Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Eine amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 19. April 1958 unter Bezug auf § 17 Abs. 5 des Postverwaltungsgesetzes den Voranschlag der Deutschen Bundespost für das Rechnungsjahr 1958 zur Kenntnisnahme übersandt, der im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
Wir setzen die Aussprache über Punkt 1 der Tagesordnung fort:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr ({0}).
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Greve.
Meine Damen und Herren! Wie sehr der Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion über die Volksbefragung wegen eines Verbots der Atomaufrüstung der Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland die wunde Stelle der CDU und ihrer Regierung getroffen hat, hat der bisherige Verlauf der Debatte gezeigt.
({0})
- Wer sich in diesem Irrtum befindet, werden andere besser entscheiden als Sie und ich. - Ich habe auch volles Verständnis dafür, meine Damen und Herren von der CDU, daß Ihnen das ganze Vorhaben aus politischen Gründen nicht paßt. Jeder meiner Freunde und ich würde es verstanden haben, wenn Sie sich aus diesen politischen Gründen gegen eine Volksbefragung gewendet hätten. Darüber kann man sich in aller Ruhe und darüber kann man sich auch in aller Leidenschaft unterhalten, das räume ich ohne weiteres ein. Aber die Art und Weise, wie insbesondere Herr Dr. Barzel geglaubt hat, den Entwurf der Sozialdemokratischen Partei angreifen zu müssen, zeigt doch, daß Sie einfach kein Verständnis dafür haben, daß die sozialdemokratische Fraktion ihre Handlungen nach ihren eigenen politischen Vorstellungen bestimmt und nicht nach Vorstellungen, die Sie für richtig oder für falsch halten.
Es kann in keiner Weise die Rede davon sein, daß der Entwurf eine Verfassungsverletzung bedeutet oder daß er gar, wie es heute morgen der Bonner „Generalanzeiger" schreibt, den Willen zur kalten Machtergreifung zum Ausdruck bringt. So zu argumentieren, meine Damen und Herren, ist schlechthin infam.
Ich sagte, wir können uns über die politischen Aspekte eines solchen Vorhabens unterhalten, aber nicht über Dinge, die einfach außerhalb jeder Erörterung liegen. Ihr bisheriges Vorgehen gegen den Entwurf, soweit es sich um die verfassungsrechtlichen Dinge handelt, ist vollends unverständlich. Denn man kann diese und man kann jene Rechtsauffassung haben. Aber wenn es richtig ist, daß die Fraktion der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union einstimmig beschlossen hat, daß der Entwurf meiner Fraktion verfassungsrechtswidrig sei, dann kann ich darüber nur lachen. Dadurch, daß eine Fraktion einstimmig beschließt, ob ein Gesetzentwurf verfassungswidrig ist oder nicht, wird die Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit noch in keiner Weise gelöst.
({1})
- Nein, Sie können das einstimmig beschließen und Sie können das auch noch einmal einstimmig beschließen, das besagt über die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit unseres Entwurfes gar nichts.
Ich räume auch ein, daß man darüber verschiedene Rechtsauffassungen haben kann, ob der Entwurf verfassungsmäßig oder verfassungswidrig ist. Das muß schließlich dann von denjenigen Stellen entschieden werden, die in der Bundesrepublik Deutschland dazu berufen sind. Aber was Sie nicht dürfen, meine Damen und Herren, ist, uns unterstellen, wir hätten unseren Gesetzentwurf im Bewußtsein der Verfassungswidrigkeit einer solchen Volksbefragung eingebracht.
Ich will mich mit den politischen Fragen unseres Entwurfs im einzelnen nicht befassen; das werden andere meiner Freunde noch tun. Ich will mich vornehmlich mit den Verfassungsrechtsfragen befassen, möchte aber vorab erklären, daß die sozialdemokratische Fraktion den Entwurf in der festen Überzeugung eingebracht hat, daß eine Volksbefragung der hier in Rede stehenden Art nach unserem Grundgesetz zulässig ist.
({2})
Ich sage weiter, daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands mit der Volksbefragung, auch mit ihren Nebenfolgen und mit ihren Nebenwirkungen, von denen wir wissen, daß sie eintreten können
und möglicherweise auch eintreten werden, keine verfassungsrechtlich unzulässigen Vorhaben verbindet, was Sie uns in Ihren Reden zum Teil vorgeworfen haben. - Doch, Herr Dr. Barzel! Ich komme noch im einzelnen darauf zu sprechen, und mein Freund Blachstein hat Ihnen schon einiges darauf erwidert. Sie haben sich leider nicht die Mühe gegeben, uns Ihre Argumente bekanntzugeben. - Nein, die Argumente haben Sie uns nicht bekanntgegeben. Wenn Sie sie haben, möchte ich Sie bitten, sie uns später zu sagen.
Herr Dr. Barzel, Sie haben im einzelnen ausgeführt - und das gab mir Veranlassung zu diesen Bemerkungen -, der Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion bedeute einen Anschlag auf die Demokratie, denn die Verfassungswidrigkeit stehe ihm auf der Stirn geschrieben. Sie haben aber nicht gesagt, warum ihm die Verfassungswidrigkeit auf der Stirn geschrieben steht. Sie haben den Kommentator Hamann, der die Volksbefragung schlechthin für verfassungsmäßig hält, als einen fragwürdigen Kommentator bezeichnet, ohne zu sagen, warum er ein fragwürdiger Kommentator ist. Sie haben gesagt, es gebe nach dem Grundgesetz nur einen Weg, die Volksmeinung zum Ausdruck zu bringen, das seien die Bundestagswahlen. Sie haben davon gesprochen, daß die Volksbefragung eine verfassungswidrige Aktion bedeute, aber nicht gesagt, warum Sie diese Aktion für verfassungswidrig halten. Sie haben gesagt, daß der Gesetzentwurf wider den Geist und Buchstaben des Grundgesetzes sei.
Sie haben weiter gesagt daß das Vorhaben der Volksbefragung eine Umgehung des Grundgesetzes durch pseudolegale Aktionen darstelle. - Das alles, Herr Dr. Barzel, sind Ihre Äußerungen. Herr Bundesminister Dr. Schröder, auf dessen Ausführungen ich später noch eingehe, hat sich zu einem Teil diesem Vorgehen von Herrn Dr. Barzel angeschlossen, und wenn er auch in der Erklärung, die er für die Bundesregierung abgegeben hat, einige Argumente vorgetragen hat, warum der Volksbefragungsentwurf der sozialdemokratischen Fraktion dem Grundgesetz widersprechen soll, ist er dennoch in manchen Punkten die Argumente schuldig geblieben.
Eine Reihe anderer Redner ist dann darauf zu sprechen gekommen, warum nach unserem Grundgesetz die Volksbefragung unzulässig sein soll, und ist dabei auf die Beratungen des Parlamentarischen Rats und auf die Frage eingegangen, warum sich die Dinge so entwickelt haben, insbesondere wegen der Verhältnisse, wie sie in Weimar gewesen sind, und der Dinge, wie sie sich in den Volksbefragungsaktionen Hitlers abgespielt haben. Es ist Ihnen schon gesagt worden, daß ein Vergleich zwischen unserem Gesetzentwurf und den nach der Weimarer Verfassung zulässigen Volksbegehren und Volksentscheiden überhaupt nicht möglich ist, daß beide sowohl ihrem sachlichen als auch ihrem rechtlichen Gehalt nach etwas ganz anderes darstellen. Ich will versuchen, Herr Dr. Barzel, Ihnen das zu beweisen. Sie werden mir zugeben - darüber dürfte es überhaupt keine unterschiedlichen Auffassungen geben -, daß die Volksbegehren, die auf Grund des Gesetzes über die Volksabstimmung vom 14. Juli 1933 in Hitlers Ära veranstaltet worden sind, sowohl ihrem tatsächlichen als ihrem rechtlichen Gehalt nach etwas ganz anderes darstellten.
Um das Ihnen allen, die Sie zum Teil vielleicht nicht mehr die Erinnerung an diese Dinge haben, klarzumachen, muß ich auf die Volksbegehren und die Volksentscheide in den verschiedenen Durchführungen zur Weimarer Zeit eingehen.
Aus der Zeit der Weimarer Verfassung kann man zu den Dingen, wie sie gestern zur Diskussion gekommen sind, überhaupt keine eigentliche Einstellung, weder eine positive noch eine negative Einstellung haben. Das Volksbegehren und der Volksentscheid haben in der Praxis der Weimarer Zeit beileibe nicht die Rolle gespielt, die Sie ihnen heute zuerkennen.
({3})
Wenn Sie nämlich bedenken, daß in den 13 Jahren der Weimarer Zeit nur achtmal Volksbegehren eingeleitet worden sind, dann können Sie schon aus dieser Zahl entnehmen, welche geringe Bedeutung die Volksbegehren damals gespielt haben. Wenn ich Ihnen dann sage, daß davon nur drei Volksbegehren durchgeführt worden sind, dann wird das, was ich eben dargestellt habe, noch eklatanter. Noch offensichtlicher wird es, wenn ich Ihnen sage, um welche drei Volksbegehren es sich damals gehandelt hat und wie sie ausgelaufen sind.
Das erste Volksbegehren war das der Kommunistischen Partei Deutschlands im Oktober 1928, mit dem sie den Bau des Panzerkreuzers A verhindern wollte. Dieses Volksbegehren scheiterte bereits mangels der vorgeschriebenen Mindestbeteiligung. Das zweite Volksbegehren war das Volksbegehren, das die entschädigungslose Enteignung der ehemals in Deutschland regierenden Fürstenhäuser vorsah, das am 20. Juni 1926 durchgeführt worden ist. Dieses Volksbegehren scheiterte ebenfalls daran, daß nicht die Mindestzahl der Staatsbürger sich an ihm beteiligte. Das dritte Volksbegehren war das Volksbegehren des Stahlhelms gegen die Kriegsschuldlüge und den Young-Plan, das im Dezember 1929 durchgeführt worden ist. Auch dieses Volksbegehren scheiterte mangels Mindestbeteiligung der Bevölkerung in Deutschland.
Sie sehen also, daß die Volksbegehren, die in der Weimarer Zeit durchgeführt worden sind, für die Argumentation, mit der Sie glauben, gegen unser Volksbegehren vorgehen zu sollen, überhaupt nichts hergeben. Es gibt für Sie, meine Damen und Herren, aus der Weimarer Zeit keine Grundlage für die Beurteilung der Anrufung des Volkes zur Stellungnahme in bestimmten Fragen von grundsätzlicher Bedeutung. Denn all die Inhalte der eben von mir erwähnten Volksbegehren hatten beileibe nicht die grundsätzliche Bedeutung für die Zukunft des deutschen Volkes wie die Inhalte der Volksbefragung, die wir durchgeführt haben wollen.
({4})
Dr Greve
Herr Dr. Barzel, Sie werden doch zugeben, daß die Frage der Atombewaffnung der Bundesrepublik Deutschland für die Entwicklung unseres Volkes und für das Leben unseres Volkes von ganz anderer Bedeutung ist, als es die Fürstenenteignung oder die Kriegsschuldlüge oder der Panzerkreuzer gewesen sind.
({5})
- Ich gebe ohne weiteres zu, Herr Dr. Barzel, daß das keine Volksbefragungen, sondern Volksbegehren gewesen sind, die nach der Weimarer Verfassung expressis verbis zugelassen waren. Ich werde mich auch noch mit Ihnen darüber unterhalten, ob Volksbegehren, wie sie nach dem Grundgesetz expressis verbis nicht zugelassen sind, verfassungsmäßig oder verfassungswidrig sind; das ist ja die verfassungsrechtliche Frage.
Sie und Ihre Freunde haben argumentiert, daß der Parlamentarische Rat auf Grund der Erfahrungen von Weimar und der Hitlerzeit davon Abstand genommen habe, Volksentscheide, Volksbegehren und auch Volksbefragungen für zulässig zu erklären. Ich gebe Ihnen auch ohne weiteres jetzt schon zu, daß im Parlamentarischen Rat über Volksbegehren und Volksentscheid gesprochen worden ist und daß man für die Gesetzgebung ausdrücklich von ihnen Abstand genommen hat. Auch ich halte sie nicht für zulässig. Ich werde Ihnen sagen, warum ich dagegen Volksbefragungen für zulässig erachte: weil ich nämlich Volksbefragungen für etwas tatsächlich und rechtlich anderes ansehe als Volksbegehren und Volksentscheid; und das ist das punctum saliens.
Sie haben weiter versucht, aus Hitlers Ara Honig zu saugen; denn Sie sagten: Wir wollen auch auf Grund der Erfahrungen, die wir zur Hitlerzeit gemacht haben, keine Volksbefragungen dieser Art, das sind demagogische Maßnahmen, und wir werden solche Demagogie in der Bundesrepublik Deutschland nicht zulassen, jedenfalls nicht insoweit, als damit die Aufwiegelung des Volkes gegen die ordnungsgemäß zustandegekommene Regierung verbunden ist.
Meine Damen und Herren, Sie wissen wahrscheinlich im Augenblick gar nicht, welche Volksbefragungen zur Zeit der Hitler-Ara durchgeführt worden sind. Ich erwähnte schon, daß im Juli 1933 das Gesetz über Volksabstimmungen verabschiedet worden ist, das Volksabstimmungen zuließ. Der erste Fall war der einer Volksbefragung über den Austritt aus dem Völkerbund und das Verlassen der Abrüstungskonferenz. Hier wurde das deutsche Volk, nachdem die damalige Reichsregierung beschlossen hatte, aus dem Völkerbund auszutreten, und nachdem ihre Vertreter die Abrüstungskonferenz verlassen hatten, befragt, ob es mit den bereits getroffenen Maßnahmen einverstanden sei.
Der zweite Fall war die Volksbefragung über die Einsetzung Hitlers als Staatsoberhaupt, die bereits durch ein Gesetz am 1. August 1934 beschlossen worden war. Die Volksbefragung fand am 19. August 1934 statt.
Der dritte Fall war der des Einmarsches deutscher Truppen in Österreich.
In allen drei von mir erwähnten Fällen - und das sind alle Fälle, in denen Volksbefragungen dieser Art stattgefunden haben - hatte das Volk keine offene Frage zu beantworten, wie es nach unserem Vorhaben der Volksbefragung ist, sondern es handelte sich bei allen diesen Volksbefragungen darum, daß eine bereits getroffene und vollzogene Maßnahme nachträglich gebilligt werden sollte.
Wenn Sie der Auffassung sind, meine Damen und Herren, daß die atomare Bewaffnung bereits stattgefunden hat und unsere Volksbefragung auch nur den Sinn haben könnte, nur eine bereits getroffene Entscheidung zu billigen, dann allerdings können Sie eine Parallele mit den Volksbefragungen der Hitlersehen Zeit ziehen.
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Aber ich glaube, so weit werden Sie selbst nicht gehen wollen.
Die Beteiligung des deutschen Volkes an den Hitlerschen Volksbefragungen bedeutete weiter nichts als eine Akklamation, wie sie eben auch in den napoleonischen Volksabstimmungen in Frankreich in den Jahren von 1793 bis 1815 stattgefunden hat.
Sie können also aus den Zeiten Weimars und aus den Zeiten Hitlers schon nicht sehr viel oder nichts für die Entscheidungen herleiten, vor die der Parlamentarische Rat gestellt war. Nun sagen Sie, es handelte sich im Parlamentarischen Rat vor allem darum, Volksabstimmungen schlechthin abzulehnen. Nein, meine Damen und Herren, es handelte sich im Parlamentarischen Rat gar nicht darum, Volksabstimmungen schlechthin abzulehnen!
Sie haben in diesem Zusammenhang meinen Freund Dr. Rudolf Katz zitiert, der sich im Parlamentarischen Rat sehr wesentlich an der Diskussion über diese Frage beteiligt hat. Herr Dr. Katz hat ausdrücklich gesagt:
Wir sind der Ansicht gewesen, daß normalerweise die Gesetzgebung
- die Gesetzgebung! im Wege der repräsentativen Demokratie durch die Parlamente durchgeführt wird und daß normalerweise ein Volksentscheid über ein Gesetz nicht herbeigeführt werden sollte.
Ich wiederhole: Herr Dr. Katz spricht davon, daß die Gesetzgebung normalerweise im Wege der repräsentativen Demokratie durch die Parlamente durchgeführt wird und daß normalerweise ein Volksentscheid über ein Gesetz nicht herbeigeführt werden sollte. Herr Dr. Katz hat also erstens von Volksbegehren und Volksentscheid bei der Gesetzgebung gesprochen. Darum handelt es sich bei unserer Volksbefragung überhaupt nicht. Er hat außerdem davon gesprochen, daß normaler1462
Dr Greve
weise eine solche Aktion nicht stattfinden sollte. Meine Damen und Herren, Sie werden mir doch zugeben, daß unsere Volksbefragung erstens nicht einen Gesetzgebungsakt darstellt und daß es sich zweitens bei der atomaren Aufrüstung der Bundesrepublik nicht um einen normalen Gesetzgebungsfall handelt.
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- Es handelt sich hier wirklich um etwas Exzeptionelles, und dieses Exzeptionelle kann auch auf exzeptionelle Weise behandelt werden, Frau Kollegin Dr. Weber. Das ist nach unserem Grundgesetz in keiner Weise unzulässig.
Sie scheinen allerdings - und das möchte ich gleich vorweg sagen - der Auffassung zu sein, die gemeinhin in Diktaturen und in totalitären Staaten vertreten zu werden pflegt, daß man in der Verfassungswirklichkeit nach dem Prinzip lebt: Alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist verboten. Wir sind allerdings der Auffassung - und darin unterscheiden wir uns offenbar von der Bundesregierung und von den Fraktionen, die aus verfassungsrechtlichen Gründen glauben unseren Gesetzentwurf ablehnen zu sollen -, daß das demokratische Prinzip allein die Lebensweise zuläßt, daß alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, erlaubt ist. Wir glauben, daß diese Art der Staaten, zu leben, eine höherwertige ist als diejenige nach dem Prinzip, daß alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, zu tun verboten ist.
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Ich komme hier auf einen Punkt zu sprechen, der auch in den Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers angeschnitten worden ist. Sie wissen, daß im Parlamentarischen Rat eine nicht geringe Abneigung, das gebe ich ohne weiteres zu, gegen Volksabstimmungen bestand. Das Ergebnis dieser Abneigung war, daß man eben für die Gesetzgebung und - das muß ich in diesem Zusammenhang nochmals ausdrücklich erwähnen, damit das Verhalten der Mitglieder des Parlamentarischen Rats richtig charakterisiert wird - auch für die Wahl des Bundespräsidenten davon Abstand genommen hat, das Volk entscheiden zu lassen. Man hat für die Wahl des Bundespräsidenten vielmehr ein besonderes Organ in unserer Verfassung vorgesehen. Daraus den Schluß zu ziehen, daß Volksbegehren und Volksentscheide grundsätzlich unzulässig sind, ist verfassungsrechtlich schlechthin nicht möglich. Sie müssen schon andere Argumente vortragen, wenn Sie sich auf den Parlamentarischen Rat berufen wollen.
Meine Damen und Herren, der Parlamentarische Rat hat sich über Volksbefragungen dieser Art, wie sie jetzt in unserem Gesetzentwurf vorliegt, überhaupt nicht geäußert. Der Parlamentarische Rat ist wohl der Auffassung gewesen, daß weithin Volksabstimmungen nicht durchgeführt werden sollten, sondern daß das normale Verfassungsleben durch das Parlament bewältigt werden sollte. Wir aber sind der Auffassung - und das sagte ich bereits -, daß es sich hier nicht um einen normalen Vorgang unseres staatlichen Lebens handelt, sondern daß es sich hier handelt um einen
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- exzeptionellen Vorgang. Wenn Sie Ihr eigenes Vorhaben für abnormal halten, Frau Kollegin Dr. Weber, dann kann ich das allerdings auch nur unterstreichen.
({10})
Ich sagte, um einen „exzeptionellen Vorgang", den wir auch auf exzeptionelle, aber verfassungsmäßig zulässige Weise behandelt wünschen, wie das in unserer Vorlage zum Ausdruck kommt.
Da Sie nun aus der Behandlung dieses Vorgangs durch den Parlamentarischen Rat nicht genügend für Ihre Rechtsauffassung herleiten konnten, sind Sie - und das muß ich sowohl für Herrn Dr. Barzel wie für den Herrn Bundesinnenminister Dr. Schröder gleicherweise annehmen - darauf verfallen, zu erklären, das Wesen der repräsentativen Demokratie lasse eine Volksbefragung nicht zu. Darüber soll im Bundesinnenministerium, möglicherweise sogar unter Beteiligung des Bundesjustizministeriums, ein sogenanntes Rechtsgutachten erstellt worden sein, das meinen Freunden und mir allerdings nicht zugänglich gemacht worden ist. Mein Freund Dr. Arndt hat sich bereits dagegen gewandt, derartige Auslassungen als Gutachten zu bezeichnen und damit den Anschein zu erwecken, als handle es sich hier um unabhängige Stellungnahmen unabhängiger Juristen. Das ist in keiner Weise der Fall. Damit ist gar nichts gegen den Wert solcher Ausführungen gesagt, aber Gutachten sind sie nicht. Sie sind schlechthin parteiliche Stellungnahmen, deren Wert nicht dadurch erhöht wird, daß sie aus einem Ministerium stammen, und die nicht deswegen richtiger sind, weil sie unter der Führung von zwei Bundesministern zustande kommen.
Wir haben uns seit Beginn unseres Verfassungslebens, seit dem 1. Bundestag, gegen diese von der Regierung betriebene Zweckjurisprudenz gewandt. Das müssen wir auch heute wieder tun. Wir müssen uns dagegen wenden, daß gewissen Rechtsauffassungen deswegen ein größerer Wert beigemessen wird, weil sie Vorhaben der Bundesregierung zu stützen geeignet sind. Wir müssen uns dagegen wenden, daß sie ihrem Wert nach höher eingeschätzt werden, weil sie aus Ministerien kommen.
Besonders unangenehm berührt es uns allerdings, Herr Bundesminister, wenn solche von Ihnen als Rechtsgutachten bezeichnete juristische Auffassungen, wenn sie schon bekanntgegeben werden, nicht dem ganzen Hause bekanntgegeben werden. Wenn es richtig ist, daß diese Ihre Rechtsauffassungen der CDU-Fraktion zugänglich gemacht worden sind, dann haben Sie damit etwas getan, was meine Freunde und ich nicht als einwandfrei bezeichnen können. Entweder bleiben solche von Ihnen als Gutachten bezeichneten Niederschriften in Ihrem Hause und werden niemandem vom Parlament bekanntgegeben - dagegen haben wir nichts einDr. Greve
zuwenden -, oder aber sie werden, wenn Sie sie schon bekanntgeben, allen Teilen des Hauses be-bekanntgegeben,
({11})
also dürfen Sie sie nicht nur der CDU-Fraktion, sondern müssen sie auch der Opposition zur Verfügung stellen, damit auch wir dann die Möglichkeit haben, diese Auffassungen zur Kenntnis zu nehmen und uns mit ihnen auseinanderzusetzen.
Ich gebe zu, es handelt sich hier für uns um staatsrechtliches Neuland. Bei der Beurteilung solcher Vorgänge sollte man sehr vorsichtig sein, nicht nur hier im Hause, sondern auch auf seiten der Bundesregierung. Diese vorsichtige juristische Beurteilung, Herr Bundesminister, kommt allerdings in den Erklärungen, die Sie uns hier gestern gegeben haben, nicht zum Ausdruck. Es ist gesagt worden, die repräsentative Demokratie lasse eine Volksbefragung deswegen nicht zu, weil diese ihrem Wesen widerspreche. Ich kann im Augenblick nicht sagen, ob es Herr Dr. Barzel oder Herr Bundesinnenminister Dr. Schröder gewesen ist, der gesagt hat, daß mit Ausnahme von Hamann, der hier schon mehrfach zitiert worden ist, die gesamte Literatur dieser Auffassung ist. Meine Damen und Herren, das stimmt einfach nicht. Der einzige, der sich ausdrücklich für die verfassungsmäßige Zulässigkeit der Volksbefragungen ausgesprochen hat, bevor sie rechtlich aus dem akuten Anlaß unseres Entwurfs behandelt worden ist, ist Hamann. Hamann hat an der von Ihnen bereits mehrfach zitierten Stelle seines Kommentars gesagt, daß Volksbefragungen zulässig sind. Die übrige Literatur ist zwar auf die Frage der Volksbefragungen überhaupt nicht eingegangen, aber - ({12})
- Herr Dr. Barzel, wie können Sie so etwas sagen, daß die Volksbefragung nicht in das System der Demokratie paßt!
({13})
Das ist doch schlechterdings unmöglich. Dann ist die Schweiz überhaupt keine Demokratie,
({14})
wenn die Volksbefragung nicht in eine Demokratie hineinpaßt. Sie können sagen: Wir wollen auch heute die Volksbefragung nicht in unserer Demokratie haben. Das können Sie sagen, Sie können die Volksbefragung aus politischen Gründen ablehnen; das gebe ich Ihnen doch alles zu. Aber Sie können bei unserer heutigen Verfassungssituation nicht einfach ex cathedra erklären: Die Volksbefragung ist unzulässig.
Es handelt sich hier nicht um eine Angelegenheit, die ex cathedra gelöst werden kann, sondern es handelt sich um eine Frage - folgen Sie mir doch bitte, Herr Dr. Barzel -, über die man völlig verschiedener Auffassung sein kann. Ich beschimpfe Sie doch deswegen nicht, weil Sie eine andere Auffassung haben als ich, sondern ich versuche doch
nur, Ihnen meine Argumente für meine Auffassung nahezubringen. Ich wäre allerdings begierig, nicht nur zu erfahren, welche Auffassung Sie haben, sondern auch, mit welchen Argumenten Sie Ihre Auffassung stützen.
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Das sind Sie uns bisher schuldig geblieben. Ich kann nicht einfach sagen: „Ich bin dafür oder dagegen, weil ich dafür oder dagegen bin", sondern ich muß schon sagen, warum ich dafür oder dagegen bin. Allein das ist eine vernünftige verfassungsrechtliche Argumentation in diesem Hause. Sie können hier nachher, wie gesagt, mitteilen, welche Argumente Sie für Ihre Auffassung haben; aber dann bitte auch unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte, die ich Ihnen vorgetragen habe.
Wenn ich, soweit mir die Zeit zur Verfügung gestanden hat, die Literatur und die Rechtsprechung richtig durchgesehen habe, dann steht von Mangoldt-Klein auf dem Standpunkt, daß nach unserem Grundgesetz das Volk die Staatsgewalt unmittelbar in den zwei Formen der Wahlen und Abstimmungen und damit nur ausnahmsweise ausübt. Mehr brauchen wir gar nicht, meine Damen und Herren. Es ist nicht richtig, daß, wie es in den letzten Tagen hier und auch in der Presse teilweise zum Ausdruck gekommen ist, mit dem Ausdruck ,,Abstimmungen" in Art. 20 Abs. 2 unseres Grundgesetzes nur die Abstimmungen über die Länderbereinigung in der Bundesrepublik gemeint sind. Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Auffassung vertreten, claß mit „Abstimmungen" nach Art. 20 Abs. 2 unseres Grundgesetzes nur die Abstimmungen über die Abgrenzung der Länder in der Bundesrepublik gemeint sind, dann sagen Sie mir bitte, warum Sie diese Auffassung vertreten und wo Sie für diese Auffassung Stützen finden, rechtliche Stützen.
Es ist nicht so, daß der Parlamentarische Rat gewollt hat, daß nur die von mir eben erwähnten Abstimmungen als Abstimmungen im Sinne des Art. 20 Abs. 2 aufzufassen sind. Das geht auch daraus hervor, das Mangoldt sagt „ausnahmsweise". Richtig, zugegeben, nur ausnahmsweise übt das Volk unmittelbar die Staatsgewalt in der Form einer Abstimmung aus. Wir wünschen auch nicht - das ist verschiedentlich hier in den Äußerungen Ihrer Redner angeklungen -, daß Volksbefragungen zu einer Alltagsangelegenheit werden. Auch wir sind der Auffassung, daß solch eine Volksbefragung, wie wir sie heute wünschen, nur dann stattfinden soll, wenn es sich um das Leben unseres Volkes und unseres Staates schlechthin handelt, und nicht bei jeder x-beliebigen Angelegenheit. Ich glaube, Herr Dr. Jeager war es, der wieder mal eines der bei ihm üblichen Beispiele brachte: daß das Volk befragt werden sollte, ob Herr Ollenhauer Kanzler werden solle oder nicht. Meine Damen und Herren, das sind doch einfach unsinnige Vergleiche, auf die einzugehen einfach unnötig ist. - Ich versage es mir jedenfalls, auf solche Beispiele einzugehen -,
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1464 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den '25. April 1958
genauso wie Herr Dr. Jaeger den Vergleich gezogen hat, daß das deutsche Volk dann auch gefragt werden könnte, ob es damit einverstanden sei, daß die Bundesrepublik zum Aufmarschgebiet der Roten Armee würde. Meine Damen und Herren, kommt Ihnen der bare Unsinn eines solchen Vergleichs nicht selber zum Bewußtsein?
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- Ja, Herr Pelster, schämen Sie sich nicht? Herr Pelster, es handelt sich hier doch nicht um die politische, sondern es handelt sich doch hier jetzt um die verfassungsrechtliche Betrachtung der Vorgänge. Kommt Ihnen denn nicht der Unsinn zum Bewußtsein, der darin liegt, solche Vergleiche zu ziehen? Als wenn überhaupt jemand auf den Gedanken kommen könnte, das Volk verfassungsrechtlich zulässig über eine Angelegenheit zu befragen, die wir ja gar nicht in der Hand haben! Aber Sie scheinen vollends vergessen zu haben, daß die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik Deutschland eine Angelegenheit ist, die in unsere Hand gelegt worden ist.
({18})
Sie scheinen schon so weit in das Fahrwasser der Vereinigten Staaten von Amerika gekommen zu sein, daß Sie gar nicht mehr zu unterscheiden vermögen, was wir zu bestimmen haben und was Herr Eisenhower und Herr Dulles zu bestimmen haben.
({19})
- Nein; ich glaube, die deutsche Sozialdemokratie hat in den Jahren nach 1945 Beweise genug dafür geliefert, das sie willens ist, jedem entgegenzutreten und jeden Widerstand aufzunehmen, um nicht in das Fahrwasser zu gelangen, das Sie jetzt meinen, ohne es auszusprechen, Herr Majonica.
({20})
Das ist wieder eine der üblichen Verdächtigungen, für die Sie gar keinen - ({21})
- Nein, Herr Majonica! - Dafür hat Ihnen die Sozialdemokratie gar keinen Anlaß gegeben.
({22})
- Ich habe keine Verdächtigungen ausgesprochen. Ich weiß, daß es Ihnen wehtut, wenn ich Ihnen den Unsinn dieses Vergleichs vor Augen führe, meine Damen und Herren. - Aber ich will mich über diese politischen Dinge hier nicht weiter auslassen; ich will mich darauf beschränken, weiter die verfassungsrechtliche Situation darzustellen.
Meine Damen und Herren! Sie, Herr Dr. Barzel, glaube ich, haben gesagt, Hamann habe in seiner Einleitung zu seinem Kommentar etwas ganz anderes zum Ausdruck gebracht, als in der Kommentierung des Artikels 20. Das stimmt nicht, meine Damen und Herren. Und hier möchte ich Ihnen die Auffassung sagen, die auch ich vertrete. Hamann hat ausgedrückt:
Volksbegehren zur Meinungserforschung können durch einfaches Gesetz beschlossen werden.
Und er sagt dann weiter:
Insofern ist heute alle Demokratie auf staatlicher Ebene repräsentative Demokratie.
Das Letztere halte ich zwar nicht für richtig; aber es ist die Auffassung von Hamann.
Hierbei handelt es sich nicht um eine wesentliche Eigenschaft der Demokratie, sondern um eine besondere Gestaltungsform.
Und das ist der Unterschied, meine Damen und Herren. Sie sagten: Volksbefragung ist deswegen nicht zulässig, weil sie nicht in die Demokratie hineinpaßt. Ja, meine Damen und Herren, - ({23})
- Doch, das ist gesagt worden.
({24})
- Bevor Sie in den Saal kamen, Herr Kiesinger, ist hier gesagt worden, daß die Volksbefragung nicht zur Demokratie passe. Darauf habe ich erwidert, daß dann die Schweiz keine Demokratie sei. Und dann erst, Herr Kiesinger, traten Sie in den Saal ein. Sie konnten es nicht wissen, aber es ist in Ihren Reihen gesagt worden. Ich freue mich, daß Sie anderer Auffassung sind und sich damit von den Auslassungen einiger Ihrer Freunde absetzen. - Gut, wenn Sie sagen: „nicht in das Wesen der parlamentarischen Demokratie paßt", dann gehe ich auch darin nicht mit Ihnen einig; aber dann hat das, was Sie sagen, schon eine größere innere Logik als die Behauptung, daß die Volksbefragung überhaupt nicht in die Demokratie paßt.
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Aber offenbar gibt es in Ihren Reihen nicht nur verschiedene Auffassungen, sondern auch Qualitätsunterschiede bei den Juristen, Herr Kollege Kiesinger.
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- Bei uns auch, wird ja gar nicht geleugnet. Meine Damen und Herren, es ist also nicht so, daß das Wesen auch der repräsentativen Demokratie die Volksbefragung nicht vertrüge, sondern es handelt sich da, wie Hamann sagt, nur um eine besondere Gestaltungsform, in der der Wille des Volkes zum Ausdruck gebracht wird. Der Wille des Volkes wird dann eben nicht mehr über das das Volk repräsentierende Parlament zum Ausdruck gebracht, sondern der Wille des Volkes wird dann dadurch, daß es seine Meinung äußert, unmittelbar zum Ausdruck gebracht.
Dann ist Herr Professor Dr. Nawiasky von Ihnen bemüht worden. Ich weiß nicht, wie man es unterDr. Greve
nehmen kann, die Ausführungen, die Herr Nawiasky in der Osternummer der „Süddeutschen Zeitung" gemacht hat, so auszulegen, als lehne er eine Volksbefragung auf Grund der Bestimmungen unseres Grundgesetzes ab. Wenn Herr Nawiasky hier sagt: „Wenn es schon in Art. 20 des Grundgesetzes heißt: 'Die Staatsgewalt wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung ausgeübt', so ist damit doch die generelle verfassungsmäßige Grundlage für eine durch einfaches Durchführungsgesetz zu regelnde Mitwirkung des Volkes vorgesehen und legitimiert, wenn auch das Grundgesetz selbst die spezielle Betätigung des Volkes auf einem bestimmten Gebiet noch nicht normiert hat." Ja, meine Damen und Herren, das ist doch gerade das, was unsere Volksbefragung und den entsprechenden Gesetzentwurf ausmacht. Nun argumentieren Sie dagegen doch mal verfassungsrechtlich, Herr Dr. Barzel! Dies ist doch eine Auffassung, eine Rechtsauffassung, die wir nicht bestellt haben, die wir uns aber gern zu eigen machen, da sie nicht nur unsere verfassungsrechtliche Situation stützt, sondern auch geeignet ist, unser politisches Vorhaben verfassungspolitisch zu rechtfertigen. Herr Dr. Barzel, ich meine, das sind zwei Dinge, über die wir uns unterhalten müssen, und zwar so, wie wir es als Juristen gewohnt sind.
