Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren!
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Vor Eintritt in die Tagesordnung haben wir eines unserer Mitglieder zu betrauern. Unser Kollege Josef Gockeln ist am vergangenen Sonnabend auf einer Fahrt von Köln nach Düsseldorf einem Verkehrsunfall zum Opfer gefallen. Damit ist wieder einmal eine schwer zu schließende Lücke in unsere Reihen gerissen worden und über unsere Reihen hinaus in den schmalen Bestand an Menschen, die bereit sind, für das allgemeine Wohl ihr Leben an die I Arbeit und das Wagnis des Lebens in der Öffentlichkeit hinzugeben.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat damit in kurzer Folge nach Karl Arnold einen anderen Mann verloren, der sich um dieses Land besonders verdient gemacht hat. Josef Gockeln ist am 18. März 1900 in Großeneder in Westfalen geboren worden. Nach einer Handwerkslehre hat er in den Christlichen Gewerkschaften und in den katholischen Arbeitervereinen gearbeitet. Schon im Jahre 1928 wurde er Bezirkssekretär in Düsseldorf. Er hat sich der Zentrumspartei angeschlossen und hat für diese als Stadtverordneter und zweiter Parteivorsitzender in Düsseldorf gewirkt.
Im letzten Weltkrieg war er sechs Jahre lang Soldat. Nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft hat er sich sofort in den Dienst des politischen Wiederaufbaus und des Wiederaufbaus unserer Sozialverfassung gestellt. Er ist schon 1946 Verbandsvorsitzender der katholischen Arbeitervereine Westdeutschlands geworden. Er wurde Mitbegründer der Christlich-Demokratischen Union und Stadtverordneter in Düsseldorf. Am 3. Juni 1947 haben ihn die Bürger der Stadt Düsseldorf zu ihrem Oberbürgermeister gewählt. Er hat fast ein Jahrzehnt lang an der Spitze der Selbstverwaltung dieser Stadt gestanden.
Seit Oktober 1946 war Josef Gockeln Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Im Dezember 1946 wurde er Sozialminister des Landes, und vom 19. Mai 1947 bis zu seinem Tode hat er das hohe
Amt des Landtagspräsidenten in Nordrhein-Westfalen bekleidet.
Unserem Hause, dem Bundestag, hat Josef Gockeln seit 1949 für den Wahlkreis Düsseldorf I angehört.
Der Herr Bundestagspräsident hat der Witwe des Verstorbenen und dem Landtag Nordrhein-Westfalen telegraphisch das Beileid des Bundestags übermittelt. Ich spreche im Namen des ganzen Hauses der Fraktion der CDU/CSU die besondere Anteilnahme des Parlaments aus und möchte nicht verfehlen, wieder einmal an uns alle - es betrifft jeden von uns - die Mahnung zu richten, mit sich selber ein wenig haushälterischer umzugehen, als wir zu tun pflegen. Wir sind dies nicht nur uns schuldig; wir sind das auch dem Volke schuldig, das uns sein Vertrauen geschenkt hat. Es hat uns sein Vertrauen geschenkt, damit wir davon für eine nützliche Zeit Gebrauch machen und nicht nur einige wenige Jahre.
Ich danke Ihnen.
Dann habe ich Glückwünsche auszusprechen. Am 7. Dezember ist der Kollege Dr. Willeke 65 Jahre alt geworden,
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am 8. Dezember der Kollege Diel ({2}) 72 Jahre,
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und heute feiert der Kollege Kunst seinen 60. Geburtstag.
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Die Fraktionen haben vereinbart, Punkt 3 der heutigen Tagesordnung: Grolle Anfrage der Fraktion der SPD betr. Fragen der Justizpolitik, Drucksache 569, abzusetzen. Ist das Haus einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist Punkt 3 von der Tagesordnung abgesetzt.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 28. November 1958 beschlossen, zum
Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1958 (ERP-Wirtschaftsplangesetz
einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen.
In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat beschlossen, hinsichtlich des
Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Lebensmittelgesetzes
zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Die Gründe hierzu sind aus Drucksache 691 ersichtlich.
Die Bundesregierung hat zum
Gesetz über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten
Vizepräsident Dr. Schmid
und zum
Gesetz über die Ausübung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin
die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt. Ihre diesbezüglichen Schreiben sind als Drucksachen 692 und 693 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 27. November 1958 unter Bezugnahme auf die Debatte über das Haushaltsgesetz 1958 in der Sitzung des Bundestages am 3. Juli 1958 eine Zusammenstellung der Maßnahmen der Bundesregierung zur Förderung der kleinen und mittleren Betriebe der gewerblichen Wirtschaft übersandt. Die Zusammenstellung wird als Drucksache 698 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter denn 1. Dezember 1958 die Kleine Anfrage der Abg. Dr. Czaja, Dr. Hesberg, Dr. Even ({5}) und Gen. betr. Einsatz der Mittel für die wertschaffende Arbeitslosenfürsorge zugunsten des Wohnungsbaues ({6}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 699 verteilt.
Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf Punkt 1:
Einbringung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1959 ({7}) durch den Bundesminister der Finanzen ({8})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Die Bundesregierung legt dem Hohen Haus heute den Entwurf des Haushaltsplans für das Finanzjahr 1959 fristgerecht vor. Sie hat ihn entsprechend der Verfassung zunächst dem Bundesrat zugeleitet, der inzwischen Stellung genommen hat. Der Entwurf des neuen Haushaltsplans, der nach der Haushaltsordnung spätestens am 5. Januar 1959 einzubringen ist, wird also in diesem Jahr schon fünf Wochen vorher vorgelegt.
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Die große Verzögerung, die die Neubildung der Bundesregierung nach den Wahlen vom September 1957 auf die Einbringung des vorjährigen Haushaltsplans ausgeübt hat, ist damit aufgeholt.
II.
Als Bundesminister der Finanzen habe ich Ihnen bei dieser Gelegenheit den jährlichen Bericht über den Stand der Bundesfinanzen zu geben, mit dem ich einige finanzpolitische Erläuterungen zu dem neuen Haushaltsplan verbinde.
Beim Antritt meines Amtes vor über einem Jahr habe ich Ihnen in einer finanzpolitischen Grundsatzrede und anschließend in der Haushaltsrede 1958 die tragenden Gedanken meiner Finanzpolitik dargelegt. Sie bestanden im wesentlichen in folgendem Programm.
1. Die Ausgaben sollten so niedrig wie möglich gehalten werden, der Zuwachs des Sozialprodukts sollte in erster Linie dem privaten Verbrauch, der Kapitalbildung und erst mit Abstand einer Vermehrung der öffentlichen Gesamthaushalte, insbesondere des Bundeshaushalts, zugute kommen. An der schrecklichen Treppe von Jahr zu Jahr steigender Bundesausgaben wollte ich nach Möglichkeit nicht weiterbauen.
Dieser erste Punkt meines finanzpolitischen Programms konnte in der großen Linie eingehalten werden. In den Jahren 1955 bis 1958 stiegen die Gesamtausgaben des Bundes von 30,6 Milliarden DM in 1955 über 35 Milliarden DM in 1956, 37,4 Milliarden DM in 1957, 38,7 Milliarden DM in 1958 auf 39,1 Milliarden DM in 1959, in den letzten Jahren also durchschnittlich um etwa 2 Milliarden DM jährlich. Der Haushaltsplan 1959 dagegen ist nur um 400 Millionen DM höher als sein Vorgänger.
2. Niedrigere Ausgaben sollten Steuersenkungen ermöglichen und zugleich für die Zukunft Steuererhöhungen vermeiden. In diesem zweiten Programmpunkt sind Bundesregierung und Bundestag meinen Vorschlägen gefolgt. Die Neuordnung der Einkommensteuer zu Beginn dieses Jahres einschließlich der Übergangsregelung des Jahres 1957 war mit einer beachtlichen Senkung um insgesamt rund 2,2 Milliarden DM, d. h. im Durchschnitt um 12 v. H., verbunden. Gleichzeitig wurde eine wesentliche Vereinfachung des Steuerverfahrens durch die Freistellung von weiteren 2,8 Millionen Einkommensbeziehern von der Einkommensteuerpflicht erreicht. Von rund 24 Millionen Einkommensempfängern zahlen heute rund 10,3 Millionen, also knapp die Hälfte, keine Einkommensteuer mehr. Sie zahlen nur ihre indirekten Steuern. Vor dem zweiten Weltkrieg unterlag ein entsprechender Personenkreis nicht der Einkommensteuer.
3. In früheren Rechnungsjahren waren die Bewilligungen in mehreren Verwaltungsbereichen höher als die tatsächlichen Ausgaben im Ablauf des Jahres. Bei der Aufstellung des Haushaltsplans 1958 habe ich mich darum bemüht, das Soll so nahe wie möglich an das voraussichtliche Ist heranzubringen. Überbewilligungen führen in der Form von Ausgaberesten zu Überhängen in die nächstjährige Haushaltswirtschaft; bei ausgeglichenem Jahreshaushalt verursachen sie hohe Kassenbestände. Solche Erscheinungen sind aus politischen und wirtschaftlichen Gründen unerwünscht. Auf die Problematik der Restewirtschaft und ihrer Abwicklung wird noch in anderem Zusammenhang besonders einzugehen sein.
In diesem Punkte hat der tatsächliche Ablauf des Finanzjahres 1958 meine ursprünglichen Absichten nicht voll bestätigt. Am Ende dieses Rechnungsjahres wird wiederum ein beachtlicher Rest schwebender Zahlungsverbindlichkeiten aus noch nicht ausgeschöpften Ausgabebewilligungen früherer Jahre offenbleiben. Der Hauptgrund hierfür liegt in dem Zurückbleiben der IstAusgaben für die Verteidigung hinter den bewilligten Beträgen. Aus dieser Tatsache kann aber nach meiner Meinung ein Vorwurf weder gegen den Bundesminister für Verteidigung noch gegen den Bundesminister der Finanzen noch gegen die Bundesregierung insgesamt erhoben werden. Alle Beteiligten durften nach dem Stand der Dinge bei der Verabschiedung des Bundeshaushaltsplans 1958 davon ausgehen, daß ein Gesamtansatz von 10 Milliarden DM dem tatsächlichen Kassenbedarf für Verteidigungszwecke entsprechen würde. Grund für das Zurückbleiben der tatsächlichen Ausgaben hinter den Bewilligungen
Bundesfinanzminister Etzel
und damit für die erneute Bildung von Ausgaberesten sind gewisse Umplanungen des Verteidigungsprogramms, die die Verteidigung unserer Freiheit wirksamer machen sollen. Vom finanzpolitischen Standpunkt aus ist diese Änderung der Planung nicht zu bedauern. Sie macht die bewilligten Mittel zu einem späteren Zeitpunkt für ihren Zweck wirksamer und verteilt zugleich die Aufbringung der erforderlichen Deckungsmittel auf einen etwas längeren Zeitraum.
Sie wollen deshalb keine Vorwürfe erheben, daß der Finanzminister in diesem Punkt sein Programm nicht voll verwirklichen konnte. Er handelte jedenfalls im Rahmen aller menschenmöglichen Vorausschau. Bei der Veranschlagung der Verteidigungsmittel für 1959 haben wir die Erfahrung aus 1958 gewürdigt. Eine abermalige Bildung neuer Ausgabereste im Verteidigungshaushalt ist nach der Überzeugung des Bundesverteidigungsministers und auch nach meiner eigenen nicht wahrscheinlich. Im übrigen ist eine genaue Vorausschätzung des Ausgabebedarfs in einem Bereich, dessen politische, militärische, wirtschaftliche und technische Voraussetzungen so in Fluß sind wie bei dem Aufbau unserer Verteidigung, nur begrenzt möglich.
4. Als vierten Leitsatz meiner Finanzpolitik verkündete ich vor einem Jahr unsere Absicht, den Kapitalmarkt möglichst noch zu schonen, damit er sich frei entwickeln könne. Die Anleiheermächtigung von 1,9 Milliarden DM sollte nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Kassenbestand es erforderte. Die Neubildung von. Ausgaberesten hat im laufenden Finanzjahr dazu geführt, daß sich der Bestand der Bundeskasse nicht so schnell verringert hat, wie ursprünglich angenommen werden mußte. Die Vorhaben des außerordentlichen Haushalts 1958 konnten deshalb zunächst aus ordentlichen Kassenmitteln finanziert werden. Der Bund wird voraussichtlich bis zum Ende des laufenden Finanzjahres keine Anleihe aufnehmen. Durch die Beachtung dieses meines vierten Programmpunktes hat die Finanzpolitik des Bundes neben den Maßnahmen der Wirtschaftspolitik und der Notenbank nicht wenig zu der günstigen Entwicklung des Kaptitalmarktes beigetragen. Zugleich ermöglichte sie damit der produktiven Wirtschaft und nicht zuletzt auch den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden, der Bundesbahn und der Bundespost sowie anderen öffentlichen Bedarfsträgern, den Kapitalmarkt für ihre eigenen Zwecke bevorzugt zu beanspruchen.
III.
1. Der bisherige Ablauf des Finanzjahres 1958 hat die Einnahmeerwartungen des Haushaltsplans nicht in vollem Umfange bestätigt. Bei der Verabschiedung des Haushaltsplans schätzten wir den Zuwachs des Bruttosozialprodukts gegenüber dem Vorjahre auf 7 v. H. Nach der bisherigen Entwicklung ist diese Schätzung zu optimistisch. Das Steueraufkommen, das insgesamt mit 29,6 Milliarden DM veranschlagt wurde, wird bis zum Ende des Rechnungsjahres voraussichtlich nur 28,5 Milliarden DM erreichen und damit um fast 1 Milliarde DM hinter der Vorschätzung zurückbleiben. Grund dafür ist zunächst die
Tatsache, daß schon das Steueraufkommen 1957, das als Ausgangsbasis für das Haushaltsjahr 1958 diente, um rund 500 Millionen DM hinter den Erwartungen zurückblieb. Bedeutsamer ist die Tatsache, daß das Bruttosozialprodukt in 1958 auch nach neuesten Berechnungen voraussichtlich immer noch um 6 v. H. über dem Vorjahresstand liegen wird, die Steigerung die erwarteten 7 v. H. aber nicht erreichen wird. Auch der Zuwachs urn 6 v. H, ist noch eine bedeutende Leistung. In anderen Ländern Westeuropas haben wir in der gleichen Zeit, wie Sie wissen, zum Teil eine erhebliche ungünstigere Entwicklung des Bruttosozialprodukts zu verzeichnen. Schließlich trugen zu den Steuermindereinnahmen auch einzelne Änderungen des Steuerrechts bei, besondere bei der Umsatzsteuer infolge der Wiedereinführung der Organschaft, sowie gewisse Veränderungen der Umsatzstruktur, vor allem aus den konjunkturpolitisch schwächeren Bereichen der Kohle- und Eisenwirtschaft und der Textilwirtschaft.
Aus diesem Abweichen der tatsächlichen Entwicklung der Steuereinnahmen von der Vorausschätzung, das gelegentlich auf einen natürlichen Optimismus des Finanzministers zurückgeführt wird, dürfen Vorwürfe gegen die Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit unserer Schätzungen nicht erhoben werden. In früheren Jahren ist der Bundesregierung regelmäßig Zweckpessimismus in zu niedrigen Steuerschätzungen vorgeworfen worden, die ihrerseits zu der Verzerrung des Haushaltsbildes und der Kassenüberfülle beigetragen haben. Es war und ist mein ernster Wille, auch in diesem Punkte zuverlässig und wahrhaftig zu sein. Weder Zweckpessimismus noch Zweckoptimismus sollen die Zahlen des Haushaltsplans bei den Einnahmeschätzungen oder bei den Ausgabeansätzen bestimmen. Ich bekenne mich auch weiterhin zu dem Grundsatz der Haushaltswahrheit. Exakte Schätzungsmethoden sind das Fundament meiner Schätzungen, aber auch solche Methoden sind keine Hellseherei; es wird immer Abweichungen von dein Schätzungen geben. Dieses Problem ersteht alljährlich neu.
2. Auch bei dein Schätzungen des Steueraufkommens für 1959 ist entsprechend verfahren worden. Nach den übereinstimmenden Erklärungen des Bundeswirtschaftsministeriums, der Deutschen Bundesbank, der Volkswirtschaftlichen Gruppe meines eigenen Ministeriums ist ,ein weiterer Zuwachs des Bruttosozialprodukts gegenüber 1958 um 5,5 v. H. zu erwarten. Auch die wirtschaftswissenschaftlichen Institute schätzen den Zuwachs überwiegend auf etwa 5,5 v. H. Auch diese Schätzungen mögen angesichts gewisser konjunktureller Teilentwicklungen optimistisch erscheinen, in der großen Linie des konjunkturellen Ablaufs werden sie aber von der gegenwärtigen Vollbeschäftigung unserer Wirtschaft bestätigt.
Mit diesem kurzen Zwischenbericht über den Stand der Bundesfinanzen und die bisherige Entwicklung des Haushalts 1958 wollte ich Ihnen, meine Damen und Herren, vor allem dartun, daß die tragenden Grundgedanken meiner Finanzpolitik im ersten Jahr meiner Amtsführung in der großen Linie eingehalten wurden und zur Stabilität unserer
Bundesfinanzminister Etzel
allgemeinen Wirtschaftsentwicklung wesentlich beigetragen haben. Daß eine solche Finanzpolitik der Strenge und der Kargheit schwieriger ist als eine Finanzpolitik aus dem Vollen, liegt auf der Hand. Eine Finanzpolitik am Rande des Defizits, wie ich sie dennoch fortsetzen will, ist selbstverständlich nicht ohne Gefahren. Keinesfalls darf aber eine solche Finanzpolitik am Rande des Defizits ins Defizit hineinführen. Unser finanzpolitischer Kurs wird ständig überprüft. Kursabweichungen müssen frühzeitig festgestellt und möglichst schnell wieder beseitigt werden. Die weitgehende Publizität, die ich mir so besonders angelegen sein lasse, soll zu dieser ständigen Überwachung beitragen.
