Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst bekanntgeben, was der Fleiß dieses Hauses gestern alles bewältigt hat. Es war ein ruhiger Fleiß, aber es war ein ergiebiger Fleiß. Wir sind fertig geworden mit den Tagesordnungspunkten 1 bis 4, 9 bis 17 und 19 bis 26. Gemäß interfraktioneller Vereinbarung sollen heute die Punkte 5 bis 8 und morgen der Punkt 18 behandelt werden. Ich bitte, sich dies vorzumerken, insbesondere daran zu denken, daß morgen auch ein Tag ist.
Eine amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Die Fraktion der DP hat unter dem 21. Januar mitgeteilt, daß sie ihren Gesetzentwurf zur Änderung des Landwirtschaftsgesetzes ({0}) zurückzieht.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Fragen der Justizpolitik ({1}).
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Justiz, über die man spricht, braucht nicht die beste zu sein. Über eine gute Justiz kann man sprechen. Offen über die Justiz zu sprechen, ist für die Justiz gut.
Die Anfrage, die ich zu begründen habe, verfolgt nicht das Ziel, alle rechtspolitischen Fragen aufzurollen oder die Problematik, die einer jeden Gerichtsbarkeit stets innewohnt, für die Gegenwart unter sämtlichen Gesichtspunkten aufzuzeigen. Wir haben einige Fragen von unterschiedlichem Gewicht und sehr verschiedener Art als vordringlich ausgewählt, insbesondere solche Fragen, zu denen die rechtspolitische Haltung der Bundesregierung und ihre Einstellung gegenüber der Justiz Veranlassung geben.
An der Spitze steht deshalb die Frage, wann die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen wird, der das grundgesetzliche Gebot erfüllt, institutionell dafür zu sorgen, daß unter der Fünfzahl der oberen Bundesgerichte nicht die Rechtseinheit leidet. Nicht ohne Befremden mußten wir davon
Kenntnis nehmen, daß die Bundesregierung - durch ihre Antwort vom 30. Oktober vergangenen Jahres in der Drucksache 610 auf eine Kleine An- frage der FDP-Fraktion - jetzt wieder völlig offenläßt, ob sie überhaupt geneigt ist, rund 10 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, an die Ausführung des Artikels 95 unserer Verfassung zu gehen.
Im Bundesministerium der Justiz ist eine Referentendenkschrift ausgearbeitet worden, in deren Einleitung der merkwürdige Satz steht, der Bundestag habe einstimmig seine Bereitschaft zu einer Änderung des Artikels 95 erklärt, weil insbesondere „die Bedürfnisfrage zweifelhaft" sei. Das ist unrichtig. Diese Behauptung - ich wiederhole: sie ist falsch - hätte den Bundesgerichten, denen die Denkschrift zugeleitet wurde, so nicht mitgeteilt werden dürfen.
Richtig ist vielmehr, daß der Bundestag seine Bereitschaft kundgab, die verunglückte Bezeichnung „Oberstes Bundesgericht" zu berichtigen sowie eine solche Neufassung des Artikels 95 zu beschließen, die es zweifelsfrei ermöglicht, von einer selbständigen Gerichtsbehörde abzusehen und die Aufgabe, über Widersprüche zwischen den Bundesgerichten zu entscheiden, Spruchkörpern zu übertragen, die aus Richtern der bestehenden Bundesgerichte gebildet werden. Aber an der Erforderlichkeit und Dringlichkeit dieser Einrichtung hat im Bundestage niemand gezweifelt.
Auf einen Antrag der Freien Demokratischen Fraktion hin hat die Bundesregierung in der 162. Sitzung des 2. Bundestages am 3. Oktober 1956 durch Herrn Staatssekretär Dr. Strauß und dann im Rechtsausschuß dazu Stellung genommen. Weder damals noch bei der Verabschiedung des Antrags in der 174. Sitzung des 2. Bundestages am 29. November 1956 hat die Bundesregierung zu erkennen gegeben, daß sie es für untunlich oder gar entbehrlich halte, dem Verfassungsgebot zu genügen. Einstimmig hat der Bundestag seinerzeit vor zwei Jahren die Bundesregierung aufgefordert, den nach Artikel 95 notwendigen Gesetzentwurf zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung vorzulegen. Als Berichterstatter sprach der Herr Kollege Dr. von Buchka sogar die Hoffnung aus, das Ziel noch in der zweiten Wahlperiode des Bundestages zu erreichen.
Es wirft leider kein gutes Licht auf die Achtung, die die Bundesregierung dem Bundestag entgegenbringt, wenn zwei Jahre nach einem sorgfältig vorberatenen Parlamentsbeschluß nichts herauskommt
als eine den Abgeordneten bisher nicht bekanntgegebene Denkschrift, in der ein Referent gegen diese Aufforderung des Bundestages polemisiert. Im Kern wendet sich die Denkschrift sogar gegen das Grundgesetz; denn die von der Denkschrift bekritelte Verpflichtung, einen gesetzlichen Richter einzusetzen, dessen Entscheidung Zwiespältigkeiten zwischen den Rechtserkenntnissen der fünf oberen Bundesgerichte ausschließt, ist uns durch die Verfassung selber auferlegt.
Die Antwort der Bundesregierung in ihrem Schreiben vom 30. Oktober vergangenen Jahres kann nicht befriedigen. Die Ausführungen der Denkschrift sind unzulänglich.
Die Denkschrift scheidet zutreffend solche Streitfragen, die verfassungsrechtlicher Art sind, aus, weil insoweit Widersprüche zwischen den oberen Bundesgerichten durch das Bundesverfassungsgericht entschieden werden können. Die Denkschrift kommt zu dem Ergebnis, daß es gegenwärtig vier Rechtsprobleme gebe, für die das Bundesverfassungsgericht nicht zuständig sei und bei denen sich eine gegensätzliche Rechtsprechung zwischen den oberen Bundesgerichten herausgebildet hat.
Nach meiner Überzeugung ist es mit den rechtsstaatlichen Geboten der Rechtseinheit, Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit unvereinbar, auch nur einen einzigen Widerspruch in der Rechtsprechung zwischen den fünf oberen Bundesgerichten hinzunehmen. Denn die Rechtseinheit zu wahren ist ja gerade eine wesentliche Aufgabe der Bundesgerichtsbarkeit, und es darf nicht sein, daß für den einen Bürger Recht ist was für den anderen Bürger Unrecht ist, je nachdem ob eine Klage zuletzt vor dieses oder vor jenes obere Bundesgericht kommt.
Darüber hinaus bedaure ich sagen zu müssen, daß die Feststellungen der Denkschrift leider unvollständig sind. Die Zahl und die Bedeutung der Widersprüche zwischen den letztinstanzlichen Bundesgerichten ist größer, als die Denkschrift es darstellt. Es gibt noch folgende weitere Widersprüche. Während sonst die oberen Bundesgerichte die Selbstbindung an ihre eigenen, in einem zurückverweisenden Urteil ausgesprochenen Rechtsgründe bejahen, hat das Bundesverwaltungsgericht sie bedingt verneint. Die Frage, ob gewisse Ruhegehaltsansprüche der Vertragshilfe unterliegen, wird vom Bundesgerichtshof bejaht, vom Bundesarbeitsgericht verneint. Ob sich ein Ruhegehaltsanspruch, der treuewidrig vereitelt werden sollte, gegen die Versorgungseinrichtung oder gegen den Arbeitgeber richtet, wird vom Bundesarbeitsgericht und vom Bundesgerichtshof entgegengesetzt beantwortet. Für Schadensersatzansprüche eines einzelnen Arbeitgebers aus einem Streit haben sich bei gleicher Sachlage sowohl der Bundesgerichtshof als auch das Bundesarbeitsgericht im Widerspruch zueinander für zuständig erklärt. In der fundamentalen Rechtsfrage nach Wesen und Wirkung einer überholenden Kausalität sind die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und die des Bundesarbeitsgerichts zu voneinander abweichenden Standpunkten gekommen. - Das nur zur Kritik dieser Denkschrift.
Ich fasse zusammen. Das Grundgesetz hat namentlich um der Rechtseinheit willen die Bundesgerichtsbarkeit geschaffen. Aber es hat sie auf fünf voneinander getrennte Bundesgerichte verteilt. Daraus folgt zwingend die Notwendigkeit, Widersprüchen in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu begegnen, also auf irgendeine Weise zu ermöglichen, daß die bundesgerichtliche Rechtsprechung aufeinander abgestimmt wird. Das Verfassungsgebot hierzu ist bereits im Grundgesetz selber ausdrücklich enthalten. Dieses Verfassungsgebot zu erfüllen, ist die Bundesregierung schon seit zwei Jahren durch einen einstimmigen Beschluß des Bundestages aufgefordert.
Das Verhalten der Bundesregierung zu dem Verfassungsgebot aus Art. 95 ist keine Zufallserscheinung, sondern symptomatisch für die stiefmütterliche Behandlung der rechtsprechenden Gewalt und die Vernachlässigung der Gerichtsbarkeit. Während die Verwaltung mächtig anschwoll und sie sich in Einzelfällen sogar noch Sonderzulagen ohne Kenntnis und Einverständnis des Bundestages gewährte, sind mit Ausnahme des Bundesgerichtshofs die oberen Bundesgerichte viel zu klein geplant worden und ist die Rechtsstellung der Bundesrichter, wie mein verstorbener Freund Wilhelm Mellies anläßlich der letzten Besoldungsreform hervorhob, noch nicht angemessen geregelt. Die Geschäftslage des Bundesarbeitsgerichts und des Bundessozialgerichts gibt nach wie vor zu ernsten Besorgnissen Anlaß, ganz zu schweigen von der ständigen Überlastung des Bundesverfassungsgerichts, von dem ich wegen seiner verfassungsrechtlichen Besonderheit in diesem Zusammenhang heute sonst nicht sprechen will.
Allgemein gesehen ist es an der Zeit für den Alarm, daß die gerichtlichen Verfahren übermäßig lange dauern und daß die Verfahrensordnungen zeitgerechten und rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen. Es sind jetzt acht Jahre her, daß wir als erste Notmaßnahme durch die kleine Justizreform wenigstens die bundesrechtliche Einheit des Gerichtsverfassungsgesetzes sowie der Zivil- und der Strafprozeßordnung wiederherstellten. Aber wir waren uns damals schon klar darüber, daß diese Ordnungen manche Ungereimtheit enthalten und einer grundlegenden Reform unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bedürfen. Im Strafprozeß haben der Verletzte und insbesondere der Verteidiger bei weitem nicht angemessene Rechte genug. Aber auch der Beschuldigte im Vorverfahren ist mehr ein schutzloses Objekt des Geschehens. Vor welchem Gericht er angeklagt wird - eine Frage, von der die Gesetzlichkeit des Richters und die Rechtsmittel abhängen -, steht oft im unkontrollierbaren Ermessen der Staatsanwaltschaft. Für Bagetellsachen stellt das Gesetz eine Vielzahl von Instanzen zur Verfügung; aber die rechtlich und politisch schwierigsten Verfahren auf Grund des ohnehin fragwürdigen und reformbedürftigen und noch sehr diskutierenswerten aktuellen politischen Strafrechts werden von nur einer Instanz oder für die Tatfrage von nur einer Instanz erledigt.
Rechtspolitisch am allerdringlichsten ist deshalb eine prinzipielle Neugestaltung des StrafverfahrensDr. Arndt
rechts, deren Vorbereitung unverzüglich von einer besonderen Kommission erarbeitet werden sollte. Die vielberufene und langerwartete Reform des materiellen Strafrechts wird unfruchtbar bleiben, solange die veraltete Regelung des Strafverfahrens die Rechtsverwirklichung behindert, an teilweise polizeistaatlichen Denkweisen festhält und den deutschen Strafrichter in der widerspruchsvollen Lage beläßt, in einer Person Untersuchungsbeamter und doch zugleich Richter zu sein. Und man wird sich von der Reform des Strafrechts auch kaum etwas versprechen dürfen, wenn für die Reform des Strafvollzugsrechts und die Wiedereingliederung der Bestraften in die Gesellschaft noch kaum Ansätze zu sehen sind.
In einer von Parteien getragenen Demokratie, in der sich Parlamentsmehrheit und Regierung gegenseitig durchdringen, ist die Entfaltung der den unabhängigen Gerichten anvertrauten rechtsprechenden Gewalt eine der wesentlichsten Bürgschaften für Recht und Freiheit. Jede Regierung sollte deshalb bedacht sein, auch den Anschein zu vermeiden, als ob ihr Gerichtsverfahren lästig wären oder von ihr unzulässig beeinflußt werden könnten.
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Die Aufgaben der derzeitigen Rechtsprechung sind in außergewöhnlicher Weise durch die Diskontinuität der Rechtsentwicklung geteilt. Durch den Bruch in unserer Rechtsgeschichte, den die Jahre der totalitären Gewaltherrschaft zwischen 1933 und 1945 bedeuten, hat es die Rechtsprechung gleichzeitig mit einer Vergangenheit zu tun, die nicht rechtsstaatlich war, und mit einer Gegenwart, die rechtsstaatlich sein soll. Die rechtsstaatliche Bewältigung einer Vergangenheit, in der das Unrecht nicht nur eine Ausnahme darstellte, sondern in der durch eine tiefgreifende, geplante und beabsichtigte Auflösung aller Ordnung das Unrecht zur Regel gemacht wurde - die Bewältigung einer solchen Vergangenheit stellt die Rechtsprechung vor eine Aufgabe von einzigartiger Schwierigkeit.
Das Unbehagen an dieser der Vergangenheit zugewandten Rechtsprechung oder ein Streit um sie erwachsen deshalb aus Einzelfällen, die zur Sorge Anlaß geben, ob bestimmte Gerichtsentscheidungen es an Einsicht in die Schändlichkeit des abzuurteilenden Unrechts fehlen ließen.
Ist nun der Bundestag überhaupt ein Ort, um sich mit diesen Problemen auseinanderzusetzen? Im Anschluß an Ausführungen, die ich bereits in der 151. Sitzung des 2. Bundestages am 21. Juni 1956 machte, bin ich der Überzeugung, daß der Bundestag eine allgemeine Aufgabe auch als Sprachrohr und mehr noch als Gestalter der öffentlichen Meinung zu erfüllen hat. Ich wiederhole, daß der Bundestag nicht die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen, nicht in schwebende Verfahren durch Vorwegnahme ihrer Ergebnisse eingreifen und sich keine Stellungnahme in Beweisfragen anmaßen darf, aber daß der Bundestag zum allgemeinen Stand der Rechtsprechung, ihren Geschichts- und Rechtsvorstellungen, sein Wort sagen darf und muß.
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Hierbei wird es allerdings sehr auf die Art und die Richtung ankommen, in der dies geschieht. Gezielte Kollektivdiffamierungen durch Denunziationslisten sind keine Grundlage für ein Gespräch.
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Den Verfassern dieser Listen liegt nichts ferner als der gute Wille, zur Rechtsstaatlichkeit unserer Rechtspflege beizutragen. In ihrem Bereich entwürdigen sie die Gerichtsbarkeit zum Bütteldienst an der Parteilichkeit und setzen selber das fort, was man einst mit dem bösen Begriff der gelenkten Jusitz kennzeichnete. Darüber ist kein Wort zu verlieren.
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- In der Sowjetzone, Herr Kanka! Ich glaube, da werden wir einig sein.
Aus eigenem Entschluß und eigener Verantwortung hat der Bundestag sich Gedanken darüber zu machen, ob die mit den Ereignissen der Vergangenheit vor 1945 befaßte Rechtsprechung sich immer auf gutem Wege befindet, und auch darüber, ob der einzelne Richter gegenüber der Vergangenheit den erforderlichen Grad an innerer Unbefangenheit gewann.
Diese Gedanken sollen nicht - um nicht die richterliche Unabhängigkeit zu erschüttern - zu einer neuen Welle von Sammelüberprüfungen führen, und sie dürfen es nicht. Eine rechtsstaatliche Rechtspflege ist ohne Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit nicht denkbar. Eine rechtsstaatliche
I Rechtspflege bedarf jedoch auch des allgemeinen Vertrauens.
Diese doppelte Aufgabe zu meistern, kann in der besonderen Lage, die für uns durch die Schrecknisse der Vergangenheit noch heraufbeschworen ist, im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten, die zu leugnen kein guter Dienst an der Wiederherstellung des Rechts wäre.
Weniger die Justizverwaltungen als die Selbstverwaltungen der Gerichte selber tragen hier eine schwere Verantwortung. Von unserer Gerichtsverfassung ist den Präsidien der Kollegialgerichte eine Satzungsgewalt verliehen, die sie befähigt, mit richterlicher Unabhängigkeit über die Geschäftsverteilung und über die Verwendung des einzelnen Richters zu entscheiden. Ein Richter, der auf seinem eigenen Wege durch die Vergangenheit - mag es Schicksal, mag es Mitverschulden gewesen sein;
wer dürfte da rechten? - in eine bestimmte Mitverantwortung für die Rechtsnot verstrickt wurde, sollte nach sorgfältigen Erwägungen der Gerichtsverwaltungen um der Glaubwürdigkeit der Rechtspflege und auch um seiner selbst willen davor bewahrt bleiben, durch die Geschäftsverteilung damit belastet zu werden, daß er über gewisse Geschehnisse der Vergangenheit vor 1945 zu richten hat.
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Ein Richter, der in die Versuchung geführt würde - selbst wenn es ihm nicht einmal zum Bewußtsein käme -, bei der Aburteilung von Taten, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft began3050
gen worden sind, oder überhaupt von Taten mit politischem Einschlag sich selber zu rechtfertigen, könnte nicht die innere Freiheit besitzen, deren das Richteramt bedarf.
Die Öffentlichkeit sollte sich nicht mehr, wie es in Einzelfällen geschah - ohne daß hier wie sonst eine Verallgemeinerung erlaubt. wäre - der nicht unbegründeten Besorgnis gegenübersehen: Warum hat die gerichtliche Eigenverwaltung gerade diesen Richter damit betraut, der gesetzliche Richter für ein solches Verfahren zu sein, nicht aber, wie es doch möglich gewesen wäre, einen anderen?
Dankbare Anerkennung verdienen die mutigen Worte, die jüngst der Herr Generalbundesanwalt Dr. Güde wagte, als er - vorbildlich für manch anderen Beruf, der leider die gleiche Kraft der Läuterung noch nicht so erkennen läßt - stellvertretend für Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte für die bittere Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine Schwäche im Widerstehen bekannte, nicht im Sinne einer pauschalen Kollektivschuld, doch im Geiste einer gemeinsamen Scham wegen des Verlusts an Recht und zu der je persönlichen Einkehr, daß kaum einer oder keiner ohne Zugeständnisse überlebte. Die Gerechtigkeit verlangt - um die eigenen Worte des Herrn Generalbundesanwalts Dr. Güde zu zitieren, die die Bundesregierung dankenswerterweise - das erkenne ich an - auch in ihrem amtlichen Bulletin veröffentlichte -, die Gesamtverantwortung für die Rechtsverderbnis auf die Schultern aller zu legen. Alle tragen ihr Stück Verantwortung und Schuld für das allgemeine Versagen. Es wäre, wie Dr. Güde sagt, unwahrhaftig und heuchlerisch, wenn wir die Täter isoliert ansehen wollten, sozusagen im Raum einer fiktiven Normalität, als ob wir nicht selber, mindestens in unserem Unterlassen, Mitwirkende des Geschehens gewesen wären.
Auch ist den einen neuen Anfang setzenden und von jedem, der damals schon bewußt lebte, zu beherzigenden Worten Dr. Güdes beizupflichten, daß es sich von dieser Grundlage von Gesamtverantwortung und einer Summe aus Mitschuld rechtfertigt, zwischen denen zu unterscheiden, die den Terror ausübten, und denen, die selber terrorisiert wurden.
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Entscheidend ist endlich das Ergebnis, daß diese Unterscheidung nicht nur gerechtfertigt, sondern auch geboten ist, weil, wie Dr. Güde mit Recht schließt, eine Gesellschaft sich selber aufgebe, die ihre elementare Notwendigkeit, sich im gerechten Urteil selber zu reinigen, versäumte und die Verantwortlichen so scheußlicher Verbrechen unangefochten und scheinbar in Ehren unter sich leben ließe.
Der Bundestag sollte sich deshalb gegen das unbedachte oder sogar nicht zu verantwortende, leider auch von einem Bundesminister ausgesprochene Wort vom Schlußstrich wenden. Geschichtliches Geschehen läßt sich nicht ausstreichen. Daß es einen blinden Schlußstrich nicht geben kann, bedeutet nicht Unversöhnlichkeit oder gar Vergeltungssucht, sondern heißt, die Wahrheit auf sich nehmen.
Die unsäglichen Greuel, die wieder und wieder in unseren Tagen durch gerichtliche Beweisaufnahmen zur Sprache kommen, waren nicht unvermeidliche Einzelfälle, die sich zu jeder Zeit ereignen können, und nicht die zufälligen Untaten bloß Vereinzelter, sie waren Ausdruck eines umfassenden Zusammenbruchs seit 1933 - denn 1933 ist Deutschland zusammengebrochen ({6})
und prägten dem Ganzen unserer Geschichte ihren Makel auf, der als der unablösbare Schatten auf jeden unter uns damals Lebenden fiel und mit seiner Düsternis neben jedem von uns stand, was immer er auch während des Krieges an der Front oder in der Heimat wirkte. Die auf Selbstrettung bedachte Eigenliebe mag sich dagegen sträuben, aber das Gedächtnis und das Gewissen sollten trotzdem nicht nachgeben.
Der Bundestag ist 1954 bedenklich weit gegangen, als er sogar Verbrechen des Totschlags in die Amnestie einbezog. Von dieser Amnestie sollte deshalb ein nur sehr gemessener Gebrauch gemacht werden, ausschließlich dort, wo wirklich ein unausweichlicher Befehlsnotstand das nachträgliche Richten verwehrt. In den gerichtlichen Erkenntnissen muß wieder der unmeßbare Wert des Menschenlebens klar aufleuchten, jeden Lebens eines Menschen ohne Unterschied seiner Rasse oder Nationalität.
Gewiß ist die Schwierigkeit nicht zu verkennen, erst nach Jahren und in gewandelter Zeit über Täter zu urteilen, die scheinbar andere Menschen wurden und äußerlich wie biedere Bürger sich der Ordnung anpaßten. Trotzdem lassen, selbst wenn man alle diese Erschwernisse und die in mancher Hinsicht sozusagen durch höhere Gewalt verursachte Verspätung der Gerichtsverfahren angemessen würdigt, einzelne Handlungen oder auch Unterlassungen der Justiz ernstlich daran zweifeln, ob immer in seiner ganzen Tiefe eingesehen wird, was das ist: das menschliche Leben und seine verbrecherische Vernichtung.
Mit Recht ist nicht vergessen worden, daß der frühere Legationsrat Rademacher, der wegen seiner Mitwirkung an der tödlichen Massendeportation von Juden zu drei Jahren Gefängnis verurteilt ist, gegen jede Übung das Gericht als freier Mann verließ und nach Ägypten abreiste, wohin ihm ja noch andere folgten, wie jener, den Namen eines Arztes nicht verdienende Eisele, gegen den die Besatzungsgerichte zwar zweimal auf Todesstrafe erkannten, aber diesen Schuldspruch dann so beiseite legten, als könne es gelegentlich schon einmal vorkommen, nebenher mehrmals wegen Mordes verurteilt zu werden.
Auch sollten wir uns alle darüber beunruhigen, daß, wie die Fälle Rademacher, Eisele und Zind zeigen, Anzeichen auf ein geheimes Verbundensein der Totschläger von einst hindeuten und daß ein untergründig organisierter Antisemitismus leider nicht unwahrscheinlich ist.
Unsere Gerichte sollten die bedenkliche Amnestie von 1954 nicht noch dahin erweitern, daß sie für die
verwerflichste Art des Totschlags, den Totschlag durch Rechtsbeugung, ein ungleich anderes Recht gelten lassen als für jeden Totschlag sonst, indem sie nicht wie bei jedem Totschlag sonst auch den bedingten Vorsatz - wie der Jurist sagt - gelten lassen, sondern nach dem Richterprivileg das Erfordernis einer unbedingten Absicht aufstellen. Gewiß muß der Richter, um der Tat gerecht zu werden, sich auch die Verwirrung der Zeit und ihren Ungeist vergegenwärtigen; aber dieses insoweit berechtigte Bemühen wird gespenstisch, sobald z. B. die Prüfung verlangt wird, ob inmitten des militärischen Zusammenbruchs 1945 noch die sogenannte Wehrkraftzersetzung begangen werden konnte, und wenn die Frage gestellt wird, ob der auf die Erhaltung seines Heimatorts Bedachte aus Unbesonnenheit oder im Rahmen der Wehrkraftzersetzung handelte, während es doch jenseits aller gerichtlich beweisbaren Feststellungsmöglichkeiten eine offenkundige Geschichtswahrheit ist, daß der im Westen um die kampflose Bewahrung der Heimat Bemühte das einzig Sinnvolle und Verantwortliche tat.
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Auf die andere Frage, ob man es nicht genug sein lassen müßte damit, den Menschen der Vergangenheit nachzuspüren, sollte der ganze Bundestag antworten: Nein! Angesichts unerträglicher Taten hilft es nichts, sich bloß abzuwenden und darauf zu verzichten, daß in menschenmöglichen Grenzen der Gerechtigkeit noch Recht geschehe. Heilsam ist allein die Wahrheit, die auch der Jugend und den kommenden Generationen nicht vorenthalten werden darf, sollen sie um ihres inneren Haltes willen lernen, daß das Recht eine Seins- und Wertordnung ist.
Aus dieser Einsicht müssen uns eine Reihe von Gerichtsentscheidungen, von denen noch zu sprechen sein wird und die in der Begründung nicht im einzelnen erörtert werden können, mit Besorgnis erfüllen, ohne daß jedoch eine Verallgemeinerung blindlings angebracht wäre. Diese Besorgnis wirkt nur hilfreich, auch aus der Erkenntnis, daß solche Urteile widerspiegeln, wie geistig unbewältigt noch im Ganzen unseres Volkes die Vergangenheit ist; denn fast in der Regel kommt in ihnen zum Ausdruck, daß manchem ehrenamtlichen Richter, manchem Schöffen oder Geschworenen oder sogenannten Laienbeisitzer noch das hinreichende Verständnis für das Wesen des Rechts abgeht, während zuweilen - zuweilen! - die überstimmten hauptamtlichen Richter in Gewissensnot gerieten. Es gilt, die Aufmerksamkeit der Gemeindevertretungen darauf zu lenken, wie verantwortungsschwer das Amt eines ehrenamtlich gewählten Gerichtsmitgliedes ist, und die Bedeutung dieses Ehrenamtes der öffentlichen Meinung mehr ins Bewußtsein zu rufen.
Mit Ernst und Bitternis wenn auch ohne zu verallgemeinern - ist auch in aller Offenheit auszusprechen, daß in einzelnen und schwerwiegenden Fällen rechtsgelehrte Richter versagt haben und sich ihrer hohen Aufgabe nicht gewachsen zeigten. Die fadenscheinige und spitzfindige Begründung, mit der sich die daran beteiligten Richter in Hamburg weigerten, einen Nieland wegen seines Verlangens nach abermals menschenunwürdiger Entrechtung deutscher Staatsbürger jüdischer Abstammung strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, diese Begründung ist nicht haltbar und kann nicht als ein bloßes Unglück abgetan werden. Auch wenn ein Richter nicht wußte, was er tat, auch wenn man inständig hoffen muß, daß das Gesetz aus Rechtsblindheit gebrochen wurde, sind Entscheidungen solcher Art Wunden -offene Wunden - im Recht. Die Unabhängigkeit der Richter wird nicht von denen angetastet, die aus verletztem Rechtsbewußtsein und aus Liebe zum Recht derartige Fehlsprüche beklagen, sondern das Vertrauen zu unseren Gerichten, auf dem die Unabhängigkeit beruht, wird gefährlich von solchen Richtern selber geschmälert, die es so an Verständnis für das Recht fehlen lassen,
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zum Schaden auch für die gesamte Richterschaft, die redlich und gewissenhaft sich fast täglich um gesetzestreue und gerechte Urteile müht.
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Eine Urteilsschelte ist notwendig Richterschelte, weil hinter jedem Urteil die ganze Persönlichkeit des Richters stehen sollte. Es geht bei einzelnen bestimmten Fehlsprüchen - für den der in Hamburg beispielhaft stehen mag - nicht bloß um einen Streit in Fragen, über die man verschiedener Ansicht sein kann, oder um ein größeres oder geringeres Maß an Klugheit. Das, was in solchen Fehlsprüchen offenbar wird, ist die elementare Tatsache, daß es Menschen gibt, und zwar Menschen in der Richterrobe, denen es noch immer nicht zum Bewußtsein kam, welche Wirklichkeit sich zu unseren Lebzeiten und mitten unter uns ereignete: die ungesühnte Ermordung Unschuldiger ohne Zahl und die Rechtlosigkeit aller.
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Noch zeugen brandgeschwärzte Ruinen von der Schändung mosaischer Gotteshäuser. Aber in Duisburg waren Richter der Meinung, durch den abgenötigten Eigentumsübergang auf die Stadt Mülheim verliere der Tempel seine Würde und könne nicht mehr Gegenstand einer schweren Brandstiftung an einem Gotteshause sein. Die kalte Verstandesschärfe solcher Unterscheidungen ist weltfremd, weil ihr das Wissen um die geschichtliche, geistige und sittliche Wirklichkeit abgeht.
Um eine Zwischenbemerkung zu machen: solchen Fehlentscheidungen kann man nicht damit begegnen, daß man plötzlich neue Paragraphen erfindet,
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so begrüßenswert sich darin der Wille dokumentieren mag,
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sich von solchen Urteilen zu distanzieren - Paragraphen, die meines Erachtens unüberlegt sind und schwere Gefahren für das freie Wort enthalten. Es geht nicht um Paragraphen, denn das bestehende
Recht würde in all diesen Fällen - ob Nieland oder Duisburg - vollauf genügen.
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Es geht um den Geist, und es geht auch darum, in solchen Fällen mit Recht einen Sturm der öffentlichen Meinung herbeizuführen.
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Hilfreich wird die Urteilsschelte durch ihr Ziel, in der allgemeinen Öffentlichkeit den inneren Sinn für die der Vergangenheit zugewandte Rechtspflege zu fördern. Insoweit sind auch Unterlassungen der Bundesregierung zu bedauern. Wie saumselig war die Bundesrgeierung im Falle Lautz! Warum plant die Bundesregierung keine Dokumentation über die Konzentrationslager?
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Weshalb widersprach die Bundesregierung einer Aufführung des Nacht-und-Nebel-Films? Warum befleißigt sich die Bundesregierung einer so behutsamen Zurückhaltung oder eines so schonenden Verschweigens gegenüber der Tatsache, daß einst ranghohe militärische Befehlshaber unverhohlen die Vernichtung der Juden mindestens intellektuell durch ihre Verlautbarungen begünstigten? Die diplomatische Redewendung der Bundesregierung, jene Militärbefehlshaber hätten die „Judenpolitik" nachdrücklich unterstützt, ist zu steril. ,,Judenpolitik" - das ist doch ein Wort, so glatt poliert, das man beinahe anfassen könnte, ohne sich die Hände daran schmutzig zu machen. Es läßt nicht erkennen, dieses Wort „Judenpolitik", wieviel Leiden, wieviel Tränen, wieviel schuldloses und qualvolles Sterben, aber auch wie unermeßliches Unrecht, welche Grausamkeit, welcher Schmutz damit unlösbar verbunden ist.
Warum läßt die Bundesregierung es zu, daß die Öffentlichkeit durch tendenziöse Zahlenschätzungen aus dem Bundesfinanzministerium und durch den gegenwärtigen Bundesminister der Justiz gegen die Wiedergutmachung eingenommen wird infolge der Beängstigung, sie bürde uns übermäßige Opfer auf?
Dazu auch nur ein stellvertretendes Beispiel: In Frankfurt am Main wurde 1940 durch Verfolgung eine jüdische Familie auseinandergesprengt. Der Mutter gelang es noch, nach New York zu entkommen. Der Vater und die damals 12jährige Tochter wurden in ein Konzentrationslager verbracht. Der Vater wurde im Konzentrationslager ermordet. Die Tochter hat fünf Jahre Konzentrationslager überstanden; sie wurde 1945 befreit, 17jährig. Und der Mutter, die nun die Tochter zu sich nach New York nahm, zu ihrem Fluchtort, ging es darum, die etwas über 200 Dollar Kosten der Überfahrt ihrer minderjährigen Tochter ersetzt zu bekommen. Und sehen Sie, da sagt der Bundesgerichtshof, der im Namen des Volkes spricht, das Ziel der Auswanderung der Mutter sei erreicht gewesen, als sie allein in New York ankam, und sie könne diese 200 Dollar vom deutschen Volke nicht bekommen.
Wir alle werden in die Lage versetzt, daß im Namen des deutschen Volkes zu dieser Mutter drüben in Amerika gesagt wird: Deinen Mann hat man
unter Mißbrauch des deutschen Namens ermordet. Deine ursprünglich 12jährige Tochter ist fünf Jahre durch unsägliche Leiden und Schrecknisse des Konzentrationslagers gegangen. Aber wenn du dein Kind an deinen Fluchtort haben willst, dann braucht das deutsche Volk das nicht zu bezahlen; dann zahle das gefälligst selbst.
Wenn es möglich wäre, daß wir dem Vater von Anne Frank eine lebende Tochter zurückgeben könnten bei 200 Dollar Reisegeld - was würde das für ein Aufatmen aller sein! Und hier sehen wir ein solches Beispiel bei einem anderen Mädchen, das gesegneterweise überlebt hat: Anneliese Jakob. Ich sage das, ohne irgendwie die beteiligten Richter antasten zu wollen. Denn die Rechtschaffenheit, der gute Wille, das redliche Bemühen um Gesetzestreue stehen außer jeder Frage, zumal, wie ich hervorheben möchte, der Präsident jenes Senats selber ein aus Israel zurückgekehrter rassisch Verfolgter ist.
Aber das, was sich hier auswirkt, ist ein Klima, ist eine Atmosphäre, ist diese ständig infiltrierte Interpretation, daß die Wiedergutmachung angeblich nur enumerativ und exklusiv geregelt sei, das sind diese ständigen offiziösen Verlautbarungen, welche furchtbare Bürde uns da finanziell auferlegt werde.
Deshalb bringe ich das zur Sprache, auch gerade und alleine zugunsten der Justiz; denn ich bin der Meinung, daß der Bundestag dem Bundesgerichtshof zurufen sollte: Mehr Mut! Mehr Mut! Mehr Mut, in der Rechtsprechung auch die Stimme des Herzens mittönen zu lassen! Eine glaubwürdige Rechtsprechung bedarf nicht nur des Zusammenhangs mit dem in der öffentlichen Meinung lebendigen Rechtsbewußtsein, sondern sie hat auch selber meinungsbildend und rechtsgestaltend zu wirken. Darum sind gerade die Bundesgerichte - nach dem Gesetz - zur Fortbildung des Rechtes berufen, das niemals nur aus der Summe der Gesetzesparagraphen besteht. Ein Gericht sollte sich deshalb nicht davor scheuen, daß das Recht etwas kostet.
Auch die unabhängigste Justiz kann nicht ohne das allgemeine Vertrauen und auf die Dauer nicht ohne den selbstverständlichen Einklang mit dem in der öffentlichen Meinung wachen Rechtsbewußtsein wirken. Duldete aber die Bundesregierung auch nur den bloßen Anschein - selbst wenn er falsch ist oder falsch wäre -, in diesen Fragen untätig oder unbeteiligt zu sein oder einen „Schlußstrich" zu wünschen, der weitere Beunruhigung vermeidet, so entsteht unmerklich die Stickluft eines Klimas, das am Ende die letzten, die noch davon reden, als schändlich erscheinen läßt, während die Schuldigen der Schande darauf zu pochen beginnen, in angeblich großer Zeit das getan zu haben, wozu sie sich aus ihrem „Gehorsam" verpflichtet glaubten.
Über die innere Verbundenheit, mit der die Völker der freien Welt an unserem gefahrvollen und mit der Not der deutschen Spaltung belasteten Schicksal Anteil nehmen, eine Verbundenheit, über deren Lebensnotwendigkeit jenseits aller außenpolitischen Meinungsverschiedenheiten es keine Zweifel geben kann, über diese Verbundenheit entDr. Arndt
scheiden mehr als alle wirtschaftliche oder sonstige Leistung die Art, wie wir die Bürde unserer Vergangenheit auf uns nehmen, und die Weise ihrer gerechten Bewältigung.
Ich weiß nicht, inwieweit der Bundesregierung die Akten des sogenannten Volksgerichtshofs zur Verfügung stehen. Die von den Ländern jetzt unter Mitwirkung der Bundesregierung ins Leben gerufene Stelle zur planmäßigen Aufdeckung der nationalsozialistischen Mordtaten sollte insbesondere diese Akten bekommen und prüfen. Es sind nicht die Akten eines Gerichtshofes, sondern einer in Talare und Uniformen verkleideten Mörderzentrale.
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Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung hier, und was gedenkt sie zu tun?
Ich wende mich jetzt der anderen Aufgabe unserer Gerichtsbarkeit zu: der Rechtspflege, die sich mit Ereignissen der Gegenwart beschäftigen muß. Der Bundesregierung kann nicht unbekannt sein, worauf sich insoweit die Fragen der Interpellation beziehen. Selbstverständlich steht es dem Bundestag auch hierbei nicht zu, in schwebende Gerichtsverfahren einzugreifen oder gar in seiner Erörterung vorwegzunehmen, ob dieser oder jener Beamte sich einer bestimmten Straftat schuldig machte. Die Debatte wird auch hier sorgfältig die Grenze zu wahren haben, die durch die Unabhängigkeit der Gerichte gezogen ist. Der Sinn der Aussprache kann nicht sein, die Justiz auch nur mittelbar parlamentarisch zu lenken, sondern im Gegenteil, die rechtsprechende Gewalt gegen Übergriffe der Exekutive abzuschirmen, zugleich jedoch auch aufzuzeigen, daß Strafprozesse, die sich gegen Verwaltungsangehörige richten, keine bloßen Randerscheinungen des öffentlichen Lebens sind, und die Frage aufzuwerfen, welche politische Mitverantwortung eine Regierung dafür trägt, daß es zu einem beunruhigenden Anschwellen solcher Untersuchungen der Strafverfolgungsbehörden kam. Keine Staatsform kann eine Anfälligkeit für Korruption ausschließen. Je größer die Macht - ohne die sich kein Staat behaupten kann -, desto schwerer wird auch die Gefahr der Korrumpierung sein, am stärksten in unkontrollierten Diktaturen und totalitären Systemen, die eine Aufdeckung ihrer Korruption durch Terror verhindern.
Eine Demokratie dagegen wird um so glaubwürdiger und legitimer sein je nach dem Grade der Offenheit und Redlichkeit, in dem sie sich mit Anzeichen einer Fäulnis auseinandersetzt und die heilsame Kritik der Öffentlichkeit nicht scheut. Das auf die Verwirklichung des Rechtsstaats gerichtete Wesen der parlamentarischen Demokratie ist geteilte Macht und gemeinsame Verantwortung. Anzeichen einer Korruption belasten daher niemals allein die Regierung oder ihre Mehrheit, sondern müssen von der zur Kontrolle berufenen und berechtigten Opposition als ein eigener Schaden für das Ganze mitempfunden werden; denn erst Mehrheit und Minderheit, Regierung und Opposition zusammen bilden das Ganze des Staates. Deshalb gilt es hier nicht, den Staat zu treffen, der uns gemeinsam anvertraut ist, sondern den Staat zu verteidigen, unseren Staat, dessen Rechtlichkeit und Freiheitlichkeit in einer Demokratie jedermann mit zu verbürgen und mit zu sichern hat, um des Gemeinwohls willen gegen solche Gefährdung zuschützen.
Aus dieser Sicht ist bereits die Anzahl solcher Verfahren, in denen es um die Sauberkeit der öffentlichen Verwaltung geht, etwas anderes als eine Häufung nie ganz vermeidbarer Betriebsunfälle, sondern ein Politikum, das zu den Fragen verpflichtet: Wo finden sich die tieferen Ursachen? Ist die Wachsamkeit auch nicht versäumt worden? Und nach der rechts- und justizpolitischen Seite hin: Wird auch der Gerechtigkeit freier Lauf gelassen?
Es würde den Rahmen dieser Debatte erheblich überschreiten, wollte man allen Gründen nachspüren. Soviel aber darf in Kürze vermerkt sein: Ein bedenklicher Zug der Zeit ist die Neigung zu dem irrigen Übermut, letzten Endes gebe es für alles einen Preis, wofür es zu haben sei, und müsse umgekehrt sich auch alles irgendwie bezahlt machen; auch Macht sei käuflich und zahle sich aus.
Ein Talleyrand hätte vielleicht gesagt: Die Anrüchigkeit von Geschenken ist eine Frage ihrer Kleinheit. Unsere Maßstäbe müssen andere sein. Insbesondere darf es nicht zweierlei Maßstäbe geben. Die Bundesregierung sollte prüfen, ob es nicht ohne Ergänzung des Ministergesetzes möglich ist, auch für die Mitglieder der Bundesregierung selber - obgleich sie keine Beamten sind - die Frage der Annahme von Geschenken zu regeln.
Die Bundesregierung als der größte Auftraggeber für die Wirtschaft sollte überlegen, welche Abwehrmaßnahmen sie noch treffen kann, um die ihrem Schutz anvertraute Beamtenschaft davor zu bewahren, daß Interessenten meinen, einen Beamten wie einen Geschäftsfreund mit vielerlei leider eingerissenen Unsitten behandeln zu dürfen; denn es geht nicht nur darum durchzugreifen, nachdem es zu spät ist, sondern auch darum, in Erfüllung der Treupflicht dem vorzubeugen, daß ein Beamter unter den Augen der Regierung verlockt und verleitet wird; es geht darum, den guten Ruf der rechtschaffenen Beamtenschaft zu erhalten.
Der bedenklichste Irrtum, dem eine Regierung insoweit erliegen kann, ist die falsche Annahme, sie könnte einen Beamten dadurch decken, daß sie auf ihre eigene Mitwisserschaft hinweist.
({17})
Hier liegt der Kern der rechts- und justizpolitischen Sorge. Eine rechtsstaatliche Regierung sollte nicht den mindesten Anschein erwecken, als könne sie mit ihrer Verwaltungsmacht auch vor der allein dem Gesetz verpflichteten Gerichtsbarkeit Schutz gewähren. Nach dieser Richtung hin darf der Bundestag infolge gewisser Vorkommnisse der jüngsten Zeit eine hoffentlich sehr klare Stellungnahme der Bundesregierung erwarten.
Dabei bewegt uns weniger eine Sorge, die Justiz könnte sich beeinflussen lassen. Die innere Verbundenheit der Richterschaft und der Staatsanwaltschaft mit den Grundsätzen und Grundwerten der I rechtsstaatlichen parlamentarischen Demokratie,
ihr Wissen um die Verantwortung für die Freiheitlichkeit unseres Staatswesens, ist nach den bitteren Jahren der Rechtsverderbnis heute in weit stärkerem Maße spürbar als in den demokratisch leider wenig gefestigten Weimarer Jahren. Die Gerichte haben bemerkenswerte Beweise ihrer Unabhängigkeit gegeben, mochte ein Antrag von einer Regierung kommen oder sich gegen den Herrn Bundeskanzler selber richten, und ebenso haben Staatsanwaltschaften gezeigt, daß sie dem Legalitätsprinzip ohne Ansehen der Person verpflichtet sind.
Immerhin kann aber nicht verschwiegen werden, daß sich in Einzelfällen Ansätze zu dem Versuch zeigten, mit dem Ansehen der Bundesregierung einen Druck auf Staatsanwälte und nicht nur auf Staatsanwälte auszuüben, indem man sie z. B. einer politisch oppositionellen Haltung oder Voreingenommenheit zieh, etwa in der bösen Tonart: wenn man als Bundesminister einen Zusammenstoß mit einem Verkehrspolizisten hat, so trumpft man einige Monate später damit auf, das sei ja ein Sozialdemokrat.
({18})
Aus Kreisen des Deutschen Richterbundes ist mir glaubwürdig mitgeteilt worden, daß ein Mitglied der Bundesregierung - nicht der Herr Bundesminister der Justiz - gesprächsweise abfällig geäußert habe, in einer bestimmten Staatsanwaltschaft gebe es ja eben auch sieben Sozialdemokraten.
Gern erfülle ich die Pflicht, dankbar festzustellen und anzuerkennen, daß die zur Mehrheitspartei der Christlich-Demokratischen Union gehörenden
Landesminister Flehinghaus und Dufhues für den Bereich ihrer Zuständigkeiten solchen Bestrebungen in aller Eindeutigkeit und Unparteilichkeit entgegengetreten sind. Aber ich muß hinzufügen, daß Entlastungsbemühungen in der Richtung - „Nicht der Beschuldigte, sondern der Staatsanwalt ist verdächtig" - die Öffentlichkeit und uns hellhörig gemacht haben. Es ist weniger zu befürchten, daß sich die Gerichtsbarkeit unstatthaften Einflüssen zugänglich zeigen könnte, als Grund zu der ernsten Besorgnis gegeben, daß sich die Bundesregierung ihrer verfassungsrechtlichen Grenzen nicht hinreichend bewußt blieb. Die Exekutive im allgemeinen und die Bundesregierung im besonderen zeigen eine bedenkliche Tendenz, sich nicht nur als ein Organ des Staates, sondern als den Staat schlechthin zu sehen.
Das Recht und die Pflicht der Bundesregierung, über die Genehmigung zur Aussage für einen Bundesbeamten zu entscheiden, sind kein Mittel, unliebsame Gerichtsprozesse zu regulieren. Dafür zunächst ein Beispiel zur Probe. In der 35. Sitzung dieses Bundestages am 26. Juni 1958 hat der Herr Bundeskanzler gesagt - ich gebe es wörtlich wieder -:
Die Aussagegenehmigung, die der Beamte des Bundesbevollmächtigten in Berlin bekommen hat, entspricht genau dem Antrag, den das Landgericht Berlin an uns gerichtet hat, . . .
Ich hatte damals den Vorwurf gemacht, die Bundesregierung habe in dem Strafprozeß gegen Stephan
die Aufklärung der Wahrheit vereitelt. Daraufhin kam diese Auskunft des Herrn Bundeskanzlers, begleitet von einem der üblichen Zwischenrufe des Herrn Rasner, den Sie im Protokoll nachlesen können.
({19})
Ich stelle dazu folgendes fest. In der Verfügung der 10. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 19. Juni 1957 heißt es insoweit wörtlich:
Der Pressereferent Wrasmann hat dem Angeklagten für derartige Berichte und Nachrichten etwa 1000 Mark gezahlt. Hierüber soll er als Zeuge gehört werden. Es wird gebeten, ihm gemäß § 61 des Bundesbeamtengesetzes die Aussagegenehmigung zu erteilen.
Da war keinerlei Einschränkung, sondern ganz im Gegenteil: die Bundesregierung und das Bundeskanzleramt wußten, daß sich das Landgericht Berlin berechtigterweise auch damit beschäftigte, wer denn nun geschädigt sei, ob der Bund oder die Parteikasse der CDU. Das wußte das Bundeskanzleramt um so mehr, als seine leitenden Beamten bereits im Vorverfahren dazu vernommen worden sind. Der damalige Staatssekretär des Bundeskanzleramts hat insoweit am 20. Januar 1956 zu Protokoll erklärt: „Daß während meiner Staatssekretärtätigkeit an den Angeschuldigten geringfügige Beträge gezahlt worden sind, weiß ich. Meiner Meinung nach handelt es sich um Beträge von jeweils ein paar hundert Mark. Aus welchem Fonds diese Beträge gezahlt worden sind, vermag ich heute nicht mehr zu sagen. Es könnte möglich sein, daß sie aus dem Verfügungsfonds des Bundeskanzlers ({20})
({21})
oder aus den für den Bundeskanzler persönlich zur Verfügung gestellten Wahlgeldern entnommen worden sind. Ich habe mich nicht darum gekümmert, sondern habe nur die Zahlung angewiesen. Das war aber keine formelle Anweisung, sondern eine mündliche Besprechung mit dem damaligen Ministerialdirektor Dr. Globke, er möge die von Wrasmann angeforderten Gelder zur Verfügung stellen."
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Man wußte also im Bundeskanzleramt, daß das Gericht die berechtigte Frage hatte: Wer ist denn nun eigentlich betrogen worden, wer ist denn nun eigentlich geschädigt worden? Es gibt auch ein öffentliches Interesse daran, daß diese Frage aufgeklärt wird. Obgleich das Gericht, wie ich festgestellt habe, auf dieser Grundlage ganz allgemein den Antrag an die Bundesregierung richtete, der Zeuge Wrasmann solle eine Aussagegenehmigung über seine Zahlungen bekommen - da war keine Beschränkung -, antwortete das Bundeskanzleramt am 20. August 1957:
Dem Pressereferenten des Bundesbevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland in Berlin, Herrn Wilhelm Wrasmann, wird die Genehmigung zur Aussage darüber erteilt,
- und jetzt kommt's, ganz präzise Dr. Arndt
ob ihm von dem Angeklagten Stephan Berichte und Nachrichten über Vorgänge in der Sowjetzone verkauft worden sind unter der Vorspiegelung, sie stammten von einem Gewährsmann beim sowjetzonalen Staatssicherheitsdienst,
gegebenenfalls welchen Inhalt die Berichte und Nachrichten hatten,
ob und gegebenenfalls welche Beträge Wrasmann hierfür an den Angeklagten Stephan gezahlt hat.
Unterschrift: Dr. Globke
Aber eine Aussageerlaubnis darüber, woher diese Beträge gezahlt wurden, hat der Zeuge entgegen dem Antrag des Gerichts nicht bekommen.
({23})
Es stimmte deshalb nicht, wenn der Herr Bundeskanzler von diesem Platze aus am 26. Juni vergangenen Jahres behauptet hat, daß dem Zeugen die Aussageerlaubnis so gegeben worden sei, wie sie das Gericht beantragte. Durch die bewußte Beschränkung der Aussageerlaubnis auf bestimmte Fragen ist geflissentlich verhindert worden, daß ein Gericht die Wahrheit darüber aufklärte, ob es sich um einen Betrug zum Nachteil einer Parteikasse handelte oder ob der Bund mit Steuergeldern geschädigt worden ist.
Hier ist ein Fall, nicht der einzige Fall. Es gibt mehr Fälle - und sie werden wahrscheinlich in der Debatte noch erörtert werden müssen -, wo die Bundesregierung unter Mißbrauch ihrer Genehmigung zur Aussage versucht hat, Verfahren zu manipulieren, und einer Aufklärung der Wahrheit entgegengetreten ist.
Es gibt einen Fall einer ausdrücklichen Anweisung des Herrn Bundeskanzlers, daß in einem bestimmten Verfahren den Behörden der Gerichtsbarkeit keine Akten ausgehändigt werden sollten und daß keine Aussageerlaubnis zu erteilen sei.
({24}) Das ist ein schwerwiegender Tatbestand.
Verirrt sich einmal ein übereifriger oder tolpatschiger Pressereferent zu der Behauptung, ein Beamter könne eine strafbare Handlung auch pflichtgemäß begehen, so sollte dieser Lapsus linguae noch nicht dramatisiert werden. Der Herr Bundesminister der Justiz hat den Fehlgriff sofort mit dankenswerter Entschiedenheit berichtigt. Aber ein bestürzender Präzedenzfall ist, wenn die Bundesregierung selber dem Gericht dadurch vorgreift, daß sie einen Beschluß über Schuld oder Nichtschuld eines Beamten oder mehrerer Beamten verlautbart.
Als das zuständige Gericht gegen drei Beamte in Spitzenstellungen das Hauptverfahren wegen des hinreichenden Verdachts einer strafbaren Handlung und wegen einer möglicherweise zu erwartenden Strafe von mehr als drei Monaten Gefängnis eröffnete, hat die Bundesregierung durch ihren Sprecher vor der Bundespressekonferenz die von ihr autorisierte Feststellung treffen lassen, der den Gegenstand des gerichtlichen Strafverfahrens bildende Sachverhalt sei ein innerdienstlicher Vorgang, bei dem sich die Beamten pflichtgemäß verhalten hätten.
({25})
Während der Bundespressechef sich korrekt der Stellungnahme zu dem gegen einen Ministerialrat eingeleiteten Strafverfahren und richterlichen Haftbefehl enthielt, lancierte der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes das Gerücht in die Öffentlichkeit, der Bundeskanzler werde bezeugen, daß nichts Unrechtes geschehen sei,
({26})
und der Herr Bundeskanzler duldete die Veröffentlichung seines Briefes an ein Gericht, worin er Beschuldigungen gegen die Staatsanwaltschaft erhob.
Diese Grenzüberschreitungen gegenüber Gerichten sind keine nur vereinzelten Vorkommnisse. Auf der gleichen Linie liegt das Fernschreiben des Herrn Bundeskanzlers an das Bundesverfassungsgericht, das Gericht werde kaum eine unangreifbare Entscheidung fällen, falls es nicht der Anregung der Bundesregierung entspreche, zuvor nochmals in die mündliche Verhandlung und eine weitere Beweisaufnahme einzutreten. Unbeschadet der Befugnis der Bundesregierung, eine solche Anregung noch vorzubringen, durfte diese Anregung nicht mit einer Verwarnung an das Gericht verknüpft werden.
Ich sehe davon ab, diese beunruhigenden Vorkommnisse jetzt vollständig zu erörtern oder schon abschließend zu qualifizieren. Jedes einzelne ist zuviel. Die Bundesrepublik Deutschland gründet sich auf das in seinem Wesensgehalt unabänderliche Prinzip der Gewaltenteilung. In einer von schweren Gefahren für den Bestand unseres Staates umwitterten Zeit ist es notwendig, diese für die Grundlagen der inneren Freiheit lebenswichtigen Fragen mit den. Ernst zu stellen, der ihnen angemessen ist. Der demokratische Rechtsstaat ist ein auf Öffentlichkeit hin angelegtes Gemeinwesen. Es zeichnet ihn deshalb aus, daß er es sich leisten kann und daß es ihm dient, öffentlich über Fragwürdigkeiten zu verhandeln, um keine Stickluft aufkommen oder bestehen zu lassen.
Dabei wird auch auf die Aufgabe der Presse Bedacht zu nehmen sein, die als ein Sprachrohr der öffentlichen Meinung und der demokratischen Kontrolle nicht dadurch behindert werden darf, daß ein Journalist, der in berechtigter Wahrnehmung allgemeiner Interessen auf bedenkliche Vorgänge aufmerksam macht, sich selber als der Verdächtigte und Beschuldigte wiederfindet.
Meine Damen und Herren, das Ziel dieser Anfrage und Aussprache ist, die Bedeutsamkeit justizpolitischer Erwägungen und den für Recht und Freiheit mitentscheidenden Rang der rechtsprechenden Gewalt mehr als bisher der Öffentlichkeit ins Bewußtsein zu rufen und ein Warnsignal davor aufzurichten, daß die Grenzen der Gewaltenteilung nicht durch vermeintliche Allmacht einer Bundesregierung überschritten werden dürfen.
({27})
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich bei der Beantwortung der Fragen an die Reihenfolge und den Inhalt der Großen Antrage zu halten. Ich nehme an, es besteht Einverständnis, daß ich auf die gesamten Fragen eingehe und Antwort gebe, selbst wenn die einzelne Frage in der Begründung nicht oder nur zum Teil erwähnt worden ist. Es gehört zu meinen Pflichten, mich an die Drucksache zu halten.
Ich darf infolgedessen von der Frage 1 ausgehen, die lautet: „Wann wird die Bundesregierung den Gesetzentwurf vorlegen, der den „Auftrag aus Artikel 95 GG erfüllt?" Zu dieser Frage muß ich zunächst auf die Antwort Bezug nehmen, die die Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP vom 15. Oktober 1958 bereits erteilt hat. Diese Anfrage hatte ebenfalls die Errichtung des Obersten Bundesgerichts zum Gegenstand. Die Antwort der Bundesregierung hat folgenden Wortlaut:
Die Errichtung eines Obersten Bundesgerichts ist, wie bekannt, im Oktober/November 1956 Gegenstand von Erörterungen im Bundestag gewesen. Der Bundestag hat die Bundesregierung am 22. Oktober 1956 aufgefordert, den Entwurf eines Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung vorzulegen. Im Bundesjustizministerium sind schon vor diesem Beschluß und ebenso in der Folgezeit eingehende Untersuchungen zur Frage des Obersten Bundesgerichts angestellt worden. Dabei haben sich erneut erhebliche Zweifelsfragen und Schwierigkeiten ergeben. Kürzlich ist nunmehr im Bundesjustizministerium eine umfassende Referenten-Denkschrift ausgearbeitet und dem Bundesverfassungsgericht, den beteiligten Bundesressorts und über diese sämtlichen oberen Bundesgerichten mit der Bitte um Stellungnahme zugeleitet worden. Sobald deren Äußerungen eingegangen sind, wird die Bundesregierung sich über die im Hinblick auf Artikel 95 GG erforderlichen weiteren Schritte schlüssig werden.
Zusätzlich darf ich zu der präzisen Frage, wann die Bundesregierung voraussichtlich einen Gesetzentwurf gemäß Art. 95 des Grundgesetzes einbringen wird, folgendes bemerken: In der verhältnismäßig kurzen Zeit seit Errichtung der oberen Bundesgerichte sind dem Bundesjustizministerium nur wenige Fälle bekanntgeworden, in denen obere Bundesgerichte gegenteilige Auffassungen vertreten haben. Dabei ist zu bedenken, daß das Oberste Bundesgericht nach Art. 95 GG nicht bei jeder Meinungsverschiedenheit, sondern nur in den Fällen entscheiden soll, deren Entscheidung für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung der oberen Bundesgerichte von grundsätzlicher Bedeutung ist. Bei Anlegung dieses Maßstabes wären bisher nur vier Fälle einer Klärung auf dem Wege des Art. 95 GG zugänglich gewesen. In fünf weiteren Fällen von teilweise größerem Gewicht sind die Meinungsverschiedenheiten auf verfassungsrechtliche Fragen zurückzuführen, die endgültig vom Bundesverfassungsgericht zu entscheiden sein werden. Bemerkenswert ist, daß die oberen Bundesgerichte in zwei
Divergenzfällen ihre Auffassung bei nächster Gelegenheit mit dem Ergebnis überprüft haben, daß in einem Fall, der in der genannten Zahl der Divergenzfälle nicht enthalten ist, die Meinungsverschiedenheit beseitigt, in einem anderen gemildert ist. Mit einem wesentlichen Ansteigen der Zahl der Divergenzfälle, die in die Zuständigkeit eines Obersten Bundesgerichts fallen, dürfte aus zwei Gründen nicht zu rechnen sein: Einmal sind die Zuständigkeiten der einzelnen oberen Bundesgerichte sachgemäß verteilt, so daß sich wenig Überschneidungen ergeben. Zudem wirken sich bei der Auslegung und Anwendung zahlreicher gesetzlicher Vorschriften auf den verschiedenen Rechtsgebieten die Bestimmungen des Grundgesetzes aus. Dessen Vorschriften harren aber in vielen Einzelheiten wie auch in Grundsatzfragen noch der Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht. In solchen Fällen kann eine endgültige Klärung der Rechtsfragen und Beseitigung der zwischen den Gerichten, auch den oberen Bundesgerichten, bestehenden Divergenzen endgültig nur durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen. Von den Bedürfnissen der Rechtsprechung her gesehen, erscheint die Errichtung des Obersten Bundesgerichts deshalb zur Zeit teils nicht vordringlich, teils nicht geeignet zur Beseitigung der in der Rechtsprechung der oberen Bundesgerichte aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten mit verfassungsrechtlichem Hintergrund. Gleichwohl hat das Bundesjustizministerium seit längerem Untersuchungen darüber angestellt, wie eine praktikable Lösung zur Erfüllung des Auftrages in Art. 95 GG gefunden werden kann.
Nach der Vorstellung des Parlamentarischen Rates soll das Oberste Bundesgericht, wie bereits in der Plenarsitzung am 3. Oktober 1956 dargelegt worden ist, als institutionelles Gericht errichtet werden. Dieser Konzeption stehen aber die inzwischen eingetretene Entwicklung und die gesammelten Erfahrungen entgegen. Bereits die Bezeichnung als Oberstes Bundesgericht entspricht dem Aufgabenbereich dieses Gerichts nicht, denn Fragen von grundsätzlicher Bedeutung mit verfassungsrechtlichem Einschlag entscheidet, wie erwähnt, letztlich das Bundesverfassungsgericht, entweder auf Vorlage des einzelnen Gerichts gemäß Art. 100 GG oder auf Verfassungsbeschwerde hin, wobei das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auch des Obersten Bundesgerichts aufheben könnte. Das in Art. 95 GG als Oberstes Bundesgericht bezeichnete Gericht kann mithin nur eine koordinierende Funktion zwischen den oberen Bundesgerichten haben. Dafür reicht ein Vereinigter Senat aber wohl aus, der lediglich über die streitige Rechtsfrage, nicht aber den gesamten Fall entscheidet, also ähnliche Funktionen hat wie die Großen Senate der oberen Bundesgerichte. Dadurch würde zugleich ein weiterer Instanzenzug, der auf berechtigte Ablehnung stieße, vermieden. Bei dem voraussichtlich geringen Geschäftsanfall werden hauptamtlich tätige Richter nicht benötigt. Die Mitglieder des Senats könnten vielmehr aus dem Kreis der Richter an den oberen Bundesgerichten ausgewählt und nebenamtlich mit der Wahrnehmung des Richteramtes in dem Vereinigten Senat betraut werden. Diese Richter beBundesjustizminister Schäffer
sitzen Revisionserfahrung und die nötigen Fachkenntnisse auf den Sachgebieten der einzelnen oberen Bundesgerichte.
