Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung spreche ich die Glückwünsche des Hauses aus: dem Herrn Abgeordneten Dr. Friedensburg zum 72. Geburtstag,
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Herrn Abgeordneten Kinat zum 70. Geburtstag.
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Der Herr Abgeordnete Gibbert feiert heute seinen 60. Geburtstag.
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Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat werden die von dem Herrn Bundesminister der Finanzen auf Grund des § 33 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung übersandten Zusammenstellungen über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben dem Haushaltsausschuß überwiesen. Inzwischen ist die Zusammenstellung über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im 1. Vierteljahr des Rechnungsjahres 1958 - Drucksache 639 - eingegangen. Ich nehme an, daß das Haus mit der Überweisung dieser Vorlage an den Haushaltsausschuß einverstanden ist. - Widerspruch wird nicht erhoben; es ist so beschlossen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 14. November 1958 den nachfolgenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Zweites Gesetz zur Änderung des Soldatengesetzes
Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über die Einschränkung
der Verwendung von Maschinen in der Zigarrenindustrie
Gesetz zur Errichtung des Bundesamtes für zivilen Bevölkerungsschutz
Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 1. März 1954 über den Zivilprozeß
Gesetz zu dem Haager Übereinkommen vom 1. März 1954 über den Zivilprozeß
Gesetz über Bodennutzungserhebung und Ernteberichterstattung
Gesetz zur Änderung des Viehzählungsgesetzes Dem
Gesetz über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten
und dem
Gesetz über die Ausübung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin
stimmt der Bundesrat nicht zu, stellt seine Zustimmung jedoch in Aussicht, wenn ein Verfahren vor dem Vermittlungsausschuß gemäß Artikel 77 Abs. 2 Satz 4 des Grundgesetzes zustande kommt und dabei seinen Änderungswünschen entsprochen werden sollte. Seine Änderungswünsche sind in Drucksachen 656 und 657 niedergelegt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 30. Oktober 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betreffend
Schaubild „Bundeshaushalt 1958" ({3}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 632 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 11. November 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Überwachung des Post- und Telefonverkehrs ({4}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 649 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 12. November 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Annahme von Geschenken durch Beamte und Angestellte der Bundesministerien ({5}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 651 verteilt.
Der herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 12. November 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Berechnung gesetzlicher Fristen ({6}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 652 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Wohnungsbau hat unter dem 12. November 1958 die Kleine Anfrage der Abgeordneten von Bodelschwingh, Oetzel, Dr. Hesberg und Genossen betreffend Verstärkung der Baukapazität im sozialen Wohnungsbau durdi vorgefertigte Holzhäuser ({7}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 653 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat unter dem 18. November 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Reden des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Heusinger, ({8}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 661 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 18. November 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der DP betreffend Erhöhung der Stickstoff- und Kalipreise ({9}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 662 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 20. November 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Deutsche Bundesbahn ({10}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 664 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 20. November 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Gesetzliche Regelung der Entschädigung für Vermögensverluste durch Reparationen an deutschem In- und Auslandsvermögen und durch ungerechtfertigte Restitutionen ({11}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 668 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 24. November 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Bundesmonopolverwaltung für Branntwein ({12}) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bernessungsgrundlage für das Jahr 1958 ({13}) ({14})
b) Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der Rentenversicherungen ({15}) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer Sonderzahlung zur Abgeltung der Rentenanpassung für das Jahr 1958 ({16})
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die gegenseitige Auswirkung des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung und der Krankenversicherung der Rentner im Saarland und im übrigen Bundesgebiet einschließlich des Landes Berlin ({17}) ({18})
Zunächst Drucksache 665!
Ich frage, ob zur Begründung das Wort gewünscht wird. Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach § 1232 Abs. 1 und 2 der Reichsversicherungsordnung und den entsprechenden Vorschriften des Angestelltenversicherungsgesetzes und des Reichsknappschafts,gesetzes isind die Renten ,aus den gesetzlichen Rentenversicherungen bei Veränderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage durch ein besonderes Gesetz anzupassen, wobei der Entwlicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Produktivität sowie den Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen Rechnung zu tragen ist, Dem Gebot des Gesetzes, die Renten bei Veränderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage anzupassen, liegt die Absicht zugrunde, den Rentnern nicht nur iden einmal bei der Rentenfestsetzung erreichten. Lebensstandard zu erhalten, sondern sie fauch fan eder Entwicklung der Produktivität zu beteiligen.
Die Gesamtheit der Bestimmungen über die Anpassung der Renten ist nach Auffassung der Bundesregierung in dem Sinn zu verstehen, daß der jeweiligen Anpassung eine Prüfung und Entscheidung darüber vorauszugehen hat, ob und in welchem Umfang die Beteiligung der Rentner an der durch eine Vermehrung ,dels Sozialproduktes hervorgerufenen Steigerung des Lebensstandards der arbeitenden Bevölkerung zu vertreten ist, und zwar sowohl nach den wirtschaftlichen Gegebenheiten als auch nach der Finanzlage der Rentenversicherungen.
Die allgemeine Bemessungsgrundlage für das Jahr 1957 betrug lin der knappschaftlichen Renten versicherung 4326 DM, in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten 4281 DM. Durch die Erste Verordnung über die Änderungen der Bezugsgrößen für die Berechnung von Renten in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten sowie der knappschaftlichen Rentenversicherung ist die allgemeine Bemessungsgrundlage des Jahres 1958 für die knappschaftliche Rentenversicherung auf 4590 DM und für die Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten auf 4542 DM festgesetzt worden. Die relative Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage von 1957 sauf 1958 beträgt demnach in 'allen drei Versicherungszweigen 6,1 v. H.
Durch diese Veränderungen ist der Anlaß für eine Prüfung und Entscheidung der Frage, ob und in welchem Umfange eine Anpassung der laufenden Renten stattfinden soll, gegeben.
Die Bundesregierung hat den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes alljährlich bis zum 30. September, erstmalig im Jahre 1958, über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung, die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen in dem voraufgegangenen Kalenderjahr zu berichten, das Gutachten des Sozialbeirates vorzulegen und Vorschläge für die Anpassung der Renten zu machen.
Der dem Hohen Hause vorgelegte Sozialbericht 1958 enthält im Hinblick auf die Anpassung eine Darstellung der erwähnten wirtschaftlichen Tatbestände und der Finanzlage der Rentenversicherungen. Aus diesem Sozialbericht darf ich in gedrängter Form folgendes vortragen.
Die Darstellung der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland umfaßt die Zeit von 1950 bis 1957. Sie beschränkt sich nicht auf die drei in den Rentenreformgesetzen genannten wirtschaftlichen Tatbestände, deren Berücksichtigung bei der Rentenanpassung durch den Gesetzgeber ausdrücklich vorgeschrieben ist. Es erschien notwendig, einige weitere Tatbestände, die für die Rentenanpassung von Bedeutung sind, in die Darstellung mit einzubeziehen. Dementsprechend beginnt der Sozialbericht mit einem Überblick über die Bevölkerung und die Erwerbstätigkeit.
Die Wohnbevölkerung ist in der Bundesrepublik ohne das Land Berlin und ohne das Saarland von 46,9 Millionen im Jahre 1950 auf 50,5 Millionen im Jahre 1957, d. h. um 7,6 v. H., gestiegen. Der Geburtenüberschuß betrug im Jahre 1950 auf je 1000 Einwohner 5,9 und im Jahre 1957 5,6. Die Verringerung dieses Geburtenüberschusses ist aber keine Folge des Rückganges der Geburtenhäufigkeit. Wir haben vielmehr eine Zunahme im natürlichen Bevölkerungswachstum zu verzeichnen.
Von besonderer Bedeutung für die gesetzlichen Rentenversicherungen ist ferner die Entwicklung der Erwerbstätigkeit. Der Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung, der im Jahre 1950 46,3 v. H. betrug, ist auf 50,1 v. H. im Jahre 1957 gestiegen. Die Zahl der Erwerbstätigen hat weit stärker zuBundesarbeitsminister Blank
genommen als die Wohnbevölkerung, nämlich um 22 v. H. gegenüber, wie eben erwähnt, 7,6 v. H. Wichtig für die Rentenversicherungen ist, daß die Zahl der unselbständigen Erwerbspersonen und der beschäftigten Arbeitnehmer noch stärker zugenommen hat, nämlich um fast 35 v. H. Als Gründe dafür sind zu nennen die stärkere Zunahme der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, der Rückgang der Arbeitslosigkeit, der Übergang von im Betrieb mithelfenden Familienangehörigen in der Landwirtschaft in unselbständige Beschäftigungen. Eine besonders starke Zunahme ist bei der Zahl der beschäftigten Frauen zu verzeichnen.
Die anschließenden Untersuchungen im Sozialbericht über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Produktivität und des Volkseinkommens, insbesondere des Volkseinkommens je Erwerbstätigen von 1950 bis 1957, zeigen die günstige Entwicklung in der Bundesrepublik. Diese Analyse des Sozialberichtes ist, so kann man sagen, zu einer wirtschaftlichen Erfolgsbilanz geworden. Sie macht deutlich, daß eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik der Boden ist, auf dem eine gute Sozialpolitik gedeiht.
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Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die ihren umfassendsten Ausdruck in der Größe und Entwicklung des Sozialprodukts findet, ist - im Verhältnis zu 1950 - um rund drei Viertel gestiegen. Die jährliche Zunahme schwankt zwischen 5 und ) annähernd 12 v. H., die Produktivität ist ebenfalls beträchtlich gewachsen. Das Volkseinkommen je Erwerbstätigen hat von 1950 bis 1957 um 72 v. H. zugenommen. Die Vermögensbildung hat sich seit 1950 ständig erhöht. Eine erfreuliche Verschiebung der Ersparnisbildung ist im Jahre 1957 zu verzeichnen. Die Sparkapitalbildung bei den privaten Haushalten hat zugenommen; sie übertraf mit knapp 11 Milliarden DM im Jahre 1957 sehr erheblich alle Vorjahresziffern. Die Zunahme gegenüber 1956 betrug etwa 4 Milliarden DM. Von den zusätzlich verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte im Jahre 1957, nämlich 12,5 Milliarden DM, wurde fast ein Drittel gespart.
Der private Verbrauch stieg volumenmäßig von 1950 bis 1957 um 72 v. H. Die nach der Währungsreform in einigen Jahren festzustellenden Konsumsteigerungen haben sich jedoch im Jahre 1957 nicht in dieser Weise fortgesetzt. Die Verbrauchsquote des Jahres 1957 erreichte nicht den Stand von 1956. Das ist um so bemerkenswerter, als die sogenannten Masseneinkommen um 11,9 v. H. zugenommen hatten. Die in dieser Zunahme enthaltene Steigerung der Renten und Unterstützungseinkommen um 26,7 v. H. hat ebenfalls nicht zu dem befürchteten Konsumstoß geführt.
Diese Ergebnisse sind für alle Beteiligten erfreulich. Die geschilderte Entwicklung zeigt, daß die versicherte Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland von den erhöhten Leistungen der Rentenversicherung einen besonnenen Gebrauch gemacht hat.
Die günstige wirtschaftliche Entwicklung, wie ich sie kurz skizziert habe, wird sich nach den sich abzeichnenden Entwicklungstendenzen im laufenden und im kommenden Jahr mit einer Verlangsamung der Wachstumsraten fortsetzen. Im Jahre 1958 kann mit einer realen Wachstumsrate des Sozialprodukts in Höhe von 3 bis 4 v. H. gerechnet werden, die Produktivität dürfte um 21/2 bis 3 v. H. weiter steigen, das Volkseinkommen je Erwerbstätigen dürfte um etwa 4,4 v. H. zunehmen.
Wegen weiterer Einzelheiten, meine Damen und Herren, darf ich auf den Ihnen ja gedruckt vorliegenden Sozialbericht selbst verweisen.
Die Bundesregierung ist nach den Ergebnissen ihrer Prüfung der Meinung, daß eine Rentenanpassung in Höhe von 6,1 v. H. sowohl im Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Produktivität als auch hinsichtlich des Wachstums des Volkseinkommens je Erwerbstätigen verantwortet werden kann und daß eine Störung der wirtschaftlichen Entwicklung durch eine solche Anpassung nicht zu erwarten ist. Die Bundesregierung stimmt in dieser Beurteilung mit dem Sozialbeirat überein, der sich in seinem Beschluß im gleichen Sinne geäußert hat.
Der zweite Teil des Sozialberichtes befaßt sich mit der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen. Ausgangspunkt für eine Beurteilung der Finanzlage der Rentenversicherungen mußten die Rechnungsergebnisse in den letzten abgeschlossenen Rechnungsjahren sein, also in den Jahren 1956 und 1957.
Die Gegenüberstellung der Rechnungsergebnisse für das Jahr 1956, das letzte Jahr vor der Neuregelung der gesetzlichen Rentenversicherungen, und für das Jahr 1957, das erste Jahr nach der Neuregelung, liefert die ersten Erkenntnisse über die Auswirkungen der Rentenreform. Es zeigt sich, daß die laufenden Renten aus den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten durch die Rentenreform im Durchschnitt um etwa zwei Drittel erhöht worden sind.
Die Gesamtausgaben für Renten haben von 1956 bis 1957 in dein Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten um 3,7 Milliarden DM zugenommen; und die Zunahme erhöht 'sich auf 4,3 Milliarden DM, wenn man von den Rentenausgaben im Jahre 1956 die Sonderzulagen-Zahlungen nach den beiden Sonderzulagengesetzen wegläßt, die j a bereits als Vorgriff auf 'die Rentenerhöhungen durch die Rentenreform gedacht waren.
Diese Zahlen über die Erhöhung der Rentenausgaben von 1956 bis 1957 lassen aber noch nicht die vollen Auswirkungen der Rentenreform auf die Rentenausgaben erkennen. Da Ende 1957 ein übergroßer Bestand an unerledigten Rentenanträgen vorhanden war, sind erhebliche Rentenbeträge, die noch für das Jahr 1957 bestimmt waren, erst nach Ablauf des Jahres 1957 bei Aufarbeitung der Antragsrückstände nachgezahlt worden.
Die Vorausschätzungen über die finanzielle Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung ir den Jahren 1958 bis 1966 werden durch die soeben
Bundesarbeitsminister Blank
erwähnte Tatsache erschwert, daß sich zur Zeit noch nicht die vollen Auswirkungen der Rentenreform auf die Rentenausgaben mit Sicherheit erkennen lassen. Genauere Voraussagen werden erst beim nächsten Sozialbericht und bei der ersten versicherungstechnischen Bilanz zu erwarten sein.
Von erheblicher Bedeutung für die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherungen ist ,es, ob, ab wann und wie oft der Gesetzgeber bis zum Jahre 1966, dem Ende des ersten Deckungsabschnitts, eine Anpassung der laufenden Renten vornehmen wird. Im Sozialbericht sund alle denkbaren Fälle untersucht, von dem einen Grenzfall, daß überhaupt keine Anpassung vorgenommen wird, bis zu dem anderen Grenzfall, daß die Renten von 1958 bis 1966 zum Ende des ersten Deckungsabschnitts alljährlich stets von Beginn des Jahres ab, also insgesamt neunmal, der Änderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage angepaßt werden. Würde überhaupt keine Anpassung vorgenommen werden, so würde am Ende des ersten Deckungsabschnitts ein Rücklagevermögen vorhanden sein, das das gesetzlich vorgeschriebene Rücklagesoll in Höhe einer Jahresausgabe zu Lasten der Versicherungsträger im letzten Jahre des Deckungsabschnitts um 11 Milliarden DM in der Arbeiterrentenversicherung und um 2,5 Milliarden DM in der Angestelltenversicherung übersteigt. Würde von 1958 bis 1966 neunmal, jeweils vom Beginn des Jahres an, angepaßt werden, so würde das gesetzliche Rücklagesoll am Ende des ersten Deckungsabschnitts um 10,8 Milliarden DM in der Arbeiterrentenversicherung und um ) 8,9 Milliarden DM in der Angestelltenversicherung unterschritten werden. Das sind zwei bedeutsame Gegenüberstellungen.
Die Vorausschätzungen im Sozialbericht geben auch Antwort auf die Frage, wie oft angepaßt werden könnte, wenn das gesetzliche Rücklagesoll am 31. Dezember 1966 nicht oder nicht erheblich unterschritten werden soll. Das ist bei Anpassung jeweils vom Beginn des Jahres ab, für das die veränderte allgemeine Bemessungsgrundlage gilt, in der Arbeiterrentenversicherung dreimal und in der Angestelltenversicherung einmal der Fall, bei Anpassung jeweils vom Beginn des nächsten Jahres an, also des Jahres, das auf das Jahr folgt, für das die veränderte allgemeine Bemessungsgrundlage gilt, in der Arbeiterrentenversicherung viermal und in der Angestelltenversicherung zweimal, wobei das Rücklagesoll bei der letzten aber auch schon unterschritten würde.
Bei der derzeit erkennbaren Finanzlage der Rentenversicherungen erlaubt der Verzicht auf eine rückwirkende Anpassung, in der Zukunft in der Arbeiterrentenversicherung und in der Angestelltenversicherung je eine Anpassung mehr vorzunehmen. Es ist also zwischen einer rückwirkenden Anpassung und einer zusätzlichen Anpassung in der Zukunft zu wählen. Das Problem spitzt sich deshalb auf die Frage zu, ob eine Nachzahlung sozialpolitisch und rechtlich sinnvoller ist als die Sicherung von Leistungen für die Befriedigung laufender Bedürfnisse der Rentner in der Gegenwart und in der Zukunft. Die Bundesregierung hat sich für das letztere entschieden, weil die Renten in erster Linie der möglichst gleichmäßigen Befriedigung laufender Bedürfnisse zu dienen bestimmt sind.
Die Bundesregierung ist weiter der Ansicht, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem die finanziellen Auswirkungen der Rentenreform, die ich eben dargelegt habe, noch nicht mit genügender Sicherheit voll überschaubar sind, bei Entscheidungen mit so weittragenden finanziellen Auswirkungen für die Rentenversicherungen, wie es die Entscheidung über die Anpassung der Renten ist, besonders vorsichtig vorgegangen werden sollte. Je weniger in einer solchen Situation die Versicherungen der Gefahr finanzieller Schwierigkeiten ausgesetzt werden, um so .größer ist die Aussicht für eine künftig gleichmäßige und regelmäßige Anpassung.
Die Bundesregierung befindet sich insoweit in voller Übereinstimmung mit dem Sozialbeirat. Der Sozialbeirat hat, wie mir sein Vorsitzender, Herr Professor Neumark, in seinem Schreiben vom 27. Oktober 1958 mitgeteilt hat, weder unter allgemeinen wirtschaftlichen Gesichtspunkten noch im Hinblick auf die Finanzlage der Rentenversicherungen Bedenken gegen eine Anpassung der Renten um 6,1 v. H., sofern die Anpassung mit Wirkung vom 1. Januar 1959 vorgenommen wird.
Als Ergebnis ihrer Prüfung schlägt die Bundesregierung im Sozialbericht vor:
in der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten und der knappschaftlichen Rentenversicherung diejenigen am 1. Januar 1959 laufenden Renten, bei denen der Versicherungsfall im Jahre 1957 oder früher eingetreten ist - unter Beachtung der in den Rentenversicherungsgesetzen enthaltenen Ausnahmeregelungen -, für die Bezugszeit ab 1. Januar 1959 der allgemeinen Bemessungsgrundlage für 1958 anzupassen und damit um 6,1 v. H. zu erhöhen.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines 1. Rentenanpassungsgesetzes dient der gesetzgeberischen Verwirklichung dieses Vorschlages.
Nach dem Entwurf erfahren grundsätzlich sämtliche Rentenempfänger eine Erhöhung ihrer Bezüge, deren Versicherungsfall im Jahre 1957 oder früher eingetreten ist. Die Renten können allerdings - wie bereits im Vorschlag des Sozialberichtes einschränkend zum Ausdruck kommt - nur unter Beachtung der in den Rentenversicherungsgesetzen enthaltenen Ausnahmeregelungen angepaßt werden. Das bedeutet, daß von der Erhöhung bestimmte Rententeile auszunehmen sind und nicht schlechthin alle Rentenempfänger eine Erhöhung ihrer Bezüge erfahren werden. Die neuen Renten enthalten Bestandteile, die, weil sie nicht lohnbezogen sind, kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift von der Anpassung ausgenommen sind. Das sind z. B. der Sonderzuschuß und die Steigerungsbeträge aus Beiträgen der Höherversicherung.
Es ist das Ziel der Rentenanpassung, die Renten, die nach der Bemessungsgrundlage für das Jahr 1957 berechnet sind, denjenigen Renten anzupassen,
Bundesarbeitsminister Blank
deren Berechnung die allgemeine Bemessungsgrundlage für das Jahr 1958 zugrunde liegt. Aus dieser Zielsetzung ergibt sich, daß die anzupassenden Renten nicht höher sein dürfen als Renten, die unter gleichen versicherungsmäßigen Voraussetzungen im Jahre 1958 zugegangen sind. Daraus ergibt sich sowohl hinsichtlich des Personenkreises als auch hinsichtlich des Umfanges der Anpassung eine Einschränkung.
Bei Renten, die auf Versicherungsfällen des Jahres 1957 oder früher beruhen, war die persönliche Bemessungsgrundlage bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 750 DM monatlich begrenzt. Die Beitragsbemessungsgrenze hat sich von 1957 auf 1958 nicht erhöht, so daß sich die daraus abgeleiteten und nach der Versicherungsdauer gestaffelten Rentenhöchstbeträge ebenfalls nicht ändern. Das bedeutet, daß die Renten, die schon bisher diese Beträge erreichten, keine Erhöhung erfahren und die Renten, die durch Anpassung diese Beträge überschreiten würden, mit dem die Höchstgrenze überschreitenden Betrag von der Anpassung auszunehmen sind.
Für das kommende Jahr ist mit einer Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten zu rechnen. Damit würden sich auch die individuellen Rentenhöchstbeträge erhöhen, ,so daß bei einer erneuten Anpassung der Renten an Veränderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage auch ein großer Teil derjenigen Renten erhöht würde, die zur Wahrung eines gerechten Verhältnisses in diesem Jahre nicht oder nicht voll um 6,1 v. H. erhöht werden können.
Die für die Anpassung gewählte Technik stellt sicher, daß die Masse der anzupassenden Renten von den Rentenrechnungsstellen der Bundespost mit Hilfe elektronischer Rechengeräte umgerechnet werden kann, ohne daß die Versicherungsträger dabei eingeschaltet zu werden brauchen. Dadurch wird es möglich, die Umrechnung verhältnismäßig schnell durchzuführen und die Rentenempfänger baldmöglichst in den Genuß der erhöhten Leistungen zu bringen.
Zur Tätigkeit des Sozialbeirates darf ich noch sagen, daß' er seine wichtigste Aufgabe erfüllt hat, dean er hat einen ganz klaren Vorschlag über die Anpassung der Renten gemacht. Der Vorschlag bezieht sich sowohl auf die Höhe der Anpassung als auch auf den Zeitpunkt, von dem an die Anpassung erfolgen soll. Dieser Vorschlag deckt sich mit demjenigen, den Ihnen die Bundesregierung am Ende des Sozialberichtes gemacht hat. Die Bundesregierung konnte auch den gesetzgebenden Körperschaften im Sozialbericht selbst mitteilen, daß ihr Vorschlag mit dem des Sozialbeirates im Ergebnis übereinstimmt. Der Sozialbeirat hat an diesem Beschluß während seiner weiteren Arbeiten festgehalten und hat ihn auch in seiner letzten Sitzung am 27. Oktober 1958 aufrechterhalten. Das ergibt sich auch aus dem Schreiben des Herrn Vorsitzenden des Sozialbeirates, das er am 27. Oktober 1958 an mich gerichtet hat. Der Sozialbeirat hatte sich bereits vorher ausdrücklich damit einverstanden erklärt, daß sein Beschluß auch von dar Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften mitgeteilt würde. Ich möchte meiner Genugtuung Ausdruck geben, daß die Überlegungen im Sozialbeirat zu dem gleichen Ergebnis ,geführt haben wie die Untersuchungen, die von der Bundesregierung angestellt worden sind.
Sicherlich ist es zu bedauern, daß innerhalb des Sozialbeirates eine Einigung über die Begründung nicht erzielt werden konnte. Dabei hat es sich - das kann ich sagen, ohne idle Vertraulichkeit der Beratungen zu verletzen - nicht nur darum gehandelt, daß für die einzelnen Beteiligten die Gründe, aus denen sie dem Ergebnis zugestimmt haben, ihrem Inhalt nach verschiedene sein konnten, sondern es ging auch um Fragen der Methode. Meinungsverschiedenheiten dieser Art werden immer auftauchen, wenn Persönlichkeiten, die so verschiedenen Gruppen angehören, sich zu einem beratenden Gremium zusammenfinden. Ich habe aber die feste Zuversicht, daß die Mitglieder des Sozialbeirates sachlich und methodisch aus ihrer Zusammenarbeit so wertvolle Erfahrungen gewonnen haben, daß der Sozialbeirat bei einer Fortsetzung seiner Tätigkeit im nächsten Jahre nicht nur zu einem Beratungsergebnis, sondern auch zu einer gemeinsam erarbeiteten Begründung kommen kann.
Das würde auch dann gelten, wenn in der Zusammensetzung des Beirates die eine oder andere Veränderung eintreten sollte. Wie Sie wissen, haben die Mitglieder des Sozialbeirates im Zusammenhang mit der Tatsache, daß sie ein gemeinsam begründetes Gutachten nicht vorlegen konnten, ihr Amt zur Verfügung gestellt. Ich halte es durchaus für möglich, daß bei einer Wiederaufnahme der Arbeiten ein großer Teil der bisherigen Mitglieder sich einem erneuten Rufe nicht entziehen würde.
Aus dem erwähnten Schreiben des Herrn Vorsitzenden des Sozialbeirats vom 27. Oktober 1958 lassen sich auch einige sachliche Anhaltspunkte erkennen, die für die Beschlußfassung, für die Meinung der Mehrheit und für die Auffassung der Minderheit bedeutungsvoll waren - Erwägungen, die sicherlich auch künftig eine wichtige Rolle spielen werden und der weiteren gedanklichen Durchdringung bedürfen.
Ich bin der Meinung, daß wir dem Sozialbeirat, der bei seiner sehr schwierigen Aufgabe im ersten Jahr zu einem klaren Ergebnis gekommen ist, das Vertrauen schenken sollten, ein zweites Mal seine Arbeiten aufzunehmen und sie mit einem begründeten Vorschlag abzuschließen.
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Ich möchte, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht ohne die Feststellung schließen, daß unsere erste Überzeugung von der Größe und Bedeutung des Rentenreformwerkes durch den wachsenden zeitlichen Abstand und die dabei gewonnene Erfahrung bestätigt worden ist. Sie ist auch bekräftigt worden - wie die eingangs dargestellte wirtschaftliche Entwicklung beweist - durch das Wachstum der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Produktivität und des Volkseinkommens, wobei das besonnene Verhalten der Rentner nach2770
Bundesarbeitsminister Blank
drücklich hervorgehoben werden muß. Die Besorgnisse, die in dieser Hinsicht ursprünglich gewisse Vorbehalte verständlich erscheinen ließen, haben sich erfreulicherweise als unbegründet erwiesen. Der private Verbrauch blieb - wie ich anführen konnte - weitgehend konstant. Auch der Gedanke selbstverantwortlicher Vorsorge ist gestärkt worden. Dies zeigt sich sowohl in der Ausdehnung der privaten Lebensversicherung als auch in der Zunahme der Spareinlagen.
An dieser Zunahme der Spartätigkeit haben auch die Rentner Anteil. Die Rentenreform hat die soziale Situation der Rentner entscheidend verbessert und den Gedanken der Solidarität zwischen den Arbeitenden und den aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen gestärkt. Auf der anderen Seite haben die Rentner von den Verbesserungen, die sie durch die Rentenreform erfahren haben, einen Gebrauch gemacht, der beweist, daß sie sich als verantwortungsbewußte Glieder der gesamten Gemeinschaft fühlen. Die Rentner haben gezeigt, daß sie die Rentenversicherungsreform verdient haben. Diese Reform in der vom Gesetzgeber, also von Ihnen, meine Damen und Herren, vorgesehenen Weise weiter zu verwirklichen, ist der Zweck des ersten Rentenanpassungsgesetzes, das Ihnen die Bundesregierung hiermit vorgelegt hat.
({2})
Sie haben die Begründung zu dem Entwurf des Ersten Rentenanpassungsgesetzes durch die Regierung gehört.
Ich gebe zur Begründung des Antrags der Fraktion der SPD - Drucksache 619 - dem Herrn Abgeordneten Meyer ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion legt Ihnen heute den Gesetzentwurf über die Gewährung einer Sonderzahlung zur Abgeltung der Rentenanpassung für das Jahr 1958 vor. Auf unsere Entscheidung warten Millionen Rentner; denn hier steht viel mehr auf dem Spiel als ein Lichtblick für Millionen von Rentnern, deren Renten nicht wesentlich erhöht worden sind und die nun eine neue kleine Erhöhung bekommen sollen. Es geht hier unserer Überzeugung nach um Treu und Glauben.
Es heißt in dem vom Herrn Minister zitierten § 1272 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung: „Bei Veränderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage werden die Renten durch Gesetz angepaßt." Wenn auch in den folgenden Absätzen dieses Paragraphen noch von anderen Faktoren, von denen sich aber einige gewissermaßen untereinander aufheben, gesprochen wird, so ist doch dieser Begriff der allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage entscheidend, da er ja auch in dem von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf zur alleinigen Grundlage der Rentenanpassung gemacht wird. Allerdings will dieser Gesetzentwurf den Rentnern ein ganzes Jahr Rentenanpassung gewissermaßen vorenthalten.
Man hat seinerzeit unter großem finanziellem Aufwand an den Rentenzahlstellen Flugschriften verteilt, weil die dritten Bundestagswahlen bekanntlich unmittelbar vor der Tür standen. Meine Damen und Herren, Sie können heute in allen Zeitungen von rechts bis links nachlesen, daß sämtliche Organe, auch diejenigen, die in bezug auf die vorn Parlament angenommene neue Rentenformel nicht unserer Auffassung sind, gerade die damals gemachten Versprechungen kritisieren, für die noch dazu sehr viel Geld ausgegeben worden ist.
Ich darf in diesem Zusammenhang, um meine Feststellung zu erhärten, auf die „Rentenfibel" hinweisen, die seinerzeit bei allen Postanstalten zu beziehen war und eine Erweiterung der Flugblattpropaganda vor den Rentenzahlstellen bezweckte. Hier heißt es in dem Abschnitt „Anpassung aller laufenden Renten in der Zukunft" u. a.:
Der Rentenreform könnte kein nachhaltiger Erfolg beschieden sein, wenn sie auf diese Fragen
- also auf die Fragen der Anpassung keine befriedigende Antwort gegeben hätte.
Tatsächlich ist aber vorgeschrieben worden,
- vorgeschrieben worden! daß die laufenden Renten bei Veränderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage, also der Durchschnittslöhne, durch Gesetz anzupassen sind, wobei der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie den Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen Rechnung zu tragen ist. Dadurch ist sichergestellt, daß Produktivitätssteigerungen nicht nur dem Arbeitenden, sondern auch dem Rentner zugute kommen. Wenn der Lebensstandard des Arbeitenden steigt, wird auch der Lebensstandard des Rentners steigen.
({0})
- Nein, er steigt leider nicht,
({1})
sondern Sie wollen den Rentnern ein Jahr vorenthalten, wie ich schon festgestellt habe.
Und dann kommt der entscheidende Satz:
Der in der Vergangenheit beobachtete Vorgang, daß der Lebensstandard des Rentners immer weiter hinter dem Lebensstandard des Arbeiters zurückbleibt, wird sich nicht wiederholen.
Das haben Sie in der „Rentenfibel" veröffentlicht.
Ich könnte Ihnen darüber hinaus eine ganze Reihe von Heften der „Sozialen Ordnung", Blätter der christlich-demokratischen Arbeitnehmer, anführen - ich werde noch einiges daraus zitieren -, in denen Sie sich im Laufe der Monate immer wieder gegen die Kritik gewandt haben, die auch wir daran geäußert haben, daß Sie, um einmal mit Herrn Professor von Nell-Breuning zu sprechen, „Raum und Einfluß den Interessentengruppen geMeyer ({2})
geben haben", die dieses entscheidende Kernstück der Rentenreform verwässert haben. Herr von Nell-Breuning sagt: „Im Interesse dieser Interessengruppen ist diese zentrale Frage der Rentenreform verwässert worden." „Es wird sich nicht wiederholen" - sagen Sie -, „daß der Lebensstandard der Rentner zurückbleibt."
Wir von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion haben seinerzeit vorgeschlagen, diese Frage automatisch - und das scheint sich auch in der großen Masse der Bevölkerung durchzusetzen -, aus den politischen Auseinandersetzungen des Parlaments herauszunehmen und Jahr für Jahr in der Form zu lösen, daß die Renten der veränderten allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage angepaßt werden.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit das Organ „Christlich-Demokratische Blätter der Arbeit" zitieren, das in einem Artikel „Nur nicht nervös werden - Ein Wort zur Rentenanpassung" schreibt:
Logisch wäre es gewesen, wenn der Gesetzgeber diesen Modus
- also der Erhöhung der allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage nicht nur für Zugangsrenten, sondern auch für
die Bestandsrenten vorgeschrieben hätte.
Das hätte dann zur Folge gehabt, daß die 1957 umgestellten Bestandsrenten und die Zugangsrenten des Jahres 1957 zu Anfang des Jahres 1958 automatisch um 6,1 °/o gestiegen wären. Das wäre vernünftig gewesen. Ich muß den „Christlich-Demokratischen Blättern der Arbeit" hierin recht geben. Wenn man, da bereits durch die bekannte Verordnung vom 21. Dezember 1957 die Erhöhung der allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage um 6,1 % festgelegt wurde, sofort, wie es § 1272 Abs. 1 vorschreibt, von der Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hätte, um gleich die Renten Monat für Monat mit anzuheben, brauchten wir diese Debatte nicht, die Unruhe unter 7 Millionen Rentnern wäre nicht vorhanden, und auch - wie es in den genannten Blättern wörtlich heißt - das „Geschrei" der Interessentengruppen wäre nicht vorhanden. Wir müssen hier an das gesamte Reformwerk denken. Ich denke jetzt nur an die Abführung der Beiträge für die freiwillige Weiterversicherung, die ja von den Interessentengruppen immer wieder in einem sehr starken Maße angeknabbert werden. Hierdurch wird eine sehr große Unruhe in die ganze Sozialversicherung hineingetragen. Ihr Industrie- und Finanzflügel - so darf ich sagen - hat auf der bekannten Tagung in Königswinter nicht nur die weitere Verwässerung der allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage erreicht, indem er das vorhergehende Kalenderjahr noch dazwischengeschoben hat, um die Renten herunterzudrücken, sondern dieser Paragraph ist dann in der Form zustande gekommen, daß, obwohl das Jahr am 30. September fast zu Ende ist, erst der Bericht vorgelegt werden soll. Da wurde diese Lücke geschaffen.
Wenn ich auf den Sozialbericht kurz eingehen darf, der uns vorliegt und über den der Herr Minister gesprochen hat, dann darf ich an den Satz des Vorwortes erinnern, daß dieser Sozialbericht 1958 auf den „besonderen Zweck der Anpassung der Renten hin erstellt" worden ist. Wenn ich den Herrn Minister recht verstanden habe, ist auch für ihn der Sozialbericht 1958 nicht gleichwertig mit der finanztechnischen Bilanz, die bekanntlich erstmalig am 1. Januar 1959 vorgelegt werden muß.
({3})
- Warum nicht?
({4})
- Nach zwei Jahren ist diese versicherungstechnische Bilanz vorzulegen.
({5})
- Jedenfalls ist dieses Datum im Gesetz genannt. Erst mit dieser versicherungstechnischen Bilanz, für die ja viel eingehendere Untersuchungen anzustellen sind als für den Sozialbericht, der nur zu diesem Zwecke erstellt worden ist, kann man die ganze Finanzpolitik unserer Versicherungen für die nächsten zehn Jahre übersehen, und man kann damit nicht jetzt schon zu Beschlüssen kommen und diese Frage zu einer gravierenden Begründung dafür machen, daß man den Rentnern ein ganzes Jahr die verhältnismäßig kleine Rentenerhöhung nicht gewähren will.
({6})
Es ist nicht meine Aufgabe, bei dieser Gelegenheit über das ganze Gefüge der Renten zu sprechen. Aber, ich glaube, man sollte diese Debatte doch mit dazu benutzen, der Öffentlichkeit eine Aufklärung in der Richtung zu geben, daß die Renten gar nicht so hoch sind, wie es in einigen Zeitungen, besonders in den Zeitschriften der Interessenten, immer wieder behauptet wird. Ich darf deshalb die Zahlen des neuesten Berichts des Verbandes der Rentenversicherungen angeben. In der Arbeiterrentenversicherung beträgt die durchschnittliche Berufsunfähigkeitsrente 105,48 DM, die Erwerbsunfähigkeitsrente 118,14 DM, die Altersrente, also das Altersruhegeld 160,25 DM, die Altersrente wegen Erreichung des 60. Lebensjahres 170,34 DM und die Rente der Frauen wegen Erreichung des 60. Lebensjahres 122,12 DM, so daß also die Durchschnittsrente in der Arbeiterrentenversicherung 144,52 DM beträgt.
Ich glaube, die Öffentlichkeit sieht an diesen Zahlen, in wie kümmerlicher Weise Millionen Rentner trotz der Rentenreform heute noch leben. In der Angestelltenversicherung kommen wir immerhin auf eine Durchschnittsrente von 230,64 DM. Das sind die neuesten Zahlen.
({7})
- Das beweist, Herr Kollege Ruf, daß Millionen von Rentnern selbst auf diese kleine Rentenerhöhung von 6 % sehnsüchtig warten.
({8})
Es sind Millionen von Menschen - ich bitte, das doch zu bedenken -, die weit unter 100 DM Rente
Meyer ({9})
im Monat haben. Sie können sich diesen Zahlen doch nicht verschließen, Sie können doch nicht vor dieser Wirklichkeit kapitulieren!
({10})
- Sie scheinen diese Zahlen zu bezweifeln. Es sind nach meiner Kenntnis der Dinge weit über 3 Millionen Rentner, deren Rente unter 100 DM im Monat liegt.
({11})
Angesichts einer solchen Lage können Sie diesen Schichten, gewissermaßen den Ärmsten der Armen unseres Volkes
({12})
doch nicht ein ganzes Jahr die Rentenerhöhung, selbst in diesem bescheidenen Ausmaß von 6 %, vorenthalten.
({13})
Argumente dafür, auch solche, die sich auf die finanztechnische Seite bezögen, habe ich heute nicht vernommen und haben auch keinerlei Grundlage. Denn bei einem Vermögensbestand der Rentenversicherung von 12 Milliarden DM und bei einem Zugang in den Vermögenswerten im letzten Jahre - nach dem neuen Bericht des Verbandes der Rentenversicherungsträger - von 1,7 Milliarden DM kann man doch in dies e m Augenblick nicht von einer finanziellen Notlage der Rentenversicherung sprechen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gern.
Herr Abgeordneter Meyer, die Zahlen, die Sie genannt haben, sind so provozierend und erscheinen, wenn man an die Tausende von Rentnern denkt, die Sie aufgezählt haben, so bedrückend, daß Sie verpflichtet sind, in diesem Raume auch zu sagen, wie groß der Teil der Rentner ist -
Einen Augenblick, Frau Abgeordnete! Was Sie auch sagen wollen, Sie müssen es mindestens in die Frageform kleiden.
Ich frage Sie, Herr Meyer: Können Sie hier auch sagen, wie groß die Zahl der Rentner unter der großen Masse, die Sie genannt haben, ist, die durch eigenes Verschulden dahingekommen sind, und wie groß der Prozentsatz derer ist, die nicht durch eigenes Verschulden in diese Situation gekommen sind?
({0})
Meyer ({1}) : Nein, das kann ich nicht sagen.
({2})
Aber daß Sie gerade als Frau diese Frage stellen, finde ich nicht gut - verzeihen Sie, Frau Kollegin Friese-Korn -, weil hier vor allem eine Million Witwen sehr benachteiligt sind - Sie nicken -, insbesondere durch die neuen Rentengesetze in sehr starkem Maße benachteiligt sind.
({3})
Ich bekomme immer wieder Zuschriften und habe diese Frage auch schon in der Fragestunde angeschnitten. Deshalb, weil die Berechnung der Witwenrenten nach dem neuen Recht sich dahin auswirkt, daß sie nicht immer sechs Zehntel, sondern in sehr, sehr vielen Fällen nur drei Zehntel der Rente ihres verstorbenen Ehemannes erhalten. Das betrifft gerade diese Million Witwenrenten.