Man kann doch nicht einfach aus ich weiß nicht welchen Gründen hier zum Ausdruck bringen, Herr Nawiasky habe das Gutachten nicht auf Wunsch eines Ministeriums abgegeben, sondern seine Rechtsansicht in einer Zeitung veröffentlicht, und sie sei schon deswegen nichts wert, weil sie nur in einer Zeitung zum Ausdruck komme. So ungefähr ist argumentiert worden, Herr Majonica. Herr Nawiasky ist einfach als irgendwer abgetan worden, offenbar, weil der Bundesregierung bekanntgeworden ist, daß er eine Auffassung vertritt, die sie für ihre Position nicht gebrauchen kann. Herr Nawiasky ist sonst ein, soweit ich unterrichtet bin, auch in Ihren Kreisen und bei der Bundesregierung hochangesehener Rechtsgelehrter, und er genießt auch in unseren Kreisen großes Ansehen, obwohl er nicht zu meinen engeren politischen Freunden gehört, was Ihnen ja auch bekennt sein dürfte.
Ich will Ihnen nur beweisen, daß Ihre Behauptung, das Wesen der repräsentativen Demokratie ertrage die Volksbefragung verfassungsrechtlich nicht, nicht in dem Umfang vertreten wird, wie Sie es uns gestern hier wahrmachen wollten. Dafür, daß unsere Auffassung richtig ist, haben wir eine ganze Reihe von namhaften juristischen Stützen. Ich will hier nur die schon mehrfach, ich glaube, auch von dem Herrn Bundesminister des Inneren, zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 2. August 1957 erwähnen, auf die Dr. Heinemann hier noch im einzelnen eingehen wird. Auch diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs hält eine Volksbefragung für eine neutrale Zielsetzung und für verfassungsrechtlich zulässig, auch wenn die Volksbefragung als Institution in unserem Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt ist. Meine Damen und Herren, damit müssen wir uns auseinandersetzen,
wenn wir in der Frage, ob die Volksbefragung verfassungsrechtlich zulässig ist, ein richtiges Ergebnis erzielen wollen.
Die Abschaffung von Volksbegehren und Volksentscheid als verfassungsmäßig dem Volk zugewiesene Institution mit verfassungsmäßiger Wirksamkeit durch den Parlamentarischen Rat erfolgte, wie ich Ihnen bereits sagte, aus ganz bestimmten Erfahrungen der Vergangenheit. Es ist aber rechtlich nicht zulässig, daraus den Schluß zu ziehen, daß damit auch jede Volksbefragung über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr ausgeschlossen ist. Sie kann nach unserer Rechtsauffassung nach dem von mir soeben erwähnten, für unser Verfassungsleben allein gültigen Prinzip verfassungsmäßig nicht für unzulässig erklärt werden. Ich sage: verfassungsmäßig nicht für unzulässig erklärt werden; wie Sie die Dinge politisch beurteilen, steht auf, einem ganz anderen Blatt. Bitte lassen Sie uns auch aus ganz bestimmten allgemeinen Gründen den Grundsatz nicht aufgeben, daß das, was nicht ausdrücklich im Grundgesetz erwähnt ist, nicht verboten ist, sondern lassen Sie uns das für erlaubt halten. Denn auch diejenigen, die im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz beschlossen haben, waren keine Götter und nehmen nicht für sich in Anspruch, etwas Vollendetes geschaffen zu haben. Manche Fehler, die inzwischen evident geworden sind, sind uns damals unterlaufen. Es wäre allerdings ein nicht wiedergutzumachender Fehler, wenn man sich heute hier im Bundestag auf den Standpunkt stellen wollte, daß Volksbefragungen deswegen nicht zulässig sind, weil sie im Grundgesetz nicht vorgesehen sind. Sie sind - und hier muß ich auf den Gesetzentwurf zu sprechen kommen, der Ihnen von meiner Fraktion vorgelegt worden ist - ihrem Wesen nach etwas anderes als Volksbegehren und Volksentscheid. Eine bloß informative oder konsultative Volksbefragung bringt ja keine Rechtswirkung etwa gar gesetzmäßiger Art mit sich, wie es beim Referendum, wie es bei Volksentscheiden der Fall ist.
Wir sind uns durchaus darüber im klaren - das erwähnte ich eingangs schon -, daß wir bei der Durchführung der Volksbefragungen auch mit ganz bestimmten Nebenzwecken und Nebenwirkungen zu rechnen haben. Ich betone aber auch hier ausdrücklich, daß die sozialdemokratische Fraktion und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in keiner Weise beabsichtigen, mit der Durchführung der Volksbefragung verfassungsmäßig unzulässige Maßnahmen zu treffen. Alles, was als Nebenwirkung und was als Folge der Durchführung der Volksbefragung eintreten wird, muß verfassungsmäßig zulässig sein. Wir halten nichts davon, daß uns, wie es gestern Herr Dr. Jaeger getan hat, zum Vorwurf gemacht wird, wir wollten hier durch die Hintertür etwas in unser Verfassungsleben hineinbringen, was die Grundlagen unserer Verfassung zu zerstören droht. Wir müssen uns mit allem Nachdruck dagegen wenden, daß auch bei dieser Gelegenheit wieder zum Ausdruck kommt: die Sozialdemokratie will die Verfassung und damit die Grundlage unseres staatlichen Lebens zerstören.
Daß diese Nebenwirkungen und diese Folgen gewisse politische, psychologische und auch andere Wirkungen auf das politische Leben in der Bundesrepublik Deutschland einschließen, stellen wir nicht in Abrede. Wir haben auch die Absicht, damit gewisse politische Wirkungen zu verbinden; das leugnen wir gar nicht, Herr Kiesinger. Aber auch diese politischen Wirkungen müssen sich nach unserer Auffassung im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung halten.
({27})
- Herr Kollege Kiesinger, lassen Sie uns doch erst einmal die Volksbefragung durchführen und eruieren, wie sich das Volk zur Atombewaffnung stellt! Dann werden Sie vielleicht selbst kalte Füße bekommen und Ihre Politik unter Umständen nach dem Ergebnis der Volksbefragung ausrichten. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, daß die gegenwärtige Bundesregierung im Falle eines positiven Ausgehens der Volksbefragung über einen solchen Entscheid hinweggeht, als handelte es sich urn gar nichts.
({28})
- Nein, nicht Volksentscheid, sondern Volksbefragung zur Feststellung der Meinung des Volkes in einer ganz bestimmten Frage, Herr Kiesinger, in einer Frage, die unser aller, auch Ihr Leben berührt. Wir sind allerdings weniger für unser Leben als für das Leben unseres Volkes verantwortlich. Deswegen haben wir uns zu unserem Gesetzentwurf veranlaßt gesehen.
Ich möchte Ihnen gegenüber zum Ausdruck bringen, daß diese Dinge in anderen Ländern zum Teil auch anders gesehen werden.
Vorher will ich mich jedoch kurz mit einigen Ausführungen des Herrn Bundesministers Dr. Schröder befassen. Herr Dr. Schröder hat gesagt, daß wir eine verfassungsmäßig unzulässige Frage in den Mantel einer harmlosen Meinungserforschung kleiden. Herr Bundesminister, was gibt Ihnen Veranlassung, unsere Frage für eine harmlose Meinungserforschung zu halten? Ich sehe es als geradezu grotesk an, die Befragung des deutschen Volkes, ob es die atomare Ausrüstung der Bundeswehr will, für eine harmlose Meinungserforschung zu halten.
({29})
Darin kommt doch viel mehr zum Ausdruck, als es nach außen hin den Anschein hat.
Es ist anscheinend Ihre Auffassung, daß die Angelegenheit für das deutsche Volk so „harmlos" ist, daß es darüber seine Meinung gar nicht zu äußern brauche. Das ist Ihre Auffassung, Herr Bundesminister, und gegen diese Auffassung wehre ich mich mit allem Nachdruck. Ich wehre mich dagegen, daß Sie so denken, weil Sie gestern zum Ausdruck gebracht haben, daß sich, wenn ich richtig zitieren darf, die Qualität eines Juristen durch die Richtigkeit seiner Zitate erhärtet, Herr Bundesminister.
Sie haben allerdings in den gleichen Ausführungen meinem Freund Wehner vorgehalten, daß er sich in der Sitzung des Bundestages vom
26. April 1951 ausdrücklich gegen Volksbefragungen ausgesprochen habe. Herr Bundesminister, das ist nicht richtig, vor allen Dingen nicht unter Berücksichtigung Ihrer Ausführungen über die Qualität eines Juristen hinsichtlich der Richtigkeit seiner Zitate. Herr Kollege Wehner hat in der von Ihnen erwähnten Sitzung des Deutschen Bundestages folgendes gesagt - es handelte sich da urn die von Ihnen erwähnte Frage der Volksbefragung, die hier in der Bundesrepublik von den Kommunisten durchgeführt werden sollte: Es geht dabei - hören Sie bitte zu, Herr Bundesminister -, nicht um Volksbefragungen schlechthin und nicht um die Freiheit der Meinungsäußerung schlechthin. Herr Wehner hat dann gesagt, daß es bei solchen Volksbefragungen darauf ankomme, ihre wirklichen Ziele zu erkennen, und in diesem Fall sei das von Herrn Dahlem - den Sie ja auch zitiert haben - verfolgte Ziel, die in der sowjetischen Besatzungszone aufgerichtete Ordnung als Modell einer Friedensordnung für ganz Deutschland hinzustellen. Das hat Herr Wehner gesagt. Herr Wehner hat also genau das Gegenteil von dem gesagt, was Sie zitiert haben, Herr Bundesminister. Er hat nämlich ausdrücklich erklärt, er wende sich nicht gegen Volksbefragungen schlechthin, und es handelte sich auch nicht um die Freiheit der Meinungsäußerung schlechthin; er wende sich aber dagegen, daß die wirklichen Ziele, nämlich die Übertragung der Verhältnisse in der sowjetischen Zone auf die Bundesrepublik, nicht erkannt werden. Das zur Wahrheit und dazu, wie man richtig zitiert, Herr Bundesminister.
({30})
- Herr Bundesminister, ich habe mir Ihre Berner-kung notiert, daß die Qualität eines Juristen sich durch die Richtigkeit der Zitate erhärte.
({31})
- Das wird sich aus dem Protokoll ergeben. Sie können mich ja nachher berichtigen, Herr Bundesminister; das steht Ihnen ja frei. Sie haben ja sogar das Recht, unmittelbar nach mir zu sprechen. Irgendwelche Belehrungen schulmeisterlicher Art bin ich auch von einem Bundesminister hinzunehmen nicht gewillt.
({32})
- Ja, ich zitiere richtig, ich habe richtig zitiert, Herr Kollege.
Die Unruhe, die jetzt schon wieder zum Ausdruck kommt, macht eben klar, daß es sich um eine sehr schwierige Angelegenheit handelt, bei der immer politische und verfassungsrechtliche Argumente durcheinandergeworfen werden. Ich habe Ihnen gesagt, ich will mich hier im wesentlichen mit den verfassungsrechtlichen Momenten auseinandersetzen. Daß ich das nicht ausschließlich tun kann, liegt daran, das Ihre Redner und auch der Herr BundesDeutscher Bundestag - 3 Wahlperiode Dr. Greve
minister des Innern, der hier die Auffassung der Bundesregierung vorgetragen hat, sich nicht ausschließlich mit verfassungsrechtlichen Argumenten befaßt haben.
Abschließend möchte ich Ihnen sagen, daß die Verfassungswirklichkeit in anderen Ländern, auch in Ländern, die nicht etwa irgendwo auf einem anderen Kontinent liegen, sondern die uns direkt benachbart sind, anders aussieht.
Herr Kollege Hoogen, Sie werden das, was ich jetzt zitieren will, inzwischen gelesen haben. Ich meine die Ausführungen von Schneider, dem Professor an der Universität Tübingen, in seiner Abhandlung über Volksabstimmungen in der rechtsstaatlichen Demokratie, die Sie in der Gedächtnisschrift für Walter Jellinek nachlesen können. Ich will das hier nicht von mir aus vortragen; ich will es wörtlich zitieren, weil es so sehr unsere gegenwärtige Situation trifft, daß ich sie gar nicht besser darstellen kann als durch das Zitat von Schneider.
Schneider sagt auf Seite 159 der von mir erwähnten Gedächtnisschrift für Walter Jellinek - und nun hören Sie genau zu, meine Damen und Herren! -:
In Belgien glaubte die 1949 ins Amt gekommene christlich-demokratische Regierung die seit langem schwelende Königsfrage durch eine Volksbefragung lösen zu können, eine Möglichkeit, die weder die belgische Verfassungsurkunde vorsah, noch im Sinne einer repräsentativen Demokratie und einer konstitutionellen Monarchie ({33}) lag. Die Volksbefragung sollte - so verteidigte die Regierung ihren Plan - nicht die Entscheidungsbefugnisse der verantwortlichen Verfassungsorgane ersetzen, wohl aber diese Stellen über den Stand der öffentlichen Meinung aufklären. Durch ein Gesetz wurde demgemäß diese einmalige Volksbefragung organisiert und am 12. 3. 1950 durchgeführt.
So geschehen im Jahre 1950 in Belgien unter einer christlich-demokratischen Regierung und unter verfassungsrechtlich genau den gleichen Verhältnissen, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland nach unserem Grundgesetz haben.
({34})
- Doch, lesen Sie es noch einmal genau nach! Oder vielleicht sind Sie, Herr Kollege Hoogen, so gut, es in dem zweiten Exemplar, das Ihnen zur Verfügung steht, nachzulesen und dazu Stellung zu nehmen, wenn Sie nachher hier erscheinen. Es ist genau dieselbe Situation! Es ist ausdrücklich gesagt, daß die Volksbefragung nicht stattfinden solle, um die Entscheidungsbefugnisse der verantwortlichen Verfassungsorgane zu ersetzen, wohl aber, um diese Stellen über den Stand der öffentlichen Meinung aufzuklären.
Nichts weiter wollen wir. Wir wollen durch die Volksbefragung auch nicht die Entscheidungsbefugnisse der nach unserem Grundgesetz verantwortlichen Verfassungsorgane ersetzen, wohl aber wünschen wir, daß Sie und auch wir darüber aufgeklärt werden, wie die Meinung im Volke über die Frage der atomaren Ausrüstung in Wirklichkeit ist. Aber darin unterscheiden wir uns politisch; ich glaube gar nicht, daß wir uns verfassungsrechtlich so sehr unterscheiden. Ich möchte fast meinen, Sie halten unsere verfassungsrechtliche Situation für günstiger als die Ihre. Sagen Sie doch - das nimmt Ihnen keiner übel -, Sie wollen die Sache aus politischen Gründen nicht. Dann sparen wir uns die Auseinandersetzung über die verfassungsrechtlichen Grundlagen unseres Entwurfs. Das ist doch das Entscheidende.
Aber wir wenden uns dagegen, daß Sie sagen, die Sache sei verfassungsrechtlich nicht zulässig, darüber einen einstimmigen Beschluß in Ihrer Fraktion fassen und dann so tun, als wenn wir nicht nur die Sache verfassungsrechtlich anders beurteilten, sondern auch mit unserem Vorhaben die ganze Bundesrepublik Deutschland aus den Angeln zu heben willens wären. Nein, vom Politischen her mögen Sie Ihre Situation anders beurteilen, als sie von uns beurteilt wird, vom Verfassungsrechtlichen her haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU, und Sie, meine Herren von der Regierung, kein Fundament, von dem aus Sie unsere Vorlage anzugreifen vermögen. Haben Sie den Mut, das zu erkennen, wenigstens dann, wenn wir im Rechtsausschuß diese Angelegenheit beraten, und unterlassen Sie es bitte, uns, weil wir das Volk in einer lebenswichtigen Frage unserer Zukunft befragen wollen, als Totengräber des Grundgesetzes und unseres Verfassungslebens zu verdächtigen! Diese Ihre Einstellung müßte abermals zur Zerstörung unseres Staatswesens führen, und die Schuld läge dann bei Ihnen.
({35})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wilhelmi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Greve hat es als erster von der sozialdemokratischen Fraktion unternommen, die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs, den diese Fraktion eingebracht hat, rechtlich zu begründen. Der Versuch ist ihm meines Erachtens nicht gelungen, aber ich bin doch recht dankbar, daß das versucht worden ist. Denn es ist doch wohl die erste Vorbedingung für die Einbringung eines Gesetzentwurfs durch eine demokratische Fraktion, daß sie Überlegungen anstellt, ob dieses Gesetz verfassungsmäßig wäre, und es ist einigermaßen selbstverständlich, daß sie das tut, wenn sich herumgesprochen hat - ich glaube, das ist geschehen -, daß die größte Fraktion dieses Hauses das Gesetz für verfassungswidrig ansähe.
Was wir von Herrn Kollegen Greve über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs gehört haben, ist nicht allzuviel. Er hat zunächst beanstandet, daß unsere Fraktion angeblich einen Beschluß gefaßt habe, durch den sie die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs festgestellt habe. Ich bin sehr erstaunt, daß die SPD-Fraktion so wenig über die
Interna unserer Fraktion orientiert ist. Ich habe mir immer eingebildet, daß das alles in der Presse steht und daß man infolgedessen auch in anderen Fraktionen genau darüber unterrichtet ist. Aber es scheint doch nicht ganz so zu sein.
Was in unserer Fraktion geschehen ist, ist dies: die ganze Fraktion ist einstimmig der Auffassung unserer Experten gefolgt, daß der Gesetzentwurf verfassungswidrig ist. Selbstverständlich ist das kein Gerichtsurteil und kann kein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ersetzen, sondern es ist das Ergebnis der Meinungsbildung in der Mehrheitsfraktion dieses Hauses, nicht mehr und nicht weniger. Aber das ist immerhin schon eine ganze Menge, denn diese Entscheidung ist nicht so aus dem Ärmel herausgeschüttelt worden, sondern nach sehr eingehenden Beratungen. So ist es also nicht, sehr verehrter Herr Kollege Greve, daß wir einfach sagen: wir fassen einen Beschluß, und damit stellen wir fest, ob der Entwurf verfassungsmäßig ist oder nicht. Wir haben uns vielmehr die Mühe gemacht, an Hand des Grundgesetzes festzustellen, ob Ihr Gesetzentwurf verfassungsmäßig ist oder nicht.
Ich darf gleich einen Irrtum berichtigen, der hier vielleicht entstanden ist. Es kann natürlich nicht die Rede davon sein, daß eine Volksbefragung schlechthin in jeder Demokratie unzulässig ist. Selbstverständlich gibt es Demokratien, in denen eine Volksbefragung stattfinden kann. Allerdings hat bekanntlich schon Rousseau gesagt, daß sich nur kleine Einheiten für eine unmittelbare Beteiligung des Volkes an der Gesetzgebung und an der Willensbildung ganz allgemein eignen und größere Gebilde - zu denen ja auch unsere klein gewordene Bundesrepublik immerhin noch zählt - für eine derartige unmittelbare Beteiligung des Volkes nicht geeignet erscheinen. Trotzdem, das ist nicht das Entscheidende.
Wir haben auch nie gesagt, daß Ihr Gesetzentwurf gegen den Geist der Demokratie schlechthin verstößt.
({0})
- Das ist ein Irrtum. Herr Barzel hat sehr genau ausgeführt, was er meint. Er hat in etwas abkürzender Weise diese Bemerkung nur in einem Zwischenruf gemacht. Zwischenrufe pflegen, speziell wohl auch bei Ihnen, Herr Kollege Metzger, etwas abkürzend und etwas zusammenraffend zu sein. Man sollte also einen solchen Zwischenruf nicht allzu ernst nehmen, wenn eine Rede vorausgegangen ist, in der Herr Barzel sehr ausführlich und sehr genau unterschieden hat, in welcher Art von Demokratie eine Beteiligung des ganzen Volkes
- sei es in der Form des Volksentscheids, sei es in der Form des Volksbegehrens, sei es in der hier in Betracht kommenden Form der Volksbefragung
- möglich ist. Er hat sehr klar zum Ausdruck gebracht, daß wir eben eine ganz besondere Art der Demokratie geschaffen haben, und das muß man auch klar sagen. Der Begriff der Demokratie ist etwas durchaus Schwammiges und nicht Faßbares;
muß erst einmal konkretisiert und in eine bestimmte Form gebracht werden.
Das ist bei uns geschehen, zum Glück unter Mitwirkung der großen Parteien, also auch unter Mitwirkung der Partei, die jetzt diesen Gesetzentwurf eingebracht hat, und zwar durch die Schaffung des Grundgesetzes. Entscheidend ist nun: wir müssen allein aus dem Grundgesetz erkennen, was gewollt ist. Die Beratungen, die zum Grundgesetz geführt haben, haben juristisch nur die Bedeutung - und nicht mehr -, daß sie daraufhin zu überprüfen sind, ob bei der Formulierung des Grundgesetzes eine Lücke übersehen worden ist. Im übrigen gilt der Grundsatz, daß jedes Gesetz, ganz gleichgültig auf welchem Gebiet, zunächst nach den Normen, die es enthält, auszulegen ist. Man kann aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes allenfalls entnehmen, ob eine Lücke entstanden ist, an die der Gesetzgeber nicht gedacht hat.
Von anderer Seite meiner Fraktion ist ausgeführt worden, daß von einer solchen Lücke gar keine Rede sein kann. Es ist sehr eingehend über die Frage gesprochen worden - ich will es einmal ganz allgemein ausdrücken -, ob man eine plebiszitäre oder eine repräsentative, parlamentarische Demokratie einführen soll. Sie wissen genau wie ich, wenigstens die Juristen unter Ihnen, daß Professor Weber in Göttingen eine für uns Parteien ziemlich herbe Schrift geschrieben hat, in der es heißt, das Grundgesetz sehe eine extrem repräsentative Demokratie vor, infolgedessen könne nur durch die Parteien eine Willensbildung erfolgen. Die Willensäußerung des Volkes sei allein auf die Wahlen zum Bundestag - soweit es sich um Bundesfragen handelt - und zu den entsprechenden Gremien auf anderen Ebenen beschränkt. Hier stellt ein Schriftsteller, der jedenfalls unserer Partei nicht besonders gewogen ist - ich glaube allerdings auch der Ihren, meine Damen und Herren von der SPD, nicht -, der ganz allgemein etwas auf die Parteienherrschaft schimpft und sich dagegen wendet, fest: Es ist eine ganz besondere Art der Demokratie, die durch das Grundgesetz bewußt geschaffen ist.
Damit komme ich zu der Frage, ob ein Volksbegehren, ein Volksentscheid oder eine Volksbefragung zulässig sind. Es ist notwendig, zwischen diesen drei Institutionen juristisch zu entscheiden; das ist klar. Aber nach dem Grundgedanken, der im Grundgesetz zum Ausdruck kommt, handelt es sich um die allgemeine Ablehnung des plebiszitären Prinzips. Wenn Sie das so auffassen - ich glaube, so müssen Sie es auffassen; so tun es alle Schriftsteller, auch Hamann, den Sie so oft zitiert haben -, kommen Sie zu dem Endergebnis, daß die Frage, ob plebiszitäres Prinzip oder nicht, alle drei verschiedenen Formen, Volksbefragung, Volksentscheid und Volksbegehren, völlig gleichmäßig umfaßt.
Nun sagen Sie - das ist eigentlich das einzige, was ich aus den Ausführungen von Herrn Greve herausgehört habe -: Was nicht im Gesetz, in der Verfassung verboten ist, ist erlaubt. Diesen Grundsatz gibt es in unserem Recht ausschließlich im
Strafrecht in etwas anderer Form. Das heißt, da kann niemand wegen eines Tatbestandes bestraft werden, der unter Strafe gestellt ist. Sonst gilt dieser Grundsatz in unserem Rechtssystem überhaupt nicht, und er gilt ganz gewiß nicht in unserem Staatsrecht, das sich damit befaßt, auf der einen Seite den Staatsbürger vor Eingriffen des Staates zu schützen und auf der anderen Seite die staatlichen Funktionen zu ordnen. Da gilt der Grundsatz, der immer in unserem Recht gilt, daß man ein vorliegendes Gesetz sinngemäß auszulegen hat. Da wir uns doch mit dem Bundesverfassungsgericht herumschlagen müssen - zwar nicht in der Angelegenheit Ihres Gesetzes, aber auf anderer Ebene -, darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1951 vorlesen, in der es heißt:
Eine einzelne Verfassungsbestimmung kann nicht isoliert betrachtet und allein aus sich heraus ausgelegt werden. Sie steht in einem Sinnzusammenhang mit den übrigen Vorschriften der Verfassung, die eine innere Einheit darstellt. Aus dem Gesamtinhalt der Verfassung ergeben sich gewisse verfassungsrechtliche Grundsätze und Grundentscheidungen, die den einzelnen Verfassungsbestimmungen übergeordnet sind.
Herr Barzel hat im Gegensatz zur Ansicht von Herrn Greve zu diesen Rechtsfragen sehr ausführlich Stellung genommen. Ich kann es mir deshalb ersparen, im einzelnen darauf zurückzukommen, und darf nur stichwortartig das wiederholen, was Herr Barzel gesagt hat. Er hat den Art. 20 Abs. 2 und Abs. 3 des Grundgesetzes, nicht in seinem Wortlaut, sondern in seinem Zusammenhang, wie er in der Verfassung steht, herausgehoben und hat darauf abgestellt, daß in der gesamten Verfassung von Abstimmung nur noch bei dem bekannten Fall der Regulierung der Ländergrenzen die Rede ist. Auch da darf ich mich auf Weber, Göttingen, beziehen, der ganz treffend sagt, man solle doch davon Abstand nehmen, diese Befragung der Bevölkerung in den Ländern hinsichtlich der Grenzregulierungen als „Volksentscheid" anzusehen; das sei doch eigentlich mehr ein „Bevölkerungsentscheid"; denn es stimmten ja nur die Leute ab, die an dieser Grenzziehung interessiert seien. Herr Kollege Barzel also hat sich mit dieser Frage des Art. 20 durchaus beschäftigt.
Er hat sich weiter auch mit der Frage der freien Meinungsbildung beschäftigt, die ja schon Ihr Herr Kollege Dr. Carlo Schmid in der Geschäftsordnungsdebatte berührt hat; er hat dabei die Meinung vertreten, vor allem Grundgesetz stehe zunächst einmal die freie Meinungsäußerung; ich glaube, so sagte er wörtlich. Die freie Meinungsäußerung ist grundsätzlich etwas anderes als das Recht auf freie Information. Auch diese Frage ist im Grundgesetz geregelt worden, und zwar auch in Art. 5. Da heißt es, daß jeder das Recht habe, sich zu informieren. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß jeder berechtigt ist, sich aus den üblicherweise zugänglichen Quellen die „freie Meinung" zu bilden.
Es ist also die Schranke vor einer Zensur oder vor dem, was wir in der sowjetisch besetzten Zone haben, wo man etwa keine Westzeitungen lesen kann. Also, das ist der Schutz des einzelnen Staatsbürgers, seine Meinung zu formen und seine Meinung zu äußern. Daraus ist aber in gar keiner Weise zu entnehmen, daß ein anderer Staatsbürger das verfassungsmäßige Recht hätte, nun seinerseits die Meinung seiner Mitbürger zu erforschen. Ich bin im Gegenteil der Auffassung, daß das eine ganz bedenkliche Angelegenheit wäre. Da griffe man sehr stark in die persönliche Rechtssphäre des einzelnen ein. Ich würde es mir eigentlich sehr verbitten, wenn ich irgendwie gezwungen wäre, meine Meinung außerhalb der staatlich vorgeschriebenen Grenzen zu äußern.
Aus der Meinungsfreiheit und der Informationsfreiheit, die Art. 5 sichert, können Sie also wirklich keinen Honig für die Überzeugung von der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfes ziehen.
Eine ganze Reihe von anderen Möglichkeiten und Problemen ist von Ihnen nicht angesprochen worden. Ich darf es mir deshalb ersparen, in diesem Augenblick auf sie einzugehen.
Es hat auf mich einen großen Eindruck gemacht, daß Herr Kollege Greve so sehr an uns von der CDU appelliert hat, wir möchten doch glauben, daß seine Fraktion von der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzentwurfs überzeugt sei. Meine Damen und Herren von der SPD, wir dürfen Ihnen sehr gern glauben, daß dem so ist; aber Sie machen es uns ein wenig schwer, und zwar nicht deshalb, weil Sie nun das Gesetz hier eingebracht haben. Es kann schon einmal passieren, daß eine Fraktion einen Gesetzentwurf einbringt, der gegen die Verfassung verstößt. Aber Sie haben diesen Gesetzentwurf ja nicht nur hier eingebracht. Man kann Ihre Aktion nicht nur danach beurteilen, was Sie uns hier vorgelegt haben, sondern man muß doch wohl berücksichtigen, auf welchem Gesamthintergrund dieser Gesetzentwurf eingebracht worden ist.
({1})
Das spielt für uns Juristen, die wir gewiß gewohnt sind, die Dinge weitestgehend abstrakt zu betrachten, auch eine große Rolle. In unserem Rechtsleben wird es immer mehr klar, daß der Jurist, wenn er ein guter Jurist sein will, auch gezwungen ist, die Dinge so zu sehen, wie sie im Leben stehen, und nicht völlig abstrakt, wie wir es früher einmal gewohnt waren.
({2})
Wenn ich Ihnen dazu nun einiges sage, meine Damen und Herren von der SPD, so tue ich es nicht deshalb, weil ich Krakeel mit Ihnen suche - einige von Ihnen kennen mich und wissen, daß das nicht meine Art ist -; es geschieht vielmehr aus einer tiefen Sorge, daß die Partei, die doch eine große demokratische Vergangenheit hat, jetzt, wie ich fürchte, an die Grenze dessen gekommen ist, vielleicht ohne es zu merken, wo sie ihre demokratische Vergangenheit zu verleugnen trachtet. Das ist für
uns alle in diesem Hause eine sehr ernste Angelegenheit; denn kein Parlament kann ohne eine gute Opposition auf die Dauer existieren. Es wäre aber fürchterlich für den Staat, wenn aus dieser Opposition eine Obstruktion entstünde,
({3})
und es wäre noch schlimmer für den Staat, wenn eine so große Gruppe wie die Sozialdemokratische Partei Deutschlands sich gegen diesen Staat wendete.
({4})
- Herr Metzger, wir kennen uns schon lange.
({5})
- Ja, ich weiß, Sie kämpfen für seine Existenz, nach Ihrer Auffassung, dürfen Sie aber doch wohl hinzufügen.
({6})
Herr Kollege Metzger, das sind immer die etwas abkürzenden Zurufe, die Sie zu machen pflegen.
Wir sind verschiedener Auffassung über die Wege, die zu gehen sind. Wir sind aber völlig einer Auffassung -- um gleich zu einem Schlagwort zu kommen -: Kampf dem Atomtod!
({7})
Da gibt es niemanden in diesem Hause, der nicht aus tiefstem Herzen diese Sorge auf sich fühlt und der nicht die ganze Schwere der Verantwortung, die auf jedem einzelnen von uns ruht, mag er noch so sehr Hinterbänkler sein, empfindet.
({8})
Ich sprach davon, daß wir uns Sorgen darüber machen, daß Sie sich an der Grenze der Opposition zur Obstruktion und zur staatsfeindlichen Partei bewegen.
({9})
- Nein, Herr Kollege, ich bin ein Optimist. Herr Metzger, Sie kennen mich doch. Ich bin ein ausgesprochener Optimist. Ich bin so optimistisch, daß ich mir immer noch einbilde, daß vielleicht am Schluß dieser ersten Lesung, wo die rechtliche Möglichkeit noch besteht, einer Ihrer Herren auftritt und sagt: Wir ziehen den Gesetzentwurf zurück. So optimistisch bin ich.
({10})
Ich wollte Ihnen damit nur meinen Optimismus kundtun.
Herr Kollege Metzger, das Bedenkliche ist doch folgendes. Kampf dem Atomtod! ist heute das Schlagwort, unter dem so manches läuft, unter dem Organisationen aufgezogen werden, denen Sie beitreten, die Sie unterstützen und die Sie in eine ganz bestimmte Richtung steuern. Meine Damen und Herren, da wird die Sache kritisch. Wir haben
in diesem Hause vier Tage lang eine außenpolitische Debatte gehabt. In dieser ganzen außenpolitischen Debatte ist von Ihnen niemals der Vorwurf gekommen, daß wir den Atomtod wollten. Sie haben Ihre Sorge zum Ausdruck gebracht, daß unsere Politik dahin führt, und wir haben unsere Sorge zum Ausdruck gebracht, daß Ihre Politik dahin führt.
({11})
Ich bin nach wie vor der Überzeugung, daß das so ist. Ich bin der Überzeugung, daß die Schaffung eines irgendwie gearteten Vakuums die Gefahr des Atomtods für uns Deutsche wesentlich vergrößern würde.
Ich kann Ihre Argumentation nicht verstehen. Einer Ihrer Freunde, der mir ebenfalls nahesteht, hat einmal gesagt: Wenn die Abschußbasen in Deutschland errichtet würden, dann würde ich das den Sowjets verraten, um damit die deutsche Bevölkerung zu schützen. - Ich kann das schon rein militärisch nicht verstehen. Ich sehe gerade, der Herr Bundesverteidigungsminister ist da; er kann mich also unterstützen oder berichtigen, wenn ich jetzt etwas Falsches sage. Ich sagte, ich kann das schon rein militärisch nicht verstehen. Denn Sie sagen doch immer - und ich glaube, nicht mit Unrecht -, daß jedenfalls die nuklearen Waffen Flächenwaffen sind und naturgemäß eine große Fläche bestreuen, eine wesentlich größere Fläche, als das früher mit dem Artillerieflächenfeuer möglich war. Deshalb kann ich eigentlich nicht verstehen, wie man die Bevölkerung dadurch soll retten können, daß man etwaige in Deutschland befindliche Abschußbasen dem Feinde verrät, denn dann wird ja mindestens die dort wohnende Bevölkerung erheblich geschädigt. Also das sind so einige unlogische Dinge, die da unterlaufen und bei denen ich nicht folgen kann.
Das Entscheidende ist doch, daß Sie bei der Aktion „Kampf dem Atomtod" die Dinge verkehren, als wollten wir bewußt den Atomtod und als führe Ihre Politik vom Atomtod weg. Das ist die Verfälschung, und das macht mir Sorgen.
