Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einigen Mitgliedern des Hauses die Glückwünsche des Hauses zu ihrem Geburtstag auszusprechen: zunächst dem Abgeordneten Diel ({0}), der am 8. Dezember 71 Jahre alt geworden ist,
({1})
dann dem Abgeordneten Nieberg, der am 11. Dezember 70 Jahre alt geworden ist,
({2})
und der Abgeordneten Frau Nadig, die am 11. Dezember ihren Geburtstag gefeiert hat.
({3})
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 29. November 1957 beschlossen, dem Gesetz über Bodenbenutzungserhebung und Ernteberichterstattung und dem Gesetz über die Finanzstatistik nicht zuzustimmen. Die Begründung seiner Ablehnung ist mit Drucksache 32 und 33 verteilt.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 7. Dezember 1957 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Verhalten des Bundespresse- und Informationsamtes ({4}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 66 verteilt.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Eder.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Auftrage der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion beantrage ich, die Drucksache 54 'betreffend die Haltung der Bundesregierung gegenüber der Politik der NATO heute auf die Tagesordnung zu setzen und auch am heutigen Tage hier zu behandeln.
Das Volk hat ein Recht auf Klarheit darüber, welche Position die Bundesregierung auf der Konferenz der Atlantikpaktstaaten am 16. Dezember in Paris in den entscheidenden Fragen einzunehmen gedenkt. Diese Klarheit besteht bisher nicht, obwohl es sich dabei um Fragen handelt, bei denen es buchstäblich um das nackte Leben eines jeden einzelnen Angehörigen unseres Volkes gehen kann.
({0})
Das Volk muß wissen, und vor allen Dingen müssen wir wissen, meine Damen und Herren: Was trifft eigentlich von den bisherigen Ankündigungen zu? Ist es so, wie die Bundesregierung auch gestern wieder erklären ließ, daß die Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen und die Anlage von Raketenbasen für Fernwaffen und Mittelstreckenwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland noch gar nicht aktuell sind, eventuell einmal in zwei Jahren aktuell werden, oder trifft das zu, was der amerikanische Verteidigungsminister sowohl in Paris als auch in Berlin angekündigt hat, daß nämlich gerade diese beiden Fragen ein Hauptpunkt auf der Tagesordnung der Pariser NATO-Konferenz sein würden, vor allen Dingen die Frage der Anlage von Abschußbasen für Mittelstreckenraketen auf dem europäischen Kontinent und insbesondere auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland?
Wir würden es für außerordentlich gefährlich halten, wenn die öffentliche Meinung über die wirkliche Bedeutung der hier anstehenden Fragen hinweggetäuscht werden sollte.
({1})
Es darf nicht geschehen, daß man sich dahinter verschanzt, in Paris sollten noch gar keine Beschlüsse gefaßt werden, während in Wahrheit in Paris schon Grundsatzbeschlüsse zu erwarten sein könnten, denen dann später nur noch die praktische Durchführung folgen würde.
({2})
Damit wäre in Wirklichkeit die politische Entscheidung, auf die es ja wohl ankäme, schon gefallen.
Meine Damen und Herren, wir haben die große Sorge, daß wir durch eine solche Politik der Hinnahme derartiger Entschlüsse in eine Verschärfung des atomaren Wettrüstens in der Welt gewissermaßen hineinschlittern könnten, und zwar durch unser eigenes Zutun. Wir sollten uns nicht in Übereilung zu falschen Entschlüssen, zu falschen Reaktionen hinreißen lassen. Wohin solche falschen, übereilten Entschlüsse führen können, das hat das mißglückte amerikanische Experiment als übereilte Antwort auf einen technischen Erfolg der Sowjetunion bewiesen.
({3})
Hüten wir uns davor, daß wir in ähnlicher Weise der Hysterie erliegen und auf der NATO-Konferenz voreilige Entschlüsse treffen!
({4})
Hüten wir uns davor, daß weitere Mächte in das Atomwettrüsten hineingezogen werden, weil damit jede Aussicht auf eine Beendigung dieses Atomwettrüstens durch ein internationales Abkommen zerstört wird. Zu diesen weiteren Mächten zählen auch wir. Denken wir daran, welches Beispiel die Regierungen Dänemarks und Norwegens in dieser Frage gegeben haben.
(Sehr gut! bei der SPD
Wozu die Hysterie? Was hat es denn mit jenem angeblichen Vorsprung auf sich, um den heute der eine und morgen der andere ringt, ein zentimeterweiter Vorsprung in einem Wettlauf, der in Wirklichkeit schon viele Kilometer stattgefunden hat? Auf den Kopf der Weltbevölkerung entfallen an atomarer Sprengwirkung heute schon rund 1 t Trinitrotoluol. Das reicht dazu aus, die Menschheit ein paarmal umzubringen und nicht nur einmal.
({5})
Da ist es gar nicht mehr so wichtig, wieviel auf der einen oder anderen Seite an zerstörerischer Kapazität noch hinzugefügt wird.
Meine Damen und Herren, das ist die Realität. Da soll man nicht jeden Versuch, aus dieser schrecklichen Lage einen Ausweg zu finden, einfach als unrealistisch vom Tische wischen.
({6})
In dieser Lage ist keine Sicherheit mehr zu schaffen durch verstärktes Wettrüsten. Jetzt muß die Politik sich zum Worte melden.
({7})
Jetzt kommt es darauf an, die Abrüstungsbemühungen ernsthaft zu fördern. Jetzt kommt es darauf an, einer Politik der Entspannung zu dienen. Dazu liegen Vorschläge vor wie wir sie auch in unserem Antrage zu Papier gebracht haben. Es kommt darauf an, den Versuchsexplosionen ein Ende zu setzen. Jetzt kommt es ,darauf an, die Bundesrepublik mit ihren Nachbarn aus dem Atomwettrüsten herauszuhalten und damit einen ersten Schritt zur Überwindung dieses furchtbaren Wettlaufs zu tun. Darüber ist eine weltweite Diskussion entbrannt, eine Diskussion nicht nur unter Privatleuten; auch Regierungen haben sich in diese Diskussion jetzt eingeschaltet, so daß ich glaube, daß all das, was hier steht, eine sorgfältige Prüfung verdient hat.
Wir dürfen die Bundesregierung nicht nach Paris gehen lassen, ohne den Versuch zu unternehmen, einer verhängnisvollen Entwicklung zu widerstehen. Deshalb müssen wir vor der Konferenz über diese Fragen hier miteinander reden. Die Probleme, um die es geht, sind nicht mehr mit militärischen Mitteln allein zu lösen. Wir müssen den Mut haben, das einzugestehen und den Weg zu politischen Entschlüssen frei zu machen. Sicher, solange Deutschland gespalten ist, wird es keinen dauerhaften Frieden in Europa geben. Aber solange das Wettrüsten weitergeht, besteht auch keine Aussicht auf die Wiedervereinigung unseres Landes. Deshalb müssen wir auch zu der Pariser Konferenz einen Beitrag leisten, damit wir die Initiative zurückgewinnen, um Schritt für Schritt zu arbeiten an den im Zusammenhang stehenden Fragen der Abrüstung, der europäischen Sicherheit und der Wiedervereinigung unseres Landes.
({8})
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDP unterstützt der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion und würde es begrüßen, wenn dieses Haus noch vor der NATO-Tagung Gelegenheit zu einer außenpolitischen Aussprache hätte. Derselbe Grund hat uns auch veranlaßt, unsere Große Anfrage auf Drucksache 82 einzubringen, die aber aus Zeitgründen vor dieser Konferenz nicht mehr behandelt werden kann.
Wir Freien Demokraten haben zwar volles Verständnis dafür, daß die Bundesregierung in ihrer Außenpolitik und auch auf dieser Konferenz frei sein will. Aber es dreht sich eben nicht nur um die Freiheit wovon - in diesem Falle vom Parlament -, sondern auch um die Freiheit wozu. Und da haben wir uns bis jetzt sehr wenig Vorstellungen machen können, wozu die Bundesregierung auf dieser Konferenz frei sein will. Insbesondere hat auch die Unterrichtung der beiden Bundestagsausschüsse für Auswärtiges und für Verteidigung hierüber gar nichts Klares ergeben.
({0})
Diese Konferenz ist ja nicht irgendeine, sondern eine wirklich ganz bedeutsame, und das schon gebrauchte Wort „Weichenstellung" ist vielleicht nicht übertrieben. Wir glauben, es wäre gar keine schlechte Übung, wenn man dazu käme, in diesem Hause vor so wichtigen außenpolitischen Entscheidungen immer vorher zu sprechen.
Zu den auf der Konferenz anstehenden Problemen brauche ich nicht mehr viel zu sagen; das hat der Herr Kollege Erler bereits behandelt. Zur Atomfrage nur soviel: Wir teilen nicht die Raketenhysterie und sind nicht der Ansicht, daß, weil die Sowjetunion interplanetarische Flugkörper in den Weltraum senden konnte und die USA im Augenblick das noch nicht konnten, das auf die Dauer eine militärische und technische Unterlegenheit des Westens bedeuten würde. Aber gerade deshalb warnen wir davon, aus dieser Hysterie nun militärische Folgerungen zu ziehen, die etwa zur Stationierung von Atomwaffen im Bundesgebiet führen würden. Das wäre das Gefährlichste, was uns passieren könnte, sowohl in militärischer als auch in politischer Beziehung. Aber leider haben wir gerade zu dieser Frage von der Bundesregierung bis jetzt nur ausweichende Antworten gehört.
({1})
Zum anderen steht auf dieser NATO-Konferenz das Problem an, wie die NATO überhaupt weiter arbeiten und funktionieren soll, und es sind hier bereits Vorstellungen vertreten worden, als ob die NATO zu einem politisch-ideologischen Block, also
Or. Bucher
über das Militärische hinaus, ausgebaut werden soll - Vorstellungen, vor denen wir ebenfalls dringend warnen. Die FDP hat die NATO als ein Verteidigungsbündnis freier Nationen bejaht; sie hat sie aber nie als den Versuch zu einer derartigen Blockbildung bejaht.
Gegenüber diesen großen Fragen ist verhältnismäßig von geringer Bedeutung z. B. die Frage der Stationierungskosten. Aber gerade an diesen kleineren Problemen zeigt es sich, wie wichtig es wäre, daß die Bundesregierung sich hier der Haltung ihres Parlaments vergewisserte, daß sie in die Verhandlungen gehen könnte mit einer bereits zum Ausdruck gekommenen Meinung dieses Parlaments, auf die sie verweisen könnte, selbst wenn es nur die Meinung der Opposition wäre. Das Beispiel der Saarverhandlungen sollte uns eigentlich deutlich sagen, was hiermit gemeint ist. Damals hat der Herr Bundeskanzler bewußt darauf verzichtet, die Meinung seiner Opposition zu verwerten.
Überhaupt sind wir der Ansicht, daß die Behandlung dieses Antrages zur Tagesordnung heute auch von innenpolitischer Bedeutung ist. Sie zeigt nämlich schon zu Beginn dieses 3. Bundestages, wie der Bundestag seine Funktion auffaßt. Der Herr Bundeskanzler hat seine Regierungserklärung mit den Worten geschlossen, er bitte das Parlament, der Regierung bei ihrer Aufgabe zu helfen. Nun ist es zwar nicht allein die Aufgabe des Parlaments, Gehilfe der Regierung zu sein.
({2})
Aber wenn es hier die Regierung außenpolitisch unterstützen will, dann sollte sie jedenfalls davon Gebrauch machen.
Die Fraktion der CDU hat damals, als sie als erste Fraktion nach der Regierungserklärung sprechen wollte, das damit begründet, sie sei nicht identisch mit der Bundesregierung, sondern es bestehe hier ein echtes Spannungsverhältnis.
({3})
Bitte zeigen Sie auch heute dieses Spannungsverhältnis!
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der Deutschen Partei habe ich folgende Erklärung abzugeben.
Es hat in der Öffentlichkeit und in politischen Kreisen einiges Aufsehen erregt, daß die Fraktion der Deutschen Partei den Wunsch der Sozialdemokratischen Partei nach Abhaltung einer außenpolitischen Debatte vor der Pariser Konferenz unterstützt hat. Eingehende Erörterungen in der Fraktion haben keine Änderung dieses Standpunktes bewirkt. Die Auffassung der DP-Fraktion wird allerdings völlig falsch verstanden, wenn z. B. eine der Opposition nahestehende Tageszeitung eine große Schlagzeile brachte: „DP steht zu SPD-FDP gegen Adenauer-Partei". Hier werden die Absichten meiner Fraktion in das genaue Gegenteil verkehrt.
({0})
Die Deutsche Partei hat in diesem Hause immer wieder erklärt, daß das deutsche Volk in seiner schwierigen und gefährdeten Lage es sich am allerwenigsten leisten kann, die über seine Existenz entscheidenden Lebensfragen zum Gegenstand einer innenpolitischen Auseinandersetzung zu machen. Die Außenpolitik darf nicht zum Hauptgegenstand des Parteienkampfes in der Bundesrepublik werden.
({1})
Diese Auffassung kann aber nicht dazu führen, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien das Feld der außenpolitischen Auseinandersetzung in entscheidenden Augenblicken allein der Opposition überlassen. Damit begeben sich Regierung und Koalition der Möglichkeit, der Welt deutlich zu machen, von welch einer breiten Mehrheit in diesem allein frei gewählten Parlament des deutschen Volkes ihre Politik getragen wird.
Das klarzustellen, meine sehr geehrten Damen und Herren, scheint meiner Fraktion vor der Pariser Konferenz von besonderer Bedeutung zu sein. Es kann sich selbstverständlich vor einer internationalen Konferenz von großer Bedeutung nicht darum handeln, die Handlungsfähigkeit der Regierung durch detaillierte Aufträge des Parlaments im Vorwege festzulegen. Notwendig aber ist es, der Verwirrung entgegenzutreten, die die auf vielen Linien vorgetragene politische Offensive der Sowjets und zahlreiche Äußerungen maßgebender Politiker des In- und Auslandes hervorgerufen haben, und die Glaubwürdigkeit der Regierung zu unterstreichen, wenn sie mit den ihr zu Gebote stehenden Kräften versucht, das Verteidigungsbündnis der freien Welt zu stärken.
Nach unserer Auffassung haben Regierung und Koalition keinen Grund, eine solche Debatte zu scheuen, weil sie sich mit einer Opposition auseinanderzusetzen haben, die gerade in diesen Wochen ein Beispiel erschreckender Leichtfertigkeit bietet.
({2})
Die SPD, die es jahrelang als ihre Aufgabe betrachtet hat, ein direktes Gespräch zwischen Moskau und Washington als Schreckgespenst an die Wand zu malen, hält es nun plötzlich für notwendig, diese Gespräche über unsere Köpfe hinweg zu fordern.
({3})
Dieselbe Opposition, die bei zahlreichen Gelegenheiten sich mit aller Scharfe gegen tatsächliche oder angebliche Vorleistungen an Partner der Bundesrepublik im Westen gewandt hat, wird nicht müde,
Schneider ({4})
eine Politik der Vorleistungen gegenüber der Sowjetunion zu fordern.
({5})
Dieselbe Opposition, die immer wieder die leidvollen Erfahrungen des deutschen Volkes mit dem Nationalsozialismus in politische Lehren umzusetzen versucht, hat offenbar vergessen, daß die Schwäche und Uneinigkeit der Demokratien Ende der 30er Jahre Hitler geradezu herausgefordert haben, auf seinem Wege weiterzuschreiten,
({6})
der bekanntlich in Elend und Chaos geendet hat.
({7})
Dieselbe Opposition, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat jahrelang mit allen Mitteln einer raschen und zweckmäßigen Stärkung des deutschen Verteidigungsbeitrages entgegengewirkt. Dieselbe Opposition drängt heute die Vereinigten Staaten ({8})
Herr Abgeordneter, diese Ausführungen haben mit der Tagesordnung nichts zu tun.
({0})
- Meine Damen und Herren, von dem Abgeordneten Schneider wird ausschließlich polemisiert und nicht begründet, warum der Antrag auf die Tagesordnung gesetzt werden soll.
({1})
Ich werde Ihnen das Wort entziehen, wenn Sie so fortfahren.
({2})
- Herr Erler hat nicht gegen Sie polemisiert!
Ich polemisiere nicht!
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Erler hat begründet, warum er wünscht, daß ein Antrag auf die Tagesordnung gesetzt wird.
({0})
Der Abgeordnete Schneider ({1}) sagt kein Wort dazu, warum er wünscht, daß der Punkt auf die Tagesordnung gesetzt wird. Er begnügt sich damit, gegen die Opposition zu polemisieren. Das ist
bei einer Debatte zur Tagesordnung nach der Geschäftsordnung nicht zulässig.
({2})
Darf ich fortfahren, Herr Präsident?
Ja, aber nicht in diesem Sinne.
Ich habe eine vorbereitete Erklärung meiner Fraktion bekanntzugeben und spreche genauso zur Sache, wie es der Kollege Erler hier getan hat.
({0})
Dieselbe Opposition drängt heute die Vereinigten Staaten zu einem Gespräch mit der Sowjetunion, die bereits wenige Monate nach der Genfer Gipfelkonferenz im Sommer 1955 ihre Zusagen über den Zusammenhang zwischen Abrüstung und deutscher Wiedervereinigung durch freie Wahlen mit brutaler Geste vom Tisch gefegt hat, und dieselbe Opposition wird das neue Schreiben des sowjetischen Ministerpräsidenten Bulganin wiederum als einen Beweis für die Richtigkeit ihrer politischen Auffassung der deutschen Öffentlichkeit gegenüber hinstellen.
({1})
Deshalb hält es die DP-Fraktion für zweckmäßig, heute der von der Opposition geforderten außenpolitischen Debatte nicht auszuweichen. Eben weil wir uns dessen bewußt sind, daß von ernsthaften Verhandlungen zwischen West und Ost über Abrüstung und Entspannung der Friede der Welt und damit unser Schicksal abhängen, sind wir der Meinung, daß das deutsche Volk bereit sein muß, die einzig realen Voraussetzungen für dieses Gespräch mit Moskau mitschaffen zu helfen.
Das vor der Pariser Konferenz zu diesem Zeitpunkt und an dieser Stelle mit aller Eindeutigkeit zu erklären, war das Anliegen der Fraktion der Deutschen Partei, und deshalb wünscht sie die Debatte.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Furler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage der Fraktion der CDU/CSU darf ich zu dem Antrag der Sozialdemokratischen Partei Stellung nehmen, heute eine außenpolitische Debatte durchzuführen.
Es ist zunächst die Frage, welchen Sinn diese Debatte haben soll. Wenn sie den Zweck haben soll, das Parlament über die Haltung der Bundesregierung auf der Pariser NATO-Konferenz zu informieDr. Furler
ren, so scheint sie mir nicht nötig zu sein; denn diese Informierung erfolgte in der gemeinsamen Sitzung des Außenpolitischen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses.
({0})
- Lassen Sie mich bitte 'zu Ende begründen.
Die Opposition hat die Gelegenheit ausgenützt, eingehende Fragen zu stellen.
({1})
- Ich glaube, die Fragen sind von der Regierung auch alle beantwortet worden.
({2})
Also kann sich die Kritik nicht beziehen auf den Umfang der Antworten, sondern, Herr Erler, der tiefere Grund ist der, daß Sie mit dem Inhalt der Antworten nicht zufrieden waren.
({3})
- Es wurden die gestellten Fragen beantwortet, und Sie haben weitere Fragen nicht gestellt. Aber ich bringe das gar nicht in den Vordergrund meiner Argumentation. Was Ihnen nicht gefällt, was Sie als unbefriedigend empfinden, ist der sachliche Gehalt dieser Antworten.
({4})
Sie waren nicht damit einverstanden, daß gesagt wurde: Dieser oder jener Punkt liegt nicht in der Linie unserer Politik, oder: Dieser oder jener Punkt ist im Augenblick gar nicht Gegenstand der Konferenz der NATO-Staaten. Also stellen Sie sich vor, daß die Debatte geführt wird, um die Bundesregierung im Sinne Ihrer Auffassung zu einer bestimmten politischen Haltung zu bewegen. Aber, meine Herren von der Opposition, ich glaube, unter diesem Gesichtspunkte würde eine außenpolitische Debatte keine andere Situation schaffen; denn die neun Punkte, die Sie in Ihrem Antrag als die Grundlagen Ihrer außenpolitischen Auffassung formuliert haben, zeigen, wie weit wir leider noch davon entfernt sind, eine gemeinsame außenpolitische Konzeption zu haben. Denn das darf ich sagen: meine Freunde würden auf der Basis dieser von Ihnen formulierten Punkte niemals der Regierung empfehlen, eine entsprechende Haltung auf der NATO-Konferenz einzunehmen. Das ist doch der Hauptpunkt, weshalb wir uns streiten.
Eine außenpolitische Debatte am heutigen Tage, vier Tage vor Eröffnung der NATO-Konferenz scheint uns aber auch aus einem anderen Grunde unzweckmäßig zu sein. Wir halten es einfach nicht für richtig, die Bundesregierung unmittelbar vor einer solchen Konferenz in ihrer Verhandlungsposition festzulegen.
Aber ich will diese Argumente gar nicht einmal in die erste Linie stellen. Wichtiger scheint mir, daß nach den Informationen der Bundesregierung und den sehr deutlichen Erklärungen, die der amerikanische Außenminister - ich glaube, noch vorgestern
abgegeben hat, zu den Zentralpunkten, den beiden großen, entscheidenden Fragen, die Sie erwähnt haben, in Paris überhaupt keine Entscheidungen fallen. Infolgedessen werden Entschlüsse erst nach der NATO-Konferenz getroffen werden müssen; erst dann brauchen wir unsere Haltung festzulegen.
Ich meine, die gegenwärtige weltpolitische Situation macht es besonders deutlich, wie notwendig es ist, daß wir innerhalb dieser NATO und im vollen Schutz dieser großen Verteidigungsgemeinschaft stehen. Vor drei Tagen hat der amerikanische Verteidigungsminister in Berlin die Sicherheitsgarantie für die ehemalige deutsche Reichshauptstadt wiederholt.
({5})
- Ehemalige Reichs hauptstadt, sagte ich! ({6})
Ich glaube, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin in eine sehr schwierige Situation gekommen wäre, wenn er in seiner Dankrede das außenpolitische Programm hätte entwickeln müssen, das seine eigene Partei uns hier im Bundestag zur Diskussion stellt.
({7})
Soweit ich sehe, hat keines der Parlamente der NATO-Staaten verlangt, daß wenige Tage vor der Konferenz eine öffentliche Diskussion durchgeführt wird. Ich glaube, der von Bulganin geschriebene, vorgestern bei uns eingetroffene Brief zeigt auch, wie unzweckmäßig es ist, heute über diese Fragen hier in aller Öffentlichkeit zu diskutieren.
Auch wir sind für die Einschaltung des Parlaments. Ich muß entschieden zurückweisen, Herr Erler, wenn Sie sagen, wir wollten das Volk nicht hören,
({8})
oder wenn Sie hier darlegen, man wolle die Öffentlichkeit irreführen.
({9})
Das ist eine Unterstellung, die Sie weder der Regierung noch der sie tragenden Partei machen dürfen.
({10})
- Herr Mommer, ich habe Ihnen gesagt: Wir sind gegen die heutige Diskussion, weil wir sie taktisch für unzweckmäßig halten, und zum anderen, weil die Entscheidungen in Paris noch gar nicht getroffen werden.
Wir wollen hier diskutieren, weil wir nicht den Vorwurf aufkommen lassen möchten, als sollte das Volk getäuscht werden und das Parlament nicht zum Zuge kommen.
({11})
Wir werden von uns aus die Einschaltung des Bundestags verlangen, aber im richtigen Zeitpunkt.
({12})
- Ich sagte schon, daß die hier zentral interessierenden Entscheidungen gar nicht in Paris, sondern danach fallen. Wir werden schon bald im neuen Jahr die Initiative zu einer großen außenpolitischen und verteidigungspolitischen Debatte ergreifen, weil auch wir Wert darauf legen, einmal, daß das Parlament ganz öffentlich seine Haltung zeigt, und zum anderen, daß dies in einem Zeitpunkt geschieht, wo es noch möglich ist, die Politik der Regierung zu bestimmen. Das wird zweifellos noch im Januar der Fall sein.
({13})
Daher ist die ganze Behauptung, wir wollten unsere
Politik hier nicht verteidigen, völlig irreführend.
({14})
Wir werden uns stellen; ja, wir legen großen Wert darauf, daß das Parlament in seiner Verantwortung und in seiner Zuständigkeit zu diesen Fragen Stellung nimmt.
({15})
Deshalb werden wir im neuen Jahr sehr bald zu der außenpolitischen Grundsatzdebatte gelangen. Aber im Augenblick halten wir diese für nicht nötig, für unzweckmäßig, für niemanden nützlich, vor allem für uns nicht.
({16})
Ich beantrage daher, den Antrag der SPD, heute eine Debatte zu führen, abzulehnen.
({17})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dafür ist, daß Drucksache 54 heute auf die Tagesordnung gesetzt wird, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
({0})
- Enthaltungen? - Eine Reihe von Enthaltungen.
({1})
Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde ({2}).
Die Frage 1 betrifft die Benachteiligung von Rentnern, deren Versicherungsträger im Saarland ihren Sitz haben:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Benachteiligung von Rentnern auszugleichen, deren Versicherungsträger im Saarland ihren Sitz haben und deren Renten nach der Abwertung des französischen Franken erheblich niedriger als bisher sind?
Die Antwort erteilt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich darf die von Herrn Abgeordneten Schmitt ({0}) gestellte Frage wie folgt beantworten.
Die durch die Frankenabwertung eingetretenen Auswirkungen auf die Renten der Sozialversicherung des Saarlandes werden durch das saarländische Gesetz Nr. 605 über die Gewährung einer Übergangszulage zu Leistungen aus der Sozialversicherung, der Kriegsopferversorgung und zu anderen sozialen Leistungen vom 22. November 1957 ausgeglichen. Nach diesem Gesetz wird zu den Leistungen aus der Sozialversicherung eine Übergangszulage von 10 % gewährt. Die Einholung der gemäß § 6 des Gesetzes über die Eingliederung des Saarlandes vom 23. Dezember 1956 erforderlichen Zustimmung der Bundesregierung ist in die Wege geleitet.
Eine etwaige weitere Frankenabwertung soll durch eine Erhöhung der Übergangszulage aufgefangen werden.
Im übrigen bemerke ich im einzelnen noch folgendes. In der gesetzlichen Unfallversicherung ist durch das saarländische Gesetz Nr. 592 über weitere Änderungen in der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und bei der Kasse für Familienzulagen vom 13. 7. 1957 der Höchstbetrag des Jahresarbeitsverdienstes von 540 000 Franken auf 900 000 Franken festgesetzt worden. Diese Änderung gilt auch für Arbeitsunfälle, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind.
Zu den sich hiernach ergebenden höheren Renten tritt die 10prozentige Übergangszulage zum Ausgleich der Frankenabwertung noch hinzu.
Hat der Empfänger einer Saarunfallrente seinen Wohnsitz im übrigen Bundesgebiet, so wird eine durch Vereinbarung festgelegte Vergleichberechnung vorgenommen. Die saarländische Frankenrente wird zum Tageskurs in D-Mark umgerechnet und der Rente eines Vergleichmannes im übrigen Bundesgebiet gegenübergestellt; die höhere Rente wird gewährt. Im Saarland gilt ein ähnliches Verfahren.
Zur Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten nach dem Gesetz Nr. 591 zur Einführung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Saarland vom 13. Juli 1957 und dem Gesetz Nr. 590 zur Einführung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Saarland vorn 13. Juli 1957 werden die Renten auf die Währungseinheit Deutsche Mark umgestellt und nur bis zur Beendigung der Übergangszeiten in französischen Franken ausgezahlt. Dieser Auszahlungsbetrag erhöht sich bei Auszahlung im Saarland um die vorgenannte Übergangszulage.
({1})
Meine Damen und Herren, der Redner ist kaum zu verstehen. Ich bitte Sie, sich doch leiser zu unterhalten.
Bei Umzug von Rentnern in das übrige Bundesgebiet wird der D-Mark-Betrag ausgezahlt.
Bundesarbeitsminister Blank
Zur knappschaftlichen Rentenversicherung! Auf Grund von Vereinbarungen zwischen der Saarknappschaft und der Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften der Bundesrepublik Deutschland werden Leistungen aus der knappschaftlichen Rentenversicherung nach dem jeweiligen Recht des Wohnsitzes des Rentners berechnet und gezahlt, bei Wohnsitz im übrigen Bundesgebiet also in D-Mark. In der knappschaftlichen Rentenversicherung ist die beabsichtigte Fassung des Einführungsgesetzes zum Reichsknappschaftsgesetz und zum Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetz bereits zwischen der Bundesregierung und der Regierung des Saarlandes erörtert worden. Der Gesetzentwurf liegt zur Zeit dem saarländischen Landtag zur Beschlußfassung
vor.
Im Hinblick auf die bei Einführung des Reichsknappschaftsgesetzes und des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes zu erwartenden Leistungsverbesserungen sieht das saarländische Gesetz Nr. 604 über die Gewährung einer Vorschußzahlung in der knappschaftlichen Rentenversicherung vom 22. November 1957 in Frankenfestgelegte Vorschußzahlungen vor. Auch dieses Gesetz bedarf noch der Zustimmung der Bundesregierung gemäß § 6 des Eingliederungsgesetzes. Das Zustimmungsverfahren ist ebenfalls eingeleitet worden. Durch das Übergangszulagengesetz werden auch diese Zahlungen um 10 % zum Ausgleich der Frankenabwertung erhöht.
Im übrigen sollen die zuvor geschilderten Regelungen und die Wechselbeziehungen zwischen den Versicherungsträgern im Saarland und im übrigen Bundesgebiet, soweit dies Ms jetzt noch nicht der Fall ist, auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Das Gesetz ist in Vorbereitung.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort, Herr Kollege, gedient zu haben.
Danke schön, Herr Minister. Noch eine Zusatzfrage!
Wann ist nach Ihrer Meinung mit der Zustimmung der Bundesregierung zu dem saarländischen Gesetz vom 22. November dieses Jahres zu rechnen?
Herr Kollege, um dieses Verfahren zu beschleunigen, habe ich von dem üblichen Weg langer Besprechungen und eines nachfolgenden Beschlusses in einer Kabinettssitzung abgesehen und habe im Umlaufverfahren versucht, die Zustimmung herbeizuführen. Ich bin sicher, daß ich in wenigen Tagen die Zustimmung erreicht habe, weil mir Widersprüche bis heute nicht mitgeteilt worden sind.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat vereinbart, daß die Wahlen um 11 Uhr durchgeführt werden. Ich werde um 11 Uhr die Fragestunde unterbrechen. Wir werden dann die Wahlen vornehmen. Nach den Wahlen wird die Fragestunde fortgesetzt.
Ich rufe Frage 2 - Abgeordneter Dr. Friedensburg - auf. Sie betrifft die Mindestgeschwindigkeit auf Autobahnen.
Sollte die Bundesregierung nicht die Regelung auf zahlreichen Fernautobahnen in den Vereinigten Staaten, die eine Mindestgeschwindigkeit von 40 Meilen = 64 km je Stunde vorsieht, für die deutschen Autobahnen einführen, um die Verstopfung der Autobahnen zu beseitigen und sie ihrem eigentlichen Zweck als Schnellverkehrsstraßen wieder zuzuführen?
Die Antwort erteilt der Herr Staatssekretär des Verkehrsministeriums, Herr Dr. Seiermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, in Vertretung meines noch im Krankheitsurlaub befindlichen Herrn Ministers die Frage des Herrn Abgeordneten Professor Dr. Friedensburg wie folgt zu beantworten.
Die Einführung einer Mindestgeschwindigkeit von 64 km/h für die deutschen Autobahnen würde bei dem gebirgigen Gelände in der Bundesrepublik bedeuten, daß dem größten Teil der schweren Lastzüge die Benutzung der Autobahn untersagt werden müßte. Das Verweisen dieser schweren Fahrzeuge auf die übrigen klassifizierten Straßen mit ihren zahlreichen Ortsdurchfahrten würde entscheidend zur raschen Zerstörung unseres Straßennetzes und zu vermehrten Unfällen beitragen, die bekanntlich bei Beteiligung schwerer Lastzüge besonders schwere Folgen haben.
Um die Benutzung der Autobahnen als Schnellverkehrsstraßen zu sichern, bestimmt seit 1953 die Straßenverkehrsordnung, daß Autobahnen nur von Kraftfahrzeugen benutzt werden dürfen, die auf ebener Bahn eine höhere Geschwindigkeit als 40 km/h erreichen können; auch beim Mitführen von Anhängern muß diese Mindestgeschwindigkeit eingehalten werden können.
Verstopfungen haben sich besonders an Steigungen ergeben. Um sie zu vermindern, ist das Verkerszeichen „Überholverbot für Kraftfahrzeuge untereinander" seit 1953 in die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung eingeführt. Außerdem bestimmt § 10 Abs. 1, daß Fahrzeuge einander nur überholen dürfen, wenn die Geschwindigkeit des überholenden Fahrzeugs wesentlich höher ist. Schließlich schreibt § 35 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vor, daß ab 1958 Sattelkraftfahrzeuge, Lastkraftwagen und Kraftomnibusse sowie Lastkraftwagen- und Kraftomnibuszüge eine Motorleistung von mindestens 6 Pferdestärken je Tonne zulässigen Gesamtgewichts aufweisen müssen. Dadurch erhöht sich ihre Mindestgeschwindigkeit bei Steigungen. Die Vorschrift über die Mindestmotorenleistung gilt vom 1. Januar 1958 an für erstmals in Verkehr kommende Fahrzeuge, ab 1. Juli 1960 für die sonstigen Fahrzeuge.
Eine Erhöhung der vorgeschriebenen Mindestgeschwindigkeit bei Fahrt auf ebener Bahn ist gegen Verstopfung auf Steigungen wirkungslos, weil die Lastkraftwagen und Lastzüge bereits heute auf ebener Bahn 65 Stundenkilometer erreichen. Durch polizeiliche Kontrollen ist dafür zu sorgen, daß die Überholverbote beachtet werden. Die Länder sind wiederholt darauf hingewiesen worden.
Eine Zusatzfrage! Herr Staatssekretär, Sie halten eine Mindestgeschwindigkeit von 64 Stundenkilometern in gebirgigem Gelände für zu hoch. Würde aber nicht eine etwas niedrigere Mindestgeschwindigkeit dem gleichen Zweck dienen? Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister nicht bekannt, daß die bestehenden Regelungen in keiner Weise ausreichen, zumal im Hinblick auf die unaufhörlichen Sperrungen auf den Autobahnen, eine glatte Verkehrsabwicklung zu gewährleisten?
Die Schwierigkeiten des Straßenverkehrs, auf die der Herr Abgeordnete hingewiesen hat, sind uns selbstverständilch bekannt. Ob eine Erhöhung der Mindestgeschwindigkeit etwa auf 50 Stundenkilometer eine nennenswerte Besserung der Lage bringen würde, wollen wir gerne prüfen. Das Ergebnis dieser Prüfung darf ich Ihnen schriftlich mitteilen.
Die Frage ist beantwortet.
Ich rufe auf Frage 3 - Abgeordneter Leonhard - betreffend Haftung bei Unfällen in deutschen Atomwerken.
Ich frage die Bundesregierung,
ob Vorsorge getroffen ist, daß Unfälle wie im Plutoniumwerk Windscale in dem Reaktor bel Karlsruhe verhütet werden, und wer Schadenersatz leistet, falls in einem deutschen Atomwerk ein Unfall passiert. Übernehmen der Bund und das Land oder die Reaktor-Gesellschaften, gedeckt durch Versicherungen, die Haftung für alle Schäden, besonders auch für die Verseuchung des Wassers und der Luft?
Die Frage wird beantwortet vom Herrn Bundesminister für Atomenergie und Wasserwirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Herrn Abgeordneten Leonhard besteht aus zwei Teilen; ich beantworte sie getrennt.
Zum ersten Teil der Frage: Aus dem amtlichen Bericht der britischen Regierung ergibt sich, daß der Zwischenfall im Plutonium-Reaktor in Windscale auf zwei Umstände zurückgeführt werden muß:
a) auf die Eigenart des Reaktors nach Zweck und Bauart,
b) auf Fehler in der technischen Überwachung, die auf organisatorischen Mängeln und dem Versagen von Meßinstrumenten beruhen.
Im Rahmen der Fragestunde kann ich auf die physikalischen Ursachen der anomalen Erhitzung des Reaktors nicht eingehen. Hierbei spielt die sogenannte Wigner-Energie eine Rolle, eine bestimmte Energiemenge, die während des Betriebes im Reaktorgraphit angestaut wird und von Zeit zu Zeit durch besondere Maßnahmen freigesetzt werden muß. Diese Arbeitsweise ist in Windscale jahrelang ohne Unfall angewandt worden. Wegen der oben erwähnten Mängel kam es bei einer solchen Freisetzung von Wigner-Energie zu einer Überhitzung, die nur durch Wasserkühlung beherrscht werden konnte, während normalerweise nur mit Kühlluft gearbeitet wird. Da die Windscale-Reaktoren noch mit offenen Kreisläufen arbeiten, wurden durch den entstellenden Wasserdampf die Filter, die die radioaktiven Stoffe zurückhalten, durchbrochen und eine gewisse Aktivität in die Atmosphäre entlassen.
