Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige Mitteilungen zu machen:
1. Die Fragestunde ist auf Grund einer Vereinbarung im Altestenrat auf Freitag, den 17. Oktober, verschoben worden. Die Sperrfrist für die Einreichung der Fragen ist Freitag, der 10. Oktober 1958, 12 Uhr.
2. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat werden die von dem Herrn Bundesminister der Finanzen auf Grund des § 33 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung übersandten Übersichten über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben dem Haushaltsausschuß überwiesen. Inzwischen ist die Ubersicht über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im vierten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1957 - Drucksache 532 - eingegangen. Ich unterstelle, daß das Haus mit der Überweisung dieser Vorlage an den Haushaltsausschuß einverstanden ist. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.
3. Bei der dritten Beratung des Haushaltsgesetzes 1958 ist verabsäumt worden, über einen Entschließungsantrag abzustimmen, den der Haushaltsausschuß zur zweiten Beratung mit seinem Mündlichen Bericht zum Einzelplan 07, Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz - Drucksache 354 -, unter Nr. 2 des Ausschußantrags vorgelegt hatte. Der Entschließungsantrag hat folgenden Wortlaut:
Die Bundesregierung wird ersucht, in Verhandlungen mit den Vertragspartnern sich um die Auflösung des Obersten Rückerstattungsgerichts in Herford und die Überleitung seiner Zuständigkeiten auf die deutsche Gerichtsbarkeit zu bemühen.
Ich schlage vor, daß wir die Abstimmung über diesen Entschließungsantrag des Haushaltsausschusses jetzt nachholen. Sind Sie damit einverstanden?
({0}) - Das ist der Fall.
Wer für den Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe nun Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Erfüllung des EWG-Vertrages ({1}).
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im 'Sommer vorigen Jahres hat das Hohe Haus die römischen Verträge über eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und eine Europäische Atomgemeinschaft ratifiziert. Die Verträge sind am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten, und sie sind seitdem Rechtens. Wir haben uns in den Ratifizierungsdebatten gegenseitig stets versichert, welche epochale Bedeutung diesen Verträgen zukommt und wie sehr wichtig es ist, die Entwicklung zu verfolgen, wie man aufpassen muß, daß gleich zu Anfang die Dinge richtig laufen. Und so waren wir doch etwas erstaunt, als plötzlich alles aufhörte. Nichts mehr; Schweigen im Walde! Natürlich nicht Schweigen im Blätterwalde. Aus den Zeitungen erfuhren die Abgeordneten dieses Hauses, daß Verhandlungen im Gange seien; in allen besseren Städten Europas haben irgendwelche Sitzungen stattgefunden. Es ist nicht immer leicht, auseinanderzuhalten, wer das jeweils ist. Da ist eine europäische Kommission und da ist noch irgendeine europäische Kommission. Wir hörten, daß ein Ausschuß der OEEC einberufen sei, um das Problem der Freihandelszone zu erörtern, daß dieser Ausschuß plötzlich auf Monate seine Arbeit unterbrechen mußte, ohne daß man recht erfuhr, was eigentlich dahintersteckte.
Die Unterrichtung der Abgeordneten, die doch damals an diesem Vertragswerk lebhaften Anteil genommen hatten, durch die Bundesregierung blieb aus, und das, obwohl sich die Bundesregierung in dem Zustimmungsgesetz verpflichtet hatte, den Bundestag und den Bundesrat über die Entwicklungen im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und im Rat der Europäischen Atomgemeinschaft laufend zu unterrichten. Dazu ist sie also gesetzlich verpflichtet, meine Damen und Herren. Man sollte ja meinen, daß sie außer dieser gesetzlichen Verpflichtung auch ein spezielles Interesse daran hätte, die Abgeordneten über ihre Auffassungen und Schritte zu informieren. Wir sehen es in der Praxis doch jeden Tag, z. B. in unserer Bundesrepublik, wie die Ländervertretungen die Abgeordneten ihres Landes über die speziellen Wünsche ihres Landes ständig unterrichtet halten, sie mit Material versorgen,
ihnen ihre Auffassungen nahebringen. Von der Bundesregierung aber ist da so gut wie gar nichts unternommen worden, wenn ich davon absehe, daß die deutschen Abgeordneten des europäischen Parlaments einmal in Straßburg vom Auswärtigen Amt eingeladen wurden. Ich hatte irrtümlicherweise daraus geschlossen, daß wir damit veranlaßt werden sollten, für Straßburg zu stimmen. Es stellte sich nachher heraus, daß das gar nicht gemeint war.
({0})
Ich wollte damit nur sagen: es müßte doch ein Interesse der Bundesregierung vorliegen, die Abgeordneten, die vom Bundestag in das europäische Parlament entsandt sind, nun über ihre Auffassung zu den Dingen laufend ins Bild zu setzen.
Aber unsere Frage geht dahin: Wie will die Bundesregierung ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen, dieses Haus, den Bundestag, laufend über die Entwicklung zu unterrichten?
Nun kann sich die Bundesregierung natürlich auf den Standpunkt stellen, es sei überhaupt noch nichts geschehen. Aber das würde ich doch bedauern. Das wäre eine Art Rollentausch. Ich würde mich dann gezwungen sehen, der Regierung zu sagen, daß eben doch einiges geschehen ist. Es laufen ja eine ganze Reihe von Fristen. Mehr oder weniger wichtige Dinge sind während des ersten Jahres zu regeln. Wir haben in Artikel 3 a eine Frist; vor Ablauf des ersten Jahres müßten die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltung bei der Erhebung der Zölle geregelt werden. Immerhin eine recht bedeutsame Sache! Ich weiß nicht, ob das bereits geschehen ist. Ich weiß nicht, ob die Bundesregierung dazu schon irgend etwas beigetragen hat. Wir haben weiter die Fristen für den Aufbau der Außenzölle. Hier haben wir zwar noch etwas Zeit bis zum Ablauf der ersten Periode. Aber es ist für unsere Wirtschaft doch ungemein wichtig, so rechtzeitig wie möglich darüber unterrichtet zu sein, was da beabsichtigt ist. Wir haben weiter die Fristen, die zum Ablauf der ersten Stufe wichtig sind hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit im Dienstleistungsverkehr. Fristmäßig ist noch nichts versäumt, aber wir sollten wissen, wie sich die Bundesregierung zu diesen Dingen einstellt.
Ich will nun nicht alle Fristen aufzählen, die im Vertrag enthalten sind; was sich in diesen Fristen, die mit dem ersten Jahr der Laufzeit des Vertrags, die ja am 1. Januar d. J. begonnen hat, ablaufen, entwickelt hat.
In einem Punkt aber hat uns doch eine erhebliche Besorgnis über die Erfüllung der Verträge ergriffen. Es ist noch nicht gelungen, den Sitz einer europäischen Hauptstadt zu bestimmen, und die Folge ist eine Verzögerung des Aufbaues, die man damit zu verantworten hat. Wir müssen zu unserem großen Bedauern zum ersten Male feststellen, daß doch einer der Partner die römischen Verträge offensichtlich ganz anders auslegt, als wir es tun, daß hier einer dabei ist, der die sehr schönen und löblichen Ziele der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - daß sie den Welthandel fördern, daß sie zum Abbau der Handelshindernisse erst innerhalb von Europa und dann in der ganzen Welt beitragen soll - durch sein Verhalten ständig aushöhlt.
Nun, meine Damen und Herren, ich darf also zur Großen Anfrage zurückkommen. Ich würde von der Regierung sehr gern hören, warum wir bisher so ganz im unklaren gelassen worden sind über die Entwicklungen und über die Absichten der Regierung, und ich erwarte von ihr Vorschläge, wie dieser Mißstand in nächster Zukunft abgestellt werden kann. Der Bundestag hat ein gesetzliches Recht darauf, und wir müssen darauf bestehen, daß die Bundesregierung ihrer Verpflichtung nachkommt. Das ist schon deshalb besonders wichtig, weil ein bißchen unklar geworden ist, w e r nun eigentlich die Verhandlungen zum Zwecke der Ausdehnung der Wirtschaftsgemeinschaft führt, die jetzt im Gange sind. Die Europäische Kommission ist der Ansicht, man könne aus den Vertragsklauseln herauslesen, sie, die Europäische Kommission, habe im Namen der sechs Beteiligten zu verhandeln, während die Bundesregierung - wir werden es ja hören -, soweit ich unterrichtet bin, da etwas anderer Auffassung ist und eine Mittlerrolle übernehmen, sich also stärker einschalten will, als es nach der Meinung der Europäischen Kommission möglich ist. Die Rechtslage kann ich nicht so genau beurteilen, ich bin ja kein Jurist. Die Bundesregierung beruft sich dabei, glaube ich, darauf, daß die Verhandlungen über eine Erweiterung des Raums einer Wirtschaftsgemeinschaft bereits vor Inkrafttreten des Vertrags im Gang gewesen sind. Ich würde sehr gern die Auffassung der Bundesregierung dazu hören, um zu prüfen, ob wir gleicher Meinung sein können.
Meine Damen und Herren! Die zweite Frage, die wir gestellt haben, geht ja nun darum: Wir haben seinerzeit bei den Erörterungen über die römischen Verträge verschiedene Standpunkte eingenommen. Aber das Ziel, das wir erreichen wollten, war für die Bundesregierung und für alle Fraktionen des Hauses das gleiche: Wir wollten zu einer größeren Wirtschaftsgemeinschaft kommen. Sie, die Mehrheit dieses Hauses, sahen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als einen notwendigen Schritt dazu an, während wir, die Freien Demokraten, aus der Sorge über die kommende Entwicklung eher glaubten,. die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft könne ein Hindernis auf dem Wege zum europäischen Freihandel werden. Im Grunde aber waren wir alle der Meinung, daß nicht die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft der sechs Staaten das Ziel sein sollte, sondern vielmehr der größere Raum des Westeuropa. Wir wollten in diesem Raum den Abbau der Handelshemmnisse und eine gewisse Integration erzielen und wollten in diesem größeren Raum, den man vielleicht etwas oberflächlich als OEECEuropa bezeichnen kann, die Wirtschaftsverflechtung, den Freihandel.
Ich möchte, weil das besonders wichtig ist, eine Reihe von Äußerungen aus den damaligen Debatten hier zitieren; denn die Dinge geraten ja allmählich in Vergessenheit.
Herr Professor Hallstein, der heutige Präsident der Kommission der Europäischen WirtschaftsMargulies
gemeinschaft, hat vor dem Hause am 21. März 1957 erklärt:
Wesentlich ist, daß so wichtige Handelspartner wie Großbritannien oder etwa die skandinavischen Staaten, Osterreich oder die Schweiz oder auch die südeuropäischen Staaten in irgendeiner praktischen Form den Anschluß an den Gemeinsamen Markt finden.
Herr Professor Erhard, unser Bundeswirtschaftsminister, hat damals dargelegt:
Aus der Wirtschaftsgemeinschaft kann die Gefahr erwachsen, daß sich zwischen den sechs Ländern ein besonderer, ein bedenklicher Geist entwickelt, der zwar nach innen Freiheit setzt und setzen muß, der aber bemüht ist, sich nach außen abzuschirmen. Das habe ich unter der Gefahr einer möglichen europäischen Inzucht verstanden. Sie wird indessen wesentlich gemindert und schließlich behoben, wenn es uns gelingt, das System der Freihandelszone zu errichten.
Herr Professor Furler hat das noch unterstrichen. Er hat gesagt:
Wir sind darin einig, alles zu tun, um nicht zur Abschließung zu kommen, sondern zur Förderung, nämlich zur Bildung solcher Freihandelszonen.
Der Herr Bundesaußenminister hat am 19. Mai die Erklärung abgegeben:
Es gibt bei allen sechs vertragschließenden Staaten - das ist in den Bemerkungen, Gesprächen und Verhandlungen mit anderen Regierungen zum Ausdruck gekommen - keine Tendenz zu einer kleineuropäischen Blockbildung.
„Bei allen sechs", hat er damals gesagt. Ich weiß nicht, ob er das auch heute noch sagen würde. Ich darf weiter zitieren:
Ich kann es daher nur begrüßen, daß die Verhandlungen, die jetzt in Paris über die Möglichkeit einer europäischen Freihandelszone geführt werden, die Unterstützung aller finden. Wir sind allerdings davon überzeugt, daß die Schaffung des Gemeinsamen Marktes eine unerläßliche Voraussetzung für das Zustandekommen einer Freihandelszone ist.
Am gleichen Tage hat Herr Professor Furler dazu noch ausgeführt:
Wie schon dargelegt, lehnen alle Vertragspartner es ab, die Gemeinschaft unter dem Gesichtspunkt der Abschließung zu betrachten. Das Projekt einer europäischen Freihandelszone, die sich mit dem Gemeinsamen Markt verbindet, ist sehr wichtig. Wir streben die Verwirklichung dieses Projekts mit aller Kraft an.
Am 5. Juli, anläßlich der Ratifizierung, hat der Herr Außenminister, Dr. von Brentano, das nochmals unterstrichen. Er hat gesagt:
Die Idee der europäischen Freihandelszone ist überhaupt erst dadurch entstanden, daß wir uns über den Gemeinsamen Markt ernsthaft unterhalten haben.
Ich bin sogar überzeugt: - sagte er damals in dem Augenblick, wo dieser Gemeinsame Markt scheitern würde, wäre die Bereitschaft, das Gespräch über die Freihandelszone fortzuführen, erloschen.
Herr Dr. Deist hat für die sozialdemokratische Fraktion erklärt:
Wir möchten sehr wünschen, daß die Bundesregierung. bereit ist, auch gewisse Opfer zu bringen, gewisse Bestimmungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anzupassen und vielleicht doch auf die eine oder andere liebgewordene Vorstellung zu verzichten, denn die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mit einer größeren Freihandelszone ist mehr als eine Messe wert.
Herr Kollege Birkelbach hat am 9. Mai gesagt:
Die Freihandelszone wird erst dann kommen und sie wird nur dann kommen, wenn vorher die Zollunion als absolut gewiß hingenommen werden kann.
Herr Dr. Mommer meinte:
Ich habe soeben mit Befriedigung gehört, daß auch Herr Furler in den Gemeinschaften der Sechs nicht einen Selbstzweck sieht. Das kann eine Avantgarde sein, die immer danach streben muß, aus sich selbst herauszukommen, die neue Mitglieder gewinnen muß und die um sich herum Zonen der Assoziierung aufbauen muß wie jetzt z. B. hier in der Freihandelszone.
Am 5. Juli nochmals Herr Dr. Deist:
Ich möchte hier ganz deutlich sagen: wir halten das Zustandekommen einer Freihandelszone für eine entscheidende Voraussetzung für ein gutes Funktionieren des Gemeinsamen Marktes.
Und der leider verstorbene Herr Kollege Mellies
sagte damals:
Die Erreichung der Ziele des Vertrags erscheint gefährdet, wenn die geplante Freihandelszone nicht zustande käme.
Das war also die Auffassung der Regierung und des Parlaments. Ich sagte schon: wir waren alle der Meinung, daß das Erstrebenswerte der einheitliche Wirtschaftsraum Westeuropas sei. Wir waren uns nicht einig über den Weg. Die Mehrheit glaubte, wie gesagt, man müsse die EWG haben, um zur Freihandelszone zu kommen. Wir waren der Meinung, daß das eine gefährliche Überlegung sei, daß es dann nur bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bleiben könne. Ich fürchte, Sie werden Ihre damalige Meinung etwas revidieren müssen. Aber das soll kein Streitpunkt sein. Wir
sind gar nicht stolz darauf, recht behalten zu haben. Ich wäre viel glücklicher, Sie hätten recht behalten und wir hätten heute die Freihandelszone.
({1})
Es hat damals aber, wie gesagt, auch nicht an warnenden Stimmen gefehlt. Ich möchte nur einige wenige zitieren, weil sie ein ziemlich rundes Bild aus der Wirtschaft geben. Herr Dr. Fritz Berg, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, hat damals unterstrichen:
Ich begrüße besonders die Bestrebungen, England und weitere europäische Länder durch Schaffung von Freihandelszonen mit dem Gemeinsamen Markt in enge Verbindung zu bringen.
Herr Konsul Dietz, der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbandes, sagte:
Das Vertragswerk trägt den Keim einer kleineuropäischen Autarkie in sich. Der Groß- und Außenhandel hält es für dringend erforderlich, daß gleichzeitig mit dem Gemeinsamen Markt der Gedanke einer erweiterten Freihandelszone verwirklicht wird.