Ein mit nebenamtlich tätigen Richtern besetzter Vereinigter Senat der oberen Bundesgerichte unterscheidet sich von einem institutionellen Obersten Bundesgericht aber so sehr, daß für diese Lösung wohl eine Änderung des Grundgesetzes in Betracht gezogen werden muß. Angesichts der bisher geringen Erfahrungen über Art und Umfang der Divergenzen in der Rechtsprechung der oberen Bundesgerichte hat das Bundesjustizministerium sich noch nicht in der Lage gesehen, sachgemäße Vorschläge zur Ausführung des Art. 95 GG zu machen. Auch eine kleine Lösung in Gestalt eines Vereinigten Senats wirft noch eine Reihe von Zweifelsfragen auf. So bedarf - um nur einige Punkte zu nennen - der Klärung, ob im Einzelfall Richter aller oder nur der divergierenden oberen Bundesgerichte mitwirken sollen, bei wem der Vorsitz liegen und ob die Rechtsfrage von den einzelnen Senaten der oberen Bundesgerichte unmittelbar oder über die Großen Senate, beim Bundesgerichtshof möglicherweise auch über den Vereinigten Großen Senat an das neu zu bildende Gremium herangetragen werden soll. Für die Beurteilung dieser Fragen hat die Auffassung der Praxis, vor lallem des Bundesverfassungsgerichts und der oberen Bundesgerichte, erhebliche Bedeutung. Der Zweck der eingangs erwähnten Referenten-Denkschrift ist es, eine Stellungnahme der beteiligten Stellen nicht nur in der Gesamtkonzeption, sondern auch in wichtigen Einzelfragen herbeizuführen. Von den Stellungnahmen wird abhängen, welche Lösung vorgeschlagen werden kann. Bei dieser Sachlage bedaure ich daher, ihnen heute einen genauen Zeitpunkt für den Abschluß der Vorarbeiten noch nicht nennen zu können. Die Bundesregierung verkennt aber nicht, daß eine Lösung in absehbarer Zeit angestrebt werden sollte.
Ich darf nunmehr zur Frage 2 übergehen:
Teilt die Bundesregierung die Besorgnis, daß einzelne Gerichtsurteile das Rechtsbewußtsein verletzen, weil sie die Schwere des Unrechts der unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verübten Straftaten gegen das Leben verkennen oder - z. B. durch Zubilligung einer Rente an die Witwe Heydrichs - die von nationalsozialistischen Machthabern verübten Verbrechen des Mordes außer acht lassen?
Die Frage 3 lautet:
Wird die Bundesregierung die Maßnahmen der Länder fördern, die darauf abzielen, eine Wiederholung von Versäumnissen wie im Falle Eisele zu vermeiden? Wie ist insbesondere der Stand der Auslieferungsverhandlungen im Falle Eisele?
Die Fragen enthalten zwei Fälle, auf die infolgedessen wohl in der Beantwortung eingegangen. werden muß.
Zu dem in Nr. 2 der Großen Anfrage genannten und in der Öffentlichkeit besonders beachteten Fall der Zubilligung einer Rente an die Witwe Heydrichs darf ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister
für Arbeit und Sozialordnung folgendes mitteilen:
Mit Urteil vom 27. Juni 1958 hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Schleswig als Berufungsgericht das Urteil des Oberversicherungsamts Schleswig vom 9. Februar 1953, das den Hinterbliebenen Heydrichs Anspruch auf Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz zuerkannt hatte, bestätigt und die Berufung des Landes Schleswig-Holstein zurückgewiesen. Das Urteil ist nach § 214 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes endgültig.
Die Bundesrepublik war in der Berufungsinstanz beigeladen. Als deren Vertreter hat sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung wiederholt zur Sache schriftsätzlich geäußert und auch zu den mündlichen Verhandlungen Vertreter entsandt. Dabei ist dem Gericht gegenüber zum Ausdruck gebracht worden, daß in dem Attentat auf Heydrich kein Tatbestand zu erkennen sei, der einen Anspruch auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz begründen könne, weil das Attentat durch politische Motive ausgelöst worden und militärisch bedeutungslos gewesen sei. Desgleichen hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung darauf hingewiesen, daß es nicht Wille des Gesetzgebers gewesen sein konnte, auch den Personenkreis der führenden Nationalsozialisten und ihrer Hinterbliebenen in die Versorgung miteinzubeziehen, der für den Ausbruch des Krieges und seine unzähligen Opfer mitverantwortlich ist; denn er beschloß das Gesetz ja nur für die Opfer des Krieges.
Demgegenüber vertrat das Gericht die Auffassung, daß an der Beseitigung Heydrichs ein erhebliches militärisches Interesse bestanden und das Attentat die Unterstützung britischer militärischer Stellen erfahren habe. Diese hätten damit im Protektorat eine Belebung des Widerstandskampfes und eine Schwächung oder sogar Vernichtung der dortigen Kriegsindustrie und damit eines wesentlichen Teiles des deutschen Kriegspotentials erreichen wollen. Indem das Gericht diesen Sachverhalt als erwiesen ansah, hielt es die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchstabe a des Bundesversorgungsgesetzes für gegeben. Danach gelten als unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchstabe a des Bundesversorgungsgesetzes Kampfhandlungen und damit unmittelbar zusammenhängende militärische Maßnahmen, insbesondere die Einwirkung von Kampfmitteln, wenn sie im Zusammenhang mit einem der beiden Weltkriege stehen.
Einen Ausschluß der Versorgung politisch Belasteter und ihrer Hinterbliebenen hielt das Landessozialgericht nicht für möglich, weil das Bundesversorgungsgesetz hierzu keine Handhabe biete. Vielmehr wollte nach Ansicht des Gerichts der Gesetzgeber einen solchen Ausschluß bewußt nicht vornehmen, da der Bundestag dem Regierungsentwurf, der eine solche Ausschlußmöglichkeit vorsah, nicht gefolgt sei. In der 30. Sitzung des Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen des Deutschen Bundestages wurde die betreffende Vorschrift nach einstimmigem Beschluß gestrichen.
Bundesjustizminister Schäffer
Die Bundesregierung beobachtet die Rechtspre chung der verschiedenen Gerichtszweige - um das grundsätzlich zu bemerken - aufmerksam, insbesondere lasse ich mich regelmäßig über alle bedeutungsvollen Strafverfahren unterrichten. Wenn in Ausnahmefällen Strafurteile den Eindruck erweckt haben, daß sie die Schwere des Unrechts der unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verübten Straftaten gegen das Leben verkennen, sind diese Urteile grundsätzlich im Rechtsmittelweg nachgeprüft worden oder werden noch geprüft. Durch die Ausgestaltung des Rechtsmittelweges ist weitgehend gewährleistet, daß eine etwa getroffene Fehlentscheidung berichtigt werden kann. Entsprechendes gilt auch für die Urteile der Sozialgerichte, Verwaltungsgerichte und Disziplinargerichte.
Im übrigen darf ich bemerken, daß in Strafverfahren wegen Gewalttaten gegen das Leben die Schwurgerichte für die Verhandlung und Entscheidung zuständig sind. Da das Schwurgericht aus drei Berufsrichtern und sechs Geschworenen besteht, die das gleiche Stimmrecht haben, dürfte gesichert sein, daß das Rechtsbewußtsein des Volkes gerade bei der Verfolgung der genannten Straftaten zur Geltung kommt.
Soweit in den zurückliegenden Jahren Urteile gefühlsmäßig und menschlich nicht befriedigen konnten, dürften jedoch auch die Schwierigkeiten nicht übersehen werden, die die Rechtsprechung nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945 zu überwinden hatte. Die Gerichte hatten ja ihre gesamte Tätigkeit eingestellt. Die wenigen Richter, Staatsanwälte und weiteren Justizangehörigen, die nach einer längeren Zwangspause ihre Tätigkeit in meistens durchaus unzureichenden Räumen und mit unzulänglichen materiellen Mitteln wieder aufnahmen, hatten die Aufgabe, eine bereits in erheblichem Umfang angewachsene und schon wegen der allgemeinen Not immer mehr ansteigende Zahl von Straftaten zu verfolgen. Da die Hilfsorgane der Staatsanwaltschaft sich in der gleichen Lage befanden, konnten sie damals die Tätigkeit der Justiz nicht ausreichend unterstützen. Jahre hindurch fehlten nicht nur Richter, Staatsanwälte, Polizeibeamte und Sachverständige, auch die Beschuldigten und die erforderlichen Zeugen waren sehr oft unbekannten Aufenthalts oder befanden sich in fremdem Gewahrsam. Darüber hinaus lebten viele von denjenigen, gegen die besonders schwere Beschuldigungen vorgebracht wurden, unter einem falschen Namen in einer fremden Umgebung und konnten erst nach langwierigen Fahndungen ermittelt werden.
Gegen Beschuldigte, gegen die die Strafverfolgungsbehörden der damaligen Besatzungsmächte ein Verfahren durchführten, konnten die deutschen Behörden zunächst nicht einschreiten. Auch später wurde die Verfolgung dieser Personen dadurch behindert, daß die besatzungsgerichtlichen Akten den deutschen Behörden nicht zur Verfügung standen.
Die genannten Gründe mögen es zum Teil erklärlich machen, warum manche Verfahren wegen der unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft begangenen Straftaten gegen das Leben nicht mit der erwünschten Schnelligkeit abgeschlossen
werden , konnten, zumal diese Verfahren in der Regel besonders umfangreiche Ermittlungen und Vorbereitungen voraussetzen. Mit den Landesjustizverwaltungen bin ich jedoch bemüht, sicherzustellen, daß die noch unerledigten Verfahren der genannten Art beschleunigt abgeschlossen werden. Ich darf darauf hinweisen, daß sich die letzte Konferenz der Justizminister in Bad Harzburg auf meine Anregung eingehend mit der Frage befaßt hat, wie die Verfolgung bisher ungesühnter nationalsozialistischer Gewalttaten durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Länder schneller und wirksamer durchgeführt werden kann. Zu diesem Zweck haben die Justizminister und Senatoren beschlossen, eine Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zu schaffen, die das vorhandene und erreichbare Material auswerten und die Strafverfolgung koordinieren soll. Ich habe an den entscheidenden Besprechungen persönlich teilgenommen, mich für die dann einstimmig angenommene Entschließung eingesetzt und jede mögliche Unterstützung des Planes zugesagt. Inzwischen haben die Justizminister und -senatoren der Länder eine Verwaltungsvereinbarung über die Einrichtung der Zentralen Stelle getroffen. Die Zentrale Stelle hat ihre Tätigkeit in der ersten Dezemberhälfte 1958 in Ludwigsburg bereits aufgenommen.
Um auszuschließen, daß sich Verbrecher, insbesondere auch die, die sich in der nationalsozialistischen Zeit schwerer Gewalttaten schuldig gemacht haben, durch die Flucht ins Ausland der deutschen Strafverfolgung entziehen können, ist die Bundesregierung seit Jahren bestrebt, mit allen Staaten, die eine Auslieferung nur auf Grund eines Vertrages vornehmen, einen Auslieferungsvertrag abzuschließen oder, soweit bestehende Verträge durch den Kriegszustand unterbrochen waren, diese wieder in Kraft zu setzen. Ebenfalls beabsichtigt die Bundesregierung, mit denjenigen Staaten Verträge über die Auslieferung abzuschließen, die zwar außerhalb eines Vertrages flüchtige Verbrecher ausliefern, wo sich aber praktisch doch Schwierigkeiten ergeben, weil es an einer vertraglichen Auslieferungspflicht fehlt.
Das ägyptische Außenministerium hat am 13. Oktober 1958 die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kairo schriftlich davon unterrichtet, daß die Auslieferung des Dr. Eisele nicht gewährt werden könne, weil die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden, im Jahre 1941 begangenen Straftaten nach § 15 der ägyptischen Strafprozeßordnung verjährt seien. Nach dieser Bestimmung beträgt die Verjährungsfrist für Verbrechen zehn Jahre, gerechnet vom Tage der Tatbegehung. Hiernach wäre die Verjährung im Jahre 1951 eingetreten.
Zwar verweist diese Vorschrift auch darauf, daß möglicherweise durch Sonderbestimmungen andere Verjährungsfristen festgesetzt sein können. Ob solche für das Auslieferungsverfahren gegen Dr. Eisele bedeutungsvolle Bestimmungen bestehen, hat sich nicht feststellen lassen. Die Annahme dürfte gerechtfertigt sein, daß sich solche Sondervorschriften nur mit der Herabsetzung der Verjährungsfrist befassen, z. B. bei Pressestraftaten. Nach § 17 der
Bundesjustizminister Schäffer
ägyptischen Strafprozeßordnung ist allerdings auch die Unterbrechung der Verjährung durch bestimmte prozessuale Handlungen möglich. Gerichtliche Maßnahmen, die geeignet gewesen wären, vor 1951 die Verjährung zu unterbrechen, haben sich in den Verfahrensakten gegen Dr. Eisele bisher nicht feststellen lassen. Infolgedessen konnte darauf bisher nicht zurückgegriffen werden.
Ich darf noch kurz auf den Fall Lautz eingehen, den der Herr Kollege Dr. Arndt in seinen Ausführungen kurz erwähnt hat. Wegen der Tätigkeit des Dr. Lautz als Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof sind Ermittlungsverfahren bei den Staatsanwaltschaften in Berlin und Lübeck anhängig. Nach der Mitteilung des Herrn Justizministers des Landes Schleswig-Holstein hat der Oberstaatsanwalt in Lübeck von den bisher eingeleiteten fünf Ermittlungsverfahren zwei Verfahren eingestellt. In drei Verfahren sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Welchen Ausgang diese Verfahren voraussichtlich haben werden, läßt sich zur Zeit noch nicht übersehen. Im übrigen nehme ich auf die im Einvernehmen mit mir von dem Herrn Bundesminister des Innern erteilten Antworten vom 27. Februar und 26. März 1958 Bezug. Inzwischen ist Lautz durch die Bundesdisziplinarkammer in Kiel am 11. April 1958 zur Höchststrafe, der Aberkennung der Rechte aus dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes, verurteilt worden. Der Bundesdisziplinaranwalt hat gegen dieses Urteil, das dem Beschuldigten einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 % des Ruhegehalts zubilligte, Berufung eingelegt.
Was zweitens die Frage der Akten des Volksgerichtshofs betrifft, darf ich feststellen, daß sich diese Akten, soweit sie überhaupt vorhanden und nicht durch die Kriegseinwirkung zerstört worden sind - was in vielen Fällen der Fall zu sein scheint -, im Bereich der Sowjetzone befinden, uns also vorerst nicht zur Verfügung stehen.
Zu der Frage 4, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß gerichtliche Verfahren übermäßig lange dauern und die Verfahrensordnungen, namentlich im Strafprozeß, zeitgerechten und rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen und welche Reformen zur Abhilfe geplant seien, darf ich folgendes erklären.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß gerichtliche Verfahren in nicht seltenen Fällen ,sehr lange dauern. Es handelt sich dabei allerdings um eine Erscheinung, die nicht nur in der Gegenwart beobachtet werden kann, sondern auch schon in früheren Zeiten, und die nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in anderen Staaten Sorge bereitet hat und auch heute noch bereitet. Ausführungen darüber, daß die geordnete Rechtspflege, insbesondere auf dem Gebiete des Strafrechts, Not leidet, wenn die gerichtlichen Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit durchgeführt und zur endgültigen Entscheidung gebracht werden, glaube ich mir ersparen zu können. Auch dürfte allgemein bekannt sein, daß die Ursachen, die dabei eine Rolle spielen, vielfältig sind. Ich bin der Meinung, daß diese Ursachen nur teilweise durch eine Änderung des geltenden Verfahrensrechts und der Gerichtsverfassung beseitigt werden können. Sie liegen im übrigen nur zu einem gewissen Teil in Bereichen, die dem Einfluß des Bundes unmittelbar oder mittelbar zugänglich sind.
Ich darf zunächst einen Überblick über meinen Geschäftsbereich geben. Hier genügt ein Blick in die Geschäftsübersichten des Bundesgerichtshofs und der Bundesanwaltschaft. Die Übersichten zeigen, daß die bei diesen Behörden anhängigen Verfahren in der Regel in einem Zeitraum erledigt werden können, der nicht als unangemessen lange kritisiert werden kann.
Dies gilt insbesondere für die Strafverfahren. Bei den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs werden die dort eingehenden Sachen seit Jahren so zügig erledigt, daß keinerlei Rückstände vorliegen. In den Revisionssachen werden mehr als 90% der Verfahren in den ersten drei Monaten nach Eingang der Revision beim Bundesgerichtshof erledigt. Für die Revisionssachen, die die Strafsenate im Wege des Urteils erledigt haben, ergeben sich für das Jahr 1957 folgende Zahlen: Von insgesamt 917 Verfahren sind in einem Zeitraum bis zu drei Monaten - also zwischen Eingang der Revision beim Bundesgerichtshof und dem Tag des Urteils - 838 Sachen erledigt worden, in einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten 62 Sachen, zwischen sechs und neun Monaten 14 Sachen. Nur für drei Sachen wurde ein Zeitraum von über 12 Monaten benötigt. Für die Jahre 1956 und 1955 ergeben sich ähnliche Zahlen. Die bisher aus dem Jahr 1958 vorliegenden Übersichten ergeben ein ähnlich günstiges Bild.
Auch die Unterlagen, die wir von den Landesjustizverwaltungen erhalten haben, geben, im Durchschnitt gesehen, keinen Grund zu besonderer Besorgnis. Die lange Dauer einzelner Verfahren liegt weniger am geltenden Verfahrensrecht als an der Überlastung der Staatsanwaltschaften und Gerichte. Sogenannte Monsterprozesse sind eine nicht seltene Erscheinung der Nachkriegszeit. Daß Strafverfahren mit wirtschaftlichem Einschlag, nämlich solche, die Betrug, Untreue oder Bankerott zum Gegenstand haben, erfahrungsgemäß lange dauern, erklärt sich oft aus der Schwierigkeit, geeignete Sachverständige zu finden, und aus dem Umfang der dort erforderlichen Sachverständigenarbeit.
Bei der Prüfung der Möglichkeit, auf eine Beschleunigung des Strafverfahrens hinzuwirken, werden zunächst personelle und sonstige Verwaltungsmaßnahmen im Vordergrund stehen. Dennoch verkenne ich nicht, daß auch die Gesetzgebung ihren Beitrag leisten muß, um dieses Ziel zu verwirklichen. Bei der Reform des Strafverfahrensrechts und der Strafgerichtsverfassung wird mit allen Mitteln anzustreben sein, daß der Gang des Verfahrens insgesamt beschleunigt wird. Dabei wird man aber berücksichtigen müssen, daß dieser Wunsch nach Beschleunigung durchaus mit anderen Forderungen des Verfahrensrechts in Widerstreit treten kann. Die Beschleunigung darf niemals auf Kosten der Rechtsgarantien gehen. Grundforderung des Verfahrensrechts muß es bleiben, durch sorgfältige Aufklärung des Falles in alle Richtungen die Voraussetzungen für eine gerechte Entscheidung zu schaffen.
Bundesjustizminister Schäffer
Es bedarf sorgfältiger Prüfung, wie derartige Spannungen gelöst werden können; um so mehr als das Anliegen, den Strafprozeß zu beschleunigen, nicht isoliert betrachtet werden darf. Die Aufgabe kann umfassend nur durch eine gesamte Reform des Verfahrensrechts gelöst werden, da es nicht möglich ist, einzelne Verfahrenseinrichtungen losgelöst von anderen und ohne Rücksicht auf die Gestaltung des Verfahrens in seiner Gesamtheit zu erneuern. Die Notwendigkeit einer umfassenden Reform des Strafverfahrensrechts ist im Bundesjustizministerium seit langem erkannt. Diese Aufgabe haben wir in den Bereich der Großen Strafrechtsreform eingeordnet.
Auch in den vergangenen Jahrzehnten ist die Reform immer von dem Zusammenhang zwischen materiellem Strafrecht und Strafverfahrensrecht ausgegangen. Den schon 1906 aufgenommenen Reformarbeiten am Strafgesetzbuch folgten 1908 alsbald Bemühungen um die Neugestaltung des Strafprozesses. Diese nach dem Krieg wiederaufgenommenen Arbeiten führten 1920 zu dem Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen. Auch der Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch 1930 suchte neben der notwendigen Anpassung des Verfahrens an das neue Strafrecht bereits wesentliche Reformanliegen zu verwirklichen. Nach 1945 mußte aus verständlichen Rücksichten davon abgesehen werden, auf frühere Reformideen zurückzugreifen; der Gesetzgeber mußte sich im wesentlichen darauf beschränken, für das gesamte Bundesgebiet wieder eine einheitliche Strafprozeßordnung zu erlassen, die überwiegend auf dem Rechtszustand vor 1933 aufbaute.
Inzwischen sind die Reformarbeiten wiederaufgenommen worden. Zu dem Programm dieser „Großen Reform" gehört auch nach unserer Vorstellung nicht nur die Erneuerung des sachlichen Strafrechts, sondern auch die des Strafverfahrensrechts, der Strafgerichtsverfassung und des Strafvollzuges. Es liegt auf der Hand, daß diese Arbeiten nicht alle zu gleicher Zeit in Angriff genommen werden konnten. Dem materiellen Strafrecht gebührt der Vorrang, weil Inhalt und Umfang der Prozeßreform durch den Entwurf für ein neues Strafgesetzbuch bestimmt werden. Die Arbeiten an diesem Entwurf sind bereits weit fortgeschritten. Es wird Ihnen, meine Damen und Herren, bekannt sein, daß der Entwurf des Allgemeinen Teils eines Strafgesetzbuches nach den Beschlüssen der Großen Strafrechtskommission in erster Lesung im Dezember 1956 abgeschlossen und im April 1958 mit Begründung den Bundes- und Landesressorts übermittelt worden ist. Die Arbeiten der Kommission sollen so gefördert werden, daß der gesamte Entwurf eines Strafgesetzbuches in den nächsten Monaten fertiggestellt sein wird und dem Kabinett vorgelegt werden kann. Die Einzelheiten dieses Entwurfs werden unschwer die Auswirkungen auf die Gerichtsverfassung und das Verfahrensrecht erkennen lassen. Die veränderten Strafrahmen werden z. B. dazu zwingen, die Zuständigkeitsvorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes zu überprüfen. Weiter ist vorgesehen, das richterliche Ermessen im Vergleich zum geltenden Recht zu erweitern, zugleich aber dem Richter bindende Richtlinien für die Ausübung des Ermessens an die
Hand zu geben. Es wird zu prüfen sein, welche Auswirkungen sich daraus für das jetzt geltende Rechtsmittelsystem der Strafprozeßordung ergeben. Insbesondere wird man überlegen müssen, ob die Revision umzugestalten ist, etwa in der Form, daß das Revisionsgericht auch berufen sein soll, in gewissem Umfange Ermessensentscheidungen des Tatrichters nachzuprüfen.
Nun bin ich mir allerdings darüber im klaren, daß man mit der Verwirklichung aller dieser Aufgaben nicht bis zur völligen Neugestaltung unseres Strafverfahrensrechts im Rahmen der erwähnten Großen Prozeßreform wird warten können. Eine derartige Arbeit setzt umfangreiche wissenschaftliche Vorarbeiten voraus; sie kann nicht in ein oder zwei Jahren bewältigt werden. Daher müssen die nötigsten Maßnahmen bereits im Einführungsgesetz zu dem neuen Strafgesetzbuch getroffen werden. Die Arbeiten an dem Entwurf dieses Einführungsgesetzes werden schon in den nächsten Monaten eine der vordringlichsten Aufgaben der Strafrechtsabteilung meines Hauses sein. Bis dahin hoffen wir, wie ich bereits erwähnt habe, die Arbeiten des Ministeriums am Entwurf des materiellen Strafrechts abgeschlossen zu haben.
Zu den Reformproblemen, die meines Erachtens schon im Einführungsgesetz einer vordringlichen Lösung zugeführt werden können und die besonders der Beschleunigung des Verfahrens dienen, gehören z. B. folgende:
1. Die Beschränkung des Prozeßstoffes auf das Wesentliche. Nach § 154 Strafprozeßordnung können einzelne von mehreren selbständigen Taten, die Gegenstand der Anklage sind oder werden sollen, ausgeschieden werden, falls sie im Rahmen der Gesamtbeurteilung nur unwesentliche Bedeutung haben. Der Prüfung bedarf, ob die Befugnisse der Staatsanwaltschaft und des Gerichts darauf erstreckt werden sollen, unter denselben Voraussetzungen einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen derselben Tat oder einzelne abtrennbare Teile einer fortgesetzten oder einer Kollektivtat auszuscheiden.
2. Die Stellung des Verteidigers im Vorverfahren wird dahin zu verstärken sein, daß seine Zuziehung in diesem Verfahrensabschnitt und seine Befugnis zur Mitwirkung bei den Ermittlungen erweitert werden.
3. Die Abschaffung des Eröffnungsbeschlusses zu Beginn des Hauptverfahrens. Vorschläge in dieser Richtung enthalten bereits der Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen aus dem Jahre 1920 und der Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1930.
4. Die Abkürzung der Untersuchungshaft. Die lange Dauer von Strafverfahren ist insbesondere dort, wo der Beschuldigte in Untersuchungshaft sitzt, abträglich. Es wird nicht leicht sein, hier durch eine Änderung des Gesetzes Abhilfe zu schaffen. Wir werden uns aber darüber Gedanken machen müssen, zumal Art. 5 Abs. 3 der Konvention des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und
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Grundfreiheiten verlangt, daß jeder Festgenommene Anspruch auf Aburteilung innerhalb angemessener Frist hat, falls er nicht vorher wieder aus der Haft entlassen wird.
5. Die Beschränkung der Rechtsmittel und des Umfanges der Nachprüfung in Verfahren von geringerer Bedeutung. Wenn wir es mit der Beschleunigung, wie immer betont wird, ernst nehmen, müssen wir uns auch mit diesem Punkt auseinandersetzen, selbst wenn es Gegensätze der Meinungen geben sollte.
6. Die Beseitigung der Übertretungen durch das neue Strafgesetzbuch und ihre grundsätzliche Umwandlung in Ordnungswidrigkeiten wird zu einer wesentlichen Entlastung der Gerichte führen und sie von weniger bedeutsamer Arbeit freistellen.
Nachdem ich damit meine Auffassung zur Frage der Neugestaltung des Strafverfahrensrechts dargelegt habe, darf ich mich nunmehr dem Anliegen der Beschleunigung der Verfahren auf anderen Rechtsgebieten zuwenden.
Was die Zivilsachen anlangt, so treffen einige dieser Überlegungen zum Strafverfahren, insbesondere die Probleme der Sachverständigen und der Überlastung der Gerichte, auch für die Zivilverfahren zu. Bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs ist die Geschäftslage nicht so günstig wie bei den Strafsenaten, aber nach der Errichtung des VII. und VIII. Senats doch deutlich auf dem Wege der Besserung. Während im Jahre 1955 1635 Revisionen neu eingingen und nur 1513 Revisionen erledigt werden konnten, lauten die gleichen Ziffern für das Jahr 1956 1599 Eingänge und 1669 Erledigungen und für Jahr 1957 1717 Eingänge und 1793 Erledigungen. Während im Jahre 1956 das Revisionsverfahren vom Tage des Eingangs der Revisionsbegründungsschrift bis zum Tage der Urteilsverkündung nur in 44 % aller Fälle weniger als 12 Monate dauerte, waren es 1957 schon 52,7 % der Revisionen, bei denen das. Verfahren vor dem Bundesgerichtshof in einem Zeitraum von höchstens einem Jahr erledigt werden konnte.
Bei dem früheren Reichsgericht hatte man allerdings angestrebt, daß auch Revisionen in Zivilsachen grundsätzlich in einer Zeit von sechs, höchstens neun Monaten erledigt werden sollten. Von diesem Ziel sind wir beim Bundesgerichtshof noch weit entfernt. Man muß aber hinzufügen, daß auch beim Reichsgericht ständig das Gespenst der zu langen Verfahrensdauer und der Überlastung des höchsten Gerichts in Zivilsachen umging. Es ist ferner zu fragen, ob ein oberes Bundesgericht seinen Aufgaben noch gerecht werden kann, wenn es aus einer zu großen Zahl von Senaten besteht. Mit anderen Worten: Sowohl wegen der Dauer der Revisionsverfahren in Zivilsachen als auch wegen der großen Zahl jährlicher Revisionen überhaupt wird geprüft werden müssen, inwieweit das Rechtsmittel der Revision in seiner jetzigen Form geändert werden kann. Die Diskussion hierüber ist in der juristischen Öffentlichkeit schon seit mehreren Jahren im Gange. Man sollte die Dinge heranreifen lassen. Die derzeitige Geschäftslage beim Bundesgerichtshof zwingt auch in Zivilsachen nicht zu übereilten Entschlüssen. Man muß sich auch darüber klar sein, daß die Frage der Umgestaltung der Revision nicht ohne weiteres zu trennen ist von der Frage nach dem Rechtsmittelwesen in der Zivilgerichtsbarkeit überhaupt und daß das Problem, den Zivilprozeß nach Möglichkeit noch weiter zu beschleunigen, sämtliche Instanzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit, also das Amtsgericht, das Landgericht, das Oberlandesgericht und den Bundesgerichtshof, berührt.
Das Bundesjustizministerium hat deshalb eine Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit berufen. Die Kommission ist von meinem Hause völlig unabhängig. Sie wird bei ihren Beratungen insbesondere prüfen, welche Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens und auf dem Gebiete des Rechtsmittelwesens getroffen werden sollten. Ihrem Votum wird wesentliche Bedeutung zukommen. Ich hoffe, daß die Kommission ihre Arbeiten in absehbarer Zeit abschließen wird, so daß dann auf Grund der Ergebnisse erwogen werden kann, welche gesetzgeberischen Maßnahmen eingeleitet werden sollten. Es ist jedoch zu bedenken, daß die Umgestaltung der Revision wohl nicht auf das Zivilverfahren beschränkt werden kann. Die Frage, wie der Zugang zu dem Revisionsgericht künftig zu gestalten ist, tritt in gleicher oder ähnlicher Weise bei den arbeits-, verwaltungs-, finanzund sozialgerichtlichen Verfahren auf. Für die Frage der Belastung der oberen Bundesgerichte ist diese Frage von maßgeblicher Bedeutung. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Geschäftslage beim Bundesarbeitsgericht der beim Bundesgerichtshof ähnlich ist, daß aber die Lage bei dem Bundesverwaltungsgericht, dem Bundesfinanzhof und dem Bundessozialgericht als erheblich ungünstiger angesehen werden muß.
Damit komme ich zu den Gerichtszweigen, die nicht zum Geschäftsbereich des Bundesjustizministeriums gehören, und darf im Einvernehmen mit den für sie federführenden Bundesministern folgendes ausführen.
Bei den Verwaltungsgerichten ist die Geschäftslage - sowohl bei den Gerichten der Länder als auch beim Bundesverwaltungsgericht - weiterhin sehr angespannt. Die lange Prozeßdauer ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß aus den Vorjahren erhebliche Rückstände geblieben sind. Bei den Gerichten des ersten und des zweiten Rechtszuges halten sich, wenn man den Bundesdurchschnitt nimmt, die Zahl der eingehenden und erledigten Rechtssachen etwa die Waage. Beim Bundesverwaltungsgericht war dies noch nicht zu erreichen, auch besteht dort noch ein gewisser Überhang aus den Vorjahren. Es ist zu hoffen, daß der im Haushaltsplan 1958 bewilligte VIII. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hier Abhilfe schafft.
Abgesehen davon ist der Entwurf der Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung, in der er jetzt den Ausschüssen des Bundestages zur Beratung vorliegt, zusammen mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Beschränkung der Berufung um eine Entlastung aller drei Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit bemüht. Auch hier sind dem Bemühen Grenzen gesetzt, da der Rechtsschutz, den die Ver3062
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fahrensgesetze gewährleisten sollen, nicht unangemessen beeinträchtigt werden darf. Sobald die erwähnten Gesetzesentwürfe verabschiedet sind, kann erwartet werden, daß die Rückstände bei den Verwaltungsgerichten aufgearbeitet werden können, so daß auch dadurch die Prozeßdauer im allgemeinen herabgesetzt wird.
Im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit ist die Lage günstiger. Hier gibt es lediglich eine Tatsacheninstanz. Dies wird durch die Besonderheit des Steuerrechts ermöglicht und führt zu einer Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens überhaupt. Wegen der starken Belastung des Bundesfinanzhofs ist die Zahl der dort tätigen Richter im Laufe der letzten Jahre mehrfach vermehrt worden. Auch sind zusätzliche Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter geschaffen worden. Im übrigen wird der Bundesfinanzminister die zuständigen Minister oder Senatoren der Länder um Prüfung bitten, ob eine Vermehrung der Richterstellen bei den Finanzgerichten erforderlich erscheint.
Was nun die Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen anbetrifft, so sind hier, abgesehen von den bekannten Schwierigkeiten beim Bundesarbeitsgericht, bisher Vorstellungen wegen einer unangemessenen Dauer der Verfahren noch nicht erhoben worden. Das Arbeitsgerichtsgesetz ist in besonderem Maße zum der Bechleunigung des Verfahrens 'in allen Rechtszügen bedacht gewesen. Es hat nicht nur in seinem § 9 den allgemeinen Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung festgelegt, sondern auch bei einer Reihe von verfahrensrechtlichen Einrichtungen der Gefahr einer Verzögerung der Prozesse vorgebeugt, so z. B. bei der Bernes-sung gewisser Fristen und der Nichtanwendung der für die ordentliche Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften über die Gerichtsferien.
Sollten dennoch gelegentlich übermäßig lang andauernde Arbeitsgerichtsverfahren vorkommen, so dürfte der Grund hierfür nicht in der geltenden gesetzlichen Regelung liegen, sondern darin zu suchen sein, daß von den im Arbeitsgerichtsgesetz gegebenen Möglichkeiten, das Verfahren zu beschleunigen, in der Praxis nicht immer hinreichend Gebrauch gemacht wird.
In der Sozialgerichtsbarkeit, zu der ich schließlich Stellung nehmen darf, bestand in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes am 1. Januar 1954 Anlaß zur Besorgnis. Die Gerichte hatten erhebliche Rückstände übernehmen müssen und waren überlastet. Den Gerichten erster Instanz, den Sozialgerichten, ist es in den vergangenen Jahren allmählich gelungen, der sehr großen Zahl von Verfahren im wesentlichen Herr zu werden. Die auch heute noch äußerst angespannte Geschäftslage bei den höheren Instanzen, den Landessozialgerichten und dem Bundessozialgericht, hat dazu geführt, im Zweiten Änderungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz das Verfahren vor diesen Gerichten zu erleichtern und gewisse Änderungen bei den Vorschriften über die Zulässigkeit der Rechtsmittel vorzunehmen. Das Änderungsgesetz ist erst am 1. Juli 1958 in Kraft getreten. In welchem Umfange es sich auf die Lage bei den Rechtsmittelgerichten
auswirkt, ist noch nicht zu übersahen. Es ist aber zu erwarten, daß in der im Gesetz vorgesehenen Übergangszeit bis Ende 1960 die Landessozialgerichte und das Bundessozialgericht die Rückstände so weit aufgearbeitet haben werden, daß die Berufungen und Revisionen dann in angemessener Zeit erledigt werden können.
In unserer Gerichtsbarkeit stehen heute eine Reihe von Gerichtsverfassungs- und Verfahrensgesetzen nebeneinander. Aufbau und Verfahren der gesamten Gerichtsbarkeit müssen ,aber für den Staatsbürger überschaubar sein. Auch das ist ein Erfordernis des Rechtsstaats und trägt zur Vermeidung unnötiger Prozesse und zur Beschleunigung des gesamten Rechtsgangs wesentlich bei. Die Bundesregierung wird sich deshalb entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 29. November 1956 auch weiterhin um eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung des Verfahrensrechts bemühen und den Fragen einer einheitlichen Prozeßordnung nachgehen.
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Ich darf dann auf die Frage 5 eingehen. Sie lautet: Sind gerichtliche Verfahren dadurch verzögert oder beeinflußt worden, daß die Bundesregierung keine oder keine vollständigen oder erst verspätete Genehmigungen zur Aussage für verschwiegenheitsverpflichtete Zeugen erteilte?
In Form einer Frage wird hier die seit Jahren aufgestellte und von der Bundesregierung zurückgewiesene Behauptung wiederholt, die Rechtspflege sei von der Bundesregierung in bestimmten Fällen durch Verweigerung oder Verzögerung von Aussagegenehmigungen behindert worden. Soweit diese Fälle Gegenstand parlamentarischer Anfragen waren, darf ich auf die jeweils erteilten Antworten verweisen.
Zur Klarstellung muß ich zunächst folgendes bemerken. Die Bundesregierung als Kabinett entscheidet über Aussagegenehmigungen nur dann, wenn es sich um Kabinettsmitglieder handelt. Bei anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes des Bundes entscheidet der Dienstvorgesetzte, und das ist bei Angehörigen der Bundesministerien der zuständige Bundesminister, der bekanntlich nach dem Grundgesetz seinen Geschäftsbereich - wenn auch innerhalb der Richtlinien der Politik - selbständig und unter eigener Verantwortung leitet. Das Bundesjustizministerium kann daher allenfalls gutachtlich Stellung nehmen, wenn es im Einzelfall von der zur Entscheidung berufenen Stelle darum gebeten wird.
Die Frage, ob die Rechtspflege durch die Verweigerung oder Verzögerung von Aussagegenehmigungen behindert worden sei, könnte den Vorwurf enthalten, die Bundesregierung oder einzelne Ministerien hätten Anträge auf Erteilung von Aussagegenehmigungen nicht pflichtgemäß geprüft. Ich muß einen solchen Vorwurf entschieden zurückweisen. Der Dienstvorgesetzte hat grundsätzlich die Pflicht, dafür zu sorgen, daß alle dienstlichen Angelegenheiten geheimgehalten werden, soweit es sich bei ihnen nicht um offenkundige oder ihrer Bedeutung nach nicht geheimhaltungsbedürftige Tatsachen hanBundesjustizminister Schäffer
delt. Deshalb wird auch in den Absätzen 1 und 2 des § 61 des Bundesbeamtengesetzes bestimmt:
„Der Beamte hat, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, über die ihm bei seiner amtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt nicht für Mitteilungen im dienstlichen Verkehr oder über Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen.
Der Beamte darf ohne Genehmigung über solche Angelegenheiten weder vor Gericht noch außergerichtlich aussagen oder Erklärungen abgeben. Die Genehmigung erteilt der Dienstvorgesetzte oder, wenn das Beamtenverhältnis beendet ist, der letzte Dienstvorgesetzte."
Diese Regelung steht im Gegensatz zu dem bis 31. August 1953 geltenden Recht. § 8 des Deutschen Beamtengesetzes sah nämlich eine Verschwiegenheitspflicht lediglich für diejenigen Angelegenheiten vor, die auf Grund Gesetzes oder dienstlicher Anordnung oder ihrer Natur nach geheimzuhalten waren. Nach dem Bundesbeamtengesetz ist dagegen die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit zur Regel geworden. Sollten heute im Verlauf der Debatte einzelne Fälle zur Sprache kommen, würde ich bitten, an diese gesetzlichen Vorschriften und Verpflichtungen zu denken.
Die Voraussetzungen, nach denen der Dienstvorgesetzte über einen Antrag auf Erteilung einer Aussagegenehmigung zu entscheiden hat, ergeben sich aus § 62 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes:
Die Genehmigung, als Zeuge auszusagen, soll nur versagt werden, wenn die Aussage dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde.
Das Beamtenrechtsrahmengesetz vom 1. Juli 1957 hat das Wort „soll" in diesem Paragraphen durch „darf" ersetzt. Nachteile für das Wohl des Bundes odes eines Landes sind zum Beispiel insbesondere zu besorgen, wenn eine Schädigung oder Gefährdung der guten Beziehungen zum Ausland oder des geordneten Verwaltungsbetriebs in Frage kommt. Regelmäßig wäre die Erfüllung öffentlicher Aufgaben erheblich erschwert, ja sogar ernstlich gefährdet, wenn etwa Personalsachen, deren Behandlung meist mit einer Würdigung von Charaktereigenschaften und persönlichen Fähigkeiten verbunden ist, vor der Öffentlichkeit ausgebreitet würden.
Selbstverständlich verlangt die Entscheidung, ob die Aussagegenehmigung erteilt werden darf, eine besonders sorgfältige Prüfung der entgegenstehenden Interessen und der Besonderheiten des Einzelfalles. Es ist unvermeidlich, daß die oft schwierige Frage, ob und in welchem Umfange eine Aussagegenehmigung erteilt werden soll, bisweilen längere Zeit in Anspruch genommen hat, als wünschenswert ist. Das gilt besonders für die Zeit des Aufbaus der Bundesrepublik, läßt aber bei Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse einen wirklichen Vorwurf nicht als berechtigt erscheinen.
Es wird sich nie ausschließen lassen, daß in dem einen oder anderen Fall mit allzu großer Vorsicht geprüft wird, ob eine Angelegenheit unbedingt vertraulich behandelt werden muß.
In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, daß Schwierigkeiten vor allem auch dann entstehen können, wenn der Gegenstand der Vernehmung in einem Antrag auf Erteilung der Aussagegenehmigung nicht genügend konkretisiert ist. Bei Einholung der Entscheidung des Dienstvorgesetzten genügt nämlich nicht die allgemeine Bezeichnung der Angelegenheit, sondern es muß der tatsächliche Vorgang oder die Frage angegeben werden, über die der Beamte aussagen soll. Dabei besteht natürlich die Gefahr, daß diese Angaben schon deshalb nicht genau genug sind, weil das Gericht oder die vernehmende Behörde die in Betracht kommenden Tatsachen irrtümlich nicht als geheimhaltungsbedürftig ansieht. So hat es zum Beispiel eine Staatsanwaltschaft einmal - wenn auch nur beiläufig - als fraglich bezeichnet, ob eine Aussagegenehmigung überhaupt erforderlich war, weil es sich um Angelegenheiten handelte, die in den ihr vorliegenden Akten der Behörde „nicht ausdrücklich als besonders geheimhaltungsbedürftig gekennzeichnet" waren. Eine solche Rechtsauffassung verkennt selbstverständlich, daß die Verschwiegenheitspflicht die Regel bildet. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß vor der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung einer Aussagegenehmigung bisweilen zeitraubende Rückfragen und Verhandlungen erforderlich sind.
Schwierigkeiten solcher Art, zu denen vielleicht auch die Änderung des materiellen Umfangs der Verschwiegenheitspflicht im Jahre 1953 beigetragen hat, gehören aber seit Jahren der Vergangenheit an. So hat auch die Staatsanwaltschaft Bonn bestätigt, und zwar in einem Schreiben vom März 1957, wie dem Hohen Hause bereits in der Drucksache 3524 der vergangenen Wahlperiode mitgeteilt worden ist, daß fehlende Aussagegenehmigungen ab Anfang 1 956 keine Hinderungsgründe für die Durchführung schwebender Verfahren mehr ergeben haben. Schon in Anbetracht der inzwischen vergangenen Zeit erweisen sich somit die ständig wiederholten Vorwürfe als unberechtigt.
Ich darf nun eingehen auf die Frage 6, ob sich die Bundesregierung der Gefahr für die Meinungsund Pressefreiheit bewußt ist, wenn gerichtliche Verfahren nicht gegen die Beschuldigten, sondern gegen Journalisten eingeleitet werden, von denen die Beschuldigungen zur Sprache gebracht wurden. Die Bundesregierung muß mit allem Nachdruck erklären, daß staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Verfahren nur gegen Personen eingeleitet werden können, die einer strafbaren Handlung verdächtig sind. Der Bundesregierung ist kein Fall bekannt, in dem gegen diesen selbstverständlichen und gesetzlich verankerten Grundsatz verstoßen worden wäre.
Dies gilt - entgegen anderslautenden Darstellungen in der Presse - auch für die in Ziffer 6 der Großen Anfrage offenbar gemeinten zwei Ermittlungsverfahren, die der Generalbundesanwalt
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beim Bundesgerichtshof im Anschluß an Veröffentlichungen in einem Nachrichtenmagazin gegen einen Journalisten eingeleitet hat. Dazu darf ich im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern folgendes bemerken:
1. Im Februar 1958 hat ein Nachrichtenmagazin über einen Besuch von Angehörigen des Bundesamtes für Verfassungsschutz in einer Kölner Bar berichtet. In diesem Artikel sind zwei Bedienstete des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit ihrem Namen und mit ihren dienstlichen Funktionen im Rahmen der Beschaffung kommunistischen Informationsmaterials bzw. als V-Mann-Führerin bezeichnet worden. Ich darf schon an dieser Stelle einflechten, daß die Namen und der Tätigkeitsbereich der Bediensteten der operativen Abteilung eines Amtes für Verfassungsschutz oder eines sonstigen Nachrichtendienstes, also auch die dienstliche Funktion als V-Mann-Führer, nach ständiger Rechtsprechung ein „Staatsgeheimnis" im Sinne der Strafvorschriften über den Landesverrat darstellen können, dessen Preisgabe an ;einen Unbefugten oder dessen öffentliche Bekanntmachung das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann, wie es der Tatbestand des Landesverrats gemäß § 99 des Strafgesetzbuchs voraussetzt.
Es ist wesentlich, hier festzustellen, daß die Namen und die dienstlichen Funktionen der beiden Angehörigen des Bundesamts für Verfassungsschutz in dem erwähnten Artikel nicht etwa als Gegenstand des dort angedeuteten Gesprächs der Barbesucher, sondern einleitend bei der Schilderung des Teilnehmerkreises aufgeführt sind. Entgegen anderslautenden Darstellungen in der Presse hat daher von Anfang an kein ernstlicher Verdacht bestanden, daß die in dem Artikel benannten dienstlichen Funktionen der beiden Amtsangehörigen bei jenem Gespräch in der Bar preisgegeben worden seien. Es bestand vielmehr der Verdacht, daß diese Angaben auf eine andere Informationsquelle zurückgehen müßten. Dieser Verdacht verstärkte sich, als der Bundesminister des Innern disziplinäre Erhebungen anstellte, um das in dem Artikel behauptete ungebührliche Verhalten einiger Teilnehmer und die in sachkundigen amtlichen Kreisen vermutete Informationsquelle aufzuklären. Hierbei bekundete nämlich ein eidlich vernommener Zeuge, er habe von einem Journalisten erfahren, daß ein dem Namen nach unbekannter Angehöriger des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegen Entgelt Informationen an das Nachrichtenmagazin geliefert habe. Der von diesem Zeugen als Gewährsmann angegebene Journalist gab zu, die von dem Zeugen bekundete Äußerung getan zu haben, behauptete jedoch, dabei die Unwahrheit gesagt zu haben. Gleichwohl bestand der ernstliche Verdacht, daß sich ein noch unbekannter Bediensteter des Bundesamtes für Verfassungsschutz der schweren passiven Bestechung und des Landesverrats schuldig gemacht habe. Der so entstandene Verdacht, daß die dem erwähnten Artikel zugrunde liegenden Informationen über die dienstliche Funktion zweier Angehöriger des Bundesamts für Verfassungsschutz durch Bestechung eines Amtsangehörigen beschafft worden seien, legte zugleich die Annahme nahe, daß die für die Publikation verantwortlichen Personen auch gewußt haben, daß es sich um geheimgehaltene und geheimhaltungsbedürftige Tatsachen handelte.
Bei dieser Sachlage mußte die weitere Klärung der zuständigen Strafverfolgungsbehörde überlassen werden. Der Bundesminister des Innern hat deshalb auf Grund gemeinsamer Besprechungen zwischen Beamten der Bundesministerien des Innern und der Justiz den durch die disziplinären Erhebungen näher bekanntgewordenen Sachverhalt dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof unterbreitet, ohne dabei Beschuldigungen gegen bestimmte Personen zu erheben. Der Generalbundesanwalt hat daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen der Preisgabe der Namen und dienstlichen Funktionen von Angehörigen des Bundesamts für Verfassungsschutz eingeleitet; der übrige Inhalt des erwähnten Artikels, also insbesondere die Darstellung der Begebenheiten in der Bar, ist - entgegen anders lautenden Pressemeldungen - niemals Gegenstand dieses Verfahrens gewesen. Es trifft auch nicht zu, daß sich das Verfahren nur gegen den für das Nachrichtenmagazin tätig gewesenen Journalisten richte. Der Generalbundesanwalt hat vielmehr von Anfang an den im öffentlichen Dienst vermuteten, gleichfalls des Landesverrats verdächtigen Informanten festzustellen versucht und zu diesem Zweck eingehende richterliche Vernehmungen von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes veranlaßt. Das Verfahren richtet sich also ohne Unterschied der Person gegen jeden im Laufe der Ermittlungen des Landesverrats Verdächtigen.
Das zweite, hier offenbar gemeinte Verfahren geht auf einen im März 1958 in demselben Nachrichtenmagazin veröffentlichten weiteren Artikel zurück. In diesem Artikel ist näher geschildert, zwei bei Verfassungsschutzämtern tätige Beamte hätten versucht, mit Hilfe eines Kriminalkommissars ein Ehepaar unter Umgehung eines förmlichen Ausweisungsverfahrens durch Gewalt oder List über die Zonengrenze der sowjetzonalen Volkspolizei zu überstellen. Dabei war der operative nachrichtendienstliche Tätigkeitsbereich eines dieser Beamten eingehend dargestellt.
Diese Ausführungen begründeten in mehrfacher Hinsicht den Verdacht strafbarer Handlungen. Zunächst machten sie eine Prüfung der Frage notwendig, ob sich die beiden Beamten strafbarer Handlungen - etwa einer versuchten Verschleppung des Ehepaares - schuldig gemacht haben. Sodann nötigten die Ausführungen über den nachrichtendienstlichen Tätigkeitsbereich eines dieser Beamten zu einer Prüfung der Frage, ob sich die für die Veröffentlichung verantwortlichen Personen des Landesverrats schuldig gemacht haben, da, wie ich bereits ausgeführt habe, die Namen und die operative Tätigkeit von Bediensteten eines Nachrichtendienstes „Staatsgeheimnisse" im Sinne der Strafvorschriften über den Landesverrat sein können.
Für die Verfolgung beider Straftaten war der Generalbundesanwalt zuständig, und zwar auch für den Verdacht einer versuchten Verschleppung, da
Deutscher Bundestau - 3. Wahlperiode Bundesjustizminister Schäffer
der Generalbundesanwalt insoweit die Verfolgung nicht nur auf Anregung einer Landesstaatsanwaltschaft, sondern auch auf Grund selbständiger Entschließung übernehmen kann. Wie mir der Generalbundesanwalt berichtet, hat er seine von Amts wegen eingeleiteten Ermittlungen daher nicht auf eine Klärung des Verdachts beschränkt, ob sich die für den erwähnten Artikel verantwortlichen Personen des Landesverrats schuldig gemacht haben; er hat seine Ermittlungen vielmehr von Anfang an auch auf eine Klärung der gegen die beiden Beamten erhobenen Vorwürfe gerichtet. Es trifft daher auch in diesem Falle nicht zu, daß das Verfahren nur gegen einen Journalisten betrieben werde; es richtet sich vielmehr auch gegen die genannten Beamten.
Damit komme ich zur Frage 7:
Gibt es geheime Anklagen? Auf welcher Rechtsgrundlage? Und gibt es eine geheime Rechtsprechung zum Begriff des Staatsgeheimnisses?
Die Frage, ob es geheime Anklagen gebe, muß in dieser allgemeinen Form verneint werden. Daß die Staatsanwaltschaft eine bestimmte Person wegen einer bestimmten strafbaren Handlung anklagt, ist niemals geheim. Es kommt aber manchmal vor, daß die Staatsanwaltschaft in einer Anklageschrift ein Staatsgeheimnis behandelt, das vor der Kenntnis einer fremden Regierung und deshalb auch vor der Kenntnis Unbefugter geschützt werden muß, um die Gefahr nachteiliger Maßnahmen einer fremden Regierung gegen das Wohl der Bundesrepublik oder eines ihrer Länder zu verhindern. Die Rechtspflicht, Staatsgeheimnisse nicht an Unbefugte gelangen zu lassen, ergibt sich aus den Strafbestimmungen über Landesverrat. Diese Pflicht gilt auch im Strafverfahren. Sie ist daher auch in Nr. 201 der „Richtlinien für das Strafverfahren" berücksichtigt, die am 1. August 1953 die Landesjustizverwaltungen im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz beschlossen haben. Diese Richtlinien sehen nämlich vor, daß die Bestimmungen über die Behandlung von Verschlußsachen von den Justizbehörden zu beachten sind. Die Staatsanwaltschaft muß also eine Anklageschrift, die ein Staatsgeheimnis enthält, als geheim oder VS-Vertraulich kennzeichnen. Eine solche formelle Sekretur hat in erster Linie Bedeutung für die Behandlung des Schriftstücks im inneren Betrieb der Behörden.
Wird die Anklageschrift dem Angeschuldigten mitgeteilt, was der Vorsitzende des Gerichts zu verfügen hat, so gelangt sie aus dem behördlichen Betrieb heraus. Die Rechtspflicht, das Staatsgeheimnis nicht an Unbefugte gelangen zu lassen, besteht auch für den Angeklagten, seinen Verteidiger und dessen Büropersonal. Das gilt sogar für den Fall, daß diese nicht besonders auf die Geheimhaltungspflicht hingewiesen werden. Es liegt daher zweifellos im Interesse dieser Personen, daß bei der Mitteilung der Anklageschrift auf diese Geheimhaltungspflicht in geeigneter Form aufmerksam gemacht wird. Ein solcher - ich möchte sagen deklaratorischer - Hinweis kann schon in dem Geheimstempel oder in einem entsprechenden Vermerk liegen. Er kann aber auch in die Form einer ausdrücklichen Aufforderung zur Geheimhaltung gekleidet werden. Nur am Rande möchte ich bemerken, daß ich es für zweckmäßig halte, wenn der Hinweis erkennen läßt, welche Teile der Anklageschrift nach Auffassung des Vorsitzenden geheimhaltungsbedürftig sind und welche Strafbestimmungen bei Verletzung dieser Pflicht in Betracht kommen. Läßt der Angeklagte oder sonst jemand das in der Anklageschrift enthaltene und durch Hinweis als Staatsgeheimnis deklarierte Geheimnis an einen Unbefugten gelangen, so ist das Gericht, das sich mit dieser Tat zu befassen hat, natürlich frei in der Beurteilung der Frage, ob es sich wirklich um ein Staatsgeheimnis gehandelt hat.
Wieweit es zulässig ist, daß der Gerichtsvorsitzende bei der Zustellung der Anklageschrift auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit hinweist, wenn in der Anklageschrift Tatsachen behandelt werden, die nicht den Rang von Staatsgeheimnissen haben, aber doch „wegen Gefährdung der Staatssicherheit" - ein Ausdruck des Gerichtsverfassungsgesetzes - geheimgehalten werden sollen, ist eine umstrittene Frage. Es wird die Ansicht vertreten, auch in diesem Fall sei ein Hinweis auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit zulässig, weil auch die Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung „wegen Gefährdung der Staatssicherheit" ausgeschlossen und die an der nichtöffentlichen Verhandlung teilnehmenden Personen nach dem Gesetz zur Verschwiegenheit verpflichtet werden können. Das Problem liegt hier in der Hauptsache in der Frage, ob ein Verstoß gegen den Geheimhaltungshinweis, der mit der Zustellung der Anklageschrift gegeben wird, die Gefahr der Strafverfolgung nach sich zieht. Wenn man § 353c des Strafgesetzbuchs außer acht läßt, entsteht diese Gefahr nur bei Verletzung eines in der Hauptverhandlung beim Ausschluß der Öffentlichkeit verhängten Schweigegebots. Zu einem anderen Ergebnis könnte jedoch § 353c StGB führen. Die politischen Bedenken gegen diese Strafbestimmung sind bereits Gegenstand einer Debatte dieses Hauses am 24. Januar 1952 gewesen. Wegen dieser Bedenken, die bei der Strafrechtsreform berücksichtigt werden müssen, haben sich bereits meine Amtsvorgänger, wie dem Hohen Hause bekannt ist, dazu entschlossen, soweit vertretbar, die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 353c StGB nicht zu erteilen. Der Bundesminister der Justiz ist seit Bestehen der Bundesrepublik überhaupt noch nie vor die Frage gestellt worden, ob er die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen Verletzung eines im Strafverfahren gegebenen Schweigehinweises erteile.
Es liegt mir daran, noch auf eines hinzuweisen: Wenn der Angeklagte bei der Zustellung einer Anklageschrift auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Tatsachen hingewiesen wird, die ein Staatsgeheimnis darstellen, so liegt darin grundsätzlich keine Beschränkung seiner Verteidigung. Daß sich der Angeschuldigte mit seinem Verteidiger frei aussprechen kann, braucht kaum erwähnt zu werden. Bespricht er sich mit dritten Personen, bei denen die Gefahr eines Verrats nicht auszuschließen ist, so muß er darauf bedacht sein, daß er ihnen keine geheimen Tatsachen mitteilt, von denen sie bisher keine Kenntnis haben. Der Angeschuldigte darf ohne weiteres die als Entlastungszeugen in Betracht
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kommenden Personen danach fragen, was sie über den ihm gemachten Vorwurf wissen. Er ist insbesondere in keiner Weise in seinem Recht beschränkt, von den Gerichten die Erhebung bestimmter Beweise zu fordern. Das Gericht darf keine Beweiserhebung ablehnen oder unterlassen, die zur Aufklärung der Schuldfrage notwendig ist. Dazu kommt, daß immer, wenn Zweifel in der Schuldfrage bleiben, zugunsten des Angeklagten entschieden werden muß.
Ich wende mich nun dem zweiten Teil der Frage 7 zu. Auf die Frage, ob es eine geheime Rechtsprechung zum Begriff des Staatsgeheimnisses gebe, ist ohne weiteres mit nein zu antworten. Wenn in den Gründen eines Urteils ein Staatsgeheimnis behandelt wird, so wird durch entsprechenden Vermerk auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit hingewiesen. Dies entspricht der Praxis und der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes und der Oberlandesgerichte. Ein solcher Hinweis bezieht sich selbstverständlich nicht auf den Urteilsspruch als solchen, sondern nur auf die Teile der Urteilsgründe, die den Kern des Staatsgeheimnisses selbst berühren. Er bezieht sich aber keinesfalls auf die Rechtsausführungen des Gerichts zum Begriff des Staatsgeheimnisses. Diese Rechtsausführungen können daher ohne weiteres veröffentlicht werden.
Die Rechtsprechung zum Begriff des Staatsgeheimnisses wird zum Teil - ebenso wie die Rechtsprechung auf anderen Gebieten - in amtlichen Entscheidungssammlungen und in Fachzeitschriften veröffentlicht. Ich bin mir klar darüber, daß auch die Öffentlichkeit von dieser Rechtsprechung - ebenso wie von der Rechtsprechung auf anderen Gebieten - erfahren muß. Hier sehe ich eine Aufgabe der Presse. Diese ist zur Unterrichtung der Öffentlichkeit auch ohne weiteres in der Lage. Denn Gerichtsurteile werden nach dem Gesetz in jedem Fall öffentlich verkündet. Dabei werden stets die Rechtsausführungen zum Begriff des Staatsgeheimnisses vor der Öffentlichkeit wiedergegeben.
Nun, meine Damen und Herren, zur Frage 8:
Hat die Bundesregierung „Schwarze Listen" über Rechtsanwälte, die zu den gegen sie erhobenen Beschuldigungen nicht gehört wurden, aufgestellt und an Landesbehörden versandt?
Zu der sogenannten Schwarzen Liste über Rechtsanwälte, mit der sich die Frage 8 befaßt, hat bereits der Bundesminister der Finanzen auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Stammberger in der 27. Sitzung des Deutschen Bundestages am 7. Mai 1958 Stellung genommen; vergleichen Sie bitte dazu die Drucksache 356 und die stenographischen Protokolle Seite 1525.
Entschädigungsbehörden und deutsche Auslandsvertretungen haben dem Bundesminister der Finanzen Beschwerden über Rechtsanwälte und sonstige Rechtsvertreter vorgelegt, die in Entschädigungssachen angeblich Erfolgshonorare vereinbart haben. Der Bundesminister der Finanzen hat die Unterlagen, die hierzu von den Landesentschädigungsbehörden und dem Auswärtigen Amt übersandt worden waren, an die zuständigen obersten Entschädigungsbehörden der Länder weitergeleitet. Von Schwarzen Listen kann also keine Rede sein.
Der Bundesfinanzminister hat das gesamte Material auch mir zugeleitet. Ich habe die Namen der im Bundesgebiet ansässigen Rechtsanwälte, die nach den Unterlagen Erfolgshonorare vereinbart haben sollen, den Landesjustizverwaltungen mitgeteilt. Diese haben die Prüfung der erhobenen Vorwürfe im Benehmen mit den Rechtsanwaltskammern veranlaßt. Auf diese Weise haben die Rechtsanwälte Gelegenheit erhalten, in den gesetzlich hierfür vorgeschriebenen Verfahren Stellung zu nehmen.
Es kommt nunmehr die Frage 9, auf die in der Begründung nicht eingegangen ist, auf die ich aber hier antworten muß, weil ja die Frage als solche an die Bundesregierung gerichtet ist. Es handelt sich um die Frage:
Auf welche gesetzlichen Vorschriften gründet sich das Verfahren bei der Anmeldung solcher Patente, die für geheim erklärt werden sollen? Wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen, um dieses Verfahren auf eine rechtsstaatliche Grundlage zu stellen und dem enteigneten Anmelder eine angemessene Entschädigung zu gewähren?
Die Formulierung der Anfrage, insbesondere des Satzes 2, unterstellt, daß das gegenwärtige Verfahren bei der Anmeldung von Geheimpatenten einer rechtsstaatlichen Grundlage entbehrt und eine entschädigungslose Enteignung des Erfinders beinhaltet. Diese Unterstellung muß ich zurückweisen. Wie im folgenden ,ausgeführt werden wird, entspricht das Verfahren rechtsstaatlichen Grundsätzen und führt zu keiner Enteignung des Erfinders.
Auf welche gesetzlichen Vorschriften gründet sich das Verfahren bei der Anmeldung solcher Patente, die für geheim erklärt werden sollen?
Rechtsgrundlage für das Verfahren bei der Erteilung von Geheimpatenten auf Anmeldungen, die vom Bund eingereicht oder im Laufe des Verfahrens auf ihn übertragen worden sind, sind die §§ 99 ff. des Strafgesetzbuches und § 30 a des Patentgesetzes. Nach den §§ 99 ff. des Strafgesetzbuches dürfen Staatsgeheimnisse Unbefugten nicht preisgegeben und nicht öffentlich bekanntgemacht werden. Auch Erfindungen können Staatsgeheimnisse sein. § 30 a des Patentgesetzes sieht deshalb in den Fällen, in denen der Bund die Stellung des Anmelders hat, vor, daß Anmeldungen auf solche Erfindungen und das darauf zu erteilende Patent - entgegen dem normalen Verfahren - nicht bekanntgegeben werden.
