Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren,
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schon wieder liegen die weißen Totenblumen auf einem Tische dieses Hauses. Wir beklagen den Tod unseres lieben Kollegen Karl Arnold, der am 29. Juni ,dieses Jahres in Düsseldorf an einem Herzinfarkt verstorben ist.
Er wurde geboren am 21. März 1901 in Herrlishöfen im Kreise Biberach. Er hat früh den Weg zur Politik gefunden; schon mit 19 Jahren, im Jahre 1920, hat er sich der Deutschen Zentrumspartei angeschlossen. Von 1925 bis 1933 hat er als Stadtverordneter in Düsseldorf und als stellvertretender Fraktionsführer der Zentrumspartei in dieser Stadt gewirkt.
Im Jahre 1920 trat er in die katholische Arbeiterbewegung ein, und von 1924 bis 1933 ist er Kartellsekretär der christlichen Gewerkschaften für den Stadt- und Landkreis Düsseldorf gewesen. Das Jahr 1933 setzte seiner politischen Arbeit ein vorläufiges Ende. Im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde er verhaftet.
Nach 1945 war Karl Arnold einer der 'ersten, die sich in den Dienst an Volk und Staat stellten. Er zählt zu den Gründern der Christlich-Demokratischen Union in Düsseldorf und im Rheinland. Im April 1956 wurde er zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU gewählt. Daneben hat er das Amt 'des Vorsitzenden der Sozialausschüsse dieser Partei bekleidet. Er stand an der Wiege der nach 1945 neu ins Leben tretenden Gewerkschaftsbewegung. Ihr ist er allzeit eng verbunden geblieben.
Das Vertrauen der Bürger dieses Landes Nordrhein-Westfalen wies ihn in eine Reihe politischer Ämter ein. Von Februar 1946 bis zum Juni 1947 hat er als Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf gewirkt. Er ist von Oktober 1946 an Mitglied des Landtages von Nordrhein-Westfalen gewesen. Von Dezember 1946 bis Juni 1947 war er stellvertretender Ministerpräsident; hernach berief ihn der Landtag bis zum Februar 1956 zum Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen. Von 1947 bis 1949 wirkte er als Mitglied 'des Länderrates für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet. Er war der erste Präsident des Deutschen Bundesrates. Im September 1957 wurde Karl Arnold für den Wahlkreis 62 - Geilenkirchen-Erkelenz-Jülich - in den 3. Deutschen Bundestag gewählt. Er war stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der CDU/CSU und Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten.
Karl Arnold, der immer ein besonderes Interesse für die Wissenschaften bewiesen hat, wurde im Juli 1955 die Würde eines Ehrensenators der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn verliehen. Diese hohe Ehre wurde ihm zuteil vor allem wegen seiner Verdienste um die Gründung und das erfolgreiche Wirken der „Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen". In Anerkennung seiner Verdienste um die Förderung der Naturwissenschaften und der Forschungsarbeit im Lande Nordrhein-Westfalen hat ihm die Technische Hochschule zu Aachen im Juni 1956 die Würde eines 'Ehrendoktors der Ingenieurwissenschaften verliehen.
Mit Karl Arnold ist ein besonderer Mann dahingegangen. Der Weg vom kleinen Dorf im schwäbischen Oberland bis zum Stuhl des Ministerpräsidenten des größten deutschen Landes war weit.
Karl Arnold ist ihn in Ehren gegangen. Er hat an keinem Meilenstein je vergessen, was das einmal zur Demokratie abgelegte Bekenntnis vom Menschen fordert.
Nun ist er nicht mehr. Er ist auf einem Felde gefallen, Idas in besonderem Maße ein Feld der Ehre ist - dort, wo man sich im Dienste des Volkes verzehren muß, wenn man bestehen will. Dort ist stetiger Kampf, und darum ist es nicht möglich, sich zu schonen. Aber man könnte diesen Kampf führen, ohne sich der mordenden Hast zu ergeben, die uns alle treibt wie der Paukenwirbel des Rudermeisters die Ruderer auf den Bänken der Galeeren.
Wenn diesem Wirbel nicht Einhalt geboten wird, wird er noch mehr Frauen und Männer aus unserer Mitte reißen.
Die Verdienste Karl Arnolds als Oberbürgermeister, als Ministerpräsident werden im Landtage zu Düsseldorf gewürdigt werden. Den Menschen seiner engeren Wahlheimat steht das Vorrecht zu, vor allen anderen daran zu erinnern, was er in diesen hohen Ämtern geleistet hat.
Vizepräsident Dr. Schmid
Uns, den Abgeordneten des Bundestages, steht es an, um einen lieben Kollegen zu trauern. Er hat viele Freunde in unserer Mitte gehabt und keine Feinde. Wir hätten von seinem Wissen, seiner Erfahrung, seinem Bürgersinn noch viel Nutzen ziehen können. Nun werden wir ohne ihn auskommen müssen.
Ich habe seiner Witwe und seinen Kindern das Beileid des Bundestages ausgesprochen. Ich möchte ihr, den Kindern und Angehörigen, der Partei und der Fraktion der CDU/CSU von dieser Stelle aus wiederholen, wie tief das Mitgefühl dieses Hauses ist.
Sie haben sich von Ihren Plätzen erhoben; ich danke Ihnen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich den Arbeitsplan für diese Woche bekanntgeben. Es ist ein vorläufiger Arbeitsplan, fürchte ich.
Der Ältestenrat hat folgende Vereinbarung getroffen.
Die 37., also die heutige Sitzung soll von 9 Uhr bis 18 Uhr dauern, die 38., also die morgige Sitzung von 9 Uhr bis 18 Uhr.
Vorgesehen war eine 39. Sitzung am 3. Juli, die von 14 Uhr bis 18 Uhr dauern sollte. Nun sollen am Donnerstag die Trauerfeiern für den Verstorbenen in Düsseldorf stattfinden. Ich glaube nicht, daß es möglich sein wird, am Donnerstag eine Plenarsitzung des Bundestages abzuhalten. Ich schlage dem Hause vor, statt - wie vorgesehen am Donnerstag die Plenarsitzung am Freitag abzuhalten. Die Sitzung soll um 9 Uhr beginnen; wir werden so lange tagen, wie es notwendig ist.
Wenn das Haus einverstanden ist, dann soll das als beschlossen gelten. Aber vielleicht können die Herren Fraktionsgeschäftsführer diese Dinge noch miteinander besprechen.
Es ist folgendes vereinbart worden: Abstimmungen sollen heute und morgen von 10 Uhr bis 12 Uhr und von 15 Uhr bis 16 Uhr stattfinden; zwischen 12 Uhr und 15 Uhr ist Abstimmungspause. Die Mittagspause soll von 13 Uhr bis 14.30 Uhr dauern; in dieser Zeit wird die Sitzung unterbrochen.
Für die Gliederung der Aussprache ist folgendes vereinbart worden: Zunächst soll über allgemeine haushaltspolitische Grundsatzfragen gesprochen werden. Dann soll eine Aussprache über die Politik der Bundesregierung stattfinden. Ich betone: zu dieser Aussprache werden die Einzelpläne nicht aufgerufen werden. Die Aussprache soll wie folgt gegliedert werden: allgemeine Politik der Bundesregierung, Außenpolitik, Verteidigungspolitik, Innenpolitik, Wirtschaftspolitik - dazu gehört: Verkehr, Landwirtschaft, Atomkernenergie und Wasserwirtschaft , Finanzpolitik, Sozialpolitik - dazu gehört: Kriegsbeschädigtenfragen, Wohnungsbau, Familienfragen, Vertriebenenfragen - und Rechtsfragen. An diese allgemeine Aussprache schließt sich die Einzelberatung an. Hier werden diejenigen Einzelpläne aufgerufen werden, zu denen Änderungsanträge angekündigt sind; die anderen werden nicht aufgerufen werden. Dann wird die weitere Debatte so, wie die Geschäftsordnung es vorsieht, weitergehen.
Bestehen noch irgendwelche Zweifel über den Gang der Verhandlungen? - Das ist nicht der Fall.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen.
Der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes hat unter dem 26. Juni 1958 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Höcherl, Niederalt, Wieningen, Wacher und Genossen betreffend Vorzeitige Ablösung von ERP-Krediten ({1}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 489 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 26. Juni 1958 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Richarts, Dr. Zimmer und Genossen betreffend Sozialabkommen mit dem Großherzogtum Luxemburg ({2}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 492 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat unter dem 30. Juni 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Auftreten von Offizieren des Bundesverteidigungsministeriums in Wahlversammlungen der CDU ({3}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 494 verteilt.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung 'der Sammelübersicht 7 des Ausschusses für Petitionen ({4}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen ({5}).
Eine besondere Berichterstattung ist nicht vorgesehen. Sie alle haben die Drucksache vor sich, Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer im Sinne der Vorlage entschieden wissen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmigen Beschluß fest.
Damit ist Punkt 1 erledigt.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses ({6}) über den Entwurf einer Dritten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1958 ({7}) ({8}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Diebäcker. Wird auf Erstattung des Mündlichen Berichts verzichtet? - Es wird verzichtet. - Auch der Herr Berichterstatter verzichtet. Wir kommen zur Abstimmung. Wer will, daß im Sinne des Ausschußantrages entschieden wird, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Punkt 2 der Tagesordnung ist erledigt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. September 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über eine Berichtigung der deutsch-belgischen Grenze und andere die Beziehungen zwischen beiden Ländern betreffende Fragen ({9}) ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten ({10}) ({11})
({12})
Vizepräsident Dr. Schmid
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Achenbach. Wird auf Mündliche Berichterstattung verzichtet? - Der Herr Berichterstatter verzichtet. - Wird auch seitens des Hauses verzichtet? - Ebenfalls.
Ich rufe auf zur zweiten Beratung Art. 1, - Art. 2, - Art. 3, - Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Eine allgemeine Aussprache wird nicht gewünscht. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, der möge sich erheben. - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Punkt 3 ist damit erledigt.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altsparergesetzes ({13}) ({14}).
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll der Entwurf in erster Beratung ohne Debatte an den Ausschuß für den Lastenausgleich überwiesen werden. Ist das Haus einverstanden? - Dann ist so beschlossen. Punkt 4 der Tagesordnung ist erledigt.
Punkt 5 der Tagesordnung:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1958 ({15}) ({16}) Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung ({17}).
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Wir treten ein in die allgemeine Aussprache. Das Wort hat zu dem Punkt „Allgemeine Haushaltspolitische Grundsatzfragen" der Abgeordnete Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn dieser allgemeinen Aussprache - der wir immer einen recht weiten Rahmen gezogen haben - ein Wort des Dankes an alle diejenigen richten, die in der Hast und Eile der letzten Monate an der Seite des Haushaltsausschusses und des Hohen Hauses bei der zweiten Beratung des Gesetzes uns ihre guten Dienste zur Verfügung gestellt haben. Ich denke da in erster Linie nicht nur an die Beamten, Angestellten und Arbeiter dieses Hohen Hauses, sondern darüber hinaus auch an die hingebungsvolle und, ich möchte einmal sagen, ruinöse Tag- und Nachtarbeit, die die Verabschiedung dieser Gesetze von allen Haushaltsreferenten aller Ressorts und darüber hinaus vor allen Dingen von der Haushaltsabteilung des Bundesfinanzministeriums gefordert hat.
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Ohne diese Gemeinschaftsleistung wäre es nicht möglich gewesen, dieses große Werk noch zu Beginn des Juli heute und hier zu vollenden.
Lassen Sie mich aber auch gleichzeitig ein Wort über die Stellung der Haushaltsreferenten einflechten - und damit gleich mitten in die Dinge hineingehen -, die diese Beamten innerhalb ihrer Ressorts haben. Ich glaube, daß das Amt eines Haushaltsreferenten in einem großen Ressort keineswegs leicht ist. Er ist im allgemeinen, wenn er es ernst meint mit seiner Aufgabe, der Prügelknabe seines Hauses. Denn er wird nur zu leicht nicht nur von den Abteilungsleitern und von den Staatssekretären, sondern häufig genug auch von seinem Ressortchef für das haftbar gemacht, was im Grunde genommen gar nicht seine Aufgabe ist, sondern die Aufgabe des Ressortchefs oder des Haushaltsausschusses oder dieses Hohen Hauses.
Deswegen lassen Sie mich hier einmal als eine gemeinschaftliche Auffassung aller Fraktionen des Hauses auch gegenüber der Verwaltung folgendes sagen. Wenn wir im Haushaltsausschuß Jahr für Jahr die Herren Haushaltsreferenten Revue passieren lassen und ihren Anstrengungen lauschen, ihre neuen Forderungen zu begründen und alte zu verteidigen, dann wissen wir sehr wohl die Qualität und die Ernsthaftigkeit des einzelnen Vorbringens zu unterscheiden. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß da, wo es dem Haushaltsreferenten gelang, sich das Vertrauen des Haushaltsausschusses zu erwerben, häufig auch hohe Forderungen und schwierige Angelegenheiten viel leichter durchgebracht werden konnten, weil man Vertrauen zu der Begründung und auch Vertrauen zu der Person des Vortragenden hatte.
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Lassen Sie mich hoffen, daß dieser Typus des Haushaltsreferenten, der das allgemeine Vertrauen aller Fraktionen im Ausschuß besitzt, in der Zukunft stärker und zahlreicher wird. Ein Haushaltsreferent, der glaubt, einen Ausschuß überfahren zu können, ist von vornherein in einer hoffnungslosen Position, und je eher er das einsieht, um so besser für ihn und sein Haus.
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Ich möchte diese kurze Zwischenbemerkung über die Position der Haushaltsreferenten mit dem Wunsche abschließen, daß wir unter den vielen Aufgaben, die wir uns bereits für Oktober und November gestellt haben, auch die eine noch zu lösen versuchen: uns einmal von allen Ressorts berichten zu lassen, wie die Stellung des Haushaltsreferenten innerhalb des Ressorts ist. Dabei legen wir auf die Stellung des Haushaltsreferenten innerhalb des Verteidigungsministeriums einen ganz besonderen Wert. In der amerikanischen Haushaltsordnung ist die Stellung des Haushaltsreferenten des Verteidigungsministeriums angesichts der ungeheuren Summen, die unter seiner Kontrolle stehen, besonders im Gesetz verankert, und ich glaube,
das geschah nicht ohne Grund. Auch wir werden in der kommenden Haushaltsordnung - ich komme noch darauf zu sprechen - wahrscheinlich auf diesen Punkt besonders zurückkommen müssen.
Lassen Sie mich jetzt auf etwas eingehen, was uns bei den Haushaltsberatungen besonderes Kopfzerbrechen machte. Es ist die Endrechnung, die wir aufstellen mußten, bevor wir das Haushaltsgesetz selbst berieten, das Defizit von 947 Millionen, das sich plötzlich vor uns auftat. Es ist doch eine sehr erhebliche Abweichung von der Regierungsvorlage, wenn am Schluß der Haushaltsberatungen ein Defizit in einer Größenordnung von fast einer Milliarde plötzlich zu decken ist.
In den vergangenen Jahren hatten wir fast immer erhebliche Mehrausgaben vor uns und mußten uns bemühen, auf der anderen Seite Mehreinnahmen zu schaffen. Diesmal lag das Problem umgekehrt. Wir sahen plötzlich infolge der neuen Steuergesetze eine erhebliche Mindereinnahme vor uns, die dann durch den Wegfall des Mehrsteuerbetrages von 300 Millionen, der einfach nicht mehr zu begründen war, noch unhaltbarer gemacht worden ist, und darüber hinaus die drohende Gefahr, daß die Steuereinnahmen im Laufe dieses Jahres nicht das gesetzte Soll erreichen würden. Wenn Sie sich die Berichte des Bundesfinanzministeriums für die ersten Monate dieses Jahres vor Augen führen, werden Sie feststellen, daß allein in den beiden ersten Monaten, in den Monaten April und Mai, schon ein Defizit von nicht weniger als 1,1 Milliarden gegenüber dem Soll zu verzeichnen ist.
Schon das allein erlaubt keine sehr günstige Prognose für den weiteren Fortgang des Haushaltsjahres, und ich darf Sie noch einmal mit allem Nachdruck daran erinnern, daß der Ausgleich dieses Haushalts schon in der Regierungsvorlage nur durch die Einsetzung von 3 Milliarden DM als Dekkungsmittel aus dem Kassenbestand am 1. April 1958 möglich war. Dann hat zusätzlich noch die Haltung der Länder den Bundesfinanzminister und das Hohe Haus mehr oder weniger gezwungen, sich auch hier nachgiebig zu erweisen und - Wegfall des Notopfers Berlin und Einbau in die Körperschaftsteuer - einen erneuten Verzicht auf Einnahmen auszusprechen. Auf dieses jetzt in ein neues Stadium getretene finanzielle Verhältnis zwischen Bund und Ländern wird mein Freund und Kollege Niederalt nachher noch besonders eingehen.
Mit der bereits im Anschluß an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erlassenen vorläufigen Steuergesetzgebung und insgesamt durch das sogenannte „Spaltungsverfahren" - ich will den amerikanischen Ausdruck dafür hier absichtlich vermeiden - ist eine Steuersenkung in einer Größenordnung von 2,1 Milliarden DM innerhalb von eineinhalb Jahren eingetreten. Nicht nur dieses Hohe Haus, sondern auch die gesamte Öffentlichkeit sollte sich einmal vor Augen halten, was es heißt, in einem Haushalt eine solche Steuersenkung eintreten zu lassen, wenn man gleichzeitig die Deckung nur dadurch beschaffen kann, daß man einen Kassenbestand am 1. April zur Deckung einstellt.
Automatisch erhebt sich die Frage, ob das durchzuhalten sein wird. Das ist eine Frage, die alle Finanzwissenschaftler von Rang immer dringlicher stellen, eine Frage, die sich bei der Aufstellung des Haushalts 1959 unausweichlich in erhöhtem Maße erheben wird.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aber auch an den Mittelstand einmal [die Frage richten - ich komme auf ihn jetzt besonders zu sprechen -, ob nicht diese Steuersenkung von 2,1 Milliarden DM gern hingenommen worden ist - denn sie kommt zu einem sehr großen Teil gerade dem Mittelstand zugute-, daß man sie aber auf der anderen Seite allzu schnell vergißt, um sofort die Hände wieder nach neuen Steuersenkungen aufzuhalten. Dann kommen wir an den Punkt, wo immer neue Forderungen auf der anderen Seite nur mit Mehreinnahmen begegnet werden kann. Und woher sollen dann Mehreinnahmen kommen, wenn sie nicht durch neue Steuern erhoben werden sollen?
Unbestreitbar hat das bisherige Steuersystem in vieler Hinsicht die Konzentration in der Wirtschaft, vor allen Dingen in der Großwirtschaft, begünstigt und hat auch da einige Auswirkungen erzeugt, die auch wir mit kritischen Augen zu betrachten allen Anlaß haben. Zwei Grundanliegen werden im Zusammenhang mit einer zielbewußten Förderung der mittleren und kleineren Unternehmungen, wie sie sich meine Freunde vorgenommen haben, hier im Mittelpunkt zu stehen haben: Erstens die erneute Prüfung der Frage der Organschaft und die Herstellung der Steuerneutralität gegenüber der Rechtsform des Unternehmens, und zweitens der vom Bundesfinanzminister bereits angekündigte Umbau der Umsatzsteuer im Sinne einer verbesserten Wettbewerbsneutralität. Wir begrüßen die Fertigstellung des Entwurfs einer Umsatzsteuerreform durch den Bundesfinanzminister und sind auf seinen Inhalt sehr gespannt. Daß eine Umsatzsteuerreform angesichts der gewaltigen Minderungen des Steueraufkommens auf dem Gebiet der Einkommen- und Körperschaftsteuer keinen neuen Steuernachlaß bringen kann, sondern nur eine Verlagerung innerhalb der jetzt schon vorhandenen Masse, das allerdings sollte man sich beim Beginn einer derartigen Reform rechtzeitg klarmachen, damit nicht von vorherein trügerische Hoffnungen erweckt werden. Jede Reform der Umsatzsteuer ist in der gegenwärtigen Situation ein überaus gewagter und angesichts der voraussehbaren Erschöpfung der letzten Kassenreserven des Bundes doppelt riskanter Schritt.
Wir möchten nicht versäumen, bei dieser Gelegenheit auch auf die leider infolge einiger personeller Ereignisse steckengebliebene Reform der Reichshaushaltsordnung mit Nachdruck hinzuweisen. Seit Jahren bereits arbeitet eine Arbeitsgemeinschaft - Bundesfinanzministerium und Bundesrechnungshof - an diesem überaus notwendigen und auch inhaltsschweren Werk. Aus zwei Gründen wünschen wir, daß diese Arbeiten jetzt wieder mit Nachdruck aufgenommen werden und daß ihr Ergebnis möglichst bald dem Hohen Hause vorgelegt wird.
Der eine Grund ist der, daß wir das Kalenderjahr als Haushaltsjahr eingeführt sehen möchten. Meine Freunde von der Koalition haben hierzu schon einen Antrag eingebracht. Der zweite Grund ist der, daß wir eine Reform der Vermögensrechnung des Bundes wollen, die dringend notwendig ist. Auch hierzu werden Sie am Schluß der Beratungen durch meinen Freund Hellwig eine Entschließung vorgelegt erhalten.
Eine weitere Forderung, die vor allem von seiten der Opposition immer wieder erhoben worden ist und die stets zu erheben Herr Kollege Schoettle als Vorsitzender des Haushaltsausschusses nicht müde wurde, ist die einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Ich glaube, wir haben allen Anlaß, dem Präsidenten des Statistischen Bundesamtes, Herrn Dr. Fürst , an dieser Stelle einmal unseren Dank dafür auszusprechen, daß er die Vorarbeiten für eine solche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung schon recht weit vorangetrieben hat und daß wir infolgedessen hoffen können, innerhalb der nächsten zwei Jahre hier zu einem konkreten Ergebnis zu gelangen. Allerdings haben Herr Dr. Fürst und die um ihn versammelten Sachverständigen und Gelehrten schon im vorhinein gewarnt und dargelegt, daß eine derartige Rechnung, wenn sie sauber und gründlich durchgeführt worden ist, zwar eine gute Planungsunterlage sein kann, aber diesem Hohen Hause und den politischen Parteien niemals eine politische Entscheidung abnehmen kann. Ich glaube, daß man auch das rechtzeitig vorher sehen und nicht allzu große Hoffnungen auf die Arbeiten der Wissenschaftler setzen sollte. Das, was wir in den skandinavischen Ländern, z. B. in Schweden, auf diesem Gebiet bis jetzt gesehen haben, erweist nur die Richtigkeit dieser Voraussage von Präsident Dr. Fürst.
Ein weiteres Problem, und zwar eines der schwersten, die uns Kummer und Sorgen genug im Haushaltsausschuß bereitet haben, ist das Problem der Haushaltsreste. Wenn wir in diesem Haushaltsjahr bei einem Haushalt von rund 37 Milliarden DM Reste in Höhe 8,3 Milliarden DM zu verzeichnen haben, dann ist allen Ernstes die Frage aufzuwerfen, ob hier nicht schon zu viel in den Haushalt hineingetan worden ist. Denn an einem Haushalt, der nicht vollzogen wird, ist etwas falsch.
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Wir sollten deshalb lieber das Haushaltsvolumen in engeren Grenzen halten, als daß wir der Verwaltung durch die Bewilligung hoher Summen Aufgaben auf den Hals packen, die auszuführen sie beim besten Willen nicht in der Lage ist.
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Das muß ich vor allen Dingen im Hinblick auf zwei Sonderprobleme feststellen, die uns aufgefallen sind. Es handelt sich einmal um den riesigen Haushaltsrest von annähernd 1 Milliarde DM beim Wohnungsbau und zum zweiten um den Haushaltsrest von rund 240 Millionen DM beim Straßenbau. Hier hat sich besonders deutlich die Grenze der Leistungsfähigkeit der Verwaltung der Länder ergeben. Wir werden daraus Konsequenzen ziehen müssen.
Die Bildung von Resten ist nicht nur ein Problem des Bundeshaushalts, sondern sie ist heute auch eines der Länderhaushalte geworden. Ich denke zum Beispiel an die Summe - ich will sie hier nicht nennen -, die sich in dem Haushalt des größten deutschen Bundeslandes aus Haushaltsresten aufzutürmen beginnt. Die Länder werden allen Grund haben, auch ihrerseits in eine Prüfung dieser Entwicklung einzutreten. Aber ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit auch die Warnung an Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, zu richten, nicht jetzt durch neue zusätzliche Anträge an den Stellen, wo offensichtlich die Verwaltung der Länder nicht Schritt halten kann, den Ausweitungsprozeß des Bundeshaushalts noch zu beschleunigen.
Lassen Sie mich zu dem zweiten Problem etwas sagen, dem Problem der Bindungsermächtigung. Dieses Problem hat uns naturgemäß besonders im Verteidigungshaushalt beschäftigt, wo wir es ja mit einer Größenordnung von 15 Milliarden Bindungsermächtigungen zu tun haben. Wir haben mit ganz besonderem Interesse Kenntnis von den Plänen genommen, wie diese Bindungsermächtigungen in irgendeiner Form zu bändigen sind: diesen Ausdruck möchte ich schon beinahe gebrauchen, weil er mir angesichts der Größenordnung angebracht erscheint. Mein sehr verehrter Kollege Lenz hat bereits in seinem Schlußwort als Berichterstatter von diesem Problem und von den Plänen gesprochen. die sowohl von den Haushaltsreferenten des Bundesverteidigungsministeriums wie denen des Bundesfinanzministeriums vorgetragen worden sind.
Wir werden im kommenden Haushaltsjahr vor der Frage stehen, wie wir einen Teil dieser Bindungsermächtigungen auf irgendeine Weise verkleinern können, sei es nun, daß man die Reste direkt streicht oder daß man sie neu verausgabt. Dieses Problem erster Ordnung werden wir im kommenden Haushalt vorrangig zu behandeln haben. Sicher ist, daß wir uns alle, quer durch alle Fraktionen, über die Notwendigkeit der Verminderung dieser Bindungsermächtigungen klar sind, und wir meinen, daß darunter die Aufgabe selbst, die notwendigen Leistungen für die Verteidigung aufzubringen, nicht Schaden zu leiden braucht.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch von einem Problem sprechen, das wahrscheinlich mein Freund Niederalt noch besonders vertiefen wird, dem Problem des Zwei-Jahre-Haushaltes für die Verwaltungsausgaben.
Meine Damen und Herren! Die Verwaltungsausgaben machen in diesem Riesenhaushalt von 38,7 Milliarden zwar nur eine Summe von vielleicht 3 bis 4 Milliarden aus, nehmen aber erfahrungsgemäß bei der Behandlung rund 80 % der kostbaren Zeit des Haushaltsausschusses in Anspruch. Wenn es uns gelänge, einen Zwei-Jahre-Haushalt für die Verwaltung - sowohl für Personalausgaben, Sachausgaben wie Allgemeine Ausgaben - aufzustellen, dann würden wir zumindest in einem Jahr die
Zeit frei machen können für die notwendige Durchleuchtung der großen allgemeinen Bewilligungen und der großen Sachtitel, und dann könnten wir uns dem Haushalt mit der Intensität widmen, wie er es angesichts der Größenordnungen verdient.
Wir haben uns noch eine Reihe anderer Probleme gemeinschaftlich vorgenommen, unter anderem das Problem der Bevorratung, das angesichts der neuen großen Leistungen für den zivilen Notstand eine besondere Bedeutung gewinnt. Hier zeigt sich bereits die Überschneidung auch mit der Vorratspolitik des Bundesernährungsministeriums. Wir werden uns mit dem Problem des zivilen Luftschutzes besonders befassen müssen, aber noch mehr mit dem Problem von Forschung und Entwicklung im Verteidigungshaushalt. Hier zeigte sich während der Beratungen vor der zweiten Lesung deutlich, wie groß bereits jetzt die Überschneidungen der einzelnen Ressorts gerade bei der Forschung sind, und wie groß infolgedessen aber auch die Aufgabe des neu geschaffenen Wissenschaftsrats sein wird, hier zu einer guten und gründlichen Koordination zu gelangen.
Ein weiteres Problem ist das Problem der Nachwuchsförderung durch die einzelnen Ressorts. Wir sehen heute schon nebeneinander das Bundesinnenministerium, das Atomministerium und das Verteidigungsministerium, von Post und Bundesbahn ganz zu schweigen, alle um dasselbe Problem bemüht. Auch hier wird sich eine Koordination als überaus nützlich erweisen.
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Nun ein besonders wichtiges Problem, von dem hier zu sprechen ist. Wir haben während der Beratungen wiederholt festgestellt, daß die einzelnen Bundesminister als die federführenden Minister bei den supranationalen Behörden, aber auch bei den großen internationalen Organisationen Bindungen finanzieller Art eingehen, von denen das Hohe Haus zunächst nichts weiß, die es erst später gemerkt, wenn der Haushalt gedruckt vorliegt; manchmal sehen wir es erst in irgendeiner Vorlage des Finanzministeriums. Aber dann bleibt dem Haushaltsausschuß eigentlich nichts weiter als die berühmte Rolle des Chors im griechischen Drama, der den Gang der Ereignisse beweint, ohne ihn ändern zu können. Das ist, glaube ich, eine Rolle, die ihm auf die Dauer nicht zugemutet werden sollte. Die Herren Ressortminister täten auch gut daran, bevor sie sich zu derartigen Konferenzen begeben und bevor sie dort sehr weitreichende Bindungen eingehen in bezug auf die Gehälter z. B. bei den supranationalen Behörden, auf die Ausdehnung dieser Behörden und auf die Größenordnung der Beiträge, die zu sehr großen Bauten dort geleistet werden -siehe NATO-Verträge usw. -, sich auch einmal mit dem Haushaltsausschuß und mit den anderen Ausschössen zu beraten.
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Wir haben uns gemeinschaftlich mit dem Ausschuß für Verteidigung und mit dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung für den Herbst eine Reihe von Aufgaben vorgenommen, so die Erprobungsstellen beim Verteidigungsministerium, eine Reihe großer Bauten, vor allen Dingen Kasernen- und Depotbauten; die letzten sind ein Problem von ganz außerordentlicher und von der Öffentlichkeit gar nicht richtig begriffener Bedeutung für die gesamte Verteidigung. Denn was nutzt die beste Division, die aufgestellt wird, wenn sie nicht genügend bevorratet und ihre laufende Versorgung in der Zukunft nicht sichergestellt ist? Auch dieser Fragen wollen wir uns besonders annehmen.
Ich möchte hier noch einmal darauf hinweisen, daß wir dem Bundesrechnungshof gemeinschaftlich einen Sonderbeitrag von 100 000 DM zur Verfügung gestellt haben, damit er in die Lage versetzt wird, sich derjenigen Sachverständigen zu bedienen, deren er bedarf, um bestimmte große Probleme - wir denken vor allem an Betonbauten, an den Wohnungsbau usw. - zu durchleuchten, weil wir hier Ersparnismöglichkeiten in einer erheblichen Größenordnung sehen. Ich darf diese Gelegenheit einmal nutzen, um auch dem Bundesrechnungshof, ich glaube, unser aller Dank für seine ganz besonders intensive Mitarbeit an dieser Aufgabe auszusprechen.
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Lassen Sie mich einen Ausblick auf das vor uns liegende Haushaltsjahr 1959 wagen. Ich sprach bereits von dem Nichterreichen der Sollziffern, das schon in den ersten Monaten, also im April, Mai und Juni, erkennbar geworden ist. Obwohl wir auf der einen Seite in den beiden ersten Monaten ein Weniger von 1,1 Milliarden DM ich werde nicht müde, darauf hinzuweisen - vor unseren Augen haben, erhebt sich bereits eine Lawine neuer Forderungen, die schon konkrete Gestalt angenommen haben.
Ein so erfahrener Berichter in der „Gegenwart" wie Rudolf Haerdter hat in einem überaus lesenswerten Aufsatz sich die Mühe gemacht, einen Teil dieser Neuanforderungen zusammenzustellen. Er hat noch nicht alle Wünsche zur Kenntnis genommen. Aber lassen Sie mich einmal einen Rundgang unternehmen.
Da sind zunächst die neuen Forderungen, die von seiten der Landwirtschaft erhoben worden sind. Wir wissen, was das Wort „Disparität" beinhaltet und was sich auf diesem Gebiet unter Umständen zusammenballen kann. Wir kennen den Zehnjahresplan zur Umwandlung der landwirtschaftlichen Struktur in einer Größenordnung von 40 Milliarden DM, wie er bereits in der Öffentlichkeit genannt worden ist. Ich gehe hier gar nicht einmal auf Einzelheiten ein. Ich spreche sie zunächst als Problem an.
Wir sehen weiter das Schulprogramm vor uns, wie es auf der Lehrertagung in München diskutiert worden ist. Es ist ein sich über zehn Jahre erstrekkendes Programm von zusammen 8 Milliarden DM. Dabei hat man - ich muß das wirklich loben -vernünftigerweise gesagt: Aber wir wollen zunächst einmal den Wohnungsbau etwas abklingen lassen, ehe wir uns an die Schulbauten heranmachen. Ich halte das für eine sehr realistische und sehr lobenswerte Einstellung.
Dabei möchte ich es nicht unterlassen, auch einmal auf die Schulprobleme anderer Länder hinzuweisen. Ich habe mich selber davon überzeugt -auch mit einigen Senatoren, die an diesen Fragen interessiert sind, diskutiert -, daß selbst in einem Lande wie den Vereinigten Staaten, das weiß Gott keine finanziellen Sorgen in der Größenordnung, wie wir sie haben, kennt, heute 80 000 Schulräume fehlen. Auch in anderen Ländern sieht das Schulproblem ähnlich aus. Angesichts dessen sollten wir nicht immer glauben, wir allein in der Welt hätten es mit einem Schulproblem zu tun. Tatsächlich besteht dieses Problem fast überall.
Die dritte große Forderung, die an uns herangetragen wird, betrifft Wissenschaft und Forschung. Dabei sollte nicht verkannt werden, daß in diesem Haushaltsjahr dafür beträchtlich mehr ausgeworfen ist als in den vergangenen Jahren. Nach Schaffung des Wissenschaftsrates werden wir hoffentlich recht bald vorher geklärte Vorstellungen über die Größenordnung der Summen, die in den kommenden Haushalten stehen sollen, bekommen.
Weiterhin nenne ich das Problem der Studienförderung. Herr Haerdter hat nicht ohne Ironie von einer „Verrentung des Daseins" gesprochen, wie mir scheint, ein recht zutreffender Ausdruck. Ich denke hier vor allen Dingen an die wachsenden Bestrebungen, unseren Herren Studenten - zum Teil auch ohne Rücksicht auf die Einkommen der Eltern - auch in den Semesterferien die Zuschüsse zu gewähren, auf die sie meiner Überzeugung nach nur während ihres Studiums selbst einen Anspruch haben. Dabei wollen wir die Gefahr nicht außer acht lassen, daß die Dozenten und insbesondere die ordentlichen Professoren infolge ihrer Überlastung nicht mehr in dem erforderlichen Maße die Leistungen prüfen können und daß sie aus Mitleid und sonstigen edlen Regungen heraus die Dinge treiben lassen. Auf diese Weise steht dann nicht mehr das eigentliche Honnefer Modell, nämlich die Förderung der Begabung, im Vordergrund, sondern nur noch das soziale Moment. Da erhebt sich die Frage, mit welchem Recht solche Studenten gegenüber den anderen Teilen der Jugend bevorzugt werden.
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Lassen Sie mich weiter das Problem der Krankenhäuser und ihrer Sanierung, auf das gerade in jüngsten Tagen aufmerksam gemacht worden ist, kurz ansprechen. Hier ist ein Bedarf von rund 1 Milliarde DM für die Schaffung der 30 000 fehlenden Krankenhausbetten und ein Rationalisierungsbedarf von rund 12 bis 13 Milliarden DM angemeldet worden, von dem Problem der Aufbringung der Pflegesätze ganz zu schweigen.
Ferner sind die neu aufgetretenen Forderungen im Zusammenhang mit der Regelung der Wasserwirtschaft zu nennen. Wir wissen, daß wir es hier mit einer Größenordnung von rund 4 Milliarden DM zu tun haben und daß dieses Problem einfach unausweichlich auf uns zukommt, wenn wir der Verschmutzung unserer Gewässer Einhalt gebieten wollen und wenn wir auf der anderen Seite gleichzeitig auch die Schaffung eines hinreichenden Wasservorrates für die weitere Industrialisierung sichern wollen.
Ein weiteres Problem ist das der Atomenergie und der Bundesbeteiligungen an der künftigen Schaffung von Energiezentralen. Wir sind da in den Erläuterungen des Atomministeriums auf Größenordnungen von 1 Milliarde DM bereits für die nächsten zwei bis drei Jahre gestoßen.
Dann das bereits sattsam diskutierte Problem des Straßenbaues! Der Herr Bundesverkehrsminister, der ,es überhaupt mit Größenordnungen zu tun hat, um die wir ihn nicht beneiden, hat die Summe von 88,5 Milliarden DM für einen Zehnjahresplan aller Straßen - der Wasserstraßen, der Seestraßen, der Bundesstraßen zu Lande und der Bundesbahn - in die Debatte geworfen. Wenn so große Summen in der Öffentlichkeit genannt werden, habe ich manchmal die Sorge, daß da Hoffnungen geweckt werden, die in den nächsten zehn Jahren unter keinen Umständen erfüllt werden können.
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Dabei kommt ,das immer dringender an uns herangetragene Problem des europäischen Straßennetzes auf uns zu. Auch hierzu werden Sie am Schluß der dritten Beratung Entschließungen vorfinden, die ich schon jetzt Ihrer Beachtung empfehlen möchte.
Mit Sicherheit werden wir im Haushaltsjahr 1959 300 Millionen DM mehr für die Rentenreform einstellen müssen, und im Haushaltsjahr 1960 wird es wieder etwas mehr sein. Leider ist im Haushalt 1958 die schon jetzt mit Sicherheit auf uns zukommende Summe von 51 Millionen DM für die Knappschaftsversicherung nicht untergebracht. Ich mache Sie ausdrücklich darauf aufmerksam, sie steht noch nicht im Haushalt.
Ich denke an den erneuten Ansturm des Auslandes auf die natürlich sehr verlockende Gold- und Devisenreserve der Bundesnotenbank der Bundesrepublik. Meine Damen und Herren! Manchmal, muß ich sagen, sind wir doch recht erstaunt, z. B. wenn Staatsmänner vom Format des britischen Premiers MacMillan aus Washington zurückkommen und wenn dann der Bundesrepublik sehr vielsagend zugerufen wird, sie möge sich doch den seit zwei Jahrhunderten erprobten Bankiererfahrungen Englands anvertrauen und dort die Goldvorräte England sozusagen zur bankmäßigen Bewirtschaftung übergeben, das dies doch traditionell besser könne als ,die Bundesrepublik Deutschland.
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Meine Damen und Herren! Da kann ich nur sagen, wir haben volles Verständnis für einen solchen Wunsch, aber auf der anderen Seite glauben wir doch, dieser Aufgabe selbst einigermaßen gewachsen zu sein.
Ich möchte mich hier vor diesem Hohen Hause voll und ganz hinter die Antwort des Bundesnotenbankpräsidenten Blessing stellen, der mit allem Nachdruck darauf hingewiesen hat, daß diese Gold- und Devisenvorräte nicht etwa ein Ausdruck des deutschen Kapitalreichtums sind, sondern umgekehrt ein Ausdruck der deutschen Kapitalarmut.
Eine weitere kleine Lawine, die auf uns zurollt: wie steht es mit der Vorfinanzierung der Entschädigung der Heimatvertriebenen? Wie steht es weiter mit den Forderungen der Auslandsgeschädigten, die im Londoner Schuldenabkommen eine Rolle gespielt haben und dort verbrieft sind? Um wieviel werden die Leistungen für die Wiedergutmachung über die hier im Bundestag veranschlagten 8 Milliarden DM hinausgehen? Und dann weiter: Wir hören jetzt von Sozialisierungsplänen, wie sie die IG Bergbau vorgetragen hat. Woher soll die Masse an Kapital zur Entschädigung aufgebracht werden? Der Rundgang durch diese Forderungen wird beinahe zu einer Wanderung in ein Dunkel hinein, das niemand von uns im voraus zu durchdringen und zu überblicken vermag.
Eines möchte ich hier noch vor allen Dingen an die Adresse auch der Entwicklungsländer sagen. Wir haben uns im Haushaltsausschuß zweimal über die Ausleihungen der Bundesrepublik an die Entwicklungsländer unterrichten lassen. Das sind viele Milliarden. Wir wissen, wie prekär die finanzielle Situation in sehr vielen dieser Schuldnerstaaten geworden ist. Wir wissen auch, welch außergewöhnliche Maßnahmen die Bundesrepublik ergreifen mußte, um diesen Ländern finanziell unter die Arme zu greifen. Aber auf der anderen Seite möchte ich mich mit allem Nachdruck hinter die Forderung stellen, die gerade die deutschen Bankiers auch international zur Geltung gebracht haben. Wenn auf der einen Seite die Entwicklungsländer aus sehr guten Gründen an uns herantreten und
uns bitten, ihre vielen großen Vorhaben zu finanzieren, dann dürfen wir und mit uns auch die anderen Gläubigerländer mit Recht eine größere Anstrengung als bis jetzt in der Sicherung unseres privaten Eigentums im Ausland erwarten; denn von uns Leistungen aus unserem Volksvermögen, aus unseren Ersparnissen heraus zu erwarten, ohne uns auf der anderen Seite ,die Gewähr der Sicherung dieser Ersparnisse bei Ausleihung zu geben, das ist nicht vertretbar.
Ich möchte in diesem Zusammenhang, weil ich gerade von dem Problem der Sozialisierungsforderung gesprochen habe, ein persönliches Wort sagen. Es sind in letzter Zeit im Haushaltsausschuß Bemerkungen gemacht worden über eine angeblich bevorstehende Sozialisierung der Hibernia, der PREUSSAG und möglicherweise auch der Saargruben. Ich kann hier für meine Person und wohl auch für sehr viele meiner Freunde sagen, daß davon gar nicht die Rede sein kann.
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Dagegen möchte ich noch einmal mit Nachdruck herausstellen: Im Bundesvermögen befinden sich Hunderte von kleinen Gesellschaften, deren Existenz in Bundeshand im Grunde keine Bedeutung hat und von denen sich der Bund sehr gut trennen könnte und auch schnell trennen sollte, sofern er ernste Angebote erhält und nicht solche von jenen zahllosen, die glauben, sich auf Kosten des Bundes sehr schnell bereichern zu können. Aber diese Aufgabe kann, glaube ich, mit Erfolg von dem neuen Ministerium Lindrath bearbeitet werden.
Ich möchte jetzt noch einen Blick auf den Konzentrationsprozeß in der Schwerindustrie werfen. Dieser Prozeß greift heute schon auf die weiterverarbeitende Industrie über. Er ist durch unsere jetzige Steuergesetzgebung unbestreitbar begünstigt worden und bereits an einem Punkt angelangt, wo wir uns ernsthaft fragen müssen, ob eine noch stärkere Zusammenballung im volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse liegt.
Ich sehe hier zwei Parallelentwicklungen vor mir, die zu einer ernsthaften Bedrohung gerade des Rückgrates der deutschen Wirtschaft, nämlich der mittleren und kleineren Unternehmungen, führen, und diese Unternehmungen sind immer noch der Kern der deutschen Wirtschaft; das möchte ich ausdrücklich betonen. Wenn man z. B. auf der einen Seite sieht, wie die mittleren und kleinen Betriebe von oben herunter aufgekauft werden, wie sich aber auf der anderen Seite ein paralleler Prozeß von unten herauf entwickelt, wird man ernstlich besorgt sein müssen. Nehmen Sie z. B. Verbände, die die Organisation des Einkaufes für den Kleinhandel in die Hand genommen haben, und zwar mit Erfolg; eine durchaus wünschenswerte Aufgabe! Aber was zeitigt sie häufig? Diese großen Einkaufsverbände gehen doch mehr oder weniger zu einer Typenbereinigung über. Sie kaufen bei immer weniger Firmen, und bei je weniger Firmen sie kaufen, desto stärker fördern sie gerade die Konzentration, die im Interesse des Mittelstandes gar nicht erwünscht ist.
Nun noch ein Wort zu unserer Konjunkturlage, die wir stets beachten. Wir setzen unsere gesamten Hoffnungen auch bei der Durchführung des Haushaltsplans 1958 und mehr noch des Haushaltsplans 1959 auf den Fortgang der Konjunktur. Ich glaube, daß wir alle uns in dieser Beziehung völlig einig sind.
Eine Bemerkung jedoch zu den Verlagerungen innerhalb der deutschen Haushalte. Das ist ein Problem, das eine immer größere Bedeutung gewinnt. Aus den letzten Mitteilungen, die wir über die Entwicklung der Ausgaben des durchschnittlichen Vier-Köpfe-Haushaltes in Deutschland erhalten haben, haben wir festgestellt, daß im Jahre 1957 die Ausgaben für Ernährung um 4,4 % gegenüber 1956 gestiegen sind, die Ausgaben für Bildung und Unterhaltung um 14 %, die Ausgaben für Hausrat um 19 % und die Ausgaben für Reisen um 35 %.
Hier, meine Damen und Herren, sehen Sie einen Trend, mit dem wir alle uns in Zukunft ernstlich befassen müssen.
Aber inmitten dieser gesamten Entwicklung, die uns manchmal mit großer Sorge erfüllt, gibt es in der weiteren Steigerung der Ersparnisse einen sehr erfreulichen Lichtblick. Die Tendenz, die sich im Vorjahr angebahnt hat und die zu einer so erstaunlichen Steigerung des Sparkapitals geführt hat, hat nach dem Monatsbericht der Bundesnotenbank im ersten Halbjahr 1958 weiter angehalten. Zwar liegen die Prozentsätze der Sparbeträge noch nicht so hoch wie in England, aber sie sind nahe daran. Der
Diskontsatz ist jetzt auf 3 % herabgesetzt worden. Wir haben jetzt einen 6%igen Pfandbrief, und wir sehen die reibungslose Unterbringung der Anleihen nicht nur der Industrie, sondern auch der Bundesbahn, der Bundespost, der Kommunen und der Länder.
Auf der anderen Seite wollen wir uns keineswegs einer Steigerung des Bargeldumlaufs in Deutschland verschließen. Damit komme ich zu einem der wichtigsten Probleme, das überhaupt im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt anzusprechen ist. Dieser Umlauf einschließlich der Sichteinlagen wuchs 1956 nur um 2,2 Milliarden DM, 1957 aber um über 4 Milliarden DM, und sein Wachstum hält im Jahre 1958 weiter stark an. Das ist eine Angelegenheit, die wir niemals aus dem Auge verlieren dürfen. Wenn sich zwischen dem wachsenden Verbrauch auf der einen Seite und der Leistung pro Arbeitsstunde und pro Beschäftigten auf der anderen Seite langsam, aber sicher eine Schere öffnet, dann werden für die Stabilität der Währung, völlig unabhängig von noch so energischen Maßnahmen der Bundesnotenbank und des Bundesfinanzministers, Gefahren ausgelöst, auf die führende Finanz- und Währungsexperten in immer eindringlicherer Form bereits hingewiesen haben.
Die Aufrechterhaltung der Stabilität der Währung liegt heute nicht mehr allein hei der Bundesnotenbank oder beim Bundesfinanzminister, sondern sie liegt ebenso stark auch in den Händen der Sozialpartner.
