Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Dr. Ripken.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der Tagesordnung der heutigen Sitzung stehen zwei Anträge meiner Fraktion. Die Anträge gehen auf das Jahr 1954 zurück. Sie sind damals ausgelöst worden durch die außerordentliche Erregung in politischen Kreisen wie auch in der breiten Öffentlichkeit über - wie es hieß -„chaotische Zustände" auf dem Schulgebiet. Diese Zustände waren eine Erbschaft aus der Zeit des Besatzungsregimes. Wir glaubten, dem Chaos könne nicht anders abgeholfen werden als dadurch, daß sich der Bund dieser Frage annehme und eine einheitliche Regelung treffe. Wir sahen in diesen Zuständen auch eine erhebliche Gefährdung des föderalistischen Ordnungsprinzips.
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Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit. Der Redner hat im Rahmen der Geschäftsordnung ohnehin nur fünf Minuten zur Verfügung.
Wir haben diese Anträge also damals eingebracht, weil wir glaubten, daß auf anderem Wege nicht Abhilfe geschaffen werden könnte.
Inzwischen haben sich die Kultusminister der Länder im Rahmen ihrer Ständigen Konferenz um eine Ordnung auf dem Schulgebiet bemüht. Das reichte nicht aus. Daraufhin griffen die Ministerpräsidenten ein, und es kam zu dem bekannten Düsseldorfer Abkommen. In der Folgezeit sind weitere Ansätze in der von uns angestrebten Richtung geschaffen worden, wie durch die Bildung eines Wissenschaftsrates.
Man hat also, wie gesagt, eine Menge von Maßnahmen ergriffen, die in der Richtung unserer Wünsche liegen. Wir sind der Meinung, daß auf diesem Wege weitere Schritte getan werden könnten. Wir glauben, daß das auch geschieht. Die anderen Anträge, die noch vorliegen, insbesondere der Antrag Umdruck 47 unserer Freunde von der CDU/CSU, enthalten Vorschläge, deren Verwirklichung geeignet ist, weitere Fortschritte zu erzielen. Unser Parteifreund Dr. Schild hat bei der Beratung über den Haushalt bereits auf die Möglichkeit hingewiesen, auf dem Wege über Verwaltungsabkommen weiter voranzukommen.
Aus diesen Gründen glauben wir davon Abstand nehmen zu sollen, die in unseren Anträgen enthaltene Grundsatzfrage hier zur Diskussion zu stellen, zumal sie eine große Debatte auslösen würde, die der Sache kaum förderlich sein dürfte. Wir bitten Sie daher, von einer Beratung der beiden Anträge meiner Fraktion Abstand zu nehmen, sie also von der Tagesordnung abzusetzen. Um in der Sprache der Schule zu sprechen: wir glauben, die Leistungen der Schüler - ich meine hiermit die Herren Landeskultusminister - haben sich inzwischen so weit gebessert, daß die Hoffnung berechtigt ist, daß die Schüler bei weiterer Steigerung ihrer Leistung zu Ostern das Ziel der Klasse erreichen.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Geisendörfer.
Herr Präsident Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen meines Herrn Vorredners darf ich im Namen der Fraktion der CDU/CSU folgendes erklären.
Wir stellen mit Befriedigung fest, daß die Fraktion der DP ihre beiden Anträge zunächst zurückgestellt hat. Wir würden es allerdings noch mehr begrüßen, wenn die Gründe, die sie dazu bewegen haben, sie weiter veranlaßten, diese Anträge überhaupt zurückzuziehen.
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Die heutige Zurückstellung erfolgt, wie ausgeführt wurde, in der Erkenntnis, daß die Forderung nach einer Ausweitung der kulturpolitischen Kompetenz des Bundes und die Errichtung eines Bundesministeriums für Wissenschaft, Unterricht und Erziehung nicht mehr mit einem Hinweis auf ein völliges Versagen der Länder bzw. der Kultusminister begründet werden kann. Die „Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder" hat durch eine Vielzahl von Abmachungen, die bereits erfolgreich in die Praxis umgesetzt worden sind, aus freien Stücken für die notwendige Koordinierung gesorgt. Das berechtigt uns zu der Erwartung, daß freiwillige Vereinbarun2456
gen auch auf jenen Gebieten zum Erfolg führen werden, auf denen die notwendige Gemeinsamkeit noch nicht bis ins letzte erzielt worden ist.
Eine Änderung des Grundgesetzes hinsichtlich des kulturpolitischen Bereichs erscheint uns daher in keiner Weise gerechtfertigt, zumal erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, ob eine Einbeziehung des Unterrichts- und Erziehungswesens in die konkurrierende Gesetzgebung und die Errichtung eines Bundesunterrichtsministeriums überhaupt mit Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes vereinbar wären, weil das eine erhebliche Gewichtsverlagerung zugunsten des Bundes und damit eine Aushöhlung des föderativen Charakters unserer Verfassung zur Folge hätte. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 26. März 1957 die Kulturhoheit, besonders die Hoheit auf dem Gebiete des Schulwesens als das Kernstück der Länder bezeichnet. Wer dieses Kernstück herausbricht, müßte in Kauf nehmen, daß die Länder zu reinen Verwaltungsprovinzen herabsinken.
Der richtige Weg zur Lösung der hier anstehenden Probleme scheint uns die Verfolgung unseres Antrags zu sein, mit dem sich das Hohe Haus in der heutigen Sitzung noch beschäftigen wird und der darauf abzielt, auf der Grundlage der im Grundgesetz festgelegten Kompetenzen künftig zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu kommen. Dieser Antrag, der von dem Herrn Vorredner schon positiv beurteilt worden ist und der vom Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik einstimmig gutgeheißen worden ist, ist auch von seiten der Kultusminister der Länder begrüßt und bejaht worden. Diese Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf kulturpolitischem Gebiet, die sich ja, wie schon wiederholt festgestellt worden ist, erfreulich entwickelt hat, würde sicherlich stark belastet werden, wenn die beiden Anträge der DP im Parlament weiterverfolgt würden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt jede Möglichkeit, über die akuten Notstände wie die Schulraumnot, den Lehrermangel und den Mangel an Lehrkräften an den wissenschaftlichen Hochschulen usw. zu sprechen. Wir glauben aber, daß der hier in Punkt 1 a und b der Tagesordnung vorgeschlagene Weg nicht richtig ist. Die Länder haben auf dem Gebiet des Schulwesens freiwillig viele Vereinheitlichungen herbeigeführt und damit wesentlichen sachlich berechtigten Anliegen der Öffentlichkeit Rechnung getragen. Darüber hinaus haben die Länder zur Erfüllung ihrer kulturellen Aufgaben laufend große finanzielle Leistungen erbracht, und wir hoffen und wünschen, daß die Konferenz der Kultusminister weiterhin bei ihren Bemühungen vollen Erfolg hat und zu weiteren positiven Vereinbarungen kommt.
Wir möchten aber, meine Damen und Herren, mit allem Nachdruck darauf hinweisen: Soweit die kulturellen Bemühungen der Länder, besonders auch die Förderung der Wissenschaft und Forschung, heute noch zu wünschen übriglassen, ist das wesentlich darauf zurückzuführen, daß der Bund auf dem Gebiet des Schulwesens und der Förderung von Wissenschaft und Forschung seinen Verpflichtungen aus Art. 120 des Grundgesetzes über die Beseitigung der Kriegsfolgelasten bisher nicht nachgekommen ist.
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Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird in ihren Bemühungen nicht nachlassen, dahin zu wirken, daß die Mehrheit des Hauses und die Bundesregierung diese Verpflichtungen aus der Verfassung gegenüber den Ländern erfüllen, damit Ländern und Gemeinden die Mittel zufließen, die sie zur Beseitigung der Kriegsfolgen auf dem Gebiete des Schulwesens brauchen.
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Unabhängig von der Übernahme der Kriegsfolgelasten bleibt nach wie vor die Notwendigkeit einer Änderung der Finanzverfassung, die im Gesamtrahmen Ländern und Gemeinden die Möglichkeit gibt, ihre Aufgaben auch auf kulturellem Gebiet voll zu erfüllen. Die starke Zusammenballung der Steuermittel beim Bund und die Finanznot der Länder einerseits und damit die Anziehungskraft der größeren Finanzmöglichkeiten des Bundes andererseits führen leider immer wieder dazu, daß ohne rechtliche Grundlage und sachliche Notwendigkeit die Frage der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern, die im Grundgesetz geregelt ist, zur Debatte gestellt wird. Das eigentliche Anliegen dagegen, den Ländern die Mittel zufließen zu lassen, die sie zur Erfüllung ihrer kulturellen Aufgaben brauchen, tritt dabei völlig in den Hintergrund.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird auch in Zukunft immer wieder auf diese Zusammenhänge hinweisen und in diesem Sinne ihre Bemühungen unverändert fortsetzen.
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In der Geschäftsordnungsdebatte hat das Wort der Abgeordnete Zoglmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bedauern, daß die Deutsche Partei ihren Antrag auf Diskussion des Problems der Errichtung eines Bundeskultusministeriums zurückgezogen hat. Nicht deshalb, weil wir der Meinung wären, daß es bei den augenblicklichen Mehrheitsverhältnissen in diesem Hause etwa möglich wäre, einen solchen Antrag durchzubringen, sondern deshalb, weil ich der Meinung bin, daß sich das Klima in allen Fraktionen dieses Hauses, was die Betrachtung dieser kulturpolitischen Fragen betrifft, sagen wir, in einem stetigen zum Guten neigenden Wandel befindet und daß sich beide Pole gewissermaßen aufeinander zu bewegen. Die Fraktionen, die ursprünglich sehr stark vom Institutionellen her kulturpolitische Probleme lösen zu können glaubten, wie etwa die Fraktion, der ich selbst anzugehören
die Ehre habe, oder die Fraktion der SPD, die eine Lösung in der Richtung auf die Konstituierung eines Bundeskultusministeriums sehen, haben gewisse Wandlungen in der Auffassung durchgemacht. Aber auch die Fraktionen, die diese Vorschläge von vornherein gewissermaßen als eine verfassungsfeindliche Überlegung betrachtet haben, haben ebenfalls gewisse Wandlungen hinter sich; und ich bin durchaus nicht Ihrer Meinung, Frau Kollegin Geisendörfer, daß eine Änderung der derzeitigen Lage in gar keiner Weise gerechtfertigt sei. Denn ich müßte mich da auf Ihren Kollegen Friedensburg berufen, der ja vor nicht allzu langer Zeit, in der letzten Legislaturperiode namens Ihrer Fraktion durchaus gegensätzliche Auffassungen zum Ausdruck gebracht hat.
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Also ich bin der Meinung, daß das Klima und die Atmosphäre eine solche Diskussion in absehbarer Zeit fruchtbar erscheinen ließen, wobei wir uns natürlich keineswegs der Vorstellung hingeben sollten, daß wir die Probleme, die hier zur Lösung anstehen, nur vom Institutionellen her lösen können. Da liegt nämlich nicht das Problem. Das Problem liegt im Sachlichen, und deshalb bedauern wir, daß wir diese Diskussion heute nicht durchführen können. Wir sind nicht der Ansicht, daß alles in Ordnung ist; ich habe den Eindruck, daß auch die Kultusminister der Länder selbst der Meinung sind, daß nicht alles zum besten steht. Denn die Kultusminister haben sich am vergangenen Wochenende hier in dieser Stadt versammelt und haben einen Katalog aufgestellt, der ausweist, welche Probleme sie von vornherein in die gemeinsame Regelung zwischen Bund und Ländern hineinverweisen möchten.
Wenn ich beispielsweise daran denke, daß nach wie vor das Problem des gemeinsamen Schulbeginns, vor allem aber etwa das Problem einer vernünftigen Ferienregelung nicht entsprechend gelöst worden ist, dann begründet das meine Meinung, daß eine Aussage in der Richtung, alles stehe zum besten, nicht gerechtfertigt ist.
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Unter diesem Aspekt bedauern wir, daß die Diskussion heute nicht stattfinden kann. Die Probleme, die damit angerührt sind, würden es erforderlich machen, daß wir uns mit ihnen auseinandersetzen.
Ich bedauere weiter und darf das für meine Fraktion erklären, daß der Ältestenrat nicht mehr Zeit hatte, dieses Problem bei der Aufstellung der Tagesordnung erschöpfend zu diskutieren. Ich bin der Überzeugung, daß man dann vielleicht ein anderes Verfahren gefunden hätte, als es jetzt hier gehandhabt wird. Denn es ist doch nicht sehr zweckmäßig, dieses Haus als eine Art Ersatz für eine Pressekonferenz anzusehen.
