Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, bevor wir an das Werk dieses Tages gehen, habe ich die traurige Pflicht, unseres Kollegen Wolfgang Klausner zu gedenken, der plötzlich aus diesem Leben, aus seiner reichen politischen Arbeit und aus unserer Mitte geschieden ist. Gestern morgen ist er auf der Fahrt nach Bonn auf der Autobahn in der Nähe von Ulm zusammen mit einer Tochter tödlich verunglückt.
Wolfgang Klausner wurde am 8. Januar 1906 in Pfaffing bei Chieming in Oberbayern geboren. Seit 1922 bewirtschaftete er den elterlichen Hof, den er zehn Jahre später übernahm. Auf seinen bäuerlichen Beruf hat er sich durch jahrelange praktische Arbeit und durch den Besuch der landwirtschaftlichen Berufsschule und der Landwirtschaftsschule in Traunstein gut vorbereitet. Er führte ein glückliches Familienleben. In seiner Familie wuchsen sechs Kinder heran.
Schon mit 27 Jahren wurde er als Mitglied der Bayerischen Volkspartei in den Gemeinderat Chieming gewählt. Bei der Gründung des Bayerischen Bauernverbandes im Jahre 1945 stellte er sich sofort als Ortsobmann zur Verfügung und bekleidete seit 1948 die Stellung des Kreisobmanns für den Kreis Traunstein. 1946 wurde er Mitglied der Christlich-Sozialen Union, auf deren Liste er 1952 in den Kreistag Traunstein gewählt wurde.
Seit 1953 vertrat er in diesem Hohen Hause seinen heimatlichen Wahlkreis. Besonders an landwirtschaftlichen und sozialen Fragen interessiert, war er zuletzt im Ausschuß für Sozialpolitik als ordentliches Mitglied und in den Ausschüssen für Petitionen und für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen als stellvertretendes Mitglied tätig. Zu seinen besonderen Verdiensten gehört die erfolgreiche Arbeit für die Alterssicherung der deutschen Landwirtschaft.
Nun hat der Tod überraschend nach ihm gegriffen, da er auf dem Wege zu dieser heutigen Sitzung des Deutschen Bundestags war. Das Parlament verliert in ihm ein gewissenhaftes und verantwortungsbewußtes Mitglied. Wir alle betrauern den Heimgang eines allzeit freundlichen und hilfsbereiten Kollegen, dem wir ein ehrendes Andenken bewahren wollen. Ich spreche den Angehörigen und der Fraktion der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union das besondere Beileid des Deutschen Bundestages aus.
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben; ich danke Ihnen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung hat das Wort zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Dr. Schmid ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat auf Drucksache 303 einen Gesetzesantrag eingebracht, durch den eine Befragung des deutschen Volkes ermöglicht werden soll. Die Fragen, die zu beantworten sind, lauten:
1. „Sind Sie damit einverstanden, daß deutsche Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet werden?"
2. „Sind Sie damit einverstanden, daß in Deutschland Abschußvorrichtungen für atomare Sprengkörper angelegt werden?"
Die geschäftsordnungsmäßigen Fristen sind gewahrt; es steht also nichts im Wege, den Antrag heute auf die Tagesordnung zu setzen.
Dies sollte unseres Erachtens geschehen. Die Tragweite dieses Antrags gebietet seine unverzügliche Behandlung. Man sollte darum den Antrag heute schon beraten und nicht erst nächste Woche.
Seit unser Volk weiß, daß die Bundeswehr mit atomaren Waffen ausgerüstet werden soll, seit es weiß, daß Raketenabschußrampen in Deutschland errichtet werden sollen - hüben und drüben! -, hat sich seiner eine steigende Unruhe bemächtigt. Die Presse weist es aus, die demoskopischen Umfragen weisen es aus, jedes Gespräch in der Eisenbahn, auf der Straße weist es aus. In Mannheim haben vor zwei Tagen 50 000 Demonstranten ihrer Unruhe Ausdruck gegeben, in Hamburg waren es gestern 120 000.
Diese Menschen werden alle von dem Gefühl getrieben, daß dieses Parlament, bei dessen Wahl die Regierungsparteien den Wählern erklärt hatten, atomare Probleme würden in den nächsten Jahren nicht zur Debatte stehen, über den Kopf der großen Mehrheit der Menschen unseres Volkes weg mit seinen Beschlüssen eine furchtbare Gefahr für uns alle hervorgerufen hat. D a s ist der Grund
Dr. Schmid ({0})
dieser Unruhe. Die Menschen wollen ihr Wort dazu
sagen können, ob in Deutschland Atomwaffen
künftig Mittel der Politik werden sollen oder nicht.
Manche lieben jenes Wort sehr, das nach der Schlacht bei Jena in den Straßen Preußens angeschlagen worden ist und das da hieß: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! Zuzeiten, meine Damen und Herren, muß es anders heißen, nämlich: Unruh e ist die erste Bürgerpflicht!
({1})
Was in diesen Tagen demonstriert hat, sind keine Bassermannschen Gestalten gewesen. Diese Demonstrationen waren kein Aufruhr der „Straße". Was das Volk bewegt, ist auch nicht Angstpsychose. Die Menschen haben demonstriert, die Menschen sind unruhig, weil sie nicht wieder durch Schweigen schuldig werden wollen!
({2})
Sie wollen nicht wieder in die Lage kommen, sich einmal sagen zu müssen: Hätte ich doch Nein gesagt, als es Zeit war!
({3})
Hätte ich dieses Nein so vernehmlich gesagt, daß „die da oben" es nicht überhören konnten! Weil dem so ist, sind wir es dem Volke schuldig, es zu befragen.
Manche werden vielleicht meinen, es habe damit keine Eile; denn unser Antrag werde ja sowieso abgelehnt werden. Ich weiß, daß viele diese Befragung nicht wollen, - aus den verschiedensten Gründen. Ich weiß, daß viele sie für rechtlich unzulässig halten; ja, man hat - fahrlässigerweise! - von einem Angriff auf die Demokratie, auf das Grundgesetz gesprochen.
({4})
Dieser Antrag bezweckt keinen Volksentscheid. Das von uns gewollte Gesetz soll lediglich es jedem einzelnen möglich machen, kundzutun, was er über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr denkt, und das in einer Weise, die zur Kenntnis genommen werden muß.
({5})
Man hat gesagt, damit danke das Parlament ab und begebe sich seiner Rechte. Es begibt sich keines Rechts und keiner Pflicht. Niemand wird ihm auch nach dieser Befragung seine Verantwortung abnehmen können und wollen. Aber es ist ein anderes, ob wir unsere Beschlüsse in Kenntnis des Willens der großen Mehrheit unseres Volkes fassen oder ob wir in die Verantwortung gehen wollen, ohne von diesem Willen Kenntnis genommen zu haben!
({6})
Das Grundgesetz sieht eine Volksbefragung nicht ausdrücklich vor. Das braucht es auch nicht.
({7})
Nur dort, wo eine Befragung automatische Rechtsfolgen haben würde, nur dort, wo Rechte der Bürger - des Souveräns nämlich - eingeschränkt werden sollen, bedarf es in der Verfassung einer Kompetenznorm, nicht aber dort, wo dem Bürger nur die technische Möglichkeit verschafft werden soll, ein Recht, das er v o r jeder Verfassung hat, öffentlich zum Ausdruck zu bringen - das Recht nämlich, zu sagen, was er meint und was er will.
({8})
Jedes Parlament hat das Recht, das Volk zu fragen, was es zu einem bestimmten Vorhaben meint. Die Antwort entbindet Regierung und Parlament nicht von der Verantwortung; aber beide wissen nach der Befragung, in welchem Verhältnis ihr Tun zum Wollen des Volkes steht. Es könnte gefährlich sein,
({9})
das Volk vier Jahre lang zum Stummsein zu verurteilen, vor allem dort, wo das Volk meint, daß es um Leben und Sterben gehe!
({10})
Wir werden an die von den Bürgern ausgesprochene Meinung nicht gebunden sein. Wir können über diesen Meinungsausdruck hinweggehen, wenn unser Gewissen es gebietet. Aber wir sollten dann wenigstens wissen, daß unser individuelles Gewissen etwas anderes in die Welt setzt - vielleicht setzen muß -, als die Mehrheit des Volkes will. Wir werden dann wenigstens das volle Gewicht unserer Verantwortung kennen und wissen, daß kein von uns vielleicht vermuteter Volkswille uns entlastet. Darin liegt der ethische Sinn dieser Volksbefragung.
Ihr politischer Wert liegt in folgendem: Wir werden gezwungen sein, unsere Beschlüsse neu zu überdenken. Wir werden wissen, ob wir damit rechnen können, daß unser Volk uns bereitwillig bei der Verwirklichung unserer Vorhaben folgen wird. Es könnte ja sein, daß wir uns in gefährlichen Illusionen wiegen.
Die Befragung könnte weiter, falls sie positiv ausgehen sollte, unseren Verbündeten gewisse Zweifel nehmen, die sie vielleicht in die Bereitschaft unseres Volkes setzen, ihren strategischen Vorstellungen zu folgen. Im negativen Falle könnte es für sie eine Warnung sein und auch s i e veranlassen, ihre strategischen Vorstellungen neu und realistischer zu durchdenken. Beides wäre von Vorteil für alle.
({11})
Volksbefragungen dieser Art können nur Ausnahmemittel sein. Aber es geht im Bewußtsein von Millionen nun einmal uni Leben und Tod der Nation, und das rechtfertigt Ausnahmemittel,
({12})
Dr. Schmid ({13})
vor allem wenn man sich politisch-parlamentarisch in einer Ausnahmesituation befindet, einer Situation, die auch Sie, meine Damen und Herren, mitgeschaffen haben, indem Sie vor der Wahl am 15. September dem Volk erklärten, die Stimmabgabe entscheide nicht über Ja und Nein zu Atomwaffen in Deutschland,
({14})
sondern nur über Ja oder Nein zu
„Wir wollen keine Experimente".
({0})
Meine Damen und Herren! Wir sollten über diesen Antrag sehr bald entscheiden. Der Druck, der sich in unserem Volke bildet, darf sich nicht stauen. Er braucht ein Ventil.
({1})
Dieses schaffen Sie, indem Sie dem Volke sagen, daß es sich bald, daß es sich sehr bald - nämlich bevor vollendete Tatsachen geschaffen werden - wird äußern dürfen. Sagt die Mehrheit ja, wird das ganze Volk sich beugen; geben Sie ihm keine Gelegenheit, sich zu äußern, wird seine Unruhe wachsen. Zögern Sie nicht! Handeln Sie rasch! Handeln wir noch heute!
({2})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein Wort von Ihnen, Herr Professor Schmid, aufgreifen. Wir wollen keine Experimente, vor allen Dingen nicht an unserer Verfassung!
({0})
Es eignet sich wahrlich nichts weniger zu Manipulationen aus parteitaktischen Überlegungen als gerade unser Grundgesetz.
({1})
In der ganzen Welt regen sich die Diplomaten und verhandeln. Adenauer verhandelt jetzt in London, Strauß in Paris, Mikojan kommt in der nächsten Woche nach Bonn.
({2})
Und die deutsche Sozialdemokratie verfällt - schön marxistisch in neuer Auflage - wieder einmal in das Denken in „Aktionen". Das ist es.
({3})
In der CDU-Bundestagsfraktion herrscht, das will ich einmal offen sagen, das Gefühl einer großen Überraschung darüber, daß ausgerechnet die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die sich doch einer sehr lebendigen und allzeit verfassungswahrenden demokratischen Tradition rühmen kann und sich ihrer bewußt ist, mit dem Gesetzentwurf über eine Volksbefragung sich zu einem Stoß gegen diese unsere Verfassung bereitgefunden hat.
({4})
Der Schöpfer des Grundgesetzes, der Parlamentarische Rat, hat sich seinerzeit mit den Stimmen der SPD betont vom Gedanken einer plebiszitären Demokratie distanziert
({5})
- ich komme schon darauf - und sich für eine repräsentative Demokratie ausgesprochen, d. h. für die Vertretung des Volkswillens durch das Parlament. Der damalige sozialdemokratische Verfassungsexperte, der frühere schleswig-holsteinische Justizminister und heutige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Dr. Katz, hat hier eine ebenso entschiedene Stellung klar eingenommen wie das damalige Mitglied des Parlamentarischen Rats,
({6})
der heutige Bundespräsident Professor Heuß.
({7})
- Nein, nein, ({8})
- Hören Sie, damit wir darüber reden: Es gab zwei entschiedene Verfechter dieses Gedankens. Der eine waren Sie, Herr Dr. Menzel, und der andere war die damalige Abgeordnete des Zentrums und heutige sozialdemokratische Abgeordnete Frau Wessel , und die wollte dieses Volksbegehren ausgerechnet
({9})
- hören Sie zu, meine Herren von der SPD-Fraktion - für die Einführung der Konfessionsschule benutzen.
({10})
Aber lassen Sie mich noch einmal Professor Heuß zitieren, der nun wahrlich mit großem Recht Volksbegehren und Volksentscheid so treffend als eine „Prämie für Demagogen" gekennzeichnet hat.
({11})
Nun sagt zwar die sozialdemokratische Fraktion - und das ist soeben durch einen Zwischenruf bestätigt worden -, es handle sich dabei gar nicht um ein Volksbegehren und einen Volksentscheid, sondern nur um eine rechtsunverbindliche Volksbefragung.
({12})
- Aber, Herr Professor Schmid: erstens erwartet die Sozialdemokratie doch trotz dieser Betonung der Rechtsunverbindlichkeit nichts anderes, als daß die Regierung aus dem Ergebnis einer Volksbefragung, wie immer sie ausfallen mag, die Konsequenzen zieht.
({13})
Zum anderen, Herr Professor Schmid, wissen Sie, daß diese Unterscheidung die Dinge, glaube ich, nur noch schlimmer macht. Denn die Verfassung der Weimarer Republik kannte zwar Volksbegehren und Volksentscheid, aber die Einführung der Volksbefragung, Herr Professor Schmid, durch ein Gesetz vom 14. Juli 1933 blieb ausgerechnet Adolf Hitler, dem Verfassungsbrecher, vorbehalten.
({14})
- Man weiß doch, daß dieser Diktator lediglich in der „Größenordnung", in der Denkordnung von Demagogen zu denken vermochte. - Ich wiederhole: Von allen Gesetzen eignet sich ein Grundgesetz, eine Verfassung am allerwenigsten zu Manipulationen aus parteitaktischen Überlegungen.
Meine Damen und Herren, letztlich will die deutsche Sozialdemokratie mit dieser Volksbefragungsaktion doch offensichtlich vertuschen, daß sie nach wie vor ohne jede Sicherheitskonzeption für die 50 Millionen Menschen im freien Teil Deutschlands ist.
({15})
Wir werden infolgedessen Ihren Antrag ablehnen, diesen Gesetzentwurf heute zu lesen. Das will ich jetzt begründen.
Im Ältestenrat haben wir uns schon darüber verständigt, daß wir, wenn Ihr Antrag, den Gesetzentwurf heute zu lesen, abgelehnt wird, ihn am nächsten Donnerstag um 9 Uhr als Punkt 1 auf die Tagesordnung setzen. Zu dieser Alternativvereinbarung im Ältestenrat für den Fall der Ablehnung Ihres heutigen Antrags stehen wir nach wie vor.
Die Gründe für unsere Ablehnung sind mannigfaltig. Ich will einen einzigen hier und heute noch nennen. Leidenschaftliche Optimisten in unserer Fraktion haben immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, daß sich die SPD-Fraktion - in dieser Frage ohnehin völlig alleinstehend hier im Hause ({16})
schließlich doch noch besinnt und von diesem Anschlag auf die Verfassung Abstand nimmt. Die nächsten Tage werden zeigen, ob diese Hoffnung unserer Optimisten schließlich doch noch getrogen hat.