„Gleichzeitig", meine Damen und Herren! Und Herr
Hieronimi , der Leiter der Abteilung Außenhandel des Gesamtverbandes Einzelhandel, sagte:
Die Außenzölle würden zu einer unerwünschten Belastung der deutschen Verbraucher führen, wenn es nicht von Anfang an möglich ist,
das übrige Europa einschließlich Großbritannien in die vorgesehene Freihandelszone einzubeziehen. Wird der gemeinsame Markt der Montanunionländer nicht durch die Freihandelszone ergänzt, so bleibt das Ganze ein Torso.
Die Industrie- und Handelskammer Düsseldorf hat in einer Entschließung festgelegt, unerläßlich sei aber, die schwerwiegenden wirtschaftlichen Belastungen dadurch zu mildern, daß gleichzeitig mit dem Gemeinsamen Markt die europäische Freihandelszone verwirklicht werde. Die Textilindustrie war der Ansicht, daß der Abschluß des Vertragswerkes über den Gemeinsamen Markt an die Bedingung geknüpft werden sollte, nicht bei dieser Lösung stehenzubleiben, sondern diesen Markt voll in eine Freihandelszone einzugliedern.
Also auch hier im wesentlichen eine Zustimmung zu der Regierung und Parlament gemeinsamen Idee, zu einem europäischen Wirtschaftsraum zu kommen, aber doch die Sorge: Werden wir auf dem richtigen Weg vorwärtsschreiten, wenn wir erst eine kleineuropäische Gemeinschaft gründen und dann versuchen, diese weiterzuentwickeln?
Ich darf noch sagen, daß ja dahinter eine politische Idee stand, über die die Wirtschaft selbstverständlich nicht miturteilen kann, wenn selbst Herr Professor Erhard damals sagte - im März 1957 -: weil er mit dem Bundeskanzler der Meinung sei, daß der Gemeinsame Markt den Impuls zu einer stärkeren politischen Einigung Europas geben werde. Nun, ich glaube, dieser Traum ist inzwischen etwas blasser geworden. Jedenfalls las ich dieser Tage in einem Artikel im „Hamburger Abendblatt" eine Meinung des als Europäer ja unverdächtigen Herrn Friedländer, wenn er feststellt: „Heute nimmt Frankreich eine Entwicklung, die ein politisch geeintes Europa bis auf weiteres ausschließt."
Meine Damen und Herren! Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist ja mit mehreren europäischen und Welthandelsorganisationen in Konflikt. Wir wollen das gar nicht verkennen. Die Verhandlungen, die von seiten der Kommissionen der Wirtschaftsgemeinschaft mit dem GATT z. B. geführt werden, sind außerordentlich schwierig. Denn es bedarf der Anerkennung, daß die Vorschriften der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dem entsprechen, was als Ausnahme im GATT im Artikel 24 über eine Zollunion gesagt ist, und die Mehrheit der Stimmen, die wir dort brauchen, um die Erklärung zu erreichen, daß die EWG GATT-konform ist, wird sehr schwer zu erreichen sein. Denn es ist kein Geheimnis, daß ein ganz großer Teil der Mitglieder des GATT eben die Commonwealth-Länder sind, die ja zunächst an der Sache nicht beteiligt sind, die wir nun über Großbritannien in den Gedankengang hineinzubekommen versuchen. Man kann ihnen leider auch den Vorwurf nicht ersparen, daß sie zu Beginn der Verhandlungen mindestens nicht allzu geschickt gewesen sind. Denn der Versuch, die Agrarprodukte aus einer Freihandelszone auszuklammern, wäre ja doch sinnlos gewesen. Wozu denn dann das ganze Unternehmen?
Also der Anfang war leider Gottes nicht sehr vielversprechend, und wir sind dankbar, daß diese Meinung sich inzwischen geändert hat. Aber es wird nicht leicht sein, die Zustimmung des GATT zu erreichen. Wir haben damals in den Ratifikationsdebatten schon darauf hingewiesen, daß es vielleicht richtig gewesen wäre, einmal zuerst mit dem GATT zu verhandeln, bevor man so überaus eilig die EWG-Verträge unterschrieb, um einmal die Stimmung kennenzulernen. Außerdem ist es natürlich vorher, solange es noch nicht festgefressen ist, leichter, eine Änderung oder eine Anpassung oder etwas Ähnliches zu erzielen. Die Verhandlungen sind viel einfacher als nachher, wenn ratifiziert ist, wenn an der Vertragsklausel nichts mehr zu ändern ist. Auch hier ist die klare Einsicht vorhanden, daß wir die Schwierigkeiten mit dem GATT wahrscheinlich sehr viel leichter überwinden werden, wenn es gelingt, zum Abschluß der Freihandelszone zu kommen. Unsere Frage unter Ziffer 2 erster Absatz enthält die Bitte an die Regierung, uns einmal zu unterrichten, wie diese Dinge eigentlich stehen und wie sie gelaufen sind.
Wir möchten weiter wissen - das ist die Frage unter Buchstabe a der Ziffer 2 unserer Anfrage -, welche Schritte die Bundesregierung unternommen hat, um die Freihandelszone zu fördern. Sie ist ja nach dem Vertrag verpflichtet, daran mitzuwirken, entweder durch Einwirkung auf die Europäische Kommission im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft oder aber in den Direktverhandlungen,
die schon vor Inkrafttreten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft begonnen worden sind. Hierüber ebenso wie über den Stand der Verhandlungen hätten wir gerne Näheres gehört.
Wir verkennen nicht, daß sich das ganze Projekt in der Zwischenzeit wesentlich verändert hat. Wir sind damals von der Idee ausgegangen, es genüge, die Zölle innerhalb der größeren Gemeinschaft, innerhalb der OEEC-Länder für alle Bereiche, alle Artikel, alle Warengattungen allmählich abzubauen. Inzwischen hat sich aber herausgestellt, daß das wohl nicht zu verwirklichen sein wird. Deshalb hat man auch den Namen geändert. Es wird gar nicht mehr über eine Freihandelszone verhandelt, sondern über die Assoziierung der elf übrigen Länder an die sechs Vertragsstaaten. Das ist doch ein sehr wesentlicher Unterschied in der Auffassung. Er liegt darin, daß man jetzt zu der Erkenntnis gekommen ist, daß unter den 17 OEEC-Staaten einige Länder sind, die sofort in Schwierigkeiten geraten würden, wenn sie in vollem Umfange dem Gedanken der Freihandelszone folgten. Es ist auch ganz selbstverständlich, daß bestimmte Ausnahmen erforderlich sind, daß also für den Verkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen eine Sonderregelung gefunden werden muß, wie sie ja auch innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erforderlich ist. Hierüber zerbrechen sich gerade zur Zeit die Agrarexperten den Kopf, beginnend in Stresa und in den daran anschließenden Verhandlungen, demnächst wieder in Brüssel.
Hier sind also gewisse Ausnahmen von dem strengen Prinzip der Freihandelszone, wie sie im GATT-Vertrag umschrieben ist, erforderlich. Das erkennen wir an. Wir glauben auch, daß ein Teil des Institutionellen, ich will nicht sagen, notwendig sein wird, aber wir werden nicht darum herumkommen, weil die anderen das fordern. Wogegen wir uns aber wehren möchten, das ist der Versuch, allzu viele Elemente des Vertrags über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in ein künftiges Abkommen über die Freihandelszone zu übertragen, also über Verkehrsfragen, über Kartellrecht, über Wettbewerbsfragen, weil wir den Verdacht nicht loswerden, daß alle diese Bedingungen nur gestellt werden, um den Abschluß eines Abkommens über eine Freihandelszone zu erschweren oder gar unmöglich zu machen. Solche taktische Forderungen müssen wir, glaube ich, zurückweisen. Wir wären auch hier dankbar, wenn die Bundesregierung uns ihre Auffassung dazu als Antwort auf die Frage unter Ziffer 2 übermittelte.
Nun zur letzten Frage:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, falls es nicht gelingt, vor dem 31. Dezember 1958 einen Vertrag zur Bildung einer Freihandelszone abzuschließen?
Ich darf nochmals - ich glaube, ohne Widerspruch hier im Hause - feststellen, daß wir alle, Regierung und Bundestag, alle Fraktionen des Bundestags, schon seit Beginn und erst recht heute der Meinung sind - ich will keine Gründe dafür nennen, sie sind an sich bekannt -, es müsse zu einer Freihandelszone kommen. Sie ist unerläßlich, wir brauchen sie. Wir brauchen den größeren europäischen Wirtschaftsraum, um zu einer richtigen Ordnung zu kommen.
Wenn aber das die Meinung der Bundesregierung auch heute noch ist - ich setze das voraus -, dann müßten wir uns Gedanken darüber machen, was nun eigentlich passiert, wenn an einem unserer Vertragspartner der Abschluß des Vertrags über eine Freihandelszone scheitert. Wir sind hier im Hause
- wenn ich das sage, so soll das kein Vorwurf sein
- immer ein wenig davon ausgegangen, daß der Widerstand gegen eine Freihandelszone von draußen her kommen müsse, daß er aus dem Bereich der anderen elf OEEC-Länder käme. Wir haben nicht damit gerechnet, daß der Hauptwiderstand gegen den Abschluß eines Vertrags über eine Freihandelszone aus dem Bereich der sechs Partner kommen würde, die sich doch vertraglich verpflichtet haben, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auf einen größeren Raum auszudehnen. Dieser Irrtum ist uns also unterlaufen.
Ich kann mich wohl in diesem Zusammenhang noch einmal auf den Herrn Bundeswirtschaftsminister beziehen, der nach seiner Reise nach Großbritannien in Kiel erklärt hat, zwischen England und Deutschland bestehe volle Einigkeit darüber, daß die Freihandelszone als Ergänzung zum Gemeinsamen Markt der sechs Montanstaaten notwendig sei. Aber wir haben in mancher Beziehung die Vertragsklauseln damals etwas einseitiger gesehen. Wir haben geglaubt, die vielen Bestimmungen über Schutzvorrichtungen, die in den römischen Verträgen enthalten sind, seien auf Betreiben der französischen Wirtschaft hineingekommen und beträfen uns gar nicht. Ich habe mich inzwischen belehren lassen müssen, daß das leider nicht der Fall ist, daß es auch bei uns Industriezweige gibt, die der kommenden Entwicklung mit sehr großer Sorge entgegensehen und die durch die inzwischen erfolgten autonomen Zollsenkungen in nicht unerhebliche Schwierigkeiten geraten sind. Ich darf hier an die Zellstoffindustrie oder an die Textilindustrie erinnern; das sind die bekanntesten Industriezweige, die da betroffen sind. Diese Zweige also sehen der kommenden Entwicklung mit erheblicher Sorge entgegen und haben nun die Verträge daraufhin untersucht oder sogar durchgestöbert, was sie gegebenenfalls an Übergangs- oder Anpassungshilfen bekommen könnten. Sie stellen mit Bedauern fest, daß im Bundeshaushalt dafür eigentlich nichts vorgesehen ist. Ich fürchte also, wir müssen uns mit dem Gedanken befassen, was mit den eigenen Industriezweigen geschehen soll, die dem kommenden Anpassungsprozeß in ihrem derzeitigen Zustand nicht gewachsen sein werden.
Die andere Frage, wie es dann weitergehen soll, wird uns die Bundesregierung beantworten. Natürlich gibt es verschiedene Lösungsmöglichkeiten, wenn man etwas elastisch denkt, Möglichkeiten für den Fall, daß ein Partner nicht in der Lage sein sollte, den ersten Schritt mitzumachen. Bei dem ersten Schritt, daß die bestehenden Zölle um 10 % gesenkt werden, kann es, daran möchte ich doch
einmal erinnern, nicht bleiben. Von einer zweiten, sehr wichtigen Voraussetzung wird meistens in den Zeitungsberichten nichts gesagt, daß es nämlich in dem gleichen Zeitpunkt um eine Erhöhung der Kontingente geht, also der Kontingente, die außerhalb des Zollbereichs liegen, daß der erste Schritt zum Gemeinsamen Markt in der zehnprozentigen Zollsenkung am 1. Januar 1958 plus der Erhöhung der Kontingente besteht. Wenn also nur einer der Vertragspartner aus seiner wirtschaftlichen Situation heraus nicht in der Lage wäre, diesen ersten Schritt mitzumachen, müßte man natürlich überlegen, ob deswegen nun auch alle anderen auf der Stelle treten müssen oder ob man zu einer Übereinkunft kommen kann, die den Platz für dieses eine Land eben offenläßt, wobei darunter wohl mit verstanden werden muß, daß da die andern eben notwendigerweise diesem Lande helfen müßten, den Rückstand aufzuholen und sich also alsbald und baldmöglichst in diese Gemeinschaft einzuschließen. Das sind Möglichkeiten. Ich weiß nicht, ob wir sie erörtern müssen. Ich hoffe, daß die Bundesregierung sich darüber Gedanken gemacht hat. Wir werden es hier ja dann gleich hören.
Mir liegt daran, meine Damen und Herren - damit darf ich meine Begründung der Großen Anfrage der Freien Demokratischen Partei abschließen -, festzustellen, ob auch heute noch die Meinung hier im Hause einheitlich so wie damals dahin gerichtet ist, nicht irgendeine kleine europäische Autarkie oder eine kleineuropäische Inzucht, wie wir das genannt haben, herzustellen, ob die Meinung nach wie vor dahin geht, daß das Ziel, das erreicht werden muß, und zwar auf allen Wegen, die uns offenstehen, die Wirtschaftseinheit des freien, des westlichen Europas ist.
({2})
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesminister Professor Erhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Großen Anfrage Drucksache 371 nehme ich wie folgt Stellung.
Die Frage 1 lautet:
Wann und in welcher Weise gedenkt die Bundesregierung der Verpflichtung nachzukommen, gemäß Artikel 2a des Gesetzes zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft Bundestag und Bundesrat über die Entwicklungen im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und im Rat der Europäischen Atomgemeinschaft laufend zu unterrichten?
Angesichts der Tragweite, die der Tätigkeit der Organe der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft für die Entwicklung der europäischen Wirtschaft und damit auch der Wirtschaft in der Bundesrepublik zukommt, und angesichts der Vielzahl der Aufgaben, welche den Organen von den Mitgliedstaaten übertragen worden sind, hält es die Bundesregierung für eine vordringliche Aufgabe, die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik über die Tätigkeit dieser Organisationen und die von ihnen erreichten Ergebnisse zu unterrichten. Sie mißt daher der Unterrichtungspflicht, die in Artikel 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Rom-Verträgen festgesetzt ist, besondere Bedeutung bei und ist selbstverständlich gewillt, dieser Verpflichtung zu entsprechen.
Artikel 2 des Zustimmungsgesetzes sieht zunächst eine laufende Unterrichtung über die Entwicklung im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und im Rat der Europäischen Atomgemeinschaft vor. Eine solche Unterrichtung dürfte nach Auffassung der Bundesregierung allerdings nur dann sinnvoll sein, wenn die Arbeit der beiden Gemeinschaften bereits zu gewissen Ergebnissen geführt hat und bestimmte Entwicklungstendenzen erkennen läßt. Da die verschiedenen Organe ihre Tätigkeit erst im Laufe der letzten Monate aufgenommen haben und der organisatorische Aufbau noch nicht abgeschlossen ist, hat die Bundesregierung bisher davon abgesehen, das Plenum des Bundestags und des Bundesrates schon jetzt mit einer eingehenden Unterrichtung zu befassen. Die Bundesregierung hat jedoch ihre Bereitschaft bekundet, vor den jeweils interessierten Ausschüssen zu berichten. Sie hat bereits wiederholt vor dem Sonderausschuß des Bundesrates für Angelegenheiten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Freihandelszone auf dessen Wunsch berichtet. Für eine Berichterstattung vor dem Wirtschaftsausschuß des Bundestags war ein Termin vereinbart, der jedoch wegen der heutigen Plenarsitzung verschoben worden ist.
Artikel 2 des Zustimmungsgesetzes sieht weiterhin vor, daß Bundestag und Bundesrat vor der jeweiligen Beschlußfassung des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft unterrichtet werden, „soweit durch den betreffenden Beschluß innerdeutsche Gesetze erforderlich werden oder in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltendes Recht geschaffen wird". Diese Unterrichtung ist in einigen Fällen bereits geschehen. Dabei hat es allerdings Schwierigkeiten bereitet, den gesetzgebenden Körperschaften die Entwürfe rechtzeitig vor der Beschlußfassung im Rat zuzuleiten. Der Rat mußte nämlich in der ersten Zeit einzelne Beschlüsse mit größter Beschleunigung fassen, um die Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Organe der Gemeinschaften zu schaffen. Die Bundesregierung wird sich jedoch dafür einsetzen, daß künftig vor der Beschlußfassung im Rat den gesetzgebenden Körperschaften eine ausreichende Frist zur Verfügung steht, um etwaige schwerwiegende Bedenken gegen die jeweiligen Entwürfe der Bundesregierung noch so rechtzeitig zur Kenntnis bringen zu können, damit diese hei der Beschlußfassung im Rat berücksichtigt werden können. Sie hat daher den Rat über die ihr aus Artikel 2 des Zustimmungsgesetzes gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik obliegende Verpflichtung unterrichtet.