Bei dem Karlsruher Reaktor, der etwa im Jahre 1959 in Betrieb gehen soll, können derartige Energiestauungen wegen der Verwendung von schwerem Wasser an Stelle des Graphits überhaupt nicht auftreten. Ferner werden Reaktoren, die Graphit verwenden, nur noch mit geschlossenen regelbaren Kreisläufen und nicht mehr mit offenen Kreisläufen gebaut, so daß ein Unfall wie in Windscale bei solchen Reaktoren nicht auftreten kann.
Der Zwischenfall in Windscale hat aber die Wichtigkeit einer laufenden zweckmäßigen Betriebsüberwachung erneut gezeigt. Hierauf legt das Atomgesetz der Bundesregierung, das dem Hohen Hause in Kürze wieder vorliegen wird, besonderen Wert. Außerdem soll eine besondere organisatorische Maßnahme allen Bauprojekten vorgeschaltet werden. Die Deutsche Atomkommission hat auf ihrer Sitzung am 9. Dezember 1957 dem Vorschlag des Bundesministers für Atomenergie und Wasserwirtschaft zur Bildung einer Sicherheitskommission zugestimmt, die sich aus namhaften Vertretern der 12 bis 15 für den Reaktorbau einschlägigen Fachsparten zusammensetzen wird.
Dieser Sicherheitskommission muß jeder Entwurf eines Reaktors vor Erteilung einer Baugenehmigung vorgelegt werden. Ohne ihre Zustimmung wird im Bundesgebiet ein Reaktor nicht gebaut oder in Betrieb genommen werden können.
Zum zweiten Teil der Frage, Herr Kollege Leonhard: Im Entwurf des Atomgesetzes, das in der letzten Legislaturperiode in den Ausschüssen des Bundestages behandelt werden konnte, wurde dem Inhaber eines Reaktors eine Gefährdungshaftung auferlegt, wonach er für den Fall eines Reaktorschadens ohne Rücksicht auf sein Verschulden zum Schadenersatz verpflichtet ist. Im Gesetzentwurf war ferner vorgesehen, daß der Inhaber des Reaktors jede erforderliche Vorsorge für die Erfüllung gesetzlicher Schadenersatzverpflichtungen, insbesondere durch den Abschluß entsprechender Versicherungsverträge, zu treffen hat. Da die Versicherungswirtschaft Risiken über 15 Millionen DM hinaus gegenwärtig nicht übernehmen kann, wurde festgelegt, daß der Bund für Schäden einzutreten hat, soweit sie den Betrag von 15 Millionen DM übersteigen. Wenn in dieser Legislaturperiode nunmehr ein Atomgesetz des Bundes verabschiedet wird, muß in gleicher oder ähnlicher Weise dafür gesorgt werden, daß den Inhabern von Reaktoranlagen eine solche Haftung auferlegt wird und daß sie durch Abschluß von Versicherungsverträgen und infolge von Freistellungsverpflichtungen des Bundes in der Lage sind, alle ihre Schadenersatzverpflichtungen zu erfüllen.
Danke schön.
Die Frage ist beantwortet.
Frage 4 - Abgeordneter Dr. Kohut - betreffend Besetzung der Stelle des Geschäftsführers der Verwertungsstelle der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein:
Ist der Herr Bundesfinanzminister der Auffassung, daß es zweckmäßig ist, die Stelle des Geschäftsführers der Verwertungsstelle der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, deren letzter Stelleninhaber am 12. Dezember 1956 ausgeschieden ist, fast ein Jahr unbesetzt zu lassen?
Die Antwort erteilt für den Herrn Bundesminister der Finanzen Herr Staatssekretär Hartmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stelle des ersten Geschäftsführers der Bundesmonopolverwaltung kann rechtlich noch nicht als vakant angesehen werden. Es handelt sich dabei um folgendes.
Dem früheren ersten Geschäftsführer der Verwertungsstelle mußte im Dezember 1956 fristlos gekündigt werden, weil er in einem gegen ihn schwebenden Strafverfahren schwerwiegender dienstlicher Verfehlungen beschuldigt worden ist, die zusammen mit seinem sonstigen dienstlichen Verhalten eine Weiterbeschäftigung im Dienste der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein nicht mehr zuließen. Der Bedienstete hat gegen diese Kündigung Klage beim Arbeitsgericht erhoben und in der Berufungsinstanz ein obsiegendes Urteil erlangt. Über die dagegen eingelegte Revision ist durch das Bundesarbeitsgericht noch nicht entschieden worden. In dem schwebenden Strafverfahren ist ein Termin zur Hauptverhandlung noch nicht anberaumt worden. Wenn auch nach unserer Auffassung damit zu rechnen ist, daß der Bedienstete im Revisionsverfahren unterliegen und nicht wieder in sein Amt zurückkehren wird, so ist doch unter diesen Umständen die Stelle rechtlich noch nicht vakant. Daher konnte das Bundesfinanzministerium die Wiederbesetzung der Stelle zwar vorbereiten, aber noch nicht endgültig veranlassen.
Als Überbrückungsmaßnahme haben wir im Dezember vorigen Jahres den zweiten Geschäftsführer der Verwertungsstelle, Direktor Schneider, mit der Wahrnehmung der Geschäfte des ersten Geschäftsführers beauftragt. Direktor Schneider blickt auf eine jahrzehntelange Erfahrung zurück und hat die Verwertungsstelle in diesen elf Monaten zufriedenstellend geleitet. Er steht jedoch bereits im 66. Lebensjahr.
Aus diesem Grund hat sich das Bundesfinanzministerium entschlossen, einen aus der Zollverwaltung hervorgegangenen höheren Beamten, der auch seine Versiertheit auf kaufmännischem Gebiet bewiesen hat und auf langjährige Erfahrungen auf dem Gebiete des Branntweinmonopols zurückblickt, zunächst kommissarisch und später endgültig als ersten Geschäftsführer einzusetzen. Der Beamte ist schon vor längerer Zeit für diese Aufgabe ausersehen worden. Er kann aber aus dringenden dienstlichen Gründen erst Ende dieses Monats aus seiner bisherigen Tätigkeit im Bundesfinanzministerium herausgelöst und für seine neue Aufgabe freigestellt werden. Er wird also in 14 Tagen diese Tätigkeit übernehmen können.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Bitte!
Trifft es zu, daß qualifizierte Persönlichkeiten nur wegen der Besoldungsvorschriften nicht bereit waren, diesen verantwortungsvollen Posten zu übernehmen; und deshalb ein Beamter des Bundesfinanzministeriums mit der kaufmännischen Leitung des Branntweinmonopols beauftragt werden soll?
Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß im öffentlichen Dienst bei Spitzenstellungen häufig nicht die Gehälter gezahlt werden können, die in der privaten Wirtschaft gezahlt werden. Es ist durchaus möglich, daß Herren aus der Privatwirtschaft aus diesem Grunde sich nicht bereit erklärt haben, diese Tätigkeit zu übernehmen.
Danke.
Die Frage ist beantwortet.
Frage 5 des Abgeordneten Dr. Werber. Sie betrifft die Vorlage eines Gesetzes über die Neugliederung des Bundesgebietes:
Ich frage die Bundesregierung, ob sie dem Bundestag bis zum 5. Mai 1958 den Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung des Bundesgebietes vorlegen wird, nachdem sechs Volksbegehren erfolgreich abgeschlossen worden sind?
Diese Frage wird vom Herrn Bundesminister des Innern beantwortet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort auf die Frage lautet: Nein. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß bei den gegebenen Verhältnissen eine Neugliederung des Bundesgebiets zur Zeit nicht zur Entscheidung gestellt werden sollte. Sie läßt sich bei dieser Auffassung nicht zuletzt davon leiten, daß die Probleme der Wiederherstellung der deutschen Einheit und der Rückgliederung des Saarlandes in Betracht gezogen werden müssen.
({0})
Herr Minister, eine Zusatzfrage: Ist die Bundesregierung auch nicht bereit, einen Entwurf vorzulegen, der Teillösungen für jene Gebietsteile vorsieht, in denen Volksbegehren erfolgreich gewesen sind?
Die Bundesregierung hält Teillösungen für nicht zulässig.
Noch eine Zusatzfrage: Ist die Bundesregierung bereit, einen Entwurf vorzulegen, der einen Volksentscheid in jenen Gebietsteilen ermöglicht, in denen die Volksbegehren erfolgreich waren?
Für diese Frage gilt, was ich vorhin gesagt habe.
Danke schön, Herr Minister.
({0})
Die Frage ist beantwortet.
Frage 6 des Abgeordneten Ritzel. Die Frage betrifft die rechtzeitige Freigabe etatmäßiger Baumittel für Straßenbauarbeiten:
Ich frage die Bundesregierung, ob Ihr die Behauptungen des Bayerischen Bauindustrieverbandes bekannt sind, der unter Hinweis auf eine wesentlich größere Arbeitslosigkeit unter den bayerischen Bauarbeitern im Jahre 1957 gegenüber dem Vorjahr erklärt, daß die Ursachen für verspätete Ausführungen von Straßenbauarbeiten in der erst um Monate verspätet erfolgten Mittelfreigabe liege,
und ich frage weiter, welche Schritte die Bundesregierung beabsichtigt, soweit es die Witterung rechtfertigt, durch rechtzeitige Freigabe etatmäßiger Baumittel eine Beschleunigung geplanter Arbeiten sicherzustellen.
Die Frage wird durch Herrn Staatssekretär Seiermann beantwortet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel wie folgt: Es ist dem Bundesminister für Verkehr bekannt, daß der Bayerische Bauindustrie-Verband darauf hingewiesen hat, daß eine wesentlich größere Arbeitslosigkeit unter den bayerischen Bauarbeitern im Jahre 1957 gegenüber dem Vorjahre durch eine verspätete Freigabe der Mittel für den Straßenbau ausgelöst worden sei.
Dazu muß ich bemerken, daß eine verspätete Bereitstellung der Haushaltsmittel für die Bundesstraßen des Fernverkehrs als Begründung für diese Behauptung nicht herangezogen werden kann. Dank der Unterstützung des Deutschen Bundestags ist seitens der Bundesregierung alles geschehen, die Mittel für die Einleitung der Bauarbeiten an den Bundesstraßen und Bundesautobahnen in Bayern so frühzeitig wie möglich freizugeben.
Dagegen ist mir bekannt, daß die Mittelzuteilung für die rund 20 000 km klassifizierten Straßen, die das Land Bayern zu unterhalten hat, wegen der Haushaltslage des Landes 1957 später als sonst erfolgte. Der seinerzeitige bayerische Finanzminister, Herr Zietsch, hat darauf in seinen Darlegungen vor dem Bayerischen Landtag hingewiesen. Auch ist aus Gründen der Lage auf dem Kapitalmarkt die Mittelzuteilung für den Straßenbau im kommunalen Sektor 1957 später wirksam geworden als im Vorjahr.
Ich darf in diesem Zusammenhang feststellen, daß die Obersten Straßenbaubehörden der Länder, soweit sie als Auftragsverwaltung des Bundes für die Bundesstraßen des Fernverkehrs wirksam werden, schon im Januar 1957 Bindungsermächtigungen für fast sämtliche durch Bauunternehmungen auszuführende Arbeiten an Bundesstraßen in Höhe von 418 Millionen DM erteilt worden sind. Infolgedessen mußte es den Obersten Straßenbaubehörden der Länder möglich sein, die Bauarbeiten rechtzeitig auszuschreiben, so daß sie nach Eintreten günstigen Bauwetters im Frühjahr sofort in Angriff genommen werden konnten.
Ganz allgemein ist zu sagen, daß die Durchführung dieser Arbeiten im Gegensatz zu dem Vorjahr seitens der Obersten Straßenbaubehörden der Länder erheblich beschleunigt werden konnte. Andererseits hat die ungünstige Witterung im Sommer und Herbst die Arbeiten insbesondere bei der witterungsempfindlichen Herstellung von Fahrbahndecken verzögert. Trotzdem ist es gelungen, in Bayern in den ersten acht Monaten des Rechnungsjahres 1957 67 % der Sonderausgaben zu verausgaben. Infolgedessen kann gesagt werden, daß in diesem Haushaltsjahr die Durchführung der Bauarbeiten an den Bundesstraßen des Fernverkehrs in Bayern einen normalen Verlauf genommen hat.
Um einen rechtzeitigen Baubeginn im Frühjahr 1958 zu gewährleisten, habe ich mit dem Bundesminister der Finanzen vereinbart, daß die Bindungsermächtigungen für das Rechnungsjahr 1958 schon im Dezember 1957 in ausreichender Höhe den Obersten Straßenbaubehörden zugeteilt werden können, damit diese als Auftragsverwaltungen eine noch größere Zeitspanne für die rechtzeitige Ausschreibung und Vorbereitung der Bauarbeiten zur Verfügung haben als in den Vorjahren.
Ich danke Ihnen.
Keine Zusatzfrage.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Fragestunde.
Wir kommen nunmehr zu verschiedenen Wahlen. Ich rufe zunächst Punkt 3:
Wahl der Mitglieder des Wahlmännerausschusses ({0})
und Punkt 4:
Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses ({1})
auf. Die Wahlvorschläge liegen Ihnen vor. Nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht beruft der Bundestag die Wahlmänner nach den Regeln der Verhältniswahl. Auf den Drucksachen 73 und 74 sind je zwei Vorschläge gemacht worden, ein Vorschlag a) der Fraktionen der CDU/CSU und der DP und ein Vorschlag b) der Fraktionen der SPD und der FDP. Ich bitte Sie, den Vorschlag anzukreuzen, den Sie zu wählen wünschen. Ich mache darauf aufmerksam, daß die
Vizepräsident Dr. Schmid
Berliner Mitglieder des Hauses bei dieser Wahl volles Stimmrecht genießen. Ich mache weiter darauf aufmerksam, daß die Abstimmung mit verdeckten Stimmzetteln vorgeschrieben ist, und bitte daher, den Wahlzettel doppelt zu falten. Befinden sich alle Anwesenden im Besitz der Wahlzettel auf den Drucksachen 73 und 74? - Das ist der Fall.
Nun, meine Damen und Herren, zur Frage der Durchführung der Wahl. Korrekt im vollen Sinne des Wortes ist die Wahl nach Namensaufruf durch Einwurf der Stimmzettel in die Urnen. Aus der Mitte des Hauses ist darauf hingewiesen worden, daß dies ein zeitraubendes Verfahren sei. Es sind eine Reihe weniger zeitraubender Verfahren vorgeschlagen worden, die ich aber nicht für korrekt halte. Ich glaube, wir sollten bei dieser Wahl korrekt verfahren, damit nachher keinerlei Zweifel entstehen können.
Wir werden also wählen nach Namensaufruf durch Einwurf des Stimmzettels in die Urne.
({2})
- 73 und 74! Wir können - das habe ich zu sagen vergessen - beide Wahlen in einem Wahlgang durchführen, wenn wir den Damen und Herren zwei getrennte Urnen anbieten. - Hier vorn zu meiner Linken befindet sich die Urne für Drucksache 73, zu meiner Rechten die Urne für Drucksache 74.
Ich lasse nunmehr die Namen aufrufen und bitte die Damen und Herren, an die Urnen zu treten und ihre Wahlscheine einzuwerfen.
({3})
Meine Damen und Herren, der Namensaufruf ist vollzogen. Sind noch Abgeordnete im Saal, die ihre Stimmkarten nicht abgegeben haben? - Dann bitte ich das jetzt unter Namensnennung zu tun. Ist noch jemand im Saal, der seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Wahlen nach Punkt 3 und 4 der Tagesordnung.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Beratenden Versammlung des Europarates ({0}).
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? -Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf'
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({1}) ({2}).
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? -Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt ({3}).
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Bundesschuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung ({4}).
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen, - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Wahl eines Mitgliedes des Verwaltungsrates der Lastenausgleichsbank ({5}).
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Nachwahl von Mitgliedern des Wahlprüfungsausschusses ({6}).
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
- Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen?
- Einstimmig angenommen.
Wir kommen nunmehr zurück zur Fragestunde, von der 25 Minuten verbraucht sind, so daß noch 35 Minuten zur Verfügung stehen.
Ich rufe Frage 7 - Abgeordneter Schmitt ({7}) - auf. Sie betrifft die Auswirkungen der Bepflanzung der Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen der Bundesautobahn:
Haben die vorgenommenen Prüfungen ergeben, daß eine durchgehende Bepflanzung der Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen der Bundesautobahn dazu beiträgt, Gefährdungen bei Unfällen durch Hinüberwechseln auf eine andere Fahrbahn zu verringern?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Dr. Seiermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage des Herrn Abgeordneten Schmitt ({0}) wie folgt.
Die ,Bepflanzung der Mittelstreifen auf Straßen mit getrennten Richtungsfahrbahnen, wie sie unsere Autobahnen darstellen, konnte trotz aller Bemühungen bisher weder bei uns noch im Ausland zufriedenstellend gelöst werden. Die Bepflanzung soll
drei Aufgaben erfüllen: Sie soll einmal verhindern, daß abgekommene Fahrzeuge auf die Gegenfahrbahn gelangen, sie soll aber gleichzeitig möglichst keine Gefahren für die von der Fahrbahn abgekommenen Fahrzeuge verursachen, und sie soll darüber hinaus so weit wie möglich als Blendschutz dienen.
In der Vergangenheit hat man zusätzlich entscheidenden Wert darauf gelegt, daß die Bepflanzung neben diesen verkehrs- und betriebstechnischen Aufgaben abwechslungsreich gestaltet wird, um einer vorzeitigen Ermüdung der Fahrer auf den Autobahnen vorzubeugen und sich der Landschaft anzupassen. Die Erfüllung der vielfältigen Aufgaben der Mittelstreifenbepflanzung wird noch dadurch erschwert, daß die Mittelstreifen gewissermaßen ein Armenhaus für die dort wachsenden Pflanzen darstellen; denn die verhältnismäßig schmalen Streifen, die in wasserabweisende und kanalisierte Fahrbahnen eingebettet sind, könnten nur bei ständiger kostspieliger gärtnerischer Betreuung einen wirklich vielseitigen Pflanzenbewuchs tragen.
Da sich nach meiner Auffassung infolge des ständig steigenden Verkehrs die Bedeutung der Bepflanzung der Mittelstreifen geändert hat, müssen die landschaftsgestaltenden Gesichtspunkte zurücktreten. Ich habe daher veranlaßt, daß bei neuen Autobahnstrecken verschiedene Versuchsbepflanzungen durchgeführt werden. So sind in Hessen in Anlehnung an die amerikanischen Versuche an der neuen Autobahn quer oder schräg zur Fahrtrichtung angeordnete Gruppen von Wildrosen ({1}) angepflanzt worden. Wir hoffen, daß sie einen guten Blendschutz darstellen und zugleich eine elastische Auffangvorrichtung für von der Fahrbahn etwa abgekommene Fahrzeuge bilden werden. Ob sich diese Versuchsbepflanzung bewähren wird, kann erst in einigen Jahren gesagt werden, da mit ihr nach Überwindung mancher Schwierigkeiten erst 1957 begonnen werden konnte.
Ich habe eine Prüfung durch die Obersten Straßenbaubehörden der Länder veranlaßt, wie durch entsprechende Gestaltung des Mittelstreifens und der beiderseitigen Randstreifen des Mittelstreifens die Verkehrssicherheit auf den Bundesfernstraßen mit getrennten Fahrbahnen erhöht werden kann. Auf der besonders stark belasteten Autobahn Frankfurt-Mannheim können die verschiedenen Möglichkeiten erprobt werden.
Danke.
Damit kommen wir zu Frage 8 des Abgeordneten Lohmar betreffend Ausweitung des Truppenübungsplatzes Senne und Wiedergutmachungsansprüche der Senne-Bauern aus früherer Zeit:
Welche Gründe haben die Bundesregierung dazu bewogen, die Ausweitung des Truppenübungsplatzes Senne im Landkreis Paderborn ins Auge zu fassen, obwohl das dafür vorgesehene Gebiet bisher militärischen Zwecken nicht gedient hat?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß zahlreiche Sennebauern bis heute auf die Erfüllung ihrer Ansprüche auf Wiedergutmachung, die sich aus der Enteignung ihres Grund und Bodens 1889 und 1938 ergeben haben, warten?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Dr. Rust.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen beantworte ich die Frage folgendermaßen.
Der 1880 errichtete Truppenübungsplatz Senne wurde in den Jahren 1936 bis 1943 planmäßig erweitert und besaß einschließlich der im Landkreis Paderborn erworbenen westlichen Gebiete 1945 eine Gesamtgröße von 11 300 ha. Die Erweiterungen waren notwendig, da mit der Einführung moderner Waffen und der damit Hand in Hand gehenden Vergrößerung der Schußweiten und Sicherheitsbereiche der Platz in seiner ursprünglichen Größe von 3274 ha den an ihn zu stellenden Ausbildungserfordernissen nicht mehr genügte. Die bei der Entwicklung der Flakwaffe erzielten Fortschritte ließen bereits 1942 die damalige Platzerweiterung als überholt erscheinen. Die für die Platzerweiterung im Landkreis Paderborn erworbenen Liegenschaften wurden bis 1939 mit Rücksicht auf die Landwirtschaft nur nach der Ernte, und zwar für Übungen ohne scharfen Schuß, in Anspruch genommen. Während des 2. Weltkriegs wurden allerdings die neu erworbenen Gebieten nur in geringerem Umfang militärisch ausgenützt, da die größeren Verbände vor dem Feind standen.
Nach 1945 verlegten die Briten als neue Benutzer den Schwerpunkt ihrer Ausbildung unter zusätzlicher Beschlagnahme nichtbundeseigenen Gebietes in Größe von rund 3000 ha in den Ostteil des Platzes, während sie den Westteil mit Manöverrechten belegten und hauptsächlich für Biwakzwecke benutzten.
Der im Landkreis Paderborn liegende, nach 1937 hinzuerworbene Platzteil diente also sowohl vor als auch nach 1945 militärischen Zwecken.
Die Neuordnung der Platzverhältnisse ist aus folgenden Gründen erforderlich. Nach Art. 48 Abs. 2 des Truppenvertrages ist die Bundesrepublik verpflichtet, den Stationierungsstreitkräften die zur Erfüllung ihrer militärischen Aufgaben benötigten Liegenschaften nach Maßgabe der einschlägigen Bundesgesetze weiterhin zur Verfügung zu stellen. Die hier in Betracht kommenden Bestimmungen des Landbeschaffungsgesetzes gestatten die Heranziehung nichtbundeseigener Liegenschaften jedoch erst dann, wenn geeignetes bundeseigenes Gelände nicht vorhanden ist. Im Falle Senne aber steht neben den seinerzeit zusätzlich im Osten beschlagnahmten nichtbundeseigenen Gebieten im Westteil des Platzes bundeseigenes, militärisch zur Zeit nicht voll ausgenutztes Truppenübungsplatzgelände in Größe von rund 2638 ha zur Verfügung. Auf dieses Gelände soll nun verstärkt zurückgegriffen werden. Der Erwerb des außerhalb des Platzes im Osten zusätzlich beschlagnahmten Gebiets würde außerdem zu einer unerwünschten Verfestigung der in der Besatzungszeit geschaffenen Verhältnisse führen.
Ich habe daher nach vorheriger Fühlungnahme mit den britischen Stationierungsstreitkräften der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen einen
Vorschlag für eine intensivere militärische Nutzung des von den Stationierungsstreitkräften nur beschränkt benutzten Westteils des Platzes übermittelt, über den im Januar 1958 verhandelt werden soll.
Zum nächsten Teil der Frage: Es trifft zu, daß das Deutsche Reich im Westteil des Truppenübungsplatzes Senne Grundstücke in Anspruch genommen hat und die Gegenleistungen hierfür nicht oder nicht voll erbracht hat. Diese Verbindlichkeiten des Reichs waren gemäß Art. 134 Abs. 2 des Grundgesetzes einer besonderen gesetzlichen Regelung vorbehalten. Das Hohe Haus hat Ende Oktober zur Regelung der Verbindlichkeiten des Reichs das allgemeine Kriegsfolgengesetz verabschiedet. Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1958 in Kraft. Die Oberfinanzdirektion Münster ist angewiesen, die noch nicht abgewickelten Grundstücksinanspruchnahmen im Sennelager entsprechend den Bestimmungen des Kriegsfolgengesetzes durchzuführen.
Wegen der in der Anfrage erwähnten Ansprüche aus dem Jahr 1889 haben Anfragen ergeben, daß bei der zuständigen Oberfinanzdirektion weder Entschädigungsanmeldungen noch -anträge für Inanspruchnahme aus Enteignung vorliegen noch .ermittelt werden konnten.
Eine Zusatzfrage! Herr Staatssekretär, das Recht der Bundesregierung, dort Gebiete zur Verfügung haben zu wollen, ist nicht grundsätzlich bestritten worden. Der erste Teil meiner Frage geht konkret dahin, was getan werden kann, um möglichst wenig Menschen im Rahmen dieser Aktion von Haus und Hof vertreiben zu müssen. Frage an Sie: Wie weit kann und will die Bundesregierung diesem Anliegen gerecht werden?
Wir schätzen, daß durch die Maßnahmen im Westteil etwa 800 Personen betroffen werden. Es handelt sich um 72 Landwirte, von denen ein Drittel umsiedlungswillig ist. Die Bundesregierung sichert zu, daß wegen der übrigen zwei Drittel die erlassenen gesetzlichen Bestimmungen mit aller Sorgfalt angewandt werden, und überlegt, ob im Wege der Ersatzlandbeschaffung oder sonstiger Maßnahmen Härten gemildert oder beseitigt werden können.
Erlauben Sie mir noch eine Zusatzfrage! Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Oberkreisdirektor von Paderborn Alternativvorschläge für möglich hält und in die Diskussion gebracht hat, die die Aussiedlung von Menschen auf ein Minimum beschränken würden?
Darüber wird verhandelt. Ich sagte bereits in meiner Antwort, daß schon im Januar 1958 nach Einschaltung der Landesregierung auch die örtlichen Stellen zugezogen werden.
Wir kommen zur Frage 9 - des Abgeordneten Schmidt ({0}) - betreffend Schweigepflicht des ehemaligen Generalrichters Roeder und Ermittlungsverfahren gegen im Schörner-Prozeß wegen Verdachts der Mittäterschaft unvereidigt gebliebene Zeugen:
Wie ist die Auffassung der Bundesregierung gegenüber den Aussagen des ehemaligen Generalrichters Roeder im Münchner Prozeß gegen Ferdinand Schörner, er wisse noch von weiteren widerrechtlichen Erschießungsbefehlen anderer Heerführer, könne aber die Namen nicht nennen, es sei denn, das Verteidigungsministerium als Rechtsnachfolger des Reichskriegsministeriums befreie ihn von der Schweigepflicht?
Ist die Bundesregierung darüber informiert, ob gegen die wegen Verdachts der Mittäterschaft im Münchner Schörner-Prozeß unvereidigt gebliebenen vielen Zeugen, die heute als Richter tätig sind, Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden?
Das Wort hat Herr Bundesminister Schäffer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat mir bereits mitgeteilt, daß er auf Ersuchen des zuständigen Ermittlungsrichters die Aussagegenehmigung für den in der Frage mit Namen genannten Zeugen erteilt hat. Das entspricht auch der ständigen Übung in ähnlichen Fällen. Damit dürfte der erste Teil der Frage beantwortet sein.
Zum zweiten Teil der Frage darf ich folgendes bemerken. Es ist bekannt, daß in dem Strafverfahren gegen Ferdinand Schörner vier Zeugen, die derzeit als Richter beruflich tätig sind, wegen Verdachts der Teilnahme an den Straftaten des Angeklagten unbeeidigt geblieben sind. Gegen einen dieser Zeugen schwebt bereits ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren. Außerdem soll eine disziplinarrechtliche Untersuchung gegen ihn eingeleitet worden sein.
({0})
- Moment, ich werde gleich den Namen nennen, wo es vielleicht ein Bedenken geben könnte. - Gegen zwei weitere Richter hat die zuständige Landesjustizverwaltung, wie sie mitgeteilt hat, disziplinarrechtliche Vorermittlungen veranlaßt. Im Fall des vierten Zeugen - das ist der Fall Hamburg - ist von sofortigen Maßnahmen Abstand genommen worden. Die zuständige Landesjustizverwaltung will nach ihrer Mitteilung zunächst den Abschluß des Strafverfahrens gegen Schörner abwarten, ehe sie endgültige Entschlüsse faßt.
Ich darf aber betonen: sämtliche Verfahren liegen in der Hand von Landesbehörden, denen gegenüber der Bundesjustizverwaltung irgendein Recht auf Prüfung oder Aufsicht leider nicht zusteht.
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Greve, nicht Sie haben das Recht zu einer Zusatzfrage, sondern der Abgeordnete Schmidt, dem ich hiermit das Wort erteile.
({0})
- Das nehmen Sie auch reichlich in Anspruch.
Herr Bundesjustizminister, zu der Einlassung des ehemaligen Generalrichters Roeder, er wisse noch von weiteren widerrechtlichen Erschießungsbefehlen: Sind Sie nicht der Meinung, daß den Beamten, auch den ehemaligen Beamten, wie im Falle Roeder, eine besondere Rechtspflicht trifft, an der Aufdeckung von strafbaren Handlungen, insbesondere an der Aufdeckung von Verbrechen, mitzuwirken? Und sind Sie nicht der Meinung, daß es ein disziplinarisch strafbares Dienstvergehen ist, an der Verdunkelung von Verbrechen mitzuwirken?
Ich habe den letzten Teil der Frage nicht verstanden; bitte.
Ich will ihn gern wiederholen: ob Sie nicht der Meinung sind, daß es ein disziplinarisch strafbares Vergehen ist, wenn der Beamte oder der im Falle Roeder ehemalige Beamte, obwohl er von Verbrechen weiß, dieses Wissen verheimlicht und nicht zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden bringt?
Ein strafbares Vergehen deswegen, weil einer eine strafbare Handlung nicht anzeigt, gibt es allgemein nicht.
({0})
- Wenn Sie an die Begünstigung denken, ist das natürlich eine andere Frage.
({1})
Herr Abgeordneter Wittrock, auch Sie haben nicht das Wort zu einer Zusatzfrage, sondern der Herr Abgeordnete Schmidt.
({0})
Wenngleich ich von Ihrer Antwort, Herr Bundesjustizminister, auf diese Frage nicht befriedigt bin, möchte ich meine letzte Zusatzfrage doch in einer anderen Richtung stellen. Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus den gleichen Pressemeldungen, die in meiner Frage erwähnt waren, gezogen, wonach der aus dem Bundesministerium für Verteidigung als Senatspräsident an den Wehrdisziplinarsenat des Bundesdisziplinarhofs nach München berufene Dr. Grünwald an der Abfassung der Hitlersehen Katastrophenbefehle beteiligt gewesen sein soll, wonach derselbe bereit gewesen sein soll, im Schörner-Prozeß als Sachverständiger die Rechtsgültigkeit der sogenannten Katastrophenbefehle zu bestätigen?
Es ist, glaube ich, der einzige in der Zeitschrift „Spiegel" genannte Richter, der im Bundesdienst steht. Hier wurden die Akten nachgeprüft. Ich kann feststellen, daß sich ein Anlaß zu einem strafrechtlichen Verfahren oder einem Disziplinarverfahren nicht ergeben hat.
({0})
Damit ist die Frage erledigt.
Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Schmitt ({0}) betreffend Ruhegehaltszahlungen an den früheren Oberreichsanwalt Lautz:
Warum wird nur ein Drittel des monatlichen Ruhegehalts von 1342 DM des früheren Oberreichsanwalts am sogenannten „Volksgerichtshof", Ernst Lautz, gegen den jetzt der Bundesdisziplinaranwalt eine Anschuldigungsschrift fertiggestellt hat, einbehalten, und nicht das Gesetz vom 5. August 1955 zur Ergänzung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Dienststrafrechts ({1}) angewandt?
Ist im Ermittlungsverfahren und in der Anschuldigungsschrift auch berücksichtigt worden, daß der Bundesgerichtshof in der Strafsache gegen Dagmar Imgart durch Urteil vom 28. Juni 1956 ({2}) ausgesprochen hat, daß Todesurteile des sogenannten „Volksgerichtshofs" und deren Vollstreckung „eine vorsätzliche rechtswidrige Tötung unter dem Deckmantel der Strafrechtspflege" waren?
Das Wort hat Herr Bundesminister Schröder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort lautet zunächst: Im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen.
Im einzelnen: Das in der Frage erwähnte Gesetz kommt nach übereinstimmender Auffassung der beteiligten Ausschüsse nur für neue Fälle, d. h. neu bekanntwerdende Fälle in Betracht. In diesem Falle ist nach der Bundesdisziplinarordnung der höchstzulässige Betrag des Ruhegehalts, d. h. ein Drittel, einbehalten worden.
Das ist der Frage erwähnte Urteil ist in der Anschuldigungsschrift verwertet. Das Urteil bezog sich auf den Fall des Pfarrers Dr. Metzger. In diesem Verfahren hat Lautz nicht mitgewirkt.
Danke.
Eine Zusatzfrage? - Nein. Dann ist die Frage erledigt.
Ich komme zur Frage 11 des Abgeordneten Wittrock, die die Vorlage eines Gesetzes zur Reform des Strafregisters betrifft:
Wird die Bundesregierung dem Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Strafregisters vorlegen? Wird sie sich hierbei den von den Landesjustizministern erarbeiteten Entwurf für ein neues Strafregistergesetz zu eigen machen?
Hält die Bundesregierung es für gerechtfertigt, daß nach § 26 StGB aus der Strafhaft entlassene Personen zwar zu einem Universitätsstudium zugelassen werden können, auch wenn sie wegen einer politischen Straftat verurteilt sind, daß ihnen aber die Zulassung zum Staatsexamen wegen dieser Straftat verweigert wird? ist die Bundesregierung bereit, in Verhandlungen mit den Ländern auf die Durchsetzung des rechtspolitischen Gedankens einer Wiedereingliederung von Verurteilten auch auf diesem Gebiet hinzuwirken?
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Die Bundesregierung wird dem Bundestag den Entwurf eines
Bundesjustizminister Schäffer
Gesetzes zur Reform des Strafregisters vorlegen. Sie wird dabei den Entwurf zugrunde legen, der von einem von der 22. Justizministerkonferenz eingesetzten Unterausschuß gemeinsam mit Vertretern meines Hauses erarbeitet worden ist. Das habe ich zuletzt im Oktober dieses Jahres den Landesjustizministern auf der Ministerkonferenz in Berlin mitgeteilt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wittrock!
Herr Bundesjustizminister, ist im Hinblick darauf, daß bereits seit Jahren ein Ausschuß der Justizministerkonferenz mit diesem Problem befaßt ist - mit dem Ergebnis, daß dieser Entwurf erarbeitet worden ist, von dem Sie sprachen -, unverzüglich mit der Vorlage des Gesetzentwurfs zu rechnen?
Was heißt „unverzüglich zu rechnen"? Ich darf feststellen: Wir haben jetzt vom 42. Deutschen Juristentag im September dieses Jahres eine Stellungnahme erhalten. Wir müssen uns jetzt noch mit den Länderregierungen wegen gewisser Änderungen ins Benehmen setzen. Wir müssen uns außerdem auch mit verschiedenen Bundesbehörden ins Benehmen setzen. Das geschieht sofort.
Die Frage ist erledigt.
Ich komme zur Frage 12 des Abgeordneten Wittrock wegen Vorlage von Ehescheidungsakten an das Bundesministerium für Verteidigung:
Trifft es zu, daß den Personalsachbearbeitern des Verteidigungsministeriums oder sonstiger Behörden der Bundeswehr Ehescheidungsakten von Bewerbern auch dann vorgelegt werden, wenn die geschiedenen Eheleute dem nicht zugestimmt haben?
Das Wort hat Herr Staatssekretär Dr. Rust.
Herr Präsident! Meine Damen und Heren! Die von dem Abgeordneten gestellte Frage wird bejaht. Die Rechtsgrundlage ergibt sich aus Artikel 35 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 299 Absatz 2 der Zivilprozeßordnung. Nach Artikel 35 des Grundgesetzes haben alle Behörden des Bundes und der Länder sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe zu leisten. § 299 Absatz 2 der Zivilprozeßordnung besagt:
Dritten Personen kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Parteien die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird.