Für jeden Vorschlag aus Verantwortungsbewußtsein bin ich dankbar. Leider muß ich aber sagen, daß es zu den enttäuschendsten Eindrücken meines ersten Amtsjahres gehört, in welch unvorstellbarem Maße Interessentenforderungen ohne Maß an unsere Finanz- und Steuerpolitik gestellt werden. Nur die wache Verantwortung des Parlaments für das Gesamtwohl und ein fester Kurs der politischen Führung bewahren uns vor dem Abgleiten in einen finanzpolitischen Pluralismus, der in unserer eigenen Vergangenheit und in der Gegenwartsgeschichte anderer westlicher Staaten zu ernsten Finanz- und Verfassungskrisen geführt hat.
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IV.
Ich wende mich nunmehr dem Entwurf des Haushaltsplans 1959 zu. Von den vier tragenden finanzpolitischen Grundsätzen meiner Arbeit soll auch im kommenden Jahr nicht abgewichen werden.
Ich beginne mit dem Finanzbedarf und der Entwicklung der Ausgaben.
1. Die gesamten öffentlichen Ausgaben von Bund, Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie Lastenausgleich werden sich von rund 37 Milliarden DM in 1951 auf etwa 75 Milliarden DM in 1958 verdoppeln. Dazu treten die Eigenausgaben der Sozialversicherung, die im laufenden Jahr rund 20 Milliarden DM betragen. Diese Beträge sind aus einem erwarteten Bruttosozialprodukt von etwa 245 Milliarden DM aufzubringen.
In diesem Zusammenhang muß ich Sie noch auf eine zweite bedeutende Kennziffer unserer wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung hinweisen, nämlich auf das Verhältnis der gesamten Steuereinnahmen zum Sozialprodukt. Während die Steuern in früheren Jahren stärker zunahmen als das Bruttosozialprodukt, ist erfreulicherweise in den letzten Jahren das Bruttosozialprodukt stärker gestiegen als die Steuereinnahmen. Auch dies halte ich für einen unmittelbaren Ausdruck unserer finanzpolitischen Generallinie. So wird das Bruttosozialprodukt im laufenden Jahr 1958 gegenüber dem Vorjahr voraussichtlich um 6 v. H. ansteigen, die Summe der Steuern dagegen nur um 5,3 v. H. In früheren Jahren beanspruchten die Steuern -beispielsweise in 1954 mit 24,6 v. H. - noch fast ein Viertel des Bruttosozialprodukts, während sie in 1958 und voraussichtlich auch in 1959 nur knapp 23 v. H. erreichen. Dieser sinkende Anteil der Steuern und die entsprechende Zunahme des privaten Verbrauchs und der Ersparnisbildung rühren nicht zuletzt von den wesentlichen Steuerrechtsänderungen und Steuersenkungen der letzten Jahre her.
2. Neben den Gesamtausgaben des neuen Haushaltsplans werden die Ausgabereste aus Vorjahren den tatsächlichen Finanzablauf des kommenden Jahres noch mitbestimmen. Die gesamten übertragenen Ausgabebewilligungen aus früheren Jahren betrugen zu Beginn des Rechnungsjahres 1958 rund 8,1 Milliarden DM; davon entfielen auf den Verteidigungshaushalt allein 5,2 Milliarden DM. Bis zum Ende des laufenden Rechnungsjahres werden sie voraussichtlich noch ansteigen. Die Gründe für dieses weitere Steigen der Reste habe ich Ihnen im ersten Teil meines Berichts bereits dargelegt. Diese Restewirtschaft macht den tatsächlichen Ablauf der Finanzwirtschaft schwer verständlich und vielfach kaum durchschaubar. Die allgemeine Kritik daran ist auch nach meiner Meinung nur zu begründet. Da wir es mit dem Grundsatz der Haushaltsklarheit und -wahrheit ernst meinen, müssen wir dem Reste-problem von zwei Seiten her energisch zu Leibe gehen. Die erste und wichtigste Maßnahme besteht darin, bei der Veranschlagung der Ausgaben für ein neues Finanzjahr die Neubildung von Resten am Ende dieses Jahres so weit wie möglich auszuschließen und dazu das Soll so nahe wie möglich an das voraussichtliche Ist heranzubringen. Die zweite Maßnahme, die nicht weniger wichtig ist, besteht darin, für die Deckung dieser schwebenden Zahlungsverbindlichkeiten aus überhängenden Ausgabebewilligungen früherer Jahre zu sorgen. Nach den Grundsätzen des klassischen Haushaltsrechts bedürfte es derartiger Deckungsmaßnahmen für Ausgabereste nicht, weil ihnen bei ausgeglichener Jahresrechnung in der Kasse entsprechende Deckungsmittel aus früheren Jahren gegenüberstehen. So war es auch bei uns in den vergangenen Jahren. Der Kassenbestand wuchs im Jahre 1956 auf über 7 Milliarden DM an. Er hätte zur Deckung von Ausgaberesten bis in die späteren Jahre über die Runden gebracht werden müssen. Das war nicht möglich.
Die Kassenfülle hat, wie Sie wissen, in den Jahren 1956 und 1957 zu erheblichen Mehrbewilligungen geführt, die für das Jahr 1958 und die folgenden Jahre einen zusätzlichen, teilweise sogar automatisch steigenden Deckungsbedarf verursachen. Zu ihrer Deckung wurden Teile des Kassenbestandes - ganz gegen die klassische Tradition - unter die ordentlichen Einnahmen als Sonderdeckung eingestellt, und zwar 1956 1,7 Milliarden DM, 1957 4 Milliarden DM, 1958 3 Milliarden DM.
Infolgedessen ist der alte Juliusturm inzwischen ausgekehrt. Die alten Ausgabereste, für deren Deckung der Kassenbestand bereitgestanden hätte, sind nunmehr ohne Deckung. Sie müssen jetzt aus zusätzlichen Mitteln des ordentlichen oder des außerordentlichen Haushalts neu beschafft werden.
Im Entwurf des neuen Haushaltsplans, der Ihnen vorliegt, ist erstmalig eine solche Nach- und Neudeckung von Ausgaberesten aus ordentlichen Haushaltsmitteln vorgesehen. Sie finden dort unter den
Bundesfinanzminister Etzel
Ausgaben des Einzelplans der Verteidigung für diesen Zweck einen Rahmenbetrag von 4 Milliarden DM. Um den Haushaltsausgleich zu ermöglichen, wurde allerdings im Einzelplan der Allgemeinen Finanzverwaltung eine Minderausgabe von 2 Milliarden DM veranschlagt. Diese Maßnahme ist vertretbar, weil erfahrungsgemäß im gesamten Haushalt die Ausgabebewilligungen im Laufe des Rechnungsjahres, insbesondere auch bei den hohen Restausgaben des Verteidigungshaushalts, nicht voll in Anspruch genommen werden und überdies Einsparungen auf Grund der Sperre der letzten 10 v. H. aus dem Haushaltsgesetz zu erwarten sind. Eine Minderausgabe in der veranschlagten Höhe von 2 Milliarden DM ist nach unserer Auffassung tatsächlich zu erwarten.
Aus den gleichen Gründen wird es auch in den Jahren 1960 und 1961 unvermeidlich sein, für die Neudeckung von Ausgaberesten früherer Jahre zusätzliche Mittel zu beschaffen. Wir hoffen, daß das auch in diesen späteren Jahren im Rahmen eines ausgeglichenen ordentlichen Haushalts aus ordentlichen Deckungsmitteln möglich sein wird. Sollte dies nicht der Fall sein, so würden die dann fälligen Zahlungsverbindlichkeiten aus der Abwicklung von Ausgaberesten früherer Jahre automatisch zu einem höheren außerordentlichen Finanzbedarf, d. h. zu einer zusätzlichen Verschuldung, führen. Auch an diesem schwierigen Problem der Resteabwicklung und -neudeckung zeigt sich, wie sehr ein Finanzjahr auf den Schultern des anderen steht, wie untrennbar der finanzwirtschaftliche Ablauf in seiner Wirklichkeit ist und wie leicht Entscheidungen, die aus einmaligen Zusammenhängen gerechtfertigt erscheinen, zu Grundentscheidungen geschichtlichen Ausmaßes für viele .Jahre werden können.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, den Ernst und die Tragweite des Reste-Problems zu erkennen und meinen Vorstellungen über seine Bewältigung über mehrere Jahre zu folgen.
3. Ein anderes Erbe der Vergangenheit, die Abwicklung der überhöhten Bindungsermächtigungen aus früheren Jahren, bereitet erfreulicherweise geringere Schwierigkeiten. Bis zum Finanzjahr 1958 einschließlich waren in den Haushaltsplänen Bindungsermächtigungen bis zu 17,1 Milliarden DM vorgesehen, die mit Zustimmung des Finanzministers nur in Höhe von 3,8 Milliarden DM beansprucht wurden. Im Entwurf des neuen Haushaltsplans für 1959 sind die. Bindungsermächtigungen besonders streng geprüft worden. Sie sind nur dort und mit insgesamt 10 Milliarden DM in dem Ausmaße vorgesehen, wie es zur gleichmäßigen Planung von Maßnahmen und Aufträgen über das Ende des Finanzjahres hinaus geboten scheint. Das gilt vor allem von den Ausgaben für den Wohnungsbau, den Straßenbau und natürlich auch für Rüstungsaufträge; für die letzteren mit noch 8 Milliarden DM in viel geringerem Maße als in früheren Jahren.
Es muß immer wieder hervorgehoben werden, daß eine Bindungsermächtigung nur eine Anschlußfinanzierung zu Lasten des nächsten Jahres darstellt und daß sie nicht etwa ein zusätzliches Ausgabevolumen neben den eigentlichen Haushaltsansätzen ermöglicht, Die Bindungsermächtigung ist kein Zaubermittel, mit dem die Enge des Deckungszwangs im Jahreshaushaltsplan durchbrochen werden könnte. Von ihr werden wir in Zukunft nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen dürfen, wenn sie uns nicht in den kommenden Jahren in ähnliche Vorbelastungen stürzen soll, wie dies die Ausgabereste in der Kassenwirtschaft tun.
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4. Unter den allgemeinen Problemen unserer Finanzpolitik wende ich mich nunmehr einem Sonderproblem zu, das für unsere Wirtschafts- und unsere Finanzpolitik gleichermaßen bedeutend ist. Ich meine die Subventionen aus dem Bundeshaushalt. Subventionen gehören heute offensichtlich in allen Staaten zum regelmäßig wiederkehrenden Finanzbedarf. Ihr Ausmaß hat in den letzten Jahren bei uns wie in anderen Ländern zugenommen. Ihre gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen werden immer unübersichtlicher. Die Grundsätze einer sozialen Marktwirtschaft werden durch sie ständig verfälscht.
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Mit dem Verlangen nach der angeblichen Wiederherstellung gleicher Startbedingungen werden höchst ungleiche Eingriffe in die Kostengebarung und die Marktbildung gerechtfertigt.
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Das Nacheinander einzelner Maßnahmen aus Einzelanlässen führt bei dein ständigen Wandel der Wirtschaftsverhältnisse notwendig zu einem Durcheinander und Gegeneinander der Subventionen. Es ist an der Zeit, diesen Zusammenhängen kritischer nachzugehen und unsere gesamten bisherigen Subventionsausgaben auf ihre Vertretbarkeit im Rahmen der gesamten Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesrepublik zu überprüfen.
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Der Umfang der Subventionen ist schwer festzulegen. Immer sind Subventionen Hilfen, die über die allgemeine staatliche Wirtschaftsförderung hinausgehen. Sie können in den verschiedensten Formen gewährt werden. Im Bundeshaushalt erscheinen sie nur, soweit sie als Zuschüsse, Beihilfen, Zinsverbilligungen, Sondergarantien und realisierte Ausfallbürgschaften in Erscheinung treten. Der andere, unsichtbare Teil der Subventionen, der nicht weniger bedeutend und in seiner finanziellen Auswirkung noch viel größer ist, besteht aus den vielfältigen Steuererleichterungen, den Tarifermäßigungen und den sonstigen Vergünstigungen des Abgabewesens, die zu der viel beklagten Unübersichtlichkeit und Unverständlichkeit unseres Steuerrechts nicht wenig beitragen.
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Es gibt einschließlich der kleinen Vergünstigungen mehr als 100 verschiedene Formen solcher unsichtbarer Subventionen in den Steuergesetzen.
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Bundesfinanzminister Etzel
An sichtbaren Subventionen enthält die Ausgabeseite des Bundeshaushalts insgesamt über 1,5 Milliarden DM. Die Bundeszuschüsse an andere öffentliche Körperschaften sind darin nicht enthalten. Von den großen Subventionen nenne ich:
die Milchprämie mit 400 Millionen DM,
die Düngemittelverbilligung mit 316 Millionen DM,
die getreidewirtschaftliche Vorratshaltung mit 300 Millionen DM,
die Treibstoffverbilligung mit 218 Millionen DM und
die Zinsverbilligung für
viele landwirtschaftliche und gewerbliche
Zwecke mit 125 Millionen DM.
Weitere fast unübersehbare Subventionenn geringeren Ausmaßes fließen vielen gewerblichen und landwirtschaftlichen Sonderzwecken zu.
Theoretisch ist es zwar richtig, daß alle Subventionen den Grundsätzen der Marktwirtschaft widersprechen. Vereinbar mit ihr sind aber auch nach meiner Meinung solche Staatshilfen, die als Start-und Anpassungshilfen zur Erleichterung struktureller Umstellungen in den Erzeugungs- und Absatzbedingungen oder auch als Überbrückungshilfe bei akuten Notständen gewährt werden. Für solche gerechtfertigte, ja zum Teil notwendige Staatshilfen, die sachlich und zeitlich begrenzt sind, hat auch der Finanzminister volles Verständnis. Mit einer geordneten Marktwirtschaft scheinen mir aber jene Subventionen nicht vereinbar, die den natürlichen Preisausgleich und die einkommensmehrende Kraft des Wettbewerbs lähmen.
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Staatssubventionen, die die Preise für den Verbraucher senken, vermehren die kaufkräftige Nachfrage. Staatssubventionen, die die Kosten des Erzeugers verringern, führen leicht zu Mehrerzeugungen über den Marktbedarf hinaus. Die Erfahrung lehrt, daß einmal gewährte Subventionen, sei es zugunsten des Verbrauchers oder des Erzeugers, nur schwer und meist nur unter außerordentlichen politischen Begleitumständen wieder beseitigt werden können.
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Es scheint mir eine bedenkliche Eigentümlichkeit der modernen Massengesellschaft, daß einmal erworbene Sondervorteile einzelner Gruppen und Berufsstände durch gesetzesförmliche Betonierung möglichst unangreiflich gemacht werden sollen. Das erscheint lebensfremd. Das Wagnis allen menschlichen Strebens und der unerbittliche Gang der Geschichte in seinem ständigen Wechsel spottet solcher Gesetzesgläubigkeit.
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Alles dies führt schließlich zu Feudalverhältnissen ganz neuer Art. Der Gleichheitsgedanke, der der Demokratie einst und heute soviel erregende Kraft verlieh, wird damit in sein gerades Gegenteil verkehrt. Dauersubventionen schaffen neue Standesvorreckte, gewollte Ungleichheit im Namen der Gleichheit. Die Entwicklung des Subventionswesens führt dazu, daß in einem unübersehbaren System der Systemlosigkeit schließlich alle Steuerzahler an alle Verbraucher zugunsten aller inländischen Erzeuger zahlen müssen. Von den Subventionen gilt jene Definition des Wohlfahrtsstaates in besonderem Maße, nach der der Wohlfahrtsstaat das Wohl aller im Auge hat, aller mit Ausnahme der Steuerzahler.
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Verbraucher und Erzeuger einerseits und Steuerzahler andererseits sind leider nicht überall personengleich. Sonst würde dieses Karussell von immer höheren Subventionen und immer höheren Steuerlasten schneller stillgelegt werden.
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Auf die Vielschichtigkeit des Subventionsproblems will ich hier nicht näher eingehen; es wäre noch mehr dazu zu sagen. Bei der alljährlichen Prüfung des Haushaltsplans sollten wir uns immer wieder fragen, ob und inwieweit eine Subvention im Rahmen unserer gesamtwirtschaftlichen Zielsetzung noch vertretbar ist. Insbesondere sollten nach meiner Meinung jene Subventionen von Jahr zu Jahr systematisch abgebaut werden, die keine notwendigen Staatshilfen zur Anpassung an eine veränderte Wirtschaftsstruktur sind.
Die Bereinigung unserer, zum Teil doch recht zufälligen und in sich widersprüchlichen Subventionsleistungen ist nicht zuletzt auch ein moralisches Anliegen. Jeder von uns kennt Beispiele dafür, wie solche Staatshilfen den Willen zur Selbsthilfe schwächen, zu eigennützigen Mißbräuchen anreizen und die Gemeingesinnung untergraben.