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Damit ist die Debatte zur Tagesordnung beendet. Wer dem Antrag der Fraktion der Deutschen Partei auf Absetzung der Punkte 1 a und b der Tagesordnung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei Enthaltungen auf der rechten Seite des Hauses angenommen.
Wir kommen damit zur Tagesordnung. Ich rufe auf die Punkte 1 c bis f:
c) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik ({0}) über den Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Ausbau der technischen Bildungseinrichtungen ({1});
d) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik ({2}) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Ausbau der technischen Bildungseinrichtungen ({3});
e) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik ({4}) über den Antrag der Abgeordneten Erler, Frau Dr. Rehling und Genossen betreffend Förderungsmaßnahmen für europäische Hochschulen ({5});
f) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Gesetzesvorlage über die Gewährung von Berufsausbildungs- und Erziehungsbeihilfen ({6}).
Bezüglich der Buchstaben c, d und e liegt ein schriftlicher Bericht vor, so daß ein mündlicher Bericht nicht erforderlich ist. Die Aussprache über die Buchstaben c, d, e und f wird verbunden. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Maxsein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Präsident hat eine Reihe von Buchstaben aufgerufen. Ich darf ihn darauf hinweisen, daß sich die Diskussion über die Anträge bis auf den Antrag Drucksache 531 hier erübrigt.
Der Beschluß des Ausschusses zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 531, lautet:
Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht,
auf der Grundlage der im Grundgesetz festgelegten Verteilung der Kompetenzen Verhandlungen mit den Ländern darüber aufzunehmen, welche Aufgaben auf dem Gebiet der Kulturpolitik künftighin nur vom Bund, nur von den Ländern oder von Bund und Ländern gemeinsam gefördert werden sollen; insbesondere soll die Beseitigung akuter Notstände, wie
a) der Schulraumnot,
b) des Lehrermangels und
c) des Mangels der Lehrkräfte an wissenschaftlichen Hochschulen
in die Verhandlungen einbezogen werden.
Ich möchte noch einmal auf die von Frau Geisendörfer präzisierte Grundsatzhaltung hinweisen, nach der diese Diskussion im Rahmen der im Grundgesetz festgelegten Kompetenzen erfolgen soll. Der Antrag, den wir Ihnen vorlegen, bietet für die Länder keine Überraschungen. Die Kultusministerkonferenz, deren Vertreter im Ausschuß zugegen war, hat diesen Antrag positiv aufgenommen.
Wir freuen uns über das wachsende Maß des Vertrauens, das wir bemerken können. Und wir möchten alles dazu beitragen, daß das Vertrauen anhält oder noch gefördert wird. Das Mißtrauen ist ein schlechter Ratgeber, und es ist nicht der Boden, auf dem eine fruchtbare Arbeit geleistet werden kann. Ich habe allerdings den Eindruck, wenn ich die heutige Sitzung, die mit einer Kulturdebatte beginnt, optisch beurteile, daß die Kulturpolitik, diese Kernfrage des deutschen Volkes - das erfaßt man in weiten Kreisen leider Gottes immer noch nicht -, unsere Öffentlichkeit vielleicht mehr als ihre Repräsentanten beschäftigt.
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Meine Herren, ich möchte Sie um die Ritterlichkeit bitten, der Frau Rednerin in etwas größerer Ruhe zuzuhören.
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Ich danke dem Herrn Präsidenten für den Hinweis auf die Ritterlichkeit. Im Rahmen der Gleichberechtigung ist dieses Wort eine Seltenheit geworden. Ich mache als Abgeordnete keinen Sonderanspruch geltend, aber ich möchte im Interesse der Sache doch bitten, den kulturpolitischen Problemen etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als es bislang geschehen ist.
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Wenn der Bundestag sich mit den kulturpolitischen Fragen, wie sie in diesem Antrag niedergelegt sind, befaßt, so überschreitet er keineswegs seine Kompetenzen, sondern er erfüllt meines Erachtens eine Pflicht. Es handelt sich nicht um Fragen, die nur einen esoterisch kleinen Kreis betreffen, sondern um eine Frage, die, wie ich schon sagte, die Allgemeinheit angeht, die das Leben unseres Volkes betrifft. Es sind Sorgen, die uns auf den Nägeln brennen. Wir wollen Vorschläge machen, wie diese Sorgen behoben und wie die Probleme einer Lösung zugeführt werden können.
Daß solche Vorschläge gemacht und daß diese Sorgen behoben werden müssen, darüber gibt es keinerlei unterschiedliche Meinung unter den Parteien. Das ist eine erfreuliche Feststellung, die ich treffen kann. Wie diese Vereinbarung zwischen Bund und Ländern zu gestalten ist, soll hier in keiner Weise präjudiziert werden. Wir sind der Meinung, daß die Aufgaben festgestellt werden müssen, daß die Dringlichkeit umrissen werden muß. Auch die sehr schwierige und kritische Finanzfrage wird dabei angeschnitten werden müssen, wie dies bereits bei den Vorrednern angeklungen ist. Über alle diese Fragen werden wir hier nicht diskutieren; sie bleiben den Beratungen zwischen Bund und Ländern vorbehalten. Wir wollen gar nichts präjudizieren.
Wir von der CDU/CSU glaubten aber, den Antrag, der zunächst nur den Kompetenzausgleich zwischen Bund und Ländern anregt, etwas konkretisieren zu sollen. Wir haben deswegen drei Punkte angeführt. Ich nenne, und zwar nicht von ungefähr, an erster Stelle die Behebung der Schulraumnot. Sie besteht zweifellos noch, wenn sie auch nicht überall gleich gravierend ist. Vor allen Dingen wäre es ausgesprochen ungerecht, zu sagen, auf dein Gebiete des Schulbaus sei nichts geschehen.
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Was die Länder und Kommunen hier geleistet haben, läßt sich im übrigen an Zahlen ablesen. Ich gebe einige Vergleichszahlen, die für sich sprechen. Von 1949 bis 1957 hat sich das Steueraufkommen von Bund, Ländern und Gemeinden um 240 °/o erhöht, die Sozialleistungen des Bundes sind um 230 % gestiegen, die Leistungen des Bundes für Wohnungsbau um 340 % und die Leistungen für Schulhausbau um fast 500 %. Das ist viel, sehr viel.
Dennoch bleibt auf diesem Gebiet noch eine Menge zu tun. Vergessen wir nicht die große Zahl der völlig zerstörten Schulhausbauten. Hinzu kommen die restlos veralteten Schulräume, in denen die Aufgaben einer im echten Sinne fortschrittlichen Schule bei dieser rasanten Entwicklung nicht mehr erfüllt werden können. Darüber hinaus sind völlig neue Wohnsiedlungen entstanden, zu denen selbstverständlich auch ein Schulhaus gehört. Es sind Millionen von Vertriebenen und Flüchtlingen zu uns gekommen, die ganz neue Wohngebiete besiedeln und ihre Schulen brauchen. Wir kennen diese Bedürfnisse.
Aber nun komme ich auf einen sehr wesentlichen Schaden, der uns droht, d. h. der als Folge der Schulraumnot schon besteht. Ich erinnere Sie an den Schichtunterricht, der einfach untragbar ist, der einen abnormen Zustand für die Schüler darstellt und auch vom Standpunkt des Lehrers her gesehen unhaltbar ist. Dieser Schichtunterricht muß abgeschafft werden. Damit werden selbstverständlich die Klassenfrequenzen sinken müssen. Es ist unverantwortlich, 50 bis 60 Schüler in einem Raum zusammenzupferchen. Das ist untragbar für Lehrer und Schüler. In einem sehr guten pädagogischen Artikel habe ich ein Beispiel gefunden, das für viele stehen kann. Darin wird angegeben, daß in einer mittleren Großstadt eine Schule, die 1939 500 Schüler beherbergte, 1956 über 800 Schüler hatte bei gleicher Lehrerzahl und gleichem Raum. Das sind untragbare Zustände. Die Überfüllung der Klassen stellt den Erfolg von Erziehung und Unterricht ganz einfach in Frage, denn es kann nicht jeder Schüler erfaßt werden.
Rechte Erziehung und Bildung brauchen Zeit und Stille, in der das Talent wachsen kann. Echte ErFrau Dr. Maxsein
ziehung und Bildung brauchen aber auch den rechten Raum, brauchen, wie die Pädagogen sagen, den würdigen Raum der Bildungsatmosphäre. Es ist durchaus nicht notwendig, aufwendig zu bauen. Wir sind heute allerdings geneigt, all das an Schulhausbauten luxuriös zu nennen, was im Ausland seit Jahr und Tag eine Selbstverständlichkeit ist. Unsere Vorstellungen orientieren sich immer noch an den Zuständen von vor 25 Jahren. Es ist sicherlich richtig, daß in manchen Gemeinden ein Schulhaus entstanden ist, das auch schlichter und weniger aufwendig hätte gebaut werden können. Aber wir sollten nicht vergessen, daß unsere Zeit schnellebig ist und das, was wir heute als modern bezeichnen, morgen schon überholt sein kann.
Hinzu kommt aber - und das halte ich für wesentlich -, daß das Erziehungsziel, nämlich die Kinder und Jugendlichen zu denkenden Menschen und Persönlichkeiten zu erziehen, bei diesen Schulraumverhältnissen illusorisch ist. Was sich tut, ist eher eine Förderung der Masse. Was hier gefördert wird, ist eher das Kollektiv und weniger die Klassengemeinschaft.
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Lassen Sie mich auch noch darauf hinweisen, daß die Einführung des 9. Schuljahres und die notwendig anstehende Schulreform weiteren Schulraum beanspruchen. Mit diesem Problem ist innig verbunden das andere Problem des Lehrermangels. Die Verminderung der Klassenfrequenz wird auch eine erhöhte Zahl von Lehrern von uns fordern.
Ehe ich darauf komme, möchte ich an dieser Stelle eine meines Erachtens notwendige Pflicht erfüllen, nämlich unsere Hochachtung auszusprechen vor den Lehrern, die den inneren und äußeren Aufbau der Schule bis zu dieser Form unter unvergleichlichen Opfern bis heute geleistet haben.
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Ich bin der Meinung, daß das Volk den Lehrern Dank schuldet. Wir brauchen mehr dieser Lehrer in Zukunft. Es ist eine Feststellung, die wir treffen müssen, daß die Jugend, besonders die männliche, fasziniert von dem Fortschritt der Naturwissenschaft, sich mehr und mehr zu technischen Berufen hingezogen fühlt, und es ist unsere Aufgabe, den Lehrerstand, den Lehrerberuf attraktiver zu machen. Das können wir zweifellos, indem wir die Schulhausnot beseitigen, indem wir überhaupt die unterrichtlichen Schulverhältnisse normalisieren. Auch das möchte ich einmal sagen: Es ist ein psychologisches Moment, eine pflegliche Behandlung der Lehrerpersönlichkeit in Verwaltung und Öffentlichkeit zu fordern.
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Wir sollten bedenken, daß das kostbarste Gut unseres Volkes, das es gibt, die Jugend, dem Lehrer anvertraut ist. Ein Volk, das seine Lehrer nicht achtet, mißachtet sich selbst.
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Wie die Schule, so hat auch die Universität ihren Mangel an Lehrkräften. Was dieser Mangel bedeutet für die Wirtschaft, für die Industrie, für die Lösung der Schulfrage und wiederum für die Erziehung und den Unterricht, da ja aus der Universität wiederum die Lehrer hervorgehen, das verleiht unserem Antrag ein ganz besonderes Gewicht.
Aber schließlich und endlich möchte ich an dieser Stelle gerade in Berlin auf einen Punkt hinweisen, auf die geistige Auseinandersetzung zwischen Ost und West, zwischen Totalitarismus und der freiheitlichen Demokratie, wie sie nirgends so deutlich spürbar wird wie gerade an dieser Nahtstelle in Berlin - eine Erkenntnis, die uns auch im schulpolitischen Raum neue Aufgaben stellt, und zwar ganz scharf profilierte Aufgaben, möchte ich sagen. Die geistige Auseinandersetzung, in der wir stehen, wird zweifellos vom Geistigen her gewonnen werden. Es muß mit der äußeren Verteidigung der Freiheit die innere Verteidigung der Freiheit Hand in Hand gehen.
