Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/8/1959

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren! Wir beklagen ({0}) den Tod unseres lieben Kollegen Anton Diel. Anton Diel ist am 6. April nach langem, schwerem Leiden gestorben. Er wurde am 25. Januar 1898 in Horressen geboren. Er erlernte das Elektrohandwerk und war schon von früher Jugend an in der Gewerkschaftsbewegung tätig. 1933 gehörte er zu den Opfern der Tyrannei. Er wurde eingesperrt, kam später wieder heraus und hat den Krieg recht und schlecht überstanden. Von 1945 bis 1948 war Anton Diel Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Horressen. Danach war er in der Arbeitsverwaltung tätig. In der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands war er Vorsitzender für den Unterbezirk Montabaur und Vorstandsmitglied im Bezirk RheinlandHessen-Nassau. Er war Mitglied des Kreistages des Unterwesterwaldkreises, Vorsitzender der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr für den Regierungsbezirk Montabaur und Landesvorstandsmitglied dieser Gewerkschaft in Rheinland-Pfalz. Unserem Bundestag gehörte der Verstorbene seit 1949 an. Er war ein treuer Mitarbeiter, insbesondere im Ausschuß für Inneres. Ich spreche Ihnen, der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, und den Angehörigen des verstorbenen Kollegen unser herzliches Beileid aus. Der Deutsche Bundestag bewahrt Anton Diel ein dankbares und herzliches Gedenken. - Sie haben sich zu seinen Ehren erhoben. Ich danke Ihnen. Für unseren verstorbenen Kollegen Heinrich ist mit Wirkung vom 19. März der Herr Abgeordnete Killat, für den ausgeschiedenen Abgeordneten Gleisner ist mit Wirkung vom 20. März der Abgeordnete Scheuren in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße die neuen Kollegen in unserer Mitte und wünsche ihnen eine gute Zusammenarbeit. ({1}) Den Glückwunsch zum 79. Geburtstag spreche ich dem Herrn Abgeordneten Dr. h. c. Pferdmenges aus. ({2}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die heutige Tagesordnung erweitert um die Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses ({3}) über den Entwurf einer Fünften Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1959 ({4}) ({5}). Das Haus ist damit einverstanden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 20. März 1959 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt: Drittes Gesetz zur Änderung des AngestelltenversicherungsNeuregelungsgesetzes ({6}) Fünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin ({7}) Gesetz zu den drei Abkommen vom 3. April 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Portugiesischen Republik über deutsche Vermögenswerte in Portugal auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes und über die Liquidation des früheren deutsch-portugiesischen Verrechnungsverkehrs Gesetz zu den zwei Abkommen vom 8. April 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien über gewisse Auswirkungen des zweiten Weltkrieges und über die Wiederherstellung gewerblicher Schutzrechte. In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat zum Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Mühlengesetzes verlangt, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drucksache 953 verteilt. Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 18. März 1959 unter Bezug auf den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 12. Juni 1958 über die Häufigkeit und die Ursachen von Mißgeburten in der Bundesrepublik Deutschland seit 1950 berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache 954 vervielfältigt. Der Herr Präsident der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein hat unter dem 19. März 1959 gemäß II 6 und 9 des Branntweinmonopolgesetzes den Geschäftsbericht der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein sowie die Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr 1957/58 ({8}) vorgelegt. Der Bericht wird als Drucksache 959 verteilt. Der Leiter der Monopolverwaltung für Branntwein beim Landesfinanzamt Berlin hat unter dem 18. März 1959 den Geschäftsbericht der Monopolverwaltung für Branntwein beim Landesfinanzamt Berlin und die Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr 1957/58 vorgelegt. Der Bericht ist als Drucksache 956 verteilt. Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter Bezugnahme auf seine Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Entwicklung des Milchentkeimungsverfahrens durch Ausschleudern - Drucksachen 684, 760 - den angekündigten Bericht des Herrn Dr. Gantz von der Bundesforschungsanstalt für Milchwirtschaft in Kiel übersandt, der im Archiv zur Einsichtnahme aufliegt. Der Herr Präsident des Statistischen Bundesamtes als Bundeswahlleiter hat unter dem 20. März 1959 eine Zusammenstellung der Erststimmen der Bundestagswahl 1957 nach den von der Wahlkreiskommission vorgeschlagenen neuen Wahlkreisen übersandt, der an die Mitglieder des Hauses verteilt ist. Ein Exemplar der Zusammenstellung liegt im Archiv zur Einsichtnahme auf. Präsident D. Dr. Gerstenmaier Der Herr Bundesminister der Hnanzen hat unter dem 6. April 1959 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kroll, Becker ({9}) und Genossen betr. Gesetzliche Regelung der Entschädigung für innerdeutsche Reparationsverluste ({10}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 965 verteilt. Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 19. März 1959 ihre Große Anfrage betreffend Verfassungsschutz - Drucksache 625 - zurückgezogen. Damit, meine Damen und Herren, komme ich zur Tagesordnung. Punkt 1: Fragestunde ({11}). Im Blick auf das vorsichtig besetzte Haus sage ich gleich zum Anfang, daß die Fragen der Mitglieder des Hauses, die nicht anwesend sind, oder Fragen, die nicht übernommen werden, heute auch nicht beantwortet werden. ({12}) Frage 1 - des Herrn Abgeordneten Dr. Menzel - betreffend Ermittlungsverfahren gegen den Präsidenten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und gegen den Botschafter Blankenhorn: Warum hat der Herr Bundeskanzler seinerzeit die Weisung erteilt, die Justizbehörden im Ermittlungsverfahren gegen den Präsidenten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Herrn Hallstein, und gegen den Botschafter Herrn Blankenhorn unter keinen Umstanden zu unterstützen? Warum hat der Herr Bundeskanzler in der Justizdebatte des Deutschen Bundestages am 22. Januar 1959 diesen Brief verschwiegen, obwohl er am Schluß seiner Rede erklärte, er habe Wert darauf gelegt, den Bundestag „sehr präzis und genau„ zu unterrichten, und wie ist seine Weisung an die nachgeordneten Behörden, bei der Aufklärung der Vorwürfe gegen die Herren Hallstein und Blankenhorn nicht zu helfen, zu vereinbaren mit seiner Schlußcrklärung, daß es sich die Bundesregierung „einfach nicht leisten könne, daß Beschuldigungen gegen so hohe Beamte in solch wichtigen Stellungen in einer Zeit wie der unsrigen viele, viele Monate lang einfach im Raum schweben"? Zur Antwort der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes.

Not found (Staatssekretär:in)

Meine Damen und Herren! Auf die gestellte Frage möchte ich folgendes antworten: Über die Entschließungen der Bundesregierung auf die Ersuchen der Staatsanwaltschaft um Erteilung von Aussagegenehmigungen und Vorlage von Akten hat die Bundesregierung bereits auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der FDP vom 5. Mai 1956 dem Hohen Hause berichtet. Ich darf auf die Ausführungen in der Bundestagsdrucksache 2427 der 2. Wahlperiode Ziffer 4 verweisen. Wenn es gewünscht wird, kann ich den Wortlaut wiederholen. Im übrigen ist folgendes zu sagen: In der Justizdebatte vom 22. Januar 1959 hat der Herr Bundeskanzler lediglich den Beschluß der Bundesregierung vom 5. November 1958 näher begründet. Es bestand keine Veranlassung, auf die Vorgänge aus der Vorgeschichte des Strafverfahrens näher einzugehen, die dem Bundestag aus der Beantwortung der soeben erwähnten Kleinen Anfrage ohnehin bekannt waren.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage?

Dr. Walter Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001476, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, damit ist vielleicht Absatz 1 meiner Frage, wenn auch nicht erschöpfend, aber immerhin unter Hinweis auf Erklärungen vor drei Jahren im Bundestag, beantwortet. Es ist aber nicht beantwortet Absatz 2 meiner Frage. Ich bitte darum.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um das Verständnis des Hauses, wenn ich in diesem Zusammenhang, bei dieser Lage des Prozeßverfahrens nicht auf Einzelheiten eingehe, ({0}) die unter Umständen als störend empfunden werden könnten ({1}) im Verlauf des Prozesses.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine zweite Zusatzfrage.

Dr. Walter Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001476, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Herr Staatssekretär, ich darf folgendes fragen. Wenn das, was Sie soeben ausführten, die Auffassung des Herrn Bundeskanzlers auch in der Justizdebatte gewesen ist - warum hat er dann damals dem Hohen Hause ausdrücklich bestätigt, er habe „sehr präzis und genau" geantwortet, und er müsse sich darüber beschweren, daß - ({0}) - der Herr Bundeskanzler konnte ja antworten, Herr Kollege Rasner! - - und er müsse sich darüber beschweren, daß die Behandlung des Falles Strack so lange gedauert habe. Das steht doch im Widerspruch zu dem, was Sie soeben sagten.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident, ich glaube, ich kann dem, was ich namens der Bundesregierung erklärt habe, nichts hinzufügen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Die Frage 2 ist zurückgezogen. Die Frage 3 wird von dem Herrn Abgeordneten Wischnewski übernommen. Sie betrifft ein Attentat auf einen Algerier und Sprengstoffanschläge auf die Waffenhändler Schlüter und Puchert und auf den Dampfer „Atlas": Stimmt es, daß die französische Polizei die Nachforschungen nach dem Attentäter des Algeriers Art Ahcene mit der Begründung ablehnt, es handele sich um ein politisches Delikt? Welche politischen Motive vermutet die Bundesregierung hinter den Sprengstoff-Anschlägen auf die Waffenhändler Schlüter und Puchert und auf den Dampfer „Atlas"? Zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär des Bundesinnenministeriums das Wort.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur ersten Frage darf ich folgendes ausführen. Es trifft nicht zu, daß die französische Polizei die Nachforschungen nach dem Attentäter des Algeriers Ait Ahcene mit der Begründung ablehnt, es handele sich um ein politisches Delikt. Die französische Polizei hat auf Anfrage Auskünfte über den mutmaßlichen Attentäter erteilt und dabei insbesondere eine Darstellung über die Machtkämpfe der rivalisierenden algerischen Gruppen gegeben. Zur zweiten Frage darf ich folgendes sagen. Die Sprengstoffanschläge auf die Waffenhändler Schlüter und Puchert und auf den Dampfer „Atlas" sind Gegenstand noch schwebender Strafverfahren. Die Bundesregierung ist daher nicht in der Lage, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und welche politischen Motive hinter diesen Anschlägen zu vermuten seien.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage. Frage 4 - des Herrn Abgeordneten Windelen - betreffend Vorratshaltung der Bundesregierung an leicht verderblichen Lebensmitteln: Trifft es zu ({0}), daß die Vorratshaltung an leicht verderblichen Lebensmitteln nicht einmal für einen Zweitagebedarf ausreicht und daß infolgedessen eine größere Zahl von Kühlhäusern nur zwischen 10 und 40 v.H. ihrer Kapazität ausnutzen kann? Erwägt die Bundesregierung im Rahmen der zivilen Notstandsplanung Maßnahmen zur Verstärkung dieser Vorräte, um im Falle von Krisen Versorgungsschwierigkeiten zu begegnen? Zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten das Wort.

Dr. h. c. Heinrich Lübke (Minister:in)

Politiker ID: 11001385

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Herrn Abgeordneten Windelen möchte ich wie folgt beantworten. Der Bund lagert an leicht verderblichen Lebensmitteln lediglich Butter und Gefrierfleisch in Kühlhäusern ein. Die Einlagerungen reichen zeitweise nicht aus, um einen Zwei-Tage-Bedarf zu decken. Es ist hier jedoch zu berücksichtigen, daß die öffentliche Vorratshaltung an Butter und Gefrierfleisch nicht zum Ziel hat, den Bedarf der Bevölkerung für einen bestimmten Zeitraum und vollständig zu decken. Vielmehr besteht der Zweck dieser Vorratshaltung darin, durch Marktentnahmen und Marktbelieferungen einen saisonalen Marktausgleich herbeizuführen und im Zusammenwirken mit den Produzenten und dem Handel auch die Ernährung zu sichern. Die Höhe der Bestände der Vorratsstellen - und dementsprechend auch ihre Reichweite - unterliegt daher von Jahr zu Jahr wie auch saisonal und regional erheblichen Schwankungen. So schwankten z. B. die Einlagerungen von Butter in den Jahren 1954 bis 1958 zwischen 100 t und 15 000 t. Die Gefrierfleischeinlagerungen wiesen im gleichen Zeitraum Schwankungen zwischen 2000 t und 35 000 t auf. Der Umstand, daß der Bund die Kühlhäuser nicht ständig in einem bestimmten Umfange beschäftigt, ist jedoch für die Frage der Kapazitätsausnutzung nur von untergeordneter Bedeutung. Die Kühlhäuser werden in erster Linie von der privaten Hand beschäftigt. Die Einlagerungen des Bundes treten demgegenüber zurück. Sie machen nur etwa den sechsten Teil der privaten Aufträge aus. Infolge der Eigenart des Kühlgutes weisen auch die Einlagerungen des Handels erhebliche saisonale und regionale Unterschiede auf. Zu dem zweiten Teil der Frage darf ich folgendes sagen. Eine Ergänzung der aus dem saisonalen Marktausgleich resultierenden Einlagerungen durch die Anlegung von Dauervorräten war bei Butter und Gefrierfleisch bisher aus Haushaltsgründen nicht möglich. Auch in der Notstandsplanung für 1958 und 1959 ist lediglich eine Bevorratung in Fleischkonserven vorgesehen, auf zusätzliche Einlagerungen von Butter und Gefrierfleisch aber verzichtet worden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage. Frage 5 - des Herrn Abgeordneten Schröter ({0}) - betreffend kulturelle Betreuung der in den wallonischen Provinzen Belgiens lebenden deutschen Bergarbeiterfamilien: Ist der Bundesregierung bekannt, daß in den wallonischen Provinzen Belgiens mehr als 10 000 deutsche Bergarbeiterfamilien leben? Was tut die Bundesregierung, uni diesen Familien die kultorelle Verbindung mit der Heimat und die Erhaltung ihrer Muttersprache zu sichern? Zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär im Auswärtigen Amt das Wort.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesregierung ist bekannt, daß in den wallonischen Provinzen Belgiens etwa 4000 deutsche Bergarbeiter, meist ehemalige Kriegsgefangene, mit ihren Familien leben. Das für sie zuständige Generalkonsulat Lüttich betreut sie teils direkt, teils indirekt durch Unterstützung verschiedener Organisationen, die sich die kulturelle Betreuung dieser Familien angelegen sein lassen. Es sind dies in erster Linie die deutschen Seelsorger beider Konfessionen, der Christliche Verein junger Männer mit seinen unter deutscher Leitung stehenden Heimen in Lüttich und Charleroi und andere mehr. In Charleroi und La Hestre stehen bundeseigene Filmvorführapparate zur Verfügung. Die Filme werden über das Generalkonsulat vermittelt. Das gleiche gilt für gelegentliche Bücherspenden. Eine besondere Bedeutung kommt der Betreuung der in fremder Umgebung aufwachsenden Kinder zu, für die deutsche Sprachkurse und Ferienaufenthalte in Deutschland aus Bundesmitteln finanziert werden. Auch die unter Mitwirkung des Generalkonsulats abgehaltenen Weihnachtsfeiern werden aus Bundesmitteln bezahlt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage?

Richard Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002088, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, besteht nicht doch die Möglichkeit, daß die von Ihnen angegebene Zahl von 4000 zu niedrig gegriffen ist?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich glaube, diese Zahl beruht auf sehr sorgfältigen Feststellungen des Konsulats. Es kann natürlich vorkommen, daß sich der eine oder andere nicht meldet oder auch mal übersehen wird. Jedenfalls liegt die Zahl in der Größenordnung von 4000. Die Zahl 10 000 dürfte zu hoch gegriffen sein; ich weiß nicht, auf welchen Schätzungen diese Zahl beruht.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zweite Zusatzfrage?

Richard Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002088, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Regierungen Frankreichs und Italiens ihren Staatsangehörigen unter den Bergarbeitern in den wallonischen Provinzen eine sehr intensive Betreuung angedeihen lassen, und sind Sie auch der Meinung, daß es sich bei der Betreuung deutscher Bergarbeiterfamilien in Wallonien um eine bedeutungsvolle Aufgabe handelt, die von der deutschen Regierung Maßnahmen erfordert, die hinter denen der anderen Regierungen nicht zurückstehen?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich glaube, durch meine Antwort dargetan zu haben, daß die Bundesregierung der Betreuung dieser Bergarbeiter ein sehr großes Interesse entgegenbringt und wirklich große Bedeutung beimißt; sie wendet dafür auch erhebliche Mittel auf. Schließlich ist diese Betreuung eine der Hauptaufgaben des Konsulats in Lüttich. Ob die anderen Regierungen sehr viel mehr tun, vermag ich nicht zu übersehen. Man darf übrigens nicht vergessen, daß sich z. B. die Italiener in diesem Gebiet sehr viel fremder fühlen als unsere Bergarbeiter, da die Heimat verhältnismäßig nahe ist.

Richard Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002088, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Leider stehen mir keine weiteren Fragen zu; vielleicht können wir in einer mündlichen Aussprache noch das eine oder andere klären.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 6 - Herr Abgeordneter Ritzel - betreffend die Lärmbekämpfung bei Kraftfahrzeugen: Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, im Interesse einer erfolgreichen Lärmbekämpfung die Phonmessungen bei Fahrzeugen, die im Verdacht stehen, über Gebühr Lärm zu verursachen, unter Umständen vornehmen zu lassen, die sich möglichst eng an die Lärmentwicklung beim Betrieb der Fahrzeuge in bewohnten Gegenden anpassen? Was hat die Bundesregierung bis jetzt getan, um die Herstellerfirmen von Kraftfahrzeugen zu veranlassen, wirkungsvollere Geräuschdämpfer in ihre Fahrzeuge einzubauen? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Wiederholung und Ergänzung der schriftlich beantworteten Frage der letzten Fragestunde möchte ich mir erlauben, darauf hinzuweisen, daß bei der Frage des Herrn Kollegen Ritzel zu bedenken ist, daß als Ursache des Lärms sowohl die Bauart eines Fahrzeugs als auch das Verhalten eines Fahrzeugführers in Betracht kommen kann. Bei der Prüfung des Fahrzeugs handelt es sich um die Feststellung, welche Geräuschwerte bei sachgemäßer Behandlung unter bestimmten, vom Bundesverkehrsministerium in den Richtlinien für die Geräuschmessung festgelegten Bedingungen erreicht werden, aber nicht überschritten werden dürfen. Durch die Festlegung der dabei angewendeten Versuchsbedingungen ist gesichert, daß die Ergebnisse reproduzierbar sind, d. h. jederzeit durch Wiederholung des entsprechenden Versuchs nachgeprüft werden können, und daß die Ergebnisse miteinander vergleichbar sind. Richtig ist, daß sich bei Verwendung des Fahrzeugs in fließendem Verkehr andere Bedingungen und somit andere Geräuschwerte ergeben oder ergeben können. Die Möglichkeit solcher Abweichungen ist bei der Festlegung der Phongrenzen berücksichtigt worden, bei deren Überschreitung die Fahrzeuge nach den Richtlinien beanstandet werden müssen. Werden diese Grenzen nicht überschritten, so darf man davon ausgehen, daß das Fahrzeug bei sachgemäßer Behandlung auch in bewohnten Gegenden keinen unzumutbaren Lärm verursachen wird. Es besteht jedoch immer die Möglichkeit, daß ein vorschriftsmäßig gebautes Fahrzeug bei unsachgemäßer Behandlung, also aus Verschulden des Fahrers, unnötig lärmt. Die verschiedenen Arten unsachgemäßer Behandlung sind so vielfältig, daß sie bei der Abfassung der Richtlinien nicht berücksichtigt werden konnten. Neben den Bauvorschriften ist deshalb die Grundregel des § 1 der Straßenverkehrs-Ordnung von Bedeutung. Danach hat sich jeder Teilnehmer am öffentlichen Straßenverkehr so zu verhalten, daß kein anderer gefährdet, geschädigt oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Die Durchführung dieser Bestimmung bereitet in der Praxis leider erhebliche Schwierigkeiten, weil die Geräuschwerte im Verkehr unter den verschiedensten Bedingungen gemessen werden müssen und deshalb nicht mehr vergleichbar sind. Außerdem werden bei den Messungen zwar die örtlichen Verhältnisse berücksichtigt werden können, jedoch wird sich die Handlungsweise des Beschuldigten nachher oft nicht mehr ermitteln lassen. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß der Bundesminister für Verkehr auf die Art und Weise, wie die Verkehrspolizei Kontrollmessungen vornimmt, keinen Einfluß nehmen kann. Die Exekutive liegt auf diesem Gebiet ausschließlich bei den zuständigen Landesbehörden, und zwar nicht bei den Verkehrs-, sondern bei den Polizeidienststellen. Für den Fall, daß diese geschilderten Möglichkeiten der Lärmbekämpfung nicht ausreichen sollten, sieht bereits heute der § 4 der Straßenverkehrs-Ordnung vor, daß die Benutzung bestimmter Straßen z. B. in Kurorten durch lärmende Straßenfahrzeuge beschränkt oder ganz verboten werden kann. Auch das Sonntagsfahrverbot dient dem Ruhebedürfnis der Bevölkerung gegenüber dem Straßenlärm. Darüber hinaus wird gegenwärtig geprüft, ob nach dem Vorbild der Schweiz in der Straßenverkehrs-Ordnung bestimmte Handlungen, die in der Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm Regel unnötigen Lärm verursachen, z. B. das zu starke Gasgeben im Leerlauf, das rasante Beschleunigen beim Anfahren oder Überholen, das zu schnelle Fahren in niedrigen Gängen und das Herunterschalten in einen niedrigeren Gang aus zu hoher Geschwindigkeit, ausdrücklich verboten werden sollen. Die Herstellerfirmen von Kraftfahrzeugen sind durch die Festsetzung von Höchstlautstärken nach den Richtlinien des Bundesministers für Verkehr für die Geräuschmessung veranlaßt, Einrichtungen für die Geräuschdämpfung in ihre Fahrzeuge einzubauen. Da diese Richtlinien im Laufe der letzten fünf Jahre wiederholt verschärft und die für zulässig erklärten Lautstärken dreimal herabgesetzt wurden, waren die Fahrzeughersteller gezwungen, die Geräuschdämpfung stets nach dem neuesten Stand der Technik zu verbessern. Es ist festzustellen, daß bei ihnen durchweg das notwendige Verständnis für die Erfordernisse einer Geräuschminderung vorhanden ist.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage?

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nur zwei Fragen, Herr Bundesverkehrsminister! Ist dem Bundesverkehrsministerium bekannt, daß die Kontroll-Phonmessungen, wie die Praxis zeigt, vielfach erfolgen, ohne daß die örtlichen Gegebenheiten - beispielweise das Anlassen eines Motorrades morgens um 6 Uhr in einem engumgrenzten Wohngebiet etwa im Rahmen einer Siedlung - berücksichtigt werden, Gegebenheiten, die ganz andere Wirkungen auf die Lautstärke haben, als wenn diese in einem freien Gelände erfolgen? Ist die Bundesregierung bereit, bei den Landesregierungen darauf hinzuwirken, daß den Kontrollmessungen möglichst vergleichbare Umstände zugrunde gelegt werden?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Kollege Ritzel, es ist ganz selbstverständlich, daß die örtlichen Verhältnisse, wie Bebauung, Baumbestand, Bodenbeschaffenheit, der vorhandene Störgeräuschpegel, die Windstärke und die Windrichtung von entscheidendem Einfluß auf die Messungen sind. Natürlich wechseln auch diese Umstände, wie z. B. Windrichtung und Windstärke, ab. Wir haben immer wieder die Landesverkehrsverwaltungen darum gebeten, sich in dieser Richtung durchzusetzen und zu versuchen, die Messungen an solchen Stellen auszuführen, wo die Bevölkerung wirklich durch die Geräusche belästigt wird, und die Höhe festzustellen, insbesondere bei eng bebauten Gebieten. Die Landesverkehrsbehörden teilen aber immer wieder mit, daß es ihnen außerordentlich schwerfalle, den entsprechenden Einfluß auf die Polizeidienststellen auszuüben, die ja nicht ihnen, sondern wiederum den Innenministern der Länder unterstehen. Bei einer so diffizilen Angelegenheit erschweren die Zuständigkeitsüberschneidungen auf diesem Gebiet die Ermittlungen und die Vergleichbarkeit der Ermittlungen außerordentlich.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage. Frage 7 - des Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}) - betreffend Verarbeitung von Zuckerrüben: Hält der Herr Bundesernährungsminister angesichts des erweiterten Zuckerrübenanbaues und der gegenwärtigen Zukkerversorgungslage die Bestimmung des § 4 Satz 1 des Zuckergesetzes vain 5. Januar 1951, wonach Zuckerfabriken die Zukkerrüben nur auf Zucker verarbeiten dürfen, noch für richtig und zeitgemäß? Ist die Bundesregierung bereit, durch einen Erlaß gemäß § 4 Satz 2 des Zuckergesetzes den Zuckerfabriken die Verarbeitung von Zuckerrüben auf Zuckerschnitzel ohne besondere Antragstellung zu ermöglichen? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Dr. h. c. Heinrich Lübke (Minister:in)

Politiker ID: 11001385

Die Bestimmung des § 4 des Zuckergesetzes hat folgenden Wortlaut: Zuckerfabriken dürfen Zuckerrüben nur auf Zucker verarbeiten. Der Bundesminister kann im Benehmen mit den obersten Landesbehörden Ausnahmen zulassen, sofern dies im Interesse der Versorgung des gesamten Bundesgebiets oder mehrerer Länder erforderlich ist. Diese Bestimmung hat angesichts des erweiterten Zuckerrübenanbaus ihre bisherige Bedeutung verloren. Mit Rücksicht auf die hohe Zuckererzeugung des letzten Jahres, die den gegenwärtigen Bedarf wesentlich übersteigt, habe ich den Zuckerfabriken gemäß § 4 Satz 2 des Zuckergesetzes im Einvernehmen mit den obersten Landesbehörden bis auf weiteres die Genehmigung erteilt, Zuckerrüben auch auf Schnitzel zu verarbeiten. Eine Aufhebung des § 4 des Zuckergesetzes erscheint nicht erforderlich, da § 4 Satz 2 jederzeit die Möglichkeit gibt, die Verarbeitung von Zuckerrüben der jeweiligen Versorgungslage anzupassen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage? Frage 8 - des Abgeordneten Josten - betreffend Wiederaufbau des Bahnhofs Plaidt: Ist die Bundesregierung bereit, für einen beschleunigten Wiederaufbau des Bahnhofs Plaidt, Kreis Mayen, zu sorgen? Warum wurden bisher keine Schritte unternommen, um auch dem Personal einen menschenwürdigen Arbeitsplatz zu beschaffen? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung kann sich nur im Rahmen der durch das Bundesbahngesetz gegebenen Möglichkeiten gegenüber der Deutschen Bundesbahn ein- und durchsetzen. Die Verantwortung für die Betriebsführung - und dazu gehört auch der Baudienst, insbesondere der Wiederaufbau von zerstörten Hochbauanlagen - liegt nach dem Gesetz bei der Leitung der Bundesbahn selbst. Für das zerstörte Bahnhofsgebäude in Plaidt konnte 1945 verständlicherweise nur ein Behelfsbau errichtet werden. Die Räume sind dementsprechend primitiv. Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm Behelfsbauten ähnlicher Art stehen leider auch noch an zahlreichen anderen Bundesbahndienststellen. Dies ist nicht auf Mangel an gutem Willen, sondern allein auf den Mangel an Geld bei der Deutschen Bundesbahn zurückzuführen. Die Leitung der Deutschen Bundesbahn hat, wie sie mir mitteilt, vorgesehen, mit dem Rohbau des neuen Gebäudes in Plaidt 1959, also in diesem Jahr, zu beginnen. Die für die endgültige Fertigstellung notwendigen Mittel wird sie jedoch frühestens 1960 bereitstellen. Die Gesamtkosten betragen rund 400 000 DM.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage. Frage 9 - des Abgeordneten Kreitmeyer - betreffend Mietverschuldung von Berufssoldaten der Bundeswehr: Seit wieviel Monaten ist der Bundesregierung bekannt, daß Berufssoldaten der Bundeswehr durch überhöhte Mieten in erhebliche Verschuldung geraten sind, und wie viele Monate gedenkt die Bundesregierung noch zu warten, bis Abhilfe geschaffen wird? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verteidigung.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage 9 des Abgeordneten Kreitmeyer wie folgt. Es liegt an sich außerhalb der Zuständigkeit des Verteidigungsministeriums, die Höhe der Mieten für Bundeswehrangehörige festzusetzen. Weil aber der Bundesminister für Verteidigung der Adressat für alle Fragen und Beschwerden ist, die in diesem Zusammenhang erhoben werden, gibt er eine Antwort, deren materieller Inhalt im Einvernehmen zwischen den Bundesministern für Wohnungsbau, für wirtschaftlichen Besitz des Bundes und für Finanzen fertiggestellt worden ist. Für die Unterbringung der Familien der Bundeswehrangehörigen - in der Hauptsache Soldaten auf Zeit und vor allen Dingen Berufssoldaten - kommen wegen der Bestimmungen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes in erster Linie mit Bundesdarlehen geförderte Wohnungen - nicht bundeseigene Wohnungen - in Betracht, daneben aber auch in nicht unerheblichem Umfang die von den Stationierungsstreitkräften freigegebenen bundeseigenen Wohnungen. Die für diese Wohnungen geforderten Mieten übersteigen an sich in keinem Falle den objektiven Mietwert. Sie sind aber an einigen Standorten für einen Teil der Bundeswehrangehörigen, vor allen Dingen wegen der Größe der von den Stationierungsstreitkräften hinterlassenen Wohnungen, im Verhältnis zu deren Einkommen nicht tragbar. Dieses Mißverhältnis zwischen Miete und Einkommen ist auch darauf zurückzuführen, daß den Soldaten wegen der besonders gelagerten Verhältnisse bei der Aufstellung der Bundeswehr, die ich als bekannt voraussetzen darf, nicht immer eine ihrem Einkommen entsprechende Wohnung zugewiesen werden konnte. Diesen Schwierigkeiten hat die Bundesregierung durch den Umbau bundeseigener, wenn ich mich so ausdrücken darf, überdimensionierter Wohnungen zu Normalwohnungen und durch Mietbeihilfen, wie sie in der letzten Haushaltsberatung hier beschlossen worden sind, zu begegnen versucht. Die Mietbeihilfe wird in demselben Umfang gewährt, wie sie nach § 73 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes im sozialen Wohnungsbau allgemein vorgesehen ist. Ich möchte dabei nicht verhehlen, daß für besondere Fälle, und zwar für eine ganze Reihe von besonders gelagerten Fällen, die Regelung der Mietbeihilfen nicht zufriedenstellend ist. Die Härtefälle können durch die vom Bundestag seinerzeit beschlossenen Maßnahmen nicht bereinigt werden. Die Bundesregierung hat deshalb jetzt eine Reihe von Vorschlägen geprüft, um die Mieten für diese Angehörigen der Bundeswehr der allgemein als tragbar anzusehenden Mietbelastung nach einem bestimmten festgestellten Schlüssel anzupassen. Die Bundesregierung ist sich der Dringlichkeit einer raschen Behebung der aufgetretenen Schwierigkeiten bewußt, vor allem im Hinblick auf die zum Teil erheblichen Mietschulden bei Berufssoldaten der unteren Besoldungsgruppen. Der Bundesminister für Verteidigung hat in dringlichen Schreiben die für die Mietpreisfestsetzung zuständigen Ministerien gebeten, die von ihm vorgeschlagenen Änderungen anzunehmen und die dafür notwendigen Maßnahmen zu treffen. Der Bundesminister für Verteidigung möchte dabei nicht verhehlen, daß nicht überall Verständnis dafür herrscht, daß die besondere Eigenart des militärischen Dienstes, die besonders dabei auftretenden Belastungen des Familienlebens und die unvermeidbaren sozialen Härten, die sich aus Schwierigkeiten der Vergangenheit und der Gegenwart zwangsläufig ergeben auch eine gewisse Sonderstellung der Soldaten gegenüber den übrigen öffentlichen Bediensteten rechtfertigen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage!

Reinhold Kreitmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001210, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesverteidigungsminister, besteht die Hoffnung, daß die besonders gelagerten Fälle, also die Fälle der überdimensionierten Besatzungswohnungen, noch im Rahmen des Haushaltsplans 1959 geregelt werden, so daß die Verschuldung nicht weitergeht, und welchen Weg werden Sie vorschlagen?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Der Bundesverteidigungsminister hat in den vorhin erwähnten Schreiben die für die Mietpreisfestsetzung einschließlich der Frage der Rückstände zuständigen Ministerien gebeten, eine tragbare Regelung zu treffen. Für diese Regelung hat er konkrete Vorschläge gemacht, die alle möglichen Varianten umfassen sollen. Gleichzeitig wird für den Fall, daß auf diesem Wege eine Regelung nicht zu treffen ist, eine Kabinettsvorlage vorbereitet und die Angelegenheit dem Gesamtkabinett unterbreitet. Ich bin nicht in der Lage, hier die Einzelheiten der VorBundesverteidigungsminister Strauß schläge darzulegen, weil ich dann einen Akt von etwa acht Schreibmaschinenseiten verlesen müßte. ich bin gern bereit, Ihnen diese Vorschläge zur Kenntnis zu geben.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage. Frage 10 - Herr Abgeordneter Kreitmeyer - betreffend Unterbringung der Bundeswehrsoldaten. Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Verfahrensweg für die Wiederinstandsetzung geräumter Kasernen viele Monate läuft, so daß die Truppe gezwungen ist, unter unzumutbaren Umständen zu wohnen, und sieht die Bundesregierung keinen Weg, unter Einschaltung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages und unter Berücksichtigung des neuen Kommentars von Vialon zum Haushaltsrecht sicherzustellen, daß nicht nur Paragraphen erfüllt werden, sondern die Bundeswehrsoldaten zu einer angemessenen Unterbringung kommen? Zur Beantwortung der Herr Bundesverteidigungsminister.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Ich beantworte die Frage 10 folgendermaßen: Die Erstinstandsetzung von Kasernen, die vorher anderweitig benutzt worden sind, ist, wie die Erfahrung gezeigt hat, in fast allen Fällen so umfangreich, daß sie als Baumaßnahme mit Haushaltsmitteln für „Einmalige Ausgaben" im Haushaltsplan ausgewiesen werden muß. Nach Genehmigung der Haushaltsansätze werden die Baumaßnahmen so schnell wie möglich durchgeführt. Auch hierbei sind die verfassungsrechtlichen Bestimmungen, Zuständigkeitsfragen sowie die gesetzlichen Bestimmungen zu befolgen, an denen der Haushaltsausschuß allein durch einen Beschluß nichts ändern kann. Nach den zur Zeit geltenden haushaltsrechtlichen Vorschriften, die zwingendes Recht darstellen, dürfen einmalige und außerordentliche Ausgaben für bauliche Unternehmungen erst dann in den Haushaltsplan eingestellt werden, wenn Pläne, Kostenberechnungen und Erläuterungen vorliegen, aus denen die Art der Ausführung, die Kosten der baulichen Maßnahme, etwaige Beiträge Dritter und die etwa vorgesehenen Gebühren und Abgaben ersichtlich sind. Der Bundesminister für Verteidigung sieht sich nicht in der Lage, diese gesetzlichen Vorschriften der Reichshaushaltsordnung sowie baupolizeiliche Vorschriften zu ändern oder zu umgehen. Auch der Kommentator Dr. Vialon wird dies nicht tun können oder wollen. Der Bundesminister für Verteidigung erklärt sich aber bereit, für eine wesentliche Beschleunigung Sorge zu tragen, wenn er durch eine Sonderregelung insoweit von der Einhaltung dieser Vorschriften befreit würde. Ferner muß bei den Maßnahmen gerade der letzten eineinhalb Jahre berücksichtigt werden, daß wegen der Vollbeschäftigung der Bauwirtschaft Firmen und Arbeiter nicht sofort zur Verfügung stehen und daß außerdem nicht durch eine Beschleunigung der öffentlichen Aufträge Abwerbungsmaßnahmen von Baufirma zu Baufirma mit ungesunden wirtschaftlichen Erscheinungen vorkommen dürfen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage?

Reinhold Kreitmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001210, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesverteidigungsminister, wollen Sie mir nicht einräumen, daß selbst der § 14 der Reichshaushaltsordnung, der nun zirka 30 Jahre alt ist, bereits Ausnahmebestimmungen für einen Betrag in Halle von 500 000 Mark vorsieht? Es wäre doch wohl in unserer Zeit und unter Berücksichtigung dessen, daß der Aufbau des Heeres in verhältnismäßg kurzer Zeit vollzogen wird, angemessen, wenigstens diese Summe mit Hilfe des Haushaltsausschusses um etwa das Zwei- bis Dreifache zu erhöhen, ohne daß das Gesetz umgangen wird. Weiter wäre es sicherlich kein Verstoß gegen die Reichshaushaltsordnung, wenn man in diesem Rahmen ,gewisse Entscheidungen auf die Wehrbereichsverwaltung delegiert; denn die Verzögerungen entstehen ja durch den langen Dienstweg. Der Truppe wäre damit geholfen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter, im Grunde ist diese Frage nicht ganz korrekt. Das ist eine sachliche Darlegung, die über den Umfang einer Frage hinausgeht, auch wenn Sie Ihre Darlegung mit einem Fragezeichen versehen haben. So wickeln wir unser Programm nicht ab. Bitte, zur Beantwortung, Herr Bundesverteidigungsminister.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Ich würde selbstverständlich gern die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen ergreifen. Ich muß aber pflichtgemäß darauf hinweisen, daß die für die Auslegung der Reichshaushaltsardnung zuständigen Stellen mit Ihrer Auffassung, Herr Abgeordneter, nicht übereinstimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Weitere Zusatzfrage? Frage 11 - Herr Abgeordneter Kreitmeyer - betreffend Vorfinanzierung der Ansprüche von über 70jährigen Personen auf ihr beschlagnahmtes Eigentum in den Vereinigten Staaten von Amerika: Sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit, Personen über 70 Jahre, die Ansprüche auf ihr beschlagnahmtes Eigentum bzw. auf Zinsen in den USA haben, die aus einem Eigentum bis zu 15 000 Dollar Wert beansprucht werden können, durch eine Vorfinanzierung zu helfen, um zu verhindern, daß dieser Personenkreis, der gegebenenfalls auch noch durch eine Einkommensgrenze beschränkt werden könnte, nicht darüber hinwegstirbt, ehe die Angelegenheit endgültig geregelt wird? Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich mehrfach bemüht, die Gesetzgebung der Vereinigten Staaten über die Freigabe des deutschen Vermögens oder wenigstens die Freigabe der Liquiditätserlöse weiterzubringen. Solange die Vereinigten Staaten keine Freigaberegelung beschlossen haben, ist eine allgemeine Vorfinanzierung nicht möglich. Das gilt auch bezüglich der beschlagnahmten deutschen Vermögenswerte in anderen Ländern, die bisher keine Vermögensregelung erlassen haben. Die Frage einer Entschädigung für die Entziehung dieses deutschen Auslandsvermögens wird von der Bundesregierung im Zusammenhang mit der weiteren Durchführung des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes geprüft. Dabei wird erwogen, in Anknüpfung an die Härteregelung des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes gewisse Überbrückungsmaßnahmen für Reparations- und Restitutionsgeschädigte zu treffen. Dabei ist insbesondere an ältere Personen gedacht.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage!

