Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist zweckmäßig, sich vor Eintritt in die Tagesordnung kurz die Geschäftslage zu vergegenwärtigen. Nach Lage der Dinge stehen in der allgemeinen Aussprache über die Politik der Bundesregierung jetzt noch aus die Kapitel Wirtschaftspolitik mit Verkehr, Landwirtschaft, Atomkernenergie und Wasserwirtschaft, die Finanzpolitik, die Innenpolitik, die gesamte Sozialpolitik mit den Geschädigtenfragen, der Wohnungsbau, die Familienfragen, die Vertriebenenfragen und Rechtsfragen. Über diese Kapitel wird erst in allgemeiner Aussprache ver-
) handelt werden müssen; dann steht entsprechend der Vereinbarung die Einzelberatung aus, in der die vorgelegten Änderungsanträge begründet werden und darüber abgestimmt wird. Schließlich werden noch alle Entschließungen, die vorgelegt worden sind, zu behandeln sein.
Ich glaube, wir sollten im Laufe des heutigen Tages, wenn sich - ich möchte fast sagen, wider Erwarten - herausstellt, daß die Diskussion in der gleichen Breite weiterrollt wie bisher, ins Auge fassen, ob nicht mindestens so weit über 18 Uhr hinaus getagt werden müßte, daß die allgemeine Beratung heute abgeschlossen werden kann.
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Ich sehe nämlich sonst nicht, wie das Hohe Haus seine Absicht und seinen Wunsch wahrmachen will, morgen bis 14 Uhr die gesamten Beratungen abzuschließen.
Das vorweg. Vielleicht können Sie sich meinen Vorschlag während ,der weiteren Debatte überlegen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in ,den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 2. Juli 1958 gemäß § 20 Abs. 5 des Milch- und Fettgesetzes in der Fassung vom 10. Dezember 1952 ({1}) die Verordnung M Nr. 1/58 über Preise für inländischen Raps und Rübsen übersandt. Die Verordnung liegt im Archiv zur Kenntnisnahme aus.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 2. Juli 1958 gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 des Zuckergesetzes in der Fassung vom 3. 10. 1951 ({2}) und des Zweiten Gesetzes zur Ergänzung des Zuckergesetzes vom 9. 8. 1954 ({3}) die Verordnung Z Nr. 3/58 über Preise für Zucker übersandt. Die Verordnung liegt im Archiv zur Kenntnisnahme aus.
Wir treten nun in die Tagesordnung ein:
Fortsetzung der dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1958 ({4}) ({5}) ; Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung ({6})
({7}).
Wir setzen die allgemeine Aussprache in der dritten Beratung mit dem Kapitel Wirtschaftspolitik fort. Ich darf fragen, wer von den Damen und Herren hierzu zunächst das Wort wünscht. - Herr Abgeordneter Margulies!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen gar nicht bestreiten, daß die Ergebnisse der Wirtschaftspolitik im allgemeinen befriedigend sind, und wir glauben auch, daß wir über die Bedenken, die ich vorzutragen habe, hinwegkommen können, wenn sich Herr Professor Erhard intensiv damit beschäftigt. Ich habe also nicht etwa die Absicht, eine Beunruhigung hervorzurufen, indem ich diese Bedenken vortrage; aber seitdem Herr Professor Erhard beschloß, Politiker zu werden,
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hat sein wirtschaftswissenschaftliches Gewissen eine Elastizität angenommen, die uns etwas erschreckt.
Wir gehen doch davon aus, daß so, wie der Herr Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt - er hat es uns in dieser Woche dargelegt -, der Vizekanzler die Richtlinien der Wirtschaftspolitik bestimmt, er also die Aufgaben der verschiedenen Ministerien, die in ihren Arbeitsbereichen die Wirtschaftspolitik berühren, koordiniert und dann versucht, eine Wirtschaftspolitik aus einem Guß zu schaffen, mit der dann die Ziele erreicht werden können, die als Aufgabe auch dieser Regierung deklariert sind, nämlich der sozialen Marktwirtschaft weiter zum Durchbruch in die Bereiche zu verhelfen, in denen sie zur Zeit noch nicht praktiziert wird, und vor allen Dingen den Wohlstand des Volkes zu sichern.
Dazu gehört natürlich in erster Linie ein funktionierender Apparat, und ein Professor der Nationalökonomie wird niemals müde, zu sagen, wie
wichtig es ist, den richtigen Mann auf den richtigen Platz zu setzen, und wie wichtig es ist, die verschiedenen Aufgaben innerhalb großer Betriebe zu koordinieren und übersichtlich zu ordnen. Da fragen wir uns doch, warum das eigentlich im Bundeswirtschaftsministerium in Duisdorf augenscheinlich nicht möglich ist. Wir sehen mit Bedauern, daß so mancher der uns als sehr qualifiziert bekannten Herren inzwischen Duisdorf verlassen hat oder im Begriffe ist, wegzugehen, oder mit dem Gedanken spielt, aus der Behörde auszuscheiden. Da kann doch irgend etwas nicht in Ordnung sein. Wir wären also der Meinung, daß der Herr Minister gerade auf diese Dinge ein besonderes Augenmerk legen und dem Leistungsprinzip zunächst einmal in seinem Haus zum Durchbruch verhelfen sollte.
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Wir haben auch etwas Sorge; denn das Bundeswirtschaftsministerium ist sehr groß geworden. Die Abteilungen stellen fast schon selbständige Ministerien dar; aber wenn es hier schon nicht gelingt, die Arbeit der Abteilungen miteinander zu koordinieren, wie soll es dann erst möglich sein, die Zusammenarbeit mit den vielen Ministerien, deren Arbeitsbereich sich mit dem des Wirtschaftsministeriums überschneidet, in Einklang zu bringen? Da haben wir also einige Bedenken, zumal die sehr löbliche Absicht des Herrn Bundeswirtschaftsministers, auch auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Rüstung ein Auge zu haben, zwar zur Gründung eines Koordinationsausschusses geführt hat, dieses Vorhaben aber doch offenkundig in Resignation geendet hat. Wir haben zumindest gehört, daß einer der Herren zu der Auffassung gekommen ist, diese Aufgabe könne das Verteidigungsministerium allein wahrnehmen.
Ich will nun keineswegs die Qualitäten der betreffenden Herren des Verteidigungsministeriums bezweifeln, aber wenn man schon die Absicht hatte - wir hielten sie für gut und richtig -, sich mit der Koordinierung auf wirtschaftlichem Gebiet etwas zu befassen, dann wären wir doch daran interessiert, gelegentlich etwas über die Ergebnisse zu hören.
Meine Damen und Herren! Die soziale Marktwirtschaft, die auf den liberalen Prinzipien beruht, zu denen wir uns bekennen, wird in Deutschland nun seit 1948 mit Erfolg praktiziert. Wir haben ununterbrochen die Wirtschaft zu Höchstleistungen angespornt. Wir halten ständig die Unternehmen und die Unternehmer auf Hochtouren, um zum Teil auch politisch etwas gewagte Unternehmen durchziehen zu können. Es läßt sich gar nicht leugnen, daß die Menschen einfach nicht in der Lage sind, diese Höchstleistungen ununterbrochen zu vollbringen. Es wäre dringend erforderlich, daß die erklärten Absichten des Herrn Bundeswirtschaftsministers, weitere Bereiche unseres Wirtschaftslebens auch unter das Prinzip der Wettbewerbswirtschaft zu stellen, nun endlich einmal zu sichtbaren Erfolgen führten. Wir hören seit Jahren - und kämpfen darum -, daß allmählich einmal die Wohnungszwangswirtschaft aufgehoben werden soll, die doch in sehr krassem Gegensatz zu den sonstigen wirtschaftlichen Prinzipien steht; denn sie bedeutet ja eine entschädigungslose partielle Enteignung des Althausbesitzes, und sie führt laufend zu einer Eigentumsverlagerung auf die öffentliche Hand, für die meistens die gemeinnützigen Gesellschaften mit öffentlichen Mitteln und unter Ausschöpfung des Geldmarktes bauen. Da wäre es doch eigentlich an der Zeit, daß der Koordinator der Wirtschaftspolitik etwas kräftiger darauf drängt, daß hier etwas geschieht.
Ich erinnere mich all der Vorgänge, bei denen in früheren Zeiten die Folgen der Aufhebung einer Zwangswirtschaft jeweils in den schwärzesten Farben gemalt wurde. Nachher, wenn es vollzogen war, passierte überhaupt nichts. Ich glaube, die letzte derartige Erfahrung war die Aufhebung der Zwangswirtschaft für gewerblich genutzten Raum. Sie werden sich noch erinnern, wie wir stundenlang hier im Hause darüber diskutiert haben, welche Notbremse eingebaut, welche Vorsorge getroffen werden müsse, daß ein Schlichtungsverfahren vorgesehen werden solle. Das ist alles geschehen, und nachher ist es in einem derart geringen Umfang in Anspruch genommen worden, daß es eigentlich schade um die Zeit war, die wir darauf verwendet haben.
Wir wissen also aus der Erfahrung, daß es bei all den Dingen nur auf den mutigen Schritt ankommt. Ich glaube, darauf, daß dieser mutige Schritt getan wird, hat die Wirtschaft, die seit zehn Jahren gut vorangegangen ist, allmählich einen Anspruch. Es gibt noch andere Gebiete, bei denen wir gar nicht überzeugt sind, daß sie heute noch einer Zwangsregelung unterworfen sein müssen. Ich möchte als Beispiele nur das Bank- und Zinswesen und ebenso die Versicherungen nennen. Wir sind gar nicht überzeugt, daß da heute noch eine solche Zwangsregelung, ein solcher Dirigismus erforderlich ist.
Man muß sich auch einmal die Konsequenzen vorstellen. Wir beobachten mit großem Bedauern, daß sich innerhalb unserer Wirtschaft ein Konzentrationsprozeß zum Großbetrieb hin vollzieht. Der Mittelstand ist eingezwängt zwischen einer ganzen Reihe von mächtigen Gebilden, die seine Kosten bestimmen. Da ist Kohle, da ist Stahl, da ist 01, da sind die Zinsen, die Versicherungen und für die Lohnkosten die Gewerkschaften, an deren Macht er nicht rühren kann, weil er viel zu klein ist, um darauf einen Einfluß auszuüben, selbst in der Zusammenfassung eines Verbandes. Er befindet sich da ungefähr in der Lage wie seinerzeit der Hund Laika in dem russischen Sputnik, der nur mit dem Schwanz wedeln konnte und von dem man gesagt hat, daß er völlig frei sei. So ungefähr ist die Lage des Mittelstandes, der von allen Seiten in seiner Kostengebarung eingeengt ist, nämlich durch Kosten, an denen er wegen der übergroßen Macht der Gebilde, die diese Kosten bestimmen, nicht rühren kann. Auf seinem kleinen Bereich vollzieht er das, was wir den Wettbewerb nennen.
Daraus rührt aber auch die Unbeweglichkeit der Preisgestaltung her. Während wir nach der Lehre der Nationalökonomie erwarten, daß die Preise bei rückläufiger Konjunktur heruntergehen und damit
den Automatismus der Marktwirtschaft herstellen, stellen wir mit Bedauern fest, daß diese erwartete und nach allen Berechnungen zu erwartende Erscheinung eben leider nicht eintritt.
Im Gegensatz zu dem propagierten Prinzip der breiten Eigentumsstreuung, das wir voll und ganz unterstreichen und das auch unser Anliegen ist, nimmt doch die Steuer den kleineren und mittleren Unternehmen die Initiative. Der Unternehmer kommt gar nicht dazu, Eigenkapital zu bilden, seine Schulden, vor allem seine Bankschulden, abzubauen. Er muß einen unverhältnismäßig hohen Teil des Ertrages seiner Arbeit für die Zinsen aufwenden, weil ihm die Steuer auch heute noch, zehn Jahre nach der Schaffung der D-Mark, so viel von seinem Gewinn wegnimmt, daß er zur Eigenkapitalbildung gar nicht kommt. Hier sehen Sie die Ursachen, die bewirken - zusammen mit den schon geschilderten Ermüdungserscheinungen, die die Folge einer naturgemäßen Abnutzung sind -, daß die Initiative allmählich verloren geht, daß die Leute die Lust verlieren.
Wir haben uns bemüht, eine etwas mittelstandsfreundlichere Steuerpolitik durchzusetzen. Die Vorlagen, die jetzt verabschiedet worden sind, entsprechen zwar unserer Vorstellung - das Verfassungsgericht hat das Bundesfinanzministerium gezwungen, sie nun endlich einmal so zu gestalten, wir wir Freien Demokraten es seit .Jahr und Tag gefordert haben -, aber das Pünktchen auf dem i, d. h. eine etwas mittelstandsfreundlichere Tarifgestaltung, haben Sie leider abgelehnt. Gerade diese
aber wäre einer der Hauptantriebe für die Wirtschaft.
Man kann natürlich den gewerblichen Mittelstand nicht durch ein besonderes Gesetz fördern. Die eine oder andere zweckentsprechende Maßnahme kann man allerdings mit einem Gesetz treffen. Was uns in der Gesamtkonzeption fehlt, ist der sichtbare Ausdruck des so oft propagierten Willens, den Mittelstand zu erhalten und zu fördern. Dieser Wille müßte seinen Niederschlag in allen Gesetzen finden.
Mit dem Ladenschlußgesetz, meine Damen und Herren, haben Sie im Einzelhandel ein Chaos hervorgerufen; das können wir alle täglich sehen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß die Einkaufszeit für die große Mehrzahl der Menschen auf wenige Stunden zusammengeschrumpft ist. Dieser Zusammenpressung der Einkaufszeit kann der Großbetrieb vielleicht gerade noch gerecht werden, weil er entsprechende Hilfskräfte heranholen kann. Der kleine Gewerbetreibende, besonders der Familienbetrieb steht diesen Anforderungen hilflos gegenüber.
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Es ist eine Tatsache, daß sich die Gesetze für die einzelnen Sparten und Betriebsgrößen der Wirtschaft unterschiedlich auswirken. Nehmen wir einmal als Beispiel die Lehrlingsausbildung! Immer wieder wird verlangt, daß die Berufsausbildung gefördert wird. Wir haben uns sehr oft den Kopf darüber zerbrochen, wie dies geschehen kann. Eine der besten Schulungen ist die Ausbildung des Lehrlings im Kleinbetrieb. Der Großbetrieb kann verhältnismäßig leicht den sozialen Erfordernissen des Jugendschutzgesetzes, des Kündigungsschutzgesetzes und all dieser an sich sehr gut gemeinten und auch zweckentsprechenden Gesetze durch Vermehrung der Lehrstellen gerecht werden. Die Kosten spielen dabei kaum eine Rolle. Übrigens sind sie auch im kleinen Betrieb nicht ausschlaggebend; aber der Kleinbetrieb kann natürlich nicht ein halbes Dutzend Lehrlinge einstellen, bloß um jederzeit welche da zu haben; er braucht vielleicht nur zwei Lehrlinge. Der Großbetrieb kann das verhältnismäßig leicht machen. Ein solches rollierendes System kann sich der Kleinbetrieb natürlich nicht leisten.
Ich erwähne ein anderes Beispiel. Sie wissen so gut wie ich, meine Damen und Herren, daß man bei der Bank einen Kredit über 500 000 DM sehr viel leichter bekommt als einen über 5000 DM. Das ist ganz verständlich; denn die Kosten, die der Bank aus dem Kreditgeschäft erwachsen, sind in beiden Fällen gleich, während der Nutzen für die Bank bei dem kleinen Kredit natürlich erheblich geringer ist.
Das alles sind Erscheinungen, die den Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft zum Großbetrieb hin fördern, beginnend bei der Steuergesetzgebung, insbesondere bei der Umsatzsteuer, die ja keineswegs wettbewerbsneutral ist und für die wir noch immer eine Lösung in Richtung auf eine Wettbewerbsneutralität suchen. Alle diese Dinge fördern, zusammengefaßt, einen Konzentrationsprozeß, der genau das Gegenteil von dem ist, was wir alle wünschen und was uns der Herr Bundeswirtschaftsminister immer als wünschenswert hinstellt.
Allgemeinwirtchaftlich gesehen, haben wir gewisse Bedenken, daß wir mit einem Teil der Gesetze, die wir im letzten Jahre mit der Mehrheit dieses Hauses verabschiedet haben, in gewisser Hinsicht die wachsende Produktivität unserer Wirtschaft überzogen haben. Ich will mich vorsichtig ausdrücken: mindestens haben wir den künftigen Produktivitätsgewinn außerordentlich vorbelastet. Nun kann niemand mehr ausgeben, jedenfalls nicht auf die Dauer, als er einnimmt. Das kann jeder selbst ausprobieren, das kann nun einmal zu nichts Gutem führen. Wenn wir aber den für die Zukunft erwarteten Produktivitätsgewinn durch allerhand Sozialgesetze - die jedes für sich durchaus sinnvoll und zweckentsprechend sein mögen - so stark vorbelasten, daß wir in dem Moment, in dem die erwartete Produktivitätssteigerung nicht eintritt, in außerordentliche Schwierigkeiten geraten müssen, dann besteht doch einiger Anlaß zur Vorsicht.
Wir stehen in der Gefahr eines Menschen, der von allen Seiten angegangen wird. Wir erhöhen Renten, wir erhöhen Krankenkassenbeiträge, wir erhöhen dies und jenes. Auf der anderen Seite kommt die Arbeitszeitverkürzung. All das sind Probleme, über die wir in diesem Hause schon gesprochen haben, die aber noch einmal in Erinnerung gerufen werden müssen. So laufen wir Gefahr,
2252 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ,den 3. Juli 1958
eines Tages mehr auszugeben, als wir haben, mit der Folge, die wir in unseren Nachbarstaaten deutlich beobachten können.
Dann gibt es keine andere Lösung, als die schleichende Inflation, und das ist - das glaube ich jedenfalls im Namen der Freien Demokraten sagen zu müssen - natürlich das Unsozialste. All den Menschen, die ihr Leben lang sparen, die sich aus eigener Kraft bemühen, zu etwas zu kommen, nun den Ertrag dieses Fleißes wegzunehmen, ist das Unsozialste, was geschehen kann, und das wiegt alles auf, was sonst an sozialem Willen in Gesetzesform seinen Ausdruck findet.
Vor allen Dingen aber stört uns an diesen Maßnahmen, daß immer mehr Menschen von der Selbstvorsorge abgedrängt und in eine Zwangsversicherung übergeführt werden. Wir liefern damit die Menschen einer Bürokratie aus, die mit den komplizierten Berechnungen einfach nicht mehr fertig wird. Ich habe einen Fall in meinem Wahlkreis, in dem ein Angestellter mit 65 Jahrein pensioniert worden ist und nun seit 17 Monaten auf seine Rente wartet. Der Mann hat sich vielfach bemüht, auch ich habe an die Anstalt geschrieben; ich habe noch nicht einmal eine Antwort bekommen. Ich weiß nicht, wem die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte untersteht, aber alle diese Dinge hängen meiner Ansicht nach unmittelbar mit dem wirtschaftlichen Geschehen zusammen. Um sie müßte sich der Vizekanzler, der Vorsitzende des Wirtschaftskabinetts, kümmern.
Das beschränkt sich im übrigen nicht auf die Angestelltenversicherung, das ist in der Knappschaftsversicherung nicht anders. Kein Mensch kümmert sich darum, wovon die Leute in der Zwischenzeit eigentlich leben. Aus dem Arbeitsprozeß sind sie ausgeschieden. Sie haben Anspruch darauf, von da an ihre Rente zu bekommen, müssen dann aber mehr als ein oder anderthalb Jahre warten, bis sie das erste Geld sehen. Ich finde, das sind unglaubliche Zustände, und wir sollten uns unbedingt einmal darum kümmern.
Eine weitere Sorge - ich möchte nur kurz davon sprechen - ist die, daß die Bundesregierung, in erster Linie der Herr Bundeswirtschaftsminister, so gar keine Notiz davon nimmt, daß sich unsere Position gegenüber unseren ausländischen Handelspartnern fortlaufend kritisch verschlechtert. Wir haben in den vergangenen Jahren durch unseren guten Willen zur europäischen Zusammenarbeit in der OEEC die außerhalb dieser Organisation stehenden Länder dadurch etwas benachteiligt, daß wir innerhalb des europäischen Warenaustausches schneller vorangeschritten sind. Das hat eine kleine Mißstimmung gegeben, die sich gelegentlich in GATT-Verhandlungen in Genf niedergeschlagen hat, die aber nicht gerade von großer Tragweite gewesen ist. Sehr viel mißtrauischer - das wußten wir - ist im Ausland dann die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft betrachtet worden, weil man befürchtet, von dem Handel mit der Bundesrepublik ausgeschlossen zu werden.
Der eigentliche Anlaß der kritischen Stimmung aber ist der laufende Trend zur Erhöhung unseres
Außenhandelsüberschusses, mit dem wir unseren Handelspartnern ihr Gold und ihre Devisen abziehen. Nach unserem Gesetz muß die Bundesbank diese Devisenbeträge aufkaufen. Zur Zeit weisen wir wieder einen Bestand von 24 Milliarden DM an Gold, Dollar und Devisen aus. Das ist eine sehr gefährliche Sache; denn wenn ein solcher Turm besteht, dann wächst überall die Begehrlichkeit, von diesem Turm etwas abzubekommen. Ich gebe zu, daß es gar nicht leicht ist, die Summen in diesem Turm zu mobilisieren. Der so oft gehörte und sehr plausibel klingende Vorschlag, man solle dann eben Kapital exportieren und Kapitalanlagen im Ausland fördern, ist gar nicht zu verwirklichen; denn dazu müßte man den D-Mark-Gegenwert in Deutschland aufbringen, und wir leiden selbst unter der Kapitalarmut. Wir haben selbst nicht genug Kapital, als daß wir noch andere teilhaben lassen könnten. Dieser Weg ist also nicht gangbar.
Die Freien Demokraten haben einen Vorschlag gemacht. Wir haben dem Hause einen Gesetzentwurf unterbreitet, nach dem ein Teil der Summe in Vorräte an einzuführenden Rohstoffen umgewandelt werden sollte. Das Gesetz war Ihnen nicht gut genug. Sie haben darüber gespottet und gesagt: Die Freien Demokraten bringen hier eindirigistisches Gesetz ein. Ich weiß nicht, was ausgerechnet Sie an dem Dirigismus stören sollte, aber von uns aus gesehen handelt 'es sich um ein Gesetz zur Vermeidung der staatlichen Vorratshaltung, in die Sie immer weiter hineinrutschen, die sich jedes Jahr vergrößert und für die Sie jedes Jahr größere Beträge bereitstellen. Mit einer absolut grundsatztreuen liberalen Linie kann man diesem Vorgang eben leider nicht mehr begegnen. Sie haben in diesem Haushalt wieder 48 Millionen DM mehr für staatliche Lagerhaltung bewilligt, aber eine private Lagerhaltung in dem Sinne, wie wir sie Ihnen vorgeschlagen haben, ist Ihnen zu dirigistisch, obwohl ,es in diesem Moment möglich wäre - vielleicht machen Sie sich diesen Zusammenhang auch einmal klar -, mit dem Einkauf solcher Rohstoffvorräte die Rohstoffmärkte im Ausland etwas zu stützen, Wir hätten nicht nur billig gekauft, sondern hätten auch unseren Handelspartnern die Möglichkeit zu einem preiswürdigen Absatz ihrer Rohstoffe gegeben.
Wenn Sie bedenken, 'daß diese Rohstoffe zu einem nicht unerheblichen Teil aus Ländern mit Monokulturen kommen, die also ausschließlich auf den Ertrag dieser Rohstoffverkäufe angewiesen sind und nur in 'diesem Rahmen bei uns wieder einkaufen können, dann werden Sie mir zugeben, daß es wünschenswerter gewesen wäre, sich dieser Sache zum mindesten gedanklich einmal anzunehmen, und das um so mehr, als bis jetzt niemandem etwas Besseres eingefallen ist. Ich bedaure, überhaupt feststellen zu müssen, daß dem Herrn Bundeswirtschaftsminister bis jetzt nichts eingefallen ist, wie er ,diesem seit Jahren anhaltenden Trend begegnen kann, der, wie ich noch einmal betonen möchte, zu einer wachsenden Unzufriedenheit unserer Handelspartner geführt hat.
Meine Damen und Herren! Ich habe eingangs ausgeführt, daß wir mit den Grundsätzen, die Herr Professor Erhard vertritt, durchaus einverstanden sind und daß er immer auf die Freien Demokraten zählen kann - leider nicht immer auf seine eigene Fraktion -, wenn er irgend etwas vorschlägt, was die Wirtschaft fördert. Wir freuen uns über die Vitalität, mit ,der ,er als Apostel der Marktwirtschaft durch die Welt zieht. Aber uns, den Freien Demokraten, wäre es lieber, wenn er zunächst einmal seine Ministerkollegen zu überzeugen suchte und wenn er die Dienstaufsicht über die anderen an der Wirtschaft beteiligten Ministerien etwas strenger ausübte.
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- Herr Dr. Vogel, er hat, wie ich vorhin schon ausführte, die Koordinierungsaufgabe.
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- Ich bin kein Beamter, das wissen Sie - Sie sind es inzwischen geworden -,
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und diese sehr feinen Unterscheidungen sind mir
nicht geläufig. Aber sicherlich - ich glaube, darin
werden Sie dann wieder mit uns übereinstimmen
- würden wir alle es sehr gern sehen, wenn die ihm übertragene Koordinierung der Wirtschaftspolitik mit den verschiedenen an der Wirtschaft beteiligten Ministerien etwas besser funktionierte, als es zur Zeit der Fall ist.
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Meine Damen und Herren! Ich muß noch etwas zur Handhabung des Geschäfts sagen. Es sind einige Wortmeldungen zu Einzelplänen wie Landwirtschaft usw. eingegangen. Ich glaube, mit Ihrer Zustimmung zu handeln, wenn ich diese Wortmeldungen an den Schluß der allgemeinen wirtschaftspolitischen Debatte setze. Ich bitte auch, dem Präsidenten nicht zu verübeln, wenn er angesichts der Gesamtsituation - ich habe jetzt bereits wieder acht Wortmeldungen vorliegen - die einzelnen Redner jeweils, wenn sie von der Sache abgehen, sofort zur Sache ermahnt.
Ich darf jetzt dem Abgeordneten Kurlbaum das Wort geben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Zustimmung des ganzen Hauses zu finden, wenn ich mich nach der bereits langen Dauer der Verhandlungen in dritter Lesung auf solche aktuellen Probleme beschränke, die Bedeutung haben, wenn ich mich weiter auf Meinungsverschiedenheiten beschränke, die tatsächlich zwischen den verschiedenen Fraktionen hier im Hause bestehen, und wenn ich dabei allerdings drittens auch nicht unterlasse, ab und zu auf das Gemeinsame unserer Auffassungen hinzuweisen.
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Ich möchte aber gleich zu Anfang sagen, daß uns eine solche vernünftige Beschränkung sehr schwer gemacht wird, wenn der Bundeswirtschaftsminister nicht aufhört, uns in der Öffentlichkeit in einer unqualifizierbaren Weise anzugreifen, und zwar wegen Meinungen - und das möchte ich hier einmal ganz deutlich sagen -, die wir überhaupt nicht haben.
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Die schlimmste Probe davon ist zweifellos das Bulletin des Presse- und Informationsamtes vom 20. Juni. - Ich möchte diese Angelegenheit hier jetzt nicht weiter ausspinnen. Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister sich dazu äußern will, sind wir vorbereitet, im einzelnen darauf zu antworten.
Meine Damen und Herren! Zu den aktuellsten Problemen gehört zweifellos die Zukunft unserer Konjunktur. Ich glaube, daß Sie uns Sozialdemokraten das gleiche Verantwortungsbewußtsein bezüglich der Zukunft unserer Konjunktur zubilligen werden, das Sie für sich selber in Anspruch nehmen.
Ich muß in diesem Zusammenhang auf einen kurzen Satz eingehen, der in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 18. Juni zu finden war. Dort steht der kurze Satz auf der ersten Seite geschrieben: „Die SPD setzt auf die Krise." Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß diese Unterstellung nicht nur objektiv unwahr, sondern sehr wenig verantwortungsbewußt ist.
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Ich habe heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Artikel von dem gleichen Schreiber gelesen; ich habe mich mit einigen anderen Mitarbeitern der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" darüber unterhalten können und dabei festgestellt, daß man dort der Meinung ist, daß der Schreiber, der ,diesen Artikel geschrieben hat, eigentlich in der Wirtschaftspolitik auch nicht zu Hause sei.
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Das verwundert auch nicht, wenn man diesen Artikel liest. Denn der Schreiber dieses Artikels geht offenbar von der Auffassung aus, daß die Frage, ob wir eine Wirtschaftskrise in der Bundesrepublik vermeiden können, allein von uns selber oder unserer inneren Wirtschaftsordnung abhänge. Ich glaube aber, wir alle sind der Meinung, daß die Frage, ob wir eine zukünftige Krise überwinden können, in erster Linie davon abhängt, wie gut die internationale Zusammenarbeit des Westens funktioniert.
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Niemand weiß wohl besser als die SPD, daß eine schwere Wirtschaftskrise wahrscheinlich auch eine Krise der Demokratie in Westeuropa sein würde, insbesondere für diejenigen Länder Westeuropas, die nicht eine starke sozialdemokratische Partei, sondern eine gefährlich große kommunistische Partei haben.
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Deshalb sollten alle demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik zusammenarbeiten, um einer eventuell auftretenden Wirtschaftskrise entgegenzuwirken.
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Solche Unterstellungen, wie sie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu lesen waren, stellen, glaube ich, eine schwere Schädigung der Aussichten für eine solche Zusammenarbeit dar.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zur tatsächlichen Konjunkturlage kommen. Ich glaube, niemand kann voraussagen, wie lange der Konjunkturrückgang in der Welt dauern wird, wie lange er insbesondere in den USA und den Rohstoffländern dauern wird. Auch kann wohl niemand von uns mit Zuverlässigkeit voraussagen, wie lange die Länder Westeuropas - ich meine damit insbesondere die in der Zahlungsunion zusammenarbeitenden Länder und auch die Bundesrepublik - den Einflüssen vom Weltmarkt her widerstehen und ihre jetzige noch günstige Konjunktur aufrechterhalten können. Über all diese Dinge können wir im Augenblick nur Spekulationen anstellen. Aber die Mai-Ziffern der wirtschaftswissenschaftlichen Institute sollten uns doch aufhorchen lassen.
Ich möchte hier eins klar und deutlich sagen. Die SPD denkt gar nicht daran, einen Konjunkturpessimismus zu entwickeln. Wir sind weit davon entfernt, irgendwelche Kassandrarufe ausstoßen zu wollen. Wir glauben aber, daß ein wohlabgewogener Realismus doch das Richtige in dieser Situation ist. Erlauben Sie mir da einmal eine kurze Bemerkung an den Herrn Bundeswirtschaftsminister. Ich glaube, es ist kein wohlabgewogener Realismus, wenn der Herr Professor Erhard in seinem Inserat einem Wähler sagt: „Unsere Wirtschaft strotzt vor Gesundheit." Ich glaube, hier liegt ein Maß von Überheblichkeit drin, das unserer Lage nicht gut ansteht. Ich stehe nicht an zuzugeben, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister mindestens äußerli ch vielleicht vor Kraft strotzt.
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Ich bin auch bereit, zuzugeben, daß die großen Automobilfabriken vor Kraft strotzen. Ich bin bereit, zuzugeben, daß die Großbanken der Bundesrepublik vor Kraft strotzen.
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Ich bin auch bereit, zuzugeben, daß alle die Unternehmen, die mit dem kleinen Vorwort „Groß-" versehen sind, bis zu einem gewissen Grade vor Kraft strotzen. Aber ob die mittleren und kleineren Unternehmen der Wirtschaft vor Kraft strotzen, möchte ich schon bezweifeln. Ich empfehle allen denen, die das nicht glauben wollen, doch einmal die Ausführungen von Herrn Flender von der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmen zu lesen; dann wird er mit mir der Überzeugung sein, daß das Kraftstrotzen mindestens in diesen Kreisen nicht in dem Umfange vorhanden ist, wie es vielleicht der Bundeswirtschaftsminister wahrhaben
wollte. Schließlich könnte man doch auch einmal die Frage stellen: was ist denn mit den Zonenrandgebieten? Strotzen die auch vor Kraft?
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Wie ist es mit den Arbeitnehmern, wie ist es mit den arbeitenden Frauen, wie ist es mit den arbeitenden Frauen mit Kindern, strotzen sie alle vor Kraft? Ich glaube, hier wird der etwas verengte Blickwinkel des Herrn Bundeswirtschaftsministers doch sehr deutlich sichtbar.
Ich bin der Meinung, daß es ein realistischer Beitrag der Bundesregierung wäre, wenn sie die Öffentlichkeit nunmehr klar und konkret wissen ließe, was sie für den Fall eines Durchschlagens der Weltkonjunktur auf die deutsche Konjunktur an konkreten Vorstellungen und Plänen sozusagen in irgendeiner Schublade im Wirtschaftsministerium liegen hat. Der Herr Bundeswirtschaftsminister bedient sich sonst sehr gern des Mittels der psychologischen Kriegführung in der Wirtschaftspolitik. Ich meine, daß es eine sehr realistische Stützung der Konjunktur, eine sehr realistische Stützung für die Maßnahmen der Unternehmer wäre, wenn sie konkrete Vorstellungen davon hätten, was der Bundeswirtschaftsminister in einem Fall der Fälle tun würde.
Die SPD befindet sich hier überraschenderweise in einer guten Gesellschaft -- jedenfalls von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, aus gesehen -, nämlich in der Gesellschaft von Herrn Fritz Berg, der eine ähnliche Forderung bereits vor einiger Zeit angemeldet hat. Ich möchte nur folgendes von uns aus dazu sagen. Es ist eine neue Forderung, wenn Herr Fritz Berg nunmehr für aktive Konjunkturpolitik der Bundesregierung ist. Ich möchte daran erinnern, daß wir schon für aktive Konjunkturpolitik der Bundesregierung waren, als das Pendel nach der anderen Seite ausschlug, als wir es mit einer Überhitzung der Konjunktur zu tun hatten. Wir würden es außerordentlich begrüßen, wenn Herr Fritz Berg vom Bundesverband der Industrie sich in beiden Fällen, wenn das Pendel nach der einen und wenn es nach der anderen Richtung ausschlägt, für aktive Konjunkturpolitik erklärte.
Ein kurzes Wort zur Politik der Bundesnotenbank. Die SPD hat es stets begrüßt, daß die Bundesnotenbank sich in so verantwortungsbewußter Weise der Aufgabe der Erhaltung der Kaufkraft der D-Mark gewidmet hat. Wie Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sich erinnern werden, bestand unsere Kritik in diesem Zusammenhang in erster Linie darin, daß wir gesagt haben, die Maßnahmen der Bundesnotenbank seien nicht in genügendem Umfange durch konjunkturpolitische Maßnahmen der Bundesregierung ergänzt worden.
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Das war unsere Kritik. Das Verhalten der Bundesregierung war teilweise die Ursache dafür, daß die Maßnahmen der Bundesnotenbank bei der Überhitzung der Konjunktur so einschneidend ausfallen mußten, daß sie sich zum Teil für die schwächeren
Teile in der deutschen Wirtschaft sehr ungünstig ausgewirkt haben.
Ich muß ganz offen sagen, daß es eine Irreführung der öffentlichen Meinung ist, wenn der Bundeswirtschaftsminister versucht, im Bulletin vom 20. Juni die Dinge so darzustellen, als wenn die Sozialdemokratie nicht bereit wäre, die Leistungen der Zentralnotenbank anzuerkennen. Ich möchte den Bundeswirtschaftsminister einmal klar und deutlich fragen: Wann hat in den letzten Jahren ein kompetenter Sprecher der Sozialdemokratie die Politik der Bundesnotenbank im Grundsatz angegriffen?
Ich möchte hier etwas anderes ins Gedächtnis zurückrufen. Ich erinnere mich, daß ein sehr prominenter Sprecher die Bank deutscher Länder angegriffen hat, zum Entsetzen des Bundeswirtschaftsministers selber. Es war Herr Dr. Adenauer,
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der, wie ich mich erinnere, vor etwa 2 Jahren in einer nicht gerade sehr sachkundigen Weise die Politik der Bundesnotenbank angegriffen hat. Ich kann daher den Bundeswirtschaftsminister nur fragen, ob zu den unglaublich und unvorstellbar Engstirnigen und Verblendeten, von denen er in dem Bulletin vom 22. Juni spricht, vielleicht der Bundeskanzler nach seinen Ausführungen zur Bundesnotenbank zu rechnen ist.
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- Das ist gar nicht billig. Billig waren die Auslassungen des Herrn Professor Erhard im Bulletin vom 20. Juni.
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Ich stelle daher die konkrete Frage und würde mich außerordentlich freuen, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister heute oder vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt einmal klar und deutlich antworten würde: Welche konkreten Maßnahmen hat er für den Fall eines wirksamen deutschen Konjunkturrückganges in Vorbereitung?
Nun komme ich zu einem anderen Problem, das mit der Konjunktur ebenfalls in einem gewissen Zusammenhang steht, das ist die relative Preisstarrheit in der deutschen Wirtschaft gerade in diesem konkreten Konjunkturzustand. Dies Preisstarrheit wird wohl - auch von wissenschaftlichen Instituten - so allgemein festgestellt, daß ich zur Begründung nichts Näheres sagen möchte. Uns mißfällt dabei ganz besonders die massive Flucht ganzer Wirtschaftszweige in der Bundesrepublik in die Preisbindung der zweiten Hand. Dazu muß heute hier einiges gesagt werden.
Es ist völlig klar, daß mit der Flucht in die Preisbindung der zweiten Hand eine Zementierung des ganzen Preissystems mindestens für einen längeren Zeitraum verbunden sein wird. Sie werden in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und auch in den anderen Zeitungen heute morgen gelesen haben, daß die Anzahl der Firmen, die bis zum 1. Juli Anträge auf Preisbindungen der zweiten
Hand eingereicht haben, nahezu 500 und die der preisgebundenen Erzeugnisse 180 000 beträgt. Ich habe noch zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Bundeskartellamt telefoniert und habe gehört, daß sich die Zahlen inzwischen weiter erhöht haben. Es handelt sich um 600 Firmen und - hören Sie bitte, meine Damen und Herren! -- um 250 000 Erzeugnisse der gewerblichen Wirtschaft.
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Damit ist das bestätigt, was wir hier bei der zweiten und dritten Lesung des Kartellgesetzes gesagt haben. Wir haben eine massive Flucht in die Preisbindung der zweiten Hand vorausgesagt. Wir haben damals auch schon darauf hingewiesen, daß solch eine konzentrierte Flucht in die Preisbindung der zweiten Hand für die betreffenden Wirtschaftskreise praktisch so wirkt wie ein horizontales Preiskartell.
Dazu kommt noch anderes. Es ist gar nicht gesagt, daß nun etwa mit dem Datum des 1. Juli die Flucht in die Preisbindung der zweiten Hand abgeschlossen ist. Wer diese Dinge aus der Praxis kennt, weiß, daß viele kleine und mittlere Hersteller erst noch abwarten wollen, wie sich diese Maßnahmen, die im wesentlichen von den großen Herstellern praktiziert werden und beantragt worden sind, nun in der Praxis auswirken werden, um dann auch in die Preisbindung einzusteigen.
Herr Kollege Kurlbaum, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gern.
Herr Kurlbaum, sind Sie nicht der Meinung, daß, wenn die GEG die Ware selbst herstellt, über ihre Verteilerorganisationen verteilt und im Laden selbst verkauft, das eine sehr viel schärfere Preisbindung ist, als das Hilfsmittel, ,das kleine Produzenten haben, um sich am Markt gegenüber großen Wettbewerbern zu behaupten?
Herr Dr. Bucerius, Sie sind über die Dinge nicht genau im Bilde. Erstens geht es um folgendes. Die Preisbindung der zweiten Hand ist - vom Hersteller aus gesehen - nicht in erster Linie ,das Mittel ,des kleinen Herstellers, sondern das Mittel ,des g r o ß en Herstellers.
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- Bitte, bitte, warten Sie .die Dinge ab! - Vom Einzelhandel aus gesehen, ist ,das etwas anderes, aber ich spreche jetzt aus der Sicht ,des Herstellers; auf den Einzelhandel komme ich nachher auch zu sprechen.
Das zweite ist doch etwas ganz anderes. Ich werde Ihnen nachher eine ganze Reihe von Mißbräuchen aufzeigen. Wenn Sie ,dem hätten entgegentreten wollen, was Sie soeben angeführt haben, Herr Dr. Bucerius, dann hätten Sie von der CDU unsere Bemühungen um eine Verschärfung der Be2256
stimmungen für ,die marktbeherrschenden Unternehmen unterstützen müssen.
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Dann hätten wir eine Handhabe gehabt, und wir hätten nicht diese lendenlahmen Bestimmungen über die marktbeherrschenden Unternehmen und Gruppen, wie wir sie jetzt haben.
({2})
- Das wird ,das Bundeskartellamt zu untersuchen haben. Bitte, meine Damen und Herren, gestehen Sie uns doch zu: wir sehen alle Unternehmensformen gleich, ob es sich um öffentliche oder private oder um genossenschaftliche Unternehmen oder um Aktiengesellschaften handelt; bezüglich des Kartellgesetzes hat die SPD niemals einen Zweifel ,daran gelassen, daß sie sie alle gleichmäßig bewertet wissen will.
({3})
Es ist schade, Herr Dr. Bucerius: wir haben fünf Jahre darüber beraten, und es wäre schön gewesen, Sie wären einmal mit dabei gewesen!
({4})
- Na, na, Herr Dr. Bucerius, ich habe von Ihren positiven Vorschlägen nicht viel gemerkt. Und wenn ,das Gesetz gegen die Wettbewerbsbeschränkungen überhaupt zustande gekommen ist, dann ist es nur zustande gekommen - das werden Sie zugeben -, weil wir bereit waren, dieses Anliegen zu unterstützen. - Bitte!
Darf ich Sie nur noch fragen, Herr Kurlbaum, ob Sie nicht wissen, daß ich nicht Mitglied des Wirtschaftspolitischen Ausschusses bin,
({0})
und ob Sie zweitens der Meinung sind, daß nur Mitglieder des Wirtschaftspolitischen Ausschusses in diesem Hause das Wort zur Wirtschaftspolitik ergreifen dürfen?
Nein, selbstverständlich nicht. Herr Dr. Bucerius, ich habe mich immer über Ihr lebhaftes Interesse gefreut. Ich mußte nur auf Grund Ihrer Frage zu der Überzeugung kommen, daß Sie doch nicht ganz im Bilde sind.
({0})
Das nehme ich Ihnen aber gar nicht übel; es gibt viele Dinge, wo Sie wahrscheinlich besser im Bilde sind als ich.
Nun möchte ich aber noch auf eines aufmerksam machen. Ganz besonders gefährlich erscheinen uns die kollektiven Formen der Preisbindung der zweiten Hand. Meine Damen und Herren von der Koalition, das Wort „kollektiv" müßte Sie ja eigentlich schon in Bewegung bringen; das müßte eigentlich so sein.
({1}) Ich verweise ferner auf die berüchtigten Sammelreverse, durch ,die der mittelständische Einzelhandel im voraus für unbestimmte Zukunft auf alle zukünftigen Waren und auf ihre Preise festgelegt werden soll. Das sind ganz gefährliche Mißbrauchsformen. Ich muß dazu dem Herrn Bundeswirtschaftsminister eines sagen; er wendet doch so oft das Mittel der psychologischen Kriegführung an. Warum hat der Bundeswirtschaftsminister zu keinem Zeitpunkt einmal das Wort ergriffen, als sich diese Art Mißbrauch und diese Art umfangreiches Einsteigen in jene doch sehr massiven Wettbewerbsbeschränkungen abzeichnete?
Dabei ist noch etwas Weiteres zu berücksichtigen. Wenn ganze Wirtschaftszweige in die Preisbindung der zweiten Hand einsteigen, dann wälzen sie das Risiko eines Preisdrucks auf die anderen Bereiche der deutschen Wirtschaft ab, die sich dieses Mittels nicht bedienen können. Die massive Anwendung der Preisbindung der zweiten Hand führt also zur Diskriminierung dieser Wirtschaftsbereiche. Das sind letzten Endes auch die Gründe gewesen, warum wir uns gegen die Sanktionierung dieses Mittels durch das Kartellgesetz ausgesprochen haben.
Nun, meine Damen und Herren, komme ich zu einem weiteren Problem, das ich vorhin schon mit einem Wort angedeutet habe und das in Zusammenhang mit der nachlassenden Konjunktur auch sehr viel aktueller geworden ist, nämlich das Problem der Zonenrandgebiete. Wir haben mit Drucksache 479 einen Antrag eingereicht, den ich jetzt allerdings nicht im einzelnen besprechen möchte, weil wir ihn einer formalen ersten Lesung in einer der nächsten Sitzungen des Bundestages vorbehalten wollen. Ich möchte aber doch die beiden Hauptgrundsätze herausstellen und mit unseren konjunkturpolitischen Ansichten in Zusammenhang bringen. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß bezüglich der Zonenrandgebiete zwei Grundsätze maßgebend sein müssen. Erstens: Bei der Unterstützung der Zonenrandgebiete muß die Last sehr viel stärker von den an sich ja schwächeren Ländern und Gemeinden dieser Gebiete auf den Bund herübergenommen werden. Zweitens muß das Verfahren, auf Grund dessen die Zonenrandgebiete und die dortigen Unternehmen nur mehr oder weniger im Billigkeitsverfahren Anspruch auf gewisse Hilfeleistungen haben, durch allgemeine gesetzliche Bestimmungen ersetzt werden. Wenn Sie die Unternehmen der Zonenrandgebiete darauf hinweisen, daß sie sozusagen ihre Bedürftigkeit nachweisen müssen, dann werden Sie dort eine Versammlung von Lahmen haben und sonst gar nichts, und Sie werden keine gleichen Wettbewerbschancen schaffen.
Nun zu einem anderen Problem, das mit der nachlassenden Konjunktur zu tun hat! Ich freue mich, daß das Stichwort zu diesem Problem hier inzwischen auch von anderer Seite gegeben worden ist. Zunächst einmal freue ich mich, daß Herr Dr. Vogel - ich glaube, es war vorgestern - schon von dem Problem der Konzentration gesprochen hat, und ich freue mich, daß auch Herr Margulies heute davon gesprochen hat. Hier haben
wir in der Tat ein allgemeines Anliegen. Ich möchte mich heute sehr eingehend mit diesem Problem beschäftigen, weil wir der Meinung sind, daß es besonders aktuell ist, zunächst einmal wegen des Konjunkturrückganges und ferner deshalb, weil die Konzentration zweifellos damit zu tun hat, daß sich gewisse Unternehmen schon auf den Gemeinsamen Markt vorbereiten und die wettbewerbsfördernden Wirkungen des Gemeinsamen Marktes im voraus schon wieder durch größere Zusammenschlüsse über die Grenzen hinaus illusorisch machen möchten.
Nun ist es ganz klar, daß die Sozialdemokratie genau weiß, daß es sehr nützliche Konzentrationen gibt. Es gibt Konzentrationen, die in der Tat zu einer Rationalisierung der Fertigung und zu einer Rationalisierung der Forschung führen. Es gibt aber auch eine Menge Konzentrationsformen oder Konzentrationen, die den Hauptzweck haben, die Zahl der Bewerber einzuschränken und den Wettbewerb abzubauen. Und dazu, meine Damen und Herren, möchte ich einmal klarstellen: Diese Art von Konzentration kommt einer Demontage der Marktwirtschaft gleich!
({2})
Mit diesen Erscheinungen der Demontage der Marktwirtschaft müssen wir uns beschäftigen. Ich spreche heute nicht von der soziologischen Seite, weil ich glaube, daß wir uns über die nachteiligen soziologischen Wirkungen der Konzentration alle einig sind. Ich spreche vielmehr vom Standpunkt der Marktwirtschaft über die Konzentration.
Die Sozialdemokratische Partei hat sich niemals der Illusion hingegeben, wie das nach unserer Meinung bei Ihnen von der Koalition in weitem Umfange der Fall war, als könne man eine echte Marktwirtschaft, eine für den Verbraucher wirksame Marktwirtschaft wirklich auf allen maßgeblichen Wirtschaftsbereichen der Bundesrepublik durchsetzen. Wir haben immer Vorbehalte gemacht und haben gesagt: Wir erkennen an, daß es weite Bereiche gibt, wo sie wahrscheinlich gar nicht möglich sein wird. Ich glaube, die Entwicklung hat uns recht gegeben. Aber wenn wir von der Marktwirtschaft sprechen, nehmen wir das Wort in seinem wirklichen Sinne und verwenden es nicht als Schlagwort. Für uns liegen die Dinge so: Wir glauben, daß von Marktwirtschaft, von echter Marktwirtschaft, nur gesprochen werden kann, wenn eine genügende Anzahl von Wettbewerbern vorhanden ist.
Um ein praktisches Beispiel zu nennen: Wir möchten gar keinen Zweifel daran lassen, ,daß zum Beispiel. die Art und Weise, wie die Treibstoffe über die Tankstellen zu gleichen Preisen vertrieben werden, für die Sozialdemokratie keine Marktwirtschaft ist, sondern etwas ganz anderes.
({3})
Um das einmal klarzumachen: Bei solchen Bereichen mit einer Pseudomarktwirtschaft sind wir allerdings für eine öffentliche Kontrolle.
Hier komme ich nun zu einem Problem, das Herr Dr. Hellwig, wenn ich mich recht erinnere, in der Debatte über die Bundesunternehmen am 12. Juni angesprochen hat. Er hat eine Feststellung getroffen, von der ich gleich sagen möchte, daß ich sie für richtig halte. Er sagte nämlich: Öffentliche Kontrolle bedeutet noch nicht Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Aber, Herr Dr. Hellwig, wem sagen Sie das? Die Sozialdemokratische Partei hat noch in der letzten Phase der Beratung des Kartellgesetzes den Antrag gestellt, das Bundeskartellamt solle alljährlich einen Bericht vorlegen, damit sich die Öffentlichkeit über die Tätigkeit des Bundeskartellamts, dieser Institution der öffentlichen Kontrolle, im einzelnen unterrichten kann. Wir haben vorgeschlagen, daß so eine öffentliche Kontrollinstitution durch die Öffentlichkeit kontrolliert werden soll, und es ist Ihnen, glaube ich, damals nicht ganz leicht gefallen, diesem Vorschlag zuzustimmen.
({4})
Um so besser, wenn wir Sie überzeugt haben.
Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel, Herr Dr. Hellwig. Wir haben uns damals dafür erklärt, daß z. B. das Register der Markenartikelbinder auch öffentlich sein sollte, und da war es bei Ihnen zu Ende. Die Markenartikelhinder wollten Sie keiner weiteren Kontrolle durch die Öffentlichkeit unterstellen. Da scheinen also die Dinge auseinanderzugehen. Ich habe den Eindruck, Herr Dr. Hellwig, daß es Ihnen recht ist, wenn öffentliche Macht durch die Öffentlichkeit kontrolliert wird, daß es Ihnen aber nicht recht zu sein scheint, wenn private Macht durch die Öffentlichkeit kontrolliert wird.
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Es ist die Auffassung der Sozialdemokratischen Partei, daß jede Macht durch die Öffentlichkeit kontrolliert werden muß, und wir sind nicht willens, hier Ausnahmen zu machen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich möchte Ihnen noch etwas Weiteres sagen. Das Ausmaß, in dem die Sozialdemokratische Partei nach einer öffentlichen Kontrolle rufen wird, hängt da- von ab, inwieweit Sie es zulassen, daß die Marktwirtschaft in den maßgeblichen Bereichen unserer Wirtschaft abgebaut wird, indem Sie sich weigern, der Konzentrationsbewegung in der Wirtschaft entgegenzutreten.