({12})
Eine demokratische Partei kann gegen die Regierung, gegen die Mehrheitsparteien kämpfen. Das ist ihr verdammtes Recht, ja sogar ihre Pflicht als Opposition, wenn die Dinge richtig funktionieren sollen.
({13})
Aber sie darf keine Unwahrheiten verbreiten, sie darf keine bewußt falschen Parolen ausgeben
({14})
und sich ständig in dieser Aktion „Kampf dem Atomtod" - ({15})
- Nein, Herr Kollege! Es tut mir furchtbar leid,
meine Damen und Herren, daß Sie immer noch
nicht das Hauptmotto verstanden haben, unter dem wir die außenpolitische Debatte geführt haben. Ich kann es Ihnen in einem Satz sagen.
Wir sind der Auffassung, daß unsere Politik die Sicherheit vor dem Kommunismus und die Sicherheit vor dem Atomtod gewährleistet.
({16})
- Herr Kollege, ich halte heute meine erste Rede in diesem Hause, aber das habe ich sicher nicht erklärt.
({17})
- Ich komme noch darauf zurück, wie gefährlich Ihre Politik ist, seien Sie unbesorgt!
Das ist die eine Seite, die wir berücksichtigen müssen bei der Frage, ob dieser Gesetzentwurf verfassungsmäßig ist oder nicht: der Hintergrund „Kampf gegen den Atomtod", der ein falscher, ein verfälschter Hintergrund ist.
Die zweite Seite ist folgende, und da komme ich wieder mehr auf das rein juristische Gebiet. Sie wissen so genau wie ich, daß bei den Mehrheitsverhältnissen in diesem Hause Ihr Gesetzentwurf keine Aussicht hat durchzugehen. Deshalb ist es zunächst naheliegend, daß sie versuchen, den Gesetzentwurf dort zum Zuge zu bringen, wo Sie die Mehrheit haben. Das wäre unbedenklich, wenn
Sie damit nicht - ja, ich bitte um Entschuldigung, aber ich muß es Ihnen sagen - wirklich an den Grundpfeilern unseres geordneten Verfassungsrechtsstaates rüttelten.
({18})
Ich bin Jurist und muß mich deshalb auf konkrete Tatbestände berufen. Sie haben ausgerechnet die Stadt Frankfurt am Main zum Spitzenreiter in diesem Angriff gegen die Grundordnung gemacht. Nun ist ganz interessant, daß die Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt am Main, die eine sozialdemokratische absolute Mehrheit hat, zwei Beschlüsse gefaßt hat. Sie hat einmal einen Beschluß gefaßt, der fast haargenau Ihrem Gesetzentwurf hier entspricht. Aber vorab hat sie noch einen anderen Beschluß gefaßt, und der ist so interessant, daß ich ihn - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - in diesem Hohen Hause verlesen darf. Die Stadtverordnetenversammlung hat beschlossen,
den Magistrat zu beauftragen, allen Plänen zur Stationierung oder Lagerung von Atomwaffen auf dem Gebiet der Stadt Frankfurt am Main entschlossenen Widerstand entgegenzusetzen.
({19})
- „Das ist sehr gut", sagen Sie. Ich habe wegen der Auswirkung dieses Beschlusses in der Stadt Frankfurt nicht allzu große Bedenken. Denn ich kenne meine Frankfurter. Sie haben nicht mal 1866 gegen die Preußen gefochten. Ich kann also nicht annehmen, daß nunmehr der Magistrat gegen den Bundesminister Strauß zu Feld ziehen wird, um
diesem „entschlossenen Widerstand entgegenzusetzen".
Ich bin mir auch durchaus darüber klar, daß die Frankfurter Stadtverordneten der sozialdemokratischen Fraktion, die diesen Beschluß gefaßt haben - oder wenigstens einige von ihnen -, wußten, daß in diesem Fall nicht nur die Gesetzgebungskompetenz beim Bund liegt, sondern auch die Verwaltungskompetenz, so daß dieser Beschluß praktisch vollkommen bedeutungslos ist und die Bundesverwaltung ihn wegwischen kann. Das ist wieder genau dasselbe wie bei der Atomgeschichte. Das ist eine Unehrlichkeit in Ihrer Politik. Ich darf bei einer so zentral gesteuerten Partei wie der Sozialdemokratischen wohl annehmen, daß das nicht Ihrer Kenntnis entgangen ist und daß der Beschluß der Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt am Main nur ein Beispiel ist, der Vorreiter für andere Beschlüsse, die Sie in anderen Städten zu produzieren gedenken.
Das Bedenkliche an diesem Beschluß ist, daß hier ein amtliches Gremium, nämlich die Stadtverordnetenversammlung, ein anderes amtliches Gremium, nämlich den Magistrat einer Stadt, zum entschlossenen Widerstand gegen Maßnahmen auffordert, die die Bundesregierung auf Grund eines rechtmäßig zustande gekommenen Beschlusses dieses Hauses ergreifen könnte. Das ist doch ein Verhalten, das auch von Ihnen, meine Damen und Herren, nicht als verfassungsmäßig bezeichnet werden kann.
({20})
Das ist doch ganz schlicht und ganz einfach, wenn es ernst gemeint ist, die Aufforderung zur Verletzung der Pflicht zur Bundestreue. Die Pflicht zur Bundestreue ist für die Gemeinden genauso gegeben wie für die Länder, und zwar nicht nur mittelbar über die Länder, sondern unmittelbar. Das können Sie in jedem Staatsrechtskommentar nachlesen. Daß Sie so etwas zulassen, daß nun ein öffentliches Organ ein anderes öffentliches Organ direkt auffordert, gegen die Pflicht zur Bundestreue zu verstoßen, ist doch ein recht undemokratisches und recht bedenkliches Zeichen. Das ist eigentlich Aufruf zum Widerstand gegen die verfassungsmäßig eingesetzten Instanzen.
({21})
Das berührt mich deshalb sehr ernst, weil ich der Auffassung bin, daß das deutsche Volk der Sozialdemokratie einiges zu verdanken hat, und zwar im Jahre 1918, als die Sozialdemokratie in ihrer Haltung die Entwicklung des Kommunismus verhindert hat, und auch im Jahre 1945, als die Sozialdemokratie eine Entwicklung zur SED abgelehnt hat und ihre Wege zu einer echten, freiheitlichen Demokratie gegangen ist. Aber gerade weil das so ist, ist unsere Sorge - und da darf ich, glaube ich, für alle Parteifreunde sprechen - besonders schwer. Wir sehen es mit großer Betrübnis und großem Ernst, daß sich eine demokratische Partei hier anschickt, zum Verstoß gegen die Pflicht zur Bundestreue aufzufordern und aufzufordern, Gesetze zu machen und Beschlüsse zu fassen, die eben nicht mit unserer Verfassung vereinbar sind.
In dem zweiten Beschluß, der hier gefaßt worden ist - auch Frankfurt nur als Beispiel genommen; Sie werden das vielleicht in anderen Städten zu wiederholen versuchen -,
({22})
wurde gesagt, daß in Frankfurt eine Volksbefragung abzuhalten ist mit der Fragestellung: Sollen auf deutschem Boden Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet und atomare Abschußbasen eingerichtet werden? Das sind Ihre beiden Fragen; etwas zusammengezogen, aber im wesentlichen ist es dasselbe.
Auch hier wieder zunächst rein juristisch: Wir haben in den Gemeinden verbürgt die Selbstverwaltung und die sogenannte Allzuständigkeit. Aber diese Selbstverwaltung und die Allzuständigkeit der Gemeinden ist nach der Verfassung - Artikel 28 - ausdrücklich in zwei Richtungen eingeschränkt; sie haben diese Selbstverwaltung und diese Allzuständigkeit nur in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, und zum zweiten haben sie sie nur im Rahmen der bestehenden Gesetze.
Beide Einschränkungen sind hier auf das gröblichste mißachtet. Sie werden nicht behaupten können, und kein Mensch wird behaupten können, daß die Frage, ob auf deutschem Boden Streitkräfte mit atomaren Waffen ausgerüstet oder Abschußbasen errichtet werden, eine örtliche Angelegenheit von Frankfurt ist. Übrigens: nicht nur auf dem Boden der Bundesrepublik. Offenbar will man die sowjetisch besetzte Zone hineinnehmen; das wäre eine erfreuliche Angelegenheit, aber ich glaube, darüber können wir nicht abstimmen. Ich kann mir denken, daß es Ihnen peinlich gewesen wäre, diese Frage örtlich zu stellen; denn dann hätte es nahegelegen, daß man sagte: „Na schön, dann machen wir die Abschußbasen in Bonn, da gehören sie eher hin als nach Frankfurt." Deshalb also haben Sie es allgemein gefaßt. Aber damit sind Sie aus dem Gesetz herausgerutscht. Es handelt sich nun nicht mehr um eine örtliche Angelegenheit, sondern Sie wollen, daß das ganze deutsche Volk mit dieser Sache beglückt wird.
({23})
Die zweite gesetzliche Beschränkung, die Sie nicht beachtet haben bei diesen Anweisungen an die Stadtverordneten von Frankfurt am Main, ist die, daß das Vorgehen im Rahmen der Gesetze bleiben muß. Ich habe vorhin schon ausgeführt, daß es bei der Frage der Gemeinden nicht nur um die Gesetzgebungskompetenz geht, die nach Artikel 73 des Grundgesetzes unzweifelhaft beim Bund liegt, sondern daß es hier im Falle der Verteidigung auch um die Einschränkung der Selbstverwaltung geht, nach Artikel 87a und 87b unserer Grundordnung, die nämlich eine eigene Bundesverwaltung für diese Dinge vorsieht.
Also auch unter dem Gesichtspunkt der Allzuständigkeit der Gemeinden und der Selbstverwaltung der Gemeinden kann dieser Beschluß unter gar keinen Umständen als rechtmäßig betrachtet werden.
Trotzdem hat der Magistrat der Stadt Frankfurt am Main, der natürlich auch eine sozialdemokratische Mehrheit hat, gegen diesen Beschluß keinen Einspruch eingelegt, und es ist auch nichts davon bekanntgeworden, daß etwa die Aufsichtsbehörde, der Innenminister von Hessen, dagegen Einspruch einlegen würde; im Gegenteil, er hat schon eine Erklärung abgegeben, aus der deutlich zu erkennen ist, daß er das nicht tun wird.
Ich habe zu meiner großen Freude festgestellt, daß der Herr Bundesinnenminister entschlossen ist, gegen dieses ungesetzliche Vorgehen gerichtlich vorzugehen. Das ist ohne weiteres gegeben. Wir haben die Bestimmung, daß bei einem Meinungsstreit zwischen Bund und Ländern da Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann. Dieser Streit ergibt sich daraus, daß die Regierung des Landes Hessen offenbar nicht gewillt ist, ihr Aufsichtsrecht gegenüber der Gemeinde Frankfurt am Main auszuüben und diesen unzulässigen Beschluß aufzuheben. Daraus werden wir dann sehr bald einen Streit am Bundesverfassungsgericht haben mit der dazugehörigen einstweiligen Anordnung. Der Termin der Volksbefragung ist auch ganz interessant; es ist nämlich der 29. Juni, also eine Woche vor den Wahlen. Das zeigt, wie sehr Ihnen nur daran liegt, etwas für das deutsche Volk zu tun, und wie Ihnen gar nicht am Herzen liegt, Ihre Parteiinteressen zu vertreten. Aber das nur nebenbei. Es wird also sicher eine einstweilige Anordnung beantragt werden, um diesen so geschickt vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen liegenden Termin so lange hinauszuschieben, bis die gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache vorliegt.
Nun noch ein Wort zu den Ländern. Bei den Ländern ist es nicht viel anders, und auch das steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Ihrem Vorgehen hier. Meine Damen und Herren, falls Sie es infolge der Länge meiner Rede vergessen haben sollten, darf ich noch einmal erklären - ich habe es nachzuweisen versucht -, daß es nicht richtig ist, wenn Sie sagen, Sie seien von der Verfassungsmäßigkeit der eingebrachten Gesetzesvorlage überzeugt; vielmehr ist es richtig, daß Sie sich bewußt sind, daß Sie hier einen Parteistreit führen und Ihr Parteisüppchen kochen wollen, und zwar da kochen wollen, wo Sie glauben, daß es entsprechende Wellen schlagen wird.
({24})
- Verzeihen Sie, ich sage nichts, was ich nicht nachweisen kann. An dem Beispiel Frankfurt am Main habe ich es Ihnen doch nachgewiesen! Ist es denn Zufall, daß überall da, wo Sie die Mehrheit haben, solche Befragungen gemacht werden sollen? Es kann doch kein Zufall sein!
({25})
- Ja, ich will Sie überall hindern, etwas zu tun,
Herr Kollege Wittrock, was ungesetzlich ist. Das
werde ich mit ganzem Herzen tun, und ich weiß, daß das nicht nur meine Parteifreunde tun werden, sondern auch die Bundesregierung. Sie werden schon die nötigen Klagen am Bundesverfassungsgericht bekommen; seien Sie nur ganz unbesorgt!
({26})
- Nein, das ist nicht meine Loyalität! Herr Kollege, das ist doch furchtbar einfach. Wenn es Ihnen um die Sache zu tun gewesen wäre, dann hätten Sie doch in Frankfurt in aller Ruhe abwarten können, was geschieht. Es tut mir leid, daß ich das Hohe Haus hier mit einer solchen Spezialfrage langweile.
({27})
In Frankfurt hat man dem Beschluß über die Volksbefragung, den ich Ihnen vorgelesen habe, noch etwas angefügt: Der Magistrat hat mit den Vorbereitungen sofort zu beginnen, und die Vorbereitungen sind nur dann einzustellen, wenn etwa Hessen ein gleichlautendes Gesetz beschließt.
({28})
- „Na und?" sagen Sie. Damit kann ich Ihnen folgendes beweisen. Der Magistrat hat sofort begonnen; sogar noch bevor er Beschluß gefaßt hat, ist eine Anweisung an das Wahlamt ergangen, und er hat den Termin auf den 29. Juni festgesetzt. Es war brennend eilig. Man wußte nicht, ob und wann in Hessen ein solches Gesetz kommt. Im Moment ist es recht zweifelhaft, ob ein solches Gesetz in Hessen kommt. Aber es ist auch ganz charakteristisch, meine Damen und Herren, daß man nicht weise abgewartet hat, ob Ihr Gesetzentwurf hier etwa angenommen werden würde.
({29})
Es war Ihnen also - da gebe ich Ihnen die Antwort, Herr Metzger; das ist die Schlußfolgerung, die ich aus diesem Tatbestand ziehe - nicht darum zu tun, eine sachliche Entscheidung des deutschen Volkes über diese Frage herbeizuführen, sondern es war Ihnen darum zu tun, vor dem Wahltermin in Nordrhein-Westfalen an irgendeinem Punkt mit agitatorischen Fragen eine für Sie günstige Entscheidung zu bekommen.
({30})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schultz?
Aber selbstverständlich!
Bitte!
Herr Kollege, können Sie mir vielleicht sagen, warum bei der entscheidenden Abstimmung über diese Volksbefragungsangelegenheit in Frankfurt sämtliche weiblichen CDU-Abgeordneten fehlten?
Ja, das kann ich Ihnen genau sagen.
({0})
Es ist nämlich nicht das, was Sie meinen und was wahrscheinlich auch hier die Freunde von der SPD meinen.
({1})
Sie sind alle krank oder verreist gewesen.
({2})
Es ist keine politische Krankheit gewesen. Das ist genau festgestellt worden.
({3})
- Sie können lachen, meine Herren, das ist Ihr gutes Recht. Ich kann Ihnen im Augenblick keine amtsärztlichen Bescheinigungen vorlegen und auch nicht die Urlaubsscheine,
({4})
aber ich kann sie nachreichen. Das will ich gern tun. Vielleicht kann ich Sie dann auch von dieser Sache überzeugen.
Noch ein ganz kurzes Wort zu den Ländern. Ich habe gesagt: bei den Ländern ist nach der Rechtslage die Volksbefragung genauso ungesetzlich wie bei den Gemeinden. Allerdings gibt es bei einer Reihe von Ländern das plebiszitäre Prinzip. Insofern ist die Ausgangslage eine andere als beim Bund. Wir kennen das plebiszitäre Prinzip nicht. In einer Reihe von Ländern ist es zwar stärker oder weniger stark eingeführt, aber in keiner der Länderverfassungen gibt es die Volksbefragung als solche. Das würde mich im Grunde genommen nicht stören. Ich habe vorhin bereits ausgeführt, daß meines Erachtens der Angelpunkt für die verfassungsmäßige Zulässigkeit überhaupt die Frage der Zulässigkeit des plebiszitären Prinzips ist. Infolgedessen würde ich Ihnen von der Sozialdemokratie ohne weiteres zugestehen, daß in den Länderverfassungen, in denen das plebiszitäre Prinzip im Grunde angenommen ist, die Rechtslage eine andere ist als hier beim Bund.
Nun gibt es allerdings eine Reihe von Verfassungen, in denen das plebiszitäre Prinzip eingeschränkt und ganz genau festgelegt ist. Die korrekteste Verfassung ist in dieser Beziehung die von Nordrhein-Westfalen, in die ausdrücklich hineingeschrieben ist, daß es sich nur um Fragen, die die Bevölkerung des Landes angehen, handeln kann. Die meisten Verfassungen sehen den Volksentscheid und das Volksbegehren nur für Gesetzesänderungen und Verfassungsänderungen vor. Aber darauf kommt es hei den Ländern nicht entscheidend an. Ersparen Sie mir deshalb, auf die Einzelheiten der Länderverfassungen einzugehen. Entscheidend kommt es bei den Ländern darauf an, daß die Gesetzes- und Verwaltungskompetenz in dieser Frage beim Bund liegt. Es kann also gar keine Rede davon sein, daß unter irgendeinem Gesichtspunkt die Bevölkerung eines Landes als solche über diese die Sicherheit und die Verteidigung angehende
Frage entscheiden kann. Infolgedessen hat auch der Herr Bundesinnenminister bereits angekündigt, daß gegen alle diese Länder, falls sie ein entsprechendes Gesetz beschließen, vorgegangen werden wird.
Hier gibt es nun noch eine andere Möglichkeit. Hier ist es nicht nur die Verletzung der Bundestreue wie bei den Gemeinden und die Verletzung der Aufsichtspflicht im Falle Gemeinde-Land, sondern hier kommt auch noch die gewöhnliche Normenkontrollklage nach § 13 Ziffer 6 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes in Frage. Wir werden uns demnächst in diesem Hohen Hause damit zu befassen haben, ob wir uns diesen Klagen der Bundesregierung anschließen werden oder nicht. Ich zweifle nicht daran, daß wir das tun werden; denn letztlich handelt es sich eben doch um eine Frage, die gerade dieses Haus angeht, nämlich um die Frage der Einschränkung unseres Entscheidungsrechts und unserer Entscheidungspflicht, wie es Ihr Freund Katz, der gestern schon zitiert wurde, richtig hervorgehoben hat.
Nach diesen allgemeinen Ausführungen darf ich vielleicht noch zwei spezielle Punkte nachtragen: einmal die Frage Ihrer Beteiligung an der Aktion „Atomtod" und der damit verbundenen Gefahren. Mir wird hier eine Ausgabe des „Generalanzeigers", Bonn, auf den Tisch gelegt. Dort finden Sie unter der Überschrift „Krawall in Berlin" folgendes, was ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen darf:
Berlin. Zu Tumulten kam es gestern abend auf der von dem „Berliner Arbeitsausschuß gegen den Atomtod" einberufenen Kundgebung, als der Berliner DGB-Landesvorsitzende Scharnowski erklärte: „Die Atombombe trug zur Beendigung der Berliner Blockade bei." Lärmszenen verwandelten daraufhin die bis auf den letzten Platz besetzte Kongreßhalle in einen Hexenkessel. Scharnowski konnte nicht weiterreden. Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt erhob sich und rief den Protestierenden zu: „Wenn die Kommunisten nicht den Mund halten, werden sie rausgeschmissen." Es gelang ihm aber nicht, den Aufruhr zu dämpfen.
Soweit diese Meldung.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, ich bin der letzte, der Ihnen vorwirft, irgendwie mit den Kommunisten zusammenzuarbeiten oder zusammenarbeiten zu wollen. Ich habe das Gegenteil vorhin, glaube ich, begründet ausgeführt. Aber ich muß sagen: Es tut mir in der Seele weh, wenn ich euch in dieser Gesellschaft seh.
({5})
Herr Abgeordneter Wilhelmi, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mattick?
Bitte sehr.
Sie wissen doch sicher, was Zeitungsmeldungen bedeuten.
({0})
Ich habe an dieser Kundgebung teilgenommen. Ich kann hier nur eine Frage stellen, d. h. ich möchte das, was ich sagen will, in eine Frage kleiden: Sie wissen doch, wie Zeitungsmeldungen entstehen? Ich kann Ihnen nur mitteilen: so war es nicht.
({1})
Ich bewundere Ihren Mut, Herr Kollege. Es ist für einen im öffentlichen Leben Stehenden immer eine mißliche Angelegenheit, mit der Presse etwas querzukommen. Ich muß sagen: ich persönlich bin mit der Presse bis jetzt immer ganz gut gefahren. Ich hoffe, daß das auch weiter so geschieht.
Ich kann mich hier natürlich nur auf eine Pressenachricht verlassen, und die Pressenachricht scheint mir doch in dem einen Punkt völlig klar zu sein: daß es zu einem offensichtlich von den Kommunisten inszenierten Krawall gekommen ist.
({0})
- Wieso?
({1})
- Herr Kollege, es tut mir furchtbar leid, ich kann nicht - ({2})
- Verzeihen Sie, dieser Augenzeuge hat gar keine Tatsache genannt, sondern er hat nur gesagt, der Pressebericht sei falsch. Er hat weder gesagt, daß die Kundgebung ordnungsgemäß verlaufen sei, noch, daß die Kommunisten sie nicht gestört hätten. Ich kann doch wohl davon ausgehen, daß die Meldung zunächst einmal richtig ist.
Im übrigen kommt es gar nicht auf diese einzelne Nachricht an, Herr Kollege; denn wir wissen doch alle, daß eine große Aktion aus der sowjetisch besetzten Zone im Gange ist, die Ihre Bestrebungen unterstützt und zu unterwandern versucht. Ich mache Ihnen daraus gar keinen unmittelbaren persönlichen Vorwurf. Ich habe ja versucht, dies in das GoetheWort zu kleiden, daß es mir leid tut, wenn ich euch in dieser Gesellschaft sehe. Ich behaupte also gar nicht, daß Sie Kommunisten sind, und ich behaupte gar nicht, daß Sie die Unterstützung wollen. Ich habe im Gegenteil vor kurzem in der Zeitung gelesen, daß sich Ihr Regierender Bürgermeister von Berlin, Brandt, sehr scharf gegen diese Unterstützung gewandt hat, und das hat mich in gewissem Sinne beruhigt; denn schließlich hat er in der Sozialdemokratie auch noch etwas zu sagen. Vielleicht gewinnt diese Richtung bei Ihnen einmal die Oberhand.
({3})
- Keine Aufregung, meine Damen und Herren! Ich habe vorhin schon gesagt, daß ich Optimist bin. Optimisten haben sich schon oft geirrt. Es kann auch anders kommen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen nun noch etwas zur Illustrierung der hessischen Situation bringen, was ich Ihnen vorhin nicht gesagt habe. Man hat also jetzt eine hessische Stadt ausgesucht, um die Volksbefragung durchzuführen. Das ist insofern etwas seltsam, als man gerade von SPD-Seite in Hessen - und Sie sind ja dort die Regierungspartei - im Jahre 1956 zum Ausdruck gebracht hat, daß das Volk für solche Dinge nicht reif sei. Darum handelt es sich nämlich.
({5})
Herr Abgeordneter Wilhelmi, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wittrock?
Gleich! Ich möchte diese Geschichte zu Ende führen; dann will ich mich gern mit Ihnen auseinandersetzen, Herr Kollege.
Sie machen wieder so etwas verkürzte Zwischenrufe mit Märchen und so.
({0})
- Ich bin ja gerade dabei, Ihnen das „Märchen" zu belegen. Ich habe das Protokoll in der Hand. Außerdem kennen Sie diese schöne Geschichte schon im voraus.
Also es war so. Im hessischen Landtag hatte die CDU u. a. beantragt, man möge die Verfassung dahingehend ändern, daß die Bürgermeister in den kleineren Städten - nicht etwa in den Großstädten, sondern in den kleineren Städten - in unmittelbarer Wahl gewählt werden sollten. Daraufhin hat der Abgeordnete Sudheimer ({1}), wie ich hier aus dem Protokoll entnehme, folgendes gesagt:
({2})
Meine Damen und Herren! Wir können uns über die Urwahl dann unterhalten, wenn aus den Nur-Einwohnern, die wir in den Gemeinden und Städten haben, wirkliche Bürger geworden sind,
({3})
die ihre Gemeinde mittragen, ihre Gemeinde mitgestalten.
Und auf einen Zwischenruf des Herrn Kollegen
Euler, wann denn das sein solle, wurde geantwortet:
Wir können uns darüber unterhalten. Das liegt nicht an uns, sondern daran, wieweit die Menschen politisch reif sind.
({4})
Sehen Sie, ausgerechnet diesen „unreifen" Menschen werden nun so komplizierte Fragen vorgelegt, wie Sie sie hier in Ihrem Gesetzentwurf stellen!
({5})
Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Kollege Wilhelmi, ich muß meine Frage zu einem Punkt stellen, über den Sie inzwischen hinweggegangen sind. Sie haben behauptet, man habe die Stadt Frankfurt „ausgesucht". Herr Kollege Wilhelmi, haben Sie nicht das Gefühl, daß es sich, wenn Sie das so behaupten, hierbei um eine unzulässige Unterstellung handelt, die man fast als Infamie bezeichnen muß?
({0})
Ich weiß nicht, ob der Ausdruck „Infamie" so sehr parlamentarisch ist. Aber ich nehme die Dinge nicht so tragisch, Herr Kollege. Ich habe meine Unterstellung - sicher ist es eine Unterstellung, eine Annahme - begründet und habe gesagt, daß ich nicht annehme, daß in einer so straff geführten Partei wie der Sozialdemokratischen Partei eine Fraktion in Frankfurt am Main etwas Selbständiges tun kann.
({0})
- Na, meine Herren, wir wollen uns darüber nicht streiten, ob die Fraktion es entscheidet, wenn ein Wasserrohr verlegt werden soll. Aber hier dreht es sich ja nicht um die Verlegung eines Wasserrohrs oder den Ausbau einer neuen Straße,
({1})
sondern um eine hochpolitische Geschichte. Ich war lange genug in Frankfurt und habe mich mit Ihren Kollegen dort ausgezeichnet vertragen. Deshalb nehme ich ja auch den Beschluß in Frankfurt als solchen nicht so tragisch. Die Frankfurter haben einen alten Bürgersinn und sind alte Demokraten, auch Ihre Kollegen. Das sind ausgezeichnete Demokraten; die werden sich die Geschichte schon überlegen. Wahrscheinlich wäre es ihnen sehr angenehm, wenn sie von dieser unangenehmen Sache wieder herunter wären. Aber wir werden ihnen dazu verhelfen, meine Damen und Herren, daß sie davon herunterkommen, indem wir das Bundesverfassungsgericht anrufen. Dieses wird darüber entscheiden, und so lange brauchen wir, glaube ich, keinerlei Aufregung.
Es bleibt dabei: wir von der Christlich-Demokratischen Union sind eindeutig der Auffassung und glauben das auch durch die Rechtsgutachten unabhängiger Rechtsgelehrter belegt zu wissen, daß in der Demokratie, so wie sie durch unser Grundgesetz geschaffen worden ist, eine derartige plebiszitäre Maßnahme unzulässig ist. Wir sind des weiteren der Auffassung, daß dieses Gesetz auch rechtspolitisch absolut unzweckmäßig ist, weil es zu nichts anderem führt als zur Demagogie.
Zum Beweise dessen brauchen wir auch nicht weit zu gehen, wir können in diesem Hause bleiben. Zunächst haben wir die demagogischen Fragen Ihrer Gesetzesvorlage selber. Sie werden ja wohl nicht bestreiten wollen, daß diese Fragen reichlich einseitig gefaßt sind und nicht das wiedergeben, was auch Ihre Auffassung in der außenpolitischen Debatte gewesen ist. Wenn das nämlich so einfach wäre, hätten wir uns wahrscheinlich nicht vier Tage hier darüber unterhalten. Sie haben sich aber sehr empört, als von meinen Parteifreunden andere Fragen formuliert worden sind, und haben nun diese wieder als furchtbar demagogisch gekennzeichnet, obwohl sie gar nichts anderes als die eindeutige Festlegung unseres Rechtsstandpunktes waren, wie es Herr Abgeordneter Jaeger Ihnen gestern vorgetragen hat. Sie sehen schon: wenn Sie eine Frage formulieren, erhitzen sich hei uns die Gemüter und wir sagen: Das ist eine demagogische Angelegenheit, und wenn von uns eine Frage formuliert wird, erhitzen sich bei Ihnen die Gemüter und dann sagen Sie: Es ist eine demagogische Angelegenheit. Ich glaube, man kann, wenn man sich den kühlen Kopf bewahrt, daraus den einen Schluß ziehen, daß in dieser Angelegenheit überhaupt nur demagogische Fragen gestellt werden können.
({2})
Deshalb ist es auch rechtspolitisch abwegig, diesen Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich darf zum Schluß noch eine Frage berühren, nämlich die, warum unsere Parteifreunde sich letztlich mit Mehrheit entschlossen haben, diesen Gesetzentwurf dem Rechtsausschuß zu überweisen, und warum wir das Gesetz, das wir a) nicht wollen und von dem wir b) überzeugt sind, daß wir es gar nicht annehmen können, weil es verfassungswidrig ist, nicht sofort ablehnen. Die beste Begründung für diesen Mehrheitsbeschluß, den wir schließlich gefaßt haben, den Entwurf dem Rechtsausschuß zu überweisen, ist die abgelaufene Debatte. Denn ich habe jedenfalls von seiten der Opposition nicht allzuviel juristische Gründe und detaillierte Gründe gehört, die für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechen. Ich habe vielmehr das Gefühl, daß man gestern abend und überhaupt in der ganzen Debatte im wesentlichen - mit Ausnahme vielleicht der Rede des Herrn Greve heute morgen - wieder versucht hat, die alte Wehrdebatte und die Atomdebatte zu verlängern. Ich habe durchaus Verständnis, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie jede Gelegenheit benutzen, über diese Fragen zu debattieren. Aber ich bitte auch um etwas Verständnis dafür, daß wir diese Fragen bei einem Gesetzentwurf, bei dem es sich um die Volksbefragung handelt, doch nur als stark neben der Sache liegend betrachten können. Wir sind nicht der Auffassung, daß das zu der Frage, ob ein Gesetz verfassungsmäßig ist oder ob es verfassungspolitisch klug ist, überhaupt dazugehört.
Sie dürfen auch eines nicht vergessen! Sie können mir natürlich einwenden, wir seien ja die Mehrheit, und mit Ihnen zusammen haben wir auch die Zweidrittelmehrheit, so daß wir auch eine Verfassungsänderung machen könnten. Zunächst ist es, wie Herr Kollege Barzel gestern in seinen Ausführungen schon richtig gesagt hat, zweifelhaft, ob das geht, ob der Art. 79 Abs. 3 das nicht ausdrücklich verbietet. Aber nehmen wir an, es ginge, man könnte in dieser Beziehung ein verfassungsänderndes Gesetz machen. Dann könnte man sicherlich nicht ein Gesetz ad hoc machen, d. h. für einen bestimmten Fall. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon in einer Entscheidung festgelegt.
({3})
Es hat ausdrücklich festgelegt, daß es niemals möglich ist, eine Verfassung aus einem bestimmten, ad hoc gegebenen Anlaß zu ändern.
({4})
- Sie werden ja nicht so töricht sein, einen Antrag zu stellen, wir sollten die Verfassung ändern; denn dann würden Sie ja zugeben, daß Sie selber der Ansicht sind, daß der Gesetzentwurf verfassungswidrig ist. Also diesen Antrag erwarte ich aus Ihren Reihen gar nicht. Ich erwähne das nur, weil ich es für völlig abwegig halte, zu der hier allein zu entscheidenden Frage, ob die Volksbefragung zulässig ist oder nicht und ob sie rechtspolitisch erwünscht ist oder nicht, immer wieder den konkreten Fall in die Debatte zu ziehen. Wenn wir hier sachlich diskutieren wollen, müssen wir über die Sache selbst diskutieren und dürfen nicht immer wieder auf Abwege geraten. Das ist meine Bitte für den weiteren Ablauf dieser Diskussion.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heinemann.
Sehr geehrte Damen und Herren! Bei der Debatte über die Frage atomarer Bewaffnung war es schwer, bei Ihnen von der CDU Verständnis dafür zu finden, daß es vor allen Fragen politischer Zweckmäßigkeit Vorfragen gibt, ob nämlich das, was man für zweckmäßig hält, auch erlaubt ist. Damals stellten wir Ihnen die Vorfrage, ob die atomare Bewaffnung im Hinblick auf Art. 25 der Verfassung völkerrechtlich erlaubt sei. Damals stellten wir Ihnen die Frage, ob atomare Bewaffnung ethisch verantwortbar, christlich verantwortbar sei. Heute stellen Sie uns die Vorfrage, ob Volksbefragung verfassungsmäßig sei Sie haben sich damals, als wir Ihnen unsere Vorfragen unterbreiteten, nicht recht gestellt. Sie haben gesagt, solche Vorfragen gingen einseitig zu Lasten des Westens oder der Bundesrepublik. Sie haben gesagt, Karlsruhe werde schon das Nötige an Auswegen finden. Sie haben gesagt, Fragen christlicher Verantwortung solle man im Parlament nicht zu sehr vertiefen. Irgendwie lief Ihre Antwort darauf hinaus, daß Rechtens sei, was nützlich ist.
({0})
Heute müssen Sie anerkennen - und das haben wir gerade aus dem Mund Ihres Sprechers Wilhelmi gehört , daß wir uns der Vorfrage nach der Verfassungsmäßigkeit des Volksbegehrens absolut stellen, in keiner Weise entziehen.
Bemerkenswert ist übrigens auch, daß nun anscheinend doch Theologen hier zitiert werden können, so wie wir es gestern von Herrn Dr. Jaeger gehört haben. Bemerkenswert ist auch, daß Theologen sogar zu Verfassungsfragen zitiert werden.
({1}) - Immer wenn es paßt!
({2})
Wir wollen uns vorbehalten, sie dann wieder zu zitieren, wenn es um die Fragen christlicher Verantwortbarkeit geht.
({3})
Dann wäre gerade z. B. von Herrn Professor Thielicke, den Sie gestern so gelobt haben, noch manches andere anzuführen, z. B. daß er es bestreitet, daß eine Partei sich „christlich" nennen dürfe.