In diesem Zusammenhang erinnere ich Sie - vielleicht haben einige nicht davon erfahren - an ein Manifest, eine Erklärung anläßlich der Gründung eines Kultusministeriums in der Zone, eine Erklärung, die in Ost-Berlin abgegeben wurde, daß man sich dort verantwortlich fühlt für die gesamtdeutsche Kultur und daß man sich als eine gesamtdeutsche Repräsentanz betrachtet. Man verweist dabei auf die uns alle verbindende gemeinsame deutsche Sprache. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was versteht man beispielsweise, wenn wir von der gemeinsamen deutschen Sprache sprechen, drüben unter Freiheit, und was verstehen wir unter Freiheit? Ganz abgesehen von der philosophischen Definition der Freiheit: was machen sie drüben praktisch aus der Freiheit? Sie unterdrücken sie, sie unterdrücken jede menschliche Freiheitsregung, und sie verfolgen jeden, der eine freiheitliche Meinung äußert. Das sind die Konsequenzen, die sich aus dem Freiheitsbegriff drüben ergeben, die gräßlichen Folgen, die wir täglich erleben und die ich im Rahmen einer Kulturdebatte nicht anstehe als eine Kulturschande zu bezeichnen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier erwächst uns eine Aufgabe, die uns klarmacht, daß wir alle Voraussetzungen zu erfüllen haben, die notwendig sind, um den selbständig denkenden Menschen und die freiheitliche Persönlichkeit im westlichen Raum, im deutschen Raum zu erziehen. Wir sollten es auch darauf abstellen - das einigt uns hier in diesem Raum -, daß für uns die Freiheit nicht nur ein Begriff, nicht nur eine Deklaration, ein in der Verfassung festgelegtes Grundrecht ist, sondern eine Wirklichkeit, die in jedem Staatsbürger, in einem jeden von uns lebendig ist.
Ich bitte Sie, diesen Antrag anzunehmen. ({7})
Das Wort hat dei Abgeordnete Lohmar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es trifft sich gut, daß man heute mor2460
gen in einer unserer angesehenen Tageszeitungen einen Artikel lesen kann, dessen ersten Satz ich hier anführen darf. Nehmen Sie es nicht als persönliche Bemerkung, verehrte Frau Kollegin Maxsein, sondern nur als einen Hinweis darauf, daß Ihre Berliner Rede von heute ja eine Bonner Vorgeschichte hat, Paul Sethe schreibt heute in der „Welt" - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich Ihnen den ersten Satz vorlesen -:
Es ist das Vorrecht der Mächtigen, ihren Tad-lern die Argumente einfach zu entwenden, sie selber in aller Unbefangenheit zu gebrauchen und dann noch Beifall zu ernten.
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Wir haben uns in Bonn des öfteren über die Fragen unterhalten, die mit dem Antrag der Fraktion der Christlich-Demokratischen Union angesprochen worden sind. Ich darf vorweg sagen: Auch wir meinen, daß es nützlich ist, wenn wir zu einer Verständigung über die zu lösenden kulturpolitischen Aufgaben kommen, die bis heute unbewältigt geblieben sind. Nun hat der Antrag nicht nur in den Beratungen des Ausschusses, sondern noch mehr in den Kreisen der Länderpolitiker zu einigen Mißdeutungen Anlaß gegeben, die wahrscheinlich auch nur deshalb aufkommen konnten, weil sich bei manchen Vertretern der Mehrheit dieses Hauses eine Neigung zur Monopolisierung von Macht zuweilen deutlich bemerkbar macht. Man hat gemeint, ein Hintergedanke dieses Antrags sei vielleicht der, auf einem Umweg eine Zuständigkeit des Bundes in Fragen ,der Kulturpolitik zu begründen. In den Ausschußberatungen ist dieser Verdacht nicht bestätigt worden. Wir freuen uns darüber. Denn bei der Zuständigkeit in Kulturfragen handelt es sich nicht um eine Frage, über die man Verhandlungen in formaljuristischem Sinne führen könnte. Die Kulturpolitik ist nach dem Grundgesetz eindeutig eine Sache der Länder. Damit entfällt eine Erörterung der Frage, ob und inwieweit der Bund hier eine eigene Zuständigkeit für sich in Anspruch nehmen könnte. Wir haben deshalb in den Beratungen des Ausschusses - ich möchte das auch hier noch einmal herausstellen - von vornherein großes Gewicht darauf gelegt, daß das Gespräch zwischen Bund und Ländern sich nicht auf juristische Probleme konzentriert. Praktisch muß es dabei um die Frage gehen: Wie kann man die noch unbewältigten kulturpolitischen Aufgaben am besten lösen, wie kann man das schnell tun und wie kann man das tun, ohne daß man sich in monatelangen juristischen Beratungen festbeißt, aus denen dann erfahrungsgemäß doch kein Ausweg gefunden werden kann?
Aus diesem Grunde sind wir froh darüber, daß sich der Ausschuß insgesamt darüber verständigt hat, in seinem Vorschlag an das Plenum wenigstens drei der noch ungelösten oder nur teilweise gelösten Aufgaben als vordringlich herauszustellen. Der Ausschuß nennt in seinem Antrag an das Hohe Haus die Schulraumnot, den Lehrermangel und den Mangel an Lehrkräften an wissenschaftlichen Hochschulen.
Ich möchte jetzt nicht wiederholen, was Frau Dr. Maxsein dazu bereits im einzelnen gesagt hat, wie schwierig die Verhältnisse hier liegen. Wir werden uns bemühen müssen, in diesen Fragen weiterzukommen.
Lassen Sie mich noch ein kritisches Wort sagen zu einem Argument, das sicher bei unseren nächsten Haushaltsberatungen vorgebracht werden wird. Man wird mit Recht in diesem Hause darauf hinweisen, daß die finanzielle Entlastung der Länder durch die Übernahme von Kriegsfolgelasten durch den Bund eine Gewißheit erfordert. Die Länder müssen sich bereit erklären und überzeugend belegen, daß sie die in ihren Haushalten dadurch frei werdenden Mittel für die Bewältigung ihrer kulturpolitischen Aufgaben verwenden werden. Die Unterhaltung zwischen Bund und Ländern sollte in einer vertrauensvollen Atmosphäre stattfinden und alle Zweifel zerstreuen, daß eine Entlastung der Länderfinanzen vielleicht doch nicht zu einer vorrangigen Berücksichtigung der kulturpolitischen Aufgaben führen könnte.
Mein Fraktionskollege Schmitt ({1}) hat vorhin bereits darauf aufmerksam gemacht, daß unsere Fraktion keinen Sinn darin sieht, bei einer Fülle von Einzelproblemen ständig den Versuch, und dann meist noch erfolglosen Versuch, zu unternehmen, für bestimmte einzelne Aufgaben einige oder gar viele Millionen aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung zu stellen. Wir sollten vielmehr die Verzahnung zwischen der verfassungsrechtlichen Problematik und den Fragen eines Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern sauber und klar lösen, indem wir dem Bund die Lasten aufbürden, die er nach der Verfassung zu tragen hat - das wären in diesem Falle die Kriegsfolgelasten -, und dadurch die Länder in die Lage versetzen, ihre kulturpolitischen Aufgaben - ich erinnere an die ergänzenden Überlegungen, die ich vorhin dargelegt habe - auch finanziell zu erfüllen. Geschieht das nicht, so kommen wir in die Gefahr, daß der Bund sich in diese Aufgaben hineindrängt und dabei selbstverständlich dann auch mitsprechen und mitbestimmen möchte, ohne daß die Länder in ihre Haushalte die für die Erfüllung dieser Aufgaben notwendigen Mittel einplanen können. Auf diese wenigen Anmerkungen möchte ich mich beschränken.
Lassen Sie mich aber Ihre Aufmerksamkeit noch auf eine Veröffentlichung lenken, die wegen ihres Inhalts und auch wegen ihres Stils unser Interesse verdient, zumal sie offenbar von dem Herrn Bundesinnenminister initiiert worden ist. Sie finden in der letzten Ausgabe der illustrierten Zeitung „Quick" - übrigens mit einem Titelphoto, das man in der guten Stube manches Christdemokraten nicht vermissen möchte ({2})
einen Artikel, in dem der Bundesinnenminister sich zu der ihn bedrückenden Problematik unserer Kulturpolitik unter der Überschrift äußert: Mich drückt die Schulbank.
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Der Herr Minister hat sich, wie die illustrierte Zeitung berichtet, von „Quick" einiges Material zusammentragen lassen. Ich möchte annehmen, daß diese Formulierung kaum mit seiner Billigung in die Zeitung hineingekommen ist. Denn er hat ja hinreichend Gelegenheit gehabt, sich u. a. von der Opposition Material zusammenstellen zu lassen.
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Aber, meine Damen und Herren, für diesen Artikel gilt - und deshalb möchte ich Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken - gerade das, was Paul Sethe mit dem vorhin zitierten Satz zum Ausdruck gebracht hat. Lesen Sie bitte die wenigen Zeilen, die die Meinung des Ministers einleitend zu diesem Artikel darstellen. Sie finden niemand in diesem Hause, der mit größerer Überzeugungskraft, mit mehr Nachdruck, ja mit mehr Wärme zum Ausdruck bringen könnte, wie entscheidend für uns die Bewältigung unserer kulturpolitischen Aufgaben ist, ja, wie gleichrangig diese Aufgabenstellung etwa neben der Verteidigung oder neben anderen wichtigen Aufgabenbereichen steht.
Aber, meine Damen und Herren, Sie haben uns in der Kulturdebatte im April dieses Jahres die Frage gestellt, ob wir denn in unseren Forderungen in diesem Bereich so weit gehen wollten, daß dabei etwa Erfordernisse der Verteidigungspolitik, in der Sicherheitspolitik vernachlässigt würden. Wir haben Ihnen daraufhin gesagt - um ein Mißverständnis aus der Welt zu räumen, das trotzdem noch des öfteren wiederkehrt -: Uns geht es nicht um eine einseitige Verlagerung der Finanzpolitik in diese oder jene Richtung, uns geht es um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den drei wichtigsten Bereichen, dem Verteidigungshaushalt, dem Sozialhaushalt und diesem Kulturhaushalt, wobei wir über die Form sprechen müssen.
Wenn man sich dann vor Augen führt, daß die Mehrheit dieses Hauses - und, nebenbei bemerkt, nicht immer mit den stärksten Argumenten - in den Haushaltsberatungen fast alle Anträge der Opposition auf eine entsprechende Ausweitung der Mittel für diese Zwecke abgelehnt hat und nun liest, wie der Herr Bundesinnenminister in dieser show in der „Quick" zum Ausdruck bringt, wie die Dinge gesehen werden müssen, ohne daß die Mehrheit dieses Hauses bisher bereit gewesen wäre, daraus auch finanzielle Konsequenzen zu ziehen, dann frage ich mich, ob wir nicht gemeinsam von den Beteuerungen, wie notwendig manches zu geschehen habe, wegkommen und in diesen Dingen darauf verzichten sollten, reine Propagandaaktionen zu starten. Ich meine jedenfalls, man sollte das, was der Herr Innenminister im Vorspann zu der Quick-Reportage zum Ausdruck bringt, ernst nehmen. Es handelt sich wirklich um eine Problematik, die in unsere Außenpolitik hineingreift, die auch in die Frage hineinreicht: Wie weit kann Kulturpolitik in diesem westdeutschen Teilstaat in ihrer Gesamtaussage noch etwas darstellen, was in die Richtung eines Entwurfs für eine deutsche Kulturpolitik für das ganze Deutschland weisen kann?
All das, meine Damen und Herren, ist mit der an sich trockenen Problematik der Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern angesprochen. Ich meine, wir sollten versuchen, in den kommenden Monaten, insbesondere bei den Haushaltsberatungen, unser Gespräch über diese Fragen ein wenig zu entdogmatisieren, und wir sollten gemeinsam dazu bereit sein, nicht nur nach außen hin zu beteuern, wie einsichtig dieser Bundestag doch sei, sondern wir sollten gemeinsam bereit sein, dieser nach außen demonstrierten Einsicht auch die entsprechende politische und finanzielle Tat folgen zu lassen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da Herr Kollege Lohmar mich so liebenswürdig angesprochen hat, kann ich der Versuchung nicht widerstehen, darauf doch einiges zu sagen.
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- Sicherlich werden sich „Quick" und die „Quick"-Leser über das, was ich hier sagen werde, freuen. Aber es ist Herr Kollege Lohmar gewesen, der „Quick" in die Debatte eingeführt hat.
Wenn ich ihn richtig verstanden habe, so glaubte er, zwischen der Tendenz der Haltung der Regierung in der großen Debatte vom April und meinen Darlegungen in „Quick" eine Diskrepanz feststellen zu können. Ich möchte dazu folgendes sagen und darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten gleich etwas zitieren. Ich habe damals genau dasselbe gesagt, was jetzt in „Quick" zu lesen ist, jetzt vielleicht etwas in der Ausdrucksweise von „Quick".
