dr. Frey
Fritz ({42})
Fuchs
Funk
Dr. Furler
Frau Dr. Gantenberg Gaßmann
Gedat
Gehring
Frau Geisendörfer
D. Dr. Gerstenmaier Gewandt
Gibbert Giencke
Glüsing ({43})
Dr. Görgen
Dr. Götz Goldhagen Gontrum Günther
Freiherr zu Guttenberg Hackethal
Häussler
Dr. von Haniel-Niethammer Harnischfeger
Dr. Heck ({44})
Heix
Hesemann
Dr. Höck ({45}) Höfler
Holla
Hoogen Horn
Huth
Dr. Huys Dr. Jaeger
Jahn ({46})
Josten
Dr. Kanka Katzer
Kemmer
Dr. Kempfler
Kirchhoff
Frau Klemmert
Dr. Kliesing ({47}) Knobloch
Koch
Dr. Kopf Kraft
Kramel
Krammig Kroll
Krüger ({48})
Krüger ({49})
Krug
Frau Dr. Kuchtner
Kunst
Kuntscher Kunze
Leicht
Dr. Leiske
Lenze ({50}) Leonhard
Lermer
Dr. Leverkuehn
Dr. Lindenberg
Dr. Löhr
Dr. h. c. Lübke
Lücke ({51})
Lulay
Maier ({52}) Majonica
Dr. Baron Manteuffel-Szoege Dr. Martin
Maucher Meis
Mengelkamp
Menke
Meyer ({53})
Mick
Muckermann
Mühlenberg
Müser Nellen Nieberg Niederalt
Frau Niggemeyer
Dr. Dr. Oberländer Oetzel
Frau Dr. Pannhoff Pelster
Dr. Pflaumbaum
Dr. Philipp
Pietscher
Frau Pitz-Savelsberg Frau Dr. Probst
Rasner
Frau Dr. Rehling
Dr. Reinhard
Dr. Reith
Richarts
Riedel ({54})
Frau Rösch
Rösing
Dr. Rüdel ({55})
Ruf
Schäffer Scharnberg
Scheppmann
Schlee Schlick
Dr. Schmidt ({56}) Frau Schmitt ({57}) Schmücker
Schneider ({58})
Dr. Schröder ({59}) Schüttler
Schütz ({60}) Schulze-Pellengahr
Frau Dr. Schwarzhaupt Dr. Schwörer
Dr. Seffrin
Seidl ({61})
Dr. Siemer
Solke
Spies ({62})
Spies ({63}) Stauch
Dr. Stecker
Stiller
Storch
Dr. Storm ({64}) Storm ({65}) Struve
Stücklen
Sühler
Teriete
Dr. Toussaint Unertl
Varelmann Vehar
Dr. Vogel Vogt
Dr. Wahl
Dr. Weber ({66}) Wehking
Weimer
Weinkamm Wendelborn Dr. Werber Wieninger Dr. Wilhelmi Dr. Willeke Windelen Winkelheide Dr. Winter Wittmann Worms
Wullenhaupt Dr. Zimmer
Berliner Abgeordnete
Benda
Hübner
Dr. Krone
Lemmer
Stingl
DP
Logemann
Dr. Preiß
Probst ({67}) Dr. Ripken
Dr. Schild
Dr. Steinmetz
Tobaben
Enthalten
CDU/CSU
von Bodelschwingh Frau Engländer
Frau Welter ({68})
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den Haushalt 06 mit den soeben beschlossenen Änderungen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Haushalt ist ,angenommen.
Wir kommen dann zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 288. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Es folgt der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 289.
({69})
- An welchen Ausschuß?
({70})
Vizepräsident Dr. Jaeger
- Es ist der Antrag gestellt, die Sache dem Innenausschuß zu überweisen. Dieser Antrag geht vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zum Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 309.
({71})
- Nach Ziffern abstimmen; einverstanden.
Wir stimmen ab über Ziffer 1. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ziffer 3.
({72})
- Dieser Antrag geht vor. Wer Ziffer 3 dem Ausschuß für Kulturpolitik überweisen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ziff. 4. Wer für die Überweisung an den Ausschuß für Kulturpolitik ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer Ziffer 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Nunmehr komme ich zum Entschließungsantrag Umdruck 340 der Abgeordneten Frau Dr. Steinbiß, Dr. Vogel, Dr. Stammberger und Genossen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste ist die große Mehrheit; es ist so beschlossen.
Damit ist dieser Haushalt erledigt. Ich rufe auf
Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
zusammen mit dem
Einzelplan 24
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes.
Zugleich damit muß ich aufrufen - das ist Punkt 3 unserer gedruckten Tagesordnung - die
Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Kohlewirtschaft ({73}) ;
Mündlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses ({74}) ({75}).
({76})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Burgbacher als Berichterstatter. - Der Abgeordnete Dr. Burgbacher ist nicht im Saal. Verzichtet das Haus auf die Berichterstattung?
({77})
- Das Haus verzichtet.
Damit kommen wir zur Aussprache über die Einzelpläne 09 und 24 und den soeben aufgerufenen Mündlichen Bericht. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.
({78})
- Meine Damen und Herren, ich gebe bekannt: Es gibt keine Mittagspause, jedoch wird von 13 his 14.30 Uhr eine Abstimmungssperre verhängt.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Aufruf dieser beiden Haushaltspläne, die die Haushaltspläne der beiden für die Wirtschaftspolitik in erster Linie verantwortlichen Minister sind, gibt Gelegenheit, einige Bemerkungen zu grundsätzlichen Fragen der Wirtschaftspolitik zu machen.
Ich möchte mit einer Frage beginnen, die gestern vormittag der Herr Kollege Vogel ebenfalls angeschnitten hat. Es ist die Frage: Wird unsere Wirtschaftspolitik dem Auftrage gerecht, auf lange Sicht die dringend notwendige wirtschaftliche Ausweitung zu sichern, oder nicht? Ich bitte Sie, zu bemerken, daß es sich nicht um die Frage der Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung des vergangenen Jahres oder vielleicht um die Frage handelt, welche Prognose man nach der Entwicklung der letzten Monate stellen kann. Meine Frage geht tiefer; sie geht auf die langfristige Entwicklung des gesamten wirtschaftlichen Lebens.
Mir scheint, daß dabei drei entscheidende Probleme zur Debatte stehen.
Das erste: Die moderne Entwicklung - die Fortschritte der Automation, die Entwicklung der Atomwirtschaft, Vorgänge, die man gern als „zweite industrielle Revolution" bezeichnet - gibt Möglichkeiten zu einer Ausweitung der Wirtschaft, zu einer Steigerung des Lebensstandards, wie wir sie in früheren Zeiten nicht kannten. Damit sind der modernen Gesellschaft Chancen gegeben, den Lebensstandard zu erhöhen, damit sind Chancen gegeben, alle diejenigen, die ein unterdurchschnittliches Leben führen, einem besseren Leben zuzuführen, und damit sind Chancen gegeben, überall dort, wo auch heute noch Not und Elend besteht, diese Not und dieses Elend zu beseitigen. Das ist eine Herausforderung der Geschichte an die heutige Generation. Und die Frage, die uns gestellt ist, geht dahin, ob wir alle die Möglichkeiten und Chancen, die hier gegeben sind, voll ausschöpfen.
Ein zweites Problem: Diese schnelle Entwicklung der Wirtschaft führt dazu, daß heute weite Bereiche der Wirtschaft, große Wirtschaftsgebiete und bestimmte Industriezweige vor die Notwendigkeit gestellt sind, sich veränderten Verhältnissen sehr schnell anzupassen. Die Entwicklung von Automation und Atomwirtschaft hat uns das besonders
deutlich an der Entwicklung der Mineralölwirtschaft und an den Schwierigkeiten gezeigt, die auf den Kohlenbergbau zukommen, - Schwierigkeiten, die uns noch lange, lange Jahre beschäftigen werden. Das Problem besteht darin, eine entsprechende Anpassung des Kohlenbergbaues an die veränderten Verhältnisse herbeizuführen.
Der Gemeinsame Markt wird, je weiter er fortschreitet, die Wettbewerbsbedingungen, die Standortbedingungen in Europa grundlegend verändern. Der erste Wirtschaftszweig, der hier genötigt wird, sich veränderten Verhältnissen sehr, sehr schnell anzupassen, ist, wie wir alle wissen, die Landwirtschaft. Die Industrialisierung der Entwicklungsländer verändert die Wettbewerbslage auf dem Weltmarkt und damit die Grundlagen der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung. Zu den Industriezweigen, auf die diese Entwicklung in Deutschland mit aller Schwere zuerst zukommt, gehört z. B. die Textilindustrie.
Hier steht vor uns die Frage, ob wir eine wirtschaftliche Entwicklung sichern, die es möglich macht, derartig schwerwiegende Anpassungsprozesse ohne allzu große wirtschaftliche und ohne allzu große soziale Verluste zu vollziehen. Es war die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die darauf hingewiesen hat, daß diese Entwicklung dazu zwingt, ein schnelleres Wirtschaftswachstum als in der Vergangenheit zu sichern, weil sonst schwere Schäden nicht zu vermeiden sind.
Eine dritte Bemerkung, meine Damen und Herren. Auch sie betrifft eine Frage, die bereits Herr Kollege Vogel angeschnitten hat. Ganz gleich, wie man zum Problem der militärischen Sicherheit steht - sicher ist: wenn es uns gelingt - und wir alle hoffen das -, bewaffnete Auseinandersetzungen oder ähnlich geartete Konflikte zu vermeiden, dann ist die große Auseinandersetzung zwischen freiheitlichen Lebensvorstellungen und den Vorstellungen östlicher Unfreiheit keineswegs beendet, sondern gerade dann kommt es darauf an, sich in einem harten friedlichen Wettbewerb auf wirtschaftlichem, auf sozialem und auf geistigem Gebiet zu bewähren. Meine Damen und Herren, ich stimme völlig mit der Auffassung überein, daß die geistige Freiheit auch Opfer wert sein muß. Wer für ein freies Leben eintritt, darf nicht nur auf die Maximierung des Sozialprodukts und nicht nur auf möglichst hohen materiellen Ausstoß der Wirtschaft sehen.
({0})
Aber, meine Damen und Herren, wir sollten uns andererseits darüber klar sein, daß der Ausgang dieser großen Auseinandersetzung entscheidend davon abhängt, ob wir auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet einigermaßen Schritt halten mit einer Entwicklung im Osten, die dort nach unser aller Auffassung mit Mitteln und Methoden und unter Umständen durchgeführt wird, die wir alle ablehnen. Aber es ist die Frage, ob wir genug tun, um auch wirtschaftlich Schritt halten zu können. Meine Damen und Herren! Ich glaube, wenn wir über die wirtschaftliche Lage und die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland sprechen, sollten wir an diese großen Aufgaben den Maßstab anlegen und nicht in Selbstgerechtigkeit auf die Vergangenheit zurückblicken. Ob wir diesen Aufgaben gerecht werden, daran wird auf lange Sicht die Wirtschaftspolitik gemessen werden.
Meine Damen und Herren! Wir haben gerade eine Debatte über die Frage der Unterstützung von Wissenschaft und Forschung beendet. Für mein Teil ist das Ergebnis dieser Aussprache, daß das Hohe Haus diesen riesigen Aufgaben mit zu großer Nachsicht und mit ungenügender Aufmerksamkeit gegenübersteht, wenn man weiß, wie wichtig Wissenschaft, Forschung und Entwicklung für die wirtschaftliche Ausweitung sind.
({1})
Die etwas mikroskopische Aufzählung von Einzeltatbeständen durch den Herrn Bundesinnenminister zeigt eigentlich, wie wenig global dieses große Problem gesehen wird. Die Lethargie, die Vorsicht, mit der die Bundesregierung an das Problem der Entwicklung der Atomwirtschaft herangeht, beschwört ebenfalls die Gefahr herauf, daß wir den Anschluß an die Entwicklung der großen Industriestaaten versäumen und sie nicht mehr einholen können. Hier, wo die Privatinitiative - fast in allen modernen Industriestaaten - versagt, wäre es Sache des Staates, seine Aufgabe als Pionier des wirtschaftlichen Fortschritts zu begreifen, wie das in solchen Fällen immer die Aufgabe der Gemeinschaft gewesen ist.
Ein zweiter Punkt, meine Damen und Herren: die unterentwickelten Bereiche. Die Debatten über die Agrarpolitik haben leider wieder gezeigt, wie wenig ernst das Problem genommen wird, die Agrarstruktur zu verändern und den veränderten Verhältnissen in Europa anzupassen.
Über den Kohlenbergbau haben wir zahlreiche Diskussionen gehabt. Wir sehen bis heute keinen Ansatz zu ernsthaften Maßnahmen, um auf lange Sicht den Kohlenbergbau den sich wandelnden Verhältnissen auf dem Gebiete der Energiewirtschaft anzupassen, obwohl wir alle wissen und auch die Regierung wissen muß, daß der Kohlenbergbau schon im Hinblick auf seine Besitzzersplitterung und im Hinblick auf die großen finanziellen Aufwendungen, die hierfür nötig sind, allein zu dieser Strukturanpassung nicht in der Lage ist.
Meine Damen und Herren! Unsere Debatten über die Zonengrenzgebiete haben gezeigt, daß es Gebiete gibt, in die wir seit Jahren größere Mittel hineinpumpen, in denen wir aber mangels einer zielbewußten Strukturpolitikgerade in den schwierigen Monaten Ende vergangenen Jahres feststellen mußten, daß sie strukturell um keinen Zentimeter weitergekommen sind, sondern weiter unterentwickelte Gebiete geblieben sind. - Dies zu dem Problem der unterentwickelten Bereiche.
Schließlich, meine Damen und Herren, die Konjunkturpolitik. Es ist sehr die Frage, ob in der großen Auseinandersetzung mit dem Osten die freiheitlichen Länder es sich weiterhin leisten können, Perioden des Aufschwungs immer wieder mit PerioDr. Deist
den der Stagnation und Perioden der Rückschläge abwechseln zu lassen. Es hat bei allen, die diese Entwicklung ernst nehmen, starke Bedenken erregt, mit welcher Seelenruhe die Regierungspolitik im vergangenen Jahr der Entwicklung im Kohlenbergbau, in der Eisen- und Stahlindustrie, im Schiffbau und in der Textilindustrie zugeschaut hat. Hier liegen entscheidende Unterlassungssünden; denn alle diese Unterlassungen führen zu Wachstumsverlusten, die nicht mehr aufzuholen sind und die wir uns einfach nicht mehr leisten können.
Das Ergebnis dieser Überlegung läßt sich mit einigen Zahlen verdeutlichen. Wir bezeichnen den Gesamtinhalt der wirtschaftlichen Leistung eines Volkes als Bruttosozialprodukt. Das Wachstum des Bruttosozialprodukts ist ein wichtiger Anhaltspunkt dafür, wie die Auseinandersetzung zwischen Ost und West bestanden werden kann. Meine Damen und Herren, unter denen, die realistisch denken und sich keinen Illusionen hingeben, besteht kein Zweifel darüber, daß die Union der Sowjetrepubliken ein wirtschaftliches Wachstum, eine Steigerung des Sozialprodukts von jährlich 8 bis 10 % hat. Es ist anzunehmen, daß das Wachstum näher bei 10 % als bei 8 % liegt.
In dem Joint Committee von Senat und Kongreß in den USA hat man sich aus Anlaß des letzten Berichts des Präsidenten über die wirtschaftliche Lage in den USA mit diesem Problem befaßt. Dabei wurde die beängstigende Feststellung getroffen, daß selbst in den USA - eben weil sich die USA auch das Auf und Ab der Konjunkturen gestatten und damit die Unterbrechung und sogar die Korrektur von Wachstumsprozessen in Zeiten der Stagnation und der Rezession - das Wachstum langfristig, d. h. von 1921 bis 1958, nur rund 3 % betragen hat und daß man nicht damit rechnen kann, daß dieses langfristige Wachstum sich vermutlich steigern wird.
Betrachten wir uns unsere Zahlen in Deutschland. 1955 hatten wir einen Zuwachs des Sozialprodukts von 12 %. Er war sicherlich überhöht. Im Jahre 1956 waren es nur 6 %, im Jahre 1957 5 % und im Jahre 1958 knapp 3 %. Auch hier zeigen sich die Wachstumsverluste, die auf die gesamte Entwicklung auf lange Sicht außerordentlich drücken müssen.
Es ist mir sehr zweifelhaft, ob eine solche Entwicklung der Forderung nach einer stabilen regelmäßigen Aufwärtsentwicklung entspricht und ob man dann so selbstgerecht von der eigenen wirtschaftlichen Leistung sprechen darf, wobei man dann auch noch die wirtschaftliche Leistung aller Schichten des deutschen Volkes mit denen der Bundesregierung identifiziert. So täuscht man sich über die Probleme hinweg, die unvermindert vor uns stehen.
Herr Kollege Dr. Vogel hat gestern einige interessante Zahlen vorgelegt. Er war so liebenswürdig, mir die Quelle zu nennen, so daß ich an Hand dieser Quelle einiges zu seinen Zahlen sagen kann. Er hat darauf hingewiesen, daß von 1901/05 einerseits bis 1955/57 andererseits, also im Laufe von rund 50 Jahren, das Realeinkommen je Kopf
der Bevölkerung um rund 100 % und etwas mehr gestiegen sei. Er hat das so quasi als eine Großtat hingestellt, um zu zeigen, wieweit wir es doch eigentlich gebracht hätten. Aber er hat nicht gerechnet. 100 % in 50 Jahren bedeuten, da die Jahreszuwachsrate jeweils von dem erhöhten Sozialprodukt des vorhergehenden Jahres gerechnet werden muß, daß das Wachstum in diesen 50 Jahren jährlich weniger als 2 % betrug. Es besteht kein Zweifel darüber, daß das eine ungenügende Zuwachsrate ist.
({2})
-- Ich streite nicht über das Warum, sondern ich unterhalte mich mit Ihnen über die Frage, ob es recht ist, eine solche Zuwachsrate als eine Großtat der modernen Gesellschaft hinzustellen.
({3})
- Wir sprechen nicht über die Frage, woran das liegt, sondern darüber, ob wir uns in Selbstgerechtigkeit hinstellen dürfen und sagen: Wieweit haben wir es in diesen 50 Jahren gebracht!
({4})
- Das hätten Sie dazusagen sollen. Sie hätten sagen sollen, daß die 2 % nicht ausreichen, daß das eine geradezu unzureichende Wachstumsrate ist und daß wir die Aufgabe haben, diese Zuwachsrate erheblich zu steigern. Wenn Sie das hinzugefügt hätten, wären Ihre Ausführungen in Ordnung gewesen.
Eine zweite Zahl ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Sie ist derselben Quelle zu entnehmen. In der Zeit von etwa 1850 bis 1911/13 ist das Realeinkommen je Kopf der Bevölkerung um 146 % gestiegen. Das heißt: der Zuwachs des Realeinkommens je Kopf war in dieser Zeit - selbst mit der Einschränkung, daß es sich bei diesem Zeitraum um 60 Jahre handelt - größer als in der Zeit, die Herr Kollege Vogel herangezogen hat, um zu beweisen, was wir so tüchtig geschaffen haben. Und das geschah in einer Zeit, in der alle modernen technischen Erfindungen und Erfahrungen, über die wir heute verfügen, noch nicht vorhanden waren!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hellwig?
Bitte!
Herr Dr. Deist, meinen Sie, daß der Aussagewert der Zahlen, wie Sie ihn sehen, auch noch bestehenbleibt, wenn die außerordentlich starke Bevölkerungszunahme in diesem Zeitraum mit in Rechnung gestellt wird? Dadurch wird nämlich der reale Zuwachs wesentlich größer; denn die Bevölkerungszahl hat sich in dieser Zeit entscheidend erhöht.
Herr Kollege Vogel hat zutreffend erwähnt, daß der reale Einkommenszuwachs je Kopf, d. h. die Steigerung des Lebensstandards, nur diesen Satz von weniger .als 2 % ,ausgemacht hat. Das ist das allein Entscheidende, und allein auf diese Feststellung habe ich Wert gelegt.
Aber lassen Sie mich nun gegenüber dieser selbstgerechten Einschätzung dessen, was wir geleistet haben, ein kurzes Zitat bringen.
({0})
Ich meine einen Artikel von Jürgen Eick - der Ihnen sonst ja wohl nicht ,so fernsteht - in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15. Januar 1958. Dort führt er aus:
Die Bundesrepublik liegt in der Produktionsleistung und im Export pro Kopf der Bevölkerung sowie im privaten Verbrauch, also im Lebensstandard, weit hinter anderen Ländern, auch hinter solchen, denen niemand eine Reichtumsgloriole widmet.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, vielleicht erschüttert Sie das doch etwas in Ihrer Selbstgerechtigkeit. Dabei will ich keineswegs anzweifeln, was in der Vergangenheit wirtschaftlich in Deutschland geleistet warden ist.
Wenn man sich nach dieser Darstellung der Lage vergegenwärtigt, was in Deutschland erforderlich ist, muß man feststellen, daß wir noch nicht einmal die einfachsten organisatorischen Voraussetzungen für die Führung einer planmäßigen Wirtschaftspolitik geschaffen haben. In den Vereinigten Staaten gibt es seit 1946, also seit nunmehr 13 Jahren, den Employment Act, das Vollbeschäftigungsgesetz, das einen Council of Advisers, ein Beratungsgremium für den Präsidenten der Vereinigten Staaten von drei Mann vorsieht, also ein ganz kleines Gremium. Es arbeitet mit einem Stab von nur 25 bis 30 hochqualifizierten Mitarbeitern. Aber seine Aufgaben sind gewaltig. Es koordiniert praktisch die Wirtschaftspolitik. Denn dieser Rat der drei Wirtschaftssachverständigen hat regelmäßige monatliche Besprechungen mit den Staatssekretären der verschiedenen in Frage kommenden Ministerien - das sind in Amerika die Minister - und macht Vorschläge. Er macht dien Entwurf für den jährlichen Wirtschaftsbericht des Präsidenten, er entwirft Stabilisierungs- und Konjunkturprogramme.
Und was geschieht bei uns? In den Jahren 1954 und 1956 hat sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium mit diesem Problem befaßt. Er hat im Jahre 1956 vorgeschlagen, eine Zentralbehörde zu schaffen, die die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung entwickeln und die notwendigen Vorarbeiten leisten sollte, damit die Bundesregierung dem Bundestag regelmäßig jährlich einen Bericht über die wirtschaftliche Lage und die wirtschaftliche Entwicklung erstatten kann.
Zu gleicher Zeit hat meine Fraktion den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung eines stetigen wirtschaftlichen Wachstums eingebracht, in dem sie die Errichtung eines volkswirtschaftlichen Beirates vorschlug. Außerdem schlug sie vor, die Bundesregierung sollte im Interesse einer klaren Beurteilung der Wirtschaftssituaiion und der Entwicklung einer wirksamen, freiheitlichen Konjunkturpolitik verpflichtet werden, ebenso wie einen Haushaltsplan jedes Jahr auch einen wirtschaftlichen Lagebericht vorzulegen.
Was geschah? Am 21. April 1956 berichtete das amtliche Bulletin, daß der Bundeswirtschaftsminister einen Konjunkturrat, bestehend aus dem Bundesminister der Finanzen, dem Präsidenten der Bundesnotenbank und dem Bundeswirtschaftsminister selbst, geschaffen habe, daß kürzlich die erste Abteilungsleiter-Sitzung stattgefunden habe und daß beschlossen worden sei, regelmäßig monatlich solche Sitzungen abzuhalten. Wir wissen, der Bundesverband der Deutschen Industrie lief gegen eine solche Einrichtung Sturm, und der Bundeskanzler 'brauchte keine acht Tage, um vor Journalisten zu erklären: Diesen Konjunkturrat gibt es nicht und wird es niemals geben. So torpedierte der Bundeskanzler bereits damals eine vom Herrn Bundeswirtschaftsminister für notwendig gehaltene Maßnahme, ohne daß man etwas von ernsthaften Reaktionen des Herrn Bundeswirtschaftsministers gehört hätte.
({1})
Darauf vergingen zwei Jahre. Im Frühjahr 1958 wußte die Presse zu melden, der Bundeswirtschaftsminister habe ein Gremium von vier Wirtschaftswissenschaftlern eingesetzt; die Geschäftsführung dieses Gremiums liege bei dem Präsidenten des Statistischen Bundesamtes, Herrn Dr. Fürst. Zweimal jählich solle ein umfassender Bericht erstattet werden; es solle eine Vorausschau über die Wirtschaftliche Entwicklung geliefert werden; darin sollten die Auswirkungen auf die Preissituation, auf die Entwicklung der Investitionen, auf die Ausgabenwirtschaft und dergleichen mehr aufgezeigt werden. Außerdem solle diese Gremium die Vorarbeiten für die Entwicklung einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung fördern.
Was geschah? Es ist ein offenes Geheimnis, daß der Bundesverband der Deutschen Industrie beim Bundeskanzler schärfsten Einspruch gegen diese Aktion eingelegt hat; darauf wurden diese vier Herren niemals wieder zusammengerufen. Das war das zweite Torpedo gegen die Grundlagen einer wirksamen Wirtschaftspolitik. Was übrigblieb, war ein einziger Referent im Bundeswirtschaftsministerum für Fragen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.
Meine Damen und Herren, was soll man davon halten, wenn nunmehr berichtet wird, Herr Staatssekretär Müller-Armack habe in einem Gespräch mit Vertretern der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgeschlagen, nunmehr beschleunigt einen Konjunkturrat für die europäische Wirtschaft zu schaffen; es müsse auch ein Fonds für aktive Konjunkturpolitik errichtet werden und es müßten Investitionsreserveprogramme entworfen werden? Herr Müller-Armack hat hinzugefügt - und darin kam anscheinend eine bittere, aber späte Erkenntnis über die Entwicklung in seinem Heimatland zum Ausdruck -, daß sich die Konjunkturpolitik heute überwiegend im Amateurstil vollDr. Deist
ziehe. Was soll man von einer Bundesregierung halten, die solche Vorschläge in Straßburg, Paris und Brüssel macht und im eigenen Lande nicht in der Lage ist, entsprechende organisatorische Voraussetzungen zu schaffen? Wie soll denn eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik geschehen, wenn auf übergeordneten Ebenen das geschaffen wird, was auf den unteren Ebenen, wo das geschieht, was koordiniert werden soll, einfach nicht vorhanden ist? Ich verlange keine Zustimmung! Aber jeder, der die Dinge in Brüssel und in Straßburg beobachtet, weiß, daß man dort Deutschland als den größten Hemmschuh für eine Koordinierung der Konjunkturpolitik in Europa ansieht.
Diese Überlegung endet mit der Feststellung, daß bei uns in Deutschland die einfachsten organisatorischen Voraussetzungen für eine zielbewußte und planmäßige Wirtschaftspolitik fehlen, mit der man allein das in der heutigen Zeit notwendige stabile wirtschaftliche Wachstum sichern kann.
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, das ist - ich wähle die Formel der Koalitionsparteien - die Eigentumsbildung als gesellschaftspolitisches Problem. Da Sie das nicht nur als ein Problem unter vielen behandeln, sondern so tun, als wenn das, was Sie auf diesem Gebiet verkünden und tun, der gesellschaftspolitische Zentralpunkt Ihrer Wirtschaftspolitik sei, lohnt es sich, darüber einige Worte zu verlieren. Dabei wird nicht zu umgehen sein, daß auch ein Blick auf Bereiche fällt, die nicht unbedingt der Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministers unterstehen, die aber in das Gebiet „Eigentumsbildung in breiter Hand" hineingehören.
Die Fakten sind bekannt; ich brauche sie nicht im einzelnen aufzuführen. Wir wissen, daß sich das Bruttoeinkommen der Selbständigen, also das Unternehmereinkommen, im Laufe der letzten Jahre immer stärker auf eine kleinere Zahl von Unternehmungen und Unternehmern zusammengedrängt hat,
({2})
- daß sich die Großeinkommen immer stärker in der Hand einiger weniger Unternehmungen und Unternehmer gesammelt haben. Das wollte ich sagen. Dieser Vermögenszuwachs hat zur Ausdehnung und Rationalisierung der Unternehmungen geführt und einen gewaltigen Vermögenszuwachs in der Wirtschaft zur Folge gehabt, der letzten Endes mit der Methode der Selbstfinanzierung zusammenhängt.
Es war der Herr Bundeswirtschaftsminister, der in einem Gutachten über die Kapitalbildung im Februar 1957 meinte, diese Selbstfinanzierung habe zu einer einseitigen Kapitalbildung in der Hand vorwiegend großer und an sich schon hochrentabler Unternehmen geführt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will jetzt nicht lange erörtern, daß das schließlich das Ergebnis einer zehnjährigen Politik unter Ihrer Führung gewesen ist. Aber ich möchte darauf hinweisen, daß an diesen Darlegungen deutlich wird, wie eng der Zusammenhang zwischen der Einkommenspolitik, damit auch der
Lohn- und Gehaltspolitik, der steuerlichen und sonstigen Behandlung der Unternehmensgewinne und der Schaffung privater Großvermögen ist.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es recht merkwürdig, daß in Ihren Erörterungen die Einkommenspolitik als die Grundlage jeder gesunden Vermögensbildung vollkommen vernachlässigt wird, daß Sie auf der anderen Seite das Problem der Vermögensbildung einseitig in der Streuung der Aktien sehen - denen Ihre besondere Vorliebe gehört -, und daß sich schließlich das Problem der Aktienstreuung in Ihrem Gesichtskreis beinahe zu einem Problem der Veräußerung von Bundesvermögen verengt.
({3})
Meine Damen und Herren, ich möchte hier eines klarstellen. Die Sozialdemokratie ist kein Gegner einer breiten Aktienstreuung. Im Gegenteil, eine breite Streuung, zahlreiche mittlere und kleinere Aktionäre sind uns jedenfalls wesentlich lieber als die Beherrschung von Unternehmungen durch Großaktionäre. Wir haben diese Haltung auch bei der Behandlung des Gesetzes über Investment-Gesellschaften bewiesen, an dem wir sehr positiv mitgearbeitet haben. Dieses Gesetz gibt die Möglichkeit, eine breitere Eigentumsstreuung auf normalem Wege ohne Vergeudung öffentlicher Mittel herbeizuführen.
Ich darf schließlich hervorheben - auch wenn das weniger bekannt ist -, daß die Sozialdemokratie sich in ihrem Dortmunder Aktionsprogramm im Jahre 1952 nicht nur zur Förderung des Einkommens mittlerer und kleinerer Unternehmungen, sondern auch zur Schaffung von Eigentum in der Hand der unselbständig Tätigen bekannt hat. Um dieses Problem geht es nicht.
Es geht allein um die Frage, ob unter der Formel „breite Eigentumsbildung" nicht im Effekt die heutige ungerechte Vermögensverteilung konserviert wird und ob nicht gar die großen Vermögensbesitzer unzulässigerweise gefördert werden. Das ist das entscheidende Problem.
Dazu muß man wissen, daß sich die Gesamtheit des Aktienkapitals in Deutschland, statistisch nachweisbar, zu 70 % - andere nennen 80 % - im Schachtel- und Dauerbesitz, d. h. überwiegend in der Hand von Großaktionären, befindet. Die Konsequenz aus dieser Feststellung ist einfach und schlicht: wer mit öffentlichen Mitteln die Aktie fördert, fördert überwiegend Großaktionäre,
({4})
und für die Vermögenslosen fallen höchstens kleine Brocken von des Herrn Tisch ab.
Es ist auch eine Illusion, zu meinen, daß breite Schichten durch Propaganda und andere Mittel für die Aktie interessiert oder umgekehrt vom Aktienerwerb abgehalten werden könnten. Sie brauchen sich nur den Kurszettel anzusehen. Seit dem Jahre 1955 haben wir ständige Schwankungen im Kurse der Aktien festzustellen. In der letzten Zeit sind sie besonders stark gewesen, so daß eine Zeitung, die wiederum Ihnen wesentlich nähersteht als uns, die
„Deutsche Zeitung", von der „Spekulantenschaukel" sprach und davon, daß der Aktienmarkt zu einem „Tummelfeld waghalsiger Spekulanten" geworden sei. Meinen Sie wirklich, daß sei eine Vermögensanlage für den kleinen Mann, für jene 50 % der arbeitenden Menschen, die auch heute noch ein Nettoeinkommen von weniger als 400 DM beziehen?
Die Aktion Volksaktien bei der Preußag hat, wenn man sie kritisch beurteilt, eine Bestätigung dieser Auffassung ergeben. Wenn Sie die Aufgabe darin sähen, öffentliches Vermögen, koste es, was es wolle, auch unter Inkaufnahme von Verlusten, in private Hände zu bringen, dann haben Sie allerdings einen großen Erfolg erzielt; denn das Vermögen ist unter Preis verkauft worden, und die Empfänger haben einen unbezweifelbaren Kursgewinn von mindestens 30 N.
Aber wenn Sie die Aufgabe darin sähen, eine breite Streuung dieser Aktien zu erreichen, dann ist es ein eklatanter Mißerfolg. Unter den „Volksaktionären", wie Sie das so schön nennen, befinden sich 5 % Arbeiter. Wer über Informationen aus den Banken verfügt, weiß, daß es überwiegend Menschen mit einem Einkommen von dicht unter 16 000 DM, also mit einem Einkommen von mehr als 1000 DM pro Monat, sind. Das ist wohl keine breite Eigentumsstreuung bei den bisher Vermögenslosen. Die Belegschaftsmitglieder, die gezeichnet haben, machen ganze 1 % der Gesamtzeichnungen aus. Dabei wissen wir noch gar nicht, wie viele Einkommensempfänger über 16 000 DM sich durch Vorschieben von Frauen und Minderjährigen eingeschlichen haben. Auch das ist ein schwerwiegender Vorwurf gegen diese unüberlegte Maßnahme zur breiten Eigentumsstreuung.
Wer an den Bankschaltern einmal beobachtet hat, wie dort überlegt worden ist, ob eine Aktie gekauft werden sollte, der weiß, daß von Eigentumsdenken, von der Freude, Eigentum zu besitzen, aber auch nicht die Spur zu vermerken war. Da wurde gerechnet! Und man ließ sich vorrechnen, was es ausmacht, neben der Dividende - und solche Unternehmungen haben ja praktisch eine staatliche Dividendengarantie - 20 % Sparförderung und einen 30%igen Kursgewinn zu haben. Meine Damen und Herren, damit haben Sie mit der Hilfe von öffentlichen Mitteln bei einigen 100 bis 200 Menschen das Interesse an Aktienspekulationen geweckt, aber nicht das Eigentumsdenken gefördert.
Es war gar nicht so falsch - von Ihrer Seite, Herr Kollege Atzenroth, wurde mit Recht darauf hingewiesen -, hier von Privatisierungsgewinnlern zu sprechen. Die Volksaktien-Aktion hat einen einzigen Erfolg gehabt: sie hat die kleine Schar großer Börsenspekulanten durch eine etwas größere Zahl kleiner Börsenspekulanten ergänzt.
({5})
Zu einer Zwischenfrage der Abgeordnete Katzer!
Herr Dr. Deist, ist Ihnen bekannt, daß von den rund 90 Millionen DM, die gezeichnet worden sind, allein 26 Millionen DM nach dem Sparprämiengesetz festgelegt sind, daß Leute das Geld also für fünf Jahre festgelegt haben? Hier kann man doch wohl nicht von Spekulantentum sprechen, sondern hier ist exakt das erreicht worden, was wir wollten, nämlich daß die Volksaktie zu einem Anlagepapier und nicht zu einem Spekulationspapier wird.
Herr Kollege, ist Ihnen nicht aufgefallen, daß sich aus Ihrer Rechnung ergibt, daß 54 Millionen DM nicht auf lange Sicht festgelegt werden, so daß die Annahme berechtigt ist, daß es sich um Spekulationspapiere handelt?
({0})
Ich spreche aus der Erfahrung, die ich und meine Freunde an den Bankschaltern gemacht haben, welche Überlegungen bei dem Erwerb der Aktien eine Rolle gespielt haben. Darum muß ich zu dem Ergebnis kommen, daß sowohl die Ausgabe von Volksaktien bei der Preußag wie auch die von Ihnen geplante Ausgabe bei der Viag und beim Volkswagenwerk ebenso wie jede Förderung der Aktie ein untaugliches Mittel für breite Eigentumsstreuung sind.
Aber man kann Ihre Eigentumspolitik nicht ohne Ihre sonstige Politik, insbesondere hinsichtlich der steuerlichen Behandlung des Aktienbesitzes, sehen. Lassen Sie mich auch in diesem Zusammenhang einige Worte sagen. Seitdem der Rationalisierungsprozeß so stark geworden ist und zur Bildung mächtiger Großunternehmungen geführt hat, spielt die Selbstfinanzierung in allen Industrieländern eine wichtige Rolle. Sie hat dazu geführt, daß im Jahre 1954 der durchschnittliche Kurs aller Aktien auf 180 % und 1958 auf 300 % stand. Hier ist also ein Vermögenszuwachs von im Schnitt 70 % zu verzeichnen.
Wer den normalen Weg der Vermögensbildung geht, nämlich Einkommen bezieht und dieses Einkommen verwendet, um sich Vermögensbestandteile zu erwerben, der muß diesen Zugang, der zunächst Einkommen ist und dann Vermögen wird, normal versteuern. Wer den Vermögenszuwachs auf dem Wege der Kurssteigerung der Aktie bezieht, braucht keine Steuern dafür zu zahlen.
({1})
Das ist besonders grotesk, wenn man sich ansieht, wo dieser Vermögenszuwachs eigentlich am stärksten ist. Er ist naturgemäß - aber man muß es immer wieder sagen - am stärksten bei jenen Großunternehmungen, über deren Kapital Großaktionäre verfügen. Sehen Sie: bei Daimler-Benz sechsfache Steigerung des Kurswertes, bei Dortmunder Ritter dreifache Steigerung, bei Dynamit Nobel vierfache Steigerung, bei Metallgesellschaft dreieinhalbfache Steigerung. In den USA hat man wenigstens ein Gesetz geschaffen, durch das dieser Vermögenszuwachs einer pauschalen Besteuerung von 25% unterworfen wird. Bei uns ist diese wichtige Methode
der modernen Industriegesellschaft, sein Vermögen zu steigern, steuerfrei.
({2}) - Für den Empfänger steuerfrei!
Es kommt ein zweites hinzu, das in diesen Rahmen gehört: wenn sich diese Aktien im privaten Besitz befinden, kann der Besitzer die Aktien verkaufen und den hohen Veräußerungsgewinn einstreichen, ohne daß er dafür Steuern zu zahlen braucht. Wenn der Arbeiter sein normales Einkommen bezieht, muß er es versteuern. Wenn eine sehr vermögende Witwe aus ihrem Aktienbesitz etwas mit hohem Gewinn verkauft, kann sie diesen Gewinn steuerfrei einstreichen. Das ist ein Kapitel der Frage, ob hier eine breite Eigentumsstreuung oder diejenigen, die bereits heute über Vermögen verfügen, gefördert werden.
In dieses Kapitel gehört noch ein weiterer Punkt. Steuerpflichtig sind solche Veräußerungsgewinne, Gewinne aus dem Verkauf der Aktien, heute noch dann, wenn sie sich im Betriebsvermögen befinden. Ein Großteil der Banken und Industrieunternehmungen hat die Gewinne der vergangenen Jahre in Aktien angelegt. Sie brauchen natürlich gelegentlich diese angelegten Gewinne zur Finanzierung der verschiedensten Bedürfnisse. Natürlich müssen sie - bis heute wenigstens - den Gewinn versteuern, wenn sie z. B. eine Aktie, die sie für 3000 Mark gekauft haben, jetzt für 10 000 Mark wieder verkaufen; das ist ja wohl ganz normal. Meine Damen und Herren, man höre und staune: der Präsident der Rheinisch-Westfälischen Börse hat nunmehr verlangt, man müsse es den Unternehmen erleichtern, sich von diesen Aktien zu lösen, und darum müsse man diese riesigen Veräußerungsgewinne steuerlich begünstigen.
({3})
Zu solchen merkwürdigen Konsequenzen führt Ihre Politik breiter Eigentumsstreuung bei jenen Kräften, von denen Sie gestützt werden und zu denen Sie halten.
Damit richte ich mich an diejenigen, die wirklich daran glauben, auf dem Wege über die Aktie eine breitere Eigentumsstreuung herbeizuführen. Der Präsident der Rheinisch-Westfälischen Börse hat dazu gesagt, ob das steuerlich gerecht sei oder nicht, das sei eine sekundäre Frage.
({4})
Der Gipfel ist erreicht mit Ihrem Gesetz über die für die Empfänger steuerfreie Ausgabe von Gratisaktien. Heute braucht man nicht mehr zu theoretisieren, heute kennen wir bereits Fakten. Einige Unternehmen haben bereits angekündigt, daß sie demnächst Gratisaktien ausgeben werden. Dazu gehören Daimler-Benz, die Metallgesellschaft, Karstadt, Dortmunder Ritter, Salamander und manche andere mehr. Diesen Unternehmen sind einige Dinge gemeinsam. In allen Fällen handelt es sich um Gewinne, die in früheren Jahren nicht ausgeschüttet worden, sondern in den Unternehmungen thesauriert worden sind.
({5})
- Der Aktienbesitzer, bei dem sich der Wertzuwachs in der Steigerung seiner Aktien ausgewirkt, versteuert diesen Wertzuwachs nicht, da Gewinne, die nicht ausgeschüttet werden, bei demjenigen, dem der Gewinn zusteht, nicht versteuert werden. Das ist wohl eine klare Angelegenheit. Ich bitte also, die Dinge nicht zu verwischen.
Wir kennen eine klare Unterscheidung zwischen der Besteuerung des Gewinns eines Unternehmens und der Besteuerung der Dividende, die dem einzelnen Aktionär zufließt. Das hat den guten Grund, daß sich im Grunde genommen die Beziehungen zwischen der Aktiengesellschaft als einer Unternehmenseinheit und den Aktionären so weit gelöst haben, wie das heute geschehen ist. Darum werden Unternehmungen und Aktionäre mit gutem Grund völlig getrennt behandelt. Das ist in fast allen modernen Staaten so, wo große Industrieunternehmungen eine Rolle spielen.
Also: es handelt sich überall um nichtausgeschüttete Gewinne. Die nachträgliche Ausschüttung in Form von Aktien beträgt durchschnittlich 100 %; in fast allen Fällen wird das Aktienkapital nach den Ankündigungen verdoppelt. In fast allen diesen Fällen wird, wie gesagt, die Ausschüttung dieses in früheren Jahren einbehaltenen Gewinns an die Aktionäre vorgenommen, ohne daß die Aktionäre dafür Einkommensteuer zu bezahlen haben.
({6})
Auf die um 100 % aufgewerteten Aktien wird auch weiterhin im großen und ganzen dieselbe Dividende gezahlt wie bisher, so daß der Aktionär, der bisher 120 DM Dividende bezog, im nächsten Jahr 240 DM erhält - obwohl natürlich formal pro Aktie nur 12% ausgezahlt wenden -, weil er eine zweite Aktie gratis, ohne für deren Erwerb Steuern zahlen zu müssen, erhalten hat.
Jetzt kommt das Entscheidende: bei allen diesen Gesellschaften spielen Großaktionäre die entscheidende Rolle. Es ist gar nicht die große Zahl kleiner und mittlerer Aktionäre, die hier bevorzugt werden, sondern im wesentlichen handelt es sich hier wieder uni ein Steuergeschenk an Großaktionäre.
Meine Damen und Herren, nicht nur ich sage das, sondern auch das Leib- und Magenblatt nicht des Kanzlers, aber das Leib- und Magenblatt vieler Herren, die hier in der CDU-Fraktion sitzen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb darüber - Herr Dr. Heinz Brestel hat den Artikel verfaßt -: „Der psychologische Widerstand der Kleinaktionäre gegen hohe Kurse habe dahin geführt, daß die sogenannten Gratisaktienpapiere sich überwiegend in der Hand von Kennern, also vorwiegend Großanlegern, befinden."
Muß ich eigentlich noch näher nachweisen, daß nicht nur die Ausschüttung von Volksaktien keine Methode zur Erzielung breiter Eigentumsstreuung ist, sondern daß im Gegenteil Ihre gesamte Steuerpolitik eine einseitige Begünstigung des Großaktienbesitzes ist?
({7})
Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu dem Sparprämiengesetz hinzufügen! Sie haben entschei4100
denden Wert darauf gelegt, daß die Aktien in das Sparprämiengesetz einbezogen werden. Sie haben es aber abgelehnt, Genossenschaftsanteile einzubeziehen, obwohl Genossenschaftsanteile sehr häufig eine Vermögensanlage für kleine und mittlere Unternehmer und Arbeitnehmer sind.
Nach dieser Analyse Ihrer Politik kann man nur sagen, daß sich hinter dem Programm der breiten Eigentumsstreuung letzten Endes wohl eine steuerliche und sonstige Förderung des großen Aktienbesitzes verbirgt, daß aber eine Vermögensbildung für breite Schichten der Bevölkerung auf diese Weise nicht möglich ist und daß die Ausgabe von Volksaktien ganz offenbar anderen Zwecken dient, als verkündet wurde.
({8})
Damit komme ich zum dritten und letzten Kapitel meiner Ausführungen. Am 4. Dezember des vergangenen Jahres haben die Fraktionen der Regierungskoalition eine Große Anfrage zur Wirtschaftskonzentration eingebracht. Dabei wurde verkündet nun werde der Großangriff, die großangelegte Auseinandersetzung mit den Problemen der wirtschaftlichen Macht eingeleitet. Im Februar 1959 folgte die Ankündigung, daß es gelungen sei, den früheren Reichskanzler Dr. Brüning für diese Arbeit zu gewinnen, der über riesiges Material und große Erfahrungen auf diesem Gebiet verfüge. Es hat offenbar eine Unterhaltung des früheren Reichskanzlers mit dem jetzigen Bundeskanzler genügt, um dem ersteren zu zeigen, daß hier keine Möglichkeiten zu fruchtbarer Arbeit bestehen.
Im April 1959 war die Presse voll von Meldungen, daß die Antwort der Bundesregierung nunmehr fertiggestellt sei und daß jetzt die große Schlacht beginne. Und dann versickerte alles. Es wurde bekannt, daß die Bundesregierung nicht so recht zu einem Konzept kommen könne, wie man den Schwierigkeiten begegnen könne. Es wurde bekannt, daß keine einheitliche Meinung zwischen dem Bundeswirtschaftsminister und dem Bundesjustizminister herbeigeführt werden könne. Dann wurde die Version verbreitet: Da wir jetzt einen neuen Bundeskanzler bekämen, könne man diesem nicht seine Meinung über die Konzentration in der Wirtschaft vorwegnehmen, die er ja in seinem großen Regierungsprogramm im September oder Oktober zum besten geben müsse. Nun, die letzte Begründung scheint inzwischen fortgefallen zu sein.
Ich wundere mich sehr, daß Sie weder in der Vergangenheit noch jetzt im Juni Gelegenheit nehmen, diese Große und für Sie so wichtige Anfrage zu besprechen, und daß ein so großes und entscheidendes Problem zehn Monate Zeit hat, ehe Sie es auf die Tagesordnung bringen. Dabei haben Sie jenes Mittel, die Große Anfrage, gewählt, mit dem die Fraktionen die Möglichkeit haben, die Bundesregierung innerhalb von 14 Tagen zu einer Behandlung zu zwingen.
({9})
- Eben, es ist Ihre Große Anfrage, und es ist die Frage, wie ernst S i e es mit Ihrer Großen Anfrage meinen.
({10})
Unsere Anfragen stehen gar nicht zur Debatte; da pflegen wir Wert darauf zu legen, daß sie bald behandelt werden.
({11})
- Herr Kollege Schmücker, ich möchte darauf sehr deutlich antworten. Sie haben die Anfrage - ich unterstelle dabei keine bösen Absichten; ich stelle nur Fakten fest - ausgerechnet in einem Augenblick besprechen wollen, in dem einige unserer Fraktionsmitglieder, die auf wirtschaftspolitischem Gebiet arbeiten, nicht in Deutschland waren. Da haben wir gebeten, die Besprechung nicht gerade in den vier Wochen vorzunehmen, in denen diese Kollegen nicht anwesend waren. Inzwischen sind sechs Monate vergangen. Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, daß die Sozialdemokratie schuld sei, daß Sie Ihre Große Anfrage in den vergangenen sechs Monaten nicht zur Erörterung stellen konnten. Das ist doch der Gipfel.
({12})
Dabei handelt es sich hier wirklich um ein ernstes Problem. Ich meine, daß man wenigstens in kurzen Strichen bei dieser Haushaltsberatung dazu etwas sagen sollte. Und ich möchte unsere Auffassung zu dem Problem in ihren Grundzügen ganz klarstellen.
Die Konzentration, d. h. die Schaffung von Großunternehmungen, hat in Deutschland gewaltige Fortschritte gemacht. Sie hat nicht nur die Industrien der Grundstoffe, der Produktionsgüter und Investitionsgüter erfaßt, sondern sie hat bereits seit längerer Zeit auch auf die Produktion langlebiger Konsumgüter übergegriffen. Ich meine die Produktion von Kraftfahrzeugen, Waschmaschinen, Kühlschränken, Radiogeräten, Schreibmaschinen und Nähmaschinen usw., die früher zum großen Teil in der Hand mittlerer und kleinerer Unternehmungen lag. Die Konzentration hat darüber hinaus jetzt auch die Produktion von Gütern des täglichen Bedarfes erfaßt. Ich darf einige Zahlen nennen, die das kennzeichnen: 75 % der Margarineerzeugung liegen bei einem Unternehmen, nämlich einer Tochtergesellschaft von Unilever, 90 % der Waschpulverproduktion bei zwei Unternehmungen, 85 % der Backpulverproduktion bei einem, beim Oetker-Konzern, und die Zigarettenproduktion zu 60 % bei Reemtsma. Ich habe nur die Beispiele angeführt, um anzudeuten, wie weit der Konzentrationsprozeß geht.