Ist der Anmelder der Erfindung, die ein Staatsgeheimnis enthält, nicht der Bund, sondern eine Privatperson, so sind die Rechtsgrundlage für das Verfahren des Deutschen Patentamts ebenfalls die §§ 99 ff. des Strafgesetzbuches. Das Patentgesetz enthält für solche Anmeldungen keine besonderen Vorschriften. Insbesondere sieht es die Erteilung von Geheimpatenten an Private nicht vor. Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß auch auf geheimhaltungsbedürftige Anmeldungen nach den VorschrifBundesjustizminister Schäffer
ten des Patentgesetzes ,ein offenes Patent erteilt, d. h. die Patenterteilung bekanntgemacht und eine Patentschrift ausgegeben werden müßte oder auch nur dürfte. Das folgt schon daraus, daß durch eine solche Handlung die Beamten des Patentamts möglicherweise den objektiven Tatbestand .eines Landesverrats nach §§ 99 ff. des Strafgesetzbuches erfüllen würden. Die Landesverratsvorschriften bilden - ebenso wie bei der Gesetzeslage vor 1933 - eine Schranke für das im Patentgesetz vorgesehene Bekanntmachungsverfahren. Daß die Novelle des Jahres 1953 zum Patentgesetz die vom Deutschen Bundestag kurz vorher beschlossenen Landesverratsvorschriften nicht hat zurückdrängen wollen, ergibt sich schon daraus, daß der Gesetzgeber bei dieser Gelegenheit den § 30 a über die Geheimpatente des Bundes in das Patentgesetz eingefügt hat. Eine geheimhaltungsbedürftige Anmeldung darf daher nicht bekanntgemacht werden; sie wird aber auch nicht zurückgewiesen, vielmehr ruht das Verfahren unter Wahrung der Priorität für die Dauer der Geheimhaltung. Dieses Verfahren des Patentamts kann rechtsstaatlichen Bedenken nicht begegnen.
Das praktische Ergebnis dieses Verfahrens erschien indes für den Erfinder unvorteilhaft. Es ist ihm auf Grund dieser Rechtslage nicht möglich, bei Erfindungen, die Staatsgeheimnisse enthalten, zu einem Ausschlußrecht zu gelangen. Deshalb hat die Bundesregierung schon bei den Beratungen des im Jahre 1953 erlassenen Fünften Gesetzes zur Änderung und Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes versucht, diesen Rechtszustand durch die Einführung von Geheimpatenten für Private zu verbessern. Eine solche Vorschrift ist aber damals vom Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht des Deutschen Bundestages mit der Begründung abgelehnt worden, daß der Bund eine solche Erfindung erwerben und darauf nach § 30 a des Patentgesetzes ein Geheimpatent erhalten könne. Nur bei wenigen Erfindungen, die Staatsgeheimnisse enthalten, besteht jedoch ein positives Interesse des Staates daran, die Erfindung käuflich zu erwerben und sie zu verwerten. Auch ohne daß ein Verwertungsinteresse des Bundes besteht, müssen jedoch Erfindungen, die Staatsgeheimnisse sind, geheimgehalten werden.
In Anlehnung an ein früher übliches Verfahren ist in der Folgezeit im Interesse des Erfinders ein vertragliches Verfahren zur treuhänderischen Übernahme von Anmeldungen auf den Bund eingeführt worden. Der Bund erbietet sich, Treuhandverträge mit Anmeldern geheimhaltungsbedürftiger Erfindungen abzuschließen, durch die er diese Anmeldungen treuhänderisch zum Zwecke der Erteilung eines Geheimpatents gemäß § 30 a des Patentgesetzes übernimmt. Das Recht verbleibt daher wirtschaftlich dem Anmelder als Treugeber. Dieses Verfahren bringt dem Erfinder Vorteile, da es eine Patentierung seiner Erfindung und damit den Ausschluß Dritter von der Benutzung der Erfindung ermöglicht. Das Verfahren hat sich in der Praxis bewährt. Es verstößt gegen keinerlei gesetzliche Vorschriften und ist für den Anmelder nicht nachteilig. Einer besonderen gesetzlichen Grundlage für dieses Verfahren bedarf es nicht, da kein hoheitlicher Zwangseingriff vorliegt, sondern der Anmelder mit dem Bund freiwillig einen Vertrag schließt, der in seinem Interesse liegt.
Auf die Frage, ob die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen wird, darf ich folgendes antworten. Daß das Verfahren bei geheimhaltungsbedürftigen Patentanmeldungen de lege lata auf einer ausreichenden Rechtsgrundlage steht, ist bereits dargelegt worden. Der Schaffung einer solchen Rechtsgrundlage bedarf es also nicht mehr.
Es wird aber erwogen, bei der nächsten Änderung des Patentgesetzes zur Verbesserung des gegenwärtigen Rechtszustandes auf einige Vorschläge zurückzugreifen, die im Referentenentwurf bzw. im Regierungsentwurf zum Fünften Gesetz zur Änderung und Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes bereits im Jahre 1952 gemacht, damals aber nicht angenommen wurden. Insbesondere ist daran gedacht, erneut die vom Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht im Jahre 1953 abgelehnte Einführung der Geheimpatente für Private vorzuschlagen, womit das gegenwärtige Verfahren des Abschlusses von Treuhandverträgen sich künftig erübrigen würde.
Durch das gegenwärtige Verfahren bei geheimhaltungsbedürftigen Anmeldungen und bei der Geheimhaltung von Erfindungen wird der Anmelder - entgegen der in Satz 2 der Anfrage offenbar zum Ausdruck kommenden Annahme -nicht enteignet. Zwar wird dem Erfinder durch die aus den §§ 99 ff. des Strafgesetzbuches zu ziehenden Folgerungen für das Patenterteilungsverfahren die Erteilung eines Patents auf seinen Namen verwehrt. Das Patent gibt aber nur ein Ausschlußrecht und kein Verwertungsrecht. Die Befugnis zur Verwertung seiner Erfindung steht dem Erfinder ohnehin zu. Er erhält durch die Erteilung eines Patents lediglich eine Monopolstellung hinsichtlich der Verwertung.
Aus der gegenwärtigen Handhabung des Patenterteilungsverfahrens bei geheimhaltungsbedürftigen Erfindungen kann also unmittelbar nur eine Beeinträchtigung bei der Erlangung und Geltendmachung des Ausschlußrechts gegenüber Dritten und allenfalls mittelbar eine Beeinträchtigung bei der Verwertung der Erfindung folgen. Die Beeinträchtigung des Ausschlußrechts und die sich daraus lediglich mittelbar ergebende Beeinträchtigung der Verwertung stellen aber aus zwei Gründen keine Enteignung dar. Alle Erfindungen, die Staatsgeheimnisse enthalten, sind von ihrer Entstehung an als mit den Einschränkungen belastet anzusehen, die sich aus der den §§ 99 ff. des Strafgesetzbuches zu entnehmenden Geheimhaltungspflicht zum Wohle der Bundesrepublik und der Länder ergeben. Der öffentlich-rechtliche Anspruch des Erfinders auf Erteilung des Patents und sein privatrechtlicher Anspruch auf das Patent können daher insoweit nicht entstehen, als deren Verwirklichung zu einer Gefährdung oder Verletzung des Wohls der Bundesrepublik oder der Länder führen würde.
Bundesjustizminister Schäffer
Selbst wenn man jedoch entgegen diesen Darlegungen annehmen wollte, daß dem Erfinder zunächst ein Anspruch auf Erteilung eines offenen Patents erwachsen wäre und dieser Anspruch gehemmt worden sei, wäre der Erfinder nicht enteignet. Denn diese Hemmung seines Anspruchs beruht auf einem allgemeinen Gesetz, das nicht nur einen bestimmten Erfinder oder die Erfinder schlechthin, sondern jedermann in gleicher Weise trifft und dem einzelnen Erfinder somit kein besonderes Opfer auferlegt. Es handelt sich also um eine allgemeine Schranke sowohl der Handlungsfreiheit als auch des Eigentums, nicht aber um eine Enteignung. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung eine Enteignung nur dann annimmt, wenn dem betroffenen einzelnen oder einer einzelnen Gruppe unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer im Interesse der Allgemeinheit auferlegt wird. Das ist hier aber, wie bereits erwähnt, nicht der Fall.
Auch außerhalb des Patenterteilungsverfahrens sind dem Erfinder durch die sich aus den genannten Strafbestimmungen ergebende Geheimhaltungsverpflichtung Beschränkungen bei der Verwertung seiner Erfindung auferlegt. Auch diese Beschränkungen stellen sich aber aus den soeben erwähnten Gründen nicht als Enteignung dar.
Auch ein Aufopferungsanspruch steht dem Erfinder nach geltendem Recht nicht zu, da er bei der Verwertung seiner Erfindung ohnehin an die Schranken der allgemeinen Gesetze gebunden ist, ein besonderes Opfer von ihm also nicht verlangt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt überdies ein Aufopferungsanspruch nur bei Eingriffen in nichtvermögensrechtliche Güter wie Leben, Gesundheit und Freiheit in Betracht. Eingriffe in Vermögensrechte werden vom Bundesgerichtshof allein unter dem Gesichtspunkt der Enteignung behandelt.
Weiter wird in Satz 2 die Frage aufgeworfen, ob die Bundesregierung bereit ist, den Erfindern für die ihnen auf Grund der Geheimhaltung erwachsenden Nachteile eine angemessene Entschädigung zu gewähren. Ein Rechtsanspruch auf eine solche Entschädigung steht den Erfindern nach geltendem Recht nicht zu. Es wird jedoch in Erwägung gezogen, in Zusammenhang mit beabsichtigten Änderungen des Patentgesetzes eine Möglichkeit zur Entschädigung von Erfindern für Nachteile auf Grund der Geheimhaltung zu schaffen. Eine solche Entschädigung wird aber nicht schlechthin gewährt werden können. Es wird deshalb geprüft werden, ob ein Entschädigungsanspruch in besonderen Härtefällen gewährt oder die Möglichkeit einer Billigkeitsentschädigung eröffnet werden soll.
Ich darf mich in der Beantwortung der Frage 9 zunächst auf diese Ausführungen - vorbehaltlich weiterer Gesichtspunkte im Laufe der Debatte - beschränken.
Damit, meine Damen und Herren, habe ich die neun in der Drucksache 569 gestellten Fragen, wie mir scheint, unter Berücksichtigung vieler Einzelheiten behandelt. Ich habe diese Ausführlichkeit
gewählt, um deutlich zu machen, daß die Bundesregierung der Kritik, die in den Fragen der Opposition liegt, nicht ausweicht und auch nicht auszuweichen braucht. Die Fragen, die der Bundesregierung gestellt waren und die die SPD in der Drucksache als „Fragen der Justizpolitik" bezeichnet hat, sind recht unterschiedlicher Art. Erlauben Sie mir aber, meine Damen und Herren, daß ich mit einigen allgemeinen Bemerkungen das Gesamtergebnis, zu dem wir mit unserer Beantwortung gelangen, herausstelle.
Die Fragen der SPD wenden sich zum Teil an die Bundesregierung, weil man auf einigen Gebieten die fehlende Initiative bei der Einbringung von Gesetzesvorlagen beanstanden zu können meint. Ich glaube dargetan zu haben, daß die Bundesregierung in allen Fällen, die angesprochen worden sind, nach einem wohlüberlegten Plan handelt und die erforderlichen Vorarbeiten überall in Angriff genommen hat. Dies gilt z. B. hinsichtlich des Gesetzgebungsauftrages, den Artikel 95 des Grundgesetzes enthält, als auch hinsichtlich der Planung der Großen Strafrechtsreform.
Zunächst mußten die durch die Errrichtung der Bundesrepublik und die Herstellung ihrer vollen Souveränität, insbesondere für die Rechtsvereinheitlichung, erforderlichen Gesetzgebungsarbeiten abgeschlossen werden. Dann ist die Große Strafrechtsreform in Angriff genommen worden. Sie hat aus den dargelegten Gründen mit der Reform des materiellen Strafrechts begonnen. Daß dies mit volmer Billigung der Opposition geschehen ist, folgere ich aus der Entschließung der Fraktion der SPD vom 10. April 1951, in der ein Beschluß des Bundestages über die Berufung eines Arbeitsstabes zur Vorbereitung der Reform des Strafrechts beantragt worden ist.
Andere Fragen der SPD enthalten eine Kritik an dem Verfahrensgang oder dem Ergebnis einzelner bestimmter gerichtlicher Verfahren, insbesondere auf strafrechtlichem Gebiet; hier wird teils Kritik geübt an den Gerichten oder Strafverfolgungsbehörden der Länder, teils an der Bundesregierung; sei es, daß man ihr vorwirft, sie habe zu wenig getan und keine Folgerungen gezogen, sei es, daß sie zu viel getan haben soll. Ich hoffe, daß ich die Mißverständnisse, die hier entstanden sind, weitgehend ausgeräumt habe. Nur für den Fall, daß dies noch nicht deutlich genug geschehen ist, darf ich folgendes erklären:
Das Grundgesetz bestimmt, daß die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. Daraus folgt, daß die Richter keinen Weisungen der Justizverwaltung oder der Regierung unterliegen. Aber nicht nur das! Auch jede Beeinflussung der Gerichte ist unzulässig. Diese Grundsätze, meine Damen und Herren, sind uns selbstverständlich. Sie beherrschen auch die Verfassungswirklichkeit. Bei der Vielzahl der politischen Aufgaben, die eine Regierung zu erfüllen hat, und bei dem Widerstreit, den sie in vielen Fällen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu lösen hat, ist es indes kaum zu vermeiden, daß in gewissen seltenen und außergewöhnlichen Fällen der unrichtige - ich betone, meine Damen
Bundesjustizminister Schäffer
und Herren, der „unrichtige" - Eindruck entstehen kann, die Regierung habe sich in einem laufenden Verfahren mit einer Stellungnahme an. die Justizbehörden wenden wollen. Ich bin der festen Überzeugung, daß unsere Richter auf jeden Beeinflussungsversuch empfindlich reagieren würden und daß die Gesamtheit der Richterschaft - würden wir sie fragen - bestätigen würde, wie sehr die Regierungen der Länder und auch die Bundesregierung die richterliche Unabhängigkeit achten.
Die Richter sind unabhängig, aber natürlich nicht unfehlbar. Sie nehmen auch nicht für sich in Anspruch, daß sie ihre Tätigkeit unberührt durch das übrige staatliche Leben - gleichsam wie auf einer Insel - ausüben können. Deshalb kann sachliche Kritik an gerichtlichen Urteilen nicht schlechthin unzulässig sein. So wie es unbedenklich ist, in wissenschaftlichen Meinungsäußerungen Urteile einer sachlichen Kritik zu unterziehen, so halte ich es auch für zulässig, daß gerichtliche Entscheidungen in der politischen Öffentlichkeit, in den Parlamenten, in sachlicher Weise diskutiert werden, insbesondere um die aus einer Gerichtsentscheidung unter Umständen sich ergebenden Folgerungen für weitere Gesetzgebungsarbeiten zu ziehen. Andererseits kann man von der Bundesregierung nicht erwarten, daß sie jedes Urteil, das nach ihrem Dafürhalten Bedenken hervorruft, zum Anlaß einer Gesetzesvorlage macht. Solche schwerwiegenden Maßnahmen können nur dann in Frage kommen, wenn sich eine untragbare Rechtsentwicklung anbahnt. Eine Sofortgesetzgebung als Reaktion auf aktuelle
gerichtliche Entscheidungen widerstreitet der politischen Klugheit; sie muß auf ganz besondere Ausnahmefälle beschränkt sein. Einen solchen Ausnahmefall haben wir allerdings in den letzten Tagen erlebt. Ich meine das bekannte, bereits erwähnte Strafverfahren vor Hamburger Gerichten, das eine antisemitische Broschüre zum Gegenstand hatte. Als der Inhalt dieser Schrift mir bekannt wurde, habe ich die Landesjustizverwaltung in Hamburg gebeten, die dortige Staatsanwaltschaft möge in dem bereits anhängigen Ermittlungsverfahren auch prüfen, ob die Tat nicht als Herstellung und Verbreitung staatsgefährdenden Propagandamaterials zu beurteilen sei. Es ist dann auch Anklage wegen einer solchen Tat und wegen Beleidigung erhoben worden. Die Gerichte haben jedoch die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Daraufhin hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes gegen Volksverhetzung verabschiedet, der den gesetzgebenden Körperschaften beschleunigt zugeleitet wird. Die Bundesregierung glaubt, daß die von ihr vorgeschlagene Strafvorschrift gegen Volksverhetzung auch ein wirksames Mittel zur strafrechtlichen Bekämpfung antisemitischer Hetzschriften sein würde.
Ich darf wohl annehmen, daß die sofortige Initiative der Bundesregierung in diesem Ausnahmefall die Billigung des Hauses erfährt und nicht zuletzt aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, aus dem Vorkommnis in Hamburg keine voreiligen und falschen Schlüsse zu ziehen; und sprechen Sie bitte nicht von einer Vertrauenskrise der Richter oder gar von einer Justizkrise. Angesichts der Tatsache, daß wegen der genannten Broschüre zur Zeit das objektive Einziehungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof anhängig ist, muß ich es mir versagen, zu den Hamburger Gerichtsbeschlüssen sachlich Stellung zu nehmen. In jedem Fall bitte ich Sie, zu berücksichtigen, daß es zu allen Zeiten unter der Vielzahl der Urteile, die die Gerichte gefällt haben, auch immer einige Fehlentscheidungen gegeben hat, ohne daß daraus allgemeine Folgerungen über die Vertrauenswürdigkeit der Richter oder über die Justizpolitik der Regierungen zu ziehen wären. Ungeachtet der Kritikwürdigkeit einzelner Entscheidungen ist das Vertrauen, das wir allen Zweigen der Gerichtsbarkeit entgegenbringen, gerechtfertigt worden.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Erlauben Sie mir, vor Eintritt in die Debatte im Namen der Bundesregierung zu den Vorgängen der letzten Zeit eine Erklärung abzugeben, in denen sich antisemitische Gesinnung oder auf alle Fälle eine vollständige Unkenntnis des Wesens des Antisemitismus gezeigt hat.
Die Bundesregierung - und ich bin überzeugt, Sie werden der Bundesregierung darin beitreten -verurteilt diese Vorgänge auf das schärfste, sie bedauert sie auf das tiefste. Diese Vorgänge sind ein schweres Unrecht - ich folge hier den Worten des Herrn Abgeordneten Arndt - gegen die deutschen Mitbürger jüdischer Herkunft, ich wiederhole: ein schweres Unrecht, das wir Deutschen um so mehr verurteilen, wenn wir an die Vergangenheit denken. Derartige Vorkommnisse schädigen bedauerlicherweise auch das deutsche Ansehen im Auslande.
Ich glaube, der weitaus größte Teil des ganzen deutschen Volkes ist mit uns in der Verurteilung einig.
({0})
Meine Damen und Herren, wir treten in die allseits gewünschte Aussprache ein.
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wenigstens der Herr Bundeskanzler gewesen, der für die Bundesregierung zur Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion noch ein politisches Wort gesagt hat, das im Grunde zu begrüßen ist, zu dem ich aber gleich eines feststellen möchte. Wir haben seit einem Jahr in zunehmendem Maße antisemitische Erscheinungen bei uns in der Bundesrepublik festzustellen und haben
Jahn ({0})
uns mit ihnen auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang darf man wohl nicht verschweigen, daß es gerade ein Mitglied seines Kabinetts, nämlich der Herr Bundesjustizminister, gewesen ist, der mit seinen Brandreden gegen die Wiedergutmachung und über die Gefährdung der deutschen Währung durch die Wiedergutmachung offenbar erst den Anstoß dazu gegeben hat, daß eine ganze Reihe von Leuten den Mut fanden, über diese Dinge etwas zu sagen.
({1})
Nun noch ein Wort zu der Art und Weise, wie die Anfrage durch die Regierung oder genauer gesagt: durch den Herrn Bundesjustizminister beantwortet worden ist. Leider kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, daß die Form dieser Beantwortung und ihr Inhalt offenbar Methode sind, nämlich die Methode, dem Hause gegenüber dadurch, daß man auf die entscheidenden politischen Fragen nicht einzugehen bereit ist und sich mit einer Fülle von danebenliegenden Fragen beschäftigt, also dem eigentlichen, dem politischen Anliegen der Anfrage ausweicht, offenbar das Gewicht des Anliegens zu mindern.
({2})
Meine Damen und Herren, ich kann mir schlecht
vorstellen, daß der Herr Bundesjustizminister den politischen Sinn und das Anliegen dieser Anfrage nicht verstanden hat. Ich kann mir schlecht vorstellen, daß ihm unklar geblieben ist, worum es uns eigentlich geht. Ich bin der Überzeugung, daß er sehr wohl in der Lage gewesen wäre, in diesem Sinne ,auf die Anfrage zu antworten, wenn er es gewollt hätte.
Ich denke in diesem Zusammenhang noch einmal an die munteren Sonntagsreden, die er gerade in bezug auf die soeben zitierte Wiedergutmachung gehalten und in denen er durchaus gezeigt hat, daß er nicht nur in der Lage, sondern dann, wenn es ihm nützlich erscheint, auch bereit ist, sehr diffizil an solche politischen Fragen heranzugehen und sie entsprechend zu behandeln. Wenn er heute einer politischen Beantwortung der Anfrage bewußt ausgewichen ist und ,in einer - ich kann es nicht anders bezeichnen - doch recht ermüdenden Form darauf geantwortet hat,
({3})
dann kann man es nicht anders kennzeichnen als so: es ist die Methode, mit vielen Worten dem eigentlichen Anliegen und der eigentlichen Frage auszuweichen.
({4})
Ich möchte mich -vor allem mit dem Punkt 2 unserer Anfrage beschäftigen. Es ist eine der Fragen, an der in besonderem Maße deutlich wird, daß es sich hier nicht um irgendwelche nebensächlichen Dinge handelt, sondern daß es im Grunde um ein sehr ernstes Anliegen geht, ein Anliegen, von dem man annehmen sollte, daß nicht nur dieses ganze Haus, sondern auch die Bundesregierung über seine Bewertung einer Meinung ist. Seit Monaten ist in der Öffentlichkeit eine berechtigte und sich immer mehr steigernde Unruhe über gewisse Erscheinungen in unserer Rechtsprechung, über Urteile und andere Gerichtsentscheidungen festzustellen, die nicht zu übersehen sind und zu denen nach unserer Auffassung weder der Bundestag noch die Bundesregierung schweigen können.
Wird eine Frage dieser Art so behandelt, wie es der Herr Bundesjustizminister getan hat, indem er auf die Feststellung, daß wir Sozialdemokraten ernste Besorgnisse wegen dieser Entwicklung der Rechtsprechung haben, nicht eingeht und nicht einmal zum Ausdruck bringt, daß diese Erscheinungen in unserer Rechtsprechung auch der Bundesregierung Anlaß zur Sorge sind, dann möchte man meinen, daß er innerlich auf der Seite derjenigen steht, die sagen, es sei an der Zeit, unter diese ganzen Dinge aus unserer Vergangenheit einen Schlußstrich zu ziehen. Dann möchte man meinen, auch ihm sei es nachgerade schon unangenehm und peinlich und im Grunde eine dumme Sache, über die man am besten Gras wachsen läßt.
Mit einer derartigen Behandlung können und werden wir uns nicht einverstanden erklären. Es geht darum, daß wir auch im Bereiche der Rechtsprechung ein so klares Verhältnis zu unserer politischen Vergangenheit bekommen, dal wir sagen können, dieser Staat hat seine eigenen Grundlagen und seine eigene Ordnung - auch Verhältnis zur Vergangenheit - gefunden. Wenn wir nicht den Mut haben, diese Auseinandersetzung zu führen und in dieser Auseinandersetzung auch durch die Justiz ein eindeutiges Nein zu dem Unrechtsstaat zu sagen, dann gefährden wir bereits die Grundlagen unserer eigenen Demokratie, an deren Aufbau wir doch noch arbeiten.
({5})
Sicherlich ist dieser Teil der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, wie so manches andere, unbequem. Das ändert aber nichts daran, daß man die Probleme nicht dadurch erledigen kann, daß man sie totschweigt. Es ist gerade die vornehmste Aufgabe des Parlaments, darüber etwas zu sagen, sich auch mit den negativen Erscheinungen kritisch auseinanderzusetzen, um keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, daß wir und, wie wir hoffen, die ganz überwiegende Mehrheit unseres Volkes es mit dieser Auseinandersetzung wirklich ernst meinen.
Zu diesem Volk gehören und in diesem Volk leben und arbeiten auch die Richter, die die Urteile fällen, die heute Gegenstand unserer Kritik sind. Ich sage absichtlich nicht, daß alle Richter hier ausnahmslos über einen Kamm geschoren werden sollten. Aber wenn man sich einmal die Begründung einer Vielzahl der in Frage kommenden Urteile sorgfältiger ansieht, dann muß man doch feststellen, daß die Auffassung einer verhältnismäßig großen Zahl von Richtern Anlaß zu Bedenken gibt.
Es geht dabei - auch das möchte ich einmal klarstellen - nicht nur um die Berufsrichter; vielleicht - das wissen wir nicht - geht es genau so und in gleichem Maße um die Laienrichter: Aber einen wesentlichen Teil gerade der juristischen VerJahn ({6})
antwortung tragen die Berufsrichter. Ich möchte vor dem Versuch warnen, zu sagen, daß nur die einen oder anderen der beteiligten Richter für bestimmte Urteile verantwortlich zu machen seien.
Um welche Urteile geht es im einzelnen? Ich möchte zunächst einiges zu einem Urteil sagen, das schon einmal, wenigstens in einer ganz kurzen Erklärung, Gegenstand der Erörterung hier im Hause gewesen ist: das Urteil, das das Schwurgericht Arnsberg vor einigen Monaten gefällt hat.
Es ging um folgenden Sachverhalt. In der Gegend von Warstein und Arnsberg lag im März 1945 eine sogenannte Division zur Verwendung unter Führung eines SS-Obergruppenführers, die etwas mit den sogenannten Vergeltungswaffen zu tun hatte. Im Stab dieser Division wurde gelegentlich darüber gesprochen, daß die sogenannten Fremdarbeiter aus dem Ruhrgebiet auf der Flucht vor den Kriegsgeschehnissen zu einer gewissen Beunruhigung in der Bevölkerung geführt hätten. Man war der Meinung, daß es Aufgabe auch dieser Division zur Verwendung sei, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen, und glaubte - das war das Entscheidende - eingreifen zu müssen. Gelegentlich einer der Unterhaltungen im Stabe der Division äußerte der verantwortliche Divisionskommandeur - eben dieser SS-General - sinngemäß, man solle das Problem in der Weise anpacken, daß man die Fremdarbeiter einfach kräftig dezimiere. Das ist nicht etwa ein ausdrücklicher Befehl, eine klare Weisung oder etwas Ähnliches gewesen, sondern im Grunde nicht viel mehr als eine Meinung, die dieser Offizier gegenüber seinen Untergebenen geäußert hat.
Als nun in diesem Raume, in dem der Stab der Division lag, in der Tat größere Gruppen von ausländischen Arbeitern auftauchten, entschlossen sich einige Offiziere des Stabes, außerdem ein Offizier, der dieser Einheit gar nicht angehörte, sondern in Urlaub war und sich in der Nähe aufhielt, aus diesem Wort Ernst zu machen. Man ging dazu über, Exekutionskommandos zusammenzustellen und in drei aufeinanderfolgenden Nächten insgesamt 208 Fremdarbeiter, darunter eine sehr große Zahl von Frauen, darunter zwei Kinder - ein Kind im Altei von etwa 4 bis 6 Jahren -, wahllos aus der Zahl der zusammengekommenen Arbeiter herauszusuchen, zu erschießen und in Massengräbern zu verscharren. Eine konkrete Gefährdung etwa durch Plünderungen oder Ähnliches - diese Feststellung gehört noch hinzu - lag in diesem Raume überhaupt nicht vor. Ein konkreter Anlaß, irgend etwas gegen diese sogenannten Fremdarbeiter zu unternehmen, war nicht gegeben.
Alles das ist in den tatsächlichen Feststellungen des Urteils ausdrücklich enthalten. Man verfuhr so, daß man in den Raum, in dem die sogenannten Fremdarbeiter untergebracht worden waren, zu nächtlicher Stunde hineinging und dort erklärte: Wer Arbeit haben will, soll herauskommen und sich melden. Eine entsprechende Anzahl von Leuten meldete sich. Man fuhr sie auf Lastwagen zu der Mordstätte, lud sie dort ab, stellte neben je zwei einen Mann mit einer Maschinenpistole und ließ sie dann kurzerhand erschießen. So weit der Sachverhalt.
Nun sollte man meinen, daß man bei diesem durch viele Zeugenvernehmungen sehr sorgfältig festgestellten Sachverhalt zu einer verhältnismäßig einfachen und klaren Beurteilung der Tat kommt. Der Herr Kollege Benda hat seinerzeit - im Sommer, kurz nach der Verkündung dieses Urteils dankenswerterweise hier etwas ausgesprochen, was gerade nach diesem Sachverhalt eigentlich selbstverständlich sein sollte und keiner großen juristischen Erörterungen bedürfte: daß für ihn dieses Vorgehen, diese Handlung Mord sei und Mord bleibe, auch wenn, wie es tatsächlich geschehen ist, die Richter in Arnsberg zu einem anderen Ergebnis gekommen seien.
Tatsächlich kann bei einer nur oberflächlichen Beurteilung dieses Sachverhalts lediglich festgestellt werden, daß sowohl in der Art des Vorgehens alle Tatbestandsmerkmale der Heimtücke vorzufinden sind, als auch daß man die Arglosigkeit dieser Menschen ausgenutzt hat und daß man auch den Umständen entsprechend die Geschehnisse gar nicht anders beurteilen kann, als daß hier aus niedrigen Beweggründen gehandelt worden ist.
Alle diese auf der Hand liegenden Erwägungen sind zwar vom Schwurgericht in Arnsberg angestellt worden, jedoch ist verneint worden, daß solche Beweggründe vorlagen. Das Schwurgericht Arnsberg meint, es könne hier lediglich die Voraussetzungen eines Totschlags feststellen, und ergeht sich in seitenlangen Begründungen darin, festzustellen, in welcher Ausnahmesituation in diesem Verfahren die Angeklagten gestanden hätten, und daß man ihnen beim besten Willen nicht vorwerfen könne, sie hätten aus niedrigen Motiven gehandelt und - nach den Bestimmungen des § 211 - einen Mord begangen.
Das Arnsberger Gericht hat sich nicht gescheut, den Angeklagten sogar mit einer geradezu höhnischen Beurteilung der tatsächlichen Situation zugute zu halten, daß sie nicht heimtückisch gehandelt hätten; denn es führt in dem Urteil u. a. aus:
Den Angeklagten war weiter nicht zu widerlegen, daß die Opfer mit Ausnahme des im Zeitpunkt der Bestattung noch lebenden Mädchens bei der Exekution im Langenbachtal sofort tot waren.
Das ist nach Auffassung des Arnsberger Gerichts eine offenbar besonders milde Behandlung beim Mord.
Das Gericht sagt weiter:
Darüber hinaus fehlt es dem Schwurgericht an konkreten Anhaltspunkten für die Feststellung, daß die Tötungsanordnung selbst oder die bei der Tatausführung zutage getretenen Umstände einer unbarmherzigen und gefühllosen Gesinnung seitens der Angeklagten entsprungen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zitate ließen sich noch vielfältig fortführen. Ja, das Gericht geht sogar so weit, daß es erklärt, im Grunde sei doch die Art und Weise der Erschießung deswegen nicht heimtückisch gewesen, weil man die Ermordeten ja auf andere Weise nicht dazu
Jahn ({7})
hätte bekommen können, sich ruhig in ihr Schicksal zu fügen.
Von derartigen Überlegungen, von derartigen sachfremden und der Tat in keiner Weise gerecht werdenden Beurteilungen wimmelt es in diesem Urteil auf Schritt und Tritt.
Im weiteren Verlaufe der Urteilsbegründung wird zwar dann ausführlich etwas dazu gesagt, daß die Angeklagten in diesem Falle rechtswidrig gehandelt hätten. Es wird sogar auch festgestellt, daß sie schuldhaft gehandelt hätten. Aber dann wird wieder etwas sichtbar, was sich durch das ganze Urteil hindurchzieht - eigentlich von der ersten bis zur letzten Zeile -, nämlich der ganz eindeutige Versuch, den Angeklagten alle Umstände, die man ihnen nur zugute halten kann, auch tatsächlich zugute zu halten, und zwar in einem solchen Maße, daß sie im Grunde hinterher beinahe als die Opfer erscheinen möchten. Es wird lang und breit etwas darüber ausgesagt, daß der betreffende Divisionskommandeur, jener bewußte SS-General Kammler, ein sehr jähzorniger und unbeherrschter Mensch gewesen sei und daß alle furchtbare Angst vor ihm gehabt hätten. Es wird darauf hingewiesen, daß im allgemeinen die sogenannten Fremdarbeiter eine besondere Gefahr dargestellt hätten und daß deshalb etwas gegen sie hätte unternommen werden müssen, oder die Angeklagten hätten zumindest der Meinung sein dürfen, es hätte etwas unternommen werden müssen usw.
Im Gegensatz dazu wird allerdings der Wert des einzelnen Menschenlebens, das die Angeklagten
vernichtet haben - der 208 Menschenleben von Männern, Frauen und Kindern, die nichts getan hatten, als daß sie als Fremdarbeiter in diesem Lande waren -, in gar keiner Weise angemessen gewürdigt.
Wie gefährlich die Überlegungen sind, die im Hintergrund dieses Urteils bestanden haben, wird an folgendem Satz deutlich:
Gemessen an den damaligen Zeitverhältnissen war die von den Angeklagten durch ihre Tat geoffenbarte Einstellung zum Leben anderer Menschen nicht so ungewöhnlich und einmalig, wie sie ohne Beachtung des damaligen Geschehens erscheinen müßte.
Wenn man Derartiges liest, dann fällt es einem wirklich schwer, noch die Ruhe zu bewahren; dann fällt es einem wirklich schwer, der Justiz schlechthin zuzugestehen, daß sie unser unbedingtes Vertrauen und unsere unbedingte Zustimmung mit Recht in Anspruch nimmt.
Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß ich hier nicht der Gefahr erliegen will, zu generalisieren. Aber ich muß doch offen gestehen: Wenn man derartige Meinungsäußerungen in Urteilsbegründungen eines deutschen Gerichts aus dem Jahre 1958 liest, dann fällt es einem mehr als schwer, ruhig zu bleiben.
Es fällt einem noch schwerer, wenn man schließlich sieht, zu welchem Ergebnis man kommt: daß der Hauptangeklagte zu ganzen fünf Jahren Gefängnis wegen Totschlags auf Grund mildernder
Umstände verurteilt wird. Irgendein Journalist hat ausgerechnet, das bedeute im Grunde, daß jeder einzelne Mord mit ganzen 12 Tagen Gefängnis bestraft worden sei. Sicherlich kann man eine solche „Rechnung", streng juristisch gesehen, nicht anstellen. Aber sie zeigt doch ganz deutlich auf, wo der wunde Punkt liegt. Die Achtung vor jedem einzelnen Menschenleben, die notwendige Achtung vor dem Leben auch solcher Menschen, die nicht zu diesem Volke gehören, eine Achtung, die gerade einem Gericht selbstverständlich sein sollte, hat in diesem Urteil bestimmt nicht ihren Ausdruck gefunden und hat ganz offensichtlich bei der Urteilsfindung noch nicht einmal im Hintergrund der Überlegungen gestanden.
Das ist nicht so sehr verwunderlich, wenn man sich die Gründe des Urteils ansieht, wenn man sieht, welche Zeugen vernommen worden sind: zu einem großen Teil die Leute, die hier im Grunde fast als Mittäter in Betracht kommen, nämlich diejenigen, die sich als Angehörige des Divisionsstabes oder in anderen Funktionen im Lebensbereich der Angeklagten bewegt haben und von denen man gewiß nicht erwarten konnte, daß sie die Situation der damaligen Zeit anders darstellten als im Sinne der Angeklagten.
Mindestens ebenso kraß wie dieses Urteil ist das, was in unzähligen Verhandlungen in jenem berühmten Brettheimer Mordprozeß zum Ausdruck gekommen ist. Dort ging es, um das noch einmal kurz zu sagen, um folgendes.
Im April 1945-die Front war längst nicht mehr am Zusammenbrechen, sondern bereits zusammengebrochen - erschienen in dem Dorf Brettheim einige Hitlerjungen mit Panzerfäusten, offenbar in der Absicht, hier noch eine Verteidigungsfront aufzubauen. Einige beherzte und vernünftige Bürger nahmen diesen Hitlerjungen die Panzerfäuste weg, warfen sie in den nächsten Teich und jagten die Jungen davon, wobei sie einem auch noch eine kräftige und sicherlich wohlverdiente Ohrfeige verabfolgten.
Dieser Vorfall veranlaßte den in diesem Bereich tätigen Divisionskommandeur - ebenfalls wieder ein SS-General -, sofort die seiner Meinung nach notwendigen Untersuchungen anzustellen und zunächst den einzigen der an diesem Vorfall beteiligten Bürger, den Bauern Hanselmann, verhaften zu lassen, schließlich aber auch den Bürgermeister und den Ortsgruppenleiter der NSDAP mit der Begründung verhaften zu lassen, sie hätten nicht dafür gesorgt, daß diese Tat unterblieben sei, und hinterher auch noch versucht, den Bauern Hanselmann zu begünstigen und seine Tat zu decken.
Es fanden mehrere Verfahren statt. Das Gericht hat festgestellt und ausdrücklich erklärt, daß keines dieser Verfahren ordnungsgemäß vor sich gegangen ist. In keinem der Verfahren ist auch nur einer der beteiligten Richter vereidigt worden. In keinem der Verfahren ist auch nur einem der Angeklagten ein Verteidiger bestellt worden. In keinem Verfahren ist ein Ankläger aufgetreten oder bestellt worden. In keinem dieser Verfahren sind also die primitivsten Grundsätze eines ordnungsgemäßen
Jahn ({8})
Gerichtsverfahrens berücksichtigt worden. In jedem dieser Verfahren ist man dann zu einem Todesurteil gekommen, indem man erklärt hat, eine andere Möglichkeit als die, freizusprechen oder ein Todesurteil zu fällen, gebe es nicht. Diese Urteile sind dann von dem General Simon, dem Hauptangeklagten in diesem Prozeß, bestätigt worden, teilweise noch mit den dazugehörigen zynischen Randbemerkungen, und es ist angeordnet worden, die Angeklagten zu erhängen.
Auch in diesem Urteil finden wir eine erschrekkende Zahl von Widersprüchen und eine erschrekkende Zahl von verwirrenden Überlegungen, von denen nur eins klar ist: daß das Gericht offenbar gar nicht in der Lage gewesen ist, sich ein objektives Bild von der damaligen Situation zu machen. Einerseits wird festgestellt, und zwar ziemlich zu Beginn des Urteils, das übrigens ¡in dieser Richtung, also hinsichtlich kriegsgeschichtlicher Feststellungen, schier unerschöpflich ist:
Auch demjenigen, der die Aussichtslosigkeit des 1939 verbrecherischerweise begonnenen Krieges lange Zeit nicht erkannt hatte, blieb nicht verborgen, daß dieser Krieg nun sinnlos geworden und verloren war.
Gleichwohl wird aber an anderer Stelle später gesagt, als es darum ging, zu bewerten, was eigentlich diese Hitlerjungen mit ihren Panzerfäusten wollten:
Die militärische Bedeutung dieser Kräfte ergibt sich rückschauend aus der Tatsache, daß es mit ihrer Hilfe gelang, innerhalb von zehn Tagen 300 gepanzerte Fahrzeuge und Panzer zu vernichten sowie die 10. amerikanische Panzerdivision durch die Unterbindung des Nachschubs zum Rückzug zu zwingen.
Einerseits wird also zugestanden, daß der Krieg verloren war und seine Fortsetzung einfach sinnlos, andererseits wird aber davon gesprochen, daß einige mit Panzerfäusten ausgerüstete Hitlerjungen noch militärisch bedeutsame Kräfte gewesen seien.
Dieser Widerspruch ist einer von vielen; er ist besonders typisch und läßt etwas anderes an diesem Verfahren sichtbar werden, nämlich, daß man sich zur Beurteilung der Situation und damit schon beginnend zur Rechtfertigung der Angeklagten auf das Zeugnis von Leuten stützt, die nun in gar keiner Weise geeignet und in der Lage sind, Objektives über die damalige Situation zu sagen. Da wird in diesem Verfahren der ehemalige Feldmarschall Kesselring als Zeuge darüber gehört, wie die militärische Situation damals gewesen sei und ob vom Militärischen her der Einsatz solcher Kräfte wie dieser Hitlerjungen sinnvoll gewesen sei; und kein Richter kommt offenbar ¡auf den Gedanken, einmal die Frage zu stellen, ob dieser Zeuge nun wirklich der geeignete Mann ist, darüber ein gültiges Urteil abzugeben. Ich weiß es nicht, aber ich kann es mir wirklich nur schlecht vorstellen, daß irgendeiner der beteiligten Richter oder Geschworenen etwa erwartet hat, daß der Herr Kesselring heute etwa schon zu der Einsicht gelangt wäre,
seine damalige militärische Tätigkeit sei sinnlos gewesen und er habe neben manchem anderen auch hier eine Reihe grober Fehler gemacht. Das konnte doch im Ernst niemand erwarten, und man muß sich fragen: Welchen Sinn sollte es eigentlich haben, einen solchen Mann hier als Zeugen vor das Gericht zu holen? Das kann nur den Sinn gehabt haben, von vornherein es darauf anzulegen, die Situation in einer ganz bestimmten Richtung zu klären
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und nicht den ernsthaften Versuch zu machen, objektive Feststellungen zu treffen. Und nicht nur der Herr Kesselring, sondern eine ganze Reihe anderer Leute aus seinem Stabe werden dann natürlich auch folgerichtig dazu herangeholt, um etwas darüber zu sagen, daß jener General Simon, der Hauptangeklagte dieses Prozesses, im Grunde ja nur ein braver Haudegen gewesen sei, der seine Pflicht getan habe, der sogar auch schon einmal ein freisprechendes Urteil bestätigt habe und der es also gar nicht so böse gemeint haben könne.
Wenn man sich alle diese Dinge einmal ansieht, wenn man diese wunden Punkte des Urteils einmal nacheinander und etwas zusammenhängender darstellt, als sie im Urteil selber sichtbar sind, dann kann man sich fast nicht mehr darüber wundern, daß zum Schluß solche Urteile wie hier herauskommen, wo man den Angeklagten zubilligt, sie seien irrtümlich der Meinung gewesen - und hätten es auf Grund der damaligen Situation sein können -, daß sie zu ihrem Verhalten befugt gewesen seien, wo man ihnen alle möglichen Rechtfertigungsund Entschuldigungsgründe zubilligt und schließlich sagt: Genau festzustellen ist es jedenfalls nicht, ob sie in diesem Zusammenhang eigentlich gewußt haben, wie falsch, wie rechtsbrecherisch sie sich verhielten; deshalb müssen sie freigesprochen werden.
In diesem Zusammenhang scheint es mir notwendig zu sein, auch noch einmal ein besonderes Wort zu der Frage zu sagen, inwieweit hier etwa mit Recht und mit gutem Grunde unsere Berufsrichter schlechthin von dieser Kritik ausgenommen werden könnten. Dieses Urteil des Schwurgerichts Nürnberg, das letzte Urteil in einer langen Kette von Verfahren in dieser Sache, stützt sich wesentlich auf ein zuvor ergangenes Revisionsurteil des Bundesgerichtshofes. In diesem Urteil hat sich der Bundesgerichtshof, also unser oberstes Strafgericht, merkwürdigerweise dazu verleiten lassen - anders kann man es wirklich nicht mehr bezeichnen -, folgenden Satz in die Urteilsgründe hineinzuschreiben und damit sozusagen zur Richtschnur für die Urteilsfindung des Schwurgerichts zu machen. Es heißt in dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 1956:
Die Sinnlosigkeit einer Fortsetzung des Krieges auf deutscher Seite schloß denkgesetzlich nicht die Feststellung aus, daß Hanselmann durch seine Tat mindestens mit bedingtem Vorsatz den Wehrwillen des deutschen Volkes zu zersetzen suchte und die Schlagkraft der deutschen Wehrmacht gefährdete.
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Meine Damen und Herren, das sagt unser oberstes Bundesgericht in Strafsachen zur Beurteilung eines solchen Falles!
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Da fragt man sich doch mit Fug und Recht, ob es im Grunde nicht eigentlich heißen muß: Der Ermordete ist selber daran schuld. Warum hat er auch Wehrkraftzersetzung begangen?! Er hätte ja die armen Hitlerjungen in Ruhe lassen können; dann wäre ihm eben nichts geschehen. - So hat es sinngemäß übrigens schon seinerzeit in dem ersten Schwurgerichtsurteil unter dem Vorsitz des Uraltparteigenossen Schmidt geheißen.
Ich darf an dieser Stelle nur auf das verweisen, was Herr Kollege Dr. Arndt vorhin schon einmal gesagt hat. In dieser verhängnisvollen Zusammenbruchssituation waren die einzigen Männer, die in diesem ganzen schaurigen Spiel vernünftig gehandelt haben, der Bauer Hanselman, sein Bürgermeister und sein Ortsgruppenleiter, die nichts anderes im Sinne hatten, als der Bevölkerung ihres Dorfes zu helfen, dieses Dorf vor der sinnlosen Zerstörung zu bewahren und das zu tun, was einem der gesunde Menschenverstand gebietet.
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Man muß sich doch fragen, was wohl die Bürger dieses Dorfes und was die Hinterbliebenen dieser Männer heute sagen und was sie von unserem Staat und seiner ernsten Bereitschaft sowie der Bereitschaft seiner Justiz denken müssen, ein sauberes, ein klares, ein eindeutiges Verhältnis zur Vergangenheit zu finden.
Diese gleichartige Tendenz in der rechtsprechenden Beurteilung der damaligen Situation wird auch in einem weiteren Urteil des Schwurgerichts in Traunstein sichtbar, in dem es um die Verhaltensweise des damaligen Generals T o 1 s d o r f f ging. Ich will nicht auf alle Einzelheiten dieses Urteils in aller Ausführlichkeit eingehen. Aber auch hier stellen wir wieder fest: Zunächst einmal kommt das Gericht auf Grund tatsächlicher Feststellungen in der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, der Angeklagte in diesem Verfahren - in diesem Verfahren übrigens deshalb besonders, weil er im Auftrage seines Heeresgruppenchefs ausdrücklich noch ins Führerhauptquartier entsandt war, um als bewährter Frontoffizier darzutun, wie verhängnisvoll die Kriegslage geworden war - habe genau gewußt, daß der Krieg längst verloren und daß jeder Widerstand im Grunde sinnlos war. Aber da wird dann im gleichen Atemzuge bedenkenlos, kritiklos und ohne jeden Vorbehalt auch in das Urteil und damit schon wieder zur Rechtfertigung des Angeklagten jene These des auch hier wieder als Zeuge auftretenden Herrn Kesselring übernommen, es sei in der damaligen Situation notwendig gewesen, die Front im Westen zu halten, um möglichst vielen Soldaten noch die Flucht aus dem Osten zu ermöglichen.
In diesem Falle ging es dann darum, daß der Stab dieses Generals in einem Ort vorübergehend, für wenige Stunden Quartier bezogen hatte; am nächsten Morgen rückte man schon wieder ab, weil die
Feindtruppen in allzu große Nähe gerückt waren. In diesem Ort war ein beurlaubter Hauptmann, der einen schon längere Zeit bestehenden Plan verwirklichen wollte, nämlich am Ortseingang ein RotKreuz-Schild aufzustellen. Er tat das in der Nähe einer Flakstellung. Der Offizier dieser Flakstellung trat das Schild um und veranlaßte, daß dieser Hauptmann Holzhey sofort verhaftet wurde. Dann spielte sich folgendes ab. Unter Gegenüberstellung mit einem möglicherweise noch in Betracht kommenden Täter wurde also festgestellt, daß dieser Hauptmann Holzhey der Verantwortliche sei, und nachdem das feststand, brüllte dieser General, der gar nicht etwa erwogen hatte, ein ordnungsgemäßes Verfahren hier ablaufen zu lassen, 20 bis 30 Minuten - wie man so zu sagen pflegt, ohne die Luft anzuhalten - diesen sogenannten Angeklagten an. Der konnte sich in der Sache selber gar nicht äußern, und es mutet merkwürdig an, wenn dann an mehreren Stellen des Urteils gesagt wird, er hätte ja Gelegenheit gehabt, dann, wenn der General einmal mit seinen Beschimpfungen ausgesetzt hätte, etwas zu sagen.
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Das wird in dem Urteil - meine Damen und Herren, ich bitte Sie, nicht darüber zu lachen - sehr ernsthaft als die Gewährung rechtlichen Gehörs bezeichnet. Wenn aber ein Gericht bereit ist, solche Feststellungen allein auf Grund der Angaben derjenigen zu treffen, die in diesem Verfahren neben Herrn Kesselring und anderen als Zeugen aufgetreten sind, nämlich derjenigen, die seinerzeit im Stabe des Generals dabei gewesen sind, die seinerzeit bei dieser sogenannten Verhandlung anwesend waren und die meiner Ansicht nach eher als Mittäter mit auf die Anklagebank denn als Zeugen in den Zeugenstand gehörten, wenn man sich auf Grund der Aussage solcher Leute seine Meinung bildet, kann wohl nichts Vernünftiges dabei herauskommen. Ich möchte, weil dieser Fall in mancher Beziehung hinsichtlich seiner endgültigen rechtlichen Bewertung etwas eigenartig liegt, zu der schließlich vom Gericht gefällten Entscheidung hier nichts sagen. Das ändert aber nichts daran, daß das, was im übrigen in den Urteilsgründen steht - die Art und Weise, in der man diese Entscheidung aufbaut -, wirklich keinen Anspruch darauf erheben kann, einen Beitrag dazu zu leisten, daß man Vertrauen in diese Art von Rechtsprechung und Vertrauen in diese Art der Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit haben kann, und ich möchte mit dem Leitartikel einer großen süddeutschen Tageszeitung hier sagen: Um das verkraften zu können, dazu bedarf es schon einer gehörigen Portion Galgenhumors, um nicht zu sagen: eines regelrechten Fleischerhakenhumors.
Es geht schließlich nicht an, meine Damen und Herren, daß man in all diesen Urteilen ausschließlich davon ausgeht, die damalige Situation zu würdigen, daß man sich darauf beschränkt, die Taten der Angeklagten zu relativieren, indem man sagt, daß unter den damaligen Umständen diese Taten als rechtmäßig aufgefaßt werden konnten. Wenn man sich auf eine, wie ich meine, so schiefe Ebene
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begibt, dann stellt man letzten Endes alle eigentlich selbstverständlichen Grundsätze unserer Rechtsstaatlichkeit in Frage. Wenn man solche relativen Werte für die Beurteilung derartiger Handlungen einführt, dann fragt man sich: Wie mag, wenn eine solche Situation - was niemals geschehen möge, aber doch noch einmal sein kann - wieder eintritt, derjenige, der in sie hineingerät, klar wissen, was er tun kann und was er nicht tun darf? In dieser Weise der Auseinandersetzung, in dieser Art der Rechtsfindung wird dazu sicherlich kein Beitrag geleistet. Man beschränkt sich darauf, mit formaljuristischer positivistischer Manier sehr sorgfältig, sehr fleißig an die Beurteilung der Tatbestände heranzugehen; aber den eigentlichen, auch politischen Gehalt solcher Taten übersehen diese Richter; ich lasse zunächst offen, ob bewußt oder unbewußt; jedenfalls geflissentlich.
Dies wird auch sehr deutlich in der Auseinandersetzung über das Urteil in der Versorgungssache Heydrich. Meine Damen und Herren, das, was der Herr Bundesjustizminister hier zur Sache gesagt hat, war - gerade hier hätte er einen etwas erfreulicheren Beitrag zur Debatte leisten können - nicht gerade ergiebig oder gar befriedigend. Das Gericht hat sich im Grunde darauf beschränkt, das zu übernehmen, was seinerzeit von der Geheimen Staatspolizei und von den Kriminalbeamten, die von deutscher Seite beauftragt waren, die Hintergründe des Attentats auf Heydrich zu ermitteln, festgestellt worden ist. Das Gericht hat sich im Grunde also völlig unkritisch, wenn auch in sehr fleißiger Materialsammlung, die damalige offizielle Legende der Gestapo zu eigen gemacht und seiner Entscheidung zugrunde gelegt, es habe sich um eine Maßnahme gehandelt, die von tschechischen Emigranten von England her mit Unterstützung der englischen Regierung gegen den kriegführenden deutschen Staat als Kriegshandlung gedacht gewesen sei. Das ist eine Konstruktion, die zunächst recht annehmbar klingt, die aber die tatsächliche Situation völlig außer acht läßt: ganz gleich, ob das Attentat aus den Kreisen derjenigen kam, die in der Tschechoslowakei verblieben waren, oder aus den Kreisen der Emigranten, es war nichts anderes als ein echter Tyrannenmord der Mord am Unterdrücker, an demjenigen, der das Symbol, die Personifizierung des Unrechts war, das man diesem Volk angetan hatte. Nur so und in keiner anderen Weise konnte diese Handlung und konnte auch der Tod Heydrichs beurteilt werden. Jede andere, positivistische Auseinandersetzung mit dieser Frage mußte natürlich - so kann man fast schon sagen - schiefgehen.
Ich möchte mich einer eigenen Wertung des weiteren enthalten und mich darauf beschränken, zu zitieren, was in der Zeitschrift „Die Gegenwart" zu diesem Urteil, wie ich glaube, sehr treffend gesagt worden ist:
Die Richter haben einfach den Robotermechanismus des unpersönlichen Rechts eingestellt und dann das Ergebnis abgelesen, zu dem sie keine menschliche Beziehung haben und das sie nahezu kalt und gleichgültig, weder lobend noch tadelnd, hinnehmen. Ein Politikum ersten
Ranges von höchster Bedeutung und ein moralisches Problem der menschlichen und geschichtlichen Verantwortung der Deutschen wurde derart durch Kategorien eines formalen Rechts entschieden, die gegen alle Regungen des Gewissens und des Herzens unempfindlich sind und die als kalte maschinenhafte Formel des Buchstabenrechts nicht nach Gerechtigkeit, Rechtlichkeit und politischer Verantwortung fragen.
Diesem Urteil steht ein anderes Urteil gegenüber, in dem ebenfalls in einer Versorgungsache den Kindern eines im Kriege umgekommenen Offiziers - Vollwaisen - die Rente deshalb versagt wird, weil man glaubt feststellen zu können, daß dieser Offizier, der abfällige Äußerungen über die nationalsozialistische Regierung gemacht hatte und von einem Kameraden daraufhin erschossen wurde, nicht Opfer einer Kriegshandlung geworden ist. Der Vergleich hinkt etwas, weil es in diesem Fall nach dem Instanzenzug nicht gegangen wäre; trotzdem reizt gerade die Gegenüberstellung dieser beiden so gegensätzlichen Entscheidungen doch noch einmal zu der Frage, ob der Herr Bundesjustizminister ernsthaft der Meinung ist, daß ein oberstes Bundesgericht so sehr entbehrlich ist, wie er es hier dargetan hat.
In diesen makabren Reigen von richterlichen Entscheidungen gehört letztlich auch eine Auseinandersetzung mit der Behandlung des Falles Lautz. Hier hat man lange Jahre hindurch immer wieder so getan, als existiere in unserer Geschichte weder ein Volksgerichtshof noch ein Oberreichsanwalt an diesem Volksgerichtshof namens Lautz. Schließlich hat es immerhin sieben Jahre gedauert, bis der Herr Bundesminister des Innern das Verfahren mit den notwendigen Konsequenzen gegen diesen Mann eingeleitet hat. Es hat doch - ich will nicht all die Dinge wiederholen, die hier weitgehend bekannt sind - unzähliger Vorstöße aus diesem Hause bedurft, um überhaupt erst einmal zu veranlassen, daß diesem Herrn Lautz nicht die volle Pension weiter ausgezahlt wird, die er lange Zeit in Höhe von vielen zehntausend Mark in Anspruch genommen hat, und zu veranlassen, daß überhaupt ein Verfahren gegen ihn in Gang kommt. Das ist geschehen, das konnte geschehen, obwohl nicht nur jeder politisch denkende Mensch wußte, wissen konnte und wissen mußte, was es mit dem Volksgerichtshof auf sich hatte, sondern schließlich auch der Bundesgerichtshof schon im Jahre 1956 einmal ganz unmißverständlich über die Rechtsprechung des Volksgerichtshofs gesagt hat: „Er ist nur eine Ausnützung gerichtlicher Formen zur widerrechtlichen Tötung". Einen der Hauptverantwortlichen an diesen widerrechtlichen Tötungen, eben diesen Oberreichsanwalt Lautz, ließ man lange Jahre hindurch mit dem Geld der Steuerzahler dieser Demokratie ungeschoren herumlaufen.
Man hört heute aus dem Munde des Herrn Bundesjustizministers, daß die bisherigen Ermittlungen im Grunde noch nicht so sehr viel ergeben hätten, daß diese Ermittlungen außerordentlich schwierig seien und man noch gar nicht sagen könne, wie
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sie weiter verlaufen würden. Meine Damen und Herren, wenn es in unserer Nachkriegsentwicklung einen Fall gibt, in dem Zweifel nicht möglich sein können und in dem die - ich will einmal unterstellen: auch nur bescheidenen - Unterlagen, die vorhanden sind, schon lange und reichlich genügen, um hier in aller Deutlichkeit zu einem Ergebnis zu kommen, dann ist es doch wohl der Fall Lautz. Und ich muß gestehen: Auch hier bleibt es im Grunde unfaßbar, daß es bei einem solch evidenten Fall notwendig ist, die Entscheidung einer disziplinargerichtlichen Instanz anzugreifen, daß auch hier offenbar Richter sitzen, für die es noch ein Problem sein kann, wie man diesen Herrn Lautz in unserem Staate zu behandeln hat.
Hier ist einiges nicht in Ordnung, und es gehört eigentlich zur Vollständigkeit einer Kritik an dieser Rechtsprechung, daß man sich Gedanken macht darüber, ob das so ganz von ungefähr kommt und ob es genügt, in diesem Zusammenhang zu beklagen, daß wir in unserem Volke offenbar bisher noch nicht den Mut und den Weg gefunden hätten, in ein richtiges Verhältnis zu unserer geschichtlichen Vergangenheit zu kommen. Dieser Versuch, eine Antwort zu finden, reicht sicherlich nicht aus. Ich glaube vielmehr, meine Damen und Herren, daß hier auch noch Erscheinungen in der Entwicklung unseres demokratischen Lebens in den letzten Jahren ihren, wenn auch nur mittelbaren, Einfluß ausüben, die ein Mitglied dieses Hohen Hauses in so trefflicher Weise wie folgt charakterisiert hat:
Man will, daß im Tone unseres politischen Lebens das Patzige, Arrogante, Unverschämte wieder Oberwasser bekommt. Sie wollen die Juden, die Zigeuner, die Fremden, die Demokraten und die humanen Leute wieder offen verachten und beleidigen dürfen. Sie wollen die Wiedergutmachung vom Tische wischen. Sie wollen die Widerstandsleute und Naziverfolgten in die zweite Klasse des Soldatenstandes versetzen. Sie wollen den Bundestag wieder als eine Quasselbude geringschätzen dürfen. Sie wollen, daß der Abgeordnete vor dem Ministerialrat und vor dem Oberleutnant strammsteht und daß er von den Herren, die in den Ämtern die Personalpolitik und die Gesetzentwürfe machen, überfahren wird. Sie wollen den berühmten Strich unter die Vergangenheit ziehen. Sie wollen, daß die Leute wieder kuschen, die in der Hitlerzeit haben kuschen müssen. Sie wollen haben, daß der heutige Staat jeden Zusammenhang mit dem Dritten Reich ablehnt. Aber sie wollen, daß dieser Staat ein patziger Staat ist, ein Staat, in dem die Leute genauso denken, wie sie gedacht haben, bevor Hitler beschloß, ein Politiker zu werden und sich dieses patzige Denken zunutze zu machen.
Der verehrte Herr Kollege Professor Dr. Böhm, der in der Nummer Mai/Juni 1958 des Organs der Widerstandskämpfer- und Verfolgtenverbände „Freiheit und Recht" diese Sätze niedergeschrieben hat, hat damit an ein sehr wesentliches Thema gerührt, über das wir auch in diesem Zusammenhang nicht hinweggehen können. Diese Gesinnung, die hier charakterisiert worden ist, tritt doch nicht zufällig und gelegentlich auf, sondern sie wird immer wieder und deutlich sichtbar, insbesondere auch im Verhalten einer nicht unwesentlichen Zahl von Mitgliedern unserer Bundesregierung.
Zu dieser patzigen Auffassung von unserer Demokratie und ihren Verpflichtungen gehört in meinen Augen, daß es möglich ist, einen Mann wie Herrn Globke in eine verantwortliche Position in dieser Regierung zu berufen.
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Zu dieser patzigen Gesinnung gehört aber weiter, daß heute die Möglichkeit besteht, nahezu unangefochten in unserem Staate öffentlich die Forderung zu erheben, daß wir wieder eine geheime Staatspolizei mit allen exekutiven Vollmachten bekämen.
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Zu dieser patzigen Gesinnung gehört schließlich auch die Aufforderung eines verantwortlichen Ministers in dieser Regierung, der seinen politischen Gegnern empfiehlt, wenn es ihnen in dieser Demokratie nicht passe, in die Ostzone oder sonstwohin zu gehen; für sie sei hier jedenfalls kein Platz.
Nur aus dieser Haltung und aus dieser Gesinnung ist es verständlich, daß viele Leute, die sich in verantwortlicher Position, sei es als Berufs-, sei es als Laienrichter, mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen haben, es sich allzu leicht machen und glauben, in der Form der Behandlung, die ich im einzelnen geschildert habe, dem Recht Genüge zu tun.