({17})
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung des Antrags und die Gegenstimme gehört. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum ersten Punkt der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Ausbau der technischen Bildungseinrichtungen ({0}).
Wer begründet die Große Anfrage? - Das Wort hat der Abgeordnete Ratzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat sich bereits mehrmals mit den Fragen der Förderung des naturwissenschaftlichen und technischen Bildungs- und Forschungswesens befaßt. Die Initiativen hierzu gingen immer von der sozialdemokratischen Fraktion aus. Wir wären froh, wenn auch von der Mehrheit dieses Hauses und von der Regierung Initiativen entwickelt würden, weil wir dann eher damit rechnen könnten, daß man sich zu durchgreifenden Maßnahmen durchringt.
Wir wollen gern feststellen, daß unsere Initiativen den Herrn Bundesinnenminister zu zwei Denkschriften veranlaßt haben, daß die Mittel für die Stipendien erhöht wurden und daß Bund und Länder zwei Verwaltungsabkommen betreffend den Wissenschaftsrat und den Ausbau der Ingenieurschulen beschlossen haben. Aber es sei mir gleich zu Beginn die Feststellung erlaubt, daß wir diese Maßnahmen für völlig unzureichend halten, nicht deshalb, weil die Regierung es der Opposition nicht recht machen kann, nein, wir sind aus sachlichen Erwägungen der Auffassung, daß diese Maßnahmen einfach in keiner Weise den Erfordernissen entsprechen.
Zu diesem Urteil gelangt ja nicht nur die Opposition, sondern zu diesem Urteil gelangen auch die Wissenschaft, die Berufsverbände und die Wirtschaft. Ich nehme an, daß uns der Herr Bundesinnenminister heute auch in dem einen oder anderen Punkte zustimmen wird. Ich hoffe aber, daß das dann nicht mit der Feststellung verknüpft ist: Leider hat der Bund auf diesem Gebiet keine oder nur geringfügige Kompetenzen. Im Interesse der wichtigen Fragen, um die es hier geht, ist es notwendig, daß wir uns um eine für alle Seiten befriedigende Lösung bemühen. Ich werde hierauf noch zurückkommen.
Zunächst möchte ich jedoch auf die Situation eingehen, die zu unserer Großen Anfrage geführt hat. Als wir uns hier vor fast zwei Jahren mit diesem Problem befaßten, war das Wort vom „Kalten Krieg der Klassenzimmer" noch neu. Heute ist es bereits stark abgegriffen. Aber das, was es ausdrücken sollte, die großen Anstrengungen, die insbesondere die Sowjetunion auf den Gebieten der Erziehung,
der Wissenschaft, der Technik unternimmt, um den Westen einmal wirtschaftlich und wissenschaftlich zu überrunden, gilt heute mehr denn je. Wer dies vor zwei Jahren noch nicht sah oder auch nicht sehen wollte, dem sind vielleicht im vergangenen Jahr, als die Sputniks am Himmel erschienen, die Augen aufgegangen. Über die zumindest psychologischen Wirkungen dieses Ereignisses in aller Welt gibt es wohl keine Meinungsverschiedenheiten.
Die Sozialdemokratie hat immer wieder betont, daß man das Verhältnis zwischen Ost und West nicht nur militärisch sehen darf. Sie hat in der Bundesrepublik nicht immer Verständnis dafür gefunden. Ich brauche nur an das im 2. Deutschen Bundestag gescheiterte Atomgesetz zu erinnern. Ist es nicht ein Jammer, daß wir drei Jahre nach dem Inkrafttreten der Pariser Verträge zwar viele Wehrgesetze verabschiedet haben, daß die Bahn freigegeben wurde für die atomare Aufrüstung der Bundeswehr, daß aber immer noch ein Bundesgesetz über die Verwendung und Nutzung der Atomenergie zu friedlichen Zwecken ebenso fehlt wie die bitter notwendige Strahlenschutzverordnung.
Wie der amerikanische Präsident diese Dinge sieht, geht aus seiner Botschaft über die Lage der Nation vom 10. Januar 1958 hervor. Ich darf einen Satz zitieren. Er sagt:
Wir könnten jedoch keinen tragischeren Fehler begehen, als uns lediglich auf die militärische Stärke zu konzentrieren.
Ich habe, wenn ich an den 2. Juli 1957 denke, den Eindruck, daß das, was Eisenhower einen tragischen Fehler nennt, geradezu das Leitmotiv der Politik des Herrn Bundeskanzlers ist.
Ich bin der Meinung, daß wir den größten Beitrag zu unserer Sicherheit und Freiheit durch die „Aufrüstung" unseres Schul- und Bildungswesens leisten können. Man wird sagen: Es ist auf diesem Gebiet ja bereits sehr viel getan worden. Ich glaube aber, wir sollten uns immer wieder klarmachen, daß der größere Teil dessen, was hier getan wurde, dazu diente, den Zustand von 1939 wiederherzustellen, also das zu ersetzen, was zerstört wurde bzw. verlorenging.
Aber selbst das ist noch immer nicht erreicht, denn noch immer fehlen Zehntausende von Schulräumen, allein um die achtjährige Schulpflicht zu verwirklichen. Der Ettlinger Industriellenkreis verlangt aber, daß wir darüber hinaus schleunigst die neun- und zehnjährige Schulpflicht obligatorisch machen. Dann würden wir zu den fehlenden 30 000 noch weitere 40 000 Schulräume benötigen. Die Erfüllung eines solchen Programms würde zweifellos ganz beträchtliche Mittel erfordern. Der Ettlinger Industriellenkreis hält diese Ausgaben im allgemeinen Interesse jedoch für absolut notwendig und unumgänglich. Ich meine, es geht doch darum, ein Schul- und Bildungswesen aufzubauen, das den Verhältnissen von 1960 und vielleicht denen von 1970 gerecht wird, und es geht nicht einfach darum, den Zustand von 1939 wiederherzustellen.
({0})
Wir sollten ernsthaft prüfen, ob die Länder und Gemeinden tatsächlich unter finanziellen Alpträumen leiden müssen, wenn sie an die Realisierung der neunjährigen oder gar zehnjährigen Schulpflicht denken.
Jedenfalls ist in den Städten der Sowjetunion die zehnjährige Schulpflicht bereits durchgeführt, auf dem Lande in der Durchführung begriffen. Wie mir gesagt wurde, will man auch in der sowjetisch besetzten Zone im Zuge eines Zehnjahresplans die zehnjährige Schulpflicht einführen.
Daß man drüben in der Sowjetunion auf dem Gebiet des Bildungswesens nicht nur die Quantität steigert, sondern daß auch die Qualität dabei nicht zu kurz kommt, hat der amerikanische Präsident im November des vergangenen Jahres bestätigt. Er hat erklärt, nach Meinung seiner Berater sei dies das ernsthafteste Problem, dem sich die Vereinigten Staaten gegenübersähen. Man wird vielleicht sagen, die Sowjets seien für uns auf dem Gebiet der Bildung kein Vorbild. Gut, aber dann möchte ich umgekehrt fragen: warum sollten sie dann auf dem Gebiete der militärischen Rüstung unbedingt für uns Vorbild sein?
({1})
- Sehr billig? Aber ich glaube, es entspricht den Tatsachen.
Die Frage der neun- und zehnjährigen Schulpflicht ist auch für den technischen Nachwuchs von Bedeutung, denn der größere Teil oder mindestens die Hälfte unserer Fachschulingenieure gehen den Weg über die Volksschule. Es ist notwendig, ihnen hier ein allgemeines Wissen zu vermitteln, das ihnen später die Ingenieurschule nicht mehr geben kann. Wir wissen, daß sehr viele Ingenieure bis zum Ende ihrer beruflichen Laufbahn unter den Schwierigkeiten einer nicht ausreichenden Allgemeinbildung leiden.
Daß wir in unserer Großen Anfrage gerade die naturwissenschaftlichen und die technischen Bildungseinrichtungen ansprechen, hat seinen Grund darin, daß auf diesen Gebieten die Probleme besonders auf den Nägeln brennen. Wir sind der Meinung, daß darüber hinaus natürlich unser gesamtes Bildungs- und Erziehungswesen einer eingehenden Förderung bedarf.
Es ist wohl allgemein bekannt, daß die deutsche Wissenschaft heute nicht mehr den Stand in der Welt hat, den sie vor einigen Jahren oder Jahrzehnten noch hatte. Ich kann aus dem Bulletin der Bundesregierung Ausführungen des Herrn Dr. Reusch, des Vorsitzers des Vorstandes der Gutehoffnungshütte, zitieren. Er schreibt dort unter der Überschrift „Wirtschaft und Wissenschaft": „Der einst vorhandene internationale Rang der deutschen Wissenschaft ist einem deutlichen Vorsprung des Auslandes gewichen." Dann folgen Ausführungen, die wir von dieser Stelle schon des öfteren gemacht haben. Ich darf aber vielleicht mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten noch einen Satz zitieren: „Die Feststellung des Europäischen Wirtschafts1226
rates, daß die Bundesrepublik auch in der Planung zur Förderung des wissenschaftlichen und technischen Nachwuchses innerhalb Europas an letzter Stelle steht, muß und soll für die wechselseitigen Beziehungen zwischen Industrie und Wissenschaft beachtet werden."
Wir sollten auch das beachten, was drüben in der sowjetisch besetzten Zone geschieht. Ich darf auch hier einen unverdächtigen Zeugen zitieren. In dem Mitteilungsblatt des Stifterverbandes Nr. 9 von 1956 wird ein Artikel aus der „Deutschen Finanzwirtschaft" der SBZ zitiert. Zwar wird die SED-Tendenz dieses Artikels beanstandet, aber die Zahlen, die dort genannt werden, werden als richtig hingenommen. Das Mitteilungsblatt kommt zu dem Schluß, daß diese Zahlen alarmierend sind. Ich darf einige zum Vergleich anführen: Studenten je Professor, Dozent, Assistent usw.: an der HumboldtUniversität 8,3, an der Universität München 29,3. Der Herr Kollege Friedensburg hat ja vor etwa einem Jahr bestätigt, daß die durchschnittliche Zahl der Studenten pro Dozent in der Bundesrepublik bei 22 liegt. Die Sachausgaben kann man auch in etwa vergleichen, weil die Kaufkraft der D-Mark-Ost und unserer Deutschen Mark insoweit nicht verschieden ist. Im Jahre 1954 wurden an der Humboldt-Universität an Sachausgaben je Student 1260 Mark geleistet, an der Universität Jena 1430, an der Universität München 230 und an der Universität Frankfurt 460. Diese Zahlen sollten uns zu denken geben. Ich wäre dem Herrn Bundesinnenminister dankbar, wenn er diese Zahlen einmal prüfte, damit wir klar sehen, ob die Unterschiede in dem, was der Wissenschaft gegeben wird, wirklich so kraß sind. Wenn sie stimmen, dann kann man sich nur dem Stifterverband anschließen und sagen: diese Zahlen sind alarmierend.
Niemand von uns vertritt wohl den Standpunkt, daß wir uns absolut mit den USA oder mit der Sowjetunion messen können. Aber wir sollten doch den Ehrgeiz haben, uns zumindest mit England oder mit Frankreich zu messen. Daß in der Bundesrepublik nichts Ganzes geschieht, sondern nur Halbes, das im Grunde genommen viel teurer ist als das Ganze, das man tun müßte, das haben sehr viele Wissenschaftler und Hochschulprofessoren zum Ausdruck gebracht.
Der Herr Bundesinnenminister wird vielleicht sagen: Der Wissenschaftsrat wird in Zukunft die Aufgabe haben, darauf hinzuwirken, daß in der Bundesrepublik bei der Förderung der Wissenschaft und des Nachwuchses etwas Ganzes geschieht. Ich für meine Person wünsche dem Wissenschaftsrat vollen Erfolg; denn im Interesse der Sache ist es notwendig, daß hier endlich etwas Entscheidendes geschieht.
({2})
Wenn ich mir die Zusammensetzung des Wissenschaftsrates betrachte, kann ich mich gewisser Zweifel nicht erwehren. Ich habe den Eindruck, daß der Auftrieb, der vielleicht von den Wissenschaftlern in diesem Gremium kommt, zu sehr durch den bürokratischen Ballast ausgeglichen wird, den man dem Wissenschaftsrat in Gestalt von Staatssekretären usw. mitgegeben hat. Ich befürchte - ich bedauere, daß ich das befürchten muß -, daß im Wissenschaftsrat sich der sattsam bekannte Zuständigkeitsstreit fortsetzen wird, der in der Bundesrepublik seit Jahren herrscht. Da steht die Wissenschaft, da stehen die Länder, da steht der Bund, und da wird gestritten werden: hie Wissenschaft, hie Bund, hie Länder. Daß das keine Befürchtung ist, die aus der Luft gegriffen ist, das zeigt doch auch ein Bericht in der Presse, wonach man bereits vor der ersten Sitzung des Wissenschaftsrates in Fraktionen getagt hat.
({3})
Ich möchte hoffen und wünschen, daß das in Zukunft nicht mehr der Fall ist.
Man hätte das besser machen, hätte der Wissenschaft ein anderes Gewicht geben können. Vor einem Jahr haben wir hier Vorschläge gemacht. Wir kennen Beispiele aus England, wo auch ein Komitee besteht. Der Herr Bundesminister für Atomkernenergie hat uns eine Broschüre zur Verfügung gestellt, in der steht, wie das englische Komitee organisiert ist. Da sind von 16 Mitgliedern, glaube ich, 10 Wissenschaftler; dann sind noch 2 oder 3 Schulfachleute und 1 oder 2 Verwaltungsleute vertreten. Dieses Komitee wird natürlich einen ganz anderen Plan zur Förderung der Wisschenschaft und des Nachwuchses aufstellen als der Wissenschaftsrat, bei dem durch Gewichtung der Stimmen dafür gesorgt wird, daß die Wissenschaft ja nicht die Mehrheit bekommen kann.
Wir sollten wirklich erkennen, daß es allerhöchste Zeit ist, hier in der Bundesrepublik die Frage der Wissenschafts- und der Nachwuchsförderung politisch zu entscheiden, und sollten mit diesen leidigen Kompetenzstreitigkeiten endlich Schluß machen.
({4})
Zweifellos spielt dabei der föderative Aufbau der Bundesrepublik eine wichtige Rolle. Es ist hier schon gesagt worden, daß seit 1949 schon oft aus einem föderalistischen Saulus ein zentralistischer Paulus geworden sei; auch das Umgekehrte gibt es. Man braucht deshalb nicht gleich, wie der Herr Minister Erhard das tut, von einer Eigenbrötelei und einer Krähwinkelpolitik der Länder zu sprechen. Sein Parteifreund, Ministerpräsident Dr. Gebhard Müller, hat ja diese Ausführungen im BadenWürttembergischen Landtag zurückgewiesen. Wir Sozialdemokraten fühlen uns von diesem Vorwurf des Ministers nicht betroffen, daß wir 1949 zusammen mit den Besatzungsmächten in eine falsche föderalistische Ideologie verstrickt gewesen seien. Ich nehme an, daß Herr Erhard uns auch gar nicht meint. Er meint ganz sicherlich seine politischen Freunde, vielleicht sogar sich selbst.
({5})
- Nun, dieser Artikel des Herrn Professors Erhard ist erst einige Wochen alt.
({6})
- Nein, ich habe doch gesagt: Es ist aus manchem föderalistischen Saulus ein zentralistischer Paulus geworden und - ({7})
- Und umgekehrt, habe ich gesagt; warum denn nicht!