Meine Damen und Herren, die Vorgänge um die Preisfestsetzung wichtiger Markenartikel, die Prozesse um Uhrenarmbänder und Schokoladenpreise, die Preisentwicklung bei Photo-Filmen, bei Waschmitteln, Kühlschränken und Fernsehgeräten sowie
die Tatsache, daß in jenen Bereichen, in denen marktbeherrschende Unternehmen vorhanden sind, die Preise auch bei schwacher Konjunktur eine allzugroße Standfestigkeit beweisen, zeigen, wie wichtig dieses Problem für die Entwicklung und Entfaltung des Lebensstandards ist. Die heftigen Klagen mittlerer und kleiner Unternehmer, insbesondere die Diskussionen im Kreise der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer, haben gezeigt, wie stark die freie Entwicklung der mittleren und kleinen Unternehmungen durch den Konzentrationsprozeß beeinträchtigt wird.
Die Vorgänge um die Entstehung und Durchführung des Kartellgesetzes, der Machtkampf zwischen dem Kohlebergbau und Herrn Erhard sowie der Sturmlauf der Mineralölindustrie gegen die Errichtung der Frisia-Raffinerie haben sichtbar gemacht, wie stark der Einfluß der Großwirtschaft auf die deutsche Politik und wie stark das normale Spiel der Kräfte bei der demokratischen Willensbildung beeinträchtigt wird.
({13})
Lassen Sie mich dazu, meine Damen und Herren, wiederum eine klärende Vorbemerkung machen. Wir wissen, daß die von mir vorhin als notwendig bezeichnete Steigerung des Lebensstandards von einer starken Ausweitung der Wirtschaft und damit von einer enormen Steigerung der Produktivität abhängig ist. Sie ist ohne die Bildung von Großunternehmungen nicht denkbar. Wir wissen, daß die Entwicklung der großen Unternehmungen nötig ist, weil nur sie sich der Möglichkeiten wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung in. ausreichendem Maße bedienen können, weil nur sie in der Lage sind, sich die Vorteile moderner Produktionstechnik in der Massenerzeugung zu sichern und weil nur wirtschaftlich sehr starke und leistungsfähige Unternehmungen den ständigen Rationalisierungs- und Automationserfordernissen Rechnung tragen können.
Wir sind keine Maschinenstürmer! Wir wissen, daß diese Großunternehmungen unabdingbare Bestandteile der modernen Wirtschaft sind - allerdings nicht jedes Großunternehmen; manch Großunternehmen ist aus Machtwillen gegründet und nicht wirtschaftlich bedingt. Aber der Prozeß der Konzentration zu Großunternehmungen ist unausweichlich, wenn wir nicht die Steigerung des Lebensstandards aufs Spiel setzen wollen.
Die Großunternehmungen sind jedoch nicht nur ein wichtiges Element des Wirtschaftsprozesses, sondern zugleich Kommandostellen der Wirtschaft. Wer diese Kommandostellen besetzt hält, verfügt über wirtschaftliche Macht, verfügt über große wirtschaftliche Vermögenskomplexe, verfügt im Rahmen der Arbeitsdisziplin über Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende von Menschen, und er besitzt eine solche Marktmacht, daß ihm alle jene, die nicht über gleiche Macht am Markt verfügen - kleine und mittlere Unternehmen ebenso wie die Konsumenten -, nicht mit gleichwertigen Mitteln entgegentreten können. Darum handelt es sich! Nicht um den Konzentrationsprozeß an sich, sondern um das Problem wirtschaftlicher Macht in der modernen Demokratie.
({14})
Wenn ich gegenüber Ihrer Großen Anfrage eines bemerken darf, dann dies, daß Sie darin zwar vom Konzentrationsprozeß, aber nicht mit einem Wort von wirtschaftlicher Macht sprechen. Das Urteil über Wert und Unwert Ihrer und jeder Politik gegenüber dem Konzentrationsprozeß hängt davon ab, ob Sie über die Konzentration nur parlieren oder ob Sie bereit sind, der wirtschaftlichen Macht mit Mitteln zu begegnen, die dieser Auseinandersetzung allein angemessen sind.
Ich möchte dabei noch eine andere Bemerkung machen. Es ist eine Illusion, zu meinen, man könne marktbeherrschende Unternehmungen durch gesetzlich oder sonstige Maßnahmen veranlassen, daß sie sich so verhalten, als ob freier Wettbewerb herrsche. Diese Als-ob-Theorie ist die größte Täuschung, der man sich im Hinblick auf die tatsächlichen Machtverhältnisse hingeben kann.
Wer als privater Großunternehmer über Macht verfügt, der verhält sich eben so, wie sich Menschen der Wirtschaft, die Macht zur Verfügung haben, zu verhalten pflegen. Sie nutzen ihre Macht und haben Achtung nur vor gleichgewichtiger Macht. Darum möchte ich heute drei Gesichtspunkte in den Vordergrund stellen, die wiederum die Grundlagen der Wirtschaftspolitik berühren. Wer die Dinge realistisch sieht und nicht sich und anderen Illusionen bereiten will, der muß sehen, daß das einzige Mittel, mit Hilfe des Wettbewerbs dem Machtmißbrauch privater Großunternehmungen entgegenzutreten, öffentliche Unternehmungen sind.
({15})
Das ist die einzige wirklich gleichgewichtige Gegenmacht, die die Großwirtschaft anzuerkennen bereit ist. Darum haben alle großen Industriestaaten in Europa und ebenfalls die USA zu dem Mittel gegriffen, in jenen Bereichen der Wirtschaft, in denen marktbeherrschende Unternehmungen eine Rolle spielen, mit öffentlichen Unternehmungen als Hechte im Karpfenteich des Wettbewerbs zu wirken.
({16})
Wenn eine Bundesregierung, die über solche öffentlichen Unternehmungen verfügt, von Wettbewerb spricht, aber von diesem Mittel, den Wettbewerb zu beleben, keinen Gebrauch macht, dann allerdings kann man Erfolge nicht erwarten. Wer auf dieses Mittel verzichtet, wer dieses Mittel der Wirtschaftspolitik aus der Hand gibt, der gibt den Großunternehmungen freie Bahn und ist verantwortlich für den Mißbrauch, den Großunternehmungen mit ihrer Macht treiben. Die Preußag, die Viag und das Volkswagenwerk, sie alle sind in Wirtschaftsbereichen tätig, in denen Großunternehmungen eine marktbeherrschende Rolle spielen.
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gewandt?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Deist, Sie haben bei der Konzentration vor allen Dingen auf Margarine und Seifenpulver hingewiesen. Sind Sie der Meinung, daß der Staat also auch Seifenpulver und Margarine produzieren sollte, um der Konzentration entgegenzuwirken? Denn das wäre die Konsequenz.
Herr Kollege Gewandt, ich habe von dem ersten Mittel und dem gewichtigsten Mittel gesprochen. Aus meiner Aufzählung der Gebiete, auf denen staatliche Tätigkeit bei uns und in anderen Ländern Wirklichkeit geworden ist, mögen Sie entnehmen, daß es mir zumindest zweifelthaft ist, ob in der Margarineproduktion oder in der Seifenproduktion öffentliche Unternehmungen zum Zuge kommen sollten. Sie werden gleich bemerken, daß ich nicht nur von einem Mittel, sondern auch noch von einem zweiten und einem dritten Mittel sprechen werde, wirtschaftlicher Macht entgegenzuwirken. Diejenigen Mittel, die nicht unter die erste Kategorie fallen, fallen dann eventuell unter die zweite oder dritte.
Meine Damen und Herren, das ist der Vorwurf, den wir machen: die Privatisierung öffentlicher Unternehmungen; dabei spreche ich nicht von der Spinnhütte, die Sie ruhig privatisieren sollten, und manchen anderen Unternehmungen der öffentlichen Hand. Ich spreche vielmehr von den Unternehmungen, die in der Großwirtschaft tätig sind. Wer diese Unternehmungen in private Hand spielt, der verzichtet auf die Mittel, die nötig sind, um die schwächeren Teile der Wirtschaft, mittlere und kleinere Unternehmungen, ebenso wie den Verbraucher gegen Übergriffe mächtiger Großunternehmer zu schützen.
Es gibt dann ein zweites Mittel. Das ist ein straffe öffentliche Kontrolle wirtschaftlicher Macht durch ein Monopol- oder Kartellamt. Meine Damen und Herren, wir haben in der Vergangenheit weidlich hierüber gesprochen, so daß ich mich auf einige kurze Bemerkungen beschränken kann.
Unter dem Druck der Großwirtschaft hat die Politik der Bundesregierung und der Koalitionsparteien dazu geführt, daß sie sich bei der Schaffung des sogenannten Kartellgesetzes in der Schaffung von zahllosen Bestimmungen zur Bekämpfung von Kartellen und sonstigen horizontalen wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen verzettelt und daß dabei das entscheidende Problem der Großunternehmungen, der marktbeherrschenden Unternehmungen völlig vernachlässigt wurde. Das war auch eine Folge der Einwirkung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie auf den Ablauf der Dinge. Heute muß jeder zugeben, daß das Kartellgesetz auf dem Gebiet der Kontrolle marktbeherrschender Unternehmungen ein völlig stumpfes Schwert ist.
({0})
Damit komme ich zu einem dritten Problem; es ist ein entscheidendes Problem. Es ist ein Problem,
Herr Kollege Hellwig, dem auch Sie gelegentlich Ihre Aufmerksamkeit widmen. Das vornehmste Mittel der Demokratie in der Auseinandersetzung mit der Macht sollte die Mobilisierung der öffentlichen Meinung sein. Hier ist die Aufgabe gestellt, für eine genügende Publizität zu sorgen, dafür zu sorgen, daß die Menschen draußen wissen, was in der Wirtschaft vor sich geht, und daß die Öffentlichkeit überall dort, wo Macht gebraucht wird, in demokratischer Weise den Finger auf die Wunde legen kann.
Wir haben uns bemüht, in das Kartellgesetz Bestimmungen hineinzubringen, die die Kartellbehörde verpflichten, in jenem Dschungel, in dem marktbeherrschende Unternehmungen herrschen, durch öffentliche Untersuchungen Licht zu schaffen, damit man weiß, wo, wer und wie er Macht ausübt. Alle diese Anregungen sind unter den Tisch gefallen. Heute muß die Kartellbehörde feststellen, daß ihr auf diesem Gebiet nahezu jedes ausreichende Beurteilungsmaterial fehlt.
({1})
Sind nicht auch die Vorgänge um die kleine Aktienrechtsreform, die manche fortschrittliche Vorstellung über die Erweiterung der Publizität in der Gewinn- und Verlustrechnung enthält, recht bezeichnend? Die Bundesregierung konnte diesen Vorschlag nur gekoppelt mit dem Geschenk der Gratisaktien einbringen! Und nachdem diese Gratisaktien-Vorlage zu scheitern droht oder jedenfalls hinausgezögert wird, wird auch das dringende Problem der Publizität in der Gewinn- und Verlustrechnung auf die lange Bank geschoben.
({2})
Das wohl bemerkenswerteste Beispiel auf diesem Gebiete ist die große Aktienrechtsreform. Der Referentenentwurf enthält ebenfalls sehr beachtliche fortschrittliche Vorschläge auf dem Gebiet der Publizität. Aber was ist geschehen? Der Bundesjustizminister hat diese Vorlage zunächst den verschiedenen Interessenverbänden zugeleitet, ohne daß deutlich geworden ist, ob eigentlich die Bundesregierung mit ihrem ganzen Gewicht hinter den fortschrittlichen Forderungen dieser Aktienrechtsreform steht. Es wurde sehr fein säuberlich unterschieden und gesagt, daß es sich nur um einen Referentenentwurf handele. Dann aber begann das Trommelfeuer der Spitzenverbände, vor allem auch gegen die Publizitätsvorschriften der Aktienrechtsreform. Meine Damen und Herren, kein Bundeskanzler, kein Bundesjustizminister und kein Bundeswirtschaftsminister - den diese Dinge in erster Linie angehen sollten - hat in der .Öffentlichkeit deutlich gemacht, wie wichtig für eine freiheitliche Wirtschaftsordnung solche Publizitätsbestimmungen sind. Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, daß diese Aktienrechtsreform der Öffentlichkeit unterbreitet wurde, damit sie von den Interessenten zerredet und zerfetzt wird und man sich nachher darauf berufen kann, hier habe in demokratischer Weise die öffentliche Meinung ihr Mißfallen über eine so weitgehende Publizität zum Ausdruck gebracht.
({3})
Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode Dr. Deist
Meine Damen und Herren: wer von Demokratie spricht, der darf die Fragen der Publizität, die Fragen der Mobilisierung der öffentlichen Meinung nicht so behandeln, wie das hier in Deutschland geschieht.
({4})
Die Quittung, meine Damen und Herren, bekommen Sie jetzt, wo große und größte Unternehmungen darangehen, die Rechtsform der Aktiengesellschaft in die GmbH-Form umzuwandeln, um sich ihrer Publizitätspflicht zu entziehen.
({5})
Das sind keine kleinen Unternehmen. Ich nenne die Margarine-Union mit einem Großaktionär, der keinen Einblick in seine Verhältnisse gewähren will; die Sunlicht-AG, die in eine GmbH umgewandelt hat; das Metallhüttenwerk in Lübeck, das der Gruppe Flick gehört; die Schwartauer Werke, die Oetker gehören, die Knorr-Nährmittel-AG, die einem amerikanischen Großaktionär gehört, usw. usw. Diese Unternehmen rechnen offenbar damit, daß auch Ihre Aktienrechtsreform ihnen genügend Ausschlupfmöglichkeiten geben wird, damit sie als GmbH den verschärften Publizitätsbestimmungen entgehen können. Diese Vorgänge in der Wirtschaft, mit der Sie so eng verflochten sind, kann man bei einer Betrachtung Ihrer Wirtschaftspolitik nicht außer acht lassen.
Lassen Sie mich am Rande eine Bemerkung über die Vorgänge bei Mannesmann machen. Sie wissen, daß es sich dort darum handelt, daß die Tochtergesellschaften aufgehoben wurden und ein geschlossener Großkonzern mit einheitlicher Verfügungs- und Direktionsgewalt geschaffen wurde. Jedermann, der sich mit Orgainsationsproblemen befaßt, weiß, daß hier nicht nur die Frage der Mitbestimmung eine Rolle spielt. Es geht letzten Endes um die Frage, ob es nicht notwendig ist, solche Großunternehmungen in dezentralisierter Form zu führen, damit auch auf der mittleren Ebene Raum für Initiative, Raum für Entscheidungsfreiheit bleibt, Raum für Verantwortungsfreudigkeit und Raum für die nötige Aufsicht durch Aufsichtsorgane, wie sie in solchen Unternehmungen nun einmal erforderlich sind. Mannesmann hat die Tochtergesellschaften einfach aufgehoben. Insoweit wurde die Machtposition der Konzernleitung enorm gestärkt und die Möglichkeiten der normalen Kontrolle durch Aufsichtsorgane im Rahmen des Unternehmens beschränkt.
Meine Damen und Herren! Diese Vorgänge haben damals auch beim Herrn Bundeskanzler Aufmerksamkeit erregt. Der Bundeskanzler hat am 18. November vorigen Jahres in Frankfurt - man muß hinzufügen: während der Wahl in Hessen - gesagt, er halte diese Entwicklung für falsch. Und wenn etwa das Umwandlungssteuergesetz eine solche Entwicklung fördere, müsse dieses Gesetz eben geändert werden. Nun, meine Damen und Herren, wir geben Ihnen die Möglichkeit, zu beweisen, daß dieser Ausspruch ernst gemeint war. Wir schlagen Ihnen vor, die Laufzeit des Umwandlungssteuergesetzes auf den 31. Juli zu begrenzen, so daß keine Möglichkeit mehr besteht, diese unerwünschten inneren Konzentrationsvorgänge unter Berufung auf steuerliche Vorteile durchzuführen. Wenn es Ihnen mit dieser Forderung ernst ist, wird es auch möglich sein, noch in dieser Legislaturperiode einen solchen Gesetzentwurf, der nur einen einzigen Paragraphen enthält, zu verabschieden.
({6}) .
- Bis zu den Ferien, meine ich natürlich.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich meine Ausführungen kurz zusammenfasse. Nach unserer Auffassung gibt die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung keine Gewähr, daß alle Möglichkeiten zu einer stetigen ausreichenden Steigerung des Wirtschaftswachstums genutzt werden, einer Steigerung, die unabdingbar ist im Hinblick auf die vor uns liegenden großen Aufgaben, unabdingbar insbesondere für ein Volk, das an der Grenzscheide zwischen Ost und West liegt und die Last der Auseinandersetzung zwischen Ost und West in erster Linie zu tragen hat.
({7})
Eine zweite Feststellung. Sie ist etwas hart, aber ich glaube, ich bin nach dem, was ich gesagt habe, zu dieser Feststellung berechtigt. Unter dem irreführenden Kennwort einer breiten Eigentumsstreuung wird in Wirklichkeit eine Politik betrieben, die in erster Linie einer verhältnismäßig kleinen Schicht insbesondere von Großvermögensbesitzern zugute kommt.
({8})
Eine dritte Feststellung. Den Deklamationen über den Konzentrationsprozeß steht keine wirksame Maßnahme zur Seite, um den wirtschaftlichen Machtwillen der Großwirtschaft zu brechen.
Sie werden verstehen, daß wir einer solchen Wirtschaftspolitik nach wie vor mit Mißtrauen gegenüberstehen.
Lassen Sie mich jetzt mit aller Vorsicht und aller Zurückhaltung einige Worte zu der Rolle des Herrn Bundeswirtschaftsministers sagen. Es ist sehr schwierig, wenn der Bundeswirtschaftsminister als Troubadour der Freiheit durch die Lande reist und in Wirklichkeit - ich sage das ohne jede Schadenfreude - bei vielen wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Fragen nicht mehr mitspielt oder ausgespielt wird.
({9})
Ich fange bei den Ausführungen an, die ich über den Konjukturbeirat gemacht habe. Der Bundeswirtschaftsminister weiß, daß er ein solches Instrument braucht. Der Bundeskanzler hat es ihm zweimal zerschlagen, und wir haben keine ernsthafte Reaktion des Bundeswirtschaftsministers bemerkt.
Die Kohlepolitik ist seit langer Zeit, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" feststellte, über den Bundeswirtschaftsminister hinweggerollt. Alles, was der Bundeswirtschaftsminister vorher verbrannt hatte - Kohlepreiserhöhung im Oktober 1958, Kohlenzoll, Kohle-Öl-Kartell -, hat fröhliche Auferstehung gefeiert. Das Kartellgesetz, nach den Worten des Herrn Bundeswirtschaftsministers das „Grundgesetz der wirtschaftlichen Freiheit", ist über Bundesverband und Bundeskanzler zu einem stumpfen Schwert und zu einem unzulänglichen Mittel in der Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Macht geworden. In der Aktienrechtsreform ist natürlich der Bundesjustizminister federführend. Die Interessenverbände befassen sich mit diesem Problem. Der Bundeswirtschaftsminister aber tritt in dieser für eine freiheitliche Wirtschaft so entscheidenden Frage überhaupt nicht in Erscheinung.
Wir haben hier manche harte Auseinandersetzung mit dem Bundeswirtschaftsminister gehabt. Das, was ich heute gesagt habe, ist sicherlich auch eine scharfe Kritik am Bundeswirtschaftsminister gewesen - ich hoffe, er nimmt sie nicht zu leicht. Aber wir haben auch Verständnis für Tragik im menschlichen Leben. Das, was in den letzten 14 Tagen geschehen ist, was gestern, zusammengerafft in wenigen Stunden, der Bundeswirtschaftsminister über sich hat ergehen lassen müssen, war doch letzten Endes nur der vorläufige Endpunkt einer längeren Entwicklung. Ich habe nur von Wirtschaftspolitik gesprochen. Aber in allen den von mir soeben genannten Fällen, in denen Versuche unternommen wurden, realistische Grundlagen für eine freiheitliche Wirtschaft zu schaffen, in denen der Bundeswirtschaftsminister immer auch auf die Mitarbeit meiner Freunde rechnen konnte, in all diesen Fällen hat sich der Bundeswirtschaftsminister nicht durchgesetzt. Das ist das Problem. Und er leidet heute daran, daß er - jedenfalls in diesen Fragen, auf die ich mich beschränken will - das Stehvermögen, das aufrechte Männer in einer Demokratie aufbringen müssen, häufig nicht aufgebracht hat.
({10})
Auf die Dauer ist es unvertretbar und unmöglich, daß grolle Worte keine Bestätigung durch Taten finden.
({11})
Damit gerät die Wirtschaftspolitik in eine Zwielichtigkeit, die es vielen Menschen unmöglich macht, an die Aufrichtigkeit der programmatischen Erklärungen zu glauben. Diese Zwielichtigkeit ist das Ergebnis einer höchst unheiligen Allianz, einer unheiligen Allianz zwischen den Mächtigen in der Wirtschaft und den reinen Spielern der Macht, die bei uns in Deutschland die staatlichen Kommandostellen innehaben.
({12})
Bitte, es war Professor Jaspers, der im August 1958 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in seiner Rede in Frankfurt ausführte:
Die Idee der Demokratie droht verlorenzugehen in einer formal werdenden Demokratie, die zu einem Mittel von Manipulationen von Politikern und Wirtschaftsinteressen entartet.
({13})
- Ich habe mich mit diesem Problem zu befassen.
({14})
- Sie werden nicht behaupten können, daß mein Zitat aus dem Zusammenhang gerissen sei. Sie können wohl sagen, daß in dieser Rede - ({15})
- Nun lassen Sie mich doch erst einmal ausreden!
({16})
Sie können wohl sagen, daß sich in dieser Rede
auch heftige Kritik sowohl an der Sozialdemokratie
({17})
- aha! - wie auch an der Politik der CDU findet.
({18})
Es ist das Recht geistig freier Menschen, eine solche Kritik zu üben. Dieses Recht bestreiten wir ihnen nicht. Nur, meine Damen und Herren, Sie können uns nicht verwehren, Sie können niemandem in einem freien Staat verwehren, daß er von richtigen und zutreffenden Feststellungen eines Wissenschaftlers Gebrauch macht und sie hier zu Ihrer Besinnung darlegt.
({19})
Die Wirtschaftspolitik ist jener Zweig der Politik, in dem diese Entartungserscheinungen, von denen Herr Professor Jaspers spricht, in dem der Einfluß der Wirtschaftsinteressen am stärksten zum Ausdruck kommt. Darum müssen wir die beiden vorliegenden Haushalte ablehnen.
({20})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft ({0}):
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({2})
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe, damit Sie die so mit Spannung erwartete Rede des Wirtschaftsministers auch richtig verstehen.
Meine Damen und Herren! Ich habe zu der Debatte von gestern nachmittag noch eine formulierte Erklärung abzugeben. Sie lautet:
Die gestrigen Erklärungen des Bundeskanzlers über seinen Verzicht auf die Kandidatur zum Bundespräsidenten erweckten in der deutschen Öffentlichkeit den Eindruck - und mußten es wohl auch tun -, als ob ich über diesen seinen Entschluß während meines Aufenthaltes in Washington auf Grund vorheriger Unterrichtung nicht hätte erstaunt sein können. Er begründete das mit seinen Ausführungen in der Kabinettssitzung vom 14. Mai und mit zwei mit mir geführten freimütigen Aussprachen.
Es ist richtig, daß der Herr Bundeskanzler in der Kabinettssitzung vom 14. Mai solche Äußerungen machte. Die Fraktionssitzung der CDU/CSU vom 26. Mai aber, in der der Herr Bundeskanzler anwesend war, endete nach mannigfachen Vorbesprechungen mit der eindeutigen Feststellung, daß es bei der Kandidatur des Bundeskanzlers für das Amt des Bundespräsidenten bleibe.
({0})
Nach dieser Fraktionssitzung vom 26. Mai hatte ich dann nur noch eine Besprechung mit dem Bundeskanzler, und zwar am 1. Juni, acht Stunden vor meinem Abflug nach New York, d. h. zugleich auch ganz kurz nach seiner Rückkehr aus Amerika. Dabei hat er mir mit keinem Wort gesagt und mit keiner Geste zu erkennen gegeben, daß er sich erneut eines anderen besonnen habe und den verkündeten Entschluß rückgängig machen wolle.
({1})
Ich mußte also nach Treu und Glauben annehmen, daß sich die Situation seit der Fraktionssitzung am 26. Mai nicht mehr verändert hatte.
({2})
Bitte, was haben Sie bemerkt?
({0})
- Ich habe es nicht gehört. Herr Abgeordneter Mommer, haben Sie „Lügenkanzler" gerufen?
({1})
- Herr Abgeordneter Dr. Mommer, ich rufe Sie zur Ordnung.
({2})
- Meine Damen und Herren, es ist in allen Parlamenten der Welt und auch im Deutschen Bundestag üblich daß Formalbeleidigungen gesühnt werden.
({3})
Herr Bundesminister, fahren Sie fort!
Ich möchte mit dem Ende der Ausführungen des Herrn Dr. Deist anfangen. Er hat gemeint, ich sei ein Minister, dem es an dem nötigen Stehvermögen mangele. Meine Damen und Herren, Sie müßten es eigentlich am besten wissen, da ich Ihnen gegenüber jedenfalls immer das nötige Stehvermögen aufgebracht habe; denken Sie an die letzten zehn Jahre.
({0})
Sonst würde unsere Wirtschaft ,anders aussehen, als sie heute tatsächlich aussieht.
({1})
Im übrigen, besonders aktuell, Herr Kollege Dr. Deist, waren Sie in Ihren Äußerungen nicht. Man könnte fast glauben, Sie hätten zum Teil abgeschrieben. Über welche Probleme soll ich denn hinwegtäuschen? Sie haben die gleichen Fragen angesprochen, die ich in den letzten Wochen und Monaten in der Öffentlichkeit breitdiskutiert habe.
({2})
- Man muß jedes Problem erst ,ansprechen, um es dann so weit zu klären und zu formen, daß man zur Tat übergehen kann.
Sie werfen mir im übrigen Selbstgerechtigkeit vor. Meine Damen und Herren, es tut mir leid: wenn die augenblickliche Konjunktur sehr gut ist, wenn sich das ganze deutsche Volk dieser Konjunktur erfreuen darf, dann wird man das doch wohl noch aussprechen dürfen, ohne damit in den Geruch zu geraten, selbstgerecht zu sein.
({3})
Ich verstehe allerdings, daß Sie aus den gleichen Gründen im Augenblick kein Interesse haben, über die Konjunktur der Gegenwart zu reden. Wieder flüchten Sie sich in die Zukunft; dann können Sie wieder einmal mit trüben Prognosen arbeiten, wie Sie es seit 11 Jahren permanent getan haben.
Im übrigen sagte Herr Kollege Deist, wir hätten keine Institutionen, keine organisatorischen Grundlagen, um die Ausweitung der Konjunktur zu sichern und langfristige Entwicklungen in guter sozialer und ökonomischer Ordnung ,gewährleisten zu können. Man kann darüber verschiedener Meinung sein, ob durch Institutionen oder Organisationen wirklich eine Stetigkeit der Wirtschaftspolitik zu erreichen ist. Ich möchte gleich dazu sagen, wir werden - wir sind gerade dabei - die von Ihnen als fehlend kritisierte volkswirtschaftliche Gesamt4106
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard rechnung zusammenstellen. Wir erwarten in diesem Frühjahr die Ziffern des Statistischen Bundesamtes; sie sind noch nicht vollständig. Wenn es so weit ist, werden Sie jedenfalls unterrichtet werden.
Falls Sie allerdings unter der Sicherung einer langfristigen Entwicklung verstehen, daß man bei jeder sich in der Wirtschaft abzeichnenden Bewegung sofort mit einer Apparatur eingreifen müsse, daß immer sofort Manipulationen notwendig seien, dann muß ich Ihnen allerdings erwidern, ich bin anderer Meinung. Es ist das Wesen der Konjunktur, daß sie nicht immer gleiche Züge trägt. Eine Wirtschaft muß in Bewegung sein; der Wandel ist sozusagen das Normale, ja ich möchte sagen, der Wandel ist das einzig Beständige.
Meine Damen und Herren, wenn ich z. B. zu Beginn dieses Jahres, als nicht nur Sie, sondern auch andere Leute und andere Organisationen von einer trüben Konjunkturangst befallen waren, Ihnen gefolgt wäre und mit dem ganzen staatlichen Instrumentarium eingegriffen hätte, wie es etwa von einer solchen Organisation oder institutionellen Einrichtungen befürchtet werden müßte, dann hätten wir wahrscheinlich etwas anderes erlebt als das, was sich jetzt aus einer organischen Entwicklung an Gesundung und an Stabilität, an Festigung und an Expansion unserer Volkswirtschaft vollzogen hat.
Ich verweise Sie auf Ihre eigenen Ausführungen, daß mit dem Aufkommen immer neuer technischer Errungenschaften, mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften insbesondere die Wirtschaft in Bewegung gerät, daß sich auch wesentliche strukturelle Änderungen vollziehen. Selbstverständlich kommt es dann auch vor, daß einzelne Wirtschaftszweige etwas zurückgedrängt werden, vielleicht sogar absterben müssen, um den neuen Entwicklungen Raum zu geben. Das alles, die Anpassungsprozesse geraten in Gefahr, unterbunden zu werden, wenn Sie glauben, mit institutionellen Einrichtungen die Wirtschaft lenken zu sollen.
Ich brauche nur an dieses Frühjahr zu erinnern. Über was ist denn gesprochen worden? Über die schlechte Lage der Textilindustrie. Sie hat sich in der Zwischenzeit auch gewandelt. Der Auftragseingang in der Textilindustrie ist z. B. im April dieses Jahres um 70 % höher gewesen als im gleichen Monat des vergangenen Jahres. Auch hier dürfte die Freiheit und die Freizügigkeit in der Wirtschaft nicht zu weitgehend durch Institutionen außer Kraft gesetzt werden.
Sie haben etwas ausgesprochen, dem ich zuzustimmen bereit bin, nämlich, daß durch die modernen Entwicklungen, die sich abzeichnen, noch gar nicht übersehbar ist, wie sich der Lebensstandard in der Zukunft gestalten wird. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß darin außerordentliche Chancen liegen. Wie oft habe ich gerade über dieses Problem im positiven Sinne, aber natürlich auch unter Berücksichtigung der Schattenseiten, die damit verbunden sein können, gesprochen! Das Problem ist nicht nur ein ökonomisches, sondern zuletzt auch ein geistiges und ein seelisches Problem. Wir werden noch genügend Gelegenheit haben, uns darüber ausführlich zu unterhalten.
Wie soll denn eigentlich eine Stetigkeit organisatorisch gesichert werden, wenn sich, wie Sie z. B. selbst sagen, im Gemeinsamen Markt die Wettbewerbsbedingungen völlig verändern werden? Ich bin auch derselben festen Überzeugung, daß das der Fall sein wird. Sie werden nun zwar sagen, Sie dächten ja nicht etwa an planwirtschaftliche Einrichtungen, Sie dächten gar nicht an staatliche Manipulationen, sondern nur daran, daß diese Dinge eben nur rechtzeitig beobachtet und überdacht werden müssen. Ja, glauben Sie denn nicht, Herr Kollege Deist, daß wir uns so nebenbei nicht auch mit diesem Geschäft befassen? Davon können Sie überzeugt sein. Wir sind noch durch keine Entwicklung überrumpelt worden, sondern wir haben sie immer wieder zu meistern verstanden.
Was den Gemeinsamen Markt anbetrifft, so bin ich sogar der Meinung, daß sich die Strukturveränderungen nicht allein auf ihn erstrecken werden, sondern daß die Wirkung weit darüber hinausstrahlt. Ich möchte mich jetzt gar nicht in das Thema „Gemeinsamer Markt und Freihandelszone" eingehend vertiefen. Aber hier scheint, wie ich auch in Washington ausführte, fast so etwas wie eine List der Idee vorzuherrschen.
Vielleicht haben sich manche den Gemeinsamen Markt doch mehr als einen Zusammenschluß vorgestellt, der in der Isolierung auch nach außen protektionistisch sein könnte. Sie wissen, daß wir dagegen gekämpft haben. Aber es zeichnet sich jetzt schon eine hoffnungsvolle Entwicklung ab. Ich erinnere Sie z. B. an die erste Zollsenkung zu Beginn dieses Jahres. Sie hatte aus verständlichen Gründen von außen her eine gewisse Abwehr gefunden - denn die anderen wollten möglichst in gleicher Weise behandelt sein - mit der Wirkung, daß wir die am 1. Januar verfügten Zollsenkungen zum gleichen Zeitpunkt auch unseren anderen europäischen Handelspartnern eingeräumt haben. Ich bin heute schon überzeugt, daß bis zum 1. Juni des nächsten Jahres - ich hoffe, daß die Gespräche bis dahin weiter gediehen sind -, d. h. bei der zweiten Zollsenkung wieder eine ähnliche Bewegung lebendig wird. Daher möchte ich fast sagen: vom Gemeinsamen Markt kann unter Umständen eine Kraft ausstrahlen, die gar nicht im Vertrag liegt, die aber doch im ganzen zu einem immer engeren Zusammenwachsen der Volkswirtschaften aller freien Länder führt.
Die Barrieren werden niedergelegt. Wenn sich - dazu in einer freiheitlichen Ordnung - die Kräfte im Wettbewerb messen und bewähren müssen, dann allerdings bin ich mit Ihnen der Meinung, daß sich heute von keiner Instanz aus sagen läßt - weder im zeitlichen Ablauf noch in der Phasenfolge, noch im materiellen Inhalt -, wie sich diese Integration morgen auf die Struktur der heimischen Volkswirtschaft auswirken wird.
Im übrigen gebe ich noch auf anderem Felde einer anderen Meinung Ausdruck als der Ihren: wir können heute im nationalen Raum Wirtschaftspolitik Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
und ebensowenig Konjunkturpolitik - überhaupt nicht mehr für sich allein begreifen. Darum ist es nicht etwa ein Verzicht auf eine deutsche Aktivität, wenn wir jetzt in Straßburg, in Brüssel und in Paris einen sehr detailliert ausgearbeiteten Plan eines Konjunktur-Boards vorgelegt haben, um innerhalb Europas zunächst einmal das Gefälle zwischen den einzelnen Volkswirtschaften stärker auszugleichen, auch im gegenseitigen Beistand die schwachen, in der Konjunktur zurückgebliebenen Länder mit neuen Impulsen zu versehen, gegebenenfalls auch mit Mitteln zu unterstützen, um eine höchstmögliche Gleichförmigkeit der Konjunktur, nach Möglichkeit in der ganzen freien Welt, zu erreichen.
Das Fehlen einer solchen Koordinierung war zweifellos auch mit ein Grund dafür, daß z. B. die Rohstoffmärkte verfallen sind, daß dort die starken Preiseinbrüche vorgekommen sind. Das Konjunkturbild war eben nicht auf der ganzen Welt einheitlich genug, um auch auf diesem Sektor zu einer Einheitlichkeit zu kommen. Ich glaube, der Plan, die Konjunktur in mehr weltweiter Sicht zu stabilisieren, ist auch ein Mittel unter anderen, das zur Hilfe für die Entwicklungsländer geeignet ist.
Wenn ich sage: es werden sich strukturelle Änderungen vollziehen, dann will ich damit nicht sagen, daß wir nicht willens sind, im einzelnen doch spezieller einzugreifen. Ich brauche wieder nur auf die Textilwirtschaft zu verweisen. Ich kann das deutsche Volk nicht zwingen, mehr Textilien zu verbrauchen. Ich habe aber auch keine Sorge gehabt, daß es etwa diesen Konsum aufgeben möchte. Daß ich an die Textilindustrie gedacht habe und daß ich sie mindestens vor einem Wettbewerb schützen wollte, der unter völlig anderen Bedingungen steht als der deutsche, wird am besten dadurch bewiesen, daß wir auf der GATT-Konferenz, die bekanntlich in neuralgischen Gebieten vom Wettbewerb der Niedrig-Preis-Länder bedroht war, doch zu einem Erfolg gekommen sind. Die Konferenz hatte nicht zuletzt in Würdigung der freizügigen Wirtschaftspolitik Verständnis dafür, daß man auf diesem oder jenem Sektor auch einmal durch besondere Maßnahmen eine stärkere Abschirmung oder ein zeitliches Zurückgehen in der Liberalisierung zuläßt.
Daß man die Anpassungen, die sich vollziehen, ohne die Auslösung sozialer Gefahren durchführen soll, ist eine Selbstverständlichkeit. Sie wissen z. B., daß von der Kohle in den letzten 14 Monaten etwa 34 000 Menschen abgewandert sind. Davon ist nicht einem einzigen gekündigt worden, sondern alle sind von sich aus in andere Erwerbsbereiche gegangen. Darum sind trotz der strukturellen Verschiebungen, die sich auch auf diesem Sektor zweifellos anbahnen, keine sozialen Spannungen aufgetreten. Wir sind uns dessen bewußt, daß das ein wesentliches soziologisches und menschliches Problem ist.
Ich kann keinen Arbeiter sichern, daß er sein ganzes Leben lang an einem Arbeitsplatz tätig sein wird. Er will es ja wahrscheinlich auch nicht so. Es mögen sich auch hier Fluktuationen ergeben. Aber wichtig ist, daß der Arbeiter in seinem sozialen Milieu bleibt, daß er, sei es in seiner Stadt,
sei es im Kreis seiner Nachbarn, in seiner Kirchengemeinde, wenn Sie wollen, auch am Stammtisch, in seinen Vereinen usw., die menschliche Wärme findet, daß ihn ein Arbeitsplatzwechsel nicht zugleich auch menschlich und seelisch bedroht. Wir werden dafür zu sorgen wissen, daß das nicht der Fall sein wird.
({4})
Auch das, was Sie zu der großen Auseinandersetzung zwischen Ost und West gerade auch in wirtschaftlicher Hinsicht gesagt haben, findet durchaus meine Billigung. Ich glaube nur, es ist noch mehr dazu zu sagen. Sie glauben, daß das Sozialprodukt in Sowjetrußland stärker als in der freien Welt ansteigt. Wenn man es in Prozenten von den augenblicklichen Gegebenheiten ausdrückt, kommt es natürlich auf die Basis an, um ermessen zu können, wieviel ein bestimmter Prozentsatz absolut ausmacht. Aber das möchte ich jetzt gegenüber Sowjetrußland gar nicht anführen.
Sie sagten, in Deutschland seien im Jahre 1945, 1946, 1947 die Zuwachsraten 8 bis 10 % gewesen. Jedoch stand der Produktionsindex seinerzeit auf 35 oder 40 % von 1936. 8 % von 35 bis 40 ist eine Bagatelle, während wir in diesem Jahr mit einem erwarteten Zuwachs des Sozialproduks von 4 oder 5 % - bezogen auf die Basis 244 - ungefähr das Dreifache in absoluter Menge herausbringen.
({5}) Das ist das realistische Bild.
Ich will jetzt noch einmal zu Lebensstandard und Sozialprodukt in dem Spannungsverhältnis von Ost und West etwas sagen. Sozialprodukt und Sozialprodukt kann man nicht ohne weiteres miteinander vergleichen, sowenig wie man Lebensstandard und Lebensstandard vergleichen kann. Zu einem Lebensstandard gehört meiner Ansicht nach nicht nur die Sicherheit einer Bedarfsbefriedigung im Materiellen, sondern zu dem Lebensstandard - auch verstanden als Lebensgefühl - gehört ebenfalls ein Höchstmaß an Freiheit und an Freizügigkeit. Das können Sie in keiner Statistik, in keinem Index zum Ausdruck bringen.
({6})
Dann: Sozialprodukt! Ich kann mir ein Sozialprodukt vorstellen, gerade wenn ich nach Sowjetrußland sehe, in dem die große Menge dessen, was im Sozialprodukt registriert wird, etwa der Rüstung oder der Mehrung der staatlichen Macht zufließt, während der Staatsbürger von dem Sozialprodukt praktisch wenig oder nichts hat. Dann ist zwar das Sozialprodukt hoch, aber es sagt nicht das geringste darüber aus, welche Vorteile und welche Wohltaten das Volk aus diesem Sozialprodukt ziehen kann.
({7})
Im Sozialprodukt ist die Kanone ebenso enthalten wie die besten und schönsten Verbrauchsgüter. Wenn in der Sowjetunion oder in der DDR ein Zuchthaus gebaut wird, findet auch das seinen Aus4108
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druck im Sozialprodukt; aber niemand wird sagen können, daß das ein Wert sei.
({8})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Deist?
Herr Bundeswirtschaftsminister, haben Sie nicht gehört, daß ich ausgeführt habe, daß selbstverständlich alles das zu einem freiheitlichen Lebensbereich gehört und daß wir auch verpflichtet sind, einen Preis für diese Freiheit zu bezahlen? Daher gehen die Ausführungen, die Sie hier jetzt bringen, an meinen Ausführungen völlig vorbei.
Nein, ich habe Sie nicht verdächtigt und wollte das damit auch nicht tun, das erkläre ich ausdrücklich. Aber wenn Sie schon davon sprechen, welchen Zuwachs bei uns das Sozialprodukt hat und welche Gefahren daraus erwachsen könnten gegenüber den prozentual höheren Ziffern in Sowjetrußland, dann muß ich doch auf diese gravierenden Unterschiede Bezug nehmen dürfen,
({0})
ohne daß Sie es als eine persönliche, unzulässige Kritik betrachten.
Sie wissen ja auch, daß wir z. B. in bezug auf die
unterentwickelten Gebiete weitgehend übereinstimmen. Ich bin der Meinung: das müssen wir uns etwas kosten lassen. In dem Zusammenhang stelle ich die Frage: wie wollen wir das denn tun? Von nichts kommt nichts. Diese Menschen in den gefährdeten Räumen - ich schätze sie insgesamt auf ungefähr eine Milliarde - sind für die freiheitliche Welt und für unseren Lebensbereich, mögen sie unter Demokratie oder mögen sie unter Freiheit vielleicht auch etwas anderes verstehen als wir in der westlichen Welt, verloren, wenn wir ihnen nicht zu Hilfe kommen. Denn aus eigener Kraft werden sie es nicht schaffen. Die Beschäftigung ist gering, das Volkseinkommen, das Individualeinkommen ist sehr niedrig. Weder aus eigenen Ersparnissen noch aus Steueraufkommen sind die Mittel zu gewinnen, die sie aus der Armut und dem Elend herausheben. Es ist heute leider nicht so, daß diese Länder, weil ihnen das Beispiel der modernen Industrieländer vor Augen steht, sagen: Ja, die haben auch einmal die Entwicklung durchlaufen müssen! - Sicher, wir hatten das Glück, daß wir dazu mehr Zeit hatten und daß wir dazu unsere eigene Technik selber fortentwickeln mußten. Jedes Drängen stieß da ins Leere. Aber diese Menschen sind in Erregung und Bewegung geraten, sie wollen nicht mehr warten. Sie kommen zu uns und erheben fast eine Art moralischen Anspruchs - und vielleicht können sie das sogar - darauf, daß wir ihnen zu Hilfe kommen müssen.
Aber da müssen wir nur tragen: Wie? Allein mit der Abzweigung von bestimmten Titeln aus einem
Haushalt ist es nicht getan, sondern das kann nur aus der Arbeit des ganzen Volkes und sozusagen aus dem kommen, was das Volk selbst - unser Volk z. B., aber wir können's nicht allein machen aus seiner Arbeit erübrigt.
Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, es müßte jeder einmal darüber nachdenken, oh denn nun alles, was bei uns heute und in Zukunft aus höherer Produktivität fließt, in privaten Lebensbedarf umgemünzt werden darf - selbstverständlich meine ich da je nach der Höhe des Einkommens alle Schichten unseres Volkes - oder ob wir nicht bereit sein müßten oder mindestens bereit sein sollten, einmal noch sehr viel mehr über diese Frage nachzudenken. Ich halte sie für eine der entscheidendsten Fragen des Jahrhunderts, und ich kann ihnen z. B. sagen, daß gerade dieses Thema während meines Besuchs in Washington einen sehr breiten Raum eingenommen hat. Ich kann es hier nicht weiter vertiefen, weil man sonst sehr weitgehend in sachliche Details käme.
Aber jetzt zur Frage des Wettbewerbs mit dem Osten!. Ja, wenn ich wüßte, was ich von dem Chruschtschowschen Siebenjahresplan halten sollte und was wohl dahintersteckt, dann wäre ich meiner Beurteilung über die Wettbewerbssituation zwischen Ost und West, aber ich wäre mir auch hinsichtlich meines politischen Urteils über eine Verständigungsbereitschaft Sowjetrußlands oder über die mögliche militärische Entwicklung und die militärischen Stärkevergleiche wesentlich sicherer. Wenn nämlich dieses Land mit 210 Millionen Menschen, aus welchen Gründen auch immer, zu einem höheren Lebensstandard hinfinden will oder hingeführt werden muß, weil vielleicht das innere Drängen schon lebendig ist, weil sich auch dort so etwas wie ein bürgerliches Lebensgefühl zu entwickeln scheint - ich habe es nicht selber gesehen, ich berichte nur aus all dem, was im Raume steht und was man hört -, wenn das die politische Realität wäre oder aber vielleicht eine politische Kraft dorthin führt - und wenn es auch nur eine Abstraktion wäre, denn totalitären Staaten ist nie zu vertrauen -, wenn die russische Volkswirtschaft vor der Aufgabe stünde, für 210 Millionen Menschen mehr Verbrauchsgüter zur Verfügung zu stellen, dann würde das automatisch bedeuten, daß, soweit diese Kraft der Volkswirtschaft beansprucht wird, sie nicht für andere Zwecke eingesetzt werden kann.
Wir könnten nur zufrieden sein, wenn in Rußland eine solche Entwicklung Platz greifen würde; denn aus den Folgewirkungen des Einsatzes dieser Kraft würde sich die Schwächung einer sehr viel bedrohlicheren Kraft ergeben, die zu einer ständigen Aggression führt.
({1})
Wie gesagt, die Frage kann niemand beantworten; aber daß Zusammenhänge dieser Art bestehen, ist selbstverständlich.
Wenn wir, wie ich vorhin schon ausgeführt habe, in diesem Jahr mit einem Zuwachs des Sozialprodukts von 4 bis 5 % rechnen - gegenüber 6, 7 und 8 % in rückliegenden Jahren -, dann muß ich doch
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
immer wieder darauf hinweisen, daß sich ja auch in der Zwischenzeit etwas ereignet hat: die Verkürzung der Arbeitszeit um 3 bis 4 Stunden, teilweise schon um mehr. Auch das muß natürlich trotz allen Fortschritts der Technik - ich bin völlig Ihrer Meinung, daß das auf die Dauer durch höhere Produktivität ausgeglichen werden kann und soll - bei diesen Zahlenvergleichen in einer so kurzen Zeitspanne berücksichtigt werden. Immerhin handelt es sich bis jetzt um eine mittlere Arbeitszeitverkürzung von 8 bis 10 %, und daß sich dieses Moment bei solchen Zahlenvergleichen niederschlagen muß - dabei kann ich durchaus positiv zu der Verkürzung stehen -, ist eine Selbstverständlichkeit.
Dann dürfen Sie nicht vergessen, daß sich bei uns allmählich das Arbeitskräftereservoir erschöpft. Ich wundere mich immer, wie überhaupt - auch bei Berücksichtigung des Zustroms von Flüchtlingen und dergleichen - ein Zuwachs der Beschäftigten noch möglich ist. Im Augenblick haben wir ein Höchstmaß von Beschäftigung wie noch niemals in Deutschland; es sind über 19 Millionen Beschäftigte. Wir haben eine Arbeitslosenrate von 1,6 %; das ist praktisch gleich Null, das ist nämlich der Bodensatz, den man überhaupt nie wegbringen kann, und wir haben 300 000 unbesetzte Stellen. Erst aus der Gesamtschau: Arbeitszeit, Produktivität und Verfügung über Arbeitskräfte läßt sich auch im zeitlichen Vergleich und vor allen Dingen im kurzfristigen Vergleich ein sicheres Urteil bilden.
Im übrigen ist natürlich auch die Kapitalverfügung nicht so ohne weiteres gegeben. Sie wissen, wie lange es gedauert hat, bis sich in Deutschland wieder ein freier Kapitalmarkt entfaltet hat. Ich gebe Ihnen zu, daß die in etwas reichlichem Ausmaße vorhandene Selbstfinanzierung nicht gerade dazu angetan war, den Kapitalmarkt zu bereichern. Aber das waren doch alles kurzfristige Nachkriegsentwicklungen, die aus einem Chaos heraus entstanden sind. Wer hätte denn jemals verlangen können, alles das, was Sie kritisieren, sozusagen in wenigen Jahren geordnet und lotrecht hinzustellen?
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Eine Kritik kann richtig sein, und sie kann trotzdem aus solcher Sicht der inneren Wahrhaftigkeit entbehren, und das mache ich Ihnen zum Vorwurf.
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Daß man in anderen Ländern organisatorische Voraussetzungen geschaffen hat, wie z. B. den Economic Council beim amerikanischen Präsidenten, ist mir bewußt. Wir treten ja auch oft genug in wissenschaftlichen Zirkeln zusammen. Eine ganze Reihe von Ministerien haben in der Zwischenzeit wissenschaftliche Beiräte bekommen. Wir haben auch in unserem Wirtschaftsministerium Sachverständige, und im inneren Zusammenwirken der Ministerien wird an diesen Dingen ständig gearbeitet.
Ich sagte Ihnen schon: gerade weil ich mir eine Volkswirtschaft aus nationaler Schau in voller Funktionsfähigkeit überhaupt nicht mehr vorstellen kann, halte ich es für sehr viel fruchtbarer, wenn man diese Dinge auf die europäische Ebene verlagert, denn dort können sie erst zusammenwirken und die breite Basis für eine fruchtbare Arbeit schaffen; man kann hier mehr Kraft als bei einem Einzelvorgehen in den nationalen Räumen entwikkeln. Es sind hier größere Möglichkeiten gegeben, als wenn jedes Land seine eigene Konjunkturpolitik macht. Jedes Land tut das natürlich, mit welchen Mitteln auch immer; ich habe auch meine eigene Methode. Wenn man aber die Dinge aus der Gesamtschau heraus sieht, dann kann eine solche Politik heute nur noch europäisch sein.