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Ich möchte hier einen Aufsatz unseres verehrten Kollegen Professor Baade ansprechen. den er in Nr. 12 der „Versicherungswirtschaft" aus Anlaß des Zehnjahrestages der Währungsreform unter der Überschrift „Die Verantwortung der Sozialpartner für die Stabilität der Währung" geschrieben hat. Er hat hier einige goldene Worte zu diesem Problem gesagt. Ich möchte sie dem Hohen Hause nicht vorenthalten:
Wenn man das alles richtig wertet,
- ich komme darauf noch zu sprechen -kann kein Zweifel daran sein, daß das stärkste Wachstum des Sozialprodukts und damit das stärkste Wachstum des Reallohns erzielt werden kann, wenn die Gewerkschaften aus eigener Einsicht eine Lohnpolitik betreiben, die eine lohninduzierte Inflation vermeidet, d. h. wenn sie auf Lohnsteigerungen verzichtet, die über das hinausgehen, was aus der Steigerung der Produktivität ohne Preissteigerung verkraftet werden kann. Ein von dieser Einsicht geleitetes Verhalten würde entscheidend dazu beitragen, das aufstiegdrosselnde Instrument der Verteuerung der Kredite entbehrlich zu machen.
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Ich empfehle diesen Aufsatz Ihrer aller Beachtung, da in ihm gerade auch eine Reihe von Prämissen enthalten sind, die das Verhalten der Gewerkschaften stützen sollen.
Ich kann jedoch mit vielem, was Herr Professor Baade weiter ausgeführt hat, nicht einig gehen, vor allen Dingen seine alte Theorie nicht annehmen, daß auch die Auflösung des sogenannten Juliusturms zu einer Geldwertminderung geführt habe, denn angesichts eines Sozialprodukts von über 200 Milliarden DM macht die auf drei Jahre verteilte langsame Auflösung der Kassenreserven wirklich nicht das aus, was man ihr häufig in die Schuhe schiebt.
Außerdem scheint mir ein anderes Verfahren, das hier empfohlen worden ist, nämlich die Bildung von neuen Budgetüberschüssen - England und die Vereinigten Staaten sind ein Beispiel dafür -, in Deutschland kaum praktikabel zu sein, ganz abgesehen davon, daß eine solche Finanzpolitik auch in diesen Ländern eine Stabilität der betreffenden Währungen nicht gewährleistet hat.
Aber nun komme ich zu einem entscheidenden Argument. Was wird uns denn als Ausgleich, auch als Begründung für die Anträge der Opposition, empfohlen? Es ist doch einfach die Kürzung des Verteidigungshaushalts. Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor allen Dingen auch von der Opposition, warten Sie bitte einmal ab, mit welchen neuen Forderungen unsere Bündnispartner im Laufe dieses Jahres und der nächsten Jahre an uns herantreten werden!
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- Meine Damen und Herren, man kann nicht bei internationalen Verträgen mithaften, wenn man nicht auf der anderen Seite bereit ist, sie auch dann zu erfüllen, wenn es sehr unangenehm ist, sie zu erfüllen.
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Man kann nicht erklären: wir stehen zu diesen Verträgen, und diese Verträge sind „kein Fetzen Papier" - um es wörtlich zu zitieren -, ohne daß man auf der anderen Seite bereit ist, die Konseguenzen daraus zu ziehen, mögen sie für uns und unseren Haushalt auch noch so unangenehm sein.
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- Über die Verteilung können wir miteinander sprechen; darüber reden wir jetzt schon seit Jahren. Aber zu sagen, daß die jetzigen Ausgaben eine Übertreibung gewesen seien. meine Damen und Herren, das nimmt Ihnen doch international niemand ab.
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Wir kommen auch nicht umhin, uns bei der Betrachtung dieses Problems einmal in der Welt etwas zu orientieren. Es wird wohl niemanden, der in der Außenpolitik ernst genommen werden will, mehr geben, der behauptet, die „Tauwetterperiode im Osten" halte heute noch an. Wer z. B. die Aufsätze eines solchen Kenners wie Hermann Pörzgen in der FAZ in letzter Zeit gerade aus Anlaß der Bluturteile in Ungarn gelesen hat, der findet dort ein Material zusammengetragen, an dem niemand von uns vorbeigehen kann. Längst bevor diese Schrekkensurteile in Ungarn bekannt wurden. erfuhren wir, daß bereits am 25. Mai acht führende Funktionäre in Rotchina wegen ,.Abirrung von dem rechten Wege" hingerichtet worden waren, trotz der Hun2116
dert-Blumen-Rede eines Mao Tse-tung, die wir vorher gehört hatten. Immer mehr gewinnt in uns die Vermutung Boden, daß die ganze antistalinistische Rede Chruschtschows ebenso wie das Vorgehen von Mao Tse-tung - von dem wissen wir es - vielleicht überhaupt nur dazu gedient hat, unvorsichtige, aber charaktervolle Kritiker aus ihrer Reserve herauszulocken, um sie nachher desto kaltblütiger liquidieren und das rote diktatorische System verankern zu können. Jedenfalls. können wir das auf keinen Fall von der Hand weisen. Wenn es aber so ist, dann wird das Problem der Sicherung unserer Bundesrepublik nach wie vor das entscheidende Problem sein, mit dem wir es hier zu tun haben.
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Ich kann mir in diesem Zusammenhang eine weitere Frage nicht verkneifen. Kann es sich die Sowjetunion, gerade nach den Armeemanövern an der polnischen Grenze - wir hörten nachher die erneute Rede von Gomulka -, leisten, die Satellitenstaaten atomar auszurüsten, ohne Gefahr zu laufen, daß ihre Panzerarmeen von heute auf morgen entwertet werden, wenn einmal atomare Waffen bei diesen Armeen gelagert sind? Ich will hier nicht näher auf die Geschichte mit Richard Crossman eingehen, die neulich in der „Welt" erwähnt worden ist. Ich will auch nicht sein Dementi näher prüfen, darf aber vielleicht den Satz zitieren, den die polnische Zeitschrift „Kultura" in Paris - nicht etwa bei uns - gedruckt hat. Dort war die Rede davon, daß Chruschtschow zu Richard Crossman gesagt habe, mit einer Bundesrepublik mit einer atomar aufgerüsteten Bundeswehr müsse sehr gründlich verhandelt, selbst auf Kosten großen Entgegenkommens verhandelt werden. Ich will das hier nicht näher erörtern; aber nach den jüngsten Informationen, die ich erhalten habe, scheint es doch so zu sein, als ob dieses Dementi von Grossman ein politisches Dementi gewesen ist. Wir sollten dieser Sache noch einmal nachgehen. Aber wie dem auch sei, die Tauwetterperiode ist vorbei.
Die 11 Milliarden DM, die im Bundeshaushalt für Verteidigung stehen, werden so oder so, jedenfalls in den nächsten Haushaltsjahren, nicht zur Deckung irgendwelcher anderen Ausgaben herangezogen werden können, seien sie auch noch so begründet und noch so anerkannt, auch von unserer Seite.
Ich habe hei der Einbringung dieses Haushalts bereits einmal an die Opposition die Bitte gerichtet, man möge sich doch auf dem Stuttgarter Parteitag definitiv darüber klarwerden, wie die Haltung der Opposition zum Verteidigungsproblem überhaupt sei.
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- Herr Jacobs, wir haben von Ihrer Seite ein Ja zur Verteidigung gehört, aber das, was vorher in der Presse angekündigt worden war und was wir wirklich ehrlich erhofft hatten, nämlich ein dezidiertes Programm mit Zahlenangaben, das haben wir in Stuttgart auch diesmal nicht gehört.
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Ich glaube, es genügt nicht, die Verteidigung als solche zu bejahen, sondern es ist die staatspolitische Pflicht einer .großen Partei - und Sie sind eine große Partei -, dem deutschen Volk zu sagen, was diese Partei dafür bewilligen will. Das ist ein Problem, das einfach auf die Dauer nicht umgangen werden kann. Denn die Bundeswehr - das ist unser aller Überzeugung - muß sich jenseits der Parteien auf dem gemeinschaftlichen Willen des ganzen deutschen Volkes aufbauen, wenn sie einen Sinn haben soll.
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Ich möchte das Problem nicht vertiefen, ohne gleichzeitig die Frage nach der Autorität, die die Bundesrepublik sich in den letzten Jahren schaffen konnte, und nach der Entwicklung dieser Autorität aufzuwerfen. Ich habe nicht ohne großes Interesse einen Aufsatz des nicht bei uns stehenden früheren Ministers Dr. Rudolf Zorn gelesen, der die bezeichnende Überschrift trug: „Auch 'die Demokratie braucht Autorität".
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Wir haben gemeinschaftlich eine Verfassung beschlossen.
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- Auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben die Verfassung mit beschlossen, nicht nur wir allein! In dieser Verfassung ist für eine stabilere Regierung als in vielen anderen Ländern Sorge getragen worden. Aber es kommt nicht allein auf die Stabilität der Regierungen an, es kommt in gleicher Weise darauf an, ob jede derartige Regierung sich auch im Volk die notwendige Autorität verschaffen kann. Ohne eine solche Autorität kann eine parlamentarische Demokratie auf die Dauer gesehen nicht existieren.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren von der Opposition, noch eine kleine Zwischenbemerkung. Sie haben sich in der vergangenen Woche mit einem Eifer, der einer größeren Sache würdig gewesen wäre, bemüht, bei der Beratung des Einzelplanes des Bundeskanzlers dem Herrn Bundeskanzler einen Zahn zu ziehen. Ich vermute, es sollte der Weisheitszahn sein, an den Sie sich da herangemacht haben. Ob es nun der Kollege Kühn war, der sich mit einer kunstvoll geschürzten Roßhaarschlinge an die Arbeit machte, oder Herr Kollege Arndt mit einer präzise gehandhabten elektrischen Bohrmaschine oder am Schluß Herr Kollege Neumann mit einem Brecheisen - stand dieser Aufwand, vier Stunden hindurch, tatsächlich in irgendeinem Verhältnis zu dem Gegenstand, um den es sich hier gehandelt hat?
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Meine Damen und Herren! Auch der deutsche Bundeskanzler und seine Autorität sind Dinge, die man nicht ohne Not in den Augen des deutschen Volkes herabsetzen sollte.
({25})
Denn dieses Volk bedarf dringender denn je einer
Autorität und eines klaren, zielbewußten Willens.
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Ich möchte 'das hier nur einmal als Zwischenbeispiel aufgerufen haben, wir wollen den Fall nicht vertiefen. Aber, Herr Kollege Mommer, es besteht aller Anlaß dazu, auch von Ihrer Seite sich zu überlegen, wie notwendig es auch für eine Partei wie die Ihre ist, Autorität zu gewinnen, nicht nur für uns.
({27})
- Ja, in Wahlzeiten haben wir unsere Sonderprobleme, auch in diesem Hause, und nicht nur von unserer Seite aus, sondern genauso von Ihrer Seite aus.
({28})
Lassen Sie uns, meine Damen und Herren, auf einige wirkliche Probleme zu sprechen kommen, mit denen auch die Regierung Adenauer zu kämpfen hat, auf echte Probleme und nicht derartige, ich möchte sagen, Lappalien, mit denen uns hier vier Stunden lang die Zeit genommen worden ist. Lassen Sie uns einmal auf das Problem des Nebeneinander der Ressorts eingehen. Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik; aber seine Ressortminister haben eine Selbständigkeit, die, glaube ich, in der deutschen Öffentlichkeit im allgemeinen nicht so beachtet wird, wie sie in der Verfassung verankert ist. Man macht den Herrn Bundeskanzler als den die Richtlinien der Politik Bestimmenden häufig genug für Dinge haftbar, für die er gar nicht persönlich haftbar gemacht werden kann. Die Frage der Koordinierung auch innerhalb der Bundesregierung ist eine sehr ernste Frage, sie sollte uns jenseits des Parteienstreites beschäftigen. Wir möchten den Wunsch aussprechen, daß sich der Herr Bundeskanzler mit seiner staunenswerten Energie auch an die Lösung dieses Problems heranmacht und daß wir hier zu einer Lösung von Fragen kommen, die wir in einer ganzen Reihe von Einzelaspekten bis jetzt als nicht befriedigend gelöst angesehen haben. Ich nenne z. B. nur das Problem der Wasserwirtschaft, ich nenne das Problem des Verhältnisses zu den europäischen Behörden, der Federführung der einzelnen Ressorts, um nur die wichtigen Probleme herauszugreifen.
Meine Damen und Herren! Meine Freunde haben von jeher auf dem Standpunkt gestanden, daß im Gegensatz zu anderen Ländern die Bundesregierung nicht ein Exekutivausschuß der Mehrheitsparteien dieses Hohen Hauses ist. Die Regierung ist nach der Verfassung mehr. Die Scheidung zwischen Exekutive und Legislative ist im Grundgesetz klar ausgesprochen. Aber wenn das so ist, dann muß das Bewilligungsrecht der Legislative gegenüber der Exekutive auch von seiten der Exekutive völlig unangefochten bleiben.
({29}) Der Haushaltsausschuß insbesondere ist dankbar, daß er als der wichtigste Exponent dieses unabdingbaren Bewilligungsrechtes dabei das ganze Hohe Haus hinter sich weiß. Der Haushaltsausschuß muß die Kraft und den Willen zu einem eigenen Urteil gegenüber der Verwaltung aufbringen. Resignieren wir bei dieser Aufgabe, dann streckt das Parlament die Waffen vor der Verwaltung.
({30})
Es kommt mir wirklich darauf an, bei dieser Schlußbetrachtung in der dritten Lesung des Haushalts als eines Kernstücks der parlamentarischen Arbeit nicht nur das herauszustellen, was uns trennt, sondern auch das herauszustellen, was, wie ich glaube, uns alle in diesem Hause eint. Unsere Arbeit wäre vergebens gewesen, wenn die nach uns kommende Generation, wenn die Jugend nicht das Gefühl hätte, daß sie auch mit dem Herzen, nicht nur mit dem Verstande zu diesem von uns hier aufgebauten Staate stehen könnte.
({31})
Wir sollten uns, glaube ich, ein wenig mehr auch bei den Beratungen hier vor Augen halten, daß es nicht so sehr darauf ankommt, wogegen man diese Jugend beeinflussen soll, sondern daß man ihr beibringen sollte, wofür sie sich einsetzen soll.
({32})
Das furchtbar zynische Wort von Karl Bednarik, der nicht einer von den Unseren ist, steht im Raum, daß die deutsche Jugend angeblich nur auf die Barrikaden zu gehen entschlossen wäre, wenn „die Kinos einmal geschlossen würden". Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinschaftlich dafür sorgen, daß dieses Wort niemals Wirklichkeit wird. Lassen Sie uns gemeinschaftlich dafür sorgen, daß die nach uns Folgenden den Eindruck haben: die großen Opfer, die hier gebracht worden sind, sind nicht vergeblich gebracht worden. Es fällt mir wahrlich nicht leicht, angesichts dieses weißen Nelkenstraußes, auf dem Pult vor mir heute als erster zu sprechen, wenn jeder von uns weiß und sich vor Augen hält, daß unter Umständen das, was hier an Kraft, an Gesundheit und an Lebensdauer geopfert worden ist, vielleicht einmal umsonst geopfert sein könnte. Geben wir unserem Volke - und damit möchte ich schließen - Hoffnung und bemühen wir uns nicht, die ohnehin schon zutiefst verankerte Daseinsangst in diesem Volke noch weiter zu vertiefen, durch welche Aktion es auch immer sein mag.
({33})
Ein Volk, das seine politische Existenz auf Angst aufbaut, kann inmitten der Gefahren der Zukunft keinen Existenzkampf führen. Deswegen mein Appell an Sie und an das ganze Hohe Haus: Sorgen Sie dafür, daß wir stetig, aber nicht stur, diesen Weg der Hoffnung und der Zuversicht gemeinsam weitergehen, damit wir denen, die nach uns folgen, einen geordneten und sicheren Staat hinterlassen können.
({34})
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Vogel sprach am Schluß seiner Darlegungen von dem, was uns eint. Ich kann bestätigen, daß uns Mitglieder aller Fraktionen im Haushaltsausschuß geeint hat der Wille zum gemeinsamen Dienst am gemeinsamen Wohl und die Bereitwilligkeit, alle Kraft einzusetzen und hinzugeben, um das zu tun, was Volk und Staat von uns verlangen können. Aber auch mir geht es angesichts des Blickes auf diesen Abschiedsstrauß für einen der Unseren so wie Herrn Dr. Vogel. Ich möchte sagen: die Toten mahnen. Wir können uns übernehmen, und wir übernehmen uns; wir haben uns schon übernommen. Wenn ich allein die Liste der Kranken des Haushaltsausschusses betrachte, an der Spitze unser Vorsitzender Herr Kollege Schoettle, wenn ich daran denke, daß auch unser erster Assistent gegen Ende der Etatberatungen zusammengebrochen ist und sich in einem sehr ernsten Zustand befindet, wenn ich um die Schwierigkeiten gesundheitlicher Art weiß, die den einen oder anderen jetzt schon überkommen und überfallen haben, dann weiß ich um den Ernst der Situation.
Aber Herr Dr. Vogel sprach auch von dem Wunsch, daß wir - wir, die Jetzigen - unseren Nachkommen einen Staat der Ordnung und einen Staat überlassen, dessen Finanzen in Ordnung sind Meine Damen und Herren, hier trennen sich unsere Wege in der Betrachtung dessen, was ,der eine oder der andere unter Ordnung versteht; hier trennen sich unsere Wege ebenso wie in ,der Beurteilung, Herr Kollege Dr. Vogel, der anderen Frage. Sie sagten, daß eine Autorität auch im demokratischen Staat notwendig sei. Im Grunde bejahen wir das, aber es handelt sich nicht allein um das Vorhandensein einer Autorität. Es handelt sich auch um den Willen der Autorität, sich der notwendigen Kontrolle durch die Volksvertretung zu unterziehen.
({0})
Das zu betonen ist das Recht der Opposition, das zu verlangen ist das Recht des ganzen Volkes. Ich habe seit vielen Jahren den Eindruck, daß der für die Führung der Politik in ,der Bundesregierung verantwortliche Herr Bundeskanzler in Fragen der Autorität oftmals - und wenn man ein feines Ohr hat, hört man auch das leise Stöhnen aus Ihrer Fraktion - nicht nur das Parlament und vor allem uns in der Opposition überfordert, sondern auch seine Freunde, und ich glaube, daß der Herr Bundeskanzler das selber sehr, sehr deutlich weiß und spürt.
Nun, was uns eint und was uns trennt, zeigen die Auseinandersetzungen, die sich im Laufe der Etatberatungen schon entwickelt haben und die sich in der dritten Beratung noch weiter entwickeln werden.
Meine Damen und Herren, wir haben jetzt über einen sogenannten Überrollungshaushalt zu entscheiden, einen Haushalt, der in seiner ganzen Aufmachung und nach dem ganzen Tempo, in dem er erledigt wurde, praktisch eine Schmälerung der Rechte des Parlaments darstellt. Darüber kann es für jeden Gutgläubigen und Gutwilligen in der Beurteilung der Situation überhaupt keine Zweifel geben. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Was sich an Schmälerung der Rechte des Parlaments aus dieser Haushaltsberatung praktisch ergeben hat, bedeutet eine Stärkung der Rechte der Bürokratie, der hohen Bürokratie. der Herren Minister und ihrer nächsten Mitarbeiter. Das zeigt sich auch hier. Betrachten Sie den Verlauf der zweiten Beratung, betrachten Sie den Zeitplan für die dritte Beratung, dann erkennen Sie, daß auch das Plenum unter dem Diktat einer Zeitnot steht, die der Sache nicht gut bekommt und letzten Endes der Sache auch nicht würdig ist. Wie richtig wäre es, wenn wir Position für Position kapitelweise in den einzelnen Haushalten kritisch beleuchteten! Ich bin überzeugt davon, daß dann mehr noch als im Haushaltsausschuß manches, gerade weil es öffentlich erörtert würde, dem Rotstift zum Opfer fiele, und das bekäme der Endsumme des Haushalts sehr gut. Jeder Bauer weiß, auch Kleinvieh macht Mist.
Die Frage dieses Überrollungshaushalts führt zu dem Problem zurück, ob die Art überhaupt richtig ist. Da man nach Jakob Burckhardt aus der Erfahrung für das nächste Mal klüger werden soll, möchte ich die Frage aufwerfen, ob wir - hoffentlich kommt es nie wieder so - nicht schon für den Haushalt 1958 klüger getan hätten, den. Haushalt 195'7 zur Gänze zu überrollen und 1958 die notwendigen Änderungen in einem Nachtragshaushalt auszubringen. Herr Kollege Dr. Vogel hat zu Recht das, worüber wir schon früher gesprochen haben - ich darf an die Ausführungen des Kollegen Schoettle erinnern -, hier zur Sprache gebracht: den Zweijahreshaushalt und die Angleichung des Haushaltsjahres vom 1. April bis zum 31. März an das Kalenderjahr. Die Regierung müßte sich verpflichtet fühlen, dem Haushaltsausschuß über diese Fragen nach Anhörung der Länder in aller Gründlichkeit tatsächlich eine Vorlage zu machen, damit wir dann das Für und Wider eingehend durchsprechen und zu einem Beschluß des Plenums kommen können.
Der Herr Bundesfinanzminister hat sich in seiner Rede vor dem Hohen Hause am 16. April der schönen Hoffnung hingegeben - ich zitiere aus dem Protokoll -:
Damit wären wir dann wieder im normalen Rhythmus der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes.
Er meinte, das wäre der Fall, wenn der Haushalt. 1959 so vorgelegt wird, wie er es angekündigt und in Einzelheiten vor dem Haushaltsausschuß dargelegt hat. Meine Damen und Herren, der Herr Bundesfinanzminister irrt. Das ist kein ordnungsgemäßer Rhythmus. Es ist zwar ein Rhythmus, aber ein falscher Rhythmus. Wenn wir den Haushalt erst im Dezember hier zu ersten Beratung bekommen und wenige Tage vor Weihnachten mit tier Beratung im Haushaltsausschuß beginnen können, dann ist das kein normaler Rhythmus, dann ist das keine Garantie für die im Grundgesetz vorgeschriebene ordnungsgemäße Verabschiedung des Haushalts für das kommende Jahr zur rechten Zeit.
Um nun hier zu helfen, möchte ich - ohne Anspruch darauf zu erheben, daß das der Weisheit letzter Schluß sei - der Regierung für den Haushalt des Jahres 1959 eine Anregung geben. Ich könnte mir gut vorstellen, daß es möglich wäre, vorbehaltlich gewisser Korrekturmöglichkeiten im Haushaltsentwurf für 1959 lediglich die sachlichen Titel neu zu bestimmen und die persönlichen Titel - also in jedem Einzelplan die Titel von Tit. 101 an - aus dem Haushalt 1958 unverändert in den Haushalt 1959 einzusetzen, also zu überrollen, aber noch vor dem 1. Juli 1959 einen Nachtragshaushalt mit den erforderlichen Änderungen auf dem Gebiet der Personaltitel einzubringen. Damit wäre gar kein Unglück geschehen, es wäre aber eine saubere und glatte Möglichkeit einer rechtzeitigen Verabschiedung des Haushalts 1959 durch den Haushaltsausschuß und das Hohe Haus gegeben, und es wäre ohne Schädigung irgendwelcher Interessen die dann folgende Beratung eines Nachtragshaushalts in der Zeit zwischen den Osterferien und dem 1. Juli möglich. Ich glaube, das ist ein Vorschlag, der der Überlegung wert wäre.
Nun zu dem heute zur Debatte stehenden Haushalt selber. Ich kann Herrn Kollegen Dr. Vogel nicht folgen, wenn er - er hat es nicht so formuliert - die Meinung vertrat, es handele sich, abgesehen von den 3 Milliarden DM, die aus Resten hineinkamen, im übrigen um einen akzeptablen Haushalt. Es handelt sich vor allem um keinen Haushalt der Stabilität. Man hat diesen Haushalt ja wiederholt hier und in der Presse einen „Haushalt am Rande des Defizits" genannt. Wenn wir ehrlich sind, meine Damen und Herren, dann müssen wir sagen: Es ist ein Haushalt des Defizits, es ist ein defizitärer Haushalt. Ich möchte die Regierungsparteien und die Regierung auch vor einer ständigen Wiederholung der Außerkraftsetzung des § 75 der Reichshaushaltsordnung im Haushaltsgesetz warnen.
Wenn wir von der Opposition zu dem Haushalt Stellung zu nehmen haben, dann geschieht das natürlich auch von einer anderen Warte aus, als Sie von der Koalition es tun. Wir empfinden den Haushalt in weiten Teilen nicht als gerecht, wir empfinden ihn auch in weiten Teilen nicht als wahr und in weiten Teilen nicht als klar. Das wird der Verlauf der dritten Beratung - ab heute - wohl noch zeigen. Ich darf Sie, was mangelnde Klarheit und mangelnde Wahrheit angeht, nur an die sehr, sehr lückenhafte Beantwortung der Großen Anfrage meiner Fraktion über die finanziellen Verpflichtungen aus dem Verteidigungshaushalt, Drucksache 195, erinnern. Dort sind Fragen wie die der Kosten für die atomare Aufrüstung, wie die der Kosten für ausreichende Vorräte für den Kriegsfall, wie die der Kosten für den Luftschutz und sonstige Notstandsmaßnahmen durchaus offengeblieben, um zu einer nicht zutreffenden Summe der Aufwendungen von damals angegebenen 52 Milliarden DM zu kommen. Für uns sind zahlreiche Ansätze im neuen Haushalt ungenügend. Ich nenne Ihnen als Beispiel die Tatsache, daß man die unabweisbare Steigerung der
Leistungen der Kriegsopferversorgung im Haushalt umgeht. Man hat sogar mit Rücksicht auf die durch Todesfälle und durch Wegfall von Waisenrenten naturnotwendig eintretende Verringerung der Zahl der Bezieher von Kriegsopferversorgung die Mittel reduziert. Ich erinnere Sie an unser Unbefriedigt-sein in bezug auf den ungenügenden Schutz der zivilen Bevölkerung, auch den Schutz vor radioaktiven Strahlen. Ich erinnere Sie - wir werden Gelegenheit haben, in der dritten Beratung dazu trotz allem noch einmal Stellung zu nehmen - an unser Unbefriedigtsein über den Mitteleinsatz des Bundes zur Bekämpfung der Schulraumnot, zur Überwindung der Schulraumnot als einer Kriegsfolge, die ja nach dem Grundgesetz vom Bund zu tragen, mindestens mitzutragen sind. Ich erinnere Sie an das Problem der Krankenhäuser im Rahmen der zivilen Notstandsplanung. Ich erinnere Sie an den Wohnungsbau. Was hat dieses Haus in den zwei Jahren sich an Ablehnungen auf diesem Gebiet geleistet! Sie können von uns nicht verlangen, daß wir mit dieser Mehrheitsentscheidung zufrieden sind, daß wir einverstanden sind, daß wir einem solchen Haushalt unsere Zustimmung geben.
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Ich möchte in einer Spezialangelegenheit an dieser Stelle eine nicht neue Frage an den Herrn Bundesfinanzminister richten. Ich habe diese Frage schon einmal gestellt. Ich bin mit ihrem Verhalten, Herr Bundesfinanzminister, unzufrieden. Sie haben in der zweiten Beratung diese Frage unbeantwortet gelassen. Ich frage erneut: Herr Bundesfinanzminister, werden Sie in der Lage sein, die in den außerordentlichen Haushalt verwiesenen Straßenausgaben aus dem außerordentlichen Haushalt zu bedienen? Ich frage Sie erneut, Herr Bundesfinanzminister, und ich bitte heute um eine Antwort: sind Sie bereit, die bis jetzt auf 6 % - in Kürze vielleicht auf mehr bestimmte Kürzung aller Ausgaben durch das Haushaltsgesetz bei den Straßenausgaben nicht in Anwendung zu bringen? Ich glaube, die Öffentlichkeit hat ein sehr lebhaftes Interesse an einer positiven Antwort des Herrn Bundesfinanzministers auf diese Fragen. Noch eine dritte Frage, Herr Bundesfinanzminister, auf die in der zweiten Beratung keine Antwort gegeben wurde: Sind Sie bereit, mit Klauen und Zähnen zu verteidigen, daß gegenüber dem Verteidigungsministerium der Rückverrechnungstitel unter 222 der einzelnen Haushalte aufrechterhalten bleibt, damit nicht andere Haushalte noch überdies für die Zwecke und Bedürfnisse des Verteidigungshaushalts herhalten müssen?
Der Herr Kollege Vogel sprach im Zusammenhang mit den Problemen „Reste, Bildungsermächtigungen und Kontrolle" von einer notwendigen Warnung - so habe ich es aufgefaßt - an die Opposition, nicht durch Anträge die Dinge noch weiter zu erschweren. Ich glaube nicht, Herr Kollege, daß unsere Anträge dazu geeignet sind, die Lösung der Frage der Kontrolle oder der Bindungsermächtigungen - von den Resten in dem Zusammenhang ganz zu schweigen - irgendwie dann zu gefährden und zu erschweren, wenn auf dem Ge2120
biete des Willens und der Organisation genügend Garantien gegeben sind, um einem von uns erhofften Beschluß des Hohen Hauses Achtung zu verschaffen. Sie können die Dinge auf dem Gebiet der da und dort zu beobachtenden Leistungsunfähigkeit einzelner Landesverwaltungen - beispielsweise auf dem Gebiet der Straßen - nicht verallgemeinern und als Warnzeichen gegenüber Anträgen der Opposition benutzen, die sich nun einmal aus der Einstellung der Opposition zu Ihrer Etatpolitik, meine Damen und Herren von der Koalition, zwangsläufig ergeben müssen.
Sie haben davon gesprochen, daß wir 8,3 Milliarden DM Reste haben. Von diesen 8,3 Milliarden DM Reste entfallen allein auf den Einzelplan 14, den Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums, 5,4 Milliarden DM.
({2})
Solange der Juliusturm bestand, waren die vom Parlament bewilligten, von der Verwaltung aber nicht ausgegebenen Mittel, also die Reste, tatsächlich vorhanden; aus ihnen konnten dann noch Ausgaben erfolgen.
Inzwischen hat sich einiges geändert. Inzwischen wurde der Kassenbestand in seiner vollen Höhe für andere Zwecke verwendet, ,so daß jetzt Reste ohne Gegenwert, also ohne Deckung vorhanden sind, und zwar in der vorhin angegebenen Höhe von 5,4 Milliarden beim Verteidigungshaushalt und von 8,3 Milliarden im gesamten Haushalt. Diese Reste zu liquidieren, zu töten, wie die Sprachregelung im Finanzministerium lautet, ist nach unserer Auffassung eine wichtige Voraussetzung - darin sind wir mit Ihnen einer Meinung - für eine gesunde und verantwortungsbewußte Haushaltsführung. Dieses Töten der Reste ist um so leichter, als die allein im Verteidigungshaushalt enthaltenen 5,4 Milliarden Ausgabereste zum größten Teil aus globalen Bewilligungen datieren, für die in erheblichem Umfang noch keine Verpflichtungen eingegangen sind, wobei die Gefahr besteht, daß sie möglicherweise für andere Zwecke ausgegeben werden als die, für die sie bewilligt wurden. Die Forderung, die wir erheben, ist, daß die Ansätze im Verteidigungshaushalt neu veranschlagt und beschlossen werden, daß also die in nicht verbrauchten Resten enthaltenen Ausgabeansätze gestrichen werden.
In der Frage der Bindungsermächtigungen vertreten wir eine ähnlich zurückhaltende Auffassung, wie sie Herr Kollege Dr. Vogel vorgetragen hat. Ich darf darauf hinweisen, daß nach Erfüllung gewisser Ausgaben neue Bindungsermächtigungen in diesem Rechnungsjahr hinzugekommen sind, so daß wir Bindungsermächtigungen in Höhe von mehr als 15 Milliarden im Hushalt haben. Meine Damen und Herren! Die Schöpfer der Reichshaushaltsordnung und der Reichstag als der damalige Gesetzgeber haben sich, als sie in der Reichshaushaltsordnung den Begriff der Bindungsermächtigung schufen, bestimmt keine derartigen Größenordnungen vorgestellt. Das war damals eine harmlose Angelegenheit.
({3})
Die Betrachtung war einfach und schlicht. Heute wird aus dieser Bestimmung der Reichshaushaltsordnung ein Monstrum von unsolider und nicht zu verantwortender Finanzpolitik!
({4})
Meine Damen und Herren! Die Bindungsermächtigungen sind ihrem Charakter nach ein politischer Vorgriff, sie sind eine Verpflichtung, die aus den Haushaltsmitteln des laufenden Rechnungsjahres nicht bestritten werden muß, sondern gegebenenfalls erst im kommenden Jahre zu decken ist. Praktisch bedeuten sie einen Turm ,an Verpflichtungen. Sie sind im einzelnen letzten Endes parlamentarisch unkontrollierbar und damit eine Verringerung der Rechte des den Haushalt bewilligenden Parlaments durch Einengung seiner Möglichkeiten.
Diese Dinge - Resteverwertung und Bindungsermächtigungen - zeigen im Zusammenhang mit dem, was Herr Kollege Dr. Vogel zum Schluß ansprach - Autorität der Bundesregierung -, und dem, was ich ergänzte - demokratische Kontrolle -, das ganze Schwergewicht der Problematik, mit der wir uns hier auseinanderzusetzen haben.
Der Begriff der parlamentarischen Kontrolle ist eine Selbstverständlichkeit. Das Parlament im ganzen ist zu einer Art von gesundem Mißtrauen gegenüber den Maßnahmen der Regierung verpflichtet. Sie werden verstehen und uns nicht verübeln, wenn wir ein gesteigertes Mißtrauen gegenüber der Regierung, gegenüber ihren Methoden und insbesondere gegenüber den Geheimfonds Ihrer Regierung hier wiederholt bekundet haben.
Die Reichshaushaltsordnung kennt in § 89 die Zulässigkeit einer nicht nur dem Bundesrechnungshof zu übertragenden, sondern auch vom Parlament auszuübenden Kontrolle. Der Präsident des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter oder als Chef seiner Verwaltung kann eine derartige Kontrolle nie ersetzen; er kann niemals eine politische Kontrolle, wie sie die Aufgabe eines Parlaments und von Parlamentsausschüssen sein müßte, von sich aus ersetzen und ausüben.
Meine Damen und Herren, ich habe hier vor Jahren schon einmal Gelegenheit genommen, auf das Problem der Kontrolle nach den Bestimmungen der Reichshaushaltsordnung und auf den Kommentar hinzuweisen. Ich empfehle Ihnen die auf den Seiten 40, 41 und 44 enthaltene sehr interessante Kommentierung - ich will sie nicht noch einmal verlesen der Notwendigkeit einer parlamentarischen Kontrolle bei derartigen Geheimfonds.
Nun haben wir Ihnen, meine Damen und Herren, in 'diesem Jahre den Vorschlag unterbreitet, keinen besonderen Ausschuß einzusetzen. Wir haben einen Unterausschuß des Haushaltsausschusses, den Rechnungsprüfungsausschuß, dem die Rechnungen zur Prüfung vorgelegt werden. Aber wann? Nach Jahr und Tag! Wir wünschen, daß dieses Organ des Parlaments dazu verwendet wird, wirklich eine frühzeitige parlamentarische Kontrolle solcher Geheimtitel auszuüben. Man kann nach Bedarf, wie das oft in den Ausschüssen .des Parlaments geschieht, notfalls die Verhandlungen als vertraulich
erklären, aber man sollte nicht die Kontrolle durch einen Parlamentsausschuß weiterhin so ausschließen, wie Sie es leider getan haben.
Meine Damen und Herren, warum kommen wir denn zu dieser Forderung? Wir würden gern bereit sein, dem Herrn Bundeskanzler gewisse Mittel ohne unsere Kontrolle, nur kontrolliert durch den Herrn Bundesbeauftragten für die Sparsamkeit in der Verwaltung, zuzugestehen.
Der Herr Bundeskanzler sollte sich in seinen Forderungen etwa an dem berühmten Muster der Forderungen der früheren Reichskanzler orientieren. Herr Bundeskanzler, ich habe mir einmal die Etats der Jahre 1929, 1931 und 1933 - letzterer war, Idas muß ich zur Vermeidung von Irrtümern sagen, wohlgemerkt ein Etat, der nicht von Hitler verabschiedet worden ist - angesehen. Darin stand im Einzelplan III Kap. 1 ein Tit. 23 zur Verfügung des Reichskanzlers zu allgemeinen Zwecken. Die Jahresrechnung darüber unterlag der alleinigen Prüfung des Präsidenten des Rechnungshofes, welcher auch die Entlastung erteilte. Mit der Höhe der Summe konnte man einverstanden sein. Der Ansatz betrug laut Haushaltsgesetz im Jahre 1929 240 000 Mark, im Jahre 1931 180 000 Mark und im Jahre 1933 150 000 Mark. Heute beträgt der vergleichbare Titel - es ist Kap. 04 01 Tit. 300 - 200 000 DM. Aber wenn wir den anderen Titel, der hier im Brennpunkt des Interesses stand und steht, den Titel beim Presse- und Informationsamt Kap. 04 03 „zur Verfügung des Bundeskanzlers für Förderung des Informationswesens" mit seinem heutigen Ansatz von 12,2 Millionen DM mit berücksichtigen - es handelt sich um Gelder der Steuerzahler, Herr Bundeskanzler -, dann muß man fragen: Wollen Sie wirklich auch weiterhin nicht gestatten, daß bei dieser Größenordnung eine Parlamentskontrolle durch einen ordnungsgemäß bestellten Parlamentsausschuß einsetzt?
Nun ein Wort an den Herrn Bundesfinanzminister. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben am Ende der zweiten Beratung eine schlechte Tradition Ihres Vorgängers fortgesetzt. Sie haben der Opposition die Endsumme der in ihren Anträgen aufgestellten Forderungen vorgerechnet.
({5})
Der Herr Bundesfinanzminister hat dabei übersehen, - was er allerdings auch noch gar nicht wissen konnte -, daß die gleiche „böse Opposition" die an sich nicht vorgeschriebenen Deckungsvorschläge noch gar nichtgemacht hatte. Er hat weiterhin übersehen, daß auch die Koalition, der er solches nicht vorgerechnet hat, Anträge gestellt hat - deren Verwirklichung ebenfalls Geld kostet -, ohne daß eine zureichende Deckung vorhanden ist. Schließlich ist das Weisen einer Haushaltsberatung anders als das Wesen der nach § 96 ({6}) der Geschäftsordnung zu behandelnden Finanzvorlagen.
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Schließlich hat der Bundesfinanzminister übersehen, daß er selber in der zweiten Beratung darauf hingewiesen hat, daß das Hohe Haus über die Deckung der in der zweiten Beratung beschlossenen Mehrausgaben noch in der dritten Beratung beschließen müsse.
Worauf bauen denn unsere Anträge? Sie bauen auf der Tatsache, daß unsere Forderungen einen grundsätzlichen Unterschied gegenüber dem, was Sie, die Mehrheit dieses Hauses, in den Haushaltsplan hineinstecken, aufweisen. Wir sind in weiten Teilen anderer Auffassung als Sie. Nach unserer Meinung muß der ganze Haushalt von dem Willen zur Entwicklung zum sozialen Rechtsstaat getragen sein. Wie weit wir noch davon entfernt sind, zeigt die Betrachtung der sozialen Lage derer, an denen das vielgepriesene Wirtschaftswunder bis heute noch vorbeigegangen ist.
Für uns ist der Begriff der Sicherheit, den Sie immer militärisch auslegen, in erster Linie der Begriff der sozialen Sicherheit.
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Aus dieser Einstellung resultieren unsere Anträge zum sozialen Wohnungsbau, zum Bau von Schulhäusern, zur Förderung der Wissenschaft und was immer mehr wir verlangt haben. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, opfern dieses Verlangen einer Politik der militärischen Sicherheit, so wie Sie sie verstehen. Wir Sozialdemokraten bejahen - das wissen Sie in der Zwischenzeit auch - die Landesverteidigung, zu der von unseren Sprechern hier oft genug gesprochen worden ist und zu der wir - Sie dürfen dessen versichert sein - auch weiterhin die erforderlichen Aufklärungen geben und Ausführungen vortragen werden. Aber wir wünschen eine Politik, die geeignet ist, unsere Heimat nicht zum atomaren Schlachtfeld zu machen, unsere Heimat nicht der völligen Vernichtung preiszugeben. Eine Politik, diese Gefahr beinhaltet, ist keine Politik der Sicherheit mehr, sie hat mit Verteidigung von Volk und Heimat nichts mehr zu tun.
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Nun möchte ich den Herrn Bundesfinanzminister ernsthaft bitten; uns künftig solche, verzeihen Sie, Milchmädchenrechnungen nicht vorzuhalten, ohne zugleich mindestens auch die Protokolle des Haushaltsausschusses und die Anträge im Plenum zu würdigen, die in sehr erheblichem Umfang Minderausgaben vorsehen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen vorhin gesagt, dieser Haushalt sei für uns kein Haushalt des Vertrauens. Er ist es schon nicht in bezug auf die Ausführung. Wir haben kein Vertrauen zur Bundesregierung; woher sollten wir dieses Vertrauen auch haben? Wie soll bei dem Verhalten der Bundesregierung eine wirkliche Zusammenarbeit ermöglicht werden? Ich glaube, der weitere Verlauf der Beratungen wird einiges auf diesem Gebiet noch sehr deutlich machen.
Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren so schöne graphische Darstellungen gemacht, und
sie wird sie vermutlich in diesem Jahre wieder machen; sie hat ja die entsprechenden Ansätze und Zusammenstellungen bereits in den Vorbemerkungen zum Haushalt niedergelegt. Kollege Schoettle, der heute leider seine Rede hier nicht halten kann, würde sicherlich noch einmal auf das zurückkommen, was er in diesem Hohen Hause wiederholt gesagt hat: daß die Zusammenstellung dessen, was die Regierung und die Regierungsparteien unter dem Begriff „Sozialausgaben" verstehen, nicht korrekt ist und daß der Begriff „Sozialausgaben" weit enger gefaßt werden muß. Ich darf Sie nur an weniges erinnern: Darlehen für den Wohnungsbau, die wieder zurückfließen, sind keine Sozialausgaben; Zahlungen an die 131 er beispielsweise sind keine Sozialausgaben, sie ergeben sich aus beamtenrechtlichen Forderungen der verdrängten Beamten und ehemaligen Berufssoldaten. Wenn Sie diese Beträge, die sehr erheblich sind, abziehen, kommen Sie zu dem Ergebnis, das wir immer vertreten haben: Der weitaus größte Posten, ein Posten von erschütterndem Ausmaß in diesem wie im vorigen Haushalt, ist der Haushalt für das Verteidigungswesen; er beträgt in diesem Jahr 29,7% der Gesamtausgaben. Die wirklichen Sozialausgaben liegen erheblich darunter.
Wenn Sie nun mit dem Ton nicht berechtigten Stolzes auf die sehr erheblichen tatsächlichen Sozialausgaben hinweisen, so möchte ich Ihnen dazu folgendes sagen. Ich habe einmal mit dem Haushalt des Reiches vom Jahre 1931, den ich dieser Tage in der Hand hatte, verglichen und festgestellt, wie hoch damals die Ist-Ausgabe des Reichshaushalts im ganzen gewesen ist - das waren 9 571,1 Millionen - und wie hoch die echten Sozialausgaben im Jahre 1931 gewesen sind - das waren 3 106,3 Millionen RM, also rund 30 % -.
({10})
- Das war die Zeit der großen Arbeitslosigkeit, aber es war auch eine Zeit, in der das Sparen auf dem Gebiete der Verwaltung - Herr Kollege Conring, ich erinnere Sie, den ehemaligen preußischen Landrat, daran - etwas größer geschrieben wurde als beispielsweise im Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums..
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Der Ansatz im Haushalt befriedigt uns nach anderen Seiten ebenfalls nicht. Ich habe vorhin schon auf die Streichungen auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung hingewiesen. Ich finde auch, daß der Haushalt in Fragen der Etatklarheit und der Etatwahrheit manche Forderung offenläßt. Wie steht es beispielsweise, Herr Bundesfinanzminister, mit den Erstattungen nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes? Wie steht es mit den Forderungen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger? Warum erfolgt auf diesem Gebiet - es soll sich um einen sehr großen Posten rückständiger Verpflichtungen des Bundes handeln - keine Information des Haushaltsausschusses? Warum erfolgt keine entsprechende Etatisierung?
Meine Damen und Herren! Ich darf zu einem anderen Kapitel übergehen. Der Herr Bundesfinanzminister hat dem Bundestag am 13. März 1958 eine sehr gute Erkenntnis mitgeteilt. Er hat wörtlich gesagt:
Die Gemeinschaft kann nicht unbegrenzt geben, weil sie sonst immer unbegrenzter nehmen müßte. Das aber würde bedeuten, die private Sphäre immer mehr einzuengen, das Eigentum immer mehr zu beschränken und schließlich eine freiheitliche Lebens- und Wirtschaftsordnung zu verneinen.
Ich wäre glücklich, Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie diese sehr berechtigte Erkenntnis einmal bei Einzelplan 14 mit aller Gründlichkeit und mit den Methoden des guten Finanzmannes, den ich in Ihnen schätze, anwenden wollten.
Meine Damen und Herren! Wir leiden doch noch - die Reste zeigen es ja - unter den Auswirkungen einer Politik, die damals schon unverantwortlich genannt werden mußte. Ich erinnere Sie an den globalen Ansatz von 5,2 Milliarden DM für Verteidigungszwecke im Haushalt 1955. Damals wurden mitten im Hochsommer die Mitglieder zweier Ausschüsse aus Kliniken und Sanatorien zusammengetrommelt, um an Stelle des Parlaments einen Nachtragshaushalt ohne zureichende Begründung zu verabschieden. In dieser Hinsicht ist nicht einmal der Herr Bundesfinanzminister a. D. Fritz Schäffer der Vater des Juliusturms, sondern der Vater des Juliusturms heißt in dieser Hinsicht ganz anders; er heißt Blank. Was Herr Blank damals vom Parlament und von den verantwortlichen Ausschüssen gefordert hat, ging über die Hutschnur, ging über das Erträgliche hinaus. Die Konsequenzen haben wir heute mit zu tragen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede und auch bei anderen Gelegenheiten wiederholt darauf hingewiesen, daß im Verteidigungshaushalt wie im Haushalt überhaupt nur die Ausgaben veranschlagt seien, die in diesem Jahr auch tatsächlich ausgegeben würden. Nun sind in diesem Haushalt mit der bekannten Vorbemerkung „soweit Reste verausgabt werden, sind sie an der Summe abzusetzen" 10 Milliarden DM vorgesehen. Ich möchte beinahe - wenn der Herr Bundesverteidigungsminister nicht etwa noch nicht genehmigte atomare Anschaffungen machen sollte - demjenigen einen Preis aussetzen - wenn ich dazu in der Lage wäre -, der nachweisen könnte, daß diese 10 Milliarden im Rechnungsjahr 1958 wirklich ausgegeben werden können.
Meine Damen und Herren! Wir stehen doch am Beginn der Geburt eines neuen Juliusturms, und wir müssen uns vor den Folgen bewahren, die daraus entstehen. Ich darf Sie an die Geschichte der jüngsten Zeit erinnern. Die Mehrheit des Hauses hat dreimal 9 Milliarden DM in den Verteidigungshaushalt in drei Jahren eingestellt; das sind 27 Milliarden DM. Ausgegeben wurden für diese Zeiträume 9 Milliarden DM, also nur ein Drittel. Selbst wenn Sie noch den Rest von 5,4 Milliarden aus dem Verteidigungshaushalt hinzurechnen - er kann unmöglich umgesetzt werden -, kommen Sie auf
etwa die Hälfte der wirklich bewilligten 27 Milliarden DM.