5. Die Einbettung unserer Finanzpolitik in die allgemeine Wirtschaftspolitik wird bei dem engen Zusammenhang zwischen dem Bundeshaushalt und dem Kapitalmarkt besonders augenfällig. Der gesamte Finanzbedarf des Bundes von 39,1 Milliarden DM kann nur dadurch gedeckt werden, daß für 3 Milliarden DM eine Beschaffung im Kreditwege vorgesehen ist. Dazu tritt ein weiterer Betrag von 700 Millionen DM, der bei der wirtschaftlichen Rückgliederung des Saarlandes als einmalige Ausgleichszahlung an Frankreich zu zahlen ist. Da dieser Bedarf größtenteils mit der Ablösung des französischen Franken und der Einführung der Deutschen Mark im Saarland zusammenhängt, ist hierfür eine Sonderfinanzierung im Benehmen mit der Deutschen Bundesbank vorgesehen.
Mit der Inanspruchnahme des Kapitalmarktes in einer beachtlichen Höhe beginnt auch hier ein neuer Abschnitt der Finanzwirtschaft des Bundes. Für das laufende Finanzjahr war ein außerordentlicher Haushalt von 1,9 Milliarden DM vorgesehen, der, wie ich bereits ausgeführt habe, infolge der neu entstandenen Ausgabereste zunächst aus ordentlichen Kassenmitteln finanziert werden konnte.
Erlauben Sie mir einige wenige Hinweise auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die geplante Inanspruchnahme des Kapitalmarktes. Die VerwenDeutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 52. Sitzung. Bonn, Dienstag, cien 9. Dezember 1958 2887
Bundesfinanzminister Etzel
dungszwecke, für die eine Verschuldung des Bundes im neuen Haushaltsjahr vorgesehen ist, sind entweder werbender Natur, oder es handelt sich um sogenannte vermögenswirksame Ausgaben, die nicht der Erfüllung einer laufenden Verwaltungsaufgabe dienen, wie z. B. Wohnungsbau und Straßenbau. In den außerordentlichen Haushalt ist erstmalig auch ein Betrag von 500 Millionen DM eingestellt, der dem Wohnungsbau für Angehörige der Bundeswehr dient. Ich darf unterstreichen, daß in dem außerordentlichen Haushaltsplan nur ein echter außerordentlicher Bedarf, nicht dagegen laufende Verwaltungsausgaben durch Kredite finanziert werden. Bei der Zusammensetzung und dem Ausmaß des außerordentlichen Haushalts sind die Grenzen des Art. 115 des Grundgesetzes beachtet.
Unsere gegenwärtige Konjunkturlage ist unbeschadet der ungleichen Entwicklung einzelner Wirtschaftszweige im großen noch durch eine Vollbeschäftigung mit einem zwar verlangsamten, aber immer noch beachtlichen Zuwachs des Bruttosozialprodukts und des Volkseinkommens gekennzeichnet. Die große Ausweitung des Geldmarktes, die nicht zuletzt aus den weiter steigenden Überschüssen unserer Zahlungsbilanz herrührt, hat zu einer erstaunlichen Belebung des Kapitalmarktes beigetragen. Diese Kapitalbildung verlangt und rechtfertigt entsprechende Investitionen. In einer solchen Lage können und sollen öffentliche Investitionen mehr als vorher durch öffentliche Anleihen und nicht durch Steuern finanziert werden. Sparrate und Steuerrate bedingen sich volkswirtschaftlich gegenseitig.
6. Unter den großen finanzpolitischen Gegenwartsaufgaben muß ich schließlich noch auf die Steuerpolitik eingehen. Die Neuordnung der Einkommen- und Körperschaftsteuer ist mit den Änderungsgesetzen von 1958 im wesentlichen abgeschlossen. Das Problem der Ehegattenbesteuerung ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch die Einführung des Splitting-Verfahrens einer befriedigenden Lösung zugeführt worden. Darüber hinaus ist ein neuer Einkommensteuertarif eingeführt worden, der besonders auf die Bedürfnisse des Mittelstandes Rücksicht nimmt. Die Körperschaftsteuer ist mit der Einkommensteuer in Einklang gebracht worden; die Senkung des Körperschaftsteuersatzes für die ausgeschütteten Gewinne mildert die Doppelbelastung dieser Gewinne und fördert damit den Kapitalmarkt und die Eigentumsbildung. Auch die gesetzliche Regelung der degressiven Abschreibung enthält eine wirksame Reformmaßnahme.
Einige weitere Gesetzentwürfe, die den angestrebten kapitalmarktpolitischen und gesellschaftspolitischen Zielen dienen sollen, liegen dem Bundestag bereits vor. Das Gesetz über die Gewährung von Prämien für Sparleistungen soll besonders dem Kleinsparer einen wirksamen Anreiz geben, sich durch langfristiges Sparen Vermögen, d. h. Eigentum zu schaffen.
Die handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Gesetze über eine Kapitalerhöhung aus Mitteln der
Gesellschaft sollen den Kapitalgesellschaften die Möglichkeit geben, die Höhe des haftenden Kapitals mit dem tatsächlichen Vermögen in Übereinstimmung zu bringen, um in der Folge höhere Dividenden ausschütten zu können. Eine Einkommen- oder Körperschaftsteuer soll bei dieser Kapitalerhöhung von den Empfängern der neuen Anteilsrechte nicht erhoben werden.
Nunmehr sollte das Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht auf einige Zeit im wesentlichen unverändert bleiben. Nach den steuerrechtlichen Verzerrungen der Übergangslösung der Jahre 1956 und 1957 erwarten die Steuerpflichtigen mitsamt ihren Steuerberatern und nicht zuletzt auch die Steuerverwaltung eine Atempause.
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Dennoch werden in den nächsten Jahren noch einige kleinere Steuerprobleme gelöst werden müssen. So wird die Behandlung der Pensionsrückstellungen mit Rücksicht auf die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und im Zusammenhang mit der Rentenreform mit dem Ziel der Einschränkung überprüft werden.
Die so wünschenswerte Vereinfachung der Einkommensteuer konnte nur zum Teil erreicht werden, weil die steuerlichen Sondervergünstigungen im wesentlichen bestehengeblieben sind. Aber unabhängig hiervon gibt es noch Vereinfachungsmöglichkeiten. Ein steuerrechtliches und steuertechnisches Durchforsten unserer Steuergesetze ist eine schwierige Aufgabe, die Geduld erfordert, wenn sie zum allgemeinen Nutzen gelöst werden soll. Zu diesem Zweck werde ich einen besonderen Arbeitskreis bilden, dessen Arbeit nicht zuletzt auch der besseren Verständlichkeit der Steuergesetze und ihrer Sprache dienen soll.
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Eine wichtige Frage ist die stärkere Mechanisierung in der Steuerverwaltung. Diese kann allerdings nur allmählich durchgeführt werden. Doch werden vorbereitende Gesetze noch diesem Bundestag vorgelegt werden.
Der Entwurf der Finanzgerichtsordnung, der dem Bundestag bereits vorliegt, sollte möglichst bald verabschiedet werden.
Es wäre wesentlich, wenn künftig, wie in Großbritannien, die jeweiligen Änderungen steuerlicher Vorschriften in einem einzigen Jahressteuergesetz zusammengefaßt werden könnten und dieses Jahressteuergesetz zusammen mit dem Haushaltsgesetz rechtzeitig verabschiedet würde.
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Eine solche Regelung wäre zweckmäßigerweise mit der Anpassung des Haushaltsjahres an das Kalenderjahr zu verbinden.
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Im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung der europäischen Zusammenschlüsse, insbesondere der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, muß hei der kommenden Steuergesetzgebung mehr als bisher
Bundesfinanzminister Etzel
darauf geachtet werden, daß diese der europäischen Entwicklung nicht widerspricht. Eine stärkere Abstimmung erscheint erforderlich. Die Bundesrepublik wird auf dem Gebiet der Harmonisierung des Steuerrechts ihren Beitrag leisten.
Die Umsatzsteuer ist mit einem Aufkommen von fast 14 Milliarden DM nach wie vor die größte Steuereinnahme des Bundes, die fast die Hälfte seines ordentlichen Finanzbedarfes deckt. In dieser überragenden Bedeutung für den Ausgleich des Bundeshaushalts liegt das größte Hemmnis einer umfassenden Umsatzsteuerreform, denn jede Umsatzsteuerreform, die mit einer wesentlichen Verringerung ihres Aufkommens verbunden wäre, ist eine Operation am Rückgrat des Bundeshaushalts. Es soll dabei nicht bestritten werden, daß ein allgemeiner Satz von 4 v. H. bei der Umsatzsteuer außergewöhnlich hoch und für die Wirtschaft und die Verbraucher eine schwere Last ist. Das Aufkommen der Umsatzsteuer :ist in den letzten Jahren immer wieder durch Sondermaßnahmen gemindert worden. Aus dem laufenden Rechnungsjahr erwähne ich den Wegfall der Hersteller-Zusatzsteuer infolge des bekannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts mit der Rückerstattung der bereits gezahlten Beträge, die nicht geringen Auswirkungen der 9. und 10. Durchführungsverordnung zum Umsatzsteuergesetz und insbesondere die Wiedereinführung der Organschaft am 1. April des Jahres, die nach unserer Meinung zwar nicht - wie behauptet wurde - zu einem Ausfall von 450 Millionen DM jährlich geführt hat, wahrscheinlich aber doch zu einem recht beträchtlichen Ausfall. Schließlich sind auch die Umsatzsteuervergütungen in den letzten Jahren wiederum gestiegen; sie werden im laufenden Rechnungsjahr wahrscheinlich 1,6 Milliarden DM überschreiten.
Über die allgemeinen Probleme der Umsatzsteuer und möglicher Reformen hat das Bundesfinanzministerium eine Denkschrift ausgearbeitet, die ich Ihnen nach Zustimmung der Bundesregierung sogleich vorlegen werde; sie kommt übrigens am nächsten Mittwoch in das Kabinett. Sie will zur Klärung der Gedanken und zur weiteren Förderung der Diskussion beitragen, ohne selbst schon jetzt bestimmte Maßnahmen vorzuschlagen.
Hauptziele der Umsatzsteuerreform sind die Herbeiführung der Wettbewerbsneutralität der Umsatzsteuer sowie die Vermeidung einer konzentrationsfördernden Wirkung vor allem im Interesse des Mittelstandes.
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Die Denkschrift wird verschiedene Möglichkeiten einer Reform herausstellen. Jede Umsatzsteuerreform, die zu keiner Minderung des Steueraufkommens führen soll, hat Vor- und Nachteile. Sie muß die gewachsenen Wirtschaftsverhältnisse unseres Landes und die Entwicklungstendenzen in einen Gemeinsamen Europäischen Markt berücksichtigen.
Noch ein Wort zu der neuen Einheitsbewertung. Ein Gesetzentwurf, der neue Einheitswerte auf den 1. Januar 1960 vorsicht, ist fertiggestellt. Er hat eine große Bedeutung air die Vermögensteuer und insbesondere für die Grundsteuer der Gemeinden. Die
heutigen Einheitswerte des Grundbesitzes, die noch auf das Jahr 1935 abgestellt sind, sind ohne Zweifel überholt. Durch die neue Einheitsbewertung des Grundbesitzes sollen in erster Linie verbesserte und gleichmäßige Werte festgestellt, nicht aber Steuern erhöht werden. Da die neuen Einheitswerte voraussichtlich höher sein werden als die Einheitswerte 1935, werden gleichzeitig mit ihrer Einführung die Steuersätze der Vermögensteuer und auch die Meßbeträge oder Hebesätze der Grundsteuer zu überprüfen sein. Die neuen Einheitswerte könnten steuerlich frühestens für das Jahr 1962 wirksam werden.
Zum Abschluß dieses kurzen Überblicks über schwebende Steuerprobleme möchte ich noch einen Hinweis auf die deutsche Steuerbelastung einschließlich Sozialbeiträge im Vergleich zu den übrigen europäischen Ländern geben. Die Bundesrepublik steht mit einer Belastungsquote von 31,6 v. H. des Sozialprodukts an der Spitze der europäischen Länder,
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Belgien mit 23,5 v. H. am Ende. Die übrigen westeuropäischen Länder liegen dazwischen: Großbritannien mit 29,4, Frankreich mit 28,8, Italien mit 27,7 und vergleichsweise die Vereinigten Staaten mit 25,9.
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V.
Ich wende mich nun, meine Damen und Herren, einigen Einzelfragen zu, die für die Gestaltung des Ihnen vorliegenden Haushaltsplanentwurfs von besonderer Bedeutung sind. Ich fasse diesen Teil der Rede kurz und bitte Sie, die gedruckten Allgemeinen Vorbemerkungen zu diesen Teilproblemen zu lesen, die Ihnen darüber gründlich Auskunft geben.
1. Ich beginne mit den Bundesausgaben für die soziale Sicherung, die im Jahre 1959 mit rund 15,7 Milliarden DM die gleiche Höhe wie im Vorjahr haben. Zu diesen Aufwendungen rechnen die Ausgaben für die Sozialversicherung, für die Kriegsopferversorgung, den Lastenausgleich, die Versorgung nach dem 131er Gesetz, sonstige soziale Sicherungsmaßnahmen wie Arbeitsschutz, Arbeitslosenhilfe, Fürsorge für die Vertriebenen, für Gesundheit, Sport und Jugendpflege und nicht zuletzt die Förderung des Wohnungsbaues. Diese Sozialausgaben im weiteren Sinne beanspruchen rund 40 v.H. der Gesamtausgaben des Blindes; die gesamten Verteidigungsausgaben beanspruchen vergleichsweise rund 30 v. H.
Die Sozialleistungen im engeren Sinne bestehen aus den Zuschüssen zur Sozialversicherung, der Kriegsopferversorgung, der Arbeitslosenhilfe, dem Zuschuß zum Lastenausgleichstonds, der Umsiedlung und Auswanderung und der betrieblichen Altersfürsorge. Sie betragen insgesamt 10 Milliarden DM und sind damit um rund 300 Millionen DM höher als im Vorjahr.
Die Zuschüsse zur Sozialversicherung haben sich urn fast 400 Millionen DM auf über 5200 Millionen DM erhöht. Hauptgrund dafür ist die automatische
Bundesfinanzminister Etzel
Erhöhung des Bundeszuschusses infolge der Änderung der Bemessungsgrundlage für die Zugangsrenten; auch die Bundeszuschüsse an die Knappschaftsversicherung einschließlich des Anpassungsbedarfs auf Grund des vorliegenden Rentenanpassungsgesetzes werden sich erhöhen. Auch der Bundeszuschuß zum Lastenausgleichsfonds steigt infolge gesetzlicher Bestimmungen um rund 150 Millionen DM. Die Bundesleistungen für die Kriegsopferversorgung sind auf Grund des natürlichen Abganges durch Tod und vor allem auch durch das Herauswachsen der Waisen aus der Versorgung um rund 240 Millionen DM geringer als im Vorjahr; sie sind also nicht, wie manchmal gesagt wird, an den bisherigen Leistungen gekürzt. Nach der Absicht der großen Sozialgesetze sollen die Sozialleistungen der Steuerzahler in der Form von Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt die Eigenleistungen der Versicherten in Selbstverwaltungskörperschaften nur ergänzen. Diese Verzahnung der Bundesfinanzen mit den Finanzen der Rentenversicherungsträger hat in den vergangenen Jahren eine außerordentliche soziale, wirtschaftliche und finanzielle Bedeutung bekommen, die in den nächsten Jahren noch wachsen wird. Die große Rentenreform von 1957 konnte teils durch höhere Beiträge, teils durch höhere Bundeszuschüsse verwirklicht werden. Die erste Rentenanpassung von 1958 wird aus dem Vermögen der Rentenversicherungsträger und weiter wachsenden Bundeszuschüssen gedeckt. Der Bund garantiert die gesamte Rentenversicherung.
Die Gesamtaufwendungen für soziale Zwecke aus den Mitteln der Versicherungsträger, der öffentlichen Körperschaften und des Lastenausgleichsfonds werden 1959 rund 32 Milliarden DM erreichen; das entspricht rechnerisch rund 42 v. H. aller öffentlichen Abgaben in der Form von Steuern und Beiträgen, die sich auf etwa 75 Milliarden DM belaufen werden. Von dem erwarteten Bruttosozialprodukt des kommenden Jahres in höhe von rund 245 Milliarden DM entfallen also mehr als 13 v. H. auf soziale Aufwendungen. Das sind ebenso ruhmreiche wie nachdenklich stimmende Zahlen. Die Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber - in engerem Sinne - zu den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung erfordern heute in der gewerblichen Wirtschaft schon etwas mehr als 28 v. H. der Arbeitsentgelte und im Bergbau rund 46 v. H. Dieses Ausmaß kann kaum mehr gesteigert werden. Wir haben hier die obere Grenze der Belastungsfähigkeit der Wirtschaft und der arbeitenden Bevölkerung erreicht. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wirtschaftskraft und Soziallast ist eine der Lebensvoraussetzungen sowohl für den sozialen Rechtsstaat wie für die Mehrung des allgemeinen Wohlstandes.
Die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der Rentenanpassung in den kommenden .Jahren müssen frühzeitig bedacht werden. Die Bundesregierung hat in dem Sozialbericht bereits hervorgehoben, daß Entscheidungen über die weiteren Erhöhungen der Renten im Hinblick auf die Auswirkungen in der Zukunft mit großer Vorsicht getroffen werden sollten. Wenn die weitere Rentenanpassung in den kommenden Jahren zu steigenden Aufbringungslasten führen
sollte, wären ein allmählicher Vermögensverzehr der Rentenversicherungsträger und höhere Beiträge oder höhere Bundeszuschüsse unvermeidlich. Das Rücklagevermögen der Rentenversicherungsträger von zur Zeit rund 11 Milliarden DM ist bisher ein wesentlicher Faktor der Kapitalbildung, insbesondere der Wohnungsbaufinanzierung, gewesen. Die Verringerung dieses Vermögens in künftigen Jahren würde ernste Kapitalmarktprobleme aufwerfen.