Ich komme jetzt auf einen anderen Gegenstand Ihrer Darlegungen, nämlich auf die Frage der Eigentumsbildung als wirtschaftspolitisches Problem. Sie kritisieren mit Recht manche bedenkliche Konzentrationserscheinung. Sie meinten, wir hätten zu der Antwort für die Konzentrationsdebatte noch nichts erarbeitet. Es liegt bereits die interministeriell abgestimmte letzte Fassung vor. Das Kabinett hat jetzt in letzter Instanz darüber zu entscheiden, ehe die Sache vorgelegt wird. Ich kann Ihnen immerhin einiges daraus vorlesen, um deutlich zu machen, daß Sie mit Ihrer Kritik eigentlich ins Leere stoßen. Da heißt es z. B.:
Der Bundesminister für Wirtschaft, zu dessen Geschäftsbereich das die Vorschriften der §§ 23 und 24 handhabende Bundeskartellamt gehört, bezweifelt, ob die Bestimmungen ausreichen, um der fortschreitenden Tendenz zur Konzentration entgegenzuwirken. Die Entwicklung auf dem Gebiete der Unternehmenszusammenschlüsse hat ihn veranlaßt, in seinem Ressort eingehend zu erörtern, welche Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung vorgeschlagen werden sollen. Wie der Wirtschaftspolitische Ausschuß in seinem oben erwähnten Bericht ausgeführt hat, kommt es zunächst darauf an, auf dem schwierigen Gebiet der Konzentration volle Übersicht zu gewinnen. Die Bundesregierung wird ihre und die Bemühungen der beteiligten Ämter, die Vorgänge der Unternehmenskonzentration statistisch zu erfassen und zu durchleuchten, vorantreiben, um sich und der Öffentlichkeit ein objektives Bild der Konzentrationsvorgänge zu verschaffen.
Glauben Sie denn, wir täten das lediglich sozusagen als akademische Fleißarbeit ohne die Absicht, dann auch davon Gebrauch zu machen und das Notwendige zu veranlassen? Sie können überzeugt sein, daß wir Gebrauch davon machen.
Wenn Sie glauben, daß das Wirtschaftsministerium bei der Aktienrechtsform ausgeschaltet sei, dann täuschen Sie sich sehr. Wir sind sehr intensiv mit eingeschaltet und werden es auch bleiben.
Ich kann noch eine andere Stelle aus der für die Konzentrationsdebatte vorgesehenen Antwort vorlesen:
Die Bundesregierung betrachtet alle Konzentrationsvorgänge als unerwünscht und bedenklich, die Unternehmensgrößen oder Unternehmensverbindungen entstehen lassen, deren Ge4110
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
wicht eine Gefahr für die Gesamtwirtschaft oder einzelne Märkte darstellt. Diese Gefahr ist immer dann gegeben, wenn die Konzentration einen Grad erreicht, der das Funktionieren des marktwirtschaftlichen Prozesses beeinträchtigt. Das ist vornehmlich der Fall, wenn Marktpartner in ihren Liefer-, Bezugs- und sonstigen Wettbewerbsbedingungen eine beherrschende Stellung erlangen.
Wir wissen ja alle, daß hinter dieser Anfrage der Gedanke an eine Politik der Pflege unserer mittelständischen Wirtschaft, der Klein- und Mittelbetriebe, des Handwerks und dergleichen mehr stand.
Sie haben im übrigen darauf abgehoben, daß die Großbetriebe so sehr stark an Boden gewonnen und zugenommen haben. Ich bestreite das nicht. Aber wenn Sie daneben die Entwicklung der kleineren und mittleren Industrie, des Handwerks und des Handels vor allem an Hand der Umsatzzahlen - betrachten, werden Sie feststellen, daß sich die Zahlen fast decken, so daß mindestens bis zu diesem Augenblick, in dem wir ja zu handeln bereit sind, diese tödlichen Gefahren, von denen Sie sprechen zu müssen glaubten, noch nicht in Erscheinung getreten sind. Es ist gut, daß wir sie rechtzeitig erkannt haben.
Im übrigen ist zwischen Konzentration und Konzentration auch noch ein Unterschied. Wenn z. B. auf der horizontalen Ebene eine gewisse Verflechtung Platz greift, kann man sich fragen, wo die kritische Grenze liegt, sei es etwa von Ihrem Standpunkt, von Ihrer Beurteilung der wirtschaftlichen Macht aus, sei es vom betriebswirtschaftlichen oder organisatorischen Standpunkt aus. Ich halte z. B. jene andere Konzentrationstendenz, die sich allenthalben abzeichnet, nämlich von der Grundstoffindustrie immer weiter vorzudringen in die verarbeitende Industrie, ja, bis in die Handelsbereiche hinein und damit fremde Kreise zu stören, in artfremde Bereiche einzubrechen, vom soziologischen Standpunkt aus für womöglich noch gefährlicher.
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Ich stelle mich jetzt einmal auf Ihren Standpunkt, daß die Konzentration, wie Sie selbst sagten, aus technischen Gründen vielleicht unausweichlich sei und daß wir - auf diesem Standpunkt standen Sie - gar nicht darauf verzichten könnten, wenn wir in der Welt wettbewerbsfähig bleiben wollten. Wenn das also eine zwangsläufige Entwicklung ist - wir wollen ihr allerdings bewußt eine andere, mittelständisch ausgerichtete an die Seite stellen -, dann muß ich fragen: Ja, wie soll denn dann das Eigentum verteilt sein?! Sie wehren sich gegen die Aktie und halten sie für unsozial. Wenn es aber so ist, daß aus den genannten Gründen Eigentumskonzentrationen, Konzentrationen von Produktionsmitteln erfolgen müssen, dann ist es meiner Ansicht nach doch richtig, zu sagen: Wenn ich schon diese Konzentration der Produktionsmittel aus den besagten Gründen nicht unterbinden kann, will ich wenigstens eine Dekonzentration der Eigentumstitel an diesem Produktivkapital schaffen.
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Ihr Vorschlag, zu öffentlichem Eigentum überzugehen, löst das Problem nicht. Vielleicht träten Sie hierdurch da und dort dem Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht entgegen; aber die in der öffentlichen Arbeit beschäftigten Menschen sind auch nicht ganz ohne das Gefühl für wirtschaftliche Macht! Ob dort ein Funktionär sitzt oder ein Manager oder ein selbständiger Unternehmer,- ich gebe Ihnen recht, unter gewissen äußeren Bedingungen besteht immer die Möglichkeit, wirtschaftliche Macht gegebenenfalls auch zu mißbrauchen. Wir sind nicht der Meinung, daß ein Großbetrieb, nur weil er groß ist, schon schlecht sei - etwa in seiner moralischen Haltung - und darum verurteilt werden müsse. Erst der Mißbrauch der Größe ist sozusagen das Delikt, dem wir gegebenenfalls beikommen wollen und müssen. Im Kartellgesetz ist das Problem ja angesprochen, und in einer etwaigen Novelle zum Kartellgesetz kann man hier vielleicht sogar noch etwas Spezielleres tun.
Aber das öffentliche Eigentum ist nicht das Heil, vor allen Dingen löst ,es nicht das soziale Problem. Ich frage Sie wieder: Was hat denn das Volk, die große Masse des Volkes, der Arbeiter um Gottes willen vom öffentlichen Eigentum? Nicht ein Jota! Machen Sie dem begreiflich, daß er selig werden soll, weil jetzt durch die Schaffung neuer Stellen organisatorische Maßnahmen sichergestellt sind, um dem Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht zu begegnen!
Ich will Ihnen sagen: So groß ist der Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht, wie Sie ihn hier zu zeichnen suchen, nach meiner festen Überzeugung nicht. Denn- das wissen Sie ganz genau, Herr Dr. Deist - selbst im Bereich der Oligopole herrscht manchmal der erbittertste Wettbewerb. Es gibt vor allen Dingen bei dieser technischen Entwicklung kein Unternehmen, jedenfalls nicht im Mittel, das etwa auf Lorbeeren ausruhen könnte oder das der Meinung sein könnte, sich mit irgendwelchen Manipulationen - auch der Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht ist eine Manipulation - sozusagen ,ein sicheres Leiben schaffen zu können. Das liegt gerade bei der jetzigen lebendigen Dynamik meiner Ansicht nach überhaupt nicht mehr drin.
Schön war das, was Sie noch über den Bankschalter gesagt haben. Immerhin haben Sie zugegeben, daß von diesen Aktien 5 % an die Arbeiter gegangen sind. Ich hätte .es auch lieber gesehen, wenn es noch mehr gewesen wären. Aber das Sprichwort „Aller Anfang ist schwer" gilt auch hier. Der Arbeiter muß erst in seiner Mentalität auf die Aktie zugeführt werden. Ich kann doch nicht sagen: „Weil ich nicht gleich 50 % erreichen kann, fange ich gar nicht an"! Ich bin sehr glücklich, daß wir einmal mit 5 % angefangen haben und daß sich auch der Arbeiter am Bankschalter darüber unterhält, ob er da unter Umständen etwas verdienen oder vieleicht auch verlieren kann. Das halte ich für sehr nützlich. Der führt natürlich keine schöngeistigen Gespräche, wenn er sich eine Aktie kauft, sondern ,er will wissen, was er da in der Hand hat. Das ist gerade das, was wir wollen: das Verständnis zu wecken für das Verhältnis des echten, indiviBundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
duellen, privaten Miteigentums zu der Produktivität 'einer Volkswirtschaft und der Sicherung der Zukunft unserer Nation. Wenn wir im Geistigen und im Seelischen diese Brücke schlagen können, dann stoßen Sie mit Ihren mehr kollektiven Vorstellungen von öffentlichem Eigentum und organisierter Kontrolle völlig ins Leere. Denn je mehr sich dieser Geist entzündet, um so mehr überwacht sich die Wirtschaft aus sich selbst heraus ohne diese Einrichtungen.
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Wir werden bei der Aktienrechtsreform und auch bei der Konzentrationsdebatte noch Möglichkeiten genug haben, uns über wirklich dringende Angelegenheiten, die auch von Ihnen angeschnitten worden sind, zu unterhalten, und Sie werden uns dabei aufgeschlossen finden. Aber es hier so darzustellen, als ob die ganze Vermögensbildung in den letzten zehn Jahren mit besonderer Wucht und mit einer übermäßigen Stärke nur bei den Großbetrieben eingetreten sei, das geht doch nicht an. Ich glaube, das ganze deutsche Volk hat Gewinn daraus gezogen und hat darum auch diese Wirtschaftspolitik bejaht. Diese Wirtschaftspolitik schlägt sich nicht zuletzt auch in der Lage der breiten Schichten unserer Bevölkerung, insbesondere des Arbeiters, aber auch der Sozialrentner, nieder. Das wird weiter so gehen, und das soll weiter so gehen.
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Zum Schluß haben Sie Krokodilstränen vergossen über meine so sehr „angeschlagene Position". Lassen Sie das meine Sorge sein, Herr Dr. Deist,
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und lassen Sie uns das in unserer Familie austragen!
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Wir werden mit diesem Problem fertig, und wir werden nicht Ihnen zuliebe uns zerstreiten und nach außen das kümmerliche Schauspiel bieten, daß wir nicht mehr Herr unseres eigenen Willens sind.
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Auf der einen Seite soll ich sozusagen autoritärer sein. Ja - ich kann auch nicht alles befehlen, was ich in der Wirtschaft für richtig halte. Ich habe z. B. auch Sie als Partner im Deutschen Bundestag, wobei ich zugebe, daß Sie mich manchmal auch unterstützt haben, aber es hat auch schon andere Zeiten gegeben. Aber soll ich etwa autoritär sein? Dann geht's mir vielleicht so, wie Sie gestern dem Bundeskanzler begegnet sind.
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Mir scheint also, es gibt hier einen gesunden Mittelweg zwischen der natürlichen Autorität aus Persönlichkeit, aus Wissen, und der selbstverständlichen Einfügung in eine demokratische Ordnung.
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Das ist genau mein Standort, den ich in dieser politischen Auseinandersetzung einnehmen werde. Ich habe nicht das Gefühl, ein bedauernswerter Mann zu sein. Ich werde gemeinsam mit meiner Fraktion und
meiner Partei den rechten Weg zu finden und zu gehen wissen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Ausführungen meines Kollegen Erhard nur noch einige wenige Bemerkungen anfügen, weil der Sprecher der sozialdemokatischen Fraktion, Herr Kollege Dr. Deist, einen großen Teil seiner Kritik der Frage der Eigentumspolitik der Bundesregierung gewidmet hat.
Vorausschicken möchte ich hierbei, daß die Eigentumspolitik der Bundesregierung sich nicht in der Volksaktie erschöpft - wie das aus den kritischen Ausführungen des Herrn Dr. Deist zum Teil hervorgegangen ist -, sondern daß die Volksaktie nur ein Teil, ich möchte sogar sagen, ein verhältnismäßig geringer Teil, der Eigentumspolitik ist, daß die Volksaktie aber eine Sonderstellung in der Eigentumspolitik der Bundesregierung einnimmt.
Daß wir die Eigentumspolitik heute so stark betonen, hat seinen Grund vornehmlich darin, daß wir unsere Weltanschauung, die Weltanschauung des Westens, und die Freiheit gegenüber der Politik des Ostens hervorheben möchten. Ohne Eigentum keine Freiheit! Das ist die Auffassung, die sich in der Eigentumspolitik der Bundesregierung niederschlägt; und deshalb glauben wir, daß in der von Ihnen, Herr Dr. Deist, erwähnten Auseinandersetzung zwischen Ost und West gerade diese Eigentumspolitik von einer besonderen Bedeutung ist.
Meinen Aufgaben gemäß möchte ich mich in meinen Ausführungen auf die Privatisierung und auf die Frage der Volksaktie beschränken und einiges zu den kritischen Bemerkungen sagen, die Sie hier anfügen zu müssen glaubten.
Ich habe mit Freude festgestellt, daß auch Sie, Herr Dr. Deist, heute die Eigentumspolitik bejaht haben und auch die Eigentumsbildung in breiter Hand und sogar die Streuung von Aktien bejaht haben. Das war zu Anfang Ihrer kritischen Bemerkungen zu unserer Politik nicht immer der Fall. Wir hoffen - und ich darf vielleicht bei dieser Gelegenheit das aussprechen -, daß Sie uns auch noch weiter folgen werden; denn bisher sind Sie in zunehmenden Maße Schritt für Schritt uns entgegengekommen. Sie haben gesagt, daß die SPD kein Gegner der Eigentumsstreuung und des Erwerbs von Aktien in breiter Streuung sei, haben aber hinzugefügt: Wer mit öffentlichen Mitteln die Aktie fördert, fördert den Großaktionär. Hierin liegt ein Widerspruch, Herr Dr. Deist. Wenn ich die Aktie in der Hand der breiten Schicht der Bevölkerung wünsche, dann kann ich nicht sagen, man fördere durch Ausgabe der Aktie den Großaktionär. Wir geben zu, daß an der Eigentumsentwicklung in der Vergangenheit Mängel festzustellen sind. Allerdings sagen wir: Mängel, die wir nicht verBundesminister Dr. Lindrath
meiden konnten, wenn wir die Wirtschaft in Gang bringen und Arbeitsplätze schaffen wollten, um überhaupt den Lebensstandard zu erreichen, den wir jetzt haben. Aber das wollen wir ja gerade ändern, indem wir auch den breiten Schichten die Möglichkeit geben, Aktien zu erwerben. Wir sind überzeugt, daß wir damit den Großaktionär unter gar keinen Umständen fördern. Sie selbst, sehr verehrter Herr Dr. Deist, wissen doch ganz genau, daß die Maßnahmen, die wir bei der Preußag getroffen haben, so exakt sind, daß jeder, der die Dinge einigermaßen kennt, weiß, daß eine Konzentration der Aktien in der Hand von Großaktionären praktisch unmöglich gemacht worden ist und die breite Streuung bestehenbleiben wird.
Zu Ihrer Behauptung, wer aus öffentlichen Mitteln die Aktie fördere, der fördere den Großaktionär, möchte ich folgendes sagen. Wenn wir heute dem gering verdienenden deutschen Bürger die Möglichkeit verschaffen, Aktien zu besitzen, und ihm dabei behilflich sind, dann ist das nur ein gerechter Ausgleich dafür, daß früher ja auch anderen Kreisen bei der Eigentumsbildung geholfen worden ist.
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Gerade das wollen wir damit erreichen. Deshalb haben wir einen Bonus gegeben oder einen Sozialkurs eingeräumt.
Sie haben gesagt, bei der Preußag hätten wir unter Preis verkauft. Auch das trifft nicht zu. Sie wissen ganz genau, daß der Wert eine subjektive Größe ist. Wir haben den Wertrahmen der Preußag sehr sorgfältig festgestellt. Wir haben den Bevölkerungskreisen -mit einem Einkommen bis zu 16 000 DM diese Volksaktie zu einem Preis an der unteren Grenze dieses Rahmens angeboten. Wenn heute der Kurs auch der Preußag-Aktie über Erwarten stark gestiegen ist, dann steht das auf einem ganz anderen Blatt. Auch das ist Ihnen durchaus bekannt. Jedenfalls sind wir der Auffassung, daß es unzutreffend ist, wenn man sagt, die Volksaktie sei ein untaugliches Mittel der Eigentumsstreuung. Im Gegenteil! Wir glauben sogar, daß es ein sehr gutes Mittel ist.
Herr Professor Erhard hat soeben ausgeführt: Wir freuen uns, daß 5 % der Aktien in Arbeiterhand geflossen sind. Lassen Sie sich in diesem Zusammenhang sagen, daß man natürlich zunächst einmal diejenigen angesprochen hat, die ein etwas größeres Einkommen haben. Ich gehe sogar so weit: Es ist ganz gut, daß der Mann mit dem kleinsten Einkommen bei der Eigentumsbildung mit dem Sparkonto anfängt. Erst wenn er über größere Mittel verfügt, mag er zur Aktie übergehen. Insofern ist es auch durchaus verständlich, daß die Entwicklung von oben, von den Einkommenbeziehern mit 16 000 DM, nach unten geht, Aber, sehr verehrter Herr Dr. Deist, mir ist bisher nicht ein einziger Fall bekanntgeworden, daß jemand mit einem Einkommen von mehr als 16 000 DM Preußag-Aktien bekommen hat.
({1})
- Wir haben dort nachgeprüft, wo es uns mitgeteilt
worden ist. Aber man soll doch Namen nennen,
wenn man es weiß! Immer wieder wird die Verdächtigung ausgesprochen. Wir sind bereit, das in jedem Fall zu prüfen. Bisher ist in keinem Falle festgestellt worden, daß hier solche Unredlichkeiten vorgekommen sind. Arbeiter, Angestellte und Beamte haben insgesamt 40 % der Aktien gezeichnet. Das ist doch schon ein respektabler Prozentsatz. 5 % davon entfallen auf die Arbeiter, der übrige Teil entfällt auf Beamte und Angestellte. Die ganze Preußag-Aktion ist also doch wohl so zu werten, wie sie die Öffentlichkeit bewertet hat. Wir wollten 30 Millionen verkaufen. Man hat über 100 Millionen gezeichnet.
Wir haben - und auch das ist ein Beweis dafür, daß es dabei nicht um Spekulanten geht - die Zeichner der Volksaktie durch das Bankenkonsortium aufgefordert, zu erklären, ob sie die Vorteile des Sparprämiengesetzes in Anspruch nehmen wollen. Wir sind keinen demagogischen Weg gegangen und haben nicht gesagt: wer sich bis zum 6. Mai nicht meldet, von dem nehmen wir an, daß er das Sparprämiengesetz in Anspruch nehmen wird, sondern ich habe ausdrücklich verlangt, daß die Zeichner eine besondere Erklärung abgeben und zu diesem Zweck sogar zum Kreditinstitut hingehen müssen. Zeichner mit fast 28 Millionen DM sind diesen Weg gegangen. Das ist immerhin ein Ergebnis, mit dem wir uns sehen lassen können, und ich bin überzeugt, daß wir, wenn wir noch andere Volksaktien herausbringen, den gleichen Erfolg haben werden.
Sie haben weiterhin von dem „Mittel gegen die marktwirtschaftliche Macht" gesprochen und zum Schluß gesagt, für monopolistische Wirtschaftsbereiche sollten öffentliche Unternehmungen vorhanden sein, um dort die wirtschaftliche Macht zu brechen. Sehr verehrter Herr Dr. Deist, wir haben nicht die Absicht, jedes Unternehmen in der Hand des Bundes zu privatisieren.
({2})
- Sie auch nicht, das glaube ich Ihnen gern; aber Sie unterstellen es uns sehr häufig. Nein, das wird nicht geschehen. Dort, wo eine öffentliche Macht, eine obrigkeitliche Gewalt durch die Unternehmen verkörpert wird und verkörpert werden muß, werden wir selbstverständlich nicht an Privatisierungsmaßnahmen denken.
Als Mittel gegen marktwirtschaftliche Macht hatten Sie das Kartellamt angesprochen. Dazu möchte ich nicht Stellung nehmen.
Schließlich haben Sie von der Mobilisierung der öffentlichen Meinung gesprochen. Wir haben die öffentliche Meinung für unsere Maßnahmen bei der Volksaktie mobilisiert. 216 000 Menschen haben uns in kürzester Zeit die Antwort gegeben: Jawohl, wir wollen das.
({3})
Sie sagten, die Öffentlichkeit solle wissen, was in der Wirtschaft vor sich geht. Jawohl, sie soll es wissen, und als Volksaktionäre werden sie sich sehr darum kümmern. Wir wollen wirklich weg vom Klassenkampf zur Verantwortung, weg vom Klassenkämpfer zum Wirtschaftsbürger. Das ist das
Ziel, und wir glauben, daß wir dieses Ziel auf diese Weise auch erreichen werden.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich zunächst die Klage einer kleineren Opositionspartei vorbringen, die an die Bundesregierung gerichtet ist. Es hat sich eingebürgert, daß jedesmal nach einem Sprecher der großen Oppositionspartei die Regierung sofort zur Antwort schreitet und daß sie dann hinterher schweigt. Das halten wir für eine Mißachtung unserer, wenn auch kleinen Fraktion. Wir glauben das Recht zu haben, daß auch unsere Argumente von der Bundesregierung gewürdigt werden.
Ganz besonders muß ich bedauern, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister, um dessen Etat es hier geht und über dessen Stellung wir sprechen, überhaupt nicht anwesend ist.
({0})
- Aber es ist für uns sehr wichtig, daß er gerade das hört, was ich zu Anfang sagen möchte.
Wir haben heute nicht nur eine Aussprache über den Etat des Bundeswirtschaftsministers. Wegen der Erklärung, die Herr Professor Erhard soeben abgegeben hat, und der Debatte, die sich gestern abgespielt hat, müssen auch die persönlichen Fragen mit in die heutige Diskussion einbezogen werden. Herr Professor Erhard hat uns heute eine Erklärung abgegeben, in der Tatsachen dargelegt wurden, die im strikten Widerspruch zu Erklärungen stehen, die wir gestern gehört haben.
({1})
Gestern sind uns die Dinge so dargestellt worden, als habe Herr Professor Erhard in Amerika schon den Eindruck haben müssen, daß der Herr Bundeskanzler nicht für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren werde.
({2})
- Nein, aber dann hätten Sie auf die Erklärung heute verzichten müssen. Die Erklärung, die hier abgegeben worden ist, zwingt uns, diese Dinge hier noch einmal aufzugreifen, selbst wenn das Haus sehr dürftig besetzt ist.
Aus der jetzigen Erklärung geht eindeutig hervor, daß Herr Professor Erhard auf Grund des Ausgangs Ihrer Fraktionssitzung den Eindruck haben konnte und haben mußte, daß sich nichts an der Bereitschaft des Bundeskanzlers ändere, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren.
Die Erklärungen, die der Herr Bundeskanzler und Herr Minister Schröder hier abgegeben haben, stellten also nur die halbe Wahrheit dar, und das ist besonders peinlich. Wir können uns dann kaum dagegen wehren, daß einige Pressestimmen von
dem dritten Versuch eines Kronprinzenmordes sprechen.
Die Herren Kollegen Barzel und Jaeger haben hier von der Treue gesprochen, die die Fraktion ihrem Vorsitzenden zu halten verpflichtet sei. Meine Damen und Herren, Treue um Treue, so heißt ein altes deutsches Sprichwort. An dieser Treue hat es auf der einen Seite gefehlt, und wir hätten Veranlassung, dazu noch vieles zu sagen.
Meine Damen und Herren, das ist nicht allein eine Fraktionsangelegenheit der CDU, sondern das ist eine Angelegenheit, die das deutsche Parlament und das deutsche Volk angeht. Der Wirtschaftsminister ist nicht nur für unsere Innenwirtschaft verantwortlich, er hat auch für unsere Außenwirtschaft tätig zu sein.
({3})
- Ja, aber leider für viele Dinge schon zu spät.
Es ist für das deutsche Volk von Bedeutung, zu wissen, ob er in Europa und in der Welt dieselbe Wirtschaftspolitik macht, die sich der für die Politik verantwortliche Kanzler denkt. Daran sind in Erklärungen in der Presse und in Erklärungen der verantwortlichen Männer erhebliche Zweifel aufgetaucht. Diese Zweifel sind auch durch die heutige Erklärung des Bundeswirtschaftsministers nicht behoben worden. Sie müssen noch geklärt werden. Sie stehen hier in unserem parlamentarischen Raum und sind durch die gestrige und heutige Debatte nicht verschwunden.
Ich fühlte mich zu diesen Erklärungen verpflichtet, bevor ich mich dem eigentlichen Beratungsthema zuwende.
Herr Professor Erhard, wir als Freie Demokraten haben Sie in Ihrer Wirtschaftspolitik seit dem Wirtschaftsrat unterstützt. Wir können beinahe sagen, daß wir Ihre getreuesten Gefolgsleute waren bei einer Politik, die man zwar allgemein marktwirtschaftlich nennt, die ich aber doch gegenüber Ausführungen, die Herr Dr. Deist hier gemacht hat, etwas konkretisieren möchte.
Die klarste Formulierung hat die Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft gefunden. Dort wird definiert:
Die soziale Marktwirtschaft erfordert einen zielklar und entschieden im Gesamtinteresse handelnden Staat, der, ohne selbst Wirtschaft zu treiben, ohne Partei zu nehmen, ohne künstliche Benachteiligungen und Begünstigungen zu verteilen und ohne in die Preisbildung und die Lenkung der Güterströme einzugreifen, seine Wirtschaftspolitik nach einer geschlossenen, einheitlichen Ordnungskonzeption gestaltet, den Teilnehmern des Wirtschaftsprozesses gegenüber neutral bleibt und dadurch seine Integrität als Rechtsstaat wahrt.
Diese Definition der Marktwirtschaft haben wir gestützt, solange wir in diesem Hause tätig sind. Wir haben Sie, Herr Professor Erhard, gestützt, und zwar auch in kritischen Tagen, wenn Ihre Arbeit nicht so leicht war; ich denke an die Korea-Krise.
Wir haben Sie gestützt, wenn Sie aus Kreisen angegriffen wurden, die heute diese Marktwirtschaft auch begeistert als ihr Ideal bezeichnen, die damals aber noch ganz anderer Meinung gewesen sind.
Wir haben Sie unterstützt z. B. bei der Beratung des Kartellgesetzes, das auch wir für verbesserungsbedürftig halten. Wir haben uns gegen Marktordnungen und Berufsordnungen gewehrt, die dem Prinzip der Marktwirtschaft widersprechen. Wir haben Ihnen aber auch, Herr Professor Erhard, Widerstand geleistet, wenn Sie selber Ihre Prinzipien nicht mehr einhielten. Ich muß Herrn Dr. Deist ein wenig recht geben. Sie haben - vielleicht nicht sehr häufig, aber doch mitunter - Ihre eigene Konzeption nicht durchgeführt, weil Sie sie in Ihrem Kabinett oder in Ihrer Fraktion nicht durchsetzen konnten. In diesen Fällen haben wir Ihnen Widerstand geleistet und haben unsere Meinung, von der wir glaubten, daß sie eigentlich auch die Ihre sein sollte, zum Ausdruck gebracht. Wir sind häufig nicht damit durchgekommen.
Wir sind der Meinung, Herr Professor Erhard, Sie hätten bei vielen Gelegenheiten auf andere Ressorts Einfluß nehmen können und müssen, weil die anstehenden Entscheidung letzten Endes die Gesamtwirtschaft berührten und betrafen.
Das Zwangssparen durch Steuern hat doch in der ersten Zeit unserer wirtschaftlichen Entwicklung verhängnisvolle Folgen gehabt. Es war nicht Ihre Aufgabe, es war die Aufgabe des damaligen Finanzministers, aber auch da hätten Sie eingreifen müssen. Wir haben uns hier für das Zustandekommen eines vernünftigen Systems eingesetzt.
Die übermäßige Ausdehnung der Staatsaufgaben hätten auch Sie in stärkerem Maße als eine Gefahr betrachten müssen. Sie hätten aus Ihrer wirtschaftlichen Sicht heraus häufiger ein Veto einlegen müssen. Ich denke z. B. daran, daß ein Gesetz wie das Ladenschlußgesetz niemals in Ihre Wirtschaftsordnung hineinpassen kann.
Wir sind der Meinung, daß alle künstlichen Begünstigungen durch den Staat aufgehoben werden müssen, und ich hoffe, daß auch Sie sich nach wie vor dafür einsetzen werden.
Sie haben vor kurzem, Herr Professor Erhard, die Überführung der Energiewirtschaft in die Marktwirtschaft gefordert. Darin sind wir mit Ihnen einig. Wir haben aber diese Forderung schon vor vielen Jahren aufgestellt. Sie werden mir nun so antworten, wie Sie Herrn Dr. Deist geantwortet haben: Es brauchte erst Zeit. Ich bin der Meinung, so viel Zeit hätte es nicht gebraucht. Diesen Übergang zu schaffen, hätten einige Jahre genügt. Zehn Jahre aber waren nicht nötig. Manches wäre uns erspart geblieben, wenn der Schritt, den Sie jetzt ankündigen, schneller und energischer getan worden wäre. Denn dann wären die Probleme in der Kohlewirtschaft - Kohlezoll und all das - nicht mehr entstanden, dann wäre die Entwicklung schon vorher in eine marktwirtschaftliche Bahn gekommen.
Wir haben vermißt, daß Sie nicht stärker gedrängt haben. Wir warten heute noch darauf, daß auch die
Wohnungswirtschaft in Ihr System überführt wird. Wir haben einige Bedenken, ob der Entwurf, der nun endlich angekündigt ist, wirklich den Erfordernissen Rechnung trägt, ob er wirklich durchweg Bestimmungen enthält, die vom Standpunkt des die Marktwirtschaft vertretenden Wirtschaftsministers angemessen und notwendig sind.
In Ihrer Europapolitik haben wir Sie unterstützt, vielleicht noch mehr als Ihre eigene Fraktion. In vielen Fällen war es jedenfalls so. Wir glauben - darin sind wir mit Ihnen wohl einig -, daß eine solche Politik nur auf der Basis der Marktwirtschaft möglich ist und daß die Marktwirtschaft auch bei unseren Kontrahenten, wenn auch langsam, zum Zuge kommt. Wir begrüßen deshalb die Anregung, die der Staatssekretär Müller-Armack zu einer gemeinsamen Konjunkturpolitik für alle Partner in der EWG gegeben hat. Wir sind mit Herrn Dr. Deist nicht darin einig, daß es zu einer solchen gemeinsamen Konjunkturpolitik erst der Schaffung von bürokratischen Organisationen bedarf. Wir glauben, daß wir sehr gut und vielleicht noch besser ohne solche Organe auskommen können.
Auf der anderen Seite, Herr Professor Erhard, haben wir häufig das Gefühl, daß Sie unseren Partnern gegenüber sehr nachgiebig gewesen sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Atzenroth, ist Ihnen entgangen, daß bei den Konjunkturdebatten - ich glaube, es war in Berlin - ein FDP-Antrag vorlag, in dem ein solches beratendes Konjunkturgremium verlangt wurde?
Herr Dr. Deist, wir haben ein beratendes Konjunkturgremium gefordert. Das ist aber keines von den Organen, die die entscheidenden Entschlüsse fassen sollen, von denen Sie z. B. hinsichtlich Amerika gesprochen haben. Dort werden die Gesetze den einzelnen Ministerien schon vorbereitet übergeben. So haben Sie das dargestellt. Daß wir gegen Ratschläge für die verantwortlichen Minister nichts einzuwenden haben - wir fordern sie sogar -, widerspricht nicht dem, was ich soeben ausgeführt habe.
({0})
- Ich würde mich freuen, wenn wir einig sind, daß diese Organe keine Direktionsbefugnisse haben sollen. Dann sind wir uns einen großen Schritt nähergekommen.
({1})
Herr Minister, ich hatte soeben darauf hingewiesen, daß Sie, vor allem im Hinblick auf die Bundesrepublik, vielleicht auch etwas veranlaßt und gedrängt durch Fragen der großen Politik, durch die
Richtlinien, die der Kanzler gibt, in dieser Wirtschaftspolitik häufig sehr nachgiebig gewesen sind. Wenn Ihnen einmal vor einiger Zeit Vorwürfe gemacht worden sind und da ein neuer Stil gefordert wurde, so will ich mich um Gottes willen mit diesen Forderungen nicht identifizieren. Aber sind Sie nicht auch der Meinung, daß wir gegen Dumping von autoritären Staaten und gegen Diskriminierungen durch unsere Partner häufig nicht doch schärfer hätten eingreifen müssen, daß wir uns da manches haben gefallen lassen, was in das System einer guten Partnerschaft eigentlich nicht hineinpaßt?
({2})
- Den Einwand habe ich erwartet, Herr Minister. Ich will um Gottes willen die liberalen Gedanken auch da nicht zurücktreten lassen. Aber wenn mein Partner nicht liberal ist und sich nicht an den Vertrag hält, dann habe ich das Recht, ähnliche, sagen wir einmal, Sanktionen, zu ergreifen. Das 'ist im Wirtschaftsleben üblich, wenn sich der Partner nicht an die Bedingungen hält, und entspricht durchaus liberalen Grundsätzen. Im allgemeinen haben wir natürlich mit solchen Partnern keine allgemeinen Verträge abgeschlossen, bei denen Dumping zu erwarten war.
({3})
- Ja, Herr Minister, dann haben wir uns eben falsche Partner ausgesucht. Das würde ein Beweis dafür sein, daß wir seinerzeit einige Bedenken gegen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu Recht vorgetragen haben.
({4})
- Aber ich spreche von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und beziehe mich gerade aufdiese Partner. Wenn also Ihrer Meinung nach seit einem Jahr ,ein allgemeiner Verfall der Moral eingetreten ist, dann haben wir die falschen Partner; denn mit echten Partnern wird so etwas nicht eintreten.
({5})
- Aber wir konnten fragen, ob wir mit diesen Partnern einen solchen Vertrag abschließen, ob wir in den Vertrag nicht stärkere Sicherungen einbauen sollten, wie wir sie in vielen Fällen bei der Beratung über die EWG gefordert haben, Herr Hellwig.
Herr Minister, ich habe eine Reihe von Einwänden zu Punkten vorgetragen, in denen wir mit Ihnen nicht in Einklang stehen. Entgegen der allgemeinen Linie sind wir auch nicht mit Ihnen einig, wenn Sie uns jetzt hintereinander zwei Ermächtigungsgesetze vorlegen. Auch das Außenhandelsgesetz ist letzten Endes ein Ermächtigungsgesetz, und im Kreditwesengesetz präsentieren Sie uns wieder eine Reform, die mit Ihrer Wirtschaftspolitik eigentlich nicht zu vereinbarten ist. Wir werden darüber sprechen, wenn die Gesetze hier zur Beratung stehen. Aber das sind Divergenzen zwischen unseren Auffassungen, die - ich wiederhole es noch 'einmal - an unseren gemeinsamen Grundlinien nichts ändern.
Wir sind gemeinsam der Meinung, daß nur in einem marktwirtschaftlichen System die beste Wirtschaftsform zu erreichen ist und daß wir dabei das höchste Maß an Wohlstand für unser Volk erzielen.
({6})
Wenn Sie diese Linie fortsetzen, werden Sie auch unsere Unterstützung immer wieder und in jeder Weise finden.
Ich darf noch einige Bemerkungen zu den Ausführungen von Herrn Dr. Deist machen. Herr Dr. Deist, Sie haben davon gesprochen, daß der Staat ein Pionier des wirtschaftlichen Fortschrittes sein könne. Ich bin absolut entgegengesetzter Meinung. Er ist das denkbar ungeeignetste Institut für wirtschaftlichen Fortschritt. Die Wirtschaft in der gesamten Welt hat doch wohl bewiesen, daß nur die persönliche, eigene Initiative den wirtschaftlichen Fortschritt fördern kann, daß das eine staatliche Organisation niemals vermag. Aber das ist der grundlegende Unterschied zwischen unseren Auffassungen.
({7})
- Das ist eine einseitige Behauptung.
Dann wollen wir doch gleich ein konkretes Beispiel bei uns nennen. Sie haben auch beklagt, daß auf die Perioden der Aufwärtsentwicklung Perioden der Stagnation folgten. Sie haben das Auf und Ab der Konjunktur beklagt und haben gesagt, eine staatliche Wirtschaftspolitik müsse eingesetzt werden, um das zu verhindern. Wir haben es zweimal getan. Wir haben einmal ein Investitionshilfegesetz gemacht. War das wirklich eine Pioniertat des Staates? Es war doch alles andere! Zum zweiten haben wir einmal mit § 7 d unseres Einkommensteuergesetzes in den Schiffbau eingegriffen. Ehe der Staat diese Förderungsmaßnahme rückgängig machen konnte, war das Kind eigentlich schon wieder in den Brunnen gefallen. Bis dahin war eine Übersetzung eingetreten, es wurde in schlechtem Sinne ausgenutzt usw. Das sind Beispiele dafür, daß der Staat denkbar ungeeignet ist, solche Maßnahmen einzuleiten.
Zum Schluß darf ich noch mit einem Wort die Frage der Privatisierung streifen und damit auf Ihren Haushalt zu sprechen kommen, Herr Minister Lindrath. Sie wissen, daß wir von jeher Vorkämpfer der Privatisierung gewerblicher Unternehmen der öffentlichen Hand gewesen sind. Wir haben es begrüßt, daß Sie nach Antritt Ihres Ministeramtes wiederholt solche Erklärungen abgaben, die unseren Gedanken entsprachen. Wenn ich mir aber den Erfolg Ihrer Tätigkeit in den zwei Jahren - so lange ist es jetzt wohl her - ansehe, muß ich feststellen, daß er außerordentlich gering ist. Sie haben - so wurde es wenigstens immer behauptet
- den ersten Versuch einer Privatisierung bei der
Preußag gemacht. Das ist eigentlich nicht richtig. Denn was Sie bei der Preußag zunächst geplant hatten, war die Ausgabe von 30 Millionen zusätzlicher Aktien, die Sie Volksaktien nannten. Das war doch keine Privatisierung.
({8})
Das war eine Kapitalaufnahme der Preußag, es sollte Kapital aufgenommen werden. Erst als Ihnen dieser Massenzustrom zufloß - Sie wurden von den Zeichnern praktisch überrannt -, kamen Sie nun auf einmal in die Privatisierung hinein, die Sie persönlich wohl, aber die Mehrheit Ihrer Fraktion gar nicht gewollt hat.
({9})
- Warum ist sie überrannt worden, Herr Katzer? Wenn man dem Menschen etwas schenkt und wenn man einem viel schenkt, greift er zu, und dann greift auch der zu, der früher gar nicht daran gedacht hätte, zuzugreifen.
({10})
- Aber Herr Katzer, es war doch in den Ankündigungen von vornherein klargestellt, daß die Ausgabe zu einem Kurs erfolgen sollte, der mindestens 20 Punkte unter dem zu erwartenden Kurs lag; die Differenz ist noch etwas größer. Also konnte jeder damit rechnen, daß er 20 Punkte - es sind nicht 20 % - auf einen Schlag verdienen würde, und von dieser Chance haben begreiflicherweise viele Gebrauch gemacht.
Betrachten Sie das nicht als eine Kritik an diesem Vorgehen überhaupt; aber in dieser Form sollte es sich nicht wiederholen, denn sonst verschleudern wir, wie Herr Schäffer früher immer zu uns gesagt hat, zu viel. Wir sollten und können so veräußern, daß der reale Wert hereinkommt. Das ist das berechtigte Anliegen des deutschen Steuerzahlers. Der Vorgang bei der Preußag hat bewiesen, daß das durchaus möglich ist, daß man auch unter normalen Umständen und zu normalen Bedingungen in der Lage ist, diese Werte angemessen zu veräußern. Wir hoffen, daß die neuen Versuche, Herr Minister Lindrath, recht bald beginnen werden, und hoffen, daß bei der Gelegenheit dann auch die übermäßigen Geschenke etwas eingeschränkt werden.
Ich darf noch eine kleine Bemerkung anschließen, Herr Lindrath. Sie haben das Sparprämiengesetz vielleicht nicht bis zum letzten gelesen. Denn Sie haben gesagt: Ich habe mir über die Banken von den Zeichnern, die dazu bereit waren, eine Erklärung geben lassen, daß sie die Aktien für fünf Jahre festlegen wollen, um damit in die Vergünstigung des Sparprämiengesetzes zu kommen. Aber in dem Sparprämiengesetz steht, daß man jederzeit von dieser Erklärung wieder zurücktreten kann; man verliert allerdings die Sparprämie. Aber es ist zunächst eine ganz billige Erklärung, die man abgeben kann: Ich verpflichte mich, für fünf Jahre festzulegen. Das bedeutet nicht, daß bei einem etwaigen Kurssturz alle diese Aktien weiter als langfristige Sparguthaben bestehen bleiben.
Ich fasse zusammen. Wir billigen im Grundsatz die Wirtschaftspolitik des Ministers Erhard. Wir bedauern die Schwierigkeiten, die er bei einer klaren Durchführung dieser Wirtschaftspolitik in seinen eigenen Reihen, in der eigenen Regierung hat. Wir werden immer dafür eintreten, daß diese Politik, die von Professor Erhard in der Öffentlichkeit verkündet wird, auch durchgeführt wird. Wir geben deshalb dem Haushalt des Wirtschaftsministers und dem Haushalt des Ministers für wirtschaftlichen Besitz unsere Zustimmung.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nur zum Rednerpult gegangen, um gegenüber Herrn Dr. Deist - er ist leider nicht mehr da - zu der Verzögerung der Großen Anfrage Stellung zu nehmen. Diese Antwort scheint mir notwendig zu sein, damit draußen nicht ein falscher Eindruck entsteht. Herr Dr. Deist hat einige hübsche Geschichten erzählt, vom Kontakt mit Brüning, von einer späteren Regierungserklärung usw. Ich weiß, daß Abgeordnete gut informiert sein müssen. Gestern haben wir sogar erlebt, daß ein Kollege eine Zeitschrift zitieren konnte, die erst nächste Woche erscheint. Ich wollte Herrn Dr. Deist nur sagen, daß er falsch unterrichtet ist oder irgendwelche Randbemerkungen überbewertet.
Aber geärgert hat mich, daß er Zweifel in die Echtheit unseres Anliegens setzt. Ich meine, das ist nicht erlaubt. Wir haben in den letzten Tagen so viel über den Stil hier im Hause geredet, daß wir uns gegenseitig unterstellen sollten, daß wir das, was wir sagen, auch ehrlich meinen.
Herr Dr. Deist, ich wollte Sie nur daran erinnern, daß nach den mir vorliegenden Unterlagen der Hergang etwa folgendermaßen ist: Unsere Große Anfrage ist im Dezember, kurz vor Weihnachten, erschienen. Sie ist Ende Januar zum erstenmal im Ältestenrat behandelt worden. Dort ist beschlossen worden, sie im März oder April im Plenum zu besprechen.
Wegen der Krankheit einiger Kollegen - das ist ja genauso gut möglich wie das Verreisen - ist sie von uns aus zum erstenmal vertagt worden. Das zweitemal haben Sie selber einen solchen Wunsch gehabt. Sie sprachen davon, vier Wochen seien einige der beteiligten Herren nicht hier gewesen. Wir haben das respektiert.
In den letzten Tagen - das wissen Sie genauso gut wie ich - ist die Geschäftslage des Hauses so überstrapaziert, daß es kaum möglich war, diese Große Anfrage auf die Tagesordnung zu setzen, wenn man nicht auf die Verabschiedung wichtiger Gesetze verzichten wollte.
Ich meine also, daß nicht irgendwie ein Verschulden unsererseits vorliegt. Aber vor allen Dingen wehre ich mich, wenn etwa angenommen werden sollte, es sei uns mit der Behandlung dieses
Anliegens nicht ernst. Das klang ja nun leider aus Ihren Ausführungen heraus.
Ich möchte mit Nachdruck betonen: wir haben diese Große Anfrage eingebracht, um auch einmal von unserer Politik her klarzustellen, daß eine wirtschaftliche Konzentration nach Möglichkeit vermieden werden muß. Das dient gerade der Fortsetzung der Marktwirtschaft. Herr Dr. Deist, hier befinden wir uns im Gegensatz zu Ihnen; denn wir wollen unsere Marktwirtschaft gegen jede sozialistische Tendenz durchsetzen. Ich bin Ihnen persönlich sehr dankbar, daß Sie ausdrücklich gesagt haben, daß Sie zur Erhaltung des Wettbewerbs den Einsatz von Staatsbetrieben wünschen. Herr Professor Erhard hat dagegen gesagt, die Kräfte müßten aus der Wirtschaft selbst heraus wachsen, um den Wettbewerb intakt zu halten.
({0})
Ich habe Ihnen gesagt, Herr Dr. Menzel, daß auch von uns aus eine Vertagung gewünscht worden ist, weil einige Kollegen - darunter ich selbst
- krank waren. Herr Dr. Deist hat vorhin hier zugegeben, einige Ihrer Herren seien vier Wochen auf Auslandsreise gewesen, und wir konnten doch nicht zulassen, daß die Sache in dieser Zeit verhandelt würde.
({1})
- Natürlich nicht! Ich betone doch nur: zweimal ist eine Verzögerung eingetreten, einmal auf unseren Wunsch, dann auf Ihren Wunsch, und jetzt ist die Geschäftslage des Hauses so, daß wichtige Gesetze abgesetzt werden müßten, wenn wir die Große Anfrage behandeln. Von uns aus können wir sie behandeln. Der Herr Minister hat ja gesagt, daß die Antwort fertig ist. Aber wir müssen doch auch Rücksicht auf die Geschäftslage des Hauses nehmen.
Zum Abschluß möchte ich Ihnen noch sagen, daß meine Kollegen Dr. Hellwig und Katzer darauf verzichten, auf die Ausführungen von Herrn Dr. Deist, die sicher sehr interessant und sehr vielgestaltig waren, aber nicht viel Neues brachten, einzugehen, weil wir auch hier rationell arbeiten wollten. Wir möchten die Geduld der Kollegen nicht übermäßig strapazieren.
({2})
Im übrigen hat der Herr Bundeswirtschaftsminister sehr klar geantwortet. Wir können uns nur voll und ganz hinter seine Ausführungen stellen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmücker hat geglaubt, meinem Kollegen Dr. Deist den Vorwurf machen zu sollen, er habe über die Verhandlungen im Ältestenrat hinsichtlich der Behandlung der Grollen Anfrage der CDU betreffend die Konzentration in den
großen Industrieunternehmungen an Rhein und Ruhr etwas Falsches berichtet. Ich möchte hierzu folgendes feststellen.
Zwar hatte die CDU-Fraktion nach dem Fall Mannesmann, der auch den Unwillen des Herrn Bundeskanzlers erregt hatte, im Schatten des Kanzlers den Mut, diese Große Anfrage einzureichen. Aber unabhängig von der Erkrankung einiger Ihrer Kollegen und einer kurzen Reise des Kollegen Deist, die einen kurzen Aufschub der Behandlung der Großen Anfrage notwendig machten, waren es die Vertreter Ihrer Fraktion, Herr Kollege Schmücker, die in mindestens zwei, vielleicht aber sogar drei späteren Ältestenratssitzungen erklärten, die CDU wünsche die Behandlung dieser Großen Anfrage noch nicht, einmal weil das Material für den Herrn Bundeswirtschaftsminister noch nicht zusammengetragen worden sei, dann weil Herr Bundeswirtschaftsminister selber nicht zur Verfügung stehe; dann kam bei der dritten Ältestenratssitzung wieder der Einwand, das Material sei, obwohl vier Monate verstrichen seien, noch nicht zusammen, und schließlich, Herr Kollege Schmücker, wurde die von uns gewünschte sofortige Behandlung der Großen Anfrage mit der Begründung abgelehnt, darauf könne der neue Bundeskanzler in der für September zu erwartenden Regierungserklärung eingehen, so daß sich die Große Anfrage erledigen werde.
Sie wissen genau, daß die Bremsen, die plötzlich von Ihrer Seite gegen die Behandlung dieser Großen Anfrage eingebaut wurden, daher kamen, weil gewisse Gruppen der Kapital-. und der Unternehmerseite im Ruhrgebiet diese Bremsen wünschten, um inzwischen im Ruhrgebiet fertige Tatsache zu schaffen. So sind auch Sie mit dem Hinweis, daß ein neuer Bundeskanzler im September in der Regierungserklärung dieses Problem behandeln wolle, auf dem Glatteis ausgeschlittert.
({0})
Herr Abgeordneter Schmücker!
Herr Kollege Dr. Menzel, Sie begannen Ihre Ausführungen damit, daß Sie behaupteten, wir hätten diese Große Anfrage nach den Ereignissen bei Mannesmann eingebracht. Ich darf Ihnen mitteilen, daß ich einer der Initiatoren dieser Anfrage bin und daß unsere Anfrage gar nichts mit den Vorgängen bei Mannesmann zu tun hat, sondern daß wir schon über ein halbes Jahr vorher an ihr gearbeitet haben. Ich verlange nicht von Ihnen, daß Sie das glauben; aber ich erwarte von Ihnen, daß Sie das nicht öffentlich in Zweifel ziehen. Soviel kann ich verlangen, das gehört zum parlamentarischen Stil.
Das Zweite! Herr Kollege Dr. Deist hat erklärt, daß wegen einer vierwöchigen Reise von SPD-Abgeordneten auch von Ihnen eine Vertagung erbeten worden sei. Wenn Sie sich jetzt die Termine ansehen, werden Sie feststellen, wann der Bundeswirtschaftsminister nach Amerika gefahren ist.