Die dem Bundesministerium für Verteidigung obliegende öffentlich-rechtliche Pflicht, sich bei der Personalauswahl für den Aufbau der Bundeswehr ein umfassendes Bild auch von der charakterlichen Eignung des einzelnen Bewerbers zu verschaffen, dürfte ein ausreichendes „rechtliches Interesse" im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO begründen. Für die Beurteilung des Charakters eines Bewerbers hat nach den Einstellungsrichtlinien des Ministeriums, denen die Empfehlungen des Personalgutachterausschusses für die Streitkräfte vom 13. Oktober 1955 zugrunde liegen, auch die Frage Bedeutung, ob „sein Familienleben geordnet ist". Bei „Ehescheidungen ist das Verhalten des Bewerbers zu prüfen". Diese Prüfung ist aber nur an Hand der Scheidungsakten möglich. Vorstehende Rechtsansicht hatte auch das OLG Hamm in einer Entscheidung aus dem Jahre 1950 - im Falle eines allerdings bereits im Staatsdienst stehenden Angestellten - vertreten.
Um in Abwägung des Allgemeininteresses mit dem der geschiedenen Eheleute auch die berechtigten Interessen der beteiligten Eheleute zu wahren, hat das Ministerium Schutzbestimmungen erlassen, die in nachstehender interner Dienstanweisung ihren Niederschlag finden:
1. Ehescheidungsakten sind nur dann anzufordern, wenn nach Einblick in das von geschiedenen Bewerbern vorgelegte Scheidungsurteil mit Gründen eine ergänzende Einsichtnahme in die gerichtlichen Vorgänge unerläßlich erscheint.
2. Um den Personenkreis, dem eingehende Ehescheidungsakten zugänglich sind, möglichst klein zu halten, haben ausschließlich das Verwaltungsreferat der Personalabteilung bzw. die Rechtsreferate der nachgeordneten Stammdienststellen des Ministeriums die Befugnis, Ehescheidungsakten anzufordern und auszuwerten.
3. Über die Auswertung der Akten ist ein Vermerk niederzulegen, der in einem verschlossenen Umschlag zu den jeweiligen Personalakten genommen wird. Der Inhalt des Vermerks ist nur zur Kenntnis des zuständigen Personalreferenten und derjenigen Vorgesetzten bestimmt, die über die Einstellung im Einzelfall zu entscheiden haben. Dies ist auf dem Umschlag durch den Hinweis „Nur durch den zuständigen Personalreferenten oder höheren Vorgesetzten zu öffnen!" kenntlich zu machen.
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß Art. 35 des Grundgesetzes mindestens eine sehr fragwürdige Grundlage für eine derartige Praxis ist. Hat das Bundesministerium für Verteidigung sich mit der rechtlichen und insbesondere verfassungsrechtlichen Problematik, die mit der Anwendung des Art. 35 des Grundgesetzes für eine derartige Praxis verbunden ist, hinreichend auseinandergesetzt?
Ja.
Sehr zweifelhaftes Verfahren!
Ich darf darauf hinweisen, daß am Beginn der Entscheidung darüber, ob die Akten auf Anfordern des Ministeriums übersandt werden
oder nicht, ja eine Entscheidung des Vorstands des Gerichts steht. Also auch eine gerichtliche Instanz entscheidet ja zunächst darüber, ob das rechtliche Interesse, das im Einzelfall dargelegt werden muß, auch wirklich vorhanden ist. Ich glaube, das ist eine Kautel, die den erforderlichen Rechtsschutz gibt. Auf dieser Rechtsgrundlage - Grundgesetz und Zivilprozeßordnung - sind die bisherigen Anforderungen durchgeführt worden.
Der sogenannte Vorstand des Gerichts ist doch in dem Zusammenhang eine Verwaltungsinstanz. - Im übrigen danke ich Ihnen.
Frage 13 des Abgeordneten Dr. Mommer wegen Ausgabe von Carnets und Triptyks durch die Automobilklubs:
Welches ist die rechtliche Grundlage für die Ausgabe von Carnets de Passage und von Triptyks durch die Automobilklubs? Welche Einnahmen haben die Klubs durch die Ausgabe dieser Papiere, und welche Summen mußten sie an ausländische Zollbehörden infolge Übernahme der Zollbürgschaft im vergangenen Jahr zahlen?
Das Wort hat Herr Staatssekretär Hartmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste Teil der Frage betrifft die rechtliche Grundlage für die Ausgabe von Carnets. Ich darf dazu folgendes sagen.
In internationalen Vereinbarungen, zuletzt im Zollabkommen über die vorübergehende Einfuhr privater Straßenfahrzeuge vom 4. Juni 1954 und in dem am 18. Mai 1956 in Genf unterzeichneten Zollabkommen, ist festgelegt, daß jeder Vertragsstaat „vorbehaltlich der von ihm geforderten Sicherstellungen und festgesetzten Bedingungen Verbände, insbesondere solche, die einer internationalen Organisation angehören, ermächtigen kann, selbst oder durch die mit ihnen in Verbindung stehenden Verbände die in dem Abkommen vorgesehenen Zollpapiere ({0}) für die vorübergehende Einfuhr von Kraftfahrzeugen auszugeben".
In der Bundesrepublik sind hierzu die deutschen Automobilklubs, nämlich der Allgemeine Deutsche Automobil-Club, der Automobilclub von Deutschland und der Deutsche Touring Club, ermächtigt worden, nachdem sie vertraglich die selbstschuldnerische Bürgschaft für die Entrichtung der Eingangsabgaben übernommen hatten für den Fall, daß ausländische Kraftfahrzeuge, die auf Triptyks oder Carnets eingeführt sind, nicht innerhalb der Gültigkeitsdauer dieser Papiere bei einer Zollstelle wiedergestellt oder wiederausgeführt worden sind. Entsprechende Verträge haben ausländische Regierungen mit ihren nationalen Verbänden abgeschlossen.
Dann haben Sie, Herr Abgeordneter, gefragt, welche Einnahmen die Klubs durch die Ausgabe dieser Papiere haben und welche Summen sie an ausländische Zollbehörden zahlen mußten. Mit diesen Papieren ist die Bundeszollverwaltung nicht befaßt. Ich bin daher nicht in der Lage, Ihnen die beiden Angaben über die Einnahmen und Ausgaben der Klubs zu machen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Herr Staatssekretär, wenn die Bundesregierung die Ermächtigung zur Ausgabe dieser Papiere gibt, wäre es dann nicht ihre Pflicht, sich nach dem Verhältnis zu erkundigen, das zwischen dem Preis für diese Papiere und dem tatsächlichen Risiko besteht?
Herr Abgeordneter, die Klubs haben hier ein privates Vertragsverhältnis zu ihren Mitgliedern. Ich glaube, daß ohne eine besondere Rechtsgrundlage die Bundesregierung nicht in diese Dinge eingreifen kann. Ich bin aber gern bereit, Ihrem Wunsche entsprechend diese Frage prüfen zu lassen, für die vielleicht der Herr Bundesminister der Justiz dann zuständig sein würde.
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß in der Öffentlichkeit eine große Mißstimmung darüber besteht, daß ganz offensichtlich der Preis für diese Papiere in einem horrenden Mißverhältnis zu dem tatsächlichen Risiko steht?
Herr Abgeordneter, ich habe davon gehört. Aber, wie gesagt, wir haben keine rechtliche Möglichkeit einer Nachprüfung gesehen. Ich werde aber die Frage gern prüfen lassen.
Ich danke Ihnen.
Wir kommen damit zur Frage 14 des Abgeordneten Dr. Mommer betreffend Herabsetzung der Prämien in der Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge:
Wird der scharfe Rückgang der Unfälle im Straßenverkehr nach Einführung der Geschwindigkeitsbegrenzung zu einer Herabsetzung der Prämien in der Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge führen?
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Erhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung verfolgt den erfreulichen Rückgang der polizeilich erfaßten Straßenverkehrsunfälle mit größtem Interesse. Ihr ist bekannt, daß in den Monaten September und Oktober 1957 die Anzahl der Unfälle gegenüber den gleichen Monaten des Jahres 1956 durchschnittlich um 11,5 % zurückgegangen ist. Um den Einfluß der Geschwindigkeitsbegrenzung bei der Prämienkalkulation richtig bewerten zu können, müßte allerdings ein etwas längerer Zeitraum zugrunde gelegt werden. Ein Zeitraum von zwei Monaten reicht schon deshalb nicht aus, weil z. B. in Nordrhein-Westfalen in der letzten Zeit wieder ein langsames Ansteigen der Unfälle festgestellt worden ist.
Mein Haus prüft zur Zeit eingehend den Schadenverlauf in der Kraftfahrtversicherung. Bei der Auswertung der Prüfungsergebnisse wird der rückgängige Schadenverlauf seit Inkrafttreten der GeBundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard schwindigkeitsbegrenzung am 1. September 1957 mit berücksichtigt werden. Erst nach Abschluß dieser Prüfung kann beurteilt werden, in welchem Umfang die Begrenzung der Geschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften den seit der letzten grundlegenden Festsetzung der Prämienhöhe im Jahre 1952 ansteigenden Schadenverlauf in der Kraftfahrthaftpflichtversicherung positiv beeinflußt hat.
Darf ich fragen, Herr Minister, wann mit der Beendigung der Untersuchung zu rechnen ist?
Ich würde glauben, daß im späten Frühjahr ein abschließendes Ergebnis vorliegen wird.
Darf ich weiter fragen, Herr Minister, ob bei dieser Untersuchung immer noch zugrunde gelegt wird, daß die Versicherungsgesellschaften schon dann als notleidend anzusehen sind, wenn die Schadensquote 60 % der Prämieneinnahmen überschreitet?
Diese Frage wird in die Prüfung einbezogen werden.
({0})
Wir kommen zu der Frage des Abgeordneten Rohde - Frage 15 - betreffend Berechnung der Rentenmehrbeträge für Wanderversicherte:
Entspricht es den Tatsachen, daß die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bei der Berechnung der Rentenmehrbeträge für wanderversicherte von gekürzten Steigerungsbeträgen ausgegangen ist und diese Praxis der Bundesversicherungsanstalt vom Bundessozialgericht für gesetzwidrig erklärt worden ist?
Das Wort hat Herr Bundesminister Blank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß die von Ihnen, Herr Kollege Rohde, gestellte Frage mit Ja beantworten; es trifft zu. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat nunmehr in Ausführung des Urteils des. Bundessozialgerichts veranlaßt, daß in allen Fällen, in denen Rentenakten zur Vorlage kommen, der Rentenmehrbetrag neu zu berechnen und der Unterschiedsbetrag nachzuzahlen ist, so daß durch diese Maßnahme bereits ein großer Teil der betreffenden Fälle erfaßt wird.
Im übrigen prüfe ich zur Zeit, wie die noch nicht erledigten Fälle bei der außerordentlich angespannten Arbeitslage der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte so bald wie möglich neu berechnet werden können, ohne die Bearbeitung der neu eingegangenen Rentenanträge zu beeinträchtigen.
Eine Zusatzfrage?
Herr Minister, haben Sie eine Übersicht darüber, wieviel Rentner es sind, für die von der Bundesversicherungsanstalt auf diese Weise die Renten zu niedrig berechnet wurden?
Nein, diesen Überblick habe ich im Augenblick nicht. Ich werde mich aber bemühen, ihn zu bekommen, und stelle Ihnen das schriftlich zu, Herr Kollege.
({0})
Ich komme zur Frage 16 des Abgeordneten Dr. Werber betreffend Beseitigung von Munition, Bomben und sonstigen Kampfmitteln:
Ist es der Bundesregierung bekannt, daß Munition, Bomben und sonstige Kampfmittel, die aus den Kriegshandlungen zurückgeblieben sind, noch immer nicht beseitigt werden konnten, und ist sie bereit, neue finanzielle Mittel für die Beseitigung zur Verfügung zu stellen?
Das Wort hat Herr Staatssekretär Hartmann vom Bundesministerium der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vom 1. April 1950 an wurden die Kosten der Entmunitionierung vom Bund getragen, und zwar auf Grund des Ersten Überleitungsgesetzes vom 28. November 1950. Dieses Gesetz bestimmt, daß der Bund diese Aufwendungen insoweit zu übernehmen hat, als sie „durch Anordnungen der Besatzungsmächte verursacht" waren. Den Drei Mächten standen aber die Rechte auf dem Gebiet der Entmilitarisierung nicht mehr zu seit dem Beitritt der Bundesrepublik zur Nordatlantikpaktorganisation, d. h. nicht mehr seit dem 6. Mai 1955. Seit diesem Tage sind diese Rechte der Besatzungsmächte erloschen. Daher war die von mir soeben genannte Vorschrift des Ersten Überleitungsgesetzes ab 6. Mai 1955 gegenstandslos geworden.
Trotzdem hat der Bund die Entmunitionierungskosten in voller Höhe noch bis zum 31. März 1956 getragen. Ab 1. April 1956 trägt der Bund weiterhin diese Kosten, soweit es sich um Bundesliegenschaften oder um Liegenschaften handelt, die unter Bundesverwaltung stehen. Der Bund trägt auch die Entmunitionierungskosten weiterhin für ehemals reichseigene Munition.
Soweit diese beiden Sonderfälle nicht vorliegen, ist der Bund für die Entmunitionierung nicht mehr zuständig, Es handelt sich seitdem um eine Aufgabe der Länder. Der Wortlaut des Ersten Überleitungsgesetzes läßt es nicht zu, daß der Bund weiterhin diese Kosten trägt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Werber!
Handelt es sich hier nach der Auffassung der Bundesregierung nicht um eine ausgesprochene Kriegsfolgeerscheinung, und ist die Bundesregierung hierfür nicht zuständig? Das kann man doch nicht den Ländern und Gemeinden zumuten.
Herr Abgeordneter, diese Frage ist in dem allgemeinen Kriegsfolgengesetz vom 5. November 1957 geregelt. Danach trägt, wie ich soeben sagte, der Bund die Entmunitionierungskosten für ehemals reichseigene Munition. Eine weitergehende Regelung hatte das vom letzten Bundestag in der letzten Sitzung beschlossene allgemeine Kriegsfolgengesetz nicht getroffen.
({0})
Meine Damen und Herren! Die für die Fragestunde zur Verfügung stehende Zeit ist abgelaufen. Ich schließe die Fragestunde. Die nicht erledigten Fragen werden in üblicher Weise schriftlich beantwortet werden. Die nächste Fragestunde wird in einer Plenarsitzung in der Woche vom 20. Januar 1958 ab stattfinden. Sperrfrist für eingehende Fragen ist Freitag, der 17. Januar 1958, 12 Uhr.
Ich komme zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP betreffend Durchführung der Bestimmung des § 132 Abs. 2 der Geschäftsordnung ({0}).
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses ({1}) über den Entwurf einer Ersten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1958 ({2}) ({3}).
Es liegt der Schriftliche Bericht des Abgeordneten Dr. Löhr vor. Damit ist der Berichterstattung Genüge getan. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Lebensmittelgesetzes ({4}).
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Frau Abgeordnete Strobel.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion legt Ihnen mit Drucksache 29 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Lebensmittelgesetzes vor. Bei dieser Novelle handelt es sich um eine Erarbeitung des Ausschusses für Gesundheitswesen und des Unterausschusses für Lebensmittelrecht im 2. Deutschen Bundestag. Diese ist damals leider nicht mehr verabschiedet worden.
Gestatten Sie mir zunächst ein paar allgemeine Bemerkungen zur Notwendigkeit der Reform des Lebensmittelrechts. Um diese Reform bemühen sich seit Jahren namhafte Kreise der Wissenschaft, insbesondere die Deutsche Forschungsgemeinschaft, es bemühen sich darum die Verbraucher, die Lebensmittelüberwachung, auch die Ernährungswirtschaft - also alles Kreise, die das Lebensmittelrecht in seiner heutigen Form kennen und wissen, daß es den gegenwärtigen Notwendigkeiten nicht mehr gerecht wird.
Das Parlament hat, zum Teil auf sozialdemokratische Anträge hin, zum anderen Teil auf einen gemeinsamen Antrag aller weiblichen Bundestagsabgeordneten, wiederholt Anstrengungen unternommen, um zu dieser Reform zu kommen. Leider haben sie bis jetzt nicht zum Ziele geführt.
Was ist das erste und wichtigste Anliegen dieser Reform? Der Auffassung Geltung zu verschaffen, daß die Nahrung ausschließlich der Gesunderhaltung dienen soll und nicht die Gesundheit gefährden darf. Es ist etwas umstritten, ob man dabei so weit gehen muß, wie es der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung, aus dem dann diese Ausschußvorlage hervorgegangen ist, beinhaltet.
Es stellt sich in diesem Zusammenhang selbstverständlich die Frage: Warum hat eigentlich der 2. Deutsche Bundestag diese Ausschußvorlage nicht mehr verabschiedet? Ich möchte ganz deutlich sagen, daß nach unserer Auffassung der angegebene Zeitmangel dafür nur eine Ausrede war, daß in Wirklichkeit ein Teil des Hauses unter dem Eindruck der vielen falschen Auslegungen dieses Gesetzes die Courage zu dieser notwendigen Pioniertat im letzten Augenblick verloren hat und daß leider deswegen der Deutsche Bundestag dieses Gesetz nicht mehr verabschiedet hat.
({0})
- Herr Dr. Stammberger, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß meine Fraktion den Antrag gestellt hat, das Gesetz noch zu behandeln, daß es darüber einen Hammelsprung gegeben hat, daß alle Sozialdemokraten und auch die FDP für die Behandlung des Gesetzes gestimmt haben und daß die Behandlung des Gesetzes an der CDU/CSU gescheitert ist. Das ist die Tatsache. Wenn man gewollt hätte, hätte man Zeit gehabt.
({1})
Man hat sich zu anderen Gesetzen durchaus Zeit genommen. Ich möchte also den Standpunkt vertreten: das einzige Mittel, Zeit zu haben, ist, sich Zeit zu nehmen; und wenn einem die Sache wichtig genug ist, dann hätte man die Meinungsverschiedenheiten - die es zum Teil natürlich auch in der sozialdemokratischen Fraktion gegeben hat - hier ausdiskutieren können, wie man das ja auch bei anderen Gesetzen getan hat.
Im übrigen darf ich auf etwas aufmerksam machen - etwas, was dem Hause nicht bekannt ist -, daß sich damals schon vorher die Herren und Damen der verschiedenen Fraktionen, die an dem Gesetz gearbeitet hatten, geeinigt hatten, einen Änderungsantrag einzubringen, der den umstrittensten Teil dieses Gesetzes aus der Debatte herausgenommen hätte. Wir waren damals ja schon bereit, in das Gesetz aufzunehmen, daß der private Haushalt ausgenommen ist. Alles andere waren, meine ich, mehr oder weniger Wünsche von Interessenten, über die wir uns in den Ausschüssen auseinandergesetzt haben und die wir auch hier hätten entsprechend behandeln können.
In der Öffentlichkeit ist immer wieder behauptet worden, die Reformer übertrieben die Gefahren, welche der Gesundheit vom gegenwärtigen Zustand drohen. Nun, meine Damen und Herren, es ist möglich, daß da oder dort einmal, um die Dinge zu verdeutlichen, etwas drastisch ausgesprochen wird. Aber noch viel gefährlicher ist es, wenn man versucht, die Gefahren, die der menschlichen Gesundheit von den vielen Chemikalien in den Lebensmitteln drohen, zu bagatellisieren. Ich glaube, davor müssen wir uns genauso hüten wie vor den Übertreibungen.
Dann ist der Vorwurf erhoben worden, daß dieses Gesetz zu perfektionistisch sei. Vor allen Dingen hat man das wegen der Einbeziehung des privaten Haushalts getan. Nun, Sie finden in diesem Entwurf den Vorschlag, daß das Gesetz für den privaten Haushalt nicht gelten soll. Wir sind der Auffassung, daß man sich darüber in den Ausschüssen sehr gründlich mit den Sachverständigen sowohl der Ernährungswissenschaft als auch der Rechtswissenschaft wird besprechen müssen, und man wird bestimmt eine angemessene Formulierung finden. Wenn man den privaten Haushalt hier ausnimmt, dann muß man in dem Gesetz zugleich eine Bestimmung schaffen, die verhindert, daß der Hausfrau die vielen kleinen Mittelchen, deren Verwendung der Ernährungswirtschaft in dem Gesetz verboten wird, weiter angeboten werden und daß man damit unlautere Geschäfte macht. Aber ich glaube, dieser Weg läßt sich in dem Gesetz finden.
Es hat sich weiter herausgestellt, daß ein großer Teil der seriösen Industrie absolut damit einverstanden ist, daß man. die Positivlisten, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft für die Fremdstoffe aufgestellt hat, diesem Gesetz zugrunde legt, daß aber ein anderer Teil der Industrie sich gerade diese freiwillige Beschränkung der seriösen Industrie zunutze macht und daraus Vorteile zieht. Ich glaube, es liegt im Interesse der gesamten Ernährungswirtschaft, daß man dem entsprechend entgegentritt.
Meine Damen und Herren! Aber auch wenn dieses Gesetz einmal verabschiedet sein wird, werden immer noch Mängel in der Gesetzgebung vorhanden sein, die nicht ausschließlich durch eine solche Novelle beseitigt werden können. Ich möchte das ganz deutlich aussprechen, damit hier nicht Hoffnungen entstehen, die der Bundestag nicht erfüllen kann.
Da ist z. B. der Wunsch, daß die Lebensmittelüberwachung wesentlich weiter ausgedehnt wird, als sie heute möglich ist. Dieser Wunsch muß sich an die Länder richten. Die Länder müssen in ihren Haushalten sehr viel mehr Mittel für die Lebensmittelüberwachung zur Verfügung stellen, wenn sie sinnvoll und effektiv sein soll. Jedoch auch an uns richtet sich dieser Wunsch insofern, als das Lebensmittelrecht aus einer Unzahl einzelner Spezialgesetze besteht, zu denen noch massenhaft Verordnungen, Erlasse usw. kommen, die zum großen Teil entweder aus dem vorigen Jahrhundert stammen und deswegen total veraltet sind oder in der Kriegs- und Nachkriegszeit ergangen sind und schon deswegen auf Grund ganz anderer Voraussetzungen geschaffen worden sind. Die Flurbereinigung des Lebensmittelrechts, die damals schon in dem Antrag der weiblichen Bundestagsabgeordneten gefordert worden ist, kann durch dieses Gesetz noch nicht erreicht werden. Es kann nur ein Anfang sein. Aber wir sind der Auffassung, daß dem Lebensmittelrecht jeweils die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Nutzen der Menschen zugrunde gelegt werden sollen, wobei der Vorteil der Menschen nicht darin bestehen kann, daß eine kleine Gruppe an der Herstellung und dem Vertrieb von Lebensmitteln sehr viel verdient. Der Vorteil für die Menschen liegt vielmehr darin, daß ihre Gesundheit geschützt wird.
Ich möchte darauf verzichten, Beispiele für die gegenwärtige Situation zu nennen. Erstens sind sie unzählig, und zweitens möchte ich das Urteil darüber den Sachverständigen überlassen. Aber gestatten Sie mir, einen der maßgebendsten deutschen Wissenschaftler, Herrn Professor Druckrey, zu zitieren. Professor Druckrey, der Präsident der Internationalen Kommission für Krebsforschung, ist Mitglied des Beratenden Ausschusses für Lebensmittelzusätze der Weltgesundheitsorganisation und Vorsitzender der Farbenkommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Nach dem Stenographischen Bericht über die Sitzung des Gesundheitsausschusses am 6. Februar 1957 in Bonn hat Herr Professor Druckrey gesagt:
Es hat sich nämlich ergeben, daß es Giftwirkungen gibt, die auch dann auftreten, wenn kleinste Mengen über lange Zeit, womöglich ein ganzes Leben lang, aufgenommen werden. Das liegt im Wesen eines Lebensmittelzusatzes, und es ist schicksalhaft, daß ein solcher Zusatz von Jugend auf von Millionen von Menschen in dieser Weise aufgenommen wird. Darin liegt die Gefahr.
Es hat sich weiter ergeben, daß die fortgesetzte Aufnahme kleinster Dosen sogar wesentlich gefährlicher ist als die seltene Aufnahme großer Dosen.
Gerade diese Erkenntnis hat zu einer völligen Änderung der Einstellung zu den Lebensmittelzusätzen geführt.
Professor Druckrey hat weiter gesagt:
Ich darf darauf hinweisen, daß im speziellen Teil der Farbstoffliste bereits 30 Farbstoffe als gesundheitsschädlich erscheinen, von denen 20 krebserzeugende Eigenschaften gezeigt haben. Auch bei anderen Farbstoffen finden Sie eine ganze Reihe, die diese verhängnisvolle Eigenschaft haben. Die Situation
- so sagte Professor Druckrey, der als sehr maßvoller Wissenschaftler gilt ist sehr viel ernster, als sie ursprünglich erschien, auch ernster, als ich sie ursprünglich angesehen habe.
Meine Damen und Herren, muß uns das nicht unbedingt veranlassen, dafür zu sorgen, daß die Chemikalien, die in der Lebensmittelwirtschaft Verwendung finden, unter Kontrolle gebracht werden? Etwas anderes will dieser Gesetzentwurf gar nicht. Er will nicht, wie fälschlich behauptet wird, den Fortschritt hemmen. Es soll nur dafür gesorgt werden, daß die Zusätze, die sich als gesundheitsschädlich erwiesen haben, nicht mehr verwendet werden dürfen; es sollen nur noch die zugelassen werden, die gesundheitlich unbedenklich sind und die für die Versorgung der Verbraucher mit Lebensmitteln heute noch gebraucht werden.
Wir wollen hier und auch im Ausschuß nicht darüber streiten, welche Zusätze das sind. Ich meine, das müssen wir der Wissenschaft überlassen, die sachverständig und dafür zuständig ist. Deshalb legen wir ja auch so großen Wert darauf, in diesem Gesetzentwurf zu verankern, daß bei den zu erlassenden Verordnungen in erster Linie die Wissenschaft gehört wird, aber auch die Sachverständigen aus der Lebensmittelüberwachung, die Ernährungswirtschaft, aber auch die Verbraucher.
Allerdings müssen dann auch - das möchte ich sehr deutlich sagen - die Vorschläge der Wissenschaft Beachtung finden. Ich habe Anlaß, das zu sagen, weil ich festgestellt habe, daß z. B. für die Mehlbleichverordnung die Deutsche Forschungsgemeinschaft den Vorschlag gemacht hatte, daß von einem bestimmten Fremdstoff nur noch ein bestimmter winziger Zusatz für kurze Zeit Verwendung finden darf, in der Verordnung des Bundesernährungsministeriums dann aber das Doppelte des Quantums, das die Wissenschaft für möglich gehalten hat, zugelassen worden ist. Das muß man allerdings vermeiden, wenn die Beratung durch die Wissenschaft für den Gesundheitsschutz der Verbraucher einen Sinn haben soll.
Wir sind der Auffassung, daß auch die etwa 20 Spezialgesetze geändert und dem Lebensmittelgesetz angepaßt werden müssen. Aber das ist dann der weitere Weg.
Zu dem Gesetz im einzelnen darf ich folgendes sagen. Mit den Bestimungen in Art. 1 soll die Voraussetzung für eine bundeseinheitliche Hygieneverordnung geschaffen werden. Wir halten das für unbedingt notwendig angesichts der Tatsache, daß es in manchen Ländern eine solche Hygieneverordnung überhaupt noch nicht gibt. Außerdem gehen heute die Lebensmittel von einem Land ins andere, und man sollte deswegen einheitliche Bestimmungen haben.
In § 4 a ist der Passus aufgenommen: Das Verbot gilt nicht innerhalb des privaten Haushalts. Wir sind der Auffassung, daß man damit der Sorge, dieses Gesetz enthalte einen Schnüffelparagraphen, entsprechend entgegentreten kann.
Der Ausschuß ist damals entgegen der Regierungsvorlage zu der Auffassung gekommen, daß man nicht nur Stoffe und Behandlungsverfahren in dieses Verbot einbeziehen muß, sondern daß z. B. auch die Verwendung von Antibiotika in Futtermitteln oder auch die Verwendung oestrogener Mittel und vor allem die Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel in dieses Verbot und die spätere Zulassung einbezogen werden müssen, weil sich herausgestellt hat, daß z. B. insbesondere bei der Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln erhebliche gesundheitliche Schäden auftreten können.
In § 4c wird im Zusammenhang mit dem Verbot der Verwendung von Fremdstoffen auch die irreführende Werbung ausdrücklich verboten.
In § 5a wird eine Ermächtigung ausgesprochen, auf Grund deren Stoffe zugelassen werden können, auf die man heute aus Gründen der Sicherstellung der Ernährung noch nicht verzichten kann und die für die Gesundheit unbedenklich sind.
In § 5b ist gegenüber dem damaligen Vorschlag der Regierung, den Export in dieses Verbot einzubeziehen, eine Änderung erfolgt. Wir haben den Export von den Verboten dieses Gesetzes ausgenommen. Ich möchte darauf vor allen Dingen im Hinblick auf unsere Exportwirtschaft aufmerksam machen. Es ist nicht notwendig, daß die für den Export bestimmten Lebensmittel nach dem deutschen Recht hergestellt werden; ihre Herstellung muß vielmehr dem Recht des Landes entsprechend erfolgen, in das sie geliefert werden. Wir haben es für richtig gehalten, wenn für den Export eine einfache Meldepflicht eingeführt wird.
Damit in Katastrophen- oder Krisenfällen keine Gefahren für die Versorgung der Bevölkerung entstehen, ist eine besondere Katastrophenklausel aufgenommen worden.
Das Gesetz will auch der Lebensmittelüberwachung mehr Möglichkeiten zur Kontrolle geben, als sie heute hat. Dieser Passus ist von der Wirtschaft sehr angegriffen worden. In unserem Gesetzentwurf ist eine Änderung gegenüber der Regierungsvorlage auch bei der Einsichtnahme in die Geschäftsbücher vorgenommen worden; sie soll sehr viel maßvoller vorgenommen werden und sich auf Fälle beschränken, wo dies unbedingt notwendig ist.
Durch eine Änderung des bisherigen § 11 sollen die Strafbestimmungen auch bei Verstößen gegen die neuen Paragraphen dieses Gesetzes angewendet werden. Ich muß darauf aufmerksam machen, weil bei der Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit immer wieder der Eindruck entstanden ist, die geFrau Strobel
genwärtigen Strafbestimmungen reichten nicht aus, um gewissenlose Lebensmittelfälscher entsprechend zu bestrafen. Diese Frage ist von uns sehr gründlich geprüft worden. Wir haben festgestellt, daß die gegenwärtigen Gesetze dafür ausreichten, wenn die Rechtsprechung davon Gebrauch machte. Es war also nicht notwendig, in diesem Gesetz verschärfte neue Strafbestimmungen zu schaffen.
Noch eine andere wichtige Sache! Nach 1945 war zunächst keine gemeinsame Gesundheitsbehörde da. Deshalb haben die Länder auf Grund des bisher geltenden Rechtes eine Reihe Ausnahmen zugelassen. Die Ausnahmen führten dazu, daß z. B. bei der Wurstherstellung in manchen Ländern Phosphate verwendet werden dürfen, in anderen Ländern nicht. Nun wissen wir aber alle, daß z. B. die Wurst von Oldenburg auch nach Bayern geht. Dort ist die Phosphatverwendung verboten. Unsere bayerischen Verbraucher sind also vor der in Oldenburg unter Umständen mit Phosphaten behandelten Wurst nicht geschützt. Aus diesem Grunde wird in dem Gesetz angestrebt, daß in Zukunft Ausnahmen auf dem Gebiete des Lebensmittelrechts nur noch der Bund gestatten darf. Die entsprechende Bestimmung ist so gehalten, daß sich diese Ausnahmen auch nur auf ganz bestimmte Dinge beschränken, z. B. auf die Versuche.
Weiter ist in dem Gesetzentwurf vorgesehen, daß auch die aus dem Ausland kommenden Lebensmittel unter allen Umständen den Bestimmungen des Gesetzes entsprechen müssen. Heute ist es leider so, daß die importierten Lebensmittel erst in irgendeinem Laden kontrolliert werden können, z. B. bei Mutter Müller in München oder in Nürnberg. Wenn man dann feststellt, daß es sich um ein gesundheitsschädliches Lebensmittel handelt, ist dieses Lebensmittel längst im ganzen Bundesgebiet verkauft. Es ist also notwendig, dafür zu sorgen, daß solche gesundheitsschädlichen Lebensmittel erst gar nicht hereinkommen. Eigentlich wäre es selbstverständlich; aber die Lebensmittelüberwachung macht darauf aufmerksam, daß es, wenn die Kontrolle beim Import nicht gleich an der Grenze erfolgt, einfach unmöglich ist, diesen selbstverständlichen Grundsatz durchzusetzen.
Man ist verschiedener Meinung darüber, wie das gemacht, auch wie es finanziert werden soll. Das ist sicher eine schwierige Hürde für dieses Gesetz. Aber wenn eine solche Sache notwendig ist, kann man auch den Weg dafür finden. Hier darf nicht gelten, daß die Politik die Kunst des Möglichen ist, sondern hier muß gelten, daß man das Notwendige möglich macht. Ganz abgesehen davon kann man auch vom Standpunkt der Wettbewerbsgleichheit der deutschen Wirtschaft nicht etwas verbieten, es aber denjenigen erlauben, die Lebensmittel aus dem Ausland verkaufen, ganz zu schweigen von der Gesundheitsschädigung für den Verbraucher.
In Art. 5 des Gesetzentwurfs wird die „Flurbereinigung" vorgenommen; es werden eine Reihe von Verordnungen, Ausnahmen und Erlassen aufgehoben.
In Art. 7 wird die Voraussetzung für die Vorbereitung und Herausgabe eines Lebensmittelbuchs geschaffen. Auch das ist ein Anliegen, das wir Sozialdemokraten sehr stark vertreten haben. Wir haben uns gefreut, daß es damals in dem Ausschußentwurf berücksichtigt worden ist. Gerade wenn man findet, daß die Rechtsprechung auf diesem Gebiet in den letzten Jahren oft nicht sehr glücklich gewesen ist, muß man gleichzeitig sagen, daß es der Rechtsprechung leider an Maßstäben für die Beurteilung gefehlt hat. Diese Maßstäbe müssen endlich geschaffen werden; das geschieht durch dieses Lebensmittelbuch.
Der Art. 9 bringt Fristen, die für die Ernährungswirtschaft notwendig sind, damit sie sich auf die Änderungen einstellen kann.
Bei der Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit um dieses Gesetz ist immer wieder die diffamierende Behauptung aufgestellt worden, diejenigen, die sich für das Gesetz so besonders einsetzten, wollten nur einen Naturschutzpark schaffen und den Fortschritt hemmen oder einzelne Industrien behindern, z. B. die Fischindustrie bei der Herstellung von Fischmarinaden. Wir sind der Auffassung, daß durchaus die Möglichkeit gegeben ist, die Frist für die Verwendung einzelner Fremdstoffe über diese hier gegebenen Fristen hinaus zu verlängern, solange man nicht auf diese Fremdstoffe verzichten kann.
Abschließend möchte ich aber noch darauf hinweisen, daß dieses Gesetz, wenn es im Bundestag einmal angenommen ist, noch nicht die ideale Lösung auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts darstellt, wenn es nicht gelingt, die Lebensmittelüberwachung in den Ländern erheblich zu verstärken, wenn nicht exemplarische Strafen gegen skrupellose Lebensmittelfälscher ausgesprochen werden und wenn es vor allen Dingen nicht gelingt, die deutsche Forschung auf diesem Gebiet so auszubauen, daß sie ihrer Aufgabe, die Lebensmittelzusätze zu prüfen und festzustellen, welche davon gesundheitlich unbedenklich sind, auch wirklich gerecht werden kann. Wenn man sich vor Augen hält, was die Herren der Deutschen Forschungsgemeinschaft seinerzeit im Gesundheitsausschuß über den Zustand ihrer Einrichtungen, über ihre finanziellen und experimentellen Möglichkeiten berichtet haben, erschrickt man einfach. Ich möchte in diesem Zusammenhang besonders darauf hinweisen, daß es notwendig ist, für die Forschung - natürlich nicht nur auf diesem Gebiet, aber auch auf diesem Gebiet - wesentlich mehr Mittel bereitzustellen, als es bisher geschehen ist.
Etwas anderes ist noch nötig, was man auch nicht durch dieses Gesetz erreichen kann: daß die Verbraucher, insbesondere die Hausfrauen, darüber aufgeklärt werden, was der Gesundheit nützt und was ihr schadet.
In den letzten Tagen ist angekündigt worden, auch die Regierung komme mit einer Vorlage, mit einem neuen Entwurf zum Lebensmittelrecht. Wir Sozialdemokraten waren der Auffassung, daß man mit diesem Gesetzgebungswerk unbedingt rasch an182
fangen müsse und keine Zeit mehr verlieren dürfe, weil die Gefahr, wie es die Wissenschaftler aufzeigen, wirklich sehr groß ist. Wir freuen uns, wenn durch unsere Initiative die Verwirklichung der Absichten der Regierung beschleunigt worden ist, und hoffen, daß das, was man in den letzten Tagen gehört hat, nun auch Wirklichkeit wird, damit der Ausschuß im nächsten Jahr möglichst bald mit der Beratung beginnen kann. Wir möchten aber darauf aufmerksam machen, daß wir uns gegen jedes Verschleppungsmanöver auf diesem Gebiet ganz kräftig zur Wehr setzen würden, weil es einfach nicht mehr vertreten werden kann, daß diese Reform weiter hinausgeschoben wird.