Für das Jahr 1959 hat die Bundesregierung einer Anpassung der Altrenten mit 6,1 v. H. ab 1. Januar 1959 zugestimmt. Das ist heute wirtschaftlich vertretbar. Ich möchte als Bundesfinanzminister aber frühzeitig genug auf die ernsten Finanzfragen hinweisen, die sich aus einer fortlaufenden Rentenanpassung in späteren Jahren ergeben können.
Mittel für eine erhöhte Kriegsopferversorgung enthält der Entwurf des Haushaltsplans noch nicht, da über das Ausmaß der Leistungsverbesserungen noch keine Klarheit besteht. Auch hierzu teile ich die Grundauffassung des Herrn Bundesarbeitsministers. Die erforderlichen Deckungsmittel für ein Gesetz, das im Laufe des Jahres 1959 einzubringen und zu verabschieden wäre, müssen zusätzlich beschafft werden.
2. Für die nationale Sicherheit sind im Einzelplan der Verteidigung insgesamt 11,6 Milliarden DM veranschlagt, von denen 11 Milliarden DM auf die Bundeswehr und 600 Millionen DM auf Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte entfallen. Von den 11 Milliarden DM sollen, wie ich bereits bei der Darstellung des Resteproblems erwähnte, rund 4 Milliarden DM der Neudeckung von schwebenden Zahlungsverbindlichkeiten, also von bereits bewilligten Ausgaben aus übertragenen Ausgabebewilligungen früherer Jahre dienen. Um einen ausgeglichenen Gesamthaushalt aufstellen zu können, sind im Einzelplan der Allgemeinen Finanzverwaltung als erwartete Minderausgabe bei Ausgaberesten des Verteidigungshaushalts und bei anderen Stellen des zivilen Haushalts 2 Milliarden DM abgesetzt worden. Die neuen Bewilligungen für Verteidigungszwecke betragen danach 7 Milliarden DM. Unter diesen Ausgaben fallen die einmaligen Ansätze für die Beschaffung von Kampffahrzeugen von rund 900 Millionen DM und für die Beschaffung von Flugzeugen von rund 800 Millionen DM besonders ins Gewicht. Die im außerordentlichen Haushaltsplan veranschlagten Mittel für den Bau von Wohnungen für Soldaten und zivile Bundeswehrbedienstete sind so bemessen, daß monatlich 1000 Wohnungen hergestellt werden können. Damit wird hoffentlich das Zurückbleiben des militärischen Wohnungsbaues neben den sonstigen Verteidigungsbauten aufgeholt werden können.
Die Verteidigungslasten, die sich aus dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte im Bundesgebiet und in Berlin ergeben, sind um rund 124 Millionen DM geringer als im Vorjahr, weil inzwischen die beschlagnahmten Liegenschaften in großem Umfange frei gemacht worden sind und im übrigen die Abgeltung der Besatzungsschäden geringere Beträge
Bundesfinanzminister Etzel
erfordert. Der Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik Deutschland beträgt zur Zeit 5,5 v. H. des Bruttosozialprodukts und liegt damit unter dem einiger Partnerstaaten der NATO. Bei dieser Gegenüberstellung dürfen aber die Sonderlasten, die sich aus der Lage, in die Deutschland als Folge des Krieges geraten ist, nicht unberücksichtigt bleiben.
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Wenn man sie dem Verteidigungsbeitrag zuschlägt, erhöht sich der Anteil dieser Lasten am Bruttosozialprodukt auf 14,6 v. H. und liegt damit wesentlich über den vergleichbaren Belastungen der Partnerstaaten der NATO.
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3. In meinem finanzpolitischen Schnellauf durch die wichtigsten Aufgabengebiete des Bundes kann ich leider der Förderung der Wissenschaft nicht die Zeit widmen, die der überragenden Bedeutung der Wissenschaftsförderung auch nach meiner Auffassung zukommt.
Der Bund hat im neuen Finanzjahr rund 660 Millionen DM für kulturelle Aufgaben bereitgestellt. Dieser Betrag ist über 12 Einzelhaushaltspläne verteilt. Der Einzelplan des Innenministers allein weist für kulturelle Zwecke 230 Millionen DM aus. Davon entfallen auf die Förderung der Wissenschaft 163. Millionen DM, auf die Studentenförderung 45 Millionen DM und 15 Millionen DM auf verschiedene Forschungsinstitute. Das Auswärtige Amt hat einen Kulturetat von 62 Millionen DM, davon gehen rund 34 Millionen DM an die deutschen Schulen im Ausland. Für die friedliche Atomforschung werden 136 Millionen DM veranschlagt. Außerdem enthält auch der Einzelplan des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen noch 13 Millionen DM für kulturelle Maßnahmen in den Grenzgebieten.
Nach der Einsetzung des Wissenschaftsrats gewinnen die besonderen Bundesmittel für die allgemeine Förderung der Wissenschaft steigende Bedeutung. Die Zusammenarbeit zwischen dem Wissenschaftsrat und dem Finanzministerium ist ausgezeichnet. Die Bundesmittel für Wissenschaftsförderung werden gemäß den Vorschlägen des Wissenschaftsrats an die Universitäten und sonstige bundeswichtige Kultureinrichtungen der Länder verteilt. Diese Mittel sind im neuen Haushaltsplan um 28 Millionen DM höher als im Vorjahr. Eine weitere Erhöhung ist in Aussicht genommen.
Im übrigen machen die Bundesmittel für die Wissenschaftsförderung nur einen geringen Teil des Gesamtbetrages aus, der in den öffentlichen Haushalten für kulturelle Zwecke ausgegeben wird. Das Schwergewicht der Förderung von Wissenschaft und Forschung liegt aus verfassungsrechtlichen Gründen natürlich bei den Ländern.
4. Auch meine Bemerkung zum Landwirtschaftshaushalt muß ich kurz fassen. Er erfordert wie im Vorjahr 2,4 Milliarden DM, von denen rund 1,3 Milliarden DM für den Grünen Plan als Sammelansatz vorgesehen sind. Die Einzelansätze des Grünen Plans können erst im Laufe der Haushaltsberatungen, etwa im Februar 1959, festgelegt werden, wenn der Grüne
Bericht vorliegt. Dabei wird erneut zu prüfen und zu entscheiden sein, ob der Anteil der Preissubventionen an den Gesamtmitteln des Grünen Plans mit rund 53 v. H. auch im neuen Jahr beibehalten werden soll. Nach meiner Meinung sollte schon 1959 mit dem schrittweisen Abbau der Subventionen begonnen werden. Die dadurch frei werdenden Haushaltsmittel sollen aber wirklich strukturverbessernden Maßnahmen des Grünen Plans zufließen, also der Landwirtschaft keinesfalls entzogen werden. Mit dem endgültigen Wegfall der Roggenlieferprämie wird nach meiner Meinung finanzpolitisch ein richtiger Anfang gemacht.
Die Zinssubvention für die Landwirtschaft ist in den letzten 4 Jahren von 16 Millionen DM auf nunmehr 105 Millionen DM angestiegen. Zinsverbilligungsmaßnahmen werden leicht beschlossen, ohne daß dabei die Gesamtbelastung hinreichend gewürdigt wird, die damit für die künftigen Jahre in automatisch steigendem Maße eintritt. Auch Zinssubventionen verschleiern nur den wahren Preis des Gutes und bedürfen daher der gleichen kritischen Beurteilung wie Staatshilfen zur Verbilligung anderer Kosten. Nachdem der Zinssatz im letzten Jahr um mindestens 2 v. H. gesunken ist, ist der Zeitpunkt gekommen, zu prüfen, ob, wo und wieweit Zinssubventionen künftig noch erforderlich sind. Auch hier bedarf der Abbau der Subventionen einer sorgfältigen Vorplanung über längere Zeit, damit die Umlastung von den Schultern der Steuerzahler auf die Schultern der wirtschaftlich unmittelbar Beteiligten störungsfrei vor sich geht.
Bereits im Vorjahr habe ich das ständige Steigen der Kosten der Vorratshaltung beklagt, die von 96 Millionen DM im Jahre 1950 auf 334 Millionen DM im Jahre 1958 angewachsen waren. Im laufenden Jahr sind Abbaumaßnahmen eingeleitet worden, für deren Abwicklung zunächst wiederum weitere Staatshilfen in Höhe von rund 20 Millionen DM vorgesehen werden mußten, damit die überhöhten Bestände an Getreide verbilligt im Ausland als Futtermittel verkauft werden können. Infolge dieses Abbaues des Getreideberges konnten die Kosten für die Vorratshaltung im neuen Rechnungsjahr um 43 Millionen DM verringert werden.
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Ich wiederhole meine vorjährige Empfehlung, das Getreidepreis-Gesetz grundlegend zu überprüfen, damit in dem neuen Getreidewirtschaftsjahr ab 1. Juli 1959 die Aufnahmepflicht der Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide auf ein geringeres Maß zurückgeführt wird.
Es ist nicht meine Aufgabe als Finanzminister, bestimmte agrarwirtschaftliche Maßnahmen vorzuschlagen. Es muß immer wieder gesagt werden, daß alle Staatshilfen für bestimmte Wirtschaftszweige schließlich vom Steuerzahler aufgebracht werden müssen.
Der Förderung der ländlichen Siedlung, insbesondere für die Vertriebenenansiedlung, führt auch der neue Haushaltsplan mit 245 Millionen DM Haushaltsmittel zu, die neben den Kapitalmarktmitteln, den Leistungen der Länder und des LastenausBundesfinanzminister Etzel
gleichsfonds die Finanzierung eines Siedlungsprogramms im gleichen Umfang wie im laufenden Jahre ermöglichen. Durch die Einstellung der Darlehensmittel des Bundes in den außerordentlichen Haushaltsplan wird nur ihre Aufbringung, nicht aber ihre Bereitstellung berührt.
Neben den Staatsbeihilfen zur Förderung der Landwirtschaft könnten schließlich auch noch die ERP-Kredite für die Landwirtschaft mit etwa 110 Millionen DM und die unsichtbaren, aber großen Vergünstigungen bei der Umsatzsteuer mit schätzungsweise 350 Millionen DM erwähnt werden.
Ich will mit diesen Bemerkungen über die finanziellen Auswirkungen unserer Agrarpolitik nicht ihr System und auch nicht die Grundentscheidungen über einzelne Stützungsmaßnahmen kritisieren. Als Finanzminister möchte ich nur warnend hervorheben, daß heftige Winde um unser Agrar-Gebäude wehen. Unsere agrarische Selbstbehauptung im Gemeinsamen Europäischen Markt hängt nicht zuletzt davon ab, daß wir uns frühzeitig von den überkommenen und manchmal zufälligen Formen agrarwirtschaftlicher Subventionen loslösen und die öffentlichen Mittel mehr und mehr für echte und nachhaltige Strukturmaßnahmen verwenden.
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Das ist vielleicht keine populäre Politik. Es ist aber nun einmal das schwere Amt des Finanzministers, der Warner seines Volkes zu nüchterner Vorsorge gegen künftige Gefahren zu sein.
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5. Die Ausgaben für Verkehrszwecke sind gegenüber dem Vorjahr um 50 Millionen DM gestiegen und erreichen nunmehr 2,56 Milliarden DM. Davon entfallen auf den Straßenbau rund 1075 Millionen DM. Bindungsermächtigungen, die die kontinuierliche Durchführung der Straßenbaumaßnahmen sichern, können bis zu 400 Millionen DM zugelassen werden. Einschließlich der wiederum erwarteten Offa-Kredite von 134 Millionen DM kann also für den Straßenbau ein Auftragsvolumen von 1,6 Milliarden DM allein aus Bundesmitteln verplant und in Aufträgen vergeben werden. Die Straßenbaumittel werden erstmalig in einem besonderen Straßenbauplan zusammengefaßt. Durch diese haushaltstechnische Maßnahme soll die Bewirtschaftung der Straßenbaumittel wesentlich erleichtert und ein zügiger Ausbau der Bundesstraßen und Autobahnen gefördert werden.
Die Bundesregierung verkennt nicht den überragenden Rang des Straßenbau-Programms und seine Vordringlichkeit infolge der sprunghaften Zunahme der Kraftfahrzeuge. Sie erwägt, wie Ihnen bekannt ist, den Erlaß eines besonderen Gesetzes über die Finanzierung des Straßenbaus, um dadurch dem auch vom Bundestag geforderten Vierjahresplan mit einem Gesamtaufwand von 7 Milliarden DM eine gesicherte finanzielle Grundlage zu geben. Der Entwurf eines entsprechenden Straßenbau-Finanzierungsgesetzes soll dem Hohen Haus noch vor dem Ende des Rechnungsjahres zugeleitet werden. Er wird zur Zeit zwischen den Ressorts erörtert.
Aus den besonderen Maßnahmen des geplanten Straßenbaufinanzierungsgesetzes wird eine Mehreinnahme an Mineralölsteuer von mehreren hundert Millionen DM noch für das Rechnungsjahr 1959 erwartet werden dürfen. Die daraus zusätzlich zu finanzierenden Straßenbauten sind bereits in dem vorliegenden Entwurf des Haushaltsplans enthalten und besonders kenntlich gemacht. Diese Haushaltsbewilligungen werden automatisch als Zusatzprogramm in Angriff genommen, sobald das Hohe Haus den Plänen der Bundesregierung zustimmt.
Im Rahmen des geplanten Straßenbau-Finanzierungsgesetzes soll auch die Zweckbindung des größten Teiles der Mineralölsteuer festgelegt werden, soweit sie vom Kraftverkehr aufgebracht wird. Die Finanzlage des Bundes erlaubt es leider nicht, das gesamte, vom Kraftverkehr erbrachte Mineralölsteueraufkommen ausschließlich für Straßenbauzwecke zu verwenden. Ein Sockelbetrag von etwa 600 Millionen DM wird noch für allgemeine Finanzbedürfnisse benötigt. Für 1959 wird das Aufkommen an Mineralölsteuer mit rund 1,9 Milliarden DM geschätzt; davon erbringt der Kraftverkehr etwa 1,6 Milliarden DM. In dem gleichen Jahr sind für den Ausbau der Bundesfernstraßen einschließlich der Kreditmittel rund 1,2 Milliarden DM vorgesehen, so daß also tatsächlich nur noch 400 Millionen DM für allgemeine Finanzbedürfnisse verwendet werden. Um das Straßenbau-Programm in 1959 in der Planung noch aufzustocken, sind zusätzlich 400 Millionen DM Bindungsermächtigungen vorgesehen. Tatsächlich kann also ein Straßenbauvolumen von 1,6 Milliarden DM vergeben werden.
Die Erhöhung der Mittel für den Wasserstraßenbau um 16 Millionen DM auf 345 Millionen DM kommt in erster Linie den Seewasserstraßen und der Moselkanalisierung zugute. Für den Rhein-Main-Donau-Kanal sind entsprechende Mittel vorgesehen. Für die Verbesserung der Fahrwasserverhältnisse der Unterelbe sind 14,2 Millionen DM, das sind 4,2 Millionen DM mehr als im Vorjahr vorgesehen. Die Vertiefung auch der Unterweser, des Emder Fahrwassers und des Nord-Ostsee-Kanals wird unge- schmälert fortgesetzt. Auch das Fahrwasser der Trave wird verbessert. Diese Vertiefung ist für die Lebensfähigkeit unserer deutschen Seehäfen von großer Bedeutung. Unter den vielen Großbauvorhaben des Wasserstraßenbaus erwähne ich den ersten Teilbetrag für den Bau eines großes Kulturwehrs im Oberrhein zwischen Basel und Straßburg als deutsch-französische Gemeinschaftsaufgabe. Die Neuplanung und der Neubau von Wasserstraßen bedürfen unter den veränderten Verkehrsverhältnissen von heute einer besonders sorgfältigen und kritischen Prüfung.
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Bei der Planung neuer Wasserstraßenbauten muß nicht nur ihre Wirtschaftlichkeit, sondern auch ihre Rückwirkung auf die übrigen Verkehrsträger bedacht werden.
Bundesfinanzminister Etzel
Ein besonderes Sorgenkind des Bundesfinanzministers, aber kein ungeliebtes, ist die Deutsche Bundesbahn. Ihre Finanzentwicklung im Laufe dieses Jahres ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben, die bei der Tariferhöhung mit Wirkung vom 1. Februar noch gehegt werden durften. Statt der damals erwarteten Mehreinnahme von rund 750 Millionen DM jährlich ist in diesem Jahre nur eine solche von etwa 350 Millionen DM zu erwarten. Der Güterverkehr, der den weit überwiegenden Teil der Einnahmen der Bundesbahn erbringt, ist infolge des weiteren Rückganges der Massengütertransporte, vor allem auch an Kohle und Stahl, um etwa 12 v. H. geschrumpft. Der Personenverkehr wird die erwarteten Mehrerträge voraussichtlich erbringen; aber auch hier sind Verkehrsrückgänge, vor allem im Nahverkehr, festzustellen.