Sie knüpften dann weiter die Bemerkung an, es sei gesagt worden, die Anfrage könne später bei
der Regierungserklärung beantwortet werden. Das war vielleicht eine aus dem damaligen Sachstand mögliche Antwort.
Ich wehre mich aber gegen den Vorwurf, daß wir die Beantwortung der Anfrage hätten verschleppen wollen, weil es uns mit dem Anliegen nicht echt sei.
Zum Schluß haben Sie behauptet, daß wir unter irgendeinem Druck stünden. Ich verwahre mich dagegen, daß Sie behaupten, irgendein Kollege stehe unter einem Druck, es sei denn, unter dem Druck seines Gewissens.
({0})
- Wir erleben es hier noch einmal, daß die Ernsthaftigkeit einer Sache, die wir vortragen, in Zweifel gezogen wird und daß darauf mit schallendem Gelächter geantwortet wird. Ich habe dafür kein Verständnis.
({1})
Meine Damen und Herren, Ich habe hier eine Notiz, in der sachverständige Kollegen mir vorgerechnet haben, daß, wenn wir heute nicht fertig werden, der Bundeshaushalt im August verkündet wird. Das kann dieses Haus nicht wollen. Infolgedessen müssen wir ein bißchen anfangen, der Diskussion etwas Zaum und Zügel anzulegen. Das heißt, es sollte kürzer, von mir aus hart gesprochen werden. Man sollte die Diskussion auf das Notwendige beschränken.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Lüders.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, die Ausführungen, die ich hatte machen wollen, jetzt zu machen, und zwar nicht nur mit Rücksicht auf das, was der Herr Präsident - meines Erachtens vollkommen mit Recht - gesagt hat; ich hatte mich schon dazu entschlossen, ehe er das gesagt hat. Aber ich werde mir erlauben, durch eine Anfrage - - Wo ist denn der Herr Wirtschaftsminister? Er ist doch gar nicht so klein, daß man ihn nicht sieht.
({0})
- Also, jedenfalls, dem Herrn Wirtschaftsminister, der inzwischen so schlank geworden ist, daß man ihn nicht mehr finden kann, möchte ich das in einer Anfrage oder in einem Brief mitteilen; denn mir ist durch sehr genaue Unterlagen bekannt, daß es kein frauenfeindlicheres Ministerium in der Bundesregierung gibt als leider das Ministerium des Herrn Professor Dr. Erhard.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hellwig.
({0})
- Ausgezeichnet!
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({1}) zum Entschließungsantrag.
({2})
- Ist nicht da!
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel zur Begründung von Umdruck 319.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Einzelplan 24 ist in Kap. 24 02 bei Tit. 81 in den Einnahmen ein Ansatz von 50 Millionen DM - Erlöse aus der Veräußerung von Anteilsrechten und der Liquidation von Bundesunternehmen - vorgesehen. Diese Einnahmen, die aus dem Verkauf von Vermögen fließen, sollen nach dem Haushaltsentwurf zur Bestreitung ordentlicher Ausgaben dienen. Der Antrag, der Ihnen vorliegt, sieht vor, diese Einnahmen im außerordentlichen Haushalt zu buchen, um das Vermögen zu erhalten, damit die Einnahmen den vermögenswirksamen Ausgaben dienen.
({0})
Es ist die Frage entstanden, ob nicht ein Ausgleich im Rahmen des Außerordentlichen Haushalts geschaffen werden muß.
({1})
Nach dieser entzückenden Szene kann man ja wohl weiterreden.
Es ist die Frage entstanden, ob dann nicht im Außerordentlichen Haushalt eine entsprechende Verlagerung von Ausgabeansätzen aus dem Ordentlichen Haushalt erfolgen muß. Dem kann man im Prinzip zustimmen. Es würde sich darum handeln, die erforderlichen Titel festzustellen. Ich habe mich darüber mit dem Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums in Verbindung gesetzt. Aber das Entscheidende ist, daß Einnahmen aus der Veräußerung von Vermögen nicht zur Finanzierung ordentlicher Ausgaben dienen dürfen. Das entspricht dem Haushaltsrecht; das ist eine notwendige Regelung.
Ich bitte Sie um die Annahme des Änderungsantrags Umdruck 319.
Herr Abgeordneter Dr. Deist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich dem Wunsch des Herrn Präsidenten und der Geschäftslage entsprechend auf einige kurze Bemerkungen beschränken. Die Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers verlangen diese kurzen Bemerkungen.
({0})
Herr Dr. Deist, ist Ihnen entgangen, daß wir auf Fortführung der Debatte mit unseren Rednern verzichtet haben, um die Haushaltsberatung zu beschleunigen und das Hohe Haus nicht weiter aufzuhalten? Wäre es möglich, daß Sie sich dieser Haltung anschlössen?
({0})
Herr Kollege Hellwig, ich akzeptiere obwohl ich es bisher nicht wußte -, daß das der Sinn der Zurückziehung von Wortmeldungen ist, und ich möchte das auch honorieren. Ich werde mich daher auf einige kurze Sätze beschränken. Nur, Herr Dr. Hellwig, bitte ich mir nach der Replik des Herrn Bundeswirtschaftsministers und des Herrn Ministers für das Bundesvermögen zu gestatten - ich glaube, das ist kein unangemessenes Ansinnen -, wenigstens diese kurzen Sätze zu sagen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, weder ich noch irgendein Mitglied meiner Fraktion hat sich während der kritischen Monate des vergangenen Jahres in düsteren Prognosen ergangen. Wir halten das für falsch, und wir haben das nicht getan. Ich meinte nur, eines sollte man bei einer realistischen Beurteilung tun: man sollte die Gefahren, die in der Entwicklung des Ostens liegen, nicht bagatellisieren, gerade weil wir es mit der Auseinandersetzung mit dem Osten ernst nehmen. - Damit möchte ich mich im Hinblick auf die Geschäftslage zu diesem Punkt begnügen.
Ein zweites Wort zu Ihrer Stellungnahme zu den Institutionen, zu der Gefahr, daß mit institutionellen Einrichtungen die Wirtschaft gelenkt würde, und was dergleichen mehr ist. Ich weiß nicht, mit wem Sie polemisiert haben, vielleicht mit dem Herrn Bundeskanzler, jedenfalls nicht mit mir; denn ich hatte von Ihren Vorstellungen und von Ihr en Plänen, Institutionen zur Konjunkturberatung zu bilden, gesprochen. Darum meine ich, diese Ausführungen können mich nicht treffen, auch nicht meine Argumentation.
Dann hat mich im Zusammenhang mit dem Konzentrationsprozeß gewundert, daß Sie meinten - ich glaube, es waren Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister; es kann aber auch ein anderer Redner gewesen sein -, die Wirtschaft überwache sich selbst. Und über die Notwendigkeit der Publizität und über ihre Bedeutung haben Sie kein Wort gesagt.
Eine weitere Bemerkung, Herr Bundeswirtschaftsminister. Ich habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß - und sollten Sie das nicht anerkennen? - die Dekonzentration des Eigentums kein Mittel im Kampf gegen die Konzentration der Unternehmensmacht in Großunternehmungen ist.
({0})
Im Gegenteil, unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicherr Macht bedeutet Streuung des Aktienkapitals geringere Kontrolle der Unternehmensleitung und damit stärkere Machtkonzentration des Unternehmens selbst. Das sollte man klar sehen. Und darum sollte man nicht so tun, als wenn man mit der Dekonzentration des Kapitals etwas gegen die Unternehmenskonzentration tun könne. Eine ganz andere Rolle spielt die Dekonzentration des Kapitals im Zusammenhang mit der Frage der Eigentumsstreuung. Aber auf diesen Zusammenhang möchte ich jetzt nicht noch einmal eingehen.
Ein letztes Wort, Herr Bundeswirtschaftsminister. Sie meinten, Sie hätten gegenüber der Sozialdemokratie Stehvermögen bewiesen. Ich kann Ihnen das nur bestätigen. Nur dürfte es nicht so sehr schwer sein, mit der Bundesregierung, dem Bundeskanzler und vielleicht großen Teilen der Wirtschaft im Rücken gegenüber der Sozialdemokratie Stehvermögen zu beweisen.
({1}) Das hatte ich Ihnen auch gar nicht vorgeworfen.
Dabei denke ich an eine nette Sache. Ich habe vor kurzem gelesen, daß ein Politiker dann aufrecht steht, wenn die Pressionen multilateral, von allen Seiten gleichgewichtig auf ihn eindringen. Vielleicht entnehmen Sie daraus die Konsequenz, die sich aus diesem Bilde für Ihre Haltung gegenüber der Sozialdemokratie ergibt. Diese Haltung ist kein Wunder. Wichtig wäre es, daß Sie dann, wenn in der Wirtschaft und innerhalb der politischen Parteien mächtige Wirtschaftsorganisationen und Wirtschaftsinteressen ein Gewicht bekommen, das Sie selbst für übermäßig und gefährlich halten müssen, das notwendige Stehvermögen beweisen.
Die Erklärung, Herr Bundeswirtschaftsminister, die Sie heute abgegeben haben, zu der ich keine Stellung nehmen will, die aber einfach sagt, daß der Bundeskanzler unzutreffend berichtet hat, haben Sie ebenfalls heute in Abwesenheit des Bundeskanzlers abgegeben, und nicht gestern.
Damit möchte ich mich begnügen.
({2})
Einen Augenblick! - Da Sie schon da sind, bitte, Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur ein Wort zur Berichtigung zu sagen. Ich habe nie behauptet, daß der Herr Bundeskanzler eine falsche Erklärung abgegeben hat, als er sagte, er habe am 16. Mai im Kabinett diese Meinung geäußert.
({0})
- Nun, ich lege aber Wert auf diese Feststellung. Ich habe dazu nur gesagt: Bei meiner Abreise war dann die hier vorgetragene Entscheidung der Fraktionssitzung im Raum gestanden.
({1})
Die Vergangenheit wollte ich bereinigen, um Klarheit zu schaffen für die Zukunft - denn ich denke
nicht zurück, ich denke vorwärts -, und ich wünBundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
sche es nicht, daß meine sachliche Richtigstellung
in einem parteipolitisch engen Sinne gedeutet wird.
({2})
Der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein kurzes Wort zum Änderungsantrag Umdruck 319. Ich möchte hier die Erklärung abgeben, daß der Wunsch der sozialdemokratischen Fraktion, der in diesem Antrag seinen Niederschlag gefunden hat, auch die Ansicht der Bundesregierung ist. Auch die Bundesregierung ist der Meinung, daß die Erlöse aus der Veräußerung nicht zur Finanzierung ordentlicher Ausgaben dienen, sondern in den außerordentlichen Haushalt gehören. Aber dieser Antrag würde jetzt haushaltstechnische Schwierigkeiten mit sich bringen. Ich bitte deshalb nach Abgabe dieser Erklärung die sozialdemokratische Fraktion, den Antrag freundlichst zurückziehen zu wollen.
Herr Abgeordneter Ritzel.
Nachdem das gewünschte Ziel erreicht ist, ziehen wir den Antrag zurück.
({0})
Änderungsantrag Umdruck 319 ist zurückgezogen. Keine weiteren Wortmeldungen?-Ich lasse abstimmen über den Entschließungsantrag Umdruck 327.
({0})
- Von den Antragstellern?
({1})
- Sie beantragen Ausschußüberweisung. Dieser Antrag geht vor. An welchen Ausschuß?
({2})
- Wer dem Antrag auf Überweisung des Entschließungsantrages der Fraktion der DP Umdruck 327 an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Überweisung an den Ausschuß ist einstimmig beschlossen.
Änderungen der Einzelpläne 09 und 24 sind nicht erfolgt.
Ich rufe auf den damit verbundenen Tagesordnungspunkt 3:
Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Kohlewirtschaft ({3}) ;
Mündlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses ({4}) ({5}).
({6})
Hier steht die zweite und dritte Beratung an. Zunächst frage ich den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Herr Berichterstatter verzichtet. Zweite Lesung! - Es ist ein Antrag der SPD auf Drucksache 19. Ich rufe auf die §§ 1, 2, 3, 4 usw. bis 17, Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Damit ist Ziffer 1 des Ausschußantrages erledigt.
Wir stimmen ab über Ziffer 2 des Antrages des Ausschusses, Drucksache 1135. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag auf Drucksache 1135 ist angenommen.
Ich kehre zurück zu Einzelplan 05: Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts.
Dazu liegen drei Entschließungsanträge vor. Änderungsanträge liegen mir nicht vor. Ich frage, ob das Wort zum Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU - Umdruck 304 - gewünscht wird. - Herr Abgeordneter Gewandt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eingedenk der Mahnung des Herrn Präsidenten möchte ich den Entschließungsantrag nur sehr kurz begründen. Ich glaube aber, daß es notwendig ist, einiges zu diesem Antrag auszuführen.
Das Ziel des Antrags ist die Abwehr wirtschaftlicher Schäden von der deutschen Seeschiffahrt. Wir wissen alle, daß die Seeschiffahrt seit geraumer Zeit in gewissen Bereichen bestimmte Sorgen hat. Wir sind nun nicht der Meinung, daß diese Sorgen dazu führen sollten, eine Politik des Staatsdirigismus oder aber eine Subventionspolitik zu befürworten. Wir sind der Meinung, daß diese Schwierigkeiten nur mit den Mitteln der Marktwirtschaft zu überwinden sind. Dazu gehört es aber auch, daß alle an der Schiffahrt Beteiligten sich den Gesetzen der Marktwirtschaft unterwerfen. Wir müssen leider feststellen, daß im internationalen Schiffsverkehr diese Regeln nicht mehr berücksichtigt werden, d. h. durch staatlichen Dirigismus, durch indirekte und direkte Maßnahmen die deutsche Flagge in zunehmendem Maße diskriminiert wird. Die Reeder haben sich bemüht, diesen Maßnahmen entgegenzuwirken. Private Maßnahmen sind aber auf diesem Sektor verständlicherweise nicht erfolgreich. Denn sie würden bedeuten, daß man den Versuch unternehmen müßte, die Einfuhr- und Ausfuhrwirtschaft vertraglich in bestimmter Weise zu binden. Dies würde jedoch auch nur ein neuer privater Dirigismus sein. Deshalb meinten wir, daß private Maßnahmen nicht mehr ausreichen und jetzt der Weg für Verhandlungen freigemacht werden muß.
Die Auswirkungen der Flaggendiskriminierung 1 sind erheblich. 17 Länder sind bereits so weit, daß
sie unsere Flagge zurücksetzen. Ich glaube, wir müssen uns rechtzeitig auf marktgerechte Maßnahmen einstellen, wenn wir verhindern wollen, daß Schiffshalden entstehen und sich schwerwiegende wirtschaftliche Schäden auch für die Werftindustrie ergeben.
Ich möchte abschließend nur zwei Beispiele nennen. Der Schiffsverkehr mit der Türkei ist gegenüber dem Jahre 1955 von 100 auf 40 % zurückgegangen, der Verkehr aus der Türkei sogar auf 27 %. Und für den Schiffsverkehr mit Indien müssen wir feststellen, daß allein bei dem Werk Rurkela, das im wesentlicher mit deutscher Entwicklungshilfe erstellt worden ist, von dem Frachtvolumen, das 320 000 t beträgt, nur etwa 10 % unter deutscher Flagge transportiert worden sind.
Wir sind daher der Auffassung, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, daß die Bundesregierung bei Wirtschaftsverhandlungen, insbesondere bei den Verhandlungen mit den Entwicklungsländern, auf diese Sorge der Schiffahrt eingeht und verhindert, daß die deutsche Schiffahrt weiterhin durch Staatsdirigismus Schaden leidet, der die Freiheit der Meere gefährdet. Wir bitten um Unterstützung dieses Antrags.
({0})
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 304 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich werde gebeten, den Einzelplan 05 nicht weiter beraten zu lassen, sondern den Einzelplan 14 vorzuziehen. Ich habe nichts dagegen, wenn das Haus damit einverstanden ist. - Das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe auf:
Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung.
Hier liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 318 vor. Ich frage, ob zu diesem Änderungsantrag das Wort gewünscht wird. - Keine Begründung; keine Wortmeldung.
Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 318. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Entschließungsantrag der FDP. Wird zur Begründung das Wort gewünscht?
({0})
- Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Sie nicht allzu lange aufhalten, möchte aber zu unserem Entschließungsantrag ein paar Worte sagen, insbesondere zu Ziffer 3 des Umdrucks 281:
Die Bundesregierung wird ersucht, mehr als bisher der Heimatverteidigung Aufmerksamkeit zu schenken und dem Deutschen Bundestag bis zum 30. September 1959 über die erforderlichen Maßnahmen zu berichten.
Wir möchten damit erreichen, daß wir endlich einmal im Ausschuß für Verteidigung, zusammen mit dem Ausschuß für Inneres, zu der längst fälligen Debatte über die Heimatverteidigung kommen. Deswegen stimmen wir der Ausschußüberweisung zu.
Wir haben den Antrag schon einmal im Verteidigungsausschuß gestellt, und im Ausschuß war man sich darüber einig, so zu verfahren. Leider ist es bisher noch nicht dazu gekommen.
Außerdem wünschen wir, wenn die Beratung beginnt, eine militärische Analyse der derzeitigen Situation der Bundesrepublik und der Verteidigungsnotwendigkeiten; denn diese fehlt uns bisher.
Der Militärkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Herr Adelbert Weinstein, hat in der heutigen Nummer dieser Zeitung einen recht lesenswerten Beitrag zur Debatte über den Wehretat im Bundestag geliefert. Er schreibt zum Schluß, daß die Konzeptionslosigkeit der NATO-Verteidigung die militärischen Führer bedrücken müsse. Wir haben bisher noch nicht den Eindruck gehabt, daß diese militärische Konzeptionslosigkeit die militärischen Führer unserer Bundeswehr in der obersten Spitze bedrückt hat, und würden gern einmal sehen, ob tatsächlich etwas hinter der Bemerkung von Herrn Weinstein steckt.
Die NATO-Doktrin von Fontainebleau samt seinem Oberbefehlshaber gilt ja sozusagen als das Mekka für unsere Bundeswehr, so daß alles, was von dort kommt, das reine Evangelium ist. Ich bin überzeugt, daß leider nicht alles, was dort an militärischen Überlegungen angestellt wird, das reine Evangelium ist, und ich halte es für notwendig, daß sich die Bundesrepublik innerhalb der 15 NATO-Staaten etwas stärker einschaltet. Dazu müssen wir uns aber erst einmal selber darüber klarwerden, was wir eigentlich wollen. Daß wir das nicht wissen, sehen wir eben daran, daß Notstandsgesetzgebung und alle diese Dinge nicht über das Stadium von Sonntagsreden hinauskommen, was nebenbei bemerkt der Zusammenführung des ganzen Volkes zur Verteidigung außerordentlich abträglich ist. Es ist besser, wenn diese Dinge zunächst einmal mit der Opposition und im Ausschuß abgestimmt werden und man dann mit einem fertigen Konzept an die Öffentlichkeit tritt.
Hinzu kommt, daß wir in der Bundesrepublik eine ganze Anzahl von Menschen haben, die sozusagen an die alliierten Mächte ausgeliehen sind. Ich meine die Deutschen, die in den zivilen Dienstgruppen bei den Amerikanern und Engländern Dienst tun ebenso
wie die zivilen Angestellten bei den alliierten Mächten. Dieser Zustand ist für die Betreffenden außerordentlich unbefriedigend. Das ist zwar im Bundestag schon verschiedentlich erwähnt worden, aber leider ist man bisher auf den alten Gleisen immer weitergefahren. Bei den anderen NATO-Staaten ist es so, daß das jeweilige Land diese Kräfte in voller eigener Souveränität hat und dann den alliierten Streitkräften entsprechend zur Verfügung stellt. Bei uns ist es so, daß wir als Bundesrepublik wohl für die Löhnung und dergleichen mehr verantwortlich sind, daß wir aber keine Möglichkeit haben, auf die Versetzung von der einen zur anderen Dienststelle und auf die Dienstausübung einzuwirken.
Wenn nun diese deutschen Menschen irgendwelche Wünsche haben, dann werden sie - für sie recht unangenehm, für die Verwaltung recht angenehm - von einem zum anderen hin- und hergeschickt. Keiner ist sozusagen echt zuständig. Sie leiden weiter darunter, daß ihr Dienst nicht als öffentlicher Dienst anerkannt wird, obwohl doch eigentlich die Arbeit, die sie leisten, als eine im Interesse der Öffentlichkeit, in unser aller Interesse liegende Angelegenheit zu bezeichnen ist.
Deswegen möchten wir wünschen, daß sich auch das Verteidigungsministerium, obwohl es an sich nicht zuständig ist - an sich ist ja das Finanzministerium dafür zuständig -, in einem Referat mit dieser Frage beschäftigt und daß wir, wenn wir im Ausschuß über diese Dinge sprechen, dazu auch eine Stellungnahme des Verteidigungsministeriums erhalten. So, wie es bisher gehandhabt worden ist, kann es nicht weitergehen. Auch von dem neuen Truppenvertrag, der abgeschlossen sein soll, von dem man allerdings noch nicht weiß, ob er da Änderungen gebracht hat, kann man, glaube ich, heute schon sagen, daß er das Problem nicht lösen wird.
Wegen der Kürze der Zeit möchte ich es mir versagen, auf die anderen Dinge, die ich mir hier notizenhaft aufgeschrieben habe, einzugehen. Ich möchte mir aber vorbehalten, darauf zurückzukommen, falls diese Dinge in der Debatte noch einmal angesprochen werden.
Das war die Begründung des Entschließungsantrages auf Umdruck 281. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. An welchen Ausschuß soll der Antrag überwiesen werden?
({0})
- Ist das Haus damit einverstanden, daß der Antrag an den Verteidigungsausschuß und an den Haushaltsausschuß überwiesen wird? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Nun bin ich auf den Antrag auf Umdruck 326 aufmerksam gemacht worden. Er bezieht sich auf den Einzelplan 32, hängt aber insofern mit dem Einzelplan 14 zusammen, als es sich um einen Eventualantrag zu dem vorhin abgelehnten Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 318 handelt. Wird dazu das Wort gewünscht?
({1})
- Herr Abgeordneter Ritzel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Sie vorhin den Antrag auf Umdruck 318, der eine sehr berechtigte sachliche Forderung enthielt, abgelehnt haben, habe ich namens meiner Fraktion einen Eventualantrag zu begründen. Dieser Antrag erklärt sich aus einer vielleicht einmaligen Tatsache in unserer Zeit. In den Haushaltsplan 1959 ist von der Regierung durch die sonannte Nachschiebeliste, durch die die Abschlußsumme im Haushalt insgesamt um mehr als 2 Milliarden DM korrigiert werden mußte, eine vorzeitige Tilgung von Nachkriegswirtschaftshilfen eingeplant worden. Es handelt sich einmal um eine Nachkriegswirtschaftshilfe USA, die in den Jahren 1961 bis 1965 im Gesamtbetrage von 626,8 Millionen DM fällig ist, und zum zweiten um eine Nachkriegswirtschaftshilfe England, die in den Jahren 1962 bis 1964 im Betrage von 265 Millionen DM fällig ist. Im ganzen geht es hier also um 891,8 Millionen DM.
Ich enthalte mich jeder Bemerkung in bezug auf die Summe an sich und ihre Berechtigung. Ich möchte aber namens meiner Fraktion zu der Tatsache Stellung nehmen, daß eine Summe von 891,8 Millionen DM für derartige Wirtschaftshilfen, die erst bis zum Jahre 1965 fällig sind, im ordentlichen Haushalt eines einzigen Rechnungsjahres, nämlich des jetzigen Rechnungsjahres, als Belastung erscheint. Dann ist es an sich kein Wunder, daß keine entsprechenden Mittel etwa für die Kriegsopfer zur Verfügung stehen. Das Geld wird auf diese Weise weggezaubert. Die Gesetze einer normalen Finanzpolitik sprechen eine andere Sprache. Sie verlangen, daß diese Beträge im ordentlichen Haushalt in den Jahren verbucht werden, in denen sie fällig sind. Wenn politische Gründe dafür vorhanden sind, die Beträge vorzeitig zu zahlen, dürfte diese vorzeitige Zahlung aber unter keinen Umständen im ordentlichen Haushalt 1959 als Belastung und Wegnahme von anderswo benötigten Mitteln erscheinen.
({0})
Der Antrag auf Umdruck 326 enthält daher das berechtigte Verlangen einer Umbuchung, und zwar die genannten Beträge aus dem ordentlichen in den außerordentlichen Haushalt zu überführen. Die logische Folge wäre, daß von 1961 bis zum Jahre 1965 die einzelnen Rechnungsjahre mit den anteilig auf sie entfallenden Beträgen belastet würden. Dadurch entstünde dann eine Entlastung. Im Rahmen des außerordentlichen Haushalts sind keine Bedenken möglich; denn auch hier kann festgestellt werden, daß die von dem Herrn Bundesfinanzminister gezogene Höchstgrenze für die Beanspruchung des außerordentlichen Haushalts von 4 Milliarden DM dank der Leistung der Bundesbank, über die im Haushaltsausschuß auch berichtet wurde, nicht überschritten wird.
Ich bitte Sie daher, nachdem Sie den anderen Antrag, der sehr begründet war, abgelehnt haben, wenigstens diesen Antrag im Interesse der Etatwahrheit und der Sauberkeit der Geschäftsführung anzunehmen.
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Vogel!
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur mit einem Satz Herrn Kollegen Ritzel antworten, damit hier nicht eine Behauptung im Raume bleibt, die nicht unwidersprochen bleiben darf. Es ist unmöglich, mit einmaligen Ausgaben eine Dauerleistung zu erbringen, wie sie die Sechste Kriegsopfernovelle vorsieht, auch wenn sie nur im Rahmen der 550 Millionen DM bliebe, was absolut ungewiß ist. Infolgedessen kann niemals argumentiert werden: wenn man jetzt eine Summe aus dem Haushalt entnehme, die für eine einmalige Leistung vorgesehen sei, könne man damit auf unbegrenzte Jahre hinaus neue Dauerleistungen begründen.
({0})
Keine weiteren Wortmeldungen.
Abstimmung über Antrag Umdruck 326 - Änderungsantrag der Fraktion der SPD - zu Einzelplan 32. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Damit ist der Einzelplan 32 hier erledigt.
Wir kehren zu Einzelplan 14 zurück. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.
({0})
- Verzichtet! Ist damit erledigt. Keine weiteren Wortmeldungen mehr? - Herr Abgeordneter Merten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir mußten leider bei der zweiten Lesung des Haushalts die Sitzung unterbrechen. Es war deswegen bei dieser Gelegenheit nicht möglich, dem Herrn Minister noch auf einige Punkte seiner Ausführungen zu antworten. Ich möchte das daher heute tun.
Leider hat sich die Vermutung des Kollegen Kliesing, daß der Haushalt des Verteidigungsministeriums in einer anderen, besseren Atmosphäre behandelt würde, nicht bewahrheitet, als der Herr Minister seine Ausführungen beendete. Denn diese Rede des Herrn Bundesverteidigungsministers war leider wieder angefüllt mit Unterstellungen, mit kollektiven Beschuldigungen und mit halben Wahrheiten. Ich möchte Sie fragen, Herr Minister, ob Sie im Ernst glauben, daß durch solche Methoden die Basis für fruchtbare gemeinsame Gespräche und gemeinsame Entscheidungen gelegt werden kann. Ich will nicht annehmen und möchte auch der Vermutung
nicht Raum geben, daß durch solche Methoden vielleicht gerade die Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratischen Partei verhindert oder unmöglich gemacht werden soll. Herr Minister, Sie sind sehr empfindlich gegen Kritik, wie ich mir habe sagen lassen, und reagieren auch empfindlich. Aber dann müssen Sie dieses Recht auch anderen zugestehen und müssen Ihrerseits entsprechend vorsichtig und nicht so unbefangen, wie Sie das tun, mit ihrer Kritik an anderen umgehen.
Ich möchte nur einige wenige Punkte herausgreifen, um zu zeigen, worum es mir in diesem Zusammenhang geht. Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, daß Ihnen bei der Landbeschaffung dauernd Knüppel zwischen die Beine geworfen würden. Sie führten das auf die Tätigkeit der Sozialdemokraten in den Ländern, in den Gemeinden zurück. Diese Behauptung ist nicht neu. Sie haben sie bereits in der Sitzung des Verteidigungsausschusses am 28. Januar aufgestellt, ich habe Ihnen bereits damals widersprochen. Sie haben damals - inhaltlich das gleiche, was Sie auch in der zweiten Lesung gesagt haben - nach dem Protokoll gesagt:
Bei jedem Acker, der für die Bundeswehr in Anspruch genommen werde, sei es gerade die SPD, die in der Bevölkerung alle Instinkte aufhetze, um die Arbeit unmöglich zu machen. Die Bundeswehr könne keinen Flugplatz, keine Kaserne, kein Depot errichten, ohne daß ihr das nicht von der SPD in jeder Weise erschwert werde.
Es heißt dann kurz darauf weiter:
Während also von den Vertretern der SPD draußen überall der Widerstand gegen den Aufbau der Verteidigung angestachelt werde, was natürlich bei der Bundeswehr nicht unbekannt bleibe, spielten sie hier den besorgten Freund der Bundeswehr.
Ich zitiere das deswegen wörtlich aus dem stenographischen Protokoll, weil es in dieser Ihrer Rede genau derselbe Ton ist, den Sie in der zweiten Lesung angeschlagen haben, ohne daß Ihnen der geringste Grund dazu in der Behandlung Ihres Haushalts gegeben worden wäre.
Ich habe mir nun erlaubt, den Wahrheitsgehalt Ihrer Ausführungen, Herr Minister, in diesem Punkt einmal nachzuprüfen. Da schien mir als Modellfall die hessische Landesregierung sehr geeignet zu sein, weil ja dort die SPD einen gewissen Einfluß ausübt. Weil auch nach der hessischen Verfassung der Ministerpräsident die Richtlinien der Politik bestimmt, der dort Sozialdemokrat ist, müßte also gerade im Raum Hessen der Bundeswehr ganz besonders kraß ein Knüppel zwischen die Beine geworfen worden sein, und es müßte insbesondere dort die Errichtung und die Einrichtung der Bundeswehr in jeder Weise erschwert sein.
Ich habe das dem Herrn Ministerpräsident Zinn vorgetragen und daraufhin eine Antwort von ihm erhalten. Ich will sie hier nicht ganz vorlesen, sondern möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur einiges daraus zitieren. Herr Ministerpräsi4124
dent Zinn hat mir mitgeteilt, daß es bei der Landbeschaffung zum Zwecke der Errichtung von Garnisonen und anderen militärischen Anlagen so gewesen sei, daß in zehn Fällen die Anlagen und die Garnisonen bereits bezogen worden seien, daß sie in weiteren zehn Fällen im Aufbau begriffen seien und die hessische Landesregierung in all diesen zwanzig Fällen zu dem Antrag des Bundesverteidigungsministers in positivem Sinne Stellung genommen habe.
Er hat weiter mitgeteilt, daß zur Zeit weitere sechs Fälle bearbeitet werden, von denen drei demnächst im hessischen Kabinett entschieden werden, und daß lediglich in einem einzigen von 27 Fällen die hessische Landesregierung der Wehrbereichsverwaltung IV in Wiesbaden gegenüber ablehnend Stellung genommen hat. Mit anderen Worten: 20 Fälle sind positiv entschieden worden, 6 Fälle sind in der Schwebe, 1 Fall ist negativ entschieden worden. Aber der Herr Minister sagt: In allen Fällen werden der Einrichtung der Bundeswehr Knüppel zwischen die Beine geworfen; kein Acker, kein Gelände wird zur Verfügung gestellt.
Um nun aber auch den Verdacht auszuräumen, daß es sich um privates Gelände gehandelt habe, möchte ich noch hinzufügen, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle der bereits eingerichteten oder im Aufbau begriffenen oder geplanten Garnisonen und militärischen Anlagen das Land und die Gemeinden die erforderlichen und in ihrem Ausmaß sehr erheblichen Geländeflächen aus ihrem Grundeigentum zur Verfügung gestellt und damit in diesen Fällen überhaupt erst die Voraussetzung für die Einrichtung der Standorte geschaffen haben.
Herr Minister, ich kann mir den Widerspruch zwischen dem, was Sie hier ausgeführt haben, und dem, was der hessische Ministerpräsident mir schreibt, nicht erklären. Eins von beiden kann nur richtig sein. Ich glaube, daß Sie deswegen mit der Behauptung, die Sie nun bereits zweimal in diesem Hause aufgestellt haben, in Zukunft etwas vorsichtiger umgehen sollten.
Ich habe es sehr bedauert, daß Sie vor einigen Wochen nicht dabei waren, als zwei Bataillone in Allendorf an der Lahn Garnison bezogen und als dort nicht der Herr General XY, sondern der Herr General Herrmann, der bekanntlich Kommandeur des Wehrbereichs IV ist, sich in längeren Ausführungen bei der hessischen Landesregierung ausdrücklich für die überaus verständnisvolle und der Sache dienliche Arbeit bedankte. Offenbar befindet er sich da auch nicht völlig in Übereinstimmung mit der Meinung, die Sie von der Mitarbeit von Sozialdemokraten bei der Einrichtung der Bundeswehr haben.
Ich möchte noch auf einen anderen Fall eingehen, den ich kurz abmachen kann, weil ich bereits unter vier Augen mit Ihnen darüber gesprochen habe. Ich möchte nur nicht den Eindruck entstehen lassen, ich sei Ihnen gegenüber illoyal oder unfair gewesen. Mein Freund Lohmar hat in seinen Ausführungen zur zweiten Lesung Ihres Haushalts auf die Richtlinien zur Traditionspflege Bezug genommen. Sie haben vor dem Hause gesagt, diese Richtlinien seien lediglich ein Diskussionsentwurf und sie seien den beiden Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses als solchen übermittelt worden, damit sie im Ausschuß behandelt werden könnten. Wenn das so gewesen wäre, wäre es von mir natürlich unfair gewesen, dem Herrn Kollegen Lohmar die Richtlinien unter Verschweigen dieser Tatsache in die Hand zu drücken. Ich möchte diesen Eindruck unter gar keinen Umständen im Raum stehen lassen.
Ich muß deswegen dazu folgendes erklären. Der Herr Bundesverteidigungsminister hat mir die Richtlinien über Traditionsbildung und Traditionspflege in der Bundeswehr am 13. April 1959 übersandt. Aber er hat sie mir nicht in meiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, sondern wie aus der Adresse einwandfrei hervorgeht, als Mitglied des Deutschen Bundestages übersandt. Der Brief hat folgenden Wortlaut:
- An das Mitglied des Deutschen Bundestages Herrn Abgeordneten Hans Merten, Pfarrer a. D.,
Bonn, Bundeshaus
Sehr geehrter Herr Kollege!
In der Anlage übersende ich Ihnen die von der Unterabteilung Innere Führung erarbeiteten Richtlinien über Traditionsbildung und Traditionspflege in der Bundeswehr mit der Bitte um Kenntnisnahme. Diese Richtlinien sollen dazu beitragen, daß die Bundeswehr aus sich selber eine Tradition entwickelt, die in ,enger Verbindung mit dien geistigen und politischen Gegenwartskräften steht.
Mit den besten Grüßen Ihr
({0})
Herr Minister, ich müßte geradezu hellseherisch begabt sein oder so ein Tiefenpsychologe wie Ihr früherer Chefpsychologe Schneider sein, wenn ich aus diesem Brief hätte ,entnehmen sollen, daß es sich hier um einen Diskussionsentwurf handelt und daß ich diesen Entwurf dem Verteidigungsausschuß zur Beratung vorlegen sollte. Ich konnte diesem Brief nur entnehmen, daß das ein von Ihrem Hause bereits herausgegebener Entwurf ist. Ich habe inzwischen durch das Gespräch, das ich mit Ihnen hatte, festgestellt, daß das nicht der Fall ist. Der Entwurf wird ,auch nach Rücksprache mit dem Kollegen Jaeger auf die Tagesordnung der nächsten Ausschußsitzung gesetzt werden. Aber eis liegt kein Fall von Illoyalität vor. Es liegt auch kein Fall vor, in dem unfair gehandelt worden wäre, weil eben kein Mensch aus dem Begleitschreiben entnehmen konnte, daß die Richtlinien noch gar nicht herausgegeben sind.
Ich nehme aber mit Befriedigung Ihre mir gegebene Erklärung zur Kenntnis, weil ich glaube, daß die Richtlinien noch erheblicher Änderungen in den entscheidenden Punkten bedürfen, ehe sie an die Bundeswehr gehen. Das ist ja nun nach der
Deutscher Bundestag --- 3. Wahlperiode Merten
Aufklärung, die ich von Ihnen erhalten habe, möglich.
Auch das war, Herr Minister, ein ganz ungeeignetes Objekt, um zu beweisen, wie böse doch die Sozialdemokratische Partei ist. Dazu bestand gerade hier nicht die geringste Veranlassung, ebensowenig wie im Falle der Zurverfügungstellung von Gelände für die Einrichtungen der Bundeswehr. Auch in diesem Punkte; Herr Minister, sollten Sie einmal Ihre eigenen Ausführungen einer gewissen kritischen Prüfung unterziehen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf etwas anderes zu sprechen kommen, nämlich auf Ihre Stellungnahme zur Rede meines Freundes Helmut Schmidt. Sie haben ihm das Zeugnis ausgestellt, seine Rede sei kein guter Stil gewesen. Nun sind Stilfragen bekanntlich Geschmacksfragen. Wenn wir anfangen, uns hier gegenseitig Zeugnisse zu verteilen, Herr Minister - ich bin nicht dafür, daß wir es tun, aber wenn wir damit anfangen -, dann würde, das möchte ich Ihnen ganz offen sagen, die Rede, die Sie in der zweiten Lesung gehalten haben, von mir kein gutes Zeugnis bekommen; es stünde bestimmt darunter: Der Schüler hat das Ziel der Klasse nicht erreicht.
({1})
Die Begründung, die Sie in diesem Zusammenhang gegeben haben, war das Interessante bei dieser Sache: man könne praktische Erfahrungen, die man als Soldat in der Bundeswehr gesammelt habe, nicht in einer Haushaltsrede verwenden. Wenn wir alle, die wir hier sitzen, bei allen Gelegenheiten, über die wir hier zu reden haben, die praktischen Erfahrungen nicht verwenden würden, die wir in unserem beruflichen und sonstigen Leben draußen gesammelt haben, von welchen Erfahrungen sollten wir uns dann überhaupt noch bei unseren Entscheidungen leiten lassen? Wenn Sie glauben, daß Sie bei Ihren politischen Entscheidungen der praktischen Erfahrungen nicht bedürften, oder wenn Sie nicht bereit sind, aus diesen Erfahrungen die notwendigen politischen und finanziellen Konsequenzen zu ziehen, dann braucht man sich natürlich nicht zu wundern, was bei Entscheidungen manchmal herauskommt, die bewußt diese Erfahrungen außer acht lassen. Einer der Kollegen, der heute auch schon an dieser Stelle gestanden hat, hat es einmal ganz offen zugegeben, daß er sich von keinem noch so großen Sachverstand beeinflussen lassen würde, das zu machen, was er sich einmal vorgenommen habe. Wir wollen das aber ganz bestimmt auf diediesem wesentlichen Sektor der Verteidigung nicht einreißen lassen. Wir sind sehr dankbar und sehr zufrieden, wenn möglichst viele Soldaten ihre praktischen Erfahrungen auf diesem Gebiet den Politikern zur Verfügung stellen, damit diese Beschlüsse fassen können, die im Sinne der Sache liegen.
In diesem Zusammenhang haben Sie noch etwas anderes gesagt, Herr Minister, und das hat mich tief getroffen. Sie haben behauptet, daß von seiten der Sozialdemokratischen Partei die Unteroffiziere und Offiziere gegen den Minister aufgewiegelt würden. Sie haben bedauert, daß dauernd der Versuch gemacht werde, die Soldaten gegen die militärische
und die zivile Führung des Verteidigungsministerums aufzuwiegeln. Sie haben wörtlich gesagt: Die SPD wiegelt die Truppe, seien es Unteroffiziere, seien es Offiziere in unteren Rängen, gegen Generalstabsoffiziere und gegen die Generalität im Bundesverteidigungsministerium auf. Sie haben an anderer Stelle gesagt: Man macht dauernd den Versuch, die Truppe systematisch gegen die zivile und militärische Führung des Verteidigungsministeriums aufzuwiegeln. Sie haben „man" gesagt. Ich weiß nicht, ob Sie die SPD gemeint haben. Man konnte es aus Ihren Ausführungen schließen. Aber wenn es nicht so gewesen sein sollte, ist ein Teil meiner Ausführungen gegenstandslos. Ich glaube aber, man konnte eigentlich keinen anderen Schluß ziehen.
Nun, Herr Minister, ich muß die Unterstellung, daß die Sozialdemokratie oder ihre einzelnen Mitglieder oder ihre Abgeordneten die unteren Ränge der Bundeswehr gegen irgend jemand aufwiegelten, hier mit allem Nachdruck zurückweisen; ich kann das nur als eine Unterstellung bezeichnen. Wenn Sie meinen, die Unzufriedenheit der Truppe hätte in der Tätigkeit der sozialdemokratischen Abgeordneten ihre Wurzel, dann sind Sie auf einem völlig falschen Wege. Die Unzufriedenheit der Truppe ist da, wo sie besteht, in allen möglichen Mängeln und Schwierigkeiten begründet, für die Sie und nicht wir die Verantwortung tragen.
Aber wer wiegelt denn hier wen gegen wen auf? Ihre Ausführungen, Herr Minister, wenn sie wie im vorigen Jahr wieder in den „Informationen für die Truppe" abgedruckt werden - natürlich, ohne daß die Opposition dabei zu Worte kommt -, sind nur dazu geeignet, die Bundeswehr gegen die SPD aufzuwiegeln.
({2})
Ich weiß nicht, ob Sie das für einen guten demokratischen Stil halten. Sie erklären, daß die Bundeswehr vom ganzen Volke und von allen politischen Gruppen getragen werden müsse; auf der anderen Seite tun Sie alles, um zu verhindern, daß sich die SPD positiv zur Bundeswehr stellt, und darüber hinaus zu verhindern, daß auch in der Bundeswehr die Möglichkeit eines Verständnisses für die Art und Weise entsteht, wie nun einmal wir Sozialdemokraten es für richtig halten Politik zu machen. Wenn Sie nicht verstehen können, daß es politische Gründe gewesen sind, die uns seinerzeit der Aufrüstung der Bundesrepublik widersprechen ließen, dann müssen Sie eben über die Rolle der Opposition in einem demokratischen Staat grundlegend andere Auffassungen haben, als wir sie haben. Sicher ist Ihnen auch der Unterschied zwischen einem atomaren Wettrüsten und sinnvoller Landesverteidigung geläufig. Wer gegen das atomare Wettrüsten ist, braucht deshalb noch lange nicht gegen eine sinnvolle Landesverteidigung zu sein. Diese Vereinfachung und Einordnung in ein ganz bestimmtes Schwarzweiß-Schema kann doch nur dazu führen, daß es bei uns in der Frage der Landesverteidigung eben nicht zu der Gemeinsamkeit kommt, nach der Sie jedesmal am Schluß Ihrer Rede rufen, nachdem Sie vorher die Brücke abgerissen
haben, auf der diese Gemeinsamkeit möglich gewesen wäre.
Ich weise das zurück und sage Ihnen ganz offen, daß wir immer wieder zur Zusammenarbeit bereit gewesen sind. Wir haben das nicht nur theoretisch behauptet, sondern das auch durch unsere Mitarbeit im Ausschuß bewiesen. Fast alle Gesetze, die aus dem Verteidigungsausschuß gekommen sind, tragen ganz deutlich die Zeichen der Mitarbeit der sozialdemokratischen Opposition, und es ist einfach nicht möglich, diese Tatsache zu leugnen.
Ich darf hier auch noch einmal feststellen, daß wir immer wieder in diesem Ausschuß den Weg zur gemeinsamen Arbeit gefunden haben, daß es aber nach derartigen Reden dann immer wieder sehr schwer ist, erst einmal die Barrikaden abzutragen, die da wieder neu errichtet worden sind.
Die Wichtigkeit der Zusammenarbeit ist klar. Wir wollen eine demokratische Wehrmacht in einem demokratischen Staat. Aber wer das zuerst erkannt hat, Herr Minister, das waren nicht Sie, sondern das war die Sozialdemokratische Partei.
({3})
Sie müssen sich einmal die Unterlagen der Sozialdemokratischen Partei ansehen. Da werden Sie sehen, daß wir es uns bei der Diskussion um die Landesverteidigung nicht leicht gemacht haben. Ich kann Ihnen allen, meine Herren von der Regierungskoalition, die Lektüre der Parteitagsbeschlüsse der Sozialdemokratischen Partei empfehlen. Dies wäre für ihre eigene Einstellung zu dieser Partei viel nützlicher als Zeugnisse von Konferenzen, auf die die Sozialdemokratische Partei gar keinen Einfluß hat. Wenn Sie solche Zeugnisse anführen, werden Sie immer ins Leere stoßen und in einer ganz falschen Richtung gehen.
Wir machen uns das nicht leicht; denn wir arbeiten in unserer Partei nicht nach dem Prinzip „Führer befiehl, wir folgen".
({4})
Wenn aber unsere Parteigremien einmal etwas beschlossen haben, dann steht die Sozialdemokratische Partei zu diesem Beschluß, und dann können Sie sich darauf verlassen, daß die Politik, die aus diesen Beschlüssen spricht, von der Partei befolgt wird, auch dann, wenn Ihnen das unangenehm sein sollte.
Wir werden auch in der dritten Lesung dem Haushalt nicht unsere Zustimmung geben. Herr Kollege Kliesing, ich möchte hier nicht Nachhilfestunden in der politischen Klippschule geben, aber doch darauf hinweisen: wir tun das nicht etwa deshalb, weil wir gegen die Landesverteidigung sind, wie Sie das in Ihrer Rede behauptet haben, sondern aus politischen Gründen. Die Ablehnung des Haushalts eines Ressortministers aus politischen Gründen ist, glaube ich, schon so alt, wie die Parlamente sind. Vielleicht orientieren Sie sich einmal in einer stillen Stunde darüber. Auch wenn die CDU in Hessen - Ihre Parteifreunde - den Etat des Innenministers ablehnt, ist sie deswegen nicht dafür, daß die gesamte innere Verwaltung abgeschafft wird. Es ist auch noch
kein Mensch auf die Idee gekommen, Ihren Parteifreunden das in dieser Form zu bescheinigen.
Wir lehnen die Politik ab, die sich in diesem Haushalt niederschlägt, und deswegen lehnen wir diesen Etat ab. Das hat mit unserer Einstellung zur Landesverteidigung nicht das geringste zu tun.
({5})
- Sie lachen. Warum lachen Sie eigentlich? Offenbar doch, weil Sie wünschen, daß die Sozialdemokratische Partei und die von ihr vertretenen 8 bis 10 Millionen Wähler und damit ein großer Teil der Arbeiterschaft der Landesverteidigung negativ gegenüberstehen. Zu' der merkwürdigen Landesverteidigung, die Sie dann aufbauen können, wünsche ich Ihnen alles Gute und viel Vergnügen. Damit werden Sie schnell am Ende sein. Statt daß Sie sich darüber freuen, daß hier eine große deutsche Partei bereit ist, angesichts der Situation, in der wir uns befinden, das zu tun, versuchen Sie mit allen Mitteln, der sachlichen Diskussion über die Probleme der Landesverteidigung auszuweichen, und verlangen eine gemeinsame Politik, die in nichts anderem besteht als in einer bedingungslosen Kapitulation vor Ihrer eigenen Konzeption. Meine Damen und Herren von der CDU, merken Sie langsam, in welcher Parallele Sie sich damit befinden? Kommen Sie nicht langsam dahinter, wessen Geschäfte Sie hier eigentlich besorgen?
({6})
Auch darüber nachzudenken, würde sich vielleicht einmal lohnen.
Wir lehnen diesen Haushalt ab und bleiben bei dieser Ablehnung, solange diese Politik in diesem Haushalt ihren Niederschlag findet.
({7})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Eindrücke der letzten Teile der parlamentarischen Debatte haben einen Kollegen von mir veranlaßt, festzustellen, daß in Bonn alles anders sei. Da werden die Löwen den Christen vorgeworfen; im Altertum sind die Christen den Löwen vorgeworfen worden.
An diesen Spruch mußte ich besonders denken, als Kollege Merten, sicherlich nicht nur zu meiner Überaschung, aber nicht ohne freudige Zustimmung auf meiner Seite, sagte, daß die ersten, die in der Bundesrepublik - ich hoffe, ich habe ihn richtig verstanden - die Notwendigkeit einer demokratischen Wehrmacht betont hätten, die Sozialdemokraten gewesen seien.
({0})
Ich weiß nicht, von welchem Zeitbegriff er dabei ausgeht.
({1})
Bundesverteidigungsminister Strauß
- Herr Kollege Merten, Sie wären dem Schöpfer genauso dankbar wie ich, wenn das, was Schumacher in jenen Jahren mit seinen oft sehr spitzen Formulierungen gesagt hat, heute noch die offizielle und unverbrüchlichen Linie Ihrer politischen Partei wäre.
({2})
Aber ich wollte dieses Thema, über das man sehr lange sprechen muß - wofür die Zeit jetzt nicht ausreicht -, hier nicht anschneiden. Sie haben aber den Namen Schumacher zitiert, der, gleichgültig von welcher Seite er kam und trotz der Kämpfe, die wir ausgefochten haben, unbestrittene Verehrung genießt. Deshalb habe ich mir erlaubt, diese Feststellung zu machen.
({3}) - Das ist häufig so, Kollege Erler.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Berkhan?
Wenn das System der ewigen Zwischenfragen wie in der zweiten Lesung weitergeht, brauche ich sehr viel Zeit. Ich verweigere keine Antwort, Herr Kollege Berkhan. Ich erlaube mir diese Bemerkung.