({4})
Daß die Renten auch heute so niedrig sind, sollte uns doch zu denken geben.
Natürlich wird auch von unserer Seite nicht bestritten, daß sich unter diesen Rentnern auch solche befinden, die nur sehr wenige Jahre Beiträge geleistet haben.
({5})
- Aber das ist doch nicht das Entscheidende! Sie müssen doch den Blick auf die Millionen der Menschen unseres Volkes richten! Angenommen, es wäre so, daß diese Millionen Menschen ihre Rente gewissermaßen geschenkt bekommen hätten, dann wäre es nach meiner Auffassung Pflicht dieses Parlaments gewesen, da ja zwei Weltkriege die Menschen durcheinandergewirbelt haben und sehr viele
- das sind zum Teil Ihre Wähler - für ihre Notlage nichts können, ein Mindesteinkommen festzusetzen. Es sind ja zum Teil oft sehr vermögende Leute gewesen, die als Vertriebene hierher gekommen sind.
({6})
- Nein, die öffentliche Fürsorge reicht jetzt in gar keiner Weise aus. Ich behaupte - nachdem ich in dieser Frage angesprochen wurde -, daß wir einen echten fünften Stand in unserem Volke haben, der ein sehr, sehr gefährliches Sprengpulver in unserer Demokratie darstellt.
Diesem Problem muß also nach unserer Auffassung Rechnung getragen werden. Die sozialpolitische Zielsetzung - ich glaube, das ist die entscheidende Frage, um die das Haus nicht herum kommt
- ist die Veränderung der allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage. Selbst in Ihren Reihen ist doch nun langsam klargeworden: wenn diese Methode fortgesetzt wird, werden wir eine Rechtsungleichheit unter den Rentnern schaffen. Wir haben jetzt schon drei verschiedene Arten von Rentnern.
Nun beantworten Sie bitte meine Frage: warum sollen ausgerechnet die Millionen Rentner, für die, weil das Parlament mit der Rentenreform nicht vorwärts kam, die letzten Jahre wirklich Jahre der Entbehrung waren, auch wenn sie eine Rentenerhöhung bekommen haben, welche aber, wie ich nachgewiesen habe, für Millionen nicht ausreicht, erneut ein ganzes Jahr auf eine Rentenanpassung verzichten? Dafür bitte ich mir einmal eine sozialpolitische
Meyer ({7})
Erklärung zu geben. Ich glaube, dazu sind Sie, meine Damen und Herren, nicht in der Lage.
Diese sozialpolitische Frage .steht aber im Vordergrund. Die andere Frage ist, glaube ich, untergeordneter Art. Zwingende wirtschaftspolitische Gründe stehen der Anpassung der Renten mit kung vom 1. Januar 1958 auch nicht entgegen. Im Wochenbericht des Deutschen Instituts für Konjunkturforschung vom 19. September 1958 wird erklärt, es solle -alles geschehen, um der realen Entwicklung des privaten Verbrauchs Hilfsstellung zugeben. Das fällige Nachziehen -der Sozialrenten würde nach diesem Bericht die gesamte Nachfrage nach Verbrauchsgütern um 1/2 v. H. erhöhen, und das - so wird von diesem Institut -bestätigt liegt absolut im Interesse unserer Konjunktur. Andere Wirtschaftskenner sind sogar über diese Forderung noch hinausgegangen. Ich möchte mich aber nur auf die Feststellung eines wichtigen Industrieinstituts stützen.
Einiges noch kurz über die Finanzlage der Rentenversicherung! Ich möchte betonen: wir sehen es ganz anders, als -es der Herr Minister vorgetragen hat. Wir glauben angesichts der Tatsachen und einiger weiterer Argumente - das frühere lange Warten der betroffenen Rentnerschichten usw. -, daß jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist, ein ganzes Jahr auf Kosten der Rentner einzusparen. Wir glauben vielmehr, daß man diese Frage nicht vertagen kann, ,sondern daß es sich hier um -eine sozialpolitische Sofortmaßnahme handelt. Nach unserer Auffassung läßt e-s der Vermögensstand der Rentenversicherungen absolut zu, die Rentenerhöhung ab 1. Januar 1958 nachzuziehen und dann, nach Erstellung der finanztechnischen Grundlage die ganze Materie im Sozialpolitischen Ausschuß in einer ruhigen und vernüftigen Atmosphäre zu besprechen. Nach diesen zwei Jahren -der Praktizierung der Rentenreform ist manches zu erörtern. Das kann man dann in aller Ruhe und Sachlichkeit tun. Man sollte bedenken, daß -diese ganzen Beschlüsse und Versprechungen in -einer gewissen Hast und im Blick auf die bevorstehenden dritten Bundestagswahlen zustande gekommen sind, was die Presse in ihren Kommentaren in dies-en Tagen dem Bundestag auch zum Vorwurf macht. Gerade mit Rücksicht darauf sollte man jetzt in aller Ruhe diese Fragen besprechen und nicht überstürzt einen Beschluß fassen; denn damit würde man nicht nur Unruhe, sondern auch starkes Mißtrauen gegen die Demokratie bei Millionen von Menschen hervorrufen, die sich auf Grund der Rentenfibel und der Flugblätter darauf verlassen haben, daß die Rentenanpassung kommt.
Es geht uns also um die Beseitigung eines Unrechts; es geht uns darum, daß dem Gleichheitsprinzip Rechnung getragen wird. Die Vermögenslage der Rentenversicherungsträger ist nicht so alarmierend, wie es von den Interessentengruppen darzustellen versucht wird. Dieses „Geschrei" der Interessentengruppen, um mit den Blättern der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft zu sprechen, ist nicht begründet. Man kann in aller Ruhe über die Probleme sprechen. Das Bundesarbeitsministerium wird sicher inzwischen ein Gremium von sachverständigen Mitarbeitern gebildet haben, das über die Beseitigung der Härten und Ungerechtigkeiten nachdenkt.
Ich darf bei dieser Gelegenheit auch noch auf den Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Vorsitzenden der CDU-Fraktion, Herrn Dr. Krone, dessen Wort wir immer sehr ernst genommen haben, hinweisen. Darin ist vor der Bundestagswahl den Wählern die Beseitigung all dieser Härten der Rentenreform versprochen worden. Alle diese Dinge kann man unter Hinzuziehung von Vertretern des Bundesarbeitsministeriums in einer ruhigen Atmosphäre klären. Es geht nicht an, den Rentnern bei der Anpassung der Renten ein ganzes Jahr vorzuenthalten.
Ich beantrage, daß unser Gesetzentwurf dem Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen wird.
Im Hinblick darauf, daß immer wieder alarmierende Zahlen genannt werden, darf ich darauf aufmerksam machen, daß in dem Sozialbericht selbst auf Seite 34 nur von einem „möglichen zeitweiligen Defizit" im Rahmen eines Zehnjahresprogramms gesprochen wird. Es werden sich doch eine ganze Reihe von Veränderungen ergeben. Der große Stoß war nach Meinung aller Kenner der Materie für das Jahr 1958 zu erwarten; aber er ist ja nach dem Sozialbericht nun gestoppt. Deshalb besteht auch zwischen den beiden Jahren ein Unterschied in den Überschüssen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Herr Kollege, wollen Sie mir, um eine Stellungnahme zu Ihrem Antrag zu erleichtern, die Frage beantworten, worauf Sie Ihre Behauptung von einer besseren finanziellen Situation der Rentenversicherungsträger angesichts der Zahlen des Sozialberichts und namhafter Mathematiker, die nach meiner Auffassung unbestreitbar sind, gründen?
Verehrte Frau Kollegin, ich kann mich nur an die Zahlen halten, die mir bekannt sind. Den Vermögensstand werden Sie ja nicht bestreiten. Die Überschüsse des Jahres 1956 beliefen sich auf 2,4 Milliarden DM, die des Jahres 1957 auf 1,75 Milliarden DM. Ich verweise ferner auf den Rückgang der Waisenrenten und auf den erfreulich starken Rückgang der Berufsunfähigkeitsrenten. Sie wissen, daß sich das Durchschnittsrentenalter von 54 auf 57 Jahre erhöht hat. Unser Vorschlag geht dahin, diese Zahlen in aller Ruhe, nachdem wir die vermögenstechnische Bilanz bekommen haben, zu überprüfen. Nach unserer Auffassung - ich glaube, das unterscheidet uns - ist die Lage in diesem Augenblick nicht so prekär, daß wir den Rentnern dieses Jahr ganz streichen sollten. Diese Unterschiede sind hier vorhanden, und ich weiß nicht, wie Sie zu dieser Frage stehen.
Noch eine Zusatzfrage!
Gestatten Sie mir die Zusatzfrage: Es wäre für unsere Stellungnahme - und darum bitte ich um Ihre Antwort, Herr Kollege -wichtig, zu wissen, wie Sie die Finanzlage sehen, wenn Ihr Antrag angenommen würde. Wenn die jetzt vorhandenen Bestände in einem oder zwei Jahren nicht mehr da sind, was sich eindeutig aus den Zahlen der Rentenversicherungsträger ergibt, wie wollen Sie dann die Auswirkung Ihres Antrags für die Zunkunft finanzieren?
Diese Anfrage rechne ich nicht unter das „Geschrei", wie die christlich-demokratischen Arbeitnehmerblätter schreiben. Aber ich sehe die Entwicklung völlig anders. In den Rentengesetzen ist zunächst einmal die Bestimmung enthalten, daß mit der Veränderung der allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage der Bundeszuschuß prozentual erhöht wird. Die Steigerung der Löhne und Gehälter wirkt sich auf die spätere Beitragsbemessungsgrundlage aus, so daß eine Parallelität eintritt. Ich glaube, daß die bei der Darstellung der rücklaufenden Tendenzen genannten Zahlen übertrieben sind; sie sind zumindest in keiner Form bewiesen worden. In dieser ganzen Rechnung sind eben sehr viele Unbekannte.
Ich stimme um noch etwas zu diesem Thema zu sagen - vollkommen mit dem Aufsatz überein, den der schon genannte Herr Professor Fritz Neumark in der „Zeit" geschrieben hat und in dem er über die Versicherungsmathematiker - wenn ich zitieren darf - folgendes sagt:
Es wäre aber eine Verkennung der Problematik, wenn man solchen Experten über die Erstellung einwandfreier zahlenmäßiger Unterlagen hinaus auch die Aufgabe zuweisen würde, die voraussichtliche gesamtwirtschaftliche Entwicklung einer Rentenanpassung zu würdigen, eine Aufgabe, der sie als Nicht-Volkswirte kaum genügen werden.
({0})
Unter den Experten und Wissenschaftlern sind die Auffassungen also völlig verschieden.
Ich darf meine Ausführungen nicht mit eigenen Darlegungen, sondern mit dem Schlußabsatz dieses Artikels „Soziale Ordnung" in den ,,Christlich-Demokratischen Blättern der Arbeit" schließen. Ich glaube, ein sehr großer Teil der Kollegen, die diese Zeitung beziehen und die in den Reihen der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft tätig sind, betrachtet das nicht nur als Propaganda für seine Mitglieder, sondern ist davon überzeugt, daß das, was hier steht, auch die Auffassung dieser Kreise ist. Wenn Sie zu diesen Kreisen gehören, dann müssen Sie auch durch Ihre Stimmabgabe in den Parlamenten diesen Ihren Auffassungen Nachdruck verleihen
({1})
- Sie lachen, Herr Kollege -; denn sonst kann ich eine solche Auffassung nicht ernst nehmen. Dann ist das die gleiche Propaganda wie in den Flugblättern, wie in der Rentenfibel usw.
Ich darf also mit diesem Schlußabsatz meine Ausführungen beenden:
Der Gesetzgeber hat sich durch seine Überängstlichkeit die Suppe eingebrockt. Er muß sie nun auslöffeln. Die Arbeitnehmer erwarten jedenfalls, daß der Bundestag seine Pflicht tut und sich nicht von draußen beirren läßt.
({2})
- Die Frage der Beitragserhöhung steht gar nicht zur Diskussion, Herr Kollege Ruf. Das ist eines der Schlagworte, das „Geschrei in der Öffentlichkeit", wie diese Arbeitnehmer-Blätter Ihrer Partei schreiben, mit dein diesen Dingen Schwierigkeiten gemacht werden sollen.
Das Gleichheitsprinzip verlangt, daß alte und neue Rentner gleichbehandelt werden. Die Zugangsrenten des Jahres 1958 liegen um rund 6 % über den Renten von 1957 und den Altrenten. Diese Rentner haben einen wohlbegründeten Anspruch auf die gleiche Erhöhung, und zwar mit Wirkung vom 1. 1. 1958 ab. Sie können erwarten, daß sie spätestens zu Weihnachten in den Besitz der Nachzahlung kommen.
Meine Herren Kollegen, das erzählen Sie draußen Ihren Mitgliedern!
Um diesen Ihrem Wunsche Rechnung zu tragen und nachzukommen, um Sie beim Wort zu nehmen, haben wir unseren Gesetzentwurf eingebracht. Unser Gesetzentwurf ist so einfach und klar, daß den Rentnern diese 6% ige Nachzahlung gleichsam in einem Akt noch vor Weihnachten - wie Sie es selbst fordern-gewährt werden kann. Ich wünsche also, daß die Kollegen der Christlich-Demokratischen Union, die diese Auffassung in diesen Blättern vertreten, gemeinsam mit uns einen solchen Gesetzentwurf rechtzeitig verabschieden, damit die jahrelang bitter enttäuschten Rentner
({3})
in den Genuß der Nachzahlung kommen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir haben wieder die Freude, eine Gruppe englischer Parlamentarier und Kollegen des Unterhauses unter uns zu haben. Ich begrüße die Damen und Herren mit besonderer Freude.
({0})
Wir haben immer wieder besonders gerne die Mitglieder des Unterhauses, die die ehrwürdigste Tradition des europäischen und damit des Weltparlamentarismus vertreten, bei uns. Wir wissen deshalb die Ehre ihres Besuchs besonders zu schätzen
({1})
Meine Damen und Herren, Sie haben die Einbringung der Gesetzentwürfe unter Ziffer 1 unserer heutigen Tagesordnung gehört. Wir verbinden daPräsident D. Dr. Gerstenmaier
mit die Aussprache. Das Wort in der Aussprache erster Lesung hat zunächst der Herr Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Aussprache sind die von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe unter Ziffer 1 a und b der Tagesordnung über die Rentenanpassung und der von ihr dem Parlament vorgelegte Sozialbericht gemeinsam zu behandeln. Als ich mir heute morgen einige Gedanken über den Ablauf der heutigen Debatte machte, habe ich auch noch einmal flüchtig in den Stenographischen Berichten über die erste und die weiteren Lesungen unserer damaligen Rentenreform geblättert. Als ich dabei meine eigenen Ausführungen las, stellte ich fest, daß etwa an der Spitze ein Satz stand, den ich auch heute wieder an die Spitze meiner kurzen Ausführungen stellen möchte: Ich möchte Sie bitten, doch daran zu denken, daß das Plenum keine Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses ist.
({0})
Wir sollten uns deshalb auch wirklich darauf beschränken, hier nur die Dinge vorzutragen, die mit den Grundsätzen in Zusammenhang stehen. Die vielen, vielen Einzelheiten, die beispielsweise dei Sozialbericht enthält und uns zur Prüfung und näheren Überlegung an die Hand gibt, sollten wir tatsächlich den Beratungen des Ausschusses überlassen. Diese Bemerkung wollte ich vorausschicken.
Vor wenigen Wochen sind der Bundesregierung von dieser Stelle aus ziemlich massive Vorwürfe gemacht worden, weil sie den Sozialbericht dem Hohen Hause nicht präzis am 30. September vorgelegt hat. Der Sozialbericht, den uns die Regierung nun unterbreitet hat, trägt das Datum vom 15. Oktober 1958. Ich möchte, wie ich glaube, auch in voller Übereinstimmung mit meinen politischen Freunden - es wäre schön, wenn ich sagen könnte: mit dem ganzen Hause -, der Bundesregierung sehr herzlich dafür danken, daß sie uns zum 15. Oktober diesen so tiefgründigen Sozialbericht vorgelegt hat, der wirklich echtes Verantwortungsbewußtsein bei dem Zustandekommen dieses Berichts zeigt.
({1})
Ich will gleich auf einige Fragen eingehen, die in die Debatte der ersten Lesung hineingehören.
Die Bundesregierung hat den Sozialbericht vorgelegt, ohne daß sie gleichzeitig damit auch das Gutachten des Sozialbeirats hätte vorlegen können. Der Beirat ist zur Vorlegung dieses Gutachtens nicht gekommen - wir alle kennen die Gründe -, weil er bei dem Bemühen, eine Begründung dafür schriftlich festzulegen, keine Einigung erreichen konnte. Daraus hat er die Konsequenz der Demission gezogen. Im Augenblick ist die Situation so, wie sie der Herr Minister Blank vorhin gekennzeichnet hat. Ich will auf die Zusammenhänge nicht näher eingehen.
Der Herr Minister hat gesagt, er sei der Auffassung, man solle den Beirat erneut berufen und ihm
in der zuversichtlichen Erwartung, daß er dann damit, auch mit der Begründung, vollständig zu Rande kommt, den Auftrag für das nächste Jahr wieder geben. Der Herr Minister ist also der Meinung, daß bei einer Wiederholung des Auftrags die Panne vermieden würde, die in diesem Jahr leider eingetreten ist. Ich persönlich bin in dieser Frage zwar etwas skeptisch. Aber ich glaube, daß ich namens meiner Freunde erklären kann: Wenn der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung der Überzeugung ist, daß man es bei den derzeitigen Gesetzesbestimmungen bezüglich der Zusammensetzung und der Berufung des Beirats noch einmal versuchen sollte, dann in Gottes Namen. Wir wünschen von vornherein viel Glück auf den Weg und wollen sehen, was im nächsten Jahr daraus wird.
Als der Sozialbericht in der Öffentlichkeit bekannt wurde, gab es fast die gleichen Meinungsverschiedenheiten und Stellungnahmen wie bei der Diskussion um die Rentenversicherung bei den Neuregelungsgesetzen. Ich habe mich auch in manchen Unterredungen mit anderen interessierten Persönlichkeiten darüber unterhalten. Dabei wurden u. a. Meinungen geäußert, die ungefähr dahin gingen: Nachdem uns der Sozialbericht nun eine solche Lage der Rentenversicherungen offenbart hat, gibt es gar nichts Vordringlicheres und nichts Eiligeres, als an die Reform der Reform heranzugehen und dafür zu sorgen, daß das, was man damals nicht gemacht hat, jetzt nachgeholt wird. Darunter waren auch Stimmen, die dahin gingen: wenn wir aus dieser Geschichte herauskommen wollen, geht es gar nicht anders, als daß wir jetzt a tempo die Beiträge zu den Rentenversicherungen erhöhen.
Meine verehrten Damen und Herren! Solche Auffassungen, dieser Schrei nach der Reform der Reform sind in der derzeitigen Situation vollkommen fehl am Platze. Ich glaube, man muß in diesem Zusammenhang der Öffentlichkeit ,auch sagen, daß, bevor es zu einer Novelle der Neuregelungsgesetze kommen kann, erst noch eine ausgedehnte Zeit abgewartet werden muß, um genügend Erfahrungen zu sammeln, daß all die Dinge, in denen sich Korrekturen als notwendig ergeben, erst bei der Bundesregierung gesammelt werden müssen, um dann zum gegebenen Zeitpunkt verwertet zu werden. Man muß, glaube ich, mit allem Nachdruck sagen, daß heute die Voraussetzung für eine Novellierung der damaligen Neuregelungsgesetze noch keineswegs gegeben ist.
Selbstverständlich waren die Gesetze damals keine hundertprozentigen Treffer. Das konnten sie auch nicht sein. Wir alle, sowohl die Regierungsparteien als auch die Opposition, waren uns damals darüber klar, daß sie das nicht sein konnten, daß wir Neuland beschritten, daß dieses Neuland sehr vorsichtig beschritten werden mußte, daß dann erst einmal abgewartet werden muß, wie die Saat, die man hier in den Boden gelegt hat, sich auf dem neuen Ackerboden, auf dem neuen Lande entwikkeln würde, in jedweder Beziehung, und daß dann zu irgendeinem Zeitpunkt auch eine Korrektur die2776
ser und jener Vorschriften erforderlich sein würde. Darüber waren wir uns - ich wiederhole es - damals alle klar.
Meine verehrten Damen und Herren! Wir haben auch in dieser Stunde zu erklären: Es geht bei der Gesetzesvorlage, die uns hier beschäftigt, einzig und allein um die Anpassung der Renten um 6,1 % ab 1. Januar 1959, so, wie es die Gesetzesvorlage vorsieht. Es geht aber in diesem Zusammenhang, auch wenn wir über den Sozialbericht diskutieren, nicht darum, nun aus diesem Sozialbericht einzelne Korrekturwünsche und -forderungen hier vorzubringen und zu verwirklichen.
Meine Damen und Herren! Den Rentnern draußen - und damit komme ich ungefähr auch schon zu der Begründung, die Herr Kollege Meyer hier für den sozialdemokratischen Gesetzentwurf gegeben hat -, den immer wieder von Herrn Meyer erwähnten Millionen armer Menschen kommt esdarauf an, ihnen die Garantie zu geben, daß das, was wir mit Wirksamkeit ab 1. Januar 1957 geschaffen haben, auch in die fernere Zukunft hinein gesichert und erhalten bleibt.
({2})
Das ist das entscheidende Anliegen der Millionen Rentner draußen. Es ist gar nicht so, wie Herr Meyer das hier hingestellt hat, als ob nun draußen unter den Millionen Gott weiß was für ein Notschrei losginge.
({3})
3) Wo solche Dinge vorkommen, da sind sie gemacht, da sind sie konstruiert, da hat man die Menschen dahingebracht, daß sie einer solchen angeblichen Unzufriedenheit Ausdruck geben.
({4})
- Jawohl, dabei bleiben wir!
Herr Meyer hat gesagt, es geht hier um Treu und Glauben.
({5})
Selbstverständlich geht es um Treu und Glauben, aber in der Richtung, die ich soeben hier geäußert habe: daß wir den Menschen die Garantie und die Beruhigung geben, die sie auch ruhig schlafen läßt, daß wir ihnen die neue Konzeption, die wir zum 1. Januar 1957 verwirklicht haben, auch für die Zukunft garantieren und sichern.
({6})
- Verehrter Herr Meyer, wenn Sie sich schon hier so hinstellen, wie Sie das soeben getan haben, und wenn Sie hier wiederholt von „Betrügenwollen" gesprochen haben, dann ist das ein so unerhörter Vorwurf
({7})
sowohl an die Adresse der Bundesregierung als auch an die Adresse derer, die hinter dieser Vortage stehen,
({8})
daß man diesen Vorwurf und diese Beleidigung nicht energisch genug zurückweisen kann.
({9})
Wenn Sie so kommen, Herr Meyer, und wenn Sie hier von Treu und Glauben und von all diesen Dingen reden, dann muß ich jetzt doch einmal etwas aussprechen, was ich eigentlich nicht vorhatte zu sagen. Wie können Sie sich hier hinstellen und so sprechen, während Sie doch bei der Rentenreform durch Ihre Zustimmung in der dritten Lesung die Mitverantwortung für dieses Gesetz übernommen haben!
({10})
Von dieser Verantwortung vor den Rentnern kann Sie kein Mensch befreien. Sie sollten den Mut haben, diese Ihre Verantwortung auch draußen den Leuten zu erklären. Wenn Sie das nicht selber tun, werden wir dafür sorgen, daß die Rentner in zunehmendem Maße daran erinnert werden, daß auch die sozialdemokratische Fraktion die Verantwortung in dritter Lesung gemeinsam mit uns übernommen hat. Wenn Sie das so wollen, warum haben Sie dann damals nicht den Mut aufgebracht -sicherlich auch mit einem Blick auf den 15. September 1957 -, zu einer Gesetzesvorlage, die Sie für so verderblich halten, wie Sie das hier dartun, einmal ein mannhaftes Nein zu sagen und die Vorlage in dritter Lesung abzulehnen? Dazu hat es nicht gereicht. Das muß man hier heute einmal erklären.
({11})
- Wir stehen zu dem, Herr Baur - und dann sagen Sie bitte noch einmal, ob das Unsinn ist -, was damals in dieser neuen Konzeption von der Regierung hier vorgelegt und von uns verabschiedet worden ist, nämlich daß den Rentnern und den versicherten Menschen, wenn sie das entsprechende Alter erreicht haben und Rentenbezieher werden, die Alterssicherung garantiert ist, wie sie dem Grunde nach in diesen Gesetzen verankert wurde.
Herr Kollege Meyer hat geglaubt - ich kann nicht auf alle Dinge eingehen -, uns mit dem Organ der Sozialausschüsse christlich-demokratischer Arbeitnehmer gewissermaßen unseren eigenen Spiegel vorhalten zu sollen, und er hat hinzugefügt, seine Fraktion habe aus der in diesem Organ niedergeschriebenen Auffassung die Konsequenzen gezogen und diesen Gesetzentwurf eingebracht. Meine Damen und Herren, es wäre eine komische Sache, wenn man an Meinungsäußerungen in diesem und jenem Organ - die genannte Zeitschrift ist ja kein parteiamtliches Organ der CDU - Sozialbeirat oder Bundesregierung und Parlament binden und uns verpflichten wollte, nun solchen Auslassungen auch bei unseren Entscheidungen hier im Hause zu folgen. Das kann doch ernsthaft niemand verlangen. Man wird uns vielmehr nach wie vor für verpflichtet halten, allen Einzelheiten verantwortungsbewußt nachzugehen, sie zu prüfen und danach unsere Entscheidungen zu treffen. In diesem Falle steht fest, daß Sozialbeirat, Bundesregierung und Bundesrat in dem Ziel, das der Gesetzentwurf
anstrebt, einer Meinung gewesen sind. Alle drei Instanzen haben der Größenordnung, also den 6,1 %, und auch dem Zeitpunkt des Inkrafttretens zugestimmt.
Herr Kollege Meyer, wir haben bei den damaligen Beratungen niemals einen Zweifel darüber gelassen, daß wir die von Ihnen geforderte absolute Automatik - wie sie auch Ihr Gesetzentwurf damals verlangte - ablehnen. Diese Automatik lehnen wir heute genauso ab. Die Dinge waren doch damals so: Weil wir nicht einfach automatisch ab 1. Januar 1958 - um bei diesem Beispiel zu bleiben - bei veränderter allgemeiner Bemessungsgrundlage die automatische Anpassung vornehmen wollten - das hätte unserer Verantwortung widersprochen -, haben wir die „Bremse" in die Gesetze eingebaut, die uns die Möglichkeit läßt, die volkswirtschaftliche, finanzpolitische und währungspolitische Lage und die Finanzlage der Rentenversicherungsträger zu prüfen und danach zu entscheiden. Ich glaube, das allein und gar nichts anderes entspricht der wirklichen Verantwortung, die dieses Parlament hat.
({12})
Die vorläufigen Erkenntnisse, die wir aus dem Sozialbericht zu ziehen haben, sind, glaube ich, primär folgende. Aus dem Sozialbericht wird erkennbar, daß nicht alle Auffassungen, die wir damals gehabt haben, hundertprozentig zutreffend waren oder zutreffen. Dieser Sozialbericht sagt uns, daß wir im Rahmen des Möglichen zwar anpassen sollen, daß wir aber aufs Ganze gesehen mit dem, was uns hier zur Betreuung und zur Verantwortung in die Hand gegeben ist, sehr behutsam umgehen müssen, damit wir nicht eines Tages in Schwierigkeiten hineinkommen, die jeder von uns, jeder in diesem Hause unter allen Umständen vermieden sehen möchte.
Deshalb, glaube ich, ist es richtig, die Anpassung, wie die Regierung vorschlägt, mit Wirkung vom l Januar 1959 vorzunehmen. Den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, der auch für 1958 anpassen will, werden wir ablehnen müssen, weil er uns an die Automatik heranbringt und weil wir diese zusätzliche Belastung von 650 bis 700 Millionen DM, die die Annahme dieses Antrags zur Folge haben würde, einfach nicht verkraften können - wir können das den Rentenversicherungsträgern einfach nicht zumuten -, wenn wir nicht für die künftigen Jahre von vornherein eine gewisse Blockierung, zum mindesten aber eine zusätzliche Erschwerung herbeiführen wollen. Ich glaube, das müssen wir sehr wohl beachten. Deshalb können wir diesem Antrag nicht folgen.
Ich will hier nicht des näheren auf die verschiedenen Abschnitte des Sozialberichts als solchen eingehen. Ich kann nur wiederholen, daß er nach meiner Überzeugung mit sehr großem Verantwortungsbewußtsein erarbeitet und zusammengestellt worden ist. Der volkswirtschaftliche Teil läßt entsprechende Ausblicke in die nächsten Jahre zu. Er ist, glaube ich, eine Untermauerung der Annahme, daß wir aus gutem Grund und mit ausreichender Begründung die jetzige Anpassung vornehmen dürfen.
Wenn wir von der Finanzlage der Rentenversicherungsträger und den Möglichkeiten künftiger Entscheidungen sprechen wollen, sollten wir das nicht hier, sondern im Ausschuß tun. Man sollte insbesondere die Möglichkeiten, die von der Bundesregierung auf den Seiten 31 ff. des Sozialberichts und auch schon vorher aufgezeigt worden sind, einer sorgfältigen Prüfung unterziehen. Auf Seite 27 des Berichts wird ja auch im einzelnen dargelegt, welchen Finanzbedarf eine Anpassung ab 1. Januar 1958 insgesamt erforderlich macht. Das kommt den Dingen nahe, die im sozialdemokratischen Entwurf gefordert sind. Ich meine also, daß wir uns im Sozialpolitischen Ausschuß schon die Zeit nehmen müssen, uns auch mit diesen Einzelfragen des Sozialberichts auseinanderzusetzen, damit wir hier zu vernünftigen Erkenntnissen und Entscheidungen kommen. Mehr möchte ich im Augenblick dazu nicht sagen.
Lassen Sie mich abschließend noch zwei Fragen ansprechen. Bei der Darstellung der finanziellen Situation der einzelnen Rentenversicherungsträger wird dargetan, wie unterschiedlich die Finanzlage der Arbeiterversicherung und die der Angestelltenversicherung sind. Hier wird darauf hingewiesen, daß man, wenn man entsprechend diesen Möglichkeiten anpaßt, bei der Angestelltenversicherung weniger anpassen kann als bei der Arbeiterrentenversicherung. Meine verehrten Damen und Herren, wir haben damals die Angestelltenversicherung und die Arbeiterrentenversicherung weitgehend über einen Leisten geschlagen. Ob das nun der Weisheit letzter Schluß war, mag dahingestellt bleiben. Aber ich halte es angesichts dieser Tatsache für sehr schlecht, wenn wir in der Arbeiterrentenversicherung zu häufigeren, in der Angestelltenversicherung jedoch zu weniger häufigen Anpassungen kommen wollten.
In dem Bericht wird u. a. gesagt, daß bei dieser unterschiedlichen Finanzlage zu beachten bleibt, daß zugunsten der Angestelltenversicherung ein über die bisherigen Rentenerstattungen hinausgehender Finanzausgleich wegen der Rentenleistungen an Wanderversicherte noch durchgeführt werden muß, weil man von 1945 bis zur Rentenneuregelung gegenseitige Erstattungen nicht mehr vorgenommen hat. Dieser Finanzausgleich - so sagt der Bericht - würde die Finanzlage der Angestelltenversicherung bessern. Ohne Zweifel wird er das tun. Aber im vorigen Jahr haben sich die Rentenversicherungsträger über eine Quote, die im Jahre 1957 zu zahlen war, verständigt, und eine Verständigung für das Jahr 1958 steht noch aus. Man darf auch von dieser Stelle aus die Beteiligten im Verband Deutscher Rentenversicherungsträger sehr herzlich darum bitten, sich, bei dem wünschenswerten gegenseitigen Verständnis, auch über den weiteren Finanzausgleich in Sachen Wanderversicherte tunlichst zu einigen; denn wenn das nicht geschieht, muß letzten Endes ein Appell an die Bundesregierung ergehen, von sich aus, etwa durch Rechtsverordnung, diesen Ausgleich festzulegen. Ich hoffe, daß es den Beteiligten bald gelingen wird, für das .Jahr 1958 und vielleicht auch für die folgenden Jahre zu einem Ausgleich zu kommen.
2778 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch. den 26. November 1958
Die letzte Frage, die ich ansprechen möchte, wird wahrscheinlich ohnehin im Verlauf dieser Debatte hochkommen: die Erstattungen nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes an die Rentenversicherungsträger. Wir haben schon damals in einem Beschluß die Bundesregierung ersucht, den Finanzbedarf dafür festzustellen und beim nächsten Haushalt dann auch konkrete Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Inzwischen ist unbestritten, daß der Anspruch nach § 90 BVG ganz nahe an die 2-Milliarden-DM-Grenze herankommt. Das wiegt sehr schwer angesichts der Lage unseres Bundeshaushalts. Aber man kann ja nicht Jahr für Jahr hier theoretische Forderungen aufstellen, ohne daß das Verlangen irgendwie und irgendwann realisiert wird und sich in unserem Haushalt niederschlägt. Deshalb kann ich nur an die Bundesregierung und insbesondere an den Herrn Bundesfinanzminister die nachdrückliche Bitte richten, bei den weiteren Überlegungen, wie man nun, trotz aller Schwierigkeiten mit dem Bundeshaushalt, irgendwie zurechtkommen kann, endlich auch bei dieser Frage erkennen zu lassen, daß man an die Realisierung herangeht, wenn auch verteilt auf mehrere Haushaltsjahre. Denn die Rentenversicherungsträger sind auf diese Erstattungen unbedingt angewiesen. Das muß bei dieser Gelegenheit noch einmal ausgesprochen werden.
Sicher werden Sie sich erneut mit unserer Auffassung auseinandersetzen - das wird wahrscheinlich Herr Schellenberg als nachfolgender Debatteredner noch besorgen - und sie als falsch hinstellen. Vorhin wurde schon Verschiedenes zitiert. Herr Meyer, Sie haben den Professor von Nell-Breuning genannt und sich immer wieder auf die Zeitschrift der Sozialausschüsse bezogen. Ich habe hier gerade die Ausführungen in der Hand, die ein Professor gemacht hat, der nicht zu meiner Partei gehört. Aber, ich glaube, er steht Ihnen ({13}) näher als uns. Es ist Professor Bogs, der auch dem Sozialbeirat als Mitglied angehört hat. Dieser sicherlich sehr prominente Sachverständige hat in der Februar/März-Nummer 1957 der Zeitschrift für Sozialreform, nachdem wir damals die Rentenreform verabschiedet hatten, u. a. geschrieben -ich bitte, wenn Sie so freundlich sein wollen, einmal genau hinzuhören -:
Die neuen Rentengesetze haben uns gezeigt, daß auch unsere Zeit zu schöpferischen Gesetzgebungswerken fähig ist. Wir dürfen froh und auch ein wenig stolz darauf sein, daß die „umfassende Sozialreform" mit einem im ganzen so glücklichen Entwurf begonnen wurde. Sie auch auf anderen Gebieten der sozialen Leistungen und der Fürsorge gleich mutig und glücklich fortzusetzen ist die Aufgabe, die vor uns liegt.
Meine Damen und Herren, ich glaube, ein besseres Prädikat, ein besseres Zeugnis über das, was wir damals in diesem Hause verabschiedet haben und - ich kann es nur wiederholen - wofür Sie letzten Endes die Mitverantwortung durch Ihre Zustimmung übernommen haben, ein besseres Lob,
als es uns hier aus diesem Munde zuteil geworden ist, kann kaum ausgesprochen werden.
Ich kann abschließend noch einmal sagen: wir werden der Regierungsvorlage unsere Zustimmung geben, wir stimmen der Rentenerhöhung, der Anpassung um 6,1 % und dem Wirksamwerden am 1. Januar 1959 zu. Im übrigen sind wir im Sozialpolitischen Ausschuß jeder Diskussion offen, die uns der Sozialbericht nahebringen wird.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Horn, ich kann Ihnen in einem zustimmen: daß wir uns heute bei der ersten Lesung nicht sehr mit Details, sondern mit grundsätzlichen Fragen beschäftigen sollen. Auf ein Detail sind Sie eingegangen, das nicht zur Materie gehört, nämlich auf die Stellungnahme von Herrn Professor Bogs, der, wie ich heute zum erstenmal höre, uns nahesteht. Ich werde ihm einen Aufnahmeschein für die Sozialdemokratische Partei demnächst anbieten.
Wenn wir heute dein Sozialbericht der Bundesregierung beraten und die erste Lesung des Ersten Rentenanpassungsgesetzes und des Gesetzentwurfs der Sozialdemokraten über die Gewährung einer Sonderzulage zur Abgeltung der Anpassung für 1958 durchführen, dann ist es im Rahmen einer grundsätzlichen Debatte notwendig, daß wir uns kurz der Kritik erinnern, die bei den Beratungen der Renten-Neuregelungsgesetze gegen den Grundsatz der Rentenanpassung, um den es heute geht, erhoben wurde. Damals wurde behauptet, die Dynamisierung der Renten würde verhängnisvolle volkswirtschaftliche Auswirkungen haben. Herr Dr. Hellwig, ich komme gleich zu einem Bereich, der Sie sehr interessieren wird. Aus den vielen kritischen Stimmen möchte ich hier nur nine Äußerung zitieren, nämlich die Äußerung eines der Sozialpartner, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände - Herr Dr. Hellwig spitzt schons einen Bleistift, um darauf zu antworten; ich freue mich auf eine Aussprache hierüber - hat nämlich im April 1956 in ihrer Denkschrift „Probleme der Sozialreform " sich eingehend mit der Rentendynamik beschäftigt. Die Bundesvereinigung sprach im Zusammenhang mit der Rentenanpassung von zwangsläufigen Auswirkungen auf die Lohn- und Preis-Spirale und von einer - ich zitiere wörtlich - „sich dann selbst beschleunigenden, kaum aufzuhaltenden inflatorischen Bewegung".
({0})
- Ich werde dieser Behauptung die Tatsachen noch
gegenüberstellen. - Weiter behauptete die Bundesvereinigung, die Einführung der dynamischen Rente würde die Kapitalbildung beeinträchtigen und - man höre! - die soziale Marktwirtschaft schwer erschüttern. So wörtlich zu leisen.
Diese Ausführungen haben den Herrn Bundeswirtschaftsminister seinerzeit offenbar so stark beeindruckt, daß er ,bekanntlich erklärte, das „Gift" - die Rentendynamik - müsse aus den Rentenreformgesetzen heraus. Schließlich behauptete die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in der Denkschrift: „Die dynamische Rente mit den geschildertem Auswirkungen muß gleichzeitig auch den Anreiz und Willen zum privaten Sparen und zur Eigenvorsorge ertöten."
Heute steht fest - darin kann ich dem Herrn Bundesarbeitsminister zustimmen -, daß diese düsteren Prognosen sich nicht bewahrheitet haben. Im ersten Jahr der Rentenneuregelung wurde nach den Feststellungen der Deutschen Bundesbank ein Höhepunkt in der Spartätigkeit erreicht. Die Sparquote der privaten Haushaltungen hat ,sich im Jahre 1957 gegenüber 1956 um etwas über 40 % erhöht. Der Herr Bundesarbeitsminister hat erwähnt - ich möchte es durch Zahlen unterstreichen -, daß der Verband der Lebensversicherungsunternehmungen bekundet hat, im Jahre 1957 war ein außergewöhnlicher Aufschwung der Eigenvorsorge im Bestand des Abschlusses von Lebensversicherungen zu verzeichnen.
({1})
Die Beitragseinnahmen der Lebensversicherungen haben sich im Jahre 1957 um über 300 Millionen DM erhöht und die Rekordhöhe von über 2 Milliarden DM erreicht. Das sind die Tatsachen.
Dennoch ist die, wie wir heute feststellen müssen, ungerechtfertigte und zum Teil unsachliche Kritik an der Rentendynamik nicht ohne Auswirkungen auf die Gesetzgebung über die Anpassung geblieben. Herr Kollege Horn hat davon gesprochen, daß eine Bremse 'eingebaut wurde. Jene systematisch organisierte - so muß man .schon sagen - Kritik an der Rentenanpassung hat damals die Mehrheit des Hauses veranlaßt, in die Rentenneuregelungsgesetze die widerspruchsvollen und nicht gut ausgewogenen - um mich sehr vorsichtig auszudrükken - Vorschriften über die Anpassung der lauf enden Renten aufzunehmen. Die Tatsache, daß wir heute darüber vom Grundsätzlich en her diskutieren müssen, ist eine Konsequenz der damaligen - und ich Glaube Ihnen das beweisen zu können -, nicht glücklichen Vorschriften über die Methode, nach der die Anpassung insbesondere der laufenden Renten vorzunehmen ist.