Für das Finanzjahr 1958 wurden 823 Millionen DM als Finanzhilfe an die Bundesbahn vorgesehen. Damit ist der Finanzbedarf nach dem ursprünglichen Wirtschaftsplan nicht zu decken. Erfreulicherweise konnte die Bundesbahn aber zwei Anleihen mit insgesamt 650 Millionen DM aufnehmen. Die Investitionen der Bundesbahn im laufenden Jahr erreichen nach der bisherigen Planung schon rund 1,5 Milliarden DM. Sie sollen nunmehr noch um 500 Millionen DM aufgestockt werden, um Sonderaufträge an die Stahlindustrie zu ermöglichen. Diese Investitionen dienen in großem Umfange der Verbesserung und der Rationalisierung des Betriebes; sie werden hoffentlich in späteren Jahren zu einer Verbesserung der Ertragslage beitragen.
Für das Jahr 1959 ist im Entwurf des Haushaltsplans wiederum eine Finanzhilfe von 835 Millionen DM vorgesehen. Der Mehrbetrag von 10 Millionen DM ist zur verstärkten Beseitigung schienengleicher Übergänge hinzugegeben worden. An jedem Tage des neuen Jahres leisten die Steuerzahler an die Deutsche Bundesbahn rund 2,3 Millionen DM Finanzhilfe.
Ich teile die Auffassung des Herrn Bundesverkehrsministers, daß mit dieser Bundeshilfe allein der schlechten Lage der Bundesbahn nicht abgeholfen ist. Es dürfte Gemeinüberzeugung geworden sein, daß nunmehr umfassendere Maßnahmen zur innerbetrieblichen und wirtschaftlich-finanziellen Neuordnung der Deutschen Bundesbahn unaufschiebbar geworden sind.
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Der Deutsche Bundestag hat eine Prüfungskommission eingesetzt, die hoffentlich recht bald ihre Arbeit mit einem Bündel von Verbesserungsvorschlägen abschließen wird. Ich habe hier sehr erfreuliche Nachrichten. Ohne eine energische Selbsthilfe und innerbetriebliche Rationalisierung zur Anpassung an eine veränderte Verkehrsstruktur darf die Deutsche Bundesbahn zusätzliche Maßnahmen zu Lasten der Steuerzahler nicht erwarten.
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Sie ist das größte deutsche und europäische Wirtschaftsunternehmen und muß versuchen, ihre Wirtschafts- und Finanzprobleme in einer völlig veränderten Umwelt nach wirtschaftlichen Grundsitzen zu lösen. Des wohlwollenden Verständnisses und der Förderung auch des Bundesministers der Finanzen darf sie dabei versichert sein. Es wäre aber naiv anzunehmen, daß der Bundeshaushalt die steigenden Betriebsverluste der Bundesbahn zu Lasten der Steuerzahler ohne wesentliche Anderungen ihrer Betriebsführungsgrundsätze übernehmen könnte.
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Ich werde jede Bemühung um innerbetriebliche Verbesserungen im Rahmen meiner finanzpolitischen Aufgaben fördern. Die Bundesbahn muß in den Stand gesetzt werden, sich mit .größerer kaufmännischer Beweglichkeit veränderten Verhältnissen anzupassen. Wenn Gesetze dem entgegenstehen sollten, müssen sie geändert werden,
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Nur so kann die Bundesbahn in die Lage versetzt werden, ihren Platz im Wettbewerb zwischen Schiene, Straße und Wasserstraße zu behaupten. Die Sanierung der Deutschen Bundesbahn ist nach meiner Meinung keine Aufgabe, die etwa einzig und allein mit innerbetrieblichen Rationalisierungsmaßnahmen gelöst werden könnte.
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Es bedarf aus diesem Anlaß einer Gesamtüberprüfung unserer bisherigen Verkehrspolitik und einer Gesamtkonzeption für ihre Neuordnung. Ich weiß, daß der Bundesverkehrsminister diese Auffassung teilt und eine solche Neukonzeption unserer Verkehrspolitik in nicht zu ferner Zeit vorlegen will.
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Wesentlich erfreulicher ist das Finanzbild der Deutschen Bundespost. Im Laufe dieses Jahres ist es gelungen, die erheblichen Mehrbelastungen, die vor allem aus der Besoldungsneuregelung und der Arbeitszeitverkürzung entstanden sind, durch Selbsthilfemaßnahmen aufzufangen. Die Ablieferungen der Bundespost an den Bundeshaushalt für 1959 konnten in der gesetzlichen Höhe veranschlagt werden. Es steht zu hoffen, daß auch die Betriebsrechnung der Bundespost für das Jahr 1958 ohne oder nur mit geringem Verlust abschließen wird. Die Entwicklung des Kapitalmarktes hat es erfreulicherweise auch der Deutschen Bundespost ermöglicht, ihre hohen kurzfristigen Schulden zu konsolidieren und damit ihre Kapitalstruktur zu verbessern und große gewinnbringende Investitionen, vor allem im Fernmeldedienst, zu machen. Dazu haben als einmalige Maßnahme auch die Übernahme einer Anleihe von 200 Millionen DM auf den Bundeshaushalt und ihre Einbringung als Stammkapital beigetragen.
Zu cien Ruhmesblättern in der deutschen Wirtschaftsgeschichte der Nachkriegsjahre gehört der Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte, der ohne die erheblichen Finanzhilfen des Bundes nicht möglich gewesen wäre. Mit rund 4,4 Millionen Bruttoregistertonnen ist unsere Handelsflotte den gegenwärtigen Anforderungen gewachsen. Weitere Finanzhilfen sind nicht mehr nötig und auch nicht mehr vertretbar.
Bundesfinanzminister Etzel
Die Bundesausgaben für die Luftfahrt wachsen ständig. Grund dafür sind die Aufwendungen der Deutschen Lufthansa für die Beschaffung von Düsenflugzeugen. Gleichzeitig steigen die Aufwendungen für die beiden Flugverkehrshäfen Rhein-Main hei Frankfurt und Rhein-Ruhr bei Köln, die künftig allein noch für den interkontinentalen Düsenluftverkehr in Betracht kommen. Die Aufwendungen für die zivile Luftfahrt sind von 34 Millionen DM im Jahre 1955 auf 66 Millionen DM im Jahre 1959 gestiegen. Die Deutsche Lufthansa soll im neuen Jahr Investitionszuschüsse von 30 Millionen DM und laufende Betriebszuschüsse zur Verlustdeckung von 19 Millionen DM erhalten. Hervorzuheben ist auch die Steigerung der Ausgaben für die Flugsicherung und den Wetterdienst.
6. Nur mit einigen Worten muß ich auf die Finanzierung des Wohnungsbaues im kommenden Jahr eingehen. Jeder besondere Hinweis auf seine überragende politische, wirtschaftliche und soziale Bedeutung erübrigt sich hier. Für Zwecke des Wohnungsbaues sind in diesem Bundeshaushaltsplan insgesamt rund 2 Milliarden DM vorgesehen, dazu treten Bindungsermächtigungen in der einmaligen Höhe von rund 1,7 Milliarden DM. Der Gesamtansatz übersteigt den Vorjahresbetrag um etwa 300 Millionen DM. Die gesetzliche Degression der Haushaltsmittel für den allgemeinen sozialen Wohnungsbau um jährlich 70 Millionen DM auf nunmehr 560 Millionen DM wird mehr als ausgeglichen durch die höheren Mittel für den Wohnungsbau für Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone und für Aussiedler. Hierfür sind 632 Millionen DM, das sind 328 Millionen DM mehr als im Vorjahr, veranschlagt. Bindungsermächtigungen sind wiederum mit rund 1,2 Milliarden DM vorgesehen. Der Bund trägt auch in 1959 noch einmal die Hälfte des gesamten Finanzbedarfs für die Errichtung von Wohnungen für diesen bevorrechtigten Personenkreis. Allerdings zwingt die Entwicklung des Kapitalmarktes hier wie im allgemeinen Wohnungsbau zu der Überlegung, ob nicht künftig die Haushaltsmittel des Bundes, der Länder und der Gemeinden im wesentlichen Umfange durch Kapitalmarktmittel ersetzt werden können. Die dahingehenden Pläne des Bundeswohnungsbauministers werden vom Finanzminister unterstützt. Die bisherigen, zum Teil unübersichtlichen und systemlosen Formen der Wohnungsbaufinanzierung in sieben verschiedenen Programmen sollten auch nach meiner Meinung im Laufe des Jahres 1959 vereinfacht und in nur einem großen Wohnungsbauprogramm zusammengefaßt werden.
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Soweit künftig Kapitalmarktmittel an die Stelle von Steuermitteln treten können, sollte dies geschehen. Soweit erforderlich, können öffentliche Finanzhilfen durch die Gewährung von Bürgschaften für nachstellige Hypotheken und in bestimmten Grenzen auch von Mietbeihilfen in Aussicht genommen werden. An bedeutenden Einzelzahlen aus dem Haushaltsplan des Wohnungsbaues nenne ich noch 100 Millionen DM für Wohnungsbauprämien, zu denen weitere 36 Millionen DM für Länder mit überdurchschnittlicher Belastung an Wohnungsbauprämien treten; 40 Millionen DM für den Wohnungsbau für Umsiedler und für die Räumung von Wohnlagern; erstmalig 5 Millionen DM als Schuldendiensthilfe für Wohnungsbaudarlehen an bauwillige junge Eheleute. Diese Mittel ermöglichen die Aufbringung eines Betrages von 80 bis 100 Millionen DM an Baumitteln für diesen Zweck. Schließlich sei noch auf den Betrag von 520 Millionen DM für den Wohnungsbau aus dem Lastenausgleichsfonds hingewiesen.
7. Im Schlußteil meiner Haushaltsrede möchte ich mich nunmehr noch mit einigen finanzpolitischen Fragen befassen, die das Verhältnis des Bundes zu den Ländern und Gemeinden, die Entwicklung der Länder- und Gemeindefinanzen und schließlich die Finanzbeiziehungen des Bundes zu ,den europäischen Gemeinschaften betreffen. Ich kann das leider auch nur mit der gebotenen Kürze tun, obwohl gerade hier Grundfragen ,der Finanzpolitik und der Finanzverfassung angesprochen werden, die von Jahr zu Jahr gewichtiger werden.
Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern ist insoweit ein zur Zeit ruhendes Problem, soweit es sich um die Einnahmeseite, d. h. um die Aufteilung der Steuerquellen und der Steuererträge im vertikalen Finanzausgleich handelt. Die Wünsche der Länder richten sich nunmehr verstärkt auf die Übernahme bisheriger Länderlasten auf den Bund. Kennzeichnend dafür ist die erneute Debatte des Bundesrates beim ersten Durchgang des Haushaltsgesetzes 1959, wo eine verstärkte Beteiligung des Bundes an Wiedergutmachungslasten in Berlin mit einem jährlichen Mehraufwand von 180 Millionen DM gefordert wurde.
Angesichts der offensichtlichen Anspannung der Finanzlage des Bundes könnte ich fast auf eine Stellungnahme zu diesen Länderwünschen verzichten. Sie scheinen mir im hohen Maße auf unwirklichen Annahmen zu beruhen. Vom laufenden Finanzjahr ab hat der Bund durch den Einbau des Notopfers Berlin in die Körperschaftsteuer die Finanzmasse der Länder um 350 Millionen DM jährlich verbessert. Damit ist nach meiner Meinung der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern auf absehbare Zeit geregelt.
Die Steuereinnahmen der Länder 'insgesamt werden sich im Jahre 1959 gegenüber 1958 um etwa 1,1 Milliarden DM und die der Gemeinden um etwa 500 Millionen DM erhöhen, und zwar für die Länder von 14,7 Milliarden DM auf 15,8 Milliarden DM, für die Gemeinden von 7,4 Milliarden DM auf 7,9 Milliarden DM.
Die Haushaltslage der Länder ist auch durch die Entwicklung des Kapitalmarktes erleichtert; vermögenswirksame Ausgaben, die bisher in großem Umfange aus Steuermitteln finanziert wurden, können künftig aus Kapitalmarktmitteln gedeckt werden.
Das Land Berlin wird im Jahre 1959 eine Finanzhilfe des Bundes erhalten, deren Höhe noch nicht endgültig feststeht, weil der Berliner Haushaltsplan erst im Januar 1959 'aufgestellt werden wird. Vorerst sind im Bundeshaushaltsplan dafür 940 Millio2894
Bundesfinanzminister Etzel
nen DM vorgesehen, die auf der Grundlage des laufenden Finanzjahres veranschlagt sind. Die politische Sonderlage Berlins muß auch bei den Finanzentscheidungen ,des Bundes gewürdigt werden.
Für das Saarland ist das Jahr 1959 das letzte Jahr unter einer fremden Wirtschafts- und Währungsordnung. Für seinen Haushalt ist wiederum eine Bundeshilfe von 65 Millionen DM als Darlehen vorgesehen. Diese Finanzhilfe soll das Saarland insbesondere auch in den Stand setzen, Dauervorschüsse des französischen Staatshaushalts in Höhe von rund 11 Millionen DM zurückzuzahlen. Nach der wirtschaftlichen Rückführung des Saarlandes in das deutsche Staatsgebiet, die spätestens aim 31. Dezember 1959 ,erfolgen muß, werden zwischen dem Bund und dem Saarland neue Abreden über die daraus entstehenden Finanzfragen für ,die Übergangszeit zu treffen sein, um einen Einnahmeausfall im Haushalt des Saarlandes für das Kalenderjahr 1959 erforderlichenfalls durch eine zusätzliche Finanzhilfe des Bundes auszugleichen. Im übrigen stehen dem Saarland noch 31 Millionen DM aus der Finanzhilfe für 1957 zur Verfügung, die bisher noch nicht benötigt wurden. An den Kosten des Straßenbaues und des Autobahnbaues im Saarland beteiligt sich der Bund auch im neuen Rechnungsjahr gesondart.
Eine einmalige und außerordentliche Belastung stellen die Zahlungen dar, die der Bund bei der endlichen vollen Rückgliederung des Saarlandes nach Artikel 59 des Saar-Vertrages an Frankreich zu zahlen hat. Dafür müssen im Finanzjahr 1959 680 Millionen DM aufgebracht werden, die mit einem Sonderkredit finanziert werden sollen. Schließlich muß der Bund auch noch ein Darlehen Frankreichs an das Saarland aus dem Jahre 1952 in Höhe von 8 Milliarden ffrs mit rund 76 Millionen DM zurückzahlen.
Finanzhilfen an andere Länder, die in früheren Jahren gewährt wurden, werden im neuen Jahr nur noch für Schleswig-Holstein mit 20 Millionen DM als Zuschuß vorgesehen. Die bisherigen Bundesdarlehen sollen und können bei den Ländern künftig durch Kapitalmar tdarlehen ersetzt werden. Es wäre wirtschaftlich unvernünftig, wenn der Bund sich künftig neben seinen eigenen hohen Kreditaufnahmen auch noch für Finanzbedürfnisse einzelner Länder verschulden sollte, um die daraus gewonnenen Mittel an die Länder weiterzuleihen. Die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung des Landes Schleswig-Holstein in den letzten Jahren ist ein anschaulicher Beweis dafür, wie durch eine umsichtige und weitschauende Initiative der Landesregierung mit beachtlicher finanzieller Unterstützung des Bundes die Wirtschaftsstruktur und die Steuerkraft langfristig verbessert werden kann.
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Die bisherigen Maßnahmen der Länder zu diesem Ziele werden durch jährliche Finanzhilfen des Bundes aus den sogenannten regionalen Förderungsmitteln unterstützt. Sie werden im neuen Haushaltsjahr mit 113 Millionen DM fortgesetzt.
Der modernen Industriewirtschaft wohnt die Tendenz inne, nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Menschen in einigen Räumen besonders stark zusammenzuballen, während andere Landesteile sich zu gleicher Zeit entvölkern und wirtschaftlich zurückbleiben. Diesen Tendenzen muß planmäßig und auf lange Sicht begegnet werden.
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Unser bisheriges regionales Förderungsprogramm ist kein geringer Schritt zu diesem Ziele. Es bedarf aber in den kommenden Jahren der Ergänzung durch einen umfassenderen Plan zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur bestimmter, bisher zurückgebliebener Landesteile.
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Die starken Unterschiede der Wirtschaftskraft, wie sie jetzt schon bestehen, scheinen mir auf die Dauer nicht gerechtfertigt zu sein. Die wachsende Zusammenballung der Menschen in den Großstädten erschwert zudem die Bildung persönlichen Eigentums. Persönliches Eigentum bildet sich in den Mittelstädten und auf dem Lande, vor allem in der Form des Eigenheims, leichter.
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Mit einigen Worten muß ich auf die besonderen Finanzprobleme der Gemeinden und Gemeindeverbände eingehen. Die Finanzlage der Gemeinden hat sich im letzten Jahr im ganzen gesehen besser entwickelt, als es scheinen mag. Ihre Steuereinnahmen werden sich, wie schon erwähnt, gegenüber dem Vorjahr etwa um 500 Millionen DM, d. h. von 7,4 Milliarden DM auf 7,9 Milliarden DM erhöhen. Allein die Gewerbesteuer wird etwa 400 Millionen DM mehr erbringen. Setzt man die Steuereinnahmen des Jahres 1951 gleich 100, so erreichen die der Gemeinden im Jahre 1958 voraussichtlich 197 v. H., während in der gleichen Zeit die des Bundes nur auf 177 v. H., die der Länder dagegen auf 198 v. H. gestiegen sind. Dabei wird nicht verkannt, daß auch die Ausgaben der Gemeinden infolge der hohen Investitionsrate für Gemeinschaftseinrichtungen sich wesentlich vermehrt haben. Die Gemeinden investieren jährlich etwa 5 Milliarden DM, von denen etwa 3,5 Milliarden DM aus der laufenden Haushaltswirtschaft und 1,5 Milliarden DM durch zusätzliche Verschuldung finanziert werden. Obwohl die Schuldenlast der Gesamtheit der Gemeinden und Gemeindeverbände jährlich um mehr als 1 Milliarde DM gewachsen ist, kann von einer allgemeinen Überschuldung nicht die Rede sein. Die Verhältnisse liegen in dieser Beziehung von Gemeinde zu Gemeinde recht verschieden.