Herr Minister, kennen Sie die Erklärung zur Landesverteidigung, die mein Fraktionskollege Carlo Schmid im September 1948 vor dem Parlamentarischen Rat abgegeben hat, und, falls Sie sie nicht kennen, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, diese Erklärung nachzulesen und dann einmal darüber nachzudenken, wie die deutsche Sozialdemokratie wirklich zur Landesverteidigung steht?
({0})
Herr Kollege Berkhan,
({0})
ich glaube diese Erklärung zu kennen. Um aber ganz sicher zu gehen, versichere ich Ihnen, daß ich sie gern noch einmal nachlesen werde. Ich gehe aber darauf nur sehr ungern ein, weil gerade die Persönlichkeit Carlo Schmids, Ihres Kandidaten für den Posten des Bundespräsidenten, hier nicht in besonderer Weise im Mittelpunkt der politischen Polemik stehen sollte.
({1})
- Nein, ich unterstelle Ihnen das nicht. Ich sage Ihnen das nur, damit das folgende nicht mißverstanden wird.
Man kann die Grundsatzerklärung von Carlo Schmid, der sehr viele Erklärungen auf diesem Gebiete abgegeben hat, denen wir ohne jeden Vorbehalt zustimmen können, leider nicht sehen ohne manche andere Erklärungen wie etwa die: „Es ist besser", - entschuldigen Sie, wenn ich nicht genau wörtlich zitiere - „gesund in heilen Häusern, statt als Krüppel in Erdlöchern zu überleben". Diese Erklärurig hat draußen im politischen Kampf gegen die Verteidigungsbereitschaft leider - wie wir auf Schritt und Tritt und in einem halben Dutzend Wahlkämpfe feststellen konnten - eine sehr unerfreuliche Rolle gespielt.
({2})
- Ich rede ja nicht von den Wahlkämpfen des Kanzlers, sondern wir reden davon, wer zuerst von der Notwendigkeit einer demokratischen Wehrmacht gesprochen hat.
({3})
- Ich habe keinen Grund, Herr Kollege Erler, jemals irgendeine Äußerung zurückzunehmen.
({4})
Ich benutze auch gern die Gelegenheit, Behauptungen aus einer diffamierenden Kampagne richtigzustellen; gut, daß Sie mir den Anlaß dazu geben. In einem deutschen Nachrichtenmagazin ist die Behauptung gestanden, ich hätte in einem gewissen Zusammenhang gesagt: „Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfallen!" Das ist als meine Äußerung wiedergegeben. Ich habe den Redakteur angerufen und ihn gebeten, mir die Quelle zu sagen, weil mir keine solche Äußerung in diesem Zusammenhang erinnerlich sei. - Dabei unterläuft es sicherlich jedem, daß er bei einer Wahlversammlung Dinge sagt, die er nicht in allen Einzelheiten mehr in Erinnerung hat. - Der Redakteur sagte, er könne die Quelle nicht nennen, er sei im Nachbarort gewesen, dort habe im Jahre 1948 jemand zum Teil mitgeschrieben, der „Jemand" habe gebeten, seinen Namen zu verschweigen; er, der Redakteur, sei also in Erfüllung seiner journalistischen Diskretionspflicht nicht in der Lage, mir den Gewährsmann zu nennen.
Nun, ich kann Ihnen den Zusammenhang sagen. Ich habe es hier im Hause schon oft gesagt und werde es immer wieder sagen, und ich hoffe, daß ich diese Meinung niemals ändern werde: Ich lehne Gewaltanwendung einschließlich militärischer Gewaltanwendung als Mittel zur Erreichung politi-tischer Ziele innerhalb eines Landes oder zwischen den Völkern bedingungslos ab.
({5})
Das ist ein Credo ohne Einschränkung. Und das ist nicht nur mein persönlicher Vorzug, sondern ich glaube, daß es niemand in diesem Hause und niemand in einer Fraktion gibt, der eine andere Einstellung zu diesem Problem hat, nicht nur angesichts der Massenvernichtungsmittel, denn das ist nur die Potenz in diesem Falle, sondern im Grundsatz.
Ich habe ohne Zweifel in einer Reihe von Reden gesagt, und zwar sicherlich in einer in früheren Jahren noch kolorierteren Ausdrucksweise, als ich sie heute habe: Wer ein Gewehr für diesen Zweck in die Hand nimmt, wie es unter Hitler mit dem bekannten Erfolg geschehen ist, dem soll die Hand abfallen. Unter dieser Voraussetzung, unter diesen
Bundesverteidigungsminister Strauß
Umständen, daß jemand zum Gewehr greift, um damit anderen Völkern seinen Willen aufzuzwingen, wiederhole ich das Wort, daß dem, der für diesen Zweck ein Gewehr in die Hand nimmt, die Hand abfallen solle. „Wer das Schwert zieht, der soll durch das Schwert umkommen!" Das hat gar nichts damit zu tun, daß ich in meinem Leben - sicherlich in manchem Gewissenskonflikt wie Sie, Herr Kollege Erler, der Sie sieben Jahre in Nazizuchthäusern verbracht haben - immer für das Prinzip der Verteidigung - der Notwehr im Persönlichen und der Landesverteidigung - bei der Erhaltung der Unabhängigkeit unseres Landes und Volkes eingetreten bin. - Aber das nur zur Klärung einer Kampagne.
({6})
- Erhebliche Teile der deutschen Sozialdemokratie, ja - erlauben Sie mir, daß ich diese Differenzierung mache -, unter ihnen prominente Sozialdemokraten, haben es manchmal sehr schwer, vor ihren Gremien die Meinung, die sie auf diesem Gebiet haben, unangefochten zu vertreten. Ich darf an dieser Stelle dem Kollegen Erler danken - hoffentlich schadet ihm der Dank nicht;
({7})
ich meine es nicht spöttisch - für das, was er auf einer Tagung mit Jungsozialisten laut einem Bericht der „Welt", der meine einzige Quelle in dieser Beziehung ist, gesagt hat. Die Zwischenrufe, die er einstecken mußte - er hat sich aber durchgesetzt -, der Spott, den er geerntet hat, die Gehässigkeiten, die dabei gegen ihn ausgeschüttet wurden, sind ein beredtes Zeugnis für die Wirkung einer gewissen Propaganda, deren Urheber zum Teil auch hier sitzen, zum Teil in gewissen Redaktionsstuben.
Ich wollte nicht in diese vielleicht einmal sehr notwendige Grundsatzdebatte eintreten. Aber wenn die deutsche Sozialdemokratie die erste war, die eine deutsche demokratische Wehrmacht für notwendig gehalten hat
({8})
- ich sage nur: wenn -, dann verstehe ich nicht, warum der Kollege Heinemann im Protest gegen die Aufrüstungspolitik des Bundeskanzlers die CDU verlassen und sich der SPD angeschlossen hat.
({9})
Dann wäre für Sie, da wir nach der Meinung Ihrer eigenen Parteifreunde die zweiten in der Reihenfolge sind, jetzt die Zeit da, sich zu überlegen, ob Sie nicht den Weg zurück antreten.
({10})
-- Herr Kollege Heinemann, ich habe damals, wie Sie wissen, dem Kabinett nicht angehört; das kann ich nicht wissen.
({11})
- Ich habe darüber zwei völlig widerspruchsvolle Stellungnahmen gehört. Wenn Sie genau wissen wollen, was ich gehört habe: daß Sie ursprünglich auch gegen die Aufstellung des Bundesgrenzschutzes gewesen seien; ursprünglich. Später, so habe ich gehört - ich war nicht dabei -, waren Sie gegen die Pläne, ein deutsches Militär, gleichgültig in welchem Rahmen, aufzustellen, und haben die Aufstellung einer Bundespolizei als Gegengewicht zu der sogenannten Volkspolizei für richtig gehalten.
({12})
Auch hier, Herr Kollege Heinemann, führt die Konsequenz auf einen anderen Weg. Die Militarisierung - nicht die Polizeiverstaatlichung, sondern die Militarisierung - der Sowjetzone hatte, längst bevor der erste Soldat der Bundesrepublik überhaupt die Uniform anzog, eine solches Ausmaß angenommen, daß die Forderung nach Aufstellung einer Bundespolizei als Gegengewicht zur Volkspolizei, wie Sie es verlangen, in der politisch militärischen Wirklichkeit von uns mit der Aufstellung der Bundeswehr erfüllt worden ist, nicht mit der Aufstellung einer schwach bewaffneten Bundespolizei.
({13})
- Herr Kollege Erler, eis hat keinen Sinn, daß wir
hier in eine Debatte über die Einzelheiten der
Etappen der Aufstellung der Volkspolizei eintreten.
Nun hat mir Kollege Merten vorgeworfen - ich muß es mir versagen, auf alle Einzelheiten aus der zweiten Lesung einzugehen -, daß ich wohl aus Mangel an Information und mit nicht genügender Wahrheitssorgfalt bestimmte Vorwürfe erhoben hätte. Ich darf, bevor ich einige konkrete Dinge sage,nur versuchen, eine einzige Feststellung zu treffen. Ich glaube, daß die Möglichkeit, objektiv, nüchtern und sachlich zu denken, noch allseits so weit vorhanden ist - oder jedenfalls sein sollte -, daß man gewisse Wahrheiten nicht bestreiten kann. - Es ist kein Zweifel, Kollege Merten, daß die von der Sozialdemokratie betriebene Politik der Ablehnung des Aufbaus der Bundeswehr - ich will jetzt nicht die zahlreichen Einzelheiten schildern, die man zum Teil in sehr dramatischen Farben malen könnte - eine Auswirkung draußen in den ihr nahestehenden Wählermassen, insbesondere in den ihr angehörenden Jugendorganisationen gefunden hat, die das Klima für den gemeinsamen Aufbau der Bundeswehr in unserem Lande auf lange Sicht gestört und teilweise vergiftet hat.
({14})
Bundesverteidigungsminister Strauß
Das kann doch nicht bestritten werden.
({15})
Aber in einem haben Sie ohne Zweifel recht. Man hat draußen bei gewissen militärischen Planungen
- ich möchte in diesem Fall die positiven Beispiele lieber nicht nennen, weil man mich gebeten hat, man möchte sie nicht allzu laut nennen -, insbesondere bei der Durchführung der Wehrpflicht, bei der freien Aussprache mit Anhängern Ihrer Richtung eine tadellose Einstellung angetroffen, eine Einstellung, die jederzeit als vorbildlich bezeichnet werden kann. Wenn die Einstellung der breiten Schichten unseres Volkes, auch Ihrer Wählermassen, im Prinzip zum Problem der Verteidigung die der gesamten Führung der SPD wäre, dann wäre dieses Thema in diesem Hause kein Gegenstand der Auseinandersetzung mehr.
Jetzt darf ich einmal zu Ihrem konkreten Beispiel kommen; darum bin ich überhaupt darauf zu sprechen gekommen, Herr Kollege Merten. Herr Kollege Schmidt hat gestern, was sein gutes Recht als Oppositionsredner ist - er soll ja nicht Weihrauch streuen und Lobreden verbreiten -, eine allgemeine Kritik geübt. Er hat die Organisationsarbeit des Verteidigungsministeriums praktisch als minderwertig und die Bundeswehr und die Gesamtorganisation als ein großes Durcheinander bezeichnet. Die Truppe schimpfe, die Truppe lache; Kantinen und Kasinos seien die Gesprächsforen gewesen, in denen man diese Dinge habe erfahren können.
- Ich verhehle nicht schwerwiegende Mängel, die ich bei meiner Amtsübernahme vorgefunden habe, vorfinden mußte; das hat mit meinem Amtsvorgänger nichts zu tun, sondern lag an den Verhältnissen. Ich verhehle nicht, daß heute im einzelnen noch Mängel vorhanden sind.
Ich glaube, niemand will mir bestreiten, daß ich mich ehrlich bemüht habe, diese Mängel in einer oft an Sisyphustätigkeit grenzenden Arbeit einzeln abzustellen, weil im Grundsätzlichen oft nichts zu ändern war - Verfassungsstruktur, Gesetzgebung und ähnliches. Ich könnte darüber ein langes Lied singen. Und nicht nur ich; wenn die Arbeit einen gewissen Erfolg hatte, trifft das die führenden zivilen und militärischen Mitarbeiter ebenfalls.
Es ist aber auch ein Wort gerade eines hessischen Parteifreundes von Ihnen gewesen, unseres Kollegen Birkelbach, der seinerzeit sagte:
Leider ist es uns nicht gelungen, den Aufbau der Bundeswehr zu sabotieren und unmöglich zu machen. Immerhin ist es uns gelungen, ihn für Jahre zu verzögern.
({16}) Das ist unbestreibar.
({17})
Die gesamte Organisationsplanung im Lande Hessen - die jetzt ohne Zweifel ein etwas schnelleres Tempo angenommen hat - war in der Vergangenheit ausgesprochen langwierig. Insgesamt sollen in
liessen 15 Kasernen gebaut werden. Teilweise dauerte es 12 biss 18 Monate bis zur endgültigen Stellungnahme der Landesregierung.
({18})
Es haben sich zwei Schwerpunkte abgezeichnet. Schwierigkeiten gibt's überall. Herr Erler sagte mit Recht, ein CDU-Bauer trete genauso ungern Acker ab, wie vielleicht ein Heimgärtner der SPD sein Wochenendhäuschen hergebe.
({19})
- Aber 12 bis 18 Monate! Ich darf ein anderes Beispiel erwähnen. Das Eisenbahnausbesserungswerk Darmstadt ist von der Bundeswehr gekauft worden, weil man damit nicht nur eine Notwendigkeit der Bundeswehr erfüllen, sondern damit auch an einem Punkte eine .soziale Hilfe leisten wollte, da das Ausbesserungswerk jedenfalls von der Bundesbahn nicht mehr gebraucht wurde. Es sollte zum Gerätepark ausgebaut werden. Von der hessischen Seite ist beim Landesfinanzbauamt bei der Bauausführung Baustopp erwirkt worden, um besondere Auflagen durchzudrücken, z. B. keine Munitionslagerung und dergleichen. Und wenn das dann Punkt für Punkt geschieht, - ({20})
- Herr Kollege Merten, ich bin selbst mit meiner Familie und meinen Angehörigen dreimal ausgebombt worden.
({21})
- Ich stelle ja nur fest, daß es so ist. Sie reden jetzt von den Motiven. Ich stelle nur fest, worunter unsere Arbeit leidet. Die eine Seite bittet uns, das Eisenbahnausbesserungswerk zu übernehmen. Wir tun es. Wir haben es mit gewaltiger Belastung des Verteidigungshaushaltes übernommen. In dem Augenblick, in dem wir uns politisch festgelegt haben, kommen Auflagen, die auf Jahre hinaus die Schwierigkeiten des Einzugs der Bundeswehr dort schaffen. Und dann wird, wie Sie ja selbst wissen, ein Ihnen sicherlich nicht unbekannter Oberstleutnant oder Oberst in den Verteidigungsausschuß zitiert, um dort die Schwierigkeiten oder Mängel unserer Arbeit im einzelnen zu schildern.
({22})
Dann ist, glaube ich, folgendes ein allgemeines Anliegen: Wenn man grundsätzlich zur Landesverteidigung ja sagt, und zwar ja sagt nicht nur im politisch-propagandistischen Raum, sondern auch ja sagt in den praktischen Konsequenzen, ist es nicht zu leugnen, daß es für die Landesverteidigung
- die ja heute nicht mehr im nationalen Rahmen, sondern nur mehr im internationalen Rahmen, im
Bundesverteidigungsminister Strauß europäisch-atlantischen Rahmen aufgebaut werden kann - bei dieser politischen und militärischen Konstellation notwendig ist, ein Luftabwehrsystem zu errichten.
({23})
- Sie kommen auf Ihre Rechnung!
({24})
Wenn ich, Herr Kollege Merten, die Schwierigkeiten, die uns beim Aufbau des Luftabwehrriegels entgegengehalten werden, im einzelnen schildere - das ist für die Beamten und Soldaten, die damit zu tun hatten, wahrlich ein unangenehmer Weg, um einen ganz maßvollen Ausdruck zu gebrauchen, ein ganz unangenehmer Weg gewesen.
Ich muß hier einmal die Landesregierung Rheinland-Pfalz lobend erwähnen, die oft mit Zähigkeit um ihre Landesinteressen gefochten hat, die uns aber doch grundsätzlich geholfen hat, die Vielzahl der amerikanischen Stellungen und die deutschen Stellungen dort aufzubauen, wenngleich oft lange Auseinandersetzungen vorhergegangen sind,
Der Kabinettsbeschluß ist im Februar 1957 ergangen. Gegen die Nike-Stellung beim Griesheimer Sand ist ja ein Wirbel entfesselt worden, der uns die Durchführung des Beschlusses leider nur -leider! - ohne Einvernehmen mit der Landesregierung ermöglicht hat.
Ich kann auch zu Niedersachsen einiges sagen. Ich bin ja im Februar in einer Kabinettssitzung in Niedersachsen gewesen. Ich habe dem Herrn Ministerpräsidenten - das war damals noch Herr Hellwege - und dem zuständigen Ressortminister, Herrn Hinrich Kopf - ein Mann, dem niemand die politische Ehre noch die persönliche Sympathie versagen wird -, sagen müssen, daß in seinem Hause - er sagte, er wisse es nicht - eine ganze Reihe von Projekten einfach nicht bearbeitet wird.
({25})
Dazu gehören die Flugplatzplanungen in Varelbusch und Ahlhorn, und dazu gehören die Marinemunitionslager in Schweinebrück und in Oxstedt. Ich habe jetzt nur ein paar Dinge herausgegriffen. All das in der Summierung ergibt dann die Schwierigkeiten, die der Kollege Schmidt zum Teil richtig dargestellt hat, - angeblich das Ergebnis der verworrenen, konfusen, größenwahnsinnigen oder sonst irgendwie irrealen Planung, die der Verteidigungsminister mit seinen der Wirklichkeit längst entschwebten Mitarbeitern vorgenommen hat, und dagegen wehre ich mich, daß man jemand die Treppe hinunterwirft und dann fragt, warum es ihm so pressiert.
({26}) - Das ist nämlich die Methode!
({27})
- Nein, die sind nicht schuld. Aber bitte, provozieren Sie mich nicht! Mein Parteitag beginnt morgen früh. Ich muß gehen. Es ist auch ein Glück für Sie!
({28})
Hier sitzt noch jemand, mit dem ich auch eine eifrige Korrespondenz hatte. Kollege Ritzel sieht mich so interessiert an. Er fühlt sich mit Recht angesprochen, auch ohne daß sein Name gefallen ist.
({29})
Welchen erbitterten Kampf hat der Kollege Ritzel mit mir um die Nike-Stellungen im Odenwald geführt, der dem Untergang nahe erschien. Er hat es fertiggebracht, diese Nike-Stellungen auf das bayerische Nachbargelände hinüber zu transferieren.
({30})
- Ja, ich habe Ihnen dabei geholfen. Ich stand ja vor der Wahl. Sie sind der letzte, der mir das vorwerfen darf; denn meine Pflicht erfüllen mußte ich, nämlich die Stellungen bauen, und zwar entweder in Ihrem Wahlkreis oder, da Hessen schon mit Stellungen belastet war, im Nachbarwahlkreis in Miltenberg. Aber daß ich Sie mit dieser Nike-Stellung verschont habe, hat mir in keiner Weise genützt, in Miltenberg die örtlichen Proteste zu überwinden; die habe ich allein durchstehen müssen.
({31})
- Wenn Sie diese Aufgabe noch in anderen Fällen auf sich nehmen wollten, Herr Kollege Ritzel, wäre das Gesprächsthema zwischen uns noch weiter.
({32})
Nur in Stichworten ein weiteres Beispiel dafür, wie zum Teil künstlich eine Protestwelle auch von Bundestagsabgeordneten der SPD, der Kollegin Strobel und dem Kollegen Seidel, entfacht worden ist, als in Nürnberg bekannt wurde, daß in diesem Raum eine amerikanische Einheit stationiert wird, die über Mehrzweckewaffen verfügt und verfügen muß, wenn wir das erfüllen wollen, was man mit Recht von unserem Verteidigungssystem erwartet. Denn wir wollen uns doch nicht glorreich schlagen, sondern wir wollen in der Gesamtstärke unseres Verteidigungssystems mit dem deutschen Beitrag einen Zustand erreichen, der die Anwendung von Gewalt für jeden, der keine moralischen Hemmungen hat, zumindest zum unerträglichen Risiko macht.
({33}) Etwas anderes können wir nicht.
Ich darf dann an den Protest der Kollegen Ollenhauer und - in der Doppelfunktion als Oberbürgermeister und MdB - des Kollegen Keuning im Fall Dortmund erinnern. Wir haben uns darüber ausgesprochen. Ich möchte auch nicht über das Gespräch einiger Herren bei dem NATO-Oberbefehlshaber und über das von diesen Herren unterschrieBundesverteidigungsminister Strauß
bene Fernschreiben hier im einzelnen berichten, weil ich die Grenze einer sachlichen Polemik oder Auseinandersetzung wahrlich nicht überschreiten will. Aber hat man nicht in Dortmund, ohne ein eigentliches Echo bei der Bevölkerung zu erzielen, die Dinge künstlich auf die Höhe getrieben, um damit den Eindruck einer Volkskrise oder einer Volksbeunruhigung zu erzeugen?
({34})
Wenn an jenem Samstagnachmittag in Dortmund verschiedene Stellen zum Protest aufgerufen haben - die SPD, der Gewerkschaftsbund - und wenn der Oberstadtdirektor, der meines Wissens Parteimitglied der SPD ist - sein gutes Recht - den Hauptsprecher gemacht hat, wenn er von der vor Angst geschüttelten Bevölkerung des Ruhrgebiets, vielen Millionen, aus einer Stadt mit über 500 000 Einwohnern 500 an einem Platz zusammengebracht hat und von den 500 die Hälfte nicht aus Dortmund war, dann soll man mir nicht sagen, daß hier nicht mehr bewußt agitiert worden ist.
({35})
Nicht der Höhepunkt, sondern ein nicht sehr erfreulicher oder jedenfalls für Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, nichtgerade rühmlicher Abgesang der ganzen Aktion war das Kapitel Gießen. Beim Kapitel Gießen meinte der Kollege Merten, es sei meiner christ-demokratischen Unchristlichkeit zu verdanken gewesen, daß die Honest-JohnEinheit ausgerechnet nach Gießen gekommen ist, mitten in den SPD-Wahlkreis hinein. Die Vorstellung, Herr Kollege Merten, daß bei uns die Stationierung von Einheiten je nach der Parteizugehörigkeit der Bundestagsabgeordneten erfolge, gehört in das Trompeter-von-Säckingen-Zeitalter der Kontingentierung einer deutschen Bundeswehr hinein.
({36})
Sie können mir sogar Unkenntnis vorwerfen, und ich nehme diesen Vorwurf gern in Kauf: Ich habe bis zu Ihrem Protest gar nicht gewußt, daß die Honest-John-Einheit nach Gießen kommt. Ich habe es nicht gewußt - die Versicherung gebe ich hier feierlich ab -, weil ich mich bei der Dislozierung der einzelnen Einheiten nach den militärischen, taktischen und auch operativen Notwendigkeiten als Zivilist, wie mir mehrmals von verschiedenen Seiten nahegelegt worden ist, nicht als pseudomilitärischer Fachmann dort gerieren will, wo das Sachurteil der militärischen Experten einfach über meine politischen Möglichkeiten hinausgeht und von mir eben respektiert werden muß.
Was ist denn in Gießen gewesen? Darf ich an die Protestversammlung erinnern, Herr Kollege Merten? Ich denke nicht an Ihre Aktion, die nicht sehr rühmlich verlaufen ist, da Sie die Amerikaner wegen der Störung durch eine kaum besuchte Kundgebung um Entschuldigung gebeten haben,
({37})
sondern an die Äußerungen des Herrn Maraun,
der meines Wissens von den Jungsozialisten kommt
und als Kreisrat der Hauptsprecher auf der Protestkundgebung gewesen ist. Herr Maraun hat u. a. erklärt - immerhin ist er meines Wissens Beamter -, ihm sei per Zufall eine Karte in die Hand gekommen, aus der hervorgehe, daß die Bundeswehr im Raum Gießen soundso viele Geländeteile aufkaufen wollte, daß diese Geländestücke offensichtlich für Abschußrampen für Raketen verwendet werden sollten und daß es gelte, dagegen rechtzeitig öffentlich zu protestieren. So lautet der Bericht des Standortkommandanten; ich habe ihn hier bei mir. Er ist zum Teil auch durch die Pressemeldungen, die etwas kürzer gehalten sind, bestätigt worden. Wohin sind wir mit unserer Einstellung zur Landesverteidigung gekommen, wenn solche wesentlichen Projekte bei uns in öffentlichen Protestkundgebungen der anderen Seite gewissermaßen noch als Objekt angeboten werden, während wir uns darum bemühen, die minimalen Nachrichten von drüben zu bekommen, um etwas über den Aufmarsch und den Ausbau des Angriffssystems der Roten Armee und ihrer Satelliten in Erfahrung zu bringen?
Wenn dann noch - ich sage das, um Ihnen die Stimmung zu zeigen - ein Versammlungsteilnehmer, angeregt und aufgehetzt durch diese Worte, sagte, es sei jetzt an der Zeit, daß man als Partisan gegen die Bundeswehr losgehe
({38})
- ich sage nicht, daß dieser Versammlungsteilnehmer Sozialdemokrat war, weil ich das nicht weiß; er kann auch etwas anderes gewesen sein; ich sage nicht, daß es Herr Maraun gewesen ist , und wenn so etwas bei einer, allerdings schlecht besuchten Versammlung unwidersprochen hingenommen wird, dann werden Sie doch dem für Landesverteidigung, allerdings eingeschränkt im Rahmen des Grundgesetzes, Gott sei Dank zuständigen Bundesminister nicht übelnehmen, daß er mit Sorge und manchmal auch, weil er kein temperamentloses Amphibiengerät ist, mit Erbitterung auf solche Erscheinungen hinweist.
({39})
- Ja, darf ich denn keine Wahrheiten mehr sagen, Herr Kollege Schäfer? Wenn Sie das Thema gemeinsame Basis im Sinne eines Vorwurfs oder im Sinne zum Teil sehr heftiger Attacken hier mir gegenüber erwähnen, dann muß ich sagen, ich habe leider nicht die Zeit, das so ausführlich zu behandeln, wie es angebracht wäre. Wo ist denn die gemeinsame Basis, wenn einer Ihrer maßgebenden Parteiführer sagt: In der Abwehr gegen den Kommunismus keine Gemeinsamkeit mit der CDU!? Wo ist die gemeinsame Basis für eine Landesverteidigung, wenn die militärpolitische und damit auch ethische Aufgabenstellung der Bundeswehr von Ihnen nicht bejaht wird, wenn der besorgte Sprecher für die materiellen Interessen der Bundeswehr, der Kollege Helmut Schmidt, die Bundeswehr als Produkt einer verfehlten Regierungspolitik bezeichnet?
Bundesverteidigungsminister Strauß
Ich bin nicht Ihrer Meinung, daß der Verteidigungshaushalt in demselben Maße zu behandeln und ebenso anzusehen ist wie ein anderer Haushalt, etwa für Finanzen, für Wirtschaft oder für Inneres. Das hat mit meiner Person wahrlich nichts zu tun. Gerade beim Verteidigungshaushalt wäre mir jede positive Kritik willkommen. Ich könnte Ihnen eine Fülle von Beispielen nennen, in denen ich den Kollegen Schmidt konkret widerlegen kann. Wenn Sie es haben wollen, wenn Sie mir die Zeit dazu geben, tue ich es gern.
({40})
- Ich habe die Unterlagen darüber jetzt ziemlich geschlossen beisammen. Aber wenn Sie die militärpolitische Aufgabenstellung, die ethische Rechtfertigung der Bundeswehr verneinen, wenn von Ihnen die Bundeswehr als Produkt einer verfehlten Regierungspolitik bezeichnet wird und wenn Sie zum Haushalt wegen der Politik nein sagen, dann muß ich allerdings sagen, daß der längere Weg, auf dem man zu einer gemeinsamen Basis kommen könnte, um die Lücke zwischen uns zu schließen, von Ihnen und nicht von uns zurückgelegt werden muß.
({41})
Ich beschränke mich auf diese Bemerkungen.
Herr Kollege Lohmar hat von den Wehrmotiven, von der Tradition gesprochen. Ja, wie kann die Bundeswehr mehr Tradition und mehr Geschichtsbewußtsein haben, als es heute das politische Leben in der Öffentlichkeit aufweist? Wie kann man von den Soldaten mehr verlangen, als das ganze Forum des Volkes zu bieten vermag? Wenn in Ihrer Partei zwischen 1948 und heute ein wesentlicher Knick nicht im Grundsatz der Verteidigung der Freiheit, aber in den Prinzipien, wie sie zu verteidigen ist, eingetreten ist, wie soll man dann von der Bundeswehr verlangen, daß sie ein homogenes Traditionsbewußtsein hat? Sie wissen ganz genau, wie schwer es Herr Lohmar selbst hatte, zu einem Traditionsbewußtsein zu kommen. Wenn er vor einigen Jahren, noch führend im SDS tätig, Vorwürfe gegen den Bundestag erhoben hat, die auch von Ihnen niemals gedeckt worden sind, nie gedeckt werden konnten und heute nicht gedeckt werden können, dann wird es doch manchen Bundeswehroffizier geben, der diese Äußerungen kennt und sagt: Von d e r Seite lassen wir uns diese Vorwürfe nicht machen.
Die Gemeinsamkeit in der Abwehr des Kommunismus ist zwischen uns, wenn ich das feststellen darf, theoretisch Gott sei Dank vorhanden. In der politischen Praxis, in dem, was man tun muß, um ihm entgegenzutreten, und zwar sowohl im Innern wie im Äußern, stehen wir, glaube ich, mit den Füßen auf dem Boden, während Sie sich einem sehr illusionären Doktrinarismus hingeben.
({42})
Der Herr Kollege Merten hat mir eine Sache vorgeworfen. Er hat es, was den Inhalt meines Schreibens betrifft, richtig wiedergegeben. Ich habe meine Kollegen gefragt, Kollege Merten. Wir haben im
Ausschuß über den Traditionserlaß gesprochen. Im Ausschuß ist zwei Stunden über die Tradition gesprochen worden. Ich habe den Traditionserlaß angekündigt und unsere Bereitschaft angedeutet, ihn bevor er veröffentlicht wird, den einzelnen Obmännern der Fraktionen im Ausschuß zur Verfügung zu stellen. So hat ihn bekommen Herr Dr. Jaeger; Sie, Herr Kollege Merten, haben ihn bekommen; so hat ihn jemand von der FDP, ich glaube, Kollege Kreitmeyer oder Kollege Schultz, bekommen, und Herr Probst hat ihn ebenfalls bekommen. Außerdem haben ihn von der CDU/CSU, glaube ich, noch der Kollege Dr. Zimmermann und der Kollege Kliesing erhalten. In dem Anschreiben heißt es: „Die von der Unterabteilung Innere Führung erarbeiteten Richtlinien zur Kenntnisnahme im Anschluß an diese Ausschußsitzung".
({43})
Ich muß bitten, daß Sie die Ausschußsitzung mit einschließen, Kollege Merten. Im Ausschuß habe ich gesagt: Der Erlaß ist fertiggestellt; wollen Sie ihn diskutieren? - Da wurde uns gesagt: Dann müssen wir ihn vorher kennenlernen. - Daraufhin habe ich den Erlaß zugestellt. Er ist bis heute von uns - und zwar optima fide - nicht veröffentlicht, nicht herausgegeben worden, weil er erst ein Referentenentwurf ist, der im Ausschuß in aller Offenheit behandelt werden sollte und erst nach der Behandlung im Ausschuß, und zwar dann nicht durch die Unterabteilung Innere Führung, sondern wenn, dann auch mit dem politischen Verantwortungsbewußtsein des Verteidigungsministers erlassen werden muß. Eine andere Methode erschiene mir als eine Abwälzung der wirklichen Verantwortlichkeiten.
Da Sie mir zu bestreiten scheinen, daß ich in der Lage sei, einzelne gegen mich erhobene Vorwürfe zu widerlegen - ich habe in dem Zusammenhang vom schlechten Stil gesprochen -: ich bin nicht der Meinung, daß Erfahrungen, wirkliche Erfahrungen, die ein Abgeordneter in Reserveübungen sammelt, hier nicht gebracht werden sollen. Aber über Verteidigungspolitik ist kein Wort gesprochen worden. Über die Richtigkeit der Umgliederung unserer Heeresverbände ist kein Wort gesagt worden. Über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit unserer Dispositionen auf dem Gebiete der Luftwaffe und der Fernlenkwaffen ist kein Wort gesagt worden. Über die Notwendigkeiten einer technischen Neuerung bei der Marine und konstruktive Vorschläge dazu ist kein Wort gesagt worden. Kasinos und Kantinen sind das Forum, auf dem sicherlich auch manche Unzufriedenheit laut wird; das ist nicht das Niveau dieses Hauses.
Wenn z. B. behauptet wird, die Inspekteure führten nicht regelmäßig Konferenzen mit den Kommandeuren durch, bringe ich folgende konkrete Zahlen: Der Inspekteur des Heeres, General Röttiger, hat bisher 68 Kommandeurbesprechungen durchgeführt. Er verbringt im Monat 10 Tage bei der Truppe und ist ein alter Praktiker; der Inspekteur der Luftwaffe hat bisher 8 Inspekteurbesprechungen durchgeführt, ist in jedem Monat eine Woche bei der Truppe; der Inspekteur der Marine
Bundesverteidigungsminister Strauß
hat 7 Kommandeurbesprechungen durchgeführt, jedes Jahr besucht er jeden Standort der Marine; der Befehlhaber der Territorialverteidigung verbringt zwei Drittel seiner Dienstzeit bei der Truppe, zwei Drittel seiner Dienstzeit! Ich selbst halte im Jahre zweimal ein- bis zweitägige Dienstbesprechungen ab; ich selbst besuche im Jahre mindestens 20 Standorte, und nicht nur, um mit Generälen über große militärpolitische Themen zu konferieren.
Kollege Schmidt behauptet, daß zur Ausbildung einer Einheit - er sagte leider wieder nicht, welcher - im Pistolenschießen für 1000 Soldaten nur zwei Pistolen zur Verfügung gestanden hätten. Für die 202 000 Soldaten der Bundeswehr sind zur Zeit 74 000 Dienstpistolen ausgegeben, also kommt auf je drei Mann eine Dienstpistole, zuzüglich Maschinenpistolen und anderen Waffen.
({44})
Ich kann dem doch nur nachgehen, Herr Kollege Erler, wenn gesagt wird, bei welcher Einheit das geschieht. Ich will gar nicht wissen, welcher Oberfeldwebel ihm das gesagt hat.
({45})
Wenn er sagt, es gebe Tausende von Soldaten, die noch nie eine scharfe Handgranate gesehen hätten, so stimmt das für eine gewisse Periode der Vergangenheit. Bei der Flak sind die Handgranaten nicht das wesentliche, weil sich auf diesem Wege das Problem schwer lösen läßt.
({46})
Aber zur Zeit verfügt die Bundeswehr über 500 000 Handgranaten; der monatliche Zulauf beträgt 100 000 Stück, ab Juli 200 000. Für Übungszwecke stehen der Bundeswehr im Jahre eine halbe Million Handgranaten zur Verfügung.
Es ist nicht richtig, was Kollege Schmidt über die Methoden des MAD gesagt hat. Er hat den Ordonnanzoffizier des Luftwaffeninspekteurs eben als Fehlleistung erwähnt. Gerade daß dieser Mann entlarvt werden konnte, ist ein Ergebnis der Arbeit des MAD. Am Anfang waren die Karteien noch nicht vollständig, die Methoden waren noch nicht durchdacht und die Zusammenarbeit mit den Alliierten war noch nicht vollkommen. Erst als von mir eine zweite Überprüfungswelle angeordnet worden war, haben wir einen dieser Vögel nach dem anderen herausbekommen.
Wenn er sagt, ausgewachsene Kommandeure würden noch einmal überprüft, so ist das richtig. Dem muß sich auch jeder Kommandeur unterziehen. Es gibt bestimmte Geheimhaltungsstufen, z. B. die Geheimhaltungsstufe „Kosmik", die einem nur verliehen werden darf - Sie wissen ja über diese Dinge genauso Bescheid wie ich -, wenn er einer besonders scharfen Prüfung unterzogen worden ist. Die Prüfung erstreckt sich auf viele Einzelheiten. Leider ist manchmal die Beobachtung der persönlichen Lebensgewohnheiten - ich sage: leider, weil ich weiß, wie sehr hier ein Mißbrauch möglich ist - nicht zu vermeiden. Aber ein großer Teil der Ostagenten, die von uns aufgespürt und entlarvt wurden, ist dadurch aufgefallen, daß er in seinem privaten Lebenswandel, in seinen Anschaffungen weit über seine Dienstbezüge hinaus Ausgaben leisten konnte.
Das ist eine unangenehme Methode. Wenn man aber erlebt, daß heute Tausende von Agenten an die Bundeswehr angesetzt werden, Dutzende von ihnen in der Bundeswehr angeworben werden, ein ganzes Heer von Zersetzungspartisanen gegen Westdeutschland, gegen die Bundesrepublik engagiert wird, wenn man die Schwerpunkte sieht: Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz oder ein Agentenzentrum in München, dann kann man nicht in dieser Weise den MAD hier herabsetzen, vor allem nicht, wenn man die Schwierigkeit seiner Arbeit angesichts der auch ihm auferlegten rechtsstaatlichen Grenzen kennt.
Ich habe Schleswig-Holstein genannt, ich will in Ihrem eigenen Interesse keine weiteren Beispiele bringen, aber glauben Sie mir, ich hätte noch einen ganzen Rucksack voll dabei. Wie gesagt, ich will keine weiteren Beispiele bringen. Ich habe Schleswig-Holstein genannt, und da darf ich Sie einmal auf etwas hinweisen, was ich Sie bitte, ohne Erbitterung über meine Ausführungen nüchtern und ruhig einmal zu überlegen.
In einer der letzten Nummern des SPD-Pressedienstes, der von uns sehr sorgfältig verfolgt und gelesen wird, ist wieder ein Artikel enthalten, der hart an die Grenze dessen geht, was überhaupt möglich ist. Außerdem steht er im PPP. Ich weiß nicht, wo die originäre Leistung liegt. Der Text der Überschrift lautet: „Schleswig-Holstein Atomraketenfestung Nummer eins". Es ist der dritte Artikel dieser Art, der nunmehr in einer dieser Korrespondenzen über dasselbe Thema erschien. Der erste Artikel war meines Wissens vom Februar 1957, dann kam einer im Sommer 1958. Nach dem Tenor all dieser Artikel muß es sich immer um denselben Verfasser handeln, der den Namen der SPD mißbraucht, um in dieser Korrespondenz zu schreiben. Der Verfasser behandelt immer dasselbe Thema -„Gewaltige Aufrüstung der Bundesmarine", „Schleswig-Holstein Atomraketenfestung Nummer eins" -, um damit darzutun, wie er es einmal wörtlich schrieb, daß der Aufbau der Bundesmarine das Gleichgewicht der Marinestreitkräfte in der Ostsee zuungunsten der Sowjetunion verschiebe
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und deshalb zu einem neuen Wettrüsten führe. Hier sehen Sie es wieder: „Schleswig-Holstein Atomraketenfestung Nummer eins". Merken Sie denn nicht, daß das die Sprache Moskaus ist?!
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Ich behaupte doch damit nicht, meine Herren, daß Sie Anhänger oder bewußte Förderer des Kommunismus sind, ich behaupte damit doch nicht, daß ich SPD und KPD in einen Topf werfe. Ich habe das hier schon hundertmal gesagt, und ich distanziere mich von einer so simplifizierenden Darstellung. Wenn wir hier an einem der kritischsten Punkte der europäischen Verteidigung ein Minimum an Widerstandskraft aufbauen, dann wird, wie in sol4134
Bundesverteidigungsminister Strauß
chen Artikeln, im Sowjetjargon von der „Atomraketenfestung Nummer eins" gesprochen, „die der Verteidigungsminister in Schleswig-Holstein aufbaut, womit von neuem die Richtigkeit der These der SPD erhärtet wird", wie Sie ebenfalls hier lesen können.
Ich weiß, daß manches harte Wort und manches verletzende Wort von unserer Seite gesagt worden ist. Aber in der Sache stehen wir in allen Problemen der Landesverteidigung, in der Erkennung der Gefahr des Kommunismus, sowohl in seiner innenpolitischen Infiltration wie in seinen außenpolitischen Methoden, der Wirklichkeit viel näher als Sie. Wenn Sie dasselbe Maß an Realismus gegenüber dem Kommunismus und seinen Methoden aufbringen wie wir, wird der Verteidigungshaushalt nur im Kampf um die beste Lösung, aber nicht mehr im Kampf um die Richtigkeit der Prinzipien behandelt werden.
({49})
Das Wort hat der Abgeordnete Koenen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Minister hat soeben mit der bekannten Beredsamkeit die Dinge so dargestellt, als wären wir Sozialdemokraten von der kommunalen Ebene her ihm dauernd in den Rücken gefallen.
({0})
Dabei, Herr Minister, verweise ich Sie auf Vorgänge, die sich in den Wahlkreisen Lippstadt, Paderborn usw. zugetragen haben. Dazu muß ich die Meinung vertreten, daß sich die Schwierigkeiten aus Fehlern ergeben, die in Ihrem Hause gemacht wurden.
Um ein einziges Projekt durchzuführen, nimmt Ihr Haus vier oder fünf verschiedene Orte in Aussicht und schafft an vier oder fünf verschiedenen Orten Unruhe. Es ist immer so, daß sich der besitzende Bauer beschwert, nicht aber die in der Kommunalpolitik tätigen Sozialdemokraten sich beschweren. Ich bin mit einem Kollegen Ihrer Fraktion in eine Amtsvertretung hineingerufen worden, die sich zusammen mit den Bauern in der größten Sorge befand, da Riesenflächen für ein Projekt in Anspruch genommen werden sollten. In dieser Amtsvertretung hat die SPD fast nichts zu sagen. In ihrer Not wurden der Kollege Balkenhol und ich von den Amtsvertretern in die Amtsvertretung gebeten. Ich sage Ihnen, wir haben uns in jeder Weise korrekt verhalten. Ich verwahre mich dagegen, daß Sie es so hinstellen, wir fielen Ihnen in jedem Fall in den Rücken.
({1})
Herr Minister, warum gehen Sie den Dingen nicht einmal nach? Warum nehmen Sie vier oder fünf Projekte in Aussicht, stiften in vier oder fünf Orten Unruhe, wenn Sie nur ein Projekt wollen?
({2})
Herr Abgeordneter Ritzel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Herrn Verteidigungsminister eine kleine Berichtigung seiner Ausführungen nicht ersparen. Er hatte die Freundlichkeit, zu meinen, ich sei derjenige, der die Verlegung der von ihm geplanten Nike-Raketenstation Herkules vom Kreis Erbach im hessischen Odenwald nach Unterfranken in der Gegend von Miltenberg veranlaßt habe. Ein sonst so kluger Mann wie Sie, Herr Minister, sollte eine Behauptung dieser Art nicht aufstellen, ohne sich vorher in seinen Akten genau orientiert zu haben. In diesen Akten steht mit meiner Unterschrift ein Ersuchen an Sie, dafür zu sorgen, daß nun nicht ersatzweise der Raum Unterfranken für die Stationierung dieser Raketen herangezogen wird.
({0})
Herr Abgegeordneter Keuning!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben soeben gesagt, daß Sie noch einen ganzen Rucksack voll von solchen Dingen hätten, die für die Sozialdemokratische Partei unangenehm seien. Hoffentlich sind nicht alle eso wie das, was Sie über Dortmund ausgepackt haben. Ich glaube, da haben Sie das ungünstigste ausgepackt.
Herr Minister, Sie wissen, daß in Dortmund die Sozialdemokraten nicht allein stehen. Alle drei Ratsfraktionen waren einmütig - einmütig, meine Damen und Herren! - der gleichen Meinung.
({0})
- Herr Dr. Bergmeyer, Sie kommen zwar gelegentlich zu Sprechstunden nach Dortmund. Aber wenn Sie diesen Zwischenruf machen, dann sage ich Ihnen, daß Sie dem Hause etwas sagen, was nicht stimmt. Bis zur Stunde hat sich ein einziges Mitglied der CDU-Fraktion distanziert.
({1})
- Meine Herren, was wollen Sie damit sagen? Es kommt doch auf den Grundsatz an. In Dortmund hat der Rat ,einmütig protestiert, und er hat aus guten Gründen protestiert.
Wenn Sie diese Leidensstationen mitgingen, wenn ich sie Ihnen aufzeigte, würden Ihnen die Augen übergehen über dem, was sich abgespielt hat. Ich habe die Gespräche in Düsseldorf mit dem Ministerpräsidenten geführt und hören müssen: Meine Herren, wir haben Ihre Argumente von Dortmund weitergegeben; wir sind bereit, diese Argumente jeden Tag weiter zu verwenden; die Einheit gehört nicht nach Dortmund. - Wir sind zum Bundesverteidigungsminister gegangen und haben von ihm
hören müssten: Ich bin nicht dafür zuständig, aber ich stelle mich davor. - Meine Freunde waren in Paris. Man hat ihnen dort gesagt: Wir ,sind nicht dafür zuständig; die jeweilige Regierung ist dafür zuständig. - Auf drei verschiedenen Ebenen drei verschiedene Antworten!
Der letzte Brief des Bundeskanzlers, den wir vor einigen Tagen bekommen haben, hat bestätigt, daß die Bemühungen in Dortmundberechtigt waren. Der Herr Bundeskanzler teilt den Dortmundern mit, daß er sich hinter die Mitteilung stellt, die der Herr Bundesverteidigungsminister den Dortmundern gemacht hat. Diese Einheit bleibt nicht ,in Dortmund, sie kommt von Dortmund weg. Das ist doch ein gutes Zeugnis dafür, daß die Angelegenheit nicht richtig behandelt worden ist.
Herr Bundesverteidigungsminister, Sie haben von Kundgebungen in Dortmund gesprochen. Hoffentlich sind Sie nicht immer so schlecht informiert wie in diesem Falle. Gerade durch das Zusammengehen aller drei Ratsfraktionen ist ,es in Dortmund nicht zu Demonstrationen gekommen. Wir haben die Frage rein aus Dortmunder Sicht gesehen und waren nicht bereit, die Angelegenheit in irgendeiner Phase der ganzen Verhandlungen als leinen Teil des allgemeinen Kampfes gegen die Atombewaffnung herauszustellen.
Die Dortmunder haben gewußt, daß diese Waffen nicht in das Ruhrgebiet gehören. Auf allen Ebenen bis zum Bundeskanzler herauf - wenn ich das so sagen darf - ist ihnen bestätigt worden, daß ,sie sich zu Recht dagegen gewehrt haben.
Sie haben von SPD-Kundgebungen gesprochen, Herr Bundesverteidigungsminister. Es hat ein einziger Autokorso stattgefunden, an dem laut Polizeibericht 500 Autos teilgenommen haben. In ,einem kleinen Ortsverein hat eine Kundgebung stattgefunden, an der 500 Mitglieder beteiligt waren. Das, was sich in Brakel abgespielt hat, hat sich gegen die Sozialdemokratische Partei abgespielt. Dort war eine kommunistische Kundgebung.
({2})
Ich hoffe, daß Sie sich künftig besser informieren lassen. - Ja, es nützt gar nichts, hier bei unbequemen Feststellungen Zwischenrufe zu machen. Tatsache ist doch, daß vom Bundeskanzler bestätigt wird: Diese beabsichtigte Stationierung wird nicht durchgeführt. Damit wird den Dortmundern recht gegeben. Es wird gegen eine Einzelmaßnahme dieser Regierung protestiert. Der Herr Bundesverteidigungsminister - ich hoffe, daß Sie mir das nicht übelnehmen, wenn ich Ihnen das sage - hat doch in unserem Gespräch ,gesagt: Ich habe das ,ein Jahr lang dilatorisch behandelt. - Herr Bundesverteidigungsminister, erinnern Sie sich daran? Es waren doch genügend Zeugen bei dem Gespräch. Was heißt das denn, ein Jahr dilatorisch behandelt? In einer Notlage gehen wir irgendwohin, wollen mal sehen, wie das klappt, und dann gehen wir gelegentlich wieder weg. - Kann man das anders auslegen? Ich verstehe Sie nicht, Herr Bundesverteidigungsminister, nachdem die Gespräche mit größter Sachlichkeit geführt wurden - ich sehe mit einem
Blick zu Ihnen hinüber, daß hier Teilnehmer des Gespräches sitzen -, daß Sie nun versuchen, die Dortmunder in dieser Art aufzuhängen. Das Resultat war der Brief des Bundeskanzlers: Die Einheit wird von Dortmund verlegt. Damit wird sichtbar, daß die ganze Absicht von vorherein unsinnig war.
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Herr Abgeordneter Merten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann unserem Bundesverteidigungsminister ja nichts durchgehen lassen. Jede neue Rede bringt neuen Zündstoff. Wir werden uns wahrscheinlich hier noch recht lange miteinander unterhalten, und zwar deshalb, wie Sie eben gerade im Falle Dortmund gesehen haben, weil er Dinge behauptet, die nicht wahr sind. Gießen ist genannt worden. Ich will auf den polemischen Teil seiner Ausführungen gar nicht eingehen. Er hat etwas von unchristlich und undemokratisch gesagt im Zusammenhang mit Äußerungen von mir. Herr Bundesverteidigungsminister, ich habe Ihnen doch einen Brief geschrieben. In dem Brief kommt das Wort „unchristlich" nicht vor. Ich lege sowieso niemals Maßstäbe meiner eigenen religiösen Überzeugung an das Handeln anderer; dazu hin ich viel zu tolerant. Ich habe auch nichts von undemokratisch geschrieben. Ich habe nur geschrieben, daß die Einführung von Mehrzweckwaffen in der Bundeswehr einem legitimen demokratischen Beschluß dieses Hauses entspricht, daß also von daher nichts dagegen zu sagen ist.