Reinhold Kreitmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001210, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß im Falle der amerikanischen Regelung die USA bereit wären, die kleinen Vermögen freizugeben, daß aber mit Rücksicht auf die Möglichkeiten der größeren Vermögen hier eine gewisse Zurückhaltung der Bundesregierung vorliegt?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, solche Unterscheidungen sind im Gespräch. Endgültige Ergebnisse liegen noch nicht vor.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage? Frage 12 - des Herrn Abgeordneten Baier ({0}) - betreffend Verteilung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau: Ist dem Herrn Bundeswohnungsbauminister bekannt, ob die Länder ebenso wie der Bund bei der diesjährigen Verteilung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau die vorliegenden unerledigten Anträge auf Familienheimbau innerhalb der Kontingente berücksichtigt und damit den Erfordernissen der §1 30 und 31 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes Rechnung getragen haben? Ist der Herr Bundeswohnungsbauminister der Auffassung, daß beispielsweise die Handhabung in Baden-Württemberg den Vorschriften der §§ 30 und 31 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes entspricht, wo als Verteilungskomponente für den Familienheimbedarf bei der Verteilung der Mittel auf die Kontingentträger die Eigenheimbauleistung der Jahre 1951 bis 1957 herangezogen wird, ohne daß bei der Verteilung die vorrangige Berücksichtigung unerledigter Anträge gewertet wird? Was hat der Herr Bundeswohnungsbauminister veranlaßt, damit auch bei der Verteilung der Bundes- und Landesmittel in den einzelnen Ländern die gesetzlichen Vorschriften über vorrangige Berücksichtigung unerledigter förderungsfähiger Familienheimbauvorhaben beachtet werden? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Frage wie folgt beantworten und mit der Beantwortung der letzten Teilfrage beginnen. Mit einem Rundschreiben vom 1. September des vorigen Jahres habe ich die Länder darauf hingewiesen, daß die öffentlichen Mittel für den sozialen Wohnungsbau nach Maßgabe der §§ 30 und 31 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes auf die Bewilligungsstellen zu verteilen und damit auch die unerledigten Anträge zur Grundlage der Mittelverteilung zu machen seien. Weiter habe ich in den von mir erlassenen Richtlinien für den Einsatz der Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau 1959 den Ländern nach § 19 Abs. 3 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes u. a. die Auflage erteilt, die Verteilung der ihnen zur Verfügung stehenden Bundesmittel so vorzunehmen, daß im Rahmen der Förderungsränge der §§ 26 und 30 ff. des Zweiten Wohnungsbaugesetzes den bisher unerledigten Anträgen auf Bewilligung öffentlicher Mittel zum Bau von Familienheimen entsprochen werden kann. Ihre erste Teilfrage, Herr Abgeordneter Baier, beantworte ich wie folgt. Nach § 32 Abs. 1 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes haben mir die für das Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen obersten Landesbehörden jährlich Berichte über die Durchführung des § 30, die danach vorgenommenen Mittelverteilungen usw. vorzulegen. Diese Berichte sind zusammen mit den Wohnungsbauprogrammen, für dieses Jahr also zum 1. Oktober 1959, vorzulegen. An Hand dieser Berichte werde ich feststellen können, ob und inwieweit die Länder bei der diesjährigen Verteilung der Mittel den Erfordernissen der §§ 30 und 31 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes Rechnung getragen haben. Zu Ihrer zweiten Teilfrage darf ich wie folgt Stellung nehmen. Aus dem mir vorliegenden Erlaß des Innenministers von Baden-Württemberg vom 7. Januar 1959 über die Aufteilung der öffentlichen Wohnungsbauförderungsmittel 1959 auf die Regierungspräsidien habe ich ersehen, daß in Baden-Württemberg der diesjährigen Mittelverteilung der dort seit einigen Jahren angewendete Verteilungsschlüssel zugrunde gelegt worden ist. Dies wird damit begründet, daß sich die bisherigen Schlüsselanteile der Regierungsbezirke nahezu mit den Anteilen decken, die sich bei Berücksichtigung der in den §§ 1, 30 und 31 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes zum Ausdruck kommenden Verteilungsgrundlagen ergeben würden. Ich habe das Innenministerium Baden-Württemberg gebeten, mir die Schlüsselunterlagen und Zahlen über die diesjährige Mittelverteilung zur Verfügung zu stellen, möchte jedoch schon jetzt sagen, daß ich eine Mittelverteilung unter Außerachtlassung der in § 31 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes genannten Unterlagen zur Durchführung des § 30 nicht für eine dem Gesetz entsprechende Handhabung halte.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage?

Fritz Baier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000081, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Herr Minister, was gedenkt die Bundesregierung in den Fällen zu tun, wo trotz aller Maßnahmen, die Sie her ergriffen haben, verschiedene Länder Jahr für Jahr gegen das Zweite Wohnungsbaugesetz verstoßen, und sollte in diesen Fällen nicht erwogen werden, einen Teil der Bundesmittel zu sperren, biss diese Länder bereit sind, diese Mittel so zu verteilen, daß sie der anspruchsberechtigte Personenkreis erhält?

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Diese schwerwiegende Frage wird geprüft. Ein wiederholter Verstoß gegen das Zweite Wohnungsbaugesetz dürfte auch wohl seitens der Länder kaum erwogen werden. Ich hoffe vielmehr, daß es im Wege von Verhandlungen gelingt, das Gesetz endlich im richtigen Sinne durchzuführen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine weitere Zusatzfrage!

Fritz Baier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000081, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, sind Sie bereit, mir nach Prüfung der angeforderten Unterlagen von Baden-Württemberg das Ergebnis mitzuteilen?

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Selbstverständlich, Herr Abgeordneter!

Fritz Baier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000081, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 13 - der Frau Abgeordneten Wolff ({0}) - betreffend Äußerung des Bundesernährungsministers zur Frage der Rassentrennung: Trifft es zu, daß der Herr Bundesernährungsminister bei seiner Reise im Auftrag der Bundesregierung in die Südafrikanische Union sich - laut Mitteilung der „Frankfurter Rundschau" vom 17. März 1959 - über die dortige Rassentrennung geäußert und besonders lobend hervorgehoben hat, daß den Farbigen sogar der Besuch „weißer" Gotteshäuser verboten wurde? Entspricht diese Ansicht der Auffassung der Bundesregierung über die Rassenprobleme? Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Dr. h. c. Heinrich Lübke (Minister:in)

Politiker ID: 11001385

Die Anfrage der Frau Wolff beantworte ich folgendermaßen. Meine Reise nach Afrika erfolgte auf Grund einer Einladung der südafrikanischen Regierung. Sie erfolgte also nicht im Auftrage der Bundesregierung, aber mit Genehmigung des Herrn Bundeskanzlers. Ich nahm die Einladung an, weil die Frage der Bekämpfung des Hungers in der Welt, ganz besonders in den Entwicklungsländern, mich stark interessiert. Südafrika gehört zwar nicht zu -den Entwicklungsländern, hat aber auf dem Gebiet der Schulung und praktischen Ausbildung der farbigen Bevölkerung besondere Erfahrungen. In diesem Zusammenhang habe ich auch in Südafrika, nachdem ich Einblick in die Tätigkeit der Regierung erhalten hatte, die Auffassung vertreten, daß diese Förderungsmaßnahmen auf landwirtschaftlichem Sektor in guten Händen lägen. Zu den Förderungsmaßnahmen gehören unter anderem die Einrichtung landwirtschaftlicher Schulen, Anlage von Bewässerungssystemen, Bereitstellung von Zuchtvieh, Bau von Grasdämmen gegen Bodenerosionen und insbesondere die Vergrößerung der Reservate. Zu der Frage der Rassentrennung habe ich mich weder in Pressebesprechungen noch bei Ansprachen geäußert. Klare Zeugnisse dafür kann ich Ihnen zur Verfügung stellen. Sie liegen sowohl von Angehörigen der deutschen Botschaft in Südafrika als auch von der Presse selbst vor. Die Meldung der Frankfurter Rundschau vom 17. März entspricht nicht den Tatsachen. Sie kann nur auf Mißverständnissen beruhen, die vielleicht, wie ich mir das denken könnte, bei der Pressebesprechung am 16. März, also kurz vor meiner Abreise, dadurch entstanden sein könnten, daß der Dolmetscher seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Er wurde mehrfach von den Anwesenden unterbrochen und auf seine Übersetzungsfehler aufmerksam gemacht. Nicht ein einziges Mal bin ich auf Pressekonferenzen zu einer Stellungnahme aufgefordert worden, ob ich es für richtig hielte, daß den Farbigen der Besuch sogenannter „weißer" Gotteshäuser verboten sei. Ich habe mich mit keinem Wort zu diesen Fragen geäußert, habe aber verschiedene Kirchen beider Konfessionen besucht. Sie standen den Angehörigen aller Rassen offen, so daß für mich gar kein Anlaß bestand, lobend hervorzuheben, daß den Farbigen der Besuch sogenannter „weißer" Gotteshäuser verboten sei. Über die Auffassung der Bundesregierung über die Rassenprobleme hatte ich und habe ich keine Erklärungen abzugeben. Im übrigen darf ich zum Schluß sagen: Wenn einer eine Reise tut, können andere was erzählen. ({0})

Jeanette Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine Zusatzfrage!

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Bitte!

Jeanette Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist Ihnen, Herr Minister, nicht inzwischen bekanntgeworden, daß der maßgebende Mann von AP in Frankfurt, Herr Schmidt, noch am heutigen Tag erklärt hat, daß mit Ausnahme der Schlußfolgerung, die die „Frankfurter Rundschau" selber gezogen hat - jener Schlußfolgerung, daß nach dem Rassengesetz den Farbigen der Besuch der Kirchen der Weißen verboten ist -, der Bericht wahrheitsgetreu dem AP-Bericht aus Johannesburg, der mir im Original vorliegt, entnommen ist und daß dieser Bericht noch mehr Stellungnahmen des Herrn Ministers zu Rassenfragen enthält?

Dr. h. c. Heinrich Lübke (Minister:in)

Politiker ID: 11001385

Ich habe Ihnen gesagt, daß ich genügend Zeugnisse zur Verfügung stellen kann, die meine Aussage bestätigen; mehr kann ich Ihnen nicht sagen.

Jeanette Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich mir noch eine kurze Frage erlauben?

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine zweite Zusatzfrage, bitte!

Jeanette Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie erklären Sie es sich, Herr Minister, daß Sie von den Journalisten der Pressekonferenz in Johannesburg gerade bei der Frage der Weinbelieferung aus Südafrika für die Bundesrepublik in bezug auf Rassenfragen so falsch verstanden worden sind?

Dr. h. c. Heinrich Lübke (Minister:in)

Politiker ID: 11001385

Ich kenne diese Frage gar nicht.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 14 des Herrn Abgeordneten Gewandt - betreffend Verwendung von Lehrbüchern aus der sowjetischen Besatzungszone in japanischen Schulen: Treffen Pressemeldungen zu, nach denen im Deutschunterricht an japanischen Schulen Lehrbücher aus der sowjetischen Besatzungszone verwandt werden? Für den Fall, daß diese Nachrichten zutreffen, frage ich die Bundesregierung, welche Folgerungen sie aus diesem Tatbestand gezogen hat bzw. zu ziehen gedenkt. Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die kürzlich in der deutschen Presse erschienenen Meldungen über die Verwendung von sowjetzonalem Lehrstoff im Deutschunterricht an japanischen Schulen treffen in dieser Allgemeinheit nicht zu. Die Benutzung eines von zwei japanischen Germanisten herausgegebenen Lesebuches mit Stücken aus sowjetzonalen Schulfibeln durch einige japanische private Unterrichtsanstalten ist als Ausnahmeerscheinung zu werten, gegen die der japanischen Regierung, wie wir festgestellt haben, keine gesetzlichen Handhaben zur Verfügung stehen. Bei einer Zahl von 3,2 Millionen höheren Schülern und Studenten in Japan beträgt die Auflage dieses Lesebuches, dessen Gebrauch, wie gesagt, auf einige wenige Privatschulen beschränkt ist, 8000 Exemplare. Die an den staatlichen höheren Schulen und an den Hochschulen und an fast allen privaten Unterrichtsanstalten benutzten Deutschlehrbücher sind, wie von uns festgestellt werden konnte, in jeder Weise einwandfrei.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage? Keine Zusatzfrage. Frage 15 - des Herrn Abgeordneten Gewandt - betrifft die Veräußerung von Preußag-Aktien aus Staatsbesitz: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Preußag-Aktien überzeichnet wurden? Ist die Bundesregierung angesichts der beachtlichen Nachfrage bereit, Preußag-Aktien aus Staatsbesitz zu veräußern? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes.

Dr. Hermann Lindrath (Minister:in)

Politiker ID: 11001346

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Herrn Abgeordneten Gewandt beantworte ich wie folgt. Die Bundesregierung hat bereits vor einigen Tagen die Öffentlichkeit davon unterrichtet, daß die zur Zeichnung aufgelegten 30 Millionen DM Preußag-Volksaktien binnen vier Tagen um mehr als das Dreifache überzeichnet waren. Auf 30 Millionen DM Volksaktien sind von mehr als 210 000 Personen mehr als 100 Millionen DM insgesamt gezeichnet worden. Dieses Zeichnungsergebnis beweist, daß die Bundesregierung mit der Privatisierung des industriellen Bundesvermögens auf dem richtigen Wege ist und daß darüber hinaus der Gedanke der Volksaktie bereits jetzt in breiten Kreisen der Bevölkerung Fuß gefaßt hat. Die Bundesregierung hat daher auf meinen Vorschlag in ihrer Sitzung am 3. April 1959 beschlossen, aus eigenem Aktienbesitz rund 53 Millionen DM Preußag-Aktien in Form von Volksaktien zusätzlich zu privatisieren. Das erhöhte Grundkapital der Preußag von insgesamt 105 Millionen DM wird sich alsdann in Höhe von etwa 83 Millionen DM in der Hand von mehr als 210 000 Aktionären befinden. In der Hand des Bundes verbleibt ein Betrag von rund 22 Millionen DM. Auf diese Weise wird es möglich sein, allen Zeichnern, die bis zu vier Aktien gezeichnet haben, voll zuzuteilen und denjenigen, die fünf Aktien gezeichnet haben, ebenfalls vier Volksaktien zu geben. Die erforderlichen Beschlüsse der Gesellschaftsorgane der in Frage kommenden bundeseigenen Gesellschaft werden voraussichtlich noch im Laufe des Monats April gefaßt werden. Die neuen Aktionäre werden daher noch im Monat Mai, und zwar in den ersten Tagen des Monats Mai, über die Zuteilung der von ihnen gezeichneten Aktien von den Kreditinstituten unterrichtet werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage. Frage 16 - des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke - betrifft die Fortführung der Bundesstraße 9 in Höhe von Karlsruhe bis Lauterburg: Liegen dem Bundesverkehrsministerium Pläne zur Fortführung der Bundesstraße 9 in Höhe der Stadt Karlsruhe bis zur elsässischen Stadt Lauterburg vor, um auf diese Weise die Parallelbundesstraße 3 zu entlasten? Wenn ja, wann ist mit einer Realisierung zu rechnen? Der Herr Bundesminister für Verkehr zur Beantwortung.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Fortführung der Bundesstraße 9 über die Bundesstraße 10 hinaus bis zur elsässischen Stadt Lauterburg ist nicht vorgesehen. Es wird dagegen untersucht, ob künftig eine neue Bundesstraße 9 im Zuge der jetzigen Landstraßen I. Ordnung 385 und 380 von Rheinzabern über Kandel nach Lauterburg verlegt werden sollte. Die derzeitige Bundesstraße 9 von Rheinzabern bis zur Bundesstraße 10 würde dann wohl zur Landstraße I. Ordnung abgewertet werden. Diese Strecke wird heute bereits wegen der kürzeren Reisezeit und der geringeren Verkehrsdichte von dem nach Straßburg und Basel zielenden Verkehr der stark belasteten rechtsrheinischen Bundesstraße 3 vorgezogen. Für die Verlegung der Bundesstraße 9 auf die beiden Landstraßen spricht, daß dann die hohen Kasten für den Ausbau der jetzigen Bundesstraße 9 mit den notwendigen und schwierigen Umgehungen für die Orte Jockgrim und Wörth eingespart werden könnten. Eine neu zu bauende Bundesstraße als Verbindung zwischen Wörth und Lauterburg verursacht sicher wesentlich höhere Kosten. Der Ausbau der beiden Landstraßen als neue Bundesstraße dürfte dagegen mit wesentlich geringeren Mitteln möglich sein. Im Zuge des im 1. Vierjahresprogramm vorgesehenen Ausbaues der Bundesstraße 10 zwischen Zweibrücken und Wörth ist der Bau der Umgehungsstraße Kandel vorgesehen. Die jetzige Landstraße I. Ordnung 385, die später ein Teilstück der neuen Bundesstraße 9 werden würde, verläuft im südlichen Abschnitt der Umgehungsstraße mit der Bundesstraße 10 gemeinsam. Nach dem Bau dieser Umgehungsstraße Kandel und dem Ausbau der genannten Landstraße I. Ordnung wird eine verlegte Bundesstraße 9 ab Rheinzabern über Kandel in Richtung Lauterburg auf einer Länge von 20 km keine Ortschaft mehr durchlaufen. Das ist ein wesentlicher Vorteil und wird zu einer weiteren Entlastung der Bundesstraße 3 durch Verkehrsabzug beitragen. Vor allem aber wird der weitere Ausbau der Autobahn in Richtung Basel die Bundesstraße 3 entlasten. Nächstes Jahr steht sie sicherlich bis Appenweier zur Verfügung.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage. Frage 17- des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke - betreffend Wiedererrichtung der Bahnlinie Karlsruhe-Landau: Besteht die Absicht, in naher Zukunft die Bahnlinie Karlsruhe-Landau wieder als zweigleisigen Schienenweg wie vor 1945 zu errichten? Bis wann ist in diesem Zusammenhang mit einer Erweiterung oder einem Umbau der Rheinbrücke bei Maximiliansau zu rechnen? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von der Bahnlinie Karlsruhe-WörthWinden-Landau sind die Streckenabschnitte Karlsruhe bis zur Rheinbrücke bei Maximiliansau und Winden-Landau zweigleisig ausgebaut. Die Rheinbrücke wurde 1947 als eingleisige Behelfsbrücke errichtet. Das zweite Gleis von der Brücke bis Wörth und von dort bis Winden wurde seinerzeit auf Anordnung der französischen Besatzungsmacht demontiert. Der eingleisige Abschnitt Wörth-Winden ist zur Zeit nur zur Hälfte seiner Leistungsfähigkeit ausgenutzt, so daß hier das zweite Gleis zunächst nicht wieder verlegt zu werden braucht. Dagegen führt die betriebliche Überlastung des kurzen eingleisigen Streckenabschnittes von der Rheinbrücke bis Wörth zu gewissen Behinderungen. Diese Schwierigkeiten werden sich im Laufe dieses Sommers mit der Inbetriebnahme der Verbindungskurve bei Ludwigshafen erheblich vermindern, denn eine Reihe von Zügen, insbesondere von Güterzügen, die bisher über die Brücke bei Maximiliansau fahren mußten, werden dann bei Ludwigshafen über den Rhein geleitet werden. Nur dann, wenn sich diese neugeschaffene Entlastung nicht als ausreichend herausstellen sollte, beabsichtigt die Leitung der Deutschen Bundesbahn, das zweite Gleis von der Brücke bis Wörth wieder einzubauen. Sie beabsichtigt jedoch nicht, die Brücke selbst wieder zweigleisig auszubauen. Wie schon früher bekanntgegeben, würde der Brückenbau nach Angabe der Deutschen Bundesbahn 8,5 Millionen DM, der Einbau des zweiten Gleises zwischen der Brücke und Wörth 1/2 Million DM erfordern.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage. Frage 18 - des Herrn Abgeordneten Junghans - betreffend Verkauf von bundeseigenen vermieteten Grundstücken im Zonenrandgebiet: Ist es dem Herrn Bundesschatzminister bekannt, daß sich die Inhaber einiger auf dem bundeseigenen, ehemaligen Rüstungsgelände in Duderstadt errichteter Fabrikationsbetriebe seit Jahren vergebens bemühen, dieses Mietgelände als Eigentum zu erwerben? Aus welchem Grunde verweigert die Bundesliegenschaftsverwaltung gerade in einer Stadt im Zonenrandgebiet den Verkauf von Grundstücken, die eine wesentliche Grundlage für die Seßhaftmachung und den Ausbau der angesiedelten Betriebe bilden? Ist ferner die akute Gefahr bekannt, die darin besteht, daß die Besitzer der heutigen Betriebsanlagen anderweitig Grund und Boden erwerben und ihre Betriebsanlagen aus Duderstadt verlegen? Hält es darüber hinaus der Herr Bundesschatzminister für erforderlich, das Verhalten der Bundesliegenschaftsverwaltung und anderer Stellen, die ebenfalls über bundeseigenen Grund und Boden verfügen, gegenüber Interessenten im Zonenrandgebiet zu überprüfen? Zur Beantwortung der Herr Minister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes.

Dr. Hermann Lindrath (Minister:in)

Politiker ID: 11001346

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Herrn Abgeordneten Junghans beantworte ich wie folgt. Bei dem von dem Herrn Abgeordneten Junghans genannten ehemaligen Rüstungsgelände handelt es sich um Grundbesitz der bundeseigenen Industrieverwaltungsgesellschaft mbH in Bad Godesberg. Die Bundesliegenschaftsverwaltung - also mein Haus - hat über diese Grundstücke kein Verfügungsrecht. Die Industrieverwaltungsgesellschaft hat mir mitgeteilt, daß auf dem Gelände rund 20 Mieterfirmen ansässig sind, von denen bisher jedoch nur eine einzige Firma mit Kaufwünschen an die Gesellschaft herangetreten sei. Alle übrigen Betriebe haben erklärt, daß sie zur Zeit an einer käuflichen Übernahme der von ihnen gemieteten Objekte nicht interessiert seien. Mit einem Verkauf des von der interessierten Firma genutzten Geländes ist die Gesellschaft einverstanden und hat dies der Firma auch mitgeteilt. Es trifft somit nicht zu, daß die für die Verwaltung des Bundesbesitzes zuständige Stelle den Verkauf von Grundstücken in Duderstadt an interessierte Firmen verweigert, so daß ich die weiteren Fragen wohl als erledigt betrachten darf.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage. Frage 19 - Herr Abgeordneter Dr. Besold - betreffend Finanzbeihilfen des Bundes für den Wohnungsbau in München: Ich frage den Herrn Bundeswohnungsbauminister, ob er die am 12. November 1958 an die Stadtverwaltung der Landeshauptstadt München gemachte Ankündigung, wonach der Bund eine Finanzbeihilfe beim Bau von 10 000 bis 12 000 Wohnungen für München und entsprechende Aufschließungsbeiträge zu leisten bereit ist, noch aufrechterhält und wie lange, und ob die vom Bund in Aussicht gestellte Finanzierungsbeihilfe auch für eine großzügige Wohnsiedlung am Stadtrand ({0}) gewährt wird, wenn sich der Plan der Erstellung einer Trabantenstadt nicht realisieren läßt. Der Herr Bundesminister für Wohnungsbau zur Beantwortung.

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Grundziel meiner Städtebaupolitik ist es, die Städte aufzulockern und hierfür gültige Lösungen in vorbildlichen Beispielen zu schaffen. Der Bau von Entlastungs- und Trabantenstädten im Raum unserer Großstädte entspricht unseren Vorstellungen von der Entwicklung der „Stadt von morgen". Die Planung und Durchführung muß kulturellen Einrichtungen, dem Verkehr und vor allem auch der Schaffung von Eigentum in weiten Kreisen unserer Bevölkerung ausreichenden Raum gewähren. Das Ausland ist uns in dieser Hinsicht vielfach voraus. In steigendem Maße werden nunmehr auch in der Bundesrepublik unter Förderung des Bundesministers für Wohnungsbau solche Projekte geplant und durchgeführt. Anläßlich meines Besuches in München im November des vorigen Jahres habe ich die Förderung von ein oder zwei Trabantenstädten im Raum München im Rahmen der von mir geförderten Demonstrativbauprogramme und aus meinen Mitteln für Versuchs- und Vergleichsbauten nach den dafür geltenden Sätzen und den mir im Etat gegebenen Möglichkeiten in Aussicht gestellt. Diese Zusage fand die Zustimmung der Vertreter der Stadt München. Dabei bin ich mir durchaus bewußt, daß der Bau einer Trabantenstadt nicht von heute auf morgen vor sich gehen kann, daß zunächst umfangreiche planerische Vorarbeiten geleistet werden müssen und daß sich die Baudurchführung ebenfalls über mehrere Jahre erstrecken kann. Dennoch bin ich überzeugt, daß sich die Bemühungen der Stadt München in der von mir skizzierten Richtung lohnen würden. Ich kann es nicht verantworten, für städtebauliche und wohnungspolitische Fehlentwicklungen Bundesgelder zur Verfügung zu stellen. Ob ein großzügiges Projekt der Stadt München, das auch der Befürwortung des Landes bedarf, eine Förderung von seiten des Bundes erfahren kann, kann erst nach Vorliegen der Pläne entschieden werden. Abgesehen von Informationen aus der Tagespresse habe ich noch keine nähere Kenntnis von den Absichten der Stadt München. Soweit ich jedoch die besonders schwierigen Probleme der Stadt München übersehen kann, glaube ich, daß der Versuch, den in München vorhandenen Wohnungsbedarf innerhalb der Stadtgrenzen von München zu befriedigen, verfehlt ist.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage?

Dr. Anton Besold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000166, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Ich habe die Frage gestellt, ob die Mittel noch heute zur Verfügung stehen, um einer solchen eventuellen Baumaßnahme in München gerecht werden zu können, und wie lange.

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß die Mittel an die Haushaltsführung gebunden sind. Die Mittel stehen zur Stunde noch bereit.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Noch eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Anton Besold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000166, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würden die Mittel auch für eine sogenannte Stadterweiterung gegeben werden, die nicht eine ausgesprochene Trabantenstadt betrifft?

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Das kann erst beurteilt werden, wenn die Pläne vorliegen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 20 - Herr Abgeordneter Pohle - betreffend die öffentlichen Münzfernsprecher: Ich frage die Bundesregierung, auf wieviel Einwohner im Durchschnitt ein öffentlicher Münzfernsprecher a) im Bundesgebiet, b) in Schleswig-Holstein entfällt. Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Minister:in)

Politiker ID: 11002281

Die Frage des Herrn Abgeordneten Pohle beantworte ich wie folgt. Im Durchschnitt entfällt im Bundesgebiet auf 3800 Einwohner und in Schleswig-Holstein auf 4140 Einwohner ein öffentlicher Münzfernsprecher.

Kurt Pohle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001728, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 21 - Herr Abgeordneter Pohle - betreffend Flugplatz Kaltenkirchen-Moorkaten: Welche Pläne hat die Bundesregierung in Zukunft zum Problem Flugplatz Kaltenkirchen-Moorkaten? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für O Verkehr.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das zu erwartende weitere Anwachsen des Luftverkehrs und die rasch fortschreitende technische Entwicklung der Zivilluftfahrt, insbesondere durch die Einführung von mittleren und großen Düsenverkehrsflugzeugen, nötigen zu eingehenden Überlegungen, wie den neuen Erfordernissen im Hamburger Raum am zweckmäßigsten Rechnung getragen werden kann. Dabei ist auch die Frage bedeutsam, ob, an welcher Stelle und zu welchem Zeitpunkt vollbelasteten Düsenflugzeugen ein Start zu unmittelbaren interkontinentalen Flügen ermöglicht werden soll. Es bestehen verschiedene Planungen in den interessierten Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein. Die Erwägungen, die zunächst von den zuständigen Landesbehörden angestellt werden, sind noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung ist daher so lange nicht in der Lage, Stellung zu nehmen und festzulegen, in welcher Weise der ehemalige Militärflugplatz Kaltenkirchen endgültig ausgenutzt werden soll, solange die beiden Länder ihre Planungen nicht koordiniert und ihr vorgelegt haben. Offenbar liegen die Gründe dafür bei der Hansestadt Hamburg. Die Bundeswehr verwendet zur Zeit größere Teile des Platzes für Übungen von Bodentruppen. Ob eine anderweitige Verwendung später erfolgen soll, ist noch offen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage. Frage 22 - des Herrn Abgeordneten Pohle - betreffend Verbesserung der Bahnsteigunterkünfte auf dem Hauptbahnhof Neumünster: Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß trotz der ihm von der Bundesbahn gegebenen Zusage, die Jahr und Tag zurückliegt und clic von ihm in der Fragestunde weitergegeben wurde, bisher nichts in der Verbesserung der Bahnsteigunterkünfte auf dem Hauptbahnhof Neumünster geschehen ist? Ist der Haltepunkt internationaler F-Züge ein so uninteressantes Kapitel für die Bundesbahn, daß sie ihm keine besondere Sorgfalt zuzuwenden braucht? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für diese Angelegenheit, Herr Kollege Pohle, ist die Bundesbahn selbst zuständig. Weisung dazu kann ihr der Bundesminister für Verkehr nicht erteilen. Frühere Auskünfte, die hierzu gegeben worden sind, beruhten auf Angaben der Leitung der Deutschen Bundesbahn. Diese hat mir heute folgendes zu dieser Frage mitgeteilt: Die auf einem der Bahnsteige des Bahnhofs Neumünster noch vorhandene alte Wartehalle soll beseitigt werden. Zum Schutze der Reisenden sollen dafür - und zwar auf zwei Bahnsteigen - unter den Bahnsteigdächern verglaste Windschutzwände, beiderseits mit Sitzbänken, errichtet werden. Die alten Verkaufsstände auf zwei Bahnsteigen sollen, da sie unwirtschaftlich sind, ersatzlos abgebrochen werden. Außerdem werden im Laufe des Sommers die Stahlteile der Bahnsteigdächer entrostet und neu gestrichen. Seit der schriftlichen Beantwortung der letzten Anfrage im Juni 1958 ist der Plattenbelag der Bahnsteige mit einem Kostenaufwand von 25 000 DM verbessert worden. Ferner wurden die Bahnsteigdächer mit einem Aufwand von etwa 15 000 DM instand gesetzt. Für den internationalen Verkehr spielt Neumünster keine besondere Rolle, da die Zahl der bei den F-Zügen ein- und aussteigenden Reisenden je Zug durchschnittlich nur 6 beträgt. Aber für Schleswig-Holstein ist die Bedeutung dieses Bahnhofes auch als Umsteigestation bedeutend. Die Bundesbahn glaubt, dies durch ihre Maßnahmen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu würdigen sind, hinreichend berücksichtigt zu haben.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage. Meine Damen und Herren, bei einiger Anstrengung sind wir diesmal mit der Fragestunde herumgekommen. Alle Fragen sind beantwortet. Punkt 2 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Versicherung der Handwerker ({0}) ({1}) . Das Wort zur Einbringung der Vorlage hat dei Herr Abgeordnete Dr. Bucher.

Dr. Ewald Bucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000288, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich der Begründung unseres Entwurfs zuwende, muß ich einiges zu einer Bemerkung sagen, die der Herr Abgeordnete Horn anläßlich der kürzlichen Geschäftsordnungsdebatte wegen dieser Sache gemacht hat. Er glaubte seinem Erstaunen darüber Ausdruck geben zu müssen, daß ein Entwurf, der der CDU-Fraktion schon längere Zeit vorlag, nun plötzlich hier als Gesetzentwurf der FDP auftaucht, und meinte, man könne bezeichnende Formulierungen hierfür finden. Dieser Vorwurf hat uns ziemlich getroffen, und ich habe mir überlegt, welche bezeichnenden Formulierungen damit wohl gemeint sein könnten. Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als daß Sie, Herr Kollege Horn, sagen wollten, daß wir der CDU-Fraktion etwas weggenommen, also sozusagen ein Plagiat begangen hätten. Nun ist nicht leicht einzusehen, wieso unser Entwurf, der vom 7. November stammt, ein Plagiat von einem noch gar nicht vorliegenden Entwurf der CDU-Fraktion sein soll. Im übrigen produzieren wir hier in diesem Hohen Hause nicht schöne Literatur, wo es um das Urheberrecht geht, sondern wir machen Politik, und in der Politik gilt das, was auf dem Tisch des Hauses als Antrag erscheint, und nicht das, was im Herzen erwogen wird. ({0}) - Freilich, das hat ja Herr Horn gesagt, daß das Ihre Herzensgedanken sind, und ich glaube auch, daß sie es sind. Ich gebe zu, daß es in einer großen Fraktion wie der CDU längere Zeit dauert, bis man sich über ein so kompliziertes Problem einigen kann. Aber es geht hier um die Sache, und wir sollten uns freuen, wenn wir im Prinzip einig sind. Ich glaube annehmen zu können, daß der Entwurf der CDU-Fraktion bald kommen und daß er sich im Prinzip nicht allzusehr von unserem unterscheiden wird. Deshalb werden wir hoffentlich sehr bald zu einer Verabschiedung des Gesetzes kommen. Man könnte uns etwas anderes entgegenhalten. Man könnte uns sagen, daß wir früher überhaupt prinzipielle Bedenken gegen eine staatliche Altersversorgung Selbständiger hatten. Man könnte uns weiter darauf hinweisen, daß später, während der Debatte über die Rentenreform im 2. Deutschen Bundestag, unser damaliger Kollege Held sich gegen die Gedanken, die jetzt in diesem Entwurf zum Ausdruck kommen, ausgesprochen und sich kurzweg für die Abschaffung des Altersversicherungsgesetzes von 1938 eingesetzt hat. Es gereicht jedoch niemandem zur Schande, wenn er seine Meinung ändert. Ich darf hier zitieren, was der Herr Bundeskanzler schon öfter gesagt hat: Es könne ihn niemand hindern, von Tag zu Tag klüger zu werden. Zum anderen hat auch die CDU/CSU-Fraktion im Laufe der Jahre schon verschiedene Ansichten zu diesem, wie gesagt, verwickelten Problem vertreten. Nun zur Sache selber! Ich habe zu meiner großen Freude gehört, wie der Herr Bundesarbeitsminister kürzlich bei einer Handwerkerveranstaltung in Köln zum Kindergeldgesetz den Satz gesagt hat, die ideale Lösung wäre die, daß jeder selber für seine Kinder sorge. Ich glaube, wir können auch in dieser Sache sagen, die ideale Lösung wäre es, wenn jeder selber für sein Alter sorgen könnte. Das sind Binsenwahrheiten. Aber sie heute auszusprechen, ist geradezu verdienstvoll, weil kaum jemand mehr von der Selbstvorsorge spricht. Es wird immer nur die Forderung an den Staat gerichtet, er solle vorsorgen, er solle helfen. Von dem Prinzip der Selbstvorsorge ausgehend, haben wir bis jetzt immer den Gedanken der Subsidiarität vertreten. Er bedeutet, daß vom einzelnen über die Familie, die Gemeinde bis zum Staat die jeweils höhere Organisation immer erst dann eingreifen soll, wenn die niedere nicht zu helfen vermag. Das Prinzip der Subsidiarität ist heute sehr stark durchlöchert. Zum anderen ist damals in die Sozialversicherung gegen unsere Stimmen das Prinzip der Dynamik hineingekommen; ich brauche unsere Argumente dagegen nicht zu wiederholen. All das hat natürlich zur Folge, daß wir uns in der Frage der speziellen Altersversorgung des Handwerks neu orientieren mußten. Diese Notwendigkeit liegt auf der Hand; denn viele kleine Handwerker sind, das läßt sich doch nicht übersehen, sozial schlechter gestellt als mancher Facharbeiter oder Angestellte, besonders soweit sie keinen Rückhalt an einem Vermögen haben. Andererseits ist der Begriff des Handwerks sehr umfassend. Das Handwerk reicht von gut fundierten Betrieben, für die eine Altersversorgung völlig überflüssig ist, his zu solch ganz kleinen Betrieben, die, wie ich sagte, in sehr bedrängter Lage sind. Deshalb bringt der vorliegende Entwurf das notwendige Minimum an staatlichem Zwang und das mögliche Maximum an Entscheidungsfreiheit für den einzelnen. Der Handwerker soll verpflichtet sein, auf jeden Fall 180 Monatsbeiträge zu leisten. Den größten Teil davon wird er meist schon in seiner Lehrzeit und seinen Gesellenjahren aufbringen. Nach diesen 15 Jahren hat er dann ebenso wie der Angestellte und der Arbeiter Anspruch auf die Sockelrente. Danach kann er in der Pflichtversicherung bleiben; er kann sich freiwillig weiterversichern oder braucht überhaupt nichts zu tun. Er kann auch mit Lebensversicherung und sonstigen Sparmöglichkeiten kombinieren, wozu neuerdings das Prämiensparen gehört. Das ist also eine Lösung, die man sozusagen als Maßarbeit für die Bedürfnisse des Handwerkers bezeichnen kann. Dabei sind wir davon ausgegangen, daß der Handwerker grundsätzlich in der Pflichtversicherung bleibt; wenn er eine der anderen Möglichkeiten wählen will, muß er also einen Antrag stellen. Das ist als Bremse gedacht, damit nicht jemand, der auf die Sozialversicherung angewiesen ist, sich unüberlegterweise ihrer Vorteile begibt. Er muß selber die Initiative ergreifen, er muß einen Antrag stellen. Wir haben uns absichtlich auf die 180 Monatsbeiträge festgelegt und nicht etwa schon die Möglichkeit zur freiwilligen Weiterversicherung nach 60 Monaten in Aussicht genommen, wie sie sonst gegeben ist, und zwar einmal deswegen, weil auf jeden Fall die Sockelrente garantiert werden soll, und zum andern, weil in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine Lehr- und Gesellenzeit durchgemacht wird, die weit über 60 Monate hinausgeht. Unser Entwurf trägt also allen Möglichkeiten Rechnung. Der gutsituierte Handwerker, der glaubt, er sei nicht auf die Sozialversicherung angewiesen, kann später darauf verzichten; der andere kann sich ihrer bedienen. Einen weiteren Spielraum lassen wir in § 9 Abs. 2. Danach soll in den ersten fünf Jahren nach der Eintragung in die Handwerkerrolle der Handwerker berechtigt sein, nur für jeden zweiten Monat Beiträge zu zahlen. Dadurch wird natürlich, wenn er das ganz ausnützt, die Gesamtzeit der Pflichtversicherung um zweieinhalb Jahre verlängert. Auch dies trägt den besonderen Bedürfnissen im Handwerk Rechnung. Wenn sich ein junger Handwerker selbständig macht, größere Anschaffungen tätigen muß und die Zahlung der Beiträge, die seit 1938 von 6 % auf heute 14 % gestiegen sind, als drückend empfindet, so kann er sich damit begnügen, in den ersten drei oder fünf Jahren nur für jeden zweiten Monat Beiträge zu zahlen. Bei dieser Konzeption, die der geltenden, vorläufigen Regelung entspricht und die sich als endgültige empfehlen dürfte, ist es wohl logisch, daß der Handwerker auch für die Zeit seiner Selbständigkeit in der Arbeiterrentenversicherung belassen wird. Der Übergang in die Angestelltenversicherung war schon immer eine ungute Sache. Er führte zwangsläufig dazu, daß bei der Angestelltenversicherung in bezug auf die Handwerker ein Defizit auftrat, weil eben der Unterhau aus den Beiträgen der jungen Jahrgänge fehlte. Das gälte erst recht für einen eventuellen eigenständigen Versicherungsträger des Handwerks; auch hier würde der Unterbau fehlen. Dazu kommt, daß wir jetzt das Umlageverfahren haben. Man kann nicht die Renten für die Handwerker nur aus den Beiträgen bestreiten, die sie während ihrer Selbständigkeit bezahlen. Diese Lösung trägt auch der Tatsache Rechnung, daß immer wieder Übergänge vom Handwerk zur Industrie und manchmal auch umgekehrt, vor allem eben Übergänge von Lehrlingen und Gesellen aus dem Handwerk in die Industrie, stattfinden. Ich glaube, der Entwurf bietet eine Grundlage, auf die man treten könnte, wobei man selbstverständlich über Einzelheiten streiten und wobei im Ausschuß noch manches geändert werden kann. Aber hiermit ist eine Möglichkeit geboten, die dringend notwendige endgültige Regelung der Altersversicherung der Handwerker nunmehr zu schaffen. Ich beantrage namens meiner Fraktion, den Entwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Mittelstandsfragen zur Mitberatung zu überweisen. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Sie haben die Einbringung des Gesetzentwurfs gehört. Ich eröffne die Aussprache in erster Lesung. Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.