Ich habe damals ausgeführt:
Es leuchtet danach ein, daß unser Volk auf dem Gebiet des Bildungswesens große Anstrengungen machen muß. Bildung kostet Geld. Da sie kein Luxus, sondern eine Lebensnotwendigkeit ist, können die Bildungseinrichtungen nicht von dem leben, was an anderer Stelle erübrigt wird. Das Geld, das für sie benötigt wird, muß mit der gleichen Dringlichkeit gefordert und bereitgestellt werden wie die Mittel für andere vordringliche Aufgaben.
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Die notwendigen Beträge müssen ohne Rücksicht darauf verfügbar gemacht werden, daß ein Erfolg mancher Maßnahmen erst nach Jahren sichtbar wird. Die Investitionen in Bildungseinrichtungen entziehen sich einer strengen wirtschaftlichen Bilanzierung, schlagen aber langfristig zu Buche.
Das ist im April meine Meinung gewesen.
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- Herr Kollege Jacobi, das war Mitte April, wenn ich nicht irre, am 18. April,
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Bundesinnenminister Dr. Schröder
also ein für Aprilscherze ja wenig geeigneter Zeitpunkt.
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Meine Damen und Herren! Wir sind in dieser Frage keineswegs auseinander. Allerdings doch wohl in manchen rein rechtlichen Fragen. Es ist z. B. die Frage, ob Art. 120 uns tatsächlich mit den Lasten belegt, wie Sie es gerade vorgetragen haben und annehmen. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß, nachdem eine Regelung nach Art. 107 erfolgt ist, dies zumindest eine Regelung war oder hätte sein sollen, die die Aufgaben von Bund und Ländern in ein ausgewogenes finanzielles Verhältnis zueinander zu bringen versuchte. In diesem Punkt unterscheiden wir uns also. Das mag aber mehr oder weniger eine rechtliche Betrachtung sein.
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- Herr Kollege Dresbach, das trifft ja ganz sicherlich auf dem Schulgebiet zu. Heute morgen wird die Zeit nicht ausreichen, gründlich auszuführen, wie unterschiedlich gerade auf dem Gebiet der Schule die Verhältnisse innerhalb Deutschlands liegen. Es ist ja keineswegs so, daß es sich um einen ganz gleichmäßig in unserm Vaterland verbreiteten Notstand handelt, sondern die Dinge sind doch sehr viel differenzierter, als man manchmal den Eindruck hat.
Ich möchte nur noch einmal sagen, daß die Auffassung, daß auf diesem Gebiet ein Notstand zu beseitigen ist, durchaus allgemein ist. Sie können ganz sicher sein, daß wir bei den Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern, zu denen es jetzt ja kommen wird, immer wieder nach Wegen suchen werden, im Rahmen der relativ bescheidenen Möglichkeiten, die uns gegeben sind, die Länder an dieser und jener Stelle zu entlasten, indem wir gewisse Aufgaben, die sie jetzt wahrnehmen, übernehmen, um ihnen dadurch die Möglichkeit zu geben, ihre Tätigkeit auf dem Gebiete des Schulbaus, um nur davon zu sprechen, zu intensivieren.
Verzeihen Sie diese Zwischenbemerkung. Aber ich wollte, nachdem Herr Kollege Lohmar mich so liebenswürdig apostrophiert hat, sozusagen meine Identität von April und „Quick"-Nummer und heute bekunden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Zoglmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich waren wir uns im Kulturausschuß darüber klargeworden, daß hier keine große Kulturdebatte stattfinden sollte. Sie läuft nun trotzdem. Wenn die Kollegin Maxsein ihr Bedauern darüber ausgesprochen hat, daß sich das Haus an dieser Debatte nicht intensiv genug beteiligt, dann sind, glaube ich, die Kollegen und Kolleginnen des Kulturausschusses - und ich darf mich dabei einschließen - daran wahrscheinlich nicht ganz unschuldig. Ich habe nämlich den Eindruck, daß wir uns hier in der Aussage bestimmter Dinge seit Jahren wiederholen. Ich habe nicht die Absicht, hier aus diesem Faszikel irgendwelche Dinge vorzulesen. Aber ich habe mir die Mühegemacht, alles durchzusehen, was in den vergangenen Jahren zu diesen Problemen ausgesagt worden ist, und genau diese Dinge, die heute hier anklingen, können Sie nachlesen in der Diskussion im Frühjahr dieses Jahres in Bonn, im vorigen Jahr knapp vor dem Auseinandergehen des 2. Bundestages und unmittelbar nach der Konstituierung des 3. Bundestages. Min- destens viermal also sind diese Dinge bereits ausgesagt worden, und das veranlaßt mich eigentlich zu einer boshaften Feststellung - nun muß ich die Frau Kollegin Geisendörfer apostrophieren -: Jetzt scheint es um so weniger in Ordnung zu sein. Wenn man die Dinge alle Jahre wiederholen muß, wenn man sie immer wieder aussagen muß, dann scheint es doch so zu sein, daß sich in der Sache nicht sehr Wesentliches geändert hat.
Der Kollege Lohmar hat das zum Anlaß genommen, Paul Sethe zu zitieren und auszusagen, wie bitter es für die Opposition sei, von Mächtigeren gewissermaßen die Argumente aus der Hand genommen zu bekommen; die Mächtigeren wiederholen dann diese Argumente und machen sie zu den ihren. Und, Kollege Lohmar, das ist eine Erscheinung, mit der sich die weniger Mächtigen abfinden müssen. Das ist offenbar nicht nur im Schulsektor, sondern es ist offenbar ganz allgemein so. Denn wenn Sie bedenken, daß der Präsident dieses Hohen Hauses vor wenigen Tagen - ich glaube, gestern oder vorgestern - in einer Rundfunkrede vom nationalen Notstand gesprochen hat, und wenn ich Sie daran erinnere, wie sehr noch vor wenigen Monaten unsere Parteifreunde, die diesen Ausdruck damals geprägt haben, sozusagen sinnbildlich geprügelt wurden, dann, muß ich sagen, haben Sie einen weiteren Beweis dafür, wie die Dinge liegen.
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Aber ich glaube, wir sollten das nicht zu tragisch nehmen, sondern sollten als Opposition in diesem Hause, die ja, mehrheitsmäßig gesehen, in den nächsten Jahren überhaupt nur wirksam werden kann, wenn sie Argumente verwendet, die die Mehrheitspartei zu überzeugen geeignet sind, sagen: Wir sind schon froh, wenn die Mehrheitspartei sich allgemein langsam unsere Argumente aneignet.
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Sie könnten nun boshafterweise entgegnen, daß die Tagesordnung dieses Hauses in Berlin weitestgehend auch von den schwächeren Gruppen des Hauses inauguriert worden ist, und wir freuen uns, daß die Debatte überhaupt stattfindet. Wir sind der Mehrheitspartei durchaus nicht böse, daß die Dinge so laufen, wie sie mein Kollege Sethe in der „Welt" wiedergibt.
Nun ist hier gesagt worden, das Grundgesetz grenze eindeutig die Kompetenzen ab. Meine Damen und Herren, ich möchte so apodiktische Aussagen wie Herr Kollege Lohmar nicht von mir geZoglmann
ben. Ich könnte mir nicht nur vorstellen, daß der berühmte Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes dem Bund eine bestimmte Mitwirkung in kulturellen Fragen einräumt, sondern man könnte auch einmal sehr boshaft fragen, ob hier nicht Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 gilt, der u. a. vorsieht, daß es Aufgabe des Bundes ist, die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus zu gewährleisten.
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Es ist die Frage, ob wir uns hier nicht bereits im Bereich des Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 bewegen.
Aber, wie gesagt, ich will diese Dinge nicht anrühren, und zwar deshalb nicht, weil, wie ich vorhin bemerkte, die beiden Flügel sich aufeinander zu bewegen. In der Mehrheitspartei, die prononciert die Kulturhoheit der Länder und überhaupt - um einen bayerischen Ausdruck zu gebrauchen - die Eigenbelange der Länder vertreten hat, setzt sich langsam die Meinung durch, daß man die Dinge nicht weiter so handhaben kann, wie es in den letzten Jahren der Fall war. Ich darf noch einmal den Kollegen Friedensburg apostrophieren, dessen Aussage im Bundestag in dieser Richtung doch ganz eindeutig war. Aber der Kollege Friedensburg ist - er weiß es sicher besser als ich - in seiner Fraktion nicht der einzige, der solche Auffassungen vertritt. Auf der anderen Seite sind in der SPD, wie ich mir sagen ließ, und in der FDP, wie ich weiß, ebenfalls bestimmte Auffassungswandlungen vorhanden, und zwar in der Richtung, daß man die Lösung dieser Probleme nicht mehr allein vom Institutionellen, also von der Errichtung eines Bundeskultusministeriums her erwartet. Eine solche Lösung würde uns ja nicht ohne weiteres zum Ziel führen, sondern die Dinge liegen viel tiefer.
Ich habe vorhin bewußt gesagt, in der gegenwärtigen Atmosphäre schienen die Beteiligten aufgeschlossen zu sein. In dieser Atmosphäre sollten wir die Dinge wirklich voranbringen und sollten es am heutigen Tage nicht bei ganz allgemeinen Aussagen bewenden lassen. Wir sollten vielmehr beispielsweise die Frage aufwerfen, welche konkreten Aufgaben sich diesem Haus etwa im Hinblick auf das Ergebnis der Kultusministerkonferenz am vergangenen Wochenende hier in Berlin stellen. Dort wurde ja eindeutig gesagt, daß der Bund in Zukunft die Aufgabe haben soll, den Abschluß von Kulturabkommen und den internationalen Austausch zu besorgen, daß aber darüber hinaus die gemeinsame Zuständigkeit von Bund und Ländern auch die Wissenschaftsförderung, die Beseitigung der Schulraumnot und den verstärkten Bau von Ingenieurschulen umfassen soll. Damit ist doch eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß jetzt die Kultusminister selber bereit sind, auf einen Teil der bisher so sehr gehüteten Zuständigkeiten der Länder zu verzichten und sie jedenfalls in eine gemeinsame Ebene zwischen Bund und Ländern zu verlegen.
Welche Vorstellungen hat nun der Herr Bundesinnenminister in bezug auf die jetzt auf uns zukommenden Aufgaben, die sich aus der Bereitschaft der Kultusminister der Länder ergeben, dem Bund eine bestimmte Mitwirkung beispielsweise bei der Errichtung und Unterhaltung der Ingenieurschulen oder bei der Wissenschaftsförderung einzuräumen? Wie sollen diese Dinge gehandhabt werden? Das von mir genannte Ergebnis der Kultusministerkonferenz, wie es in einer Pressemeldung auf Grund der Aussage eines Kultusministers, der an dieser Sitzung am vergangenen Wochenende teilgenommen hat, dargestellt ist, ist doch wohl nicht so zu verstehen, daß der Bund die Gelder geben, aber keinerlei Möglichkeit haben soll, bei der Verwendung dieser Mittel mitzuwirken. Wäre es so, würden wir eine Pflichtvergessenheit dieses Hauses mit in Kauf nehmen müssen; denn dieses Haus hat die Aufgabe, die Verwendung der Gelder, die es bewilligt, zu kontrollieren.
({3})
Damit sind wir bei einem echten Problem, und dieses echte Problem möchte ich als konkreten Beitrag in unsere Diskussion hineinstellen. Wie gesagt, ich verspreche mir nichts von allgemeinen Aussagen, die nichts weiter sind als Wiederholungen aus diesem Faszikel von Argumentationen und die dazu führen, daß das Haus, das diese Dinge immer wieder hört, ohne daß ein Fortschritt sichtbar wird, diesem Gegenstand nicht die notwendige Aufmerksamkeit entgegenbringt.
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Wird noch weiter das Wort gewünscht? - Das ist offenbar nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 500. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Wir stimmen weiter über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 531 ab. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? -- Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Wir haben nun über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 501 abzustimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung einstimmig angenommen.
Nunmehr haben wir über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 459 zu beschließen. Ich schlage vor, diesen Antrag an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen - federführend - und an den Ausschuß für Arbeit - zur Mitberatung - zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
({0})
- Herr Kollege Erler, es liegt offensichtlich ein
Mißverständnis vor. Da die Aussprache verbunden
worden war, hatte ich angenommen, daß die Be2464
Vizepräsident Dr. Jaeger
gründung bereits gegeben worden sei. Wenn das ein Irrtum ist, kann der Abgeordnete Wienand jetzt noch sprechen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, den Antrag der Fraktion der SPD vom 19. Juni - Drucksache 459 - ganz kurz zu begründen.