Herr Minister, Sie sagen, Sie haben aar nichts davon gewußt, daß diese Waffen nach Gießen kommen. Es mag sein, daß Sie nichts davon gewußt haben. Es ist dann bloß ein bißchen merkwürdig, daß Ihr Abgesandter, der Herrn Ministerpräsident Zinn benachrichtigt hat, und Ihr zweiter Abgesandter, der den Oberbürgermeister von Gießen benachrichtigt hat, und Ihr dritter Abgesandter, der mich als Abgeordneten dieses Kreises benachrichtigt hat, sich alle drei ausdrücklich auf eine Anordnung des Herrn Bundesverteidigungsministers Strauß berufen haben, als Sie uns Mitteilung von der Stationierung der Raketenwaffen machten. Ich weiß ja nicht, ob all die Herren Ihren Namen benutzen dürfen, ohne daß Sie etwas davon wissen. Und es war wie immer: auch hier war die böse NATO schuld, genau wie in Dortmund. Auch hier wußte bei der NATO kein Mensch etwas davon, genau wie in Dortmund. Warum immer diese Dinge? Warum sind Sie nicht mit den Leuten des Stadtrats von Gießen - es sind alles sehr vernünftige und nüchterne Oberhessen - rechtzeitig in Verbindung getreten? Dann hätten sie Ihnen geholfen, einen Platz zu finden, der nicht in unmittelbarer Nähe der größten Stadt Oberhessens liegt, sondern in einer Gegend, in der nicht die Gesichtspunkte, die auch in einem Bundestagsbeschluß zum Ausdruck gekommen sind, in Frage gekommen wären.
Wir haben Ihnen Vorschläge gemacht. Sie konnten natürlich nicht mehr verwirklicht werden, nach4136
dem wir erst von den Dingen erfuhren, als alles längst entschieden und beschlossen war.
Herr Minister, Sie haben meinen Briefwechsel mit dem amerikanischen Oberkommandierenden Eddleman angesprochen. Ich weiß nicht, was das soll. Entschuldigen Sie, Herr Minister, aber was ich mit dem Herrn General Eddleman auszumachen habe, das geht Sie überhaupt nichts an,
({0})
sondern das machen Herr General Eddleman und ich miteinander aus. Verlassen Sie sich darauf, daß ich mit dem Herrn General Eddleman klarkomme. Wenn er Berichte aus Gießen erhält, die nicht der Wahrheit entsprechen, werfe ich Ihnen das ja auch nicht vor, damit haben Sie überhaupt nichts zu tun. Ich bitte Sie, sich aus diesen Dingen möglichst herauszuhalten und nicht Angelegenheiten der amerikanischen Armee hier zum Gegenstand der öffentlichen politischen Diskussion im Parlament zu machen. Das ist weiß Gott der verkehrteste Ort, darüber zu diskutieren.
Dann, Herr Minister, haben Sie von den Kundgebungen gesprochen, die in Gießen stattgefunden haben. Natürlich sind die Zahlen falsch, die Sie genannt haben, genau wie im Falle Dortmund. Sie sollten Ihre Berichterstatter in Gießen mal etwas stärker auf die Wahrheitsliebe aufmerksam machen. Mir liegt der Polizeibericht darüber vor, was geschehen ist. Er enthält ganz andere Zahlen.
Halten Sie es eigentlich für sehr geschmackvoll, ausgerechnet an Pfingsten eine Waffenausstellung zu veranstalten? Den Amerikanern nehme ich das nicht mal so übel, weil sie das Pfingstfest nicht kennen. Aber in der deutschen Bundeswehr ausgerechnet am Pfingstfest, dem Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes, eine Waffenveranstaltung zu machen, - ({1})
- Gut, Sie finden das sehr geschmackvoll. Ich habe vorhin vorsichtshalber gesagt, ich lege den Maßstab meiner religiösen Überzeugung nicht an andere an. Ein Glück, daß ich das gesagt habe, sonst müßte ich nämlich jetzt sehr bittere Bemerkungen machen.
({2})
Daß dann ein evangelischer Pfarrer aus Frankfurt mit einem Kreis von Menschen sich das Recht nimmt, dagegen zu protestieren - sogar mit polizeilicher Genehmigung; er hätte es auch ohne das tun können -, habe ich ihm als Pfarrer gar nicht übelgenommen, und dagegen dürfte wohl auch von einer christlichen Partei nicht das geringste einzuwenden sein; aber das ist geschehen.
Ob sich viele Menschen daran beteiligt haben oder wenig, sagt noch lange nichts aus über den Wert des Anliegens, das die Menschen hatten, die dort zusammengekommen sind. Die Bundeswehr hat Rücksicht auf dieses Anliegen genommen, während dieser Zeit allen Lautsprecherlärm und andere Dinge vermieden, weil die Kundgebung ja letzten Endes auf dem Recht der Versammlungsfreiheit und der freien Meinungsäußerung beruht, die ja immer noch in unserem Grundgesetz geschützt sind.
Daß die Amerikaner die Kundgebung gestört haben, und zwar absichtlich und so gestört haben, daß sie unmöglich geworden ist, steht auf einem anderen Blatt. Ich weiß nicht, Herr Minister, ob Sie das nötig haben, sich hier schützend vor einen ungezogenen amerikanischen Offizier zu stellen. Wenn Sie die Verantwortung für die auch noch übernehmen wollen, dann wünsche ich Ihnen auch dazu alles Gute.
Auch was die Gemeinsamkeit in der Abwehr des Kommunismus betrifft, Herr Minister, sind Sie nicht gut informiert. Wenn Sie wirklich gelesen hätten, was der Herr Kollege Wehner in Bad Wildungen gesagt hat, dann hätten Sie feststellen können, daß er von den Wurzeln gesprochen hat, aus denen heraus die Abwehr des Kommunismus gestaltet werden muß, und daß er gesagt hat, daß die bei der Sozialdemokratischen Partei allerdings andere sind als bei Ihnen. Dagegen ist nicht das geringste einzuwenden, und dabei wird auch keiner gehindert, mit anderen, obwohl sie von verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen, gewisse Dinge gemeinsam zu tun. Es ist also auch hier nicht richtig, das abzulehnen.
Ebensowenig kann ich verstehen, Herr Minister, daß Sie bei einer Versammlung, die Sie in Bayern gehalten haben, und zwar in Hof - ich ziehe mich nicht hinter XY oder wo zurück -, gesagt haben: „Die seit langem vom Osten erstrebte Aktionseinheit zwischen Kommunisten und demokratischen Sozialisten ist hergestellt. Die Parolen hierfür werden nicht in Bonn, sondern in Moskau entworfen."
Was heißt denn das? Das heißt, die SPD empfängt ihre Befehle aus Moskau. Der Oberbürgermeister von Hof hat ja auch in einer Pressekonferenz erklärt: „Bitte, meine Herren, hier sehen Sie einen Mann, der seine Befehle aus Moskau empfängt."
Es ist sehr schwer, Herr Minister, wenn ein Mann solchen Auffassungen huldigt, mit ihm einen gemeinsamen Kampf gegen den Kommunismus zu führen. Das werden Sie uns zugeben. Meine Behauptung von vorhin, daß nach jeder neuen Rede, die Sie halten, die gemeinsame Arbeit immer noch schwerer wird, als sie schon ist, hat sich auch hier wieder bestätigt, weil Sie nämlich ganz einfach die Kritik der Opposition verwechseln mit Aufwiegeln, mit anderer Leute Geschäfte Besorgen, weil Sie ganz einfach die Kritik der Opposition so hinstellen wollen, daß man sie als nicht nur wertlos, sondern geradezu als gefährlich ansieht. Wenn ich im Rahmen der Truppe sprechen darf: Kritik der Opposition ist Aufwiegeln der Truppe, muß also verboten werden.
Mit diesen Methoden werden Sie bei uns nicht durchkommen, das sage ich Ihnen. Diese Opposition läßt sich von Ihnen nicht mundtot machen.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin lange
Bundesverteidigungsminister Strauß
genug in diesem Hause, um von niemandem - wenn ich Ihre Äußerung richtig verstanden haben sollte -, weder von meinen eigenen Freunden, geschweige denn von der Opposition zu erwarten oder zu verlangen oder zu hoffen, daß sie sich irgendwie einfügen oder unterordnen oder etwas Ähnliches tun. Aber so einfach liegen die Dinge nicht, wie es hier dargestellt worden ist. Wir haben leider - oder man kann fast sagen: Gott sei Dank - nicht die Zeit, im einzelnen darauf zu sprechen zu kommen. Vielleicht eignet sich auch die gesamtpolitische Situation in diesem Augenblick nicht dazu, diese Debatte auszutragen. Deshalb nur einige Tatsachenfeststellungen.
Ich habe dem Oberbürgermeister von Dortmund, den ich sicherlich persönlich schätze und politisch respektiere, bei der Unterredung, über die man eigentlich im Bundestag nicht sprechen sollte - ich habe sie auch nicht erwähnt -, gesagt, daß die Bundesregierung einen einzigen Grund anerkennt, nämlich das in Zukunft gegebene wirtschaftliche Ausdehnungsbedürfnis der Stadt Dortmund, das eines Tages dazu führen wird, daß der Flugplatz von militärischen Objekten freigemacht und für wirtschaftliche Zwecke - irgendeine Hütte oder wegen der Expansion eines Industrieunternehmens - zur Verfügung gestellt werden muß. Ich habe ihm zweitens gesagt, daß ich die anderen Gründe - Gefährdung der Stadt Dortmund durch die genannte Einheit -- als objektive Gründe nicht anerkenne, sondern daß, wenn wir darauf eingehen, wir es ausschließlich um des lieben Friedens willen tun und nicht in Anerkennung der vorgebrachten Argumente. Das habe ich, glaube ich, in der Unterredung, Herr Kollege Keuning, deutlich genug und ohne jeden Zweifel zum Ausdruck gebracht.
Wenn man nämlich weiß - und das wissen Sie genauso gut wie ich, weil das Wissen nicht auf mich beschränkt ist -, daß heute leider angesichts der politischen Entwicklung, angesichts der technischen Revolution, angesichts der militärgeographischen Folgen der technischen Revolution das ganze Bundesgebiet für den Fall eines totalen Weltkrieges ein einziger Zielraum geworden ist, wenn man weiß, daß es eine Reihe von zivilen, von wirtschaftlichen, von nichtmilitärischen Objekten gibt, die nach allen -in dieser Welt leider vorhandenen Maßstäben echte strategische Ziele darstellen, dann kann man nicht anerkennen, daß eine Kurzstreckenraketeneinheit in Dortmund ein strategisches Ziel mit besonderer Gefährdung ist.
Sie waren sicherlich auch in den Vereinigten Staaten von Amerika, Herr Kollege Merten - ich war jetzt sehr lange drüben -, und haben gesehen, daß mitten in den Vorstädten von New York, einer Achtmillionenstadt, eine Atomraketenbatterie, eine Nike-Ajax-Batterie und in Zukunft ein Nike-Herkules-Bataillon, steht, in einem Raum, der noch mehr überfüllt ist als der Dortmunder Raum. Sie haben sicherlich auch gesehen, daß am Stadtrand von Chikago neben den Wolkenkratzern diese Flugabwehrraketeneinheiten stehen, die bestimmt auch ein Ziel darstellen.
Herr Kollege Keuning, ich habe mich um eine Verständigung bemüht, nicht weil ich Ihre Gründe anerkenne, sondern ich habe mich bemüht, weil ich Ihnen - ich meine Ihnen persönlich - keinen Anlaß geben wollte, von neuem diese Antiatomdemonstration durchzuführen, die in der Sache niemandem dienen außer einem, dem sie nach unserer gemeinsamen Überzeugung nicht dienen dürfen. Ich glaube, darüber gibt es keinen Zweifel. Weil ich diese Demonstrationen nicht wollte, habe ich mich bemüht, ein anderes Objekt zu finden. Ich habe dieses Objekt in der gebotenen Zeit nicht gefunden.
In der Zwischenzeit kam, wie Sie genau wissen, die Drohung der Sowjets im Falle Berlin. Hier konnte ich gegenüber den Alliierten keine anderen Standpunkt einnehmen, als Ihnen zu sagen: Wenn ihr das Risiko der Verteidigung Berlins und der Freiheit dieser Stadt unternehmt, dann können wir uns gegenüber nicht mit anderen Maßstäben messen, als ihr euch und eurem Land gegenüber zu messen bereit seid.
({0})
Herr Kollege Merten, zum Fall Gießen! Ich mische mich nicht in Ihre Beziehungen zum General Edleman ein. Er erfreut sich manchmal wegen gewisser Äußerungen gewisser Sympathien. Ich hoffe, die Sympathien sind zureichend auch für seine anderen Auffassungen.
Aber Sie haben dabei einiges nicht richtig dargestellt, unter anderem die Tatsache, daß am Pfingstsamstag - der Tag war es - der Tag der amerikanisch-deutschen Freundschaft war. Dieser Tag ist von den Amerikanern festgelegt worden. Wir haben uns der amerikanischen Einladung, mit ihnen gemeinsam diese Veranstaltung durchzuführen, weder widersetzen können noch widersetzen wollen. Daß an diesem Tage die Kasernen und die Waffen gezeigt werden, ist nun mal so. Nun gut, ich weiß, daß Waffen sehr unangenehme Sachen sind. Ich möchte mich aber weder so äußern, daß Waffen moralisch sind, noch so, daß Waffen unmoralisch sind. In den Händen derer, die ein demokratisches Gewissen haben - und das beschränke ich nicht auf die CDU; ich bitte, es nicht in diesem Sinne zu verstehen -, in den Händen derer, die ein demokratisches Verantwortungsbewußtsein und ein christliches Gewissen haben, sind Waffen in dieser Welt manchmal leider auch eine Notwendigkeit und müssen auch hier gezeigt werden.
({1})
- Herr Kollege Merten, ich habe Sie auch ruhig angehört. - Wenn diese Kundgebung, für die es im Raume Gießen viel Platz gibt, ausgerechnet vor dem Tor einer Kaserne während einer seit langem angesagten Veranstaltung abgehalten wird, dann möchte ich schon sagen, daß das auch den Respekt vor unseren amerikanischen Bundesgenossen, deren Diener wir nicht sind, aber deren Partner wir sein wollen, vermissen läßt. Dieser Respekt hätte es erfordert, daß eine solche Veranstaltung, gegen deren Gewissensberechtigung ich kein Wort sagen möchte, nicht vor den Toren einer Kaserne stattfindet, in der sich
Bundesverteidigungsminister Strauß
eine Einheit befindet, die nun einmal mit diesen Waffen ausgerüstet ist.
({2})
- Ja, sicherlich mit Genehmigung. Glauben Sie, daß die Amerikaner eine Genehmigung versagen werden, um dann wieder zu erleben, daß die bekannte Protestwelle ausgelöst wird? So etwas macht man einfach nicht, sondern dann geht man auf den Marktplatz von Gießen.
({3})
Wir haben es ja auch nicht leicht, unsere Bündnisverpflichtungen zu erfüllen. Wir müssen auf der anderen Seite unseren alliierten Partnern in Deutschland letzten Endes aber auch eingewisses Maß an Daseinsberechtigung zugestehen, wenn wir sie schon für uns engagieren und einspannen. Ich glaube, das werden Sie auch nicht bestreiten, Herr Kollege Merten.
({4})
Ich halte immer noch an dem vorher geäußerten Wunsch fest. Aber Sie dürfen nicht der Meinung sein, daß eine Gemeinsamkeit nur auf dem Wege herzustellen ist, daß wir den Zickzackweg Ihrer Wehrpolitik oder Nicht-Wehrpolitik in der Vergangenheit ignorieren, Ihren gelegentlichen Bekenntnissen zur Landesverteidigung einen totalen Kredit in die Zukunft hinein einräumen und uns im übrigen oft in der Weise beschimpfen und kritisieren und beleidigen lassen, wie es geschehen ist; das wissen Sie ganz genau.
({5})
- Ich beleidige Sie nicht. Ich rede nur ganz offen
({6})
und deutlich.
({7})
- Ja, eben. Aber Sie wissen doch, daß vor wenigen Tagen wieder einmal ein Vergleich unterschrieben werden mußte, wo einer Ihrer Wahlkampfredakteure vor Gericht eine verleumderische Behauptung mit dem Ausdruck des Bedauerns zurücknehmen mußte; sie erschien in vier Wahlkampfzeitungen.
({8})
- Dann würden Sie also die Moral des Bundeskanzlers, die Sie selber so sehr beanstanden, bei Ihren Funktionären als automatisch gerechtfertigt voraussetzen?
({9})
- Das dürfen doch Sie nicht sagen, Herr Kollege Erler.
({10})
Aber es geht auch nicht so, Herr Kollege Ritzel, daß Sie sagen: In meinem Wahlkreis diese Stellungen nicht, aber selbstverständlich auch nicht in Unterfranken! Der Verteidigungsminister, wenn er Ihnen entgegenkommt,
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weil in Hessen schon mehrere Stellungen dieser Art sind, kann dann nicht dafür kritisiert werden, daß er diese Stellung in den Nachbarlandkreis verlegt, was sicherlich auch wieder dieselben Auswirkungen ausgelöst hat. Man kann nicht einfach überall sagen: Bei mir nicht, aber woanders auch nicht, um das schöne Gesicht zu wahren, um von niemand anderem kritisiert zu werden. Ich weiß nicht, ob der Wahlkreis Miltenberg ein CSU-Wahlkreis ist; aber es ist sicher so. Das widerspricht dem Vorwurf, daß ich nur SPD-Wahlkreise aussuche, um einen Hausärger zu schaffen. Aber solange die Dinge in unserem Lande organisiert werden müssen - und ich kann keinen Erdsatelliten kaufen, um die Bundeswehr auf ihm aufzubauen -, werden wir immer in einem materiellen Interessenkonflikt sein, bei dem das obwaltende Interesse nicht materielle Wünsche sind - selbst berechtigte -, sondern die gemeinsame Sicherheit unseres Landes ist.
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Abgeordneter Dr. Kliesing!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß hier einen Vorwurf zurückweisen, den der Kollege Merten gegen mich erhoben hat. Herr Kollege Merten, Sie haben behauptet, ich hätte in meiner vorgestrigen Rede gesagt, die SPD lehne die Landesverteidigung ab. Diese Behauptung ist falsch. Ich habe das nicht gesagt, und es wird Ihnen unmöglich sein, mir aus meiner vorgestrigen Rede diese Stelle vorzulegen. Da Sie, Herr Kollege Merten, den guten Stil angesprochen haben, glaube ich feststellen zu können, daß eine derartige Methode im Stil nicht ausreicht, selbst nicht für die Klippschule.
Ich will aber gern sinngemäß wiederholen, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt: Was helfen denn alle platonischen Liebeserklärungen an die Bundeswehr, wenn Sie bis zum heutigen Tage, wie aus den Beschlüssen dieses Hohen Hauses ersichtlich ist, für die Bundeswehr noch keine einzige Patrone genehmigt haben! Das ist das Entscheidende. Sie sagen: Wir lehnen den Etat aus politischen Gründen ab. Gut, ich respektiere das. Aber dann wäre es doch Ihre Pflicht als Opposition gewesen, uns hier mit Gegenanträgen oder meinetwegen mit einem anderen Etatvorschlag etwas vorzulegen, was Ihrer verteidigungspolitischen Konzeption entsprochen hätte, damit wir uns darüber hätten unterhalten können.
Zum Schluß noch einen Satz oder meinetwegen einen Vorschlag, wenn Sie es so nehmen, zu den Vorgängen in Hessen usw. Herr Kollege Merten, Sie wissen, daß der Verteidigungsausschuß laut Grundgesetz die Rechte eines Untersuchungsausschusses hat. Wie wäre es, wenn wir im Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß einmal durch eine vergleichende Untersuchung ähnlich geDr. Kliesing ({0})
lagerter Fälle in Hessen und in anderen Bundesländern feststellten, ob und wieweit die gegen die sozialdemokratischen Landesinstanzen erhobenen Vorwürfe berechtigt sind?
({1})
Herr Abgeordneter Schneider.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seien Sie unbesorgt, ich werde Sie nicht lange in Anspruch nehmen. Aber es drängt mich, dem Bundesverteidigungsminister meinen Dank dafür zu sagen, daß er mit solcher Klarheit hier die Dinge geradegerückt hat,
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da wir es uns gerade in Verteidigungsfragen nicht erlauben können, irgendeinen Nebel zu dulden. Ein Nebel ist hier von den Sprechern der Opposition gemacht worden, als sie sich in vielen Fragen mit Dingen beschäftigten, die, wie in diesen Tagen hier schon einmal gesagt wurde, in Kasinos und Kantinen - gegen die ich grundsätzlich gar nichts habe - aufgekommen sind.
Die Sozialdemokratische Partei, die wir stets und ständig bei allen Verteidigungsfragen gebeten haben, gemeinsam mit uns zu operieren, hat zweifellos, was die Sorge um den Soldaten selbst betrifft, allerhand geleistet. Wir lassen uns in dieser Sorge um den Soldaten nicht übertreffen. Aber was die Landesverteidigung schlechthin betrifft, Herr Kollege Merten, so fehlt bis heute eine eindeutige und klare Stellungnahme der Sozialdemokraten in diesem Lande. Solange wir diese klare Stellungnahme von Ihnen, von Ihrer Partei nicht haben, müssen Sie es sich gefallen lassen, daß wir auf diese und jene Dinge hinweisen.
Beispielsweise darauf - ich habe den Herrn Bundesverteidigungsminister vorhin dazu angehalten, etwas darüber zu sagen -, daß, wie es in Gießen und in Dortmund der Fall war, eine Stationierung von irgendwelchen Einheiten immer selbstverständlich nur nach militärischen und nach keinerlei anderen Gesichtspunkten erfolgen kann.
({1})
Aber offenbar haben hierbei andere Erwägungen eine Rolle gespielt.
Ich darf vielleicht einmal darauf verweisen, daß sich die Bevölkerung in Westdeutschland ein Parlament gewählt hat. Wir haben eine frei gewählte Regierung. Diese Regierung hat einen Verteidigungsminister. Das Parlament ist das Kontrollorgan. Ergo sind alle Voraussetzungen dafür erfüllt, daß der Landesverteidigung von uns in dem Umfang und in der Art Rechnung getragen wird, wie wir es uns selbst und wie wir es auch dem westlichen Bündnis schuldig sind.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal die Aufforderung an die Opposition richten, es in der Verteidigung weniger auf die parteipolitischen
Fragen abzustellen, als mit uns gemeinsam in der Sache mehr zu tun, als es bisher der Fall gewesen ist.
Meine Damen und Herren, ich muß von dieser Stelle aus folgendes offen aussprechen. Bemüht sich die Regierung, bemüht sich der Bundestag, die besten und modernsten Waffen zu kaufen, wirft die Opposition uns vor, wir vergeudeten die Steuermittel, bzw. ist dagegen, daß wir uns diese angeblich gefährlichen Waffen anschaffen. Ist die Regierung dagegen gezwungen, weniger gute und weniger moderne Waffen zu kaufen, weil die modernsten nicht greifbar sind, kommt der gleiche Vorwurf, daß wir mit den Steuergeldern um uns würfen. Was stimmt? Meine Damen und Herren, es stimmt nur eines: daß wir die Verpflichtung haben, unsere Soldaten mit denjenigen Waffen auszustatten, die sie haben müssen, um einem potentiellen Gegner, der sie eventuell einmal angreifen könnte, mit Nachdruck entgegentreten zu können.
({2})
Wir lehnen es jedenfalls ab, unsere Bundeswehr zum Volkssturm zu degradieren;
({3})
und das täten wir, wenn wir unseren Soldaten nicht die Waffen gäben, die sie haben müssen, um ihrer Verteidigungsaufgabe gegebenenfalls gerecht werden zu können.
Und noch eines, meine sehr geehrten Damen und Herren. Es ist sehr bedauerlich, daß gerade in dem Moment, in dem die Bundeswehr im Aufbau begriffen ist - und die Notwendigkeit ist zum mindesten in der Mehrheit dieses Hauses nicht bestritten -, aus berufenem und leider auch aus sehr unberufenem Munde alle möglichen Äußerungen gegen die Bundeswehr kommen und jeder sein Mütchen wieder einmal an den Soldaten kühlen zu können glaubt. Ich erinnere an die Angelegenheiten Niemöller und Kuby. Wir haben uns alle zusammen hier in diesem Hause damals bemüht, dem Soldaten einen Status innerhalb der übrigen Staatsbürger zu geben. Wir haben ihn bewußt auch in die öffentliche Diskussion gestellt. Wir sollten uns aber allesamt davor hüten, ihn etwa herabzuziehen, damit wir nicht wieder erleben, daß dieser Soldat, dieser Soldat der Bundeswehr, sich eines Tages von diesem Staate abkehrt.
Ich erkläre jedenfalls für meine Fraktion, daß wir uns durch die Kritik, die hier von seiten der Opposition vorgebracht worden ist und die nach unserer Ansicht dürftig war - denn es ist über die wirklichen Dinge nicht gesprochen worden, wie der Herr Bundesverteidigungsminister hier richtig gesagt hat -, nicht davon abhalten lassen werden, alles das zu tun, was notwendig ist, um die Verteidigung aufzubauen, die wir brauchen zur Sicherung von Freiheit und Frieden.
({4})
Herr Abgeordneter Erler hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur ein paar kurze Bemerkungen zum Kollegen Kliesing und zu einigem, das wir vom Bundesverteidigungsminister im Laufe der Debatte gehört haben.
Zunächst zum Kollegen Kliesing. Ich möchte es noch einmal darlegen - wir haben es zu wiederholten Malen in diesem Hause getan, und es sollte in einem Parlament mit Regierungs- und Oppositionsparteien selbstverständlich sein -, daß die Stellungnahme zu Haushaltsplänen, die von der Regierung vorgelegt werden, gleichzeitig auch eine Erklärung darüber beinhaltet, wie man sich zu der in diesem Haushaltsplan niedergelegten Gesamtpolitik entscheidet; daß infolgedessen nicht das Prinzip, ob man den Staat im ganzen bejaht oder nicht, in Frage steht bei der Entscheidung, ob man dem Gesamthaushaltsplan zustimmt oder nicht; daß zum Beispiel nicht in Frage steht, ob man die Existenz einer Beamtenschaft bejaht, wenn man zum Haushalt des Ministeriums des Innern ja oder nein sagt; daß infolgedessen auch nichts über die Stellungnahme zum Prinzip der Landesverteidigung ausgesagt wird, wenn dem konkreten, von dieser Regierung und diesem Minister vorgelegten Haushaltsplan für das „Verteidigungsministerium" zugestimmt wird oder nicht. Es ist einfach eine Legende, daß man aus solchen Abstimmungen eine prinzipielle Stellungnahme zu Einrichtungen unseres Staates herleiten könne.
Und da möchte ich dem Kollegen Schneider mit aller Nachdrücklichkeit sagen: Die Sozialdemokratische Partei hat sich in ihren Beschlüssen - und das bitte ich doch endlich einmal ernst zu nehmen - zum Prinzip der Landesverteidigung nachdrücklich bekannt.
({0})
- Auf dem Stuttgarter Parteitag zuletzt wie in ihrer ganzen Geschichte! Und wenn Sie immer noch einmal fragen „Wo denn?", dann lesen Sie doch bitte einmal die Beschlüsse nach, die wir gefaßt haben; das ist doch wahrlich nicht zuviel verlangt!
({1})
Aber, meine Damen und Herren, wo liegt denn der wirkliche Kern der Meinungsverschiedenheiten, die es gibt und die niemand von uns leugnen will und leugnen kann und die wir doch auch nicht hinter dem hier heraufbeschworenen Nebel verbergen wollen?! Die Landesverteidigung, so wie sie sich für die Bundesrepublik Deutschland in ihrer konkreten Ausprägung herausgestellt hat, kann nun einmal nicht aus dem Zusammenhang herausgelöst werden, in den Sie sie mit der gesamten Außenpolitik der Bundesregierung Adenauer hineingestellt haben.
({2})
Das ist ein untrennbares Ganzes geworden, und ich halte es geradezu für vermessen, Gemeinsamkeit in der Frage der Landesverteidigung zu verbinden mit der Forderung an die Opposition, bedingungslos vor Ihrer Politik zu kapitulieren.
Für die Landesverteidigung gilt wie für die Außenpolitik: dann muß man über die entscheidenden Fragen miteinander diskutieren können, dann muß man versuchen, bevor Entscheidungen fallen, miteinander zu reden, statt daß man nachträglich, wenn die Entscheidungen gefallen sind, die andere Seite auffordert, sich dieser Entscheidung einfach anzuschließen. So ist doch das Gerippe der Verteidigungsorganisation entstanden. Es ist nicht nach unseren Vorstellungen entstanden. Dennoch ist es unsere Aufgabe, uns damit sorgsam zu beschäftigen, ist eine Realität in die Welt gesetzt worden, mit der wir alle uns zu beschäftigen haben, damit auch das, was im Ansatz unseren Vorstellungen nicht entsprach, trotzdem so vernünftig wie möglich auch von unserer Seite her gestaltet wird. Das ist Aufgabe und Pflicht der Opposition. Aber Sie können nicht davon ausgehen, daß der Schrei zur Gemeinsamkeit heißt, daß wir Ihnen auf einem Wege folgen, von dessen Richtigkeit Sie uns bisher nicht überzeugt haben, nämlich dem Weg, der die gesamte Außenpolitik, die in den letzten zehn Jahren betrieben worden ist, unter die Vorstellung gestellt hat, daß die vordringlichste Aufgabe der Bundesrepublik sei, sich durch Eingliederung in den Verband der westlichen Allianz davon zu schützen, von der Sowjetzone her gemeinsam mit den Kräften der Sowjetunion gefressen zu werden. Das ist auch eine Aufgabe, jawohl, aber wenn Sie die ganze Politik so angelegt haben und unserem Volke erzählt haben, daß auf diesem Wege gleichzeitig die Chancen für die Wiedervereinigung unseres Landes wachsen würden, dann müssen Sie doch jetzt in der gefahrdrohenden Situation, in der wir uns befinden, zugeben, daß dieses Ziel jedenfalls mit dieser Ihrer Politik nicht erreicht worden ist, sondern in größere Ferne denn je gerückt worden ist.
({3})
Die Position der anderen Seite ist härter geworden.
({4})
- Sie können darüber streiten. Sie sind der Meinung: Ihr Weg war richtig. Wir sind anderer Meinung - ({5})
- Natürlich haben Sie die Mehrheit. Trotzdem hat die Minderheit doch wohl noch das Recht, hier ihre Meinung zu sagen.
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- Na also, dann sind wir uns doch einig. Die Mehrheit besagt lediglich, daß Sie hier in diesem Hause recht bekommen. Die Mehrheit besagt noch lange nicht, daß Sie recht haben. Das ist nämlich ein Unterschied.
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Alle unsere Blicke gehen augenblicklich in gemeinsamer Sorge zu einem anderen Punkt.
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- Natürlich! Was ist das wieder für eine Unterstellung! Als ob wir nicht die Sorge um das Schicksal der deutschen Hauptstadt hätten! Was ist das für eine Unterstellung aus Ihren Reihen heraus!
({9})
Meine Damen und Herren, ich habe versucht, hier in Sorge darzulegen, wo die wirklichen Unterschiede sind. Dann soll man sich das doch mindestens einmal in Ruhe anhören, um zu begreifen, daß man mit ein paar noch so eleganten HaberfeldtreibenFloskeln über dieses Thema nicht hinwegtäuschen kann und nicht hinwegtäuschen darf. Da wird es noch langer Bemühungen bedürfen, und vielleicht werden äußere Ereignisse ihren Beitrag dazu leisten
- hoffentlich nicht in allzu bösem Sinn -, daß unter Umständen einmal die zarte Pflanze der Gemeinsamkeit auch auf dem außen- und wehrpolitischen Gebiete aufkeimt. Aber, meine Damen und Herren, nur unter der Voraussetzung, daß die Politik so gestaltet wird, daß man miteinander loyal spricht, bevor die Entscheidungen fallen und nicht hinterher, und daß Sie endlich begreifen, daß man sich vielleicht darüber unterhalten kann, worin sich Ihre und unsere Vorstellung von der Verteidigung der Freiheit, von der Bewahrung der deutschen Arbeiterschaft vor Radikalisierung, wie es in Frankreich oder in Italien der Fall ist, voneinander unterscheiden. Aber Sie sollten uns nicht bestreiten, daß die deutsche Sozialdemokratie in ihrer jahrzehntelangen Geschichte eine Partei des Kampfes und der Opfer in der Verteidigung der Freiheit gegen jede ihrer Bedrohungen gewesen ist.
({10})
Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 14? - Offenbar nicht. Über die Änderungs- bzw. Entschließungsanträge ist bereits abgestimmt worden.
Wir kehren zurück zum Einzelplan 05. Der Entschließungsantrag Umdruck 304 ist erledigt.
Ich rufe auf den Entschließungsantrag der Fraktion der DP Umdruck 328 zu Einzelplan 05. Wird das Wort zur Begründung gewünscht?
({0})
- Es ist Überweisung an den Außenpolitischen Ausschuß beantragt. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf den Entschließungsantrag Umdruck 344. Wird zur Begründung das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Majonica!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Entschließungsantrag Umdruck 344 wird eines der wenigen zwischen den USA und uns noch offenen Probleme angesprochen.
Mit gutem Willen und in dem Wissen um die gemeinsame Bedrohung ist es zu einer engen Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und uns gekommen. Aber die noch offene Frage der Rückgabe deutschen Vermögens wirft sowohl grundsätzliche wie auch praktische Probleme auf. Zu den hier in Betracht kommenden Grundsätzen gehört der von der Achtung des Privateigentums. Das ist eines der wesentlichsten Prinzipien in der westlichen Welt. Dazu gehört auch, daß die Bundesrepublik seit vier Jahren gegenüber Ungarn, Bulgarien und Rumänien disqualifiziert ist, da dort das Eigentum bereits zurückerstattet worden ist. Zu den grundsätzlichen Problemen gehören ferner die Investitionen in den Entwicklungsländern. Wir müssen dafür Sorge tragen, daß dort die Investitionen des Westens geschützt werden. Wie aber sollen wir diese Investitionen in den Entwicklungsländern schützen, wenn sie auch in der westlichen Welt nicht geschützt werden?
Grundsätzlich wird damit auch die Frage der Zusage des Weißen Hauses vom 31. Juli 1957 aufgeworfen, diesen Zustand zu ändern. Im Augenblick besteht er noch unverändert fort.
Ich möchte einiges zu den praktischen Folgen sagen und aus der Fülle der Probleme, die die Zurückhaltung des deutschen Eigentums in den Vereinigten Staaten aufwirft, ein besonderes herausgreifen. Neben den Industrievermögen, die in den Vereinigten Staaten festgehalten werden, geht es nämlich vor allen Dingen auch um das Erbe amerikanischer Staatsbürger. Es gibt eine Reihe deutscher Staatsbürger, die Erben amerikanischer Staatsbürger sind und die hier in Deutschland der Fürsorge zur Last fallen, Fürsorgeempfänger sind, obwohl sie Erben beträchtlicher Vermögen in den Vereinigten Staaten sind.
Ich glaube, daß es einfach unerträglich, auch für die amerikanischen Staatsbürger unerträglich ist, daß die letztwillige Verfügung amerikanischer Staatsbürger vom amerikanischen Staat nicht honoriert wird. Deshalb ist es, glaube ich, notwendig, in dieser Frage einen neuen Vorstoß zu machen.
Daher möchte ich Sie bitten, dem Entschließungsantrag auf Umdruck 344 Ihre Zustimmung zu geben.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens des heute verhinderten Bundesministers des Auswärtigen darf ich zu dem Entschließungsantrag folgendes erklären. Mit dem Anliegen, das in dem vorgelegten Entschließungsantrag zum Ausdruck kommt, stimmt die Bundesregierung in vollem Maße überein. Ich darf dazu weiter sagen, daß die diplomatischen Fühlungnahmen mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf diesem Gebiet laufend fortgesetzt werden.
Keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Entschließungsantrag. Ich lasse abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag Umdruck 344 ist einstimmig angenommen. - Damit sind die Entschließungsanträge zum Einzelplan 05 erledigt.
Wir haben gestern die erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung - Drucksache 1152 - durchgeführt. Der Ältestenrat hat sich inzwischen zweimal mit der Sache befaßt. Er schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf ohne Begründung und ohne Aussprache an den Ausschuß für Inneres als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen zur Mitberatung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
({0})
- Ja, wenn es sein muß, machen wir auch eine allgemeine Aussprache zum Einzelplan 05. - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Meyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir gestern die Erörterung zum Etat des Auswärtigen Amts abbrachen, hatte ich einige Wünsche, insbesondere für das Auswärtige Amt bestimmt, vorgebracht, was ) die Ausstattung unserer Behörden in Asien, vor allem in Süd-Ost-Asien anlangt, und was ferner die Stellung des Leiters der Personalabteilung betrifft. Schließlich hatte ich die Frage zur Erörterung gestellt, inwieweit man an dem Prinzip des sogenannten „all-around man" festhalten und nicht in noch größerem Umfang, als es bisher der Fall gewesen ist, Spezialisten für die einschlägigen Aufgaben im Ausland heranziehen sollte.
Lassen Sie mich nunmehr sagen - und es ist mir schmerzlich, das zu sagen , daß wir trotz unseres großen Interesses für das Auswärtige Amt dessen Etat ablehnen müssen.
Nach einigen recht zaghaften Ansätzen zu einer gemeinsamen Außenpolitik vor etwa einem Jahr dürfen wir heute sagen, daß von diesen Ansätzen nur wenig übriggeblieben ist, das uns hoffen ließe.
Wir haben während langer Zeit auf außenpolitische Debatten im Bundestag verzichtet, um Gegensätze nicht zu laut zu betonen, sondern eher zurücktreten zu lassen. Wir haben auch unsere Zustimmung dazu gegeben, über Genf und das, was dort geschieht und noch geschehen mag, nicht vor Beendigung der Konferenz zu sprechen. Wir haben auch ständig Verständnis dafür bewiesen, daß die Bundesrepublik in der öffentlichen Klarstellung ihrer Außenpolitik Zurückhaltung zugunsten diplomatischer Verhandlungen üben wollte. Größeres Entgegenkommen von seiten einer Opposition war kaum denkbar.
({0})
Aber wir konnten auf seiten der Regierung und Ihrer Fraktion nicht eine auch nur bescheidene Würdigung unserer Haltung oder eine Andeutung entdecken, daß die Regierung eine gemeinsame Außenpolitik wolle, es sei denn nach ihrem eigenen Diktat.
Ich habe ich kann mir nicht helfen - nicht
den Eindruck, daß bei unserer Regierung überhaupt jemals ein ernstes Verlangen nach einer gemeinsamen Außenpolitik bestanden hat, trotz der unübertroffen schwersten außenpolitischen Krisis, in der wir uns befinden. Ich denke, daß wir dies dem deutschen Volke sagen müssen, damit es Bescheid weiß: die derzeitige Regierung trägt vor der Geschichte und vor dem deutschen Volke die alleinige Verantwortung für die deutsche Außenpolitik.
Offen gestanden war ich auch recht enttäuscht, als, wie in der Presse berichtet wurde, der Herr Außenminister vor seiner Fraktion erklärte - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -, „daß Genf durch den Deutschlandplan der SPD wahrlich nicht erleichtert worden ist".
({1})
Zur Begründung fügte er hinzu, daß Gromyko und Dr. Bolz sich mehrfach auf den Deutschlandplan der SPD berufen hätten. - Ich höre hier Zwischenrufe „Sehr richtig!". Seit wann, meine Damen und Herren, so darf man doch wohl fragen, werden Argumente dadurch falsch, daß andere, selbst Gegner, sich auf sie berufen? Hier wird - gern unterstelle ich, daß das nicht gewollt ist - ein Keim für gefährliche Legenden erzeugt. Dabei gebe ich zu, daß sich der Herr Außenminister noch mit verhältnismäßig großer Zurückhaltung geäußert hat. Aber er durfte wissen, nein, er mußte wissen, wie solche Erklärungen in die Breite wirken können, wenn nicht gar zu wirken bestimmt sind.
Mir ist so, als ob in anderen Ländern der Außenminister von dem Vorhandensein einer Opposition und von ihren Argumenten Gebrauch zu machen verstünde, vielleicht auch dadurch, daß er der Opposition sozusagen den einen oder anderen Ball zuspielt. Hiervon kann ich bei uns wenig - besser: nichts - wahrnehmen.
Dennoch sind wir in vielem mit der Regierung einig. Ich möchte das gerade nach den Debatten, an denen ich heute nachmittag als Zuhörer teilnehmen konnte, betonen, damit es nicht nur das deutsche Volk, sondern auch das Ausland zu hören bekommt. Ich glaube, wir alle in diesem Hause sind gegen den Status quo, der uns schon fast ein halbes Menschenalter lang quält.
Wir alle erstreben ferner einen Friedensvertrag; aber gleichzeitig sind wir uns wiederum alle einig, daß wir ihn nicht unterzeichnen werden, wenn nicht gleichzeitig das Tor zur Wiedervereinigung verbindlich geöffnet wird.
Wir alle sind darin einig, daß wir die DDR nicht, wie es so fälschlich heißt, etwa verschlucken wollen. Hinter der Parität in unserem Deutschlandplan und ebenso der Drei-Viertel-Majorität im westlichen Friedensplan liegt - ich möchte das dem
Dr. Meyer ({2})
verehrten Herrn Abgeordneten Dr. Krone sagen - eine gemeinsame Erkenntis, liegt der gemeinsame Wille, die DDR nicht einem Majoritätsvotum zu überliefern.
Wir alle wollen - auch dies soll unser deutsches Volk wissen; ich sage es im Anschluß an das, was mein Freund Fritz Erler soeben ausgeführt hat - unsere Heimat nicht militärisch schutzlos sehen, und wir wollen daher, abgesehen von den ABC-Waffen, über die verschiedene Auffassungen bestehen, auch unseren militärischen Beitrag - wir können es nicht oft genug wiederholen - zur Friedensordnung liefern. Keineswegs denken wir daran, unseren Schutz nur anderen aufzubürden.
Wir alle ersehnen angesichts der zutiefst beunruhigenden Nachrichten betreffend Berlin eine Regelung, die keine Verschlechterung gegenüber der jetzigen Lage bedeutet und die bis zur erfolgten Wiedervereinigung in Kraft bleiben soll. Unsere Herzen sind in diesen Tagen bei unserer Hauptstadt und ihren Bürgern, mit denen wir uns nie fester verbunden fühlten als in ihrer heutigen großen Not, stellvertretend getragen für das ganze deutsche Volk.
({3})
Ich könnte noch mehr anführen, was uns alle in diesem Hause verbindet. Aber ich möchte nur dies noch aussprechen: wir sind uns auch alle einig im Dank an die westlichen Außenminister in Genf, soweit sie sich bislang mit unseren Forderungen und Vorschlägen eindrucksvoll identifiziert haben.
Meine Damen und Herren, unsere Außenpolitik ist aufgebaut, was man kaum zu sagen braucht, auf Freundschaft mit dem Westen. So ist es, und so soll es bleiben. Wir wollen nicht schaukeln. An sich ist freilich außenpolitisches Schaukeln keine Sünde. Zahllose Staaten betreiben es oft genug in der Außenpolitik mit großem Vergnügen und mit großem Erfolg, bald von der einen, bald von der anderen Seite Konzessionen erlangend. Aber wir wollen eine solche Politik, weil sie für uns zu gefährlich ist, nicht betreiben. Andererseits wollen wir auch nicht ein Entweder-Oder in Permanenz. Wir wollen keinen Eisernen Vorhang und keinen Kalten Krieg in Permanenz. Wir wollen ein Sowohl-AlsAuch. Wir wollen, ohne zu schaukeln, in guten Verhältnissen leben, sowohl mit dem Westen als auch mit dem Osten, ja, auch mit der Sowjetunion, so sehr uns ihre starre Unnachgiebigkeit und Härte abstößt.
Nun lassen Sie mich etwas ganz klar ausdrücken. Ich glaube, wir müssen in unserem Verhältnis zum Osten zwischen Innenpolitik und Außenpolitik, zwischen der sowjetischen Ideologie, also dem Kommunismus, und dem sowjetischen Staat besser unterscheiden lernen als bisher. Dies ist uns noch nicht hinreichend gelungen. Wie Chruschtschow die westlichen Regierungssysteme als rückschrittlich, überaltert, untauglich, unfreiheitlich ansieht und ihr unerbittlicher Gegner ist, so verurteilen wir ohne jede Ausnahme den Kommunismus als Zerstörer jener Freiheit, der wir anhängen, als unseren unerbittlichen Gegner. Wir wollen ihm gegenüber nicht weich sein. Wir wollen uns auch nicht verwirren lassen. Aber so unvereinbar mit dem Kommunismus unsere Ideen sind, in der Außenpolitik müssen wir schon aus schierem eigenen Interesse, aber abgesehen davon auch aus größeren allgemeinen Gesichtspunkten heraus auch mit einem Staat von völlig entgegengesetzter Staatsverfassung zu einem erträglichen, wenn nicht guten Nebeneinander zu gelangen suchen und dies immer anstreben.
Dies gilt doppelt, wenn dieser Staat eine Großmacht ist, die man niemals zu irgend etwas zwingen kann außer urn den Preis eines Krieges. Dies gilt doppelt, wenn diese Großmacht unser virtueller Nachbar ist. Dies gilt, was Deutschland anlangt, wenn diese Großmacht, dieser virtuelle Nachbar alle deutschen Pfänder in seiner Hand hält. Das Gegenteil wäre außenpolitische Torheit unerhörten Ausmaßes. Das Gegenteil wäre eine Riesengefahr für unsere Interessen.
Fast alle anderen Länder haben dies erkannt. Einst war es der Heilige Stuhl, der mit vollem Recht das vielbeklagte Konkordat mit Hitler schloß. Einst war es Franklin Delano Roosevelt, der sich, kaum war er zur Macht gekommen, beeilte, sich mit der Sowjetunion zu befreunden. Der britische Premierminister MacMillan fuhr nach Moskau, und der amerikanische Vizepräsident Nixon wird es demnächst tun. Der frühere amerikanische Präsident Harry S. Truman lädt auf der Titelseite der „New York Times" Chruschtschow zum Besuch in den Vereinigten Staaten ein.
Diese Briten und Amerikaner wollen nicht die britische oder amerikanische Demokratie verkaufen. Sie wollen selbstverständlich ihre Verfassung nicht schwächen. Aber sie wollen zu einem erträglichen Nebeneinander gelangen. „Der Ostwind," so beschrieb es neulich ein angesehener deutscher Journalist in einem Artikel aus Washington, „bläst nicht mehr eiskalt in Amerika, er ist milder geworden." Man versteht dort, Außenpolitik und Innenpolitik einigermaßen voneinander zu trennen. Verstehen wir Deutschen es gleicherweise?
Was aber, wenn die Sowjetunion die Teilungspolitik beibehalten wird? Was, wenn sie an ihren grausamen Vorstellungen über Berlin festhält? Was, wenn sie fortfährt, das Ulbricht-Regime zu stützen? Was, wenn sie die Lage ungeheuerlich erschweren sollte durch Abschluß eines Sonderfriedens mit der DDR?
Dann werden wir dennoch fortfahren müssen, eine friedliche Koexistenzpolitik zu verfolgen, zu erstreben; denn es gibt in unserem atomaren und planetaren Zeitalter keinen anderen Weg mehr als den des ständigen, ununterbrochenen Versuchs friedlicher Lösungen. Erfahrungsgemäß wäre derjenige ein sehr unzulänglicher Staatsmann, der sich von Negativismus beherrschen lassen wollte.
Amerika und andere Staaten sind - täuschen wir uns nicht - auf dem besten Wege, die Beziehungen zu uns gefährlich abkühlen zu lassen, wenn wir uns
Dr. Meyer ({4})
den allgemeinen Zügen dieser Welt nicht stärker akkomodieren.
Ich glaube zusammen mit einem Manne wie Klaus Mehnert, der unverdächtig ist, etwa Sozialdemokrat zu sein, zusammen mit dem großen amerikanischen Bankier Harriman und auch zusammen mit unserem Vizekanzler Ludwig Erhard - erst vor drei Tagen hat er das in Washington gesagt -, daß die Sowjetunion heute keinen Krieg will. Eigentlich ist dies in der übrigen Welt ein fast übereinstimmendes Urteil. Gewiß, die Sowjetunion will die Welt erobern. Aber doch nicht mit Waffen. Natürlich müssen wir uns auch insoweit bereithalten - ich habe das bereits gesagt -, indem wir gerüstet sind, auch weil es in der Geschichte nicht immer nur Logik zu geben pflegt.
Mit einer Großmacht aber muß man immer verhandeln. Insbesondere darf man sich ihr gegenüber nicht zu Spekulationen verleiten lassen, Spekulationen etwa auf ein Zerwürfnis zwischen China und Rußland, zu Spekulationen, daß eine Evolution in der Sowjetunion alles ändern werde, zu Spekulationen gar auf eine Revolution in der Sowjetunion. Solche und ähnliche Spekulationen haben uns in der Geschichte selten gedient.
Auch mit Polen müssen wir eine gute Nachbarschaft fast leidenschaftlich anstreben, nicht nur weil wir ihm schweres Unrecht zugefügt haben, nicht nur weil Polen unser Nachbar ist, sondern auch weil es in Polens Interesse liegt und weil es auch in unserem Interesse liegt. Einem solchen Versuch stehen zahlreiche Gründe gegenüber. Aber ich glaube, so gewichtig und zahlreich sie sind, sie dürfen uns in diesem Bestreben nicht hindern.
Was die Oder-Neiße-Linie anlangt, kann auch insoweit jeder Schritt zum großen, dauerhaften Einvernehmen nur auf der Grundlage eines Neben- und Miteinander zwischen Deutschland und Polen erfolgen. Auch wir Sozialdemokraten bauen auf das Recht, besonders auf das Selbstbestimmungsrecht. Wir taten es historisch immer. Gerechtigkeit ist die sicherste Grundlage für den Frieden. Aber das Recht setzt sich nicht von alleine durch. Oft setzt es sich überhaupt nicht durch. Lediglich auf das Recht sich zu verlassen, ist eine Spekulation, die, wenn sie auch aus hoher moralischer Haltung erfolgt, dennoch keine genügende Aussicht auf Verwirklichung bietet. Vielleicht wird es notwendig sein - wie es zu meiner großen Freude ein hoher Regierungssprecher in Genf gesagt hat -, gegenseitig Zugeständnisse zu machen, damit allmählich jener Friede auch gegenüber Polen einkehren mag, der dauerhaft zu sein verspricht.