Es war ein sehr langer Weg vom ersten sozialdemokratischen Antrag im Bundestag auf Reform des Lebensmittelrechts bis zu diesem Entwurf. Wir hoffen, meine Damen und Herren, daß diesmal der Anlauf wirklich zum Ziele führt, nämlich zu dem Ziel, den Verbraucher vor Gesundheitsschädigungen durch Lebensmittel ausreichend zu schützen.
({2})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat die Regierung hier überrundet. Sie ist uns in der Fixigkeit also offensichtlich überlegen gewesen. Ob sie uns in der Richtigkeit überlegen sein wird, das bleibt abzuwarten.
Die Vorlage, die gerade von Frau Kollegin Strobel im einzelnen erläutert worden ist, entspricht mit einer einzigen Ausnahme der Fassung, die die frühere Vorlage der Bundesregierung, auf der, wohlgemerkt, das Ganze hier basiert, im Gesundheitsausschuß erhalten hat. Die Abweichung dieser heutigen Vorlage von der Ausschußfassung besteht im § 4 a Abs. 2, wonach das Verbot der Fremdstoffverwendung nicht für die Hausfrau gelten soll.
Die Bundesregierung hätte es in diesem Fall genauso machen können wie in einigen anderen Fällen, wie z. B. in einem, der gleich unter Punkt 20 der Tagesordnung zur Erörterung kommen wird. Sie hätte ihre Vorlage unverändert einbringen können. Sie hat das in diesem Fall aus ganz besonderen Erwägungen heraus nicht getan. Die sozialdemokratische Fraktion hat es insoweit leichter, als sie nicht gehalten ist, sich mit mehreren Ressorts auseinanderzusetzen, und als vor ihr auch nicht die Hürde des Bundesrates aufgebaut ist, so daß sie also etwas zügiger galoppieren kann, als das der Bundesregierung möglich ist.
Die Punkte, die ich gerade ansprach und von denen wir meinten, daß sie auch nach der Ausschußfassung noch einmal neuerer Überlegungen bedürften, sind folgende.
Das Problem der Hausfrau habe ich erwähnt. Die Bundesregierung ist hier der Meinung - und das
ist eine gewisse Veränderung ihres Standpunktes daß der hauswirtschaftliche Bereich unberührt bleiben sollte.
Sie meint aber - das ist der zweite Punkt -, daß der bisher verwendete Begriff „fremde Stoffe" doch durch einen Begriff von besserer praktischer Verwendbarkeit ersetzt werden sollte. Sie werden ja demnächst beurteilen können, ob uns dieser Versuch gelungen ist.
Der dritte Punkt ist der, daß wir im Interesse der Vereinfachung davon absehen möchten, das Verbotsprinzip auf alle Behandlungsverfahren auszudehnen, durch die fremde Stoffe in einem Lebensmittel erzeugt werden. Dadurch wird man der Notwendigkeit enthoben, die allgemein geübten Küchenbehandlungsverfahren wie Kochen, Braten, Backen usw. ausdrücklich auszunehmen, was man im anderen Fall tun müßte.
Schließlich erscheint es uns auch erforderlich, die Bestimmungen, die der Ausschuß in § 21 über die Lebensmittelbeschau an der Grenze eingefügt hat, in organisatorischer und finanzieller Hinsicht zu verbessern, weil die damaligen Vorschläge wohl doch noch nicht genügend ausgereift waren.
Auf der Basis dieser Reformideen haben die beteiligten Bundesressorts einen neuen Entwurf nahezu fertiggestellt. Dieser Entwurf geht im Grunde, wie Sie das hier ja auch getan haben, von der ursprünglichen Regierungsvorlage und von den Empfehlungen des Bundesrates und des Gesundheitsausschusses aus. Wir glauben aber, daß in den Punkten, die ich vorhin erwähnt habe, noch wesentliche Fortschritte denkbar sind. Wie gesagt, dieser Entwurf wird Ihnen ja bald zur Kritik vorliegen. Er dürfte im Januar vom Kabinett verabschiedet werden, so daß sicherlich keine Verzögerung daraus entsteht, daß die Beratungen auch auf der Basis des Regierungsentwurfs erfolgen.
Die Frau Kollegin hat einen Punkt erwähnt, der in der öffentlichen Diskussion immer eine große Rolle spielt, nämlich die Frage der Kontrolle und des finanziellen Aufwandes für die Kontrolle; sowohl die Intensität der Kontrolle wie der finanzielle Aufwand dafür werden als unzureichend angesehen. Ich möchte demgegenüber mit Nachdruck feststellen, daß dies eine Sache der Länder ist. Es wäre dankenswert, wenn intensive Vorstöße dieser Art nicht nur in diesem Hause - wo sie zwar ein offenes Ohr finden, aber die Exekutive wenig Möglichkeit hat, ihnen Rechnung zu tragen -, sondern auch an Ort und Stelle, in den Länderparlamenten vorgetragen würden, wo allein die Aussicht auf wirkliche Erfolge gegeben ist.
Ich will mich auf diese wenigen Bemerkungen beschränken. Ich bin überzeugt, daß wir jetzt, wo das Parlament mit diesem Thema der Gesetzgebung schon zu Beginn der Legislaturperiode befaßt wird, alle Aussicht haben, daß es in absehbarer Zeit erledigt wird. Ich vertraue völlig darauf, daß die Energie der Damen, die sich dieses Themas auch schon in der vergangenen Legislaturperiode mit solchem Nachdruck angenommen haben, ausreichen
Bundesinnenminister Dr. Schröder
wird, auch alle männlichen Kollegen zu veranlassen, diesem Thema besondere Beachtung zu schenken.
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe jetzt das Ergebnis der beiden Wahlen bekanntzugeben, die wir heute durchgeführt haben.
Über die Wahlvorschläge für die Wahl der Wahlmänner gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951 - Drucksache 73 - wurde folgendermaßen abgestimmt: Abgegebene Stimmen 473, ungültige Stimmen 11, gültige Stimmen 462. Hiervon entfielen auf den Vorschlag a) 256 Stimmen, auf den Vorschlag b) 206 Stimmen. Danach entfallen nach der vorgenommenen Berechnung auf den Vorschlag a) 7 Mandate, auf den Vorschlag b) 5 Mandate. Damit sind gewählt vom Vorschlag a) der Fraktionen der CDU/CSU und DP die Abgeordneter Euler, Dr. Friedensburg, Hoogen, Dr. Kopf, Pelster, Schwarz und Weinkamm, vom Vorschlag b) der Fraktionen der SPD und der FDP die Abgeordneten Dr. Greve, Frau Meyer-Laule, Wittrock, Dr. Schäfer und Dr. Dehler.
Die Abstimmung über die Wahlvorschläge für die Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes vom 25. August 1950 - Drucksache 74 - hatte folgendes Ergebnis: Abgegebene Stimmen 472, ungültige Stimmen 12, gültige Stimmen 460. Es enfielen auf die Liste a) 255, auf die Liste b) 205 Stimmen. Damit entfallen nach der Berechnung auf die Liste a) 6, auf die Liste b) 5 Mandate. Es sind gewählt von dem Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und DP als Mitglieder die Abgeordneten Pietscher, Mick, Weinkamm, Dr. Weber ({0}), Frau Dr. Schwarzhaupt, Dr. Kanka, als Stellvertreter Dr. Rudolf Schetter, Köln, sowie die Abgeordneten Katzer, Dr. Dittrich, Dr. Böhm, Frau Dr. Kuchtner und Dr. Wilhelmi; von dem Vorschag b) der Fraktionen der SPD und der FDP als Mitglieder die Abgeordneten Dr. Greve und Wagner, Fritz Bauer, Frankfurt, und Richard Schmid, Stuttgart, sowie der Abgeordnete Dr. Dehler, als Stellvertreter die Abgeordneten Jahn ({1}), Frau Meyer-Laule, Schröter ({2}), Dr. Dr. Heinemann und Dr. Bucher.
Zu Punkt 12 der Tagesordnung liegt eine längere Rednerliste vor. Es wird zweckmäßig sein, wenn wir die Diskussion im Zusammenhang abwickeln. Ich schlage daher vor, daß wir jetzt in die Mittagspause eintreten und die Beratung des Punktes 12 der Tagesordnung danach fortsetzen. - Das Haus ist einverstanden.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.
({3})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung.
Wir fahren in der Beratung von Punkt 12 fort. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Steinbiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat uns einen Initiativantrag für eine Reform des Lebensmittelrechts vorgelegt. Diese Materie ist uns allen im Hause wohlbekannt, auch den Mitgliedern, die zum erstenmal unter uns sind.
Im 2. Bundestag hatten die 46 weiblichen Abgeordneten einen Initiativantrag unterzeichnet, der eine Reform des Lebensmittelrechts herbeiführen sollte. Wir möchten nun nicht im einzelnen darauf eingehen, warum dieser Entwurf nicht zum Zuge kommen konnte; die Erinnerung daran ist wohl bei allen Abgeordneten noch gegenwärtig. Erwähnen dürfen wir vielleicht, daß es damals nicht unsere Absicht sein konnte, die Hausfrau den gleichen materiellen Bestimmungen und ihren Straffolgen zu unterwerfen wie - notwendigerweise - den Lebensmittelhersteller und den Lebensmittelhändler.
Ich möchte für die CDU/CSU erklären, daß wir mit gleichem Ernst und im Gefühl großer Verantwortung auch heute eine Lösung des Problems suchen, ein besseres Lebensmittelrecht zu schaffen. Nun wissen wir - der Herr Bundesinnenminister hat vorhin darauf Bezug genommen -, daß das Bundeskabinett bereits in einer seiner ersten Sitzungen den Beschluß gefaßt hat, eine Novelle vorzubereiten. Im Gegensatz zu dem Verfahren bei zahlreichen anderen vom letzten Bundestag nicht verabschiedeten Gesetzesvorlagen hat das Kabinett das Ressort beauftragt, die Lebensmittelgesetznovelle in einer anderen Fassung als bisher vorzulegen.
Wenn wir uns nun fragen, was wir von einer Reform des Lebensmittelrechts erwarten, dann müssen wir uns darüber klar sein, daß es uns nicht gelingen wird und auch nicht gelingen kann, diese komplizierte, schwierige Materie, die auch nichts Festes ist, sondern immer neuen Wandlungen unterworfen sein wird, im vollen Umfang zu regeln.
Ferner müssen wir uns darüber klar sein, daß wir nicht das gesamte Lebensmittelrecht umfassend reformieren und vereinheitlichen können. Von einer Gesamtreform würden mehr als 20 Gesetze und über 50 Verordnungen berührt. Wenn auch in dem Antrag der weiblichen Abgeordneten in diesem Hause eine Gesamtreform gefordert wurde, so muß jetzt doch gesagt werden, daß wir dieser Forderung nicht entsprechen können, wenn wir in Kürze auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts einen guten Schritt vorwärtskommen wollen.
Die Hauptrolle bei dem Problem der Regelung des Lebensmittelrechts, wie es sich uns damals darstellte, spielten die sogenannten Fremdstoffe. Damals wurde versucht, eine Definition dieses Wortes zu finden. Herr Bundesinnenminister Dr. Schröder hat schon mitgeteilt, er glaube, daß seinem Hause eine bessere Definition als die damals gefundene gelungen sei. Wir werden sehen, ob wir uns im Ausschuß damit einverstanden erklären können.
Wichtigste Aufgabe unserer künftigen Besprechungen wird sein müssen, zu erreichen, daß, wie auch Frau Strobel ausgeführt hat, in die Lebensmittel keinerlei Zusatzstoffe in einer Menge und einer Art hineingelangen, die gesundheitsschädigend wirken könnten. Wir wollen sogar zum Schutz der Verbraucher so weit gehen, daß wir Stoffe ausmerzen, die nur verdächtig sind und deren Gesundheitsschädigung noch nicht nachzuweisen ist. Weiter müssen wir versuchen, diese Aufgabe in der Novelle so zu lösen, daß vermieden wird, den Staatsbürger in überflüssiger, lästiger Weise zu bevormunden oder die wirtschaftliche Entwicklung zu hemmen. Auch darf in der Novelle der Verbotsbogen nicht überspannt werden. Ohne Verbote werden wir nicht auskommen. Aber es kann nicht vorn ein Verbot in das Gesetz hineingebracht werden, das hinten dann wieder aufgehoben werden muß, besonders wenn diese Verbote einfachste häusliche Verrichtungen betreffen.
Nun liegt der Gesetzentwurf der SPD vor. Wir fragen uns vielleicht mit Recht: Verfolgt die SPD mit diesem Initiativentwurf die Absicht, die Regierungsarbeit zu beschleunigen? Wir haben gehört, daß dieser Antrieb nicht mehr nötig ist. Aber immerhin wäre diese Absicht, wenn sie der SPD vorgeschwebt hätte, zu begrüßen. Wir haben gehört, daß die Bundesregierung uns in Kürze ihre Überlegungen in Form eines neuen Entwurfs übermitteln wird. Die Fraktion der CDU/CSU hält es angesichts der Schwierigkeit der Materie für das beste, die Vorlage dieses Regierungsentwurfs abzuwarten. Bei der Einbringung des Regierungsentwurfs werden wir dann im einzelnen Stellung nehmen.
Wir beantragen aber, den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion auf Drucksache 29 dem Ausschuß für Gesundheitswesen - federführend - und dem Rechtsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Auch die Fraktion der Deutschen Partei ist der Auffassung, daß das Lebensmittelrecht möglichst schnell reformiert werden muß. Wir begrüßen die Erklärung des Herrn Bundesministers des Innern - der leider noch nicht wieder da ist - und seine zusätzlich gegebenen Auskünfte über die Absicht, den Entwurf der Regierung sehr schnell und in veränderter Form vorzulegen. Wir sind mit dem Herrn Minister des Innern und der Bundesregierung darin einig, daß die möglichst schnelle Vorlage einer solchen Novelle zum Lebensmittelrecht dringend erforderlich ist. Wir meinen, daß sie zusammen mit dem SPD-Entwurf, der, wie der Herr Minister erklärt hat, weitgehend auf dem Regierungsentwurf fußt, der dem 2. Bundestag vorgelegen hat, beraten werden kann.
Meine Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei halten aber auch eine internationale Vereinbarung über die Zusätze zu Lebensmitteln für unumgänglich. Denn eine ausschließlich deutsche Gesetzgebung in dieser Beziehung würde wenig Wert haben, wenn nicht zugleich sichergestellt würde, daß für die importierten Lebensmittel die gleichen Bestimmungen wie für die deutschen Lebensmittel gelten.
Wir begrüßen auch die Entschließungen, von denen hier die Rede war, insbesondere aber die der Ärzteschaft, der Hygiene-Institute, der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoffforschung, aber auch die der Frauengilden und der Konferenzen der Hausfrauenverbände sowie aller der Organisationen, die sich vom Gesichtspunkt der Volksgesundheit her mit diesem wichtigen Problem befaßt haben.
Wir sollten diese Debatte heute nicht beschließen, ohne in aller Kürze einen Appell an die Öffentlichkeit zu richten, dieses Problem nicht zu dramatisieren. Wir sollten in unserer Zeit der Beunruhigungen durch mancherlei außen- und innenpolitische Probleme nicht noch mehr Unsicherheit und Unruhe bei denen fördern, die die Problematik dieses Gesetzes sicherlich nicht in vollem Umfang kennen und beurteilen können.
({0})
Ich meine auch, daß Gesetze und Verordnungen allein nicht genügen, um vorhandene Mißstände auf dem Gebiet der Lebensmittelüberwachung zu beseitigen. Darin stimme ich der Sprecherin der sozialdemokratischen Fraktion durchaus zu. Es ist aber so, daß uns hier in allen Fraktionen gemeinsam die Verpflichtung erwächst, unseren politischen Freunden in den Ländern zu sagen, wie dringend notwendig es ist, daß die Länder die erforderlichen finanziellen Mittel bereitstellen, um die Überwachung der Lebensmittel wirklich zu garantieren.
Viele der in der Presse diskutierten Verstöße und Mängel könnten auch nach unserer Auffassung nach geltendem Recht geahndet werden. Die Rechtssicherheit bei der Lebensmittelherstellung und die Anerkennung der Notwendigkeit, die Gesundheit unserer Bevölkerung zu schützen, sollten allein entscheidendes, oberstes Gesetz sein. Viele Fragen werden nur durch Verordnungen lösbar sein. Ich stimme meiner Kollegin Frau Dr. Steinbiß darin zu, daß ein Gesetz nicht alle Probleme lösen kann, weil eine starre Gesetzgebung verhindert, daß neueste Erkenntnisse und Forschungsergebnisse auf dem Gebiet des Lebensmittelrechtes berücksichtigt werden. Eine Verordnung kann sehr viel schneller und oft auch viel besser angepaßt werden als ein Gesetz, das erst eine schwerfällige Behandlung in den Parlamenten durchlaufen muß. Das gilt, so meine ich, nicht nur für die Farbstoffe, deren Problematik in der Öffentlichkeit oft falsch dargestellt wird, das gilt auch für alle übrigen Probleme. Wir haben die Farbstoffkommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft, und ich glaube, wir können deren Arbeit vertrauen.
Ich will diese Debatte trotz der sehr ausführlichen Begründung des Gesetzentwurfs durch die Sprecherin der SPD nicht vertiefen durch eine Behandlung
der Einzelprobleme von Mehl, Obst, Fisch, Marinaden, Milch oder anderen, was hier angesprochen worden ist. Das sollte meines Erachtens Aufgabe des Ausschusses sein, wenn der Regierungsentwurf vorliegt. Wir sollten überhaupt zu den Einzelfragen der Gesunderhaltung unseres Volkes mit den Mitteln des Lebensmittelrechtes nicht so sehr viel sprechen und nicht so viel darüber schreiben, sondern sollten mehr dazu tun, daß diese Dinge nun so schnell wie möglich auf dem Wege der Gesetzgebung vorankommen.
Zu dem Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion, dessen Inhalt, wie ich schon sagte, so weitgehend mit der alten Regierungsvorlage übereinstimmt, daß wir ihm in seiner Zielsetzung und in seiner Tendenz durchaus zustimmen können, meine ich, daß er die großen Probleme, die im 2. Bundestag zur Diskussion standen und deren Schwierigkeit eine Lösung damals verhindert hat, auch nicht löst. Er beseitigt lediglich einen der Mängel, nicht aber jenen entscheidenden anderen Mangel, der in der alten Gesetzesvorlage enthalten war und den der Herr Bundesminister des Innern nun durch eine neue Formulierung aus der Welt schaffen will. Wir freuen uns, daß die Frage des hauswirtschaftlichen Bereichs aus der Regierungsvorlage herausgenommen werden soll; denn wir sahen in der alten Vorlage auch die Konsequenzen, die sich ergeben würden, wenn sich ein totales Verbot über den ganzen Bereich unserer Küchen erstrecken und jahrhundertealte Erfahrungen und Gewohnheiten unserer Hausfrauen in einem unerträglichen Maße beeinflussen würde, während andererseits all das, was einfach nicht praktikabel ist, dann durch Verordnungen wieder aufgehoben werden müßte.
Die Grundprinzipien eines solchen Rahmengesetzes - und darum wird es sich im Endeffekt nur handeln können - sollten weder einem Radikalismus noch einem Perfektionismus dienen. Sie sollten eine durchgreifende Reform der Überwachung in den Ländern anregen und dafür sorgen, daß auch durch die Strafbestimmungen garantiert wird, daß alles getan wird, um Mißstände zu beseitigen, Verstöße gegen das Lebensmittelrecht wirksam zu ahnden und alle diejenigen zur Ordnung zu rufen, die aus übertriebenem Geschäftssinn zum Angriff gegen die Gesundheit unseres Volkes vorgehen. Mehr Offenheit in diesen Problemen und weniger Heimlichkeit, weniger Verbergenwollen auch peinlicher Dinge und Offenlegen alles dessen, was getan werden muß! Damit könnte man den Problemen erfolgreich zu Leibe rücken. Ich glaube, wir Frauen, die wir vom Innenminister hinsichtlich unserer Energie in so liebenswürdiger Weise angesprochen worden sind, werden in dieser Frage etwas beitragen können, wie wir ja so oft die heißen Eisen und die unangenehmen Dinge anpacken müssen. Die Verbraucher sollten angesichts der Mißstände im Lebensmittelrecht und angesichts all der Zustände, die ich hier nur andeuten will, nicht das Gefühl haben, daß sie von einer Mauer des Schweigens umgeben sind. Die Verbraucher sollten aber auch nicht durch sensationell aufgemachte Berichte in den Zeitungen beunruhigt werden. Unsere Menschen leben in genug Unruhe und in genug Unsicherheit.
Das Lebensmittelrecht gehört zu den Problemen, die in diesem Hause und anderswo kein Gegenstand der Parteipolitik sein dürfen. Es ist Sache aller Fraktionen, gemeinsam mit der Bundesregierung nach dem richtigen Weg zu suchen und die Beratungen in einem Geist zu führen, der nicht den Interessen einzelner Wirtschaftszweige, sondern vor allen Dingen dem Schutz der Verbraucher und der Volksgesundheit dient. Ich bin überzeugt, daß auch in dieser Angelegenheit wir Frauen einen vernünftigen Beitrag dazu leisten können, daß solche Grundsätze verwirklicht werden.
Die Fraktion der Deutschen Partei ist darüber erfreut, daß das Bundesinnenministerium den Gesetzentwurf bald vorlegen will. Bei der Beratung wird sich noch ein Problem hinsichtlich der Beteiligung der einzelnen Ausschüsse ergeben. Neben dem federführenden Ausschuß für Gesundheitswesen sollten nicht nur der Rechtsausschuß wegen der Strafbestimmungen - das versteht sich von selbst -, sondern auch der Wirtschaftsausschuß und der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum mindesten Gelegenheit haben, durch das Anhören von Sachverständigen oder durch die Heranziehung seitens des Vorsitzenden in noch zu bestimmenden einzelnen Fragen ihre Meinung zu sagen.
({1})
Das Wort hat Herr Dr. Stammberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freie Demokratische Partei hat sich von Anfang an der notwendigen Neuregelung des Lebensmittelrechts nicht verschlossen. Wir sind auch im vergangenen Bundestag bis zuletzt der Meinung gewesen, man hätte die Novelle noch verabschieden können.
Man soll die Dinge nicht bagatellisieren, man soll sie aber auch nicht dramatisieren. Beides geschieht leider sehr häufig gerade bei der Behandlung dieses Problems in der Öffentlichkeit. Da können Sie einerseits lesen, daß über die Kochtöpfe hinweg das deutsche Volk allmählich dem Gifttod entgegengehe. Da können Sie andererseits lesen - und das schrieb sogar eine ansonsten sehr vernünftige Zeitung im Juli dieses Jahres -, daß der Bundestag so nach der Methode Gustav Nagel den Hausfrauen sogar das Braten, Backen und Kochen verbieten will.
Worum geht es denn bei diesem Gesetz? Es geht nicht etwa darum, jeden Zusatz und jede Behandlung zu verbieten. Es kommt uns vielmehr darauf an, alles das zu unterbinden, was sich nicht als gesundheitlich völlig einwandfrei erwiesen hat. Bei der Beurteilung dieser Frage im Einzelfall dürfen nicht wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen, sondern im Interesse der Volksgesundheit lediglich
wissenschaftliche Erkenntnisse und Urteile, wie sie uns in großer Zahl bei der Beratung im letzten Bundestag vorgelegen haben und uns wahrscheinlich auch in der kommenden Zeit wieder vorliegen werden.
Weil es nicht um irgendwelche wirtschaftlichen Einzelinteressen geht, möchte ich auch hier einmal ganz offen etwas sagen. Es wäre sehr zweckmäßig, wenn die Lobbyisten, die gerade bei diesem Gesetz mit einem Masseneinsatz von Menschen und Material gekommen sind, ihre Tätigkeit in Zukunft etwas einstellten und nicht wie die Sputniks ununterbrochen diesen Ausschuß umkreisten. Es wäre sehr zweckmäßig, wenn sie - um beim Beispiel zu bleiben - in eine etwas gesündere Atmosphäre kämen und dort, wie die Sputniks ansonsten auch, in der Atmosphäre verglühten.
Es geht nicht allein darum, was man will, sondern es kommt, wenn wir uns gesetzgeberisch damit zu befassen haben, auch darauf an, wie man das Problem löst. Was der Ausschuß in der letzten Legislaturperiode erarbeitet hat, zeugt zwar von sehr viel gutem Willen, ist aber zweifellos keine Patentlösung. Es war für uns, die wir in diesem Ausschuß mitgearbeitet haben, wohl von vornherein mehr oder weniger nur eine Notlösung, zu der wir kommen mußten, weil wir durch die reichlich verspätete Vorlage eines Gesetzentwurfs seitens der Regierung etwas in Zeitdruck gekommen waren. Wir waren uns damals alle darüber klar, daß es nur die erste Stufe zu einer umfassenden Reform des Lebensmittelrechts im kommenden Bundestag sein sollte.
In diesem Zeitdruck befinden wir uns jetzt nicht mehr. Der Herr Bundesinnenminister hat vorhin mit Recht gesagt, daß wir ja nicht - wie bei der letzten Beratung - am Ende einer Legislaturperiode, sondern am Beginn einer Legislaturperiode stehen. Ich bin mit dem Herrn Bundesinnenminister und etwas entgegen meiner verehrten Kollegin Frau Dr. Steinbiß der Meinung, daß wir die vor uns liegenden vier Jahre dazu benützen sollten, uns nicht mit einer Novelle zu begnügen, sondern einmal die Hand an die Wurzel der bisherigen Gesetzgebung zu legen. Unter diesem Gesichtspunkt bedauere ich - sosehr jede gesetzgeberische Initiative zu begrüßen ist, wie sie jetzt von der SPD ausgegangen ist -, daß die SPD sich in ihrem Initiativgesetzentwurf nur das zu eigen gemacht hat, was der Ausschuß in der letzten Legislaturperiode erarbeitet hat. Der Herr Bundesinnenminister hat vorhin die Regierung dafür, daß die durch die SPD „überrundet" worden sei, zu entschuldigen versucht, indem er darauf hinwies, daß eben der Entwurf der SPD manche Mängel aufweise. Das ist richtig, Herr Minister. Aber worauf beruhen denn die Mängel? Sie beruhen darauf, daß die SPD sich die Ausschußvorlage des letzten Bundestages zu eigen gemacht hat; und die Mängel dieser Ausschußvorlage beruhten eben darauf, daß die Verhandlungsgrundlage im Ausschuß der Regierungsentwurf war. Da lag die Wurzel allen Übels, da begann nach meiner Auffassung bereits mancher Fehler, der sich hätte vermeiden lassen. Wir sind sehr erfreut, jetzt zu hören, daß die Bundesregierung einen neuen, überarbeiteten Gesetzentwurf vorlegen will. Das, was wir bisher gehört haben, auch das, was der Herr Minister heute gesagt hat, läßt uns hoffen, daß manche Fehler der letzten Zeit vermieden werden.
Wie dem auch sei, wir sind der Meinung, daß in diesem Bundestag ein modernes, allen Anforderungen gerecht werdendes Lebensmittelgesetz im Sinne einer Reform und nicht nur einer einfachen Novellierung geschaffen werden muß. Wir haben die Überzeugung, daß es auch geschaffen werden wird.
Wir stimmen aus diesem Grunde der Überweisung des vorliegenden Gesetzentwurfs an die Ausschüsse zu und bitten die Regierung an dieser Stelle noch einmal, sich mit der Vorlage ihres Entwurfs so sehr wie möglich zu beeilen, damit keine weiter Verzögerung der Ausschußberatung eintritt.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; wir kommen zur Abstimmung. Es ist beantragt, die Vorlage an den Ausschuß für Gesundheitswesen als federführenden Ausschuß und an den Rechtsausschuß als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. - Weitere Anträge werden nicht gestellt. Das Haus ist mit der Überweisung an die beiden Ausschüsse einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung und Angleichung des Rechts der Krankenversicherung im Land Berlin ({0}) ({1});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik ({2}) ({3}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Geiger ({4})
Geiger ({5}) ({6}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum vorliegenden Gesetzentwurf liegt Ihnen ein umfassender Schriftlicher Bericht vor, so daß ich mich in meiner Berichterstattung auf zwei Gesichtspunkte beschränken kann.
Zum ersten ist dem Bericht noch nachzutragen, daß zu § 1, der die Änderung des Selbstverwaltungsgesetzes betrifft, von den Abgeordneten der SPD angeregt worden ist, angesichts der Situation Berlins in Berlin das Vorschlagsrecht für die Vertreterlisten nur den anerkannten gewerkschaftlichen Organisationen zu überlassen, um damit zu erreichen, daß entsprechend unserem Parteiengesetz die demokratische Willensbildung nur über die großen Organisationen. und Parteien erfolgt. Der Ausschuß konnte diesem Verlangen nicht entsprechen und hat
Geiger
es in seiner Mehrheit abgelehnt. Er hat aber die Vorlage umgestaltet und bestimmt, daß Vorschlagslisten nur diejenigen Organisationen einreichen können, deren Tätigkeit sich über das ganze Bundesgebiet erstreckt, um damit zu verhindern, daß aus der Situation Berlins heraus Komplikationen entstehen.
Zu § 15, der die Übernahme des Personals der Krankenversicherungsanstalt Berlin behandelt, habe ich noch nachzutragen, daß der Ausschuß den einmütigen Wunsch zum Ausdruck gebracht hat, daß die zu übernehmenden Angestellten und Beamten der Krankenversicherungsanstalt Berlin entsprechend ihrer Zusammensetzung nach Alter, Geschlecht und Dienststellung nach Möglichkeit von den neu zu errichtenden Versicherungsträgern übernommen werden. Der Ausschuß hat auch den Senat der Stadt Berlin ausdrücklich gebeten, bei der Übernahme und bei der Erhaltung des Rechts dieser Beamten und Angestellten mitzuhelfen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter:
Wir kommen zur zweiten Beratung. Ich rufe auf § 1 - hierzu liegt kein Antrag vor - und § 2; hierzu liegt ebenfalls kein Antrag v or. Wer mit diesen Bestimmungen einverstanden ist, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
§ 3. Hierzu liegt ein Antrag der SPD vor, die
§§ 3 bis 19 zu streichen. Für den Fall, daß dieser Antrag abgelehnt werden sollte, sollen zu den §§ 15 und 16 Änderungen beschlossen werden. Wer begründet den Antrag? - Das Wort hat der Abgeordnete Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe hier die Ziffer 1 des Änderungsantrags meiner Fraktion zu begründen, der Ihnen als Umdruck 3 vorliegt. Mit diesem Antrag wird noch einmal klargestellt, daß es hier keine Meinungsverschiedenheit über die Einführung der Selbstverwaltung in der Berliner Sozialversicherung gibt. Sie ist notwendig, sie entspricht unserer grundsätzlichen Auffassung, und wir wollen sie so schnell wie möglich. Im übrigen hätte diese gewählte Selbstverwaltung nach unserer Meinung auch in Berlin längst erreicht werden können, wenn nicht immer wieder der Versuch gemacht worden wäre, mit diesem Schritt Leistungs-, Finanz- und Organisationsprobleme der Berliner Krankenversicherung zu verbinden.
({0})
Dies geht auch aus der Vorgeschichte des Entwurfs der CDU/CSU-Fraktion hervor, dem eine Regierungsvorlage im 2. Bundestag voraufgegangen ist und dem jetzt wieder eine neue Regierungsvorlage gegenübersteht, die bereits im Bundesrat behandelt worden ist und die der Herr Arbeitsminister dann mit Rücksicht auf den Entwurf seiner Fraktion zurückgestellt hat.
Es ist nun der Sinn unseres Antrags, den vorliegenden Entwurf auf die Selbstverwaltungsparagraphen zu beschränken und die anderen Probleme an dieser Stelle auszuklammern. Diesem Streichungsantrag liegt die Überlegung zugrunde, daß die allgemeine Angleichung an das Recht der Bundesrepublik nicht isoliert, sondern im organischen Zusammenhang mit der Krankenversicherungsreform vorgenommen werden sollte, die von der Regierung immer wieder angekündigt und auch in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers in Aussicht gestellt worden ist. In dieser Auffassung, im Zusammenhang zu läsen, was zusammengehört, sind wir nicht zuletzt durch den Verlauf der Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß bestärkt worden. Dabei hat sich nämlich erwiesen, welche Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Leistungen und der Beitragsbelastung in Berlin entstehen können, wenn diese Rechtsangleichung jetzt vorgenommen wird, d. h. zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Krankenversicherung in der Bundesrepublik in einer äußerst angespannten Lage befindet. Gerade die Entwicklung der letzten Monate hat doch anschauliche Beispiele dafür gegeben, wie es heute um die Krankenversicherung in der Bundesrepublik bestellt ist und daß eine Reform dieser Zustände vor allem anderen not tut. Hier liegen die Probleme, die nach unserer Auffassung angefaßt werden müssen. Da ist beispielsweise die Tatsache, daß die Krankenversicherung immer mehr unter das Diktat der leeren Kassen gerät und die Beiträge ständig erhöht werden. Da ist die Tatsache, daß wir heute in der Bundesrepublik noch keine ausreichende Gesundheitsvorsorge haben, trotz aller Ermahnungen und trotz aller Erfahrungen, die auf diesem Gebiet vorliegen. Und da ist das Übel, daß es heute noch immer eine Aussteuerung bei der Krankenhauspflege gibt. Das kann nicht länger verantwortet werden.
({1})
Da sind ferner - um das noch anzufügen - die Beziehungen 'zwischen Arzt und Krankenkasse, mit denen wir uns neu beschäftigen müssen.
Ich habe diese Beispiele hier aufgezeigt, um klarzustellen, wo die Schwerpunkte liegen, mit denen wir uns zu befassen haben und die mit gutem Gewissen nicht auf die lange Bank geschoben werden können. Es liegt im Interesse der Versicherten sowohl in der Bundesrepublik als auch in Berlin, daß hier positive Lösungen erzielt werden. Eine formale Rechtsangleichung in diesem Augenblick und unter diesen Voraussetzungen bringt uns nach meiner Meinung in der Sache nicht weiter. Im Gegenteil, die Lage ist doch, daß durch den vorliegenden Gesetzentwurf die Finanzkraft eines Versicherungsträgers geschwächt wird, der bisher zu den relativ Finanzstärksten gehört hat und der sich in der Krise der letzten Monate noch am besten mit behaupten konnte.
({2})
Abschließend darf ich noch einmal auf unsere Auffassung hinweisen, daß der Weg der Rechts188
angleichung nicht ,am Vorabend, sondern im Zusammenhang mit der Krankenversicherungsreform gegangen werden sollte. Angesichts all der Bedenken, die im Ausschuß und auch hier vorgetragen worden sind, bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
({3})
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei den Paragraphen, die nach dem Antrag der SPD-Fraktion gestrichen werden sollen, handelt es sich um organisatorische Rechtsangleichungen, die die SPD vermieden wissen möchte. Ich habe mich im Jahre 1952, als dasselbe Thema zur Debatte stand, für die Auffassung der SPD ausgesprochen, und zwar angesichts der damaligen Situation in Berlin. Aber ich bin der Meinung, daß auch in Berlin die Entwicklung nicht stehengeblieben ist und daß wir heute in Berlin wirtschaftlich und auf allen anderen Gebieten eine ganz andere Situation haben als in der damaligen Zeit. Angesichts dieser Entwicklung bin ich in der Organisationsfrage der Meinung, daß man heute die Rechtsangleichung herbeiführen sollte.
Ich möchte daher bitten, den Antrag der SPD abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
({0})
- Ihr Antrag kommt ja erst bei § 4.
({1})
Wollen Sie dann bitte Ihren Antrag begründen, Frau Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Zuruf des Herrn Kollegen Stingl: „Wenn das gestrichen wird, dann ist auch der § 4 erledigt", würde zutreffen, wenn eine Aussicht bestünde, daß der eben vertretene Antrag der SPD angenommen wird. Ich glaube nicht, daß diese Aussicht im Plenum des Hauses besteht. Deshalb muß ich leider unsere Änderungsanträge begründen. Ich möchte bitten, um der Verkürzung der Debatte willen dabei gleich zu den eben gemachten Ausführungen Stellung nehmen zu dürfen.
War haben seit fast 12 Jahren immer wieder über die Probleme sprechen müssen, die uns manchmal heiße Köpfe und heißes Blut gemacht haben, nämlich über die unterschiedliche Rechtsentwicklung in der Sozialversicherung im allgemeinen und in der Krankenversicherung im besonderen. Es ist mir ein Bedürfnis, hier folgendes festzustellen. Ebenso erfreulich, wie die Sachlichkeit der Debatte in der ersten Lesung war, ist der Tatbestand, daß wir mit diesem schwierigen Problem im Ausschuß für Sozialpolitik in einer eintägigen Sitzung fertig geworden sind.