Es ist notwendig, hier ein ernstes Wort zu sagen, das zu einer grundsätzlichen Änderung der Haltung sehr vieler auffordert, die es angeht, nicht zuletzt - und ich möchte sie ausdrücklich nicht ausnehmen - auch der Richter, die sich das ins Stammbuch schreiben lassen müssen. Niemand fordert - ich möchte da nicht falsch verstanden sein - eine politische Justiz, eine Justiz, die unter politischen Gesichtspunkten urteilt und Recht spricht. Aber es ist eine selbstverständliche Forderung, daß unsere Justiz sich ihrer gesamtpolitischen Verantwortung bewußt ist,
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daß auch unsere Richter nicht ein Dasein außerhalb des politischen Lebens unseres Volkes führen, sondern daß sie im vollen Bewußtsein auch ihrer eigenen politischen Verantwortung Recht sprechen und ihren Beitrag dazu leisten, daß diese Demokratie gut gegründet wird, daß sie ein festes Fundament erhält und daß sie Bestand hat, daß diese Demokratie sich ihres Wertes bewußt ist und sich nicht durch manche ihrer Urteile und Richter zum Gespött ihrer Feinde machen läßt.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst
Bundesjustizminister Schäffer
ganz kurz zu Ausführungen des Herrn Vorredners Stellung nehmen, der einige Pfeile gegen mich ab- 1 geschossen hat. Er kritisierte die Art und Weise meines Vortrags. Ich darf ihn doch daran erinnern, daß derjenige, der eine Interpellation und Fragen zu beantworten hat, sich letzten Endes an die Fragestellung und vielleicht auch an das Beispiel dessen zu halten hat, der die gestellten Fragen zunächst begründet hat.
({0})
Nachdem Herr Kollege Arndt sehr sachlich und ruhig gesprochen hat, kann, glaube ich, dem Bundesminister der Justiz kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er in der Antwort genauso sachlich und genauso ruhig sein wollte wie derjenige,
({1}) der diese Interpellation begründet hat.
Damit diese Sachlichkeit und Ruhe verlorengeht, hat dann der Herr Vorredner versucht, seine Rede mit dem Abschießen persönlicher giftiger Pfeile zu beginnen,
({2})
und er schoß auf mich einen Pfeil wegen meiner Stellungnahme in der Frage der Wiedergutmachung ab. Es hat mit dem heutigen Thema nichts zu tun, aber ich darf ihn darin erinnern, daß das Wiedergutmachungsgesetz in diesem Hause zustande gekommen ist, als ich als Minister der Finanzen dafür verantwortlich gezeichnet habe. Bekanntlich hat das Haus all dem, was der Bundesfinanzminister in den Beratungen vorgeschlagen hat, einstimmig von rechts und links zugestimmt. Ich glaube also, daß gegen den Bundesfinanzminister hinsichtlich dieses Gesetzes irgendein Vorwurf in Richtung von Judenfeindlichkeit oder irgend so etwas bestimmt nicht erhoben werden kann.
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Auch daß Sie von Brandreden sprachen, ist falsch, mein lieber Herr Vorredner! Es. hat sich nicht um Brandreden gehandelt, sondern um einen im vertraulichen Kreis erstatteten Bericht über die voraussichtlichen finanziellen Aufwendungen, den ich abgegeben und den ich mit den verantwortlichen Organisationen der Juden besprochen habe. Diese verantwortlichen Organisationen haben meine Außerung in die „Allgemeine Zeitung der Juden" übernommen und sich dabei für meine Argumentation ausgesprochen. Ich bin gedeckt durch den Anstand der Juden. Wie sich andere in dieser Frage verhalten, ist mir gleichgültig.
({4})
Nun im einzelnen zu den Fragen Arnsberg, Ansbach und Traunstein. Ich darf den Herrn Vorredner und muß auch das Hohe Haus darauf hinweisen, daß die Staatsanwaltschaft in allen diesen drei Fragen ihre Pflicht getan hat. In allen drei Fragen handelt es sich um Urteile der Schwurgerichte, bei denen der Staatsanwalt von allen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht hat. Wenn schon eine Rüge erteilt wird, müßte sie sich nicht gegen die Gerichtsbarkeit als solche, sondern gegen das System der
Schwurgerichte richten. Ich bedaure manche dieser Urteile, habe aber als Bundesminister der Justiz nach meinem Dafürhalten nicht die Möglichkeit, zu den einzelnen Verfahren Stellung zu nehmen, solange noch Rechtsmittel laufen und die Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind. Das verbietet schon der Takt. Ich kann zu dem Verfahren beim Schwurgericht Ansbach also nur feststellen, daß die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Revision eingelegt hat und eine rechtskräftige Entscheidung daher meines Wissens bis heute noch nicht vorliegt.
Ebenso ist es im Falle des Schwurgerichts Arnsberg. Ich darf darauf hinweisen, daß es sich um ein Urteil eines Schwurgerichts handelt. Es kann der Fall vorgekommen sein - und wie ich nach Presseberichten annehme, ist die Möglichkeit gerade in diesem Fall ernsthaft gegeben -, daß die Geschworenen denjenigen, der das Urteil begründen mußte, überstimmt hatten. Aber auch in diesem Fall ist das Urteil nicht rechtskräftig.
Jedenfalls handelt es sich in allen Fällen um Urteile der Schwurgerichte. Man sollte sich also bei der Kritik an Urteilen, in denen die Mehrheit der Geschworenen entscheidet, bewußt sein, daß damit ein Urteil über die Qualität, die Güte und die Bewährung des deutschen Richterstandes sicherlich nicht gegeben ist.
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Meine Damen und Herren, wir unterbrechen die Beratungen bis 14.30 Uhr.
({0})
Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort. Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Dr. Kanka das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die neun zu einer Großen Anfrage verbundenen Einzelfragen beziehen sich, wie heute vormittag in der Begründung bereits hervorgehoben worden ist, auf Gegenstände der verschiedensten Art, des unterschiedlichsten Gewichts und sehr verschiedenen Ranges. Die ersten acht Fragen aber haben etwas Gemeinsames: sie gehören zum großen Gebiet der Justiz. Deshalb ist es vielleicht gut, in der Aussprache über diese Fragen und die auf sie gegebenen Antworten einiges Grundsätzliche zur Justiz als einer Einrichtung unseres staatlichen Lebens zu sagen.
Die Justiz ist eine den Menschen in ihrer jeweiligen politischen Gemeinschaft, vor allem im Staate, in dem sie leben, gesetzte Aufgabe, von Menschen zu lösen, mit Hilfe menschlicher Einrichtungen und nach Regeln, die von Menschen erkannt oder gesetzt worden sind. So ist die Justiz zu gleicher Zeit etwas Hochpolitisches und etwas sehr Menschliches.
Ich weiß, daß es unter denen, die diese Aufgabe - in einem politischen Amt! - zu leisten haben,
den Richtern, nicht wenige gibt, die es nur mit Entsetzen hören, wenn man von ihrem Amt als einem politischen Amt spricht. Wenn sie das Wort „Politik" hören, denken diese nicht wenigen zuerst und vielleicht ausschließlich an politische Parteien und deren Auseinandersetzungen, und wenn sie damit nichts oder nur möglichst wenig zu tun haben wollen, so hat das neben sehr fragwürdigen auch gute Gründe.
Ein sehr fragwürdiger Grund ist für nicht wenige Richter, aber auch für viele andere Bürger und Diener unseres Staates, die sich jetzt so apolitisch benehmen, daß sie einmal in einer Partei waren, einer Partei, die in Wirklichkeit keine war, sondern nur das Instrument von Machthabern in einem totalitären Zwangsstaat.
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Mit dieser Pseudo-Partei und der Zugehörigkeit zu ihr haben sie, mehr oder weniger vorübergehend, schlechte Erfahrungen gemacht. Wer aus diesem fragwürdigen Grunde gegen unsere echten politischen Parteien ist, verrät damit aber nur seine politische Ahnungslosigkeit und vielleicht auch eine starke Ängstlichkeit, - beides Eigenschaften, die ihn nicht gerade zieren.
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Dagegen dürften es gute Gründe sein, die dafür sprechen, daß sich unsere Richter, solange sie ihr Richteramt versehen, abgesehen von der bloßen Mitgliedschaft in einer Partei, nicht parteipolitisch betätigen sollen, so wie es der vor kurzem dem Rechtsausschuß des Bundestages überwiesene Entwurf eines Richtergesetzes will, ein Entwurf der Bundesregierung, dem auch in diesem Punkte der Bundesrat zugestimmt hat.
Wer das Richteramt als ein politisches Amt bezeichnet, denkt bei uns zulande auch nur an die staatspolitische Aufgabe der Justiz und derer, die ihr dienen, eine Aufgabe, die jedoch, auch und gerade bei uns in unserer Gegenwart, nur der im rechten Geist erfüllt, der sie als eine staatspolitische Aufgabe erkennt und zu bewältigen sucht, und zwar als eine Aufgabe, die nicht in einem Staate nach seiner Vorstellung, sondern in unserem konkreten freiheitlich-demokratisch gestalteten Staatswesen nach dessen Grundsätzen zu erfüllen ist. Wer das nicht tun will, soll seinen Dienst quittieren.
Es sind aber nicht nur die Richter, die sich immer wieder sagen sollten, daß der Justiz eine hochpolitische Aufgabe gesetzt ist. Auch diejenigen, die in anderen Bezirken oder auf anderen Ebenen des politischen Lebens tätig sind - darunter wir als die Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung oder als die mehr oder weniger eifrigen Mitglieder politischer Parteien -, dürfen nie übersehen, daß die Justiz ein sehr wesentlicher Teil der Ordnung unseres Staates ist, eines Staates, den und dessen Organe wir auch dann als unseren Staat voll respektieren sollten, wenn unsere Partei - wie z. B. die CDU in Hessen - nicht gerade in der Regierung sitzt.
Ein Beispiel dafür, daß sowohl bei einigen Richtern als auch bei einigen ihrer Kritiker das Gefühl für diese Dinge nicht immer ganz wach ist, bieten
die zwei Entscheidungen, die heute schon besprochen worden sind und die kürzlich die Strafkammer des Landgerichts und der Strafsenat des Oberlandesgerichts in Hamburg gefällt haben. Auch einige kritische Äußerungen, die gegen diese Entscheidungen vorgebracht worden sind, lassen die Einsicht in die Schwierigkeit der richterlichen Arbeit vermissen.
Ich will den Namen des Skribenten und den Titel des Machwerks, um die es in Hamburg ging, nicht nennen. Zum Fall selbst will ich unterstellen, aber keineswegs zugeben, daß unser materielles Strafrecht tatsächlich eine Lücke hat, durch die der Skribent und der Drucker hindurchschlüpfen konnten. Aber auch wenn man diese Meinung als richtig unterstellt, wird man sagen müssen: Die Begründung des Strafkammerbeschlusses und der Inhalt des Beschlusses des Senats in Hamburg lassen nicht im geringsten erkennen, daß die Verfasser dieser Entscheidungen ihre Aufgabe als eine staatspolitische Aufgabe erkannt haben,
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die in unserer politischen Wirklichkeit und nicht auf den vermeintlichen Höhen oder in Laboratorien reiner Justiztechnik zu leisten ist. Hätte die Strafkammer zeigen wollen, daß sie ihre Aufgabe für eine staatspolitische Aufgabe hält, dann hätte sie in die Begründung ihres Beschlusses deutlich hineinschreiben müssen, was sie von dem minderwertigen Machwerk hält, wie es moralisch und sonst zu beurteilen ist. Solche Urteile äußern unsere Richter ja auch sonst. Sie hätte dann auf die nach ihrer Ansicht bestehende Lücke im materiellen Strafrecht und auch darauf hinweisen können, daß Strafgesetze in einem Rechtsstaat eher einschränkend als ausdehnend ausgelegt werden müssen. Wir hier im Bundestag hätten es nicht als einen Angriff auf unsere - der gesetzgebenden Körperschaft - Unabhängigkeit empfunden, wenn die Verfasser des Strafkammerbeschlusses schließlich angeregt hätten, daß man die vermeintliche Lücke schließe.
Zu schlechter Letzt hat es auch nicht von gutem Stil gezeugt, mußte es sogar stark befremden, daß der Strafsenat die gar nicht schlecht begründete Beschwerde des Hamburger Generalstaatsanwalts mit der formularmäßigen Floskel abgetan hat, sie werde aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses zurückgewiesen.
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Das dürfte das mindeste von dem sein, was man denjenigen Hamburger Richtern, die - ob einstimmig oder nur mit Mehrheit, können und dürfen wir nicht wissen - die beiden Beschlüsse und ihre Begründungen für recht gehalten haben, kritisch entgegenhalten kann. Ja, man wird darüber hinaus auch noch sagen können, sie hätten das Machwerk und seinen Autor absolut unzureichend beurteilt und den § 93 des Strafgesetzbuchs zu eng ausgelegt. Entschieden zu weit geht aber jeder, der, das Beratungsgeheimnis mißachtend, auch nur einem von den drei Mitgliedern der Kammer oder einem von den drei Mitgliedern des Senats Rechtsbeugung oder eine andere Pflichtverletzung vorwirft.
An dieser Stelle sollte man auch herausstellen, daß man entschieden zu weit ginge, wenn man das Hamburger Vorkommnis und andere vereinzelte Vorkommnisse als Symptome eines wiederauflebenden deutschen Antisemitismus wertete. Wir sollten solche Vorkommnisse nicht leicht nehmen, wir sollten sie aber auch nicht überbewerten.
Aber wir sollten eines tun: nun endlich, jede etwaige Lücke schließend, den § 130 des Strafgesetzbuchs ändern. Deshalb begrüßen wir den von der Bundesregierung angekündigten zweiten Entwurf eines Gesetzes gegen Volksverhetzung. Ein erster war bereits im Jahre 1950 im Entwurf des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes enthalten, ist dann aber nicht in das Gesetz übernommen worden, genauso wie es einem von der CDU/CSU-Fraktion herausgegebenen Antrag vom Januar 1957 erging, der auch nicht mehr erledigt werden konnte, einem Entwurf, gegen dessen von der Gefährdung des inneren Friedens handelnden Tatbestandsmerkmal bei der ersten Beratung hier im Bundestag Herr Kollege Arndt nicht ganz unberechtigte Einwände erhoben hat, Einwände, von denen ich glaube, daß man sie mutatis mutandis auch dem neuen Entwurf entgegenhalten kann. Beseitigen wir, meine Damen und Herren, demnächst dieses Tatbestandsmerkmal von der Gefährdung des inneren Friedens oder des öffentlichen Friedens, machen wir aber schleunigst ein Gesetz, das gegen Hetzschriften von der Art des Hamburger Pamphlets glatt und klar angewandt werden kann! Dann hat dieser Hamburger Fall sogar eine gute Wirkung gehabt.
Zum Grundsätzlichen, das über die Justiz zu sagen ist, gehört aber nicht nur der Hinweis darauf, wie sehr ihre Diener, die Richter, und alle anderen, vor allem aber auch ihre Kritiker, sie als eine staatspolitische Aufgabe und als eine ganz wesentliche Einrichtung unseres Staates achten sollten; zum Grundsätzlichen gehört auch noch einiges, das von der richterlichen Unabhängigkeit handeln soll. Es mag Leute geben, die schon das, was ich hier als Kritik an den Hamburger Entscheidungen vorgebracht habe, für unerlaubt oder unangebracht ansehen; ja es gibt Leute, die jede richterliche Entscheidung für tabu halten, weil die richterliche Unabhängigkeit durch jedes kritische Wort gefährdet werden könne. Mir scheint, wer so denkt, irrt sich gewaltig. Auch richterliche Entscheidungen müssen öffentlicher Kritik zugänglich sein, nicht nur der in jedem Rechtsbehelf enthaltenen Kritik unter Kollegen. In dieser Hinsicht hat die sogenannte Dritte Gewalt keinerlei Vorrecht vor den beiden anderen Gewalten, vor der gesetzgebenden oder der ausführenden Gewalt; keinerlei Vorrecht! Aber die Kritik an ihr muß wie jede Kritik im Bewußtsein unserer Verantwortung für das geübt werden, was man mit der Kritik im Guten und im Bösen anrichten könnte. Für sachliche, aufbauende Kritik, auch wenn sie öffentlich geübt wird, sollte jeder und wird auch jeder Richter dankbar sein.
Im übrigen ist richterliche Unabhängigkeit ja etwas Inneres, eine Eigenschaft des Charakters und der Erziehung, und es wäre schlimm um die Unabhängigkeit eines Richters bestellt, wenn sie durch
eine kritische oder irgendeine andere Äußerung erschüttert oder auch nur im leisesten gefährdet werden könnte, wenn der Richter durch irgendwelche Äußerungen, mögen sie herkommen, woher sie wollen, in seiner Meinung beeinflußt, anderen Sinnes oder vielleicht auch verstockt würde. Es ist zwar gut, ja es ist sogar notwendig, die innere Unabhängigkeit der Richter auch äußerlich abzuschirmen. Denn auch Richter sind Menschen; und man soll sie nicht der Versuchung aussetzen, der sie ausgesetzt sein könnten, wenn ihr Verbleiben oder ihr Fortkommen im Amt davon abhingen, ob ihre Entscheidungen höheren Orts oder anderswo gefallen oder mißfallen. An den Garantien einer solchen auch nach außen geschützten Unabhängigkeit darf nicht gerüttelt werden, auch wenn uns Fehlentscheidungen unwillig machen. Man würde aber jeden wirklich unabhängigen Richter kränken, wenn man annähme, jedes Wort und jede Außerung könne ihn irgendwie beeinflussen.
Und noch ein letztes Wort über die Justiz hier in der Bundesrepublik. Am 1. Januar 1957 waren in der Bundesrepublik 11 340 Berufsrichter tätig, davon 9248 in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und davon 94 als Bundesrichter, alle anderen als Richter der Länder. ln der Strafgerichtsbarkeit, für die das öffentliche Interesse besonders groß ist, werden von diesen 9000 Richtern schätzungsweise 2000 bis 3000 tätig sein. Im Jahre 1957 sind bei unseren Staats-und Amtsanwaltschaften 3 Millionen Anzeigen, handelnd von der kleinsten Übertretung bis zum scheußlichsten Verbrechen, eingegangen, und in den Strafgerichten erster Instanz sind insgesamt rund 520 000 Hauptverhandlungen durchgeführt worden.
Weil Richter Menschen sind und sich irren können, gibt es gegen die meisten erstinstanzlichen Urteile, soweit sie nicht von den höchsten Gerichten als ersten Instanzen gefällt werden, Rechtsmittel. So sind im Jahre 1957 50 000 Berufungen und außerdem 12 000 Revisionen gegen Strafurteile eingelegt worden. Das ist eine Fülle von Arbeit für 2- bis 3000 Richter in Strafsachen, und darin steckt viel schwere Verantwortung, viel Arbeit und viel Verantwortung auch für die kleineren Sachen. Wer sich gelegentlich am Rande auch noch um diese tägliche Arbeit im Justizdienst bemüht, der weiß, daß diese Arbeit in unserer Justiz im großen und ganzen in ernstem Bemühen um Gerechtigkeit und im Geiste sozialen Verständnisses geleistet wird.
({4})
Meine Damen und Herren, nach diesen allgemeinen Betrachtungen, von denen ich meine, daß wir sie in einer solchen Diskussion einmal anstellen sollten, um Distanz zu gewinnen, wende ich mich nun einigen Einzelfragen zu.
Die erste Frage, die Frage nach der Errichtung des Obersten Bundesgerichts in Ausführung des Art. 95 des Grundgesetzes, scheint mir durch den Herrn Bundesjustizminister erschöpfend beantwortet zu sein. Im übrigen, was hindert die Fraktion der SPD, die Initiative zu ergreifen? Auch Fraktionen können ja Initiativen ergreifen, und vielleicht würde unser parlamentarisches Leben stärker belebt sein, wenn wir mehr Gebrauch von dem
Recht der Initiative machten und nicht jede Initiative der Regierung überließen.
({5})
Also bitte heran mit einem verantwortlichen Entwurf! Ich bin überzeugt, Sie werden sich, wenn Sie einige Vorarbeit geleistet haben, in holder Eintracht mit dem Herrn Justizminister finden.
({6})
Zu den Fragen 2 und 3 werden nachher noch meine Kollegen Benda und Schlee sprechen.
Ich wende mich gleich der Frage 4 zu, der Frage wegen der übermäßig langen Dauer gerichtlicher Verfahren. Meine Damen und Herren, über die lange Dauer von Prozessen wird geklagt, solange es Gerichtsbarkeit und ihre Instanzen gibt. Schon die Reichsabschiede des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation haben immer wieder Rezepte dagegen gebracht, und trotzdem sagt noch Jean Paul vom Reichskammergericht zu Wetzlar, auf die lange Dauer der Prozesse hinweisend, daß es von gutem Stile wisse. Was Jean Paul sonst von den Juristen und was er gar von den Advokaten sagt, will ich hier nicht vortragen. Nur eine Stelle aus der Geschichte des guten und braven Armenadvokaten Siebenkäs, der in eigener Sache einen Erbschaftsprozeß führen mußte, will ich zitieren. Da heißt es:
Siebenkäs lebte freilich der gewissen Hoffnung, daß das gelobte Land der Erbschaft von seinen Kindern werde erobert werden, wenn er in der juristischen Wüste auf dem Weg dahin längst verstorben sei. Denn die Justiz belohnt gern die Tugend und das Recht der Väter an Kindern und Kindeskindern. Inzwischen aber blieb's immer unbequem, daß er nichts zu leben hatte bei Lebzeiten.
So war's in der guten alten Zeit!
({7})
Jetzt ist es, wie wir aus dem Bericht des Herrn Justizministers gehört haben, doch viel besser.
({8})
Wenn die Prozesse noch immer lange dauern, so sollte zuerst daran erinnert werden, daß die längere Dauer der Bearbeitung einer Sache auch die Kehrseite größerer Gründlichkeit und Genauigkeit sein kann.
({9})
- Sein kann! Standgerichte arbeiten schnell, aber nicht immer gerecht; und gut Ding braucht gut Weil, auch im Prozeß.
In diesem Zusammenhang kann nur unterstrichen werden, was der Herr Justizminister gesagt hat, daß die Beschleunigung niemals auf Kosten der Rechtsgarantien gehen dürfe und die Grundforderung des Verfahrensrechts bleiben müsse, daß durch sorgfältige Aufklärung des Falls die Voraussetzung für eine gerechte Entscheidung geschaffen werde.
Trotzdem, meine Damen und Herren, dürfen wir es nicht einfach hinnehmen, daß sich unsere Prozesse - z. B. beim Bundesarbeitsgericht, aber nicht
allein dort - so lange hinziehen. Wir müssen I ernsthaft an eine Überprüfung unserer Prozeßordnungen herangehen.
({10})
Das braucht noch keine große Gerichts- und Gerichtsverfahrensreform zu sein. Die Prüfung sollte sich aber auf alle Instanzen, alle Zweige der Gerichtsbarkeit erstrecken, auch auf den Strafprozeß. In diesem Punkte bin ich für mich durchaus anderer Meinung als der Herr Bundesjustizminister. Ich teile seine Auffassung nicht, daß der Reform des materiellen Strafrechts der Vorrang vor der Reform des Prozeßrechts gebühre. Mir scheint eines so wichtig zu sein wie das andere. Ein gutes Verfahrensrecht ist nicht weniger wichtig als ein gutes materielles Strafrecht, und was die Reformbedürftigkeit angeht, so meine ich sogar, die des Verfahrenrechts sei sogar als dringlich anzuerkennen, gerade in den Punkten, die auch der Herr Bundesjustizminister hervorgehoben hat. Ich bin da also ziemlich weit in Übereinstimmung mit meinem Herrn Kollegen Arndt. Aber ich meine, wir sollten vom gegenwärtigen Zustand doch nicht das Wort gebrauchen, daß er auf eine Verhinderung der Rechtsverwirklichung hinauskomme.
({11})
Das geht weit über das Ziel und über eine sachliche, aufhauende Kritik hinaus.
Wir dürfen aber auch, wenn wir gerade an die lange Dauer von Strafverfahren denken, nicht übersehen, daß der Grund dafür keineswegs nur in den oberen Instanzen, den Bundesgerichten, oder den oberen, mittleren und unteren Instanzen der Landesgerichte liegt. Man hört von Staatsanwälten immer wieder die Klage, daß es hei der Polizei als ihrem Hilfsorgan an genügendem und hinreichend geschultem Personal fehle. Auch da wird einiges, so weit es im Zeitalter der Überbeschäftigung menschenmöglich ist, zu bessern sein.
Zur Frage 5 über die Verzögerung durch nicht oder nicht vollständige oder zu spät erteilte Aussagegenehmigungen hat der Herr Bundesjustizminister darauf hingewiesen, daß Entscheidungen in der Frage von Aussagegenehmigungen nicht immer ganz einfach sind. Dem Interesse an der Aufklärung eines möglicherweise mit Strafe zu ahnenden Vorgangs, etwa einer Beleidigung, steht häufig ein gewichtigeres Interesse anderer Art gegenüber, z. B. das Interesse daran, daß auswärtige Beziehungen nicht zum Schaden unserer politischen oder wirtschaftlichen Stellung in der Welt gestört werden.
({12})
Man wird Verständnis dafür haben müssen, daß man diese beiden Interessen sehr sorgfältig abwägt; denn die auf Grund vorschnell erteilter Erlaubnis gemachte Aussage ist in der Welt und richtet vielleicht ihren Schaden an. Da ist es schon besser, daß man etwas zögert und die Genehmigung dann gibt, wenn man sich davon überzeugt hat, daß das Interesse an der Aufklärung des Falles nicht durch ein höheres Interesse überdeckt wird. SorgDr. Kanka
fältige Arbeit derer, die die Entscheidung zu treffen haben, ist etwas, was wir verlangen müssen. Sorgfältige Arbeit verlangt Zeit, und wir sollten die Regierung deshalb wegen der Sorgfalt, die sie geübt hat, nicht tadeln, sondern sollten sie belobigen.
({13})
- Das ist nichts anderes als, sehr nüchtern und ohne Ihr hochgeschätztes Temperament, die Fakten beurteilt.
({14})
Zur Frage 6, ob sich die Bundesregierung der Gefahr für die Meinungs- und Pressefreiheit bewußt sei, wenn gerichtliche Verfahren nicht gegen die Schuldigen, sondern gegen Journalisten eingeleitet werden, könnte der Gedanke aufkommen, in unserer Bundesrepublik drohe der Pressefreiheit vielleicht Gefahr.
({15})
Denn es gehört ja zur Pressefreiheit, daß die Presse auch auf strafbares oder sonst anrüchiges Verhalten hinweisen kann. Es wäre um unseren Staat und um unsere Pressefreiheit schlimm bestellt, wenn nicht derjenige, der sich der Straftat schuldig gemacht, sondern der, der auf sie hingewiesen hat, bestraft würde. Es gibt aber keinen Grund zu sagen, daß es bei uns so sei. Deshalb ist der hinter der Frage stehende Verdacht absolut grundlos geäußert.
({16})
Wir achten die Pressefreiheit allesamt als ein hohes Gut; wir sehen in ihr eine der unentbehrlichen Grundlagen unserer Art des Zusammenlebens und Wirkens im Staate und in allen anderen Ordnungsbereichen, und es wird immer unsere gemeinsame Sorge sein müssen, daß keine irgendwie geartete Gewalt, keine politische, wirtschaftliche oder sonstige Gewalt, diese Freiheit einschränkt oder auch nur bedroht.
({17})
Die Pressefreiheit muß aber auch von denjenigen, die sie ausübend genießen, gehörig respektiert werden.
({18})
Sie sind auch verantwortlich für die Pressefreiheit. Sie sollten sie nicht mißbräuchlich strapazieren; sie sollten sie nur im ständigen Bewußtsein der Verantwortung, die sie tragen, gebrauchen. Pressefreiheit heißt auf keinen Fall Freiheit von der Pflicht, vor allem die allgemeinen Strafgesetze zu beachten. So gesehen vertragen sich nun einmal Publikation - worauf die Presse abzielt - und Geheimhaltungspflicht - die auf weiten Gebieten dem Beamten obliegt - nicht miteinander. Wo immer wie allen anderen so auch den Journalisten eine Geheimhaltungspflicht vom allgemeinen Strafgesetz auferlegt ist, da muß auch der Journalist sie selbstverständlich beachten. Wir leben nun einmal noch in einer Welt - und für uns Deutsche gilt das in einer besonders schmerzlichen Weise -, in
der es geboten ist, gewisse Tatsachen zum Wohle unserer staatlichen Ordnung vor fremden Regierungen oder Pseudoregierungen geheimzuhalten. So etwas nennt man dann Staatsgeheimnis. Man braucht nicht einmal das umfassende Wissen um politische Zusammenhänge und Gegebenheiten zu haben, das den Journalisten wie den Politiker auszeichnen sollte, um z. B. zu wissen, daß bestimmte Bedienstete unserer Verfassungsschutzämter Funktionen ausüben, die gewissen fremden Regierungen oder Pseudoregierungen nicht offenbart werden sollen. Wer das in vielleicht wohlgemeintem, aber blindem Übereifer dann doch tut, der braucht sich nicht zu wundern, wenn sich ein Staats- oder ein Bundesanwalt mit seinen Veröffentlichungen befaßt.
Nicht ganz hierher, aber zum Kapitel „Publizität und Amtsgeheimnis" gehört etwas anderes, auf das gelegentlich auch hingewiesen werden sollte: das in
17 des Reichspressegesetzes von 1874 enthaltene Verbot der vorzeitigen Veröffentlichung der Anklage und anderer amtlicher Schriftstücke eines Strafprozesses. Das richtet sich zwar nur gegen die Presse; aber die dahinter stehende Absicht des Gesetzgebers sollte auch von den Staatsanwälten noch allgemeiner und sorgfältiger, als es zuweilen geschieht, beachtet werden. Gegen die Staatsanwälte richtet sich der § 17 des Pressegesetzes nur deshalb nicht, weil sie im Gegensatz zur Presse keine Publikationsorgane sind, weil sie vielmehr das, was sie wissen oder zu wissen glauben, grundsätzlich als Amtsgeheimnis zu wahren haben.
Ich weiß, die Freude daran, daß etwas über eigene Leistungen, die man für gelungen hält, publiziert wird, ist bei vielen groß, und die Aussicht, in der Presse nicht unrühmlich genannt zu werden, wirkt als Verlockung. Das geht auch anderen Leuten so, und vielleicht erliegen ihr die Staatsanwälte und die Richter noch am wenigsten.
({19})
Dennoch meine ich, man müsse im Kreis der Presse und der Staatsanwälte immer neu prüfen, wie man zwischen dem echten und rechten Bedürfnis nach Information und dem Gebot, daß keiner vor rechtskräftiger Verurteilung als schuldig behandelt, d. h. auch in der Öffentlichkeit als schuldig hingestellt werden darf, den rechten Mittelweg findet.
({20})
Die von der Regierung gegebene Antwort auf die siebte Frage, die Frage nach geheimen Anklagen, bedarf wohl keiner Ergänzung. Es liegt nahe, zu sagen, sie wäre wie die achte Frage nach den Schwarzen Listen über die Rechtsanwälte besser nicht gestellt worden.
({21})
Aber es ist gut, daß die beiden Fragen gestellt worden sind, weil durch die Antwort Klarheit geschaffen wurde.
({22})
Es geht alles durchaus legal zu, da ist nichts zu tadeln!
Ich meine, unsere derzeitige Lage verpflichtet uns alle zu erhöhter Sachlichkeit, auch in der politischen Auseinandersetzung.
({23})
Wir sitzen doch alle in einem Boote auf einer sehr gefährlichen See: die Bundesregierung und die hinter ihr stehenden Parteien, aber auch die sehr geehrte Opposition und die freie Presse. Ich meine, wir sollten uns sehr viel Mühe geben, über das, was uns gemeinsam ist, wie eine gute Justiz, nur im Geiste echter Sachlichkeit zu debattieren; dann kann sogar aus einer Justizdebatte noch etwas Gutes herauskommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ohne Gerechtigkeit sind Staaten nichts als große Räuberbanden."
({0})
- In meinen Notizen steht hier bereits: Unruhe bei der CDU.
({1})
- Ich möchte deshalb das Zitat im Originaltext
wiedergeben, und da lautet es: Remota justitia quid sunt regna, nisi magna latrocinia?
Es steht im „Gottesstaat" des heiligen Augustinus.
({2})
Dieser Kernsatz gilt heute ebenso wie zu der Zeit, als er verfaßt wurde, und die jüngste Vergangenheit zeigt es uns, wie sehr er noch gilt. Gerade diese jüngste Vergangenheit sollte uns auch dazu veranlassen, daß auf jeden Fall die Justitia, die Gerechtigkeit als Grundlage der Staaten die gesamte Politik durchdringt.
Nun, wie ist es bei uns? Es gibt bei uns zum Beispiel ein Wirtschaftskabinett, einen Verteidigungsrat; ich will keineswegs eine Lanze dafür einlegen, daß es ein Justizkabinett geben sollte. Denn es liegt nicht an fehlenden Institutionen, wenn etwas nicht stimmt, sondern es liegt dann am fehlenden rechtlichen Geist.
Es ist die Aufgabe des Justizministers, nicht nur technisch die Gesetzgebung zu überwachen, sondern überall da seine Stimme zu erheben, wo es um das Recht geht. In diesem Sinne möchten wir eigentlich weniger gern die Ergebnisse der „Feierabendbeschäftigung" des Herrn Justizministers hören, als da sind Lex Soraya und Wiedereinführung der Todesstrafe,
({3})
sondern wir möchten gern feststellen, daß eben überall das Recht durchgesetzt wird, das bei uns doch manchmal zur Magd der Politik zu werden droht. Die Richtlinien der Politik gibt der Bundeskanzler, auch die Richtlinien der Justizpolitik. Ich bedauere, daß der Herr Bundeskanzler im Augenblick nicht mehr hier ist. Wir durften uns ja darüber freuen, daß er heute früh da war, und ich hoffe, daß er doch noch mal kommen wird.
({4})
- Ich glaube, mehr, als sich um die Justizpolitik zu kümmern, gibt es im Augenblick nicht zu tun.
({5})
Ich hoffe, daß sich die bewundernswerte Durchhaltefähigkeit des Herrn Bundeskanzlers in vielen außenpolitischen Debatten, vor der wir immer größten Respekt hatten, auch in einer solchen Sache bewährt.
({6})
Ich bedauere es deshalb, weil ich hier das Verhalten des Herrn Bundeskanzlers ansprechen muß in einem Falle, der zwar schon zurückliegt, der aber eben für seine Einstellung zum Recht typisch war. Es war der bekannte Fall Schmeißer. Damals wurde hierüber eine Große Anfrage beraten, und in seiner Antwort auf diese Große Anfrage hat der Herr Bundeskanzler uns zunächst ausführlich erklärt, daß das alles nicht nichtig sei, was ihm da vorgeworfen wurde, - etwas, was sich ja niemand in diesem Hause zu eigen gemacht hat, sondern es ging damals um sein Verhalten gegenüber der Justiz und darum, wie er es verantworten konnte, sich als Regierungschef nicht der Justiz zu stellen und dafür zu sorgen, daß seine Beleidiger und Verleumder zur Verantwortung gezogen werden, sondern diese Sache mit einem ziemlich faulen Vergleich abzuschließen. Er hat uns damals erklärt, das sei deshalb geschehen, weil der Fall Ziebell ja viel interessanter sei.
Es heißt hier im Protokoll:
Die bedeutendste Rolle spielte Herr Ziebell, und dieses Verfahren interessierte mich am meisten und wird mich auch in Zukunft interessieren.
Er sagte dann -- das war am 7. Dezember 1955 - In dem Strafverfahren gegen Ziebell, das ja noch aussteht und das durchgeführt werden wird, wird diese Sache eine Rolle spielen.
Er schloß mit dem Satz:
Ich darf wiederholen, daß diejenigen, die eine gerichtliche Feststellung und Aufklärung noch wünschen, eine solche in dem Verfahren gegen Ziebell erhalten werden.
Eine solche Aufklärung haben wir in der Folgezeit nicht erhalten, sondern mit. Herrn Ziebell wurde ebenfalls ein Vergleich abgeschlossen. Ich habe damals in einer Fragestunde gefragt, wie denn das mit der früheren Erklärung zu vereinbaren sei, und dann antwortete mir der Herr Stellvertreter des Herrn Bundeskanzlers, - es war nicht ganz so schlimm wie umgekehrt, wenn sich der Herr Bundeskanzler auf das Gebiet der Wirtschaftspolitik begibt.
({7})
Er sagte mir, das Verfahren sei doch durchgeführt
und abgeschlossen worden, eben mit einem Vergleich. Natürlich ist auch ein Verfahren, das mit
einem Versäumnisurteil endet, durchgeführt und abgeschlossen. Aber der Bundeskanzler hat ja gerade selber in Gegensatz gestellt: hie Vergleich Schmeißer, dort durchgeführtes Verfahren Ziebell.
Warum wärme ich diese alte Sache nochmals auf? Nicht aus Freude am Skandal, sondern deswegen, weil der Regierungschef sich nicht wie ein Privatmann benehmen kann. Dieser ist frei, über seine Ehre zu verfügen. Aber die Ehre des Regierungschefs ist nicht seine Ehre, sie ist unsere Ehre; er ist unser Regierungschef.
({8}) - Ja, unser Regierungschef!
({9})
Man darf deshalb nicht mit Vertuschung arbeiten, wenn solche schwerwiegende Vorwürfe erhoben werden; denn die Folge davon ist: es bleibt immer etwas hängen, und es rumort immer weiter.
({10})
- Herr Weber, ich meine, es ist viel besser, das wird hier gesagt. Ich rumore ja nicht; ich sage es offen vor dem Deutschen Bundestag.
Vertuschung haben Diktaturen nicht nötig. Da wird nicht vertuscht, sondern da wird einfach unterdrückt. Deswegen gibt es da scheinbar keine Skandale. Aber es dürften ja nur harmlose Gemüter sein, die glauben, in Diktaturen gäbe es wirklich
keine Skandale.
In der Demokratie dagegen ist Vertuschung möglich. Aber sie ist äußerst gefährlich und sie sollte nie angewandt werden. Skandale können vorkommen. Dadurch wird kein Staat gefährdet. Sie sind nicht zu vermeiden, solange es Menschen gibt. Wenn gegen Skandale durchgegriffen wird, steht der Staat sauber da.
Nun, es wird durchgegriffen, so zum Beispiel in Koblenz, und es muß durchgegriffen werden, nach dem Grundsatz von der Gleichheit aller vor dem Gesetz. Aber wie wird dieser Grundsatz bei uns angewendet? Er wird nach dem Satz von Orwell in seiner „Animals'Farm" angewendet: „All animals are equal, but some animals are more equal than others." In der Übersetzung von Reinhold Maier: „Allerhöchste Personen dürfen höchste Personen schützen."
({11})
Dieses Verfahren haben wir nun schon öfters erlebt. Wir haben es im Vulkan-Prozeß erlebt. Wohl sind dort diejenigen, die geschädigt waren, entschädigt worden, aber aus der Staatskasse. Ich möchte einmal sehen, ob sich der Staat in einem Falle, wo ein kleiner Beamter so grobfahrlässig handelt, nicht auf § 78 des Bundesbeamtengesetzes besinnt und Rückgriff nimmt.
Ich will hierzu nichts weiter sagen, weil es sonst so aussieht, als seien hier persönliche Gefühle vorhanden. Sie sind bestimmt nicht da. Aber in diesen
und in anderen Fällen wurde nach dem Grundsatz gehandelt: Was die eigenen Beamten und Minister machen, ist a priori richtig und muß verteidigt werden. Nebenbei: ein gutes Musterbeispiel dafür war ja auch die Behandlung des Falles John, die Art und Weise, wie der Herr Bundesinnenminister als einziger in der ganzen Bundesrepublik bis zuletzt mit bemerkenswerter Hartnäckigkeit die Entführungsthese vertrat, obwohl dieser Schutz an einem nicht gerade sehr würdigen Subjekt praktiziert wurde.
Auch der Fall Kilb lag so; Kilb wurde zunächst in Schutz genommen. Man hat sich vor ihn gestellt. Vor kurzem noch hat der Herr Bundeskanzler einen Brief an das Gericht geschrieben und Korrekturen an der Anklageschrift verlangt. Erfreulicherweise hat sich der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen sehr energisch gegen diesen Eingriff gewendet; denn auch das ist ein Eingriff. Man ist heute der Ansicht - wenigstens ist das die Ansicht aller Richter -, daß die Staatsanwälte in vielen Punkten den Richtern gleichgestellt sein sollten. Deshalb darf man sich auch von Regierungsseite aus nicht in der Weise gegen eine fertiggestellte Anklageschrift wenden.
Im Falle des Ministerialrats Kilb sind wir nun aber an einer gewissen Grenze angelangt. Hier etwa scheint die Grenze zwischen den höchsten Personen und den weniger hohen Personen, die nicht mehr schutzwürdig sind, zu verlaufen; denn ein anderer Ministerialrat, Herr Strack, wurde von der Bundesregierung nicht in Schutz genommen, sondern im Gegenteil sehr schnöde behandelt. Ich will den Fall Strack hier nicht in extenso erläutern. Er hat ja so ausgiebig die gesamte Presse - nicht nur die Inlandspresse, sondern sogar auch die Auslandspresse - beschäftigt, daß sich das erübrigt. Außerdem ist Glas Parlament kein Gericht; dem Gericht kann nicht vorgegriffen werden. Das Verfahren schwebt ja, es schwebt leider sehr lange. Es geht auch nicht um den Fall als solchen, sondern ausschließlich um die Einstellung der Bundesregierung zu diesem Falle.
Ich darf nur in Erinnerung bringen, daß es sich hier um eine Anklage gegen die Herren Hallstein, Blankenhorn und Maltzan handelt, die Herrn Ministerialrat Strack der passiven Bestechung verdächtigt haben sollen. Die Quellen dieser Verdächtigung sind sehr ungeklärt; jedenfalls haben sich diejenigen ausländischen Stellen, die man zunächst dafür in Anspruch genommen hat - ägyptische und türkische -, davon distanziert. Nun, das sind alles Dinge, die vermutlich in der Anklageschrift stehen, die den drei Beteiligten vorgeworfen werden und die also, wenn man ganz genau sein will, bis jetzt noch nicht feststehen, die ich also auch nicht als feststehend behandle, um in keiner Weise dem Gericht vorzugreifen.
Fest steht nur das eine: Ministerialrat Strack wurde damals auf Grund der Beschuldigungen als Leiter der Nahost-Abteilung abgesetzt, und fest steht ein Zweites: sicher ist Herr Strack nicht bestochen worden, sonst wäre er ja heute nicht mehr im Amte; außerdem hat ihm ein interministerieller
Ausschuß im Jahre 1953 bestätigt, daß die Vorwürfe gegen ihn unberechtigt seien.
Was tut nun die Bundesregierung in diesem Falle? Setzt sie alle Hebel in Bewegung a) zur Rehabilitierung des Herrn Strack, b) zur Bestrafung der Schuldigen? Nein! Sie tut aber auch nicht gar nichts. Im Gegenteil: Sie tut alles, um die der Verleumdung Beschuldigten und dringend Verdächtigen zu schützen. Das rollt sich in verschiedenen Etappen ab.
Zunächst erhebt Herr Strack eine Verleumdungsklage gegen jenen Ägypter, von dem dieses Geschwätz ausgegangen sein soll; Galal heißt er. In diesem Verfahren besorgt die Bundesregierung ein Gutachten des Herrn Mosler, damals Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts, das dem Gericht vorgelegt wird. In diesem Gutachten wird nun gesagt, daß aus internationaler Courtoisie diesem Mann Exterritorialität zugebilligt werden müsse. Der Prozeß verlief also im Sande.
Zweite Etappe: Strafanzeige des Herrn Strack zunächst gegen Unbekannt, dann umgewandelt in ein Verfahren gegen Hallstein und Genossen. Hier erbittet der Oberstaatsanwalt am 25. März 1954 die Aussagegenehmigung. Sie wird zunächst verweigert und dann nach 11/4 bzw. 11/2 Jahren erteilt, und zwar am 4. Juni und 24. September 1955, zu entnehmen der Drucksache des 2. Bundestags Nr. 2427 Ziffer 4.
Damit bin ich an dem Punkt: Erteilung von Aussagegenehmigungen. Herr Kanka hat gesagt, daß da oft höhere Interessen, auswärtige Beziehungen usw. obwalteten. Nun, welche höheren Interessen können in diesem Fall verletzt werden, wenn - nehmen wir den schlimmsten Fall an - festgestellt wird, daß sich diese hohen Beamten tatsächlich einer Verleumdung gegenüber einem anderen deutschen Beamten schuldig gemacht haben? Welche außenpolitischen Interessen sind damit berührt?
Dieses Verhalten bei der Erteilung von Genehmigungen wirkt natürlich auch als böses Beispiel nach unten. Ich darf Ihnen hier ein solches Beispiel zur Kenntnis bringen, einen Fall, der vor dem Verwaltungsgericht Freiburg verhandelt wurde, nachzulesen in der „Neuen Juristischen Wochenschrift" von 1956, Seite 1941. Der Sachverhalt war ganz kurz folgender. Polizeirat R. leitete ein Verfahren ein gegen ein 18jähriges Mädchen mit der Behauptung, sie habe abgetrieben. Die amtsärztliche Untersuchung ergab, daß dieses Mädchen virgo intacta war. Das Verfahren wurde eingestellt. Daraufhin erstattete der Vater dieses Mädchens Anzeige wegen Beleidigung und übler Nachrede gegen den Polizeirat. Die Behörde lehnte die Erteilung von Aussagegenehmigungen für andere Polizeibeamte, die als Zeugen dafür benannt waren, daß der Polizeirat die Behauptung einfach von sich aus aufgestellt hatte, ab mit der Begründung, daß hier höhere Interessen des Staates auf dem Spiele ständen. Das Verwaltungsgericht hat, Gott sei Dank und eigentlich selbstverständlich, diese Entscheidung der Verwaltungsbehörde aufgehoben.
Aber man braucht sich ja, wenn man in dem einen Fall von auswärtigen Beziehungen spricht, die auf dem Spiele stehen, nicht zu wundern, wenn dann eine untergeordnete Behörde eben sagt: Hier stehen Interessen unserer Behörde auf dem Spiel. Sie sehen also, wie sich solche Vorbilder auswirken. Wir werden ja noch Gelegenheit haben, uns die Frage der Aussagegenehmigungen genau zu überlegen, und man wird vielleicht nicht daran vorbeikommen, den Verwaltungsakt, der die Aussagegenehmigung verweigert, justitiabel zu machen. Man wird sich das überlegen müssen. Ich sage ganz offen: ich bin gar kein Freund davon; denn eigentlich sollte das unnötig sein. Aber wenn sich die Behörden, höchsten Beispielen folgend, so verhalten, dann wird gar nichts anderes übrigbleiben.
Ich gebe zu: naturgemäß ist es in einem solchen Fall wie dem hier behandelten immer möglich, daß sich ein Verfahren verzögert. Es ist schwierig, Zeugen zu erreichen, die vielleicht als Politiker unterwegs sind. Aber es wird nun nicht das geringste getan, um das Verfahren zu beschleunigen. Die Regierung sagt natürlich: Das ist Sache der Prozeßbeteiligten, Sache der hier Beschuldigten; wir können sie nicht zwingen. Wir können auch nicht verhindern, so sagt man, daß zwei dieser Herren Amnestieanträge stellen. Ich glaube aber doch, daß eine Bundesregierung Möglichkeiten hat, auf ein solches Verhalten einzuwirken. Man stelle sich einmal vor, was es bedeutet, wenn ein so hoher Beamter einen Amnestieantrag stellt, der nachher vom Gericht abgelehnt wird mit der Begründung, es sei vermutlich eine Strafe von mehr als drei Monaten zu erwarten. Das ist doch ein höchst peinliches Ergebnis.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß in dem § 17 des Amnestiegesetzes wie wohl in fast jedem Amnestiegesetz bei uns die Möglichkeit gegeben wird, eine Anklage zu erzwingen. Das ist für ganz empfindliche Naturen gedacht. Wenn jemand zunächst angeklagt ist und es wird dann das Verfahren vom Gericht auf Grund der Amnestie eingestellt, so kann er sagen: Nein, ich will nicht amnestiert sein; ich will meine Unschuld festgestellt haben; das Verfahren muß durchgeführt werden.
Nun, eine solche mimosenhafte Empfindlichkeit können wir also von den beteiligten Herren offenbar nicht erwarten. Nein, sie bedienen sich der Amnestie, und die Bundesregierung sagt, sie habe keine Möglichkeit, darauf einzuwirken. Nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte genügt für die Entlassung eines einfachen Arbeiters manchmal schon der Verdacht einer strafbaren Handlung. Bei uns genügt er zur Ernennung zum Botschafter oder zur Präsentierung für den höchsten Posten in der europäischen Behörde.
({12})
Beim Botschafter ist es nicht so schlimm, weil der Vorgänger ja auch beteiligt war.
({13})
Aber trotzdem: Ist das nun internationale Courtoisie, und ist das die Achtung, die man einer solchen Behörde entgegenbringen sollte?
({14})
Auch Herr Kilb war bei Euratom. Offenbar betrachtet man das bei uns als irgendwelchen Abladeplatz.
Dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn der Sprecher des Justizministeriums in jener Pressekonferenz die merkwürdige Erklärung gab, daß man auch pflichtgemäß und zugleich strafbar handeln könne, was, wie bereits erwähnt, der Herr Bundesjustizminister zurückgewiesen hat. Aber der Mann war natürlich in einer wirklichen Verwirrung; denn er hatte wohl selber das Gefühl: Es ist schon etwas Strafbares daran. Gleichzeitig hat er aber von der Bundesregierung gehört, daß es pflichtgemäß sei.
({15})
Wie soll er sich nun auf einer Pressekonferenz ausdrücken?
({16})
Daß es pflichtgemäß gewesen sei, hat Staatssekretär van Scherpenberg in der 51. Sitzung auf die
Frage des Kollegen Schröter ausdrücklich gesagt.
Im Parlament wurde die Sache auch schon behandelt. Die FDP hat sechs Kleine Anfragen eingebracht, auf die sie sechs kleine Antworten bekam.
({17})
Die Bundesregierung wußte auch, daß einige dieser Antworten nicht richtig waren, siehe Drucksache 3134 Ziffer 1.
Dann hat, wie schon erwähnt, der Herr Kollege Schröter noch gefragt, wie das mit dem Disziplinarverfahren sei. Darauf bekam er zunächst die Antwort, ein Disziplinarverfahren sei nicht eingeleitet. Das widersprach nun der Auskunft in der Drucksache 552 A c, die, glaube ich, auf eine umfassende Anfrage der SPD ergangen war, wo es hieß, ein Disziplinarverfahren sei eingeleitet. Herr van Scher-penberg sagte nachher, es sei nicht eingeleitet, sondern nur die Vorermittlungen seien geführt worden, die Verfügung über die Einleitung des förmlichen Verfahrens sei nicht zugestellt; denn es sei eben nicht pflichtwidrig.
Ich erinnere mich an einen „Hofbericht" in der „Frankfurter Allgemeinen" vom 6. Januar aus dem Palais Schaumburg.
({18})
Dort hieß es, der Herr Bundeskanzler habe vom Herrn Ministerialdirektor Jantz, der gerade in diesem Komplex auch eine Rolle spielt, eine Ausgabe des Buches „Der Fürst" von Machiavelli erhalten. Ich weiß nun nicht, ob es zum Handbuch für die Bundespolitik geworden ist.
({19})
Aber ich hoffe wenigstens, daß aus diesem Buch nicht nur die folgende Stelle gelesen wird, die ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitiere:
Er tat und sann nichts anderes, als die Menschen zu hintergehen, und er fand auch immer Objekte, die sich hintergehen ließen. Trotzdem gelangen ihm seine Betrügereien stets nach Wunsch; so gut kannte er die schwache Seite der Menschen.
({20})
- Warten Sie doch ab, was ich sage!
({21})
- Warten Sie doch ab, Herr Kollege Weber. Ich sagte ja, ich hoffe, daß nicht nur diese Stelle gelesen wird, die sich auf Alexander VI. bezieht,
({22})
sondern auch die andere, zwei Seiten vorher, wo
nämlich der wahre Machiavelli zur Geltung kommt.
({23})
Dort heißt es:
Ihr müßt euch nämlich darüber im klaren sein, daß es zweierlei Arten der Auseinandersetzung gibt: die mit Hilfe des Rechts und die mit Gewalt. Die erstere entspricht dem Menschen, die letztere den Tieren.
Ich wollte das nur zitieren, um den wahren Machiavelli zu zeigen.
({24})
Lassen Sie mich zurückkommen zur Beantwortung dieser Anfragen im Bundestag; denn gerade diese Beantwortung zeigt doch, wie, mit welcher Einstellung man solchen ernsten Rechtsfragen gegenübersteht.
({25})
Da wurde von uns gefragt, warum ein offener Brief nicht beantwortet worden sei, den der Kollege Kramel namens des Deutschen Beamtenbundes an die Bundesregierung gerichtet habe. Die Antwort in Drucksache 3348 Ziffer 3 lautete: „Auf den Brief ist geantwortet worden."
Wir stellten dann fest, daß auf diesen Brief eine Empfangsbescheinigung erteilt worden war, und fragten in der nächsten Anfrage, ob eine Empfangsbescheinigung eine Antwort sei. Jetzt lautete die Antwort in Drucksache 3734 Ziffer 3: „Die Bundesregierung habe ja nicht gesagt, es sei abschließend geantwortet worden."
({26})
Ich muß doch sagen, das ist nun unwürdig, Herr Kollege Weber;
({27})
denn hier dreht man doch dem Parlament einfach eine lange Nase und lacht es doch richtiggehend aus!
({28})
Autorität besteht nicht in Überheblichkeit. Wer das glaubt, der verwechselt sie mit einem Prestige, das auf jeden Fall gewahrt werden muß, indem man glaubt, man könne seitens der Bundesregierung nicht auch einmal dem Parlament gegenüber Fehler zugeben, die sie macht, wie wir sie ja auch machen.
Welches sind die Schlußfolgerungen hieraus? Ich habe schon auf die Auswirkungen auf die Rechtsprechung hingewiesen. Heute sind schon eingehend Beispiele aus der Rechtsprechung behandelt worden, die bedenklich stimmen. Ich bin nicht der Ansicht, daß grundlegende Sorgen wegen unserer Rechtsprechung bestünden. Es mag durchaus sein, daß die vorgekommenen Einzelfälle in der Darstellung etwas zu sehr aufgebauscht worden sind. Es sind Einzelfälle. Unsere Justiz als solche ist intakt. Das ist zweifellos der Fall. Aber daß solche Einzelfälle vorgekommen sind und ihre Zahl in der letzten Zeit größer geworden ist, muß uns natürlich zu denken geben.
Nun läßt gerade das politische Strafrecht einen großen Spielraum für den Richter in der Beurteilung, und der Richter sucht verständlicherweise wenn er einen solchen politischen Fall zu beurteilen hat, nach Vorbildern oder, sagen wir, weniger pädagogisch ausgedrückt, nach Leitbildern. Er schaut dann natürlich hierher nach Bonn, er schaut auf die Bundesregierung, er schaut auf uns. Ich kann mir dann z. B. vorstellen, daß die Richter, die an diesem Hamburger Fall beteiligt waren, wenn sie vielleicht in einer noch nicht entnazifizierten Ecke der Gerichtsbücherei den Kommentar zu den Rassegesetzen von Herrn Globke vorfinden,
({29}) in Verwirrung geraten.
({30})
Ich sage kein Wort gegen die Person von Herrn Globke. Ich habe nichts gegen Herrn Globke. Ich bin der Ansicht, daß Herr Globke ein tüchtiger Beamter ist, daß er Stadtkämmerer, Regierungsrat, Ministerialrat sein kann und soll. Aber er kann nicht Staatssekretär im Bundeskanzleramt sein.
({31})
Ich halte jenen Kommentar für ein gewichtigeres Druckerzeugnis als das abstruse Pamphlet des Holzhändlers aus Hamburg.
({32})
- Herr Menzel hat mir bereits Bescheid gesagt, deshalb habe ich mich auch sehr zurückhaltend ausgedrückt. Es ist nicht sosehr notwendig, - ({33})
- Über alles nicht; über Herrn Globke habe ich keinen Spott und Hohn ausgegossen.
Es ist nicht sosehr notwendig, einen neuen § 130 zu schaffen,
({34})
sondern es ist notwendig, den Geist, die Einstellung zu den rechtlichen Dingen von oben herunter zu ändern.
({35})
Dann wird sich das von selbst ergeben.
Es mag auch ein Zufall sein, daß gerade antisemitische Äußerungen in letzter Zeit besonders stark geworden sind. Ich möchte weder das Auftreten dieser Erscheinung übertreiben noch möchte ich behaupten, daran sei die Bundesregierung schuld. Aber das Recht ist unteilbar.
Lassen Sie mich deshalb mit einem anderen Zitat schließen, das allerdings nicht von einem Kirchenvater stammt, sondern nur von Erich Kästner, aber immerhin von Herrn Justizminister Flehinghaus am 13. Januar 1959 vorgetragen worden ist:
Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen; später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muß den rollenden Schneeball zertreten; die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr; das ist der Schluß, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen.
({36})
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit langer Zeit stehe ich heute zum erstenmal wieder an diesem Rednerpult. Ich habe mich wirklich sehr gefreut über das Niveau und die Sachlichkeit der heutigen Auseinandersetzung; Ausnahmen gibt es immer.
Aber eine Bemerkung darf ich mir noch erlauben, bevor ich zur Sache komme. Herr Kollege Jahn, Sie haben heute morgen den Herrn Bundesjustizminister ein wenig mit Worten bestraft, indem Sie gesagt haben, seine Ausführungen seien so langatmig und so trocken gewesen. Ja, wenn Sie neun dezidierte Fragen über alle möglichen Gebiete stellen, dann dürfen Sie sich natürlich nicht wundern, wenn der Herr Justizminister Ihnen Ihre sämtlichen neun Fragen so umfangreich beantwortet, wie er glaubt, sie beantworten zu müssen.
({0})
Wenn Sie wollten, daß man heute nur auf die Kernfrage, nämlich die Justizpolitik, eingehen sollte, dann hätten Sie Ihre Anfrage entsprechend einengen müssen. Das vorweg.
Dr. Schneider ({1})
Ich will nun der Reihe nach vorgehen. Ich will das Gemeinsame, vielleicht das Entscheidende nicht an den Anfang, sondern an den Schluß meiner Ausführungen stellen.
Zuerst fragen Sie, wann das Oberste Bundesgericht nach Art. 95 GG endlich konstituiert wird. Ja, das haben wir schon vor zwei Jahren hier behandelt. Damals wurde gesagt, es käme möglichst bald. Aber dieses Oberste Bundesgericht ist doch eine Folge der Regelung in Art. 96 des Grundgesetzes, die ich noch nie für sehr klug und für sehr gut gehalten habe. Auch andere Kollegen in diesem Hause waren immer der gleichen Meinung. Diese Konstruktion in unserer Verfassung „jedem Minister sein oberstes Gericht" halte ich nicht für die klügste Lösung. Wäre man wenigstens noch einen Schritt weitergegangen und hätte sie, was die Aufsicht anbelangt, alle einem Rechtsprechungsministerium, oder wie man das nennen möchte, unterstellt!
Nun besteht kein Zweifel, daß wir nach dem Verfassungsbefehl verpflichtet sind, das Oberste Bundesgericht einzurichten, und daß der Parlamentarische Rat auch die Vorstellung hatte, daß das eine eigene konstitutionelle Einrichtung sein müsse. Aber, meine Damen und Herren, das hindert uns ja nicht, nachdem wir jetzt acht, neun Jahre Erfahrung haben, einmal zu überprüfen, ob sich die Sorge des Parlamentarischen Rats, daß durch die fünf oberen Bundesgerichte sehr bald eine Rechtszersplitterung eintreten könnte, wirklich in diesem Umfang als begründet erwiesen hat. Ich meine, nach der Beantwortung durch den Herrn Bundesjustizminister kann man das wirklich nicht sagen. Wenn es bis jetzt nur auf vier Grundprobleme, wenn ich so sagen darf, im zivilen Sektor und auf fünf, die das Bundesverfassungsgericht in letzter und höchster Instanz zu entscheiden hat, angekommen ist, so sollten wir alle miteinander doch wirklich Überlegungen anstellen, ob man bei einer solchen rechtspolitischen Sachlage wirklich eine neue Institution dieses Umfangs, ein Oberstes Bundesgericht, errichten sollte, wie der Verfassunggeber es befiehlt, oder ob wir den gleichen Zweck nicht auf eine einfachere Weise erreichen könnten. Ich will das nur streifen; ich glaube, man kann das von hier aus nicht abschließend beurteilen.
Nun zur Frage 4 - die Fragen 2 und 3 übergehe ich vorläufig - betreffend die Dauer der Verfahren. Ja, meine Damen und Herren, solange es Gerichtsverfahren gibt, haben sie manchmal sehr lange gedauert. Damit vielleicht auch einmal etwas Humor in die Sache kommt, darf ich eine Anekdote ' erzählen, die ich schon geerbt habe. Sie wissen doch: ein Rechtsanwalt hatte jahrelang einen Prozeß am Kammergericht. Dann kam sein Sohn, der neuer Assessor war. Den schickt er hin. Der Sohn kommt nach Hause und sagt: „Vater, ich habe endlich diesen Prozeß beendet!" Da sagt der Vater: „Da hast du eine schöne Klugheit bewiesen! Mit diesem Prozeß habe ich euch alle miteinander erernährt und studieren lassen!" Ich erzähle das hier natürlich nur am Rande, um Ihnen klarzumachen,
meine Damen und Herren, daß es schon damals
manchmal sehr lange gedauert hat.
({2})
Ich bin kein Verteidiger dieser Länge, und ich bin der Meinung, daß, wie auch der Herr Kollege Arndt es heute morgen gefordert hat, namentlich die Strafprozeßordnung möglichst bald in verschiedenen Punkten geändert werden sollte. Ich will heute nicht die Einzelheiten erörtern; ich sage nur das. Wort „Untersuchungshaft", ich sage nur das Wort „Stellung des Verteidigers im Vorverfahren"; um nur zwei Punkte anzureißen.