({6})
Das ist die Formel, auf die ich es in diesem Augenblick einmal gebracht haben möchte.
Die Aufgabe - das haben hier auch schon andere Herren mindestens angedeutet - für die Bundesregierung liegt also im heutigen Zeitpunkt darin, alle Anreize zu einer volkswirtschaftlich nicht notwendigen oder sogar schädlichen Konzentration zu beseitigen und vor allen Dingen keine neuen Anreize zu schaffen. Was hat nun die Bundesregierung dazu gerade auch in dem hinter uns liegenden Jahr, d. h. im ersten Jahr dieses Bundestages, getan?
Ich will versuchen, das an ein paar Beispielen zu erläutern. Sprechen wir zuerst über die Privatisie2258
rung der Bundesvermögen! Wir haben am 12. Juni darüber debattiert. Ich will keineswegs diese Debatte wiederholen, sondern nur noch einmal resümieren: Trotz aller Propaganda vor der Wahl 1957 liegt uns bis heute kein überzeugender Vorschlag vor, wie durch die Privatisierung von Bundesvermögen die Streuung von Eigentum langfristig gesichert werden kann. Im Gegenteil, die vorliegenden Vorschläge - ich denke nur an die Howaldtwerke und andere - sind geeignet, die Konzernbildung und die Konzentration und damit - ich sage das einmal ganz klar und deutlich - die Demontage der Marktwirtschaft weiter zu fördern.
Zweitens. Wie ist es mit der Versorgung der kleinen und mittleren Unternehmen mit langfristigem Kredit? Wir haben uns neulich schon im Wirtschaftspolitischen Ausschuß des Bundestages kurz darüber unterhalten. Die Zeit reichte nicht aus, um zu Ergebnissen zu kommen. Lassen Sie mich hier nur eine Zahl nennen, die für Ende 1957 gilt. Die Hälfte der privaten gewerblichen Wirtschaft, beistehend aus den kleineren und mittleren Unternehmen, mit einer Wertschöpfung von etwa 50 % und mit einer Beschäftigtenzahl von etwa 60 %, - dieser ganze Bereich hat den vierten Teil der langfristigen Kreditsumme zur Verfügung, die die andere Seite der großen Unternehmen besitzt.
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Meine Damen und Herren! Das ist ein Faktum, von dem Sie zugestehen werden, daß es wirklich ein Faktum ist, das in einer Weise konzentrationsfördernd wirken muß, wie man es sich kaum vorstellen kann; idenn was anders als diese reichliche langfristige Kreditversorgung setzt die großen Unternehmen überhaupt in die Lage, die kleineren aufzukaufen! Es ist also ganz klar, daß die bisher eingeleiteten Maßnahmen in keiner Weise ausreichend sind, um in absehbarer Zeit dieses störende Element zu beseitigen, diese Verfälschung der Chancen in der deutschen Wirtschaft wieder in Ordnung zu bringen. Wir werden bei der Beratung insbesondere des ERP-Wirtschaftsplanes in den Ausschüssen darauf noch zurückkommen.
Nun komme ich zur Umsatzsteuer, ich sage ganz deutlich, zur Reform ides Umsatzsteuersystems, nicht einer anderen Reform. Diese Frage steht auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages bereits seit dem November 1954. Ich habe mich gefreut, daß nunmehr auch Herr Dr. Vogel die schädlichen Wirkungen des deutschen Umsatzsteuersystems anerkannt hat. Es ist heute auch allgemeine Meinung, daß die Denkschrift des Bundesfinanzministeriums vom Dezember 1955 völlig unzureichend ist.
({8})
Seitdem hat die SPD zusammen mit Abgeordneten anderer Fraktionen immer wieder versucht, eine gutachtliche Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums zu erreichen. Herr Dr. Vogel, es ist wohl ein Mißverständnis, wenn Sie am Dienstag hier im Plenum gesagt haben: Wir begrüßen die Fertigstellung des Entwurfs einer Umsatzsteuerreform. Vielleicht ist dieses Mißverständnis hier nur herein gekommen im Zuge des schnellen Herausbringens der Berichte über die Sitzungen des Plenums. Nach
meiner Kenntnis - und ich würde es sehr begrüßen, wenn sich irgend jemand vom Finanzministerium dazu äußerte - liegen aber die Dinge ganz anders. Es liegt wohl ein Entwurf zu einer neuen Denkschrift, aber nicht etwa ein Entwurf zu einem neuen Umsatzsteuergesetz im Finanzministerium vor. Ich möchte jetzt hier im einzelnen diese neue Denkschrift nicht kritisieren, weil sie mir der Herr Bundesfinanzminister loyalerweise gegen das Versprechen zur Verfügung gestellt hat, sie noch nicht öffentlich zu kritisieren. Ich möchte trotzdem so weit gehen, hier zu sagen, ich rate dem Bundesfinanzminister dringend ab, diese Denkschrift in der jetzigen Fassung dem Bundestag vorzulegen. Mein Rat an die Bundesregierung geht vielmehr dahin, es möge sich doch endlich einmal der Bundeswirtschaftsminister für dieses Problem interessieren; es möge sich doch die zuständige Steuerabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums für dieses Problem von eminent volkswirtschaftlicher Bedeutung interessieren. Mein Rat geht noch weiter. Ich glaube, daß wir sehr schnell weiterkämen, wenn sich die Bundesregierung entschlösse, einmal von zwei unabhängigen wissenschaftlichen Instituten der Bundesrepublik Gutachten über die Reform des Umsatzsteuersystems einzufordern. Ich meine, wir kämen dann sehr viel weiter.
Meine Damen und Herren! Das wäre auch wieder eine gewisse Kontrolle der öffentlichen Macht - ich glaube, das Bundesfinanzministerium ist eine ganz massive öffentliche Macht -, wenn wir auf diese Weise die öffentliche Macht des Bundesfinanzministeriums einmal durch die Öffentlichkeit kontrollieren ließen.
Nun komme ich noch zu einem weiteren Problem. Ich sehe, die Zeit läuft davon. Ich habe dem Herrn Vizepräsidenten versprochen, mich kurz zu fassen. Ich bin gerne bereit, wenn es gewünscht wird, zur Umsatzsteuerreform noch Einzelheiten anzugeben. Ich möchte jetzt auf ein zweites Problem kommen, das auch in die Finanzpolitik fällt. Ich meine, wir können hier Wirtschafts- und Finanzpolitik überhaupt nicht voneinander trennen. Ich komme jetzt zur Senkung der Körperschaftsteuersätze durch die in den letzten Tagen von der Koalition beschlossenen Gesetze. Was waren die Gründe für Sie, meine Damen und Herren, die Sie bewegt haben - ich nehme diese Gründe zunächst einmal ernst -, dieser Herabsetzung der Steuersätze zuzustimmen? Zunächst einmal war es der Grund, daß Sie die Finanzierung der Aktiengesellschaften durch Erleichterung der Ausgabe neuer Aktien fördern wollten. Damit wollten Sie ein besseres Gleichgewicht zwischen der Finanzierung über Anleihen, also über langfristige Fremdmittel und über Aktien herstellen. Das ist ein Anliegen technischer Art, für das wir Sozialdemokraten durchaus Verständnis haben und über das man mit uns hätte reden können. Um diese Frage zu lösen, waren aber - ich sage es klar und deutlich - in keinem Fall diese massiven Steuergeschenke an die Altaktionäre notwendig.
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Das Problem hätten Sie auch lösen können durch eine Verlagerung der Besteuerung. Sie hätten z. B.
die bisher auf den Dividendenausschüttungen liegenden Steuern auf die Zinsen für langfristiges Kapital verlagern können, wie es bei der Gewerbesteuer ist. Den Wohnungsbau kann man ausnehmen. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten. Jedenfalls haben wir immer wieder kritisiert, daß die Maßnahmen, die Sie hier getroffen haben, in keiner Weise in einem vernünftigen Verhältnis zu dem Hunderte von Millionen umfassenden Steuergeschenk an die Altaktionäre stehen.
({10})
- Ich weiß nicht, was Sie in diesem Zusammenhang damit meinen. Das müßten Sie nachher genauer ausführen. - Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um das Problem einer Konkurrenzverschiebung. Ich komme gleich noch auf die anderen Dinge.
Sie haben dann darüber gesprochen, Sie wollten die Ausschüttung fördern und die Selbstfinanzierung einschränken. Auch hierzu haben wir im Finanzausschuß - ich glaube, in gemeinsamer Sitzung mit dem Wirtschaftsausschuß - gesagt, daß man hier im wesentlichen durch eine Umlagerung der Steuerlasten zu einem Effekt hätte kommen können, ohne diese massive Entlastung, dieses massive Steuergeschenk, das der Bundesfinanzminister auf 180 Millionen DM pro Jahr beziffert hat, geben zu müssen.
Ich erwähne das heute nur deshalb, weil es sich wiederum um ein ganz massives Steuergeschenk handelt, das von allen Steuerzahlern aufgebracht und das einer beschränkten Anzahl von Steuerpflichtigen gegeben wird. In der Praxis werden dieses Steuergeschenk entweder die Aktiengesellschaften, d. h. im Durchschnitt die großen Unternehmen der Wirtschaft - also wieder etwas Konzentrationsförderndes oder, meine Damen und Herren von der Koalition, in erster Linie die Altaktionäre bekommen, d. h. Sie werfen das Geld der allgemeinen Steuerzahler wieder auf den großen Haufen des Geldes, das schon bei den Altaktionären ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal fragen: Wo bleibt eigentlich der kleine Altsparer mit den traditionellen Sparformen? Wo bleibt er angesichts dieser Behandlung des Altaktionärs durch die Koalition?
({11})
Ich glaube, man übertreibt nicht, wenn man in der
Offentlichkeit einmal erklärt: der Altaktionär
scheint das Schoßkind der Bundesregierung zu sein.
({12})
Das ist, glaube ich, die Darstellung, die hier zutreffend ist. - Bitte, Herr Dr. Hellwig!
Herr Kollege Kurlbaum, meinen Sie nicht, daß in diesem Zusammenhang doch immerhin erwähnt werden müßte, daß das Sparen in traditionellen Formen - Kontensparen, Bausparen, Lebensversicherungssparen - seit Jahren eine Steuerbegünstigung erfährt, die das Sparen in Aktien nicht erfahren hat?
Meine Damen und Herren, hier handelt es sich letzten Endes darum: wer ist der Schwächere? Halten Sie überhaupt einen solchen Vergleich für möglich und sinnvoll und für moralisch, daß Sie sagen, der Altaktionär müßte in demselben Umfang aus öffentlichen Mitteln gestützt und gefördert werden wie der traditionelle Altsparer mit kleinen Sparkonten? Da unterscheiden wir uns allerdings sehr erheblich.
({0})
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eines sagen. Es hat mich ganz besonders betroffen, daß man in diesem Augenblick, d. h. nach diesen massiven Steuererleichterungen für die Altaktionäre, darangehen will, den Sparzins für den kleinen Sparer zu senken, und daß man sich entschlossen hat, die Verabschiedung des Sparprämiengesetzes, das Sie für den unwichtigsten Teil dieser Steuergesetzgebung zu halten scheinen, auf das letzte Quartal dieses Jahres zu vertagen.
({1})
Ich komme zu folgendem Ergebnis. Ob die Wirkungen eintreten, die Sie mit der Senkung der Körperschaftsteuersätze anstreben, nämlich Erhöhung der Ausschüttungen und Einschränkung der Selbstfinanzierung, ist völlig ungewiß. Niemand von Ihnen, meine Damen und Herren, kann sagen, in welchem Umfange die erwähnte gesetzliche Maßnahme zu einer Erhöhung der Ausschüttungen und zu einer Einschränkung der Selbstfinanzierung führen wird, weil Sie nämlich die Steuererleichterungen auch denjenigen Gesellschaften geben, die ihre Ausschüttungen nicht erhöhen, und genauso den Gesellschaften, die ihre Selbstfinanzierung nicht einschränken. Für die Erreichung des Zwekkes dieser massiven Ausgabe sind Sie also auf den guten Willen der Aktiengesellschaften angewiesen, von Ihrem großzügigen Angebot Gebrauch zu machen. Eines tritt aber mit absoluter Sicherheit ein: entweder die Altaktionäre bekommen jetzt eine höhere Dividende, ohne daß sie einen Beitrag zu dem geleistet haben, was Sie mit der Maßnahme erstreben, oder die Aktiengesellschaften brauchen weniger Steuern zu zahlen, ohne daß sie zur Förderung Ihrer Anliegen etwas tun müssen.
Ich komme zur nächsten Frage im Rahmen meiner Betrachtungen, zur Problematik der Konzentration. Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, um die Publizität der Unternehmen zu fördern. Ich anerkenne ausdrücklich den guten Willen des Bundesjustizministeriums; denn es hat sich zweifellos um diesen Gesetzentwurf sehr bemüht.
Ich will der Diskussion in der ersten Lesung nicht vorgreifen und mich deshalb darauf beschränken, zwei Dinge zu sagen. Ich vermisse in dem Gesetzentwurf die volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte. Es wird überhaupt nicht erkennbar, daß sich das Bundeswirtschaftsministerium für diese Fragen interessiert hat.
Nach Ansicht der Sozialdemokratie geht es bei der Publizität um zwei grundlegende Dinge. Das eine ist: Wie wird die Öffentlichkeit über den Umfang und die Reichweite der wirtschaftlichen Macht un2260
terrichtet, die gewisse Unternehmen in der Wirtschaft ausüben? Und das zweite ist: Wie erhält die Öffentlichkeit eine Vorstellung von der Größe der Gewinne, die aus solcher wirtschaftlichen Macht gezogen werden?
Ich sage ganz offen, daß es uns bei der Publizität um diese zwei Dinge geht, und ich meine, sie sollten das Anliegen jedes echten Demokraten sein.
({2})
Nur damit wird eine Kontrolle der wirtschaftlichen Macht durch die Öffentlichkeit gesichert.
Ich füge ausdrücklich hinzu, daß wir bei dem Verlangen nach Publizität, nach Kontrolle durch die Öffentlichkeit, keinen Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen machen. Ich kann nur sagen, daß das, was der Gesetzentwurf vorsieht, u m der Öffentlichkeit die Macht und die Erträge der Unternehmen sichtbar zu machen, völlig unzureichend ist. Tm übrigen wird eine weitere Folge eintreten. Die großen Unternehmen mit einem vielseitigen Programm werden eine Umsatzziffer nennen; die kleinen, spezialisierten Unternehmen werden ebenfalls eine mitteilen. Die gro-lien werden also genau wissen, was für einen Umsatz der kleine Unternehmer auf seinem Snezialgebiet hat: aber der kleine Spezialist kann nicht erkennen. wie der Umsatz des Großunternehmens gegliedert ist, denn er erfährt bloß den Gesamtumsatz. In der Elektroindustrie weiß er beisnielsweise nur den Gesamtumsatz vom elektrischen Rasierer his zum schlüsselfertigen Kraftwerk. Er weiß also praktisch nichts, wenn er die Umsatzziffer liest; sie iaqt ihm höchstens noch mehr Schrecken vor dem Großunternehmen ein.
Meine Damen und Herren, ich will nicht auf Einzelheiten eingehen. Ich anerkenne. daß wenigstens einmal ein Anfang gemacht worden ist. Wir werden über den Entwurf im Wirtschaftsausschuß heftig diskutieren müssen. Wenn er so verabschiedet wird. wie er vorliegt, dann kommt das kleinere und mittlere Unternehmen in eine noch schwierigere Lag e, als es jetzt ist, weil es sich unter Umständen einer gezielten Marktstrategie der großen Unternehmungen ausgesetzt sieht.
Ich habe Ihnen an fünf aktuellen Beispielen gezeigt. was die Bundesregierung auf dem Gebiete der Privatisierung des Bundesvermögens, der Kreditversorgung der kleinen und mittleren Unternehmen. der -Umsatzsteuerreform, der Änderung der Körperschaftsteuer und der Publizität geleistet hat.
Ich kann abschließend folgendes sagen. Bei all diesen neuen Maßnahmen sind die Bundesregierung und das Bundeswirtschaftsministerium der Aufgabe nicht gerecht geworden, bestehende Anreize zu volkswirtschaftlich nicht notwendiger wirtschaftlicher Konzentration abzubauen und keine neuen Anreize zu schaffen. Im übrigen, meine Herren, werden Sie mir zustimmen, daß auch die Rüstungswirtschaft einen neuen Antrieb zur Konzentration in der Wirtschaft bedeutet. Ich will das nur mit am Rande erwähnen, weil es in das Bild hineingehört, mit dem wir uns als Realisten zu beschäftigen haben.
Ich komme zum Schluß und fasse zusammen. Die SPD ist durchaus bereit, meine Damen und Herren von der Koalition, an einer echten Marktwirtschaft mitzuwirken, sie zu sichern und zu fördern, wo immer sie zum Nutzen der Volkswirtschaft und des Verbrauchers durchsetzbar ist. Ich glaube, das haben wir bei der Behandlung des Kartellgesetzes und mehrfach bei der Behandlung der Zollpolitik in diesem Hause bewiesen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hätte einen Teil seiner marktwirtschaftlichen Anliegen ohne unsere Unterstützung in diesem Hause überhaupt nicht durchsetzen können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal sagen: Konzentration bedeutet im Zweifel Abbau der Marktwirtschaft. Privaten, unkontrollierten Dirigismus in der Wirtschaft lehnt die SPD ab. Sie ist für die Kontrolle - für die öffentliche Kontrolle - der privaten wirtschaftlichen Macht, wobei diese öffentliche Kontrolle ihrerseits durch Parlament und Öffentlichkeit kontrolliert werden muß. Die Verantwortung dafür, wie weit die öffentliche Kontrolle ausgedehnt werden muß, liegt eindeutig bei denen, die der Ausbreitung privater Macht entgegenzutreten nicht bereit sind. Wer private, unkontrollierte Macht duldet oder sogar fördert und öffentliche Kontrolle ablehnt, will keine freiheitliche Wirtschaftsordnung und keine echte Demokratie,
({3})
sondern er will offensichtlich ein Parlament und eine Regierung, welche die großen Mächte in der Wirtschaft sich gefügig machen können.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Steinmetz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es würde jetzt ganz gut wirken, wenn ich nach dieser ziemlich herben Kritik einmal einen etwas anderen Ton anschlüge.
({0})
Ich möchte zunächst feststellen, daß wir von der Deutschen Partei uns eigentlich im wesentlichen immer in Übereinstimmung mit der Generallinie, die der Herr Bundeswirtschaftsminister eingeschlagen hat, befunden haben.
({1})
Wir wollen auch heute noch einmal feststellen, daß wir unserer Wirtschaftspolitik viel zu verdanken haben und daß der rasche Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft durch diesen entschlossenen Sprung in die marktwirtschaftliche Ordnung entscheidend gefördert worden ist. Das muß bei dieser Debatte über die Wirtschaftspolitik deutlich ausgesprochen werden.
Aber weil wir diese marktwirtschaftliche Ordnung als sehr wohltuend für die deutsche Wirtschaft und für die deutschen Menschen erkannt haben, wünschen wir natürlich auch, daß sie auf
möglichst weite Gebiete, auf möglichst alle Sektoren der Wirtschaft ausgedehnt wird. Das ist ganz selbstverständlich. Wo das noch nicht geschehen ist, werden wir mit daran arbeiten, daß es geschieht. Im übrigen haben Sie ja im letzten Bundestag - ich war noch nicht da - das Kartellgesetz beschlossen. Damit haben Sie ein Mittel in der Hand, den Konzentrationen, von denen Sie gesprochen haben, entgegenzuwirken.
Ich will auf die Einzelheiten, die hier angeführt worden sind, nicht näher eingehen. Das Ladenschlußgesetz berührt eigentlich die Bundesebene nicht so stark, und das Umsatzsteuergesetz ist noch gar nicht da; wir wollen erst einmal abwarten, bis es kommt. Aber ich möchte zu einem Thema sprechen, das ich für außerordentlich wichtig halte - der Herr Kollege Kurlbaum hat darüber gesprochen -, das ist die Konjunkturpolitik.
Ich bin der Meinung, daß es mit der Konjunktur nicht so schlecht steht, wie es nach ihm den Anschein hat. Ich habe während meines Studiums der Nationalökonomie einmal gelernt, daß man von der Konjunktur auf keinen Fall schlechter sprechen soll, als sie ist, weil man sie sonst schon wieder verschlechtert. Außerdem haben wir hier doch einiges getan. Wir haben gerade jetzt von einer Diskontsenkung gehört, die auf diesem Gebiete gewisse Anreize geben wird. Wir haben gehört, daß der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat, er führe seinen Haushalt am Rande des Defizits. Das bedeutet für mich als Volkswirt auch einen gewissen Anreiz für die Konjunktur; denn er läßt damit mehr Geld in die Wirtschaft fließen, als er ihr im gleichen Zeitraum wieder entnimmt. Das ist ein Impuls für die Konjunktur. Wir haben auch für den Export - ein wichtiges Gebiet der Konjunktur - etwas getan, indem wir mit den Vorbereitungen für die Einflußnahme auf den Märkten der entwicklungsfähigen Länder begonnen haben. Dafür haben wir 50 Millionen DM Bindungsermächtigungen bereitgestellt. Sie geben immerhin die Möglichkeit, sehr starke Impulse für den Export und für die ganze Konjunktur auszulösen.
Herr Kollege Kurlbaum hat mit Recht gesagt, daß die Exportstatistik ungünstig aussehe. Die Zuwachsrate des Exports ist von 14 % im zweiten Halbjahr 1957 in den ersten fünf Monaten dieses Jahres auf % herabgesunken. Im Mai war die Ausfuhr sogar um 6 % geringer als im Vorjahr. Das sollte uns wirklich zu denken geben, besonders in einem Augenblick, in dem wir darangehen, die Handelsbeziehungen mit den entwicklungsfähigen Ländern aufzubauen. Was nützt schließlich die Bewilligung von 50 Millionen DM für die Anbahnung der Handelsbeziehungen, wenn wir den Betrag eines Tages nicht ausschöpfen können, weil unser Exportwachstum nachläßt. Das muß man mit aller Klarheit erkennen. Gerade ,dann, wenn wir diese bedeutende Summe einsetzen, müßten wir darauf achten, daß das Exportwachstum nicht nachläßt, sondern sogar gesteigert wird.
Worauf ist das Sinken der Zuwachsrate zurückzuführen? Der Grund liegt zum Teil darin, daß unsere Exportwirtschaft zweifellos nicht die staatliche
Hilfe findet, die der Exportwirtschaft in anderen Ländern gewährt wird, abgesehen davon, daß in anderen Ländern dem privaten Exporteur wesentlich mehr eigenes Kapital zur Verfügung steht als bei uns. Was steht der deutschen Exportwirtschaft an Hilfe zur Verfügung? Wir haben die Kreditanstalt für Wiederaufbau, wir haben die Ausfuhr-und Kredit-AG. Sie geben Kredite für die Exportwirtschaft. Aber diese Art der Exportförderung hat zwei entscheidende Mängel: Einmal sind die Kreditierungszeiten zu kurz, und zweitens wird der deutsche Exporteur finanziert und nicht der ausländische Importeur. Wir haben Kreditzeiten von fünf, höchstens einmal acht Jahren und haben gerade jetzt in der Wirtschaft erlebt, daß die ausländischen Exporteure heute mühelos Kreditzeiten von zehn, zwölf und fünfzehn Jahren geben. Wir haben gerade den Fall erlebt, daß ein grolles Elektrifizierungsgeschäft für ein entwicklungsfähiges Land, obgleich die deutschen Firmen im Spiel waren, an Amerika gefallen ist, weil die Deutschen einfach nicht in der Lage waren, die Kredite auf fünfzehn Jahre zu geben.
Aus dieser Sicht gesehen, halten wir es, gerade weil wir die Konjunktur steigern wollen, weil wir diesen Anreiz geben wollen, für unbedingt erforderlich, Bali man der deutschen Exportwirtschaft hierin eine stärkere Hilfe gibt. Das gilt für alle, das gilt für ,die Handwerker, für die mittlere und kleine Industrie, für die große Industrie und für die Kaufleute. Sie brauchen eine viel tatkräftigere Unterstützung, sie brauchen vor allen Dingen in der Kredithergabe einen viel stärkeren Halt. Denn was diese Unternehmen so stark belastet, ist ja die Tatsache, daß sie, nachdem ihr Exportgeschäft praktisch abgewickelt ist, nachdem das Liefergeschält erledigt ist, nun über Jahre hinaus ihre Außenstände an ,den ausländischen Importeur in ihren Buchern weiterschleppen. Diese Forderungen sind gar keine Kundenforderungen mehr, keine Forderungen aus ,dem Lieferantengeschäft, sondern sie sind nach Ablauf der technischen Garantiefristen zu reinen Finanzforderungen geworden. Hier verlangt man also von der deutschen Exportwirtschaft, daß sie die Aufgaben der Banken übernimmt, und das, glaube ich, dürfen wir ihr nicht zumuten. Es gibt eine Möglichkeit, der deutschen Exportwirtschaft zu helfen: indem man ihr die Möglichkeit gibt, die über die Zeit der Abwicklung des Geschäfts hinaus laufenden, zu Finanzforderungen gewordenen Forderungen an den Bund zu verkaufen.
Dem wird sehr häufig entgegengehalten, das bedeute praktisch eine Zinssubvention. Ja, wenn man bedenkt, daß diese Auslands-Investitionen zu 3 % verzinst werden und daß das Geld, das der Bund sich auf dem Markt zu besorgen hat, 7 % kostet, dann ist es tatsächlich eine Zinssubvention. Aber damit zeigt sich ja auch die ganze Schwierigkeit der Situation, damit zeigt sich die finanzielle Schwäche der aufbaufähigen Länder, und damit zeigt sich vor allen Dingen, wie günstig die übrigen ausländischen Exportfirmen anbieten müssen. Ich glaube, bei dieser Situation sollte man darangehen, diese Möglichkeit ides Aufkaufs der zu Finanzforderungen gewordenen Forderungen der deutschen Exportwirtschaft ernsthaft zu erwägen.
Dann noch ein Zweites! Wir haben im Jahre 1956 das politische Exportrisiko, das ja die deutsche Exportwirtschaft bis dahin zu 10 % zu tragen hatte, auf 20 % erhöht, mit der Begründung: die konjunkturpolitische Lage erfordere es. Diese Begründung ist heute durchaus nicht mehr stichhaltig. Wir halten es für dringend erforderlich, daß man in der heutigen konjunkturpolitischen Lage dieses 20prozentige Exportrisiko wieder auf die ursprüngliche Höhe von 10 % herabsetzt. Der Herr Präsident der Deutschen Bundesbank hat neulich in seinen Ausführungen ganz ähnliche Gedanken entwickelt; er hat davon gesprochen, daß man der deutschen Exportwirtschaft eine stärkere Refinanzierungsmöglichkeit geben müsse. Ich glaube also, daß man auch durch Senkung des politischen Exportrisikos der deutschen Exportwirtschaft entscheidend helfen könnte.
Wenn wir wirklich auf die entwicklungsfähigen Länder Einfluß gewinnen wollen, wenn wir die Tendenz des ständigen Abfallens der Zuwachsrate unseres Exportes vermeiden wollen und wenn wir der deutschen Exportwirtschaft ihre Absatzmöglichkeiten im Ausland und damit auch die Arbeitsmöglichkeiten der dort beschäftigten Menschen erhalten wollen, dann müßten wir - und das ist eines der großen Anliegen meiner Freunde von der Deutschen Partei - diese beiden Hilfen für die deutsche Exportwirtschaft geben: Aufkauf der Finanzforderungen und Senkung des politischen Exportrisikos. Das sind zwei Hilfen, die der deutschen Exportwirtschaft außerordentlich helfen würden, die deutsehe Konjunktur stark anreizen würden und die ohne große Opfer für den Bund gegeben werden könnten.
({2})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu dein bisher Vorgetragenen Stellung nehmen.
Dem Kollegen Kurlbaum möchte ich auf seinen ersten Angriff etwa im gleichen Geiste antworten, ansonsten mich der sachlichen Darstellung befleißigen. - Ich weiß nicht, was Sie an dem Bulletin vom 20. Juni eigentlich aufgeregt hat. Ich stehe dazu, zu jeder Zeile, und ich finde, wenn ich mich auf jene Ereignisse vor zehn Jahren zurückbesinne, daß ich mich geradezu einer vornehmen Zurückhaltung befleißigt und alles vermieden habe, daraus eine parteipolitische Diskussion werden zu lassen. - Bitte!
Herr Bundesminister, finden Sie es richtig, in einem vom Steuerzahler bezahlten Bulletin, das der Information dienen soll, von unglaublich und unvorstellbar engstirnigen und verblendeten Doktrinären und im selben Satz von einer Herabwürdigung der Arbeit der Regierung und der Bundesnotenbank zu sprechen, und in so nebelhafter Weise zu sprechen, so daß jeder nur raten kann, wer nun eigentlich angegriffen ist? Glauben Sie nicht, daß Sie die Verpflichtung haben, in einem Informationsblatt der Bundesregierung konkret zu sagen, was Sie angreifen wollen und wen Sie angreifen wollen?
Sie können hier nicht einen Satz aus dem Zusammenhang reißen. Der ganze Aufsatz: „Zehn Jahre D-Mark" ist von einer so geringen Polemik erfüllt,
({0})
daß das gegenüber dem, was sich vor zehn Jahren ereignet hat, wirklich nur ein leises Säuseln ist.
({1})
Denn es ist doch nicht zu bestreiten, daß Sie vor zehn Jahren diese Wirtschaftspolitik und die eingeleiteten wirtschaftspolitischen Maßnahmen mit Erbitterung und Feindseligkeit abgelehnt haben.
({2})
Und ich muß sagen, ich bin wieder vornehm; sonst hätte ich die ganzen Bände hier und könnte eine Stunde lang Äußerungen zitieren, die Sie vor zehn Jahren getan haben, bis hin zu der, daß diese Wirtschaftspolitik in den Konsequenzen verhängnisvoller sein werde als das, was Morgenthau uns zugedacht hatte, und zu anderen Stilblüten mehr. Aber ich möchte darauf nicht zu sprechen kommen; ich möchte nur meinen, Sie haben gar keinen Grund, so zimperlich zu sein, wenn ein anderer sich an einem solchen Tage auch einmal zurückbesinnt an das, was gewesen ist.
({3}) Aber damit sei es erledigt.
Im übrigen darf ich hinzufügen - es hätte vielleicht eine Verwechslung eintreten können -: ich habe den Begriff: „Die SPD setzt auf die Krise" nicht geprägt.
({4})
Das möchte ich ausdrücklich festgestellt haben.
Ich glaube auch, daß wir die Konjunktur nicht sehr unterschiedlich betrachten. Ich glaube, das gilt für das ganze Haus. Daran, daß der Pulsschlag etwas schwächer geworden ist, ist gar kein Zweifel. Aber ich kann das nicht als ein Unglück empfinden. In mancher Beziehung hat es sogar günstige Wirkungen gehabt. Die Stabilität des deutschen Preisniveaus ist jedenfalls damit gefestigt worden, und auch jene Geneigtheit, die Volkswirtschaft zu überfordern, ist doch etwas zurückgegangen. Die Stabilität in allen Bereichen hat sich verstärkt. Im übrigen ist die Beschäftigung so ausgezeichnet, wie sie nur jemals war. Wir haben eine Arbeitslosenquote von 2 %. Das liegt noch erheblich unter dem, was nach internationaler Regel als Vollbeschäftigung gilt.
Allerdings ist das Konjunkturbild sehr viel differenzierter geworden, als es in der Vergangenheit
war, und ich glaube, das wird sich in der Zukunft noch stärker ausprägen.
Am besten liegt im Konjunkturbild die Investitionsgüterindustrie, insonderheit aus den Aufträgen aus dem Inland, während die Verbrauchsgüterindustrie trotz einer starken Zunahme des Massenverbrauchs zurückhinkt. Als Gegenposten ist dann allerdings die verstärkte Spartätigkeit und vor allen Dingen ein Phänomen zu registrieren, das unser Konjunkturbild heute geradezu kennzeichnet: das ist die Tatsache, daß immer weitere und immer breitere Schichten unseres Volkes an einen gehobenen Lebensstandard herankommen, daß sie sich langlebige Gebrauchsgüter wertvollerer Art leisten können, ob das der Kühlschrank, die Musiktruhe, das Fernsehgerät oder jetzt auch schon das Auto ist. Weil man sich nicht alles zu gleicher Zeit leisten kann, ist ganz deutlich erkennbar, daß einige Bedarfe, Güter des täglichen und laufenden Bedarfs, etwas in den Hintergrund getreten sind. Darunter leiden vor allen Dingen heute manche Zweige der Textilwirtschaft, 'zum Teil auch die Bekleidungsindustrie, überhaupt ,die typischen Konsumgüterzweige, die Gegenstände des täglichen Bedarfs herstellen.
Das sehe ich aber nicht als einen Einbruch in die Konjunktur an; vor allen Dingen ist es nicht als ein schlimmes soziales Vorzeichen zu werten. Es vollziehen sich hier echte strukturelle Umschichtungsprozesse. Sie entspringen sogar aus dem wachsenden Wohlstand unseres Volkes.
Es ist ganz sicher, daß wir die Konjunktur und vor allen Dingen die konjunkturpolitischen Maßnahmen heilender oder lenkender Art nicht allein von dem Geschehen des Binnenmarktes her betrachten können, denn die deutsche Volkswirtschaft ist in so weitem Maße in die Weltwirtschaft eingespannt, idaß das Geschehen dort für uns natürlich schon bedeutsam ist. Wir haften .auf der Importseite mit 32 Milliarden DM, auf der Exportseite mit 36 Milliarden DM, auf der Ein- und Ausfuhrseite zusammengenommen also mit ungefähr einem Drittel unseres Sozialprodukts, im Weltmarkt.
Ich glaube nicht, daß man in diesem Zusammenhang der viel zitierten amerikanischen Recession noch besondere Aufmerksamkeit zu schenken braucht; denn so eng ist die Verbindung der deutschen Volkswirtschaft mit dem amerikanischen Markt nicht, mindestens wenn man den unmittelbaren Güteraustausch betrachtet. Wir haben nach den Vereinigten Staaten einen Export von ungefähr 2,5 Milliarden DM und von dort einen Import von 5,7 Milliarden DM. Die Verflechtung wäre also isoliert betrachtet nicht so eng. Ich gebe natürlich gern zu, daß die Betrachtung der Verbindung zwischen den Vereinigten Staaten und Europa im ganzen bzw. der OEEC natürlich schon wieder ein etwas verändertes Bild 'ergibt.
Der neuralgischste Punkt im Konjunkturbild der Welt ist zweifellos die Schwäche der Rohstoffmärkte und die dort sich immer noch nicht wendende Baisse. Hier, glaube ich, könnten die modernen Industrieländer wirklich etwas sehr Entscheidendes tun, wenn sie zu einer Änderung ihrer
Rohstoffpolitik gelangten. Gerade die Baisse hat dazu geführt, daß man, anstatt eine Politik der Lageraufstockung zu betreiben, um den Ländern zu helfen und ihre Kaufkraftverhältnisse zu verbessern, das Umgekehrte tut und eine Politik des Lagerabbaus verfolgt, daß man von der Hand in den Mund lebt. Ich glaube, die Bundesregierung und der Bundestag sollten sich schon in Kürze mit etwaigen weiteren Maßnahmen beschäftigen, rum einen Anreiz zum verstärkten Import, vor allen Dingen von Rohstoffen, zu geben.
In diesem Zusammenhang sind auch alle Anstrengungen und Pläne zu nennen, die den Entwicklungsländern Hilfe bringen sollen. Sie wissen, daß die Bundesregierung und die Deutsche Bundesbank gerade in diesem Jahre schon mehr als in den Jahren vorher getan haben, um dieser wirtschaftlichen Verpflichtung - fast noch mehr: dieser moralischen und sittlichen Verantwortung - zu genügen. Über die von der Bundesregierung bei der Weltbank eingezahlte Quote hinaus hat die Deutsche Bundesbank der Weltbank jetzt insgesamt ungefähr 11/4 Milliarden DM zur Verfügung gestellt, und die Bundesregierung hat im zweiseitigen Verfahren, im bilateralen Verhältnis, auch noch mehr getan, um jenen Ländern zu helfen. Ich bin der Meinung, ,daß alle Pläne gutgeheißen werden müssen, die hier von der Bilateralität allmählich zu einem gemeinsamen Handeln und zu multilateralen Verfahren führen. Es sind jetzt schon wieder ganz bestimmte Pläne - Monrony-Plan usw. - in Gang gekommen, die ich hier nicht im einzelnen kennzeichnen möchte, die deutlich machen, daß alle Leistungen für Entwicklungsländer indirekt auch eine Konjunkturstütze für die Industrieländer sind, weil die dort vermehrte Kaufkraft natürlich wesentlich in Aufträgen wieder den Industrieländern zufließt.
Ich glaube nicht, daß man sagen kann, ich hätte es an dem Realismus in der konjunkturpolitischen Betrachtung fehlen lassen. Selbst an der von Ihnen zitierten Stelle wird unmittelbar nachher gesagt: Selbstverständlich, der Pulsschlag unserer Wirtschaft in der Konjunktur geht etwas schwächer. Aber auch in diesem Jahr, 1958, liegen die Zahlen in der Bundesrepublik immer noch höher als im vergangenen Jahr; es ist ganz interessant, einmal darauf zu verweisen. Das Sozialprodukt ist in den ersten 5 Monaten des Jahres 1958 gegenüber dem Vorjahr noch einmal um 2,5 % gestiegen, obwohl in dem gleichen Zeitraum die Arbeitszeit um 3,5 % verkürzt wurde und die Produktivität je Erwerbstätigen deshalb nur noch um 2,4 % zunahm. Gleichzeitig wurden die Stundenlöhne um 8,5 % erhöht. Das Lohneinkommen insgesamt liegt um 5 % über dem Vorjahr. Damit ist zugleich die ganze Spannung zwischen der Leistungskraft einer Volkswirtschaft und der Beanspruchung einer Volkswirtschaft durch die Menschen und ihre Gruppen deutlich gemacht.
Im übrigen hat niemand so viel und so eindringlich das deutsche Volk immer wieder vor den Gefahren einer falschen Konjunkturbeurteilung gewarnt wie ich, und niemand hat deutlicher, und
zwar nicht nur nach einer Richtung, sondern nach allen Richtungen den Gruppenegoismus angesprochen, der verhängnisvoll ist und meiner Ansicht nach auch jetzt wieder zu einem nicht immer richtigen konjunkturpolitischen Verhalten geführt hat und noch führt.
Wenn z. B. in der Textil- und Bekleidungsindustrie die Importe sprunghaft zugenommen haben, dann sicher auch deshalb, weil wir durch die Zollsenkung hier freiere Bahn gegeben haben und über die Zollsenkung einen Druck auf das deutsche Preisniveau ausüben wollten. Soweit, glaube ich, sind wir uns einig gewesen. Aber dann kam zum gleichen Zeitpunkt noch einmal eine Lohnerhöhung und eine Arbeitszeitverkürzung, die in diesem Sektor von besonderem Gewicht war. Ich habe vor der Zustimmung der Arbeitgeber deutlich genug gesagt, man verlange von mir aber nicht, daß wir, wenn die Arbeitszeitverkürzung oder die Lohnerhöhung zu schwer wiegt und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie darunter Schaden leidet und der Import sich verstärkt, dann wieder in die Methode der Zollerhöhung zurückfallen, abgesehen davon, daß uns internationale Verträge das gar nicht ermöglichen würden.
Ich glaube also, man muß, wenn man von Fehlern in der Konjunkturpolitik oder von einem falschen Verhalten der Menschen in der Konjunkturpolitik spricht, alles betrachten und nach allen Seiten schauen.
Ich bin umgekehrt wieder mit Ihnen der Meinung, daß das Verhalten vieler Unternehmer in einer etwas schwächeren Konjunktur falsch ist, wenn sie nämlich lieber die Produktion zurückschrauben, um einen vorgestellten Preis halten zu können, und lieber einen höheren Import vom Ausland zulassen, anstatt selber im eigenen Lande die Preiskorrektur durchzuführen, die einen verstärkten Import verhindern könnte und eine höhere Beschäftigung in Deutschland, im eigenen Land, gestatten würde. Darüber sind wir uns, glaube ich, einig. Aber daraus wieder zu folgern, daß der Wettbewerb überhaupt nicht spielt, das geht meiner Ansicht nach wieder zu weit. Sie sagten, die Marktwirtschaft funktioniere nicht mehr, und sie sprachen dann in diesem Zusammenhang von den marktbeherrschenden Unternehmen.
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- Also schön: von einem schrittweisen Abbau.
Aber wollen wir noch einmal auf die Konjunktur zurückkommen! Sie sagten, der Herr Berg habe beim Bundesverband der Deutschen Industrie ja auch ein Eingreifen des Staates gefordert oder zumindest eine Bereitschaft hinsichtlich des Vorliegens ganz bestimmter Pläne, um bei einer weiteren Konjunkturverschlechterung aktiv eingreifen zu können. Ich glaube, dieses Anliegen wird niemand beiseite schieben wollen; es ist berechtigt. Aber ich habe immer einen Horror vor dem Begriff „aktiv". Ich muß sagen: ich habe vor der aktiven Konjunkturpolitik genauso viel Sorge und Angst wie vor der aktiven Lohnpolitik. Zu viel Aktivität scheint mir hier nicht angebracht zu sein, denn diese Aktivität führt meistens zum Dahinschwinden stabiler Verhältnisse.
Ich bin im übrigen mit dem Präsidenten der Bundesnotenbank immer in Verbindung. Wir unterhalten uns in dieser Zeit natürlich sehr oft über die konjunkturpolitische Situation: wie sie im einzelnen zu werten ist und welche Entwicklungstendenzen sich abzeichnen. Ich kann Ihnen versichern, daß wir nicht nur in der Beurteilung des Konjunkturbildes einer Meinung sind, sondern auch in der Überzeugung, daß bis zu diesem Augenblick mindestens kein Anlaß vorliegt, schon im Sinne einer „aktiven" Konjunkturpolitik einzugreifen und damit die Verantwortung oder die eigentliche Funktion der Wirtschaft aus der eigenen Kraft heraus zu behindern oder gar zu schwächen.
Die Preisbindung der zweiten Hand ist hier von Ihnen ausführlicher behandelt worden. Sicher, Sie haben recht, wenn Sie sagen, es sei ein Anliegen der Markenartikelhersteller, die Preisbindung der zweiten Hand für sich in Anspruch zu nehmen; insofern waren Ihre Ausführungen schon richtig. Aber Herr Dr. Bucerius hat ebenso recht gehabt: es ist nämlich ebensosehr ein Anliegen gerade des schwächeren Einzelhandels, im Wettbewerb diesen Schutz gegenüber dem mächtigeren Unternehmer zu haben, gegen den sie sonst nicht ohne weiteres bestehen können. Hier treffen sich also zwei Interessen, - womit ich nicht sage, daß sie volkswirtschaftlich unbedingt völlig übereinstimmen und richtig und zweckmäßig sind. Aber ich glaube, man kann die Preisbindung der zweiten Hand nicht als Ausfluß einer brutalen, engstirnigen und egoistischen Interessenpolitik der großen Unternehmungen hinstellen; das geht mir zu weit.
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Im übrigen ist ja auch aus unseren Beratungen des Kartellgesetzes deutlich geworden, daß wir uns in den verschiedenen Phasen manchmal durchaus einig, manchmal weniger einig waren. Ich denke nu an den schönen Kreis, der sich da gebildet hat, der sich besonders mit 'diesem Problem auseinandergesetzt hat. Auch Sie haben manchmal geschwankt, ob es richtig sei, die Preisbindung der zweiten Hand mit einem Strich aufzuheben, oder ob man vielleicht andere Formen finden könnte. Ich bin der festen Überzeugung, daß das Thema der Preisbindung der zweiten Hand noch nicht abschließend erörtert ist; es kommt meiner Ansicht nach so schnell nicht vom Tisch. Die Tatsache, daß in weiten Bereichen die Preisbindung der zweiten Hand doch schon unterlaufen, um nicht zu sagen: zusammengebrochen ist, ist ein weiterer Beweis dafür, daß der Wettbewerb doch auch noch in den Bereichen spielt, in denen die Möglichkeit der Anwendung der Preisbindung der zweiten Hand formal besteht.
Im übrigen möchte ich sagen, daß der Kontrast zwischen den großen, mächtigen Unternehmungen und den mittelständischen Unternehmungen meiner Ansicht nach etwas überspitzt dargestellt worden ist. Ich habe hier Unterlagen, die ich Ihnen zwar
im einzelnen nicht verlesen kann - es würde zu weit führen -, aber wir haben zusammengestellt, was die Bundesregierung für den gewerblichen Mittelstand bisher getan hat. Wir haben die sozialpolitischen Maßnahmen einmal registriert und zum anderen auch eine Zusammenstellung über die lau-leaden Finanzierungshilfen des Bundes für die mittelständische gewerbliche Wirtschaft gemacht. Ich werde mir erlauben, den Mitgliedern des Hohen Hauses diese Zusammenstellung schriftlich zu übermitteln.
Hier nur einige Ziffern, die auch erhärten können, daß es jedenfalls ganz so schlimm nicht sein kann, wie es in der Öffentlichkeit manchmal dargestellt wird. Dazu möchte ich gleich die Umsatzentwicklung des Einzelhandels darlegen; ich nehme immer die Ziffern der Jahre 1950 und 1957, also eine Siebenjahresperiode. In diesem Zeitraum sind die Einzelhandelsumsätze - in denen die Umsätze der Ein-und Verkaufsgenossenschaften, der Versandhäuser usw. nicht enthalten sind - von 30,8 Milliarden DM auf 62 Milliarden DM gestiegen. Die Handwerksumsätze - ohne landwirtschaftliche Umsätze - sind von 19,9 Milliarden DM auf 57 Milliarden DM gestiegen. Die Nettolöhne stiegen im gleichen Zeitraum von 34,7 Milliarden DM auf 76,8 Milliarden DM, Pensionen und Renten von 11,9 Milliarden DM auf 27,5 Milliarden DM und das, was man gemeiniglich Masseneinkommen nennt, von 46,5 Milliarden DM auf 104 Milliarden DM. Wenn Sie die Industrieumsätze mitberücksichtigen, werden Sie sehen, es besteht zwischen allen diesen Ziffern eine relativ weitgehende Verwandtschaft, so daß aus den Ziffern jedenfalls nicht ohne weiteres nachweisbar ist, daß die eine Kategorie von Unternehmern oder Betrieben gegenüber anderen grundsätzlich begünstigt würde, mindestens ist das nicht wissentlich und bewußt etwa von seiten der Regierung geschehen.
Trotzdem ist es richtig, daß wir uns mit dem Problem der Konzentration auseinanderzusetzen haben. Es wäre töricht, leugnen zu wollen, daß bei einer ungehinderten weiteren Entfaltung dieses Prozesses soziale, soziologische und auch volkswirtschaftliche Schäden auftreten können.
({7})
Aber ich glaube, man darf es nicht nur einseitig betrachten. Zunächst einmal folgt aus der Entwicklung der modernen Technik zweifellos - nicht in allen Bereichen, aber in vielen Bereichen - ein gewisser Druck zu einer stärkeren Konzentration. Das ist ja auch der Grund dafür, Herr Kollege Kurlbaum - auch wenn Sie mit der von der Regierung oder auch vom Bundestag bisher geleisteten Arbeit noch unzufrieden sind -, daß wir diesem Konzentrationsprozeß des Produktionskapitals einen Dekonzentrationsprozeß des Eigentums an diesem volkswirtschaftlichen Produktivkapital entgegensetzen wollen.
({8})
Daß das nicht in einer Aktion, in einem Sprung von heute auf morgen gelingen kann, ist selbstverständlich, so wenig auch der deutsche Wiederaufbau in einem Jahr oder in einem kurzen Prozeß
zu begreifen gewesen wäre. Aber darüber werden wir uns noch den Kopf zerbrechen.
Das war die eine Seite. Die andere Seite ist, daß die Lohnpolitik, die ich hier gar nicht kritisieren, sondern als Faktum, so wie sie eben ist, darstellen möchte, darauf ausgerichtet ist - von kleinen Differenzierungen abgesehen -, im Grunde genommen von einem Modell auszugehen und sich dieses Modell in Bereichen von Wirtschaftszweigen zu bauen, die über eine relativ hohe oder vielleicht überhaupt die höchste Produktivität verfügen. Vom sozialen Standpunkt aus ist es sicherlich richtig, zu sagen: Der Arbeiter, der an einer Stelle arbeitet, die - aus welchen Gründen auch immer - weniger produktiv ist, leistet seine Arbeit mit der gleichen physischen Anstrengung, vielleicht muß er noch mehr inneren Widerstand überwinden als der, der an modernsten technischen Apparaturen nur Schalthebel bedient; also ist es nicht angemessen, hier unterschiedlich zu entlohnen. Das kann man sagen. Dann muß man sich aber auch der Konsequenzen bewußt sein, der Konsequenzen, die sich z. B. in den Vereinigten Staaten schon sehr viel deutlicher als bei uns ausprägen, die aber auch bei uns gesehen werden müssen, daß nämlich überall dort, wo die menschliche Arbeits- und Dienstleistung stärker in den Vordergrund tritt, die Preise naturnotwendig steigen müssen. Das erleben wir in der Bundesrepublik bei allen Dienstleistungen; wir erleben es aber auch innerhalb der industriellen und gewerblichen Fertigung, innerhalb des Handels, des Handwerks und überall. Denn je mehr der Arbeitskostenfaktor im Rahmen der Gesamtkosten einer Industrie ins Gewicht fällt, um so mehr fallen natürlich Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen ins Gewicht. Wenn dann gar noch so verfahren wird, daß der Maßstab für Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen aus jenen Industriezweigen genommen wird, die, wie soll ich sagen, seltene Fälle einer besonders hohen Produktivität und weiterer Produktivitätssteigerung sind, dann muß die Entwicklung so verlaufen, daß in einzelnen Bereichen zwar die Preise bestenfalls stabil bleiben, vielleicht auch einmal etwas sinken können, in dem großen Feld aber tendenziell Preissteigerungen zu verzeichnen sind. Diese Tendenzen sind im Augenblick etwas unterbrochen, und das ist der Grund dafür, daß ich im Zusammenhang mit einer gewissen Konjunkturabkühlung auch von günstigen Wirkungen gesprochen habe.
Der große Betrieb hat natürlich auch schon rein technisch ganz andere und weitergehende Möglichkeiten einer Rationalisierung bis hin zur Automatisierung und wird natürlich von einer aktiven Lohnpolitik - ich sage es jetzt wirklich ohne Kritik - weniger stark in seiner Preispolitik und in den Möglichkeiten der Preisstellung berührt als der mittlere und der kleinere Betrieb, wo hohe Veredelungskosten und hohe Veredelungsleistungen der Wirtschaft das Gepräge geben. Bei den reinen Dienstleistungen schließlich ist es am schlimmsten.
Ich bin gerne bereit - ich glaube, das wäre wirklich eine Aufgabe, die auch mit dem Blick in die Zukunft von größter Bedeutung wäre -, einmal
zu prüfen, wie eigentlich die weitere Entwicklung verlaufen wird und was wir durch Disziplin auf allen Seiten - wie ich noch einmal bemerken möchte - dazu beitragen können, um die Marktwirtschaft wirklich funktionsfähig zu halten.
Wenn Sie von wirtschaftlicher Macht, von Marktbeherrschung und in der Terminologie des Kartellgesetzes von einem Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht sprechen, muß ich folgendes dazu sagen: Sicher, das gibt es. Wir haben uns lange genug darüber unterhalten. Aber es wäre völlig einseitig, wenn man etwa annehmen wollte, daß die wirtschaftliche Macht nur in der Hand privater Unternehmer oder überhaupt nur auf der Seite der Wirtschaft selbst tätig ist.