Dr. h. c. Kurt Schmücker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002040, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Bucher, Sie werden es mir nicht verübeln, daß ich mich bei Ihnen ausdrücklich dafür bedanke, daß Sie die Ausarbeitung des Diskussionskreises „Mittelstand" unserer Fraktion über die Neuregelung der Altersversorgung des Handwerks, die wir im vorigen Jahr erarbeitet haben und die jetzt als Ihr Antrag vorliegt, so gut begründet haben. Ich freue mich besonders, Herr Dr. Bucher, daß Sie Ihre Meinung, die Sie noch bei der Beratung der Rentenreform äußerten, inzwischen geändert haben. Damals waren Sie der Auffassung, man sollte das Gesetz überhaupt ablehnen. Ich schöpfe aus Ihrem bisherigen Verhalten die Hoffnung, daß wir, und zwar sehr bald, zu einer Einigung im Ausschuß kommen werden. Sie haben dann eine Bemerkung gemacht, die ich durchaus verstehe. Danach wollten Sie mit der Einreichung des Antrages - so fasse ich Ihre Bemerkung auf - erreichen, daß wir schneller vorankommen. Herr Dr. Bucher, ich muß nicht nur zugestehen, sondern ich bekenne ganz offen, daß es sich in einer Fraktion von 250 Mitgliedern natürlich schwieriger als in einer kleineren Gruppe diskutieren läßt. Aber wenn in einer solchen Fraktion diskutiert worden ist, hat das Parlament es nachher doch wesentlich leichter. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn unser neuer Entwurf heute schon vorgelegen hätte. Wir werden ihn in den nächsten Tagen einreichen. Er weicht nur in ganz wenigen Punkten von unserem alten Vorschlag, den Sie übernommen haben, ab. Ich möchte mit aller Deutlichkeit einmal klarstellen, wie die Vorgeschichte gewesen ist, damit niemand sagen kann: Plagiat hin und her, nichts mit schöngeistiger Literatur; letzten Endes hat ein Verband das ausgearbeitet! Nein, meine Damen und Herren, so war es nicht. Anläßlich der Rentenreform haben wir uns darüber unterhalten, wie wir die Frage der Altersversorgung des Handwerks lösen könnten. Dabei haben viele Sozialpolitiker, für meine Begriffe völlig mit Recht, gesagt, es sei nichtangängig, daß wir für einen Kreis der Bevölkerung die Versicherungspflicht anordneten und einem anderen Kreis gewisse Befreiungen, z. B. ein Ausweichen auf die Lebensversicherung, ermöglichten. Dagegen haben wir eingewandt, es bestehe keine totale Versicherungspflicht. Wir haben doch auch eine freiwillige Weiterversicherung und wir könnten uns auch auf den Standpunkt stellen, daß das Handwerk sich freiwillig weiter versichere, nur mit erschwerten Bedingungen. Darauf haben uns die Rentenanstalten geantwortet, das gehe nicht, die Lasten würden zu hoch. Danach haben wir die Pläne durchgerechnet und sind bei diesen Rechnungen auf 15 bzw. 18 Pflichtjahre gekommen. Aus diesen Diskussionen also ist der Vorschlag, den wir erarbeitet haben, entstanden. Die Textierung ist natürlich in Zusammenarbeit mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks erfolgt. Es wäre geradezu unsinnig, ein Gesetz für das Handwerk zu machen, ohne die Betroffenen selbst zu fragen. Ein zweites Problem ist die Frage des Sondervermögens gewesen. Sie wissen, daß wir schon früher ein Sondervermögen eingerichtet hatten. Das Sondervermögen hängt mit der früheren Art der Sozialversicherung, mit der Kapitaldeckung, zusammen. Wir sind der Meinung, daß heute, nach der Umstellung durch die Rentenreform, der Weg über ein Sondervermögen oder gar eine selbständige Anstalt nicht mehr gewählt werden sollte. Ich glaube diese Auffassungen auch aus Ihren Ausführungen, Herr Dr. Bucher, entnommen zu haben; ich wollte es nur noch einmal wiederholen. Es ist nicht angängig, eine Gruppe, die möglicherweise schrumpft, auf keinen Fall aber eine Aussicht bietet, größer zu werden, als geschlossene Versichertengruppe zu nehmen. Nach diesen Überlegungen wurde das Sondervermögen abgeschrieben. Wir sind dann zu den Vorschlägen gekommen, die in etwa denjenigen entsprechen, die Sie von der FDP hier unterbreitet haben und die nur in einigen Punkten von unseren Vorschlägen abweichen. Wie gesagt, ich hoffe, daß wir schon in den nächsten Tagen unseren Entwurf vorlegen können. Ich möchte nur die wesentlichsten Punkte unseres Entwurfes kurz hervorheben. Er besagt, daß alle Handwerker wie bisher versicherungspflichtig sein sollen und daß diese Versicherungspflicht nicht von der Angestelltenversicherung, sondern von der Arbeiterversicherung durchgeführt wird. Eine Wahlfreiheit zwischen der Lebensversicherung und der Angestelltenversicherung entfällt. Nach 15- oder 18jähriger Entrichtung von Beiträgen wird der Handwerker von seiner Versicherungspflicht frei. Im FDP-Antrag steht noch: „auf Antrag befreit". Wir haben uns inzwischen in den Diskussionen mit den betreffenden Fachleuten - Sie wissen, daß wir das sehr schätzen - überlegt, daß es keinen Sinn hat, eine Antragsberechtigung einzuführen, weil dann ein überflüssiger bürokratischer Apparat in Gang gesetzt werden müßte. Wir stellen deshalb jetzt in unserem Vorschlag den Handwerker, wenn er seine Pflichtzeit erfüllt hat, sofort frei und ermöglichen ihm, weitere Beiträge im Sinne einer freiwilligen Weiterversicherung zu leisten. Noch etwas anderes ist wesentlich und stellt eine Neuerung gegenüber dem Stand unserer Überlegungen vom vorigen Herbst dar. Wir wollen nur einige wenige Beitragsklassen haben, um den Beitragseinzug zu vereinfachen. Weiter ist noch zu erwähnen, daß bei der Selbständigmachung für den Handwerker natürlich eine Erschwerung eintritt und Erleichterungen in der Versicherungspflicht vorgesehen werden sollten. Das stand auch schon im früheren Entwurf. Wir haben das beibehalten. In den Übergangsbestimmungen ist vorgesehen, daß diejenigen Handwerker, die bei Inkrafttreten des Gesetzes ihrer Versicherungspflicht durch Abschluß einer Lebensversicherung Genüge geleistet haben, ebenfalls befreit sind. Das Sondervermögen, das wir vor der Rentenreform eingerichtet haben, muß aufgehoben werden. Es ist wohl überflüssig, jetzt noch in eine weitere Polemik einzutreten; denn beide Anträge sind so nahe verwandt, daß es nicht schwer sein dürfte, in den Ausschüssen, die auch Herr Bucher genannt hat, zu einer Einigung zu kommen. Nach Möglichkeit müßten wir rasch zu einer Einigung kommen, aber es wäre falsch, zu behaupten, daß die Länge der verflossenen Zeit nur auf ein zu großes Zögern des Parlaments oder der Regierung zurückzuführen sei. Inzwischen haben wir die Rentenreform. Sie hat die Verhältnisse total verändert. Nach der Rentenreform hätte die Altersversorgung des Handwerks ohnehin geändert werden müssen, und wir würden, wenn wir früher etwas getan hätten, heute auch vor der Notwendigkeit einer Novellierung stehen. Ich bitte, den Antrag der FDP gemeinsam mit unserem Antrag, sobald dieser nachgereicht wird, im Ausschuß zu beraten. Wir werden dann hoffentlich bald zu einer guten und glücklichen Lösung kommen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Regling.

Karl Regling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001794, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf der FDP vom 7. November hätte eine sehr gute Grundlage für die termingemäße Erledigung und Abfassung des Schlußgesetzes zur Handwerkeraltersversicherung sein können. Wir haben erleben müssen, daß der Antrag seit November immer wieder auf Eis gelegt worden ist. Man hat manchmal das Empfinden, daß, wenn nicht gleichzeitig ein Antrag der CDU/CSU vorliegt, die Partei es unter ihrer Würde hält, darüber in den Ausschüssen zu beraten. ({0}) Das läßt sich an verschiedenen Dingen nachweisen. Hier sehen wir es auch wieder. Denn wir haben bereits zweimal auf einer vorläufigen Tagesordnung die Ankündigung eines Gesetzentwurfs der CDU gehabt. Heute haben wir zwar die Begründung bekommen, aber den Gesetzentwurf selbst noch nicht. ({1}) Wenn Sie vorhin sagten, die FDP habe das Ergebnis der Beratungen Ihres Arbeitskreises hier vorgelegt - ja, warum haben Sie es denn nicht selbst getan? ({2}) - Der Entwurf war doch veröffentlicht; dann war er doch fertig. Er war ja auch uns bekannt, Herr Kollege Schmücker! Also Sie hätten den Entwurf einreichen können, und er wäre dann Grundlage der Ausschußberatung gewesen. Dann wären wir jetzt nicht zum 31. März in die Verlegenheit gekommen. ({3}) - Es ist doch nutzlos, wenn wir irgendwelche Anträge einreichen. Nehmen Sie doch den Antrag der FDP! Wenn Ihr Antrag nicht danebenliegt, werden unsere doch auf Eis gelegt. ({4}) - Vom November bis jetzt, also bis April, Herr Schmücker! Im übrigen stand der Termin des 31. März an, der einen Teil des vorläufigen Gesetzes wieder blockierte, welcher durch die endgültige Fassung des Gesetzes erledigt werden sollte. Das wäre ein Grund gewesen, diese Vorlage spätestens im Dezember hier zu besprechen und in den Ausschußberatungen bis zum März durchzubringen. Dann hätten alle Ihre Gedanken, die jetzt, wie Sie sagen, sehr gut sind, - ({5}) - Schön, streiten wir uns nicht darüber! Der FDP-Entwurf wird eben erst zusammen mit Ihrem Entwurf behandelt. Interessant ist aber immerhin die Stellungnahme der Regierung oder, genauer gesagt, des Arbeitsministeriums zu unserer Kleinen Anfrage auf Drucksache 870. Ich meine die Antwort des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 917. Nach Lesen dieser Antwort fühlt man sich fast verpflichtet, zu sagen: Entschuldigen Sie bitte, daß wir überhaupt die Frage gestellt haben! Wir meinen es ja gar nicht böse. Eigenartig mutet aber eine Äußerung des Herrn Arbeitsministers Blank auf der schon erwähnten Handwerkertagung an, die kürzlich in Köln stattfand. Auf dieser Tagung sagte der Bundesarbeitsminister: Ich stehe Ihrem sozialpolitischen Anliegen immer aufgeschlossen gegenüber. Bitte, nehmen Sie das nicht als Höflichkeitsphrase, sondern als ehrliche Überzeugung! Sehr schön! Was aber antwortet der Herr Bundesarbeitsminister auf unsere Kleine Anfrage, in der wir nur danach fragen, was die Regierung tun will, da das Gesetz ausläuft und der einzelne Handwerker wieder in eine sehr schwierige Situation kommt? Darauf schreibt der Herr Bundesarbeitsminister, für die Bundesregierung bestehe kein zwingender Anlaß, auf eine Verlängerung der Geltungsdauer der fraglichen Vorschrift hinzuwirken. Es heißt in der Antwort des Bundesarbeitsministers weiter: Die Vorschrift selbst und die Verlängerung ihrer Geltungsdauer durch das Gesetz vom 30. April 1958 beruhen nicht auf Vorschlägen der Bundesregierung, sondern auf Anträgen von Fraktionen des Deutschen Bundestages. Die Bundesregierung möchte es den Fraktionen, die seinerzeit diese Anträge gestellt haben, überlassen, eine Verlängerung der Geltungsdauer der Vorschrift zu beantragen, wenn sie dies für angebracht halten. Dazu muß ich daran erinnern, Herr Arbeitsminister, daß seit dem Jahre 1949 - und schon vorher im Wirtschaftsrat - ständig auf die Notlage hingewiesen worden ist, die mit dem Stichtag der Währungsreform für einen Teil der Handwerker - der lebensversichert war und somit unter dieses Gesetz fiel - eingetreten ist und sich seitdem immer wieder vergrößert hat. Immer wieder wurde gesagt: Wir werden eine endgültige Regelung treffen. Im 1. Bundestag ist sogar zum Schluß ein Gesetzentwurf eingereicht worden, der allerdings nicht zu Ende behandelt wurde. Die Bundesregierung hat von sich aus immer wieder mit den Ländern bzw. mit den Versicherungsanstalten korrespondiert und auf ein Stillhalte-Abkommen gedrängt. Das ging auch während der zweiten Legislaturperiode so weiter, und jetzt sagt der Herr Bundesarbeitsminister, er sehe keinen zwingenden Anlaß, auf eine Verlängerung der Geltungsdauer hinzuwirken. Das mag rechtlich stimmen. Ob es aber moralisch mit all dem in Einklang zu bringen ist, was bisher gesagt worden ist, insbesondere mit den von mir zitierten Sätzen, erscheint mir sehr fraglich. Zu dem zweiten Punkt unserer Anfrage glaubte der Herr Bundesarbeitsminister sagen zu müssen, daß der nochmalige Hinweis beim Auslaufen der vorjährigen Befristung nur auf ausdrücklichen Wunsch des Sozialpolitischen Ausschusses erfolgt sei. Er habe den Schnellbrief an die Versicherungsanstalten nur deshalb geschrieben, damit keine unbilligen oder übereilten Methoden gegen die Handwerker angewandt würden. Ja, soll man daraus lesen, daß Sie das sonst nicht getan hätten, daß Sie es nicht für notwendig gehalten hätten, einem gesetzlosen Zustand abzuhelfen, auch wenn er nur durch das Auslaufen einer Übergangsregelung entstand? Es müßte doch auch für Sie, Herr Bundesminister Blank, wichtig sein, daß diese Übergangsregelung von allen Sprechern des Hauses immer wieder deshalb befürwortet und weiter befristet wurde, um in der Zwischenzeit die Neuregelung des Gesetzes verabschieden zu können. Ist das nicht für die Regierung Verpflichtung genug, nun ihrerseits alles zu tun, um wirklich zu dem Schlußgesetz zu kommen? Wenn Sie das Gesetz aber noch nicht ganz „ausgedacht" haben, wie es vorhin so schön hieß, warum sagen Sie dann nicht von sich aus: Wir verlängern das Gesetz noch einmal!? Ich finde, daß dieses Verhalten, den Handwerker seinem Schicksal überlassen zu wollen, nicht mit dem in Einklang steht, was Sie, Herr Bundesarbeitsminister, auf einer Tagung der Handwerker zum Ausdruck gebracht haben. In Abs. 3 der Antwort auf unsere Anfrage sagt der Herr Bundesarbeitsminister allerdings wiederum, daß er sehr wohl daran denkt, ein neues Gesetz vorzulegen, aber erst dann, wenn die vollständigen Rechnungsunterlagen der Handwerkerversorgung für das Jahr 1958 vorliegen, wenn alles mit den Sachverständigen erörtert ist usw. Dann wollten Sie etwas unternehmen. Der Abs. 3 dieser Antwort hätte doch den Bundesarbeitsminister veranlassen müssen, dann aber bestimmt den auslaufenden Teil der vorläufigen Handwerkergesetzgebung bis zu diesem Zeitpunkt hinauszuschieben. Alles das hält der Bundesarbeitsminister nicht für notwendig. Wir halten diese Stellungnahme des Bundesarbeitsministers für außerordentlich bedenklich; denn schließlich ist die Regierung dazu da, für Ordnung im Staate zusorgen, ganz besonders auf sozialpolitischem Gebiet. Sie dürften wissen, in welche Lage die Handwerker gekommen wären, wenn dieser Auslauftermin, der 31. März 1959, nicht durch ein Gesetz, das wir hier vor 14 Tagein in drei Lesungen verabschiedet haben, verlängert wurde bis zur Neuregelung der Handwerker-Altersversorgung. Die Ankündigungen und die Bemühungen der Versicherungsanstalten zeigten ja schon deutlich genug, in welche Lage Sie die einzelnen Handwerker gebracht hätten. Die zuständigen Organisationen des Handwerks hatten bereits vor den Auswirkungen gewarnt. Aber das alles hat den Herrn Bundesarbeitsminister nicht gerührt. ({6}) Jetzt hören wir, daß von der CDU/CSU ein neues Gesetz eingebracht werden soll. Wir haben die Begründung gehört und wir haben auch durch die Presse - anders kennen wir es ja noch nicht - vernommen, daß alles in bestem Einvernehmen mit dem Bundesarbeitsminister geschehen sei. Ich weiß nicht, ob die Formulierung diesmal von dort stammt. Aber sei es, wie es sei, hoffen wir, daß es gut und ordentlich wird! Über die Notwendigkeit des Gesetzes noch ein Wort. Bei der Verabschiedung des Rentenneuregelungsgesetzes haben wir den § 52, der die Beitragsfrage zur Handwerker-Altersversorgung regelt, behandeln müssen. Da haben eigentlich die Sprecher aller Fraktionen gesagt, sie befürworteten eine Übergangsregelung, am besten aber sei eine Aufhebung des Gesetzes zur Handwerker-Altersversorgung aus dein Jahre 1938. Der Kollege Schild ging sogar so weit, sich für die Aufhebung auszusprechen, damit wir einen Notstand erreichen und somit die Regierung zwingen, jetzt schnell zu arbeiten. Es wurde vorhin schon angedeutet, daß sich in der Zwischenzeit manches geändert hat. Weshalb soll man also nicht dem damaligen Wunsch, das Gesetz von 1938 eventuell vollends aufzuheben, weil es nur eine Berufsgruppe trifft, nachkommen? Das hat absolut etwas für sich. Wir können heute aber feststellen, daß eben diese betroffene Berufsgruppe an der bisherigen Übergangsregelung, also an der Fassung des vorläufigen Gesetzes, sagen wir einmal, Gefallen gefunden hat und eine endgültige Regelung in dieser Richtung haben möchte. Schön, darüber kann man reden, darüber kann man sich auseinandersetzen. Gut und schön wäre es nur gewesen, wenn wir das so rechtzeitig getan hätten, daß wir nicht durch das ewige Flickwerk - erste, zweite und dritte Änderung und nochmalige Änderung und Ver3600 längerung - immer wieder nur hingehalten werden, anstatt endgültige und fertige Arbeit zu machen. ({7})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Das Wort wird auch nicht weiter gewünscht: Im Ältestenrat ist man übereingekommen, diesen Entwurf an den Ausschuß für Sozialpolitik als federführenden Ausschuß und den Ausschuß für Mittelstandsfragen als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 3a und b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen den Betriebs- und Belegschaftshandel ({0}) ; b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Bericht über die Lage der Mittelschichten ({1}). Ich denke, am besten wird es sein, wenn beides, Gesetzentwurf und Antrag, zusammen besprochen wird. Ist das Haus damit einverstanden, daß der Gesetzentwurf und der Antrag zunächst eingebracht und begründet werden und sich dann die Aussprache über beides erstreckt? - Das ist der Fall. Das Wort zur Begründung des in Punkt 3a genannten Gesetzentwurfs hat der Abgeordnete Wieninger.

Karl Wieninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ursache des Antrags meiner Fraktion, der Werks- und Belegschaftshandel, ist schon seit langer Zeit in weiten Wirtschaftskreisen, nicht nur in Kreisen des Einzelhandels, ein Stein des Anstoßes. Aber nicht nur dies, er ist auch dort, wo er geübt wird - in den Betrieben, Behörden und Werken - ein rechter Zankapfel, der dn manchen Fällen das friedliche Betriebsklima empfindlich stört. Wir haben dieses Thema bereits im 2. Bundestag behandelt und einen Antrag mit ähnlicher Tendenz, aber anderer Prägung eingereicht. Wir haben ihn seinerzeit in erster Lesung an die Ausschüsse überwiesen. Aus Zeitmangel konnte der Gesetzentwurf vor Beendigung der Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden. Meine Fraktion legt diesen Antrag nun erneut vor. Im Gegensatz zu dem Antrag im 2. Bundestag haben wir in der jetzigen Fassung alle Merkmale, die im Hinblick auf das Grundgesetz irgendwie zu Bedenken Anlaß geben könnten, bereinigt. Der Werks- und Belegschaftshandel in seiner heutigen Form ist in der dunklen Zeit des Mangels an Verbrauchsgütern, in der sogenannten Schwarzmarktzeit, entstanden. Damals hat man „organisiert" und mehr oder minder gewagte Kompensationen unternommen. Die Kohleförderung wurde durch Naturalzuteilungen intensiviert, und im Rahmen der Devisenbonus-Aktion ist es damals üblich geworden, Naturalien in den Betrieben verteilen zu lassen. In der Zeit der Warenknappheit, in der sich nahezu jedermann durch Selbsthilfemaßnahmen zu erhalten versuchte, mag dies verständlich gewesen sein. Die innere Berechtigung für eine so autarke Wirtschaftsform ist aber weggefallen, seit ein ausreichendes Warenangebot nicht mehr zu einer solchen Selbstversorgung zwingt. Die Annahme, daß sich diese wilde Warenverteilung mit dem Zeitpunkt der Normalisierung des Wirtschaftsablaufs, mit der Auspendelung von Angebot und Nachfrage von selbst totlaufen würde, lag also auf der Hand. Das Gegenteil ist aber eingetreten. Der Werks-, Betriebs- und Behördenhandel blieb nicht nur bestehen, sondern dehnte sich in einer geradezu beängstigenden Weise aus. Das Ifo-Institut hat vor kurzer Zeit schlüssige Untersuchungen angestellt und festgestellt, daß der Werks-, Behörden- und Belegschaftshandel einen Umsatz von ungefähr 3 Milliarden DM im Jahr erzielt. Das sind 5% dessen, was der Einzelhandel umsetzt. In diesem Zusammenhang ist weiter festgestellt worden, daß ungefähr 12 % aller Familien in Deutschland sich regelmäßig auf solche Weise versorgen oder wenigstens mit versorgen. Diese Ausdehnung ist durchaus nicht die Folge eines unabweisbaren Bedarfs. Vielmehr hat diese Ausdehnung zwei Wurzeln, die durchaus nicht als wertvoll bezeichnet werden können. Die eine der Wurzeln liegt darin, daß sich in den Betrieben Personen umtun, die in geschäftiger Weise und beseelt von sozialromantischen Vorstellungen glauben, ihren Kollegen Pseudovorteile vermitteln zu sollen. Die andere offenbart sich in dem merkantilen Streben einzelner Betriebsangehörigen, bei der Verteilung von Waren Vorteile in Form von Provisionen zu erreichen. Manchmal mischen sich diese beiden Beweggründe in einer bedenklichen Weise. Ich habe mich mit der Frage des Werks-, Behörden- und Belegschaftshandels in den letzten Jahren eingehend beschäftigt. Nicht nur von Betriebsinhabern und Vorgesetzten, sondern auch von vielen Betriebsräten und einfachen Mitarbeitern in den Betrieben habe ich übereinstimmende Auskünfte darüber erhalten, daß das, was im Werksund Belegschaftshandel angeboten und vertrieben wird, vielfach den Interessen der Käufer nicht gerecht wird. Da werden Spirituosen und Liköre obskurer Herkunft angeboten, Schokoladen und Süßigkeiten minderer Qualität, Füllfederhalter, die alsbald unbrauchbar werden, Unterwäsche, die verstaubt und in modischer Hinsicht antiquiert ist usw. Man könnte diese Reihe endlos fortsetzen. Jedenfalls ist es berechtigt, davon zu sprechen, daß aus diesen Gründen der Vorteil des Einkaufs zu niedrigen Preisen auf dieser Ebene ein Pseudovorteil ist. Beim Verbot des Werks- und Belegschaftshandels sollte man sich darum auch davor hüten, zu sagen, daß der Grundsatz der freien Konsumwahl gefährdet würde. Im großen gesehen ist der Warenvertrieb im Werks- und Belegschaftshandel auch pseudosozial. Zunächst müssen wir uns einmal vergegenwärtigen, was in diesem Rahmen alles vertrieben wird. Die Frage wäre leichter zu beantworten, wenn wir feststellten, was dort nicht verkauft wird. Nicht verkauft werden alle Artikel, die sozial kalkuliert sind. so z. B. alle Schälmühlenartikel, Tabakwaren, Speisefette, Salz, Mehl, Zucker usw., kurz alle Artikel, die dem Kaufmann keine oder nur eine geringe Rendite abwerfen. Außer dieser Warengruppe wird im Werks- und Belegschaftshandel alles, aber auch gar alles vertrieben, angefangen von Schuhen, Wäsche und Kleidern, Ausstattungsartikeln bis zu Kühlschränken, Radio- und Fernsehgeräten, Foto- und Filmapparaten, ja sogar bis zu ganzen Wohnungseinrichtungen. Wenn z. B. in kleineren Städten mit Industriebetrieben bei den Einzelhandelsgeschäften dadurch eine sehr spürbare Umsatzschrumpfung eintritt - weil sehr viele Waren, die nicht sozial kalkuliert sind, im Werks- und Belegschaftshandel vertrieben werden -, so kann dort der Einzelhandel auch nicht mehr leistungsfähig sein. Es tritt eine Deroutierung des Preis- und Kalkulationsgefüges ein. Die zwangsläufige Folge wird sein, daß die Vorteile einzelner, nämlich der Käufer im Werks- und Belegschaftshandel, von allen anderen durch entsprechend höhere Preise getragen werden müssen. Die Besserstellung eines relativ kleinen Kreises von Verbrauchern hat damit eine Schlechterstellung aller anderen zur Folge. Die mit den erzielten Sondervorteilen verbundene Umschichtung - des Realeinkommens geht unterschiedslos zu Lasten der gesamten Käuferschaft. Dabei werden Rentner und Wohlfahrtsbefürsorgte wohl am härtesten getroffen. Mit anderen Worten: der Betriebshandel ist der Versuch eines Teiles der Bevölkerung, eine Verbesserung ihres Lebensstandards auf Kosten der breiten Masse unseres Volkes zu erreichen, einer Masse, die sich gegen diese Belastung praktisch gar nicht zur Wehr setzen kann. Deshalb bezeichnen wir die Auswirkungen dieser Entartung unseres Handelslebens als unsozial. Wir bezeichnen diese Art der Warenverteilung mit Recht als eine Entartungserscheinung, weil wir nachweisen können, daß die dort geübten Geschäftspraktiken irgendwie zwielichtig sind. Ich habe bereits über den zweifelhaften Qualitätsstand auf diesem Gebiet gesprochen. Als Lieferanten treten da in der Regel kleine Rucksack- oder Dreiradgrossisten auf, die auf diese Weise am Rande eines ordentlichen und normalen Wirtschaftsgeschehens glauben ihr Schäfchen scheren zu können. Nach unseren Beobachtungen nimmt sich der Einsammlung von Aufträgen in den Betrieben irgendein Mitglied der Belegschaft an, manchesmal ist es auch der Betriebsrat, verteilt dann die gelieferten Waren und übernimmt das Inkasso der Rechnungen. Bei einem Mitarbeiterstand von nur einigen hundert Köpfen macht die Provision für Inkasso und Skonto in Höhe von rund 5 bis 7 N eine schöne Summe aus. Mir sind Nebeneinnahmen dieser Art von wöchentlich 200 bis 300 DM in mehreren Fällen bekannt. Die durch solche Umsätze und solche Nebenverdienste geschaffenen Steuertatbestände werden in der Regel überhaupt nicht oder nur in völlig unzureichendem Maße beachtet. Dies gilt hinsichtlich der Einkommensteuer, hinsichtlich der Umsatz- und auch der Gewerbesteuer. Nach einer vorsichtigen behördlichen Schätzung beträgt der jährliche Steuerausfall zwischen 120 und 200 Millionen DM. Die Oberfinanzdirektion Frankfurt gab die Beurteilung ab, daß bei dieser Art der Warenverteilung mangels Verbuchungen durch die Abnehmer die Aufdeckung der Umstände unwahrscheinlich ist. Es ist in der Tat so: wenn es hoch kommt, werden von seiten der Lieferanten die Umsätze zu einem Steuersatz für den Großhandel, nämlich mit 1 %, aber nicht mit 4 %, wie es für den Kleinhandel für den Verkauf an Letztverbraucher vorgeschrieben ist, versteuert. Die Provisionen und die sonstigen Gewinne, die in der Regel von den Verteilern in den Betrieben erzielt werden, werden erfahrungsgemäß dem Finanzamt überhaupt nicht gemeldet. Aber nicht nur im Hinblick auf die Steuern wirkt sich der Werk- und Belegschaftshandel unheilvoll aus, er stellt auch volkswirtschaftlich gesehen einen unfairen Wettbewerb dar. Dem Betriebs- und Belegschaftshandel wäre jede Wirksamkeit schlagartig entzogen, wenn er unter den gleichen Wettbewerbs-und Startbedingungen wie der reguläre Handel arbeiten müßte, wenn er ein komplettes Warensortiment, wie es der Käufer nach dem Grundsatz der freien Konsumwahl verlangt, halten müßte, statt sich auf eine Reihe leichtverkäuflicher Gegenstände zu beschränken. Der Werks- und Belegschaftshandel wäre lahmgelegt, wenn er auch, so wie das der Einzelhandel tun muß, alle sozial kalkulierten Antikel, also die Massenkonsumgüter, anbieten würde. Er wäre nicht möglich, wenn er so wie der reguläre Handel Gehälter, Mieten, Sozialabgaben, Lagerkosten, Kreditzinsen, Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuer, Heizung, Beleuchtung und Versicherungsbeiträge und was alles zu den Generalien gehört, zu tragen hätte. Er müßte auch verschwinden, wenn die Agenten und Vermittler in den Betrieben - wie der reguläre Handel - ihren Lebensunterhalt aus dieser Tätigkeit bestreiten müßten, statt ihn von ihren Arbeitgebern für eine vernachlässigte Hauptberufstätigkeit entgegenzunehmen. Wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt wären, könnte von gleichen Wettbewerbsbedingungen gesprochen werden. Diese Wettbewerbsungleichheit stellt aber eine Gefahr für unsere Volkswirtschaft dar, weil ihr Leistungsniveau von dem Grad der Spezialisierung der wirtschaftlichen und realen Funktionen abhängt. Die Rückbildung dieser Spezialisierung muß sich unwirtschaftlich auswirken. Der Handel innerhalb der Betriebe und Behörden stellt eine solche Rückbildung in unserer in höchstem Grade spezialisierten und dadurch aus unzähligen Abhängigkeitsverhältnissen bestehenden Volkswirtschaft dar und vermindert zwangsläufig unseren relativ hohen Leistungsstandard. Meine Damen und Herren, ich sagte schon, daß wir diesen Antrag im 2. Bundestag schon einmal gestellt haben. Bei der damaligen Behandlung dieser Frage haben alle seinerzeit in diesem Hohen Hause vertretenen Parteien erklärt - und zwar sowohl in der ersten Lesung wie auch in den Ausschußberatungen -, daß sie die Auswüchse, die sich auf diesem Gebiete entwickelt haben, ablehnen und daß sie bereit sind, daran mitzuwirken, daß sie sich nicht weiter fortsetzen können. Es muß beachtet werden - ich habe dies vorhin schon angeführt -, daß unser heute zur Beratung anstehender Antrag von allen Merkmalen, die Anlaß geben könnten, Bedenken in Hinsicht auf das Grundgesetz zu erheben, gereinigt worden ist. Wenn trotzdem derartige Bedenken von manchen Interessenten noch ins Feld geführt werden, so ist dazu zu sagen, daß die Heranziehung der Art. 2 und 12 des Grundgesetzes fehlgeht. Der Art. 2 des Grundgesetzes ist deshalb nicht heranziehbar, weil das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit durch den vorgelegten Gesetzentwurf in keiner Weise angestastet wird. Mit der Reklamation dieses Rechts könnten alle bestehenden Gesetze und sonstigen Vorschriften negiert werden. Jeder könnte beispielsweise fordern, zu jeder Zeit, zu jeder Tages- und Nachtzeit einkaufen zu können, als ob es keine Ladenschlußregelung gäbe, und erklären, alles andere sei eine Behinderung der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Jeder könnte erklären, daß er bei Rotlicht über die Straße gehen dürfe oder die Vorschriften irgendeines anderen Gesetzes unbeachtet lassen dürfe. Wenn im Falle des Werk- und Belegschaftshandels z. B. das Gesetz über die Berufsausbildung im Einzelhandel eine Sperre bietet, kann der Art. 2 nicht herangezogen werden, Oder wenn die eklatante Gefahr besteht, daß durch diese Entartung des Handelslebens laufend und in großem Ausmaß Steuern hinterzogen werden, ist eine Berufung auf das Grundgesetz ein Nonsens. Professor Dr. Maunz in München hat ein Gutachten zu dieser Frage erstellt und darin auf das, was wir mit unserem Antrag bezwecken, Bezug genommen. Er hat - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren - folgendes ausgeführt: Der sachliche Anlaß und der wirtschaftspolitische Grund eines Verbots des Betriebs- und Belegschaftshandels kann darin bestehen, eine steuerlich schwer kontrollierbare Unternehmenstätigkeit solcher Personen, die nicht berufsmäßig Handel treiben, zu unterbinden. Das Ziel, Personen vom Handel auszuschalten, die im Hauptberuf Werkmeister, Metallarbeiter, Weberinnen usw., jedenfalls Betriebsangehörige im Angestellten- oder Arbeiterverhältnis sind und die über ihre Handelstätigkeit weder Buch führen noch für sie Umsatzsteuer bezahlen, muß als gerechtfertigt und von der Rechtsordnung gebilligt angesehen werden. Professor Maunz fährt fort: Kein Grundrecht darf so ausgelegt werden, als könnte es dazu verhelfen, sich gewerberechtlichen oder steuerlichen Pflichten zu entziehen. Da also die Unternehmenstätigkeit von Personen, die nicht berufsmäßig Handel treiben, auch nicht als eine Berufsausübung angesprochen werden kann, ist es auch nicht möglich, in diesem Fall den Art. 12 des Grundgesetzes heranzuziehen. Meine sehr verehrten Damen und, Herren, mit der Verabschiedung unseres Antrags im Bundestag würden auf dem Gebiet der Güterverteilung stabile Verhältnisse eintreten, ein dauernder Steuerschaden verhindert und ein unsoziales Preisgefälle vermieden. Wir beantragen, den vorliegenden Gesetzentwurf dem Ausschuß für Mittelstandsfragen als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaft als mitberatendem Ausschuß zu überweisen. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Burgemeister. ({0}) - Sie wollen dazu nicht sprechen? - Wird zu Punkt 3a das Wort gewünscht? ({1}) - Ist das Haus damit einverstanden, daß Punkt 3a zuerst abgehandelt wird? ({2}) - Eben wird ein anderer Antrag gestellt. Wir können unsere Vereinbarungen ja auch ändern. Das scheint mir das vernünftigste zu sein. Ich verstehe von diesen Dingen nicht so viel, daß ich einen guten Vorschlag machen könnte. Ist das Haus der Meinung, daß wir trennen sollten? ({3}) Ich eröffne also die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Regling.