Aber auf eines gehe ich nicht ein, Herr Bundesjustizminister: auf Ihre Empfehlung, den Eröffnungsbeschluß wieder abzuschaffen. Dagegen werde ich mich mit Händen und Füßen wehren, wenn auch die Literatur und die Lehre heute schon wieder von uns fordern, das sollten wir tun. Wir haben ihn ja gerade erst eingeführt; im Jahre 1950 war es wohl, Herr Kollege Arndt? Wir haben uns doch gerade das so sehr überlegt. Wir haben damals gesagt: „wir müssen diese Station im Ablauf eines Strafverfahrens wieder einschalten", weil wir nämlich damals alle miteinander der Auffassung waren: in einem demokratischen Rechtsstaat ist allein schon das Versetztwerden in den Anklagezustand für einen Menschen ein derart entscheidender Eingriff in seine menschliche und Rechtssphäre, daß der Fortgang nicht ohne richterliche Nachprüfung vor sich gehen sollte. Aus diesen Überlegungen haben wir damals den Eröffnungsbeschluß wieder eingeführt. Ich meine, diese Überlegungen sind auch heute noch am Platze. Wenn von der Wissenschaft eingewandt wird, das wäre eine Belastung des Angeklagten, weil nämlich die drei Richter, die darüber zu befinden haben, gleichzeitig auch die Spruchrichter seien, so gebe ich die theoretische Möglichkeit dieser Belastung zu. Aber dann können wir doch auf das gute alte Prinzip zurückgehen und das Gesetz insofern ändern; bestimmen wir entsprechend dem, was früher Rechtens war - früher durften nur zwei von den fünf Richtern aus der Strafkammer, die den Eröffnungsbeschluß gefaßt hatte, in der Hauptverhandlung mitwirken -, daß nur einer von den dreien, die den Eröffnungsbeschluß gefaßt haben, in der Hauptverhandlung mitwirken darf. Das ist eine Kleinigkeit. Das ist eine Gleichstellung.
Das wollte ich Ihnen nur gesagt haben, Herr Bundesjustizminister, weil ich der Meinung bin, daß das nicht ein Rückschritt, sondern wirklich ein Fortschritt war, und zwar eine entscheidende Rechtsgarantie. Wir alle, die wir in der Praxis stehen - ich stehe jetzt 30 Jahre in der Praxis -, haben es doch oft genug erlebt - ich will deswegen niemandem einen Vorwurf machen; das ist doch einfach eine Folge der Arbeitsüberlastung der Staatsanwälte -, daß mehr oder weniger schnell entworfene Anklageschriften die zwingende Grundlage dafür waren, daß die Hauptverhandlung und damit das Verfahren stattfinden mußte und daß sich hinterher herausstellte: wenn man das etwas sorgfältiger geprüft hätte, wäre es überhaupt nicht zu diesem Verfahren gekommen.
Dr. Schneider ({3})
Aber nun zu der Hauptfrage, die hier heute morgen auch behandelt wurde: Eingriffe von seiten der Bundesregierung in schwebende Verfahren. Ich will mich damit im einzelnen nicht befassen, darüber ist hier schon genug gesagt worden. Ich will darüber auch kein Urteil fällen. Der Herr Kollege Kanka hat dargelegt, daß eine Regierung pflichtgemäß zwischen den Rechtsgütern abwägen müsse, die in Frage stünden. Ich will nicht verschweigen, daß auch mich die Stellungnahme eines Beamten des Bundesjustizministeriums - ich glaube, es war wohl der Pressereferent - in der damaligen Pressekonferenz außerordentlich betroffen hat, der auf eine ausdrückliche Frage sagte: Ein Beamter kann pflichtgemäß handeln und dadurch trotzdem mit dem Strafgesetz in Konflikt kommen. Das hat mich stark betroffen, und ich habe mich sehr gefreut, daß der Herr Bundesjustizminister das sofort hinterher richtiggestellt hat. Es wäre doch merkwürdig, wenn gerade derjenige, der über das Recht wachen soll, der Meinung wäre, ein Beamter könne gegen irgendeinen Paragraphen des Strafgesetzbuches verstoßen und trotzdem noch pflichtgemäß gehandelt haben. Es gibt natürlich einige Grenzfälle, ich will sie hier nicht anrühren. Sie sind durchaus denkbar. Aber als Norm kann man so etwas selbstverständlich nicht aufstellen, namentlich nicht in einer Pressekonferenz.
Ich habe aus der Antwort des Herrn Justizministers ersehen, daß in dem Verfahren hier in Bonn zuerst zweifellos ein gewisser Aufschub dadurch erreicht wurde, daß man die Aussagegenehmigung nicht gleich gab. Aber das scheint nicht der einzige Grund zu sein, weshalb dieses Verfahren bis heute immer noch nicht abgeschlossen ist. Denn inzwischen sind ja schon wieder drei Jahre vergangen. Ich kann nicht beurteilen, woran es liegt. Die Staatsanwaltschaft hat im vorigen Jahr mitgeteilt, die Erhebung der Anklage stehe kurz bevor. Der Eröffnungsbeschluß ist erst jetzt ergangen, also wiederum ein Jahr später. Man braucht sich dann natürlich nicht zu wundern, wenn daraufhin draußen irgendwelche Vermutungen angestellt werden: Aha, das dauert nur deswegen so lange, weil es sich um Allerhöchste handelt; da werden sie nicht vorwärts gehen wollen..
Deshalb sollten wir alles tun, damit ein solcher Schein nach außen vermieden wird. Denn wenn ein Verfahren relativ einfacher juristischer Art - und das ist es doch wohl hier; es handelt sich um die §§ 164 und 185 StGB; so schwierige Dinge sind das doch gar nicht, höchstens vielleicht wegen der Zeugen, die in aller Welt verstreut sind - fünf Jahre dauert, dann ist das doch immerhin bedenklich.
Nun zu der gesamten justizpolitischen oder rechtspolitischen Lage.. Der Herr Kollege Arndt hat heute morgen gesagt, er habe das Gefühl oder die Befürchtung, daß es bei uns doch immer noch manche Kreise, auch Richterkreise, gebe, die mit der Vergangenheit noch nicht fertig geworden seien, und daß das auf ihre Urteilsfindung ausstrahle. Der Herr Kollege Jahn hat das dann an Hand einzelner Beispiele, an Hand der Urteile, die er vorgetragen hat, zu erläutern und zu untermauern versucht.
Die Sachverhalte, die diesen Urteilen zugrunde liegen, sind doch grauenhaft, das wollen wir alle zugeben; denn etwas anderes wäre Lüge. Aber die Folgerungen, die man daraus zu ziehen hat, das ist allerdings eine andere Frage. Herr Kollege Jahn, wenn Sie dann gesagt haben, die Richter hätten versucht - und das sei der Hauptfehler -, zu relativieren, die Tat in die Zeit hineinzustellen, in der sie geschah, sie hätten zu formaljuristisch, zu positivistisch geurteilt, sie hätten den politischen Gehalt - ich habe es mir mitgeschrieben - vermissen lassen, dann finde ich, daß dies eine sehr gefährliche These ist. Denn wie soll denn der Richter eine Tat und die Täter beurteilen, wenn nicht aus der Situation der Zeit, in der die Tat Wirklichkeit wurde? Denn die subjektive Seite der Täter ist doch überhaupt nur aus der Zeit verständlich.
({4})
- Bitte!
Herr Kollege, sind Sie der Meinung, daß die mit Überlegung begangene vorsätzliche Tötung eines Menschen etwas anderes ist je nachdem, ob sie in dieser oder in einer anderen Zeit vollbracht worden ist?
Nein, objektiv bin ich Ihrer Meinung, Herr Kollege Schmid.
Würden Sie als Richter das eine Mal sagen: Es ist Mord, das andere Mal: Es ist kein Mord?
Aber nein, - das käme darauf an!
Würden Sie dann das eine Mal die im Gesetz vorgesehene Strafe aussprechen, das andere Mal nicht?
Ihre Frage ist zu komplex. Denn ich muß den, um den es geht, in seiner subjektiven Persönlichkeit sehen. Ich muß als Richter auch abwägen, ob er überhaupt fähig war, die uns selbstverständlichen Begriffe wie Vorsatz, Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit selbst zu erkennen und danach zu handeln.
({0})
Darauf kommt es doch entscheidend an.
Kennen Sie andere Gründe als die in § 51 ff. des Strafgesetzbuches vorgesehenen, die Zurechnungsfähigkeit des Täters ausschließen?
Ich spreche jetzt nicht von der Zurechnungsfähigkeit. Wenn ich die Gründe des § 51, Herr Kollege Schmid, im Verfahren habe, die mir durch einen medizinischen Sachverständigen bestätigt werden, dann muß ich mich danach richten, wenn ich selbst der Überzeugung bin, daß dieser Sachverständige recht hat. Ich spreche aber von einem normalen Täter, und
Dr. Schneider ({0})
der kann doch sehr verschiedener Art in seiner psychischen Verfassung sein, die durch die Umwelteinflüsse, durch die Sachverhalte der damaligen Zeit sehr entscheidend beeinflußt war.
Ich will damit die Urteile gar nicht entschuldigen, Herr Kollege Schmid, im Gegenteil; ich bedaure sie außerordentlich. Aber man darf, wenn man das sieht, nicht sagen, das war absolutes Unrecht, was dort geschehen ist.
Auch die weitere Schlußfolgerung, die Herr Kollege Arndt gezogen hat, die Berufsrichter hätten versagt, darf man nicht ziehen. Das weiß man bei diesen Fällen gar nicht. Denn es waren Schwurgerichte, die hier geurteilt haben, 6 Laien- und 3 Berufsrichter. Wir kennen das Abstimmungsergebnis gar nicht. Wenn man das nicht kennt, kann man so weitgehende Folgerungen meines Erachtens nicht ziehen.
Ich wollte nur davor warnen, zu sagen: das ist zu formalistisch, das ist zur positivistisch. Ja, meine Damen und Herren, meine Kollegen, an was soll sich denn der Richter halten wenn nicht an das formale Verfahren und wenn nicht an das positive Recht, das ihm vorgeschrieben ist?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn?
Bitte!
Herr Kollege, es ist Ihnen
sicherlich bekannt, daß eine wesentliche Rolle in diesem Zusammenhang immer wieder der sogenannte Flaggenbefehl gespielt hat. Ist Ihnen dieser Flaggenbefehl bekannt?
Nein, in seinen Einzelheiten nicht!
Darf ich ihn Ihnen einmal vorlesen, um die Frage aufzuwerfen, ob Sie wirklich meinen, es gebe eine Diskussion darüber, wie es in Urteilen immer wieder vorkommt, ob ein Berufen auf den Flaggenbefehl noch als Möglichkeit, Rechtfertigungsgründe zu finden, angesehen werden kann.
Dieser Flaggenbefehl lautet:
Der Reichsführer SS hat befohlen:
1. Im jetzigen Zeitpunkt des Krieges kommt es einzig und allein auf den sturen, unnachgiebigen Willen an zum Durchhalten.
2. Gegen das Heraushängen weißer Tücher, das Offnen bereits geschlossener Panzersperren, das Nichtantreten zum Volkssturm und ähnliche Erscheinungen ist mit härtester Maßnahme durchzugreifen.
3. Aus einem Haus, aus dem eine weiße Fahne erscheint, sind alle männlichen Personen zu erschießen.
Es darf bei diesen Maßnahmen in keinem Augenblick gezögert werden.
Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, Herr Kollege Jahn, daß ich das nicht als eine Rechtsgrundlage, auf der man überhaupt prozessiert, anerkennen kann. Das ist meine persönliche, meine subjektive Auffassung.
({0})
- Ja, ich will nicht mißverstanden sein. Ich war ja kein Nationalsozialist; ich gehörte auch keiner Gliederung an. Ich bin vom Gesetz nicht betroffen, so hieß das ja wohl; ich habe so eine weiße Karte bekommen. Ich bin also nicht verdächtig, in dieser Weise gedanklich oder gefühlsmäßig oder wie Sie auch wollen, infiziert zu sein. Ich will nur versuchen, begreiflich zu machen, daß sich auch die Schöffen, die heute in einem Schwurgericht sitzen und Fälle abzuurteilen haben, die sich vor jetzt beinahe 15 Jahren ereignet haben, in jener Zeit des Zusammenbruchs, in einer außerordentlich schwierigen Situation befinden, als Menschen und Bürger dieses Staates, von denen man diese Pflichterfüllung verlangt. Man sollte nicht so weit gehen, wenn sie wirklich einmal versagt haben, Herr Kollege Jahn, zu sagen: Das ist schon wieder sehr verdächtig; da kommt schon wieder in Breite ein Geist auf, den man antisemitisch, neofaschistisch oder was Sie wollen, nennen muß. Das scheint mir doch entschieden zu weit zu gehen.
Sie sagten dann in diesem Zusammenhang, gleiches mache sich auch sonst bemerkbar, und nannten dann den Namen des Staatssekretärs Globke, um zu erklären, Sie seien der Auffassung, ein Mann wie Globke gehöre nicht dorthin. Darauf kann ich nur erwidern: Ich bin ja nicht berufen, Herrn I Globke zu verteidigen; aber immerhin gebietet mir mein inneres Gerechtigkeitsgefühl, dazu etwas zu sagen, weil ich nämlich meine, Herr Kollege Jahn, auch das sei eine dieser Übertreibungen, die weniger aus dem Verstand als aus dem Gefühl heraus kommen. Ich habe Herrn Globke - jetzt kenne ich ihn seit neun Jahren - früher nicht gekannt. Ich meine, er ist ein außerordentlich pflichttreuer, wissensreicher und guter Beamter.
({1})
Er besitzt gerade für die Stelle, in der er sich jetzt befindet, eine Eigenschaft, die die meisten Leute in solcher Stellung nicht haben; er kann nämlich schweigen. Das ist auch sehr wichtig.
({2})
Nun möchte ich speziell zu dem Hamburger Urteil, dem Fall Nieland, und seiner Schelte etwas sagen. Ich bin nicht der Meinung, daß man Urteile ihrem juristischen Inhalt nach nicht kritisieren könnte; das tun wir Rechtsanwälte ja täglich. Wenn ich mit einem amtsgerichtlichen Urteil nicht einverstanden bin, lege ich beim Landgericht Berufung ein, und wenn es mir einfällt und ich glaube Grund dazu zu haben, kritisiere ich es in meiner Berufungsschrift, manchmal sogar sehr heftig. Das ist mein gutes Recht. Dafür haben wir ja den Instanzenzug. So ist es auch ein gutes Recht des Volkes, sich mit den Urteilen, die da überall ergehen, zu beschäftigen. Aber es ist ein Unterschied, ob ich die Rechtsfindung sachlich vom Recht aus kritisiere oder ob ich es aus
Dr. Schneider ({3})
einer vorgefaßten Meinung heraus tue, weil ich meine, hier sei ein neu zu beachtender entscheidender politischer Trend erkennbar. Das sind doch zweierlei Stiefel!
Wenn der Herr Regierende Bürgermeister Brauer von Hamburg, der ja schon einmal, wie ich meine, über das Maß hinaus ein Urteil sogar des Bundesverfassungsgerichts, nämlich jenes Atomurteil, in der Öffentlichkeit kritisiert hat, dann nichts anderes zu tun weiß, als, nachdem dieses Urteil ergangen war, nach Bonn zu fahren und bei dem Herrn
Das ist ein schwarzer Tag für Hamburg, da ist ein Staatsnotstand eingetreten! - so wird damit doch in der Öffentlichkeit der Versuch gemacht, zu bekunden: Diese Richter, das ist ja unglaublich, sie beugen das Recht, alle bis zum Letzten. - Das sollte man in einer so verantwortlichen Stellung nicht tun, das sollte man unterlassen.
({0})
Die Folge davon ist natürlich, daß sich die ganze Hetzpresse - die gibt es auch bei uns - des Falles annimmt. Ich habe hier ein solches Ding. Dann läuft die ganze Geschichte darauf hinaus, daß es in den Schlagzeilen heißt: „Der Hamburger Richter Dr. Budde war NS-Funktionär, mehr noch: er ist vorbestraft. Wir müssen höllisch aufpassen. Wir müssen aufpassen auf Leute wie Budde, Nieland, Stielau und Krumsiek" - die hier genannt sind. Meine Damen und Herren, da wird ein mitwirkender Richter einer Kammer mit Leuten wie Nieland, Stielau und Krumsiek - Antisemiten, die schon verurteilt sind, soviel ich weiß - auf eine Stufe gestellt. Da heißt es: Aha, er war NS-Funktionär, kein Wunder, daß er so schlecht Recht spricht.
({1})
Wir sollten doch endlich aufhören, unser Volk in zwei Klassen zu teilen, in die, die einmal dabei waren, und die, die nicht dabei waren.
({2})
Eine Frage! Dr. Schneider ({0}) ({1}): Bitte!
Glauben Sie nicht, Herr Kollege Schneider, daß man vielleicht doch einen Unterschied machen sollte zwischen denen, die dabei waren und nicht mehr dabei sind, und denen, die dabei waren und zeigen, daß sie offenbar auch heute noch dabei sind?
({0})
Herr Kollege Schmid, wenn das immer so deutlich beweisbar wäre, wäre es sehr einfach. Aber sehen Sie gerade einmal den Fall Hamburg! Sie sind doch auch Jurist. Wir müssen uns doch bemühen, objektiv zu sein. Hier wird jetzt plötzlich der Budde zu etwas gestempelt, was er nicht ist. Er war doch gar nicht
allein. Er war der Vorsitzende der Strafkammer, und zwei Kollegen - ich will ihre Namen nicht nennen; ich habe die Entscheidung da - haben mitgewirkt . Dann hat der Oberstaatsanwalt Beschwerde eingelegt, ganz zu Recht. Es hat sogar ein Senat des Oberlandesgerichts Hamburg diese Entscheidung der ersten Instanz bestätigt.
({0})
Ich weiß nicht, ob die anderen fünf höheren Richter auch NS-Funktionäre gewesen sind.
({1})
- So weit gehe ich nicht, Herr Kollege Schmid. Das wäre schon sehr schlimm. Es wäre wirklich sehr schlimm, wenn ich daraus folgern müßte, daß ich schon eine Vermutung greifbarer Art hätte, daß sie alle daher kämen.
({2})
- Und trotzdem! Trotzdem darf man in dieser Form nicht Richter schelten, - Urteile schelten, Richter schelten aber nicht. Es geht schon so weit, daß die Presse schreibt: Man muß mal die politischen Bindungen untersuchen, die diese Leute haben. Und dann wird in einer Zeitschrift geschrieben - ich will sie nicht nennen -: Der ist bei der DP! Aha! Bei jenem Klamaukhaufen Schwarzweißrot!, oder wie die Formulierung lautet. Sehen Sie, meine Damen und Herren, dann sind wir nicht mehr bei der Kritik eines Urteils, sondern dann sind wir schon wieder bei der politischen Diffamierung ganzer Gruppen, gerade bei dem, was wir uns verbitten und was wir für so ungeheuer gefährlich ansehen. Die DP ist eine demokratische Partei; sie ist nicht antisemitisch, sie steht auf dem Boden unseres Grundgesetzes und auf dem Boden unseres demokratischen Rechtsstaates. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit doch gesagt haben.
Herr Kollege Arndt, Sie haben heute morgen einen Satz ausgesprochen, der mich tief bewegt hat und den ich in jedem Wort unterschreiben kann. „Unser Verhältnis zu unseren westlichen Nachbarn", haben Sie gesagt, „hängt auf die Dauer davon ab, wie wir die Bürde unserer Vergangenheit bewältigen." Jedes Wort davon unterschreibe ich Ihnen. Denn wir brauchen so sehr das gute Verhältnis zu unseren westlichen Nachbarn gerade in der jetzigen Situation, auch in der, die noch auf uns zukommen wird, denn ich sehe sie nicht so ganz leicht.
Aber gerade wenn man dieser Meinung ist, sollte man doch nicht zu der Ansicht beitragen, daß vielleicht bedauerliche Einzelerscheinungen auch auf dem Gebiet der Rechtsprechung schon wieder zur Norm bei uns geworden wären, daß es notwendig wäre, Signale aufzustecken in der Weise, wie das jetzt wieder versucht worden ist, woraus das Ausland dann mit Recht den Schluß zieht: Na ja, wenn es schon wieder so weit ist in dieser Bundesrepublik Deutschland, lohnt es sich dann überhaupt noch, daß wir zu unserem Wort des Schutzes stehen? und so weiter. Da liegt doch die ungeheuere politische Verantwortung.
Dr. Schneider ({3})
Wenn Sie gesagt haben, Herr Kollege Arndt: Gegen das Urteil von Hamburg muß die Masse mobil-gemacht werden, und wenn Sie auf der anderen Seite sagen: Auch der geringste Eingriff von seiten des Bundeskanzlers in ein Verfahren muß unterbleiben, so liegt doch darin auch eine gewisse Unlogik. Nicht die Masse darf mobilgemacht werden, sondern da, wo es angebracht ist, muß sachliche Kritik geübt werden. Denn wenn man erst die Masse mobilmacht, dann, ja dann kommt es wieder zu dem, was ich vorhin schon andeutete, daß auch andere Gruppen im gleichen Zusammenhang sofort wieder diffamiert werden.
Wir wollen jedenfalls alles tun, damit so etwas nicht wieder geschehen kann, auch wegen unserer Beziehungen nach draußen in der Welt. Wir sind der Meinung, daß es Einzelfälle sind, daß aber sowohl die Staatsanwaltschaften wie das deutsche Richtertum nach wie vor integer dastehen. Die deutschen Richter haben ihre Pflicht in der Vergangenheit unter den schwierigsten Umständen erfüllt, und ich danke den deutschen Richtern von dieser Stelle aus für ihre wirklich so entscheidende Pflichterfüllung. Wir glauben, daß sie diese Pflicht auch in Zukunft tun werden, daß sie ihre staatspolitische Aufgabe erfüllen, Recht zu sprechen nach Recht und Gesetz, nur dem eigenen Gewissen und dem Gesetz unterworfen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Rehs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesjustizminister ist durch die Eingangsbemerkung meines Freundes Jahn anscheinend sehr getroffen gewesen. Er hat von „Giftpfeilen" gesprochen. Er habe doch sachlich erwidert, weil ja auch der Kollege Arndt sachlich begründet habe.
Herr Minister, mein Freund Jahn hat nicht kritisiert, daß Ihre Ausführungen nicht sachlich gewesen sind, sondern nur, daß der Sache in Ihrer Darstellung Entscheidendes gefehlt hat.
Sicher ist unsere Große Anfrage sehr weit gespannt gewesen; aber ihr Kern ist doch eindeutig die Sorge um eine Reihe von Erscheinungen, die für die rechtsstaatliche Entwicklung bei uns äußerst bedenklich sind.
Alles, was Sie über rechtspolitische und gesetzgeberische Planungen und Vorhaben ausgeführt haben, ist sehr wichtig zu wissen und wird beraten werden müssen. Aber der justizpolitische Kern unserer Großen Anfrage ist - da muß ich die Kritik meines Freundes Jahn wiederholen - in Ihren Ausführungen erheblich zu kurz gekommen.
Zu Punkt 5 unserer Anfrage haben Sie gemeint, die Frage enthalte nur die auch in früheren parlamentarischen Anfragen aufgestellte und von der Bundesregierung schon zurückgewiesene Behauptung, daß die gerichtlichen Verfahren verzögert worden seien usw. Sie nehmen auf die früheren
Antworten Bezug, die auf diese Kleinen Anfragen von der Regierung gegeben worden seien.
Herr Kollege Bucher hat zu dem Wert dieser Antworten auf die Kleinen Anfragen das Erforderliche gesagt. Ich glaube nicht, daß der Bundesjustizminister - er ist nicht anwesend - ernstlich davon überzeugt ist, daß diese Antworten wirklich als Antworten angesehen werden können. Sie waren Zumutungen für das Parlament, und es sollte mich nicht wundern, wenn das Parlament über kurz oder lang hierauf noch entsprechend reagieren wird.
Herr Minister, Sie haben dann längere Ausführungen zu der Frage der Aussagegenehmigungen gemacht. Sie haben darauf hingewiesen, daß jeder Vorgesetzte die Verpflichtung hat, bei allen geheimhaltungsbedürftigen Vorgängen sehr vorsichtig mit der Erteilung der Aussagegenehmigung zu verfahren. Das ist nicht wesentlich neu, berührt aber auch nicht den Kern der Frage, um die es hier geht.
Der auch von Herrn Justizminister Schäffer zitierte § 62 des Bundesbeamtengesetzes setzt für die Versagung der Aussagegenehmigung eine klare Grenze. Sie darf nur dann versagt werden, wenn die Aussage dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde. Das ist eine strenge und gewichtige Begrenzung des Rechtes auf Versagung der Aussagegenehmigung. Diese Grenze legt dem jeweils zur Entscheidung berufenen Vorgesetzten eine große Verantwortung auf, um so mehr als diese Entscheidung, jedenfalls nach der bisherigen, unzulänglichen Regelung, praktisch unkontrollierbar ist; denn die mögliche Verwaltungsklage ist schon aus rein zeitlichen Gründen wenig sinnvoll.
Es kommt also hierbei sehr darauf an, wie tief man die Nadel des Gewissens drückt. Das Problem ist nicht damit gelöst, daß man etwa nach der Formel des Herrn Rasner erklärt: Wir sind ja alle Ehrenmänner!
Ich habe es auch nicht als gut empfunden, Herr Justizminister, daß Sie zu den Schwierigkeiten bei der Entscheidung über die Versagung der Aussagegenehmigung angeführt haben, daß die Gerichte ihre Ersuchen nicht hinreichend konkretisierten. Ich hoffe, den Gerichten sollte dadurch nicht der Schwarze Peter zugeschoben werden, damit etwa Sünden der Bundesregierung gedeckt würden. Sie wollen doch selber nicht behaupten, Herr Minister - so möchte ich meinen -, daß die in der Sache Wrasmann von Herrn Kollegen Arndt heute vormittag substantiiert vorgetragenen Tatsachen etwa zu Lasten des Gerichtes gehen. Damit ist nach meinem Dafürhalten auch zu dieser Art der Rechtfertigung das Erforderliche gesagt.
Sie hatten schließlich erklärt, Herr Minister, der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit sei selbstverständlich, er beherrsche die Verfassungswirklichkeit. Aber wir haben doch nun einmal in den letzten Jahren eine Reihe von Vorgängen erlebt - leichtere und schwerere Fälle -, an denen hohe und höchste Stellen der Bundesregierung be3092
teiligt waren, Vorgänge, die mit diesen Grundsätzen schwer zu vereinbaren sind.
Dabei kommt es nicht so sehr auf die Anzahl dieser Fälle an, obwohl auch die Anzahl schon ein Politikum ist, wie es Herr Kollege Arndt hervorgehoben hat. Denn es gibt nicht ein „bißchen Rechtsstaat", es gibt nicht einen „Rechtsstaat mit kleinen Fehlern". Wenn nur ein Fall, in dem der Verdacht der Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze entstanden ist, ungeklärt und ohne Korrektur bleibt, ist es sehr schwer, Mißdeutungen zu begegnen und das Vertrauen zu erhalten. Daß dies aber notwendig ist, brauche ich, glaube ich, im Stadium dieser Diskussion nicht mehr auszuführen.
Aber da ich den Eindruck habe, daß im Zuge der bisherigen Diskussion zu viel beschönigt und viel verwischt worden ist, scheint es mir notwendig, doch noch einmal gerade gegenüber Ihren Ausführungen, Herr Bundesjustizminister, auf gewisse Fakten hinzuweisen, die im Raume stehen und die auch von der Bundesregierung weder durch Ihre Ausführungen noch vorher oder sonst in irgendeiner Weise ausgeräumt worden sind.
Da ist z. B. die Behandlung einer Sache, der ein Streit zwischen dem Vorstandsmitglied Schlanstedt von der Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel in Frankfurt, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, und dem Leiter der Revisions-und Prüfungsabteilung Dr. Hellwig zugrunde lag. Die materielle Seite des Streitgegenstands spielt überhaupt keine Rolle. Wichtig ist aber, daß Vorgänge, die so gravierend schienen, daß der zuständige Oberstaatsanwalt in Frankfurt, als er durch die Presse davon erfuhr, ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue einleitete, fast zwei Jahre lang im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als der verantwortlichen Dienstaufsichtsstelle vorgelegen hatten, statt korrekterweise sofort der Staatsanwaltschaft zugeleitet zu werden.
Aber nicht nur das! Unter dem 19. August 1957 unterrichtete der Oberstaatsanwalt in Frankfurt den Ernährungsminister von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und bat um die Übersendung der Akten. Aber nun erfolgte nicht etwa sofort die Abgabe an den Oberstaatsanwalt. Ich weiß nicht, wie viele Male er gemahnt hat, aber er hat jedenfalls wiederholt mahnen müssen, und insgesamt hat es fast ein rundes Jahr gedauert, bis das Ernährungsministerium die Akten tatsächlich an die Staatsanwaltschaft weitergegeben hat. Die Ermittlungen waren natürlich so lange blockiert.
Aber nicht nur das, meine Herren von der Regierung! Als in Verfolg des Schreibens des Oberstaatsanwalts die Sache nun bedrohlich zu werden anfing, kam man im Ernährungsministerium auf die Idee, selber Justiz zu spielen; und zwar beauftragte man einen pensionierten Landgerichtspräsidenten mit der Durchführung von Untersuchungen, wohlgemerkt in einer Sache, in der recht erhebliche strafrechtliche Vorwürfe erhoben worden waren und in der ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft schwebte! Alles andere, was mit dem
Fall zusammenhängt, ist gleichgültig. Aber ich glaube, Sie werden mir zustimmen müssen, wenn ich sage: ein solches Verhalten der Bundesregierung ist, gelinde gesagt, zum mindesten unverständlich und mit den von Ihnen vorhin abgegebenen Erklärungen nicht in Einklang zu bringen.
Meine Damen und Herren, es ist angesichts der Art, in der die Dinge hier heute dargestellt worden sind, auch nötig, daß doch noch einige weitere Bemerkungen zur Sache Kilb gemacht werden. Die einzelnen Vorgänge interessieren hier nicht; sie sind bekannt. Ich habe auch gar nicht die Absicht, in Einzelheiten des ganzen Komplexes, der kritische Betrachtungen nach verschiedenen Richtungen erfordert, einzusteigen. Über das Kapitel der Leihwagenbenutzung wird zu sprechen sein, wenn die Gerichte entschieden haben. Es ist völlig gleichgültig - ich betone es nochmals ausdrücklich -, ob und wie das Strafverfahren gegen Kilb ausgeht, ob er inzwischen aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist, ob und wie er bestraft werden wird usw. Was hier zur Debatte steht, ist ausschließlich der Versuch oder mindestens der Eindruck eines Versuchs unmittelbarer Rechtsbeeinflussung unter Verwendung von Amtsautorität und Staatsposition. Und zwar handelt es sich um die natürlich nur mit Wissen und Willen des Kanzlers mögliche Erklärung für die Öffentlichkeit, daß er grundsätzlich hinter Kilb stehe und daß man ungeachtet des eingeleiteten Strafverfahrens keinen Anlaß sehe, disziplinarische Schritte gegen Kilb einzuleiten. Das letzte ist ja in der Pressekonferenz vom 22. September 1958 ausdrücklich bestätigt worden.
Diese Erklärungen haben damals bis weit in die Parteikreise der CDU hinein außerordentliche Besorgnis hervorgerufen - begreiflicherweise -; denn unter dem Eindruck dieser Erklärungen stellte sich ja überall in der Öffentlichkeit - nicht nur für den kleinen Postbeamten - die Frage, ob das Recht mit zweierlei Maß gemessen werden soll, die Frage nach der Unabhängigkeit in der richterlichen Urteilsbildung und der Integrität unserer Rechtspflege, die Frage, ob der Bundeskanzler und die Bundesregierung etwa für sich eine Art Ausnahmerecht beanspruchen. Ich brauche nicht zu sagen, daß der Rechtsstaat keine Ausnahmen verträgt. Wer da anderer Auffassung wäre, würde sich in Denkbahnen vergangener Jahrhunderte bewegen. Wer nicht gewillt wäre, dies für sich, selbst wenn er gefährdet wird, gelten zu lassen, würde eben die Unterschiede zwischen unserem auf der demokratischen Grundordnung aufgebauten Rechtssystem und dem Gewalt- und Pseudorechtssystem diktatorischer Staaten verwischen.
Aber es bleibt doch die Frage, warum denn jene Erklärung, der Kanzler stehe hinter Kilb, überhaupt abgegeben worden ist. Was ist sie denn ihrer inneren Tendenz nach gewesen? Was bedeutete sie? Zumindest: Welche Vorstellung darüber mußte sie auslösen? Die deutsche Presse hat spaltenlang darüber berichtet. Es ist - ich möchte es an dieser Stelle sagen - ein ermutigendes Zeichen für das wachsende demokratische Bewußtsein unserer Öffentlichkeit, daß sie an der durch diese Vorgänge
ausgelösten tiefen Besorgnis um unsere rechtsstaatliche Entwicklung so allgemein teilgenommen hat. Ich sehe davon ab, irgendwelche Äußerungen zu zitieren. Aber es handelt sich hier darum, daß diese Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers unter dem Signum seines Staatsamtes abgegeben worden sind, mit dem Air amtlichen Charakters. Sie haben doch den Eindruck erweckt, als sollte - gewissermaßen in einer Eigenschaft als oberster Richter - von vornherein etwas festgestellt werden, was zu entscheiden ausschließlich Sache der Gerichte sein muß; und dadurch sollte eben auf die Entscheidung der Gerichte Einfluß genommen werden.
Meine Damen und Herren, Sie werden mir alle zustimmen müssen, wenn ich sage, daß hier eine Situation entstanden ist, die im Interesse des Vertrauens des Staatsbürgers nicht bestehenbleiben darf. Leider hat diese Situation durch den vom Herrn Bundeskanzler an die Strafkammer gerichteten Brief noch eine zusätzliche Verschärfung erfahren, einen Brief, in dem er Beschwerde darüber führte, daß seine Aussage, die er am 28. September vor dem Bonner Oberstaatsanwalt und einem weiteren Staatsanwalt gemacht hatte, in drei Fällen falsch verstanden und zuungunsten Kilbs ausgelegt worden sei, mit anderen Worten: daß die Staatsanwälte bei der Abfassung des Protokolls über seine Aussage nicht genügend Sorgfalt hätten walten lassen oder etwas protokolliert hätten, was er gar nicht gesagt habe. Hier geht es nicht um die Bestätigung der auch sonst gemachten Erfahrung, daß der Herr Bundeskanzler von früheren Erklärungen abrückt oder sie hinterher bestreitet. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die justizpolitische Bedeutung, ist der durch die amtliche Eigenschaft, in der diese Erklärungen abgegeben worden sind, implizierte Druck auf die Organe der Rechtspflege und die entsprechende Wirkung auf den einfachen Staatsbürger. Vielleicht hätte man - trotz gleicher Vorkommnisse auf anderer Ebene - geneigt sein können, die erste Reaktion der Verlautbarung des Herrn Bundeskanzlers als spontane Unbedachtheit zu werten. Aber die allgemeine Reaktion der Öffentlichkeit zeigte doch, was damit aufs Spiel gesetzt worden war, und hätte also warnen müssen, auf diesem Wege weiterzugehen. Es ist sehr zu bedauern, daß die verfahrene Situation bis heute nicht durch ein einfaches ,peccavi' zurechtgerückt worden ist. Die Einsicht in einen Irrtum hat meines Erachtens noch nie einer Persönlichkeit geschadet.
In diesen Zusammenhang gehört auch das - ich will es nur mit wenigen Worten streifen -, was an der Kontroverse des Bundesverteidigungsministers mit dem Verkehrspolizisten Hahlbohm unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erheblich ist; nicht der Vorfall als solcher, aber der Brief, den der Herr Minister Strauß an den nordrhein-westfälischen Innenminister geschrieben hat. Kollege Arndt hat heute schon darauf hingewiesen.
Es heißt in dieser Aufsichtsbeschwerde:
Ich muß verlangen, daß der Beamte nicht nur gemaßregelt, sondern in Zukunft auch nicht mehr als Verkehrspolizist verwendet wird.
Dann kommen die schon erwähnten haltlosen Verdächtigungen und der Schlußsatz:
Ich bitte um scharfe Untersuchung und ein strenges Eingreifen.
Der zuständige Minister des Landes Nordrhein-Westfalen hat diese versuchte Pression auf die Gestaltung der rechtlichen Behandlung des Falles entsprechend zurückgewiesen, mit Recht; denn das Recht verträgt keine Kommißallüren, weder im gerichtlichen noch im vorgerichtlichen Stadium.
Meine Damen und Herren, der Zeitablauf der heutigen Debatte ermöglicht es leider nicht mehr, das ganze Knäuel der fragwürdigen und merkwürdigen Vorgänge in einem anderen Falle zu behandeln. Ich meine die Haltung der Bundesregierung und die Vorgänge in dem sogenannten Komplex Hertslet. Ich will dazu nur auf folgendes hinweisen. Der Bundeskanzler hatte in der Kabinettssitzung vom 21. Oktober 1952 behauptet, er habe glaubhafte Unterlagen, aus denen hervorgehe, daß Hertslet ein Landesverräter sei, der Verkehr der Bundesbehörden mit Hertslet müsse eingestellt werden. Als diese Geschichte auf dem Weg über Dr. Sonnemann, Staatssekretär im Bundesernährungsministerium, zu den Wirtschaftsstellen kam und Hertslet davon erfuhr, hat das eine Kette von verzweifelten prozessualen Abwehrkämpfen Hertslets ausgelöst. Ich nenne aus der Reihe dieser Verfahren nur: erstens ein Beleidigungsverfahren gegen den Staatssekretär im Bundesernährungsministerium, zweitens ein Verfahren gegen Dr. Sonnemann wegen passiver Bestechung, drittens ein Ermittlungsverfahren gegen Hertslet wegen Landesverrats auf Grund einer Selbstanzeige, viertens eine Schadensersatzklage gegen die Bundesregierung über 400 000 DM. Das auf Grund der Selbstanzeige eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats gegen Hertslet ist mangels Beweises eingestellt. In dem von Hertslet eingeleiteten Beleidigungsverfahren gegen Dr. Sonnemann wurde dieser vom Schöffengericht in Bonn am 4. Januar 1954 zu einer Geldstrafe von 1500 DM, ersatzweise 5 Monate Gefängnis verurteilt. In der Berufungsinstanz wurde diese Ersatzgefängnisstrafe von 5 Monaten auf 1 Monat herabgesetzt und Dr. Sonnemann amnestiert. Auf die mögliche Durchführung des objektiven Verfahrens, um seine Unschuld zu beweisen, hat Dr. Sonnemann verzichtet.
Es geht auch hier nicht um die materiellen Vorwürfe und Streitfragen dieser Prozesse, so gravierend meines Erachtens auch die Tatsache eines solchen Verfahrens gegen einen so hohen Staatsbeamten an sich ist. Es geht in diesem Zusammenhang ausschließlich um Methoden, die zu Lasten der Bundesregierung bei diesem ganzen Komplex in Erscheinung getreten sind. Diese Methoden kennzeichnen sich stichwortartig wie folgt:
Verschwinden von behördlichen Akten;
versuchte Irreführung durch Vorlage von angeblichen Briefen ohne Kopf und mit nur maschinengetippter Unterschrift;
versuchte Irreführung durch erneute Vorlage von Briefen im Zivilprozeß zu einem Zeitpunkt, in
dem aus anderen Untersuchungen bereits feststand, daß ihr Inhalt unwahr ist;
die Einsetzung eines Mannes als Agenten, der wegen einer rechtskräftigen Gefängnisstrafe damals jedenfalls in der Bundesrepublik noch flüchtig war, gleichwohl vom Boden der Bundesrepublik aus zu wiederholten Flugreisen ins Ausland gelangte, und zwar mit Hilfe des Bundesamts für Verfassungsschutz;
schließlich die Verweigerung von Aussagegenehmigungen ausschließlich im Prozeßparteiinteresse der Bundesregierung oder der in ihr betroffenen Personen.
Meine Damen und Herren, ich verzichte darauf, diese einzelnen Methoden zu belegen. Ich bin dazu in der Lage und bitte, die Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit nicht so aufzufassen, als ob diese Dinge nicht durch klare Fakten unter Beweis zu stellen sind und unter Beweis stehen.
Es stellt sich die Frage, was bei dieser Geschichte am bedrückendsten ist: der Mißbrauch des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder die Sache mit dem Agenten. Das war der flüchtige, mit Gefängnis bestrafte Doris, der für diese Flugreisen ins Ausland unter Zuhilfenahme des Bundesamtes für Verfassungsschutz eingesetzt wurde. Man kann das wohl nur als Handel bezeichnen. Er hatte den Auftrag, in Kairo die Verbindung mit dem SD-Führer und Kriegsverbrecher Beißner herzustellen, der wegen Judenverfolgungen auf dem Balkan gesucht wurde. Ausgangspunkt zu der Beschuldigung Hertslets wegen versuchten Landesverrats, war der Israelvertrag und dann der Judenverfolger in Kairo! Und das mit Hilfe des Verfassungsschutzamtes auf dem Wege über den flüchtigen früheren Vorsitzenden der SRP Dorls. Ich glaube, das sind doch Dinge, die hier mit der treuherzigen Versicherung, es ist alles in Ordnung, nicht weggewischt werden können.
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Schließlich der Komplex der wiederholten Verweigerung und Beschränkung von Aussagegenehmigungen, die mindestens den Eindruck hervorrufen müssen, daß der Prozeß oder die Rechtsfindung behindert werden soll! Diese Frage ist auch vom Herrn Bundesjustizminister heute nur so in großem Bogen behandelt worden.
Der schwerste Fall aus dem Komplex Hertslet ist die Verweigerung der Aussagegenehmigung für den früheren Botschafter in Kairo, Pawelke, die heute noch besteht. In der durch eine Selbstanzeige herbeigeführten Voruntersuchung bei dem Bundesgerichtshof hatte sich Hertslet nämlich auf Pawelke als Entlastungszeugen berufen. Pawelke war Botschafter in Kairo gewesen und zunächst selber mit Recherchen gegen Hertslet beauftragt, war dabei aber zu dem Ergebnis gekommen, daß Herr Hertslet keineswegs Förderer, geschweige denn Initiator der angeblichen arabischen Boykottbestrebungen war, sondern daß dies eine dritte recht bekannte Persönlichkeit war, die engen Kontakt mit dem damaligen Staatssekretär Hallstein hatte.
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Pawelke ist dann aus dem aktiven Dienst ausgeschieden, nachdem er in schwere Differenzen mit Hallstein geraten war, weil dieser nämlich hinter seinem Rücken in Kairo gewissen Personen gewisse Informationen weitergegeben hatte. Verständlich vom Herrn Botschafter!
Und nun bleibt eben kein anderer Schluß, als daß sich die beteiligten Herren im Auswärtigen Amt bzw. in der Bundesregierung des Zeugen Pawelke jedenfalls nicht sicher waren und fürchteten, daß mit dessen Aussage eben ihre ganze Behauptung gegen Hertslet zusammenbrechen würde. Das hätte natürlich für die betreffenden Personen Konsequenzen gehabt. Deshalb verfuhr man so - das ist jedenfalls der für mich bestürzende Eindruck -, daß man das eigene Interesse gleich Staatsinteresse setzte - und weil Staatsinteresse, deshalb keine Aussagegenehmigung! Das ist die Art der Behandlung dieses Problems, gegen die wir uns wenden und die hier doch durch die Erklärungen der Bundesregierung früher und heute in gar keiner Weise geklärt oder ausgeräumt worden ist.
Dasselbe ist auch bei weiteren Zeugenvernehmungen geschehen: die beschränkte Aussagengenehmigung für die Beamten des Verfassungsschutzamtes, die beschränkten Aussagegenehmigungen für die Zeugen, die an der Kabinettssitzung vom Oktober 1952 teilgenommen haben usw. usw.
Meine Damen und Herren, solange diese Feststellungen nicht widerlegt worden sind - ich sagte bereits, daß bis zur Stunde seitens der Bundesregierung jede gegenteilige Aufklärung und jeder überzeugende Gegenbeweis fehlt -, gilt die Feststellung, daß hier eine Handhabung der Aussagengenehmigungen bzw. der Möglichkeit, sie zu verweigern, vorliegt - es handelt sich auch um Juristen, die mit darüber entschieden haben -, die einen klaren Ermessensmißbrauch darstellt, die deshalb rechtswidrig ist und, weil damit das Prozeßergebnis manipuliert wird, meines Erachtens einen unmittelbaren Angriff auf unsere rechtsstaatliche Ordnung darstellt.
Abschließend nur noch ganz wenige Bemerkungen zu dem Komplex Hallstein, Blankenhorn und Maltzan in der Sache Strack! Herr Kollege Bucher hat die entscheidenden Teiledes Gesamttatbestandes dargelegt. Ich will nichts wiederholen. Die Vorgänge zeigen dieselben Züge - zum Teil in noch schärferer Form -, wie sie bei der Affäre Kilb oder hei der Behandlung der Sache Hertslet zutage getreten sind. Sie drängen zu der Frage, warum eigentlich diese Lawine der Irrungen und Wirrungen hat zu Tal gehen müssen; warum sich nicht rechtzeitig eine der beteiligten Personen im Auswärtigen Amt das Herz gefaßt und erklärt hat - auch wenn damit der Kern des Fehlers nicht getroffen wurde -: „Entschuldigen Sie, wir sind einem windigen ausländischen Journalisten auf den Leim gegangen. Wegen des virulenten Themas, um das es ging, ist das vielleicht zu verstehen." Dann wäre die ganze Geschichte zu Ende gewesen.
Statt dessen wird tuschiert und retuschiert. Der Wirtschaftsminister wird von vornherein unvollständig informiert. Weil er immer wieder auf KlarRehs
stellung drängt, wird ein Entwurf nach dem an- deren produziert, verworfen, neu gefertigt, um ihn zu beschwichtigen. Man schaltet sich in das Ermittlungsverfahren gegen jenen ausländischen Journalisten ein und fertigt sogar ein Gutachten über den diplomatischen Schutz, den er angeblich genieße, wogegen sich sogar der Bundeskanzler vorher als unmöglich gewandt hatte. Dazu kommt die Verweigerung der Aussagegenehmigungen in diesem Fall, die Verschleppung der Aktenübersendungen an die Ermittlungsbehörden und schließlich die Erklärungen in jener Pressekonferenz vom 5. November 1958, daß alles in Ordnung sei, daß die Bundesregierung das Vorgehen der beteiligten Herren Botschafter und Herrn Hallsteins als einen innerdienstlichen Vorgang ansehe, bei dem sich diese Herren pflichtgemäß verhalten hätten. Später auf die Widersprüche hingewiesen und von den .Journalisten in die Enge getrieben, mußte der arme Sprecher für die Bundesregierung erklären: „Ja, das Kabinett kann das."
Meine Damen und Herren, auch hierzu hat die Öffentlichkeit ihre Meinung gesagt. Der Justizminister in Nordrhein-Westfalen hat das eindeutig gekennzeichnet. Der Bundesjustizminister hat sich davon distanziert. Der Minister von Nordrhein-Westfalen hat damals auch erklärt, „schon der Anschein einer Einflußnahme sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar". Es ist tief zu bedauern, daß die Bundesregierung dennoch von jenen Erklärungen bis heute nicht abgerückt ist und sie sogar noch bis zu dieser Steigerung „Das Kabinett kann das" weitergetrieben hat. Nein, meine Damen und Herren, das kann das Kabinett nicht, und es sollte auch nicht versuchen, so etwas zu können.
Wenn Sie alle diese hier nur in knappster Form und in gedrängtester Kürze noch einmal in das Gedächtnis zurückgerufenen Fakten übersehen, dann müssen Sie meines Erachtens die Besorgnis verstehen, die uns erfüllt. Sie werden mir auch zustimmen, daß - da bin ich derselben Auffassung wie der Kollege Bucher - Überlegungen notwendig sind, wie z. B. die Handhabung von Aussagegenehmigungen rechtsstaatlich kontrolliert und gesichert werden kann. Ich hoffe schließlich, Sie werden mir auch folgen, wenn ich den Appell des Kollegen Arndt von heute morgen wiederhole, indem ich sage: Wir warten auf das Wort der Bundesregierung, das die nun einmal in all diesen Fällen entstandenen Schatten von unserem Rechtsstaat beseitigt und das die Gewähr bietet, daß solche Schatten nicht mehr wiederkommen.
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Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich werde mich im Hinblick auf die vorgerückte Zeit sehr kurz fassen, so kurz wie eben möglich.
Ich möchte dem Herrn Abgeordneten Rehs zunächst auf die Vorwürfe antworten, die er gegen mich bezüglich des Verfahrens gegen den Ministerialrat Kilb erhoben hat. Er hat zwei Vorwürfe erhoben. Der erste ist, daß unter meiner Verantwortung vom Bundeskanzleramt veröffentlicht worden sei, daß nach Prüfung des Tatbestandes kein Disziplinarverfahren gegen Herrn Kilb eingeleitet werde. Das ist richtig. Die Erklärung ist abgegeben worden. Ich war damals im Urlaub. Ich wußte aber von der Erklärung; man hatte mich vorher um meine Zustimmung gefragt.
Meine Damen und Herren! Nach der Disziplinarordnung muß, wenn gegen einen Beamten ein Strafverfahren eingeleitet wird, die vorgesetzte Stelle prüfen, ob ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden muß. Dementsprechend ist hier verfahren worden. Staatssekretär Globke ist loyal gewesen und hat dem Oberstaatsanwalt Drügh mitgeteilt, daß wir nach Prüfung der ganzen Sachlage keine Veranlassung sehen, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, und daß wir das auch der Öffentlichkeit mitteilen würden. Herr Drügh hat gar nichts dagegen gehabt.
Dann, meine Herren, der Brief an die Strafkammer. Ich werde Ihnen den Brief vorlesen; ich glaube, das ist am allereinfachsten.
An den Vorsitzenden der Ersten Strafkammer des Landgerichts Bonn
Herrn Landgerichtsdirektor Dr. Quirini
Bonn, 17. November
Sehr geehrter Herr Landgerichtsdirektor,
die Anklageschrift des Oberstaatsanwalts Bonn gegen den Ministerialrat Kilb, jetzt Direktor bei Euratom, ist mir als Dienstherrn des Angeschuldigten zugegangen.
Sie ist mir amtlich mitgeteilt worden.
Ich bin in dem Verfahren von der Staatsanwaltschaft Bonn als Zeuge vernommen worden. Schon während meiner Vernehmung zeigte sich beim Diktat meiner Aussage durch den vernehmenden Staatsanwalt Schmitz, daß dieser in drei Fällen meine Aussage falsch verstanden hatte oder zu Ungunsten des Angeschuldigten Kilb nicht dem Sinne meiner Aussage entsprechend interpretierte, so daß ich ihm dreimal erklären mußte: was Sie diktieren, habe ich nicht gesagt, ich bitte das aufzunehmen, was ich gesagt habe. Der bei der Vernehmung anwesende Oberstaatsanwalt Drügh wies darauf den Staatsanwalt Schmitz an, das aufzunehmen, was ich gesagt hätte.
In der Anklageschrift finde ich wiederum in der Schilderung aller drei Tatbestände, aus denen die Anklage den Schluß zieht, der Angeschuldigte Kilb habe der Firma Daimler-Benz pflichtwidrige Vorteile zugewandt, den Angeschuldigten belastende, unrichtige Angaben.
Ehe die Strafkammer irgendwelche entscheidende Beschlüsse faßt,
- sie muß nämlich beschließen, ob das Hauptverfahren eröffnet wird oder nicht bitte ich auf Grund des § 202 StPO, mich durch einen Richter zu vernehmen.
- Sie sehen also: hier drängt sich mal einer dazu, vernommen zu werden.
({0})
Ich lege auch Wert darauf, mich zu vernehmen, ehe der Angeschuldigte Kilb eventuell aus der Haft entlassen ist, weil anscheinend die Staatsanwaltschaft der Ansicht ist, er könne meine - übrigens sehr genauen - Erinnerungen an zwei Vorgänge verwirren.
Diesen Antrag hat die Strafkammer abgelehnt. Wie ich höre, hat in der Zwischenzeit der Verteidiger des Herrn Kilb den Antrag gestellt, mich als Zeugen durch einen Richter zu vernehmen, entsprechend den Vorschriften der Strafprozeßordnung.
Ich kann also wirklich nicht einsehen, inwieweit hier überhaupt auch nur der Schatten einer Beeinflussung der Rechtsprechung vorliegt.
({1})
Ich stelle nochmals fest: Wir mußten prüfen, ob ein Dienststrafverfahren eingeleitet werden mußte oder nicht. Man kam zu der Überzeugung: Der Tatbestand bietet keine Veranlassung dazu. Das ist der Öffentlichkeit mitgeteilt worden, mußte übrigens auch Euratom mitgeteilt werden.
Und das Zweite. Ich als Dienstherr des Ministerialrats Kilb, dem die Anklageschrift von der Staatsanwaltschaft zugeschickt war, finde in der Anklageschrift unrichtige Angaben. Ich schreibe darauf der Strafkammer, sie möchte mich, ehe sie den Beschluß faßt, das Hauptverfahren zu eröffnen, entsprechend dem § 202 der Strafprozeßordnung durch einen Richter vernehmen.
Inwiefern das eine Beeinflussung ist, meine Damen und Herren, ist mir schleierhaft.
({2})
Nun möchte ich aber doch noch einige Worte zu der Frage Blankenhorn, Hallstein und von Maltzan sagen. Ich möchte das auch deswegen tun, weil der Herr Abgeordnete Bucher diese Herren, die sich mit in den höchsten Stellungen der internationalen Öffentlichkeit befinden, hier in einer Weise behandelt hat, die ich geradezu unmöglich finde.
({3})
Ich werde Ihnen zunächst einige Daten bekanntgeben und dann den Beschluß der Strafkammer vorlesen. Ich brauche da gar nichts hinzuzusetzen. Wenn Sie mir folgen, werden Sie sehen, daß da nichts hinzuzusetzen ist.
Das Verfahren ist auf Grund zweier Anzeigen des Ministerialrats Dr. Strack vom 30. November und 18. Dezember 1953, die gegen Unbekannt gerichtet waren, eingeleitet worden. Am 18. März 1957 wurde dem Bundesjustizministerium vom Landesjustizministerium Nordrhein-Westfalen mitgeteilt, daß die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kurz vor dem Abschluß stünden. Die Anklageanweisung des Justizministeriums an die Staatsanwaltschaft
Bonn - die Anklage ist nämlich von der Staatsanwaltschaft Bonn auf ausdrückliche Anweisung des damaligen Justizministers von Nordrhein-Westfalen Amelunxen erhoben worden - ist um die Jahreswende 1957/58 erfolgt. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bonn ist dann am 5. Mai 1958 bei der Strafkammer eingereicht worden. Der Er- öffnungsbeschluß der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts in Bonn ist am 21. Oktober 1958 erfolgt. Der Termin zur Verhandlung wurde für März 1959 angesetzt.
In der Zwischenzeit war der damalige Botschafter von Maltzan in Paris schwer erkrankt und mußte aus dem Dienst ausscheiden. Herr Blankenhorn, der Botschafter bei NATO war, sollte Botschafter bei der Französischen Republik werden. Das Agrément für ihn ist auf Beschluß des Kabinetts am 4. Oktober 1958 nachgesucht worden. Es ist am 10. Oktober 1958 erteilt worden. Inzwischen war auch Herr Hallstein als Staatssekretär ausgeschieden und Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geworden. Das ist die höchste europäische Stellung, die es überhaupt gibt.
Bedenken Sie bitte die Daten: Agrément für Blankenhorn am 4. Oktober 1958 nachgesucht, am 10. Oktober 1958 erteilt. Am 21. Oktober 1958 beschließt die Strafkammer, das Hauptverfahren zu eröffnen, nachdem ihr die Akten am 5. Mai zugegangen waren. Gleichzeitig wird uns auf unsere Erkundigungen mitgeteilt, daß sich das Verfahren wegen Überlastung der Kammer erst im März 1959 abspielen könne, also nach weiteren fünf Monaten.
Das Kabinett stand also vor der Frage: Was machen wir nun? Sie wissen genauso gut, wie ich es weiß, daß es sehr schwer ist, geeignete Leute zu finden, um so wichtige Posten wie den Posten des Botschafters bei der Französischen Republik zu besetzen. Und Herr Hallstein erklärte mir: Wenn jetzt der Regierung der Französischen Republik mitgeteilt wird, trotz des erteilten Agréments werden wir Herrn Blankenhorn nicht schicken, weil die Strafkammer diesen Beschluß gefaßt hat - 18 Tage nachdem das Agrément erteilt war, wobei, ich wiederhole nochmals, erst nach weiteren fünf Monaten eine Klärung durch eine Verhandlung zu erwarten stand -, dann kann ich auch nicht in meinem Amt bleiben.
Dann hat das Kabinett, meine Damen und Herren, die ganze Sache geprüft und ist zu dem Beschluß gekommen, der Ihnen bekannt ist, Blankenhorn solle Botschafter in Paris bei der Französischen Republik werden, und es liege keine Veranlassung vor, irgend etwas zu tun.
Nun will ich Ihnen den Beschluß vorlesen, den das Kabinett nach mehrstündiger Verhandlung einstimmig gefaßt hat, weil darin auch der Wortlaut des Eröffnungsbeschlusses der Strafkammer enthalten ist.
1. Die Bundesregierung sieht in dem Beschluß der I. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn vom 21. Oktober 1958, in dem gegen den Präsidenten der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und bisherigen StaatsBundeskanzler Dr. Adenauer
Sekretär im Auswärtigen Amt, Prof. Dr. Walter Hallstein, und den Botschafter der Bundesrepublik Deutschland bei der NATO, Herbert Blankenhorn, die Beschuldigung erhoben wird, den Referatsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und jetzigen Ministerialrat Dr. Strack vorsätzlich bei dem Bundesminister für Wirtschaft einer strafbaren Handlung und der Verletzung einer Amtspflicht in der Absicht verdächtigt zu haben, ein behördliches Verfahren und andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen, keinen Grund, den Botschafter Blankenhorn nicht als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland bei der Französischen Republik zu entsenden.
In der Begründung des Beschlusses der Strafkammer ist gesagt, daß der damalige Presseattaché des ägyptischen Generalkonsulats in Frankfurt am Main, Dr. Galal,
- ich füge hier ein, meine Damen und Herren, daß damals eine diplomatische Vertretung Ägyptens bei uns nicht bestand; die einzige Vertretung Ägyptens, die in der Bundesrepublik bestand, war das Generalkonsulat in Frankfurt am 28. Oktober 1952 ({4}) gegenüber dem Botschafter Blankenhorn, den früheren Vortragenden Legationsrat zur Wiederverwendung und jetzigen Ministerialrat Dr. Strack, der als Leiter des Referats „Vorderer Orient" im Bundeswirtschaftsministerium tätig war, wahrheitswidrig der Bestechung verdächtigt habe. Über
I das Vorbringen Dr. Galals am 28. Oktober habe der Botschafter Blankenhorn ein Gedächtnisprotokoll aufnehmen lassen und es dem Angeschuldigten Staatssekretär Prof. Dr. Hallstein zur Kenntnis gebracht.
- Das war der Vorgesetzte. Botschafter Blankenhorn habe darauf Dr. Galal brieflich ersucht, seine Vorwürfe zu präzisieren. Das Antwortschreiben Dr. Galals habe eine Präzisierung der Vorwürfe nicht enthalten und Abweichungen gegenüber dem Inhalt des Gedächtnisprotokolls enthalten. Botschafter Blankenhorn und Präsident Hallstein hätten der Richtigkeit der Behauptungen von Dr. Galal skeptisch gegenübergestanden und Zweifel an der Glaubwürdigkeit Dr. Galals geäußert.
Daraufhin habe Prof. Dr. Hallstein eine beglaubigte Abschrift des Briefes des Dr. Galal vom 30. Oktober 1952, in der der Name des Empfängers des Briefes und die Schlußformel durch Punkte ersetzt worden seien, an den Bundeswirtschaftsminister übersandt, damit eine Untersuchung gegen Dr. Strack eingeleitet würde. Prof. Dr. Hallstein habe das Gedächtnisprotokoll nicht übersandt.
Auch wenn man die in dem Beschlusse der Strafkammer geschilderten Vorgänge als richtig unterstellt, hält die Bundesregierung das Vorgehen des Botschafters Blankenhorn und des damaligen Staatssekretärs Hallstein für einen innerdienstlichen Vorgang, bei dem die
beiden Beamten pflichtgemäß gehandelt haben. Sie würden gegen ihre Dienstpflicht gehandelt haben, wenn sie die Vorgänge dem Vorgesetzten des Ministerialrats Strack, dem Bundeswirtschaftsminister, nicht übersandt hätten.
({5})
Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, gegen den in ihrem Dienst stehenden Botschafter Blankenhorn irgendwelche Schritte zu unternehmen.
Meine Damen und Herren, wir haben das sehr kurz gefaßt. Herr Hallstein hat mir gesagt, er habe in dem Brief, in dem er dem Bundeswirtschaftsminister den Brief Galais übersandt habe, geschrieben, sie glaubten nicht daran. Aber, meine Damen und Herren, wenn eine Anzeige gegen irgendeinen Beamten eingeht und dieser Beamte einem anderen Beamten als Vorgesetzter untersteht, dann ist der Beamte, bei dem die Anzeige eingeht, verpflichtet, diese Anzeige zur Kenntnis des Vorgesetzten des Beschuldigten zu bringen.
({6})
Er selbst hat nicht darüber zu entscheiden, sondern der Vorgesetzte hat zu entscheiden, was mit einer solchen Anzeige geschieht.
({7})
- Das ist eben ein Irrtum. Dann muß ich also weiter ausholen.
Das Gedächtnisprotokoll hat Herr Blankenhorn gar nicht selbst aufgenommen; sondern er hat zu der Unterredung, zu der Galal kam, zwei Beamte zugezogen, und von diesen Herren hat er dann das Gedächtnisprotokoll anfertigen lassen. Dann hat er mit Herrn Hallstein darüber gesprochen, und sie haben beide den Kopf geschüttelt und haben dann - wie es ganz ordnungsmäßig ist - gesagt: Man muß dem Galal schreiben: wenn er etwas will, soll er das präzis angeben. Es kam dann der Brief, der noch weniger präzise war als das, was Galal mündlich gesagt hatte, und den hat Herr Hallstein dem Bundeswirtschaftsminister übersandt.
({8})
- Wie mir Herr Hallstein gesagt hat, hat er erklärt, ihm komme die Sache höchst zweifelhaft vor.
({9})
Nun, meine Damen und Herren, will ich Ihnen auch die Sache von Maltzan vorlesen, obgleich Herr von Maltzan ausgeschieden ist, weil er sehr schwer erkrankt ist.