Wir sollten ferner versuchen, stärker als bisher auch vor der Weltöffentlichkeit, besonders vor den blockfreien Staaten, ein Verständnis unserer Situation zuerzielen. Dies gilt namentlich von den Entwicklungsländern, in denen das Bedürfnis nach Freiheit, nach einer nicht übersteigerten, aber gesunden Souveränität, sowie der Wunsch nach Nichteinmischung, dank einer großen Unverbrauchtheit des Geistes, noch ständig im Wachsen sind und für uns nutzbar gemacht werden können. Gerade der
Gedanke an die Befriedung Europas kann diesen Staaten sehr nahegebracht werden.
Kürzlich sind Pläne aufgetaucht, unsere Wirtschaftshilfe auch auf dem Wege über die NATO zu leisten. Der NATO-Generalsekretär Spaak hat vor drei Tagen in London ähnliche Auffassungen vertreten. Ich glaube, daß es eine sehr gefährliche und ,außerdem keine realisierbare Auffassung ist, die er geäußert hat. Ich möchte mich ein zweites Mal auf den Herrn Bundesvizekanzler berufen, der ebenfalls vor seiner Abreise aus Amerika gesagt hat, daß .es besser sei, die Hilfe, die wir geben, nur über völlig neutrale Kanäle zu leiten. Ich glaube, daß viele Staaten eine Hilfe, die auf dem Weg über die NATO geleistet würde, sogar ablehnen würden. Die Spaaksche Auffassung - wenn wir ihr anhängen wollen - ist nur geeignet, uns zu schaden und den totalitären Ländern zu nützen.
Wenn Sie gestatten, möchte ich auch ein ganz kurzes Wort
({5})
- ganz kurz - hinsichtlich der Regelung unserer Beziehungen zu China sagen. Wir riskieren in dieser Hinsicht selbstverständlich schwerzunehmende Einwände von seiten Amerikas. Indessen glaube ich, daß wir zunächst mindestens eine Wirtschaftsvertretung in China anstreben sollten, und ich möchte das Auswärtige Amt bitten, daß es sich der Durchdenkung der Errichtung einer Wirtschaftsvertretung in China einigermaßen annimmt.
Zudem scheint sich in Amerika eine Wendung auch hinsichtlich der Beziehungen zu China anzubahnen. Ich verweise auf die Ausführungen des demokratischen Senators Engle über die amerikanische Chinapolitik, die er im Senat erst vor etwa zwei Wochen gemacht hat.
Ich möchte, obwohl die meisten Reden sehr viel länger waren als diese, hiermit schließen.
({6}) - Bitte.
Herr Professor, halten Sie es gerade jetzt nach der blutigen Niederschlagung des Aufstandes in Tibet für den richtigen Augenblick, dieses Problem anzufassen?
Ich glaube: ja. Ich meine, es besteht in China eine Vertretung Großbritanniens, es bestehen die Vertretungen nicht nur östlicher Staaten. Die Erkenntnis ist sehr, sehr weit vorgedrungen, daß man die Errichtung diplomatischer Vertretungen nicht immer durch „Untaten" auf dem einen oder anderen Gebiet beeinflussen lassen oder davon abhängig machen soll. Es ist nämlich, Herr Kollege Majonica, keine „Gunst", die wir China erweisen würden. Wir errichten diplomatische Vertretungen, um unsere Interessen wahrzunehmen, auch in China, und nicht etwa, um die Interessen Chinas zu fördern.
({0})
Dr. Meyer ({1})
Ich möchte als alter Beamter des Auswärtigen Dienstes doch auch noch darauf hinweisen: Diplomatische Vertretungen sind mir namentlich dort erwünscht, wo die Beziehungen nicht gerade gut sind.
({2})
Ich glaube, daß sie am allerwenigsten dort nötig sind, wo die Beziehungen glänzend sind, obschon die Vertretungen natürlich dann die Aufgabe haben, diese Beziehungen noch glänzender zu gestalten. Aber es hat auch, Herr Majonica, in der amerikanischen Geschichte Intervalle gegeben, in denen man geglaubt hat, die Errichtung und Aufrechterhaltung diplomatischer Beziehungen von moralischen Erwägungen abhängig machen zu müssen. Sie erinnern sich an die Politik des „dicken Stockes" gegenüber mittel- und südamerikanischen Staaten. Diese Art der Politik ist von unserem großen Verbündeten, von den Vereinigten Staaten, im wesentlichen aufgegeben worden,
Ich möchte hiermit schließen. Welcher Deutsche könnte heute noch optimistisch bei einer Analyse der internationalen Lage sein? Ich glaube, kein einziger Deutscher. Wir sind keine Utopisten, wir sind auch keine Optimisten, und trotzdem, glaube ich, brauchen wir uns nicht einem negativen Skeptizismus hinzugeben; allenfalls sollten wir uns einem positiven hingeben. Mir scheint, daß eine gesunde deutsche Außenpolitik, daß insbesondere auch unsere Wiedervereinigungspolitik im wohlverstandenen Eigeninteresse wirklich aller Völker des Ostens und des Westens liegt. Wir können unsere Missionen im Ausland, die Botschaften, die Gesandtschaften und Konsulate, gar nicht oft genug beauftragen, dies überall zu sagen. Die Wiedervereinigung ist kein Experiment. Die fortdauernde deutsche Teilung ist eines der ungeheuerlichsten Experimente der Geschichte.
({3})
Das Wort hat Herr Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist jetzt nicht die Stunde, in eine außenpolitische Debatte einzutreten. Das muß einem Tage vorbehalten bleiben, an dem man Zeit und Sorgfalt für diese ernsten Fragen verwenden kann. Aber es ist ein gewisses Gebot der Höflichkeit gegenüber dem Herrn Vorredner, daß sich die Bundesregierungnicht verschweigt.
Ich bin nicht befugt, in Abwesenheit des eigentlich kompetenten Mannes, des Herrn Außenministers, zu Ihren Grundthesen Stellung zunehmen. Ich bitte deshalb zu verstehen, daß ich kein sachliches Eingehen ermöglichen kann. Aber eines muß doch gleich als eine - ich möchte sagen - politische Grundsatzfrage beantwortet werden.
Sie sagten, die Bundesregierung zeige kein echtes Verlangen zur Zusammenarbeit mit der Opposition in den großen Grund- und Existenzfragen. Sehr verehrter Herr Kollege, ich muß dem widersprechen. Es
wird mißverstanden, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien auf große Klarheit Wert legen müssen, eine Klarheit, die wir nicht verwässern lassen können. Aber jeder vernünftige Mensch wird auf Ihre Argumente hören. Unser ganzes Verhalten hat das gezeigt. Ich darf das wohl auch im Namen meines Kollegen von Brentano sagen. Wir hören ununterbrochen auf die Argumente der Opposition.
Es wäre schön, wenn wir schon soweit gereift wären, daß Klarheit in den wirklichen Grundzielen herrschte. Diese Klarheit ist nicht hergestellt. Dann würde eine Beweglichkeit in unserer Politik möglich, daß man sich die Bälle da zuspielt, wo es nicht um Parteien, sondern um den Staat, um uns alle geht.
({0})
Es ist jetzt unter keinen Umständen angebracht, in eine Erörterung der Fragen einzutreten, die Sie entwickelt haben und die mit den Genfer Plänen zusammenhängen. Ich möchte mir das ausdrücklich versagen.
({1})
Sie haben weiter gesagt, wir betrieben eine Politik des Entweder - Oder, und als alter erfahrener Diplomat, der Sie sind, haben Sie hinzugefügt, es gehe um eine Politik des Sowohl - Als-auch. Ich möchte darauf in aller Bescheidenheit erwidern: Die Politik des Entweder - Oder betreiben nicht wir, sondern das ist der Inhalt der Politik der Sowjetunion, die diese seit 1945 gegen uns anwendet.
({2})
Ein Drittes! Sie sagten, bei der Betrachtung der OstWest-Probleme müsse man unterscheiden zwischen der Sowjetunion als Staat und der Innenpolitik, der kommunistischen Ideologie. Herr Kollege, dies ist ein Ausspruch - möchte ich sagen - aus der alten Schule. Ich glaube nicht, daß man für die moderne Diplomatie und Außenpolitik in dem Zeitalter der Demokratie diese Unterscheidung zwischen Außen- unid Innenpolitik noch machen kann. Meiner Ansicht nach ist es so, daß die Außenpolitik eines Landes sehr häufig, ja meist aus der innenpolitischen Blick- oder Zielrichtung zu verstehen ist. Umgekehrt haben außenpolitische Entscheidungen sehr oft innenpolitische Motive. Gerade bei der Betrachtung und Analyse der Außenpolitik der Sowjetunion kann man einfach nicht von ihrer innenpolitischen Bedingtheit absehen, wenn man nicht zu groben Fehlschlüssen kommen soll. So entspricht z. B. der äußere Anschein des Wortes „friedliche Koexistenz" nicht dem Inhalt, dein wir in unserem Sprachgebrauch mit dieser Bezeichnung verbinden. Das ist doch die große Schwierigkeit beim Verständnis der kommunistischen Sprache, die einen uns geläufigen Inhalt doch nur vortäuscht.
({3})
Aus Ihren Worten ging Fein gewisser Stil, eine gewisse Denkrichtung hervor. Im Hintergrund stand der Gedanke, die von der Opposition vorgeschlagene Politik sei in ihren Grundlagen eine friedenswilligere Politik. Meine Damen und Herren, ich darf wohl im Auftrage der Bundesregierung sagen: In dem tiefen Friedenswillen der Regierung, des Volkes und aller Parteien, der hier in Deutschland herrscht, läßt sich
niemand übertreffen; dies sei auch in dieser Stunde gesagt.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Meine Damen und Herren! Die Tage der großen außenpolitischen Debatte in diesem Hause werden ja sehr bald kommen. In Anbetracht der Tatsache, daß der Uhrzeiger heute der Haushaltungsberatung davonläuft, habe ich dem Hause gleich zwei Redeverzichte zu offerieren, und zwar die des Herrn Kollegen Dr. Martin für die CDU-Fraktion und die meine für die SPD-Fraktion. Wir waren beide beauftragt, zu dem Problemkomplex der auswärtigen Kulturarbeit und zu den Problemen der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts zu sprechen.
Wir können heute angesichts der zeitlichen Belastung der Haushaltsberatung um so eher darauf verzichten, als dem Hause zu diesem Teil des Haushalts keine Änderungsanträge zur Abstimmung vorliegen. Da die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts in den Haushaltsberatungen mitgeteilt hat, daß sie in diesem Jahre eine Erhöhung der materiellen Mittel ohnehin nicht verkraften könnte, haben wir minderen Brüder der Kultur gegenüber den höheren parlamentarischen Weihen des Haushaltsausschusses nicht gewagt, Änderungsanträge vorzulegen.
Der zweite Grund, der uns in die Lage versetzt, heute auf den Austausch unserer Argumente zu verzichten, ist die Tatsache, daß uns der Herr Präsident des Bundestages zugesichert hat, dieses außerordentlich wichtige Gebiet der auswärtigen Politik, nämlich die Kulturarbeit, sehr bald in geeigneter Form auf die Tagesordnung zu bringen. Wir haben also die Zusicherung, daß wir dann über den aktuellen Anlaß hinaus die Gesamtheit dieser Probleme erörtern können. Wir werden dann über die materielle und personelle Ausgestaltung der auswärtigen Kulturarbeit und über ihren geistigen Inhalt zu diskutieren haben. Wir können und wollen heute die Haushaltsberatung damit nicht belasten.
({0})
Das Wort hat Frau Abegordnete Lüders.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gründe, die der Herr Vorredner vorgetragen hat, veranlassen auch mich, keine längeren Ausführungen zu machen, sondern sie auf die allgemeine Debatte, die, soviel ich weiß, in der nächsten Woche kommt, zu verschieben.
Ich möchte heute von dieser Stelle an das Außenministerium nur den dringenden Wunsch richten, weit mehr als bisher die Aufmerksamkeit auf den Zustand und den Umfang der Schulen, die Verhältnisse der Lehrerbesoldung und ihre schlechte Stellung zu richten, wenn sie aus den Auslandsschulen nach Deutschland zurückkommen. Die Zustände sind sehr unerfreulich. Es gibt zuwenig Schulen. Es gibt viel zuwenig für diese Schulen vorgebildete Lehrkräfte, und sehr peinlich ist es, daß Lehrkräfte, wenn sie mehrere Jahre, oft unter sehr schwierigen Verhältnissen, draußen treu gedient haben, die größten Schwierigkeiten haben, nach ihrer Rückkehr in Deutschland zu tragbaren Bedingungen weiterzuarbeiten, besonders weil ihnen die ausländischen Dienstjahre nicht angerechnet werden.
Weiter wünsche ich nichts zu sagen. Ich nehme an, daß Herr Dr. von Merkatz so freundlich sein wird, meine Bitte Herrn von Brentano zu übermitteln.
({0})
Meine Damen und Herren! Damit sind wir am Schluß der Rednerliste zum Einzelplan 05.
Ich rufe in der dritten Beratung auf: Einzelplan 10,
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Der Änderungsantrag Umdruck 339 ist zurückgezogen, wie mir die Antragsteller mitgeteilt haben.
Dann liegen noch eine Reihe von Entschließungsanträgen vor. Werden sie noch im einzelnen begründet werden? Es' handelt sich um den Antrag Umdruck 303 der Abgeordneten Dr. Vogel, Schoettle, Lenz, Dr. Schild und Genossen,
({0})
den Antrag Umdruck 308 der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP,
({1})
schließlich den Entschließungsantrag der DP, Umdruck 350, sowie den Antrag der DP und CDU/CSU Umdruck 343 und den Antrag der DP und CDU/CSU, Umdruck 342. Mir ist gesagt worden, der Abgeordnete Logemann wolle diesen Antrag begründen.
({2})
- Auch nicht. Dann wird also allgemein auf die Begründung verzichtet.
Wird sonst zum Einzelplan 10 das Wort gewünscht?
({3})
- Herr Abgeordneter Seither zur Abstimmung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte im Einverständnis mit Herrn Struve, der jetzt nicht im Saal ist, den Antrag Umdruck 350 an den Ernährungsausschuß und den Haushaltsausschuß, Antrag Umdruck 342 an den Ernährungsausschuß und Antrag Umdruck 343 an den Ausschuß für Steuern und Finanzen und an den Ernährungsausschuß zu überweisen.
Der Antrag Umdruck 342 soll an den Ernährungsausschuß überwiesen werden. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Der Antrag Umdruck 343, Entschließungsantrag der Fraktionen der DP und der CDU/CSU, soll an den Ausschuß für Steuern und Finanzen als federführenden Ausschuß und an den Ernährungsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist so beschlossen.
Der Antrag Umdruck 350 soll an den Ernährungsausschuß als federführenden Ausschuß und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Es folgt der interfraktionelle Entschließungsantrag - CDU/CSU, SPD, FDP und DP - auf Umdruck 308. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen; soweit ich sehe, einstimmig.
Schließlich Umdruck 338, Entschließungsantrag der Fraktion der DP.
({0}) - An welchen Ausschuß?
({1})
- Ernährungsausschuß. Wer dieser Überweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen. - Damit sind die Entschließungsanträge zum Einzelplan 10 erledigt.
Ich rufe nunmehr in der dritten Beratung auf: Einzelplan 11,
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Da liegt noch der Änderungsantrag der Fraktion der
FDP Umdruck 331 ({2}) vor. Soll der noch einmal
begründet werden? - Herr Abgeordneter Mischnik.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Änderungsantrag der Freien Demokraten - Umdruck 331 - bezweckt, eine Unklarheit bei Kap. 11 11 Tit. 300 zu beseitigen. Es war da nämlich ein Kindergeld von 360 DM pro Jahr angesetzt worden. In den Erläuterungen muß aber „480 DM" stehen. Durch ein Gespräch mit Herrn Staatssekretär Claussen ist klargestellt worden, daß die Erläuterung entsprechend geändert wird. Wir ziehen deshalb den Antrag Umdruck 331 zurück.
Der Antrag Umdruck 331 ({0}) ist zurückgezogen.
Dann liegt noch vor der Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 314. - Bitte, Herr Abgeordneter Bading.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf ganz kurz den Änderungsantrag
der Fraktion der SPD ,auf Umdruck 314 begründen. Es handelt sich um den gleichen Antrag, vie ihn meine Fraktion bereits in der zweiten Lesung gestellt hat. Bei der Aussprache über diesen Antrag in der zweiten Lesung hat Herr Minister Lübke folgende Erklärung abgegeben:
Die nach der Verabschiedung des Änderungsgesetzes zum Altershilfegesetz noch verbleibeiden Fehlbeträge werden auf den Bundeshaushalt übernommen.
Die Fehlbeträge belaufen sich auf jährlich 60 Millionen DM. Für die Deckung dieses Betrages wäre lediglich im Grünen Plan, unter Kap. 10 02 Tit. 273 Platz. In den Erläuterungen zu diesem Titel steht auch: Förderung der Altershilfe für Landwirte. Der Ansatz bei diesem Titel beträgt 120 Millionen DM. Wenn 60 Millionen DM allein für die Altershilfe für Landwirte aus diesem Titel genommen werden müßten, würden für die anderen sehr wichtigen agrarstrukturellen Maßnahmen kein Geld übrigbleiben.
Aus diesem Grunde haben wir in der dritten Lesung unseren Antrag noch einmal gestellt. Wegen der Wichtigkeit der Angelegenheit beantrage ich, über den Antrag namentlich abzustimmen.
Ein materiell gleicher Antrag ist auf Umdruck 325 von der Fraktion der FDP gestellt worden.
({0})
Zu den Änderungsanträgen Umdruck 314 und 325 hat der Herr Bundesminister der Finanzen ums Wort gebeten. Bitte!
Ich bitte, die Anträge abzulehnen.
Bei der zweiten Lesung des Haushaltsplans 1959 hat der Herr Landwirtschaftsminister zugleich für den Herrn Arbeitsminister und mich eine Erklärung über die Deckung eines Fehlbetrages der landwirtschaftlichen Alterskassen nach der Verabschiedung der vorliegenden Novelle zum Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte abgegeben. Diese Erklärung ist anscheinend nicht überall richtig verstanden worden. Zur Klarstellung möchte ich folgendes hervorheben.
Die landwirtschaftlichen Alterskassen sollen nach dem Gesetz ihre Leistungen aus Beiträgen selbst aufbringen. Die Entwicklung seit dem Inkrafttreten des Gesetzes hat gezeigt, daß dies bei den bisherigen Leistungen und Beiträgen nicht möglich ist, weil die Rechnungsgrundlagen hierfür bei der Verabschiedung des Gesetzes nicht richtig vorausgeschätzt worden sind.
Durch eine Novelle zum Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte sollen die eigenwirtschaftlichen Möglichkeiten der landwirtschaftlichen Alterskassen verbessert werden. Bis zum Inkrafttreten dieses Änderungsgesetzes wird die Zahlungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Alterskassen wie bisher durch
Bundesfinanzminister Etzel
eine Überbrückungshilfe aus Bundesmitteln gesichert werden. In welcher Höhe künftig zur Sicherung der landwirtschaftlichen Altershilfe Bundesmittel benötigt werden, kann erst nach Verabschiedung der Novelle beurteilt werden. Der danach verbleibende und anderweit nicht zu deckende Unterschuß wäre auf den Bundeshaushalt zu übernehmen. Nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte wird Altersgeld, abgesehen von der Erfüllung der Anwartschaft, auch gewährt, wenn der landwirtschaftliche Unternehmer nach Vollendung des 50. Lebensjahres das Unternehmen an den Hoferben übergeben oder anderweit veräußert hat. Die landwirtschaftliche Altershilfe dient dadurch zugleich auch unmittelbar einer Verbesserung der Agrarstruktur. Es ist deshalb vertretbar, daß ein Unterschuß der landwirtschaftlichen Alterskassen durch einen Zuschuß aus dem Bundeshaushalt gedeckt wird. Der Bundeshaushalt 1959 enthält hierfür bereits 20 Millionen DM aus Mitteln des Grünen Plans. Ich glaube, daß angesichts dieser Begründung die Sicherstellung der Fortführung der Alterskassen gerechtfertigt erscheint und mein Antrag auf Abweisung berechtigt ist.
({0})
Es ist Antrag auf namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 314 gestellt worden. Der Antrag auf namentliche Abstimmung dürfte, da er von der Fraktion der SPD gestellt worden ist, ausreichend unterstützt sein.
Weitere Wortmeldungen? - Herr Abgeordneter Bading!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider kann uns die heutige Erklärung des Herrn Bundesministers Etzel ebensowenig befriedigen wie die Erklärung, die Herr Lübke abgegeben hat. Was heißt denn das: Nach Inkrafttreten des Änderungsgesetzes wird die Bundesregierung beschließen, welcher Zuschuß zu den Alterskassen gegeben wird? Die Novelle liegt uns jetzt erstmalig vor. Vielleicht wird sie in der nächsten oder übernächsten Woche im Plenum in erster Lesung behandelt werden können. Auf alle Fälle wird sie aber erst im Spätherbst oder im Winter Gesetz werden.
Abgesehen davon sieht die Novelle eine ganz beträchtliche Einengung des Kreises der Menschen vor, die ein Altersgeld bekommen sollen, und eine beträchtliche Ausdehnung des Kreises der Menschen, die Beiträge zahlen sollen, also eine außerordentliche Verschlechterung für die Landwirtschaft insgesamt.
Aus diesem Grunde halte ich es für richtig, daß der Bundestag heute darüber entscheidet, ob unserem Antrag entsprochen werden soll oder ob man sich mit den sehr vagen Versprechungen der Bundesregierung, die auf alle Fälle eine Verschlechterung beinhalten, abfinden will. Ich halte daher meinen Antrag auf namentliche Abstimmung aufrecht.
({0})
Meine Damen und Herren, der Antrag auf namentliche Abstimmung wird aufrechterhalten und ist ausreichend unterstützt. Die Fraktion der Freien Demokraten hat darum gebeten, daß in Verbindung mit der namentlichen Abstimmung über den Antrag Umdruck 314 zugleich über ihren Änderungsantrag Umdruck 325, der materiell dasselbe beinhaltet, abgestimmt wird. Wir stimmen also über die Anträge Umdruck 314 und Umdruck 325 namentlich ab. Inzwischen möchte ich ein Versäumnis nachholen und den Entschließungsantrag Umdruck 303 zur Abstimmung stellen. Der Herr Abgeordnete Hermsdorf hatte sich zunächst zur Geschäftsordnung gemeldet. Die Frage ist aber inzwischen geklärt.
Wir können nunmehr über den Entschließungsantrag zu Einzelplan 10 Umdruck 303 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Soweit ich sehe einstimmig.
Soll der Entschließungsantrag, Umdruck 282, zu Einzelplan 11 noch begründet werden? - Herr Abgeordneter Mischnick!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Entschließungsantrag auf Umdruck 282 hat das Ziel, die Kriegsopferversorgung aus der jetzigen Etatisierung im Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung herauszunehmen und zum Verteidigungshaushalt zu überstellen. Dieser Antrag ist im Zusammenhang mit unserem Reformgesetzentwurf zur Kriegsopferversorgung zu sehen. Wir sind der Meinung, daß eine Bundesversorgungsverwaltung insgesamt geschaffen werden sollte, und glauben darüber hinaus, daß es sehr gut wäre, wenn der Kriegsopferetat im Etat des Herrn Verteidigungsministers in Erscheinung träte, um damit gleichzeitig deutlich zu machen, daß diese Ausgaben ein Teil unseres Wehrbeitrages sind. Ich weiß, daß der Kriegsopferetat bei der Berechnung der NATO in die Verteidigungsleistungen der Bundesrepublik einbezogen wird. Wir sollten das aber auch dadurch offensichtlich machen, daß wir ihn in den Etat des Verteidigungsministers überstellen.
Außerdem sind wir der Auffassung, daß die Kriegsopferversorgung keine soziale Leistung im üblichen Sinne - wie Arbeitslosenhilfe und auch die Zuweisungen an die Sozialversicherungen - ist, sondern daß es sich hier um einen Rechtsanspruch der Kriegsbeschädigten handelt. Die Kriegsopferversorgung ist eine Art Kriegsfolge, die dementsprechend beim Wehrminister etatisiert werden sollte.
Ich darf dazu noch ein Letztes sagen. Nach dem Vorschlag der Freien Demokraten sollen die Kriegsversehrten nach Vollendung des 65. Lebensjahres aus der allgemeinen Kriegsopferversorgung herausgenommen und in die allgemeine Sozialversicherung übergeführt werden. Auch aus diesem Grunde wäre es zweckmäßig, diesen Etat jetzt beim Verteidigungsminister zu führen, zumal ja die Soldaten der Bundeswehr mit Unfallbeschädigungen
Mischnik
sowie Hinterbliebene von Bundeswehrsoldaten im Rahmen des Bundesversorgungsgesetzes betreut werden. Wir sind deshalb der Meinung, daß der Herr Verteidigungsminister auch das, was hier als Folgewirkung des letzten Krieges in Erscheinung tritt, innerhalb seines Ressorts mit betreuen und daß er die Energie, die er - wie heute - für den ihm unterstellten Verteidigungsbereich immer aufwendet, in Zukunft auch für die Kriegsopfer mit einsetzen sollte.
Wir bitten, den Antrag dem Haushaltsausschuß zu überweisen.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich unterstelle nicht, daß sich die Fraktion der FDP bei der Einbringung dieses Entschließungsantrages nicht wirklich etwas gedacht hat. Aber, meine verehrten Damen und Herren, seit dem Jahre 1919 ist für die Kriegsopferversorgung ständig das Reichs- bzw. jetzt das Bundesarbeitsministerium zuständig gewesen, also das Sozialministerium. Ich glaube mich recht zu erinnern, daß die Kriegsopferversorgung während der Zeit des Nationalsozialismus vorübergehend vom Arbeitsministerium zum Kriegs- oder Wehrministerium herübergenommen worden war, daß man sie aber hinterher, auch noch während der nationalsozialistischen Zeit, wieder in die Zuständigkeit des Reichsarbeitsministers zurückgeführt hat.
Wir vermögen nicht einzusehen, warum man die Kriegsopferversorgung, nachdem sie seit 1945 bzw. seit der Zeit, wo die Dinge hier bearbeitet worden sind, ständig in der Zuständigkeit des Bundesarbeitsministers gewesen ist, jetzt plötzlich in die Zuständigkeit des Bundesverteidigungsministers überführen soll. Wir haben immer gesagt, daß die Sozialversicherung sowie die Versorgung zum sogenannten Sozialministerium gehören. Nur die öffentliche Fürsorge ist bislang vom Bundesinnenministerium bearbeitet worden.
Die CDU/CSU-Fraktion sieht keine Notwendigkeit, an diesem Zustand etwas zu ändern. Deshalb möchte ich das Hohe Haus bitten, diesen Entschließungsantrag heute und hier abzulehnen. Auch kann der Haushaltsausschuß hier ja schließlich nicht als der zuständige Fachausschuß angesprochen werden. Dann müßte der Antrag schon auch an den Kriegsopferausschuß überwiesen werden. Wir halten das jedoch nach Lage der Dinge für überflüssig. Ich bitte nochmals, diesen Entschließungsantrag abzulehnen.
Zum gleichen Antrag Herr Abgeordneter Ritzel!
Meine Fraktion legt sich in diesem Augenblick in keiner Weise fest. Wir sind der Auffassung, daß es sich um eine Frage handelt, die ernsthaft geprüft werden muß. Wir sind der gleichen Meinung wie Herr Kollege Horn, daß nicht allein der Haushaltsausschuß zuständig ist, sondern auch der Kriegsopferausschuß, und zwar eigentlich federführend. Ich stelle den entsprechenden Antrag: Überweisung an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen und an den Haushaltsausschuß.
Herr Abgeordneter Mischnick!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur letzten Bemerkung von Herrn Kollegen Ritzel: wir sind damit einverstanden, daß in dieser Form verfahren wird.
Nun zu dem, was Herr Kollege Horn sagte. Ich unterstelle nicht, Herr Kollege Horn, daß Sie der Meinung sind, daß alles, was früher einmal richtig war, heute noch Gültigkeit haben muß. Ich meine aber, man sollte den Vorschlag einer Fraktion, der nicht so aus dem Handgelenk hingelegt worden ist, sondern sehr wohl überlegt worden ist, nicht so abtun und, wie ich ausdrücklich sagte, im Zusammenhang mit der gesamten Kriegsopfergesetzgebung sehen, wie wir sie uns vorstellen und wie sie in einem FDP-Gesetzentwurf diesem Hohen Hause bereits vorliegt. Wir bitten deshalb, den Antrag an die Ausschüsse zu überweisen und dort im einzelnen zu beraten.
Wortmeldungen liegen zu dem Antrag Umdruck 282 nicht mehr vor.
Ehe ich den Entschließungsantrag Umdruck 315 aufrufe, darf ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu den Anträgen auf den Umdrucken 314 und 325 bekanntgeben. Das Ergebnis ist wesentlich eindeutiger als in der zweiten Beratung. Insgesamt haben 346 stimmberechtigte Mitglieder des Hauses abgestimmt, davon 202 mit Nein und 143 mit Ja. Von den Berliner Abgeordneten haben 13 ihre Stimme abgegeben, 2 mit Nein und 11 mit Ja. Mit diesem Stimmenverhältnis sind also die Anträge auf den Umdrucken 314 und 325 auch in der dritten Beratung abgelehnt.
Ja
SPD
Frau Albertz
Altmaier Dr. Arndt Auge
Dr. Baade Bading
Dr. Bärsch Bäumer
Bals
Baur ({0}) Bazille
Behrendt
Frau Bennemann Bergmann Berkhan
Berlin
Bettgenhäuser
Frau Beyer ({1}) Birkelbach
Dr. Bleiß Dr. Brecht Bruse
Büttner Conrad Corterier Cramer Dr. Deist Dewald
Frau Döhring ({2}) Dopatka
Dröscher
Frau Eilers ({3})
Eschmann
Faller
Felder Folger Franke Frehsee Frenzel Geiger ({4})
Geritzmann
Haage Hamacher
Hansing Hauffe Heide
Dr. Dr. Heinemann Hellenbrock
Frau Herklotz Hermsdorf
Herold Höcker Höhmann
Frau Dr. Hubert Hufnagel
Iven ({5})
Jacobi Jacobs
Jahn ({6}) Jürgensen
Junghans
Frau Keilhack
Frau Kettig
Killat ({7}) Kinat ({8})
Frau Kipp-Kaule Könen ({9}) Koenen ({10}) Frau Korspeter
Kraus Kriedemann
Kühn ({11})
Kurlbaum
Lantermann
Leber Lohmar Ludwig
Lücke ({12}) Lünenstraß
Maier ({13})
Marx
Matzner Meitmann
Dr. Meyer ({14}) Meyer ({15}) Dr. Mommer
Müller ({16}) Frau Nadig
Odenthal
Ollenhauer
Paul
Pöhler Pohle Priebe Pütz
Regling Rehs
Reitz
Reitzner Ritzel
Frau Rudoll
Frau Schanzenbach Scheuren
Dr. Schmidt ({17}) Schmitt ({18}) Schoettle
Schröder ({19}) Seidel ({20})
Seither Seuffert Stierle Sträter Striebeck
Frau Strobel
Wehner Wehr Welke Welslau
Weltner ({21})
Frau Wessel Wilhelm
Wischnewski
Berliner Abgeordnete
Frau Berger-Heise Dr. Königswarter Mattick
Neubauer
Dr. Schellenberg Schröter ({22}) Schütz ({23})
Dr. Seume
Frau Wolff ({24})
FDP
Dr. Achenbach
Eisenmann Dr. Hoven Keller
Kreitmeyer Mischnick Murr
Dr. Schneider ({25}) Schultz
Walter
Berliner Abgeordnete
Frau Dr. Dr. h. c. Lüders Dr. Will
DP
Logemann Dr. Preiß Dr. Ripken
Schneider ({26}) Dr. Schranz
Dr. Steinmetz
Nein
CDU/CSU
Frau Ackermann
Graf Adelmann
Dr. Aigner Arndgen Baier ({27})
Baldauf
Balkenhol Dr. Bartels Dr. Barzel
Bauer ({28}) Bauereisen
Bausch
Becker ({29}) Berberich
Berger
Dr. Bergmeyer
Dr. Besold
Dr. Birrenbach
Blank
Frau Dr. Bleyler
Frau Blohm
von Bodelschwingh
Dr. Böhm Brand
Frau Brauksiepe
Frau Dr. Brökelschen
Brück
Dr. Bucerius
Bühler Burgemeister
Caspers
Cillien
Dr. Conring
Diebäcker
Diel ({30})
Dr. Dittrich
Dr. Dollinger
Draeger
Ehren Eichelbaum
Dr. Elbrächter Engelbrecht-Greve
Frau Engländer
Enk
Eplée Etzel Etzenbach
Dr. Even ({31}) Franzen
Fritz ({32})
Fuchs
Dr. Furler
Frau Dr. Gantenberg Gaßmann
Gedat Gehring
Frau Geisendörfer
D. Dr. Gerstenmaier Gewandt
Gibbert
Giencke
Glüsing ({33})
Dr. Görgen
Dr. Götz
Goldhagen
Gontrum
Günther
Freiherr zu Guttenberg Hackethal
Häussler
Dr. von Haniel-Niethammer Harnischfeger
Dr. Heck ({34})
Heix Hesemann
Höfler
Holla Hoogen
Horn. Huth Dr. Huys
Jahn ({35})
Josten
Dr. Kanka
Kemmer
Dr. Kempfler
Kirchhoff
Frau Klemmert
Dr. Kliesing ({36}) Knobloch
Koch Kraft Kramel
Krammig
Kroll
Krüger ({37})
Krüger ({38})
Krug Kunst Kuntscher
Kunze Leicht Dr. Leiske
Lenze ({39})
Leonhard
Dr. Lindenberg
Dr. Löhr
Lücke ({40})
Lulay
Maier ({41}) Majonica
Dr. Baron Manteuffel-Szoege Dr. Martin
Meis
Mengelkamp
Menke
Meyer ({42})
Mick
Muckermann
Mühlenberg
Müser Niederalt
Frau Niggemeyer
Dr. Dr. Oberländer
Oetzel
Frau Dr. Pannhoff
Pelster
Dr. Pflaumbaum
Dr. Philipp
Frau Pitz-Savelsberg
Rasner
Frau Dr. Rehling
Dr. Reinhard
Dr. Reith
Richarts
Riedel ({43})
Frau Rösch
Rösing
Dr. Rüdel ({44})
Ruf
Schäffer Scharnberg
Scheppmann
Schlee Schlick
Dr. Schmidt ({45}) Frau Schmitt ({46}) Schmücker
Schneider ({47})
Dr. Schröder ({48}) Schüttler
Schütz ({49}) Schulze-Pellengahr
Schwarz
Frau Dr. Schwarzhaupt
Dr. Schwörer
Dr. Seffrin
Seidl ({50})
Dr. Serres
Simpfendörfer
Solke
Spies ({51})
Spies ({52})
Dr. Stecker
Stiller
Storch
Dr. Storm ({53})
Storm ({54}) Struve
Sühler Teriete
Dr. Toussaint
Unertl Varelmann
Vehar
Vogt
Dr. Wahl
Dr. Weber ({55}) Wehking
Weimer Weinkamm
Frau Welter ({56})
Dr. Werber
Wieninger Dr. Wilhelmi Dr. Willeke Windelen Winkelheide Dr. Winter Wittmann Worms Wullenhaupt Dr. Zimmer
Berliner Abgeordnete
Hübner Dr. Krone
DP
Frau Kalinke
Probst ({57})
Ich darf fragen, ob zu dem Antrag Umdruck 315 - Entschließungsantrag der Fraktion der SPD -das Wort gewünscht wird. - Herr Abgeordneter Geiger!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorgelegten Entschließungsantrag auf Umdruck 315 zum Haushalt des Bundesministers für Arbeit hat die SPD-Fraktion nochmals ein für die Rentenversicherung bedeutsames Problem aufgenommen. Es handelt sich um die Verpflichtung des Bundes, an die Rentenversicherungsträger, für eine von diesen im Auftrage des Bundes erbrachte Leistung für Kriegsbeschädigte, einen Betrag von 1,9 Milliarden DM zurückzuzahlen.
Dieser Betrag ist seit Jahren fällig und wird zur Ausgleichung der Finanzen der Rentenversicherungsträger notwendig gebraucht. Leider blieb unserem Bemühen in dieser Angelegenheit der Erfolg seit Jahren versagt. Das Bundesarbeitsministerium und insbesondere der Herr Bundesminister für Finanzen haben in der Vergangenheit und zuletzt noch einmal bei der zweiten Lesung des Etats des Jahres 1959 unsere entsprechenden Anträge, wenigstens 100 Millionen DM zur ersten Abgeltung dieses Betrages im Haushalt einzusetzen, wegen angeblichen Fehlens der Deckungsmöglichkeiten als nicht durchführbar bezeichnet, obwohl der Bundestag bei der Etatberatung des Jahres 1958 eine gemeinsame Entschließung gefaßt hat, in der die Bundesregierung verpflichtet wurde, Vorschläge für die Rückzahlung dieses Betrages zu machen und einen entsprechenden Teilbetrag in den Bundeshaushalt 1959 einzusetzen.
Wir haben in den letzten Jahren immer wieder Beteuerungen, auch von vielen Kollegen der CDU, gehört, daß die Forderungen der Rentenversicherungsträger zu Recht bestehen und daß es notwendig sei, sie möglichst bald zu erfüllen. Trotzdem spricht der Herr Bundesfinanzminister seit Jahren immer noch davon, daß diese Forderungen erst überprüft werden müßten und daß vor allen Dingen Leistungen, die der Bund den Rentenversicherungsträgern aus anderen gesetzlichen Verpflichtungen geben muß, angerechnet werden sollten. Bei dieser Behandlung der Angelegenheit entsteht aber zu Recht der Eindruck und die Sorge, der der Kollege Professor Schellenberg bei der Begründung des Antrags schon Ausdruck gegeben hat, daß der Herr Bundesfinanzminister die Sache so lange hinzieht in der Hoffnung, daß infolge des langen Zeitablaufs dieser Betrag den Rentenversicherungsträgern nicht mehr zurückerstattet zu werden braucht.
In der zweiten Lesung ist mit genügender Deutlichkeit darauf hingewiesen worden, daß die Rentenversicherungsträger dieses Geld zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Leistungen benötigen. Wir fordern deshalb in diesem Entschließungsantrag noch einmal, daß die Bundesregierung bis zum 30. September dieses Jahres berichtet, in welcher Weise die finanziellen Verpflichtungen des Bundes gemäß Art. 2 § 47 Abs. 2 des ArbeiterrentenversicherungsNeuregelungsgesetzes und Art. 2 § 45 Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes gegenüber den Rentenversicherungsträgern erfüllt werden sollen.
Das Datum 30. September 1959 ergibt sich, weil bis zu diesem Zeitpunkt die Bundesregierung nach den Bestimmungen dieser Gesetze auch den Sozialbericht und den Bericht über die finanzielle Lage der Rentenversicherung abgeben muß. Wird diesem Anliegen nicht entsprochen, kommen die Finanzen der Versicherungsträger in außerordentlichen Druck.
Ich bin der Auffassung, daß es sich hier um ein gemeinsames Anliegen des Hauses handelt, nämlich um die Erfüllung eines gemeinsam angenommenen Entschließungsantrages vom Jahre 1958. Darüber hinaus wurde die Notwendigkeit der Rückerstattung auch von den Sprechern der CDU herausgestellt, so daß ich die Hoffnung habe, daß Sie unserem Entschließungsantrag zustimmen werden. Außerdem möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß er nicht dasselbe Schicksal erleidet wie der vorhergehende Antrag in der namentlichen Abstimmung. Bereiten Sie unserem Entschließungsantrag ein Abstimmungsergebnis, das zum Erfolg führt.
({0})
Herr Abgeordneter Storch, bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Entschließungsantrag, der uns hier vorliegt, ist in seinem wesentlichen Inhalt in der vergangenen Woche in der zweiten Lesung schon sehr gut hier im Hause behandelt worden. Bei dieser Gelegenheit hat der Herr Bundesfinanzminister meines Erachtens in aller Klarheit zum Ausdruck gebracht, daß er die Rechtsansprüche der Versicherungsträger anerkennt. Er war zwar zuerst der Meinung, daß vielleicht durch die heutigen Leistungen des Bundes ein gewisser Teilbetrag abzurechnen sei. Dem sind hier mehrere Mitglieder des Hauses entgegengetreten. Sie haben dem Herrn Bundesfinanzminister in aller Deutlichkeit gesagt, daß das hier nicht anerkannt wird, und er hat dem nicht widersprochen.
Nun wird in den ersten beiden Absätzen noch etwas vorgeschlagen, was wir schon in der zweiten Lesung sehr klar zum Aus-druck gebracht haben. Ich halte es nicht für richtig, wenn die Parteien hier im Hause irgendwelche Festlegungen getroffen haben, das noch einmal in einer Entschließung zu erhärten.
Im dritten Teil wird gesagt, bis zum 30. September soll berichtet werden, wie die Dinge geregelt werden sollen. Das ist meines Erachtens völlig un4152
möglich. Sicher werden sich der Herr Bundesfinanzminister und der Herr Bundesarbeitsminister sehr ernste Gedanken darüber machen müssen, wie hoch der wahrscheinlich richtige Betrag ist, den der Bund den Versicherungsträgern schuldet. Ich glaube nicht, daß es dabei noch zu schweren Auseinandersetzungen kommen kann, wenn man nicht, wie es der Bundesrechnungshof gesagt hat, alle Versorgungsakten daraufhin durchprüft, ob in Wirklichkeit in den einzelnen Renten Teilbeträge für diese Rechtsansprüche der Versicherungsträger enthalten sind. Kein Mensch wird verlangen, daß man derart verfährt; denn dann wären wir mit der Feststellung meines Erachtens in fünf Jahren noch nicht fertig.
In allen Verhandlungen, die früher - ich nehme an, auch in den letzten anderthalb Jahren - vom Arbeitsministerium geführt worden sind, ist immer von gewissen Zahlen ausgegangen worden, die den wirklichen Werten so nahe wie möglich kommen sollen. Genau wie bei der Neuregelung der Rentenversicherungsträger sind also gewisse Wahrscheinlichkeiten angenommen worden. Da dieser Streitgegenstand sich nunmehr nicht mehr erweitert, weil wir durch die Rentengesetze den § 90 des Bundesversorgungsgesetzes überflüssig gemacht haben, müßte die Feststellung sehr bald möglich sein.
Aber dann kommt letzten Endes die Frage: Wie wird der Herr Bundesfinanzminister als Vertreter der Bundesregierung mit denjenigen fertig, die die Rechtsansprüche haben, nämlich mit den Versicherungsträgern? Mit ihnen muß er nachher die Verhandlungen darüber führen, wie der Betrag von 1,9 Milliarden DM von der Bundesregierung abgedeckt werden soll. Wenn man bedenkt, daß wir jetzt vor den Sommerferien stehen, wird niemand annehmen können, daß alle notwendigen Verhandlungen bis zum 30. September geführt und abgeschlossen sind.
Sie wissen genau, daß ich persönlich für die Rechtsansprüche der Versicherungsträger leidenschaftlich eingetreten bin und auch heute noch für sie eintrete. Aber ich habe das Vertrauen zum Bundesfinanzminister, daß er sein Wort aus der vergangenen Woche einlöst und nunmehr die ganze Angelegenheit baldmöglichst zu einem endgültigen Abschluß führt. Wenn man einen derartigen Glauben hat, dann soll man nicht hergehen und durch Entschließungen etwas fordern, von dem man selber annehmen muß, daß es in der vorgesehenen Zeit gar nicht erfüllt werden kann.
Ich möchte deshalb das Hohe Haus bitten, dem Entschließungsantrag nicht zuzustimmen. Wir sollten uns darauf verlassen, daß der Herr Bundesfinanzminister sein Wort einlöst. Ich glaube, es ist im Interesse aller Beteiligten das Beste, so zu handeln.
({0})
Herr Abgeordneter Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Storch, in finanziellen Dingen, und zwar bei einer Größenordnung von etwa 2 Milliarden DM, soll man sich nicht auf
Glauben verlassen, wie Sie es dargelegt haben. Das kann man um so weniger, als der Herr Bundesfinanzminister bei der zweiten Lesung leider keine eindeutige Erklärung abgegeben hat. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich in der zweiten Lesung vielmehr auf den Standpunkt gestellt - ich darf zitieren -, daß schon jetzt unsichtbare Abzahlungen auf diese Verpflichtungen laufend geleistet werden. Es ist doch ein unmögliches Verfahren, daß Sie angesichts einer Zahlungsverpflichtung, die für einen Zeitraum vor dem 1. Januar 1957 besteht und die Sie selbst im letzten Jahre als vordringlich bezeichnet haben, jetzt einer Berichterstattung über die finanziellen Zusammenhänge seitens des Bundesarbeitsministeriums widersprechen wollen. Die Bundesregierung ist nach Gesetz verpflichtet, bis zum 30. September den Sozialbericht über die finanzielle Lage der deutschen Rentenversicherung vorzulegen. Im Zusammenhang mit diesem Bericht muß die Bundesregierung auch darüber berichten, wie sie sich die Abwicklung der Erstattungsverpflichtungen aus der Zeit vor 1957 vorstellt.
Unser Entschließungsantrag wäre eigentlich überhaupt nicht erforderlich gewesen, weil er eine selbstverständliche Verpflichtung enthält. Aber leider ist es nach dem, was der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat und was er in den letzten Jahren unterlassen hat, erforderlich, jetzt eine zeitliche Bindung zur Regelung der Verpflichtungen zu beschließen.
({0})
Meine Damen und Herren, damit sind alle Änderungsanträge durch Abstimmung bzw. Zurückziehung erledigt und die Entschließungsanträge begründet.
Ich lasse über die Entschließungsanträge abstimmen. Zu dem Antrag Umdruck 282 ist Überweisung an den Kriegsopferausschuß - federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - beantragt worden. Wer dieser Überweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich glaube, daß das letzte die Mehrheit ist. Damit ist keine Überweisung erfolgt, der Entschließungsantrag ist damit erledigt.
Wir stimmen über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 315 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem Entschließungsantrag Umdruck 282 zuzustimmen wünscht, dessen Nichtüberweisung wir eben beschlossen haben, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit.
({0}) Auch dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt. Damit kommen wir zu
Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungsbau.
Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode Vizepräsident Dr. Preusker
Auch zu diesem Einzelplan liegen noch in der dritten Lesung Änderungs- und Entschließungsanträge vor.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 321 auf. Soll er begründet werden? - Herr Abgeordneter Brecht!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der etwas vorgerückten Stunde darf ich zu dem Antrag noch kurz etwas ausführen. Wir haben den Antrag schon in der zweiten Lesung gestellt, und Sie haben ihn wie alle anderen Anträge abgelehnt. Wenn wir nun diesen einen Antrag heute wiederholen, so heißt das nicht, daß wir von der Richtigkeit Ihrer Ablehnung unserer anderen Anträge überzeugt sind. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß die Anträge, die wir wegen des Abbaues der Degression der Wohnungsbaumittel gestellt haben, und der Antrag, den wir gestellt haben, damit die sozialen Wohnungsbaumittel nicht durch die Wohnungsbauprämien weiterhin beeinträchtigt werden, sowohl politisch wie auch sozial und gesamtwirtschaftlich völlig gerechtfertigt sind.
Es ist also keineswegs so, daß, wie der Herr Bundeswohnungsbauminister in seiner Replik in der zweiten Lesung etwas voreilig gemeint hat, eine völlige Übereinstimmung zwischen der Regierung und der Opposition in der Frage der Wohnungspolitik hergestellt worden sei. So ist es auf keinen Fall, und wir möchten das mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen. Es wird wohl bei anderer Gelegenheit noch einmal möglich sein, etwa näher und eingehender darauf zurückzukommen. Hier geht es um den Betrag von 850 000 DM. Sie haben nachträglich darum ersucht, diesen Betrag dem Bundeswohnungsbauminister zur Verfügung zu stellen. Nach der Bezeichnung des Haushalts soll er für Veröffentlichungen der Ministeriums verwendet werden. Tatsächlich soll er nach den gegebenen Verwendungsanzeigen für Propaganda, für Filme, für Aufklärungsschriften und für Belehrungsschriften verwendet werden.
Wir beantragen und bitten Sie, indem wir nochmals an Ihre bessere Einsicht in diesem Fall appellieren:
({0})
Nehmen Sie die Bewilligung der 850 000 DM - ({1})
- Die Zeitschrift „Neue Heimat" habe ich nicht zu vertreten; aber ich werde nachher vielleicht auch dazu etwas sagen können.
Zunächst bemerke ich, daß der Bundeswohnungsbauminister diesen Betrag von 850 000 DM zusätzlich für Propagandazwecke gar nicht benötigt. Wenn Sie nämlich den Etat ansehen, dann finden Sie, daß für alle die Zwecke, die in der zweiten Lesung genannt worden sind, bei mehreren Etatpositionen durchaus schon Bewilligungen vorgesehen und enthalten sind.
Herr Abgeordneter Brecht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Baier?
Bitte.
Herr Kollege Brecht, ist Ihnen nicht bekannt - ich hatte es bereits hier zitiert -, daß Hamburg mit dem zu Ihnen gehörenden Bausenator Nevermann im Jahr 100 000 DM für Aufklärung im Wohnungsbau ausgibt? Ich frage Sie deshalb: Wollen Sie allen Ernstes dem Bundesminister für Wohnungsbau für die gesamte Bundesrepublik 10 000 DM weniger zubilligen?
Selbstverständlich ist mir der Betrag von 100 000 DM, der im Etat der Hansestadt Hamburg steht, bekannt. Ich darf Sie nun dagegen fragen: Wissen Sie, wann und durch wen zum erstenmal die 100 000 DM in den Etat der Hansestadt Hamburg eingebaut worden sind?
({0})
- Zu der Zeit, als es einen Block-Senat gab und Herr Sieveking ihn einbaute!