Karl Regling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001794, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wunsch nach einem Gesetz gegen den Betriebs- und Belegschaftshandel ist nicht neu. Wir haben bereits gehört, daß es, so kann man sagen, auch schon einen gewissen Leidensweg hinter sich hat. Die Dringlichkeit hat uns Kollege Wieninger im 2. Bundestag mit ähnlichen Worten geschildert wie heute. Wir haben allerdings schon damals erklärt, daß es sich hier um ein heißes Eisen handelt, weil man keine genaue Abgrenzung findet. Wir haben uns insofern zustimmend geäußert, als wir gesagt haben, wir wollten alle Auswüchse beseitigen. Aber was sind Auswüchse? Insbesondere der Mittelstandsausschuß hat sich eingehend mit dieser Materie befaßt, und die Regierungsvertreter haben uns pflichtgemäß auf die Schwierigkeiten aufmerksam machen müssen. Es ging einmal um die Frage, wen man mit diesem Gesetz gegen die Auswüchse treffen soll. Denn niemand, auch Sie nicht, will mit dem neuen Gesetzentwurf die Kantinenbetriebe oder die Versorgung der Werksangehörigen mit dem täglichen Bedarf, mit dem, was in den Pausen usw, benötigt wird, verbieten. Wie faßt man aber alles, was darüber hinausgeht? Den Inhaber oder den Leiter des Betriebes verantwortlich zu machen, wie es ursprünglich in Ihrem Gesetzentwurf aus der zweiten Legislaturperiode vorgesehen war, dagegen bestehen tatsächlich viele Bedenken; das könnte bis zu Arbeitsstreitigkeiten mit den Werksangehörigen führen. Dieser Vorschlag wurde alsbald zu dien Akten gelegt. Die andere Möglichkeit - die jetzt aufgegriffen wird -, ist, den Lieferanten zu treffen und ihm die Belieferung dieser Werkseinrichtungen - mit den vielen Austahmen - zu untersagen. Seinerzeit wurde im Mittelstandsausschuß eine Formullerungshilfe der Regierung vorgelegt. Sie liegt jetzt, ich glaube, wortwörtlich Ihrem Entwurf zugrunde. Aber nachdem die Vorlage und die Formulierungshilfe bekannt und nicht nur hier im Hause, sondern auch draußen diskutiert wurden, erlebten wir einen Ansturm von Zuschriften aus den betroffenen Kreisen. Ich muß sagen, wir sind heute wieder genauso weit wie damals: Wo setzen wir an? Wie kann man das, was wir beseitigen wollen, das, was über den täglichen Verzehr hinausgeht, die ungebührlichen Auswüchse bis zum Verkauf von Fernsehapparaten usw., aus dem Betriebs- und Belegschaftshandel herausbringen, ohne die Belieferung der Werksangehörigen mit dem Notwendigsten zu beeinträchtigen? Da liegt doch die Schwierigkeit. Eigentlich sind die Auswüchse eher mit dem Begriff Beziehungshandel zu bezeichnen, und den Beziehungshandel - das haben wir auch bei der seinerzeitigen Ausschußberatung festgestellt - bekommen wir über diese Gesetzesformulierung nicht weg. Wir sind schon damals im Mittelstandsausschuß zu der Auffassung gekommen, daß die Frage irgendwie anders geregelt werden müßte. Ich habe als Berichterstatter des Mittelstandsausschusses für diesen Fragenkomplex im 2. Bundestag ausdrücklich den Auftrag erhalten, in meiner Begründung darauf hinzuweisen, daß eine Lösung mit dem Kartellgesetz versucht werden sollte. Nun, wir wissen, das Kartellgesetz ist beileibe nicht das geworden, was der Herr Bundeswirtschaftsminister einmal daraus machen wollte. Ich glaube, auch Sie sind mit dem Kartellgesetz nicht ganz zufrieden. Zumindest aber ist dort nicht das sichergestellt, was wir in dieser Richtung eigentlich von ihm wünschten. Sollten wir das heute noch erreichen können? Sind sie dieser Meinung? Ich glaube kaum; jedenfalls ist es nicht mit diesem Gesetz zu erreichen, das muß ich leider sagen. Und wir werden nicht die Möglichkeit haben -selbst wenn wir dieses Gesetz wieder völlig umbauen -, jetzt eine Bestimmung hineinzubringen, die etwa die Anregung gibt, das Kartellgesetz in dieser Richtung zu ändern. Also, meine Damen und Herren und Kollegen von der CDU/CSU, die Sie diesen Antrag erneut, wenn auch in neuer Formulierung, einbringen: Sie haben eine ganze Menge von den Schwierigkeiten, die seinerzeit in dem Entwurf enthalten waren, herausgenommen. Wir haben uns, das will ich hier auch bekennen, im Mittelstandsausschuß einstimmig der in einer Formulierungshilfe der Regierung vorgeschlagenen Fassung angeschlossen. Weiter ist dann der Antrag nicht gelaufen; der federführende Wirtschaftspolitische Ausschuß hat ihn nicht mehr verabschiedet. Trotz alledem: Ich sagte, es sind auch gegen die neue Formulierung von den zuständigen Sachverständigen und Organisationen derart viele Einwendungen gemacht worden, daß wir uns, so fürchte ich, wiederum recht lange und intensiv mit diesem Fragenikomplex werden befassen müssen. Nochmals - abschließend -: Die Auswüchse, die Sie hier treffen wollen, wollen auch wir beseitigen; aber ich zweifle, ob wir das mit diesem Gesetz, mit dieser Formulierung fertigbringen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Bucher.

Dr. Ewald Bucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000288, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Anliegen, das die CDU/CSU-Fraktion mit diesem Gesetzentwurf verfolgt, teilen wir; aber gegen den Entwurf im einzelnen haben wir auch gewisse Bedenken. Es ist richtig, daß der Belegschafts- und Behördenhandel eine durchaus unerwünschte Erscheinung ist. Der Kollege Wieninger hat das sehr überzeugend dargelegt. Er hat die Entwicklung aus verständlichen Anfängen geschildert. Wenn es heute dazu gekommen ist, daß in den Betrieben alles, von der Dauerwurst bis zum Möbel, gehandelt wird, so ist das eine Primitivform des Handels, die in unser Wirtschaftsleben gar nicht hineinpaßt. Auch wenn es sich, wie man sagt, nur um 5 % der Einzelhandelsumsätze handeln sollte, so muß man doch berücksichtigen, daß natürlich der Umfang dieses Belegschaftshandels nach Branchen sehr verschieden ist, sehr stark z. B. in der Textil- und Süßwarenbranche. Das Argument, mit diesem Gesetz sollten die Handelsspannen gesichert werden, trifft nicht zu. Natürlich sollten zu hohe Handelsspannen herabgesetzt werden. Aber es wird immer dabei bleiben, daß der Einzelhandel, um leben zu können, eine Handelsspanne braucht, während der Betriebs- und Belegschaftshandel ohne eine Handelsspanne auskommen kann. Unserem Wirtschaftssystem widerspricht der Betriebs- und Belegschaftshandel aus folgendem Grunde: der Einzelhandel muß Lager halten. Man erwartet vom Einzelhandel, daß man dort ein reiches Sortiment zu jeder Zeit verfügbar hat, mutet ihm aber gleichzeitig zu, daß in Form des Betriebshandels gewisse „Rosinen" gekauft werden können, die dem Einzelhandel verlorengehen. Daß die ganze Erscheinung unsozial ist, hat Herr Wieninger auch bereits ausgeführt. Dazu brauche ich also nichts mehr zu sagen. Man muß gerade im Hinblick auf die soziale Seite der Sache auch an die Gewerkschaften appellieren, alles zu tun, was sie können, um diesen Handel zu unterbinden. Denn es kann auch nicht im Interesse der Arbeitnehmer liegen, daß auf diese Weise ein wichtiges Glied der Volkswirtschaft, der Einzelhandel, geschädigt wird; das hat auch Rückwirkungen auf die Lage der Arbeitnehmerschaft. Ich verschweige gar nicht, daß man auch auf Industrie und Einzelhandel einwirken sollte, ihrerseits einiges zu tun, etwa, überhöhte Handelsspannen abzubauen. Daß es da Möglichkeiten gibt, haben wir in letzter Zeit bei einer ganz bestimmten Branche sehr deutlich gesehen. ({0}) Es gibt auch gewisse Einzelpunkte, bei denen man dem Einzelhandel durchaus sagen kann: bemühe dich selber, noch etwas attraktiver zu werden. Ich denke nur an die oft festzustellende bedauerliche Erscheinung des indirekten Kaufzwanges, wobei der Käufer sich nicht traut, ein Ladengeschäft zu verlassen, ohne etwas gekauft zu haben. Das sind die typischen Käufer, die sich dann zum Belegschaftshandel flüchten. Wir wollen das einmal ganz offen hier aussprechen. Ich möchte allerdings gleich anfügen, daß wir keinerlei Einwände gegen das Gesetz zu erheben haben, soweit es sich gegen den Behördenhandel richtet. Es liegt zunächst einmal in der Organisationsgewalt der staatlichen Behörden, daß sie diesen Handel verbieten. Die Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes sind nicht dazu bestellt, Handel zu treiben, sondern sie haben ihre staatlichen Funktionen auszuüben. Ein Gesetz sollte auf diesem Gebiet eigentlich gar nicht nötig sein. Leider ist es offenbar aber doch nötig. Das zeigen uns einige Vorgänge und Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit. Vor einem Jahr fand in Hannover ein Strafprozeß gegen das Sozialwerk der niedersächsischen Landesbediensteten statt. Es erging hier ein Freispruch; das Gericht sagte, es sei nicht möglich, hiergegen von Staats wegen vorzugehen, obwohl - ich kann mich nur auf Pressemeldungen stützen; die Sache selber kenne ich nicht - hier Lebens- und Genußmittel in Gerichtsgebäuden gehandelt worden sein sollen und in einer Filiale in Wolfenbüttel sogar ein Jahresumsatz von 300 000 DM erzielt worden sein soll. Dies alles geschah, obwohl ein Erlaß des niedersächsischen Ministerpräsidenten aus dem Jahre 1952 vorliegt, der dies verbietet, weil es den Aufgaben und dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung widerspreche. Man könnte andere Beispiele zitieren, etwa jene Bundeswehrdienststelle in Koblenz, wo eine Standortkameradschaft besteht, oder jene Vereinigung kraftfahrender Polizeibeamten in Baden-Württemberg. Letztere war Gegenstand einer eingehenden Aussprache im Landtag von Baden-Württemberg. Die Landesregierung hat sich dabei auf den Standpunkt gestellt, sie habe den Handel in den Behördenräumen und während der Dienstzeit strikt verboten - das stimmt auch, soweit ich weiß -, aber sie könne nichts dagegen tun, daß Beamte außerhalb der Diensträume und außerhalb der Dienstzeit solche Geschäfte tätigen. Ich vertrete hier eine etwas andere Ansicht. Ich meine, es widerspricht auch dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung - siehe jenen Erlaß von Niedersachsen -, wenn Beamte sich zu solchen Vereinigungen geschäftlicher und gewerblicher Art organisieren. Ich wiederhole nochmals: keine Bedenken gegen ein gesetzliches Einschreiten gegen den Behördenhandel. Etwas anders sieht es natürlich aus, wenn man ein solches Verbot gegenüber der freien Wirtschaft ausspricht. Nach dem vorliegenden Entwurf soll zwar nicht mehr der Inhaber des Betriebes unter Strafe gestellt bzw. mit einer Geldbuße bedroht werden. Dagegen wurden mit Recht verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Das wäre ein Eingriff in die wirtschaftliche Freiheitssphäre, in das Hausrecht des Betriebsinhabers gewesen. Man will nun nur den Lieferanten erfassen. Es fragt sich aber einmal, ob nicht auch hier dieselben verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Zum anderen scheint es mir doch recht schwierig zu sein, so den Belegschaftshandel zu erfassen. Der Lieferant weiß viel weniger als der Betriebsinhaber, an wen die Ware geht, die geliefert wird. Es wird Fälle geben, in denen das offensichtlich ganz klar ist, nämlich dann, wenn ein völlig betriebsfremder Artikel geliefert wird. Aber sonst wird es doch sehr schwer sein, dem Lieferanten diese Kenntnis nachzuweisen. Nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz gehört zu einer Ordnungswidrigkeit Vorsatz. Wie soll man diesen Vorsatz hier nachweisen? Daß hier Lücken vorliegen, zeigt schon die Definition im Entwurf. Es wird hier nicht ganz logisch als Betriebs- und Belegschaftshandel die Lieferung von Waren bezeichnet. Handel ist ein gegenseitiger Vorgang, Lieferung ein einseitiger. Es bestehen auch sonstige Umgehungsmöglichkeiten - darauf ist bereits hingewiesen worden -: Bildung von Einkaufsgenossenschaften, von Sozialwerken außerhalb des Betriebes und der ebenfalls schon erwähnte Beziehungshandel, die Direktgeschäfte. Das Problem des Versandhandels wird von diesem Gesetz überhaupt nicht berührt. Ich glaube, das eigentliche Anliegen des Entwurfs liegt darin, daß keine Verkaufsmöglichkeiten mit besseren Bedingungen als beim Einzelhandel gegeben sein sollen. Diese besseren Bedingungen könnten u. a. daraus folgen, daß der Verkauf vielleicht nicht steuerlich erfaßt werden kann, außerdem aber auch daraus, daß in der Arbeitszeit verkauft wird, die von einem anderen bezahlt wird. Aber ich erinnere an das Schwarzarbeitsgesetz, das wir hier gemacht haben. Es hat sich herausgestellt, daß es nicht möglich war, mit einem Gesetz dem Anliegen nachzukommen, daß nämlich keiner den Staat betrügt, indem er ein Arbeitsentgelt bezieht, für das er keine Steuer zahlt. Wir sollten uns vor der Gefahr hüten, hier wieder ein Gesetz zu machen, das nur Augenwischerei darstellt. Das alles ist keine Kritik am Grundsätzlichen, sondern nur eine Anregung, uns die Dinge bei der endgültigen Formulierung genau zu überlegen. Das Problem liegt, wenn ich es nochmals sagen darf, darin, daß der Betriebs- und Behördenhandel Vorteile, die einerseits der Versandhandel, andererseits der Einzelhandel bietet, kombinieren will. Der Einzelhandel bietet den Vorteil, daß man die Ware, die man kauft, sieht und auswählen kann. Beim Versandhandel kann man nur aus dem Katalog wählen. Beim Betriebs- und Belegschaftshandel soll das in etwa kombiniert werden; aber das geschieht, wie gesagt, auf eine unserem Wirtschaftssystem fremde Weise. Die Fraktion der FDP ist bereit, an der Schaffung eines Gesetzes mitzuwirken, wenn es rechtlich und wirtschaftspolitisch möglich und zu verantworten ist, dieser Erscheinung mit einem Gesetz entgegenzutreten. ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Illerhaus.

Joseph Illerhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000991, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in diesem Hause schon sehr oft über die Erscheinung gesprochen, die Gegenstand des vorliegenden Gesetzentwurfes ist, der nun in unseren Ausschüssen beraten werden soll. Der Herr Kollege Wieninger hat in der Begründung des Gesetzentwurfes bereits Darlegungen über die Entstehung des Betriebs- und Belegschaftshandels gemacht; aber ich glaube, man sollte noch einige Worte darüber sagen, warum es nach der Währungsreform bei diesem Handel geblieben ist, nachdem die Notwendigkeit der Versorgung der Bevölkerung auf diesem Wege und all die anderen Gründe, die Herr Kollege Wieninger angeführt hat, nicht mehr bestanden. Man wird nicht alle Ursachen für das Weiterbestehen dieses Handels aufzählen können. Ich weiß aus Gesprächen, daß vor allem in den ersten Jahren nach der Währungsreform die Duldung dieses Handels von den Inhabern von Industriebetrieben als eine indirekte Lohnerhöhung angesehen wurde. Man glaubte damals, die Löhne seien nicht ausreichend. Es ist natürlich sehr bequem, eine Lohnerhöhung auf dem Buckel eines anderen Berufsstandes vorzunehmen. Selbstverständlich sind auch diejenigen, die die Aufträge vermittelt und den Handel in den Betrieben ausgeübt haben, nicht uninteressiert daran gewesen; sie haben ja eine Provision dafür bekommen und auf diese Weise ihr Einkommen erhöht. Welche grundsätzlichen Bedenken bestehen nun gegen diesen Handel in den Büros, in den Werken oder bei den Behörden oder wo er sich auch immer zeigt, zunächst einmal vom Einzelhandel aus gesehen? Ich glaube nicht, daß wir ein solches Gesetz etwa als Sicherungsgesetz für den Einzelhandel schaffen müßten. Es handelt sich meines Erachtens vielmehr um ein grundsätzliches Problem, nämlich um die Frage, inwieweit durch diese Entwicklung das Leistungsprinzip der Marktwirtschaft verfälscht wird. Lassen Sie mich das an einigen Beispielen klarmachen. Die Leistung setzt sich zusammen aus der Herstellung und dem Vertrieb der Ware. Jeder, der vernünftig denkt, muß selbstverständlich verstehen, daß es für den einzelnen Verbraucher sehr reizvoll ist, unter Umständen unter Umgehung des Einzelhandels billiger beim Produzenten zu kaufen. Aber hier geht es darum, wie sich solche Wege auswirken, wenn sie sich auf die Allgemeinheit, auf eine breite Masse ausweiten. Dann stellt sich die Frage, wie die Vertriebskosten verlagert werden. Wenn der einzelne beim Fabrikanten direkt bestellt, ändert sich beim Produzenten überhaupt nichts in der Unkostenstellung. Er schickt dem Mann das Paket, und die Sache ist erledigt. Wenn nun aber die breite Masse der Verbraucher oder, wie wir das in den vergangenen Jahren erlebt haben, weite Kreise dazu übergehen, dann müssen Vertriebskosten und sonstige Kosten, die beim Einzelhandel anfallen, zwangsläufig auf die Produktionsstufen verlagert werden. Dann müssen bei den Produzenten Versandabteilungen, Buchungsabteilungen, Rechnungsabteilungen eingerichtet werden. Es kann nur dann anders aussehen, wenn lediglich der einzelne kauft. Die zweite Frage betrifft die Käufe über den Großhandel. Sie wissen, es gibt auch eine ganze Reihe von Großhändlern, die sich hier einschalten. Dann kauft der Verbraucher zwar nicht vom Fabrikanten, aber vom Großhandel. In diesem Falle sehen die Verhältnisse folgendermaßen aus. Der Großhandel bekommt für die Ausübung seiner Funktion einen Funktionsrabatt beim Fabrikanten. Der Einzelhändler kann den Funktionsrabatt nicht erhalten. Der Großhändler nutzt nun den infolge des Funktionsrabatts niedrigeren Einkaufspreis aus, umgeht den Einzelhandel und verkauft direkt an den Verbraucher. Hier liegt ein Mißbrauch des Funktionsrabattes vor, den wir meines Erachtens nicht dulden können; denn hier werden Unterschiede im Wettbewerb geschaffen, eine Ungleichheit im Wettbewerb, die nicht etwa durch eine bessere Leistung hervorgerufen ist, sondern durch Vorteile, die dem einen gewährt werden, weil er sich als Großhändler bezeichnet, und die der andere als Einzelhändler nicht in Anspruch nehmen kann. Hier liegt eine ausgesprochene Verfälschung des Leistungswettbewerbes vor. Aber auch vom Staat aus gibt es dagegen erhebliche Bedenken, wenn Sie einmal überlegen, ob sich durch diese Entwicklung nicht eine Umstrukturierung auf Kosten des Mittelstandes anbahnt. Meine Damen und Herren, wir sprechen in den verschiedensten Parteien bei den verschiedensten Gelegenheiten von der Förderung des Mittelstandes. Dann müssen wir anerkennen, daß in der aufgezeigten Entwicklung eine Gefahr für die Existenz des Mittelstandes besteht, dessen staatspolitische Bedeutung von allen anerkannt wird. Wir sprechen in der nächsten Zeit vielleicht noch in anderem Zusammenhang, bei der Konzentrationsdebatte, über die Förderung des Mittelstandes. Auch dabei werden wir auf diese Frage sicherlich noch einmal zurückkommen. Es gibt noch eine andere Wirkung, die die Entwicklung des Mittelstandes beeinflußt, nämlich die fiskalische Wirkung. Herr Kollege Wieninger hat soeben bereits die Umsatzsteuer, die Gewerbesteuer und die Einkommensteuer erwähnt. Von ihnen wird der Mittelstand sicherlich stark beeinflußt. Man kann die Zahlen hier nicht auf den Tisch legen, aber ich bin davon überzeugt, daß nicht nur dem Staat Geld verlorengeht, sondern die Besteuerung auch wieder eine Verfälschung des Wettbewerbs mit sich bringt, weil der eine die Steuern ordnungsgemäß bezahlen muß und der andere, bei dem die Steuern nicht erfaßt werden können, sich daran vorbeidrückt. Eine Reihe von Gründen macht es also notwendig, daß sich das Parlament einmal in den Ausschüssen mit dem Gesetzesantrag befaßt, um eine Änderung herbeizuführen. Es geht dabei nicht um eine optische Wirkung, Herr Kollege Bucher, oder um ein Sand-in-die-Augen-Streuen. Wenn ein solches Verbot in einem großen Rahmen ausgesprochen wird, dann hat das schon seine Wirkung auf die Öffentlichkeit, ganz abgesehen davon, daß es auch im Hinblick auf das Kartellgesetz bei den Konditionsverhandlungen mitberücksichtigt werden kann und dort Mißbräuchen entgegenwirkt. Bei der Verabschiedung des Gesetzes zum Verbot der Schwarzarbeit haben wir auch den Standpunkt vertreten: Was da noch drinsteht, ist so wenig, daß man eigentlich gut darauf verzichten könnte. Wenn Sie aber die Beteiligten hören, werden Sie feststellen, daß allein das Verbot der Schwarzarbeit durch den Gesetzgeber mit den dazugehörigen Ausnahmen dazu geführt hat, daß sich die Auftraggeber, die solche Schwarzarbeiteraufträge vergeben haben, ganz andere Gedanken machen als bisher. In vielen Fällen hat das Gesetz, ohne daß es im einzelnen herangezogen zu werden brauchte, seine Wirkung nicht verfehlt. Wenn sich das Parlament in seinen Ausschüssen ernsthaft mit der Frage befaßt und positiv an die Aufgabe herangeht, einen Zustand zu beseitigen, der seit Jahren Gegenstand der heftigsten Kritik in der Öffentlichkeit ist, dann müßte ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen sein. Sicher ist der jetzt vorliegende Entwurf noch nicht der Weisheit letzter Schluß, aber es ist unser aller Aufgabe, in den Ausschüssen das Nötige dazu beizutragen, damit ein praktikabler Gesetzentwurf herauskommt. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen? - Das ist nicht der Fall. Es ist der Antrag gestellt, diesen Entwurf an den Ausschuß für Mittelstandsfragen - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. - Das Wort hierzu hat der Abgeordnete Lange.

Erwin Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001283, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte um diesen Gesetzentwurf hat im Grunde gezeigt, daß es sich um ein bedeutsames wirtschaftspolitisches Problem handelt, das eigentlich vom Wirtschaftsausschuß federführend behandelt werden müßte. Die Antragsteller sollten sich überlegen, ob sie nicht diesem Gedanken folgen könnten; denn wenn man den Mittelstandsausschuß als federführenden Ausschuß vorsieht, erweckt man den Eindruck, als ob nur eine bestimmte Gruppe innerhalb unserer Bevölkerung an dem Gesetzentwurf interessiert wäre. Ich meine, man sollte den Bemühungen um eine vernünftige Lösung des Problems dieses Odium nehmen. Deshalb schlage ich vor: Überweisung an den Wirtschaftsausschuß - federführend- und an den Ausschuß für Mittelstandsfragen - mitberatend -.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Illerhaus.

Joseph Illerhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000991, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten in diesem Fall an der Vereinbarung festhalten und den Gesetzesantrag federführend vom Ausschuß für Mittelstandsfragen behandeln lassen. Den Wirtschaftsausschuß passieren so viele Gesetze. Man kann nicht jedesmal sagen: Hier werden die Interessenten selbst gebeten, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln. So kann man es, glaube ich, nicht gut sagen. Ich bin der Meinung, wir sollten hier den Ausschuß für Mittelstandsfragen als federführenden Ausschuß und den Wirtschaftsausschuß als mitberatenden Ausschuß einsetzen. Ich bin davon überzeugt, daß beide Ausschüsse, vor allen Dingen, wenn die ersten Dinge einmal abgeklärt sind, in gemeinsamer Beratung ein Ergebnis finden werden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Keine weiteren Wortmeldungen. Dann müssen wir abstimmen. Ich kann nicht gut anders verfahren ,als so, daß ich frage: Wer ist für die Überweisung an den Ausschuß für Mittelstandsfragen als federführenden Ausschuß? - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen. Also federführender Ausschuß ist der Ausschuß für Mittelstandsfragen, mitberatender Ausschuß ist der Wirtschaftsausschuß. Zur Begründung des Antrags unter Punkt 3b der Tagesordnung hat das Wort der Abgeordnete Lange.