Dagegen richtet sich auch grundsätzlich unsere Kritik. Es ist kein Haushalt der Klarheit, es ist kein Haushalt der Wahrheit. Mein Freund, Professor Gülich, wird noch näher darauf eingehen, wie die Verteidigungshilfe für Großbritannien in Höhe von rund einer Milliarde DM etatisiert werden soll, und wenn Sie bedenken, was sich an Überlegungen daran knüpft, dann haben wir erst recht keine Veranlassung, einen solchen Haushalt etwa mit Begeisterung zu akzeptieren.
Die Umrüstung, die uns hier zugemutet wird - das muß bei einer Haushaltsberatung gesagt werden -, übersteigt bei weitem die deutsche Finanzkraft. Ich will keine Unkenrufe in bezug auf die Zukunft der deutschen Währung ausstoßen; aber ich möchte der nüchternen Erkenntnis Ausdruck geben, daß Rüstungsausgaben dieses Formats zur Gefahr für die Währung werden können. Sie nehmen im ordentlichen Haushalt einen erheblichen Teil des zur Verfügung stehenden Raumes ein. Herr Kollege Schoettle gebrauchte in diesem Zusammenhang. das Bild von dem jungen Kuckuck, der die rechtmäßigen Inhaber aus dem Nest wirft. Die Rüstungsausgaben nehmen im ordentlichen Haushalt einen Raum ein, der anderen notwendigen Ausgaben gebührt, die damit in den außerordentlichen Haushalt abgedrängt werden. Dieses Verfahren führt zum Schuldenmachen.
Der Herr Kollege Vogel zitierte vorhin meinen Freund Baade, und es ist schon der Mühe wert, nachzulesen, was Professor Baade gesagt hat. Aber ich möchte Herrn Vogel entgegnen: Die Rüstung und nicht die Lohnentwicklung ist etatmäßig und währungspolitisch gesehen die Gefahr. Ob Rüstungsausgaben unmittelbar oder mittelbar zum Schuldenmachen veranlassen, ist im Grunde gleich. Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, Sie werden im Prinzip der Feststellung nicht widersprechen, „daß man der Diskussion über die Zusammenhänge von Rüstung, Finanzierung durch Anleihen und deren Gefahren für das Geld nicht ausweichen sollte. Die Geldzerstörungen im 20. Jahrhundert sind nicht durch den programmatischen Sozialismus, nicht durch Lohnforderungen, auch nicht durch Sozialreformen gekommen, sondern durch Rüstungen, Kriege und am meisten durch Kriegsliquidationen, wo sich der Staat durch Geldzerstörungen seiner Schulden entledigte und auch noch die Schulden Privater in diesen Prozeß einbezog - dafür aber die Rolle des Versorgungsstaates übernehmen mußte."
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Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie von der CDU und von der Deutschen Partei dieser Feststellung widersprechen können. Sie stammt von einem der Ihren, von Herrn Dr. Dresbach. Sie können sie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 14. Mai dieses Jahres nachlesen. Wenn Sie aber dieser Feststellung zustimmen, dann ist es Ihre Pflicht, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Das vermissen wir bis jetzt.
Meine Damen und Herren, ich will nicht von den drohenden Kosten - von denen der Herr Bundesverteidigungsminister bis jetzt in allen Sprachen schweigt - sprechen, von den Kosten, die im Rahmen seiner noch nicht offen zugegebenen Konzeption auf künftige Haushalte zukommen. Ich möchte mich aber im voraus mit dem von Ihnen - das klang auch leise in den Ausführungen des Herrn Kollegen Vogel an - zu erwartenden Einwand, andere Länder brächten höhere Verteidigungslasten auf, auseinandersetzen.
Ich halte namens meiner Fraktion dem gegenüber, daß andere Länder, was die soziale Sicherheit angeht, anders gestellt sind. Sie haben keine Spaltung von Volk und Land wie wir in Deutschland, sie haben keine Verluste an Wirtschaftskraft aus diesem Anlaß zu verzeichnen, sie haben keine Mehrkosten auf Grund der Spaltung, sie haben nicht die gewaltigen Kasten des Flüchtlingsproblems, des Lastenausgleichs.
Ich bedaure sehr, daß die Bundesregierung bis jetzt keine Gelegenheit genommen hat, sich mit dem Hinweis auf derartige Lasten - andere, zum Beispiel die Kriegsfolgelasten, kommen noch hinzu - bei der Bemessung des Verteidigungsbeitrags, den die NATO von uns verlangt und erwartet, durchzusetzen. Im Jahre 1958 ist der Verteidigungshaushalt größer als der ganze Reichshaushalt im Jahre 1931.
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Ich frage nun in bezug auf einzelne Punkte: Herr Bundesverteidigungsminister, wissen Sie eigentlich, wie summarisch die Ansätze Ihres Haushalts zustande kamen? Ich habe vorhin das, was Herr Kollege Dr. Vogel über die verfasungsrechtliche Stellung des Etatreferenten Ihres Hauses erwähnt hat, unter der Decke einigermaßen verstanden. Herr Bundesverteidigungsminister, wissen Sie um die Methode, die in Ihrem Hause üblich ist? Ich habe das von keinem verantwortlichen Mitglied Ihrer Verwaltung, aber es stimmt.
Wenn jemand in einer Abteilung 3 Millionen DM braucht, dann tritt er zuerst mit einer Forderung auf 10 Millionen DM in Erscheinung in der Hoffnung, daß er 5 Millionen DM bekommt. Mindestens diesen Betrag erhält er dann auch. Er braucht aber nur 3 Millionen DM. Daher rühren eben die Reste.
Oder halten Sie es für richtig, Herr Verteidigungsminister, daß in nicht wenigen Abteilungen bei relativ kleiner Besetzung ein Übermaß an Kosten entsteht, etwa durch die Bereitstellung von Automobilen, zum Beispiel eines Automobils und eines Kraftfahrers für zwei Offiziere verschiedener Rangstufen? Würden Sie nicht gut daran tun, Herr Verteidigungsminister, in Ihrem Hause sehr bald einen gründlichen, vielleicht von altpreußischer Sparsamkeit getragenen Sparkommissar einzusetzen?
Meine Damen und Herren, wir hätten im Haushaltsausschuß Gelegenheit haben müssen, diesen Milliardenhaushalt Einzelplan 14, Verteidigung, nach allen Seiten hin zu prüfen und zu durchleuch2124
ten. Wir haben infolge der allen bekannten Zeitnot diese Möglichkeit nicht gehabt. Aber wir möchten einen aktiven Beitrag leisten, Herr Bundesfinanzminister, um die Sparsamkeit im Bundesverteidigungshaushalt zu bewirken, die. nach unserer Auffassung zwingend notwendig ist. Ich darf Ihnen hier ankündigen, daß wir einen Antrag auf Minderung der Ausgaben im Bundesverteidigungshaushalt um den Betrag von 3 Milliarden DM zur dritten Beratung einreichen werden.
Nun zum Problem des Finanzausgleichs zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Wir kennen die wenig erfreuliche Dotationspraxis, die der Bund gegenüber gewissen Ländern treibt. Wir wissen um die Notwendigkeit, die Finanzgebarung als ein Ganzes zu entwickeln. Wir haben Ihnen Anregungen unterbreitet, die Ihren Beifall nicht gefunden haben. Wir sind von der Auffassung ausgegangen, daß Bundeslasten vom Bund getragen werden sollen. Das bezieht sich beispielsweise auf die Bergmannsprämien und auf einen Bruchteil der Leistungen auf dem Gebiete der Berliner Wiedergutmachung.
Wir und Sie alle kennen die Finanznot der Gemeinden. Wir wissen um die Vorschläge, die von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zur Verbesserung der kommunalen Finanzen gemacht worden sind, und wir hören zu unserer Genugtuung, daß der Herr Bundesfinanzminister sich em 16. April grundsätzlich bereiterklärt hat, den Gemeinden und den Ländern eine Beteiligung an der Umsatzsteuer zuzugestehen. Vielleicht kann der Herr Bundesfinanzminister unsere Sorgen etwas beheben, wenn er uns sagt, wann er damit rechnet, diese Beteiligung der Länder und Gemeinden an der Umsatzsteuer zu realisieren.
Der Herr Bundesfinanzminister hat bis -jetzt eine nicht absolut klare Haltung zu einem Problem eingenommen, idas die Kommunalpolitik im ganzen Bund heute und seit langem beschäftigt. Es ist das Problem der Bürgersteuer. Ich weiß, daß in diesem Hause die Bürgersteuer viele Anhänger hat, möchte Ihnen aber sagen, daß sie nach unserer politischen Meinung nicht akzeptabel ist, einmal weil sie unsozial ist, weil sie im Grunde den Armen ebenso stark belastet wie den Reichen, und zum anderen, weil sie die steuertechnischen Schwierigkeiten noch vergrößert, neuen Personalaufwand erfordert, sich auf eine schon besteuerte Quelle des Einkommens stützt und weil ihr Ertrag per Saldo nicht genügen würde, um die vorhandenen Schwierigkeiten zu überwinden.
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Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang die sozialdemokratischen Forderungen in Erinnerung bringen: direkter Anteil der Gemeinden an der Einkommen- und Körperschaftsteuer, Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer, Gewährung einer Grundsteuer-Ausfallentschädigung, solange die Grundsteuerbegünstigungen fortbestehen, und Entschädigung der Gemeinden für die von ihnen getragenen mittelbaren und unmittelbaren Kriegsfolgelasten.
Ich komme zu einem weiteren Problem ides Haushalts, das anzuschneiden wir im Haushaltsausschuß wiederholt Gelegenheit gehabt haben. Nun ist es an der Zeit, das auch einmal öffentlich zu sagen: Wir wünschen von der Bundesregierung eine Überprüfung der Beiträge der Bundesrepublik Deutschland an internationale Organisationen. Wir wünschen eine Aktivität der Bundesregierung 'in (bezug auf die enorm übersetzten Spitzengehälter in diesen internationalen Organisationen. Da kommen astronomische Ziffern zustande. Meistens ist es so, daß die dortige Bürokratie den Bedarf festsetzt, und wir haben dann Order zu parieren und zu zahlen. Die Bundesregierung wind gut daran tun, sich gegebenenfalls einmal vorher, quasi interfraktionell, mit den anderen beteiligten Ländern zu verständigen.
Dann noch eine Bitte. Man möge doch endlich einmal im Bundeshaushalt haltmachen mit der Finanzierung der Berufseuropäer. Wir haben eine Reihe von Organisationen, die praktisch nichts anderes sind als Propagandaorganisationen für die Politik ides Herrn Bundeskanzlers. Sie bekommen dann aus den berühmten Geheimfonds die entsprechenden Mittel, unid sie vertreten in Wort' und Schrift das, was ihnen befohlen wind, und dafür werden sie honoriert. Dais hat mit wahrhaftem europäischem Bekenntnis und europäischer Gesinnung wirklich wenig zu tun.
Zum Schluß möchte ich der Sorge um einen echten Ausgleich des Haushalts, die auch aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Vogel klang, und zugleich der Sorge in bezug auf den Haushaltsausgleich 1959 Ausdruck geben. Rückschläge, die wir alle nicht wünschen, sind nicht unmöglich. Konjunkturschwächungen sind denkbar. Sie führen dann zu steuerlichen Mindereinnahmen. Sie begünstigen die Tendenz zur Inanspruchnahme des Kapitalmarkts. Diesem Prozeß sind natürliche Grenzen gegesetzt. Wenn es nicht gelingt, der Preissteigerungen Herr zu werden, kann, ja muß fast zwangsläufig eine für die Bundesfinanzen gefährliche Lage entstehen. Die mit einer merkwürdigen Begeisterung begrüßte Feststellung, daß der Haushalt sich am Rande des Defizits entwickle, gibt nach unserer Auffassung zu freudiger Genugtung wirklich keinen Anlaß. Wir sind sehr darauf bedacht, daß vermögenswirksame Ausgaben, deren Charakter es rechtfertigt, in den außerordentlichen Haushalt gelangen, aber wir wollen nicht, daß dieser Grundsatz verwischt wird. Wir möchten vor allen Dingen nicht, daß das Bundesvermögen in einem Augenblick verschleudert wird - ich erinnere an die Howaldtwerke; wenn Sie den Auftragsbestand der Howaldtwerke mit dem Kaufpreis vergleichen, kommen Sie zu dem Ergebnis der Verschleuderung -, in dem im Einzelplan 14 nicht unerhebliche Beträge für zwei neu zu errichtende Werften angefordert werden.
Im Hinblick auf die unsichere Etatgestaltung für 1959 fragen wir die Regierung, wie sie sich die Entwicklung vorstellt. Anfang Dezember 1957 erklärte der Herr Bundesfinanzminister in einem Schreiben an die Länder: Das sprunghafte AnsteiRitzel
gen der Verteidigungsausgaben wird die Verschlechterung der Bundesfinanzen in den nächsten Jahren noch deutlicher hervortreten lassen. Diese sehr nüchterne Erkenntnis des Herrn Bundesfinanzministers kann doch nicht ohne Wirkung, kann doch nicht ohne Maßnahmen und ohne Taten bleiben. Die Regierung und die Regierungsparteien tragen eine schwere Verantwortung, um so mehr, als die Bundesrepublik, wie die Statistiken nachweisen, bisher schon neben England das steuerlich am schwersten belastete Land ist.
Meine Damen und Herren! Wir hätten noch viele Wünsche zum Haushalt. Wir stellen sie bis auf wenige Anträge, die wir zur dritten Beratung unterbreiten, zurück, in der Hoffnung, daß bei Ihnen einmal der Wille wächst, mit uns zusammenzuarbeiten. So, wie dieser Haushalt heute aussieht, sind wir nicht in der Lage, ihm unsere Zustimmung zu geben.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Niederalt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man als Mitglied des Haushaltsausschusses am Schluß einer langen Reihe von arbeitsreichen und manchmal recht sauren Wochen steht, so, glaube ich, darf und soll man sich fragen: ist das Ergebnis dieser langen Arbeit gut, können wir damit zufrieden sein, kann man ihm zustimmen? Diese Frage, gestellt bei der dritten Lesung des Bundeshaushalts, umfaßt natürlich sofort auch die Frage nach der Richtigkeit der Regierungspolitik, und zwar deshalb, weil von . ganz geringfügigen Änderungen abgesehen, die im Haushaltsausschuß beschlossen wurden, der Bundeshaushalt im wesentlichen in der Regierungsvorlage vorliegt und weil der Bundeshaushalt in der Regierungsvorlage doch nichts anderes ist als der in Zahlen zum Ausdruck gebrachte Wille der Bundesregierung zur Fortsetzung ihrer Politik.
Es ist deshalb klar, daß die von mir gestellte Frage je nach dem Standpunkt, den man im politischen. Leben einnimmt, verschieden beantwortet wird. Es ist das gute Recht der Opposition, hier an einzelnen Positionen oder insgesamt Kritik zu üben, den einen oder anderen Einzelplan oder den gesamten Haushalt abzulehnen. Herr Kollege Ritzel, niemand von uns erwartet - um Ihr Wort aufzugreifen -, daß Sie diesem Haushalt mit Begeisterung zustimmen. Das können wir nicht erwarten, und das wäre auch schlecht; denn dieser Haushalt drückt unsere Politik aus, und unsere Politik ist eine andere als die Ihre.
Wir, die Angehörigen der Regierungsparteien, können den Bundeshaushalt bejahen, weil wir die Regierungspolitik bejahen. Wir bejahen sie auf wirtschaftlichem, auf sozialem Gebiet, weil sie, aufbauend auf der Chance der Entfaltung des freien Individuums, uns aus dem Nichts herausgeführt und dem deutschen Volk einen Lebensstandard verschafft hat, den niemand von uns vor zehn Jahren auch nur erhoffen konnte.
({0})
Wenn Herr Dr. Deist jüngst sagte: wir müssen eine I Sprache führen, die es ermöglicht, einmal 51 % der Stimmen zu bekommen, so erwidern wir darauf: Die Regierung Adenauer, ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik hat Taten gesetzt, die diese 51% erbrachten,
({1})
und Taten sind immer beweiskräftiger als Worte.
Wir bejahen diese Regierungspolitik vor allem auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen und auf dem Gebiet der Verteidigung, und zwar vor allem deshalb, weil wir wissen, daß die beste Wirtschafts- und Sozialpolitik umsonst und ihr Ergebnis in kürzester Zeit vernichtet ist, wenn wir die Sicherung der Freiheit außer acht lassen, der Freiheit, auf der die Erfolge unserer bisherigen Wirtschaft überhaupt beruhen.
({2})
Wir müssen für die Sicherung unserer Freiheit auch unpopuläre Forderungen an das deutsche Volk erheben - aus der Verantwortung heraus. Wir müssen dem deutschen Volke hohe Opfer zumuten, Opfer finanzieller und anderer Art, wie sie sich aus der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der freien Nationen ergeben. Man kann nun einmal im Leben nicht Mitglied einer Gemeinschaft sein und dauernd nur die Vorteile aus dieser Gemeinschaft ziehen, man muß schon auch seine Pflichtbeiträge zu dieser Gemeinschaft entrichten; und als Pflichtbeitrag genügen nicht gelegentliche Proklamationen, daß man auch seitens der Opposition die Landesverteidigung bejahe.
({3})
So gesehen, meine Damen und Heren, können die alljährlich wiederkehrenden Anträge der Opposition auf Erhöhung der sozialen Leistungen, auf Erhöhung der kulturellen Leistungen des Bundes um viele Hunderte von Millionen, immer auf Kosten unserer Verteidigung, also auf Kosten der Sicherung unserer Freiheit, nur als propagandistisch angesehen werden. Denn man wird sich doch auch in den Reihen der Opposition darüber klar sein, daß uns die schönsten Schulhäuser nicht mehr gefallen können, wenn wir unter Umständen Gefahr laufen, daß in diesen Schulhäusern unsere Kinder kommunistisch erzogen werden.
({4})
Man sollte sich doch endlich zu der Binsenweisheit bekennen, daß es im öffentlichen Haushalt nicht anders ist als im privaten Haushalt: daß zuerst das unabdingbar Notwendige angeschafft und getan werden muß und dann erst das Nützliche kommen kann.
Meine Damen und Herren! Wenn wir so die gesamte Politik der Bundesregierung mit dem Bundeshaushalt bejahen, so möchten wir vor allem und ganz deutlich ein uneingeschränktes Ja zu dem Mann aussprechen, der nunmehr seit neun Jahren die Richtlinien dieser Politik bestimmt. Dies sage ich nicht nur als ein weiterer Sprecher der CDU/
CSU-Fraktion, sondern dies sage ich vornehmlich und in erster Linie als Sprecher der CSU.
({5})
Sie wissen es, die CSU ist eine selbständige Landespartei,
({6})
die einzige Landespartei, die überhaupt im Bundestag vertreten ist. Wir behalten diese Selbständigkeit als Landespartei, weil sie uns gerade im Kampf um die Rechte der Länder notwendig erscheint. Sie dürfen davon überzeugt sein, daß, abgesehen von dem gemeinsamen politischen Ziel, das die CSU mit der CDU verbindet, die einmalige Persönlichkeit des Bundeskanzlers Adenauer es ist, die diese enge Bindung zwischen CDU und CSU mit trägt.
({7})
Aus diesem Grunde weisen wir auch die Art und Weise der Kritik, wie sie in der zweiten Lesung beim Etat des Bundeskanzlers von der Opposition vorgetragen wurde, schärfstens zurück. Kein objektiv denkender Mensch wird diese Art der Kritik an Bundeskanzler Adenauer, der in der ganzen Welt höchstes Ansehen genießt, verstehen. Ich sagte es schon: es ist das gute Recht der Opposition, Kritik zu üben, auch am Etat des Bundeskanzlers, meinetwegen sogar scharfe Kritik aber sachliche Kritik! Das ist das Kriterium. Wir können uns auch damit abfinden, wenn die Opposition meint, es sei besonders attraktiv, uralte Ladenhüter immer wieder aus der Schublade zu ziehen.
Aber, meine Damen und Herren, etwas können wir nicht hinnehmen, und das ist, wenn hier offen Beleidigungen gegen den Bundeskanzler ausgesprochen werden.
({8})
Ein solches Verhalten verstößt nicht nur gegen die Würde des Hauses, ein solches Verhalten läßt nicht nur jedes institutionelle Denken vermissen, ein solches Verhalten ist, vor allem wenn es von jungen Kollegen gezeigt wird, ein Mangel an Anstand und an der Kinderstube.
({9})
Ich glaube - das sage ich vollen Ernstes -, der Opposition würde es sehr gut anstehen, wenn sie in aller Öffentlichkeit von solchen Beleidigungen abrückte.
({10})
Ich habe zu Beginn meiner Ausführungen die Frage gestellt: Kann man mit der Vorlage einverstanden sein, können wir zufrieden sein?, und ich habe diese Frage uneingeschränkt in dem Sinne bejaht, daß der Bundeshaushalt die gesamte Regierungspolitik repräsentiert. Es wäre aber nach meiner Meinung eine gefährliche Selbstzufriedenheit, wollte man mit der Bejahung dieser wesentlichen Frage auch sagen: Jawohl, alles, auch die Details, alles ist bestens, alles ist wohlgeraten, alles ist wohlberaten. Das wäre eine gefährliche Selbstzufriedenheit, ich wiederhole es.
Von „wohlberaten" kann in diesem Haushaltsjahr schon wegen des geradezu mörderischen Zeitdrucks kaum die Rede sein. Wir werden Ihnen in der dritten Lesung einen Entschließungsentwurf zum Haushaltsgesetz vortragen, von dem wir hoffen, daß er insoweit Wandel schafft. Wir verlangen darin von der Bundseregierung, daß sie bezüglich bestimmter Teile im Haushalt, die erfahrungsgemäß besonders viel Zeit in Anspruch nehmen, zu einem zweijährigen Turnus übergeht.
Der vorliegende Haushalt ist in seinen Details, in seinen ungezählten - so muß ich sagen, weil ich nicht weiß, ob es 30- oder 40- oder 50 000 sind - Titeln und in seinen vielen Kapiteln natürlich da und dort noch diskussionsfähig. Ich will nur einige Probleme herausstellen, die uns in der CDU/CSU-Fraktion und vor allem uns in der CSU besonders am Herzen liegen.
Da ist das regionale Förderungsprogramm. Wir haben den Betrag im Haushaltsausschuß um 5 Millionen DM aufgestockt, um dadurch noch einige ganz wenige - es sind insgesamt bloß vier Landkreise hereinzunehmen, die jetzt schon unter dem wirtschaftlichen Niveau der Landkreise liegen, die bisher gefördert wurden. Wenn man da und dort hörte, daß das regionale Förderungsprogramm abgebaut oder eingeschränkt werden soll, so möchten wir an die Adresse der Bundesregierung ganz klar und deutlich zum Ausdruck bringen: Ganz im Gegenteil, meine Herren, es muß noch ausgebaut werden. Wir haben bisher nach unserer Auffassung alle Fragen der regionalen Wirtschaft eher zu stiefmütterlich als zu gut behandelt, soviel auch in den letzten Jahren im einzelnen geschehen ist. Nur durch eine weitere Intensivierung auf diesem Gebiet können wir dem Problem der geballten Wirtschaftsräume mit ihren kaum zu lösenden kommunalen Konsequenzen - man denke an die Probleme, die in den Großstädten auftreten - und mit ihren gefährlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Folgeerscheinungen einigermaßen Herr werden. Ich brauche jetzt nicht auf Einzelheiten einzugehen; aber das darf ich sagen: Ich freue mich außerordentlich, daß Sie, Herr Bundeskanzler, in einem Gespräch, das ich vor einigen Tagen mit Ihnen führen durfte, Verständnis für diese Fragen gezeigt haben und daß Sie genau wissen, daß die Fragen der regionalen Wirtschaft in Zukunft intensiviert behandelt werden müssen, und ich danke Ihnen von Herzen für dieses Verständnis.
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In diesem Zusammenhang steht auch die im Landwirtschaftsgesetz proklamierte und verankerte Forderung der Durchsetzung von verkehrsentlegenen kleinbäuerlichen Gebieten mit gewerblichen Betrieben. Die Regierungsvorlage zum Grünen Plan vom 13. Februar 1958 hat dieses Problem deutlich und klar behandelt. Das Ziel ist erkannt, auch das Problem ist erkannt. In den kleinbäuerlichen Betrieben sind vielfach noch viele Arbeitskräfte nicht genügend ausgelastet. Es besteht die große Gefahr, daß sie abwandern und das Problem der Ballungsräume noch verschärfen. Das Problem ist erkannt, auch das Ziel wird gesehen. Aber, meine Herren von
der Regierung, es ist leider übersehen worden, für dieses gute Ziel innerhalb des Grünen Plans Mittel einzusetzen. Das wollen wir in Zukunft geändert sehen. Darüber wollen wir uns im nächsten Jahr bei den Debatten über den Grünen Plan und auch im Haushaltsausschuß gründlich aussprechen. Man darf ein Problem nicht bloß ansprechen, sondern man muß dann auch zeigen, daß man eine Änderung herbeiführen will.
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß wir uns in diesem Jahr bei den Haushaltsberatungen wieder sehr eingehend und sehr zeitraubend mit dem Personalproblem befaßt haben. Es wäre auch hier vermessen, zu sagen: Alles ist in Ordnung, alles Fist wohlgeraten, alles ist wohlberaten. Nein, es ist noch vieles offen, und auch auf diesem Gebiet ist noch vieles zu tun. Wir haben durchweg einen sehr strengen Maßstab angelegt. Wir sind dafür von der einen Seite gelobt und von der anderen Seite getadelt worden, obwohl uns eigentlich weder an Lob noch an Tadel etwas lag. Wir wollten nur 'der Sache, der guten Sache dienen.
Der Erfolg unserer Bemühungen ist nicht überragend. In Zahlen ausgedrückt: Bei den obersten Bundesbehörden - ohne das Bundesverteidigungsministerium - haben wir von insgesamt 609 angeforderten Beamten- und Angestelltenstellen 373 abgelehnt und 236 bewilligt. Soweit, glaube ich, können wir mit unseren Bemühungen zufrieden sein. 373 abgelehnte Beamten- und Angestelltenstellen in den obersten Bundesbehörden bedeuten schon etwas; das ist für meine Begriffe ein handfestes Ministerium. Wesentlich weniger Erfolg hatten wir bei den nachgeordneten Dienststellen. Von 1441 angeforderten Stellen verfielen nur 184 dem Rotstift. Allerdings handelt es sich hier im wesentlichen um untergeordnete Stellen.
Im Bereich des Bundesverteidigungsministeriums wunden im Ministerium von 299 angeforderten Stellen für Beamte und Angestellte 164 Stellen nicht bewilligt und 135 Stellen genehmigt, während auch hier bei vielen nachgeordneten Dienststellenweit mehr Stellen genehmigt als abgelehnt wurden. Ich nenne diese Zahlen nur, um nochmals klar herauszustellen, daß bei noch so großer Strenge des Haushaltsausschusses und bei noch so starker Anwendung des Rotstiftes alle unsere Bemühungen auf 'diesem Gebiet zum Scheitern verurteilt sind, wenn wir nicht an die Wurzel des Übels gehen, wenn wir nicht hier in diesem Hohen Hause uns endlich dazu durchringen, unsere Gesetze nicht immer mehr zu komplizieren und nicht durch neue Gesetze immer mehr neue Aufgaben tauf den Staat zu übernehmen.
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Im einzelnen will ich dazu im Augenblick nichts mehr ausführen. Ich darf nur noch folgendes erwähnen. Ich habe eine Entschließung ausgearbeitet, und ich bin der Fraktion der CDU/CSU sehr dankbar - ich möchte das hier ausdrücklich feststellen -, daß sie diese Entschließung einmütig angenommen hat. Wir können bei der Beratung der Entschließung noch zu Einzelheiten sprechen.
Im vorliegenden Haushalt hat wieder einmal auch das Problem des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern eine große Rolle gespielt. Rund 330 Millionen DM sind durch den Einbau des Notopfers Berlin in die Körperschaftsteuer vom Bund auf die Länder übergegangen. Dadurch wurde ein Weg versperrt, der nach meiner Auffassung das schwierige Problem des Finanzausgleichs vielleicht besser gelöst hätte; es ist dies der Weg der unmittelbaren Finanzhilfe an die finanzschwachen Länder allein.
Wir müssen uns klar sein, daß beim Finanzausgleich das Krebsübel darin besteht, 'daß wir Länder mit völlig verschiedener Wirtschaftsstruktur und - daraus resultierend - völlig verschiedener Steuerkraft haben. Wenn wir nicht darangehen, differenzierte Maßnahmen zu ergreifen, werden wir 'dieses Problem niemals lösen. Der Einbau des Notopfers Berlin ist leider Gottes wiederum eine schematisierende Maßnahme. Sicher - das wird gern zugegeben - kommt ein großer Prozentsatz dieser Einnahmen auf dem Wege über den horizontalen Finanzausgleich in erster Linie den schwachen Ländern zugute. Aber der andere Weg wäre mir lieber gewesen, und ich halte ihn nach wie vor für besser. Ich fürchte, daß hier vor allem die finanzstarken Länder einen Pyrrhussieg errungen haben.
Ich glaube voraussagen zu dürfen, daß es nun weitergeht wie bisher. Es werden wiederum Forderungen erhoben, weil die armen Länder diese oder jene Aufgabe nicht erfüllen können, - Forderungen auf allen möglichen Gebieten, vor allem auf dem kulturellen Sektor. Man wird verhandeln, man wird da ein Stück zugeben, dort ein Stück ablehnen. Man wird dann beim Bund ein neues Töpfchen aufmachen, um zu helfen, und die Verwaltung wird immer komplizierter, die Übersicht immer geringer, und - was mir am meisten wehtut und was die Länder offensichtlich zu wenig bedenken - die verfassungsmäßig gegebene Zuständigkeit der Länder auf dem kulturellen Sektor wird immer mehr ausgehöhlt. Man darf nämlich die Wirkung des alten Wortes: „Wer zahlt, schafft an" nie übersehen. Ich fürchte also, daß die Länder aus einer, wie ich meine, kurzsichtigen fiskalischen Augenblicksbetrachtung heraus eine Chance verpaßt haben. Jedenfalls muß bei künftigen Verhandlungen - ich möchte das immer wieder aussprechen - unser Ziel sein: klare Abgrenzung der Verantwortung und der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern, also klare Verhältnisse.
Zum Schluß möchte ich noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, der mir vom Standpunkt unseres allgemeinen parlamentarischen Lebens sehr wichtig erscheint. In diesen Wochen der Haushaltsberatungen ist wiederholt durch die Presse gegangen, daß die sogenannten Haushaltsexperten der CDU/CSU-Fraktion zu eigenwillig seien, daß die CDU/CSU-Mitglieder des Haushaltsausschusses einen eigenen Weg gingen. Da las man: „Haushaltsausschußmitglieder der CDU/CSU-Fraktion gegen Brentano"; man las: „gegen Generale, gegen Strauß, gegen den Bundeskanzler und seinen von ihm ge2128
forderten Unterstaatssekretär". Man hatte manchmal den Eindruck, daß die Mitglieder der CDU/CSU- Fraktion im Haushaltsausschuß auf dem besten Wege seien, so etwas wie einen algerischen Wohlfahrtsausschuß zu bilden.
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Dem ist nicht so. Diejenigen, die sich darüber gefreut hätten, muß ich enttäuschen, und diejenigen, die vielleicht darüber betrübt gewesen wären, darf ich trösten. Wir Haushaltsleute haben eine ganz nüchterne, sachliche Sprache und bemühen uns, in dieser nüchternen, sachlichen Sprache zu überzeugen. Wir haben überzeugt, und es muß wohl so sein. Auch die Regierungsparteien - das unterstreiche ich doppelt und dreifach - nehmen an der Kontrolle des Parlaments gegenüber der Exekutive teil.
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Wir müssen uns ab und zu bei diesen Lesungen an gewisse institutionelle Einrichtungen erinnern und aus dieser - ich möchte beinahe sagen - Sonntagsbetrachtung das eine oder andere in den grauen Alltag mit hineinnehmen.
Wenn wir den Sinn des Parlaments richtig verstehen, so ist sein Grundrecht das Kontrollrecht. Dieses Kontrollrecht wird vornehmlich im Haushaltsausschuß ausgeübt. Ich sage „vornehmlich", denn es geschieht selbstverständlich auch in den anderen Ausschüssen; es kommt aber vornehmlich im Haushaltsausschuß zum Ausdruck. Daraus ergibt sich ganz automatisch, daß auch einmal Meinungsverschiedenheiten vorkommen. Ich glaube, daß wir uns darüber freuen sollten, denn wir sind keine Ja-Sager, sondern verantwortungsbewußte Parlamentarier, die sich bemühen, zum Wohle der Gesamtheit zu arbeiten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lenz ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz aller Erfahrungen der letzten Woche stehe ich nicht an, zu erklären, daß die große Mehrzahl dieses Hauses homines bonae voluntatis sind. Diese Menschen guten Willens sind in diesem Augenblick aufgerufen, den Stil dieses Parlaments entscheidend mitzubestimmen; denn ich glaube nicht - gestatten Sie mir diese Vorbemerkung -, daß wir in den Haushaltsberatungen auf der verderblichen Bahn fortfahren können, die wir in der letzten Woche manchmal eingeschlagen haben.
({0})
Ich stehe weiterhin nicht an, zu erklären, daß der Kollege, dessen Tod wir heute betrauert haben, zu der größten Fraktion dieses Hauses, also zu den hommes bonae voluntatis gehört hat.
Ich bin nicht so kleinlich, zu meinen, die alte Tradition solle verschwinden und man könne sich bei den Haushaltsberatungen frisch-fröhlich im ganzen Feld der Politik tummeln. Das kann man durchaus tun. Ich gebe Ihnen zu, daß ich diesen Beratungen mit einem gewissen Neid gefolgt bin, weil ihnen die große Vergünstigung des vollen Hauses vergönnt war, die uns bei der ein wenig nüchtern geführten allgemeinen Aussprache über den Haushalt nicht immer beschieden ist. Es ist sehr bitter, zu bemerken, daß wir in den großen Fragen der Finanz- und Haushaltspolitik, wie sie nun in der dritten Lesung angesprochen werden, auch nicht ein einziges Mal das volle Haus gehabt haben wie bei der Aussprache über „Reptilienfonds" und umgestürzte Lautsprecherwagen.
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Ich muß es sagen und sage es jedes Jahr wieder, daß der Haushalt trotz aller Gewöhnung und trotz der ewigen Wiederkehr eben doch das schicksalhafte Buch der Nation ist und daß dieses schicksalhafte Buch keinen ausreichenden Platz in diesem Hause hat.
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Einzelplan um Einzeplan wurde früher im Reichstag grundlegend mit einem vielleicht zehnmal größeren zeitlichen Aufwand behandelt. Ich weiß, daß man jene Zeit und die heutige nicht miteinander vergleichen kann. Ich weiß, daß viel Politisches der Haushaltsdebatte entzogen ist, und zwar durch große Anfragen, durch eine andere Geschäftsordnung des Hohen Hauses und anderes mehr.
Trotzdem ist man voller Bewunderung, möchte ich beinahe sagen, über die Sorgfalt und die Akribie, mit der der Haushalt im Reichstag in den Jahren 1920 bis 1932 behandelt wurde. Heute flitzen ganze Milliardenpläne wie ein Film an uns vorüber, und es werden im besten Falle Änderungsanträge und nicht der eigentliche Plan behandelt. Ganz zwangsläufig erhalten die Haushaltsdebatten auf diese Weise einen etwas kuriosen Verlauf, und man muß mit der hier seit langem üblichen Resignation feststellen, daß über 99% all dieser Haushaltsansätze nicht in diesem Hause gemacht werden, sondern daß die Entscheidungen anderswo gefallen sind.
Deshalb erlaube ich mir in der dritten Lesung, im Namen meiner politischen Freunde einige grundsätzliche Feststellungen zu treffen und dabei den Versuch zu machen, einige Zusammenhänge darzustellen.
Der Regierungsentwurf des Haushalts 1958 hat im Haushaltsausschuß und in der zweiten Lesung weder wesentliche noch unwesentliche Änderungen erfahren. Der Bundesfinanzminister hat das Hohe Haus aus diesem Grunde besonders gelobt. Ich habe Zweifel, ob wir uns dieses Lobes freuen dürfen.
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Ich bin grundsätzlich mißtrauisch, wenn ein Minister das Parlament lobt; dann muß das Haus fragen, was es falsch gemacht hat.
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Wie Sie alle wissen und wie es auch heute schon zur Sprache gekommen ist, wurde der RegierungsLenz ({5})
voranschlag, der ja der Entwurf eines neuen Ministers ist, im Geschwindschritt beraten. Die einmaligen Vorteile eines solchen Verfahrens für diejenigen, die den Haushalt eingebracht haben, liegen auf der Hand. Aber solche Vorteile sind unser vielleicht nicht ganz würdig.
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Ich darf das doch einmal sagen.
Herr Kollege Vogel, auch ich habe jenen Aufsatz von dem ehemaligen bayerischen Minister Zorn über Autorität und Regierung gelesen. Aber so sehr ich Ihnen zustimme, daß eine Regierung Autorität braucht, so sehr glaube ich, daß auch das Parlament ein Attribut braucht, eine Würde, die nicht verletzt werden darf. Sie ist durch die Eile, mit der wir diesen Haushalt beraten haben, verletzt worden.
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Überall war große Freude, daß es uns gelang, wenigstens ein paar Kleinigkeiten umzustellen. Aber insgesamt war es nicht anders als bei der zweiten Lesung, wo Änderungen von nicht ganz 6 Millionen DM im ordentlichen Haushalt heraussprangen. 6 Millionen DM sind etwas mehr als ein hunderstel Prozent des ganzen Budgets. In der dritten Lesung wird es nicht anders sein. Man kann wohl ohne weiteres die Prophezeiung wagen, daß der Haushalt nicht mehr geändert werden wird. Wir haben weder die Neigung noch die Macht, daran etwas zu ändern, und das letztere ist betrüblich.
Nur in den letzten Stunden ,der Ausschußberatungen gab es die übliche Überraschung - üblich, weil sie uns nun von Jahr zu Jahr wieder beschert wird -, als nämlich der Bundesfinanzminister seinen Voranschlag korrigieren ließ. Dies ist das erste Thema, das wirklich allgemeines Interesse verdient. Bei dieser Gelegenheit wurde nämlich der bisher schon ausgeglichene Entwurf des Bundeshaushaltsplans noch mehr ausgeglichen.
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Bekanntlich fordert die Verfassung den Haushaltsausgleich. Die Finanzexperten streiten sich seit langem darum, ob es sich hier nur um einen sogenannten formellen oder um einen materiellen Ausgleich handelt. Ich meine, es wäre eine Art Verschleierung, wenn man nur die Zahlen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite einander anpaßte, wirtschaftlich aber den Haushalt nicht ausbalancierte.
Erstmals seit Jahren, ja beinahe einem Jahrzehnt, stieg die Regierung von ihren Einnahmeschätzungen herunter und offenbarte einen zusätzlichen ungedeckten Bedarf von mehreren hundert Millionen DM. Zusammen mit den Auswirkungen der Steuergesetze der letzten Woche, auf die ich noch zu sprechen komme, waren es insgesamt 947,7 Millionen DM, für die eine Deckung neu gesucht werden mußte. Aber - und damit stelle ich gleich eine weitere wichtige Tatsache fest - es fehlte der Mut, ganz Ian die Wirklichkeit und ganz an die Wahrheit heranzugehen. Noch heute stecken in den Steuerschätzungen echte Risiken, die wahrscheinlich zwischen 300 und 600 Millionen DM liegen. Das eine Prozent, um das man bei 'der erhofften Zuwachsrate des Sozialprodukts zurückgegangen ist, reicht schon deshalb nicht aus, weil die Basis zu hoch liegt. Bekanntlich hat der Bund im vergangenen Rechnungsjahr eine halbe Milliarde DM weniger eingenommen, als er erhofft hatte. Die neuen Einnahmeschätzungen gehen von der alten Schätzung einschließlich dieser halben 'Milliarde DM aus, müssen also von vornherein unrichtig sein.
Es mag vielen recht bedeutungslos erscheinen, ob diese 300 bis 600 Millionen DM aufgenommen werden oder nicht. Für uns begründen sie - neben vielem anderen - den Eindruck, daß dieser Haushalt an zahlreichen Stellen unsolide ist und daß die „Gemütlichkeit" nicht berechtigt ist, mit der man ihm allenthalben gegenübersteht.
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Wir sind heute in der glücklichen Lage, das erste Vierteljahr des neuen Rechnungsjahres hinter uns zu haben. Der Herr Kollege Dr. Vogel hat in aller Offenheit die neuen Aufkommenszahlen genannt. Man wird keinen wirklichen Finanzsachverständigen finden, der die Steuerschätzungen, wie sie diesem Haushalt zugrunde liegen, für realistisch hält.
Die genannten 947 Millionen DM Einnahmeverlust, die zu unser aller Glück das Volumen dieses Haushalts wieder etwas von der 40-MilliardenGrenze entfernen, welche auf uns einen beängstigenden Eindruck gemacht hat, sind nach den Vorschlägen der Regierung in erster Linie durch jene 6 % Kürzungen aufgefangen worden, mit denen sich der Finanzminister in den Fußstapfen seines Vorgängers bewegt. Runde 660 Millionen DM sollen mit dieser Kürzung aufgebracht werden, eine Summe, die nach früheren Erklärungen der Regierung zur Ergiebigkeit von Prozent-Kürzungen geradezu sensationell erscheinen muß. Man muß sie sehr kritisch untersuchen.
Da stellt sich überraschenderweise heraus, daß von diesen 660 Millionen DM rund 500 Millionen DM vom Haushalt für Verteidigung aufgebracht werden, während der übrige Haushalt nur rund 160 Millionen DM zu leisten hat. Soll man seinen Ohren trauen? Dieselbe Verteidigung, die wegen ihres angeblich so dringenden und riesigen Finanzbedarfs den ersten Finanzminister zur Strecke gebracht hat, weil er die Ausgabenreste streitig machte und immer wieder erklärte, man brauche diese Reste bis zum letzten Pfennig, kann nach der heutigen Auffassung der Regierung nicht nur die Stationierungskosten tragen, sondern dazu noch eine halbe Milliarde DM für den Haushaltsausgleich opfern. Ich habe den Eindruck, daß man uns hier jahrelang an der Nase herumgeführt hat, wenn das, was man hier vorsieht, möglich sein soll.
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Ich will gleich sagen, daß ich den Herrn Finanzminister nicht anklage; er und sein Vorgänger sind hier Opfer. Aber das hat es in der Finanzgeschichte noch nicht gegeben, daß Jahr für Jahr Milliardenbeträge ungenutzt und besseren Zwecken vorenthalten bleiben. Wie weit könnten wir heute sein,
Lenz ({11})
sei es im Straßenbau, in der Atomwirtschaft, in der allgemeinen Forschung, im Wohnungsbau oder bei der Bundesbahn, wenn man nicht immer wieder diese Summen in Anspruch genommen hätte, ohne sie auszugeben. Einmal hat er nur ganze 2 % seiner Haushaltsansätze abgerufen, und immer noch sind es bis zum heutigen Tage Milliardenbeträge, die in der Kasse liegen bleiben und die das Ansehen unserer Finanzpolitiker so diskreditiert haben. Und nun wird erneut und sozusagen amtlich dokumentiert, daß der Verteidigungshaushalt von 10 Milliarden DM weit übersetzt und daß man heute schon neben den 1,2 Milliarden DM Stationierungsverpflichtungen weitere 500 Millionen DM abstreichen kann.
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Der dritte trübe Punkt des neuen Haushaltsausgleichs ist die Einstellung weiterer 285 Millionen DM in den außerordentlichen Haushalt, der damit auf rund 1,8 Milliarden DM ansteigt. Ich möchte ganz formell fragen, wer dies verantworten kann und verantworten will. Mit einem solchen Verfahren der Belastung des außerordentlichen Haushalts in den blauen Himmel hinein
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wird nicht nur der fatale Charakter dieses Haushalts noch deutlicher und seine Wirklichkeit noch unwirklicher, sondern es werden auch ganz einfach die Grundlagen anständigen finanziellen Verhaltens beseitigt. Glaubt jemand, meine Damen und Herren, daß wir bis zum 31. März nächsten Jahres fast 2 Milliarden DM Anleihe aufnehmen werden?
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Oder hat die Regierung die Absicht, der deutschen Wirtschaft, den schwerringenden Gemeinden und den Ländern wiederum den Kapitalmarkt zuzumauern und damit die günstige Entwicklung der letzten Zeit abzuschließen? Die Regierung denkt ja wohl in Wirklichkeit auch nicht daran, den außerordentlichen Haushalt durch Anleihen zu finanzieren, sondern sie hofft, daß der Verteidigungshaushalt noch über die von mir vorhin genannten 2 Milliarden DM hinaus weitere Kassenmittel zurückläßt, die dann für die außerordentlichen Vorhaben verwendet werden können. Ist das aber nicht so, dann ist es wirklich ein Spiel mit dem Feuer, das hier beginnt und das unweigerlich bei einer kurzfristigen Verschuldung bei der Bundesbank enden muß. Ich denke, daß ich verstanden werde, wenn ich diesen Punkt nicht noch deutlicher herausstelle.
Herr Kollege Dr. Vogel hat einen beachtenswerten Katalog von aufzugreifenden Aufgaben vor uns ausgebreitet. Ich stimme ihm zu, wenn er sagt, wir werden in der Zukunft schwere Opfer bringen müssen, weil wir es nicht verstanden haben, in einem wirklich geeigneten Augenblick unser Ausgabenkostüm wesentlich enger zu schneidern.
Ein weiterer Kernpunkt des jetzt zu verabschiedenden Haushaltsplanes ist jener Haushaltsvermerk, der dem Verteidigungsminister die Inanspruchnahme früherer Ausgabeermächtigungen nur gestattet, wenn er die Mittel kassenmäßig aus den jetzigen 58er Ansätzen einspart. Haushaltsrechtlich scheint diese Lösung des alten und schweren Problems nach der Meinung der Haushaltsexperten unzulässig zu sein, aber sie ist, wie so oft, ein Kompromiß; sie ist unzulässig deshalb, weil man, was die neuen Ansätze angeht, nicht veranschlagen darf, was man nicht braucht - der neue Finanzminister begeht hier dieselbe schwere Sünde wie der alte -, unzulässig aber auch, weil man nicht ältere Ermächtigungen aufrechterhalten und die Ausgaben aber dann aus den neuen Mitteln bestreiten darf. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig: entweder veranschlagt man ganz neu und streicht die Reste, oder man setzt für die Bedienung der Reste einen ausreichenden Betrag ein und vermindert die Ansätze für die Neuausgaben. Das scheint mir so klar zu sein, daß es sich nicht verlohnt, noch mehr als dieses eine Wort darüber zu sprechen. Der Kernfrage, ob die Einsparungen in den neuen Ansätzen wieder Reste werden können - ich muß mich hier etwas der Sprache des Haushalts bedienen; sie mag schwer verständlich sein -, gehen Regierung und Haushaltsausschuß aus dem Wege. Diese Frage ist aber, so scheint mir, für unsere Finanzwirtschaft die Kernfrage, eine Lebensfrage, und Sie werden dieses pompöse Wort erst ganz verstehen, wenn ich darauf aufmerksam mache, daß von diesen Resten, die Ermächtigungen, aber keine Mittel sind, rund 8,3 Milliarden DM - die Zahl ist heute auch schon genannt worden - vorhanden sind.