Ich möchte das im einzelnen belegen. Erstens. Durch die Rentenneuregelungsgesetze, zu denen wir im Grundsatz selbstverständlich stehen, Herr Kollege Horn, wurde gegen unsere Stimmen eine unterschiedliche Handhabung zwischen der Anpassung der Neurenten - die automatisch der Lohn
und Gehaltsentwicklung angepaßt werden - und der Anpassung der Altrenten festgelegt. Dadurch wurde der Grundsatz der gleichen Rentenberechnung bei gleicher Beitragszahlung verletzt. Bei Neurenten und Altrenten werden unterschiedliche Systeme angewandt, und die Anpassung hängt lediglich davon ab, ob der einzelne am 31. Dezember 1957 oder am 1. Januar 1958 zur Rente kommt.
Die zweite Schwierigkeit besteht darin, daß durch die Vorschriften über die Anpassung der laufenden Renten - § 1272 Abs. 1 RVO - einerseits festgelegt wurde, die Renten sind bei Veränderung der Bemessungsgrundlage, also der durchschnittlichen Löhne und Gehälter, anzupassen. Andererseits wurde gleichzeitig bestimmt, daß bei der Anpassung auch anderen Momenten Rechnung zu tragen ist, die mit der Lohn- und Gehaltsentwicklung keineswegs konform gehen. Daraus ergeben sich außerordentliche Schwierigkeiten, um nicht zu sagen: Widersprüche in dem gesamten System der Rentenanpassung.
({2})
- Meine Damen und Herren, ob nicht einmal unser höchstes Gericht dahin entscheiden wird, daß es eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ist, wenn man bei gleicher Beitragszahlung unterschiedliche Rentenleistungen erhält, das steht noch dahin.
({3})
Drittens. Eine weitere sehr unglückliche Regelung sehen wir darin, daß die volkswirtschaftlichen Begriffe, die eingeführt wurden - nämlich Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Produktivität, Veränderung des Volkseinkommens je Beschäftigten - sehr vieldeutig sind und daß auch die Entwicklung dieser volkswirtschaftlichen Tatbestände durchaus unterschiedlich verläuft.
Schließlich wurde - viertens - dem durch das Gesetz geschaffenen Sozialbeirat die Funktion zugewiesen, ein objektives Urteil über Fragen zu fällen, die, wie die der Festsetzung der Rentenhöhe, in den Bereich politischer Entscheidungen fallen. Dem Beirat wurde - das ist das Problem - eine Aufgabe übertragen, die ein solches Gremium von Sachverständigen einfach nicht meistern kann. Ich stimme in dieser Hinsicht dem Herrn Bundesarbeitsminister nicht zu, der die Schwierigkeiten mit dem Beirat mit einer hoffnungsvollen Bemerkung abtun zu können glaubte. Die Problematik des Beirats liegt viel, viel tiefer. Wenn Sie das aus der Krise um den Beirat noch nicht erfahren haben, werden Sie es in der nächsten Zeit erfahren müssen. Das liegt in den Problemen, die durch diesen Beirat überhaupt geschaffen worden sind.
Meine Damen und Herren, die Sie hier trotz aller Erfahrungen immer noch den Gedanken des Beirats so lebhaft verteidigen, ich frage Sie: weshalb treten Sie nicht eigentlich auch für einen Beirat bei der Anpassung der Beamtengehälter und der damit zusammenhängenden Pensionen ein?
({4})
Die grundsätzliche Fragestellung ist wohl die gleiche wie bei der Rentenanpassung. Ein Unterschied liegt nur darin, daß die Anpassung der Renten überwiegend aus Beiträgen der Versicherten und ihrer Arbeitgeber, die Anpassung der Be2780
amtengehälter und der Pensionen aber ausschließlich aus dem Steueraufkommen finanziert wird. Wer hier so nachdrücklich für den Beirat eintritt, müßte daher eigentlich sagen: Wir wünschen auch für die Anpassung anderer Bezüge ein ähnliches Gremium mit jener Funktion der Gutachtertätigkeit einzuschalten.
Zur Problematik des Beirates möchte ich noch folgendes sagen. Bitte, prüfen Sie, ob man nicht durch den Beschluß, einen Beirat dieser Art zu schaffen, das Ausmaß der politischen Verantwortung bei der Entscheidung über die zukünftige Höhe der Renten verringern wollte. Wollten sich nicht diejenigen, die für den Beirat eintreten, gewissermaßen ein wissenschaftliches Alibi für die politische Entscheidung verschaffen, die nun einmal dieses Haus zu fällen hat? Auf jeden Fall sollte durch das Gutachten des Beirates - das war doch der Sinn Ihrer Beschlüsse - die Entscheidung dieses Hauses über die Anpassung der laufenden Renten in dieser oder jener Weise präjudiziert werden. Wenn der Beirat sagt, eine Anpassung von 6,1 % sei wissenschaftlich begründet, wer wollte dann hier erklären: Nein, statt 6,1 % müssen es nur 4 % oder 8 % sein! Das war doch der Sinn der Entscheidung, die Sie getroffen haben.
All das hat sehr bedenkliche Auswirkungen gehabt; ich meine damit nicht den Grundsatz der Anpassung, sondern, wie ich immer wieder sagen muß, die Methode, die Sie gewählt haben.
Ich möchte Ihnen das an drei Beispielen verdeutlichen. Erstens: Die Schwierigkeit begann, als im Dezember vergangenen Jahres die Bemessungsgrundlage für 1958 bekanntgemacht wurde. Nahezu die gesamte Presse und damit auch die Rentner nahmen an, es handle sich um eine Anpassung aller Renten vom 1. Januar 1958 an. Die sieben Millionen Rentner, die laufende Renten erhalten, sind damals schwer enttäuscht worden; denn sie entnahmen den Mitteilungen, daß die laufenden Renten angepaßt würden.
({5})
Meine Damen und Herren, es steht im Zusammenhang mit dieser unglücklichen Konstruktion der Rentenanpassung, daß der Bundesarbeitsminister den Sozialbericht nicht, wie vorgeschrieben, am 30. September vorgelegt hat. Die Regierung hat den Bericht nicht pünktlich vorgelegt. Ein weiterer Tatbestand ist, daß der Arbeitsminister am gleichen Tage, an dem die Sache zur Erörterung im Parlament anstand, in eine Pressekonferenz ging und über die Rentenanpassung berichtete. Ich verstehe es nicht, Herr Kollege Horn, wie Sie es fertigbringen können, diese Umstände zum Anlaß zu nehmen, der Regierung noch den Dank auszusprechen.
({6})
Wir sollten uns doch alle darin einig sein, daß dies ein Vorgehen war, das nicht der Würde des Parlaments entsprach, sondern eine Brüskierung des Hauses bedeutete. Auch Sie, Herr Kollege Horn, sollten nicht so weit gehen, ein solch unerfreuliches
Verhalten durch eine Danksagung nachträglich sinnvoll gestalten zu wollen; das sind Sie dem Ansehen dieses Hauses schuldig.
({7})
Die weitere unglückliche Konsequenz des Beirats ist folgende. Dem Beirat wurden Funktionen für die Bestimmung der Einkommenshöhe von Menschen - nämlich der Rentner - zugewiesen, die jetzt nicht mehr dem Arbeitsleben angehören. Diese Aufgabenstellung hat zwangsläufig dazu geführt, daß das Klima zwischen den Sozialpartnern nicht verbessert, sondern im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen über den Beirat verschlechtert wurde. Ich glaube, diese Tatsache kann man nicht leugnen. Meine Damen und Herren, das sind Unerfreulichkeiten über Unerfreulichkeiten.
({8})
- Herr Kollege Hellwig, auch Sie haben doch davon Kenntnis erhalten, zu welch grundlegenden Meinungsverschiedenheiten es im Beirat über die Frage der weiteren Anpassung der Renten gekommen ist. Im Beirat waren praktisch die Vertreter der Versicherungsträger, Repräsentanten der Arbeiter und Angestellten sowie der Arbeitgeber. Eine solche Situation kann das Klima unter den Sozialpartnern nicht verbessern und hat es nicht verbessert.
({9})
- Herr Kollege Hellwig, ich würde Ihnen empfehlen, über diese Frage einmal mit denjenigen zu sprechen, die die Arbeitgeber repräsentieren, nicht nur im Beirat. Denn die Schwierigkeiten haben nicht darin bestanden, daß man sich im Beirat in Formen, die einer solchen Aufgabe gemäß sind, unterhalten hat. Die Problematik ist vielmehr die, daß die Spannungen des Beirats auf die Sozialpartner draußen ausstrahlten und sich auswirken mußten.
Deshalb kann ich weder Herrn Bundesarbeitsminister Blank noch Herrn Kollegen Horn zustimmen, die sagten, man solle die Angelegenheit mit dem Beirat erst einmal so lassen, wie sie ist; das werde sich mehr oder weniger einspielen. Herr Kollege Horn, Sie haben dabei - das war wohl der einzige Punkt, in dem Sie von der Bundesregierung etwas abgewichen sind - etwas größere Zweifel darin gesetzt, ob der Beirat in der Tat in der Lage ist, seine Aufgaben zu lösen.
Wir müssen feststellen, daß wir uns heute in einer unerfreulichen, um nicht zu sagen: verfahrenen sozialpolitischen Situation befinden, was den Beirat und damit die ganze Rentenanpassung angeht. Das ist wegen der großen sozialen Bedeutung der Rentenversicherung für die Sicherung des Lebensabends von Millionen von Menschen und wegen der volkswirtschaftlichen Auswirkungen -Leistungsausgaben von 14 Milliarden DM - Anlaß zu einer großen Sorge.
Als Sprecher der Sozialdemokraten möchte ich mich heute nicht darauf beschränken, das System zu
kritisieren, sondern ich will gleichzeitig darlegen, I welche Möglichkeiten wir sehen, die Schwierigkeiten zu überwinden oder wenigstens zu mildern. Dabei muß man nach unserer Auffassung zweierlei unterscheiden, erstens Sofortmaßnahmen - ich werde das im einzelnen erläutern - und zum anderen Regelungen, durch die auf die Dauer die Rentenanpassung sinnvoller gestaltet werden kann. Sofort muß unseres Erachtens erstens über die Rentenanpassung 1958 und zweitens über die Rentenanpassung 1959 eine Entscheidung getroffen werden.
Zuerst zur Rentenanpassung 1958! Ein wesentlicher Grund für uns, eine Regelung für die Rentenanpassung 1958 zu erstreben, ist nicht nur die Zusage, die bei der Rentenneuregelung gegeben wurde - und die mein Kollege Meyer hier mehrfach zitiert hat -, sondern vor allen Dingen der Umstand, daß die Gleichheit unter den Rentnern durch die Methoden der gegenwärtigen Rentenanpassung verletzt ist.
({10})
Das ist ein schwerwiegender Tatbestand.
Wir sind der Auffassung, daß es ein unmöglicher Zustand ist, wenn die Rente der Neurentner bereits für 1958 der Lohn- und Gehaltsentwicklung angepaßt wird - das ist geschehen - und die Bundesregierung jetzt vorschlägt, die Anpassung 1958 für die Altrentner gewissermaßen unter den Tisch fallenzulassen. Mit diesem bedenklichen Tatbestand muß man sich sehr ernsthaft auseinandersetzen.
Wir legen unseren Gesetzentwurf über eine einmalige Sonderzahlung auch deshalb vor - und ich bitte Sie, das sehr ernsthaft zu prüfen -, um künftigen Entscheidungen über die Gestaltung der Rentenanpassung nicht unbedingt vorzugreifen. Im Gegenteil, unser Vorschlag, jetzt eine Übergangsregelung - wenn Sie so sagen wollen - für 1958 zu treffen, erleichtert weitere Überlegungen über die zukünftige Gestaltung der Rentenanpassung. Ich gebe deshalb die Hoffnung nicht auf, daß wir ungeachtet der sehr eindeutigen Ablehnung des Kollegen Horn bei den Ausschußberatungen darüber zu einem sinnvollen Gespräch kommen.
Der Herr Bundesarbeitsminister war in seinen Ausführungen über die Anpassung für 1958 widerspruchsvoll. Auf der einen Seite hat er eine günstige gesamtwirtschaftliche Entwicklung geschildert. Bei den Folgerungen für die Rentenanpassung 1958 kam er aber zu einer Verneinung der Grundsätze, die in den §§ 1272 und 1233 der RVO festgelegt sind.
({11})
- Herr Kollege Ruf, man wird unglaubwürdig, ({12})
wenn man als Minister auf der einen Seite in einer Rede die hervorragende wirtschaftliche Entwicklung preist und auf der anderen Seite die Anpassung der laufenden Renten, die im Grundsatz vorgeschrieben ist - und zwar hat sie jährlich zu erfolgen -, verweigern will.
Über die finanziellen Zusammenhänge werden wir noch zu sprechen haben. Ich darf Sie aber bitten, meine Damen und Herren, Ihre Stellungnahme über die Anpassung 1958 doch zu überprüfen, wobei ich sage: Durch die Regelung, die wir jetzt vorschlagen, sollen die weiteren Entscheidungen für die nächsten Jahre nicht präjudiziert werden.
Nun komme ich zu einem zweiten Bereich, der geregelt werden muß - und zwar als Sofortmaßnahme -, zu der Anpassung 1959. Hierüber liegt der Gesetzentwurf der Regierung vor. Seiner Konzeption können wir grundsätzlich zustimmen, wenn eine Regelung für 1958 in dieser oder jener Form getroffen wird. Das ist allerdings die Voraussetzung dafür,
({13})
daß man eine Regelung für 1959 treffen kann. In diesem Zusammenhang muß ich aber darauf aufmerksam machen, daß der Gesetzentwurf der Regierung, wonach ah 1. Januar 1959 angepaßt werden soll, eine Reihe von Vorschriften enthält, die ich als ungerecht bezeichnen muß.
Die erste Ungerechtigkeit liegt darin, daß der Sonderzuschuß von 14 bzw. 21 DM von der Anpassung ausgeschlossen werden soll. Auf die versicherungstechnischen Zusammenhänge komme ich noch zu sprechen. Aber was bedeutet der Ausschluß des Sonderzuschusses von der Anpassung? Er bedeutet, daß zwei Millionen Menschen, die die allerkleinsten Renten erhalten, für einen Teil ihrer ohnehin schon niedrigen Rente keine Anpassung erhalten sollen. Man begründet das mit den Vorschriften der Rentenneuregelungsgesetze. Aber ist denn nicht der Sinn der Rentenneuregelungsgesetze entscheidend, daß nämlich die Renten der Lohn- und Gehaltsentwicklung und der Preisentwicklung angepaßt werden sollen? Die Lebenshaltungskosten für die unteren Verbrauchergruppen haben sich in den letzten zwei Jahren - ich gebe Ihnen die genauen Zahlen - um sechs Punkte erhöht, nämlich von 116 auf 122.
({14})
- Wenn die erste Anpassung nach der Vorstellung der Regierung 1959 erfolgt, liegen zwei Jahre seit der Rentenneuregelung zurück, Herr Kollege Atzenroth. - Zumindest dieser Preisentwicklung muß bei der Rentenanpassung insbesondere für die kleinsten Renten Rechnung getragen werden. Wenn Sie das nicht tun, sondern den Sonderzuschuß ausnehmen, werden die kleinsten Renten praktisch nicht um rund 6, sondern nur um rund 4 % erhöht. Das wäre eine außerordentliche Härte gegenüber den Menschen, die - das müssen Sie doch zugeben - von der Rentenreform - ob versicherungstechnisch gerechtfertigt oder nicht, das sei dahingestellt - enttäuscht waren.
Frau Kollegin Friese-Korn, Ihre Zwischenbemerkung war sehr ungerecht. Sie haben davon gesprochen, daß die Menschen selbst Schuld an der niedrigen Rente trügen. Meine Damen und Herren, worum handelt es sich denn bei diesen Gruppen? Es handelt sich in erheblichem Umfang um Rentner, die unter das Fremd- und Auslandsrentengesetz fallen, unter jene Tabellen, die nach den Rentenneuregelungsgesetzen biss zum 30. Juni 1957 den Vorschriften der Rentenreform anzupassen waren, was bis heute noch nicht durchgeführt worden ist. - Herr Kollege Atzenroth, Sie schütteln den Kopf. Ich
muß Ihnen leider sagen: Sie kennen die Praxis der Rentenversicherung nicht so genau. Denn wer seine Versicherungsunterlagen durch Kriegiseinwirkung verloren hat, dem wird heute noch als Arbeiter bei der Rentenberechnung ein Arbeitsverdienst von 240 Mark unterstellt. Wenn Sie mit einer solchen Grundlage eine Rente mit 40 Jahren Arbeitsleben errechnen, kommen Sie auf eine Rente, die nicht den Lebensbedarf deckt. Man sollte hier nicht solche Worte in die Debatte werfen, wie es die verehrte Frau Kollegin Friese-Korndurchihre Zwischenbemerkung getan hat. Das wird dem Ernst der Sachlage nicht gerecht.
({15})
Eine andere Frage, die in ,dem Anpassungsgesetz für 1959 auch geregelt worden muß, ist die Frage der Anrechnung auf sonstige Sozialleistungen. Wenn das Gesetz in der jetzigen Fassung angenommen wird, dann bleibt nur eine Nachzahlung für zwei Monate anrechnungsfrei. Alle anderen Erhöhungen der Leistungen werden den Kriegsbeschädigten, den Lastenausgleichsempfängern und den sonstigen Gruppen voll angerechnet. Wir sind der Auffassung, daß eine solche volle Anrechnung nicht den Grundsätzen der Rentenneuregelung entspricht. Denn ,der Lebensstandard dieser Menschen wird damit praktisch nicht der wirtschaftlichen Entwicklung angeglichen, sondern sinkt in Zusammenhang mit der Preisentwicklung ab.
Mein Kollege Meyer hat mit Recht darauf hingewiesen: Was der Herr Bundeskanzler vor der Bundestagswahlerklärt hat, das muß immer wieder wörtlich zitiert werden. Der Herr Bundeskanzler sagte damals: „Es muß unter ,allen Umständen vermieden werden, daß die vorgesehenen Verbesserungen durch eingehende Anrechnungsvorschriften in vielen Fällen kaum zur Auswirkung kommen." Seitdem ist aber nichts geschehen, um die durch die Anrechnungsvorschriften sich ergebenden Härten auch nur zu mildern, und ,deshalb müssen wir bei den Anpassungsgesetzen beantragen, daß wenigstens neue Härten bei der weiteren Anpassung durch Aufrechterhaltung jener Anrechnungs- und Kürzungsvorschriften vermieden werden.
({16})
Wenn man immer vom Rentenaufwand spricht, dann soll sich die Bundesregierung einmal darüber äußern, wieviele Millionen DM durch die Anrechnungs- und Kürzungsvorschriften in anderen Bereichen der Sozialleistungen eingespart wurden. Der Betrag liegt weit über 500 Millionen DM.
Nun einige Bemerkungen zur Frage der Finanzierung. Aus dem Finanzteil des Rentenberichts ergibt sich, daß die Finanzlage in den letzten Jahren - über die hier tauch berichtet wird - weit günstiger war, als die Bundesregierung ursprünglich behauptet hatte. - Herr Dr. Atzenroth, Sie wollen es nachsehen. Ich möchte es Ihnen erleichtern, indem ich es an zwei Beispielen erläutere.
Bei der Rentendebatte ,in diesem Hause hat uns am letzten Tage, am 23. Januar 1957, die Bundesregierung eine Aufstellung gegeben, in der Einnahmen der Rentenversicherung für 1956, also für
ein Jahr, das gerade schon beendet war, aufgeführt waren. In dieser Aufstellung der Bundesregierung wurden die Einnahmen der Rentenversicherung für 1956 mit 9,96 Milliarden DM angegeben. Aus dem jetzt vorgelegten Bericht entnehmen wir die erstaunliche Tatsache, daß die Einnahmen 1956 tatsächlich 10,61 Milliarden DM betragen haben. Die Bundesregierung hat also zu einem Zeitpunkt, in dem das Jahr 1956 bereits beendet war, über die Höhe der Einnahmen der Rentenversicherung für das Jahr 1956 Angaben gemacht, die um 650 Millionen DM zu niedrig waren.
({17})
Das hat nichts zu tun mit den sehr schwierigen Problemen der versicherungsmathematischen Vorausberechnung für künftige Zeiträume. Wenn sich die Bundesregierung schon - ich will mich wiederum vorsichtig ausdrücken - in einem solch klar nachprüfbaren Tatbestand, bei dem nur die Monate November und Dezember 1956 noch in der Schwebe sein konnten, um solche Größenordnungen irrt, dann muß man starkes Mißtrauen in die Zuverlässigkeit der finanziellen Mitteilungen der Bundesregierung überhaupt setzen.
({18})
Und ,ich möchte Ihnen ein zweites Beispiel geben. Die Bundesregierung hat bei der Verabschiedung der Gesetze den Überschuß der Rentenversicherung - Arbeiter und Angestellte - für 1957 mit 189 Millionen DM angegeben. Damals habe ich bereits bei der Beratung der Gesetze erklärt: der Überschuß ist zu niedrig angesetzt. Im August 1957 habe ich, gestützt auf Mitteilungen der Deutschen Bundesbank, in der Öffentlichkeit erklärt, der Überschuß für 1957 würde wahrscheinlich in die Größenordnung von einer Milliarde kommen. Was hat die Bundesregierung darauf geantwortet? Am 16. August 1957 im Bulletin: „Die von der Bundesregierung mitgeteilte Höhe des Rentenaufwandes wird bestimmt erreicht, wenn nicht gar überschritten werden." So dementierte die Bundesregierung die Mitteilungen, daß der Überschuß etwa 1 Milliarde betragen werde. Tatsächlich ist der Überschuß jetzt 1748 Millionen. Man kann nun hin- und herrechnen und sagen: Da gibt es noch Rückstände, die zusätzlich hinzugekommen sind. Auch dann kommt man auf einen Überschuß von über 1,3 Milliarden.
({19})
- Frau Kollegin Kalinke, damit Sie nachher keinen falschen Zungenschlag tun,
({20})
möchte ich Ihnen folgendes sagen, damit Sie nicht behaupten, es kämen noch die vielen Rentenrückstände hinzu und dann stimme die Berechnung über den Überschuß von 1957 nicht. Wenn Sie von dem Überschuß von 1957 wegen der Rentenrückstände Beträge abziehen würden, kommen Sie nämlich mit dem Überschuß für 1958 ins Schwimmen, er wird dann entsprechend höher. Aber darüber können wir uns vielleicht im Ausschuß unterhalten. Es ist eine Detailfrage. Nur weil Sie sich offensichtlich eine Bemerkung aufschrieben, wollte ich Sie darauf aufDr. Schellenberg
merksam machen, damit ich nicht nachher noch einmal darauf einzugehen brauche.
Es muß also festgestellt werden, daß die Vorausschätzungen der Bundesregierung bei Verabschiedung der Rentenreform, und zwar auch die Zahlenangaben, die die Bundesregierung im ersten Jahr, im August 1957 über die Entwicklung des Jahres 1957 gemacht hat, nicht der Wirklichkeit entsprochen haben, sondern daß das Ergebnis weit günstiger war. Auf Grund der Erfahrungen, die wir alle an Hand des Sozialberichts nachprüfen können - man muß nur mit dem Sozialbericht die Angaben vergleichen, die die Bundesregierung uns seinerzeit gemacht hat; diese fehlen im Sozialbericht -, muß man in die Vorausschätzungen der Bundesregierung bis zum Jahre 1966 einige Zweifel setzen.
Meine Damen und Herren, nun zu den Dingen, die weiter zu gestalten sind. Ich habe von den Sofortmaßnahmen gesprochen. 1958 und 1959 ist unseres Erachtens eine Regelung zu treffen. Und dann muß der Sozialpolitische Ausschuß sehr grundsätzliche Überlegungen bezüglich des Beirates und der weiteren Anpassung der Renten anstellen. Dazu möchte ich eine Bemerkung machen.
Wir sollten uns nach den Erfahrungen seit der Rentenreform gemeinsam darüber im klaren sein, daß jede Änderung der gegenwärtigen gesetzlichen Vorschriften hinsichtlich des Verfahrens der Anpassung genau überlegt werden muß. Ich sage das wahrlich nicht deshalb, weil ich die gegenwärtige Regelung für gut oder zweckmäßig halte, sondern weil, nachdem die Lage so verfahren ist, meines Erachtens unüberlegte Beschlüsse unbedingt vermieden werden müssen. Wenn - das ist unser Ziel - vorweg die Anpassung für 1958 und 1959 geregelt und damit ausgeklammert ist, haben wir Zeit für gründliche Überlegungen über die weitere Gestaltung des Beirates und alle Fragen der Rentenanpassung. Deshalb treten wir so nachdrücklich dafür ein: jetzt eine Übergangsregelung für 1958 und 1959 und dann eingehendste Beratung der gegenwärtigen Methoden der Rentenanpassung.
Namens meiner Fraktion beantrage ich, den Sozialbericht sowie das Schreiben über das Rücktrittsangebot der Mitglieder des Beirats dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Wir Sozialdemokraten werden im Ausschuß für Sozialpolitik vorschlagen, die zurückgetretenen Mitglieder des Beirats zu einer Aussprache über ihre Erfahrungen in der Beiratsarbeit zu bitten. Nachdem dieser Beirat durch Gesetz - gegen unsere Stimmen - geschaffen worden ist, muß sich das Parlament von denjenigen, die in diesem Gremium wichtige Arbeiten geleistet und dann ihre Ämter zur Verfügung gestellt haben, genau über die mit der Beiratsarbeit zusammenhängenden Probleme und Schwierigkeiten unterrichten lassen. Das sind wir nicht nur den Persönlichkeiten schuldig, die sich für diese schwierige Aufgabe zur Verfügung gestellt haben und deren Sachkenntnis - das wollen wir ungeachtet der Probleme und Schwierigkeiten, die sich ergeben haben, feststellen - allgemeine
Wertschätzung verdient, sondern das gebietet das Ansehen des Parlaments.
({21})
Namens meiner Fraktion erkläre ich, daß wir alles unternehmen werden, um auf Grund der Erfahrungen, die die Mitglieder des Beirats gewonnen haben, eine vorurteilsfreie Klärung aller Zusammenhänge zu erreichen. Ich sage dies, obwohl nach unserer Auffassung eine Wiederbelebung des Beirats - der nach unserer Meinung auf einer fehlerhaften Konzeption beruht - den größten Schwierigkeiten begegnen wird oder vielleicht überhaupt nicht möglich ist. Daß die Konzeption nicht glücklich ist, muß jeder zugeben. Meine Damen und Herren, Sie wollen es doch würdigen, wenn ich hier erkläre: wir wollen gemeinsam mit den Herren, die im Beirat gearbeitet haben, die Probleme vorurteilslos prüfen und uns bemühen, es an dem guten Willen in keiner Hinsicht fehlen zu lassen. Dies auch deshalb, weil - und das ist unsere grundsätzliche Auffassung - eine Sicherung des Lebensbedarfs der Menschen, die nicht mehr arbeiten können, erfolgen muß. Die wirtschaftliche Lage der Rentner muß der wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt werden und bleiben. Diese Anpassung muß sinnvoller geregelt werden. Es darf nicht wieder eintreten, daß diese Menschen nach einem Leben der Arbeit zurückbleiben hinter der Entwicklung der Wirtschaft, hinter der Entwicklung der Löhne und Gehälter und auch hinter der Entwicklung der Preise. Weil das für uns eine große Verpflichtung ist, sind wir bereit, alle Vorschläge zur sinnvollen Gestaltung der Methoden der Rentenanpassung sorgfältig zu prüfen und uns durch bessere Argumente überzeugen zu lassen. Meine Damen und Herren, es liegt an Ihnen, bessere Argumente zu bringen. Heute habe ich sie leider weder vom Bundesarbeitsminister noch vom Kollegen Horn hier vernommen.
({22})
Noch etwas muß der Sozialpolitische Ausschuß tun. Er muß so weit wie möglich Klarheit über den zukünftigen Finanzbedarf der Rentenversicherung, vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der weiteren Rentenanpassung, zu erreichen versuchen. Wir alle wissen, daß das eine sehr komplizierte Angelegenheit ist, und wir wissen auch, daß man dabei vielen Unbekannten und vielen Unwägbarkeiten Rechnung tragen muß und daß jede Vorausschätzung mit vielen Fragezeichen belastet ist. Aber gerade deshalb kann ich es nicht hinnehmen, daß der Herr Bundesarbeitsminister und Herr Kollege Horn von der Vorausschätzung bis zum Jahre 1966 hier so gesprochen haben, als handelte es sich um unwiderlegbare Tatbestände.
Selbstverständlich ist es sehr zu begrüßen, wenn uns die Regierung möglichst frühzeitig über ihre Auffassung hinsichtlich der weiteren Finanzentwicklung der Rentenversicherung unterrichtet. Aber wir müssen verlangen, daß derartige Zahlenangaben über die zukünftige Finanzgestaltung bis zum Jahre 1966, durch die offensichtlich - das klingt
doch in allem, was im Sozialbericht steht, durch, und das wurde hier auch ausgesprochen - die Entscheidung des Gesetzgebers bezüglich der Rentenanpassung 1958 beeinflußt werden soll, entsprechend fundiert sind. Meine Damen und Herren, an diesen Zahlenangaben haben wir allerdings sehr erhebliche Zweifel. Was uns in dieser Hinsicht dargeboten wurde, wird der Forderung nach gründlicher Aufklärung über die Schätzung - und diese Forderung müssen wir doch zumindest erheben -in keiner Weise gerecht.
Die Vorausschau, die hier für den Zeitraum bis 1966 angestellt ist, kann von keinem Sachverständigen auf ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit nachgeprüft werden. Es fehlen dazu insbesondere die folgenden Unterlagen. Zunächst fehlen Zahlen über den Zu- und Abgang der nächsten Jahre. Nur wenn man diese kennt, kann man beurteilen, ob das, was die Bundesregierung über den zukünftigen Stand der Renten sagt, der Wahrscheinlichkeit vielleicht nahekommt. Es fehlt weiter etwas, was an sich selbstverständlich ist, wenn man das Zahlenmaterial überprüfen und durchdenken will, nämlich jede Angabe über die durchschnittliche Höhe der einzelnen Rentenarten. Nur bei Kenntnis der angenommenen durchschnittlichen flöhe der einzelnen Rentenart kann man überhaupt eine Schätzung vornehmen. Schließlich ist aus dem Zahlenmaterial ein sehr wichtiger Tatbestand nicht ersichtlich, daß nämlich nach dem jetzt geltenden Gesetz am 31. Dezember 1961 die Übergangsregelung der doppelten Berechnung der Renten ein Ende nehmen soll. Dabei wissen wir alle - das hat die Regierung hier noch nicht mitgeteilt -, daß über 60 % der Rentner auf Grund dieser zweifachen Berechnung der Renten eine höhere Rente erhalten als nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes, die allein nach 1961 gelten sollen. Das ist doch ein wichtiger Tatbestand. Wenn man hier eine Berechnung bis 1966 anstellt, muß aus dieser Berechnung zum mindesten hervorgehen, wie sich die Änderung der Rechtslage nach dem 31. Dezember 1961 finanziell auswirkt.
Aus diesen und vielen anderen Gründen, die wir im einzelnen natürlich im Ausschuß erörtern werden, kann niemand feststellen - um nur eine Zahl zu nennen -, weshalb die Bundesregierung den Aufwand für die Rentenversicherung der Arbeiter für 1962 mit rund 10 Milliarden DM angibt. Niemand kann sagen, weshalb sie nicht 9 Milliarden oder 11 Milliarden DM eingesetzt hat. Das bleibt ein Rätsel; diese Zahlen werden von der Bundesregierung in keiner Weise erklärt, erläutert oder begründet. Wenn man hier mit solchen Unterlagen operiert und dadurch die Entscheidung des Hauses in die ganz bestimmte Richtung lenken will - im Interesse der zukünftigen finanziellen Sicherheit -, für 1958 keine Anpassung vorzunehmen, dann müssen wir sagen: das ist kein zulässiges Verfahren.
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Wir müssen das vor allen Dingen deshalb beanstanden, weil sich die bisherigen Berechnungen der Bundesregierung, die jetzt an der Wirklichkeit kontrolliert werden können, als stark überhöht erwiesen haben. Das gibt ein Recht, die Berechnungen für die Zukunft in Zweifel zu ziehen. Auch in dieser
Hinsicht muß der Sozialpolitische Ausschuß erst gründliche Beratungen und Untersuchungen anstellen. Wir sind dabei bereit, uns von allen belehren zu lassen, die mehr wissen als wir; aber dann sind die Karten auf den Tisch zu legen.
({24})
Deshalb werden wir weiter vorschlagen, zu den Beratungen über die Vorausschätzungen bis 1966 alle Sachverständigen, die zu der Materie etwas zu sagen haben, in den Ausschuß zu bitten. Gerade deshalb wollen wir uns von der Tagesfrage, die Anpassung 1958 und 1959, lösen und die Probleme der zukünftigen Gestaltung sehr gründlich durchdenken. Wir wollen alle Sachverständigen laden. - Selbstverständlich wollen wir auch, Frau Kollegin Kalinke, die Sachverständigen des Schutzverbandes der Sparer zu uns bitten; aber ich muß sagen: die finanziellen Berechnungen, die von dieser Seite aufgestellt worden sind, sind noch viel weniger begründet als die Berechnungen der Bundesregierung. Das schließt aber nicht aus, daß wir auch die Argumente dieses Verbandes hören.
Noch etwas anderes ist wichtig, wenn man sich über die weitere Entwicklung klarwerden will. Wir müssen für die weiteren Beratungen die versicherungstechnische Bilanz zu Rate ziehen können. Zwar soll diese versicherungstechnische Bilanz per 1. Januar 1959 erstellt werden, doch möchte ich hier erklären: Wir wollen in dieser Hinsicht keinen zeitlichen Druck auf die Regierung ausüben; denn die versicherungstechnische Bilanz muß wohlbegründet sein. Bei der Vorlage ist uns wichtiger, die Zahlen sind fundiert und begründet, als daß sie einige Wochen oder Monate früher vorgelegt werden. Es handelt sich um eine höchstwichtige Grundlage für die weiteren Entscheidungen, die wir zu treffen haben. - Sie nicken, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien; aber deshalb müssen wir die Sofortmaßnahmen für 1958/59 durchführen!
({25})
Wenn Sie sagen - der Herr Minister hat das gesagt und Kollege Horn hat gesagt -: „Im Interesse der Garantie für die Zukunft und der weiteren Sicherheit können wir für das Jahr 1958 nicht anpassen", so ist das eine ganz schlechte Begründung. Meine Damen und Herren, dazu muß man erst einmal einigermaßen sichere und klare Rechnungsunterlagen für die spätere Zeit haben. Auf Grund der gegenwärtigen Finanzlage erkläre ich: Die Überschüsse für 1957 und 1958 werden etwa das Doppelte dessen ausmachen, was für eine Anpassung für 1958 und 1959 benötigt wird. Das ist die Sachlage. - Bitte, Frau Kollegin!
Was sagen, verehrter Herr Kollege Schellenberg, die Beitragszahler, die erst in 20 Jahren Renten bekommen sollen, wenn die Überschüsse und die Rücklagen weg sind? Wie werden Sie denn damit fertig?
Aber hochverehrte Frau Kollegin Kalinke, ich habe Ihnen gesagt, wir
wollen das beraten, wenn wir die versicherungstechnische Bilanz haben. Heute irgendwelche Prognosen oder Behauptungen über die Beitragszahlung in 20 Jahren aufzustellen, ist eine Spekulation.
({0})
- Aber, meine Damen und Herren, im Gesetz stehen über die Sicherung der finanziellen Lage sehr konkrete Vorschriften. Sie sind im § 1383 enthalten.
({1})
- Wir haben auch für diese Vorschriften gestimmt, Herr Kollege Ruf. Mit Selbstverständlichkeit haben wir für die Vorschriften zur Sicherung der weiteren Leistungen gestimmt. Aber, meine Damen und Herren und besonders Frau Kollegin Kalinke, es dient einfach nicht der Sache, wenn man jetzt etwas über die Beitragszahlung in 20 Jahren, also des Jahres 1978, in die Diskussion hineinwirft, bevor man irgendeine Unterlage über den wirklichen Aufwand und die mögliche Entwicklung der nächsten Jahre hat.
({2})
Ich habe gerade deshalb gesagt: wir wollen diese Dinge beraten, und ich habe das Anerbieten und den Vorschlag gemacht: wir wollen alle Sachverständigen hören und mit ihnen gemeinsam die sehr schwierigen Probleme beraten, und dann lassen wir uns überzeugen, wenn Beweise erbracht werden. Aber durch ein Schlagwort, Frau Kollegin Kalinke, im Jahre 1978 werde es so oder so sein,
({3})
lassen wir uns bei der Entscheidung, die vom Gesetz gefordert wird, nicht beeinflussen. Im Gesetz
ist festgelegt, daß die laufenden Renten jährlich - -({4})
- Es steht in § 1272. Da heißt es: sind mit der Veränderung der Bemessungsgrundlage anzupassen. Da die Bemessungsgrundlage jährlich geändert wird, heißt das jährliche Anpassung.
({5})
- Ich habe mir viel Material mitgenommen, aber das Gesetz habe ich nicht hier. Es steht jedenfalls im Gesetz. Ich werde nachher darauf antworten. Es steht im Gesetz, daß die Renten mit der Veränderung der Bemessungsgrundlage durch Gesetz angepaßt werden.
({6})
- Bei Veränderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlagen werden die Renten durch Gesetz angepaßt.
({7})
Die Bemessungsgrundlage ist verändert worden, und zwar am 1. Januar 1958. Und weil die Veränderungen vorgenommen wurden, sind die Renten durch Gesetz anzupassen. Meine Damen und Herren, das war der Sinn. Sie haben durch die Rentenfibel und die Flugblätter, die der herr Bundeskanzler bei der ersten Rentenerhöhung hat verteilen lassen, diesen Grundsatz ausdrücklich bekräftigt.
Ich möchte zum Schluß kommen. Eine möglichst klare Ubersicht über die künftige Finanzlage der Rentenversicherung - ich glaube, in dieser Hinsicht sind wir gemeinsamer Auffassung - ist von hoher sozialer und volkswirtschaftlicher Bedeutung. Diese Ubersicht bildet eine wichtige Grundlage für die Sicherung des Lebensabends unserer arbeitenden Menschen. Hierfür trägt jeder einzelne von uns eine Verantwortung. Ich kann hier am Schluß meiner heutigen Ausführungen nur sagen: die Sozialdemokraten werden sich in ihrem Verantwortungsbewußtsein für die gegenwärtige und zukünftige Finanzgestaltung der deutschen Sozialversicherung von niemandem übertreffen lassen.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundesminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar ganz kurze Bemerkungen! Ich bedaure sehr, daß mein Kollege Professor Erhard heute dieser Debatte nicht folgen konnte. Er würde sehr erfreut gewesen sein, erstmalig aus Ihrem Munde ein solches Lob seiner Wirtschaftspolitik zu hören.
({0})
Ja, Herr Schellenberg hat ausgeführt, was die wirtschaftlichen Daten anbetreffe, was über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Produktivität, die Veränderung des Volkseinkommens usw. im Sozialbericht gesagt sei und woraus die Begründung für eine Anpassung der Renten hergeleitet werde, sei alles richtig. Ich stelle also fest, daß, was diesen Teil des Sozialberichts anbetrifft, das ansonsten so kritisierte Ministerium für Arbeit und Sozialordnung ganz offenbar auch nach Meinung meines sehr geschätzten Kollegen Schellenberg absolut richtige und zutreffende Bemerkungen gebracht hat. Ich danke Ihnen für diese Beurteilung!
({1})
Wir sind sogar völlig übereinstimmend der Meinung - im Gegensatz zu Ihrem Kollegen Meyer -, daß, wie Sie ausdrücklich anerkannt haben, an der Mehrung des Sparkapitals gerade die Rentner maßgeblich Anteil haben. Dagegen gibt es nach der Darstellung Ihres Herrn Kollegen Meyer Millionen von armen Rentnern mit unzureichenden Renten.
({2})
- Es gibt ja insgesamt nur 7 Millionen Rentner!