Meine Fraktion hat es für notwendig erachtet, die Bundesregierung zu ersuchen - wir bitten um die Zustimmung des Hohen Hauses dazu -, so schnell wie möglich ein Berufsausbildungs- und Erziehungsbeihilfengesetz vorzulegen. Wir glauben, daß das unbedingt erforderlich ist, weil diese Materie zur Zeit durch rund 18 Bundesgesetze und Verordnungen geregelt wird und weil eine Anzahl von Kostenträgern vorhanden ist. Hier müßte eine gewisse Ordnung und Systematik hineingebracht werden. Ein Teil dieser 18 Gesetze und Verordnungen wird in absehbarer Zeit auslaufen. Der Personenkreis, der durch sie erfaßt wird, wird kleiner, denn immer mehr bisher Berechtigte fallen nicht mehr unter die Kriegsfolgenhilfe. Wir haben die große Befürchtung, daß durch die Verkleinerung des Kreises der Geförderten wirkliche Begabungen nicht erfaßt werden. Das können wir uns aber nicht erlauben.
Damit keine Mißverständnisse auftauchen, möchte ich vorweg sagen, daß wir nicht daran denken, hier das Honnefer Modell einzubeziehen. Das Honnefer Modell, das im wesentlichen die Förderung der Studenten vorsieht, möchten wir in diesen Gesetzentwurf, der von der Regierung vorgelegt werden soll, nicht einbezogen wissen. Wir möchten auch nicht, daß der Begriff Kinder und Jugendliche nur Personen bis zum 18. Lebensjahr umfaßt. Die Bundesregierung, die verschiedenen zuständigen freien Verbände und auch wir sind uns in der bisherigen Diskussion darüber klargeworden, daß es durchaus förderungswürdige Berufe gibt, bei denen die Ausbildung nicht mit dem 21. Lebensjahr abgeschlossen ist, sondern sich bis zum 25. und in Einzelfällen -in gewissen Sozialberufen, bei Fürsorgern, Heimerziehern, Jugendleiterinnen, Jugendpflegern usw. - bis zum 30. Lebensjahr erstreckt. Deshalb muß an Stelle des zur Zeit bestehenden Systems der Ausbildungsbeihilfen ein den Erfordernissen und Notwendigkeiten unserer modernen Gesellschaft sich anpassendes Gesetz geschaffen werden, das all das zusammenfaßt, was ich eingangs angedeutet habe. Es kommt uns auf eine gezielte Nachwuchsförderung zur Aufspürung wirklicher Begabung und Talente an. Wir möchten loskommen von der Kategorialförderung, bei der heute die Förderung nur dort ansetzt, wo gewisse Voraussetzungen, die nicht so sehr die Begabung betreffen, für den einzelnen bzw. für seine Familie gegeben sind.
Es kommt uns darauf an, daß die soziale Gerechtigkeit hier verwirklicht wird, daß die Chancen der Jugendlichen, zu einer den jeweiligen Fähigkeiten angemessenen Berufsausbildung zu gelangen, angeglichen werden, daß also jedem die gleichen Voraussetzungen dazu gegeben werden. Wir wollen bewußt auch die Familien erfaßt wissen, die nicht unter eine der bisher schon praktizierten Kategorialförderungen fallen. Wir möchten also, daß jeder, der wirkliche Begabungen mitbringt, entsprechend berücksichtigt und gefördert wird.
Mit besonderem Nachdruck möchte ich sagen, daß bei all diesen nunmehr in Angriff zu nehmenden Regelungen nicht wieder die bisherige Praxis Platz greifen darf. Hier habe ich die Bitte an den Herrn Innenminister und auch an den Herrn Familien- und Jugendminister, daß sie das mit der ihnen vorhin attestierten Wärme - attestiert wenigstens für den einen Minister - auch beherzigen. Wir möchten nicht wieder die Erfahrung machen wie damals, als - wir hatten im zweiten Bundestag einstimmig den Antrag auf Schaffung eines Garantiefonds angenommen - die Sache von der Bürokratie, d. h. den zuständigen Ministerien, die die Ausführungsverordnungen dazu erlassen haben, praktisch ins Gegenteil verkehrt worden ist, indem die Bedürftigkeits- und die Fürsorgegesichtspunkte in den Vordergrund gestellt worden sind. Ich will heute nicht über die Erfahrungen mit dem Garantiefonds sprechen, möchte aber sehr nachdrücklich davor warnen, diese Praxis weiter fortzuführen, weil sie zwangsläufig zu einem Verwaltungsleerlauf führen würde. Man hat - das ist die Klage, die aus einzelnen Ländern in letzter Zeit zu hören war -, bevor man die Feststellungen hinsichtlich Hilfsbedürftigkeit und Fürsorge getroffen hat, lieber, um eine Zweigleisigkeit zu vermeiden, sofort den Kostenträger festgestellt. Bei diesem Verfahren war das, was wir mit dem Garantiefonds erreichen wollten, einfach nicht zu erreichen.
Es kann mit Recht eingewandt werden, daß auch die Eigenleistung der Familien hier entsprechend berücksichtigt werden müßte. Auch wir sind dieser Meinung. Aber wir glauben nicht, daß es möglich ist, die Eigenleistung der Familie nunmehr dort einsetzen zu lassen, wo nach dem, was bisher gilt, die Hilfsbedürftigkeit nach fürsorgerechtlichen Gesichtspunkten aufhört. Es gibt da sehr viele Überlegungen, und es könnten sehr viele Einzelbeispiele dafür angeführt werden, daß auf diese Weise das, was wir erreichen wollen, nicht erreicht werden kann. Wir haben deshalb die dringende Bitte, ein besonderes Augenmerk gerade auf diese unsere Forderung zu richten.
Wir sollten des weiteren Wert darauf legen, daß das, was es nunmehr zu schaffen gilt, sich einordnen und einbauen läßt in die Überlegungen, die in zuständigen Gremien, auch in Ministerien, angestellt worden sind im Hinblick auf die Zusammenfassung des gesamten Jugendrechts. Das, was jetzt geschaffen werden soll, darf nichts verbauen, sondern muß so beschaffen sein, daß es später sinnvoll in das Ganze eingeordnet werden kann. Wir glauben, daß diese Möglichkeit gegeben ist, wenn wir uns auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es dazu sehr sorgfältiger Untersuchungen und sehr sorgfältiger Beratungen in den zuständigen Ausschüssen bedarf.
Lassen Sie mich abschließend, meine Damen und Herren, damit keine Begriffsverwirrungen auftreten, nur noch eines sagen. Wenn wir in unserem Antrag von „Erziehungsbeihilfen" sprechen, so bedeutet das nicht etwa, daß durch dieses Gesetz die Erziehungsbeihilfen der gewerblichen Wirtschaft mit geWienand
regelt werden sollen. Aber wir glauben, daß es nötig ist, nunmehr auch die Vorschriften über Erziehungsbeihilfen der gewerblichen Wirtschaft, die ja weitestgehend noch auf einem Erlaß von Sauckel beruhen, zu überprüfen und die Bestimmungen den heutigen Bedürfnissen anzupassen, damit außer einer Verwaltungsvereinfachung auch eine Entlastung der Verwaltungsgerichte eintreten kann. Die Verwaltungsgerichte prüfen zur Zeit die Rechtmäßigkeit der Sauckel-Verordnung und sind auch mit Zuständigkeitsfragen befaßt. Darüber ist ja in der letzten Zeit wenigstens in Fachkreisen - nicht allzu strittig diskutiert worden.
Ich möchte in wenigen Sätzen noch einmal zusammenfassen, was wir uns in diesem Zusammenhang vorstellen. Wir sollten uns sehr frühzeitig Gedanken darüber machen, wem wir eine Zuständigkeit gehen, wer später darüber entscheiden soll. Ich weiß, daß Diskussionen geführt werden, der eine oder andere oder die Arbeitsverwaltung selbst möchte sie haben. Wir haben hier gewisse Bedenken. Die Entscheidung könnte dann allzu leicht arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten untergeordnet werden. Wir glauben, daß es jetzt an der Zeit ist, dem § 1 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes etwas mehr Inhalt zu geben, ihn etwas mehr unserem wirklichen Leben anzupassen. Wir sollten uns auch sehr gründlich Gedanken darüber machen, ob es nicht sinnvoll wäre, die Einrichtung des Jugendamtes weiter auszubauen, weil das Jugendamt dann auch vom Erzieherischen her alles besser beeinflussen könnte als die Arbeitsverwaltung, die, wie ich vorhin schon sagte, das alles zwangsläufig mehr unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten betrachten müßte.
({0})
Wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schlage die Überweisung an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen - federführend - und an den Ausschuß für Arbeit - mitberatend - vor. Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren! Wie ich soeben sehe, haben wir die Freude der Anwesenheit des Herrn Reichstagspräsidenten Paul Löbe.
({0})
Paul Löbe, den wir als Mitglied des ersten Deutschen Bundestags einen der Unsrigen nennen dürfen, ist durch seine langjährige Tätigkeit als Reichstagspräsident zu einem Symbol der parlamentarischen Demokratie und der Einheit des Vaterlandes geworden. Ich heiße ihn herzlich hier willkommen.
({1})
Ich rufe auf Punkt 2 a und b der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Herstellung und das. Inverkehrbringen von Arzneimitteln ({2}) ({3}) ;
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über
die Herstellung von Arzneimitteln und über den Arzneimittelverkehr ({4}).
Das Wort zur Begründung hat die Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst bei Begründung des Antrags Drucksache 485 eine kurze Bemerkung darüber, warum meine Fraktion dem Hohen Hause einen Gesetzentwurf über das Arzneimittelwesen vorlegt, über eine Materie, die sicherlich nicht einfach ist und an der, wie wir wissen, zweimal, nämlich in den Jahren 1928 und 1933, das Reichsgesundheitsamt gescheitert ist. Nun, wir hoffen, daß wir diesen dritten Anlauf zu einem glücklichen Ende bringen können.
Meine Damen und Herren! In den letzten Jahrzehnten hat sich die Herstellung von Arzneimitteln, die ursprünglich allein der Apotheke vorbehalten war, auf die industrielle Herstellung in einem Umfange verlagert, daß kaum noch 15 bis 20 % der Arzneimittel in der Apotheke hergestellt werden, 80 % dagegen auf industriellem Wege. Für die Herstellung in der Apotheke gibt es strenge und eingehende Vorschriften, für die übrige Herstellung gibt es überhaupt keine gesetzlichen Regelungen. Jeder kann in der Bundesrepublik Arzneimittel industriell herstellen, wenn er will. Hinzu kommen noch die fast nicht mehr überschaubare - auch für einen Fachmann nicht mehr überschaubare - Produktion neuer Arzneispezialitäten und die zunehmende Verwendung stark wirkender Stoffe in Mitteln, die z. B. als Vorbeugungsmittel, Mittel zur Stärkung der Leistungsfähigkeit oder sogar als Kosmetika in den Handel kommen. Ich möchte hier gar nicht auf den beunruhigenden Gebrauch von Schlafmitteln und Beruhigungsmitteln eingehen. Ich glaube, das ist etwas, was man gesetzlich nicht erfassen und nicht regeln kann.
So kommt es dazu, daß ein großer Teil unserer Bevölkerung ganz ungewollt häufig stark wirkende Drogen zu sich nimmt. Das ist ein besorgniserregender Zustand, der von der Fachwelt längst erkannt ist. Die Schäden zeigen sich zum Teil jetzt. Wir werden aber vor allen Dingen auch noch spätere Gesundheitsschäden zu erwarten haben.
Die Bundesregierung hat dieser Entwicklung der Nachkriegszeit bisher tatenlos zugesehen. Sie hat auch nicht die Frist eingehalten, die ihr der Bundestag gesetzt hatte. Danach sollte sie bis zum 30. Juni dieses Jahres einen Gesetzentwurf über das Arzneimittelwesen vorlegen. Vielleicht wird man mir antworten, daß ein solcher Entwurf nunmehr dem Bundesrate zugeleitet worden ist. Aber ich glaube hier behaupten zu können, daß auch das noch nicht erfolgt wäre, wenn die Sozialdemokratische Partei nicht inzwischen einen Gesetzentwurf auf den Tisch des Hauses gelegt hätte.