({9})
Bei den Sozialpartnern z. B., die gegenseitig ihre Arbeitsbedingungen auszuhandeln haben, gibt es auch wirtschaftliche Macht, und da gibt es eben auch einen Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht.
({10})
Ich glaube, wenn man Marktbeherrschung und wirtschaftliche Macht als Ganzes, als Terminologie anwenden will, muß man auch so ehrlich sein, zuzugeben: Jawohl, das gibt es in der Wirtschaft, aber es gibt es eben nicht nur auf einer Seite. Hier ist nicht nur der private Unternehmer, sondern es sind alle angesprochen, die auf welchem Wege auch immer Einfluß auf das wirtschaftliche Geschehen und vor allen Dingen Einfluß auf die Gestaltung ihres eigenen Schicksals - das ihrer Gruppe - in dein gesamten Geschehen einer Volkswirtschaft ausüben können.
({11})
Im übrigen treffen wir uns wieder in der weitgehenden Übereinstimmung hinsichtlich der Notwendigkeit einer stärkeren Publizität. Ich habe immer darauf hingewiesen. Aber wenn Sie jetzt mit dem, was da heranreift, noch nicht ganz zufrieden sind, mögen Sie auch berücksichtigen, daß ja die Aktienrechtsreform nicht ersetzt werden soll, sondern es ist lediglich sozusagen ein erster notwendigster Schritt im Zuge einer Aktienrechtsreform, und wir werden uns hier also noch eingehend auseinanderzusetzen haben.
Ich darf noch einmal zusammenfassen: Ich glaube, im ganzen gesehen sind wir uns weitgehend einig in der Beurteilung der Konjunktur, auch in der Überzeugung, daß bei 'der vorherrschenden Vollbeschäftigung und bei den allgemeinen Aspekten, die sich abzeichnen - und ich glaube sogar, vom Weltmarkt her kommen wieder etwas freundlichere Nuancen in die Konjunktur hinein, vor allen Dingen mit der Hilfe für Entwicklungsländer -, eine besondere Aktivität im Sinne künstlicher Eingriffe in die Wirtschaft noch nicht nötig ist. Die aktive Konjunkturpolitik bleibt also zurückgestellt. Aber das sei immer eine Mahnung an uns, bereit zu sein, wenn wirklich einmal Gefahr im Verzuge wäre.
Wir haben uns weiter über die Gefahren der Konzentration unterhalten. Wir sind darin einig, daß hier schädliche Entwicklungen heranreifen könnten. Aber auch hier wollen wir uns von jeder Einseitigkeit abkehren und das Problem in seiner Komplexität und Totalität betrachten, so, wie es sich tatsächlich darstellt.
Meine Damen und Herren, ich glaube, damit bin ich den Einwänden aller Redner wenigstens in etwa wenn auch nicht begegnet, habe aber Rede und Antwort gestanden. Ich sage noch einmal: Wegen des Mittelstandes werde ich Ihnen Unterlagen zuleiten, und wir können uns dann im Wirtschaftspolitischen Ausschuß und im Mittelstandsausschuß noch einmal über dieses Thema gesondert unterhalten.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Deist.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich soeben in seinen Ausführungen einer Sachlichkeit und einer Zurückhaltung befleißigt, die bei seinem Temperament außerordentlich selten sind.
({0})
Wenn ich mir dazu ein paar Bemerkungen erlauben darf, die keineswegs der Verschärfung der Situation dienen sollen, so würde ich wünschen, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister z. B. vor dem Fernsehen spricht, daran zudenken, daß es vielleicht der sachlichen Auseinandersetzung dient, wenn man gewisse Grenzen einhält.
({1})
- Wenn Sie den Vergleich zwischen meiner Fernsehsendung vor den Bundestagswahlen und der vorgestrigen des Herrn Bundeswirtschaftsministers ziehen, dann traue ich Ihrem eigenen Urteil zu, daß Sie den Unterschied sehr deutlich merken.
({2})
- Aber, meine Damen und Herren, lassen wir das! Ich möchte nämlich, da es sich um Probleme handelt, die sehr ernst sind, zu diesen Fragen genau in derselben sachlichen Weise Stellung nehmen. Was ich eben sagte, diente nur einer gewissen Erheiterung und Einleitung, weil mir wichtig erschien, einige Dinge doch auch von dieser Stelle aus einmal zu sagen.
Ein paar Bemerkungen zum Konzentrationsprozeß! Der Konzentrationsprozeß selber ist von meinem Freund Kurlbaum hier deutlich dargestellt worden. Jedermann weiß - vor allen Dingen seit der letzten Tagung der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer in Wiesbaden - sehr genau, was das zu bedeuten hat. Ich hoffe, in Deutschland bekommt man im Interesse einer freiheitlichen Entwicklung allmählich vielleicht doch etwas mehr das Gefühl dafür, was wirtschaftliche Macht bedeutet. Dann könnten wir uns nämlich sehr viel leichDr. Deist
ter darüber unterhalten, wie man in einem freiheitlichen Staat diesem Phänomen begegnet, während es so sehr schwierig ist, sachlich über dieses Problem zu reden, wenn man immer so tut, als wenn wirtschaftliche Macht eine Erfindung böser roter Sozialisten sei.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gesagt, dem Konzentrationsprozeß der Unternehmungen möchten Sie die Dekonzentration des Eigentums gegenüberstellen. Nun, meine Damen und Herren, ich will im Augenblick nicht über die Möglichkeiten, die in Ihren Plänen zur Dekonzentration des Eigentums stecken, sprechen, sondern will einmal für den Augenblick unterstellen, das wären wirklich brauchbare Möglichkeiten. Ich frage Sie: inwieweit können Sie dem Konzentrationsprozeß der Unternehmungen seinen Stachel nehmen, wenn Sie das Eigentum in den Unternehmungen dekonzentrieren? Im Gegenteil, Sie unterstützen die Entwicklung von Herrschaftspositionen in diesen Unternehmungen, die immer weniger Kontrollen unterliegen; denn je mehr Sie das Eigentum aufspalten und dekonzentrieren, um so weniger echte Kontrolle haben Sie in den Unternehmungen, um so stärker ist die unkontrollierte autoritäre Macht der Aufsichtsräte und Vorstände des Managements dieser Unternehmungen. Meine Damen und Herren! Das sollten Sie sich sehr genau überlegen. Die Dekonzentration des Kapitals ist kein Gegenargument gegen die Konzentration der Unternehmungen. Infolgedessen scheint mir dieser Einwand völlig fehlzugehen.
({3})
- Bitte zwingen Sie mich nicht, weiterzugreifen auf Probleme, die mit der augenblicklichen Debatte nichts zu tun haben.
({4})
Dann ein Wort dazu! Der Bundeswirtschaftsminister meinte, wenn man schon von wirtschaftlicher Macht sprechen wolle, dann müsse man auch von der Macht der Sozialpartner sprechen. Einverstanden! Wer wollte das bestreiten, daß Arbeitgeberverbände und Arbeitnehmerverbände auch eine wirtschaftliche Machtposition darstellen! Aber es gibt bestimmte Prinzipien darüber, wie man wirtschaftlicher Macht in der modernen Demokratie begegnet, und es gehört einmal zu den Prinzipien aller demokratischen Verfassungen, daß den Gefahren der Machtausübung der Sozialpartner dadurch begegnet werden soll, daß sie sich gegenseitig in freien Auseinandersetzungen ohne Eingreifen des Staates paralysieren. Das ist der Sinn der Koalitionsfreiheit und der Freiheit der Sozialpartner: die Arbeitsbedingungen frei auszuhandeln ohne Eingreifen des Staates. Das ist ein wichtiges Element der freiheitlichen Grundlagen demokratischer Staaten.
Meine Damen und Herren, man kann sich darüber unterhalten, ob dieses Prinzip noch durchhält, ob es nicht Situationen gibt, wo ein Partner plötzlich eine solche Macht bekommt, daß darüber die gesunde soziale Ordnung zugrunde gehen kann. Aber es ist so, daß manche Menschen nicht recht merken, in welcher Situation sie sprechen. Wenn Sie heute etwa von einem Mißbrauch der Macht der Arbeitnehmerorganisationen sprechen, dann sollten Sie eigentlich zur Kenntnis nehmen, daß wir bereits in eine Phase der Konjunktur eingetreten sind, bei der es sehr zweifelhaft ist, ob nicht zur Zeit die Arbeitgeberverbände am .längeren Hebelarm sitzen. Denn das ist die Merkwürdigkeit an diesem konjunkturellen Ablauf, daß im Konjunkturaufschwung sicherlich die Arbeitnehmerverbände stärker sind und sie in der Regel die Möglichkeit haben, einiges von dem, was ihnen im Konjunkturabschwung verlorengegangen ist oder genommen wurde, wieder aufzuholen. Sowie aber der Konjunkturabschwung oder eine Stagnation kommt, befinden sich die Gewerkschaften normalerweise am kürzeren Hebelarm. Wer jetzt meint, man müsse dafür sorgen, daß hier nicht zuviel wirtschaftliche Macht mißbraucht wird, der kann sich, wenn er ehrlich ist, in der augenblicklichen konjunkturellen Situation eigentlich nur gegen die Arbeitgeberverbände richten, weil diese zur Zeit am längeren Hebelarm sitzen.
({5})
Meine Damen und Herren, so liegen die Dinge, wenn Sie versuchen, von dem Spiel der Macht in der Wirtschaft auf das angeblich so gefährliche Spiel der Macht der Sozialpartner auszuweichen.
Wir sollten uns überlegen, ob sich dieses Machtspiel zwischen den Sozialpartnern im Ablauf der Zeiten nicht in einer gesunden Weise ausgleicht. Der Bundeswirtschaftsminister und die Regierung sollten sich hüten, dann, wenn es ihnen paßt, in dieses Spiel einzugreifen und dann, wenn es ihnen nicht paßt, darauf zu verzichten. Dieses Problem der Stellung der Sozialpartner in der Wirtschaft ist sicherlich sehr wichtig und stellt uns vielleicht einmal vor Fragen, die wir heute noch gar nicht kennen. Aber man sollte nicht so leichtfertig sein, das einfach mit dem Problem der wirtschaftlichen Macht marktbeherrschender Unternehmungen und von Kartellen in einen Topf zu mengen, wofür verfassungsmäßig und in der Praxis, wie wir heute sehen, eben noch keine brauchbare Regel zur Ordnung gefunden ist. Das wollte ich zu dem sehr weitschichtigen und vielfältigen Problem der wirtschaftlichen Macht gesagt haben.
Nun einiges zu der Konjunkturbetrachtung des Herrn Bundeswirtschaftsministers. Der Bundeswirtschaftsminister meinte, wir sähen die Konjunktur wohl nicht wesentlich unterschiedlich. Ich glaube, in der Sache ist das richtig. Aber, meine Damen und Herren, es kommt darauf an, welche Akzente und welche Beleuchtung man dieser Beurteilung gibt, eigentlich nicht nur um der Beleuchtung selber willen, sondern um der Konsequenzen willen, die nun einmal in bestimmten konjunkturpolitischen Situationen gezogen werden müssen.
Ich weiß nicht, ob es ganz richtig ist zu sagen: Die Beschäftigung war noch nie so ausgezeichnet wie heute. Ich sage nicht: wir befinden uns in einer
Krise; das würde ich für sachlich falsch halten. Außerdem kann niemand ein Interesse daran haben, durch Krisenredereien sogar schwierigere Entwicklungen hervorzurufen.
({6})
Dagegen wehren wir Sozialdemokraten uns mindestens so stark wie andere.
Ich bin dem Herrn Bundeswirtschaftsminister dankbar dafür, daß er - offenbar zu seiner Rechtfertigung - bestätigt hat, daß die Behauptung, die Sozialdemokratie spekuliere auf die Krise, nicht von ihm stamme, weil er also offenbar eine solche Formulierung auch für falsch hält.
Bei einer realistischen Betrachtung der augenblicklichen Situation darf man aber z. B. nicht das Phänomen der Kurzarbeit übersehen. Wir haben in weiten Bereichen der Wirtschaft Kurzarbeit. Ich erinnere auch an die Feierschichten im Kohlenbergbau, wobei ich mir persönlich völlig darüber klar bin, daß vor dem 6. Juli die Feierschichten in einem so engen Ausmaß gehalten werden, daß das bittere Ende erst nach dem 6. Juli auf uns zukommt. Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister auch für den Hinweis dankbar, daß er angesichts der Schwäche der Rohstoffländer bei aller Bedeutung der Veränderungen der wirtschaftlichen Situation auf dem Kontinent gegenüber den USA, wie ich wohl anerkenne, doch weiß, daß von dieser Entwicklung auch gewisse Auswirkungen auf uns möglich sind. Es ist doch wohl richtig, wenn man dann die augenblickliche konjunkturpolitische Situation etwas eingehender seziert. Man kommt vielleicht doch zu dem Ergebnis, daß man vor dem Betreiben einer aktiven Konjunkturpolitik nicht so viel Angst zu haben braucht wie der Bundeswirtschaftsminister, daß man also nicht auf die notwendigen konjunkturpolitischen Maßnahmen zu verzichten braucht.
Der Herr Kollege Vogel möge entschuldigen, wenn ich in diesem Zusammenhang auf ein Zitat zurückkomme, das er vorgestern bei der allgemeinen Debatte aus den Ausführungen unseres Freundes Baade gebracht hat. Ich habe ihm im Privatgespräch bereits angekündigt, daß ich dieses Zitat nicht so ohne weiteres durchgehen lassen könne. Ich behaupte nicht, daß Herr Dr. Vogel falsch zitiert habe; aber es kommt erstens einmal darauf an, in welchem Tonfall ich ein Zitat bringe, und zweitens darauf, ob ich es indem genügenden Umfang anführe. Man kann nicht von vier gleichwertigen Gedankengängen über eine Konjunktursituation nur einen Gedankengang, der einem gerade paßt, in den Vordergrund rücken.
Der Kollege Baade hat mit seiner Betrachtung durchaus recht. Es ist gut, das hier zu sagen. Was er sagt, ist zur Beurteilung der konjunkturpolitischen Situation durchaus wichtig. Der Kollege Baade hat darauf hingewiesen, daß es vier Quellen einer inflationären Entwicklung gibt: den Zahlungsbilanzüberschuß, das Defizit in den öffentlichen Haushalten, die Preisauftriebstendenzen und eventuell auch Lohnerhöhungen.
Meine Damen und Herren, ich will Sie nicht mit
einer Erörterung aller vier Möglichkeiten für eine inflationäre Entwicklung langweilen, sondern nur auf das Problem der Zahlungsbilanzüberschüsse eingehen, weil das ein Punkt ist, in dem mir die allzu optimistische Darstellung des Herrn Bundeswirtschaftsministers über die Konjunkturlage bedenklich und gefährlich erscheint. Der Bundeswirtschaftsminister hat nämlich noch im Lagebericht für den Monat Mai dargelegt, daß die beträchtlichen Zahlungsbilanzüberschüsse, die wir trotz gleichbleibender Ausfuhr haben, ein wachstumsförderndes Element seien.
Bei 'ernsthafter Überlegung wird man diese Ansicht in keiner Weise teilen dürfen. Erstens einmal sind Zahlungsbilanzüberschüsse in jeder wirtschaftlichen Situation sehr fragwürdige wachstumsfördernde Elemente; denn kein Land kann von ihnen leben, und die Länder, die mit uns im wirtschaftlichen Verkehr stehen, können es nicht dulden, daß wir ständig Zahlungsbilanzüberschüsse haben. Die Erzielung von Zahlungsbilanzüberschüssen bedeutet bei der Methode der Einlösung der Devisen durch die Bundesnotenbank in Deutsche Mark, daß ständig mehr Kaufkraft auf den deutschen Markt zuströmt, ohne ,daß ,dem gleichzeitig eine vermehrte Warenerzeugung gegenübersteht. Die Zahlungsbilanzüberschüsse haben also per se inflatorische Wirkung; darüber kann kein Zweifel bestehen.
Ein zweites Moment darf man auch nicht vergessen. Ich habe mir erlaubt, vor dem Bundestagswahlkampf darauf hinzuweisen, daß wir in der Öffentlichkeit als Zerstörer der Weltmarktbeziehungen hingestellt würden. Der Herr Bundeskanzler hat geglaubt, im Bundestagswahlkampf drohend seinen Finger erheben zu müssen; er meinte, so etwas dürfe man nicht sagen, denn das entspreche nicht den nationalen Interessen Deutschlands. Wir kennen diese Tour! Herr Bausch hätte in einem solchen Fall wahrscheinlich ein Verfahren wegen Landesverrats für zweckmäßiger gehalten.
Beim internationalen Währungsfonds wurde bereits Mitte des vergangenen Jahres festgestellt, 'daß 'die monetäre Situation keinen Anlaß zu den restriktiven Maßnahmen bietet, die die Ursachen für die starken Zahlungsbilanzüberschüsse sind. In diesem Frühjahr hat man sich auf der GATT-Tagung erneut mit dem Verhalten der Bundesrepublik und ihrer Außenhandelssituation befaßt und hat verlangt, daß die Importrestriktionen bis zum Herbst stark gedrosselt werden. Es wurde erklärt, daß das GATT andernfalls den übrigen Ländern das Recht zugestehen müsse, Kampfmaßnahmen gegen die Dumpingpolitik der deutschen Wirtschaft zu ergreifen.
Deshalb, meine Damen und Herren, sollte man mit solchen Äußerungen vorsichtig sein, daß die Zahlungsbilanzüberschüsse in der augenblicklichen Situation günstige Momente seien. Eine solche Betrachtung verschließt uns nämlich den Blick für die Notwendigkeit, unsere wirtschaftliche Binnenstruktur darauf einzurichten, daß der deutsche Markt in viel größerem Umfang als früher auf WeltDr. Deist
marktbeziehungen angewiesen ist. Protektionistische Tendenzen auf gewissen Gebieten sind nicht zu vereinbaren mit freien Weltmarktbeziehungen auf anderen Gebieten, solange dadurch das Zahlungsbilanzgleichgewicht auf die Dauer, also strukturell, gefährdet wird.
Zur Entwicklung des Außenhandels folgendes. Der Herr Bundeswirtschaftsminister spricht von ständig hohen Ausfuhren. Ich vergleiche einmal bestimmte Monate mit den entsprechenden Monaten des Vorjahres. In der Zeit von März bis Mai 1957 stieg der Monatsdurchschnitt unserer Ausfuhren noch um 600 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr. In der Zeit von Juni bis August sank die Steigerung der Ausfuhr auf 400 Millionen DM, von September bis November auf 300 Millionen DM und von Dezember bis Februar 1958 auf nur noch 200 Millionen DM. Im März 1958 lag die Ausfuhr um 140 Millionen DM unter der Ausfuhr des Vorjahres, im Mai 1958 um 190 Millionen DM darunter und im April etwas darüber. Im Durchschnitt liegt die Ausfuhr jedenfalls um 50 Millionen DM unter der Ausfuhr des vergangenen Jahres. Hier zeigt sich ein ständiger Rückgang unseres Ausfuhrvolumens. Das muß man sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil diese Situation, vor der wir stehen, gefährlich und bedenklich ist.
Den nächsten Punkt wollte ich besonders herausheben im Hinblick auf die Diskussion vor drei Tagen. Was das inflatorisch wirkende Defizit des Bundeshaushalts betrifft, so möchte ich darauf hinweisen, daß nicht Herr Kollege Baade die dort zitierte Auffassung vertritt. Sie mögen meinen, er sei nur in Streifen zu genießen, weil er immerhin zur sozialdemokratischen Fraktion gehöre.
({7})
Aber ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß in demselben Heft der „Versicherungswirtschaft", in dem Herr Baade für Sie aufgetreten ist
({8})
- Sie wissen genau, worauf ich hinaus will, aber es wird auch die anderen Damen und Herren dieses Hauses interessieren -, Herr Professor Schmölders über die Juliusturm-Politik folgendes gesagt hat:
Heute sind wir dabei, diese angeblichen Kassenreserven, die inzwischen aus dem Geld- und Güterkreislauf bereits endgültig wieder ausgeschieden waren, wieder aufzulösen und zur Deckung von Bundesausgaben wieder einzusetzen. Das bedeutet volkswirtschaftlich nichts anderes als Defizitfinanzierung von Staatsausgaben mit dem Mittel der Geldschöpfung, durchgeführt im Zeitpunkt nicht der Depression, sondern der Vollbeschäftigung aller Produktionskräfte. Die Gefahren, die sich aus dieser Kassen-und Haushaltsgebarung für die Währung ergeben, liegen auf der Hand.
({9})
- Herr Kollege Vogel, Sie können nicht sagen, daß
der Satz etwa völlig aus dem Zusammenhang herausgezogen sei, sondern Professor Schmölders hat diesen Satz sehr deutlich in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellt.
Nun komme ich zu einem Kapitel, das auch der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht hat lassen können, weil es zu seinen Spezialkapiteln gehört. Das ist der Einfluß der Lohnerhöhung auf die Preisgestaltung und auf die Konjunktur, ein Kapitel, das eine ernsthafte Betrachtung verlangt.
Gestatten Sie mir, daß ich dazu einiges sage, nachdem ich vorher noch zur Korrektur des Zitats des Herrn Vogel dargelegt habe, was Herr Professor Baade abschließend über die vier inflationsfördernden Elemente in der Wirtschaftspolitik gesagt hat. Das ist nämlich nicht ganz uninteressant. Er schreibt:
In einer Volkswirtschaft, in der man die drei anderen Inflationsquellen sprudeln läßt, d. h. konkret gesprochen: in der man weiterhin Zahlungsbilanzüberschüsse über das Notenbanksystem finanziert, eine Defizitpolitik der öffentlichen Haushalte betreibt, indem man angebliche Ersparnisse in einem Juliusturm in einer Zeit aufbraucht, wo diese inflationistisch wirken muß, und indem man dem Druck von Interessentengruppen in Landwirtschaft und Industrie im Sinne von Preissteigerungen oder der Verhinderung notwendiger Preissenkungen nachgibt, in solch einem Augenblick kann ein Appell an die Einsicht der Sozialpartner insbesondere auf der Arbeitnehmerseite nur wenig Erfolg haben.
Herr Kollege Vogel, das ist der Extrakt dessen, was Herr Kollege Baade in seinem Artikel geschrieben hat. Es zeigt sehr deutlich, daß, jedenfalls im Gegensatz zu Ihrer Darstellung, nach seiner Auffassung das Schwergewicht der inflationären Tendenzen auf den drei anderen Gebieten - Zahlungsbilanzüberschüsse, Kassendefizit und preissteigernde Politik der Bundesregierung - liegt und nicht auf dem Gebiet der Lohnpolitik.
Aber wie haben sich eigentlich die Löhne wirklich entwickelt? In der Zeit von 1949 bis 1957 sind die nominellen Bruttostundenverdienste um 78 % gestiegen, das Produktionsergebnis je Arbeiterstunde stieg in der Industrie um 72 %. Zu konzedieren ist, daß die nominellen Löhne etwas über der Entwicklung der realen Erhöhung des Sozialprodukts liegen. Die reale Lohnerhöhung lag bei 63 %, also unter der Ausweitung der Industrieerzeugung. Hinter dieser realen Erweiterung des Wirtschaftsvolumens aus der Industrie ist die Lohnerhöhung zurückgeblieben. Viel interessanter jedoch ist, daß es sich dabei nicht etwa um einen Trend handelt. Vielmehr hinkte die Lohnentwicklung in den Jahren 1949 bis 1951 und 1953 bis Mitte 1955 hinter der übrigen wirtschaftlichen Entwicklung her, während es in den Zwischenräumen möglich war, etwas nachzuholen.
Nun komme ich auf das zurück, was ich vorhin sagte, daß wir eine Periode der konjunkturellen Entwicklung erreicht haben, die eine ganz andere Betrachtungsweise verlangt. In der Sitzung des Bundestages vom 5. November 1957 - das ist nunmehr acht Monate her - hatte ich mir erlaubt, folgendes auszuführen:
. . . hier liegt die wirkliche konjunkturpolitische Gefahr ... Es kommt entscheidend darauf an, ob die zukünftige Konjunkturentwicklung - da sie sich nicht mehr auf die Investitionsgüterindustrie stützen kann - nunmehr durch einen steigenden Verbrauch getragen wird. Die Gefahr liegt eher darin, daß wir einen zu niedrigen Verbrauch, zu niedrige Masseneinkommen haben, als daß wir einen zu hohen Verbrauch haben.
Das, meine Damen und Herren, hatte ich mir im November vorigen Jahres erlaubt zu sagen, und ich glaube, heute kann eigentlich bei ruhiger Betrachtung der Konjunkturlage kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß wir bei diesem inflationären Trend, den wir seit etwa 1953 in der Wirtschaft haben, bei dieser langsamen, schleichenden Entwertung der D-Mark, bei diesen inflationistischen Tendenzen auf der Lohn- und Preisseite, wo sich nunmehr alles gegenseitig treibt, zu einem Ergebnis gekommen sind, bei dem es zweifelhaft erscheint, wie aus dieser Entwicklung wieder Ansatzpunkte für einen wirtschaftlichen Aufschwung gewonnen werden können. Denn diese kontinuierliche inflationäre Entwicklung muß auch bei geringem Ausmaß zunächst zu Ungleichgewichten führen. In diesem Stadium sind wir heute, und auf die Dauer besteht die Gefahr, daß das wirkliche Wachstum der Wirtschaft gefährdet wird.
Ich sage das mit der genügenden Vorsicht, weil ich nicht meine, daß man hier ein Krisengerede anstimmen sollte. Aber man muß die Fakten sehen, und dazu möchte ich nun drei Beispiele nennen, die mir wichtig erscheinen.
Einmal der berühmte Kampf um die Metallarbeiterlöhne in Nordrhein-Westfalen: letzte Lohnerhöhung im Frühjahr 1958, vorherige Lohnerhöhung am 1. Oktober 1956, Zeitraum: 1/2, Jahre. In diesen 11/2 Jahren ist der Lohn durch den Tarifvertrag im Schnitt um 51/2 % erhöht worden, während die Lebenshaltungskosten nach den statistischen Ausweisen um 6 % gestiegen sind. In diesem einen Beispiel jedenfalls haben die Lohnerhöhungen nicht mehr ausgereicht, um die zwischenzeitliche Steigerung der Lebenshaltungskosten und damit des Preisniveaus wettzumachen.
Aber nun eine zweite Feststellung. Die gesamten in Deutschland gezahlten Netto-Löhne und -Gehälter lagen im ersten Quartal 1958 nach den Feststellungen der Bundesbank nominell um 5 % über den im ersten Quartal 1957 gezahlten Löhnen: nominelle Erhöhung der Kaufkraft um 5 %. Die Steigerung der Lebenshaltungskosten in dieser Zeit betrug 41/2 %. Angesichts der gesamten Lohn- und Gehaltsentwicklung in der ganzen Bundesrepublik bedeutet das also eine reale Kaufkraftsteigerung von nur 1/2 %. Wenn Sie jetzt außerdem daran denken, wie stark der Sparprozeß zugenommen hat, dann wird Ihnen eindeutig klar werden, daß in diesem Jahre eine Ausweitung der wirksamen realen ,Kaufkraft .einfach nicht mehr stattgefunden hat. Das ist ein ernsthaftes Symptom, das wir beachten müssen.
Das letzte Bulletin, das die Bundesregierung herausgegeben hat, stellt denn auch bei der Untersuchung der Lohnsituation ganz eindeutig klar, daß die Bruttowochenverdienste in der Industrie einschließlich der Abzüge für Arbeitszeitverkürzung usw. - also das, was als Kaufkraft dazukommt - vom November 1957 bis zum Februar 1958 nicht mehr gestiegen, sondern leicht zurückgegangen sind. Das ist immerhin eine statistische Feststellung im Bulletin.
Dann eine dritte Feststellung, die zu einer sachlichen Beurteilung notwendig ist: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hat festgestellt, daß im ersten Quartal 1953 gegenüber dem ersten Quartal 1957 die Preise für die importierten Güter der gesamten deutschen Wirtschaft um 500 Millionen DM gestiegen sind, daß im Gegensatz dazu die Preise für die gelieferten Waren und die zur Verfügung gestellten Dienstleistungen um 1,6 Milliarden DM gestiegen sind, d. h. eine Steigerung insgesamt von 2,1 Milliarden DM - Preiserhöhung der Wertschöpfung, sagt das Institut -, die weit über die Kostensteigerungen durch Lohnerhöhungen hinausgeht. So die Feststellung dieses Institutes!
Dann ist es furchtbar uninteressant, ob auf bestimmten Sektoren, z. B. bei den Dienstleistungen, das Gewicht der Löhne so groß ist, daß hier Preissteigerungen notwendig sind. Entscheidend ist, daß auf den Gebieten, wo diese Notwendigkeit nicht besteht, wo im Gegenteil durch den wirtschaftlichen Fortschritt Kostensenkungen eintreten, auch die entsprechenden Preissenkungen erfolgen. Niemand verlangt, daß auf jedem Gebiet, bei jedem Preis das Niveau festgehalten werde. Das ist in einer lebendigen Wirtschaft nicht möglich, und gerade bei den Dienstleistungsbetrieben werden wir häufiger einmal für Lohnerhöhungen auch Preiserhöhungen brauchen. Wesentlich ist, daß das gesamte Preisniveau gehalten wird. Aus dieser Ubersicht ergibt sich aber haargenau, daß das bei der augenblicklichen Situation durchaus möglich ist.
Aber die Entwicklung von Löhnen und Preisen ist eben so - wenn ich versuche, es einmal nach großen Vorbildern primitiv auszudrücken -: Wirtschaftlicher Aufschwung bedeutet doch, daß mehr produziert wird als in vorhergehenden Perioden. Das heißt auch, daß mehr gekauft werden kann, und wenn sich die reale Kaufkraft nicht im Verhältnis zu den produzierten Gütern steigert, dann besteht die Gefahr eines Rückschlages. Nun tut es mir sehr leid, den Herrn Bundeswirtschaftsminister da etwas korrigieren zu müssen. Es ist richtig, daß in den ersten Monaten, global gesehen, auch die Industrieerzeugung noch über der Industrieerzeugung des vergangenen Jahres lag. Aber sie ist seit dem Januar gegenüber dem Vorjahresergebnis ständig zurückgegangen, und im Mai dieses Jahres haben wir zum erstenmal festzustellen, daß die industrielle Produktion Westdeutschlands unter dem Niveau des vergangenen Jahres liegt, und das insbesondere auf dem Gebiet der Konsumgütererzeugung. Das ist ein indirekter Beweis für meine BeDr. Deist
hauptung, daß die Steigerung der Kaufkraft eben nicht mehr ausreicht, um das Niveau der Erzeugung in diesen Massenbedarfsartikeln weiter zu steigern oder nur aufrechtzuerhalten.
Es ist auch nicht richtig, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister meint, darin sei nur eine Verlagerung von Massengütern zu gehobenen Bedarfsgütern zu sehen. Das verschärft zwar die Situation; aber der innere Grund für diese konjunkturelle Situation ist, daß die Kaufkraft nicht mehr ausreichend steigt und infolgedessen keine Ansatzpunkte und Akzente mehr für wirtschaftlichen Aufschwung vorhanden sind. Da kann man nicht mehr, wie es der Herr Bundeswirtschaftsminister in seinem Mai-Bericht getan hat, von einem „ausgeglichenen Gesamtbild bei ruhiger Fortentwicklung auf dem erreichten hohen Stand" sprechen, sondern die Sachlage ist so: Der inflationäre Trend hat dazu geführt, daß die Lohnerhöhungen nicht mehr ausreichen, die Preiserhöhungen wettzumachen, und daß wir keine steigende Kaufkraft mehr haben. Und was viel schwieriger und tragischer ist: Bei der augenblicklichen Machtverteilung auf dem Arbeitsmarkt bei rückläufiger Konjunktur erscheint es auch nicht möglich, durch Lohnkämpfe eine stärkere Erhöhung der Kaufkraft durchzuführen, wobei ich ganz offenlasse, ob in diesem Stadium der steigenden inflationären Entwicklung nicht auch Preissteigerungen durch eine neue Lohnsteigerung verursacht würden.
Die meinem Empfinden nach einzige Möglichkeit, in dieser Situation wieder Ansatzpunkte für eine Aufwärtsentwicklung zu bekommen, ist, die Preisstarrheit auf dem deutschen Markt aufzuheben. Diese Preisstarrheit hängt entscheidend mit dem zusammen, was mein Kollege Kurlbaum über die Macht der Konzentration und über die Vermachtung der Gesamtwirtschaft gesagt hat. Es geht doch wohl etwas zu weit, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister, weil hie und da, z. B. hier in Bonn, einige Preise unterboten werden, meinte sagen zu sollen, jetzt beginne die Starre nachzulassen und das Preisniveau einzubrechen. So ist die Situation leider nicht. Ich weiß auch nicht, ob ein ungeregelter Zusammenbruch von Preisen wirklich eine günstige Ausgangsposition für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung ist oder ob man nicht andere Methoden anwenden muß, um Ansatzpunkte für eine Wiedererhöhung der Konjunktur zu finden.
Entscheidend kommt es darauf an - insoweit stimme ich mit dem Bundeswirtschaftsminister überein -, Ansatzpunkte für eine Steigerung der Mengenkonjunktur zu schaffen, Ansatzpunkte für Auslösung einer Mengenkonjunktur. Denn die Wirtschaft muß in diesem Zirkel, in dem sie sich befindet, der Verlangsamung im Zuwachs der nominellen Einkommen durch Preisanpassung Rechnung tragen. Da aber wundert mich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister zu diesem Problem, zu der Frage, was von der Bundesregierung getan werden könne, nicht ein einziges Wort gesagt hat. Auch dem Wunsche meines Kollegen Kurlbaum, doch im Sinne einer psychologischen Kriegführung einmal zu sagen, was die Bundesregierung tun wird, wenn stärkere Einbrüche erfolgen, hat er nicht entsprochen. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß man in Amerika dieses Rezept befolgt. Pläne zur Steigerung der Wirtschaft anzukündigen und vorzubereiten, ist dort ein wichtiges Mittel der Konjunkturpolitik. Der Bundeswirtschaftsminister hat - ich glaube, in Dortmund war es - einmal laut ausgerufen: „Ich habe einen Plan." Ich meine: wenn er einen hat, irgendwo in einer Schublade, würde er der Öffentlichkeit einen Dienst erweisen, wenn er von diesem Plan gelegentlich einmal auch Gebrauch machte.
Aber wenn man will, daß über eine Senkung oder wenigstens ein Festhalten des Preisniveaus, eine Verhinderung weiterer Preissteigerung dafür Sorge getragen wird, daß nominell steigende Löhne auch wirklich zusätzliche reale Kaufkraft darstellen, dann muß man ernsthaft etwas gegen diese Preisstarrheit tun, und dann genügen Deklamationen, wie sie der Herr Bundeswirtschaftsminister übt, und seine berühmte Seelenmassage eben leider in keiner Weise mehr. Vielmehr gehört dazu vor allen Dingen u. a. eine Kartellpolitik, die diesen Namen verdient. Wir bedauern sehr, daß die Bundesregierung von diesen Maßnahmen bisher so gut wie keinen Gebrauch gemacht hat, so daß wir ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Kartellgesetzes noch nicht einmal eine funktionsfähige Kartellbehörde haben. Und die Bundesregierung muß, wenn sie die Mengenkonjunktur einleiten will und wenn sie weiß, was Preiserhöhungen in solcher Situation bedeuten, sich entscheiden und dafür sorgen, daß die von ihr beeinflußten Preise, wie Mieten und Milchpreise, nicht weiterhin steigen, sondern zum mindesten auf ihrem Niveau gehalten werden. Dann muß sie von ihrer defizitären Finanzpolitik abgehen. Nur so läßt sich das Wort des Bundeswirtschaftsministers wirklich realisieren, daß den Ausgangspunkt für eine bessere Entwicklung nur eine Mengenkonjunktur bieten kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Sinne wünschen wir von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister wirtschaftspolitische Aktivität. Wir bedauern es sehr, daß seine Angst vor Aktivität, soweit es um das politische Handeln geht - sonst ist er fürchterlich aktiv -, ihn einfach davon abhält, auch nur die einfachste aktive wirtschaftspolitische Maßnahme zu ergreifen; wobei ich dahingestellt lasse, wieweit Mitglieder dieser Bundesregierung im Hinblick auf die hinter ihr stehenden Kräfte - das ist ja ein Stück Verfilzung von wirtschaftlicher und politischer Macht - überhaupt in der Lage wären, Maßnahmen zu ergreifen, die notwendigerweise in den Interessenbereich bestimmter Gruppen eingreifen müssen. Aber ich möchte ganz deutlich sagen, meine Damen und Herren: Die entscheidende Krisengefahr sehen wir heute nicht in der wirtschaftlichen Lage, sondern in der Untätigkeit der Bundesregierung.
Wenn aber die Dinge so liegen, dann sollten die Bundesregierung und der Herr Bundeswirtschaftsminister es sich nicht so leicht machen und die Verantwortung für diese Wirtschaftsentwicklung, die uns unter Umständen vor schwere Probleme stellen
kann, den breiten Schichten der Arbeitnehmer aufladen wollen, die heute schon nicht mehr in der Lage sind, durch Lohnerhöhungen die Folgen der Geldentwertung auszugleichen.
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- Ich hätte gedacht, Sie würden, nachdem ich Ihnen die zahlenmäßigen Beispiele genannt habe, wenigstens von Urlauten als Argumenten absehen. Ich nehme an, daß der Herr Kollege Hellwig etwas mehr als diese Urlaute zu dieser Auseinandersetzung beitragen kann.
Meine Damen und Herren, es ist nicht fair, für ein Versagen und Verschulden der Bundesregierung und ihrer Politik die breiten Verbraucherschichten in Deutschland verantwortlich zu machen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß hier eine Diskussion geführt werden kann, bei der man sich sehr ernste, sehr problemgeladene, in der Beurteilung zum Teil auch sehr heterogene Dinge sagen kann, ohne daß es persönlich genommen wird. Ich freue mich darüber und möchte den Wunsch haben, daß dieser Stil unserer Debatten im Wirtschaftsausschuß weiter um sich greift, wenn es hier erregte Auseinandersetzungen über andere Gebiete gibt.
Ich möchte zunächst auf eine Sache hinweisen, von I der ich glaube, daß sie allen Seiten des Hauses so wichtig sein sollte, daß sie nicht übergangen werden kann. In den Ausführungen von Herrn Dr. Deist ist diese Frage weniger angeklungen. In den Darlegungen von Herrn Kurlbaum kam dagegen bei dem Thema der Machtkonzentration und anderen Dingen im Zusammenhang mit den Kapitalgesellschaften das Wort von der Selbstfinanzierung hoch.
Es ist wohl der Aufmerksamkeit des größten Teiles der Kollegen entgangen, daß die Berechnungen des Volkseinkommens und seiner Verwendung durch das Statistische Bundesamt in den letzten Monaten auf eine neue Grundlage gestellt worden sind. Infolge dieser neuen Berechnungen müssen viele Dinge erheblich korrigiert werden. In den früheren Rechnungen - ich nenne das Jahr 1954 als Beispiel - sind die Nettoinvestitionen um Milliardenbeträge höher errechnet worden, als sie sich nach der neuen Berechnung ergeben. Dementsprechend haben sich auch die Angaben aus diesen Globalrechnungen über die Entwicklung der Einkommen und ihre Verwendung, insbesondere aber auch über die Bildung von Vermögen und seine Finanzierung ganz entscheidend verschoben. Ich verweise auf die jüngsten Berechnungen der Deutschen Bundesbank, die insbesondere über das Ausmaß der Selbstfinanzierung völlig neue Aufschlüsse geben und damit auch jene - ich möchte sagen: stichwortähnlichen - Zahlen, die das Bundeswirtschaftsministerium und das damalige Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in ihren Kapitalmarktgutachten zu Beginn des vergangenen Jahres vorgelegt haben, wesentlich korrigieren. Ich werde an einer anderen Stelle mich zu diesen Dingen noch einmal kurz äußern. Ich wollte nur an den Anfang diese völlig neuen Berechnungen stellen und auf sie aufmerksam machen. Sie sind nämlich nach meiner Meinung geeignet, einen Zankapfel, der bisher zwischen verschiedenen Gruppen, Lagern und Parteien in diesem Hause vorhanden war, im wesentlichen zu beseitigen.
Nach den Angaben der Bundesbank ergibt sich folgendes. ,Die Vermögensbildung der Unternehmungen ist in den Jahren 1955 und 1956 nur zu 37 % aus nicht entnommenen Gewinnen, aber zu 65 % durch Kreditaufnahme finanziert worden. Diese Zahlen zwingen zu einer Uberprüfung zahlreicher bisheriger Angaben dieser Art. Ich erinnere mich noch, daß beispielsweise auf dem SPD-Parteitag in dem Referat des württembergischen Wirtschaftsministers Veit aus einer Berechnung des Berliner Institutes für Wirtschaftsforschung die Angabe gebracht wurde, der Sachvermögenszuwachs der Wirtschaftsunternehmungen sei zu 77 % selbst und zu 21 % über den Kapitalmarkt finanziert worden. Nach den neuen, nunmehr vorliegenden Berechnungen der Bundesbank ergibt sich für die Jahre von 1950 bis 1957 ungefähr ein Gleichgewicht zwischen der Selbstfinanzierung aus nicht entnommenen Gewinnen und der Finanzierung durch Kreditaufnahme. In dieser Vermögensbildung aber ist die Geldvermögensbildung mit enthalten. Im allgemeinen ist nun nicht anzunehmen, daß Geldvermögensbildung durch Kreditaufnahme finanziert wird. Für die Sachvermögensbildung der Unternehmungen muß der Anteil der Kreditfinanzierung also wesentlich höher sein, als er sich aus dieser Berechnung, die die gesamte Vermögensbildung, Sach- und Geldvermögensbildung, zugrunde legt, ergibt.
Ich glaube, daß wir angesichts dieser Überprüfung der Ausgangszahlen, mit denen wir uns in den vergangenen Jahren in unseren Diskussionen herumgeschlagen haben, doch zu einer wesentlich ruhigeren Betrachtung kommen können, insbesondere auch dann, wenn die Fragen erörtert werden, die Herr Kollege Kurlbaum bei dem Thema Konzentration angeschnitten hat.
Nun darf ich noch einmal zu dem Bild der konjunkturellen Lage zurückkehren. Selbstverständlich hat der Kollege Dr. Deist recht, daß man hinter der Globalzahl unseres derzeitigen Beschäftigungsvolumens nicht übersehen darf, daß in einigen Wirtschaftszweigen die Lage doch wesentlich anders ist. Aber wir haben dann zu überprüfen, ob es sich hier wirklich um ein allgemeines Konjunkturproblem, um einen phasenmäßigen Vorgang im konjunkturellen Abschwung handelt oder um das Auslaufen, ich möchte einmal sagen, von Sonderkonjunkturen, die durch den aufgestauten Nachholbedarf der Bevölkerung auf verschiedenen Gebieten bedingt waren. Das betrifft vor allem die Konsumgüterindustrie und in der Konsumgüterindustrie wohl, richtig gesehen, gerade die Textilwirtschaft, bei der im wesentlichen die Kurzarbeit aufgetreten ist, von der Kollege Deist gesprochen hat.
Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ,den 3. Juli 1958 2273
Hier stellt sich in der Tat das Problem, daß eine Sonderkonjunktur aus aufgestautem Nachholbedarf der ersten Nachkriegsjahre zu Kapazitätserweiterungen mit relativ schmaler Kapitaldecke - es ist keine sehr kapitalintensive Industrie - durch das Hereinströmen von zahlreichen selbständigen Existenzen geführt hat. Man war froh, Vertriebenen und Flüchtlingen hier den Aufbau einer selbständigen Existenz ermöglichen zu können. Aber die Sonderkonjunktur mußte sich ja zu irgendeinem Zeitpunkt normalisieren. Wir werden daher in derartigen Wirtschaftszweigen weniger ein Problem der allgemeinen Konjunkturpolitik als strukturelle Veränderungen, die auf lange Sicht eben andere Maßnahmen erforderlich machen, erkennen müssen.
Kurz ein Wort zu einem anderen der schwarzen Flecke auf dem derzeitigen konjunkturellen Bild, zum Steinkohlenbergbau. Ich bin durchaus nicht der Meinung, daß man sich hier mit der beruhigenden Wirkung zufriedengeben kann, die die Verschärfung des Wettbewerbs hinsichtlich des Problems der Kohlenpreise herbeigeführt hat. Auf der anderen Seite sollte man es aber auch nicht überdramatisieren. Denn wenn ich die Haldenbestände im deutschen Steinkohlenbergbau - und zwar einschließlich des Kokses - mit denen anderer Länder vergleiche, nämlich mit den Ländern der Montanunion und mit dem englischen Steinkohlenbergbau, dann ist zumindest, bezogen auf die gesamte Jahresleistung, die Bevorratung der deutschen Kohlenwirtschaft nicht höher, ja relativ niedriger als in anderen Ländern der Montanunion, in denen Kohlenbergbau betrieben wird. Somit können wir wohl sagen, daß sich eine allgemeine Verlangsamung der Steinkohlennachfrage bei uns sogar nicht so stark ausgeprägt hat wie etwa in unserem Nachbarland Belgien oder wie in Frankreich. Auch hier bin ich der Meinung, daß nicht von einem allgemeinen konjunkturpolitischen Problem gesprochen werden sollte, sondern von dem Sonderproblem, welcher Zukunftsentwicklung der deutsche Steinkohlenbergbau bei der Veränderung der Wettbewerbsverhältnisse entgegengeht, insbesondere im Hinblick auf Erdöl, Heizöl usw. Das sind Fragen, die einer sehr sorgfältigen Überprüfung bedürfen. Ich hoffe, daß im Rahmen der energiewirtschaftlichen Gesamtvorschau, von der wir nun schon so oft sprechen, auch diesem Problem nähergetreten wird.
Nun zu einem Komplex, den sowohl der Kollege Deist wie der Kollege Margulies behandelt haben, nämlich zu der Frage unserer Ausfuhr und der Wirkungen, die von einer rückläufigen Entwicklung der Ausfuhr auf die deutsche Wirtschaft unter Umständen ausgehen können. Ich unterscheide mich etwas von jenen Kritikern, die da meinen, daß die Steigerung des deutschen Exports und der Exportkraft der deutschen Wirtschaft in den letzten Jahren vom Übel gewesen sei. Ich muß eigentlich auf das Gegenteil hinsteuern. Denn wir haben in der deutschen Wirtschaft 1948 vor einer Aufgabe gestanden, die kein anderer treffender formuliert hat als Professor Baade. Er sagte damals: Das Hereinströmen von 10 bis 12 Millionen zusätzlicher Menschen in die Bundesrepublik unter Verlust der landwirtschaftlichen Überschußgebiete des Ostens verlangt eine Umstrukturierung der deutschen Wirtschaft; die deutsche Wirtschaft wird weltmarktorientiert werden müssen, so wie es andere hochindustrialisierte Länder mit entsprechender Bevölkerungsdichte - er nannte Großbritannien und Belgien - eben in ihrer Geschichte geworden sind. - Sehen Sie: die Entwicklung des deutschen Exports und die Stärkung der Exportkraft sind ja tatsächlich Ausdruck dafür, daß es gelungen ist, diese Umstrukturierung in einem ganz erheblichen Ausmaß auch durchzuführen.
Nun sagt man: Aber ist nun nicht eine strukturelle Überschußsituation entstanden? Habt ihr mit eurer Umstrukturierung nicht zuviel des Guten getan? - Ich möchte zunächst einmal bezweifeln, ob die Bäume des deutschen Exports, die von der Investitionsnachholkonjunktur zahlreicher Bereiche der Welt in den letzten Jahren gedüngt waren, weiter in dieser Größenordnung stehenbleiben. Man wird auch, was die Weltmarktkonjunktur angeht, zu einem Ende der Nachholphase kommen; es werden also schon bestimmte Korrekturen hinsichtlich des Ausfuhrüberschusses eintreten. Auf der anderen Seite ist es ganz klar, daß, wenn wir von den anderen Ländern nicht genug abnehmen, dann die Unzufriedenheit über uns kommt - darüber sind hier ja einige Worte zitiert worden - und daß dann ein Ausfuhrüberschuß entsteht, der zu allen möglichen Störungen im internationalen Handels- und Zahlungsverkehr führen könnte und nicht zuletzt auch in unserer innerwirtschaftlichen Lage durch inflationistische Auswirkungen unserer Ausfuhrüberschüsse .
Zunächst zu der Frage: Ist auf dem Gebiet der Einfuhr wirklich nicht genug geschehen? Wir sprechen schon gar nicht mehr von der Phase kontinuierlicher Senkungen der Einfuhrzölle, die wir in den letzten drei Jahren durchgeführt haben. Denn nur deshalb, weil diese Senkung der Einfuhrzölle und diese Liberalisierung im industriellen und gewerblichen Sektor so planmäßig vonstatten gingen, ist doch die Entwicklung eingetreten, daß auf das Jahr gerechnet - die Ausfuhr 1957 gegenüber 1953 nicht stärker als die Einfuhr, sondern wert- und mengenmäßig die Einfuhr noch stärker als die Ausfuhr gestiegen ist. Hier wirkt doch eine Tendenz zur Korrektur etwaiger kontinuierlicher Ausfuhrüberschüsse. Besonders deutlich wird das im Sektor der Halbwaren und Fertigwaren. In den ersten vier Monaten des Jahres 1958 lag die Einfuhr von Halbwaren um 135 % über der des gleichen Zeitraumes vor fünf Jahren und die Einfuhr von Fertigwaren um 216 % über der des gleichen Zeitraums vor 5 Jahren. Am schwächsten ist die Zunahme in der Einfuhr von Rohstoffen. Das liegt aber an der vorhin schon kurz besprochenen Zurückhaltung der deutschen Rohstoffkäufer im Hinblick auf die Erwartung weiterer Preisrückgänge auf den Rohstoffmärkten der Welt. Hier sind es also wesentliche Umdispositionen in der Lagerhaltung, von denen auch Herr Erhard schon gesprochen hat.
Es darf also gesagt werden, daß sich bis zu den ersten Monaten dieses Jahres die Einfuhrsteige2274
rung - auch angesichts einer relativ niedrigeren Zunahme der Einfuhren im Sektor der Rohstoffund Ernährungswirtschaft - doch im ganzen mit der Ausfuhrentwicklung die Waage gehalten hat.
Ich muß es mir wegen der vorgeschrittenen Zeit versagen, hier noch mehr zu dem Thema des deutschen Ausfuhrüberschusses zu sagen. Wir sind uns völlig klar darüber, daß nunmehr Maßnahmen vorbereitet werden müssen, die die Kaufkraft von Abnehmerländern, insbesondere in den Rohstoffgebieten der Welt wieder stützen. Aber alle diejenigen die draußen in der Welt glauben, die Bundesrepublik sei nunmehr so reich, daß sie hier in die Rolle der Amerikaner eintreten könnte, möchte ich doch etwas korrigieren. Ein kluger Beobachter dieser Dinge hat davon gesprochen, daß es die Bundesrepublik in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zumindest bis zum Ablauf des Jahres 1957 nicht - wie andere Länder - verstanden hätte, ins Schaufenster der Weltöffentlichkeit ihre Schulden und Lasten zu stellen, sondern daß sie in das Schaufenster der Weltöffentlichkeit ihre Kassenüberschüsse - genannt Juliusturm - und ihre Devisenüberschüsse - genannt Vocke-Turm - gestellt habe.
In dieser psychologisch zu verstehenden Beurteilung steckt sicher ein richtiger Kern. Denn wie sieht es mit den Gold- und Devisenguthaben der Deutschen Bundesbank aus? Wenn wir alle die Milliarden abziehen, die für ein- bis dreijährige Schuldverschreibungen, für unsere Darlehen und Guthaben bei der Weltbank und bei der Europäischen Zahlungsunion und unser Sonderkonto bei der Bank von England bestimmt sind, weiterhin die deutsche Beteiligung an der EZU-Hilfe für Frankreich, dann ergibt sich, daß sich unsere Währungsreserve auf etwa 16 Milliarden DM stellt. Das ist der Gegenwert des Einfuhrbedarfs der Bundesrepublik für 6 Monate. Meine Damen und Herren! 16 Milliarden DM, der Gegenwert des Einfuhrbedarfs der Bundesrepublik von 6 Monaten!