Was den zweiten Teil des Sozialberichts anbetrifft, so sagt Herr Schellenberg, die Zahlen, die dort genannt würden, seien im vollen Umfang unzutreffend. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eben die Schwierigkeit, in der wir uns befinden: zur Beurteilung wirtschaftlicher Tatbestände
Bundesarbeitsminister Blank
können wir auf vorliegende Statistiken zurückgreifen, während wir zur Beurteilung dieser Zahlen - das wissen Sie, Herr Schellenberg so gut wie ich; Sie haben lange genug eine große Sozialeinrichtung geleitet - auf Schätzungen angewiesen sind, und die sind selbstverständlich nicht absolut eindeutig; es wird immer Differenzen darüber geben.
Wie sehr Herr Schellenberg das auch anerkennt, geht am besten aus folgendem hervor. Er sagte, man werde sich auch seitens der sozialdemokratischen Fraktion - wofür ich ihr sehr dankbar bin - die Zeit nehmen, alle möglichen Sachverständigen zu hören, und man werde sehr viel Zeit brauchen, um diese Dinge im Sozialpolitischen Ausschuß ganz genau zu studieren und ihnen auf den Grund zu gehen. Ja, Herr Kollege Schellenberg, das ist eben die Schwierigkeit, in der man sich befindet, und ich stehe gar nicht an, schon heute zu erklären, daß all die Schätzungen, all die Annahmen, die die Mathematiker gemacht haben, zwar nach bestem Wissen und Gewissen aufgestellt sind, daß aber die endgültigen Ergebnisse niemals mit der Prognose übereinstimmen können; aber das ist eine Binsenwahrheit.
({3})
- Herr Professor, ich bitte Sie, mich das, was ich sagen wollte, im Zusammenhang ausführen zu lassen; daß ich Ihren Fragen nicht ausweiche, ist Ihnen ja hinlänglich bekannt.
Worin wir uns bezüglich der Beurteilung der finanziellen Lage unterscheiden, ist folgendes. Der Herr Kollege Schellenberg sagt, die Darstellung sei ungenau, man müsse sie sehr genau prüfen; denn mit dieser Darstellung solle offenbar das Parlament dahin beeinflußt werden, eine bestimmte Entscheidung zu fällen, nämlich die Entscheidung im Sinne des Vorschlages der Bundesregierung, die Anpassung erst vom 1. Januar 1959 an vorzunehmen; zu dieser Entscheidung aber sei das Material nicht genügend hieb- und stichfest. Das ist doch der Inhalt seiner Erklärung. Nun aber möchte er, daß Sie eine Entscheidung fällen, und zwar sofort, auf der Stelle - obwohl das Material nicht hieb- und stichfest ist -, eine Anpassung zwar nach einer anderen Technik, aber im Endeffekt mit den gleichen Ausgaben für die Rentenversicherung vorzunehmen, nämlich nach dem sozialdemokratischen Vorschlag. Darin sehe ich einen Widerspruch in sich selbst.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Friese-Korn.
Meine Herren und Damen! Ich möchte zunächst dem scharfen Angriff des Kollegen Schellenberg begegnen, der aus meiner Frage zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Meyer offenbar nur eine negative Einstellung herausgehört hat. Ich glaube, daß mir die Kolleginnen hier im Saal recht geben, wenn ich sage, daß es eine unserer großen Sorgen ist, die Frauen, die irgendwann einmal kurz berufstätig waren und
dann nicht weiter Mitglied der Rentenversicherung geblieben sind, darüber aufzuklären, woran es liegt, daß sie jetzt durch ihre eigene Schuld eine unzureichende Rente bekommen. Das ist die eine Seite.
Sie werden sich noch mehr wundern, wenn Sie hören, daß wir gestern abend - inzwischen ist mir bekannt geworden, daß die Drucksache im Büro schon vorliegt - mit Drucksache 675 eine Kleine Anfrage wegen des Ausbleibens der Vorlage zum Fremdrenten- und. Auslandsrentengesetz an die Regierung gerichtet haben. Sie sehen also, daß wir uns gerade Sorge um die ausstehende richtige Berechnung der Fremdrenten und vor allen Dingen Sorge wegen der unendlich vielen machen, die ihre Unterlagen nicht beibringen können. Es ist durchaus unsere Absicht, hier etwas zu tun. Ich wehre mich nur dagegen, vor einem so großen Forum alles in einen Topf werfen und bei Menschen Hoffnungen wecken zu lassen, die letzten Endes niemand, auch Sie nicht mit Ihrer Konzeption, befriedigen könnten.
Ich gehe auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Schellenberg nachher noch näher ein, denn es ist in ihnen doch sehr vieles gewesen, dem ich nur zustimmen kann und worin ihm auch jeder, der im Sozialpolitischen Ausschuß an diesen Vorlagen weiter mitarbeitet, recht geben wird. „Wir sind in einer fatalen Situation", - dieses Wort möchte ich absolut übernehmen; wir werden nur verschiedener Meinung darüber sein, warum wir in diese fatale Situation gekommen sind.
Herr Kollege Horn sagte, daß er die Protokolle der ersten, zweiten und dritten Lesung der Rentenreform studiert und daraus den Schluß gezogen hat, wir sollten nicht wieder den Fehler machen, uns heute hier in Einzelheiten zu verlieren. Ich gebe Ihnen recht; der leere Raum zeigt ja, wie wenige unserer Kollegen an den Schwierigkeiten und Einzelheiten der Rentenreform Interesse haben. Aber ich hoffe, Herr Horn, Sie haben in den Protokollen auch gelesen, daß es doch vorwiegend meiner Fraktion - der Freien Demokratischen Partei - vor ihrer Ablehnung des Rentenreformgesetzes um Grundsätzliches gegangen ist, nämlich um die grundsätzliche Klärung, ob man mit dem Experiment der Dynamik im Renteneuregelungsgesetz nicht einen Weg beschritten hat, der sich in einem anderen Weg verliert, den auch Sie - wie sich heute deutlich zeigt - nicht bis zum Ende mitzugehen gedenken, nämlich den Weg zum Versorgungsstaat.
Ich möchte darum noch einmal zurückgreifen und an das erinnern, was für uns ,seinerzeit der Anlaß gewesen ist. Ursprünglich sollte die Neugestaltung der Rentenversicherung nur ein T eil der gesamten Sozialreform sein. Dann verbiß man sich aber so fest in dein Gedanken, mit der dynamischen Rente ein Experiment zu machen, daß 'es bei den weiteren Auseinandersetzungen .immer wieder nur zu gegenteiligen Meinungen kommen mußte. Die einen sahen in der dynamischen Rente so etwas wie das Ei des Kolumbus, ,andere ein sehr kühnes Experiment auf dem Gebiete der Sozialpolitik, und wieder andere
sahen ganz schwarz und erblickten darin den Grundstein zum Versorgungsstaat.
Bei .so entgegengesetzten Meinungen war es allerdings notwendig, in das Gesetzeswerk Bremsen einzubauen. Dieses Wort ist vorhin schon gebraucht worden. Es gibt nicht nur eine Bremse, sondern es ist im Laufe der Ausschußberatungen zu vier Bremsen gekommen.
Wir sind in unserer Auffassung bestärkt worden, daß es gut war, diese Bremsen einzubauen, nicht allein wegen der Tabellen im heute vorgelegten Sozialbericht, über die Herr Schellenberg mit Recht sagte, sie allein könnten uns keinen Anhaltspunkt bieten. Für uns war es eininteressantes Schauspiel, daß heute alle, die irgendwann einmal auf Grund von selbstangefertigten Tabellen zu weittragenden Entscheidungen gekommen sind, zugeben mußten, daß diese alle sehr vage sind. Insofern ist der Herr Minister jetzt den Einwänden auch richtig begegnet. Alle Berechnungen sind auf Fiktion aufgebaut.
Auch dieser Gesetzentwurf ist wieder auf einer Fiktion aufgebaut, auf der Fiktion, daß -sich die Löhne jährlich um 4 % steigern werden.
Durch den Einbau der Bestimmung, die die Anpassung der laufenden Rente durch Gesetz vorschreibt, ist das Rentenneuregelungsgesetz kompliziert worden. Das wollen wir gerne zugeben. Wir waren daran beteiligt und nehmen diesen Teil Schuld, wenn Sie e-s so nennen wollen, gern auf uns; denn wir sehen jetzt unsere Ansicht bestätigt, daß es notwendig war.
({0})
Ob die Tabellen nun richtig oder nicht richtig sind, jedenfalls können wir aus der Tatsache, daß man -ein „Erstes" Gesetz vorlegt, ,den Schluß ziehen, daß die Absicht besteht, weitere Gesetze der gleichen Art mit der gleichen Konsequenz vorzulegen. Dagegen verwahren wir uns allerdings, :und ich muß jetzt Herrn Schellenberg durchaus dankbar dafür ,sein, daß er den Vorschlag machte: Wir wollen ganz gründlich prüfen. Ich freue mich, daß er - das ist erstaunlich - dazu bereit ist und daß er jetzt doch nicht alles „über den Daumen peilen" will. Nichts wäre schlechter als das! Es it eine Tatsache, daß wir an dieser Wende, wie schon ein paarmal gesagt worden ist, ,das Gesetz mit Komplikationen belastet haben. Manche Rentenberechnung ist dadurch erschwert worden. Ich gehe noch weiter: es gibt auch Härten vor allem für diejenigen, die das Pech hatten, daß sie ein Jahr oder gar nur wenige Monate vor -der Verabschiedung Ides Gesetzes Rentner wurden. Ohne Zweifel bestehen für diese Erschwerungen -oder Ungerechtigkeiten, und es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, diese Härten bei dem Anpassungsgesetz zu überprüfen. Auch diejenigen im Hause, die in der dynamischen Rente ein gefährliches Experiment sahen, hatten deswegen Bedenken, und das alles hat, wie ich schon am Anfang sagte, unsere Ansicht bestätigt, daß in diesem Zeitpunkt eine gründliche Überprüfung des Systems stattfinden muß. Ich bitte darum auch die Fraktion der SPD, ihren starren Standpunkt, so wie es Hen Schellenberg angedeutet hat, bei -den Beratungen im
Ausschuß nicht beizubchalten; denn wir müssen neue Wege finden.
Da aber vorhin schon dieser kleine Streit über den entscheidenden Paragraphen entstanden ist, muß ich Ihnen dazu sagen: das ist auch für mich einer der Angelpunkte. Von ihm möchte ich jetzt ausgehen. Im entscheidenden Paragraphen des Gesetzes heißt es nämlich nicht: „Das Gesetz soll a n die Veränderung der Bemessungsgrundlage angepaßt werden, sondern - wenn Sie inzwischen nachgesehen haben, werden auch Sie es gefunden haben -: Das Gesetz soll b e i Veränderungen der Bemessungsgrundlage angepaßt werden. Hier liegt das Entscheidende. Wir dürfen uns nicht zwingen lassen, deshalb, weil die Bemessungsgrundlage angestiegen ist, die Altrenten unbedingt an die Bemessungsgrundlage anzupassen. Darum wird der Streit gehen.
Nach unserer Meinung müssen wir nämlich eine andere Formel finden. Zu diesem Zweck müssen wir uns auf das besinnen, was im Gesetz steht. Danach soll auf alle die Faktoren Rücksicht genommen werden, die in dem uns heute vorgelegten Bericht des Herrn Ministers erwähnt worden sind: Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Produktivität, der Veränderungen des Volkseinkommens und der Finanzlage -der Rentenversicherung.
Über einen dieser Faktoren macht der Sozialbericht eine Aussage, die erweist, daß sich die Entwicklung des Volkseinkommens je Erwerbstätigen in den letzten Jahren verlangsamt hat. Das ist das Entscheidende: nur verlangsamt. Aber das kann von großer Tragweite sein.
Hier wird ein Weg gewiesen, etwas zu unternehmen, damit der Rentner, der vor 11/2 Jahren die große Anhebung bekommen hat, jetzt schon wieder eine zweite große Anhebung erlebt, dann aber, weil die Finanzlage es nicht gestattet, jahrelang warten muß. Es ergibt sich vielleicht eine Möglichkeit, die Anpassung nach anderem Gesichtspunkt vorzunehmen.
Lassen Sie mich einen Vergleich ziehen. Es fragt sich nämlich, ob der Sportwagen mit großem Motor, der von jungen Menschen gefahren wird, und daneben, sagen wir einmal, der überbesetzte Caravan mit der gleichen PS-Zahl, unten am Berge stehend, also von gleichem Ausgangspunkt, mit gleichen Startbedingungen, in demselben Gang den Berg hinauffahren wollen. Dabei käme es wahrscheinlich zu Schäden. Wenn nämlich beide hochkommen wollen, dann muß der Gang nicht automatisch gleichgeschaltet werden, sondern dann müssen sie beide verschiedene Gänge einschalten.
({1})
Auf das Suchen und Finden des richtigen Ganges wird es bei den Abwägungen, vor denen wir im Sozialausschuß stehen, ankommen. Wir werden prüfen, was es für ein Gang sein muß, mit dem wir auch die Bestandsrenten bergauf bekommen. Ich glaube, dann könnten wir uns einigen.
Wir möchten der Regierung aber auch einige Vorwürfe nicht ersparen. Es ist gut und rühmlich, daß die Absicht besteht, den Gedanken des Sozialbeirats nicht ganz fallenzulassen. Aber daß nach diesem Fiasko des Sozialbeirats, das, nebenbei gesagt, von unserer Seite erwartet war - darauf gehe ich noch näher ein -, er nun in derselben Weise fortbestehen soll, dem werden wir nicht zustimmen. Wir wollen gern den Sozialbeirat hören, wie es Herr Schellenberg vorschlägt. Wir müssen aber auf unseren damaligen Vorschlag zurückkommen. Sie werden sich entsinnen, daß wir den Sozialbeirat in der jetzigen Zusammensetzung aus den Befürchtungen abgelehnt haben, die sich jetzt bewahrheitet haben.
({2})
Wir haben damals gesagt, daß der Sozialbeirat in dieser Zusammensetzung wahrscheinlich politische Entscheidungen fällen will oder zumindest in seinen Konzeptionen schon vorher entwickelt. Das ist nicht seine Sache. Der Sozialbeirat soll uns lediglich sachliches Material liefern.
Wir haben weiter gesagt, daß der Sozialbeirat viel zu groß ist, und wir haben darauf hingewiesen, daß - da Persönlichkeiten gesucht werden müssen - es auch sehr fraglich ist, wen die Bundesregierung suchen wird, wann sie das tun wird und wann der Sozialbeirat zum erstenmal zusammentritt. Meine Herren und Damen, er ist so spät zusammengetreten, daß er in dieser kurzen Zeit in der Tat keine sehr gute, abgerundete Arbeit mehr leisten konnte. Es hat immerhin ein halbes Jahr gedauert, bis man die Persönlichkeiten berufen hatte. Sie wissen, wir haben damals den Vorschlag gemacht, die Berufung gar nicht an Einzelpersönlichkeiten, sondern an Amtsträger, vor allen Dingen an unabhängige Richter, zu binden. Wir möchten bei dieser Gelegenheit unseren damaligen Vorschlag noch einmal in die Debatte werfen. Damit sprechen wir uns nicht für eine Zusammensetzung aus, die Sie, Herr Ruf, kürzlich vorschlugen, als Sie bekanntgaben, daß Sie nur Wissenschaftler für geeignet hielten. Wir sind zwar auch der Meinung, daß Versicherungsmathematiker dazu gehören; aber das müßte man näher präzisieren. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn Persönlichkeiten wie der Präsident des Bundessozialgerichts und des Bundesarbeitsgerichts, der Vertreter der Deutschen Bundesbank - der ja offensichtlich sehr gut in diesem Beirat gearbeitet hat - und die Präsidenten des Statistischen Bundesamtes und des Rechnungshofes diesem Gremium angehörten. Wir halten auch dafür, daß es dem Präsidenten des Statistischen Bundesamtes sehr leicht fallen würde, das Material herbeizuschaffen, das dort gebraucht wird.
Daß dieser Sozialbeirat nicht genügend ausgerüstet, nicht genügend durch Hilfskräfte gestützt worden ist, sind alles Fehler, die zu beklagen sind; denn wir hätten uns gewünscht, daß heute ein gutes und abgeschlossenes .Gutachten des Sozialbeirats vorläge.
Die Voraussetzungen zur Verabschiedung eines Anpassungsgesetzes sind unter diesen Umständen noch gar nicht erfüllt. Das Gutachten des Sozialbeirats, das vorn Gesetz gefordert wird, haben wir noch nicht. Wir haben jetzt einen Bericht, der hier von allen Seiten angezweifelt wird, und wir haben einen Gesetzentwurf für eine Teilregelung, der außerdem auf Fiktionen beruht.
Wir könnten diesen Gesetzentwurf bejahen, bei dieser absoluten Anpassung an die Bemessungsgrundlage - einmalig ab 1959 - aber nur unter einer Voraussetzung mitmachen. Es müßte nämlich deutlich ausgesprochen werden, daß dieses Gesetz nicht weitere Gesetze gleicher Art präjudiziert. Die Feststellung, daß die gleiche Lösung, rein finanziell, in den Jahren 1959, 1960 und 1961 noch durchgehalten werden könnte und daß erst dann die Finanzlage der Versicherungen prekär würde, ist doch ein Beweis dafür, daß wir so nicht fortfahren können. Darin sind wir mit der Regierung einer Meinung. Wir sind aber nicht der Meinung, daß darum auch diesmal schon ein solches Gesetz mit absoluter Anpassung an die Bemessungsgrundlage gemacht werden müßte.
Nun, dieses einmalige Gesetz wird die Finanzen nicht erschüttern, und wir werden noch nicht in große Schwierigkeiten kommen. Aber, wie gesagt, Wiederholungen in dieser Form könnten von uns nicht bejaht werden.
Meine Herren und Damen, wir haben wegen der Auswirkungen, die bei einer Fortsetzung dieser Gesetzestechnik zu erwarten wären, der Regierung einige Fragen vorzulegen, die auf Grund der Erfahrungen bei der Verabschiedung der Rentenneuregelungsgesetze abgewogen und genau präzisiert sind. Ich bitte die Regierung, sie bei der Bearbeitung der Vorlagen im Sozialpolitischen Ausschuß möglichst gewissenhaft zu beantworten. Wir fragen: 1. Hält es die Regierung für vertretbar, daß durch eine Anpassung an die Erhöhung der Bemessungsgrundlage die Vermögen der Versicherungsträger in dem aus dem Sozialbericht 1958 ersichtlichen Umfang aufgezehrt werden? 2. Welche Beitragsleistungen und welche Bundeszuschüsse würden notwendig sein, um in Zukunft entsprechend der Konzeption des ersten Rentenanpassungsgesetzes eine Anpassung an weitere Erhöhungen der Bemessungsgrundlage vorzunehmen? 3. Welcher Vomhundertsatz des Arbeitsentgelts wird für die Zukunft als Beitragssatz noch für tragbar gehalten?
Zu dieser Frage möchte ich noch einiges sagen, weil ich vorhin nicht darauf eingegangen bin. Wir sind durchaus der Meinung, daß irgendwo eine Grenze der Zumutbarkeit der Beitragserhöhung für die zur Zeit arbeitende und versicherte Bevölkerung besteht. Das Maß dessen, was hier als Ausgleich für das Defizit eingesetzt werden soll, wird unsere Einstellung kennzeichnen. Da werden sich die Geister scheiden. Ich würde mich freuen, wenn z. B. auch Herr Hellwig, der vorhin zitiert wurde, seine Meinung, die er neulich in einer großen Versammlung kundgetan hat, hier genauso offen verträte.
Bei dem Wort „Wahlversammlung" fällt mir eine Bemerkung ein, die Herr Horn hier gemacht hat und auf die ich doch etwas erwidern muß. Herr Horn hat mit Hinblick auf die SPD gesagt: „Sie
können uns gar keine Vorwürfe machen, denn auch Sie haben mit dem Blick auf die Wahlen dem Gesetz zugestimmt." Nun, das kann ein Versprechen gewesen sein. Aber uns hat es daran erinnert, daß wir damals trotz Wahlen zu dem unpopulären Beschluß gekommen sind, der Rentenreform, jedenfalls in dieser Konzeption eine Absage zu erteilen.
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Wir wollen uns immer wieder die große Zahl von Rentnern und Versicherten vorhalten: Es sind rund 7,5 Millionen Rentenempfänger und 20 Millionen Versicherte. Bei diesen Zahlen sollte man es sich angesichts der Tragweite der Gesetzgebungswerke versagen, demagogische Diskussionen zu führen, sondern sich zu einer echten Sachentscheidung durchringen.
({4})
Wir sind also - um noch einmal zusammenzufassen - der Meinung, daß die Voraussetzungen für die gesetzliche Anpassung noch nicht erfüllt sind. Wir stellen darum, wie es vorhin auch Herr Schellenberg getan hat, die Bedingung, daß diese Angelegenheiten im Sozialpolitischen Ausschuß unter Hinzuziehung der Sachverständigen gründlich durchgesprochen 'werden.
Dann muß unser Vorschlag mitdiskutiert werden, der darauf abzielt, einen neuen Weg einzuschlagen, zu dem ich Ihnen zum Schluß erst noch die vierte Frage vorlese. Die Frage lautet: Hält die Regierung die sich aus der Beantwortung der Frage 2 als notwendig ergebenden Beschlüsse angesichts der Haushaltslage für vertretbar? Das soll heißen: Hält sie es für vertretbar, wenn höhere Beiträge nicht erhoben werden können, den im Gesetz bisher vorgesehenen Zuschuß aus dem Bundeshaushalt zu erhöhen, und in welchem Ausmaße glaubt sie es mit unserer gesamten Wirtschaftssituation, vor allem der Situation des Bundeshaushalts vereinbaren zu können?
Ich weiß, daß da von gewisser Seite wieder der Einwand kommen wird, das ließe sich machen, dann brauchte man nur die Rüstung zu beschränken. Meine Herren und Damen, was hat nicht schon alles mit den möglichen Einsparunngen bei der Rüstung gedeckt werden sollen! Auch ich bin für Einsparungen bei der Rüstung; aber wir sollten nicht all und jede Ausgabe damit rechtfertigen, mit einem „vielleicht" oder einem „womöglich". Das geht zu weit. Ich glaube, daß ich da doch mit sehr vielen in diesem Hause einig bin, die weiter mit großer Aufmerksamkeit diese Entwicklung beobachten.
Darf Herr Abgeordneter Schellenberg eine Frage stellen?
Bitte!
Frau Kollegin, ist Ihnen nicht bekannt, daß alle Fragen, die Sie hier bezüglich der Zukunft aufwerfen, im Gesetz geregelt sind und bei Vorlage der versicherungstechnischen Bilanz geprüft werden müssen?
Ich werde Ihnen gleich die Reihenfolge sagen. Ich bin der Meinung, daß hier die Reihenfolge der, sagen wir, Bremsen, die eingebaut worden sind, nicht richtig eingehalten worden ist. Zunächst haben wir es jetzt mit der Vorlage des Berichtes zu tun. Dieser Bericht hätte eigentlich nach Vorlage des Gutachtens vorgelegt werden müssen. Das haben Sie vorhin ebenfalls gesagt.
({0})
Ferner sind wir der Meinung: Selbst wenn es nicht in der Reihenfolge steht - Sie dürfen nicht die Ausdeutungen, nicht die Kommentare nehmen; ich habe die Paragraphen wiederholt durchgesehen -, dann bleibt aber eins bestehen: dann hätten wir alle einen gehörigen Fehler gemacht, dann wäre uns mit einer solchen Formulierung etwas passiert, was nicht hätte passieren dürfen. Denn beides zusammen: Bericht und Gutachten, und für meine Begriffe auch das, was wir erst für den 1. Januar 1959 in Aussicht haben, die versicherungstechnische Bilanz, hätten noch vor dem Entwurf eines solchen Anpassungsgesetzes vorliegen müssen.
({1})
- Aber die Ausdeutung ist verschieden! Wir können uns darüber gern streiten.
({2})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie noch eine Frage des Abgeordneten Dr. Schellenberg?
Bitte!
Frau Kollegin, ist Ihnen nicht bekannt, daß im Gesetz steht, die Regierung hat erstmalig bis zum 30. September 1958 die Vorschläge für die Anpassung zu machen, und daß im Gesetz weiter vorgeschrieben ist, per 1. Januar 1959, also zwangsläufig später, ist dann die versicherungstechnische Bilanz vorzulegen? Ist das nicht die Reihenfolge im Gesetz, und wollen Sie die Reihenfolge jetzt nachträglich ändern?
Herr Schellenberg, ich habe vorhin schon gesagt: wenn es so ist. Nebenbei gesagt, für die versicherungstechnische Bilanz habe ich sogar das Datum genannt. Ich habe gesagt, daß sie leider erst zum 1. Januar 1959 fällig wird. Ich kann aber unbedingt hier feststellen, daß ich aus politischen und vor allem aus sozialpolitischen Erwägungen in dieser Reihenfolge einen Fehler sehe.
({0}) Ich möchte das hier ganz offen erklären.
Wir müssen aber auch weiter sagen, daß da Verfahren so, wie es jetzt begonnen ist, allerdings nach den Ausführungen von Herrn Schellenberg - jetzt muß ich Sie sogar loben, Herr Schellenberg - und nach den Ausführungen des Herrn
Ministers zu der Zuversicht führen kann, daß wir im Sozialausschuß nicht etwa in festgefahrenen Gleisen und mit der Meinung, nur so und nicht anders könnte in Zukunft die Anpassung geschehen, an die Arbeit gehen werden. Wir wehren uns gegen die Ausdeutung, die schon aus den beiden verwechselten Wörtchen, die ich im Anfang zitierte, hier hineingebracht worden ist, nämlich ob wegen der Erhöhung der Rentenbemessungsgrundlage die Renten angepaßt werden oder ob sie so angepaßt werden müssen. Ich möchte damit schließen. Ich hoffe, daß die weitere Diskussion uns noch reichlich Gelegenheit geben wird, unsere Vorstellungen und unsere Meinung zu konkretisieren.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich könnte es mir heute sehr einfach machen. Ich brauchte nur das Protokoll der 186. Sitzung vom 17. Januar 1957 aufzuschlagen und hier vorzulesen, was ich zu den Grundsatzfragen, insbesondere zu der lohnbezogenen Rentenformel und ihren Konsequenzen, vorausgesagt habe. Diese Fragen sind nun leider heute Anlaß einer Diskussion, die ich gern allen meinen Freunden in der Koalition bis zum Kollegen Schellenberg in der Opposition erspart hätte.
Das Leitmotiv der Rentenreform von 1957 war doch, alle Rentner an der Wohlstandsmehrung zu beteiligen. Mit dem Entwurf, über den wir heute zu sprechen haben, sollen die Bestandsrenten erhöht werden, die vor dem 31. Dezember 1957 festgesetzt wurden. Ich will gleich eine Grundsatzfrage ansprechen. Die Deutsche Partei hat mit allen Einsichtigen die Anpassung aller Renten, also auch der laufenden Renten, an die Wohlstandsmehrung, an die wirtschaftliche Entwicklung, wie sie sich in den Wachstumsraten des Sozialprodukts darstellt, gefordert. Sie hat im 2. Bundestag die Rentenerhöhung gewollt, und sie hat dem Teil der Rentengesetze zugestimmt, der sich zu diesem Grundsatzbekannte. Sie hat allerdings damals wie heute ausdrücklich vor ,einer automatischen Anpassung gewarnt und noch mehr davor, eine solche Automatik zum Prinzip zu erheben. Der Bundestag hat sich dann in zweiter und dritter Lesung - ich erinnere daran -mit Mehrheit dazu entschlossen, auf meine und meiner Freunde Warnungen, die von namhaften Sachkennern aus Wirtschaft und Wissenschaft gestützt waren, zu hören und die Anpassung der laufenden Renten nicht automatisch vorzunehmen. Ich stelle das als absolut positive Übereinstimmung auch mit meinen Freunden in der Koalition fest.
Der Bundestag hat damals weiter anerkannt, daß die Entscheidung in die Zukunft von solcher Tragweite ist, daß neben einer versicherungstechnischen Bilanz und dem Bericht der Bundesregierung, der jährlich zu erstatten ist, auch noch ein Gutachten -von dem wir hier heute gesprochen haben - über die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, die Produktivität und das Volkseinkommen der Erwerbstätigen
vorzulegen ist, ehe weitere Anpassungen vorgenommen werden sollen. Der Kollege Schellenberg meint, daß das wahrscheinlich nur für künftige Entscheidungen nötig ist; für seinen Antrag will er -bei aller Betonung des Verantwortungsbewußtseins in seinen Ausführungen - zunächst und bis auf weiteres sehr gern darauf verzichten.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat bei seiner Begründung -- ich habe das wohltuend empfunden - sehr behutsam die Besorgnis der Regierung und manchen Vorbehalt ausgesprochen. Ich hätte eine solche besorgte und behutsame Auffassung im Zusammenhang mit der großen Verantwortung, die ,rentenreformerische Maßnahmen immer mit sich bringen, sehr gern 1957 von der gleichen Regierungsbank gehört.
Da Herr Professor Schellenberg einen Teil der CDU angesprochen hat, nämlich den Teil, der in der Regel in der „Sozialen Ordnung" seine Meinung sagt, möchte ich zu seiner Information zitieren, was Herr Rohrheck in der „Sozialen Ordnung" im November 1958 entgegen anderen Darstellungen vor einem Jahr ebenso behutsam gesagt hat. Es heißt darin, „daß die Zukunftsaussichten für die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung nach dem Sozialbericht nicht sehr erfreulich sind, daß es aber besser ist, die Lage nüchtern und kritisch zu werten, als die Tatsachen durch die rosarote Brille zu betrachten und in absehbarer Zeit vor einer Situation zu stehen, die das Reformwerk selbst gefährden kann." Soweit Herr Rohrbeck, und soweit meine ich ,auch die übereinstimmende Auffassung des Kollegen Horn verstanden zu haben.
Trotzdem ist heute eine sozialpolitsche und, ich möchte hinzufügen, auch eine sozialethische Grundsatzfrage zu beantworten, nämlich die Frage, die einen Vorrang in dieser Diskussion gehabt hat: das Gleichheitsprinzip - das der Kollege Schellenberg ansprach - und die Gleichbehandlung aller Rentner vor dem Gesetz, die auch 'ich für eine unerläßliche Konsequenz der Beschlüsse und der Versprechungen halte, die in der Rentenreform abgegeben worden sind.
Ich denke dabei allerdings rim Gegensatz zu einigenanderen Rednern nicht nur an die Empfänger von Leistungen der Rentenversicherungsträger, sondern meine, daß dieses Prinzip, wenn wir uns mit ihm befassen - und wir sollten das tun -, auch in seiner Auswirkung auf alle geprüft werden muß. Wer Anpassung von Sozialleistungen oder von Renten an die wirtschaftliche Entwicklung verspricht, darf nicht einen Teil der Rentenempfänger davon ausschließen.
Die Verfechter einer modernen dynamischen Rente - auch wenn man ihr in einer späten Taufe den schönen Namen „Produktivrente" gegeben hat - haben ,die Auffassung vertreten, daß mit diesem Gesetz die Rentendebatte entpolitisiert werde. Wenn wir heute auch eine sehr maßvolle Debatte erlebt haben, so hat sie uns doch gezeigt, daß das ,ein großer Irrtum und ein politisches Wunschbild war.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat die Zielsetzung und die Richtigkeit der Zielsetzung, wie er sagt, dieser Rentenreform bekräftigt und bestätigt.
Ich hätte es sehr gern gehört, wenn er sich ein wenig konkreter über seine Meinung zur neuen Rentenformel geäußert hätte. Die Besorgnisse, so meinte er, die gewisse Vorbehalte verständlich erscheinen ließen, seien unnötig, und er lobte die Einsicht der Rentner, die Spartätigkeit und die freie Entscheidung zur Vorsorge. Nun, ich gehöre zu denen, die sehr glücklich darüber sind, daß es diese freie Entscheidung zur Vorsorge bei einem großen Teil derjenigen gegeben hat, die gegen ihren Willen in die Versicherungspflicht hineingezwungen werden sollten. Ich erinnere mich sehr genau, wie knapp die Stimmenzahl war, und ich bin heute noch dankbar, daß die Abstimmung dahin zustande kam, daß es überhaupt Befreiungsmöglichkeiten für einen bestimmten Personenkreis gab, der noch den Mut hatte, sich zur individuellen Vorsorge zu bekennen. Herr Kollege Schellenberg hat es heute noch ein wenig deutlicher gemacht und gesagt: Wie schön, daß doch nichts von dem eingetroffen ist, was hier an die Wand gemalt worden ist. - Herr Kollege Schellenberg, in diesem Hause hat niemand - ich glaube, auch nicht unsere Kollegen aus der FDP, die ja in dieser Frage weitgehend mit mir übereinstimmten - behauptet, daß 1957 oder 1958 irgend etwas Erschreckendes geschehen werde. Niemand hat in diesem Hause davon gesprochen, daß vor 1960 Konsequenzen eintreten würden, wie Sie sie heute an die Wand malten; und Sie wollen uns das sicher auch nicht unterstellen. Aber Sie selber haben dankenswerterweise heute gesagt, daß die Dinge ab 1960 allerdings schon ganz anders aussehen werden als heute, nachdem wir Ihren Antrag angenommen haben werden und nachdem wir das Prinzip der Gleichbehandlung aller Rentner durchgesetzt haben werden. Ich habe Sie jedenfalls so verstanden, daß Sie zugegeben haben: 1958 noch, 1959 auch noch, 1960 vielleicht; aber 1961 müssen wir uns im Ausschuß zusammensetzen und müssen nach Staatszuschüssen fragen. Das haben Sie nicht gesagt, aber das war doch der Hintergedanke und der Hintergrund dessen, was dann eintreten wird;
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- denn zu Beitragserhöhungen in dem Maß, wie sie notwendig sein werden, werden Sie sich wahrscheinlich nicht gern verstehen wollen.
Gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr!
Haben Sie nicht gehört, daß ich gesagt habe: Wir müssen jetzt eine Regelung für 1958/59 treffen und wollen dann das Zahlenmaterial, das die Bundesregierung uns für die Jahre bis 1966 vorgelegt hat, genau analysieren!?
Das habe ich gehört, und daraus habe ich haarscharf gefolgert: Also jetzt reichen die Finanzen noch aus, Ihre Wünsche für 1958 und 1959 zu erfüllen; 1960 wird es schon prekärer, und dann müssen wir allerdings Unterlagen haben,
um Staatszuschüsse zu fordern oder Beiträge zu erhöhen. Kann man, wenn man logisch denkt, anders folgern? Ich jedenfalls nicht. Ich bin also, Herr Kollege Schellenberg, heute wie damals der Meinung, daß das Index-Denken gefährlich ist. In diesem Punkt bin ich ganz anderer Auffassung als Sie, nämlich der, daß wir dieses Index-Denken überwinden müssen. Wenn die Renten 1957 recht kräftig erhöht worden wären - das wollten auch meine politischen Freunde - und wenn wir selbst die Möglichkeit hätten, 1959 noch einmal eine Anpassung vorzunehmen, wie wir es sicher alle wollen, dann müßten wir uns doch mit dem Kernproblem beschäftigen. Hier unterscheide ich mich von der Auffassung der Kollegin Friese-Korn, wenn ich sie richtig verstanden habe. Dann müßten wir nämlich offen fragen, ob die Kompromißformel, die da zustande gekommen ist, glücklich ist, ob wir nicht vielmehr mit ihr einen Konflikt heraufbeschworen haben, der schwer zu lösen sein wird. Niemand wird heute mit Ernst bestreiten können, daß die lohnbezogene Rente ein Sprung ins Ungewisse war, und in der heutigen Debatte ist nichts weiter geschehen, als daß sozusagen mit einem dicken Rotstift all das unterstrichen worden ist, was ich darüber in der Debatte von 1957 gesagt habe.
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Niemand, meine Herren, die Sie „Aber nein" sagen, kann die künftige Lohnentwicklung voraussehen. Oder können Sie es? Niemand kann das Verhalten der Sozialpartner voraussagen. Niemand weiß heute, wie die Berechnungsgrößen aussehen, von deren Kenntnis doch eine Kalkulation der Auswirkungen der lohnbezogenen Rente in Zukunft abhängen wird. Niemand kennt die künftige Lohnhöhe, die Zahl der Beitragzahler, den künftigen Rentenbestand, die Zahl der Rentenberechtigten, deren Anwartschaft niemals erfaßt wurde. Sie wissen ja, daß eine Versichertenkartei fehlt. Sie haben es heute alle gemeinsam beklagt; aber Sie haben damals alle gemeinsam unsere Anträge abgelehnt, die bezweckten, zu solchen Unterlagen zu kommen. Wir wissen, daß die Alterspyramide sich erhöht; wir wissen auch, daß die so viel besprochene Rehabilitation, die dort eingreifen soll, wo die Invalidität uns Sorge macht, noch gar nicht richtig angelaufen ist. Der Antrag der Fraktion der Deutschen Partei, eine Statistik zu führen und Versichertenkarteien anzulegen, hätte die Möglichkeit gegeben, Grundlagen für die Bilanz und für die künftige Beitrags- und Leistungsgestaltung zu bekommen. Ich erinnere an den Zuruf meines Kollegen Ruf, der gemeint hat, das sei nicht nötig, das täten die Versicherungsträger ohnehin. Der Minister wird mir sicher bestätigen, daß sie es „ohnehin" eben nicht tun und auch nicht tun können. Ich will nicht den unerfreulichen Streit um die Belastung der Angestelltenversicherung durch die Handwerkerversorgung in Ihre Erinnerung zurückrufen und will nicht von dem unerfreulichen Tatbestand der widerspruchsvollen Zahlen, der vielen großen Unbekannten sprechen, die vor uns stehen, wenn wir - das ist heute auch von dem Minister sehr deutlich zugegeben worden - im Sozialpolitischen Ausschuß weiteres Material erhalten werden.
Selbst der Herr Kollege Ruf, den ich schon einmal zitierte, hat am 17. Januar feststellen zu müssen gemeint, daß die Zahlen des Arbeitsministeriums eine Feuerprobe bestanden hätten. Nein, lieber Kollege Ruf, die haben die Zahlen leider nicht bestanden.
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Demgegenüber hat nach meiner Auffassung der Kollege Atzenroth damals viel richtiger von Prognosen und Prophezeihungen gesprochen, die doch weitgehend eingetroffen sind. Ich bin dem Herrn Arbeitsminister dankbar, daß er so erfreulich ehrlich gesagt hat, genaue Voraussagen seien eben erst beim nächsten Sozialbericht zu erwarten. Hier kann ich nur wieder zu dem Herrn Kollegen Schellenberg sagen: Wenn man nichts Genaues weiß und das erst beim nächsten Bericht wissen wird, ist es um so wichtiger, daß wir gemeinsam überlegen und behutsam prüfen, wie denn die Entscheidung in der Zukunft wirklich aussehen soll.
In diesem Zusammenhang ist heute das Problem des Scheiterns des Beirats diskutiert worden, und Sprecher der beiden großen Fraktionen haben einige Überlegungen angestellt, von denen ich nichts wiederholen will. Ich will nur darauf hinweisen, daß in dem Brief des Professors Neumark
Sie haben alle die Drucksache zu 568 vor sich liegen - ganz deutlich eines der Kümmernisse stand, die mit zum Scheitern geführt haben: Es war „angesichts der beträchtlichen Änderungen, der wichtige Arbeitsunterlagen von seiten des zuständigen Ressorts im Spätsommer unterzogen werden mußten", nicht möglich, die Arbeit voranzutreiben. Das heißt doch nicht mehr und nicht weniger, als daß man dauernd neue Zahlen bekommen hat und wegen dieser unterschiedlichen oder unsicheren Zahlen überhaupt überfordert war.
Nun hat der Minister von dem Vertrauen gegenüber dem Beirat, das auch wir ihm schenken sollten, gesprochen. Das ist eine sehr liebenswürdige Geste, und ich will für meine Person gern sagen, daß ich gar kein Mißtrauen gegen irgendeinen dieser Herren dort habe. Im Gegenteil, ich habe die Mitglieder dieses Beirats aus meinen eigenen Erfahrungen im Beirat des Herrn Bundesministers für Arbeit manchmal lebhaft bedauert. Man hätte dem Beirat zuverlässigeres Material geben sollen und man hätte ihm bei aller Mühe, die man sicher auf die Aufbereitung der Zahlen verwandt hat, ersparen sollen, nun solche Feststellungen zu treffen.
Der Herr Minister hat gesagt, der Beirat habe seine Aufgabe erfüllt, und er hat die Genugtuung, daß er zum gleichen Ergebnis gekommen ist. Wer will ihm wegen dieses Gefühls einen Vorwurf machen? Aber die Frage ist doch so ernst und so bedeutsam, daß man einiges mehr feststellen müßte. Das Unglück mit dem Sozialbeirat fordert doch geradezu zu der Frage heraus, ob die Konstruktion des Sozialbeirats falsch oder unzweckmäßig war, ob er wirklich an der Aufgabe gescheitert ist oder an anderen Ursachen, ob nicht einfach die Gesetzeskonstruktion falsch ist.