Die Bundesregierung sieht in dem Beschluß der I. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn vom 21. Oktober 1958, in dem gegen den ehemaligen Botschafter der Bundesrepublik Deutschland bei der Französischen Republik
Dr. jur Vollrath Freiherr von Maltzan die Beschuldigung erhoben wird, bei dem Bundesminister für Wirtschaft über den Referatsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und jetzigen Ministerialrat Dr. Strack vorsätzlich Behauptungen tatsächlicher Art aufgestellt zu haben, die geeignet waren, behördliche Maßnahmen gegen diesen herbeizuführen und teilweise in Tateinheit hiermit in Beziehung auf den Ministerialrat Dr. Strack eine Tatsache, die nicht erweislich wahr ist, behauptet und verbreitet zu haben, die denselben in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, keine Veranlassung, gegen Herrn Botschafter Freiherrn von Maltzan, der inzwischen aus gesundheitlichen Gründen von seinem Pariser Posten zurückgetreten ist, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen.
In der Begründung des Beschlusses ist gesagt, daß Freiherr von Maltzan am 8. Januar 1953 in Bonn dem Bundesminister für Wirtschaft namens und im angeblichen Auftrage des Auswärtigen Amtes den Wunsch dieser Behörde vortrug, Dr. Strack nicht mehr in dem Referat „Vorderer Orient" zu verwenden. Zur Begründung dieses Wunsches habe Freiherr von Maltzan u. a. angeführt:
1. Der Deutsche Botschafter in Ankara habe gegenüber dem Auswärtigen Amt nachdrücklich darauf hingewiesen, daß von türkischer Seite der Wunsch ausgesprochen worden sei, Dr. Strack nicht mehr als Verhandlungspartner zu haben.
2. Dr. Strack unterhalte freundschaftliche Beziehungen zu dem Außenhandels-Kaufmann Hertslet, gegen den seinerzeit im Zusammenhang mit dessen aktiver Gegnerschaft zum Israelvertrag von der Bundesregierung schwerwiegende Vorwürfe erhoben wurden.
Ich möchte hier einfügen, meine Herren, weil wir auch von antisemitischen Sachen heute gesprochen haben: der schärfste Gegner, derjenige, der uns am meisten Schwierigkeiten gemacht hat, zu dem Israelvertrag zu kommen, war Herr Hertslet.
Botschafter Dr. von Maltzan
-so fährt das Gericht fort habe keinen Auftrag gehabt, namens des Auswärtigen Amtes die bezeichnete Bitte vorzutragen. Die aufgestellten Behauptungen hätten nicht der Wahrheit entsprochen. Obwohl Botschafter Dr. von Maltzan zumindest eine mögliche Unrichtigkeit bewußt in Kauf genommen habe, habe er diese Behauptung zum Gegenstand seiner Bitte um Ablösung von Dr. Strack gemacht.
Die Bundesregierung hält - die Richtigkeit der Angaben des Beschlusses unterstellt - das Vorgehen des Botschafters Freiherr von Maltzan für einen innerdienstlichen Vorgang, bei dem Freiherr von Maltzan pflichtgemäß gehandelt hat.
Meine Damen und Herren, das sind diese beiden Fälle. Ich habe Wert darauf gelegt, sie hier so präzise und genau mitzuteilen im Hinblick auf das große Aufsehen, das die ganze Sache insbesondere im Ausland hervorgerufen hat. Wir können es uns einfach nicht leisten, daß Beschuldigungen gegen so hohe Beamte in solch wichtigen Stellungen in einer Zeit wie der unsrigen viele, viele Monate lang einfach im Raum schweben
({10})
und derartige Vorwürfe erhoben werden. Das ist unmöglich.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Benda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über eine gute Justiz kann man offen reden, sagte der Kollege Dr. Arndt heute früh. Ich will nicht so weit gehen, zu sagen, daß jedes offene Wort, das heute bisher gefallen ist, auch ein gutes Wort gewesen ist.
Der Kollege Dr. Bucher zum Beispiel! Ich habe beinahe so ein bißchen den Eindruck gehabt, als ob er ein Manuskript, wie sagt man, für ein bekanntes westdeutsches Nachrichtenmagazin hier schreiben wollte.
({0})
- Aber meine Damen und Herren, ich habe bisher immer geglaubt, es sei in Ihren Ohren eine Art Kompliment, wenn man so etwas sagt.
({1})
Der Kollege Bucher hat hier davon gesprochen, daß unser Recht zu einer Magd der Politik zu werden drohe. Kollege Dr. Bucher, der Herr Brauer aus Hamburg, der Herr Regierende Bürgermeister von Hamburg, hat eigentlich etwas mehr Vertrauen zu der Bundesregierung und ihrem Chef gezeigt. Ich darf auch dem Kollegen Schneider sagen, daß wir gar keinen Anlaß haben, das dem Herrn Regierenden Bürgermeister von Hamburg übelzunehmen.
({2})
Nun darf ich, da mein Themenkreis an sich etwas anderes umfaßt als die Dinge, die eben hier erörtert worden sind - aber das fällt dann wohl auch in das von mir besonders zu behandelnde Thema hinein -, zu diesem Fragenkomplex zweierlei sagen. Zum ersten: Wenn wir uns mit dem Problem der sogenannten Urteilsschelte befassen - und ich habe die Absicht, das noch im einzelnen zu tun -, dann sollten wir uns zuvor über eines einig sein. Die Behandlung eines noch vor einem Gericht in der Bundesrepublik schwebenden Verfahrens in
I diesem Hause sollte schlechthin für uns alle unmöglich sein.
({3})
- Sie schütteln den Kopf. Unser Kollege Dr. Arndt hat das, wenn ich mich nicht sehr irre, heute morgen auch gesagt. Mir scheint aber, das ist einer der fundamentalen Grundsätze für die Behandlung von juristischen Streitfragen, von, wenn Sie wollen, politisch-juristischen Streitfragen, über den wir uns in diesem Hause einig sein sollten.
Meine Damen und Herren, überlegen Sie die Dinge doch einmal! Ich will gar nicht im einzelnen dazu reden. Ich sehe schon in den Verfahren, die Herr Kollege Rehs und andere Redner vor ihm hier angeschnitten haben, die beiderseitigen Anwälte mit dem Stenographischen Bericht der heutigen Sitzung kommen und, je nachdem, wie sie die Dinge beurteilen, so oder so daraus Folgerungen ziehen, also den Versuch unternehmen, der von seiten des Anwalts völlig legitim ist, mit Dingen, die hier von den politisch verantwortlichen Menschen diskutiert worden sind, das Verfahren zugunsten des von ihnen betreuten Mandanten so oder so zu beeinflussen.
({4})
- Ist das bestreitbar?, Herr Kollege Rehs, Sie scheinen das schön zu finden. Ich finde das unmöglich, darf ich Ihnen sagen.
({5})
- Herr Kollege Rehs, wir wollen hier doch nicht
- ich sage Ihnen das nachher in einem anderen Zusammenhang noch einmal - Maßstäbe mit unterschiedlicher Einteilung aufstellen.
({6})
Über die Berechtigung und den Umfang der Zulässigkeit dieser Kritik werde ich nachher noch reden. Wenn Sie Prozesse, die noch nicht rechtskräftig sind, zu einem erheblichen Teil vor dem Forum dieses Hauses kritisieren und das zulässig finden, dann dürfen Sie den verantwortlichen Männern der Bundesregierung nicht zumuten, daß eine Stellungnahme von ihrer Seite - und der Herr Bundeskanzler hat sich eben im einzelnen dazu geäußert - nicht zulässig sein solle. Eines, meine Damen und Herren, schickt sich hier für alle, kann man in Umkehrung dieses Wortes sagen.
({7})
- Bitte schön!
Ich frage, ob Sie mir einen Satz nennen können, in dem ich einen Teil eines gerichtlichen Verfahrens oder eines Prozesses kritisiert habe oder ob sich nicht meine gesamte Kritik ausschließlich auf Erscheinungen und Vorgänge erstreckt hat, die außerhalb des gerichtlichen Prozesses von der Regierung und einzelnen Beamten zu verantworten sind.
In der Tat, Herr Kollege Rehs, Sie haben es sich nicht sehr schwer gemacht. Sie haben gesagt - und ich habe es mir aufgeschrieben -: Die Einzelheiten des Prozesses - ich glaube, es war der „Fall Kilb", wenn ich ihn so nennen will - interessieren nicht; diese sind alle bekannt. Meine Damen und Herren, es ist gar nichts bekannt.
({0})
Und der zweite Grundsatz, der in diesem Hause auch bis zum heutigen Tage noch gelten sollte - für mich jedenfalls steht er fest - ist der, daß ein Angeklagter, der vor Gericht steht, sei er, wer er wolle, bis zu dem Zeitpunkt seiner rechtskräftigen Verurteilung für alle Außenstehenden nicht als schuldig, sondern als unschuldig gilt.
({1})
Ist das zu bestreiten? Ist das ein Grundsatz, zu
dem wir uns bekennen wollen, oder ist es ein
Grundsatz, den wir hier heute über Bord schmeißen?
({2})
Damit darf ich zu meinem eigentlichen Thema kommen. Hierbei haben wir uns mit dem von mir, wie angekündigt, zu behandelnden Problem in einem ganz anderen Zusammenhang noch einmal zu beschäftigen.
Die Sozialdemokratische Partei hat in Punkt 2 ihrer Großen Anfrage - der Punkt 3 gehört sachlich dazu - von der Besorgnis gesprochen, daß eine Reihe von Urteilen das Rechtsbewußtsein verletzten. Kollege Jahn hat dazu einiges gesagt. Kollege Dr. Arndt hat sich heute morgen in seiner Begründung mit diesen Fragen ausführlich beschäftigt.
Der Kollege Jahn hat kritisiert, die Antwort des Herrn Bundesjustizministers habe nicht das zum Ausdruck gebracht, was man von ihm erwartet habe. Ich bin nicht dieser Auffassung. Ich bin schon der Meinung, daß es dem Bundesjustizminister wohl ansteht, bei Verfahren, die nicht zu seiner Zuständigkeit, sondern zur Zuständigkeit in erster Linie der Landesjustizverwaltungen gehören, behutsam zu reden und alles zu unterlassen - der Herr Minister hat es ja gesagt -, was als der Versuch aufgefaßt werden könnte, die Zuständigkeit der Landesjustizverwaltungen oder gar die im Grundgesetz verankerte Zuständigkeit der unabhängigen Richter in irgendeiner Form zu berühren.
Die Kollegen der Sozialdemokratie haben selber gesagt, die Punkte ihrer Anfrage seien von verschiedener Wertigkeit, von verschiedenem Gewicht. Es war ein wenig schwer, das zu sehen. Insofern geht die Kritik des Herrn Kollegen Jahn etwas fehl.
Aber es ist, glaube ich, richtig: der zentrale Punkt einer Justizdebatte, in der man sich nicht mit Fra3100
gen der institutionellen Technik der Justiz allein beschäftigen möchte, ist das Problem des Konflikts zwischen dem Richterspruch und der öffentlichen Meinung, die legitimerweise in erster Linie in diesem Hohen Hause repräsentiert werden sollte. Es ist - so hat es Friedrich Sieburg in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung " genannt - das Problem der Entrüstung im Rechtsstaat.
Wir haben heute Worte ehrlicher, und ich darf hinzufügen: gerechtfertigter Entrüstung gehört. Meine Damen und Herren, denken wir auch in diesem Zusammenhang einen Augenblick daran, daß es zum Wesen eines Rechtsstaates, um den wir hier streiten und sicher auch streiten müssen, auch gehört, daß eine Entrüstung überhaupt möglich ist. Im Unrechtsstaate ist Entrüstung nicht möglich. Im Rechtsstaate ist sie allerdings möglich, muß sich aber nach Inhalt und Form - nach beiden! - begrenzen. Die Begrenzung ist durch die formale Anerkennung des einmal geschaffenen Faktums Urteil geboten. Sie sollte aus dem Respekt vor dem Spruch eines unabhängigen Richters geboten sein.
Herr Kollege Arndt, Sie haben sich heute morgen wieder wie so viele Ihrer Kollegen in zahlreichen Debatten, die wir in den letzten Monaten miteinander geführt haben, darüber beklagt, daß die Bundesregierung es angeblich an Respekt vor diesem Hause, also an Respekt vor der Volksvertretung fehlen lasse. Ich will mich nicht darauf einlassen, weil es vom Thema wegführt. Ich möchte aber soviel sagen: Der Respekt, den selbstverständlich - darüber sind wir uns einig - die Bundesregierung diesem Hause, der Vertretung des deutschen Volkes, schuldet, kann mit Fug und Recht von der dritten Säule unseres Staates, von der rechtsprechenden Gewalt, beansprucht werden. Sie kann beanspruchen, daß dieser Respekt ihr von uns, die wir hier beisammensitzen, entgegengebracht werde.
({3})
Der frühere Reichsjustizminister Schiffer hat schon vor vielen Jahren in seinem Buche über die deutsche Justiz, das man vor der Erörterung eines Themas wie dieses schon einmal nachlesen mag, geschrieben - ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Der Selbstbeschränkung des Staates, die in der Unabhängigkeit der Richter liegt, muß die Selbstbeschränkung der politischen Parteien und anderweitigen Organisationen entsprechen; sie müssen es sich versagen, gegen jedes Ihnen mißfällige Urteil die Volksseele zum Kochen und die Volksmasse auf die Straßen zu bringen, um in schwebende Verfahren einzugreifen oder abgeschlossene Verfahren nicht zur Ruhe kommen zu lassen.
({4})
Meine Damen und Herren, das gilt für Lob und für Tadel. Es ist schon eine Weile her, daß Sie - meine Herren Kollegen von der SPD, Sie haben so selten Gelegenheit dazu, und deshalb haben wir Verständnis dafür - rühmend und mit viel Worten das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dem
Streit über die Parteispenden gepriesen haben. Ich nehme Ihnen das gar nicht übel; wie gesagt: Sie haben diese Gelegenheit bisher nicht sehr oft gehabt. Aber so gut wie für das Lob gilt dasselbe für den Tadel. Es dient nicht der Sache der Justiz, wenn Urteile über abgeschlossene Rechtsstreite dann, wenn es vermeidbar ist, in diesem Hause in Pro oder Kontra, in Lob oder Tadel diskutiert und im einzelnen untersucht werden.
Ein Wort zur Form! Es gibt eine Reihe von Äußerungen, die allerdings bedenklich sind und die klar aufzeigen, wo die Grenzen der zulässigen Form einer Kritik an gerichtlichen Urteilen sind. Ich darf Ihnen auch - hier bitte ich um Ihre Genehmigung, Herr Präsident - einige wenige Stilblüten, so muß ich sie wohl nennen, vorlesen, die aus Ihren oder aus Ihnen nahestehenden Reihen gekommen sind, und zwar im Zusammenhang mit einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, die Sie alle sehr wohl kennen und die noch nicht alt ist. Was hat denn etwa der Parlamentarisch-Politische Pressedienst der SPD am 5. November 1958 zu diesem Urteil des Bundesarbeitsgerichts geschrieben? Ich darf es hier anführen: Mit Hilfe juristischer Fallstricke solle die Substanz der Gewerkschaften ausgehöhlt und ihre Rolle geschwächt, wenn nicht gar außer Kraft gesetzt werden.
({5})
- Das steht zwar nicht in der Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts, und die Verfasser des Artikels hüten sich, es zu sagen. - Es geht dann weiter: Die eigentliche Stoßrichtung des Richterspruchs von Kassel lasse sich jedoch nicht verschleiern; sie ziele in den politischen Bereich.
({6})
Oder der Nachrichtendienst des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 6. November vorigen Jahres: Im Gewand juristischer Auslegungen liege ganz unzweifelhaft ein politisches Urteil vor.
Oder der Vorsitzende der IG Metall, Herr Brenner, sagt am 14. November im Gewerkschaftsblatt, der „Welt der Arbeit", einer wohl unverdächtigen Quelle: Im Zusammenhang mit anderen beunruhigenden Ereignissen der jüngsten Zeit nennt er das Urteil ein verhängnisvolles Anzeichen für die fortschreitende Restauration. Natürlich darf die Frankfurter „IG Metall" in diesem tristen Reigen nicht fehlen, die am 16. November vorigen Jahres durch ihren Bezirksleiter Hans Eick verkünden ließ: Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts sei eine Fortsetzung der Nazi-Urteile gegen die deutsche Gewerkschaftsbewegung.
({7})
Meine Damen und Herren, in diesen Äußerungen von Männern aus Ihren Reihen steckt nicht mehr und nicht weniger als der schlechthin unhaltbare Vorwurf der Rechtsbeugung, den wir, glaube ich - und insofern müssen wir uns schützend vor die deutsche Richterschaft stellen -, bei dieser Gelegenheit entschieden zurückweisen wollen.
({8})
Meine Damen und Herren von der SPD, mit diesen naßforschen Tönen ist die Grenze der zulässigen Entrüstung über gerichtliche Entscheidungen bei weitem überschritten. Das ist erstens schlechtester Stil, und das ist zweitens das Ergebnis der Irrmeinung, daß Freiheit der Meinung ohne Bindung, ohne innere Disziplin, ohne Ordnung in einem Rechtsstaate überhaupt möglich sei.
({9})
Nun hat sich freilich in der deutschen Öffentlichkeit erneut die leidenschaftliche Diskussion über die Zulässigkeit und vielleicht sogar über die Notwendigkeit der „Urteilsschelte" durch das, was man den Fall Nieland nennt, entfacht. Mein Kollege Dr. Kanka hat bereits einiges darüber gesagt; ich will es nicht unnötig wiederholen. Aber ich will soviel sagen: ich habe den Eindruck, daß sich mancher von Ihnen, der sich geäußert hat, nicht sehr viel Gedanken über den zulässigen Inhalt und die notwendigen Grenzen der Urteilsschelte gemacht hat. Darf ich noch einmal grundsätzlich in Kürze das Problem anschneiden, ob eine solche Kritik am Richterspruch überhaupt zulässig ist!
Wie schwierig das Problem ist, zeigt ein Zitat zum Problem der Unabhängigkeit der Rechtspflege, das schon einige Jahre alt ist und folgendermaßen lautet:
Unabhängigkeit der Rechtspflege bedeutet, daß der Richter keinen Weisungen unterworfen ist, von wem auch immer sie kommen mögen, und daß er in seiner richterlichen Tätigkeit keiner Dienstaufsicht unterliegt. Als Anweisung stellen sich aber nicht nur Befehle oder unzulässige Verordnungen dar, sondern jedwede Kritik, die amtlich von einem anderen Staatsorgan an der Rechtspflege geübt wird, wenn sie auch nur geeignet ist, einen Druck auf die Rechtspflege auszuüben. Unzulässig ist also, wenn der Landtag
- es handelte sich damals um einen Landtag irgendwelche Urteile kritisiert. Unzulässig ist es, wenn von einem Richter gesagt wird, daß er hinter schwedische Gardinen gehöre. Auch der Justizminister
- Herr Kollege Jahn ist nicht berufen, Urteile auf ihre tatsächliche oder rechtliche Richtigkeit hin nachzuprüfen, sie zu loben oder zu tadeln. Es muß sogar mindestens sehr zweifelhaft erscheinen, ob und inwieweit er einer vermeintlichen Rechtsbeugung nachgehen kann.
({10})
Meine Damen und Herren, dieses Zitat ist deswegen so interessant, weil es aus dem „Archiv für öffentliches Recht" aus dem Jahre 1932 stammt und mit der Verfasserangabe überschrieben ist; Landrichter Dr. Adolf Arndt - unser geschätzter Kollege aus diesem Hause.
({11})
- Sie waren damals noch jünger, Herr Kollege. Sehen Sie, unser geschätzter Berliner Kollege
Schröter im Rechtsausschuß und wir als Berliner würden da sagen: ({12})
- Ach, Herr Wittrock, - - ({13})
- Über das Thema „Heuchelei" sage ich Ihnen nachher noch ein besonderes Wort, Herr Kollege Wittrock. Ich komme noch darauf zurück; falls ich es vergessen sollte, erinnern Sie mich bitte daran.
({14})
- Herr Kollege Wittrock, ich habe doch nicht Sie gemeint, wenn ich vom „geschätzten Kollegen" gesprochen habe. Warum fühlen Sie sich überhaupt getroffen? In Berlin würden wir zu dem Zitat und zu dem, was der Kollege Dr. Arndt heute gesagt hat - geschätzter Kollege Schröter, Sie werden es mir abnehmen -, sagen: Wie hast du dir gewandelt!
({15})
Aber, Herr Kollege Dr. Arndt, mir liegt es völlig fern - und ich hoffe das noch verständlicher zu machen -, Ihnen zu dem, was Sie heute gesagt haben, irgendeinen Vorwurf zu machen.
({16})
- Ja, Herr Kollege Metzger, ich will mit diesem Zitat nur einmal zeigen, wie schwierig die Probleme sind. Das, was der Kollege Dr. Arndt im Jahre 1932 gesagt hat, reicht eben deshalb nicht aus, weil es nicht nur um die von Ihnen besprochene äußere Unabhängigkeit des Richters geht, sondern ebensosehr - Sie oder Ihr Kollege Jahn haben das selber mit Recht gesagt - um die innere Unabhängigkeit des Richters. Und dem Recht des Richters auf Unabhängigkeit entspricht die Pflicht des Richters zur Unabhängigkeit. Dieser Pflicht zur inneren Unabhängigkeit genügt der Richter nicht allein dadurch, daß er, wenn er in einen Konflikt gerät, seine Versetzung betreibt oder um Polizeischutz nachsucht.
({17})
Das sind höchst unvollkommene, höchstunzulängliche Methoden, um einem solchen Konflikt auszuweichen, und wo die innere Unabhängigkeit etwa fehlen sollte, da wird dann aus der äußeren Unabhängigkeit auch eine leere Redensart.
In diesem Sinne hat sich noch vor sehr viel längerer Zeit Karl Heinsheimer geäußert, einer der uns als ebenso eigenwillig wie liebenswert bekannten badischen Juristen. Im Jahre 1929 hat er gesagt - auch über das Thema „Kritik von Urteilen in Parlamenten" -:
Wenn wir aber im Gegensatz hierzu sehen, daß die Justizminister in Reich und Ländern auf Vorwürfe, die wegen einseitiger politischer oder konfessioneller oder auch sozialer Einstellung von Gerichten erhoben werden, sachlich eingehen und antworten, sei es nun in die3102
sem oder jenem Sinne, so liegt dem offenbar die Erkenntnis zugrunde, daß es sich hierbei um Fragen wesentlich anderer Art handelt als bei einfacher Kritik an sich indifferenter Urteile. Und diese Auffassung
- sagt Heinsheimer
ist völlig zutreffend. Vorwürfe jener Art enthalten nichts anderes als die Behauptung, daß die Gerichte es an der Unabhängigkeit, die nicht nur eine äußerliche, sondern auch eine innerliche sein muß und die nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht der Gerichte ist, nach einer bestimmten Richtung hin fehlen lassen. Weit entfernt, in die Unabhängigkeit der Gerichte einzugreifen, wollen solche Kritiken vielmehr gerade die Unabhängigkeit der Gerichte gegen diese selbst in Schutz nehmen. Und es kann nicht so sein, daß das Parlament hier nicht zu einer Erörterung befugt wäre, welche nur bezweckt, die konstitutionellen Grundlagen des gesamten Staatswesens zu wahren.
Meine Damen und Herren, ich glaube, in den „konstitutionellen Grundlagen des gesamten Staatswesens" liegt in der Tat der Kern und die Lösung unseres Problems. Es darf niemandem von uns - ich habe solche Fälle unzulässiger Urteilsschelte zitiert - in diesem Hause oder außerhalb dieses Hauses gestattet sein, aus seiner parteipolitischen Einstellung Urteile deswegen zu kritisieren, weil sie einer speziellen parteipolitischen oder speziell gewerkschaftlichen oder, wenn Sie wollen, auch Arbeitgebereinstellung nicht entsprechen. Wo es aber um die konstitutionellen Grundlagen unseres Staatswesens oder, um es mit einem modernen Ausdruck zu sagen, wo es um die freiheitlich-demokratische Grundordnung dieses unseres Staates geht und wo die Besorgnis besteht, daß diese Grundlagen gefährdet, ja sogar etwa angegriffen und verletzt werden, ist die Auseinandersetzung mit einer solchen Rechtsprechung, mit solchen Urteilen nicht nur ein Recht, sondern, ich möchte sagen, geradezu eine Pflicht dieses Hauses und eines deutschen Parlaments überhaupt.
({18})
Das Problem der Urteilsschelte bedeutet also nicht nur - darüber sollte selbstverständlich Übereinstimmung bestehen -, daß man dem Richter keine Vorschriften machen oder ihn gar etwa unter Druck setzen sollte. Insofern bedaure ich - das muß einmal gesagt werden - die Forderung, die sich in der Hamburger Bürgerschaft erhoben hat, man solle von seiten der Justizverwaltung auf die Geschäftsverteilung der Hamburger Gerichte Einfluß nehmen. Das ist eine völlige Unmöglichkeit.
Auf der anderen Seite kann der Richter aber nicht beanspruchen - ich möchte sagen: er kann nicht einmal wünschen -, in einem Elfenbeinturm seiner speziellen Fachwissenschaft zu arbeiten und zu entscheiden. Er, der Richter, der ja doch im Namen des Volkes urteilt, muß gerade die lebendige, sachliche und die selbstverständlich saubere Diskussion - nur um die kann es gehen - auch
außerhalb seiner Gerichtskammer suchen und geradezu wünschen.
Meine Damen und Herren, nach dem, was wir hinter uns haben, gewinnt der alte Rechtsspruch „Fiat iustitia, pereat mundus" ein recht fragwürdiges und recht zweifelhaftes Gewicht, jedenfalls dann, wenn er zu einem gleichgültigen Rechts- und Gesetzespositivismus führt.
Über den Fall Nieland ist gesprochen worden. Dazu nur noch so viel: Es kann, glaube ich, nach den Fürchterlichkeiten der Vergangenheit niemand mehr irgendwo in Deutschland mit Recht sagen, daß es bei dem Problem des Antisemitismus um eine Bagatelle gehe.
({19})
Es handelt sich nicht nur um den Schaden im Ausland, so wichtig dieser sein mag. Aber wenn wir das allein sehen wollten, wäre es ja ein nur zweckbestimmtes Denken. Es geht doch darum, daß wir in diesem Hause ganz einfach deswegen zur Besorgnis verpflichtet sind, weil wir hier die Sache des deutschen Landes besorgen und weil die innere Sauberkeit unseres Landes uns mindestens genauso viel wert sein soll wie das äußere Ansehen unseres Landes.
({20})
Aber da so sehr viel kritisiert worden ist, ist es, glaube ich, notwendig, bei dieser Gelegenheit auch einmal auf positive Stimmen aus dem Ausland aufmerksam zu machen, die sich gerade mit diesem Thema beschäftigen. Ich entnehme einem Bericht, daß sich ein großer Teil der norwegischen Presse im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die KZ-Prozesse - die ja insbesondere hier in Bonn zum Teil noch anhängig sind und über die ich deswegen nichts sagen will, ich glaube, auch nichts zu sagen brauche - in einer sehr erfreulichen und positiven Weise über den Gang dieser Prozesse ausgelassen hat. So ist es z. B. in einem Leitartikel der immerhin größten norwegischen Zeitung „Aftenposten" vom 16. Oktober 1958 geschehen. Ich darf zitieren:
Wir sind froh, daß die Bundesrepublik diese Prozesse gegen Kriegsverbrecher so tatkräftig führt und daß sie die Rechtsgrundsätze so energisch behauptet. Die Missetaten des Nazismus gegen Menschen sind so groß gewesen, daß sie nicht im Verlauf einiger Jahre aus der Erinnerung ausgelöscht sein können. Wie schwer auch das Erbe sein mag, es muß ans Tageslicht gezogen werden, und wir müssen das Gefühl erhalten, daß man in Deutschland den Willen und die Fähigkeit zeigt, das wiedergutzumachen, was an Schaden wiedergutgemacht werden kann.
Bei anderer Gelegenheit hat einer der angesehensten Rechtslehrer der Universität Oslo anläßlich eines Besuchs deutscher Juristen in Oslo Anfang November 1958 erklärt, er sei von der Konsequenz, mit der diese Prozesse von den deutschen JustizBenda
behörden durchgeführt würden, durchaus beeindruckt und glaube, dasselbe von der norwegischen Öffentlichkeit sagen zu können. Ich glaube, es ist ein Gebot der Fairneß und der Gerechtigkeit, das bei dieser Gelegenheit auch einmal zum Ausdruck zu bringen.
({21})
Einzelnen Angehörigen der Bundesregierung - dem Herrn Bundesjustizminister, auch dem Herrn Bundeskanzler - sind Vorwürfe, zum Teil persönliche Vorwürfe gemacht worden. Daher darf in Erinnerung gerufen werden, was Ihnen, meine Damen und Herren, wohl bekannt ist: Es ist der deutsche Bundeskanzler, dieser Bundeskanzler dieser Bundesregierung gewesen, der in den vergangenen Jahren an erster Stelle dazu beigetragen hat, das Ansehen des deutschen Volkes, das vom verbrecherischen Nationalsozialismus unsäglich geschändet worden ist, im Ausland - soweit das überhaupt innerhalb dieser kurzen Zeit menschenmöglich ist - weitgehend wiederherzustellen.
({22})
Wer das bestreiten will, mit dem kann man, glaube ich, darüber einfach nicht mehr diskutieren. Das ist einfach unbestreitbar.
({23})
- Ich komme sofort darauf, Kollege Schröter. Ich weiche bestimmt keiner Frage aus - so gut sollten wir uns kennen -, darauf können Sie sich verlassen. Sie brauchen mich nur darauf anzusprechen.
Zum Problem des Antisemitismus muß ich doch noch etwas sagen. Ich spreche hier als Angehöriger einer Generation, der wohl unverdächtig ist, sich für sich oder seine Generation um ein Alibi bemühen zu müssen. Niemand in der Bundesrepublik, der Verantwortung trägt, niemand, der den Eid auf das Grundgesetz geschworen hat, wer immer und wo immer er sei, darf Recht anders sehen und anders auslegen als so, daß die Würde des Menschen, die in einer grausigen Weise verletzt worden ist, über allem steht. Niemandem darf gestattet werden, in Wort oder Tat Menschen zu schmähen, die Unvorstellbares gelitten haben, oder gar solche Verbrechen zu befürworten oder zu fördern. Wir sind es den Opfern dieser fürchterlichen Zeit schuldig, ihr Andenken sauberzuhalten und die Überlebenden, deren Wunden bis zum heutigen Tage kaum vernarbt, geschweige denn verheilt sind, vor neuen Angriffen zu schützen.
Die große Mehrheit der Richter in Deutschland weiß das nach meiner Überzeugung. Sie weiß es selbstverständlich. In diesem Zusammenhang mag auch ein Wort dankbarer Erinnerung an eine sehr große Anzahl hervorragender Richter in hervorragenden Stellen gesagt werden, ein Wort dankbarer Erinnerung an Richter jüdischen Glaubens, die in der Zeit bis 1933 die deutsche Rechtswissenschaft und die deutsche Justiz in hervorragender Weise gefördert haben.
({24})
Sie kennen alle die Namen, ich will keine einzelnen sagen. Ich will, wenn über die deutsche Richterschaft gesprochen wird, auch an die leider allzu wenigen Überlebenden erinnern, die zum Teil wieder in verantwortlicher Stellung in unserer neuen deutschen demokratischen, rechtsstaatlichen Justiz arbeiten und sich unserem Land zur Verfügung gestellt haben. Wenn Sie die deutsche Richterschaft insgesamt kritisieren, dann denken Sie bitte auch an diese Menschen, die wir hier auf alle Fälle mit in Schutz nehmen müssen.
({25})
- Ich komme . nachher noch darauf.
Bei alledem ist die Entrüstung im Rechtsstaat nicht nur möglich, sondern - ich habe ,es gesagt - hier und da sogar notwendig. Es muß in der Tat - ich will das ganz deutlich sagen - Besorgnis erregen, wenn irgendwo geschehenes Unrecht keine Strafe findet, ja, wenn dem flüchtigen Leser ein solches Unrecht durch Richterspruch gerechtfertigt, manchmal sogar belohnt erscheinen mag oder wenn, was noch schlimmer ist, weil ,es den Glauben an die Kraft des Rechts erschüttert, der Verurteilte sich der Strafe entziehen kann. Ein solches Ergebnis kann keine Befriedigung, sondern nur Besorgnis erwekken. Es sind die Fälle Eisele, Zind, Simon, Arnsberg, Nieland, Heydrich und eine ganze Reihe anderer solcher Entscheidungen zitiert worden. Der Kollege Jahn hat mir bestätigt, daß ich schon bei ,anderer Gelegenheit meine Auffassung zu dem Arnsberger Urteil deutlich genug gesagt habe. Das Gericht selber sagt von diesem Geschehen, daß es sich bemühen mußte, die gerechte Sühne für eine Tat zu finden, die in ihrer Art und in ihrem Ausmaß ,ein ungeheueres Unrecht dargestellt habe. Kollege Jahn, ich gehe auf die Einzelheiten auch von manchem, was Sie hier gesagt haben, aus zeitlichen Gründen, aber auch deswegen nicht ein, weil diese Urteile, das Arnsberger Urteil wie auch das Urteil, das sich mit dem Komplex Brettheim beschäftigt, nach den Erklärungen, die der Herr Minister abgegeben hat, beide noch nicht rechtskräftig sind. Deshalb wäre es nach dem, was ich einleitend gesagt habe, in der Tat nicht zweckmäßig, darüber zu sprechen.
Ich darf aber allgemein sagen, daß es eine ganze Reihe Urteile gibt, die insofern Bedenken erregen, als man nicht den Eindruck hat, den man sicherlich von jenen Urteilen hat - ich beziehe mich, Kollege Jahn, auf Ihre Ausführungen hier; ich brauche das nicht zu wiederholen -, daß die Richter bestes Streben und ein sorgfältiges Bemühen gezeigt haben. Ob das immer der Fall ist, das allerdings ist eine Frage, die immerhin gestellt werden muß. Man ist gelegentlich versucht zu denken - um ein Wort des Herrn Bundespräsidenten zu zitieren -, daß hier und da die Technik des Vergessenkönnens mitspielen mag, die nach dem Wort des Herrn Bundespräsidenten eine Eigenschaft der moralisch Anspruchslosen ist. Das ist das Bedenkliche, meine Damen und Herren, daß jeder kleine Verkehrsoder Steuersünder von einer gleichmütigen Maschi3104
nerie der Justiz zur Rechenschaft gezogen wird, daß aber alle äußeren Umstände zugunsten der Mörder mittels der Standgerichte, der KZ-Knechte, der Antisemiten zu arbeiten scheinen. Die Besorgnis ist deswegen notwendig und begründet, weil es manchmal in der Tat scheinen will, daß die Maßstäbe verrückt werden.
Dabei ist es völlig unsinnig, etwa dem einzelnen Richter hier Vorwürfe zu machen. Es ist manches
- Kollege Metzger, Sie haben den Zwischenruf, glaube ich, gemacht - von Ihrer Seite gesagt worden, was mindestens so klingen könnte - vielleicht war es nicht 'so gemeint - wie eine kollektive Verurteilung der deutschen Richterschaft.
({26})
- Herr Kollege Metzger, ich wollte das gar nicht hören; aber ich freue mich, wenn Sie das hier bestätigen. Ich freue mich, wenn wir in ein sachliches Gespräch über die Dinge geraten und dabei vielleicht sogar zu einer gewissen Übereinstimmung kommen.
({27})
Der Generalbundesanwalt Dr. Güde, den Kollege Arndt bereits zitiert hat, hat in einem Vortrag vor der Evangelischen Akademie in Bad Boll über die vielen inneren und äußeren Schwierigkeiten, die sich der Justiz entgegenstellen, eine Menge gesagt; ich brauche das hier nicht zu wiederholen.
Das Problem, meine Damen und Herren, liegt in Wirklichkeit viel tiefer. Es wird deutlich und erhellt an einem Punkte der Antwort des Herrn Bundesjustizministers auf Ihre Frage, in der der Herr Minister darauf hingewiesen hat, daß bei den Schwurgerichten das Rechtsbewußtsein des Volkes deswegen zur Geltung komme, weil diese Gerichte in der Mehrzahl mit Laienrichtern besetzt seien. Wenn Sie diese Äußerung - die an sich sicherlich richtig ist - mit den Ausführungen vergleichen, die Güde zu diesem Problem der Schwurgerichte - das wir alle kennen - gemacht hat, dann wird deutlich, welche wirklichen Schwierigkeiten bestehen.
Ein Weiteres. Kollege Dr. Arndt, Sie haben in Ihren Ausführungen die Richter aufgefordert, mehr Mut zu haben. Ich habe gerade gestern den Artikel in der Hand gehabt, den unser und Ihr Kollege Dr. Heinemann in der neuesten Nummer der „Neuen Juristischen Wochenschrift" etwa zu der Frage der Auslegung des § 93 StGB geschrieben hat und in dem er der Richterschaft, den höchsten Richtern sogar, den Bundesrichtern, den Vorwurf macht, sie dehnten diese Bestimmung - bei einem anderen Personenkreis allerdings - und eine Reihe der Bestimmungen dieses Abschnittes unnötig weit und unangemessen weit entgegen der Zwecksetzung des Gesetzgebers aus.
({28})
Auf der anderen Seite wird gefordert, daß dieser oder jener Richter - und Sie wissen, daß der § 93 etwa in Hamburg eine Rolle gespielt hat - mit mehr Mut an die Gesetzesauslegung herangehen müsse.
({29})
- Herr Kollege Arndt, Sie werden es nicht erleben
- das darf ich Ihnen versprechen -, daß ich von dieser Stelle aus persönlich werde. Aber wenn Sie vorhin Ihre Äußerung, die Sie vor 25 Jahren getan haben, mit dem Hinweis erledigten, daß Sie damals sehr viel jünger gewesen seien, dann möchte ich mir doch in aller Form verbitten, daß Sie mich hier als unreif bezeichnen. Damals waren Sie so alt, wie ich es heute bin.
({30})
Es ist, meine Damen und Herren, wie mir scheint
- und das hat Güde in aller notwendigen Klarheit gesagt -, sinnlos, dem einzelnen überhaupt Vorwürfe zu machen. Wir alle tragen Verantwortung, und ich würde doch wünschen, daß ein Wort von Güde aus jenem Vortrag, das ich noch zitieren darf, hier oben in diesem Saale hängen möge, das Wort:
Ich sage unentwegt
- sagt Güde
„wir", weil jeder Vorwurf an einzelne, soll er nicht pharisäisch sein oder unfruchtbar bleiben, diese Einsicht in unser Gesamtversagen und unsere gemeinsame Schuld voraussetzt.
Das sage ich denen von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, die vorhin von Phärisäern gesprochen haben. Diesen Satz überlegen Sie bitte einmal!
In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem Stil in unserem Hause. Ich habe eben gesagt, Sie werden so etwas von mir nicht hören; ich werde so etwas von hier aus nicht sagen. Ich höre manchmal
- das ist auch heute wieder angeklungen -, daß über die Bewertung des Verhaltens des einen oder anderen Mitgliedes unseres Hauses oder auch des einen oder anderen Mitgliedes der Regierung hier Ausführungen gemacht werden, von denen ich wirklich nicht recht weiß, wie ich sie qualifizieren soll.
({31})
Meine Damen und Herren, ich halte es wirklich nicht für zweckmäßig, und gerade Sie - ich will das nicht sagen - ({32})
- Ich habe speziell auch an Sie gedacht und das, was Sie hier einmal Mitgliedern der Regierung gesagt haben; ich habe speziell an den Ton gedacht, den Sie damals angeschlagen haben. - Wollen wir uns in diesem Hause immer und immer wieder in alle Zukunft hinein früheres Versagen, das es hier und da gegeben haben mag, gegenseitig vorrechnen? Meinen wir, wenn wir solche Vorwürfe erheben,
daß es notwendig ist, uns in unserer politischen Bedeutung dadurch zu erhöhen, daß wir andere Menschen niedriger setzen? Wollen wir wirklich vergessen - Herr Bucher hat es in einem anderen Zusammenhang und mit einem allerdings anderen Sinn gesagt -, daß die Ehre des Regierungschefs auch unsere Ehre ist?
({33})
Wollen wir weiter fortfahren, uns in diesem Hause so zu begegnen, wie wir es doch, glaube ich, außerhalb dieses Raumes glücklicherweise bisher nicht tun?
({34})
- Ach, Herr Kollege, ich richte meine Rede hier wirklich an alle. Ich habe keinen Bestimmten angesprochen. Ich sage bloß, wie ich die Dinge sehe, und dabei bleibe ich auch.
({35})
Was also soll getan werden? Ich greife die Anregung auf, die von Ihrer Seite kam und die ich unterstütze: daß es Aufgabe der amtlichen Stellen, in erster Linie sicherlich der Landesjustizverwaltungen und der Bundesregierung, wäre, wichtiges Material, das sich in den sogenannten KZ-Prozessen, wie etwa in dem in Bonn laufenden SorgeSchubert-Prozeß, ergibt, in geeigneter Form zu verwerten, um die Wahrheit klarzustellen und zu verbreiten.
Man sollte vielleicht untersuchen, ob es tatsächlich zutrifft, daß es - wie es hier und da, allerdings, wie mir scheint, bisher ohne nähere Anhaltspunkte, behauptet wird - geheime Verbindungen gibt, durch die sich Menschen vom Schlage eines Herrn Zind oder vom Schlage eines Herrn Eisele der verhängten Strafe entziehen können. Der Gesetzgeber muß überprüfen, ob hier von seiner Seite alles getan worden ist. Deswegen bedaure ich die Initiative, die die Bundesregierung in diesem Punkte ergriffen hat, nicht, sondern begrüße sie, nicht um damit - und ich glaube, das kann nicht mißverständlich sein - etwas, was vor einem Hamburger Gericht geschehen ist, zu rechtfertigen, sondern ganz einfach deswegen, um mit aller Deutlichkeit klarzustellen, daß es in Zukunft keine Möglichkeit eines Ausweichens - auch für den Richter - mehr geben kann. Wer wollte darüber böse sein? Ich will gern einräumen, daß man sich später noch über Einzelheiten dieses Gesetzentwurfs, der dem Hause bisher noch nicht vorliegt, unterhalten muß.
Ich begrüße die Initiative der Justizverwaltung zur Erforschung einer Reihe bestimmter Straftaten. Einige schwere Fälle werden noch abgeurteilt werden müssen. Auf der anderen Seite wird allerdings auch Beschränkung notwendig sein, nicht deswegen. weil der Ruf nach Vergessen von den - ich habe sie vorhin so genannt - Technikern des Vergessens käme, sondern weil dieser Ruf - und das verdient hervorgehoben zu werden - auch etwa von dem Vorsitzenden des Verbandes der Juden in Deutschland, Herrn Dr. van Dam, in der Allgemeinen
Wochenzeitung der Juden am 14. November laut geworden ist. Dort hat Herr Dr. van Dam gesagt, daß zum jetzigen Zeitpunkt nur noch besonders schwere Verbrechen zur Aburteilung kommen sollten, weil eine Inflation von Strafverfahren der Rechts- und Sittenordnung nichts nütze und das Übermaß an derartigen Verhandlungen die Wirkung eher aufheben könne, die solche großen Prozesse hervorgerufen hätten, weil das Zuviel hier häufig die gleiche Wirkung habe wie das Zuwenig.
Aber all dies - das wissen wir alle - wird nur Stückwerk bleiben. Es ist die Sache der Justiz, in die Vergangenheit zu richten. Es ist unsere Sache und es ist Sache der Politik, die Zukunft zu gestalten. Wir müssen die Erfahrungen der Vergangenheit beachten, dürfen dabei aber sicherlich nicht stehenbleiben. Uns warnt der Unrechtsstaat des Nationalsozialismus, aber auch der Unrechtsstaat in einem anderen Teile Deutschlands.
Kollege Dr. Arndt - um noch etwas aufzugreifen -, Sie haben, glaube ich, vorhin gesagt, daß wir uns darüber einig seien. Möchte das auch außerhalb dieses Hauses in Ihren Reihen überall ganz klar und eindeutig zu erkennen sein! Sie werden sagen, das sei selbstvertändlich. Ich habe - das muß ich einmal sagen - nur mit Bestürzung die Äußerungen lesen können, die ein früheres Mitglied dieses Hauses Ihrer Fraktion, Herr Staatssekretär Professor Dr. Brill , in einem Vortrag vor dem „Erweiterten Initiativausschuß für die Amnestie und die Verteidigung in politischen Strafsachen - ich habe nichts dagegen, da soll er gern reden - gemacht hat. In einem Vortrag über das Thema „Justiz und Rechtsstaat" am 10. Mai 1958, aus dem ich diesen einen Satz zitiere, hat Herr Dr. Brill wörtlich gesagt:
Es hindert das Begreifen unserer Gegenwart, wenn der Stand der Rechtsordnung in der Bundesrepublik Deutschland als der vollendet demokratische und soziale Rechtsstaat hingestellt, die DDR aber mit derselben Beharrlichkeit als Unrechtsstaat denunziert wird.
Ich wiederhole den letzten Halbsatz: die DDR aber mit derselben Beharrlichkeit als Unrechtsstaat denunziert wird. Eine dankbare Aufgabe, Herr Kollege Dr. Arndt! Das stammt aus Ihrer engeren Heimat.
({36})
- Herr Kollege, ich begreife das sehr wohl, daß ein früherer Bundestagsabgeordneter irgendwo draußen in der Öffentlichkeit sich hinstellt und erstens von der DDR - nicht etwa in Anführungszeichen - spricht und dann sich darüber aufhält, daß dieser Unrechtsstaat als ein solcher nicht kritisiert, sondern „denunziert" werde. Infamer, meine Damen und Herren, geht es wirklich nicht mehr. Wir jedenfalls werden an der klaren Abgrenzung zwischen diesem Rechtsstaat und jenem Unrechtsstaat festhalten. - Kollege Döring, daß Sie mit lächelnder Miene ironisch sagen: „Das sind schreckliche Dinge", wundert mich wirklich nicht.
({37})
Für die Justiz - meine Damen und Herren, das als letztes - ein Schlußwort, das über dem stehen möge, was wir hier zu sagen versuchen, ein Schlußwort aus dem bereits bei anderer Gelegenheit zitierten Vortrag von Güde, in dem er sagte:
Die deutsche Öffentlichkeit werden wir um Geduld, Verständnis und Einsicht bitten müssen, Verständnis vor allem dafür, daß eine angeschrieene und beschimpfte Justiz einer so schweren Aufgabe nicht gerecht werden kann, Verständnis dafür, daß in diesem Komplex Fragen der Schuld und des Unrechtsbewußtseins enthalten sind, die nicht mit Gewaltsamkeiten zu lösen sind, Verständnis aber vor allem dafür, daß der Richter nur nach seinem Gewissen und nach seiner Überzeugung urteilen darf und daß es das schlimmste wäre, wenn er sich etwa aus Angst vor einer erregten öffentlichen Meinung zu Urteilen gegen seine Überzeugung bestimmen ließe.
({38})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stammberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Angst, ich möchte die Debatte nicht unnötig lange „ausstracken". Ich möchte auch der Bundesregierung weder weitere „Hallsteine" in den Weg legen, noch ihr zusätzliche „Blankenhörner" aufsetzen.
({0})
Ich tue das allerdings nicht unter dem Eindruck der Ermahnung des Herrn Bundeskanzlers gegenüber meinem Freund Bucher, man dürfe so hochgestellte Persönlichkeiten nicht kritisieren. Diese Kritik, meine Damen und Herren, ist unser gutes Recht, und wir werden davon Gebrauch machen, wann immer, wie immer und wozu immer wir das für notwendig halten.
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Aber ich möchte - Herr Kollege Weber, beruhigen Sie sich nur - zu einem Punkt sprechen, der heute noch sehr wenig Beachtung gefunden hat. Das ist der Punkt 9 der Großen Anfrage der SPD, den die SPD leider nicht begründet, den aber der Herr Bundesjustizminister dennoch beantwortet hat.
Der Herr Bundesjustizminister hat sich in seiner Beantwortung gegen den Vorwurf eines mangelnden rechtsstaatlichen Verhaltens verwahrt. Zur Begründung der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme von Geheimpatenten oder angeblichen Geheimpatenten hat er sich dabei auf die §§ 99 ff. des Strafgesetzbuches und vor allem auf den § 30 a des Patentgsetzes berufen. Nun, Herr Bundesjustizminister, Sie wissen genauso gut wie ich, daß § 30 a des Patentgesetzes nur gilt, wenn der Erfinder seine Rechte abtritt und der Bund dann der Anmelder ist, mit anderen Worten, wenn zwischen beiden vorher eine Einigung zustande gekommen ist.
Was aber geschieht nun, meine Damen und Herren, wenn das nicht der Fall ist, wenn es zu einer solchen Einigung - aus welchen Gründen auch immer - nicht kommt? Wenn das alles richtig wäre, Herr Bundesjustizminister, was Sie hier vorhin gesagt haben, dann hätte es nicht des juristischen Schleichweges bedurft, den man zweifellos mit ministerieller Rückendeckung eingeschlagen hat, als der Herr Präsident des Deutschen Patentamts seine Mitteilung vom 14. August 1956 herausgegeben hat, die nunmehr eine dubiose, eine höchst dubiose Rechtsgrundlage für solche Verfahren ist; ich darf wohl annehmen, daß die erwähnte Mitteilung der Grund für diesen Teil der Großen Anfrage der SPD gewesen ist.
Ich möchte hier einmal auf eine andere Bestimmung des Patentgesetzes, auf den § 8, zu sprechen kommen. Nach diesem Paragraphen hat die Bundesregierung die Möglichkeit, in die Lizenzrechte vor allem hinsichtlich der Ausschließlichkeit einzugreifen, wenn ihr dies im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder der Sicherheit des Bundes als notwendig erscheint. Das ist insofern bemerkenswert, als hier die Rechte des privaten Schutzrechtinhabers soweit wie möglich auf rechtsstaatlicher Grundlage gewahrt werden. Dort ist nämlich die Anfechtung einer solchen Anordnung vor den jeweiligen Verwaltungsgerichten vorgesehen; es ist vorgesehen der Anspruch auf eine Vergütung, also eine Entschädigung für die Benutzung, die notfalls im Streitfalle durch Anrufung der ordentlichen Gerichte eingeklagt werden kann.
Die Mitteilung des Präsidenten des Bundespatentamts vom 14. August 1956 geht weit über das hinaus. Sie entspricht vielmehr der seinerzeit im Entwurf der Bundesregierung im 1. Bundestag vorgesehenen Fassung eines § 30 a Abs. 2, wonach auch Patente Dritter als Geheimpatente behandelt werden können, wenn dies der Präsident des Patentamts auf Weisung einer obersten Bundesbehörde mit Rücksicht auf die Sicherung des Staates anordnet. Diese Bestimmung war im Gesetz von 1936 nicht enthalten; sie ist vielmehr erst durch eine Kriegsverordnung im Jahre 1939 eingeführt worden, und im Jahre 1953 hielt es der 1. Bundestag - aus welchen Gründen auch immer - nicht für erforderlich, diese kriegsbedingte Maßnahme als Dauervorschrift in das geltende Recht aufzunehmen. Er glaubte, daß, wenn es notwendig sei, ein Patent als Geheimpatent zu behandeln, der Bund die Erfindung erwerben und nach § 30 a in seiner jetzt geltenden Fassung als eigenes Geheimpatent anmelden könne. So der damalige Wille des Gesetzgebers!
Meine Damen und Herren, über alles das setzt sich die Exekutive einfach hinweg, und man hat das Gefühl, daß hier nach dem Grundsatz gehandelt wird: Wenn nicht mit dem Parlament, dann ohne das Parlament, notfalls auch gegen das Parlament! Man kann es auch etwas kürzer sagen: Hier wird nach dem Motto gehandelt: „La loi c'est moi." Hierfür gibt es ja bereits eine regierungsamtliche Übersetzung. Sie stammt vom Herrn Bundespressechef von Eckardt und lautet: Das Kabinett kann das. Der Herr Kollege Rehs hat soeben schon gesagt: das
Kabinett kann das nicht, und ich möchte hier erklären: Das Kabinett kann auch d a s nicht;
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denn diese Praxis ist nicht nur contra legem, sie ist auch contra constitutionem. Sie kommt praktisch einer Enteignung gleich, und die weisen Väter des Grundgesetzes, wie man sie immer so schön zu nennen pflegt, haben in Art. 14 GG bestimmt, daß eine Enteignung nur erfolgen kann auf Grund eines Gesetzes, das gleichzeitig auch die Entschädigungsansprüche regelt.
An dieser gesetzlichen Grundlage fehlt es hier. Das hat auch der Herr Bundesjustizminister in seinen Worten ganz offen und mit der ihm eigenen Ehrlichkeit durchblicken lassen.
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Während im § 8 des Patentgesetzes, den ich vorhin bereits erwähnt habe, alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, findet man nichts davon in der Mitteilung des Bundespatentamtes vom 14. August 1956, obwohl hier die Eingriffe in die Rechte einer Privatperson bedeutend schwerer sind, so schwer, daß damals der Bundestag diesem Vorschlag der Bundesregierung seine Zustimmung versagen zu müssen glaubte.
Wir Freien Demokraten verkennen durchaus nicht, daß sich die Situation heute gegenüber der Situation im 1. Bundestag politisch und insbesondere militärpolitisch geändert hat. Ich darf heute schon namens meiner Fraktion erklären, daß wir einem Änderungsvorschlag, wie ihn der Herr Bundesjustizminister bereits angekündigt hat - wenn auch mit sehr vagen und zaghaften Worten -, im Grundsatz zustimmen werden. Aber was wir hier verlangen, ist eine klare Entscheidung durch don Gesetzgeber, um die sich die Bundesregierung längst hätte kümmern können, falls sie diese Regelung für notwendig erachtet.
In dieser Mitteilung des Patentamtes wird von einem Staatsnotstand gesprochen. Das ist ein Wort, das augenblicklich sehr beliebt ist. Ein solcher Notstand liegt im Augenblick zumindest nicht in einer solchen zeitlichen Bedrängnis vor, daß nicht der Gesetzgeber längst hätte Klarheit schaffen können. Was uns aber eher als ein Notstand erscheint, ist der bedenkliche Mangel an rechtsstaatlichem Einfühlungsvermögen bei den für diese Handlungsweise verantwortlichen Ressorts der Bundesregierung. Wir wollen nur hoffen, daß die Bundesregierung wenigstens in diesem Punkte aus dieser Debatte die Konsequenzen zieht und uns sobald wie möglich einen Gesetzentwurf vorlegt, der an Stelle der Besetz- und verfassungswidrigen Mitteilung vom 14. August 1956 und der daraus entwickelten Praxis einwandfreie gesetzliche Voraussetzungen schafft, um die Sicherheit unseres Staates zu gewährleisten, auch ohne den dadurch betroffenen Bürgern dieses Staates ihre verfassungsmäßigen Rechte zu nehmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier noch einige Bemerkungen zu jenem Punkt unserer Großen Anfrage - und zu den entsprechenden Ausführungen des Herrn Bundesministers der Justiz - machen, der sich mit dem Verfahren gegen Journalisten und mit dem Problem einer geheimen Rechtsprechung befaßt. Zu diesem Punkt ist noch einiges aufzuklären.
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Aber zuvor eine kurze Bemerkung zu einem anderen Sachkomplex, zu der Frage der Dauer von Gerichtsverfahren. Es ist sicherlich sehr interessant, was der Herr Justizminister über die Reform der Strafprozeßordnung, überhaupt unseres Verfahrensrechts, gesagt hat. Ich möchte aber die Gelegenheit benutzen, die Bundesregierung darauf hinzuweisen, daß es einen Weg gibt, die auch von dem Bundesjustizminister beklagte Überlastung der Gerichte zu vermeiden oder einzuschränken. Das ist nämlich möglich, wenn die Bundesregierung die Konsequenzen aus einer Stellungnahme des Präsidenten des Bundesrechnungshofes zieht. In dieser Stellungnahme wird darauf hingewiesen, daß die öffentliche Hand in einem zu starken Maße die Gerichte dadurch belastet, daß über Gebühr Rechtsmittel eingelegt werden, daß über Gebühr Verfahren verschleppt werden. Ich meine, die zuständigen Ressorts der Bundesregierung sollten einmal sehr ernsthaft die Dinge überprüfen und die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Sie brauchen nur mal - um eine Personengruppe zu nennen - die Besatzungsgeschädigten zu fragen, welche Erfahrungen über Verfahrensverschleppungen gemacht worden sind, die der Vertreter des öffentlichen Interesses, des Bundesinteresses, am laufenden Band praktiziert. Da können Ansatzpunkte für Entlastungsmaßnahmen und damit auch für Beschleunigungseffekte gefunden werden.
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Aber nun zum noch wesentlicheren Punkte meiner Ausführungen: Die Antwort des Ministers zu Ziffer 6 unserer Großen Anfrage zeigt: Die Bundesregierung ist sich der Gefahr nicht bewußt, die für die Informationsfreiheit der Presse entsteht, wenn Ermittlungsverfahren gegen Journalisten eingeleitet werden, die bestimmte Vorgänge zur Sprache gebracht haben. Ich kann aus der Antwort des Bundesjustizministers nur eines entnehmen: Die Bundesregierung will die bestehende Gefahr nicht sehen. Wir Sozialdemokraten bleiben dabei: Es gibt Ansätze für eine gefährliche Praxis, Ermittlungsverfahren gegen Journalisten einzuleiten, und zwar offensichtlich mit dem Ziel, die Journalisten zur Preisgabe ihrer Informationsquellen zu veranlassen.
Wir bleiben dabei auch in dem vom Herrn Bundesjustizminister Schäffer angeführten Fall. Da richtete sich das Ermittlungsverfahren ebenfalls zunächst ausschließlich gegen den berichtenden Journalisten. Es ist eine Verschleierung der Zusammenhänge, Herr Bundesminister, wenn Sie sich hierherstellen und erklären - dem Sinne nach -: Die Bundesanwaltschaft hat alle in Betracht kommenden Personen gerichtlich vernehmen lassen. Entscheidend für die Beurteilung des Vorwurfs, der in der
Tat hinter dieser Ziffer der Großen Anfrage steckt, ist nämlich folgendes: Nur einer von all den Personen, die gerichtlich vernommen worden sind, wurde bis kurz vor Ende des Jahres als Beschuldigter vernommen, nämlich der Journalist; die anderen wurden bis kurz vor Ende des Jahres als Zeugen vernommen. Es ist ein Trick, den der Herr Bundesjustizminister gewählt hat. Er spricht davon: Alle sind gerichtlich vernommen worden. Also ist ja alles durchaus in bester Ordnung, gegen alle richten sich irgendwelche Maßnahmen; das ist es, was wir denken sollen! Aber die tatsächlichen Zusammenhänge sind die: Derjenige, der als Beschuldigter herausgepickt worden ist, ist der Journalist, und erst etwa im Dezember ist ein suspendierter Bediensteter der in Betracht kommenden Behörde dann ebenfalls - dann ebenfalls! - als Beschuldigter vernommen worden.
Das wollte ich einmal hier sagen zur Klarstellung der Art und Weise, wie in diesem doch sicherlich nicht ganz unwesentlichen Punkte von der Bundesregierung der Versuch gemacht wird, den Dingen so einen ganz bestimmten „effet" zu geben.
Wir wissen, wie ein solches Verfahren gegen einen Journalisten eingefädelt wird: Die betroffene Behörde erklärt einen bestimmten Vorgang, über den ein Journalist berichtet hat, zum Staatsgeheimnis, und schon ist der Journalist einem Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats ausgesetzt. Der Herr Bundesjustizminister hat ja hier einen Fall erwähnt. Eine Zeitschrift hat in einem Bericht Name und Funktion eines Angehörigen des Bundesamts für Verfassungsschutz genannt, und, meine Damen I und Herren, kein Oberstaatsanwalt in der ganzen Bundesrepublik ist auf die Idee verfallen, hierin die Preisgabe eines Staatsgeheimnisses zu sehen. So hat man denn die Bundesanwaltschaft veranlaßt, tätig zu werden. Wie man so etwas macht, muß in diesem Hohen Hause auch einmal klar verdeutlicht werden. Von einem Sprecher der Bundesregierung ist es in einer Pressekonferenz, die sich aus diesem ganzen Vorgang ergeben hat, dargelegt worden. Ich darf (las, was der Sprecher der Bundesregierung ausgeführt hat, nämlich wie so was dann geht, wie ein solches Verfahren eingefädelt wird, mit Erlaubnis des Präsidenten hier zitieren. Es heißt da: Zunächst muß festgestellt werden, ob von diesen Leuten ein Landesverrat begangen worden ist. Das festzustellen ist zunächst einmal Angelegenheit der Behörde der Behörde! -, die festzustellen hat, ob das Verratene oder das, was gesagt wurde, ein Staatsgeheimnis ist.
({2}) Die Behörde stellt das also zunächst fest.
In einer späteren Pressekonferenz hat ein anderer Sprecher der Bundesregierung ebenfalls gesagt: Die Behörde äußert sich dazu zunächst gutachtlich, ob der angegebene Vorgang oder die angegebene Tatsache ein Staatsgeheimnis im Sinne des Strafgesetzbuches ist.
Es heißt dann weiter: Wenn das festgestellt ist, hat der Oberbundesanwalt im Rahmen des Legalitätsprinzips die Pflicht, die Strafverfolgung einzuleiten. In diesem Falle -- gemeint ist der Fall, um den es
dabei ging - mußte das Innenministerium oder das Verfassungsschutzamt feststellen, daß auch auf dem Sektor des Verfassungsschutzes etwas gesagt worden ist.
So werden also diese Verfahren eingefädelt. Eine Verwaltungsentscheidung steht am Anfang. Sie donnert irgend etwas zum Staatsgeheimnis auf, und schon ist man in der Lage, ich will nicht sagen, gleich ein gerichtliches Verfahren, aber doch ein recht unangenehmes Ermittlungsverfahren wie auch in dem besagten Fall -, nämlich ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats, einzuleiten.
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Was ich hier sage, ist an sich nichts Neues. Es liegt auf der gleichen Ebene wie eine Bemerkung in einem Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 27. Juli 1954, in dem es heißt, die Befugnis, amtliche Schriftstücke unter Geheimnisschutz zu stellen, stehe jeder Behörde zu. Vom Geheimnisschutz bis zur Deklarierung als Staatsgeheimnis im Wege einer gutachtlichen Äußerung der zuständigen Behörde,
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die ihre gutachtliche Äußerung der Bundesanwaltschaft übermittelt, ist es ein ganz kleiner Schritt.