Wir Sozialdemokraten sind auf alle Fälle der Meinung, daß man den Ländern die Mittel geben soll, die sie für die Erfüllung ihrer kulturellen Aufgaben benötigen. Wir glauben, daß sich die Frage der Erziehung und der Wissenschaft heute in einem ganz anderen Lichte zeigt als im Jahre 1949, als das Grundgesetz geschaffen wurde. Man sollte deshalb überlegen, ob man nicht mehr Mittel für die Aufrüstung unseres Bildungs- und Erziehungswesens bereitstellen müßte. Man sollte einmal prüfen, wie die Gewichte zwischen kultureller und militärischer Aufrüstung zu verteilen sind.
Es ist leider so, daß in der Bundesrepublik keine Instanz da ist, die ein entscheidendes Wort dazu sprechen kann. Aber es wäre schlecht, wenn die kulturelle Aufrüstung der Bundesrepublik gänzlich der militärischen Aufrüstung zum Opfer fallen würde. Man hat ab und zu den Eindruck, daß so etwas möglich ist. Wenn wir die Mittel für die Forschung im Bundeshaushalt 1958 betrachten, können wir feststellen, daß sie sich im Funktionenplan unter dem Kennzeichen J von rund 326 Millionen DM auf rund 412 Millionen DM erhöht haben; die großen Brocken sind vor allen Dingen die des Atomministeriums. Das ist eine Steigerung von 26 %. Die Mittel für die militärische Forschung werden im Funktionenplan 1957 mit 159 Millionen DM und 1958 mit 294 Millionen DM ausgewiesen. Das ist eine Steigerung um 85 %.
({8})
Ich möchte die Frage stellen: Sind denn die Mittel, die für die militärische Forschung 1956 und 1957 bereitgestellt wurden - und dasselbe gilt für die Mittel im Atomhaushalt - überhaupt ausgegeben worden, oder sind sie noch zum größten Teil vorhanden, und haben wir hier nicht fahrlässig gehandelt, indem wir zur Förderung des Nachwuchses und zur Förderung der Hochschulen nicht die notwendigen Mittel gegeben haben, während andererseits die Mittel für militärische und Atomforschung hier eingemottet wurden?
({9})
Wir sind jedenfalls der Meinung, daß der Förderung des Nachwuchses, der Wissenschaft und der Forschung für unsere Zukunft eine größere Bedeutung zukommt als der militärischen Aufrüstung.
({10})
- Nein, auf diesem Gebiet werden die Entscheidungen getroffen. Lesen Sie die Ausführungen des amerikanischen Präsidenten, dann werden Sie eines Besseren belehrt.
Ich darf Ihnen an Hand eines Zitats darlegen, welcher Art die Aufgaben sind, die noch in den nächsten Jahren auf uns zukommen werden. Der Heidelberger Rektor, Professor Reicke, hat im Finanzausschuß des Baden-Württembergischen Landtages erklärt:
Ich wage zu prophezeien, daß in drei oder vier Jahren das Land und die Hochschulen sich vor ganz umwälzende Neuerungen gestellt sehen werden, vor Planungen und Maßnahmen, die unser gegenwärtiges Bemühen um eine sachgerechte Wissenschaftsförderung weit in den Schatten stellen werden.
Das werden die Aufgaben sein. Dafür müssen wir gerüstet sein, und dazu müssen wir auch den guten Willen haben.
({11})
- Ob Sie den guten Willen haben, werden wir hei der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushalts sehen.
({12})
- Ja, da scheiden wir uns, wenn es um die Realität geht.
({13})
- Nun, wir werden das bei der Beratung des Bundeshaushalts sehen.
Nun darf ich zu den einzelnen Punkten unserer Großen Anfrage einige Bemerkungen machen. Der Bundestag hat am 28. Februar des vergangenen Jahres einem Vorschlag des Ausschusses für Kulturpolitik fast einhellig zugestimmt. In diesem Beschluß wird die Bundesregierung um eine Reihe von Untersuchungen ersucht, insbesondere über den Nachwuchsbedarf an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern und über die Aufwendungen für Forschung, Lehre und Studium einschließlich der Aufwendungen der nichtöffentlichen Hand. Bisher hat die Regierung nur eine Denkschrift über den technischen Nachwuchs vorgelegt, wobei sie sich allerdings auf einige Vorarbeiten stützen konnte. Wir fragen deshalb die Bundesregierung, wann sie eine entsprechende Denkschrift über den naturwissenschaftlichen Nachwuchs und über die Wissenschaftsaufwendungen vorzulegen gedenkt.
Der Herr Bundesinnenminister hat am 13. Februar dieses Jahres, drei Wochen nach Einbringung der hier zu behandelnden Großen Anfrage, mitgeteilt, daß die erforderlichen Maßnahmen zur Verfeinerung und Vervollkommnung der Wissenschaftsstatistik eingeleitet wurden und ein Arbeitsausschuß eingesetzt wurde. Wir sind uns völlig darüber im klaren, daß diese statistischen Erhebungen nicht einfach sein werden, daß wir Zeit benötigen. Aber ich glaube, wir sind uns auch alle darüber einig, daß man solche einwandfreie Unterlagen braucht. Wir möchten deshalb den Herrn Minister bitten, diese Arbeiten etwas voranzutreiben.
Daß die Entwicklung der Zahl der Studierenden der Naturwissenschaften in der Bundesrepublik mit
der Entwicklung z. B. in England nicht ganz Schritt hält, zeigt die Broschüre des Herrn Bundesministers für Atomkernenergie. Daraus geht hervor, daß die Zahl der Naturwissenschaftler von 1949 bis 1956 in der Bundesrepublik von fast 14 000 auf etwas über 17 000 und in England von fast 17 000 auf 19 500 gestiegen ist. In England beträgt die Steigerung über 2 %, in der Bundesrepublik nur etwa 0,8 %.
Eine Vermehrung der Studierenden der Naturwissenschaften ist notwendig. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Ihr Ausschuß für angewandte Forschung hat verlangt, in den nächsten Jahren die Zahl der Studierenden der Naturwissenschaften zu verdoppeln und die Zahl der Lehrkräfte an den naturwissenschaftlichen und technischen Hochschulen zu verzehnfachen. Diese Dinge sind ernsthaft zu überprüfen. Wir wollen solche Zahlen nicht einfach hinnehmen; aber daß hier einiges nicht in Ordnung ist, das ist wohl allgemein bekannt.
Es ist auch nicht möglich, sich ein völlig klares Bild zu machen über die Höhe der Ausgaben für Forschung, Lehre und Studium. Da gibt es vor allen Dingen den Posten „Wirtschaftseigene Forschung", der nur geschätzt ist und über den wir keine konkreten Unterlagen haben. In Amerika wurde eine sehr eingehende statistische Erhebung durchgeführt, bei der fast 12 000 Industrieunternehmungen erfaßt wurden. Professor Gross kommt in einer Arbeit, die vom „Stifterverband" herausgegeben wurde, zu der Feststellung, daß in den Vereinigten Staaten von Amerika für Forschung, Lehre und Studium jährlich etwa 10 Milliarden Dollar ausgegeben werden, und er sagt, wenn wir in der Bundesrepublik im Verhältnis dasselbe tun wollten, dann müßten wir unsere Aufwendungen fast verdreifachen.
Nun zu Punkt 2 unserer Großen Anfrage. Der Herr Bundesinnenminister hat eine Denkschrift über den technischen Nachwuchs erstellt. Er hat auch zugegeben - was vorher bereits gesagt war-, daß die Zahl der Ingenieure vermehrt, im Maschinenbauwesen etwa verdoppelt werden müsse; er hat allerdings keine konkreten Vorschläge gemacht, wie man das erreichen könne. Die Opposition hatte 1956 für den Ausbau und die Kapazitätserweiterung der Ingenieurschulen 20 Millionen Mark verlangt, 1957 50 Millionen Mark. Das ist jedesmal abgelehnt worden. Jetzt hat man über ein Verwaltungsabkommen den Ländern 22 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Diese Mittel kommen einfach zwei Jahre zu spät;
({14})
sie werden sich bei der Vermehrung der Ingenieurschulabsolventen erst etwa im Jahre 1963 bemerkbar machen. Denn erst jetzt, in diesem Frühjahr, fangen die Schulen, die von diesen 22 Millionen etwas bekommen, an, zu planen, und bis die ersten Absolventen die mit diesen Mitteln geförderten Schulen verlassen, werden noch mindestens runde fünf Jahre vergehen.
In den Haushalten der Länder sind die Mittel für die Ingenieurschulen zweifellos erhöht worden. Aber wir sollten nicht übersehen, daß die meisten dieser Mittel, beinahe alle, aufgebraucht werden, um den Nachholbedarf an Einrichtungen zu decken, um die Schulen zu modernisieren, ja, um ihnen überhaupt erst ein Haus zu geben. Ein Beispiel dafür ist Hannover. Dort ist die Schule in Volksschulräumen untergebracht, sie bekommt erst jetzt ein eigenes Schulgebäude. Es wird hier also keine Ausweitung der Kapazität erreicht, sondern es wird nur die schon bestehende Schule vernünftig untergebracht, und das ist notwendig. Ich habe mir sagen lassen, die Staatsbauschule in Oldenburg sei in einer Kaserne aus dem Jahre 1813 untergebracht, und diese Kaserne sei für die Militärs im Jahre 1900 veraltet gewesen. Die Staatsbauschule ist also noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in diesem Bau untergebracht! Damit will ich nur sagen, daß die Mittel, die bisher bereitgestellt wurden, im wesentlichen dazu dienen, die bestehenden Schulen mit ihren Abteilungen erst einmal auf den zeitgemäßen Stand zu bringen.
Dafür, daß die Lage an den Ingenieurschulen sich, was die Aufnahmekapazität betrifft, nicht verändert hat, kann ich Ihnen mit vielen Zahlen aufwarten. Ich habe mich bei 26 Schulen für Maschinenwesen erkundigt, wie viele Studierende sich anmelden und wie viele aufgenommen werden können. Die Situation hat sich gegenüber dem Frühjahr 1956 nicht verändert. Zwei Beispiele, die gar nicht aus dem Rahmen fallen: In Hannover lagen 1956 380 Bewerbungen vor; es konnten 136 aufgenommen werden; 1958: 550 Bewerbungen, 120 konnten aufgenommen werden. Frankfurt, 1956: 145 Bewerber, 57 konnten aufgenommen werden;
({15})
1958: 330 Bewerber, und 60 konnten aufgenommen werden. Bei einem solchen Verhältnis von Plätzen zu Bewerbungen ist die Aufnahme an der Ingenieurschule für den Betreffenden eine Art Lotteriespiel.
({16})
- Mit den festgestellten Begabungen? Ich möchte nicht sagen „Begabungen"; sagen wir besser „Leistungen". Denn diese Generation, die jetzt geprüft wird, ist die Generation, an der wir noch einiges gutzumachen haben, weil sie nämlich unter den schlechtesten Bedingungen zur Volksschule oder auf das Gymnasium ging.
({17})
Aber ich weiß, daß man, obwohl die Prüfungsleistungen nicht immer befriedigend waren, mit den geeigneten Kandidaten zwei und drei Klassen hätte bilden können. Ich meine, auch um die Kandidaten mit den schlechten Ergebnissen müßten wir uns kümmern, weil wir da einiges gutzumachen haben.
In diesem Zusammenhang erhebt sich für mich die Frage, wie es überhaupt mit der Freiheit der
Berufswahl bei den Ingenieuren steht. Wegen dieser Verhältnisse kann eben einfach nicht jeder Ingenieur werden, der es will.
Bei der Beobachtung des Zustandes an diesen Schulen sollten wir auch daran denken, daß, wenn sich die Zahl der Studierenden vielleicht etwas erhöht hat, das zu einem großen Teil darauf zurückgeht, dab die Schulen vom fünf- auf das sechssemestrige Studium umstellen. Damit ergibt sich automatisch eine Erhöhung der Besucherzahl um 20%. Gerade jetzt ist diese Umstellung in Niedersachsen und in Hessen im Gange, und ich glaube, in Nordrhein-Westfalen fängt es jetzt auch an.
Daß die Zustände an den Schulen selber den Anforderungen der modernen Technik immer noch nicht entsprechen, zeigt das schon vor zwei Jahren angeführte Beispiel des Oskar-von-Miller-Polytechnikums. Dort werden in eine Klasse 100 Studierende aufgenommen.
({18})
Trotzdem muß man an dieser Schule Drei-Schichten-Unterricht durchzuführen. Wie kann man da im Hinblick auf den Laborunterricht und auf die Konstruktionsübungen von einem ordnungsgemäßen Studium sprechen?
Wenn wir die Zahl der Hilfskräfte, Handwerker und Assistenten betrachten, die den Dozenten zur Verfügung stehen, stellen wir fest, daß im Durchschnitt an 26 befragten Ingenieurschulen für Maschinenwesen auf eine solche Hilfskraft 106 Studierende kommen. In Friedberg sind es sogar 600 Studierende, an dem Oskar-von-Miller-Polytechnikum 290.
Dieser Zustand ist für eine moderne Ingenieurausbildung einfach unmöglich. Da kann man nicht mit kleinen Ptlästerchen kommen, sondern da müssen endlich ganz entscheidende Maßnahmen getroffen werden. Es dürfen keine Verzögerungen eintreten, so wie es geschehen ist, indem man 1956 die Mittel ablehnte und sie dann erst 1957/58 zur Verfügung stellte. Auf der anderen Seite verstauben Millionen im Topf des Verteidigungsministers. So ist es doch! Diese Mittel hätte man vernünftiger anwenden können. - Soviel zu Punkt 2.
In Punkt 3 fragen wir, was die Bundesregierung zu tun gedenkt, um den gefährlichen Rückstand aufzuholen, in dem sich die Bundesrepublik auf dem Gebiete der Naturwissenschaften befindet. Ich darf, um zu belegen, daß unsere Frage nicht aus der Luft gegriffen ist, sagen, daß Herr Professor Tellenbach nach der Rektorenkonferenz am 8. Januar vor der Presse erklärt hat, es müsse in kürzester Frist Entscheidendes getan werden, wenn wir auf wissenschaftlichem Gebiet nicht hoffnungslos zurücksinken wollen. Aber das sagt nicht nur Professor Tellenbach; es gibt viele ähnliche Aussagen und auch Tatsachen.
Das Kreuz bei uns hier in der Bundesrepublik ist doch, daß auf diesem Gebiete keine wirklich großzügigen Anstrengungen unternommen werden, daß nicht langfristig geplant wird, daß man nicht im notwendigen Maße koordiniert und daß das wenige, was man gibt, gewöhnlich sehr spät gegeben wird. Wir müssen endlich einmal begreifen, daß wir da in anderen Gräßenordnungen denken müssen, daß es nicht einfach damit getan ist, die Mittel mal um 5 % oder um 10 % zu erhöhen, sondern daß es vielleicht um den Faktor 4 oder 5 oder gar 10 geht, um den wir die Mittel verstärken müssen.
In England hat man uns auf diesem Gebiete ein gutes Beispiel gegeben. In der bereits zitierten Broschüre des Herrn Bundesministers für Atomkernenergie steht z. B.: In England kamen 1951/52 auf jeden Dozenten 8 Studierende, 1955,56 sogar nur 7. In der Bundesrepublik kamen nach Aussage des Kollegen Professor Friedensburg im Durchschnitt 22 Studierende auf einen Dozenten.