Erwin Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001283, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag auf Drucksache 712 betreffend Bericht über die Lage der Mittelschichten wird zum dritten Male seit dem Bestehen des Bundestages eine Debatte über das Problem der Mittelschichten eingeleitet. Ich darf daran erinnern, daß die erste Debatte dieser Art im Jahre 1952 stattgefunden hat. Sie wurde damals durch Anträge der Parteien der Regierungskoalition eingeleitet, so daß man eigentlich vermuten konnte, die Parteien, die die Regierung trügen, stünden zur Politik ihrer Regierung in Opposition und machten - berechtigterweise - auf eine Menge von Unzulänglichkeiten in der Politik und in den Folgen dieser Politik aufmerksam. Die zweite Debatte haben wir im Jahre 1955 geführt. Die Ergebnisse sind bis zur Stunde auch nicht befriedigend. Man kann nicht sagen, daß das, was 1955 als praktisch unerledigter Sachverhalt aus dem Jahre 1952 aufgegriffen wurde, nach der Debatte vom 16. Dezember 1955 im Verlauf der zweiten Legislaturperiode erledigt worden wäre. Die Probleme stehen nach wie vor an. Heute wird wiederum eine solche Debatte eingeleitet, diesmal durch den Antrag auf Drucksache 712, den die sozialdemokratische Bundestagsfraktion einbringt. Ich darf weiter darauf verweisen, daß die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung vom Jahre 1957 sich sehr deutlich zur gesellschaftspolitiLange ({0}) schen und volkswirtschaftlichen Bedeutung der Mittelschichten bekannt hat. Der Bundeskanzler führte in seiner Regierungserklärung aus: Weite Schichten der Bevölkerung, die der Mittelklasse angehören, bedürfen der Sorge des Staates. Sie sind hinter anderen Schichten zurückgeblieben. Wir brauchen aus staatspolitischen und aus kulturpolitischen Gründen unbedingt eine gesunde mittlere Schicht. Wir wollen nicht, daß schließlich bei immer größerer Konzentration der Wirtschaft zu Großbetrieben das Volk aus einer kleinen Schicht von Herrschern über die Wirtschaft und einer großen Klasse von Abhängigen besteht. Wir brauchen unabhängige mittlere und kleine Existenzen im Handwerk, Handel und Gewerbe. Dafür soll das Wirtschaftsministerium sargen. Wir brauchen das gleiche in der Landwirtschaft. Für sie soll der Landwirtschaftsminister Sorge tragen. Wir brauchen die anderen freien Berufe. Wir brauchen die Anerkennung und den Aufstieg von Angestellten in den Großbetrieben. Die Wahrung ihrer Interessen und die Sorge für sie fällt in den Bereich dieses erweiterten Ministeriums. So weit, so gut! Ähnliches, meine Damen und Herren, haben wir im Grunde genommen schon in der Regierungserklärung des Jahres 1953 gehört. Damals hieß es - auch wieder in den Ausführungen des Bundeskanzlers -: Die besondere Aufmerksamkeit der Bundesregierung wird weiterhin der Schaffung selbständiger Existenzen in Handwerk, Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft gelten müssen. Wenn man sich diese Versprechungen aus den Regierungserklärungen vergegenwärtigt, fragt man sich, wie weit sie verwirklicht worden sind. Ich darf daran erinnern, daß während des Wahlkampfes 1957 verantwortliche Leute der Koalitionsparteien, also der Christlich-Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union und nicht zuletzt auch vom Bundeskanzler, darauf hingewiesen haben, daß man zuerst einmal eine Periode des wirtschaftlichen Aufbaus brauche. Dabei habe man die kleineren und mittleren Selbständigen nicht in entsprechender Weise berücksichtigen können, aber man wolle die nächsten vier Jahre dazu nutzen, das in den vorausgegangenen acht Jahren, also den ersten beiden Legislaturperioden, Versäumte nachzuholen. Nun, wie sieht das aus? Darüber wird man sich auch noch unterhalten müssen. Es hat sich ja auch nicht von ungefähr ergeben, daß der Antrag auf Drucksache 702 der CDU/CSU und der DP eingebracht worden ist, der Antrag, der sich auf die wirtschaftliche Konzentration bezieht. Der Hinweis des Kollegen Illerhaus auf die anstehende Konzentrationsdebatte als einen Teil auch einer sogenannten Mittelstandsdebatte, wie er es sagte, hat sich vermutlich auch nicht von ungefähr ergeben. So werden also etliche kritische Anmerkungen zu diesen Aussagen, zu diesen Absichten, zu diesen Versprechen zu machen sein. Die Opposition hat - ich will sie jetzt nicht wörtlich zitieren - 1953 auf die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Bedeutung kleiner und mittlerer selbständiger Existenzen im Handwerk, im Handel, im übrigen Gewerbe einschließlich der kleineren und mittleren Industrie und in den freien Berufen hingewiesen. Sie hat die Bundesregierung damals in ihrem Wollen um Förderung unterstützt, hat sie aufgefordert, ihr Wollen zu verwirklichen. Das hat dann so ausgesehen, daß man, wie ich vorhin zitierte, 1957 in der Regierungserklärung noch einmal auf die Notwendigkeit der Förderung und der Unterstützung der Selbständigen hinweisen mußte. Die Opposition hat sich 1957 ebenfalls erneut sehr eindeutig zu der gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Bedeutung der Selbständigen bekannt, hat die Regierung aber gleichzeitig auf ihre Versäumnisse aufmerksam gemacht und hat ganz bestimmte Fragen an die Regierung gestellt, die ich jetzt im einzelnen nicht wiederholen will. Sie finden sich gleichzeitig in der Begründung unseres Antrages wieder. Die Bundesregierung - ich muß es anders sagen: nicht die Bundesregierung, sondern in diesem Falle die Regierungspartei CDU auf ihrem Parteitag in Kiel 1958 - hat darüber hinaus durch den Mund ihrer Mitglieder Etzel und Erhard noch einmal auf die besondere Bedeutung der hier in Rede stehenden Gruppen hingewiesen ({1}) - Vorsicht, nicht vorzeitig „Sehr richtig!" rufen! - und darauf, daß es sich hier nicht nur um ein wirtschaftspolitisches Problem handle, sondern um ein soziologisches, um ein gesellschaftspolitisches und in gewissem Sinne auch um ein psychologisches Problem handle. ({2}) - Genau richtig! Ich frage nur: was ist bis zur Stunde geschehen? Der Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard hat sich immer wieder als den Mittelstandsminister bezeichnet. Er hat seine besondere Fürsorge den kleinen und mittleren Selbständigen zugesagt und versprochen. Er hat das auch noch einmal bei der Einweihung des neuen Gebäudes der Industrie- und Handelskammer in Essen getan. Was ist aber bis zur Stunde geschehen? Die Bundesregierung hat entsprechend einer Zusage, die sie in der vorjährigen Haushaltsdebatte am 3. Juli 1958 gemacht hat, eine „Unterrichtung der Abgeordneten des Deutschen Bundestags über Fragen des gewerblichen Mittelstandes" vorgelegt. Ich bin nicht sicher, ob diese in Drucksache 698 vorliegende Unterrichtung gewissermaßen ein Rechenschaftsbericht der Bundesregierung für das sein soll, was bisher geschehen ist. Weil diese Drucksache jedenfalls hier im Hause zur gleichen Zeit aufgelegt worden ist sie ist von der Bundesregierung zwar mit dem 27. November datiert -, als unser Antrag hier eingebracht wurde, bin ich auch nicht ganz sicher, ob diese Unterrichtung so eine Art Antwort auf den Antrag betreffend die Lage der Mittelschichten sein soll. Es wäre sehr reizvoll, schon heute die Unter3608 Lange ({3}) richtung in ihren einzelnen Darstellungen zu durchleuchten, um aufzuzeigen, was die Bundesregierung getan hat und was sie zusätzlich als von ihr getan für sich in Anspruch nimmt, wobei es sich aber um Initiativen aus den betroffenen Kreisen handelt. Ich führe diese Dinge nur an, um darzutun, daß bis zur Stunde - das haben auch die Debatten im Ausschuß für Mittelstandsfragen um die Kreditversorgung und darüber hinaus um andere Probleme gezeigt - keine befriedigende Lösung dieser Fragen eingetreten ist. Die Bundesregierung ist 1957 in der Aussprache aufgefordert worden, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, die bis jetzt nicht ergriffen worden sind. Bevor ich zu diesen kritischen Bemerkungen komme, noch ein anderes! Es ist gut, daß die Bundesregierung ihr Wort eingelöst hat, das sie am 3. Juli 1958 unabhängig davon gegeben hat, ob man zu diesem Bericht kritische Bemerkungen zu machen hat oder nicht. Für weniger gut und nützlich halte ich es allerdings, wenn seitens des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung die Drucksache 698 - ich weiß nicht in welcher Auflage - in der Form einer Broschüre im Format DIN A 5 im Umfang von 36 Seiten mit Umschlag herausgebracht und gewissermaßen auch als Leistungsbericht an alle interessierten Organisationen verschickt wird. Meine Damen und Herren, bei allen Auseinandersetzungen, die bis jetzt um das Problem „Mittelschichten" oder, wie es seitens der CDU/CSU bezeichnet wird, „Mittelstand" - Herr Schmücker kann sich noch nicht dazu verstehen, auf den „Stand" zu verzichten, und seine Kollegen bis zur Stunde auch nicht - stattgefunden haben, haben wir immer wieder festgestellt, daß wir im Hinblick auf konkrete Maßnahmen keine ausreichenden Unterlagen der soziologischen wie der wirtschaftlichen Sachverhalte haben, die uns in den Stand setzen, wünschenswerte Maßnahmen zu treffen, die allseitig erkannten Benachteiligungen dieser Gruppen in unserer höchst arbeitsteiligen Wirtschaft gegenüber den Großformen der Wirtschaft ausräumen. Weil das so ist, müssen wir uns auch einmal, wie ich glaube, darüber klarwerden, wie man eingrenzen muß, wen man darunter zu verstehen hat. Kollege Schmücker hat einmal dargetan, wer versuche, den Begriff zu definieren, versündige sich eigentlich schon gegen den Geist dieses Begriffs und treibe im Grunde genommen bereits keine entsprechende Politik mehr. Nun, das ist wohl eine sehr romantische Vorstellung von den Dingen, und darauf, Herr Kollege Schmücker, können wir beim besten Willen nicht eingehen. Sie sollten sich bemühen, von diesen romantischen Vorstellungen abzukommen. Um wen geht es denn in Wirklichkeit hierbei? Wir haben auf der einen Seite die wirtschaftlichen Großformen, die weitgehend den Ablauf der arbeitsteiligen Wirtschaft bestimmen. Wir haben auf der anderen Seite die abhängig Beschäftigten, die von diesen Großformen mittelbar und weitgehend - soweit sie darin beschäftigt sind - auch unmittelbar abhängig sind, abhängig Beschäftigte also, die praktisch nur ihre Arbeitskraft als Sicherung ihrer Existenz verwerten können. Wir haben zwischen diesen beiden diejenigen, die als Selbständige im Handwerk, im Handel, im übrigen Gewerbe einschließlich der kleinen und mittleren Industrie und in den freien Berufen dem Grunde nach ähnlich wie die Arbeiter ihre Berufserfahrungen und ihre Arbeitskraft verwerten müssen. Bei ihnen ergibt sich also eine eindeutige Parallele zu den Arbeitnehmern, und aus ihrer Situation der auf Berufserfahrung gegründeten Verwertung der Arbeitskraft resultiert die Tatsache der ungünstigeren wirtschaftlichen Stellung gegenüber den Großformen unserer Wirtschaft. Das ist wohl unbestritten. Als besonderes Merkmal kommt bei diesen Gruppen noch hinzu, daß sie über Arbeitseigentum verfügen. Sie sind nämlich nicht nur Eigentümer von Produktivkräften und Produktionsmitteln, sondern gleichzeitig auch die Besitzer; es ist hier kein anonymes Kapital vorhanden. Sie haben also neben der Arbeitskraft gleichzeitig Arbeitseigentum zur Verfügung, und auf der Verwertung der Berufserfahrung, ihrer Arbeitskraft und des Arbeitseigentums begründen sie ihre und ihrer Familie Existenz, sind aber in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Merkmalen weitgehend ähnlich den Arbeitnehmern. ({4}) - Gar nicht! Wir erzählen das ja! Das wird hier nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit gesagt! Es ist außerdem nicht so, Herr Schmücker, daß wir nicht in die Versammlungen der entsprechenden Organisationen hineingingen. Es ist also durchaus so, wie hier gesagt. Es kommt hinzu - vielleicht hätten Sie sich Ihren Zwischenruf sparen können -, daß diese Selbständigen über die Verwertung der Berufserfahrung und der Arbeitskraft hinaus von einer bestimmten Größenordnung ab, die von Wirtschaftszweig zu Wirtschaftszweig völlig verschieden ist, in einem gewissen Sinne Unternehmerfunktionen erfüllen, also auch eigene Initiativeentwickeln. Eigene Initiative hat jeder in dem Augenblick entwickelt, in dem er sich selbständig gemacht hat. Er hat damit ein zusätzliches Risiko auf sich genommen, das die abhängig Beschäftigten unmittelbar nicht trifft. Die Freiheit der Entscheidung ist aber nur bei dem ersten Schritt gegeben. Bei allen folgenden Schritten macht sich nämlich schon wieder die Verflechtung in die gesamtwirtschaftliche Abhängigkeit und die Abhängigkeit der arbeitsteiligen Wirtschaftsgesellschaft bemerkbar. Die kleineren und mittleren Unternehmungen, die kleineren und mittleren Existenzen sind also in ihren weiteren Entscheidungen weit weniger frei, als das manche romantisierenden Mittelstandspolitiker wahrhaben wollen. Außerdem muß man sich darüber klar sein, daß durch die technische Entwicklung und die dadurch bedingte wirtschaftliche Entwicklung Veränderungen in der Struktur unserer arbeitsteiligen Wirtschaft entstanden sind, daß gleichzeitig auch Veränderungen hinsichtlich der Bedeutung der einzelLange ({5}) nen Betriebe entstanden sind. Kleine und mittlere Betriebe sind heute weit weniger als früher unabhängige Produktionsbetriebe, sondern sind im wesentlichen - das haben wir an dieser Stelle schon einmal festgestellt - Zubringerbetriebe, Dienstleistungsbetriebe geworden. Damit ist nichts gegen ihre volkswirtschaftliche Bedeutung gesagt. Im Gegenteil liegt ihre volkswirtschaftliche Bedeutung darin, daß sie ganz bestimmte Aufgaben dieser Art in der Volkswirtschaft erfüllen, die die Großformen der Wirtschaft in der, sagen wir, wirtschaftlichsten Weise, wie das diese Größenordnungen von Betrieben vermögen, nicht erfüllen können. Aus der technischen Entwicklung ergeben sich also Veränderungen. Bestimmte Tätigkeiten sterben aus. Es erfolgt, wenn man so will, eine Abschichtung - um diesen Ausdruck einmal zu gebrauchen -, es erfolgt aber auf der anderen Seite eine Anschichtung durch das Schaffen neuer Tätigkeiten. Daraus ergibt sich die höchst dankbare Aufgabe für die für die Politik Verantwortlichen, hier in vorausschauender Weise entsprechende Hilfe zu leisten, damit auch in diese neuen Tätigkeiten entsprechende selbständige Existenzen hineinwachsen. Wenn man weiß, daß sich diese Umschichtungsprozesse und Veränderungen vollziehen, und wenn man gleichzeitig weiß, daß die Zahl der selbständigen Erwerbstätigen 15 bis 18 % der Erwerbstätigen beträgt und verhältnismäßig konstant ist, aber nicht personengleich, so daß sich daraus soziale Verschiebungen ergeben, so erkennt man auch darin wieder eine Aufgabe, die der Lösung bedarf. Man muß diese Dinge durchleuchten, um die sich aus den technischen Veränderungen und den wirtschaftlichen Veränderungen ergebenden Notwendigkeiten zu erkennen und entsprechende Maßnahmen treffen zu können, umsoziale Härten zu vermeiden, um gleichzeitig auch bestimmte Entwicklungen zu fördern. An dieser genannten technischen Entwicklung ist mit Sicherheit eines zu erkennen: eine fortschreitende Konzentration. Ich will damit jetzt nicht das Stichwort zu einer Konzentrationsdebatte geben. Ich will damit aber sagen, daß die technische Entwicklung einen Trend vom Kleinstbetriebe weg zu einer etwas größeren Betriebsform in sich birgt. Das können wir sehr deutlich bei der Entwicklung der Handwerksbetriebe feststellen; ich werde dazu noch einige Bemerkungen machen. Weil das so ist, muß man in den Bereich dessen, was als Mittelschichten anzusehen ist, all das einbeziehen, was zwischen den Arbeitnehmern auf der einen Seite und den Großformen unserer Wirtschaft, den anonymen Kapitalgesellschaften und den sie beherrschenden Kräften auf der anderen Seite steht. So möchte ich das Gebiet gesellschaftspolitisch umreißen. Ich will mich nicht wiederholen mit gesellschaftspolitischen Darlegungen über den Mittelstand und die Mittelschichten, über die ich in der Debatte vom Dezember 1955 gesprochen habe. In der Sache wird davon kein Wort zurückgenommen, sondern es wird in diesem Zusammenhang nur noch einmal unterstrichen, weil der Stand seinem Ursprunge nach anderen gesellschaftlichen Entwicklungsperioden angehört, die in die moderne Zeit, auch die der demokratischen Entwicklung, nicht hineinpassen. Deshalb wäre es nützlich, wenn man sich von dieser Seite her einmal zu einer anderen Denkweise verstehen könnte, ohne hinter unserem Anliegen weltanschauliche Gründe zu vermuten. Die sozialdemokratische Fraktion ist der Meinung, daß alle Maßnahmen, die in der Drucksache 698 aufgeführt sind, wenn man so will, punktuell sind, also nicht das Problem als Ganzes anpacken, sondern die dem Grunde nach hier einmal ein wenig helfen, dort einmal ein wenig helfen, ohne insgesamt gesellschaftspolitisch und wirtschaftspolitisch das Problem dieser Mittelschichten zu erkennen und anzupacken. Weil wir außerdem der Überzeugung sind, daß wir für eine eindeutige, umfassende Politik für diesen Bereich noch keine ausreichenden Klärungen herbeigeführt haben, Klärungen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Tatbestände und Sachverhalte, sollte die Bundesregierung einen solchen Bericht über die Lage der Mittelschichten erstatten. Dieser Bericht sollte die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage der in Handwerk, Handel und dem übrigen Gewerbe und in den freien Berufen selbständig Tätigen und der bei diesen oder in deren Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer erfassen. - Ich werde Ihnen noch sagen, warum hier Arbeitnehmer genannt sind. - Wir wünschen, daß dieser Bericht Aussagen darüber enthält, wie die Unternehmens- und Betriebsstruktur dieser Selbständigen aussieht; denn nur in Kenntnis dieses Sachverhalts wird man eine entsprechende Investitionspolitik und damit eine entsprechende Kreditpolitik und auch - wenn Sie das hinzugefügt sehen möchten -eine die Kreditpolitik stützende Bürgschaftspolitik machen können. Wir wissen - um das einmal auf das Handwerk abzustellen, das durch das Gesetz über die Handwerkszählung verhältnismäßig „durchsichtig" gemacht worden ist -, daß im Verlauf von fast einem Jahrzehnt rund 100 000 Handwerksbetriebe verschwunden sind. - Legen Sie mich jetzt nicht auf ein Dutzend Betriebe fest. Rund 100 000 Handwerksbetriebe sind verschwunden, und es hat jetzt keinen Zweck, hier die Dinge Stück für Stück aufzuführen. Wir wissen weiter, daß die Beschäftigtenzahl in diesen Handwerksbetrieben - deren Zahl also von rund 850 000 auf rund 750 000 heruntergegangen ist - erheblich gestiegen ist, daß also eine größere Beschäftigungszahl vorhanden ist, als sie 1949 vorhanden war. Wir wissen auch, daß die Betriebe, die bis zu 4 Beschäftigte hatten, der Zahl nach einen wesentlichen Anteil an diesem Rückgang hatten. Darüber hinaus wissen wir, daß die Zahl der Betriebe, die 5 bis 9 Beschäftigte haben, wesentlich vergrößert worden ist. Gleiches gilt auch für die Betriebe mit 10 bis 19 Beschäftigten. Auch hier ist also aus Gründen der wahrscheinlich nicht zu leugnenden technischen Entwicklung eine bestimmte Notwendigkeit der Vergrößerung von Handwerksbetrieben entstanden. Auf der anderen Seite dürfte es nicht zu bestreiten sein - bis zum Beweis des Gegenteils; und dazu brauchen wir eben Unterlagen -, daß ein Teil Lange ({6}) dieser Handwerksbetriebe vermutlich heute noch existieren würde, wenn diesen Betrieben oder den Handwerkern zur rechten Zeit notwendige Umstellungsmittel, Umstellungskredite, Umstellungshilfen zu erträglichen Bedingungen zur Verfügung gestellt worden wären. Ich will also gar nicht sagen, daß diese Minderung der Zahl der Handwerksbetriebe nur auf die technische Entwicklung zurückzuführen ist, sondern ich will ganz bewußt feststellen, daß diese Verminderung der Zahl der Handwerksbetriebe auch auf die unzulänglichen politischen Maßnahmen zurückzuführen ist, auf die unzulänglichen kreditpolitischen Maßnahmen, die unzulängliche Durchleuchtung des Strukturwandels. Wahrscheinlich hätten es zulängliche Maßnahmen ermöglicht, zur rechten Zeit einzugreifen. Das, was ich hier zur Veränderung der Unternehmensstruktur beim Handwerk gezeigt habe, könnte ich mit der gleichen Deutlichkeit noch nicht für die kleine und mittlere Industrie sagen, auch nicht für das übrige Gewerbe, für den Handel und für das Hotel- und Gaststättengewerbe. Ich will mich jetzt nicht auf verbandsinterne Statistiken beziehen. Da wäre einiges herauszuklauben. Aber das ist alles so sporadisch, alles so vereinzelt, daß wir keinen eindeutigen Gesamtüberblick haben. Außerdem weiß man, daß die Bundesregierung jetzt den Versuch macht, sich durch die Ergänzung der notwendigen Zählungsgesetze - für Betriebsstätten, Handwerk, Handel, Gaststätten, Fremdenverkehr usw. - und durch das Gesetz über die Kostenstrukturstatistik gewisse Instrumente zu verschaffen, die .dem Wunsch nach einem entsprechenden Bericht über die Lage der Mittelschichten schon entgegenkämen. Diese Instrumente brauchen wir. Hierzu gehört auch der -Punkt 2. Wir brauchen einen Überblick über die Kapital-, Umsatz-, Ertrags-und Einkommensstruktur. Das, was ich zur Unternehmensstruktur gesagt habe, gilt dem Grunde nach auch für diesen Punkt. Des weiteren interessiert uns folgendes, und auch das müßte durchleuchtet werden: Wer ist heute Selbständiger? Ist er als vormals Unselbständiger zur Selbständigkeit gekommen? Stammt er aus einer Familie, die seit Generationen selbständig wirtschaftlich tätig ist? Auch eine solche durchschaubare Darstellung der Herkunft einschließlich des Bildungsganges und eine entsprechende Altersgliederung gibt die Möglichkeit zu politischen einschließlich denkbarer gesetzlicher Maßnahmen. Uns interessiert weiter, wie sich heute die Möglichkeiten der Berufswahl darstellen - das ist vielleicht ein etwas allgemein erscheinender Punkt -, ebenso die Möglichkeiten der Berufsausbildung und als das Entscheidende hierbei die Möglichkeiten der Berufsausübung, nicht zuletzt auch im Hinblick auf den Art. 12 unseres Grundgesetzes. Zu der freiheitlichen Ordnung, zu der wir uns alle miteinander bekennen, gehört auf wirtschaftlichem Gebiet das Bekenntnis zum Wettbewerb, - dort, wo der Wettbewerb möglich ist. Diese Einschränkung machen wir Sozialdemokraten immer und immer wieder, während die Kollegen auf der anderen Seite des Hauses erklären, Wettbewerb sei in der ganzen Wirtschaft schlechthin möglich. Nun, darüber brauchen wir jetzt nicht zu streiten. - Wenn man sich all das vergegenwärtigt, dann muß man sich klar darüber sein, daß gerade in bezug auf den Art. 12 und die freiheitliche Ordnung einschließlich dieses Wettbewerbs einige Voraussetzungen sichergestellt sein müssen. Deshalb wollen wir also hinsichtlich der Möglichkeiten der Berufswahl, -ausbildung und -ausübung eine Klarstellung. Ein besonderes Problem, das in der heutigen Tagesordnung schon eine Rolle gespielt hat, ist das der Alterssicherung. Wir streiten uns seit Jahr und Tag darum, ob es zweckmäßig ist, eine gesetzliche Regelung der Alterssicherung für die Selbständigen herbeizuführen. Aus großen Teilen der Selbständigen sind nicht zuletzt nach der Verabschiedung der Rentenneuregelungsgesetze solche Wünsche an den Gesetzgeber herangetragen worden. Auf der anderen Seite wehren sich bestimmte Gruppen mit Entschiedenheit dagegen, ihre Alterssicherung irgendeiner gesetzlichen Regelung zugeführt zu sehen. Wir wollen deshalb, daß auch die Frage eindeutig beantwortet werden kann, ob wirklich alle, die in der arbeitsteiligen Gesellschaft ihr Teil zur Befriedigung des Bedarfs aller durch ihre eigene Arbeitsleistung beitragen, auch die Möglichkeit haben - ob auf gesetzlicher oder anderer Basis -, für ihr Alter in solcher Weise vorzusorgen, daß sie nicht Gefahr laufen, am Ende eines arbeitsreichen Lebens den Gang zum Wohlfahrtsamt antreten zu müssen und darauf angewiesen zu sein, ob entsprechend der Ermessensentscheidung des Beamten ein Obolus für sie abfällt oder nicht. Deshalb sind wir also daran interessiert, über die Möglichkeiten der Alterssicherung - die steuerlieber wie auch anderer Art sein können - Klarheit zu bekommen. Wir möchten des weiteren gern etwas darüber wissen, wieweit tatsächliche Vorsorge für das Alter getrieben wird. - Hier muß ich auf einen Druckfehler aufmerksam machen. Bei Punkt 5 muß in dem Wort „tatsächlicher" das „r" gestrichen werden. Es geht nämlich nicht um „Möglichkeiten tatsächlicher Vorsorge" - das wäre unlogisch es muß heißen: „tatsächliche Vorsorge für das Alter." Nun, meine Damen und Herren, zu dem anderen Punkt, der schon in dem Vorspruch eine Rolle spielt. Wir wollen etwas über die soziale Lage und die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer in diesen Betrieben wissen. Wir wissen, daß die Arbeitnehmer in diesen Betrieben gegenüber den in den Großbetrieben Beschäftigten in den Leistungen, die ihnen betrieblicherseits gewährt werden können, von der Entlohnung angefangen bis zu den freiwilligen betrieblichen Sozialleistungen, nicht so gestellt sind wie die Arbeitnehmer in den Großbetriebei. Hier muß man prüfen: Beruht die Benachteiligung der in den kleinen und mittleren Betrieben Beschäftigten gegenüber den in den Großbetrieben Beschäftigten auf bösem Willen der Selbständigen, also ihrer Arbeitgeber, oder spielen dabei auch bestimmte wirtschaftspolitische und gesellschaftspolitische Gesamtumstände eine Rolle? Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß für diese Benachteiligung der Arbeitnehmer, die mit der Benachteiligung dieser Betriebe schlechthin, dieser kleinen Lange ({7}) und mittleren Unternehmen, zusammenfällt, auch eine Menge gesetzgeberischer Maßnahmen dieses Hauses eine Rolle spielen. Wenn freiwillige betriebliche Sozialleistungen gegeben werden, dann ist das wahrscheinlich für diejenigen, die sie empfangen, eine sehr nützliche Sache. Nur muß man sich fragen: Geschieht das in jedem Falle nur um des Nutzens der Empfänger willen, oder ist es nicht so, daß - ich will das jetzt einmal unter dem Stichwort „Pensionsfonds" behandeln - mit diesen Rückstellungen, die steuerlich ja begünstigt sind, nicht zuletzt auch andere, für die Betriebe vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt äußerst interessante und nützliche Nebenwirkungen verbunden sind, praktische Wirkungen dergestalt, daß man auf diese Art und Weise billigstes Kapital zur Verfügung hat? Und jetzt ist die Frage: Was ist für die Betriebe der Ausgangspunkt der Überlegung gewesen? Wollte man den Belegschaften wirklich etwas zugute kommen lassen? Oder wollte man die steuerlichen Möglichkeiten ausschöpfen, sich einträgliches Kapital zur Verfügung zu halten, und als Nebenwirkung außerdem noch eine entsprechende Leistung an die Belegschaft erzielen? Auch die Frage muß man einmal untersuchen, inwieweit man für die kleinen und mittleren Unternehmungen Möglichkeiten eröffnen kann, in diesem Zusammenhang gleichzuziehen, damit auch da die Arbeitnehmer in den kleinen und mittleren Betrieben nicht länger benachteiligt werden. Denn die Gesamtbenachteiligung, die in der unzulänglichen Kapitaldecke liegt, die sich dadurch auch in einer bestimmten Einkommensstruktur äußert, wirkt hier zurück auf die Lage der Arbeitnehmer in diesen Betrieben. Aus den statistischen Zahlen ergibt sich, daß in den rund 5000 Großbetrieben, die wir in der Bundesrepublik haben, rund 5 Millionen Personen beschäftigt sind. Der Rest ist in kleinen und mittleren Betrieben tätig, die im Zweifelsfalle solche Vergünstigungen wie der Großbetrieb nicht gewähren können; der Großbetrieb kann sie steuerlich geltend machen und läßt sie den Belegschaften sozusagen als Abfallprodukt zugute kommen. Deshalb wollen wir auch diese Dinge mit durchleuchtet haben. Wir wollen gleichzeitig Auskunft über die steuerlichen und sozialen Lasten haben und wollen als Letztes, aber nicht als Geringstes, Auskunft darüber haben, wie das Verhältnis der Lohnkosten, der installierten Energie und des tatsächlichen Energieverbrauchs zum Umsatz ist. Damit kommen wir zu einem Punkt, der uns schon bei den Aussprachen in den Ausschüssen beschäftigt hat. Wir halten es heute nicht mehr für gerechtfertigt, daß als alleiniger Schlüssel für die Verteilung sozialer Lasten die Lohn- und Gehaltssumme, effektiv also die menschliche Arbeitskraft, zugrunde gelegt wird. Je weiter nämlich auf Grund der technischen Entwicklung die Technisierung, die Rationalisierung und Automation fortschreitet, desto stärker werden gegenüber so rationalisierten und im Zweifelsfalle kapitalstarken Unternehmen die arbeitsintensiven Unternehmen und Betriebe benachteiligt, wenn die entscheidenden Lasten nach der Arbeitskraft verteilt werden. Deshalb sind wir der Meinung, man müßte einmal den Versuch machen, hier zu einem anderen Schlüssel zu kommen. Es soll nicht gesagt sein, daß mit dem, was hier angedeutet ist, der Schlüssel schon gefunden sei. Wir wollen aber Voraussetzungen dafür schaffen, damit wir an diesem Problem gemeinsam weiterarbeiten können. Der Bericht soll des weiteren Vergleiche dieser Gruppen und ihrer Unternehmen mit den übrigen Bevölkerungsgruppen und Großunternehmen der einzelnen Wirtschaftszweige enthalten. Die Bundesregierung möge dabei gleichzeitig prüfen, wieweit der heutige, nur auf den Löhnen und Gehältern beruhende Schlüssel der sozialen Lasten zugunsten der arbeitsintensiven Unternehmen geändert werden kann. Dann brauchen wir natürlich noch etwas, das die gesamtgesellschaftlichen Benachteiligungen auf die Dauer vielleicht ausräumen kann; ich bin nicht so vermessen, zu sagen, daß sie absolut auszuräumen sein werden. Wir müssen, so meine ich, von der Bundesregierung verlangen, daß sie in ihren Bericht Vorschläge darüber hineinbringt, wie die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen durch entsprechende Rationalisierungs- und Modernisierungsmaßnahmen gesteigert werden kann. Es hat keinen Sinn, die Betriebe in der gegenwärtigen Verfassung zu belassen. Damit würde immer wieder nur der Wunsch nach einer Schutzgesetzgebung herausgefordert werden, und diese Schutzgesetzgebung wäre auf keinen Fall zu verantworten. Früher oder später muß nämlich - das ist hier von allen Seiten immer wieder betont worden - von diesem Schutzdenken abgegangen werden. Wenn wir von der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit reden, dann ist natürlich auch die Sicherung der Wettbewerbsmöglichkeiten nötig. In diesem Zusammenhang muß man auf das Kartellgesetz verweisen. Es ist hier ein Kartellgesetz verabschiedet worden, von dem wir gesagt haben, es sei kein Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung, sondern ein Gesetz für Wettbewerbsbeschränkung. Die Praxis des Kartellamtes zeigt mit einiger Deutlichkeit, daß dieses Amt gegenüber den entscheidenden wirtschaftlichen Kräften, den entscheidenden Kräften am Markt keinerlei Handhabe aus dem Gesetz hat. Die kleinen und mittleren Betriebe sind aus den verschiedensten Gründen, die ich angedeutet habe, in Abhängigkeit von den Großfirmen geraten. Sie sind gegenüber den marktbeherrschenden Unternehmen in einen hoffnungslosen Rückstand geraten Die marktbeherrschenden Unternehmen können von sich aus alles tun, um solche kleinen und mittleren Unternehmen in ihre Abhängigkeit zu bringen. Als Musterbeispiel könnte man wieder die berühmten Tankstellen anführen, die durch Knebelungsverträge an die Ölkonzerne, an die Großunternehmungen gefesselt sind und bei denen man weiß Gott nicht von Freiheit der wirtschaftlichen Entscheidung reden kann. Sie sind im besonderen Maße noch dadurch gefesselt, daß man ihnen keinerlei Bewegungsfreiheit hinsichtlich des Vertriebs gelassen hat, soweit sie mit einem bestimmten Unternehmen abgeschlossen haben. Der Druck dieser Unternehmen kann Lange ({8}) so weit gehen, daß, da auf Grund der Verträge Kontrollen möglich sind, gute Kunden, die die Tankstellenbesitzer haben, von den großen Ölfirmen herausgeholt und unmittelbar beliefert werden. Die Ölfirmen betreiben damit Eigengeschäfte in Konkurrenz mit den von ihnen abhängigen Tankstellenbesitzern oder -pächtern. Diese werden damit zu Angestellten der Großunternehmungen; denn als Selbständige kann man sie nicht mehr ansehen. Ich glaube, es ist zutreffend, wenn man sie als „Prozentangestellte" bezeichnet; sie sind nicht mehr und nicht weniger, weil sie von dem auf die einzelnen Unternehmungen entfallenden Umsatzanteil absolut abhängig sind. Dazu müssen sie alle Risiken tragen, die ein wirtschaftlich Selbständiger auf sich nehmen muß. Sie befinden sich also als „Prozentangestellte" in völliger Abhängigkeit. Ich könnte die Zahl der Beispiele erweitern, will das aber nicht tun. Wir fordern von der Bundesregierung, daß sie in ihrem Bericht Vorschläge über verschärfte Bestimmungen gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen bringt. Was die Bundesregierung in dieser Beziehung bisher gesagt hat, ist nur eine Beteuerung, eine platonische Erklärung gewesen; bis zur Stunde hat man sich an die Kontrolle marktbeherrschender Unternehmungen noch nicht herangemacht. Die Bundesregierung sollte des weiteren Vorschläge unterbreiten, wie durch eine gerechtere Gestaltung der Steuergesetze willkürliche Wettbewerbsnachteile vermieden werden können. Ich möchte hier nur die Umsatzsteuer und die Gewerbesteuer nennen, ohne im einzelnen darauf einzugehen. Wir brauchen ferner Vorschläge für eine ausreichende Kreditversorgung zu erträglichen Bedingungen. Wir haben schon im Ausschuß für Mittelstandsfragen gefordert, daß die Kredit- und Sanierungsprogramme und Bürgschaftsaktionen vereinfacht und vereinheitlicht werden, und zwar sowohl vom Bund her, soweit er verantwortlich zeichnet, als auch von den Ländern her. Der Bund wird sich darum bemühen müssen, mit den Ländern Übereinkommen zu treffen, damit die Maßnahmen aufeinander abgestimmt und von Bund und Ländern gleichlaufende Maßnahmen ergriffen werden. In einer Sitzung des Ausschusses für Mittelstandsfragen wurde uns berichtet, daß es beim Bund und bei den Ländern insgesamt mehr als 200 solcher Programme gibt. Dabei bestehen sehr unterschiedliche Bedingungen, und es ist keineswegs sichergestellt, daß die Leute Kredite zu erträglichen Bedingungen erhalten. Die Bundesregierung muß sich auch überlegen, ob man nicht hinsichtlich des § 1 des Bürgschaftsgesetzes - ich habe hier die Kreditgarantiegemeinschaften im Auge; das sind volkswirtschaftlich wichtige Dinge - eine andere Lösung finden kann und muß, daß man also die Bürgschaftseinrichtungen nicht nur an Berufs- und Fachorganisationen und Wirtschaftszweige als Ganzes bindet. Nützlich wäre eine Lösung, wie sie das Land Schleswig-Holstein, das ärmste deutsche Bundesland, seit Jahr und Tag in der Form der Landesgarantiekasse hat, auch für den Bund. Schließlich wird man sich bei der Bundesregierung Gedanken darüber zu machen haben, was angesichts der Vielfalt von Einzelinstituten mit einer verhältnismäßig begrenzten Aktionsmöglichkeit noch geschehen kann - auch das ist in der Drucksache 698 angesprochen -, wenn man wirklich die Förderung der Unternehmen, der gewerblich Selbständigen wie freiberuflich Tätigen, mit Kredit-, Sanierungs- oder anderen Maßnahmen will. Es ist die Frage, ob man nicht ein Institut schaffen sollte, das alle die wirtschaftliche Tätigkeit der Mittelschichten betreffenden Forschungsaufgaben zusammenfaßt, nicht, wie man es mit dem seitens der CDU/CSU mit für meinen Geschmack zuviel Energie und Hartnäkkigkeit erstrebten Mittelstandsinstitut versucht, das jetzt an den Universitäten Bonn und Köln errichtet worden ist. Man sollte vielmehr ein Institut errichten, in dessen Bereich Forschungsaufgaben aller Art fallen und das nicht nur der Grundlagenforschung, sondern auch der Weitervermittlung der Forschungsergebnisse dient, ähnlich dem Max-Planck-Institut und anderen Einrichtungen der Großwirtschaft. Letztlich sollte man von der Bundesregierung erwarten, daß sie sich endlich einmal Gedanken darüber macht, wie man zu einer vernünftigen Regelung der Alterssicherung der Selbständigen gelangen kann. Es ist nicht nur die Aufgabe des Parlaments, sich darüber Gedanken zu machen. Auch und vor allem die Bundesregierung muß sich mit dieser Frage beschäftigen, weil sie mit dem ins einzelne gehenden Sachverstand ihrer Ressorts ganz andere Möglichkeiten dazu hat als der schließlich doch weitgehend eingeschränkte Parlamentarier und das damit ebenfalls weitgehend eingeschränkte Parlament. Ein solcher Bericht würde uns in den Stand setzen, umfassende Grundlagen für eine geschlossene Mittelschichtenpolitik zu erarbeiten; und das, glaube ich, ist im Interesse dieses Hauses. Wir kämen endlich einmal aus der Verlegenheit heraus, bei allen Überlegungen und Maßnahmen gewissermaßen mit der Stange im Nebel herumfuchteln zu müssen. Dieser unerträgliche Zustand müßte beseitigt werden. Deshalb haben wir der Regierung für die Erstellung des Berichts einen Termin gesetzt, von dem wir der Meinung sind, daß er nicht unbillig ist; es ist der 15. November dieses Jahres. Wie man aus Unterhaltungen und Gesprächen allenthalben entnehmen kann, ist im Grunde gegen den vorgelegten Antrag kaum etwas einzuwenden. Es ist wünschenswert, die Regierung so schnell wie möglich an die Arbeit zu setzen, d. h. den Auftrag so schnell wie möglich zu erteilen. Ich sage Ihnen ganz offen: es wäre uns lieb, wenn sich das Haus heute entschließen könnte, einen Beschluß zu fassen, durch den die Bundesregierung ersucht wird, den Bericht in der dargestellten Form zu erstellen. Ich sage das insbesondere an die Adresse der Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, weil dieser Antrag nicht dasselbe Schicksal erfahren soll wie unser Antrag aus dem Jahre 1955, dessen schnelle VerLange ({9}) abschiedung uns damals ebenfalls zugesagt wurde, der aber überhaupt nicht mehr aus den Ausschüssen herausgekommen ist. Er war allerdings anderer Natur als der uns heute vorliegende Antrag. In ihm war die Rede von der „Förderung der Mittelschichten". Er enthielt vier Punkte, auf die ich jetzt nicht im einzelnen eingehen will. Ich richte also an Sie, meine Damen und Herren, die dringende Bitte, möglichst heute eine Entscheidung zu fällen. Sollte sich aber die CDU/CSU-Fraktion nicht imstande sehen, heute zu entscheiden, wären wir für die verbindliche Zusage herzlich dankbar, daß dem Antrag Drucksache 712 nicht das gleiche Schicksal widerfährt wie dem Antrag Drucksache 1959 aus der 2. Legislaturperiode. Mit dem Bericht soll die für eine vernünftige Politik erforderliche Grundlage erarbeitet werden, damit keiner mehr imstande ist, nur mit leeren, nicht erfüllten Versprechungen weiterhin Politik zu machen. Nach annähernd zehn Jahren Arbeit des Parlaments und der Bundesregierung ist es dringend erforderlich, daß wir für bestimmte gesellschaftspolitische und wirtschaftspolitische Aufgaben umfassende Grundlagen erarbeiten, um einheitliche Vorstellungen entwickeln zu können. Dem soll unser Antrag dienen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in dem von mir dargestellten Sinne entschieden. ({10})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Der Antrag ist eingebracht und begründet. Ich eröffne die Aussprache. -Das Wort hat der Abgeordnete Keller.

Ernst Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001078, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat diesem Hohen Hause mit der Drucksache 698 vom 27. November 1958 eine Zusammenstellung der Maßnahmen gegeben, die sie zur Förderung des gewerblichen Mittelstandes getroffen hat. Dieser Bericht gibt eine sehr ausführliche Übersicht, wobei, durch die Zusammenfassung in einem Bericht, voneinander zum Teil völlig unabhängige Bestimmungen gewissermaßen als ein sinnvoll gegliedertes Ganzes erscheinen, ohne daß man davon auszugehen braucht, daß ursprünglich bei der Entstehung alle diese Maßnahmen wirklich im Zusammenhang gedacht und geplant waren und in die Tat umgesetzt worden sind. Heute liegt uns mit der Drucksache 712 ein Antrag der Fraktion der SPD vor, der einen Bericht über die Lage der Mittelschichten fordert und vorsieht, dali dieser Bericht als Grundlage für ein geschlossenes Mittelschichten- oder, wenn Sie wollen, auch Mittelstandsprogramm dienen soll. Gerade in Anbetracht der Tatsache, daß, wie ich soeben schon ausführte, ein solches überlegtes und geplantes Programm nicht existiert, sondern mehr eine Fülle von Einzelmaßnahmen, die noch nicht einmal alle in ihrem Zweck und in ihrer Sinngebung einwandfrei aufeinander abgestimmt sind, stimme ich dem Antrag der SPD im Namen der Fraktion der Freien Demokratischen Partei zu. Wir setzen uns für eine gründliche Beratung dieses Antrags ein, mit dem wir im Grundsatz übereinstimmen. Im einzelnen werden wir, wozu ich im folgenden einiges anführen möchte, Änderungs-, insbesondere Erweiterungsvorschläge machen. Der von mir bereits zitierte Bericht der Bundesregierung spricht vom gewerblichen Mittelstand; der Antrag der SPD spricht von „Mittelschichten". Es ist nicht recht ersichtlich, ob mit dieser Wortänderung stärker betont sein soll, daß der Antrag der SPD auch die freien Berufe umfaßt - was wir sehr begrüßen -, oder ob dieser Ausdruck mehr bedeuten soll, daß auch die Lage der Arbeitnehmer in den Betrieben des Mittelstandes untersucht werden soll, worauf verschiedentlich in dem Antrag hingewiesen wird. ({0}) - Ich nehme das dankend zur Kenntnis. Uns kommt es weniger auf die Wahl des Wortes als darauf an, daß ohne Haarspalterei ein möglichst umfassendes Bild von der Lage des Mittelstandes oder der Mittelschichten, wie man will, gegeben wird. Gerade hier muß ich aber auf etwas hinweisen, was uns in Erstaunen versetzt hat. Bei der Durchsicht des Antrages der SPD habe ich festgestellt, daß die Mittel- und Kleinbetriebe der Industrie offensichtlich von der Untersuchung ausgeschlossen sein sollen. ({1}) - Zumindest muß man das nach dem Wortlaut annehmen. ({2}) - Danke, dann hole ich die Klarstellung für Sie hiermit nach. Ich darf hier zunächst einmal ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung dankenswerterweise in dem bereits mehrfach erwähnten Bericht ausdrücklich auch auf die industriellen Mittel- und Kleinbetriebe eingegangen ist. Ich danke der Bundesregierung dafür. Aber ich vermag nicht einzusehen, warum die industriellen Mittel- und Kleinbetriebe so offensichtlich von dem Bericht ausgeschlossen sein sollen. Wir werden darüber im Ausschuß zu sprechen haben. Ich möchte jetzt schon ankündigen, daß ich den Antrag stellen werde, insoweit den Bericht zu ergänzen. Vergessen wir doch nicht, daß zum Teil der Übergang - ({3}) - Wissen Sie, hier möchte ich nicht gern glauben, sondern hier möchte ich es gern schwarz auf weiß sehen. ({4}) - Ich habe eben schon gesagt, ich hole es für Sie jetzt nach. Dann wird es deutlicher. Wir ergänzen uns ja sonst sehr gut, Herr Lange. Vergessen wir doch nicht, daß zum Teil der Übergang vom Handwerk oder vom Gewerbe nicht nur zum industriellen Kleinbetrieb, sondern zum industriellen Mittelbetrieb gar nicht ohne weiteres zu erkennen ist. Es gibt in Ostwestfalen Handwerksbetriebe mit Hunderten von Mitarbeitern, die so stolz darauf sind, Handwerker zu sein, wie andere, die kleiner sind, stolz darauf sind, daß sie „Industrielle" sind. Aber darauf kommt es mir natürlich nicht so sehr an. Entscheidend ist vielmehr, daß die Probleme, die Fragen, die Nöte im Schnitt gesehen in den beiden Gruppen die gleichen sind. Das ist die innere Begründung dafür, daß der Bericht sich auch auf diese industriellen Mittel- und Kleinbetriebe erstreckt, die es, wie Sie alle wissen, gerade in meiner engeren Heimat ebenso wie im Bergischen Land zu Tausenden gibt, in so großer Zahl, daß sie der Wirtschaftsstruktur das Gepräge geben. Das ist Ihnen ja bekannt. Ich möchte es mir bei der Behandlung dieses Antrags - auch angesichts der Begründung, die bereits gegeben worden ist - heute ersparen, ausführlich auf all das einzugehen, was dazu geführt hat, daß auch wir Freien Demokraten, die wir doch nicht planungssüchtig sind, einen solchen Bericht nicht nur begrüßen, sondern auch von uns aus fordern und daß auch wir uns etwas von einem Mittelstandsprogramm versprechen, das dann auf Grund dieses Berichts ausgearbeitet wird. Es ist nicht nur die technische Entwicklung, es ist nicht nur der bevorstehende größere Gemeinsame Markt, es sind in sehr vielen Fällen immer wieder gerade die Gesetze, die wir in diesem Hohen Hause machen, die wesentlich dazu beitragen, daß die Lage der mittelständischen Schichten so schwierig und - gestehen wir es doch offen! - vielfach bereits sehr kritisch geworden ist. Immer wieder ist es die wettbewerbsverfälschende Umsatzsteuer - ich will hier jetzt nicht auf das Problem im einzelnen eingehen -, die Anlaß für Nachteile und Schwierigkeiten ist. Im gleichen Atemzug müssen wir aber die Gewerbesteuer und die Lohnsummensteuer erwähnen, die in ihrer heutigen Höhe gar nicht mehr dem früheren Charakter und erst recht nicht der früheren Belastung entsprechen, die sich aber gerade bei den Mittel- und Kleinbetrieben entscheidend auswirken. Wir begrüßen es deshalb, daß der Bericht, den die SPD fordert, dazu Vorschläge enthalten soll. Da gehen wir also wieder mit Ihnen einig, Herr Lange. Wird der Bericht ausführlich und gut, wird er, worauf ich hier ausdrücklich hinweisen möchte, an dem ganzen vor uns liegenden Problem der kommunalen Finanzreform nicht vorbeigehen dürfen. Es gibt eben keine bestimmten Gesetze für den Mittelstand und keine bestimmten Gesetze gegen den Mittelstand, ({5}) sondern aus dem Gesamtsystem unserer Steuergesetzgebung, insbesondere den vorgenannten Steuern, ergeben sich die Benachteiligungen, über die wir durch den Bericht Einzelheiten erhoffen. Lassen Sie mich hier gleich als völlig ebenbürtige Belastung, auf die der Bericht ausführlich eingehen muß, die sozialpolitische Gesetzgebung, insbesondere die der letzten Jahre, erwähnen. Wie immer - so werden Sie, meine Herren von der CDU CSU, sagen - muß ich an erster Stelle das Kindergeld erwähnen. Sie wissen, daß wir dieses für den gesamten Mittelstand verhängnisvolle Gesetz immer wieder vor Ihnen auf den Tisch legen werden, solange die jetzige Form der Aufbringung beibehalten wird. ({6}) Das erwarten Sie doch, Herr Schmücker, nicht wahr? Wir begrüßen es darüber hinaus aber ganz besonders, daß in dem Antrag eine Untersuchung darüber gefordert wird, ob und wie der heutige ausschließlich auf den Löhnen und Gehältern beruhende Schlüssel der sozialen Lasten zugunsten der arbeitsintensiven Unternehmen geändert werden kann. Wie wir wissen, befaßt sich das Bundesarbeitsministerium mit diesen Fragen. Auch der Bundeswirtschaftsminister hat darüber bereits einmal auf der Handwerksmesse in München gesprochen. Hier eine neue Bemessungsgrundlage zu finden, ist eine Tat, die wirklich einmal des Schweißes der Edlen wert ist. Man sollte dafür eine Kommission einsetzen, wie es für solche wichtigen Fragen in England die Königlichen Kommissionen sind, eine Kommission, die in unabhängiger, sachlicher und ruhiger Arbeit dieses schwerwiegende und bestimmt nicht leicht zu lösende Problem untersucht und das Untersuchungsergebnis der Öffentlichkeit zugänglich macht. Mit Stückwerk wird man diesem Problem nicht zu Leibe gehen können. Wir möchten hier immer wieder zur Initiative aufrufen, gerade weil es so schwer ist, auf diesem Felde zu ackern. Lassen Sie mich hier schon ankündigen, daß wir bei der Ausschußarbeit zu Punkt 8 des Antrages bitten werden, daß das Verhältnis der Lohnkosten usw. zum Umsatz nicht nur generell, sondern im Hinblick sowohl auf die lohnintensiven wie auch auf die materialintensiven Betriebe untersucht wird. Das steht allerdings auch nicht in Ihrem Antrag. ({7}) Vielleicht hat den Verfassern des Antrags dieser Gesichtspunkt auch vorgeschwebt. Ich halte es jedoch für gut, das ausdrücklich zu erwähnen. Vielleicht sollte man sich auch vor Augen halten, daß der Punkt über die Bemessungsgrundlage für die sozialen Lasten eigens angesichts seiner Bedeutung mehr in den zweiten Teil des Antrags gehört, nämlich dorthin, wo von den Fragen gesprochen wird, über die der Bericht ausdrücklich Vorschläge enthalten soll. Sehr gerne würden wir von der Bundesregierung auch noch Vorschläge zu einem weiteren schwierigen Punkt erhalten, nämlich zu der Frage der stärkeren Beteiligung der mittelständischen oder mittelschichtigen Betriebe an den öffentlichen Aufträgen. Ich weiß sehr wohl, daß der von mir mehrfach zitierte Bericht vom November 1958 darauf eingegangen ist. Aber angesichts des Ergebnisses, das bisher erzielt worden ist, zeigt es sich eben, daß die bestehenden Vorschriften nicht ausreichen. Ich weiß sehr wohl, wie schwierig auch dieses Feld wieder zu beackern ist; aber das darf uns nicht hinKeller dern, auch hier wieder einmal ein Stück voranzukommen. Hervorheben möchte ich ausdrücklich, daß die Mittel- und Kleinbetriebe sehr häufig als Zulieferbetriebe auftreten, ohne daß sie bisher nach den gegebenen Bestimmungen in den Genuß der Vorzöge kommen können, den die Endlieferanten im Einzelfall für sich buchen können. Eine sehr schwierige Frage, das ist uns bekannt; aber auch eine sehr dankenswerte Aufgabe! Wir möchten hier nur anregen und werden uns an der Arbeit intensiv und rege beteiligen. Vielleicht sollte man in der Situation, in der wir uns zur Zeit bei der Schaffung des Gemeinsamen Marktes befinden, in einem solch umfassenden Bericht nicht daran vorbeigehen, auch zu untersuchen, welche Chancen und Nachteile sich für die hier in Frage stehenden Betriebe im kommenden Gemeinsamen Markt ergeben werden. Auch hier genügen dann nicht nur Feststellungen, sondern auch hier sind Vorschläge erforderlich, wie der Staat Hilfestellung geben kann, um Startgleichheit zu erreichen. Das ist das Wesentliche, worauf es mir ankommt. Wie sehr wir Freien Demokraten es begrüßen, daß auch die Frage der Alterssicherung der Selbständigen in Handel, Handwerk und Gewerbe und im freien Beruf erörtert werden soll, brauche ich angesichts unserer immer eindeutigen und betonten Haltung zugunsten dieser Alterssicherung nicht weiter auszuführen. Daß wir auch einen eigenen GeSetzentwurf zur Altersversorgung der Handwerker vorgelegt haben, ist ja mittlerweile bekanntgeworden. ({8}) Erwähnen müssen wir in diesem Zusammenhang von unserem Standpunkt aus auch die Frage des Behörden- und Belegschaftshandels. Wir wissen, daß die Richtlinien des Bundesministers des Innern von 1952 bezüglich des Behördenhandels nicht voll wirksam waren und daß sie auch nicht überall gelten. Ich erwähne diese Frage nur deshalb besonders, weil wir glauben, daß der jetzt dem Hohen Hause vorliegende Entwurf Ihrer Fraktion, zu dem mein Kollege Bucher bereits gesprochen hat, nicht der Weisheit letzter Schluß ist. Das soll keine Kritik sein, denn auch dieses Thema ist sehr schwierig, sowohl hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Seite als auch hinsichtlich der Frage, ob die Bestimmungen in der Praxis wirklich Schutz bieten und helfen. Auch hier werden wir gerne mitarbeiten, um zu Lösungen zu kommen. Ich habe mich bemüht, nicht Statistik über Statistik über den Mittelstand, seine einzelnen Bestandteile, seine Größe, seine Schwierigkeit und seine Lage zu bringen, sondern ich habe mich darauf beschränkt - was ich für wirksamer halte -, nach Bekanntgabe des allgemeinen Einverständnisses meiner Fraktion mit diesem Antrag bestimmte Gesichtspunkte hervorzuheben, die mir besonders wichtig erscheinen und die besonders den an sich dankenswerten Antrag ergänzen sollen. Gerade diese Ausführungen von mir zeigen aber, daß ich nicht der Meinung bin, dieses Hohe Haus sollte jetzt sofort entsprechend beschließen. Ich bin vielmehr mit meinen politischen Freunden der Auffassung, daß dieser Antrag ausführlich in Ausschüssen behandelt werden sollte, ehe er zur Bundesregierung geht. Ich bin deshalb der Meinung, wir sollten uns selbst etwas einfallen lassen. Die Bundesregierung scheint mir bisher sehr stark beschäftigt gewesen zu sein. Wir sollten uns eigentlich, wie ich das in meinem eigenen wirtschaftlichen Leben gewohnt bin, auch selber mit an die Arbeit machen. Dann besteht die Hoffnung, daß sie zu Ende kommt. ({9})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Burgemeister.