Der Herr Kollege Schellenberg hat einiges zur Problematik des Beirats gesagt. Ich möchte ihn ergänzen: die gleichen Probleme gelten sicher für alle Beiräte, die irgendwo eingesetzt werden. Herr Professor Neumark hat - wie mir scheint, mit Recht - gesagt:
Ich bin nicht der Ansicht, daß ein Sozialbeirat als solcher eine prinzipiell verfehlte Konstruktion darstellt. Aber vielleicht sind wir in Deutschland noch nicht so weit, daß wir für ihn eine befriedigende funktionelle Struktur finden können. Da eine Ersetzung der für die Anpassung der Bestandsrenten gesetzlich vorgesehenen „bedingten Automatik" durch eine Vollautomatik verhängnisvoll wäre, muß man ... nach einer lockeren Form der Sachberatung des Gesetzgebers suchen.
Aus dieser Stellungnahme von Herrn Professor Neumark schließe ich nun wieder haarscharf, daß das wahrscheinlich dem Wunschbild des Herrn Ministers nicht entsprechen dürfte.
Die sehr nüchternen Zahlen des Sozialberichts zeigen auch die sehr ernüchternden Tatbestände der verschiedensten Berechnungen, und sie können, seien es nun die Zahlen aus dem Arbeitsministerium oder von den Rentenversicherungsträgern oder solche von unabhängigen Versicherungsmathematikern, doch alle nur dazu beitragen, daß man möglichst vorurteilslos unsachliche Vorwürfe zurückweist und in sachlicher Arbeit prüft, was an den Dingen ist.
Wir werden gemeinsam - niemand wird uns das ersparen - in Zukunft sehr gefahrvolle und keineswegs immer so populäre Entscheidungen treffen können wie vor der letzten Bundestagswahl. Die sehr nüchternen und auch hier maßvollen Betrachtungen im Sozialbericht der Bundesregierung - es fällt besonders auf im Vergleich mit den Vorworten und den Ankündigungen der Rentenreform der gleichen Bundesregierung - haben auf mich nicht ernüchternd gewirkt, sie waren mir eine Bestätigung für sachlich längst festgestellte Tatbestände. Sie zeigen auch jetzt Tatbestände neu auf, deren Lösung das Parlament als seine Aufgabe erkennen muß, wenn die theoretischen Thesen durch die Praxis und die Ergebnisse eines vernünftigen Zahlenmaterials bestätigt werden.
Es wäre aber heute wie 1957 verantwortungslos, wenn wir die Rentenversicherungen isoliert betrachten wollten. Es wäre ebenso gefährlich, wenn wir uns der Hoffnung hingäben, daß das Dilemma des allgemeinen Dynamikdenkens aufgehalten oder beschränkt werden kann, wenn wir nicht zu mutigen Entscheidungen kommen.
Nun zum Antrag der sozialdemokratischen Fraktion! Ich will mich nicht darüber auseinandersetzen, ob er 730 oder 750 Millionen DM kostet - das ist hier gefragt worden -, ich will zum Grundsätzlichen etwas sagen. Wer eine Gleichbehandlung aller Rentner will und wer die Automatik beschlossen hat, kann dem Antrag der SPD eine gewisse sozialpolitische Berechtigung nicht absprechen. Was Herr Kollege Schellenberg aber zum GleichheitsFrau Kalinke
grundsatz gesagt hat, müßte dann allerdings im Zusammenhang auch mit allen anderen Sozialleistungen - von der Kriegsopferversorgung bis zum Lastenausgleich und den sozialen Hilfen - mutig zu Ende gedacht werden. Ich will nichts weiter tun, als Ihnen diese Konsequenz heute in der Grundsatzdebatte vor Augen und vor Ohren stellen.
Wer die Begründungen für die Finanzierungsvorstellungen hier gehört hat, wird sicher mit mir gemeinsam manche Frage an Herrn Schellenberg stellen wollen. Ich werde nicht alle Fragen hier stellen; wir können das im Ausschuß tun. Der Kollege Schellenberg hat mit gewisser Berechtigung darauf hingewiesen, daß die Vorschriften nicht gut ausgewogen sind. Er hat aber nicht den Mut gehabt, ganz konsequent das auszusprechen, was er sicher meint: Weg mit diesen Vorschriften, hin zur vollen Automatik! Und ich sage: Weg mit diesen Vorschriften und weg von der Automatik! Da unterscheiden wir uns trotz der gemeinsamen Opposition auch heute wieder.
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- Ja, ich mache mit Herrn Schellenberg gemeinsame Opposition dagegen, daß Sie nicht klar Stellung nehmen zum Prinzip der Gleichbehandlung aller Rentner. Bei der Altershilfe der Landwirtschaft machte Herr Schellenberg Opposition, weil ihm der Zwang - ich habe das hier deutlich gesagt - nicht weit genug ging, und ich machte Opposition von rechts, weil er mir zu weit ging. Heute macht Herr Schellenberg Opposition, weil er die volle dynamische Rente haben will, und ich mache Opposition, weil ich Sie so gern überzeugen möchte, daß wir dieses kleine Stückchen halber oder nicht vollkommener Automatik herausnehmen müssen, um damit zu einer Gleichbehandlung aller Rentner zu kommen. Aber vielleicht ist die Stunde dafür heute noch zu früh.
Nun hat Kollege Schellenberg die Frage nach den sogenannten Überschüssen gestellt. Gibt es denn diese Überschüsse bei einem Sozialversicherungsträger wirklich? Und wenn sie buchmäßig erscheinen: wie lange noch? Wie stellen sich dann die Befürworter der vollen Automatik die Finanzierung in der Zukunft vor? Herr Kollege Schellenberg, ich will von Ihnen heute keine Antwort darauf haben, was in 20 Jahren ist. Ich möchte aber die Antwort auf die Frage hören: Was wollen wir den Menschen sagen, die in den nächsten 20 Jahren sehr hohe - demnächst höhere als jetzt - Beiträge bezahlen müssen?!
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- Denen müssen wir einiges sagen! Sie haben einen Anspruch darauf, denn die Sozialversicherungsbeiträge sind ihr Eigentum.
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Der Vorsitzende des Verbandes der Rentenversicherungsträger hat kürzlich bei der Tagung des Verbandes der Rentenversicherungsträger gesagt, die Überschüsse würden im Jahre 1958 nur noch halb so groß sein wie 1957, nämlich 830 Millionen
DM betragen. Sie haben selber schon darauf hingewiesen, daß noch Leistungen der Krankenversicherung der Rentner aus den vergangenen Jahren mit den Krankenkassen abzurechnen sind. Dadurch werden sich die Überschüsse um 300 Millionen DM vermindern, so daß nur etwas über 500 Millionen DM verbleiben. Ich füge noch hinzu, daß sich die Zahl der laufenden Renten von 1953 bis zum August 1958 um mehr als eine Million erhöht hat.
Der Ministerpräsident a. D. Christian Stock hat bei der genannten Tagung des Verbandes der Rentenversicherungsträger gesagt, die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherungen sei dadurch gekennzeichnet, daß zwar in den letzten 51/2 Jahren das Vermögen der Rentenversicherungsträger auf 12,2 Milliarden angestiegen sei, daß man aber für die weitere Zeit nicht ohne Sorge sein könne. Wer wäre ohne Sorgen, wenn er die wirklichen Bilanzen der Rentenversicherungen anschaut und dem die gestiegenen sozialen Versprechungen gegenüberstellt?! Wir möchten gern verhindern, daß weiter solche Versprechen gegeben werden, die man nicht halten kann.
Der Herr Kollege Schellenberg kam auf die Vorausberechnungen des Arbeitsministers zu sprechen. Hier irrte nun der Kollege Schellenberg auch einmal. Es kommt selten vor, aber hier irrte er ganz entschieden. Meistens handelt es sich ja darum, daß er das Zahlenwerk polemisch behandelt. Der Kollege Schellenberg sagte nämlich am 18. Januar 1957, daß die Vorausberechnungen des Bundesarbeitsministeriums eher zu pessimistisch als zu optimistisch seien.
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- Sie können es nachlesen: Seite 10 425 des Stenographischen Berichts. - Bitte schön, Herr Kollege Schellenberg!
Würden Sie so liebenswürdig sein, mir zu erklären, weshalb meine Behauptung bei der Rentenreformdebatte, die Berechnungen der Bundesregierung seien zu pessimistisch, nicht den Erkenntnissen der Gegenwart entspricht?
Das will ich gleich sagen. Wenn Sie mich nicht so temperamentvoll unterbrochen hätten, hätte ich es im nächsten Halbsatz gesagt. Sie hatten nämlich damals die Meinung vertreten, daß der Vermögensstand auf 20 Milliarden DM ansteigen werde.
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Ich glaube, es sind jetzt elf Komma soundsoviel Milliarden DM. Das ist die Zahl, um die es sich handelt. - Bitte schön!
Ich hoffe, Ihnen ist bekannt, daß ich die Zahl 20 Milliarden aus dem Material der Regierung über die weitere Entwicklung der finanziellen Lage bis zum Jahre, wenn ich mich recht erinnere, 1980 entnommen habe. Ist Ihnen nicht bekannt, daß die Vorausschätzungen der Bundesregierung für das Jahr 1958 erheblich übertroffen werden?
Mir ist sogar bekannt, daß sich auch andere Vorausschätzungen der Bundesregierung erheblich verändert haben. Aber Sie haben doch damals die Vorausschätzung der Bundesregierung mit benutzt, haben sich dieser Zahlen bedient und gesagt, sie seien eher zu pessimistisch als zu optimistisch. Tatsache ist, daß wir heute nur 11 Milliarden und nicht 20 Milliarden DM haben.
Die Haushalts- und Bilanzfragen der Rentenversicherungsträger werden uns bei den Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß beschäftigen. Ich frage nun, und das sollte die Debatte heute eigentlich schon deutlich machen: Wollen wir nach diesen Erfahrungen die Rentenautomatik fortsetzen oder wollen wir der Rentenautomatik nun in absehbarer Zeit - das wird nicht 1958 und nicht 1959 sein - die Beitragsautomatik folgen lassen? Sie alle kennen die Berechnungen - der Herr Kollege Schellenberg kennt sie auch - über die in absehbarer Zeit notwendige Erhöhung der Beiträge, auf die die Bundesregierung hier selber schon hingewiesen hat.
Dieses Parlament muß eine politische Entscheidung treffen; sie muß bestimmt sein von der hohen Einsicht in die wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenhänge. Darum bedauere ich mit dem Herrn Arbeitsminister, nicht wegen des Lobes des Herrn Kollegen Schellenberg für Erhards Wirtschaftspolitik, sondern wegen der Zusammenhänge zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, daß der Herr Wirtschaftsminister und der Herr Staatssekretär des Herrn Finanzministers zur Zeit nicht anwesend sind.
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- Ich stelle allerdings gern fest, daß der Herr Staatssekretär des Finanzministeriums zeitweilig da war. - Wir werden die Entscheidungen aber nur dann treffen können - ich bitte um Verständnis, daß ich das so aufrichtig ausspreche -, wenn die Zahlen, die wir in Zukunft bekommen, klar und wahrhaftig und zuverlässig sind.
Die bemerkenswerte Klarheit, mit der Herr Professor Neumark migeteilt hat, daß sein Votum für eine Rentenerhöhung von 6,1 % die Stellungnahme für weitere Erhöhungen nicht präjudizieren dürfe, muß hervorgehoben werden; dies ist einer der Punkte, zu denen ich gern die Meinung des Herrn Kollegen Schellenberg gehört hätte. - Da ist er schon! Würden Sie ihm das Wort geben, Herr Präsident!
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- Aber gern, ich warte darauf!
Frau Kollegin Kalinke, wollen Sie nicht vor dem Hause richtigstellen, daß Sie mich falsch zitiert haben? Sie haben soeben behauptet, ich hätte erklärt, der Vermögensstand der Rentenversicherung wachse bis 1958 auf 20 Milliarden, und er sei tatsächlich jetzt nur 11 Milliarden, Wollen Sie nicht dem Hause sagen, daß ich -gestützt auf die Angaben der Bundesregierung - lediglich erklärt habe, daß nach den Berechnungen
der Bundesregierung im Jahre 1986 das Vermögen auf 20,8 Milliarden anwachsen werde!?
Ich habe darauf aufmerksam gemacht, Herr Kollege Schellenberg, daß Sie gesagt haben, die Zahlen der Bundesregierung seien eher zu pessimistisch als zu optimistisch.
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- Nein, sie waren zu optimistisch. Ich komme nachher noch darauf und werde es Ihnen mit einzelnen Zahlen sagen. Die Zahlen der Bundesregierung waren für die Einführung der dynamischen und lohnbezogenen Rente genauso optimistisch wie Ihre Auffassung bei der Durchsetzung Ihres jetzigen Antrags: solange noch Beiträge bei den Rentenversicherungsträgern da sind. Aber gestatten Sie mir - Sie dürfen mich nachher noch einmal fragen -,
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daß ich Sie zum besseren Verständnis der Zusammenhänge frage - Sie werden ja das Wort noch nehmen und Sie werden dann, hoffe ich, antworten -, was Sie denn zu der Stellungnahme des Herrn Professors Neumark zu sagen haben, der doch ganz eindeutig festgestellt hat, daß eine weitere Rentenerhöhung - und das betrifft ja Ihren Antrag -nicht möglich ist, wenn wir uns für die Erhöhung um 6,1 %, die ja präjudizierend ist, entscheiden. Ich habe bedauert, daß Sie dazu nichts gesagt haben. Ich will es Ihnen gern noch einmal vorlesen, Sie haben alle den Brief vorliegen, in dem ganz deutlich steht, daß nach den zur Zeit verfügbaren Anhaltspunkten die Möglichkeit verneint werden muß, die laufenden Renten Jahr für Jahr an etwaige Steigerungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage anzupassen, ohne - unter sonst gleichbleibenden Umständen- für die gesetzlichen Rentenversicherungen ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten heraufzubeschwören. Was sagen Sie dazu, Herr Kollege Schellenberg? Hier beginnt doch die entscheidende Frage, ob wir nämlich unter diesen Umständen von der Automatik Abschied nehmen müssen. Wir müssen uns darüber sehr ruhig und sehr behutsam unterhalten. Wir müssen uns überlegen, was wir politisch verantworten können.
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- Ich sage das heute noch ganz genau, was ich vorschlage, nur bin ich noch nicht so weit.
Die Meinungsverschiedenheiten im Sozialbeirat haben die ganze Schwere der Verantwortung, aber auch die Tragik einer Kompromißfindung deutlich gemacht und eine Problematik aufgezeigt, die ich Ihnen bei den Beratungen im Jahre 1957 immer wieder warnend - leider vergebens vor Augen gestellt habe.
Der Aufbau des Gutachtens - und das muß ich allerdings auch dem Herrn Arbeitsminister sagen - ist nicht folgerichtig. Die Mehrheit des Hauses hatte bei der Verabschiedung des Gesetzes anerkannt, daß die Anpassung der Bestandsrenten nicht nur von ungeheurer sozialpolitischer, sondern auch von volkswirtschaftlicher Bedeutung ist; sie kann und soll also nur erfolgen, wenn dem Bundestag ein
Votum des Sozialbeirats über die finanzielle Tragbarkeit unter Berücksichtigung der im Gesetz genannten volkswirtschaftlichen Größen unterbreitet wird. Der Sozialbericht gibt aber eine Darstellung der voraussichtlichen wirtschaftlichen Entwicklung und der finanziellen Lage, die nach meiner Auffassung mit der vorgeschlagenen Erhöhung nicht recht in Einklang zu bringen ist. Was insbesondere die Entwicklung der volkswirtschaftlichen Produktivität anlangt, so lag nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamts die volkswirtschaftliche Produktivität im Jahre 1957, gemessen an der Entwicklung des realen Nettosozialprodukts je Erwerbstätigen, nur knapp 2 °/o höher als im Vorjahr, und sie wird für 1958 wahrscheinlich eine geringere Zuwachsrate ausweisen. Selbst der Anstieg des Volkseinkommens je Erwerbstätigen wird für 1958 nur auf etwa 4 % geschätzt.
Wenn trotz dieser offensichtlichen Divergenzen eine laufende Anpassung, wie es versprochen worden ist, erfolgen soll, ist doch das steigende Defizit vorauszusehen, noch ehe der versicherungsmathematische Bericht vorliegt, der es ganz deutlich machen soll.
Aus dem Sozialbericht ergibt sich aber noch etwas anderes eindeutig. Bei konsequenter Verwirklichung des Regierungsentwurfs wird - auch schon ohne den SPD-Antrag - die Frage der Beitragserhöhung oder die Gefährdung der Leistungsfähigkeit der Rentenversicherungen früher oder später an das Parlament herantreten.
Nun möchte ich noch auf einige offene Fragen hinweisen. Ich hoffe, daß sie der Arbeitsminister im Ausschuß eindeutig beantworten wird. Ich möchte endlich wissen, wie die Zahlen für die Handwerkerversicherung wirklich aussehen und was der Angestelltenversicherung aus der Wanderversicherung tatsächlich gegeben wird; der Kollege Horn hat dieses Problem ja auch schon angesprochen. Ferner möchte ich wissen, mit welchen Beitragseinnahmen aus der Freiwilligenversicherung zu rechnen ist. Aber die Frage kann mir der Arbeitsminister nicht beantworten; die kann nämlich niemand beantworten, höchstens der Kollege Meyer; denn der ist der Meinung, daß man eine solche Frage beantworten kann.
Wir beklagen, daß die Berechnungsunterlagen, die wir 1957 bekommen haben, und daß auch die Unterlagen, die der Sozialbeirat erhalten hat, mangelhaft waren. Wir können nur hoffen, daß wir in Zukunft bessere Unterlagen bekommen.
Gestatten Sie mir, Herr Bundesminister, meine Verwunderung darüber zum Ausdruck zu bringen, daß Sie über die seltsamen Differenzen, auf die auch der Kollege Schellenberg hingewiesen hat, ohne ein Wort einfach hinweggegangen sind. Im Regierungsentwurf wurden die Ausgaben für 1960 auf 13,5 Milliarden DM geschätzt, für 1966 auf 16,4 Milliarden DM. Im Sozialbericht finde ich für 1960 dagegen eine Schätzung von 16,8 Milliarden DM und für 1966 eine Schätzung der Ausgaben auf 23,7 Milliarden DM. Die Schätzungen desselben Ministeriums differieren, also für 1960 um 3,3 Milliarden DM oder 25 %, für 1966 sogar um 7,3 Milliarden DM oder 50 %. Ich wäre sehr dankbar, Herr Minister, wenn Sie diese Differenzen erklärten.
Der Herr Kollege Meyer hat nun die Abführung der freiwilligen Beiträge beklagt und hat gesagt: Wegen der Interessengruppen zahlen die Leute nicht. Das habe ich nicht verstanden. Vielleicht erklärt er das. Ich beklage z. B. sehr die Rechtsunsicherheit, die aus der Rentenformel für diejenigen entstanden ist, die ihre Beiträge freiwillig zahlen und nicht wissen, in welcher Höhe sie sie zahlen sollen oder zahlen dürfen. Die Rechtsunsicherheit ergibt sich nämlich daraus, daß man bei der Nachentrichtung oder der Entrichtung von Beiträgen und bei der Anpassung der freiwilligen Beitragszahlung an die veränderliche Bemessungsgrundlage einen Rentenberater oder einen Mathematiker oder ein mathematisches Büchlein zu Hilfe nehmen muß, um aufzupassen, daß man nicht zuwenig oder zuviel zahlt, damit man seine zu erwerbende Rente nicht vermindert. Das ist die einfache Rentenformel, von der Herr Storch sagte, daß jeder Schulbub sie verstehe. Ich weiß nicht, ob er selber uns ad hoc sagen kann, wieviel Beiträge freiwillig Versicherte zahlen müssen, damit sie nicht nachher in die Gefahr kommen, unter Umständen einen schon erworbenen Rentenanspruch gemindert zu bekommen.
Der Herr Kollege Horn hat um die Behandlung nur grundsätzlicher Fragen gebeten. Es ist unsere gemeinsame Auffassung, daß nur das getan werden sollte. Aber soweit er selber Einzelfragen angesprochen hat, die sich aus diesen Grundsätzen ergeben, muß ich ihm einiges entgegnen.
Ich bin mit ihm darin einig, daß wir alles tun sollten, um ein Steigen der Beiträge zu verhindern, also der Rentendynamik nicht eine Beitragsdynamik folgen zu lassen. Sicherlich hat Herr Kollege Horn nicht berücksichtigt, daß der Beitrag zur Rentenversicherung zur Zeit schon erhöht ist, nämlich für diejenigen Gruppen, die im Zusammenhang mit der Beitragsbemessungsgrenze bei einem gleichbleibenden Satz von 14 °/o jetzt nicht 105, sondern schon 112 DM zahlen müssen. Ich wollte mir nur erlauben, auf diesen Tatbestand sachlich und nüchtern hinzuweisen.
Der Herr Kollege Horn hat welter beklagt - ich habe es als eine behutsame Klage herausgehört -, daß wir die Angestelltenversicherung über einen Leisten geschlagen haben. Auch ich beklage es und hätte mich gefreut, wenn man auf unsere Warnungen, unsere Anträge, die wir zwar nicht allein in diesem Hause gestellt haben, aber die ich immer wieder vertreten habe, gehört hätte.
Auch ich hoffe auf den Finanzausgleich zwischen der Invalidenversicherung und der Angestelltenversicherung, aber noch mehr darauf, daß die Zahl der Kollegen in der CDU sich mehrt, die davon abgehen, immer mehr über den Leisten zu schlagen, damit wir uns über dieses Kapitel im Sozialbericht in Zukunft nicht zu unterhalten brauchen.
Recht hat Herr Kollege Schellenberg damit, daß wir uns im Ausschuß auch über die Probleme des
Sonderzuschusses und seines Ausschlusses aus der Anpassung unterhalten müssen, besonders bei den Empfängern von Kleinrenten, und über die Anrechnungsbestimmungen. Vor allem aber müssen wir über die Frage der Höchstrente sprechen und damit über die Bestrafung und Entrechtung der Angestellten, die im Vertrauen auf die Versicherungsgerechtigkeit Beiträge zahlten.
Es gibt Leute, die über Prinzipien lachen. Sie selber haben die Versicherungsgerechtigkeit gepriesen und das Versicherungsprinzip auf den Schild gehoben, haben es aber dann herrlich torpediert und denen, die Beiträge zahlen, eine Schmälerung ihres Anspruchs kraft Gesetzes zugefügt, indem Sie durch die Einführung der Höchstbegrenzung wie bei der Anpassung der Renten diejenigen geschädigt haben, die auf Grund der Beitragszahlung einen Rechtsanspruch haben.
Ich begrüße es, daß wir im Ausschuß nach den Erklärungen von Herrn Kollegen Schellenberg gemeinsam von links bis rechts an einer Frage arbeiten wollen, die nicht nur die Rentenempfänger besonders bewegt. Ich hoffe, daß wir auch über die Frage der Mittelaufbringung sprechen werden. Das geht Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, ja sogar die Verbraucher an, da die Steigerung der Arbeitgeberanteile bekanntlich in den Preis eingeht.
Lassen Sie mich nun zu dem wichtigsten Thema des Tages auch eine Antwort auf die mir gestellte Frage geben: Was schlagen Sie vor? Ich glaube, diese Debatte und unser Gespräch heute haben bewiesen, daß es in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nur ein klares Ja oder Nein geben kann. Das Dilemma der Dynamik wäre vermeidbar, und manche bedauerliche Aussprache wäre nicht notwendig gewesen, wenn wir uns dahin verständigen könnten, das Patentrezept des Kollegen Schellenberg, nämlich die Einführung der vollen Automatik, abzulehnen und in einer Novelle zur Rentenversicherungsreform die automatische jährliche Anpassung aller Renten an die Löhne und Gehälter fallenzulassen. Dafür aber müßten wir uns konsequent damit auseinandersetzen, wie wir ohne neue Steuern und ohne Beitragsdynamik zu einer Lösung kommen, die tatsächlich allen Rentnern in gleicher Weise gerecht wird und die Verwirklichung des Gleichheitsprinzips und die Gleichbehandlung aller Rentner garantiert.
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- Nicht so unruhig; es ist ja noch nicht beschlossen, Herr Kollege Schellenberg. Ich hoffe nur, daß sich dafür eine Mehrheit in diesem Hause finden werde.
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- Ich werde nicht aufhören, meine Herren von der Opposition, auf Einsicht auch bei Sozialdemokraten zu hoffen. Die Erfahrungen mit sozialistischen Experimenten in anderen Ländern haben doch gezeigt, daß man über diese Frage ruhig und ohne Erregung diskutieren sollte. Die Fortsetzung der Automatik muß doch dazu führen, daß die Rentenversicherungsträger nach 1960 in die allergrößten finanziellen Schwierigkeiten kommen werden.
({5})
- Den kann ich antreten. Im Ausschuß werde ich Ihnen alle Zahlen nennen. Ich werde einen eindeutigen Beweis antreten. Sie wissen es ja selber auch, Herr Kollege Schellenberg; Sie wollen es nur nicht zugeben.
({6})
Sie haben z. B. so nonchalant gesagt, es seien keine Gefahren für den Kapitalmarkt eingetreten. Hat sich nicht auch bei Ihnen herumgesprochen, daß die Beträge, die die Rentenversicherungsträger für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellen können, ,absolut absinken, ja halbiert sind? Hat sich das nicht auch bei Ihnen herumgesprochen?
({7})
- Ja, es ist auch eine soziale Aufgabe der Rentenversicherung, für Eigentum und für Wohnungen zu sorgen. Seit Bismarck, seit Bestehen der Rentenversicherung waren die Besten unter den Sozialdemokraten immer der Meinung, daß gesundes Wohnen und Eigentum für Familien eine sozialpolitische Aufgabe ist, der auch die Rentenversicherungsträger durch die Anlage ihres Kapitals dienen müssen. Darüber hinaus gibt eis wohl auch noch andere Aufgaben, die genauso wichtig sind. Ich nenne nur den Bau von Sanatorien und Rehabilitationsstätten, für die die Rentenversicherungsträger auch in Zukunft Geld brauchen werden.
Wenn der Sozialbericht den Kriterien des Gesetzes nicht voll Rechnung trägt, wenn wir uns darüber einig sind, daß wir die notwendige Anpassung aller Renten an den wirtschaftlichen Fortschritt bejahen, wenn wir grundsätzliche Bedenken gegen eine unterschiedliche Behandlung von Rentnern haben - und ich teile diese Bedenken -, wenn wir die Gefahren der Lohnindexrente und der Automatik kennen - und wir kennen sie -, dann, meine ich, müssen wir doch hier deutlich machen, daß die Entscheidung, die wir in den nächsten Wochen treffen werden, nur eine klare Antwort auf die Frage sein kann, meine Kollegen von der CDU, ob wir uns in der Sozialpolitik mit der Scherenbildung zwischen Alt- und Neurenten auf die Dauer abfinden wollen, ob wir eis sozialpolitisch für vertretbar halten, die unterschiedliche Behandlung der Rentner von Jahr zu Jahr fortzusetzen, ob wir - wenn wir uns zur Automatik in Zukunft bekennen - damit einverstanden sind, daß wir die verschiedenen Empfänger von Leistungen unterschiedlich behandeln, ob wir, wenn wir die Forderungen der Kriegsopfer und der Lastenausgleichsempfänger, der Unfallversicherungsvorlage und weiterer Gesetze über soziale Hilfen vor uns haben werden, hier konsequent Grundsatzentscheidungen treffen können, wollen oder müssen. Ich hoffe aber, daß Sie den Mut haben, eine verantwortungsbewußte Einsicht dazu zu benutzen, rechtzeitig umzukehren und deinen zu folgen, die aus staatspolitischer Verantwortung rechtzeitig gemahnt haben.
Gestatten Sie, Frau Kollegin. Nach § 78 der Geschäftsordnung ,soll in der ersten Beratung zwar eine Aussprache stattfinden, aber nur über die Grundsätze der Vorlagen. Es besteht zwar kein Hinderungsgrund, auch grundsätzliche Erwägungen durch dieses oder jenes konkrete Beispiel im einzelnen zu erhärten. Aber es hat alles seine Grenzen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir heute noch ein großes Pensum vor uns haben und um 21 Uhr schließen möchten.
Ich bitte fortzufahren.
Gestatten Sie mir trotzdem die Bemerkung, Herr Präsident, daß die Frage der Automatik und Dynamik in diesem Gesetz eine der grundsätzlichsten Fragen ist, wenn es überhaupt Grundsatzfragen in diesem Gesetz gibt. Die sozialpolitische, volkswirtschaftliche und finanzielle Notwendigkeit, über diese Grundsatzfrage zu sprechen, ist, glaube ich, unbestritten.
Niemand, meine Herren und Damen Kollegen, wird eine Parlamentsmehrheit schelten, die Irrtümer zugibt und aus Fehlern lernt. Vielmehr wird jeder dankbar sein für eine Demokratie, in der es noch Abgeordnete gibt, die den Mut haben, in der Zukunft einsichtsvolle Entscheidungen zu treffen.
Die Bilanz, die am 1. Januar erstmalig zu erstellen sein wird, wird uns hoffentlich ein Zahlenwerk zur Verfügung stellen, das die heute schon besprochene finanzielle Entwicklung eindeutig macht. Sie
sollte dem Parlament nicht langsam, wie Herr
Schellenberg sagt, und nicht in später Ferne, sondern so schnell wie möglich zugeleitet werden. Sollte die Bilanz im Januar nicht vorgelegt werden, so wird es außerordentlich schwierig sein, über den Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei zu beraten. Was Herr Schellenberg hier angeregt und der Herr Minister versprochen hat, nämlich eine große Zahl von Sachverständigen im Ausschuß zu hören, wird nur dann erfolgreich sein, wenn man den Mut hat, die verschiedensten Mathematiker an einen Tisch zu bringen und sie vorurteilsfrei anzuhören.
Die Entscheidung wird in der Zukunft wie in der Vergangenheit bei uns in diesem Hause liegen, und niemand wird uns diese Entscheidung abnehmen können. Wenn die Mehrheit dieses Hauses solchen Vorschlägen nicht folgt, wird die volle Automatik, wie sie Kollege Schellenberg gefordert hat, mit der Präjudizierung weiterer Leistungen aus all den sozialen Hilfs- und Versorgungseinrichtungen unabwendbar sein, und die Diskussion um diese Automatik wird nicht mehr von der Tagesordnung dieses Hauses kommen.
Es ist deshalb - ich wiederhole es - aus grundsätzlichen Erwägungen undenkbar, die Rentenversicherung isoliert zu betrachten. Die Entscheidung betrifft alle diejenigen in unserem Volk, die Renten haben wollen, aber auch alle diejenigen in unserem Volk, die zur Zeit und in Zukunft Steuern zahlen müssen und die die Fraktion der Deutschen Partei im Interesse der Stabilität unserer Wirtschaft
und der Stabilität der sozialen Leistungen vor einer Beitrags- und Steuerautomatik bewahren möchte.
Herr Kollege Schellenberg meint: Nun schnell meinen Antrag, und nach mir die Sintflut.
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- Das meinen Sie nicht? Ich freue mich über Ihre Empörung. Wenn das nicht so aufzufassen war, habe ich Sie mißverstanden. Dann werden wir also vor der Behandlung Ihres Antrags erst die Zahlen verlangen, um die finanziellen Auswirkungen gründlich prüfen zu können.
Worauf es den Rentnern ankomme, so sagte der Kollege Horn, das sei die Sicherung ihrer Leistungen in der Zukunft. Darin bin ich mit ihm vollkommen einig. Er hat nur nicht gesagt, mit welchen Mitteln das nach dem jetzigen Gesetz in Zukunft geschehen kann. Der Herr Kollege Schellenberg ich wiederhole es - will die volle Dynamik. Wir, die Fraktion der Deutschen Partei, wollen die Beseitigung der Automatik. Wir hoffen, daß die Verantwortung des Parlaments, die auch unseren Freunden in der Koalition niemand abnehmen kann - wir alle haben volles Verständnis für die Schwierigkeit der Situation und für die Schwierigkeit der Entscheidung -, uns zu Entschließungen führen wird, die es möglich machen, allen, die vor der Tür stehen, und allen, die auf Rentenerhöhungen warten, zur rechten Zeit die dauerhaften Rentenerhöhungen zu geben, auf die sie nach unserem Versprechen einen Anspruch haben.
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Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur eine kurze Bemerkung. Der Herr Kollege Schellenberg hat Zahlen des Sozialberichts kritisiert; ich habe mich bemüht, eine kurze Antwort zu geben. Jetzt hat auch Frau Kalinke Zahlen des Sozialberichts kritisiert. Ich habe mich nur deshalb zu Worte gemeldet, weil ich vermeiden möchte, daß der Eindruck entsteht, als ob die Bediensteten des Arbeitsministeriums, insonderheit der die Verantwortung tragende Ministerialrat und Mathematiker, entweder nicht fähig seien, richtige Berechnungen anzustellen, oder etwa die Absicht hätten, falsche Zahlen darzustellen, um damit das Parlament in einer bestimmten Richtung zu beeinflussen. Meine Damen und Herren, die kritisierten Zahlen sind doch, wie der Sozialbericht ausdrücklich sagt, Vorausschätzungen über die Entwicklung der Einnahmen, der Ausgaben und des Vermögens bis zum Ende des ersten Deckungsabschnittes, und man kommt natürlich zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn man
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ich weiß es, deshalb sage ich das jetzt hier unterschiedliche Annahmen macht. Aber diese Berechnungen und Annahmen muß man hier machen.
Bundesarbeitsminister Blank
Wenn im Jahre 1955 - Herr Professor Schellenberg, ich weiß, Sie wollen mich etwas fragen; aber lassen Sie mich das doch im Zusammenhang ausführen, warum wollen Sie mich immer unterbrechen, ich will nachher gern Ihre Fragen hören, und ich will die Beratungen im Sozialausschuß gar nicht vorwegnehmen, das kann man gar nicht anders machen als in der Ausschußberatung - bei den Berechnungen zum ersten Entwurf eines Gesetzes der Mathematiker die Entwicklung der Löhne sehr vorsichtig angesetzt hat und wenn sich nun zeigt, daß die tatsächliche Lohnentwicklung wesentlich anders und, vom Standpunkt der Arbeitnehmer aus gesehen, wesentlich günstiger gewesen ist, dann müssen doch selbstverständlich alle hiervon abgeleiteten Vorausischätzungszahlen anders werden. Wir haben es hier doch nicht mit einem kleinen Einmaleins zu tun, sondern mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
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Das Wort hat der Abgeordnete Walpert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man konnte anfangs bei der guten Stimmung des Hauses meinen, es würde hier friedlich zugehen. Ich möchte diese friedliche Stimmung auch nicht stören. Aber, Frau Kollegin Kalinke, ich habe trotz guten Zuhörens nicht mitbekommen können, was Sie für 1958, für 1959 und für die Zukunft wollen. Ich habe nur gehört, daß Sie keine höheren Beiträge, keine höheren Steuern, keine höheren Bundeszuschüsse wollen. Dann muß ich also schlußfolgern, daß die Leistungen der Rentenversicherung auf einen Stand abfallen müssen, wie er vor den Rentenneuregelungsgesetzen war.
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- Ich habe nur gesagt, ich habe es auch beim besten Zuhören nicht anders mitbekommen können.
Da lobe ich mir schon den Kollegen Horn von der CDU, der kurz und eindeutig sagte, seine Fraktion und er seien für die Anhebung der Renten ab Januar 1959. Wenn er dabei an die Mehrheit des Hauses gedacht hat, könnte das bedeuten, mein Kollege Schellenberg und ich brauchten überhaupt nicht mehr zu sprechen. Aber ich hoffe, daß das nicht so gemeint war.
Gestatten auch Sie mir noch ein Wort, Frau Kollegin Friese-Kor n. Es gibt moderne Wagen, bei denen man für einen Aufpreis von 300 DM eine automatische Kupplung bekommen kann, so daß man die Schwierigkeiten am Berg nicht mehr hat. Vielleicht sind wir Sozialdemokraten so fortschrittlich, daß wir automatisch kuppeln und schalten und dann den Berg gut heraufkommen!
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- Nein, es kommt auf die Kupplung, die Schaltung und die Automatik an, dann kommt man auf den Berg!
Ich möchte dem Herrn Bundesarbeitsminister sagen; man kann doch nicht immer nur den Rentner darunter leiden lassen, und man kann nicht solche Schlußfolgerungen ziehen, wenn die Ersparnisse so hoch waren. Selbstverständlich haben auch Rentner gespart, wenn sie Spitzenrenten erhielten. Ich möchte allerdings fragen: glauben Sie im Ernst, daß ein Rentner mit 200 oder meinetwegen 250 DM Rente, von der er mit seiner Frau leben muß, noch Ersparnisse machen kann? Trotz allem ist doch festzuhalten, daß ein großer Teil der Rentner auch heute noch bescheidene Renten bezieht. Ich weiß, das liegt an den Mindestrenten, es liegt am Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz. Aber man sollte doch jetzt nicht das, was einmal die Mehrheit wollte, so abwerten, wie es einige Redner tun. Schließlich haben doch die Landesfürsorgeverbände und hat doch, ich will es einmal kurz sagen, der Staat dadurch Ersparnisse gehabt, daß die Rentenversicherungsträger hier Leistungen übernommen haben.
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- Selbstverständlich haben die Rentner gespart; aber wir müssen doch mit der Mär aufräumen, daß es den Rentnern so gut gehe. Das nehme ich Ihnen nicht ab.
Frau Kalinke sagt, sie hoffe, es werde geklärt, wie der Ausgleich zwischen der Arbeiterrentenversicherung und der Angestelltenversicherung wegen der Wanderversicherten erfolgen könne. Auch ich habe diese Hoffnung. Es sind 480 Millionen DM für das Jahr vorgesehen, und die Rentenversicherung soll zahlen. Allardings fordert die Angestelltenversicherung ohne Nachweise 'fast eine Milliarde Mark. Ich finde, daß kein Organmitglied über diese Summe entscheidein kann, wenn nicht hieb- und stichfestes Material vorliegt.
Ich kann nicht ganz folgen, wenn Frau Kollegin Kalinke sagt, die Indexrente sei gefährlich. Dann wäre sie auch bei anderen gefährlich, die sie schon haben.
Ich lese aus dein Neuregelungsgesetzen, insbesondere aus dem § 1272 RVO etwas anderes herarus, als viele Diskussionsredner hier herauslesen. Ich gestatte mir deshalb, auszugsweise diese Vorschrift in die Erinnerung zurückzurufen. Es heißt dort:
({3}) Bei Veränderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage werden die Renten durch Gesetz angepaßt.
({4}) Die Anpassung hat der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie den Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen Rechnung zu tragen.
Ich finde, das ist klar, und wir haben jetzt erstmalig danach zu handeln. Damit wurde die Verpflichtung ausgesprochen, die Renten durch Gesetz anzupassen. Mit den Neuregelungsgesetzen sollte die Kluft zwischen der unterschiedlichen Entwicklung der Einkommen derjenigen, .die in Arbeit stehen, und solcher, die aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, geschlossen werden. Die Bundesregierung beWalpert
stätigte, daß dies das Ziel ist, indem sie nach Verabschiedung der Rentenneuregelungsgesetze in der
an die Rentner verschickten Rentenfibel ausführte:
Durch die ständige Anpassung der laufenden Renten ist sichergestellt, daß Produktivitätssteigerungen nicht nur den Arbeitenden, sondern auch den Rentnern zugute kommen. Wenn der Lebensstandard des Arbeitenden steigt, wird auch der Lebensstandard des Rentners steigen. Der lin der Vergangenheit beobachtete Vorgang, daß der Lebensistandard des Rentners immer weiter hinter d em Lebensstandard des Arbeiters zurückbleibt, wird sich nicht wiederholen.
Damit wurde ein klares und unmißverständliches Versprechen gegeben. Auch ,die Bestandsrenten sollten sich in ,der gleichen Weise und in demselben Umfang entwickeln wie die Löhne und Gehälter.
Nach Auffassung des Kollegen Stingl, der für die CDU-Fraktion sprach, gilt für den Deutschen Bundestag nach § 1272 RVO der Befehl, tätig zu werden. Es wurden zwei wichtige Grundsätze aufgestellt. Erstens: die Renten sollen der Lohn- und Gehaltsentwicklung folgen. Zweitens: nine unterschiedliche Entwicklung der Renten des Zuganges und des Bestandes muß verhindert werden.