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard Die Frage 2 lautet:
Was hat die Bundesregierung unternommen zur Erfüllung der von ihr übernommenen Verpflichtung, alsbald nach Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Abkommen zu schließen, welche die harmonische Entwicklung des gesamten Handelsverkehrs gewährleisten?
Ich antworte darauf wie folgt: Zusammen mit den übrigen Partnern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist die Bundesregierung anläßlich der Mai-Tagung des GATT mit den anderen Vertragspartnern des GATT in einen ,eingehenden Meinungsaustausch eingetreten. Dabei ist in Aussicht genommen, fortlaufende Beratungen über die gesamte künftige zoll- und handelspolitische Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft abzuhalten. Dieser Umstand ist von den GATT-Vertragspartnern mit großer Befriedigung aufgenommen worden.
Darüber hinaus bemühen sich die EWG-Staaten um eine Aufklärung ihrer Handelspartner in aller Welt. Sie haben namentlich den lateinamerikanischen Ländern ihre Auffassung in mehreren Memoranden dargelegt und sich darin für den Bedarfsfall auch ausdrücklich zu gegenseitigen Konsultationen erboten.
Die Frage 2 a:
Welche Schritte hat die Bundesregierung zum Zustandekommen einer Europäischen Freihandelszone unternommen?
Die Antwort lautet: Schon vor der Unterzeichnung des EWG-Vertrags am 25. März 1957 hatte die Bundesregierung ihren Einfluß im Kreise der sechs EWG-Staaten dahingehend geltend gemacht, daß Regierungsverhandlungen über die Errichtung einer Freihandelszone eingeleitet werden. Am 12. Februar 1957 gab der damalige Ministerpräsident Spaak im Namen der Regierungen der sechs EWG-Staaten vor dem OEEC-Rat eine Erklärung ab, in der die grundsätzliche Bereitwilligkeit der sechs EWG-Staaten zur aktiven Mitarbeit bei der Errichtung einer Europäischen Freihandelszone mitgeteilt wurde.
In den auf Grund eines Beschlusses der OEEC eingerichteten Arbeitsgruppen haben die Vertreter der Bundesregierung wirksam mitgearbeitet. Als Bundesminister für Wirtschaft habe ich anläßlich internationaler Konferenzen, bei meinen Besuchen im Ausland, bei Besuchen ausländischer Regierungsmitglieder in der Bundesrepublik und bei anderen sich darbietenden Gelegenheiten betont, welche wirtschaftliche und politische Bedeutung die deutsche Öffentlichkeit der zu errichtenden Europäischen Freihandelszone beimißt.
Bei den im Laufe der Verhandlungen aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten hat die Bundesregierung durch immer neue Vorschläge in den Verhandlungen versucht, Lösungen zu finden, die die Zustimmung der sechs EWG-Partner wie der übrigen elf OEEC-Mitglieder finden könnten. Die Vertreter der Bundesregierung haben, insbesondere auch in zweiseitigen Besprechungen, namentlich mit der französischen und der englischen Regierung, versucht, für die am meisten voneinander entfernten Standpunkte gegenseitiges Verständnis zu wekken und Vorschläge für deren Annäherung zu entwickeln. Auf diese Weise wurde die Bundesregierung in die Rolle eines Vermittlers versetzt, die sie nach bestem Vermögen und mit anerkannt gutem Erfolg erfüllt hat und weiter zu erfüllen bemüht bleibt.
Die Frage 2 b:
Welchen Stand haben die Verhandlungen zur Bildung dieser Freihandelszone erreicht?
Die Antwort lautet: Die Verhandlungen, die seit dem Herbst des vergangenen Jahres in dem „Regierungsausschuß für die Errichtung einer Europäischen Freihandelszone" unter dem Vorsitz des englischen Ministers Maudling in Paris geführt werden, haben bislang noch nicht zur Redaktion eines Vertragstextes geführt. Eine solche Redaktion kann erst erfolgen, wenn einige wesentliche Grundsatzentscheidungen gefaßt sein werden. In dieser Hinsicht haben sich insofern Verzögerungen ergeben, als die sechs in der EWG zusammengeschlossenen Staaten eine gemeinsame Haltung einnehmen wollen, die aber noch nicht in allen Punkten erzielt werden konnte. In einem unter der Leitung des belgischen Botschafters beim Europäischen Wirtschaftsrat, Herrn Ockrent, stehenden Ausschuß der Sechs wurde eine wesentliche Arbeit zur Annäherung der Haltung der Gemeinschaftsländer erzielt. Eine Entscheidung hierüber mußte aber wegen der französischen Regierungskrise vom Frühjahr dieses Jahres hinausgeschoben werden, und auch die gegenwärtige Regierung brauchte einige Zeit, bevor sie sich dieser Frage widmen konnte. In einer Sitzung des Ministerrates der EWG am 23. und 24. Juli dieses Jahres wurden jedoch bedeutsame Fortschritte erzielt; so wurde von seiten der Sechs dem gleich darauf tagenden Maudling-Ausschuß ein Memorandum über die Vorschläge der Sechs betreffend die Regelung der landwirtschaftlichen Fragen überreicht, das im großen und ganzen eine nicht ungünstige Aufnahme erfahren hat. Bei dieser Tagung wurde außerdem eine Arbeitsgruppe erneut beauftragt, die mit der Beteiligung einer Reihe weniger entwickelter OEEC-Mitgliedsländer an der Freihandelszone verbundenen Probleme weiter zu untersuchen. In der schwierigen, sich aus den unterschiedlichen nationalen Zolltarifen ergebenden Problematik, wie z. B. Schutz gegen Verkehrsverlagerungen durch herkömmliche Ursprungsregeln, Harmonisierung der Außentarife, Erhebung von Ausgleichstaxen und dergleichen, kam der Regierungsausschuß insofern weiter, als nunmehr ein bestimmtes Verfahren für die weitere Prüfung akzeptiert wurde, dem auch die französische Regierung zustimmte. Auch der Verlauf und das Ergebnis der kürzlich in Venedig abgehaltenen Tagung des Ministerrates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft berechtigt dazu, den Abschluß eines Freihandelszonenvertrages zwischen den 17 OEEC-Mitgliedsländern mit größerer Zuversicht als bisher zu betrachten. Bei dieser Tagung hat man beschlossen, daß sich der institutionelle Aufbau der Freihandels2436
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
zone an den der OEEC anlehnen sollte. So sind ein Rat auf Ministerebene und auf Ebene der Stellvertreter, ein oder mehrere Direktionskomitees und eventuell auch ein Gerichtshof vorgesehen. Zwischen den sechs EWG-Staaten konnte ferner Einvernehmen darüber erzielt werden, daß einer der Hauptforderungen der übrigen elf OEEC-Mitgliedsländer, und zwar der Forderung nach gleichzeitigem Inkrafttreten der Zoll- und Kontingentsmaßnahmen, entsprochen werden soll. Der Endtermin der Übergangszeit soll in der Freihandelszone an den Endtermin der EWG angeschlossen werden und darf diesen Termin urn nicht mehr als drei Jahre überschreiten. Für die Beschlußfassung im Ministerrat ist zunächst die Einstimmigkeit in Aussicht genommen. Es soll jedoch im Laufe der Übergangszeit geprüft werden, inwieweit auch Mehrheitsbeschlüsse gefaßt werden können. In diesem Zusammenhang ist von besonderer Bedeutung, in welchem Verfahren die sechs Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft ihre einheitliche Haltung im Rat der Freihandelszone festlegen. Diese Frage wird noch geprüft und soll im Ministerrat der EWG am 7. Oktober dieses Jahres geklärt werden. Die Beschlüsse a.uf Grund der Beratungen der sechs EWG-Staaten werden dem Maudling-Ausschuß auf seiner nächsten Tagung vom 21. bis 30. Oktober dieses Jahres unterbreitet werden.
Als derzeitiger Ratspräsident der EWG bin ich gebeten worden, Minister Maudling dahingehend zu unterrichten, daß die sechs EWG-Staaten bei der nächsten Tagung des OEEC-Regierungsausschusses zu einer Grundsatzdebatte zur Verfügung stehen. Ich habe mich in diesem Sinne bereits mit Herrn Minister Maudling in Verbindung gesetzt.
Die Frage 2 c lautet:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, falls es nicht gelingt, vor dem 31. Dezember 1958 einen Vertrag zur Bildung einer Freihandelszone abzuschließen?
Ich antworte: Der Vertrag über die Europäische Freihandelszone wird zu Ende dieses Jahres mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen, geschweige denn ratifiziert sein. Es stellt sich damit die Frage, wie innerhalb des westlichen Europa die Tatsache aufgenommen wird, daß sich einige Mitgliedsländer der OEEC wechselseitig gewisse Handelserleichterungen einräumen, die sie den anderen Mitgliedsstaaten nicht gewähren. Diese Unterschiedlichkeit auszuschließen, ist im engeren wirtschaftlichen Bereich die Absicht der Freihandelszone. Die Bundesregierung ist daher lebhaft für ein provisorisches Abkommen eingetreten für den Fall, daß der Freihandelszonenvertrag nicht zum 1. Januar 1959 in Kraft treten könnte. Ein solches provisorisches Abkommen zur Senkung der Zölle um 10 % gegenüber allen OEEC-Mitgliedern - und vielleicht auch zur Ausweitung der Kontingente entsprechend dem EWG-Vertrag - stellt jedoch nur einen Vorgriff auf den endgültigen Freihandelszonenvertrag dar.
Die Bundesregierung ist mit ganzer Kraft bestrebt, eine beschleunigte Verwirklichung des Freihandelszonenvertrags herbeizuführen, und ist fest überzeugt, daß dieser Vertrag zustande kommt. Sie sieht sich in diesem Optimismus durch das Ergebnis der vorerwähnten Tagung des Ministerrats der EWG in Venedig wie überhaupt durch die letzte Entwicklung der Verhandlungen zwischen den 17 OEEC-Mitgliedsländern bestärkt.
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Die Anfrage ist beantwortet. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, daß die Anfrage besprochen wird, um ein Handzeichen. - Mehr als 50 Mitglieder des Hauses wünschen die Besprechung der Anfrage.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Furler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß die Bundesregierung verpflichtet ist, den Bundestag und den Bundesrat eingehend über die Entwicklung zu informieren, die in den Räten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und von Euratom stattfindet, und daß sie auch verpflichtet ist, uns zu unterrichten, wenn dort Beschlüsse gefaßt werden, die entweder unmittelbar bei uns Recht sind oder die innerdeutsche Gesetze notwendig machen. Ich sage dies deshalb, weil ich glaube, daß Herr Margulies die sich aus dem Gesetz ergebende Unterrichtungspflicht zu weit faßt. Diese Unterrichtung hat nichts zu tun mit einer Information über die Regierungsverhandlungen zur Errichtung einer Freihandelszone. Aber auch ich hielte es für sehr nützlich, wenn die Regierung über den Art. 2 a des Gesetzes zu den Verträgen hinaus freiwillig den Bundestag über jene Verhandlungen laufend unterrichtete. Die Erfahrungen, die wir bei der Entstehung der EWG gemacht haben, sprechen sehr dafür. Sie erinnern sich, daß damals ein großer Unmut entstanden war, weil die Verhandlungen ohne Fühlungnahme mit dem Parlament geführt wurden.
Wir wissen, daß solche Verhandlungen schwierig sind, daß es nicht möglich ist, die Parlamente von Schritt zu Schritt zu unterrichten. Aber wir mußten damals noch unmittelbar vor der Unterzeichnung einen Unterausschuß schaffen, wir mußten manches wieder zurechtbiegen, um schließlich eine gemeinsame Meinung zu den europäischen Verträgen zu bekommen. So wäre es vielleicht gut, wenn bei den Verhandlungen über die möglicherweise noch kompliziertere Freihandelszone immerhin ein laufender Konnex zwischen Regierung und Parlament bestünde.
Ich bin mir darüber klar, daß auch die in Art. 2 a genannte Orientierungspflicht nicht einfach zu erfüllen ist. Zunächst ist manchmal eine gewisse Vertraulichkeit notwendig. Dann aber sind es hier das Plenum und etwa acht Ausschüsse, die unmittelbar interessiert sind, und da ist es natürlich nicht ganz leicht, die Unterrichtung in' einer alle befriedigenden Form durchzuführen.
Allerdings ist sicher, daß die bisherige Unterrichtung wohl nicht genügend war, wobei vielleicht auch mitspielte, daß die Technik der Unterrichtung
noch nicht richtig entwickelt war. Wir haben uns damals in dem anläßlich der Ratifizierung der Verträge gebildeten Sonderausschuß, der die Unterrichtungspflicht gefordert hat, auch noch kein ganz sicheres Urteil darüber bilden können, welchen Weg man am besten gehen sollte. Wir wollen auch im vorliegenden Falle die beste und wirksamste Methode ermitteln; etwa ob wir ein besonderes Gremium schaffen müssen. Wir werden, wenn wir zu einer Lösung gekommen sind, die notwendigen organisatorischen Anträge stellen.
Ich darf aber feststellen, daß sich bisher in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entscheidende Dinge nicht abgespielt haben. Sehen Sie sich den großen Bericht an, den die Kommission nunmehr dem Europäischen Parlament vorgelegt hat, ein umfangreiches interessantes Dokument, aus dem sich ergibt, daß die Institutionen aufgebaut wurden - das wissen Sie - und daß die Wirtschaftsgemeinschaft bisher vor allem Studien betrieben hat, um die Lösung der vielfältigen Probleme vorzubereiten, die sich stellen, wenn einmal die wirklich entscheidende Tätigkeit kommt. Es ist interessant, damit den gleichen Bericht der Euratomgemeinschaft zu vergleichen. Die Atomgemeinschaft, die viel rascher aktiv ins Leben getreten ist, hat schon einen sehr wichtigen Vertrag mit den Vereinigten Staaten abgeschlossen. Noch interessanter ist der Vergleich mit dem Bericht, den die Hohe Behörde für das Europäische Parlament ausgearbeitet hat. Dort ist man schon mitten in der Arbeit. Die Hohe Behörde hat die Anfangsschwierigkeiten überwunden. Die Übergangszeit der Gemeinschaft ist abgeschlossen. Im Gegensatz zu den beiden anderen, ersten Berichten handelt es sich hier am sehr konkrete Darlegungen.
Nun zu der sehr schwerwiegenden Frage, die unter Ziffer 2 der Großen Anfrage angeschnitten ist: wie eigentlich das Verhältnis der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu - wie es heißt - der harmonischen Entwicklung des gesamten Handelsverkehrs sei. Wir wissen, daß schon die Verhandlungen über die EWG und die Tatsache, daß sie ins Leben trat, in der übrigen Welt sehr starkes Mißtrauen erregt hat, so vor allem in Südamerika, den arabischen Staaten, in Indien. Überall wurden Befürchtungen laut, und zwar trotz der deutlichen Haltung der sechs Regierungen zu dieser Frage - ich komme darauf noch zurück - und trotz der Erfahrungen, die man mit der Montangemeinschaft gemacht hat. Auch der Montangemeinschaft hat man vorgeworfen, sie wolle eine autarke, in sich abgeschlossene Politik auf dem Gebiet von Kohle und Stahl treiben. Wer aber die fünf Jahre des Bestehens der Montangemeinschaft überblickt, sieht, daß diese durch ihr Verhalten gezeigt hat, daß sie nicht daran denkt, Autarkie zu betreiben. Ich erinnere an das Assoziationsabkommen mit Großbritannien, das gerade in der Zeit der schwierigen Kohlenversorgung eine sehr bedeutende Wirkung hatte; ich erinnere an die großzügigen Verträge mit der Schweiz, mit Osterreich und an die Verhandlungen über Beschwerden, die von Dänemark ausgingen, und ähnliches mehr.
Dieses Mißtrauen zu überwinden, hat auch die Europäische Kommission unternommen. Herr Präsident Hallstein hat sehr deutliche Erklärungen vor dem Europäischen Parlament abgegeben. In einer Folge von Vorträgen verficht er gegenüber der Öffentlichkeit ständig den Gedanken, daß die EWG nicht daran denkt, sich abzuschließen.