Wie Sie sich noch erinnern, übernahm der jetzige Finanzminister von seinem Vorgänger 3 Milliarden DM Kassenmittel, die er als außerordentliche Dekkungshilfe in diesem Bundeshaushalt für 1958 einstellte. Wir haben damals gleich erklärt, daß man damit die Dinge auf den Kopf stellt, weil gerade die Verwendung von Kassenmitteln für den laufenden Verwaltungsbedarf dem Vorgänger des jetzigen Finanzministers dick angekreidet worden ist. Die 3 Milliarden DM sind natürlich auch während der Haushaltsberatungen im Haushalt geblieben und bilden also neben den eben genannten zweifelhaften Posten den Haushaltsausgleich.
In der Öffentlichkeit ist die Erklärung des Finanzministers, daß er die 3 Milliarden ausgeben müßte, um hart am Rande des Defizits zu bleiben, mit Wohlwollen aufgenommen worden, allerdings nur von denen, die sich über das, was nun folgen muß, nicht den Kopf zerbrochen haben. Wir wissen inzwischen, daß die 3 Milliarden nur der Ermöglichung weiterer Ausgaben - öffentlicher Ausgaben - dienen und daß die Öffentlichkeit in ihrer Annahme, das Defizit und der Verzicht auf Ausgaben würden eine Senkung von Steuern näherrücken, enttäuscht worden ist. Vielleicht sollte man diesen 3 Milliarden nicht allzusehr nachtrauern. Sie sollten ja einmal Verteidigungsausgaben decken, die schon seit Jahren ausgeblieben sind. Aber ich möchte doch dringend davor warnen, sich auf Grund von Kassenresten auf die Dauer einen Ausgabenluxus zu leisten, der unserem tatsächlichen derzeitigen finanziellen Leistungsvermögen widerspricht.
Lenz ({15})
Ich habe mir erlaubt, anläßlich der ersten Lesung auf eine gefährliche Entwicklung hinzuweisen, und ich habe auch den Ausführungen meiner drei Vorredner entnommen, daß sie sich sehr ernste Gedanken darüber machen. Verstehen Sie recht, meine Damen und Herren - ich weiß nicht, ob das schon zum allgemeinen Wissen jedes einzelnen von uns gehört -, die beteiligten Ressorts können außer dem Haushalt von 1958, außer dem Haushalt, den wir in den nächsten Tagen beschließen werden, für 8 oder über 8 Milliarden DM Ausgaben tätigen, ohne daß dafür eine Deckung vorhanden wäre oder geschaffen würde.
Natürlich - das weiß auch wieder jeder von uns - rollen diese 8 Milliarden DM nicht in einem Monat oder in einem Jahr auf uns zu, aber ein paar Milliarden werden es in diesem Jahre sein. Wie gut wäre es da gewesen, die 3 Milliarden zur Bedienung der Reste aufzuheben und sie nicht zur Erhaltung oder gar Vergrößerung unserer bisherigen Ausgabenbreite zu verwenden.
Diese 8,3 Milliarden sind, wie mir scheint, der kardinale Mittelpunkt unserer Haushaltswirtschaft. Ihre Bedienung ist schlechterdings ausgeschlossen, da über alle vorhandenen und künftigen flüssigen Mittel mit diesem Haushalt verfügt ist.
Man kann es aus diesem Grunde meinen Freunden und mir schwerlich verübeln, wenn ich sage, daß dieser Haushaltsplan ein Übermaß von kaum Vertretbarem enthält. Zum mindesten müßten schlechterdings - und dazu scheint eine gewisse Geneigtheit auf allen Seiten des Hauses vorhanden zu sein - die rund 3,5 Milliarden DM Verteidigungsreste aus den Jahren 1955 und 1956 formell beseitigt werden. Die Reste aus dem Jahre 1957 sind schon groß genug.
Mit vielen Fragen, die zwar auch wichtig sind, aber hinter diesen Kernproblemen etwas zurücktreten, will ich Sie nicht aufhalten. Nur noch ein paar Bemerkungen zu gewissen Entwicklungstendenzen! Was gerade den Verteidigungshaushalt angeht, wehren wir uns heute schon ganz entschieden dagegen, daß für 1959 wiederum ein höherer Betrag in Aussicht ,genommen wird, der dann doch nichtgebraucht und an die Stationierungsmächte abgegeben wird. Gerade wegen dieses Zustands ist die Politik, die im Verteidigungshaushalt und in dem Gesamthaushalt ides Jahres 1958 zum Ausdruck kommt, so denkbar unglücklich.
Um nicht irgendwelches Porzellan zu beschädigen, will ich mich im Augenblick zu dem neuen Abkommen über die Stationierungskosten nicht äußern. Aber man kann natürlich nicht hoffen, daß eine weitere halbe Milliarde an Verteidigungsausgaben eingespart werden kann und daß sich daraufhin die Verhandlungspositionen in der NATO bessern. Das halte ich nicht für möglich.
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Hier empfinden wir eben immer wieder, wie wenig durchdacht all diese Dinge sind und welchen Zufallscharakter sie haben.
Zu dem dunklen Finanzfirmament gehören auch die Bindungsermächtigungen, die immer noch in der Größenordnung von 15 Milliarden herumgeistern. Sie sind schon von den Vorrednern behandelt worden. In diesen Bindungsermächtigungen liegt die ganze Manövrierunfähigkeit der nächsten Haushalte. Das bedeutet, daß wir sehr wahrscheinlich in einen Engpaß hineingeraten werden, wenn wir diese Dinge nicht angehen. Auch hier sind heute Töne- iangeklungen, als ob man dieses Problem ernsthaft in Angriff nehmen wollte und als ob die volle Bereitschaft dazu vorhanden wäre, diesen für mein Empfinden großen, schweren Fehler zu korrigieren, daß man das Parlament gezwungen hat, im Geschwindschritt Weichen auf Wege zu stellen, deren Ende nicht abzusehen ist.
Anläßlich der großen Geschenke an die Länder
- ich weiß nicht, ob der Kollege Niederalt es hört
- durch 'die Beseitigung des Notopfers Berlin ist vielleicht von einer sgewissen Entspannung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und den Ländern zu 'sprechen. Die Kosten für dieses Geschenk haben wir 'in .diesem Haushalt zu honorieren. Sie stecken in 'den 947 Millionen DM, von denen ich eingangs sprach.
Es gehört vielleicht nicht ganz zum Thema, aber es scheint mir doch so bedeutungsvoll zu sein, daß ich es hier zum Ausdruck bringen möchte: Auch in der Finanzpolitik gibt es gewisse Imponderabilien, die man nicht vergessen soll. Da scheint mir die jüngste Linie doch recht bedenklich, in der man mit der Beseitigung des Notopfers, d. h. mit der Einarbeitung des Notopfers in die Körperschaftsteuer, das letzte Berlin-Memorial im öffentlichen Finanzbewußtsein gestrichen hat. Ich bedauere das sehr, weil ich glaube, daß damit eine bestimmte Qualität verlorengegangen ist, deren sich dieses Haus in all den letzten Jahren bewußt war.
Zweitens scheint mir auch die gleichzeitige Entlassung von fast 3 Millionen Steuerpflichtiger aus der Lohnsteuer nach den Steuergesetzen recht bedenklich. Hier bahnen sich Entwicklungen an, die bei aller Freude an der steuerlichen Entlastung doch sehr kritisch stimmen.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß alle diese Erwägungen - aber auch wirklich alle -, die einen solchen Niederschlag haben, wieder in der lieben, guten Tagespolitik ihren Urgrund haben, so war es der Beschluß, die steuerliche Entlastung noch mit Rückwirkung zum 1. Januar dieses Jahres zu vollziehen. Meine Damen und Herren, ich sage es ganz leise, aber es ist sehr hart: Ohne die Angst vor den Landtagswahlen in diesem Jahr wäre dieses Geschenk nicht gemacht worden. Ursprünglich wehrte sich nämlich der Bundesfinanzminister mit Armen und Füßen gegen diese Rückwirkung, weil er sie haushaltsmäßig nicht verantworten wollte, aber die Länder wollten sie. Jetzt haben sich plötzlich die Fronten völlig umgekehrt. Der Finanzminister des Bundes mußte die Länder bedrängen, die neue Ordnung schon ab 1. Januar 1958 in Kraft zu setzen. Kurios, kurios, wenn ich es recht bedenke!
Lenz ({17})
Das sogenannte Überrollen des Personalhaushalts des Bundes, also die Vertagung der Entscheidung über die Neuanforderungen in das nächste Haushaltsjahr - das versteht man ja wohl unter „Überrollen" -, hat dem Haushaltsausschuß in der Öffentlichkeit großen, bei den Beteiligten geringen Beifall eingetragen. In der Tat kann man diese Dinge mit einem lächelnden und einem weinenden Auge betrachten. Aber leider ist es uns, meine sehr verehrten Herren Kollegen vom Haushaltsausschuß, doch wiederum nicht richtig geglückt, und leider sind trotz des Überrollungsversuchs auch in diesem Jahr wieder fast 1500 Stellen bewilligt worden.
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- Genau 1451 Stellen. Was uns leider gar nicht gelingt, ist die Freimachung des Personals, das für längst zurückliegende Aufgaben eingestellt war, für neue Aufgaben. Hier hält sich das Alte mit einer Zähigkeit, die einer besseren Sache würdig wäre.
Es wäre noch viel zu sagen über die Leistungen für Berlin, die Bundeshilfe für die Saar, die Lage unserer großen Betriebsverwaltungen, wie Bahn und Post, die neuen Anstrengungen zugunsten der Landwirtschaft, des Wohnungsbaus, der Straßen und der Autobahnen. Ich will mich, was alle diese Brennpunkte des Finanzbedarfs angeht, damit begnügen, hier mein Bedauern darüber auszudrücken, daß wir weder im Ausschuß noch im Plenum zu einer echten Diskussion all dieser schwierigen Probleme gekommen sind. Ich muß die Übernahme des Regierungsentwurfs en bloc eben doch als eine sachlich und finanzpolitisch bescheidene Leistung des Hauses ansehen. Von Jahr zu Jahr fällt die Unbeweglichkeit der parlamentarischen Haushaltspolitik auf. Ich begrüße außerordentlich bestimmte Initiativen, die in diesem Jahr sichtbar waren. Alle guten Kräfte sollten sich diesen Initiativen anschließen.
So gern ich Ihnen zustimmen würde, Herr Kollege Dr. Vogel -, aber ich glaube nicht, daß wir einen Haushalt der Stabilität vor uns haben.
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Ich bedaure, daß ich diesem Haushalt Tendenzen entnehmen kann, die leider zu großen Enttäuschungen führen werden. Sosehr auch uns an der Erfüllung der Aufgabe gelegen ist, der kommenden Generation etwas zu hinterlassen, nach dem sie sich richten und an dem sie sich aufrichten kann, so wenig glaube ich, daß es gerade dieser Haushalt sein wird.
Bei der Schlußabstimmung über diesen Haushaltsplan werden wir der Enttäuschung über die Entwicklung des parlamentarischen Budgetrechts Ausdruck geben müssen. In dieser unserer Haltung steckt aber zugleich die schwere Besorgnis, daß die vielen großen Risiken des Haushalts zu einer echten Bedrohung unseres Finanzgefüges werden können.
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Meine Damen und Herren, ich darf noch bekanntgeben, daß am Donnerstag von 14 bis 18 Uhr Plenarsitzung ist, allerdings ohne Abstimmungen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schild.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem die Verhandlungen über den Haushalt dieses Jahres in drei Teile aufgegliedert sind, einmal die Generaldebatte über die wirklichen Haushaltsprobleme, zweitens die Spezialdebatten über die Regierungspolitik, die Wirtschafts-, Sozial- und Verteidigungspolitik, und drittens die Debatte über die Einzelpläne, soweit Anträge und grundsätzliche Entschließungen vorliegen, möchte ich mich sine ira et studio lediglich mit den Haushaltsproblemen befassen. Meine politischen Freunde werden in den nächsten Stunden und Tagen in den Generaldebatten über die verschiedenen politischen Bereiche noch zu Einzelheiten Stellung nehmen. Wir sollen uns hier in der Generaldebatte auf die haushalts- und finanzpolitischen Probleme beschränken.
Der Herr Bundesfinanzminister selbst hat den Tenor dieses Haushalts angegeben, indem er von einem Haushalt am Rande des Defizits gesprochen hat. Die Öffentlichkeit und insbesondere sehr starke und einflußreiche Organisationen haben dieses „am Rande ides Defizits" auch kommentiert: keine Ausgabe ohne Deckung. Ich muß mich wundern, daß in den bisherigen Erörterungen über den Charakter des Haushalts, über sein Gewicht, über die Art und Methode der Beurteilung der Ausgabepositionen in den Einzelplänen von Unsolidität gesprochen worden ist und daß beispielsweise Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit nicht mehr in dem notwendigen Maß in Erscheinung treten. Ich möchte gleich zu Beginn meiner Ausführungen sagen, daß meine politischen Freunde diese Charakterisierung ablehnen. Dieser Haushalt ist nun einmal eingebettet in allgemeinpolitische Unsicherheiten, außenpolitische Unwägbarkeiten, unüberschaubare verteidigungspolitische Probleme, aber auch eingebettet in gewisse innerpolitische Unsicherheiten, die sich in der Entwicklung auf den Gebieten der Wirtschaft, des sozialen Lebens und unseres institutionellen Staatslebens klar und deutlich abzeichnen.
Bei diesen Unwägbarkeiten, bei diesen Unüberschaubarkeiten der allgemeinen Politik bleibt es gewiß nicht aus, daß auch die Finanzpolitik in bezug auf die auf uns zukommenden Ausgaben in vielen Einzelheiten vor Rätseln steht. Diese Rätsel kann man natürlich nun nicht umdeuten in Unsolidität oder als Wahrscheinlichkeitsrechnungen hinstellen, die nicht aufgehen. Meine politischen Freunde sind deshalb der Auffassung, daß diese Charakterisierung nicht am Platze ist, sondern daß wir die stillen Reserven, die in diesem Haushalt vorhanden sind und auch in den vergangenen Haushalten vorhanden waren, eben doch als notwendige fragmentarische Substanzmasse behandeln müssen, die sich letzten Endes aus den allgemeinen unsicheren politischen Verhältnissen herleitet.
Wie soll man über einen Verteidigungshaushalt unter dem Gesichtspunkt von Etatwahrheit und -klarheit disponieren, wenn es bei der Ausrüstung einer Wehrmacht von Halbjahr zu Halbjahr zu neuen technischen Entwicklungen kommt? Wie soll man über außenpolitische Ausgaben, insbesondere im Etat des Bundesministers des Auswärtigen, Klarheit im Sinne einer absoluten Rechnungsvorschau schaffen, wenn man über die Notwendigkeiten außenpolitischer Beziehungen, außenpolitischer Konferenzen, außenpolitischer Ereignisse beim Beginn oder in der Mitte des Haushaltsjahres überhaupt noch nicht klar sieht? Ich betrachte deshalb diesen Haushalt absolut nicht, wie manche der Herren Kollegen, als unsolide oder als nicht der Haushaltsordnung im Sinne von Etatwahrheit und -klarheit entsprechend, sondern betrachte ihn als einen Haushalt, der ungewisse, bewegliche Momente enthält, die eben mit den Bewegungsmomenten der Politik zusammenhängen.
Eine Befürchtung, die in der Offentlichkeit in den letzten Wochen und Monaten immer wieder vernehmbar war, ist die, daß sich bei der Entwicklung dieses Haushalts im Verhältnis zum nächsten Haushalt unter Umständen die Ausgabenwirtschaft insgesamt so steigern könnte, daß das Deckungsprinzip für den nächsten Haushalt zu neuen Steuern oder Steuererhöhungen führen könnte oder müßte. Meine Damen und Herren, es gab im Haushaltsausschuß eine ernste Stunde - das war am letzten Tage der Haushaltsberatungen -, als der Herr Bundesfinanzminister doch eine Zahl nennen mußte, die auf die Frage eingeht: was für Bewegungsmöglichkeiten hat die Regierung finanzpolitisch in diesem Haushalt? Ich war erstaunt, aus dem Munde des Herrn Finanzministers zu hören, daß er bei einem Bundeshaushalt von rund 38,5 Milliarden DM die Ausgabenbewegungsmasse, die nicht auf rechtlichen Verpflichtungen beruht, immerhin auf rund 20 Milliarden DM schätzte. Die rechtlichen Ausgabeverpflichtungen, die also auf Gesetzen beruhen, würden demnach rund 18 Milliarden DM betragen. Das heißt praktisch, daß der Regierung und dem Parlament immerhin über 20 Milliarden DM die Verfügungsgewalt gegeben ist, die Möglichkeit also, diese Gewalt je nach der politischen Situation voll auszunutzen, sie nicht ganz auszunutzen, ja, auch noch Ersparnisse zu machen oder Abstriche zu machen, wenn es im Gesamtinteresse unserer Finanzwirtschaft und Finanzpolitik erforderlich ist.
Diese Zahl wurde genannt, als die Frage der Deckung mit sechsprozentigen Einbehalten wichtiger einmaliger und fortlaufender Ausgaben gestellt wurde. Ich bin überzeugt, daß bei einer solchen finanzpolitischen Bewegungsmasse die Bundesregierung auch beim Etat 1959/60 - und diese Diskussion soll ja mit dazu dienen, schon die Weichen für den Etat 1959/60 zu stellen - in der Lage ist, wieder am Rande des Defizits ohne irgendwelche Steuererhöhungen und ohne neue Belastungen der Steuerzahler auszukommen. Denn sonst hätte der Hinweis auf den Hintergrund dieser Zahl von rund 20 Milliarden DM ja keinen Sinn.
Die rein rechtlichen Verpflichtungen, für die Ausgabeposten in den Bundesetat eingesetzt werden müssen, sind demnach von dem Herrn Bundesfinanzminister auf die ungefähre Summe von 18 Milliarden DM zwar nicht ausdrücklich angegeben, aber nach dem ganzen Zahlenspiel doch veranschlagt worden.
Was meine politischen Freunde besonders interessiert, sind die zukünftige Methode, das Ziel, sind die finanzpolitischen Grundsätze, nach denen in der nächsten Zeit verfahren wird. Es bestehen in diesem Hause zwei Meinungen darüber. Die einen wollen eine absolute Stetigkeit, eine Stabilität der Ausgabenwirtschaft und eine Übersichtlichkeit der Ausgabenwirtschaft erringen; die anderen sind der Überzeugung, daß infolge der politischen Unsicherheitsmomente eine derartige Stetigkeit und Stabilität gar nicht zu erreichen ist.
Aber einige früher angewandte Methoden können wir doch kritisieren und müssen wir kritisieren, um auf einen Weg zu kommen, der zur langfristigen Stabilität führt. Von der in den letzten Jahren geübten Methode, den außerordentlichen Haushalt vom ordentlichen Haushalt her zu decken - aus Kassenüberschüssen oder aus Juliusturmbeträgen -, möchten wir, Herr Finanzminister, im Sinne einer klaren und eindeutigen Finanzpolitik endgültig herunterkommen.
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Wir möchten zweitens Ihre gute Absicht mit allen Kräften durch das ganze Haus unterstützt wissen, die überfälligen Ausgabenreste so schnell wie möglich verschwinden zu lassen. Schon wenn das geschieht, wird der Haushaltsplan 1959/60 ganz anders aussehen als dieser Haushaltsplan.
Drittens gebe ich denjenigen Kollegen recht, die auch die Bindungsermächtigungen als eine nicht im Wesen eines gesunden Haushalts liegende Erscheinung betrachten. Die Bindungsermächtigung von 8 Milliarden DM, von denen mein verehrter Kollege Lenz als von einer großen Gefahrenquelle sprach, als einer Quelle der eigenständigen Behandlung durch die Ressorts und einer unkontrollierbaren Ausgabenwirtschaft, ist ja, lieber Kollege Lenz, in diesem Sinne nicht da. Ich darf doch wohl dahingehend richtigstellen, daß der größte Teil dieser 8 Milliarden DM insofern gesperrt ist, als zu ihrer endgültigen Verwendung doch noch Beschlüsse des Haushaltsausschusses, unter Umständen auch des Verteidigungsausschusses, nachgeholt werden müssen. Man kann also nicht unbedingt sagen, daß diese 8 Milliarden DM Bindungsermächtigungen in jedem Falle ein plein pouvoir für die Ressorts darstellen.
Ferner, meine Damen und Herren, haben wir an diesem Bundeshaushalt schon bei der ersten Lesung einige grundsätzliche Bemerkungen geknüpft, die in der dritten Lesung nicht verlorengehen sollen; denn sie gehören auch zur Weichenstellung für die nächsten Haushalte, die dieser Bundestag bis zum Ablauf seiner Legislaturperiode noch zu verabschieden hat.
Dieser Bundeshaushalt erklärt der Öffentlichkeit und dem Volke ja nur einen Teil der wirklichen
Sachausgaben, die die Gesellschaft eigentlich im ganzen Umfange wissen müßte. Denn der eigentliche Fnuktionshaushalt unseres Volkes liegt uns nicht vor. Wir wissen nicht im einzelnen, wie nun die Harmonisierung zwischen Bundeshaushalt, Länderhaushalten und Gemeindehaushalten sich zahlenmäßig auswirkt. Wir müßten also wissen, was Bund, Länder und Gemeinden für einen bestimmten Zweck insgesamt ausgeben, um uns ein Bild machen zu können: wie hoch ist dabei der Anteil des Bundes, und ist das Gewicht des Bundes bei diesem Anteil richtig bemessen, oder was können wir daran korrigieren? Dieses Problem bitte ich die Bundesregierung und den Herrn Bundesfinanzminister als für die erste Beratung des kommenden Haushalts dringend zu betrachten. Ers handelt sich um ein wichtiges Anliegen finanzpolitischer, haushaltspolitischer Art. Wir brauchen solche Übersichten und im Rahmen der Vorbemerkungen nach Möglichkeit auch Zahlen. Wo die echten Zahlen fehlen, müssen geschätzte Zahlen genommen werden, die einigermaßen an die Grenze der Wirklichkeit heranreichen. Wir brauchen also den echten Funktionshaushalt für die Gesamtausgaben aller Gebietskörperschaften in unserem Volke.
Nur dann, wenn uns ein solcher Funktionshaushalt vorliegt, können wir uns über das Problem der Verwaltungsvereinfachung, der Zuständigkeiten und des Kostenapparates wirklich unterhalten. Sie wissen, im vorigen Bundestag hatten wir einen besonderen Ausschuß für Verwaltungsvereinfachung eingesetzt. In diesem Bundestag ist ein solcher Ausschuß nicht geschaffen worden. Ich vermisse die politische Arbeit an dem Problem der Verwaltungsvereinfachung, das man nicht einfach mit roher Hand durch Anwendung des Überrollungsprinzips lösen kann. Dazu gehört vielmehr auch eine echte Auseinandersetzung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden: Wer ist wofür verantwortlich, wer führt eine Sache durch, und wer finanziert diese Dinge? Diese Verantwortlichkeit ist heute, wie die Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuß ergeben haben, in vielen Punkten sehr strittig.
Deswegen lege ich Wert darauf, der Bundesregierung im Namen meiner politischen Freunde in dieser Generaldebatte über den Haushalt zu sagen, daß wir stärkstens interessiert sind an einer Initiative der Bundesregierung für das Zustandekommen von Staats- und Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über viele Fragen, die sonst ungeklärt bleiben, insbesondere über Zuständigkeits- und Finanzierungsfragen. Wir haben auf zwei Gebieten solche Staats- und Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern. Ich nenne das Königsteiner Abkommen über die Förderung wissenschaftlicher Institute, und ich nenne das Abkommen über die Finanzierung des Wissenschaftsrats und all der Maßnahmen, die mit der finanziellen Förderung der Wissenschaft, der Hochschulen und der Forschung zusammenhängen.
Es fehlt aber z. B. ein Staats- und Verwaltungsabkommen über den Straßenbau. Es fehlt eine klare Vorstellung darüber, wer hier als Lastenträger echte Lasten zu übernehmen hat und wer nicht.
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Ich erinnere daran, daß der Bundesverkehrsminister einmal gesagt hat, 90 000 km Gemeindestraßen müßten jährlich gepflegt und in Ordnung gehalten werden, und die Gemeinden seien bei einem Gesamtetat aller deutschen Gemeinden in Höhe von rund 7 Milliarden DM mit diesen 90 000 km überfordert.
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- Die formellen Zuständigkeiten sind nach dem Grundgesetz klar, Herr Kollege Niederalt, darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Ob sie sich in der Praxis bewähren, das ist das Problem! Wir erleben doch im Haushaltsausschuß, daß sie sich nicht bewähren. - Besteht die Möglichkeit, daß etwa 25 000 km Gemeindestraßen von den Ländern in ihre Obhut übernommen werden, um die Gemeinden zu entlasten, und daß dementsprechend 25 000 km Länderstraßen als Ausgleich für die neuen Lasten der Länder in Bundesregie übernommen werden? Alles das müßte in einem Staats- und Verwaltungsabkommen einmal geregelt werden, damit nicht die Frage: Wer steht für diese Aufgabe zur Verfügung und wer finanziert sie? von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr problematischer wird.
Dasselbe trifft für den Schulbau, für die allgemeinbildenden Schulen und für die Berufsschulen zu. Dasselbe trifft auch für den Wohnungsbau zu. Die 1,5 Milliarden, die wir in diesem Jahr für den Wohnungsbau hergeben, ziehen Folgemittel der Länder und der Gemeinden nach sich. Es müßte eine Harmonisierung mindestens in der Durchführung dieser Aufgaben herbeigeführt werden.
Es gibt noch ernstere Probleme als diese. Da ist beispielsweise das Problem der Heranbildung von Beamtennachwuchs und die Regelung des Beamtenaustauschs zwischen Bund und Ländern. Wir kranken im Haushaltsausschuß bei allen Fragen der Stellenbesetzung und des Stellenplans immer wieder daran, daß uns die Regierungsvertreter sagen: Wir haben nicht die erfahrenen Beamten, wir können nicht die sachverständigen Leute bekommen, weil der Austausch zwischen Bund und Ländern nicht möglich ist, weil die Rechte in den Ländern andere sind als die Rechte im Bund. Hier stehen wir also vor großen verwaltungsmäßigen Personalschwierigkeiten; auch sie könnten durch einen Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern beseitigt werden.
Dazu gehört die möglichst einheitliche Regelung der Besoldungsfragen. Bei den letzten Beratungen im Haushaltsausschuß sagte ein Kollege: Beim Besoldungsgesetz haben wir vom Haushaltsausschuß nicht aufgepaßt! Ich glaube, es darf ruhig einmal in der Öffentlichkeit gesagt werden, daß uns die Auswirkungen des Besoldungsgesetzes auch für die
Etatgebarung der nächsten Bundeshaushalte, erst recht aber in ihrem Verhältnis zu .den Landeshaushalten noch besondere Schwierigkeiten bringen werden. Ich weiß, ,daß sich Koalition und Opposition in dieser Auffassung .absolut einig sind.
Man könnte diese Schwierigkeiten aber meistern, wenn man in einem Staatsvertrag zwischen Bund uni Ländern - in einem Verwaltungsabkommen oder wie man es nennen will - einmal Klarheit schaffte, was gemeinsam gewollt ist. Oder es kaut auf Grund des Grundgesetzes jeder seinen eigenen Strick weiter, und es kommt zu differenzierten Lösungen, die letztlich die gesamte Gesellschaft schädigen.
In einen solchen Staatsvertrag gehört auch zumindest der Versuch, die Vermögensverhältnisse zwischen Bund und Ländern zu klären. Bei den Haushaltsberatungen stoßen wir immer wieder darauf, daß die Vermögensverhältnisse zwischen Bund uni Ländern, wie sie sich von früher her ergeben haben, nicht geklärt sind.
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Ich erinnere mich, daß Herr Kollege Professor Gülich im Haushaltsausschuß auf diese Unklarheiten ganz besonders hingewiesen und sich dafür eingesetzt hat, daß hier endlich einmal - auch mit den notwendigen gesetzlichen Mitteln nach Art. 134 GG - vorgegangen wird,
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damit nicht wieder die Weichen falsch gestellt werden. Das hat uns in den letzten drei Jahren bei den Haushaltsberatungen in der Finanzpolitik mehr Schaden als Nutzen gebracht.
Ich darf letztlich daran erinnern, daß in unserem Rechtsstaat, in unserer Verfassung auch gewisse Dinge ungeklärt geblieben sind, für die es anscheinend keine neue gesetzliche Regelung geben soll. Ich darf an zweierlei erinnern. Wenn heute irgend jemand einen Antrag stellen würde, die Getränkesteuer in Deutschland aufzuheben, dann wäre die Durchführung der beantragten Aufhebung unmöglich. Nach den Bestimmungen des Grundgesetzes über die konkurrierende Gesetzgebung und nach den Art. 106 und 107 ist die Getränkesteuer eine Ewigkeitssteuer. Für den Bund ist in der vergangenen Legislaturperiode im Rechts- und Verfassungsausschuß erklärt worden, daß er die Getränkesteuer nicht aufheben könne. Als die Angelegenheit im Lande Nordrhein-Westfalen zur Sprache kam haben die Mehrheitsparteien im Lande gesagt, das Land sei nach dem Grundgesetz und seiner Landesverfassung nicht zuständig. Wir haben also hier aus der Ara Brüning, aus dem Jahre 1930, eine Ewigkeitssteuer, die niemand beseitigen kann, auf deren Wirksamkeit man zwar effektiv von den Kommunen her verzichten kann, deren Verankerung im System unserer Steuergesetze aber nicht beseitigt werden kann.
Ein anderes Beispiel! Aus dem Jahre 1941 gibt es eine sogenannte Sauckel-Verordnung über die Regelung der Entschädigungssätze für Jugendliche in Betrieben, insbesondere für die Lehrlinge in den
Betrieben der gewerblichen Wirtschaft. Diese Sauckel-Verordnung ist schon wegen ihrer niedrigen Sätze längst überholt; in ihr stehen für das erste, zweite, dritte und vierte Lehrjahr Sätze, an die man heute gar nicht mehr zu denken wagt. Aber niemand ist nach den Bestimmungen des Grundgesetzes in der Lage, diese Verordnung auf dem Wege einer Gesetzgebung aufzuheben. Nun, man könnte sie sich totlaufen lassen; aber sie läuft sich nicht tot; denn heute noch sind die Mindestsätze für die Entschädigung von Lehrlingen, die in Lehrverträgen vereinbart werden können, auf Grund der Sauckel-Verordnung rechtlich möglich; natürlich sind sie in Wirklichkeit meistens auf das Zwei- bis Dreifache erhöht worden. Hier müssen wir aber doch einmal Klarheit zwischen Bund und Ländern schaffen, wie dieser - letzten Endes - rechtliche Unfug, der aus der Vergangenheit stammt, beseitigt werden kann.
Bei der Erörterung des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern muß auch über die Tätigkeit der Kriminalpolizei oder mehr am Rande liegende Fragen gesprochen werden, die aber für unser Volk und für unsere Gesellschaft im Zeichen der industriellen Entwicklung wichtig sind, wie etwa die Frage der Errichtung von Naturschutzparks. Auch da geht es darum: wer tut was, wer fördert was; man könnte zwischen Bund und Ländern in vielen Sachaufgaben noch zu einem echten Abkommen für lange Zeit kommen.
Ich wollte diese Einzelheiten anführen, weil sie bei allen Beratungen des Haushaltsausschusses und des Parlaments gewissermaßen als lästige Fragen über Zuständigkeiten und finanzpolitische Dotierungen immer eine Rolle gespielt haben. Hier wirft einer dem anderen die Bälle zu. Ein besonders prononcierter Landesvertreter, der nicht nur die Bundesinteressen, sondern auch die Interessen seines Landesetats im wohlverstandenen föderalistischen Sinne im Auge hat, wird dann versuchen, mit Anträgen das eine oder andere herauszuholen, weil von den beteiligten Regierungen keine echte vertragliche Klarheit geschaffen worden ist.
Es ist klar, daß bei der neunjährigen Entwicklung der Bundeshaushalte, der Finanzpolitik und der damit zusammenhängenden Finanzverfassung sehr verschiedene Stile zugrunde gelegen haben. Vom Stil der harten Notwendigkeit ist man ausgegangen, wenn man über Steuereinnahmen Maßahmen finanziert hat, die normalerweise nicht aus Steuerquellen finanziert worden wären wie beispielsweise der soziale Wohnungsbau. Aus dem Stil der harten Notwendigkeiten der Jahre 1949, 1950, 1951 und 1952 haben sich Zweckmäßigkeiten, Nützlichkeiten ergeben. Aus diesen Zweckmäßigkeiten und Nützlichkeiten haben sich aber auch Bequemlichkeiten, ja, ich möchte sagen, zum Teil auch Oberflächlichkeiten entwickelt. Man hat nicht genügend Phantasie aufgebracht, um aus den damaligen anomalen Notwendigkeiten zu neuen Finanzierungsformen zu kommen.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir uns mit der Kapitalsubvention, die wir aus Steuermitteln vornehmen, bereits am Anfang einer Fehlentwicklung
befinden. Diese Art der Kapitalsubvention war von 1949 bis 1953, in der ersten Legislaturperiode, eine absolute Notwendigkeit. In der zweiten Legislaturperiode war sie bis kurz vor ihrem Ende vielleicht noch eine Zweckmäßigkeit und eine Nützlichkeit. Heute ist sie jedoch fragwürdig geworden. Wir müssen uns überlegen, ob wir nicht die Kapitalsubvention für viele Ausgabeposten, die wir geschaffen haben, beenden und diese Ausgaben aus dem privaten Kapitalmarkt finanzieren wollen. Was hat es für einen Sinn, eine Bundesanleihe in Höhe von - sagen wir - 1,5 Milliarden DM aufzunehmen - die Größe steht vorläufig noch nicht fest - und daraus 650 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau über den außerordentlichen Haushalt zu geben, obwohl man den Trägern des sozialen Wohnungsbaus den Zugang zum nachstelligen Kapitalmarkt unmittelbar erschließen könnte. Das ist möglich. Das geht mit Bundes- oder Landesbürgschaften. Dabei kann man in einem Verwaltungsabkommen mit den Ländern die Fragen der Übernahme von Bürgschaften für die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes für nachstellige Finanzierungen klären. Es ist dann viel billiger, für den Bundeshaushalt Zinsverbilligungszuschüsse für die im sozialen Wohnungsbau verwendeten nachstelligen Finanzierungsmittel des Kapitalmarktes zu geben.
Die Kapitalsubvention war einmal eine dira necessitas, später eine Zweckmäßigkeit, aber heute müssen wir überlegen, ob sie nicht abgeschafft werden muß, ob sie nicht für die nächsten Jahre eine Fehlentwicklung wäre. So gibt es sehr viele Kapitalsubventionierungen, die man verlagern kann, die man auch zum Teil aufheben kann, indem man die Subventionsobjekte exakter in die soziale Marktwirtschaft einbaut. Natürlich werden dadurch Verbraucherinteressen berührt und alle möglichen Interessen der Bevölkerung. Wir können aber wegen einer einmal notwendigen Bereinigung nicht dauernd die Kapitalsubvention bejahen, sondern wir müssen hier zu vernünftigeren Verhältnissen kommen.
Der Bundeshaushalt hat seine besondere Anziehungskraft. Er ist der größte Haushalt in der Bundesrepublik, und nach dem Gesetz der großen Zahl, der Schwerkraft der großen Zahl, hat der Bundeshaushalt auch die allergrößte Anziehungskraft für die Begehrlichkeit.
Wir erleben dauernd Zementierungen von Ausgaben, die längst überflüssig geworden sind. Wir müssen uns diese Zementierungen von Ausgaben für den nächsten Haushalt nicht nur in der Regierung, sondern auch im Haushaltsausschuß ernst überlegen. Es gibt auch politische Ausgaben, die zementiert sind, die auch überholt sind. Ich denke da etwa an das Oberste Rückerstattungsgericht. Es wäre des Schweißes der Edlen wert, diese Institution mit ihren längst überfälligen Aufgaben und Zwecken im nächsten Bundeshaushalt verschwinden zu lassen.
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So, wie ich das Rückerstattungsgericht nannte, bitte ich die Bundesregierung, ähnliche Institutionen, die aus den Anfängen der Besatzungszeit stammen, daraufhin zu untersuchen, ob sie wirklich in unserer heutigen Situation im Haushaltsplan sein müssen oder nicht längst abgebaut werden können.
Ganz besonders wehren sich meine politischen Freunde gegen die in diesem Jahre erstmalig auftretenden Sonderprivilegien der europäischen Verwaltungsbehörden. Was sich da tut, können wir auf keinen Fall gutheißen. Steuerfreie Sondergehälter passen einfach nicht in den Rahmen einer vernünftigen europäischen Gemeinschaft.
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- Herr Professor Gülich, das gehört selbstverständlich zu dem ganzen Komplex.
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Ich möchte wissen, wer die politisch-moralische Legitimation gehabt hat, so etwas zu vereinbaren, denn dazu gehört doch letzten Endes eine politischmoralische Legitimation, und man muß dabei Rücksicht nehmen auf das, was in unserem Volk gang und gäbe ist und der allgemeinen Meinung entspricht. Unser Volk weiß ja gar nicht, welche Vereinbarungen über derartige Verwaltungsmaßnahmen und Dotierung von Gehältern in diesem Zusammenhang getroffen worden sind. Wir möchten die Regierung ernstlich bitten, daß zusammen mit den europäischen Ländern, die hier in Frage kommen, andere Zustände geschaffen werden, als sie bislang in diesen Verträgen und in den nachfolgenden Verwaltungsabkommen festgelegt sind.
Eine gewisse finanzpolitische Entartungserscheinung ist es auch, wenn für internationale Etats - europäische wie internationale - etwas beschlossen wird, ohne daß dieses Parlament, dieses Haus oder andere zuständige Gremien vorher gefragt werden: „Was können und dürfen wir in dieser Frage tun?" Es dreht sich nicht nur um die politische Kontrolle. Wir haben im Haushaltsausschuß die Erfahrung gemacht, daß in diesen internationalen Gremien die sogenannten Entwicklungsländer die anderen Länder vollkommen überstimmen können, und zwar sowohl in der Etatgebarung wie allgemein. Das heißt mit anderen Worten, daß die genannten Länder über den Geldbeutel derjenigen verfügen, die alle Mittel für den Etat aufbringen müssen, daß diese Länder selber aber keinen Pfennig dazutun. Diese Probleme scheinen uns also nicht richtig behandelt worden zu sein, und die Entwicklung hat zu einem totalen Durcheinander geführt. Das ist kein Ausdruck, den ich präge, sondern er wurde im Haushaltsausschuß von anderen Kollegen geprägt: ein totales Durcheinander bei den internationalen Gremien.
Wir müssen zu diesen Grundsatzfragen einige öffentliche Hinweise machen sowohl zu dem Stil, zu der Art, zu der Form, zu der Zweckmäßigkeit der zukünftigen Finanzpolitik als auch zu all dem, was sich aus den letzten Beratungen ergeben hat. Das ist ein rein sachlicher Beitrag, der, von poliDr. Schild
tischen Alternativen losgelöst, quer durch alle Parteien hindurch geleistet wird. Wenn wir die Fragen mit dieser Sachlichkeit erörtern, weil wir hier vor einer nationalen Aufgabe stehen, bei der es keine politische Alternative gibt, dann tun wir, glaube ich, für die kommenden Etatberatungen das Richtige.
Ich habe noch den Wunsch meiner Freunde vorzutragen, Herr Bundesfinanzminister, daß uns das Überrollungsprinzip, das wir in diesem Jahre angewandt haben und bei dem sich der Haushaltsausschuß als „Streichorchester" entwickelt hat,
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nicht noch einmal zugemutet wird, sondern daß es sich bei der Aufstellung des nächsten Etats im Schoße des Kabinetts vollzieht und daß Sie mit Brachialgewalt die sogenannten Überforderungen der Ressorts von vornherein zusammenstreichen oder ganz ablehnen. Wir möchten nicht wieder hören - wie in den Jahren 1957 und 1958 -, daß der Finanzminister die Kraft aufbringen mußte, 5 oder 6 Milliarden DM Überforderungen innerhalb der Ressortverhandlungen abzuwehren. Diese Kraft ist unnütz vertan; sie kann anderweitig verwandt werden, wenn man mit den notwendigen Erlassen und Verordnungen an die einzelnen Ressorts und ihre Haushaltsreferenten herantritt.
Die Deutsche Partei wird diesem Haushalt ihre Zustimmung geben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Eilers ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beratung und Beschlußfassung über den Bundeshaushaltsplan ist eines der wesentlichsten Rechte des Bundestages. Dieses Recht auszuüben ist aber nur möglich, wenn der Entwurf von der Bundesregierung rechtzeitig vorgelegt wird. Die jetzige Beratung steht, wie es hier vorhin von einem Mitglied der Regierungskoalition gesagt wurde, unter dem Zwang eines mörderischen Tempos. Unter solchen Umständen kann man wohl kaum mit Gewicht davon reden, daß dieses wesentlichste Recht des Bundestages in der rechten Form gewahrt werden könne.
Nun haben Sie, Herr Bundesfinanzminister Etzel, in Ihrer Haushaltsrede am 16. April dieses Jahres zwar versichert, daß es künftig eine verspätete Fertigstellung des Haushaltsentwurfs nicht mehr geben solle. Wir hoffen, daß dieser Versicherung im nächsten Jahr, möglichst gar noch in diesem Jahre die Tat folgen kann, damit der Bundestag in der Lage ist, seine Entschlüsse rechtzeitig zu fassen. Mir scheint aber auch, daß die jetzige verspätete Vorlage Ihrem Grundsatz, die Einheit von Steuerpolitik und Haushaltspolitik herbeizuführen, außerordentlich hinderlich im Wege steht. Ich möchte gerade auch aus diesem Grunde bitten, dafür zu sorgen, daß der Haushaltsentwurf dieser
Einheit von Steuerpolitik und Haushaltspolitik künftig mehr gerecht wird, damit wir in dem vorläufigen Staatsgebilde Bundesrepublik im Interesse der gesamten deutschen Bevölkerung zu handeln vermögen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die verspätete Verabschiedung dieses Haushaltsplans in dieser Woche wird auch ein wesentliches Hemmnis für den gesamten Ablauf der öffentlichen Verwaltung nicht nur beim Bund, sondern ebenso bei den Ländern und vor allem bei den deutschen Städten und Gemeinden sein. Die Gemeinden und Städte sind ohnehin in ihrer finanziellen Gebarung hart bedrängt. Es liegt mir deshalb sehr am Herzen, auf diese Sorgen und Nöte im Zusammenhang mit der Beratung des Haushaltsplans hier einzugehen. Der gute alte Grundsatz, der in früheren Zeiten vor allem in Deutschland gepflegt wurde, der darüber hinaus aber ein internationaler Grundsatz ist, nämlich daß öffentliche Aufgaben der verschiedenen öffentlichen Träger gleichrangig seien, scheint mir in der Bundesrepublik keine oder nur noch eine sehr geringe Geltung zu haben. Die Rangunterschiede beherrschen weitgehend das Feld nicht nur im Leben des einzelnen in unserer Bundesrepublik, sondern noch viel mehr auf den verschiedenen Ebenen der öffentlichen Verwaltung. Ja, es gilt fast als unfein, den Ländern in ihren Aufgaben gleiche Bedeutung wie dem Bund zusprechen zu wollen. Aber gar den Sorgen der Städte und Gemeinden gleiches Gewicht wie denen des Bundes einzuräumen, das scheint für manche, ich möchte sogar sagen, für viele Menschen an Vermessenheit zu grenzen. Dabei ist jeder Abgeordnete dieses Hohen Hauses, jeder Abgeordnete eines Landtags, jeder Minister und jeder Beamte und Angestellte der öffentlichen Verwaltung Bürger einer Gemeinde, Bürger einer Stadt. Bundes- oder landesunmittelbare Bürger gibt es nicht und wird es hoffentlich auch nie geben.
Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, daß trotz dieser Tatsache das Wissen um die kommunalen Nöte in der Bundesrepublik sehr gering ist.
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- Ja, wir sprechen von der Aufgabenstellung; sie ist in den Artikeln 106 und 107 des Grundgesetzes eindeutig niedergelegt. Erfreulicherweise hat dieses Hohe Haus in der letzten Legislaturperiode die Ergänzung vorgenommen. Aber mir scheint, daß das allein nicht genügt. Man darf diese Fragen nicht nur deklamatorisch behandeln, sondern man muß den Deklamationen mehr als bisher auch praktische Folgerungen folgen lassen. Das ist keine Frage der Parteipolitik, sondern eine Angelegenheit der gemeinsamen Staatspolitik. Wir brauchen hier daher keinerlei Fraktions- oder Parteiegoismus an den Tag zu legen.
Die bisherige Entwicklung der kommunalen Finanzen und ihre Behandlung im Bundestag und in den Ländern lassen jedenfalls berechtigte Zweifel daran aufkommen, ob überall die richtige Erkennt2138
Eilers ({1})
nis waltet. Das ist deshalb so besonders bedauerlich, meine Herren Minister der Bundesregierung, weil lebensfähige Gemeinden den Grundpfeiler jedes Staates ausmachen. Wenn die Finanzen der Gemeinden auf tönernen Füßen stehen, so ist das eine schlechte Grundlage für den Staatsorganismus in Bund und Ländern.
Die Gemeinden und die Städte sind immer mehr zu finanziellen Kostgängern von Ländern, Reich und Bund geworden. Wir dürfen uns deshalb nicht wundern, daß diese Fragen so stark im Vordergrund des allgemeinen Interesses stehen. Wir in diesem Hohen Hause dürfen uns den harten Tatsachen und den sich daraus ergebenden Notwendigkeiten nicht verschließen.
Der Anteil der eigenen Steuerquellen der Gemeinden und Städte an den Gesamteinnahmen aller öffentlichen Haushalte betrug im Jahre 1913/14 noch 37 %, 1928 immerhin noch 33 %; 1955 waren es noch ganze 11 %. So sieht also die so viel gepriesene kommunale Selbstverwaltung unter finanziellen Gesichtspunkten aus.