In der Bundesrepublik wurden, wenn man den Zahlen des Bundesfinanzministers glauben will -ich habe sie nicht völlig nachkontrollieren können, es hat sich da noch eine beträchtliche Lücke ergeben -, im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden DM für die Wissenschaft und Forschung ausgegeben. In England wurden nach den Angaben des Atomkernministeriums jährlich für die Universitäten knapp 600 Millionen DM bereitgestellt, für die naturwissenschaftliche und technische Forschung und Entwicklung weitere 2350 Millionen DM und für die Atomforschung weitere 500 bis. 600 Millionen DM. Das ist doch eine ganz gewaltige Diskrepanz zwischen der Bundesrepublik und England. Ich meine aber, daß wir uns, was unsere Leistungskraft betrifft, durchaus mit Großbritannien vergleichen können. Wir wollen uns gar nicht mit den Vereinigten Staaten von Amerika vergleichen.
Ich sehe bei dieser schlechten finanziellen Situation der Wissenschaft und der Forschung noch eine weitere Gefahr, nämlich eine Gefahr für die Freiheit der Forschung. Die Forscher, die Wissenschaftler sind ja manchmal von ihrem Tatendrang etwas besessen, und wenn sie von den Ministerien oder von den öffentlichen Einrichtungen nicht die notwendigen Mittel bekommen, suchen sie sie sich anderweitig. Das ist eine Tatsache. Dann geht man zur Industrie und läßt sich da Forschungsaufträge geben, oder man geht vielleicht zum Verteidigungsminister und läßt sich von dem einspannen. In beiden Fällen sehe ich schwarz für die Freiheit der Forschung und insbesondere für die Zukunft unserer Grundlagenforschung. Entscheidend wird die Grundlagenforschung sein und nicht die Zweckforschung. Daß die Wissenschaft diese Gefahren spürt, zeigen verschiedene Äußerungen, die Professoren in der Öffentlichkeit gemacht haben. Es ist doch schlecht, wenn man in einer Zeitung lesen muß - ich glaube, es war die durchaus seriöse „Deutsche Zeitung" -, daß entgegen den Bestimmungen die Doktorarbeit eines Mannes nicht veröffentlicht wurde, weil sie von einem chemischen Unternehmen finanziert worden war und dieses Unternehmen erst einmal drei Jahre brauchte, um sich die einschlägigen Patente zu sichern. Ich meine, das ist ein Bruch mit jeglicher Freiheit der Forschung und der Wissenschaft. Diese Gefahr kommt, je größer die Armut unserer Institute ist, um so mehr auf uns zu.
Wie schlecht die Verhältnisse an den naturwissenschaftlichen Fakultäten sind, zeigt auch eine Denkschrift der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt. Danach hat sich seit 1925 an dieser Fakultät die Zahl der Studierenden um 264 % vermehrt, die Zahl der Ordinarien aber ist uni 30% und die der planmäßigen Professoren urn 9 % gesunken. Man gleicht das zu einem großen Teil durch Vermehrung der Stellen der Nichtordinarien häufig ans. Doch das ist ein Status, den man einem Menschen nicht zumuten sollte; denn dann wartet er vielleicht jahrelang auf eine Berufung, ohne daß sie kommt. Es hat sich an derselben Fakultät gezeigt, daß das Durchschnittsalter bei der Berufung vor 30 Jahren etwa bei 35 Lebensjahren lag und daß es heute nahezu 50 Lebensjahre beträgt. Hier müssen Wege zur Lösung gefunden werden.
Wenn wir schon zu wenig Naturwissenschaftler und Ingenieure haben, ist es auch keine gute Sache, daß amerikanische Dienststellen - ich habe gehört, daß in Bad Homburg eine solche Stelle sein soll junge Naturwissenschaftler und Ingenieure für die USA abwerben. Das erinnert beinahe an eine Fremdenlegion für Wissenschaftler.
({19})
Ich meine, wir hätten unseren Tribut in den Jahren nach 1945 geleistet, und man sollte uns die unzureichende Zahl von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren für uns selbst belassen und soll sie uns nicht noch wegholen.
({20})
Man holt ja auch nicht die schlechtesten, sondern gerade die besten.
({21})
- Freizügigkeit ist ganz schön, aber ich halte es eben für eine schlechte Sache, wenn man die Wissenschaftler damit weglockt, daß man ihnen vielleicht astronomische Gehälter bezahlt. Auf diese Weise kann man die Freizügigkeit zu Tode reiten und uns hier schweren Schaden zufügen.
Nun zur Frage 4, Förderung der Studierenden an den Ingenieurschulen nach dem Honnefer Modell. Es sind da mittlerweile von der Studentenschaft Untersuchungen angestellt worden. Man sagt: Wir wollen zwar kein Honnefer Modell, aber wir wollen ein Rhöndorfer Modell. Nun, auch wir Sozialdemokraten sagen nicht von vornherein: aus Rhöndorf kann nichts Gutes kommen!
({22})
Der Naine ist uns gleichgültig. Uns geht es darum, wie man diese Fragen anpackt und löst.
Daß die soziale Lage der Studierenden an den
Ingenieurschulen nicht besser ist als an den Hochdarf ich, glaube ich, als bekannt voraussetzen. Das Bulletin hat darüber vor einigen Tagen
berichtet. Aber ich möchte an zwei oder drei Zahlen zeigen, wie die Situation in bezug auf die Möglichkeit der Stipendienverteilung tatsächlich ist. Ich habe, wie gesagt, bei 26 Ingenieurschulen umgefragt: Was könnt ihr im Jahr an Stipendien verteilen? Da teilt mir die Ingenieurschule Kiel mit: Wir können etwa 10 % Hörgelderlaß geben. Das heißt, man kann Stipendien in Form von Hörgelderlaß bei über 400 Studierenden in Höhe von 8000 DM im Jahr geben. Das ist nicht viel. In Hannover gibt man 20 % Hörgelderlaß, und dann hat man noch im Jahr 1500 DM zur Verteilung von Stipendien an 700 Studierende zur Verfügung. Daß das mehr als kümmerlich ist, darüber gibt es keinen Streit. In Koblenz hat man bei 1000 Studierenden im Jahr 6000 DM für Stipendien zur Verfügung. Daß hier nach dem Ergebnis der Untersuchungen der Studentenschaft eine Förderung notwendig ist, darüber gibt es wohl auch keinen Zweifel.
Ich möchte deshalb den Herrn Bundesinnenminister genauso wie sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit dieses Hauses, bitten: Seien Sie nicht engherzig, sorgen Sie dafür, daß auch die Studierenden an den Ingenieurschulen in einer Weise gefördert werden, die man vertreten kann und die unseren Verhältnissen entspricht!
Noch einige Worte zur Frage der Studierenden aus den Entwicklungsländern. Auch hier sind wir uns, zumindest was die Worte betrifft, einig; denn der Herr Bundeskanzler hat anläßlich des Besuchs von Herrn Ministerpräsidenten Nehru sehr schöne Worte zu diesem Thema gefunden, der Herr Bundesaußenminister beinahe noch schönere hier in diesem Hause. Aber das, was getan wird, ist eben doch sehr, sehr bescheiden. Der Herr Bundesinnenminister weiß genauso wie ich von derselben Quelle, daß an den 59 bundesdeutschen Ingenieurschulen 250 Studierende aus den Entwicklungsländern sind und daß aus dem Land Indien, dem wir hier so sehr die Hilfe versprochen haben, ganze 12 Studierende an bundesdeutschen Ingenieurschulen sind.
Ich habe mir sagen lassen, es soll manche Studierende aus den Entwicklungsländern geben, die, weil man sie hier sehr mangelhaft betreut, rasch aus der Bundesrepublik in die sowjetisch besetzte Zone überwechseln. Wenn das den Tatsachen entspricht, dann ist das eine sehr schlechte Sache. Die Art, wie wir uns um diese jungen Menschen bekümmern, wirft auf uns kein gutes Licht. Da sind die Schwierigkeiten mit der Sprache. Man müßte sich eben dieser jungen Menschen besser annehmen. Man müßte irgendwelche Lösungen finden, damit sie nicht auf die Schule kommen, ohne ein Wort Deutsch reden zu können, und dann nach wenigen Wochen die Waffen strecken müssen. Da ist die Frage der Vermittlung von Praktikantenstellen ein schlechtes Kapitel, und zwar nicht nur nach unserer Meinung. Auch hier im Regierungsbulletin stand, daß es mit der Vermittlung von Praktikantenstellen nicht klappt, daß viel zu wenig Praktikantenstellen für Ausländer vorhanden sind. Es sind in der deutschen Industrie auch viel zu wenig Praktikantenstellen für unsere eigenen werdenden Ingenieure vorhanden. Hier hätte vielDr. Ratzel
leicht der Herr Bundeswirtschaftsminister ein Betätigungsfeld, um solche Praktikantenstellen zu schaffen.
Ich darf zum Schluß kommen. Ich habe mich bemüht, die Tatsachen sprechen zu lassen. Der Kollege Dr. Martin würde sagen: „Natürlich in der naiven Weise des Naturwissenschaftlers." Aber diese „naiven" Naturwissenschaftler haben immerhin Tatsachen geschaffen, die unsere Welt verändert haben. Es wird allerhöchste Zeit, daß wir hier in der Bundesrepublik diese Tatsachen zur Kenntnis nehmen, wenn wir nicht auf den Rang eines zurückgebliebenen Landes absinken wollen.
({23})
Ich möchte deshalb bitten: Tun wir hier wirklich etwas, was in den kommenden Jahren der Kritik standhält! Tun wir etwas für unsere Sicherheit und für unsere jungen Menschen!
({24})
Das Wort zur Beantwortung der Interpellation hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, im Namen der Bundesregierung die Große Anfrage, die soeben begründet worden ist, wie folgt zu beantworten.
Die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion bezieht sich auf den Ausbau der technischen Bildungseinrichtungen. Sie berührt damit einen wichtigen Ausschnitt unseres Bildungswesens. Um ihn beurteilen zu können, muß man den Gesamtzusammenhang berücksichtigen, also die allgemeinen Fragen der Erziehung, der Bildung und der Wissenschaft. Diese Fragen sind heute mehr denn je von schicksalhafter Bedeutung für unser ganzes Volk. Sie müssen daher vom Bundestag und von der Bundesregierung ernsthaft überlegt und durch wirkungsvolle Maßnahmen beantwortet werden.
Deshalb möchte ich mich nicht damit begnügen, nur auf die Einzelfragen zu antworten - auch die Begründung selbst war ja schon in einen etwas größeren Zusammenhang gestellt -; ich halte es vielmehr für notwendig, darüber hinaus zur Bildungssituation grundsätzlich Stellung zu nehmen. Ich tue das, meine Damen und Herren, in völliger Unbefangenheit gegenüber den Fragen der Zuständigkeit der Finanzierung und der Verwaltung. Gewiß ist die legislative und exekutive Zuständigkeit des Bundes in dem hier zu behandelnden Bereich durch das Grundgesetz eng begrenzt, wenn auch nicht so eng, wie radikale Verfechter einer ausschließlichen Länderkompetenz in kulturellen Angelegenheiten behaupten. Aber im Ernst wird doch niemand einer verantwortungsbewußten Staatsführung das Recht eigener Sorgen und eigener Gedanken in Fragen von so schwerwiegender Bedeutung für unser Volk und seinen Fortbestand streitig machen wollen. Ich glaube, daß niemand der Bundesregierung das Recht verwehren wird, an den kulturpolitischen Erörterungen, die an vielen Stellen aus innerer Notwendigkeit heraus begonnen haben, intensiv teilzunehmen.
Das Gewicht der Bildungsfragen für die Zukunft unseres Volkes ergibt sich aus folgenden Überlegungen. Die moderne, hochtechnisierte, weitgehend schon automatisierte Welt der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts läßt sich nicht mehr allein mit dem kleinen Einmaleins bewältigen. Sie zu bewältigen genügt aber auch nicht das für die Bedienung des technisch-ökonomischen Apparats erforderliche Fachwissen. Entscheidend ist, daß der Mensch gegenüber der riesigen Apparatur Subjekt bleibt und daß er seine Personalität erhalten kann. Es gilt, wie Romano Guardini sagt, für den Menschen jenes Mindeste zu retten, von dem her allein er noch Mensch sein kann.
Gewiß erleichtert die Technik uns das Dasein in ungeahntem Maße. Aber die Aufgabe der Selbstbehauptung nimmt die Technik uns nicht ab, sondern stellt sie uns in früher unvorstellbarer Weise täglich aufs neue. Die Aufgabe der Selbstbehauptung verlangt ein Doppeltes, nämlich Einsicht in die Zusammenhänge des Lebens und die Bereitschaft, Verantwortung zu tragen. Wissen und Verantwortungsbewußtsein machen den Gebildeten aus, Fachwissen allein genügt nicht.
Für den Staatsbürger in einer Demokratie gilt noch ein Weiteres. Er soll politische Entscheidungen treffen, die von höchstem Gewicht für die Zukunft unserer von gewaltigen Spannungen erfüllten Welt sind. Das kann er nur dann, wenn er nicht hilflos gelassen wird, sondern wenn ihm Wissen und Bildung die nötigen Grundlagen geben.
Daher hängen unsere innere Sicherheit, unser inneres politisches Gleichgewicht weitgehend von der Bildung unseres Volkes ab. Gerade wir Deutschen, so scheint mir, haben diese Einsicht besonders nötig. Vieles aus unserer Vergangenheit haben wir noch nicht bewältigt, und die überaus spannungsreiche Lage, in der wir leben, stellt ganz besondere Anforderungen. Wir sind daher unserer Jugend und unserem ganzen Volk diese geistigpolitische Ausrüstung schuldig.
Bildung ist, um mit Walter Dirks zu sprechen, ein unentbehrlicher Schlüssel zu dieser geschichtlichen Aufgabe unserer Selbstbehauptung. So ist die Frage nach der Bildung, die Frage nach dem Sich-in-derWelt-Zurechtfinden, neben die Fragen nach dem Essen, der Kleidung, der Wohnung und der Arbeit mit gleicher Dringlichkeit getreten.
Das ist bei uns so, meine Damen und Herren, das ist in der ganzen Welt ähnlich. Die Diskussion der Bildungsfragen ist eines der aktuellsten Themen in der ganzen Welt. Sie betrifft Australien so gut wie Deutschland, die Vereinigten Staaten so gut wie die Sowjetunion. In allen Ländern ertönt der Ruf nach einer besseren und umfassenderen Bildung, und in der Situation unseres Bildungswesens spiegelt sich damit ein weltweites Problem, dessen Lösung allen Völkern aufgegeben ist. So hat z. B. auch schon der große Weltkongreß der Lehrer im August 1957 in Frankfurt am Main die mangelnde
Übereinstimmung der derzeitigen Schulsysteme mit der Struktur der modernen Gesellschaft als ein Weltproblem behandelt.
Auch unser Volk muß zur Bewältigung seiner Aufgaben in der modernen Welt geistig so umfassend wie möglich gerüstet sein. Schule, Fachschule und Hochschule müssen die Jugend in der bestmöglichen Weise auf ihre kommenden Aufgaben vorbereiten können. Den Erwachsenen sollte durch die Einrichtungen der Erwachsenenbildung das Verständnis ihrer Umwelt erleichtert werden.
Die Frage, die heute an uns gestellt wird, lautet also: Wollen wir an dem großen geistigen Ringen in der Welt und um die Welt weiterhin Anteil haben, oder wollen wir uns auf den Weg simpler Spezialisierung einlassen? Wollen wir geistig produktiv bleiben, oder wollen wir bestenfalls nur die Erkenntnisfrüchte anderer verwerten? Wollen wir die Apparatur über den Menschen herrschen lassen, oder wollen wir dem Menschen in Übereinstimmung mit den Leitbildern von Christentum und Humanismus seinen Rang auch in der so tief gewandelten Welt bewahren helfen? Das ist die Schicksalsfrage, die vor uns steht.