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- Nein, ich zitiere jetzt allgemeine Grundsätze. Ich habe gesagt, Kollege Stingl, bei Veränderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage werden die Renten durch Gesetz angepaßt.
Nach meiner Meinung ist die volle Anpassung bei günstiger wirtschaftlicher Entwicklung zwingend vorgeschrieben. Sie soll wirtschaftlich vertretbar sein. Dazu sollte sich der Sozialbeirat äußern. Die uns hier vorgetragene Meinung war ja nicht einheitlich, sondern nur eine Mehrheitsauffassung. Nur dann, wenn die wirtschaftliche Entwicklung so ungünstigerscheint, daß schwere Bedenken gegen eine volle Rentenanpassung sprechen, würde ein voller oder teilweiser Verzicht darauf, das sozialpolitische Ziel zu erreichen, zulässig sein. Erstrangig bleibt das ,sozialpolitische Ziel einer paritätischen Rentenentwicklung. Die Finanzlage der Rentenversicherungsanstalten kann für die Entscheidung über eine Anpassung der laufenden Renten nicht allein bestimmend sein. Bundesregierung und Sozialbeirat haben im Zusammenhang mit der alle zwei Jahre zu erstellenden versicherungstechnischen Bilanz eine Untersuchung über die Finanzlage 'anzustellen.
Es isst also eine klare Entscheidung des Gesetzgebers notwendig. Der Gesetzgeber hat dafür zu sorgen, daß beide Rentengruppen, Altrenten und Neurenten, gleichmäßig an der wirtschaftlichen Entwicklung teilnehmen, dais heißt auf dem Wege über die jährliche Festsetzung der allgemeinen Bernessungsgrundlage. Eine der beiden Rentnergruppen, in diesem Falle die Altrentner, unter die zusätzliche Bedingung der Entwicklung wirtschaftlicher Faktoren stellen zu wollen, bedeutet bereits in der Form eine die sozialpolitische Zielsetzung durchbrechende und rechtlich nicht zulässige Maßnahme.
Ich möchte aber auch auf die finanzielle Lage der Rentenversicherung eingehen.
Während die Überschüsse der Versicherungsanstalten vor Verabschiedung der Gesetze im Jahre 1957 mit 189 Millionen DM geschätzt wurden, erzielten die Arbeiterrentenversicherung und die Angestelltenversicherung einen tatsächlichen Überschuß von 1,75 Milliarden DM. So erzielte die Arbeiterrentenversicherung im Jahre 1956 einen Überschuß von 1637 Millionen DM, im Jahre 1957 von 1428,2 Millionen DM. In der Angestelltenversicherung wurden im Jahre 1956 729,5 Millionen DM, im Jahre 1957 336,8 Millionen DM Überschuß erzielt. Die Überschüsse sind überwiegend aus den Beiträgen der Versicherten aufgebracht worden. Dies wird besonders bei der Angestelltenversicherung deutlich. Hier stiegen die Beitragseinnahmen von 2,3 auf 3,2 Milliarden DM, das heißt um 39 Prozent, während die Zuschüsse des Bundes lediglich von 0,79 auf 0,84 Milliarden DM, also um 11 v. H., stiegen. Das Vermögen beider Rentenversicherungsträger erhöhte sich somit von 9,64 Milliarden DM Ende 1956 auf 11,164 Milliarden DM Ende 1957.
Trotz der anerkannten Anhebung der Renten leben noch viele Rentner in bescheidenen Verhältnissen.
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Für die Angestelltenversicherung liegen seit längerem die Ergebnisse über die Schichtung der ausgezahlten Renten vor. Danach beziehen rund 50 Prozent der Männer eine Rente von über 260 DM monatlich und rund 38 Prozent eine Rente von über 300 DM monatlich. Bei den Männern gibt es ja wenig Mindestrenten, so daß diese Zahlen wohl beispielhaft sein dürften. Bei den Frauen beziehen rund 50 Prozent eine Rente von über 130 DM monatlich, indes nur 8 Prozent eine solche von über 300 DM monatlich. 37 Prozent aller Rentner der Angestelltenversicherung erhalten eine Rente von unter 200 DM monatlich.
Mein Kollege Meyer hat bei der Begründung des Gesetzentwurfs Zahlen vorgetragen, die vom Verband deutscher Rentenversicherungsträger ermittelt worden sind. Ich kann es mir ersparen, darauf einzugehen. Ich habe aber bei einer großen ArbeiterRentenversicherungsanstalt einmal eine Untersuchung durchführen lassen. Nach einer Ermittlung erhalten bei 12 000 Renten im zweiten Halbjahr 1957 - und zwar Männerrenten - 58 Prozent unter 200 DM, 30 Prozent eine Rente von 200 bis 300 DM, und der Rest liegt über 300 DM monatlich. Bei den weiblichen Versicherten ist das Verhältnis entschieden ungünstiger. Vergleicht man die Normalrente der Arbeiter und der Angestellten mit den durchschnittlichen Beamtenpensionen, so kommt man zu einem Ergebnis, das für die Sozialrentner sehr ungünstig ist. Das gleiche ergibt sich, wenn man die Sozialrenten in ein Verhältnis bringt zu den Pensionen, die auf Grund von Art. 131 des Grundgesetzes gewährt werden.
In diesem Zusammenhang gestatten Sie mir auch noch einen Hinweis darauf, daß die Arbeiter und Angestellten jahrzehntelang auf Grund der Pflicht2800
versicherung Beiträge entrichtet haben, während ein Teil der anderen ja nicht nur wegen ihrer Pflichterfüllung hohe Pensionen bezieht. Dazu ist der Personenkreis in Betracht zu ziehen. Es sind rund 7,3 Millionen Renten, - nicht Rentner, sondern Renten.
Ich möchte auch auf den Verlust der Rücklagen der Rentenversicherung im Jahre 1923 und im Jahre 1948 aufmerksam machen. Die Arbeiter und Angestellten haben dein Verlust der Rücklagen mit einer Beitragserhöhung von 5,6 auf 14 % des Lohns oder Gehalts bezahlt. d. h. sie haben sich solidarisch für die Generation, die nicht mehr in Arbeit steht, verpflichtet gefühlt. Ich weiß auch, daß der Bund einen erheblichen Zuschuß gewährt. Wenn man aber die Vermögensverluste mit berücksichtigt, die große Zahl der Renten und die große Zahl derjenigen, durch deren Einbeziehung die Gemeinde- und Fürsorgehaushalte entlastet werden, erscheint dieser Zuschuß nicht zu hoch.
Mein Freund Schellenberg hat auch darauf hingewiesen, daß der Konsumstoß, der in diesem Hause und in der Öffentlichkeit angekündigt wurde, ausgeblieben ist. Die Entwicklung ist günstiger, als erwartet wurde. Allerdings sind auch die Lebenshaltungskosten von März 1957 bis März 1958 um 4,7 v. H. gestiegen, und darunter leiden besonders die Bezieher von kleinen Einkommen. Ich sagte schon, daß die Entwicklung günstiger ist, als angenommen wurde. Es erscheint deshalb paradox, wenn man einerseits die konjunkturstützenden Wirkungen von Rentenerhöhungen begrüßt, wie es das Wirtschaftsministerium tut, und andererseits auf eine volle Anpassung verzichtet. Es ist unverständlich, einerseits das sozialpolitische Ziel einer vollen und ständigen Beteiligung aller Rentner an der wirtschaftlichen Entwicklung zu proklamieren und andererseits bei der ersten Gelegenheit von diesem Ziel abzuweichen. Diese Widersprüche sind den Rentnern unverständlich. Sie werden auch nicht durch die wirtschaftliche Entwicklung gerechtfertigt. Es liegt beim Parlament, sie durch eine konsequente Entscheidung zu beseitigen.
Die von meiner Fraktion geforderte Erhöhung der Renten ab 1. Januar 1958 würde die Rentenversicherung mit 655 Millionen DM nach einer Schätzung des Verbandes deutscher Rentenversicherungsträger - 710 Millionen DM sind es nach dem uns vorliegenden Bericht - belasten. Dieser Mehraufwand kann ohne Gefährdung der Deckungsrücklage getragen werden, wenn der Bund seiner Verpflichtung gegenüber den Trägern der Rentenversicherung nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes für die rückliegende Zeit nachkommt. Dafür werden 1,9 Milliarden DM als nötig genannt. Ich finde, der Bund sollte seine Schulden bezahlen. Dann brauchten wir uns in diesem Hause nicht darüber zu unterhalten, ob wir für 1958 Gerechtigkeit üben könnten.
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- Ja, bitte sehr! Wir haben doch nicht die Mehrheit; hätten wir sie, würde ich mich in meiner Fraktion dafür einsetzen.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die Entschließung der letzten Verbandsversammlung Deutscher Rentenversicherungen, die von den Arbeitgeber- und den Versichertenvertretern einstimmig angenommen worden ist und in der die Bundesregierung aufgefordert wird, die Schulden zu bezahlen. Dann blieben mehr als 1,2 Milliarden DM übrig, die wir der Rücklage zuführen könnten, und wir hätten nicht beini erstenmal schon das Wort gebrochen. Von 1955 bis 1957 sind die Löhne und Gehälter um 18,4 v. H., das Bruttosozialprodukt je Einwohner ist um 28,7 v. H. angestiegen. Diese drei Jahre sind ja zugrunde gelegt worden. Der Bundestag sollte also nicht ein schlechtes Beispiel geben, sollte vielmehr zu den gegebenen Versprechungen stehen.
({8})
Wenn wir die Renten für 1958 nicht anheben, dann sinken die durchschnittlichen Renten, nach dem Arbeitsverdienst berechnet, von 50,7% auf 48,8 % ab. Falls bis 1966 nur eine oder keine Erhöhung erfolgt, fallen diese Leistungen auf 35,7 % ab.
Die Frühinvalidität hat sich, wie Statistiken ausweisen, auch etwas günstiger entwickelt, als angenommen wurde. Während im Jahre 1950 noch 68,3 % der Männer und 85,8 % der Frauen vor Vollendung des 65. Lebensjahres invalide wurden, wurden es im Jahre 1956 64 % der Männer und 75,7 % der Frauen. Eine ähnlich günstige Entwicklung ist auch in der Angestelltenversicherung zu verzeichnen.
Frau Kollegin Kalinke sprach von der Überalterung des Volkes. Ich habe aus den Ärztlichen Mitteilungen Nr. 40 vom 1. November 1958 entnommen, daß die Lebenserwartung der über 55 Jahre alten Männer weiterhin geringfügig abgenommen hat. Es ist also unberechtigt, hier irgendwelche Rückschlüsse zu ziehen. Selbstverständlich ist die Alterspyramide des Volkes nicht günstig.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die gestiegene Lebenserwartung nicht ohne weiteres mit den Rentenzugängen in Beziehung gesetzt werden kann und daß sich die Sterbetafeln, die ja wohl die Grundlage für solche Berechnungen bilden, keineswegs geändert haben oder auf eine günstige Entwicklung schließen lassen?
({0})
Ich habe auf die Ärztlichen Mitteilungen Nr. 40 vom 1. November 1958 Bezug genommen. Ich kann nur zitieren und das genauso wenig wie Sie nachweisen, Aus diesem Grunde nenne ich die Informationsquelle. Da wird gesagt, daß die Lebenserwartung geringfügig abgenommen habe, und das betrifft den Personenkreis, dem wir Renten zahlen müssen. Deshalb führe ich das an,
ohne Kommentar, ob das wünschenswert ist oder nicht. Ich möchte mir in diesem Hause nicht gestatten, anderen Menschen die Lebenserwartung abzusprechen.
({0})
Ich darf zusammenfassen. Bei der Verabschiedung der Rentenneuregelungsgesetze war die Mehrheit des Hauses der Auffassung, daß die Renten gemäß § 1272 RVO an die jeweilige Veränderung der Bemessungsgrundlage im Zeitpunkt der Veränderung angepaßt werden müßten. Das ist der Kernsatz, und hier bestehen Mißverständnisse. Ein Teil des Hauses will das nicht mehr wahrhaben, was im Gesetz steht. Wenn ich die Rednerinnen der Freien Demokratischen Partei und der Deutschen Partei richtig verstanden habe, wollen sie weg von dieser Verpflichtung und noch mehr Unklarheit. Ich glaube, dann werden die Rentendebatten nicht mehr wenige Stunden, sondern Tage dauern, genauso wie einst, als diese Gesetze beschlossen wurden. Ich möchte Sie bitten, dem Antrag der SPD zuzustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Die erste Lesung eines sozialpolitischen Gesetzes vollzieht sich wohl immer vor leerem Hause. Sie wird lang. Aber sie muß lang sein, denn die Gesetze, die wir hier schaffen wollen, sind von so einschneidender Wirkung, daß sie eigentlich auch das Interesse derjenigen Kollegen erwecken sollten, die sich den Beratungen fernhalten. Trotzdem möchte ich der Aufforderung nachkommen - Herr Kollege Horn hat zuerst dazu aufgefordert -, in der ersten Lesung nur allgemeine Fragen zu behandeln.
Ich möchte versuchen, einen allgemeinen Überblick über die Haltung, die wir einnehmen, und über die Haltung, wie wir sie bei anderen Fraktionen sehen, zu geben. Im Jahre 1956 waren alle Parteien der Ansicht, daß wir eine angemessene Neuregelung der Renten vornehmen müßten. Ich greife das Wort von Professor Schellenberg auf und nehme es auch für meine Fraktion in Anspruch, daß wir uns von keiner Partei in dem Bestreben übertreffen lassen, eine angemessene Versorgung unserer Altersrentner sicherzustellen. Unser Bestreben, Herr Professor Schellenberg, ist aber darüber hinaus von dem größten Verantwortungsgefühl getragen. Denn wir wollen nicht versprechen, was nicht gehalten werden kann. Wir wollen uns nicht hier auf die Tribüne stellen, wie es Herr Horn getan hat, und sagen: Wir geben aber den Rentnern die Garantie, daß wir das halten, was wir bis jetzt versprochen haben. Herr Horn, das ist ein Wort ohne Beweis. Ich befürchte, daß Sie diese Garantie noch schuldig bleiben werden, die Sie heute den Rentnern wieder einmal versprochen haben. Sie haben im Jahre 1956 zusammen mit der SPD dieses Rentenreformgesetz gemacht und beschlossen. Sie haben in dieses Gesetz zum erstenmal die Form hineingebracht, die
nun einmal landläufig als Dynamik bezeichnet wird. Ob der Ausdruck den vollen Sinn trifft, mag dahingestellt bleiben. Aber Sie haben damit auch in der breiten deutschen Öffentlichkeit, vor allem aber bei den betroffenen Rentnern, den Eindruck erweckt, als ob nun von diesem Ausgangspunkt her künftig die Renten immer parallel zur Entwicklung des Lohnes blieben.
Wir haben damals gesagt: Das Versprechen, das ihr den Rentnern gebt, könnt ihr niemals halten. Es kann vielleicht für eine vorübergehende Zeit gehalten werden. Aber im Laufe der Zeit, wenn die Vermögen aufgebraucht sind, wird die bittere Ernüchterung kommen.
Meine Damen und Herren, das hat man uns damals nicht abgenommen. Es war ein Mut zur Unpopularität, der politisch von uns vielleicht falsch war. Wir hätten auch den bequemen Weg gehen können, Versprechen abzugeben. Wir brauchten sie ja damals nicht zu halten; Sie mußten sie als Regierungspartei halten. Das haben wir nicht getan.
In der Zwischenzeit hat sich langsam ein Wandel vollzogen. Noch beim Regierungsantritt der dritten Bundesregierung ist all das, was bei der Beratung des Rentengesetzes versprochen worden ist, wiederholt worden. Einer meiner Vorredner hat die Regierungserklärung zitiert. Dort wurden alle diese schönen Versprechungen wiederholt und noch einmal bekräftigt. Und jetzt stehen wir zum erstenmal vor einer Realisierung.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen
- das ist eigentlich der Hauptgrund, warum ich mich zum Wort gemeldet habe -: Wir betrachten das, was heute geschieht, als das erste Rückzugsgefecht.
({0})
- Wir waren von vornherein der Ansicht, daß das Versprechen gar nicht zu halten ist, und sind auch heute noch dieser Meinung. Also können wir doch nicht für jemanden eintreten, der etwas tut, was wir nicht gebilligt haben. Wir sind der Meinung: das ist das erste Rückzugsgefecht. Zu dieser Meinung sind wir durch eine ganze Reihe von Vorkommnissen gebracht worden.
Wenn Sie in den letzten Wochen und Monaten in Versammlungen kamen - nicht in die Wahlversammlungen; dort ist das Versprechen weiter bekräftigt worden, das man gar nicht halten kann -, dann konnten Sie prominente Mitglieder dieses Hauses, die bei der Beschlußfassung über dieses Gesetz sehr kräftig mitgewirkt haben - ich sehe sie leider nicht alle hier, aber einige - ({1})
- Na ja, Sie wissen, daß man die Dinge auch vom wirtschaftlichen Standpunkt betrachten muß.
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- Wenn ich die Namen nennen wollte, hätte ich sie gleich genannt, Herr Kollege Schellenberg.
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- Es handelt sich nicht nur um einen, sondern um eine ganze Reihe von Kollegen, die in Versammlungen, wo man echt Rede und Antwort stehen mußte, klar und deutlich gesagt haben: Die Bedenken, die damals vorgetragen worden sind, sind doch berechtigt. Es handelt sich hier einmal um die währungspolitischen Bedenken, dann um die Frage, welche Folgen es hat, wenn unserem Volk das Indexdenken eingeimpft wird und wenn sich dieses Denken ausbreitet. Das sind Probleme, die man nicht ernst genug nehmen kann. Man kann sich wohl vorübergehend damit helfen, daß man vorhandene Mittel aufbraucht; aber eines Tages steht man vor der Situation, keine Mittel mehr zu haben und auf die Suche nach neuen Mitteln gehen zu müssen. Dann muß man sich entscheiden, ob diese Mittel durch Beitragserhöhung gewonnen oder im Bundeshaushalt bereitgestellt werden sollen. Das Letztgenannte wäre der Weg zum Versorgungsstaat.
Diese Gefahren sind aufgezeigt worden und werden - vielleicht nicht in der Öffentlichkeit, aber draußen, wo man sachlich diskutiert - auch von den Herren aus der CDU klar und deutlich aufgezeigt. Daraus schöpfen wir eine gewisse Hoffnung, daß sich ein Wandel in Ihrer Anschauung vollziehen wird, daß Sie langsam doch überlegen werden: Ist das Gesetz in der Form, wie es damals verabschiedet worden ist, wirklich durchführbar? Sie führen es ja nicht ganz durch. Vom Standpunkt der Sozialdemokratie kann ich durchaus verstehen, daß sie die Forderung erhebt, auch für 1958 irgendeine Erhöhung zu geben. Das Gesetz hat sich ja sehr fein um diese Forderung herumgewunden in einer Formulierung, die, das müssen wir doch sagen, nicht ganz ehrlich ist gegenüber der Allgemeinheit, gegenüber den Menschen, die das Gefühl hatten: wenn die Löhne steigen, dann steigen auch unsere Renten. Dieses Gefühl haben Sie der Öffentlichkeit gegeben, aber Sie können und wollen die Versprechungen, die damals gemacht worden sind, gar nicht realisieren.
Wir von der Freien Demokratischen Partei hoffen, daß bei der Ausschußberatung über diese Vorlagen und nach der geplanten ausführlichen Gutachtereinvernahme manche Dinge eine erhebliche Änderung erfahren werden und daß manche, viele, ja die meisten unserer Argumente von 1956 und 1957 auch von Ihnen anerkannt werden.
Ich darf zum Schluß ein Wort zitieren, das der Herr Bundesarbeitsminister - jedenfalls laut einer Zeitungsnotiz - gesprochen hat. Herr Blank hat gesagt:
Ich halte die fortschreitende Sozialisierung des Lohnes über die Leistungen für Sozialeinrichtungen für falsch, weil ich glaube, daß wir nicht berechtigt sind, in einem solchen Umfang in die freie Verfügung über den Lohn einzugreifen.
Wir billigen das voll und ganz; das ist unsere Ansicht. Daraus schöpfen wir die Hoffnung, daß es in
den Beratungen dieser Gesetzesvorlage zu einer Formulierung kommt, der auch wir unsere Zustimmung geben können.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint für mich beinahe eine Art Schicksal zu sein, meine Ausführungen mit der Feststellung beginnen zu müssen: wir sind wieder einmal da, wo wir von der CDU hingehören, - genau in der Mitte. Das ist auch heute wieder so. Die Debatte über dieses Gesetz, über diese zwei Gesetze - wir müssen ja auch den Gesetzentwurf der SPD berücksichtigen - ist für mich etwas unerfreulich gewesen, weil ich den Eindruck habe, daß beispielsweise die kleinste Fraktion glaubt, ihre Bedeutung dadurch erhöhen zu müssen, daß sie die längste Redezeit in Anspruch nimmt
({0})
und die Nerven der Zuhörer einigermaßen strapaziert. Aber das muß jeder vor sich selber verantworten.
Ich habe Ihnen nur die Auffassung meiner Freunde zu den Fragen bekanntzugeben, die wir diskutiert haben. Das ist zunächst einmal die Frage, ob die Mitglieder des Sozialbeirats - dem man ein Fiasko unterschiebt; aber weder von dem Herrn Arbeitsminister noch von meinem Kollegen Horn wurde das so genannt - bei uns im Ausschuß gehört werden sollten. Wir werden uns mit Nachdruck dagegen wehren. Denn wir könnten nirgends mehr einen Beirat finden, wenn er befürchten muß, daß er die Dinge, die er dort im geschlossenen Raum vorgetragen hat, hinterher coram publico wiederholen soll, so daß dann draußen das Geschrei losgeht: Der Herr Soundso hat das und das gesagt, und der Herr Soundso hat das und das gesagt. Bedenken Sie, was das für Auswirkungen haben könnte, wenn einer, der Arbeitnehmervertreter ist, gesagt hat, er teile eigentlich einen anderen Standpunkt, - und auf der anderen Seite genauso. Wir werden also nicht zustimmen können, im Sozialpolitischen Ausschuß die Beiratsmitglieder zu hören.
Nun noch zu dem System unserer Rentenneuregelungsgesetze! Ich habe schon einmal im Kreise meiner Freunde gesagt: ich werde jedenfalls für meine Person diese Gesetze, wo immer es sei, mit Klauen und Zähnen verteidigen. Die Auffassung von rechts, wir sollten die Lohnbezogenheit überhaupt abschaffen, und die Meinung von links, wir sollten auch die laufenden Renten in der Lohnbezogenheit mitgehen lassen, beweisen doch, daß wir genau in der richtigen Linie denken. Nämlich derjenige, der die Rente bekommt, hat bis zu diesem Augenblick im Lohn- und Gehaltsverhältnis gestanden, er scheidet aus, er bekommt die Rente berechnet, lohnbezogen in dem Augenblick, in dem er ausscheidet; wenn er aber aus der Arbeit ausgeschieden und Rentner geworden ist, ist es berechtigt, seine Rente danach zu bemessen, wie sich das allgemeine VolksStingl
einkommen und die Produktivität bewegen und nicht mehr der Lohn.
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- Ja, aber Sie müssen mir nur im ersten auch folgen! Solange er Beiträge zahlt, hat er Anspruch darauf, gemäß diesen Beiträgen berücksichtigt zu werden.
Da wären wir gleich bei dem Thema: warum nicht am 1. Januar 1958, warum erst am 1. Januar 1959 anpassen? Das liegt einfach in dem Gesetz. Wer das Gesetz zu lesen versteht, weiß, daß es heißt - Sie haben es selber zitiert -: der Gesetzgeber hat einen Befehl bekommen, bei Veränderung anzupassen, - nicht: m i t der Veränderung anzupassen, sondern: bei der Veränderung! Für die Anpassung haben völlig andere Faktoren Pate zu stehen als die Veränderung der Bemessungsgrundlage. Darum bin ich durchaus geneigt, auch im Ausschuß noch einmal darüber zu reden, ob es wirklich die gleiche Zahl 6,1 sein muß. Aber der Gesetzgeber war sich klar darüber, warum er dieses Datum eingesetzt hat.
Übrigens, Frau Friese-Korn, es heißt nicht: Die Bundesregierung hat einen Bericht auf Grund der Stellungnahme des Sozialbeirats vorzulegen, sondern: sie hat ihren Bericht, sie hat ihre Vorschläge vorzulegen u n d die Stellungnahme des Beirats. Sie hat also allem Genüge getan. Sie hat. einen Bericht vorgelegt, sie hat einen Vorschlag gemacht und sie hat uns das Gutachten im Ergebnis vorgelegt. Dafür, daß man sich über die Begründung nicht einigen konnte, kann sie nichts. Der Gesetzgeber hat vor zwei Jahren bestimmt: der erste Bericht hat am 30. September 1958 vorzuliegen. Wir haben den 30. September gewählt, weil wir glaubten, drei Monate müßten wir mindestens haben, um ein Gesetz in Gang zu bringen, und weil wir sagten: vor diesem Termin kann man überhaupt nichts festlegen. Wir haben damals schon gewußt, daß wir uns frühestens im Oktober 1958 mit der Rentenanpassung würden beschäftigen können. Und weil wir damals einmütig dagegen waren, daß man immer mit rückwirkenden Dingen arbeitet, waren wir der Meinung, wir würden zum 1. Januar 1959 etwas tun müssen. Herr Kollege Schellenberg, wenn Sie den 1. Januar 1959 nehmen wollten, müßten Sie konsequenterweise einen höheren Prozentsatz nehmen, wenn Sie meinen, daß man absolut anpassen soll. Wir widerstreben dem, und wir werden uns dem nicht beugen; wir werden uns aus den von mir dargelegten Gründen nicht damit einverstanden erklären.
Bedauerlicherweise ist eine Fülle von Detailfragen angesprochen worden, die nicht unmittelbar mit diesem Gesetz zu tun haben. Ich bekenne nur noch einmal für meine Fraktion: auch wir wissen, daß nicht jeder Paragraph der RentenversicherungsNeuregelungsgesetze der Weisheit letzter Schluß ist. Unsere Verantwortung gebietet uns aber, erst einmal abzuwarten, wie das Ganze aussieht, bevor wir entsprechende Beschlüsse fassen. Das bezieht sich insbesondere auf die Berechnungsgrundlagen.
Es wurde hier mehrfach darauf hingewiesen, daß die Berechnungsgrundlagen unterschiedlich sind, und es wurde von links und rechts bestätigt, daß wir für die Zukunft nichts mit hundertprozentiger Sicherheit voraussagen können. Wenn ich nicht sicher bin, ob ich etwas halten kann, beginne ich allerdings auch noch nicht damit, es zu tun. Wenn ich ins kalte Wasser springe, schaffe ich mir mindestens vorher einen Rettungsring an. Ich glaube, daß wir danach jetzt handeln müssen.
({2})
- Wir sind Optimisten; das wissen Sie. Unsere ganze Wirtschaftspolitik ist optimistisch. Aber solche Optimisten sind wir auch wieder nicht, daß wir ein Vabanquespiel betreiben, und zwar ausgerechnet mit den Renten. Es ist auch nicht so, meine Damen und Herren, daß Gerechtigkeit immer dann da sei, wie Sie vorhin gesagt haben, wenn es einer bestimmten Gruppe nütze, die man zu vertreten glaubt, sondern das muß man nach allen Richtungen hin objektiv abwägen. Zum Schluß, meine Damen und Herren, habe ich nur die Frage zu stellen: Was kann man eigentlich Besseres machen, als daß man, solange einer im Lohn- und Gehaltsgeschehen ist, seine Rente aus diesem Geschehen herausnimmt und sie zwar nicht unmittelbar an den Lohn, aber doch an den allgemeinen Aufschwung anhängt, daß man also dem Rentner den allgemeinen Aufschwung zugute kommen läßt? Ich glaube, wir haben ein gutes Gesetz gemacht.
({3})
Ich darf eine Bemerkung des Herrn Kollegen Stingl richtigstellen. Frau Kollegin Kalinke hat nicht am längsten gesprochen; ihre Redezeit liegt 6 Minuten unter der längsten Redezeit.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Schüttler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will den guten Ausführungen meines Freundes Stingl durchaus nichts mehr hinzufügen; aber im Hinblick auf einige Ausführungen halte ich es doch für notwendig, das Spiel der Zahlen zu ergänzen, um Ihnen ein positives Bild zu vermitteln.
Immer wieder wurde gesagt, der Bericht der Bundesregierung sei seinerzeit nicht so in Ordnung gewesen, wie man es für die Verabschiedung des Gesetzes habe verlangen können, man habe zum Ende des Jahres 1955 mit einem Plus von 200 Millionen DM gerechnet, während sich am Ende ,ein Beitrag von 1,7 Milliarden DM ergeben habe; das beweise, daß man den Berichten und Zahlen nicht folgen und kein gutes Gesetz darauf aufbauen könne.
Ich muß dazu einiges sagen, damit nicht der Eindruck bestehenbleibt, daß die Regierung und die Beamten nicht zuverlässig gearbeitet hätten. Natürlich empfinden wir es alle als eine riesige Diskrepanz, wenn wir in diesem Zahlenspiel die 200 Mil2804
lionen DM dem Betrag von 1,7 Milliarden DM gegenüberstellen. Im ersten Augenblick kann man da stutzig werden. Man muß aber berücksichtigen, mit wie vielen Unbekannten bei der Rentenreform gerechnet werden mußte. Ich will nur einige Größenordnungen anführen. Es steht fest, daß Ende 1957 bei dein Rentenversicherungsanstalten über 300 000 unerledigte Rentenanträge lagen. Wenn wir diese rund 300 000 Anträge in Rechnung stellen, ergeben sich vielleicht 600 Millionen DM, die von den 1,7 Milliarden DM abzusetzen sind. Dadurch gelangen wir bereits auf 1,1 Milliarde DM. Es muß weiter beachtet werden, daß die Beitragseinnahmen sehr pessimistisch geschätzt waren. Man hatte bei der Vorausberechnung eine 2 % ige Lohnerhöhung für 1955 und 1956 zugrunde gelegt. Es besteht jetzt Klarheit darüber, daß die Lohnerhöhung einmal 6,5 %, das andere Mal 4,1 % ausmachte. Diese Differenz bei den Einnahmen schlägt ,auch stark zu Buche. Ferner wurden die Zinsen für das vorhandene Kapital sehr vorsichtig mit nur 3 % geschätzt, während sie nach den heutigen Feststellungen für die Anlagen mit durchschnittlich 5 % zu Buche stehen. Das ist ebenfalls eine wesentliche Mehreinnahme, die uns bei der Kalkulation zur Verfügung stand.
Weiter muß noch folgendes gesehen werden. Es wurden zusätzliche Ausgaben zur Verstärkung der Maßnahmen zur Erhaltung, ,Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit eingesetzt. Diese Maßnahmen waren aber noch im Aufbaubegriffen. Die dafür ,eingesetzten Summen wurden daher nicht verbraucht. Auch sie standen zur Verfügung und haben das Plus wesentlich ,erweitert.
Wenn wir nun eine Differenz von ,einigen Hundert Millionen DM haben, frage ich Sie doch: War es nicht besser, diese Unbekannten mit Vorsicht einzusetzen, als zu optimistische Schätzungen anzustellen, die sich nachher nicht realisiert hätten? Wenn bei einer Summe von 15 Milliarden DM eine Fehlkalkulation von 2 oder 3 % vorliegt, macht das schon ,einen Betrag von 300 bis 400 Millionen DM aus.
Wenn Sie das alles beherzigen, dann hat die Vorlage ihren Zweck erfüllt. Wir freuen uns darüber, daß dieses Endergebnis besser ist als die damalige Berechnung. Wir waren sonst kaum in der Lage, den heutigen Anforderungen gerecht zu werden. Ich möchte das nur noch einmal richtigstellen, damit die falschen Gedankengänge und die falschen Ausführungen, die Herr Professor Schellenberg vorgetragen hat, nicht im Raume bleiben.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich bedaure außerordentlich, daß ich die Nerven des Herrn Kollegen Stingl strapaziert habe. Ich habe mit Schrecken nachgelesen, daß ich schon am 18. Januar 1957 seine Nerven so strapaziert habe. Deshalb möchte ich ihm nur sagen: meine Freundschaft zu Ihnen ist so groß, daß ich alles verhindern werde, was Ihre Nerven weiter
strapazieren könnte. Den Rettungsring, von dem Sie sprachen, zu ergreifen, wollen wir, die kleinste Fraktion, Ihnen wirklich helfen.
Dem Herrn Minister möchte ich folgendes sagen. Auch am 18. Januar 1957, als wir mit seinem Vorgänger schon eine Debatte über ein gleiches Thema hatten, glaubten einige Kollegen aus diesem Hause - es war unter anderen der Kollege Ruf - ein Wort für die Beamten des Ministeriums sagen zu müssen. Ich glaube die Last und auch die Gewissenskonflikte vieler Beamten Ihres Hauses zu kennen. Was ich hier zu widerspruchsvollen Zahlen gesagt habe, ist kein Vorwurf für die Beamten, sondern, soweit es meine Ausführungen betrifft, eine Feststellung und eine Frage an den Herrn Minister, der für die Arbeiten und für alle Vorlagen seines Hauses voll verantwortlich ist.
Auf die Frage des Herrn Kollegen Walpert möchte ich für ihn, weil er vielleicht nicht vollständig zuhören konnte - er war im Gespräch mit dem Kollegen Schellenberg , in echter Courtoisie zusammenfassend meine Ausführungen wiederholen, damit er, wenn er heute nach Hause geht, genau weiß, was ich meine: Für uns bleibt das Leitmotiv der Rentenreform, was es 1957 war: alle Renten aller Empfänger an der Wohlstandsmehrung zu beteiligen. Solange das Gesetz in dieser Form besteht, müssen wir auf seine Durchführung bedacht sein. Ich halte die Gleichbehandlung aller Rentner, Herr Kollege Walpert, für unerläßlich. Ich halte auch die Anpassung aller Renten für unerläßlich und möchte nicht, daß ein Teil der Empfänger von Renten ausgeschlossen wird. Die Fraktion der Deutschen Partei wünscht die Erhöhung aller Renten nach gegebenem Versprechen.
Die Deutsche Partei lehnt aber - und das antworte ich Ihnen genauso klar - die Forderung der Sozialdemokraten nach voller automatischer Anpassung aller Renten an die Löhne und Gehälter ab. Sie erstrebt und erhofft eine Reform der Rentenreform mit dem Ziel der gleichmäßigen Behandlung aller Rentenempfänger. Sie empfiehlt dafür eine Revision der automatischen Rentenanpassung. Dafür bietet sich die Umkehr nach § 1257 an, nämlich die Festsetzung der allgemeinen Bemessungsgrundlage durch Gesetz.
Eine Beseitigung der Automatik bei den Neurentnern würde dazu beitragen, auch dem Wunsch der SPD zu entsprechen, alle Renten für alte und neue Rentenempfänger nach gleichen Grundsätzen durch Gesetz anzuheben und nicht, wie Sie ({0}) sagen wollen, nichts zu geben.
Die Deutsche Partei stimmt der Überweisung des SPD-Antrags an den Ausschuß zu. Sie wird seine Finanzierungsmöglichkeiten sorgfältig prüfen.
Die Vorlage der Regierung werden wir im Ausschuß behandeln und dafür Sorge tragen - und daran mitarbeiten -, daß sie beschleunigt Gesetz wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Bemerkungen! Herr Kollege Schüttler, ich muß Ihnen eine kleine Information geben. Herr Kollege Schüttler sagt, 300 000 Rentenanträge seien rückständig gewesen, und man müsse - so sagte er wörtlich - von dem Überschuß von 1957 600 Millionen abbuchen. Wenn man das macht, dann muß man diese 600 Millionen für 1958 - in diesem Jahr nämlich sind sie als Nachzahlung gezahlt worden - hinzufügen. Dann hat man im Jahre 1958 nicht einen Überschuß von 830 Millionen, sondern von 1 Milliarde 400 Millionen. So kann man es auch machen. Es bleibt bestehen, daß die Überschüsse der Jahre 1957 und 1958 für eine Anpassung der Jahre 1958 und 1959 ausreichen und daß dann noch die Hälfte der Überschüsse für die Bildung weiterer Rücklagen übrigbleibt.
Herr Kollege Stingl, Sie werden - so hoffe ich - die Zurückhaltung, die Sie hier in bezug auf die Anhörung der Beiratsmitglieder geäußert haben, aus folgendem Grunde vielleicht noch überprüfen. Wollen Sie den Mitgliedern des Beirats die Möglichkeit verweigern, über ihre Erfahrungen in einem Parlamentsausschuß zu berichten, oder wollen Sie die Mitglieder des Beirats weiter auf die Praxis verweisen, in Zeitungsartikeln über ihre Erfahrungen im Beirat zu berichten? Die Sachlage ist doch so: Zwei prominente Mitglieder des Beirats mußten Zeitungsartikel über diese Frage schreiben, weil der Parlamentsausschuß nicht die Möglichkeit hatte, die Herren zu hören. Wir werden diese Frage im Ausschuß zur Erörterung stellen, und dann werden wir darüber in ein Gespräch kommen, so hoffe ich.
Herr Kollege Dr. Atzenroth - ich sehe ihn gerade nicht -, nur zur Klarstellung für die Damen und Herren der FDP! Für uns ging und geht es bei dieser Debatte nicht darum - um das ganz klarzumachen -, den Grundsatz der Dynamik irgendwie in Frage zu stellen. Die SPD hat lediglich kritisiert, daß die gegenwärtige Methode eine Anpassung der Renten an die wirtschaftliche Entwicklung und an die Preise beeinträchtigt. ich sage das, uni ganz klarzustellen, wie die Gewichte verteilt werden müssen.
Nun noch drei kurze Bemerkungen für den Herrn Bundesarbeitsminister! Erstens: Ich habe kritisiert, Herr Bundesarbeitsminister, daß die Vorausschätzungen Ihres Ministeriums bis zum Jahre 1966 nicht in der erforderlichen Weise begründet sind und sich deshalb einer Nachprüfungsmöglichkeit entziehen; sie sind deshalb nur Hypothesen.
Zweitens: Ich habe festgestellt, daß sich alle bisherigen Vorausschätzungen des Bundesarbeitsministeriums, die auf Grund der letzt vorliegenden Erfahrungen kontrolliert werden können, als zu pessimistisch erwiesen haben.
Drittens habe ich erklärt, daß bei dieser Sachlage niemand behaupten kann, eine Anpassung für 1958 und 1959 gefährde die Sicherheit der zukünftigen Rentenleistung. Daran sind wir genauso wie Sie interessiert.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; die Debatte ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung.
Bei Punkt 1 a und b, Rentenanpassungsgesetz und Sozialbericht, ist Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik als federführenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Danke schön. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Zu Punkt 1 c ist Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik und an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen; es handelt sich um die erste Beratung des Antrags der Fraktion der SPD. Wer der Überweisung dieses Antrags zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Dann ist so beschlossen.
Zu Punkt 1 d, dem Auswirkungsgesetz für das Saarland, ist Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik vorgeschlagen. Wer dieser Überweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der Kindergeldgesetze ({0}).
Wird zur Begründung das Wort gewünscht? - Bitte schön, Herr Bundesminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der zweite Deutsche Bundestag hat mit der Verabschiedung des Kindergeldgesetzes erstmalig in der Bundesrepublik eine Materie geregelt, die als ein neuer Zweig der sozialen Sicherheit anzusehen ist, aber in engem Zusammenhang mit der Lohnfrage betrachtet werden muß. Die damals gefundene Regelung beruhte auf dem Gedanken, daß grundsätzlich der einzelne seine Familie aus seinem Arbeitseinkommen selbst unterhalten soll und die soziale Hilfe der Gemeinschaft erst einsetzen soll, wenn die Familienlast überdurchschnittlich groß wird.
Zu diesem Gedanken bekennt sich die Bundesregierung auch mit der vorliegenden Novelle, wie sie überhaupt dem Prinzip der Selbstverantwortung und der Eigenvorsorge in unserer Wirtschafts- und Sozialordnung eine hohe Bedeutung beimißt. Die Bundesregierung sieht es dementsprechend als Hauptaufgabe an, durch geeignete wirtschafts-, sozial- und steuerpolitische Maßnahmen auf einen Lebensstandard hinzuwirken, der den Unterhalt der Familie aus eigenen Kräften ermöglicht.