Nun müssen wir aber noch die Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik aus ihren Schulden hinzunehmen, die Schulden aus dem Londoner Abkommen, die Auslandsverpflichtungen aus dem Haager Abkommen mit Israel und die noch gar nicht übersehbaren Zahlungs- und Transferverpflichtungen. die sich aus der Wiedergutmachung ergeben; denn ein erheblicher Teil der Wiedergutmachungsverpflichtungen wird gleichzeitig Verpflichtung zur Zahlung an das Ausland sein. Wenn man das alles zusammenzieht, dann wird der Spielraum, in dein etwa Kreditaktionen aus dem deutschen Gold- und Devisenpolster zugunsten der Einfuhrpolitik von Überseeländern abgezweigt werden können, relativ schmal. Immerhin, auch eine oder zwei Milliarden DM können, wenn es zu einer wirklich konjunkturpolitisch bedenklichen Gefährdung der deutschen Ausfuhrsituation in diesen Räumen kommen sollte, schon ganz erheblich wirken.
Aber lassen Sie mich an dieser Stelle zu allen jenen Forderungen, Plänen und Wünschen, die auch im Laufe dieser Haushaltsdebatte vorgebracht worden sind, daß die Bundesrepublik gerade innerhalb dieser besonders interessanten Räume auch mit finanziellen Hilfen mehr tun müsse, doch einmal folgendes sagen. Wir stoßen in diesen asiatischen und afrikanischen Räumen auf eine bestimmte Konkurrenz, die man wiederholt als die sogenannte Rubel-Offensive bezeichnet hat. Diese Konkurrenz hat ja praktisch dazu geführt, daß heute nicht mehr mit Preis und Qualität auf diesen Märkten operiert wird, sondern mit den langfristigen Zahlungsbedingungen, mit langfristigen Lieferantenkrediten oder staatlichen Refinanzierungskrediten. Diese Konkurrenz muß ja wohl auch als eine der Fronten im Mehrfrontenkrieg gesehen werden, in dem die freie Welt und nicht zuletzt die Bundesrepublik steht.
Wir zerbrechen uns in diesem Hause sehr hitzig den Kopf darüber, wo in diesem Wettlauf, in diesem Mehrfrontenkrieg die wichtigste Front ist, ob es die Verteidigung im militärischen Sinn ist und das, was für sie finanziell und wirtschaftlich zu geschehen hat, ob es die sogenannte soziale Sicherheit ist, d. h. die weitere Hebung und Garantierung eines bestimmten Lebensstandards, oder ob es jener Weltmarkt ist, wo wir der politisch gesteuerten Konkurrenz des gleichen Gegners gegenübertreten. Wenn wir diese Fronten nebeneinander sehen, wird es vielleicht verständlich, daß die Auseinandersetzung idarüber nicht einfach ist. Wir sollten aber auch sehen, daß die Leistungskraft, die hierfür notwendig ist, nur einmal verteilt werden kann und daß sie nicht an allen Stellen gleichzeitig in gleicher Höhe in Anspruch genommen werden kann. Hier ist ein kluges Abwägen notwendig, und um dieses kluge Abwägen auch bei der Diskussion über Rüstungskosten, über langfristige Exportkredite oder über Forderungen auf weitere Steigerung des sozialen Lebensstandards möchte ich alle in diesem Hause, ganz besonders aber selbstverständlich die Kollegen der Opposition bitten.
Nun komme ich zu jenem anderen Moment, das auch Kollege Dr. Deist als eines der Gefahrenmomente behandelt hat. Ich meine die Lohnentwicklung, die Entwicklung der Einkommen. Kollege Dr. Deist knüpfte daran Besorgnisse, daß beispielsweise die Kaufkraft nicht mehr ausreiche, um die industrielle Erzeugung aufzunehmen.
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Herr Kollege Deist hatte davon gesprochen, daß natürlich - und darin wird ihm niemand widersprechen - ein wirklicher Kaufkraftrückgang der breiten Masse ein konjunkturelles Problem aufwerfen würde. Das sind Erscheinungen, die wir in der Deflationskrise zu Beginn der dreißiger Jahre gehabt haben. Ich wage aber doch hier zu bezweifeln, ob die Situation wirklich schon so gesehen werden darf. Die Kaufkraft oder, wie ich sagen möchte, die Kauflust ist nicht weiter gestiegen; aber die Sparneigung ist ganz kräftig weitergestiegen. Trotz der Entwicklung der Preise, auf 'die ich noch kommen werde, ist doch die Sparneigung unverkennbar außergewöhnlich gestiegen, so daß das bestätigt wird, was ich vorhin schon sagte: daß bestimmte Sonderkonjunkturen, in diesem Fall bestimmte Sonderbedarfslagen, bestimmter Nachholbedarf allmählich einen Sättigungsgrad gefunden
haben und eine Verlagerung in andere Wirtschaftsgüter - Professor Erhard hat von langlebigen Wirtschaftsgütern des gehobenen Konsums gesprochen - und eine Verlagerung in zunehmende Spartätigkeit stattgefunden hat.
Was hat diese Verlagerung bedeutet? Sie hat die leichte konjunkturelle Belebung herbeigeführt, die seit dem Monat April, seit der Überwindung der Winterflaute das deutsche Konjunkturgeschehen kennzeichnet, nämlich die ganz kräftige Belebung einmal des Wohnungsbaues - Herr Dr. Brecht wird über die Verbesserung insbesondere der Hypothekendarbietung usw. sicher meiner Meinung sein, daß dieser Beitrag nicht zu unterschätzen ist -, und zum anderen, daß tatsächlich der Kredit in manchen Wirtschaftsbereichen billiger geworden ist und dort, wo man also wirklich mit den Pfennigen in diesen Fällen rechnet, auch Investitionen, die zurückgestellt worden sind, inzwischen wieder anlaufen. Wir haben in der Tat eine leichte Belebung, eine Zunahme der Investitionsvorhaben, der Investitionsgüteraufträge. Man darf das wohl mit jener Wandlung von Kauflust im Konsumbereich in Sparneigung und mit der Verlagerung von Mitteln im Investitionsbereich in Verbindung bringen.
Aber das ist nicht ganz von ungefähr gekommen. Seit über einem Jahr haben meine politischen Freunde, nicht zuletzt der Herr Bundeswirtschaftsminister und der Herr Bundesfinanzminister, mitgeholfen, diese Entwicklung in Gang zu bringen. Verschiedene unserer politischen Maßnahmen, insbesondere Probleme der Eigentumsbildung, der Förderung der Spartätigkeit und andere mehr, sind in diesem Zusammenhang zu sehen.
Für das weitere Jahr rechne ich mit einem Zuwachs an Kaufkraft, der sich auch im Konsum niederschlagen wird; denn die jetzt verabschiedete Einkommensteuersenkung, die ja gerade in den Familienhaushaltungen, bei denen vielfach auch heute noch Nachholbedarf besteht, günstig wirken wird, wird zu einer Vermehrung der Kaufkraft führen. Wenn man dann erwarten darf, daß über den Jahreslohnsteuerausgleich die im ersten Halbjahr zuviel gezahlten Steuern wieder zurückfließen, so glaube ich jetzt schon sagen zu können, daß mit einer erfreulichen Kaufkraftmehrung auch im Hinblick auf die Konsumdispositionen im zweiten Halbjahr gerechnet werden kann.
Meine Damen und Herren! Nun darf ich aber hier noch einen kurzen Zusammenhang zwischen der Lohnbewegung, der Einkommenentwicklung und der Preisentwicklung erörtern. Herr Kollege Deist hat richtig darauf hingewiesen, daß nominelle Lohnbewegungen in einzelnen Bereichen - er sprach von der Metallindustrie - in dem Zeitraum, den er verglichen hat, hinter der Entwicklung der Lebenshaltungskosten zurückgeblieben seien. Er hat vieles an Zahlen dieser Art gebracht, aber er hat mit keinem einzigen Wort erwähnt, daß mit dieser nominellen Lohnbewegung auch eine reale Arbeitszeitverkürzung Hand in Hand gegangen ist, so daß einer nominellen Lohnerhöhung auf der Produktionsseite Beschneidungen des Produktionsvolumens durch Arbeitszeitverkürzungen gegenüberstehen.
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Wenn man die beiden Dinge miteinander vergleicht, dann muß man die Arbeitszeitverkürzung mit ihrer Auswirkung auf die dargebotene Güterproduktion berücksichtigen. Wie sieht das Bild denn aus? Erstes Vierteljahr 1957 verglichen mit dem ersten Vierteljahr 1958: Die industrielle Produktion ist in diesem Jahre gestiegen um 3,5 %, die Lohn- und Gehaltssumme aber um 7,3 %. Meine Damen und Herren! Woher soll denn dieses Mehr der Lohn- und Gehaltssumme kommen? Das Produktionsergebnis je Arbeiterstunde ist gestiegen um 5,6 %, die Lohnsumme je Arbeiterstunde um 8,6 %.
({2})
Wenn wir die Arbeitszeitverkürzung insgesamt und jetzt das Produktionsergebnis der Beschäftigten nehmen, dann ist das Produktionsergebnis je Beschäftigten nur noch um 0,7 % gestiegen, die Lohn- und Gehaltssumme je Beschäftigten jedoch um 4,6 %.
Meine Damen und Herren, nun wird man sagen: Wo soll das herkommen? Das sollte auf Kosten der Gewinne gehen. Über die Höhe der Gewinne in diesem Zeitraum liegen ausreichende Angaben noch nicht vor. Aber wer Bilanzen der deutschen Unternehmungen über die Zeit vom ersten Quartal 1957 zum ersten Quartal 1958 eingesehen hat, wird wissen, wie sich die Gewinnsituation in diesem Jahre verschärft hat und daß von einer Situation, die etwa der des Sommers 1955 entsprechen würde, beileibe nicht mehr die Rede sein kann.
Zu den Berechnungen, die von verschiedenen Seiten über die Entwicklung der Lohn- und Gewinnquote bisher vorgelegt worden sind, kann ich nur sagen, daß ich kurzfristige Vergleiche von Quartal zu Quartal ablehne, weil sie in der Tat nichts aussagen. Man muß schon Jahreszahlen miteinander vergleichen, und dann auch bereinigte Zahlen.
Nach den jüngsten Berechnungen der Deutschen Bundesbank entfallen von dem Nettosozialprodukt zu Marktpreisen im Jahre 1957 40,5 % auf Nettolöhne und -gehälter. Dieser Anteil betrug im Jahre 1950 39,9 % und im Jahre 1956 40,3 %. Es ist also keinesfalls eine Verringerung des Anteils der Nettolöhne und -gehälter zu verzeichnen. Der Anteil der Sozialeinkommen ist von 13,3 auf 14,5 % gestiegen, und der Anteil der Nettoeinkommen der Selbständigen und der Unternehmungen, der 1950 25,8 % ausmachte, betrug 1957 nur noch 20,8 %. Man wird also nicht mehr allgemein sagen können, daß die Gewinnquote für die Abwälzung jener nominellen Lohnerhöhung, die über die Produktionsleistung hinausging, ausgereicht hätte.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu grundsätzlichen Fragen machen, die hier vorhin von verschiedenen Sprechern angeschnitten worden sind. Da ist ,die Frage nach der Wirtschaftspolitik schlechthin in unserer politischen und gesellschaftlichen Ordnung.
Es ist leicht, mit dem Finger auf den Bundeswirtschaftsminister zu zeigen und ihn für alles das verantwortlich zu machen, was an Friktionen innerhalb der wirtschaftspolitischen Willensbildung auftritt.
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- Ich komme auf das Problem gleich zurück, Herr Kurlbaum.
Wir müssen uns darüber klar sein, daß Wirtschaftspolitik in einer pluralistischen Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, wie wir sie haben, nicht mehr von einem Ressort allein betrieben werden kann. Auf die Verlagerung eines großen Teils der Kompetenz auf die Bundesbank ist wiederholt hingewiesen worden. Auf die Verlagerung einer Kompetenz auf den Herrn Bundesfinanzminister, zwar nicht formaliter, aber doch de facto, sei hier gleichfalls hingewiesen. Wir haben in der Bundesrepublik nicht jene Zusammenfassung der Kompetenzen wie in der Person des englischen Schatzkanzlers, wo die wirtschaftspolitische Generallinie schon innerhalb der Budgetaufstellung ihre Berücksichtigung findet und wo sich das Ressort der Wirtschaftspolitik außerhalb des Schatzkanzlers im Grunde genommen mehr auf technische Bereiche, Handel und ähnliche Aufgaben, beschränkt. Eine solche Zusammenfassung wird in unserer Ordnung nicht zur Diskussion zu stehen haben. Aber man muß sich mit den Problemen, die daraus erwachsen, vertraut machen.
Ich glaube, wir dürfen uns freuen, daß zwischen den beiden Männern, die diese Ressorts nunmehr leiten, ein Gleichklang der Seelen besteht, der sich in zehnjähriger gemeinsamer Arbeit an einer eindeutigen wirtschaftspolitischen Linie ergeben hat.
Bei Betrachtung der Faktoren, die die Wirtschaftspolitik entscheidend beeinflussen, muß man auch auf die Rolle der Tarifpartner eingehen. In diesem Zusammenhang darf ich zur Richtigstellung einer Bemerkung des Herrn Kollegen Dr. Deist ein Wort sagen. Ich glaube nicht, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister, als er von den Problemen der Konzentration wirtschaftlicher Macht sprach, die Tarifpartner als solche meinte; er betrachtete sie nicht als gleichrangig mit dem, was Sie als Konzentrationen wirtschaftlicher Macht bezeichneten. Er meinte damit ein anderes.
Die Macht der Tarifpartner liegt auf einer anderen Ebene; es ist die Macht der organisierten Verbände, die in der Aushandlung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, je nachdem, wie die Machtverhältnisse liegen, zu bestimmten Abschlüssen kommen. Das Klagelied, das der Kollege Dr. Deist über den angeblichen Machtschwund der Arbeitnehmerorganisationen vorhin angestimmt hat, ist wohl nicht so ernst zu nehmen. Vor allem denke ich daran, wie stark differenziert das konjunkturelle Bild innerhalb der Wirtschaft noch ist, gerade in jenen Bereichen, von denen ein bekannter Gewerkschaftsführer das Wort gebraucht hat, Lohnpolitik sei Machtpolitik. In jenen Bereichen ist die
Beschäftigung und Konjunkturlage keinesfalls so, daß von einem Schwund .der Macht auf der Arbeitnehmerseite gesprochen werden könnte.
Was hat Professor Erhard wohl gemeint? Er meinte, als er von der Konzentration der wirtschaftlichen Macht und ihrer Wirkung im Marktgeschehen sprach, offenbar, daß man auch diejenigen Konzentrationen sehen müsse, bei denen wirtschaftliche Macht des Marktgeschehens sogar mit der politischen Macht, sei es der öffentlichen Hand, sei es der öffentlichen Verbände, vereinigt sei. Daher ist die Kritik, die Kollege Dr. Deist an ihm geübt hat mit der Bemerkung, er habe wiederum die Sozialpartner ansprechen wollen, nicht ganz berechtigt gewesen.
Ich muß aber bei diesem Thema der Macht noch etwas verweilen. Manchmal habe ich das Gefühl, daß unsere Kollegen von der Opposition so etwas wie eine Haßliebe zum Staat haben. Das mag mit der leidvollen Vergangenheit der sozialistischen Bewegung in ihrem Verhältnis zu einem Staat zusammenhängen, der ihr größte Schwierigkeiten machte. Auf der einen Seite wird immer wieder vor der Ausdehnung und dem Mißbrauch staatlicher Gewalt gewarnt, auf der anderen Seite setzt man selber alle Hoffnung auf die Intervention des Staates oder einer anderen öffentlichen Instanz.
Ich bin gefragt worden, ob ich Kontrolle durch die Öffentlichkeit nur für die öffentlichen Machtpositionen oder auch für die privaten Machtpositionen wolle. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen zu beiden ein uneingeschränktes Ja. Ich empfehle Ihnen die Lektüre ,der Düsseldorfer Leitsätze für die Wirtschaftspolitik der CDU, in denen dieses Postulat ganz eindeutig formuliert ist.
Herr Kollege Kurlbaum, ich erinnere an die temperamentvollen Diskussionen ,über das Kartellgesetz. Ich möchte annehmen, daß sie für beide Seiten sehr aufschlußreich und belehrend waren; für mich jedenfalls darf ich das sagen. Sie werden sich daran erinnern, daß ich überall mitgezogen habe, wo die Voraussetzungen für eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit geschaffen werden sollten, z. B. als die Publizität und die Beiladung der beteiligten oder betroffenen Kreise bis zu den Verbrauchern zur Diskussion stand. Ich habe allerdings im Hinblick auf die leidvollen Erfahrungen, die wir mit dem Mißbrauch dieser Dinge durch die Besatzungsmächte gemacht haben, davor gewarnt, schon jetzt, wo wir am Anfang einer Gesetzgebung für privatrechtliche Unternehmensbereiche stehen, den Bogen zu überspannen und ex officio Möglichkeiten zu Eingriffen in bestimmte Unternehmungen zu schaffen, ehe überhaupt eine ausreichende Unterrichtung der Kartellbehörde durch die Informationen, durch die Meldepflichten und Registerpflichten herbeigeführt sei. Ich bedaure es nicht, daß die Kartellbehörde in diesem halben Jahr noch nicht sichtbar aktiv geworden ist. Bei der komplexen Aufgabe, in alles, was auf diesem Gebiet durch das Gesetz meldepflichtig geworden ist, einzugreifen, ist eine halbjährige Anlaufzeit weiß Gott keine lange Zeit. Wir wissen ja, daß es sich um eine Übergangszeit
handeln wird, in der zunächst einmal überhaupt angemeldet werden muß. Die Prüfung wird sich ohnehin noch länger hinziehen.
In dem Zusammenhang ein Wort zu Ihrem Schreckgespenst, daß 600 Firmen Preisbindungen der zweiten Hand für 250 000 Markenartikel beantragt hätten. Meine Damen und Herren, ein überraschend niedriges Ergebnis!
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Denn bei etwa 60 000 bis 70 000 industriellen Erzeugerfirmen sind 600 anmeldende Firmen sicher noch kein sehr großer Prozentsatz. Was die Zahl der 250 000 Artikel angeht, so möchte ich Sie, Herr Kollege Kurlbaum, erstens fragen: Sind in dieser Zahl die Druck- und Verlagserzeugnisse enthalten, für die wir ja einmütig die Preisbindung der zweiten Hand mit Anmeldung zugelassen haben? Und zum zweiten: Sind darin auch noch die Massenkataloge der pharmazeutischen Industrie enthalten, von der einzelne Firmen ja Tausende von Markenartikeln, die preisgebunden sind und deren Preise durch die Arzneitaxe ja ohnehin gebunden würden, herstellen? Das muß also zunächst klargestellt werden. Deswegen nehme ich diese Zahl einstweilen gar nicht tragisch.
Aber zurück zu dem Problem der Macht und ein kurzes Abschlußwort hierzu! Die Publizität, die als Grundlage für die Kontrolle der Machtgebilde, aber auch für die Kontrolle der privaten Unternehmungen durch die öffentliche Meinung verlangt wird, stößt bei den Unternehmungen selbst auf ein Handicap, das wir allmählich ausräumen müssen. Wir möchten dazu auch Ihre Hilfe, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Opposition, haben. Ich meine damit folgendes. Solange die Tatsache der Gewinnerzielung noch nicht als Selbstverständlichkeit für unsere Unternehmungen in der Wirtschaft allerorts anerkannt ist, so lange besteht eine bestimmte Scheu, in der Nachweisung Brutto- und Nettogewinne und diese Dinge offenzulegen. In der amerikanischen Wirtschaft erklären auch Gewerkschaftsführer Unternehmer, die etwa keinen anständigen Gewinn erzielen können, für unfähig. Wir haben noch eine dogmatische Verhärtung und setzen noch dem so schnöden Prinzip der Gewinnerzielung das Prinzip der Bedarfsdeckung gegenüber. Ich will hier nicht in diese Kontroverse einsteigen. Sie ist nur eine der Illustrationen dafür, welche Hindernisse psychologischer Art einer verstärkten Publizität der Gewinnerzielung noch entgegenstehen.
Die amerikanische Arbeiterbewegung und Gewerkschaft bejahen auch das private Eigentum an diesen Unternehmungen. Meine Damen und Herren, Sie werden es einem deutschen Unternehmer nicht verübeln, daß er hier zunächst etwas reserviert ist und sagt: Jawohl, auf der einen Seite erhöhte Publizität auch der Gewinne, die erzielt werden. Aber dann sollte man auf der anderen Seite auch aufhören, immer mit der Enteignung oder der Sozialisierung oder der Vergesellschaftung, jedenfalls der Einschränkung des privaten Eigentums zu drohen.
Ich will die Diskussion nicht bis zur ganzen Tiefe führen. Aber vielleicht ist es gelungen, Ihnen deutlich zu machen, welches psychologische Hemmnis noch für die Ausdehnung der Publizität besteht. Im übrigen werden Sie meine Hilfe haben, wenn das, was hier notwendig ist, auch geschieht.
Ein letztes Wort. Wir können - das darf ich für meine politischen Freunde noch einmal eindeutig sagen - an keiner Stelle die Augen davor verschließen, daß eine marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftspolitik im Rahmen der auf viele Instanzen, auf Bundes- und Landesebene, aber auch im vorparlamentarischen Raum, verteilten Zuständigkeiten eine Kunst hohen Maßes verlangt, eine Kunst, die ausgleichen kann, die abwägen kann und die sich vor allem vor vorschnellen Schlußfolgerungen und Interventionen hüten muß. Das gute Funktionieren setzt ein hohes Maß von gutem Willen bei allen Beteiligten innerhalb und außerhalb dieses Hauses voraus. Ich würde mich freuen, wenn die Art, in der die Diskussion über diese Dinge heute geführt worden ist, einen Auftakt auch für den weiteren guten Willen gerade auf diesem schwierigen Gebiet bedeutete.
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Der Herr Kollege Schild hat auf die Wortmeldung verzichtet.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts des leeren Hauses und insbesondere nachdem mein Kollege schon verzichtet hat, möchte ich jetzt nicht noch zu dem Thema „aktive Konjunkturpolitik" sprechen. Im übrigen scheint mir - das wenigstens möchte ich hinzufügen -, daß die sachliche Debatte, die so rühmend hervorgehoben worden ist und über die wir uns alle freuen, natürlich auch ein wenig darauf zurückzuführen ist, daß es eben überall noch ganz gut geht. Ich kann das mit gutem Gewissen sagen, weil mein Kollege Margulies zu der grundsätzlichen Übereinstimmung der Freien Demokraten mit der von dem Bundeswirtschaftsminister verfolgten Wirtschaftspolitik bereits gesprochen hat.
Der Herr Kollege Deist vermißt einen Plan für eine aktive Konjunkturpolitik. Ich möchte wenigstens dazu ein Wort sagen. Wir wissen doch, daß solche vorbereiteten Pläne eines Tages, wenn man den speziellen Krisensituationen gegenübersteht, nicht mehr passen. Soweit es sich um Vorbereitungen allgemeiner Art handelt, kann ich das noch verstehen, aber das Wort „Plan" hat hier einen Klang, den man doch wohl vermeiden sollte; denn die Pläne passen nachher bestimmt nicht für die konkreten Fälle.
Ich bedauere, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht mehr anwesend ist; denn mir scheint noch ein Wort zu seinen Ausführungen notwendig zu sein. Es ist auch über die Konsumgüterwirtschaft, die Mittel- und Kleinbetriebe im Zusammenhang mit dem Konzentrationsprozeß gesprochen worden. Ich war in dem Augenblick leider nicht im Raum und nehme an, daß Sie, Herr Kollege Kurlbaum,
dazu Stellung genommen haben. Es ist nun einmal nicht zu leugnen, daß ein erheblicher Teil dieser gefährdeten Betriebe der Konsumgüterwirtschaft angehört. Deshalb scheint mir, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister mit seiner Bemerkung, daß es sich in der Konsumgüterwirtschaft nicht um einen großen Konjunktureinbruch handle, dem gegenüber man aktive Konjunkturpolitik treiben müsse, nicht ganz das getroffen hat, worauf es uns ankommen sollte, wenn wir die Konsumgüterwirtschaft erwähnen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat von einem Strukturwandel gesprochen. Es wäre besser gewesen - das sage ich ganz offen -, er hätte etwas darüber gesagt, wie er zu diesem Strukturwandel steht. Es handelt sich nämlich um einen Strukturwandel, der einmal massiert in ganz bestimmten westdeutschen Räumen auftritt und der zweitens in Bereichen der Konsumgüterwirtschaft auftritt, wo wir ausgesprochene Mittel- und Kleinbetriebe bis zum Kleinstbetrieb haben; und es handelt sich darüber hinaus darum, daß man diesem Bereich der Konsumgüterwirtschaft, wenn man schon einen solchen Strukturwandel zugibt, doch eine besondere Aufmerksamkeit widmen müßte. Und zwar ist das nicht eine Aufmerksamkeit, die mit der Erwähnung der Worte Konsumgüterwirtschaft und Strukturwandel erledigt ist, sondern es ist eine Aufmerksamkeit, die all die Gebiete umfaßt, auf denen die Gefahren entstehen.
Der Herr Kollege Hellwig hat bezüglich dieses Komplexes von einer Sonderkonjunktur gesprochen, die eines Tages zu Ende gehen müßte. Ich kann das verstehen. Er hat dann auch von Sonderlösungen gesprochen, die man dafür finden müsse. Sie haben natürlich nicht gesagt, Herr Kollege Hellwig - und das war auch nicht Ihre Absicht -, w a s man tun muß. Ich möchte aber etwas anderes sagen, und das ist ein ausgesprochenes Wort der Kritik: Vorläufig geht es gar nicht darum, daß man Sonderlösungen für diesen Sonderfall sucht, sondern es geht darum, daß man aus der allgemeinen Situation heraus auf diesem Gebiet nicht nur nichts oder wenig getan hat, daß man also an die Sonderlösung gar nicht herangegangen ist, sondern daß man häufig Maßnahmen getroffen hat, die sich ausgesprochen nachteilig auf die Weiterentwicklung des Strukturwandels ausgewirkt haben. Das ist das, was ich hier sagen wollte.
Wir haben in der Konsumgüterwirtschaft eine Vorleistung im Zuge der Liberalisierung und weit über die Liberalisierung im Rahmen der OEEC hinaus erbracht. Wir wissen das alle; aber ich möchte es doch noch einmal mit einem Satz sagen. Wir haben es auch gegenüber den Ländern getan, bei denen eine wirkliche Konkurrenzlage, mit der man rechnen könnte, der man begegnen könnte, gar nicht mehr gegeben ist. Ich meine die Länder des Reisstandards. Es sind dieselben Probleme, mit denen die englische Konsumgüterwirtschaft ringt angesichts der innerhalb des Commonwealth nicht zu ändernden Konkurrenz der überseeischen Gebiete. Aber wir haben ja einen solchen Staatsverband nicht. Es war also der Untersuchung wert - aber schon vor einer Reihe von
Jahren -, ob man wirklich zu all diesen Vorleistungen in Bereichen unserer Wirtschaft kommen mußte, wo, regional massiert, vielfach Mittel- und Kleinbetriebe oder Familienbetriebe bestehen. Dieses Problem, ob man dazu kommen mußte, diese Vorleistungen zu machen, ist politisch von außerordentlicher Bedeutung, und ich hätte es gern hier einmal besprochen. Ich will es heute nur anklingen lassen, weil ich überzeugt bin, daß wir über kurz oder lang, nach den Sommerferien, noch über das Thema werden sprechen müssen. Es ist nämlich nicht damit gelöst, daß zunächst erneute Vorleistungen für diesen Zweig gegenüber dem Ausland gemacht werden und daß man sie, nachdem sie sich ausgewirkt haben, und zwar so, daß man es unbedingt sehen und berücksichtigen muß, dann wieder zurücknimmt; denn dann ist es zu spät, dann sind wiederum entscheidende Schritte in einer Richtung getan worden, die ich Verstärkung des an sich gegebenen Strukturwandels nennen möchte. Darüber werden wir uns eines Tages unterhalten müssen, ob man das will, diese Frage wird einmal zu untersuchen und auch hier zu debattieren sein.
Es kommt hinzu, daß auf einem erheblichen Teil des Bereichs der Konsumgüterwirtschaft tatsächlich die Preise am allerwenigsten, wenn überhaupt, gestiegen sind. Ich bin erhaben darüber, hier etwa zu sagen, daß die Menschen, die dort tätig sind, einen besonders guten Charakter hätten. Nein, ich weiß, daß die Konkurrenzlage es erzwungen hat; aber der objektive Tatbestand ist, daß gerade hier die Preise am wenigsten gestiegen sind und daß man gerade dort am schärfsten mit Zollmaßnahmen und anderen Vorleistungen im Rahmen der Liberalisierung und darüber hinaus eingegriffen hat. Das ist ein Thema, das wir doch wohl einmal werden erörtern müssen, und ich wollte es heute hier anschneiden, weil ich nicht glaube, daß man mit dem Satz, es handle sich hier nicht um einen Konjunktureinbruch, sondern um einen Strukturwandel, das Problem wirklich erschöpfend behandelt hat.
Es ist auch - wenn ich auf die von Herrn Kollegen Hellwig hier angedeutete Sonderlösung noch einmal zu sprechen komme - nicht so, daß wir auf anderen Gebieten nicht Sonderlösungen gefunden haben. Erlassen Sie es mir, Einzelheiten zu bringen oder Gebiete mit Namen zu nennen, wo wir einen hohen Schutz auch im industriellen Bereich haben, wo man nicht diese Vorleistungen erbracht hat, obwohl all die Ungunst, die sich beim Konsumgüterbereich auswirkt, weil er die überseeische Konkurrenz hat, auf diesen Gebieten nicht da ist. Das ist das, was ich hier auch noch einmal sagen will. Denn es gibt eben Gründe und es lassen sich Begründungen finden, solche Sonderlösungen zu ermöglichen.
Es ist - und das muß entscheidend gesehen werden - ein Politikum, um das es sich dreht. Die Preise sind nicht gestiegen, oder am wenigsten von allen. Aber gerade dort hat man, so möchte ich es einmal ausdrücken, mitunter hineingeschlagen, und zwar unbedacht hineingeschlagen.
Es ist auch nicht ganz richtig, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister sagt, daß er einen Druck auf das Preisniveau ausüben wollte, da er genau
weiß, daß bestimmte Maßnahmen gerade wieder auf dem Gebiet sich auswirken mußten, wo die Preiserhöhungen ja effektiv nicht oder am geringsten vorlagen. - Das ist das, was ich demgegenüber hier heute ausdrücklich festhalten wollte.
Nun hat der Herr Bundeswirtschaftsminister gesagt: „Ja, dann sollen die Herren nicht die Löhne erhöhen." Natürlich sage auch ich das, und viele unter Ihnen kennen den ganz bestimmten Punkt, auf den er anspielt; wo Forderungen nachgegeben worden ist, gerade im Bereich der Textilindustrie. Aber man kann daraus nicht einen Vorwurf machen. Wir sehen am englischen Beispiel - wenn man das einmal verfolgt - ganz deutlich, wie dort drüben der Kampt um die Arbeitskraft in einer Vollbeschäftigung so vor sich geht, daß gerade der Bereich der Wirtschaft in England - die Textilwirtschaft -, der durch die überseeische Konkurrenz im Rahmen des Commonwealth leidet, auch diese Löhne bewilligen muß, weil sonst die Arbeitskräfte in die Metallindustrie etwa abwandern. Es ist natürlich leicht, hinterher zu sagen: „Warum bewilligen die Herren diese Löhne?" Man kann den Tatbestand feststellen; aber man kann daraus nicht einen Vorwurf machen; das wäre ungerecht. Deshalb kann man dann auch nicht davon sprechen, daß hier Fehler insofern gemacht würden, als an einem „vorgestellten Preis" festgehalten wird. Die Verhältnisse zwingen eben auch dazu.
Wir dürfen auch nicht vergessen, daß die im Konsumgüterbereich ,so sehr notwendige Rationalisierung schwer durchzuführen ist. Lassen Sie mich einmal vergleichen: die amerikanische Industrie ist in der Lage, auf diesen Bereichen weitgehend auch der überseeischen Konkurrenz standzuhalten; aber warum? Weil sie hoch rationalisiert ist. Wie wollen Sie aber eine ähnliche Rationalisierung bei uns durchführen, wenn wir eben die „Sonderlösung" vermissen, wenn sie nicht da ist, wenn wir auf der anderen Seite aber gerade auf diesem Gebiet ständig deutsche Vorleistungen erbringen? Ich weiß wohl, es wird dann immer eingewandt, daß. wir heute vertraglich festgelegt sind. Nun, ich habe im europäischen Bereich der „Sechs", im Europa-Parlament, doch auch festgestellt, daß dort von anderer Seite, dort, wo vertragliche Festlegungen bereits bestehen, alle möglichen Versuche gemacht werden, bestimmte Bereiche der eigenen nationalen Wirtschaft zu schützen, ohne daß man damit zum Protektionisten wird. Und das möchte ich ausmünden lassen in den Satz: Man sollte nicht gerade in Bereichen, die, effektiv dazu beigetragen haben - ich möchte mich einmal auf den Boden der Politik der Bundesregierung stellen -, daß wir kein erhöhtes Preisniveau haben oder kein höheres, als wir es haben, immer wieder mit Vorwürfen arbeiten; man sollte dort aber auf der anderen Seite nicht sogar noch Vorleistungen vornehmen, die sich in diesen Bereichen jedenfalls sehr unglücklich auswirken, auch in einem politischen Sinne, in dem - das bekenne ich Ihnen hier offen - die Freie Demokratische Partei übereinstimmt mit der Bundesregierung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nun das abschließen. Wir werden diese
Sonderlösung suchen müssen. Ich wollte heute nur mit diesen wenigen Sätzen das Problem ansprechen, nachdem es, wie mir schien, durch die Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers nicht erschöpft war. Das sollte es sicherlich auch nicht. Aber seine Ausführungen gingen in eine Richtung, die nicht die richtige ist; und aus diesem Grunde wollte ich hier darauf hinweisen, daß man tiefgründigere Erwägungen anstellen muß, um die Unterlagen für die Sonderlösung zu bekommen, die Herr Kollege Hellwig hier auch als notwendig hingestellt hat.
Meine Damen und Herren, weite Kreise des Hauses sind übereingekommen, daß wir heute durchtagen, bis alles - mit Ausnahme des Abschnitts Innenpolitik - erledigt ist. Es handelt sich also darum, die Debatte über die Fragen der Wirtschaftspolitik zu Ende zu führen und anschließend die sozialpolitischen Probleme zu diskutieren. Es wird angenommen, daß über die Finanzpolitik schon in der allgemeinen Aussprache über haushaltspolitische Grundsatzfragen so viel gesagt worden ist, daß sich eine Debatte vielleicht erübrigt. Es besteht weiter die Annahme, daß auch über Rechtsfragen vielleicht nichts oder nur sehr wenig zu sagen wäre. Als Hauptkapitel stände also heute noch die Sozialpolitik mit allem, was nach dem Schreiben vom 30. Juni darunterfällt, zur Debatte.
Wir sind also mit der allgemeinen Volkswirtschaftslehre und der praktischen Nationalökonomie zu Ende.
({0})
- Doch noch nicht? - Ich höre soeben, daß der Herr Kollege Kurlbaum uns noch drei Sätze vortragen möchte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Ihnen heute nichts Außerordentliches mehr zumuten. Ich würde vorschlagen, den Streit über die Zahlen in der Volkswirtschaft in die Ausschüsse zu verlagern.
({0})
Herrn Dr. Hellwig möchte ich nur das eine sagen. Wenn die Selbstfinanzierung so viel kleiner ist, als wir alle angenommen haben, dann frage ich mich, warum eine so massive Erniedrigung der Körperschaftsteuer notwendig war, um die Ausschüttungen anzuheben. Ich würde Ihnen raten, das nachträglich noch einmal zu überprüfen.
({1})
- Dazu habe ich eingehend Stellung genommen.
Noch etwas, Herr Dr. Hellwig. Mir sind Vergleiche mit den USA immer sehr sympathisch, weil ich glaube, daß dieses Land uns in manchen Vorstellungen bezüglich der Demokratie in der Wirtschaft wirklich weit voraus ist. Ist Ihnen bekannt, daß in den USA marktbeherrschende Unternehmen wie die public utilities vierteljährlich in bezug auf ihren Gewinn überprüft werden? Wenn der Gewinn zu hoch ist, wirken sich diese Überprüfungen sofort in einer Senkung der Preise - z. B. der Strompreise -aus. Wenn erst einmal in der Bundesrepublik alle Bürger einsähen, daß Monopolunternehmen aufs
kräftigste überwacht und ihre Erträge überprüft werden müssen, dann wären wir sehr weit.
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Nunmehr rückt die Grüne Front an. Das Wort hat der Abgeordnete Köhler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten ist der Auffassung, daß es nicht angängig ist, darauf zu verzichten, im Rahmen dieser Haushaltsdebatte die agrarpolitischen Probleme zu besprechen. Ich werde angesichts der fortgeschrittenen Zeit das, was ich glaube sagen zu müssen, .so konzentriert wie möglich sagen. Ich bedauere, daß es so spät geworden ist; das ist aber nicht unsere Schuld. Wir Bauern sind es ja gewohnt, Überstunden zu machen.
({0})
Sie dürfen mir glauben, meine Damen und Herren, daß ich seit gestern morgen gebeten worden bin, nicht das Wort zu ergreifen. Es fällt mir nicht ganz leicht, diesem Wunsch nicht nachzukommen, also trotzdem zu sprechen. Wenn ich nicht wirklich glaubte, etwas zu sagen zu haben, würde ich Ihnen den Gefallen getan haben.
Mit der Annahme des Einzelplans 10 werden dem Bundesernährungsminister wieder einmal die Mittel an die Hand gegeben, die Maßnahmen des Grünen Planes zu verwirklichen. Diese Verhandlungen scheinen mir ,der rechte Augenblick zu sein, um festzustellen, daß das Parlament sich den Wünschen der Landwirtschaft noch niemals versagt hat. Ich stelle dies in einer Zeit fest, in der draußen eine zunehmende Kritik an der Agrarpolitik geübt wird und in der der soziale Abstieg der Landwirtschaft zwar ganz allgemein erkannt wird, über seine Ursachen aber sehr unterschiedliche Auffassungen bestehen. Es wird nach unserer Auffassung Zeit, daß angesichts der babylonischen Verwirrung der öffentlichen Meinung, aber auch in so manchen Amtsstuben und Redaktionen einige Feststellungen getroffen werden, deren Richtigkeit nicht bestritten werden kann und von denen wir bei unseren weiteren Überlegungen ausgehen müssen.
Erstens. Die Verschuldung der Landwirtschaft ist im Durchschnitt der Jahre um eine Milliarde jährlich gestiegen. Das ist kein „Gerede", wie wir es kürzlich von sehr verantwortlicher Seite hören mußten, sondern eine sehr bedauerliche und ernst zu nehmende Tatsache.
Zweitens. Netto-Investitionen wurden in etwa gleicher Höhe vorgenommen, also mit Schulden bezahlt, während gleichzeitig in der industriellen Wirtschaft gewaltige Investitionen über den Preis finanziert wurden und laufend beträchtliche Reserven gebildet werden konnten.
Drittens. Die landwirtschaftlichen Löhne hinken nach wie vor um 40 bis 60 % hinter denen der vergleichbaren Zweige der gewerblichen Wirtschaft her. Die Auffassung des Herrn Bundesernährungsministers, daß es nur 33 % seien, was ja auch viel zuviel wäre, ist nur dann einigermaßen richtig, wenn die Entlohnung ,der familieneigenen Kräfte nicht berücksichtigt wird. Für sie stehen, wenn auf jegliche Kapitalverzinsung verzichtet wird, 2,83 Milliarden DM zur Verfügung, was einschließlich Kost und Logis 75 Pf pro Arbeitsstunde und Arbeitskraft ausmacht.
Viertens. Die Landflucht besteht nicht nur dort weiter, wo sie, wie wir ebenfalls einmal hören mußten, den Bestrebungen der Regierung entgegenkommt, sondern auch da, wo ihre Beseitigung eines der vordringlichsten Anliegen aller sein sollte, die die Erhaltung einer bodenständigen Landwirtschaft bejahen.
Fünftens. Während in großen Teilen der übrigen Wirtschaft die Preise ganz allgemein laufend angestiegen sind und zum großen Teil durch Kartelle, Monopole und Preisbindungen .der zweiten Hand - darüber haben wir heute sehr viel Zutreffendes gehört - auf einer volkswirtschaftlich nicht mehr zu verantwortenden Höhe gehalten wurden, ist die Landwirtschaft mit ihren Preisen für eine ganze Reihe von ausschlaggebenden Verkaufsprodukten dort stehengeblieben, wo sie 1951 stand. Teilweise befindet sie sich sogar darunter. Wenn trotzdem die Verbraucher auch für Lebensmittel laufend mehr zahlen mußten, so ist die Landwirtschaft hierfür nicht verantwortlich. Es ist eine Tatsache, daß der Anteil der Erzeuger an den Endpreisen für landwirtschaftliche Produkte ständig niedriger geworden ist, während gleichzeitig die Gestehungskosten gestiegen sind.
Die Agrarpolitik der Bundesregierung hat lange darauf verzichet, die landwirtschaftlichen Preise in eine richtige Relation zu der allgemeinen Preisentwicklung zu bringen, und jetzt kann sie es nicht mehr. Der im Jahre 1953 noch einmal bekundete freiwillige Verzicht auf höhere Preise hätte die glücklichsten Folgen zeitigen können, wenn man in der übrigen Wirtschaft ebenso gehandelt hätte. Dann wäre zwar an manchen Stellen sehr viel weniger verdient worden, aber wir wären dann dem Ziel der sozialen Marktwirtschaft wesentlich näher gekommen.
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Dann wäre auch die Lohn-Preis-Spirale nicht durch eine Preis-Lohn-Spirale ausgelöst worden. Schließlich wäre die preispolitische Eingliederung des agrarischen Sektors in die nun erforderliche europäische wirtschaftliche Neuordnung sehr viel einfacher gewesen.
Wir können deshalb nur bedauern, daß die Erwartung des Herrn Bundesernährungsministers einer Senkung der Preise für landwirtschaftliche Produktionsmittel dem allzu einseitigen Gewinnstreben der industriellen Wirtschaft zum Opfer gefallen ist. Es war eine Utopie des Herrn Bundesernährungsministers, eine schöne Utopie, aber nur eine Utopie. Zu lange hat die deutsche Agrarpolitik gezögert, aus dieser Entwicklung die allein möglichen Folgerungen zu ziehen. Noch im März 1957 erklärte der Herr Bundesernährungsminister, daß der Landwirtschaft über den Preis nicht geholfen
werden könne, - um sich dann ein Jahr später selber zu korrigieren. Daß die Subventionen und andere Hilfen nur ein schlechter Ersatz für kostendeckende Preise sind, habe ich im Februar hier eingehend begründet; ich will nicht wieder darauf zurückkommen.
Die Landwirtschaft hat nun versucht, dieser Lage durch immer größere Anstrengungen, d. h. durch Mehrerzeugung sehr großen Ausmaßes zu entrinnen. Das Ergebnis ist, daß heute auf vielen Gebieten die Bedarfsgrenze ganz oder beinahe erreicht wurde und auf einigen Märkten Überangebote bestehen. Das hat zu einer Situation geführt, die den Herrn Bundesernährungsminister vor kurzem veranlaßt hat, den gequälten Ausruf zu tun: Man soll mir doch einmal sagen, wie ich in einer Zeit der Überproduktion kostendeckende Preise erzielen soll. - Leider wußte er das in der Zeit, als wir noch keine Überproduktion hatten, auch nicht.
Es verdient festgehalten zu werden, daß die durch rückläufige Preise bei Veredelungsprodukten verursachten Mindererlöse die Subventionen und Förderungsmittel voll aufwiegen und dadurch um ihre Wirkung bringen. Auf der anderen Seite sehen wir, wie durch Subventionen verbilligte Düngemittel trotz enormen Mehrverbrauchs im Preise ansteigen. Ja, wir haben das zweifelhafte Vergnügen, zu sehen, daß der deutsche Stickstoff um 15 % billiger ins Ausland geliefert wird als an die deutsche Landwirtschaft. Wir müssen feststellen, daß trotz des Kartellgesetzes noch immer weitere Lieferanten von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln zur Methode der Preisbindung der zweiten Hand übergehen, so z. B. auch die Schlepperindustrie. Bei dieser vollzieht sich jetzt zwar unter dem Druck der Verhältnisse eine leichte Wandlung, aber ob sie wirksam wird, muß die Zukunft zeigen. Die deutsche Landwirtschaft muß tagtäglich im freien Wettbewerb auf den Märkten konkurrieren. Bei den Herstellern ihrer Produktionsmittel wird dieser Wettbewerb weitgehend ausgeschaltet. Man möge einmal nachlesen, was Professor Plate über das große Ausmaß der stillen und völlig geräuschlosen Interventionen im industriellen Sektor auszusagen hat. Wäre die Zeit nicht so kostbar, würde ich mich hierüber verbreiten.
Nun, lesen Sie einmal die optimistische Voraussage des Bundesernährungsministers in seinem Grünen Bericht 1958: Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß für 1958/59 die Aussichten noch ungünstiger sind und daß wir es lediglich einer Reihe von überdurchschnittlichen Ernten zu verdanken haben, daß die Landwirtschaft sich bisher mühsam durchquälen konnte. Die deutsche Landwirtschaft steht wahrhaftig in keiner günstigen Ausgangsposition, wenn es nun in die EWG hineingeht. Die ersten Schritte muß die deutsche Landwirtschaft ohne liquides Eigenkapital tun und ohne daß man ihr die Möglichkeit gegeben hat, durch Verbesserung ihrer Einnahmen ihre Betriebe zu modernisieren und so die notwendigen Voraussetzungen für einen guten Start zu schaffen. Das wiegt um so schwerer, als einige Partner der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft nicht nur durch Klima und bessere Böden bedingte günstigere Voraussetzungen mitbringen, sondern zum Teil - besonders Frankreich - auch noch sehr viel größere Produktionsreserven haben als wir.
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft entstand in Fortsetzung der Politik der Bundesregierung, über eine wirtschaftliche Integration Teileuropas das politische Ziel zu erreichen, das ihr mit dem EVG-Vertrag zu erzielen 1952 nicht gelang. Ob es ihr jetzt gelingen wird - angesichts der politischen Entwicklung in Frankreich -, läßt sich wohl kaum übersehen.
Ich kann nur sagen, daß meine Partei, die aus guten Gründen seinerzeit den EVG-Vertrag ablehnte, in der Freihandelszone eine Möglichkeit sieht, manche Gefahren und Unzulänglichkeiten des EWG-Vertrags zu beseitigen. Ohne die Freihandelszone wird die EWG immer nur Stückwerk bleiben und nicht zum geeinten Europa hinführen, sondern zu seiner weiteren Teilung. Es erscheint jedoch notwendig - besonders angesichts der Verhandlungen, die jetzt in Stresa geführt werden -, unmißverständlich zu erklären, daß das Werden Europas, wovon wir vorläufig nur bescheidene Anfänge sehen, nicht schon in seinem Entstehen mit einer Opferung lebenswichtiger landwirtschaftlicher Interessen erkauft werden kann.
Die Landwirtschaft ist bei ,den Verhandlungen über den EWG-Vertrag nicht beteiligt worden. Wir würden es begrüßen, wenn wir im Rahmen der jetzigen Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Freihandelszone im Ernährungsausschuß Näheres darüber erfahren könnten, ob und welche Möglichkeiten der Mitarbeit für die Vertreter der Landwirtschaft jetzt bestehen. Das bisherige Schweigen ist beunruhigend. Wir können uns nicht die weitverbreitete Auffassung zu eigen machen, daß in der EWG die agrarischen Lösungen eine größere Anlaufzeit hätten und daher nicht besonders aktuell seien und daß auch in der Freihandelszone nichts so heiß gegessen werde, wie es gekocht wird. Wir glauben vielmehr, daß schon im Entstehen dieser neuen Wirtschaftsordnung auch für die deutsche Landwirtschaft auf lange Zeit hinaus - vielleicht für alle Zeiten - eine schicksalhafte Entscheidung getroffen wird und daß das Terrain, das jetzt verlorengeht, niemals wieder zurückerobert werden kann.
Leider müssen wir aus Äußerungen des Herrn Bundesernährungsministers - auch aus solchen der letzten Zeit - entnehmen, daß er die Lage der Landwirtschaft nicht realistisch genug sieht. Das aber ist die erste Voraussetzung für ein zähes und erfolgreiches Verhandeln. Wir vermissen in der Agrarpolitik eine Schau, die die Dinge im Zusammenhang sieht und sich nicht darauf beschränkt, bald die eine und bald die andere verfahrene Situation - sie sind beinahe Legion - mit oder ohne Erfolg zurechtzurücken. Und die Bauern im Lande müssen auch endlich wissen, ob sie mehr oder weniger erzeugen sollen, was sie künftig noch erzeugen sollen und was nicht. Das ist zwar eine etwas vereinfachende Formulierung, das gebe ich zu; aber
sie umreißt die allgemein bestehende betriebswirtschaftliche Unsicherheit. Wir werden eine planvolle Lenkung der Erzeugung nicht mehr entbehren können, und je mehr wir das mit betriebswirtschaftlichen und marktkonformen Mitteln tun, um so mehr können wir auf dirigistische Maßnahmen, wie sie niemand schätzt, verzichten. Künftigen Schweinebergen müssen wir dadurch begegnen, daß aus der Marktforschung rechtzeitig Folgerungen gezogen werden, daß eine Futtermittelpolitik getrieben wird, die der bodengebundenen Schweinemast einen Vorteil gegenüber der gewerblichen Schweinemast bietet und daß, wenn die E- und V-Stelle noch einmal Schweine aus den Märkten herausnehmen muß, dann lieber Schweine mit 120 Pfund als mit 240 Pfund herausgenommen werden. Das ist billiger und sehr viel wirkungsvoller. Daß die Einfuhrpolitik mehr als bisher der Marktlage angepaßt werden muß, versteht sich von selbst.
Vor künftigen Roggenbergen schützt uns nur eine durchaus mögliche Einschränkung des Anbaus von Roggen auf den besseren Böden. Mit der jetzt erfolgten Herabsetzung der Lieferprämie trifft man den Roggenanbau ganz allgemein, am härtesten dort, wo die ärmsten Böden sind. Die Herabsetzung der Lieferprämie wird an den Anbauverhältnissen nichts ändern, sondern lediglich die Einnahmen verringern. Den geringeren Böden, die - ganz gleich, wie der Preis ist - Roggen anbauen müssen, ob sie wollen oder nicht, ist nur mit einer Anhebung des Futtergerstenpreises auf etwa Roggenpreishöhe und mit einer fühlbaren Erhöhung des Preises für kleberhaltige Weizensorten geholfen. Dadurch geht der Roggenanbau auf den besseren Böden ganz von selbst zurück.