({0})
Es leuchtet danach ein, meine Damen und Herren, daß unser Volk auf dem Gebiete des Bildungswesens große Anstrengungen machen muß. Bildung kostet Geld. Da sie kein Luxus, sondern eine Lebensnotwendigkeit ist, können die Bildungseinrichtungen nicht von dem leben, was an anderer Stelle erübrigt wird. Das Geld, das für sie benötigt wird, muß mit der gleichen Dringlichkeit gefordert und bereitgestellt werden wie die Mittel für andere vordringliche Aufgaben. Die notwendigen Beträge müssen ohne Rücksicht darauf verfügbar gemacht werden, daß ein Erfolg mancher Maßnahmen erst nach Jahren sichtbar wird.
Die Investitionen in Bildungseinrichtungen entziehen sich einer strengen wirtschaftlichen Bilanzierung. Sie schlagen aber langfristig zu Buche. Ich darf daran erinnern, daß z. B. Großbritannien mitten im Krieg, im Jahre 1944, sein großes Gesetzgebungswerk zur Bildung - Education Act - in Gang gesetzt hat. In den Vereinigten Staaten hat Präsident Eisenhower im Januar dieses Jahres, also in einem Augenblick, in dem zum erstenmal seit längerer Zeit ein Rückgang der Beschäftigung sichtbar wurde, vom Kongreß eine Milliarde Dollar für vier Jahre zur Verwirklichung eines großen Erziehungsprogramms gefordert. Schließlich darf ich darauf hinweisen, daß die Regierungschefs auf der NATO-Konferenz in Paris im vergangenen Dezember mit Nachdruck gefordert haben:
Wir müssen die Mittel für die Ausbildung des Nachwuchses in wissenschaftlichen und technischen Fächern erhöhen und dafür sorgen, daß die freie Entwicklung der Grundlagenforschung weiteren Auftrieb erfährt. Jede unserer Regierungen wird deshalb die Unterstützung überprüfen, die der wissenschaftlichen und technischen Ausbildung und der Grundlagenforschung zuteil wird.
Nun dürfen allerdings die Dringlichkeit dieser Aufgabe und der hohe Aufwand, den sie erfordert, nicht dazu verführen, daß wir uns auf finanzielle Schätzungen einlassen, die gelegentlich astronomische Ausmaße erreichen. Zu solchen uferlosen Schätzungen kommt es dann, wenn man Wunschvorstellungen realisieren möchte, statt sich auf das Erreichbare zu beschränken. Im Ergebnis dienen mehr oder weniger gigantische Zahlenangaben nicht nur nicht der Sache, sondern sie entmutigen oft gerade diejenigen, die bei der Verwirklichung der vor uns liegenden Aufgaben mithelfen sollen. Wir sollten daher versuchen, realistische, d. h. realisierbare Vorstellungen zu gewinnen, und uns bei allen Planungen vor Augen halten, daß sie auf lange Sicht gelten. Entscheidend scheint mir zu sein, daß wir die Schwerpunkte unserer Not auf diesem Gebiet erkennen und die verfügbaren Mittel dort in zweckmäßigster Weise einsetzen.
Diese Überlegungen führen zu der Frage, ob unsere Bildungseinrichtungen in der heutigen gesellschaftlichen Situation ihre Aufgabe erfüllen. Alle unsere Bildungseinrichtungen sind im 19. Jahrhundert in einer damals noch ständisch gegliederten Gesellschaft geformt worden: die Volksschule als die Schule des Volkes zur Vermittlung von Elementarkenntnissen, darüber die höhere Schule für die gebildeten Stände und darüber die Universität als die Schule der Gelehrten. Die ständische Gliederung ist von der industriellen Massengesellschaft verdrängt worden. In der hochtechnisierten Gesellschaft unserer Zeit ist Bildung in größerem Umfange und für mehr Menschen als früher nötig. Die Nachfrage nach Menschen mit höherer Bildung steigt noch. Das findet seinen Ausdruck in dem Massenansturm auf die höheren Schulen und die Universitäten. Diese Einrichtungen werden, wie es z. B. der Soziologe Schelsky genannt hat, weitgehend als Zuteilungsstellen von besseren Sozialchancen betrachtet und funktionieren auch als solche, was gewiß nicht ihre primäre Aufgabe ist.
Unabhängiig von dieser unerwünschten Funktionsverschiebung ist es eine dringende Forderung, nicht nur einer kleinen Schicht, sondern unserem ganzen Volke ein höheres Maß an Bildung zu vermitteln. Dieser Aufgabe sind unsere Bildungseinrichtungen nicht gewachsen, da sie im wesentlichen ihre innere Struktur aus dem 19. Jahrhundert beibehalten haben. Wie sollen sie aber gestaltet werden, um der Masse unseres Volkes die qualitätsvolle Ausbildung für die modernen Berufe und für das Verständnis der modernen Welt zu geben?
Wir werden, wie mir scheint, um eine neue Überprüfung des Gesamtzusammenhangs nicht herumkommen. Dabei werden wir uns immer vor Augen halten müssen, daß Bildung stets ein individueller Vorgang in Freiheit ist. Der Sinn unserer Überlegungen kann daher im Gegensatz zu allen östlichen Plänen nur der sein, der Freiheit planmäßig Raum zu schaffen.
({1})
In der Erkenntnis der Notwendigkeit einer solchen planvollen Prüfung des Gesamtzusammenhangs hat bereits in der 1. Legislaturperiode der
Bundestag die Anregung gegeben, Bund und Länder möchten gemeinsam einen Ausschuß sachverständiger Persönlichkeiten mit dieser Aufgabe betrauen. Im Herbst 1953 haben daher Bund und Länder den Deutschen Ausschuß für das Erziehungsund Bildungswesen gemeinsam ins Leben gerufen. Nach dem Berufungsschreiben soll der Deutsche Ausschuß „ein von jeder behördlichen Einflußnahme unabhängiger Kreis von Persönlichkeiten sein, die ihr Interesse, ihre Kenntnisse und Erfahrungen ehrenamtlich zur Verfügung stellen, um von einem lediglich auf das Wohl der Gesamtheit gerichteten Standpunkt die Entwicklung des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens zu beobachten und durch Rat und Empfehlung zu fördern." Die Zusammensetzung dieses Ausschusses ist nicht durch die Absicht bestimmt, spezielle Fachkenntnisse zu bündeln, und natürlich erst recht nicht durch die Rücksicht auf Verbände und Interessengruppen. Soweit die Mitarbeit besonders sachkundiger Persönlichkeiten erforderlich ist, wird sie durch Zuziehung von Sachverständigen von Fall zu Fall gesichert.
Aufgabe des Deutschen Ausschusses ist es, eine Gesamtkonzeption des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens zu erarbeiten. Eine Reihe wertvoller Einzelbeiträge und Vorarbeiten hat er abgeschlossen, so u. a. eine Empfehlung zum neunten Schuljahr, zur höheren Schule, zur politischen Bildung und Erziehung, zur Ausbildung der Lehrer an Volksschulen und einiges Weitere. Seine zusammenfassende Darstellung wird leider noch einige Jahre Zeit brauchen. Deshalb haben Bund und Länder in diesen Tagen die Berufung der Mitglieder um fünf Jahre verlängert. Der Deutsche Ausschuß hat sich bewährt; ich möchte seinen Mitgliedern gerade heute und an dieser Stelle für ihre mühevolle, in der Stille geleistete Arbeit aufrichtig Dank sagen.
({2})
Ohne der angekündigten Gesamtkonzeption vorgreifen zu wollen, möchte ich zu einigen Fragenkomplexen Stellung nehmen, bei denen es sich um Notstände von aktueller Bedeutung handelt. Sie sollten in jeder Debatte über das deutsche Bildungswesen als Schwerpunkte gelten.
Zunächst die Schule! Um Bildung in der erforderlichen Breite zu sichern, müssen gute Schulen in der notwendigen Zahl vorhanden sein, und zwar zunächst Grundschulen, die dann zu den verschiedenen Stufen der Fachausbildung weiterführen. Nur auf dieser breiten Grundlage kann sich die Spezialausbildung in ausreichendem Umfang entwickeln.
Für eine gute allgemeine Schulbildung müssen folgende Voraussetzungen geschaffen werden:
Ausbau und Neubau von Schulen aller Stufen. In den neun Jahren von 1948 bis 1957 sind bereits 4,7 Milliarden DM für den Bau allgemeinbildender Schulen und weitere 700 Millionen DM für deren Einrichtung aufgewendet worden. Nach Angaben von Professor Heckel, Frankfurt am Main, im Januar dieses Jahres fehlen hei allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen zur Ablösung des Schichtunterrichts noch 22 000 Klassenräume. Die volle Einführung des 9. Schuljahrs würde zusätzlich noch etwa 11 000 Klassenräume erfordern. Ich will die damit angesprochenen Fragen in finanzieller Hinsicht hier nicht vertiefen. Ich will auch nicht untersuchen, ob in dieser oder jener Stadt nicht mancher andere Bau zugunsten weiterer Schulbauten hätte zurückgestellt werden können.
({3})
Mir ist auch zweifelhaft, ob die Erstellung eines Klassenraums wirklich 100 000 DM, ja sogar bis zu 200 000 DM kosten muß.
({4})
Wenn man bescheiden und sachgemäß baut, kommt man gewiß mit geringeren Beträgen aus. Ich habe oft den Eindruck, daß manche Bauten in unserer Zeit dauerhafter sein würden, wenn man sie weniger aufwendig und weniger unterhaltsbedürftig gestaltete.
({5})
- Bei diesem Stichwort geraten Sie offenbar in Bewegung; aber das, was in Bonn geschieht, ist ja auch von vornherein nicht auf Dauer angelegt worden.
({6})
Die Unterhaltungsbedürftigkeit werden Sie wahrscheinlich nicht bestreiten wollen.
Immerhin ist sicher, daß es sich auf dem Schulbausektor noch um bedeutende Aufwendungen handeln wird.
Ein Wort zur Ausbildung und Besoldung der Lehrer. Sie muß auf allen Stufen der Aufgabe entsprechen, die dem Erzieher in unserer Zeit gestellt ist. Nur wenn wir Ausbildung und Besoldung der Lehrer so zu gestalten vermögen, daß ihr Beruf anziehend ist, werden wir die ausreichende Zahl qualifizierter Lehrer gewinnen.
({7})
- Es handelt sich nicht um die Frage, wie sich der Bundestag oder andere Parlamente bisher in diesem Punkte verhalten haben, sondern es geht darum, was objektiv richtig ist. Dann müssen wir uns darüber unterhalten, in welchem Zeitraum man etwas Derartiges erreichen kann. Wir sprechen, wie Sie aus meinen Darlegungen ersehen, zunächst über die idealen Verhältnisse, und dann bleibt noch Zeit, auf die Einzelheiten zu kommen.
Es muß anerkannt werden, daß die Lehrer vor allem in den hinter uns liegenden Not- und Aufbaujahren zum Teil Bewundernswertes unter schwierigen Umständen geleistet haben.
({8})
Gemessen an den vielerlei Hindernissen, die der freien pädagogischen Entfaltung im Wege gestanden haben, hat die deutsche Schule trotz mancher Unzulänglichkeit im einzelnen einen beachtlichen Ausbildungsstand, und sie genießt auch im Ausland
Ansehen. Dafür gebührt, wie ich glaube, den Lehrern Dank.
({9})
In der augenblicklichen Situation sind sie jedoch überfordert. Im Januar 1958 fehlten - ebenfalls nach Angaben von Professor Heckel, dem ich hier folge - 7000 Lehrer an den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen. Soll das 9. Schuljahr, das jetzt zum Teil probeweise eingeführt ist, in vollem Umfang eingeführt werden, werden weitere 11 500 Lehrer benötigt werden.
Wir stehen auf dem Standpunkt, daß alle Begabungen zur Entfaltung gebracht werden sollen, nicht nur auf dem normalen Ausbildungsweg, sondern auch über den sogenannten und viel diskutierten zweiten Bildungsweg. Hier liegt das Problem darin, die einzelnen Ausbildungszüge gegeneinander durchlässig zu machen. Ich möchte aber davor warnen, diesem Problem eine zahlenmäßig allzu große Bedeutung beizulegen.
Neben der Allgemeinbildung auf den Schulen muß die Erwachsenenbildung, die glücklicherweise frei von allen Berechtigungen ist und hoffentlich auch bleiben wird, als Möglichkeit geistiger Entfaltung der Erwachsenen nachhaltig gefördert werden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Notwendigkeit, Hilfen für die Freizeitgestaltung zur Verfügung zu stellen.
Ich komme zu den Hochschulen. Bei der Hochschule besteht das Problem darin, daß der Andrang der Studenten jährlich zunimmt, während die Zahl
der Hochschullehrer weiterhin völlig unzureichend ist.
({10})
An der Universität München sind z. B. 1400 Germanisten immatrikuliert, für die 3 Ordinarien und 3 Dozenten zur Verfügung stehen. In anderen Fächern sind die Zahlen noch ungünstiger. Die Hochschulkonferenz in Bad Honnef im Jahre 1955 hat daher mit Recht eine wesentliche Vermehrung der Lehrkräfte gefordert. Eine entscheidende Besserung konnte jedoch bisher nicht erreicht werden.
Wenn die Universitäten, die weithin zu Berufsvorbereitungsanstalten und zu Massenunternehmen geworden sind, noch einmal die Chance haben sollen, ihrer Idee zu entsprechen, muß zunächst dafür gesorgt werden, daß die geistige Begegnung zwischen den Studierenden und ihren akademischen Lehrern wieder möglich wird. Dazu muß ein Doppeltes geschehen. Es muß einmal die Zahl der Hochschullehrer entscheidend vermehrt werden. Sodann bleibt aber zu prüfen, ob es weiter bei dem unbeschränkten Zugang jedes Abiturienten zur Hochschule bleiben kann. Es ist offensichtlich, daß zur Zeit zahlreiche Abiturienten die Hochschule besuchen, die nicht wirklich die Hochschulreife mitbringen, d. h. das erforderliche Maß an theoretischer Intelligenz. Diese Studenten überfüllen die Hochschulen und behindern die Begabteren.
Hier sind zwei Lösungen denkbar. Man kann bei unverändertem Abitur die Zulassung zu den Hochschulen beschränken. Das würde bedeuten, daß die Hochschule sich selbst in eine Hochschulzulassungsprüfung die ihr geeignet erscheinenden Studenten aussucht und damit der ärgsten Überfüllung der Hochschule vorbeugt. Eine solche Zulassungsbeschränkung besteht z. B. an den britischen Universitäten. Das Ergebnis in diesem etwa gleich großen Land ist, daß nur halb so viel Studenten wie in der Bundesrepublik studieren. Das ist eine Tatsache, die einen doch etwas nachdenklich stimmen sollte.
Oder man kann - das ist die zweite Möglichkeit - bei unverändert freiem Zugang der Abiturienten zur Hochschule dem Abitur seine ursprüngliche Bedeutung als Hochschulreifeprüfung zurückgeben. Das würde bedeuten, daß die Oberstufe der Gymnasien nur von den Schülern besucht wird, die für ein Hochschulstudium geeignet sind und dieses anstreben. Es würde dann künftig keine Schüler mehr geben, die Primen besuchen, um als Abiturienten in den gehobenen Dienst der Verwaltung oder in vergleichbare Stellen in der Industrie usw. zu gehen. Zur Ausbildung für solche Berufe müßte der Abschluß der Mittelstufe der Gymnasien oder vergleichbare Abschlüsse anderer Schularten genügen.