Wir können feststellen, daß das Mißtrauen in der Tat zurückgegangen ist. Einmal hat man sich mit den Dingen abgefunden und gesehen, daß die Gefahren, die man von der EWG befürchtete, überschätzt worden sind. Man hat auch ihre positiven Seiten erkannt. Man sieht nämlich ein, daß die EWG zu einer stärkeren wirtschaftlichen Entwicklung führt. Daraus folgt, daß das Gebiet in der Lage ist, mehr Importe aufzunehmen, an denen diejenigen Länder interessiert sind, aus denen dieses Mißtrauen kam. Im übrigen hat sich auch der Gedanke durchgesetzt, daß man Europa eine größere wirtschaftliche Einigkeit schließlich nicht versagen kann, wenn man selber politische und wirtschaftliche Großräume anstrebt, wie das in Indien der Fall ist und wie das die arabischen Staaten wollen.
Nun zu einem sehr wichtigen und schwierigen Punkt: dem Verhältnis zum GATT. Herr Margulies, ich glaube, es wäre wirklich nicht sehr real gewesen, zunächst lange mit dem GATT zu verhandeln. Es war richtig, einmal die Tatsachen zu schaffen, die als notwendig erachtet wurden, die EWG zu gründen, und dann in der Überzeugung, man werde sich dort mit dem Guten und Richtigen schon durchsetzen, das GATT anzugehen. Man klebt dort auch nicht mehr an juristischen Vorstellungen. Inzwischen hat man sich im GATT entschlossen, praktische Lösungen zu suchen. Man überlegt, wie man sich mit dieser EWG arrangieren kann. Schließlich ist auch nicht alles sakrosankt, was innerhalb des GATT als Norm besteht. Auch das GATT ist entwicklungsbedürftig. Ich glaube, wir kommen sehr viel besser auf dem Weg zum Ziele, den die Regierungen hier gegangen sind.
Nun zu der allgemeinen Frage der Freihandelszone. Die Freihandelszone ist ein nicht einfaches Gebilde, und man muß sich, wenn man die Einzelfragen beurteilen will, immer wieder einige grundlegende Tatsachen vor Augen halten.
Zunächst: Es ist ganz sicher, daß sowohl der Gedanke und die Verhandlungen wie auch eine Entstehung der Freihandelszone ausschließlich bewirkt und verursacht sind durch das Werden und das Entstehen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Hätte man jene Wirtschaftsgemeinschaft nicht entwickelt, würde wahrscheinlich kaum jemand noch von einer Freihandelszone sprechen.
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Die Wirtschaftsgemeinschaft war die Ursache der Verhandlungen über die Freihandelszone. Es war der heutige Ministerpräsident Macmillan, der als Schatzkanzler als erster die Anregung zur Freihandelszone gab, indem er sagte: Wir müssen nun ernsthaft mit der Möglichkeit rechnen, daß diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wird. Wie sollen wir uns dazu stellen? Beitreten können wir nicht.
Ablehnen wäre ein großer Schaden. Also: Finden wir eine Form der Verbindung. Und es kam der Gedanke der Freihandelszone.
Also hat diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als Motor gewirkt. Ich bin der Überzeugung, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eben durch die schwerwiegende Tatsache ihrer Existenz ständig nach einer Ergänzung durch die Freihandelszone verlangt, ja sie geradezu erzwingt.
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Das ist meine Überzeugung, und das entspricht, glaube ich, auch den realen politischen Gegebenheiten.
Das zweite, was ich in bezug auf die grundlegenden Tatsachen sagen wollte: Vergessen Sie nie, daß die kulturellen, wirtschaftlichen, historischen und politischen Verschiedenheiten unter den 17 Staaten der Freihandelszone viel größer sind als zwischen Italien, Frankreich, Deutschland und den drei Benelux-Staaten, diesen sechs unmittelbaren Nachbarn im westlichen Kontinent. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß diese wirtschaftlich und politisch doch enger verbunden sind als Länder wie Norwegen, die Türkei, Griechenland, Portugal oder Großbritannien, die eine ganz andere und viel differenziertere historische und wirtschaftspolitische Entwicklung hinter sich haben. Diese Differenzen aber machen auch die Verhandlungen so schwierig. Deshalb soll man, wenn es nicht von heute auf morgen klappt, nicht gleich sagen, es sei hoffnungslos. Man muß eben diese Schwierigkeiten in geeigneten Formen ausgleichen.
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Ein Drittes. Es fehlt in der Tat, vielleicht auch noch in der Gemeinschaft selbst, obwohl er dort schon stärker entwickelt ist, ein gewisser, notwendiger Gemeinschaftsgeist. Ein solcher Gemeinschaftsgeist entsteht nämlich nicht v o r dem Zusammenschluß, sondern erst i n ihm. Er muß erzeugt werden durch Erfahrungen, Vernunft und Opfer. Aber bisher versucht in den Verhandlungen eben jeder, eine möglichst günstige Position zu erreichen. Ich will das nicht als kritisches Beispiel bringen, aber in der Tat hat natürlich Macmillan, hat England versucht, eine sehr günstige Position zu erreichen. Sie dürfen nicht vergessen: wenn man ohne besondere Vereinbarungen eine nur auf die Niederlegung der inneren Zölle gerichtete Freihandelszone mit dem Gemeinsamen Markt abgeschlossen hätte, dann hätte England ohne besondere Konzessionen den besten Standort in ganz Europa gehabt. Wahrscheinlich hätte man dort von auswärts sehr viel investiert, weil ja England dann frei gewesen wäre gegenüber dem Commonwealth und frei gewesen wäre gegenüber dem Kontinent und seiner Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft; eine Sonderposition - ich muß das sagen, auch das ist einer der allgemeinen Grundsätze -, die man in dieser Form natürlich nicht ohne weiteres bekommt und wo man sagen muß: Wer Rechte will, muß eben auch Pflichten übernehmen, weil es anders nicht geht.
Und was ich als letztes Allgemeines noch sagen wollte: In allen Ländern finden wir immer wieder bei diesen Entwicklungen eine überempfindliche Haltung gewisser Wirtschaftskreise, die große Bedenken wegen einer zu starken Konkurrenz in einem noch größeren Gebiet haben. Deshalb wird es auch notwendig sein, gewisse Übergangsregelungen zu schaffen, gewisse Sonderklauseln zu geben. Es wird auch notwendig sein und es schadet nichts, strukturelle, grundlegende Verschiedenheiten, die sich nie ändern werden, durch Sonderregelungen auszugleichen. Aber man darf aus diesen Bedenken nun nicht auf eine Ablehnung der größeren Gemeinschaft schließen. Wir haben es in manchen Ländern erlebt, daß gewisse Industriekreise zunächst sehr gegen die Wirtschaftsgemeinschaft waren, alle Befürchtungen hatten und plötzlich - ich denke an Frankreich - sehr für die Wirtschaftsgemeinschaft sind, aber die neue Angst der größeren Freihandelszone zuwenden. Ich glaube aber, auch das wird sich ändern.
Die größte Schwierigkeit in dieser Freihandelszone kann man objektiv zunächst nicht aus der Welt schaffen. Sie liegt in der Tatsache, daß die Freihandelszone - im Gegensatz zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - keinen einheitlichen Außenzolltarif hat. Daraus ergibt sich die Gefahr einer Verlagerung, einer unorganischen Verlagerung der Warenströme deshalb, weil die Außenländer versuchen werden, über den niedrigsten nationalen Zolltarif in die große Gemeinschaft zu importieren und ihre Ware dann zu einem billigen Zollsatz auch in die Länder hineinzubekommen, die glauben, sich durch einen höheren Tarif stärker schützen zu müssen. Hier liegt ein sehr schwieriger Punkt, der aber auch lösbar ist. Man kann hier durch technische Ursprungsnachweise und andere Dinge dafür sorgen, daß keine allzu großen Ungerechtigkeiten passieren. Aber ich glaube, die beste Methode, diese Schwierigkeit zu überwinden, ist eine Harmonisierung der Außenzolltarife auf die Zukunft hin.
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Das sollte nun auch keine unüberwindliche Schwierigkeit sein, und man sollte da auch etwas der Zukunft vertrauen. Denn die ganze Entwicklung unserer westlichen Länder geht doch zu einem Niederzoll, zu einem freien System und nicht zu einem Hochzollsystem, und ich glaube, daß man über die Harmonisierung der Außenzölle diese Schwierigkeiten am besten beseitigen könnte.
Nun noch dazu einige sehr wichtige Sonderfragen. Einmal das Verhältnis der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Freihandelszone. Sie wissen, die politischen Tendenzen sind sehr verschiedenartig. Es gibt Leute, die ganz gern hätten, wenn die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sich gewissermaßen im Rahmen der Freihandelszone auflöste. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir wollen.
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Das darf nicht sein. Das darf schon aus zwei Gründen nicht sein. Einmal, weil, wie ich darlegte, die
Wirtschaftsgemeinschaft der Motor ist, der die anDr. Furler
deren vorwärtstreibt, und dann, weil sie eben besondere Aufgaben hat und weil manche dieser Aufgaben von den übrigen Staaten einfach nicht - ich mache keinen Vorwurf daraus, sie können das einfach nicht - übernommen werden können. Infolgedessen soll die Freihandelszone die Wirtschaftsgemeinschaft nicht ersetzen. Sie soll sie ergänzen. Sie soll sie nicht beeinträchtigen. Sie soll nur eine weitere Wirkungsmöglichkeit geben. Sie soll sie vor allem räumlich erweitern und ergänzen. Sie soll den Gedanken des freien, durch Zölle und Kontingente nicht behinderten Handels ausdehnen auf möglichst das ganze freie Europa. Das Europäische Parlament, das sich auch mit diesem Problem befaßt hat und das mit uns hier auf dem Standpunkt steht, die Wirtschaftsgemeinschaft dürfe nicht beeinträchtigt oder auf lange Sicht irgendwie aufgelöst werden, hat deshalb auch einen neuen Begriff geschaffen und gesagt, wir wollen nicht von Freihandelszone sprechen, sondern von einer Wirtschaftsassoziation. Denn der Vertrag muß zustande kommen zwischen der Gemeinschaft der sechs und den übrigen elf Staaten. Ich halte den Gedanken für politisch gut und für richtig. Ich habe nur gewisse Bedenken, diesen Begriff der Wirtschaftsassoziation zu bringen. Unter „Freihandelszone" kann so relativ noch jedermann etwas verstehen. Unter „Wirtschaftsassoziation" wird man schwerlich in der breiten Öffentlichkeit ein konkretes Bild entstehen lassen können. Aber das ist auch wichtig. Das schließt nicht aus, das, was hinter diesem etwas komplizierten Begriff steht, zu billigen, nämlich eine Vereinbarung zwischen dem Gemeinsamen Markt und dem größeren der Freihandelszone. Ich finde, daß auch Artikel 238 des EWG-Vertrags eine unmittelbare Bindung hier nicht bringt. Es gibt ja Kombinationen und Variationen. Wichtig ist nur, daß das Ziel erreicht wird: daß die Vereinbarung die EWG unberührt läßt, daß sie in die Vereinbarung aufgenommen wird und daß natürlich auch die Organe der EWG in den Institutionen der Freihandelszone mitwirken, beratend und - zumindest auf handelspolitischem Gebiet - mit der Zeit auch mitwirkend und etwas stärker neben den Sechs in den Vordergrund tretend.
Daß die Freihandelszone auch das Gebiet von Kohle und Stahl umfassen muß, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und ein Problem nur deshalb, weil Kohle und Stahl eine besondere Gemeinschaft innerhalb der Sechs, die Montanunion, haben, die natürlich ebenfalls in die Freihandelszone hineingenommen werden muß.
Nun noch einige spezielle Fragen, die ich anschneiden will, weil ich glaube, man erhöht die Schwierigkeit nicht, wenn man über sie spricht.
Da ist zunächst einmal die Stellung Frankreichs. Herr Margulies hat in sehr skeptischen, fast schon pessimistischen Ausführungen darauf hingewiesen. Sicher ist, daß die innerpolitische Entwicklung in Frankreich zunächst gewisse Hemmungen in den Verhandlungen gebracht hat. Sicher ist auch, daß starke wirtschaftliche Kreise in Frankreich keine Freunde der Freihandelszone sind. Ich habe aber vorhin schon bemerkt: wir 'haben die gleiche Erfahrung schon einmal bei den langwierigen, komplizierten Verhandlungen über die Entstehung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gemacht. Die Ergebnisse der Konferenz von Venedig scheinen aber doch zu zeigen, daß Frankreich im Begriff ist, eine positivere Haltung einzunehmen, die dem entspricht, was die anderen fünf Mitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wollen und anstreben. Wir haben mit Befriedigung von der sehr positiven Formulierung des Herrn Wirtschaftsministers Erhard Kenntnis genommen, wonach in Frankreich die zögernde Haltung einer positiveren Beurteilung Platz gibt. Wir wollen auf diesem Wege weiterschreiten und hoffen, daß wir doch noch zu einer gemeinsamen Haltung kommen werden.
Das zweite sind die Währungsprobleme. Auch hier hauptsächlich das Verhältnis des französischen Franken zu den anderen Währungen. Aber auch da möchte ich sagen, daß ein wirtschaftlich erstarkendes und ein politisch sich kräftigendes Frankreich eher die Möglichkeit hat, zu einer endgültigen Lösung der Franc-Frage auch innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und innerhalb der Freihandelszone zu kommen.
Daß England einen starken Wandel seiner Wünsche und Einstellungen erlebt hat, ist sicher. Ich glaube, daß die endgültigen Widerstände wohl nicht mehr von England ausgehen, das wohl eingesehen hat, daß die völlige Abschließung der landwirtschaftlichen Produktion ebenso unhaltbar ist wie der Gedanke, daß man in die Freihandelszone hinein kann, ohne irgendwelche Opfer zu bringen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang aber noch eines sagen - ich sprach über Frankreich, ich sprach über England -: es ist nicht so, daß gerade wir die Freihandelszone am allernotwendigsten haben, daß wir aus unmittelbarem eigenstem Interesse allein an dieser Freihandelszone hängen. Ich möchte das betonen, damit die anderen nicht auf die Idee kommen: die Deutschen haben dies so dringend nötig. Das wäre ja nicht gerade eine gute Verhandlungsposition. Auch wenn es, was ich nicht hoffe und nicht wünsche, nicht zu positiven Ergebnissen führt, kommen wir durch. Es ist nicht so, daß gerade wir besonders drängen müßten.
Aber es hat sich die Situation ergeben, daß die Deutschen offenbar eine Vermittlungsposition haben. Darüber spricht die Regierungserklärung. Wir möchten nur hoffen, daß die Regierung von dieser Vermittlerrolle nicht so sehr aus einem eigenen Interesse, sondern aus dem Vertrauen der anderen gegenüber unserer Haltung einen möglichst positiven Gebrauch machen wird.
Meine Damen und Herren, ganz zum Schluß noch einige Bemerkungen. Aus den schwerwiegenden und schwierigen, etwas langwierigen Verhandlungen über die Freihandelszone darf nicht eine Art Krise um die europäische Wirtschaftsentwicklung, eine Art Pessimismus entstehen. Dazu ist kein Grund. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist erst ,ab 1. Januar 1958 als lebendige Tatsache in Erscheinung getreten. Die Verhandlungen über die Frei2440
handelszone sind schon sehr weit gediehen. Auf alle Fälle ist kein Anlaß, zu sagen, wir befänden uns in einer Krise.
Hier möchte ich mir einen kleinen Exkurs nicht versagen. Ein sehr bedeutender philosophischer Kopf, Herr Jaspers, hat in Frankfurt sehr schwere Bedenken erhoben gegen eine allzu optimistische Betrachtung der wirtschaftlichen Entwicklung. Es steht mir nicht zu, mit einem Philosophen zu streiten. Ich glaube aber doch verpflichtet zu sein, hier von diesem Platz aus einem Philosophen einige Anregungen zum Denken zu geben.
({5})
Es ist sicherlich sehr wertvoll,. wenn man sich Gedanken macht über die Grundlagen und Ausgangspunkte unserer politischen Aktion. Aber es wäre wohl auch richtig, wenn man in diesen Überlegungen und Ausführungen auch gewisse objektiv vorhandene fortschrittliche Erkenntnisse in der wirtschaftstheoretischen und in der wirtschaftspolitischen Entwicklung berücksichtigte. Man sollte diese modernen Gedanken, die sich schon auf Erfahrungen stützen, nicht ohne weiteres ablehnen und sagen, sie seien im Ergebnis der Ausdruck einer gewissen Unwahrhaftigkeit. So ist es nicht. Wir sind ja auch keine Illusionisten. Wir können aber nicht davon leben, daß wir den Menschen schwarze Bilder über die Zukunft an die Wand malen, zumal wir überzeugt sind, daß gar kein Anlaß besteht, diese schwarzen Bilder zu malen.