Hinzu kommen muß dann aber auch eine Verbesserung der Fruchtfolgemöglichkeiten durch Förderung des Rapsanbaues. Wir sind gerade jetzt Zeugen der Verhandlungen des Herrn Bundesernährungsministers mit der Margarineindustrie über die Rapsbeimischung. Wir können wohl annehmen, daß es der Herr Bundesernährungsminister als einen Erfolg ansieht, wenn er bei von 750 DM auf vielleicht 640 DM herabgesetzten Preisen eine Erhöhung der Beimischung von 5 % auf 71/2 % erreicht. In Schweden werden z. B. 26 % beigemischt, und man kann sogar bis auf 30 % gehen. Das sind meine allerletzten Informationen, die absolut zutreffend sind. In der Bundesrepublik sträubt sich die Margarineindustrie unter Führung des Unilever-Konzerns schon gegen eine so geringe Beimischung. Sie erregt sich darüber, daß - wie sie es nennt - die „unvernünftige" Ausdehnung des Rapsanbaues in der Bundesrepublik weitere Fortschritte macht. Dabei haben wir etwa 45 000 ha mit Raps angebaut gehabt und die sehr viel kleinere schwedische Landwirtschaft 176 000 ha.
Wenn der Raps die Bedeutung als Regulator innerhalb der Fruchtfolge gewinnen soll, die er haben kann und auch haben muß, werden auch wir zu einer wesentlich höheren Beimischung kommen müssen. Dieselbe Margarineindustrie, die in Deutschland einen Schutz genießt, wie ihn kaum ein anderer Wirtschaftszweig aufweisen kann, deren Rohstoffe vollkommen abgabefrei hereinkommen und deren Fertigfabrikate mit einem prohibitiven Zoll geschützt sind, muß erkennen, daß auch sie sich in den Dienst allgemeinwirtschaftlicher Überlegungen zu stellen hat.
({2})
Die Neuregelung bringt der Margarineindustrie ganz erhebliche Vorteile. Während sie bisher 5 % zum Inlandpreis übernahm, sind es jetzt 7,5 %, sofern überhaupt so viel geerntet wird, was fraglich ist. Die Differenz zum Weltmarktpreis wird aus den Mitteln des Grünen Planes bestritten. Der Rücklieferungspreis für Rapsschrot bleibt jedoch in alter Höhe - nach Verlautbarung der Margarineindustrie - bestehen.
Es ist schwer, das noch zu verstehen. Angeblich verfügt die deutsche Margarineindustrie nicht über eine Rezeptur, die es ihr ermöglicht, Rüböl ohne geschmackliche Beeinträchtigung der Margarine zu verarbeiten. Nun, dann soll man sich diese Rezeptur aus Schweden holen. Eine solche Ausrede kann nicht ernst genommen werden. Man möchte möglichst erst gar nicht den Anfang mit der Beimischung machen. Auch die bisher übernommenen 5 % sind ja angeblich gar nicht beigemischt worden. Man möchte nicht den Anfang machen, weil das zu einer Weiterentwicklung führen könnte, die den privatwirtschaftlichen Interessen der Margarineindustrie zuwiderläuft, und die deutsche Landwirtschaft macht das offenbar mit.
Italien und Frankreich räumen ihrem eigenen Oliven- und Ölfrüchteanbau eine absolute Priorität ein. Frankreich bezahlt erhebliche Subventionen, und in Italien schirmt man sich durch Kontingente und Zölle ab. Beide Länder können es sich gar nicht leisten, ihren Ölfruchtanbau dem. Weltmarkt zu opfern. Sie werden also als Partner der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in dieser Hinsicht eine Haltung einnehmen müssen, die auch unserem Rapsanbau zugute kommt.
Im übrigen würde eine Abschirmung des europäischen Ölanbaus gegenüber dem Weltmarkt der gesamten europäischen Milchwirtschaft zugute kommen. Das wäre wirklich einmal ein lohnendes Ziel und eine konstruktive europäische Agrarpolitik.
({3})
Das Kernproblem für die Landwirtschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird der Getreidepreis und in allererster Linie der Futtergetreidepreis werden. Dieser wird künftig das Preisniveau aller Bodenfrüchte bestimmen. Er bestimmt aber auch den Preis für die Veredelungsprodukte.
In der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist noch viel Platz für Futtergetreide und nur wenig Platz mehr für Brotgetreide. Es ist auch kaum noch Platz für Veredelungsprodukte. Auskömmliche Futtergetreidepreise entlasten das Brotgetreide, und sie wirken einer Überproduktion an Veredelungserzeugnissen entgegen, für die einfach der Markt fehlt.
Nachdem ich in der Diskussion zum Grünen Bericht Grundsätzliches zu der Preispolitik des Herrn
Bundesernährungsministers gesagt habe, will ich heute darauf verzichten. Aber angesichts seines Hinweises, daß ei- nicht nur Minister für die Erzeuger, sondern auch für die Verbraucher ist - was im übrigen von niemandem bestritten wird -, wiederhole ich, was ich bereits im Februar sagte, daß kein vernünftiger Mensch es für möglich hält, eine Agrarpolitik gegen die große Masse der Verbraucherschaft zu machen.
({4}) - Hoffentlich sind wir da auf einer Linie.
({5})
- Das freut mich ganz besonders. Ich bin den Beifall aus Ihren Reihen gar nicht so sehr gewohnt.
Aber angesichts der in vielen Fällen absolut parallel laufenden Interessen dieser beiden großen Schichten sollte es möglich sein, Verbraucher- und Erzeugerinteressen aufeinander abzustimmen. Dieser Aufgabe sollte sich jeder unterziehen, der die soziale Marktwirtschaft befürwortet.
Ich halte es für das größte Unglück, daß die Agrarpolitik es nicht zuwege gebracht hat, diese beiden großen Gruppen einander näherzubringen. Durch viele unrichtige und unbedachte Äußerungen von sehr maßgeblicher Seite wurde das Verhältnis zwischen Erzeugern und Verbrauchern schwer belastet. Damit ist ein Kapital verlorengegangen, dessen Verlust ich viel höher schätze als die 10 Milliarden DM Schulden, die wir noch haben.
In der Lage, in die die deutsche Landwirtschaft ohne ihre Schuld und nicht zuletzt durch eine unzulängliche Agrarpolitik hineingeraten ist - und zwar schon in einer Zeit, in der wir noch weitab von einer Bedarfsdeckung waren und tagtäglich von dem sogenannten Wirtschaftswunder sprachen
muß sie jetzt hart um ihre Existenz kämpfen. Die Zeit des Hinhaltens, des Abwartens und der halben Maßnahmen muß endlich vorbei sein, wenn es kein Unglück geben soll. Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß ich nicht später einmal hier an diesen Satz erinnern werde.
Mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Werden der Freihandelszone steht die deutsche Landwirtschaft am Scheidewege. Sie kann und darf sich nicht in eine Richtung drängen lassen, die zu ihrer Preisgabe führen muß. Ich glaube, daß es notwendig ist, das hier einmal zu sagen und das Parlament auf eine Lage aufmerksam zu machen, die niemand gleichgültig lassen kann und die zu großer Sorge Anlaß gibt.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Logemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich bei meinen Ausführungen zur Agrarpolitik auf eine grundsätzliche Stellungnahme in der dritten Lesung des Etats beschränken. Ich darf mir aber einleitend eine Vorbemerkung gestatten, und zwar über die letzten dreiviertel Jahre Agrarpolitik, die ich hier in Bonn miterleben durfte. Ich habe den Eindruck bekommen, daß sich in ,diesen dreiviertel Jahren, wie auch schon in den vergangenen Jahren, die agrarpolitischen Entscheidungen mehr und mehr vom Parlament in das Bundesernährungsministerium hineinverlagert haben. Meine Damen und Herren! Das ist zum Teil zwangsläufig bedingt durch die Tatsache, daß die Bundesregierung den Auftrag hat, durch ihren Grünen Bericht und Grünen Plan über die Situation der Landwirtschaft zu berichten. Der Grüne Plan ist auch das Kernstück des Etats. Es ist also zuzugeben, daß diese Entwicklung hier etwas zwangsläufig ist, aber trotz alledem, ist es notwendig, daß wir, sowohl Koalition als auch Opposition uns im Ernährungsausschuß sehr gründlich mit den verschiedenen Problemen der Agrarpolitik beschäftigen. Ich meine also, daß es künftig angebracht wäre, den Grünen Bericht früher vorzulegen und den Grünen Plan früher einzubringen, damit im Ernährungsausschuß für eine intensive Beratung mehr Zeit verbleibt, als dies bisher der Fall gewesen ist.
Ich bedauere auch sehr, daß der Haushaltsausschuß die Etatberatungen vor dem Ernährungsausschuß durchgeführt hat. Ich halte auch das für eine sehr unglückliche Lösung. Es müßte künftig wieder umgekehrt verfahren werden. Ich habe aber noch eine ganz besondere Sorge hier in diesem Zusammenhang anzumelden. Wichtige agrarpolitische Entscheidungen, z. B. die Durchführungsverordnung zum Getreidepreisgesetz, sind dem Ernährungsausschuß nicht mehr vorgelegt worden und konnten von ihm nicht beraten werden. Dabei sind diese Ausschußvorlagen, die wir nicht beraten können, doch von ganz besonderer Wichtigkeit für die Agrarpolitik. Sie wissen, wir haben uns im Getreidepreisgesetz bemüht, die Getreidepreise etwas höher zu staffeln, aber es ist möglich, mit dieser Durchführungsverordnung, insbesondere durch die Feuchtigkeitsregelung, dem Bauer wieder einen Teil der Vergünstigungen zu nehmen, die er durch das Gesetz bekommen hat. Ich halte es auch für sehr bedenklich - auch das können wir nicht hinnehmen -, daß so wichtige Vorlagen, wie sie jetzt zur Rapspreisgestaltung und zur Abnahmeregelung geplant sind, nicht im Ausschuß beraten werden. Es ist doch wichtig, uns solche Vorlagen vorzulegen. Besonders wichtig sind aber in diesem Zusammenhang all die Maßnahmen, die in der Handelspolitik erfolgen und die auf die Entwicklung in der Agrarpolitik einen erheblichen Einfluß haben. Ich finde, daß gerade aus diesem Grunde versucht werden sollte, ,doch von seiten des Ausschusses noch zu einer intensiveren Mitarbeit in .der Agrarpolitik zu kommen. Das ist ein Anliegen, das wir alle vertreten sollten.
Nun aber, meine Damen und Herren, zur Agrarpolitik! Hier möchte ich mit ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen beginnen, die der Herr Finanzminister Etzel zum Agraretat dieses Jahres gemacht hat. Ich bin der Auffassung, Herr Minister, daß gerade diese Ausführungen das Kernproblem der Agrarpolitik berühren. Zunächst haben Sie Ihre
Sorgen über einen immer höheren Agraretat zum Ausdruck gebracht, Ich kann diese Sorgen durchaus verstehen. Es ist in der Tat so, daß ,der Einzelplan 10 in den letzten Jahren immer höher geworden ist. Aber wir sollten hier ganz ehrlich sein und erkennen, daß viele Positionen dieses Etats nicht nur der Landwirtschaft zugute kommen, sondern - ich denke an ,die Kosten der Vorratshaltung - diese Maßnahmen doch auch von erheblichem Nutzen für die Allgemeinheit sind. Aber eine Erhöhung des Etats bleibt immerhin, und daran kommen wir nicht vorbei.
Nun sehen Sie, Herr Finanzminister, mit ungutem Gefühl - so haben Sie es ausgedrückt - vor allen Dingen die Mittel an, die im Etat zur Qualitätsverbesserung der Milch und zur Düngemittelverbilligung eingesetzt worden sind. Mit der gleichen Sorge haben Sie dann die steigenden Kosten der Vorratshaltung erwähnt. Sie haben hinzugefügt, daß es der Wunsch des Finanzministers sei, zu einem Abbau dieser Ausgaben, soweit sie einer vielfältigen Preissubvention dienten - so haben Sie sich ausgedrückt -, zu kommen, und daß dafür mehr Mittel für allgemeine strukturverbessernde Maßnahmen in der Landwirtschaft einzusetzen seien.
Ähnliche Forderungen hat hier von der linken Seite des Hauses der Abgeordnete Kriedemann kürzlich bei der zweiten Lesung vertreten. Sie haben mit dieser Stellungnahme bei der Einbringung des Etats sehr wichtige Probleme der Agrarpolitik angesprochen, auf die ich nun noch einmal näher eingehen möchte.
Tatsache ist - das ist vorhin schon zum Ausdruck gebracht worden, und ,das können Sie auch im letzten Grünen Bericht wiederum lesen -, daß die Lage der Landwirtschaft trotz erheblich erhöhter Beträge sowohl im Etat als auch im Grünen Plan gegenüber vergleichbaren Berufen schlechter geworden ist. Damit ist also deutlich geworden, daß wir dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes trotz gesteigerter Maßnahmen doch nicht nähergekommen sind. Der Grüne Bericht 1958 zeigt es ganz klar.
Ich möchte nicht weiter auf Einzelheiten eingehen, sondern nur einen Hinweis zur neuesten Situation geben. Im Augenblick beträgt der Abstand zwischen Industrielohn und Landarbeiterlohn 94,3 Pf; im Jahre 1950 betrug er nur 36 Pf. Ich kann auch noch darauf hinweisen, daß gerade das Einkommen der familieneigenen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft in den letzten Jahren gegenüber vergleichbaren Berufen sehr erheblich zurückgegangen ist. Dies alles ist geschehen, meine Damen und Herren, obwohl die Landwirtschaft ihre Erzeugung in den letzten Jahren um 20 % steigerte, und trotz der Tatsache, daß auch die Produktivität je Arbeitskraft in der Landwirtschaft in den Jahren von 1950 bis 1956 um 46 % gestiegen ist; die Vergleichszahl für die allgemeine Wirtschaft ist 37 %. Wir können also feststellen, daß die Landwirtschaft versucht hat, die Produktivität zu steigern und ihre Leistungen weiterhin zu verbessern.
Meine Damen und Herren, indem ich das feststelle, befinde ich mich in guter Gesellschaft mit unserem Landwirtschaftsminister, Herrn Lübke, der vor einigen Monaten vor der CDU/CSU-Fraktion laut Pressemeldungen gesagt hat, daß das landwirtschaftliche Einkommen etwa um anderthalb Jahre hinter dem Einkommen der anderen Wirtschaftszweige herhinkt. Ich bin allerdings der Auffassung, daß es nicht anderthalb Jahre, sondern ein noch längerer Zeitraum ist.
Diese Tatsachen beweisen, daß die bisherigen Mittel im Grünen Plan nicht entsprechend zum Zuge gekommen sind. Die Ursache liegt darin, daß die Löhne in nach dem Landwirtschaftsgesetz vergleichbaren Berufen mehr gestiegen sind als die Preise der Landwirtschaft und daß vor allen Dingen auch die Preise für landwirtschaftliche Betriebsmittel mehr gestiegen sind als das Agrarpreisniveau zusammen mit den Mitteln aus den Etats und der Grünen Pläne. Die Landwirtschaft hat also - das möchte ich dazu abschließend sagen - trotz erhöhter Erzeugerpreise bei einzelnen Erzeugnissen im gesamten Agrarpreisniveau mehr verloren, als die erhöhten Beträge aus dem Etat und dem Grünen Plan der Landwirtschaft gebracht haben.
Meine Damen und Herren, wenn wir das erkennen, müssen wir daraus auch gewisse Folgerungen für die Agrarpolitik ziehen. Wenn schon die bisherigen Mittel des Etats nicht ausreichten, uns dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes näherzubringen, kann die Landwirtschaft nicht noch Positionen im Etat und im Grünen Plan aufgeben.
Ich komme damit auf einen zweiten Einwand zu sprechen. Herr Minister Etzel sagte, daß er bei den Preissubventionen ein ungutes Gefühl habe. Herr Minister, auch wir Bauern haben ein ungutes Gefühl dabei. Aber wir können im Moment irgendwelche Positionen nicht aufgeben oder verlagern, wie Sie es tun möchten. Sie möchten ja von Preisstützungen durch Förderungsmittel zu strukturverbessernden Maßnahmen kommen. Das geht im Augenblick nicht, weil diese Positionen notwendig sind, damit wir den Vergleichslohn erreichen. An sich wäre Ihr Einwand durchaus berechtigt, wenn in ordnungsgemäß geführten bäuerlichen Familienbetrieben, in Betrieben ohne Strukturmängel wie zersplitterte Flurlage oder wasserwirtschaftliche Belastung ein Einkommen erzielt würde, das es gestattete, den Vergleichslohn zu zahlen. Nach dem Grünen Bericht erreicht aber nur eine ganz kleine Spitzengruppe dieses Ziel; sie ist so klein, daß man sie in der Statistik mit der Lupe suchen muß. Wir können daher nicht die Positionen abbauen, die zur Zeit ,der Verbilligung von Düngemitteln oder der Qualitätsverbesserung von Milch dienen.
Wir sollten in der Agrarpolitik, so möchte ich vorschlagen, den ordnungsgemäß geführten bäuerlichen Familienbetrieb als Modell ansehen. Wir müssen uns dann bemühen, in diesen Betrieben, in denen kein Nachholbedarf vorhanden ist, über das allgemeine Preisniveau und eine sofortige Unkostensenkung einen Ausgleich zu erreichen. Damit würden wir zunächst wenigstens zu dem Ziel der Agrarpolitik gelangen, das die Fraktion der Deutschen Partei mit den verschiedensten Anträgen seit Jahren anstrebte.
Ich wiederhole es: für den ordnungsmäßig geführten bäuerlichen Familienbetrieb, also für den Modellbetrieb der Agrarpolitik, sollte auf dem Wege über das allgemeine Agrarpreisniveau die Zahlung des Vergleichslohns ermöglicht werden; hinzukommen müssen Unkostensenkungsmaßnahmen mit sofortiger Wirkung, die in die gleiche Richtung zielen sollen.
Die zweite Aufgabe der Agrarpolitik ist es nach Auffassung meiner Freunde, dafür zu sorgen, daß für Betriebe mit Nachholbedarf die zusätzlichen Maßnahmen des landwirtschaftlichen Strukturprogramms durchgeführt werden. Wir haben einen Entschließungsantrag eingebracht, der von dem Gedanken ausgeht, daß eine Verstärkung strukturverbessernder Maßnahmen im Rahmen des Grünen Plans notwendig ist. Der Entschließungsantrag ist von der CDU/CSU unterstützt worden. Der Antrag will vor allen Dingen besondere Vergünstigungen im Rahmen der Maßnahmen des Grünen Plans für landwirtschaftliche Betriebe in sogenannten gefährdeten Standorten schaffen. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen bei der Durchführung der Maßnahmen des Grünen Plans sind wir der Auffassung, daß man versuchen muß, die landwirtschaftlichen Betriebe noch stärker einzubeziehen, die unter besonders schwierigen, naturbedingten Verhältnissen wirtschaften müssen. Das ist ein sehr wichtiges Anliegen, dem wir in Zukunft unsere Aufmerksamkeit schenken müssen. Wir denken vor allen Dingen an Vergünstigungen für Betriebe im Küstenplangebiet, in den Marschen, aber auch an Betriebe, die durch eine besonders hohe Wasserhypothek belastet oder durch Marktferne gehemmt sind. Wir denken aber auch genauso an die Betriebe, die in Berglagen und durch andere wirtschaftliche Nachteile beeinträchtigt sind, Nachteile, die sich aus der naturbedingten Lage dieser Wirtschaften ergeben. Man muß im Grünen Plan künftig speziell für diese Betriebe Erleichterungen schaffen. Es geht uns um Vergünstigungen, wie zum Beispiel die Herabsetzung der finanziellen Eigenleistung, die der Grüne Plan bei den verschiedensten Maßnahmen verlangt. Es ist angebracht, diese finanzielle Beteiligung auf ein angesichts der vorhandenen Vorbelastung wirklich tragbares Maß zu senken. Es wäre durchaus zu verantworten, in extremen Notlagen, zum Beispiel bei Bergbauern, vertriebenen Landwirten, die finanzielle Eigenleistung völlig in Fortfall kommen zu lassen.
Man muß weiter den Betrieben in Gebirgslagen auch bei der Vermögensabgabe ähnliche Vergünstigungen einräumen, wie sie in den Gebieten des Küstenplans nun schon seit einigen Jahren angelaufen sind, und durch zusätzliche Zinsverbilligungsmaßnahmen diesen Betrieben günstige Rationalisierungskredite zur Verfügung zu stellen. Desgleichen halten wir es für notwendig, in landwirtschaftlich gefährdeten Standorten noch mehr als bisher für landwirtschaftliche Schulen und für die Beratung zu tun. Auch das scheint mir ein sehr wichtiges Anliegen zu sein.
Man muß auch anerkennen, daß gerade diese armen Landgemeinden nur auf die Steuerkraft der landwirtschaftlichen Betriebe angewiesen sind. Man sollte daher die Durchführung der Maßnahmen des Grünen Plans auch für die Gemeinden erleichtern.
Als weitere Vergünstigung könnten noch Sondermittel für bauliche Verbesserungen, zur Hebung der Arbeitsproduktivität und für andere Dinge, die speziell in den wirtschaftlich benachteiligten Gebieten notwendig sind, gewährt werden.
Das wäre eine Verstärkung gewisser Maßnahmen des Grünen Plans für landwirtschaftlich gefährdete Gebiete, Gebiete, die aus naturbedingten Gründen besondere Vorbelastungen zu tragen haben. Diese agrarpolitische Ausrichtung, die wir anstreben, zeigt aber, daß wir auf Mittel im Grünen Plan und an anderen Stellen des Etats nicht verzichten können. Es ist nicht möglich, eine Position, zum Beispiel den Ansatz für Düngemittel einfach zu streichen und den ,dadurch frei werdenden Betrag in dem Sinne, (den ich soeben angedeutet habe, als gezielte Maßnahme einzusetzen. Aber es gibt durchaus eine andere Möglichkeit, den Ansatz für die Düngemittelverbilligung zu verringern. Herr Finanzminister, Sie können uns dabei sogar unterstützen. Wenn Herr Bundesminister Erhard es zum Beispiel ermöglicht, daß der Stickstoffdünger der deutschen Landwirtschaft zu demselben Preis geliefert wird, zu dem er zur Zeit exportiert wird, wenn also hier eine Preissenkung von 10 bis 15 % eintritt, dann können wir uns durchaus mit einer Ermäßigung des Betrages für Düngemittelverbilligung einverstanden erklären.
Notwendig ist ferner, durch eine Anhebung der Agrarpreise das landwirtschaftliche Preisniveau anzupassen. Dazu möchte ich jetzt vor allen Dingen Ihre Meinung, Herr Finanzminister, hören. Herr Minister, ich frage Sie: Wenn Sie meinen, daß gewisse Umstellungen notwendig sind, welche Vorschläge haben Sie dann für eine Ersatzlösung? Sind Sie der Meinung, daß man die Agrarpreise entsprechend der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung noch besser anpassen muß? Welche Vorschläge können Sie uns machen, die es uns ermöglichen, zu einer sofortigen Unkostensenkung innerhalb der landwirtschaftlichen Betriebe zu kommen?
Ich bin der Auffassung, wir sollten künftig in der Agrarpolitik beide Wege gehen, uns bemühen, durch eine Anpassung der Agrarpreise an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung weiterzukommen, und gleichzeitig Maßnahmen für eine allgemeine, sofort wirksam werdende Unkostensenkung zu ergreifen.
Abschließend darf ich noch ganz kurz, Herr Finanzminister, zu Ihrer Kritik an den höheren Kosten für die Vorratshaltung Stellung nehmen. Die Landwirtschaft ist in keiner Weise an dieser Entwicklung zu höheren Getreidebergen - das ist heute schon ausgeführt worden - mitschuldig gewesen. Wäre die Änderung der Getreidepolitik, wie wir sie jetzt durchgeführt haben, frühzeitiger erfolgt, dann hätte der Roggenberg nicht so hoch zu werden brauchen, wie er heute ist. Die Landwirtschaft hat die Roggenanbaufläche seit Jahren nicht erhöht und auch die Erntemengen nicht vergrößert.
Ursache ist vielmehr die falsche Relation zwischen Roggenpreis und Futtergetreidepreis. Hätte man das Anliegen meiner Freunde schon frühzeitig im 2. Bundestag berücksichtigt und die Getreidepolitik schon vor Jahren auf diese Richtung umgestellt, dann wären wir vor diesem Roggenberg bewahrt geblieben.
Nach meiner Auffassung ist eine Ermäßigung des Etatvolumens nicht möglich. Für uns ergibt sich aber die große Gefahr, daß dieses Etatvolumen weiterhin durch die allgemeine Wirtschafts- und Handelspolitik entwertet werden kann. Hier könnten Sie, Herr Finanzminister, unser besonderer Mitkämpfer werden, da jetzt Maßnahmen gegen Dumping-Einfuhren eingeleitet werden müssen, die vordringlich sind. Die Dumping-Einfuhren haben zu erheblichen Preiseinbrüchen bei Käse, Butter usw. geführt und damit die Beträge entwertet, die Sie im Etat für die Milchwirtschaft, beispielsweise zur Qualitätsverbesserung, eingesetzt haben.
Es ist heute schon zum Ausdruck gekommen, daß man angesichts der gedämpften Konjunktur künftig mehr als bisher an die Absatzmöglichkeiten auf dem sogenannten Binnenmarkt denken sollte. Die Landwirtschaft ist in den letzten Jahren auf dem Binnenmarkt mit etwa 12 Milliarden DM als Käufer aufgetreten. Innerhalb der Landwirtschaft - das darf ich hinzufügen - gibt es hier noch ein großes unterentwickeltes Gebiet. Wir könnten hier noch sehr viel mehr kaufen, wenn das Agrarpreisniveau entsprechend ausgerichtet würde.
Ich möchte abschließen mit der Bitte, die Vorschläge, die ich Ihnen hier unterbreitet habe, bei künftigen Beratungen zu berücksichtigen.
({0})
Das Wort hat Herr Staatssekretär Sonnemann vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte in Abwesenheit meines Ministers einige Bemerkungen zu den Ausführungen der Herren Abgeordneten Logemann und Köhler. Ich will versuchen, einige Dinge richtigzustellen, damit keine Mißverständnisse aufkommen.
Der Abgeordnete Log e m a n n hat das Entstehen des sogenannten Roggenberges darauf zurückgeführt, daß die Maßnahmen zur Herstellung einer sinnvollen Relation zwischen Weizen- und Roggenpreis zu spät gekommen seien, nämlich erst in diesem Jahre. Ich darf darauf hinweisen, daß auch in diesem Jahre von der landwirtschaftlichen Öffentlichkeit und auch von einigen Gruppen des Hohen Hauses erhebliche Bedenken gegen den Abbau der Roggenlieferprämie geltend gemacht worden sind. Diese Bedenken haben aber in der vergangenen Zeit in einem sehr viel stärkeren Maße bestanden.
Gegenüber der Darstellung, die Agrarpolitik sei in den vergangenen Jahren einen hilflosen Zickzackweg gegangen, darf ich Ihnen darlegen, aus welchen historischen Umständen die Roggenlieferprämie, die ein wesentlicher Bestandteil des heutigen Roggenpreises ist, entstanden ist. In der Zeit der Korea-Krise, als unsere landwirtschaftliche Produktion keineswegs ausreichte, um unser Volk zu ernähren, auf der anderen Seite aber keineswegs ausreichende Devisen zur Verfügung standen, um den Restbedarf durch Einfuhren zu decken, waren wir sehr darauf angewiesen, die landwirtschaftliche Produktion gewissermaßen à tout prix zu steigern, und zwar durch die Einführung der sogenannten Roggenlieferprämie, die seither im Bewußtsein der Landwirtschaft zu einem Bestandteil des Roggenpreises geworden ist.
Ihre Auffassung, Herr Logemann, daß die Landwirtschaft keine Erhöhung der Anbaufläche und keine Steigerung der Hektarerträge bei Roggen vorgenommen habe, ist unzutreffend. Ich darf darauf hinweisen, daß mit der Einführung der Roggenlieferprämie schlagartig die Anbauflächen für Roggen stark nach oben gingen, daß entsprechend ,dem allgemeinen Anstieg der landwirtschaftlichen Produktionsleistung auch ,die Hektarerträge bei Roggen gestiegen sind und ,daß trotz des von der gesamten Öffentlichkeit bemerkten Rückganges im Roggenverzehr die Marktleistungen der Landwirtschaft an Roggen von Jahr zu Jahr zugenommen haben. Sie betrugen im Jahre 1951 noch 41,6 % der Ernte und im Jahre 1957 bereits 46,4 %. Der Grund liegt nicht allein in dem preislichen Anreiz, sondern die Ursache dürfte auch darin liegen, daß in diesen Jahren immer weniger Roggen verfüttert worden ist, obgleich die Landwirtschaft eigentlich die umgekehrte Konsequenz aus dem Anwachsen des Roggenberges hätte ziehen müssen.
Damit in Zusammenhang steht das gleichzeitige Anwachsen im Verbrauch der industriell hergestellten Futtermittel. Wir wissen sehr wohl, daß dieses Anwachsen seinen Grund u. a. in der schwindenden menschlichen Arbeitskraft hat bzw. in dem Zwang, menschliche Arbeitskraft zu ersparen. Aber ganz sicher ist es eine volkswirtschaftliche Fehlrechnung, wenn wir den Weg weitergehen, im Lande selbst erzeugte Futtermittel liegenzulassen und darauf zu warten, bis der Staat sie im Wege der Intervention an sich zieht, statt sie auf eine organische Weise im Betrieb zu verfüttern.
Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Logemann zum Umdruck 149 richten sich keineswegs an das Bundesernährungsministerium allein. Das geht auch daraus hervor, daß Sie, Herr Abgeordneter Logemann, einen großen Teil Ihrer Rede an die unmittelbare Adresse des Bundesfinanzministers gerichtet haben.
({0})
Der Herr Bundesfinanzminister ist anwesend, und ich bin sicher, daß er den Teil seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeit hier selber bestreiten wird.
Die Wünsche, die in dem Umdruck 149 zum Ausdruck kommen, entsprechen zum großen Teil den Überlegungen, die auch innerhalb der Bundesregierung angestellt worden sind. Sie sind sehr weitschichtiger Art und bedürfen einer sehr gründlichen Prüfung, zumal sie auch sehr weit in die Zuständigkeit der Länder hineingreifen. Das gilt besonders von Ihren Ausführungen, Herr Abgeordneter Logemann, zu den Gemeindefinanzen, aber auch von vielen anderen Dingen, die in der Entschließung Umdruck 149 angesprochen werden.
Sie haben ausgeführt, das Ziel des Grünen Plans sei nicht erreicht, und aus Ihren Ausführungen hätte man entnehmen können, daß das auf ein schuldhaftes Versagen der Bundesregierung oder des Bundesernährungsministers zurückzuführen sei. Es ist unbestreitbar und wird durch die Grünen Berichte auch eindeutig ausgewiesen, daß das Ziel des § 1 des Landwirtschaftsgesetzes noch keineswegs erreicht ist. Aber die Folgerung, die daraus zu ziehen ist, ist doch einfach die, daß die Hilfen, die der Landwirtschaft mit dem Grünen Plan gewährt werden, fortgesetzt werden müßten, bis eben dieses Ziel des Landwirtschaftsgesetzes erreicht worden ist.
Herr Staatssekretär Sonnemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Logemann?
({0}) Herr Abgeordneter Logemann!
Ist Ihnen bekannt, daß die Roggenerntemenge im Jahre 1954/55 4 280 000 t, im Jahre 1955/56 3 661 000 t, im Jahre 1956/57 3 897 000 t und im Jahre 1957/58 3 995 000 t betragen hat, mithin keine Vergrößerung der Erntemengen erfolgt ist?
Die Vergrößerung der Erntemengen liegt ja nicht allein in der Disposition der Landwirtschaft, sondern in ,der Hand der Landwirtschaft liegt es, wie sie die Anbauflächen gestaltet. Die Anbauflächen sind von 1 290 000 ha im Jahre 1950 auf 1 530 000 ha im Jahre 1954 gestiegen und haben sich von 1955 bis 1957 im wesentlichen auf der Höhe von rund 1 480 000 ha gehalten. Zu gleicher Zeit sind die Ernteergebnisse - sie hängen ja, wie gesagt, nicht allein von dem guten Willen der Landwirtschaft ab - sehr starken Schwankungen unterworfen gewesen. Aber trotz der Schwankungen ist die Marktanlieferung, auf die es hier entscheidend ankommt, in all den Jahren fortlaufend gewachsen. Darauf hinzuweisen, hatte ich mir vorhin erlaubt.
Ich darf wiederholen, auch die Bundesregierung stimmt mit Ihnen darin überein, daß das Ziel des § 1 des Landwirtschaftsgesetzes noch keineswegs erreicht ist. Die einzige daraus zu ziehende Folgerung ist aber die, daß die Hilfeleistung, auf die die Landwirtschaft auf Grund des Landwirtschaftsgesetzes einen Anspruch hat, eben so lange fortgesetzt werden muß, bis dieses Ziel erreicht worden ist.
Ihr Wunsch, daß der Grüne Plan in Zukunft früher eingebracht werde, würde sicher auch von uns geteilt, wenn er zu verwirklichen wäre. Die Beweiskraft des Grünen Berichts leidet schon jetzt darunter, daß er den Ereignissen etwa ein bis anderthalb Jahre nachhinkt. Das hängt damit zusammen, daß dem Grünen Bericht des Jahres 1957/58 die Buchführungsergebnisse dieses Jahres zugrunde gelegt werden müssen. Diese Buchführungsergebnisse liegen erst per 30. Juni vor; aufgearbeitet sind sie erst im Herbst; wir können also - und das ist schon ein sehr wesentlicher Fortschritt in der Aufbereitung der Buchführungsunterlagen - frühestens im November oder Dezember damit rechnen, die durch die Buchführung ausgewiesenen Betriebsergebnisse des laufenden Jahres festzuhalten. Würden wir den Grünen Bericht noch weiter vorverlegen, dann würden wir zwar erreichen, daß wir rechtzeitiger diskutieren könnten, rechtzeitiger auf die Gestaltung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte Einfluß nehmen könnten; aber wir würden in Kauf nehmen müssen, daß er noch mehr einen historischen Charakter annähme und noch mehr hinter den Ereignissen zurückbliebe.
Ihre Ausführungen, Herr Abgeordneter Köhler, waren - wenn ich mir diese Bemerkungen erlauben darf - zum großen Teil rein politischer Natur, und ich darf Ihnen vorschlagen, die Auseinandersetzung über diesen Teil Ihrer Ausführungen auf der politischen Ebene weiterzuführen. Ich möchte mich meinerseits darauf beschränken, - ({0})
- Ich möchte mich darauf beschränken, - ({1})
- Ich möchte mich darauf beschränken, - -({2})
Ich habe Sie überhaupt nicht verstanden!
({3})
- Auf der politischen Ebene meines Herrn Ministers!
({4})
Herr Abgeordneter Köhler, ich glaube, Ihre Zwischenbemerkung so verstanden zu haben, als ob Sie bemängelten, daß mein Herr Minister oft nicht da sei. Ich darf darauf hinweisen, daß er sich zur Zeit auf der Agrarministerkonferenz in Stresa befindet, deren Ziel es ist, die Grundlinien der gemeinsamen Agrarpolitik im EWG-Bereich aufzustellen.
Zu Ihren Ausführungen darf ich mich auf einige wenige Bemerkungen beschränken.
Herr Staatssekretär Sonnemann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Logemann?
({0})
Zur Frage der Vorverlegung des Grünen Berichts: Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in jedem Jahr der Grüne Bericht schon Anfang Januar fix und fertig im Ernährungsministerium vorgelegen hat?
Es wäre auch sehr schlecht bestellt, wenn der Bericht im Januar noch nicht im Ernährungsministerium fix und fertig vorläge. Aber nach dem Landwirtschaftsgesetz wird ja erwartet, daß die Bundesregierung einen Bericht vorlegt. Daß wir im Ernährungsministerium Anfang Januar mit dem Bericht fertig sind, bedeutet, daß wir ihn Anfang Januar den Ressorts zur Stellungnahme zuleiten, und aus den Besprechungen mit den Ressorts entsteht die Vorlage für die Bundesregierung. Ich darf für die Bundesregierung in Anspruch nehmen, daß die Grünen Berichte, solange sie erstattet werden, dem Bundestag auf die Minute pünktlich vorgelegt worden sind.
Sie haben bemängelt, Herr Abgeordneter Köhler, daß es unserem Hause an einer rechtzeitigen Marktprognose für Schweine gebräche. Sie sagten, daß, wenn wir uns rechtzeitig einen Überblick über die Verhältnisse auf dem Schweinemarkt verschafften, manches anders sein würde. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß vierteljährlich Schweinezählungen stattfinden und daß vierteljährlich in unserem Hause, da wir die Auswertung der Ergebnisse dieser Viehzählung nicht allein vornehmen, eine aus Sachverständigen auch ,der Landwirtschaft zusammengesetzte Kommission zusammentritt. Sie übernimmt es, die Auswertung der Viehzählungsergebnisse vorzunehmen und daraus Prognosen zu stellen. Diese Prognosen werden regelmäßig veröffentlicht. Die Veröffentlichungen enthalten seit langer Zeit Warnungen an die Landwirtschaft, die Schweinehaltung nicht weiter zu steigern.
Weitere Möglichkeiten, auf die Produktion einzuwirken, haben wir nicht, es sei denn, daß wir auf Ihre Empfehlung zurückgriffen, eine - wie Sie es ausgedrückt haben - planvolle Lenkung der Erzeugung vorzunehmen. Das allerdings scheint uns zu dem Bild des landwirtschaftlichen Unternehmers, der sich noch in der Reichweite der sozialen Marktwirtschaft bewegen soll, wenig zu passen. Wir glauben auch, daß eine planvolle Lenkung der Erzeugung ohne den Einsatz dirigistischer Mittel, auf die Sie ja verzichten wollen, nicht möglich ist. Eine planvolle Lenkung der Erzeugung haben wir in der Zeit des Reichsnährstandes gehabt. Wenn wir aber zur Erzeugungslenkung zurückkommen wollen, dann brauchen wie wieder die Hofkarte, den Ortsbauernführer, den Ablieferungszwang, die Speisekammerkontrolle und all das, was zu den Maßnahmen des Reichsnährstandes gehörte. Wenn man von der Regierung verlangt, daß sie der Landwirtschaft bestimmte Preise und einen bestimmten Absatz garantiert, dann muß man ihr allerdings, wie es in der Zeit des Reichsnährstandes bekanntlich auch war, zubilligen, daß sie auf die landwirtschaftliche Produktion einen Einfluß nimmt, das heißt, daß sie der Landwirtschaft vorschreibt, daß sie von dem und dem Produkt, wenn der und der Preis gehalten werden soll, nicht mehr als soundsoviel produzieren darf.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köhler?
({0})
Herr Staatssekretär, haben Sie nicht gehört, daß ich ausdrücklich die dirigistischen Maßnahmen, die Sie verurteilen, abgelehnt habe und eine Lenkung der Erzeugung mit marktkonformen Mitteln und betriebswirtschaftlichen Maßnahmen verlangt habe?
({0})
Herr Abgeordneter Schröter, ich darf darauf aufmerksam machen, daß es sich um eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köhler von der Freien Demokratischen Partei gehandelt hat.
({0})
Ich hatte mir erlaubt, darauf hinzuweisen, daß wir uns sehr darum bemühen, eine Prognose nicht nur für den Schweinemarkt, sondern überhaupt für landwirtschaftliche Märkte aufzustellen, und daß wir diese Prognose auch mit sehr deutlichen Empfehlungen verbinden. Wir haben aber leider keine Möglichkeiten, diesen Empfehlungen Nachdruck zu verleihen.
Sie haben darauf hingewiesen, daß die verfehlte Futtergetreidepolitik des Bundesernährungsministeriums schuld an dem Anwachsen der Schweinebestände sei. Dieses Problem hat den Ernährungsausschuß in einer seiner letzten Sitzungen beschäftigt. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß wir uns seit anderthalb Jahren bemüht haben, die Futtergetreideeinfuhr knapp zu halten. Seit August vorigen Jahres hat der Futtergetreidepreis kaum eine Änderung erfahren. Es kann sein, daß er noch höher gesetzt werden muß. Aber das zu tun ist nicht Sache des Bundesernährungsministers; diese Festsetzung ist ein Bestandteil der gesamten Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Der Zweck dieses Knapphaltens der Futtergetreideeinfuhren war, auf die Landwirtschaft einen Anreiz dazu auszuüben, mehr - ich
habe das vorhin in einem anderen Zusammenhang bereits erwähnt - zur Verfütterung von wirtschaftseigenen Futtermitteln überzugehen.
Im übrigen hätte aus Ihren Ausführungen, Herr Abgeordneter Köhler, der Eindruck entstehen können, die Agrarpolitik sei in der Vergangenheit ein Konglomerat von Verlegenheitslösungen gewesen. Das gerade ist es nicht. Der Weg des Aufstieges, den die gesamte deutsche Wirtschaft und in etwa auch die deutsche Landwirtschaft seit 1949 genommen hat, ist ganz anders verlaufen, als irgend jemand von uns 1949 hatte voraussehen können. Wir haben vor ständig wechselnden Situationen gestanden. In den ersten Jahren nach der Währungsumstellung waren wir darauf angewiesen, die landwirtschaftliche Erzeugung um jeden Preis zu steigern, um alsbald zu einer Normalisierung der Ernährung und des Lebensstandards zu kommen. Damals blieb uns gar nichts anderes übrig, als auf jede Weise einen Anreiz zu einer vermehrten Produktion zu geben.
Gestatten Sie mir, da Sie von mir erwartet haben, daß ich mich auf die politische Ebene begebe, folgende Bemerkung. Als wir uns damals darum bemühten, die landwirtschaftliche Produktion durch Schaffung der Marktordnungsgesetze einigermaßen zuverlässig zu schützen, da hatten wir bei einer Fraktion des Bundestages große Mühe, auch nur die bescheidenste Anerkennung für diese unsere Bemühungen zu finden.
({0})
Damals waren es Ihre Freunde, die der Schaffung der Marktordnungsgesetze einen erbitterten Widerstand entgegengesetzt haben.
({1})
Die Marktordnungsgesetze sind keineswegs mit den Stimmen Ihrer Freunde, wohl aber gegen sie entstanden.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Bading.
({0})
- Herr Abgeordneter Schröter, ich bitte um Gehör für den Abgeordneten Bading. Er gehört Ihrer eigenen Fraktion an.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute in den Ausführungen der Herren Kollegen Köhler und Logemann sozusagen den ganzen Katalog der Agrarpolitik ausgebreitet erhalten. Es würde sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, hier auf alle Einzelheiten einzugehen. Ich möchte mich auf einige Feststellungen beschränken.
Der Vertreter des Liberalismus hat hier von „planvoller Lenkung der Erzeugung", von „zwangsweiser Beimischung" gesprochen. Der Vertreter der Regierungsparteien ist mit der Agrarpolitik der Regierung völlig unzufrieden. Der Herr Vertreter der Regierung, Herr Staatssekretär Sonnemann, hat die Regierungspolitik verteidigt. Auch da wäre einiges zu sagen, z. B. gegen die Begründung der Roggenlieferprämie mit der Koreakrise, die im Jahre 1950 angefangen hat. Wenn ich auf alles das eingehen wollte - im übrigen sind auch w i r mit der Agrarpolitik der Regierung nicht einverstanden; wir haben hier eine ganze Reihe von Änderungsanträgen gestellt, die Sie leider alle abgelehnt haben -, dann brauchte ich wahrscheinlich eine ebenso lange Redezeit wie meine drei Herren Vorredner. Das hieße aber, glaube ich, die Geduld dieses Hauses überfordern.
({0})
Ich möchte mich dein Vorschlag meines Kollegen Logemann anschließen, diese Uneinigkeit über die Agrarpolitik in den nächsten Sitzungen des Agrarpolitischen Ausschusses zu behandeln.
({1})
Das Wort hat nunmehr noch der Abgeordnete Glahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Staatssekretär Dr. Sonnemann hat vorhin in seiner Erwiderung auf die Ausführungen meines Kollegen Köhler darauf hingewiesen, daß sich mein Kollege Köhler in der Behandlung der Agrarpolitik auf die rein politische Ebene begeben habe und daß es infolgedessen wohl nicht tunlich sei, darauf zu antworten, weil er ihm auf dieses Gebiet nicht folgen wolle. Das glauben wir dem Herrn Staatssekretär Dr. Sonnemann sehr gerne: denn er ist ja sehr „vielseitig" auf diesem Gebiet geworden.
({0})
Ich möchte dazu feststellen, daß sich mein Kollege Köhler während seiner ganzen Ausführungen eigentlich kaum auf das politische Gebiet begeben hat, sondern im Grunde genommen nur vorgetragen hat, wie die Freie Demokratische Partei die Agrarpolitik sieht und wie sie im übrigen im allgemeinen auch von dem Deutschen Bauernverband vertreten wird. Das möchte ich hier einmal sagen,
({1}) - ja, einschließlich seiner Präsidenten!
Nach den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Dr. Sonnemann könnte man eigentlich der Meinung sein, daß auf dem Gebiete ,der Agrarpolitik alles in schönster Ordnung sei. Er hat zwar zugegeben, daß die Grünen Pläne keinen praktischen Erfolg gezeitigt hätten;
({2})
er hat das auch im einzeln etwas begründet.
Ich möchte hierzu folgendes feststellen. Ich rufe Zum Kronzeugen einen der Präsidenten der deutschen Bauernverbände an, und zwar den Herrn Rehwinkel, der gelegentlich des Parlamentarischen Abends des Bauernverbandes ganz klar sagte, daß die Landwirtschaft trotz aller Grünen Pläne den Krebsgang angetreten habe.
({3})
Ihre Ausführungen, Herr Staatssekretär, decken sich etwa mit den Ausführungen, die Ihr Minister bei der DLG in Wiesbaden gemacht hat. Er sagte: Wenn der deutsche Bauer auch durch dieses Tal der Tränen muß, so wird er doch, vertrauend auf seine Erfindergabe, die Situation meistern. - Das ist ein schwacher Trost für die Landwirtschaft, der vorläufig durch nichts begründet ist.
In einer Artikelserie, die auch Ihnen, Herr Staatssekretär, wohl nicht entgangen ist, in der Artikelserie „Landwirtschaft in der Sackgasse" in der „Deutschen Bauernzeitung", ist klipp und klar festgestellt worden, daß auch in den vorbildlichen, in den musterhaften Betrieben die Grünen Pläne tatsächlich keinen Erfolg gebracht haben. Dort wird klipp und klar gesagt, daß sich der erwartete Betriebserfolg sogar bei den Betrieben nicht eingestellt habe, die bei ihrer ausgewogenen Struktur als Pioniere des Fortschritts anzusprechen seien.
Wenn Sie nun sagen, Herr Staatssekretär, daß sich die Grünen Pläne in der Vergangenheit nicht auswirken konnten und daß man sie nun so lange fortsetzen muß, bis sie sich auswirken, dann möchte ich doch darauf hinweisen, daß gerade in diesem Jahre bei den Haushaltsberatungen von den Grünen Plänen immerhin manches nicht mehr anerkannt wurde. Ich denke nur an die Milchsubventionen, die man aus rein fiskalischen Gründen nicht mehr voll weitergeführt hat.
Dazu kommt, daß die Entwicklung in der übrigen Wirtschaft seither schneller gewesen ist und daß all die Vorteile, die der Landwirtschaft über den Grünen Plan zugute kommen sollen, schließlich durch eine Reihe anderer Umstände wiederaufgehoben werden. Mein Kollege Köhler hat schon darauf hingewiesen, daß die Stickstoffindustrie 5 % mehr will. Die Kaliindustrie braucht schon 10 %. Auch der Milchhandel will etwas haben; und so geht es weiter.
Die Löhne spielen bei den landwirtschaftlichen Fragen ebenfalls eine erhebliche Rolle. In kürzester Zeit sind, wie Sie wissen, Herr Staatssekretär, für
4 Millionen Arbeitnehmer die Lohntarife heraufgesetzt worden, und für weitere Millionen ist noch eine Änderung der Lohntarife zu erwarten. lm Jahre 1957 haben wir eine Lohnsumme von rund 100 Milliarden gehabt; eine Erhöhung um nur 5 % macht
5 Milliarden DM aus, und eine solche Erhöhung
muß sich ohne Zweifel preissteigernd auswirken
und damit auch für die Landwirtschaft Folgen haben.
Nun noch eine Angelegenheit, die Sie angeschnitten haben, nämlich die Frage der Überproduktion auf den verschiedensten Gebieten. Das sind Dinge, die heute wieder im Gerede sind. Dazu muß festgestellt werden, daß die Absatzschwierigkeiten auf den einzelnen Gebieten der deutschen Landwirtschaft einzig und allein durch die Fehldispositionen in der Importpolitik hervorgerufen worden sind.
({4})
Das gilt für die verschiedensten Einfuhren; aber damit will ich mich im einzelnen nicht befassen. Ich möchte nur auf eines hinweisen. Jahrelang hat man die deutsche Landwirtschaft aufgefordert, ihre Lage durch Produktionssteigerung zu verbessern. Die Bauern sind diesem Rufe gefolgt, ihre Kühe sind brav gewesen und haben Milch gegeben.
({5})
Heute versucht man, den Bauern die Produktionssteigerung zum Vorwurf zu machen,
({6})
bzw. sie dafür zu bestrafen, daß sie dem Rufe, der von dem Bundesernährungsminister ausgegangen ist, gefolgt sind.
({7})
- Herr Kollege Schlick, Sie sind für Ihre Zwischenrufe bekannt! Ich kenne Sie schon aus dem Landtag Rheinland-Pfalz. Ihre Zwischenrufe waren selten sachlich.
({8})
- Oh, Herr Kollege Schlick, auch schon sehr oft
unwahr! Wir haben ja schon oft Gelegenheit gehabt, uns darüber zu unterhalten.
({9})
Meine Damen und Herren, wenn diese Frage schon angeschnitten wurde, so darf man aber auch einmal ganz allgemein feststellen, daß ein Volk, das jahrelang gehungert hat und noch heute nur mit Einfuhren satt werden kann, eine Sünde begeht, wenn es den Fleiß seiner Landwirtschaft und die Fruchtbarkeit seiner Äcker als „Überproduktion" abtut und eine Einschränkung fordert.
Nun noch eine Frage, die mein Vorredner angeschnitten hat! Die übrigen Dinge möchte ich mir schenken. Er hat darauf hingewiesen, daß es gerade die Freie Demokratische Partei gewesen sei, die sich in der Vergangenheit sehr stark einer Marktordnung widersetzt habe. Ich glaube, die Freie Demokratische Partei hat in der damaligen Zeit gute Gründe dafür gehabt. In der Zwischenzeit haben sich ganz andere Entwicklungen angebahnt, und ich darf Sie einmal fragen - diese Frage wollte ich schon vorhin an Sie stellen : Wo ist denn eigentlich noch in der gesamten Ernährungswirtschaft der Welt ein freier Markt? Der ist ja praktisch gar nicht mehr da!
({10})
Sie können infolgedessen auch nicht erwarten, daß wir von der Freien Demokratischen Partei uns hier
nun so einstellen, daß wir mit Rücksicht auf diese Tatsachen - ({11})
Von dem freien Markt spricht man heute nur noch in Salons; so sind doch die Dinge!
({12})
Sie können nicht erwarten, daß wir Freien Demokraten heute nicht die entsprechenden Konsequenzen auf dem Gebiet der Landwirtschaft ziehen und uns nicht in entsprechender Weise für die Gesundung des deutschen Bauerntums einsetzen.
({13})
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der agrarpolitischen Zwischendebatte angelangt.
Ich habe noch zum Posthaushalt eine Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Diekmann vorliegen. - Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit den Ausführungen über die wirtschaftspolitische Lage der Bundesrepublik Deutschland erlaube ich mir, auch noch einiges über die Bundespost zu sagen. Der Einzelplan 13 befaßt sich zwar nicht unmittelbar mit dem Voranschlag ,der Bundespost; denn die Zuständigkeit für die Verabschiedung dieses Haushalts liegt auf Grund des Gesetzes vom 24. Juli 1953 beim Postverwaltungsrat. Aber nach § 2 des Postverwaltungsgesetzes ist der Minister für das Post- und Fernmeldewesen dafür verantwortlich, daß die Deutsche Bundespost nach den Grundsätzen der Politik der Bundesrepublik Deutschland verwaltet wird. Es erscheint mir deshalb angebracht, anläßlich der allgemeinen Haushaltsberatung auch zu dein Voranschlag des Haushalts der Bundespost Stellung zu nehmen.