({4})
- Wenn Sie sich auf einen Zwischenruf konzentrierten, könnte ich ihn allenfalls verstehen, aber aus dem ganzen Bündel Ihrer Zwischenrufe werde ich nicht schlau.
Nun zu der Vorfrage der Verfassungsmäßigkeit einer Volksbefragung. Es gibt Verfassungsfragen, die im Grundgesetz ausdrücklich geregelt sind, und andere, zu denen das Grundgesetz schweigt. Es gibt Verfassungsregelungen, die ernst genommen werden, und andere, die nicht ernst genommen werden. Das Merkwürdige ist, daß sich diese beiden Unterschiede manchmal seltsam überschneiden. Dafür nur folgende zwei Beispiele!
Ausdrücklich steht in der Verfassung, daß die Parteien über ihre Geldmittel öffentlich Rechenschaft geben sollen.
({5})
Die Ausrede, daß das entsprechende Ausführungsgesetz noch fehle, ist eine faule Ausrede.
({6})
Dieses Ausführungsgesetz habe ich immerhin zu meiner Amtszeit als Bundesinnenminister schon 1950 in Bearbeitung gegeben; aber es kommt offenbar nicht über die Hürden.
({7})
Nun werden Sie eines nicht bestreiten können: daß nach den Intentionen der Väter des Grundgesetzes gerade für eine repräsentative Demokratie das Parteiengesetz und die öffentliche Rechenschaft über die Herkunft der Parteifinanzen ein wesentlicher Bestandteil dieser repräsentativen Demokratie sein sollte.
({8})
Sodann: In Art. 25 des Grundgesetzes steht zu lesen, daß das Völkerrecht Bundesrecht bricht. Daher kam unsere Frage: Wie wollen Sie es verantworten, mit Massenvernichtungsmitteln umzugehen und die Bundeswehr entsprechend auszurüsten angesichts des Umstandes, daß das Völkerrecht - und damit das Bundesrecht - Massenvernichtungen verbietet, Gewaltanwendung gegen Nichtkämpfer verbietet, und daß von daher alle Pflichten in Frage gestellt sind, die mit atomarer Bewaffnung irgendwie zusammenhängen, daß von daher - Herr Dr. Wilhelmi, das wird Sie insbesondere in bezug auf Frankfurt interessieren - geradezu eine Widerstandspflicht gegen derartige Zumutungen in unserer Verfassung ausgesprochen wird?
({9})
Wenn Sie das alles jetzt für unzweckmäßig, für hinderlich empfinden, so werden Sie sauberer arbeiten müssen, werden Sie eben diese verfassungsmäßigen Hindernisse durch Verfassungsänderungen wegräumen müssen.
({10})
- Ich möchte nicht annehmen, daß Sie die ganzen tagelangen Debatten des vorigen Monats hier verschlafen haben.
({11})
Zu der Vorfrage, ob eine Volksbefragung verfassungsmäßig sei, sind Sie von Herrn Greve darauf hingewiesen worden, was die Geschichte des Grundgesetzes - die Debatten im Parlamentarischen Rat - besagt. Ich möchte jetzt auf zwei andere Dinge zu sprechen kommen, zunächst einmal auf die Rechtsprechung, sonderlich auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 2. August 1954. Verehrter Herr Dr. Schröder, ich werde richtig zitieren; Sie haben es nicht richtig zitiert. Dieses Urteil ist nachzulesen in der amtlichen Sammlung der Bundesgerichtshofentscheidungen, Band 7, Seite 222. Da werden Sie finden, daß der Senat des Bundesgerichtshofs gesagt hat, in der Entwicklung des Hauptausschusses für Volksbefragung seien zwei Stadien zu unterscheiden. In einem zweiten Entwicklungsstadium sei er verfassungswidrig geworden, habe er sich dazu verleiten lassen, die Grundsätze unserer Bundesrepublik, so wie sie im § 88 des Strafgesetzbuches gekennzeichnet sind, anzugreifen, also das Mehrparteiensystem, die Gewaltenteilung, die Vorschrift, daß Opposition sein muß und all dergleichen. Aber in dem ersten Entwicklungsstadium war dieser Hauptausschuß für Volksbefragung nicht verfassungswidrig. In bezug auf dieses erste Stadium steht in dem Urteil des Bundesgerichtshofs zu lesen - Herr Dr. Menzel hat es schon vorgetragen; aber ich muß es hier wiederholen -:
Dadurch allein, daß der Hauptausschuß für
Volksbefragung sich für eine Volksabstimmung
über die Wiederbewaffnung einsetzte und durchzuführen versuchte, obwohl eine solche Abstimmung im Grundgesetz nicht vorgesehen ist, war seine Tätigkeit noch nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet. Sofern es nur darum ging, die Meinung der Volksmehrheit über die geplanten Verträge mit der Folge der Wiederbewaffnung zu erforschen und festzustellen und dann durch das Ergebnis die Mitglieder des Bundestages in ihrer Meinungsbildung bei einer bestimmten Aufgabe zu beeinflussen, handelt es sich um ein von der verfassungsmäßigen Ordnung her gesehen neutrales Ziel.
Mit anderen Worten: bei äußerlich gleichen Vorgängen entscheidet die Absicht, entscheidet das subjektive Moment der Veranstalter, ob etwas verfassungswiderrechtlich ist oder nicht. Das ist der Kernpunkt dieses Urteils, den Sie nicht dadurch wegwischen, daß etwa im „Informationsdienst" der Union eine Darstellung von diesem Urteil gegeben wird, die auch nur hei flüchtigem Vergleich in gar keiner Weise mit dem amtlichen Text übereinstimmt. Meine Damen und Herren, glauben Sie denn ernstlich, daß Sie mit einem solchen „Informationsdienst" auch nur sich selber einen Dienst tun, indem Sie sich durch ihre Informationsdienststelle falsch unterrichten lassen? - Das zu dem Urteil, zu der Rechtsprechung.
Aber nun auch etwas zu der Praxis. Es gibt ja eine außerparlamentarische Praxis von Volksbefragung. Sie ist nicht groß, aber sie ist eindeutig, sehr eindeutig. Im Juli 1950 wurden Volksbefragungen in der Bundesrepublik zu dem Thema: Eintritt in den Europarat oder nicht? veranstaltet. Solche Volksbefragungen wurden in Breisach und in Castrop-Rauxel gemacht, und sie sollte auch in Bremen veranstaltet werden. Man suchte damals drei Orte in den drei westlichen Besatzungszonen aus, eine Landstadt, eine mittlere Industriestadt und eine Großstadt. Durchgeführt wurde die Volksbefragung in Breisach am 9. Juli 1950, in CastropRauxel am 16. Juli 1950. In Bremen wurde sie nicht durchgeführt. Warum, das kann ich im Augenblick nicht feststellen.
Ich will nun darstellen, wie sie sich in CastropRauxel abgespielt hat. Auftakt: Beschluß der Stadtverordnetenversammlung, sehr geehrter Herr Dr. Wilhelmi, in zweierlei Weise. Zunächst einmal wurde in der Stadtverordnetenversammlung eine Resolution gefaßt, in der der Europarat gelobt, der Beitritt empfohlen und allerlei schöne Perspektiven aus diesem Beitritt entwickelt wurden. Dann beschloß die Stadtverordnetenversammlung von Castrop-Rauxel aber auch eine Volksbefragung in Castrop-Rauxel! Dieser Beschluß wurde von sämtlichen Parteien mit Ausnahme der KPD gefaßt. An diesem Beschluß waren also auch die CDU-Stadtverordneten von Castrop-Rauxel beteiligt.
Die Frage, die man den Bürgern von CastropRauxel unterbreitete, lautete so:
Sind Sie für die Beseitigung der politischen
und wirtschaftlichen Grenzen innerhalb Europas und für den Zusammenschluß aller europäischen Völker zu einem europäischen Bundesstaat?
Die Abstimmung vollzog sich auf Grund der amtlichen Wählerliste. Die Abstimmungskosten trug die Stadt Castrop-Rauxel. Stimmberechtigt waren 46 864 wahlberechtigte Männer und Frauen. Abgestimmt haben in Castrop-Rauxel 34 239 Männer und Frauen. Das war eine Beteiligung von rund 73 %. Voraufgegangen ist ein öffentlicher Abstimmungskampf. Die Widersprecher waren sonderlich die Kommunisten. Geleitet wurde der Abstimmungskampf von einem Arbeitsausschuß, bestehend aus allen Parteien mit Ausnahme der KPD, bestehend aus Vertretern der Gewerkschaften, des Jugendrings, von Vertriebenenorganisationen usw. Was wurde damals öffentlich gesagt? Der CDU-Sprecher, Bürgermeister Hilke von Castrop-Rauxel, sagte unter anderem:
Wenn die Regierungen und die Politiker zögern, dann müssen sie durch das Volk zur Tat aufgerufen werden.
({12})
Aber noch interessanter mag sein, daß ein Mitglied Ihrer CDU-Fraktion sich auch an diesem Propagandakampf in Castrop-Rauxel beteiligte. Es war der damalige Ministerpräsident und jetzige Abgeordnete Karl Arnold.
({13}) (]
Karl Arnold sagte in Castrop-Rauxel:
Die Bevölkerung dieser Stadt ist aufgerufen, am morgigen Tag eine überaus ernste und bedeutende Entscheidung zu treffen. . . Durch euer Ja sollt ihr daran mitwirken, daß die Organisation Europas, die so verheißungsvoll eingeleitet worden ist, beschleunigt vorwärtsgetrieben wird.
Karl Arnold sagte:
Das „Ja" von Castrop-Rauxel ist das „Ja" der Ruhr, ist das „Ja" des Werkvolkes.
({14})
Ich wollte Herrn Barzel ja empfehlen, bei seinem Herrn und Lehrmeister noch etwas gründlicher in die Lehre zu gehen.
({15})
Der Sprecher des Deutschen Gewerkschaftsbundes - nebenbei bemerkt: das Vorstandsmitglied Rosenberg - wies damals darauf hin, daß je und dann auch ein Druck auf die Vertreter des politischen Lebens ausgeübt werden müsse, nämlich endlich das Richtige zu tun. Er sagte:
Deshalb sind wir heute hier, und wir wollen Sie
- also die angeredeten Bürger von Castrop-Rauxel Dr. Dr. Heinemann
auf die Möglichkeit hinweisen, die Sie als Bürger und Glieder unseres Volkes haben. Es gilt in diesen Tagen, die Stimme des Volkes, des einzelnen Menschen klar und eindeutig zur Geltung zu bringen.
Nun, wir sind eben der Meinung, daß genau dies auch heute in bezug auf die atomare Bewaffnung gilt.
({16})
Damals haben darüber hinaus noch gesprochen der Professor für politische Wissenschaften Eugen Kogon, der Freiherr von Gumpenberg. Ich will das alles jetzt nicht im einzelnen verlesen. Die Stadt Castrop-Rauxel hat über den damaligen Vorgang eine Broschüre herausgegeben, in der Sie alles Nähere finden. Da ist das Protokoll der Stadtverordnetenversammlung mit abgedruckt,
({17})
darin sind die Reden abgedruckt, aus denen ich soeben einige Sätze vorlas, und auch die anderen Reden.
Meine Damen und Herren, damals kam kein Mensch auf den Gedanken, diesen Vorgang in Castrop-Rauxel - und das Entsprechende wird auch für Breisach in Baden gegolten haben - von Aufsichts wegen zu stören. Eine kommunale Frage war das ja nicht, worüber in Castrop-Rauxel abgestimmt wurde.
({18})
Es gab damals keinen Bundesminister des Innern, der da erklärte, der Vorgang sei verfassungswidrig und man werde mit allen Mitteln dagegen einschreiten. Ich frage, ob das nur daran lag, daß ich damals der Bundesinnenminister war, oder ob das an den Richtlinien des Bundeskanzlers lag, der eine solche Europa-Abstimmung auch im kommunalen Rahmen, auf Grund kommunaler Parlamentsbeschlüsse, auf kommunale Kosten und mit voraufgehender öffentlicher Propaganda wünschte, für gut hielt, für richtig hielt.
({19})
Meine Damen und Herren, Sie sehen an diesem Vorgang, daß nicht das Äußerliche schon den absoluten Maßstab abgibt, sondern die Absicht.
({20})
Ich vertrete auch heute noch, so wie damals auch meine Mitarbeiter im Bundesministerium des Innern den Vorgang von Castrop-Rauxel für gesetzmäßig und verfassungsmäßig hielten, den Standpunkt, daß das verfassungsmäßig gewesen ist, was man in Castrop-Rauxel machte; denn hinter diesem ganzen Vorgang stand in keiner Weise die Absicht, unser Grundgesetz zum Platzen zu bringen, die in § 88 des Strafgesetzbuches niedergelegten Grundsätze zum Scheitern zu bringen.
Nun bleiben Sie bitte beiseite mit der Unterstellung, daß die Sozialdemokratische Partei mit ihrer Bemühung um diese Volksbefragung auch nur von fern dahin tendiere, unser Grundgesetz anzutasten. Die subjektive Absicht ist von entscheidender Bedeutung bei diesen sonst äußerlich
oft so gleichen Vorgängen. Das war übrigens der Kernpunkt auch eines Agartz-Prozesses. Da wurde ja drei Wochen lang vor dem Bundesgerichtshof allein über die Frage verhandelt: Was war die Absicht? Die äußeren Vorgänge? Nein! Was war die Absicht? So werden auch Sie sich dazu finden müssen, daß bei den Bemühungen um diese Volksbefragung die Absicht das Entscheidende ist. Wenn diese Absicht getragen wird, wie es bei dem Hauptausschuß für Volksbefragung 1952 im letzten Stadium der Fall war, von dem Bemühen, das Grundgesetz auf den Kopf zu stellen und umzustülpen, dann sind alle Ihre Warnungen berechtigt, und dann werden Sie uns an Ihrer Seite finden. Aber hier werden Sie nicht darlegen können, daß hinter unserer Bemühung, eine Volksbefragung in Gang zu bringen, die Absicht stünde, das Grundgesetz zu negieren, im Gegenteil! Damit ist alle Ihre Bemühung, uns über diese Vorfrage stolpern zu lassen, hinfällig.
Noch ein kurzes Wort zu den Frankfurter Beschlüssen, weil Herr Dr. Wilhelmi darauf so großen Wert legte. Wozu ist denn der Magistrat beauftragt worden? Wahrscheinlich ist er dazu beauftragt worden, nichts herzugeben, etwa an kommunalem Gelände, was der atomaren Aufrüstung dienen könnte. Aber wenn Sie den Frankfurter Beschluß wirklich dramatisieren wollen, Herr Dr. Wilhelmi, dann übersehen Sie nicht - ich bitte darum - den Art. 25 des Grundgesetzes mit der darin enthaltenen Widerstandspflicht gegen ungesetzliche Vorgänge,
({21})
auch wenn sie ihren Ursprung im Völkerrecht haben. Dann übersehen Sie bitte nicht die in der hessischen Landesverfassung ausgesprochene Widerstandspflicht gegen derartige Dinge. Das muß man alles hinzunehmen.
Sie haben sich hier besonders gestützt auf die Darlegung der repräsentativen Demokratie. Sie sind von unseren Sprechern längst gefragt worden, ob das ein absoluter Freibrief sei. Das ist er eben nicht. Zum guten Spiel repräsentativer Demokratie gehört, daß die Parteien, die sich auf vier oder fünf Jahre um ein Wahlmandat bemühen, ihren Wählern eine Wahlplattform unterbreiten, aus der zu ersehen ist, was man mit diesem Mandat in vier oder fünf Jahren auszurichten gedenkt. Das ist die gute Spielregel repräsentativer Demokratie etwa englischen Stils.
Wir haben Sie hier immer wieder gefragt, was denn im September 1957 Ihre Erklärungen in bezug auf die atomare Bewaffnung gewesen seien. Darauf wird uns von Herrn Barzel geantwortet, daß keines Ihrer Werbemittel die atomare Bewaffnung ausgeschlossen habe. Da werden uns von Herrn Jaeger hier auf dem Podium des Bundestages SPD-Plakate vorgezeigt. Meine Damen und Herren, interessant wären Ihre Plakate. Was stand damals auf Ihr en Plakaten? Was war damals aus Ihren Werbemitteln zu entnehmen
({22})
für die Absicht, eine atomare Bewaffnung der
Bundeswehr hier zu bejahen? Was stand in Ihren
Wählerbriefen? Was haben Sie in Ihren Wahlreden gesagt? Gibt es unter Ihnen - ich frage das; es würde mich interessieren, wie es sich damit verhält -, unter Ihren Mitgliedern, unter den Mitgliedern der CDU-Fraktion hier im Hause, einen einzigen, der in einer seiner Wahlreden damals gesagt hat: Jawohl, ich werde mein Mandat dahin verstehen, daß ich eine atomare Ausrüstung der Bundeswehr zu bejahen gewillt bin!? Gibt es ein solches Mitglied?
({23})
Daß wir die Öffentlichkeit vor derartigen Absichten bei Ihnen gewarnt haben,
({24})
daß wir die Wähler gewarnt haben, das steht füglich fest.
({25})
Es geht um den Inhalt Ihr es Mandates. Es geht darum, wie Sie mit Ihren Wählern umgegangen sind.
({26})
Wir stehen hier vor einer kompletten Wiederholung des Vorgangs von 1949. Bei der Bundestagswahl 1949 wurde hoch und heilig von allen abgestritten, daß es wieder eine Aufrüstung geben werde. Die Bundesregierung hat 1949 im Petersberger Abkommen hoch und heilig versichert, daß es nie wieder Aufrüstung in Deutschland geben werde. Nachher erschien es Ihnen zweckmäßig, einen anderen Weg zu gehen. Daraus entstand ja mein Rücktritt.
({27})
Ich habe damals in der Begründung meines Rücktritts der Öffentlichkeit unterbreitet, daß McCloy, der damalige amerikanische Hochkommissar sagte, er werde eine westdeutsche Aufrüstung nur dann für tragbar halten, wenn sie aus dem Willen des deutschen Volkes, des Parlamentes und der Regierung erwachse. Er baute von unten auf, und er tat das mit Absicht. Er hat diesen Aufbau von unten als seine Absicht damals ausdrücklich bestätigt und erklärt, er wolle damit helfen, daß hier demokratisch verfahren werde. Er meinte, daß ein Parlament wie der 1. Bundestag von 1949 sich nicht dieser Aufgabe unterziehen könne, weil es gar nicht auf diese Aufgabe hin gewählt worden war. Es stand also damals schon zur Frage, entweder den Bundestag neu zu wählen oder, wie ich damals, 1950, bereits vorschlug, eine Volksbefragung zu machen. Es ist also gar nichts Neues bei mir, daß ich diese Dinge vertrete. Ich habe damals gesagt:
Wo ein Wille zur Mitbeteiligung des Volkes vorhanden ist, gibt es auch Wege, um diese Mitbeteiligung aufzuschließen. Wir werden unser Volk nur dann demokratisch machen,
wenn wir Demokratie riskieren. Wenn in irgendeiner Frage der Wille des deutschen Volkes eine Rolle spielen soll, dann muß es in der Frage der Wiederaufrüstung sein.
Ich brauche statt des Wortes „Wiederaufrüstung" heute nur zu sagen „atomare Bewaffnung", dann ist die Parallele komplett. Auch bei der Wahl des 3. Bundestags ist in keiner Weise das Mandat von den Wählern mit dem Inhalt erbeten worden, eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr vorzunehmen.
({28})
Meine Damen und Herren, daß diese Bewegung gegen die atomare Bewaffnung da ist, mag Sie hinsichtlich des Ausmaßes erstaunen, obwohl Sie natürlich immer wieder versuchen werden, das zu bagatellisieren. Ich möchte Sie nur um eines bitten - ich bin ja wesentlich mehr als nur hier im Parlament gerade jetzt draußen in solchen Kundgebungen tätig - und Sie vor einem warnen, nämlich zu meinen, daß die Tausende, die in diese Kundgebungen kommen, kraft Gestellungsbefehls der SPD kämen, daß da ein Zwang auf 10-, 20- oder Hunderttausende ausgeübt würde, sich an einer solchen Demonstration zu beteiligen. Tischen Sie Einzelheiten auf, meinetwegen auch aus Hamburg, - das bringt Sie niemals auf die Erklärung, was wirklich im Gange ist. Es liegt mir daran, Sie und uns alle davor zu bewahren, daß hier eine Politik auf einer Grundlage aufgebaut wird, die sich letzten Endes nicht als tragfähig erweisen wird. Nehmen Sie deshalb von dieser Politik Abstand oder
({29})
helfen Sie, daß diese Grundlage geklärt werde, eben durch die Volksbefragung, die wir Ihnen vorschlagen.
({30})
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich nun mit einer ganzen Reihe von Diskussionsrednern zu beschäftigen und muß dabei in gewisse Kapitel einteilen. Ich beschäftige mich zuerst mit dem Kapitel „falsche oder richtige Zitate" und darf da gleich mit einem anfangen.
Wir müssen, wenn wir einen Blick auf die gerade so gerühmten Versammlungen werfen, zu unserem großen Bedauern sehen, daß sie schon den Anfang einer Radikalisierung setzen, die eigentlich alle hier im Hause - ich sage: alle hier im Hause - mit tiefer Besorgnis erfüllen sollte. Die Schalmeienkapelle, die in Hamburg nach der Kundgebung durch die Polizei aufgelöst werden mußte, ist ja wahrscheinlich nicht vom Bundesvorstand der SPD bestellt worden.
Die Berliner Versammlung - und das ist das erste, was ich hier an Zitaten klarstellen möchte wird sehr umfänglich dargestellt in einem dpa-Bericht, cien ich Ihnen nun doch vorlesen möchte. Dabei möchte ich gleich darauf hinweisen, daß sicherlich nicht alle Nachrichten immer richtig sind. Es werden auch nicht alle dpa-Nachrichten richtig sein. Der Chefredakteur von dpa ist allerdings ein Sozialdemokrat. Vielleicht gibt Ihnen das eine gewisse Gewähr dafür, daß diese dpa-Nachricht wahrscheinlich richtig ist.
({0})
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Wehner. Sie haben eben das Wort „Unverschämtheit" gerufen.
({0})
Ich halte diese Bemerkung für unzulässig.
({1})
Ich lese also diese dpa-Meldung vor:
Kommunisten störten Berliner Atomkundkundgebung. - Berlin, 24. April. - dpa. -Mit Zwischenrufen versuchten kommunistische Agitatoren am Donnerstagabend die erste Kundgebung des Berliner Arbeitsausschusses gegen den Atomtod in der Kongreßhalle am Tiergarten zu stören. Der Ausschuß, der durch einige seiner prominenten Mitglieder auf dieser Kundgebung zu seinen Zielen Stellung nahm, verlor dadurch sogar den Berliner DGB-Vorsitzenden Ernst Scharnowski ({0}) als Mitglied. Scharnowski wurde während seiner Rede durch ständige Zwischenrufe unterbrochen und mußte seine Ansprache schließlich abbrechen. Er bedauerte, daß es in dem Ausschuß anscheinend nicht möglich sei, seine Meinung zu äußern. Er wandte sich an den in der ersten Reihe sitzenden Regierenden Bürgermeister von Berlin Willy Brandt und sagte: „Ich trete aus." Darauf verließ Scharnowski die Kongreßhalle.
Mit dem weiteren Inhalt der Meldung beschäftige ich mich nicht, um das Haus nicht zu lange aufzuhalten; sie ist ja aber sehr leicht nachzulesen.
Nun kommen wir an ein zweites Zitat. Herr Kollege Greve meinte, daß ich den Abgeordneten Wehner nicht richtig zitiert habe. Ich habe Herrn Kollegen Dr. Greve, noch während er sprach, meinen Text zur Verfügung gestellt. Sie können ganz sicher sein, daß mir die Wehnerschen Ausführungen interessant genug sind, um sie sehr sorgfältig zu studieren; denn man kann über Ihre gegenwärtige und künftige Richtung kaum mehr lernen als aus den Worten gerade von Herrn Wehner.
({1})
Ich bin gern bereit, noch einmal vorzulesen, was ich nach dem Protokoll vorn 26. April 1951, das ich hier vor mir liegen habe, zitiert habe. In der Tat, meine Damen und Herren, Sie dürfen mich nicht zu naiv einschätzen. Ich würde niemals sagen, daß Herr Wehner sich generell gegen Volksbefragungen aussprechen würde; nie. Aber gegen die damalige Volksbefragung hat er sich ausgesprochen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen allen vor, daß Sie vielleicht über das Wochenende einmal mit einiger Ruhe dieses Protokoll vom 26. April 1951 nachlesen. Sie werden erschüttert sein, sage ich Ihnen - ich werde das gleich noch im einzelnen darlegen -, erschüttert darüber, welchen Weg ein großer Teil hier im Hause in diesen Jahren zurückgelegt hat. Ich habe das „traurige Vergnügen" - so möchte ich sagen, wenn Sie den Ausdruck erlauben - gehabt, hier im November des vergangenen Jahres anläßlich der Saar-Diskussion etwas zu zitieren, was ebenfalls sieben Jahre vorher hier von dieser Stelle von Herrn Schumacher gesagt worden war. Meine Damen und Herren, Sie glaubten damals das Zitat nicht einmal mehr. Wie hieß das Zitat? Ich gebe es jetzt frei wieder. Ich habe damals darauf hingewiesen, daß Ihre Argumente gegen unseren Eintritt in den Europarat - in dem Sie sich im übrigen inzwischen ganz wohl fühlen ({2})
dahin liefen, daß wir die Rückgewinnung der Saar gefährden würden, weil nämlich auch die Saar Mitglied des Europarates sei und wir nicht in diese Art von Tuchfühlung in Straßburg kommen sollten. Und dann sagte Dr. Schumacher etwa: Die Politik, die Sie hier betreiben - Europarat und Saar -, die droht die Wiedergewinnung der Gebiete jenseits von Oder und Neiße zu gefährden. - Meine Damen und Herren, lesen Sie das nach!
({3})
- Richtig; lesen Sie nach: November 1949. Die Zeit steht jetzt nicht zur Verfügung, sonst würde ich bis heute abend das Pult hier nicht verlassen können, um darzulegen, was sich in Ihrem politischen Weltbild und in Ihrem deutschen Weltbild seit jener Zeit geändert hat.
({4})
Meine Damen und Herren, nun bin ich beim dritten Zitat, und das bezog sich auf meinen Vorredner, der bei mir - das möchte ich gleich sagen eine besondere Art von zurückhaltender Beantwortung erfährt, weil er immerhin für eine gewisse Zeit einmal in dem Hause gearbeitet hat, in dem ich zu arbeiten jetzt die Ehre habe. Trotzdem muß ich folgendes sagen. Mein Zitat ist selbstverständlich - und dafür habe ich hier in diesem Hause einen positiven Ruf - richtig. Das Urteil werten Sie ganz falsch aus. Das Urteil ist ein Strafrechtsurteil und beschäftigt sich, wie ich gestern gesagt habe, mit dem § 90 a des Strafgesetzbuches. Es stellt die Frage, ob in einem bestimmten Stadium dieser Entwicklung eine bestimmte, natürlich nicht amtliche, nicht von Amts wegen mit den Mitteln des
Gesetzes organisierte Befragung ohne weiteres schon verfassungswidrig sei. Diese Frage wird dahin beantwortet, daß die Aktion unter gewissen Umständen nicht strafbar sei, unter anderen Umständen aber zur Strafbarkeit führe,
({5})
Ich habe den Band vor mir. Das Hohe Haus wird nicht die Geduld haben, das anzuhören; sonst würde ich Ihnen gern die ganze Entscheidung vom 2. August 1954 vorlesen. Aber ich mache einen Vorschlag. Alle Mitglieder des Hohen Hauses können diese Entscheidung ja bekommen. Der Rechtsausschuß wird Gelegenheit haben, diese Fragen eingehend zu studieren, und dann können die Texte vielleicht komplett dargereicht werden, während ich das in einer solchen Debatte schließlich nur unvollkommen tun kann.
Nun zu dem Gegenstand dieser Auseinandersetzung im einzelnen. Ich greife dabei vorweg, um mich damit dann nicht mehr befassen zu müssen, den Punkt heraus, der derzeit die hauptsächliche literarische Betrachtung meines Herrn Vorredners ausmacht, nämlich den Art. 25 des Grundgesetzes. Vielleicht darf ich ihn hier vorlesen, weil dann alles andere leichter verständlich wird:
Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.
Diese Stelle wird jetzt benutzt, um darzutun, daß atomare Bewaffnung grundgesetzwidrig und im übrigen völkerrechtswidrig sei. Die Grundgesetzwidrigkeit wird von der angeblichen Völkerrechtswidrigkeit hergeleitet. Ich habe nun nicht die Zeit zur Verfügung - das wird das Hohe Haus verstehen -, das in aller Ausführlichkeit zu widerlegen. Ich möchte aber auf einen Aufsatz über die Legalität der Atomwaffen von Herrn Georg Schwarzenberger in der neuesten Nummer des „Europa-Archivs" vom 20. April verweisen. Ich gebe eine der, wie mir scheint, wichtigsten Stellen aus diesem Aufsatz mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wieder. Auch dieser Aufsatz wird in der bevorstehenden Rechtsausschußsitzung vielleicht eine Rolle spielen können. Wir wissen alle, daß die Regeln des Völkerrechts manchmal schwer zu ermitteln sind und daß das Völkerrecht ein Gebiet ist, das sich jener genauen Fixierung, wie wir sie etwa aus dem bürgerlichen Recht gewöhnt sind, entzieht. Aber ich darf Ihnen dieses hier einschlägige Stück vorlesen:
Grundsätzlich steht es jedem souveränen Staat frei, Atomwaffen herzustellen oder zu besitzen. Wenn diese Feststellung besonderer Rechtfertigung bedürfte, so würde die allgemeine Staatenpraxis in bezug auf die Herstellung und Lagerung von Giftgas den nötigen Beweis liefern. Selbst Staaten, die Vertragsparteien des Genfer Giftgasprotokolls von 1925 sind, haben die Giftgasproduktion nicht eingestellt, lagern erhebliche Mengen dieser verbotenen Waffen und haben sich sogar auf die
Möglichkeit bakteriologischer Kriegführung vorbereitet. In allen Fällen wird zur Rechtfertigung dieses Verhaltens angeführt, daß, selbst wenn anerkannt wäre, daß Nichtvertragsparteien nach Völkergewohnheitsrecht gleichen Verpflichtungen unterlägen, es immer noch notwendig sein könnte, diese Waffen gleichwohl als identische Repressalien einzusetzen.
In diesen wenigen Zeilen sind bereits alle die Stichworte enthalten, die zur Beurteilung der völkerrechtlichen Seite der Fragen aufzuführen wären, die uns heute beschäftigen und die über das Völkerrecht in das Grundgesetz hineinwirken. Ich verlasse damit diesen Punkt.
Ich komme zu der Schilderung von gewissen, ich möchte beinahe sagen, mehr oder weniger sportmäßig veranstalteten Europabefragungen, von denen wir gerade gehört haben. Sie werden sich noch an diese Sache von damals erinnern. Sie wissen, daß die Art, wie man die Sache so mit einer Art amtlichem Charakter auszukleiden versuchte, in meinen Augen ein etwas unziemlicher Spaß gewesen ist. Im Grunde würde ich die Sache beanstandet haben, wenn ich damals verantwortlich gewesen wäre, - ohne sie allerdings überbewerten zu wollen.
({6})
- Warum wollen Sie das nicht hören?
({7})
- Ich nehme gewisse Dinge ernster als Sie, wie ich merke, und ich sage Ihnen:
({8})
Ich halte den Einsatz amtlicher Mittel für Dinge, die nicht unbedingt nötig sind, für verderblich und schädlich.
({9})
- Vielleicht denken Sie über den Satz einen Augenblick nach!
({10})
- Versuchen Sie nicht, Herr Kollege Kühn, der Sache einen falschen Dreh zu geben! Daß die Europabewegung in ihren Anfängen eine sehr idealistische Bewegung gewesen ist - ebenso wie das, was man heute Europabewegung nennen könnte -, ist selbstverständlich. In der Zwischenzeit ist die Entwicklung aber darüber hinausgegangen. Inzwischen gibt es wirklich eine durch Gesetze konkretisierte Europapolitik, und die Abstimmungen über die Europapolitik haben nicht in Castrop-Rauxel stattgefunden, wo Herr Rosenberg und ich weiß nicht, wer sonst, gesprochen hat, sondern hier in diesem Hause. Und wissen Sie, was das Merkwürdigste ist: gegen Ihre Stimmen, bis auf den letzten Fall! Das ist die Wahrheit.
({11})
Ein weiterer Punkt. Nachdem das Sonntagsblatt des Herrn Bischof Lilje sich bei Ihnen einer zunehmenden Wertschätzung erfreut - und ich hoffe, daß seine Leserzahl aus Ihren Reihen kräftig aufgefüllt worden ist -, komme ich zu dem Aufsatz, den Herr Dr. Jaeger schon gestern abend verwertet hat. Ich verstehe eigentlich nicht recht, weshalb gerade gegenüber diesem Aufsatz so leicht bedenkliche Töne laut geworden sind; der Aufsatz ist hochinteressant. Sie stehen offenbar auf dem Standpunkt, daß die Theologen hier für militärische Fragen zitiert werden sollten und nicht für Fragen unserer allgemeinen Verfassung, vor allen Dingen aber unseres Verfassungsbewußtseins. In dem Punkt bin ich völlig anderer Meinung. Von den Militärfragen halten sie sich besser noch weiter fern.
({12})
Dieser Aufsatz heißt „Das Atomplebiszit als Frage der christlichen Staatsethik". Erlauben Sie mir, Herr Präsident, daß ich daraus einige Stellen vorlese, von denen ich die Hoffnung habe, daß sie vielleicht nicht nur gelegentliche Leser aus den Reihen der sozialdemokratischen Fraktion beeindrucken könnten.
Mir hat aber
- so schreibt Professor Thielickenoch niemand klarmachen können, wie jemand seinem Gewissen gehorchen soll, wenn dieses Gewissen unter allen Umständen nur populär reagieren darf. Solange die oft im Emotionalen begründete Massenmeinung nicht eo ipso auch die richtige und politisch beste ist, wird es also unpopuläre Entscheidungen geben müssen.
Ich bin im übrigen der Meinung, daß sich Professor Thielicke hier durchaus noch im Bereich seines Lehrauftrages und seiner Stellung hält. Er fährt dann fort:
Beraubt man ein Parlament ({13}) der Möglichkeit, unpopuläre Maßnahmen zu treffen, indem man den Populus von Fall zu Fall dagegen mobil macht, so erniedrigt man die Demokratie zur Farce, untergräbt das Ansehen des Parlaments, raubt dem Abgeordneten die ethischen Grundlagen seines Mandats und bläst dem sowieso fast erloschenen Staatsbewußtsein unseres Volkes den Rest seiner Flamme aus.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das nicht nur einmal, sondern zweimal läsen.