Die Entwicklung der Reallöhne und sonstigen Realeinkommen in den letzten Jahren spricht dafür, daß sich dieses Ziel, soweit es sich um Familien mit weniger als drei Kindern handelt, erreichen läßt. Der Durchschnitt der Stundenverdienste der Industriearbeiter einschließlich der Bergarbeiter hat
Bundesarbeitsminister Blank
sich von August 1954, dem Zeitpunkt der letzten Erhebung vor der Verabschiedung des Kindergeldgesetzes, bis zum August 1958 nominell um 36 %, real um 23 % erhöht. Infolge der Verkürzung der Arbeitszeit sind die Wochenverdienste allerdings geringer, nämlich nominell um 27 % und real um 15 % gestiegen. Die Entwicklung der Bruttolöhne in den anderen Wirtschaftszweigen einschließlich der Landwirtschaft und im öffentlichen Dienst ist ähnlich verlaufen.
Soweit die Familienlast überdurchschnittlich groß ist und eine Hilfe durch die Gemeinschaft geboten erscheint, soll wirksam geholfen werden. Aus diesem Grunde sieht der Entwurf eine Erhöhung des Kindergeldes von 30 DM auf 40 DM, also urn ein Drittel der derzeitigen Leistungen, vor. Gemessen an dem vor vier Jahren vom Deutschen Bundestag beschlossenen Kindergeld von 25 DM, das bis zum 30. September 1957 gegolten hat, bedeutet dies eine Steigerung um 60 %. Der Gesamtaufwand an Kindergeld im Jahr wird damit etwas über 3/4 Milliarden DM erreichen. Im einzelnen darf ich auf den finanziellen Teil der Begründung der Regierungsvorlage verweisen. Das Kindergeld muß im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen gesehen werden, die ebenfalls einen Ausgleich der Familienlasten bewirken. Dazu gehören die Freibeträge bei der Lohnsteuer, die Aufwendungen der öffentlichen Hand für die Ausbildung der Jugend, der Familienwohnungsbau und die Leistungen für Familienangehörige in der Krankenversicherung bei gleichem Beitrag für Ledige und Kinderreiche.
Die Bundesregierung hat geprüft, ob - wie es auch aus Kreisen der Familienverbände vorgeschlagen wurde - an Stelle einer Erhöhung des Kindergeldes von 30 DM auf 4013M ein Kindergeld für die zweiten Kinder in Drei- und Mehrkinderfamilien eingeführt werden sollte. Bei einer solchen Regelung wäre aber allen Drei- und Mehrkinderfamilien ohne Rücksicht auf die Zahl der Kinder nur der gleiche zusätzliche Betrag, nämlich das Kindergeld für das zweite Kind, zugute gekommen, so daß den Großfamilien, die es am nötigsten haben, nicht entsprechend geholfen worden wäre.
An dem bisherigen System des Kindergeldgesetzes, für das sich seinerzeit nach eingehenden Erörterungen die Mehrheit des Bundestages entschieden hat, ändert die Novelle nichts. Die Bundesregierung achtet durchaus die Gründe der Kreise, die heute wie damals einer staatlichen Lösung des Familienlastenausgleichs den Vorzug geben. Sie halt aber an der Selbstverwaltung fest, solange diese in der Lage ist, die ihr übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Daß dies möglich ist, haben die Familienausgleichskassen in den letzten Jahren bewiesen. Der von ihnen geleisteten Arbeit spricht die Bundesregierung ihre Anerkennung aus. Daß es gelungen ist, wenn auch nach Auseinandersetzungen, die Frage des Spitzenausgleichs der unterschiedlichen Belastung bei den Familienausgleichskassen der verschiedenen Wirtschaftszweige auf freiwilliger Basis zu lösen und einen Eingriff des Gesetzgebers zu vermeiden, zeigt, wie lebendig der
Gedanke der Selbstverwaltung trotz aller Zweifel, die immer wieder aufgeworfen werden, ist.
Auch die Erwartungen, daß es gelingen werde, durch die Selbstverwaltung, die Angliederung der Familienausgleichskassen an die Berufsgenossenschaften und die Mitarbeit der Betriebe bei der Auszahlung des Kindergeldes die Verwaltungskosten niedrig zu halten, sind nicht enttäuscht worden. Im Durchschnitt aller Familienausgleichskassen betrugen 1957 die Verwaltungskosten 3,1 v. H. der Gesamtleistungen an Kindergeld, womit die Kosten sowohl der Beitragserhebung einschließlich der Beitreibung wie der Bearbeitung der Anträge und der Auszahlung des Kindergeldes gedeckt werden konnten.
Für die Beibehaltung des jetzigen Systems des Kindergeldgesetzes spricht auch der Umstand, daß alle anderen Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Familienzulagen ebenfalls durch Beiträge und nicht durch Steuern finanzieren.
({0})
- Von den Beteiligten aus der Wirtschaft, Herr
Kollege Atzenroth. Ich bin sicher, daß sie auch
weiterhin gern bereit sind, diese Beiträge zu zahlen.
({1})
Der Entwurf ,siehteine Erhöhung das Kindergeldes vor für Berechtigte nach dem Kindergeldgesetz und dem Kindergeldergänzungsgesetz, ferner für die Bezieher von Arbeitslosengeld oder Unterstützung aus der Arbeitslosenhilfe sowie für Empfänger von Ausgleichsrente in der Kriegsopferversorgung. Von einer Erhöhung der Kinderzuschüsse in den Rentenversicherungen soll nach Auffassung der Bundesregierung, an der sie trotz eines gegenteiligen Vorschlages des Bundesrates festhält, abgesehen werden. In den Rentenversicherungen beträgt der Kinderzuschuß ein Zehntel der allgemeinen Bemessungsgrundlage. Infolge der Erhöhung dieser allgemeinen Bemessungsgrundlage werden für die Versicherungsfälle des Jahres 1959 und der folgenden Jahre die Kinderzuschüsse die Höhe des Kindergeldes überschreiten. Die Kinderzuschüsse zu den laufenden Renten werden allerdings nach dem Entwurf des Ersten Rentenanpassungsgesetzes zunächst noch urn ungefähr 2 DM unter dem Kindergeld nach dem Kindergeldgesetz liegen. Die Bundesregierung hält diesen Unterschied laber nicht für so erheblich, daß er einen Eingriff in die Systematik der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze rechtfertigt. Hinzu kommt, daß die Kinderzuschüsse dort in Voller Höhe bereits vorn ersten Kind an gewährt werden.
In der Unfallversicherung sieht der im Bundesrat bereits beratene Entwurf eines UnfallversicherungsNeuregelungsgesetzes - Bundesrats-Drucksache 208 58 vor, daß die Kinderzulagen für dritte und weitere Kinder mindestens den Betrag des Kindergeldes erreichen. Im Hinblick darauf glaubt die Bundesregierung, bei der Kindergeldnovelle auf eine Anderung des Unfallzulagengesetzes, das eine Kinderzulage für die dritten und weiteren Kinder in der Unfallversicherung von 30 DM vorsieht, verzichten zu können. Der Bundesrat ist demgegenüber der Auffassung, es sei auch für eine kürzere ÜbergangsBundesarbeitsminister Blank
zeit nicht vertretbar, da in der Unfallversicherung für die dritten und weiteren Kinder geringere Kinderzulagen als das Kindergeld gezahlt werden. Man kann zweifeln, ob solche vorübergehenden Unterschiede ein so großer Nachteil sind, daß ,ein Gesetz wie das Unfallzulagengesetz, dessen Aufhebung in dem vorerwähnten Ergänzungsentwurf bereits vorgesehen ist, zuvor noch einmal geändert werden sollte. Vom Standpunkt der Gesetzestechnik erscheint dies unerfreulich; doch dieses Bedenken braucht nicht so schwer zu wiegen, daß ein Widerspruch gegen den Wunsch ,des Bundesrates ,auf eine Regelung für die Zwischenzeit erforderlich wäre.
Unverändert läßt die Novelle auch. die Kinderzuschläge des öffentlichen Dienstes, wo zur Zeit Kinderzuschläge je nach dem Alter der Kinder zwischen 30 und 40 DM gezahlt werden. Wenn diese danach auch bei den dritten und weiteren Kindern im Durchschnitt unter dem Kindergeld liegen, so ist doch zu berücksichtigen, daß die Kinderzuschläge im öffentlichen Dienst ebenso wie die Kinderzuschüsse in den Rentenversicherungen vorn ersten Kind an gewährt werden. Der Bundesrat hatte insoweit grundsätzlich auch keine Bedenken, aber er wünscht, daß eine kleine und nicht sehr bedeutende Lücke zwischen der Kinderzuschlagsregelung des öffentlichen Dienstes und der Kindergeldgesetzgebung geschlossen wird. Während das Kindergeld in der privaten Wirtschaft auch bei längerer Krankheit des Arbeitnehmers weiter zu zahlen ist, wird im öffentlichen Dienst bei längerer Dauer der Arbeitsunfähigkeit die Zahlung der Kinderzuschläge mit der Lohn- oder Gehaltszahlung eingestellt. Nachdem die Versuche, diese Lücke durch eine entsprechende Gestaltung der Tarifverträge zu schließen - was wohl sicher die beste Lösung gewesen wäre -,
({2})
bisher zu keinem Erfolg geführt haben, sprechen in der Tat manche Gründe für eine gesetzliche Regelung im Sinne des Vorschlags des Bundesrates, obwohl ,damit eine weitere Komplizierung des Kindergeldgesetzes verbunden ist.
Der Bundesrat hat im übrigen zu diesem Gesetzentwurf folgende Entschließung gefaßt:
Die Bundesregierung wird gebeten, im weiteren Gang des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob die Beitragserhebung nicht so gestaltet werden kann, daß lohnintensive Betriebe geringer belastet werden, als es bei einer Erhebung der Beiträge nach der Lohnsumme oder nach der Kopfzahl der Beschäftigten der Fall ist.
({3})
Diese lockere Form der Entschließung darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieser Vorschlag wesentliche Grundsätze nicht nur des derzeitigen Systems des Kindergeldgesetzes, sondern auch der klassischen Zweige der Sozialen Sicherheit in Frage stellt. Auch in anderen Zweigen der Sozialen Sicherheit ist der Lohn bekanntlich die Beitragsbemessungsgrundlage, so daß auch hier lohnintensive Betriebe stärker belastet werden als andere.
Der relativ höheren Belastung der lohnintensiven Betriebe mit Beiträgen steht allerdings gegenüber, daß den Arbeitnehmern dieser Betriebe auch entsprechend mehr Leistungen aus den verschiedenen Zweigen der Sozialen Sicherheit einschließlich des Kindesgeldes zufließen. Trotzdem ist die Sorge uni die Lage der lohnintensiven Betriebe berechtigt,
({4})
da die Spanne zwischen den Lohnanteilen in den verschiedenen Wirtschaftszweigen infolge der unterschiedlichen technischen Entwicklung nicht nur in der Vergangenheit immer größer geworden ist, sondern sich infolge der Automatisierung voraussichtlich noch weiter verstärken wird. Schon jede Lohnerhöhung, jede Verbesserung der allgemeinen Arbeitsbedingungen - ob es sich nun um Urlaub, um Arbeitszeitverkürzung, um Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle handelt - bringt für die lohnintensiven Betriebe sehr viel größere Belastungen als für kapitalintensive Betriebe. Das Problem der lohnintensiven Betriebe in der modernen, strukturell veränderten Wirtschaft bedarf gerade im Hinblick auf die Belastung mit lohnbezogenen Sozialabgaben dringend einer grundsätzlichen Untersuchung.
({5})
Die ersten Schritte hierzu sind eingeleitet. Ein wissenschaftliches Gutachten über „die wirtschaftlichen Auswirkungen der gesetzlichen Sozialabgaben auf lohnintensive Klein- und Mittelbetriebe" läßt die Bundesregierung ausarbeiten. Sobald das Gutachten vorliegt, wird sich ein interministerieller Arbeitskreis mit diesem Problem befassen. Solche Untersuchungen werfen aber sehr schwierige Fragen auf und müssen naturgemäß längere Zeit in Anspruch nehmen. Die Verstärkung der Hilfe für kinderreiche Familien erscheint aber so wichtig und dringend, daß die Verabschiedung des Entwurfes nicht von der Durchführung dieser Untersuchungen abhängig gemacht werden kann.
Dies gilt um so mehr, als sich die Mehrbelastung durch die Novelle in engen Grenzen hält. Ich darf auf den eingehenden finanziellen Teil der Regierungsvorlage verweisen. Die Belastung der Lohnsumme wird, wenn man die Lohnsumme des Jahres 1958 zugrunde legt, im Durchschnitt aller Familienausgleichskassen 1,1 % nicht überschreiten und sich bei steigender Lohnsumme in den nächsten Jahren entsprechend ermäßigen. Sie liegt also nur ganz gering über dem Satz von 1 %, mit dem bei Einführung des Kindergeldes allgemein gerechnet worden war und der im ersten Jahr der Kindergeldgesetzgebung durchschnittlich auch als Beitrag erhoben worden ist, wenn auch zugegeben werden muß, daß inzwischen auf Grund der gestiegenen Lohnsummen die Beiträge etwas gesenkt werden konnten. Dabei ist zu berücksichtigen - und bei den Berechnungen der Belastungen bereits einkalkuliert -, daß die Kindergeldgesetzgebung durch Beitragsbefreiungsvorschriften der Lage der wirtschaftlich schwachen Beitragspflichtigen des Mittelstandes im Rahmen des Möglichen Rechnung zu tragen sucht. Auf Grund der Novelle 1957 sind mit Wirkung vom 1. Januar 1958 an die Unternehmer von der Beitragspflicht für ihre Arbeitnehmer befreit, wenn die Lohnsumme im
Bundesarbeitsminister Blank
Jahre 6000 DM nicht übersteigt. Der Entwurf sieht vor, daß - neben einer gewissen Erhöhung der Freigrenze in der Landwirtschaft - die Selbständigen in der gewerblichen Wirtschaft und in den freien Berufen künftig von der Beitragspflicht für die eigene Person befreit sein werden, wenn ihr Jahreseinkommen 6000 DM - bisher 4800 DM - nicht übersteigt. Damit werden annähernd 3/4 der Selbständigen, die ja durchweg zum Mittelstand gehören, keine Beiträge für die eigene Person mehr zu zahlen haben.
({6})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Döhring.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, den der Herr Arbeitsminister soeben begründet hat, möchte ich namens der SPD-Fraktion unser großes Bedauern darüber aussprechen, daß die Bundesregierung auch jetzt wieder versäumt hat, eine grundlegende Änderung des Kindergeldgesetzes vorzunehmen, obwohl sie schon vor mehr als drei Jahren durch Beschlüsse des Bundestages ausdrücklich dazu verpflichtet worden ist. Die Bundesregierung hat nicht einmal den Versuch unternommen, ernsthaft zu prüfen - wenn auch der Herr Arbeitsminister einige Ausführungen dazu gemacht hat -, ob sich das Prinzip der unglückseligen Verbindung zwischen Kindergeld und Berufsunfallgenossenschaft bewährt hat oder nicht. Nach unserer Auffassung wären Sie, Herr Bundesarbeitsminister, angesichts der vielen Mängel und Ungerechtigkeiten, die in der Konzeption des Kindergeldgesetzes liegen, zu dieser Prüfung verpflichtet gewesen.
Es nimmt daher nicht wunder, daß der vorliegende Entwurf erneut eine Welle heftiger Kritik an der Kindergeldgesetzgebung hervorgerufen hat. Nicht nur die Kreise der Klein- und Mittelbetriebe sowie des Einzelhandels und auch der Landwirtschaft erheben ernsthafte Einwendungen, sondern weit darüber hinaus auch manche andere Kreise, weil es immer offensichtlicher wird, wie verkehrt es war - nach unserer Auffassung, und auch draußen ist das inzwischen bekanntgeworden -, daß die CDU/CSU-Fraktion, die ja allein die Verantwortung für dieses mangelhafte Kindergeldgesetz hat, hierbei Sozialpolitik nicht mit Sachverstand, sondem mit Ideologie gemacht hat.
Man weiß auch zur Genüge, daß selbst innerhalb der CDU/CSU-Fraktion viele Bedenken gegen dieses Gesetz vorhanden waren; denn schließlich ist es nicht gerecht, daß der finanzschwache Selbständige und die finanzschwachen Kreise der Landwirtschaft Mittel aufbringen sollen für Personenkreise, die, wie z. B. Generaldirektoren, das vielfache Einkommen haben.
Wovor meine Fraktion schon bei der Beratung des ersten Kindergeldgesetzes und auch bei den weiteren Kindergeldgesetzen in diesem Hause sehr eindringlich gewarnt hat, das ist in der Praxis leider
eingetreten. Der horizontale Familienlastenausgleich auf berufsständischer Basis hat zu einer recht unterschiedlichen Beitragsbelastung der einzelnen Familienausgleichskassen geführt.
({0})
Ich kann Ihnen nicht beistimmen, Herr Arbeitsminister, wenn Sie diese Dinge so sehr bagatellisieren. Auch die Heranziehung der Selbständigen zur Aufbringung der Mittel hat außerordentliche Schwierigkeiten verursacht. Das ist doch kein Geheimnis!
({1})
Auch der Bundesrat hat bei der Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs im federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialpolitik diese Mängel aufgezeigt. Er hat darauf hingewiesen, daß alle diese und andere Schwierigkeiten vermieden werden können, wenn die Finanzämter, wie die SPD-Fraktion von Anfang an vorgeschlagen hatte, mit der Durchführung der Kindergeldgesetze beauftragt werden.
Ich darf hier einmal daran erinnern, daß meine Fraktion die Bundesregierung im November 1956 mit einer Kleinen Anfrage erneut gemahnt hat, die Neufassung der drei Kindergeldgesetze - inzwischen sind es schon vier geworden, und heute beraten wir das fünfte - auf Grund der Beschlüsse des Bundestages vom Dezember 1955 und vom Juni 1956 vorzulegen. Der damalige Bundesarbeitsminister, Herr Anton Storch, beantwortete unsere Anfrage seinerzeit in der Form, „daß bezüglich der vom Bundestag beschlossenen Neufassung der Kindergeldgesetze bald eine Klärung erzielt sein und der Entwurf einer Neuordnung des gesamten Kindergeldrechts dann unverzüglich vorgelegt werde." Es ist jedoch nichts in dieser Hinsicht geschehen, und aus dem „unverzüglich" sind inzwischen zwei weitere Jahre geworden, in denen die Bundesregierung jene vom Bundestag beschlossene Neufassung des Kindergeldrechts unbedingt hätte vorlegen müssen. Statt dessen müssen wir uns heute mit einem fünften Kindergeldgesetz beschäftigen.
Die bei den früheren Beratungen zu den vier Kindergeldgesetzen aufgezeigten Härten und Unbilligkeiten, die sich insbesondere für die bereits genannten Personenkreise bei der unterschiedlichen Aufbringung der Mittel ergeben, sollen also weiterhin bestehen, wie es der Herr Bundesarbeitsminister hier ausgeführt hat. Daran ändern auch die Heraufsetzung der Beitragsfreigrenze für die kleineren Betriebe und die Erhöhung der Freigrenze für die Landwirtschaft grundsätzlich nicht viel. Auf diesen unzulänglichen Teil des Kindergeldrechts wird jedoch mein Fraktionskollege Regling noch besonders eingehen. Ich mache diese Bemerkungen nur am Rande, des Zusammenhangs wegen.
Nun zu dem Kernpunkt der ganzen Angelegenheit. Die Bundesregierung will nach dem vorliegenden Gesetzentwurf auch weiterhin Kindergeld nur an Familien mit drei und mehr Kindern gewähren und für diese Kinder eine Erhöhung von 30 auf 40 DM vornehmen. Selbstverständlich begrüßen auch wir diese Erhöhung. Schließlich wird man ja,
Frau Döhring ({2})
was sozialpolitische Dinge anbetrifft, in diesem Hause bescheiden.
({3})
- Ich sage noch einmal: Was sozialpolitische Dinge anbetrifft, wird man, gemessen an anderen Forderungen, in diesem Hause bescheiden.
Immerhin bringt die Erhöhung für die Familien mit drei und mehr Kindern eine kleine Erleichterung. Wir halten jedoch die vorgesehene Regelung, bei der wiederum die Zweitkinder unberücksichtigt bleiben sollen, nicht für ausreichend, insbesondere auch im Hinblick auf das im Saarland bereits bestehende Recht.
Wir sind der Auffassung, daß der Zeitpunkt gekommen ist, zu dem mindestens der nächste Schritt auf dem Wege zur Gleichheit im Kindergeldrecht getan werden muß, nämlich die Familien mit zwei Kindern zu berücksichtigen. Wir können und sollten nicht weiterhin stur darauf beharren, daß rund 88 bis 90 % aller Kinder in der Bundesrepublik beim Kindergeld ausgeschlossen bleiben. Schon im Hinblick auf unsere Nachbarländer, die der Montan-Union angehören, sollten wir wenigstens die Zweikinderfamilie jetzt einbeziehen. Wie sehr die Bundesrepublik hier im Rückstand liegt, beweisen die folgenden wenigen Zahlen aus den Ländern der Montan-Union:
Für die Zweikinderfamilie werden in Luxemburg 74 DM gezahlt, in Italien 53 DM, in Frankreich 58 DM - gestaffelt nach dem Alter etwas weniger -, in Belgien 48 DM, in den Niederlanden 29 DM, jedoch in der Bundesrepublik soll weiterhin für die Zweikinderfamilie nichts gewährt werden.
Nach der vorliegenden Novelle ist die Bundesregierung noch nicht einmal bereit, für Zweitkinder in den Mehrkinderfamilien ein Kindergeld zu gewähren. In dieser Richtung hat sich zwar der Herr Familienminister dankenswerterweise sehr bemüht, nachdem er zusammen mit einer kleinen Gruppe innerhalb der CDU/CSU-Fraktion vergeblich versucht hatte, den auch von meiner Fraktion vertretenen Standpunkt durchzusetzen, für die Zweitkinder wenigstens ein Kindergeld in der seitherigen Höhe von 30 DM zu gewähren.
Ich muß weiter daran erinnern, daß auch der Herr Bundeskanzler ein Versprechen in dieser Richtung abgegeben hat, und zwar schon vor 17 Monaten. Am 30. Juni 1957 hat er in Dortmund u. a. erklärt, daß sich die Bundesregierung der Familienfrage, die in den kommenden Jahren noch größere Bedeutung gewinnen werde, in besonderer Weise widmen werde. Die Bundesregierung werde bei ihrer Arbeit auch das zweite Kind in Familien mit drei und mehr Kindern mehr bedenken müssen als bisher.
Freilich ist das eine Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, die er vor der letzten Bundestagswahl abgegeben hat.
({4})
Zu dem Vorschlag, auch weiterhin nur vom dritten Kind an das Kindergeld zu gewähren, gibt die
Bundesregierung folgende Begründung: Damit bekenne sich der Entwurf „zu dem Gedanken einer größtmöglichen Selbstverantwortung und Eigenvorsorge". Es heißt weiter:
Nach diesem Gedanken muß es das Ziel sein, den einzelnen in die Lage zu versetzen, aus eigenen Kräften eine Familie unterhalten zu können, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein.
Diese Begründung zu dem Entwurf klingt sehr schön, Herr Bundesarbeitsminister. Wie aber, meine Herren und Damen, steht es um das Maß der eigenen Kräfte? Die Relationen, die von der Bundesregierung und von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Sie diesen Gesetzentwurf wahrscheinlich mit vertreten werden, für die Kindergeldgesetze von jeher zugrunde gelegt wurden, waren für mich schon immer eine fragwürdige Angelegenheit. Es wird doch niemand in diesem Hause behaupten wollen, daß bei einem derzeitigen monatlichen Durchschnittseinkommen von 400 DM - bekanntlich sinkt dieses Durchschnittseinkommen auch ab und geht nicht nur nach oben - der Lebensunterhalt und die Kosten für die Erziehung von zwei Kindern auch nur einigermaßen ausreichend bestritten werden können.
In diesem Zusammenhang kann ich es mir nicht versagen, einmal kurz darauf hinzuweisen, daß hier der wahre Grund dafür zu suchen ist, warum so viele Mütter, die nach der Geburt des ersten Kindes ganz gern aus dem Beruf ausscheiden, nach dem zweiten Familienzuwachs oft wieder erwerbstätig werden. An der Tatsache kommt doch niemand vorbei, daß sich die Preissteigerungen bei dem notwendigen täglichen Bedarf gerade für die Familien mit den kleinen Einkommen am empfindlichsten auswirken und sich jeweils mit der Kopfzahl multiplizieren. Was haben wir nicht alles in den letzten Monaten auf diesem Gebiet erlebt! Erhöht haben sich die Brotpreise, die Neubaumieten, auch die Altbaumieten wurden erhöht, desgleichen der Preis für Hausbrand, die Verkehrstarife usw. Schließlich handelt es sich hierbei ja um feststehende Kosten für jede Familie, ob groß oder klein.
Das hat auch der Herr Familienminister einmal sehr richtig herausgestellt. Ich bin ihm dankbar dafür, daß er im Bulletin Nr. 1 vom Januar 1958 diese Ausführungen hat veröffentlichen lassen. Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich diese wenigen Zeilen zitiere:
Erhöhungen der Preise für die lebensnotwendige Ernährung und sonstige unvermeidbare Ausgaben, wie z. B. Verkehrsmittel, multiplizieren sich bei der Familie weithin mit der Zahl ihrer Köpfe. Die globale Rechnung, daß die neue Brotpreiserhöhung bei 80 kg durchschnittlichem Brotverbrauch auf den Kopf der Bevölkerung nur reichlich drei Mark jährlich ausmacht, ignoriert einfach die Situation unserer Familien mit heranwachsenden Kindern. Bei ihnen erreicht der Brotverbrauch schon je Kopf ein Mehrfaches des Durchschnittsatzes und
Frau Döhring ({5})
muß darüber hinaus mit der Zahl der Köpfe multipliziert werden, und das gilt auch für die meisten anderen Preisentwicklungen.
Wir sind hierbei, wie gesagt, Herr Familienminister, mit Ihnen völlig einer Meinung. Aber was nützt das Jammern, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist! Man muß den Deckel vorher schließen.
({6})
Hier, meine Herren von der Regierung, wäre es Ihre Aufgabe gewesen, Ihr wohlklingendes Vor-Wahlversprechen zu halten und die Preissteigerungen zu verhindern. Das haben Sie nicht getan. Die am meisten Betroffenen sind die Familien mit den bescheideneren Einkommen. Diesen Familien nützen, wenn sie drei Kinder haben, auch die jetzt zusätzlich vorgesehenen 10 DM nicht allzuviel. Ich sagte schon, es ist eine kleine Erleichterung. Aber sicherlich wäre auch diesen Familien weit besser geholfen, wenn sie nunmehr auch für ihre zweiten Kinder etwas bekämen. Denn schließlich dezimiert sich ja der Mehrbetrag pro Monat bei der Dreikinderfamilie auf 3,33 DM je Kind. Günstigstenfalls reicht das für ein Paar Kinderstrümpfe, oder, wenn der Herr Bundesarbeitsminister seinen Plan der Selbstkostenbeteiligung in der Krankenversicherung durchführt, reicht es vielleicht für einen Arztschein und für eine Arzneikostenbeteiligung, wenn ein Kind krank wird.
({7})
Die von Ihnen gebrachte weitere Begründung, „daß die Erhöhung des Kindergeldes auf 40 DM in Verbindung mit den Entlastungen, zu denen das Steuerreformgesetz 1958 für die Familien geführt hat, als wirksame Hilfe anzusehen sein dürfte", ist nach meiner Auffassung nicht stichhaltig. Eine solche wirksame Hilfe ist doch nur den Beziehern höherer und höchster Einkommen gegeben worden. Das läßt sich leicht nachweisen. Ich will mich dabei jetzt nur auf die Zweikinderfamilie beziehen, einmal um es kurz machen zu können und zweitens weil es ja diese Familie ist, die nach Ihrer Vorlage wiederum kein Kindergeld bekommen soll. Bei einem Monatseinkommen von beispielsweise 2000 DM beträgt die Steuerersparnis in der Steuerklasse III monatlich 62 DM oder 31 DM je Kind. Bei 1000 DM ist sie auch noch ganz ordentlich, nämlich 43 DM oder 21,50 DM je Kind.
Wie sieht es aber bei einem Monatseinkommen von 400 DM in der Zweikinderfamilie aus? Hier beträgt die Steuerersparnis für einen Familienvater oder eine Familienmutter nur 4 DM im Monat, bei einem Einkommen von 385 DM im Monat sogar nur 1 DM im Monat oder 50 Pfennig je Kind.
({8})
- Ich sage es Ihnen gleich.
Danach dürfte sicherlich von niemandem die Tatsache bestritten werden können, daß die Steuerklasse III wohl für die höheren und höchsten Einkommen sehr fühlbare Steuerersparnisse ergibt - Herr Ruf, für die höheren und höchsten Einkommen! -, daß sie aber für die niedrigeren Einkommen nur unzureichende Hilfe oder gar keine Hilfe bringt, weil eben das Einkommen dort zu niedrig ist.
({9})
- Aber, Herr Pelster, ist denn diesen Menschen, die nach der Erklärung des Herrn Bundesarbeitsministers die Kinder aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe ernähren sollen, damit geholfen, daß andere Familien mit höherem Einkommen eine Kinderermäßigung nach der Steuerklasse III erhalten, während sie selbst nichts bekommen, weil ihr Verdienst zu niedrig ist? Darüber sollten Sie einmal nachdenken.
Zu dieser Benachteiligung kommt die weitere gravierende Tatsache, daß die finanzschwachen Familien durch hohe Verbrauchsteuern sehr stark belastet sind. Es wäre also nur ein Akt der Gerechtigkeit, wenn der Staat wenigstens einen Teil dieser ungerechten Belastung durch die indirekte Besteuerung jenen Familien in Form von Kindergeld wieder zurückzahlte.
Aus all dem Vorhergesagten kann es doch für jeden, der die gute Einsicht walten läßt, nur die eine Schlußfolgerung geben, daß ein echter Familienlastenausgleich nur durch eine grundsätzliche Neuregelung des Kindergeldrechts erreicht werden kann, bei der die Gewährung von Kindergeld zu einer Aufgabe der Allgemeinheit gemacht wird und die Mittel aus dem Steueraufkommen bereitgestellt werden. Deshalb tritt die sozialdemokratische Fraktion mit vollem Recht und aus guten Gründen dafür ein, daß jetzt zumindest alle Zweitkinder ein Kindergeld erhalten. Schließlich haben auch sie ein Anrecht auf einen angemessenen Lebensstandard, genauso wie die Dritt- und weiteren Kinder und genauso wie die Kinder der Arbeiter, Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst, wo ganz zu Recht - das betone ich - seit eh und je Kinderzuschüsse vom ersten Kind an gegeben werden.
Der Zeitpunkt zu einer Ausweitung des Kindergeldrechts wäre eigentlich längst gegeben gewesen; zumindest glauben wir, daß sie jetzt richtig und notwendig wäre. Bekanntlich muß die Bundesregierung bis Ende des nächsten Jahres die Rechtsangleichung mit dem Saarland vornehmen. Im Saarland wird das Kindergeld bekanntlich schon vom ersten Kind an gewährt. Natürlich gibt es zwei Wege: entweder müßte die Saar von ihren höheren Familienleistungen herunter, oder wir müßten hinauf. Ich darf aber wohl annehmen, daß niemand in diesem Hause dem Saarland zumuten will, sein Kindergeldrecht zu verschlechtern. Das geht schon aus politischen wie aus sozialen Gründen nicht, zumal da alle Länder der Montan-Union und des Gemeinsamen Marktes - wie ich vorhin schon kurz erwähnte - längst ähnliche Regelungen haben.
Zu dem Gesetzeswirrwarr auf dem Gebiet des Kindergeldrechts kommt nun auch noch der Wirrwarr der Auffassungen zu dieser Frage innerhalb des Bundeskabinetts. Herr Bundesarbeitsminister Blank sagte kürzlich in Bonn - und er hat es heute
Frau Döhring ({10})
wiederholt -, daß das Kindergeld so wie bisher nur an Familien mit drei oder mehr Kindern gewährt werden soll. Im Gegensatz dazu stellte der Herr Bundesfamilienminister die Notwendigkeit der Einbeziehung der Zweitkinder heraus. Herr Familienminister, Sie sind schon in Ihrer Denkschrift vom November 1955, also vor genau drei Jahren, für Kindergeld vom zweiten Kind an eingetreten. Im Januar dieses Jahres haben Sie laut Bulletin wiederum verkündet, das Kindergeld für das zweite Kind müsse die Parole für 1958 sein. Ich habe mich sehr darüber gefreut, als ich das seinerzeit las; das darf ich Ihnen ruhig sagen.
Aber wie sieht es aus? Sie haben dann versucht, wenigstens die Zweitkinder in den Mehrkinderfamilien zu berücksichtigen. Sie konnten sich aber, wie die Vorlage zeigt, leider nicht durchsetzen, obgleich es sich doch - gemessen an den Milliardenbeträgen, die andere Bundesminister bei ihren Zukunftsplanungen einsetzen - um einen bescheidenen Betrag für diese sozialpolitische Aufgabe handelt. Ich bedauere diesen Ausgang Ihres Bemühens, Herr Familienminister, außerordentlich. Wohl einige Hunderttausende Familien, die zwei Kinder haben, werden nun abermals um ihre berechtigten Hoffnungen gebracht.
Wenn Sie sich, Herr Familienminister, auch jetzt nicht durchsetzen konnten, nachdem die Notwendigkeit der Gesetzesangleichung mit dem Saarland besteht, muß ich schon sagen, daß Ihr Rücktrittsgesuch nun eigentlich fällig wäre.
({11})
Was meine Fraktion schon bei der Errichtung des Familienministeriums gesagt hat, nämlich daß es überflüssig ist, muß ich heute wiederholen. Dieses Ministerium ist überflüssig, denn die Meinung des Herrn Familienministers ist in der Familie der Bundesregierung nicht gefragt.
({12})
Die sozialdemokratische Fraktion ist also nach wie vor der Auffassung, daß die Gewährung von Kindergeld keine berufsständische Angelegenheit ist, sondern eine Aufgabe der Allgemeinheit. Deshalb werden wir in den Ausschußberatungen erneut für ein Kindergeld aus allgemeinen Steuermitteln und für die organisatorische Durchführung über die Finanzämter eintreten.
Wir halten nach wie vor an unserem Standpunkt fest, daß Kindergeld grundsätzlich für alle Kinder zu ,gewähren ist, weil jedes Kind das gleiche Lebensrecht und die gleichen Ansprüche hat. Dabei sind wir uns darüber klar, daß bei der gegenwärtigen Gesamtpolitik der Bundesregierung dieses Ziel jetzt nicht zu verwirklichen ist. Wir werden uns aber aufs neue dafür einsetzen, daß wenigstens der nächste Schritt getan wird und die Zweitkinder einbezogen werden, selbst wenn auch zunächst nur in den Mehrkinderfamilien. Ich hoffe dabei auf Ihre Unterstützung, Herr Familienminister, und ich hoffe, daß Sie künftig in den Sozialpolitischen Ausschuß kommen, wenn es um die Beratungen über das Kindergeld geht. Noch einmal: wir Sozialdemokraten sind
der Auffassung, daß die Zweitkinder jetzt endlich Berücksichtigung finden sollten.
({13})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Wuermeling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte in dieser späten Stunde die Debatte nicht irgendwie aufhal ten oder verlängern, sondern nur ganz kurz zu einem Punkt Stellung nehmen, nachdem meine verehrte Frau Vorrednerin mich mehrfach sehr freundlich und liebenswürdig angesprochen hat.
Es ist ein offenes Geheimnis, daß ich mir zu Beginn dieses Jahres Mühe darum gegeben habe, die Zweitkinder der Mehrkinderfamilien in die Kindergeldregelung einzubeziehen. Aber, meine Damen und Herren, Sie werden sich alle nicht der Erwägung verschließen, die für mich der Anlaß gewesen ist, dieser Vorlage zuzustimmen: wenn wir die Zweitkinder in den Mehrkinderfamilien einschließen, also meinetwegen die 30 DM auch für die Zweitkinder zahlen, dann erhält die Dreikinderfamilie 30 DM mehr, die Fünfkinderfamilie 30 DM mehr, die Achtkinderfamilie 30 DM mehr. Die Verbesserung des Status der Mehrkinderfamilie kommt also am stärksten der Dreikinderfamilie zugute, während die Auswirkung der Zahl der übrigen Kinder nicht eintritt.
({0})
Das ist der Grund, wegen dessen ich mich davon überzeugt habe, daß es richtiger ist, lieber für jedes Kind 10 DM monatlich zuzuschlagen und damit den Mehrkinderfamilien wirksamer zu helfen.
Noch ein Wort zu Ihrer anderen Bemerkung, verehrte Frau Kollegin Döhring. Sie meinten, es sei nun Zeit für meinen Rücktritt. Das haben Sie schon des öfteren gesagt. Über den Zeitpunkt meines Rücktritts lasse ich aber nicht von der Opposition die Entscheidung treffen, sondern dessen Festsetzung behalte ich mir selber vor.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Zu so später Abendstunde möchte ich Sie nicht allzulange aufhalten. Ich darf daran erinnern, daß vor nicht allzulanger Zeit unser Kollege Unertl in einer Art bajuwarischen Stoßseufzers eine Selbstkritik übte und das Kindergeldgesetz mit seinen Anpassungen und Ergänzungen als eines der Gesetze bezeichnete, die beim Volk nicht ankommen. Nun, der Herr Landesgruppenvorsitzende der CSU, Herr Höcherl, hat gleich nachher den Herrn Kollegen Unertl als einen „Abweichler" gegeißelt.
Meine Damen und Herren, ich glaube aber, diese Häresie ist landläufig geworden. Diese „Abweichungen" waren schon bei Inkrafttreten des Kindergeldgesetzes vorhanden. Der Bundesrat hat, um die Inkraftsetzung des Kindergeldgesetzes zum 1. Januar 1955 überhaupt zu ermöglichen, sich mit der Feststellung begnügt, daß er in dem Kindergeldgesetz erhebliche Mängel erblicke. Die Bedenken bezogen sich nicht nur auf die sozialpolitische Seite dieses Gesetzes, sondern auch auf die verfahrensmäßige Regelung.
Die Drucksache 666, die uns heute vorliegt, hat wiederum Anlaß zu einer bemerkenswerten Äußerung des Bundesrats gegeben. Auf der ersten Seite lesen Sie - das hat der Herr Bundesarbeitsminister bereits gesagt -, daß der Bundesrat in einer Entschließung die Regierung und damit auch das Parlament gebeten hat, sich zu überlegen, wie die Beitragserhebung gestaltet werden kann, damit lohnintensive Betriebe nicht so stark belastet werden.
Die Antwort auf diese Entschließung des Bundesrats ist die Regierung nicht schuldig geblieben; aber es ist eine vieldeutige und nichtssagende Antwort. Man spürt, daß sie von einer ganzen Gruppe von Beamten verfaßt worden ist und daß man jedes Komma sorgfältig überlegt und ausgetüftelt hat. Wir finden die Darlegung in der amtlichen Stellungnahme in der Vorlage. Sinngemäß meint die Bundesregierung, es bestünden gegen die Entschließung des Bundesrates Bedenken, weil die vom Bundesrat vorgeschlagene und erstrebte Lösung das Aufgeben von wesentlichen Grundsätzen des jetzigen Systems bedinge.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, vor allem von den Regierungsparteien, ich bin ehrlich genug zu bekennen, daß die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zugibt, sie verkenne nicht, daß eine Belastung der lohnintensiven Betriebe, insbesondere des Mittelstandes, vorliegt. Mit Freude darf ich feststellen, daß der Herr Bundesarbeitsminister hierauf besonders hingewiesen hat. Und wenn mein Kollege Atzenroth vorhin bei dem Tagesordnungspunkt 1 von einem Rückzugsgefecht der CDU sprach, so darf ich nach den Worten des Herrn Bundesarbeitsministers davon sprechen, daß wohl ein neuer Gedanke aufgegangen ist und daß die Regierung bereit ist, diesen Gedanken zu pflegen, wie es vor wenigen Jahren vielleicht noch nicht hätte geschehen können.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat uns ausdrücklich bestätigt, daß die mittelständischen Schichten sehr stark betroffen sind. Er hat dazu ausgeführt, daß wir einmal an die Entwicklung der Automation denken müßten und daß dann diese Betriebe eine zusätzliche Belastung hätten, nicht nur durch das Kindergeldgesetz, sondern infolge einer ganzen Fülle von wirtschaftlichen und sozialpolitischen Veränderungen.
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 29. Oktober 1957 etwas zitieren, was ich immer wieder gern lese. Meine Kollegin von der SPD hat ja auch mehrfach auf Darlegungen des Herrn Bundeskanzlers, wenn auch auf andere, Bezug genommen. Ich trage wie manch anderer ein Brevier die Regierungserklärung immer bei mir, weil ich der Meinung bin, daß es zur Aufgabe des Parlaments - nicht nur der Opposition - gehört, zu kontrollieren und zu beobachten: Was ist denn nun Schritt für Schritt von dem, was in der Regierungserklärung als Regierungsweg festgelegt wurde, erreicht?