Die Bundesregierung hat sich, insbesondere in der letzten Wahlperiode, ganz darauf konzentriert, nur das Apothekenwesen in der Bundesrepublik regeln zu wollen. Sie ist von der Sozialdemokratischen Partei schon damals darauf hingewiesen worden,
daß hier nicht die Wurzeln der Gefahren für die Volksgesundheit liegen. Außerdem wurden gegen diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung von allen Seiten dieses Hohen Hauses verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Trotzdem hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf diesem 3. Bundestag unverändert vorgelegt, obwohl damals bereits eine Verfassungsklage gegen ein ähnlich lautendes Gesetz der bayerischen Landesregierung vorlag. Die Verantwortung hierfür trifft in erster Linie das Ministerium, das eigentlich unser Verfassungsministerium ist, und sie trifft die Juristen dieses Hauses.
Inzwischen ist nun ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 11. Juni dieses Jahres ergangen, das die Bedenken, die Ansichten und Vorstellungen der Sozialdemokratischen Partei bestätigt hat. Das Bundesverfassungsgericht spricht in seiner Urteilsbegründung aus, daß man die gesundheitlichen Gefahren nicht erst bei der Apotheke bekämpfen könne, da diese nicht die alleinige, ja wahrscheinlich überhaupt nicht einmal die wesentliche Quelle dieser Gefahren sei. Das Bundesverfassungsgericht bringt auch zum Ausdruck, daß der Gesetzgeber noch längst nicht alle Möglichkeiten für den Schutz der Gesundheit ausgeschöpft habe und daß man die Berufsausübung nicht einschränken könne, solange noch nicht alle anderen gesetzlichen Möglichkeiten erschöpft seien. Es weist dabei insbesondere auf die mangelnde Deklarationspflicht, auf mangelnde Überwachungsvorschriften und ähnliches hin.
Der Ihnen von der Sozialdemokratischen Partei vorgelegte Gesetzentwurf befindet sich in voller Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Er gibt einheitliche Rechtsgrundlagen für alle Betriebe der Arzneimittelherstellung und des Arzneimittelhandels einschließlich der Apotheken. Er läßt der persönlichen Initiative weitestgehend Spielraum, indem er für den Handel und die industrielle Herstellung die Gewerbefreiheit und für die Apotheken die Niederlassungsfreiheit vorsieht.
Der leitende Gesichtspunkt des Gesetzentwurfs ist der Schutz der Gesundheit. Um diesen Schutz zu erreichen, halten wir es für notwendig, daß eine Erlaubnispflicht nicht nur für die Apotheken, sondern auch für die industrielle Herstellung von Arzneimitteln vorgesehen wird. Wir knüpfen eine solche Erlaubnispflicht auch an den Handel mit Arzneimitteln, wobei wir bestimmte Voraussetzungen persönlicher Art hinsichtlich der Sachkunde nur für die Herstellung in der Industrie sowie in der Apotheke vorsehen, beim Handel nur gewisse Mindestanforderungen betrieblicher Art vorschreiben wollen, wo sie notwendig sind, bei den Apotheken und Herstellungsbetrieben natürlich auch betriebliche Voraussetzungen. Eine Bedürfnisprüfung wird in keinem Falle verlangt. Bei Vorliegen der Voraussetzungen muß die Erlaubnis erteilt werden.
Ferner glauben wir, daß es notwendig ist, für die Arzneifertigwaren ein Register beim Bundesgesundheitsamt anzulegen, so daß die Überschaubarkeit und Erfaßbarkeit dieser Mittel sichergestellt wird. Wir wollen hierbei keine behördliche Vorprüfung, weil wir der Meinung sind, daß das der Entwicklung unserer Industrie abträglich sein würde. Wir verlangen vielmehr nur die Vorlage von Versuchsprotokollen, um die Sorgfalt erkennen zu können, die der Hersteller hat walten lassen, wobei die Verantwortung für die Unschädlichkeit und auch für die dem Arzneimittel zugesprochenen Eigenschaften beim Hersteller liegt. Wichtig erscheint uns eine Deklarationspflicht für Arzneifertigwaren, damit vor allem der Arzt genau überblicken kann, was in einem solchen Mittel enthalten ist.
Grundsätzlich soll nach diesem Gesetzentwurf die Apotheke auch weiterhin die Abgabestelle für Arzneimittel sein. Abgrenzungen gegenüber anderen Stellen des Arzneimittelverkaufs sollen durch Rechtsverordnungen erfolgen, da nur diese die Möglichkeit einer schnellen und reibungslosen Anpassung an die Weiterentwicklung ermöglichen. Ich glaube also nicht, daß manche hierzu vorgetragenen Besorgnisse gerechtfertigt sind.
Lediglich in einer Beziehung sieht dieser Gesetzentwurf allerdings eine schärfere Bestimmung vor, nämlich hinsichtlich der Einbeziehung neuer Arzneimittelfertigwaren in die Rezeptpflicht. Wir meinen, daß es aus gesundheitlichen Gründen unbedingt notwendig ist, hier den dem bisherigen Verfahren entgegengesetzen Weg zu gehen. Bisher wird ein Mittel zunächst in den Verkehr gebracht, und erst wenn sich seine Schädlichkeit erwiesen hat, wird es in die Rezeptpflicht einbezogen. Ich brauche nur das Pervitin zu nennen als ein sehr eindrucksvolles Beispiel dafür, welche Gesundheitsschädigungen bei diesem Verfahren eintreten können. Wir meinen also, daß das Bundesgesundheitsamt - es sei denn, daß sofort die völlige Unschädlichkeit eines Mittels erkennbar ist - für eine gewisse Zeit jedes neu in den Verkehr kommende Mittel in die Rezeptpflicht einzubeziehen hat.
Wir haben in diesem Gesetzentwurf auch den Schutz der Bevölkerung vor irreführender Werbung vorgesehen. Wir glauben, daß die Bestimmungen, die sich nur auf den Schutz der Interessen des Konkurrenten beziehen, für den Schutz der Gesundheitnicht genügen.
Last not least haben wir in diesem Gesetzentwurf für die Definition des Arzneimittels eine andere Form als die bisher übliche gewählt. Die alte kaiserliche Verordnung, auf der heute noch die gesamte gesetzliche Regelung des Arzneimittelwesens beruht, spricht von „Linderung und Heilung von Krankheiten". Das genügt für die heutigen Verhältnisse einfach nicht mehr. Ebensowenig ist die Definition der Polizeiverordnung über die Werbung im Heilmittelwesen brauchbar.
({0})
Meine Damen und Herren, ich darf um etwas Ruhe für die Rednerin bitten. Ich habe schon einmal mit Erfolg an die Ritterlichkeit der Herren appelliert. Ich tue es ein zweites Mal.
Wir haben infolgedessen die Definition gewählt: „die Gesundheit zu erhalten, zu fördern oder wiederherzustellen". Meine Damen und Herren, wenn Sie im Ausschuß eine bessere Formulierung vorschlagen, werden wir gern bereit sein, sie anzunehmen. Es kommt uns nicht auf die Formulierung an, sondern darauf, daß alle Erzeugnisse inbegriffen sind, die wegen ihrer Arzneiwirksamkeit in den Handel kommen, also auch vorbeugende Mittel, leistungsstärkende Mittel usw., wie wir überhaupt selbstverständlich nicht jede Formulierung unseres Initiativgesetzentwurfs für tabu halten. Wir hoffen, daß wir im Ausschuß in gemeinsamer Arbeit zu einem gemeinsamen guten Ergebnis kommen, damit wir möglichst schnell dieses für die Volksgesundheit wirklich sehr wichtige Gesetz verabschieden können.
Ich bitte daher das Hohe Haus, den Antrag Drucksache 485 dem Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens zu überweisen, und ich bitte gleichzeitig, den Antrag Drucksache 144 mit der Einbringung dieses Gesetzes für erledigt zu erklären.
({0})
Die Begründung ist erfolgt. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich, glaube ich, ganz kurz fassen und will nur folgendes ausführen.
Die Bundesregierung hat in der Zwischenzeit eine Kabinettsvorlage über ein Arzneimittelgesetz verabschiedet, und diese Vorlage wird am 31. Oktober, wenn meine Informationen richtig sind, im Bundesrat behandelt werden. Es ist schade, daß die beiden Vorlagen nicht gleichzeitig hier behandelt werden konnten. Aber dieses Auseinanderfallen der Erörterung wird wohl keine großen Schwierigkeiten zur Folge haben. Ich nehme an, daß die Regierungsvorlage bis zu dem Zeitpunkt da ist, wo dieser Antrag in dem Ausschuß - angesichts seiner anderen Aufgaben - praktisch zur Erörterung kommen kann.
Vielleicht wird die Frage erhoben wenden, wieso es kommt, daß uns die sozialdemokratische Fraktion in der Gesetzesinitiative zum zweiten Male überrundet hat.
({0})
- Ja, ich möchte das gern ein bißchen begründen. - Meine Damen und Herren! Sie hat uns bei der Vorlage des Lebensmittelgesetzes überrundet und jetzt auch bei der Vorlage des Arzneimittelgesetzes. Das erklärt sich relativ leicht, wenn man das Maß der Schwierigkeiten bei der Einbringung auf beiden Seiten einigermaßen gerecht abwägt. Hier hat es in der Tat die Bundesregierung schwerer als eine Fraktion mit ihrer Initiative. Ich will die Schwierigkeiten, die wir haben, hier nicht in aller Breite darlegen. Sie liegen in der uns mehr oder weniger vorgeschriebenen Art der Vorbereitung. Wir haben einen sehr mühseligen Weg der Vorbereitung mit den Ländern
schon lange vor dem Bundesratsstadium. Wir haben dann einen nicht minder mühseligen Weg der Vorbereitung mit Organisationen und Verbänden usw. Drittens haben wir - das ist manchmal gar nicht das leichteste - auch die Notwendigkeit der Abstimmung unter den einzelnen Ressorts. Bei Themen wie Lebensmittelgesetz und Arzneimittelgesetz sind natürlich Gesichtspunkte sowohl rein wirtschaftlicher Art wie Gesichtspunkte allgemein gesundheitspolitischer Art gegeneinander abzuwägen, und hier muß ein Weg gefunden werden, eine Lösung, die auf der einen Seite die Wirtschaft nicht ungebührlich beschwert, andererseits allen Anforderungen einer vernünftigen Gesundheitspolitik gerecht werden kann.
Wenn man diese Momente zusammennimmt, wird es verständlich - es kommt ja nicht immer vor -, daß wir in dem Tempo der Gesetzesinitiative etwas hinter der Opposition zurück sind. Aber ich glaube, daß wir den Anschluß finden werden.
Die Unterschiede der Regierungsvorlage, die Sie demnächst bekommen werden, gegenüber dem heute behandelten Antrag will ich nicht im einzelnen darlegen. Ich will nur auf einen Einzelpunkt hinweisen. Wir sind der Meinung, daß die Bestimmungen, die in ein Apothekengesetz gehören, nicht in ein Arzneimittelgesetz eingebaut werden sollten, wie es hier geschieht. In der Vorlage der Bundesregierung wird das anders sein als in dem hier vorliegenden Entwurf. Die Bundesregierung bereitet ein eigenes Gesetz über die Regelung bei den Apotheken vor. Ich darf daran erinnern, daß sich der Bundestag in der zweiten Legislaturperiode auf den Standpunkt gestellt hatte, man solle zunächst ein Arzneimittelgesetz verabschieden, um dann den richtigen Umfang eines Apothekengesetzes abwägen zu können. In der Zwischenzeit sind wir auf dem Gebiete des Apothekenrechts dadurch ein Stück weitergekommen, daß wir jetzt zwei höchstrichterliche Entscheidungen haben, die das bis dahin etwas unklare Rechtsbild weitgehend erhellt haben.
Die Bundesregierung steht also auf dem Standpunkt, daß das Arzneimittelgesetz zunächst ohne ein Apothekengesetz verabschiedet werden kann. Rein zeitlich wird es voraussichtlich dazu wohl auch kommen.
Ich darf noch auf eine Bemerkung eingehen, die die Frau Kollegin Dr. Hubert eingangs gemacht hat. Sie hat uns dafür getadelt, daß wir zu Beginn dieser Legislaturperiode das Apothekengesetz unverändert vorgelegt haben, obwohl in der Zwischenzeit gewisse Erschwerungen eingetreten waren und die Klagen bei dem Bundesverfassungsgericht schwebten. Wir haben das damals nicht deshalb getan, weil wir glaubten, daß die Vorlage hier unverändert würde angenommen werden können, sondern nur deshalb, um die Möglichkeit zu geben, daß der Bundestag sich möglichst schnell mit dieser Materie befassen kann.