Schließlich handelt es sich bei der Deutschen Bundespost um das zweitgrößte Bundesvermögen mit einem Aktivvermögen von rund 6 600 Millionen DM und einer Beschäftigtenziffer, die laut Voranschlag gegen Ende dieses Jahres 380 000 betragen wird.
Ich will nur einige Positionen des Haushalts, die mir wesentlich erscheinen, einer Betrachtung unterziehen. Vornehmlich will ich über die Investitionen sprechen und mich kurz mit der Kapitalstruktur der Bundespost befassen.
Die Kapitalstruktur dieses Bundesvermögens ist nach wie vor ungesund. Seit Jahren schon wird dieses unleidliche Kapitel ernsthaft von vielen Sachkennern in aller Öffentlichkeit diskutiert, und an guten Vorschlägen zur Konsolidierung der Kapitalseite der Deutschen Bundespost hat es bisher nicht gemangelt; denn jeder, der seinen Beitrag leistete, war schließlich daran interessiert, die Bundespost wirtschaftlich gesund zu erhalten. Jeder lehnte eine Konsolidierung über den Preis, in diesem Fall über den Weg der Gebührenerhöhung, wie es ja bereits im Jahre 1954 geschehen ist, als eine nicht im Interesse der allgemeinen Wirtschaft liegende Prozedur ab.
Abgesehen von einigen Versuchen, die zwar den guten Willen erkennen lassen, ist es zu tiefgreifenden und ernsthaften finanziellen Maßnahmen und zur eigentlichen Konsolidierung der Kapitalseite der Deutschen Bundespost nicht gekommen. Immer noch ist das Fremdkapital um einen beachtlichen Betrag höher als das Eigenkapital. Das Fremdkapital ist nominell und relativ unaufhaltsam im Anwachsen begriffen. Diese Entwicklung ist in unverkennbarer Weise aus dem neuesten Finanzbericht der Bundespost zu ersehen. Danach beträgt das Gesamtkapital bei der Deutschen Bundespost zur Zeit - wie ich vorhin schon sagte - etwa 6600 Millionen DM. Davon entfallen auf das Eigenkapital nur 34,2 % und auf das Fremdkapital 65,8 %.
Diese Relation braucht nicht unbedingt als besorgniserregend angesehen zu werden; denn es gibt viele ähnliche solche Betriebe bei Kapitalgesellschaften in Industrie und Handel, die ebenfalls erkennen lassen, daß man zunächst nach der Währungsreform hohe finanzielle Belastungen einging, um die Unternehmen so schnell wie möglich wiederaufzubauen. Aber jede Kapitalgesellschaft versucht im Interesse ihrer Rentabilität und ihrer wirtschaftlichen Sicherheit, Eigenkapital und Fremdkapital in eine vernünftige Relation zu bringen. Das sollte der Deutschen Bundespost und dem. Finanzminister zur baldigen Nachahmung empfohlen werden.
Weit kritischer, meine Damen und Herren, muß aber das Anwachsen des kurzfristigen Fremdkapitals angesehen werden. Das kurz- und mittelfristige Kapital macht zusammen fast 45 % des Fremdkapital aus und beträgt nominell etwa 2 000 Millionen DM. Die eigentliche Schwierigkeit liegt in der hohen Tilgungslast, die in dem Voranschlag mit 591 Millionen angegeben ist und im vorigen Kalenderjahr sogar die 700-Millionen-Grenze überschritt.
Die Kapitalstruktur der Bundespost bietet, wie Sie wohl zugeben müssen, ein ganz unerfreuliches Bild. Ich will zugeben, daß die verantwortlichen Herren der Bundespost es in den letzten Jahren an gutem Willen, die Bundespost kapitalmäßig wieder in Ordnung zu bringen, nicht haben fehlen lassen, aber sie fanden nicht immer das notwendige Verständnis beim Finanzminister. Somit mußte der Anlauf zur Konsolidierung der Kapitalseite ohne nennenswerten Erfolg bleiben.
Vielleicht werden Sie mir entgegenhalten, daß sich im Vergleich zum vorigen Haushaltsjahr die Kapitalstruktur durch die 200 Millionen Schatzanweisungen, die der Finanzminister zu tilgen und zu verzinsen übernommen hat, verbessert hat. So erfreulich diese Tatsache auch ist, meine Damen und Herren, damit wird die Bundespost finanziell beileibe noch nicht gesund. Dazu bedarf es viel kräftigerer Kapitalspritzen.
Ein bescheidener Anfang ist zwar gemacht, aber angesichts der gegenwärtigen Haushaltspolitik muß die Garantie gegeben werden, daß durchgreifende
Finanzmanipulationen im Sinne der Gesundung der Kapitalstruktur bei der Bundespost vorgenommen werden. Es ist nicht einzusehen, warum die Bundesregierung nicht bereit ist, das Eigenkapital ihres zweitgrößten Unternehmens so zu erhöhen, wie es jeder Unternehmer oder Gesellschafter eines privaten Unternehmens auch machen würde, wenn das Anlagevermögen als Folge erweiterter Produktion durch laufende Investitionen vermehrt wird. Von Mal zu Mal hat die Verwaltung der Deutschen Bundespost. gemeinsam mit dem Postverwaltungsrat in den letzten Jahren mit nicht immer ausreichenden finanziellen Mitteln lavieren müssen, um den jeweiligen Investitionsvoranschlag, der der Bundespost durch die Entwicklung der Wirtschaft gewissermaßen oktroyiert wird, verwirklichen zu können. So kann es auf die Dauer natürlich nicht weitergehen.
Die Sozialdemokratische Partei schlägt der Regierung und der Bundespost vor, folgendes zu überlegen. Zur Zeit ist der Kapitalmarkt sehr flüssig. Der Anleihebedarf könnte also, wenn der Finanzminister wenigstens hinsichtlich des Kapitalbedarfs der Bundespost seine fiskalischen Bedenken fallen ließe, auf dem Kapitalmarkt leicht gedeckt werden. Es handelt sich bei der Bundespost um einen Betrieb, der nach betriebswirtschaftlichen Überlegungen geführt und mit genügendem Kapital ausgestattet werden muß, wenn die Verpflichtungen gegenüber der allgemeinen Wirtschaft eingehalten werden sollen.
Ein anderer Vorschlag ist in der öffentlichen Diskussion schon des öfteren behandelt worden: der Herr Finanzminister möge auf die Bundesabgabe der Bundespost, die zur Zeit etwa 300 Millionen DM beträgt, vorerst verzichten, sie mindestens aber stunden, bis das Eigenkapital auf ein vertretbares Maß angereichert ist und die Kapitalseite der Bundespost wieder einen gesunden Charakter aufweist.
Aber, meine Damen und Herren, man komme nicht mit dem Vorschlag, die Investitionen einzuschränken! Auch diese Redewendungen sind früher leider schon ernsthaft gefallen und diskutiert worden, vielleicht sogar praktiziert worden. Die Deutsche Bundespost ist mit ihrer Nachrichtenübermittlung ein Teil, sogar ein sehr wichtiger Teil der Verkehrswirtschaft der Bundesrepublik. Mit der Entwicklung der Gesamtwirtschaft nimmt auch die Verkehrsleistung der Bundespost kontinuierlich jährlich um etwa 6 bis 8 % zu. Das setzt natürlich voraus, daß die diesem Zwecke dienenden Anlagen ständig durch Investitionen vervollkommnet und erweitert werden müssen.
Die Bundespost hat teilweise Nachholbedarf; zum andern muß sie sich des technischen Fortschritts bedienen und der Wirtschaft moderne Verkehrsanlagen zu ihrer gefälligen Benutzung zur Verfügung stellen. Ich weiß, daß es das Ziel der verantwortlichen Techniker der Bundespost ist, in der Fernsprechdichte und der technischen Anlage ein mit Großbritannien vergleichbares Niveau zu erreichen. Aber das ist ein sehr, sehr fernes Ziel.
Aus diesen Zwangsläufigkeiten heraus hat die Deutsche Bundespost im Jahre 1956 einen Plan für einen Investitionsbedarf aufgestellt, um bis zum Jahre 1960 mit einem technischen Stand aufzuwarten, der allen Ansprüchen vorerst genügen soll. Dazu bedarf es aber, daß jedes Jahr die erforderlichen Investitionsmittel von etwa 1 Milliarde DM zur Verfügung stehen. Nicht immer hat der jeweils zuständige Finanzminister die notwendige Einsicht gehabt, um ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen. Oft genug mußte die kontinuierliche Auftragsvergabe an die deutsche Wirtschaft unterbrochen werden, und das hat letztlich auch zu Fehlinvestierungen und Entlassungen dort geführt, wo es nach unserer Auffassung arbeitspolitisch und wirtschaftspolitisch am unangenehmsten war, und zwar in West-Berlin.
Es soll zugegeben werden, daß es der technischen Leitung zusammen mit dem Fleiß aller Bediensteten gelungen ist, die postalischen und fernsprechtechnischen Anlagen so zu vervollkommnen, daß diese zum Teil sehr hohen Ansprüchen genügen. Der glückliche Inhaber eines Fernsprechapparates in zentral gelegenen Ortschaften großstädtischen Charakters kann durch Selbstwahl heute jede größere Stadt der Bundesrepublik erreichen. Wir wissen es zu schätzen, wenn es der Bundespost demnächst den Planungen entsprechend gelungen sein wird, Direktwahl mit einigen Staaten des europäischen Kontinents zu ermöglichen.
Aber es gibt noch große Lücken bei der Bundespost, an denen die Entwicklung und der technische Fortschritt vorbeigegangen sind. Es gibt noch mehr als 100 000 Personen - die angegebene Zahl ist eher zu klein als zu groß -, die seit Jahr und Tag vergebens auf einen Fernsprechanschluß warten; sie erhalten ihn nicht, weil angeblich die entsprechenden Kabelnetze oder die Anschlußaggregate fehlen. Die Kapazität der Kabelindustrie ist meines Wissens durchaus groß genug, um den Ansprüchen der Bundespost zu genügen. Die Bundespost sollte mit allen Mitteln versuchen, diesen Bedarf an Anschlüssen baldmöglichst zu befriedigen.
Ferner gibt es eine große Anzahl manueller Ämter und darunter Anlagen, die man heute, in der Zeit der modernen Technik, zu den Rudimenten in der Fernsprechvermittlungstechnik zählt. Ortschaften, die mit solchen postalischen Einrichtungen versehen sind, haben außerdem das zweifelhafte Vergnügen, ab 20 Uhr von der Welt des Nachrichtenverkehrs abgeschnitten zu sein; denn um 20 Uhr sind bei den Postämtern kleiner Gemeinden die Dienstobliegenheiten abgeschlossen. Es ist diesen Ortschaften lediglich ein Notrufanschluß verblieben, damit sie in dringenden Fällen den Arzt oder, wenn es sein muß, auch die Feuerwehr anrufen können.
In diesem vernachlässigten Sektor besteht noch ein großer Nachholbedarf; die Nachrichtenmittel müssen unbedingt auf einen höheren Stand gebracht werden. Aber die Schaffung einer größeren Fernsprechdichte und eines guten fernsprechtechnischen Ortsverkehrs auch für die kleineren Gemeinden darf selbstverständlich nicht auf Kosten des allgemeinen technischen Fortschritts erfolgen.
ich betone noch einmal: die Bundespost sollte sich die augenblickliche Flüssigkeit auf dem KapitalDiekmann
markt zunutze machen und eine größere Anleihe aufnehmen, die sie in den Stand setzt, entsprechend ihrer Kapazität zusätzliche Anschlußaggregate zu beschaffen, Ämter zu modernisieren und das Kabelnetz auszubauen, damit endlich die Wünsche aller Antragsteller befriedigt werden und der infolge kontinuierlicher Entwicklung in der Verkehrswirtschaft auftretende Bedarf an Teilnehmeranschlüssen laufend gedeckt werden kann.
Ich möchte zusammenfassen und sagen, die Bundesregierung sollte es sich angelegen sein lassen, erstens baldmöglichst die Kapitalstruktur der Bundespost durch Erhöhung des Eigenkapitals und Beschaffung langfristigen Kapitals auf dem zur Zeit sehr flüssigen Kapitalmarkt zum Zwecke der Reduzierung des drückenden kurzfristigen Kapitals zu verbessern, und zweitens, der Deutschen Bundespost laufende Investitionen unter Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten zu ermöglichen.
Meine Damen und Herren, das ist die Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion; sie empfiehlt sie der Bundespost und der Bundesregierung zur Beachtung.
({0})
Meine Damen und Herren, mit den Ausführungen zur Finanz- und Kapitalstruktur der Bundespost ist die Aussprache über das Kapitel Wirtschaftspolitik abgeschlossen.
Ich eröffne nunmehr die Aussprache über das Kapitel
Sozialpolitik
und schlage vor, genauso zu verfahren wie bei der Aussprache über die Wirtschaftspolitik, also zunächst diejenigen Redner zu Worte kommen zu lassen, die sich allgemein mit den sozialpolitischen Fragen beschäftigen, und sich später Spezialfragen wie denen ,des Wohnungsbaus zuzuwenden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat bei der zweiten Lesung des Sozialhaushaltes erklärt, er wolle sich sehr kurz fassen und die Aufmerksamkeit des Hauses nicht sehr lange in Anspruch nehmen. Wer meinte, ,das sei ein Zeichen besonderer Rücksichtnahme gegenüber dem Hause gewesen, wurde am nächsten Tage, als der Abgeordnete Blank zum Wehrhaushalt sprach, in eindeutiger Weise eines anderen belehrt.
Das Verhalten des Herrn Bundesarbeitsministers oder des Abgeordneten Blank in der letzten Woche läßt den Schluß zu, daß ihm die Fragen des Sozialhaushalts offenbar weniger wichtig waren als das, was er unter Öffentlichkeitsarbeit im Verteidigungshaushalt verstand.
({0})
- Ich glaube, zu dieser Feststellung wird jeder
kommen, der sich die Mühe gemacht hat, die Protokolle der zweiten Lesung nochmals durchzusehen. Wir stellen jedenfalls fest, daß der Herr Bundesarbeitsminister auf die sozialpolitischen Probleme, die mein Kollege Rohde aufgeworfen und zu denen er Fragen gestellt hat, nur unzureichend geantwortet hat. Der Herr Bundesarbeitsminister hat nichts gesagt zu den Maßnahmen zur sozialen Neuordnung für Selbständige und die freien Berufe, obwohl doch das nach der Regierungserklärung zu dem Aufgabengebiet des Ministeriums gehört, das seine Bezeichnung nach dieser Richtung erweitert hat.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat ferner nichts dazu gesagt, welche Vorstellungen er in bezug auf die Neuordnung der Krankenversicherung hat. Er hat kein Wort über die Sorgen verloren, die viele Versicherte in bezug auf die Pläne über eine Kostenbeteiligung in der Krankenversicherung haben, die sehr erhebliche Ausmaße - wenn man es insgesamt nimmt - haben soll.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat drittens kein Wort über seine Vorstellungen zu einer Neuordnung der Unfallversicherung verloren, obwohl in seinem Hause doch weitgehende Pläne zur Einschränkung der Leistungen bei Unfällen mit einer Beschädigung unter 25 % ausgearbeitet werden.
Viertens hat der Herr Bundesarbeitsminister nichts gesagt zu den Fragen meines Kollegen Rohde über die arbeits- und sozialmedizinische Forschung und die Intensivierung der Arbeiten des Sozialbeirats.
Schließlich hat er kein Wort darüber verloren, in welcher Weise er dem Flause, mindestens aber dem Ausschuß, gründlicher als bisher Unterlagen, seien es Denkschriften, seien es Untersuchungen und Erhebungen verschiedener Art, zur Erleichterung der Arbeit zur Verfügung zu stellen gedenkt.
Nur zu einer Frage hat der Herr Bundesarbeitsminister sich geäußert, nämlich zu unserer Kritik, daß der Rückgang des Ansatzes für den Sozialhaushalt mit den wachsenden Rüstungsausgaben in Verbindung stehe. Vielleicht fühlte er sich bei diesem Zusammenhang auf Grund seiner früheren Funktion besonders angesprochen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat auf unsere Kritik erwidert, daß er den Rückgang von Ausgaben im Sozialetat als ein Zeichen - ich zitiere hier wörtlich - des sozialen Fortschritts werte.
Auch wir sind der Auffassung, daß die Ansätze im Sozialhaushalt keineswegs ein Selbstzweck sind. Nach unserer Meinung - wir hoffen, daß sie von dem Hause geteilt wird - muß für die Betrachtung dieser Dinge die soziale Lage der Schichten entscheidend sein, die der Sozialhaushalt angeht. Die zentrale Frage, die wir bei der Erörterung des Haushalts 1958 zu untersuchen haben, ist doch zweifellos die: Hat sich die soziale Lage dieser Schichten im Jahre 1958 gegenüber der des Jahres 1957 wesentlich und entscheidend verbessert? Das ist leider nicht der Fall. Ich möchte Ihnen das an einigen Tatbeständen aus dem Haushalt darlegen.
Wir haben erörtert, daß der Haushalt der Kriegsopferversorgung gegenüber dem Vorjahr um 60 Millionen DM reduziert worden ist. Durch die
Sechste Novelle, die vom Hause gemeinsam verabschiedet wurde, sollte die Lage der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen verbessert werden. Tatsache ist, daß im Zusammenhang mit der Rentenneuregelung die vorgesehene Leistungserhöhung und -verbesserung im ganzen durch die Einsparungen voll aufgehoben wurde. Die Bundesregierung hot uns bisher über diese Zusammenhänge leider keine Unterlagen vorgelegt, aber aus Mitteilungen, die in einigen Landtagen gemacht worden sind, kann man hinsichtlich der Auswirkungen der Anrechnungsvorschriften, insbesondere im Zusammenhang mit der Rentenneuregelung, doch sehr weitgehende Schlüsse ziehen. Wenn man diese Angaben auf das Bundesgebiet überträgt, ergibt sich, daß 240 000 Ausgleichsrenten und Elternrenten fortgefallen sind. Es ergibt sich ferner, daß über 900 000 Ausgleichsrenten im Zusammenhang mit der Rentenneuregelung reduziert worden sind. Da es sich um eine Umschichtung von Leistungen handelt, hei der der Volksmund nicht zu Unrecht sagt: die eine Hand gab - in Gestalt der Rentenneuregelung - und die andere Hand wieder nahm - durch die Anrechnungsvorschriften -, können wir eine solche Entwicklung leider nicht als ein Zeichen eines sozialen Fortschritts werten.
Im übrigen hat sich aber auch die Lage der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, deren Rente unverändert geblieben ist, im Jahre 1958 nicht verbessert, sondern verschlechtert, nämlich dadurch, daß die Renten der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen nicht der Entwicklung des Preisgefüges angepaßt wurden. Das Preisgefüge hat sich seitdem um 4 % erhöht - das ergibt sich aus den Unterlagen des Statistischen Bundesamtes -, und deshalb haben sich die Rentenleistungen, auch diejenigen Renten, die unverändert geblieben sind, im gleichen Verhältnis vermindert.
Ein weiteres Beispiel. Der Ansatz für die Mittel der Arbeitslosenhilfe ist im Etat in der Größenordnung von etwa 38 Millionen verringert worden. Vergleichen wir einmal die Zahl der Unterstützungsempfänger in der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenhilfe im Jahr 1958 mit der im Jahr 1957! Das ist der springende Punkt. Was der Herr Bundesarbeitsminister über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit seit 1950 gesagt hat, das hat mit dem Vergleich des Haushalts 1958 und des Haushalts 1957 - und diesen Vergleich haben wir hier zu ziehen - unmittelbar nichts zu tun. Wenn man sich die Zahlen für die ersten fünf Monate dieses Jahres aus „Arbeit und Sozialstatistik" zusammenzählt, so ergibt sich, daß im Durchschnitt der ersten fünf Monate dieses Jahres die Zahl der Unterstützungsempfänger in der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenhilfe pro Monat 987 000 betrug gegenüber 870 000 in den gleichen Monaten des Vorjahres. Die Zahl der Unterstützungsempfänger in der Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenhilfe hat sich also im Vergleich zu den Zahlen des Vorjahres um rund 110 000 erhöht.
Wir müssen feststellen, daß die Unterstützungssätze für die Empfänger von Arbeitslosenhilfe seit dein 1. April 1956 unverändert geblieben sind und daß sich im Zusammenhang mit dem Fortfall der Mietbeihilfe in der britischen Zone und insbesondere in Berlin sogar negative Veränderungen für die langfristig Arbeitslosen - und damit die Bezieher von Arbeitslosenhilfe - ergeben haben. Nach den durchschnittlichen Sätzen aus dem Bundeshaushalt beträgt die Unterstützung im Rahmen der Arbeitslosenhilfe einschließlich der Kinderzuschläge für die Familie des langfristig Arbeitslosen im Durchschnitt 154 DM im Monat. Ein solcher Unterstützungssatz ist bei dem gegenwärtigen Stand der Arbeitslosigkeit kein Ausdruck einer Verbesserung der sozialen Lage. Man kann nicht davon sprechen, daß dieser Haushalt mit reduzierten Ansätzen der Ausdruck eines sozialen Fortschritts sei. Wir bedauern, daß der Herr Bundesarbeitsminister es nicht für nötig gehalten hat, irgendeine sozialpolitische Initiative zu entfalten. Der Herr Bundesarbeitsminister hat sich darauf berufen, die Etatsätze lägen in Gesetzen fest. Man muß aber von einem Minister, dem der Sozialhaushalt ein besonderes Anliegen ist, erwarten, daß er in dieser Hinsicht eine Initiative entwickelt und nicht einfach die Reduzierung der Ansätze seines Haushalts gewissermaßen als naturgegebene Tatsache hinnimmt.
Noch ein drittes Beispiel hinsichtlich der Auswirkungen des Sozialhaushalts möchte ich Ihnen sagen: Wir haben wiederholt darüber diskutiert, daß es in der Rentenneuregelung eine Reihe von schwerwiegenden Ungerechtigkeiten gibt. Nun wird der Herr Bundesarbeitsminister mir erwidern: was hat die Rentenneuordnung mit dem Etat zu tun? Meine Damen und Herren, im Bundeshaushalt steht - wollen Sie bitte nachsehen - in Kap. 11 13 Tit. 612 ein Ansatz für die Mindesterhöhungen in Höhe von 14 DM für die Witwe und 21 DM für den Versicherten. Wir haben bereits bei der Debatte über die Rentenneuregelung im Februar kritisiert, daß hier auch im Zusammenhang mit den Anrechnungsvorschriften erhebliche soziale Härten und Mißstände liegen. Deshalb können wir es nicht akzeptieren, wenn der Herr Bundesarbeitsminister hier erklärt: die Veränderungen im Haushalt sind in dieser Hinsicht ein Zeichen des sozialen Fortschritts. Im Gegenteil, vielfach kommen die Anrechnungs- und Kürzungsvorschriften erst jetzt im Jahre 1958 voll zur Auswirkung.
Bei dieser Sachlage, die ich hier an den Beispielen verdeutlicht habe, sind wir der Ansicht, daß die Reduzierungen im Sozialhaushalt wirklich kein Ausdruck eines sozialen Fortschritts sind, sondern daß sie sozialpolitisch als ein Übel bezeichnet werden müssen, insbesondere da die Ansätze anderer Haushalte erhöht worden sind. Der Herr Minister hat sich hier als Abgeordneter für die Erhöhung des Ansatzes für die Öffentlichkeitsarbeit des Verteidigungsministeriums eingesetzt. Deshalb hätten wir erwarten können, daß sich der Herr Minister auch nachdrücklicher für den Sozialhaushalt einsetzt.
Unser Vorwurf gegen ,den Herrn Bundesarbeitsminister und gegen die Politik des Bundesarbeitsministeriums geht dahin, daß er bei den darDr. Schellenberg
gelegten sozialen Tatbeständen es verabsäumt hat, die Initiative zu ergreifen, Härten und Ungerechtigkeiten durch entsprechende Vorschläge zu begegnen, daß er vielmehr seine Initiative im sozialpolitischen Bereich vor allem auf die Entwicklung von Plänen der Kostenbeteiligung oder die Leistungseinschränkung erstreckt hat, die er in bezug auf die Unfallversicherung anbahnt. Der Minister hat keine Initiative entwickelt, der Sozialleistung den Raum zu schaffen, der ihr bei der sozialen Lage weiter Schichten der Bevölkerung gebührt.
Wir sind nicht der Auffassung, daß das Verhalten des Herrn Bundesarbeitsministers und die Politik der Bundesregierung im sozialen Bereich den Erfordernissen der Gegenwart entsprechen. Wir sind nicht in der Lage, dem Haushalt des Bundesarbeitsministeriums zuzustimmen, weil es der Regierung an der notwendigen sozialpolitischen Initiative gefehlt hat und weil sie dem Sozialhaushalt nicht die Bedeutung zumißt, die ihm bei der sozialen Lage weiter Schichten der Bevölkerung zukommt.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit,
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß zunächst dankbar anerkennen, daß Herr Kollege Schellenberg es mir heute abend wesentlich leichter macht, als er es ansonsten tut. Ich bin ihm dankbar dafür. Er hat seine Ausführungen so kurz gehalten, daß er mich damit nötigt - wenn wir fair miteinander diskutieren wollen -, mich ebenfalls kurz zu fassen.
({0})
Zum anderen aber, Herr Kollege Schellenberg, haben Sie wiederum kritisierend darauf hingewiesen, daß ich auf all die Fragen, die der Herr Kollege Rohde anläßlich der zweiten Lesung im einzelnen angeschnitten habe, nicht eingegangen sei. Das stimmt; ich bin nicht in vollem Umfange darauf eingegangen, sondern habe nur einige wenige dieser Fragen herausgegriffen. Ich habe aber die Rede des Herrn Kollegen Rohde nachträglich sehr genau gelesen und bin zu dem Schluß gekommen, daß ich jetzt zu mindestens 14 einzelnen Punkten Stellung nehmen müßte. Ich habe mir dafür selbstverständlich auch die Unterlagen zurechtgelegt. Ich frage nur, auch in Anbetracht dessen, was dieses Haus in den letzten Tagen alles geleistet hat - wir sehen ja, daß die Damen und Herren nicht alle mehr der Debatte folgen; dafür habe ich volles Verständnis -,
({1})
Herr Kollege Schellenberg, ich frage Sie nun: Wollen Sie von mir die Antwort hören? Ich bin bereit, sie hier zu geben. Aber dann kann ich nicht so verfahren, wie ich es Ihnen eigentlich schuldig
wäre: mich genauso kurz zu fassen, wie Sie es getan haben. Das ist die ganze Problematik.
({2})
Herr Kollege Schellenberg, wir wollen doch hier fair miteinander diskutieren. Sie haben recht: ich bin nicht auf alle von Herrn Kollegen Rohde angeschnittenen Fragen damals in meiner sofortigen Antwort eingegangen - das war billigerweise auch nicht zu erwarten, weil man eine Rede analysieren muß -; ich kann es heute tun.
({3})
- Sehr gern, Herr Kollege Schellenberg! Ohne Sie zu kritisieren - ich warte seit Wochen, ja ich darf sagen, seit Monaten darauf, daß Sie endlich als Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses die Diskussion einleiten, die sich naturgemäß aus dem sehr umfangreichen Vortrag, den ich Ihnen über das gesamte Gebiet ,der Sozialpolitik gehalten habe und der 37 Schreibmaschinenseiten umfaßt hat, hätte ergeben müssen. Sie haben mich damals in einem persönlichen Gespräch wissen lassen, daß Sie nach einiger Zeit, die man selbstverständlich braucht, um einen solchen Vortrag, wenn er in schriftlicher Form vorliegt, kritisch zu durchdenken und durchzuarbeiten, eine Diskussion veranstalten würden. Ich will nicht kritisieren, daß das bisher nicht geschehen ist. Aber, Herr Kollege Schellenberg, diese Diskussion können Sie jederzeit haben; denn nicht ich, sondern Sie haben ,die Befugnis, eine solche Diskussion anzusetzen.
Da aber offenbar Ihr Wunsch, wenn ich Sie recht verstanden habe, dahin geht, ,daß ich doch auf einiges eingehen möge, was der Herr Kollege Rohde gesagt hat, will ich das tun. Ich greife nur einige Punkte heraus. Für den Fall, daß Sie mir dann wieder den Vorwurf machen, ich sei nicht auf alles eingegangen, muß ich natürlich zu allem Stellung nehmen.
Der Herr Kollege Rohde hat zunächst einmal kritisiert, der Zusatz in der Bezeichnung des Ministeriums habe nur schmückenden Charakter. Ich glaube, Herr Kollege Rohde, Sie befinden sich in einem großen Irrtum, wenn Sie annehmen, daß dieser Zusatz nur einen äußerlichen Schmuck bedeutet. Sie werden ganz sicherlich bald erkennen, wenn Sie sich etwas eingehender mit diesen Dingen beschäftigen, ,daß sich hinter diesem Wort erhebliche neue und ständige Aufgaben verbergen, die auf den Staat und damit auf uns alle zugekommen sind, Aufgaben, durch die unserer Sozialpolitik ganz neue Gebiete eröffnet werden.
Es ist absolut falsch, wenn Sie in Ihrer Rede gesagt haben - ich darf es einmal sinngemäß wiedergeben, denn ich habe jetzt den Wortlaut nicht vor mir liegen -, zur Sozialpolitik gehörten hauptsächlich konkrete Leistungen für diejenigen, die sich in
Bundesarbeitsminister Blank
abhängiger Arbeit befinden. Wir sind im Gegenteil der Meinung, daß die bisher erbrachten Leistungen für diesen Personenkreis heute nicht mehr der ganze Inhalt der Sozialpolitik sein können, sondern daß dieser wesentlich erweitert werden muß, damit eine gerechte Sozialordnung für alle Stände und Schichten des Volkes herbeigeführt wird.
Sie sprachen davon, daß wir ein Restkommando Schäfer übernommen hätten. Vielleicht ist es für Sie von Interesse, zu wissen, wie das personell aussieht. Es handelt sich im ganzen um 4 Hilfsreferenten, von denen 3 nach der TO.A bezahlt werden und einer im Range eines Regierungsrats steht. Mit diesem Restkommando allein - da bin ich mit Ihnen einig - konnte wirklich nicht an die Aufgaben herangegangen werden, die neu auf mein Ministerium zugekommen sind. Deshalb habe ich versucht, mit einer Reihe von Beamten aus dem Stabe meines Ministeriums die neue Problematik der Sozialordnung unverzüglich anzupacken. Ich erinnere mich, daß die Herren Abgeordneten, die doch sonst mit ihrem Lob recht sparsam sind - das ist sicher richtig so -, mir im Ausschuß einiges Lob gezollt haben, als ich bei einer Etatberatung darauf hinwies, ich würde diese Arbeit nicht damit beginnen, neue Stellen zu fordern, um eine neue Abteilung zu bilden, sondern aus meinem Hause eine Reihe von Herren, die sich für diese Aufgaben interessieren und ein Herz dafür mitbringen, bitten, neben ihrer sonstigen Tätigkeit zu einer besonderen Gruppe zusammenzutreten, um sich mit diesen Fragen zu beschäftigen.
Sie haben weiter die freien Berufe erwähnt. Ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß natürlich in der kurzen Zeit der Beschäftigung mit dieser Problematik nichts Weltbewegendes geschehen ist. Das nehme ich gar nicht für mich in Anspruch. Aber es ist uns gelungen, den freien Berufen ähnliche Kreditmöglichkeiten zu eröffnen, wie sie für andere Angehörige des Mittelstandes gegeben sind. Außerdem sind gerade in der letzten Zeit eine Reihe von Steuerverbesserungen verabschiedet worden, die insbesondere auch den freien Berufen zugute kommen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rohde?
Bitte schön.
Herr Minister, darf ich zu den einleitenden Ausführungen, die Sie über Sozialordnung gemacht haben, die Frage stellen, ob es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist, daß ich in meiner Rede ausdrücklich davon gesprochen habe, daß sich dieses Wort „Sozialordnung" gerade vor diesen Menschen bewähren muß, die wir unter der Bezeichnung „unselbständiger Mittelstand und freie Berufe" angesprochen haben?
Herr Kollege Rohde, es ist mir durchaus nicht entgangen. Ich bin jetzt gerade dabei, mich mit diesem Punkt in Ihrer Rede zu beschäftigen.
Ihre Kritik bestand doch darin, daß Sie sagten, das Ministerium sei nur mit diesem Beiwort geschmückt worden. Damit wollten Sie doch wohl zum Ausdruck bringen, das sei nur ein Ornament, hinter dem aber kein ernsthaftes Wollen steht, und Sie machen mir den Vorwurf, es sei nichts geschehen. Nun bin ich gerade dabei, Ihnen darzulegen
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- verzeihen Sie, Herr Rohde, wollen Sie mich einmal diese Ausführungen in der Ruhe machen lassen, mit der ich mir die Ihrigen angehört habe -, daß Sie irren. Natürlich ist nichts Weltbewegendes geschehen; das habe ich erklärt. Aber wir haben in dieser kurzen Zeit einige Probleme in Angriff genommen, und ich habe Ihnen einige aufgezeigt.
Ich bin sogar im Gegensatz zu Ihnen der Meinung, daß die freien Berufe von unserer Arbeit weit weniger enttäuscht sind, als Sie es offenbar sind. Denn es ist nicht richtig, daß, wie Sie gesagt haben, in der Presse der freien Berufe vor allen Dingen meine Mannheimer Rede als nichtssagend kritisiert worden ist. Ich will mir hier gar nicht die Erlaubnis erbitten, im einzelnen zitieren zu dürfen, was in der Presse der freien Berufe gesagt worden ist. Aber, Herr Rohde, es kann doch auch Ihnen nicht entgangen sein, daß man von der Rede, die ich dort gehalten habe und die Sie kritisiert haben, gesagt hat, das seien wohldurchdachte, teils programmatische, teils diplomatische Ausführungen gewesen, eine Art Regierungserklärung für die freien Berufe. Es ist weiter gesagt worden, damit sei deutlich geworden, daß sich der Minister mit der vielfältigen und schwierigen Problematik bereits intensiv beschäftigt und erkannt habe, daß diese Problematik nicht nach dem Schema der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen gelöst werden könne.
In der Presse der freien Berufe ist weiter darauf hingewiesen worden, daß immerhin schon ein erster Erfolg nach relativ kurzer Zeit zu verzeichnen sei, und - das soll aber keine Kritik an meinem Vorgänger Schäfer sein, der mit dieser Aufgabe zu tun hatte - man stellt mir das Zeugnis aus, daß in kurzer Zeit ernsthafter und gründlicher zu den Problemen Stellung genommen worden sei, als das - ich sage noch einmal: das ist keine Kritik an der Person des Herrn Schäfer - natürlich in einer solchen Sonderstelle möglich war; es habe sich als weitaus fruchtbringender erwiesen, die Behandlung dieser Problematik in ein voll ausgestattetes Ministerium zu legen.
Wenn ich also ,die Presse im Hinblick auf meine Mannheimer Rede verfolge - Herr Kollege Rohde, ich will Ihnen gern die Unterlagen zur Verfügung stellen -, hätte ich sogar einige Ursache, wenn ich dazu neigte, ein wenig eitel zu werden.
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- Selbstverständlich, das macht man unter Kollegen so; eine Gabe ist die andere wert.
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Dann, Herr Rohde, haben Sie sich wieder einmal mil. der Lage der älteren Arbeitnehmer beschäftigt. Herr Kollege Schellenberg hat recht, ich habe nicht auf alle Fragen geantwortet; aber nicht etwa, weil ich Ihre Fragen nicht für bedeutsam hielt, auch nicht deshalb, weil ich keine Antwort gewußt hätte, sondern einfach deshalb, weil das die ständige Wiederholung der gleichen Frage ist. Lassen Sie mich das gleich an diesem Beispiel nachweisen. Ich habe erst am 11. März 1958 auf eine diesbezügliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Wieninger und Genossen und des Abgeordneten Dr. Mende und Fraktion eine schriftliche Darstellung in der Drucksache 276 gegeben; ich darf noch einmal darauf verweisen. Damals habe ich dort nachgewiesen, in welch erstaunlichem Maße die Zahl der arbeitslosen älteren Angestellten infolge unserer Maßnahmen zurückgegangen ist. Ich habe - in einer Debatte über die Verteidigungskosten , darauf hingewiesen, wie wir uns mit diesem Problem beschäftigt haben. Herr Rohde - ohne Ihnen einen Vorwurf zu machen -, durch ständige Wiederholung gleicher Dinge und durch das ständige Vorbringen gleicher Argumente, worauf die Antworten von vornherein ja bekannt sind, dienen wir, glaube ich, nicht der Diskussion uni Sozialprobleme; deshalb habe ich sie nicht alle beantwortet.
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Da Sie aber noch etwas gesagt haben, will ich auch das noch kurz behandeln. Sie möchten gern wissen, was denn auf Grund des Kabinettsbeschlusses vom 27. Juni 1957 über die Einstellung arbeitsloser älterer Angestellter bei den Bundesbehörden geschehen sei. Ganz abgesehen von dem erstaunlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit dieser Angestellten, den ich Ihnen in der schriftlichen Darstellung vorn März dargelegt hatte, haben wir erreicht, daß insgesamt bei den Bundeshehörden bis zum 31. März 1958 464 arbeitslose ältere Angestellte auf Grund dieses Beschlusses eingestellt wurden. Im Bereich der Bundeswehrverwaltung waren es in der Zeit vom 1. April 1957 bis zum 31. März 1958 insgesamt sogar 1000 arbeitslose ältere Angestellte.
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- Ja!
Nun noch etwas! Ich hatte bei der Auseinandersetzung um die Verteidigungskosten, als Sozialfragen angeschnitten wurden, einige Ausführungen gemacht und auch zu dieser Frage gesagt, daß ich die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände, die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung immer wieder bäte, sie möchten doch dieses Problem besonders beachten. Nun kann ich Ihnen sagen, wie dieser Appell angekommen ist: die Bundesanstalt hat bereits in den Monaten April und Mai 1958 im Bundesgebiet und in Berlin wiederum insgesamt 2247 langfristig arbeitslose ältere Arbeitnehmer in Dauerbeschäftigung vermittelt.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rohde?
Bitte sehr!
Herr Minister, ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß ich nicht danach gefragt hatte, wieviel ältere Angestellte von den Bundesbehörden eingestellt worden sind? Ich hatte danach gefragt, wieviel ältere Arbeitnehmer - und darunter Angestellte - nach der Novelle zum AVAVG von der Arbeitsvermittlung in die Fürsorge abgegeben worden sind.
Herr Kollege, danach hatten Sie auch gefragt, und darauf will ich jetzt auch noch eingehen. Ihre Rede enthielt ja nicht nur Fragen, sondern sie war doch eine Polemik; sie sollte vor allen Dingen dartun, (laß gewissermaßen gerade für die älteren der langfristig arbeitslosen Arbeitnehmer nichts geschehe. Ich lege diesem Hohen Hause heute, glaube ich, zum dritten Mal dar, was geschehen ist; natürlich immer um die neuen Maßnahmen vermehrt.
Sie hatten die Frage gestellt, und ich will darauf eingehen: wieviel langfristig Arbeitslose sind seit der Novelle zum AVAVG in die Betreuung der Fürsorge abgegeben worden - wie dies die Novelle ermöglicht -, und wie viele von ihnen waren ältere Angestellte?
Ich möchte die Frage wie folgt beantworten. Mit der Neugestaltung des AVAVG sollte bekanntlich unter anderem auch eine klare Abgrenzung der aus Bundesmitteln finanzierten Arbeitslosenhilfe gegenüber der öffentlichen Fürsorge erreicht werden. Infolgedessen wurden aus der Arbeitslosenhilfe diejenigen ausgeschieden, die für eine Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in aller Regel nicht in Betracht kommen: jene, deren Lebensunterhalt aus anderen Mitteln sichergestellt ist oder die den Nachweis der Arbeitsbereitschaft nicht erbracht haben.
Hier hat es sich also nicht darum gehandelt, Menschen in die Fürsorge hineinzubringen. Bei dieser Novelle ging es vielmehr darum, begrifflich klar abzugrenzen und festzulegen, für welchen Personenkreis dieses Gesetz in der Zukunft maßgebend ist und welche Leute, die bisher als Arbeitslose geführt wurden, im Sinne des Gesetzes überhaupt nicht als solche gelten können.
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- Selbstverständlich der Gesetzgeber, und ich glaube sogar, daß der Gesetzgeber für diese ernsthafte Arbeit, die er damals geleistet hat, sehr zu loben ist; denn er hat endlich einmal Klarheit auf diesem Gebiet herbeigeführt.
Genaue Zahlenangaben darüber, wie viele solcher langfristig Arbeitslosen infolge der Neugestaltung aus der Arbeitslosenhilfe ausgeschieden
sind, liegen bei mir leider nicht vor. Daß aber von den insgesamt Ausgeschiedenen offenbar mir ein deringer Teil gezwungen war, die öffentliche Fürsorge in Anspruch zu nehmen, weil andere Einkommen fehlten, schließe ich daraus, daß sich bei der öffentlichen Fürsorge keine nennenswerten Übernahmeschwierigkeiten ergeben haben. Das hätten wir sofort gehört, wenn sie in irgendeiner Form eine besondere Belastung dargestellt hätten. Ich glaube, es kann unter diesen Umständen wirklich nicht davon gesprochen werden, daß die Neuordnung des Rechts des AVAVG insbesondere die langfristig Arbeitslosen in besonderem Maße betroffen hätte.
Was nun schließlich die Kürzung der Ansätze für die Arbeitslosenhilfe betrifft - ich habe auch das schon zweimal ausgeführt -, so bedeutet sie, daß sich die wirtschaftlichen Verhältnisse erheblich gebessert haben. An dieser Entwicklung hat allerdings, das bekenne ich freimütig, die Bundesregierung durch ihre Wirtschaftspolitik einen wesentlichen Anteil.
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Der Ausschluß aus dem Unterstützungsbezug, das möchte ich noch hinzusetzen, bedeutet aber keinen Ausschluß aus der Arbeitsvermittlung; denn die Arbeitsämter sind angewiesen, die aus dem Unterstützungsbezug ausgeschiedenen Personen darauf hinzuweisen, daß ihnen weiterhin die Vermittlung der Arbeitsämter zur Verfügung steht.
Nun hat sich Herr Kollege Rohde - ich greife einen weiteren Punkt heraus - mit der Alterssicherung der freiberuflich Tätigen und der selbständigen Erwerbstätigen befaßt und auf die finanziellen Konsequenzen hingewiesen, die sie für uns haben könne. Er meint offenbar, damit käme auch etwas auf den Bundeshaushalt zu, und er meinte damit sicherlich: dafür sei im Bundeshaushalt nichts zu finden!
Dazu darf ich sagen: Zwischen ,der Alterssicherung der Selbständigen und der Angehörigen der freien Berufe und dem Bundeshaushalt besteht kein sachlicher Zusammenhang. Die Alterssicherung der Landwirte erhält keine Bundeszuschüsse. Bei der Neuordnung der Alterssicherung der Handwerker kommt es lediglich auf eine sinnvolle Gestaltung der Beiträge und Leistungen und auf eine gerechte Auseinandersetzung mit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte an. Soweit Gespräche und Erwägungen über die Alterssicherung anderer Gruppen im Gange sind, ist ein Bundeszuschuß von vornherein nicht vorgesehen.
Jeder Vorwurf, daß auf dem Gebiete der Alterssicherung der freien Berufe nichts geschehe, ist, Herr Kollege Rohde, wirklich unbegründet. Die Bundesregierung steht nach wie vor auf dem Standpunkt - auch das habe ich sowohl in meinem Vortrag vor den drei Ausschüssen als auch in meiner Mannheimer Rede gesagt -, daß die gesetzliche Regelung der Alterssicherung für diese Gruppen in Übereinstimmung mit den Wünschen der betroffenen Personenkreise und unter Beachtung der besonderen Lage der verschiedenen Gruppen geregelt werden muß. Ich darf es noch einmal so formulieren, wie ich es früher formuliert habe. Ich bin daher auch einigermaßen erstaunt gewesen, daß ich in einer - ich glaube - FDP-Korrespondenz angegriffen worden bin, weil ich die böse Absicht hätte, nunmehr in Deutschland alle Menschen, auch die freiberuflich Tätigen, in die sogenannte staatliche Versicherung einzubeziehen. Ich darf also noch einmal meine alte Formulierung gebrauchen. Ich habe immer gesagt: Wenn Gruppen freiberuflich Tätiger oder Selbständiger mit dem Wunsch an uns herantreten, man möge ihnen behilflich sein, auch für sie eine Alterssicherung aufzubauen, dann werden wir uns bemühen - ich glaube, das darf ich mindestens für meine Parteifreunde, wohl auch für das Parlament sagen, und ich glaube, daß mir sogar Herr Schellenberg recht gibt -, diese Problematik zu studieren und das Maß an gesetzlicher Hilfe zu bieten, das für die Begründung einer solchen Alterssicherung notwendig ist. Wir werden aber niemals irgendeinen Personenkreis, der nach seinem Herkommen nicht unter solche Sicherungen fällt, gegen seinen Willen in eine solche Versicherung hineinpressen. Ich glaube, Herr Kollege Schellenberg, hier gehen unsere Auffassungen ganz sicherlich nicht auseinander.
Nachdem allseits Einigkeit darüber bestand, daß die Handwerkerversicherung einer Neuordnung bedarf, habe ich bald nach meiner Amtsübernahme die entsprechenden Untersuchungen und Verhandlungen eingeleitet. Es ist bekannt, daß die Vorstellungen über das anzustrebende Ziel noch unterschiedlich sind. Wen wundert es, daß das so ist? Ich bin der Auffassung, daß die Diskussion zu Ende geführt werden muß. Vor allem müssen die dazu notwendigen Unterlagen erstellt werden. Bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte werden sie nach und nach in vermehrtem Maße anfallen. Es gibt aber für mich keine zwingenden Gründe, die Diskussion vorzeitig abzubrechen oder überhastet zu arbeiten. Dennoch werden wir in absehbarer Zeit in der Lage sein, einen Vorschlag für die Neuordnung zu unterbreiten.
Von den übrigen Angehörigen der freien Berufe haben sich bisher lediglich die Rechtsanwälte, die vereidigten Buchprüfer, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Helfer in Steuersachen für eine bundesgesetzliche Regelung ihrer Alterssicherung ausgesprochen.
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- Ich habe nichts dagegen, Herr Kollege; aber ich glaube, diese Diskussion müßten Sie innerhalb Ihres Berufsstandes führen. Wenn aber dieser Berufsstand zu mir kommt - ich darf das noch einmal sagen, Herr Kollege Becker, auf Ihren freundlichen Zuruf hin -, wie es mehrfach geschehen ist, und mir vorträgt und überzeugend dartut oder, sagen wir einmal, um es einzuschränken, im Lauf der Zeit überzeugend dartun wird, daß der größte Teil der Angehörigen dieses Berufsstandes eine solche Regelung wünscht, werde ich, Herr Kollege Becker, meine Hilfe nicht versagen. Ich bin überzeugt, daß auch Sie das nicht tun würden.
Ich darf dazu noch folgendes sagen. Die notwendigen Untersuchungen und Vorverhandlungen sind im Gange. Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich der Auffassung bin, daß solche Gesetzgebungsvorhaben einer gründlichen Vorbereitung bedürfen und nicht in ein Wettrennen um einige Monate ausarten dürfen. Ich bin mir darüber klar, daß das Hohe Haus von mir die baldige Vorlage einiger weiterer Reformgesetze verlangen kann. Ich glaube Ihnen auch sagen zu können, daß ich diese Entwürfe in Kürze vorlegen kann. Es ist Ihr Recht, den Minister zu kritisieren, und ich nehme lieber von Ihnen eine Kritik deswegen entgegen, weil die Vorarbeiten etwas langsam vonstatten gehen, als eine Kritik, daß infolge Überhastung ein Pfuschwerk vorgelegt worden ist.
Ich glaube, Herr Schellenberg, ich muß doch langsam zum Ende kommen. Ich merke aus den Reaktionen der Damen und Herren, daß sie dieser Auffassung sind. Damit haben die Damen und Herren mir wahrscheinlich nicht sagen wollen, daß die Ausführungen uninteressant wären.
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Aber ich merke, daß die Damen und Herren doch wohl der Auffassung sind, der Bundesarbeitsminister möge sich an Courtoisie nicht von Herrn Schellenberg übertreffen lassen, und er möge daher seine Ausführungen kürzen.
Ich erkläre aber ausdrücklich, Herr Schellenberg, daß ich zu den etwa vierzehn Punkten, die mir der Wesensgehalt dessen zu sein schienen, was Herr Kollege Rohde dargelegt hat, im einzelnen sehr wohl Stellung nehmen könnte. Ich habe die Dinge studiert und habe mir natürlich auch meine Antworten zurechtgelegt.
Lassen Sie mich aber, damit ich Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehme, jetzt doch schließen, und zwar mit einigen wenigen Hinweisen auf die Kritik, Herr Schellenberg, die Sie heute vorgebracht haben. Sie haben gesagt, meine Ausführungen -- die Ausführungen des Abgeordneten Blank in der zweiten Lesung - ließen erkennen, daß ich mich mehr für Wehr- als für Sozialfragen interessiere. Nun, wofür sich der Abgeordnete Blank, wenn er als Abgeordneter dieses Podium betritt, interessiert, ist sicherlich seine Sache und unterliegt nicht Ihrer Kritik. Ob dagegen der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die ihm übertragenen Aufgaben erfüllt oder nicht, unterliegt ganz sicher Ihrer Kritik, Herr Schellenberg, der ich mich immer stellen werde.
Sie haben weiter gesagt, ich hätte kein Wort über die Vorstellungen zur Krankenversicherungsreform verloren. Aber, Herr Schellenberg, ich habe das einmal deshalb nicht getan, weil die Arbeiten noch nicht abgeschlossen sind und zum anderen, weil ich die große Ehre hatte, auf Ihren persönlichen Wunsch hin, damals den drei vereinigten Ausschüssen einen sehr langen Vortrag zu halten. Ich habe mich damals mit ,der ganzen Problematik der Krankenversicherungsreform beschäftigt. Sie wollten etwas fragen?
Ist es richtig - ich muß es in eine Frage kleiden -, daß Sie damals lediglich dargelegt haben, welche Möglichkeiten in bezug auf eine Kostenbeteiligung theoretisch bestehen würden? Jetzt haben sich aber die Dinge offenbar doch konkretisiert, und das Haus hat ein Interesse daran, von Ihren Vorstellungen bezüglich der gesetzgeberischen Initiative in dieser Hinsicht wegen der Bedeutung für die Öffentlichkeit. Näheres zu erfahren.
Es ist nicht ganz richtig, Herr Kollege Schellenberg, was Sie sagen. Ich habe damals nicht nur dargelegt, welche in der Theorie erörterte Möglichkeit einer Selbstbeteiligung es gäbe, sondern ich habe einen starken Akzent darauf gelegt, damals darzutun, wo, wie ich glaube, bei der Krankenversicherungsreform Verbesserungen notwendig sind, nämlich Leistungsverbesserungen, Umlenkung der Leistungen, nahtlose Übergänge zur Rentenversicherung usw. Ich habe in meinen Darlegungen gesagt, daß das ganze Gebiet so komplex ist und daß man hier so viel Sachverständige von allen Seiten hören muß, daß es eine langwierige und schwierige Arbeit ist. Herr Kollege Schellenberg, Sie dürfen versichert sein, daß ich mich zu dem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit und, wenn es gewünscht wird, in Ihrem Ausschuß äußern werde, wenn ich glaube, daß diese Referentenarbeiten so weit fortgeschritten sind, daß ich ihr Ergebnis als einen fertigen Guß hinstellen kann. Im übrigen habe ich doch wohl durch mein Verhalten der deutschen Öffentlichkeit bewiesen, daß ich weder im Parlament noch in der Öffentlichkeit die Diskussion über dieses Problem nicht scheue.