Alfred Burgemeister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht erst seit kurzem, schon im 1. und 2. Bundestag haben sich die CDU/CSU-Fraktion und die Bundesregierung dazu bekannt, durch entsprechende Maßnahmen den Mittelstand in unserem Volk zu erhalten und seinen Bestand zu sichern. In seiner Regierungserklärung nach Zusammentritt des 3. Bundestages hat der Herr Bundeskanzler erneut seiner Sorge um den Bestand der mittelständischen Bevölkerungsgruppen Ausdruck gegeben. Dabei wurde zugegeben, daß die mittelständischen Kreise in ihrem sozialen Fortschritt nicht mit anderen Bevölkerungsgruppen Schritt halten konnten. Diese Situation ist aber nicht gewollt und bewußt entstanden, sondern hat sich daraus ergeben, daß andere die Gesetze besser für sich zu nutzen und auszuwerten verstanden, und auch daraus, daß unsere derzeit geltenden Gesetze noch in einem anderen Bereich verwurzelt sind, in dem noch nicht die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft galten. So sind die den Mittelstand gefährdenden Verzerrungen in unserer Gesetzgebung auch nicht erst in den letzten zehn Jahren, sondern in Jahrzehnten entstanden. In dem Bewußtsein, auf diesem Sektor unserer Politik vor nicht unerheblichen Schwierigkeiten zu stehen, haben schon zahlreiche Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion im 1. Bundestag damit begonnen, Maßnahmen zur Erhaltung des Mittelstands vorzuschlagen. Ich erinnere z. B. an die Handwerkerordnung. Die seit 1949 vom Hohen Hause beschlossenen Maßnahmen haben zu einem nicht unerheblichen Teil mit dazu beigetragen, daß die von uns immer wieder verkündete Absicht, Maßnahmen zur Erhaltung des Mittelstands zu treffen, auch in die Tat umgesetzt werden konnte. Dabei kam es uns darauf an, allmählich von den ersten, aus der Situation heraus behelfsmäßigen Einzelmaßnahmen zu einer Gesamtregelung zu kommen. Diesem Streben sollte die von uns geforderte und inzwischen in die Tat umgesetzte wissenschaftliche Forschungsarbeit dienen, die im Institut für Mittelstandsfragen an den Universitäten Köln und Bonn betrieben wird. Auch die von uns immer wieder geforderte institutionelle Verankerung der mittelständischen Arbeit im Kabinett hat inzwischen ihre Lösung dadurch gefunden, daß ein interministerieller Ausschuß unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums gebildet wurde, der die gesamte Gesetzgebungsarbeit schon vom ersten Referentenentwurf an nach mittelständischen Gesichtspunkten durchleuchten, betrachten und befruchten soll, Die erhebliche Arbeitsbelastung aller Kollegen im Bundestag ließ uns nicht immer den genügenden Spielraum, der notwendig gewesen wäre, um sich so gründlich wie nötig mit den zur Sicherung des Mittelstands erforderlichen Maßnahmen befassen zu können. So war es leider auch nicht von Anfang an möglich, die Zusammenhänge und Verflechtungen, die Ursachen und Wirkungen so gründlich zu erkennen, wie es erforderlich gewesen wäre. Inzwischen sind, nicht zuletzt bedingt durch organisatorische Maßnahmen, die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, daß die Mittelstandsarbeit in unserer Fraktion noch aktiver als bisher geführt werden kann. So hat sich meine Fraktion schon seit Jahren in Erkenntnis der Bedeutung der mittelständischen Anliegen eine eigene Arbeitsgruppe für dieses Arbeitsgebiet eingerichtet. Diese Straffung der Arbeit hat dazu geführt, daß wir uns im 3. Bundestag nicht mehr so sehr mit Einzelmaßnahmen zu befassen brauchen, sondern dazu übergehen können, die Dinge im größeren Zusammenhang und weit vorausschauend anzupacken. Wir sind uns vor einiger Zeit darüber klargeworden, daß sich in unserer Wirtschaft Dinge entwikkeln, die zu einer Gefahr für den Bestand der mittelständischen Bevölkerungsgruppen werden könnten und deswegen in ihren Ursprüngen und Wirkungen genau untersucht werden sollten. Diesem Ziel soll eine von uns eingebrachte Große Anfrage dienen, deren Beantwortung durch die Bundesregierung wir in Kürze erwarten. Ich will nun nicht behaupten, daß das Bekanntwerden unserer Großen Anfrage oder der Absicht, eine solche einzubringen, Sie, meine Damen und Herren von der SPD, erst angeregt hat, auch Ihrerseits auf diesem Gebiet aktiv zu werden. Die Vermutung liegt jedoch nahe; zumindest könnte man annehmen, daß Ihre vielleicht schon vorhandene Absicht durch unser Vorhaben beflügelt wurde, zumal in Ihrem Antrag Dinge angesprochen werden, die in meiner Fraktion bereits seit längerer Zeit Gegenstand der Diskussion sind und die bei uns zum Teil schon zu entsprechenden Gesetzesvorlagen geführt haben. Wir sind keineswegs neidisch, wenn auch die SPD-Fraktion bemüht ist, sich der besonderen Sorgen im mittelständischen Bereich anzunehmen. Wir freuen uns im Gegenteil darüber, daß wenigstens auf diesem Gebiet eine gewisse Einmütigkeit zwischen uns besteht. Wir würden uns besonders freuen, wenn es bei Ihnen nicht nur bei der Bekundung derartiger Absichten bliebe, sondern Sie dann auch bereit wären, entsprechenden Gesetzesvorlagen Ihre Zustimmung zu geben. ({0}) - Sie waren zum Teil schon da und haben nicht in vollem Umfang Ihre Zustimmung gefunden. ({1}) - Ich denke da z. B. an das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, ({2}) das Gesetz über die Berufsausübung im Einzelhandel usw., alles Maßnahmen, die ebenfalls der Erhaltung und Stützung der mittelständischen Belange dienen sollen. - Wir sind also gern bereit, uns davon überzeugen zu lassen, daß es der SPD wirklich Ernst ist mit ihrem Antrag und wir gemeinsam darangehen können, dem Mittelstand die Voraussetzungen zu schaffen, die er zu seiner Sicherung und Erhaltung bedarf. Der Antrag der SPD betreffend Vorlage eines Berichtes über die Lage der Mittelschichten durch die Bundesregierung hat - darüber gibt es wohl keinen Zweifel - gewisse Parallelen zum Grünen Plan der Landwirtschaft mit der Ausnahme, daß es sich bei diesem Bericht, zunächst jedenfalls, um einen einmaligen Bericht handeln soll und Wiederholungen vorerst und hoffentlich auch in Zukunft nicht vorgesehen sind. Wenn dieser Antrag der SPD in seinen Grundanliegen von meiner Fraktion auch begrüßt wird, so ergeben sich doch gewisse Bedenken, vor allem in der Richtung, ob die Bundesregierung mit dem Antrag nicht vor eine unlösbare oder doch nur mit erheblichem Verwaltungsaufwand zu lösende, nicht kurzfristige, sondern langfristige Aufgabe gestellt wird. Abgesehen davon, daß schon in der Formulierung des Antrags - wie das auch in den Ausführungen des Herrn Kollegen Keller zum Ausdruck kam - einige Unklarheiten enthalten sind, die noch der Klärung bedürfen, muß bezweifelt werden, daß die zur Beantwortung notwendigen statistischen Angaben überhaupt schon verfügbar sind. Soweit sie vorhanden sind, müssen sie zum Teil erst aus anderen Bereichen mühsam herausgepflückt werden, was nicht unerhebliche Arbeit und Zeitaufwand verursacht. Die Analyse, die von der Bundesregierung gefordert wird, setzt aber genauere Untersuchungen von Zuständen voraus, die in vollem Umfang nur möglich sein werden, wenn dazu entsprechende statistische Erhebungen erfolgen, für die - zum Teil jedenfalls - sogar noch gesetzliche Voraussetzungen zu schaffen wären. Meine Fraktion ist deshalb der Meinung, daß der Antrag den Ausschüssen überwiesen werden sollte, damit dort geprüft werden kann, ob der darin enthaltene Auftrag an die Bundesregierung durchführbar ist oder ob nicht manche der unter Ziffer 1 bis 8 angesprochenen Probleme vorher noch klarer abgegrenzt werden müssen. Schwierigkeiten liegen z. B. auch darin, daß in dem Antrag drei verschiedene Gruppen angesprochen werden, die kaum vergleichbar sind, nämlich die Gruppe der im Handwerk, Handel und Gewerbe tätigen Selbständigen, die Gruppe der in den freien Berufen Tätigen und der Arbeitnehmer; diese jedoch nur insoweit sie in mittelständischen Unternehmen beschäftigt sind. Nicht erfaßt sind dabei die doch sicher auch zum MittelBurgemeister stand zu zählenden unselbständig Beschäftigten in den größeren, nicht zum mittelständischen Bereich gehörenden Betrieben, die Angestellten und Facharbeiter. Ich meine, auch der Hausbesitz ist in diesem Fall mit zum Mittelstand zu zählen. ({3}) Auch über ihn müßte ausgesagt werden, wenn der Bericht einigermaßen erschöpfend Auskunft geben soll. Dazu gehört dann auch, daß die mittelständische Industrie erfaßt wird. Sie haben aus den Ausführungen des Kollegen Keller bereits entnehmen können, daß auch er darüber im Zweifel war, ob die mittelständische Industrie in diesem Antrag mit erfaßt sein soll. Die Mitteilung des Kollegen Lange, daß das beabsichtigt sei, befriedigt mich und läßt die Hoffnung zu, daß auch in dieser Frage eine Einmütigkeit zu finden sein wird. Schwierig wird die Erledigung des Antrags dadurch, daß die geforderten Auskünfte z. B. über Unternehmensstruktur, Kapital-, Umsatz-, Ertrags-und Einkommensstruktur für den Gesamtkomplex, der in dem Antrag angesprochen ist, nicht den erwünschten Aussagewert besitzen können, weil dabei von nicht vergleichbaren Voraussetzungen oder Größenordnungen ausgegangen werden muß. So spielt die Kapitalstruktur bei den Angehörigen der freien Berufe nicht die gleiche Rolle wie bei einem gewerblichen Betrieb. Das gleiche kann man auch von den Umsatzwerten im Handel und im Handwerk sagen; denn es ist nicht das gleiche, ob z. B. in einem Lebensmittelgeschäft jährlich 100 000 DM umgesetzt werden oder ob dieser Umsatz in einem Juweliergeschäft erfolgt. Begrüßt wird von uns, daß in dem Antrag auch die von meiner Fraktion geforderte Untersuchung über die ungerechtfertigte und einseitige Belastung der mittelständischen Unternehmen durch Sozialabgaben gewünscht wird. Auch zu den Vorschlägen, die man von der Bundesregierung erwartet, ist einiges zu sagen, was jedoch mit der notwendigen Gründlichkeit besser in den dafür in Frage kommenden Ausschüssen geschehen kann. Die in Ziffer 1 angesprochene Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch Rationalisierung und Modernisierung der Unternehmen kann nach meiner Ansicht nicht Aufgabe der Gesetzgebung oder der Initiative der Bundesregierung sein. Diese Fragen gehören zu den Aufgaben der Organisationen der Wirtschaft, die sich auf diesem Gebiete ja bereits mit von Jahr zu Jahr größeren Erfolgen betätigen. Auch wir meinen, daß sich inzwischen einige Mängel im Kartellgesetz herausgestellt haben, die abgestellt werden sollten; dafür ist in den betreffenden Ausschüssen ebenfalls Zeit und Gelegenheit. In diesen Ausschüssen wäre zu klären, inwieweit auf diesem Gebiete Maßnahmen zu treffen und Vorschläge zu machen sind. Der mit Ziffer 2 geforderte Vorschlag - und nicht nur er allein, sondern ich möchte sagen: beinahe der gesamte Antrag der SPD - trägt jedoch den Keim für planwirtschaftliche und dirigistische Maßnahmen in sich, ({4}) die wir natürlich nach wie vor ablehnen müssen. ({5}) Bezüglich der gerechten Gestaltung der Steuergesetze zur Vermeidung von Wettbewerbsbenachteiligungen, z. B. bei der Umsatz- und der Gewerbesteuer - aber nicht nur hier -, dürfen wir auf die von uns in dieser Frage bereits ergriffene Initiative verweisen. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben schon jetzt in den dafür in Frage kommenden Ausschüssen Gelegenheit, sich mit uns zusammen für eine baldige Verabschiedung des in diesem Zusammenhang von uns eingebrachten Antrags bezüglich Freistellung des Lebensmittelgroßhandels von der Umsatzsteuer einzusetzen. ({6}) Auch steht zu 'erwarten, daß die im Bundesministerium der Finanzen schon seit einiger Zeit laufenden Vorarbeiten für eine Gesamtreform der Umsatzwie auch der Gewerbesteuer zu einer baldigen Vorlage der Regierung führen werden. In bezug auf eine ausreichende Kreditversorgung der mittelständischen Betriebe sind wir mit Ihnen darin einig, daß auf diesem Gebiet, was die Summe der zur Verfügung gestellten Mittel betrifft, weitere Verbesserungen erforderlich sind. Anders dagegen verhält es sich wohl schon mit der Frage der Bedingungen, wenn darunter etwa die Zinssätze verstanden werden sollen. Sosehr der Wunsch verständlich und berechtigt ist, daß die aus öffentlichen Mitteln gewährten Kredite zu günstigeren Zinsbedingungen gegeben werden als die Kredite der Kreditinstitute, sosehr ist dabei aber doch auch darauf Rücksicht zu nehmen, daß hier nicht neue Wettbewerbsnachteile entstehen. Da es nicht möglich ist, die Sonderprogramme so auszustatten, daß alle Wünsche erfüllt werden können, solange also nur einem Teil der Bewerber diese öffentlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden können, können die dafür zu zahlenden Zinsen nicht erheblich günstiger sein als die für allgemeine Kredite. Was könnte der Handwerker X dafür, daß ihm wegen nicht ausreichender Mittel oder wegen irgendeiner anderen Zufälligkeit kein Kredit aus den öffentlichen Kreditprogrammen gewährt werden kann, während sein Konkurrent, der Handwerker Y, mit dem er in scharfem Wettbewerb steht, mehr Glück hat und einen Kredit aus öffentlichen Mitteln zu erheblich günstigeren Bedingungen erhalten könnte, Bedingungen, die doch in diesem Fall eine Verfälschung der Wettbewerbsgrundlagen zur Folge hätten? Wir haben dieses Problem bereits im Ausschuß für Mittelstandsfragen angesprochen und sollten es im Zusammenhang mit diesem Antrag dort erneut behandeln. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Frage der Alterssicherung der selbständig Schaffenden ein besonderes Problem ist, zu dem auch wir einiges zu sagen haben. Dies heute schon im Plenum zu tun, würde zu weit führen. Darum lassen Sie uns alle in Ihrem Antrag angesprochenen Probleme so gründlich, wie dies die vorgebrachten Fragen erfordern, in den dafür in Frage kommenden Ausschüssen beraten. Ich darf nochmals betonen, daß wir die Grundtendenz Ihres Antrags durchaus bejahen und begrüßen. Vor Weitergabe des Auftrags an die Bundesregierung sind aber in den Ausschüssen noch einige Unklarkeiten zu beseitigen, einige Forderungen vielleicht schärfer zu präzisieren oder zu ergänrzen, damit die Bundesregierung nicht vor eine unerfüllbare Aufgabe gestellt wird. Wir bitten daher, den Antrag dem Ausschuß für Mittelstandsfragen als federführendem Ausschuß und dem Wirtschaftsausschuß als mitberatendem Ausschuß zu überweisen. ({7})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Schild.

Dr. Heinrich Schild (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001965, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD und die bisherige Diskussion zeigen doch eindeutig, daß hier ein legitimes Anliegen der Schicht der Selbständigen vorliegt. Ich habe bis jetzt nicht vernommen, daß man die Tendenz dieses Antrags irgendwie anzweifelt, daß die Bundesregierung etwa von einer derartigen Berichterstattung befreit werden sollte. Wenn Sie die Entwicklung unserer Gesellschaft bedenken, unsere eigenen Verhältnisse und darüber hinaus die Dinge, die sich im europäischen Raum entwickeln, betrachten und erst recht in Relation zu dem setzen, was jenseits des Eisernen Vorhangs mit den Selbständigen geschieht - sie werden dort mit brutaler Staatsgewalt vernichtet, sämtliche Betriebe der Selbständigen werden stillgelegt oder, soweit sie für die dortige Gesellschaft und den Staat noch interessant sind, in Volks- und Staatseigentum übergeführt -, müßten uns diesseits des Eisernen Vorhangs diese Dinge verpflichten, und zwar ohne Rücksicht auf irgendwelche parteipolitischen Meinungen und Auseinandersetzungen, sondern rein der Sache wegen, uns um die Situation der Selbständigen im Rahmen eines umfassenden politischen Leitbildes für die Erhaltung und Förderung der Selbständigen zu kümmern. Wenn man aber in den letzten zehn Jahren seit Gründung unserer westdeutschen Bundesrepublik so all die Meinungen und Ansichten und Auffassungen derjenigen, die über das Problem Mittelstand sprechen, schreiben und Konzeptionen zusammentragen, auf sich wirken ließ und läßt und sie mit manchen Äußerungen vergleicht, die auch von höchster und hoher Warte, von Parteiführern und von Regierungsmitgliedern in den letzten zehn Jahren gefallen sind, dann kommt man vielfach zu der Auffassung, daß der Hintergrund aller konkreten Maßnahmen, die für die Erhaltung der Selbständigen notwendig sind, nicht klar ist, zumindest in vielen Dingen strittig ist. Ich kann für mich in Anspruch nehmen, für einen Lagebericht über die Situation der Selbständigen seit Jahren in der Öffentlichkeit journalistisch und rhetorisch eingetreten zu sein. Ich halte diesen e Lagebericht für erforderlich, um Klarheit zu schaffen über die Geisteshaltung, über die politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Meinungen, mit denen man an das Problem heranzugehen hat. Im Augenblick gibt es zwei extreme Ansichten darüber, was man politisch für die Selbständigen tun könnte oder tun sollte. Die Vertreter der einen extremen Ansicht sagen: „Man braucht überhaupt nichts zu tun. Wir müssen den Dingen freien Lauf lassen. Die Selbständigen sind Kreaturen und Figuren, die sich ohne irgendwelche Staatshilfe, Gesellschaftshilfe durchsetzen, entweder allein oder im Konzert mit ihren Berufsgenossen mit einer gewissen Selbsthilfe und Gemeinschaftshilfe. Selbständigkeit ist ein hohes Gut, das man sich erobern muß, und man braucht sich eigentlich nur zu bewähren. Bewährt euch, dann ist alles gut! Wer sich nicht bewährt, wer untergeht, hat die Belastungsprobe, die Existenzprobe nicht bestanden." Das wird leider mit dem Wort „Bereinigungsprozeß" gekennzeichnet. Noch längst nicht jeder Untergang eines Selbständigen ist die Folge eines Bereinigungsprozesses. Wir haben manche Betriebsschließung, die nichts mit einem Bereinigungsprozeß zu tun hat, sondern wo die Verhältnisse, die wirtschaftlichen und die gesellschaftlichen Verhältnisse stärker waren als die Kraft dieses selbständigen gewerbetreibenden Unternehmers. Letzten Endes hätte er sich erhalten können, wenn die notwendigen Verhältnisse geschaffen worden wären. Ich darf daran erinnern, daß meine Fraktion in diesem Hause vor drei, vier Wochen eine Kleine Anfrage gestellt hat: Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen des Mühlengesetzes die der Bundesregierung nahestehenden Banken aufzufordern, etwa sieben Großmühlen zugunsten von 500 selbständigen Müllermeistern stillzulegen? Diese sieben Großmühlen sind aus öffentlichem Kapital errichtet worden; nicht direkt, sondern man hat dazu zwei Banken benutzt, die der Bundesregierung nahestehen, die ihr zwar nicht gehören, die aber zum Teil durch Staatskommissare, zum Teil durch Aufsichtsräte und entsandte Mitglieder der Ressorts geleitet werden. War man bereit, nach den Bestimmungen des Mühlengesetzes diese sieben Großmühlen, die erst seit 1949 errichtet worden sind oder vorher nicht dieses Ausmaß hatten - sie waren restlos zerstört -, stillzulegen? Das hätte denen, die stillgelegt worden wären, keinen Schaden verursacht, auch nicht den Kapitalgebern; denn alles hätte sich unter den Auspizien des Mühlengesetzes geregelt. Dafür wären 500 selbständige Mühlenbetriebe, die nicht in der Form von Aktiengesellschaften und GmbHs betrieben werden, erhalten worden. Die Produktionsmöglichkeit dieser sieben Mühlen ist genauso groß wie die von etwa 500 kleinen und mittleren selbständigen Mühlen. Die Antwort war: „Nein, wir sind nicht bereit dazu." Eine Begründung kann man dafür immer finden: „Wir haben keinen Einfluß; unser Kapitaleinfluß ist zu gering, unser Verwaltungseinfluß ist noch geringer, und im übrigen: uns drückt der Schuh nicht." Sie sehen an diesem Beispiel, daß die Frage der Erhaltung von selbständigen Existenzen weit in den Raum der Regierungspolitik und der Parlamentspolitik hineinragt. Deshalb bin ich der Auffassung daß der im Antrag der SPD geforderte Situationsbericht über die Lage der Selbständigen zur Verdeutlichung und Erhellung ihrer Situation, des Seins und Werdens, des Vergehens und der Gründe dieses Vergehens unbedingt erforderlich ist. Die Motive zu einem solchen Bericht sind natürlich verschieden, und diese Motive müssen auch noch erörtert werden. So gern ich Ihnen in dem Vorschlag gefolgt wäre, Herr Kollege Lange, das Hohe Haus möge heute Ihren Antrag annehmen, möchte ich doch sagen: er ist nicht reif, und zwar mit Rücksicht auf alle Motivationen, die noch erörtert werden müssen. Wie soll dieser Bericht denn nun tatsächlich aussehen? Soll er wichtige Disparitäten zwischen der Schicht der Selbständigen und der Schicht der Unselbständigen aufzeigen, Disparitäten, die heute sehr wesentlich sind? Soll das Problem der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung zwischen Selbständigen und Unselbständigen in Rechten und Pflichten in diesem Bericht enthalten sein? Denn eine große Last, eine stille, eine stumme Last, die die Selbständigen zu tragen haben, liegt ja beispielsweise darin, daß sie verlängerter Arm des Finanzamts sind, daß sie verlängerter Arm aller Sozialversicherungskörperschaften sind und diese Arbeit sang- und klanglos und still ausüben müssen, wobei man von dem Grundsatz ausgeht: „Diese Arbeit ist eine Selbstverständlichkeit, diese Arbeit ist abwälzbar, sie wird vergütet im Produkt, in den Preisen, sie ist verkalkulierbar.” Na, ich möchte die 2,9 Millionen selbständigen Gewerbetreibenden und freiberuflich Tätigen sehen, die diese ihnen durch langjährige Gesetzgebung - nicht durch neuerliche Gesetzgebung, aber durch langjährige, jahrzehntelange Gesetzgebung - zugemuteten Pflichten voll und ihrem Umfang und ihrer Bedeutung entsprechend verkalkulieren und abwälzen können! - Die Motive für den Lagebericht müssen also noch einmal eingehend untersucht, Umfang und Art des Berichtes festgelegt werden. Es ist keineswegs so, Herr Kollege Lange, daß in unserer Diskussion in den letzten zehn Jahren wir und alle diejenigen, die sich mit diesem Problem als Spezialanliegen befassen, etwa von romantischen Vorstellungen ausgegangen wären. Ich möchte für mich in Anspruch nehmen, daß wir nicht in romantischen Vorstellungen operieren. Wir sind absolut nüchtern in der Erörterung der Dinge. Wir lassen sogar traditionsmäßigen Sprachschatz restlos fallen, um einmal zu den echten Alternativen zu kommen. Ich lehne das Wort „Mittelstand" restlos ab, und ich lehne auch das Wort „Mittelschicht" ab. Die Alternative heißt: selbständig - unselbständig. Das ist die Alternative der Schichtung unserer Zeit. 4 Millionen Familien der Selbständigen in unserer westdeutschen Bundesrepublik, 12 bis 13 Millionen Familien der Unselbständigen; und als Wählermasse gesehen noch dazu - über 21 Jahre - nochmals 6 Millionen unselbständige Unverheiratete. Das bedeutet, daß die Schicht der Selbständigen sich in einer gesellschaftlich-demokratischen Minderheit befindet. Sie befindet sich als Wählermasse in einer demokratischen Minderheit, und sie befindet sich in der Gesellschaft als Schicht in einer Minderheit. Das Problem, das hier auf uns zukommt, ist, ob die Massendemokratie mit der Tatsache der absoluten Mehrheit der Unselbständigen als Wählermasse in der Massendemokratie die Schichten der Minderheiten entsprechend bejaht und auf ihre Entwicklung und auf ihre Situation und Position Rücksicht nimmt, oder ob man die Schicht der Minderheit mit demokratischen Spielregeln, nämlich mit der Spielregel: „Die Mehrheit hat recht", restlos überrundet. Das ist ein Problem, welches generell gesehen werden muß. Ich sehe es keineswegs parteipolitisch, ich sehe es gesellschaftspolitisch, staatspolitisch. Deshalb muß auch nach dieser Richtung hin untersucht werden, wie sich die Dinge in der Gesetzgebung langsam ausgewirkt haben. ({0}) - Nein, da kommt man gar nicht hin. Das hat mit Ständestaat gar nichts zu tun. Wir haben die beiden Schichten, die Selbständigen und die Unselbständigen, und niemand denkt daran, einen Landwirtestand oder Handwerkerstand als privilegierten oder geschützten Stand zu errichten. Ich vertrete völlig die Auffassung Ihres Kollegen Lange, daß wir keine wirtschaftlichen oder sozialen Schutzgesetze brauchen. Aber vielleicht brauchen wir einmal politische Schutzgesetze, um eine Minderheit vor einer Mehrheit zu schützen. ({1}) Das ist eine Auffassung, mit der Sie sich, meine Damen und Herren, erst einmal befassen können. Ich möchte aber sagen, daß das alles zu den Motiven eines solchen Berichtes gehört. Ich bin der Ansicht, daß wir uns im Mittelstandsausschuß und vielleicht auch im Wirtschaftsausschuß über die Motive und den Inhalt eines solchen Berichtes einmal klarwerden müssen. Der Grüne Bericht hat zu einem Grünen Plan geführt. Es steht fest, daß der jetzt jährlich kommende Sozialbericht ein hohes Politikum in der öffentlichen Meinung und in allen Parlamenten, nicht nur in unserem Haus, sondern auch in den Länderparlamenten darstellen wird, Alle diese Gruppenbilanzen werden in der Zukunft eine ganz bedeutende Rolle bei der Gestaltung der öffentlichen Meinung spielen, und es werden daraus politische Konsequenzen zu ziehen sein. Ich bin selbstverständlich ein Gegner davon, einen solchen Bericht über die Situation der Selbständigen zu einer Subventionspolitik zu benutzen. Ein solcher Bericht kann nicht eine Subventionspolitik zur Folge haben. Ich möchte das jedenfalls für meine politischen Freunde von vornherein klarstellen. Es werden aber einmal die Disparitäten zwischen der Schicht der Selbständigen einerseits und der Unselbständigen andererseits und zwischen der Schicht der Selbständigen und der anonymen konzernierten Großwirtschaft aufgezeigt werden müssen; dort sind nämlich die Disparitäten genauso groß. Sie haben in Ihrem Antrag sozusagen zwischen den Zeilen dargestellt und es war letzten Endes auch aus Ihren Worten zu erkennen, wohin die Reise gehen soll, und ich halte diese Reise für richtig. Darum möchte ich im Namen meiner politischen Freunde darum bitten, diesen Antrag anzunehmen. Wir sind uns jedoch darüber klar, daß der Inhalt eines solchen Berichtes in einer Aussprache in den betreffenden Ausschüssen noch umrissen werden muß. Weiter müssen wir bedenken, daß nicht alle Angaben, die Sie in Ihrem Antrag fordern, bereits vorliegen. Es sind vielleicht bestimmte Gesetze erforderlich. Über die in der Bundesrepublik installierte Energie und die in der gewerblichen Wirtschaft verbrauchte Energie kann das Statistische Bundesamt heute keine Auskunft geben, da für die Erfassung keine Grundlage vorhanden ist. Darauf aufbauende Vergleiche können also noch nicht angestellt werden. Wir werden uns deshalb unter Umständen überlegen müssen, ob hier ein einfacher Antrag genügt oder ob ein Gesetz erforderlich ist wie z. B. das Landwirtschaftsgesetz oder das Gesetz über den Sozialbericht, das in der Rentengesetzgebung enthalten ist. Ich bin dankbar, daß dieses heiße Eisen, der Bericht über die Situation und Position der Selbständigen mit all seinen Alternativen in bezug auf andere Bevölkerungsschichten, zu einem Politikum wird. Ich bin überzeugt, daß wir bei gutem Willen in den Ausschüssen und in diesem Hause dieses Vorhaben verwirklichen werden. Es handelt sich hier um ein aktuelles Problem. Ohne Klarstellung der Dinge werden wir auf lange Sicht eine Politik zur Erhaltung der Selbständigen nicht betreiben können. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.

Dr. h. c. Kurt Schmücker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002040, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Schild meinte, wir müßten eines guten Tages vielleicht die Minderheit der Selbständigen schützen. Ich möchte den Gedanken, den er auf diese Weise formulierte, etwas anders ausdrücken und sagen, daß er das große Problem unserer Witschaftsgesellschaft ist, die Voraussetzungen für die beruflich selbständige Arbeit zu erhalten. Das ist auch das vieldiskutierte Mittelstands- oder Mittelschichtenproblem; auf den Wortstreit komme ich gleich noch. Wir müssen dafür sorgen, daß im Sinne des Grundsatzes der freien Berufswahl die Möglichkeit der beruflich selbständigen Arbeit bestehenbleibt, und zwar, Herr Dr. Schild, nicht nur zum Vorteil derienigen, die gerade selbständig sind oder werden wollen, sondern zum Vorteil der gesamten Gesellschaft. ({0}) Wenn es aber so ist, meine Damen und Herren, daß der letzte Arbeiter davon profitiert. dann wird es, so hoffe ich zu Gott. niemals dazu kommen. daß wir Schutzgesetze für die Minderheit der Selbständigen brauchen. Ich bin davon überzeugt, daß eines guten Tages der Arbeiter auch des letzten Großbetriebs sich sagen wird: Dadurch, daß ich mich selbständig machen kann, bin ich vom Betrieb unabhängig, und ich habe deshalb ein großes Interesse daran, daß es möglichst viele selbständige Existenzen gibt. Diese politische Auffassung müssen wir draußen vertreten. Das schaffen Sie, Herr Dr. Schild, und Sie, lieber Berufs- und Parlamentskollege Lange, nicht mit dem Wort Mittelschicht. Sie müssen die Leute ansprechen können, damit sie auf Sie hören. Das Wort Mittelschicht ist auch notwendig; aber es ist ein Begriff der Soziologie, eine einkommensmäßige Abgrenzung. Doch der Wortstreit ist nicht das Problem, um das es hier geht. Glauben Sie nicht, daß sich jemand nur des Profits oder anderer materieller Dinge wegen selbständig macht! Dafür sind ganz andere Motive maßgebend. Nennen Sie sie meinetwegen romantisch, Herr Kollege Lange, wenn Sie wollen! Unsere Sorge ist, daß die Gesetzgebung noch nicht den modernen Verhältnissen angepaßt ist. Mit Nachdruck erkläre ich meine Auffassung, daß wir keine ständische Wirtschaft wünschen. Wir dürfen keine wünschen; wir dürfen nicht einmal mehr Funktionen anerkennen, wie uns das Urteil von Karlsruhe zur Zusatzumsatzsteuer gezeigt hat. Ich gehe noch weiter. Ich bin sogar der Meinung, es gibt nicht einmal mehr Branchen. Alles fließt und geht ineinander über. Wir reden, weil es herkömmlich ist, von Grundstoffindustrie, von verarbeitender Industrie, von Großhandel und Einzelhandel. Aber, meine Damen und Herren, alles geht ineinander über. Sie können einen Betrieb nur schwergewichtig einer dieser Sparten zuweisen, aber keine völlig klare Abgrenzung vornehmen. Das beste Beispiel dafür ist das Handwerk, das alles in allem ist, sowohl Produktion als auch Großhandel und Einzelhandel. Wenn wir erkennen, daß wir eine einheitliche Wirtschaft haben, ist es absurd, ja - gestatten Sie mir das Wort - geradezu reaktionär, noch in berufsständischen Vorstellungen zu verharren. Wir müssen suchen, wo die Chance liegt, in dieser Wirtschaftsgesellschaft die berufliche Selbständigkeit zu wahren, die früher in der berufsständisch geordneten Wirtschaft natürlich vorhanden war. Ich bin der Auffassung, hier gibt es nur eine Lösung, nämlich die Stärkung der unternehmerischen Tätigkeit. Wir brauchen Unternehmer. Der Unternehmer fängt nicht erst bei dem selbständig Schaffenden an, sondern bereits beim Angestellten, bereits beim Arbeiter. Hier gibt es keine Grenzen bis hin zum führenden Wirtschaftler. Alles ist fließender Übergang. Herr Kollege Lange, das war unsere Auffassung, wenn wir sagten: Wer anfängt, den Mittelstand abzugrenzen, der tötet ihn bereits. Es ist das wesentliche Merkmal des Mittelstandes, daß er die fließenden Übergänge erhält, daß er die auseinanderdrängenden Kräfte wieder zusammenführt. Ich habe vorhin gesagt, daß sich die Leute nicht nur des Profits wegen selbständig machen. Natürlich spielen das Erwerbsstreben und andere wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Aber sehen Sie sich doch einmal einen solchen Unternehmer an, einen Handwerker oder einen kleinen Industriellen, der sein Geld in den Betrieb und damit in die Volkswirtschaft steckt! Natürlich wird alles sein Eigentum, und er hofft, daß er damit für sich und seine Familie und seine Erben etwas schafft. Hoffentlich sind die politischen Verhältnisse immer so, daß sich seine Hoffnung erfüllt. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß es falsch ist, diese Fragen mit kalter Nüchternheit anzufassen. Hinter ihnen steckt ein unternehmerischer Wille, und unsere Auffassung von der Mittelstandspolitik geht dahin, dafür zu sorgen, daß der unternehmerische Wille sich auch durchsetzen kann. Wenn wir in unserer Mittelstandspolitik vorankommen wollen, sollte die Parole heißen: die soziale Marktwirtschaft weiter durchsetzen! Wir müssen in der Gesetzgebung dafür sorgen, daß sie nicht im Berufsständischen verharrt, sondern vom Geiste der sozialen Marktwirtschaft in allen Bereichen lebt. Die Voraussetzungen dafür sind zur Zeit noch nicht gegeben. Unsere Steuergesetzgebung und unser Gesellschaftsrecht sind veraltet, beide sind noch den Vorstellungen des vorigen Jahrhunderts verhaftet. Wir werden bei der Debatte in vierzehn Tagen hoffentlich noch eingehend auf dieses Thema zu sprechen kommen. Herr Kollege Lange, Sie haben uns und der Regierung den Vorwurf gemacht, es sei nichts getan worden. Auch ich bin der Meinung, es müßte mehr getan werden. ({1}) - Herr Kollege Lange, das eigentliche Problem besteht nicht darin, daß wir dieses oder jenes Gesetz nicht geschaffen haben, sondern darin, daß die Gesetzgebung aus früheren Zeiten, aus einer anderen Gesellschaftsordnung herrührt. Es ist technisch und arbeitsmäßig nicht möglich, von heute auf morgen alles umzustellen. Wenn wir das erkennen, stellt sich das Problem völlig anders. Ich möchte wissen, wer es angesichts einer so großen Aufgabe noch wagt, Vorwürfe zu erheben. Wir haben bei der Einkommensteuer darauf hingewiesen, daß es notwendig ist, ein Betriebsminimum zu erreichen. Da war es der Kollege Seuffert, der sagte: Reden Sie doch nicht so etwas! Wer kann denn, wenn er Fahrten zu Kongressen usw. unternimmt, die Kosten absetzen? Der Selbständige kann es, der Unselbständige nicht. Bei der Umsatzsteuer hat der Kollege Miessner von der FDP gefragt: Wie kommen Sie eigentlich dazu, eine Freigrenze einzuführen, die nur reiner gewissen Schicht zugute kommt? So könnte ich eine ganze Reihe aufzählen. Aber ich gebe Ihnen zu: selbst das Gesetz gegen den Betriebs- und Belegschaftshandel, das wir soeben in erster Lesung beraten haben, ist nur eine punktuelle Maßnahme. Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, müssen wir dafür sorgen, daß die unterschiedliche Kalkulation, die sogenannte Sozialkalkulation, die das alles verschuldet, allenthalben aufhört. Wenn wir nämlich eine wirklich kostengerechte Preisberechnung hätten, entstünden solche Schwierigkeiten nicht. Nach meiner Auffassung stehen wir vor der großen Aufgabe, das zurückgebliebene Gesellschaftsund Steuerrecht nach unseren marktwirtschaftlichen Vorstellungen auszurichten. Das kann unmöglich von heute auf morgen geschehen. Deswegen haben wir das Mittelstandsinstitut gefordert, und deswegen sind wir mit Ihnen einer Meinung, daß Unterlagen geschaffen werden müssen. Bei dieser Sachlage lohnt es sich nicht, darüber zu streiten, ob man von Schichten oder Ständen sprechen soll. Es kommt nur darauf an, daß man das Problem in seiner ganzen Breite allen Bevölkerungsschichten klarmacht. Wenn es mir gelingt, die Leute anzusprechen, frage ich nicht viel, ob es eine Schicht oder ein Stand ist. Die Hauptsache ist, das Volk erkennt in seiner Gesamtheit, daß es zur Freiheit jedes einzelnen, auch des jetzt Unselbständigen, notwendig ist, daß die selbständige berufliche Tätigkeit in unserem Vaterlande erhalten bleibt. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Da weitere Wortmeldungen nicht mehr vorliegen, erteile ich das Schlußwort dem Abgeordneten Lange.