({0})
In dieser Regierungserklärung befinden sich die bedeutungsvollen Sätze, die wir Freien Demokraten vollinhaltlich unterstreichen. Der Herr Bundeskanzler hat ausgeführt:
Weite Schichten der Bevölkerung, die der Mittelklasse angehören, bedürfen der Sorge des Staates. Sie sind hinter anderen Schichten zurückgeblieben. Wir brauchen aus staatspolitischen und aus kulturpolitischen Gründen unbedingt eine gesündere mittlere Schicht. Wir wollen nicht, daß schließlich bei immer größerer Konzentration der Wirtschaft zu Großbetrieben das Volk aus einer kleinen Schicht von Herrschern über die Wirtschaft und einer großen Masse von Abhängigen besteht. Wir brauchen unabhängige mittlere und kleinere Existenzen im Handwerk, Handel und Gewerbe. Dafür soll das Wirtschaftsministerium sorgen. Wir brauchen das gleiche in der Landwirtschaft. Für sie soll der Landwirtschaftsminister sorgen.
({1})
Meine verehrten Kolleginnnen und meine Herren Kollegen, das sind die Worte des Bundeskanzlers, denen Sie damals Beifall gezollt haben. Wir zollen ihnen auch heute noch Beifall.
Aber wer muß denn nun die Hauptlast der Erhöhungen tragen, die eintreten, wenn wir diesen Gesetzentwurf unverändert beschließen? Das sind doch die Mittelschichten und die Landwirtschaft. Die Regierungserklärung spricht von der Sorge für diese Schichten und davon, daß die Zahl der unabhängigen Existenzen, der Selbständigen, vermehrt werden müsse, daß sie geschützt werden müssen.
Aber das, was in der Regierungserklärung steht, ist doch schlechthin unvereinbar mit dem, was letzten Endes bei unveränderter Annahme des Kindergeldgesetzes erreicht würde. Diesem Widerspruch, meine sehr verehrten Damen und Herren der Regierungspartei, begegnet man natürlich bei allen Gelegenheiten. Kollegin Döhring hat das aus einem anderen Anlaß angeführt. Wir sind der Meinung, in diesem Falle können wir die Bundesregierung ausnahmsweise nicht ganz so leichten Kaufes davonkommen lassen; denn schon aus dem, was sich heute abend abgespielt hat, aus dem, was Kollegin Döhring sagte und was ich jetzt ganz kurz ausführen konnte, erhebt sich für uns von der FDP die Frage: Wäre nicht vielleicht ein Bundesminister zur Koordinierung zwischen den Worten des Herrn Bundeskanzlers und den Taten und den Vorlagen der Herren Minister notwendig?
({2})
Die FDP hat stets den Grundsatz vertreten, daß kinderreichen Familien ein ausreichendes Kindergeld zu gewähren ist. Das steht in unserem Berliner Programm, und wir haben nicht die Absicht, Berlin in dieser oder in anderer Beziehung in irgendeinem Punkte aufzugeben, oder etwas an dem zu rütteln, was wir damals in Berlin in dieser Hinsicht beschlossen haben.
Ich darf auf die vielen Ausführungen meiner Fraktionskollegen im 2. Bundestag hinweisen, wo sie immer wieder betont haben, daß die Anlage des jetzigen Systems nach unserer Meinung falsch ist. Wir haben eigene Gesetzentwürfe vorgelegt und haben sogar einmal einen Zwischenruf von Herrn Kollegen Schmücker hinnehmen müssen, der etwa den Inhalt hatte, daß die CDU bereit sei, dieses Gesetz so zu machen, wie sie es sich vorstelle, und daß sie sich auch nicht durch einen besseren Fachverstand von diesem Vorhaben abbringen lassen wolle.
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- Meine Damen und Herren, es ist schon spät, wir wollen uns nicht streiten. Ich habe ausdrücklich „Fachverstand" und nicht „Sachverstand" gesagt. Ich bemühe mich immer, alles vorher zu lesen, um einigermaßen hieb- und stichfest zu sein. Ich bin ja ein Neuer und ein Junger noch dazu, also stände man vielleicht eher und schneller auf der Beschußliste.
Der Herr Familienminister hat an die Fraktionen, mindestens an unsere Fraktion, ein Schreiben gerichtet und uns darin beschworen, ja geradezu mit wirklich zu Herzen gehenden Worten genötigt, doch alle Bedenken zurückzustellen, dem Gesetzentwurf zuzustimmen und den Streit um das System zurückzustellen.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das geht so etwa nach dem Motto: Seid nun mal recht lieb und nett, und nachher werden wir schon sehen, daß wir eine Einigung über das System erreichen. Ich muß Ihnen ganz ehrlich gestehen: Wenn ich nicht genötigt gewesen wäre, die Protokolle des 2. Bundestages nachzulesen, wäre ich vielleicht in der Gefahr gewesen, der Wirkung dieser wirklich zu Herzen gehenden Worte des Herrn Bundesfamilienministers zu erliegen. Aber ich mußte feststellen, daß der Herr Minister schon in der 44. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages die Mitglieder dieses Hauses mit denselben Worten beschworen und gebeten hatte, alle Bedenken zurückzustellen, damit das Gesetz recht schnell in Kraft treten könne.
Ich möchte nicht mißverstanden werden: Wir Freien Demokraten sind für eine Erhöhung des Kindergeldes von 30 auf 40 DM; aber die Mittel hierfür können doch unmöglich nach dem bisherigen System aufgebracht werden. Der Mittelstand, die Landwirtschaft sind durch dieses Gesetz ohnehin genügend belastet.
Sie wissen, was uns schon immer vorgeschwebt hat: Die Mittel für das Kindergeld sollten möglichst aus allgemeinen Haushaltsmitteln aufgebracht werden.
({5})
Wir sind durchaus mit dem einverstanden, was der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat, daß sich nämlich die Familienausgleichskassen nun eingespielt hätten, es habe sich erwiesen, daß es nun doch laufe. Nun, die Überzeugung hatten wir immer, und die Angst hatten wir nie, daß die Kindergeldausgleichskassen einmal bankrott machen würden. Aber wir hatten die Angst, daß die Beitragssätze immer mehr erhöht würden. Eben deshalb waren wir hier einer anderen Meinung und dachten, das System müsse anders aufgezogen werden.
({6})
Die unterschiedliche Beitragsbelastung durch das jetzige System ist unserer Meinung nach nicht nur nicht vertretbar, sondern einfach ungerecht. Wenn wir dem Appell in dem Brief des Herrn Bundesfamilienministers folgten und dieses Gesetz blitzschnell in der vorgelegten Form, also ohne Änderungen verabschiedeten, dann würde - wir wissen das alle ganz genau - noch binnen eines Jahres das soeben geänderte Gesetz mit Rücksicht auf die Verhältnisse, die im Saarland herrschen, wieder geändert werden müssen.
In dem Ausschußbericht des Kollegen Winkelheide vom Juli 1957 habe ich gelesen, daß man wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht in eine grundlegende Erörterung der Probleme des Kindergeldgesetzes hätte treten können. Es heißt dort wörtlich - ich bitte um die Genehmigung des Herrn Präsidenten zum Zitat -:
Es muß dem 3. Deutschen Bundestag vorbehalten bleiben, die Frage einer grundlegenden Reform der Kindergeldgesetzgebung zu prüfen.
Meine Damen und Herren, wir wollen uns doch ganz klar darüber sein: nicht nur in diesem Hohen Hause ist durch diese Bundestagsdrucksache angekündigt worden, daß man bereit ist, sich über die ganze Problematik zu unterhalten. Uns sind eine ganze Reihe von Kollegen aus der CDU/CSU bekannt, die ihren Wählern versprochen haben, das Kindergeldgesetz werde reformiert werden.
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Wir wissen ganz genau: Wenn wir das Kindergeldgesetz jetzt ändern, dann müssen wir es im nächsten Jahre wieder ändern. Packen wir heute und jetzt die Gelegenheit beim Schopf! Regeln wir nicht nur die Höhe des Kindergeldes - darüber gibt es nach unserer Auffassung gar keine Meinungsverschiedenheiten -, sondern befassen wir uns mit allen schwachen Punkten des Gesetzes!
Aus den angeführten Gründen stimmen wir der Überweisung dieses Gesetzentwurfes an die Ausschüsse gerne zu. Wir haben uns sehr über die Vereinbarung im Ältestenrat gefreut, nach der sich auch der Ausschuß für Mittelstandsfragen mit diesem Gesetzentwurf befassen wird. Wenn ich außerdem
berücksichtige, was der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat, dann glaube ich doch, daß wir irgendwo einen Ansatzpunkt finden können, von dem aus wir einander näherkommen können. Wir erwarten, daß im Ausschuß auch zu der Entschließung des Bundesrats Stellung genommen wird und daß man von dieser Entschließung her zu einer grundsätzlichen Debatte kommt. Wir hoffen und wünschen, daß dann ein Kindergeldgesetz herauskommt, von dessen Regelung man sagen kann: sie ist gut, sie dient der Sparsamkeit, sie ist zweckmäßig und gerecht.
Suchen wir doch, meine Damen und Herren, eine dauerhafte Lösung, folgen wir dem guten Gedanken des Kindergelds und ersparen wir diesem Hohen Hause den unwürdigen Zustand, daß das Kindergeldgesetz alljährlich neu beraten werden muß. Denn dieses Kindergeldgesetz kommt auf uns zu wie eine Fleiß- nud Pflichtaufgabe. Ich glaube, es ist besser, einmal eine grundsätzliche und dauerhafte Lösung zu suchen, als immer wieder am soundsovielten Änderungsgesetz zum Kindergeldgesetz herumzureden.
({8})
Meine Damen und Herren! Als wir um 3/49 Uhr mit der Beratung dieses Tagesordnungspunktes begannen, wurde uns versichert, daß sich die Sache auf Grund interfraktioneller Absprache schnell abwickeln würde. Jetzt liegen noch drei Wortmeldungen vor.
Der Schriftführer zu meiner Linken ist nach zwei Stunden nicht abgelöst worden. Ich habe das Recht, einen Ersatzmann zu berufen. Ich berufe den Abgeordneten Conrad als Schriftführer für den Schluß der Sitzung.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion ist damit einverstanden, daß das Kindergeld von 30 auf 40 DM, also um ein volles Drittel, erhöht wird. Die CDU/ CSU-Fraktion begrüßt es auch, daß das Kindergeld wie bisher vom dritten Kinde an bezahlt werden soll und daß sich die Regierung, wie es in der Begründung ausdrücklich heißt, damit zum Gedanken der Selbstvorsorge und der Selbstverantwortung bekennt. Ich freue mich, daß der Herr Bundesarbeitsminister dieses unser Grundprinzip soeben erneut bekräftigt hat.
Das Ziel dieses Gesetzentwurfes ist es, die wirtschaftliche Lage der kinderreichen Familien weiter zu erleichtern. Wir sind überzeugt, daß wir mit dieser Erhöhung des Kindergeldes um ein volles Drittel eine wirksame Hilfe leisten, so daß wohl niemand mehr, meine Damen und Herren von der Opposition, sagen kann, auf diesem Gebiet geschehe viel zuwenig.
Wir werden uns allerdings nicht der Illusion hingeben, daß damit alle zufrieden seien. Unzufriedene wird es immer gehen. Es wird uns auch mit der Familienpolitik wie mit der Sozialpolitik nicht gelingen, den Zustand der Zufriedenheit aller herzustellen.
Wir geben uns auch nicht dem Irrtum hin, daß wir uns heute oder nach der endgültigen Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs zum letztenmal über die Frage, ob das Kinderdgeld vom zweiten oder vom ersten Kind ab gewährt werden soll, unterhalten haben. Diese Frage wird sicherlich auch später wieder auftauchen, und wir werden uns mit ihr später in aller Ruhe, in aller Sachlichkeit und mit dem nötigen Verantwortungsbewußtsein auseinandersetzen.
Dieses Verantwortungsbewußtsein unterstellen wir selbstverständlich auch Ihnen von der Opposition; ich möchte es Ihnen in keiner Weise 'abstreiten. Aber sich bitte Sie um Verständnis dafür, daß wir als Regierungspartei eine Verantwortung besonderer Art tragen, daß wir viel mehr als Sie gezwungen sind, die Dinge im Rahmen des Ganzen zu sehen und die Grenzen zu bedenken, die uns gesetzt sind. Wenn Sie meinen, daß 'auf dem Gebiet des Familienlastenausgleichs noch viel mehr geschehen müsse, so wollen Sie bedenken, Frau Kollegin Döhring, daß man den Familienlastenausgleich nicht für sich allein betrachten und daß man sein Blickfeld nicht verengen und nur auf das Kindergeld blicken darf. Man muß auch auf die übrigen Anstrengungen unserer Politik hinweisen, auf die Steuerpolitik und auf die allgemeine Wirtschaftspolitik, deren Erfolge nunmehr auch von Ihnen nicht mehr bestritten werden. Wir haben in unserer Steuergesetzgebung die Familie mit Kindern immer mehr berücksichtigt. Das ist eine Tatsache, an der auch Sie nicht vorbeigehen können. Die allgemeine Wirtschaftspolitik, der wirtschaftliche Aufschwung, die Hebung des allgemeinen Lebensstandards, sind auch den Familien mit Kindern zugute gekommen. Daß schließlich Kinder wirtschaftlich gesehen eine Belastung bedeuten und daß sie von den Eltern Einschränkungen und auch Opfer verlangen, ist eine Tatsache, die weder wir noch Sie aus der Welt schaffen können. Das liegt in der Natur der Dinge, das kann niemand ändern und sollte auch niemand ändern wollen.
Wenn wir von der CDU/CSU-Fraktion aus den vorliegenden Gesetzentwurf bejahen und begrüßen, so sagen wir damit noch lange nicht, daß wir uns dann auf unseren Lorbeeren ausruhen dürften; aber wir sagen damit: wir haben dadurch das Notwendige und gleichzeitig das heute Mögliche getan. Es wird -- machen wir uns nichts vor - auch in Zukunft so sein, wie es bisher war: der überwiegende Teil der Empfänger von Kindergeldleistungen wird den Gesetzentwurf dankbar begrüßen. Diejenigenaber, die bezahlen müssen und jetzt mehr bezahlen müssen, werden nichtgerade beglückt sein. Wir werden auch in Zukunft wieder in unseren Versammlungen feststellen können, daß die Empfänger des Kindergeldes schweigen und daß sich lediglich die Beitragszahler zu Worte melden und klagen. Auch das ist verständlich und wohl niemandem zu verübeln. Die Klagen kommen in der Hauptsache - da sind wir mit Ihnen ({0}) einig - aus den Kreisen der Selbständigen, der freien Berufe und aus den lohnintensiven kleinen und mittleren Betrieben unserer Wirtschaft. Uns - das möchte ich besonders Ihnen sagen, Herr Spitzmüller - ließen diese Klagen
Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode
selbstverständlich nicht kalt und gleichgültig. Wir haben uns in unserer Fraktion damit mehr als einmal in intensiven Beratungen auseinandergesetzt und haben uns mit allem Ernst und allein Nachdruck darüber Gedanken gemacht, inwieweit diese Beschwerden und Klagen berechtigt sind und inwieweit es möglich ist, ihnen ,abzuhelfen.
({1})
- Lassen Sie mich dazu etwas in Erinnerung bringen, Herr Dr. Bucher. Auch Ihnen ist bekannt, daß unsere Konzeption des Familienlastenausgleichs ursprünglich allein für die in der Wirtschaft beschäftigten Arbeitnehmer gedacht war. Da die Betriebe nur nach Leistung bezahlen und den Familienstand der einzelnen Arbeitnehmer nicht genügend berücksichtigen können, haben wir es als notwendig angesehen, diesen Leistungslohn überbetrieblich zu ergänzen durch die Schaffung von Familienausgleichskassen. Dieses System hätte ausgezeichnet funktioniert, wenn nicht die Selbständigen hineingekommen wären,
({2})
wenn man nicht die Selbständigen in dieses ursprünglich nur für die Arbeinehmer gedachte System hineingepreßt hätte. Darüber sind wir uns einig. Aber wie war es damals? Ich höre es ja noch wie heute. Damals haben sich die Selbständigen zu Worte gemeldet und gesagt: Wir wollen auch Kindergeld haben, wir wollen dieses Mal sozialpolitisch nicht überrundet werden. Dadurch sind die eigentlichen Schwierigkeiten entstanden. Es ist nun einmal so: wer haben will, muß auch bezahlen.
Nun wurde gesagt, die Schwierigkeiten wären nicht entstanden, wenn man damals von vornherein die „staatliche Lösung" gewählt hätte. Ich will jetzt die Gründe nicht im einzelnen aufführen, die uns seinerzeit veranlaßt haben, die staatliche Lösung abzulehnen. Sie sind Ihnen bekannt, wir haben in diesem Saal oft genug darüber diskutiert, und ich erwarte auch nicht, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition von rechts und von links -, heute diese Gründe akzeptieren. Aber ich meine, Sie sollten, auch wenn wir uns in dieser Sache noch so sehr auseinandergeredet haben sollten, wenigstens bereit sein, unsere Argumente und unsere Gesichtspunkte zu respektieren. Nur so können wir für die Zukunft zu einem sachlichen Gespräch kommen.
Selbstverständlich machen wir uns darüber Gedanken, wie das System geändert und verbessert werden kann. Wir haben das, was unser Kollege Winkelheide in unserem Namen laut Ausschußdrucksache 3657 - die Herr Kollege Spitzmüller soeben zitiert hat - ausgeführt hat, nicht vergessen, wir stehen nach wie vor dazu; aber wir sind mit der Regierung der Ansicht, daß die jetzige Leistungserhöhung und die damit verbundene Mehrbelastung kein Grund sein können, an dem bisherigen System des Familienlastenausgleichs im jetzigen Augenblick etwas zu ändern, und darum geht es.
({3})
Wir sollten daher diesen Gesetzentwurf jetzt nicht allzusehr an der Frage des Systems aufhängen, sondern dafür sorgen, daß der Entwurf möglichst rasch behandelt und verabschiedet wird. Wir schließen uns insofern der Auffassung des Bundesrates an.
Daß der Herr Bundesarbeitsminister in seiner Begründung soeben das Problem der lohnintensiven Betriebe so deutlich angesprochen hat, dafür sind wir ihm ganz besonders dankbar. Wir machen uns diesbezüglich schon seit langer, langer Zeit ernsthafte Sorgen. Wir bitten ihn dringend, den Fortgang der von ihm bereits eingeleiteten Untersuchungen nach Möglichkeit zu beschleunigen und alles zu tun, um Mittel und Wege zu finden, wie die besondere Lage der lohnintensiven Betriebe bei unserer sozialen Gesetzgebung in Zukunft besser berücksichtigt werden kann.
Ich bitte im Namen der CDU/CSU-Fraktion, den Gesetzentwurf wie vorgeschlagen an die Ausschüsse zu überweisen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Regling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für Sie und auch für mich bestimmt nicht angenehm, daß ich noch zu so später Stunde das Wort nehmen muß; aber ich bin der Meinung, es würde nicht verstanden werden, wenn das Kindergeldgesetz, eines der Gesetze, die draußen am meisten umstritten sind, hier so schnell über die Bühne ginge. Ich muß mich also trotz alledem noch ein wenig mit der Materie beschäftigen, und zwar mit der Schattenseite des Gesetzes, mit der Aufbringung der Mittel.
Das, was soeben mein Vorredner Herr Kollege Ruf sagte, haben wir nun vor drei Jahren alle miteinander schon gewußt. Wir haben, nachdem das Kindergeldgesetz ein Jahr lang in der Praxis angewandt worden war, von allen Seiten Proteste bekommen. Ich zweifle nicht daran, daß alle Mitglieder dieses Hauses Proteste über Proteste bekommen haben und über diese Berge vielleicht nicht mehr hinwegsehen können.
Es genügt deshalb doch nicht, immer wieder das gleiche zu sagen wie schon 1955 bei dem ersten Ergänzungsgesetz. Damals sagte ein Kollege - er ist heute abend nicht hier, es ist ein führender Kollege der CDU-Fraktion, ich kann auch den Namen nennen: Rasner, und er hat das damals sehr nett und ordentlich gesagt, und ich nehme ihm das gar nicht übel - nach einer Debatte etwa folgendes: Wir wissen, daß das Gesetz nicht so funktioniert, wie man uns versichert hat! - Im Dezember 1955 sagte er das, und er fuhr fort: Aber das, was wir, also die CDU/CSU, falsch gemacht haben, wollen wir auch selber wieder in Ordnung bringen!
Gegen diese Formulierung kann man nichts sagen; das ist in Ordnung, das ist gut. Ich habe daraufhin gefragt: Bis wann wollen Sie das wieder in Ordnung bringen? Er hat prompt geantwortet: Spätestens nach einem halben Jahr!
Ich sagte bereits, das war im Dezember 1955. Wir haben jetzt November 1958, es sind jetzt drei Jahre vergangen. Wir haben hier bereits die fünfte Vorlage. Sie bringt eine weitere Verbesserung der Ausgabeseite, gegen die wir, das will ich ausdrücklich betonen, alle miteinander nichts haben. Aber die alte Ungerechtigkeit bleibt beistehen, und von Mal zu Mal werden wir weiter vertröstet, daß diese Ungerechtigkeiten demnächst herausgebracht werden sollen. Verschiedene Ergänzungsgesetze und Anpassungsgesetze haben auf der Ausgabenseite verschiedene Unklarheiten ausgeräumt. Es war sehr viel zu bereinigen. Ich denke an die doppelte Beitragserhebung, an die unterschiedlichen Beitragshöhen und -erhebungen usw.
Aber alles das ist nicht so entscheidend. Es geht uns einfach darum, daß auch die Seite, die die Lasten aufzubringen hat, zufrieden ist. Aber jeder, der sich wegen der Proteste, die er bekommen hat, mit den Beitragspflichtigen oder mit deren Organisations-Vertretern einmal unterhalten hat, dürfte die Kenntnis gewonnen haben, daß es nicht nur Klagen sind, wie sie bei jedem Gesetz entstehen, nach dem jemand Zahlungen leisten muß, sondern daß die Klagen berechtigt sind, daß man ihnen nachgehen und etwas tun muß.
Wir erheben hier deshalb nach wie vor ganz eindeutig wiederum die Forderung auf staatliche Regelung. Auch der Bundesrat greift dieses Thema erneut auf - es ist heute schon angesprochen worden, ich will das nicht im einzelnen wiederholen -, und dazu stellt die Bundesregierung zwar fest, daß die Notlage besonders in den Mittelbetrieben vorliegt, aber im übrigen soll alles so bleiben, wie es war. Wir sind der Meinung, daß der Bundesregierung in diesen letzten drei Jahren wirklich etwas anderes hätte einfallen sollen; denn es ist ja laut genug gesagt worden, was da nicht in Ordnung ist.
Zu all diesen Argumenten, die damals für die Ablehnung einer staatlichen Regelung und für die Übertragung an die Selbstverwaltungsorgane vorgebracht wurden, können wir doch heute, nach vier Jahren, sagen: Was ist denn nun von dieser Selbstverwaltung nachgeblieben? Diese armen Beschlußgremien, (die ja nicht einmal freiwillig - wie es eigentlich sein müßte - zu dieser Aufgabe gekommen sind, sondern die einfach zu ihren sonstigen Obliegenheiten, die mit den Berufsunfällen zusammenhängen, zusätzlich die Aufgaben dieser Familienausgleichskassen durchzuführen haben, sitzen nun plötzlich davor, gucken sich das Gesetz an - und was bleibt ihnen an freiwilliger Selbstentscheidung? Doch so gut wie gar nichts. Überall müssen sie dieses, sie müssen jenes. Sie müssen das Beitragssoll so festsetzen, (daß es für den eigenen Bedarf reicht; sie müssen andererseits aber - ich betone dieses „müssen" besonders - die Beiträge und die Umlagen auch so festsetzen, daß für die anderen, schwachen Familienausgleichskassen mitgesorgt wird; und sie müssen, ob sie wollen oder nicht, einen Anteil mit dazu beitragen, damit insgesamt von den gewerblichen Familienausgleichskassen zwei Drittel für die ländlichen Ausgleichskassen zur Verfügung gestellt werden können. Das alles müssen sie. Es bleibt also wirklich nicht mehr viel von der Selbstverwaltung,
die man ja doch - als Gegensatz zur staatlichen Regelung - besonders glaubte herausstellen zu müssen.
Ich habe damals schon, vor etwa ,drei Jahren, dazu gesagt: Im ,allgemeinen dürfte es so sein, daß der Betroffene, also der, der zahlen soll - hier die Unternehmer und die Selbständigen - sowieso kaum noch einen Unterschied zwischen Finanzamt und Berufsgenossenschaft und jetzt auch Familienausgleichskassen kennt. Damals kamen einige Zwischenrufe, in denen die Ansicht zum Ausdruck kam, daß das gar nicht möglich sei. Ich habe aber im Verlauf dieser drei Jahre feststellen können, daß eis tatsächlich doch so ist und daß der Teil der Betroffenen, der diesen Unterschied ,gar nicht kennt, sehr viel größer ist. Denn die Kassen bedienen sich in der Regel des gleichen Tons wie die Finanzämter, wenn sie die Gelder anfordern, sie bedienen sich, wenn die Gelder nicht hereinkommen, auch des gleichen Gerichtsvollziehers. Der Betroffene sieht also wirklich keinen Unterschied mehr zwischen der Selbstverwaltung und den Finanzämtern. Das Argument, man wolle die Aufgaben in Selbstverwaltung lösen, wenn Sie es damals auch - und das unterstelle ich ohne weiteres - noch so ehrlich und gut gemeint haben, sticht nicht mehr.
Es wurde dann weiter gesagt, man wolle eine Regelung auf berufsständicher Ebene. Man dachte dabei sicher daran, daß es zu der damaligen Zeit schon einige Familienlastenausgleichskassen gab - bei den Ärzten, bei den Anwälten, in Seefahrtskreisen usw. -, die (im kleinen Kreis auf der Basis der Freiwilligkeit geschaffen worden waren und die auch gut funktionierten. Aber dadurch, daß man den Berufsgenossenschaften und somit den neugebildeten Familienausgleichskassen die Durchführung übertragen hat, damit ist doch dieses berufsständische Moment, das Sie damals in den Vordergrund gestellt haben, völlig danebengegangen. Wir haben zwar 54 verschiedene Familienausgleichskassen; aber in jeder ist eine Vielzahl von verschiedenen Berufen zusammengefaßt. Also auch da ist eis mit dem Berufsständischen keineswegs so, wie das hier herausgestellt worden ist. Ich finde, man hat diesen Selbstverwaltungsorganen und Gremien der Berufsgenossenschaften, die eigentlich ausschließlich mit den Unfallregulierungen usw. zu tun haben, praktisch Aufgaben ein er Zuschußkasse für kinderreiche Familien übertragen, und es ist kein Wunder, wenn die Betroffenen sich jetzt die Haare raufen. Bitte, lassen Sie sich Idas von den Leuten erzählen, die dort tätig sind! Sie sind keineswegs glücklich über diese zusätzliche Aufgabe, und sie warnen ja auch schon teilweise vor irgendwelchen Weiterungen.
Was die Art der Beitragserhebung betrifft, so berechnet die Familienausgleichskasse ihre Beiträge und Umlagen nach der Lohnsumme. Das ist nicht unbedingt nötig; denn das Kindergeldgesetz sprach zunächst nur von Beiträgen. Erst die Familienausgleichskassen als Anhängsel der Berufsunfallgenossenschaften brachten diese Umlage auf die Lohnsumme und legten dies dann in ihren Satzungen im einzelnen fest. Na ja, die Lohnsumme - vielleicht war für andere Überlegungen keine Zeit mehr - war das Gegebene; denn die Berufsunfallbeiträge
wurden und werden ebenfalls nach der Lohnsumme erhoben. Die Ungerechtigkeit liegt aber gerade darin, daß die Beiträge und Umlagen nach der Lohnsumme erhoben werden. Auch dazu ist schon sehr viel gesagt worden; ich will es hier nur kurz andeuten. Wir müssen uns im Ausschuß über dieses Thema noch sehr eingehend unterhalten.
Ich darf dem bereits Gesagten nur noch eins hinzufügen. Diese Ungerechtigkeit erscheint einem besonders kraß, wenn man sich einmal überlegt, zu welchen Anteilen in den Klein- und Mittelbetrieben Lohn anfällt. Wir müssen hier mit etwa 30 bis 50 % rechnen. In der Großindustrie dagegen - ich nenne einen extremen Fall, die chemische Industrie - beträgt der Lohnanteil nur 2,5 % vom Umsatz.
Wenn wir uns weiter überlegen, daß der Selbständige diese Beiträge zur Familienausgleichskasse, die nach der Lohnsumme errechnet werden, von seinem Betriebsertrag abführen muß, so erkennen wir an Hand der Statistik, daß das sehr häufig ein Wegnehmen des Allernötigsten, das er zur Existenzerhaltung braucht, bedeutet. Ich kenne sehr viele Fälle, in denen tatsächlich durch die Bezahlung dieser Beiträge zur Familienausgleichs-kasse der Betreffende unter die Freigrenze gerät, so daß er selbst keine Beiträge mehr zahlen kann. Das kann nicht Sinn und Zweck dieser Regelung sein, selbst wenn damit vielleicht auch eine gute Absicht verbunden sein sollte.
Noch ein Wort zur Übernahme auf den Haushalt. Hier wird sicher eingewandt werden: Heute sind es 790 Millionen DM, und das kann der Haushalt nicht verkraften. Ich darf dabei daran erinnern, daß 1955, als wir mit einer Gesamtsumme von etwa 450 Millionen DM rechnen mußten, der damalige Finanzminister Schäffer erklärt hat, daß durch das Kindergeldgesetz bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer ein Betrag von 204 Millionen DM weniger hereinkommt. Wenn wir das einmal kurz umrechnen, ergeben sich heute Steuerausfälle im Haushalt von etwa 350 Millionen DM, so daß wir uns praktisch nur über einen Ausfall von 440 Millionen DM zu unterhalten brauchten; dann hätten wir diese leidige Frage aus der Welt. Ich glaube, meine Damen und Herren, wir sollten uns im Ausschuß über alle diese Dinge und noch einige andere, die ich zu dieser Stunde nicht mehr anführen will, eingehend unterhalten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schild.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde im Namen meiner Fraktion in Anbetracht der vorgerückten Stunde nur eine kurze Erklärung abgeben. Wir stehen vor derselben Situation, vor der wir im Jahre 1954 gestanden haben; denn das Grundproblem, ob die Wirtschaft oder, wie ich besser sage, die Selbständigen allein mit dem Kindergeld belastet werden sollen, ist ja nicht ausgepaukt. Wir haben ein sehr schönes Protokoll, in dem klar und deutlich steht, daß unser
Freund Ruf gesagt hat: „Wer haben will, muß zahlen!" Das trifft nicht nur für die Selbständigen, das trifft auch für die Unselbständigen zu. Wer haben will, muß zahlen!
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Sie haben das ohne Einschränkung gesagt, und deshalb ist es hier nun ein entscheidendes Politikum geworden.
Wir stehen ja vor der realpolitischen Situation, daß unsere Freunde von der CDU das Gesetz in diesem Hause allein machen können, wie sie es auch im Jahre 1954 mit sieben Stimmen Mehrheit gemacht haben. Die anderen Fraktionen haben also nur die Gelegenheit, andere Vorschläge zu machen, zu kritisieren und gewissermaßen einen Spiegel vorzuhalten, in dem man die Probleme ja schließlich soziologisch, wirtschaftlich, steuertechnisch und politisch sehen muß.
Selbstverständlich begrüßt die Fraktion der Deutschen Partei, daß nun vom dritten Kind an 40 DM Kindergeld gezahlt werden sollen. Wir begrüßen ebenfalls die sehr detaillierten Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers über das, was die Koalition und die Regierung in all den Jahren für die Familie überhaupt schon getan haben. Manches fehlte noch dabei, und man hätte das ruhig noch etwas erweitern können. Zum Beispiel ist die Befreiung von den Lern- und Lehrmittelkosten nicht genannt worden und vieles andere mehr. Wir haben also allerhand für die Familiensituation getan.
Wir begrüßen ferner die Erklärung des Herrn Bundesarbeitsministers, daß einmal in Form eines Gutachtens an die Grundsatzfrage herangegangen werden soll, wie die sozialpolitische Belastung auf lohnintensive und energieintensive Betriebe zu verteilen ist. Das soll nun langsam Gestalt gewinnen. Aber, Herr Bundesarbeitsminister, die Reform des Kindergeldgesetzes ist 1959 fällig. Ich erinnere an das Schreiben des Herrn Familienministers, das an alle Fraktionen gegangen ist. Das Saarproblem kommt auf uns zu.
Man muß die Dinge einmal klar sehen. Wenn das Saarproblem auf uns zukommt, gibt es nur vier Lösungen: Entweder machen wir das über das Finanzamt, über die Steuer, oder wir machen es wie bisher über die Familienausgleichskassen, indem wir nur die Selbständigen und die Betriebe belasten. Wir können drittens die Sache bei den Familienausgleichskassen zwischen Selbständigen und Unselbständigen halbieren, gleichgültig, was nachher dabei herauskommt, ob ab 1., 2. oder 3. Kind; das wird ja eine politische Entscheidung der CDU sein, da haben ja alle anderen kaum etwas zu sagen. Das muß einmal ganz deutlich gesagt werden. Der vierte Weg schließlich ist, weder über die Familienausgleichskassen noch aus dem Steuertopf zu zahlen, sondern irgendeine andere Lösung zu finden. Ich will nur einmal ins Unreine sprechen. Man könnte sich eine Energiebesteuerung als Quelle denken, eine Art Gesamtverbrauchsbesteuerung der Energie, die natürlich die gewerbliche Energie wesentlich mehr treffen würde als die Haushaltsenergie der Familien. Das würde Ihnen, Herr Fami2818
lienminister, gar nicht weh tun. Diese vier Möglichkeiten gibt es doch nur im Rahmen unseres Haushalts- und unseres Steuersystems.
Die französische Möglichkeit, Herr Familienminister, gibt es bei uns eben nicht, weil sie mit unseren sozialpolitischen Gesetzen und Belastungen gar nicht kombiniert werden kann. Ich möchte Ihnen in dieser späten Stunde noch einmal sagen: Operieren Sie nicht immer mit der französischen Kindergeldregelung!
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- Sie operieren mit der französischen Kindergeldregelung in dem Sinne, daß Sie sagen: Wenn in Frankreich 9,5 % der Lohnsumme möglich sind, dann ist eine ähnliche Lösung auch bei uns möglich.
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Die ähnliche Lösung ist erstens nicht möglich wegen der 27 % igen Sozialbelastung, die wir sowieso schon auf den Lohn haben,
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wovon 11 % die Arbeitnehmer und 16 % die Arbeitgeber oder die Selbständigen zahlen. Das heißt, die Selbständigen haben sich in dieser Massendemokratie schon von den Unselbständigen hierin restlos überrunden lassen, und sie werden weiter überrundet werden nach den Spielregeln, die wir hier anwenden. Man wird den Selbständigen immer wieder nach der sozialutopischen Linie behandeln, nämlich: „daß alles abgewälzt werden kann, alles verkalkuliert werden kann und letzten Endes der Verbraucher doch alles zahlt". Diese Utopie, die seit Jahren in diesem Hause herrscht, wird zu der Tendenz führen, jede neue derartige Belastung den Selbständigen aufzubrummen.
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Diese Utopie wird auch von Ihnen vertreten, Herr Familienminister. Das wird Ihnen ja auch in der Zeitschrift Ihres Kollegen Bucerius ganz eindeutig bescheinigt.
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Es ist immerhin ein Parteifreund von Ihnen, der Ihnen einige Wahrheiten sagt, die man hier ruhig einmal erwähnen darf.
Ich will zum Schluß kommen. Es kommt jetzt doch auf die Weichenstellung an. Es handelt sich jetzt nicht nur um die 40 Mark, sondern auch um die Glaubwürdigkeit der Politik, die Sie in der Reform des Kindergeldes betreiben. Viele Ihrer Kollegen, die die Selbständigen in diesem Hause vertreten, haben im Wahlkampf gesagt: Wir wünschen eine Reform.
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- Natürlich. Mit Recht haben sie es gesagt; denn
sie werden von den Menschen aus der Schicht der
Selbständigen daraufhin ja dauernd angesprochen.
Die öffentlichen Erklärungen der Verbände der Selbständigen sind seit 1954 in dieser Frage eindeutig.
Aber mit welcher reservatio mentalis ist diese Reform angekündigt worden! Das ist doch das Problem. Sie haben sich im Wahlkampf nicht substantiiert dazu geäußert, welche Reform sie meinen, sondern sie haben lediglich von einer Reform gesprochen, soweit ich die Herren Kollegen in den Wahlreden verfolgt und darüber meine Notizen gemacht habe.
Aber bei diesen 40 Mark kommt es jetzt auf die Weichenstellung an. Wenn Sie diese Reform ehrlich betreiben wollen und die Halbwahrheiten, die in dieser Ideologie stecken, beseitigen wollen, nämlich 1. die Selbstverwaltung - das ist eine Halbwahrheit in dieser Sache -, 2. die berufsständische Regelung - sie ist auch eine Halbwahrheit in dieser Sache - und 3. die Subsidiarität - ebenfalls eine Halbwahrheit -, und wenn Sie nicht ewig dem deutschen Volk die ganze Wahrheit vorenthalten wollen, dann muß jetzt die Weiche für das Jahr 1959 gestellt werden. Diese Weiche heißt: Wenn Sie diese Halbwahrheiten und die darauf aufgebaute Institution der Familienausgleichskassen beseitigen und zu echten Wahrheiten in der Gestaltung einschließlich der Institution kommen wollen, müssen Sie jetzt auch die Konsequenzen ziehen. Sie brauchen keine Beitragserhöhung, Sie brauchen nicht einmal das 0,1 0/o, Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie ehrlich und glaubwürdig eine Reform durchführen, die diese Halbwahrheiten beseitigt.
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Zunächst haben wir noch keinen Bericht über die Geschäftslage der Familienausgleichskassen im Jahre 1958.
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- Nein, das will ich gar nicht! - Wir haben keinen Bericht über die Finanzlage der Kassen im Jahre 1958. Ich vermute nach den Berichten von 1956 und den Vorberichten von 1957, daß in der Gesamtheit der Familienausgleichskassen eine Reserve von 50 Millionen DM gesetzlich angesammelt ist.
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- Ich sage, ich vermute das, Herr Winkelheide; zumindest liegt die Summe um diesen Betrag herum, Genaues wissen wir nicht.
Wir haben seinerzeit die ganze Sache mit einem Kassenkredit des Bundes von 70 Millionen DM anlaufen lassen. Was hindert uns - wenn wir eine glaubwürdige Politik der Beseitigung der Familienausgleichskassen mit diesen Halbwahrheiten machen wollen -, mit einem Kassenkredit, der, sagen wir, auf 12 Monate ab 1. Januar 1959 oder von einem anderen Termin an - wie Sie es machen wollen, ist gleichgültig, die Mittel sind nach der Kassensituation des Bundes vorhanden - gegeben wird und etwa 120 Millionen DM betragen müßte, diese 40 DM ohne Beitragserhöhung zu verkraften, Herr Bundesarbeitsminister, und dann in 12 Monaten die echte
Reform durchzuführen, die nachher das Ganz auf eigene Füße stellt,
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sei es über das Finanzamt, sei es über eine Institution, die wir uns noch überlegen müssen, die aber jedenfalls nicht diese Halbwahrheiten der Familienausgleichskassen enthält, die praktisch keine Selbstverwaltung haben, nicht berufsständisch sind und am wenigsten das Subsidiaritätsprinzip verkörpern?! Wir sind in der Lage, mit diesen Mitteln, wenn Sie wollen, die 40 DM ohne Beitragserhöhung zu zahlen.
Wenn Sie aber glauben, von der Schicht der Selbständigen eine Beitragserhöhung, und mag sie auch nur 0,1 % betragen, verlangen zu müssen, und das damit verbrämen: „Es tut euch nicht weh", dann treffen Sie die Selbständigen nicht nur materiell, sondern auch in ihrem Glauben an Ihre Reformzusagen, und davor möchte ich meine Kollegen aus der Schicht der Selbständigen in Ihrer Fraktion auf das entschiedenste warnen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Debatte ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist Überweisung der Vorlage an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend und an den Ausschuß für Mittelstandsfragen beantragt. Weitere Anträge dazu liegen nicht vor. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Damit ist die Tagesordnung, die wir uns für heute vorgenommen hatten, erledigt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. November, 15 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.