Sie haben weiter gesagt, ich hätte kein Wort zu der Unfallversicherungsreform ausgeführt. Ebenfalls aus dem einfachen Grunde nicht, weil ich diesen Entwurf, sogar den Referentenentwurf, vor Wochen der deutschen Öffentlichkeit übergeben habe, so daß er jedermann, der es wissen will - Ihnen ist er ganz sicherlich bekannt -, bekannt ist. Ich glaubte eben, Bekanntes brauchte man nicht zum Überdruß ständig in diesem Parlament zu wiederholen.
Schließlich haben Sie gesagt, ich hätte zur Kürzung des Haushaltsansatzes für die medizinische Forschung kein Wort gesprochen. Ich habe es deshalb nicht getan, weil mir wirklich nichts besseres eingefallen wäre als meinem Kollegen Dr. Götz, der zu dieser Frage bereits hier gesprochen hat.
Schließlich haben Sie kritisiert, ich hätte kein Wort darüber gesagt, ob ich dem Ausschuß in Zukunft nicht mehr als bisher Unterlagen zur Verfügung stellen wolle. Herr Kollege Schellenberg, ich will jetzt nicht auf den Briefwechsel eingehen, den wir beide miteinander hatten, aber ich bitte Sie, mir zu glauben, daß ich zu allem Talent hätte, aber bestimmt nicht zum Geheimniskrämer. Ich darf Ihnen sagen, daß ich Ihnen und Ihrem Ausschuß selbstverständlich alles Material, das anfällt und auf das Sie billigerweise Anspruch haben, unterbreiten werde. Ich werde mich sogar bemühen, so
höflich zu sein, daß Sie mich gar nicht erst darum zu bitten brauchen. Sobald ich es in der Hand habe, werde ich es Ihnen auch zuleiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich die gegenwärtige Stimmung in diesem Hohen Hause richtig einzuschätzen in der Lage bin - Sie glauben, mit diesen Ausführungen sei jetzt in dieser Debatte genügend gesagt -, ,dann will ich mit dem Hinweis schließen, daß wir, soweit der Etat des Bundesministers für Arbeit in Frage kommt, seit 1950 ständig ein Wachsen, eine Ausweitung haben. Wir haben in den Sozialleistungen keine rückläufige Tendenz, sondern eine steigende. Ich kann mit dem schließen, was ich schon damals gesagt habe: es ist nicht so, daß der deutsche Sozialetat gekürzt würde, um mehr Mittel für den Wehretat zur Verfügung zu haben; ein Vergleich der Zahlen im Etat beweist das. Ich danke Ihnen für Ihr Gehör.
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Ich glaube, der Herr Minister hat die Stimmung des Hauses insofern richtig wiedergegeben, als es sicher sehr gern sehen würde, wenn jetzt alle der Courtoisie des Herrn Kollegen Schellenberg folgten.
Ich darf als nächstem Redner dem Herrn Abgeordneten Mischnick das Wort geben.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An sich sollte eine allgemeine Aussprache über die Politik der Regierung auf den verschiedenen Gebieten stattfinden. Wir haben nur das Pech, daß man von uns oft als den „Sozialhysterikern" spricht. Wenn ich aber daran denke, daß Außenpolitik und Wehrpolitik die letzten zwei vollen Tage in Anspruch nahmen, dann habe ich das Gefühl, daß die Hysterie manchmal bei anderen liegt.
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- Meistens, leider. - Es wäre an sich gut, wenn wir für die Sozialpolitik so viel Zeit gehabt hätten, um gründlich über die Fragen zu sprechen, die hier angeführt worden sind, sei es vom Herrn Kollegen Schellenberg, sei es vom Herrn Minister. Und es wäre gut gewesen, wenn wir eine Debatte über die ausführliche Rede des Herrn Ministers vor dem Sozialpolitischen Ausschuß hier hätten führen können. Ich hoffe - der Wunsch, den der Herr Minister ausgesprochen hat, ist auch unser Wunsch -, daß wir recht bald im Sozialpolitischen Ausschuß dazu kommen.
Ich will mich deshalb hier auf ein paar grundsätzliche Bemerkungen beschränken. Der Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung gesagt: Sie - die Wähler - haben sich gegen die Allmacht des Staates, gegen Kollektivismus ausgesprochen Das ist eine Feststellung, die wir voll und ganz unterstreichen. Wir haben mit Befriedigung festgestellt, daß diese Gedanken in der Grundsatzrede des Herrn Ministers weitgehend vertreten sind. Ich darf für die Freien Demokraten versichern, daß wir alle Bemühungen in dieser Richtung voll und ganz unterstützen werden, wenn sie sich auf dem Grundsatz aufbauen, erstens in der Sozialpolitik den Menschen in den Vordergrund zu stellen, zweitens die Sozialpolitik nicht als eine Angelegenheit des Geldes, der Bezahlung zu sehen, sondern als ein Gebiet, bei dem es darauf ankommt, den Menschen in den Stand zu setzen, sich in allen Lebenslagen so weit wie möglich selbst zu helfen.
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Wenn die Gesamtsumme des Sozialetats niedriger wird, wie es in der Debatte schon gesagt worden ist, so kann das ein durchaus gutes Zeichen sein, vorausgesetzt, daß die Herabsetzung nicht auf Kosten derjenigen geht, die wirklich hilflos sind; ich denke an Kriegsopferversorgung usw.
Lassen Sie mich hier zwei Themen etwas deutlicher ausführen. Ich glaube, daß wir in der nächsten Zeit - die Verabschiedung eines Haushaltsplans ist gleichzeitig eine Art Programmentwicklung für das nächste Jahr - Gelegenheit haben sollten, sie mehr im einzelnen darzulegen. Wir sind der Auffassung, daß die Grundtendenz, so wie sie der Herr Minister dargelegt hat, richtig ist. Man wird natürlich sehr aufmerksam beobachten müssen, ob bei der tatsächlichen Durchführung diese Tendenz gewahrt bleibt. Im Jugendarbeitsschutzgesetz ist aber z. B. eine Bestimmung, daß die Untersuchung \der Jugendlichen auf Berufstauglichkeit nur durch Amtsärzte vorgenommen werden soll. Das scheint uns eine Bestimmung zu sein, die nicht ganz mit der Grundtendenz des Herrn Ministers zu vereinbaren ist. Es wird für uns sehr interessant sein, zu sehen, ob bei den Abstimmungen vielleicht der Vorschlag der SPD, der keine zwangsmäßige Amtsarztuntersuchung vorsieht, von den Regierungsparteien, hingegen der Regierungsvorschlag, wonach ein Amtsarzt einzuschalten ist, von den Sozialdemokraten unterstützt wird. Ich möchte mich an das Wort ,des Herrn Kollegen Niederalt halten, der hier vor wenigen Tagen sagte: Taten sind beweiskräftiger als Worte. Sie werden Verständnis dafür haben, Herr Minister, wenn bei uns trotz Ihrer von uns bejahten Grundsatzrede ein bißchen Skepsis vorhanden ist; diese Skepsis kann nur durch die Tat bei ,den kommenden Gesetzesvorschlägen ,ausgeräumt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von dei CDU, gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang an Sie ein Wort. Ich sage es nicht, um Wahlkampfpolemik in die Aussprache zu bringen, sondern nur, um festzustellen, daß Sie nach meiner Auffassung hier zu weit gegangen sind. Da ist in einer CDU-Wahlzeitung davon gesprochen worden: Wer FDP wählt, wählt SPD! Nun, man kann sagen, das war also der Beweis Ihrer Anerkennung dafür, daß wir in der Regierung ein sehr entscheidendes Wort mitgesprochen haben. Es kann aber auch sein, daß Sie damit sagen wollen: Wer FDP wählt, wählt sozial reaktionär. Wenn es so gemeint ist, dann möchte ich das für meine Parteifreunde auf das entschiedenste zurückweisen. Denn wenn wir, wie ich soeben ausführte, mit den Grundtendenzen des Herrn MiniMischnick
sters übereinstimmen, so würde dieses Wort, wenn Sie uns das vorwerfen, bedeuten, daß Sie selber sozial reaktionär wären.
Ich war erfreut, daß ich vorhin bei Ihnen sehr viel Zustimmung bemerken konnte, als ich davon sprach, daß in der Sozialpolitik die Selbstvorsorge und die Selbstverantwortung das Entscheidende sein soll.
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- Wir sagen es von Anfang an; denn die Freie Demokratische Partei ist ja auf diesem Grundsatz aufgebaut. Nun, Herr Kollege Stingl, Sie wissen genauso gut wie ich, daß in diesen Fragen bei Ihnen zumindest immerhin sehr unterschiedliche Meinungen bestanden haben; sie werden auch in Zukunft vorhanden sein. Wir werden Sie immer darin unterstützen, eine gemeinsame Meinung zu finden, eine Meinung, die unserer Grundtendenz der Selbstverantwortung und der Selbstvorsorge entspricht.
Es ist hier über verschiedene Probleme gesprochen worden, über Krankenversicherungsreform, Fragen der Rentenreform und der Unfallversicherungsreform. Ich will auf das alles nicht im einzelnen eingehen, aber doch unsere Bitte, Herr Minister, vortragen, sich immer vor Augen zu halten, daß es nicht darum geht, den Versichertenkreis zu erweitern; es geht vielmehr darum, ihn möglichst kleiner als bisher zu halten. Ihre Zusage, eventuell auch für die Arbeiter eine solche obere Grenze einzuführen, wie sie bei den Angestellten besteht, wird von uns ganz besonders begrüßt. Wir wären dankbar, wenn Sie das in Ihren Gesetzesvorschlag zur Krankenverscherungsreform mit einbauen würden.
Ich muß noch ein Wort zur Handwerkeraltersversorgung sagen. Als wir in diesem Hohen Hause sehr eingehend über die Volksbefragung debattierten, fand zur gleichen Zeit eine Meinungsbefragung des Herrn Ministers bei den Handwerkern statt, wie sie sich zur Altersversorgung stellten. Führende Kreise der Handwerkerorganisationen haben sich dieser Befragung gegenüber ablehnend verhalten oder sich mit großer Zurückhaltung geäußert, weil sie leider nicht über die Fragen und bis zur Stunde auch nicht über das Ergebnis unterrichtet worden sind.
Ich darf für meine politischen Freunde darum bitten, uns im Sozialpolitischen Ausschuß von den Fragen sowohl als auch von den Antworten möglichst bald Kenntnis zu geben, damit wir auch aus diesem Material für die zukünftigen Beratungen entsprechende Anregungen schöpfen können; denn wir sind dabei, einen eigenen Vorschlag zu erarbeiten. Wir möchten, daß diese Frage möglichst bald angepackt wird.
Lassen Sie mich noch ein Wort dazu sagen, daß Ihr Ministerium, - wie Sie sehr richtig ausführten, hat es nicht nur das Beiwort, sondern die Aufgabe der „Sozialordnung" - sehr vieles tun kann, ohne daß sich das in Haushaltsansätzen ausdrückt. Ich glaube, der Minister für Arbeit und Sozialordnung hat gegenüber manchen anderen Ministerien eine Art Koordinierungsfunktion. Ich denke z. B. daran, daß wir - zumindest in weiten Teilen dieses Hauses - die Selbstvorsorge, die Selbsthilfe großschreiben. Dann dürfen wir natürlich nicht die Aufwendungen für Selbsthilfe, für die Selbstvorsorge z. B. steuerlich schlechter behandeln als die Beiträge zur Zwangsversicherung. Wir haben es sehr bedauert, daß unsere diesbezüglichen Anträge bei der Steuerreform nicht angenommen worden sind. Wir werden, Herr Minister, jederzeit auf Ihrer Seite sein, wenn Sie z. B. gegenüber dem Herrn Finanzminister eine Unterstützung durch das Parlament brauchen. Wir haben auch hier den Eindruck, daß die Verwirklichung dessen, was in dieser Beziehung gesagt worden ist, an dem harten Widerstand des Finanzministers gescheitert ist.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre auch die Altersvorsorge der freien Berufe zu behandeln. Herr Kollege Becker hat ja schon sehr deutlich gesagt: Nichts tun, was zur Zwangsaltersversorgung führt; alles unterstützen, was die Selbsthilfe, sei es auch in noch so bescheidenem Maße, unterstützen kann!
Es gibt noch eine Fülle von Punkten, die unter diesem Generalthema behandelt werden sollten und zu denen wir Freien Demokraten sehr viel zu sagen hätten. Ich denke an das ganze Kapitel der Kriegsfolgen: Kriegsopferversorgung, Lastenausgleich, Flüchtlingswesen, Lagerbetreuung usw. Zu diesem ganzen Kapitel nur einen Hinweis: Wir wären dankbar, wenn auf den verschiedensten Gebieten der Kriegsfolgen sobald wie möglich eine Abschlußgesetzgebung käme, damit wir von der ständigen Novellierung abkommen und damit auch eine Beruhigung in die nachgeordneten Behörden hineinbringen.
Ferner sollten die Leistungen, zu denen wir durch Gesetz verpflichtet sind, möglichst schnell erbracht werden. Auch hier darf ich mich auf ein Wort von Herrn Dr. Becker beziehen: Wer schnell gibt, gibt doppelt. Dabei wird es, auf die Dauer gesehen, auch billiger, und wir räumen gewisse Ressentiments bei den Geschädigtengruppen um so schneller aus.
Lassen Sie mich zum Abschluß - ich möchte mich an die Mahnung des Herrn Präsidenten halten - noch eines sagen: Wir haben sehr lange über Fragen der Außenpolitik und der Verteidigungspolitik debattiert. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß die Entscheidung in dem großen Ringen zwischen Ost und West wahrscheinlich viel eher fällt auf dem Gebiet der Sozialpolitik, der Errichtung einer wirklich guten Ordnung bei uns, als auf dem militärischen Gebiet. Richten wir uns danach, auch bei. unseren Beratungen in diesem Hause!
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Das Wort hat der Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Arndgen hat vorhin, als wir beide voller Genugtuung darüber waren, daß jetzt mit einem Mal und ganz überraschend auf diesem besonders strittigen Feld der Sozialpolitik
so ruhig diskutiert wird, gesagt, das sei auf die Urlaubsstimmung zurückzuführen. Der Herr Minister hat gesagt, es sei Courtoisie von seiten meines Kollegen Professor Schellenberg, daß er sich so ruhig geäußert habe. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn es weder Urlaubsstimmung noch Courtoisie noch Höflichkeit wäre, was zu solch ruhigen Debatten hier im Bundestag führt, sondern wenn es die wachsende Einsicht wäre - um meinen Kollegen Professor Gülich zu zitieren -, daß es so, wie es verschiedentlich in der zweiten mid auch in der dritten Lesung des Haushalts hier zugegangen ist, einfach nicht weitergehen kann.
In den Reden einer Reihe von Kollegen beider Seiten dieses Hauses ist in den vergangenen Tagen, besonders gestern und vorgestern, die tiefe Sorge über die Entwicklung unserer jungen deutschen Demokratie zum Ausdruck gekommen. Aus einer tiefen Sorge über die Entwicklung des Verhältnisses der Bundesregierung zu den Gewerkschaften sehe ich mich veranlaßt, in der allgemeinen Aussprache über den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung einige Bemerkungen zu machen.
Herr Minister, als Sie damals, vor einem Dreivierteljahr, ihr Amt als Minister für Arbeit und Sozialordnung antraten, da waren wir eigentlich doch einigermaßen hoffnungsvoll. Wir fanden unsere Hochfreude durch die von Ihnen vorhin zitierte Regierungserklärung vor den drei sozialpolitischen Ausschüssen im Februar bestätigt. Sie haben in dieser Erklärung eine Reihe von Ausführungen gemacht, die günstig aufgenommen worden sind und die uns in unserer Hoffnung bestärkt haben.
Sie haben im weiteren Verfolg eine Reihe von Ausführungen veröffentlicht, die ebenfalls durchaus positiv aufgenommen worden sind. Ich sage wohl nicht zuviel, wenn ich daran erinnere, daß Sie, Herr Minister, eine gute Presse gehabt haben, als Sie dieses Amt antraten. Ich darf Sie, Herr Präsident bitten, mir zu gestatten, daß ich im Laufe meiner verhältnismäßig kurzen Ausführungen hier kurze Zitate bringe. Das erste Zitat stammt aus einem Aufsatz, den der Herr Minister in der Zeitschrift „Sozialer Fortschritt", Heft 1, im Januar 1958 gebracht hat. Es heißt dort:
Im besonderen pflichte ich vielmehr der Kritik bei, die da sagt, daß die Verteilung des wachsenden Wohlstandes sozial unbefriedigend ist, daß manche Gruppen sich weniger erfolgreich als die anderen haben durchsetzen können und daß die Beziehungen des einzelnen zur Gesamtheit, nicht so sehr die der Gesamtheit zum einzelnen, vorerst noch ungenügend gepflegt werden.
Ein weiteres Zitat aus einem Aufsatz im Bulletin des Presse- und Informationsamtes vom 30. April:
Der Zuwachs neugeschaffener Werte zu vorhandenen ' Vermögensmassen geht schneller voran als die Eigentumsbildung der breiten Schichten.
Diese Ihre Äußerungen sind bei den Gewerkschaften sehr positiv aufgenommen worden, und sie haben sicherlich dazu beigetragen, daß das Verhältnis der Gewerkschaften zu Ihnen auch ein entsprechendes und gutes war.
Aber leider blieben die Enttäuschungen über Ihre Tätigkeit und ihre Haltung in Ihrem Amt, Herr Minister, nicht aus. Die ersten Enttäuschungen gab es bei Ihrer Haltung in der Debatte über die Große Anfrage der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zur Rentenreform. Da haben wir unserer großen Sorge über die Härten in den Anrechnungsbestimmungen Ausdruck gegeben. Es ist sehr negativ vermerkt worden, daß Sie den Fortfall der 40 000 bzw. 70 000 Elternrenten als ein Beweis für die Qualität der Gesetze bezeichnet und Hohn und Spott über uns ausgegossen haben, die wir mit diesem Anliegen sehr ernst gemeint haben.
Zur Zeit haben wir große Sorgen wegen der verschiedentlichen Ankündigungen aus Ihrem Hause zur Krankenversicherungsreform, insbesondere -ich will nicht viel dazu sagen, sondern mich ebenfalls beschränken - in bezug auf die Beteiligung der Versicherten an den Kosten der ärztlichen Behandlung, der Arzneiversorgung und der Krankenhauspflege. Die Neuordnung der Krankenversicherung soll vor allem die Erhaltung der Gesundheit und der Arbeitsfähigkeit der schaffenden Menschen und eine ausreichende wirtschaftliche Sicherung der Kranken und ihrer Angehörigen zum Ziele haben. Eine Kostenbeteiligung, wie sie dort vorgesehen ist, würde nicht nur die Versicherten in einer unsozialen und untragbaren Weise zusätzlich belasten, sie würde auch zahlreiche Versicherte abschrecken, bei eintretenden Krankheiten und drohender Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig den Arzt aufzusuchen. Damit würde sie in Widerspruch zu den Bestrebungen der Krankheitsvorbeugung stehen.
Eine Kostenbeteiligung halten wir auch von dem Standpunkt ,der Mittelaufbringung nicht für erforderlich, wenn die Krankenversicherung von allen Aufwendungen für die ihr nicht wesenseigenen Aufgaben befreit wird. Eine wesentliche finanzielle Entlastung der Krankenversicherung würden wir vor allem darin sehen, daß die Gleichbehandlung der Arbeiter mit den übrigen Arbeitnehmern erfolgt und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall dort wie bei den Angestellten für die Dauer von sechs Wochen eingeführt wird.
Nun hat natürlich jene unglückselige Äußerung am vergangenen Freitag, an jenem Schwarzen Freitag für alle, die um das Schicksal der deutschen Demokratie bangen, das Verhältnis des Bundessozialordnungsministers zu den Gewerkschaften sehr erheblich beeinträchtigt.
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- Meine Damen und Herren, ich habe nicht die Absicht, die Diskussion in der zweiten Lesung über die Vorgänge in Dortmund noch einmal wiederaufleben zu lassen oder irgendwie einen Anlaß dazu zu geben. Ich habe nur die Absicht, mich mit dem Verhältnis der Regierung zu den Gewerkschaften zu befassen und mich mit jenem Satz - nur mit jenem einen Satz - in den Ausführungen des Herrn Ministers auseinanderzusetzen: „Wir werden den
DGB zur Neutralität zwingen oder die Konsequenzen aus seinem Verhalten ziehen."
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- Das hat mit der allgemeinen Politik der Bundesregierung zu tun, die jetzt in der allgemeinen Aussprache der dritten Lesung des Haushalts zur Debatte steht.
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- Ja, bitte, Frau Kollegin Kalinke!
Herr Kollege Frehsee, ich freue mich über die Sachlichkeit, mit der Sie begonnen haben; aber wollen Sie mir bitte sagen, welcher Ansatz im Haushalt des Arbeitsministeriums die Voraussetzungen gibt, das Problem der Koalitionsfreiheit, die doch in unserer Verfassung gewährleistet und nicht angetastet ist, hier anzusprechen und damit über das Problem der EinheitsGewerkschaften jetzt hier im Zusammenhang mit dem Haushalt zu diskutieren?
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Darf ich daran erinnern, Frau Kollegin Kalinke, daß wir jetzt nicht zu Einzeltiteln des Haushalts sprechen, sondern daß wir uns in der allgemeinen Aussprache befinden und daß - bitte sehen Sie das Rundschreiben des Präsidenten an - die allgemeine Politik der Bundesregierung jetzt zur Debatte steht. Ich befasse mich - ich sage es noch einmal - mit dem Verhältnis der Bundesregierung zu den Gewerkschaften, und glauben Sie mir, nicht polemisch - das liegt mir fern, diese Absicht habe ich nicht -, sondern aus einer Sorge um dieses Verhältnis.
Es gibt eine Reihe von Äußerungen der Bundesregierung über die Gewerkschaften und ihre Tätigkeit. Ich darf die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers auf dem 4. Bundeskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes im September 1956 zitieren. Dort sagte der Herr Bundeskanzler:
Wenn ich zurückblickend das Geschehen seit 1945 überblicke, so kann ich sagen, daß der wirtschaftliche und der politische, der staatliche Aufbau unseres Volkes nicht gelungen sein würde ohne das immer wieder gezeigte Verantwortungsbewußtsein der Gewerkschaften.
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An einer anderen Stelle hat der Herr Bundeskanzler gesagt:
Ich möchte Ihnen, meine Herren und Damen von den deutschen Gewerkschaften ein sehr herzliches Wort des Dankes dafür sagen, daß die deutsche Arbeiterschaft auch in den Tagen der Not eine solche politische Reife gezeigt und eine so klare und entschiedene Ablehnung gegenüber allen Verlockungsversuchen des Ostens bewiesen hat. Das, meine Damen und Herren, war eine große Tat und war ein Beweis für die politische und die menschliche Reife des deutschen Arbeiters. Ich bin überzeugt, daß die spätere Geschichtsschreibung dieser Epoche gerade diese Stellungnahme der deutschen Arbeiterschaft - ich wiederhole: auch in den Zeiten der größten Not - mit goldenen Lettern vermerkt.
Das war eine Basis für das Verhältnis der Bundesregierung zu den Gewerkschaften.
Es ist allgemein bekannt, daß die Gewerkschaften großes Interesse an einer starken Stellung des Ministers für Arbeit und Sozialordnung haben. Das liegt auf der Hand. Dieses Interesse der Gewerkschaften an einer starken Stellung des Arbeitsministers bedingt, daß er sich auch immer den dazu erforderlichen Respekt wahrt. Dazu muß der Arbeitsminister über den Sozialpartnern stehen, dazu muß er jede Einmischung strengstens vermeiden, dazu muß er immer so auftreten, daß dieser Respekt bestehenbleibt und daß die Autorität behält, die zu seinem Amt gehört.
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Nun werden Sie vielleicht fragen: inwiefern hat der Arbeitsminister etwas getan, was den Respekt beeinträchtigen könnte, den man ihm entgegenzubringen hat? Nun der Herr Kollege Blank hat vorhin gesagt, er habe an jenem Freitag ja als Abgeordneter gesprochen. Wenn ich auch nicht sagen will, daß bei ihm eine Bewußtseinsspaltung vorgelegen habe, für manche seiner Hörer wird es schwer gewesen sein, zu erkennen, in welcher Eigenschaft er sprach. Wenn Herr Theodor Blank spricht, kann eben schwer unterschieden werden, ob der Abgeordnete oder der Staatsbürger Blank spricht; denn er ist bekannt als Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Dessen sollte er sich, glaube ich, immer bewußt sein, wenn er sich zu solchen Fragen als Staatsbürger äußert. Ich erinnere nur an die Zurückhaltung, die der Herr Bundestagspräsident auf Grund seiner Stellung für erforderlich hält. Ich glaube, ähnlich liegen die Dinge bei den Mitgliedern der Bundesregierung. Das war noch nicht da in der deutschen Geschichte, daß der Arbeitsminister einer freien demokratischen Gewerkschaftsbewegung mit der Spaltung droht;
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und wenn er es auch als Abgeordneter und vielleicht als Mitglied des Deutschen Gewerschaftsbundes und als Mitglied der Christlich-Sozialen Kollegenschaft getan hat. - er hat es immerhin hier vor dem Deutschen Bundestag getan.
Die Frage der parteipolitischen Neutralität, Frau Kollegin Kalinke, schneide ich nicht an,
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weil diese Frage innerhalb der Gewerkschaften diskutiert und geklärt werden muß. Die Gewerkschaften sind eine demokratische Organisation. Die Meinungs- und Willensbildung der Gewerkschaften entwickelt sich von unten herauf, von den Mitgliedern über die Delegiertenversammlungen bis zum Bundeskongreß und den Spitzenorganen zwischen den Bundeskongressen, also Bundesvorstand und Bundesausschuß. Nun, die jetzt im Zusammenhang
mit dem Anschluß der Gewerkschaften an die Bewegung „Kampf dem Atomtod" so sehr aufgekommene Auseinandersetzung über die Frage der parteipolitischen Neutralität oder der parteipolitischen Unabhängigkeit soll innerhalb der Gewerkschaften ausgetragen werden. Denn das gehört zu einer demokratischen Gewerkschaftsbewegung, daß ihre Meinung und ihr Wille nicht von außen her beeinflußt wird. Der Herr Kollege Blank sollte als Mitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, als Mitglied der Christlich-Sozialen Kollegenschaft dort seinen Standpunkt vertreten. Er sollte es nicht vor dem Bundestag oder an irgendeiner Stelle tun, an der er eben als Bundesminister für Arbeit - mindestens in den Augen seiner Zuhörer - in Erscheinung tritt; denn dann führt es zu einer Gefährdung des Verhältnisses zwischen den Gewerkschaften und der Bundesregierung, die von keiner der beiden Seiten gewünscht werden kann. Das Ende der Einheitsgewerkschaft aber würde - das ist nur eine Nebenbemerkung den Graben vertiefen, von dem jetzt verschiedentlich auch in dieser Haushaltsberatung die Rede war,
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den Graben, der ohnehin schon durch den Teil des deutschen Volkes geht, der hier in der Bundesrepublik lebt.
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Und nun noch ein Wort - ohne daß ich dabei auf die Dortmunder Vorgänge eingehen will - zu der Frage Smektala und zu der Frage der Gewinnung eines ehemaligen Kommunisten für die Demokratie. Wir, meine Damen und Herren, sind glücklich darüber, daß es uns gelingt, ehemalige Kommunisten für die Demokratie zu gewinnen, und wir meinen, daß der Kampf der Gewerkschaften in dieser Beziehung auch nicht einfach geleugnet werden kann, daß die Gewerkschaften - und in jenem zitierten Wort aus der Rede des Herrn Bundeskanzlers vor dem 4. Ordentlichen Bundeskongreß finde ich das bestätigt - auch in dieser Richtung ihr Verdienst haben. Ich habe damals an das Bibelwort denken müssen: Im Himmel ist mehr Freude über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
Meine Damen und Herren, ich möchte schließen mit der Bemerkung - nicht mit dem Appell oder der Bitte, sondern mit der Bemerkung -, daß es für den sozialen Frieden hier in diesem Staat gut wäre, wenn der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hier einige klärende Worte zu dieser Bemerkung vom vergangenen Freitag fände. Er sollte sie finden, damit das Verhältnis Bundesregierung - Gewerkschaften von der Belastung, die es durch jene Äußerung erfahren hat, wieder befreit wird.
Ich möchte mit einem Zitat schließen, das wieder aus der Feder des Herrn Bundesministers Blank stammt, nämlich aus jenem Aufsatz, den ich schon einmal zitiert habe:
Der Sozialpolitiker sollte nicht trennen, sondern verbinden, nicht entzweien, sondern versöhnen.
Sie sind der erste Sozialpolitiker in diesem Staat, Herr Minister Blank!
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Meine Damen und Herren, abendliche Debatten haben häufig unter einem unglücklichen Stern in diesem Hause gestanden. Ich hoffe, daß diese Feststellung heute eine Korrektur erfährt.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Ohne Ihre Aufforderung, Herr Kollege, hätte ich mich zu Wort gemeldet.
Ich habe - das habe ich Herrn Schellenberg soeben schon gesagt - von meinem Recht Gebrauch gemacht, das ich mir nicht beschneiden lasse, als Angehöriger dieses Hauses, von meinem Abgeordnetensitz her kommend, in der Debatte die Ihnen bekannten Dortmunder Vorfälle anzuschneiden. Ich bin Dortmunder Bürger. Ich habe mich bemüht, inzwischen noch mehr Unterlagen über diesen Vorfall in die Hand zu bekommen. Ich habe sie.
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- Ach Baur, hören Sie mich doch in Ruhe an. Sie sind doch an dieser Diskussion wirklich nicht beteiligt. Ich werde mich bemühen, dem Kollegen Frehsee zu antworten.
Ich habe mehr Unterlagen in der Hand als an dem fraglichen Tage. Aber wir behandeln jetzt nicht mehr den damaligen Tagesordnungspunkt. Das verbietet es mir, gewisse Dinge noch klarer zu stellen, als ich das an dem fraglichen Tag konnte.
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- Herr Frehsee, Sie wollen doch von mir ein klärendes Wort. Ich möchte Sie ,doch bitten, nicht solche doch immerhin ungehörigen Bemerkungen zu machen. Hören Sie bitte mal zu.
Ich gehöre zu den Leuten, Herr Frehsee, die noch im Jahre 1933 - leider zu spät; das gebe ich zu den Versuch gemacht haben, die damaligen freien und christlichen Gewerkschaften zusammenzuführen. Ich gehöre infolgedessen auch zu den Leuten - das war zwangsläufig, weil sich in den folgenden 12 Jahren diese Erkenntnis nur vertiefen konnte -, die im Jahre 1945 nicht etwa gezwungen, wie das manchmal dargestellt wird, sondern aus freier Willensentscheidung die Einheitsgewerkschaft gewollt und verwirklicht haben. Ich glaube, ich habe das mit aller Deutlichkeit im Beisein des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes als Sprecher meiner Freunde aus den Sozialausschüssen der Christlich-Demokratischen Union vor kurzem in der bekannten Kundgebung in der Frankfurter Paulskirche dargelegt. Was ich gesagt habe, ist in 50 000 Exemplaren gedruckt und verteilt worden und ist ganz sicherlich auch im Besitz des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Diese Frage hat mit dem Verhältnis der Bundesregierung zu der deutschen Gewerkschaft überhaupt nichts zu tun. Als Bundesminister habe ich allen Arbeitnehmerorganisationen, die für sich in Anspruch nehmen können, Gewerkschaften zu sein - ob das der DGB, die DAG, der Verband weiblicher Arbeitnehmer oder was es sonst noch gibt, ist -, mit dem gleichen Maß von Objektivität entgegenzutreten, ihre Meinung zu hören, mit ihnen zu sprechen. Hier hat weder die eine noch die andere Gewerkschaft einen Vorzug. So gesehen, ist das Verhältnis der Bundesregierung zu allen Gewerkschaften absolut korrekt. Mir ist kein Umstand bekannt, der den Gewerkschaften die Möglichkeit gäbe, der Bundesregierung ein unkorrektes Verhalten vorzuwerfen. Daß die Gewerkschaften das Ohr der Bundesregierung haben, wann immer sie darum nachsuchen, das hat sich, glaube ich, in der jüngsten Zeit wieder gezeigt.
Was ich als Abgeordneter gesagt habe, Herr Kollege Frehsee, dazu stehe ich. Wir haben als christliche Arbeitnehmer eine Einheitsgewerkschaft gewollt, weil wir des Glaubens waren, die wirtschaftlichen und sozialen Anliegen der Arbeitnehmer ließen sich in einer religiös, weltanschaulich, parteipolitisch neutralen Gewerkschaftsbewegung in gemeinsamer Anstrengung verwirklichen. Das war die Grundvoraussetzung. Aber wir sind nicht in diese Gewerkschaft gegangen - jetzt spreche ich als Mann der alten christlichen Gewerkschaftsbewegung -, weil wir etwa des Glaubens waren, wir bedürften einer Führung. Wir haben auf eine ebenso stolze gewerkschaftliche Tradition hinzuweisen wie die freien Gewerkschaften.
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Wir sind hineingegangen in dem Glauben, daß es möglich sein würde, unsere gemeinsamen Arbeitnehmeranliegen gemeinsam zu vertreten. Wenn die Basis zerbrochen wird, nämlich die Basis der parteipolitischen Neutralität, dann gefährden diejenigen die Einheit, die die Basis zerbrechen. Das wollte ich hier sagen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Unser Kollege und mein Landsmann Frehsee hat von der wachsenden Einsicht in diesem Hause gesprochen. Ich möchte diesen Appell an die wachsende Einsicht unterstreichen und hinzufügen, es möge uns gelingen, in Fragen der Sozialpolitik wachsende Einsicht mit der wachsenden gemeinsamen Verantwortung für die Zukunft und den Bestand unserer Sozialpolitik und ihrer Leistungen zu verbinden.
Auch ich bin nach dieser Debatte besorgt - vor allem um die Erhaltung unserer Freiheiten, auch der Koalitionsfreiheit. Denn es ist nicht der Arbeitsminister und nicht sein Haushalt und nicht das Programm der Regierung, sondern es ist unsere Verfassung, die mit der Garantie der Koalitionsfreiheit die Grundlage geschaffen hat, Gewerkschaften zu bilden und Gewerkschaften wie Tarifvertragsfreiheit zu erhalten. Ich bin dem Minister dankbar dafür, daß er deutlich gemacht hat, daß die Koalitionsfreiheit in Deutschland nicht nur den Traum oder die Realität einer Einheitsgewerkschaft zuläßt, sondern auch die Organisation all der Kräfte, die meinen, auch im Gewerkschaftsleben und im Bekenntnis zu einer Gewerkschaftsrichtung ihren Standort so deutlich machen zu sollen, wie sie das bei der Wahl einer politischen Partei oder bei der Entscheidung für eine andere Organisation ihres Interesses tun. Daß wir freie, sozialistisch geführte Gewerkschaften und christliche Gewerkschaften in Deutschland haben und daß sich diese Kräfte auf dem Gebiet, das ihnen als Aufgabe innerhalb der Demokratie gestellt ist, miteinander messen müssen, dafür hat diese Bundesregierung alle Möglichkeiten - nämlich der Koalitionsfreiheit - geschützt. Ich wäre sehr dankbar, wenn die Herren Kollegen, die um den Bestand der gewerkschaftlichen Freiheit besorgt sind - nicht um die Organisation der Einheitsgewerkschaften, das ist hier nicht unser Auftrag -, dazu beitrügen, daß diese Freiheiten weder durch falsches Monopolstreben noch durch eine unerfreuliche Haltung, wie wir sie unlängst im Sozialwahlkampf leider erlebt haben, gefährdet werden.
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Um diese Freiheiten geht es, meine Herren und Damen, und der Herr Arbeitsminister wird dann unsere Unterstützung haben, wenn er die Freiheiten aller Stände verteidigt, ich meine die Freiheiten der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber in allen ihren Schichten und Organisationen.
Der Kollege Frehsee hat recht, wenn er auf diesen übergeordneten Auftrag des Ministers hingewiesen hat. Mir ist bei seinen Ausführungen allerdings wie schon oft der Gedanke gekommen, wie schwer es doch ein Mann, der aus der Gewerkschaftsbewegung kommt, hat, mit den Gewerkschaftswünschen des DGB fertig zu werden, und wieviel besser es vielleicht wäre, wenn die Mehrheiten in Deutschland nicht immer nach einem seltsamen ungeschriebenen Gesetz meinten, der Arbeitsminister müsse unbedingt ein Arbeitersekretär oder ein Gewerkschaftler sein.
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- Ich sage das, weil ich selber Gewerkschaftlerin bin; darum habe ich den Mut, auch dies offen auszusprechen. Ich bekenne mich zu einer freien und unabhängigen deutschen Gewerkschaftsbewegung, wenn sich auch meine Auffassung in vielem von der des Deutschen Gewerkschaftsbundes und seiner Vertreter entscheidend trennt.
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- Ich freue mich über das Kompliment; vielleicht wäre es nützlich, wenn wir uns häufiger im Gespräch über gemeinsame Verantwortung klar würden, und vielleicht könnte sich Ihre Auffassung nach diesem guten Auftakt ändern.
Bezüglich der Zitate des Herrn Arbeitsministers, die der Kollege Frehsee aus verschiedenen Reden des Ministers aus der letzten Zeit vorgetragen hat, darf ich sagen, daß wir dem Bundesminister für Arbeit hinsichtlich all der Meinungsäußerungen zustimmen, in denen er auf die Verbindung der Wirtschaftskraft, der Freiheit und der Selbstverantwortung aller Barger dieses Staates mit dem Sozialetat und den sozialen Leistungen hingewiesen hat. Wir werden ihm bei der Durchsetzung solcher Ziele und Versprechungen, mit denen die Freiheit und die Sicherheit garantiert werden sollen, innerhalb der Koalition getreu helfen, auch die Entscheidungen zu treffen, die zur Verwirklichung solcher Thesen und Ziele notwendig sind.
Herr Frehsee hat davon gesprochen, daß die Verteilung des wachsenden Wohlstandes unbefriedigend sei. Ich glaube, daß seine Auffassung eine andere ist als meine, wenn er von dem Teil des Volkes spricht, für den die Verteilung noch unbefriedigend ist. Wir meinen einen anderen Teil des Volkes: Gerade die freien Berufe und die mittelständischen Schichten wie ,diejenigen, ,die als Opfer des Krieges wirklich noch auf der Schattenseite stehen, nämlich die Frauengeneration, die Alleinstehenden und Alten ohne Rentenansprüche sind diejenigen, ,die in der bisherigen Sozialreform noch zu kurz gekommen sind.
Mein Kollege Schild und ich hatten die Absicht, im Namen der Fraktion der Deutschen Partei heute bei der Beratung des Haushalts des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - wie sein neuer Titel heißt - eine Reihe grundsätzlicher Ausführungen zu machen und die Fülle der Probleme aufzuzeigen, die hier zur Lösung anstehen. Ich bedauere sehr, daß heute abend immer wieder von dem gesprochen worden ist, was anscheinend das Hauptanliegen des Hauses ist: diese Debatte möglichst kurz und möglichst knapp zu führen.
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Ich glaube, daß dies das Anliegen derjenigen, die hier ausharren, nicht ist, weil sie ihr Interesse an diesem so bedeutenden Haushalt durch ihr Hiersein wenigstens zeigen. Es ist immerhin ein Haushalt, der, wie der Herr Minister sagte, fortgesetzt eine steigende Tendenz gezeigt hat und 35 % des gesamten Haushalts ausmacht.
Im Gegensatz zu dem Herrn Minister und denen, die in der Höhe des Sozialetats etwas besonders Rühmenswertes sehen, wünschen meine Freunde von der Deutschen Partei, daß der zunehmenden Wohlstandsmehrung ein Höchstmaß von individueller Sicherung folgen möge, damit wir endlich von einem sinkenden Etat der Soziallasten sprechen könnten.
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Ich glaube, daß dann auch ein sinkender Ansatz für Sozialversicherungsbeiträge und soziale Steuern - wobei ich die direkten und die indirekten meine ein besonders günstiges Zeichen für die steigende Wohlfahrt für alle Schichten unseres Volkes sein könnte.
Ich muß leider vor diesem Hohen Hause mit großem Bedauern feststellen, wieviel größer das Interesse am Haushalt der Verteidigung und an den Problemen anderer Haushalte, und wie gering das Interesse am Haushalt der sozialen Lasten ist, der in unserer Zeit, besonders nach zwei Kriegen und deren Erfordernissen, doch so bedeutsame Aufgaben hat. Da kaum 10 % der Mitglieder dieses Hauses an den Debatten über den Haushalt des Arbeitsministers wirklich Anteil nehmen - und das ist nicht nur heute und jetzt während des Wahlkampfes in Nordrhein-Westfalen so, sondern das ist leider immer eine bedauerliche Erscheinung gewesen -, habe ich mir überlegt, ob ich hier und heute überhaupt das Wort nehmen soll; denn die Kollegen, die jetzt anwesend sind, sind ohnehin diejenigen, die ihr Interesse an den sozialpolitischen Fragen in den Ausschüssen zum Ausdruck bringen.
Aber so bedauerlich das mangelnde Interesse vieler Abgeordneten auch sein mag: Der Auftrag des Parlaments ist, sich darüber klar zu sein, daß bei der Einbringung eines Haushalts von rund 11 Milliarden DM allein für soziale Leistungen - ohne die Wohnungsprobleme, die ich hier nicht besonders erwähnen will - etwas über den Weg, über das Leitbild und über die Konzeption ausgesagt werden muß, unter der die Bundesregierung und ihr Arbeitsminister dazu beitragen wollen, daß zu und neben der äußeren Sicherheit, über die in diesen Tagen so viel gesprochen worden ist, das Maß an innerer Sicherheit garantiert wird. Meine politischen Freunde sind sich mit mir darin einig, daß wir den Herrn Bundesminister - weil wir gegen die Sippenhaftung sind; wir haben das nicht nur bei der Entnazifizierung betont - nicht für die Versäumnisse oder Irrtümer seines Vorgängers schuldig sprechen und auch nicht verantwortlich machen wollen. Aber auch wir würden es sehr begrüßen, wenn der Herr Bundesminister sehr bald Gelegenheit nehmen würde, mit einem der nächsten Reformgesetze - wir hoffen, daß es die Krankenversicherungsreform sein wird - sein Leitbild und das der Bundesregierung über den neuen Weg und die neuen Zielsetzungen auch im Hinblick auf die neuen Aufgaben seines Ministeriums deutlich zu machen. Ich hoffe, daß es sich bei seiner neuen Würde als Minister für Sozialordnung nicht nur um eine neue Überschrift und einen neuen Titel handelt, sondern ich hoffe, daß es dem Minister gelingen wird, nicht etwa mit einer Ausdehnung der Zwangsversicherung, der Sozialversicherungssysteme oder eines neuen Versorgungssystems auf die freien Berufe und die Selbständigen, sondern mit wirklichen Hilfen zur individuellen Sicherung aus eigener Kraft denjenigen Wege zu weisen, die zur Selbsthilfe und Selbstverantwortung noch bereit sind. Wir sind überzeugt, daß der Minister diesen Weg linden wird, wenn ihm die Organisationen der freien Berufe nicht nur Forderungen entgegenhalten, sondern auch Bereitschaft zeigen werden, selbst Verantwortung in Freiheit zu tragen.
Daß die veränderte Sozialstruktur und die veränderte Wirtschaftslage solche neuen Wege notwendig machen und der Sozialpolitik neue Impulse gegeben werden müssen, erscheint mir selbstverständlich. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat die große Chance, hier erstmalig in der
deutschen Sozialpolitik zu erkennen zu geben, daß die veränderte Struktur unserer Gesellschaft auch veränderte Leitbilder - ün Gegensatz zu dem, was wir bisher in der Sozialversicherung und in der Versorgung konserviert haben - erfordert.
Ich habe schon von den Frauen - die leider so oft vergessen werden - gesprochen. Ich will das Problem der Fremdrenten, der Heimatvertriebenen, der Kriegs- und Nachkriegsopfer, das Problem des Lastenausgleichs und das der 131 er, das genauso dazugehört wie die Kriegsopferversorgung, hier nicht im einzelnen behandeln. Ich möchte aber doch darauf hinweisen, daß wir erwarten, daß durch die Fortsetzung sozialer Reformen auch etwas über die Grenzen der staatlichen Sicherheit ausgesagt wird. Und darin stimme ich mit Herrn Kollegen Mischnick überein, daß die Garantie der Freiheit und des Schutzes unserer Staatsbürger auch mit den Grenzen des Versicherungszwanges und der Versicherungsberechtigung, aber auch mit der Beendigung des Versicherungszwanges und der Versicherungsberechtigung zu tun hat und daß solche Erkenntnis in der Gesetzgebung deutlich gemacht werden muß.
Angesichts des großen Zusammenhanges aller sozialpolitischen Probleme glaube ich, Herr Kollege Frehsee, daß es sehr falsch wäre, „das Problem der Krankenversicherungsreform" etwa heute zur Diskussion zu stellen. Wir sollten auch Einzelfragen und Teilprobleme der Krankenversicherungsreform nicht in übersteigerter oder unterschätzter Form - je nachdem, wie es zweckmäßig erscheint - in die Debatte werfen, auch dann nicht, wenn in irgendeinem Lande Wahlkampf ist und es vielleicht populär ist, zu sagen: „Wir sind gegen Selbstbeteiligung, gegen höhere Beiträge und nur für Mehrleistungen." Nein, wir sollten in einer so ernsten Debatte, wie sie eine Haushaltsdebatte sein soll, ganz deutlich sagen, daß die Krankenversicherungsreform notwendig ist, daß aber bei den Leistungsproblemen der Krankenversicherung, bei der Finanzierung, auch ein Zusammenhang mit dem Problem der Krankenhäuser, der Ärzte, der Krankenschwestern, der Arzneimittel und vieler anderer Fragen mehr besteht, ja auch eine Wechselwirkung mit der Finanzkraft unserer Gemeinden und ihrer Beanspruchung - sei es für die Krankenhäuser, sei es aber auch wegen der Garantie, die sie für die Krankenkassen tragen müssen und an die diejenigen meistens nicht denken, die sehr vereinfacht nur Forderungen stellen.
Ebenso dürfen die Probleme des Lohnfortzahlungsgesetzes nicht allein im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht und der Krankenversicherungsreform gesehen werden, und darum gehe ich wegen der Vielfalt der gerade aus diesem Gesetz resultierenden Fragen heute nicht darauf ein. Sie müssen zusammen mit den weiteren Problemen, die auf uns zukommen werden, gesehen und gelöst werden, wenn wir in diesem Bundestag - ich hoffe, sehr bald - über diese Problematik nach der Einbringung der Regierungsvorlage zur Krankenversicherungsreform sprechen werden.
Es müßte über das Kindergeldgesetz, über die Familienpolitik und die weitere Anpassung des
Rechts an der Saar mindestens so ernsthaft wie über weitere Einzelfragen gesprochen werden. Haben Sie keine Sorge, ich tue es heute abend nicht mehr. Dafür ist mir das Problem der Krankenversicherungsreform viel zu bedeutsam.
Zu den ungelösten Fragen gehört auch die Handwerkerversorgung und die Altershilfe für die Landwirtschaft. Was letztere angeht, so hat der Herr Minister mit Recht gesagt, daß .die Altershilfe für die Landwirte nicht in diese Debatte gehört. Ich meine aber, daß sie uns bei der Besprechung seines Etats ein Beispiel und eine Warnung sein soll. Der Tatbestand, daß die Bedenken der Fraktion der Deutschen Partei - Sie können meine Ausführungen nachlesen - nicht gehört worden sind, der Tatbestand, daß der Beitrag heute nicht ausreicht und demnächst erhöht werden muß und daher viel Unzufriedenheit bei den Beitragsaufbringenden wie bei den Empfängern gekürzter Leistungen besteht, sollte uns veranlassen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Darum hoffen wir, daß der Herr Minister die Zusage, die er heute gemacht hat, sehr bald weitere Gesetzentwürfe vorzulegen, schnell verwirklichen kann. Wir hoffen, daß die Gesetzesvorlagen über die Krankenversicherungsreform nicht in das Wahlkampfklima hineinkommen und daß sie auch nicht unter den Zeitdruck geraten, unter dem leider das Gesetz über die Altershilfe für die Landwirtschaft und die Rentenreformgesetze beraten werden mußten. Die Fraktion der Deutschen Partei wird dem Herrn Minister dankbar sein, wenn er alles tut, um die grundsätzlichen Entscheidungen über die weiteren Reformfragen im Kabinett voranzutreiben, damit er dann diesem Hause sagen kann, welches das Ziel seiner weiteren Gesetzesvorlagen ist.
Innere und äußere Sicherheit gehören zusammen und sind genauso unlösbar verbunden wie die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, die wiederum unlösbar verbunden sind mit der Steuerreform, der Geldstabilität und der Kaufkraft. Heute beträgt die Belastung mit Sozialversicherungsbeiträgen schon 25 bis 30 % aller Einkünfte unserer Arbeitnehmer. Wir hoffen, daß der Bundesminister alles tun wird, um die Beitragslasten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht zu erhöhen, sondern für sinkende Beiträge und vernünftige Reformen besorgt sein wird.
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- Wir glauben nicht, daß alle Sozialleistungen in der bisherigen und in gleicher Weise erhöht werden müssen, sondern wir meinen, daß wir auf Grund der sozialen Bedürfnisse der Gegenwart einer modernen Sozialpolitik, die die Freiheit mehrt und den Zwang mindert, Chancen geben sollten.
Wir begrüßen es, daß der Bundesminister für Arbeit - und das tun wir im Gegensatz zu Ihnen, meine Herren von der SPD - die öffentlichen Diskussionen um Reformpläne in großer Breite eröffnet hat. Wir glauben, daß die rechtzeitige öffentliche Diskussion auch unangenehmer oder unbequemer Probleme der Sozialpolitik dazu beiträgt, in unserem Volk das Verständnis für Sozialbeiträge, für soziale
Lasten, für soziale Notwendigkeiten, aber auch die rechte Anerkennung für soziale Leistungen in der Sozialgesetzgebung zu mehren.
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- Wie sollen wir von den Staatsbürgern erwarten, daß sie Verständnis haben, wenn nicht einmal das Parlament Geduld hat, solche Fragen anzuhören? Wie wollen wir von den Staatsbürgern erwarten, daß sie sich mit der Sozialpolitik beschäftigen, daß der Staatsbürger nicht nur über Steuern und Beiträge klagt, wenn wir nicht die Geduld haben, die wesentlichsten Fragen in aller Kürze miteinander zu besprechen und sie deutlich zu machen?!
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- Heute nicht, Herr Kollege. Ich will Ihrem Unwillen, zuzuhören, Rechnung tragen. Glauben Sie ja nicht, ich sei der Meinung, daß etwas Entscheidendes zum Haushalt des Arbeitsministeriums in fünf oder zehn Minuten ausgesagt werden könnte! Ich empfinde es als peinlich, daß Sie bei einem so großen Haushalt und bei so leerem Hause nicht die Geduld haben, die wichtigsten Fragen überhaupt nur anzusprechen.
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Ich bitte Sie, meine Kollegen, 'die Sie mit idem Problem weniger vertraut sind, einmal darüber nachzudenken, wie lange der Reichstag gebraucht hat, um die Voraussetzungen für eine Reichsversicherungsordnung zu schaffen, die heute noch gilt und unendlich viel Gutes bewirkt hat.