Erwin Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001283, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmücker, nicht der Wille zur Selbständigkeit wird von uns als romantisch bezeichnet, sondern das, was sich landläufig hinter dem Begriff „Mittelstandspolitik" verbirgt. Fragen Sie einmal die Leute draußen, ob sie unter Mittelstandspolitik das verstehen, was Sie jetzt dargelegt haben! Ich habe keine Veranlassung, gegen Ihre Ausführungen zu polemisieren. Ich wende mich nur gegen diesen Begriff, mit dem sich alte, überkommene, romantische, reaktionäre Vorstellungen, wie Sie sie geheißen haben, verbinden. Es geht also um Bewußtseinsklärung, um nicht mehr und nicht weniger. Im übrigen ist das sonst völlig gleichgültig, wenn es sich nur um den Inhalt dessen handelt, was wir wollen, und wenn wir uns auf diese Art und Weise näherkommen. Man darf aber nicht draußen den Eindruck erwecken, als ob man etwas anderes wollte. Darauf kommt es nämlich auch an. Dann steht das, was Sie, Herr Kollege Schmücker, im Hinblick auf die Andeutung von Herrn Burgemeister gesagt haben: Berufsausübung im Einzelhandel und solche Scherze - denn so darf ich dann Gesetze solcher Art nur noch bezeichnen -, im Widerspruch dazu; oder aber wir müssen uns, nachdem wir umfassendes Material für die Behandlung dieses Problems zur Verfügung haben, im einzelnen und insgesamt über die notwendigen allgemeinpolitischen und besonderen gesetzgeberischen Maßnahmen verständigen. Nicht mehr und nicht weniger soll ja schließlich auch der Sinn eines solchen Berichts sein. Herr Kollege Schild, ich habe zuerst einen Schreck bekommen, als Sie, von den Motiven ausgehend, auf die Wählergruppen zu sprechen kamen, so daß ich den Zwischenruf meines Freundes Witt3622 Lange ({0}) rock für gerechtfertigt gehalten habe. Er sagte, daß sich, wenn man so etwas konsequent zu Ende denkt, am Schluß eines solchen Denkprozesses theoretisch der Ständestaat erhebt, der dann das politisch Empfehlenswerte sei. Sie haben das ausdrücklich abgelehnt. Ich glaube, man kann auch in dieser Form nicht von Mehrheit und Minderheit reden, sondern hier kommt es in der Tat darauf an - und in dem Zusammenhang stimme ich dem Kollegen Schmücker zu -, die Chancen für die Verselbständigung in der arbeitsteiligen Wirtschaftsgesellschaft moderner Art aufrechtzuerhalten. Es ist keine leere Floskel, wenn wir sagen, daß die Selbständigen in der demokratischen Ordnung einen stabilisierenden Faktor neben den abhängig Tätigen darstellen. Das ist ,eine völlig klare Sache. Ich wäre dankbar, wenn wir uns darüber nicht mehr zu streiten brauchten. Dann wäre diese Sache in Ordnung. Herr Burgemeister, ich habe vorhin die Bitte ausgesprochen, den Antrag so schnell wie möglich zu behandeln. Wenn ich mir das vor Augen halte, was Sie hier gesagt haben, dann befürchte ich, daß Sie dem Ausschuß die Aufgabe zudiktieren wollen, das zu tun, was eigentlich die Regierung tun soll, und daß wir noch nicht einmal bis zum 15. November mit dieser Vorlage aus dem Ausschuß wieder herauskommen. Herr Burgemeister, eines müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen: Sie wissen aus den Debatten, die wir schon allenthalben miteinander geführt haben, sehr genau, daß Sie das, was Sie hier in bezug auf die Formel „den Worten die Taten folgen zu lassen" erklären, etwas wider besseres Wissen aussprechen. Sie wissen nämlich sehr genau, daß es uns mit dem, was wir hier fordern, ernst ist. Oder glauben Sie etwa, wir stellen einen solchen Antrag, weil wir das als Larifari ansehen? Meinen Sie, wir wären uns in Wirklichkeit nicht der gesellschaftspolitischen Bedeutung dieser Gruppen bewußt? Bitte, es gibt geschichtliche Erfahrungen. Denken Sie an Weimar. Ich darf vielleicht Kurt Schumacher zitieren, der 1945/46 darauf hingewiesen hat, daß es nicht zuletzt die Aufgabe der Sozialdemokratie sei, den Mittelstand - so sagte er damals noch - auch auf seine gesellschaftspolitische Aufgabe aufmerksam zu machen und ihn nicht an die falsche Front, nämlich an die Seite der Großbesitz-Interessenvertreter zu treiben, wie das in der Weimarer Zeit geschehen ist, in der sich die kleinen und mittleren Selbständigen auf die falsche Seite gestellt haben mit dem Erfolg, daß sie vor die Hunde gegangen sind. ({1}) - Woran? Sollen wir Sie noch im einzelnen aufklären, wie konsequent der Weg über die NS-Hago bis zum tausendjährigen Reich und bis zur Vernichtung der Ein-Mann- und der Kleinbetriebe geführt hat, und darüber, daß all die Versprechungen, die man den Irregeführten gemacht hat, damals nicht eingelöst worden sind? Es kommt also darauf an, daß das gesellschaftspolitische Bewußtsein dieser Schichten, dieser soziologischen Gruppen geklärt wird und daß von ihnen die ihnen in der demokratischen Ordnung zustehende Aufgabe erfüllt werden kann. Das ist doch der Wunsch, das ist der Wille, und dann können Sie nicht sagen: Nicht nur Worte, sondern Taten! Was das Einzelhandels-Berufsausübungsgesetz anbetrifft, so wissen Sie sehr genau, was damit los ist. Sie wissen, wieweit die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes geht. Darauf brauche ich jetzt nicht einzugehen. Sie wissen um die anhängigen Verfassungsklagen, und Sie sind sich darüber klar, daß dieses Gesetz wahrscheinlich in seinen wesentlichen Bestandteilen für verfassungswidrig erklärt werden wird, weil es nämlich mit den Grundrechten des Grundgesetzes nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. ({2}) - Entschuldigen Sie, das ist meine Meinung. ({3}) - Entschuldigen Sie, das ist meine Meinung! Diese meine Meinung habe ich auch schon bei der zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzes zum Ausdruck gebracht. Und so einige andere Befürchtungen, auf die ich hingewiesen habe, sind selbst in Ihren Reihen schon als richtig erkannt worden und werden auch bei Ihnen im nachhinein geteilt. Wann Ihrerseits Änderungsanträge zu diesem Gesetz kommen, weiß ich nicht. Es wäre wünschenswert. Und, Herr Burgemeister, die kühne Behauptung, daß auf Grund dieses Antrages planwirtschaftliche Überlegungen so im Stile der DDR - Dirigismus und was weiß ich - aufkommen, ist doch völlig unlogisch. Das ist doch gar nicht drin. Wir wollen doch zunächst einmal sehen, wie die Tatbestände sind. Unterstellen Sie doch nicht von vornherein auf Grund irgendwelcher ideologischer Vorstellungen Ihrerseits dem anderen, der hier etwas auf den Tisch legt, daß er da gewisse Hintergedanken verbergen wolle. Es geht hier einfach um das Durchsichtigmachen der gesellschaftlichen und der wirtschaftlichen Verhältnisse in bezug auf diese Gruppen. Das ist das Entscheidende. Was ich hinsichtlich der Abgrenzung gesagt habe, betrifft, wenn Sie so wollen, die personelle, gruppenmäßige Abgrenzung. Wenn Sie noch die Angestellten hineinnehmen wollen, so wollen Sie damit wahrscheinlich dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung einige zusätzliche Aufgaben zuweisen. Dann werden wir uns darüber unterhalten müssen, ob die Angestellten in diesem Sinne als zu den soziologischen Gruppen gehörig anzusehen sind, deren Situation besonders durchleuchtet werden muß. Daß auch das Angestellten-Problem ein besonderes Problem ist, ist dabei völlig unbestritten. Das kann man aber nicht mit diesen Dingen in einen Topf werfen. Uns geht es also darum, daß diese Untersuchung so schnell wie möglich gemacht wird. Aus Ihren Lange ({4}) Darlegungen erkennen wir - das gilt für die FDP, für die DP und für die CDU/CSU -, daß Sie erst im Ausschuß beraten wollen. Nun gut, ich will mich nicht dadurch, daß ich beantrage, über unseren Antrag bereits hier abzustimmen, der Gefahr aussetzen, die ganze Sache zu Fall zu bringen. Das kommt nicht in Frage. Ziehen wir uns also zurück! Aber, meine Damen und Herren, wir legen Wert darauf, daß diese Untersuchung so schnell wie möglich erfolgt. Herr Burgemeister und Herr Schild, wir sind uns völlig darüber klar, daß hier Auskünfte, Darstellungen über Fragen, über Sachverhalte gewünscht werden, über die die Bundesregierung im Augenblick noch nicht das notwendige Material zur Verfügung hat. Wir möchten aber trotzdem, daß die Bundesregierung den Bericht zu dem bewußten Zeitpunkt erstattet, auch wenn es ein erster Bericht ist, bei dem dann gesagt wird: Um die und die Punkte klären zu können, brauchen wir das und das, und wir schlagen euch das und das vor; gebt uns die Mittel an die Hand, damit wir euch Antworten geben können! Wir möchten also ganz deutlich an die Adresse der Bundesregierung - die, wie ich sehe, zur Zeit nur durch zwei Minister im Hause vertreten ist, nämlich den Familienminister und den Verteidigungsminister - den Wunsch richten, daß dieser Bericht, auch wenn er nicht in vollem Umfang gegeben werden kann, unter allen Umständen erstattet wird. Gegebenenfalls müßten dann der Bundesregierung die zur Vervollständigung notwendigen gesetzgeberischen Instrumente an die Hand gegeben werden. In diesem Sinne möchten wir diesen Antrag dann auch im Ausschuß behandelt sehen. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Damit ist die Aussprache geschlossen. Ich schlage Ihnen vor, die Anträge auf den Drucksachen 747 und 712 an den Ausschuß für Mittelstandsfragen als federführenden Ausschuß und den Wirtschaftsausschuß als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Ich rufe auf den Punkt 4 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesevakuiertengesetzes ({0}). Die Begründung erfolgt schriftlich.* Auf Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Inneres als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Heimatvertriebene sowie den Ausschuß für den Lastenausgleich zur Mitberatung vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes *) Siehe Anlage 2. zur Änderung des Gebrauchsmustergesetzes ({1}). Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Rechtsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Patentgesetzes ({2}) . Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Rechtsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung: Erste Beratung des von den Abgeordneten Kühlthau, Dr. Toussaint, Dr. Willeke, Jacobi, Dr. Bleiß, Dr. Schranz und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen und Bausparkassen ({3}). Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Wirtschaftsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Volksverhetzung ({4}). Das Wort hat der Abgeordnete Probst.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Volksverhetzung gebe ich im Namen der Bundestagsfraktion der Deutschen Partei folgende Erklärung ab. Das deutsche Volk ist in den letzten Jahrzehnten von schweren Erschütterungen heimgesucht worden. Zu den schwersten zählen ohne Zweifel die Enthüllungen über die grauenvollen Verbrechen an jüdischen Menschen, die unter Mißbrauch seines Namens vor allem während des letzten Krieges begangen worden sind. Das deutsche Volk hat in seiner großen Mehrheit davon nichts gewußt und ist tief bestürzt und beschämt. Es kann mit ruhiger Überzeugung gesagt werden, daß die überwiegende Mehrheit der Menschen bei uns die moralische Verpflichtung zu einer geistigen Überwindung dieser tragischen Vorkommnisse und ihrer Ursachen empfindet und eine gerechte materielle Wiedergutmachung bejaht. Soweit in der letzten Zeit antisemitische Handlungen oder Äußerungen bekanntgeworden sind, handelt es sich deutlich erkennbar entweder um Einzelgänger und Unbelehrbare, die auf allgemeine Ablehnung stoßen, oder gar um Provokateure, de3624 Probst ({0}) ren Auftraggeber im bolschewistisch besetzten Teil Deutschlands zu suchen sind. Von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, hat unsere Bevölkerung mit solchen Vorfällen nichts zu tun. Sie wünscht keinen neuen Haß, sondern Frieden und Versöhnung. Die Pflicht der Mitglieder dieses Hohen Hauses ist es, die Frage zu prüfen, ob der uns vorliegende Gesetzentwurf diesem Ziele dient, Frieden und Versöhnung zu schaffen. Es ist uns als den politischen Repräsentanten der Bevölkerung im freien Teil Deutschlands die Aufgabe gestellt, in einer Atmosphäre wachsender Toleranz Getrenntes zusammenzuführen und religiöse, nationale, rassische und durch ihr Volkstum bestimmte Gruppen unter Überwindung von Fremdheitsgefühlen in den Volkskörper einzufügen. Diesem Ziel dient nach Auffassung der Bundestagsfraktion der Deutschen Partei der vorliegende Gesetzentwurf nicht. Er wird ihm nicht gerecht. Vor Jahren hat ein hervorragendes Mitglied dieses Hauses von dieser Stelle aus erklärt: Unter allen Mitteln, der Intoleranz zu begegnen und die hohe geistige Leistung der Toleranz zu fördern, ist das Strafrecht nicht nur ein schlechtes, sondern das schlechthin mörderische Mittel. Das ist genau die Auffassung, die die DP-Bundestagsfraktion heute veranlaßt, ihre warnende Stimme gegenüber diesem uns vorliegenden Gesetz zu erheben. Es ist unmöglich, die Toleranz durch das Strafgesetz zu erzwingen. Wer diesen Versuch macht, nützt nach unserer Auffassung den Gruppen, die er schützen will, nicht, sondern er gefährdet im Gegenteil den Prozeß eines wachsenden Einvernehmens und Eingewöhnens. Ein hervorragender Deutscher, jüdischer Abstammung und Religion, formuliert diesen Gedanken wie folgt: Eine der wesentlichen psychologischen Quellen der Judengegnerschaft ist das Fremdheisbewußtsein der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber den Juden. Distanziert man sie gesetzgeberisch als eine besondere Gruppe, so diffamiert man sie gleichzeitig. Diejenigen, die geschützt werden sollen, werden an den Pranger gestellt. Um eine solche Distanzierung handelt es sich bei dem uns vorliegenden Gesetzentwurf. Von seiner Entstehungsgeschichte her bedeutet diese Vorlage eine Ausnahmegesetzgebung im Sinne eines Gruppenschutzgesetzes. Wer eine wirkliche und dauerhafte Aussöhnung will, muß nach unserer Auffassung gerade um der Aussöhnung willen vor diesem Gesetz warnen. Schließlich weist die Bundestagsfraktion der Deutschen Partei noch darauf hin, daß bei der Bewertung des vorliegenden Entwurfs auch die Frage der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes durch ein Gruppenschutzgesetz ernsthaft geprüft werden muß. Darüber hinaus können die Formulierungen des Gesetzentwurfs unter Umständen zu Konsequenzen führen, die die Befürworter dieses Gesetzes gewiß nicht beabsichtigt haben. Aus allen diesen Gründen sieht sich die Bundestagsfraktion der Deutschen Partei nicht in der Lage, dieser Vorlage zuzustimmen, obwohl sie keineswegs die aufrichtig gemeinten Gründe verkennt, die die Befürworter dieses Gesetzentwurfs zur Einbringung veranlaßt haben. Es gibt nach unserer Auffassung nur zwei Möglichkeiten, dem von den Befürwortern angestrebten Ziel näherzukommen, ohne den gefährlichen Weg der Ausnahmegesetzgebung zu beschreiten. Der erste Weg wäre eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs dieser Vorlage auch auf weitere Gruppen in einer Weise, die diesem Gesetzentwurf den Charakter der Ausnahmegesetzgebung nimmt. Der zweite Weg wäre eine verstärkte Ehrenschutzgesetzgebung, die dem Schutz der Ehre aller Staatsbürger gleichberechtigt zugute kommt. Wir alle sind uns einig in der Abwehr aller Erscheinungsformen der Intoleranz, die unser öffentliches Leben verunstalten. Wir sollten uns gemeinsam bemühen, den besten Weg zur Erreichung dieses Ziels zu gehen, den die Fraktion der Deutschen Partei in einer auf weite Sicht geplanten staatspolitischen Erziehung zur umfassenden Toleranz erblickt.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.

Karl Wittrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf nach dem, was soeben von dem Kollegen Probst ausgeführt worden ist, meinerseits namens der sozialdemokratischen Fraktion eine kurze Bemerkung machen. Es geht jetzt nicht darum, sich mit der Frage der Toleranz, mit dem erzieherischen Problem der Heranführung von Unbelehrbaren an die demokratische Ordnung auseinanderzusetzen. Nötig ist die Auseinandersetzung mit dem strafwürdigen Antisemitismus; ich betone mit allem Nachdruck das Wort „strafwürdigen". Es kann hier keine Erwägung der Toleranz geben, es kann überhaupt, wenn wir uns mit der Abwehr des Antisemitismus befassen, kein Nachdenken über die Frage der Toleranz geben, sondern dann kann es nur Abwehr mit den Mitteln, die dem Staat zur Verfügung stehen, geben. Das Problem, welches dem Parlament gestellt ist, besteht darin, zu durchdenken, welches die geeigneten Mittel sind, den fluchwürdigen und abzulehnenden Antisemitismus in wirksamer Weise zu bekämpfen. Da allerdings kann eine Fülle von Überlegungen einsetzen, etwa die Überlegung, ob dieser Gesetzentwurf das geeignete Mittel ist, ob es nicht bereits im Rahmen der geltenden Rechtsordnung Möglichkeiten gibt, den Antisemitismus wirksam abzuwehren, und zwar auch mit Mitteln der Strafjustiz. Ich möchte bei dieser Gelegenheit dem Hohen Hause in Erinnerung bringen, daß sich der Bundesgerichtshof mit der Beurteilung antisemitischen Tuns als strafwürdigen Verhaltens befaßt hat. Der Bundesgerichtshof ist hier, wenngleich die Entscheidung auch noch nicht im einzelnen bekannt ist, zu ganz bestimmten Schlußfolgerungen gekommen, so zu der Schlußfolgerung, daß antisemitisches Verhalten die Verfassungsgrundsätze dieses Staates verletzt, demgemäß also den Tatbestand der Staatsgefährdung durch Verletzung von Verfassungsgrundsätzen erfüllt. Kurzum, meine Damen und Herren, wir werden uns zu überlegen haben, inwieweit bereits die geltende Rechtsordnung Möglichkeiten eröffnet, den Antisemitismus wirksam zu bekämpfen. Wenn wir in Verfolg dieses Gedankens zu ganz bestimmten Schlußfolgerungen gekommen sind, dann erst kann für uns und dann allerdings muß für uns die Überlegung einsetzen, inwieweit es einer besonderen gesetzlichen Regelung bedarf. Das ist das, was ich von seiten der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ausführen wollte. Es bedeutet in der praktischen Konsequenz: wir haben uns selbstverständlich mit der Problematik, auch mit der Problematik des Regelungsbedürfnisses, im zuständigen Bundestagsausschuß zu befassen. Aber selbstverständlich stehen alle Überlegungen, die wir anzustellen haben, von vornherein unter dem Vorzeichen, daß es die Pflicht dieses demokratischen Staates, der letzten Endes das Ergebnis einer historischen Entwicklung darstellt, die wir niemals auswischen können und dürfen, ist, den Antisemitismus so wirksam wie möglich abzuwehren. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen meiner Herren Vorredner veranlassen mich, den Standpunkt der FDP zu dem Gesetz in wenigen Worten darzulegen. Aus der Begründung des Gesetzentwurfs konnten Sie ersehen, daß dem Bundestag nicht zum erstenmal ein derartiger Gesetzentwurf vorgelegt wird. Wenn er jetzt erneut vorgelegt wird, so muß man sich fragen, aus welchen Gründen das geschehen ist. Die FDP ist der Auffassung, daß in den vergangenen Jahren allerhand geschehen ist, an dem wir nicht achtlos vorbeigehen können. Wir können Fälle wie die eines Nieland, eines Zind und eines Eisele bei unseren Überlegungen nicht einfach übergehen. Wir Freien Demokraten sind vielmehr der Auffassung, daß wir uns gegen ein Wiederaufleben des Antisemitismus mit aller Entschiedenheit wehren müssen. Andererseits bin ich der Auffassung, daß in der deutschen Bevölkerung nicht, wie das manchmal im Ausland behauptet wird, ein Antisemitismus vorhanden ist. Vielmehr glaube ich, daß es sich bei den Fällen, die ich genannt habe, um Einzelfälle gehandelt hat und daß die deutsche Bevölkerung gerade aus den schweren Folgen der Vergangenheit die entsprechenden Lehren gezogen hat. Die Vorlage heißt „Entwurf eines Gesetzes gegen Volksverhetzung". Es wird nicht ausdrücklich der Antisemitismus angesprochen, sondern in der Neufassung des § 130 ist die Rede vom „Haß gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe". Aber wir wissen, daß sich die Bestimmung in erster Linie gegen den Antisemitismus richten soll. Auch wir Freien Demokraten fragen uns, ob die hier gebrauchte Formulierung tatsächlich dem Zweck des Gesetzes dient und zu dem Erfolg führt, den sich die Regierung davon verspricht. Wir müssen uns nämlich fragen, ob bei der Neuformulierung des § 130 eine Abgrenzung in der Weise vorgenommen warden ist, daß nicht nachher Tatbestände erfaßt werden, die heute gar nicht damit gemeint sind und nicht erfaßt werden sollen, und ob andererseits die Formulierung weit genug ist, um die Gruppe zuerfassen, die während des „Dritten Reiches" auch einer besonders scharfen Verfolgung ausgesetzt waren und die vielleicht in gleicher Weise einen entsprechenden Schutz verdienen. Ich brauche nicht besonders zu betonen, daß wir Freien Demokraten in diesem Zusammenhang auch die Frage der Toleranz mitangesprochen sehen und die geistige Toleranz unter allen Umständen gewahrt sehen wollen. Es muß sichergestellt sein, daß das Gesetz nicht eine ,andere Wirkung hat, als im Augenblick vorgesehen ist. Ich möchte noch auf folgendes hinweisen. In der Begründung haben Sie gelesen, daß sich die Große Strafrechtskommission bereits mit dieser Bestimmung befaßt hat. Ich habe die Protokolle der Unterkommissionen nachgelesen. Darin sind auch eine ganze Reihe schwieriger rechtlicher Fragen angesprochen. Dazu gehört z. B. die Frage, inwieweit überhaupt eine Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften gegeben ist. Die Auffassungen auch sehr gelehrter und sehr erfahrener Professoren und Richter sind hier keineswegs einheitlich. Weiterhin ist fraglich, welches Verhältnis dieses Gesetz gegen Volksverhetzung zu den Bestimmungen über Beleidigungen hat. Es bestehen also eine Reihe rechtlicher Probleme. Man muß bei der Beratung des Gesetzes folgendes bedenken: Haben sich bei der bisherigen Fassung des § 130 derartige Mißstände gezeigt, daß eine Verabschiedung eines solchen Sondergesetzes jetzt erforderlich ist, obwohl die Arbeiten der Großen Strafrechtskommission unmittelbar vor dem Abschluß stehen? Die Schlußtagung soll im Juni dieses Jahres stattfinden, und es ist vorgesehen, soweit ich unterrichtet bin, noch im Laufe dieses Jahres den neuen Entwurf eines Strafgesetzbuches dem Bundestag vorzulegen. Gerade wegen der Fülle der teilweise sehr schwierigen rechtlichen Probleme ist es natürlich zu begrüßen, wenn nachher als Ergebnis einer Gesamtberatung eine gesetzliche Bestimmung eingebaut wird, in der die Dinge nach einheitlichen Gesichtspunkten neu geordnet sind. Unser bisheriges Strafgesetzbuch ist durch die zahlreichen Novellen durchlöchert. Es hat nicht mehr den einheitlichen Guß, den es haben müßte. Es sollte die Aufgabe des Bundestages sein, das neue Strafgesetzbuch nach neuzeitlichen Gesichtspunkten und Erkenntnissen zu gestalten. Da bin ich allerdings der Aufassung : wenn noch im Laufe der nächsten Monate oder auch eines Jahres mit der Verabschiedung eines neuen Ge3626 setzes gerechnet werden kann, sollte man in diesem Fall sehr genau prüfen, ob jetzt eine einzelne Bestimmung, sei es auf einem noch so wichtigen Gebiet, vorweggenommen werden muß. Das sind Dinge, die in dem Ausschuß erörtert werden müssen. Es wird sicherlich dazu dienen, eine möglichst schnelle Verabschiedung des neuen Strafgesetzbuches zu erreichen. Wir sind der Auffassung, daß das Gesetz nicht als ein Ausnahmegesetz betrachtet werden sollte, sondern es gehört - nicht in das Gebiet der Beleidigungsbestimmungen; da wäre es für sich ein Ausnahmegesetz - mit hinein in die Bestimmungen zum Schutze unseres Staates, zum Schutze unserer öffentlichen Ordnung. Allerdings sollten wir in dem Bestreben einig sein - da kann ich den Vorrednern nur zustimmen -, daß es hier in erster Linie nicht auf strafgesetzliche Bestimmungenankommt, sondern darauf, daß wir unserer Jugend - und nicht nur unserer Jugend - zeigen, was echte geistige Toleranz ist und das eine Volksverhetzung nie zu etwas Gutem führen kann. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage Ihnen vor, die Drucksache 918 an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Inneres - zur Mitberatung - zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({0}) ({1}) Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Lastenausgleich - federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Preise für Getreide inländischer Erzeugung für das Getreidewirtschaftsjahr 1959/60 sowie über besondere Maßnahmen in der Getreide- und Futtermittelwirtschaft ({2}) ({3}). Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und an den Wirtschaftsausschuß - mitberatend - zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Ich rufe nun Punkt 11 der Tagesordnung auf: Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen ({4}) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Beschäftigung von Schwerbeschädigten im Bundesdienst ({5}). Der Berichterstatter Abgeordneter Schlee hat einen Schriftlichen Bericht erstattet. Ich danke ihm hierfür. - Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Inneres ({6}) über den Antrag der Fraktion der DP betr. Schlußnovelle für das Gesetz zu Artikel 131 GG ({7}). Berichterstatter ist der Abgeordnete Kühlthau. Ich erteile ihm das Wort. ({8}) - Das Hohe Haus verzichtet auf die Entgegennahme eines Berichtes. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Inneres ({9}) über den Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der SPD betr. Arbeitszeit der Bundesbeamten ({10}). Berichterstatter ist der Abgeordnete Berger. Ich nehme an, daß das Hohe Haus auf eine Berichterstattung verzichtet. - Es ist der Fall. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf: Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Familien- und Jugendfragen ({11}) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Gesetzesvorlage über die Gewährung von Berufsausbildungs- und Erziehungsbeihilfen ({12}). Berichterstatter ist Abgeordneter Mengelkamp. Ein Schriftlicher Bericht liegt vor. Ich darf hierfür danken. Wird das Wort gewünscht? - Frau Kollegin Keilhack!

Irma Keilhack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001076, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Herren und Damen! Trotz der späten Abendstunde hält es meine Fraktion nicht für möglich, diesen Ausschußbericht ohne jede Bemerkung anzunehmen. Wir halten ein solches Gesetz für zu wichtig, als daß man nicht noch etwas dazu sagt. Wir halten es - und deshalb haben wir im Juni vorigen Jahres diesen Antrag gestellt - für ein fundamentales Gesetz zur Berufs-und Ausbildungförderung unserer Jugend, und der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen sowie der Ausschuß für Arbeit haben sich unserer Meinung, wie Sie aus dem Ausschußbericht ersehen, angeschlossen. Trotzdem finde ich, daß es notwendig ist, noch etwas dazu zu sagen! Sie, meine Herren und Damen, oder auch das Ministerium für Familien- und Jugendfragen könnten aus dem Ausschußbericht entnehmen, der hierin gewählte Begriff „möglichst bald" besage, daß man mit dem geforderten Berufsausbildungs- und Erziehungsbeihilfengesetz warten müsse, bis das angekündigte umfassende Jugendhilfegesetz vom Bundesministerium für Familien-und Jugendfragen dem Bundestag vorgelegt werden kann. Ich möchte noch einmal betonen - wir haben das auch bei der Ausschußberatung gesagt -: Es ist zwar wünschenswert, daß das geforderte Gesetz zusammen mit dem Jugendhilfegesetz dem Bundestag vorgelegt wird. Man muß es aber vorziehen, wenn bis zur Einbringung des Jugendhilfegesetzes noch einige Zeit vergehen sollte, was man im Hinblick auf die bedeutende Materie annehmen muß. Dieses neue Jugendhilfegesetz, das das kommende Jugendgesetz sein und eine grundlegende Reform des bis jetzt gültigen Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes bringen soll, wird nämlich viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, als sich vielleicht sogar Herr Minister Wuermeling vorgestellt hat. So viel Zeit haben wir mit der Vorlage des Berufsausbildungsund Erziehungsbeihilfengesetzes aber auf keinen Fall. Wir wünschen deshalb, daß sich das Familien- und Jugendministerium mit der Einbringung des Berufsausbildungs- und Erziehungsbeihilfengesetzes beeilt. Ich würde es für sehr begrüßenswert halten, wenn und die Frau Staatssekretärin - Herr Bundesminister Wuermeling ist ja weggegangen - einmal sagte, wie sich das Jugend- und Familienministerium die Vorlage denkt und wann es dieses Gesetz vorlegen will. Wir meinen, Frau Staatssekretär, daß das auf Grund der bereits seit langem geführten und sehr ausgiebigen Diskussionen im nächsten Vierteljahr möglich sein muß. Die Vorarbeiten, die zu einem großen Teil unter erheblichem Kraftaufwand von freien Organisationen und Trägerverbänden geleistet worden sind, rechtfertigen dieses Ansinnen an das Bundesfamilienministerium. Ganz abgesehen davon, daß die Wichtigkeit der Materie Herrn Minister Wuermeling dazu veranlassen sollte, sobald wie möglich an die Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs zu gehen. Wir geben zu, daß es nicht ganz einfach sein wird. Wir möchten auch gern von dem Ministerium wissen, Frau Staatssekretär, was für Vorstellungen Sie hinsichtlich des Umfanges dieses Gesetzes und der Höhe der Ausbildungs- und Erziehungsbeihilfen haben. Leider sind Sie ebenso wie das Arbeitsministerium nicht in der Lage gewesen, im Ausschuß konkretere Angaben zu machen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das jetzt tun könnten. Denn ich glaube, daß das nicht nur im Interesse des Parlaments liegt, sondern daß das auch unsere Jugend verlangen kann, die ganz bestimmt so sehr auf dieses Gesetz wartet wie z. B. auf das Jugendarbeitsschutzgesetz, ({0}) das genauso wichtig ist. Noch einmal also: Die Vorlage dieses Gesetzes ist dringend, Frau Staatssekretär. Ich bitte, es wirklich so aufzufassen. Es muß auch deshalb als besonders dringend angesehen werden, weil die Jugendlichen. die bisher aus den 15 oder 18 Nachkriegsgesetzen, die man als Kriegsfolgengesetze bezeichnen kann, beruflich gefördert wurden, mehr und mehr aus dieser Förderung herauswachsen. Der Prozentsatz der geförderten Jugendlichen wird daher im Laufe der nächsten Monate und Jahre so erheblich absinken, daß wir es nicht verantworten können, nicht sofort eine Brücke für neue Förderungsmöglichkeiten zu bauen. Die Bundesrepublik kann sich nicht mit dem Odium belasten, auch die Basis unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zukunft - das ist die Berufsförderung und Leistungsbefähigung unserer Jugend - dadurch zu gefährden, daß wir diese Aufgabe für alle Jugendlichen und nicht nur für die besonderen Geschädigtengruppen nicht genügend schnell in die Hand genommen haben. Wir meinen, daß Sie dieser Verpflichtung mehr Beachtung schenken müssen, als es in der Bundesrepublik leider Gottes bei vielen anderen sozialpolitischen Aufgaben der Fall war. Es ist das Gebot einer sozialen Demokratie, wenn sie diesen Namen überhaupt verdient. Es ist auch ein notwendiger Akt sozialer Gerechtigkeit, auch den Jugendlichen die Möglichkeiten des Starts in den Beruf und ins Leben zu vermitteln, die nicht aus begüterten Elternhäusern kommen. Ich bitte Sie also, Frau Staatssekretär, um Ihre Stellungnahme. Wir müssen wissen, woran wir sind, damit wir notfalls selbst die Schritte machen können, die notwendig werden, wenn das Ministerium zu langsam arbeitet. ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Frau Staatssekretär Dr. Wülker.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir teilen in vollem Umfange die Ansicht der Frau Abgeordneten Keilhack, daß das Gesetz über die Gewährung von Berufsausbildungs- und Erziehungsbeihilf en eine dringende Notwendigkeit ist. Es klang soeben etwas der Vorwurf durch, es sei noch nicht genügend geschehen. Ich darf daher im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, dem Bundesminister des Innern und dem Bundesminister für Wirtschaft diese Gelegenheit benutzen, über Stand und Entwicklung der Koordinie3628 P rung der Ausbildungs- und Erziehungsbeihilfen hier kurz zu berichten. Um der besonderen Notlage der verschiedenen Gruppen von Kriegs- und Nachkriegsgeschädigten abzuhelfen, waren zunächst Bestimmungen über Ausbildungsbeihilfen in die verschiedensten Gesetze aufgenommen worden, so z. B. in das Lastenausgleichsgesetz, in das Heimkehrergesetz, in das Bundesversorgungsgesetz und in das Bundesevakuiertengesetz. Gesetzliche Regelungen über Ausbildungsbeihilfen finden sich auch im Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und in den Reichsgrundsätzen zur Reichsfürsorgepflichtverordnung. Wegen der unterschiedlichen Ursachen der Notlagen ergaben sich innerhalb dieser Rechtsmaterie Unterschiede hinsichtlich der Voraussetzungen für Anspruch und Leistung. Die Bundesregierung ist und bleibt - auch unabhängig von dem vom Hohen Hause gewünschten Gesetzentwurf - intensiv um Abstellung der Schwierigkeiten bemüht, die sich in der Praxis aus der Vielfalt der Bestimmungen ergeben. Ein befriedigendes Ergebnis kann nur erzielt werden, wenn sowohl die soziale wie die pädagogische, arbeitsmarktpolitische, wirtschaftliche, kulturelle und finanzielle Seite des Problems gebührend berücksichtigt wird. Schon durch das koordinierende gemeinsame Rundschreiben der Bundesminister des Innern, der Finanzen und für Arbeit vom 15. August 1953 über Ausbildungsbeihilfen für Lehrlinge und Anlernlinge sowie durch Einzelregelungen der verschiedenen Kostenträger ist eine weitgehende Angleichung erreicht worden. Bei der praktischen Handhabung des Koordinierungserlasses zeigte sich aber, daß der anhaltende Zustrom und die Dringlichkeit der Eingliederung der jugendlichen Flüchtlinge in die Bundesrepublik eine noch schnellere und wirksamere Hilfe erforderlich machen. Aus diesen politischen Gründen wurde deswegen hierfür eine Sonderregelung durch den Erlaß der Richtlinien für Beihilfen aus dem Garantiefonds zur Eingliederung jugendlicher Zuwanderer vom 7. August 1956 bzw. vom 4. Februar 1957 getroffen, durch die zusätzliche Bundesmittel zur Ausbildung und Lebenshaltung jugendlicher Flüchtlinge bereitgestellt wurden. Durch eine Neufassung dieses Erlasses vom 16. Dezember 1958 wurden die Hilfen aufgestockt, und zwar in Angleichung an die Höhe der Mittel, wie sie nach dem Honnefer Modell für Studenten gewährt werden. Es wurde auch klargestellt, daß Studierende an nichtwissenschaftlichen Hochschulen in die Förderung im Rahmen des Garantiefonds einbezogen werden. Vor allem wurden die Pauschbeträge während der ersten drei Monate des Aufenthalts von Flüchtlingen in der Bundesrepublik erhöht. Auch auf anderen Gebieten haben die Bemühungen um eine weitere Koordinierung der Berufsausbildungsbeihilfen zu positiven Ergebnissen geführt. So ist es durch eine Abrede zwischen Bundesregierung und Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gelungen, eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten hinsichtlich der Berufsausbildungsbeihilfen der Bundesanstalt und derjenigen der Fürsorge sowie eine Abstimmung der Voraussetzungen für ihre Gewährung zu erzielen. Für den Personenkreis der deutschen Studenten an wissenschaftlichen Hochschulen wurde durch die allgemeine Studienförderung nach dem Honnefer Modell eine von allen Seiten begrüßte Koordinierung und Weiterbildung der bisherigen Förderungsmöglichkeiten erreicht. Über die bereits erfolgte Koordinierung hinaus wird bei der notwendigen Neuordnung auszugehen sein von der Befähigung des Jugendlichen und von der Zumutbarkeit gänzlicher oder teilweiser Eigenfinanzierung der Ausbildung durch ihn und seine Familie. Es sind einheitliche Grundsätze für die zumutbare Eigenbelastung zu finden. Dabei ist auf die Förderungsmaßstäbe der verschiedenen Gruppen der Kriegs- und Nachkriegsgeschädigten gebührend Rücksicht zu nehmen. Die neugeordnete Berufsförderung müßte schließlich sowohl Lehr- und Anlernlinge als auch Jugendliche an höheren, Fach- und Hochschulen berücksichtigen. Dabei wäre die Eigenverantwortung der Wirtschaft zu berücksichtigen und zu stärken. Die Bundesregierung wird selbstverständlich ihre intensive Arbeit an der Koordinierung und Verbesserung der Berufsausbildungs- und Erziehungshilfen fortsetzen und dem Wunsch des Bundestages nach Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs so bald wie möglich nachkommen. Ein kurzfristiger fester Termin, so wie ihn soeben Frau Abgeordnete Keilhack gewünscht hat, kann jedoch bei der Vielfalt der Schwierigkeiten dieser Rechtsmaterie um so weniger genannt werden, als die grundlegende Neuordnung der Jugendhilfe durch ein neues Jugendhilfegesetz vorbereitet wird. Selbstverständlich werden die Arbeiten an dem Ausbildungs- und Erziehungshilfengesetz intensiv fortgesetzt werden. Wenn auch ein endgültiger Termin für die Gesetzesvorlage über die Gewährung von Berufsausbildungsund Erziehungshilfen - etwa innerhalb des nächsten Vierteljahres -, wie Sie, Frau Abgeordnete Keilhack, meinten, nicht festgelegt werden kann, dürfen Sie doch überzeugt sein, daß die beteiligten Ressorts es an Intensität bei der Behandlung dieses so bedeutsamen Anliegens nicht fehlen lassen werden. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Wird weiterhin das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Zustimmung zur Überlassung junger Vizepräsident Dr. Jaeger Anteile an gesellschaftlichen Unternehmungen an andere Bezieher als den Bund hier: Kapitalbeteiligung des Landes Berlin an der Gemeinnützigen Wohnungsbau-AG Groß-Berlin ({1}) ({2}). Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Heiland. Ich nehme an, daß auf den Bericht verzichtet wird. Das ist der Fall. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes betr. Rechnung und Vermögensrechnung des Bundesrechnungshofes für das Rechnungsjahr 1956 - Einzelplan 20 - ({3}). Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen die Überweisung des Antrages an den Haushaltsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Musterung des Geburtenjahrgangs 1922 Drucksache 868). Das Wort hat der Abgeordnete Wienand.