Ich meine, daß wir bet der Schwierigkeit und angesichts des Sprengstoffs, der in diesem Problem enthalten ist, über die wichtigen politischen Fragen, um die es hier geht, in sehr viel gründlicherer Form sprechen sollten, als das eben bei der Begründung durch den Antragsteller geschah. Er meinte schlechhin, daß es sich bei der Rechtsangleichung der Krankenversicherungsanstalt Berlin, ihrer Auflösung und der Schaffung gleichen Rechtes nach der Reichsversicherungsordnung für alle Deutschen, also auch für die Berliner, um ein Problem der Reform der Krankenversicherung oder der besonderen finanziellen und organisatorischen Verhältnisse in Berlin handele. Weil es weit mehr ist, sind wir der Auffassung, es ist nun wirklich höchste Zeit, daß auch in Berlin die endgültige Rechtsangleichung erfolgt.
Die Fraktion der Deutschen Partei hat sich darüber gefreut, daß im Sozialpolitischen Ausschuß in fast allen Teilen Übereinstimmung der Koalitionsparteien erzielt wurde und daß in der Beratung bis auf den § 4 - eine Verständigung möglich war. Wir haben deshalb darauf verzichtet, weitere Änderungsanträge zu den übrigen Paragraphen zu stellen. Wir sind aber der Meinung, daß der § 4 als ein Teil des in dem sozialdemokratischen Antrag behandelten Problems so bedeutend und von so grundsätzlicher Art ist, daß wir darüber etwas sagen müssen.
Die Überschrift des Gesetzentwurfs der CDU/CSU, der zur Beratung stand, hieß: „Angleichung des Rechts der Krankenversicherung". Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion betonte, daß dieser Gesetzentwurf eine Reform der Krankenversicherung verhindere. Es handelt sich also weder nach der Überschrift des CDU-Entwurfs noch nach der Meinung der sozialdemokratischen Fraktion bei diesem Gesetz um eine wirkliche Angleichung des Rechts der Krankenversicherung. Tatsächlich handelt es sich nur um ein Angleichung des Rechts der Selbstverwaltung und nur um eine Teilangleichung des Rechts der Krankenversicherung.
Zu diesem Problem und gleichzeitig zur Begründung unseres Antrages möchte ich noch einiges sagen. Die Fraktion der Deutschen Partei hat immer anerkannt, daß die besondere politische und wirtschaftliche Lage in Berlin unsere besondere Fürsorge und unser besonderes Nachdenken und auch besondere Opfer erfordert. Wir haben uns immer zu diesem Einsatz und zu diesen Opfern bekannt. Wir können aber wirklich nicht feststellen und wirklich nicht finden, wieso die Vereinbarungen, die in Berlin getroffen worden sind und die eine wirkliche Anpassung des Rechts auf der Bundesebene verhindern, um eine Anpassung nach dem Berliner Anpassungsgesetz zu erreichen - das weiterhin für Berlin als Ausnahmerecht bestehenbleiben soll -, etwas mit der politischen und wirtschaftlichen Situation Berlins zu tun haben. Wir können nicht verstehen und ergründen, wieso die Beseitigung der unterschiedlichen VersicherungsFrau Kalinke
pflichtgrenze - 660 DM ist sie nach reiflichen Überlegungen im Bundesgebiet, und 750 DM ist sie in Berlin -, der unterschiedlichen Beitragsbemessungsgrenze, nach der bei uns nach 660 DM, in Berlin dagegen nur nach 600 DM Monatseinkommen Beiträge erhoben werden, der unterschiedlichen Behandlung von Angestellten, die bei Bundesbehörden und solchen, die bei anderen Berliner Betrieben beschäftigt sind, die politische oder wirtschaftliche Situation Berlins gefährden würde, wenn wir nun endlich dieses Berliner Recht an das Recht der Bundesrepublik anpaßten. Wir können auch nicht verstehen, warum besonderes Recht für die Weiterversicherung oder besonderes Satzungsrecht für die AOK Berlin erhalten bleiben soll, während die übrigen Kassen von diesem Satzungsrecht keinen Gebrauch machen können; denn eine Betriebskrankenkasse, die im Bundesgebiet und in Berlin vertreten ist, kann sicherlich nicht in Berlin andere Leistungen geben als im Bundesgebiet. Und die Ersatzkassen, die ihre Mitglieder über das ganze Gebiet betreuen, werden auch nicht willens sein, die Berliner Mitglieder nach anderem Recht zu behandeln und ihnen andere Leistungen zu geben als im Bundesgebiet.
Wenn noch etwas die Richtigkeit unserer immer wieder zum Ausdruck gebrachten Bedenken bestätigt hat, dann waren es die Ausführungen des Berliner Senators im Ausschuß für Sozialpolitik. Er hat selbst erklärt, es sei unerträglich, daß in Berlin unterschiedliches Recht bestehe, und er hat den Vorschlag gemacht, die damals von Berlin selbst angeregte Gesetzesänderung wieder rückgängig zu machen und nun auch das Berliner Recht auf die Berliner Bundesbehörden zu übertragen.
Ich möchte gegenüber dem, was in den vorangegangenen Debatten zum Ausdruck gekommen ist, hier ohne Ressentiment sagen, daß wir den Sprecher der SPD nicht verstehen, der sagte, daß nun eine besondere Krankenversicherung in Berlin in ihrer Entwicklung gestört und die Finanzkraft eines Versicherungsträgers, der sich in der Krise bewährt habe, gefährdet werden solle. Allen Kennern der Materie ist bekannt, wie die Dinge in Wirklichkeit liegen. In Berlin beruht die notwendige Beitragserhöhung auf denselben Grundlagen wie im Bundesgebiet; es sind dieselben Voraussetzungen für Beiträge und Leistungen gegeben wie im Bundesgebiet, sie sollen nur in Berlin andere bleiben und im Bundesgebiet andere werden. Man verschweigt dabei, daß die KVA Berlin eine bessere Startmöglichkeit und höhere Einnahmen dadurch gehabt hat, daß das Recht des § 189 RVO den Angestellten, die Anspruch auf Gehaltszahlung haben, vorenthalten worden ist, sie mußten in Berlin höhere Beiträge entrichten. Wir meinen aber, es sei nun an der Zeit, deutlich zu machen, daß Koalitionsvereinbarungen in einem Land nicht etwa Grundsatzentscheidungen beeinflussen dürfen, die wir hier im Bundestag zu treffen haben und die die Bundespolitik angehen. Das gilt sowohl für Berlin als auch für Nordrhein-Westfalen und für Niedersachsen. Nachdem so oft über diese Dinge gesprochen wird, muß ich hier aus politischen Gründen deutlich machen, daß die Wähler, die uns gewählt haben, von uns erwarten, daß wir die Rechtseinheit im Bundesgebiet und in Berlin herstellen.
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- Auch die Wähler, die Sie in der CDU und in der SPD gewählt haben! Ich habe das „uns" umfassend für das ganze Parlament gemeint. Wir haben den Auftrag, Bundesrecht zu schaffen, und nicht den, auf besondere Schwierigkeiten Rücksicht zu nehmen. Dabei kann ich mir gar nicht denken, daß ein kluger Kommunalpolitiker oder Landespolitiker etwa von diesem § 4 und von der Frage der Angleichung des Berliner Rechts an das Bundesrecht seine politischen Entscheidungen abhängig macht, zumal keinerlei Sprengstoff darin enthalten ist.
Wir bitten Sie daher, meine Kollegen aus allen Fraktionen, sorgen Sie mit Ihrer Entscheidung dafür, daß in Berlin das gleiche Recht gilt wie im Bundesgebiet, daß zumindest eine wirkliche Anpassung erfolgt bezüglich der Ausnahmebestimmungen der §§ 9, 11, 12, 13, 14 und 18 des Berliner Anpassungsgesetzes, in denen es sich um die andere Versicherungspflichtgrenze, um die andere Beitragsbemessungsgrenze, um das besondere Recht hinsichtlich der Weiterversicherung und das Satzungsrecht handelt. Die übrigen Paragraphen, nach denen in Berlin höhere Leistungen gewährt werden, mögen bis zur Reform der Krankenversicherung bestehenbleiben. Insofern will ich anerkennen, daß es vielleicht schwierig für Sie ist, sie zu beseitigen. Unmöglich ist es keineswegs, zumal jede Anpassung des Rechts immer damit erkauft werden muß, daß der Politiker mit guten Gründen das Opfer wie das Geschenk zu erklären und zu vertreten in der Lage sein muß. Weil es keine guten und sachlichen Gründe für die Beibehaltung dieses Berliner Sonderrechts gibt, sind wir der Meinung, daß es an der Zeit ist und endlich eine gute Tat wäre, wenn wir hier dazu beitragen, die Rechtseinheit zwischen Berlin und dem Bundesgebiet so weitgehend wie nur möglich und so weit, als es für Berlin keine Schwierigkeiten bedeutet weder politische noch wirtschaftliche -, herzustellen.
Ich bitte Sie daher, den Antrag der Sozialdemokratischen Partei abzulehnen, weil er diese Angleichung des Rechts verhindern will, und dem Antrag der Fraktion der Deutschen Partei zuzustimmen.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Krappe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sozialpolitische Ausschuß hat in seinem Beschluß ausdrücklich vermerkt: soweit das Berliner Recht die Versicherten gegenüber dem Recht des Bundesgebietes begünstigt, bleibt das Leistungsrecht unberührt. Der Antrag der Deutschen Partei, § 4 zu streichen, würde dem aber widersprechen. Gestatten Sie mir einige Worte dazu.
Diese Verschlechterung würde insbesondere bedeuten, daß auch in Berlin die Aussteuerung für Kranke wieder eingeführt werden müßte. Das wäre eine besondere Härte bei Krankheitsfällen mit langem Krankenhausaufenthalt. Ich möchte dazu sagen, daß wir Berliner hier nichts Besonderes wollen. Wir bedauern allerdings sehr, daß das im übrigen Bundesgebiet so ist. Wir meinen, daß man den umgekehrten Weg gehen sollte.
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Man sollte diese unsoziale Maßnahme ändern und endlich aufhören, Kranke auszusteuern, wenn sie das Pech haben, längere Zeit krank zu sein.
Die medizinische Forschung, die zur Zeit so viel Neues bringt - danach ist eine ganz andere Krankenbehandlung erforderlich -, wird in den nächsten Jahren sehr viel dazu beitragen müssen, das ganze System zu ändern. In erster Linie sollte der Staat interessiert sein, daß für die Gesunderhaltung seiner Bürger alles, was die Forschung an neuen Heilmöglichkeiten bringt, angewendet wird. Da das sehr teure Mittel sein werden, wird man hier eben Neues und in den übrigen Gebieten Verbesserungen bringen müssen. In einem Gebiet, wo seit zwölf Jahren ein nach meiner Auffassung wesentlicher Fortschritt zu verzeichnen ist, Frau Kalinke, sollte man den bestehenden Zustand doch nicht abschaffen! Das würde die Bevölkerung dort auch nicht verstehen. Die medizinische Forschung bringt ihre Medikamente ja nicht nur für wenige Begüterte heraus, die sich alles leisten können, sondern sie will sie der Masse des Volkes bringen. Es ist doch klar, daß derjenige, der besser gestellt ist, sich zu den Medikamenten, die ihm die Krankenkasse bietet, zusätzlich immer noch Privatmedikamente oder irgendwelche anderen Hilfsmittel leisten kann. Man sollte das Grundleistungsprinzip für alle Bürger, ob begüterte oder unbegüterte, unbedingt verwirklichen, wo es noch nicht besteht, und dort, wo es besteht, sollte man es erhalten.
Sie haben nun gesagt: Berlin hat hier einiges nicht durchgeführt, was sonst üblich ist, etwa daß die Angestellten in Berlin höhere Beiträge zahlen müssen. Die Unruhe ist nicht in Berlin entstanden, sie wird von hier aus künstlich nach Berlin hineingetragen. In Berlin hat man eben noch so viel soziales Empfinden, daß man sagt: Wir zahlen alle den gleichen Satz, denn wir haben alle die gleiche Hilfe im Notfall. Aber vielleicht verstehen das nicht alle. Es ist immer so: in Notzeiten steht man besser zusammen, und da Berlin eben in einer Notlage lebt, ist dort vielleicht das soziale Empfinden stärker ausgeprägt.
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Frau Kollegin Kalinke hat hier nur von den Angestellten gesprochen. Ich muß sagen, daß ich, die ich von Beruf selber Angestellte bin, mich darüber sehr gewundert habe. Es gibt in Berlin zu Hunderttausenden Arbeiter, leider zu Zehntausenden Arbeitslose und zu Hunderttausenden Rentner. Daher würden, wenn der § 4 gestrichen werden sollte, rund eine Million Versicherter von Verschlechterungen betroffen werden.
Ich bedauere, daß das für unsere Begriffe fortschrittliche Recht der Berliner Krankenversicherung überhaupt zum Gegenstand einer Regelung auf Bundesebene gemacht und, wie wir meinen, zerstört wird. Aber wenn Sie schon diese Regelung treffen wollen, dann machen Sie sie wenigstens nicht völlig unsozial, sondern erhalten Sie den Leistungsstand auch der Allgemeinen Ortskrankenkasse! Sie beneiden die Berliner um so vieles nicht; alles, was unangenehm ist, lassen Sie gern den Berlinern
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und finden höchstens anerkennende Worte dafür, daß sie es ertragen. Hier aber sollten Sie auch einmal Taten zeigen und Berlin das auf diesem einen Sektor bessere Recht lassen. Wenn Sie eine Angleichung vornehmen wollen, dann führen Sie die besseren Regelungen auch im Bundesgebiet ein, statt Berlin diese besseren Regelungen zu nehmen. Die breiten Schichten brauchen die Gesundheit genauso wie die wenigen Begüterten. Was Sie hier mehr ausgeben, sparen Sie vielleicht später einmal in der Invalidenfürsorge.
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Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir leider beschieden, mich nicht nur gegen den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion und gegen die Ausführungen der verehrten Vorrednerin, sondern auch gegen unseren verehrten Koalitionspartner wenden zu müssen, dessen Antrag soeben von Frau Kalinke begründet worden ist.
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- Es fällt mir schwer. Aber es ist mir auch ein Vergnügen, mich mit der Jungfernrede der verehrten Kollegin, die vor mir gesprochen hat, auseinanderzusetzen. Zu dem sozialdemokratischen Änderungsantrag ist schon von meinem Kollegen Arndgen einiges ausgeführt worden.
Die Rede, die wir soeben gehört haben, ließ deutlich erkennen, daß die verehrte Kollegin alles das, was in der Vergangenheit in diesem Hohen Hause zur Angleichung der Berliner Sozialversicherung an das Bundesrecht getan worden ist, nicht miterlebt hat. Das kann uns vielleicht veranlassen, ihr bezüglich dieser Rede gewisse mildernde Umstände zuzubilligen. Mit aller Entschiedenheit aber muß ich mich im Namen meiner Fraktion gegen den Vorwurf verwahren, wir hätten alles, was die Berliner an Schwierigkeiten bedrücke, sehr gern den Berlinern überlassen und damit eine unsoziale Haltung - das Wort „unsozial" ist von der Frau Kollegin auch mit Bezug auf die Gesetzgebung im Bund gebraucht worden - oder ein gewisses Unverständnis gegenüber der Berliner Situation bewiesen. Wir haben in der Vergangenheit wohl ungezählte Male alles Verständnis für die Lage Berlins bewiesen.
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Wenn wir nicht alles Verständnis für die Lage Berlins hätten, verehrte Frau Kollegin, dann hätte hei der Frage, welche finanziellen Zuschüsse der Berliner Haushalt vom Bund erhalten soll, wahrscheinlich nicht die Großzügigkeit gewaltet, wie sie hier stets zu verzeichnen gewesen ist. Angesichts dieser Tatsache ist es sehr befremdend, daß von dieser Stelle aus von der Sprecherin der sozialdemokratischen Fraktion - auch wenn ich ihr ihre Zugehörigkeit zum Lande Berlin anrechne - diese Ausführungen gemacht werden konnten.
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Nun zu den im Zusammenhang mit dem Antrag der Sozialdemokratie eben hier gemachten Ausführungen noch folgendes. Wir brauchen uns über den Inhalt Ihres Antrags nicht sehr lange auseinanderzusetzen. Ich berufe mich wieder auf das, was wir im vergangenen Bundestag bei der ersten Lesung ausgeführt haben und was wir im Ausschuß zu diesem Thema immer wieder deutlich gemacht haben; ich möchte es hier nur noch einmal unterstreichen. Für uns ist die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ein einheitliches Ganzes. Bei der Neuordnung dieses Kapitels des Zweiten Buchs der Reichsversicherungsordnung sind sehr viele schwierige, sehr viel komplexe Einzelfragen zu lösen, die im Zusammenhang mit dem Gesamtproblem dieser Regelung sehr verantwortungsbewußt geprüft werden müssen. Es ist einfach nicht vertretbar und uns unverständlich, daß man bei dieser Gesetzesvorlage jetzt den einen oder anderen Paragraphen herauspickt, der zwar mit dem Berliner Sozialversicherungsanpassungsgesetz und den dortigen Vorschriften in Übereinstimmung stünde, aber das Ganze unter Umständen stören könnte, daß man glaubt, das jetzt zu einer vorläufigen ersten Entscheidung über die Neuordnung der gesetzlichen Krankenversicherung machen zu sollen. Dagegen wehren wir uns, eben weil das das Ganze stört, und ich wiederhole, daß wir die dahingehenden Bestrebungen auch heute ablehnen.
Wenn Sie die §§ 3 bis 19 völlig streichen wollen, dann mag das mit Ihrer sozialdemokratischen Konzeption von der Gestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung übereinstimmen. Aber wenn Sie glauben, daß Sie bei der in Frage kommenden Berliner Bevölkerung für diese Ihre Haltung auch nur das geringste Verständnis finden, dann sind Sie sehr, sehr im Irrtum.
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- Ich räume Ihnen ein, daß Sie manches besser wissen, aber das wissen Sie nicht besser.
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- Ja, ja, wir kennen uns schon aus der früheren Auseinandersetzung in Berlin!
Also in diesem Zusammenhang mögen Sie wohl Ihre parteipolitische Konzeption hier geradlinig verfolgen. Aber das, was jetzt verabschiedet werden soll, verehrte Kollegen, ist nicht von hier aus in die in Frage kommenden Kreise in Berlin hineingetragen worden. Hier wird vielmehr ein Wort eingelöst und eine Forderung erfüllt, die von den Berliner Kreisen der hier in Betracht kommenden Versicherten und auch ihrer Arbeitgeber seit Jahr und Tag erhoben worden ist. Sie allerdings haben bisher in Versammlungen, Kundmachungen und sonstwie alles getan, um deutlich zu machen, daß Sie damit nicht einverstanden sind.
Aber wir sind ja hier dem Grunde und der Sache nach in völliger Übereinstimmung mit den wiederholten Beschlüssen des Berliner Senats. Auch er hat ausdrücklich betont, daß, nachdem wir vor Jahr und Tag die Unfallversicherung, dann die Rentenversicherung angepaßt und angeglichen haben, nun auch dieser letzte Teil, das Recht der Krankenversicherung, in der Form, wie sie in der Vorlage gestaltet ist, an das Bundesrecht angeglichen werden soll. Das gilt also einmal für die Selbstverwaltung und zum zweiten für die Teile der Reichsversicherungsordnung, deren andersartige Regelung Sie eben nicht wünschen oder wo Sie das hiesige Recht allzugerne an das Berliner Recht angleichen würden. Wir bleiben Anhänger der gegliederten Krankenversicherung und werden daran festhalten. - So viel zu Ihrem Antrag.
Nun an die Adresse der verehrten Koalitionspartei! Frau Kollegin Kalinke weiß, daß wir hier - wir haben auch darüber schon sehr, sehr oft gesprochen - von unserem Standpunkt nicht abgehen können. Die Deutsche Partei hat das Pech oder auch das Glück, daß sie in der Berliner Koalition nicht vertreten ist. Sie hat also keinen Anteil an der Verantwortung, die den Regierungsparteien in Berlin aufgetragen ist. Der Sache nach stimmen wir in vieler Beziehung mit dem, was Frau Kalinke vorgetragen hat, überein. Aber wir haben in diesem Fall im Gegensatz zu Frau Kalinke, die hier so völlig frei von der Leber weg für ihre Fraktion reden kann, höhere politische Verpflichtungen und müssen auch auf die in Berlin geltenden Koalitionsvereinbarungen Rücksicht nehmen.
Wir haben weitere Rücksicht zu nehmen! Wir dürfen durch diese Gesetzesvorlage zur Zeit keine koalitionspolitischen Schwierigkeiten in Berlin auslösen. Auch das ist Rücksichtnahme auf die besondere Lage Berlins, Rücksichtnahme wegen höherer politischer Verpflichtungen.
Aus diesem Grunde - Frau Kollegin Kalinke, das wissen Sie - ist die CDU/CSU-Fraktion heute wie gestern nicht in der Lage, Ihrem Antrag zu folgen. Ich wiederhole, er enthält sehr viel sachlich Richtiges und Zutreffendes, und unter anderen politischen Gegebenheiten wären wir sicher bereit, ihm zuzustimmen. Aber heute und jetzt sind wir dazu nicht in der Lage. Wir werden jedoch diese Fragen bei der Gesamtreform der gesetzlichen Krankenversicherung gemeinsam mit Ihnen sehr verantwortungsbewußt prüfen und entscheiden.
Für heute bitte ich das Hohe Haus, sowohl den Antrag der SPD als auch den unserer verehrten Koalitionspartner abzulehnen und der Fassung der Ausschußvorlage in diesen Punkten zuzustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Will.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stellungnahme der Freien Demokratischen Partei zu dem vorliegenden Gesetz zur Angleichung des Rechts der Krankenversicherung im Lande Berlin geht von der grundsätzlichen Haltung aus, daß auf dem Gebiet des Versicherungswesens nur so viel Zwangsversicherung wie nötig eingeführt werden soll und daß man der privaten Vorsorge ein möglichst weites Feld der Eigenbetätigung geben muß. Der Grundsatz „Soviel Bindung als nötig, soviel Freiheit als möglich" muß unserer Meinung nach auch hier gelten. Aber auch innerhalb der Zwangsversicherung gibt es einige Möglichkeiten der individuellen Auswahl unter einer Reihe von Krankenversicherungsträgern. Hier im Bundesgebiet existieren ja wohl acht verschiedene Gruppen.
Nun liegen zwei Anträge aus dem Hause vor. Die SPD möchte mit ihrem Antrag eigentlich nur die Selbstverwaltung in Berlin einführen, dagegen nicht eine Angleichung des Rechts - d. h. die Wiederzulassung der Ersatzkassen, Innungskassen, Betriebskrankenkassen und dergleichen - vornehmen. Die DP dagegen möchte mit ihrem Antrag erreichen, daß eine Rechtsangleichung in vollem Umfang erfolgt, und zwar so, daß die bisher in Berlin gegenüber dem Bundesgebiet bestehenden Abweichungen nicht mehr weiterbestehen.
In dieser Situation werden wir von der augenblicklichen Lage in Berlin ausgehen müssen. Wir hatten nach dem Jahre 1945 in Berlin nur eine Einheitsversicherung, die inzwischen, wie mein Herr Vorredner bereits ausgeführt hat, im wesentlichen beseitigt werden konnte, und zwar eben bis auf das Gebiet der Krankenversicherung, das uns heute beschäftigt. Nun geht es der Krankenversicherung in Berlin, der KVAB - das weiß Herr Kollege Schellenberg ja besonders gut -, keineswegs besonders glänzend. Denn wenn das, was der Finanzausschuß erklärt hat, richtig ist, daß die KVAB in diesem Jahre mit einem Defizit von 20 Millionen DM abschließt - das ist jedenfalls in der letzten Nummer des Berliner Ärzteblattes veröffentlicht worden -, dann ist die Lage keineswegs so erfreulich, wie es aus den Ausführungen, die hier bisher gemacht wurden, herausklang. Aber dazu ist vielleicht noch einiges mehr zu sagen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Dr. Will?
Ja.
Herr Dr. Will, ist Ihnen bekannt, daß die Finanzlage der Berliner Krankenversicherung trotz der Auswirkung der Grippewelle und bestimmter gesetzlicher Vorschriften immer noch wesentlich günstiger ist als die der entsprechenden Krankenkassen des Bundesgebiets und daß der Vermögensstand der Berliner Krankenversicherung zu Beginn dieses Jahres 80 Millionen DM betrug?
Das ist mir sehr wohl bekannt, Herr Professor Schellenberg. Ich weiß auch, daß Sie den gesetzlichen Reservefonds von 35 Millionen DM infolge der Höhe der Beiträge, die Sie bisher erhoben haben, erheblich überschreiten konnten. Darüber hat Frau Kollegin Kalinke schon einiges gesagt. Aber es ist andererseits genauso richtig, Herr Professor Schellenberg, daß das Jahr 1957 weit weniger erfreulich abschließt als die voraufgegangenen Jahre.
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- Natürlich. Aber es ist doch nicht so, daß man den Eindruck haben könnte, in Berlin sei das Ergebnis wesentlich besser. Das würde doch auch gar nicht mit dem übereinstimmen, was Frau Kollegin Krappe gesagt hat; denn sie hat doch gerade erklärt, daß wir in Berlin recht ungünstige Zustände haben. Die Alterspyramide ist ja, wie man weiß, in Berlin viel schlechter als im Bundesgebiet. Das heißt, die Zahl der Rentner ist in Berlin relativ wesentlich höher als im Bundesgebiet.
In der Sache selbst wird man, glaube ich, davon ausgehen müssen, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, auch in Berlin eine alte Forderung der Freien Demokratischen Partei zu erfüllen, nämlich die Wiederzulassung der Ersatzkassen und der anderen Kassen, um die es sich hier handelt. Aus diesem Grunde wird meine Fraktion dem Antrag der SPD-Fraktion nicht zustimmen können.
Andererseits können wir, glaube ich, zur Zeit noch nicht so abrupt, möchte ich beinahe sagen, vorgehen, daß wir alle bisherigen Unterschiede in der Regelung der Krankenversicherung im Bundesgebiet und in Berlin unberücksichtigt lassen. Hier wird man - und da stimme ich dem zu, was mein Kollege Horn gerade gesagt hat - den Zeitpunkt abwarten müssen - der ja nicht mehr fern ist -, in dem, bei der bevorstehenden Krankenversicherungsreform, das Zweite Buch der Reichsversicherungsordnung völlig erneuert wird. Bei dieser Gelegenheit kann dann natürlich eine Vereinheitlichung des gesamten Krankenversicherungsrechts im Bundesgebiet und in Berlin durchgeführt werden. Deshalb erscheint es uns angezeigt, dem Antrag der DP in diesem Augenblick nicht zuzustimmen, obwohl wir seinem Inhalt absolut positiv gegenüberstehen. Wir sind nur der Meinung, man sollte das noch etwas zurückstellen, damit wir nicht in einem halben oder dreiviertel Jahr die ganzen Dinge in Berlin erneut ändern müssen. Ich möchte meinen, daß es im ganzen ein Gewinn ist, wenn nun endlich auch in Berlin diese Anpassung in größtmöglichem
Umfang erfolgen kann, und zwar nicht nur auf dem Gebiet der Selbstverwaltung, sondern auch auf dem Gebiet der organisatorischen Gliederung der einzelnen Kassen, die nun wieder zugelassen werden sollen.
Ich bitte daher das Haus, im Sinne der Ausführungen, die mein Herr Vorredner gemacht hat, und mit der Begründung, die ich gegeben habe, sowohl den Antrag der SPD als auch den der DP abzulehnen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Ausführungen meiner Kollegin Frau Krappe haben mich gezwungen, mich noch einmal zu Wort zu melden. Ich kann ihr nicht ganz so liebenswürdig und nicht ganz so charmant wie Kollege Horn mildernde Umstände zusprechen, da ich weiß, daß sie nicht irgendeine Abgeordnete ist, sondern im Berliner Abgeordnetenhaus, zumindest im Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses, mit diesen Dingen sehr oft beschäftigt gewesen ist. Weil ich das respektiere und annehme, daß sie nicht nur so obenhin, wie sie vielleicht im Wahlkampf spricht, hier diskutiert, sondern die Dinge kennt, will ich auf die von ihr gemachten Äußerungen sachlich eingehen. Ich will nicht in dem gleichen Ton, in dem Sie, vielleicht mit Gefühl und sicherlich mit großem Unbehagen - das Sie haben sollten, wenn Sie Ihre Ausführungen bedenken -, hier einige Dinge unterstellt haben, die Probleme behandeln, sondern will mich bemühen, diese Unterstellungen sachlich zu widerlegen.
In der Frage der Reform der Krankenversicherung im Zusammenhang mit dem, was Sie an Einzelproblemen angesprochen haben, Frau Kollegin, sind wir doch wohl alle der Meinung, daß alle Probleme, die die Reform angehen, nur nach einheitlichem Recht, aber auch nur nach einheitlichen Möglichkeiten gelöst werden können, daß die Voraussetzungen in bezug auf Beitrag und Leistung wie in bezug auf die Kosten der Wohltaten, die wir versprechen oder erhalten wollen, für alle gleichermaßen gelten müssen. Weil wir alle in einem Boot sitzen und weil die Steuerzahler und Beitragszahler der Bundesrepublik genau wie die Steuerzahler und Beitragszahler in Berlin die Mittel dafür aufbringen müssen, deshalb, meine ich, sollten wir auch in Reformfragen wie der, ob die Aussteuerung restlos aufgehoben werden kann, zu einer Einigung kommen. Wenn Sie mich und meine sozialpolitische Konzeption kennten, wüßten Sie, daß niemand die Notwendigkeit einer ausreichenden Leistungsgestaltung für den Fall langanhaltender Krankheit mehr anerkennt und sich um die Durchsetzung dieser Forderung mehr bemüht als gerade ich. Was aber das Problem der Aussteuerung nun mit der medizinischen Forschung oder mit privaten Medikamenten zu tun haben soll, das kann ich mir nicht vorstellen. Denn, Frau Kollegin, ob jemand längere oder kürzere Zeit im Krankenhaus verweilt, das hängt sicher mit dem Grad der Schwere seiner Erkrankung und der Diagnose zusammen. Unsere Ärzte, die die Dauer des Krankenhausaufenthaltes bescheinigen, machen das sicherlich nicht abhängig von den Fortschritten der Medizin oder von dem einen oder anderen Medikament, das heute auf dem Markt erscheint.
Das Problem der Rentner und der Arbeitslosen stellt sich heute auch in Berlin nicht mehr viel anders dar als im Bundesgebiet. Wenn Herr Schellenberg - ich sage, mit Recht - stolz darauf ist, daß trotz seiner vielen Rentner in Berlin seine Krankenkasse unter den Gegebenheiten und Voraussetzungen, die man in Berlin berücksichtigen muß, in keiner viel schlechteren Situation ist als andere Kassen in anderen großen Städten der Bundesrepublik -denn nur damit kann man ja vergleichen -, dann meine ich, daß das Problem der Krankenversicherung der Rentner und der Leistungen für die Rentner jetzt doch nicht zum Anlaß genommen werden kann, eine allgemeine Bestimmung der Reichsversicherungsordnung als unsozial zu bezeichnen, deren praktische Anwendung immerhin in der ganzen Bundesrepublik in der Regel gut funktioniert hat. Man sollte auch nicht so tun, als wäre der wirtschaftliche Erfolg an Berlin ganz vorbeigegangen. Wir sind doch alle zusammen glücklich und stolz darüber, daß sich in Berlin die wirtschaftlichen Verhältnisse so sichtbar gebessert haben und daß wir die Möglichkeit haben, über die Anpassung dieser Dinge ohne Not zu sprechen. Was mich in diesem Zusammenhang geradezu empört und was ich so bedauere, ist, daß in der Öffentlichkeit immer wieder der Eindruck entsteht, daß hier soziale Wohltaten, gewachsen auf dem Boden Berlins und finanziert - das wird nicht deutlich gesagt - durch besondere Steuern und besonders hohe Beiträge, beseitigt werden sollen, um mindere soziale Einrichtungen zu schaffen. Die Entwicklung der letzten Monate in der Bundesrepublik hat deutlich gemacht, daß allen Krankenkassen, allen ihren Organen und Organvertretern in der Selbstverwaltung die gleiche Pflicht aufgegeben ist. Die Honorarforderungen der Ärzte, die Krankenhauspflegesätze - die Sie in Berlin wohlweislich noch nicht erhöht haben, weil der Magistrat, wie Herr Senator Klein uns ja selbst gesagt hat, dieses Problem bis nach der Verabschiedung dieses Gesetzes zurückgestellt hat -, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder die Grippewelle, alle diese Fragen betreffen doch die künftige Ortskrankenkasse Berlin nicht anders als jede andere Ortskrankenkasse im Bundesgebiet.
Sie sprachen von der mangelnden Gesundheitsvorsorge, Frau Kollegin. Die Probleme der Gesundheitsvorsorge und der Gesundheitspolitik im Zusammenhang mit der Reform der Krankenversicherung wollen Sie doch allen Ernstes nicht mit den jetzigen Verhältnissen bei der Krankenversicherungsanstalt in Berlin in diesem Gesetz kompensieren. Herr Schellenberg hat durch seine Frage ein Problem angeschnitten, das erst bei § 16 zur Diskussion steht und dem ich nicht vorgreifen will. Ich meine, es ist doch kein Geheimnis, daß auch sein Haushaltsplan für das nächste Jahr und der für 1957 ein Defizit hat und daß er in Berlin genauso an die Rücklagen gehen mußte wie andere Ortskrankenkassen im Bundesgebiet.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein ganz kurzes Wort zu der von meinem Kollegen Horn erwähnten höheren politischen Verantwortung sagen. Ich habe im tiefen Innern die Überzeugung, daß nicht nur er, sondern viele seiner Kollegen mir in der sachlichen Auseinandersetzung um die Probleme recht geben. Ich will den Zwischenrufern aus der SPD gern in Erinnerung bringen, wie die Demokratie in Berlin bei den Wahlen strapaziert worden ist und warum im Parlament von Berlin SPD und CDU nun solche
Vereinbarungen alleine treffen. Ich möchte hier nicht, wie Sie meinen, Herr Kollege Horn, frei von der Leber weg, sondern eben aus der höheren politischen Verantwortung, nicht aus der Verantwortung für eine Koalitionsvereinbarung in Berlin, sondern aus der Verantwortung für die Koalitionsgrundlagen, die wir hier in Bonn haben, folgendes sagen: grundsätzliche Entscheidungen in der Bundesrepublik sollten niemals an Koalitionsvereinbarungen in den Ländern gebunden werden. Vielleicht können wir beide gemeinsam einiges dazu beitragen, daß wir grundsätzliche Entscheidungen dieser Art in Zukunft aus politischer Verantwortung treffen, ohne Hemmschuhe, wie sie Ihnen zur Zeit angelegt worden sind.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Krappe.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Kollege Horn, ich möchte Ihnen sagen, in Berlin ist doch einiges anders. Ich habe in meinem Zwischenruf schon gesagt, daß die DP in Berlin nicht nur nicht in der Koalitionsregierung ist, sondern überhaupt nicht im Parlament ist. Wenn Frau Kalinke hier sagt, in Berlin ist die Demokratie strapaziert worden, so ist mir das unverständlich. Dann muß sie das von weitem empfunden haben; denn die' DP ist in Berlin nicht da. Und wir in Berlin sind glücklich darüber, daß wir die DP nicht im Parlament haben.
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- Frau Kalinke, das spricht vielleicht doch ein wenig für die andere Auffassung der Berliner, daß sie sich bei der Wahl anders entschieden haben.
Herr Kollege Horn hat hier noch auf das ganze Problem des Bundeszuschusses Bezug genommen. Herr Kollege Horn, es ist unmöglich - ich würde es als eine Zumutung für die anderen Herren und Damen empfinden -, heute etwa auf all die anderen Dinge einzugehen. Ich nehme an, im Sommer bei der Beratung des Haushaltsplanes werden wir einiges darüber sagen können. Ich bin gern bereit, dann einige Dinge hier zu vertreten. Denn den Berliner Haushalt kenne ich nun wirklich in- und auswendig, und ich weiß ruhigen Gewissens, daß wir jede Sache vertreten können und daß das Geld, das wir bekommen haben, nicht als Geschenk anzusehen ist, sondern wegen einer wirklichen Notlage gegeben worden ist. Das werden wir zu gegebener Zeit sicher eines Tages hier besprechen können.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Frau Kollegin, ich möchte Sie fragen, ob Sie - eben bei Ihrer Kenntnis der Gesamtzusammenhänge der Berliner Situation - nicht
jetzt doch zu der Erkenntnis kommen müßten, daß Ihre vorherigen Bemerkungen von „unsozialer Haltung" und von „minderem Verständnis für die Lage Berlins" abwegig waren?