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Die augenfälligen Unterschiede in der Finanzausstattung der Gemeinden beruhen zu einem Teil auch auf der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder und auf einem unzureichenden kommunalen Finanzausgleich. Es ist kaum möglich, mit allgemeinen Maßnahmen diesen bedeutenden örtlichen Unterschieden gerecht zu werden. Deshalb sind die summarischen Forderungen, die die kommunalen Spitzenverbände an den Bundesgesetzgeber und den Bundeshaushalt richten, in dieser Form kaum gerechtfertigt.
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Bundesfinanzminister Etzel
Unbeschadet dieser Vorbehalte läßt sich nicht verkennen, daß der Investitionsbedarf der Gemeinden, vor allem im Schulbau, Straßenbau und den Versorgungseinrichtungen, trotz steigender Steuereinnahmen und trotz weitgehender Kreditmöglichkeiten an vielen Stellen nur mit Schwierigkeiten gedeckt werden kann. In diesen Fällen bedarf es zusätzlicher Deckungsmittel. Da Bundesmittel und in der großen Linie wohl auch Ländermittel für diesen zusätzlichen Finanzbedarf nicht gegeben werden können, drängen die Gemeinden verständlicherweise selbst auf zusätzliche eigene Einnahmequellen, die ihnen nur durch Bundesgesetz eröffnet werden können. Eine Beteiligung am Aufkommen der Umsatzsteuer, wie sie gefordert worden ist, scheidet schon deshalb aus, weil der Bund auf diese Einnahme nicht ersatzlos verzichten kann.
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- Nicht ersatzlos, und dieser Ersatz wird nicht bewilligt, haben die Länder erklärt.
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- Ja, genauso; da habe ich auch Ersatz verlangt, und diesen Ersatz wollen die Länder nicht bewilligen. Deswegen diese Formulierung.
Sie erforderte im übrigen auch eine Änderung des Grundgesetzes, die schwer zu erreichen wäre.
Unter diesen Umständen kommen als zusätzliche Einnahmen für die Gemeinden nur in Betracht: entweder die Einführung einer Gemeinde-EinwohnerSteuer
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oder eine allgemeine Erhöhung der Grundsteuer, die insoweit den Auswirkungen der neuen Einheitsbewertung vorgreifen würde. Welcher von diesen Wegen zu einer eigenen neuen Einnahmequelle im Gemeindesteuersystem beschritten werden soll, ist zur Zeit noch lebhaft umstritten.
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Auch die kommunalen Spitzenverbände haben dazu noch nicht endgültig Stellung genommen.
Eine dritte Gemeindesteuer neben der Grundsteuer und der Gewerbesteuer, die wirtschaftlich von allen Einwohnern zu tragen wäre, entspräche dem Selbstverwaltungsgedanken und würde die Selbstverantwortung in den Gemeinden für die Ausgabengebarung, die weitgehend verlorengegangen ist, wiederherstellen.
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In den meisten Gemeinden trägt heute nur eine Minderheit unmittelbar zu den Gemeindelasten bei. Damit verliert die Mehrheit der Einwohner das Verantwortungsgefühl für die örtliche Gemeinschaft.
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- Sind Sie diffamiert?
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- Fühlen Sie sich diffamiert?
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Schließlich darf ich noch mit wenigen Sätzen auf unsere Finanzleistungen für die Europäischen Gemeinschaften, vor allem für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft hinweisen.
Den größten Betrag stellen die jährlich ansteigenden Beiträge zum Entwicklungsfonds für die überseeischen Teile der europäischen Partner mit rund 140 Millionen DM und zum Kapital der Europäischen Investitionsbank mit 126 Millionen DM sowie zum Forschungs- und Investitionshaushalt der Atomgemeinschaft mit 65 Millionen DM dar. Die Beiträge zu den Verwaltungshaushalten werden bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wohl 10 Millionen DM und bei der Atomgemeinschaft wohl 15 Millionen DM bedeutend überschreiten. Die endgültigen Beträge stehen noch nicht fest. Die bisherigen Anforderungen liegen höher; sie werden zur Zeit vom Rat dieser Gemeinschaften überprüft, um sie wesentlich zu verringern. Wir sind gute Europäer, meinen aber, daß die Verwaltungseinrichtungen der Europäischen Gemeinschaften sich nicht übergroß und nicht kopflastig entwickeln sollten.
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In diesem Zusammenhang muß ich noch ein Wort über die Hilfe des Bundes an fremde und zum Teil ferne Länder sagen, obwohl die Förderung unserer eigenen zurückgebliebenen Landesteile für uns die allererste Pflicht mit absolutem Vorrang ist. Die weltpolitischen Zusammenhänge, wie sie nun einmal sind, erlauben es uns trotzdem nicht, der wirtschaftlichen und sozialen und damit schließlich der politischen Entwicklung ferner Länder achtlos zuzusehen. Die bisherigen Leistungen Westdeutschlands auf diesem Gebiete werden im In- und Auslande allgemein unterschätzt. Dazu hat die unübersichtliche Vielfalt der Formen und Anlässe für die Gewährung dieser Hilfe beigetragen. Sie sind zu einem beträchtlichen Teil über internationale Organisationen geflossen und dadurch in ihrer Bedeutung als deutsche Leistungen verdeckt worden. Ich erwähne hier nur die deutschen Leistungen für die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds, die International Finance Corporation und neuerdings vor allem die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Diese bisherigen Bundesleistungen übersteigen 1 Milliarde DM, wobei die Haftungsanteile gegenüber der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds nicht mitgerechnet sind. Nicht mitgerechnet ist auch der Sonderkredit der Deutschen Bundesbank an die Weltbank von über 1, 3 Milliarden DM, ihre Konsolidierungskredite zugunsten verschiedener Länder mit über 300 Millionen DM
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und die riesige Kreditlinie Deutschlands an andere europäische Länder in der Europäischen Zahlungsunion mit über 4,2 Milliarden DM.
Unter den unmittelbaren Bundeshilfen für einzelne Länder nehmen die Maßnahmen zur Erleichterung der Devisenlage vor allem von Entwicklungsländern die erste Stelle ein. Die Bundesregierung war genötigt, Verbindlichkeiten ausländischer Schuldner gegenüber deutschen Gläubigern in Höhe von insgesamt 1300 Millionen DM, überwiegend aus Mitteln des Bundeshaushalts, umzuschulden; 711 einem Teil wurden diese Umschuldungen auch durch Bundesbürgschaften für deutsche Kapitalmarktmittel ermöglicht.
Für besondere Hilfsmaßnahmen des Bundes an einzelne Entwicklungsländer wurden bisher 150 Millionen DM bereitgestellt. Im kommenden Finanzjahr sind dafür erneut Barbeträge und eine Bindungsermächtigung von je 50 Millionen DM vorgesehen.
Die Bundesregierung bedenkt, daß diese Leistungen für Entwicklungsländer in den künftigen Jahren fortgesetzt werden müssen. Das Haushaltsgesetz 1959 sieht dafür erstmals eine besondere Bürgschaftsermächtigung bis zu 1 Milliarde DM vor, durch die teilweise völlig neue Maßnahmen ermöglicht werden. Zur richtigen Einschätzung der Höhe dieses Betrages muß unterstrichen werden, daß er zunächst für ein Finanzjahr vorgesehen ist. Durch diese Hilfsstellung des Bundes sollen vor allem Investitionen deutscher Unternehmen in Entwicklungsländern gefördert werden, indem das besondere politische Wagnis derartiger Kapitalanlagen zum größten Teil vom Bund übernommen wird. Niemand kann die Größe dieses Bürgschaftswagnisses vorhersehen. Alle diese Maßnahmen sind weitgehend ein Weg ins Dunkle, der dennoch aus überragenden politischen Gründen, aber mit Vorsicht beschritten werden muß.
Art und Ausmaß der Bundeshilfen an fremde Länder muß alljährlich bei der Feststellung des Haushaltsplans neu erwogen werden. Längerfristige Bindungen für mehrere Jahre können hier kaum eingegangen werden, weil die Entwicklung unserer eigenen Verhältnisse über diese Jahre nicht vorhergesagt werden kann. Bei der Bemessung neuer Hilfen an alte und neue Entwicklungsländer muß der Stand der Risiken aus früheren Hilfen jährlich im Zusammenhang mit dem Haushalt überprüft werden. Davon wird es abhängen, oh und inwieweit neue Risiken eingegangen werden können.
VI.
Meine Damen und Herren! Damit darf ich meinen Bericht über den Stand der Bundesfinanzen und meine Vorschau auf das neue Finanzjahr beenden. Die Finanzpolitik der Bundesregierung stellt sich Ihrer Kritik. Nur bei einer breiten, von verantwortlichem Denken getragenen Kritik können wir uns über die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges vergewissern. Für die bisherigen Kritiken, Warnrufe, Anregungen und Vorschläge zur Finanzpolitik der Bundesregierung bin ich aufrichtig dankbar. Das gilt insbesondere von der Wirksamkeit des Haushaltsausschusses und des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, aber auch des Finanzausschusses des Bundesrates sowie der Konferenz der Länderfinanzminister. Die Äußerungen der Fachpresse und der Tagespresse zu Finanzfragen werden von uns sorgfältig verfolgt.
Bei der Würdigung meines finanzpolitischen Kurses bitte ich, von der unteilbaren Einheit unserer Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik auszugehen. Der Finanzminister ist nicht bloß Haushalts- und Steuerminister - meist ein wenig verächtlich als Fiskalminister bezeichnet --, sondern weit mehr als je zuvor Mitgestalter des gesamtwirtschaftlichen Ablaufs. Ich darf zu meiner Freude sagen, daß die Grundsätze meiner Finanzpolitik von dem Herrn Wirtschaftsminister und der Deutschen Bundesbank ebenso geteilt werden, wie der Finanzminister die Grundsätze der Wirtschaftspolitik und der Währungspolitik billigt. Diese Verbundenheit von Wirtschaft, Finanzen und Währung ist der beste Garant für eine ausgeglichene und ausgleichende Wirtschaftspolitik, die die Konjunktur in Gütererzeugung und Verbrauch, die Beschäftigung in allen Wirtschaftszweigen, die Lebenshaltung in Löhnen und Preisen und die Währung in der Kaufkraft des Geldes so stabil wie möglich erhält. Ein ständiges und gleichbleibendes Wachstum der Wirtschaft, wenn auch künftig wohl in geringerem Ausmaß als bisher, ist das Ziel dieser wirtschaftspolitischen Generallinie. Im übrigen ist unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik in die Grundentscheidungen der deutschen Politik eingeordnet, die ihre besonderen Ziele und Schwerpunkte bestimmen, vor allem zur Sicherung unserer Freiheit nach innen und außen.
Ich bitte die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, nunmehr die Finanzpolitik der Bundesregierung kritisch zu würdigen, ihre Ziele zu bejahen und ihre Verwirklichung im ganzen und im einzelnen zu fördern.
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Meine Damen und Herren! Punkt 1 der Tagesordnung sieht noch keine Besprechung der Vorlage vor. Die Fraktionen haben vereinbart, daß die Aussprache am Donnerstag erfolgen soll. Punkt i ist damit erledigt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zolltarifgesetzes und des Deutschen Zolltarifs 1959 ({0}) ;
Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses ({1}) ({2}).
Herr Abgeordneter Dr. Löhr, wollen Sie Ihren Schriftlichen Bericht ergänzen?
({3})
- Sie verweisen auf Ihren Schriftlichen Bericht. Ist das Haus damit einverstanden?
({4})
Vizepräsident Dr. Schmid
- Das Haus verzichtet ,auf mündliche Berichterstattung.
Zur zweiten Beratung liegen Änderungsanträge auf den Umdrucken 184 ({5}) und 190 vor.
Ich rufe § 1 das Gesetzes auf. Wird dazu das Wort gewünscht? Bitte sehr, Herr Abgeordneter Wehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion legt Ihnen auf Umdruck 184 ({0}) einen Änderungsantrag zum Zolltarif 1959 vor und bittet das Hohe Haus darum, alle Bruchteile von Prozenten auf volle Zahlen nach unten bzw. auf volle Zahlen nach oben abzurunden.
Mit diesem Änderungsantrag, den wir dem Hohen Hause vorlegen, wollen wir nicht den Versruch unternehmen, eine kleinliche Änderung durchzusetzen, sondern uns liegt daran, daß dieser Tarif, der auf lange Zeit die Richtschnur der Zollpolitik der deutschen Bundesregierung sein wird, nicht bloß materiell, sondern auch seinem Stil und Geist nach tragbar ist.
Mit diesem Gesetz wird sich da Hohe Haus für die Zukunft des Rechtes begeben, eine eigene Zollpolitik zu betreiben. Das Hohe Haus wird die Bundesregierung ermächtigen, vom sich aus Zollsatzänderungen vorzunehmen. Die Zollsatzänderungen, die uns in dem grünen Buch vorliegen, sollen den ersten Schritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft darstellen. Dieser erste Schritt ist immerhin von solcher Bedeutung, daß es auch auf den Stil ankommt, wie man ihn tut. Wir finden in dem grünen Buch etliche hundert Positionen, die mit Bruchteilen von Prozenten ausdrücken, was der künftige gemeinsame europäische Zolltarif sein soll; die Bruchteile sind dabei auf fünf Zehntel abgerundet. Bei relativ hohen Zöllen fallen diese Bruchteile kaum auf. Ein bisheriger Zollsatz von 25 % z. B. wird ,auf Grund der vertragsmäßig vorzunehmenden 10%igen Zollsenkung auf 221/2 § ermäßigt. Bei einem Zollsatz zwischen 16 und 21 % wird bei der Senkung schon auf fünf Zehntel abgerundet; es bleibt also nichtklar bei der 10%igen Senkung. Wean bei Zollsätzen von 2 % bis 4% auf volle fünf Zehntel abgerundet wird, ergeben sich Zollsenkungen, die statt bei 10 % tatsächlich bei 20 bis 25 % ausmünden. Die scheinbare Logik des Plans, 1/10 his 4/10 auf volle Zahlen und 6/10 bis 9/10 auf 5/10 abzurunden, um möglichst nahe an dem Minimumsatz von 10 % zu bleiben, wie es in der Regierungsbegründung dargestellt wird, geht verloren, wenn tatsächlich 20 bis 25 % dabei herauskommen. Eine überzeugende Begründung dafür ist nicht möglich. Auch der im Ausschuß gemachte Hinweis auf das Schutzzollbedürfnis kann bei den 5/10%, die sich wie ein roter Faden durch den Zolltarif ziehen, nicht überzeugen. Noch anders sieht die Sache bei den niedrigen Zöllen aus. Hier entfällt eine Begründung vollständig.
Daß die Schädlichkeit dieser Abrundung auf volle Prozent, wie sie die Regierung darstellt, nicht gegeben ist, ergibt sich aus der Begründung, auf die ich hier gern einmal verweisen möchte. Die Begründung zu § 3 Abs. 1 Nr. 2, der wir uns voll und ganz anschließen, besagt, daß diese Vorschrift die Bundesregierung in die Lage versetzen soll, durch die Rechtsverordnung auf Grund des Art. 3 des Gesetzes zu den Verträgen vom 25. März 1957 die neuen Zollsätze zur Vereinfachung der Verwaltungspraxis auf volle Zahlen abzurunden. Wer sich einmal die Zollabfertigung. ansieht und dabei sehen muß, welche Umstände heute noch im Verkehr von Land zu Land notwendig sind, der wird feststellen, daß diese Praxis, mit Zehnteln zu rechnen, die Zollabfertigungsstellen unnötig belastet. Uns scheint es durchaus beachtlich zu sein, daß die Bundesregierung in ihrer Begründung feststellt, dieser Verwaltungsaufwand sei zu groß und sollte vermieden werden.
Gleichzeitig wird in der Begründung aber auch darauf hingewiesen, daß diese zehnprozentigen Zollsenkungen nach dem Vertrag vom 25. März nur ein Minimum bilden und wir diese zehnprozentige Ermäßigung, die den ersten Schritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft darstellen soll, nicht unbedingt auf das I-Tüpfelchen genau innehalten müssen, sondern daß die Regierung durchaus freie Hand hat.
Ich möchte das Hohe Haus darum bitten, unserem Antrag Umdruck 184 ({1}) Ziffer 1, im Deutschen Zolltarif 1959 alle Bruchteile von Prozenten auf volle Zahlen nach unten bzw. auf volle Zahlen nach oben abzurunden, die Zustimmung zu geben, damit dieser erste Schritt auch tatsächlich den Geist atmet, mit dem wir gemeinsam nach Europa gehen wollen, und damit nicht in der Zukunft bei den weiter vorgesehenen Zollsatzänderungen aus diesen Zehnteln immer wieder neue Zehntel geboren werden, die dann dokumentieren würden, daß wir diesen Weg in die Zukunft mit 5/10-Schritten gehen. Verhindern Sie das bitte und stimmen Sie unserer Vorlage zu! Sie gehen damit einen Weg, der auch der Vernunft entspricht.