Das ist so wichtig und eine auch für die Presse so gefährliche Grenze, daß wir der Auffassung sind, diese Gelegenheit, in der es darauf ankommt, auch diesen justizpolitisch interessanten Tatbestand aufzudecken, müsse dazu benutzt werden, diese Zusammenhänge einmal vor der Offentlichkeit dieses Hauses darzulegen.
Daß bei einer solchen Praxis ein Journalist sich sehr leicht ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats zuzieht, wenn er nicht nur in die Verfassungsschutzämter, sondern überhaupt in das Dunkel der Geheimfondsinstitutionen hineinleuchtet - und deren gibt es eine ganze Menge -, liegt auf der Hand. Wir können ohne weiteres sagen: Hier herrscht Rechtsunsicherheit und somit keine Rechtsstaatlichkeit.
Das ist auch damals in der von mir erwähnten Pressekonferenz von den anwesenden Journalisten deutlich empfunden worden. Diese haben nämlich Fragen an die Regierungsvertreter gerichtet, zum Beispiel die Frage: Wie erkenne ich, ob die Stellung eines Beamten, seine Funktion usw., ein Staatsgeheimnis ist? Gibt es hierüber Urteile? Wo finde ich die Urteile?
Die Vertreter der Bundesregierung haben darauf geantwortet: Es gibt Kommentare, auch hier im Hause, und da können Sie nachsehen. Es gibt auch Urteile, aber - Herr Bundesminister, das haben die Regierungssprecher erklärt - diese Urteile sind geheim.
Es mutet wie ein Hohn an, daß in dieser Debatte der Bundesminister der Justiz der wißbegierigen Presse - das sind Zusammenhänge, die die Presse unmittelbar außerordentlich interessieren - empWittrock
fiehlt, ihre Veröffentlichungsaufgabe zu erfüllen. Ich kann mir das nur so erklären, daß der Herr Bundesminister der Justiz über die wahren Zusammenhänge gar nicht richtig informiert worden ist; denn er hat ja hier - und darin stimme ich ihm durchaus zu - ausgeführt, der Geheimnisschutz dürfe sich nicht auf die juristische Würdigung erstrecken. So habe ich ihn verstanden: daß die juristische Würdigung auch in Zeitschriften usw. veröffentlicht werden kann.
Herr Minister, die Praxis ist wesentlich engherziger und ängstlicher als Sie, und das wissen auch die Herren Ihres Ministeriums. Um Ihnen, Herr Minister, diese bestehende Praxis anschaulich zu machen und damit unter Beweis zu stellen, daß es tatsächlich eine geheime Rechtsprechung gibt, erwähne ich einen Beschluß des Bundesgerichtshofs, der kurz und lapidar lautet: Die Anordnung des Vorsitzenden des Senats vom 15. 4. 1954, durch die das in der vorbezeichneten Sache ergangene Urteil des Zweiten Strafsenats des Bundesgerichtshofs als „geheim" unter formelle Sekretur gestellt wurde, wird bestätigt.
Ich glaube, daß im Hinblick auf diese Feststellung Ihre Behauptung, Herr Minister, es gebe keine geheimen Urteile und es gebe keine geheime Rechtsprechung zum Begriff des Staatsschutzes und der Staatsgefährdungsdelikte, einfach nicht aufrechterhalten werden kann.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß gerade auf dem Gebiete der Rechtsprechung zum Staatsschutzrecht die Öffentlichkeit und Transparenz mindestens in der Wiedergabe der juristischen Entscheidungsgründe bestehen muß. Ich nehme an, daß bei dieser Debatte unter anderem mit herauskommt, daß das Bundesministerium der Justiz dafür Sorge tragen wird, hier eine weitestgehende Transparenz der juristischen Erwägungen eines Gerichts zu den einzelnen Staatsschutztatbeständen zu gewährleisten, denn gerade die Rechtsprechung zum Staatsschutzrecht - das haben ja die Journalisten in dieser Pressekonferenz damals sehr deutlich empfunden - muß nicht nur für die möglicherweise Betroffenen übersehbar sein, sondern die besondere Problematik verlangt auch die ständige Durchleuchtung dieser Rechtsprechung durch die Rechtswissenschaft und überhaupt durch die Öffentlichkeit.
Herr Kollege Kanka, jetzt kommt etwas sehr Wichtiges, was Sie interessieren wird: Wie sehr heute schon die kritische Durchleuchtung der Staatsschutzrechtsprechung im Rahmen dieser geheimen Rechtsprechung gefährdet ist, zeigt folgender Sachverhalt.
Eine juristische Fachzeitschrift verlangt von dem Verfasser eines Aufsatzes über Probleme des Staatsschutzrechts die schriftliche Versicherung, daß kein von ihm zitiertes bisher unveröffentlichtes Urteil ein Geheimurteil ist! Das mag eine übertriebene Vorsicht sein, aber der Vorfall zeigt, Herr Kollege Kanka, wie weitverbreitet heute die Sorge ist, auf dem Gebiete des Staatsschutzrechts und durch die Existenz von Geheimurteilen mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen.
Vielleicht ist das ein Barometer dafür, in welch starkem Maße heute, wo Sie immer so von der Integrität unserer Staatsschutzvorschriften überzeugt sind, die Tatbestände bereits „ausgeufert" sind. Ich möchte einen Gedanken aufgreifen, der in diesem Hohen Hause am Schlusse der letzten Wahlperiode bereits angeklungen ist: Vielleicht sollte der Bundestag einmal darüber nachdenken, ob er ein größeres Maß an Rechtssicherheit und Straffung dadurch erreichen kann, daß er der Reform des Staatsschutzrechts bei der Strafrechtsreform den Vorrang einräumt, Herr Minister. Auch die Frage einer Amnestie gehört zu diesem ganzen Fragenkomplex; aber das mag jetzt nicht erörtert werden.
Heute und hier müssen wir verlangen, daß es um der Rechtssicherheit willen keine Geheimurteile
gibt. Und da kann man es sich nicht so leicht machen, wie das der Bundesjustizminister, wahrscheinlich in Ermangelung von ausreichenden Informationen, hier getan hat. Um der Wahrung einer ausgeglichenen demokratischen Ordnung willen muß der Unfug eingestellt werden, bestimmte kritische Tatbestände und Vorgänge - ich denke hier an die Geheimfondssphäre und alle dort tätigen Funktionsträger - zum Staatsgeheimnis aufzuzäumen, wenn sie Gegenstand einer Presseberichterstattung werden. Die Unterrichtung einer kritischen Öffentlichkeit, meine Damen und Herren, die Sie auf Güterabwägung Wert legen, kann eher dem Wohl des Staates dienen, und zwar einem wohlverstandenen Wohle des Staates, als das Schweigen über die oft düstere Geheimsphäre gewisser Institutionen.
Ich frage Sie, Herr Bundesminister, der Sie ja vorgeben oder wenigstens sagen, daß Ihnen die Rechte der Presse, die Pressefreiheit und dergleichen, so sehr am Herzen lägen: Wie soll denn nun die Presse in diese Geheimsphäre hineinleuchten können und ihre staatspolitische Pflicht erfüllen, nämlich Dinge, die faul sind, beim Namen zu nennen, wenn in diesem Bereich die verantwortlichen Staatsfunktionäre mit der Tarnkappe des Staatsgeheimnisses versehen werden, so wie das jetzt der Fall ist, indem die zuständigen Behörden selber alles das, was dort geschieht, zunächst einmal mit dem Etikett des Staatsgeheimnisses versehen?
Ich räume ein: der Presse wird bei einer Berichterstattung in diesem Bereich eine Interessenabwägung nicht erspart bleiben können. Aber die Regierung sollte und muß der Presse die Erfüllung ihrer Aufgabe erleichtern. Die Bundesregierung tut jedoch das genaue Gegenteil. Sie hat kein Gespür für die Aufgabe der Presse. Sie ist bestrebt - ich will es Ihnen auch gleich beweisen, verehrte Frau Kollegin Schwarzhaupt -, die Presse durch das Statuieren von Exempeln einzuschüchtern, so daß sich die Journalisten veranlaßt sehen, die Bundesregierung in Pressekonferenzen um die Abgrenzung des Geheimnisbegriffs anzuhalten. Die Bundesregierung geht so weit, Ermittlungsverfahren gegen Journalisten mit dem kaum zu leugnenden Ziel einzuleiten, auf diese Weise der Informanten habhaft zu werden. - Sie zweifeln? Bitte, folgender Sachverhalt: Ein Journalist wird als Beschuldigter vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vernommen, und zwar in
einem Verfahren wegen Landesverrats. Der Ermittlungsrichter stellt die Einstellung des Verfahrens nach § 153 c der Strafprozeßordnung in Aussicht, falls der Beschuldigte - also der Journalist - die Namen seiner Informanten preisgibt. Da kann man schlechterdings nicht leugnen, daß das der entscheidende Zweck der ganzen Geschichte ist. Gibt es einen klareren Beweis dafür, daß es in dem ganzen Verfahren nur auf die Feststellung des Informanten ankam? Übrigens soll, so weit ich unterrichtet bin, der Bundesminister des Innern über das Verhalten des Ermittlungsrichters sehr ungehalten gewesen sein.
In diesem Zusammenhang stelle ich eine Frage: Trifft es zu, daß gegen den Ermittlungsrichter Maßnahmen erwogen worden sind, um so - vielleicht als eine erwünschte Nebenwirkung - zu erreichen, daß ein Austausch des Ermittlungsrichters eintritt? Ich möchte ausdrücklich betonen, daß ich Wert auf die Beantwortung dieser Frage lege. Vielleicht ist der Herr Bundesminister des Innern in der Lage, hier eine Antwort auf diese Frage zu erteilen.
Aber wie dem auch sei, es ist ein glatter Mißbrauch des § 153 c der Strafprozeßordnung, wenn er dazu benutzt wird, einen Journalisten zur Preisgabe der Namen seiner Informanten, na, sagen wir ruhig, zu nötigen. Bei den Beratungen in diesem Hause zu § 153 c ist an alles mögliche gedacht worden, nur an so etwas nicht.
Es ist übrigens sagenhaft - Herr Bundesminister der Justiz, das möchte ich hier mit einer abschließenden Bemerkung noch erwähnen -, wozu der § 153c verwendet wird. Da sitzen ja einige Herren auf der Regierungsbank, die damals im Ausschuß bei den vertraulichen Beratungen die Besorgnisse angehört haben, die durch die Erwartung zerstreut wurden, daß diese Vorschrift unter allen Umständen einschränkend angewandt und um Gottes willen jeder Mißbrauch und jede Ausuferung vermieden wird. Heute müssen wir nach den ersten Erfahrungen sagen: was da passiert, ist einfach sagenhaft.
Ich will dafür auch ein Beispiel angeben. Gegen eine Frau läuft ein Verfahren wegen Staatsgefährdung. Es wird die Einstellung nach § 153 c beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs nach Abklärung mit der Bundesanwaltschaft erwogen. Der Ermittlungsrichter erklärt dem Sinne nach, nach dem bisher von der Frau Gebotenen könne noch nicht eingestellt werden, die Frau müsse noch etwas weitergehend auspacken. Nun sind dieser Beschuldigten insgesamt 23 ausführliche, schriftlich fixierte Fragen vorgelegt worden; eine dieser Fragen besteht aus 22 Unterfragen. Diese eine Frage ist so interessant, so bemerkenswert, daß ich sie dem Hause nicht vorenthalten möchte. Sie lautet kurz und lapidar: „Was ist über nachstehende Funktionärinnen bekannt?" Dann heißt es im Klammern: „Es interessieren insbesondere deren Zugehörigkeit zur KP, ihre früheren und gegenwärtigen Funktionen, ihr Einsatz durch die KP, ihr Einfluß" - also der Einfluß dieser Personen, - ,,... Bitte auch in zeitlicher Hinsicht möglichst genaue Angaben." Dann folgen die 22 Namen von eben diesen Frauen, die ich hier jetzt nicht verlesen will.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen ganz offen sagen: es wird einem übel, wenn man sieht, wie hier eine Frau regelrecht ausgepreßt wird, ehe man ihr die Straffreiheit gewährt. Nach meiner Meinung entspricht ein solches Verfahren, eine solche Praxis, ein solcher Gebrauch, der praktisch ein Mißbrauch einer Bestimmung der Strafprozeßordnung ist, die aus durchaus wohlerwogenen Gründen damals eingeführt worden ist, nicht der Würde eines demokratischen Staates. Da dies nicht ohne die Bundesanwaltschaft geschieht und geschehen kann, dürfte die politische Verantwortung der Bundesregierung außer Frage stehen.
Meine Damen und Herren, ich will der Versuchung widerstehen, in dieser Debatte weitere kritische Bemerkungen zu machen. Aber ich möchte abschließend noch das eine sagen - in Anlehnung an die ersten Bemerkungen des Kollegen Stammberger -: Wir haben hier in diesem demokratischen Parlament, in dieser Bundesrepublik die Pflicht, die Dinge so auszusprechen, wie sie sind. Zu einer lebendigen Demokratie gehört eine Pflicht zur Kritik; denn nur die Kritik schafft die Voraussetzungen, bestehende Mißstände und Tendenzen zur Unterminierung der demokratischen Institutionen zu vereiteln und ihnen Schranken zu bauen. Der Sinn der Bemerkungen und Ausführungen, die von den Sozialdemokraten gemacht worden sind, ist eben ganz einfach der, der Pflicht zur Kritik zu entsprechen und damit das Recht zur Demokratie zu sichern.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heinemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ,ist nicht möglich, alle Meinungsverschiedenheiten in dieser Debatte bis zu Ende durchzusprechen. Ich möchte nur zu einem einzigen Punkt etwas sagen, nämlich zu der Erklärung, die der Herr Bundeskanzler vor etwa anderthalb Stunden hier zu der Strafsache Hallstein-Blankenhorn abgegeben hat. Wir hörten von ihm, daß die arme Bundesregierung gar nicht anders gekonnt habe, als noch vor Abschluß des Strafverfahrens gegen Hallstein-Blankenhorn eine öffentliche Erklärung zugunsten dieser beiden Angeklagten abzugeben. Wir hörten, daß die französische Regierung am 10. Oktober vorigen Jahres die Zustimmung dazu gegeben habe, daß Blankenhorn bei ihr Botschafter werde, und nachdem diese Zustimmung vorlag - so hörten wir -, habe dann am 21. Oktober das Landgericht hier in Bonn das Hauptverfahren gegen Blankenhorn und Hallstein eröffnet und den Termin zur Verhandlung in den März nächsten Jahres gesetzt. Da habe die Bundesregierung vor der Frage gestanden, was sie denn nun tun solle. Es sei unerträglich gewesen - so hörten wir -, eine Verzögerung in Kauf zu nehmen.
Die Bundesregierung hat dann einen Kabinettsbeschluß gefaßt, in dem sie die Beurteilung dessen, was dem Herren Staatssekretär Hallstein und Botschafter Blankenhorn vorgeworfen wird, vorwegDr. Dr. Heinemann
nimmt. Sie hat diesen Kabinettsbeschluß üblicherweise einstimmig gefaßt, wie wir hörten.
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Aber, meine Damen und Herren, das, was hier vorgetragen wurde, ist - ich kann es gar nicht anders sagen - eine Verhöhnung des Sachverhalts, die diesen Charakter auch nicht dadurch verliert, daß sie sentimental eingekleidet wurde.
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Ich werde dem Herrn Bundeskanzler in gar keiner Weise auf der Spur folgen, daß ich jetzt hier in Einzelheiten des Sachverhalts eintrete, so wie er sie unter Zitierung von Schriftstücken vergangener Jahre vorgetragen hat. Das alles wird sich in dem Gerichtsverfahren abspielen. Ich mache im Augenblick nur darauf aufmerksam, daß dieser einstimmige Kabinettsbeschluß zugunsten der beiden Angeklagten in doppelter Weise eine Diskrepanz zu der Meinung des Landgerichts in Bonn enthält. Das Landgericht in Bonn hat immerhin - und das war bei der Abfassung des Kabinettsbeschlusses den Beteiligten doch wohl bekannt - ein Jahr vorher die Amnestierung dieser beiden Angeklagten abgelehnt, indem es sagte: Wenn sie sich schuldig gemacht haben, kostet es mehr als drei Monate Gefängnis. Und den Herren Kabinettsmitgliedern war doch wohl auch bekannt, daß die Anklage der Staatsanwaltschaft hier in Bonn auf leichtfertige Anschuldigung gelautet hatte
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und daß der Eröffnungsbeschluß des Gerichts diese Anklage in vorsätzlich falsche Anschuldigung gesteigert hat.
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- Herr Justizrat Weber, Gründe her, Gründe hin, das Faktum ist so.
Es wird auch nicht dadurch aus der Welt geschafft, daß der Herr Bundeskanzler in bezug auf die Anklage glaubte hervorheben zu müssen, daß sie unter dem Regime des von ihm so wenig geliebten Justizministers Amelunxen erfolgt sei. Nun, dann füge ich ganz schlicht und einfach hinzu: Das Landgericht hat die Steigerung der Anklage in vorsätzlich falsche Anschuldigung immerhin unter dem Regime des von dem Herrn Bundeskanzler sicherlich geliebten Justizministers Flehinghaus vollzogen.
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Was sollen diese persönlichen Randbemerkungen,
wenn man sich hier einig sein will, daß die Justiz
unbeeinflußt von derartigen Dingen arbeiten soll?
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Aber nun ein Kernpunkt. Der Herr Bundeskanzler hat uns vorgetragen, daß die arme Bundesregierung die Verzögerung nicht habe in Kauf nehmen können, daß vielmehr sofort eine Klärung in bezug auf das, was es denn nun mit dem Staatssekretär Dr. Hallstein und dem Botschafter Blankenhorn auf sich habe, notwendig gewesen sei. Das war doch der besondere Inhalt seiner Klage: die große Verzögerung! Ja, wer hat sie denn verursacht? Ist das ganz und gar vergessen, wer sie verursacht hat? In der Justizgeschichte von Nordrhein-Westfalen ist gegenwärtig das Aktenzeichen Hallstein/Blankenhorn das älteste, das auf den Tischen der Richter liegt. Das Verfahren ist anhängig seit 1953.
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Seit 1953! Das ist schon eine Einzigartigkeit.
Meine Damen und Herren, klar ist in dieser ganzen Sache, unbestritten bei allen Beteiligten, daß die Vorwürfe, die Hallstein und Blankenhorn dem Ministerialrat Strack machten, falsch waren, daß Strack unschuldig ist. Haben Sie seit 1953, so frage ich, gehört, daß man diesen Dr. Strack öffentlich rehabilitierte,
({7})
daß auch nur annähernd eine Erklärung zu seinen Gunsten abgegeben wurde, wie sie voreilig vor Klärung des Sachverhalts für Herrn Kilb abgegeben wurde? Warum blockiert man die Laufbahn dieses Ministerialbeamten seit Jahren? Man blockiert sie, um ihm den Strafantrag abkaufen zu können!
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Herr Justizrat Weber, wenn Sie Zweifel haben, daß dies so geschehen ist, - ich lege Ihnen die Belege auf den Tisch.
Die Fülle der Einzigartigkeiten in diesem Verfahren ist enorm. Gibt es irgendeinen Vorgang in der Bundesrepublik, um den sich im Laufe der letzten Jahre buchstäblich 1000 Leitartikel westdeutscher Zeitungen gerankt haben? Gibt es irgendeinen Vorgang hier in der Bundesrepublik, der zu zehn parlamentarischen Anfragen geführt hat, der zu der Fülle der falschen und irreführenden Antworten auf diese Anfragen geführt hat?
Geradezu sensationell ist, in welch einer Weise der Behördenapparat seit .Jahren mit diesem Fall befaßt wird. Da hat es z. B. einen geheimen Kabinettausschuß - einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik - von vier oder fünf Bundesministern gegeben, die sich 1954, also vor fast fünf Jahren, diesen Dingen zuwenden sollten, um sie endlich in die Reihe zu bringen. Gibt es einen Fall vergleichbarer Art, in der sich ein leibhaftiger Staatssekretär der Bundesrepublik auf die Reise nach Arosa begibt, um dort ein Gespräch in dieser Sache mit einem dort weilenden Bundesdeutschen zu führen? Meine Damen und Herren, die Fülle der Konferenzen, die im Bundeskanzleramt und in den Ministerien - Auswärtiges Amt, Wirtschaftsministerium - im Laufe der letzten Jahre abgehalten worden sind, ist kaum noch zu zählen. Eine Geheimniskrämerei von besonderen Graden ist um alles dies aufgezogen worden. Daß die Akten geheim sind, ist klar. Wenn man aber von einem bundesrepublikanischen Botschafter im Ausland eine Auskunft zu irgendeiner Behauptung oder irgendeinem Vorgang haben wollte, schickte man ihm chiffrierte Telegramme mit der Auflage, daß der Herr Botschafter selber das Telegramm zu dechiffrieren habe und nicht einer seiner Botschaftsangestellten!
Einzigartig wird auch der Prozeß werden. Dem Vernehmen nach liegen beim Landgericht in Bonn bis jetzt 20 Aktenbände mit 4000 Seiten. Das Verfahren ist vom Landgericht auf die Zeit von 2. bis zum 19. März angesetzt. Bereits im November vorigen Jahres haben sich beim Landgericht hier 300 Journalisten gemeldet, die den Prozeß anhören wollen. Es gibt aber leider keinen Gerichtssaal in Bonn, der groß genug ist, dies alles aufzunehmen, was sich jetzt schon an Interesse auf diesen Prozeß ausrichtet. Meine Damen und Herren, vielleicht macht man diesen Prozeß hier im Plenum des Bundestages.
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Das wäre doch mal eine Abwechslung, und dann kämen wir wirklich einmal auf all die Zusammenhänge, die hier seit Jahren immer wieder so verklebt und verkleistert worden sind.
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Dann würde ich vorschlagen, daß man auch den Bund der Steuerzahler einlädt, sich dies alles einmal anzuhören.
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Denn was hier an Kosten, an Aufwand - Reisekosten und dergleichen - vertan worden ist in Jahren, das spottet jeglicher Beschreibung!
Wenn Sie nun fragen, was denn die Regierung mit all dem zu tun habe, so will ich nur einiges herausgreifen. Erstens. Herr Ministerialrat Strack stellte seinen Strafantrag 1953 im Einvernehmen mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister. Man wolle das festhalten, sehr verehrte Herren vom Bundeskabinett, daß einer Ihrer Kollegen die Stellung dieses Strafantrages 1953 gutgeheißen hat, weil seine Bemühungen, zu einer internen Regelung mit dem Auswärtigen Amt oder mit dem Bundeskanzleramt zu kommen, einfach nichts fruchteten und es auch dem jetzigen Herrn Vizekanzler Erhard vor fünf oder sechs Jahren einsichtig war, daß nun hier einfach der Weg zur Justiz gegangen werden müsse, um gegen die Clique anzukommen, die die Rehabilitierung des ihm unterstellten Beamten verhinderte.
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So liegen die Dinge. Vergessen Sie also nicht, wenn Sie wieder Kabinettsbeschlüsse zu diesen Vorgängen fassen, daß der Herr Erhard früher schon daran beteiligt war, daß dies alles so in Gang kam.
Vom Bundeskanzleramt her ist eine bestimmte Gruppe immer wieder abgeschirmt worden, durch Verweigerung der Aktenherausgabe, durch Verweigerung der Genehmigung zur Zeugenaussage. Und wie sicher sich die Begünstigten hier fühlten, mag daraus hervorgehen, daß sie es 1954 sogar einmal fertigbrachten, sich beim Bundeskanzler darüber zu beschweren, daß der Bundeswirtschaftsminister Akten dem Gericht zur Verfügung gestellt hatte.
({13})
Sie täuschten sich auch nicht in der Erwartung, die
sie auf das Bundeskanzleramt setzten. Es verfügte,
daß man dem Prozeß keinen Vorschub zu leisten habe.
({14})
Meine Damen und Herren, wo sind die übergeordneten Bundesinteressen, die die Herausgabe der Akten oder die Nichtgenehmigung von Zeugenaussagen rechtfertigen sollten? Darüber haben wir gar nichts gehört. Später ging es ja, nachdem genügend öffentlicher Wirbel um diese Sache entstanden war.
Man übte beharrlich einen Druck auf Ministerialrat Strack aus, um ihn zu zermürben. Man versagte ihm die Fortsetzung der Laufbahn, so wie er sie wohl erwarten durfte. Und das Verblüffende ist für viele der Beteiligten oder der Betroffenen, daß dieser Ministerialrat Strack die Sache durchgehalten hat,
({15})
daß er sich nicht hat abkaufen lassen seine Rehabilitierung, daß er sich nicht hat abkaufen lassen die Zurücknahme seines Strafantrages, den er im Einvernehmen mit dem Herrn Wirtschaftsminister als seinem Dienstvorgesetzten vor fünf Jahren stellte. Wir kennen nicht die Fülle der Fälle, in denen andere Beamte oder Angestellte still dem Druck nachgeben oder keinen Ausweg mehr finden und schließlich resignierend beiseite treten. Das alles wissen wir nicht. Aber hier wissen wir von dem einen Mann, der die Sache bisher durchgestanden hat. Wenn es möglich war, dem Herrn Blankenhorn als einem der Mitangeklagten durch einstimmigen Kabinettsbeschluß inmitten eines noch nicht erledigten Strafverfahrens eine öffentliche Ehrenerklärung abzugeben, warum, so frage ich nur noch einmal ganz einfach, konnte man dann nicht längst für den an- deren, den Ministerialrat Dr. Strack, diese Rehabilitierung aussprechen, die man ihm seit fünf oder sechs Jahren schuldig ist?
Meine Herren vom Kabinett, ist Ihnen wirklich unbekannt, daß im Auswärtigen Amt, daß im Bundeswirtschaftsministerium, daß im Bundesjustizministerium unter der Beamtenschaft bis in die allerobersten Ränge hinein gesagt wird: Hier ist die größte Schweinerei im Gange, die wir uns überhaupt vorstellen können!
({16})
- Bitte, Sie werden die Fortsetzung noch hören. -Man sagt: Es ist die größte Schweinerei, was hier an Unterschiedlichkeit der Bevorzugung und der Begünstigung unter den Beamten geschieht.
Das ganze Kabinett ist verantwortlich; es hat einstimmig beschlossen. Ich frage den Herrn Beamtenminister, ob er nicht eine Verpflichtung fühlte oder fühlt, einem so ungerecht behandelten Beamten wie eben diesem Ministerialrat Strack endlich beizutreten? Ich frage den Bundesjustizminister, wie lange er es mit ansehen will, daß Justiz so behandelt wird, wie es hier durch die Bundesregierung geschehen ist?
Wir können den Ausgang des Verfahrens in aller Ruhe abwarten. Unser Vertrauen zur Justiz ist groß und berechtigt. Wir haben auch absolutes Vertrauen
zu dem Herrn Justizminister Flehinghaus in Düsseldorf. Ich freue mich um so mehr, das hier aussprechen zu können, als ich einer seiner Amtsvorgänger im Justizministerium in Düsseldorf gewesen bin und von daher weiß, daß dieses Justizministerium in Düsseldorf einen klaren Kurs auf Sauberhaltung der Justiz, auf Freihaltung der Justiz von politischen Einflüssen gesteuert hat und auch weiterhin steuert.
({17})
Ich bin fest davon überzeugt, daß sich Herr Flehinghaus durch dieses Lob aus dem Munde eines politischen Gegners nicht beirren lassen wird; denn es gibt immerhin noch eine Verbundenheit derer, die dem Recht dienen wollen und dienen.
Meine Damen und Herren, es kam mir in diesem Augenblick ausschließlich darauf an, den Märchen zu widersprechen, die der Herr Bundeskanzler hier vor eineinhalb Stunden erzählte.
({18})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, in das schwebende Verfahren in dem Fall Strack-Blankenhorn einzugreifen.
({0})
- Es ist schon geschehen! Herr Kollege Heinemann hat es getan, Sie haben recht.
({1})
Ich habe auch nicht die Absicht auf die Formulierung einzugehen, die Herr Kollege Heinemann
gewählt hat. Ich überlasse die Beurteilung anderen.
Herr Kollege Heinemann hat aber, während ich in der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundesrates war, die Behauptung aufgestellt, man habe versucht, Herrn Dr. Strack seinen Strafantrag abzukaufen.
({2})
Herr Kollege Menzel ist vielleicht im Saal? - Ja! Herr Kollege Menzel wird mir gestatten, daß ich einen Brief verlese, den der Anwalt des Herrn Strack, Herr Rechtsanwalt Wenmakers, am 6. März 1958 an ihn gerichtet hat und von dem mir Herr Wenmakers am gleichen Tag eine Abschrift zugesandt hat. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten verlese ich den Brief:
Herrn Bundestagsabgeordneten Dr. Menzel, Bonn, Bundeshaus
Betr.: Ministerialrat Dr. Strack Sehr geehrter Herr Dr. Menzel!
Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung" vom 5. März 1958 gibt eine dpa-Meldung aus Bonn vom 4. März wieder. Nach dieser Meldung sollen Sie in der nächsten Fragestunde des Bundestages eine Antwort auf die Frage erwarten, ob
- wörtlich Außenminister von Brentano den Anwälten Stracks vorgeschlagen habe, ihn zum Botschafter in Pretoria zu ernennen, falls er auf die strafrechtliche Verfolgung gegen den früheren Staatssekretär Hallstein und andere leitende Beamte des Auswärtigen Amtes verzichtet.
Für den Fall, daß die Meldung zutrifft, darf ich Sie bitten, folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Ich berate und vertrete meinen Freund Dr. Strack in seiner Angelegenheit seit Jahren. In seinem Namen habe ich Ende 1953 Strafantrag gegen Unbekannt gestellt, der die Staatsanwaltschaft zur Einleitung des Verfahrens gegen hohe Beamte des Auswärtigen Amtes veranlaßt hat.
Besprechungen mit Herrn Bundesminister von Brentano sind nur von mir geführt worden. Ich habe über den Inhalt dieser Besprechungen keinem Außenstehenden Kenntnis gegeben. Es ist nicht richtig, daß Herr von Brentano mir vorgeschlagen hat, Herrn Strack zum Botschafter in Pretoria zu ernennen, falls er auf die strafrechtliche Verfolgung gegen den früheren Staatssekretär Hallstein und andere leitende Beamte des Auswärtigen Amtes verzichtet.
({3}) Herr von Brentano
- ich zitiere den Brief des Anwalts des Herrn Strack würde auf Ihre Anfrage also mit einem klaren Nein antworten müssen.
Da es für Herrn Dr. Strack verständlicherweise unangenehm ist, daß sein Name immer wieder in Presseveröffentlichungen und Bundestagsanfragen genannt wird, insbesondere wenn die Mitteilungen und Anfragen von einem falschen Tatbestand ausgehen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie von der in der oben bezeichneten dpa-Meldung erwähnten Anfrage absehen oder sie für erledigt erklären würden.
({4})
Ich schreibe diesen Brief ohne Verbindung mit Herrn Strack, der sich zur Zeit auf einer Urlaubsreise befindet, habe aber keinen Zweifel daran, daß ich auch in seinem Sinne handle.
Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung bin ich Ihr sehr ergebener
Dr. Erich Wenmakers ({5})
Eine Aktennotiz vom 13. März - damals war
Herr Dr. Federer der Beauftragte des Auswärtigen
Amtes für den Verkehr mit dem Bundestag -: Herr Dr. Menzel hat Herrn Federer telephonisch auf Anfrage erklärt, er habe auf Grund des
Briefes von Herrn Wenmakers seine Anfrage vorläufig zurückgezogen.
({6})
Meine Damen und Herren, ich überlasse Ihnen nun die Beurteilung darüber, ob die Formulierungen, die der Abgeordnete Heinemann gebraucht hat, richtig. waren.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heinemann.
({0})
Es wird gar nicht schwieriger, Herr Rasner. Das, was Herrn Wen-makers veranlaßte, dieser Anfrage des Herrn Kollegen Menzel entgegenzutreten, war der Umstand, daß von Pretoria allerdings nicht die Rede war.
({0})
Sie haben die Anfragen der SPD-Fraktion vorliegen
- ich weiß jetzt nicht die Nummer -, die vor ein paar Tagen hier verteilt worden sind, in denen nach den wirklichen Orten gefragt wird, die Herr Professor Dahs, Strafverteidiger der Herren Hallstein und Blankenhorn, bei der Begründung eines Amnestieantrags hier dem Gericht unterbreitet hat.
Aber, meine Damen und Herren, wir können uns die Sache, so glaube ich, furchtbar einfach machen.
({1})
Warum ist denn dieser Ministerialrat Strack seit sechs Jahren nicht befördert worden?
({2})
- Nein, es geht nicht vom Thema ab;
({3})
denn unstreitig hält man ihn ja für qualifiziert, irgendeinen Botschafterposten anzutreten. Man gibt ihm diesen aber nicht, weil erst dieses Geschäft stattfinden soll.
({4})
Das Wort hat der
Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Heinemann scheint über die Verhandlungen seines Mandanten nicht hinreichend unterrichtet zu sein. Ich darf vielleicht aus meinen Akten folgenden Brief vom 28. September 1957 vorlesen:
({0})
- Nein, ich nicht! Es ist nicht geheim. - Ich lese also vor:
Sehr geehrter Herr Dr. Strack!
Wie ich weiß, liegt Ihnen an einer Wiederverwendung im Auswärtigen Dienst. Nach eingehender Prüfung habe ich die Absicht, dem Bundeskabinett Ihre Ernennung zum Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafter der Bundesrepublik in Pretoria vorzuschlagen
- Dann folgt: Dies ist mit keinerlei Bedingungen verbunden.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr sehr ergebener
von Brentano.
Wollen Sie noch immer die Behauptung aufrechterhalten, daß von Pretoria keine Rede war?
({1})
Meine Damen und Herren, diesen Brief hat Herr Dr. Strack am 9. Oktober 1957 beantwortet, und wir haben dann über die Frage seiner Berufung nach Pretoria noch einige Monate lang korrespondiert.
({2})
Die Gründe, aus denen er diese Berufung abgelehnt hat,
({3})
mag Herr Dr. Strack seinem Anwalt selber sagen.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kanka.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bucher hat sich heute nachmittag in seiner Rede mit einem Vorgang befaßt, der zusammenhängt mit einem Verfahren Ziebell. Er hat daran Anstoß genommen, daß dieses Verfahren, auf dessen Ausgang er so innig gewartet hat, diesen Ausgang nicht gefunden hat, sondern daß es durch einen außergerichtlichen Vergleich oder auf ähnliche Weise sein Ende fand.
Nun, meine Damen und Herren, es ist nicht die schlechteste Erledigung von Rechtsstreitigkeiten, wenn man sich vergleicht. So etwas kommt auch anderwärts vor. Es ist beispielsweise vorgekommen in einem Prozeß, den geführt haben Ihr und
unser sehr geschätzter Herr Kollege Dehler gegen Ihren und unseren sehr geschätzten Herrn Kollegen Dr. Arndt.
({0})
- Umgekehrt! Herr Arndt gegen Herrn Dehler! Herr Dehler aber hatte angefangen mit seinen Vorwürfen gegen Herrn Arndt, und Herr Dr. Arndt hat ihn daraufhin verklagt. Auch da hat man sich verglichen, die Presse hat darüber berichtet:
Der Rechtsstreit zwischen dem früheren Bundesjustizminister, dem gegenwärtigen Fraktionsvorsitzenden
- er ist es nicht mehr; die Zeit geht schnell vorbei der FDP, Dr. Dehler, und dem SPD-Abgeordneten Dr. Arndt wurde vor der 7. Zivilkammer des Bonner Landgerichts für erledigt erklärt. Arndt hatte gegen Dehler geklagt, weil dieser in einem Brief vom 2. Dezember 1952 an den Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundestags behauptet hatte,
- die Sache ist nicht so alt wie die Sache Ziebell und Schmeißer
Arndt habe früher die ihm obliegenden Pflichten als Richter verletzt.
Herr Abgeordneter Dr. Kanka, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Bucher?
Nachher, wenn ich fertig bin mit dem Zitat. Ich verlese weiter:
Dem Abschluß des Rechtsstreites war eine Stellungnahme des Dr. Dehler vorausgegangen, in der er erklärt hatte, jener Brief sei auf Grund der damaligen politischen Verhältnisse geschrieben worden; er, Dehler, habe
- jetzt geben Sie schön acht, Herr Kollege Bucher, jetzt kommt eine Wendung, an die Sie denken sollten, wenn Sie dem Herrn Bundeskanzler solche Dinge vorhalten aber keinen Anlaß mehr, auf jenen Tatbestand zurückzukommen.
Es waren die veränderten Verhältnisse. So etwas gibt es in der Politik. So werden auch bei Ihnen solche Streitigkeiten beigelegt, und da wird dann halt die Sehnsucht, noch weiteres zu hören, nicht gestillt. - Bitte!
Herr Kollege Kanka, sehen Sie denn nicht den Unterschied, auf den hinzuweisen ich mich bemüht habe, zwischen Prozessen wie den, den Sie hier schildern, und der Sache Schmeißer-Ziebell usw?
({0})
- Ja, dem Herrn Justizminister wurde eine Beleidigung vorgeworfen, aber hier wurde dem Herrn Bundeskanzler praktisch doch nicht mehr und nicht weniger als Landesverrat vorgeworfen.
Was hier von Herrn Dehler dem Herrn Dr. Arndt vorgeworfen wurde, mußte auch als sehr schwerer Vorwurf gelten.
({0})
Es gibt nach meiner Meinung auch für solche schweren Vorwürfe durchaus .eine Möglichkeit, sie zu bereinigen durch eine Aussprache von Mann zu Mann, und wenn es hier gemacht worden ist, schön!
({1})
- Es gibt Leute, mit denen man sich nicht weiter herumstreitet. Es könnte der Herr Schmeißer einer von denen gewesen sein.
({2})
Aber nun etwas Ernsteres! Drei Kollegen von mir - Doppelkollegen, weil sie nicht nur Mitglieder dieses Hohen Hauses, sondern auch Angehörige meines Berufes sind: Rechtsanwälte und Verteidiger, der Herr Kollege Bucher, der Herr Kollege Rehs und der Herr Kollege Heinemann - haben es für richtig gehalten, sich in dieser Debatte mit Fällen zu beschäftigen, die sub judice sind, die Gegenstand noch ausstehender gerichtlicher Hauptverhandlungen sind, in denen es sich um Vorwürfe gegen angesehene Leute handelt. Oder ist der Herr Professor Hallstein oder der Botschafter Blankenhorn etwa nicht ein angesehener Mann? Sie mögen Ihnen vielleicht nicht sympathisch sein, aber es sind Leute, denen doch einige menschliche und auch
sonstige Autorität zukommt. Die drei Kollegen haben es nun für richtig gehalten, während die Verfahren mit den Vorwürfen gegen diese Herren noch schweben, so zu tun, als ob diejenigen, gegen die das Verfahren eingeleitet worden ist, bereits schuldig befunden worden seien.
({3})
Meine Damen und Herren und vor allen Dingen meine Kollegen, Ihnen wird es schon genau so ergangen sein wie mir, so wie es mir vor etwa drei Wochen in meiner kleinen provinziellen Praxis ergangen ist. Da hatte ich einen sehr angesehenen Mann in meiner Stadt zu verteidigen. Er war angeklagt, eine Untreue begangen zu haben. Es war der Eröffnungsbeschluß ergangen. Es war eine Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht abgehalten worden, Vorsitzender ein Examens-Einser, ein hervorragend qualifizierter Jurist. Der Mann ist verurteilt worden. Wir haben Berufung eingelegt, und es kam heraus, daß sich der Staatsanwalt meiner Berufung angeschlossen und gesagt hat: Es ist ganz klar, der Mann muß freigesprochen werden. So ist er freigesprochen worden. Das haben wir alles schon wie oft erlebt, so daß wir es uns nun doch nicht mehr leisten sollten, selbst wenn es uns politisch mal in den Kram paßte, einen Angeklagten bereits für schuldig zu erklären.
({4})
Ein Angeklagter ist nicht der räudige Hund, vor den sich kein Mensch mehr stellen darf, um ein Wort der Verteidigung zu sagen.
Wenn es hier so ist, daß ein Mann namens Gallal eine falsche Information über einen Mann gegeben hat, dessen Ehrenhaftigkeit inzwischen klar herausgestellt worden ist
({5})
- auch eine Kommission der Ministerien, die da tätig geworden ist -, und wenn dann die aus solcher Quelle stammende Information Anfang 1953 in die Hand des Dienstvorgesetzten des Verdächtigten gegeben wird, gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit - und das ist die nächstliegende - ist die, daß man sagt, die Bamten, die das getan haben - hier also Herr Blankenhorn und Herr Hallstein - haben, indem sie dem Dienstvorgesetzten diese Anschuldigungen weitergegeben haben, nichts anderes als ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit getan. Es gibt eine weitere Möglichkeit: Man kann alles auch unter irgendwelchen Verdächtigungen und unter Verdacht sehen, Es gibt auch die Möglichkeit zu sagen, das sei eine falsche Anschuldigung, ausgehend von dem Herrn Gallal, die von den Leuten mit dem Bewußtsein, sie sei falsch, weitergegeben worden wäre. Aber wir haben kein Recht, in diesem Stand des Verfahrens, die Männer nach einer Ansicht, die sich durchaus hören läßt - und keiner, wenn er im Jahre 1953 in dem Amt gewesen wäre, hätte anders handeln können, als die Vorwürfe an den zuständigen Minister weiterzugeben -, hier zu behandeln, als ob sie schuldig wären. Das sollten wir uns endlich abgewöhnen. In unserer hessischen Verfassung steht ausdrücklich, daß kein Mensch für schuldig gilt, solange nicht über den Vorwurf, der gegen ihn erhoben wird, rechtskräftig entschieden ist.
Herr Abgeordneter Dr. Kanka, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Bucher?
Dr. Kanka: Bitte.
Herr Kollege Dr. Kanka! Da mich dieser Vorwurf sehr schwer trifft als Doppelkollege, wie Sie die Freundlichkeit hatten zu sagen, muß ich doch fragen: Haben Sie wiederum nicht gehört, daß ich ausdrücklich nur zwei Dinge als Tatsachen erwähnt habe, nämlich: Herr Strack wurde als Leiter der Nahostabteilung abgesetzt, und er wurde effektiv nicht bestochen, daß ich im übrigen aber gesagt habe: „Alles andere steht in der Anklageschrift, das sind Vorwürfe"? Und haben Sie nicht gehört, daß es der Herr Bundeskanzler war, der dann die Anklageschrift vorlas und sachlich-materiell dazu Stellung genommen und gesagt hat, das sei nicht pflichtwidrig?
({0})
Herr Bucher, es soll mich reuen, wenn ich im Rückblick und mit dem im Ohr, was Herr Kollege Heinemann vorgetragen hat, auch von Ihnen vermutet habe, Sie seien so weit gegangen wie der Herr Kollege Heinemann. Aber das, was ich grundsätzlich zu diesen Dingen gesagt
habe, sollte Geltung haben, und ich freue mich, daß Sie sich nun in die Front, in die ich mich hier gestellt habe, auch einfügen wollen.
({0})
Ein Drittes! Sehr verehrter Herr Kollege Bucher, Sie haben vom Geist gesprochen und gemeint, es komme doch sehr auf den Geist an, von dem unser ganzes Staatswesen durchweht sei, und dieser Geist müßte von oben her in unser Volk hineingetragen werden. Meine Damen und Herren, es ist richtig: es ist ein Problem der geistigen Erziehung, um das es geht.
({1})
- Auf die Vorwürfe gegen Herrn Globke komme ich nachher noch.
Es geht um ein Problem der geistigen Erziehung. Aber diese fängt bei uns an. Wir haben diese Erziehung an uns zu leisten, und Sie, Herr Kollege Bucher, auch an sich! Denn was Sie heute nachmittag vorgetragen haben, das war - wenn Sie es durchlesen, werden Sie es feststellen - nicht von dem ernsten Geist getragen, mit dem man sich zu solchen Problemen zu stellen hat.
({2})
Dahin gehört das, was Sie von dem Herrn Staatssekretär Dr. Globke gesagt haben. Sie haben es für richtig gehalten, scherzhaft und in Gedanken
({3})
- doch, irgendwie scherzhaft oder meinetwegen in anderem Sinne und anderem Geiste - zu sagen, dieser Hamburger Richter oder irgend jemand anders sei vielleicht in eine noch nicht ganz entnazifizierte Justizbibliothek gegangen, um dort den Kommentar des Herrn Dr. Globke zu suchen. Was war das für ein billiger und höchst unerfreulicher, zwielichtiger Angriff, den Sie damit gegen diesen Mann unternommen haben!
({4})
Das wird nicht dadurch besser, daß man sagt: Ich will nichts Böses gegen ihn sagen. So macht man es nicht!
Lassen Sie doch endlich diese alten Geschichten!
({5})
- Ich sage es Ihnen, um Sie davor zu bewahren, daß Sie etwas tun, dessen Sie sich eigentlich schämen sollten.
({6})
Wenn einem Manne wie dem Staatssekretär Dr. Globke von unserem jüdischen Mitbürger Karl Marx bescheinigt wird, daß er, Herr Marx, sich nicht damit zufrieden gegeben hat, allem nachzugehen, was Herr Dr. Globke vorgelegt hat, sondern daß er Tausende von Mark ausgegeben hat, um irgendwelche Belastungen gegen diesen Mann zu erfahren, der sein Buch geschrieben hat, um für die Verfolgten das nach Lage der Sache Beste noch herauszuholen, damit es nicht schlimmer wurde,
({7})
wenn Herr Marx ihm bescheinigt, er habe „von denen, die es angeht, keine einzige Zuschrift, die gegen Globke spricht, wohl aber ungezählte Berichte bekommen, daß Globke ihnen persönlich geholfen hat, daß er sich auch völlig fremder Menschen angenommen hat und daß viele Halbjuden durch seinen Kommentar gerettet wurden", wenn Sie das von einem wahrhaftig unbestochenen und klassischen Zeugen hören, dann ist es absolut unfair, dise alten Globke-Geschichten wieder aufzuwärmen!
({8})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst nur auf zwei Anfragen, die der Herr Kollege Wittrock im Laufe seiner Rede an mich gerichtet hat, zu antworten, und ich hoffe, daß infolgedessen die Atmosphäre in diesem Hause wieder völlig ruhig sein wird; denn ich werde mich auch bemühen, zu einer ruhigen Betrachtung beizutragen.
Die Anfrage des Herrn Abgeordneten Wittrock hat sich zunächst einmal auf den Begriff des Verfassungsschutzes und des Staatsgeheimnisses sowie darauf bezogen, wer letzten Endes die Feststellung zu treffen hat, daß etwas ein Staatsgeheimnis ist. Selbstverständlich hat jeder Leiter einer Behörde, der mit einer Materie in Berührung kommt, die unter den Begriff des Staatsgeheimnisses fallen könnte, seinen Untergebenen gegenüber in jedem einzelnen Falle eine Meinung zu äußern. Aber die letzte Entscheidung, ob in dem betreffenden Falle wirklich ein Staatsgeheimnis vorgelegen hat, trifft selbstverständlich das Gericht.
Über die Frage, was ein Staatsgeheimnis im Sinne der Vorschriften über den Landesverrat ist, gibt es jetzt schon eine umfangreiche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte. Ich möchte - nur wegen der Fragen des Herrn Kollegen Wittrock - feststellen, daß nach dieser Rechtsprechung die Namen und der Tätigkeitsbereich der Bediensteten der operativen Abteilung eines Amtes für Verfassungsschutz oder eines sonstigen Nachrichtendienstes - z. B. auch die dienstlichen Funktionen als V-Mann-Führer oder -Führerin - ein Staatsgeheimnis sind, dessen Preisgabe unbefugt ist oder dessen öffentliche Bekanntmachung das Wohl der Bundesrepublik gefährden kann. Daß Landesverrat auch bei Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen in der Presse begangen werden kann, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 99 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs, der die öffentliche Bekanntmachung eines Staatsgeheimnisses ausdrücklich als Mittel des Verrats erwähnt.
Nun die Anwendung dieser von mir in meiner Einleitungsbegründung gegebenen Darstellung auf das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof! Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat einen allerdings als Beschuldigten vornommenen Journalisten bei dessen Vernehmung auf den Begriff Landesverrat hingewiesen. Es ist aber unrichtig ich möchte das feststellen -, daß ihm bei der Vernehmung als Beschuldigter Straffreiheit zugesichert wurde, wenn er den Informanten seines Artikels nennt. Pflichtgemäß hat der Richter nach seiner eigenen dienstlichen Äußerung dem Journalisten zunächst nur eröffnet, daß der Gegenstand des Verfahrens nicht die Schilderung der Vorfälle in der Kölner Bar ist, sondern allein die Beschreibung der dienstlichen Funktionen zweier Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz sowie der Verdacht, daß er die diesem Artikel zugrunde liegenden Informationen gegen Zahlung eines Entgelts von einem Bediensteten des Bundesamts erlangt und sich dadurch unter Umständen der aktiven Bestechung schuldig gemacht hat. Sodann hat der Richter den Journalisten darüber belehrt, die Frage nach dem Informanten sei erforderlich, um einmal den Vorwurf der aktiven Bestechung und zum andern die Schuldfrage hinsichtlich des Landesverrats zu klären; denn wenn er die Information ohne Bezahlung von einem Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz erhalten habe, entfalle der Verdacht der aktiven Bestechung und möglicherweise auch der Vorsatz hinsichtlich des Landesverrats, da er dann unter Umständen darauf habe vertrauen können, daß ihm ein Amtsangehöriger keine Staatsgeheimnisse zum Zwecke der Presseveröffentlichung mitteilen werde.
Der Richter hat hinzugefügt, die Frage nach dem Informanten diene daher seiner - des Journalisten - Entlastung und könne im Endergebnis unter Umständen eine Einstellung des Verfahrens herbeiführen.
Ich glaube, jeder muß zugeben, daß diese Belehrung rechtlich zutreffend war. Es muß aber auch festgestellt werden, daß eine Zusicherung von Straffreiheit nicht erfolgt ist. Gegen die Abgabe einer solchen Zusicherung spricht im übrigen schon, daß nur der Generalbundesanwalt mit Zustimmung des Bundesgerichtshofs, nicht aber der Ermittlungsrichter, zur Einstellung des Verfahrens in der Lage ist.
Nun darf ich noch eine persönliche Bemerkung anknüpfen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Hermsdorf?
Bitte!
Das Wort zu einer Zwischenfrage hat Herr Abgeordneter Hermsdorf.
Herr Minister, ich habe nur eine ganz kurze Frage. Erstens: ist es richtig, daß Herr Staatssekretär Globke den Kommentar zur Nürnberger Gesetzgebung geschrieben hat? Ja oder nein! Zweitens: Ist es bei allen „Persilscheinen", die er hat und die ich ihm absolut konzediere, denn der Weisheit letzter Schluß, diesen Mann zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt zu machen?
Ich darf einmal die Gegenfrage stellen: Ist es nach der Ge3118
schäftsordnung dieses Hauses richtig, daß Fragen, die mit den Ausführungen des Redners aber nicht das Allergeringste zu tun haben, nur um des politischen Effektes willen vorgebracht werden?
({0})
Es liegt im Interesse des Hauses, sich ,an die Geschäftsordnung zu halten und die Debatte sauber zu führen.
({1})
Ich bin gern bereit, die an mich gestellte Frage außerhalb meiner jetzigen Ausführungen zu beantworten, darf aber feststellen, daß ich kein Verleger bin und auch das Buch, um das es sich handelt, nicht verlegt habe.
Ich möchte mit der persönlichen Bemerkung schließen. Der Herr Kollege Heinemann hat im Verlauf seiner Rede die Justizminister untereinander verglichen und dabei rühmend den Kollegen Flehinghaus, Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, im Gegensatz zu den anderen Justizministern - so darf ich wohl sagen - hervorgehoben. Herr Kollege Heinemann, die Justizminister im Bund und im Land sind in ihrer Amtsführung keine Parteipolitiker. Sie unterscheiden sich infolgedessen nicht, und jeder Justizminister würde es ablehnen, in dem Kreis zu sitzen, wenn er die anderen Amtskollegen und Amtsbrüder nicht auch als Männer des Rechts und der Rechtsgesinnung anerkennen könnte. Darin sind sich alle, Herr Minister Flehinghaus wie auch sämtliche Justizminister der Länder und Justizminister des Bundes, einig.
({2})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Sie enttäuschen. Das, was ich zu sagen habe, ist nicht so sensationell, wie Sie offenbar erwarten.
Der Kollege Wittrock hat auf ein Verfahren Bezug genommen, das Herr Kollege Schäffer gerade im einzelnen geschildert hat, ein Verfahren, das nicht zu meiner Zuständigkeit gehört, wenn es auch aus meinem Geschäftsbereich hervorgegangen ist. Herr Kollege Wittrock hat in diesem Zusammenhang die Frage gestellt, ob ich mich um die Ablösung eines in diesem Verfahren tätigen Enmittlungsrichters bemüht habe. Ich kann nur sagen: ich pflege mich nicht in die Geschäfte anderer Ressorts einzumischen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir wollen in der Diskussion fortfahren, um heute doch noch fertig zu werden.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, es ist das Schlußwort, wenn
es auch jedem freisteht, sich erneut zum Wort zu melden. Im Schlußwort möchte ich zunächst einmal einige Behauptungen zurückweisen, die mir, höflich gesagt, als Unterstellungen erscheinen.
Dabei knüpfe ich sofort an das an, was soeben der Herr Bundesminister der Justiz gesagt hat, indem er unterstellte, mein Freund Heinemann habe einen Unterschied zwischen dem Justizminister Flehinghaus und anderen Justizministern in der Bundesrepublik Deutschland machen wollen. Nichts, Herr Minister Schäffer, berechtigt Sie, in die Äußerungen des Abgeordneten Heinemann etwas Derartiges hineinzulegen.
({0})
Dasselbe gilt für Äußerungen des Herrn Kollegen Kanka. Kein Außenstehender von denjenigen, gegen die jetzt Beschuldigungen oder Anklagen schweben, namentlich von hohen Bundesbeamten, ist hier im Hause von irgendeinem Redner schuldig gesprochen oder als bereits verurteilt behandelt worden. Das ist einfach nicht wahr.
({1})
Es steht außer jeder Diskussion, daß kein Abgeordneter des Bundestags die Befugnis besitzt, einen Staatsbürger unter Vorgriff gegenüber dem Gericht für schuldig zu erklären oder als strafrechtlich schuldig zu sprechen. Hier ist nichts nach der Richtung gesagt worden.
({2})
Wenn aber die Bundesregierung in Verfahren eingreift und hier das wesentliche Thema ansteht: „Was hat die Bundesregierung gemacht durch Vertuschungen oder Verhandlungen, um, wie Herr Heinemann gesagt hat, den Strafantrag abzukaufen?", dann ist es Sache des Parlaments, darüber hier eine Debatte zu führen,
({3})
durch die aber in gar keiner Weise entschieden wird, ob Herr Hallstein oder Herr von Maltzan oder Herr Kilb oder wer immer es sei, schuldig wäre. Darüber sprechen wir nicht, und darüber haben wir nicht zu sprechen.
({4})
- Ich habe im Wahlkampf in Hessen darüber nicht
gesprochen. Bringen Sie doch nicht immer solche
Sachen hinein, mit denen Sie ausweichen, genauso
I wie das Herr Benda gemacht hat, indem er aus einem Vortrag von Herrn Brill - wir haben den Vortrag nicht da - einen Satz zitiert und einen Mann, der jahrelang in Buchenwald und im Zuchthaus für die Freiheit gesessen hat, zu diffamieren sich erdreistet.
({5})
Was sind das für Methoden! Wir sprechen von der Justiz, und wir sprechen von der Bundesregierung, und Sie gehen hier herauf und werfen irgendeinem Menschen draußen Infamie und alles mögliche vor. Bringen Sie das hin, wo Sie wollen; bringen Sie es im Hessischen Landtag vor, aber hier hat das nichts
zu suchen. Ich habe Ihnen mit Recht vorgeworfen, daß Sie unreif sind.
({6})
Herr Abgeordneter Dr Arndt, es geht nicht an, ein Mitglied dieses Hauses, und wenn es das jüngste wäre, als unreif zu bezeichnen. Ich glaube, daß Sie hierin bei ruhiger Überlegung mit mir übereinstimmen.
({0})
Mir liegt daran, zur Sache zu kommen; denn diese Sache ist ernst, und sie ist wichtig, und sie sollte mit dem gebotenen Ernst behandelt werden, woran meinen Freunden und mir doch weiß Gott hier in der Sache liegt.
Da knüpfe ich an das an, was der Abgeordnete Benda aus einem Aufsatz von mir aus dem Jahre 1932 zitiert hat, - auch ein herausgegriffenes Wort aus einem Aufsatz, der einem ganz bestimmten Ziel diente. In jenen Tagen hatte der NS-Abgeordnete Wilhelm Kube im Preußischen Landtag von den Richtern, zu denen ich mich damals auch zu zählen die Ehre hatte, gesagt, daß wir hinter schwedischen Gardinen gehörten. Die NSDAP hatte als qualifizierte Minderheit im Preußischen Landtag einen Antrag eingebracht, daß ein Untersuchungsausschuß zur Prüfung der preußischen Rechtspflege, wie es hieß, eingesetzt werden sollte. Wenn ich nicht irre, war Kerrl Landtagspräsident, und ohne Abstimmung erklärte er auf Grund dieses Minderheitsantrags den Untersuchungsausschuß zur Prüfung der preußischen Rechtspflege für eingesetzt. Dagegen habe ich im Archiv des öffentlichen Rechts einen wohl recht scharfen Aufsatz veröffentlicht und gesagt, daß jeder Richter - da möge der Landtag tun, was immer er wolle - vor einem solchen Untersuchungsausschuß nicht einmal erscheinen dürfe. Zu diesem Standpunktwürde ich mich auch heute noch bekennen. Kein Parlament in einem Rechtsstaat, in Deutschland, hat das Recht, einen Untersuchungsausschuß zur Prüfung der Rechtspflege einzusetzen, damit er untersuche, ob konkrete Gerichtsverfahren richtig oder falsch entschieden sind. In dem Zusammenhang steht der Satz, auf den ich gleich noch komme.
Zweitens habe ich mich in jenem Artikel zur richterlichen Unabhängigkeit als einem unverzichtbaren und unabdingbaren Fundamentalsatz eines freiheitlichen Rechtsstaats bekannt. Daran hat sich nichts geändert. Es gibt in meinem Leben keine Zeile und kein Wort, wo ich jemals die richterliche Unabhängigkeit angetastet hätte, und das sage ich nicht nur für meine Person, sondern ich bin überzeugt, sagen zu können, daß meine Partei und Fraktion mit mir die richterliche Unabhängigkeit gerade nach den bitterbösen Erfahrungen der hinter uns liegenden Jahre von 1933 bis 1945 als eine der Säulen einer rechtsstaatlichen Demokratie betrachten.
({0})
Aber ich bin - das gebe ich freimütig zu; ich war l damals 28 Jahre alt, und es liegen sehr schwere Jahrzehnte dazwischen - in meinem jugendlichen Überschwang und aus der einseitigen Sicht eines frischgebackenen Gerichtsassessors und Landrichters damals etwas zu weit gegangen, indem ich mit diesen Bemerkungen das Wesen und die Aufgabe der öffentlichen Meinung und des Parlaments verkannt habe. Das halte ich in aller Ehrlichkeit so, wie Sie es zitiert haben, Herr Benda, nicht aufrecht; denn ich bin heute der Meinung, daß sowohl die Öffentlichkeit als auch ein Parlament sich sehr wohl Gedanken über die rechtlichen, geistigen und sittlichen Grundfragen einer Gerichtsbarkeit zu machen haben und auch ein Rechtsgespräch zur Richterschaft hin darüber führen müssen.
Ich glaube doch, daß auch manches, was heute hier von allen Parteien gesagt worden ist, der Richterschaft nach dieser oder jener Richtung hin Anlaß zum redlichen Nachdenken oder zur Ermutigung gibt; denn die Gerichtsbarkeit in einer Demokratie lebt nicht in einem luftleeren Raum. Sie soll, wie Herr Kanka mit Recht gesagt hat, ja auch inmitten des politischen Lebens stehen.
Ich habe mich dabei allerdings, Herr Benda, nicht so schnell gewandelt wie Sie; denn heute haben Sie gesagt, man dürfe vor Rechtskraft des Urteils überhaupt keinen Prozeß diskutieren - was ich nicht sage -, und heute haben Sie zitiert, daß nicht einmal die politischen Parteien das Recht der Urteilsschelte haben sollten. Es ist gar nicht so lange her, da haben Sie von diesem Platz aus erklärt: Da möge ein deutsches Gericht entscheiden, wie es wolle, für Sie blieben die Arnsberger Täter Mörder, und Sie ließen sich von keinem Gericht daran hindern, das auszusprechen. - Das war ein sehr viel besseres Wort als alles, was Sie heute gesagt haben.
({1})
Sie sagen, die politischen Parteien dürfen nicht kritisieren. Nun, Sie haben keinen Widerspruch dagegen erhoben, daß Herr Ministerpräsident Meyers auf dem letzten Parteitag Ihrer Partei in Kiel einen wesentlichen Teil seines Referats einer sehr erheblichen Kritik an einem bestimmten Urteil des Bundesverfassungsgerichts gewidmet hat, wogegen ich auch gar nichts einzuwenden hätte. Ich wünschte nur, Herr Ministerpräsident Meyers hätte nicht einige falsche Tatsachen oder vermeintliche Tatsachen, die in Wirklichkeit nicht bestehen, seiner Kritik zugrunde gelegt.
Ich möchte jetzt nicht noch auf diese Ablenkung eingehen, auf das, was der Deutsche Gewerkschaftsbund, den Sie so leichthin mit der Sozialdemokratie identifiziert haben, zu einem bestimmten Urteil ge- sagt hat. Der Gewerkschaftsbund ist anders noch als politische Parteien und Parlamentsfraktionen eine gesellschaftliche Kraft im öffentlichen Raume und hat in einer Demokratie die selbstverständliche Befugnis,
({2})
sich mit den Urteilen auseinanderzusetzen, die ihn angehen.