Ich nehme an, daß ich nicht „unsoziale Haltung" im ganzen gesagt habe, sondern gesagt habe, daß man hier Unsozialeres einführen will; und ich empfinde es so: wir haben in Berlin ein für meine Begriffe moderneres Recht in der Krankenversicherung.
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- Was regen Sie sich denn auf! Ich habe vorhin Frau Kalinke angesprochen, denn die will ja den § 4 beseitigen. Da habe ich vorhin nicht Sie angesprochen, sondern Frau Kalinke und die kleine Fraktion der DP.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte!
Darf ich Sie zu Ihren letzten Ausführungen fragen: Sind Sie der Meinung, daß das Gesetz der großen Zahl - also Quantität vor Qualität - in der Demokratie einen besonderen Wert hat? Oder meinen Sie nicht auch, daß in grundsätzlichen Aussprachen die Sachkenntnis über ein Problem und die sachliche Beratung eines Tatbestandes den Vorrang haben sollten? Sind Sie weiter der Meinung, daß Moderneres auch immer Sozialeres ist?
Ja, Frau Kalinke, was man „sachlich" nennt, ist meistens eine subjektive Einstellung. Ich finde meine Ausführungen auch sachlich.
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Ich darf dazu weiter sagen: im Berliner Rathaus muß jede Fraktion Tag für Tag Sprechstunden abhalten, in die Bevölkerungsschichten mit großen Sorgen kommen; da habe ich in den ganzen Jahren - darum habe ich mich ja hineinknien müssen - sehr, sehr viel Auskunft geben müssen und den Menschen sagen müssen: „Daran sind wir nicht schuld, das sind Entscheidungen des Bundestages gewesen." Angefangen mit der Herausnahme der Selbständigen aus der Krankenversicherung. Da sind so viele Probleme noch ungelöst, wo die Menschen meinen, das müßte eines Tages doch mal wieder nach anderen Gesichtspunkten geregelt werden. Ich darf Ihnen sagen - das kenne ich nun wirklich aus der Berliner Ebene, weil ich elf Jahre lang Tag für Tag im Rathaus gesessen und die Dinge behandelt habe -, daß die Berliner nicht restlos glücklich sind über alles das, was durch Gesetzesmaßnahmen des Bundestages geschaffen wurde.
Eine weitere Frage.
Wenn Sie dies wirklich kennen, ist Ihnen dann auch bekannt, daß die Angestellten der Berliner Bundesbehörden sich heftig darüber beschweren, daß sie nach unterschiedlichem Recht höhere Beiträge bezahlen müssen? Ist Ihnen weiter bekannt, daß die Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin durch die Beibehaltung des unterschiedlichen Rechts erschwert wird?
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Also da muß ich sagen, Frau Kalinke: wir haben 1,4 Millionen Versicherte in Berlin; ich weiß jetzt nicht auswendig, wieviel Angestellte von Bundesbehörden darunter sind. Gegenüber 1,4 Millionen Versicherten kann die Zahl der Angestellten in den Bundesbehörden nur sehr gering sein. Da bin ich nun wirklich der Meinung, daß das Interesse der großen Zahl derer, die davon Vorteile hat, das Interesse der kleineren Zahl derer, die unter Umständen 1 % mehr im Monat zu leisten haben, überwiegen sollte.
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Hierzu möchte ich jetzt etwas Persönliches sagen, weil ich nicht weiß, ob es von meinen Freunden gedeckt wird. Ich habe in allen Versammlungen Verständnis dafür gefunden, wenn ich den Menschen gesagt habe, daß es traurig um die Krankenversicherung bestellt wäre, wenn jeder möglichst das wieder herauskriegen wollte, was er eingezahlt hat. Ich betrachte die Krankenversicherung vielmehr so wie die Feuerversicherung. Glücklich soll der sein, der sie nie im Leben braucht, und er soll dem, den das Schicksal getroffen hat, gern beistehen.
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Nun noch ein Wort zu Frau Kalinke, die gesagt hat, meine Ansicht über die moderne Forschung auf dem Gebiet der Medizin habe nichts mit den Dingen zu tun. Frau Kalinke, ich wollte nicht so lange Ausführungen machen. Aber das hat wohl etwas damit zu tun. Ich weiß von den Ärzten der großen Berliner Krankenhäuser, daß sie heute ganz andere Untersuchungen anstellen müssen, wenn ein Patient eingeliefert wird, und daß die Behandlung sehr viel länger dauert. Das erfordert die moderne Wissenschaft. Es ist ein längerer Krankenhausaufenthalt notwendig, wenn die Ärzte die Patienten völlig wiederherstellen wollen und nicht wie früher nur Teilbehandlung leisten wollen. Das ist der Unterschied bei der modernen Forschung!
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- Bitte sehr, so haben die Chefärzte uns unterrichtet. Daher brauchen sie eine längere Behandlung. Der Patient wird heute ganz anders untersucht und behandelt.
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- Ich weiß nicht, was Sie meinen. Wenn Sie es unerhört finden, dann muß ich sagen, daß wir in Berlin etwas Härteres gewöhnt sind. Ich bin nicht so empfindlich,
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und Sie brauchen auf mich auch keine Rücksicht zu nehmen; als Berlinerin kann ich alles vertragen. Aber ich wundere mich, daß Sie so schnell nervös werden. Ich dachte, hier habe man bessere Nerven.
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Ich möchte noch sagen, daß das evangelische Sozialpfarramt Berlin am 20. April 1956 ein Rundschreiben über diese Dinge herausgegeben hat, in dem es zum Schluß heißt: „Eine gesetzliche Regelung der Krankenversicherung sollte gegen den Willen der Arbeiterschaft nicht durchgeführt werden". Und der ehemalige Bundesminister für Arbeit, Herr Storch, hat hier im Bundeshaus bei der Beratung dieses Problems vor einigen Jahren ausgeführt, man sollte in Berlin nicht die Überzeugung entstehen lassen, daß man von der Bundesrepublik aus den Berlinern etwas aufzwingen wolle, was sie nicht selber wollten. Daran halten wir heute noch fest. Wir bitten darum um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag.
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Meine Damen und Herren, die Abstimmung mag ausgehen, wie sie will, - Berlin bleibt doch Berlin!
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Änderungsantrag Umdruck 3 Ziffer 1, wonach die §§ 3 bis 19 gestrichen werden sollen. Wer dafür ist, den bitte ich die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann Umdruck 2, Antrag der Deutschen Partei.
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- Das brauchen wir nicht; denn wenn Ziffer 1 oder Ziffer 2 des Antrags Umdruck 2 nicht angenommen wird, können wir zusammen abstimmen. - Wir stimmen nunmehr ab über den Antrag Umdruck 2 Ziffer 1. Wer dafür ist, den bitte ich die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nun zu Ziffer 2 desselben Umdrucks. - Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt.
§§ 3,-4,-5,-6,-7,-7a,-8,-9,10, - 11, - 12, - 13 und 14. - Wer für diese Bestimmungen des Entwurfs ist, den bitte ich die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Das erste war die Mehrheit; die Paragraphen sind angenommen.
Zu § 15 ist ein Änderungsantrag angekündigt. Sie finden ihn auf Umdruck 3 Ziffer 2. Soll er noch begründet werden? - Bitte, Herr Abgeordneter Walpert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 15 des Gesetzentwurfs behandelt die Unterbringung der freiwerdenden Arbeitnehmer der Allgemeinen Ortskrankenkasse Berlin. Bei den Beschäftigten der Krankenversicherungsanstalt
Berlin ist eine berechtigte Unruhe eingetreten, weil sie um ihren Arbeitsplatz besorgt sind. Es ist für den Arbeitnehmer immer unangenehm, wenn er gezwungen wird, seinen Arbeitsplatz zu wechseln. Besonders betroffen sind dabei die älteren Angestellten. Im Bereich des Landes Berlin gibt es zur Zeit 29 699 arbeitslose Angestellte, davon sind 80 % ältere Angestellte. Auf die Zahl der beschäftigten Angestellten berechnet, sind das mehr als 11 %.
Wir sollten uns nach Meinung meiner Fraktion alle darum bemühen, daß durch dieses Gesetz Arbeitnehmer, die teilweise nach jahrelanger Arbeitslosigkeit erstmals wieder einen sicheren Arbeitsplatz gefunden haben, nicht benachteiligt werden. Der Sozialpolitische Ausschuß hat Ihnen vorgeschlagen, das Wort „einzustellen" durch die Worte „zu übernehmen" zu ersetzen. Darunter ist die Übernahme mit allen Rechten und Pflichten zu verstehen. Ob diese Maßnahme in allen Fällen ohne Einbuße für den Arbeitnehmer möglich werden kann, ist zweifelhaft, weil die Rechtsverhältnisse der Angestellten bei den Versicherungsträgern verschieden geregelt sind. So beschäftigten die Innungs- und Ortskrankenkassen Beamte und Angestellte, die Ersatzkassen nur TOA-Angestellte, während die Angestellten der Betriebskrankenkassen von dem Arbeitgeber eingestellt werden, für dessen Betrieb die Betriebskrankenkasse zuständig ist. Der Dienstvertrag des zu übernehmenden Angestellten wird also Änderungen unterworfen, die für ihn nicht immer angenehm sein werden. Wie gesagt, es geht dabei besonders um den Kreis der älteren, manchmal auch nicht für jeden Arbeitsplatz geeigneten Angestellten. Diesen Personenkreis zu schützen, sollte unser aller Anliegen sein. Um alle nicht unbedingt notwendigen Härten zu vermeiden, bitte ich Sie im Namen meiner Freunde, den Änderungsantrag zu § 15 anzunehmen. Es heißt in § 15:
Sofern Berliner Versicherte zu den Ersatzkassen nach Ablauf des sechsten Monats
- wir wünschen zu ersetzen: „des zwölften Monats" -nach Inkrafttreten dieses Gesetzes übertreten, bleiben sie für die Übernahme frei werdender Arbeitnehmer der Allgemeinen Ortskrankenkasse Berlin außer Betracht.
Wir möchten also die Frist von sechs Monaten auf zwölf Monate verlängert wissen.
Ich möchte das kurz begründen. Ich selbst bin mehr als 30 Jahre Mitglied einer Ersatzkasse und darf Herrn Kollegen Horn sagen: Auch Mitglieder der Fraktion der SPD begrüßen die Wiederzulassung der Ersatzkassen in Berlin. Ich beispielsweise begrüße die Wiederzulassung der Ersatzkassen in Berlin. Ich glaube aber, daß die Ersatzkassen - dabei denke ich besonders an die beiden großen Kassen, die Deutsche Angestelltenkrankenkasse und die Barmer Ersatzkasse - nicht in der Lage sein werden, den Personenkreis der Angestellten, den ich mit 200 000 beziffern möchte, in den ersten sechs Monaten zu übernehmen. Sie werden vielleicht die ersten 100 000 schnell eingliedern. Es bleiben aber dann noch einmal 80- oder 100 000 Versicherte, die in den nächsten sechs Monaten zu ihnen stoßen werden. Wenn wir es nun bei dieser Sechsmonatsfrist beließen, würde ein gewisser Kreis von Angestellten bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse Berlin verbleiben, den sie wegen des Mitgliederschwunds nicht weiter beschäftigen kann. Diese Angestellten würden vielleicht der Arbeitslosigkeit anheimfallen. Es wäre deshalb gut, die Frist auf zwölf Monate zu verlängern. Wenn wir so beschließen, habe ich die Hoffnung, daß neben all dem, was trotzdem auf die älteren Mitarbeiter zukommt, doch die größten Schwierigkeiten vermieden werden. Vor allen Dingen wird es ermöglicht, daß die älteren Angestellten nicht arbeitslos werden und damit wieder auf Arbeitslosenunterstützung angewiesen sein werden.
Zugleich möchte ich Sie bitten, in Abs. 3 hinter den Worten „Absätze 1 und 2" die Worte „Satz 1" einzufügen, so daß es heißt:
Absätze 1 und 2 Satz 1 gelten entsprechend für Arbeitgeber, für deren Betrieb eine Betriebskrankenkasse besteht oder errichtet wird, deren Bereich sich auf das Land Berlin erstreckt oder auf das Land Berlin erstreckt wird.
Das sind die Wünsche meiner Fraktion. Ich wäre Ihnen dankbar, meine Damen und Herren, wenn Sie diesen Änderungen zustimmen würden.
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Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann stimmen wir über den Änderungsantrag Umdruck 3 Ziffer 2 ab. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
§ 16! Auch hier ist ein Änderungsantrag angekündigt. Zur Begründung hat der Abgeordnete Büttner das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beantragen, dem § 16 Abs. 1 die Fassung zu geben, die der Bundesrat einstimmig beschlossen hat. Zur Erläuterung darf ich folgendes ausführen.
Sinn des § 16 ist, die Aufrechterhaltung der bisherigen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung Berlin durch Gewährung von Zuschüssen zu garantieren, ohne den Versicherten unzumutbare Beitragslasten aufzuerlegen. Im Gegensatz zu dem von der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf wie auch dem dem Bundesrat zugeleiteten Regierungsentwurf wie auch der Stellungnahme des Bundesrates ist mit den Stimmen der CDU im Sozialpolitischen Ausschuß jetzt ein Gesetzentwurf beschlossen worden, der im Vergleich zur bisher vorgesehenen Regelung eine erhebliche Verschlechterung bringt. Bisher waren alle Beteiligten der einmütigen Auffassung, daß ein Beitragssatz von 7 %
das Höchste sei, was man unter besonderer Berücksichtigung der Berliner Verhältnisse den Versicherten zumuten könne. Reicht ein solcher Beitragssatz nicht aus, um die Leistungen zu decken, sollten aus dem Landeshaushalt Berlin die erforderlichen Zuschußbeträge geleistet werden.
Nunmehr hat die CDU im Sozialpolitischen Ausschuß durchgesetzt, entsprechend dem Bundesdurchschnitt anstelle von 7 % einen Beitragssatz von mehr als 8 % zur Voraussetzung für das Inkrafttreten der Garantieleistung zu machen. Wir halten das für schlecht und schlagen statt dessen vor, daß die vom Bundesrat beschlossene Regelung bis Ende 1958 schon dann zum Zuge kommt, wenn der Beitrag 7 % des Grundlohnes erreicht und das das gesetzliche Rücklagensoll übersteigende Vermögen nicht ausreicht, um die Aufrechterhaltung der Leistungen zu gewährleisten. Zur Begründung darf ich noch auf das Folgende hinweisen.
Die Garantieleistung des § 16 ist doch nur deshalb erforderlich, weil Sie mit Ihrer Stimmenmehrheit es durchsetzen wollen, daß schon jetzt hinsichtlich der Organisation und der Leistungen eine Anpassung des Berliner Krankenversicherungsrechts an das im Bundesgebiet geltende Recht vorgenommen wird. Wir sind uns darüber im klaren, daß das Recht im Bundesgebiet dringend reformbedürftig ist und daß daher alles getan werden muß, um zu verhindern, daß infolge der Rechtsangleichung eine Rechtsverschlechterung für Berlin eintritt. Wir müssen Sie aber auch darauf hinweisen, daß die Bestimmungen dieses Gesetzes leider nicht geeignet sind, eine solche Benachteiligung der Berliner Versicherungen zu verhüten. Beispielsweise hat die Abwanderung von Versicherten mit einem überdurchschnittlichen Einkommen in die Ersatz- und Betriebskrankenkassen zur Folge, daß der durchschnittliche Grundlohn in der Allgemeinen Ortskrankenkasse sinkt. Da die Ärzte nach einer Pauschale entsprechend dem Grundlohn bezahlt werden, würden infolgedessen ihre Leistungen für die einzelnen Patienten unterschiedlich honoriert. Das wäre nicht glücklich. Ich glaube, ich brauche das nicht weiter zu kommentieren; es wäre weder für die Versicherten noch allgemein günstig.
Die Berliner Krankenversicherung hat sich bisher dadurch ausgezeichnet - das ist schon erwähnt worden -, daß sie zu den finanzstärksten Krankenversicherungsanstalten gehörte. Nach unserer Ansicht geht es auch nicht an, daß die Beitragserhöhungen und die zu gewährenden Landeszuschüsse dazu dienen sollen, die angesammelten Rücklagen nicht für den Zweck anzugreifen, für den sie bestimmt sind. Wir halten daher eine Beitragserhöhung, die über 7 % hinausgeht, unter Berücksichtigung der besonderen Berliner Situation weder für erforderlich noch für vertretbar.
Ich komme nun auf das zurück, was der Kollege Horn hier ausgeführt hat. Er hat sich auf die „höheren politischen Gesichtspunkte" bezogen. Wenn aber die Bekenntnisse, die hier in diesem Hohen Hause schon so oft gemeinschaftlich für Berlin abgegeben worden sind, nicht Lippenbekenntnisse sein sollten, müßte der von uns gestellte Änderungsantrag angenommen werden. Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich den Herrn Kollegen Büttner auf einen Irrtum hinweisen. Er hat davon gesprochen, die CDU/CSU-Fraktion habe in ihrem ursprünglichen Antrag 7 % garantiert. Wir hatten drinstehen: 7 %, soweit es den Leistungsstand betrift, der schon zum 30. Juni 1957 in Berlin vorhanden war. Also auch der ursprüngliche Antrag der CDU/CSU hätte keineswegs zur Folge gehabt, daß der Beitragssatz von 7 % in Berlin mit allen inzwischen erhöhten Leistungen - wirtschaftliche Besserstellung der Arbeitnehmer im Krankheitsfalle, Folgen der Preugoerhöhung usw. usw. - unter diesen Umständen garantiert worden wäre.
Aber man soll sich besserer Erkenntnis nicht verschließen. Wir haben eingesehen, daß die rein technische Abwicklung der Materie in dieser Form doch einige, wenn auch nicht unlösbare Schwierigkeiten bereitet, und es scheint uns so, als ob Berlin noch wesentlich besser fährt, wenn wir dabei auf den Durchschnittssatz der Allgemeinen Ortskrankenkasse des übrigen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abheben. Denn die Leistungserhöhungen nach dem 30. Juni 1957 machen - das möchte ich kühn behaupten, ich kann es natürlich nicht beweisen, weil wir die Unterlagen nicht haben - mehr aus als den Unterschied zwischen dem jetzigen Beitragssatz von 7 % und dem Durchschnittsbeitragssatz der Allgemeinen Ortskrankenkassen im sonstigen Bundesgebiet, mehr als das, was Berlin jetzt durch Beitragserhöhungen selbst tragen muß.
Herr Kollege Stingl, ich frage Sie: trägt nicht eine Kasse, in der Arbeiter und Angestellte versichert sind, das Risiko besser als eine Kasse ausschließlich oder vorwiegend mit Arbeitern?
Sehr verehrter Herr Kollege Schellenberg, darum haben wir ja überhaupt diesen § 16! Es ist doch sehr die Frage, ob nicht durch die Abwanderung, insbesondere wahrscheinlich von Angestellten, Risikobelastungen auftreten, die sonst auf eine Allgemeine Ortskrankenkasse nicht zukommen, Belastungen, die in der Allgemeinen Ortskrankenkasse Berlin auch Folgen haben könnten, die man nicht ohne große Beitragserhöhungen überwindet.
Dann kommt hinzu, Herr Kollege Schellenberg - hier muß ich einmal Frau Kalinke unterstützen -, daß es einfach nicht mehr tragbar war, den § 189 RVO in Berlin ohne weiteres unter den Tisch fallen zu lassen. Wir sind uns ja einig darin, daß das eine der großen Schwierigkeiten der Krankenversicherungsanstalt Berlin gewesen wäre, wenn sie ge198
zwungen gewesen wäre, ohne dieses Gesetz den Notwendigkeiten, die sich aus einer Überprüfung von Einnahmen und Ausgaben ergeben hätten, Rechnung zu tragen. Ich glaube, da kann man nicht gut davon sprechen, daß wir ,das Gesetz verschlechtert hätten. Die Formulierung, die wir im Ausschuß gefunden haben, ist vielmehr ganz eindeutig eine Verbesserung gegenüber derjenigen, die im ursprünglichen Antrag stand.
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- Herr Kollege Schellenberg, ich habe mir erlaubt, schon bei der ersten Lesung, als ich die Ehre hatte, das Gesetz für unsere Fraktion zu begründen, zu bemerken, daß wir den Text so vorgelegt haben, wie wir willens waren, ihn in der zweiten und dritten Lesung anzunehmen und zu verabschieden. Das ist Ihnen sehr wohl bekannt.
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- In die Hand waren Ihnen die Umdrucke vielleicht noch nicht gegeben; das ist wahrscheinlich richtig. Aber die Änderung, die wir im Ausschuß vorgenommen haben, betrifft ja nicht nur die Frage, daß wir nicht mehr von einem Beitragssatz von 7 vom Hundert plus der durch die Mehrleistungen notwendigen Beitragserhöhungen, sondern vom Durchschnittssatz ausgehen und sogar insofern eine Änderung getroffen haben, als wir vom gesetzlichen Rücklagesoll weder positiv noch negativ sprechen. Sie wissen ja, der zweite Satz dieses Abs. 1 spricht davon, daß Einnahmen und Ausgaben dieses Zeitraums gegenübergestellt werden. Damit wird natürlich verhindert, daß das gesetzliche Rücklagesoll etwa durch einen Zuschuß aus dem Landeshaushalt ausgeglichen wird. Das ist doch sicherlich gerecht. Es wird aber auch verhindert, daß, bevor die Garantien in Anspruch genommen werden können, irgendwelche sonstigen Vermögenswerte der Allgemeinen Ortskrankenkasse in Anspruch genommen werden müssen.
Das isst der Grund, weshalb der § 16 existiert, nämlich einzig und allein der, daß wir damit rechnen müssen, daß durch die Abgabe von Versicherten, die man gemeinhin als die besseren Risiken bezeichnet, Schwierigkeiten entstehen. Die Innungskrankenkassen, die Betriebskrankenkassen werden sich nach Ablauf der Erklärungsfrist, nachdem also in Berlin das Gesetz verkündet und der darauffolgende Monat verstrichen ist, entschließen, eine Betriebskrankenkasse oder Innungskrankenkasse zu errichten. Wenn dann die besseren Risiken abgehen und man dann wie Frau Kollegin Krappe folgern würde: „Jetzt kommt eine Schlechterstellung für die, die dageblieben sind", wenn es also wirklich zu einer Schlechterstellung käme, dann wäre es falsch, § 16 zu streichen. So aber ist der § 16 die Garantie dafür, daß dies nicht eintritt, und allein dafür ist er gedacht. Wir können es dem Bundesgebiet schlechterdings nicht zumuten, daß sämtliche neuen Belastungen, die auf die Ortskrankenkassen zukommen, sich überall, auch im Bayerischen Wald oder sonstwo, in Beitragserhöhungen niederschlagen, während wir in Berlin durch Zuschüsse dafür sorgen, daß diejenigen, die im Bundesgebiet unter gleichen Verhältnissen höhere Beiträge zahlen, auch noch durch Steuern dafür sorgen, daß die Berliner die bisherigen Beiträge zu entrichten haben. Eine solche Regelung wäre unbillig. Daher können wir dem Antrag Umdruck 3 Ziffer 3 nicht zustimmen und bitten das Hohe Haus, ihn abzulehnen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 3 Ziffer 3 zustimmt, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Letzteres war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ichrufe auf die §§ 17,-18,-19,-20,-21,-Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Ersteres war die Mehrheit; angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bärsch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, ehe ich meine eigentlichen Ausführungen beginne, eine ganz kurze Vorbemerkung zu dieser Berlin-Kontroverse, und zwar ohne jede aggressive Absicht.
Man empfindet nicht selten, daß sich bei der Diskussion über die Frage, ob die Leistungen für Berlin ausreichend sind oder nicht, so ein wenig der Ton einschleicht, in dem man zum armen Verwandten spricht. Dieser Unterton - ich sage das für mich ganz persönlich - gefällt mir nicht, und er ist wohl auch nicht angebracht. Wenn auf den Bundeszuschuß hingewiesen wird, so sollte man sich gelegentlich einmal auch daran erinnern, daß Berlin in früheren Zeiten aus seinem Steuerüberschuß große Beträge an das Reich abgeführt hat, mit denen damals die Löcher im Reichshaushalt gestopft worden sind. Deshalb sollten wir, wenn es um die Unterstützung Berlins geht, nicht so tun, ja, auch nicht den geringsten Verdacht aufkommen lassen, als ob das für uns gewissermaßen eine Angelegenheit der Generosität wäre,
({0})
sondern wir sollten uns alle darüber einig sein - und wir sind das wohl auch -, daß diese Hilfe für Berlin nicht mehr und nicht weniger als unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist.
Nun zur Sache! Ich will angesichts der ohnehin schon recht ausgedehnten Debatte versuchen, mich so kurz wie möglich zu fassen.
Sie wissen, daß das Gesetz unsere ungeteilte Zustimmung leider nicht finden kann, weil es eben
nicht nur die Einführung der Selbstverwaltung in der Berliner Krankenversicherung regelt, wie wir sie uneingeschränkt bejahen, sondern gleichzeitig eine Angleichung der Organisationsform der Berliner Krankenversicherung an die Organisationsform der Krankenversicherung im Bundesgebiet bezweckt.
Ich sagte, wir bejahen die Selbstverwaltung ohne Einschränkung; ich kann es mir aber nicht versagen, bei dieser Gelegenheit noch einmal darauf hinzuweisen, welch großes Unbehagen wir spüren gegenüber der Ausdehnung des Vorschlagsrechts für die Wahl der Selbstverwaltungsorgane über die eigentlichen Gewerkschaften hinaus auf Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung. Wir können diese Frage durchaus in Analogie zu der Privilegierung sehen, die die politischen Parteien als Organe der politischen Willensbildung in unserer Verfassung mit Recht genießen. Diese Privilegierung hat einen guten Grund; wenn Sie ihn erkennen wollen, dann brauchen Sie sich nur einmal anzuschauen, was drüben in den Volksdemokratien mit den sogenannten Massenorganisationen politisch gemacht wird.
({1})
Ebenso, wie wir den politischen Parteien ganz bewußt eine solche privilegierte Stellung im politischen Raum einräumen, sollten wir auch bereit sein, einen Vorrang der Gewerkschaften im Bereich der Vertretung der sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmerschaft anzuerkennen und gesetzlich zu verankern.
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Hinzu kommt die Frage: Warum wird eigentlich, wenn man bei den Arbeitnehmern diese Erweiterung des Vorschlagrechts über die Gewerkschaften hinaus vornimmt, nicht die gleiche Erweiterung auch bei den Arbeitgebern vorgenommen? Hängt das vielleicht damit zusammen, daß man für die Arbeitgeberseite eine Auflockerung der geschlossenen Front der Interessenvertretung, wie sie durch die Ausweitung des Vorschlagsrechts auf seiten der Arbeitnehmer bewirkt wird, nicht wünscht?! Wir wissen, diese Fassung ist 1952 mit dem Selbstverwaltungsgesetz eingeführt worden. Wir werden sie bei dieser Gelegenheit nicht ändern können. Aber wir möchten unsere großen Bedenken nicht verschweigen und möchten auch nicht verheimlichen, daß wir die erste beste Gelegenheit, die sich bietet, benutzen werden, um hier eine Änderung zu treffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was uns an dem Gesetz nicht gefällt, ist, daß es sich nicht auf die Einführung der Selbstverwaltung beschränkt, sondern daß die Einführung der Selbstverwaltung gewissermaßen nur als Vehikel dient, mit dem die eigentliche Absicht des Gesetzes, nämlich die organisatorische Angleichung der Berliner Krankenversicherung an die Organisationsform im Bundesgebiet verwirklicht werden soll.
({3})
Darüber, glaube ich, sind wir uns doch alle miteinander im klaren.
Es ist durchaus nicht so, wie Frau Kollegin Kalinke glaubte annehmen zu sollen, daß wir eine solche organisatorische Angleichung jetzt und in diesem Zusammenhang deshalb nicht wollen, weil wir die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung hinsichtlich ihres Organisationsprinzips im Sinne der Berliner Lösung präjudizieren wollen. Da muß ich Sie enttäuschen; das wollen wir wirklich nicht. Wir wollen aber verhindern, daß durch die unbegründete Auflösung der Berliner Krankenversicherung im jetzigen Zeitpunkt ebendasselbe im umgekehrten Sinne geschieht.
({4})
Wir wollen eben, um es noch einmal ganz klar zu sagen, so kurze Zeit vor der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Vorgriff im Grundsätzlichen, weder in der einen noch in der anderen Richtung,
({5})
weder im Organisations- noch im Leistungsrecht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Frau Kollegin Kalinke möchte Sie fragen.
Bitte sehr.
Herr Kollege, sind Sie nicht der Meinung, daß gerade dann, wenn die Angleichung der Selbstverwaltung, die Sie doch auch wollen, und die Zulassung der Ersatz- und Betriebskassen, die Sie im Grundsatz auch bejahen, nicht genügen, das einheitliche Leistungsrecht die logische Konsequenz ist, um gleiche Ausgangspunkte für die Reform zu haben?
Ich glaube, es ist nicht sehr zweckvoll für die kommende Krankenversicherungsreform, die man als Gesamtproblem sehen muß, wenn es eine echte Reform werden soll, in dem einen oder anderen Bereich etwas vorwegzunehmen. Uns kommt es gerade darauf an, die Diskussion über die Reform der sozialen Krankenversicherung so frei und so vorurteilslos wie nur irgend möglich zu führen,
({0})
ohne Rücksichtnahme auf gewisse Tabus, die es sowohl auf dieser als auch auf jener Seite gibt.
({1})
- Ausgezeichnet? Na, sehen Sie, vielleicht nähern wir uns doch.
({2})
Wenn Sie aber, meine Damen und Herren, der Auffassung sind, daß man nicht alles bis zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung aufschieben kann, sondern gewisse Vorregelungen unvermeidlich sind - weil Sie vielleicht annehmen, daß es zu lange dauern wird, bis die Regierung ihren Ent200
wurf vorlegt -, dann kann es sich dabei aber bestimmt nicht um das Organisationsrecht, sondern wohl nur um das Leistungsrecht handeln.
({3})
Darüber ließe sich reden, wenn Sie eine Regelung z. B. der vollständigen Abdeckung des langfristigen Krankheitsrisikos nicht mehr bis zur Einbringung der Sozialversicherungsreform aufschieben wollen. Die Beseitigung der Aussteuerung, die Aufhebung der Begrenzung der Krankenhauspflege oder auch die Vervollständigung der Familienhilfe und die Erweiterung gewisser anderer Rechtsansprüche sind in der Tat Dinge, auf deren Verwirklichung man nur sehr schwer bis zur Reform warten kann.
Wir haben - das wird Ihnen ja aufgefallen sein - unseren Initiativantrag aus der zweiten Legislaturperiode über Leistungsverbesserungen nicht wieder eingebracht und unsere Forderungen im Zusammenhang mit diesem Gesetz auch nicht erneut erhoben. Das ist aus wohlerwogenen Gründen geschehen. Wir wollen die Reform der sozialen Krankenversicherung nicht präjudizieren; es sei denn, daß uns die Regierung zwingt, in der Frage initiativ zu werden. Ich darf also in diesem Zusammenhang sagen: Wir warten sehr darauf, daß uns die Regierung ihre Vorstellungen und Absichten über die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung baldmöglichst zur Kenntnis bringt und dem Hause einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegt.
Die Angleichung der Berliner Krankenversicherung an die Organisationsform der Krankenversicherung im Bundesgebiet ist sachlich unbegründet, und zwar aus zwei Gründen. Einmal deshalb, weil wir in der Berliner Krankenversicherung heute einen der leistungs- und finanzstärksten Krankenversicherungsträger, wenn nicht überhaupt den finanzstärksten vor uns haben. Es leuchtet nicht ein, warum ausgerechnet in einer Situation, wo die Ortskrankenkassen in der Bundesrepublik in so augenscheinliche Schwierigkeiten geraten sind, dieser finanzstarke Versicherungsträger aufgelöst werden soll.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege, daß dieser so finanzstarke Versicherungsträger im Laufe der ganzen letzten Jahre großer Zuschüsse bedürftig war, und können Sie mir vielleicht auf die Frage antworten, warum er, wenn er doch so finanzstark ist, in Hinblick auf § 189 RVO nicht darauf verzichtet hat, höhere Beiträge zu erheben, während überall im Bundesgebiet niedrigere Beiträge gezahlt werden?
Nun, Frau Kollegin, darauf will ich Ihnen in demselben Sinne antworten, wie es bereits meine Parteifreundin Krappe getan hat.
Es ist kein Fehler, wenn das Bewußtsein der Solidarität zwischen Arbeitern und Angestellten gestärkt wird.
({0})
- Das hat aber etwas mit Ihrer letzten Frage zu tun.
({1})
Nun, ich sage also, die jetzige Auflösung der Berliner Krankenversicherung ist nicht begründet, weil sie finanziell stabil ist und ihre Leistungen auf verschiedenen Gebieten der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet sogar überlegen sind. Die Berliner Krankenversicherung gewährt bereits heute die unbegrenzte Krankenhauspflege, sie leistet eine unbeschränkte Familienhilfe, und sie hat auch auf dem Gebiete der großen Heil- und Hilfsmittel ein wesentlich weitergehendes Leistungsrecht. Die Gefahr, die Sie mit dem vorliegenden Gesetz geradezu heraufbeschwören, liegt darin, daß Sie die derzeitige finanzielle Stabilität der Berliner Krankenversicherung ernsthaft erschüttern,
({2})
und das, glaube ich, liegt doch auch nicht in Ihrer Absicht.
Im übrigen darf ich zur Frage der Rechtsangleichung bemerken: Die Rechtsangleichung besteht darin, daß bisheriges Berliner Sonderrecht im § 4 des Gesetzes in das Bundesrecht übernommen wird.
({3})
Damit stellen wir keine Rechtseinheit her. Denn Rechtseinheit bedeutet Einheitlichkeit im materiellen Sinne. Das ist hier nicht der Fall.
({4})
- Natürlich, das möchte Frau Kalinke sehr gern, allerdings mit einer Tendenz der Nivellierung des Leistungsrechts nach unten, die wir auf keinen Fall wollen.
({5})
- Frau Kollegin Kalinke, Sie sagen: „Das ist unerhört!"
({6})
- Wenn es nicht so sein sollte, bin ich gern bereit, diese Feststellung zu revidieren. Aber ich muß festhalten, daß Sie in Ihrer ersten Rede heute erklärt haben, man müsse es in Kauf nehmen, wenn sich bei einer solchen Angleichung eine Minderung der Leistungen ergibt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, was das Berliner Ärzteblatt geschrieben hat: daß der Finanzausschuß der Krankenversicherungsanstalt zum Jahresende ein Defizit von 20 Millionen DM angekündigt hat? Sind Sie da nicht auch der Auffassung, daß man es entsprechend den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung, die doch dann auch in Berlin gelten sollen, in Kauf nehmen muß, daß Beiträge und Leistungen in einer vernünftigen Relation stehen?
Sehr verehrte Frau Kollegin Kalinke, diesen Elementarunterricht, den Sie uns ja vorhin schon einmal gegeben haben, daß Beiträge und Leistungen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen, haben wir, glaube ich, nicht nötig. Das wissen wir auch. Eines möchte ich aber ganz deutlich sagen: ich hielte es für völlig unvertretbar, meine Damen und Herren, wenn im Zuge der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung die in Berlin bereits erreichte volle Abdeckung des langfristigen Krankheitsrisikos wieder eingeschränkt würde. In diesem Punkt z. B. können wir nicht bereit sein, abzubauen, sondern da muß man sich überlegen, wie man solche Mehraufwendungen auf geeignete Weise decken kann, und ich möchte sogar glauben, daß Sie darin mit mir übereinstimmen.
({0})
Deshalb wäre es eine schlechte Sache, wenn wir die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung gewissermaßen bruchstückweise vorwegnähmen. Dann würden wir uns nämlich selbst die Hände binden und uns der Möglichkeit begeben, eine wirkliche Reform zu schaffen.
Nun noch eine letzte Frage. Verhindert der § 4, der bekanntlich das bisherige Berliner Leistungsrecht sicherstellen soll, mit Sicherheit den gefürchteten Abbau der höheren Berliner Leistungen? Ich würde sagen: dem Gesetz nach ja, tatsächlich aber wird der Abbau nicht verhindert werden können. Es ist richtig, daß sich eine unmittelbare Auswirkung dieses Gesetzes hinsichtlich einer Verminderung der Leistungen zunächst nur für die Honorare ergibt, die für Dienstleistungen gezahlt werden. Mein Vorredner hat schon darauf hingewiesen, daß es im Zuge dieses Gesetzes unvermeidlich wieder zu einer Differenzierung des Arzthonorars für RVO-Patienten auf der einen und Ersatzkassen-Patienten auf der anderen Seite kommen wird,
({1})
wobei die Differenzierung dadurch entsteht, daß die Allgemeine Ortskrankenkasse infolge der durch den Verlust der besseren Risiken sich zwangsläufig ergebenden geringeren Grundlohnsumme nicht mehr in der Lage sein wird, die Honorare auf dem bisherigen Niveau zu halten. Wir haben im Ausschuß den Versuch gemacht, Sie zu veranlassen, die Honorare in die Garantie des § 16 einzubeziehen. Aber wir sind auf keine Gegenliebe gestoßen. Auf längere Sicht wird sich dieses Gesetz aber auch auf
die Versicherten auswirken, und zwar im Sinne
einer Minderung ihrer bisherigen Rechtsansprüche.