Von den früher, nach dem ersten Weltkrieg, vorhandenen drei Steuerquellen, nämlich den Zuschlägen zur Einkommensteuer, der Grundsteuer und der Gewerbesteuer, die seinerzeit wohl ausgewogen waren und sein mußten, um eine übermäßige Belastung einer Steuergruppe zu vermeiden, ist im organischen Aufbau nur sehr wenig übrig geblieben. Sie werden wissen, daß die Erzbergersche Steuerreform die Selbstverwaltung noch mehr einengte, indem . sie keine Zuschläge zur Einkommensteuer mehr zuließ, dafür aber den Anteil an großen Reichssteuern vermehrte, der dann mit gewissen Auflagen hinsichtlich der Verwendung dieser Mittel verbunden war und auch in dieser Weise die Selbstverwaltung einengte. Damals erhielten die Gemeinden und Städte wenigstens auf dem Umweg über die Länder noch einen Teil der 75 % ausmachenden Einkommen- und Körperschaftsteuer. Die Gemeinden hatten damals - und das ist außerordentlich interessant - einen Anteil von 5 % an der Umsatzsteuer. Das ist auch deshalb interessant, weil man sich neuerdings wieder der Forderung zuwendet, ähnlich etwa in Zukunft den Gemeinden eine Verbesserung ihrer Finanzen zuzugestehen. Wichtig aber war, daß auch damals dieser Anteil an der Umsatzsteuer schon vorhanden war und daß durch die Erzbergersche Steuerreform der Steuerverbund verbessert wurde. Damals, als Auswirkung der Krisenerscheinungen nach dem ersten Weltkriege, erhielten die Gemeinden das Recht, eine Bürgersteuer, im Volksmund die sogenannte Negersteuer, zu erheben. Sie ist überall noch in sehr schlechter Erinnerung. Es ist gar nicht verwunderlich, daß dann im Dritten Reich der Steuerverbund zu bestehen aufhörte und das Dritte Reich den Anteil an den großen Steuern blockierte. Es war nur noch ein kleiner Schritt zu den Finanzzuweisungen, die als Ersatz für die Steueranteile den Gemeinden zuflossen. Auch die Rückerstattung der Körperschaftsteuer fiel weg. Die Bürgersteuer wurde aufgehoben, so daß die Gemeinden nicht mehr in der Lage waren, dazu überhaupt Stellung zu nehmen, wie erhoben und wie hoch erhoben werden sollte. Dafür gab es die Bürgersteuerausgleichsbeträge. Das sind alles Tatsachen, die dazu führten, daß eine umfassende eigene Finanzgebarung den Gemeinden verwehrt wurde. Die Selbstverwaltung stand also nur noch auf dem Papier.
So gingen wir in das Jahr 1945, in das Jahr des größten staatlichen Zusammenbruchs in der deutschen Geschichte. Alle Reichs- und Staatsgewalt war versunken; nur die Gemeinden waren noch in der Lage, das staatliche Leben zu erhalten. Sie waren der letzte Wall gegen das Chaos. Die Selbstlosigkeit der Bürger wird wohl erst in den nächsten Jahren, vielleicht gar erst in den nächsten Jahrzehnten richtig gewürdigt werden können.
Herr Dr. Vogel hat vorhin schon darauf aufmerksam gemacht, wie groß der Nachholbedarf auf allen Gebieten in Deutschland, d. h. bei den Gemeinden und Städten vor allem, heute in Erscheinung tritt. Wir sollten das nicht vergessen, meine Damen und Herren! Zwar haben wir als Menschen ja die Fähigkeit, sehr schnell zu vergessen. Mir will aber scheinen, daß wir manche harten Umstände zu schnell vergessen, nämlich daß die Bundesrepublik mehr als 9 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge aufnahm, d. h. sie wurden aufgenommen von den Gemeinden und Städten. Damit entstand eine ungeheure Vermehrung der Aufgaben in der Wasserversorgung, im Bau von Wohnungen, von dem hier schon mehrfach gesprochen wurde, und gleichzeitig im Ausbau der Straßen und, was für die Erhaltung unseres Volkes noch viel wesentlicher ist, im Ausbau der Schulen und im Ausbau der Krankenanstalten für die Gesundheitspflege.
Herr Vogel hat davon gesprochen, daß der Hauptteil dieser Aufgaben in den nächsten Jahren die Bundesfinanzen arg belasten werde. Er hat aber leider mit keinem Wort davon gesprochen, daß die Hauptträger dieser Last die Gemeinden und die Städte sind. Die Großstädte wurden zerstört, und über Nacht wurden unzerstörte Städte zu Großstädten. Bei allen diesen riesigen Aufgaben - ich muß das heute einmal in dieser Öffentlichkeit vor diesem Hohen Hause sagen - ist es bei Gott kein Wunder, daß sich die Gemeinden und Städte in Deutschland außerordentlich stark verschulden mußten. Trotzdem begegnet man in der Öffentlichkeit nicht selten Vorwürfen gerade gegen die Tatsache, daß die Gemeinden bereit waren, diese Aufgabe zu übernehmen, und sich nicht scheuten, diese Schulden auf sich zu nehmen. Warum? Sie konnten nicht ausweichen; sie mußten helfen, und zwar unverzüglich; sie mußten helfen vor allem bei Anlagen und Investitionen, die unrentierlich sind. So gesehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat der Bund allen Anlaß, bei der künftigen Gestaltung der Haushaltspläne über die Länder im Rahmen des Finanzausgleichs nach Artikel 106 und 107 des Grundgesetzes auf die finanzielle Grundlage, auf eine verbesserte Finanzgebarung bei den Gemeinden und Städten einzuwirken.
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Wir alle wissen, daß die Grundsteuer durch die Gesetzgebung des Bundes eingefroren ist, um dem sozialen Wohnungsbau eine Hilfe zu gewährleisten.
Eilers ({3})
Die Ausfälle hat aber nicht der Bund, sondern die Städte und Gemeinden müssen sie tragen. Es ist deshalb für einen Bundesgesetzgeber leicht, solche Bestimmungen zu erlassen, wenn er sich nicht gleichzeitig und im gleichen Rahmen darum kümmert, den Gemeinden für diesen Ausfall einen Ersatz zu geben.
Mehrfach ist in diesem Hause und auch sonst in der Öffentlichkeit auf das krasse Mißverhältnis zu der Gewerbesteuer - der einzigen Kommunalsteuer, die an der Steigerung des Sozialprodukts teilgenommen hat - hingewiesen worden. Wir sind uns doch wohl völlig darüber klar, daß ohne die konjunkturell gestiegenen Einnahmen durch die Gewerbesteuer die Gemeinden und Städte überhaupt nicht in der Lage gewesen wären, ihre Aufgaben zu erfüllen. Man kann natürlich darüber streiten, ob es gerecht oder richtig ist, einen begrenzten Teil der Bevölkerung mit der Gewerbesteuer in der Weise zu belasten, wie es gegenwärtig der Fall ist.
Ich bin auch der Meinung, daß die Gesetzgebung hinsichtlich der Gewerbesteuer geändert werden sollte. Wenn aber der Bundesgesetzgeber wie in der letzten Legislaturperiode diese Gesetzgebung zuungunsten der Finanzeinnahmen der Gemeinden und Städte ändert, dann hat er die Verpflichtung, für einen Ersatz dieser Ausfälle zu sorgen.
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Solange der Bund nicht dazu bereit ist und solange e diesen Ersatz nicht zu leisten in der Lage sein mag, darf der Bundesgesetzgeber diese Steuerquellen der Gemeinden nicht noch mehr beeinträchtigen, weil er sonst die Grundlagen unseres staatlichen Lebens in Gefahr bringt.
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Ich darf diese Feststellungen mit Nachdruck und Bedacht unterstreichen, und ich darf als objektiven Zeugen für diese Behauptung den Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom Januar 1958 zitieren. Dort wird auf Seite 29 festgestellt, daß die Kreditmarktverschuldung allein der Gemeinden Ende 1957 - schon damals! - mit 6,2 Milliarden DM doppelt so hoch war wie die der deutschen Länder. Dabei ist die Verschuldung der Stadtstaaten - oder Länder, wie Sie wollen - West-Berlin, Hamburg und Bremen noch in die Verschuldung der Länder einbezogen, ist also nicht etwa bei der Verschuldung der Städte berücksichtigt.
Der Deutsche Städtetag hat in den letzten Tagen der vergangenen Woche in Hannover getagt und hat bei dieser Tagung noch einmal das Interesse der Öffentlichkeit auf die Tatsache gelenkt, daß sich die Gesamtverschuldung der deutschen Städte inzwischen der 10-Milliarden-Grenze nähert. Diese Verschuldung muß zu der Feststellung führen, daß es so auf gar keinen Fall weitergehen kann. Diese Tatsache muß uns vor Augen führen und klarwerden lassen, daß möglichst bald eine grundsätzliche Neuverteilung der Steuern zwischen Bund, Ländern und Gemeinden erfolgen muß. Wenn das nicht geschieht - Herr Bundesfinanzminister, ich richte diesen Appell ganz bewußt an Sie-, dann wird der Tag nicht mehr fern sein, wo die Gemeinden überhaupt nicht mehr investieren können.
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Das würde aber bedeuten, daß die Erfüllung wesentlicher Gemeinschaftsaufgaben wie des Baues von Schulen - in denen heute noch weitgehend Schichtunterricht erteilt wird - unterbleibt, des Baues der Schulen, in denen die kommende Generation unseres Volkes erzogen und gebildet wird. Wir werden nicht in der Lage sein, die Krankenhäuser auszubauen, geschweige denn zusätzlich zu den Mitteln des Bundes und der Länder den Bau von Wohnungen zu finanzieren oder Straßen zu bauen. Wenn aber diese Möglichkeiten für die Gemeinden nicht bestehen, dann bedeutet das, daß ein öffentlicher Notstand heraufbeschworen wird. Die Gemeinden würden dann nicht in der Lage sein, diesen Notstand ohne fremde Hilfe zu überwinden. So weit aber darf die Bundesregierung die Entwicklung gar nicht erst kommen lassen.
Die deutsche kommunale Selbstverwaltung ist in der Tat in ernster Gefahr. Die jetzigen finanziellen Grundlagen, die tönernen Füße dieser Selbstverwaltung der Gemeinden in der Bundesrepublik drohen unter der schweren Last, die gegenwärtig auf ihnen ruht, zu zerbrechen. Ein solcher Bruch rührt nach meiner festen Überzeugung auch an die Grundfesten unseres gesamten vorläufigen Staatswesens, ja, ein solcher Bruch könnte dieses Staatswesen verhängnisvoll erschüttern.
Deshalb ist die baldige Schaffung eines neuen kommunalen Steuersystems im Rahmen der Gesamtsteuerverteilung unbedingt erforderlich. Neue Einnahmequellen müssen erschlossen werden, wenn die Selbstverwaltung gesunden soll. Ob es zu einer Anhebung der Grundsteuer kommen kann, wird im Rahmen der gesamten Überlegungen erwogen werden müssen. Auf jeden Fall scheint es mir notwendig zu sein, daß das Bewertungsgesetz aus dein dreißiger Jahren, die Grundlage der Einheitswerte, endlich den tatsächlichen Verhältnissen angepaßt wird und daß die Gemeinden und Städte einen Anteil an den Kraftverkehrsteuern, also an der Kraftfahrzeugsteuer und an der Mineralölsteuer, erhalten.
Meine Damen und Herren, die größte Zahl der Unfälle wird seit Jahren in den Städten und Gemeinden, nicht auf der Autobahn, nicht auf den Bundesstraßen erster und zweiter Ordnung gezählt. In den Städten und Gemeinden ereignen sich die meisten Unfälle. Dort muß etwas geschehen.
Ich halte die mehrfach erörterte Personensteuer im Vergleich etwa zu der früheren „Negersteuer" nicht für eine geeignete Maßnahme, den Städten und Gemeinden entscheidend zu helfen, es sei denn, Herr Finanzminister Etzel, Sie wären bereit, für diese Personensteuer einen Teil der Einkommensteuer frei zu machen, um auf diese Weise eine zusätzliche Belastung der Bürger in den Gemeinden zu verhüten. Nur unter dieser Voraussetzung hielte ich es überhaupt für möglich, daß eine solche Maßnahme erfolgte.
Herr Dr. Vogel, Sie haben vorhin die Notstände der Schulen apostrophiert. Auch ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß das Kriegsnotstände sind, die die Gemeinden und Städte nicht allein bewältigen können, und daß der Bund dafür zusätzliche Mittel
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in ausreichendem Umfange zur Verfügung stellen sollte. Die Schulen sind die Stätte, in der die Zukunft unseres Volkes ruht. Wir sollten alles tun, um hier eine Verbesserung zu erreichen. Nur auf diese Weise können die staatliche Einheit und die Gleichheit von Bund, Ländern und Gemeinden ¡von Bestand und auch entwicklungsfähig sein.
Während der vorhergehenden Aussprache wurde immer wieder betont, daß wir sparen müssen. Mir scheint aber, daß mit den bisherigen Wegen und Methoden eine wirkliche Ersparnis kaum zu erzielen sein wind. Wir müssen neue Wege beschreiten. Einer dieser neuen Wege scheint mir zu sein, daß man das Rechnungsjahr, ,das antiquiert immer noch vom 1. April bis 31. März läuft, endlich auf das Kalenderjahr abstellt.
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Meine Herren Minister, meine Damen und Herren dieses Hohen Hauses, ich darf mir gestatten, wegen der großen volkswirtschaftlichen Auswirkung dieser Maßnahme, die durchaus nicht nur eine administrative Angelegenheit ist, noch auf einiges Wesentliche hinzuweisen. Es ist erstaunlich, daß Bundesregierung, Bundestag und auch die Länderregierungen die Angleichung ides Haushaltsjahres an idas Kalenderjahr schon oft diskutiert haben, ohne jemals zu einem Entschluß gekommen zu sein. Gerade wir in diesem Hohen Hause sollten es uns angelegen sein lassen, endlich zu einem so wesentlichen Entschlusse zu gelangen. Daß wir bis jetzt noch nicht dazu gekommen sind, ist um so verwunderlicher, als im Jahre 1951 - damals stellte der Herr Bundesfinanzminister Schäffer eine Untersuchung an - alle Bundesminister bis auf den Herrn Bundeswirtschaftsminister einer solchen Angleichung zustimmten. Es ist schade, daß der Herr Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister nicht mehr da ist. Angesichts seiner Vitalität und seiner Aufgeschlossenheit gegenüber allen Problemen bin ich doch sehr darüber verwundert, daß gerade er sich dagegen wandte mit der Begründung, eine pünktlichere Verabschiedung des Haushaltsplans müsse genügen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Interessant ist auch, daß die Finanzminister der Länder 1951 die Angleichung des Haushaltsjahrs an das Kalenderjahr für unzweckmäßig hielten. Nur der Finanzminister von Rheinland-Pfalz hat sich damals dafür ausgesprochen. Immerhin hat die damalige Bank deutscher Länder aus geldmarktpolitischen Erwägungen zugestimmt. Ich darf wegen der Bedeutung dieser Frage die Erklärung der damaligen Bank deutscher Länder mit Genehmigung des Herrn Präsidenten kurz zitieren:
Würde das Rechnungsjahr in Zukunft ab 1. Januar beginnen, so könnte der Bund, der im Januar über besonders hohe Steuereinnahmen verfügt, die mit dem Beginn des Rechnungsjahres zusammenfallenden erhöhten Ausgaben voraussichtlich ohne Inanspruchnahme von Kreditmitteln finanzieren. Ein eventuell erhöhter Kreditbedarf der Länder könnte bei der im Januar üblichen Verflüssigung des
Geldmarktes leichter befriedigt werden, als dies im April" der Fall ist.
Mir scheint, daß allein diese Begründung für die Verlegung auf das Kalenderjahr ausreicht. Dennoch waren damals alle Bemühungen umsonst, und sie sind es bisher geblieben. Auch als im Jahre 1954 im Zusammenhang mit der Finanz- und Steuerreform vom Bundesfinanzminister Schäffer ein erneuter Versuch unternommen wurde, änderte sich nichts. Die Finanzminister der Länder erörterten abermals diese Fragen; einige zeigten Neigung, einige nicht. Eigenartigerweise waren die Länder der Meinung - das wird Sie, meine Damen und Herren, und vor allem die Öffentlichkeit interessieren -, daß sie eine solche Verlegung des Haushaltsjahres deshalb nicht billigen könnten, weil die Haushaltspraxis der Länder auf lokale Verhältnisse zugeschnitten sei und deshalb nicht geändert werden dürfe. Man kann darüber deshalb besonders erstaunt sein, weil die Spitzenorganisationen der Körperschaften, die den lokalen Verhältnissen am nächsten stehen, nämlich die Städte und Gemeinden, dieser Änderung der Haushaltspraxis zugestimmt haben.
Die Verwunderung über das Verhalten der Länder wird alber noch größer, wenn man einen kurzen Blick in die Geschichte wirft. - Keine Sorge, ich will das mit zwei Sätzen tun und nicht etwa ein großes Band aufrollen. 1871 hat das Deutsche Reich für das Haushaltsjahr bereits das Kalenderjahr bestimmt. Erst 1877 wurde die jetzige Form eingeführt. Aber siehe da, bei den Ländern war es schon damals schwierig. Ich weiß nicht, woran das liegt. In Bayern ist das anscheinend besonders ausgeprägt; denn das Land Bayern hat erst im Jahre 1920 das Haushaltsjahr auf die jetzige Form gebracht; bis zum Jahre 1920 galt in Bayern das Kalenderjahr als Haushaltsjahr.
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- Natürlich, ich habe das auch mit Freude unterstrichen und glaube, daß Sie sich auch in dieser Beziehung nicht ändern werden. Bis zum Jahre 1920 standen die Länder vielleicht den lokalen Verhältnissen weniger nahe als später.
Wie sieht es im übrigen in der Bundesrepublik aus? Seit 30 Jahren arbeitet die Bundesbahn erfolgreich nach dem Kalenderjahr, die Bundespost seit zwei Jahren. Auch die deutsche Sozialversicherung macht seit Jahren mit 'dem Kalenderjahr als Haushaltsjahr die besten Erfahrungen. Hinzu kommt, daß viele wichtige Steuern auch jetzt schon nach dem Kalenderjahr veranlagt werden. Die Verzahnung dieser Einrichtungen bzw. Institutionen mit dem Bundeshaushalt ist aber aus all diesen Gründen gegenwärtig erheblich erschwert. Überschneidungen und zusätzliche Arbeiten verursachen ständig Mehrkosten und - was viel schlimmer ist - Mißverständnisse und Unrichtigkeiten. Schauen Sie sich einmal die Statistiken an; sie zu vergleichen, ist außerordentlich schwer.
Ich glaube aber, meine Damen und Herren, in der gegenwärtigen Weltsituation ist auch ein Blick in
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Europa hinein richtig: Die Montanunion und der Gemeinsame Markt rechnen mit dem Kalenderjahr. In Frankreich, in Belgien und in den Niederlanden in das Kalenderjahr das Haushaltsjahr. Auch ein internationaler Vergleich ist uns Deutschen also aus diesen Gründen erschwert, neben den Erschwernissen, die wir ohnehin im innerdeutschen Gebiet haben.
Welche anderen Gründe sprechen nun für die Verlegung? Die öffentlichen Haushalte des Bundes, der Länder und der Gemeinden geben der deutschen Volkswirtschaft in jedem Jahre Aufträge von vielen Milliarden D-Mark. Dies trifft besonders für die Bauwirtschaft als Schlüsselwirtschaft zu. Durch die Einführung des Kalenderjahres als Haushaltsjahr werden ein besserer Wettbewerb und eine rechtzeitige Ausschreibung und Vergabe der Aufträge der gesamten öffentlichen Hand ermöglicht. Die öffentliche Hand kann günstigere Preise erzielen und dadurch erhebliche Ersparnisse machen. Wir wollen doch sparen, nicht wahr? Vorhin ist hier immer wieder davon gesprochen worden. Eine bessere und breitere Verteilung der Arbeiten auf baugünstigere Monate ist durch diese Maßnahme möglich. Das ist auch lohnpolitisch sehr wertvoll. Es werden weniger Überstunden, weniger Sonntags- und Nachtarbeit erforderlich. Auch aus diesem Grunde sind die Arbeiten billiger. Die Betriebe brauchen geringere Betriebsmittel bei den Kreditinstituten anzufordern. Eine bessere Ausnutzung der Baumaschinen und Baueinrichtungen, eine günstigere Arbeitsverteilung auf allen Gebieten ist möglich. In der Wirtschaft werden weniger unproduktive Zeiten auftreten.
Meine Damen und Herren! Der Haushaltsplan 1958 wird jetzt Anfang Juli verabschiedet. Die Folge ist, daß die einzelnen Ministerien frühestens Ende Juli oder Anfang August Aufträge erteilen können. Es ist gar nicht daran zu denken, daß vor August oder September in den einzelnen Betrieben der Bauwirtschaft, im Hochbau oder im Tiefbau, der Start für eine praktische Arbeit in diesem Zweig der deutschen Volkswirtschaft gegeben werden kann.
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- Lieber Herr Professor Gülich, diese Haushaltsermächtigungen führen doch zu einer Unsicherheit in der öffentlichen Verwaltung, die auf die Dauer untragbar ist und die kein Ersatz dafür ist. - Hochbauten und auch Straßen werden - und Sie werden daran denken, meine Damen und Herren, wenn wir in den Dezember kommen - wieder bis zum Wintereinbruch nicht fertig. Verkehrsstockungen sind wieder unausbleiblich, weil auch in den langen Wintermonaten Baustellen auf den Straßen nicht zu vermeiden sein werden. Das Kapital für diese Arbeiten liegt fest und ist wieder ohne rechten Ertrag.
Wenn das Rechnungsjahr mit dem 1. Januar beginnt, ist sowohl in der Bundesregierung wie bei den Länderregierungen und den Gemeinden ausreichend Zeit für Arbeitsvorbereitungen bis zum Eintritt besserer, baugünstigerer Witterung.
Neben fiskalischen Vorteilen stehen allgemeine günstige volkswirtschaftliche Auswirkungen. Ich glaube, der Gesichtspunkt, den ich jetzt vortrage, hat besonderes Gewicht: Die winterliche Spitze der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik würde bei rechtzeitigem Einsetzen der Mittel der öffentlichen Hand etwa in der zweiten Hälfte des Monats März, spätestens im Monat April schneller abgebaut werden können. Millionen D-Mark Unterstützung für Arbeitslose würden wahrscheinlich gespart und für produktive Zwecke frei gemacht werden.
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Ein letztes Argument, das sehr wichtig ist und das ich kurz ansprechen muß: Die Länder behaupten, ein Hindernis für die Umstellung des Rechnungsjahres auf das Kalenderjahr sei das jetzige Schuljahr, das mit dem Haushaltsjahr übereinstimmt. Der Schuletat sei der größte Etat im Länderhaushalt. - Nach unserer Auffassung ist diese Begründung absolut nicht durchschlagend. Notfalls wäre sogar zu überlegen, das Schuljahr ebenfalls mit dem Kalenderjahr Bleichlaufen zu lassen. Dann würde wenigstens eines erreicht: daß unsere Kinder rechtzeitig im Silvesterrausch mit den Eltern gemeinsam ihre Sorgen über die schlechten Zeugnisse ertränken könnten - falls sie solche erhalten haben. Auf keinen Fall dürfte man natürlich die Schulzeugnisse vor Weihnachten erteilen.
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Als weiterer Einwand wird vorgebracht, daß die rechtzeitige Verabschiedung des Haushaltsplans im Rahmen des Kalenderjahres wegen des Sommerurlaubs der mit dem Haushalt befaßten Volksvertreter oder der Ministerialvertreter zweifelhaft sei. Ich glaube, meine Damen und Herren, keine Begründung ist verwunderlicher als diese. Denn sind bei der Bundesbahn oder bei der Bundespost bisher Urlaubswünsche unerfüllt geblieben? Fahren weniger Züge? Werden Briefe durch die Post weniger pünktlich zugestellt; oder werden Renten in den Urlaubsmonaten nicht pünktlich ausgezahlt? Es geht bei der Bundesbahn, es geht bei der Sozialversicherung, es geht im Ausland; warum denn nicht bei uns? Das Kalenderjahr ist ein natürlicherer Rhythmus, menschlich und auch wirtschaftlich gesehen.
Alles in allem: Schneiden wir, meine Damen und Herren, endlich diesen alten Zopf ab, in den Ländern und in den Gemeinden, und schaffen wir gemeinsam mit dem Bund eine moderne Frisur. Ich glaube, sie ist nicht nur schöner, sondern auch praktischer. Meine Fraktion wird zur Schlußabstimmung einen entsprechenden Entschließungsantrag einbringen.
Noch einige Worte zu einer anderen Maßnahme, die Einsparungen zur Folge haben würde. Ich glaube, wir sollten alles tun, Herr Bundesfinanzminister, gemeinsam mit den Ländern dahin zu gelangen, daß endlich eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung geschaffen wird, die in der Lage wäre, auch sparsamer zu wirtschaften. Ich darf nur darauf aufmerksam machen, daß der jetzt geänderte § 7 c des Einkommensteuergesetzes 150 Ländererlasse veranlaßt hat - 150 Erlasse, die veröffentlicht worden sind; von denen, die nicht ver2142
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öffentlicht sind, gar nicht zu reden. - Ein anderes. Die Steuerfahndung ist zweifellos nicht beliebt. Bei einheitlicher Durchführung im Rahmen einer Bundesfinanzverwaltung könnten örtliche Übergriffe besser vermieden werden als bei der gegenwärtigen Verwaltung durch die Länder. Die Steuerfahndung würde auch wirksamer sein. - Die Betriebsprüfung hat, wie wir alle wissen, mit der Steuerfahndung nichts zu tun. Dennoch kann man sich gegenwärtig des Eindrucks nicht erwehren, als würde die Betriebsprüfung manchmal zu einer Art Steuerfahndung benutzt, - nein, besser gesagt: mißbraucht,
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Es kann kein Zweifel darüber sein, daß alle sachverständigen Persönlichkeiten eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung als das Gebot der Stunde ansehen. Deshalb sollte sich der Bundestag endlich bereitfinden, den Artikel 108 des Grundgesetzes zu ändern und die Errichtung einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung zu beschließen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich wegen der Wichtigkeit dieser Umstände die Mittagspause um eine Viertelstunde hinausgezögert habe. Ich verspreche, mich in Zukunft zu bessern.
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Das Haus nimmt diese Erklärung des Redners mit Zuversicht entgegen.
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Wir wollen uns aber die Mittagspause nicht verkürzen lassen. Deshalb unterbreche ich bis 14.45 Uhr.
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Wir nehmen die unterbrochene Sitzung wieder auf.
In der Fortsetzung der Generaldebatte der dritten Lesung des Bundeshaushalts hat der Abgeordnete Gülich das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obgleich es wirklich nicht reizvoll ist, in der Mittagsstunde vor so leerem Hause zu sprechen, will ich doch einige Anmerkungen vom Standpunkt der Opposition aus machen.
Herr Kollege Niederalt sagte heute morgen: Dieser Haushalt drückt unsere Politik aus, und unsere Politik ist anders als Ihre Politik. Das ist ein richtiger Satz. Er gilt aber für weite Gebiete des Haushalts nicht. In sehr weiten Gebieten des Haushalts bestehen ja keine Differenzen, und vor allen Dingen: das Einmaleins, das Haushaltsrecht und die ökonomischen Gesetze gelten sowohl für die Koalition wie für die Opposition.
Der Vorgänger des Herrn Bundesfinanzministers Etzel, Herr Minister Schäffer, pflegte jedem Haushalt eine bestimmte Kennzeichnung zu geben. So gab er dem Haushalt 1957 das Signum, es sei der
Haushalt der Sicherheit und der Stabilität. In Wirklichkeit - ich habe damals darauf hingewiesen - war dieser Haushalt so unsolide und so unstabil, wie er nur eben sein konnte. Herr Bundesfinanzminister Etzel hat Gott sei Dank diese Praxis nicht fortgesetzt. Ich wüßte auch wirklich nicht, wie er diesen „Rocher de bronze" des Haushalts 1958 als Steigerung zu den Schäfferschen Bezeichnungen benennen würde.
Über folgende Tatsachen sind wir uns einig. Obgleich das Ist-Aufkommen an Steuern im Haushalt 1957 um 540 Millionen DM geringer war als das Soll, ist beim Ansatz 1958 wieder die Annahme zugrunde gelegt, daß wir eine etwa 7%ige Steigerung des Sozialprodukts zu erwarten hätten. Diese Annahme wird sich als unrichtig erweisen. Wenn man die Ansätze der Steuern im einzelnen betrachtet, so sieht man, verglichen mit den Ist-Ergebnissen von 1957 und mit der mutmaßlichen Entwicklung - man braucht dann noch gar nicht schwarz zu sehen -, daß die Ansätze 1958 in den meisten Fällen nicht erreicht werden können.
Nun hatte die Bundesregierung in ihrem Entwurf zu den bereits überschätzten Steuerziffern noch einen sogenannten Optimismuszuschlag von 300 Millionen DM eingesetzt, der in Wirklichkeit ein Unsoliditätszuschlag war. Diese 300 Millionen DM haben wir nun im Haushaltsausschuß einmütig in der Einnahme beseitigt, wodurch das Dekkungsproblem natürlich schwieriger geworden ist, Sie werden es mir als Mitglied der Opposition, der ich seit Jahren hier immer mit dem Minister Schäffer diskutiert habe, nicht verargen, wenn ich in wenigen Sätzen auf einiges aus der Entwicklung hinweise.
Der Bundeshaushalt ist seit Jahren gekennzeichnet durch Unstabilität und Unsolidität. Das ist lediglich in den Jahren 1952 bis 1956 etwas verdeckt worden durch die Mehreinnahmen, also die Kassenüberschüsse, unid die Ausgabenreste. Die Mehreinnahmen entstanden dadurch, weil immer zuwenig geschätzt wurde, und die Wenigerausgaben, weil auf vielen Gebieten die Ausgaben gar nicht geleistet werden konnten. Sie erinnern sich, wie oft der frühere Bundesfinanzminister von dieser Stelle aus in bewegten Worten das haushaltsmäßige Defizit dargelegt hat. Aber er hat immer vergessen, auf die Kassenlage hinzuweisen, und erst die Haushaltslage und die Kassenlage zusammen ergeben das richtige Bild. Die Haushaltslage war immer schlecht, die Kassenlage war immer vorzüglich. Der höchste Stand der Kassenüberschüsse war im Herbst 1956 mit rund 8 Milliarden DM erreicht. Am Beginn des Rechnungsjahres 1957 waren es 7 Milliarden DM; davon waren 6,1 Milliarden DM sofort verfügbar, der Rest war kurzfristig angelegt.
Nun ,sind -das gibt ,der Entwicklung des Haushalts in den letzten Jahren die besonders schlechte Note und nötigt uns leiste zu Überlegungen, wie wir aus dem Dilemma herauskommen - im Jahre 1956 aus diesen hohen Kassenbeständen, die auf einem Rückstellungskonto bei der Bank deutscher
Länder - heute Deutsche Bundesbank - angelegt waren, 1738 Millionen DM, im Jahre 1957 4020 Millionen DM und in dem Haushalt 1958, den wir jetzt zu verabschieden haben, 3000 Millionen DM als Deckungsmittel in den ordentlichen Haushalt getan worden; das sind also zusammen 8758 Millionen DM Einnahmen, idle aus Kassenüberschüssen herrühren und für Mehrausgaben verwendet worden sind, für die in der Zukunft Einnahmen nicht vorhanden sind.
Wir stehen also finanzpolitisch in der Tat vor einer Wende. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder auf die vom Bundesfinanzminister falsch beurteilte Situation hingewiesen. Ich bitte, mir zu glauben, wenn ich Ihnen sage, ich wollte, ich hätte mit meiner Kritik unrecht gehabt; denn wenn ich mit meiner Kritik unrecht gehabt hätte, stünden wir heute besser da.
Abg. Dr. Bucerius: Ihr Wunsch ist
erfüllt; Sie haben unrecht behalten!)
- Ich hätte unrecht behalten? Ach, Herr Bucerius, dann kommen Sie mal nachher hierher und legen Sie uns dar, inwiefern ich unrecht behalten habe. Darauf bin ich gespannt!
Herr Professor Gülich, Sie sagten, die Haushaltsgebarung sei leichtfertig gewesen. Halten Sie wirklich Ansätze für leichtfertig, wenn die Einnahmen höher und die Ausgaben geringer sind, als man im vorhinein geschätzt hat? Kaufleute pflegen anders zu denken.
Es wäre nicht leichtfertig, wenn diese falsche Schätzung auf einem normalen Irrtum beruhte, wie er jedem Menschen zustoßen kann. Wenn aber ein Finanzminister die Einnahmen niedriger schätzt, als sie sein müssen, und höhere Ausgaben einsetzt, als geleistet werden können?! Und beides hat sich gezeigt, sonst hätten wir heute nicht beinahe 8,5 Milliarden Ausgabereste!
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- Auch ich würde es zunächst Vorsicht nennen, wenn es sich nicht als dauernd unrichtig erwiesen hätte. Aber, daß die Ausgaben nicht stimmen konnten, trat sehr bald zutage, und daß die Einnahmen nicht richtig waren, hat man immer spätestens nach einem Jahr deutlich bemerkt. Für den, der die Einnahmen monatlich kontrolliert hat, war es auch monatlich bemerkbar, Herr Bucerius. Sie haben sich da eben ein bißchen zu weit vorgewagt.
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Sie sollten es vielleicht nachher noch einmal erklären!
Es ist doch wirklich so, daß wir immer wieder auf den finanzpolitischen Fehler der hohen Ausgabereste und der Bindungsermächtigungen hingewiesen haben. Die Rechtfertigung der Bundesregierung, daß die bis zum Herbst 1956 erfolgte Stillegung von Umlaufsmitteln wesentlich konjunkturdämpfend gewirkt habe, ist doch eine nachträgliche Konstruktion. Diese Wirkung hat sie unbeabsichtigt gehabt, wenn sich die Richtigkeit dieser Argumente überhaupt beweisen läßt. Aber nach den Monatsberichten der Bank deutscher Länder dieser Jahre haben wir allein an kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Krediten einen Anstieg um 11 bis 12 Milliarden, ein Beweis, wie notwendig die Wirtschaft Mittel benötigte. Also selbst, wenn man unterstellt, daß die Bildung von Reserven in den öffentlichen Kassen aus etatpolitischen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten erwünscht gewesen wäre, etwa weil der Bundesfinanzminister zunächst mit dem baldigen Abruf der vollen Beträge aus dem Verteidigungshaushalt hätte rechnen können, hätte man doch das Steuer herumwerfen müssen, nachdem sich die Wirklichkeitsferne dieser Haushaltsplanung klar erwiesen hatte.
Das aber war doch für jeden allerspätestens im Jahre 1956 feststellbar. Man hätte z. B. für eine durchgreifende Finanz- und Steuerreform eine gewisse Manövriermasse in die Fondsbildungen der Privatwirtschaft legen müssen, man hätte den Sparwillen anregen müssen, man hätte alles tun müssen, um die Bildung eines Kapitalmarkts in der Bundesrepublik zu ermöglichen, und man hätte in diesen Jahren aus der Fülle heraus auch die Bundesbahn sanieren und die Bundespost modernisieren können. Der Bundesfinanzminister hat sich ja oft - und es ist wahr, das ist heute weitgehend seine Funktion - als Hüter der Währung bezeichnet. Aber er hat diese Funktion eines Hüters der Währung bei der Auflösung der Kassenreserven außer acht gelassen.
Ich habe schon darauf hingewiesen, wieviel Mehrausgaben bewilligt worden sind, denen nur einmalige Einnahmen aus den Kassenreserven gegenüberstanden. Auch die Übernahme von 3000 Millionen DM aus dem „Juliusturm" in den Haushalt 1958 bedeutet, daß die auf den Haushalt 1958 übertragenen Ausgabereste von 7,8 Milliarden DM haushaltsund kassenmäßig ungedeckt sind. Davon entfallen allein auf den Verteidigungshaushalt - Einzelplan 14 -, den wir heute morgen besprochen haben, 5,4 Milliarden DM, die also als Ausgabebewilligung aus früheren Jahren zur Verfügung stehen und früher ja auch einmal gedeckt waren.
Das Problem der Ausgabereste ist damit aber nicht gelöst. Es wird nötig sein, diese ungedeckten Verpflichtungen abzubauen. Das könnte dadurch geschehen, wie es der Haushaltsausschuß für die Ausgabereste im Verteidigungshaushalt vorschlägt, daß in den Haushalten der nächsten beiden Jahre diese Haushaltsreste allmählich beseitigt werden, was natürlich eine Wiederholung der Deckung für bereits bewilligte Mittel bedeutet. Ich bin sehr dankbar, daß der Kollege Lenz in seinem Bericht die Frage der Haushaltsreste und die Frage der Bindungsermächtigungen so klar herausgestellt hat. Man muß die Ausgabereste überprüfen, und man muß sie streichen, soweit sie ihren Sinn überhaupt verloren haben. Dazu wird es auch nötig sein, daß man im nächsten Haushalt die Haushaltsreste offen auswirft; denn wenn man nicht fortgesetzt nach den IstZahlen und nicht bei allen einmaligen und den allgemeinen Ausgaben, die durch das Haushaltsgesetz übertragbar gemacht worden sind, nach den Resten fragt, kann man aus dem Haushaltsplan ja nicht ersehen, was tatsächlich an Ausgabeermächtigungen
bereits vorliegt. Diese Klarheit sollten wir unter allen Umständen haben.
Ich habe vorhin noch vergessen, zu sagen, daß außer den klar aus dem „Juliusturm" genommenen Beträgen, die in den Haushalt eingesetzt worden sind, auch noch andere Beträge daraus genommen wurden. Es waren 1,9 Milliarden DM für den außerordentlichen Haushalt vorgesehen, von denen 1,5 Milliarden DM aus dem „Juliusturm" genommen worden sind. Das verschärft also die Situation. Wir haben auch jetzt bei dem fragwürdigen Deckungsmanöver eine Reihe von Ausgaben in den außerordentlichen Haushalt gestellt, die unter allen Umständen bedient werden müssen, z. B. die Ausgaben für das Saarland, die Ausgaben für Berlin und andere. Es ist also damit zu rechnen, daß ein Kassenbestand, der sich im Laufe dieses Jahres bilden mag, restlos zur Bedienung des außerordentlichen Haushalts verwendet werden muß. Wie hoch der Kassenbestand sein wird, läßt sich natürlich angesichts der Unsicherheit der Lage nicht sagen.
Neben dieser außerordentlich schwierigen Haushaltslage mit den hohen Ausgaberesten von beinahe 8 1/2 Milliarden DM, die Ausgabeermächtigungen darstellen, haben wir noch das Problem der Bindungsermächtigungen von 16 1/2 Milliarden DM, von denen allein 15,2 Milliarden DM Bindungsermächtigungen im Einzelplan 14, dem Verteidigungshaushalt, stehen und die eine ungeheure Vorbelastung künftiger Rechnungsjahre bedeuten, da der Bundesfinanzminister gezwungen ist, die erforderlichen Mittel fristgerecht bereitzustellen.
Wir sind uns also, Koalition wie Opposition, in der Beurteilung der schwierigen Finanzlage einig. Wir sollten den Weg gehen, den der Haushaltsausschuß vorgeschlagen hat; denn das Problem muß angefaßt werden.
Es würde uns natürlich sehr interessieren, zu hören, wie die Regierung Adenauer sich die weitere finanzpolitische Entwicklung über 1958 hinaus vorstellt, und dazu werden Sie, Herr Bundesfinanzminister Etzel, wohl das Wort ergreifen müssen. Ihr Herr Vorgänger hat im vergangenen Jahr gesagt, wenn Gottes Zorn ihm noch einmal das Amt übertrüge, dann wolle er eine Wallfahrt machen und Gott bitten, daß er ihm den nötigen Verstand und die Nerven gebe, das Problem zu meistern. So sehr ich davon überzeugt bin, daß ohne Gottes Segen nichts gelingt, glaube ich doch, daß Sie mehr tun müssen und daß Gott seinen Segen nur dem gibt, der die ihm geschenkten Kräfte richtig anwendet. Wir möchten also gerne hören, was Sie vorhaben.
Im Jahre 1959 werden die schweren Probleme jedermann sichtbar werden. Ich habe mir erlaubt, wiederholt auf diese Entwicklung hinzuweisen. Heute sind wir durch die Politik der Bundesregierung in eine finanzpolitisch außerordentlich schwierige Lage geraten. In dieser aber sitzen wir alle in einem Boot! Ich habe deshalb auch nur auf die Probleme hingewiesen und keine unfreundliche Kritik geübt. Was an uns liegt, so werden wir alles in unseren Kräften Liegende tun, um zur Behebung der Misere beizutragen; denn die Finanzmisere, in der wir stehen, ist groß.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein großer Teil der Probleme, die heute morgen in der Generaldebatte behandelt worden sind, waren bereits das Thema meiner Ausführungen aus Anlaß der ersten Lesung bei Einbringung des Bundeshaushalts. Ich möchte daher in erster Linie auf die Ausführungen hinweisen, die ich damals gemacht habe, da ich ja die Haushaltsrede hier nicht ein zweites Mal halten kann. Das wird von mir auch wohl nicht verlangt werden.
Herr Kollege Gülich, Sie haben gesagt, wir seien in einer Finanzmisere. Ich glaube, hier übertreiben Sie ein bißchen; Finanzmisere ist sicherlich ein hartes Wort. Aber ich habe damals schon gesagt: wir sind in einer schwierigen Situation, die wir meistern müssen. Das ist gar kein Wunder in einer so besonderen Aufbausituation, wie der, in der wir uns befinden, einer Situation, die - ich wiederhole es - schwierig ist. Aber trösten wir uns, sie ist nicht hoffnungslos, sie kann gemeistert werden, und das zu tun, ist der Wille der Bundesregierung und insbesondere natürlich auch der Wille des Bundesfinanzministers.
Ich möchte nun zu einigen besonderen Problemen, und zwar zunächst zu einigen generellen Fragen Stellung nehmen.
Herr Kollege Ritzel, Sie haben heute morgen gesagt, die Bundesregierung und der Bundesfinanzminister hätten sich der Kontrolle durch die Volksvertretung zu unterwerfen. Sie können überzeugt sein, daß wir in diesem Punkt völlig einig mit Ihnen sind. Ja, nicht nur der Kontrolle haben wir uns zu unterwerfen, sondern das Hohe Haus hat auch das Recht der jährlichen Haushaltsbewilligung. Wie sollte ein Finanzminister operieren können, wenn ihm die Mittel, die er braucht, nicht von diesem Hohen Haus bewilligt werden? Ich sage manchmal scherzend, die größte Abhängigkeit ist die Abhängigkeit am Nasenring der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Und wir sind ja wirtschaftlich von dem Hohen Hause abhängig; denn nur über das Hohe Haus kommen wir an die Steuerzahler heran. Diese Abhängigkeit kennen wir also, und ich darf etwas tröstend hinzusetzen: Wir sind auch gewillt, ihr in einem guten Verhältnis und in einer sachlichen Zusammenarbeit zu dienen und damit das zu tun, was uns das Grundgesetz befiehlt.
Sie haben dann, Herr Kollege Ritzel, gesagt, die Finanzen müßten in Ordnung bleiben. Darin sind wir sicherlich auch einig. Sie haben aber dann Bemerkung daran geknüpft: Es ist nur die Frage, was ist denn Ordnung? - Ich meine, Herr Kollege Ritzel, der Begriff der Ordnung sollte eindeutig sein. Wir können darüber streiten, wie das Gefüge der Einnahmen und Angaben aussieht. Wir können
Bundesfinanzminister Etzel
durchaus darüber sehr verschiedener Meinung sein, aber über eines können wir nicht streiten, nämlich über die Notwendigkeit, das im Grundgesetz vorgeschriebene Deckungsprinzip zu wahren, d. h., der ordentliche Haushalt muß gedeckt sein, und auch der außerordentliche Haushalt muß über die Anleihepolitik gedeckt sein.
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- Ich meine, es ist ein gesetzliches und nützliches Prinzip, und wir können es deswegen gar nicht aufgeben, Herr Kollege Gülich.
Hier möchte ich zu dem Problem einer gewissen Änderung der Finanzpolitik Stellung nehmen. Sie haben soeben darauf Bezug genommen, Herr Kollege Gülich, und haben gesagt, das Prinzip der vollen und übervollen Kassen sei nicht richtig gewesen. Das ist auch meine Meinung. Ich bin deswegen zu einer Politik eines Dahingehens am Rande des Defizits übergegangen. Herr Kollege Ritzel hat heute morgen gemeint, wir lebten nicht am Rande des Defizits, wir seien im Defizit. Darauf komme ich zurück. Aber jedenfalls ist eine Politik am Rande des Defizits meines Erachtens in unserer Situation eine Notwendigkeit. Ich bin sehr froh, daß mir heute morgen bescheinigt worden ist, die deutsche Öffentlichkeit habe auf diese Politik sehr positiv reagiert.
Wenn nun am Rande des Defizits gewandelt wird, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann kann es natürlich passieren, daß die Einnahmeergebnisse mit den Schätzungen nicht hundertprozentig übereinstimmen. Man muß mir zubilligen, daß es hier eine Schätzungstoleranz geben muß, eine Toleranz, die unvermeidlich ist. Vom Bundesfinanzminister kann nur verlangt werden, daß er sie nach bestem Wissen und Gewissen wahrt. Hier bin ich allerdings der Auffassung, daß in unserer gegebenen Lage diese Schätzungstoleranz so ist, daß selbst dann, wenn die Schätzungen zu hoch sind und wir also zu einem bestimmten Defizit kämen, es so übersehbar ist, daß wir es in der Hand behalten und im nächsten Haushaltsjahr dekken können. Ich sehe in der gegenwärtigen Situation des Haushalts 1958 absolut keine Gefahren, sondern ich glaube, hier wird eine Schätzung im Rahmen des besten Wissens und Gewissens von mir gewahrt. Ich möchte dem Hohen Hause die Versicherung geben, daß das meine tiefste Überzeugung ist.
Herr Kollege Ritzel hat dann in einem anderen Zusammenhang gesagt, es sei notwendig, den Haushaltsausschuß und auch das Hohe Haus im nächsten Jahr nicht wieder so zu strapazieren wie in diesem Jahr. Ich habe das bereits in meiner Haushaltsrede zugesagt. Ich habe damals für die Verspätung bei der Einbringung des Haushalts ausdrücklich um Entschuldigung gebeten. Ich will das gern wiederholen. Ich habe auch im Haushaltsausschuß ganz bestimmte Termine gegeben, wie ich in Zukunft die Einreichung handhaben will.
Nun haben Sie mir vorgehalten, Herr Kollege Ritzel: Ja, du hast gesagt, du willst mit dem neuen
Haushalt im Dezember kommen, und wenn du im Dezember kommst, kommst du wieder zu spät. Sie haben das, glaube ich, sogar als eine unordentliche Haushaltseinrichtung bezeichnet. - Herr Kollege Ritzel, ich bin der Meinung, daß es für einen Finanzminister das Ordentlichste ist, was es geben kann, wenn er dem Gesetz folgt. Die Reichshaushaltsordnung, die hier für uns maßgeblich ist, sieht die Einreichung bis zum 5. Januar vor. Wenn ich also Anfang Dezember - am 10. oder 11. Dezember - den neuen Haushalt einreichen will, dann bin ich sehr in der Ordnung, und das sollten auch Sie von der Opposition bestätigen.
Herr Kollege Ritzel, Sie haben den Vorschlag gemacht - heute nicht zum ersten Male -, zu einem Zweijahreshaushalt zu kommen. Ich glaube, dieser Vorschlag ist recht interessant. Ihr Wunsch, darüber eine Vorlage zu machen, die das Für und Wider behandelt, scheint mir akzeptabel zu sein.
Ich glaube, daß wir diese Anregung mit Ihrem zweiten Wunsch, nämlich das Kalenderjahr und das Haushaltsjahr in eine Kongruenz zu bringen, kombinieren könnten. Wir könnten also für das nächste Jahr einen Haushaltsplan 1959 für nur 9 Monate vorlegen und hätten damit praktisch den Absprung für einen Zweijahreshaushalt. Ich glaube, das wäre ein Weg, auf diese interessante und wichtige Anregung einzugehen.