Was uns hier betrifft, so glaube ich heute morgen ja sehr deutlich gesagt zu haben, welche Grenzen eine solche durchaus heikle Debatte hat. Ich wiederhole noch einmal: Zur Kritik stehen rechtliche, geistige und sittliche Strukturen und - selbstverständlich - Eingriffe der Bundesregierung in die Gerichtsbarkeit. Wenn aber - es ist traurig, daß man solche Dinge klarstellen muß - Herr Benda behauptet hat, von einem meiner Freunde oder von mir sei eine kollektive Kritik an der Richterschaft generalisierend und pauschal hier vorgebracht worden, so ist das nicht wahr. Dann haben Sie auf unsere Ausführungen nicht geachtet; denn meinen Freunden und mir liegt so etwas gänzlich fern.
Damit möchte ich das abschließen. Ich glaube, ich brauche nicht darzulegen, daß zwischen Herrn Heinemanns juristischem Aufsatz, in dem er zum Maßhalten im Strafrecht ermahnt, und meiner Wendung, die sich namentlich auf Wiedergutmachung bezog, mehr Mut zum Herz zu haben, kein Widerspruch sein kann.
Ich muß mich aber leider auch noch etwas mit dem Herrn Kollegen Schneider von der Deutschen Partei deshalb auseinandersetzen, weil es auch hier notwendig ist, einige Irrtümer aufzuklären oder Behauptungen zurückzuweisen. Herr Jahn hat keineswegs gefordert, daß man die Täter oder die Verdächtigen schlimmer Taten aus der Vergangenheit so aburteilen sollte, als ob es die ganzen Umstände, Verwirrungen und Irrungen jener Zeit nicht gegeben hätte. Das liegt Herrn Jahn und uns allen völlig fern. Er hat sich nicht gegen eine Relativierung der Tat gewandt, sondern gegen eine Relativierung des Rechts durch einen Positivismus, der so tut, als sei Gesetz gleich Gesetz und als sei jedes Beliebige, was der sogenannte Führer damals befohlen habe, zu jener Zeit das Recht gewesen, als sei, einmal kurz und prägnant gesagt, Hitlers Anspruch, er sei das deutsche Recht, seinerzeit gültig gewesen. Diese phantastische Vorstellung spukt tatsächlich in manchen Köpfen, und es ist notwendig, das klarzustellen, daß es eine solche Relativierung des Rechts als einer Wert- und Seinsordnung nicht geben kann. Desungeachtet mögen einige Menschen geirrt haben; sie haben das für Recht gehalten. Dann muß das Gericht untersuchen, ob das ein vorwerfbarer, verschuldeter und nicht entschuldigender Irrtum ist oder ein Irrtum, der eine Tat irgendwie entschuldigen oder wenigstens mildern könnte.
Noch ein anderes muß ich zu Herrn Schneider sagen. Er ist bedauerlicherweise nicht mehr da; aber er hat je einige Freunde hier. - Nichts hat ihn dazu berechtigt, zu behaupten, daß der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Max Brauer, so pauschal erklärt habe, daß diese Richter alle das Recht beugten. Eine derartige Erklärung hat Herr Brauer weder sinngemäß noch wörtlich abgegeben. Ich halte es für meine Ehrenpflicht, das hier klarzustellen.
({3})
Herr Brauer hat in seiner schweren Situation das getan, was ein guter Landesvater und der Bürgermeister einer Stadt mit freier und stolzer Tradition macht. Weil es jetzt an den Bund ging, weil es
jetzt darum ging, ob der Bundesgerichtshof, ob das Bundesverfassungsgericht noch eingreifen konnte, hat er sich an den Herrn Bundeskanzler gewandt und bei dem Herrn Bundeskanzler auch Verständnis gefunden, wofür ich hier meine Anerkennung auszusprechen gar kein Blatt vor dem Mund nehme.
({4})
Es gibt Fragen des Rechts, die uns allen gemeinsam sind. Denn wenn es kein Recht mehr gibt, dann gibt es uns alle hier nicht mehr.
({5})
- Bitte, Herr Schneider.
Herr Abgeordneter Schneider ({0}) zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Dr. Arndt, gestatten Sie bitte eine Zwischenfrage. Wenn es mit dem Verhalten des Bürgermeisters Brauer von Hamburg so steht, wie Sie schilderten, wie erklären Sie sich dann die Entschließung des Hamburger Richterbundes, der wohl bereit ist, eine Urteilsschelte, aber nicht, eine Richterschelte auf sich zu nehmen?
Herr Kollege Schneider, die Entschließung des Hamburger Richterbundes halte ich nicht gerade für glücklich. Auf sie bezieht sich mit aller Eindeutigkeit mein heute morgen in der Begründungsrede gesprochenes Wort, daß Urteilsschelte notwendig Richterschelte sei, weil hinter jedem Urteil der Richter mit seiner ganzen Persönlichkeit stehen sollte. Ich vermag zwischen Urteilsschelte und Richterschelte keinen Unterschied zu sehen.
Aber es ist doch nicht so, als ob, wie es in der Debatte dauernd zum Ausdruck kam, jede Urteilsschelte den Vorwurf der Rechtsbeugung in sich schließe. Davon kann doch gar keine Rede sein.
Es gibt leider Gottes - und das mag vielleicht bei einer bestimmten Person gerade in Hamburg so sein - manch einen - dabei spielt unsere juristische Schulung, die sehr eine rein logische Schulung ist, eine große Rolle -, der, ich will ruhig einmal volkstümlich sagen, juristisch so verbildet ist, daß er das Recht gar nicht mehr sehen kann.
({0})
Also es ist keineswegs so - und das kam ja auch sonst hier vor, das kam ja auch bei Herrn Benda einmal vor -, als ob die Kritik an solchen Urteilen in der Regel einen Vorwurf der Rechtsbeugung enthalte. Ein derartiger Vorwurf ist nicht gemacht worden.
Und schließlich ein Letztes gegen Herrn Schneider von der Deutschen Partei. Er hat mir zweimal entgegengehalten, ich hätte gefordert, man müsse die „Masse mobil machen", und ich hätte gesagt: „Sind wir schon wieder so weit?", und es seien „Signale aufzustecken". Nun, das Wort ,.Masse" gehört nicht zu meinem Sprachschatz, und nichts in meiner Rede könnte dahin gedeutet werden, daß ich etwas
Derartiges gefordert hätte. Ich habe etwas ganz anderes gesagt. Ich habe erklärt, gegen manche besorgniserregende Erscheinung, auch z. B. gegen das, was ich eben sagte, daß manche Leute vor lauter Paragraphen das Recht nicht mehr sehen können, helfen nicht noch weitere Paragraphen, sondern da hilft oder ist heilsam ein Sturm in der öffentlichen Meinung. Ich habe gerade vom Rechtsbewußtsein gesprochen, das auch in der öffentlichen Meinung in Erscheinung treten sollte, und davon, daß die öffentliche Meinung rechtsbewußtseinbildend zu wirken hat.
Nun komme ich zu dem, was seitens der Bundesregierung erklärt worden ist. Es ist natürlich unmöglich, auf alle Ausführungen des Herrn Bundesministers der Justiz, des Herrn Bundesministers des Auswärtigen und des Herrn Bundeskanzlers einzugehen. Wenn ich nicht darauf eingehe, so bedeutet das nicht - Herr Minister, seien Sie darüber nicht allzu traurig -, daß wir mit allen Ihren Ausführungen einverstanden sind. Wir sind sehr unzufrieden mit dem, was Sie gesagt haben. Ich glaube, das ist unser gutes Recht als Opposition. Ich beschränke mich auf einiges wenige.
Sie haben es entschieden zurückgewiesen - so sagten Sie - daß mit Hilfe von Aussageverweigerungen oder Verzögerungen von Aussagegenehmigungen Verfahren manipuliert oder verhindert worden seien. Nun, Sie haben das zurückgewiesen; aber es hat uns angesichts der Tatsachen nicht überzeugt.
Widersprechen möchte ich Ihrer Schilderung unseres Staates, in der Sie die Verschwiegenheit der Verwaltung so als Regel herausstellten, als ob es - vielleicht war das mißverständlich - keine Verpflichtungen der Exekutive zum Sprechen dem Parlament gegenüber, dem Gericht gegenüber und der Öffentlichkeit gegenüber gäbe. Denn aus dem Bundesbeamtengesetz kann nicht abgeleitet werden, daß wir ein geheimer Verwaltungsstaat seien. Das möchte ich hier doch einmal ausgesprochen haben.
({1})
Nun, es ist nicht möglich und liegt auch nicht im Rahmen dieser Debatte heute abend, die Rechtsnot der Wiedergutmachung zu erörtern. Ich habe da nur als eines der Beispiele erwähnt, daß man aus dem von den anwesenden Abgeordneten einstimmig angenommenen Wiedergutmachungsgesetz hinterher durch eine offiziöse Propaganda etwas sehr anderes gemacht hat. Denn es sollten die Wiedergutmachungsfragen normativ geregelt werden, aber keineswegs enumerativ oder exklusiv. Ich habe dabei auf die bedenkliche Rolle hingewiesen, die für die Psychologie der Richterschaft die ständigen Kassandrarufe der Bundesfinanzverwaltung zur Folge haben, daß wir uns finanziell und unter Gefährdung der Währung an der Wiedergutmachung verbluten.
Demgegenüber haben Sie sich auf die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland berufen. Ich bin der Auffassung, daß das doch nicht so ganz zutrifft, wie es von Ihnen dargestellt worden ist. Diese Allgemeine Wochenzeitung ist so fair und
höflich gewesen, ein Gespräch mit Ihnen zu veröffentlichen, und hat Ihnen in dem Blatt das Wort gegeben, damit Sie dort Ihre Auffassungen darlegen konnten. Aber identifiziert hat sich die Allgemeine Wochenzeitung mit Ihren Auffassungen in gar keiner Weise. Das einzige, was die Zeitung von sich aus dazu sagt, ist, daß Herr Dr. van Dam Sie auf die vielfachen Mißverständnisse und heftigen Reaktionen sowie auf die schweren Bedenken gegen die einseitige Verbindung von Wiedergutmachungsund Währungsfrage aufmerksam gemacht hat.
In einem Punkte, Herr Bundesminister, muß ich Ihnen noch ausdrücklich widersprechen, und zwar in der Frage der von Ihnen so kurz und unter Hinweis auf die Fragestunde abgetanen Schwarzen Listen. Ich darf Ihnen den Brief des Präsidenten des Deutschen Anwaltsvereins, Herrn Dr. Emil von Sauer, vom 18. März 1958 in das Gedächtnis rufen, einen Brief, den der Deutsche Anwaltsverein meines Wissens heute noch immer nicht als erledigt ansieht und in dem er ausdrücklich von der Schwarzen Liste der 23 Anwälte schreibt - ich kenne die Liste und kenne die Hintergründe -, gegen die teilweise, ich muß schon sagen, geradezu alberne und unverantwortliche Vorwürfe erhoben worden sind; nicht vom Bundesfinanzminister, das Bundesfinanzministerium hat die Sache ja nur weitergegeben. Aber diese Liste ist, ohne daß einer der 23 Anwälte gehört worden wäre, nun nicht etwa an den zuständigen Landesjustizminister gesandt worden, damit der das nachprüfen könne, sondern sie ist wahllos an sämtliche Wiedergutmachungsbehörden aller Länder in der Bundesrepublik Deutschland gegangen.
Dazu hat Herr von Sauer in seinem Brief ge- schrieben:
Mit Bedauern und Befremden stelle ich fest, daß der Fundamentalsatz jedes demokratisch geordneten staatlichen Lebens „audiatur et altera pars" mißachtet worden und Ihr Ministerium mit der Aufstellung obendrein unter solchen Umständen zustande gekommener Schwarzer Listen zu Methoden zurückgekehrt ist, die als endgültig überwunden angesehen worden sind.
Ich hoffe jedenfalls, daß diese Kritik heute hier im Bundestag - dann hätte sie ja schon einen Sinn gehabt - dazu führt, daß sich ein derartiges Vorkommnis nicht wiederholt.
Aus den Ausführungen des Herrn Bundesministers des Auswärtigen haben wir mit großem Vergnügen gehört, daß auch von Pretoria die Rede war.
({2})
Allerdings ist Pretoria nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen, und deshalb liegt es etwas außerhalb.
Ich darf aber, nachdem der Herr Bundesminister des Auswärtigen so viele Briefe verlesen hat, hier auch meinerseits kurz etwas verlesen. Mir liegt ein Schriftstück vor, gerichtet an den Oberstaatsanwalt in Bonn und überschrieben „Dr. Hans Dahs, Rechtsanwalt". Herr Dr. Dahs verweist darauf, er habe sich zum Verteidiger des beschuldigten Staatssekretärs Professor Hallstein bestellt und seine Voll3122
macht überreicht, und er zeige hiermit an, daß er auch den beschuldigten Botschafter Blanken horn vertrete. Er füge seine Vollmacht bei und beantrage, das Verfahren auf Grund des Straffreiheitsgesetzes 1954 einzustellen.
Und dann fährt dieser angesehene Strafverteidiger, Herr Rechtsanwalt Professor Dr. Dahs, im Laufe des Schriftsatzes ausdrücklich im Namen von Herrn Präsidenten Hallstein und im Namen von Herrn Botschafter Blankenhorn folgendermaßen fort:
Es sind Herrn Rechtsanwalt Wenmakers weiter
folgende Vorschläge unterbreitet worden:
1. Die Bundesregierung ernennt Herrn Dr. Strack zum Ministerialdirigenten im Bundeswirtschaftsministerium.
2. Im unmittelbaren Anschluß daran wird bei der Irakischen Regierung das Agrément für Herrn Dr. Strack als Botschafter in Bagdad eingeholt. Nach Eingang des Agréments wird Herr Dr. Strack zum Botschafter in Bagdad ernannt.
3. Nach Freiwerden der Botschafterstelle in Santiago wird Herr Dr. Strack von Bagdad nach Santiago versetzt. Die Stelle wird spätestens am 30. 4. 1959 mit Erreichung der Altersgrenze durch den bisherigen Inhaber frei werden. Es sei infolge anderweitiger Verwendung des bisherigen Inhabers mit einem früheren Freiwerden zu rechnen.
4. Herr Dr. Strack solle sich mit den unter 1 bis 3 aufgeführten personellen Verfügungen einverstanden erklären.
5. Nach Beschlußfassung des Kabinetts über seine Ernennung zum Ministerialdirigenten solle Herr Dr. Strack den gestellten Strafantrag zurückziehen.
({3})
6. Herr Dr. Strack solle sich an einer politischen Auswertung der Angelegenheit nicht initiativ beteiligen.
({4})
Glauben Sie, daß ein Rechtsanwalt sich diese Sache aus den Fingern saugt und in einem Schriftstück dem Gericht zur Kenntnis bringt, ohne daß man annehmen darf, der Hintergrund ist im wesentlichen klar? Der Weg nach Pretoria endet manchmal woanders.
({5})
Nun zu allerletzt zum Herrn Bundeskanzler. Der Herr Bundeskanzler hat hier geäußert, er könne nicht einsehen, wie weit auch nur der Schatten einer Beeinflussung der Rechtsprechung dadurch hervorgerufen sei, daß er als Bundeskanzler gemäß § 202 der Strafprozeßordnung
({6})
- ja - beantragt hat, als Zeuge nochmals richterlich vernommen zu werden. Ich bedaure, daß ich
darin dem Herrn Bundeskanzler nicht folgen kann.
Antragsberechtigt bei einem Strafgericht sind nach einer strengen und wohlüberlegten Regelung des Gesetzes ausschließlich der Angeschuldigte oder Angeklagte, der Staatsanwalt und ein etwa durch besonderen Gerichtsbeschluß zugelassener Nebenkläger. Aber sonst niemand. Es stand und steht dem Herrn Bundeskanzler frei, wenn er glaubte, in der ihm nicht als Dienstherrn, sondern als Dienstvorgesetzten
({7})
zugestellten Anklageschrift Irrtümer oder Mängel zu entdecken, sich an den Herrn Landesminister der Justiz zu wenden und darauf aufmerksam zu machen, damit der zuständige Minister bei der ihm nachgeordneten Staatsanwaltschaft dann für entsprechende Berichtigungen und Anträge sorgt. Aber sich unmittelbar an das Gericht mit der vollen Wucht des Bundeskanzleramts wenden
({8})
ist ein massiver Eingriff in die Rechtspflege.
({9})
Da mögen Sie den Kopf schütteln. Das ist eine ganz klare Sache.
Herr Abgeordneter Dr. Arndt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kanka?
Ja.
Herr Kollege Arndt, haben Sie den § 202 der Strafprozeßordnung gelesen?
Ja. Danach kann das Gericht einzelne Beweiserhebungen anordnen, aber der Bundeskanzler kann - Dr. Kanka ({0}) : Einen Augenblick! Das Gericht kann es ex officio tun. Kann das, was das Gericht ex officio tut, nicht von jedem Bürger und vor allem nicht auch von dem Zeugen, der in dem Verfahren vernommen werden soll, bei dem Gericht angeregt werden? Kann's das nicht?
({1})
Nein, Herr Kanka, kann es nicht.
Und ist der Bundeskanzler, wenn er als Zeuge dem Gericht eine Anregung gibt, ein Bürger minderen Rechts, daß er das nur deshalb nicht kann, weil er Bundeskanzler ist?
({0})
Herr Kanka, Sie haben sich doch selbst darauf berufen, Rechtsanwalt zu sein. Es geht doch nicht darum, ob Herr Dr. Konrad Adenauer ein Bürger minderen Rechts ist. Es gibt kein Antragsrecht eines Zeugen.
({0})
Und es gibt auch keine Gerichtsbeschlüsse der Strafkammer über Anregungen eines Zeugen.
({1})
Hier ist ein Brief geschrieben worden mit dem Kopf „Der Bundeskanzler". Das ist geschehen.
({2})
Das ist geschehen. Das Gericht hat Beschluß gefaßt. Der Bundeskanzler kann keine Anträge im Strafverfahren stellen.
({3})
- Das ist völlig ausgeschlossen, denn das ist ja der Sinn der Antragsregelung der Strafprozeßordnung, daß nicht eine solche Behörde mit dem ganzen Gewicht ihrer Autorität in das Strafverfahren hineinwirkt.
({4})
Es ist ja auch nicht bloß ein Antrag gestellt worden, sondern unter Beteiligung des ganzen Prestiges, das einem Bundeskanzler zukommt, ist in diesem Brief auch noch die Behauptung aufgestellt worden, daß sich die Staatsanwaltschaft fehlerhaft verhalten habe
({5})
und daß ihre Anklage gar keine geeignete Grundlage sei. Das ist nicht Sache des Bundeskanzlers, der Bundesregierung, des Bundestages, des Bundesrates und auch nicht des Bundespräsidenten.
({6})
Wenn Sie diese fundamentalsten und elementarsten Begriffe einer Gewaltenteilung im Rechtsstaat
nicht verstehen, dann tun Sie mir leid, Herr Kanka.
({7})
Aber es ist nicht nur das geschehen; es ist darüber hinaus dieses amtliche Schreiben, dieser amtliche Antrag des von der Antragstellung ausgeschlossenen Bundeskanzlers der Presse übergeben worden, bevor das Gericht überhaupt hinreichende Möglichkeit hatte, es zu prüfen und darüber zu befinden.
({8})
Alles das sind eklatante Eingriffe in ein schwebendes Verfahren und in die Rechtspflege.
Zum Schluß möchte ich sagen, daß diese immerhin schwierige und teilweise auch heikle Auseinandersetzung doch das von mir und von meiner Fraktion gewünschte Warnzeichen aufgerichtet hat, damit in Zukunft besser überlegt werden möge, ehe man solche Schritte tut; denn es könnte sein oder steht zu befürchten, daß wir in Deutschland noch eine ganze Reihe schwerwiegender und heikler Strafverfahren zu erwarten haben. Es sollte klar sein, daß sich vieles, was heute in der Debatte als Verhaltensmaßnahmen der Bundesregierung zur Sprache gekommen ist, nicht wiederholen sollte, und ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der Mehrheit, daß dies keine Parteifrage ist;
({9})
das ist eine Frage, bei der es um Recht und Freiheit aller geht.
({10})
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich kann damit die Justizdebatte nach nahezu zehnstündiger Dauer schließen. Damit haben wir den ersten Punkt der heutigen Tagesordnung erledigt, so daß wir uns den weiteren Punkten zuwenden können.
Ich rufe Punkt 6 unserer Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vereinbarungen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, der Republik Frankreich, des Königreichs Dänemark, des Königreichs der Niederlande und des Königreichs Belgien über gegenseitige Hilfe gemäß Artikel 3 des Nordatlantik-Vertrages ({0})
Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten ({1}) ({2}).
Als Vertreter des in Straßburg befindlichen Berichterstatters erteile ich das Wort Herrn Abgeordneten Graf Adelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf des Gesetzes zu den Vereinbarungen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und den Regierungen, die Sie aus der Drucksache 47 ersehen können, wurde in der 28. Sitzung des Deutschen Bundestags am 8. Mai 1958 erstmals beraten und einstimmig dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten federführend und dem Verteidigungsausschuß mitberatend überwiesen. Der Bundesrat hat in seiner 180. Sitzung am 12. Juli 1957 den Gesetzentwurf gebilligt und diese Entscheidung in der 185. Sitzung am 29. November 1957 gegen die Stimme Hessens bestätigt.
Der Regierungsentwurf sieht vor, daß den zwischen der Bundesrepublik und den Stationierungsmächten im Juni und Juli 1957 getroffenen Vereinbarungen, die gemäß Art. 59 Abs. 2 GG der Ratifizierung bedürfen, zugestimmt wird.
Der Auswärtige Ausschuß behandelte den Gesetzentwurf am 28. Oktober 1958.
Die vorliegenden Vereinbarungen regeln den Anteil der Bundesrepublik an den Unterhaltskosten der auf deutschem Boden stehenden verbündeten Truppen für das Jahr 1957. Nach Wiedergewinnung
der Souveränität stellte sich die Frage der Form der deutschen Kostenbeteiligung. Die Bundesregierung hatte es 1956 als ihre Bündnispflicht angesehen, sich mit den Verbündeten auf eine Zahlung von insgesamt 1455 Millionen DM zu einigen. Für das Jahr 1957 ist eine Zahlung von 1198,6 Millionen DM kontraktiert worden.
Nachdem die Vereinbarungen von 1956 schon bestätigten, daß mit ihrem Abschluß die Bindungen des Finanzvertrags in Fortfall kommen würden, ist die Zahlungsabmachung von 1957 ohne ausdrückliche Rechtsverpflichtung, also freiwillig abgeschlossen worden. Darüber hinaus wurden die Einmaligkeit und der nichtpräjudizielle Charakter der Zahlungen herausgestellt.
Die Bundesregierung begründet die finanziellen Vereinbarungen mit Art. 3 des Nordatlantikpaktes, der besagt, daß die Vertragspartner einzeln und gemeinsam durch ständige und wirksame Selbsthilfe und gegenseitige Unterstützung die eigene und gemeinsame Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe erhalten und fortentwickeln werden. Es ist der Standpunkt der Regierung, daß einmal die freiwillige Zahlung dem Gedanken der Partnerschaft und der gemeinsamen Verantwortung für eine gemeinsame Sache entspricht und andererseits der Tatsache Rechnung getragen wird, daß die Bundesrepublik im Aufbau der Bundeswehr zurückgeblieben war. Zum Abschluß mit Großbritannien war auch die schlechte Devisenlage dieses Bündnispartners mitbestimmend.
Die Ausschußberatung erstreckte sich auf einige kontroverse Punkte. Man stellte die Frage, warum die Zahlungen an die Bündnispartner geleistet worden seien, bevor der Bundestag sich mit dem Gesetzentwurf befassen konnte. Auch wurden die Gründe der verzögerten Ratifizierung sowie der Genehmigung der Vorauszahlungen durch den Haushaltsausschuß erörtert. Der Vertreter der Bundesregierung machte geltend, daß die Zeitnot des alten und auch des jetzigen Bundestags, die den Ältestenrat zur mehrmaligen Verschiebung der Beratungen bestimmte, ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden könne. Dem Sinn und Nutzen des Abkommens hätte es ferner nicht entsprochen, die Partner länger auf die Zahlungen warten zu lassen. Auf eine entsprechende Frage wurde bestätigt, daß die Regierung bei den Verhandlungen mit Nachdruck die hohe Sonderbeanspruchung der Bundesrepublik durch Kriegsfolgelasten geltend gemacht hat. Enttäuschung wurde darüber geäußert, daß es nicht gelungen sei, bei den Bündnispartnern den seit langem erwarteten Abschluß des Truppenvertrages zu erreichen. Ein formelles Verhandlungsjunktim wurde nicht gefordert, die Erwartung schien aber berechtigt, daß das Entgegenkommen der Bundesregierung in diesen finanziellen Fragen die Verhandlungen über den noch ausstehenden Truppenvertrag beschleunigt hätte, wodurch unter anderem die Rechtsstellung der deutschen Bediensteten geklärt worden wäre.
Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat, nachdem der Verteidigungsausschuß sich bereits in der Sitzung vom 16. Oktober 1958 entschlossen hatte, keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf zu erheben, den Antrag gestellt:
Der Bundestag wolle beschließen,
den Gesetzentwurf - Drucksache 47 - unverändert nach der Vorlage anzunehmen.
Es sei mir aber noch eine technische Bemerkung erlaubt. In der Drucksache 47 befinden sich in dem Brief- bzw. Notenwechsel zwei Textfehler, deren Berichtigung hiermit erbeten wird:
1. Auf Seite 15, rechte Spalte, zweiter Absatz, richtig: Ministerrat des Europäischen Wirtschaftsrates, statt: Rat für die Europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit.
2. Auf Seite 22, linke Spalte, Ziffer 3 richtig: 1. Juni 1957 statt: 5. Mai 1957.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Die Berichtigungen werden zu Protokoll genommen.
Ich rufe in zweiter Lesung auf Artikel 1, 2, Einleitung und Überschrift. Ich schlage dem Hause vor, in diesem Falle die allgemeine Aussprache jetzt in der Zweiten Lesung vorzunehmen. - Das Haus ist damit einverstanden. Ich erteile dem Abgeordneten Erler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vereinbarungen, um deren Zustimmung es jetzt geht, sind am 7. Juni 1957 und am 9. und 10. Juli 1957 von den Regierungen unterzeichnet worden. Es handelt sich dabei um Leistungen der Bundesrepublik an die genannten Vertragspartner von rund 1,2 Milliarden DM. Am 21. Juni 1957 hat die Bundesregierung die Vereinbarungen dem Bundesrat zugeleitet; sie waren dann noch im 2. Deutschen Bundestag, konnten dort nicht mehr verabschiedet werden, wurden dann aber am 30. November 1957 diesem Bundestag hier zugeleitet.
Ich erwähne das, weil sich aus dem großen Zeitablauf zwischen der Vorlage an den Bundestag und der Verabschiedung hier im Hause ergibt, daß offenbar die Bundestagsmehrheit kein besonders gutes Gefühl bei der Behandlung dieser Vorlage gehabt hat. Sonst hätte man sie ja auch verabschieden können, ohne daß Vorwegbewilligungen durch den Haushaltsausschuß erforderlich gewesen wären. Es ist doch ein merkwürdig Ding, wenn wir hier ein Gesetz verabschieden, das rein theoretische Bedeutung hat, denn durchgeführt ist es schon. Das Geld, um das es geht, ist längst bezahlt. Die letzten 25 % sind ungefähr vor Jahresfrist entrichtet worden.
Wenn wir unsere gesetzgeberische Arbeit in diesem Stile betreiben, dann entwerten wir sie mit Sicherheit. Was hat es für einen Sinn, Gesetze zu beschließen, die längst durchgeführt sind, bevor sie die Zustimmung des Hohen Hauses gefunden haben?
Bei dieser langen Verzögerung ergibt sich natürlich die Frage: Warum kommt denn jetzt gerade und nicht morgen oder übermorgen, sondern gerade jetzt die Verabschiedung dieser Vorlage, deren
Verabschiedung offenbar der Regierungsparei solche Beschwerden verursacht hat, daß man sie so lange aufschieben zu müssen glaubte?
({0})
- Nein! Herr Abg. Rasner hat es begründet. Er hat kürzlich der Presse mitgeteilt, und zwar im Zusammenhang mit einer Sitzung der Fraktion der CDU/CSU über die Berlin-Frage und die Auseinandersetzungen mit der Sowjetunion, daß nunmehr seine Fraktion beantragen werde, die seit längerer Zeit zurückgestellte Ratifizierung der gegenseitigen Hilfe unverzüglich auf die Tagesordnung des Bundestages zu setzen. Herr Abg. Rasner vertrat die Ansicht, daß die Bundesrepublik nunmehr auch praktisch zeigen müsse, daß sie bereit sei, ihre Verpflichtungen zu erfüllen.
Sehen Sie, das ist genau die Dramatisierung eines an sich harmlosen Vorgangs, wie wir sie durch den Kollegen Rasner leider gewöhnt sind und die völlig überflüssig ist. Ihre Begründung, Herr Kollege Majonica, hat mir viel besser gefallen. Einmal soll es nun eigentlich sein! Warum dann diese Herstellung eines Zusammenhangs mit dem Berlin-Problem? Damit macht man auch aus diesem Gesetz hier eine Demonstration, und ich muß Ihnen ehrlich sagen, wenn's wenigstens eine wäre! Eine Demonstration, die gar keinen Sinn mehr hat, weil wir das, worauf es dem Partner ankommt, nämlich das Geld, längst bezahlt haben - die hat doch für die andere Seite kaum noch irgendwelchen politischen und erst recht gar keinen materiellen Wert.
({1})
Abg. Rasner sprach dort von der Erfüllung der Verpflichtungen. Die Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrage hier ergeben - aus diesem! -, sind ja längst erfüllt, brauchen also gar nicht erst noch erfüllt zu werden.
Es ging also um eine recht hohle, eine recht inhaltlose Demonstration, und ich muß sagen, diese künstliche Zusammenleimung mit der Frage Berlin hat mich etwas beunruhigt. Die Haltung der Westmächte zu Berlin steht außer Zweifel. Sie hat überhaupt keinen Zusammenhang mit der Haltung des Bundestages heute zu diesem Gesetz. Der Hinweis, daß die Ratifizierung des Abkommens jetzt wegen Berlins nötig sei, schafft überflüssigerweise einen unangenehmen Beigeschmack. Wir glauben, daß die Solidarität des Westens mit Berlin auf festerer Grundlage beruht. Sie bedarf weder leerer Demonstrationen noch erträgt ihre politisch-moralische Begründung eine Verquickung mit unerfreulichen pekuniären Erwägungen. Da sollten Sie eigentlich die Westmächte ein bißchen anders einschätzen!
({2})
Nun zu dem Inhalt der Vorlage und den Bedenken, die wir diesem Inhalt gegenüber haben. Die Frage der Stationierungskosten, früher Besatzungskosten geheißen, beschäftigte dieses Hohe Haus seit der Zeit, als hier schon über den EVG-Vertrag als den Vorläufer der Pariser Verträge verhandelt wurde.
Am 5. Dezember 1952, vor mehr denn sechs Jahren, hat der Kollege Bausch ausgeführt, es bestehe nunmehr die wohlbegründete Aussicht, daß Deutschland - er sprach von Deutschland, er meinte die Bundesrepublik Deutschland - nach dem 1. Juli 1953 für Besatzungs- oder Stationierungskosten keine Zahlungen mehr zu leisten habe. Unserem Volk wurde die erfreuliche Aussicht geboten, das alles sei das Ergebnis des EVG-Vertrages und werde später auch das Ergebnis des Pariser Vertrages sein. Herr Bausch hat später noch hinzugefügt, die Alliierten hätten ihre gesamten Stationierungskosten selbst zu bezahlen. - Das können Sie alles in den Protokollen des Bundestages nachlesen.
Wir waren damals schon sehr skeptisch und meldeten Zweifel an, ob dieser rosarote Zukunftsglaube berechtigt sei. Heute, sechs Jahre nach diesem Termin, fassen wir Beschluß über 1,2 Milliarden DM. Das ist noch nicht unser letzter Beschluß; denn weitere Verabredungen sind später noch insbesondere mit Großbritannien getroffen worden, wenn auch in der Zwischenzeit der Umfang der Verpflichtungen erneut reduziert worden ist. Wir haben also leider recht behalten.
Die falschen Ankündigungen des Jahres 1952 hat man aber in späteren Jahren noch fortgesetzt. Am 7. Dezember 1956 hat Herr Bundesfinanzminister Schaff er- damals war er Finanzminister - bier ausgeführt:
Wie ich Ihnen vorhin schon kurz andeutete, sind die alten Besatzungs- und Stationierungskostenüberhänge von den Alliierten voll abgerufen worden. Neue Forderungen für 1957 sind an die Bundesregierung bisher amtlich nicht herangetragen worden.
Das Wort „amtlich" ist interessant. Offenbar sind sie also doch privat herangetragen worden.
Ich stelle zu diesem Thema nur fest, - sagte Herr Schäffer daß durch die Ungunst der Entwicklung leider also auch in diesem Jahre die Alliierten wesentlich mehr Deutsche Mark aus deutschen Mitteln für ihre Truppen ausgegeben haben, als wir für unsere eigenen Streitkräfte verauslagen konnten.
Das ist also der Tatbestand, der die Zahlungen
immer nach der Ansicht der Regierung, rechtfertigt.
Aber jetzt fährt Herr Schäffer - im Jahre 1956 - wieder im Sinne der alten, falschen Prophezeiung fort:
Mit Sicherheit ist dieser Zustand jetzt beendet.
Das war wieder einmal falsch. Die Auseinandersetzungen mit den Stationierungsmächten um dieses Problem gingen munter weiter, und nach dem Grundsatz „Alle Jahre wieder" bekamen wir dann prompt jedes Jahr erneut ein ähnliches Bukett von Wünschen und Forderungen auf den Tisch des Hauses gelegt. Am 28. Februar 1957 gab der Abgeordnete Dr. Blank ({3}) hier für die Regierungsparteien eine Erklärung ab: Bei dieser Sachlage wäre es nicht zu verantworten, den in
Eder
vollem Gang befindlichen Aufbau der Bundeswehr durch die Abzweigung weiterer erheblicher Beträge zu beeinträchtigen.
Um uns zu trösten, hat derselbe Abgeordnete am 29. Mai 1957 hier gesagt: Wir können davon ausgehen, daß in Zukunft Stationierungskosten nicht mehr zu zahlen sein werden, so daß der volle Globalbetrag für die Bundeswehr zur Verfügung stehen wird. Das hat im Vollbesitz seiner Informationen aus dem Haushaltsausschuß und vielleicht auch noch aus der Koalition damals Herr Abgeordneter Dr. Blank, der in diesen Fragen nicht nur Sprecher seiner Partei, sondern der Regierungskoalition war, dem Hohen Hause vorgetragen. Das Datum ist pikant. Es hat also geheißen: in Zukunft nicht mehr. Das war am 29. Mai 1957!
Damals liefen bereits die Verhandlungen um diesen Vertrag in der Schlußphase. Das wurde dem Hohen Hause nicht gesagt; denn am 7. Juni 1957, wenige Tage nach einer Bundestagssitzung, in der uns versichert worden ist: jetzt ist Schluß, am 7. Juni 1957 also wurden eben jene Vereinbarungen unterzeichnet, um deren Verabschiedung es jetzt gerade geht. Und sie sind nicht die letzten. Sie wissen alle, daß wir inzwischen mit Großbritannien erneut Vereinbarungen getroffen haben über einen verlorenen Zuschuß,
({4})
der als gemeinsame Forschungshilfe bezeichnet worden ist, als Vorauszahlung von Schulden, als Vorauszahlung auf Rüstungskäufe und ähnliches; die Bundeskasse ist in jedem Falle betroffen.
Sie sagen: die Beträge sind gesenkt worden. Das ist richtig; das bestreitet niemand. Aber ebenso richtig ist, daß Sie von der Verabschiedung der Verträge ab jedes Jahr hier erklärt haben: Das ist das letzemal. Diese Ihre Erklärungen waren falsch, und darauf muß man einmal mit Nachdruck hinweisen.
({5})
Erstaunlich ist, daß trotz dieser Beiträge, die doch im Zusammenhang stehen mit der Truppenstationierung auf deutschem Boden, eine Reihe von Fragen, die sich aus eben dieser Stationierung ergeben, nach wie vor ungelöst geblieben sind. Das gilt, um nur zwei herauszugreifen, einmal für den Tarifstatus der sehr zahlreichen deutschen Bediensteten bei den Stationierungsmächten, und das gilt zweitens für das sehr umfangreiche Gebiet des Truppenvertrages, der seinerzeit ja bereits mit der Ankündigung eingebracht wurde, daß er demnächst durch eine Regelung ersetzt werden sollte, die dem Grundsatz der Gleichberechtigung in einem Bündnis besser entspricht als jener Truppenvertrag, der eine Reihe von besatzungsrechtlichen Vorstellungen mit sich fortschleppt.
In diesem Zusammenhang ist das Hohe Haus genauso irregeführt worden wie bei den finanziellen Fragen. Herr Abgeordneter B e r e n d s en hat damals für die Partei der CDU/CSU hier erklärt:
Zweitens möchten wir, daß, wenn wir auch nicht eine Koppelung des Truppenvertrages mit der
abschließenden Behandlung dieser Vorlage erreichen können, doch die Bundesregierung zum mindesten klar zum Ausdruck bringt, daß dei Truppenvertrag nunmehr - ich möchte sager. - bis zur 3. Lesung der Vorlage Drucksache 47
- das ist diese hier - wirklich endgültig abgeschlossen werden wird.
Der Einfluß der CDU/CSU auf ihre eigene Regierung ist so groß, daß wir jetzt diese Vorlage verabschieden, und von der Verabschiedung des Truppenvertrags ist noch weit und breit nichts zu sehen.
({6})
- Ja, wir warten in dieser ganzen Frage schon seit sechs Jahren, daß endlich das Wort wahr wird: mit dieser Art Lasten wird aufgehört. Und Sie haben die von Ihnen - nicht von uns - seit sechs Jahren gegebenen Versprechungen dem Volke gegenüber nicht eingelöst. An dieser Art, öffentliche Versprechungen zu machen, die dann nachher nicht eingehalten werden, wollen wir Sozialdemokraten uns nicht beteiligen. Wir lehnen diese Vorlage ab.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr zu Guttenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich sagen: es ist zugegeben, daß es eine merkwürdige und gewiß nicht nachahmenswerte Sachbehandlung ist, einen zwischenstaatlichen Vertrag von derartiger finanzieller Tragweite erst etwa 20 Monate nach seiner Verabschiedung zu ratifizieren. Dies um so mehr, als in der Zwischenzeit die Zahlungen bereits geleistet wurden. Ich denke, daß man das in dieser Weise sagen muß.
Das gleiche gilt für die ähnlichen Vereinbarungen mit Großbritannien für das Jahr 1958, die im vergangenen Jahr bekanntgegeben wurden. Bis heute liegt dem Hohen Hause noch kein Ratifizierungsgesetz vor.
({0})
Es hätte nahegelegen, nach der leider eingetretenen Verzögerung der Ratifizierung der 57er Vereinbarungen die parlamentarische Behandlung beider Dinge miteinander zu verbinden.
Andererseits aber muß festgestellt werden, daß die Regierung an der schleppenden parlamentarischen Behandlung der 57er Verträge keine Schuld trifft. Die Regierung hat das Ratifizierungsgesetz am 21. Juni 1957, also 14 Tage nach der Unterschriftsleistung unter diese Verträge, dem Bundesrat zugeleitet und ist seither, wie ich meine, außer obligo. Wir allerdings, dieses Parlament, stehen in obligo.
Der Herr Kollege Erler hat vieldeutend auf meine Fraktion hingewiesen. Ich möchte meinen, daß alle Fraktionen des Hohen Hauses dieses obligo trifft; denn auch von Ihrer Seite, Herr Kollege Erler, habe ich keinen besonderen Drang nach einer VerabFreiherr zu Guttenberg
schiedung dieser Gesetze feststellen können. Sie hätten ja die Möglichkeit gehabt, eine Geschäftsordnungsdebatte anzuregen. Nach meiner Kenntnis ist das nicht geschehen. - Bitte, Herr Erler!
Seit wann ist es eigentlich Aufgabe der Opposition, die Verträge der Regierung im Parlament durchzusetzen? Ich dachte immer, die Regierungsmehrheit macht das selbst!
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Sicherlich ist es nicht üblich, daß das die Opposition tut. Aber wenn Sie sich über die Verspätung beklagen, so muß ich Ihnen sagen, daß Sie sie ja selbst hätten verhindern können, indem Sie vorher eine Geschäftsordnungsdebatte beantragt hätten.
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Aus dem gleichen Grunde ist auch das nicht sehr glückliche Verfahren, die von der Bundesregierung aus Gründen der Vertragstreue während des Jahres 1958 zu leistenden Zahlungen durch Vorwegbewilligungen des Haushaltsausschusses zu sanktionieren, eine mißliche Angelegenheit gewesen. Ich denke aber, wir müssen für die Alliierten Verständnis aufbringen und können nicht von ihnen erwarten, daß sie die reichlich mißliche und unglückliche Prozedur in diesem Hause etwa zum Anlaß nehmen, ihrerseits nicht auf Zahlung der Beträge zu
I) bestehen. Soweit zur Prozedur in dieser Sache.
Nun zur Grundlage und zum Inhalt der Verträge einige Worte. Bei der ersten Lesung des hier anstehenden Ratifizierungsgesetzes haben Herr Professor Gülich und Herr Dr. Becker erklärt, der Art. 3 des NATO-Vertrages, auf den in diesem Gesetz Bezug genommen wird und der die gegenseitige Unterstützung mit dem Ziel der gemeinsamen Widerstandskraft fordert, könne . nicht als eine rechtliche Grundlage im Sinne einer bindenden Verpflichtung zu Zahlungen dieser Art bezeichnet werden. Auch meine Freunde sind dieser Meinung; denn der Art. 3 stellt sozusagen nur die Vertragsformel für ein Grunderfordernis jeglicher militärischen Allianz dar, für das Grunderfordernis der gegenseitigen Partnerschaft bei der Lösung aller Fragen, die für ein solches Bündnis dienlich oder hemmend sein können.
Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung auch wiederholt darauf hingewiesen, daß die vereinbarten Zahlungen freiwillige Leistungen sind und ihren Grund ausschließlich in folgenden zwei Tatbeständen haben, von denen man allerdings keineswegs sagen kann, daß sie der westlichen Widerstandskraft förderlich gewesen sind. Das ist einmal der in den Jahren 1955 bis 1957 weit hinter den Erfordernissen der Situation zurückbleibende Aufbau des deutschen Verteidigungsbeitrags, und das ist zweitens die beengte Devisenlage Großbritanniens und Frankreichs, soweit diese mit der Stationierung ihrer Truppen auf unserem Boden erklärt werden muß.
Zum ersten Punkt, dem Zurückbleiben des deutschen Verteidigungsbeitrags, möchte ich auch nicht anstehen zu erklären, daß es meinen Freunden und mir erheblich lieber wäre, wenn die Bundesrepublik, statt zu derartigen Leistungen eine gewisse moralische Verpflichtung nicht abstreiten zu können, bereits mit einem vollen eigenen militärischen Beitrag hätte antreten können.
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Daß dies aber weder im Jahre 1957 noch während des Haushaltsjahres 1958 der Fall war, liegt an zu jener Zeit unabänderlichen, sachlich begründeten Umständen. Ich denke, Herr Kollege Erler, das werden insbesondere Ihre Freunde zugeben müssen, die ja oft genug das Tempo des Aufbaus der Bundeswehr als überstürzt bezeichnet und sich gegen dieses schnelle Tempo ausgesprochen haben.
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- Bitte sehr, hier haben Sie die Konsequenz. Also wird man ja wohl nicht kritisieren dürfen.
Jedenfalls hat die Bundesregierung - und ich glaube, daß dem voll zuzustimmen ist - klar und deutlich gesagt, daß eine Zahlung von derartigen Beträgen an Alliierte dann völlig ausgeschlossen ist, wenn unsere eigenen Aufwendungen für unseren eigenen Verteidigungsbeitrag, für unsere eigenen Verbände, in der Zwischenzeit das vorgesehene und das gegenüber unseren Alliierten vergleichbare Maß erreicht haben werden.
Dies sollte, wie ich glaube, auch dann gelten, wenn zu diesem Zeitpunkt etwa der zweite Grund noch immer ins Feld geführt werden könnte, nämlich der einer bedrängten Devisenlage eines Alliierten. Wir sollten darauf hinweisen, daß, wenn wir ein vergleichbares Maß unserer eigenen Verteidigungskraft erreicht haben, für derartige Zahlungen kein Raum mehr ist.
Was dieses vergleichbare Maß angeht, so ist es allerdings ein offenes Geheimnis, daß sich die Bundesregierung immer wieder und laufend bemüht hat, unsere Alliierten davon zu überzeugen, daß bei den Aufwendungen des deutschen Steuerzahlers zur gemeinsamen Sicherheit des Westens neben den Leistungen für die rein militärischen Zwecke auch die sogenannten Kriegsfolgelasten berücksichtigt werden müssen. Im NATO-Fragebogen 1958 wurden diese Kriegsfolgelasten von der Bundesregierung erneut mit einem Betrag von 19 Milliarden DM ausgewiesen. Trotzdem scheint es mir nötig zu sein, daß auch wir in diesem Hause ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, daß sich diese Folgelasten des Krieges in den Augen unserer Alliierten etwas anders ausnehmen können als in unseren eigenen. Fest steht jedenfalls, daß die reinen Verteidigungslasten, d. h. die Verteidigungslasten auf dem rein militärischen Sektor, in der Bundesrepublik im Jahre 1957 etwa 4,4% unseres Sozialprodukts, in England aber 8,1 und in den USA 10,8 % des Sozialprodukts ausmachen.
Fest stehen außerdem die folgenden Zahlen, die, wie ich glaube, ein recht entscheidendes Argument in diesem Zusammenhang darstellen. Durch den Aufenthalt der Streitkräfte unserer Alliierten auf
dem Boden der Bundesrepublik ist unserem sogenannten Devisenpolster, auf das wir ja manchmal recht stolz, manchmal zu stolz sind, ein erheblicher Beitrag zugeflossen. Im Jahre 1957 ist dieser Beitrag mit 2660 Millionen, im Jahre 1958 mit 3500 Millionen DM zu beziffern, und im Jahre 1959 rechnet man mit 3800 Millionen DM, die die Streitkräfte in ihren eigenen heimatlichen Währungen hier ausgeben und die damit unserer Handelsbilanz zugute kommen.
Was den eigentlichen Inhalt der Vereinbarungen für das Jahr 1957 angeht, so sind wohl eingehendere Ausführungen nicht mehr nötig. Wichtig erscheint mir jedoch die Feststellung Herr Erler hat das auch bereits gesagt -, daß die von der Bundesregierung geäußerte Erwartung nicht erfüllt wurde, daß ihre Bereitschaft zu freiwilligen Leistungen auf diesem Gebiet zu einem beschleunigten Abschluß dieser Truppenvertragskonferenz führen würde. Ich bin Ihrer Meinung, Herr Erler, daß dies ein trister Tatbestand ist. Ich kann Ihnen aber nicht folgen, wenn Sie erklären, daß der Herr Kollege Berendsen bei der ersten Lesung dieses Gesetzes das Haus irregeführt habe; denn Herr Kollege Berendsen hat damals nur erklärt, er hoffe, daß man zu diesem Ziele kommen würde. Und er hat die Regierung aufgefordert, alles daranzusetzen, dieses Ziel zu erreichen. Von einer Irreführung kann also wohl nicht die Rede sein.
Im übrigen ist ja wohl auch zu sagen, daß bei einer Verhandlung immer zwei Partner da sind und daß auch die anderen mit im Spiele sind.
Trotz alledem erscheint mir die Verzögerung des Abschlusses dieser Truppenvertragskonferenz eine bedauerliche Sache. Um so bedauerlicher, als diese Materie nunmehr seit dem Jahre 1955 der endgültigen Regelung harrt. Man sagt uns - Sie müßten das eigentlich auch gehört haben, Herr Kollege Erler -, daß die Verhandlungen nunmehr kurz vor dem endgültigen Abschluß stehen.
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- Wenn Sie es noch nicht gehört haben, erfahren Sie es jetzt.
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Man sagt uns das heute, und nicht mehr habe ich erklärt. Immerhin, man hat sich mehr als reichlich Zeit gelassen.
Bei allem Verständnis für die Vertretung eigener Interessen bei solchen Verhandlungen auf allen Seiten aber muß man, glaube ich, schon sagen, daß man dieser Truppenvertragskonferenz im ganzen von allen Seiten etwas mehr von dem Geiste hätte wünschen sollen, den eben dieser Artikel 3 des NATO-Vertrages statuiert. Aber es mag vielleicht einfacher sein, unter Politikern eine gemeinsame Politik zu etablieren und zu formulieren als etwa unter Sachverständigen die Frage zu entscheiden, ob für amerikanische Hunde deutsche Steuern bezahlt werden müssen oder ähnliche Fragen.
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Ich möchte noch einige kurze Worte zu den Vereinbarungen für 1958 sagen. Auch Herr Erler hat bereits davon gesprochen. Ich möchte zunächst auch
hier klar und deutlich sagen, daß die Tatsache einer neuerlichen deutschen Leistung zugunsten eines unserer Verbündeten auf diesem Wege und zu diesem Ziele gewiß nirgends in diesem Hause auf eine begeisterte Zustimmung gestoßen ist. Das wäre wohl auch nicht zu erwarten gewesen.
Andererseits ist es aber ebenso nötig, zu sagen, daß die Leistungen nach den Vereinbarungen vom vergangenen Jahre erstens auch nicht annähernd die Leistungen vom Jahre 1957 erreichten, zweitens, daß wenigstens für drei Jahre die Möglichkeiten etwaiger Belastungen des deutsch-britischen Verhältnisses ausgeräumt werden, drittens, daß die bisherigen keineswegs sehr glücklichen Methoden zur Regelung derartiger Verträge einem neuen und objektiven Verfahren unterworfen wurden und viertens das scheint mir sehr wesentlich -, daß zwei Drittel der vereinbarten deutschen Zahlungen als Vorausleistungen angesehen werden müssen, die weder den deutschen Steuerzahler noch den Verteidigungshaushalt wirklich belasten.
Er scheint mir auch angezeigt zu sein, festzustellen, daß sich durch diese Vereinbarungen die Zahlungen von eigentlichen Stationierungskosten an unsere Verbündeten seit dem ersten Verteidigungsjahr von 3200 Millionen im Jahre 1955 auf 1445 Millionen im Jahre 1956, sodann auf 1200 Millionen im Jahre 1957 und auf ganze 141 Millionen im Jahre 1958 ermäßigt haben, womit dem Grundsatz Rechnung getragen wurde, den die Bundesregierung immer wieder betont hat, daß nämlich zwischen dem Anwachsen des deutschen Verteidigungsbeitrags und der Verringerung der Leistungen für Stationierung alliierter Truppen ein unauflöslicher Zusammenhang besteht.
Wenn nun die Befürchtung geäußert wurde, daß diesen an Großbritannien fließenden Beträgen für das Jahr 1958 eventuell noch auf ähnlichen Vereinbarungen mit anderen Staaten beruhenden Zahlungen folgen könnten, so ist zu sagen, daß derartige Wünsche bereits laut geworden sind. Aber ich denke, es wäre eine bessere Politik, an dieser Stelle die Bundesregierung aufzufordern, wegen unseres eigenen zügigen Fortschritts auf dem Gebiete der Verteidigung äußerste Zurückhaltung gegenüber weiteren Wünschen anderer Alliierter zu üben, anstatt etwa die Bundesregierung als unglaubwürdig zu bezeichnen und dadurch vielleicht erst neue Forderungen herauszulocken.
Was weiterhin die seinerzeit - und vielleicht ist das auch heute noch so - gehegten Besorgnisse angeht, die Bundesregierung zahle und zahle, und je mehr sie zahle, desto mehr britische und französische Truppen verließen unser Land, so ist darauf zu erwidern, daß seit der Anfang 1958 durchgeführten Verringerung der britischen Rheinarmee auf 55 000 Mann keine weiteren Verringerungen mehr eingetreten sind.
Herr Kollege Erler hat dann diesem Hause eine lange Liste, die er aus seiner Schublade zog, vorgelegt, in der es um Äußerungen von Politikern der Regierungsparteien und von Angehörigen der Regierung ging, die gesagt haben sollen, es werde nunmehr endgültig nicht mehr gezahlt. Meine Damen und Herren, ich kann im einzelnen auf diese
Äußerungen nicht eingehen. Das sollen, wenn es nötig ist, diejenigen tun, die hier zitiert worden sind. Aber ich darf doch versuchen, jedenfalls einige Bemerkungen zu diesem Thema zu machen.
Herr Kollege Erler, ich habe aus den Stellungnahmen der Bundesregierung nie etwas anderes herausgehört als die feste Absicht, unsere eigenen Aufwendungen für unsere eigene Sicherheit möglichst voll und ungeschmälert auch dem Aufbau unserer eigenen Streitkräfte zukommen zu lassen.
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Wenn Sie, Herr Kollege Erler, etwas anderes herausgehört haben, dann mag es vielleicht eine bestimmte Verschiedenheit zwischen Oppositions- und Regierungsohren geben. Ich hatte jedenfalls diesen Eindruck. - Bitte sehr.
Haben Sie vielleicht auch einmal den Versuch gemacht, nicht etwas herauszuhören, sondern einfach die Worte so zu lesen, wie sie da stehen? Da steht nämlich: Es wird nichts mehr gezahlt!
Herr Kollege Erler, ich habe Ihnen gerade gesagt, die von Ihnen Zitierten mögen zu ihren Formulierungen Stellung nehmen. Um was es hierbei in der Sache ging, das bemühe ich mich soeben Ihnen zu sagen. Ich habe Ihnen gesagt, die Bundesregierung hatte die feste Absicht - und sie hat sie ganz sicherlich auch heute -, diese Beiträge möglichst ungeschmälert für unsere eigenen Streitkräfte aufzuwenden. Wenn sich diese Absicht nun weder im Jahre 1957 noch im Jahre 1958 ganz verwirklichen ließ, dann sollte man, wie ich glaube, nicht wieder einmal diese Bundesregierung der Doppelzüngigkeit, der Unehrlichkeit, der Unwahrhaftigkeit und was weiß ich immer alles zeihen. Vielmehr sollte man auch in diesem Hause die Tatsache würdigen, daß die Verhältnisse, die man an einem Konferenztisch vorfindet, anders aussehen können, als die, die man erwartet hat. Wer verhandeln muß und wer verhandeln will, der muß auch der anderen Seite Rechnung tragen. Jedenfalls, meine Damen und Herren von dieser Seite des Hauses, fordern Sie eine solche Haltung konsequent und mit Recht von der Bundesregierung für einen möglichen anderen Konferenztisch, wo es vielleicht um wichtigere und schwerwiegendere Dinge ginge.
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Herr Kollege Erler, ich sehe gar nicht ein, daß uns etwa damit gedient sein könnte, daß die Bundesregierung heute erklärt, sie befürchte weitere Zahlungen, und sie werde sich ihnen leider wohl auch kaum entziehen können. Im Grunde genommen, Herr Kollege Erler, laufen Ihre Vorwürfe darauf hinaus, daß die Bundesregierung früher nicht vorher zu erkennen gegeben habe, sie werde neuerlichen Zahlungen zustimmen. Das konnte sie nicht tun, weil sie die gegenteilige Absicht hatte. Und diese gegenteilige Absicht hat sie auch heute noch.
Ich meine also, für wirklich politisch begründete Vorwürfe auf diesem Gebiet bleibt kaum Raum.
Aber, meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß kommen. Nachdem diese Beratung ich darf hier wiederum Herrn Professor Gülich aus der ersten Beratung zitieren - wirklich nichts anderes ist als nur ein formaler Akt, ist es sicherlich nicht angebracht, lange politische Erwägungen anzustellen.
Allerdings, meine Damen und Herren, man könnte aus Anlaß dieser Ratifizierung einer Vereinbarung zu gegenseitiger Hilfe doch versucht sein, in unserer heutigen Situation eine bestimmte Frage aufzuwerfen. Eine Frage aufzuwerfen, Herr Kollege Erler; keine Demonstration. Demonstrationen stehen uns in diesem Zusammenhang schlecht an. Aber ich denke, ein Anlaß zu Überlegungen ist gegeben, zu jener Überlegung nämlich, ob es nicht allen Mitgliedern dieses Hauses quer durch alle Parteien in den letzten Monaten erneut und erschreckend klargeworden ist, daß unsere Interessen und unsere Anliegen - heute die Sicherheit Berlins - an unsere Verbündeten Anforderungen stellen, die, gemessen an unseren eigenen Leistungsmöglichkeiten, einfach unvergleichbar sind. Und dies scheint mir der Zusammenhang zu diesem Gesetz zu sein.
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An dieser effektiven Unvergleichbarkeit ändern auch alle Überlegungen, die man da anstellen könnte etwa über die Entstehungsgeschichte der Berliner Situation oder über den Zusammenhang zwischen den Berliner und deutschen und europäischen und amerikanischen Belangen, im Grunde nicht das geringste. Denn in Zeiten einer politischen Hochspannung ist für solche Überlegungen kein Raum und keine Zeit; dann gilt nur noch eines: ob nämlich ein solches Bündnis nur oder beinahe nur durch die Unterschriften unter den Vertrag oder nicht vielmehr durch den Geist der gegenseitigen Hilfeleistung getragen wird. Um diesen Geist aber geht es bei den vorliegenden Vereinbarungen, jedenfalls soweit die Bundesrepublik dazu beitragen kann.
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Meine Damen und Herren, soweit es mir möglich war, den Ausführungen der Redner zu folgen, stimmen sie darin überein, daß die in diesem Gesetzentwurf behandelten Summen bereits ausgegeben sind. Ich würde Sie bitten, im Hinblick auf diese Tatsache und mit einem Blick auf die Uhr sich in Wortmeldungen und Rededauer eine solche Zurückhaltung aufzuerlegen, daß wir nicht eine zweite Debatte vom Umfang der Justizdebatte erleben.
Das Wort hat der Abgeordnete Schultz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich auf die Bemerkung des Herrn Präsidenten eingehen darf, so glaube ich sagen zu können, er hat bei meiner Anwesenheit im Verteidigungsausschuß gemerkt, daß ich mich verhältnismäßig kurz zu fassen versuche. Aber
eines muß ich doch noch zu den Bemerkungen von Kollegen Guttenberg sagen.
Ich glaube, die Verzögerung in der Ratifizierung dieses Abkommens liegt wohl daran, daß der Regierungspartei bei diesem Abkommen nicht sehr wohl gewesen ist
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und auch heute nicht sehr wohl ist und daß sich auch unter ihrer Wähler- und Anhängerschaft eine ganze Anzahl befindet, die davon nicht viel hält. Das klang schon aus dem an, was Kollege Berendsen bei der ersten Lesung sagte. Er sagte nämlich, bei unseren Verbündeten sollte ein etwa noch vorhandener Überhang eines Besatzungsdenkens eliminiert werden. Ich glaube, das umschreibt alles, um was es letzten Endes auch hier geht.
Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß es nicht dem Geist des Bündnisses entspricht, wenn solche Zahlungen - wenn sie gefordert werden - unter dem Druck gefordert werden, daß Truppen, die für die gemeinsame Verteidigung der westlichen Welt da sein sollen - was ja der Geist des Bündnisses ist -, abgezogen werden könnten. Wir sind der Auffassung, daß in das westliche Bündnis auch wir gerade durch unsere Kriegsfolgelasten so viel einbringen, daß, auch wenn der Verteidigungsbeitrag noch nicht die Höhe erreicht hat, die er eben, wie Herr Kollege Guttenberg sagte, noch nicht erreichen konnte, wir trotzdem unseren Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung geleistet haben. Ich darf Sie nur an das erinnern, was in den letzten Tagen über die Kriegsopferfrage in der Zeitung stand.
Wir können - obwohl es an sich gleichgültig ist, wie man heute abstimmt, da die Dinge ja schon längst über die Bühne gegangen sind -, diesem Abkommen unsere Zustimmung nicht geben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Probst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Erler hat uns wissen lassen, daß die SPD diesen Vertrag ablehnt. Er hat aber hier erklärt: Der Westen ist in seiner Haltung fest. Herr Kollege Erler, ich glaube nicht, daß die Tatsache, daß der Westen in seiner Haltung fest ist, Ihrer Amerikareise zu verdanken ist, sondern der Tatsache, daß hier konsequent acht Jahre lang eine Politik getrieben worden ist, von der dieser Vertrag ein Teil ist.
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Ich bin ferner der Auffassung, daß es nicht sehr anständig ist, in einem Zeitpunkt, wo der Regierende Bürgermeister von Berlin eine so feste Politik treiben und sich immer und immer wieder auf den Rückhalt im Westen beziehen kann, zu sagen: Wir akzeptieren die Politik; ja, wir setzen sie jetzt, wo die nebulösen außenpolitischen Vorstellungen ihre
Götterdämmerung haben, wo es auf Hauen und Stechen geht, sogar selbst fort und verlassen uns darauf, im selben Augenblick aber hier zu erklären: Wir akzeptieren diese Verträge, die uns heute diese Festigkeit erlauben, nicht. Das ist nicht anständig.
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- Das ist gar keine Unverschämtheit.
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Ich halte mich für verpflichtet, auf die Wahrheit einmal hinzuweisen.
Meine Damen und Herren, es ist gleich 9 Uhr. Ich bitte, sich kurz zu fassen und sich allgemein zu beruhigen.
W i r werden in voller Konsequenz auch dem Unangenehmen, das zu der bisherigen Politik gehört, und damit diesem Vertrag zustimmen.
({0})
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung über Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Soweit ich sehe, gegen die Stimmen der beiden Oppositionsparteien angenommen!
Ich komme zur
dritten Lesung.
Die allgemeine Aussprache hat schon stattgefunden. Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
Enthaltungen? - Keine. Soweit ich sehe, das gleiche Kräfteverhältnis! Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Es sind gerade noch fünf Minuten, die wohl ausreichen, den nächsten Punkt noch zu erledigen. Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Europäische Währungsabkommen vom 5. August 1955 ({0})
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses ({1}) ({2}) .
Ich danke dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. Hellwig, für seinen Schriftlichen Bericht.
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich rufe in zweiter Lesung auf Art. 1, - 2, - 3 entfällt -, 4, - 5, - 6 - Einleitung und Überschrift. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das
Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Ich schließe
die allgemeine Aussprache. Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmigen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, den 23. Januar, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.