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Der Politiker muß doch handeln. Wir sind ja auch nicht auf den Kopf gefallen und nehmen nicht an, das Paradies auf Erden sei ausgebrochen, weil Wirtschaftsminister Erhard hier regiert und weil wir nun sehr gute Verhältnisse in der Bundesrepublik, in Europa und auch in der Welt haben. Aber wir handeln im Bewußtsein dessen, daß wir allen Grund zu der Annahme haben, daß die wirtschaftliche Entwicklung, wenn wir wachsam und klug sind und die modernen Erkenntnisse rechtzeitig anwenden, nicht ohne weiteres wieder einen so tiefen Absturz durchmachen wird wie einstmals in den Jahren 1929/32. Man ist im übrigen heute überzeugt, daß man damals mit etwas modernerem wirtschaftspolitischem Denken vielleicht weitergekommen wäre.
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Auf alle Fälle - und das möchte ich gerade Herrn Jaspers sagen - fördern wir den Aufbau dieser größeren europäischen Gemeinschaften - das haben wir bisher immer wieder betont -, um uns krisenfester zu machen, weil wir überzeugt sind, daß wir in einem größeren Wirtschaftsgebiet, in einem größeren Wirtschaftsraum, wenn einmal eine gewisse Wende käme, sicherer dastünden, als wenn wir gegenüber anderen, schon entstandenen Großräumen des Ostens zersplittert blieben.
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Doch nun zurück zu unserem Thema. Am 1. Januar 1959 tritt die erste Zollsenkung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Kraft. Es wäre sehr erwünscht und sehr wichtig, wenn zu diesem Zeitpunkt auch schon die Freihandelszone sich zollpolitisch auswirken würde. Ich bin überzeugt, daß es Übergangsregelungen gibt. Wir können hier keine konkreten Vorschläge machen, die Dinge sind zu kompliziert. Wir wissen, daß die Regierung alles tut, um den 1. Januar als Ansatzpunkt auch für die Zollregelung in der Freihandelszone zu nehmen. Aber man darf das auch nicht so hinstellen, als sei das eine Frage von Sein oder Nichtsein, ob nun am 1. Januar ein ausreichendes Zwischenabkommen zustande kommt oder nicht. Wir müssen den Willen haben, zu handeln; dann wird sich auch ein Weg finden. Denn der politische Wille ist immer entscheidend. An ihn appelliere ich in allen Staaten. Man muß sich einmal zu einer gewissen Haltung bekennen und dann die notwendigen Konsequenzen ziehen. Ich möchte hoffen, daß wir zur Vollendung der Freihandelszone nicht mehr so tragische Lehren nötig haben, wie wir sie bekamen, um die Wirtschaftsgemeinschaft zu Ende zu bringen. Vergessen Sie nicht, daß es Anfang Oktober 1956 so aussah, als seien die Verhandlungen gescheitert. Es kamen dann die tragischen Ereignisse von Suez und Ungarn, und es kam jener Besuch des Bundeskanzlers am 6. November 1956 in Paris. Unter dem Eindruck dieser Europa erschütternden Vorgänge kamen die Verhandlungen über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sehr schnell wieder in Gang und führten zu einem positiven Ende.
Ich meine, die damaligen Lehren und die heutige Weltlage sollten genügen, um zu zeigen, wie notwendig ein baldiger weiterer Zusammenschluß auch in der Freihandelszone ist.
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Wir unterstützen daher die Bemühungen der Regierung um die Entstehung der Freihandelszone. Es ist durchaus nicht so, daß wir auch nur ein Wort von jenen Erklärungen, die Herr Margulies zitiert hat, zurückzunehmen hätten. Ich finde sie in vollem Einklang mit dem, was wir immer gewollt haben und was wir auch in Zukunft wollen werden.
Wir halten die Freihandelszone für sehr bedeutsam, für eine ausgezeichnete Ergänzung der Wirtschaftsgemeinschaft. Über beide geht der Weg zu einem größeren wirtschaftlich freien Europa und überhaupt zu einer wirtschaftlich in sich freien westlichen Welt.
Ich darf Sie daher im Namen der Deutschen Partei und meiner Fraktionsfreunde bitten, den Entschließungsantrag anzunehmen, der Ihnen vorliegt, einen Entschließungsantrag, den ich in meinen Ausführungen schon begründet habe.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Birkelbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im ersten Teil der Großen Anfrage der Fraktion der FDP geht es um die Unterrichtung des Bundestages über die Entwicklung im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Dieser Teil der Anfrage böte Veranlassung, auf gewisse Debatten zurückzukommen, die sowohl im Plenum dieses Hauses wie in den Ausschüssen stattgefunden haben, als wir uns über die Struktur des Vertrages unterhielten. Hier ist zu beachten, daß gemeinsam festgestellt wurde, es seien auf das Europaparlament nicht die gleichen Zuständigkeiten übergegangen, die die nationalen Parlamente, in unserem Falle der Bundestag, aufgegeben haben.
Es wurde dann in weiteren Debatten darauf hingearbeitet, sicherzustellen, daß wenigstens im Rahmen der Bundesrepublik eine Unterrichtung über die Tätigkeit des Ministerrates, daß in bestimmtem Ausmaß eine vorhergehende Unterrichtung erfolgt und daß vielleicht sogar eine Stellungnahme des Bundestages herbeigeführt wird. Denn in der Struktur dieser Gemeinschaft hat der Ministerrat wirklich eine sehr bedeutsame Stellung.
Wir können der Aufgabe, die uns als Parlamentariern gestellt ist, wir können unserer Verantwortung nur gerecht werden, wenn wir ein Zusammenspiel des übernationalen Parlaments, des Europaparlaments, mit den nationalen Parlamenten herbeiführen, und wir dürfen hier keine Naht offenlassen.
({0})
Das alles ist von Herrn Bundesaußenminister von Brentano in der Debatte damals aufgegriffen worden. Er hat auf die Behauptung hin, daß gewisse Zuständigkeiten der Parlamente überhaupt untergegangen seien, gesagt - ich zitiere -:
Ich glaube aber nicht, daß die Feststellung richtig ist, eine Reihe von parlamentarischen Rechten gingen in dem Vertrag unter. Sicherlich ist es richtig, . daß der Rat in bestimmten Fällen ermächtigt ist, bindende Entscheidungen zu treffen, und in besonderen Fällen kann ja auch, wie Sie wissen, die Europakommission Verordnungen erlassen, die für die Staatsangehörigen dann unmittelbar verbindlich sind.
Und nun kommt ein entscheidender Satz:
Aber vergessen Sie nicht, daß die Mitglieder des Ministerrats ja ihrerseits wieder der parlamentarischen Kontrolle unterliegen.
Es gab dann Debatten darüber, ob diese parlamentarische Kontrolle direkt an den Minister heranführt. Wir wissen, wie die Konstruktion nach unserem Grundgesetz ist. Aber in der Zwischenzeit haben sich in Europa doch politische Entwicklungen vollzogen, die eine bestimmte Gefahr erkennen lassen, nämlich die Gefahr, daß die Kontrolle durch das Parlament und die Verantwortlichkeit der Minister vor dem Parlament z. B. in Frankreich mindestens problematisch sind.
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Es wäre richtig, dieses Problem in der europäischen Öffentlichkeit schon heute stärker in den Vordergrund zu rücken, um so dazu beizutragen, daß, nachdem nun in Frankreich eine neue Verfassung angenommen worden ist, die Verfassungswirklichkeit sich nicht anders gestaltet, als damals bei dem Abschluß der Verträge angenommen wurde.
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Wir alle haben ein Interesse daran, zu prüfen, ob wir in Zukunft das, was im Ministerrat behandelt wird, nicht auch stärker in Plenarsitzungen diskutieren müssen, um zu erreichen, daß auch in anderen Ländern die Parlamente ihrer Pflicht in dieser Richtung nachkommen, und sicherzustellen, daß in Europa insgesamt die parlamentarische Demokratie als solche nicht ausgeschaltet wird.
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- Ich sehe, meine Herren, Sie glauben, daß alles dies, was ich hier vortrage, selbstverständlich sei. Ich hielt es jedenfalls für richtig, zu bemerken, daß dazu auch eine gewisse Einflußnahme gehört, ein gewisses Erkennenlassen dessen, was wir für richtig halten, z. B. von seiten der Regierung.
Ich muß dieses Thema hier allein schon deswegen so hervorheben, weil wir damals, als wir noch nicht die Erfahrung hatten, daß man unter Europa gewissermaßen nur eine Art besonderer Bewaffnung verstand, als man den europäischen Gedanken noch in der vollen Breite erfassen und darum ringen konnte, der Auffassung waren, daß mit der Schaffung europäischer Institutionen gleichzeitig ein Beitrag zur internationalen Untermauerung und Absicherung der parlamentarischen Demokratie in allen unseren Ländern geleistet werden sollte.
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Deswegen haben wir alle Veranlassung, diesen Punkt hier nicht völlig unerwähnt zu lassen.
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- Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich auf die werdende Verfassungswirklichkeit abstelle. Man muß diesen Dingen die notwendige Aufmerksamkeit im status nascendi widmen und nicht erst, wenn es zu spät ist.
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Ich finde jedenfalls, daß wir alle Veranlassung haben, in bezug auf diese Dinge die Praxis zu beobachten. Wir haben ja durch die Kontakte mit unseren Kollegen aus den anderen Parlamenten z. B. in Straßburg, in Luxemburg und in Brüssel gewisse Möglichkeiten, so zu wirken, daß das, was wir allgemein als richtig erkennen, sich auch dort fest verankert. Wir können den Kräften eine gewisse Stütze geben, die da noch um die endgültige Gestaltung ringen und in der Auseinandersetzung begriffen sind.
In diesem Zusammenhang gibt es noch ein anderes Problem. Wenn wir hier schon eine solche De2442
batte haben, ohne uns nun insgesamt mit diesem Vertragswerk über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auseinanderzusetzen, dann sollten wir erkennen, daß politische Entwicklungen, die sich seit dem Abschluß des Vertrages vollzogen haben, möglicherweise Gefahren in sich bergen. Insofern muß ich bekennen, daß ich weniger optimistisch bin, als es Herr Kollege Furler in seinen Ausführungen war, der diese Aspekte bewußt hier nicht behandelt hat, der andererseits auch nicht darauf eingegangen ist, daß z. B. die besonderen Regelungen, die sich mit den überseeischen Gebieten unserer Partnerstaaten befassen, eine gewisse Beleuchtung notwendig machen. Wir meinen, daß es nicht allein darum geht, sicherzustellen, daß bei jedem einzelnen Projekt, das z. B. aus dem Entwicklungsfonds mitfinanziert wird, das Wohl der dortigen Bevölkerung, ihre Entwicklung zur sozialen, wirtschaftlichen und politischen Selbständigkeit beachtet wird. Wir dürfen unser Augenmerk nicht allein auf ein Einzelprojekt richten. Wir haben vielmehr ein Interesse daran, daß die Gesamtpolitik, die ein großer Partner etwa seinen überseeischen Gebieten gegenüber betreibt, nicht zu einer Beeinträchtigung der Stellung Europas zu diesen Gebieten führt.
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Wir sollten das ,auch hier sagen, um so vor der Öffentlichkeit zu dokumentieren, daß wir hier auch selber verantwortlich geworden sind. Wir haben ja in dieser Wirtschaftsgemeinschaft einen Ansatz zu einer politischen Gemeinschaft gesehen, und zu
einer solchen politischen Gemeinschaft gehört mehr als das, was jetzt in den Vertragstexten steht. Wir müssen uns besonders davor hüten, daß unsere Schritte in dieser Richtung etwa als eine Einmischung in fremde Zuständigkeit empfunden werden. Da es diese Gemeinschaft nun einmal gibt, müssen Meinungsäußerungen in den nationalen Parlamenten möglich sein.
Auf diesem Gebiet ist höchste Aufmerksamkeit geboten. Wir wollen klarmachen, daß wir eine Rückkehr zu überholten Methoden und Konstruktionen in den Beziehungen zu den überseeischen Ländern als eine starke Gefährdung der Entwicklung zur europäischen Einheit ansehen. Hier allerdings haben wir bisher den Eindruck, daß die Bundesregierung von vornherein bereit ist, passiv zu bleiben, wenn möglich zwar zu zahlen, aber darüber hinaus nichts tun will. Es sollte klargemacht werden, daß gerade die Bestimmungen über die wirtschaftlichen Beziehungen zu den überseeischen Gebieten einen neuralgischen Punkt des Vertragswerkes darstellen, und dort, wo man etwas tun kann, sollte man etwaige Gefahren auch abzuwenden suchen.
Wir haben es für nötig gehalten, bei der Diskussion, die wir hier führen, diese politischen Punkte hervorzuheben.
Nun zu dem anderen Teil der hier vorgelegten Großen Anfrage. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Verwirklichung der Freihandelszone auftun, werden natürlich nicht von heute auf morgen überwunden werden können. Es wird da sehr langwieriger und schwieriger Verhandlungen bedürfen. Es besteht jedoch kein Grund zu der Annahme, von deutscher Seite werde hier etwa nachlässig gehandelt oder es sei nicht das Ziel der Bundesregierung, zu einer wirklichen Assoziation und zu einer Freihandelszone zu kommen. Bei dieser Gelegenheit muß ich Ihnen, Herr Kollege Dr. Furler, doch sagen, daß wir die Freihandelszone nicht für eine Einrichtung halten, ohne die man unter Umständen auch auskommen könnte. Nach unserer Auffassung sind gerade im deutschen Interesse besondere Anstrengungen in dieser Richtung nötig, und das sollte auch in der deutschen Öffentlichkeit gebührend erkannt werden.
Für diese Notwendigkeit führe ich zwei Gründe an. Zunächst: der politische Schaden, der durch eine weitere Aufspaltung Europas entstehen würde, wäre nicht ohne weiteres zu überbrücken. Zumindest in der Einschätzung dieser Gefahr sind wir uns alle einig. Zweitens: die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Auseinanderrückens der beiden Teile Europas könnten in einem bestimmten Umfange zu einer Bedrohung der Arbeitsplätze in ihrer bisherigen Verteilung führen. Wir wissen, daß unsere Nachbarländer Österreich, die Schweiz, Schweden, Dänemark und Norwegen in das Gebiet der EWG zwischen 28 und 49 0/o ihres Gesamtexports ausführen. Da taucht doch die Frage auf, wie wir unsere eigenen Bezüge aus diesen Ländern auf die Dauer bezahlen sollen, wenn nicht allein eine Zollsenkung gegenüber unseren anderen Nachbarländern eintritt, sondern gleichzeitig für eine ganze Reihe von Produkten - wenn nicht gleichzeitig, so doch im Laufe der Zeit - eine Zollheraufsetzung im Rahmen des für die Länder des Gemeinsamen Marktes geltenden Gesamt-Außenzolls.
Hier klafft etwas auseinander, und das kann durchaus auch bedrohliche Auswirkungen haben und die Struktur unserer Wirtschaft in mancher Beziehung stark berühren. Die Freihandelszone ist also auch aus diesem nationalen Interesse notwendig, und wir dürfen uns nicht etwa auf den Standpunkt stellen, zur Not ginge es auch ohne das, sondern müssen mit allem Nachdruck daran arbeiten, hier zu einer Lösung zu kommen, die praktisch eine Ausbreitung der Wirtschaftsgemeinschaft, eine Verhinderung der Abkapselung der Wirtschaftsgemeinschaft möglich macht.
In diesen Fragen gibt es gewisse Unterschiede zwischen Ihrer Auffassung und unserer. Wir könnten uns durchaus denken, daß eine Reihe von vertraglichen Regelungen auch der jetzigen Wirtschaftsgemeinschaft - natürlich nicht alle, nicht jede Bestimmung, aber eine Reihe von Bestimmungen - angepaßt werden könnten, daß man also nicht nur, wie einmal gesagt wurde, unter dem Gesichtspunkt verhandelt: der europäische Besitzstand muß gewahrt werden. Wenn ich alles das zusammenfasse, was in der Zwischenzeit an Problematik hier aufgetaucht ist, dann muß ich den Begriff europäischer Besitzstand sehr viel enger fassen, als es bisher geschehen ist. Man darf ihn auf keinen Fall zu stark
auf das Institutionelle ausdehnen und glauben, hier ginge es darum, alles und jedes zu verteidigen.
Darüber hinaus können die möglichen Lösungen in bezug auf die Wirtschaftsassoziationen mit andern Ländern durchaus auch die Schaffung von Institutionen einschließen, die parallel zu denjenigen der EWG und mit ihnen zusammen handeln können. Hier muß nach unserer Auffassung eine elastische Lösung vorherrschen. Man darf nicht zu starr an der sogenannten Ausgangsgrundlage festhalten.