({1})
Das ist übrigens gerade ein Beweis dafür, daß man mit solchen Einsätzen vorsichtig sein muß, weil sie im allgemeinen später nicht mehr aus den Etats herauskommen.
Im übrigen: Der Herr Bundeswohnungsbauminister erklärt immer bei allen ihm etwas peinlich werdenden Anfragen in der Fragestunde: „Was wollen Sie denn eigentlich? Die Durchführung des Wohnungsbaus ist eine Aufgabe der Länder!" - Also ist es doch klar, daß die Länder in erster Linie dazu berufen sind, solche Aufklärungen zu geben.
({2})
Herr Kollege Baier, ich wollte gerade darlegen, in wieviel anderen Positionen im Haushalt des Wohnungsbauministers Mittel für die Zwecke enthalten sind, die Sie und der Herr Minister in der zweiten Lesung als notwendig angegeben haben. Da ist der Tit. 310 mit 90 000 DM, um den es jetzt in der Erhöhung um 850 000 DM geht. Dann haben Sie 90 000 DM für Ausstellungen, ganz eindeutig eine Werbemaßnahme, und bei Tit. 612 stehen in den Erläuterungen des Etats unter Ziffer 4 u. a. Vortragsveranstaltungen und Lehrfilme, Abhaltung von Tagungen und Zuschüsse zur Verbilligung und Verbreitung - gegebenenfalls durch Ankauf - besonders wichtiger Fachzeitschriften 114 000 DM. In dem Betrag von 150 000 DM für das Bauzentrum sind zweifellos auch Beträge enthalten, um Bauergebnisse weiterzugeben, worauf Sie das letzte Mal so sehr abgestellt haben. Auch in dem Tit. 570 mit dem Zuschußbetrag von 1,2 Millionen DM sind sehr erhebliche Beträge enthalten, um die Ergebnisse aus den Demonstrativbauten und aus den Erprobungsbauten bekanntzugeben. Das ist nicht meine Erfindung, sondern steht in den Erläuterungen des Haushalts. Darin steht nämlich, der Betrag sei dazu da, die Ergebnisse der Untersuchungen
und der Demonstrativbauten auszuwerten und in geeigneter Weise zu verbreiten. Es steht ferner darin, daß mit diesen Mitteln auf wohnungspolitischem und wohnungswirtschaftlichem Gebiet die Aufklärung der Eigenheimer und Mieter in bezug auf technische und wirtschaftliche Fragen finanziert werden soll. Das sind alles Aufgaben, die Sie in der zweiten Lesung zur Begründung der Notwendigkeit der 850 000 DM beigebracht haben.
Wenn Sie genau hinsehen, dann können Sie feststellen, daß das Wohnungsbauministerium - in voller Anerkennung dieser Leistungen - jeden Tag einen solchen Stapel Papier ausstößt, daß gar keine Notwendigkeit vorhanden ist, nun für Propaganda und Aufklärung noch mehr zu tun. Der Wohnungsbauminister hat eine ausgezeichnete, monatlich erscheinende, sehr gut ausgestattete Zeitschrift, das Bundesbaublatt. Er hat die Möglichkeit, jederzeit im Bulletin zu schreiben, und er tut es sehr oft. Von da geht es in die übrige Presse. Er gibt beinahe täglich durch seine Pressestelle die Informationen heraus, die mit dem bekannten militärischen Einleitungssatz beginnen: „Der Bundesminister für Wohnungsbau gibt bekannt". Er hat die Möglichkeit, sich der Publikationen und Zeitschriften bedeutsamer Organisationen zu bedienen, die er alimentiert und die ihn auch propagieren. Ihm stehen die Publikationsorgane der CDU zur Verfügung. Er hat das Fernsehen und den Rundfunk, und davon macht er durchaus Gebrauch.
({3})
- Nach Ihrer Auffassung, Herr Schneider, nach meiner Auffassung nicht; da müßte ,er ,ein anderes haben.
Aber wir kennen ihn. Er ist ehrgeizig. Dieser Ehrgeiz ist manchmal gut, manchmal wirkt er sich schlecht aus. Wir möchten ihn durch unseren Antrag vor dem Ehrgeiz bewahren, daß er glaubt, er müsse nach dem Herrn Bundeskanzler ,am höchsten mit Propagandamitteln dotiert sein. Deshalb bitten wir Sie, diese 850 000 DM zu streichen.
Der Herr Minister selber, glaube ich, hat gesagt, der Betrag sei für die Aufklärung der Bevölkerung über die Mietenpolitik und die Aufhebung der Wohnungsämter nötig. Solange das Überleitungsgesetz in diesem Hause noch nicht verabschiedet ist und man noch gar nicht weiß, welche letzte Form es bekommen wird, sollte man meiner Meinung nach dafür noch keine Propagandamittel bereitstellen. Auf jeden Fall wird bis zum 31. März 1960 eine Propagandaaktion für dieses Gesetz sicherlich noch nicht notwendig sein. Im übrigen bin ich der Meinung, daß das Gesetz um so weniger Propaganda und Aufklärung braucht, je besser, je einfacher und je gerechter es ist. Darauf sollte die Arbeit konzentriert werden.
Nun müssen wir aber einen weiteren Antrag stellen, aus dem hervorgeht, was mit den 850 000 DM geschehen soll, wenn sie in diesem Titel gestrichen werden. Wir können sie nicht wieder dahin zurückgeben, woher sie genommen worden sind, nämlich den Grundsteuerbeihilfen für Arbeiterwohnstätten, weil diese Grundsteuerbeihilfen nach 20 Jahren auslaufen und die Bundesregierung gesagt hat, sie brauche die 850 000 DM dort nicht mehr. Das ist zwar bedauerlich, denn in allen Fällen, in denen jetzt wegen des Wegfalls der 850 000 DM keine Grundsteuerbeihilfen mehr gewährt werden, treten Mietsteigerungen ein, die bei den Projekten zwischen 15 und 17 % liegen. Schon wegen dieser Zusammenhänge und der psychologischen Wirkungen möchte ich Ihnen raten, diese 850 000 DM nicht ausgerechnet für solche Aufklärungsmaßnahmen zu verwenden.
Wir schlagen Ihnen die Verwendung für einen ganz anderen, viel besseren und echten Zweck vor. Wir sind das letzte Mal übereingekommen, daß es unser gemeinsames Anliegen sei, die Schwierigkeiten der Baulandbeschaffung und die Baulandnot zu überwinden. Sie selber haben das letzte Mal den neuen Tit. 621 bilden lassen, und wir haben begeistert zugestimmt. Dieser Titel ist mit 3 Millionen DM ausgestattet worden. Wir meinen, die beste und sicherste, die propagandamäßig beste Verwendung des Betrages von 850 000 DM wäre es, wenn Sie mit uns beschlössen, diesen Betrag nicht dem Propagandafonds zuzuführen, wo ,er nicht notwendig ist, sondern wenn Sie einverstanden wären, diese 850 000 DM für Tit. 621, für Zinszuschüsse zur Verbilligung von Krediten zur Überwindung der Baulandnot und der Baulandschwierigkeiten, zu verwenden. Wenn wir es wirklich ehrlich miteinander meinen und wenn die Not in der Baulandbeschaffung wirklich so groß ist, sollten wir uns in der Verwendung dieses kleinen Betrages für diesen guten Zweck zusammenfinden. Dann hätten wir gemeinsam etwas gemacht, und Sie brauchten sich nicht wegen der Verwendung von 850 000 DM für Propagandazwecke zu schämen.
({4})
Es liegt uns noch der Änderungsantrag der Abgeordneten Brese und Genossen auf Umdruck 349 vor. Herr Abgeordnete Brese, wünschen Sie zur Begründung das Wort?
Herr Abgeordnete Brese hat das Wort in der dritten Lesung.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist dieselbe Nervosität wie bei der zweiten Lesung; da konnte ich meinen Änderungsantrag auch erst am Schluß vertreten. Ich will es kurz machen.
Ich hatte Ihnen in der zweiten Lesung verschiedene Anträge vorgelegt, die dem Zweck dienen sollten, die Durchbrechung des Baustopps für den Bundestag zu verhindern. Sie haben vier Anträge mit großer Mehrheit abgelehnt; aber ein Antrag hat eine ziemlich große Unterstützung gefunden. Das hat mir den Mut gegeben, ihn jetzt noch einmal vorzulegen, und zwar mit der Unterstützung verschiedener Kollegen. Ich darf erwähnen, daß auf dem Umdruck der Name des Kollegen Unertl fehlt; durch ein technisches Versehen ist der Name nicht mit darauf. Ich hätte aber noch eine Menge Unterschriften bekommen können.
Es handelt sich darum, zu verhindern, daß wir in der Nähe des Bundeshauses ein Wohnhaus für Abgeordnete bauen. Nach meiner Meinung dient es nicht dazu, unser Ansehen zu stärken.
({0})
- Ja, ich bin nun einmal gegen eine kasernierte Unterbringung von Abgeordneten.
({1})
Ich muß Ihnen sagen, unserem Arbeitshaus gegenüber ist, glaube ich, nicht der richtige Platz für ein Wohnheim. So viel Zeit haben wir sicher noch, daß wir in die Stadt zurückgehen können, und da können wir uns auch mit der Bevölkerung auseinandersetzen und uns neue Anregungen holen.
({2})
Meine Gründe für den Antrag, die ich Ihnen neulich genannt habe, will ich nicht alle wiederholen, sondern Ihnen nur zwei nennen, die mich dazu bewogen haben, Sie noch einmal darum zu bitten, diesen Ansatz wieder zu streichen. Einmal halte ich dieses Wohnheim für völlig überflüssig. Sämtliche Abgeordnete sind untergebracht. Es gibt eine große Zahl von Abgeordneten, die auch gern ein Hotelzimmer benutzen. Ich muß Ihnen sagen, man sollte auch dem Gewerbe dadurch nicht die Existenz verderben.
Zweitens - und das ist für mich der maßgebliche Grund - muß ich auf folgendes hinweisen. Wir haben hier so viel von Berlin und der provisorischen Bundeshauptstadt Bonn gesprochen und immer wieder gesagt, wir wollten dokumentieren, daß wir hier provisorisch untergebracht sind. Lassen Sie ab von diesem Perfektionismus, daß wir uns hier nun schon ein Wohnheim errichten! Lassen Sie es bei den jetzigen Zuständen! Dann werden bestimmt unsere Versicherungen glaubhaft bleiben, daß wir Bonn als ein Provisorium ansehen. Das ist für mich der maßgebliche Grund dafür gewesen, Sie darum zu bitten, diesen Ansatz zu streichen.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung zu diesem Änderungsantrag gehört. Es liegen nunmehr noch zwei Entschließungsanträge vor. Frau Abgeordnete Berger-Heise hat das Wort zu Umdruck 320, Antrag der Fraktion der SPD, zur Frage des Wohnungsbaus für Sowjetzonenflüchtlinge.
Meine Herren und Damen! Es geht uns, wie Sie aus dem kurzen Text der Entschließung ersehen, um die Weiterführung der Finanzierung von Flüchtlingswohnungen und Wohnungen für Aussiedler für das Jahr 1960, eines Systems, das sich bewährt hat und das auf einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern vom 3. Dezember 1957 beruht. Nachdem der Bund - ich darf Sie einmal daran erinnern - im Februar 1953 für jeden Flüchtling 1500 DM gegeben hatte, später, 1956, für jeden Flüchtling 2000 DM, kam endlich Ende 1957 die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern zustande ,daß der Bund die Hälfte der Kosten jeder Wohnung übernahm. Da begann der Flüchtlingswohnungsbau endlich vorwärtszukommen.
Sie erinnern sich vielleicht auch der Debatte vom 28. Februar des vergangenen Jahres, als hier die beiden Landesminister die zu späte und zu geringe Mittelbereitstellung monierten und sagten, daß der SBZ-Wohnungsbau deswegen nicht vorwärtskam. Es zeigte sich, daß sie recht hatten. Denn als der Bund die Hälfte der Kosten übernahm, ging der Wohnungsbau sprunghaft vorwärts. Wir sind sehr froh darüber.
Die Länder wissen heute noch nicht - und das ist bedauerlich -, wie die finanzielle Grundlage für das Jahr 1960 aussieht und nach welchem System man finanzieren soll. Wir wollen mit diesem Antrag erreichen, daß die Planung dort nicht gehemmt wird. Sie wissen es selbst: 9 bis 12 Monate dauert es nach der Bewilligung noch, bis eine Wohnung fertiggestellt wird. Wir machen uns also in gewisser Weise auch zum Sprecher der Länder, um so mehr, als im Flüchtlingsausschuß des Bundesrats erst vor einiger Zeit gesagt wurde, daß es noch Lager gibt, in denen Leute seit 12 Jahren sitzen. Der Bundesvertriebenenminister Oberländer hat auch erst vor kurzer Zeit bekanntgegeben, daß sich noch 350 000 Menschen in Lagern befinden.
Wir sind also wirklich verpflichtet, den Wohnungsbau schnell voranzutreiben. Wir wollen aber diesen Antrag nur für das Jahr 1960 stellen. Wenn nachher eine Umfinanzierung kommt - die Länder wissen genau darüber Bescheid, daß eine kommt -, dann sind die Länder darauf vorbereitet.
Dieser Antrag bezweckt also lediglich, das, was sich bewährt hat, weiterzuführen. Deswegen bitten wir Sie um Ihre Zustimmung.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister für Wohnungsbau.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie ich in der zweiten Lesung bereits ausgeführt habe, beschäftigt sich ein Staatssekretärsausschuß der beteiligten Häuser - Wohnungsbau, Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte und Finanzen - mit der Frage der Umfinanzierung im Sowjetzonenflüchtlingswohnungsbauprogramm. Im Anschluß an diese Überlegungen wird mit den Ländern verhandelt werden. Das Ergebnis dieser Verhandlungen wird, wie ich bereits in der Fragestunde Herrn Dr. Brecht sagte, bis zum Herbst feststehen. Es ist beabsichtigt, zu diesem Zeitpunkt entsprechend den Erläuterungen zu Tit. 532 im Haushaltsplan 1959 die für das Rechnungsjahr 1960 vorgesehenen Mittel in dem erforderlichen Umfang an die Länder vorweg zu verteilen, soweit die Länder das beantragen. Damit ist die Kontinuität im Wohnungsbau gegeben.
Zu der Frage, verehrte Frau Kollegin Heise, der Räumung der Altlager - Sie sprachen davon, daß es Lager gibt, in denen Menschen seit 12 Jahren wohnen - hat das Bundeskabinett die gleichen Staatssekretäre Überlegungen anzustellen beauf4156
tragt, damit auch diese Lager in den nächsten Jahren geräumt werden können.
Damit dürfte gewährleistet sein, daß das Bauvolumen gehalten wird, insbesondere auch das des Sowjetzonenflüchtlingswohnungsbauprogramms. Deshalb erübrigt sich die Annahme des Entschließungsantrags der Opposition. Ich habe dagegen keine Bedenken, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen.
Frau Abgeordnete Berger-Heise.
Herr Minister, ich weiß nicht, ob in dieser Ihrer Antwort klargeworden ist, daß es darum geht, den Ländern zu den bisherigen Bedingungen, die den Wohnungsbau so gut vorangetrieben haben, auch die Mittel für das Jahr 1960 zu gewähren, für dieses eine Jahr. Es nützt uns nichts, wenn Ihr Staatssekretärausschuß bis zum Herbst fertig sein will; denn die Länder wollen jetzt wissen, wie sie ihre Planung für 1960 gestalten können.
Meine Damen und Herren, jetzt liegt noch der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU - Umdruck 351 - zum gleichen Thema vor. - Herr Abgeordnter Czaja!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stellen zu der gleichen Frage, die die Frau Kollegin Berger-Heise angeschnitten hat, einen Antrag auf Umdruck 351. Wir sind der Auffassung, daß mit den Steuermitteln - mit denen wir sparsam umgehen müssen - der größte Effekt erzielt werden kann, indem wir mit verbesserten Methoden zu einem gleichen Ergebnis kommen. Wir unterstellen das bei unserem Antrag.
Wir verlangen dabei allerdings, daß die Länder sich mit einer angemessenen Interessenquote, wie sie es versprochen haben, beteiligen.
({0})
Dadurch wird der Wohnungsbau für SBZ-Flüchtlinge und Aussiedler nicht aufgehalten, nachdem 80 000 Wohnungen, die bereits finanziert sind, am 1. April 1959 noch nicht bewilligt und nicht im Bau waren. Wenn diese Wohnungen in diesem Jahr errichtet werden, bleibt, bis die Entscheidung des genannten Gremiums in Zusammenarbeit mit den Ländern fällt, Zeit genug, diese neue Regelung umzusetzen, die besser sein muß. Das unterstellen wir nach unseren bisherigen Anträgen, die bei der Beratung der Großen Anfrage zum SBZ-Wohnungsbau vom Hause einstimmig verabschiedet wurden.
Deshalb bitten wir, unseren Antrag anzunehmen und den der SPD abzulehnen.
Meine Damen und Herren, wir können nun zur Abschimmung über die zum Einzelplan 25 vorliegenden Änderungsanträge und Entschließungen schreiten.
Wer dem Änderungsantrag Umdruck 321, den der Herr Abgeordnete Brecht begründet hat, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen ab über den Änderungsantrag Umdruck 349, den der Herr Abgeordnete Brese begründet hat, über die Wohnungsbauten für Abgeordnete. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Stimmverhältnis ist nicht klar. Wer dem Antrag Brese und Genossen, die Ansätze für Darlehen zur Schaffung von Wohnraum für Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu streichen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag Umdruck 320, den Frau BergerHeise begründet hat. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 351 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 26,
Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 337 vor.
({0})
- Er wird nicht begründet. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Damit ist eine materielle Änderung des Einzelplans 26 erfolgt. Wer dem durch die Annahme des Änderungsantrags Umdruck 337 geänderten Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Einzelplan 26 ist in der geänderten Fassung angenommen.
({1}) - Bei zahlreichen Enthaltungen.
Dann rufe ich auf:
Einzelplan 33, .
Versorgung.
Hierzu liegen keine Änderungsanträge vor, aber ein Entschließungsantrag der Fraktion der Freien Demokraten auf Umdruck 279. Wird das Wort hierzu gewünscht? - Herr Kreitmeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind gern bereit, das Datum etwas herauszuschieben, um der Regierung etwas mehr Luft zu lassen. Aber ich glaube, wir brauchen darüber gar nicht zu debattieren; der Antrag braucht auch dem Ausschuß nicht überwiesen zu werden. Es geht nur darum, daß die Länder angehalten werden, die mit unserm Geld die Leute bezahlen und nicht für ihre Unterbringung sorgen. Der Antrag braucht nur angenommen zu werden. Wir sind damit einverstanden, daß das Datum auf den 30. November verschoben wird.
Auf Wunsch der Antragsteller soll das Datum „30. September" in „30. November 1959" geändert werden. Wer dem Entschließungsantrag auf Umdruck 279 in dieser Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe nun auf:
Einzelplan 36,
Zivile Notstandsplanung.
Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge vor, und zwar zunächst auf Umdruck 269 ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD über die Einsetzung einer unabhängigen Studienkommission. - Herr Abgeordneter Schmitt ({0}) !
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat sich durch den Kollegen Professor Bechert und die Kollegin Frau Renger in der zweiten Lesung bei der Beratung der Einzelpläne 06 und 36 und heute bei der Beratung des Einzelplans 06 so eingehend zu unserem Antrag geäußert, daß ich auf eine weitere Begründung verzichte. Ich bitte Sie um die Annahme des Antrags.
({0})
Der Entschließungsantrag der Fraktion der Freien Demokraten Umdruck 280 zur Zivilen Notstandsplanung war bereits begründet.
({0})
Wer dem Entschließungsantrag Umdruck 269 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Der Entschließungsantrag der Fraktion der Freien Demokraten Umdruck 280 soll an den Ausschuß für Inneres - federführend - und den Haushaltsausschuß - mitberatend - überwiesen werden. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. -Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Jetzt muß ich noch einmal aufrufen: Einzelplan 60,
Allgemeine Finanzverwaltung,
da durch die Beschlüsse, die hier gefaßt worden sind, noch eine Reihe von Änderungen eingetreten ist.
Herr Abgeordneter Vogel.
Zum Ausgleich der in der zweiten und dritten Lesung entstandenen Minderausgaben muß ein entsprechender Ausgleichsbetrag eingesetzt werden. Ich überreiche dem Herrn Präsidenten den entsprechenden Antrag, die Minderausgabe infolge der sechsprozentigen Sperre der Bewilligung für Sachausgaben sowie für allgemeine Ausgaben und einmalige Ausgaben von 315 692 700 DM um 30 583 300 DM - das ist die Summe der Veränderungen, die hier zusätzlich bewilligt worden ist - auf 346 276 000 DM unter Tit. 699 zu erhöhen.
Ich bitte das Hohe Haus, die Zustimmung zu diesem Antrag zu geben.
Sie haben die Begründung des Änderungsantrages Umdruck 352 der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Haushaltsgesetzes gehört. Dieser Antrag sieht die notwendigen Ausgleichsansätze vor.
Wer diesem von dem Abgeordneten Dr. Vogel soeben begründeten Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Wer dem Einzelplan 60 in der soeben geänderten Fassung in der Gesamtabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen zahlreiche Stimmen angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Haushaltsgesetz 1959.
Dazu liegen zwei Entschließungsanträge vor. Zu dem Entschließungsantrag Umdruck 322 hat das Wort der Herr Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Begründung des Entschließungsantrags Umdruck 322 würde mindestens eine halbe Stunde in Anspruch nehmen. Ich will Sie davor bewahren und mich auf einige Sätze beschränken.
Der Herr Bundesfinanzminister hat wiederholt die Einheit des finanziellen Bedarfs betont. Er ließ aber dieser Feststellung nicht die Taten folgen. Mein Freund Schoettle hat zu Beginn der dritten Lesung, wie ich glaube, überzeugend nachgewiesen, daß sich die Bundesregierung Manövriermasse verschaffen kann, wenn sie der Gesamtverantwortung gerecht werden will.
Ich darf ferner Bezug nehmen auf die Ausführungen des Kollegen Eilers zur Frage der Kommunalfinanzen.
Mit dem Entschließungsantrag soll die Bundesregierung angehalten werden, für die Aufstellung des Haushaltsplans 1960 ihre seitherige Politik zu überprüfen und den in dem Antrag zum Ausdruck kommenden Grundsätzen Rechnung zu tragen.
Angesichts der Vielschichtigkeit der angeschnittenen Probleme sind wir damit ,einverstanden, daß der Entschließungsantrag dem Ausschuß zu eingehender Beratung überwiesen wird.
({0})
Zum Entschließungsantrag Umdruck 330 der Herr Abgeordnete Niederalt!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in der allgemeinen Aussprache zur dritten Lesung darauf verzichtet, Ihnen einen Überblick über die Entwicklung der Personalverwaltung zu geben, weil ich das mit der Begründung des Antrags Umdruck 330 verbinden wollte.
Ich darf kurz den Tatbestand in Erinnerung rufen. Wir haben im Jahre 1958 einstimmig eine Entschließung gefaßt, in der wir bezüglich der Personalvermehrung und Stellenhebung einen strengen Maßstab anlegten. Neue Aufgaben oder wesentliche Veränderungen der Aufgaben sollten die Voraussetzung sein. Der Haushaltsausschuß hatte dabei - das will ich ganz offen sagen - die stille Hoffnung, daß er durch die Entschließung in seiner Arbeit auch etwas entlastet werden würde. Leider ist das nicht eingetroffen. Trotz der Entschließung standen wir immer wieder vor langwierigen Verhandlungen mit den einzelnen Ressorts, wenn es galt, neue Stellen zu genehmigen oder abzulehnen, Stellenhebungen durchzuführen oder zu verneinen. Nur die Beweisführung hat sich seitens der Verwaltung geändert. Während man vorher dartat, daß die Stelle an sich notwendig sei, sagt man jetzt: Wegen neuer Aufgaben ist diese Stelle notwendig. Wir waren mit dem Ergebnis nicht hundertprozentig zufrieden. Das darf ich ganz allgemein, nicht bloß für meine Fraktion sagen.
Wie haben sich die Haushaltsberatungen auf Grund der Entschließung gestaltet? Wir haben immerhin von 139 neu angeforderten Beamtenstellen 90 genehmigt. Wir haben von 830 angeforderten neuen Angestelltenstellen immerhin 812 genehmigt, davon allein 286 für die Flugsicherung. Von 198 neu angeforderten Arbeiterstellen haben wir 143 genehmigt. 2076 Stellenhebungen waren angefordert worden. Wir haben 590 echte Stellenhebungen vorgenommen und zusätzlich 1400 Stellenhebungen, die allerdings einfach infolge der Angleichung der Dienstpostenbewertung des Bundesgrenzschutzes an die der Bundeswehr notwendig waren.
Damit sieht - und ich glaube, ich muß in diesem Hohen Hause einmal darauf hinweisen - die Gesamtübersicht über unsere Personallage so aus, daß wir mit Genehmigung des Haushalts 1959 an planmäßigen Beamten einschließlich des Verteidigungsbereichs 77 377, an Angestellten 56 034 und an Arbeitern 53 183 haben. Wenn Sie dann noch die Angestellten und Arbeiter hinzunehmen, die aus Sachtiteln bezahlt werden - es sind 3157 Angestellte und 12 280 Arbeiter -, so haben Sie die runde Zahl von mehr als 200 000 Bundesbediensteten, selbstverständlich ohne Bundesbahn, Bundespost und Soldaten.
Ich glaube, es ist notwendig, daß in einer Haushaltsberatung auf diese Entwicklung hingewiesen wird, und zwar deshalb, weil sich diese Entwicklung immer nur in ganz kleinen Einzelteilen vollzieht und wir vor lauter Einzelteilen häufig die Gesamttendenz übersehen.
Das Aufzeigen dieser Entwicklung ist auch deshalb notwendig, weil wir alle miteinander, das ganze Hohe Haus - und nicht nur der Haushaltsausschuß -, auf diese Entwicklung rechtzeitig unser Augenmerk legen müssen und nicht erst, wenn die Stellen angefordert werden, wenn sie gedruckt im Haushaltsplanentwurf vorliegen. Wir müssen auf diese Entwicklung schon vorher bei unserer gesamten Alltagsarbeit im Bundestag achten.
Ich will jetzt nicht mehr lange auf die Gründe für diese Entwicklung eingehen. Aber folgendes muß ich doch feststellen: wir komplizieren in unseren Gesetzen viel zuviel, wir perfektionieren auch viel zuviel, und die Bundesverwaltung tut ihrerseits ein Übriges dazu, indem sie viel zuwenig nach Schwerpunkten innerhalb der Ressorts und auch innerhalb der gesamten Bundesverwaltung arbeitet.
Diese Situation ist der Ausgangspunkt für den Entschließungsantrag, den wir Ihnen vorlegen. Dieser Entschließungsantrag hat zum Inhalt, daß bei der Aufstellung des Bundeshaushaltplanentwurfs für 1960 keine Stellenvermehrungen und keine Stellenhebungen gegenüber dem Vorjahr zugelassen werden sollen. Eine Ausnahme muß naturgemäß für den Einzelplan 14, für den Aufbau unserer Bundeswehr gemacht werden.
Der von uns vorgelegte Entschließungsantrag hat, abgesehen von der allgemeinen Tendenz, die ich ganz kurz aufzuzeigen versuchte, noch zwei besondere Gründe.
Der eine Grund ist der, daß das Haushaltsjahr 1960 voraussichtlich nur ein abgekürztes Haushaltsjahr von einem Dreivierteljahr sein wird. Ihnen ist bekannt, daß der Haushaltsausschuß beschlossen hat, die Bundesregierung zu ersuchen, die Vorbereitungen dafür zu treffen, daß mit dem 1. Januar 1961 das Haushaltsjahr in das Kalenderjahr übergeführt werden kann. Das bedeutet, daß der Haushalt 1960 nur für ein Dreivierteljahr gilt. Wir meinen, es ist für die Verwaltung durchaus zu ertragen, daß diese kurze Zeit mit dem Personal überbrückt wird, das wir im Haushalt 1959 neu genehmigt haben. Weiter sind wir der Auffassung, daß die Bundesregierung gar nicht in der Lage ist, jetzt schon neue Stellen anzufordern, wenn sie es ernst nimmt, und zwar deswegen, weil die Anforderungen für den Haushaltsplan 1960 bereits in diesen Tagen vorgenommen werden, obwohl der alte Haushaltsplan 1959 noch gar nicht in Kraft getreten ist, so daß überhaupt keine Erprobungszeit zur Verfügung steht.
Ich verkenne nicht, daß diese Entschließung - von der allgemeinen Entwicklung abgesehen - auch von dem absolut verständlichen Wunsch aller Mitglieder im Haushaltsausschuß getragen ist, endlich einmal eine etwas vernünftigere Arbeit im Haushaltsausschuß leisten zu können.
({0})
Wir wollen auf die Dauer nicht diese Sysiphusarbeit auf uns nehmen, wir können es nicht verantworten, daß wir auf die Dauer - nur wegen irgendwelcher Inspektoren- oder Ministerialratsstellen - von anderen wichtigen politischen Aufgaben ferngehalten werden. Wir sind nicht als Amtsräte in den Bundestag gewählt worden, sondern als Vertreter des Volkes.
Aus diesem Grunde bitte ich die Damen und Herren des Hohen Hauses, dem Entschließungsantrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren! Sie haben auch diese Begründung gehört. Ich darf zunächst über die beiden Entschließungen abstimmen lassen. Es liegt noch eine Wortmeldung zur allgemeinen Aussprache vor.
Der Antrag Umdruck 322 soll nach dem Wunsche der Antragsteller an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist so beschlossen.
Wir kommen nun zu dem Entschließungsantrag Umdruck 330, den der Herr Abgeordnete Niederalt soeben begründet hat. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Soweit ich sehe, bei ganz wenigen Enthaltungen angenommen.
Dann hat Herr Abgeordneter Jahn ({0}) um das Wort vor der Abstimmung gebeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie namens der Fraktion der SPD, den Entschließungsantrag zu Ziffer 2 auf Drucksache 1079 abzulehnen. Der Haushaltsausschuß fordert darin eine Entscheidung, deren Tragweite zu groß ist, als daß sie in dieser Form und bei dieser Gelegenheit gefällt werden könnte.
Es geht um den Anspruch des einzelnen Bürgers, sein Recht zu verfolgen und zu finden. Dieser Anspruch ist im Grundgesetz verbürgt. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, daß er verwirklicht werden kann. Dazu gehört in unserer Rechtsordnung das Rechtsmittel der Revision. Seine Ausgestaltung und sein Umfang dürfen aber nicht fiskalischen Überlegungen untergeordnet werden. Nicht Haushaltsinteressen, sondern allein rechtsstaatliche Überlegungen dürfen die Organisation unserer Gerichtsbarkeit bestimmen. Es kommt ja auch niemand auf den Gedanken, andere Gesetze oder verfassungsmäßige Aufgaben, z. B. die Höhe der Pensionslasten, aus fiskalischen Gründen abbauen zu wollen.
Wir verkennen nicht die große Belastung der oberen Bundesgerichte. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein gewichtiger Grund liegt z. B. darin, daß die Beseitigung der Kriegs- und Nachkriegsfolgen zwangsläufig besondere Schwierigkeiten mit sich bringt. Es soll auch nicht bestritten werden, daß häufig, besonders auch von der Verwaltung, Rechtsmittel mißbräuchlich eingelegt werden. Dieser Schwierigkeiten wird man aber nicht Herr, indem man den nötigen Rechtsschutz einschränkt, und
zwar dann zwangsläufig auch für den einzelnen rechtsuchenden Bürger. Wenden wir uns vielmehr da, wo Mißbräuche festgestellt werden, an die dafür Verantwortlichen!
Lassen Sie uns im übrigen die schwierigen Fragen in Ruhe bedenken. Hüten wir uns aber davor, an unsere rechtsstaatliche Ordnung die fiskalische Elle zu legen. Das Ende eines solchen Weges ist nicht abzusehen.
Ich bitte also nochmals, dem Entschließungsantrag zu Ziffer 2 nicht zuzustimmen. Ich bitte außerdem darum, darüber getrennt abstimmen zu lassen.
Meine Damen und Herren, es ist beantragt, über die Ziffern 1 und 2 getrennt abstimmen zu lassen. Ich werde nachher so verfahren.
Der Abgeordnete Schneider ({0}) hat seine Wortmeldung zurückgezogen; er hat seine Ausführungen schriftlich zu Protokoll gegeben.*)
({1})
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in einer schwierigen Lage; ich höre zum erstenmal, daß man seine Ausführungen zu Protokoll geben kann. Aber der Bundesfinanzminister hat diese Diskussion mit seinen Wortmeldungen bisher ja nicht sehr belastet. Ich hatte eigentlich das Gefühl, daß ich noch ein paar Sätze zu meiner Finanzpolitik im Grundsätzlichen sagen sollte.
({0})
Ich bitte daher um Entschuldigung, wenn ich ihre Zeit noch einen kleinen Augenblick in Anspruch nehme.
In die dritte Lesung des Bundeshaushaltsplans 1959 ist in diesem Jahre eine große politische Debatte eingebettet worden. Sie war bestimmt von der Sorge um unseren jungen Staat und seine künftige Führung. Der Abschluß unserer Haushaltsberatungen und das, was der Bundesfinanzminister dazu noch zu sagen hat, stehen daher ganz naturgemäß im Schatten dieser geschichtlichen Entscheidung. Dennoch möchte ich mit einigen Worten auf mehrere der tragenden Grundgedanken meiner Finanzpolitik und der Kritik an ihr, die hier vorgetragen worden ist, eingehen,
Alle Redner, seien es die der Regierungskoalition, seien es die der Opposition, haben nicht verkannt, daß die Entwicklung unserer Finanzen in einen neuen Abschnitt eingetreten ist. Diese neue Linie wird mit dem Schlagwort von einer Finanzpolitik am Rande des Defizits bildlich gekennzeichnet. Ich werde nicht müde, die Ziele dieser meiner Finanzpolitik immer wieder hervorzuheben:
1. Die öffentlichen Ausgaben sollen so niedrig wie möglich gehalten werden.
*) Siehe Anlage 39.
Bundesfinanzminister Etzel
2. Nut niedrige öffentliche Ausgaben erlauben es uns auf die Dauer, die Steuerlast so niedrig zu halten, wie sie nunmehr nach mehreren Steuersenkungen geworden ist.
({1})
3. Das wachsende Volkseinkommen, das durch eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik - ich betone diese Einheitlichkeit - bisher von Jahr zu Jahr heraufgeführt wurde, soll unseren Mitbürgern in größtmöglichem Umfang zur freien persönlichen Verfügung verbleiben, mögen sie es nun im wachsenden Wohlstand verbrauchen oder, was mir persönlich lieber wäre, zur Mehrung des Vermögens durch Sparen nutzen.
4. Es sollen nicht mehr Steuern erhoben werden, als die Deckung des unabweisbaren Staatsbedarfs es erfordert. Über das Ausmaß der Steuerlast entscheiden die Ausgabenbeschlüsse des Parlaments. Hier, meine Damen und Herren, liegt Ihre große Verantwortung bei Ihrem alljährlichen Haushaltsbeschluß, den Sie gleich durch Annahme des Gesetzes fassen werden.
Eine Finanzpolitik nach diesen Grundsätzen ist gewiß nicht leicht und gewiß nicht gefahrlos. Im Schatten eines wohlgefüllten Juliusturms schläft der Finanzminister besser als am Rande des Defizits. Es ist aber richtiger, daß das ganze Volk in wachsendem Wohlstand und so in sozialem Frieden und ohne Sorgen um seine Währung seiner Arbeit in Ruhe nachgehen kann. In dieser Grundhaltung ist meine Finanzpolitik in der Tat zugleich eine einzige große sittliche Bemühung um Freiheit, Ordnung und Wohlstand aller.
Der Abgeordnete Lenz hat die ewige Wiederkehr der gleichen Fragen als die Kennzeichnung des Bundeshaushaltsplans auch für dieses Jahr bezeichnet. Das ist gewiß richtig, wenn wir den Blick auf die vielen Einzelfragen von zum Teil bedeutendem Rang richten, die die Haushaltsdebatte angereichert haben.
Der fortgeschrittene Stand der Beratungen in später Abendstunde erlaubt es mir nicht, auf diese Fragen noch einmal einzugehen, so gern ich es zu einigen Punkten täte. Nur drei dieser Einzelfragen muß ich dennoch kurz streifen: zum ersten die Entwicklung unserer Sozialausgaben mit ihren zusätzlichen Deckungsansprüchen, zum zweiten die Einheit der öffentlichen Finanzen von Bund, Ländern und Gemeinden auf der Grundlage einer einheitlichen Wirtschaftsordnung und drittens die Probleme, die der Ausgleich dieses Haushalts aufwirft.
Die Sozialleistungen aller Art sind in neun Jahren von rund 12 Milliarden DM auf rund 31 Milliarden DM gestiegen, haben sich beinahe verdreifacht; sie beanspruchen heute schon fast 13 v. H. des Sozialproduktes. Unübersehbare weitere Ansprüche sind angemeldet.
Schon in der Vergangenheit stiegen die Sozialleistungen stärker an als das Sozialprodukt und das Steueraufkommen. Die Grenze, an der ,ein wohlverstandener sozialer Rechtsstaat in einen selbstmörderischen Versorgungsstaat und Wohlfahrtsstaat umschlägt, darf aber nicht überschritten werden.
Für eine verbesserte Versorgung der Kriegsopfer enthält der Ihnen vorliegende Haushaltsplan noch keine zusätzlichen Mittel. Jedoch werden die Mehrleistungen entsprechend der Regierungsvorlage mit einem Jahresbedarf von rund 550 Millionen DM im Rechnungsjahr 1959 durch Ausgabeneinsparung gedeckt werden können. Da gleiche gilt für die Mehrlasten des Bundeshaushaltes aus der Anpassung der Fremd- und Auslandsrenten, über die der Bundestag ebenfalls demnächst noch beschließen muß.
Die Bundesregierung hält an dem Grundsatz fest, daß im Haushaltsplan zunächst nur solche Ausgaben veranschlagt und gedeckt werden, deren Höhe bei der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes feststeht. Sie genügt nach meiner Meinung ihrer finanzpolitischen Verantwortung, wenn sie geeignete Dekkungsmaßnahmen für die Mehrausgaben vorsieht, die aus ihren Gesetzentwürfen entstehen werden.
Mehrausgaben, die den bisherigen Gesamtrahmen des Bundeshaushalts übersteigen, können künftig nur durch weniger Ausgaben für andere Zwecke oder durch eine Erhöhung der Steuern gedeckt werden.
Der Weg, der uns hier in der Aussprache mehrfach empfohlen wurde, nämlich die Ausweitung des außerordentlichen Haushalts durch eine größere Verschuldung, ist uns versperrt. Über das Ausmaß der Verschuldung aller öffentlichen Aufgabenträger entscheiden doch die Möglichkeiten des Kapitalmarktes. Das äußerste Maß der Neuverschuldung ist für den Bund mit rund 4 Milliarden DM bei der gegenwärtigen Lage des Kapitalmarktes nach der Auffassung der Bundesregierung und der Deutschen Bundesbank erreicht.
In der Aussprache ist mit beredten Worten und zum Teil mit beachtlichen Argumenten auf die Entwicklung der Länder- und Gemeindefinanzen hingewiesen worden. In der Tat darf der Bundesfinanzminister nicht bloß an seinen eigenen Haushalt denken. Es scheint auch mir, daß vor allem die Entwicklung der Gemeindefinanzen in absehbarer Zeit in einigen Fragen zu Entscheidungen drängt, die nur durch Bundesgesetz getroffen werden können.
Allgemeine Feststellungen und Berechnungen über die Finanznöte der Gemeinden und Gemeindeverbände sind immer mißlich und nur beschränkt brauchbar, weil dabei die erheblichen Unterschiede der Aufgabenlasten und der Steuerkraft zwischen den einzelnen Gemeindegruppen und Gemeinden nicht zum Ausdruck kommen. Vielen Gemeinden mit unzureichender Finanzausstattung stehen andere gegenüber, denen die sprunghafte Steigerung des Gewerbesteueraufkommens und andere günstige Umstände eine weit überdurchschnittliche Ausgabengebarung erlauben.
Nach meinen Eindrücken sollte und müßte zunächst einmal ein besserer Ausgleich der Ausgabenlasten und der Steuerkraft unter den Gemeinden im Rahmen des Finanzausgleichs in den Ländern angestrebt werden.
Bundesfinanzminister Etzel
Die Bundesregierung ist dazu weder aus der Natur der Dinge berufen noch nach der Verfassung befugt.
Aus den gleichen Gründen ist eine Beteiligung der Gemeinden und Gemeindeverbände am Aufkommen der Umsatzsteuer mit einem lasten- und steuerkraftausgleichenden Verteilerschlüssel nichtmöglich.
Unsere heutige Finanzverfassung würdigt nach meiner Meinung nicht ausreichend den gleichberechtigten Rang, den die Aufgaben der Gemeinden neben denen der Länder und des Bundes beanspruchen können. Mit diesen Verfassungsumständen müssen wir uns abfinden, obwohl die Gemeinden politisch und finanzwirtschaftlich eine dritte tragende Säule unseres Finanzsystems sind.
Welche Maßnahmen der Bundesgesetzgeber im Interesse der Gemeindefinanzen ergreifen kann, ist zur Zeit noch nicht zu übersehen. Ob die allgemeine Erhöhung der Grundsteuer um 40 v. H. durch Bundesgesetz und ihre Abwälzung auf die Mieter, wie die kommunalen Spitzenverbände sie vorschlagen, dazu das rechte Allheilmittel wäre, ist mir zweifelhaft. Wahrscheinlich wird es mehrerer gleichgerichteter Einzelmaßnahmen bedürfen, wobei auch das Problem der Stellung der Gewerbesteuer im Rahmen des gemeindlichen Finanzsystems erörtert werden sollte. Die Diskussion über diesen schwierigen Fragenkreis ist im vollen Gang. Die Erörterungen mit den Beteiligten haben begonnen.
Im übrigen darf hierbei nicht vergessen werden, daß schon das Straßenbaufinanzierungsgesetz nach der Absicht der Bundesregierung mittelbare Finanzverbesserungen in Höhe von 250 bis 300 Millionen DM zugunsten der Gemeinden bringen soll.
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- „Schon" habe ich gesagt!
Nur noch einige Worte zu dem Ausgleich des Ihnen vorliegenden Haushaltsplans 1959. In der Aussprache klang durch, daß dieser Ausgleich nur durch Finanzkunststücke erreicht werden könne, die dem Grundsatz der Haushaltswahrheit widersprächen. Gewiß ist es nicht schön, den Ausgleich eines Haushaltsplans schließlich nur durch eine allgemeine Vom-Hundert-Kürzung der vorgesehenen Ausgaben erreichen zu können. So sind wir im vergangenen Jahr verfahren, so müssen wir leider auch in diesem Jahr verfahren. Aber, meine Damen und Herren, diese Form des Spitzenausgleichs ist keine Beeinträchtigung des parlamentarischen Haushaltsbewilligungsrechts, wie hier gesagt wurde, sondern eine Maßnahme, die das Parlament selbst beschließt. Sie stellt einen echten Ausgleich dar, wie uns auch der Ablauf der Vorjahre bewiesen hat. Die Abschlußrechnung dieser Jahre weist diese Einsparungen als verwirklicht aus und beweist die - allerdings begrenzte - Eignung dieses Ausgleichsmittels.
Ein Haushaltsplan wird zwar nur für ein Jahr beschlossen, aber in dem großen Ablauf der Ereignisse ist er ein Glied in einer ununterbrochenen Kette wirtschaftlich-finanzieller Zusammenhänge. Soweit diese auf einige Jahre vorhergesehen werden können, sollte man sich schon jetzt Gedanken über die Finanzpolitik der kommenden Jahre machen.
Ich habe deshalb erstmals versucht, eine solche Vorschau auf der Grundlage eines Rahmen-Finanzplans für die nächsten zwei Jahre zu machen. Ein solcher Finanzplan für mehrere Jahre steht natürlich unter vielen noch unbekannten Voraussetzungen. Die wichtigste Grundannahme ist die Steigerung des Sozialprodukts, die wir für 1959 mit 5,5 v. H., für 1960 mit 4,5 v. H. und für 1961 mit 4 v. H. angenommen haben.
Diese Vorschau auf die kommenden Jahre hat in mir die Überzeugung gefestigt, daß in dieser Zeit eine Erhöhung der großen Bundessteuern nicht erforderlich sein wird, wenn wir den Gesamtrahmen der Ausgaben im großen unverändert halten und dem Einnahmerahmen anpassen. Es wird der schwerste Teil der Arbeit bei der Vorbereitung der Haushaltspläne für die kommenden Jahre sein, diesen Ausgaberahmen .zu halten. Die geplante Erhöhung der Mineralölsteuer soll als Ausnahme bewußt hingenommen werden, weil sie zweckgebunden einer wesentlichen Vergrößerung des Straßenbaues und der Regelung des Problems der kommunalen Finanzen dient.
Die Beratung des Haushaltsplans, den wir heute praktisch verabschiedet haben, hat mir das beruhigende Gefühl gegeben, daß diese Zusammenhänge von allen Parteien des Hohen Hauses erkannt und gewürdigt worden sind. Die Meinungen über den Vorrang der Ausgaben untereinander werden gewiß entsprechend der unterschiedlichen politischen Überzeugung und dem unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Leitbild verschieden sein.
Dennoch bin ich davon überzeugt, daß die Grundentscheidungen unserer Finanzpolitik objektiviert werden müssen und können. Die gute Zusammenarbeit zwischen Regierungskoalition und Opposition gerade im Haushaltsausschuß hat das auch in diesem Jahr wieder bewiesen. Es ist mir ein dringendes Bedürfnis, hier an dieser Stelle ganz besonders dem Haushaltsausschuß und an seiner Spitze seinem Vorsitzenden, dem Herrn Abgeordneten Schoettle, für das große Maß der geleisteten Arbeit Dank zu sagen,
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aber auch für die Objektivierung der Behandlung der Probleme. Die tätige und verantwortungsbewußte Mitarbeit der Opposition hierbei anzuerkennen, ist mir persönliches Bedürfnis.
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Die finanzpolitische Zukunft zeichnet sich erst in groben Umrissen ab. Sie wird bestimmt von der allgemeinen Entwicklung von Wirtschaft und Konjunktur. In diese gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge auch die finanzpolitischen Entscheidungen einzuordnen, ist das besondere Ziel meiner Arbeit. Für mich gibt es keine eigenständige Finanz- und Haushaltspolitik um ihrer selbst willen. Die Förderung des allgemeinen Wohlstandes auf der Grundlage geordneter Finanzen ist unser letztes Ziel. In den beiden letzten Jahren haben wir dieses Ziel mit der Verwirklichung des „magischen Dreiecks" von
Bundesfinanzminister Etzel
Vollbeschäftigung, stabilen Preisen und Löhnen und aktiver Zahlungsbilanz erreicht. Auf diesem schmalen Pfad des höchstmöglichen Wohlstandes bei bestmöglicher Finanzordnung wollen wir auch in den nächsten Jahren fortschreiten.
In diesem Sinne bitte ich Sie, das Haushaltsgesetz anzunehmen.
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Wird das Wort zur Abstimmung noch weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Damit sind wir dann tatsächlich am Ende der Beratungen über den Bundeshaushalt 1959 angekommen.
Ich darf diejenigen Damen und Herren, die dem Haushaltsgesetz Drucksache 1079 gemäß Ziffer 1 des Ausschußantrags zuzustimmen wünschen, bitten, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das Haushaltsgesetz 1959 ist gemäß dem Antrag des Haushaltsausschusses in Ziffer 1 der Drucksache 1079 angenommen.
Wie der Herr Bundesminister der Finanzen darf auch ich den Damen und Herren des Haushaltsausschusses, deren Arbeitsüberlastung der Kollege Niederalt vorhin so beklagt hat, noch einmal recht herzlich danken. Wir alle wissen, was hier geleistet worden ist.
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Es ist noch über den Antrag unter Ziffer 2 der Drucksache 1079 - Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses - abzustimmen. Herr Abgeordneter Jahn hatte darum gebeten, diesen Antrag abzulehnen. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit großer Mehrheit angenommen. Damit ist endgültig der Haushalt als solcher erledigt.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({1}) über den Antrag der Fraktionen der DP, CDU/CSU betr. Angleichung des Haushaltsjahrs an das Kalenderjahr und über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1958 ({2}).
Es ist über einen Antrag Beschluß zu fassen, der hier schon einige Jahre hindurch immer wieder eine Rolle gespielt hat. Ich darf die ganz besondere Aufmerksamkeit des Hauses auf diesen Antrag lenken, mit dem die Bundesregierung ersucht wird, a) einen Gesetzentwurf vorzulegen mit dem Ziel, den § 2 der Reichshaushaltsordnung dahingehend abzuändern, daß - bereits vom Rechnungsjahr 1961 ab - das Haushaltsjahr sich jeweils über die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember erstreckt; b) in Verhandlungen mit den Ländern dafür einzutreten, daß die Länder und Gemeinden ihrerseits sich dem Vorhaben des Bundes anschließen.
Wer der Ziffer 1 des Antrags des Haushaltsausschusses auf der Drucksache 1124 zuzustimmen wünscht, den bitte ich wegen der besonderen Bedeutung dieser Angelegenheit, auch das durch Erheben zu bekunden. - Ich glaube, daß es für die noch in Frage kommenden Verhandlungen mit den Ländern doch sehr eindrucksvoll ist, daß der Deutsche Bundestag diesen Antrag einstimmig angenommen hat.
Es ist jetzt noch über den Antrag unter Ziffer 2 der Drucksache 1124 abzustimmen, wonach der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 153 durch die eben erfolgte Beschlußfassung für erledigt erklärt wird. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Es ist so beschlossen.
Der Herr Bundesminister der Finanzen teilt noch mit, daß er seine Rede, die er auch noch zu Protokoll geben will, um einige Seiten gekürzt hat *).
Damit darf ich die heutige Sitzung des Deutschen Bundestages schließen. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Donnerstag, den 18. Juni 1959, 15 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.