Dann komme ich auf Ihre Behauptung zurück, Herr Kollege Ritzel, der ordentliche Haushalt 1958 sei kein Haushalt ,am Rande des Defizits mehr, er sei schon im Defizit. Ich muß zu meinem Bedauern sagen, daß ich in diesem Punkt mit Ihnen absolut uneinig bin. Im Gegenteil, dieser Haushalt ist formell und materiell ausgeglichen. Ich glaube, Sie werden mir zumindest im ersten Punkt recht geben, daß er in der Form ausgeglichen ist. Wenn ich Sie recht verstanden habe, richtet sich Ihre Kritik gegen die 'Behauptung vom materiellen Ausgleich.
Zum Formellen nur ein paar Worte! Wir haben den Haushalt natürlich formell gedeckt eingereicht. Am Ende der Haushaltsberatungen ergab sich die heute morgen mehrfach erwähnte Deckungslücke von 947,7 Millionen DM. Sie wird dadurch ausgeglichen, daß 265,5 Millionen DM in den außerordentlichen Haushalt verwiesen werden. Ich werde gleich noch ein paar Worte darüber sagen, ob das geht oder nicht. Weiter kommt die Sperrklausel von 6% der Ausgaben, die nicht auf rechtlichen Verpflichtungen beruhen, zum Zug.
Hier ist heute morgen - ich glaube, es war in den Ausführungen des Kollegen Dr. Schild - ein Irrtum aufgetreten, den ich gern richtigstellen möchte. Wie werden die 6 % errechnet? Wie ist die Bezugsgröße der Errechnung? Zunächst sind alle sächlichen Verwaltungsausgaben mit 0,6 Milliarden DM angesetzt worden. Dann sind 10 % der allgemeinen Bewilligungen, die zwischen 22,5 und 23 Milliarden DM liegen, genommen worden, also nicht, wie Sie meinten, die 20 Milliarden, sondern davon 10 %, also 2,2 Milliarden. Wenn wir alle einmaligen Ausgaben mit 8,7 Milliarden einsetzen, ist die Bezugsgröße 11,5 Milliarden DM; 6 % von
Bundesfinanzminister Etzel
dieser Summe sind 680 Millionen DM. Diese Beträge und die genannnten 265 Millionen schließen dann die Deckungslücke von 947,7 Millionen in runder Summe.
Es ist heute morgen gefragt worden, ob nicht offenbar doch noch in diesem Haushalt Reserven enthalten seien, die eine solche Sperrklausel illusorisch machen. - So, meine Damen und Herren, ist das nicht zu sehen. Bei uns im Bundeshaushalt ist es wie im Haushalt eines guten Familienvaters. Wenn der gute Familienvater einen Mantel für seinen Jungen eingeplant hat und entdeckt, daß er nicht ganz soviel Geld hat, um einen Mantel für 250 DM zu kaufen, dann wird er einen für 200 DM kaufen. So müssen auch wir es handhaben, d. h. wir müssen die Ausgaben so gestalten, daß die 6 % dabei eingespart werden.
Nun komme ich aber zu der Frage der materiellen Deckung. Die haben Sie, Herr Kollege Ritzel, ja wohl gemeint. Zunächst sind Sie - und Herr Professor Gülich hat das aufgenommen - auf das Problem der Einnahmeschätzung eingegangen. Auch Herr Kollege Vogel hat heute morgen zweimal auf eine Unterdeckung von 1 Milliarde DM hingewiesen, wenn ich es recht verstanden habe.
Ich möchte darauf folgendes erklären. Es ist richtig, daß wir im April und Mai des Jahres 1958, also in den ersten beiden Monaten dieses Jahres, Steuermindereinnahmen von 1,1 Milliarden DM gehabt haben. Aber im Juni, in dem Monat mit den großen Steuerzahlungen, haben wir gegenüber den Schätzungen ein Plus von ungefähr 0,6 Milliarden DM, so daß das Minus, auf das ganze Vierteljahr verteilt, nicht eine Milliarde DM, sondern nur eine halbe Milliarde DM beträgt.
Aber hier müssen wir eine Korrektur vornehmen. Wenn ich nämlich im Soll rund 940 Millionen DM weniger habe - das ist ja die neue Deckungslücke -, so muß ich diese Summe auf die 12 Monate verteilen. Die Division von 940 Millionen durch 12 ergibt rund 80 Millionen pro Monat. Ich kann also für ein Vierteljahr noch einmal 240 Millionen DM von der Deckungslücke, die ja nun durch die andere Haushaltsgestaltung gedeckt ist, absetzen. Dann habe ich für das Vierteljahr ein Minus von 260 Millionen DM. Wenn sich das so weiterentwickelt, kann ich theoretisch im Haushaltsjahr ein Minus an Einnahmen von viermal 260 Millionen DM haben.
Aber, meine Damen und Herren, wer sagt denn, daß das so weitergeht? Wir sind in diesem Frühjahr relativ spät in die Baukonjunktur eingetreten. Die Konjunktur hat sich jetzt sehr gut angelassen, und wir stehen auch noch vor der Grenze, wie groß die Eingänge für die Nachveranlagungen an Einkommensteuer für das ganze Jahr 1956 und für die erste Zeit des Jahres 1957 sein werden. Wir glauben, daß in diesen Jahren noch eine gewisse Reserve steckt. Es gibt manche Freunde in diesem Hause, die mich immer wieder auf sie hinweisen.
Wenn das so ist, kann man im Rahmen der eben erwähnten Schätzungstoleranz, die man mir zubilligen muß, heute vor diesem Hause noch sehr wohl die Einnahmeschätzungen so, wie vorgelegt,
vertreten, und das tue ich aus den Zusammenhängen heraus, die ich ebenfalls bereits dargelegt habe.
Das zweite Problem, von dem Herr Kollege Ritzel gesprochen hat - ich will hier nicht alle Einzelheiten diskutieren, sondern nur die großen Blöcke herausholen , war das Problem der Rüstungskosten. Ich glaube, es ist heute nicht sehr nützlich, in diesem Zusammenhang die Rüstungsfinanzierungsdebatte, die wir vor einigen Wochen in diesem Hause gehabt haben, zu wiederholen. Wir haben für die Rüstung einen Betrag von 10 Milliarden: DM angesetzt. Das ist ein relativ hoher Betrag.
Ob er als Ist-Ausgabe erreicht wird, ist im Augenblick noch nicht vollständig zu übersehen. Wenn er als Ist-Ausgabe nicht entsteht, wird auf jeden Fall ein Teil des Überhangs herangezogen werden können, um die Reste insoweit zu decken. Das Resteproblem gerade im Rüstungshaushalt ist ja ein sehr ernstes Problem, auf das ich noch einmal zu sprechen komme.
Herr Kollege Ritzel hat weiter noch einmal über das Verhältnis der Sozialausgaben zu den Verteidigungsausgaben gesprochen. Ich habe auch dazu bereits früher Stellung genommen. Ich verweise auf diese frühere Stellungnahme. Ich bin auch heute noch der Meinung, daß für die Verteidigung 30 % und für die Sozialausgaben rund 40 % ausgegeben werden.
Ich kann Ihnen, Herr Kollege, nicht zustimmen, daß die Wohnungsbauausgaben deswegen nicht als Sozialaufwendungen angesehen werden dürften, weil sie ja eines Tages zurückgezahlt werden müßten. Wenn diese in den ordentlichen Haushalt eingesetzten Aufwendungen für den Wohnungsbau, zum Teil zinslos, maximal mit 1 % verzinslich, keine Sozialaufwendungen sind, dann möchte ich wissen, was denn Sozialaufwand ist.
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Dasselbe möchte ich zu den 131 ern sagen. Diese Verpflichtung ist eine soziale Kriegsfolgepflicht. Deshalb gehören auch die Aufwendungen für die 131er unter diesen Punkt der Sozialaufwendungen. Aber selbst wenn ich Ihrer Deduktion folgte, wären die Sozialaufwendungen immer noch mehr als ein Drittel des Gesamthaushalts, lägen also über dem Verteidigungsaufwand.
Die Frage des Anteils des Rüstungsaufwands am Volkseinkommen ist ein Thema, das heute morgen ebenfalls wieder behandelt worden ist. Man macht uns in der Tat in der Welt manchmal Vorhaltungen, daß wir mit unseren 5 % weniger als die anderen freien Völker täten, daß wir statt dessen unsere Wirtschaft aufbauten und uns, wie man so gerne sagt, gesund stießen, aber nicht genug Rüstungsaufwand machten.
Ich stimme hier mit den Herren der Opposition überein, daß man als Verteidigungsaufwand nicht allein den Anteil bezeichnen darf, der unmittelbar für Rüstung ausgegeben werden wird. Ich bin der Meinung, nicht nur der Aufwand für Berlin, der
Bundesfinanzminister Etzel
dazukommt, sondern auch der große Lastenausgleichsblock und viele andere Ausgaben, die wir haben, dienen praktisch der Verteidigung der freien Welt; denn wenn wir diese Ausgaben nicht machten, dann wäre die Gefahr, daß wir durch bolschewistische Gedankengänge unterlaufen würden am Rande des Eisernen Vorhangs so groß, daß von dort her dann eine militärische Verteidigung gar nicht mehr in Frage käme. Hier gehen wir - ich muß leider sagen: ausnahmsweise - einig.
Das Problem der Reste und der Bindungsermächtigungen ist ein sehr ernstes Problem. Man hätte aber heute morgen hier eigentlich nicht so tun dürfen, als wäre die Kritik bei diesen beiden Punkten eine Erfindung der betreffenden Herren. Ich darf darauf hinweisen, daß ich in meiner Haushaltsrede zu diesen Problemen lange Kapitel mit demselben Ernst vorgetragen habe, mit dem Herr Ritzel und Herr Professor Gülich, aber auch Herr Kollege Lenz mir das heute morgen entgegengehalten haben: Ich wiederhole: das Problem der Reste und das der Bindungsermächtigung sind beide ernste Probleme. Ich habe damals gesagt: sie müssen gelöst werden. Neben den normalen Bewilligungen darf kein so großer Block Reste und kein so großer Block Bindungsermächtigungen stehenbleiben. Das sind zwei große Probleme, die wir für den Haushalt 1959 und ganz sicher für den Haushalt des Jahres 1960 zu lösen haben werden.
Die Reste betragen - das ist heute morgen wiederholt gesagt worden - 8,3 Milliarden DM. Davon entfallen allein auf den Verteidigungshaushalt 5,4 Milliarden DM. Wenn ich die 8,3 Milliarden um diese 5,4 Milliarden vermindere, bleiben 2,9 Milliarden DM. Ich habe in der Haushaltsrede gesagt: rund 5 % Reste sind normal -; das wären 2 Milliarden DM. Man kann also sagen: das Resteproblem entsteht entscheidend im Haushalt des Kollegen Strauß. Darauf habe ich damals schon hingewiesen.
Aber ich muß dem Hohen Hause noch einmal vortragen, was ich damals gesagt habe: Herr Kollege Schäffer hatte diese Reste einmal gedeckt, und das Hohe Haus hat Herrn Kollegen Schäffer diese Deckung weggenommen. Das ist doch nicht zu bestreiten. - Bitte sehr!
Herr Bundesfinanzminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß Herr Minister Schäffer im Jahre 1956 1738 Millionen DM in den Regierungsentwurf eingesetzt hat, 1957 4020 Millionen DM und 1958 3000 Millionen DM, daß das also keine Erfindung .des Hauses, sondern die Deckungsvorlage der Regierung gewesen ist?
Ich glaube, Sie haben mich mißverstanden. Ich habe gesagt: die im vergangenen Jahr noch vorhandene Deckung der Reste ist Herrn Schäffer durch das Hohe Haus weggenommen worden. Wenn das nicht geschehen wäre, wären ja die Reste gedeckt gewesen.
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Nun allerdings taucht für uns eine Konsequenz auf, ein Problem, das ich, Herr Kollege Gülich, bei diesem ersten Haushalt, den ich vorzulegen habe, aus manchen Gründen - das habe ich auch in der Haushaltsrede offen gesagt - nicht sogleich lösen konnte, das ich aber lösen muß. Ich muß nämlich entweder für eine Nachdeckung sorgen, oder ich muß, wie Herr Kollege Ritzel heute morgen gesagt hat, für eine „Tötung" sorgen. Das eine oder andere muß geschehen. Hier sind wir durchaus gewillt, gemeinsam einen Weg zu suchen. Schon jetzt ist man dabei, die normalen Reste, also die Reste, die nicht im Bundesverteidigungshaushalt stecken, zu senken. Ich habe eben gesagt: es waren 2,9 Milliarden DM. Sie sind in jüngster Zeit schon auf 2,2 Milliarden DM zurückgeführt worden. Dann kämen wir ja langsam an die 5 %, die wir immer haben werden und die uns nicht zu beunruhigen brauchen.
Das Problem der Bindungsermächtigungen ist ernst: 15 Milliarden Bindungsermächtigung für die Verteidigung, rund 1,2 Milliarden - ich nenne die Ziffern aus dem Kopf; sie können einiger Korrektur bedürfen - für Iden Wohnungsbau und 0,260. Milliarden im Straßenbau. Ich muß zugeben, daß dieser Block der Bindungsermächtigungen in Zukunft reduziert werden muß. Ihn ganz abzubauen,. ist natürlich nicht möglich. Das ist auch, soweit ich heute morgen recht verstanden habe, von den Herren, die hier Kritik geübt haben, gar nicht verlangt worden. Es gibt zusammenhängende Aufgaben, ,die man nur mit Bindungsermächtigungen durchführen kann. Aber auch Ida stimme ich völlig mit Ihnen überein: das muß verkleinert werden. Ich habe dazu schon in meiner Haushaltsrede gesagt: der Bundesfinanzminister und auch Sie, meine Damen und Herren, werden diese Bindungsermächtigungen immer mit besonderer Aufmerksamkeit sehen müssen, bedeuten sie doch eine Ermächtigung in begrenztem Umfang, zunächst auch ungedeckte Ausgaben zu begründen und damit einen Vorgriff auf künftige Jahre zu machen. Das ist also damals von mir selbst kritisch herausgestellt worden.
Damit komme ich zu einem neuen Thema, zu einer Frage, die Herr Kollege Ritzel zum zweitenmal an mich gestellt hat. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich sie das vorige Mal nicht beantwortet habe. Ich hatte sie übersehen. Ich habe keinen Grund, sie nicht zu beantworten. Die Frage ging dahin, ob die Straßenbauausgaben, soweit sie im außerordentlichen Haushalt stehen, bedient werden sollen und ob zum zweiten die Sperrklausel von 6 % hier ebenfalls in Ansatz gebracht werden soll. Ich möchte die Frage wie folgt beantworten: Was den außerordentlichen Haushalt anlangt, bin ich entschlossen, sie zu bedienen. Ich kenne das Problem des Verkehrs, des Straßenbaues. Ich habe, glaube ich, seinerzeit in meiner Haushalts- und finanzpolitischen Rede gesagt, hier muß etwas Zusätzliches getan werden. Was die Sperrklausel anlangt, bin ich der Meinung, daß auch hier die Straßenbauausgaben einen Vorrang vor anderen Ausgaben, die nicht auf Gesetz beruhen, verdienen, und ich denke daran, daß bei der praktischen Hand2148
Bundesfinanzminister Etzel
habung des Haushaltsgesetzes dieser Auffassung Rechnung getragen wird. Ich glaube, daß ich damit Ihre Frage beantwortet habe.
Noch eine Gesamtbemerkung zu Resten und Bindungsermächtigungen. Es wurde die Frage gestellt, ob die Reste der parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Selbstverständlich unterliegen sie auch weiter der parlamentarischen Kontrolle, ebenso wie die laufenden Ausgaben, nicht hinsichtlich der Bewilligungen, aber hinsichtlich der Verwendung und der Aufbringung der Mittel.
Dann lassen Sie mich ein paar Worte zu dem Problem des Finanzausgleichs zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sagen.
Was den Ausgleich zwischen Bund und Ländern anlangt, sind wesentliche Wünsche der Länder mit dem Einbau des Notopfers Berlin in die Körperschaftsteuer befriedigt worden. Das bringt den Ländern etwa 330 bis 340 Millionen DM - „ein sehr schöner Schluck aus der Pulle", ein Betrag, mit dem die Länder eine ganze Menge machen können. Wir sind außerdem dabei, einen neuen horizontalen Finanzausgleich vorzubereiten und dazu einen Gesetzentwurf - wozu der Bundesfinanzminister ja verpflichtet ist - in diesem Hohen Hause einzubringen. Wir erstreben damit eine wesentliche ,Stärkung der finanzschwachen Länder. Ich glaube, daß angesichts der besonderen Einnahmeentwicklung in Bund und Ländern mit diesen beiden Schritten - Notopfer Berlin und horizontaler Finanzausgleich"- und der Zukunftsentwicklung 1959 das Problem der Länderfinanzen eine weitgehende Entlastung erfahren wird.
Das Problem der Gemeinden liegt meines Erachtens etwas anders. Es soll nicht verkannt werden, daß hier erhebliche Schwierigkeiten bestehen, und sie werden irgendwie erledigt werden müssen. Auch hier ist allerdings ein summarisches Urteil über die Lage der Finanzen der Gemeinden nicht möglich. Wir sind in einer Situation, in der sich die Gemeinden zu 70 % aus dem Gewerbesteueraufkommen finanzieren. Natürlich gibt es Gemeinden, die, weil dort ein hohes Gewerbesteueraufkommen anfällt, völlig gesund sind, ja wahrscheinlich zuviel Geld haben, und daneben liegen Gemeinden, die zuwenig Geld haben und einfach verhungern. Hier muß ein Ausgleich geschaffen werden. Ich habe vor einiger Zeit in einer Rede vor dem Landgemeindeverband zu diesem Problem bereits Stellung genommen. Inzwischen liegt ein Vorschlag der Spitzenverbände vor, der ernstlich geprüft werden muß. Ich will heute zu den Einzelheiten nicht Stellung nehmen, das wäre durchaus verfrüht. Das Problem der Deckungsmittel - sei es Bürgersteuer, sei es Umbau der Grundsteuer, in Zusammenhang mit einer Gewerbesteuerreform - ist ein ernstes Problem; wir werden es nach den Ferien sofort in Angriff nehmen.
Das nächste Thema, zu dem ich kurz Stellung nehmen möchte, ist das Problem des außerordentlichen Haushalts. Man hat mir vorgeworfen - ich glaube, es waren Herr Kollege Ritzel und Herr Kollege Lenz -, daß ich mit dem außerordentlichen Haushalt eine zu leichtfertige Ausweitung der Bundesschuld betriebe. Einer der Herren hat gesagt, die Bundesschuld sei dabei, in den grauen Himmel zu wachsen. Ich kann dazu nur sagen, daß die Länder und die Gemeinden mir genau den umgekehrten Vorwurf machen. Die Länder sagen: der Bund hat überhaupt keine neuen Schulden aufgenommen - die Gemeinden haben, wenn ich richtig informiert bin, allein 8 Milliarden DM Schulden -, hier treibe der Bund eine ganz falsche Politik, der Bund müsse in eine vernünftige Anleihepolitik bei vermögenswirksamen Ausgaben hineingehen, wobei die Bedienung allerdings nicht nachträglich doch aus dem außerordentlichen Haushalt erfolgen dürfe, sondern man müsse da zu einer Trennung kommen, - und das ist ja auch mein Wille.
Ich glaube, meine Damen und Herren, der Weg, den außerordentlichen Haushalt aus dem Kapitalmarkt zu bedienen, wie es mein Wille ist, ist nicht bequem; auch das verlangt gebührende Rücksicht. Der Kapitalmarkt ist nicht ausschließlich dazu da, der öffentlichen Hand - sprich: dem Bund, den Ländern und den Gemeinden - zu dienen. Wenn wir das Sozialprodukt in der Vollbeschäftigung weiter entwickeln wollen, bedürfen wir neben der Hand der Maschine. Die Maschinen werden wir haben, wenn es gelingt, einen entsprechenden Kapitalmarkt für Investitionszwecke aufzubauen. Ich halte das für eine sehr entscheidende Frage unserer gesamten Wirtschafts- und Finanzpolitik. Es darf also unter keinen Umständen der Kapitalmarkt hier durch den Bund entscheidend gestört werden.
Ganz sicher ist aber, daß über den außerordentlichen Haushalt eine Kreditschöpfung über die Notenbank schon aus gesetzlichen Gründen nicht möglich ist, aus unserem Willen heraus aber auch nicht verlangt wird und nicht durchgesetzt wird.
Damit, meine Damen und Herren, bin ich am Ende der Ausführungen, die ich zu dieser Generaldebatte machen wollte.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß die Haushaltspolitik - ich nehme damit ein Stichwort auf, das Sie gegeben haben, Herr Kollege Gülich - in einem engen Zusammenhang mit der Währungspolitik steht. Die Haushaltspolitik darf nicht dazu führen, daß die Währung in Gefahr gerät, darf nicht dazu führen, daß wir einen Preisauftrieb bekommen. Ich behaupte, daß bisher die Haushaltspolitik - weder bei meinem Kollegen Schäffer noch bei mir - irgendeinen Anstoß zu einer Preiserhöhung gegeben hat. Auch die sogenannte Enthortung aus dem RestJuliusturm ist völlig dadurch kompensiert worden, daß viel größere Zahlungen gleichzeitig an das Ausland geleistet werden mußten, praktisch also eine zusätzliche Geldschöpfung auf dem deutschen Markt durch die Enthortung nicht erfolgt ist.
({1})
Das ist, glaube ich, ein sehr entscheidendes Argument. Wir werden aber auch darauf achten, daß von hier aus nicht irgendwelche Entwertungsströme ausgehen. Ich will jetzt nicht in eine große volkswirtschaftliche Debatte über das Verhältnis der Haushaltspolitik und Lohnpolitik und Preispolitik zur Währungspolitik hineingehen; darüber wäre vieles
Bundesfinanzminister Etzel
zu sagen, aber ich glaube, hier ist nicht der Platz, das zu tun.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß ich damit in großen Zügen in Ergänzung dessen, was ich früher schon sagte, Stellung genommen habe zu dem, was in der Generaldebatte hier heute morgen vorgebracht worden ist.
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Meine Damen und Herren! Ziffer 1 der Disposition, die wir uns vorgenommen haben, ist damit erledigt. Wir kommen zu Ziffer 2. Ich bitte, das Rundschreiben des Herrn Präsidenten vom 30. Juni zur Hand zu nehmen, und zwar Ziffer 2 a: Allgemeine Politik der Bundesregierung. Drei Wortmeldungen liegen vor. Ich darf diejenigen Redner, die hierzu und zu den folgenden Abschnitten sprechen wollen, bitten, immer gleich anzugeben, ob sie zu 2 a, b, c, d usw. sprechen wollen, damit die entsprechenden Dispositionen vorgenommen werden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute früh von dem Sprecher der CSU hier einen sehr richtigen Hinweis bekommen. Die Entscheidung über den Haushaltsplan ist ja gleichzeitig ein Bekenntnis zu einer ganz bestimmten Politik und infolgedessen die Ablehnung des Haushaltsplanes auch die Ablehnung einer ganz bestimmten Politik. Es gibt hier Zusammenhänge.
Infolgedessen ist es wohl richtig, wenn wir uns in diesem Zeitpunkt der Tatsache erinnern, daß es schließlich der Herr Bundeskanzler ist, der die Richtlinien der Politik bestimmt, der verantwortlich ist für die Gesamthaltung der Regierung, auch soweit sich diese Haltung der Regierung in Handlungen anderer Ressorts niederschlägt.
Außerdem ist schließlich der Herr Bundeskanzler auch noch Vorsitzender der größten Regierungspartei, der Christlich-Demokratischen Union. Zur Beurteilung der Gesamtpolitik des Kanzlers - das ist Gegenstand auch der Beratungen heute, wo es um das Vertrauen zu ihm geht oder nicht - muß man also wohl auch die Haltung der Partei mit heranziehen, deren Vorsitzender der Herr Bundeskanzler ist.
Und da erfüllt mich ein Vorgang mit Sorge.
({0})
- Jawohl; nehmen Sie das bitte sehr ernst: mit tiefer Sorge! Es ist durchaus erlaubt, daß die Opposition Sorge hat. Ich würde mich freuen, wenn Sie in manchen Fällen die gleichen Sorgen hätten.
({1})
Da erfüllt mich ein Vorgang mit Sorge, der seine Auswirkungen bis in die Debatten dieses Hauses hinein hat: daß nämlich in wachsendem Ausmaße die Diskussionen so geführt werden, als sei die stärkste Regierungspartei identisch mit dem Staate,
({2}) als sei eine Kritik am Kanzler und eine Kritik am Parteivorsitzenden der CDU ein Anschlag auf die Autorität des Staates. Meine Damen und Herren, der Staat, das ist nicht die CDU und das ist nicht die SPD, sondern das sind wir alle zusammen.
({3})
Gerade weil das so ist, sollte man - um nur ein Beispiel herauszugreifen, denn es illustriert die Lage - mit peinlicher Sorgfalt darüber wachen, daß das Geld des Staates, das nach Ihrem eben gegebenen einmütigen Beifall uns allen gehört, nicht für eine bestimmte Partei benutzt wird, die nur ein Stück dieses Staates ist, aber nicht der ganze Staat.
({4})
Da sollte man dafür sorgen, daß eine saubere Grenze gezogen wird zwischen der durchaus zulässigen objektiven Information der Bevölkerung aus Steuermitteln und einer einseitigen Parteipropaganda für eine ganz bestimmte Partei, die sich gerade im Besitz der Regierungsgewalt befindet.
Sie haben es sehr leicht, diesen Vorwurf, der bleibt, solange das Parlament keinen Einblick in die entsprechenden Fonds hat, zu entkräften. Sie brauchen nur den Antrag Umdruck 133 anzunehmen, in dem gerade jene Sorge, von der ich sprach, anklingt, daß man verhindern muß, daß die Mittel, die von der Gesamtheit der Steuerzahler für die Zwecke des Staates im ganzen bewilligt und zur Verfügung gestellt werden, eventuell für einseitige parteipolitische Zwecke mißbraucht werden. Das einfachste Verfahren ist: Geben Sie auf anständige Weise auch den anderen demokratischen Kräften dieses Staates einen Einblick in die Verwendung dieser Mittel! Dann wäre diese Sorge behoben. Solange Sie das nicht tun, solange bleibt der Vorwurf an Ihnen hängen, daß aus diesen Mitteln Parteipropaganda betrieben wird.
({5})
Wir hatten bisher - aber das wird künftig erfreulicherweise wohl etwas anders werden müssen - auch noch eine andere Form, Mittel der Steuerzahler zu benutzen, um eine bestimmte Partei besonders stark zu begünstigen, nämlich die Form von steuerlichen Erleichterungen bei Parteispenden, indem man sie vom steuerpflichtigen Einkommen absetzen konnte. Ich darf Sie an die Debatten des Jahres 1954 in diesem Hause erinnern. Niemand von uns wird bestreiten, daß politische Arbeit erheblichen Geldaufwand verursacht, und niemand wird infolgedessen bestreiten, daß die politischen Parteien für die Erfüllung der Aufgaben, für die sie nach Art. 21 des Grundgesetzes ja auch ausdrücklich bestehen, der finanziellen Hilfe bedürfen. Es wird also niemand einer politischen Partei verübeln, daß sie für ihre Arbeit Spenden entgegennimmt.
Aber, meine Damen und Herren, wir sollten uns hier von zwei Grundsätzen leiten lassen; einmal von Art. 21 des Grundgesetzes, der verlangt, daß die Parteien über die Herkunft und die Verwendung ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft legen.
2150 Deutscher Bundestag' - 3. Wahlperiode Erler
Wenn die Parteien schon Gelder bekommen, dann sollen sie sagen, woher sie stammen, damit der Staatsbürger weiß, mit wem er eigentlich in einem Boote sitzt.
({6})
Zum zweiten: Wenn jemand aus Überzeugung oder auch, um seinen Interessen zu dienen - das ist keine Schande -, einer bestimmten Partei politische Zuwendungen macht, dann soll er das gefälligst aus seinem eigenen Geldbeutel tun und nicht zu Lasten der anderen Steuerzahler. Und ich bin sehr froh, daß Ihr Verstoß gegen diese selbstverständlichen Grundsätze, den Sie hier im Bundestag beschlossen hatten, nunmehr vom höchsten Gericht der Bundesrepublik Deutschland wiedergutgemacht worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat uns recht gegeben und diese Finanzierungsmethoden schlicht für verfassungswidrig erklärt.
({7})
Dieses Urteil, das Gesetzeskraft hat, ist trotz eines recht unerfreulichen, in letzter Stunde noch auf das Gericht ausgeübten Drucks nicht nur einer Partei, sondern sogar des Herrn Bundeskanzlers zustande gekommen,
({8})
der sich eigentlich etwas mehr Respekt im Umgang
mit dem Bundesverfassungsgericht aneignen sollte.
({9})
Ich sage das deshalb, weil wir vor gar nicht langer Zeit hier den Herrn Bundesinnenminister erlebt haben, der in einem anderen Zusammenhang von der Gefahr der Demontage der Verfassung sprach.
Wie wäre es denn, wenn man nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einmal versuchte, eine Gewissenserforschung darüber anzustellen, wieweit die CDU-Mehrheit dieses Hauses in Wahrheit durch eine verfassungswidrige Art der Parteifinanzierung überhaupt zustande gekommen ist?
({10})
Diese Art der Finanzierung bringt gefährliche Abhängigkeiten mit sich, und im Interesse des sauberen Funktionierens der parlamentarischen Demokratie sollte man auch hier den Schein vermeiden, daß man sich durch allzu großzügige Spenden den Spendern gegenüber vielleicht doch nicht mehr so ganz unabhängig fühlt, ob sich das nun bei bestimmten Maßnahmen der Steuerpolitik oder - um hier einen aktuelleren Fall zu erwähnen - bei der Veräußerung des Bundesvermögens abspielt. Denn so, wie die Dinge da geplant sind, daß die Erwerber der Howaldtwerke den Kaufpreis auch noch auf Raten zahlen können, so daß sie ihn wahrscheinlich aus dem Gewinn der Werke in den kommenden Jahren bezahlen können, würde ich mich auch gern zu 'den Bewerbern rechnen, die sich auf diese Weise ein Stück Bundesvermögen unter den Nagel reißen können.
({11})
Das sollten wir also unter allen Umständen vermeiden, zumal wir auch inzwischen in dieser Debatte geklärt haben, daß gar kein Bedürfnis nach einer Privatisierung dieses Werkes besteht, sondern das genaue Gegenteil; denn wir haben, ich glaube, 90 Millionen DM in den Haushaltsplan eingestellt, um neue Marinearsenale zu schaffen.
({12})
160 Millionen sogar, wie ich eben höre. Dann wäre es doch gescheiter, zunächst die vorhandenen bundeseigenen Einrichtungen für diese Zwecke zu benutzen.
Meine Damen und Herren, ich habe eben den Herrn Bundesinnenminister zitiert, nicht weil ich mich jetzt mit seinem Haushaltsplan befasse, sondern weil seine Haltung doch auch Ausdruck eines gewissen innenpolitischen Klimas ist, das seine Entstehung nicht zuletzt der Wirksamkeit unseres Herrn Bundeskanzlers verdankt. Der Bundesinnenminister hat sich neulich hier sehr hart über die von den Sozialdemokraten gewünschte Volksbefragung geäußert. Aber, meine Damen und Herren, vielleicht entsinnen wir uns, mit welch harten Worten 'gerade der Bundesarbeitsminister hier einen Druck rügte, der angeblich auf Demonstranten in Dortmund zur Teilnahme an einer Kundgebung gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr ausgeübt worden sein sollte. Ich möchte dem Herrn Bundesarbeitsministerganz ehrlich sagen: Wir Sozialdemokraten zwingen niemand, an Kundgebungen teilzunehmen,
({13})
- wirklich nicht! - weil wir nämlich genau wissen, daß es mit den befohlenen Aufmärschen, wie sie seinerzeit im „Dritten Reich" exerziert wurden und heute von den Kommunisten exerziert werden, anfängt und dann mit den unbezahlten Sonderschichten für Staatszwecke aufhört. Das wissen wir sehr genau.
({14})
Aber wir wehren uns gegen die Beleidigung, die darin liegt, daß man den Teilnehmern an einer Kundgebung unterstellt, sie seien nur aus Feigheit hingegangen.
({15})
Wo sitzt der Gewissensdruck in Wirklichkeit? Derselbe Arbeitsminister hat aus seinem Hause einen Erlaß hinausgehen lassen, in dem unter Mißbrauch der Stellung als Arbeitgeber die Meinungsfreiheit der Bediensteten in der Sozialverwaltung angestastet und ihnen ausdrücklich abgeraten wird, sich an den Aktionen zur Bekämpfung der atomaren Aufrüstung der Bundeswehr zu beteiligen, die nichts anderes sind als eine freie Willensäußerung freier Männer und Frauen in einem freien Staat.
({16})
Was in diesem Zusammenhang verfassungswidrig
ist, bestimmt nicht der Herr Arbeitsminister; das
bestimmt auch nicht der Herr Bundeskanzler, sonErler
dern nur eine Instanz: das ist das Bundesverfassungsgericht, und sonst niemand.
({17})
Alles, was ich hier erwähnt habe, sind Beispiele für die Versuche, die Politik des Kanzlers und die seiner Partei jeder Kritik zu entziehen. Das wird sehr brutal gemacht. Wir kennen seit Jahren die Methode; früher waren wir es allein. Wenn einer von uns sprach, konnten wir schon wissen, daß der Herr Bundeskanzler nachher hierherkam und sagte: Was der Abgeordnete soundso eben gesagt hat, bedaure ich zutiefst, denn das schädigt die deutschen Interessen. Inzwischen - Herr Kollege Dr. Mommer hat Sie darauf aufmerksam gemacht - ist diese Methode der Unterdrückung der Kritik auch auf die Kritik in den eigenen Reihen angewendet worden; Sie haben auch Ihr Fett bekommen, weil Sie unartig gegenüber dem Bundesaußenminister gewesen sind.
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So geht das jetzt im eigenen Lager. Dann hören wir die markigen Worte: Jede oppositionelle Kritik an der Regierung ist nichts anderes als ein Anschlag auf die Autorität - da muß man die Stimme hören, wie das so ausgesprochen wird: die Autorität ({19})
des Staates. Meine Damen und Herren, diese Sprache kennen wir; das ist die Sprache des Obrigkeitsstaates.
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Das ist die Gesinnung des Kollegen Bausch, der seinerzeit bei der Erwähnung der Möglichkeit von Hochverratsprozessen den aufschlußreichen Zwischenruf gemacht hat: „Hoffentlich!" Sehen Sie, das ist Ihre Gesinnung, und damit wird jeder sachlichen Diskussion ausgewichen.
({21})
An die Stelle der sachlichen Diskussion tritt die Herabsetzung und die Diffamierung Andersdenkender.
({22})
All das sind alte Mittel im Kampf um die Errichtung einer dauernden Einparteienherrschaft mit dem Ziel, Macht ohne ernsthafte demokratische Kontrolle zu gewinnen, mit dem Ziel, die Länder, die ein verfassungspolitisches Gleichgewicht zum Bund darstellen sollen, ganz bewußt gleichzuschalten. Ich habe ein interessantes Zitat in der „Bonner Rundschau" gefunden. Danach hat am 9. Juni 1958 der Herr Bundeskanzler gesagt, daß seine Partei in Nordrhein-Westfalen die absolute Mehrheit brauche, und zwar mit folgender Begründung:
Sorgen wir, daß wir die Mehrheit bekommen, damit wir machen können, was wir wollen.
({23})
Sehen Sie, das ist die Gesinnung: Macht, unkontrollierte Macht in die Hand zu bekommen, für die
es keine anderen Schranken geben darf als Ihren Willen. Dagegen muß sich die Bürgerschaft eines Staates wehren, um ihre Freiheit gegen diesen Machtanspruch einer Partei zu schützen und zu verteidigen.
({24})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Anschlag auf ein freiheitliches gleiches Wahlrecht, den Sie vor einigen Jahren mit dem Grabensystem vorhatten. Sie hatten es sich sehr fein ausgedacht, daß selbst bei einer einfachen Mehrheit der Stimmen eine Zweidrittelmehrheit für Ihre Partei im Bundestag erreicht werden sollte. Und aus Notwehr gegen diesen Anschlag kam es ja dann zur Regierungsumbildung in Nordrhein-Westfalen.
({25})
Meine Damen und Herren! Wer so die Alleinherrschaft im Staate erstrebt, der hat von Zeit zu Zeit Wahlbomben nötig. So war 1953 Adenauers kleiner „Reichstagsbrand" die Schroth-ScharleyAffäre.
({26})
Der Bundeskanzler hat diese Affäre damals ausgenutzt und den zu vier Jahren Zuchthaus verurteilten Nachrichtenhändler Stephan aus irgendeinem seiner Fonds - es ist nicht klar, aus welchem, es war aber einer seiner Fonds - bezahlt.
({27})
- Ich weiß, meine Damen und Herren, daß Ihnen diese Sache sehr unangenehm ist.
({28})
Sie sagen: „Warum sollen wir uns mit solchen Lappalien aufhalten?!". Ihr Gelächter zeigt, daß Sie kein Empfinden mehr für Sauberkeit im Staat haben.
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Das Ansehen des Kanzlers wird nicht durch Kritik vermindert, sondern dadurch, daß er zur Kritik Veranlassung gibt.
({30})
Die Glaubwürdigkeit des Kanzlers wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß die Kritik im konkreten Fall einen Mangel an Glaubwürdigkeit mit berechtigten Gründen tadelt, sondern dadurch, daß der Bundeskanzler selbst es an Glaubwürdigkeit leider, leider hat fehlen lassen.
({31})
Die Glaubwürdigkeit des Kanzlers ist erneut dadurch beeinträchtigt, daß er am 23. Juli vergangenen Jahres einen Brief an den Bundestagspräsidenten gerichtet hat, der nahezu für jeden Satz dokumentarisch als falsch widerlegt worden ist.
({32})
Diese Affäre ist kein alter Ladenhüter, sie liegt keine fünf Jahre zurück. Der kritisierte, elf Monate alte Brief ist dokumentarisch erst widerlegbar geworden durch das Berliner Gerichtsurteil vom 13. November 1957. Das ist noch gar nicht lange her. Das Verhalten des Bundeskanzlers in dieser Sache ist immer wieder Gegenstand der Debatte in diesem Hause, nicht weil die Sache selbst so interessant wäre, sondern weil die Sache leider auch heute noch ein aktuelles Symptom ist. Es handelt sich nämlich um den fortgesetzten Versuch, die Opposition als kommunistisch unterwandert oder kommunistisch geleitet zu denunzieren, obwohl Sie es besser wissen, meine Damen und Herren!
Wie heißt es denn in dem Rednerbrief des Herrn Bach übrigens? Der Herr Bach hat ja nun einigen Kummer er ist der Bundesschatzmeister der CDU -: Er wird sich mit seinen Spendern auseinandersetzen müssen, wie der durch das Verfassungsgerichtsurteil entstandene Schaden einigermaßen ausgebügelt werden kann. Aber zurück zum Rednerbrief des Herrn Bach:
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Wie heißt es denn? „Wer SPD wählt, wählt Ulbricht", oder das CDU-Wahlplakat: „Moskau wartet auf die SPD".
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Und die ähnlichen Töne, die der Bundeskanzler in seinem Wählerbrief angeschlagen hat, den er nicht als Vorsitzender der CDU, sondern als Bundeskanzler versandt hat.
Meine Damen und Herren! Sie wissen genau, daß es sich dabei um die Diffamierung eben jener Partei handelt, die in einer schweren Zeit, in einer ganz entscheidenden Zeit den Abwehrkampf gegen jeden Versuch in diesem Lande geführt hat, die Kommunisten in entscheidende Positionen in dieser Gesellschaft einrücken zu lassen. Wie war das 1945, 1946, als manche Leute, die sich heute so als die großen Bekämpfer der kommunistischen Gefahr hinstellen, sich noch als die treuen Bundesgenossen der Sowjetunion gebärdeten und uns Sozialdemokraten dazu veranlassen wollten, mit den Kommunisten gemeinsame Sache zu machen? Da war es unser Widerstand, der die Freiheit in diesem Lande erhalten hat.
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So geht man mit einer Partei um, von der man genau weiß, daß die Berliner Sozialdemokraten und der damalige Regierende Bürgermeister Reuter es gewesen sind, die in der Zeit der Blockade die Freiheit Berlins auch für uns gesichert und erhalten haben.
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- Aber sehen Sie, Ihre Zwischenrufe zeigen doch eines: für Sie ist nur ein toter Sozialdemokrat ein guter Sozialdemokrat.
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Solange er lebt, wird er bekämpft, und später wird er zum Kronzeugen gegen seine eigene Partei umgefälscht. Meine Damen und Herren, Sie sollten es ernst meinen mit dem Satz: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!
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In diese unbedingt notwendigen Wahlbombenreihen gehört die kürzlich in diesem Hause zur Sprache gekommene Provokation von Dortmund. Das war eine bestellte Arbeit. Was taten eigentlich ein Flugzeug der CDU, Wagenkolonnen aus Bonn und Fahrer aus Wiedenbrück, von denen der Kollege Barzel genau wußte, daß sie aus Wiedenbrück stammten, bei jener Kundgebung in Dortmund? Sie haben nichts anderes vorgehabt, als dort Zwischenfälle zu provozieren, und nur dank der Besonnenheit der Teilnehmer ist es gelungen, ernste Zwischenfälle zu verhindern.
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Dann werden uns hier Greuelmärchen vorgetragen, von denen sich inzwischen herausgestellt hat, daß nichts von ihnen zutraf. Den Schwerverletzten gibt es gar nicht. Einer, der angeblich mit einem Messer zerstochen worden ist, stellte sich nachher als ein angeblich mit dem Messer Bedrohter heraus, wie Kollege Barzel hier versichert hat. Die Leute, die angeblich so sehr betroffen worden waren, waren erst gar nicht ausfindig zu machen, damit man überhaupt erst zu Strafanträgen kommen konnte, und ähnlichen Unfug hat es gegeben.
Meine Damen und Herren, hier haben Sie eine von Ihnen angestiftete Provokation zur Wahlbombe machen wollen, die sich als ein Rohrkrepierer im vollen Sinn des Wortes erwiesen hat.
({40})
Aber ich sage das nicht wegen des Herrn Blank, sondern wegen des Herrn Bundeskanzlers. Reden Sie doch einmal mit ihm, daß er sich solche Sachen nicht noch ausdrücklich bestellt! Denn als Herr Blank hier diese Kanonade losließ, erschien plötzlich auf Verabredung der Herr Bundeskanzler im Saal,
({41})
der vorher bei diesem Teil des Haushaltsplans gar nicht dabeigewesen ist.
({42})
Meine Damen und Herren, wieweit sich die Gesinnung des Bundesarbeitsministers zu seinem Nachteil verändert hat, sieht man aus der Art, wie auf der einen Seite Ihre Partei jetzt mit geschwollener Brust die Partei der Staatsautorität ist und wie auf der anderen Seite der Bundesarbeitsminister im Tone der Verachtung hier den Satz ausruft: Der Mob ist los in Deutschland. Meine Damen und Herren, das wird man ihm in Dortmund nicht so leicht vergessen; darauf kann er sich verlassen.
Im Zusammenhang mit diesem Wort „Mob", das noch lange an Ihnen haften bleiben wird,
({43})
fiel jenes Modewort von der Masse. Wer ist denn diese Masse? Sie besteht aus lebendigen Menschen, aus Staatsbürgern, die alle Anspruch auf gleiche Behandlung vor dem Gesetz haben. Welch ein Hochmut, wenn sich hier ein Beamter hinstellen und zu der Behandlung des Professors Heisenberg, eines der berühmtesten deutschen Nobelpreisträger, sagen kann: Nun, da fällt ihm ja nicht gleich eine Perle aus der Krone, wenn er 40 m weiter weggewiesen wird, weil der Bundeskanzler anfährt.
({44})
Welch ein Hochmut! Merken wir uns eines: - ({45})
- Ja, Sie haben aber für diese Selbstverständlichkeit des Selbstbewußtseins demokratischer Bürger auch gegenüber der Obrigkeit überhaupt kein Gefühl mehr; das ist ja das Verhängnis.
({46})
Beamte - ich bin selber einer von Beruf gewesen, bis ich in dieses Haus kam, und sage deshalb nichts gegen die Gruppe der Beamten, sondern nur etwas über das normale Verhältnis der Gruppen zueinander -, Beamte, Abgeordnete - damit auch Sie Ihr Teil haben -, Minister und sogar Bundeskanzler sind nicht Vorgesetzte der Bevölkerung; sie sind keine höheren Lebewesen, sondern sie sind Beauftragte, die Rechenschaft schuldig sind.
({47})
Natürlich bedarf auch die Demokratie der Führung.
({48})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Abgeordneter Erler, sind Sie sich nicht auch darüber im klaren, daß es in der ganzen Geschichte Deutschlands noch nie eine Zeit gegeben hat, wo es so wenig Obrigkeitsstaat gab wie in unserer Bundesdesrepublik Deutschland,
({0})
in der man den höchsten Beamten des Bundes in so hemmungsloser Weise angreifen kann, wie Sie es getan haben,
({1})
und daß es in der deutschen Geschichte noch nie eine Zeit gegeben hat, in der der Deutsche so frei und ungebunden leben konnte wie in unserer Bundesrepublik?
({2})
Daß Sie den politisch verantwortlichen Bundeskanzler als den höchsten Beamten bezeichnen, das zeigt, in welcher Weise Sie schon obrigkeitsstaatlichem Denken verfallen sind.
({0})
Seien wir doch ehrlich: Wer in der Politik die Führung in die Hand nimmt, der steht nicht unter Naturschutz, sondern der muß sich in einer Demokratie Kritik gefallen lassen.
({1})
- Meine Damen und Herren, das Thema schmerzt Sie,
({2})
weil es offenbar einen sehr gefährlichen Trend in Ihrer Partei bloßlegt, den unser Volk einmal mit Bewußtsein zur Kenntnis nehmen sollte.
Kommen wir zurück zu dem, was die in der Demokratie selbstverständlich erforderliche politische Führung an Verpflichtungen gegenüber der demokratischen Wählerschaft hat! Sie muß sich um einen Auftrag bemühen, sie muß Rechenschaft legen über das, was sie tut, und sie muß sich der Kontrolle durch die demokratisch legitimierten Instanzen unterwerfen.
({3})
- Und Sie meinen, alles, was heute von Ihren Bänken gesagt worden ist, war absolut neu? Den Eindruck hatte ich auch nicht ganz. Bei dieser Debatte - das ist der Sinn einer Haushaltsdebatte versucht man, die grundsätzlichen Standpunkte einmal zu konfrontieren und nicht nur unentwegt neue Weisheiten auf den Tisch des Hauses zu legen. Das ist doch selbstverständlich!
({4})
- Es tut mir leid, Ihnen muß man das öfter sagen, weil Sie nach unseren bisherigen Erfahrungen so wenig Intensität im Zuhören besitzen, daß Sie nachher dem Volke draußen sagen, Sie hätten von der Sozialdemokratie überhaupt noch nicht gehört, was sie eigentlich für Vorstellungen von Staat und Gesellschaft habe.