({2})
Das Wort hat Herr Staatssekretär Hartmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Änderungsantrag Umdruck 184 ({0}) der Fraktion der SPD darf ich folgendes bemerken, Die nach dem EWG-Vertrag vorgeschriebene Senkung der Zollsätze am 1. Januar 1959 beträgt 10 v. H. der Ausgangszollsätze. Der EWG-Vertrag selbst enthält keine Vorschriften über die Abrundung der sich dabei ergebenden Bruchteile von Zollsätzen. In Betracht kommt nur eine Abrundung der Zollsätze nach unten, da bei einer Abrundung nach oben, also einer Aufrundung, die Vertragsverpflichtung um cien Bruchteil nicht erfüllt werden würde.
Der maßgebliche Grund für die im Entwurf vorgesehene Handhabung ist, daß bei einer Abrundung auf volle Zahlen nach unten .empfindliche Waren, wie z. B. Textilien, schwer betroffen werden würden. Außerdem würde das nach dem EWG-Vertrag vorgeschriebene Senkungsmaß von 10 % überschritten werden, zum Teil weit überschritten werden. Ich darf dazu ein Beispiel nennen. Für Kammzug ist
der jetzige Zollsatz i v. H.. Er wird jetzt auf 0,5 v. H. herabgesetzt. Wenn auf volle Zahlen nach unten abgerundet würde, betrüge der Zollsatz 0 %. Es würde also eine hundertprozentige Zollsenkung eintreten, somit gar kein Zollschutz mehr vorhanden sein.
Die Bundesregierung hat diese nachteiligen Auswirkungen nicht in Kauf nehmen wollen und zur gleichmäßigen Behandlung aller Waren, die von der Zollsenkung betroffen sind, folgende Abrundungsregel vorgesehen:
Zollsätze mit Bruchteilen von 5/10 werden nicht geändert. Zollsätze mit Bruchteilen von 1/10 bis 4/10 werden auf volle Zahlen nach unten, Zollsätze mit Bruchteilen von 6/10 bis 9/10 werden auf 5/10 nach unten abgerundet.
Die Bundesregierung bittet das Hohe Haus, es bei dieser Abrundungsregel zu belassen und den Antrag auf Umdruck 184 ({1}) abzulehnen.
Wird hoch das Wort zu diesem Punkt gewünscht? - Das Wort hat der Abgeordnete Wehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Worte des Herrn Staatssekretärs Hartmann wäre doch noch etwas zu sagen. Wir haben durchaus nicht die Absicht, mit unserem Antrag - „auf volle Zahlen nach unten bzw. auf volle Zahlen nach oben abzurunden" -, dem Vertrag zuwider eine Abrundung nach oben vorzunehmen und damit die 10 % zu unterschreiten. Ich glaube, hier liegt ein Mißverständnis vor.
Zur Frage des Schutzbedürfnisses für Textilien: Der Herr Staatssekretär hat als Beispiel angeführt, daß für Kammgarn nach dem neuen Tarif eine Ermäßigung von 1 % auf 0,5 % eintrete, nach unseren Vorschlägen aber auf 0 %. Daß dieses halbe Prozent tatsächlich dem echten Schutzbedürfnis der Textilwirtschaft entgegenkommt, ist, glaube ich, wohl doch nicht genügend begründet. Wenn die Situation der Textilindustrie so aussieht, daß ihre ganzen Schwierigkeiten auf dem Markt durch ein halbes Prozent Zoll behoben werden können, scheint es mir doch mit den Schwierigkeiten nicht so weit her zu sein, daß man daran den gesamten Tarif aufhängen kann. Dieselbe Begründung ist bereits im Ausschuß vorgetragen worden; sie war für uns dort nicht durchschlagend, und ich möchte sie auch heute zurückweisen. Nebenbei bemerkt sind auch bei einer Herabsetzung auf 0,5 % die im Vertrag geforderten 10 % nicht eingehalten; denn eine Senkung von 1 % auf 1/2% ist eine fünfzigprozentige Zollermäßigung.
Ich glaube, die Begründung des Herrn Staatssekretärs dürfte das Hohe Haus nicht davon überzeugen, daß man mit dem Feilschen um ein halbes Prozent wirtschaftliche Schwierigkeiten einer bestimmten Erzeugergruppe ausräumen kann.
Ich bitte das Hohe Haus, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort wird nicht weiter gewünscht.
Wir haben dann noch den Antrag Umdruck 190 zu behandeln; denn § 1 schließt den Zolltarif als solchen ein. - Wollen Sie das Wort dazu ergreifen? - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Löhr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Begründung des Änderungsantrags Umdruck 190 darf ich feststellen, daß der deutsche Rohaluminiumbedarf aus inländischer Erzeugung bisher nicht ausreichend gedeckt werden konnte. Es war deshalb notwendig, Rohaluminium zu importieren, und auch im Jahre 1959 werden wiederum etwa 40 000 t eingeführt werden müssen. Der Deutsche Zolltarif sieht für Rohaluminiumimporte einen Wertzoll von 7 % vor.
Wie war es seither? Die nicht ausreichende Inlandserzeugung von Hüttenaluminium, aber auch die Anhebung der Aluminiumpreise auf dem Weltmarkt gaben Veranlassung, seit 1955 jährlich ein zollfreies Aluminiumkontingent zu schaffen. Dieses zollfreie Kontingent ist nach wie vor notwendig, weil das zur Bedarfsdeckung eingeführte Aluminium bei Erhebung des Wertzolls auch jetzt noch teurer ist als Aluminium deutscher Erzeugung. Die Voraussetzungen, welche für die Schaffung eines zollfreien Kontingents in den vergangenen Jahren maßgeblich gewesen sind, sind also auch für 1959 noch gegeben. Wegen einer möglichen Ausweitung der Aluminiumverwendung, aber auch im Hinblick auf die Konkurrenzfähigkeit unserer aluminiumverarbeitenden Industrie auf den internationalen Märkten ist es daher geboten, die zur Bedarfsdeckung notwendigen Rohaluminiummengen auch im Jahre 1959 zollfrei einzuführen.
Ich darf deshalb das Hohe Haus bitten, dem Änderungsantrag Umdruck 190 zuzustimmen.
Wird hierzu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache über § 1.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 184 ({0}) Ziffer 1. Wer dafür ist, daß der Gesetzentwurf entsprechend diesem Antrag geändert wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Über die Mehrheitsverhältnisse bestehen Zweifel; wir müssen zum Hammelsprung übergehen.
Das Ergebnis der Auszählung ist folgendes. Es wurden 344 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 123, mit Nein 220; enthalten hat sich ein Mitglied des Hauses. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Nunmehr stimmen wir über den Änderungsantrag auf Umdruck 190 ab. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Nunmehr stimmen wir über § 1 ab, der, wie gesagt, den Zolltarif mit einbeschließt. Es wird also abgestimmt über § 1 in der in seinem tariflichen
Vizepräsident Dr. Schmid
Bestandteil geänderten Fassung. Wer für den § 1 in dieser Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu heben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
§ 2. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu heben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
§ 3. Hier liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 184 ({1}) Ziffer 2 vor. Das Wort hat der Abgeordnete Wehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem unser Antrag abgelehnt und der Zolltarif angenommen worden ist, habe ich die Aufgabe, im gleichen Sinne wie vorhin für die Ande-rung des § 3 einzutreten. Der § 3 enthält die Ermächtigung für die Bundesregierung, in Zukunft von sich aus Änderungen des Zolltarifs vorzunehmen. Er ergibt die Möglichkeit, bei zukünftigen Änderungen, wie sie nach dem Vertrag vom 25. März 1957 vorgesehen sind - diese Änderungen erstrecken sich auf 12 bis 15 Jahre -, von dem Wege, der mit dem Zolltarif 1959 beschritten worden ist, und damit von dem System der Bruchteilprozente abzuweichen.
Unser Antrag geht dahin, den § 3 Abs. 1 Nr. 2 in der Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen, die lautet:
die Zollsätze bei Zollsatzsenkungen auf volle Zahlen nach unten und bei Zollsatzanhebungen auf volle Zahlen nach oben abzurunden.
Diese Fassung der Regierungsvorlage scheint uns durchaus vernünftig zu sein. Wir sind der Meinung, daß wir der Bundesregierung entgegenkommen, daß wir sie unterstützen, wenn wir beantragen, diese Fassung wiederherzustellen und die Ausschußvorlage insoweit abzulehnen.
Wenn das Hohe Haus die Regierungsvorlage wiederherstellt, sind wir selbstverständlich nach wie vor auch dafür, daß im § 3 Abs. 1 erster Halbsatz statt „wird ermächtigt", die bindende Form „hat" gewählt wird, so daß es in Zukunft heißt:
Die Bundesregierung hat bei Zolltarifänderungen auf Grund des Artikels 3 des Gesetzes zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 27. Juli 1957 ({0}) gleichzeitig durch Rechtsverordnung
1. die Jahresbezeichnung ... zu ändern,
In Nr. 2 steht dann das, was ich bereits sagte, daß auf volle Zahlen abzurunden ist.
Gehen Sie mit uns diesen Weg der Festlegung eines klaren Grundsatzes, dann bereiten Sie damit mit uns den Weg zu einer künftigen vernünftigen Regelung, deren sich das Parlament nicht zu schämen braucht.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Hartmann.
Herr Präsident! Meine Dammen und Herren! Ich darf namens der Bundesregierung bitten, in Konsequenz der Abstimmung, soeben über Ziffer 1 des Antrags Umdruck 184 ({0}) statitgefunden hat, auch die Ziffer 2 dieses Antrags abzulehnen.
Wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall; dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 184 ({0}) Ziffer 2. Wird getrennte Abstimmung verlangt? - Wir stimmen vorsichtshalber getrennt ab.
Zunächst über Ziffer 2 a! Wer für die Annahme ist, dein bitte ich, die Hand zu heben. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; abgelehnt.
Ziffer 2 b! Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über § 3 der Ausschußfassung sowie über die §§ 4, 5, 6 und 7, Einleitung und Überschrift Wer für diese Bestimmungen ist, den bitte ich, das Handzeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Die zweite Beratung ist damit abgeschlossen.
Es folgt die
dritte Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem uns vorliegenden Entwurf eines Zolltarifgesetzes handelt ies sich, wie Sie alle wissen, um den ersten Schritt zur Verwirklichung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Es handelt sich leider auch um den ersten Schritt zur Diskriminierung der anderen, der nicht an der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beteiligten Länder, und mit diesem Gesetzentwurf beginnen wir, eine Grenze durch das freie Europa zu legen. Es darf anerkannt werden, daß sich die Bundesregierung in den letzten Monaten mit ,allen Kräften bemüht hat, dieses Ergebnis zu vermeiden; aber sie konnte natürlich das Scheitern der Verhandlungen über eine Freihandelszone auch nicht aufhalten. Für 'das ganze Bemühen gilt leider das Wort: „Zu spät, du rettest den Freund nicht mehr." Diese Bemühungen hätten unternomm en werden müssen, als eis noch Zeit war. Damals aber, im Jahre 1957, hat man sich in einer europäischen Euphorie über die realen Tatsachen hinweggesetzt und hat keine Rücksicht darauf genommen, wie die Dinge laufen werden. Nun haben wir das Ergebnis, daß wir anstatt dessen, was wir hier im Hause alle gemeinsam wollen, nämlich eine europäische Einigung, den ersten Beitrag zu einer Spaltung des freien Europa geliefert haben. Wenn die deutsche Bundesregierung - auch das möchte ich anerkennen - zur Zeit auch bemüht ist, die Konsequenzen der hier eintretenden Diskriminierung zu mildern und in Verhandlungen abzuschwächen, so ist das eben doch sehr unter dem
Wort zu verstehen, das ich kürzlich einmal gehört habe und das mir sehr gut gefallen hat, nämlich unter der Definition dessen, wais ein Politiker ist. Danach ist ein Politiker ein Mann, der sich jeden Tag mit Bienenfleiß bemüht, Schwierigkeiten aus der Welt zu räumen, die ohne ihn gar nicht entstanden wären.
({0})
Das vorliegende Beispiel ist hierfür besonders treffend.
Sie, meine Damen und Herren, werden verstehen, daß die Freien Demokraten, die auf diese Entwicklung rechtzeitig aufmerksam gemacht haben und die es damals auch ablehnen mußten, den Verträgen zuzustimmen, heute ebenfalls nicht in der Lage sind, dem Zolltarifgesetz ihre Zustimmung zu geben. Das soll aber nun nicht heißen - das möchte ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich sagen -, daß wir etwa die Gültigkeit der Verträge in Zweifel ziehen. Die Verträge sind in den sechs vertragschließenden Staaten ordnungsmäßig ratifiziert; sie sind in Kraft getreten. Sie sind also gültiges Recht, und ich höre es deshalb sehr ungern, wenn im Zusammenhang mit dem Scheitern der Bemühungen um die Schaffung einer Freihandelszone Überlegungen über eine Clausula rebus sic stantibus oder über das Entfallen der Geschäftsgrundlage angestellt werden. Das sind deutsche Rechtsbegriffe, die es im internationalen Recht nicht gibt. Dort gilt ein unterschriebener Vertrag unter allen Umständen.
Eine andere Frage ist, ob dieser Vertrag als solcher in allen Teilen von den Beteiligten respektiert wird. Da muß ich ganz offen sagen, daß ich einigermaßen betrübt darüber bin, in welchem Maße sich der Ministerrat der Wirtschaftsgemeinschaft und von Euratom über die Vertragsbestimmungen ohne mit der Wimper zu zucken hinwegsetzt. Ich darf nur daran erinnern, daß bis heute der Sitz der Organe nicht bestimmt ist. Im übrigen ist das eine Sache, die sehr zu den vom. Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages beanstandeten überhöhten Kosten beiträgt. Ich weiß aus meiner Tätigkeit im Haushaltsausschuß des Europäischen Parlaments, daß z. B. Kosten in der Größenordnung von etwa 10 % des Haushalts des Parlaments nur dadurch entstehen, daß die Sitzfrage ungelöst ist. So gibt es noch eine ganze Menge Vertragsklauseln, über die sich der Ministerrat mit einer Nonchalance hinwegsetzt, die dem Gewicht des Vertrages widerspricht.
Sehen wir uns einnmal den Vertrag selber an! Aus ihm ergibt sich unzweideutig der Wille der Vertragschließenden, sich nicht mit der kleineuropäischen Sechsergemeinschaft zu begnügen. Wir lesen schon in der Präambel:
ENTSCHLOSSEN, durch gemeinsames Handeln den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Länder zu sichern, indem sie die Europa trennenden Schranken beseitigen,
Und in Art. 18 des Vertrags heißt es:
Die Mitgliedstaaten sind bereit, zur Entwicklung des zwischenstaatlichen Handels und zum
Abbau der Handelsschranken durch den Abschluß von Abkommen beizutragen, die auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen die Senkung der Zollsätze unter die allgemeine Höhe zum Ziel haben, die auf Grund der Errichtung der Zollunion statthaft wäre.
Hier ist also im Vertrag selber der Wille verankert, es eben nicht bei dieser kleineuropäischen Zollunion zu belassen, sondern darüber hinaus in einem größeren Raum, nämlich im Rahmen der OEEC-Länder, eine europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit zu schaffen; doch muß diese Zusammenarbeit nicht unbedingt auf die OEEC-Länder beschränkt bleiben.
Im Dritten Teil des Vertrages findet sich unter Titel I Kapitel 3, Handelspolitik, eine ähnliche Formulierung. Es heißt in Art. 110 Abs. 2:
Bei der gemeinsamen Handelspolitik werden die günstigen Auswirkungen berücksichtigt, welche die Abschaffung der Zölle zwischen den Mitgliedstaaten auf die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dieser Staaten haben kann.
Das Verfahren, wie das zu geschehen hat, ist in den Art. 237 und 238 des Vertrages niedergelegt.
Nach allen Verhandlungen über den Vertrag selber hat man dann in die Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der internationalen Organisationen noch einmal eine Bekräftigung aufgenommen und gesagt:
DIE REGIERUNGEN . . .
ERKLÄREN SICH BEREIT, alsbald nach Inkrafttreten dieser Verträge mit den anderen Ländern, insbesondere im Rahmen der internationalen Organisationen, denen sie angehören, Abkommen zu schließen, um diese im gemeinsamen Interesse liegenden Ziele zu erreichen und die harmonische Entwicklung des gesamten Handelsverkehrs zu gewährleisten.
Es ist leider kein Zweifel, daß die hier im Vertrag niedergelegten Absichten durch das Scheitern der Verhandlungen über eine Freihandelszone nicht verwirklicht werden konnten und daß derjenige, der die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen trägt, damit den Vertrag verletzt hat! Das sollten wir doch mal festhalten.
Ich möchte noch einmal sagen: der Vertrag besteht, er ist unzweifelhaft da, und er muß in vollem Umfang erfüllt werden. Die Auseinandersetzung zwischen Parlament und Ministerrat brauchen wir nicht hier zu führen, diese wird im Europäischen Parlament stattfinden. Aber die Frage, ob eine Vertragsverletzung vorliegt, indem einer der Vertragschließenden die im Vertrag ausdrücklich genannten Ziele nachher nicht mehr verfolgt hat, wäre doch der Untersuchung durch unsere Staatsrechtler wert.