({14}) Dann heißt es dort:
Wenn die Autorität der rechtsstaatlichen Organe untergraben wird, regieren nur noch die lauteste Kommandostimme und die unbekümmerte Brutalität.
Er fährt fort, er bedaure seinerseits sehr, daß der Bürgermeister Hamburgs, Herr Brauer, bei diesen Vorgängen von juristischen Haarspaltereien gesprochen hat, und schließt dann - ich möchte es hier vorlesen - mit folgendem Gedanken:
. . . es geht nur und ausschließlich um die andere Frage, ob wir die staatliche Lebensform, die unser institutionelles Bekenntnis gegenüber der östlichen Diktatur ist, glaubwürdig erhalten oder ob wir sie zum Gespött machen wollen. Lassen wir sie ein Gespött werden, so haben wir mit oder ohne Atomwaffen
- mit oder ohne Atomwaffen! vor dem Osten kapituliert.
({15})
Damit komme ich zu dem Zentralpunkt, den ich hier nennen möchte und den ich gestern vielleicht nur angedeutet habe. Glauben Sie mir, es ist eine Frage, auf die ich sehr viel Zeit des Nachdenkens verwende, weil ich glaube, daß sie zu den zentralen Fragen unserer künftigen staatlichen Entwicklung gehört. Ich bin leider zu der Überzeugung gekommen, daß die dreimalige Wahlniederlage der SPD eine für ihre geistige Verfassung geradezu verhängnisvolle Wirkung gehabt hat.
({16})
- Herr Blachstein, was Sie und Ihre staatspolitische Auffassung angeht, so widme ich ihr gleich einen Sonderabschnitt; darauf können Sie sich verlassen.
({17})
Ich wiederhole die Feststellung, die ich gerade getroffen habe. Mich wundert eines außerordentlich - und jeder von uns ist ja Kenner und Zuscheuer dieser Vorgänge -: es gibt, ich glaube, bis auf eine, keine Landeshauptstadt, in der Sie nicht sehr beträchtliche Kabinette gestellt haben. Wir können anfangen in Kiel, wir können nach Hamburg gehen, wir können nach Bremen gehen, wir können nach Niedersachsen gehen, und wir können in das größte deutsche Land gehen, nach Nordrhein-Westfalen. Ich springe herunter nach München, wo es bis vor einiger Zeit so war. Ich brauche nur einen Blick nach Wiesbaden zu werfen, wo Sie seit sehr langem kräftig etabliert sind. Und für Stuttgart gilt mindestens hinsichtlich Ihres Einflusses etwas, was Sie vielleicht genauer beschreiben können als ich.
Man muß sich eigentlich wundern, wenn man sich die großen deutschen Städte und ihre sozialdemokratischen Oberbürgermeister ansieht, aus was für Quellen sich das nährt, was ich hier beklage. Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken - und vielleicht ist es Ihre Vorstellung, dann halte ich es für eine falsche Vorstellung -, Sie seien sozusagen ausgeschlossen von der Gestaltung der staatlichen Geschicke. Wer weiß, was Deutschland für ein kompliziertes staatsrechtliches Gebilde ist, wer wie wir hier alle sich einmal zurückerinnert, was wir hier acht Jahre an einem sehr schwierigen, ungeheuer ausgewogenen, viel zu ausgewogenen Spiel zwischen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat erlebt haben, und wer dann einmal den Versuch macht, Ihren effektiven Einfluß zu beschreiben - von Publizistik und Rundfunk und all diesen Sachen
schweige ich jetzt einmal -, der würde zu einer sozialdemokratischen Quote kommen, die nach meiner Überzeugung größer als Ihre durchschnittliche Wählerquote ist.
({18})
Und trotzdem, meine Damen und Herren, eine unheilvolle Entwicklung in der Richtung der Radikalisierung!
({19})
Ich gehe noch nicht ganz so weit in der Beschreibung dieser Sache, wie das gerade heute in einem Aufsatz geschieht, in dem von der Gefahr einer zweiten Teilung Deutschlands gesprochen wird. Ich nehme dieses Problem aber sehr ernst. Glauben Sie ja nicht, daß wir etwa gelassen und mit großem „Vergnügen" ansehen, wie Sie sich in beträchtlichen Teilen radikalisieren. Das gilt nicht für jeden von Ihnen, der hier ist, meine Damen und Herren, aber Sie - ({20})
- Meine Damen und Herren, erzählen Sie keine kommunistischen Propagandageschichten!
Meine Damen und Herren, zunächst einmal, wenn der Präsident klingelt und sprechen will, dann bitte ich zu schweigen. Weiter möchte ich Sie bitten, doch in diesen letzten Stunden der heutigen Sitzung noch die Ruhe zu behalten, damit wir uns nicht gegenseitig aufregen. Denken Sie an den alten Satz von Horaz: aequam memento rebus in arduis servare mentem; ins Hochdeutsch des 20. Jahrhunderts übersetzt heißt das: Regen Sie sich nicht so auf und denken Sie an Ihre
({0})
- Kreislaufstörungen!
Ich darf den Herrn Minister bitten, fortzufahren.
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, warum Sie sich über solche Betrachtungen, die nach meiner Meinung in Ihren eigenen Reihen angestellt werden und über die jeder von Ihnen seine Meinung haben wird, eigentlich so aufregen. Ich glaube nicht, daß Sie einen Anlaß haben, sich darüber zu erregen.
({0})
- Die Sache ist erregend, meine Damen und Herren,
({1})
nicht meine Darstellung.
Meine Damen und Herren, ich kann das vielleicht einmal später in größerer Breite darlegen. Ich jedenfalls kann nach dem Studium der literarischen Äußerungen der vergangenen Jahre - Sowjetzone, illegale Aktivität hier und allgemeine Kategorien der Diskussion - nur eines sagen: mich erschreckt
- und im Bundestagswahlkampf hatten wir Gelegenheit, darüber besonders zu erschrecken -, daß es manchmal beinahe identische Texte gibt.
({2})
Und nun schmeicheln Sie sich bitte nicht, meine Damen und Herren, daß Sie da die erste Autorschaft hatten! Ich sehe mit großer Sorge, wie in das Denken zahlreicher von Ihnen Kategorien gekommen sind, die drüben viel früher angewendet worden sind. Ich bin bereit, Ihnen das im einzelnen zu zeigen.
({3})
- Nun, also, wissen Sie,
({4})
das ist eine kommunistische Behauptung. Beschäftigen Sie sich ruhig damit.
({5})
- Herr Eschmann, ich will Ihnen eines sagen. Ich bin im Osten in Königsberg gewesen. Sie werden noch wissen, wo es liegt.
({6})
In Deutschland wachsen derzeit viele Menschen heran, die es nicht wissen. Ich bin damals in mein erstes Semester nach Königsberg gegangen. Das war damals schon eine Art Demonstration, wenn Sie wollen, denn damals war Ostpreußen eine Insel. Sehen Sie, wenn wir gerade heute einen sowjetischen Besuch haben, dann sollten im Grunde alle Deutschen - ({7})
- Vielleicht hören Sie mal zu.
({8})
- Nicht meine Reden spalten das Haus, ({9}) vielleicht aber Ihre Taten.
({10})
Meine Damen und Herren, es gibt drei Sorten Zwischenrufe. Die erste sind die Rohrkrepierer; die schaden. Die zweite sind die Bumerangs; die schaden auch. Die dritte sind die, die als Florettstiche wirklich sitzen. Aber
Vizepräsident Dr. Becker
alle drei werden nicht dadurch besser, daß sie im Chor gerufen werden, sondern wirken nur, wenn sie einzeln gerufen werden.
({0})
Bitte, Herr Minister, fahren Sie fort.
Ich komme zu meinem Punkt zurück. Wenn wir heute - ich glaube, in wenigen Stunden - einen sowjetischen Besuch hier in Bonn haben werden, so sollten alle Deutschen in der Lage sein, sich in Trauer zu vereinen, wenn sie an Königsberg und an das Grab Kants denken und an das, was in diesen Jahren aus unserem Vaterlande geworden ist.
({0})
- Herr Kollege Heiland, ich stehe gar nicht an zu sagen, daß die Deutschen über den Tag, an dem der entsetzliche Krieg begonnen hat, - ({1})
-- Lassen Sie mich doch! Ich spreche hier ja in Ihrem Sinne, wie Sie merken: daß alle Deutschen sich in Erinnerung an den Tag, an dem jener entsetzliche Krieg begonnen hat, in Trauer sollten vereinen können.
({2})
Eintracht in Trauer wäre sehr viel besser als manches, was ich in den letzten Wochen gerade von Ihrer Seite erlebt habe.
Erlauben Sie mir ein offenes Wort - wir nähern uns ja jetzt einer sehr offenen Aussprache -: wir sprechen viel von der unbewältigten Vergangenheit. Glauben Sie mir, ich habe, da ich einige Tage weg war, Gelegenheit gehabt, allerhand nachzulesen von dem, was in den letzten Wochen gesagt worden ist. Unbewältigte Vergangenheit! Man kann nur erschrecken, meine Damen und Herren von der SPD, über die Komplexe, die in Ihren Reihen noch nicht bewältigt worden sind.
({3})
Wir Deutschen sind eine ganz merkwürdige Nation. Wir beschäftigen uns mit gewissen Vorgängen vielleicht länger als andere Völker, die eine andere Art von Mentalität haben. Aber ist es nicht erschütternd, daß wir es nicht fertig bekommen - ich spreche nur von diesen Dingen, ich habe gar nicht die Absicht, Ihre politischen Meinungen zu ändern -, uns daran zu erinnern, daß der 30. Januar 1933
({4})
- nun, vielleicht darf ich den 30. Januar 1933 wählen! - 25 Jahre hinter uns liegt und daß das Ende des unseligen Krieges 13 Jahre hinter uns liegt? Wir tun immer noch so, als ob es uns erlaubt wäre, uns wegen der Vergangenheit zu zerfleischen,
({5})
statt uns in dem zu vereinen, was für die Zukunft unseres Volkes morgen getan werden muß.
({6})
Lassen Sie mich danach zu einigen Dingen übergehen, die vielleicht mehr formalen Charakter haben. Ich habe schon gestern zu einem Punkt einiges gesagt, auf den ich zurückkommen muß, weil heute wieder davon gesprochen worden ist, und zwar in einer, wie ich glaube, sehr häßlichen Weise. Es ist gesagt worden, wir hätten Beamtengutachten, die natürlich nicht den Namen „Gutachten" verdienten, herstellen lassen, und denen hätten politische Weisungen der Minister zugrunde gelegen. Das ist nicht einmal gesagt worden, sondern die Herren - ich verzichte darauf, die Namen zu nennen - haben es vor der gestrigen Sitzung, in der gestrigen Sitzung und in der heutigen Sitzung gesagt. Deswegen wiederhole ich folgendes.
Das Gutachten, das im Innenministerium entstanden ist, ist entstanden ohne auch nur den Schatten einer Weisung.
({7})
- Sie werden es bekommen, Herr Kollege Schmidt!
({8})
- Es freut mich, daß Sie sich jetzt offenbar auch juristischen Aufgaben zuwenden. Nach den kulturellen Leistungen, die Sie in Ihrem Interview in der „Kultur" erbracht haben - Herr Kollege Jaeger hat es gestern zitiert -, ist es allerdings auch unbedingt notwendig, daß Sie etwas mehr Respekt vor juristischen und verfassungsmäßigen Einrichtungen bekommen, als Sie in dem Interview ausgedrückt haben.
({9})
- Es war ja nicht geheim.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?
Bitte!
Herr Minister, warum erhalten wir solche Gutachten regelmäßig erst nach den Aussprachen im Bundestag? Ich meine das Gutachten, das der Herr Bundeskanzler über den militärischen Inhalt des Rapacki-Plans angefordert hat, und das Gutachten, das Sie für die Beantwortung unseres Gesetzentwurfs über eine Volksbefragung angefordert haben.
Ich will dazu gern Stellung nehmen. In dem ersten Punkt kann ich mich nicht äußern; für Militärpolitik bin ich nicht in erster Linie zuständig.
({0})
- Das SPD-Gutachten ist uns ja vorgetragen worden.
({1})
Was den zweiten Punkt angeht, so sind zwei Gutachten erstellt worden, und zwar schön unabhängig. Das ist die Auffassung, die wir auch von unseren Mitarbeitern haben. Herr Menzel ließ gestern ganz andere Auffassungen durchblicken. Ich weiß nicht, ob er damit seine vergangene oder seine künftige Praxis meint. Wir haben jedenfalls die Auffassung, daß unsere Mitarbeiter sich unabhängig äußern können. Wenn Sie wüßten, wie oft ich - durchaus mit Zustimmung - zu sehen bekomme, daß jemand in einem bestimmten Punkt aktenkundig macht, er sei anderer Meinung! Ich halte das für ein erfreuliches Zeichen jener Liberalität im Umgang in der Verwaltung, die wir brauchen und die einer guten deutschen Tradition entspricht.
({2})
Ich habe also von zwei Gutachten gesprochen. Das eine ist im Innenministerium angefertigt worden, ganz ohne Weisungen. Ich habe es zugeschickt bekommen; es war bereits fix und fertig, ohne daß ich mich vorher mit einem Wort dazu äußern konnte.
({3})
- Zunächst werde Schriftstücke des Innenministeriums ja wohl ich zu sehen bekommen, bevor Sie sie erhalten!
({4})
Eine unmittelbare Zuleitung an Sie ist in der Geschäftsordnung der Bundesregierung allerdings nicht vorgesehen.
Das zweite ist ein Gutachten des Justizministeriums gewesen. - Wir haben nun - vielleicht haben Sie dafür ein gewisses Verständnis - den Stoff beider Gutachten in einem Gutachten zusammengefaßt; das ist erst vor ein, zwei Tagen fertig geworden. Das dient auch der Arbeitsersparnis; es wird Ihnen die Mühe nehmen, zwei Gutachten zu lesen; Sie werden nur noch eines zu lesen brauchen.
Für welchen Zweck ist dieses Gutachten erstellt worden? Für zwei Zwecke: erstens für den juristischen Hintergrund dessen, was die Bundesregierung gestern durch mich hier hat vortragen lassen, und zweitens selbstverständlich zur Diskussion im Ausschuß. Sie werden das Gutachten Zeile für Zeile im Ausschuß zu sehen bekommen.
Ich habe dem Kollegen Blachstein zugesagt, daß ich ihm einen besonderen Abschnitt widmen würde, und ich tue das jetzt. Der Kollege Blachstein, der ja den Hamburger Vorgängen, auch den von ihm gestern so gelobten, in unseren Augen unerwünschten Vorgängen nähersteht als ich, hat zum Ausdruck gebracht, daß er weder Furcht noch Abscheu vor der Straße habe. Dazu ist vielleicht zunächst gar nicht so viel zu sagen. Interessant wurde es dann nur, nachdem er auf den Herrenklub zu sprechen kam. Ich habe ihm den Zuruf gemacht, er möchte doch einmal angeben, welche früheren Mitglieder des Herrenklubs sich hier im Hause befänden. Soviel ich weiß, sind alle von Hitler umgebracht worden.
({5})
- Na schön, es freut mich, wenn die Vernichtung nicht alle ergriffen hat. Aber ein ganz großer Teil ist ohne jeden Zweifel umgebracht worden. Man sollte nicht, auf die größte Fraktion weisend, mit Unterstellungen arbeiten, die etwas sehr Gefährliches und Bedenkliches haben, weil sie einem Rufmord sehr leicht nahekommen können, vor allen Dingen, wenn dann gesagt wird, wie Sie es getan haben, daß die Verbindung des Herrenklubs mit der Gosse - man unterscheidet also zwischen Straße und Gosse - das eigentlich Gefährlichste gewesen sei.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Greve, ich unterbreche für Zwischenfragen eine Satzperiode grundsätzlich nicht, damit wenigstens diese Satzperiode zu Ende gebracht werden kann. Ich bitte, das nicht falsch zu verstehen.
Bitte, Herr Kollege Greve.
Herr Minister, ich muß noch einmal auf das von Ihnen erwähnte Gutachten zurückkommen. Ist es zutreffend, daß von Ihnen oder aus Ihrem Hause das Gutachten, das Sie erwähnt haben, der CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses zur Verfügung gestellt worden ist, während es unserer Fraktion bis heute noch nicht zugänglich ist?
Ich habe niemand etwas zur Verfügung gestellt, und ich sehe gar keine Bedenken, warum es nicht Ihrer Fraktion zur Verfügung gestellt werden sollte. Ich habe es ja ausdrücklich für den Ausschuß angekündigt. Ich weiß nicht, worüber Sie sich aufhalten. Ich habe Ihnen zugesagt, daß Sie das Gutachten in allerkürzester Zeit bekommen werden.
Herr Minister, darf ich Sie noch fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Herr Dr. Krone,
dieses Gutachten für so geheim gehalten hat, daß er es jeden Abend mit in seine Wohnung genommen hat?
Herr Kollege Greve, ich bin über Sicherheitsvorkehrungen des Herrn Kollegen Dr. Krone natürlich nicht im Bilde.
({0})
- Ich weiß nichts davon, sage ich Ihnen nochmals.
Ich kann Ihnen nur eines sagen. Sie werden sicher ein gewisses Verständnis dafür haben, daß die Bundesregierung, die hier in diesem Hause darauf angewiesen ist, daß sie eine Mehrheit hat und behält, bemüht sein muß, mit dieser Mehrheit auf das intensivste zusammenzuarbeiten, und daß sie - damit Sie nicht gleich wieder Zwischenrufe machen - alle verfassungsmäßigen Pflichten, die sie in einer geordneten Demokratie wie bei uns gegenüber der Opposition hat, immer in vollem Umfange berücksichtigen wird.
({1})
Aber es fällt mir schwer, auf das Kapitel mit Herrn Blachstein noch zu kommen. Herr Blachstein, das Entscheidende in Ihren Ausführungen war, daß Sie uns vorwarfen, wir wollten jemandem einen Maulkorb umhängen - Maulkorb umhängen, hieß es wörtlich bei Ihnen - in dem Sinne, als ob wir die Redefreiheit und die Demonstrationsfreiheit bei uns irgendwie beschränken wollten. Davon kann gar keine Rede sein. Wie wenig wir einen Maulkorb umhängen, zeigt dieses wirklich famose Interview des Kollegen Schmidt, das Herr Dr. Jaeger gestern abend hier zum besten gegeben hat. Als ich das Interview zum erstenmal in die Hand bekam, war es in meinen Augen so, daß es mir für ein Zitat in diesem Hohen Hause gar nicht fähig erschien. Jemand, der sich davon einen Eindruck verschaffen will, braucht das nur einmal zu lesen. Ich sage Ihnen mit allem Ernst, weil es sich um jemand aus Ihren Reihen handelt: wenn man glaubt, in dieser schnodderigen Manier über Rechtsgrundlagen sprechen zu können, dann ist das ein außerordentlich trauriger Vorgang.
({2})
Ich komme zurück zu den Ausführungen des Kollegen Blachstein. Er hat gesagt, das Verbot der Kommunistischen Partei sei töricht gewesen.
({3})
- Es ist mir sehr interessant, daß solche Zwischenrufe weiterhin kommen!
({4})
Ich nehme zu der Frage Stellung. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß das Grundgesetz uns nicht etwa so die freie Auswahl läßt, welche Gruppen wir hier zulassen möchten oder nicht, sondern daß es einen sehr strikten Satz aufgestellt hat. Sie zitieren doch so gern den Art. 21. Ich darf Ihnen den Art. 21 Abs. 2 einmal vorlesen.
({5})
- Ich habe den Eindruck, Sie kennen ihn nicht. Mindestens haben Sie ihn gestern wohl vergessen, und deswegen bringe ich ihn in Erinnerung:
Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
Meine Damen und Herren, offenbar ist das nun einer jener Sätze des Grundgesetzes, der nach Ihrer Meinung der weitesten und legersten Handhabung fähig ist. Sie wissen, daß wir zwei Verbotsprozesse hinter uns haben. Beide waren schon in der ersten Legislaturperiode, als ich nicht im Amte war, eingeleitet. Einer richtete sich gegen die Sozialistische Reichspartei. Diesem Verbotsprozeß haben Sie immer uneingeschränkt Beifall gezollt. Sie haben das Bundesverfassungsgericht gerühmt, daß es mit solcher Schärfe und Promptheit gegen die Sozialistische Reichspartei eingeschritten sei. Wollen Sie wirklich allen Ernstes einer auf das Grundgesetz vereidigten Bundesregierung nahelegen, andere Maßstäbe nach rechts als nach links anzuwenden?
({6})
Vielleicht stehen wir übermorgen vor der Notwendigkeit, zu irgendeiner Aktion nach rechts zu schreiten.
({7})
Glauben Sie, ich würde vor das deutsche Volk treten, um eine weitere Aktion gegen rechts einzuleiten und gleichzeitig einen Naturschutzpark für Kommunisten bestehen zu lassen?
({8})
Diese Art von Verfassungszweideutigkeit, meine Damen und Herren, mag anderswo und in anderen Köpfen möglich sein. Wir halten uns an das Grundgesetz gebunden.
({9})
Das hat nichts mit Opportunität zu tun. Das sind keine Fragen der politischen Opportunität, sondern sind Fragen des Verfassungsrechts, und für die kann es nur einen Maßstab geben, nämlich den in Art. 21 Abs. 2 festgelegten Maßstab.
({10})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
({11})
- Herr Kollege Metzger, ich möchte nicht den Eindruck erwecken, daß ich Ihnen die Antwort auf irgendeinen Zwischenruf schuldig bleiben müßte. Das Grundgesetz sagt in Art. 21 Abs. 1, daß die Parteien bei der politischen Willensbildung des
Volkes mitwirken, daß ihre Gründung frei ist, daß ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entsprechen muß und daß sie über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft geben müssen. Das wird im einzelnen im Grundgesetz nicht näher dargelegt. Es findet sich dann in Abs. 3 die Bestimmung: „Das Nähere regeln Bundesgesetze."
({12})
- Ja, das Nähere regeln Bundesgesetze. Über den Text, meine Damen und Herren, sind wir uns offenbar einig.
Nun kommen wir zur Sadie. Die Sache liegt so, daß ein Teil dessen, was Art. 21 Abs. 1 bestimmt, bereits durch das Wahlgesetz und damit in Verbindung stehende Vorschriften geregelt ist, daß also für die Frage des Parteiengesetzes, wenn wir nicht daran denken, gewisse andere Regelungen umzubauen, was möglich wäre, ein relativ begrenzter Raum bleibt. Da geht es praktisch um die Frage, die seit längerer Zeit im Streit ist und unter dem Stichwort der Parteifinanzierung - nicht nur der Offenlegung der Parteifinanzen - läuft. Das ist ein Kapitel. Die weitere Diskussion geht nun aber um die Frage der Parteifinanzierung. Da gehen die Meinungen sehr weit auseinander.
Ich habe mich, um diese Sache zunächst einmal aus einem allzu emotionalen Streit herauszubringen, dazu entschlossen, ganz unabhängige Leute -natürlich mit dem entsprechenden Prozentsatz von Männern, die Ihnen nahestehen - zu einer Kommission zu bitten; diese hat einen Bericht darüber erstattet, der Ihnen allen bekannt ist. Dieser Bericht befindet sich derzeit in der Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit, in den Fraktionen, wie ich annehme, und anderswo.
Die Bundesregierung hat schon verschiedene Entwürfe gehabt. Es befindet sich ein neuer Entwurf in Arbeit. Das Kabinett wird in absehbarer Zeit darüber entscheiden, mit welcher Priorität dieser Entwurf angesichts der Arbeitslage des Hauses hier eingebracht werden soll. Das Haus hat darüber zu befinden, wann es welche Regelung dieser Sache für richtig hält. Und auf diesem Gebiet ist wie auf allen anderen Gebieten der gesetzgeberischen Initiative nicht die geringste Schranke gesetzt, und für förderliche, sachgemäße Vorschläge auf diesem Gebiet sind wir allen nur herzlich dankbar, einschließlich Ihrer, Herr Kollege Metzger.
Ich habe eine sehr bescheidene Bitte an Sie, Herr Minister, und auch an die Herren Zwischenrufer. Wir wollen uns doch vom Gegenstand der Beratung nicht allzu weit entfernen! Meiner Erinnerung nach - wenn ich den Fahrplan richtig in Erinnerung habe - gehen die meisten praktikablen D-Züge kurz nach 14 Uhr von hier ab.
({0})
Was an mir liegt, werden die D-Züge um 14 Uhr erreicht werden können, Herr Präsident. Ich werde
nur noch einen einzigen Punkt ganz kurz behandeln, der sozusagen den Hintergrund dessen abgibt, was hier schon seit Wochen und Monaten die Gemüter erregt.
Ich glaube, die Menschheit erlebt in der Zeit der Atomdiskussion, die ja eine weltweite Diskussion ist, augenblicklich eine technische Entwicklungsphase von besonderer Kraft, Ausgeprägtheit, Intensität und natürlich auch von besonderer Gefahr. Meine Damen und Herren, wahrscheinlich werden wir uns darin einig sein, daß es bisher der Menschheit insgesamt keineswegs gelungen ist, die Probleme, die mit der atomaren Entwicklung zusammenhängen, geistig und moralisch zu bewältigen. Ich möchte mich nicht in die Prophetie begeben, aber ich möchte glauben, daß, wenn der Menschheit nach Gottes Willen ein weiteres Dasein gestattet ist, es ihr in nicht sehr langer Zeit - nach meiner Meinung wird das nicht länger als zehn Jahre dauern - sicherlich gelingen wird, diese Phase einer gewaltigen, auch geistigen und moralischen Anpassung an eine veränderte technische Welt tatsächlich zu durchstehen und diese Lage zu meistern. Das ist eine Diskussion, mit der wir sicherlich nicht so schnell fertig werden und zu der wir Deutschen nur einen begrenzten Beitrag liefern können, wenn wir vielleicht auch zum Anfang dieser Entwicklung nicht nur einen begrenzten, sondern einen sehr großen Beitrag geleistet haben.
Aber, meine Damen und Herren - und damit möchte ich schließen -, seien Sie sicher, wenn Sie Fragen wie diese mit aller Emotion - siehe Hamburg, siehe Berlin - vor ein Publikum bringen, das sich nicht mehr nur aus Ihren disziplinierten Anhängern zusammensetzt, dann sind Sie auf einem Wege, dessen Anfang Sie heute kennen, dessen Ende schrecklich sein wird, so schrecklich, meine Damen und Herren, daß niemand von Ihnen es auch nur erleben möchte!
({0})
Meine Damen und Herren, aus dem Meer dieser Debatte heraus sehe ich Land. Bis jetzt sind noch drei Redner gemeldet, von denen zwei erklärt haben, daß sie zurücktreten,
({0}) falls nicht weitere Meldungen kommen.
Der antragstellenden Partei steht nach § 93 Abs. 3 der Geschäftsordnung das Recht des Schlußwortes zu. Dazu ist auch der Redner schon gemeldet.
Wird das Wort noch weiter gewünscht? - Das ist anscheinend nicht der Fall. Dann ist die Rednerliste - bis auf den Redner, der das Schlußwort hat - geschlossen.
Das Schlußwort hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
({1})
Vizepräsident Dr. Becker
- Meine Damen und Herren, wenn Sie schon den Saal verlassen wollen, dann bitte ich, es doch so zu tun, daß die Aufmerksamkeit nicht von dem Redner abgelenkt wird.
Bitte, Herr Kollege Arndt!
Herr Präsident! Ich hatte auch gar nicht die Absicht, anzufangen, bevor diejenigen, die das Mittagessen für wichtiger halten als die atomare Frage, den Saal verlassen haben.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Verlaufe dieser Aussprache haben Redner der Unionspartei wiederholt ausgeführt, daß sie während des Wahlkampfes 1957 der deutschen Wählerschaft in der Bundesrepublik reinen Wein über die Frage der atomaren Ausrüstung eingeschenkt hätten. Das ist eine sehr wesentliche Behauptung. Denn man wird den Sinn und die Bedeutung des von uns vorgelegten Gesetzentwurfs nicht verstehen, wenn man nicht auf die Vorgänge zurückgeht, die namentlich durch den Wahlkampf 1957 und das, was sich damals ereignet hat, dazu geführt haben.
Ich erlaube mir deshalb zunächst einmal, dem Bundestag ins Gedächtnis zu rufen, was die Bundesregierung in der letzten Debatte, die solchen Fragen gewidmet war, vor der Entscheidung der Wählerschaft, über die Frage einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr hier von dieser Stelle aus erklärt hat. Ich zitiere mit der freundlichen Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Stenographischen Bericht der 209. Sitzung des 2. Bundestags vom 10. Mai 1957. Damals hat der Herr Bundesminister für Verteidigung mit aller Entschiedenheit erklärt:
Ich darf sagen: Es gilt hier in aller Deutlichkeit herauszustellen, daß die Frage der Ausstattung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen - wobei sowieso nur amerikanische Produktion in Betracht käme - überhaupt nicht zur Debatte steht.
({1})
Das ist die eine Erklärung.
({2})
Die andere Erklärung, die der Kanzler selber abgegeben hat, in derselben Sitzung, lautet folgendermaßen:
Noch ein Wort zu der Frage der atomaren Aufrüstung der Bundeswehr. Wenn man das hört, sollte man glauben, morgen oder übermorgen werde unsere ganze Bundeswehr mit Atomwaffen bis dorthinaus bewaffnet. Keine Silbe ist von einer solchen Vorstellung richtig.
({3})
Die Frage ist überhaupt noch nicht spruchreif;
({4}) sie hat sich noch gar nicht gestellt.
({5})
Und dann heißt es:
Ich wiederhole und sage das auch der deutschen Öffentlichkeit: Die Frage, ob wir Atomwaffen bekommen werden oder ob wir sie nicht bekommen werden, ist noch gar nicht spruchreif.
({6})
- Ich komme darauf, Herr Kiesinger, verlassen Sie sich darauf!
Dann kam der Wahlkampf, der ja auf Grund dieser Regierungserklärungen geführt wurde, ein Wahlkampf, der, jedenfalls von der Unionspartei, geführt worden ist nach dem Satz: Je weniger wir sagen, um so mehr haben wir - vermeintlich - freie Hand. Man hat alles mögliche gesagt, was nicht zur Sache gehört. Ich bedaure, daß ich heute darauf kommen muß, nachdem hier - zuletzt durch den Herrn Bundesinnenminister, auf dessen Ausführungen ich im einzelnen noch eingehen werde solche, na, es gibt kaum einen parlamentarischen Ausdruck, solche, ich will einmal sagen, Unterstellungen gegen die Sozialdemokratische Partei Deutschlands gerichtet worden sind, immer nach dem alten Wilhelminismus: Einmal waren es „vaterlandslose Gesellen", dann sind es die Leute, die das deutsche Volk wehrlos machen wollen, und jetzt denkt man schon in kommunistischen Kategorien. Das ist immer ein und dasselbe. Und dann ist die Rede von den „nichtbewältigten Komplexen der Vergangenheit". Aber im Wahlkampf - das weiß jeder unserer Sprecher, und das ist mir in jedem Dorf und in jeder Stadt geschehen, in die ich gekommen bin -, da hat man ganz in dem Stil, den Herr Barzel bedauerlicherweise hier für richtig hielt, gesagt, in der Weimarer Zeit hätten 14 Jahre lang die Sozialdemokraten regiert, und das Ergebnis sozialdemokratischer Weimarer Regierungszeit von 14 Jahren seien Massenarbeitslosigkeit und Hitler gewesen;
({7})
jetzt regiere Adenauer acht Jahre, und wir hätten Vollbeschäftigung und Wirtschaftswunder. - Das ist eine Volksvergiftung gewesen unerhörtester Art!
({8})
Es gibt noch eine Sache im Untergrund, auf die wir auch einmal zu sprechen kommen. Es hat zwischen Flensburg in Schleswig und Rosenheim in Bayern nicht eine Stadt, nicht eine Gemeinde gegeben, in der man nicht erzählt hat, daß Erich Ollenhauer Jude oder „Halbjude" sei, genau das, und die Unionspartei hat das mitgemacht.
({9})
- Herr Kiesinger, die Strafprozesse laufen doch, in die Unionsmitglieder verwickelt sind.
({10})
Das ist eines der entscheidendsten Untergrundereignisse im Wahlkampf gewesen.
({11})
- Ich kann alle meine Parteifreunde als Zeugen dafür benennen, daß uns dieses Gerücht im Wahlkampf die größten Schwierigkeiten gemacht hat.
Der Herr Kollege Jahn führt einen Rechtsstreit als Verteidiger,
({12}) wo zwei Angehörige der CDU
({13})
das in der gar nicht seltenen Weise gemacht haben: Sie kommen in das Restaurant, da ist eine sozialdemokratische Versammlung, und da sagen sie: „Ach, wie ist denn das, es gibt doch so Gerüchte über Herrn Ollenhauer." - „Ach, Gerüchte gibt es? Was für Gerüchte gibt es denn?" - „Ja, also Herr Ollenhauer, der soll doch Halbjude oder Jude sein, und da kann man doch eigentlich so einen Mann nicht zum Bundeskanzler wählen." - Ich glaube Ihnen die Empörung gern. Ich bin auch überzeugt, daß ein großer Teil der hier anwesenden Unionsparteiler oder vielleicht Sie alle nichts davon wissen.
({14}): Nein, nicht alle!)
Aber Sie wissen manches nicht aus den Unterkleidern Ihrer eigenen Partei.
({15})
Aber ich komme jetzt zurück auf die besondere Rolle, die die atomare Ausrüstung der Bundeswehr im Wahlkampf gespielt hat. Es ging davon aus, daß wir am 10. Mai, der letzten Atomwaffen-Debatte vor der Bundestagswahl, diese ganz dezidierten Regierungserklärungen hatten. So ist es dann auch im Wahlkampf erklärt worden. Ich habe hier vorliegen „Fragenkatalog, Bundestagswahl 1957; Herausgeber: Bundesgeschäftsstelle der CDU, Bonn, Nassestraße 2". Ich darf annehmen, daß der Herr Präsident mir das wörtliche Zitieren erlaubt. Da gibt es einen Abschnitt, der heißt:
Wehrpolitik, allgemeine Wehrpflicht.
Die SPD fordert: Schluß mit der Wehrpflicht! Wollt ihr Mütter, daß eure Söhne wieder Soldat werden und in den Krieg müssen?
Dann heißt es weiter :
Frage: Auch andere NATO-Länder wie z. B. Großbritannien schaffen die allgemeine Wehrpflicht ab.
Antwort:
- das ist die Antwort des CDU-Redners Großbritannien schafft die allgemeine Wehrpflicht ab im Zusammenhang mit der Umstellung der Ausrüstung der Armeen von konventionellen Waffen auf Atomwaffen. Die Bundeswehr dagegen wird ohne Atomwaffen ausgerüstet.