Ich hoffe, dem Hohen Hause im Laufe des November den Regierungsentwurf vorlegen zu können. Dann wird es hoffentlich nicht mehr sehr lange dauern, bis wir tatsächlich sowohl das Lebensmittel2468
Bundesinnenminister Dr. Schröder
Besetz als auch das Arzneimittelgesetz nicht nur hier behandeln, sondern bis zum Bundesgesetzblatt bringen werden.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dittrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion beabsichtigt nicht, den Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion betreffend das Arzneimittelrecht hier in aller Breite zu erörtern. Sie ist vielmehr der Ansicht, daß wir hierüber eingehender bei der Einbringung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung diskutieren sollten. Damit ersparen wir uns Wiederholungen. Die CDU/CSU-Fraktion hält es nicht für glücklich, daß in unserer Bundesrepublik das Arzneimittelrecht in verschiedenen Gesetzen enthalten ist. Es hat, wie der Herr Minister ausgeführt hat, nicht an Bemühungen gefehlt, eine einheitliche Kodifikation des Arzneimittelrechts zu schaffen. Leider waren die Verhältnisse sehr schwierig. Daran liegt es, daß die bisherigen, schon sehr lange Zeit dauernden Bemühungen nicht zum Erfolg geführt haben. Heute sind nicht nur die bundesrechtlichen Bestimmungen in verschiedenen Gesetzen enthalten, sondern darüber hinaus gelten auch noch landesrechtliche Bestimmungen. Die letzteren Bestimmungen sollten in ein Bundesgesetz aufgenommen werden.
Der Gesetzentwurf der Sozialdemokratischen Partei will die Bestimmungen betreffend die Herstellung von Arzneimitteln, die Abgabe von Arzneimitteln, die Werbung für Arzneimittel und die Regelung des Apothekenwesens sowie des Apothekenbetriebs in einem Gesetz normieren, Dagegen hat die CDU/CSU-Fraktion Bedenken. Wir halten die von der Bundesregierung vorgesehene Lösung für zweckmäßiger.
Gestatten Sie mir, daß ich kurz die Frage der Werbung für Arzneimittel behandle. Die Bestimmungen betreffend die Werbung für Arzneimittel sollten nach unserer Ansicht nicht unter allen Umständen in ein Gesetz aufgenommen werden. Bedenken wir doch, daß die Propaganda sich von Jahr zu Jahr ändert. Es ist nicht zweckmäßig, in ein Arzneimittelgesetz Bestimmungen betreffend eine sich ständig wandelnde Werbung aufzunehmen. Wir laufen dabei Gefahr, daß wir nach einiger Zeit eine Gesetzesänderung vornehmen müssen.
Wir sind der Ansicht - das möchte ich vor allem zu dem Gesetzentwurf der Sozialdemokratischen Partei sagen -, daß das Apothekenrecht und vor allem das Apothekenbetriebsrecht aus diesem Gesetz herausgenommen werden sollten. Angesichts der kontroversen Materie des Arzneimittelrechts, wo die verschiedensten Interessen gegeneinander kämpfen, wird es aller Voraussicht nach eine lange Zeit dauern, bis wir mit den Beratungen fertig sind und dem Plenum einen ausgearbeiteten Entwurf zur Beschlußfassung vorlegen können.
Bis dahin aber dürften wir meines Erachtens die mit dem Apothekengesetz in Zusammenhang stehenden Fragen nicht treiben lassen. Nach dem bekannten Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt es die Niederlassungsfreiheit der Apotheker. Es droht nun ein Auseinanderklaffen der Regelungen in den einzelnen Ländern. Es erscheint uns deshalb vordringlich, vorab das Apothekenrecht zu regeln. Wenn wir uns auf den Boden des Urteils des Bundesverfassungsgerichts stellen, dürfte es keine besonderen Schwierigkeiten mehr bereiten, diese Materie vorab zu regeln.
Der sozialdemokratische Entwurf, der sicher nicht den Anspruch erhebt - das wurde schon ausgeführt , bis ins letzte ausgefeilt zu sein, will von einem anderen als dem bisherigen Arzneimittelbegriff ausgehen. Er will insbesondere von dem in der Rechtsprechung arg zerpflückten Krankheitsbegriff abgehen. Er bringt allerdings eine Definition des Begriffes Arzneimittel, die mir nicht der Weisheit letzter Schluß zu sein scheint. Sie verlangen sicherlich nicht von mir, daß ich in meinen Ausführungen in der ersten Lesung selber schon mit einer fertigen Definition des Arzneimittelbegriffes komme. Nach unserer Ansicht ist die Definition dieses Begriffes, die auf die Erhaltung, Förderung und Wiederherstellung der Gesundheit abstellt, nicht wesentlich besser als die bisherige. Wenn wir sie übernehmen, laufen wir Gefahr, daß uns auch diese Definition in einer ganzen Reihe von Gerichtsurteilen wieder zerpflückt wird.
Als für die CDU/CSU-Fraktion selbstverständlichen Grundsatz darf ich herausstellen, daß wir für die Herstellung von Arzneimitteln eine Erlaubnispflicht im Gesetz vorgesehen wissen wollen. Selbstverständlich treten wir auch für die Pflicht zur Registrierung der Arzneimittel-Spezialitäten ein.
Der von der sozialdemokratischen Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf ist nach meiner Ansicht eine für unsere Beratungen im Ausschuß geeignete Grundlage. Allerdings sollten wir mit den Beratungen im Gesundheitsausschuß erst beginnen, wenn der Entwurf der Bundesregierung vorliegt. Es wird dann unsere Aufgabe sein, unter Verwendung beider Entwürfe zu einer brauchbaren Regelung des Arzneimittelrechts zu kommen, jedoch, wie gesagt, unter Ausschaltung der beiden genannten Materien, d. h. der Werbung und des Apothekenrechts.
Wenn ich in dieser ersten Lesung hier in Berlin, wo ja alles sehr friedlich zugeht, nicht auf Einzelheiten eingehe, so möge mir das nachgesehen werden. Die einzelnen Probleme müssen noch sehr genau durchdacht werden. Man hat ja schon .Jahrzehnte an diesen Problemen gearbeitet, ohne daß es gelungen ist, zu einer einheitlichen Regelung des Arzneimittelrechts in nur einem Gesetz zu kommen.
An einem Grundsatz müssen wir allerdings festhalten: wir sind unter allen Umständen gegen einen Vertrieb von Arzneimitteln durch das Reisegewerbe, fordern also ein Verbot. Die Gesundheit unseres Volkes ist ein zu kostbares Gut, als daß man den Vertrieb von Arzneimitteln durch Hausierer erlauben könnte.
Gestatten Sie mir, noch einen einzigen Punkt des SPD-Entwurfs anzusprechen, der von Bedeutung ist und der in der vergangenen Zeit doch einige Bedenken gerade in den Reihen unserer Landwirtschaft hervorgerufen hat, nämlich die Bestimmung, daß nach § 20 Abs. 4 in Verbindung mit § 35 Abs. 1 des Gesetzentwurfs der sozialdemokratischen Fraktion den Tierärzten nur die Anwendung von Arzneimitteln an den in ihrer Behandlung oder in ihrer Beobachtung befindlichen Tieren sowie die unentgeltliche Aushändigung an den Tierhalter gestattet werden soll. Wir meinen, daß diese Lösung nicht glücklich ist, daß es nicht im Interesse unserer Landwirtschaft liegen kann, eine so kasuistische Regelung zu treffen. Wir sind hier vielmehr der Ansicht, daß das Dispensierrecht der Tierärzte für die von ihnen behandelten Tiere festgelegt werden sollte, um gerade den Tierhaltern, zu denen ja insonderheit unsere Landwirte gehören, eine rasche und wirksame Hilfe und Einwirkung mit Arzneimitteln zu gewährleisten.
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Entschuldigen Sie bitte, daß ich diese einzelnen Bestimmungen angesprochen habe, was in der ersten Lesung nicht Übung ist. Aber ich hielt das doch für erforderlich, um zu zeigen, daß wir bei den Beratungen gerade an diesen Punkt denken werden. Die Landwirtschaft kann also in diesem Punkte beruhigt sein.
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- Wenn das kein Streitpunkt ist, darf ich es hier mit aller Deutlichkeit feststellen, Herr Lange. Dann können wir über diesen Punkt zur Tagesordnung übergehen.
Alles in allem wollen wir nach jahrelangen Bemühungen um ein einheitliches Arzneimittelrecht besorgt sein, daß wir ein gutes Gesetz schaffen. Ein solches Gesetz berührt selbstverständlich auch merkantile Fragen. Diese sollten aber in den Hintergrund treten, wenn es darum geht, der Gesundheit unseres Volkes zu dienen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stammberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Geschichte der seit 50 Jahren laufenden Versuche kennt, zu einem brauchbaren Arzneimittelgesetz zu kommen, und wer alle die erfolgreichen Bemühungen kennt, eine solche Gesetzgebung zu verhindern, der kann angesichts dieser Vorgänge nur von einer Tragikomödie, vielleicht sogar nur von einer Tragödie sprechen.
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Wenn wir die Hoffnung des Herrn Bundesinnenministers teilen wollen, in diesem Bundestag zum mindesten teilweise diesem Trauerspiel ein Ende zu machen, dann sollten wir das in weiser Selbstbeschränkung tun,
Aus diesem Grunde bin ich gleich dem Herrn Kollegen Dr. Dittrich der Auffassung, daß man aus dem Gesetz zunächst einmal das Apothekenrecht und die Frage der Heilmittelwerbung herauslassen sollte, wenn auch teilweise aus anderen Gründen als Herr Kollege Dr. Dittrich. Das Apothekenrecht ist praktisch die Berufsordnung für einen Berufsstand, den in der öffentlichen Gesundheitspflege eine besonders große Verantwortung trifft. Wir sind der Auffassung, daß man diese Berufsordnung nicht in ein Gesetz hineinbauen sollte, das in erster Linie der gesetzlichen Regelung für die Herstellung und den Vertrieb der Ware dient, zumal da diese Ware auch in Zukunft in mehr oder weniger großem Umfang außerhalb der Apotheken wird verkauft werden können.
Ein weiteres Problem ist das der Werbung. Trotz allem Perfektionismus ist der Entwurf der SPD in diesem Fall nicht perfektionistisch genug. Sie wollen durch Ihren Entwurf praktisch die umstrittene Werbepolizeiverordnung aus dem Jahre 1941 ersetzen. Aber in Ihrem Entwurf sprechen Sie lediglich von der Werbung für Heil- und Arzneimittel. Die Werbepolizeiverordnung ist jedoch aus guten Gründen umfangreicher. Sie regelt nämlich gleichzeitig noch die Werbung für die Behandlung und für die Verfahren. Ich bin der Meinung, das müssen auch wir tun. Wir sollten zu der ganzen Problematik der Werbepolizeiverordnung nicht noch eine weitere hinzufügen, indem wir, wenn wir Ihrem Entwurf folgten, die Dinge auseinanderreißen.
Darüber hinaus bin ich der Meinung, daß wir noch etwas über die Werbepolizeiverordnung hinausgehen müssen. Wir müssen nämlich gleichzeitig noch die sogenannten diätetischen Lebensmittel erfassen, denen arzneiliche Wirkungen zugeschrieben werden. Das ist ja der' neueste Trick der Gesundheitsmalocher. Ich könnte Ihnen hierzu umfangreiches Material in Form von Zeitungsanzeigen, insbesondere von Anzeigen aus den Illustrierten, vorlegen. Ich freue mich, daß wir in dieser Frage einig gehen.
Wir sollten uns also auf die Herstellung und den Vertrieb beschränken. Ich bin gleich den beiden Vorrednern der Meinung, daß wir die Herstellung erlaubnispflichtig machen müssen, daß das gleiche auch für den Handel gelten muß, daß wir gewisse in der Art und Weise verschiedene Voraussetzungen persönlich-fachlicher und technisch-sachlicher Art bei derartigen Betrieben vorschreiben müssen. Über die Einzelheiten werden wir uns im Ausschuß noch unterhalten müssen. Das gilt insbesondere auch für die Anmeldung und die Registrierung von Arzneimitteln und für die Kennzeichnung zumindest der arzneilich wirksamen Stoffe.
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Ich möchte noch ein offenes Wort über das heißeste aller heißen Eisen sagen, die in diesem Entwurf verborgen liegen und die bereits in der Öffentlichkeit in den letzten Wochen zu einer Feldschlacht geführt haben. Aus diesem Grunde haben wohl auch meine Herren Vorredner nichts dazu gesagt. Ich meine die Frage der Freiverkäuflichkeit. Das
Bundesverfassungsgericht hat in seinem bekannten Apothekenurteil vom Juni dieses Jahres von einem natürlichen Arzneimittelmonopol der Apotheke gesprochen. Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, daß die Apotheke auch in Zukunft das Kernstück der Arzneimittelversorgung unserer Bevölkerung sein muß.