Nun sehen wir natürlich ein, daß die Verwirklichung der Freihandelszone zum I. Januar des kommenden Jahres kaum erreichbar sein wird. Wir würden es begrüßen, wenn man zu einer provisorischen Lösung für diesen Zeitpunkt käme, aber nicht zu einem Provisorium, das dann sozusagen der Dauerzustand wird, sondern es muß hier ganz klar sein, wohin wir gehen wollen.
Wir müssen in jeder Beziehung das Gefühl bekommen, daß die Bundesregierung die eigenen Interessen des deutschen Volkes und der arbeitenden Bevölkerung insbesondere nachdrücklich wahrnimmt. Gegen die hier eingebrachte Entschließung, gegen den Antrag Nr. 161, haben wir keine Einwendungen vorzubringen. Wir glauben, daß er in die richtige Richtung zielt, werden ihm also zustimmen.
Wir hatten bei unseren Überlegungen, die uns zu dem Schluß führten, dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft seinerzeit zuzustimmen, einige andere Fragen hervorgehoben, andere als in den Betrachtungen bisher, insbesondere von den Sprechern der FDP, vorgetragen worden sind. Wir glaubten, daß nationale Bemühungen zur Sicherung eines hohen Beschäftigungsstandes heute nicht mehr ausreichen würden und daß es darauf ankäme, eine gemeinsame Beschäftigungs- und Konjunkturpolitik zu entwickeln und dafür auch Institutionen zu schaffen, die dann nachher ein Parallelschalten mit anderen Wirtschaftsräumen durchaus denkbar machen. Wir waren uns bewußt, daß in diesen Vertrag eben nicht der früher so sehr strapazierte Begriff der sogenannten Supranationalität in eine Vorwegbestimmung hineinkommen werde, sondern daß man sich bemühte, mehr pragmatisch und in Etappen vorzugehen und im Laufe der Zeit auch eine Überwindung der Teilintegration, die unsere Wirtschaft nach unserer Auffassung gefährlich lähmen könnte, zu erreichen.
Das alles sind Gesichtspunkte, die wir hier in den Vordergrund zu rücken haben, um zu zeigen, wo die wirklichen Anliegen sind, die uns veranlaßten, dieses Vertragswerk anzunehmen. Da die Ansatzpunkte sehr schwach sind - wir haben das in der Debatte betont -, käme es darauf an, sie weiter zu entwickeln und sie nicht aus der Diskussion in der Öffentlichkeit herauszulassen.
Wenn wir das alles so betont und dabei immer wieder auch ein anderes Monitum angebracht haben, dann aus folgendem Grundgedanken heraus: Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die verstärkten Bemühungen um eine sogenannte Westintegration letzten Endes mit der Tendenz der Einschmelzung eines Teiles Deutschlands in ein solches westliches System große Gefahren für die Möglichkeit einer Überwindung der deutschen Spaltung in sich bergen. Wir sind der Auffassung, daß man jederzeit, bei allen Besprechungen und bei allem, was man tut, an die Notwendigkeit, dem zu begegnen, denken sollte. Dabei müssen wir auch heute, insbesondere nach der Debatte, die gestern hier geführt worden ist, sagen: wir sehen, zu welchen Anstrengungen und Opfern die Bundesregierung bereit ist, z. B. in jenen Fragen eine Annäherung herbeizuführen, eine praktische Lösung auszuarbeiten. Auf der anderen Seite aber möchten wir, daß zur Überwindung der deutschen Spaltung mindestens die gleiche Aktivität und der gleiche Nachdruck entwickelt werden, um auch hier zu praktischen Lösungen zu kommen.
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Wir haben Ihnen gestern - ich erinnere an die Rede des Herrn Kollegen Professor Dr. Schmid - gewisse Anregungen unterbreitet, über die wir uns noch weiter zu unterhalten gedenken. Ich glaube, daß Sie aus dieser Ankündigung und auch aus dem, was ich hier in dieser Debatte vorgetragen habe, erkennen können, wie sehr uns daran liegt, eine Integration, die wir brauchen, um einen besseren Lebensstandard und die Vollbeschäftigung zu erreichen, mit einer Politik zu verbinden, die letzten Endes die Überwindung der Spaltung Deutschlands ermöglicht.
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Das Wort hat der Abgeordnete Scheel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an eine Bemerkung anschließen, die der Kollege Birkelbach in seiner Rede über die Gedanken gemacht hat, die die sozialdemokratische Fraktion bewogen haben, dem Vertrag über die EWG zuzustimmen, nämlich einen größeren Wirtschaftsraum zu schaffen, in dem es größere Stabilität geben würde und in dem auch der Lebensstandard verbessert werden könnte. Das ist eine durchaus liberale Idee, und sie ist auch die Grundlage der Überlegungen der Freien Demokratischen Partei gewesen. In einer modernen arbeitsteiligen Wirtschaft braucht man große Räume, um zu einem ungehinderten Warenverkehr zu kommen. Sicherlich ist das die Grundlage für die Überlegung, in Europa einen einheitlichen Markt zu entwickeln, der etwa 250 Millionen Verbraucher umfassen und der es der Wirtschaft erst ermöglichen würde, ihre optimale Leistung voll auszuschöpfen.
Dabei besteht allerdings immer die große Gefahr, daß es bei solchen Entwicklungen zu perfektionistischen Formen kommt, die nachher eine dirigistische und protektionistische Entwicklung begünstigen könnten, und das würde die freie Entfaltung der Kräfte, die wir an den Anfang aller unserer Überlegungen stellen, hemmen und zu einer Schrumpfung des Wirtschaftsprozesses führen, die wir weiß Gott nicht wollen. Daher kommt es dar2444
auf an, bei allen Überlegungen zur Schaffung von wirtschaftlichen Großräumen am Anfang die Weichen richtig zu stellen, nämlich am Anfang eine freiheitliche Entwicklung zu begünstigen. Das, meine Damen und Herren, war genau die Einstellung, die die FDP hatte, als wir die Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft besprochen haben.
Sie wissen, daß wir der EWG gegenüber eine verhältnismäßig reservierte Haltung gehabt haben. Bei der Beratung dieser Verträge hat uns ein Mißbehagen beschlichen, und das aus zwei Gründen. Der erste Grund war, daß nach innen, nämlich in der Entwicklung im Vertragsbereich selbst, das Vertragswerk alle protektionistischen und dirigistischen Möglichkeiten offengelassen hat, ja gerade die Chance für solche Entwicklungen eröffnet hat, wobei auf der anderen Seite auch eine liberale Entwicklung durch die Verträge sehr wohl möglich ist.
Aber vor allen Dingen haben wir Sorge gehabt, daß dieses Gebiet sich nach außen hin abkapseln könnte; denn die Konstruktion einer Zollunion mit einem gemeinsamen Außenzoll bietet natürlich die Möglichkeit der Abkapselung und der Einschränkung des Verkehrs mit den Staaten, mit den Völkern um uns herum. Daher haben wir von Anfang an entscheidendes Gewicht darauf gelegt, diesen Raum durch die Freihandelszone zu ergänzen. Wir haben in allen Beratungen damals immer wieder hervorgehoben, daß unsere Stellung zur EWG durch die Tatsache beeinflußt werden würde, wie sich die Verhandlungen über die Freihandelszone entwikkeln würden. Ich war selbst - Sie werden sich erinnern - Berichterstatter des Bundestags in dieser Frage, und der Bundestag hat damals einstimmig unserer Auffassung seine Zustimmung gegeben, daß nämlich die EWG gefährdet werden würde, wenn es nicht gelänge, die Freihandelszone zu erreichen.
Unsere Große Anfrage, meine Damen und Herren, hat nichts anderes im Sinne gehabt als die Regierung aufzufordern, im Sinne der einstimmigen Entschließung des Bundestags zu wirken. Die Bundesregierung hat diese Große Anfrage, ich muß sagen, detailliert beantwortet, wenngleich ich betonen möchte, daß auch bis jetzt schon eine Unterrichtung des Bundestags und der Ausschüsse hätte möglich sein müssen; denn so wenig ist ja in der jüngsten Vergangenheit nicht passiert. Und wenn die Initiative nun beim Wirtschaftspolitischen Ausschuß vielleicht gefehlt hat, dann hätte die Bundesregierung die Initiative ergreifen müssen, um der Pflicht, mit dem Parlament diese Frage zu diskutieren, nachzukommen. Das heißt also: Für die Vergangenheit bin ich nicht recht zufrieden; für die Zukunft hat uns die Bundesregierung sehr prononciert ihre Bereitschaft zu erkennen gegeben, uns in allen Einzelfragen zu unterrichten und zu einem wirklichen Gespräch zu kommen.
Ich möchte bei der Gelegenheit einen Gedanken von Herrn Professor Furler aufgreifen; ob es nicht ratsam wäre, einen Sonderausschuß des Bundestags mit der laufenden Diskussion dieser Frage zu beauftragen, der gleichzeitig dann auch die koordinierende Tätigkeit mit dem europäischen Parlament von sich aus durchführen könnte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es scheint mir jetzt nötig zu sein, einige Ergänzungen zur Antwort der Bundesregierung zu bringen.
Wir müssen uns wohl mit dem Bild der zukünftigen Freihandelszone auseinandersetzen weil auch hier gewisse Institutionen sich zu entwickeln scheinen, die dem Bilde einer liberalen Zusammenarbeit zwischen den Staaten nicht ganz entsprechen mögen. Die komplizierten Vertragsabmachungen, die wir ja schon aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft kennen und die wir im Bereich der Verhandlungen über die Freihandelszone wieder erleben, lassen manchen liberalen Beobachter fragen, ob nicht eine lockere Verbindung, in der die Volkswirtschaften der Industriestaaten vor dem ersten Weltkrieg einen Zustand der Vollintegration erreicht hatten, der jetzigen Form der Zusammenarbeit vorzuziehen sei. Diese Beobachter lassen wohl außer acht, daß der paradiesische Zustand der Weltwirtschaft vor dem 1. Weltkrieg diesen Krieg und andere Konflikte nicht verhindert hat. Ja, es besteht sogar der Verdacht, daß das bloße Interesse für den reibungslosen Ablauf des Zahlungsverkehrs mit ein Teil Schuld trägt an der Anfälligkeit unserer Weltwirtschaft, die ja zum Teil eine Folge der labilen Situation der Rohstoffländer ist.
Der Zustand des reibungslosen Waren- und Zahlungsaustauschs auf der Basis der Goldwährung, wie er vor ,dem 1. Weltkrieg bestand, ist schon deswegen nicht mehr zu erreichen, weil die Industriestaaten sich ein hohes Maß an Souveränität in der Wirtschaftspolitik erhalten wollen. Das gilt nicht nur für die Staaten, die etwa planwirtschaftliche oder sozialistische Vorstellungen mit der Wirtschaftspolitik verbinden, sondern das gilt auch für die Staaten, die eine sehr liberale Wirtschaftspolitik treiben. Wenn Sie sich einmal gerade die Verhandlungen um das Zustandekommen der Freihandelszone und die Rolle, die die Schweiz in diesen Verhandlungen spielt, ansehen, dann stellen Sie fest, daß gerade solche Staaten nicht auf ein Jota ihrer liberalen Wirtschaftspolitik verzichten wollen.
Bei dieser Sachlage muß man erkennen, daß eine Reintegration der europäischen Wirtschaft, wie sie z. B. Professor Röpke jetzt als notwendig erachtet, nicht allein durch das Senken von Zöllen und die Beseitigung von Kontingenten erreicht werden kann, sondern daß darüber hinaus bei der heutigen Sachlage weitere Formen der Zusammenarbeit gefunden werden müssen. Erst ein Höchstmaß an Koordinierung kann uns diese Reintegration bringen, die wir ja alle wollen.
Vor allem ist das bei der Abstimmung der Konjunkturpolitik der beteiligten Staaten nötig; denn hieran hängt ja eine befriedigende Entwicklung der ganzen europäischen Entwicklung. Wenn wir Rückschläge schwerer Natur erlitten, etwa dadurch, daß wir unsere Konjunkturpolitik nicht aufeinander abstimmten und daß dadurch Störungen im WarenScheel
und Zahlungsverkehr entstünden, dann würden solche Rückschläge möglicherweise zu einem Rückfall in die alten autarkischen Bestrebungen der Wirtschafts- und Handelspolitik der Völker untereinander führen. Schon deswegen ist es nötig, hier zu gewissen Übereinstimmungen zu kommen.
Viel wird davon abhängen, in welchem Geiste die Verträge, die wir teils abgeschlossen haben, teils abschließen müssen, ausgeführt werden. Es ist heute aus verschiedenen Gründen wohl nicht möglich, ein marktwirtschaftliches Ordnungssystem einfach über die Grenzen hinaus auszudehnen. Wir müssen nun einmal den etwas umständlichen Weg der zwischenstaatlichen Verträge gehen, so leid uns das auch tun mag. Wenn die neuen europäischen Behörden, die wir entweder schon haben oder vielleicht noch bekommen werden, die Verträge in liberalem Sinne auszuführen, können wir froh sein; wir müssen es wünschen. Ich habe den Eindruck, daß nicht alle leitenden Beamten der europäischen Organe so wenig liberal denken, wie es mancher Kritiker aus der Sache heraus vermutet. Insofern kommt natürlich bei der weiteren Entwicklung, die wir anstreben, nämlich der Erreichung eines größeren Raumes der Zusammenarbeit, der Auffassung der schon bestehenden Institutionen eine gewisse Bedeutung zu.
Ich möchte hier einmal, weil es notwendig erscheint, die Auffassung zitieren, die die Kommisson der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu der Notwendigkeit, eine Freihandelszone zu entwickeln, hat. Das Mitglied der Kommission, der belgische liberale Politiker Jean Rey hat dazu vor dem Europäischen Parlament bemerkenswerte Ausführungen gemacht, die ich Ihnen gern vortragen möchte. Er sagte nämlich:
Wir
- wir, das ist die Europäische Kommission
halten die Schaffung einer europäischen Wirtschaftsassoziierung
- das ist die Freihandelszone für notwendig, weil dies im Sinne der Urheber des Vertrages von Rom ist und weil sie diesen Wunsch in der gemeinsamen Erklärung über die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der internationalen Organisation erneut bestätigt haben. Diese Erklärung ist der Schlußakte vom 25. März 1957 beigefügt.
Nach unserer Auffassung kann es jedenfalls nicht das Ziel der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sein, eine autarkische Stellung einzunehmen, die allen Grundsätzen, auf denen sie selbst begründet ist, widersprechen würde. Wir sind dieser Auffassung, weil wir uns darüber klar sind, daß die Mitgliedstaaten unserer Gemeinschaft selbst den Wunsch hegen, ihren Wirtschaftshorizont zu erweitern, und weil ein Mißlingen dieser Bemühungen in der Folge ohne Zweifel ernste Schwierigkeiten und Spannungen innerhalb der Gemeinschaft selbst hervorrufen würde. Wenn unsere Gemeinschaft mit Recht den Vorwurf zurückweist, irgendwelche
unterschiedliche Bedingungen in Europa gegeschaffen zu haben, so muß sie andererseits
meine Damen und Herren, das ist sehr wichtig auf die Folgen achthaben, die sowohl innerhalb wie außerhalb der Gemeinschaft aus solchen unterschiedlichen Bedingungen entstehen, und zum Ausdruck bringen, daß sie gewillt ist, die augenblicklichen Schwierigkeiten im Geiste der Zusammenarbeit zu beseitigen.
Das ist allerdings die Aufgabe der EWG im Zusammenhang mit den Diskussionen über das Entstehen einer europäischen Wirtschaftsassoziation, wie wir sie sehen. Ich glaube, man sollte hier im Parlament festhalten, daß die Auffassung, die von Herrn Rey vorgetragen worden ist, die Richtschnur für die künftige Arbeit der Europäischen Kommission sein sollte.
Der erste Gesamtbericht der Europäischen Kommission, ein dickes Werk, das uns in den letzten Tagen zugegangen ist, sagt eine ganze Menge über Liberalisierung, über Öffnung der Märkte und eigentlich recht wenig über die ersten Anzeichen protektionistischer Regungen innerhalb des Vertrags. Da die Mitarbeit der EWG-Kommission an der weiteren Entwicklung des Vertragswerks über das Zustandekommen einer Freihandelszone von entscheidender Bedeutung ist, ist auch diese Äußerung zu dem Problem im jetzigen Gesamtbericht, so glaube ich, wichtig und sollte hier festgehalten werden. Die Vermittlungsvorschläge der Europäischen Kommission in der Vergangenheit haben ja zu einem Teil zu dem Bild beigetragen, das sich jetzt abzuzeichnen scheint.