({16}) Und das ist gesperrt gedruckt!
Schon aus diesem Grunde kann eine Wehrmacht, die nur aus Freiwilligen besteht, nicht genügend Soldaten zur Verfügung stellen.
({17})
Ganz klar aus dem Fragenkatalog.
Aber es gibt ein weiteres Dokument; es heißt „Christlich-Demokratische Union Deutschlands, Sonderrednerdienst: Außenpolitik im Wahlkampf - Ein außen- und wehrpolitischer Leitfaden für den Gebrauch im Bundestagswahlkampf 1957; CDU-Bundesgeschäftsstelle Bonn, Nassestraße 2". Dort kommt man dreimal auf die Atomrüstung. Auf Seite 29 werden dann Äußerungen aus dem sozialdemokratischen Pressedienst vorn 20. Mai und eine Äußerung meines Parteifreundes Fritz Erler zitiert. Und dann kommt die Antwort der CDU:
Antwort:
Die Bundesregierung beabsichtigt keine Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen. Das ist in der Regierungserklärung vom 10. Mai 1957 im Bundestag deutlich gesagt worden.
({18})
An der Eindeutigkeit und Klarheit dieser Antwort der CDU im CDU-Sonderrednerdienst kann ja eigentlich kein Zweifel sein. Es wird dann noch dagegen polemisiert, daß man ja nicht - wie die SPD es gewollt habe - einen Vorausverzicht für alle Zeiten aussprechen könne. Aber das ist etwas Theoretisches, Platonisches. Die Antwort für die Bundestagswahl ist ganz eindeutig: „Die Bundesregierung beabsichtigt keine Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen."
({19})
Es geht dann weiter auf Seite 31 dieses Sonderrednerdienstes. Da wird wiederum folgendes gesagt:
Keine Wehrpflicht - SPD-Behauptung. In der Antwort der CDU heißt es:
Wenn der Westen den 170 mit herkömmlichen Waffen ausgerüsteten sowjetrussischen Divisionen keine ebenbürtige konventionelle Streitmacht entgegenstellen kann - und ohne eine starke deutsche Bundeswehr ist das unmöglich -, dann steht er vor der ausweglosen SituaDr. Arndt
tion: Kapitulation oder Atomkrieg. Um eine solche sowjetrussische Spekulation zu verhindern, muß die Bundeswehr genügend groß sein. Nur die allgemeine Wehrpflicht kann aber die dafür erforderliche Anzahl gut ausgebildeter Soldaten als Reserve zur Verfügung stellen. Wenn darauf hingewiesen wird, daß z. B. England die allgemeine Wehrpflicht auch abschafft, so ist dazu zu sagen: England stellt seine Armee von der herkömmlichen auf Atombewaffnung um. Die Bundeswehr dagegen wird ohne Atomwaffen ausgerüstet. Daher muß sie genügend groß sein, um auch ohne diese einen starken Schutz zu bilden.
Das ist Ihr Sonderrednerdienst; und das deckt sich also mit dem, was auch im Fragenkatalog steht. Im Fragenkatalog kommt dann noch eine andere Stelle, die ich eben überschlagen habe. Die heißt: „Wehrpolitik - atomare Bewaffnung"; und dann steht links ausgerückt:
„Die SPD behauptet:
Die CDU bereitet systematisch die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen vor."
Und dann kommt:
Die Wahrheit:
- also die Wahrheit, wie die CDU sie versteht Das trifft keineswegs zu. Im Gegenteil sagte Bundeskanzler Dr. Adenauer am 10. Mai 1957 vor dem Bundestag:
- und nun kommt das Zitat Ich möchte sagen, daß die Bundesregierung keine atomaren Waffen gefordert hat, daß sie entschlossen ist, an der Erklärung festzuhalten, die sie seinerzeit auf der Londoner Konferenz im Oktober 1954 abgegeben hat.
Und dann geht es weiter:
Antwort der CDU: Auf der Londoner Konferenz hat die Bundesregierung Verzicht auf die sogenannten ABC-Waffen geleistet, atomare, biologische und chemische Waffen. Die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen wird also
- gesperrt gedruckt und fett gedruckt nicht von der CDU angestrebt.
({20})
An diesen Dokumenten kommen Sie nicht vorbei.
({21})
Das ist das, worum sich der Wahlkampf abgespielt hat, bei dem Sie jetzt hinterher behaupten wollen, das deutsche Volk im Westen habe gewußt, daß es Ihnen hier eine Generalvollmacht gebe, auch die atomare Bewaffnung durchzuführen.
Und nun komme ich auf das, was Herr Kollege Kiesinger mir in einem Zwischenruf sagen wollte; nämlich jetzt kommt die Ausrede: ja, aber danach seien die Londoner Abrüstungsverhandlungen gescheitert. - Nun, Herr Kiesinger, Sie wissen genauso gut wie ich, wie das mit den Londoner
Abrüstungsverhandlungen war. Das ist nicht - wie es heute so dargestellt zu werden pflegt - irgendeine Gipfelkonferenz gewesen; das ist ein Unterausschuß des Abrüstungsausschusses der UN gewesen, ein Unterausschuß, der aus fünf Mitgliedern bestand, vier aus dem Westen und einem Sowjetunion-Mann - oder Sowjet-Mensch nennen die sich ja wohl -, der beauftragt war, Vorschläge zu machen über etwas, was Sie jetzt ja selbst nicht wollen, nämlich den berühmten ersten Schritt und nur diesen ersten Schritt, den Sie selbst in den letzten Regierungserklärungen ausdrücklich immer wieder abgelehnt haben; Sie sagen: Es gibt keinen ersten Schritt. Sie, Herr Kiesinger, haben erklärt: Wir müssen beim ersten Schritt eine Automatik machen, bei der wir auch den letzten Schritt wissen; einen ersten Schritt allein gibt es nicht. Also er hat nur über etwas geredet, was nach Ihrer Auffassung gar nicht irgendwie bedeutungsvoll oder relevant war. Er hat über Inspektionszonen geredet, über Inspektionszonen in der Arktis und nachher über Inspektionszonen in Europa, um dem Ausschuß für Abrüstung Vorschläge zu machen, und dann erst sollte es an die Vereinten Nationen kommen.
Also da waren keine Entscheidungen zu treffen dergestalt, daß Sie sagen könnten: Jetzt hat sich die ganze Weltlage verändert; wir waren damals, am 10. Mai, und als wir diese Wahlschriften herausgaben, des Glaubens, eine Einigung mit der Sowjetunion bei einer Gipfelkonferenz über Abrüstung stehe unmittelbar bevor, und weil diese unsere Erwartungen so bitter enttäuscht worden sind, haben wir auf einmal das Steuer herumgeworfen. Das ist doch einfach nicht richtig. Wenn es nicht zu Vorschlägen gekommen ist oder jedenfalls nicht zu Vorschlägen, die Aussicht auf Annahme hatten - und ich empfehle Ihnen, zu lesen, was Herr von Senger und Etterlin über die beiderseitige Unehrlichkeit bei diesen Vorschlägen schreibt -, so wissen Sie ja auch, daß, vielleicht nicht ganz ohne Zutun der Bundesregierung und der Bundesrepublik, der letzte Vorschlag der war: die Inspektionszone, dieser offene Himmel, den wir für einen sehr guten ersten Schritt halten, sollte so gestaltet werden, daß zwar nach Osten hin die gesamte Sowjetunion einen offenen Himmel haben müßte, aber nach Westen hin die amerikanischen Stützpunkte in Spanien, Portugal und Nordafrika von dem offenen Himmel ausgenommen sein sollten.
({22})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Dr. Arndt, Sie zwingen mich zu einer Zwischenfrage, weil Sie eine Gedankenlesung vorgenommen haben, die nicht stimmt. Was ich Ihnen sagen wollte, war etwas anderes. Ich will es in eine Frage kleiden. Hatten Sie nicht den Eindruck, daß bei all den Äußerungen, die Sie zitiert haben, nicht etwa ge1492
sagt worden ist: wir werden die Bundeswehr niemals mit atomaren Waffen ausrüsten,
({0})
sondern daß gesagt worden ist: die Entscheidung über diese Frage steht im Augenblick noch nicht an, - was die Möglichkeit nach beiden Seiten offenließ?
({1})
Aber Herr Kiesinger, der Wähler will doch nichts wissen - was weiß ich - vom Tag des Knusperhäuschens oder vom Sankt-Ninimerleins-Tag! Er will reinen Wein haben: wie denken die Parteien über die Frage der atomaren Bewaffnung?
({0})
Es sind ganz klare Antworten: Die Bundeswehr wird ohne Atomwaffen ausgerüstet,
({1})
und es wird auch noch begründet: Deshalb brauchen wir die von den verfluchten Sozialdemokraten abgelehnte allgemeine Wehrpflicht, denn wir wollen nur konventionelle Waffen, und wir müssen deshalb eine so große Streitmacht haben, die größer ist als in anderen Ländern. Wir - so steht da -können uns das nicht leisten wie Großbritannien, das umrüstet, das die allgemeine Wehrpflicht abschafft, weil es eben die atomare Ausrüstung seiner Streitkräfte durchführt. Wir CDU-Leute - so steht da - wollen keine atomare Ausrüstung der Bundeswehr, wir streben sie nicht an; das ist sozialdemokratischer Schwindel - das steht doch hier deutlich -, und weil wir für die Wehrpflicht sind, müssen wir für die konventionellen Waffen sein und sind gegen die atomare Bewaffnung.
Ich bedauere, daß Herr Dr. Jaeger nicht da ist; aber ich muß es auch in seiner Abwesenheit sagen, und ich sage es ihm auf den Kopf zu. Herr Dr. Jaeger und ich haben in München kurz vor der Wahl im Großen Hörsaal der Universität eine Diskussion über die beiderseitigen Sicherheitsvorstellungen gehabt. Ich denke gern daran; denn es war, wie ich glaube und wie wohl auch sein Eindruck war, von beiden Seiten her eine faire Diskussion. Es waren weit über tausend Studenten und Professoren da. In dieser Diskussion hat Herr Jaeger - und das sage ich ihm hier auf den Kopf zu; denn es waren eben über tausend Zeugen da, darunter Herr Dr. Müller-Meiningen, der die Diskussion geleitet hat - nicht ein Wort, nicht eine Silbe, nicht eine Sterbenssilbe davon gesagt, daß die atomare Ausrüstung der Bundeswehr auch nur in Erwägung gezogen werde.
({2})
Alle diese Dinge haben Sie doch nach der Wahl gemacht! Aber darauf komme ich noch. Ich muß erst ein Fazit ziehen.
Neuerdings ist Herr Professor Thielicke hier bei Ihnen so beliebt geworden. Nun, ich weiß manches darüber. Es hat nach der Abfassung dieses Artikels eine Zusammenkunft stattgefunden, in der sich z. B. Herr Professor Thielicke beklagt hat, er habe von Ihnen nie eine Antwort auf seine Frage auf Ihrem Parteitag bekommen, ob hinter dem jetzigen Umschwenken zur atomaren Ausrüstung etwa nur finanzielle und materialistische Erwägungen stünden. Er hat von Ihnen auch nie eine Antwort auf seine auf Ihrem Parteitag gemachte Äußerung bekommen, daß es im atomaren Zeitalter keinen gerechten Krieg mehr gebe - eine Frage, die nun wirklich jedem an Herz und Nieren gehen sollte. Es gibt auch noch manches andere, was ihm unbeantwortet geblieben ist, aber worüber zu reden ich mich nicht für befugt halte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sofort, Herr Präsident, ich möchte den Gedankengang nur zu Ende führen.
Es ist aus dem Artikel von Herrn Helmut Thielicke zitiert worden, daß hier dem Abgeordneten die ethischen Grundlagen seines Mandats geraubt würden. Dazu will ich Ihnen in allem letzten und bitteren Ernst sagen: Die ethischen Grundlagen des Mandats werden dann geraubt, wenn man vor der Wahl und in der Wahl dem Wähler nicht zu erkennen gibt, was man über atomare Ausrüstung denkt,
({0})
wenn man so deutlich sagt, daß eine Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Sprengkörpern nicht geschehen wird, und man dann nach der Wahl hingeht und sagt: Jetzt haben wir eure Vollmacht in der Tasche; jetzt machen wir damit, was wir wollen.
({1})
Eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Dr. Arndt, Sie können gewiß nicht alle Äußerungen der CDU im Wahlkampf kennen. Ich darf Sie fragen, ob Sie den von der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands herausgegebenen Sonderrednerdienst „Außenpolitik im Wahlkampf - Ein außen- und wehrpolitischer Leitfaden für den Gebrauch im Bundestagswahlkampf 1957" kennen und ob Sie dort auf Seite 29 gelesen haben:
Die Rüstung des Westens muß sich nach der Rüstung der Sowjets richten. Solange die Sowjetunion Atomwaffen hat, braucht sie auch der Westen. Ein einseitiger Verzicht der Bundesrepublik auf den Besitz von Atomwaffen, selbst für den Fall des Scheiterns der AbDeutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 26. Sitzung, Bonn, Freitag. den 25. April 1958 1493
rüstungsverhandlungen, würde die Verteidigungsfähigkeit des Westens schwächen und der Sowjetunion einen Vorteil in die Hand spielen, ohne daß sie eine Gegenleistung erbringen müßte.
Kennen Sie diese Anweisung für die CDU-Redner?
({0})
Die Anweisung kenne ich, Herr Kiesinger! Sie ist genau halb zitiert; denn - das habe ich ja gesagt - es kommt dann eine Polemik, daß man keinen Vorwegverzicht erklären kann.
({0})
- Jawohl, ich habe gesagt lesen Sie meine Rede
nach! -, daß diese Polemik kommt. Das ist aber doch gar nicht das, was den Wähler angeht. Einen Vorwegverzicht - das haben Sie auch im Bundestag gesagt - erklären Sie nicht. Einen Vorwegverzicht für alle Zeiten lehnen Sie ab. Das ist dem Wähler bekannt gewesen. Das hat er schon am Rundfunk aus der Debatte vom 10. Mai gehört. Aber das, was den Wähler interessiert, ist: Was wird die CDU tun? Und genau auf dieser Seite 29 steht über das, was Sie tun wollen, der Satz: „Die Bundesregierung beabsichtigt keine Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen." Das ist in der Regierungserklärung vom 10. Mai 1957 im Bundestag gesagt worden. Ich bin bereit, Ihnen auch vorzulesen, daß Sie gesagt haben: Diesen generellen Vorausverzicht der Sozialdemokraten für allen Zeiten machen wir nicht mit. Diese Polemik gegen die SPD gibt Ihnen aber nicht auf, daß Sie ganz präzise Aussagen machen über Ihre innere Absicht, daß die Bundesregierung keine Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen beabsichtigt. Ich habe hier nicht bloß eine Stelle vorgelesen, ich habe Ihnen aus dem internen Werbematerial der CDU vier oder fünf Stellen vorgelesen und auch vorgelesen, wie das innerhalb der CDU begründet ist, nämlich indem man gesagt hat: Weil wir an der allgemeinen Wehrpflicht festhalten und weil hier eben deshalb eine große Streitmacht mit konventionellen Waffen gebraucht wird, kommt für uns die atomare Ausrüstung nicht in Betracht. Sie können an dieser geschichtlichen Wahrheit nichts ändern.
Ich komme damit auf einen sehr wichtigen Punkt. Sie werfen uns mit einer wissenschaftlichen Vokabel vor, daß wir jetzt plebiszitär würden und daß die Bundesrepublik ihrer Verfassung nach doch repräsentativ sei. Nun, was es mit dem ,,Repräsentativen" auf sich hat, ist von meinen Vorrednern, dem Kollegen Heinemann und dem Kollegen Greve, schon auf das richtige Maß zurückgeführt worden. Ich komme in einem andern Zusammenhang auch noch darauf zurück, daß es sich um repräsentative Gesetzgebung handelt.
Ich will mich einmal auf diese fragwürdigen wissenschaftlichen Hilfsbegriffe des Plebiszitären und Repräsentativen einlassen. Wer hat denn hier den
plebiszitären Akzent in die deutsche Staatlichkeit, soweit sie sich im Westen teilweise aufbaut, hineingebracht, wenn nicht Sie? Was sind denn diese Wahlen anderes gewesen als eine von Ihnen als Plebiszit für eine Person und für eine Ideologie verfälschte Wahl,
({1})
bei der der Wähler über die Sache möglichst wenig erfahren sollte?
({2})
Herr Majonica, wer hier verliert, das ist die deutsche Demokratie, das ist die Bundesrepublik.
({3})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weber?
Bitte schön.
Herr Kollege Arndt, Sie haben soeben aus der 209. Sitzung des 2. Bundestags vorn 10. Mai 1957 - Seite 12130 D - die Erklärung zitiert, die der Bundeskanzler in dieser Sitzung abgegeben hat, wo er gesagt hat, das Problem der Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen sei „noch nicht spruchreif". Sie haben aber unterlassen -- oder haben Sie es übersehen? -, die Bemerkung des Bundeskanzlers vorzulesen:
Und sollen wir in diesem Augenblick, wo diese Frage gar nicht spruchreif ist, die erst in zwei, drei Jahren spruchreif sein wird,
- also in der Zeit dieses Bundestages sollen wir da, während in London die Balance
so ist, dieses Gewicht in die Waagschale der Sowjets legen?
Haben Sie übersehen, daß der Bundeskanzler ausdrücklich gesagt hat, daß diese Frage in zwei, drei Jahren spruchreif sein wird?
Das habe ich gar nicht übersehen. Aber in Ihrem Material zum Wahlkampf steht gar nichts von zwei bis drei Jahren drin.
({0})
Der Bundeskanzler hat ganz deutlich gesagt, daß die Frage überhaupt nicht anstehe. Er hat mit diesem Vorbehalt nur das erklärt, was auch der Öffentlichkeit durchaus bekannt ist, daß die Bundesrepublik keinen Vorausverzicht leiste, daß sie keinen Ein-für-allemal-Verzicht leiste.
({1})
Aber der Bundeskanzler hat nichts von der Absicht gesagt, in zwei bis drei Jahren die Bundeswehr atomar aufzurüsten. Das hat er nicht gesagt.
({2})
Darum allein geht es. Kein Wähler konnte aus der Bundestagsdebatte, aus dem Wahlkampf und aus Ihrem Material entnehmen, daß eine Absicht bestand, umzurüsten und zur atomaren Ausrüstung überzugehen. Aber ich komme gleich darauf. Die zwei bis drei Jahre sind ja auch noch gar nicht um. Sie werden noch einiges weitere hören, und das wird Ihnen ebensowenig angenehm sein wie das, was ich bis jetzt gesagt habe. Manchmal ist es eben unsere leidige Aufgabe, daß wir uns hier im Parlament recht unangenehme Dinge zu sagen haben.
Ich war dabei - ich bin durch die Frage des Herrn Kollegen Weber unterbrochen worden -, auszuführen, daß der plebiszitäre Akzent von Ihnen, und zwar absichtlich, in die Dinge hineingebracht worden ist. Dem Wähler ist nicht gesagt worden, daß er die Sache zu entscheiden habe, daß die Sozialdemokraten unter allen Umständen gegen atomare Ausrüstung und gegen allgemeine Wehrpflicht sind, während die CDU auf der anderen Seite beabsichtigt, noch im Wahljahr mit der atomaren Ausrüstung anzufangen. Davon hat der Wähler nichts erfahren. Vielmehr drang man bis zu der gotteslästerlichen Wahlparole vor, daß es um Christentum oder Kommunismus ginge.
({3})
Herr Abgeordneter Arndt, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Dr. Arndt, ist Ihnen die Tatsache nicht bekannt, daß infolge der langen Dauer der Ausbildung die Realisierung, d. h. die Aufstellung erster atomar bewaffneter Einheiten von heute an gerechnet erst in etwa zwei Jahren möglich ist?
({0})
Aber Herr Kliesing, es handelt sich doch um den grundsätzlichen Beschluß. Dieser grundsätzliche Beschluß stand doch mit der Reise des Herrn Strauß nach den Vereinigten Staaten und seinem Ankauf von Matadoren als einer Mehrzweckwaffe fest, die sich - ich weiß keinen richtigen Ausdruck; „militärisch sinnvoll" kann man nicht sagen - militärisch wirkungsvoll nur einsetzen, verbrauchen läßt, wenn man sie mit einem atomaren Sprengkopf ausrüstet, sowie mit dem Entschluß, die Deutschen daran auszubilden. Das ist doch der entscheidende Entschluß.
({0})
Das ist doch das Prinzip der Umrüstung. Daß die Umrüstung natürlich eine Weile dauert, ist selbstverständlich.
Im übrigen: 18 Monate sind keine lange Zeit. Aber ich hoffe, daß für uns diese 18 Monate ausreichen, der atomaren Ausrüstung den hinreichenden Widerstand entgegenzusetzen.
({1})
Aber der Entschluß ist doch gefaßt worden, und dieser Entschluß zur atomaren Ausrüstung der Bundeswehr ist nicht nach zwei oder drei Jahren gefaßt worden, sondern er ist noch im Herbst vorigen Jahres gefaßt worden, als die Bundesregierung Herrn Strauß ermächtigt hat, solche - ({2})
- Wahrscheinlich schon vor der Wahl. Aber ich will einmal annehmen, es sei erst nach der Wahl geschehen. Dann ist es um Wochen gegangen. Wenige Wochen nach der Wahl hat man, ohne daß sich irgendeine entscheidende außenpolitische Tatsache ergeben hätte, im Schoße der Bundesregierung diesen Beschluß gefaßt. Und Sie, die Sie heute so tun, als ob unser Gesetz über die Volksbefragung die Rechte des Parlaments antaste, - wo waren Sie denn damals? Warum haben Sie denn niemals gesagt, daß die Bundesregierung keinen Entschluß fassen dürfe, ohne vorher die Meinung des Parlaments klar festgestellt zu haben?
Man hat dabei nicht parlamentarisch gearbeitet, sondern erst hat die Bundesregierung entschieden, und dann kam Herr Strauß und sagte: Anfang April - ich weiß nicht, ob es der 3. oder der 6. April war - muß die Bewilligung vom Bundestage da sein. Und dann haben Sie nachträglich eine funktionale Mehrheit gebildet, um das zu bestätigen,
({3})
eine Mehrheit durch Akklamation, ja man könnte fast sagen, eine plebiszitäre Mehrheit. Wenn ich Herrn Thielicke zitieren soll, - der würde das eine Mehrheit der Funktionierer nennen.
({4})
Es ist so viel vom Rechtsstaat gesprochen worden. Aber ich glaube nicht, daß das, was man hier über den Rechtsstaat gesagt hat, diesem Ideal und dieser Notwendigkeit, zu der wir Sozialdemokraten uns mit allen Kräften unseres Herzens bekennen, gerecht geworden ist. Denn der Rechtsstaat besteht nicht in einem Legalismus. Der Rechtsstaat besteht in etwas ganz anderem. Er besteht in der Einigkeit eines Volkes über seine Voraussetzungen, in der Einigkeit darüber, daß die Würde des Menschen, der Glaube, das Gewissen, die Freiheit der Rede, das Leben, die Freiheit der Person und vieles andere nicht der Willkür einer Mehrheitsentscheidung, und sei sie eine parlamentarische Mehrheitsentscheidung, ausgeliefert werden können. Das ist die Substanz des Rechtsstaatlichen, dieses Einigsein.
Nun gibt es natürlich im Laufe der Politik - wir Deutschen sind damit geschlagen, und ich weiß, daß Sie es damit auch nicht leicht haben - Existenzfragen, die auch sich weitgehend einer Mehrheitsentscheidung oder gar einer Mehrheitswillkür entziehen und die sich ohne die Einigkeit der Nation nicht regeln lassen. Solche Fragen treten bei andeDr. Arndt
ren Staaten und Völkern während eines Krieges auf. Bei uns treten sie leider Gottes seit 1945 fortgesetzt auf, fortgesetzt deshalb - ich sage das ganz objektiv -, weil manche von Ihnen meinen, eine Politik, wie die Sozialdemokratie sie befürwortet, würde an die Wurzeln der Existenz gehen, und weil wir glauben, daß Ihre Politik an die Wurzeln der Existenz geht. Das sind sehr schwere Fragen. Wir müssen uns sehr redlich und sehr ehrlich darüber klar sein.
Aber wir haben die Beispiele sehr vieler anderer gewachsener Demokratien, wie diese dann verfahren, rechtsstaatlich verfahren; denn der Rechtsstaat ist kein Formelkram und der Rechtsstaat ist kein Legalismus, sondern der Rechtsstaat besteht auf dem Fundament, daß es ohne die Einigkeit einer Nation in den entscheidenden Lebensfragen ein staatliches Zusammenleben nicht gibt.
({5})
Da verfahren die anderen Staaten so, daß sie dann das Äußerste an Kraftanstrengung tun, um diese Einigkeit, diese Gemeinschaftlichkeit herzustellen. Wir sehen es rein äußerlich darin, daß z. B. in England, wenn Krieg ist, Kabinette, allparteienmäßig, aus der größten Koalition gebildet werden; dann sitzt mit einem Male Churchill neben Attlee im Kabinett. Wir sehen das in anderen Staaten auch. Das ist die Anstrengung, die man in Rechtsstaaten macht, um zur Einigkeit zu kommen, eine Anstrengung, von der man hier seit 1949 nicht das mindeste gespürt hat.
({6})
Als Sie den verhängnisvollen Entschluß faßten, am 25. März der Bundesregierung, sagen wir einmal, die politische Ermächtigung zu geben: „Mach du nur mit den modernsten Waffen, wie immer es dir richtig dünkt!",
({7})
da haben wir noch einen äußersten Versuch unternommen, an dem wir noch festhalten; wir haben gesagt: jetzt ist es soweit, daß ein nationaler Notstand droht. Das ist nicht etwa ein Wort, das nur in Deutschland politisches Gewicht hat und in dieser Zeit gefallen ist, sondern fast zur gleichen Zeit hat ein Mann, den Sie doch auch ernstnehmen sollten, nämlich der britische Oppositionsführer Hugh Gaitskell, gesagt, die deutsche atomare Ausrüstung bedeutet die unmittelbare Gefahr eines dritten Weltkrieges.
({8})
Soll man da nicht sagen: hier ist ein Notstand, hier muß alles geschehen, damit wir uns zusammenfinden? Da haben wir etwas angeboten, was wahrscheinlich in unseren Reihen sehr unpopulär ist: Wir sind bereit, eine Bundesregierung zu unterstützen, jetzt mitten drin - sehen Sie, Herr Majonica, so schlechte Verlierer sind wir, daß wir das im Jahre 1958 anbieten! -, bei der selbstverständlich die CDU als die stärkste Partei und als die
alleinige Mehrheitspartei sogar den Kanzler benennen könnte. Es geht uns nur um die Sache, damit wir diese Gefahr bewältigen.
({9})
Wir haben sogar gesagt, es komme uns nicht einmal auf die Beteiligung an der Regierung an, sondern wir seien bereit, sie zu unterstützen, wenn sie nur den äußersten Versuch unternehme, die furchtbare Geißel der atomaren Bewaffnung von Deutschland abzuwenden. Das ist unser Versuch, das ist das Rechtsstaatliche. Und wer den Boden des Rechtsstaates verlassen hat - weil Sie glauben, der Legalismus erlaube die Parlamentswillkür dessen, der die größere Zahl hat -, das sind Sie in diesem Falle!
({10})
Hier ist soviel von den Kompetenzen gesprochen worden. Es ist gesagt worden, daß man die Rechte des Bundestages schmälern wolle. Meine Damen und Herren, wer spricht denn hier dem Bundestag eine Kompetenz ab? Wer verweigert denn hier dem Bundestag ein Recht? Doch nicht wir, sondern Sie! Denn was wir verlangen oder was wir beantragen, ist, daß der Bundestag das Volk befragt. Das hat doch mit plebliszitärer Demokratie überhaupt nichts zu tun, weil dabei das Volk die eigene Initiative hätte.
({11})
Der Bundestag soll und darf nicht, nachdem Sie durch die Verfälschung des Wahlkampfes 1957 und durch Ihren Beschluß über die atomare Bewaffnung diese Lage herbeigeführt haben, an dem Volk vorbeigehen. Der Bundestag hat kraft seiner Kompetenz zur Regelung der auswärtigen Politik, der Verteidigung usw. nach jeder verfassungsstaatlichen Theorie die Mittel, sich die erforderliche Unterrichtung zu beschaffen, auch über das, was die Bevölkerung denkt.
Herr Jaeger hat uns hier aus Giacometti vorgelesen. Er hat sehr schnell gelesen, so daß manche von Ihnen vielleicht nicht gemerkt haben, daß der Schweizer Staatsrechtler Giacometti davon spricht, daß die Behörden keine Volksbefragung veranstalten dürfen, weil das eine Umgehung der Schweizer Unionsverfassung sei. Ich wünschte, daß Sie sich das merkten; dann würden Sie nämlich weder Herrn Lindrath noch anderen Bundesministern Gelder für demoskopische Umfragen bewilligen. Dann würden wir sehen, ob Sie bei der Stange bleiben oder sagen: Recht ist das, was wir gerade für opportun halten.
({12})
Die Behörden haben kein Recht, Volksumfragen zu veranstalten, auch nicht mit Hilfe - ({13})
- In Frankfurt ist ein demokratischer Beschluß
einer Gemeindevertretung gefaßt worden! Die Stadt
Frankfurt ist keine Behörde! Soll ich Ihnen denn die einfachsten Abc-Begriffe erklären?!
({14})
Behörden haben kein Recht, demoskopische Umfragen zu veranstalten. Wenn Sie die amerikanische Staatsrechtslehre kennten, würden Sie wissen, daß der Kongreß sich mit aller Entschiedenheit verbeten hat, daß das State Department demoskopische Umfragen - sei es selbst, sei es durch das Gallup-oder ähnliche Institute - veranstaltet. Das, was hier seitens der Bundesregierung seit Jahren geschieht - und der sogenannte Vizekanzler Blücher hat mal eine im Bulletin wiedergegebene Rede über die Bedeutung der demoskopischen Umfragen, für die die Bundesregierung sehr viel Steuergelder ausgibt, gehalten -, das ist allerdings verfassungswidrig, denn das sollte in einer Demokratie nicht vorkommen.
({15})
Aber der Bundestag hat das Recht, durch ein Gesetz eine Volksbefragung vorzuschreiben in einer Frage, in der er die Entscheidungsmacht hat, die ihm keiner von uns abspricht. Da lesen Sie einmal die, ich muß schon sagen, meisterlichen Ausführungen von Carlo Schmid, die er in nur fünf Minuten in der vorigen Sitzungswoche gemacht hat. Keiner von uns spricht dem Bundestag das Entscheidungsrecht ab. Aber er hat das Recht, in einer Frage, in der er die Entscheidungsmöglichkeit hat, auch alles zu seiner Unterrichtung zu tun. Dazu kann auch gehören, daß er in einer geregelten Weise auf das Volk hört und fragt, wie denn nun dessen Meinungen sind.
Ich komme damit auf etwas ganz anderes: vom Rechtsstaat zur Demokratie. Demokratie läßt sich sehr einfach erklären als die Selbstbestimmung mündiger Menschen. Es ist die Aufgabe einer jeden Demokratie, für die bestmögliche Verwirklichung dieser Selbstbestimmung mündiger Menschen zu sorgen. Darin beruht, wie der Schweizer Staatsrechtslehrer Kaegi sagt, die Würde der Demokratie, weil sie an die Würde des Menschen appelliert und ihm die Selbstbestimmung oder die Teilhabe an der Selbstbestimmung auch in den schwierigsten Fragen gibt. Wenn ich jetzt aber höre, wie Herr Dr. Jaeger sagt, wenn er demagogische Fragen stelle - er hat gleich eine ganze Leporelloliste aufgezählt: „Wollt ihr" - „den totalen Krieg" hat er nicht gesagt -, „daß die Bundesrepublik sowjetisches Aufmarschgebiet wird?" und ähnliches mehr -, dann könne er von dem deutschen Volke jede Antwort bekommen, die er wolle; ja, meine Damen und Herren, was für eine Menschenverachtung liegt in solchen Ausführungen eines Bundestagsvizepräsidenten!
({16})
Man kann nicht jede Antwort bekommen.
({17})
- Das Volk hat gar nicht über atomare Bewaffnung entschieden.
({18})
Das ist doch eine der größten Unwahrheiten in der deutschen Geschichte.
({19})
Es geht also bei der Demokratie um die Selbstbestimmung mündiger Menschen und um die bestmögliche Verwirklichung dieser Selbstbestimmung und dieser Teilhabe an der Selbstbestimmung. Das hört aber nicht etwa in der Weise auf, daß nun der Wähler zwischen den Wahlen in den Ruhestand tritt. Manchmal scheint es so zu sein, daß bei einigen von Ihnen das Beamtendenken noch über das Verfassungsrecht, manchmal sogar über die Bibel noch hinausgeht. Der Wähler tritt nicht in den Ruhestand. Wenn etwas den innersten Kern des Demokratischen verletzt, dann ist das ein Satz, den Sie, Herr Dr. Barzel, kürzlich, am 20. April, in der „Welt" veröffentlicht haben und auf den im Untergrund die ganzen Reden gestimmt waren. Dieser Satz heißt:
In unserem Grundgesetz ist ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß sich die Willensbildung des Volkes darauf beschränkt, in freien und geheimen Wahlen die Abgeordneten für das Parlament zu wählen.
Nein! sage ich Ihnen.
({20})
- Nein! Die Willensbildung des Volkes hört nicht einen Tag auf.
({21})
Die Willensbildung, die Meinungsbildung ist ein
unaufhörlicher Prozeß, durch den das Volk zu sich
selber kommt, durch den es seinen Staat integriert.
({22})
Das vollzieht sich unentwegt und vollzieht sich auch als Bildung der öffentlichen Meinung.
Worum es bei der Volksbefragung geht, ist, eine gesetzlich zuverlässige Kenntnis davon zu bekommen, was die öffentliche Meinung in Deutschland wirklich über die Atomausrüstung denkt, wie sie sich gebildet hat.
({23})
Das ist eine legitime und eine berechtigte Frage und auch eine Frage, die in gar keiner Weise demagogisch ist. Das deutsche Volk weiß: es ist nicht etwa eine sozialdemokratische Aktion, daß auf einmal überall in den Städten und Dörfern die Menschen kommen und sagen:
({24})
Wir wollen jetzt dazu auch gehört werden! Es geht doch dabei um ihre Haut, um ihre Knochen, um ihre Kinder und um die ungeborene Generation!
({25})
Weder der Prozeß der Willensbildung noch der Prozeß der Meinungsbildung können in einer DemoDr. Arndt
kratie auch nur einen Augenblick dergestalt aufhören, daß der Wähler zugunsten der Abgeordneten abdankt. Was Sie meinen und worauf ich noch in anderem Zusammenhang antworten werde,
({26}) ist etwas anderes.