({2})
- Ich will mich da weder auf drei noch auf sechs Monate festlegen. Ich will nur sagen, daß diesem Gesetz eine Tendenz innewohnt, die dazu führen wird, daß auf längere Sicht die bisherigen Leistungen der Berliner Krankenversicherung von der zukünftigen Allgemeinen Ortskrankenkasse Berlin nicht mehr in vollem Umfange aufrechterhalten werden können.
({3})
Das hängt einfach damit zusammen, daß Sie den derzeitigen finanzstarken Leistungsträger zerlegen, d. h. aus einem einheitlichen Leistungsträger mehrere Leistungsträger machen, von denen der gewichtigste, nämlich die Allgemeine Ortskrankenkasse Berlin, in Zukunft subventioniert werden muß. Und diese Subventionen werden Sie verständlicherweise nicht für alle Zeiten zahlen können
({4}) und auch nicht für alle Zeiten zahlen wollen.
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Sie werden eines Tages, möglicherweise am Tage der Reform, abgebaut werden. Es wird infolgedessen unvermeidlich sein, daß das Leistungsniveau der neuen Berliner Ortskrankenkasse auf diesen unvermeidlichen Abbau der Subventionierung hin ausgerichtet wird. Das heißt, daß dieses Gesetz die Berliner Krankenversicherung auf das niedrigere Leistungsniveau der Krankenversicherung im Bundesgebiet herabführen wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich würde vorschlagen, Frau Kollegin, daß wir die weiteren Fragen bei einer Tasse Kaffee besprechen.
Herr Abgeordneter, Sie bringen dann das Haus um das Vergnügen Ihres Zwiegesprächs.
Mag sein. - Also bitte sehr!
Herr Kollege, es erspart eine Rede von mir, wenn Sie alle meine Fragen beantworten. Sie haben meine Frage nicht beantwortet, ob Sie das Berliner Ärzteblatt kennen. Ich würde Ihnen gern etwas daraus vorlesen. Aber ich nehme an, Sie kennen es. Dort ist dieselbe Frage gestellt, die ich Ihnen vorhin gestellt habe, die Sie nicht beantwortet haben und die ich dahin präzisieren möchte, ob Sie meinen, daß trotz des festgestellten Defizits im Haushalt der Krankenversicherungsanstalt Berlin, trotz der Zurückstellung der Erhöhung der Verpflegungssätze in Berlin, trotz
der Zurückstellung der Honorarregelungen in Berlin, trotz der Zurückstellung der notwendigen Beitragserhöhungen in Berlin die Veränderung der Situation nur von dem Inkrafttreten dieses Gesetzes abhängt oder ob es nicht ganz andere Umstände sind, die in Berlin dazu zwingen, die gleichen Überlegungen anzustellen, die jede Krankenkasse und ihre Selbstverwaltung im Bundesgebiet anstellen muß. Sie sind einfach eine Antwort darauf schuldig geblieben, Herr Kollege.
Es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß die Berliner Krankenversicherung sich mit den gleichen Problemen der zusätzlichen Belastungen wie die Krankenversicherung im Bundesgebiet auseinandersetzen muß. Aber ich glaube - und dieser Glaube ist begründet -,
({0})
daß die derzeitige Berliner Krankenversicherung bessere Voraussetzungen für die Bewältigung dieser zusätzlichen Belastungen hat, als es im Augenblick bei der Krankenversicherung des Bundesgebietes der Fall ist.
({1})
Meine Damen und Herren! Ich darf noch einmal sagen: Wir wollen nicht die zukünftige Krankenversicherung im Organisatorischen präjudizieren. Wir hätten es aber für sehr gut befunden, wenn man bei der Diskussion über die Reform einmal einen Leistungsvergleich zwischen der Berliner Krankenversicherung und der Krankenversicherung des Bundesgebietes angestellt hätte. Ein solcher Leistungsvergleich hätte uns sicherlich manchen interessanten Hinweis geben können.
({2})
- Natürlich. - Darüber sind wir uns doch, glaube ich, auch einig, daß das Organisationsprinzip der sozialen Krankenversicherung in der Bundesrepublik in seiner derzeitigen Ausprägung nicht unbedingt der Weisheit allerletzter Schluß ist.
({3})
- Nein, meine verehrte Frau Kollegin, gar nicht: „also doch!" ! Das soll besagen, daß wir die Reform der sozialen Krankenversicherung nur dann mit Erfolg diskutieren können, wenn wir nicht nur das Leistungsrecht dabei berücksichtigen, sondern die Dinge auch unter dem Blickwinkel der Organisation sehen.
Für uns ist - und mit dieser Feststellung will ich schließen, damit hier gar keine Zweifel offenbleiben - die Frage der Organisation der künftigen sozialen Krankenversicherung keine Weltanschauungsfrage.
({4})
Es gibt für uns in dieser Frage kein Dogma,
({5})
sondern es ist das für uns eine Frage der Zweckmäßigkeit, der Praktikabilität und der Leistungsfähigkeit.
({6}) Ich glaube, daß wir uns auf dieser Ebene, wenn auch nicht heute bei diesem Gesetz, so doch bei der Reform der sozialen Krankenversicherung begegnen können.
({7})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache in der dritten Beratung. Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe auf §§ 1 bis 15. Zu § 15 liegt ein Änderungsantrag - Umdruck 5 - vor. Wer begründet ihn? ({0})
und b)!)
- Schön. Wir stimmen zunächst ab über den Antrag Litera a). Wer diesem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist schwer festzustellen, wo die Mehrheit ist; ich muß bitten, die Abstimmung zu wiederholen, am besten durch Sicherheben von den Sitzen. Wer für die Annahme der Litera a) ist, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Es ist keine Einigung im Präsidium zu erzielen; wir müssen durch Hammelsprung entscheiden.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Auszählung ist: bei 341 abgegebenen Stimmen 144 Ja, 191 Nein und 6 Enthaltungen. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über Litera b). Wer diesem Antrag zustimmen will, möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Wer dafür ist, § 15 in der geänderten Form anzunehmen, möge ein Handzeichen geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Nun der Antrag Umdruck 4. Dieser Antrag ist noch nicht begründet. - Herr Abgeordneter Stingl, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der CDU/CSU-Fraktion bitte ich Sie, dem Antrag auf Umdruck 4 zuzustimmen. Sie ersehen aus dem kurzen Wortlaut, worum es sich handelt. Der Zeitraum, den wir für die Garantieerrechnung in § 16 im Ausschuß vorgeschlagen haben, ist ein Kalendervierteljahr. Wir sind nach einigen Rücksprachen und Überlegungen der Meinung, daß ein Kalendervierteljahr zu kurz ist, um eine kontinuierliche Entwicklung der Beiträge in Berlin herbeizuführen. Wir schlagen Ihnen deshalb vor, ein Kalenderhalbjahr vorzusehen. Da aber die endgültige Berechnung am Schluß des Kalenderhalbjahres erfolgt, während Stichtag der erste Tag des Kalenderhalbjahres ist, so können wir hier nur unsere Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß die Organe der AOK Berlin, sowohl die Selbstverwaltungsorgane wie auch die Leitung der AOK, sich rechtzeitig in weiser Voraussicht bemühen mögen, die Angleichung an die notwendigen und nach den wirtschaftlichen Gegebenheiten gerechtStingl
fertigten Beitragsgrößen zu finden. Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinweisen, daß sich hier wiederum, wie im übrigen auch vorher immer dann, wenn bei Auflösungen von Einheitversicherungsträgern angekündigt wurde, sie würden in Berlin eine Katastrophe zur Folge haben, das soziale Empfinden des Bundestags bewiesen hat. Ich darf noch einmal auf die Ausführungen von Frau Krappe zurückkommen und im Hinblick auf die Rentenversicherung betonen, daß hier der Bund ungeheure Leistungen aus dem Bundesausgleich erbringt. Das hat Herr Professor Schellenberg unlängst an Hand von Zahlen dargelegt. Ich kann es mir ersparen, darüber nähere Ausführungen zu machen, und bitte, den Antrag auf Ausdehnung der Garantieberechnungsfrist auf ein halbes Jahr anzunehmen.
Wird hierzu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, der möge ein Handzeichen geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
§ 16 in der geänderten Form. Wer ihm insoweit zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen zahlreiche Gegenstimmen angenommen.
Weitere Anträge sind nicht gestellt. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmen will, der möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen zahlreiche Gegenstimmen angenommen. Dieser Punkt der Tagesordnung ist erledigt.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze der arbeitenden Jugend ({0}) ({1}).
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage der Druck- 31 ({0}) macht die sozialdemokratische Fraktion zum zweiten Male den Versuch, das Problem des Jugendarbeitschutzes auf die gesetzgeberische Ebene zu heben und es einer Lösung zuzuführen.
Ich darf daran erinnern, daß die sozialdemokratische Fraktion schon einmal, unter dem 6. Juni 1956, einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht und daß die Bundesregierung mit Datum vom 13. März 1957 ebenfalls einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Ich darf weiter darauf aufmerksam machen, daß in der öffentlichen Diskussion, soweit sich die Fraktionen dieses Hauses in sie eingeschaltet haben, immer wieder anerkannt worden ist, daß der Jugendarbeitsschutz einer umfassenden neuzeitlichen gesetzlichen Regelung bedarf.
Auf Grund der damaligen Regierungsvorlage, der sozialdemokratischen Vorlage von 1956, der jetzigen sozialdemokratischen Vorlage und der Aussagen in der Offentlichkeit darf ich vermuten, daß über die Notwendigkeit, eine wirksame Regelung des Jugendarbeitsschutzes zu schaffen, keine Meinungsverschiedenheiten bestehen. Die Frage ist nur, ob sich - wie heute beim Lebensmittelgesetz - vielleicht wieder ein Minister hinstellen und sagen könnte, die Opposition habe die Regierung überrundet. Nun, das sollte nicht zur Debatte stehen. Es sollte vielmehr allseitig der Wille erkennbar werden, dem Problem des Jugendarbeitsschutzes die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.
Lassen Sie mich eine zusätzliche Bemerkung machen. Wir haben noch Jugendarbeitsschutzbestimmungen. Sie sind uneinheitlich, sie stammen zum Teil aus einer Zeit, in der man mit ganz anderen Überlegungen an das Problem des Jugendarbeitsschutzes herangegangen ist. Die Jugendarbeitsschutzbestimmungen des „Tausendjährigen Reiches" sind weitgehend unter dem Gesichtspunkt geschaffen worden, kriegsdienstverwendungsfähige oder -taugliche junge Menschen für die damalige Wehrmacht zu haben oder zu erhalten. Sie sind nicht um der jungen Menschen selbst willen, der Erhaltung ihrer Arbeitskraft und ihrer eigenen Existenzsicherung willen erlassen worden. Insoweit waren die Jugendarbeitsschutzbestimmungen des „Tausendjährigen Reiches" den längere Zeit vorher in Kraft gesetzten Jugendarbeitsschutzbestimmungen des Staates Preußen ähnlich, die aus Erwägungen erlassen worden waren, wie sie in der Zeit der Industrialisierung auch in anderen Ländern angestellt worden sind, nachdem allzu starke Schäden der jungen Menschen ihre militärische Verwendungsfähigkeit beeinträchtigt hatten. Ich meine, diese Überlegungen - darum bitte ich alle hier im Hause und auch in der Öffentlichkeit - sollten bei der Bejahung des Jugendarbeitsschutzes, so, wie wir ihn heute wollen und ihn uns heute vorstellen, keine Rolle spielen. Wir sollten uns darüber klar sein, daß der Jugendarbeitsschutz umfassend sein und entsprechend den Erfordernissen der Volksgesundheit und der sozialen Sicherung wegen nur vom Menschen selber, der Sicherung seiner Arbeitskraft und der Sicherung seiner Existenzmöglichkeit ausgehen sollte.
Wir wollen mit der Vorlage eines Jugendarbeitsschutzgesetzes zuerst einmal klarstellen, daß der eingeschränkte Arbeitsschutz für den Jugendlichen, wie er heute da ist, nicht mehr zumutbar ist. Wir müssen also unsere gesamte Wirtschaft einbeziehen. Ein künftiges Jugendarbeitsschutzgesetz sollte alle Wirtschafts- und Gewerbezweige erfassen und für alle Kinder und Jugendlichen bis zum Alter von 18 Jahren gelten, d. h. entsprechend der Begriffsbestimmung, die wir in diesem Hause für den Jugendlichen gefunden haben; diese Begriffsbestimmung soll also einheitlich sein.
Wir sollten - darauf möchte ich in diesem Zusammenhang schon einmal hinweisen - auch nicht die Jugendlichen besonders unterscheiden, die zwar unter 18 Jahren sind, aber nicht mehr in der Berufs204
Lange ({1})
ausbildung stehen, sondern schon ausgelernt haben, so wie das in dem ursprünglichen Regierungsentwurf enthalten war.
Eine solche umfassende Lösung brauchen wir; das scheint unbestritten zu sein. Wir haben aber in der vergangenen Legislaturperiode praktisch weder den zunächst eingebrachten sozialdemokratischen Entwurf noch den Regierungsentwurf behandelt. Es hat in den vereinigten Ausschüssen für Arbeit und für Jugendfragen lediglich zur sogenannten Sachverständigenvernehmung gereicht. Alle Organisationen, die mit diesen Fragen überhaupt befaßt sind, sind also gehört worden. Wir sind daran interessiert, daß diese Dinge heute mit dem notwendigen Nachdruck betrieben werden und daß die Regierungskoalition - ich könnte auch sagen, die CDU/ CSU-Fraktion - nicht wartet, bis die Regierung wieder einen Entwurf einbringt. Die verschiedenen Vorstellungen könnten im Ausschuß gegeneinander abgewogen werden. Ein Warten auf einen neuen Regierungsentwurf würde die Behandlung dieser Frage verzögern.
({2})
- Na ja, es sollte schon so manches schnell geschehen! Wir legen Wert auf die schnelle Behandlung der Sache im Hinblick auf die Versprechungen, die alle den Betroffenen gemacht haben. Da unten sitzt einer, nämlich Herr Kemmer, der mit mir auf dem Jugendkongreß des DGB war und ganz eindeutig nicht nur für sich, sondern auch für seine politischen Freunde erklärte: Wir wollen das so schnell wie möglich machen.
({3})
- Bitte, wir geben Ihnen mit diesem Entwurf jetzt Gelegenheit, das so schnell wie möglich zu tun.
({4})
- Das sollten Sie lieber nicht sagen; ich habe sonst die Befürchtung, daß es wieder so lange dauert wie damals vom 6. Juni 1956 bis zum 12. März 1957. Ein Dreivierteljahr ist uns zu lang. Nach alledem, was schon an Vorarbeiten geleistet worden ist, ist es gar keine Frage, daß diese Dinge umgehend gemacht werden können.
Man muß im Hinblick auf den Jugendarbeitsschutz und die allgemeinen Grundsätze, die ich genannt habe - das muß ich noch hinzufügen, das geht auch aus unserem Entwurf hervor -, von Vorstellungen abgehen, die den Verdacht aufkommen lassen könnten, daß wir betriebs- oder volkswirtschaftliche Erwägungen auf Erwerbstätigkeit von Kindern oder Jugendlichen gründen wollten. Solche Gesichtspunkte müssen eindeutig aus allen Betrachtungen und Überlegungen ausschalten. Es ist übrigens schon von den verschiedenen Seiten dieses Hauses gesagt worden, aber man muß es hier noch einmal unterstreichen, daß daher die Erwerbstätigkeit von Kindern dem Grundsatz nach abzulehnen ist. Die unzumutbare, der Entwicklung des Jugendlichen und der Sicherung seiner Arbeitskraft nicht zuträgliche Art der Erwerbstätigkeit oder Beschäftigung ist ebenfalls abzulehnen. Das bedeutet nicht, daß nicht unter bestimmten Voraussetzungen und in einem bestimmten Umfange - das ist in dem Gesetzentwurf festgelegt - die Beschäftigung von Kindern wie von Jugendlichen möglich sei; aber es gibt keine so dargestellte Erwerbstätigkeit von Kindern oder Jugendlichen.
In der Vorlage ist wie schon in dem alten Entwurf die Arbeitszeitbestimmung sehr deutlich formuliert: 8 Stunden täglich, 40 Stunden wöchentlich, Berufsschulzeit gilt als Arbeitszeit.
Ich möchte von vornherein einem Einwand begegnen, der schon in der ersten Lesung unseres Gesetzentwurfes in der zweiten Legislaturperiode erhoben worden war. Er ging dahin: dann sei aber die Ausbildung der in einem Lehrverhältnis befindlichen Jugendlichen gefährdet. Die Ausbildungsdauer ist nicht Sache eines wie immer gearteten Jugendarbeitsschutzgesetzes. Wir haben, soweit beispielsweise das Handwerk betroffen ist, in der Handwerksordnung eine Bestimmung, die ganz eindeutig sagt, daß die Lehrzeit drei bis vier Jahre betragen kann. Die Stellen, die sich für die Berufsausbildung verantwortlich fühlen, die über Berufsbilder und -ausbildungspläne miteinander reden, könnten also sehr wohl abwägen, wie die Ausbildungszeiten zu gestalten sind. Dabei möchte ich hinzufügen, daß man sich, ehe man an die Verlängerung von Ausbildungszeiten herangeht, sehr sorgfältig überlegen muß, wieweit ganz bestimmte Berufe eine nicht so ausgedehnte Ausbildungszeit brauchen und wieweit die Ausbildung konzentriert und die Dauer abgekürzt werden kann.
Des weiteren sind in dem Gesetz entsprechende Bestimmungen über Ruhepausen, Ruhezeiten und Sonn- und Feiertagsruhe enthalten. Nur für Notfälle gibt es eine Ausnahmebestimmung, wonach Mehrarbeit unter Umständen für Jugendliche unumgänglich notwendig ist.
Die allgemeinen Bestimmungen des Gesetzes gelten im wesentlichen für alle Wirtschaftszweige, und nur die unerläßlichen Ausnahmebestimmungen für die Landwirtschaft, für die Hauswirtschaft, für den Bergbau, für die Binnenschiffahrt und für die Seeschiffahrt sind in fünf besonderen, aber kurzen Abschnitten enthalten. Sie haben ja die Drucksache vor sich liegen. Wir haben in diesem Gesetzentwurf wie in unserem ersten wiederum eine Urlaubsdauer von 24 Arbeitstagen vorgesehen und sagen auch ganz eindeutig, daß 18 Tage Urlaub auf Grund der medizinischen Erkenntnisse zusammenhängend gegeben werden müssen.
Eindeutig enthält dieses Gesetz auch ein Akkordverbot und ein Verbot solcher Tätigkeiten, die der Akkordarbeit, Fließbandarbeit usw. gleichzusetzen sind, weil das nämlich auch Tätigkeiten sind, die dem in der Entwicklung befindlichen Jugendlichen in bezug auf seine Gesundheit und seine Arbeitskraft nicht zu-, sondern abträglich sind.
Im übrigen darf ich in diesem Zusammenhang auf die auch in der damaligen Begründung stark herLange ({5})
vorgehobenen Strafvorschriften verweisen. Das Gesetz geht also vom Schmalspurstrafrecht ab ins Vollstrafrecht. Damit soll auch unseren Juristen oder denjenigen, die über Verstöße gegen solche Bestimmungen zu urteilen haben, die unter Umständen Mißbrauch Jugendlicher in bezug auf Arbeitsleistung, die zu körperlichen Schäden führen kann oder mit Körperverletzung gleichzusetzen ist, bedeuten, die entsprechende Verantwortlichkeit von vornherein nahegebracht werden, ohne der Auffassung zu sein: „Na, es steht ja nicht im Strafgesetzbuch, das braucht man nicht so schwer zu nehmen, man kann es milder beurteilen." Wir wollen solche Delikte eindeutig als Körperverletzung gewertet wissen. Dabei wollen wir die Verantwortung nicht nur dem Arbeitgeber, sondern in genau dem gleichen Umfang den Erziehungsverpflichteten, also den Eltern, aufbürden. Man kann diese Verantwortung nicht einseitig verlagern.
Gestatten Sie mir nun noch ein letztes Wort zu § 3, die ärztliche Untersuchung. Über sie hat es erhebliche Meinungsverschiedenheiten gegeben. Wir müssen uns - und das ist auch an die Adresse des Arbeitsministers gerichtet - bei der Schaffung von Bestimmungen über ärztliche Untersuchungen darüber klar sein, daß sie nicht so gestaltet werden dürfen, daß daraus, sagen wir einmal, Arbeitsverwendungsfähigkeits-Karteien - ein häßliches Wort! - entstehen und insoweit während der Zeit ihrer körperlichen Entwicklung weniger entwickelte Jugendliche benachteiligt werden oder durch solche ärztlichen Untersuchungen gewissermaßen eine Negativauslese entsteht, die Betriebe sich also nur - wir haben heute nachmittag schon einmal etwas von guten Risiken gehört - die guten Risiken heranziehen. Die Benachteiligung, die die in der körperlichen oder geistigen Entwicklung - hier geht es mehr um die körperliche und die Gesamtverfassung der jungen Menschen - weniger begünstigten Jugendlichen hierdurch erleiden würden, könnte sich so auf die Berufswahl erstrecken und damit unter Umständen für ihr ganzes späteres Leben auswirken. Wir sollten also die Großzügigkeit, die das Grundgesetz im Zusammenhang mit der Garantie der freien Berufswahl, der freien Arbeitsplatzwahl usw. enthält, beachten, d. h. wir sollten aus der ärztlichen Untersuchung keine Zwangsmaßnahme parallel beispielsweise zur Untersuchung für die Wehrtauglichkeit machen.
Das war das, was ich zum Grundsatz und zu der Linie, die dieses Gesetz in sich birgt, wiederholen zu sollen glaubte. Eine ausführliche Begründung kann ich mir heute wohl ersparen, da ich auf das verweisen kann, was seinerzeit bei der Einbringung unseres Gesetzentwurfs und auch in der Debatte über den Regierungsentwurf sowie darüber hinaus in der Öffentlichkeit gesagt worden ist. Uns kommt es darauf an, daß an diesem Problem so schnell und so intensiv wie möglich gearbeitet wird, daß alle Versprechungen, die quer durch das Haus gegeben worden sind, um der Menschen willen, um ihrer Sicherheit und ihrer Existenzgrundlage willen eingelöst werden und ein Jugendarbeitsschutz zustande kommt, der den Versuch erkennen läßt, vom Menschen auszugehen und zugunsten des Menschen eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die seine Entwicklung sicherstellt. Das nützt uns letzten Endes auch volkswirtschaftlich, auch sozialpolitisch im umfassenden Sinne, weil uns nämlich bei einem. umfassenden Jugendarbeitsschutz Soziallasten - im volkswirtschaftlichen Sinne - erspart werden, die durch Invaliditätsfälle infolge unzulänglichen Schutzes der jugendlichen Arbeitskraft entstehen. Deshalb meine Bitte an die Regierungskoalition, mit der Ausschußberatung dieser Vorlage nicht zu warten, bis die Regierung ihren Gesetzentwurf eingebracht hat, sondern mit den Beratungen im Ausschuß für Arbeit und im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen, an die wir die Vorlage überwiesen wissen wollen, sofort zu beginnen.
({6})
Vizepräsident Dr. Schmids Meine Damen und Herren, ehe ich weiter das Wort erteile, mache ich darauf aufmerksam, daß auf Seite 3 der Drucksache 31 ({7}) ein Druckfehler enthalten ist. In der Überschrift des Vierten Abschnittes muß es statt „Hauswirtschaft" heißen „Landwirtschaft".
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freien Demokraten sind ebenfalls der Meinung, daß eine Neuregelung des Jugendarbeitsschutzes nötig und dringlich ist. Darüber ist man sich wohl allgemein in diesem Hohen Hause und auch draußen in der Öffentlichkeit klar, vielleicht mit Ausnahme des „Rheinischen Merkur", der noch im Oktober des vergangenen Jahres schrieb, bei Licht besehen sei der Entwurf eines neuen Jugendarbeitsschutzgesetzes aber alles eher als dringlich.
Das Gesetz über Kinderarbeit und die Arbeitszeit von Jugendlichen, das aus dem Jahre 1938 stammt, ist nicht umfassend genug und den heutigen Verhältnissen nicht genügend angepaßt. Seit dem Jahre 1945 hat durch verschiedene Länderregelungen auch eine gewisse Rechtszersplitterung begonnen. Wir müssen uns aber über eins klar sein: Die scharfen Bestimmungen, die in dem uns vorliegenden Entwurf, aber auch in anderen bekanntgewordenen Entwürfen enthalten sind, kommen zum großen Teil daher, daß die Bestimmungen über den Jugendarbeitsschutz, die in dem Gesetz aus dem Jahre 1938 enthalten sind, nicht richtig eingehalten werden, und zwar werden sie nicht nur in Einzelfällen übertreten. Ich glaube auch, daß die zum Teil geradezu alarmierenden ärztlichen Statistiken nicht so schlecht ausgefallen wären, wenn man allerwärts das Gesetz von 1938 besser eingehalten hätte.
Die Materie des Jugendarbeitsschutzes betrifft einen wesentlichen Ausschnitt aus dem Arbeitsleben, und zwar nicht nur aus dem industriellen Arbeitsleben. Eine Regelung dieser Materie sollte nach unserer Ansicht möglichst kurz und klar sein und gleichzeitig der Vielfalt des Arbeitslebens dadurch ausreichend Rechnung tragen, daß sie wirklichkeitsnah ist. Wir müssen die träge Gewohnheit
bekämpfen, zu sagen, daß man es früher auch nicht besser gehabt habe. Wir müssen ein Gesetz schaffen, dem man es ansieht, daß es nicht vom grünen Tisch herstammt. Wir müssen ein Gesetz schaffen, das für die Betroffenen ohne Kommentar verständlich ist. Es muß klar sein, einfach sein, und es muß vor allem unbürokratisch sein, und dies nicht nur in den Hauptbestimmungen, sondern auch in den Nebenpunkten. Denn sonst kann es bei der Neigung des Menschen zur Verallgemeinerung geschehen, daß man sich einen Nebenpunkt heraussucht, und etwa, was nach dem uns vorliegenden Entwurf gar nicht weit liegt, erklärt, daß eine Hausfrau, wenn sie eine 15jährige Hausgehilfin beschäftigt, in die Situation komme, in der Wohnung suchend herumlaufen und sehen zu müssen, an welcher weithin sichtbaren Stelle ihres Hauses sie den vorgeschriebenen Aushang über die Arbeitszeit ihrer Hausgehilfin anbringen könne. Oder es könnte genauso geschehen, daß ein Bauer am Montag einen Brief an das Gewerbeaufsichtsamt schreiben muß, in dem steht, daß er und seine Frau am Sonntag grippekrank gewesen seien und daß wegen dieses Notfalles die 15jährige Tochter gezwungen gewesen sei, die Kühe zu melken, was er der Aufsichtsbehörde hiermit pflichtgemäß anzeige.
({0})
- Ja.
({1})
- Es ist jedenfalls ohne Kommentar nicht völlig verständlich, ob das gemeint ist oder nicht gemeint ist.
({2})
- Ich hoffe, daß Sie auch mitarbeiten.
({3})
Es gilt, nicht nur für den Groß- und den Mittelbetrieb, sondern auch für die Belange und die Eigenheiten des Handwerks, der Landwirtschaft und der Hauswirtschaft eine ausreichende Regelung zu schaffen. Das hat für diese Zweige durchaus seine Vorteile. Denn wir müssen uns darüber klar sein, daß bei vielen jungen Menschen der Anreiz, zur Industrie und nicht zum Handwerk, zur Landwirtschaft oder zur Hauswirtschaft zu gehen, sehr oft darin liegt, daß sich diese Jugendlichen sagen: Dort bei der Industrie habe ich wenigstens meinen geregelten Feierabend. Gute Jugendarbeitsschutzbestimmungen, die auch eingehalten werden, sind dann ein nicht unwichtiges Mittel, um bei den genannten Berufszweigen den akuten Nachwuchsmangel wenigstens einigermaßen zu beheben.
({4})
Ein weiterer Gesichtspunkt: Es ist nicht sicher, daß die Zeiten der Vollbeschäftigung anhalten, und wir müssen daran denken, ein Jugendarbeitsschutzgesetz zu schaffen, das auch in Zeiten, wo keine Vollbeschäftigung herrscht, anwendbar und durchführbar ist. Es wäre kein Dienst für den Jugendlichen, wenn eine gesetzliche Regelung in solchen Zeiten dazu führen würde, daß sich ein Arbeitgeber sagt, es falle ihm nicht mehr ein, einen jugendlichen Hilfsarbeiter einzustellen. Wir müssen hier mit den Gesichtspunkt beachten, daß es nicht sein darf, daß entsprechend dem Problem der älteren Angestellten ein Problem der jugendlichen Hilfsarbeiter auftauchen könnte.
Die Lehrjahre, meine Damen und Herren, werden weiterhin keine Herrenjahre sein. Die Arbeitszeitkürzung wird zu einer Konzentration auf das Ausbildungsziel führen müssen, wenn nicht eine Verlängerung der Dauer der Lehrzeit unumgänglich werden soll. Aber ich bin in diesem Punkt optimistisch. Unsere Jugendlichen empfinden bei aller Liebe zum Moped oder zum Sport ihre berufliche Arbeit nicht als unnötige Unterbrechung der Freizeit. Wenn man sie fragt, wird man in den allermeisten Fällen feststellen können, daß sie mit Interesse und mit dem Herzen bei ihrer beruflichen Arbeit sind. Damit nicht Erzeugnisse vom grünen Tisch Gesetz werden, wird es bei der Einzelerörterung nötig sein, die Mithilfe der Tarifpartner, der Berufs- und Jugendverbände sowie der Öffentlichkeit in Anspruch zu nehmen.
Die Freien Demokraten hoffen, daß eine Regelung gefunden wird, die die einhellige Zustimmung dieses Hauses findet und die unter Mitwirkung der Öffentlichkeit auch eingehalten wird. Denn ein Jugendarbeitsschutzgesetz ist erst dann von Wert, wenn es nicht nur eingehalten wird, weil die Verstöße gegen die Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes unter strenger Strafe stehen, es ist erst dann wertvoll, wenn die Jugendarbeitsschutzbestimmungen von allen eingehalten werden, weil es der Anstand so gebietet.
({5})
Das Wart hat der Abgeordnete Jahn ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens der Fraktionen der CDU/CSU und der Deutschen Partei dem Hohen Hause folgendes vorzutragen.
Der 2. Deutsche Bundestag hat sich, wie bereits auch bei der Begründung des nun vorliegenden Entwurfs gesagt worden ist, mit dem Entwurf eines Jugendarbeitsschutzgesetzes - also eines Gesetzentwurfs, wie er heute in der Konzeption der SPD-Fraktion dem Hohen Hause vorgelegt worden ist - sowohl im Plenum als auch im Ausschuß für Arbeit beschäftigt. Dem Ausschuß lag damals neben dem Regierungsentwurf auch ein Entwurf der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion vor.
({0})
Die Fraktionen der Regierungsparteien vertreten seit langem in Übereinstimmung mit der BundesregieJahn
rung die Überzeugung, daß es sich bei der zur Debatte stehenden Materie um eine sehr wichtige Angelegenheit handelt, die einer baldigen bundesgesetzlichen Neuregelung dringend bedarf. Es dürfte allgemein bekannt sein, daß die Bundesregierung beabsichtigt, die Regierungsvorlage, die bereits im 2. Deutschen Bundestag vorlag, erneut einzubringen. Bei der Einbringung dieses Entwurfs wird die Bundesregierung ohne Zweifel die ihm zugrunde liegenden Auffassungen und Grundsätze auch vor diesem Hawse vertreten.
Wir bedauern, daß die SPD nicht bereit war, mit der ersten Beratung dieses Entwurfs bis zur Einbringung der Regierungsvorlage zu warten.
({1})
Eine Beratung beider Vorlagen wäre der Sache selbst nur dienlich gewesen.
({2})
Zu dem vorliegenden Gegenstand haben wir von der Regierungskoalition sowohl Grundsätzliches als auch in vielfacher Hinsicht ins einzelne Gehendes zu sagen. Hierher gehören z. B. die Sorge um das Erreichen des Berufsziels, die Fragen der Berufserziehung, der Gesundheit und insgesamt der positiven Entwicklung der arbeitenden und lernenden jungen Generation. Die Koalitionsparteien sehen davon ab, ihren Standpunkt zu diesen Fragen heute darzulegen. Sie werden dagegen - trotz der Aufforderung, Herr Kollege Lange, die Sie ausgesprochen haben - bei der Vorlage des Regierungsentwurfs ihre Auffassung dem Hohen Hause eingehend vortragen.
({3})
Da die Regierungsvorlage in Kürze zu erwarten ist, können beide Vorlagen dann im Ausschuß gemeinsam beraten werden. Damit dienen wir der Sache mehr als bei getrennter Beratung.
Die Fraktionen der Koalition stimmen der Ausschußüberweisung, wie sie beantragt ist, zu und hoffen, daß bei der Ausschußberatung dann das Notwendige zu diesen beiden Entwürfen gesagt werden kann und wir zu einer Lösung dieser Fragen kommen, die alle daran Beteiligten befriedigt.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit - federführend - und dem Ausschuß für Familien- und Jugendfragen sowie dem Rechtsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 15 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen ({0}) ({1}).
Zur Begründung der Herr Staatssekretär im Bundesminisiterium für Verkehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, daß dem Hohen Hause der Inhalt des Entwurfs eines Gesetzes zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen im wesentlichen bekannt ist. Ich will deswegen nur einige tragende Gedanken des Entwurfs herausstellen und zu einigen besonders wichtigen Fragen Stellung nehmen.
Es ist Ihnen bekannt, daß die Trink- und Brauchwasserversorgung der Bevölkerung und der Industrie nicht mehr überall gesichert ist. Krisenhafte Erscheinungen treten namentlich in den Gebieten auf, in denen Bevölkerung und Industrie zusammengeballt sind. Dies beruht darauf, daß hier der Bedarf aus dem Grundwasser längst nicht mehr gedeckt werden kann, vielmehr in zunehmenden Maße auf das Oberflächenwasser und auch auf das Wasser der großen Ströme zurückgegriffen werden muß. Das Wasser dieser Flüsse ist aber so mit Abwasser und Schmutzstoffen aller Art belastet, daß es vielfach für den menschlichen Genuß überhaupt nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten aufbereitet werden kann. Aus diesem Grunde haben verschiedentlich schon Pumpstationen von Wasserwerken stillgelegt werden müssen.
Durch die übermäßige Verschmutzung der Wasserläufe treten aber auch sonstige Schäden und schwerwiegende Nachteile auf. Der Herr Bundeskanzler hat sich bereits in seiner Regierungserklärung mit der Verunreinigung der Gewässer befaßt. Um Ihnen einen Eindruck von dem beunruhigenden Zustand zu geben, in dem sich die Bundeswasserstraßen befinden, war ich fast versucht, Ihnen einige Zahlen vorzutragen. Ich habe dieses Unternehmen aber aufgegeben. Denn was Verunreinigung der Bundeswasserstraßen heißt, das muß man persönlich erlebt, also gesehen und .mit seinem Geruchssinn aufgenommen haben. Deshalb hat mein Herr Minister daran gedacht, den Herrn Präsidenten zu bitten, einer Delegation dieses Hohen Hauses Gelegenheit zu geben, sich mit uns einmal den Zustand unserer Bundesflüsse anzusehen.
Wir würden Sie vielleicht zuerst an den unteren Main führen, wo sich metertief der Faulschlamm, der von den großen Mengen eingeleiteten Abwassers herrührt, im Flußbett ablagert und bei sommerlicher Hitze und geringer Wasserführung in Fladen in den Rhein abtreibt.
Wir würden Ihnen den Rhein unterhalb von Ludwigshafen und Mannheim zeigen, wo gewerbliche Betriebe, die zu den größten und wichtigsten im Bundesgebiet gehören, das biologische Leben des Flusses auf Kilometer schwer beeinträchtigen und ihren Einfluß noch weit stromab zeigen.
Wir würden Sie bitten, mit dem Schiff das Industriegebiet am Niederrhein zu bereisen und sich anzusehen, welche überaus wichtige Rolle der Rhein für die Abwasserwirtschaft und die Wasserversorgung im Industriegebiet spielt. Wir könnten Sie an Wasserläufe führen, die im Sommer wie eine Pestilenz auf die Geruchsnerven wirken, und Ihnen einen weiteren wasserwirtschaftlich und werkehrlich gleich wichtigen Fluß unserer Bundesrepublik zeigen, wo zeitweilig bei jeder Schleusung eines Schiffs sich Bug und Vorschiff bis zur Höhe des Steuerhauses mit dickem Schaum bedecken. Die Gesundheit aller, die mit diesem Wasser in Berührung kommen, es vielleicht sogar trinken müssen, ist ständig gefährdet.