({5})
Aber zurück zum Auftrag! Offenbar fassen Sie in der bewährten Schlichtheit unseres Kanzlers den Auftrag so auf, daß man vor einer Wahl das sagen müsse, „wat die Leute fern hören"; dann könne man nachher tun, was man wolle. So fassen wir den Auftrag eben nicht auf. Am 5. Juli 1957 - auch dais haben wir schon einmal gesagt - hat der Herr Bundeskanzler im einer Wahlkundgebung ausgeführt: Wir wollen keine atomaren Waffen, wir können sie gar nicht bezahlen, und im übrigen lehnen wir eine atomare Aufrüstung der Bundeswehr ganz bewußt ab. - Und nachher haben Sie als erstes
Parlament auf europäischem Boden das, was Sie vor der Wahl abgelehnt hatten, in diesem Haus beschlossen.
({6})
- Entschuldigen Sie, ich habe soeben Ihr Wahlmaterial und die Wahlrede ides Kanzlers vorgelesen. Da haben Sie dem Volk vorgetäuscht, Sie seien gegen die Atombewaffnung, und nach der Wahl haben Sie die Atombewaffnung beschlossen. Da beißt doch keine Maus einen Faden ab.
({7})
- Aber Sie wissen doch auch, daß Sie nicht bereit sind, ausdrücklich eine Aufschiebung des Beginns der atomaren Rüstung, wie sie beischlossen ist, zu akzeptieren. Das haben Sie auch bisher ausdrücklich verweigert.
({8})
- Natürlich!
({9})
- Dann fragen Sie doch einmal Ihre Mitglieder im Auswärtigen Ausschuß danach!
({10})
- Herr Rasner, es amüsiert mich, wenn Sie sich über eine unzulässige Vereinfachung beklagen. Ich würde sagen: unterhalten Sie sich einmal gelegentlich mit dem Kanzler über die Zulässigkeit der Grenzen der Vereinfachung, dann werden Sie Ihr blaues Wunder erleben.
({11})
- Sie messen ja auch sich mit ,einem anderen Maß als die anderen. Das ist ja der Sinn meiner Rede, daß Sie meinen: Demokratie absolut, nur wenn sie unseren Willen tut. - Das ist Ihr Standpunkt.
({12})
Meine Damen und Herren! Nach dem Auftrag, den Sie sich, schlicht gesagt, gar nicht verschafft haben - Sie handeln sogar gegen den Auftrag, der Ihnen erteilt worden ist -, muß eine Regierung auch eine Rechenschaftspflicht erfüllen. Dazu gehört die Information der Bevölkerung, aber selbstverständlich wahrheitsgemäß und nicht entstellt. Und da will ich Ihnen für die Art, wie - leider, muß ich hier sagen - unter der Ägide des Herrn Bundeskanzlers informiert wird, nur ein paar Beispiele geben. Fangen wir mit ihm selber an. Hat er nicht kürzlich hier in diesem Hause einfach zunächst ohne irgendwelche Umschweife versichert: Herr Kühn hat aus meinem Haushaltstitel Geld bekommen; er wird es auch im nächsten Jahr wieder bekommen. - Es hat einer erbitterten Auseinandersetzurig bedurft, bis klargestellt worden ist, daß das nicht Herr Kühn, sondern eine Journalistengewerkschaft gewesen ist.
({13})
- Sie kennen Ihren Bundeskanzler besser und wissen genau, daß das kein falscher Zungenschlag, sondern Absicht gewesen ist.
({14})
Oder wie geht man jetzt mit Albert Schweitzer um?! Derselbe Mann, den Sie vor kurzem noch den Reihen der Atompanikmacher und der Schwarmgeister zugeordnet haben, wird jetzt plötzlich zum Kronzeugen für die CDU-Politik befördert. Da heißt es: „Albert Schweitzer mahnt!" Gleich das Zitat auf der ersten Seite ist völlig entstellt. Da ist ein halber Satz hineingeschrieben worden, der im Original gar nicht drin ist; da sind andere Worte gestrichen worden, die den Sinn völlig verfälschen.
({15})
Albert Schweitzer ist genauso wenig wie wir, auch wenn Sie tausendmal mit falschen Plakaten das Gegenteil behaupten, für eine einseitige Abrüstung des Westens.
({16})
- Genauso wenig wie wir! Er ist auch nicht für eine einseitige Atomabrüstung des Westens. Er ist dafür, daß die Beendigung des Wettrüstens durch vergleichbare und gleichwertige Schritte auf beiden Seiten angestrebt wird.
({17})
- Eben leider nicht! Jetzt kommt der Punkt, wo Albert Schweitzer und wir uns grundsätzlich von Ihnen unterscheiden: Gerade wer diese Beendigung des Atomwettrüstens durch die Großen will, der muß gegen die Ausdehnung des Atomwettrüstens auf andere, kleinere Staaten sein. Das ist der Punkt!
({18})
Hoffnung auf eine Übereinkunft unter den Großen gibt es nur so lange, wie dieser Klub verhältnismäßig klein ist. Sobald wir Deutschen den Anfang machen, kommt eine ganze Serie anderer nach. Wenn immer weitere Staaten in den Besitz dieser Waffen gelangen, ist die Aussicht auf ein vernünftiges Abkommen über die Beendigung des Atomwettrüstens nahezu dahingeschwunden
({19})
und leider der kollektive Selbstmord der Menschheit in grauenhafte Nähe gerückt.
Meine Damen und Herren, und da halten wir es mit Schweitzer. Wer der Meinung ist, daß man den Großmächten zuraten soll, auf gleichwertige Weise
auf beiden Seiten die Gefahren bannen zu helfen, der darf nicht selber für seinen Staat auf Atombewaffnung hinarbeiten; denn damit wird er in dieser Auseinandersetzung unglaubwürdig.
({20})
Dazu kommt, daß man mit Waffen, die im Wählerbrief des Herrn Bundeskanzlers sehr gemütvoll als die kleineren Atomwaffen angesprochen werden, Deutschland gar nicht verteidigen kann, denn auch die kleinste dieser Waffen hat die Wirkung von tausend Luftminen des zweiten Weltkrieges. Mit einer Verwendung dieser Waffen ist Deutschland im Konfliktsfall nicht zu schützen, sondern wird nur völlig ausgerottet.
Aber, meine Damen und Herren, wenn schon Schweitzer entstellt wird, was Wunder, daß man dann im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen der staunenden Bevölkerung verkündet: „Fritz Erler ({21}) fordert Atomwaffen für die Bundeswehr." Sie, die Sie die Debatten hier gehört haben, wissen genau, wie leidenschaftlich wir, meine politischen Freunde und ich, uns gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr eingesetzt haben. Dieses Ihr Flugblatt kann man nur niedriger hängen. Das ist alles, was man dazu sagen kann.
({22})
Dann kommt ein neues Argument, von dem vorhin Herr Dr. Vogel gesprochen hat. Da lasen wir einmal in der „Welt":
Der britische Labour-Abgeordnete Crossman hat nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion in einem geschlossenen Kreis interessante Einzelheiten aus seinem Gespräch mit Chruschtschow bekanntgegeben. Auf die Frage, wie die Reaktion der Sowjetunion auf eine eventuelle atomare Aufrüstung Deutschlands sein würde, antwortete Chruschtschow: Mit einem atomaren Deutschland wird Rußland eine Verständigung suchen müssen, sogar auf Kosten großer Opfer.
Also ungefähr so: Wir schaffen uns jetzt mal das Atombajonett an, und damit 'klopfen wir dann ein bißchen auf die Theke, und plötzlich ist die Sowjetunion zu großen Opfern bereit.
Leider, leider, Herr Kollege Dr. Vogel, hat die Geschichte einen schauerlichen Haken, und nehmen Sie das mit der Glaubwürdigkeit sehr ernst. Herr Crossman hat nämlich klipp und klar erklärt, und zwar nicht nur telegraphisch, sondern 'in einem Brief, den er an die „Welt" geschickt hat:
Da ich niemals in meinem Leben in Rußland war, kann ich dazu nur sagen, daß die in jener obskuren polnischen Zeitschrift veröffentlichte Geschichte auf reiner Erfindung beruht.
({23})
Die Erfindung wird dadurch nicht glaubwürdiger, daß sie gern in Ihrem weiteren Wahlmaterial verwendet wird. Hier halte ich es doch mit Crossman, der wirklich nicht in der Sowjetunion war und dem man nichts andichten kann.
({24})
Das gehört alles zu jenem Stil der Auseinandersetzungen, für den eben der Herr Bundeskanzler als Parteivorsitzender - ob er will oder nicht - auch die Verantwortung mit trägt.
Ich weiß, daß Sie versuchen, sich auf - wie hieß das vorhin so schön? - „institutionelles Denken" zu berufen. Das ist offenbar eine neue Formel für obrigkeitsstaatliche Vorstellungen, wenn Sie unter Berufung auf diese Formel versuchen, den Herrn Bundeskanzler unter eine Art Naturschutz stellen zu lassen.
({25})
Meine Damen und Herren, der Kanzler muß in der Behandlung politischer Gegner, gerade weil er die große Verantwortung trägt, Vorbild sein. Wer so wie er diffamiert und entstellt, der kann nicht auf Samthandschuhe in der politischen Auseinandersetzung rechnen.
({26})
Zumal dann kann er nicht darauf rechnen, wenn er sich als Bundeskanzler bis zu jenem Sprachschatz des „Dritten Reichs" herabbemüht, indem er die Führer der Gewerkschaften als die „obersten Bonzen" bezeichnet. Diesen Appell an Gefühle von einst hätte ich auch dem Herrn Bundeskanzler lieber nicht zugetraut. Ich war tief betrübt, als ich das las.
Meine Damen und Herren, wir können heute zu der Gesamtpolitik des Kanzlers nicht Stellung nehmen, ohne uns nicht mit jener Schicksalsfrage zu beschäftigen, ob uns die Politik der Bundesregierung der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands in gesicherter Freiheit nähergebracht hat. Ich sage hierzu ein klares Nein. Die Kernfrage der deutschen Einheit - und damit sind eine Reihe anderer Fragen in Mittel- und Osteuropa verbunden - ist der Abzug sowjetischer Truppen aus jenen Gebieten. Diese Frage ist verschiedentlich von drüben und dem Westen zur Sprache gebracht, ihr Aufgreifen unter Mithilfe der Bundesregierung aber systematisch verhindert warden.
({27})
Lassen Sie mich ein offenes Wort hier sagen. Gomulka wäre vielleicht nicht gezwungen gewesen, wieder härter auf die sowjetische Linie zu gehen, wenn man den Rapacki-Plan nicht mit Ihrer Hilfe so hart vom Tisch gewischt hätte.
({28})
Natürlich ist es fraglich, ob die Sowjetunion bei ernsthaften Verhandlungen zu einer solchen Politik unter vernünftigen, unsere Sicherheit nicht beeinträchtigenden Gegenleistungen, wie sie in den Vorschlägen Gaitskells und der deutschen Sozialdemo2156
kraten enthalten sind, bereit gewesen wäre. Aber mindestens hätte man die Sowjetunion dazu stellen müssen, mindestens hätte man ihr nicht die Propaganda mit dem Gedanken des Truppenabzugs erlauben dürfen, weil es unser Interesse, das Interesse der Freiheit der Deutschen in der Sowjetzone ist, daß die Frage des Abzugs der Sowjettruppen nie wieder von der weltpolitischen Tagesordnung verschwindet. Wir müssen sie darauf halten. Aber Sie haben alles getan, um sie von dieser Tagesordnung zu entfernen.
({29})
Dieses eine Beispiel zeigt, daß Sie vieles unterlassen haben und daß keine fruchtbare Initiative entwickelt worden ist. Das erinnert mich daran - wenn wir schon von der deutschen Einheit sprechen und ein Urteil über die Gesamtpolitik abgeben -, wie mühsam der Weg der Saar zur Bundesrepublik Deutschland gewesen ist. Die Saarbevölkerung hat sich ihren Weg zur Bundesrepublik gegen die Ratschläge Bundeskanzler Adenauers selber in tapferer Weise erkämpft, und dafür müssen wir ihr dankbar sein.
({30})
Ich sprach vorhin vom Obrigkeitsstaat, zu dem natürlich auch der Untertan gehört, ebenso als eine besonders unerfreuliche Erscheinung der Byzantiner. Da wird dann fleißig das Weihrauchfaß geschwungen, ein Symptom aller Obrigkeitsstaaten. Von Wilhelm II. über andere Beispiele, die Ihnen sehr weh tun würden und die ich deshalb nicht nennen möchte, die aber doch in der Sache richtig sind, wird jeweils der Mann oben fürchterlich angehimmelt. So sagt also der Herr Bach - und jetzt dürfen Sie wieder Beifall klatschen, damit Sie endlich auch einmal Anlaß haben, mit mir zufrieden zu sein -:
Statt auf die Regierung Adenauer zu
schimpfen, sollte man täglich Gott danken,
daß er uns nach dem furchtbaren Zusammenbruch einen Staatsmann wie Konrad
Adenauer geschenkt hat.
Meine Damen und Herren, merken Sie denn gar nicht, in welcher Weise hier Byzantinismus kultiviert wird?
({31})
Merken Sie denn gar nicht, daß das eine Sprache ist, die eines freien Mannes in einem freien Staate seinem von ihm selbst gewählten Regierungschef gegenüber unwürdig ist?
({32})
Meine Damen und Herren, ich bin auch erschrokken gewesen - vielleicht kann es der Herr Bundestagspräsident später dementieren daß gerade Dr. Eugen Gerstenmaier auf einer Wahlversammlung gesagt haben soll: „Mit Gott und Konrad Adenauer!"
({33})
Herr Bundeskanzler, ich habe eine wirklich große Bitte. Der einzige, der diesen einer aufrechten männlichen Gesinnung in unserem Volke abträglichen Unfug abstellen kann, sind Sie selbst. Verbitten Sie sich doch bei Ihren Freunden einfach diese Sprache! Sorgen Sie dafür, daß etwas Würde auch in Zustimmungserklärungen zu Ihrer Politik hineinkommt!
({34})
Mit dem Wort des Herrn Dr. Gerstenmaier „Mit Gott und Konrad Adenauer!" ist ja schließlich auch wieder der Herrgott für eine bestimmte Partei bemüht worden.
({35})
Der Herr Bundeskanzler beklagt manche Äußerungen evangelischer Kirchenmänner, wenn sie seiner Politik nicht zustimmen. Ich meine, diese Appelle, auch die des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, wären viel wirksamer, wenn man sich auch einmal bescheiden, aber energisch die offizielle Wahlhilfe durch Hirtenbriefe zugunsten einer bestimmten politischen Partei verbäte.
({36})
Das würde der Politik und dem Christentum besser
ziemen; denn das „C" verführt dazu, das Christentum in den parteipolitischen Kampf hineinzuziehen.
Meine Damen und Herren, entsinnen Sie sich bitte des Gebots: „Du sollst den Namen des Herrn nicht unnützlich führen."
({37})
Im Vornamen einer politischen Partei hat der Name des Herrn nichts zu suchen.
({38})
- Die Zwischenrufe, die jetzt aus Ihren Reihen kommen, zeigen, daß Sie meinen, Sie hätten das Christentum ganz alleine gepachtet. Darüber ist schon vor fast 2000 Jahren das Urteil gefällt worden, als man das zutreffend über die Pharisäer und ihre Gesinnung sagte.
({39})
In einem christlich geprägten Volk - so wie das bei uns der Fall ist - ist das „C" im Namen einer einzigen Partei doch bereits ein Stück Ansatz zu der Versuchung, zur einzigen Partei zu werden; denn daneben kann es dann eigentlich kaum noch andere Parteien von nennenswertem Ausmaß geben. Machen Sie sich von dieser Versuchung frei, indem wir künftig die Argumente politisch ausfechten und nicht durch den Parteinamen etwas, was uns gemeinsam gehört, in die Arena der parteipolitischen Auseinandersetzungen ziehen.
({40})
- Meine Damen und Herren, es gibt keine Hirtenbriefe zugunsten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands; darauf möchte ich mit aller Bescheidenheit aufmerksam machen.
({41})
Ich möchte noch ein Kapitel über den Umgang mit der Opposition anschließen. Sie haben vorhin Beifall geklatscht, als ich sagte: der Staat sind wir alle, also gehört die Opposition, die demokratische Opposition, zu den staatstragenden Kräften. Was Sie zur Zeit unternehmen, ist der bewußte Versuch, diese Opposition aus jeder Mitverantwortung nicht nur im Bund, sondern auch in Ländern und Gemeinden hinauszudrängen.
({42})
Dieser Versuch, die politische Vertretung eines großen Teils des Volkes und großer Schichten der Arbeitnehmerschaft ziemlich bewußt aus dem Staat herauszudrängen, ist gefährlich für die Demokratie, insbesondere, wenn er noch dazu mit der Formel vom Untergang Deutschlands unternommen wird, obwohl, Herr Bundeskanzler, Nordrhein-Westfalen in den letzten zwei Jahren keineswegs untergegangen ist, obwohl eine ganze Reihe von Landesregierungen in entscheidendem Maße mit Sozialdemokraten besetzt sind und dort sogar auch christliche Demokraten mit diesen Leuten, die Deutschland in den Untergang bringen wollen, friedlich in einer Regierung zusammensitzen.
Meine Damen und Herren, vergessen wir doch nicht, daß die großartige Leistung, mit der sich unser Volk aus den Trümmern emporgearbeitet hat, nicht das Verdienst einiger weniger Männer, sondern eine großartige Gemeinschaftsleistung des ganzen deutschen Volkes und damit auch und gerade der Sozialdemokraten in den Ländern und Gemeinden gewesen ist.
({43})
- Ich habe gesagt: auch und gerade. Damit sind Sie selbstverständlich auch dabei. Will Ihnen das jemand bestreiten? Wer erhebt denn hier den Monopolanspruch?
({44})
- Lesen Sie Ihre Flugblätter!
({45})
Der Wählerbrief des Herrn Bundeskanzlers tut so, als sei Herr Erhard das allein gewesen und als hätten die Sozialdemokraten mit diesen Aufbauleistungen überhaupt nichts zu tun, sondern hätten im Gegenteil nur versucht, sie zu verhindern.
({46})
- Entschuldigen Sie, Herr Pelster, hier ist der Brief; lesen Sie dort einmal nach, in welcher Weise - nicht mit einer Zeile! - die positiven Leistungen der Sozialdemokraten nicht gewürdigt werden, die Sozialdemokratie vielmehr beschuldigt wird, nichts anderes als negative Arbeit zu leisten.
({47})
Meine Damen und Herren, Ihre Politik läuft darauf hinaus, eine ohnehin gespaltene Nation nochmals zu spalten.
({48})
Integration fängt zu Hause an. Wie anders wäre unsere Stellung, wenn die Regierung, die doch schließlich die Verantwortung für die Außenpolitik trägt, den Versuch machen würde, sich die Argumente der Opposition auch in der Vertretung unserer Interessen nach außen nutzbar zu machen, wie das sehr häufig in anderen demokratischen Ländern geschieht! Das ist aber nicht möglich, wenn dieselbe Opposition von Ihnen hier und draußen als nihilistisch, uneuropäisch und sonst etwas diffamiert wird, wenn man den Eindruck erweckt, es gäbe nur einen Demokraten, und der heißt Konrad Adenauer, wenn man den Eindruck erweckt: was wird aus dem armen deutschen Volke, wenn einmal dieser einzige Demokrat die Zügel aus der Hand legen muß? Die große Aufgabe, die gelöst werden muß, ist doch nicht, Vertrauen in der Welt zu einem einzigen Manne zu schaffen, sondern ist, Vertrauen in der Welt zu unserem ganzen Volk zu schaffen. Das muß die Aufgabe sein.
({49})
Es ist davon gesprochen worden, wie man Angst schüre. Darin sind Sie doch Meister: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau" - „Moskau setzt auf die SPD".
({50})
- Stimmt das etwa nicht? Darin steckt doch die
ganze erbärmliche Gesinnung jener, die genau wissen, daß die freiheitliche Sozialdemokratie gegen jede Gewaltherrschaft kämpft, ob sie nun braun angestrichen ist, schwarz deklariert wird oder unter Hammer und Sichel auftaucht.
({51})
Da wird Wahlmaterial verbreitet: „Stunden des Grauens - Bischof starb Heldentod". Ich dachte: nanu, in Nordrhein-Westfalen ist das doch ganz anders, dort hat doch der Bischof freundlich mit Steinhoff im Auto zusammengesessen, dort ist ein Vertrag mit dem Heiligen Stuhl unterschrieben worden, dort ist das Ruhrbistum durch sozialdemokratische Mitwirkung entstanden, dort sind Verträge mit den anderen Landeskirchen abgeschlossen worden. Wer dann in dieser Weise zu schüren versucht, der bekämpft in Nordrhein-Westfalen nicht den Gegner, den er vor sich hat, sondern der erfindet sich einen Popanz, den er der Bevölkerung zum Zwecke besserer Bekämpfung vorführt.
Meine Damen und Herren, Sie haben versucht
- und der Bundesinnenminister hat dazu seinen Beitrag geleistet -, der Bevölkerung das Gruseln beizubringen, als stünde hier in unserem Lande ein kommunistischer Staatsstreich unmittelbar vor der Tür. Natürlich wollen wir ganz nüchtern einsehen, welchen Gefahren wir durch die Nähe der Zonengrenze und die hartgesottenen Leute auf der anderen Seite tatsächlich ausgesetzt sind. Da ist es eine Aufgabe, unser Volk zu immunisieren. Aber das muß Sache der Überzeugungskraft der Demokraten, Sache der Bürger sein und nicht nur Sache der Polizei, auf die Sie es abzuschieben versuchen. Die Demokratie muß überzeugungskräftig sein und darf
das nicht allein der Obrigkeit überlassen, und dazu gehört eben eine freiheitliche, von jedem Rückfall in den Obrigkeitsstaat freie, gerechte und soziale Ordnung.
Die kommunistische Gefahr ist eben doch mehr als ein nur militärisches Problem. Wir sehen es an dem Schicksal der Entwicklungsländer. Auch unsere Politik hat leider nicht mäßigend gewirkt, als wir vielleicht noch das eine oder andere gute Wort zu unseren französischen Freunden wegen jener blutigen Auseinandersetzungen in Nordafrika hättert sagen können, die bisher nur die Sympathien der asiatisch-afrikanischen Völker für die andere Seite und nicht für uns gestärkt haben. Wir können nur hoffen, daß es durch alle Wirren hindurch dort doch noch eine vernünftige Lösung gibt.
Aber nehmen Sie es zur Kenntnis: in jenen Kontinenten fällt die Entscheidung auch über unser Schicksal. Da aber bedaure ich es, daß wir es wieder unterlassen haben, jenen - allzu bescheidenen - Betrag von 50 Millionen für die Entwicklungsländer, ,der im Vorjahr im Haushalt stand, diesmal im ordentlichen Haushalt wieder einzusetzen. Für mich ist Idas ein Beispiel. Der Ansatz fehlt auf jeden Fall. Auch wenn Sie uns jetzt mit irgendwelchen Ermächtigungen für die Zukunft trösten, auch wenn im neuen Jahre neue Ansätze kommen - ,diese Lücke bleibt. Und selbst dieser Ansatz ist ja in Wahrheit nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Eigentlich sollten wir mit den anderen vernünftig darüber reden, in welcher Weise die großen Industriestaaten hier ein gemeinsames Werk beginnen sollten, weil das Verteidigung und Sicherung der Freiheit im besten Sinne des Wortes ist. Sonst reift dort eine Revolution heran, die uns wirklich alle verschlingen könnte.Meine Damen und Herren! Der Sprecher der CDU hat gesagt: Dieser Haushalt drückt die Politik dieser Regierung aus. Wir halten den Kurs des Bundeskanzlers, den Stempel, den er dem innenpolitischen Klima der Bundesrepublikgegeben hat, nicht für richtig, wir halten sein Wirken in Richtung auf die Wiederbelebung obrigkeitsstaatlicher Tendenzen für verhängnisvoll und wenden Idaher seinen Haushaltsplan ablehnen.
({52})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krone.
Herr ,Präsident! Meine Herren! Ich will mit einem Satz beginnen, der gar nicht in die Atmosphäre paßt, die eben durch die Rede des Kollegen Erler ,erzeugt worden ist: mit einem Dank an den Präsidenten Carlo Schmid für die Worte 'der Hochachtung und der menschlichen Wertschätzung unserem Kollegen Karl Arnold gegenüber. Ihm für diese so menschlichen Worte zu danken, ist mir eine Pflicht seitens der Fraktion.
({0})
Ich will einen zweiten Gedanken aus den Worten ides Präsidenten aufgreifen. Er hat gesagt, wir leben in einer mörderischen Hast; er hat uns gewarnt und hat gesagt, es könnten, wenn wir dem ' nicht Einhalt täten, noch mehr aus unseren Reihen der Hast zum Opfer fallen. Ich nehme auch dieses Wort auf; ich möchte den Wunsch auch bei dieser Haushaltsberatung aussprechen, daß wir die in den Anfängen steckengebliebene Parlamentsreform doch wieder aufgreifen sollten. Wir sollten uns auch einmal überlegen, ob wir nicht die Vielheit von Wahlen - Bundestag, Länder, fünf in diesem Jahr, zwei im nächsten Jahr - auf einige wenige Termine konzentrieren.
({1})
Wir würden damit uns selber, unserer Gesundheit, unserer Arbeit und auch der Demokratieeinen großen Dienst erweisen.
({2})
Herr Kollege Erler, ich bin, offen gesagt, nicht in der Lage, Ihnen in dem Ton zu antworten, in dem Sie gesprochen halben.
({3})
Gestern morgen oder gestern nachmittag erhielten wir einen Brief von den Parteien der Sozialdemokraten, der Freien Demokraten und des Zentrums, wir möchten angesichts des Todes von Karl Arnold den Wahlkampf einstellen.
({4})
Wir haben ihnen geantwortet: Dieser Brief ehrt die absendenden Parteien. Wir haben ihnen dafür gedankt. Wir haben dann geantwortet, man möge es verstehen, daß, da der Wahlkampf von uns auf Karl Arnold ausgerichtet war, wir unseren Wählern Antwort geben müßten, was nun werden soll. Ich habe nicht geahnt, Herr Kollege Erler, daß am Tage darauf eine solche Wahlkampfrede hier gehalten werden würde.
({5})
Soll ich denn wirklich noch einmal sagen, wie wir das Wort „christlich" auffassen, Herr Kollege Erler: daß das für uns kein Monopolanspruch ist - nehmen Sie es doch einmal hin, wie wir es auffassen! -,
({6})
sondern eine tiefe innere Verpflichtung, die Welt
zu sehen, wie sie eben der Christenmensch sieht!?
({7})
Aber das wird von Ihnen so hingestellt, als ob das eine Wahlmache, eine demagogische Sache sei. Ich verbitte mir das.
({8}) Lassen Sie mich noch ein weiteres sagen.
({9})
Ich habe mir die Debatte der zweiten Lesung sehr genau angesehen, und ich habe einmal versucht, herauszubekommen, was denn nun an Vorwürfen nicht demagogischer, sondern ernster Art von der
Opposition erhoben worden ist. Da ist der bekannte Fall des Nachrichtenhändlers aus Berlin. Herr Kollege Erler, wenn im Laufe von acht Jahren Regierungszeit - oder, wenn Sie wollen, noch länger - nichts anderes beim Bundeskanzleramt haften bleibt als dieser Fall, für den sich der Kanzler entschuldigt hat, dann kann diese Regierung vor dem deutschen Volk bestehen.
({10})
- Herr Kollege Erler, ich bin mit Ihnen einig: Partei ist nicht Staat, weder CDU noch in den Ländern SPD, auch nicht in den Kommunen.
({11})
Aber seien Sie etwas vorsichtig, wenn Sie eine bestallte Autorität in dieser Weise angreifen!
({12})
Bitte erinnern Sie sich - aus der Geschichte und vielleicht aus eigenem Erleben, das letzte glaube ich nicht der Angriffe, die gegen den Reichspräsidenten Friedrich Ebert in den zwanziger Jahren gerichtet worden sind.
({13})
Sehen Sie sich einmal an, was da geschehen ist und was dazu nicht alles geschah, die Autorität des Weimarer Staates zu vernichten!
({14})
Wollen Sie in dieser Form auch heute wieder die vom Volke bestellte, durch Mehrheit bestellte Regierung in einer Weise angreifen, daß auch das Letzte an Autorität dadurch in den Schatten gestellt wird?
({15})
Sie sprachen davon, man könne den Kanzler doch nicht unter Naturschutz stellen. Wer denkt daran?! Aber ich meine, auch eine Opposition, die sich zum Staat bekennt, die allerdings die Wahl verloren hat, muß in dem Kanzler den Repräsentanten des gesamten deutschen Volkes anerkennen.
({16})
Gestatten Sie das Wort zu einer Zwischenfrage?
Meine Damen und Herren, ich lehne es ab, in dieser .Weise hier den Wahlkampf weiterzuführen, auch angesichts des Todes von Karl Arnold.
Nun haben Sie von Karlsruhe gesprochen. Wir respektieren das Urteil, genauso wie auch Sie es respektieren werden. Oder wollen Sie uns weismachen, daß Sie Ihren Wahlkampf allein mit Arbeitergroschen, wie es heißt, geführt haben?
({0})
Wir wollen die Frage nach den Spenden hier nicht weiter erörtern, meine Damen und Herren; wenn es sein muß, sind wir dazu bereit. Mit Arbeitergroschen - laut Jahrbuch der SPD - ist der Aufwand bei den Wahlen, den Sie da betrieben haben, nicht zu begleichen.
({1})
Ich kann ferner feststellen, daß Sie, jedenfalls solange das Gesetz über die Abzugsfähigkeit der Spenden galt, von diesem Recht genauso Gebrauch gemacht haben wie wir.
({2})
- Herr Dr. Arndt, ein Blatt, das uns jene geschickt haben, die Sie um Spenden angegangen sind. - Also Sie haben dasselbe Recht in Anspruch genommen, das Sie jetzt kritisieren.
Meine Damen und Herren, ich bekenne mich dazu, daß der demokratische Staat von uns allen respektiert werden muß. Ich bekenne mich zu dem Satz, daß keine Partei in einem Staate ein Vorrecht hat, sondern daß die vom Volke bestellte Regierung, solange sie im Amte ist - die ganzen Jahre hindurch -, Respekt vom ganzen deutschen Volk erheischen muß. Unser Ansehen in der Bevölkerung ist doch wirklich noch nicht so groß, daß wir es uns leisten könnten, so leichtfertig mit dem Ansehen unseres Staates und auch seiner Repräsentanten umzugehen.
({3})
Überlegen Sie doch einmal, was in diesen Jahren des deutschen Wiederaufbaues geleistet worden ist! Mir scheint das Urteil des deutschen Volkes in den beiden letzten Wahlgängen weit mehr der Wahrheit zu entsprechen als das, was hier von Ihrer Seite gesagt worden ist.
({4})
Lassen Sie mich jetzt einige Fragen an Sie richten. Herr Kollege Erler hat dem Bundeskanzler, hat der Bundesregierung vorgeworfen, daß sie die Wiedervereinigung des deutschen Volkes nicht erreicht hätten. Wir wissen das; aber ich bewundere die Anmaßung von Ihrer Seite, zu sagen, das sei die Schuld des Bundeskanzlers, das sei die Schuld der deutschen Bundesregierung. Wissen Sie denn nicht genauso wie wir, daß der große Hemmschuh der Wiedervereinigung nicht hier bei uns liegt, sondern im Osten?
({5})
Mir scheint doch, daß die Sozialdemokraten in Berlin diese Dinge weit realer sehen als die Sozialdemokraten hier im Westen.
({6})
Ich halte es überhaupt unter meiner Würde, einen Satz zu widerlegen, der soeben ausgesprochen worden ist, daß der Bundeskanzler die Wiedervereinigung systematisch verhindert habe.
({7})
Herr Kollege Erler, von Ihnen ist doch das Wort gefallen, daß in der Wiedervereinigungsfrage Ulbricht und Adenauer im gleichen Atemzuge genannt werden müßten. Ich verwahre mich gegen dieses Wort!
({8})
Ich habe eine zweite Frage an Sie zu richten. Wir hätten gern von Ihrer Seite gewußt, wie Sie sich die deutsche Sicherheit konkret vorstellen. Es wird in Ihren Reihen seit mehr als sechs Jahren darüber diskutiert; aber eine klare Konzeption dessen, was Sie sich unter deutscher Sicherheitspolitik vorstellen, haben wir bisher bei Ihnen vermissen müssen, auch in Stuttgart. Und mir scheint, daß Herr Kollege Erler, der eine ganz bestimmte Konzeption in 'dieser Frage gehabt hat, jenen Strömungen unterlegen ist, innerhalb deren die Dinge ganz anders aussehen, als er sie bisher gesehen hat.
({9})
Ich beneide Sie um den Mut, die Sicherheitspolitik des Kanzlers zu kritisieren, wenn Sie Ihrerseits nicht in der Lage sind, ihr eine gültige Konzeption Ihrer Partei gegenüberzustellen.
({10})
Herr Kollege Erler hat erneut die Frage der atomaren Aufrüstung zur Sprache gebracht. Er hat uns unterstellt, daß wir Anhänger einer atomaren Aufrüstung seien. Meine Damen und Herren, das ist eine böswillige Unterstellung.
({11})
Es geht uns doch nur um die Frage: Wie können wir am besten dieses uns alle bedrohende Gespenst bannen?
({12})
Hier allerdings sind wir ganz anderer Auffassung als Sie. Wir sind der Auffassung, daß nur das 'Gleichgewicht der Kräfte uns die Garantie für den Frieden unserer Zeit gibt und nichts anderes. Und wenn einmal das Gleichgewicht durch irgendeine labile Politik hier gestört werden sollte, so können Wir uns die Konsequenzen doch ausmalen! Dann seien Sie doch in dem Punkte ehrlich, wenn Sie auf die Straße gehen. Wir haben doch mit der Volksbefragung bitterböse Erfahrungen genug gemacht. Es haben doch auch Ihre 'Herren das Grundgesetz im Parlamentarischen Rat mitbeschlossen; ich denke an Männer aus Ihren Reihen wie Professor Schmid und andere. Jetzt gehen Sie ohne weiteres über dieses mit guten Gründen gebaute Grundgesetz hinweg und rufen in einer gefährlichen Weise - ich muß es hier wieder sagen - die Straße für Ihre Politik an. Herr Kollege Blank hat nicht vom „Mob" gesprochen als von denen ({13})
Herr Kollege Blank hat nicht vom „Mob" gesprochen -({14})
- Wollen Sie mich nicht bis zu Ende hören?
({15})
Ich bitte, den Redner aussprechen zu lassen.
Herr Kollege Blank hat nicht vom „Mob" gesprochen und jene damit gemeint, die für eine bestimmte politische Überzeugung auf der Straße demonstrieren.
({0})
Aber daß Sie, meine Damen und Herren, in eine gefährliche Nachbarschaft zu jenen kommen, die nicht Demokraten sind, die aber in diesem Falle dasselbe Ziel verfolgen, das hat er gemeint, wenn er gesagt hat, das sei „Mob".
({1})
Ich kann nur wünschen, daß, wenn die Propaganda gegen die atomare Rüstung vorbei ist, eine Propaganda, die in Berlin nicht durchgeführt wird - in Berlin weiß man, was eine Volksbefragung hierzu bedeutet, da man dort in diesen Dingen klarer und sicherer ist-, Sie auch einsehen werden, daß Volksbefragungen später von keiner Seite mehr in Szene gesetzt werden sollten.
Lassen Sie mich dann noch ein Letztes sagen. Ich habe mich bei der Rede des Herrn Kollegen Erler gefragt, was uns denn im letzten von seiner Auffassung trennt. Ich will hier nicht wiederholen, daß er dem Kanzler etwas unterstellt, was diesem Mann größter politischer Erfahrung am wenigsten zukommt. Ich will nicht davon sprechen, daß er uns einen autoritären Zug in der Regierungspolitik zuspricht. Das sind Worte der Propaganda, die man im Wahlkampf hören kann, die man aber hier nicht hören sollte.
({2})
Ich will auch nicht davon sprechen, was uns in unserer Auffassung über eine Reihe von Fragen des wirtschaftlichen Lebens trennt.
Wir leben in gefährlicher Nähe zum Osten. Sie glauben vielleicht, daß wir zwischen der Welt des Ostens und der Welt des Westens uns einen Raum aussparen könnten, in dem wir stehen könnten. Ich bin der Meinung, in dieser Frage an die Welt gibt es zwischen dem Osten und dem Westen keinen Raum, in dem eine Partei stehen könnte. Ich weiß, daß Sie sich zum demokratischen Sozialismus bekennen. Aber ich habe die Befürchtung, daß diese Ihre Linie durch Strömungen in Ihren Reihen zur Zeit in Gefahr ist. Das ist die Warnung, die ich Ihnen gegenüber aussprechen möchte.
({3})
Es gibt auch in der freiheitlichen Welt Raum für
den demokratischen Sozialismus; das weiß ich geDr. Krone
nauso. Aber in der Frage: Freiheit, Sicherheit in Europa, Frieden in der Welt gibt es keinen Kompromiß; sie muß eindeutig zwischen dem Osten und dem Westen entschieden werden.
Ich möchte Sie bitten, daß Sie, so wie das bisher der Fall gewesen ist, wo wir in einer Reihe von grundlegenden Fragen einer Meinung gewesen sind,
({4})
in der Frage der deutschen Sicherheit, der deutschen Freiheit, in diesen Grundelementen deutscher Sicherheitspolitik, den Weg dieser Politik mit uns gemeinsam weitergehen.
({5})
Das ist nicht eine Frage der Partei, sondern eine Sorge um das deutsche Volk. Über allen Wahlkämpfen steht für uns und unsere Politik die Fortführung dieser Linie, die am Ende auch den Sieg der Freiheit bedeuten und uns die deutsche Wiedervereinigung bringen wird.
({6})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der Herr Abgeordnete Erler hat verschiedene Behauptungen aufgestellt, die ich nicht unwidersprochen lassen kann. Er hat zunächst gesagt, daß der Kanzler Geld des Staates für Parteizwecke verwendete. Meine Damen und Herren! Ich erkläre im vollen Bewußtsein dessen, was ich sage: Niemals ist mit meinem Wissen oder Willen auch nur irgend etwas Derartiges geschehen. Dieser Fonds, der neulich schon hier besprochen worden ist, wird von mir gar nicht bewirtschaftet. Ich glaube, ich habe kein einziges Mal eine Entscheidung getroffen, wer aus dem Fonds etwas erhalten soll oder was gegeben werden soll. Das ist der Fonds, der nach dem Haushalt zu Informationszwecken bestimmt ist, und der deswegen der Bewirtschaftung des Leiters des Presse- und Informationsamtes untersteht und nicht mir.
({0})
Im übrigen möchte ich Ihnen das eine doch sagen, Herr Kollege Erler: Bitte, besehen Sie sich die Propaganda der Regierung Steinhoff in diesem Wahlkampf.
({1})
Da können Sie allerdings sehen, wofür Steuergelder verwendet werden.
({2})
- Ich werde Ihnen die Drucksachen zuschicken.
({3})
Herr Kollege Erler hat weiter gesagt,
({4})
ich hätte auf das Bundesverfassungsgericht einen Druck ausgeübt. Das, meine Damen und Herren, ist ungefähr die schwerste Beschuldigung, die Herr Erler aussprechen konnte.
({5})
Ich bin deshalb gezwungen, Ihnen genau mitzuteilen, worum es sich handelt.
Es hat eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht stattgefunden. In dieser Verhandlung war die Bundesregierung durch Beamte des Bundesfinanzministeriums vertreten. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Termin, ohne vorher davon eine Mitteilung zu machen, den Professor Eschenburg als Sachverständigen geladen und ihn ein Gutachten erstatten lassen. Es sind dann Behauptungen vor dem Bundesverfassungsgericht aufgestellt worden, die unrichtig waren.
({6})
Das Kabinett hat sich mit dieser Frage beschäftigt und hat den Bundesfinanzminister Etzel beauftragt, den Antrag zu stellen, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, um diese Tatsachen klarzustellen.
({7})
Das Bundesverfassungsgericht hat den Antrag des Bundesfinanzministers ohne eine Begründung abgelehnt. Darauf habe ich den gleichen Antrag gestellt wie der Bundesfinanzminister. Das ist der Druck, meine Damen und Herren, den ich nach Angabe des Herrn Kollegen Erler auf das Bundesverfassungsgericht ausgeübt haben soll!
({8})
Meine Damen und Herren! Ich kann nicht auf alle Einzelheiten eingehen, die Herr Erler hier vorgetragen hat.
({9})
Ich möchte Ihnen aber hier doch, meine Damen und Herren, die merkwürdige Art und Weise zur Kenntnis bringen, in der Herr Kollege Erler zitiert. Er hat gesagt, ich hätte nach dem Bericht der „Rundschau" erklärt, wir wollten sorgen, daß wir bei der Landtagswahl die Mehrheit bekämen, damit wir machen könnten, was wir wollten. Er hat daraus gefolgert: Also das ist der Wille der CDU, zu machen, was sie will. Ich habe in der betreffenden Rede gesagt, daß die FDP erklärt habe, wenn sie und die SPD zusammen die Mehrheit haben würden, würden sie nach der Wahl eine Regierung SPD/ FDP bilden. Darauf habe ich gesagt - ich lese Ihnen jetzt den Bericht der „Bonner Rundschau" vom 9. Juni vor -:
„Die FDP möchte ich bei alledem nicht mehr
erwähnen", sagte der Bundeskanzler. „Mögen
sie machen, was sie wollen. Sorgen wir , daß
wir die Mehrheit bekommen, damit w i r machen können, was wir wollen."
({10})
Herr Abgeordneter Erler sucht es immer so darzustellen - Herr Kollege Krone hat das schon hervorgehoben -, als wenn ich mich nicht Tag um Tag um die Wiedervereinigung bemühte. Ich sehe mich infolgedessen gezwungen, folgende Mitteilung zu machen, die ich bisher noch nie gemacht habe und die ich lieber unterlassen hätte. Als sich Ende der 40er Jahre in Berlin die SED bildete und der Druck gegen die deutschen Parteien - ich nenne sie absichtlich die „deutschen Parteien", das waren die CDU und die SPD - einsetzte, bin ich sofort als damaliger Vorsitzender der CDU der britischen Zone nach Hannover gefahren, um dem Herrn D r. Schumacher vorzuschlagen, daß unsere beiden Parteien gemeinsam den Abwehrkampf führen sollten. Ich bin in Hannover, meine Damen und Herren, nicht empfangen worden.
({11})
Herr Kollege Erler ist dann auf die Frage der Bewaffnung der Bundeswehr eingegangen und hat erklärt, daß wir gegen den Auftrag des Volkes handelten. Ich stelle fest, meine Damen und Herren, daß ich von dieser Stelle aus am 10. Mai 1957 erklärt habe: Die Frage, ob die Bundeswehr mit atomaren Waffen ausgerüstet werden muß, ist zur Zeit „noch nicht spruchreif" ; die Entscheidung wird aber in zwei bis drei Jahren fallen. Das war zu einer Zeit, als wir den Wahlkampf führten, der das Ergebnis vom 15. September 1957 brachte. Bei der Wahl war also dem deutschen Volk bekannt, daß diese Frage von diesem Bundestag zu lösen ist.
({12})
Im übrigen möchte ich Ihnen, was die Frage dieser Waffen angeht, zwei Ausführungen vorlesen, die in diesem Hause gemacht worden sind. Einmal:
Es geht auch nicht einmal um die Zahl der Divisionen allein. Entscheidend ist doch Art und Umfang der Ausrüstung. Sie sind sicher mit uns der Meinung, daß in unserer Lage nur die modernste Ausrüstung akzeptabel ist.
Weiter hat der betreffende Redner gesagt:
Jeder deutsche Verteidigungsbeitrag hat auch nur dann einen Sinn, wenn er eingebaut ist in einen strategischen Plan, der uns die Gewißheit gibt, daß im Ernstfall die Verteidigung mit dem vollen Gewicht der militärischen Stärke an der deutschen Grenze erfolgt.
Das sind Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer , die er am 5. Dezember 1952 gemacht hat.
({13})
Er hat am 15. Dezember 1954 in diesem Hause und von dieser Stelle aus gesagt:
Ich will mich hier auf keine militärtechnische Debatte einlassen, aber ich sage Ihnen eins: als Staatsbürger habe ich ein Recht, zu fragen, ob mein Junge, wenn er schon nach Ihrem Willen Soldat werden sollte, nicht wenigstens die Chance hat, die leistungsfähigsten Verteidigungsmittel zu besitzen, die es gibt.
({14})
Herr Erler hat soeben ausgeführt, wenn wir den Anfang damit machten, daß wir unsere Truppen nicht mit diesen Waffen versähen, dann würden die anderen das auch tun. Nun, der stellvertretende Ministerpräsident Mikojan hat mich gefragt, ob wir nicht darauf verzichten könnten, unsere Truppen mit diesen Waffen zu versehen. Er hat aber nicht gesagt: dann werden wir auch abrüsten!, sondern er hat gesagt: dann werden wir unsere Atombomben nicht auf Ihr Gebiet werfen! - Ich will Ihnen auch sagen, was ich darauf geantwortet habe. Ich habe ihm gesagt: Sie wissen ganz genau, daß im Ernstfall eine solche Zusage doch nicht gehalten wird! - Darauf hat er mir nicht mehr geantwortet.
({15})
Man hat sich beklagt über den Ton, man hat sich besonders beklagt über mich, Herr Kollege Erler. Nun, ich muß Ihnen sagen, die Behauptung, daß wir das deutsche Volk dem Atomtod überantworten, ist die schwerste Beleidigung, die Sie aussprechen können!
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich auf einige Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers antworte.
Ein Wort zu dem Fonds, über den ja schon sehr viel gesprochen worden ist!
({0})
Der Herr Bundeskanzler sagt, der Fonds werde nicht von ihm verwaltet. Ich finde, dann sollte der Fonds „zur Verfügung des Bundeskanzlers" in „zur Verfügung des Herrn Staatssekretärs," umbenannt werden. Dann wäre die Sache klarer. Der Herr Bundeskanzler sagte weiter, aus diesem Fonds sei nichts für Zwecke seiner Partei verwendet worden. Das mag formal richtig sein, Herr Bundeskanzler. Aber es gibt eine Reihe von Vereinigungen, die aus diesem Fonds bezahlt werden, wie z. B. die Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise, die die Regierungspolitik - das will ich hiermit bescheinigen - durch eine über das ganze Bundesgebiet verbreitete Organisation mit außerordentlich geschickten Publikationen und Briefen vertritt. Aber diese Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise dient ganz eindeutig der Stützung der Regierungspolitik, und sie wird aus diesem Fonds finanziert.
({1}) - Bitte, Herr Aigner!
Herr Professor Gülich, wissen Sie, daß die SPD eingeladen war, mitzumachen bei dieser Arbeitsgemeinschaft?
Das weiß ich nicht, Herr Kollege Aigner, das widerlegt aber nichts von dem, was ich soeben gesagt habe. Es gibt noch eine Reihe von Vereinigungen; denken Sie an die Waage, Gesellschaft für sozialen Ausgleich, an die Gespräche zwischen Fritz und Otto, mit denen wir vor einigen Jahren durch große Inserate belästigt wurden. Bei. allem handelt es sich um Ausgaben aus Steuerquellen, mit denen in Wirklichkeit Propaganda für die größte Regierungspartei; die CDU, gemacht wird. Und das hält die SPD nicht für richtig!