Und nun komme ich zu einem anderen Wort von Herrn Dr. Barzel, einem sehr gefährlichen Wort und einem sehr falschen Wort. Er hat gesagt, das deutsche Volk sei hier im Bundestag präsent. Als ob die anderen aufgehört hätten, deutsches Volk zu sein!
({27})
Und als ob wir souverän wären! Wir sind aber nicht souverän.
({28})
Das deutsche Volk wird hier, soweit es im Westen wahlfähig und wahlberechtigt ist, im Bundestag von uns re-präsentiert.
({29})
Das ist etwas ganz anderes, als daß es hier präsent sei.
({30})
- Nein, wir sind Bevollmächtigte im Sinne von Treuhändern. Wir sind solche, von denen das Grundgesetz sagt, daß wir ein Amt haben. Wir stehen in einem Dienst. Es ist nicht so, daß Demokratie darin bestünde, eine kommissarische Diktatur auf Zeit einzurichten:
({31})
das seien vier Jahre, in denen jetzt, was auch immer, gemacht werden könnte.
({32})
- Nein, das wissen Sie nicht, Sie haben keine Ahnung von Demokratie, Herr Schütz.
({33})
Das Parlament kann nicht tun, was es will.
({34})
Meine Damen und Herren, ich habe den dringenden Wunsch, sich in Ihren Ausführungen und in Ihren Bezeichnungen zu mäßigen.
({0})
Der Abgeordnete ist in seinem Gewissen auch an das gebunden, was er vor der Wahl gesagt hat,
({0})
und zur Aufmerksamkeit auf das, wovon er weiß, daß es die öffentliche Meinung ist. Es gibt eine amerikanische Definition, die heißt: Democracy is government by public opinion. Aber nicht sind wir hier Kommissare, so daß wir in einem nihilistischen Legalismus machen können, was der Mehrheit jeweils gerade einfällt. Da irren Sie sich ganz außerordentlich.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Dr. Arndt, wenn sich das Volk in einem Volksentscheid für die Todesstrafe entscheiden würde, würden Sie sich dann im Parlament ebenfalls für diese Todesstrafe einsetzen?
Das beantworte ich Ihnen sehr gern. Ich würde eine solche Befragung für ein sehr wichtiges Politikum halten. Ich komme gleich noch darauf, was es bedeutet. Das bedeutet sehr viel, wenn sich das Volk äußert. Meine Wähler haben bisher jedenfalls von mir immer gewußt und wissen es auch von der Sozialdemokratischen Partei, daß zu einer ihrer grundsätzlichen Forderungen die Abschaffung der Todesstrafe gehört.
({0})
- Ach, Sie sehen immer alles nur unter dem Gesichtspunkt des Wahlkampf-Gewinnens oder Wahlkampf-nicht-Gewinnens. Das ist doch gar nicht das Entscheidende.
({1})
Selbstverständlich muß der Abgeordnete, wenn es eine Volksbefragung über die Todesstrafe gäbe - das ist übrigens eine hochinteressante Gedankenverbindung, daß Sie, Herr Ehren und Herr Jaeger und andere, immer die atomare Ausrüstung für so eine Art Todesstrafe zu halten scheinen -,
({2})
ein großes politisches und moralisches Gewicht darauf legen.
Aber lesen Sie doch nach, was Carlo Schmid - ich kann es nur nochmals wiederholen - in geradezu meisterlicher Weise in der kurzen Geschäftsordnungsdebatte gesagt hat: Das Ergebnis einer Volksbefragung ist moralisch bedeutsam und ist politisch bedeutsam, und es darf ein verantwortliches Parlament nicht ohne weiteres daran vorbeigehen. Aber es enthebt auch die Volksbefragung das Parlament dann nicht von seiner letzten Verantwortung, die es hat. - Keiner von uns wünscht das. Wenn Sie etwa glauben, das sei der Hintergrund der Sache, dann irren Sie sich gewaltig.
Aber es ist etwas völlig anderes, wenn ich, wie Sie das meinen, sage: Ach Gott, ich habe ja hier eine Blankovollmacht; jetzt kann ich hier vier Jahre lang schalten und walten, wie ich will;
({3})
ich ordne die atomare Ausrüstung an,
({4})
oder ob ich das Ideal der Selbstbestimmung eines mündigen Volkes zu verwirklichen suche und auf das Volk horche. Keine Befragung kann so zuverlässig sein wie eine vom Bundestag angeordnete gesetzliche. Daß Sie selber sich und dem Bundestag dieses Recht nehmen wollen, daß Sie sagen: Der Bundestag darf das gar nicht, das ist im Grunde ein Griff nach Urrechten eines Parlaments, nämlich nach seinem Untersuchungs- und Ermittlungsrecht. Aber hier wird eben obrigkeitsstaatlich gedacht, obrigkeitsstaatlich in der Weise, daß der Bundestag eine Obrigkeit sei und die anderen sich zu fügen hätten.
Ich bin nicht der Meinung - ich unterscheide mich da etwas von meinem Kollegen Greve -, daß der Staat alles darf, was ihm nicht ausdrücklich verboten ist. Ich bin vielmehr durchaus der Meinung, daß Staatsgewalt in ihrer Ausübung voraussetzt, daß sie sich aus dem Grundgesetz, aus der Verfassung legitimiert. Aber diesen Fall halte ich bei unseren Zuständigkeiten für gegeben.
Es gibt eben in der Sozialdemokratischen Partei manchmal verschiedene Meinungen. Meine Damen und Herren, Sie zerbrechen sich durch irrige Interpretationen der Ausführungen meines Feundes Heinemann den Kopf, ob es denn nun hinsichtlich der Amerikaner zwischen Heinemann und Erler Unterschiede gibt. Ich glaube es weniger. Aber wenn ich es einmal unterstelle, so sind wir in der Lage, diese Unterscheidungen auszuhalten - meine Fraktion hat kürzlich erst Herrn Heinemann fast einstimmig zum Delegierten auch des Parteitages berufen -, weil nämlich bei uns die Gewissensgrenze und die Parteilinie nicht wie mit dem Lineal gezogen laufen, wie man das bei einigen der letzten Abstimmungen gesehen hat.
({5})
Lassen Sie mich auf einen sehr wichtigen Punkt kommen. Die Gefahr, vor der wir stehen, ist ein Auseinanderklaffen der Bundestagsmehrheit und einer weiten, großen Volksmeinung. Das ist eine für die Demokratie tödliche Gefahr.
({6})
- Nun, Sie werden es sehen. Sie wissen doch selbst, Herr Kiesinger, wie es mit der Stimmung und der Meinung draußen ist; denn Sie würden sonst die Volksbefragung nicht so fürchten, wie Sie es tun.
({7})
Dann werden uns, wie meinem Freunde Blachstein eben von dem Herrn Bundesinnenminister, immer solche ausgesprochen legalistische Einwände gebracht, die auf den Kern der Dinge überhaupt nicht kommen. Dann wird uns „Verfassungszweideutigkeit", „Verfassungsuntreue", und ich weiß nicht was, vorgeworfen. Ich komme noch darauf, warum wir Sozialdemokraten glauben, daß wir solche Vorwürfe aushalten können und daß sie uns nicht im geringsten treffen, auch wenn gerade Herr Schröder glaubt sie aussprechen zu können.
Nur, Herr Schröder, das eine will ich Ihnen zu den Ausführungen des Kollegen Blachstein sagen. Sie haben gemeint, beim Verbot der SRP und der Kommunisten sollten etwa verschiedene Maßstäbe nach rechts und links angewandt werden. Sie haben weiter gefragt, ob wir denn Verfassungszweideutigkeit wollten oder ob wir einen Naturschutzpark für Kommunisten wollten. Nun, wir haben sehr wenig Sympathie für die Kommunisten und sind nicht bereit, ihnen einen Naturschutzpark zur Verfügung zu stellen.
({8}) - Ihnen ist das neu? Dann gratuliere ich Ihnen! ({9})
Es geht doch darum, daß die Entscheidung, ob das Verbot einer Partei zu beantragen ist, keine legalistische ist, sondern es im rechtlichen Ermessen einer pflichtmäßig handelnden Bundesregierung steht, ob sie etwas politisch Sinnvolles tut. Bei den Kommunisten war es so, daß wir, und zwar gerade wir Sozialdemokraten - aber Sie haben auch mitgeholfen, das will ich Ihnen gar nicht bestreiten -, jedenfalls daß es uns, allen Demokraten, gelungen ist, den letzten Kommunisten aus dem Bundestag herauswählen zu lassen und die Kommunisten auch aus fast allen Parlamenten der Länder herauswählen zu lassen. Da war keine Gefahr. Aber es geht bei der Abwägung der sinnvollen Gründe, ob man eine kommunistische Partei verbieten soll, auch darum, daß hinter dieser Partei eine Weltmacht steht, mit der wir verhandeln wollen, um die Wiedervereinigung zu erreichen.
({10})
- Ja, Sie wollen nicht verhandeln. Sie wollen anscheinend das, was Herr Wenger denkt.
({11})
Es geht darum, daß gesamtdeutsche Wahlen, ohne daß auch die Kommunistische Partei dabei kandidiert - Herr Kiesinger, das werden Sie mir zugeben -, nicht zu erreichen sind, daß Sie also auch in Karlsruhe eines der Schlösser vorgelegt haben vor die gesamtdeutschen Wahlen, und ich glaube nicht, daß eine Bundesregierung dazu legitimiert ist, wenn das ganze deutsche Volk nach der Präambel und nach Art. 146 des Grundgesetzes aufgefordert bleibt, in freien Wahlen sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen.
({12})
Im übrigen kann ich mich nicht mit allem auseinandersetzen, was hier gesagt worden ist, bis auf ein Letztes.
({13})
- Bitte, Herr Kiesinger.
Herr Kollege Arndt, ich m u ß diese Frage stellen. Ist Ihnen nicht bekannt, daß die Sowjetunion mit einer ganzen Reihe von Ländern recht freundschaftliche Beziehungen unterhält, obwohl diese Länder die Kommunistische Partei in ihrem Bereich rücksichtslos, viel rücksichtsloser als wir, unterdrücken?
Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Frage, Herr Kiesinger. Wenn es auch dem Redner nicht erlaubt ist, Gegenfragen zu stellen, so möchte ich doch gern von Ihnen wissen, ob denn die Sowjetunion von einem einzigen dieser Länder auch einen so wesentlichen Teil besetzt hält und 17 Millionen Gefangene des Kalten Krieges in ihrer Faust hat!
({0})
Das möchte ich einmal von Ihnen wissen. Sehen Sie, der große Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, daß Sie immer in das bundesrepublikanische Denken verfallen und nicht gesamtdeutsch denken wollen.
({1})
Der große Unterschied ist, daß Sie immer glauben, Sie könnten diesen Teil Deutschlands, den Sie die „Bundesrepublik" nennen, so behandeln, als ob er ein in sich abgeschlossener Staat, als ob es ein in sich vollendetes Volk wäre. Gerade das können Sie eben nicht, und das ist einer der tiefsten Unterschiede zwischen uns. Ich habe mich bemüht, diesen Unterschied klarzumachen beim Begriff des Rechtsstaates. Ich habe mich bemüht, diesen Unterschied klarzumachen beim Begriff der Demokratie. Auch in diesem Zusammenhang geht es um den gleichen Unterschied.
Nun will ich noch etwas sagen zu den verfassungspolitischen Bedenken, die uns hier mit allen möglichen Drohungen angekündigt worden sind. Wenn man den Herrn Bundesinnenminister hörte, dann wußte man nicht, ob er demnächst den Bundesgrenzschutz gegen uns marschieren lassen würde oder, wie Herr Bracht, eine neue Zwickelverordnung herausbrächte.
({2})
Diese überhebliche, diese hoffärtige Kritik über unsere Denkkategorien steht dem Bundesinnenminister überhaupt nicht zu.
({3})
Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie werden mir zugeben, daß ich sehr weitherzig bin in der Auslegung der Frage, was zur Sache gehört und was nicht. Aber ich habe das Gefühl, daß sehr oft, durch Zwischenrufe und auch sonst veranlaßt, die Erörterung weit über den Rahmen dessen hinausgeht, was hier eigentlich zu erörtern ist. Ich bitte freundlichst, sich etwas mehr an das Thema zu halten.
({0})
Ich stehe Ihnen ja auch nicht als Minister gegenüber.
({0})
Herr Präsident, ich werde jetzt ganz präzise auf die verfassungspolitischen Bedenken zu sprechen kommen und darauf, daß man gesagt hat, daß wir uns an der Grenze einer staatsfeindlichen Partei bewegten oder daß wir nahezu im Begriffe seien, in die Illegalität überzugehen. Zu den verfassungspolitischen Bedenken im wesentlichen ein Wort auch zur Steuer der geschichtlichen Wahrheit, zur Ehre des deutschen Volkes und zur Ehrenrettung der Weimarer Demokratie: Nicht das deutsche Volk hat jemals Hitler die Mehrheit gegeben, auch nicht bei den wegen schwersten Terrors schon unfreien Wahlen vom 5. März 1933,
({1})
sondern es sind Parlamentarier gewesen, die den legalistischen Schein über Hitlers Gewaltherrschaft gebreitet haben. Das muß doch einmal ausgesprochen werden.
({2})
- Nun, Herr Majonica-Formosa, seien Sie da etwas vorsichtig.
({3})
- Herr Majonica, es gibt einen Unterschied. Herr Wehner bestreitet gar nicht, in Moskau gewesen zu sein. Herr Wehner ist in Moskau gewesen, lange vor Schluß des zweiten Weltkrieges. Aber Sie haben durch die Art Ihres Auftretens dort als Abgeordneter der demokratischen Bundesrepublik Deutschland allerlei auf das Spiel gesetzt, und das müssen Sie sich dann auch gelegentlich vorhalten lassen.
({4})
Meine Herren, ich muß jetzt dringend bitten, bei der Sache zu bleiben.
Also das verfassungspolitische Bedenken erscheint mir sehr unbegründet. Denn das Entscheidende dabei ist, ob der Bundestag so handeln kann und darf, daß er am deutschen Volk und seiner Meinung vorbeigeht. Ich halte es auch für gar nicht witzig, was Herr Jaeger hier mit dem Interview getan hat, das mein Freund Helmut
Schmidt der Zeitschrift „Kultur" gegeben hat. Aber wir verstehen uns darin nicht, wenn Sie legalistisch denken. Wir denken in der Kategorie des Legitimen. Herr Schmidt ist gefragt worden, ob er einen Generalstreik als legitim ansehen würde. Er hat nicht einen Generalstreik ausgerufen. Das wäre auch gar nicht seine Sache. Denn über den Generalstreik zu entscheiden ist Sache des Deutschen Gewerkschaftsbundes, das wissen wir. Er hat gesagt - etwas, was ich mit ihm sage, damit Sie es wissen, und wovon ich glaube, daß meine ganze Fraktion es sagt -, daß auch die Arbeitsniederlegung ein legitimes Mittel der Demonstration und des Ausdrucks der freien Meinung ist.
({0})
- Ach, Herr Schütz, Sie reden immer von Generalstreik. Sie haben doch so gern zu Füßen des Herrn Spaak gesessen, und das ist doch nun der Mann, der an der Spitze eines Generalstreiks einen Thronwechsel in Belgien herbeiführte!
({1})
Nein, ich halte es nicht für gut, daß wir uns hier gegenseitig Illegalität vorwerfen. Da stimme ich dem zu, was Herr Jaeger sagt: es ist nicht gut, daß man sich manches von 1933 - so wie es hier in der letzten Zeit geschehen ist - immer so unterschiebt. Also mit der Illegalität - da sollte man vorsichtig sein.
({2})
- Nein, Herr Weber; ich habe geagt: Ich muß zur Ehrenrettung des deutschen Volkes und zur Ehrenrettung der Demokratie sagen, daß nicht das deutsche Volk dem Hitler die Mehrheit gegeben hat, sondern daß es Parlamentarier gewesen sind; wobei ich gar nicht bestreite, Herr Weber, daß unter diesen Parlamentariern eine ganze Reihe gewesen sind, die es in bester Absicht gemacht haben.
Ich habe im Jahre 1946 ein Rechtsgutachten gemacht, in dem ich dargelegt habe, daß Herr Reinhold Maier - bei dem die Frage damals aufkam durch einen öffentlichen Ankläger, „Meyer gegen Maier" - in der besten Absicht dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt habe und daß ihm daraus kein Vorwurf zu machen sei. Diesen Standpunkt habe ich im Jahre 1946 in einem Rechtsgutachten eingenommen. Und ich weiß, daß es damals Frauen und Männer gegeben hat, denen das Herz blutete, als sie das glaubten tun zu müssen oder tun zu sollen. Aber es dient einfach der geschichtlichen Wahrheit, daß man sagt: es ist das Parlament gewesen, das umfiel; und es ist nicht das deutsche Volk gewesen, das umfiel.
({3})
- Ach, Herr Müller-Hermann, da irren Sie sich. Was ist denn das für eine lausige Ausdrucksweise! Daß Herr Ulbricht natürlich seine dreckigen Finger
überall hineinsteckt, um darin herumzumogeln - das geht Ihnen so und das geht uns so. Beim Südweststaat hat die KPD mit Ihnen mitgemacht.
({4})
Also das ist doch unter anständigen Demokraten kein Argument, daß der Ulbricht seine dreckigen Finger hineinsteckt und daß er versucht, sein Süppchen, sein schmutziges Süppchen da auch zu kochen. Das sollten Sie doch endlich wissen.
Ich habe gesagt - Sie unterbrechen mich mit Ihren Zwischenrufen, und ich gehe gern darauf ein -, wir wollten uns die Illegalität nicht gegenseitig vorwerfen. Aber ich kann das nicht stehenlassen, was der Herr Bundesinnenminister hier gesagt hat über die Illegalität und mit seinem, ich muß schon sagen, Trickzitat aus Schwarzenberger. Denn Schwarzenberger hat sich ja nur über das Herstellen und das Besitzen der atomaren Waffen an der uns vorgelesenen Stelle ausgelassen, aber nicht über ihre Anwendung.
({5})
- Ja, eben; die Anwendung geht nur in der Retorsion. Was aber hat man uns hier in der letzten außenpolitischen Sitzung erzählt? Da hat man gesagt, man müsse die atomaren Waffen haben, weil der mögliche Aggressor mit so überlegenen konventionellen Streitkräften angreifen könne. Ist das denn eine Retorsion, oder ist das gerade die Vorbereitung auf den atomaren Einsatz in einem Falle, wo er nicht einmal völkerrechtlich zulässig ist?
({6})
- Aber sie kommen doch um eines nicht herum: daß die Anwendung der atomaren Waffen - und darum geht es, und Herr Kiesinger hat an einer etwas versteckten Stelle seiner letzten Rede gesagt. Sie hätten sich über die Anwendung der atomaren Ausrüstung lange Gedanken gemacht; also über die Anwendung! - keine Verteidigung mehr ist, sondern Massenselbstmord eines ganzen Volkes, restlos und für alle Zeit, und daß das sowohl den Artikel 25 als auch den Artikel 26 berührt.
Wenn ich jetzt Gleiches mit Gleichem vergelten wollte, wie es der Herr Bundesinnenminister hier in seiner Erhabenheit getan hat, dann würde ich Ihnen sagen: dieser Schritt in die atomare Ausrüstung ist ein Schritt in die Illegalität.
({7})
- Aber, Herr Kiesinger, die Amerikaner haben weder den Art. 25 noch den Art. 26 in ihrer Unionsverfassung.
({8})
1 Dr. Arndt
- Sie haben ihn nicht! Und dann lassen Sie doch einmal diese ewigen falschen Vergleiche mit den Amerikanern! Die führen doch zu nichts. Aber ich will darauf eingehen. Ich habe in meiner letzten Bundestagsrede gesagt, daß es uns nicht ziemt, den Amerikanern Ratschläge zu geben, und das bleibt auch heute meine Meinung. Aber da Sie immer solche falschen Vergleiche anstellen, will ich doch einmal versuchen, es Ihnen auseinanderzusetzen.
Zunächst gibt es faktische Unterschiede, die auch von sittlicher Bedeutung sind, nämlich daß die Bundesrepublik einer der kleinen Staaten und ein geteilter Staat und ein zum Teil noch besetzter Staat ist
({9})
- nein, das ist kein Zweckmäßigkeitsargument, und ich komme gleich darauf -, die Vereinigten Staaten jedoch eine Hegemonialmacht sind, bei der auch der Inhalt der Verantwortung ein anderer ist als bei uns. Aber vor allen Dingen - und das dürfen Sie doch in Ihren logistischen Interpretationen nicht übersehen - handelt es sich bei uns darum, ob wir die atomare Ausrüstung, die wir noch nicht haben, erstmals in die Hand nehmen, während es sich bei den Amerikanern darum handelt, daß sie die atomare Ausrüstung haben, daß sie dazu gekommen sind, wie man zu ihren Gunsten annehmen darf, ohne zu wissen, was das ist. Den Amerikanern stellt sich nach meiner laienhaften Meinung - ich bin nicht befugt, den Amerikanern Ratschläge zu geben - die sittliche Frage heute so, daß sie die atomare Ausrüstung weder behalten noch sich ihrer ohne weiteres entledigen dürfen und können, wobei Sie nicht vergessen dürfen, daß die Amerikaner auch tatsächlich gar nicht in der Lage sind, diese irrevisible Entscheidung zu widerrufen. Denn selbst wenn die Amerikaner auch den letzten atomaren Sprengkörper an der tiefsten Stelle des Pazifischen Ozeans versenken sollten, blieben sie atomare Macht. Wer einmal gewußt hat, wie man atomare Sprengkörper herstellt, und wer unter den Seinen Herrn Teller und Herrn Oppenheimer hat und sie nicht ermordet, der bleibt potentiell Atommacht. Das ist der furchtbare Schatten, der auf den Amerikanern liegt.
({10})
Für die Amerikaner ist die sittliche Entscheidung also eine völlig andere, weil sie die atomare Ausrüstung haben und weil sie sie weder behalten dürfen noch ohne weiteres ablegen können, zumal sie die Verantwortung auch für den Anfang besitzen und dafür, daß die atomare Waffe in der Welt ist, auch bei den Russen in der Welt ist. Das ist eine amerikanische Mitverantwortung, daß sie sich in der Welt ausgebreitet hat. Sie haben sie zuerst entwickelt und sogar geworfen. Sie, Herr Kiesinger, haben neulich gesagt, die Amerikaner hätten niemals von der atomaren Sprengkraft Gebrauch gemacht. Sie haben auf Hiroschima und auf Nagasaki geworfen; vergessen Sie das nicht! Aber mir liegt es fern, hier etwa pharisäerhaft den Amerikanern
irgendeinen Vorwurf zu machen; denn wir alle wissen, wie es gekommen ist. Wir alle wissen, daß ein Mann von der Unantastbarkeit eines Albert Einstein gesagt hat: Ihr müßt es, weil ihr sonst zu befürchten habt, daß Hitler es tut.
({11})
Also die Amerikaner wußten nicht, was sie damit anrichteten. Es liegt mir fern, ihnen einen Vorwurf zu machen. Aber die sittliche Frage dessen, der sie nun hat und der sich nicht mehr gewissermaßen unschuldig machen kann, der sie also weder aus der Hand legen darf noch behalten darf, ist eine völlig andere als die unsrige. Er kann nur auf einem dritten Wege heraus, indem er wirklich politisch und rechtlich und sittlich das Menschenmögliche tut, um das, was hier an Teufelswerk in die Welt gekommen ist, zu bändigen, zu entschärfen, ihm das Verhängnisvolle zu nehmen.
Aber unsere Lage ist doch nicht die der Amerikaner, und darum ist es, entschuldigen Sie, nicht redlich, wenn Sie dauernd sagen: Was den Amerikanern erlaubt ist, muß uns auch erlaubt sein. Denn wir haben die Atomwaffen noch nicht, wir sind in dem Stand, daß wir die Hand nach der atomaren Ausrüstung nicht auszustrecken brauchen.
({12})
Die Amerikaner sind das nicht mehr, das ist der Unterschied, und darum geht es in Deutschland.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage, Herr Kollege?
Bitte!
Herr Kollege Arndt, ich leugne nicht, daß Ihre Ausführungen über die Position der Amerikaner nachdenkenswert sind, aber um diese Frage geht es hier nicht. Deswegen muß ich die Frage stellen: Wenn Sie schon den Amerikanern eine solche Sonderposition einräumen und wenn Sie uns vorwerfen, der Schritt zu einer eventuellen atomaren Ausrüstung der Bundeswehr sei ein Schritt in die Illegalität, wie würden Sie dann die Entscheidung der englischen Regierung, des englischen Parlaments und des englischen Volkes, die ebenfalls die Atombomben nicht besaßen, bezeichnen? Auch als einen Schritt in die Illegalität?
({0})
Aber, Herr Kiesinger, wir sind hier doch nicht die moralischen Splitterrichter über alle Völker!
({0})
Sie wissen ganz genau, daß die Frage in Großbritannien nicht ausgetragen ist und wie tief sie in Großbritannien die Gemüter aller Menschen
({1})
und der Kirchen erregt. Ja, die englische Situation ist aus Gründen, die ich jetzt nicht näher darlegen
kann - ich kann hier ja keine Vorlesung halten -, wieder anders als die unsere.
({2})
- Jetzt ist die Rede von der Illegalität. Die Engländer haben keine Verfassung in unserem Sinne;
({3})
die Engländer haben keine Artikel 25 und 26. - Ja, Herr Heinmann steht auf dem Standpunkt, daß es der Schritt in die Illegalität ist.
({4})
- Nein, Herr Heinemann spricht von den anderen Fragen, von der sittlichen Frage. Sie können doch nicht Legalität als eine internationale Frage ansehen, Herr Kiesinger! Machen Sie so etwas doch nicht, das ist wirklich unter Ihrem Niveau!
({5})
- Ich sage Ihnen ja, wir sollten uns die Diskussion über Legalität und Illegalität ersparen. Nur dem Bundesinnenminister antworte ich. Wenn er uns mit solchen Tönen, mit der angeblichen Illegalität unseres Verhaltens kommt, dann muß er sich erst hinsichtlich der Legalität der atomaren Ausrüstung im Hinblick auf Art. 25 und 26 rechtfertigen.
({6})
Ich möchte schließen, indem ich sage: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist von den ersten Tagen ihres Bestehens an so unlösbar mit dem Gedanken der Demokratie verknüpft, daß sie ohne den demokratischen Gedanken nicht gedacht werden und nicht bestehen kann. Seit einer Zeit vor nahezu 100 Jahren, als es noch in Deutschland Freiheit und Existenz kostete, sich zum demokratischen Gedanken zu bekennen, hat sich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in ihrer ganzen Geschichte nicht von dem Gedanken der Demokratie trennen lassen, und sie hat dafür ein Beispiel gegeben, das, glaube ich, in der Weltgeschichte selten ist und das sich an die größten Beispiele der Antike anreiht. Denn als nach dem Zusammenbruch von 1918 die Kräfte, die ihn verschuldet hatten, nicht den Mut besaßen, nun auch die Verantwortung zu übernehmen, und als alle Macht in den Händen von zunächst drei Sozialdemokraten mit drei Unabhängigen Sozialdemokraten und dann allein bei den Sozialdemokraten unter Leitung und Führung des unvergeßlichen Friedrich Ebert konzentriert war, da hat diese Partei den politischen und sittlichen Mut gehabt, zu sagen: Ich wünsche keine Macht, die nicht demokratisch legitim ist, und ich lege meine Macht in die Hand des Volkes und berufe die Weimarer Nationalversammlung ein. Das Beispiel zeigen Sie mir einmal sonst in der Geschichte! Es ist nicht nur so, Herr Kiesinger, daß die toten Sozialdemokraten gute Sozialdemokraten, gute Demokraten sind, die
Sozialdemokratische Partei hat sich auch nach 1945 nicht anders gezeigt. Sie wird sich nicht von dem demokratischen Gedanken trennen lassen; denn ein jeder von uns weiß, daß er die einzige Chance des schaffenden Volkes und der breiten Schichten der Menschen ist, überhaupt im Staat ihre Heimat, ihre Menschenwürde und ihre Gleichberechtigung zu erkämpfen. Keiner von Ihnen hat das Recht, unsere demokratische Haltung anzutasten und anzuzweifeln; denn was wir hier wollen, das ist das Demokratische.
({7})
Ich muß zunächst einen Zwischenfall bereinigen. Während der Rede des Kollegen Dr. Heinemann hat der Abgeordnete Wehner einen Zwischenruf gemacht, den ich nicht vollständig verstanden habe. Von dritter Seite bin ich darauf aufmerksam gemacht worden. Ich habe nunmehr das Protokoll vorliegen. Ich will Ihnen den Wortlaut vortragen und gebe Ihnen dann meine Entscheidung bekannt. Es handelt sich um den Passus in den Ausführungen des Kollegen Heinemann, wo er an die Abgeordneten der CDU die Frage stellte, ob jemand in seinen Wahlreden gesagt habe: Jawohl, ich werde mein Mandat dahin verstehen, daß ich eine atomare Ausrüstung der Bundeswehr zu bejahen gewillt bin!
Das Protokoll enthält dazu den Zuruf von der Mitte: „Das ist doch Demagogie!" Wer das gesagt hat, habe ich nicht feststellen können.
Dann ging es im Text der Rede des Herrn Dr. Heinemann weiter:
Daß wir die Öffentlichkeit vor derartigen Absichten bei Ihnen gewarnt haben, ... das steht füglich fest.
Mitten im Satz steht im Protokoll ein Zuruf des Abgeordneten Wehner: „Für den nächsten Kriegsverbrecherprozeß!" Meine Damen und Herren, ich sehe in dieser Zwischenbemerkung keine Ordnungswidrigkeit, ich erteile keinen Ordnungsruf. Ich befinde mich damit in Übereinstimmung mit den beiden Schriftführern, die während des Vorfalls anwesend waren und die Kenntnis von dem Protokoll genommen haben. Der Zwischenfall ist damit erledigt.
Ich hatte vorhin gesagt, daß ich von dem Meer dieser Debatte aus Land zu erblicken glaube. Es war eine Fata Morgana. Der Herr Innenminister hat sich erneut zum Wort gemeldet. Damit ist die Debatte erneut eröffnet mit allen Konsequenzen, auch mit der Konsequenz eines erneuten Schlußwortes der antragstellenden Fraktion.
Ich darf noch auf folgendes aufmerksam machen. Es ist in manchen Ausführungen die Rede davon gewesen, daß dies alles im Rechtsausschuß zu erörtern sei. Bis jetzt liegt ein offizieller Antrag auf Überweisung des Gesetzentwurfs an den Rechtsausschuß nicht vor. Ich mache darauf aufmerksam, daß es nach § 79 der Geschäftsordnung außer einer Überweisung an den Ausschuß in der ersten Beratung keine andere Sachentscheidung gibt.
Vizepräsident Dr. Becker
Schließlich darf ich wohl feststellen, daß wir uns alle darüber einig sind, daß wir hier im Parlament kein Gerichtshof sind, d. h. daß wir nicht entscheiden können - ganz gleich, ob im Ausschuß oder im Plenum -, ob irgendein Antrag verfassungswidrig ist oder nicht. Alles das, was in den Ausführungen der Kollegen beiderseits hierzu gesagt worden ist, kann nur Material, kann nur Motiv, kann nur Begründung für eine Entscheidung, eine an sich politische Entscheidung sein. Ich glaube, wir sind uns darüber einig.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir aufrichtig leid, daß ich nun noch einmal sprechen muß. Aber Sie werden es verstehen, und ich glaube, wir sind uns einig, daß diese Sache außerordentlich wichtig ist und daher mindestens jeden Zeitaufwand verdient, wenn nicht notwendig macht. Ich will mich aber bemühen, den Hauptpunkten in ganz wenigen kurzen Strichen nachzugehen, und zu dem Stellung nehmen, was mein Vorredner vorgetragen hat.
Ich fange an mit dem Verbot der Kommunistischen Partei durch das Bundesverfassungsgericht. Es ist gesagt worden, hier habe die Möglichkeit bestanden, das Grundgesetz nicht strikt zu behandeln, weil - ({0})
- Sie täuschen sich! Den Text kann ich Ihnen noch einmal vorlesen. - Es sei möglich gewesen, hier nicht strikt vorzugehen, weil eine Weltmacht hinter der Kommunistischen Partei in der Bundesrepublik gestanden habe und das Bundesverfassungsgericht durch das Verbot der Kommunistischen Partei Erschwerungen für die Wiedervereinigung geschaffen habe. Ich weise die Behauptung als eine ungeheuer gefährliche, in meinen Augen brunnenvergiftende Behauptung zurück.
({1})
Einerseits kennen wir die Praxis der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken durch 30 Jahre hin in diesem Punkt, was das Schicksal kommunistischer Parteien im Ausland angeht. Wer andererseits aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kennt - und ich glaube, mein Herr Vorredner kennt es oder könnte es kennen -, weiß, daß das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ausgesprochen hat, daß zu jeder Zeit, zu der gesamtdeutsche Wahlen, um die wir alle ringen, möglich werden, die Kommunistische Partei für diese Wahlen wieder zugelassen werden könnte.
Meine Damen und Herren, ich habe in diesem Hohen Hause schon einmal gesagt: Ob dann bei gesamtdeutschen Wahlen CDU, SPD und KPD oder CDU, SPD, SED und KPD kandidieren werden, das wird in der Sache sicherlich keinen Unterschied bedeuten.
Der zweite Punkt, zu dem ich Stellung nehmen möchte, ist folgender. Das, was Herr Dr. Arndt gesagt hat und was ich jetzt wiederholen werde, paßt sehr schlecht zu dem, was er über die notwendige Einigkeit in Grundfragen gesagt hat. Er hat nämlich kurz und schlicht - ich drücke mich hier jetzt etwas abgekürzt aus - das gesamtdeutsche Denken meiner politischen Freunde mehr oder weniger mit einem Fragezeichen versehen. Herr Dr. Arndt, das ist eines der schlimmsten Worte, die hier gesagt werden können, und das paßt - ich wiederhole - sehr schlecht zu dem, was Sie selbst vorher über die Notwendigkeit der Einigkeit in den Grundfragen ausgeführt haben.
({2})
Meine Damen und Herren, uns ist nach 1945 von unserem Vaterland in mancher Beziehung nicht sehr viel geblieben. Aber das Wenige, was man da 1949 in eine grundgesetzliche Ordnung fügen konnte, in einer Weise zu demontieren, wie das hier geschehen ist und wie nach meiner Meinung Ihr Weg es weiter bedeuten würde, das halte ich in der Tat für einen Verstoß gegen jenes Minimum von Einigkeit in Grundfragen, das wir uns um des ganzen Volkes willen bewahren müssen und bewahren sollten.