Es fragt sich nun, ob es nicht möglich wäre, auf Grund des in der letzten Legislaturperiode noch verabschiedeten Wasserhaushaltsgesetzes die nötigen Maßnahmen zu treffen. Diese Frage ist zu verneinen. Das Wasserhaushaltsgesetz ist ein Rahmengesetz und bedarf der Gesetze der Länder, die es ausführen. Es soll darum auch erst am 1. März 1959 in Kraft treten. Es steht auch keineswegs fest, ob die Ausführungsgesetze der Länder sämtlich bis zu diesem Zeitpunkt erlassen, aber auch nicht, ob sie so einheitlich sein werden, daß sie für die großen Wasserläufe, die Bundeswasserstraßen, die alle durch mehrere Länder gehen, die nun einmal unerläßliche einheitliche Rechtsgrundlage schaffen werden. Dann erst kann wirksam gehandelt werden.
Die Bundesregierung will sich mit dieser Unsicherheit nicht abfinden. Sie will nicht zuwarten, sondern dafür sorgen, daß möglichst rasch etwas Durchgreifendes geschieht. Der Entwurf des Reinhaltungsgesetzes ist im übrigen mit den Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes sorgfältig abgestimmt worden. Eine Reihe von Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes sind wörtlich übernommen worden.
Ich komme nun zu der umstrittenen Frage, ob die Länder und ihre Behörden in der Lage wären, an den Bundeswasserstraßen die nach meinen Ausführungen notwendigen Maßnahmen durchzuführen. Wir verneinen diese Frage. Selbst wenn unterstellt wird, daß es den Ländern durch enge Zusammenarbeit gelingen sollte, wirklich Bleichlautende Ausführungsgesetze zu erlassen, so wären sie und ihre Behörden darum doch nicht in der Lage, mit Aussicht auf Erfolg die Maßnahmen an den Bundeswasserstraßen zu treffen, die erforderlich sind, um den Zustand dieser Bundeswasserstraßen so zu verbessern, wie es das Wohl der Allgemeinheit gebieterisch verlangt. Zwei Beispiele dafür.
Der Rhein durchfließt in der Bundesrepublik vier deutsche Länder oder er berührt sie. Von der Lautermündung bis oberhalb Kaub, also auf rund 200 km, ist er noch dazu Grenzfluß zwischen den Ländern Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen. Hätten also diese Länder durch ihre wasserwirtschaftlichen Behörden die Reinhaltung des Rheins auf dieser Strecke zu vollziehen, so gäbe es auf dieser Länge von rund 200 km eine linksrheinische und eine rechtsrheinische Wasserwirtschaftsverwaltung, die je nur bis zur Flußmitte für die Reinhaltung sorgen könnten.
Auch die Weser durchfließt oder berührt vier Bundesländer. Von Hannoversch-Münden bis Schlüsselburg, also auf rund 130 km, ändern sich die Landesgrenzen nicht weniger als 27mal. Müßten hier die Wasserwirtschaftsverwaltungsbezirke den Ländergrenzen folgen, so wäre eine ordentliche Verwaltung des Wasserschatzes des Flusses nach unserer Meinung nicht möglich. Unmöglich wären namentlich auch erfolgversprechende Maßnahmen zur Reinhaltung des Flusses.
Unzweckmäßig und abzulehnen ist unserer Meinung nach die vom Bundesrat in seiner letzten Sitzung vertretene Auffassung, die Bundes- und die Landeszuständigkeiten an dem Objekt Bundeswasserstraßen könnten in der Weise geteilt werden, daß der Bund die Verwaltungsmaßnahmen zu treffen habe, die ihm als Eigentümer der Bundeswasserstraßen oblägen oder die im Interesse des Wasserstraßenverkehrs erforderlich seien, während die Länder für die wasserwirtschaftlichen oder landeskulturellen Verwaltungsmaßnahmen zuständig sein sollten. Zwar ist der Bundesrat ferner der Ansicht, daß der Bund auch hinsichtlich der wasserwirtschaftlichen und landeskulturellen Verwaltungsmaßnahmen zuständig sei, wenn die Interessen des Bundes als Eigentümer und Verwalter der Wasserstraßen überwögen. Eine solche Trennung der Aufgaben ist aber praktisch unmöglich, weil sie zu ständigen verwaltungsmäßigen Überschneidungen und zu regelmäßig unlösbaren Zweifeln über die Zuständigkeiten der einen oder der anderen Behörde und damit letztlich zu einer unerträglichen Verzögerung des Ablaufs der Verwaltung führen müßte. Der Bundesrat hat geglaubt, auf Grund zwingender verfassungsrechtlicher Erwägungen zu dieser Trennung der Zuständigkeiten kommen zu müssen. Er hat die Bundesregierung gebeten, weiterhin in Zusammenarbeit mit den Ländern bald nach einer Lösung dieser schwierigen Frage zu suchen, gegen die verfassungsrechtliche Bedenken nicht zu erheben sind.
Mit den verfassungsrechtlichen Erwägungen des Bundesrates hat sich die Bundesregierung wiederholt auseinandergesetzt, und zwar sowohl hinsichtlich der Verwaltungs- wie auch der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes. Ich darf hierzu auf die Anlage 3 des Ihnen vorliegenden Entwurfs Drucksache 46 verweisen. Ich selbst habe namens der Bundesregierung in der Plenarsitzung des Bundesrates am 29. November 1957 zu den Rechtsfragen nochmals eingehend Stellung genommen. Ich verweise hierzu auf meine Ausführungen im Bundesrat, die zum Teil im Bulletin der Bundesregierung und vollständig in der Bundesratsdrucksache Nr. 185 zu finden sind.
Hervorheben möchte ich heute nur, daß die Entstehungsgeschichte des Art. 97 der Weimarer Verfassung, auf den die Bestimmung des Art. 89 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes: „Der Bund verwaltet die Bundeswasserstraßen durch eigene Behörden" zurückgeht, eindeutig für die von der Bundesregierung vertretene Auffassung spricht. In der 70. PleStaatssekretär Dr. Seiermann
narsitzung der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung haben - ich bitte, das festzuhalten - die Abgeordneten Dr. Haas, Leicht und andere beantragt, den ersten Satz des Art. 97 der Weimarer Verfassung wie folgt zu fassen:
Aufgabe des Reichs ist es, die Verfügung über die dem allgemeinen Verkehr dienenden Wasserstraßen und ihre Verwaltung unter Beschränkung auf die Zwecke des Verkehrs auf diesen Wasserstraßen zu übernehmen.
Zu diesem Antrag hat der Vertreter der Reichsregierung, Dr. Preuß, ausgeführt, daß eine Trennung der Verwaltung nach den verschiedenen Zwecken rein technisch unmöglich sei. Der Antrag, die Bundesverwaltung auf die Zwecke des Verkehrs auf diesen Wasserstraßen zu beschränken, wurde daraufhin mit großer Mehrheit abgelehnt.
Bei dieser Sachlage wird nicht mehr länger das Gegenteil behauptet werden können, daß nämlich Art. 97 der Weimarer Verfassung die Verwaltung der Wasserstraßen auf den Verkehrszweck habe beschränken wollen und deshalb eine solche Beschränkung nach der Entstehungsgeschichte zwingend auch in Art. 89 des Grundgesetzes hineinzuinterpretieren sei. Gerade das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein. Die Mehrheit der Nationalversammlung hat eine solche Einengung durch ihren Beschluß ausdrücklich mißbilligt und damit dem Reich die Verwaltungskompetenz in bezug auf das Objekt, nämlich die Bundeswasserstraßen, zugesprochen. Und der Parlamentarische Rat hat nirgend
wo zum Ausdruck gebracht, daß er die wörtlich übernommenen Bestimmungen aus der Weimarer Verfassung im Grundgesetz mit einem anderen begrifflichen Inhalt erfüllen wolle. Darum gilt jene Entscheidung der Nationalversammlung nach unserer Meinung ungekürzt und unverändert auch für die Auslegung des Art. 89 des Grundgesetzes.
Ich fasse den Schluß meiner Ausführungen in einem kurzen Satz zusammen: Eile tut not! Ich wäre dankbar, wenn der Gesetzentwurf den zuständigen Ausschüssen zur weiteren Behandlung überwiesen würde.
Der Gesetzentwurf ist begründet. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort verlangt? - Herr Abgeordneter Jacobi!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der letzte Satz des Herrn Staatssekretärs: „Eile tut not" hatte etwas Erfrischendes an sich. Aber manchmal kann Eile auch etwas Verkehrtes sein. Ich muß schon sagen, die Tatsache, daß der Entwurf uns in unveränderter Form vorgelegt wird, obwohl alle Veranlassung bestanden hätte, ihn aus einer ganzen Reihe von Gründen vorher noch einmal einer Überprüfung zu unterziehen, muß zu dem Urteil führen, daß die Bundesregierung hier etwas zu eilig gewesen ist. Mindestens hätte der alte Entwurf, Herr Staatssekretär, sorgfältig daraufhin überprüft werden müssen, inwieweit er dem inzwischen vom Bundestag verabschiedeten Wasserhaushaltsgesetz noch entspricht. Wenn ich richtig notiert habe, glaubten Sie erklären zu dürfen, daß diese Überprüfung stattgefunden habe. Sie haben ungefähr gesagt, daß eine sorgfältige Abstimmung mit dem Wasserhaushaltsgesetz erfolgt sei. Das ist doch nur bedingt richtig; denn Sie legen einen alten Entwurf vor, während inzwischen das Wasserhaushaltsgesetz gegenüber dem ursprünglichen Entwurf, der von der Regierung diesem Hause unterbreitet wurde, wesentliche Änderungen erfahren hat. Ich darf gleich auf einige Punkte hinweisen. Insofern muß also bezweifelt werden, daß Sie den Sachverhalt hier objektiv richtig wiedergegeben haben.
Sie haben auch bereits in der erwähnten Bundesratssitzung darauf hingewiesen, daß der 2. Bundestag das heute hier erneut vorgelegte Gesetz im wesentlichen nur deshalb nicht verabschiedet habe, weil der zweite Sonderausschuß „Wasserhaushaltsgesetz", der zunächst das Wasserhaushaltsgesetz zu behandeln hatte, aus Zeitmangel nicht mehr zur Bearbeitung gekommen sei. Die Bemerkung ist objektiv richtig, aber unvollständig. Sie ist insoweit richtig, als die Beratung des Wasserhaushaltsgesetzes in ihrem wechselvollen, aber schließlich erfolgreichen Verlauf - und man darf sagen, daß das Wasserhaushaltsgesetz als eine der besten legislatorischen Leistungen des 2. Bundestages bezeichnet werden kann - viel Zeit in Anspruch nahm. Dennoch hätte sich der Sonderausschuß „Wasserhaushaltsgesetz" auch des Reinhaltegesetzentwurfs annehmen können, wenn nicht ohne Ansehen der Parteien in seinen Reihen doch gewisse Zweifel darüber lautgeworden wären, ob der Gesetzentwurf wirklich das denkbar Optimale darstelle. Sie haben darauf hingewiesen, daß ihm verfassungsrechtliche Bedenken entgegengehalten werden. Ich will zu diesen verfassungsrechtlichen Bedenken heute und hier keine Stellung nehmen. Es gibt aber auch sachliche Erwägungen, die Zweifel darüber aufkommen lassen können, ob dieser Gesetzentwurf als geglückt angesehen werden kann. In jedem Falle lege ich Wert auf die Feststellung, daß er nicht mit der ganz neuen Sach- und Rechtslage vereinbar ist, die durch die Verabschiedung des Wasserhaushaltsgesetzes entstanden ist. Dieses Wasserhaushaltsgesetz ist verkündet, und ich muß die Frage stellen, wieso die Regierung dieser Tatsache bei der Wiedervorlage des Reinhaltegesetzes effektiv nicht Rechnung getragen hat.
Ich muß auch sagen, daß dieses Bedauern über die Unterlassung besonders unterstrichen werden muß, weil zu Beginn des 3. Bundestages allgemein die These aufgestellt wurde, dieses Haus solle von unnötigen Arbeitsbelastungen und von Leerlauf freigehalten werden. Man hat sich über Reformen unterhalten; es gibt da sogar noch eine ganze Reihe von mehr oder weniger beachtlichen Vorschlägen. Aber was nützen denn alle Erklärungen über unerläßliche Maßnahmen zur Entlastung des Parlaments, was nützen Reformbemühungen dieses Hauses, so die Auflösung von Ausschüssen, wie sollen Vereinfachungen der parlamentarischen Arbeit effektiv erreicht werden, wenn man so verfährt, wie es mit dieser Vorlage geschieht? Wir werden doch förmlich zu Flickschustern degradiert. Seit Mo210
naten hätte sich Zeit finden können, innerhalb der Bundesregierung den Entwurf der neuen Sach- und Rechtslage anzupassen. Wenn dieses Haus wirklich rationell, ohne vermeidbaren Zeitaufwand und mit dem Effekt arbeiten soll, durchdachte Gesetze zu verabschieden, dann muß die Bundesregierung, so unangenehm das für die Ministerien ist, Zeit und Mühe darauf verwenden, dem Hause ausgefeilte Vorlagen zu unterbreiten.
Gerade weil es sich bei der Materie der Reinhaltung unserer Wasserläufe um ein allgemeines und fürwahr dringliches Anliegen handelt, hätte man sich für den zweiten Start des Reinhaltegesetzes bessere Bedingungen wünschen müssen, als sie angesichts der unveränderten Vorlage zu konstatieren sind.
Nun hat der Herr Bundeskanzlerin seiner Regierungserklärung erfreulicherweise auf die vielschichtige Problematik unserer Wasserversorgung und auf die Aufgaben der Wasserwirtschaft hingewiesen. Durch die zusätzliche Beauftragung des Atomenergieministers mit den wasserwirtschaftlichen Aufgaben hat er offenkundig seinem Unmut über die bisherigen unfruchtbaren Reibungen der Bundesressorts Ausdruck gegeben. Damit hat er einen neuen, auch von der Opposition begrüßten Kurs angesteuert. Es kommt nur darauf an, daß dieser Kurs beibehalten wird.
Ich habe nicht den Eindruck, daß dem Regierungschef von dem Herrn Bundesverkehrsminister vor oder in der Kabinettssitzung auch nur angedeutet worden ist, welches Kuckucksei mit der unveränderten Vorlage dem Parlament ins Nest gelegt wird. Man hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, den Anstrich zu erneuern, vom eingeschrumpften Dotter ganz zu schweigen.
Da findet sich in der Vorlage einmal eine ganze Reihe von Doppelgleisigkeiten gegenüber dem Wasserhaushaltsgesetz. Sie müssen ausgemerzt werden. Das hätte längst geschehen können. Die Bestimmungen über den Gemeingebrauch bedürfen einer kritischen Überprüfung. Der Wasserzins nimmt sich fürwahr verwunderlich aus, nachdem er bereits beim Wasserhaushaltsgesetz allgemeiner Ablehnung verfallen ist. Sachlich und rechtlich bedenklich erscheint auch die vorgesehene Überwachung durch das Bundesministerium für Verkehr und seine nachgeordneten Dienststellen für die Wasserwerke, die den Bundeswasserstraßen Wasser entnehmen, und von kommunalen und industriellen Kläranlagen, die Abwasser einleiten. Es taucht die Frage auf, ob, nachdem wir das Wasserhaushaltsgesetz mit dem Institut der Wasserbücher verabschiedet haben, in Zukunft zwei Wasserbücher zu führen sind: eines von den Behörden der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung für die Bundeswasserstraßen und ein zweites bei den Landesdienststellen für die allgemeine Wasserwirtschaft.
Das, meine Damen und Herren, sind nur einige Fragen, die sich schon dem flüchtigen Betrachter des Regierungsentwurfs aufdrängen. Zu ihnen kommt eine Fülle anderer kritischer Punkte, die die bevorstehenden Ausschußberatungen sehr erschweren dürften. Wer sich mit der Materie näher beschäftigt hat, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Entwurf des Reinhaltungsgesetzes im wahrsten Sinne des Wortes ein Überbleibsel aus den früheren unfröhlichen Tagen der leidigen Konflikte der Bundesressorts über ihre divergierenden Zuständigkeiten ist. Er ist eher als der Entwurf eines Organisationsgesetzes und eines Zuständigkeitsgesetzes für den Bundesverkehrsminister denn als ein wirksames Mittel gegen die unerträgliche Verschmutzung unserer Gewässer anzusehen. Wir wollen hoffen, daß es in den Ausschußberatungen gelingt, die mannigfachen Widersprüche, die im Hinblick auf das Wasserhaushaltsgesetz schon von vornherein ersichtlich werden, auszugleichen und dieses Gesetz vielleicht doch noch praktikabel zu machen. Wir haben unsere Bedenken. Wir glauben, daß es diesmal nicht so leicht sein wird wie beim Wasserhaushaltsgesetz, wo durch das fleißige Bemühen des Bundestages schließlich doch noch eine gute Endlösung zustande gekommen ist.
Der Schutz 'unserer Gewässer vor weiterer unheilvoller Verschmutzung ist fürwahr eine unabweisbare Aufgabe, und es genügt sicherlich nicht, Gesetzentwürfe vorzulegen. Da haben wir alle einiges zu tun. Die Opposition ist bereit, unter Wahrung dieser Gesichtspunkte in Anerkennung der Notwendigkeit alles zu tun, was möglich ist, um den unheilvollen Zuständen ein Ende zu bereiten, positiv an der Gestaltung des Gesetzes mitzuwirken. Sie wird deshalb der Ausschußüberweisung zustimmen, hat aber Bedenken und Zweifel, ob dieses Gesetz wirklich geeignet ist, einen Schritt nach vorne zu machen. Wir glauben, daß dies nicht der Fall ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Kraft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion beantrage ich die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft.
Es handelt sich, wie wir soeben gehört haben, um einen Gesetzentwurf, der bereits Ende 1956 dem 2. Deutschen Bundestag vorgelegen hat, dort aber nicht mehr behandelt werden konnte. Er stützt sich, wie wir ebenfalls gehört haben, auf den damals dem Bundestag vorgelegten Gesetzentwurf über den Wasserhaushalt. Dieser Gesetzentwurf ist geändert worden. Es wird nötig sein, diese Änderungen 'des Wasserhaushalts-Gesetzentwurfs bei der endgültigen Fassung des Reinhaltungsgesetzes zu berücksichtigen.
Aber ich glaube, wir sollten auch dem Anliegen der Bundesregierung, dem Bundestag dieses Gesetz möglichst schnell zuzuleiten, etwas Beachtung schenken und nicht nur die Kritik hören, die hierzu ausgesprochen worden ist, wenngleich sie sich als gerechtfertigt begründen ließe.
Der Herr Vertreter der Bundesregierung hat uns im ersten Teil seiner Ausführungen den Gesetzentwurf mit allgemeinen Begründungen nahegebracht, Begründungen, die sich auch für andere Gesetze
ebenso wie das Wasserhaushaltsgesetz anführen ließen. Es wird nicht die letzte Begründung dieser Art sein, die wir in diesem Hohen Hause hören. Ich glaube, es ist nicht nötig, in der ersten Lesung auch noch die Frage der verfassungsrechtlichen Situation aufzugreifen.
({0})
Wir würden zu keinem Ergebnis kommen. Zur Behandlung dieser Frage wird nachher im Ausschuß Gelegenheit sein.
Ich darf hier feststellen, was auch von meinem Herrn Vorredner ausgeführt worden ist und was im 2. Bundestag deutlich genug in verschiedenen Entschließungen zum Ausdruck gekommen ist, nämlich daß sich alle Mitglieder dieses Hohen Hauses, alle Fraktionen in der Erkenntnis der Bedeutung der Materie einig sind, die wir hier zu behandeln haben. Wir sind uns bewußt, daß eine Situation gemeistert werden muß, die sich durch die Bevölkerungszusammenballung, durch die Industrialisierung und durch alle möglichen Umstände ergeben hat, daß wir nachzuholen haben, was jahrzehntelang auf dem Gebiet der wasserwirtschaftlichen Gesetzgebung zu tun versäumt worden ist, und daß wir zum Teil überhaupt in einigen Bereichen neu damit anfangen müssen.
Ich begrüße daher namens meiner Fraktion, daß der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion sich hier so eindeutig für die Mitarbeit an der Gestaltung des Gesetzes ausgesprochen hat.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Winter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich in dieser vorgerückten Stunde so kurz wie möglich fassen, halte es aber im Interesse der Klärung der Fronten für notwendig, für mich und meine bayerischen Freunde aus der CSU von vornherein zum Ausdruck zu bringen, daß wir die verfassungsrechtlichen Bedenken teilen, die schon im vorigen Bundestag gegen die Bestimmungen des Gesetzentwurfs erhoben worden sind.
Das Wasserhaushaltsgesetz, von dem der Kollege Jacobi zugegeben hat, daß es ein gutes Gesetz ist, findet seine verfassungsrechtliche Stütze ausschließlich in Art. 75 Nr. 4 des Grundgesetzes. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf soll auf Art. 74 Nr. 21, eventuell auf Art. 89 gestützt werden. Beides kann schon dem Wortlaut dieser Bestimmungen nach nicht genügen und bietet keine verfassungsrechtliche Grundlage für die Gesetzgebungskompetenz des Bundes in diesem Umfang. Ich will darauf verzichten, im einzelnen zu den Argumeten und Gegenargumenten Stellung zu nehmen. Sie können sie der Drucksache entnehmen; denn sie sind im Bundesrat ausführlich behandelt worden.
Ich habe auch wegen der Verwaltungskompetenz des Bundes erhebliche grundsätzliche Bedenken. Man kann die Wasserwirtschaft nämlich nicht an den Ufern einer Bundeswasserstraße aufhören lassen. Die Bundeswasserstraßenverwaltung, die wir hier neu und zusätzlich in die Welt setzen sollen, wird niemals funktionieren, wenn die Verwaltung der Länder an dem übrigen Wasser in dem gesamten Wassereinzugsgebiet einer Wasserstraße nicht funktioniert und nicht im Einklang mit der Verwaltung durch den Bund steht. Warum soll man die Wasserstraße aus der Verwaltung der Länder herausnehmen, wenn man das Wesentliche, das, wovon sich die Wasserstraße nährt, wovon sie lebt, wovon sie ihr Wasser bezieht, doch der Länderwasserverwaltung überlassen muß, weil man eine verfassungsrechtliche Grundlage für eine andere Regelung nie finden kann und finden wird? Ich möchte diese Gesichtspunkte im Interesse der Vollständigkeit vorgetragen haben, damit man uns nachher nicht den Vorwurf machen kann, wir hätten davon nicht rechtzeitig etwas gesagt.
Ich habe für die gesamte Fraktion der CDU/CSU den Antrag zu stellen, den Gesetzentwurf zur Mitberatung auch dem Verkehrsausschuß zu überweisen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Aussprache.
Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf federführend-dem Ausschuß für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft und - mitberatend - dem Ausschuß für Verkehrswesen zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Außerdem ist vom Kollegen Dr. Stammberger der Antrag gestellt worden, auch den Ausschuß für Gesundheitswesen mitberatend einzuschalten. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
über den zivilen Ersatzdienst ({0}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich komme zur Frage der Ausschußüberweisung und bitte, Anträge zu stellen. Wenn ich mich recht erinnere, war im Ältestenrat strittig, ob der Ausschuß für Arbeit oder der Ausschuß für Inneres federführend sein soll und ob die Vorlage dem Ausschuß für Verteidigung zur Mitberatung überwiesen werden soll.
({1})
- Es besteht also Einverständnis, daß der Ausschuß für Arbeit federführend sein soll. - Widerspruch erfolgt nicht, es ist so beschlossen.
Dann zur Frage, welcher Ausschuß mitberatend sein soll.
({2})
Vizepräsident Dr. Jäger
- Ich höre Ausschuß für Inneres und Ausschuß für Verteidigung; ich lasse abstimmen. Wer dafür ist, daß die Vorlage dem Ausschuß für Verteidigung zur Mitberatung überwiesen werden soll, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse darüber abstimmen, ob die Vorlage dem Ausschuß für Inneres zur Mitberatung überwiesen werden soll. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 17 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen vom 28. Juni 1955 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Untersuchung und Überwachung von Wein ({3}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Außenhandelsausschuß vorgesehen; insoweit besteht Einigkeit. Strittig ist, welcher Ausschuß federführend sein soll.
({4})
- Erhebt sich gegen diese Feststellung Widerspruch?
({5})
- Dann lasse ich abstimmen. Sicher ist, daß die Vorlage den beiden genannten Ausschüssen überwiesen werden soll. Wer dafür ist, daß der Außenhandelsausschuß federführend sein soll, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte uni die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes ({6}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage die Überweisung an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Sozialpolitik - mitberatend - vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 10. März 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über die Regelung gewisser Forderungen aus der Sozialversicherung ({7}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. [ch schlage Überweisung vor an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend -, an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten - mitberatend -.
- Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes ({8}) ({9}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung vor an den Ausschuß für Inneres - federführend - und an den Rechtsausschuß - mitberatend -. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 21 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Kriegsopferversorgung ({10}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung vor an den Ausschuß für Wiedergutmachung - federführend - und an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen
- mitberatend -. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 22 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Kriegsopferversorgung für Berechtigte im Ausland ({11}) ({12}).
Auf Begründung und Aussprache wird auch hier verzichtet. Ich schlage Überweisung vor an den Ausschuß für Wiedergutmachung - federführend - und an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen - mitberatend -. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 23 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten ({13}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Gesundheitsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 24 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
über die Ausübung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin ({14}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. - Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Gesundheitswesen vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 25 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 1. Dezember 1956 zur
Vizepräsident Dr. Jäger
Änderung des Internationalen Zuckerabkommens ({15}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Außenhandelsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 26 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
über die Preisstatistik ({16}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Wirtschaftsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 27 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 31. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Zollbehandlung von Müllergaze ({17}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Außenhandelsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 28 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen vom 15. Mai 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die Errichtung nebeneinanderliegender nationaler Grenzabfertigungsstellen, über die Grenzabfertigung in Zügen während der Fahrt und über die Bestimmung von Gemeinschafts- und Betriebswechselbahnhöfen im Verkehr über die deutsch-belgische Grenze ({18}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung vor an den Finanzausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Inneres - mitberatend -. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 29 auf:
Erste Beratung des Entwurfs einer Verwalwaltungsgerichtsordnung ({19}) sowie des Entwurfs eines Gesetzes über die Beschränkung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ({20}).
Auf Begründung wird verzichtet? - Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Herr Abgeordneter Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz der vorgerückten Stunde und trotz der leeren Ministerbank - nur der Herr Staatssekretär gibt uns die Ehre seiner Anwesenheit - darf ich mir eine kurze Bemerkung erlauben. Ich habe nicht die Absicht, auf den sachlichen
Inhalt des Gesetzentwurfes näher einzugehen, sondern die Art der Vorlage ist es, die die sozialdemokratische Fraktion hier zu einer Bemerkung veranlaßt.
Der Entwurf einer Verwaltungsgerichtsordnung wird zum drittenmal dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Das erstemal ist er ihm im Januar 1953 vorgelegt worden. Die Fassung, die uns jetzt übermittelt wird, ist die gleiche, wie sie dem 1. und auch dem 2. Bundestag unterbreitet worden ist.
Meine Damen und Herren, man sollte meinen, auch die Bundesregierung, vor allem das Bundesinnenministerium, werde der Tatsache Rechnung tragen, daß in diesen Jahren, in denen sich auch dieses Hohe Haus mit der Verwaltungsgerichtsordnung beschäftigt hat, einiges passiert ist. Gerade der Bundestag und die beteiligten Ausschüsse haben nämlich bereits ein beträchtliches Maß an Arbeit in diese Materie investiert.
({0})
Der Rechtsausschuß hat sich in acht Sitzungen mit der Verwaltungsgerichtsordnung befaßt, ein Unterausschuß des Rechtsausschusses in. drei Sitzungen, und der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung hat sich in insgesamt 17 Sitzungen mit der Verwaltungsgerichtsordnung beschäftigt. Daraus können Sie erkennen, welches enorme Maß an Arbeit bereits hier von den beteiligten Abgeordneten dieses Hauses an diese Materie gewendet worden ist. Meine Damen und Herren, glauben Sie nicht, wir hätten von der Bundesregierung erwarten müssen, daß sie dieser Arbeitsleistung auch der Mitglieder dieses Hauses Rechnung trägt?
({1}) Nichts dergleichen ist geschehen.
Obgleich in den beteiligten Ausschüssen und obgleich übrigens im ersten Durchgang beim Bundesrat in vielen Punkten, in denen die ursprüngliche Regierungsvorlage geändert worden ist, Übereinstimmung in Hinsicht auf eine Reihe von Änderungen zwischen Bundesregierung und den übrigen am Gesetzgebungsgang Beteiligten bestanden hat, hat man so getan, als sei überhaupt gar nichts passiert. Der Bundesrat hat - das sei hier ausdrücklich betont - der Tatsache, daß auch im Bundestag an diesem Gesetz bereits gearbeitet worden ist, Rechnung getragen und seine Änderungsvorschläge den Vorschlägen der beteiligten Ausschüsse des Bundestages angepaßt. Die Bundesregierung hat dergleichen nicht getan.
Daß es im Schoße der Bundesregierung auch anders geht, zeigt die Praxis des Bundesjustizministeriums. Es geht mir gar nicht darum, hier gegen die Bundesregierung aus politischen Gründen zu polemisieren, sondern nur darum, einen zu kritisierenden Tatbestand herauszustellen. Das erfordert die Achtung vor der Arbeit dieses Hauses. Das Bundesjustizministerium hat es sich angelegen sein lassen, einen Gesetzentwurf, der schon einmal vor214
gelegt worden und bei dessen Beratungen im Ausschuß man zu neuen Erkenntnissen gekommen was, nun in veränderter Form den gesetzgebenden Körperschaften zu übergeben. Ich denke dabei an die Bundesrechtsanwaltsordnung. Das zeigt: es geht auch anders.
Meine Damen und Herren, seit dem ersten Einbringen dieser Verwaltungsgerichtsordnung im Januar 1953 ist schließlich auch einiges passiert, und man hat wahrscheinlich auch einiges dazugelernt und ist zu neuen Erkenntnissen gekommen. Wir Sozialdemokraten haben den Eindruck, daß man im Bundesministerium des Innern, was diese Materie anbelangt, seit dem Jahre 1953 nichts hinzugelernt hat. Das läßt die unveränderte Einbringung dieses Gesetzentwurfs erkennen. Wir bedauern ein solches Verfahren, und wir bedauern insbesondere, daß das federführende Ministerium die in diesem Hause geleistete Arbeit so wenig würdigt, trie es dieser Fall zeigt.
({2})
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Dr. Anders.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Wittrock darf ich in Vertretung des Herrn Bundesministers des Innern, der leider der Sitzung nicht bis zum Ende beiwohnen konnte, folgendes bemerken.
Die Bundesregierung hat es sehr bedauert, daß der Entwurf, über dessen Dringlichkeit sich alle Fraktionen in der zweiten Legislaturperiode einig waren, in dieser Legislaturperiode nicht verabschiedet worden ist. Sie war bestrebt, alles zu tun, um die Verabschiedung des Gesetzes zu Beginn der dritten Legislaturperiode sicherzustellen. In diesem Sinne und nur in diesem Sinne ist die unveränderte Einbringung des Entwurfs zu bewerten. Sie verfolgte, wie ich bereits im Bundesrat ausgeführt habe, lediglich den Zweck, die nicht so sehr mit gesetzgeberischen Arbeiten überlasteten Wochen für die Beratungen des Entwurfs auszunutzen. Eine weitgehende Überarbeitung des Entwurfs hätte eine nicht zu verantwortende Verzögerung herbeigeführt.
Die Bundesregierung spricht die Bitte aus, den so für die Beratung gewonnenen zeitlichen Vorsprung auszunutzen und die Beratungen möglichst bald wieder an der Stelle aufzunehmen, wo sie im Sommer dieses Jahres unterbrochen worden sind, gewissermaßen also eine restitutio in integrum zu vollziehen. Ein solches Verfahren läßt sich wohl trotz der Neubesetzung der Ausschüsse ermöglichen.
Die bisher von den Ausschüssen erarbeiteten Änderungen sind von der Bundesregierung keineswegs mißachtet worden. Sie sind dem Bundesrat übermittelt worden und haben die Grundlage für die Änderungsvorschläge des Bundesrats gebildet.
Ich darf wie kürzlich im Bundesrat so auch vor diesem Hohen Haus die Bitte aussprechen, den Entwurf, der, wie Herr Abgeordneter Wittrock bereits erwähnt hat, schon mehrere Jahre dem Bundestag vorlag, nunmehr baldmöglichst zu verabschieden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage vor, den Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Inneres zur Mitberatung zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 30 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Lücker ({0}), Kriedemann, Mauk, Dr. Elbrächter und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Mühlengesetzes ({1}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und an den Finanzausschuß zur Mitberatung zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 31:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betreffend Vorlage der Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1955 mit Antrag auf nachträgliche Genehmigung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben gemäß § 83 RHO ({2}).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 32:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP betreffend Umbenennung des 24. Ausschusses ({3}).
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 33:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({4}) über die Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht des Kaufmanns Hugo Büttner aus Ludwigshafen-Maudach und weiterer 9 Stimmberechtigter gegen den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 29. August 1957 betreffend Feststellung der Gültigkeit des im Regierungsbezirk Pfalz des Landes Rheinland-Pfalz durchgeführten Volksbegehrens in der Zeit
Vizepräsident Dr. Jäger
vom 9. bis 22. April 1956 „Angliederung des Regierungsbezirks Pfalz an das Land Bayern" ({5}).
Das Wort hat der Berichterstatter, Abgeordneter Dr. Dittrich.
Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon der letzte Bundestag hatte sich mit dem Einspruch des Kaufmanns Hugo Büttner aus Ludwigshafen beschäftigt und den Einspruch zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß legte der Beschwerdeführer Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe ein. Der Wahlprüfungsausschuß schlägt dem Hohen Hause vor, Stellungnahme zum Bundesverfassungsgericht zu geben und den Abgeordneten Wittrock für die Abgabe der Äußerung zu bestimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 34:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({0}).
Hierzu liegt ein Antrag des Abgeordneten Dr. Willeke vor, bei Ziffer 1 auch den Ausschuß für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge zur Mitberatung zuzuziehen. Erhebt sich gegen diesen Änderungsantrag Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich feststellen, daß dem interfraktionellen Antrag mit dieser Ergänzung entsprochen wird.
Meine Damen und Herren, das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesamtdeutsche Ausschuß hat zu einer wichtigen Frage Stellung genommen und gebeten, daß der Herr Präsident die Erklärung, die er ausgearbeitet hat, gleich hier verliest. Ich halte es nicht für gut, daß diese Erklärung vor den gelichteten Reihen des Hauses abgegeben wird, und beantrage deswegen, daß wir die Sitzung für kurze Zeit - ich glaube, 5 Minuten genügen - unterbrechen. Dann kann diese Erklärung abgegeben werden.
Ich unterbreche die Sitzung bis 18 Uhr 40.
({0})
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort. Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen.
Ich darf zuerst bekanntgeben, daß im Anschluß an die Plenarsitzung eine Fraktionssitzung der Freien Demokratischen Partei stattfindet.
Meine Damen und Herren, namens des Deutschen Bundestages habe ich folgende Erklärung abzugeben:
Die von der sowjetzonalen Volkskammer beschlossenen Änderungen des Paßgesetzes und des Strafgesetzes bedrohen die Einwohner der sowjetisch besetzten Zone mit Gefängnisstrafen bis zu drei Jahren, wenn sie ohne Genehmigung der Behörden aus der Zone ausreisen. Schon bisher war das Reisen durch die bekannten bürokratischen und polizeistaatlichen Eingriffe ungemein erschwert. Nunmehr droht sogar Gefängnisstrafe, wenn ein Deutscher von einem Teil Deutschlands in den anderen reisen will.
({0})
Diese brutale Knebelung der Freizügigkeit, die zwar in der Verfassung der sowjetisch besetzten Zone gewährleistet ist, aber in der Praxis nicht besteht, bedeutet eine unerträgliche Erschwerung der Aufrechterhaltung der menschlichen Beziehungen über die Zonengrenze hinweg.
({1})
Damit wird die Spaltung Deutschlands weiter vertieft. Besonders verwerflich ist es, daß diese Maßnahme in der Weihnachtszeit beschlossen worden ist.
({2})
Der Deutsche Bundestag erhebt feierlich und entschieden Protest. Er verlangt, daß die Behörden der sowjetisch besetzten Zone den Deutschen dort das Reisen ebenso freigeben, wie es für die Bewohner der Bundesrepublik seit langem selbstverständlich ist.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß dies die einmütige Meinung des Hohen Hauses ist.
({3})
Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 16. Januar 1958, 14 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.