Ein Gebiet ist weder in den Verträgen zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch in dem ersten Gesamtbericht der Europäischen Kommission noch in den Ausführungen der Bundesregierung zu unserer Großen Anfrage erwähnt worden, ein Gebiet, das ich persönlich bei der Entwicklung der europäischen Volkswirtschaften im Verkehr miteinander für das wichtigste halte: das ist das Währungsgebiet. Ausgerechnet das Währungsgebiet ist der Sektor, der im Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft am meisten vernachlässigt worden und auch bisher bei der Diskussion um die Freihandelszone nicht erfaßt worden ist. Die Erhöhung des Warenverkehrs allein ist ein Nonsens, wenn der Zahlungsverkehr stockt. Das ist der Kern bei allen Versuchen, zu einer besseren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu kommen. Solange aber die Staaten, die an einem Vertragswerk teilhaben, ihre Wechselkurse willkürlich festsetzen können, die Autonomie der Währungspolitik behalten, bleibt alle andere Zusammenarbeit ein Stückwerk.
In der jüngsten Vergangenheit sind Versuche gemacht worden, zu einer Konvertibilität der Währungen zu kommen. Es war der Herr Bundeswirtschaftsminister, der monate-, ja jahrelang einen verbissenen Kampf geführt hat, zu einem frühen Zeitpunkt dieses Stadium zu erreichen. Diese Versuche sind gescheitert, weil, so sagt man, die Währungen noch nicht reif dafür seien. Die Wirtschafts-,
die Finanz-, Konjunktur- und Währungspolitik der Staaten müsse einander angeglichen werden. Die Konvertibilität setze voraus, daß alle beteiligten Währungen Hartwährungen seien; und dieser Zustand ist bisher noch nicht erreicht worden. Sicherlich, so glaube ich, wird die in den Verträgen vorgesehene Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Währungspolitik eine gewisse Voraussetzung für die Konvertibilität der Währungen bilden. Aber sie bietet keine Garantie für eine disziplinierte Währungspolitik. Hier beißt sich die Katze nämlich in den Schwanz. Die Konvertibilität setzt Hartwährung voraus. In vielen Fällen wird aber die Hartwährung nur unter dem Zwang der Konvertibilität erreicht werden. Ein freier Wechselkurs erst würde eine inflationäre Finanzierung der Expansion des Binnenmarktes durch Zahlungsbilanzdefizite verhindern.
Die Währungspolitik scheint mir auch das Kernproblem der Zusammenarbeit im Rahmen der zukünftigen Freihandelszone zu sein, und ich glaube, die Bundesregierung sollte den größten Wert darauf legen, ihrerseits bei ihren Bemühungen, dieses Vertragswerk zu erreichen, immer wieder dieses Kernproblem zum Gegenstand der Diskussion zu machen.
Die Bundesregierung hat überhaupt die wichtige Aufgabe, im Sinne der Beantwortung der Großen Anfrage der FDP sozusagen als Vermittler zwischen den widerstreitenden Meinungen der zukünftigen Partner in einem solchen Gebiet aufzutreten. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat angedeutet, daß er sich in der Vergangenheit immer wieder um diese Aufgabe bemüht hat. Im wesentlichen - das ging auch aus den Darlegungen von Herrn Professor Furler hervor - sind es wohl die unterschiedlichen Auffassungen unseres französischen Partners aus der EWG und des zukünftigen englischen Partners innerhalb der Freihandelszone, die es auszugleichen gilt - auszugleichen in einem positiven Sinne. Der Nationalökonom Röpke hat einmal von dem „Druck nach unten" gesprochen, den er in der internationalen Zusammenarbeit auf der Basis solcher Verträge befürchtet. Ich glaube, es ist die Aufgabe unserer Bundesregierung, auf der Basis einer liberalen wirtschaftspolitischen Überzeugung einen Druck nach oben auszuüben, und es ist die Aufgabe des Bundeswirtschaftsministers, zwischen den beiden, mit denen er es im wesentlichen zu tun hat, in diesem Sinne auszugleichen. Ich möchte sagen, in Abwandlung eines populären Bildes und unter Beibehaltung der traditionellen Rolle, die der Bundeswirtschaftsminister ja hat: „Ein Weltkind links, das andere rechts, Prophete in der Mitten." So sollte er seine Rolle auffassen: der Prophet einer liberalen Entwicklung sollte zwischen den beiden anderen Partnern ausgleichen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Professor Röpke, der ja ein scharfer Kritiker der Entwicklung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist und der als ein liberaler Nationalökonom mit besonderer Dringlichkeit immer wieder darauf hinweist, daß es zu einer Freihandelszone kommen müsse, wenn anders die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als solche überhaupt solle funktionieren können, hat der Bundesrepublik und der Bundesregierung offensichtlich eine positive Rolle in dieser Entwicklung zugedacht. Ich weiß nicht, ob er dieses Lob für die Bundesregierung in seinen verschiedenen Reden und Aufsätzen niedergelegt hat, bevor oder nachdem er die Rede des Arbeits- und Sozialministers über die Notwendigkeit des Wohlfahrtsstaates gelesen hat. Ich möchte annehmen, er hat seine Meinung vor Kenntnisnahme dieser Rede geäußert und nicht nachher; sonst wäre er sicherlich zutiefst erschrocken gewesen und würde berechtigten Zweifel in die Kraft der Bundesregierung haben, einen solchen Weg zu gehen.
Ich glaube, die Bundesregierung hat noch weitere Aufgaben in der weiteren Entwicklung zu einer Freihandelszone, nämlich bei der Schaffung möglicher neuer Institutionen sehr große Vorsicht walten zu lassen. Es ist ja - so konnten wir aus der Presse entnehmen, und so ist auch eben aus den Ausführungen von Herrn Professor Erhard hervorgegangen - in Venedig offenbar Einigkeit darüber erzielt worden, daß man eine Freihandelszone mit den institutionellen Mitteln der OEEC steuern kann und will. Darüber hinaus aber - so habe ich mir sagen lassen - sollen noch zusätzliche Direktorien und Einrichtungen geschaffen werden. Sollte man hier nicht einmal ins Auge fassen, ob man eine gewisse Koordinierung oder eine Harmonisierung der nebeneinander hergehenden Verträge dadurch erreichen kann, daß man gewisse Aufgaben den gleichen schon bestehenden Organen und Institutionen geben kann, selbst über alle möglichen juristischen und vertragsrechtlichen Fußangeln hinweg? Wo es einen Willen zu einer solchen Koordinierung gibt, da sollte man auch einen Weg finden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist nötig, im Zusammenhang mit der Diskussion über die Entwicklung der Freihandelszone ein besonderes Problem zu besprechen. Das ist nämlich die Aufgabe, die eine solche zukünftige europäische Wirtschaftsassoziation haben müßte. Dieses ist nicht nur die Verbesserung des Warenaustauschs auf dem europäischen Markt. Genauso wichtig, glaube ich, vielleicht noch bedeutsamer, ist die Herstellung intensiver Wirtschaftsbeziehungen zwischen den klassischen Industrieländern und den sogenannten Entwicklungsländern, damit die Störanfälligkeit der Weltwirtschaft verringert wird. Diese Aufgabe ist um so schwieriger, als sie mit den Bestrebungen dieser Gebiete zusammenfällt, ihre politische Unabhängigkeit zu erringen und auszubauen. Der Herr Kollege Birkelbach hat soeben auf die politische Seite dieser ungemein wichtigen Frage hingewiesen. Diese Gebiete haben fast ohne Ausnahme, sei es aus klimatischen Gründen oder als Folge der Kolonialpolitik der Vergangenheit, die krisenanfällige Monokultur als Grundlage ihrer Volkswirtschaft. Wir erleben in jüngster Zeit, wie durch einen Preisverfall auf dem Rohstoffsektor diese Länder und Gebiete Störungen des Welthandels auslösen, die ernste Folgen haben können. Bei sinkenden Rohstoffpreisen müssen
diese Länder ihre Bestellungen an Industrieerzeugnissen kürzen. Das führt zu Beschäftigungseinschränkungen in den Industrieländern, und das hinwiederum führt dazu, daß diese Industrieländer ihre Rohstoffkäufe einschränken müssen, und wenn man diesen Circulus nicht irgendwo unterbricht, dann kann es zu erheblichen Schrumpfungen des Welthandels führen mit all seinen verheerenden sozialen und politischen Folgen.
Die vornehmste Aufgabe einer zukünftigen europäischen Zusammenarbeit auf breiter Grundlage scheint es mir zu sein, diesen Gebieten bei der Verbesserung ihrer Wirtschaftsstruktur mit materieller Hilfe und mit technischem Rat zur Seite zu stehen. Europa ist ja das beste Beispiel dafür, daß eine schnelle und großzügige Hilfe für den Aufbau der Wirtschaft auch schnell Früchte tragen kann. Wer hätte bei Beginn der großzügigen Marshallplanhilfe vor zehn Jahren je geglaubt, daß wir so bald wieder anderen helfen können, nachdem unser wirtschaftlicher Aufbau aus dem Zustand einer völlig zerschundenen, desolaten europäischen Wirtschaft heraus begonnen hat. Die sinnvolle Verteilung der Aufgaben im Verkehr mit diesen Entwicklungsländern für die Zukunft sollte allerdings schon jetzt überlegt werden. Eine wirkungsvolle Hilfe bei der Verbesserung der Wirtschaftsstruktur in den Entwicklungsländern kann sich nicht in einer einmaligen Leistung erschöpfen. Erst der ständige Kontakt wird hier befriedigende Ergebnisse bringen.
Die Weltbank hat in den vergangenen Jahren sicherlich eine hervorragende Pionierleistung auf dem Gebiete weltweiter Finanzierungsgeschäfte vollbracht. Mir scheint es jedoch sinnvoll zu sein, daneben noch andere, sowohl multilaterale als auch bilaterale Maßnahmen ins Auge zu fassen.
Eins muß gesagt werden: Die Hilfe mit öffentlichen Mitteln allein hat nur geringen Nutzen, wenn nicht daneben die private Investition tritt. Ob allerdings deutsches privates Kapital in nennenswertem Umfang in die Entwicklungsgebiete fließt, hängt zu einem großen Teil von dem Investitionsklima ab, das die verantwortlichen Behörden dieser Gebiete für ausländische Investoren schaffen. Der unbedingte Schutz des Privateigentums ist wohl die erste Voraussetzung in diesem Zusammenhang.
Die Entscheidung, die die Regierung der Vereinigten Staaten über die Rückgabe des im Kriege beschlagnahmten privaten Eigentums trifft, ist von großer Bedeutung für diese Entwicklung.
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In den letzten Wochen und Monaten ist deutlich geworden, daß eine Hilfe für die Entwicklungsländer, um wirkungsvoll zu sein, schnell und großzügig gewährt werden muß. Die 1,2 Milliarden Menschen, die in diesen Ländern wohnen, produzierten 1955 nur für 150 Milliarden Dollar. Das ist nicht viel mehr als ein Drittel der Produktion, die die Vereinigten Staaten mit nur 160 Millionen Einwohnern hatten. Sie können sich vorstellen, was aus dieser Situation herausspringt, welches Lebensniveau dort anzutreffen ist. Das soziale Niveau der Industrieländer und der Entwicklungsländer nähert sich in den jüngsten Jahren nicht, sondern es klafft mehr und mehr auseinander. Wenn wir die sozialen Spannungen und ihre drohende Explosion vermeiden wollen, dann gilt es, jetzt all das nachzuholen, was wir vielleicht in der Vergangenheit versäumt haben. Es gilt, das kräftig zu tun, schnell zu tun, und zwar gemeinsam zu tun. Dazu brauchen wir die Zusammenarbeit aller europäischen Völker.
Nun tritt die Bundesrepublik auf diesem Gebiet in eine ganz besondere Verantwortung ein. Sie schickt sich an, als beachtlicher Gläubiger in dieser Entwicklung auf dem Weltmarkt aufzutreten. Wenn das ein Staat tut, und zwar ganz im Gegensatz zu dem bisherigen Verlauf seiner Rolle, die er in der Welt gespielt hat, dann sollte man an den Anfang einige politische Überlegungen stellen. Jetzt ist es dazu noch Zeit. Ich meine, wir sollten sehr bald einmal über diese Entwicklung, die sowohl mit einer zukünftigen Freihandelszone in Europa als auch mit der besonderen Rolle der Bundesrepublik in diesem Rahmen in Zusammenhang steht, im Parlament, sei es im Plenum, sei es in den dafür zuständigen Ausschüssen, eingehend diskutieren. Ich hoffe, daß die Verhandlungen, die jetzt in Neu-Delhi stattfinden und an denen der Herr Bundeswirtschaftsminister teilnimmt, nicht ein Präjudiz schaffen für eine Entwicklung, die wir in unserem Parlament noch nicht ausreichend besprochen haben.
Zum Abschluß möchte ich auf einige Bemerkungen eingehen, die der Kollege Dr. Furler im Rahmen seines Diskussionsbeitrags gemacht hat. Sie scheinen mir vor allem wichtig zu sein, um die Stellungnahme der Freien Demokratischen Partei zum Problem der Freihandelszone noch einmal klarzumachen.
Zunächst hat er gesagt, daß die Bundesrepublik die Freihandelszone wohl gar nicht brauche,
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- Entschuldigung! - daß die Bundesrepublik nicht so scharf sei auf das Zustandekommen der Freihandelszone; sie habe sie nicht unbedingt nötig. Das war doch wohl der Sinn dessen, was Sie sagten.
Nein! Ich habe gesagt, daß wir sie nicht mehr brauchen als die anderen und daß wir nicht den Eindruck erwecken sollten, als wollten allein wir die Freihandelszone aus eigenstem Interesse haben.
Gut, dann nehme ich das so: wir haben kein besonderes Interesse, das über das der anderen hinausgeht. - Nun, meine Damen und Herren, wir hatten kein besonderes Interesse an dem Zustandekommen der Freihandelszone, solange es die EWG nicht gab. Jetzt aber, wo es die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gibt, hat die Bundesrepublik ein besonderes Interesse daran. Es ist also nicht ein nationales Interesse, sondern ein Interesse, das bedingt worden ist durch das Zustandekommen einer anderen internationalen Organisation. Von da her sehen wir die Notwendigkeit
für die Bundesrepublik, mit allen Mitteln zum Zustandekommen der Freihandelszone beizutragen. Das wollte ich noch einmal deutlich machen.
Dann haben Sie, Herr Professor Furler, gesagt, daß die EWG ein notwendiger Bestandteil einer Freihandelszone sei und daß Sie es für Ihre Fraktion ablehnen würden, daß man an die EWG taste, denn sie sei einfach zwingend notwendig. Solange die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in der Entwicklung auf eine größere Gemeinschaft hin, auf eine Freihandelszone oder eine europäische Wirtschaftsassoziation, wie wir sie heute nennen, hin ein Motor ist und positiv an der Weiterentwicklung mitarbeitet, hat sie sicherlich ihre Bedeutung. In dem Augenblick aber, in dem sie sich einmal als Bremse auf diesem Wege erweisen sollte, sieht es völlig anders aus. Dann nämlich würden wir in der FDP sagen - hat sie keine Bedeutung mehr. Das muß eindeutig festgehalten werden.
Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß unsere Große Anfrage den Zweck, den wir mit ihr verfolgt haben, insoweit erreicht hat, als in einem Zeitpunkt, in dem die Verhandlungen zur Erreichung einer größeren wirtschaftlichen Gemeinschaft in ein entscheidendes Stadium eingetreten sind, noch einmal Gelegenheit gegeben worden ist, das Parlament zu hören und seine Meinung vor der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit festzustellen. Unsere Große Anfrage war auch insoweit erfolgreich, als alle Zusagen und gemeinsamen Beteuerungen des Parlaments, die wir in der Vergangenheit auf dieses Ziel hin gegeben und bekundet haben, noch einmal wiederholt worden sind und die Bundesregierung - das darf ich, glaube ich, erfreulicherweise feststellen - zu ihrer damaligen Auffassung in vollem Umfange auch heute wieder gestanden ist und zu erkennen gegeben hat, daß sie auf dem Wege dieser Entwicklung einen positiven Beitrag mit allen Mitteln zu leisten gewillt ist.