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Wenn wir den Charakter der Apotheke aufrechterhalten wollen, bedeutet das für die Apotheke eine Aufbürdung von Pflichten, die sie eben nicht nur ein einfaches kaufmännisches Einzelhandelsgeschäft sein lassen,
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weil eine Kalkulation im kaufmännischen Sinne in der Apotheke nicht mehr möglich ist und im Interesse der Arzneimittelversorgung auch nicht möglich sein darf. Dazu gehören besondere Anforderungen an das Personal und an die Räume sowie die Beschränkung der Werbung. Dazu gehört der Umstand, daß die Apotkehen von Gesetzes wegen viele Arzneimittel führen müssen, die leicht verderblich und schlecht verkäuflich sind, so daß insofern ein Risiko besteht. Ferner sind die Preise durch die Arzneimitteltaxe gebunden. All das sind Momente, die ich nicht kritisieren will, sondern die gut und recht sind und die wir auch in Zukunft aufrechterhalten müssen.
Aber Pflichten setzen auch gewisse Rechte voraus, weil Pflichten und Rechte immer miteinander korrespondieren. Ich bin kein Apotheker; ich erwähne das, um nicht mißverstanden zu werden. Wenn wir die Apotheke als das Kernstück der Arzneimittelversorgung aufrechterhalten wollen, wenn wir wollen, daß sie auch in Zukunft die Funktion der Beratung des Kranken ausübt, der vielleicht ohne ärztliches Rezept, ohne ärztliche Behandlung kommt, wenn wir auch in Zukunft dafür sorgen wollen, daß die Arzneimittelabgabestellen möglichst beschränkt werden und nicht jeder Kolonialwarenladen mit diesen Dingen handeln kann, dann muß man auch an die wirtschaftliche Sicherung der Apotheke denken. Es ist bezeichnend, daß bei der Freiverkäuflichkeit immer nur von den Dingen gesprochen wird, die das große Geschäft ausmachen, die die sogenannten Stapelartikel sind, während man die anderen Dinge gerne in der Apotheke belassen will. Ich bin trotzdem - und daher sage ich das - nicht der Meinung, daß das natürliche Arzneimittelmonopol mit dem totalen Arzneimittelmonopol gleichzusetzen ist. Zu diesem Eindruck kommt man, wenn man den SPD-Entwurf liest. Ich glaube aber, wir werden uns auch hier sehr schnell einigen können. Ich bin durchaus der Meinung, daß man von dem Status quo ausgehen sollte, wie er durch die Kaiserliche Verordnung von 1901 gegeben ist, auch wenn sie überholt und unbefriedigend ist. Frau Kollegin Hubert, da gebe ich Ihnen völlig recht. Aber man sollte sich gute und schlechte Erfahrungen zunutze machen, um zu einer Lösung zu kommen, die vor allen Dingen auch juristisch so befriedigend ist, daß Prozesse wie der Spalttabletten-Prozeß und ähnliche Verfahren in Zukunft vermieden werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf ein Problem hinweisen, das Herr Kollege Dittrich mit Recht bereits angeschnitten hat, das Dispensierrecht der Tierärzte, und weiter in diesem Zusammenhang auf die sogenannten Dentaldepots der Zahnärzte. Ich freue mich, daß aus einer Bemerkung des Kollegen Lange zu entnehmen ist, daß die SDP hier unserer Meinung ist. Leider ergibt sich das nicht aus dem Entwurf. Beides sind Dinge, die gesundheitspolitisch völlig unbedenklich sind und die wir auch in Zukunft ruhig beibehalten wollen.
Ich möchte zum Schluß noch eines deutlich sagen. Es ist selbstverständlich, daß ebenso wie beim Lebensmittelgesetz auch beim Arzneimittelgesetz gesundheitliche Erwägungen vor wirtschaftlichen Erwägungen stehen sollten. Ich bin aber der Meinung, man sollte von Volksgesundheit nur reden, wenn man auch wirklich Volksgesundheit meint,
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und man sollte nur von wirtschaftlichen Belangen und vom Geschäft reden, wenn man die wirtschaftlichen Belange und das Geschäft meint. So ehrlich und so offen zu sein, das ist für die Lösung der Probleme besser, als wenn man beides miteinander vermischt und dadurch die Problemstellung etwas verwirrt.
An diesem Gesetz sind sehr viele Gruppen interessiert, die teilweise einander sehr widerstrebende Tendenzen verfolgen. Wer in der letzten Zeit die Fachzeitschriften gelesen hat, den könnte ein leises Grausen ankommen. Man sollte doch etwas mehr Respekt vor der Meinungsbildung innerhalb des Parlaments haben.
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Die Tatsache, daß einmal ein Apotheker Katzenhaare in Pillen gedreht hat, ist ebensowenig ein Argument für die Ausweitung der Freiverkäuflichkeit, wie die Tatsache, daß man einmal bei einem Drogisten Mäusedreck im Lindenblütentee gefunden hat, ein Argument für die möglichste Einschränkung der Freiverkäuflichkeit ist. Mit diesen Argumenten und mit diesen Mätzchen möge man uns in Zukunft verschonen!
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Auch wir sind der Meinung, daß wir mit den Beratungen erst beginnen sollten, wenn der Regierungsentwurf vorliegt. Ich glaube, daß das in absehbarer Zeit der Fall sein wird, nachdem sich der Bundesrat bereits mit der Vorlage der Regierung befaßt. Wir werden bei diesen Beratungen ein gutes Ergebnis erzielen, wenn alle beteiligten Kreise innerhalb und außerhalb des Parlaments vertrauensvoll, aufrichtig und vor allen Dingen unvoreingenommen zusammenarbeiten.
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Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Beratung.
Es liegt ein Antrag vor auf Überweisung der Vorlage an den Ausschuß für Gesundheitswesen Präsident D. Dr. Gerstenmaier
federführend - und an den Wirtschaftsausschuß -mitberatend -. Ich frage das Haus, ob es mit der Überweisung einverstanden ist. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 2 b kann ich im Einvernehmen mit den Antragstellern für erledigt erklären.
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Damit, meine Damen und Herren, sind wir nicht nur am Schluß der heutigen Tagesordnung, sondern auch am Schluß dieser Berliner Tagung.
Erlauben Sie mir, zum Schluß dieser Tagung noch einmal den Dank des Hauses an die Technische Universität für die ausgezeichnete Aufnahme auszusprechen. Sie sehen, es hat geklappt, auch wenn die Sitze hier etwas schmaler und härter als unsere Sitze in Bonn sind.
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Aber dafür bietet diese Stadt andere Möglichkeiten, von denen wir uns wieder überzeugt haben und die uns nicht nur in dieser oder jener Hinsicht verlockend erscheinen, sondern die uns in diesen Tagen erneut an das Herz gerührt haben.
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Es gehört zum Ernst der Lage, in der wir uns befinden, daß wir in diesen Tagen im freien Teil Berlins nicht nur die freundlichen Stimmen dieses Vororts der Freiheit vernommen haben, sondern daß uns auch das Gegröl von der anderen Seite, von den Unterdrückern aus Pankow zu Ohren gekommen ist. In diesem sinnlosen Geschrei drückt sich das schlechte Gewissen von Menschen aus, die Unrecht an 17 Millionen Menschen tun und die damit nicht nur ein Unrecht an Deutschen tun, sondern die dem Frieden der Welt Abbruch tun, ja die eine Gefahr für den Frieden der Welt geworden sind.
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Ich kann mir vorstellen - und wir haben es ja gehört -, ,daß vielleicht nicht alle Hoffnungen, Wünsche und Vorstellungen, die mit dieser Sitzung des Deutschen Bundestages verbunden wurden, in diesen 'wenigen Tagen in Erfüllung gegangen sind. Aber auch darin kommt der grimmige Ernst der Kernfrage unserer nationalen Existenz zum Ausdruck, mit deren Beratung wir hier in Berlin begonnen haben und die unsere Beratungen in Berlin unablässig 'begleitet hat, auch wenn wir über andere Gegenstände sprachen. Die Deutschlandfrage ist so sehr in die weltpolitischen Gegensätze unserer Zeit hineingeflochten, daß wir Deutschen und vor allem wir, die wir ein Mandat unseres Volkes tragen, uns nicht einfallen lassen dürfen, die Wiedervereinigung Deutschlands mit einigen redlich gemeinten Veranstaltungen herbeizwingen zu können. Wir haben nichts anderes im Sinn - das haben wir 'hundertmal gesagt, und warum sollen wir 'es in diesem Augenblick nicht auch sagen -, als diese Frage auf dem Wege der Freiheit und des Friedens und auf keinem anderen Weg gelöst zu sehen.
Solange wir dazu stehen, müssen wir uns aber auch sagen, daß wir so, wie die Dinge heute in der
Welt liegen, die Wiedervereinigung Deutschlands nicht einfach aus eigener Kraft herbeizwingen können. Das müssen auch diejenigen einsehen, die vielleicht mit etwas zu hoch gespannten Erwartungen an eine so redlich gemeinte und so entschlossen gemeinsam getragene Veranstaltung herangegangen sind wie die, die wir jetzt zum Abschluß bringen.
Aber etwas anderes können und müssen wir Deutsche tun. Was man auch sagen mag: es gibt von Kapstadt bis Island und von Tokio bis Mexiko City ein Bewußtsein in der Welt, daß diese Spaltung Deutschlands, die uns gegen unseren Willen aufgezwungen ist, ein Unrecht vor Gott und den Menschen ist. Es ist unsere Pflicht und unsere Aufgabe, an der Vertiefung dieses Bewußtseins zu arbeiten. Hier können wir nicht in erster Linie auf die anderen verweisen und sagen, das sei Sache der Amerikaner oder anderer Verbündeten. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, daß in der Welt das Bewußtsein vertieft wird, daß es ein Unrecht vor Gott und den Menschen ist, daß Deutschland gespalten ist, daß Deutschland die Einheit verwehrt wird.
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Ich bin davon überzeugt, daß dieses Bewußtsein ringsum in der Welt, je tiefer und je lebendiger es ist, eine Voraussetzung für die Einigung, jedenfalls eine Stärkung der Chance der Wiedervereinigung Deutschlands ist. Deshalb ist es an uns, dafür zu sorgen, daß dieses Bewußtsein wachbleibt, ja daß es vertieft wird. Da ist zweifellos eine der großen Aufgaben, die uns im Blick auch auf die weltpolitische Situation und im Blick auf die ungelöste Aufgabe der Bewältigung unserer nationalen Not Nr. 1, nämlich der Spaltung, gestellt sind.
Aber es kommt noch etwas anderes dazu. Das ist die Bitte, die der Präsident nicht nur für seine eigene Person, sondern namens des Hauses noch einmal vorträgt. Es kommt hinzu, daß es uns doch gegeben sein möge, auch nach der Rückkehr von Berlin nach Bonn das weiter zu versuchen', was in diesen Tagen hier geübt und getan worden ist, nämlich über alle bestehenden parteipolitischen und fraktionellen Gegensätze hinaus und über die Verschiedenheit der Meinungen in Grundsatzfragen wie in der politischen Taktik - sie können weiterhin bestehen - hinweg eine Gemeinsamkeit auch in der praktischen Methodik unserer Wiedervereinigungspolitik herauszuarbeiten. Wir sollten zäh an dem Willen dazu festhalten, und wir sollten es uns nicht verdrießen lassen, über den in einer freiheitlichen Demokratie nun einmal vorhandenen, vielleicht sogar notwendigen Machtkampf hinweg die dringend nötige Gemeinsamkeit auch in der politischen Methode der Vereinigungspolitik weiter zu fördern. Wir sollten uns das auch nicht verdrießen lassen, wenn sich dabei Schwierigkeiten zeigen. Daß uns dafür hier in Berlin der Wille neu gestärkt worden sei und daß dieser Wille weiter tragen möge, das sind ein Wunsch und eine Bitte, mit denen wir diese Sitzung abschließen können.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Ich möchte zum Schluß noch unseren eigenen Mitarbeitern und den Beamten, Angestellten und Arbeitern der Technischen Universität, vor allem aber auch der Berliner Polizei, die wieder ausgezeichnet gearbeitet hat, den Dank des Deutschen Bundestages aussprechen.
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Damit sind wir am Schluß der Berliner Tagung. Ich berufe die nächste Sitzung ein nach Bonn, Bundeshaus, auf Mittwoch, den 15. Oktober, 14 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.