({3})
Der nächste Punkt, auf den ich einzugehen habe, ist die Frage eines Generalstreiks. Sie werden verstehen, daß ich zu diesem Thema jetzt nicht ausführlich Stellung nehmen kann. Ich weise aber mit Entschiedenheit den Gedanken zurück, daß in dem Falle, um den es sich hier handelt, nach dem Grundgesetz ein Generalstreik erlaubt sein könnte.
({4})
Ich habe darüber eine umfangreichere Betrachtung vorliegen. Ich verzichte mit Rücksicht auf die Kürze der Zeit darauf, sie hier zur Kenntnis zu bringen, und beschränke mich auf die Feststellung.
Ich komme zum nächsten Punkt. Das ist das, was von meinem Vorredner so gerühmt worden ist als die Meisterleistung eines seiner politischen Freunde in der Vordebatte zu dieser Debatte. Meine Damen und Herren, in dieser Meisterleistung - ich will hier gar nicht zu der gegebenen Bewertung Stellung nehmen - gibt es einen Satz, den ich für todgefährlich halte. Dort wird nämlich gesagt, „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" habe es nach Jena geheißen. - Ich lese vielleicht lieber gleich den ganzen Absatz vor; dann wird es deutlicher:
Manche liehen jenes Wort sehr, das nach der Schlacht bei Jena in den Straßen Preußens angeschlagen worden ist und das da hieß: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! Zuzeiten, meine Damen und Herren, muß es anders heißen, nämlich: Unruhe ist die erste Bürgerpflicht!
Meine Damen und Herren, wenn ein so armes und gepeinigtes Volk wie das unserige mit seit Jahrzehnten unglückseliger Geschichte, von der die
l meisten hier doch den größten Teil erlebt haben, etwas braucht, dann ist ist es nicht das Aufschrekken in eine Unruhe, sondern dann ist es der Versuch, dieses Volk so behutsam wie möglich zu behandeln.
({5})
- Wer spricht hier von Einschläfern? Hier geht es darum, daß der Nation eine Aufgabe gestellt ist, wie sie sie in dieser Größe und Schwere in ihrer ganzen Geschichte noch nicht vor sich gesehen hat, nämlich die, unter solchen Umständen, wie sie heute gegeben sind, ihre nationale Gestalt zurückzugewinnen.
Wenn Sie glauben, daß Sie da Unruhe in diesem Bereich stiften dürften, wie Sie das jetzt zu organisieren unternommen haben,
({6})
dann versündigen Sie sich an der deutschen Zukunft. Das sage ich Ihnen allen Ernstes.
({7})
Vielleicht denken Sie einmal darüber nach, ob nicht der erste Teil dessen, was oben gesagt worden ist, auch heute sehr viel richtiger wäre. Ich lese Ihnen das noch einmal vor; es ist ja einer Ihrer Freunde gewesen, und diesen ersten Teil finde ich sehr gut: „ . . . das nach der Schlacht bei Jena in den Straßen Preußens angeschlagen worden ist ...: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht".
({8})
- Ich kann nur zitieren, was hier steht, Herr Kollege Kiesinger. - Ich könnte mir denken, daß die Situation, in der die Deutschen sich heute befinden, nicht dazu geeignet ist, sie zu einer gesteigerten Unruhe aufzurufen, sondern eher dazu, ihnen zur Sammlung ihrer Kraft zu verhelfen.
({9})
Ich habe bereits gestern ausgeführt, daß ich das, was Sie vorhaben, als eine Demontage der Verfassung durch die Hintertür bezeichnen möchte. Sie haben geglaubt, Sie könnten mir eine hoffärtige Kritik Ihrer Denkkategorien vorwerfen. Meine Damen und Herren, ich würde mich mit Ihren Denkkategorien überhaupt nicht beschäftigen, wenn wir nicht die Früchte schon vor uns sähen - Hamburg und Berlin, wir haben die Zitate gehabt - und wenn wir nicht genötigt wären, dafür zu sorgen, daß sich nicht wirklich eine Welle der Radikalität entwickelt, die ja nicht nur uns treffen könnte; Sie selbst sind es, meine Damen und Herren, die das Ende dieser Radikalität ganz bestimmt nicht erleben möchten.
({10})
- Unsere Politik geht darauf aus, Herr Kollege Metzger, dafür zu sorgen - soweit wir das zu unserem kleinen deutschen Teil können daß nirgendwo in der Welt mehr Atombomben geworfen werden. Darauf geht unsere Politik aus: nirgendwo in der Welt!
({11})
Meine Damen und Herren, ich bitte, hier auch nicht den Eindruck zu erwecken, als ob wir dabei seien, wie Herr Blachstein es nannte, dem Volk den Maulkorb umzuhängen oder, wie hier gesagt wurde; das Volk für vier Jahre von seinen Meinungsäußerungen fernzuhalten. Vielleicht geben doch die meisten von Ihnen in einer stillen Stunde, die wir ja nach dieser Debatte einmal finden werden, zu, daß in Deutschland eher zu laufend und zu viel gewählt wird, daß zu viele politische Wahlentscheidungen laufend stattfinden, meistens mit denselben Themen, meistens auch noch am falschen Platz, als daß wir uns darüber beklagen könnten, das Volk habe nicht Gelegenheit genug, seine Meinung zu äußern.
Wir stehen in diesem Jahre vor einer Serie von nicht weniger als fünf Wahlen. Ich bin nicht derjenige, der es erfunden hat oder erfinden möchte, daß die Landtagswahlen unter die Gesetze der Bundespolitik gestellt werden, aber vielleicht lesen Sie, meine Damen und Herren, einmal in Ihrem Schrifttum nach, auf Ihren Plakaten nach, wie Sie seit 1951/1952 Landtagswahlen organisiert haben. Das Traurige, was dem deutschen Volk passiert, ist, daß ihm, nachdem es die falsche Thematik Ihrer Landtagswahlkämpfe, die sich mit Landespolitik überhaupt nicht beschäftigten, durchgestanden hat, nachdem es 1953 eine klare Entscheidung über die Wiederbewaffnung getroffen hat, die wir 1957, obwohl Sie sie inzwischen Jahr für Jahr in Frage zu stellen gesucht haben, wieder erkämpft haben, nun droht, daß Sie die ganze Verteidigungsfrage in neuer Auflage aufrollen. Sie wollen es gleichzeitig doppelt tun: Sie wollen es durch eine außerparlamentarische Aktion und durch Landtagswahlen. Nach meiner Meinung genügen die organisierten Landtagswahlen völlig. Ich beklage aufs tiefste, daß das zwangsläufig das Thema sein wird. Wir werden uns dem Thema stellen, und - seien Sie sicher - mit den richtigen Fragestellungen sehen wir dem Ergebnis dieser Wahlen mit großer Zuversicht entgegen.
An Sie richte ich aber den Appell: Fahren Sie nicht auf einem Weg fort, der zur innenpolitischen Demontage führt, und teilen Sie unser Vaterland nicht zum zweitenmal!
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Heiland.
({0}) - Ja, das ist die Konsequenz.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte meine Wortmeldung schon zurückgezogen und wäre auch der Meinung gewesen, daß wir jetzt diese ernste Frage, die uns alle angeht, draußen im Gespräch mit der Bevölkerung in die Dikussion nehmen sollten.
Der Herr Minister fühlte sich berufen, zu sagen, daß Herr Dr. Arndt die gesamtdeutsche Haltung der CDU angezweifelt habe. Meine Damen und Herren, wenn die gesamtdeutsche Haltung der CDU in den letzten Tagen in Zweifel gekommen ist, dann durch Herrn Wenger vom „Rheinischen Merkur".
({0})
- Warten Sie doch ab! Ich werde sagen, daß die Partei offiziell davon abgerückt ist. Aber ich werde dem Herrn Minister auch sagen, daß Herr Wenger mit diesen Ausführungen die Grenze des Landes-und Hochverrats gestreift oder überschritten hat.
({1})
Herr Minister, es gibt Strafanträge, die Sie von Amts wegen zu stellen hätten. Sie haben ja heute hier unausgesprochen einige Drohungen in dieser Beziehung - und zwar in anderer Richtung - vom Stapel gelassen.
Dann haben Sie sich mit der Frage der Unruhe als erster Bürgerpflicht auseinandergesetzt. Ich habe manchmal das Gefühl, als ob die Menschheit und vor allen Dingen das deutsche Volk die strukturellen Veränderungen unseres Seins in den letzten hundert Jahren bewußt nicht zur Kenntnis zu nehmen bereit ist. Sie ist vor allen Dingen nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das technische Zeitalter das militärische Denken der vergangenen Jahrhunderte überholt und sinnlos gemacht hat.
({2})
- Sie leben nur nicht danach!
({3})
Vielleicht quälen Sie sich damit. - Ach, Herr Pelster, ob ich danach lebe!!
Es wurde hier auch gesagt, daß in diesen letzten Zeiten mit politischen Dingen demagogisch umgegangen würde. Nun, ich will Ihnen zum Kapitel Demokratie und Demagogie von einem Fall berichten. Es hat bei cien Bundestagswahlen einen Wahlkreis gegeben, da wurde ein gedrucktes Flugblatt Ihrer Partei verteilt, in dem nicht mehr und nicht weniger stand als dies: „Wissen Sie schon, daß unter ihrer Regierung" - gemeint war die SPD, es stand dabei - „vor 1933 7 Millionen Erwerbslose, damit Hitler und damit der zweite Weltkrieg kamen?!" Der Kandidat der CDU in diesem Wahlkreis hat bis zum 4. März 1933 dem Reichsbanner angehört. Am 13. März 1933 hat er den Kandidaten der SPD aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Was da geschehen ist, war sogar geschmacklos. Wir würden in solchen Fragen gar nicht bis in die letzten Einzelheiten aufrechnen. Aber es gehört zum guten Ton, daß der, der beim Nationalsozialismus mitgemacht
hat - wenn auch gegen bessere Überzeugung -, bei der Schuldaufrechnung sich ruhig verhält.
({4})
- Ich habe im Zuchthaus gesessen, als der Kandidat der CDU SA-Sturmbannführer wurde.
Ich wollte mich mit dem Herrn Minister und seinem Ausdruck: „Demontage durch die Hintertür" auseinandersetzen; der Herr Minister meinte doch wohl: die Demokratie durch die Hintertür demontieren.
({5})
- Also unsere demokratische Grundlage, aus der wir leben; die Verfassung ist der Ausdruck davon. Herr Minister, Sie sprachen von Demontage durch die Hintertür. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß unser gesamtes gesellschaftliches Sein sich in einem unerhörten Maße verändert hat. Sie haben vorhin einmal sehr kluge Marxsche Gedanken interpretiert; Sie haben sie offenbar gut studiert. Die von mir angedeutete Entwicklung bedingt auch, daß wir die Veränderung im gesellschaftlichen Sein der Welt zur Kenntnis nehmen. Dazu gehört auch, daß Sie zur Kenntnis nehmen, daß die Atombombe keine politischen Probleme mehr löst. Die Atombombe kann nur eines erreichen: daß das biologische Leben auf dieser Erde zu Ende ist, wenn sie angewandt wird.
({6})
- Nein, ich sage es auch an Ihre Adresse, Herr Kollege Kiesinger,
({7})
weil wir alle begreifen müssen, daß ein neues Denken auch im militärischen Raum Platz greifen muß.
({8})
Ich bin der Meinung, daß wir es an die Adresse Moskaus sehr deutlich zu sagen haben.
Sehen Sie, Herr Kiesinger, ich komme aus dem Ruhrgebiet, und ich stehe nicht erst seit heute in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus. Das ist eine Tätigkeit, die ich im politischen Raum schon von Kindesbeinen an ausgeübt habe. Die Rote Armee hatte meinen Vater bereits 1920 zum Tode verurteilt. Die Begegnung mit dem Kommunismus ist mir schon von Kindesbeinen an bekannt. Als sie meinen Vater nicht bekamen, haben sie meine Mutter verhaftet. Wenn der Kommunismus im Ruhrgebiet nach 1945 und in den späteren Zeiten keine entscheidende Rolle mehr gespielt hat, dann deswegen, weil die Sozialdemokratische Partei ihn energisch heruntergekämpft hat.
({9})
- Wird nicht bestritten, Herr Pelster!
({10})
Das deutsche Volk beschäftigt sich also mit einer Frage, die an das Sein oder Nichtsein eines jeden
einzelnen von uns rührt. Das sollte uns gemeinsam veranlassen, vor der Entscheidung mit jedem Staat" burger in Gespräche über diese Problematik einzutreten. Um nicht mehr und nicht weniger geht es. Wir wünschen, daß Sie gemeinsam mit uns draußen mit den Bürgern, deren Schicksal entschieden werden soll, diese Frage diskutieren.
({11})
Das kann eine wichtige Frage für eine Entscheidung sein. Herr Pelster, Sie wissen ganz genau, daß, wenn es um das Sein oder Nichtsein geht - und der Bischof Clemens Galen zu Münster ist ein leuchtendes Beispiel dafür -, wenn die Nation und ihre Grundlagen in Gefahr sind, man eventuell auch Dinge aussprechen und tun muß, die irgendwo nicht gern gehört und gesehen sind.
Der Herr Minister hat aber noch ein gefährliches wort gesagt: er habe den Eindruck, es werde in Deutschland zuviel gewählt. Wir haben in allen Parlamenten, die ich kenne, die vierjährige Legislaturperiode.
({12})
- Das ist dem Herrn Minister zuviel.
({13})
- Das hat der Herr Minister gesagt. Ich habe es wörtlich mitgeschrieben.
({14})
- Ach, hören Sie, wenn es darum geht, mit der Wahrheit sträflich umzugehen, habe ich die Sorge, Sie sind uns über.
({15})
Sie haben einen so guten Lehrmeister im Kanzler, daß wir das gar nicht schaffen können.
({16})
- Und wenn Sie noch so laut „Pfui!" schreien, so werden Sie doch nicht bestreiten können, daß die Behauptung des Kanzlers, Schroth und Scharley hätten von den Kommunisten vor der Bundestagswahl 1953 10 000 DM bekommen, nicht stimmt, unwahr ist und daß er diese Meldung, obwohl er von seinen Staatssekretären darauf aufmerksam gemacht worden war, daß sie nicht geprüft war, trotzdem gebraucht hat, weil er, wie er von diesem Pult aus sagte, den Standpunkt vertreten hat: Wenn es mir bei meinen Wählern Millionen Stimmen gebracht hat, dann bin ich froh darüber.
({17})
Wir hatten eigentlich vorgesehen, um 14 Uhr Schluß zu machen, wie das üblich ist. Wir wollen diesen Punkt noch zu Ende bringen. Aber ich muß jetzt zum drittenmal ernstlich bitten, sich an die Sache zu halten.
Meine Damen und Herren, es wurde darauf hingewiesen, daß in die Landtagswahlkämpfe auch bundespolitische Dinge getragen werden. Es ist heute schon bekannt, daß der Bundeskanzler allein in 40 Kundgebungen bei dem Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen auftreten wird. Es wird nicht zuviel gewählt, und es wird in unserem Volk auch nicht zuviel über die politischen Probleme gesprochen. Wir sollten uns angewöhnen, das Volk vor Wahlen und überhaupt immer mit allen politischen Problemen wirklich eingehend bekanntzumachen.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Schröder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme das Wort nicht mehr in der Sache. Ich halte es aber für nicht angängig, daß die Behauptungen, die gegenüber dem Herrn Bundeskanzler in der Sache Schroch-Scharley aufgestellt worden sind, hier unwidersprochen bleiben.
({0})
Die Darstellung, die gegeben worden ist, ist falsch. Ich werde dafür sorgen, daß das Haus eine richtige Darstellung bekommt.
({1})
Weitere Wortmeldungen außer der Meldung zum Schlußwort, das der antragstellenden Fraktion zusteht, liegen nicht vor.
({0})
- Ich stelle fest, daß soeben auch keine weiteren Wortmeldungen abgegeben werden. Die Debatte wird also geschlossen sein, wenn das Schlußwort gesprochen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich am Schluß dieser Debatte auf einige Bemerkungen gegenüber dem letzten Sprecher der CDU, dem Herrn Innenminister Schröder, beschränken. Denn das scheint auch wieder eine neue Methode zu sein, daß die Regierungsmitglieder sich überhaupt nur als Sprecher der Fraktion der CDU/CSU fühlen.
({0})
Auch das ist ein gewisser Aufschluß über die Vorstellungen parlamentarischen Lebens, die sich in dieser Mehrheit immer mehr ausbreiten.
({1})
Der Herr Minister Schröder hat hier beklagt, daß aller Voraussicht nach die so wichtigen Landtagswahlen zu sehr unter den Einfluß bundespolitischer Fragen kommen. Herr Minister Schröder, wenn Sie
mit Herrn Adenauer über seine Schroth-ScharleyUnwahrheit sprechen, dann fragen Sie ihn einmal, ob es nicht stimmt, daß er am Tage nach der Wahl vom 15. September erklärt hat: „Nun aber los! Jetzt geht es um Nordrhein-Westfalen!" Das ist doch von vornherein Ihr Ziel gewesen.
({2})
- Ich polemisiere doch nicht dagegen. Sie sollen sich nur nicht künstlich aufregen und nicht so tun, als ob das die Schuld der SPD sei.
({3})
Das ist Ihre Politik, und Sie sollen wenigstens den Mut haben, dafür auch hier die Verantwortung zu übernehmen. Wenigstens das können wir doch von Ihnen verlangen.
({4})
Sie tun immer so, als wenn Sie von hoher Warte all diese Probleme behandeln müßten, und Sie argumentieren so, als wenn Ihr Standpunkt der verfassungsrechtlich richtige Standpunkt wäre. Das ist gar nicht wahr. Sie behaupten, Ihre Auffassung als Regierung und als Mehrheit sei die verfassungsrechtlich einzig richtige. Sie müssen schon gestatten, daß wir nicht bereit sind, diesen Trugschluß und diese Irreführung mitzumachen.
({5})
Wenn hier der Minister des Innern, der zum Schutz der Verfassung da ist, der Oppositionspartei und einer Partei wie der Sozialdemokratie vorwirft, sie demontiere das Grundgesetz, dann muß der Minister andere und stichhaltige Beweise für eine solche unglaubliche Verleumdung vorbringen.
({6})
Was ist denn der Kern des Streits? Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat legal, ordentlich den Antrag gestellt: Wir wünschen ein Gesetz über eine Volksbefragung über die atomare Ausrüstung. Das ist der ganze Inhalt. Woher nehmen Sie, Herr Verfassungsminister, das Recht, zu behaupten - so haben Sie entschieden -, dieser Antrag, dieser Gesetzentwurf sei eine Demontage der Verfassung? Das ist Ihre Meinung und vielleicht die Meinung der Mehrheit, das hat aber überhaupt nichts mit der Frage zu tun, ob dieser Entwurf im Rahmen der Verfassung möglich ist oder nicht.
({7})
Sie können doch auch nicht bestreiten, meine Damen und Herren, daß die andere Seite in dieser Debatte mindestens dieselben starken Argumente für die Verfassungsmäßigkeit dieses Entwurfs vorgebracht hat. Sie haben nicht das Recht, Herr Minister, aus Ihrem Amt eine solche Anmaßung herzuleiten und solche Unterstellungen zu machen, wie Sie es hier getan haben.
({8})
Die Frage, ob die Volksbefragung mit dem Grundgesetz vereinbar ist oder nicht, wird hier nicht
durch Mehrheit entschieden, sondern durch andere Stellen.
Ein letztes Wort, meine Damen und Herren! Es war ein sehr aufschlußreiches Wort des Herrn Bundesinnenministers, als er noch einmal die Worte meines Freundes Carlo Schmid hier zitierte: „Unruhe ist die erste Bürgerpflicht." Was hat der Herr Bundesminister getan? Er hat gesagt: Es ist Ihre Unverantwortlichkeit, daß Sie die Aufgabe, Unruhe ins Volk zu tragen, als Ihr Anliegen betrachten. Das zeigt mir doch, daß der Herr Bundesinnenminister und anscheinend auch sehr viele von Ihnen, die ihm Beifall geklatscht haben, von der wirklichen Situation in unserem Volke in dieser Frage meilenweit entfernt sind.
({9})
Es handelt sich nicht darum, daß die sozialdemokratische Opposition Unruhe ins Volk trägt.
({10})
- Ich will Ihnen etwas sagen: Ob es Ihnen paßt oder nicht, Hamburg und Berlin bleiben nicht die einzigen sichtbaren Kundgebungen für die Unruhe im Volk, die da ist.
({11})
- Ich weiß, das geht ans Magere, es soll Ihnen auch ans Magere gehen. Warum? Weil bei den Menschen die Unruhe da ist: Welche Konsequenzen hat Ihr Beschluß vom 25. März für Leben, Sicherheit und Gesundheit
({12})
nicht nur derer, die hier leben, sondern auch derer, die morgen und übermorgen als unsere Nachkommen in die Welt gehen werden mit der Hoffnung auf ein glückliches Leben? Das alles ist in Gefahr, und es wäre traurig um unser Volk, wenn eine solche Aussicht nicht bei ihnen eine wirklich tiefe Unruhe auslösen würde.
({13})
Glücklicherweise ist diese Unruhe da, und Sie können sie auch nicht durch solche Debatten und Erklärungen wie die des Bundesinnenministers aus der Welt schaffen. Was wir wünschten - ({14})
- Ich verstehe das völlig! Diese Bemerkung war so aus Ihrem Geist und aus Ihrem Maß, daß ich das völlig verstehe.
({15})
Ich kann nur noch einmal das unterstreichen, was mein Freund Adolf Arndt über die inneren Beweggründe der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nach der Debatte und Entscheidung vom 25. März gesagt hat, und Sie auf die Möglichkeit hinweisen, daß man in einer solchen schicksalsschwe1508
ren Situation auch anders denken kann als nur in den machtpolitischen Vorstellungen der CDU und daß man den Versuch unternehmen sollte, hier wirklich eine gemeinsame Politik, eine andere Konstellation zu finden.
({16})
Das ist der Punkt, und ich nehme es Ihnen nicht übel, daß Sie es auch heute nicht zugeben. Aber, meine Damen und Herren, ich sage Ihnen eines: Wenn Sie hier die Volksbefragung ablehnen unter dem Vorwand, sie sei verlassungsrechtlich unzulässig, - die Frage, die hier aufgeworfen ist, die werden Sie nicht wieder los.
({17})
Sie haben mit Ihrer Mehrheit die Verantwortung, und wir werden alles das, was an Unruhe in unserem Volke ist, hier immer wieder zum Ausdruck bringen, weil wir dazu da sind, das deutlich zu machen, was Millionen Menschen jenseits aller Parteigrenzen bewegt.
({18})
Wir haben hier um unsere Vorlage gekämpft. Sie haben die Entscheidung. Aber denken Sie nicht, daß es bei uns so ist, daß wir erst noch eine Woche zur Überlegung brauchten, ob wir es wirklich so ernst gemeint haben, eine Woche, in der wir vielleicht noch zur Besinnung kämen, wie es gestern - ich glaube, es war Herr Dr. Jaeger - gesagt worden ist.
({19})
Tun Sie, was Sie für richtig halten. Für uns geht die Auseinandersetzung über die Schicksalsfrage „Atomaufrüstung oder nicht" als eine der Lebensfragen unseres Volkes weiter
({20})
mit dem Ziel, die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik dennoch zu verhindern.
({21})
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist damit erschöpft. Ich frage nochmals an, ob ein Antrag gestellt wird.Herr Kollege Mommer zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß ein paar Sätze zu der weiteren verfahrensmäßigen Behandlung unseres Antrags sagen. In der CDU-Fraktion ist durch einen „einstimmigen Beschluß" festgestellt worden, daß es sich um eine verfassungswidrige Vorlage handelt. Sehr prominente Mitglieder dieser Fraktion haben dann darauf hingewiesen, daß es nur eine Konsequenz dieser Auffassung geben könnte, und das wäre, die Ausschußberatung der Vorlage abzulehnen. Die Meinungen darüber waren dann aber geteilt, und nur eine Mehrheit fand sich für die Ausschußüberweisung unserer Vorlage.
({0})
Nun, was steht dahinter? Es ist interessant, daß der Herr Verfassungsminister Schröder unter denen war, die da für die Ausschußüberweisung einer verfassungswidrigen Vorlage sprachen. Und warum, meine Damen und Herren? Weil zumindest eine Mehrheit bei Ihnen gar nicht an diese verfassungsrechtliche Argumentation glaubt
({1})
und weil hinten im Kopf der Gedanke spukt: Wie und wann könnten wir die sachlich gestellten Fragen in der sozialdemokratischen Vorlage in demagogische Fragen umwandeln, die sich dann zugunsten der CDU auswerten ließen.
({2})
Darum, meine Damen und Herren, sage ich, daß es auch mit dem „Demontage des Grundgesetzes durch die Hintertür" sehr eigenartig bestellt ist.
({3})
- Jawohl, ich bin gleich am Ende. Ich habe fünf Minuten zur Geschäftsordnung, und ich begründe meinen Antrag. Die fünf Minuten sind bei weitem nicht konsumiert. Wenn Sie mich nicht unterbrechen, komme ich mit 21/2 aus. - Es ist eigenartig bestellt um die behauptete Demontage des Grundgesetzes durch die Hintertür. Der Herr Innenminister hatte verdrehte Fragen schon in der Schublade liegen.
Meine Damen und Herren, beim Bundesverfassungsgericht wird es, wenn dort einmal über diese Dinge gesprochen werden sollte, sehr interessant sein, Dokumente darüber zu haben, daß Sie es gewesen sind, die die Ausschußberatung verlangt haben. Darum gestatten wir uns, die Ausschußberatung nicht zu verlangen.
({4})
Zur Geschäftsordnung der Herr Abgeordnete Hoogen! - Einen Augenblick! Zur Geschäftsordnung spricht einer für einen Antrag und einer gegen einen Antrag. Weiter wollen wir die Geschäftsordnungsdebatte nicht ausdehnen. - Ein Antrag ist bis jetzt noch nicht gestellt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Meinung meiner Freunde verrät die Erklärung, daß ein Antrag auf Überweisung an einen Ausschuß, wie das sonst bei Gesetzentwürfen üblich ist, nicht gestellt werde, keinen besonders großen Glauben an die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzentwurfs bei der sozialdemokratischen Fraktion.
({0})
Auf der Tagesordnung der heutigen Sitzung steht die erste Beratung dieses Gesetzentwurfs. Ein Überweisungsantrag ist nicht gestellt.
({1})
- Wir werden keinen Überweisungsantrag stellen, Herr Welke, wir denken nicht daran.
({2})
Denn wir haben kein Interesse daran, diesen Ihren Gesetzentwurf durchzubringen.
({3})
Für den Fall, daß heute der Antrag auf Durchführung der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs gestellt werden sollte, also eventualiter, darf ich schon jetzt den Widerspruch unserer Fraktion dagegen anmelden.
({4})
Meine Damen und Herren, Anträge auf Überweisung sind nicht gestellt. Nach § 79 Abs. 2 der Geschäftsordnung finden andere Abstimmungen am Schluß der ersten Lesung nicht statt. Die erste Lesung ist damit beendet. Ich frage, ob Sie damit einverstanden sind, daß die zweite Lesung erfolgt. Wir haben soeben schon Widerspruch gehört. Wird er von fünf Mitgliedern unterstützt? - Gut; dann fällt die zweite Beratung flach. Der Punkt ist jetzt erledigt.
({0})
Ich frage weiter: Sind Sie damit einverstanden - nachdem wir den Zeitpunkt 14 Uhr doch schon überschritten haben -, vielleicht noch acht bis zehn Minuten zusammenzubleiben und diejenigen Gesetzentwürfe, deren erste Lesung auf der Tagesordnung steht, im Wege der Überweisung an die zuständigen Ausschüsse zu erledigen?
({1})
- Ich bitte, einen Augenblick auf die Führung der
Verhandlung doch Rücksicht zu nehmen.
Um ein Mißverständnis aufzuklären: Der Herr Kollege Ritzel fragt, ob ich mit dem Ausdruck: „Die zweite Beratung fällt flach" gemeint hätte, für heute. Selbstverständlich für heute; im übrigen findet sie statt.
Ich darf wohl Ihr Einverständnis annehmen, daß wir im Interesse der Sache und im Interesse der Beschäftigung der Ausschüsse die Überweisungen noch erledigen. Ich darf Sie bitten, die Tagesordnung aufzunehmen.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Viehzählungsgesetzes ({2}).
Wortmeldungen liegen nicht vor. Eine Aussprache findet also nicht statt.
({3}) Meine Damen und Herren, ein bißchen zuhören müssen Sie schon. Es gibt nicht nur eine Kunst der Rede, sondern es gibt auch eine Kunst des Zuhörens. ({4})
Es ist Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 298 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgeschlagen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Bodenbenutzungserhebung und Ernteberichterstattung ({5}).
Wird das Wort gewünscht? - Keine Wortmeldungen. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Ausschuß für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge beantragt. Federführend soll der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sein.
Ich bitte diejenigen, die der Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführenden Ausschuß zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. -- Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich bitte diejenigen, die für die gleichzeitige Über-Weisung an den Ausschuß für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge sind, um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 11 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schmidt ({6}), Ruhnke, Margulies, Dr. Elbrächter und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs ({7}).
Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Gesundheitswesen - als federführenden Ausschuß - und an den Wirtschaftsausschuß beantragt. Wer dem Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Gesundheitswesen, und zwar als federführenden Ausschuß, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Wer der Überweisung auch an den Wirtschaftsausschuß zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Punkt 12 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Bundesgesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung ({8}).
Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist Überweisung beantragt an den Wirtschaftsausschuß als federführenden Ausschuß und weiterhin an den Ausschuß für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge. Wer der Überweisung an den Wirtschaftsausschuß, und zwar als federführenden Ausschuß, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei1510
Vizepräsident Dr. Becker
chen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enhaltungen? - Es ist so beschlossen. Wer zugleich der Überweisung an den Ausschuß für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze der arbeitenden Jugend ({9}) ({10}).
Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Arbeit, und zwar federführend, und an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen und an den Rechtsausschuß vorgeschlagen. Wer der Überweisung an den Ausschuß für Arbeit, und zwar als federführenden Ausschuß, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Wer zugleich der Überweisung an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist auch beschlossen. Wer der Überweisung der Vorlage an den Rechtsausschuß zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Auch das ist beschlossen.
Ich rufe auf zu Punkt 14 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. September 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über eine Berichtigung der deutsch-belgischen Grenze und andere die Beziehungen zwischen beiden Ländern betreffende Fragen ({11}).
Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als federführenden Ausschuß und an den Finanzausschuß beantragt. Wer der Überweisung an den auswärtigen Ausschuß als federführenden Ausschuß zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Wer zugleich der Überweisung an den Finanzausschuß zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Auch das ist beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 15 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({12}) ({13}).
Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist Überweisung an den Ausschuß für den Lastenausgleich vorgeschlagen. Wer diesem Überweisungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Es ist weiter vorgeschlagen, aus der gedruckten Tagesordnung noch die Punkte 6, 7 und 8 - das sind Berichte des Ausschußes für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung - zu erledigen. Ich darf wohl annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich rufe auf Punkt 6:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({14}) - Immunitätsangelegenheiten - betreffend Genehmigung des Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Vogt gemäß Schreiben des Rechtsanwalts Josef Jösch, Frankfurt/Main, vom 21. November 1957 ({15}).
' Zugleich rufe ich Punkt 8 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({16}) - Immunitätsangelegenheiten - betreffend Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Dr. Fritz Rauhut, Würzburg, gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 4. Juli 1957 und 28. November 1957 ({17}) .
Das Wort hat der Berichterstatter, Abgeordneter Jahn ({18}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst mit Punkt 8, Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Professor Rauhut, Würzburg, beginnen. Am 1. Dezember 1956 hat in Obernburg eine Versammlung der Internationale der Kriegsdienstverweigerer stattgefunden, in der Professor Rauhut angeblich eine Reihe von Bewertungen des Bundestags vorgenommen hat, die dazu geführt haben, daß ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. In diesem Ermittlungsverfahren wurde dann über den Herrn Bundesminister der Justiz der Antrag gestellt, der Bundestag möge die Ermächtigung zum Strafverfahren erteilen.
Der Immunitätsausschuß hat sich eingehend mit dieser Frage befaßt, ist aber zu dem Ergebnis gekommen, daß die gefallenen Äußerungen nicht den Tatbestand einer verleumderischen Beleidigung erfüllen und deshalb nach den Grundsätzen der Arbeit im Immunitätsausschuß insoweit die Ermächtigung nicht gegeben werden sollte. Er folgt damit im übrigen dem gleichen Verhalten des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundespräsidenten, die ebenfalls Gegenstand der Kritik des Versammlungsredners gewesen sind.
Auf dieser selben Versammlung ist auch der jetzige Abgeordnete Vogt anwesend gewesen. Er ist offenbar in der allgemein hitzigen Atmosphäre nicht recht zu Wort gekommen und hat dann anschließend in einem Leserbrief an eine Zeitung ebenfalls einige Worte harter Kritik an den Versammlungsredner gefunden. Dieserhalb ist dann von dem Bevollmächtigten des Professors Rauhut ein Privatklageverfahren eingeleitet worden und in diesem
Jahn ({0})
Privatklageverfahren jetzt der Antrag auf Aufhebung der Immunität gestellt worden.
Der Ausschuß ist auch hier nach sehr langer, sorgfältiger Prüfung - wir haben noch die Strafakten beigezogen - zu dem Ergebnis gekommen, daß auch das, was der jetzige Kollege Vogt gesagt hat, nach den Grundsätzen des Immunitätsausschusses nicht ausreicht, um als verleumderische Beleidigung die Aufhebung der Immunität zu rechtfertigen.
Es wird deshalb beantragt, dem Antrag auf Aufhebung der Immunität nicht zu entsprechen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Antrag auf Drucksache 176, die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Dr. Fritz Rauhut, Würzburg, wegen Beleidigung des Deutschen Bundestages nicht zu erteilen. Wer diesem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich komme nun zu dem ebenfalls vom Herrn Berichterstatter begründeten Antrag auf Drucksache 286, die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Vogt nicht zu erteilen. Wer diesem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({0}) - Immunitätsangelegenheiten - betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. von Brentano gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 25. Februar 1958 ({1}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Ritzel. Ich erteile ihm das Wort.
Vier Tage vor der Bundestagswahl hat der Herr Bundesaußenminister in einer Wählerversammlung den jetzigen Abgeordneten des Bundestages, Herrn Döring, beleidigt.
Der Ausschuß hat sich mit dem Strafantrag befaßt. Er kam zu dem Ergebnis, daß es sich um eine Beleidigung politischen Charakters handle, und schlägt dem Hohen Hause vor, die Immunität des Herrn von Brentano nicht aufzuheben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem eben begründeten Antrag auf Drucksache 287, die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. von Brentano nicht zu erteilen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen.
Damit ist auch dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf den 7. Mai 1958, 14 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.