Karl Wienand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002507, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorgeschrittenen Zeit Rechnung tragend, werde ich mich bemühen, die Begründung zu unserem Antrag in einer sehr kurzen und gedrängten Form zu geben. Die Fraktion der SPD hat am 18. Februar 1959 einen die Musterung des Geburtenjahrgangs 1922 betreffenden Antrag gestellt. Wir möchten, daß der Bundestag beschließt, die Bundesregierung zu ersuchen, von der Erfassung und Musterung des Geburtenjahrgangs 1922 Abstand zu nehmen. Es ist nicht meine Absicht, zur Begründung weit auszuholen und vom Grundsätzlichen her hier eine Wehrdebatte zu entfesseln. Die Haltung meiner Partei zu der Wehrpflicht, auf die sich die Bundesregierung bei ihrem Vorhaben beruft, ist bekannt. Unsere Haltung hat sich in dieser Frage nicht geändert. Die Entwicklung hat uns recht gegeben, so möchte ich sagen, leider recht gegeben, so sollte man besser sagen, wenn man heute schon zu resümieren sich bereit finden kann. ({0}) Im Januar dieses Jahres wurde das Vorhaben der Bundesregierung bekannt, also in einer Zeit, in der die erstarrten Fronten des Kalten Krieges etwas aufzutauen begannen. Es wurden wenigstens wieder Gespräche geführt. Neue Überlegungen gerade im Hinblick auf die deutsche Frage tauchten auf und wurden ernsthaft zur Diskussion gestellt. War nun die Ankündigung der Bundesregierung, den Jahrgang 1922 zu erfassen und zu mustern, nur vom militärischen Denken, von der militärischen Notwendigkeit her gesehen zu verstehen, und hatte sie nur diesen Inhalt? Die Bundesregierung versuchte, es so darzustellen. Der Bundesverteidigungsminister versuchte, über den Bildschirm des deutschen Fernsehens mit dem ihm eigenen Charme ({1}) den Bürgern dies klarzumachen. Es war trotz einiger brillanter Formulierungen keine von warmem menschlichem Ton getragene Überzeugungskraft, keine logische Konsequenz in seinen Darlegungen. Das vielfältige ablehnende Echo in der deutschen Öffentlichkeit ist für diese Feststellung Beweis. Selbst in CDU-Parteikreisen war man unangenehm überrascht. Ich möchte an Stelle von vielen nur ein einziges Beispiel - mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten - anführen. Die „Frankfurter Rundschau" brachte am 7. Februar 1959 einen Bericht mit der Überschrift: „CDU-Ausschuß kritisiert Einberufung des 22er-Jahrgangs": Der Wehrausschuß der nordwürttembergischen CDU hat die „plötzliche und kommentarlose Bekanntgabe" der Einberufung des Jahrgangs 1922 beanstandet. In einer Entschließung, die am Freitag im Pressedienst der südwestdeutschen CDU veröffentlicht wurde, stellt der Wehrausschuß fest, diese Maßnahme habe Verständnislosigkeit hervorgerufen, da nicht einmal die Wehrpflichtigen der jüngeren Jahrgänge restlos eingezogen werden könnten. In diesem Zusammenhang bringt der Ausschuß zum Ausdruck, es zeige auch wenig psychologisches Verständnis, wenn konstruktive Kritik an offenkundigen Anfangsschwierigkeiten im Dienstbereich der Bundeswehr bagatellisiert würde. Ich will hier nicht auf diese Schwierigkeiten im einzelnen eingehen und auch nicht die Frage vertiefen, inwieweit die Wehrpflicht in bezug auf die jetzt anstehenden Jahrgänge ausgeschöpft worden ist. Wir werden darauf bei den Haushaltsberatungen wohl noch zurückkommen können. Es scheint aber so, als habe die fast einmütige Kritik die Bundesregierung und den Herrn Verteidigungsminister wenigstens nachträglich zum Nachdenken gebracht. Im Februar wurde verlautbart, man wolle ja nur erfassen und mustern, um einen Überblick zu gewinnen; die 2000 bis 3000 Mann könnten sowieso aus den Freiwilligen herausgeholt werden. Warum dann also, so frage ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser ganze Aufwand? Oder hatte man mittlerweile politisch erreicht, was erreicht werden sollte? Hatte der, ich sage jetzt, mit kaltem Charme erzeugte Rauhreif seine Wirkung getan? Oder war das Ganze nur in Szene Besetz worden, um Presseleitern der Bundesregierung das Ohr der Betroffenen für das nunmehr einsetzende Werben im Stile des Reklamechefs einer Kurverwaltung zu öffnen? ({2}) Das wäre ein schlechtes Mittel am falschen Platze gewesen. Man sollte das Gerede von der „angeneh3630 men Unterbrechung des eintönigen Berufslebens", „dem Aufenthalt an der frischen Luft", „den Erholungsmöglichkeiten" nicht ernst nehmen, und ich will die Kritik daran auch nicht weiter vertiefen. Dadurch wird meiner Meinung nach ,all das, wofür man Soldaten zu benötigen glaubt, entwertet. Ich möchte die Frage aufwerfen, ob es sehr sinnvoll ist, solche Begründungen von Presseleitern der Regierung in der Öffentlichkeit ,abgeben zu lassen. Vom Militärischen her gesehen hat die ganze Aktion keinen oder zumindest recht wenig Sinn. Wo ist z. B. die gesetzliche Grundlage für die beabsichtigte Verwendung der jetzt 37jährigen im Rahmen der Territorialverteidigung, von der auch die Rede war? Was soll das Gerede von Mobilisierungsplänen, wenn wie gerade wieder in der jüngsten Zeit von NATO-Seite Erklärungen abgegeben werden, die diese Möglichkeiten, wenn man sie richtig betrachtet, für den Ernstfall ausschließen? Militärisch gesehen steht man, um es mit den Worten der vorhin zitierten CDU-Stimme nochmals zu sagen, der Maßnahme, die die Bundesregierung im Januar bekanntgab, recht verständnislos gegenüber. ({3}) - Nicht nur ich! Ich habe, verehrter Herr Kollege, weil ich erwartete, daß man nur uns das unterstellt, mit Absicht eine dieser CDU-Stimmen zitiert; es war nur ein Beispiel für viele. ({4}) Glaubt die Bundesregierung, glaubt der Herr Verteidigungsminister, daß es von psychologischem Verständnis zeugt, wenn man die offenkundigen und allen bekannten Anfangsschwierigkeiten der jungen Bundeswehr nun auch noch mit diesen Maßnahmen belastet? Ich stelle die Frage und beantworte sie für meine Person mit einem entschiedenen Nein, weil wir als Partei - und ich möchte das hier besonders herausstellen - keine Gegner der Bundeswehr sind, keine Gegner des im Rahmen unserer Gesetze Dienst tuenden Soldaten. ({5}) - Verehrter Herr Kollege, ich kenne Ihren Namen nicht. Aber Ihr Lachen bezeugt, daß Sie zumindest die Entwicklung in den letzten Jahren, was das Verhältnis der Sozialdemokratischen Partei zur Bundeswehr angeht, nicht mitbekommen haben oder mitbekommen wollten. ({6}) Es ist nicht gut, so vorzugehen. Es liegt doch ein Widersinn darin, einen vom Krieg so sehr in Mitleidenschaft gezogenen Jahrgang ausgerechnet jetzt heranzuziehen, in einem Zeitpunkt, in dem wieder einmal, wie schon oft in diesem Parlament, ernsthaft um eine menschenwürdige Versorgung der Kriegsopfer gerungen wird. Wenn diese Seite schon vom Verteidigungsminister zuwenig - ich möchte nicht sagen: gar nicht - gesehen wird, dann hätte sie doch der ehemalige Verteidigungsminister, der jetzige Sozialminister im Kabinett, gerade weil bei ihm die Kriegsopferversorgung ressortiert, sehen müssen und wenigstens diese Überlegungen mit ins Feld führen müssen. .Jedoch läßt gerade das, was aus dem Hause des Sozialministers kommt, auch hier leider das Gegenteil vermuten. Was ist von dem 22er Jahrgang übriggeblieben? Der gewiß stattliche Jahrgang 1922 ist auf 320 000 Mann zusammengeschrumpft. Wie viele davon kriegsversehrt oder, durch den Krieg bedingt, krank sind, läßt sich heute noch nicht genau sagen. Auch das wird ein hoher Prozentsatz sein. Es bleibt also nicht viel übrig, wenn man die Männer erfassen will. Warum will man es also? Sollte man meine eingangs geäußerte Vermutung entrüstet zurückweisen - und einige Kollegen der CDU haben es ja getan -, dann sehe ich keinen Grund, an dem Entschluß festzuhalten. Meine Damen und Herren von der CDU - gerade von der CDU -, Sie haben im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnung dann und wann schlechte Pläne der Regierung wenigstens hier und da einmal revidiert oder zu revidieren versucht. Stimmen Sie heute für unseren Antrag! Demonstrieren Sie heute, daß Sie endlich bereit sind, von einem Irrtum abzugehen! Sie werden es in Zukunft im Interesse unseres Volkes noch oft tun müssen. Je früher Sie beginnen, um so früher wird man bereit sein, Sie - um ein altes Zitat abzuwandeln - als Weise zu preisen. ({7})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für mich nicht unbedingt eine Freude, feststellen zu müssen, daß der Vorredner, der Abgeordnete Wienand, in den wesentlichen Punkten seiner Ausführungen an der Sache vorbeigeredet hat, jedenfalls die eigentlich gestellten Probleme nicht erfaßt hat. Das ist nicht neu. Ich möchte auch nicht die Frage hier aufreißen, wer über den größeren Charme verfügt. ({0}) Er kann ruhig der Meinung sein, daß ich über eine Mischung von preußischem Charme und österreichischer Disziplin verfüge, ({1}) womit dann die geographisch-politischen Koordinaten mit dem geometrischen Ort gezogen wären. Aber ich möchte genauso wie er in später Stunde vor einem nicht ausreichend besetzten Hause - ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Dr. Menzel, Qualität ist bei jedem Mitglied dieses Hohen Hauses gegeben.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

- - keine Wertdebatte über eine Wehrdebatte führen. Aber erlauben Sie mir einige wenige Bemerkungen! Die erste Bemerkung ist, daß ich mich jeder Bemerkung enthalten möchte, wem die Entwicklung in der Vergangenheit bis zur jüngsten Stunde Recht gegeben hat. ({0}) Ich möchte auch die Frage, ob ein Teil eines Jahrganges, der über Kriegserfahrungen und damit über militärische Erfahrungen verfügt, im Rahmen der Landesverteidigung für eine kurzfristige Ausbildung wieder herangezogen werden soll, nicht mit dem großen dramatischen Rahmen der erstarrten Fronten des Kalten Krieges und dem nach Ihrer Meinung ja periodisch aufbrechenden Tauwetter in einen Zusammenhang bringen. Ich möchte überhaupt sagen, daß hier keine großen politischen Gesichtspunkte vorlagen. Ich möchte auch deutlich zum Ausdruck bringen, daß mich Zustimmung oder Ablehnung von Ausschüssen meiner eigenen Partei oder Schwesterpartei oder von Ausschüssen von Landesverbänden dieser Partei in der Frage, was ich von der Sache her für die Landesverteidigung für notwendig halte, nicht im mindesten beeinflußt ({1}) und in dem 'Fall auch nicht beeinflussen darf; denn es geht hier nicht um die Zustimmung aus der eigenen Partei heraus. Ich könnte jetzt etwas aus der Geschichte der SPD sagen. Auch Herrn Noske ging es nicht um die Zustimmung seiner Partei. Es war sehr schade, daß er gestürzt worden ist. ({2}) - Nein, die historischen Situationen wiederholen sich nie mit mathematischer Exaktheit. Wer aber etwas Gefühl für die Wiederkehr bestimmter Fragestellungen in bestimmten Zuständen eines Staates hat, der wird nicht so leichtfertig urteilen - ohne daß ich mir ein Werturteil erlauben möchte, Herr Kollege Baur -, wie es vielleicht doch manchmal der Fall ist. ({3}) Ich möchte auch nicht die Frage „Bundeswehr und Opposition", über die wir uns schon oft unterhalten haben und sicherlich auch in diesem Hause weiter unterhalten werden, an Hand dieses Antrags nochmals zur Debatte stellen, wäre allerdings dankbar, Herr Kollege Wienand, wenn Sie und Ihre Freunde die Meinung von Ausschüssen und Landesverbänden der CDU hier mit derselben Verbindlichkeit auch bei anderen Anlässen akzeptieren würden, wie es ausgerechnet bei diesem Anlaß der Fall ist. ({4}) Das würde die Debatte über viele politische Probleme wesentlich erleichtern. Aber lassen Sie mich im zweiten und letzten Teil meiner Ausführungen etwas zur Sache sagen. Der Aufbau einer Landesverteidigung in den uns gesteckten Grenzen und im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten erfordert es einmal, daß wir die der NATO unterstellten Verbände aufbauen, die dauernd eine bestimmte Stärke und einen bestimmten Einsatzstand haben müssen. Diese Verbände werden fast ausschließlich aus den jungen Wehrpflichtigen aufgebaut. Aber gerade Ihre Freunde, auch manche, die hier anwesend sind, haben mit Recht kritisiert - in ,einer der letzten Ausschußsitzungen bildete das den Hauptgegenstand der Auseinandersetzung -, daß die von der Bundeswehraufgestellten mobilen NATO-Verbände, wenn ich mich so ausdrücken darf, doch nur über einen sehr beschränkten Grad an Einsatzfähigkeit verfügen, weil die nötige Basis, die Territorialorganisation, die für die Bewegungsfreiheit, Nachrichtenverbindung und Versorgung mit materiellen Gütern unerläßlich ist, nicht geschaffen worden ist. Ich glaube auch, daß Sie sich infolge Ihrer grundsätzlichen Antipathie mit dem Wehrpflichtgesetz doch nicht genügend befaßt haben, denn sonst müßten sie feststellen, daß die Verwendung von Wehrpflichtigen in der Territorialorganisation, auch die Verwendung von Kriegsgedienten, genau der Rechtslage entspricht. Dieser Fall ist im Wehrpflichtgesetz in vollem Umfang gedeckt. Dafür bedarf es nicht der geringsten gesetzlichen Ergänzungen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wienand?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Bitte sehr.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Wienand!

Karl Wienand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002507, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister Strauß, ich glaube, wir haben uns mißverstanden. Ich möchte das jetzt durch eine Zwischenfrage erledigen; dann brauche ich nachher nicht mehr zum Rednerpult. Als ich vorhin von der gesetzlichen Grundlage sprach, habe ich darüber nachgedacht, wo die Gesetze sind, nach denen die von Ihnen angesprochene Territorialverteidigung nunmehr aufgebaut werden soll, für die Sie jetzt schon Soldaten zu mustern und auf Grund des Wehrpflichtgesetzes einzuziehen beabsichtigen.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Ich muß Ihnen, auch wenn ich nicht zu dem Orden der Juristen gehöre, eine kleine Rechtsbelehrung erteilen. Die Frage, ob Wehrpflichtige zur Territorialorganisation kommen dürfen, hat mit der Rechtsstellung der Territorialorganisation gar nichts zu tun. Die Territorialorganisation befindet sich bereits seit über einem Jahr im Aufbau. Dieser Aufbau der Bundesverteidigungsminister Strauß Territorialorganisation ist in sämtlichen Haushaltsplänen vorgesehen, wenn auch nur in einem bestimmten Umfang, der sich von Jahr zu Jahr erweitert. Die rechtliche Grundlage für die Einberufung angedienter und gedienter Wehrpflichtiger ist das bestehende, wenn auch von Ihnen seinerzeit abgelehnte Wehrpflichtgesetz. Darüber gibt es nicht den geringsten Zweifel. Ob diese Wehrpflichtigen bei Versorgungsdiensten, bei der Basisorganisation, bei der Depotorganisation, ob sie bei mobilen NATO-Verbänden oder bei der Territorialorganisation verwendet werden, ist keine Frage der Gesetzgebung, sondern eine Frage der jeweiligen militärischen Notwendigkeiten, die im übrigen ja weitgehend im Haushaltsplan eines jeden Jahres ihren Niederschlag gefunden haben. Daß man für bestimmte Verwendungen - zum Aufbau der Territorialverteidigung, zur Auffüllung ihrer Verbände, zur Schaffung der Basis- und der Depotorganisation, zur Ergänzung der Versorgungsorganisation, der Fernmeldetruppe und bis zu einem gewissen Grade auch der mobilen NATO-Verbände - Wehrpflichtige braucht, steht außer jedem Zweifel. Zum Teil handelt es sich hier um ungediente Wehrpflichtige - so in der Hauptsache bei den mobilen Verbänden -, zum Teil auch um gediente Wehrpflichtige. Ich nehme an, daß die Mitglieder Ihrer Fraktion, die sich als ehemalige Kriegsteilnehmer für eine Reserveübung zur Verfügung gestellt haben, gerade davon überzeugt waren, daß ihre eigenen Erfahrungen für den Aufbau der Bundeswehr von Nutzen sind. Daran haben wir uns gehalten, und daran werden wir uns auch weiter halten. Die Herren, die ich hier meine, haben es nicht nötig, von mir einen Dank in Empfang zu nehmen. Aber ich nehme an, daß es eine Selbstverständlichkeit ist. Es ist durchaus zweckmäßig - und das ist auch im Verteidigungsausschuß bei mehreren Gelegenheiten angeklungen oder sogar expressis verbis zum Ausdruck gebracht worden -, daß die Erfahrungen, die in der Vergangenheit zum Teil in sehr bitterer Weise gesammelt worden sind, verwertet werden. Andererseits möchte ich jetzt sagen, daß diese Angelegenheit auch nicht, wie es geschehen ist, durch bewußte Aufblähung und Aufbauschung gewisser für Propagandazwecke geeigneter Momente dramatisiert werden darf. Es ist nie davon gesprochen worden, daß der Jahrgang 1922 eingezogen werden soll. Hier ist ein ganz dramatisches Bild gemalt worden. Worum handelt es sich wirklich? Zunächst liegt keine offizielle Verlautbarung der Bundesregierung vor, die dann die folgenden Ankündigungen und angeblichen Protestaktionen ausgelöst hat. Vielmehr hat der Generalinspekteur der Bundeswehr auf die Frage eines Journalisten, ob man auf die Erfahrungen der Kriegsgedienten überhaupt verzichten wolle, erklärt, nein, das sei nicht der Fall, man wolle sie in beschränktem Umfang für bestimmte Zwecke ebenfalls verwenden, und er hat als Beispiel den Jahrgang 1922 genannt. Der Jahrgang 1922 hat heute noch so viele lebende Angehörige, wie Sie gesagt haben. Die Zahl der Kriegsbeschädigten läßt sich nicht feststellen. Karteiunterlagen stehen im einzelnen nicht mehr zur Verfügung. Eines aber ist die Pflicht jedes Verteidigungsministers - das ist in sämtlichen Ländern der Erde, die eine Verteidigungsorganisation haben, der Fall -: dafür zu sorgen, daß die für den Wehrdienst in Betracht kommende Bevölkerung registriert wird oder daß man zumindest statistische Unterlagen darüber sammelt, in welchem Umfang Wehrpflichtige für den Dienst innerhalb der Landesverteidigung im weitesten Sinne des Wortes überhaupt noch verwendbar sind. Sie haben des öfteren im Plenum des Bundestages, in den Ausschüssen und in der Öffentlichkeit in heftiger Weise Klage darüber geführt, daß auf dem Gebiet der Zivilverteidigung zuwenig geschehe oder noch nicht genug geschehen sei. Ich bin nicht zuständig für die Zivilverteidigung. Ich werde jedoch in absehbarer Zeit dem Bundeskabinett einen Gesetzentwurf vorlegen, der, wie ich annehme, von dort über den Bundesrat dem Bundestag zugeleitet wird; in ihm wird die Ausbildung und der Dienst in der Zivilverteidigung dem Wehrdienst in der Weise gleichgestellt, daß derjenige, der eine Ausbildung in der Zivilverteidigung erfahren hat und für die Zivilverteidigung zur Verfügung steht, von der Wehrpflicht freigestellt wird. Es ist vielleicht nicht zweckmäßig, hier gerade die ganz jungen Jahrgänge zu verwenden, aber Teile der „weißen" Jahrgänge und vor allen Dingen Teile der kriegsgedienten Jahrgänge kommen hier in Frage. Wie sollen wir aber überhaupt eine vernünftige Planung hinsichtlich der personellen Reserven für die Landesverteidigung durchführen, wie sollen wir beurteilen können, was für militärische Zwecke, für Zwecke der Zivilverteidigung für nichtmilitärische Zwecke, was für die Zwecke der Aufrechterhaltung der Wirtschaft und bestimmter anderer lebenswichtiger Dinge notwendig ist, wenn es uns schon von vornherein unmöglich gemacht wird, auch nur die Erfassung eines in Frage kommenden Jahrganges durchzuführen, um einen Überblick zu gewinnen? Was haben wir in Wirklichkeit vor? Wir haben vor, diesen Jahrgang einmal zu erfassen, damit wir nicht nur erfahren, wie viele von ihm noch leben, sondern auch, wie viele von vornherein ausscheiden, weil sie beschädigt sind, weil sie Spätheimkehrer sind oder weil sie in der Wirtschaft oder anderswo unentbehrlich sind und wie der Zustand der anderen ist. Von diesen sagen wir einmal, es sind jetzt 320 000 - kommen weniger als 10 %, ich habe guten Grund zu sagen, weniger als 5 %, für eine militärische Verwendung in Betracht. In welcher Weise kommen sie in Betracht? Auch hier ist eine unnötige Dramatisierung aus politischen Effekten gemacht worden. In Betracht kommen ohnehin nur Unteroffiziere und Offiziere, und von diesen wiederum Leute mit einer bestimmten besonderen, im allgemeinen technischen Berufsausbildung für bestimmte Funktionen, die nun einmal im Krisenfalle besetzt werden müßten. Bundesverteidigungsminister Strauß Der englische Militärkritiker Liddel Hart hat mit Recht nach den letzten Herbstmanövern von der Bundeswehr gesagt - ich zitiere jetzt ungefähr wörtlich ziemlich richtig, sinngemäß genau -, die Bundeswehr sei ein Tier, das scharfe Zähne und keinen Schwanz habe. Er meinte damit ein „Tier", das zwar eine scharfe Kampforganisation habe, hinter dem aber dann keine Versorgungsbasis stecke, wie das eigentlich heute nun einmal unentbehrlich ist, genauso wie das, was optisch als Kampftruppe in Erscheinung tritt, in Wirklichkeit nur die Endstufe einer großen Organisation ist, eine Endstufe, die dann im allgemeinen als Bundeswehr aufgefaßt wird, während diese Endstufe gar nicht möglich ist, wenn nicht diese Organisation dahintersteht. Das ist Ihnen ja genauso gut bekannt wie mir. Für eine militärische Verwendung kommen also, möchte ich sagen, nur rund 5 % der von mir genannten rund 320 000 Angehörigen des Jahrganges 1922 in Betracht. Diese müssen einmal Dienstgrade, also Unteroffiziere oder Offiziere, sein, und zum anderen bestimmten Berufsgruppen angehören. Nur diese sollen eine Wehrübung machen, wobei dem Prinzip der Freiwilligkeit der Vorzug gegeben wird. Es ist bereits eine Reihe von Meldungen Freiwilliger eingetroffen, die selbstverständlich vorweg berücksichtigt werden. Die Wehrübungen sollen nach der Novelle, wie ich vorher schon erwähnt habe, von einem Tag bis zu einem Monat dauern. Diese Leute sollen im allgemeinen an ihrem Heimatort oder in der ihrem Heimatort nächstgelegenen Garnison eine Ausbildung für eine bestimmte, im allgemeinen nicht innerhalb der NATO-Verbände gedachte Funktion eine kurzfristige Ausbildung erhalten, d. h. also von einem Wochenende bis zu maximal vier Wochen. Aber man hat hier eine sehr dramatisierende Form gewählt, als ob der Jahrgang eingezogen werde und womöglich noch in ferne Wüsten verschickt würde, um jahrelang nicht mehr zurückzukehren. Das ist eben leider immer wieder - ich muß das hier sagen - die aus Agitationsgründen in gewissen Kreisen der Öffentlichkeit geschehene Übertreibung von Maßnahmen, die heute in jedem Lande der Welt getroffen werden. Ich bin jüngst von maßgebenden Vertretern unserer alliierten Freunde gefragt worden, was wir auf diesem Gebiet tun, nachdem in ihren Ländern längst die dafür nötige Organisation geschaffen worden ist. Ich bin - ich darf wenigstens hier eine politische Bemerkung machen - darauf hingewiesen worden, daß man von ihnen heute Härte und Entschlossenheit im Falle Berlin verlangt, um zu vernünftigen Verhandlungsergebnissen zu kommen, und dann gefragt worden, was von uns getan worden ist, um überhaupt die Einsatzfähigkeit und Versorgung ihrer Verbände, also der Söhne ihres Landes, zu sichern. Soll ich da sagen: Was bei Ihnen in Ihrem Lande geschieht, das ist uns sehr willkommen! Aber w i r wollen selbstverständlich nicht an ein so heißes Eisen herangehen. Der Wehrausschuß der CDUNordwürttemberg-Baden hat dagegen protestiert. Deshalb nimmt der Verteidigungsminister davon Abstand. Das wäre keine Verantwortung im Amt und das wäre auch keine sachliche Betrachtung dieser Angelegenheit. ({0}) Wir haben jetzt die Absicht, diesen Jahrgang, soweit es möglich ist, papiermäßig zu erfassen; soweit es notwendig ist, zudem persönlich zu erfassen, diesen beschränkten Personenkreis auf seine Verwendbarkeit zu prüfen. Genaue Zahlen kann ich hier aus verständlichen Gründen nicht angeben. Die allgemeinen Gesichtspunkte habe ich genannt. Es ist nicht daran gedacht es war auch nie daran gedacht -, diesen ganzen Jahrgang zu mustern, weil das ein viel zu großer Aufwand wäre angesichts dessen, was beabsichtigt ist, sondern wir wollen jetzt - und dazu wird die Wehrpflichtnovelle noch helfen - gezielt erfassen und aus der gezielten Erfassung soviel Leute gewinnen quer durch die weißen Jahrgänge und durch einige kriegsgediente Jahrgänge hindurch, die notwendig sind. Damit erhält dann die Bundeswehr die gesamte organisatorische Grundlage, die sie braucht, um eine normal verwendbare Streitmacht zu sein. Wenn Sie sagen, der Mobilmachungsfall komme nicht mehr in Betracht, dann gilt das selbstverständlich für die NATO-Verbände: daß hier die Mobilmachung unter Umständen überhaupt nicht möglich wäre. Ich glaube allerdings nicht, daß ein solcher Fall heute denkbar wäre. Ich glaube nicht, daß es überraschenderweise zu solchen Konflikten kommt. Aber hier steht Meinung gegen Meinung. Darum hat sich die NATO-Alarmregelung auf alle Eventualitäten eingerichtet. Auf die Heranziehung von Reservisten in einem Krisenfall oder im Fall eines angeordneten Bereitschaftsdienstes kann ein Land in unserer geographischen und politischen Position einfach nicht verzichten, wenn nicht seine Anstrengungen für die Landesverteidigung eine Farce sein sollen. ({1}) Schließlich habe ich eine Erklärung zu einem Punkt gegeben, den Sie hier in Übereinstimmung mit dem Wehrausschuß der CDU Nord-Württemberg-Baden gebracht haben, nämlich zu dem unpsychologischen Verhalten. Ich halte es nun einmal nicht für richtig - erlauben Sie mir hier eine eigene Meinung, die ich mit möglichst viel Charme vorzutragen mich bemühe -, daß einzelne Maßnahmen der Exekutive auf dem Gebiet der Landesverteidigung, innerhalb einwandfreier gesetzlicher Grenzen geplant und vollzogen, im übrigen in sehr bescheidenen Grenzen beabsichtigt, zum Gegenstand parlamentarischer Einzelanträge oder Einzeldebatten werden sollen. ({2}) Das ist eine Verwischung der Grenzen zwischen der Legislative, die uns die Rechtsgrundlagen geschaffen hat, auf denen wir arbeiten und an die wir uns peinlich genau halten, und der Exekutive, die die Verantwortung dafür hat, daß aus diesen Rechtsgrundlagen und aus dem vom Steuerzahler zur Verfügung gestellten Geld gemeinsam mit unseren Bundesgenossen ein möglichst wirksames System der Landesverteidigung entsteht, für einen Sinn, in dem Bundesverteidigungsminister Strauß P wir uns hoffentlich einig sind und der kriegsverhindernd wirken möge. ({3})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Schultz.

Fritz Rudolf Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie sagten eben, Sie hielten es nicht für richtig, wenn das Parlament über eine Einzelmaßnahme der Exekutive debattiere. Ich kann diese Auffassung nicht ganz teilen. ({0}) - Sicher ist das nicht tragisch, das ist ganz klar; wir haben heute schon gehört, daß der Verstand nur bei der großen Masse ist und daß die kleinen Fraktionen nicht viel zu sagen haben. - Ich kann die Auffassung deswegen nicht teilen, weil sich die Einzelmaßnahme, die Sie angeordnet haben, irgendwie in die gesamte Konzeption einfügen muß. Sie haben selbst gesagt, von vielen Seiten - und da habe ich mich direkt angesprochen gefühlt -werde bemängelt, daß wir nur an die NATO dächten, an nichts anderes als an die NATO, und daß darüber territoriale und zivile Verteidigung zu kurz kämen. In diesem Blickwinkel ist die Musterung dieses Jahrgangs selbstverständlich möglich. Die Musterung aller Jahrgänge ist möglich, weil das Gesetz, wie Sie richtig sagen, dafür da ist. Aber ich muß betonen, daß das Fehlen einer Verteidigungskonzeption festgestellt werden muß. Ich habe bisher nicht den Eindruck gewonnen, auch nicht im Ausschuß für Verteidigung, daß die Landesverteidigung der deutschen Bundesrepublik, von den mobilen Verbänden der NATO bis zur territorialen Landesverteidigung und dem zivilen Sektor der Verteidigung, ein geschlossenes Ganzes bildet. Ich muß bemängeln, daß man es, obwohl der Aufbau der Bundeswehr und damit natürlich auch der Aufbau der Landesverteidigung schon eine ganze Reihe von Jahren läuft, noch nicht verstanden hat, innerhalb der einzelnen Ministerien eine gemeinsame Auffassung zu entwickeln. Ich glaube, wir fahren mit der Stange im Nebel herum. Es wäre schön, wenn diese Aussprache heute abend dazu führen würde, daß man sich einmal zusammensetzt, die Dinge nach ihrem Für und Wider erwägt und überlegt, wie man sie am besten ordnen sollte. Ich glaube sagen zu dürfen, daß jeder bereit ist, das Land zu verteidigen. Über den Grundsatz gibt es wohl keine Debatte. Über den Weg verschiedener Meinung zu sein und auch darüber zu sprechen, ist das Recht eines Parlaments. ({1}) Herr Minister, wir haben es nicht für sehr glücklich gehalten, wie diese Anordnung herausgekommen ist. Sie hat natürlich in ihrer brüsken Verlautbarung oder mit ihrem abrupten Erscheinen in der Presse bei vielen Bedenken erweckt, die sich dann natürlich auch in politischen und, wie Sie richtig sagen, in dramatisierenden Zeitungserzeugnissen niedergeschlagen haben. Das hätte man vermeiden können, wenn man in dem für die Landesverteidigung zuständigen Ausschuß, nämlich dem Verteidigungsausschuß, vorher einmal über diese Dinge gesprochen hätte. Das scheint mir notwendig zu sein, und ich möchte bei dieser Gelegenheit darum bitten, daß es in Zukunft geschieht. Soweit ich gehört habe, hat Herr Kollege Wienand beantragt, den Antrag anzunehmen. Ich habe das Gefühl, daß die Mehrheit des Hauses den Antrag nicht annehmen wird. Auch wir werden diesem Antrag nicht zustimmen können, weil eben die -gesetzlichen Grundlagen für die Musterung des Jahrganges vorhanden sind. Ich möchte aber bitten, den Antrag, sofern das geschäftsordnungsmäßig möglich ist, dem Verteidigungsausschuß zu überweisen, damit wir uns dort in aller Breite über die Frage der Landesverteidigung und der Musterung unterhalten können. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf nur einen Irrtum richtigstellen. Herr Kollege Schultz, es ist keine Anordnung herausgegangen. Es besteht auch nicht die Absicht, diesen Jahrgang geschlossen zu mustern, wie ich eben schon sagte. Es besteht die Absicht, ihn zu erfassen, um die notwendigen Unterlagen zu gewinnen. Es kommt nur eine gezielte Musterung in Betracht, nicht die Musterung des ganzen Jahrgangs, eine Musterung etwa in dem Umfang, wie ich ihn vorhin umrissen habe. Da es sich nicht um eine Anordnung handelt, sondern all die Veröffentlichungen nach meiner Kenntnis der Akten auf einer mündlichen Auskunft des Generalinspekteurs beruhten, bestand weder Veranlassung noch Möglichkeit, diese Dinge im einzelnen durchzusprechen. Die Anordnung zur Erfassung sollte mit der Vorlage der Wehrpflichtnovelle ergehen, über die dann auch im einzelnen zu sprechen sein wird. Ich möchte deshalb die Anregung aufgreifen - ich kenne die Geschäftsordnung nicht genau genug, um beurteilen zu können, ob das möglich ist -, den Antrag dem Ausschuß für Verteidigung zu überweisen. Denn ich glaube kaum, daß der Antrag insgesamt annehmbar ist. Aber ich weiß ebenso, daß der Vorschlag, auf die Musterung des Jahrgangs zu verzichten, insofern offene Türen einrennt, als nur an einen ganz kleinen Ausschnitt gedacht ist. Es ist an die Gewinnung einigermaßen umfassender statistischer Unterlagen gedacht, die dann vergleichsweise auch für die anderen Jahrgänge gleicher Art herangezogen werden können. Diese Prozedur würde eine Diskussion auch mit Angaben genauer Zahlen im Verteidigungsausschuß ermöglichen. Das Ministerium ist jederzeit zu dieser Diskussion bereit. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ganz wenige Sätze! Hinsichtlich der ersten Rede des Herrn BundesSchmidt ({0}) verteidigungsministers fühle ich mich veranlaßt - nachdem er sich um Charme bemüht hat, was mir sicherlich sehr viel schlechter gelingt ({1}) Ich fühle mich veranlaßt - das wollte ich Ihnen sagen -, dankbar anzuerkennen, daß er jedenfalls bei dieser Rede ausnahmsweise die Möglichkeit benutzt hat. auch das Tun gewisser Sozialdemokraten öffentlich zu loben. Dann eine Bemerkung zu der Sache, die zugrunde liegt. Ich will die Debatte darüber nicht verlängern. Ich persönlich halte die Erfassung eines vollständigen Jahrganges für ein unglückliches Mittel auch zur Verfolgung des vom Bundesverteidigungsminister angegebenen sachlichen Zweckes. Weswegen ich aufs Pult heraufgegangen bin, war nur die kleine Kontroverse, die sich an ein Mißverständnis in bezug auf die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Territorialverteidigung anschloß. Der Minister hat ausgeführt, daß die Rechtsbasis für die Aufstellung der Territorialverteidigungsverbände einerseits im Wehrpflichtgesetz, andererseits im Haushaltsgesetz liege. Das ist unbestreitbar richtig, und darum geht es hier natürlich nicht. Ich war nicht im Saal, als mein Freund Wienand sprach, aber es gibt eine offene Rechtsfrage - und die hat er sicherlich ansprechen wollen - insofern, als ja bereits eine große Zahl von Stäben für die Territorialverteidigung im Lande in Amt und Würden, also in Funktion sind. Diesen Stäben sind militärische Aufgaben gestellt, und die militärische Aufgabenstellung, die diesen Stäben gegeben wurde, greift allerdings ohne gesetzliche Grundlage in die legitimen Befugnisse der zivilen Exekutive ein. Es hat an manchen Stellen schon erheblich e Divergenzen und Auseinandersetzungen - meist ist das freundschaftlich einstweilen überbrückt worden - zwischen den Kommandeuren dieser örtlichen TV-Stäbe, den zuständigen Polizeipräsidenten, den Oberstadtdirektoren gegeben; wie das so ist, das wissen Sie wohl auch. Ich meine, daß Sie wahrscheinlich deutlicher empfinden, als es uns zum Bewußtsein gekommen ist, daß hier eine rechtliche Lücke ist. Sie tritt natürlich insbesondere dann deutlicher ins Bewußtsein, wenn die Erfassung eines ganzen Jahrgangs von Familienvätern - das sind ja die Angehörigen des Jahrgangs 1922 mehr oder minder alle - in der Öffentlichkeit bisher im wesentlichen mit dem Aufbau der Territorialverteidigung begründet wurde, der ja nun tatsächlich wesentliche gesetzliche Grundlagen noch fehlen, und zwar in bezug auf das, was sie tun soll, in bezug auf ihr Eingreifen und die Beschneidung der Rechte der zivilen Exekutive. Darauf wollte ich hier hingewiesen haben, damit das Mißverständnis aus der Welt kommt. Ich will keine große Polemik damit verbinden. Ich weiß, daß sehr schwierige Verfassungsfragen an diesem Problem hängen. Ich meine aber andererseits auch, daß dieser Antrag Anlaß sein sollte, im Sinne der Ausführungen des Herrn Kollegen Schultz die Probleme der Territorialverteidigung auch unter diesen juristischen Gesichtspunkten im Verteidigungsausschuß in Bälde sorgfältig zu erörtern. Ich darf deswegen für meine Freunde sagen, daß wir dem Vorschlag des Herrn Kollegen Schultz, diesen Antrag an den Ausschuß zu überweisen - der Herr Minister hat ja auch schon zugestimmt -, auch unsererseits zustimmen. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage Ihnen vor, den Antrag dem Ausschuß für Verteidigung zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 18, den Sie eingangs auf die Tagesordnung gesetzt hatten, auf: Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses ({0}) über den Entwurf einer Fünften Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1959 ({1}) ({2}). Der Abgeordnete Sander hat einen Schriftlichen Bericht erstellt, wofür ich ihm danke. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Ausschußantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Damit stehen wir zur vorgesehenen Zeit am Ende der heutigen Tagesordnung. Der Zeitpunkt der nächsten Plenarsitzung wird noch bekanntgegeben. Die Sitzung ist geschlossen.