Wir sind jedenfalls der Meinung, daß die Entwicklung, die nunmehr nach dem Scheitern der Verhandlungen über die Freihandelszone eingeleitet wird, leider in vollem Umfang die Befürchtungen rechtfertigt, die wir seinerzeit zum Ausdruck geMargulies
bracht haben, als es um die Ratifizierung dieser Verträge ging. Ich möchte nicht alles wiederholen, was damals gesagt worden ist. Aber man muß sich doch darüber klar sein, daß es nun eine Entwicklung zu einer kleineuropäischen Autarkie geben wird. Das wird ja auch in aller Unschuld in den Zahlen ausgedrückt, die man uns immer wieder als Material vorlegt. Da heißt es: „In Weizen können wir den Bedarf decken, wir haben sogar etwas mehr, wir müssen noch etwas exportieren. In Schweinefleisch ebenso. In Butter kommen wir durch. Sogar bezüglich Kaffee ist es nicht notwendig, die Handelsbeziehungen, die wir zur Zeit haben, aufrechtzuerhalten, weil aus den assoziierten überseeischen Gebieten die notwendigen Mengen Kaffee geliefert werden können." Hier wird schon eindeutig klar, daß es sich um ein autarkes Denken handelt, das sich sozusagen zwangsläufig aus der Situation - ohne jede böse Absicht - ergibt.
Das würde aber für uns, für die Bundesrepublik, bedeuten, daß wir unsere bisher bestehenden Handelsbeziehungen verlieren. Ich glaube, es ist gut, sich noch einmal die Zahlen vor Augen zu halten. Im Groben haben wir ein Viertel unseres gesamten Außenhandels mit den fünf EWG-Staaten, weitere 35 % mit den anderen OEEC-Staaten, also insgesamt im freien Europa etwa 60 % unseres Außenhandels; weitere 40 % haben wir mit den überseeischen Gebieten. Zur Zeit beträgt also der Warenaustausch mit den fünf EWG-Partnern 25 % unseres Außenhandels; 75 % unseres Außenhandels haben wir mit diesen Verträgen riskiert. Wir haben sie riskiert, weil wir alle hier der Meinung waren, wir würden es schaffen, es würde zu einer Freihandelszone kommen.
Man wird auch sagen dürfen, daß unsere Vertragspartner, insbesondere unsere französischen, zwei Jahre lang den Anschein erweckt haben, daß sie den Weg in die Freihandelszone mitgehen würden. Sie haben in allen technischen Besprechungen mitgearbeitet und an den Beratungen teilgenommen, ohne nun jeden Tag ihre Gegnerschaft gegen das Projekt zu erklären. Jetzt haben sie uns ungefähr 14 Tage vor dem letzten Termin die Trümmer vor die Füße geworfen.
Nun, das ist leider wegen der gesamten wirtschaftlichen Situation nur zu verständlich, und man kann nicht darüber hinwegsehen, daß Frankreich nicht mehr tun konnte, als es im Augenblick getan hat. Aber für uns, für die Bundesrepublik, ist das doch ein sehr enttäuschendes Ergebnis. Ich glaube, wir sind gezwungen, uns allmählich darüber klar zu werden, was es bedeutet, wenn unsere Wirtschaft auf den engen Raum der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beschränkt wird, wenn durch die Selbstversorgung mit den wichtigsten Nahrungsmitteln innerhalb des EWG-Raumes unsere Beziehungen zu den Staaten, die uns bisher in einer Größenordnung von 5 Milliarden Mark jährlich beliefert haben, leiden. Diesen Staaten werden ja diese 5 Milliarden fehlen, um bei uns wieder entsprechende Erzeugnisse kaufen zu können.
Sicher wird innerhalb des EWG-Raumes der Warenaustausch zunehmen; aber ich glaube nicht,
daß das ein Äquivalent für den Außenhandel bieten
wird, den wir im Zuge der Diskriminierung, die
wir heute hier beschließen müssen, verlieren werden.
Ich will nun nicht mehr in aller Breite darüber sprechen; ich glaube, die Begründung, die ich für meine Fraktion gegeben habe, ist ausreichend. Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung gar nicht anders kann, als durch Verabschiedung dieses Zolltarifgesetzes den Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu erfüllen. Aber Sie werden es uns, den Freien Demokraten, die wir Sie jederzeit und rechtzeitig gewarnt haben, nicht übelnehmen können, wenn wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können.
({1})
Darf ich fragen: Ist Umdruck 191 - der Entschließungsentwurf - nun verteilt? - Er wird gerade verteilt.
Das Wort hat der Abgeordnete Kalbitzer.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion sieht sich anläßlich der Beratung dieses Zolltarifgesetzes veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß die Verhandlungen über die Freihandelszone - in einer für uns beunruhigenden Art und Weise - festgefahren .sind und daß damit Gefahren für die wirtschaftliche und politische Einheit des westlichen Europas her aufbeschworen wenden.
({0})
Es erhebt sich die Frage, ob die Zollsenkungen, die jetzt 6 Staaten allein fur sich vornehmen - ohne daß die übrigen Staaten der westlichen Welt in gleicher Weise in die Zollsenkungsaktion einbezogen werden -, nicht zu einer Spaltung führen, die sich unsere Bundesrepublik und ganz Deutschland, wie die Lage in Deutschland heute ist, nicht leisten können.
Man hat nun in den letzten Tagen etwas von einem Kompromiß gelesen, ohne das es bisher möglich gewesen wäre, letzte Klarheit darüber zu bekommen. Dieses Parlament und die deutsche Öffentlichkeit sind nicht ausreichend darüber informiert, wie es eigentlich zu einem Kompromiß in dieser Frage kommen soll. Man hat gehört, daß auch den Ländern, die nicht zu den sechs der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angehörenden Ländern zählen - also den übrigen Ländern der OEEC, grob gesprochen: dem westlichen Europa -, eine Zollermäßigung angeboten werden soll. Das heißt, diese Zollermäßigung soll gewährt werden, wenn es sich um Zölle handelt, die höher als der sogenannte EWG-Außenzolltarif liegen.
Wenn diese Nachricht auf Tatsachen beruht, dann ist das Ganze weiter nichts als Augenauswischerei; denn ein solcher Außenzolltarif existiert nicht. Wie wir wissen, kann es ihn frühestens 1960 oder 1961 geben. Dieser „Kompromiß" ist nur eine Umschreibung dafür, daß man den übrigen westlichen Ländern, also z. B. Großbritannien, Skandinavien, Osterreich, der Schweiz ,usw., in Wirklichkeit keine Zollsenkungen zugestehen will. Das einzige Zugeständ2902
nis - das man machen will, um die wirtschaftliche Spaltung nicht vollends zutage treten zu lasen - besteht darin, daß man sich bereit erklärt, die Handelskontingente - soweit solche bestehen; das ist nur ein minimaler Ausschnitt aus dem gesamten Handelsvclumen - um 10 % zu erweitern. Wir nehmen das zur Kenntnis, erklären aber, daß das ein schwacher Anfang ist.
Nach dem Entschließungsantrag, der Ihnen auf Umdruck 191 vorliegt, und dem wir zuzustimmen bitten, soll der Bundestag erklären, daß er auf dem Standpunkt beharrt, den er im Sommer 1957 vor Abschluß des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft einmütig eingenommen hat. Mit dem ersten Punkt unseres Entschließungsantrags weisen wir darauf hin, daß der Bundestag sich schon damals, und zwar einmütig, möchte ich betonen, dafür eingesetzt hat, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft möge in einer größeren Gemeinschaft aufgehen, damit es nicht zu einer Diskriminierung und zu einer Spaltung innerhalb Westeuropas komme.
Im zweiten Punkt des Entschließungsantrags kommt zum Ausdruck, daß man nach allem, was vorliegt, nicht die Hoffnung haben kann - wir sind über ein Jahr vertröstet worden -, daß eine größere Gemeinschaft, die OEEC, die gleichen Zollvorteile wie die EWG bekommt.
Deshalb sagen wir im dritten Punkt des Entschließungsantrags:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich mit aller Entschiedenheit dafür einzusetzen, daß durch multilaterale Vereinbarung eine wirtschaftliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsrates ({1}) in Form einer Freihandelszone herbeigeführt und so die wirtschaftliche Spaltung Europas verhindert wird.
Wir legen besonderen Wert darauf, die Einmütigkeit darüber hervorzuheben, daß es sich um multilaterale Vereinbarungen handeln muß. Daraus soll hervorgehen, wir sind uns klar darüber, daß von den Ländern außerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht das eine Land nach dem anderen - Österreich, die Schweiz, Großbritannien, die skandinavischen Länder - gegenüber der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu Kreuze kriechen kann, daß wir vielmehr mit allen Partnern in Freundschaft und in gerechter Abwägung der Interessen zu einer gemeinsamen Vereinbarung kommen müssen.
Wir möchten das Parlament bitten, in allem Ernst die letzten Worte zu bedenken, die besagen, daß wir, wenn es nicht in absehbarer Zeit zu einer solchen Gemeinsamkeit kommt, zu der Spaltung der Welt in Ost und West noch eine zusätzliche Spaltung im Westen Europas haben werden. Sie haben lesen können, daß sich die schwedische Regierung ernsthaft mit dem Gedanken befaßt, die Zölle gegenüber der Bundesrepublik zu erhöhen als Vergeltung dafür, daß wir Schweden gegenüber nicht die gleichen Zollzugeständnisse machen wie gegenüber Frankreich und den übrigen EWG-Ländern. Viele der Anwesenden werden das als eine technische Frage auffassen. Es ist aber eine in technische Formen eingekleidete hochaktuelle politische Frage, nämlich die politische Frage, ob wir als Deutsche nicht alles daransetzen müßten, weitere Aufspaltungen des Westens zu verhindern, damit wir mit möglichster Geschlossenheit dastehen.
Als kleine Randglosse möchte ich abschließend nur bemerken, daß der Minister, der sich für die Freihandelszone angeblich mit besonderem Nachdruck einsetzt und dafür angeblich sein Letztes tut und kürzlich als Vermittler zwischen den verschiedenen Regierungsmeinungen auftreten wollte, nämlich Herr Professor Erhard, wie an vielen anderen so auch an dieser Debatte wieder nicht teilnimmt. Das kennzeichnet, wie mir scheint, sein wahres Interesse.
({2})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, auf Umdruck 191 in Ziffer 1 zweite Zeile zwei Schreibfehler zu berichtigen. Statt 1959 muß es in beiden Fällen 1957 heißen.
Weitere Wortmeldungen? - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Löhr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion darf ich zu dem Entschließungsantrag auf Umdruck 191 folgendes erklären.
Die CDU/CSU-Bundeistagsfraktion ist nach wie vor für die Freihandelszone. Die deutsche Bundesregierung hat ihre dahingehenden Bemühungen nie erlahmen lassen, sondern ihre Kräfte darauf konzentriert, die Schaffung der Freihandelszone zu dem vorgesehenen Zeitpunkt, dem 1. Januar 1959, zu ermöglichen. Es ist anders gekommen.
Meine Fraktion steht auch nach wie vor zu der Entschließung dieses Hohen Hauses vom 5. Juli 1957. Ich darf erklären, daß wir zu dem Entschließungsantrag auf Umdruck 191 grundsätzlich ja sagen werden. Wir bitten aber die antragstellende Fraktion, einer Änderung der Ziffer 2 dahin zuzustimmen, daß an Stelle der negativen Fassung „Der Deutsche Bundestag bedauert" formuliert wird: „Der Deutsche Bundestag hätte gewünscht, daß die Errichtung der Freihandelszone, wie vorgesehen, am 1. Januar 1959 zusammen mit der ersten Zollsenkung als Folge des EWG-Vertrages zustande gekommen wäre"; und dann soll es wie bisher weitergehen.
Zu Ziffer 3 des Entschließungsantrages darf ich im Namen meiner politischen Freunde folgendes erklären. Wir bitten die antragstellende Fraktion, im Hinblick auf die, ich darf wohl sagen, außerordentlich schwierigen Verhandlungen und ihren derzeitigen Stand im letzten Satz der Ziff. 3 hinter dem Wort „herbeigeführt wird" einen Punkt zu setzen.
Falls die antragstellende Fraktion mit den von uns gewünschten Änderungen ,einverstanden wäre, würden wir, wie ich im Namen meiner Fraktion erklären darf, dem Entschließungsantrag zustimmen.
Das Wort hat der Bundesminister von Merkatz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namen der Bundesregierung möchte ich zunächst darum bitten, daß in Punkt 2 der Entschließung redaktionell in der Weise verfahren wird, wie der Vorredner vorgeschlagen hat. Aber das Wort „nicht" müßte gestrichen werden, sonst ist der Sinn nicht verständlich.
Im Hinblick auf Ziffer 3 muß ich namens der Bundesregierung in aller Deutlichkeit sagen, daß wir es für unglücklich halten, eine Entschließung in diesem Sinne zu fassen, und zwar mit Rücksicht auf die geführten Verhandlungen und auch mit Rücksicht auf die Verhandlungsergebnisse von Bad Kreuznach.
Das Wort hat der Abgeordnete Kalbitzer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bemerkungen des Regierungsvertreters Herrn Kollegen von Merkatz über „nicht" oder nicht „nicht" habe ich nicht ganz mitgekriegt. Mir scheint, daß sich das Parlament mit diesem Punkt 2 auch nicht weiter befaßt hat.
Was den Wunsch der Regierungsfraktionen anlangt, die Worte „und so die wirtschaftliche Spaltung Europas verhindert" auszuklammern, so kann ich namens der sozialdemokratischen Fraktion sagen, daß wir dieser Streichung zustimmen. Dazu muß ich eine Begründung geben. Ich teile naturgemäß nicht Ihren Optimismus, daß die Bundesregierung infolge eines solchen Entschließungsantrags sehr viel mehr Kraft in ihre Verhandlungen stecken wird als bisher. Aber wir haben den Wunsch, die Regierung in ihrem Bemühen zu stärken, für die Freihandelszone in Zukunft mehr zu tun, als bisher getan wurde. Wenn sie das Votum des Parlaments als eine Stärkung ihrer Position in den internationalen Verhandlungen auffaßt, so sei das gut und gern gegeben. Aber ich muß von meiner sachlichen Beurteilung der Frage her sagen, daß durch das Nichtzustandekommen der Freihandelszone die wirtschaftliche Spaltung Europas tatsächlich in unmittelbare Nähe rückt. Von dieser sachlichen Beurteilung der heutigen Lage kann ich leider nicht abgehen. Wenn ich der Streichung zustimme, heißt das also nicht, daß ich damit die Lage günstiger beurteile, als ich das vorher getan habe.
Das Wort hat der Abgeordnete Serres.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf noch einmal der Überzeugung meiner politischen Freunde Ausdruck geben, daß es dringend wünschenswert erscheint, daß die Freihandelszone so schnell wie möglich zustande kommt.
({0})
Wir stimmen deswegen auch dem Grundgedanken dieser Entschließung bei und sind damit einverstanden, daß zunächst einmal diese redaktionelle Umformulierung des Antrags unter Ziffer 2 erfolgt. Mit dieser Änderung würden wir dem Antrag unter Ziffer 2 zustimmen. Nachdem wir aus den Worten des Herrn Sprechers der sozialdemokratischen Fraktion entnommen haben, daß sie bereit ist, den Halbsatz „und so die wirtschaftliche Spaltung Europas verhindert" zu streichen, werden wir auch dem Antrag unter Ziffer 3 zustimmen.
Dabei möchte ich ausdrücklich bemerken, daß wir selbstverständlich anerkennen, daß gerade die Bundesregierung unter sehr großen Anstrengungen versucht hat, die Verhandlungen über die Freihandelszone zu einem günstigen Ergebnis zu führen.
({1})
Diese Feststellung gebietet die Gerechtigkeit. Wir alle wissen, wie unsere Verhandlungsführer mit großer Energie und großem Nachdruck in den vergangenen Wochen und Monaten verhandelt haben. Wenn die Verhandlungen bisher nicht zu einem Ergebnis geführt haben, so ist es sicher nicht die Schuld der Bundesregierung bzw. der Verhandlungsdelegation.
Ich darf zusammenfassen: wir stimmen dem Entschließungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion unter dem Vorbehalt der redaktionellen Änderung der Ziffer 2 und der Streichung des Halbsatzes „und so die wirtschaftliche Spaltung Europas verhindert" zu.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich versuche nunmehr, den Resolutionsentwurf so zu formulieren, wie ich glaube, daß das Haus es wünscht.
In Ziffer 1 wird in der zweiten Zeile der Schreibfehler berichtigt, „1959" wird in „1957" geändert.
Ziffer 2:
Der Deutsche Bundestag hätte gewünscht, daß die Errichtung der Freihandelszone, wie vorgesehen, am 1. Januar 1959 zusammen mit der ersten Zollsenkung als Folge des EWG-Vertrages zustande gekommen und damit eine Grundlage für eine Verständigung der Mitglieder des Europäischen Wirtschaftsrates ({0}) über die Errichtung einer solchen Freihandelszone ersichtlich geworden wäre.
({1})
geschaffen worden wäre."
Das scheint mir besser zu sein. - Sind wir uns darüber einig?
({2})
In Ziffer 3 streichen wir in der zweitletzten Zeile die Worte „und so die wirtschaftliche Spaltung Europas verhindert".
Wir müssen aber zunächst über das Gesetz als solches abstimmen, und zwar über das Gesetz als Ganzes; es sind keine Änderungsanträge gestellt.
Vizepräsident Dr. Schmid
Wer dafür ist, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Wir stimmen nunmehr über den Entschließungsantrag ab. Wer ihn annehmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Damit ist auch Punkt 2 der Tagesordnung erledigt. Punkt 3 ist abgesetzt. Die Tagesordnung ist damit erschöpft.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages ein auf Donnerstag, den 11. Dezember, 14 Uhr, und schließe die heutige Sitzung des Bundestages.