({11})
Hier müßte dann - ich sage: dann - die Verwaltung bei Bund und Ländern in der Einschränkung des nahezu uferlosen Berechtigungswesens, das auf dem Abitur aufbaut, vorbildlich vorangehen.
({12})
Welche der beiden Lösungen - die beschränkte Hochschulzulassung oder die strengere Auslese im Zugang zum Abitur - man auch wählen mag, immer kommt es darauf an, die Studenten, die keine Hochschulreife haben, von der Hochschule fernzuhalten. Allerdings müßten bei beiden Lösungen die höheren Fachschulen so ausgebaut werden, daß sie den Zuwachs aus der Zahl der nicht mehr zu den Universitäten zugelassenen Schüler aufnehmen könnten.
In diesem Zusammenhang darf ich ein Wort zur Studienförderung sagen. Die wirtschaftliche Situation der Studenten hat sich nach Einführung der Stipendien und Darlehen nach dem Honnefer Modell entscheidend gebessert. In den vergangenen Jahren standen wir der ernsten Situation gegenüber, daß ein großer Teil der deutschen Studentenschaft durch Werkarbeit gehindert war, ausschließlich seinem Studium nachzugehen: 11 % der deutschen Studentenschaft finanzierten ihr Studium ganz und 35 % zum Teil mit Werkarbeit. Zur Behebung dieses Notstandes wurde im Bundeshaushalt ein Fonds von 30 Millionen DM für Stipendien und Darlehen für geeignete und bedürftige Studenten geschaffen. Die Förderung erfolgt nicht nach dem Grundsatz der sozialen Fürsorge, sondern ist dem Bildungsgang auf den Hochschulen angepaßt. Sie beruht nicht allein auf der Bedürftigkeit des Studenten, sondern setzt seine Eignung voraus - mindestens soll es so sein -, die festzustellen Aufgabe der Hochschule ist. Das ist der Kern des sogenannten Honnefer Modells einer hochschulgerechten Studentenförderung.
Mit diesen Bundesmitteln, zu denen Mittel der Länder hinzutreten, konnten etwa 20 % der deutschen Studentenschaft, d. h. also etwa 30 000 StuBundesminister Dr. Schröder
denten, gefördert werden. Außerdem werden durch die Studienstiftung des deutschen Volkes, durch das Evangelische Studentenwerk Villigst, das katholische Cusanus-Werk, die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Stiftung „Mitbestimmung" weitere etwa 2 % der deutschen Studenten gefördert. Weitere 13 % der deutschen Studenten - das sind 21 500 Studenten - erhalten eine Sozialbeihilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz, dem Bundesversorgungsgesetz und dem Heimkehrergesetz, die ihnen ebenfalls ihr Studium erleichtert. Insgesamt werden also etwa 35 070 der deutschen Studenten mit insgesamt etwa 67,6 Millionen DM gefördert.
Über die nötige Zahlengröße gibt es manche Meinungsverschiedenheit. Ich möchte hier aber gerne darlegen, daß sich diese Zahl im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen kann. Ich will und muß hier von den Verhältnissen in der sowjetisch besetzten Zone absehen. Dort wird, wie wir alle wissen, vorwiegend Gesinnungsauswahl betrieben, weil man eine Intelligenzschicht anderer, und zwar äußerst einseitiger, soziologischer Prägung heranziehen will. Ebensowenig können aber hier die britischen Verhältnisse mit den deutschen Verhältnissen verglichen werden, da Großbritannien, wie ich das bereits erwähnt habe, nur halb soviel Studenten wie die gleich große Bundesrepublik hat.
({13})
- Warum wollen Sie das eigentlich bezweifeln? Selbst die Untersuchung, auf die Sie sich gerade bezogen haben, legt das doch dar.
({14})
- Aber Sie haben die Broschüre vorhin zitiert, und aus der ergibt sich, daß, jedenfalls cum grano salis, es bei etwa gleicher Größe der Bevölkerung rund die Hälfte ist. Großbritannien reguliert, wie ich schon sagte, den Zugang zu den Universitäten durch ein bestimmtes Zulassungsverfahren. Die geringere Zahl der dann zugelassenen Studenten wird allerdings relativ weitgehend mit Stipendien gefördert.
Ein wirklicher Vergleich der Verhältnisse ist also nur zwischen der Bundesrepublik und jenen Ländern möglich, die verhältnismäßig annähernd gleich hohe Studentenzahlen haben. Das sind z. B. Finnland, Frankreich, Jugoslawien, die Niederlande, Norwegen und Schweden. Der Durchschnitt für die Stipendienförderung liegt für alle diese Länder gemeinsam bei etwa 20 %. Das ist genau die Zahl, die in der Bundesrepublik durch Förderung von Bund und Ländern erreicht wird, wozu, wie ich erwähnt habe, noch 15 % aus anderen Mitteln hinzutreten.
Die Förderung nach dem Honnefer Modell ist in vollem Umfang erst ab Wintersemester 1957 angelaufen, und die Erfahrungen, die wir in der Kürze der Zeit gemacht haben, sind im allgemeinen befriedigend. An den Hochschulen haben die Förderungsausschüsse mit Ernst und Sorgfalt ihre ganz neue Aufgabe angefaßt. Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, daß es auch Schwierigkeiten gegeben hat, die jedoch überwiegend damit zusammenhängen dürften, daß zuwenig Hochschullehrer vorhanden sind. Nicht ohne Grund ist bei der schon erwähnten Hochschulkonferenz in Bad Honnef neben der Förderung von Studenten auch die Vermehrung der Lehrkräfte an den Hochschulen empfohlen worden, und mit Recht hat die Öffentlichkeit gerade diese Seite der Honnefer Empfehlungen neuerdings mit Nachdruck wieder ins Gedächtnis gerufen. Um so mehr muß unter diesen Umständen die mühevolle Auswahlarbeit anerkannt werden, die die vorhandenen Hochschullehrer zu ihren vielfältigen anderen Aufgaben bewältigt haben.
Für 1958 ist als Bundeszuschuß für die Durchführung des Honnefer Modells ein Betrag von 35 Millionen DM vorgesehen. Über die Einzelheiten dessen, was der Bund für Studenten und Hochschulen tut, unterrichtet eine Denkschrift, die ich in diesen Tagen dem Bundestag und der Öffentlichkeit vorgelegt habe.
Ich wende mich nun den Fragen des technischen Nachwuchses zu. Erlauben Sie mir, daß ich zunächst eine begriffliche Klarstellung gebe. Die Begriffe „technischer Nachwuchs", „naturwissenschaftlicher Nachwuchs", „akademischer Nachwuchs", „wissenschaftlicher Nachwuchs" werden häufig ohne genaue Abgrenzung gegeneinander verwendet. Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich die Begriffe so verwenden, wie sie in der Berufssystematik und in der Berufsstatistik üblich sind. Das maßgebliche Kriterium ist dort die Ausbildung, nicht die spätere Berufstätigkeit.
Man kann danach unterscheiden zunächst einmal den Nachwuchs für wissenschaftliche oder akademische Berufe. Das ist der Nachwuchs für die geisteswissenschaftlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Fächer, der an wissenschaftlichen Hochschulen, an den Universitäten und Technischen Hochschulen, ausgebildet wird. Ein Ausschnitt hieraus ist der naturwissenschaftliche Nachwuchs. Das ist also der Nachwuchs, der in den naturwissenschaftlichen Fächern an den wissenschaftlichen Hochschulen ausgebildet wird. Zur Ausbildung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses gehören nicht die Ausbildungslehrgänge in diesen Fächern an den Fach- und höheren Fachschulen.
Schließlich der technische Nachwuchs. Dieser gliedert sich in drei Gruppen. Die Diplomingenieure werden an den Technischen Hochschulen, die Ingenieure an den Ingenieurschulen und die Techniker an den Fachschulen oder in gleichwertigen Lehrgängen ausgebildet.
Wie sieht nun das Zahlenbild aus? Durch die in der 2. Legislaturperiode im März 1957 von mir vorgelegte Denkschrift über den technischen Nachwuchs ist der damals vom Bundestag geforderte Überblick für Diplomingenieure, Ingenieure und Techniker, zusammenfassend „technischer Nachwuchs" genannt, bereits gegeben. Die Denkschrift ist neuerdings dem Hohen Hause nochmals, als Drucksache 225, zugeleitet worden.
Einen gleichartigen Überblick über die Naturwissenschaftler kann ich noch nicht vorlegen. Die zur Zeit zur Verfügung stehenden statistischen Unterlagen erlauben eine sorgfältige Untersuchung
dieser Frage und die Erarbeitung eines wirklichkeitsnahen Überblicks noch nicht. Bei dem Versuch, das vorhandene statistische Material aufzuarbeiten d. h. es auf vergleichbare Normen zu bringen, hat sich gezeigt, daß es so unterschiedlich ist, daß Vergleiche und eine Zusammenfassung nicht möglich sind. Maßnahmen zur Verfeinerung der Nachwuchsstatistik sind eingeleitet. Mit einem schnellen Abschluß ist wegen der genannten großen Schwierigkeiten leider nicht zu rechnen.
Ich möchte aber hier die wichtigsten Ergebnisse unserer Erhebungen über den technischen Nachwuchs wiederholen: Es ist berechnet worden, daß im Herbst 1956 73 200 Diplomingenieure, 153 100 Ingenieure und 133 700 Techniker vorhanden waren. Dieser Bestand wird unter der Annahme, daß keine zusätzlichen Ausbildungsplätze geschaffen würden, bis 1970 in der Weise zunehmen, daß dann etwa 90 000 Diplomingenieure und 240 000 Ingenieure vorhanden sind. Der wünschenswerte Bestand wird im Jahre 1970, soweit sich die Entwicklung der Bevölkerung und der Industrieproduktion im voraus schätzen läßt, für Diplomingenieure bei etwa 85 000 und für Ingenieure bei etwa 270 000 liegen. Nach diesen Annahmen ist also ein Fehlbestand von etwa 30 000 Ingenieuren zu erwarten.
Aus diesen Berechnungen sind nun in der Denkschrift folgende Folgerungen gezogen worden: Bis zum Jahre 1970 muß die Kapazität der Ingenieurschulen insgesamt um 60 %, speziell im Maschinenbau und in der Elektrotechnik um 100% erhöht werden. Um die Ingenieurausbildung möglichst wirksam werden zu lassen, empfiehlt es sich, zusätzlich folgende Maßnahmen durchzuführen: Zunächst einmal die Vereinheitlichung des Aufbaus der Ingenieurschulen und des Zugangs zu ihnen, zweitens eine ausreichende Besoldung der Dozenten und drittens die Einführung von Stipendien für Studierende an Ingenieurschulen.
Die Errichtung einer weiteren Technischen Hochschule scheint nach diesen Übersichten zunächst nicht erforderlich zu sein. Die Zahl der Studienplätze an den Technischen Hochschulen reicht vorläufig aus. Es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß die Zahl der Studenten, verglichen mit der qualitativen Ausrüstung der Technischen Hochschulen, viel zu hoch ist, d. h. die Qualität der Ausbildung leidet unter ungenügender Ausrüstung. Eine vordringliche Aufgabe ist es daher, die Technischen Hochschulen so auszustatten, daß die Zahl der Lehrkräfte und die Einrichtung der Hochschulen den Studierendenzahlen entsprechen. Im einzelnen sind folgende Maßnahmen erforderlich: eine Erhöhung der Zahl der Assistenten und eine Neueinrichtung von Lehrstühlen. Eine wesentliche Erhöhung der Stipendien für Studenten ist inzwischen durch das Honnefer Modell bereits erreicht worden.
Der Technikerausbildung auf den Fachschulen kommt in Zukunft eine besondere Bedeutung zu. Auch hier ist eine Erweiterung der Ausbildungsmöglichkeiten notwendig. Dabei wird man prüfen müssen, inwieweit die Industrie die Ausbildung von
Technikern dadurch unterstützen kann, daß sie den Besuch von Tagesfachschulen erleichtert.
Zusammenfassend möchte ich zu diesem Kapitel sagen: Das Schwergewicht des Bedarfs liegt bei dem Ausbau der Ingenieurschulen. Dazu hat der Bund den Ländern, und zwar mittelbar durch Übernahme eines Teils der Lasten des Königsteiner Abkommens, im Jahre 1957 den erheblichen Betrag von 22 Millionen zur Verfügung gestellt. Es ist beabsichtigt, die gleiche Regelung für das Rechnungsjahr 1958 zu wiederholen. Weitere Mittel für Ingenieurschulen und für Ingenieurstudenten haben das Bundesatomministerium - 7,15 Millionen DM 1958 -, das Bundeswirtschaftsministerium - 5,5 Millionen DM Kredit für den Ausbau von Ingenieurschulen - und das Bundespostministerium - Einrichtung einer eigenen Ingenieurschule in Berlin - zur Verfügung gestellt.
Die Länder werden im Mai dieses Jahres mitteilen, in welchem Umfange sie auf Grund der Bundeshilfe die Kapazität ihrer Ingenieurschulen erweitern konnten. Ich bin überzeugt, daß schon jetzt wichtige Fortschritte erzielt wurden. Allein im Land Nordrhein-Westfalen sind in den beiden letzten Jahren drei neue Ingenieurschulen erbaut und andere Ingenieurschulen ausgebaut worden, wodurch sich die Kapazität der Ingenieurschulen um 51 Klassen bzw. 1530 Studienplätze erweitert hat. Für das Rechnungsjahr 1958 ist eine weitere Verstärkung um 19 Klassen bzw. 570 Plätze geplant. Aus einer Übersicht, die wir wahrscheinlich im Mai verfeinert werden vorlegen können, ergibt sich, daß allein von 1956 auf 1957 die Ingenieurschulenkapazität um etwa 16 % gesteigert worden ist. - Ich sehe, daß der Kollege Ratzel hier zweifelnd den Kopf schüttelt. Ich werde ihm nachher mal diese Zahlen im einzelnen geben.
Was den Ingenieurnachwuchs angeht, so wird er bereits im Rahmen der Studentenförderung nach dem Honnefer Modell gefördert, soweit er an den wissenschaftlichen Hochschulen ausgebildet wird. Bund und Länder sind sich darin einig, daß auch die Studierenden an den Ingenieurschulen eine Förderung brauchen. In welchem Umfang geholfen werden muß, kann erst nach genauem Studium der in. zwischen vorgelegten Sozialerhebung unter den Studierenden dieser Schulen gesagt werden. Die Förderung setzt voraus, daß von den dafür zuständigen Stellen ein Förderungsmodell entwickelt wird, das den Verhältnissen dieser Ausbildungsstätten angemessen ist. Die Erörterungen über ein sogenanntes Rhöndorfer Modell sind im Gange. Die Überlegungen sind aber noch keineswegs abgeschlossen. Anderslautende Meldungen sind verfrüht. Deswegen weiß ich auch nicht, ob die von den Studenten beabsichtigte Taufe ausgerechnet als ,,Rhöndorfer Modell" die letzte Bezeichnung dieser neuen Einrichtung bleiben wird. Aber Herr Kollege Ratzel hat so viel Sympathie für den Namen zum Ausdruck gebracht, daß es sich vielleicht empfiehlt, dabei zu bleiben.
({15})
- Ja, ich hoffe, Sie werden dann auch dem Namen zustimmen.
Für die Förderung der Studierenden an den Ingenieurschulen wie den anderen Fachschulen und höheren Fachschulen durch unmittelbare Zuwendungen sind allein die Länder zuständig. Im Hinblick hierauf und wegen der Besonderheit der Ausbildung dürfte die Einbeziehung in das Honnefer Modell nicht in Betracht kommen. Sollte sich ergeben, daß den Ländern die für die Förderung erforderlichen Mittel nicht in vollem Umfange zur Verfügung stehen, müßte geprüft werden, ob und in welchem Umfange eine Entlastung der Länder etwa durch ein zweites Verwaltungsabkommen über den Ausbau der Ingenieurschulen ermöglicht werden könnte.