Nun ein Wort zum Bundesverfassungsgericht! Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, das Bundesverfassungsgericht hatte eine Woche vor dem Termin durch Fernschreiben die Parteivorstände aufgefordert, Bevollmächtigte zu entsenden. Ich z. B. bin von meiner Partei nach Karlsruhe delegiert worden. Dort wurde beim Aufruf der Teilnehmer von dem Präsidenten des Senats festgestellt, daß die CDU
- durch Fernschreiben wohl - abgelehnt habe, Vertreter zu dieser Sitzung des Bundesverfassungsgerichts zu schicken. Die CDU hätte sich also vertreten lassen können; sie hätte sich vertreten lassen müssen. Ich habe vor dem Bundesverfassungsgericht darauf aufmerksam gemacht, daß ja die fragliche und angefochtene Bestimmung § 10 b des Einkommensteuergesetzes nicht von der Regierung vorgeschlagen war, sondern 1954 bei Abschluß der Verhandlungen aus der Mitte des Hauses, und zwar von dem Herrn Kollegen Scharnberg. Herr Professor Eschenburg ist dort als vorn Gericht geladener Sachverständiger aufgetreten; er hat sich nach seinem besten Wissen und Gewissen geäußert. Das wird man ihm nicht verübeln können. Die Bundesregierung hatte außer den Regierungsvertretern auch einen Bevollmächtigten, nämlich den Professor von der Heydte, der es uns allerdings außerordentlich schwer gemacht hat. Bei dem Streit um die Frage der Parteifinanzierung erklärte Herr Professor von der Heydte: - Sie können ja wirken mit der Kraft Ihrer Argumente! - Er sagte etwas ganz Ungeheuerliches: Die SPD ist die einzige Partei, welche Wiedergutmachung bekommt, und damit besteht eine Ungleichheit vor dem Gesetz.
({0})
- Ich habe geantwortet: Die SPD ist eine Partei, die 1933 von den Nationalsozialisten besonders verfolgt worden ist. Es ist mir nicht bekannt, daß Parteihäuser der Rechten zerstört und Bibliotheken anderer Parteien als der SPD zerstört und verbrannt worden sind.
({1})
Wie konnte Herr von der Heydte so auftreten und
wie kann sich die Bundesregierung darüber beklagen, daß sie nicht gehört worden sei. Sie hatte
doch ihre Bevollmächtigten, ich glaube, drei Herren; und wenn die CDU darauf verzichtet, dort gehört zu werden, so ist das nur bedauerlich.
Zum Nichtempfang in Hannover kann ich nichts sagen. Aber Herr Bundeskanzler, das muß natürlich nachgeprüft werden.
({2})
Ich kann mir schlechterdings nicht vorstellen, daß Herr Schumacher Sie nicht empfangen hätte. Ich kann mir nur vorstellen, daß er nicht da war, daß er krank war. Aber, Herr Bundeskanzler, das läßt sich ja noch feststellen.
({3})
Erlauben Sie mir noch ein abschließendes Wort! Ich muß Ihnen sagen - und ich glaube, wie es mir geht, so geht es sehr vielen in diesem Hause -, ich bin über die Gesamtsituation, in der dieses Haus ist, einfach traurig.
({4})
Ich bin verstört darüber und weiß eigentlich gar nicht, wie es weitergehen soll. Man darf ja von Ihrer Seite nicht so tun, als ob die SPD aus üblen Leuten und aus Pseudokommunisten bestünde. Man darf auch nicht diesen Kampf gegen Wehner führen. Man darf aus der SPD auch Ihnen nicht die gute Absicht absprechen. Ich habe schon einmal gesagt, ich bin überzeugt davon, daß auch jeder von Ihnen mit dem besten Willen seinen Aufgaben gerecht werden will.
({5})
- Meine Damen und Herren, wenn das so ist, dann ist doch wirklich bei uns etwas nicht in Ordnung.
({6})
Aber indem ich das sage, sollten wir doch wirklich überlegen, wo der Grund dafür liegt. Ich will hier nicht jemanden einseitig beschuldigen, aber ich habe nun doch auch gehört - ich gehöre doch dem Hause seit 9 Jahren an - und habe soundso oft erlebt, wie es sich der Herr Bundeskanzler wirklich sehr einfach gemacht hat und der Opposition, die ja doch ein notwendiger Bestandteil des parlamentarischen Leben ist, so schwere Vorwürfe gemacht hat, ja sie so diffamiert hat, daß ich oft erschrocken gewesen bin.
({7})
- Herr Conring, ich rechthabere hier nicht, ich suche nach einem Ausweg.
Ich habe mich in der vorigen Woche hier wahrhaftig nicht wohlgefühlt, weder an dem einen noch an dem anderen Tage.
({8})
Das sage ich ganz offen. Man muß aber begreifen,
Herr Bundeskanzler, daß gewisse Dinge heute Re2164
aktionen der Opposition sind, ,die auf Aktionen kommen, die - ich fürchte - Sie ausgelöst haben. Aber ich bezwecke mit meinen Worten wirklich nichts anderes, als Sie und meine Freunde zu bitten, sich gemeinsam zu überlegen, wie wir laus dieser verfahrenen Situation herauskommen.
({9})
Wenn es die Parteiführer nicht schaffen, dann muß aus dem Hause heraus eine Bewegung von Männern und Frauen entstehen, die sich wieder zusammensetzen und davon überzeugt sind, daß der eine und der andere das Richtige und das Gute will. Vielleicht finden wir dann doch in gemeinsamer Anstrengung wieder die Basis, auf der wir wieder miteinander reden können.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das alles enthebt uns ja nicht der Notwendigkeit, zu Einzelheiten Farbe zu bekennen. Da muß ich nun sagen: Ich bin sowohl über das Schweigen des Herrn Bundeskanzlers als auch über die Ausführungen und damit praktisch über das Schweigen des verehrten Herrn Kollegen Dr. Krone in einer bestimmten Frage, über die wir dann noch abzustimmen haben werden, enttäuscht. Sie erinnern sich an das, wovon Herr Gülich soeben auch gesprochen hat: den Titel von 12,2 Millionen DM, den der Herr Bundeskanzler nicht selbst bewirtschaftet, sondern der Herr Staatssekretär im Presse- und Informationsamt. Es gibt dafür keine Kontrolle des Parlaments! Wir aber wünschen eine Kontrolle des Parlaments.
Man kann ja aus der Geschichte etwas lernen - ich habe gestern oder heute schon einmal Jakob Burckhardt zitiert -, man kann durch Erfahrung klüger werden. Ich möchte Ihnen nun eine kleine Möglichkeit geben, aus der Erfahrung klüger zu werden.
Meine Damen und Herren, in dem Haushalt des Deutschen Reichs im Jahre 1931 standen unter IV, ordentlicher Haushalt, Kap. 4 Tit. 1 und 2 für die Förderung des deutschen Nachrichtenwesens im Ausland 1 880 000 RM. Das entspricht den 3 Millionen DM, die heute im Einzelplan 05, Auswärtiges Amt, stehen und zu denen wir keine parlamentarische Kontrolle beantragt haben.
Unter Ziffer 2, Förderung des Nachrichtenwesens im Inland, standen damals 100 000 RM und im Jahre 1930 200 000 RM.
Die Mittel
- hieß es im Dispositiv sind übertragbar und stehen ausschließlich zur Verfügung des Reichsministers des Auswärtigen. Die Jahresrechnung darüber unterliegt der alleinigen Prüfung des Reichsschuldenausschusses, der auch die Entlastung erteilt.
Meine Damen und Herren, es ist gut, der Vergangenheit zu entreißen, wie beispielsweise dieser Ausschuß des Parlaments, der diesen Posten von 100 000 RM - etwas weniger als 12,2 Millionen DM heute - zu kontrollieren hatte, sich im Jahre 1925 zusammensetzte. Ich darf Ihnen ,die Namen nennen: Wendemuth, Schiller ({0}), Graf v. Eulenburg, Dr. Beusch, v. Raumer, Höllein und - Dr. Krone.
({1})
Ich hätte erwartet, Sie hätten die Konsequenzen gezogen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat vorgetragen, das Bundesverfassungsgericht habe Herrn Professor Dr. Eschenburg im Termin am 13. Mai dieses Jahres als Sachverständigen gehört - ich zitiere jetzt wörtlich -, „ohne vorher davon eine Mitteilung zu machen." Das trifft nicht zu. Ich habe hier die Originalmitteilung, die an sämtliche Verfahrensbeteiligte am 6. Mai gegangen ist und in der es heißt:
Ferner wird davon Kenntnis gegeben, daß Herr Professor Dr. Eschenburg von der Universität Tübingen zur mündlichen Verhandlung als Sachverständiger geladen ist.
Diese Mitteilung vom 6. Mai ist nicht nur an die Bundesregierung zu Händen des Bundesministers der Finanzen ergangen, sondern ist ferner ergangen an die Christlich-Demokratische Union in Bonn, die Christlich-Soziale Union in München, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in Bonn; die Freie Demokratische Partei in Bonn, den Gesamtdeutschen Block/BHE in Bonn und die Deutsche Partei in Bonn.
Herr Bundeskanzler, es wäre, meine ich, richtiger gewesen, Sie hätten sich erst einmal zuverlässig durch Rückfrage bei dem Herrn Bundesminister der Finanzen vergewissert, wie der Sachverhalt war, ehe Sie hier eine so schwerwiegende Behauptung, ja geradezu den Vorwurf eines Verfahrensverstoßes gegen das Bundesverfassungsgericht erheben, es habe einen Sachverständigen geladen und vernommen, ohne daß die Prozeßbeteiligten vorher rechtzeitig von dieser Absicht des Gerichts in Kenntnis gesetzt worden seien. Sie haben immer das Pech, daß Sie durch Urkunden widerlegt werden können.
Aber das ist noch nicht alles. Das Bundesverfassungsgericht hat am 24. Juni dieses Jahres einen Beschluß verkündet, durch den es abermals das Verlangen, nochmals in die mündliche Verhandlung einzutreten, abgelehnt und seine Ablehnung eingehend begründet hat. Aus den Gründen dieses Gerichtsbeschlusses ergibt sich, daß vom 4. Juni an zunächst der Herr Bundesminister der Finanzen, dann durch Brief und Telegramme die ChristlichDemokratische Union, die Christlich-Soziale Union
und die Deutsche Partei eine neue mündliche Verhandlung gefordert hatten, Anträge, die vom Gericht abgelehnt worden sind.
Dann heißt es in den Gründen dieses Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts, daß Sie, Herr Bundeskanzler, 48 Stunden vor dem Verkündungstermin durch ein Fernschreiben gefordert haben,
({0})
nochmals in die mündliche Verhandlung einzutreten und weitere Sachverständige zu vernehmen.
({1})
- Nun passen Sie auf; jetzt kommt das Entscheidende! Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, daß in diesem Fernschreiben keine neuen Tatsachen enthalten sind und nichts darüber gesagt ist, welche Tatsachen bewiesen werden sollen. Aber in dem Fernschreiben des Herrn Bundeskanzlers, das am Morgen der Terminverkündung einging, steht, soweit ich weiß, das Bundesverfassungsgericht werde keine unangreifbare Entscheidung fällen können, falls diesem Wunsch des Bundeskanzlers nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung nicht entsprochen werden könne.
({2})
Das ist nicht nur keine angemessene Tonart, mit dem Bundesverfassungsgericht umzugehen, sondern eine solche Ankündigung ist, um mich sehr zurückhaltend auszudrücken, eben nichts anderes als ein Versuch, einen Druck auf das Gericht auszuüben.
({3})
- Herr Rasner, ich weiß, daß Ihre Zwischenrufe eine Qualität haben, die man parlamentarisch nicht kennzeichnen kann.
({4})
Was ich sage, stützt sich auf die ausgefertigten Urteilsgründe des höchsten deutschen Gerichts, und wenn Sie dann sagen, ich wisse, daß das nicht wahr sei, so trifft das Ihre Art, hier das Parlament in Verruf zu bringen, und nichts anderes.
({5})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle folgendes fest. Der Bundesfinanzminister hat in der Kabinettssitzung, in der er die Sache dem Kabinett vorgetragen hat, das erklärt, was ich soeben erklärt habe, nämlich, daß von der Ladung des Sachverständigen nicht vorher Mitteilung gemacht worden sei.
Dann hat es dem Herrn Abgeordneten Arndt beliebt, zu sagen, daß ich leider immer das Pech hätte, durch Urkunden widerlegt werden zu können. Ich mag auf das Geschmackvolle, was er da gesagt hat, nicht weiter eingehen. Es steht in so schreiendem Gegensatz zu dem, was Herr Kollege Gülich soeben gesagt hat,
({0})
daß ich glaube, eine derartige Sprechweise, wie sie Herrn Arndt beliebt, erklärt manches von der Atmosphäre dieses Hauses.
({1})
Ich möchte aber noch folgendes sagen. Ich habe nicht erklärt, was Herr Arndt angeführt hat, sondern ich habe erklärt, daß in der eventuell neu eröffneten Verhandlung die Bundesregierung Tatsachen mitteilen werde, ohne deren Kenntnis keine unangreifbare Entscheidung gefällt werden könne. Das ist etwas ganz anderes als das, was Herr Arndt gesagt hat.
({2})
Damit liegen zu dem Punkt „Allgemeine Politik der Bundesregierung" keine Wortmeldungen mehr vor.
Nach der interfraktionellen Vereinbarung soll der Punkt b), Außenpolitik, erst morgen früh um 9 Uhr behandelt werden.
Ich rufe dann zur Aussprache den Punkt c), Verteidigungspolitik, auf. Darf ich hierzu um Wortmeldungen bitten. - Herr Abgeordneter Merten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an das anknüpfen, was Herr Kollege Dr. Krone vorhin hier ausgeführt hat, und zugleich mit dem, was ich hier sage, einige Fragen beantworten, die er an die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gestellt hat. Ich möchte sie in dem Geist beantworten, den er hier beschworen hat und von dem auch meine Freunde glauben, daß er der Arbeit dieses Hauses zuträglich wäre.
Uns liegt der Haushalt des Verteidigungsministeriums in der dritten Lesung vor. Die sozialdemokratische Fraktion wird diesen Haushalt ablehnen. Die Gründe für diese Ablehnung liegen teils auf politischem, teils auch auf verteidigungspolitischem Gebiet.
Zu Anfang dessen, was ich zu sagen habe, möchte ich hier die Unterstellung ausschalten, die wir fast jedes Jahr erlebt haben, daß die Ablehnung dieses Haushalts bedeute, die Sozialdemokratische Partei wolle nichts für die Verteidigung der Bundesrepublik und die Verteidigung der Freiheit gegen diejenigen unternehmen, die dieses Land und seine Freiheit bedrohen. Ich glaube, daß es ganz allgemein und immer als eine böswillige Unterstellung bezeichnet werden muß, wenn es Leute gibt, die einer Partei wie der Sozialdemokratischen Partei
einen derartigen Vorwurf machen, einer Partei, die in ihrer ganzen Geschichte bewiesen hat, daß sie sich niemals von ihrem freiheitlich-demokratischen Weg hat abbringen lassen und daß sie immer bereit gewesen ist, für die Verteidigung der Freiheit Opfer zu bringen, und nicht nur bereit war, sondernOpfer auch tatsächlich gebracht hat und heute noch immer wieder bringt. Deswegen sagt die Sozialdemokratische Partei ein klares und unmißverständliches Ja zur Landesverteidigung. Sie sagt aber auch ein klares und unmißverständliches Nein zur Beteiligung an einem sinnlosen Wettrüsten und sagt nein zu einer Politik, die sich nur noch militärischer Maßstäbe und militärisch-machtpolitischer Gedankengänge bei der Vorbereitung ihrer Entscheidungen bedient.
Das ist die grundsätzliche Haltung meiner Fraktion zur Landesverteidigung. Wer das in der Öffentlichkeit bestreitet, tut das wider besseres Wissen, und wer der Verteidigungskonzeption der Sozialdemokratischen Partei" ein anderes Ziel als Sicherheit und Freiheit unterstellt, kann nur mit dem Wort „Verleumder" gekennzeichnet werden.
Wir Sozialdemokraten wissen, daß die Sicherheit des Landes und die Sicherung der Freiheit nicht nur militärischer Anstrengungen bedürfen, sondern daß u. a. auch die Finanzpolitik, die Wirtschaftspolitik, die Sozialpolitik gleichwertig und gleichberechtigt und in einem unlösbaren Zusammenhang mit den militärischen Anstrengungen gesehen werden müssen. Wir wissen, daß ein Wettrüsten, hinter dem vielleicht irgendwelche Großmachtträume stehen könnten - das wissen wir aus unserer Geschichte und aus der Geschichte anderer Völker -, leicht zu schwerwiegenden Folgen auf anderen Gebieten des öffentlichen Lebens führen kann und daß das Ergebnis einer solchen Politik dann eben nicht Sicherheit des Landes und Sicherung der Freiheit, sondern ganz im Gegenteil Gefährdung des Landes und Zerstörung der Freiheit ist. Ich halte es für meine Pflicht, immer wieder und auch bei dieser Gelegenheit auf die verhängnisvollen Folgen aufmerksam zu machen, die sich abzeichnen und die uns zwingen sollten, einen Weg zu suchen, der von den demokratischen Kräften unseres Staates gemeinsam gegangen werden kann.
Aber, meine Damen und Herren, meine Freunde und ich bekommen immer wieder berechtigte Zweifel, ob bei allen demokratischen Gruppen unseres Landes auch tatsächlich der ehrliche Wille vorhanden ist, diesen gemeinsamen Weg - den ja auch Herr Dr. Krone vorhin beschworen hat - zu gehen. Solange man glaubt, die politischen Auffassungen der Opposition abtun zu können als „irreal", als „illusionär", als einen „Weg nach Moskau" oder wie sonst immer die Apostrophierungen lauten, solange man alle abweichenden Meinungen, die sich nicht auf der Linie der Regierung oder der Regierungspartei bewegen, als „kommunistische Umtriebe" oder als „Gefährdung des Staates" bezeichnet, solange man das tut, ist man eben noch sehr weit davon entfernt, die Aufgabe der Opposition in einer freiheitlich-parlamentarischen Demokratie erkannt zu haben. Denn sehen Sie, das geht ja aus allen Diskussionen hervor, daß eine gemeinsame Politik nicht darin bestehen kann, bedingungslos zu kapitulieren oder zu Kreuze zu kriechen. Wer das unter gemeinsamer Politik versteht, der wird allerdings vergeblich darauf warten müssen, daß wir eine gemeinsame Politik mit den Verfechtern derartiger Auffassungen machen können; wer das unter gemeinsamer Politik versteht, der ist auf dem besten Wege, dieses Parlament zu denaturieren und einen wesentlichen Bestandteil unseres demokratischen Lebens zu zerstören.
Es ist hier vorhin schon einiges über die Rolle der parlamentarischen Opposition gesagt worden, und ich habe mich darüber gefreut, daß Herr Dr. Krone im Grundsätzlichen dieser Auffassung beigepflichtet hat. Ich glaube, daß die demokratische Opposition nicht nur ein unentbehrlicher, sondern auch ein entscheidender Teil einer demokratischparlamentarischen Staatsführung ist. Denn das Vorhandensein einer Opposition entscheidet überhaupt darüber, ob hier Demokratie ist oder nicht.
Wer aber nun glaubt, daß man die politischen Auffassungen der parlamentarischen Opposition mit Unterstellungen von Scheinargumenten lächerlich machen könne oder daß man sie in ihrem politischen Wollen durch üble Verdächtigung
({0})
madig machen könne, der ist, glaube ich, auf dem besten Wege, zu einer Gefahr für die freiheitliche Demokratie zu werden und, ich glaube, viel eher zu einer Gefahr zu werden als diejenigen, die da glauben, daß man durch eine Volksbefragung jeden einzelnen Staatsbürger auch einmal zwischen den Wahlen am politischen Leben beteiligen könne.
Ich sage das aber hier ohne jede Polemik, weil ich immer noch die Hoffnung habe, daß diejenigen politischen Kräfte insbesondere in der CDU/CSU die Oberhand gewinnen, die zur Zusammenarbeit bereit sind, und daß sie den Scharfmachern in ihren eigenen Reihen einmal eine Lektion erteilen, den Scharfmachern, die offenbar glauben, sie müßten neben die geographische Spaltung unseres Landes auch noch eine innenpolitische Spaltung setzen und sie vertiefen bis zu dem Tage, da man nicht mehr miteinander reden kann; und dieser Tag würde dann auch ohne Zweifel das Ende der demokratischen Freiheit in unserem Lande bedeuten.
({1})
- Sie fragen mich: „Wer ist denn das?" Ich will Ihnen einmal etwas dazu sagen. Wenn Sie glauben, daß auf der einen Seite des Hauses, in der Regierungskoalition, lauter reizende sanfte Lämmchen säßen und auf den Bänken der Opposition die reißenden Wölfe,
({2})
die ohne jede Veranlassung sich zur Aufgabe gesetzt hätten, hier einen Ton in die Debatte zu bringen, der vom ganzen Hause beklagt werden müßte, dann sind Sie im Irrtum.
({3})
Sie müssen einmal in Ihren eigenen Reihen danach Ausschau halten, ob es nicht eventuell Leute gibt, die dazu geeignet sind, ein derartiges Verhalten auf 'den Bänken der Opposition zu provozieren.
({4})
Das alte Sprichwort „Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus" scheint mir auch hier Geltung zu haben.
({5})
- Ich komme jetzt zur Sache. Wenn Sie es eilig haben, Herr Dr. Bucerius, - ich habe Zeit für diese Debatte,
({6})
weil mir die Dinge so wichtig zu sein scheinen, daß man einmal gründlich darüber sprechen muß. Sie werden gleich sehen, daß im Zusammenhang mit der Verteidigungspolitik wie auch im Zusammenhang mit der allgemeinen Politik auch hierüber gesprochen werden muß.
({7})
- Warum sind Sie denn so aufgeregt? Ich bin doch auch ganz ruhig. - Die Sozialdemokratische Partei
- um, wie Sie wünschen, zur Sache zu kommen - ({8})
- Ja, wenn ich tue, was Sie wollen, dann sind wir einig, und wenn ich etwas anderes tue, was Sie nicht wollen, dann konstruieren Sie irgendwelche Dinge.
({9})
Sie müssen immer bedenken, daß zum Einigsein der Wille von beiden Seiten gehört, einmal Zugeständnisse zu machen, und daß einig sein nicht heißt kapitulieren und zu Kreuze kriechen. Ich bedauere nur immer Ihre armen Koalitionspartner, die das dauernd exerzieren müssen.
({10})
- Das überlasse ich denen auch. - Die Sozialdemokratie - um zur Sache zu kommen - ({11})
- Wenn Sie nicht soviel Zwischenrufe machten, dann wäre ich schon längst weiter. Aber ich kann es mir natürlich schon aus Höflichkeit nicht erlauben, Ihre Zwischenrufe einfach zu überhören.
Die Sozialdemokratie setzt bei ihrer Wehrpolitik immer voraus, daß diese Politik in einem gespaltenen Land getrieben werden muß, daß man deswegen nicht so tun kann, als ob es diese Spaltung nicht gäbe, und daß ferner das Ziel dieser Politik die Sicherheit aller Deutschen, auch derjenigen jenseits des Eisernen Vorhangs, zu sein hat.
({12})
Deshalb kann die Wehrpolitik nur im Dienste einer
Gesamtpolitik stehen, die die Wiedervereinigung in
gesicherter Freiheit zum Ziel hat und die jede Entscheidung unter diesem Gesichtspunkt trifft. Wenn das bei Ihnen genauso sein, sollte, dann werden wir sehr schnell einig sein. Von daher gesehen caber sieht eine sinnvolle Landesverteidigung anders aus als die Einbeziehung unseres Landes in ein uferloses Wettrüsten;wenn Sie das nicht wollen, um so besser.
Angesichts dieser Situation erscheint es uns Sozialdemokraten bei der Grenzlage unseres Landes am Eisernen Vorhang z. B. nichtmöglich, die Wehrpflicht alten Musters zu praktizieren, ein System, das zur Folge hat, daß alle vorhandenen Verbände ständig nicht voll einsatzbereit sind, und das, als es ,erfunden wurde, auf die Bildung von Reserven ausgerichtet wurde, die dann erst in einem langwierigen und sehr schwierigen !Mobilisierungsverfahren zusammengeholt werden müssen. Wir meinen, daß in einem Land, in dem die Bevölkerung im Falle einer Luftwarnung vielleicht 10 oder 20 Sekunden Zeit hat, sich in Sicherheit zu bringen, solche Begriffe wie Mobilmachung und Reservisten eigentlich mehr in die historische Abteilung des Kriegsmuseums gehören, aber nicht in die Praxis.
Unseren Vorstellungen - und das möchte ich Herrn Dr. Krone sagen, der sich danach erkundigt hat - entspricht eine bewegliche, gut ausgebildete und modern bewaffnete Truppe besser. Aber ich möchte eines gleich klarstellen. Wenn wir Sozialdemokraten von modernen Waffen sprechen, dann meinen wir auch moderne Waffen in der wirklichen Bedeutung des Wortes und nicht Massenvernichtungsmittel, die dazu dienen, die Bevölkerung auszurotten und Länder unbewohnbar zu machen.
({13})
Auf diesen Unterschied darf ich Sie hinweisen. Sie tarnen zwar Ihre Atomausrüstungswünsche sehr nett und sehr geschickt unter dem Stichwort „moderne Bewaffnung"; aber mit Waffen haben diese Dinge nach unserer Auffassung nichts zu tun. Deswegen sind auch die Äußerungen meines Parteifreundes Ollenhauer, die der Herr Bundeskanzler hier zitiert hat, völlig in Ordnung, da auch er Waffen meint, wenn er Waffen sagt, und keine Massenvernichtungsmittel.
Herr Abgeordneter Merten, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bucerius?
Herr Kollege, erlauben Sie mir Ihnen dann eine Ausführung des Herrn Kollegen Mellies vorzuhalten, die mir schriftlich vorliegt und die nach meiner Auffassung denselben Sinn hat. Wenn sie ihn nicht hat, bitte ich um Ihre Stellungnahme. Er hat am 26. August 1956 folgendes gesagt:
Es ist meines Erachtens ein geradezu verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, ein Krieg in Europa oder ein Krieg in Deutschland könne ein lokaler Krieg sein und könne vor allen Dingen mit konventionellen Waffen durchgeführt werden. Seit Jahren sagt doch die NATO, daß man bei einem Konflikt in Europa sofort
die Atomwaffen anwenden wird. Das kann ja auch praktisch nicht anders sein.
Das sagte Herr Mellies. Wollen Sie noch behaupten, daß Sie der Meinung gewesen seien, Ihre Partei hätte nicht mit der Anwendung konventioneller Waffen gerechnet?
Ich würde am besten mit einer Rückfrage antworten, Herr Kollege Bucerius: Was hat das mit dem zu tun, was ich soeben gesagt habe?
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Es hat nämlich überhaupt nichts damit zu tun. Ich habe von der Strategie der NATO nicht ein einziges Wort gesagt, sondern ich habe von der Ausrüstung der Bundeswehr mit modernen Waffen gesprochen.
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Das ist eben der Unterschied zwischen uns beiden: Wenn wir „Waffen" sagen, meinen wir Waffen, und wenn Sie „Waffen" sagen, meinen Sie Massenvernichtungsmittel.
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- Das wird auch nach den Äußerungen des Herrn Kollegen Mellies nicht anders sein. Aber ich werde jetzt keine Zwischenfragen beantworten, bis ich meinen Gedanken zu Ende geführt habe, weil ich Ihre beliebte Methode kenne, einen andern durch Zwischenfragen zu hindern, die gar nicht einem echten Aufklärungsbedürfnis dienen, sondern nur dazu, Ihrerseits Ihre Politik zu verkaufen. Dazu werde ich mich jetzt nicht mehr hergeben. Sie werden mir also jetzt erst einmal zuhören, bis ich diesen Gedanken zu Ende geführt habe; dann können Sie mich wieder fragen.
Ich habe Ihnen gesagt, daß wir bewegliche, gut ausgerüstete und modern bewaffnete Truppen wollen, die in beweglichen Eingreifverbänden zusammengefaßt sind. Wir meinen aber Truppen mit wirklich modernen Waffen!
Diese Einheiten müssen wegen der Anforderungen, die an eine moderne Ausbildung gestellt werden, aus längerdienenden Freiwilligen und aus Berufssoldaten bestehen. Es ist für ein strategisches Denken, das sich auf einen Verteidigungskrieg, nicht aber auf einen Angriffskrieg vorbereitet, klar, daß es zur Unterstützung dieser Eingreifverbände einer bodenständigen Verteidigungstruppe bedarf, die nach Auffassung der Sozialdemokraten zur Erfüllung ihrer verschiedenartigsten Aufgaben am besten in einem milizartigen System entwickelt werden kann.
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- Dazu braucht man keine Wehrpflicht. Man braucht sie schon deshalb nicht, weil bei einer von allen demokratischen Gruppen dieses Landes getragenen Verteidigung an Freiwilligen für die verschiedenen Arten der Truppen kein Mangel sein würde. Sie haben ja dadurch, daß Sie bis jetzt nicht zu diesem
gemeinsamen Wege bereit waren, selber die Schuld daran getragen, daß die psychologischen Voraussetzungen für eine genügende Anzahl von Freiwilligen in unserem Volke nicht gegeben waren.
Ich sagte schon, daß ein strategisches Denken, das auf einen Verteidigungskrieg, nicht aber auf einen Angriffskrieg zusteuert, auf Grund der Konzeption, die ich Ihnen hier in wenigen Sätzen dargestellt habe, eine schlagkräftige und völlig ausreichende moderne Art der Verteidigung in diesem Lande entwickeln könnte. Es ist darüber an dieser Stelle und an anderer Stelle wiederholt ausführlich gesprochen worden, und man kann sogar, wenn man will, darüber etwas nachlesen. Aber, meine Damen und Herren, man kann sich auch die Mühe sparen und die Dinge einfach vom Tisch des Hauses wischen mit der Begründung, diese Konzeption sei irreal, weil es sie in keinem anderen Lande gebe, oder mit der Unterstellung, man wolle die Truppen von vornherein einem Gegner unterlegen machen oder was man sonst so hört. Ich weise hier im Auftrage meiner Freunde eine derartige Unterstellung mit allem Nachdruck zurück.
Wenn hier überhaupt einmal eine Aussprache über die unterlegene und veraltete Ausrüstung geführt werden sollte, die der eines möglichen Gegners nicht gewachsen Ist, dann, glaube ich, würde diese Aussprache sehr eigenartige Dinge zutage fördern. Aber ich will darüber nicht weiter sprechen, weil ich glaube, daß wir durch eine gemeinsame Diskussion im Verteidigungsausschuß durchaus in der Lage sein werden, auch auf diesem Gebiet zu allseits befriedigenden Ergebnissen zu kommen.
Das Ziel, das wir uns gesetzt haben und das nur in einer gemeinsamen Arbeit mit den demokratischen Parteien dieses Landes erreicht werden kann, rückt dann immer wieder in weite Ferne, wenn man erlebt, wie die Anliegen der Opposition z. B. vom Pressereferat des Verteidigungsministeriums behandelt werden. Das Pressereferat des Verteidigungsministeriums begeht den Fehler, der in dieser Debatte schon ein paar Mal aufgezeigt worden ist. Es fühlt sich offenbar mehr als Pressereferat der CDU/CSU als eines Bundesministeriums, obwohl die Kosten dafür immerhin von allen Steuerzahlern getragen werden müssen. Ich will Ihnen ein paar Beispiele herausgreifen, die beweisen, daß dieses Referat die Grenze dessen, was für das Referat einer Bundesbehörde erlaubt ist, doch weit überschritten hat.
Der Verteidigungsausschuß hat vor einigen Wochen einmal eine Flugabwehrbatterie der Amerikaner besucht. Es ist darüber hinterher berichtet und geschrieben worden, und es sind die Eindrücke wiedergegeben worden. Dann hat auch das Pressereferat zu dem, was in der Öffentlichkeit, zum Teil auch von mir, gesagt worden ist, Stellung genommen. Bei dieser Gelegenheit stellte sich plötzlich heraus, daß das Pressereferat Einzelheiten wußte, die mit diesen Dingen zusammenhingen und die dem Verteidigungsausschuß vorher nicht mitgeteilt werden konnten, weil angeblich darüber keine Unterlagen vorhanden waren und man nichts
habe erfahren können. Es ist eine merkwürdige Methode, erst unzureichend zu informieren und dann Darstellungen, die auf diesen Informationen aufgebaut sind, zu widersprechen und bei der Gelegenheit mit der vollen Information herauszurücken.
Dafür gibt es noch ein zweites Beispiel. Der Herr Bundesverteidigungsminister hat sich in einer Pressekonferenz ausführlich über die Umgliederung der Bundeswehr geäußert. Im Verteidigungsausschuß dieses Parlaments war darüber nicht gesprochen worden. Es war aber durch das Pressereferat des Verteidigungsministeriums auf drei vervielfältigten Seiten den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses etwas - wenn auch in militärischer Kürze - über die Sache mitgeteilt worden. Als ich nun in der Öffentlichkeit erklärte, daß der vorliegende Haushaltsplan, über den wir in diesen Tagen beschließen sollen, nichts mit diesen Umgliederungsplänen zu tun habe, weil er auf einer völlig anderen Organisation der Bundeswehr aufgebaut sei, wurde vom Pressereferat des Verteidigungsministeriums wiederum mitgeteilt, daß im Haushaltsjahr 1958 gar keine Umgliederung der Bundeswehr vorgesehen sei; man wolle lediglich zwei Brigaden neuer Art, eine Panzerbrigade und eine Panzergrenadierbrigade bilden, die in diesem Jahr im Herbst aufgestellt werden. Uns war auch mitgeteilt worden, daß diese beiden Brigaden aufgestellt werden. Aber im Haushaltsplan konnten wir leider keinerlei Anhaltspunkte dafür finden. Um diesen Widerspruch zu lösen, der darin besteht, daß einmal behauptet wird, es passiert in diesem Haushaltsjahr gar nichts, andererseits uns aber schriftlich mitgeteilt wird, daß doch etwas passiert, hat man ganz plötzlich - man kann es gar nicht anders ausdrücken - erfunden, daß diese Brigaden nur eine kurze Versuchsübung machen und dann schnell wieder aufgelöst werden. Davon steht in den schriftlichen Unterlagen, die man dem Verteidigungsausschuß über das Pressereferat zugeleitet hat, nicht ein einziges Wort, und darüber habe ich auch in den Presseberichten leider gar nichts finden können.
So, glaube ich, kann das Pressereferat einer Bundesbehörde sich nicht mit diesen Dingen befassen. Das ist weder sachlich richtig, noch dient es einer gemeinsamen Politik. Vor allen Dingen darf es sich nicht, wie es am 8. Mai 1958 in einer offiziellen Mitteilung geschehen ist, dann noch in innerparteiliche Auseinandersetzungen einmischen, von denen man offenbar vermutet, daß sie stattfinden; so warf man mir z. B. in einer Darstellung vor, ich ginge mit der Konzeption meiner Partei nicht konform. Das geht das Pressereferat des Verteidigungsministeriums gar nichts an; abgesehen davon stimmt es nicht, und diese Einmischung in die inneren Verhältnisse einer Fraktion dieses Hauses muß mit aller Entschiedenheit als unzulässig zurückgewiesen werden.
Nun hat das Pressereferat zu dem vorliegenden Haushalt auch auf Grund von Pressemitteilungen der SPD völlig abwegig Stellung genommen. Offenbar Ist dem Pressereferat der auf Seite 6 des
Regierungsentwurfs zum Haushaltsplan abgedruckte Vermerk entgangen. Da steht nämlich klipp und klar:
Ausgaben aus übertragenen Bewilligungen früherer Rechnungsjahre dürfen geleistet werden, soweit ihnen entsprechende Minderausgaben im Rahmen der veranschlagten Gesamtausgaben von 10 Milliarden DM gegenüberstehen.
Das heißt mit anderen Worten, daß die Reste aus früheren Haushaltsjahren, die in diesem Haushalt nicht bereinigt worden sind, in Höhe von 5,4 Milliarden aus diesem Haushalt bestritten werden können, wenn bei den Titeln dieses Haushalts entsprechend weniger verausgabt wird. Das kann z. B. auch bedeuten, daß kein einziger Titel des vorliegenden Haushalts in der hier angegebenen Höhe bedient wird, weil die Bewilligung früherer Rechnungsjahre aus den Mitteln des betreffenden Titels gezahlt werden soll. Das heißt also, daß die auf 228 Seiten niedergelegten Titel, alle miteinander, wie sie da sind, nicht dem entsprechen, was tatsächlich im laufenden Haushaltsjahr passieren wird. Dazu kommt, daß durch die Umgliederungspläne überdies vollkommen neue Voraussetzungen für die Aufstellung eines Haushalts gegeben sind, was vom Pressereferat bestritten wird. aber, wie ich glaube, nicht bestritten werden kann. Es werden z. B. die Mannschaftsstärken der Kompanien und Brigaden um 25 % gekürzt. Sie stimmen also nicht mehr mit dem Personalstellenverzeichnis des Haushalts überein. Die Versorgungsführung wird vollkommen neu geregelt. Die Bewaffnung ist anders als bisher, weil die Feuerkraft trotz der Verkürzung des Personals dieselbe bleibt.
Alles das hat aber im Haushalt nirgends einen Niederschlag gefunden, und der Verteidigungsausschuß dieses Hauses hatte auch keine Gelegenheit, sich mit der Angelegenheit zu befassen. Die Behauptung der Bundesregierung im Bulletin vom 27. Juni 1958, im Verteidigungsausschuß sei auf Wunsch jede weitere Sachauskunft erteilt worden, ist einfach nicht richtig. So konnte z. B. General Kammhuber seine Absicht nicht verwirklichen, vor dem Haushaltsausschuß und dem Verteidigungsausschuß über das Flugzeugprogramm zu sprechen, weil offenbar höhere Weisung ihn daran gehindert hat. Leider konnten wir uns auch nicht mit dem Herrn Minister über seinen Haushaltsplan unterhalten, weil er während der Beratung des Haushalts im Verteidigungsausschuß in zehn Sitzungen leider kein einziges Mal Gelegenheit hatte, an der Sitzung teilzunehmen. Auch sein Vertreter, der Herr Staatsekretär, war nur an der ersten Sitzung da und konnte leider auch an den weiteren Sitzungen nicht mehr teilnehmen. Es ist also mit dem Auskunfterteilen und der völligen Offenlegung der Pläne im Verteidigungsausschuß, wie sie das Pressereferat behauptet, doch nicht so weit her, wie das Presseamt es behauptet.
Ich nehme an, daß der Herr Minister und sein Vertreter Gründe für ihr Fernbleiben gehabt haben, und sie werden uns ohne Zweifel über diese Gründe etwas sagen. Es könnte aber auch sein, daß der
Herr Minister selbst das Gefühl gehabt hat, daß er hier eine Sache zu vertreten gehabt hätte, die nicht so einfach zu vertreten ist. Denn trotz der 228 Seiten des Einzelplans 14 ist es so, daß das Haus einen Betrag von 10 Milliarden DM pauschal genehmigen soll, von dem es nicht weiß und auch nicht erfahren hat, wie dieser Betrag in den einzelnen Titeln ausgegeben werden soll, weil ja jeder einzelne Titel durch die noch im Raum stehenden 5,4 Milliarden DM jederzeit geändert werden kann. Wir wissen also in keinem Punkt wirklich genau, was ausgegeben werden soll.
Ich will bei dieser Gelegenheit noch einige Fragen stellen. Was ist z. B. mit der Leistung der Stationierungskosten und ihrem Einfluß auf den vorliegenden Haushalt? Im Haushalt sind derartige Kosten nicht ausgebracht. Wie man hört, sollen aber derartige Kosten gezahlt werden. Wie man weiter hört, hat sich der Herr Verteidigungsminister schon darüber beklagt, daß sie seinem Haushalt entnommen werden sollen. Wir möchten Auskunft darüber haben, wie es damit ist. Welcher Betrag wird für die Stationierungskosten denn nun wirklich zusätzlich dem Verteidigungshaushalt entnommen?
Es wäre für das Haus interessant, auch einmal zu erfahren, welche Vorauszahlungen denn überhaupt schon und an wen für die Beschaffung von schwerem Gerät und Munition im Ausland erfolgt sind; denn das steht ja in einem gewissen Zusammenhang mit dem Vertrag über die Stationierungskosten. Was ist z. B. an Großbritannien geflossen? Welche Guthaben bestehen da? Was ist mit der Türkei und den Vereinigten Staaten? Ich will nur diese drei nennen. Und stimmt es, was man hört, daß über die rechtlichen Verpflichtungen hinaus z. B. Bankgarantien voll abgedeckt worden sind, um Kassenüberschüsse des vergangenen Haushalts zu verringern? Wo erscheint die Rückrechnung der Anzahlung und der Garantiezahlung im Haushalt? Wie steht es mit den ohne Zweifel vorhandenen Guthaben des Bundesverteidigungsministeriums bei den Lieferanten und bei der Garantiebank?
Ich glaube, daß es sehr interessant sein könnte, wenn wir über diese Dinge einmal Aufschluß bekämen, weil im Haushalt darüber leider so gut wie nichts ausgesagt ist. Wird nicht durch die bisher immer befolgte Haushaltsgebarung Vorschub geleistet - und das ist die Frage, die ich uns allen vorzulegen habe -, im Geldausgeben wesentlich großzügiger zu sein, als es unserer tatsächlichen Finanzlage entspricht?
Meine Damen und Herren, ich sehe, daß die Zeit des Sitzungsablaufs gekommen ist. Ich möchte deswegen nur noch einige wenige Schlußsätze zu diesen Problemen sagen, über die wir uns zweifellos morgen weiter unterhalten müssen.
Das Nein, das wir zum Verteidigungshaushalt aussprechen, ist ein Nein zu einer unzweckmäßigen Organisation des Verteidigungswesens und das Nein zu einer politischen Konzeption, die dieser unzweckmäßigen Organisation zugrunde liegt. Die Sozialdemokratische Partei wäre gern bereit, ja zu sagen zu einer Landesverteidigung, die wirkliche Sicherheit für Volk und Freiheit in dem unter den heutigen Verhältnissen überhaupt erreichbaren Ausmaß bringt. Die Sozialdemokratische Partei würde gern ja sagen zu einer Landesverteidigung, die diese Sicherheit allen Deutschen in beiden Teilen unseres Landes verbürgt und die Voraussetzung bietet, unseren Landsleuten in der sowjetischen Zone ein Leben in einem gemeinsam nach den Prinzipien der freiheitlichen Demokratie gestalteten Staate zu ermöglichen. Das wäre vielleicht durch eine gemeinsame Politik der Parteien in diesem Hause zu erreichen. Es wird aber niemals durch die Forderung zu erreichen sein, daß sich alle anderen der Politik einer einzigen Partei bedingungslos unterzuordnen haben.
Ich möchte bei dieser 'Gelegenheit, weil es mir notwendig erscheint, noch einen Satz hinzufügen: Was wir in der Sozialdemokratie unter freiheitlicher Politik verstehen, unterscheidet sich von dem kommunistischen Terrorsystem, wie sich Feuer von Wasser unterscheidet. Gerade Herr Dr. Krone hat wieder von der gefährlichen Nähe zum Osten gesprochen. Er hat davon gesprochen, daß die Linie der Sozialdemokratischen Partei, wie er glaube, Freiheit und Sicherheit in Europa gefährde, und daß es auf diesem Gebiet keine Kompromisse gebe.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit erklären, daß Herr Dr. Krone auf diesem Gebiet keinerlei Befürchtungen zu haben braucht. Wir müssen es mit aller Entschiedenheit zurückweisen, wenn immer und immer wieder - vielleicht auch in der von ihm gewählten etwas verfeinerten Form - der Verdacht geäußert wind, die sozialdemokratische Politik bringe uns in die Nähe dessen, was wir unter dem kommunistischen Terrorsystem verstehen. Wir grenzen uns sehr stark gegen dieses System ab. Das, was wir unter demokratischer und freiheitlicher Politik verstehen, ist dem, was dort drüben geschieht, so diametral entgegengesetzt, daß man einfach immer wieder feststellen muß: wer trotzdem behauptet, daß hier gewisse Gefahren herbeigeführt werden, der behauptet das einfach wider besseres Wissen. Denn die sozialdemokratische Partei hat weder in ihrem Programm noch in ihrer Politik jemals dazu Anlaß gegeben, hier in der Bundesrepublik derartigen Gedanken Raum zu ben. Wenn das trotzdem geschieht und wenn wir das immer wieder hören müssen, dann kann es dafür doch nur zwei Gründe geben. Entweder sieht man vor lauter parteipolitischen Scheuklappen die Wirklichkeit nicht oder man verleumdet eine freiheitlich-demokratische Partei wider besseres Wissen, und dann muß auch vermutet werden, daß die eigenen machtpolitischen Pläne der Kräfte, die das tun, die Bereitschaft einschließen, überhaupt die demokratischen Grundlagen dieses Staates ganz oder teilweise zu opfern.
Nur die Anerkennung der Opposition als demokratische Kraft und die Zusammenarbeit mit der Opposition kann verhindern, daß jemals das in Erscheinung tritt, was Sie immer wieder als drohende Gefahr an die Wand zu malen sich bemühen. Ich kann Ihnen das eine versichern - und das steht
auch über unserer Wehrkonzeption -: Beim Kampf um die Freiheit werden Sie die Sozialdemokratische Partei immer in der vordersten Front finden!
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Meine Damen und Herren, damit ist nach der interfraktionellen Vereinbarung der Zeitpunktgekommen, wo für heute die Sachdebatte abgebrochen werden soll.
Ehe ich die Sitzung schließe, erteile ich dem Abgeordneten Dr. Weber ({0}) das Wort zu einer Erklärung gemäß § 36 der Geschäftsordnung. Die Erklärung hat dem Herrn Präsidenten vorgelegen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über die erregten Szenen, die im Anschluß an die Rede des Herrn Bundeskanzlers in der 35. Sitzung am Donnerstag, dem 26. Juni, stattfanden, gibt das Stenographische Protokoll, wie es Herr Vizepräsident Dr. Preusker bereits in der Sitzung bekanntgab und wie es inzwischen gedruckt vorliegt, nur unvollständig Aufschluß. Es enthält auf Seite 1974 einen Teil eines von mir gemachten Zwischenrufs. Ich hatte deshalb eine Ergänzung des Stenographischen Berichts beantragt dahingehend, daß der Zwischenruf vollständig wie folgt aufgenommen wurde:
Herr Präsident, man ({0}) ruft hier ständig: „Lügner,
Lügner, Lügner! Ich bleibe dabei: Lügner'.''
Raus mit dem Kerl!
Die Aufnahme dieser Ergänzung hat der Herr Präsident nach der mir vom Stenographischen Dienst gemachten Mitteilung verweigert, da die weiteren Äußerungen weder vom Sitzungsvorstand noch von den Stenographen verstanden worden seien.
Ich sehe mich deshalb veranlaßt, die Berichtigung durch diese Erklärung vorzunehmen, da ohne diese ergänzenden Äußerungen der im Stenogramm aufgenommene Teil zu Mißverständnissen führt. Nähere Erklärungen dazu habe ich in einem besonderen Schreiben an den Herrn Präsidenten abgegeben.
Sie haben die Erklärung gehört.
Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung angelangt. Entsprechend der noch einmal bestätigten interfraktionellen Vereinbarung beginnen wir morgen um 9 Uhr mit der Behandlung des Punktes 2 b), Außenpolitik, und nehmen erst nach Beendigung dieser Debatte den Punkt Verteidigungspolitik wieder auf.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.