Das ist der Sinn unserer Anfrage gewesen, und insoweit ist sie mit Erfolg hier behandelt worden. Das hat unsere Fraktion auch veranlaßt, der Entschließung, die uns gestern von Mitgliedern der CDU-Fraktion vorgelegt wurde, im Kern zuzustimmen. Nachdem sie nunmehr eine Form gefunden hat, die unseren Auffassungen im wesentlichen entspricht, möchten wir - und ich darf das hier im Auftrage der Fraktion sagen - die gestern aus technischen Gründen nicht mehr mögliche Unterschrift der Fraktion unter diese gemeinsame Entschließung hiermit nachholen. Wir stimmen ihr nicht nur zu, sondern wir nehmen das Angebot, sie als gemeinsame Entschließung einzubringen, an.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem mein Fraktionskollege Scheel soeben am Schluß zu der Entschließung, die uns vorgelegt worden ist, gesprochen hat, möchte ich mit ganz wenigen Sätzen noch einmal sagen, warum wir die Änderungen verlangen mußten, die wir verlangt haben, wenn wir der Entschließung zustimmen sollten. Ich halte es für notwendig, darüber zu sprechen, weil vorher der Herr Bundeswirtschaftsminister uns auf die Große Anfrage geantwortet und uns die doch weithin aus der Presse bekannten Tatsachen hier noch einmal zusammengestellt hat und weil daraus dann auch hervorgegangen ist, daß der Wille zur Freihandelszone besteht. Auf der anderen Seite ist es aber so, daß vielleicht eine gewisse Beurteilung der Situation, in der wir uns befinden, gerade nach der Konferenz in Venedig gutgetan hätte für dieses Haus, wenn man darüber ein wenig gesprochen hätte. Denn unzweifelhaft muß doch, wenn wir fragen, warum nicht mehr Unterrichtung des Parlaments erfolgt, eine solche Gelegenheit wie heute benutzt werden, diese Unterrichtung in vollem Umfange herbeizuführen. Man hätte ein wenig die veränderte Situation mit darstellen sollen und die Folgerungen, die man aus ihr zu ziehen hat. Ich meine die veränderte Situation seit dem Beschluß in Venedig, diese Festlegung, daß die „Sechs" ein Block sind und daß man den anderen isoliert gegenübertreten will. Das ist eine entscheidende Wandlung. Ich glaube, sie hat sich in dem Straßburger Parlament bei den letzten Sitzungen angebahnt. Dort wurde dies als ein Neues, als ein Novum empfunden, und so sollten wir es auch heute in diesem Parlament empfinden.
Ich bin um so mehr bestärkt in der Absicht, wenigstens einige wenige Sätze noch zu sagen, als der Herr Kollege F u r l er in seinen Ausführungen zur Freihandelszone meines Erachtens ein wenig doch eine Situationsschilderung gegeben hat und auch eine Schilderung dessen, was wir anstreben, die vielleicht nicht so ganz mit dem übereinstimmt, was seinerzeit bei der Verabschiedung des Vertragswerkes gesagt wurde. Selbstverständlich wissen wir, daß die EWG - das ist ein alter Satz, er ist immer ausgesprochen worden - und ihr Zustandekommen, ich möchte sagen, ihr plötzliches Glücken, der Antriebsmotor für die um die Schaffung einer Freihandelszone entstehenden Fragen war. Das ist gar kein Zweifel. Aber man darf heute darüber nicht vergessen, daß diese Fragen nun entstanden sind. Wir sind nun in der EWG und müssen immer stärker darauf hinwirken, daß die Vorstellung bei Abschluß des Vertragwerkes, daß wir nämlich mit ihm und durch ihn zur Freihandelszone kommen wollen, jetzt nicht untergeht.
Es ist schon auf die Haltung Frankreichs hingewiesen worden, die zu Schwierigkeiten führt. Sicherlich, wir wissen das. Aber nicht nur auf Grund der besonderen Ereignisse in Frankreich ist es beim letztenmal im Europäischen Parlament zu Schwierigkeiten gekommen, sondern auch aus grundsätzlichen Erwägungen. In der Sitzung im Europäischen Parlament wurde sichtbar, daß nicht alle sechs Vertragspartner der gleichen Meinung bezüglich der Freihandelszone waren. Das ist das Neue. Wenn man sich auf Grund dieser geteilten Ansicht nun in Venedig über bestimmte Fragen des Verfahrens geeinigt hat, ist das eine ganz andere Situation als die Situation bei Abschluß des Vertrages
und bei seiner Ratifizierung hier im Parlament. Wir müssen uns das deutlich vor Augen halten. Gerade wegen dieser Dinge, scheint mir, muß unser deutscher Wille, der Wille dieses Parlaments ganz besonders und noch etwas stärker als bisher hervorgehoben werden. Wir halten an der Freihandelszone fest. Sie sollte die Krönung des Werkes sein, nicht etwas, was man neben dem Vertragswerk über die EWG vielleicht noch erlangen könnte.
Herr Kollege Furler hat etwas gesagt, was vielleicht etwas landsmannschaftlich gefärbt gewesen ist. Aber ich, der ich nun einmal aus dem Osten, aus Schlesien, stamme und heute in Bayern sitze, kann damit nicht ganz übereinstimmen, daß u. a. die stärkeren kulturellen Beziehungen zu den „Sechs" es verständlich machen, daß wir bei den Verhandlungen mit den anderen nicht so schnell vorankommen. Das dürfte in diesem Saal doch etwas Neues sein; wir sollten es vielleicht nicht stehenlassen und aus diesem Hause wieder verschwinden lassen.
Wir haben bei der Parlamentssitzung in Straßburg gesehen, daß die Meinungen über die Freihandelszone geteilt waren. Daraus müssen wir die Konsequenz ziehen. Wir müssen uns stärker als bisher dafür einsetzen. Wir müssen zu irgendwelchen Lösungen kommen, nachdem der erste Termin, zu dem man zu einer guten Lösung hätte kommen können, schon verstrichen ist. Es hat doch keinen Zweck, das zu verbergen; das müssen wir doch deutlich aussprechen. Nur so gewinnen wir die nötige Kraft, um den Weg weiterzugehen. Wir wissen, daß die Schwierigkeiten groß sind, daß die Verhandlungen im einzelnen unendlich schwierig und langwierig sind. Aber wir stützen die Verhandlungskommissionen, die nun über eine Fülle, ja ich möchte sagen, über Hunderte von schwierigsten Einzelfragen beraten müssen und die zu Ergebnissen kommen sollen, nicht dadurch, daß wir einem aus der Phantasie geborenen Europa nachlaufen, sondern dadurch, daß wir konkret sagen: trotz vorhandener Schwierigkeiten auch in gewissen grundsätzlichen Fragen sehen wir den Vertrag als eines der Mittel an, über das wir die Freihandelszone verwirklichen wollen. Das müssen wir immer wieder aussprechen, und das wollte ich heute hier noch einmal deutlich herausstellen.
Es wird, um noch ein zweites aufzugreifen, Herr Kollege Furler, etwas mehr notwendig sein als eine Zukunftsharmonisierung, wie Sie es nannten. Wir haben so viel von Harmonisierungsfragen gesprochen, wir haben so viel Harmonisierungsfragen vor uns, daß wir uns darüber klar sein müssen, die Zukunft muß fest und bestimmt, nämlich durch einen Vertrag über die Freihandelszone, gestaltet werden. Es sollte also von Harmonisierung in dieser Richtung nicht mehr gesprochen werden. Das ist zu wenig, das wäre ein Schritt zurück gegenüber dem, was wir uns bei Abschluß des Vertrages durch die „Sechs" vorgestellt haben.
Nun möchte ich dem, was der Herr Kollege von der SPD bezüglich der internationalen Konjunkturpolitik gesagt hat, noch etwas hinzufügen. Da werden wir uns noch ein wenig bescheiden müssen. Es geht hier nicht darum, schwarze Bilder zu malen.
Das liegt uns auch gar nicht. Immerhin haben doch etwa die Verhältnisse auf dem Kohlenmarkt dargetan, daß wir schon bei der Institution, die nun eine ganze Reihe von Jahren arbeitet, keineswegs so weit sind, daß einfach durch die Tatsache eines internationalen Zusammenschlusses gewisse Krisenerscheinungen beseitigt werden können. Wir haben auch internationale Konjunkturdebatten gehabt. Dabei haben wir festgestellt, daß die Mittel für diese internationale Konjunkturpolitik sehr gering sind, daß sie erst ausgebaut werden müßten. Aber unabhängig davon, ob man sehr bald konkrete Ergebnisse erzielen kann oder nicht, es geht um ein politisches Ganzes, das wir wollen. Dies wollte ich noch einmal bemerken.
Eine politische Frage ist es, ob wir zu einem Abkommen über eine Freihandelszone kommen und damit zu diesem größeren Europa oder ob wir eben doch in dieser Idee der „Sechs" steckenbleiben. Wir Freien Demokraten, die diesem Vertragswerk ja nicht zugestimmt haben, gehen heute davon aus, daß das Vertragswerk existiert. Das darf natürlich nicht bedeuten, daß nur wir die lauten und deutlichen Mahner bleiben, darf nicht bedeuten, daß die Vorstellungen derer, die seinerzeit für den Vertrag gestimmt haben, jetzt - ich will nicht sagen, daß sie untergehen - heute etwa abschwächend dargestellt werden.
Gerade deswegen ist der letzte Halbsatz dieser Resolution geändert worden. Wäre das nicht geschehen, hätte die Resolution einen gewissen Anklang an die Beschlüsse von Venedig gebracht, aus denen, wie man vereinfachend sagt, nur geschlossen werden kann, daß die „Sechs" immer zusammen gegen die anderen 11 stehen.
Ich gebe zu, daß das einmal ein technisches Erfordernis sein könnte. Vergessen wir aber nicht. welche Erschwerung darin liegt, vergessen wir nicht, ,auf einer wie dünnen Decke sich das alles vollzieht. Wir alle - über die hinaus, die sich ständig damit zu befassen haben - müssen uns doch klarmachen, daß das Europa der Sechs in seinem Handeln etwa in bezug auf die Liberalisierung völlig abhängig ist von einer anderen Gemeinschaft, von der EZU! In dem Falle etwa, daß die Schweiz ihre Drohung wahrmacht, nicht mehr mitzumachen, müßten wir mühsam - vielleicht schaffen wir es gar nicht - zu einem Ersatz der Europäischen Zahlungsunion kommen. Daran sollten wir doch auch denken, denn es ist nicht etwa ein fest gegründeter Boden, auf dem wir stehen. Draußen werden doch überall Äußerungen des Mißtrauens laut, bei den Ländern, die nicht bei den „Sechs" sind. Wir werden uns darüber noch sehr genau auseinanderzusetzen haben. Der Übergang zur Freihandelszone war äußerst schwierig, und die Verhandlungen darüber werden noch sehr viel böses Blut machen. Ich denke da an England mit seinen völlig komplexen Interessen im Weltreich, in seinem Commonwealth und in Europa. Ich gehöre nicht zu denen, die da meinen, daß England ein besserer Partner in dieser Gemeinschaft wäre als die anderen. Keineswegs. Aber es muß unser Ziel bleiben, mit der Freihandelszone zu einem einheitlichen Handelsraum im Rahmen der freien
westeuropäischen Länder zu kommen. Das möchte ich hier im Anschluß an das, was Herr Kollege Scheel bereits gesagt hat, noch einmal betonen. Gerade das schien mir notwendig und von Bedeutung zu sein.
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Weitere Wortmeldungen zu Punkt 1 der Tagesordnung - Große Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Erfüllung des EWG-Vertrages liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Ich rufe auf den Antrag nunmehr der Fraktionen der CDU/CSU, DP und FDP; denn so war ja wohl die Erklärung des Herrn Abgeordneten zu verstehen. Wir stimmen also ab über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP und FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Erfüllung des EWG-Vertrages, Drucksache 371, auf Umdruck 161. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Soweit ich sehe, bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 2 der Tagesordnung, die
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung ({0}).
Soweit ich unterrichtet bin, hat der Ältestenrat hier ) eine Beratung ohne Debatte vorgesehen. Die an-tragstellende Fraktion hat als Begründerin Frau Abgeordnete Friese-Korn namhaft gemacht.
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- Nachdem die Fraktion der FDP den Gesetzentwurf doch kurz begründen lassen will, ist natürlich auch die Empfehlung des Ältestenrates, keine Debatte stattfinden zu lassen, hinfällig. Ich hoffe, daß die antragstellende Fraktion es ermöglicht, daß wir trotzdem der Empfehlung des Ältestenrats folgen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Friese-Korn.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich mache es kurz. Ich weiß, daß wir alle jetzt ganz andere Pläne haben. Also nur zur sachlichen Unterrichtung, worum es sich bei dem Gesetzentwurf der FDP handelt!
Dieser Vorschlag ist notwendig geworden, weil eben keine geschlossene Konzeption einer Sozialreform durchgeführt wurde, sondern weil wir vor dem Stückwerk einzelner Gesetzgebungswerke stehen, das Übergangslösungen notwendig macht.
Es handelt sich darum, daß die Waisen in der Unfallversicherung noch immer unter dem alten Gesetz stehen, also nicht alle über das 18. Lebensjahr hinaus ihre Waisenrente bekommen, die ihnen die Fortsetzung ihrer Berufsausbildung ermöglicht. Wir wissen, daß der Referentenentwurf des Sozialministeriums diese Angleichung vorsieht. Das heißt also, daß genau so wie im Renten- und Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz, der Knappschaftsversicherung und dem Bundesversorgungsgesetz alle Kinder, auch das erste und zweite Kind, bis zum 25. Lebensjahr Vollwaisenrente bekommen sollen, solange sie sich in der Berufsausbildung befinden.
Wir bitten Sie, da wir diesen Antrag schon im Juni gestellt haben und die Änderung mit Rückwirkung vom 1. Januar 1957 ab beantragen, ihn zur baldigsten Bearbeitung an den Ausschuß zu überweisen. Wir haben die Hoffnung, daß er im Ausschuß positiv behandelt wird, damit nicht eine kleine Gruppe von Jugendlichen in den sozialen Notstand versetzt wird, als einzige Waisen ihre Berufsausbildung unterbrechen zu müssen.
Ich danke Ihnen, daß Sie doch noch zugehört haben, und ich bitte Sie, der Überweisung zuzustimmen.
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Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung gehört. Ich muß nun noch einmal fragen, ob noch das Wort zur Aussprache gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Ich schließe dann die Aussprache in der ersten Lesung.
Es ist beantragt, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP, Drucksache 446, an den Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich danke. Damit ist der Gesetzentwurf an den Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen.
Ich rufe dann auf Punkt 3 der Tagesordnung, die
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den internationalen Betäubungsmittel-Protokollen von 1946, 1948 und 1953 ({0}).
Die Bundesregierung hat auf eine mündliche Begründung verzichtet. Der Ältestenrat hat empfohlen, von einer Debatte abzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann darf ich diejenigen um das Handzeichen bitten, die der Überweisung dieses Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Gesundheitswesen zuzustimmen wünschen. - Ich danke. Damit ist dieser Gesetzentwurf an den Ausschuß für Gesundheitswesen überwiesen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes ({1}).
Es liegt Ihnen in der Drucksache 478 der Schriftliche Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen dazu vor, ebenso die Anträge des Ausschusses.
Da Änderungsanträge nicht vorliegen, können wir gleich artikelweise abstimmen. Ich rufe in der zweiten Lesung Art. 1 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Art. 1 ist angenommen.
Vizepräsident Dr. Preusker
Ich rufe auf Art. 2. - Ich bitte um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Art. 2 ist angenommen.
Art. 3 entfällt.
Art. 3 a. Ich bitte um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Art. 3 a ist ebenfalls angenommen.
Art. 4. Ich bitte um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 4 ist gleichfalls angenommen.
Art. 4 a. Ich bitte um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Art. 4 a ist angenommen.
Art. 4 b. Ich bitte um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Art. 4 b ist ebenfalls angenommen.
Ich rufe auf Art. 5. Ich bitte um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Art. 5 ist gleichfalls angenommen.
Ich rufe auf Einleitung und Überschrift. Ich bitte um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einleitung und Überschrift sind angenommen.
Damit ist die zweite Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes abgeschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wird das Wort noch gewünscht? - Das ist nicht
der Fall. Dann bitte ich die Damen und Herren, die
dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Soweit ich sehe, ist das Gesetz in dritter Lesung einstimmig angenommen.
Ich habe dann noch aufzurufen auf der Seite 6 aus den Anträgen des Ausschusses Ziffer 2, der Bundesregierung zu empfehlen, möglichst bald ein Gesetz zur Regelung der Zuständigkeiten einzubringen und bei den Verhandlungen über die Ablösung des Truppenvertrages die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Beschränkungen aufgehoben werden. Wer diesem Ausschußantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich darf um die Gegenprobe bitten. - Enthaltungen? -Soweit ich sehe, einstimmig angenommen.
Dann ist noch abzustimmen über den Ausschußantrag unter Ziffer 3, die zu diesem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich schließe die heutige Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung für morgen, Freitag, den 3. Oktober, auf 9 Uhr 30 ein.
Die Sitzung ist geschlossen.