Das, was ich soeben sagte, gilt mutatis mutandis auch für die Förderung der Studierenden an den Pädagogischen Hochschulen und Ausbildungsstätten.
Bereits jetzt werden von einzelnen Bundesressorts, ihrer besonderen Aufgabe entsprechend, folgende Leistungen für die Förderung des Nachwuchses an Ingenieurschulen erbracht:
Das Bundesatomministerium stellt für die Förderung der Studierenden an den Ingenieurschulen in den Jahren 1957 und 1958 zusammen rund 3 Millionen DM zur Verfügung.
Die Deutsche Bundesbahn gewährt Beihilfen an geeignete Studierende zur Sicherstellung des gehobenen technischen Dienstes; es wurden 1956 115 000 DM und 1957 385 000 DM aufgewendet, und für 1958 sind 450 000 DM vorgesehen.
Ähnlich unterstützt der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen laufend solche Studierende an Ingenieurschulen, die sich verpflichten, in den Dienst der Bundespost zu treten. Insoweit ahmt der Staat nur das nach, was die Wirtschaft ihrerseits in großem Umfang betreibt und was sich ja bis zum Deutschen Gewerkschaftsbund hin gut eingeführt hat.
Auch der Bundesminister für Verteidigung hat für seinen Bereich für das Haushaltsjahr 1958 einen Ansatz von 138 000 DM als Studienhilfe für Fachschüler höherer technischer Lehranstalten eingebracht.
An den Ingenieurschulen - das ist ein weiterer Punkt, der in der Großen Anfrage behandelt wird - studieren z. Z. etwa 450 Ausländer, darunter nach unseren Zahlen ein Drittel Studierende aus Entwicklungsländern. Herr Kollege Ratzel war so freundlich, diese Zahlen etwas zu erhöhen. Sollten seine Zahlen hier richtiger sein, würde ich mich beeilen, zuzustimmen. Die Zahl der ausländischen Studierenden an diesen Schulen ist nicht nur wegen der wenigen verfügbaren Plätze gering, sondern vor allem auch deswegen, weil die seminaristische Art des Unterrichts die vollkommene Beherrschung der deutschen Sprache verlangt. Herr Kollege Ratzel hat hierzu ausgeführt, wenn die Leute eben nicht Deutsch könnten, müsse man sich hier sehr um sie bemühen, daß sie Deutsch lernten. Nun kann das unmöglich gleichzeitig die Aufgabe des
Unterrichts an solchen Anstalten sein. Ich möchte darauf hinweisen, daß diejenigen von uns, die einmal den Vorzug gehabt haben, im Ausland zu studieren, sich auch ihrerseits sehr darum bemüht haben, wenigstens mit einem Minimum von Sprachkenntnissen in einem fremden Land anzukommen, in dem man Ausbildungseinrichtungen - doch wohl auch zu seinem eigenen Vorteil - benutzen möchte.
Das Auswärtige Amt vergibt 60 Stipendien, um jungen Ausländern ein Studium an Ingenieurschulen und höheren Fachschulen in Deutschland zu ermöglichen. Es befinden sich darunter 22 Angehörige von Entwicklungsländern. Für diesen Zweck werden 1957 wie 1958 je 250 000 DM aufgebracht.
Es ist zu erwarten, daß die Erweiterung der Studienplätze an Ingenieurschulen auch eine erweiterte Studienmöglichkeit für ausländische Studierende mit sich bringt.
Ich komme nun schließlich zur Frage der Wissenschaftsförderung. Neben die Aufgaben der Schul- und Hochschulbildung tritt mit gleicher Dringlichkeit die Wissenschaftsförderung.
Bildung und Wissenschaft sind ein Ganzes; infolgedessen müssen sich Bildungspolitik wie Wissenschaftsförderung auch auf das Ganze richten. Ich würde es für verfehlt halten, einige Spezialfächer, z. B. nur die Naturwissenschaften, mit Rücksicht auf besondere Tagesinteressen bevorzugt zu fördern und darüber zu vergessen, daß eine ausreichende Zahl von g fiten Schulen zugleich die beste Voraussetzung für Spezialausbildung bedeutet.
Notwendig ist daher die Förderung unserer Bildungseinrichtungen insgesamt und im Wissenschaftsbereich die Förderung sowohl der Geisteswissenschaften als auch der Naturwissenschaften. Die Bundesregierung hat daher bisher auch keinen Unterschied in der Förderung der geisteswissenschaftlichen und der naturwissenschaftlichen Fächer gemacht. Infolgedessen kann ich keine Auskünfte erteilen, die sich lediglich auf die technischen Bildungseinrichtungen beziehen, sondern ich muß in einigen Fällen Antworten geben, die sich sowohl auf die Förderung der Geistes- als auch auf die der Naturwissenschaften beziehen.
Eine Denkschrift der Bundesregierung über die Entwicklung der Aufwendungen für Forschung, Lehre und Studium ist nicht geplant. Vielmehr wird über den derzeitigen Stand der Wissenschaft in Deutschland der Plan, den der Wissenschaftsrat vereinbarungsgemäß zu erarbeiten hat, die nötige Auskunft geben. Der Wissenschaftsrat hat, wie das Hohe Haus weiß, inzwischen seine Arbeit aufgenommen. Er wird sich bei der Aufstellung des Gesamtplans auch der Unterlagen bedienen, die ihm die Statistik liefert. Ich habe vorsorglich - und nicht zuletzt auch im Hinblick auf die von mir im Dezember 1956 dem Hohen Hause mitgeteilten Zahlen, für die nur sehr unvollkommene Unterlagen zur Verfügung standen - die erforderlichen Maßnahmen zur Verfeinerung der Wissenschaftsstatistik eingeleitet.
In einer Sitzung am 14. Januar 1958, an der u. a. die Vertreter der interessierten Bundesressorts, des Statistischen Bundesamts, der Kultusministerien der Länder, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Weltwirtschaftsinstituts in Kiel und des Stifterverbandes sowie der Leiter des Statistischen Amtes der Niederlande teilnahmen, wurden die Grundlagen festgelegt, auf denen künftig weiter gearbeitet werden soll. Es wurde ein Arbeitsausschuß eingesetzt, der im Rahmen dieser Richtlinien Vorschläge zur Verbesserung und Vervollkommnung der Wissenschaftsstatistik erarbeiten wird. Das Ziel soll eine Statistik sein, die jederzeit einen Überblick über die Höhe der Aufwendungen des Staates - des Bundes, der Länder und auch der Gemeinden - und der nichtöffentlichen Hand für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung ermöglicht. Auch soll geprüft werden, inwieweit ein internationaler Vergleich möglich ist; nach übereinstimmender Meinung der Sachkenner bestehen für ihn zur Zeit noch besonders große Schwierigkeiten, so daß wir alle ausländischen Vergleichszahlen immer nur mit großer Umsicht und Vorsicht gebrauchen dürfen.
Es kann nun nicht meine Aufgabe sein, heute schon die Schwerpunkte der Wissenschaftsförderung zu bezeichnen. Das ist und soll sein Aufgabe des Wissenschaftsrates. Ich möchte ihm in der Aufstellung seines Programms nicht vorgreifen. Entsprechend dem Grundsatz, daß Natur- und Geisteswissenschaften in gleicher Weise gefördert werden müssen, wird sich dieses Programm auf beide Wissenschaftszweige beziehen.
Folgende Zahlen mögen dazu dienen, einen Überblick über die Mittel zu geben, die in den letzten Jahren für die Förderung der Wissenschaft in der Bundesrepublik aufgewendet worden sind.
Nach einer Sonderuntersuchung des Statistischen Bundesamtes haben sich die Aufwendungen des Bundes von 145,2 Millionen DM im Rechnungsjahr 1955 auf 328,9 Millionen DM nach dem Haushaltsplan 1956 erhöht. Im Haushaltsplan 1957 sind die Aufwendungen auf 572,9 Millionen DM gesteigert worden.
Die Aufwendungen der Länder sind von 892,9 Millionen DM im Rechnungsjahr 1955 auf 960,3 Millionen DM nach den Haushaltsplänen 1956 gestiegen; in diesen Zahlen sind auch die Ausgaben für Ingenieurschulen enthalten. Für das Rechnungsjahr 1957 liegen Zahlen noch nicht vor. Die Aufwendungen dürften sich jedoch nach Schätzungen weiter um rund 100 Millionen DM erhöht haben.
In den genannten Zahlen enthalten sind die Aufwendungen der Länder im Rahmen des Königsteiner Abkommens; sie haben sich von 43,2 Millionen DM im Jahre 1955 auf 48,3 Millionen DM im Jahre 1956 und auf 53 Millionen DM im. Jahre 1957 erhöht. An dem letztgenannten Betrag ist der Bund, wie ich das erwähnt habe, mit rund 22 Millionen DM beteiligt.
Die Aufwendungen der Gemeinden für die Förderung der Wissenschaft einschließlich ihrer Zuweisungen an die Länder, die durchschnittlich 13 bis 15 Millionen DM betragen - beliefen sich im Rechnungsjahr 1954 auf 35,4 Millionen DM, im Rechnungsjahr 1955 auf schätzungsweise 36 bis 38 Millionen DM.
Aus dem Bereich der gewerblichen Wirtschaft stehen mir nur einige vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft genannte Zahlen zur Verfügung. Danach betrugen die Aufwendungen der gewerblichen Wirtschaft ohne die Aufwendungen der wirtschaftseigenen Forschung im Rechnungsjahr 1954 34 Millionen DM, im Jahre 1956 44 Millionen DM. Die Aufwendungen der gewerblichen Wirtschaft für die betriebseigene Forschung und Entwicklung betrugen im Jahre 1956 rund 750 Millionen DM. Für die verbandsgemeinschaftliche Forschung brachte die gewerbliche Wirtschaft 1956 rund 42 Millionen DM auf.
Meine Damen und Herren! Bei dem derzeitigen Stand der statistischen Auswertung dieses Zahlenmaterials können keine Angaben darüber gemacht werden, wie sich die genannten Beträge auf die einzelnen Bereich der Wissenschaftsförderung -Forschung, Lehre, Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften, Nachwuchsförderung usw. - aufteilen. Es erscheint zweifelhaft, ob bei der engen Verbindung, die zwischen den genannten Bereichen, insbesondere zwischen Forschung und Lehre, besteht, eine Aufgliederung künftig möglich sein wird. Eine solche Aufgliederung würde eine restlose Aufteilung aller Haushaltsansätze in Teilansätze für die einzelnen Bereiche notwendig machen. Das dürfte aber schon deshalb unmöglich sein, weil die bereitgestellten Mittel vielfach der Förderung mehrerer der genannten Bereiche der Wissenschaft zugleich dienen sollen. Im übrigen würde eine bewegliche und wirksame Förderung der Wissenschaft durch eine derartig spezifizierte Aufteilung erschwert. Das ist auch die Ansicht der Kultusminister der Länder.
Ob, auf welchen Gebieten der Wissenschaft und in welchem Umfang ein „gefährlicher" Rückstand aufzuholen ist, wie die Große Anfrage etwas pessimistisch meint, werden die Erhebungen des Wissenschaftsrates ergeben. Seine Aufgabe ist nicht etwa die Verteilung von im Bundeshaushalt bereitgestellten Mitteln, sondern es obliegt ihm, neben der Aufstellung von jährlichen Dringlichkeitsprogrammen in erster Linie einen Gesamtplan für die Förderung der Wissenschaften zu erarbeiten und hierbei die Pläne von Bund und Ländern aufeinander abzustimmen. Der Wissenschaftsrat hat sich dieser Aufgabe mit besonderer Dringlichkeit angenommen und zunächst umfangreiche Erhebungen im Gesamtbereich der Wissenschaft eingeleitet.
({16})
- Jedenfalls arbeitet der Wissenschaftsrat.
Die Sichtung und Auswertung des eingehenden Materials wird sicher einige Zeit in Anspruch nehmen. Dabei bietet die Zusammensetzung des Wissenschaftsrates die Gewähr für eine denkbar umfassende und sachverständige Betrachtung und Beurteilung des ermittelten Tatbestandes.
Vielleicht darf ich hier eine Zwischenbemerkung machen. Der Herr Kollege Ratzel hat sich hinsichtlich der Zusammensetzung des Wissenschaftsrates so besorgt gezeigt. Ich habe mir inzwischen noch einmal die Liste angesehen und finde in ihr Namen sehr prominenter Sozialdemokraten, so daß ich seine Sorgen wegen der Zusammensetzung nicht so ganz verstehen kann.
({17})
- Das finde ich großartig!
({18})
- Daraus kann ich nur folgendes entnehmen. Sie scheinen zu einem sozialdemokratischen Kultusminister nicht mehr Vertrauen zu haben als zu anderen Kultusministern. Ob ich dieses Faktum positiv oder negativ werten soll, will ich jetzt einmal offenlassen.
({19})
Aber Sie wissen, daß die Meinung der Bundesregierung dahin gegangen ist - und hoffentlich werden wir dafür anschließend Ihr Lob bekommen -, in diesem Rat nun nicht etwa im Endeffekt nur die „Bürokraten" überwiegen zu lassen, sondern der Wissenschaft eine sehr unabhängige Rolle erster Ordnung dabei zukommen zu lassen. In dieser Absicht sind wir durch die Länder und ihre besonderen Auffassungen etwas beeinträchtigt worden. Ich will das hier gar nicht kritisieren, aber möchte einmal sagen: hier fallen Gerechte und Ungerechte nach beiden Seiten ziemlich gleichmäßig aus, wenn man zwischen Regierung und Opposition als Gerechte oder Ungerechte - aber bitte: verteilen Sie die Akzente wie Sie wollen - überhaupt unterscheiden kann.
Sobald der Gesamtplan des Wissenschaftsrats fertiggestellt ist, werden uns authentische Unterlagen über Stand und Entwicklungsnotwendigkeiten für Forschung, Lehre und Studium vorliegen, wie wir sie auf andere Weise kaum hätten erhalten können. Ich bin hier also doch etwas optimistischer, als es der Kollege Ratzel für sich zum Ausdruck gebracht hat.
Bund und Länder haben sich gegenseitig verpflichtet, „die Empfehlungen des Wissenschaftsrates bei der Aufstellung ihrer Haushaltspläne im Rahmen der haushaltsmäßigen Möglichkeiten zu berücksichtigen". Ich darf daher die Hoffnung aussprechen, daß es auf Grund der Arbeit des Wissenschaftsrates möglich sein wird, künftig die gesamte Wissenschaftsförderung in Bund und Ländern auf eine neue Grundlage zu stellen. Ich sage: ich spreche die Hoffnung aus; denn es ist ein großes Unterfangen, was ich damit angedeutet habe.
Die von mir genannten Zahlen dürften im übrigen gezeigt haben, daß Bund und Länder bemüht waren, ihre Leistungen für die Förderung der Wissenschaft wirksam zu steigern. Die gleiche Tendenz zeigt auch der von der Bundesregierung vorgelegte Haushaltsplan für das Jahr 1958. Ich darf z. B. darauf hinweisen, daß die Bundesregierung beabsichtigt, die Aufwendungen meines Ressorts für die Förderung der Wissenschaft von 172,3 Millionen DM im Haushaltsjahr 1957 auf voraussichtlich - ob das verwirklicht wird, wird an dem Hohen Hause liegen -186,5 Millionen DM im Haushaltsjahr 1958 und die Aufwendungen des Bundesministers für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft für diesen Zweck von 58 Millionen DM im Haushaltsjahr 1957 auf rund 82 Millionen DM im Haushaltsjahr 1958 zu erhöhen.