Ich wünsche dem Bundesminister für Arbeit den Mut zum Heilenden, zum Notwendigen und, wenn es sein muß, auch zum Unpopulären. Die Fraktion der Deutschen Partei wird diesem Minister für Arbeit und Sozialordnung eine Chance geben, und sie wird dem Haushalt zustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Pohle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Haus nicht mehr strapazieren.
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Das wäre etwas Ungeheuerliches. Ich hatte nämlich auch die löbliche Absicht, um 18 Uhr das Haus zu verlassen. Aber nichts ist beständiger in diesem Hause als seine Unbeständigkeit in Terminfragen. So kann man nur noch resignieren und in der Nähe der Mitternacht
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zu dem, was gesagt worden ist, einige Sätze hinzufügen. Ich darf dabei aber sagen, wer jetzt noch den Mut hat, hier das Wort zu ergreifen, der hat wirklich noch etwas auszusagen, weil er bei der überfüllten Pressetribüne nicht die Möglichkeit sieht, in der Presse von morgen oder übermorgen noch genannt zu werden.
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Meine Damen und Herren und Herr Minister, ich möchte einen Eindruck, der vielleicht in der Öffentlichkeit entstehen könnte, von vornherein hier verwischen. Sie könnten den Eindruck haben, Herr Minister, und auch die Öffentlichkeit, weil hier von Fragen der Kriegsopferversorgung nur am Rande gesprochen worden ist, auf dem Sektor wäre alles in Ordnung. Wir haben durchaus eine ganze Reihe von Fragen zu stellen. Wir hätten eine ganze Reihe von Wünschen anzumelden. Aber wir haben auch nicht die Absicht, eine Flickarbeit bei einer Etatberatung zu leisten, wo wir in allerkürzester Zeit einen neuen Anzug für die Bundesversorgung schneidern wollen. Da nach den Ferien unsere Große Anfrage zur Debatte stehen wird, werden wir uns mit dem Bundesarbeitsminister und Ihnen, Herr Finanzminister Etzel, darüber auseinandersetzen. Ich habe Sie bedauert in diesen Tagen, und manchmal habe ich gedacht, hört er zu oder über was denkt er nach.
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Denn das, was hier gesagt worden ist, haben Sie nicht aufnehmen können. Der Kulminationspunkt muß ja auch bei Ihnen schon erreicht sein.
Aber eine Bitte möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben. Sie haben in Ihrer Haushaltsrede von den Traumvorstellungen der Verbände über die Entwicklung der Kriegsopferversorgung gesprochen. Sie haben aber positiv hinzugesetzt, daß Sie eine Reform im Rahmen der bisherigen Gesamtaufwendungen der Kriegsopferversorgung bejahen.
Herr Minister, ich möchte Ihnen für die Ferien zur Überlegung mit auf den Weg geben: das „im Rahmen der bisherigen Gesamtaufwendung" ist eine Traumvorstellung Ihrerseits. Wenn wir bei dieser Summe, die wir heute im Haushaltsplan haben, eine Reform des Bundesversorgungsgesetzes durchführen wollen, dann wird daraus nichts, Herr Minister! Bitte, fordern Sie mit Ihrem Kollegen Blank eines Tages hier für die Kriegsopferversorgung Ihr Jahrhundert in die Schranken! Wir hoffen, dann auch den Kriegsopfern und Hinterbliebenen sagen zu dürfen, daß sie nicht vergessen worden sind.
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Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Befürchtungen, aber ich halte es für meine Pflicht, als Sprecher der CDU/ CSU-Fraktion am Ende dieser Debatte auch meinerseits zum Ausdruck zu bringen, daß wir uns hinter die Ausführungen stellen, die Herr Minister Blank heute abend hier gemacht hat. Wir sind damit einverstanden, daß die Behandlung der Fragen, die heute hier zwar vielfältig angesprochen, aber im einzelnen nicht durchdiskutiert werden konnten, demnächst bei erster sich bietender Gelegenheit in den beteiligten Ausschüssen sehr gründlich nachgeholt wird, bevor die einzelnen Gesetzesvorlagen, die diese und jene Materie betreffen, dem Hause vorliegen.
Wir stellen uns auch insofern hinter die Ausführungen des Ministers, als sie sich auf die Auseinandersetzungen über die Gewerkschaften bezogen. Wir unterstreichen unsererseits das, was der Herr Minister in der vergangenen Woche und auch heute zu diesem Problem gesagt hat.
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Meine verehrten Damen und Herren, wir nehmen Veranlassung, diesem Bundesarbeitsminister, der sein Amt bei der Neubildung der Regierung im vergangenen Herbst angetreten hat, unseren Dank dafür zu sagen, daß er seine Arbeit mit Vorsicht, mit einer gewissen Zurückhaltung, nicht gleich stürmisch vordringend begonnen und eingeleitet hat,
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weil es seine Verpflichtung ist, Herr Kollege Schellenberg, die Vorlagen, die er dem Hause macht, nach echter, gründlicher Vorbereitung zu erstellen. Insofern haben wir auch das Vertrauen in seine Arbeit für die Zukunft. Wir glauben, daß er sein Programm, das er uns vor Monaten in den Ausschüssen entwickelt hat, mit Energie und Ausdauer weiterhin anfaßt und durchführt. Dabei haben auch wir den herzlichen und dringenden Wunsch, daß der Herr Minister, was den Terminkalender angeht, dafür Sorge trägt, daß wir recht bald, wenn wir aus den Ferien kommen und hier wieder unsere Arbeit aufgenommen haben, Gelegenheit bekommen, in Fortsetzung der grundsätzlichen Neugestaltung auf sozialpolitischem Gebiet wirklich weitere Schritte nach vorn zu tun.
Ich wiederhole, meine Damen und Herren, wir haben Vertrauen zum Herrn Arbeitsminister Blank. Er darf sich darauf verlassen, daß die Fraktion der Christlich-Demokratischen/Christlich-Sozialen Union ihn bei seiner schweren Aufgabe in diesen Jahren mit allem Nachhalt und mit Energie unterstützen wird.
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Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der allgemeinen sozialpolitischen Diskussion.
Zu
Vertriebenenfragen
hat sich zunächst der Herr Abgeordnete Rehs gemeldet. Ich gebe ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin mit einem Seufzer - Sie haben es selbst gesehen - hier zur Bühne heraufgegangen, mit einem Seufzer deshalb, weil ich es aus kollegialen Gründen sehr bedauere, in dieser Situation Ihre Geduld in Anspruch nehmen zu müssen, mit einem Seufzer aber auch wegen des Themas, zu dem ich unter diesen Umständen und zu dieser Stunde noch sprechen muß. Es ist die erste und einzige Gelegenheit im Rahmen der Haushaltsberatungen, zu diesem Gegenstand zu reden. Ich würde es für verantwortungslos gegenüber den Millionen Betroffenen ansehen, wenn ich nicht den Mut aufbrächte, Sie trotz der bestehenden Umstände um Geduld für einige Ausführungen zu bitten.
Es handelt sich um den großen Kreis der Heimatvertriebenen, Flüchtlinge, Aussiedler und anderen Kriegsgeschädigten mit ihren Problemen. Die Haushaltsberatungen haben wieder die bedauerliche Tatsache gezeigt, daß die entscheidenden materiellen Probleme dieses Personenkreises verwaltungsmäßig von diversen Ressorts behandelt werden; das wirkt sich verhängnisvoll aus. Diese wichtigen sozialen Fragen entziehen sich infolgedessen bei der Behandlung des Haushalts einer Gesamtsicht des Parlaments. Es hat sich auch gezeigt, daß jedes Ressort die Dinge überwiegend aus seinem Ressortinteresse heraus sieht. Die einzelnen Ressorts bringen für diese Stiefkinder, für die ihnen vom Vertriebenenministerium anvertrauten Pflegekinder nicht das nötige Verständnis auf, weil sie die speziellen Probleme und auch den Gesamtzusammenhang nicht zu erkennen vermögen.
Man muß, so bedauerlich das ist, feststellen, daß die bisherigen Haushaltsberatungen vor dem Parlament den bestürzenden Eindruck in der (ffentlichkeit entstehen lassen können, es gebe überhaupt kein besonderes Vertriebenen-, Flüchtlings- und Kriegsgeschädigtenproblem mehr.
({0})
- Natürlich, Herr Kollege; wir haben es in diesem Jahr hier überhaupt noch nicht erörtert. Die Haushaltsberatungen dienen nun einmal der Steuerung der Politik für das ganze folgende Jahr. Nicht umsonst haben die anderen Ressorts diese Frage zu einem wesentlichen Teil in dieser Weise behandelt, die uns jetzt in Zeitdruck bringt.
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- Herr Kollege Conring, Sie wissen ganz genau, daß diese Fragen bisher völlig untergegangen sind. Der Kreis der betroffenen Personen muß sich schwer zurückgesetzt fühlen, wenn ihm diese Behandlung zuteil wird, wenn nicht die Gelegenheit wahrgenommen wird, einige wesentliche Feststellungen zu dem Problem zu treffen.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich ausdrücklich betonen: wir sehen durchaus, daß sich die Größenordnungen verschoben haben, daß sich die Struktur wesentlicher Einzelfragen verändert hat. Aber wir müssen auch das sehen, was noch nicht geschehen ist. Was von uns sozial und finanziell noch getan werden muß, ist so umfangreich, daß man zugeben muß: hier besteht nach wie vor noch ein so kompaktes und für große Schichten menschlich so bedrückendes Gesamtproblem, daß wir eine Bewertung, wie sie in den diesjährigen Haushaltsberatungen erblickt werden könnte, einfach nicht zulassen dürfen.
Ich bilde mir nicht ein, Ihnen in der kurzen Zeit, die ich ,infolge der Umstände für mich in Anspruch nehmen kann, das ganze Gewicht der Probleme nahebringen zu können. Aber vielleicht wird sich der eine oder andere noch an das erinnern, was Rudolf Hagelstange zu Weihnachten vorigen Jahres über den „Luxus des Gemüts" ausführte. Er stellte die Frage:
Wer bringt noch die Phantasie auf, sich den Inhalt von Vertriebenen- und Flüchtlingslägern als Sinn von Einzelschicksalen vorzustellen?
Er sprach von „dem Fehlbetrag in der Rechnung der deutschen Moral", von der „isolierten Schicht von Außenseiter gewordenen Glücklosen", von „dem traurigsten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte".
Vielleicht hat der eine oder andere von Ihnen auch die Schrift „Hand am Pflug" gelesen, in der der Beauftragte der Evangelischen Kirche für Umsiedler- und Vertriebenenfragen, der Bischof Wester in Schleswig, mit bitteren Worten schrieb:
Das Wirtschaftswunder hat auch die Christen geblendet und sie blind gemacht, daß sie die Not in den Lagern einfach nicht mehr sehen wollen.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie nur noch an den Rundfunkvortrag von Superintendent Arndt vom 22. März dieses Jahres erinnern. Ich sage das, damit Sie den Hintergrund sehen, weshalb ich überhaupt zu den Dingen in dieser Weise spreche. Superintendent Arndt führte damals aus, die Frage der Vertriebenen und Flüchtlinge sei zu einer Frage der Statistik geworden und dieser nationale Notstand finde so gut wie überhaupt kein Echo mehr. Meine Damen und Herren, denken Sie nur an die Resonanz der Aktion Friedlandhilfe, eine Resonanz, die auch von Ihnen beklagt wird, und vergleichen Sie dann bitte das, was diese Persönlichkeiten ausgeführt haben, mit der Wirklichkeit!
In einer der ersten Sitzungen des Heimatvertriebenen-Ausschusses dieses Bundestages hat Minister Oberländer berichtet, daß etwa 40 % der Vertriebenen noch nicht eingegliedert seien. Er hat dazu ausgeführt, es sei traurig, aber er müsse es aussprechen: dies sei auf die Unkenntnis der Öffentlichkeit, was dieses Problem angehe, zurückzuführen. Er betrachte es als seine Aufgabe Nr. 1, gegen diese Unkenntnis anzugehen.
Aber ist es nicht schlimm, daß der Minister nach mehr als vier Jahren politischer Tätigkeit eine solche Erklärung abgeben muß? Worauf ist denn diese erschreckende Unkenntnis der Öffentlichkeit zurückzuführen? Doch auf Ihre Skepsis gegenüber der Feststellung, die ich soeben zu diesem Tatbestand getroffen habe. Dazu haben Sie den Kopf geschüttelt und gemeint, das sei doch offenbar Polemik, oder was weiß ich, weshalb Sie den Kopf geschüttelt haben, Ich weiß, daß diese Dinge nicht mehr gerne gehört werden und daß sie auch hier mit großer Zurückhaltung aufgenommen werden. Aber Sie sehen in dieser Äußerung Ihres eigenen Vertriebenenministers, Ihres eigenen Parteifreundes ja doch die Bestätigung, wie bitter notwendig es ist, diese Tatbestände hier einmal festzustellen.
Ich frage: Worauf ist es zurückzuführen, und wer trägt in erster Linie die Verantwortung dafür, daß zum Beispiel, wie der Kollege Kuntscher von Ihrer Fraktion in der Debatte am 26. Februar feststellte, die Lageraufenthalte immer länger werden und daß das Schicksal von rund 590 000 Lagerbewohnern - diese Zahl nannte Herr Minister Oberländer damals - im westdeutschen Bewußtsein keinen Platz mehr findet, wie Hagelstange, Arndt und all die anderen erklärt haben und wie das letzten Endes der Minister selber Anfang dieses Jahres mit Bedauern hat zum Ausdruck bringen müssen?
Als ich vor zirka zweieinhalb Jahren diese Situation, in der sich das ganze Vertriebenenproblem in der Öffentlichkeit befindet, hier feststellte, da wurde auf den Bänken der CDU/CSU gelächelt, und als ich vor zirka drei Jahren bei der Erörterung des Aussiedlerproblems in Berlin vorwurfsvoll die Frage aufwarf: Warum hinkt denn die Bundesregierung hinter diesen sozialen Problemen immer nach?, da protestierten Sie.
Auf unserem Wiesbadener Kongreß im April vorigen Jahres habe ich vorgerechnet, was mit dem ständigen Flüchtlingsstrom aus der Sowjetzone und mit dem zu erwartenden Aussiedlerzustrom aus den Ostgebieten auf uns zukommt. Ich habe damals gewarnt und habe darauf aufmerksam gemacht, daß sich mit dem neuen Menschenzustrom ein Problem der Massenunterbringung zusammenballt, das wie eine Gewitterwolke zur Entladung drängt. Aber was ist seitdem von der Bundesregierung ernstlich geschehen? In der Debatte am 26. Februar dieses Jahres blieb Herrn Minister Oberländer keine andere Entschuldigung als: Wir haben doch in keinem Jahr gewußt, wie viele kommen würden.
Nein, meine Damen und Herren, die Gründe für die niederdrückende Position, die das Vertriebenen-, Flüchtlings- und Kriegsgeschädigtenproblem heute in der Öffentlichkeit und im politischen Raum einnimmt, liegen tiefer. Ich will die Verantwortung des Vertriebenenministers gewiß nicht als leicht darstellen. Ich habe oft gewünscht, daß er bei der Vertretung seiner Aufgaben im Kabinett etwas von der Robustheit seines Kollegen Strauß besäße und daß er es verstünde, auf seinem Gebiet die Ansicht zur Tat durchzusetzen, daß alle militärische Verteidigung von der Sicherung der sozialen Verhältnisse abhängt. Aber ich gebe zu, daß ich in diesem Kabinett nicht Vertriebenenminister sein möchte. Hier liegen nämlich die Wurzeln. Der Kanzler bestimmt ja nicht nur - wir haben oft genug in diesen Tagen wieder davon geredet - die Richtlinien der Politik, er bestimmt auch den Geist. Wir wissen, daß er kein Organ für diese sachlichen Fragen auf der Vertriebenenebene hat. Daran ändern auch alle Glückwunschadressen zu Vertriebenenveranstaltungen nichts. Aber offenbar ist auch in der großen Regierungsfraktion und auch unter den Vertriebenenabgeordneten niemand, der den Mut und die Härte aufbringt, einmal klarzumachen, daß die Dinge so nicht weiterbehandelt werden dürfen.
({2})
Von den Erklärungen des CDU-Sprechers in der Regierungsdebatte 1953, in vier .Jahren würden die sozialen Probleme der Vertriebenen in der politischen Diskussion keine Rolle mehr spielen, bis zu den 21/2 Protokollzeilen, die der Bundeskanzler in der Regierungserklärung 1957 für die materielle Seite dieser Probleme übrig hatte, außer natürlich den Begriffen „soziale Verpflichtung" und „natioRehs
nale Ehre", verläuft eine gerade Linie. Bis heute, ein ganzes Jahr nach dem Zusammentritt dieses Bundestages, ist von der Bundesregierung noch keine Gesamtdarstellung, keine Konzeption, kein geschlossenes Programm über Absichten und Maßnahmen auf diesem Gebiet vorgelegt worden.
({3})
Der Bund der Vertriebenen hat sowohl zum Gesamtproblem wie zu einzelnen Teilen eingehende Memoranden erarbeitet, und meine Fraktionskollegen, z. B. der Kollege Reitzner, haben sich in der „Brücke" ebenfalls wiederholt zum ganzen wie zum einzelnen geäußert. Aber die Bundesregierung und die Koalition sind bis heute stumm geblieben. Und dazu nun, meine Damen und Herren, Ihre Abstimmungen in der zweiten Lesung über die wenigen von uns gestellten und nur auf einige Schwerpunkte beschränkten Anträge!
({4})
Wie denkt sich - um nur noch wenige Bemerkungen hierzu zu machen - die Koalition und die Bundesregierung eigentlich die Sache mit der Umsiedlung? Nicht nur, daß bier eine hervorragende, menschliche und soziale Aufgabe buchstäblich zu Tode geschleppt worden ist, hier geht es auch um Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit; denn hier besteht ein Gesetz, hier besteht eine Rechtsverordnung vom 5. Juni 1956. Danach war der Bund verpflichtet, die 300 Millionen bis einschließlich dieses Jahres zur Verfügung zu stellen. Mit den fehlenden 60 Millionen bleibt das Gesetz unerfüllt.
({5})
Sie haben in der zweiten Lesung gegen unseren
Antrag, der diese Lücke schließen sollte, gestimmt.
Sie haben damit die Gesetzeserfüllung verweigert.
({6})
Wie soll der Staatsbürger auf ein solches Vorbild durch die Regierung und das Parlament in der Frage der Gesetzestreue reagieren?
Zu der beschämenden Ablehnung unseres Antrages bezüglich der Lager- und Barackenauflösung brauche ich nichts mehr zu sagen. Diese Ablehnung spricht für sich selbst.
({7})
- Aber Herr Kollege, hören Sie zu, was ich Ihnen sagen werde! Nach dem Bericht der „Kieler Nachrichten" ist auf dem Rendsburger CDU-Parteitag in Schleswig-Holstein vor wenigen Tagen die Beseitigung der letzten Barackenlager als wichtigstes Anliegen der CDU bezeichnet worden und die schnellste Überführung der zur Zeit noch in Notunterkünften untergebrachten Familien in zumutbare Wohnungen gefordert worden.
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Ihre Abstimmung über unseren Antrag liefert eine einwandfreie Beweisführung zu der Glaubwürdigkeit solcher Forderungen.
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- Lieber Kollege, dieser - ({10})
- Aber erzählen Sie doch keine Märchen! Diese 14 Millionen, die überhaupt nur in den Bundeshaushalt hineingekommen sind, sind nur deshalb eingesetzt worden, weil ich im Vertriebenenausschuß angekündigt habe, ich würde die Sache ins Plenum bringen, weil nichts darüber im Haushalt enthalten sei. Deshalb haben Sie, da Sie natürlich die Prügel fürchteten, hinterher schnell noch versucht, wenigstens in diesem einen Punkt die Sache mit den Bindungsermächtigungen von 14 Millionen hinzubekommen.
({11})
- Natürlich, aber wir haben sie hineingebracht. 14 Millionen DM Bindungsermächtigungen. Daß das nicht ausreicht, wissen Sie, und daß das im Verhältnis zur Sache unzulänglich ist, wissen Sie genauso. Unseren Antrag, mit dessen Annahme im vorigen Jahr wirklich etwas hätte geschaffen werden können, haben Sie niedergestimmt. Dann stellen Sie sich aber auf einem Parteitag wie dem in Schleswig oder in Rendsburg hin und sagen: das ist unser wichtigstes Anliegen!
Herr Abgeordneter Rehs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Czaja?
({0})
Herr Kollege Rehs, ist Ihnen bekannt, daß fast gar nichts von den im Vorjahr zur Verfügung gestellten Mitteln für die Räumung von Lagern für Altvertriebene überhaupt verbewilligt worden ist?
Herr Kollege Czaja, kommen Sie doch nicht mit diesem alten Manöver! Das ist die Welle, auf der Sie in der Debatte am 26. Februar zu reiten versucht haben - wider besseres Wissen zu einem entscheidenden Teil. Sie wissen, daß die Entwicklung einfach in dieser Form nicht weitergehen konnte, wie Sie versucht haben sie darzustellen.
Gestatten Sie noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja?
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Können Sie irgendeinen Beweis dafür anführen, daß das, was ich gesagt habe, nicht stimmt?
Sie brauchen nur Ihre eigenen Artikel zu lesen, Sie brauchen nur die Diskussion vorn 26. Februar nachzulesen, Sie brauchen nur nachzulesen, was Ihnen die Minister aus Nordrhein-Westfalen geantwortet haben, das ist Beweisführung in Hülle und Fülle.
Eine weitere glatte Nichterfüllung einer bestehenden Gesetzesverpflichtung bedeutet die Behandlung der bäuerlichen Siedlung der Vertriebenen im Einzelplan 10. Wie kommt der Bund dazu, sich dieser gesetzlichen Verpflichtung zu entziehen? Ich hatte gehofft, daß meine rechtzeitigen Ausführungen bei der Debatte zum Grünen Plan Sie veranlassen würden, die Dinge einigermaßen in Ordnung zu bringen. Das ist nicht geschehen. Von den seitens der Länder angeforderten 360 Millionen DM sind 45 Millionen DM überhaupt gestrichen, rechtswidrig gestrichen. Der Rest ist nichts anderes als ein Trugbild. Denn von den im Haushalt angesetzten 215 Millionen DM sind 100 Millionen DM durch vorjährige Bindungsermächtigungen bereits weg. Die neuen Bindungsermächtigungen für kommende Rechnungsjahre - also ohne jede feste Terminzusage - sind ein Zahlungsversprechen, das bei der zunehmenden Kauf- und Pachtsiedlung die Länder zur Vorlage zwingt und deshalb kaum zu realisieren ist. Und bei den angekündigten 100 Millionen DM Kapitalmarktmitteln: zu wessen Lasten gehen die Kosten, zu wessen Lasten gehen die Millionen Zinsen? Und wie steht es mit den zugesagten 10 Millionen DM Konsolidierungsmitteln? Sollen sie auch noch zu Lasten des Siedlungsprogrammen gehen?
Mit dieser Handhabung wird jedenfalls die Krisensituation der bäuerlichen Siedlung der Vertriebenen auf die Spitze getrieben. Sie werden sich darüber klar sein, meine Damen und Herren von der Regierung und der Koalition, daß Sie damit in dieser Frage Ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Ich will dabei auf den Brief des Herrn Bundeskanzlers, den er vor den Wahlen an den Ernährungsminister geschrieben hat und in dem er das Siedlungsprogramm gefordert hat, gar nicht weiter eingehen. Darüber ist nämlich in der Zwischenzeit auch von Ihrer Seite restlos geschwiegen worden.
({0})
Praktisch ganz unter den Tisch gefallen ist weiterhin der menschlich und politisch so empfindliche Fragenkreis um das Aussiedlerproblem. Nach dem Inhalt der Antwort auf unsere letzte Kleine Anfrage zur finanziellen Sicherstellung der Betreuungs- und Förderungsmaßnahmen für Jugendliche aus der Sowjetzone und den Vertreibungsgebieten, in der man sich offenbar bewußt um die entscheidenden Punkte herumgedrückt hat, war dies allerdings nicht anders zu erwarten. Aber darüber wird auch mit dem Vertriebenenminister noch sehr deutlich zu reden sein.
Nur noch ein letztes Wort zum Lastenausgleich! Nach Verabschiedung der 8. Änderungsnovelle wurde weitere Überarbeitung zugesagt. Bisher ist aber die Bundesregierung in dieser Hinsicht nicht sichtbar tätig geworden. Auch von einer Initiative des Bundesvertriebenenministers, der durch seine neue Mitzuständigkeit dazu legitimiert und verpflichtet ist, ist bisher nichts zu spüren gewesen. Wo bleibt die in Aussicht gestellte Vorfinanzierung? Mit den beiden Anleihen mag man vielleicht in diesem Jahr über die Runden kommen. Aber damit wird das eigentliche Problem überhaupt nicht angekratzt. Denken Sie nur daran - ein Beispiel -, daß bis zum 31. März dieses Jahres erst 51,1% aller Antragsteller die erste und zweite Rate der Hausratsentschädigung erhalten haben und nur 18,6 % alle drei Raten. Von der Hauptentschädigung, über deren Erwarten immer mehr alte Menschen wegsterben, will ich gar nicht reden.
Deshalb hatte meine Fraktion den Antrag vom 7. Mai - Drucksache 366 - eingebracht, mit dem wir durch die Anforderung eines Gesetzentwurfes zu den drängendsten noch offenen Punkten die Bundesregierung unter Terminsetzung endlich zum Handeln in dieser Frage zwingen wollten. Der Antrag ist so einfach und klar, daß er - ohne Ausschußberatung - nur anzunehmen war. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, haben das durch Ihre Weigerung verhindert. Daß auch die Vertriebenen-Kollegen in Ihren Reihen diese weitere Verschleppung ins Ungewisse mitgemacht haben, ist dabei besonders bedauerlich.
Meine Damen und Herren, ich habe nur ganz wenige Punkte überhaupt berühren können. Die anderen, nicht minder wichtigen, sind völlig beiseite gelassen worden. Aber wenn wir die Bilanz aus diesem wenigen ziehen, dann müssen wir feststellen, daß sie auf den meisten Teilgebieten dieses ganzen Bereichs unerfreulich, teilweise traurig ist. Es bleibt nur die Hoffnung, daß diese wenigen Bemerkungen zu diesem Kapitel einige von Ihnen vielleicht doch haben nachdenklich stimmen können und alle diejenigen, die heute nicht hier sind und vielleicht doch zum Teil diese Ausführungen nachlesen sollten, zu der Einsicht bringen, daß auf diesem Gebiet eine andere menschliche Haltung, eine größere finanzielle Leistungsbereitschaft und vor allem auch eine andere parlamentarische Einstellung in diesem Hause zu diesen Fragen notwendig ist.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kuntscher. - Ich möchte ausdrücklich bemerken: es ist der letzte Redner, der zur Zeit bei mir vorgemerkt ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich auch der letzte Redner bin, will ich das nicht etwa so ausnützen, daß ich Sie noch allzu lange hier halte. Ich will wirklich Ihre Geduld nicht allzu sehr in Anspruch nehmen und nur auf einige wesentliche Dinge, die der Kollege Rehs hier angeführt und wo er gemeint hat, Kritik üben zu müssen, eingehen und einiges richtigstellen.
Herausgreifen möchte ich das Problem der Lagerräumung. Herr Kollege Rehs, ich erinnere Sie daran, daß Sie im Vorjahr im Vertriebenenausschuß mit dafür gekämpft haben, daß wir in den Haushalt 1957 30 Millionen DM für Barackenräumung eingesetzt haben. Diese 30 Millionen DM haben wir dann auch im Haushaltsausschuß durchgesetzt. Und wie sind die Dinge gelaufen? Daß die Barackenräumung uns allen am Herzen liegt, ist eine Selbstverständlichkeit. Im September des vergangenen Jahres waren diese 30 Millionen DM auf die Länder
verteilt, und zum 31. März 1958 war von diesen
30 Millionen DM noch nicht eine DM abgerufen.
({0})
Ich frage Sie: ist es dem Finanzminister und ist es den zuständigen Leuten, die für die Mittel im Haushalt zu sorgen haben, zu verargen, wenn sie dann, wenn Ansätze aus dem Vorjahr nicht abgerufen werden, d. h. wenn man sie nicht verwendet, nicht freudigen Herzens für neue Ansätze in dem neuen Haushalt eintreten?
Nach dem 1. April waren die Länder etwas nervös geworden und haben Gelder abgerufen. Wir haben in der zweiten Lesung den Antrag gestellt, für das Rechnungsjahr 1958 14 Millionen DM neu einzusetzen. Dieser Betrag wurde unter Bindungsermächtigung gestellt. Da haben Sie recht. Die 14 Millionen DM wurden in der zweiten Lesung bewilligt; das Hohe Haus wird diesem Ansatz auch in der dritten Lesung zustimmen.
Es ist kein Manöver, wenn wir immer wieder auf folgendes hinweisen. Man klagt den Bund immer wieder an, daß er für diesen oder jenen Zweck keine oder nur zu wenig Mittel ansetze; die Länder nehmen aber nicht einmal diese Mittel in Anspruch.
({1})
Das große Problem ist natürlich der Wohnungsbau. Er wird es bleiben und er muß es bleiben, weil der Bedarf, der Nachholbedarf, so gewaltig ist und weil wir jedes Jahr mit einer Viertelmillion Zonenflüchtlingen und - wie im letzten Jahr - mit 100 bis 120 000 Aussiedlern zu rechnen haben.
Wie sieht es auf diesem Gebiet aus? Herr Kollege Rehs, wir wollen doch wirklich sauber und ehrlich miteinander reden und die Dinge sehen, wie sie sind. Im heurigen Haushalt haben wir 3762 Millionen DM für den Wohnungsbau eingesetzt. Ich will Sie nicht langweilen. Ich könnte diese Summe jetzt aufgliedern und Ihnen sagen, welcher Teil für Sonderprogramme verwendet worden ist, die uns besonders interessieren. Wir können mit Freude feststellen, daß gerade der Personenkreis, um dessentwillen wir im Februar hier die große Diskussion geführt haben, im Haushalt sehr gut, wirklich sehr gut bedacht worden ist.
({2})
Ich darf einmal die Zahlen der letzten Jahre zum Vergleich heranziehen; sie sind sehr interessant. 1953 hatten wir im Haushalt für den gesamten Wohnungsbau 1766 Millionen DM. Im Jahre 1956 waren es 2569 Millionen DM, und in diesem Jahre sind es 3762 Millionen DM, also über eine Milliarde DM mehr. Wenn man dann sagt, es geschehe nichts, dann ist das, glaube ich, ein ausgesprochenes Unrecht.
({3})
Ich darf nun einmal die Beträge herausgreifen, die gerade für die Aussiedler und die Sowjetzonenflüchtlinge in diesem Haushalt stehen. In der einen Position sind das 307 Millionen DM und in einer zweiten 1241 Millionen DM, die allerdings wieder unter Bindungsermächtigungen stehen. Aber auch diese Mittel werden wieder rechtzeitig dorthin gelangen, wo sie benötigt werden. So wurden bereits vor einigen Wochen 865 Millionen DM für den Wohnungsbau für Aussiedler und Zonenflüchtlinge auf die Länder verteilt. Damit sollen 71 800 Wohnungen finanziert und soll 169 000 Zonenflüchtlingen und 118 000 Aussiedlern neuer Wohnraum geschaffen werden.
Herr Kollege Kuntscher, haben Sie zufällig in der heutigen „Süddeutschen Zeitung" gelesen, daß Ihr Koalitionsminister in Bayern, der .Arbeitsminister Stein, erklärt hat, er habe sich zu dem schweren Entschluß durchgerungen, in Bayern neue Flüchtlingslager zu errichten? Sind Sie nicht der Auffassung, daß so etwas nur darauf zurückzuführen ist, daß nicht rechtzeitig auch vom Bund her diese Dinge gesteuert worden sind?
({0})
Herr Kollege Rehs, die Süddeutsche Zeitung habe ich heute nicht gelesen. Auch wenn ich sie gelesen hätte, hätte ich auf diese Bemerkung nur die eine Antwort: daß erstens - und das ist jetzt zum zweiten Teil Ihrer Frage - heuer darauf gesehen wird, daß die Länder die Möglichkeit haben, rechtzeitig in den Besitz dieser Mittel zu kommen, und daß ich es zweitens ungeheuer bedauere, wenn neue Läger oder Baracken gebaut werden. Ja, ich sage sogar, daß alles getan werden muß, damit keine neuen Baracken gebaut werden. So haben wir es hier auch im Februar gesagt, und wir werden unseren Standpunkt nicht ändern.
Leider Gottes haben die für die Durchführung dieser Sonderprogramme zur Verfügung stehenden Mittel eben in den letzten 11/2 Jahren hier beim Bund gelegen und sind von den Ländern nicht abgerufen worden. Wenn wir den Statistiken nachgehen, die auf Grund der Meldungen der Länder zusammengestellt werden - und die neueste Statistik vom 1. April liegt hier auch vor -, so müssen wir wiederum feststellen, daß nicht die finanzschwachen Länder im Rückstand sind, sondern die finanzstarken Länder. Herr Kollege Rehs, wir wollen hier nicht Zensuren an die Länder austeilen, „gut" oder „schlecht". Aber das eine müssen wir sagen: daß gerade das Land Hessen nach der neuesten Statistik wiederum am allerweitesten im Rückstand ist. Fragen Sie im Land Hessen nach, wer die Schuld trägt! Ich will es hier nicht untersuchen. Aber ich fühle mich verpflichtet, das festzustellen.
({0})
Herr Kollege Kuntscher, darf ich Sie einladen, als Vorsitzender des Vertriebenenausschusses des Bundestages einmal eine Besuchsreise mit unserem Ausschuß nach Hessen zu unternehmen,
({0})
damit Sie sich mal an Ort und Stelle davon überzeugen können, was in Hessen wirklich geleistet wird?
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Darf ich bei dieser Gelegenheit auch noch die Zusatzfrage stellen, warum gerade von Ihnen als Vorsitzendem unseres Vertriebenenausschusses hier nicht erwähnt wird, daß bei unserem Besuch in Berlin das Land Baden-Württemberg, aus dem der Herr Kollege Czaja kommt, am ärgsten im Rückstand mit dem Abrufen der Sowjetzonenflüchtlinge war?
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Meine Herren, ich bitte einen Augenblick um Gehör. Ich sehe, daß wir in die Gefahr geraten, erstens am heutigen Abend in eine Wohnungsbaudebatte hineinzukommen und zweitens uns darüber hinaus gegenseitig die Situationen in den Länder vorzuwerfen. Wenn Sie es wollen, kommt auch die Wohnungsbaudebatte noch heute. Vorhin hat mir ,der Herr Kollege Brecht gesagt, daß er die Anträge zu diesem Thema morgen begründen wolle. Ich stelle also anheim.
Bitte, Herr Kollege Kuntscher, fahren Sie fort!
Zunächst werde ich die Fragen des Kollegen Jaksch beantworten. Kollege Jaksch, ich empfehle Ihnen, sich die letzte statistische Aufzeichnung über den Abruf anzusehen.
({0})
Moment, Kollege Jaksch, warum denn die Aufregung? Aufregung ist doch noch kein Programm. Wir wollen uns doch sachlich auseinandersetzen. In dieser Aufstellung des Bundesministeriums für Vertriebene, datiert vom 18. Juni, die die Bestände gemäß der Meldungen der Länder vom 1. April enthält, können Sie das bestätigt finden, was ich hier gesagt habe.
({1})
- Herr Kollege Jaksch, das will ich gern tun. - Die gleichen Leistungen finden wir auch in anderen Ländern.
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Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, festzustellen, wo die Schuld dafür liegt, daß wir noch so viele Lagerinsassen haben. Und da muß gesagt werden, daß einzelne Länder bei der Erstellung von Wohnraum im Rahmen dieser Sonderprogramme ihre Pflicht nicht erfüllt haben.
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Herr Kollege Kuntscher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brecht?
Herr Kollege Kuntscher, ist Ihnen bekannt, daß gerade liessen hei der Zuteilung - nicht der Mittel von 866 Millionen DM vorn letzten Monat, sondern der früheren Mittel - deshalb die größten Schwierigkeiten hat, weil der Förderungsbetrag je Wohnung gerade in Hessen am niedrigsten im Vergleich zu allen Ländern liegt?
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- Entschuldigen Sie, Herr Dr. Czaja! - Ist Ihnen weiter bekannt, daß Hessen alle Anstrengungen machen mußte, aus dem allgemeinen hessischen Landeshaushalt weitere 30 Millionen DM frei zu machen, um die Mittel aufstocken zu können? Dabei ist das eingetreten, was wir im Februar immer gesagt haben: daß die Länder bei den unzureichenden Finanzierungen gezwungen sind, zusätzliche Mittel aus dem allgemeinen Haushalt hinzuzunehmen.
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Das, was Sie jetzt gesagt haben, Herr Dr. Brecht, ist insofern richtig, als in keinem Land die zur Verfügung gestellten Mittel vollkommen ausgereicht haben und aus Mitteln der Länder Zuschüsse gegeben werden. Sie wissen aus den Beratungen des Kontrollausschusses genau, daß z. B. das arme Land Niedersachsen sogar einen Vorgriff auf das kommende Jahr von 20 oder 30 Millionen DM gemacht hat.
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Aber ich möchte die Antwort auf diesen Teil der Ausführungen des Herrn Rehs abschließen und nur noch über einen Punkt sprechen, der von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Er macht der Regierung den Vorwurf, daß sie nach Abschluß der Achten Novelle zum LAG auf dem Gebiet der Gesetzgebung des Lastenausgleichsrechtes überhaupt nicht mehr tätig geworden sei, daß über die Vorfinanzierung viel geredet und in der Presse mancher Plan entwickelt worden, aber an Ergebnissen sehr wenig herausgekommen sei. Nun, das eine hat er ja auch zugegeben, daß die 200 Millionen DM, in deren Höhe Anleihen aufgelegt wurden, sehr schnell gezeichnet worden sind. Es ist wahr, Kollege Rehs, bei dem Bedürfnis nach Mitteln aus dem Lastenausgleichsfonds sind diese 200 Millionen wohl 200 Millionen, aber sie sind nicht das, was wir eigentlich verkraften können und benötigen.
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Zweitens weiß ich nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß auch der Abschluß der Verhandlungen mit den Trägern der Bausparkassen bevorsteht. Drittens stehen die Verhandlungen mit den Sozialversicherungsträgern wegen Nachkauf von Versicherungszeiten - daß diese nicht mehr aus Fondsmitteln in bar, sondern mit Papieren des Fonds beglichen werden sollen - gleichfalls vor einem günstigen Abschluß. Ich weiß von den Bemühungen um die Vorfinanzierung, und ich möchte Sie bitten, daß alle
mittun, damit diese Bitte eine echte Bitte wird, weil wir wirklich danach trachten müssen, Vorfinanzierungsmittel zu erhalten.
Nun eines noch: Die Hausratsentschädigung! Herr Kollege Rehs, es ist Ihnen bekannt, daß wir in der 8. Novelle eine Mehrleistung von 21/2 Milliarden DM an Hausratsentschädigung gesetzlich festgelegt und auf uns genommen haben. Nach der alten Gesetzgebung hatten wir noch 1,5 Milliarden DM an Rückstand. Das sind zusammen 4 Milliarden DM. Wenn heute die dritte Rate erst an 18 oder 20 % ausgezahlt ist und die erste und zweite Rate an 50 % so gehen gerade jetzt die Auszahlungen für alle bis zu 0 Punkten in der zweiten Rate sehr rasch vor sich. Wenn hierbei nach den Meldungen des Statistischen Bundesamtes vom 31. März der Prozentsatz noch nicht über 51 %liegt, so liegt das daran, daß die Lastenausgleichsämter nicht in der Lage sind, auf einmal alle Ansprüche von 1 his 39 Punkten in diesem Tempo zu erfüllen.
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Wir werden in einem Vierteljahr über dieses Problem „Auszahlung der zweiten Rate an alle Hausratsentschädigungsberechtigten" sprechen, und Sie werden sehen, wie dann der Prozentsatz von 50 oder 51 % auf 80 oder 90 % heraufgeschnellt ist.
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Zur Drucksache 366! Daß diese Drucksache hier im Plenum nicht angenommen wurde, sondern dem Ausschuß überwiesen worden ist, soll etwas Außergewöhnliches sein! Herr Kollege Rehs: Wie viele Anträge haben wir im Laufe der Jahre hier im Hause direkt angenommen, ohne daß sie durch die Ausschüsse gegangen sind? Diese Überweisung an die Ausschüsse ist also keine Besonderheit. Und glauben Sie mir das eine - und diese Versicherung kann ich Ihnen im Namen meiner Kollegen in der Fraktion, die unserem Personenkreis angehören, aber auch im Namen der ganzen Fraktion abgeben -, daß wir uns seit vielen Monaten ehrlich und sauer bemühen, gerade die Fragen zu lösen, zu deren Lösung Sie die Regierung beauftragen wollen, einen Entwurf einzubringen.
Es würde zu weit gehen, auf die Einzelprobleme einzugehen. Ich bitte Sie aber, zu beachten, daß auch diese Probleme sehr, sehr schwierig sind. Ich würde Ihnen auch raten, sich mit denjenigen Kollegen in Ihrer Fraktion, die seit allem Anfang im Lastenausgleichsausschuß mitarbeiten und die die Materie his zum letzten kennen, über diese Fragen zu unterhalten. Diese Kollegen werden Ihnen bestätigen, daß in diesen Problemen sehr viele Schwierigkeiten stecken, die wir überwinden müssen, und daß wir dabei auch sehr vorsichtig sein müssen, damit wir nicht in die Nähe des § 6 - der Leistungen der Länder - kommen. Ich habe hier den Auszug einer Rede vor mir liegen, die Herr Senator Nevermann aus Hamburg, der der SPD angehört, anläßlich des Verbandstages der freien Wohnungsunternehmen in Hamburg gehalten hat. Dort hat er unter anderem gesagt:
Die Länder müssen verlangen, daß sie von allen Ausgaben, die sie für den Lastenausgleich leisten, befreit werden.
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Ich will Ihnen die Milliardenzahl nicht nennen, die das für uns bedeuten würde. Deshalb müssen wir sehr, sehr vorsichtig sein, auf der einen Seite dem Fonds neue Belastungen von Hunderten von Millionen aufzuladen, wenn auf der anderen Seite die Drohung steht, daß uns das Vielfache dessen, was wir neu geben wollen, durch andere entzogen wird, weil sich die Länder von diesen Leistungen befreien wollen.
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Meine Damen und Herren, ich habe vorhin den Abgeordneten Kuntscher als den zunächst letzten Redner angekündigt. In der Zwischenzeit hat sich Herr Staatssekretär Nahm zum Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf dein Herrn Abgeordneten Rehs versichern, daß wir in der Beurteilung der gesamten Lage und der Restaufgabe weitgehend übereinstimmen. Ich muß jedoch darauf hinweisen, daß selbst ein Vertriebenenminister im Kabinett die Pflicht zu einem komplexen Sehen der Gesamtsituation und der anderen schweren Probleme hat, die den Bund bedrücken.
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Gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu Angriffen, die erhoben worden sind. Zunächst die Lagerräumung. Es trifft leider zu, daß von den 30 Millionen DM Lagerräumungsmitteln, die in dem abgelaufenen Haushaltsplan standen und die, wie ich Ihnen zugebe, erst im Dezember vorigen Jahres zur Verteilung gestellt wurden, im Juni dieses Jahres die ersten 500 000 DM von einem Land angefordert worden sind. In diesem Jahr stehen wie noch in keinem anderen Wohnungsbaumittel für den Betreutenkreis unseres Hauses zur Verfügung. Mit diesen Mitteln können 140 000 Wohnungen für Vertriebene und Flüchtlinge gebaut werden. Wie uns die Länder versichern, ist mit einer Fertigstellung des diesjährigen Großprogramms von den Herbstmonaten bis zu den Frühjahrsmonaten des nächsten Jahres zu rechnen, und wie die Länder weiter versichern, wird dann eine fühlbare Entlastung in der Lagerbelegung eintreten.
Die besondere Situation in Bayern, die Sie, Herr Abgeordneter, durch eine Zwischenfrage angezogen haben, wurde von mir vor drei Wochen mit Herrn Minister Stein besprochen. Sie hat zwei Ursachen. - Ich berufe mich hier auf die Aussage des Herrn Ministers. - Erstens: der lange diesjährige Winter, der den Baubeginn um drei bis fünf Wochen verzögerte, und zweitens die Tatsache, daß Bayern im Dezember vergangenen Jahres eine Verdoppelung
seiner Aufnahmequote erlebte. Diesem Tatbestand konnte erst vom Februar/März dieses Jahres an durch Zuweisung höherer Mittel Rechnung getragen werden. Daß sich daraus für Bayern Stauungen ergeben haben, liegt auf der Hand, und es freut mich, daß Berlin, das die Zusammenhänge kennt, so einsichtig war, Bayern die Möglichkeit zu geben, 1500 zugeteilte Zonenflüchtlinge bis September in Berlin zu belassen.
Zu dem Problem der Umsiedlung darf ich betonen, daß sie zu mehr als 90 % erfüllt ist, daß sie durch neue Ströme unterlaufen wurde und gerade den Aufnahmeländern erhebliche Schwierigkeiten bereitete.
Es wurde von der allgemeinen Unkenntnis der tatsächlichen Lage und von einer gewissen oder tatsächlichen Gleichgültigkeit gegenüber dem Dasein der Lager und den Zuständen in den Lagern gesprochen. - Nun, das ist eine Misere, die querbeet durch das ganze deutsche Volk geht, die keine politische Gruppe und nicht einmal eine der Kirchen verschont. Diese Müdigkeit gegenüber einem Problem, ,das uns nun zwölf Jahre quält, ist vielleicht menschlich verständlich; aber es kann - und da bitte ich um Verständnis - nicht durch ein Ministerium reglementiert werden. Es müssen ganz andere Kräfte mobilisiert werden, um dieser Müdigkeit Herr zu werden.
Ich glaube kaum, daß meinem Minister der Vorwurf gemacht werden darf, er nehme zu diesen Dingen nicht Stellung. Es vergeht doch kaum eine Woche, ohne daß er in Versammlungen, in Aufsätzen und im Funk versucht, das Volk für diese Dinge zu erwärmen, die hier auf uns lasten.
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- Herr Abgeordneter, ich darf hier nur für die Regierung sprechen. Ich habe nicht die Ehre, dem Hohen Hause anzugehören.
Es wurde dann vom Lastenausgleich gesprochen, und zwar wurde gesagt, daß sich das Ministerium trotz seine Zuständigkeitserweiterung nicht sichtbar um den Lastenausgleich bemüht habe. Ich entnehme schon dieser Hinzufügung des Wortes „sichtbar", daß Sie von tatsächlichen Bemühungen wissen. Im übrigen ist die Zuständigkeitserweiterung noch nicht Gesetz, und die tatsächlichen Bemühungen sind im Gange, aber damit es zu einer guten und schnelleren Lösung kommt, bitte ich Sie, mich davon zu dispensieren, hier davon zu sprechen, solange die Dinge noch nicht ausgereift sind. Aber ich bitte doch sehr um Ihre Hilfe gegenüber allen dem Vernehmen nach bevorstehenden Versuchen, die Einnahmen des Fonds zu schwächen.
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Ich glaube, wir alle haben den gleichen guten Willen in diesem Hause. Ich stehe seit 1946 für dieses Problem im amtlichen Dienst, und ich habe mit Ausnahme eines FDP-Mannes Ministern aller Parteien meinen Dienst geleistet. Ich habe sogar im Jahre 1946 mit einem kommunistischen Minister angefangen,
({3}) und ich sah jeden ringen mit einem übergroßen Problem. Ich sah bei allen schließlich doch eine Lücke zwischen dem Wollen und dem Ergebnis. Diese Lücke ist nicht entstanden aus fehlendem Willen oder aus mangelnder Fähigkeit, sondern wegen harter Tatsachen; denn je mehr die Integration fortschreitet, um so schwieriger werden die Restfälle, um so mehr gehen wir in die Einzelarbeit, die sich der Einwirkung des Bundes entzieht.
Meine Damen und Herren, wenn Sie die Briefe sähen, mit denen sich Leute in ihrer besonderen Notlage tagtäglich an uns wenden, und die wir dann zuständigkeitshalber notgedrungen abgeben müssen! Wir sind noch nicht einmal in der Lage, uns zu überzeugen, ob ihnen dann geholfen wird, weil uns von manchen Ländern eine Unterrichtung über das Veranlaßte ausdrücklich versagt wird.
Ich darf aber auch noch betonen, daß diese Restfälle und die verbleibenden Aufgaben dadurch noch schwieriger werden, daß das Problem noch gar nicht abgeschlossen ist, sondern täglich mit 800 Menschen eine Fortsetzung erfährt. Das zeichnet unser Flüchtlingsproblem aus vor allen übrigen Flüchtlingsproblemen der Welt. Aber eine Leistung haben wir zustande gebracht, und da sind alle beteiligt, die von Anfang an in den Gemeinden, in den Ländern und im Bund in dieser schweren Aufgabe tätig waren, nämlich die, daß zwischen den Vertriebenen und der eingesessenen Bevölkerung kein Graben entstanden ist.
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Ich darf hier an einen Grundsatz anknüpfen - und damit schließen -, der vorhin bei der Debatte über den Haushalt des Arbeitsministers ausgesprochen wurde. „Es ist die Aufgabe aller Sozialpolitiker, nicht zu trennen, sondern zu einen." Wir haben hier eine soziale Aufgabe, und in diesem Sinne, „nicht zu trennen, sondern zu einen", faßt mein Minister seine Arbeit auf.
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Meine Damen und Herren! Damit sind wir am Schluß der heutigen Rednerliste angekommen. Wir haben damit - um kurz eine Bilanz der Geschäftslage zu ziehen -auch die allgemeine Aussprache über den Punkt 2 g „Sozialpolitik", dazu Wohnungsbau, Familienfragen, Vertriebenen- und Kriegsgeschädigtenfragen mit der Maßgabe erledigt, daß morgen auf einzelne Dinge noch im Rahmen der Begründung der Anträge zurückgekommen wird, was insbesondere für den Wohnungsbau gilt. Wir haben weiter heute nachmittag ohne Widerspruch des Hauses davon Kenntnis genommen, daß die allgemeine Aussprache zur Finanzpolitik als bereits unter Punkt 1 erledigt gelten darf. Es ist wohl auch davon ausgegangen worden, daß der Punkt h „Rechtsfragen" nicht mehr Gegenstand der allgemeinen Aussprache zu sein braucht, so daß wir also morgen die Tagesordnung bezüglich des Punktes 2 der allgemeinen Aussprache über die Politik der Bundesregierung nur noch zu eröffnen brauchen hinsichtlich der Innenpolitik. Zweiter Punkt der Tagesordnung wird dann
Vizepräsident Dr. Preusker
das sein, was sonst noch auf der Tagesordnung steht: die Einzelberatung des Haushaltsgesetzes, der einzelnen Haushaltspläne in dritter Lesung mit den Änderungs- und Entschließungsanträgen.
Ich darf Ihnen, meine Damen und Herren, zum Abschluß der heutigen Sitzung, die wegen der Durchführung des Landtagswahlkampfes in Nordrhein-Westfalen in den Abendstunden zum Teil eine so schlechte Besetzung aufwies, für Ihr Ausharren ganz besonders danken. Auch ich hätte es begrüßt, wenn gerade diese Aussprache des heutigen Abends vor einem wesentlich besser besetzten Plenum stattgefunden hätte.
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Mit Bezug auf die Kritik, die vorhin Frau Kollegin Kalinke geübt hat, glaube ich eines sagen zu dürfen: Diejenigen Damen und Herren, die hier bis zum Schluß ausgeharrt und sich dabei sogar in Lebensgefahr gebracht haben, haben wohl unter Beweis gestellt, wie ernst sie die Beschäftigung mit diesen Themen genommen haben.
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Damit darf ich die heutige Sitzung schließen. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag früh, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.