Falls aus der Veräußerung von gewerblichem Bundesvermögen, über die zur Zeit gesprochen wird, wesentliche Mittel anfallen, muß erörtert werden, in welchem Umfang diese Erträge für die Förderung der Wissenschaft und des technischen Nachwuchses verwendet werden können. Ich verweise auf die dem Hohen Haus vorliegenden Anträge, die das Volkswagenwerk betreffen und zur Zeit in den Ausschüssen beraten werden, ohne daß ich in diesem Zusammenhang näher auf die einzelnen Pläne eingehen kann.
Meine Damen und Herren, was ich hier vorgetragen habe, ist in knappen Strichen die Situation unserer Bildungseinrichtungen, und dies sind ihre drängendsten Nöte.
Uns ist im Hinblick auf das Ganze ein bemerkenswerter Wiederaufbau auf vielen Gebieten, insbesondere dem unserer Wirtschaftskraft, gelungen. Wir werden sicher die Frage stellen, ob dem äußeren Aufbau heute schon ein annähernd vergleichbarer Aufbau unserer geistigen Kräfte zur Seite gestellt werden kann. Ich meine, daß dieser innere Aufbau zu einem großen Teil erst noch zu leisten sein wird.
Sein Gelingen hängt in erster Linie davon ab, daß die erforderlichen geistigen Kapazitäten tatsächlich vorhanden sind und daß ihnen, sofern sie uns geschenkt sind, die freie Entfaltungsmöglichkeit gegeben wird, die weitblickende Regierungen in vergleichbar schwierigen Zeiten früher solchen Kräften auf deutschem Boden gewährt haben. Das Vorbild der preußischen Kulturpolitik in der Reformzeit, die von dem Gedanken getragen war, das Land müsse materielle Verluste durch Ausbau im geistigen Bereich wettmachen, ist auch 150 Jahre später noch aktuell und ebenso verpflichtend für uns.
Die ernste Situation unseres Bildungswesens erfordert ein rasches, ein energisches, vor allem aber ein gemeinsames Handeln. Bund und Länder sollten sich darüber verständigen, wie sie hierbei die Aufgaben sinnvoll untereinander verteilen können. Den heutigen und den künftigen Aufgaben werden wir nur gewachsen sein, wenn wir zu einer praktischen Abgrenzung der Aufgabenbereiche von Bund und Ländern gelangen. Die Grundlage hierfür müßte ein Katalog der Aufgaben sein, die allein von den Ländern oder die allein vom Bund und schließlich die von Bund und Ländern gemeinsam geleistet werden sollen.
Bei einer derartigen Abgrenzung muß von vornherein klar sein, daß es sich hierbei nicht um ein
Problem des Finanzausgleichs handelt. Die primäre Frage ist die der Sachzuständigkeit. Demgegenüber ist die Frage des Finanzausgleichs sekundär.
Lassen Sie mich nun noch einige abschließende Bemerkungen machen.
Seit sechs Monaten zeigen uns die sow jetrussischen und die amerikanischen Erdsatelliten wieder einmal geradezu wie in einem Lehrstück, was wir längst wußten oder doch wissen konnten: daß auf die Dauer eben doch dem Denken die größte Sprengwirkung zukommt. Für die sowjetrussischen Schulen werde ihre Sputniks wahrscheinlich ein sichtbarer Triumph der Forderung Lenins sein: Lernen, lernen, lernen! Für die Amerikaner sind sie dagegen eine Mahnung, zu prüfen, ob ihre heutige Spitzenstellung durch Mängel ihres eigenen Bildungs- und Erziehungssystems ernsthaft bedroht ist. Die Amerikaner haben einen berechtigten Zweifel daran bekommen, ob sie nicht doch lieber etwas weniger „Lebenskunde" - life adjustment - und dafür lieber etwas mehr Mathematik, Sprachen und Naturwissenschaften lehren und lernen sollten.
Und welche Gedanken müssen dabei uns Deutsche bewegen? Unsere innere und äußere Geltung kann als dauerhafte Grundlage nur unsere geistige Leistung auf allen uns zugänglichen Gebieten haben. Wir vertrauen einstweilen darauf, daß unserem Volk seine Begabung auf diesem vornehmsten Gebiet menschlicher Betätigung erhalten geblieben ist und daß sie nur etwas systematischer gerufen werden muß, um eines Tages wieder in genügender Breite und Tiefe sichtbar zu werden.
({20})
Der offensichtliche Mangel an qualifiziertem Hochschullehrernachwuchs, der auch durch unbesetzte Lehrstühle nachdrücklich dokumentiert wird, laßt uns zur Zeit nicht unbesorgt sein. Das sind nicht nur Fragen der Bezahlung, meine Damen und Herren, und nicht nur Fragen unzureichender Arbeitsstätten usw.; dahinter verbirgt sich auch ein sittliches Problem. Es wäre, wie ich glaube, unserem Volke zu wünschen, daß es etwas weniger den äußeren technischen Glanz des wirtschaftlichen Aufschwungs bewundern
({21})
und statt dessen wieder den kargeren Ausdruck der unvergänglichen geistigen Substanz schätzen lernte. Auf manche Verzierung können wir getrost verzichten, wenn dadurch der Entwicklung der Substanz geholfen werden kann.
({22})
Wir ergehen uns seit einiger Zeit, auch hier in diesem Hohen Hause, in mancherlei, oft dramatischen Spekulationen über die deutsche Zukunft. Wahrscheinlich gehört das zu unserem Nationalcharakter und auch zu unserer derzeitigen besonderen Lage. Aber ich meine, wir sollten vielleicht etwas weniger über unsere Zukunft spekulieren, sondern etwas mehr dafür tun.
({23})
Es wäre ein schöner Erfolg dieser Debatte. ({24})
Meine Damen und Herren, die Große Anfrage ist beantwortet. Soll in eine Beratung eingetreten werden?
({0})
- Wird der Antrag unterstützt? - Von Ihrer Fraktion!
Dann treten wir in eine Beratung der Antwort ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gehört beinahe zur Tradition dieses Hohen Hauses, daß kulturpolitische Debatten mit einer verfassungsrechtlichen Diskussion begonnen oder beendet werden. Dabei pflegt man die Bestimmungen des Grundgesetzes zu dehnen oder zu pressen, je nachdem, wie es für die augenblicklichen Vorstellungen und Ziele zweckmäßig und geeignet erscheint.
Die Große Anfrage der SPD enthält Fragen, für deren Beantwortung und Lösung der Bund, aber auch Fragen, für deren Beantwortung und Lösung die Länder zuständig sind. Was der Herr Bundesinnenminister für die Regierung zur Frage der Zuständigkeit gesagt hat, ist, meine ich, vernünftig und für das Parlament sicher in gleicher Weise gültig. Niemand wird es diesem Hohen Hause verwehren wollen, als Partner an kulturpolitischen Erörterungen teilzunehmen, deren Ergebnisse letztlich entscheidend für den Bestand unseres Volkes sein werden.
Es ist eine richtige und allgemeine Erkenntnis, daß die Kraft der inneren Ordnung eines Staates davon abhängt, was in den Familien und in den Kirchen für die sittliche Erziehung und was in den Schulen, auf den Universitäten und in den übrigen Bildungseinrichtungen der Gesellschaft für die Bildung wie für die Ausbildung geleistet wird.
Die Auseinandersetzung nun, die seit 1945 die Weltpolitik bestimmt, ist in ihrem Wesen geistiger Natur und wird deswegen letzlich auch im geistigen Bereich entschieden werden. Es mag eine Zeit gegeben haben, in der man kulturpolitische Fragen unter dem Aspekt behandeln konnte, was man anständigerweise mit dem Geld, das erübrigt werden konnte, anfange. Es mag eine Zeit gegeben haben, in der über die allgemeine Bildung des Volkes, über die höhere Bildung der Gebildeten und über die Universität als Reservat der Gelehrten noch von einer ständisch gegliederten Gesellschaft her beraten und beschlossen werden konnte. Diese Zeiten sind endgültig vorbei. Die gesellschaftliche Entwicklung ist weit darüber hinausgewachsen.
Diese Zeiten sind aber auch vorbei, seit der Kampf und die Politik in der Welt darum gehen, ob das personale Menschenbild geschichtsmächtig bleibt, ob sich der Mensch als Person auch weiterhin gegen die Organisatoren säkularer Ideologien zu behaupten vermag oder ob der Mensch, im Kollektiv organisiert, seiner Freiheit und damit seines
Dr. Heck ({0})
Rechts auf Selbstbestimmung seiner Daseinsweise beraubt, zum Funktionär einer determinierenden Anthropologie und Geschichtsbetrachtung degradiert wird. Das ist in erster Linie, ich wiederhole es, ein geistiger Kampf. Dieser Kampf wird jedoch von sowjetischer Seite mit allen Mitteln, die nun einmal einem totalitären Staate zur Verfügung stehen, geführt. Es ist deswegen nicht möglich, den totalen Anstrengungen Sowjetrußlands, die Welt für den Leninschen Sozialismus zu erobern, einseitig begegnen zu wollen.
Die außenpolitischen, die wehrpolitischen und die wirtschaftspolitischen Anstrengungen Sowjetrußlands sind gewaltig. Sie sind aber nur möglich und können von den Machthabern im Kreml dem russischen Volk nur aufgebürdet worden, weil die kulturpolitischen Antrengungen nicht minder gewaltig sind. In den Schulen Sowjetrußlands wird die Grundlage nicht nur für die Ausweitung der technischen und damit der wirtschaftlichen Macht gelegt, hier wird auch vom Kindergarten bis zur Universität die historisch-materialistische Geschichtsbetrachtung zur Grundlage jeder Erziehungs- und Bildungsarbeit gemacht. Hier wird der fanatische Glaube an die endzeitlich bestimmte welthistorische Sendung des Sowjetvolkes erzeugt, der Glaube, der die eigentliche Wurzel für die Macht ist, die nach der Revolution von 1917 zunächst das Schicksal der russischen Völker und seit 1945 das Thema der Weltpolitik bestimmt. In diesem Punkt hat sich in der sowjetischen Politik mit Sicherheit nichts geändert.
Die Welt steht heute unter dem Eindruck der gewaltigen wirtschaftlichen und militärischen Leistungen des Sowjetstaates. Alle Bemühungen konzentrieren sich mit Recht darauf, die militärischen Massenvernichtungsmittel, die unsere Welt in angstvoller Besorgnis halten, zu beseitigen. Darüber wird leicht übersehen, .welch gewaltige geistige Macht in 40jähriger kommunistischer Erziehungsarbeit dort. Wirklichkeit geworden ist, eine Arbeit, die alle Bereiche des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens in einem totalen Sinne umfaßt. Diese geistige Macht bestimmt Zielsetzung, Methodik und Strategie der sowjetischen Politik, und sie wird auch dann noch wirksam sein, wenn einmal durch eine allgemeine und kontrollierte Abrüstung der nuklearen wie der konventionellen Waffen die militärischen Mittel in der Politik ihre Bedeutung verloren haben. Da die geistige Macht Sowjetrußlands häufig entweder nicht gesehen oder unterschätzt wird, aber gerade diese Macht auf alle Fälle noch für lange Zeit geschichtsbestimmend sein wird, deswegen erlauben Sie mir, daß ich mich darüber noch etwas eingehender äußere.
Im Sowjetstaat hat der Mensch den größten und gewaltsamsten Versuch unternommen, eine neue Herrschaft aufzurichten. Er will einen Gedanken verwirklichen, mit dem der Atheismus Europas nur gespielt hat: er will die Welt ohne Gott. Das unterscheidet den Sowjetstaat von unserem Europa und von der freien Welt. Diese neue Herrschaft fordert einen anderen als den geschichtlichen Menschen. Der Sowjetstaat will deswegen einen neuen Menschen züchten. So fordert die sowjetische Anthropologie zwangsläufig ihre eigene Pädagogik, die Inhalt und Methodik der Bildung wie der Ausbildung auf sämtlichen Stufen des Erziehungs- und Bildungswesens total bestimmt. Ogorodnikow hat die Sowjetpädagogik formuliert, die dogmatische Gültigkeit nicht nur in der Sowjetunion hat, sondern auch in allen Satellitenstaaten. Er sagt:
Wenn wir sagen, daß die Schule die Aufgabe hat, eine Generation zu erziehen, die fähig ist, endgültig den Kommunismus zu errichten, dann bezeichnen wir mit dem Begriff Erziehung den ganzen Inhalt der Heranbildung eines neuen Menschen, d. h. eine Ausbildung mit einem bestimmten System wissenschaftlicher Kenntnisse und Fertigkeiten, die Formung des kommunistischen Bewußtseins und Verhaltens und die Entwicklung der physischen und geistigen Kräfte und Talente.
Kolonitzky hat 1952 die Auffassung über kommunistische und religiöse Moral, die das sowjetische Erziehungswesen bestimmt, wie folgt formuliert:
Sittlich ist, was der Zerstörung der alten Ausbeutergesellschaft dient und dem Zusammenschluß aller Werktätigen um das Proletariat, das die neue kommunistische Gesellschaft errichtet.
Dieser Wille, einen neuen Menschen zu züchten, wird auch der Familie aufgezwungen. Das parteiamtliche Lehrbuch von Jessipow und Gontscharow sagt dazu:
Da der Erziehungsvorgang ein Vorgang ist, der sich dem Lebensalter entsprechend in verschiedenen Bereichen abspielt, beginnend mit der Familie in den ersten Lebensjahren, fortgesetzt durch Kindergarten, Kinderkrippe und erst dann von der Schule übernommen wird bzw. später von den verschiedenen Schulen, die zur Fachschule, zur Hochschule hinführen, muß eine Einheitlichkeit in der Erziehung angestrebt werden, die verhindert, daß etwa die Familie anders erzieht als der Kindergarten.
({1})
Dieser Erziehungswille ist bestimmt von der Idee und Größe des Proletariats und seiner Macht und beherrscht von dem Glauben an diesen neuen Messias, der berufen ist, das irdische Reich zu gestalten. Hier wird die Kraft angebetet, aus der heraus der Mensch als sozialisiertes Wesen zum mächtigen Organisator des Lebens und zum Konstrukteur der neuen gesellschaftlichen Ordnung wird. Dieser Wille ist von dem Glauben getragen, daß die menschliche Gesellschaft nur so ihre höchste Macht erreichen und das menschliche Leben nur so sich endgültig organisieren und rationalisieren könne.
In den sowjetischen Schulen werden nicht nur Hunderttausende von Wissenschaftlern, Ingenieu1242
Dr. Heck ({2})
ren und Technikern ausgebildet; in diesen Schulen wird auch seit 40 Jahren mit immer größerem Erfolg systematisch jener neue Mensch gezüchtet, den der Sowjetstaat braucht und der nach der Absicht der Machthaber nur noch einem Gedanken leben und nur für eine Aufgabe arbeiten darf: als Vollender der geschichtlichen Entwicklung die Welt für den Sozialismus zu erobern.
Täuschen wir uns nicht: die Kraft, die den Willen des Sowjetstaats trägt, ist so groß und so mächtig, wie seine Wirtschaft und die Rote Armee mächtig sind. Wenn wir und die freien Völker zusammen nicht bereit und nicht in der Lage sind, in Freiheit mehr für den Ausbau unserer Wirtschaft, für die Stabilisierung unserer sozialen Ordnung, für die Bildung und Ausbildung unserer Jugend zu tun, eben um unsere Freiheit zu erhalten, mehr als die sowjetische Diktatur ihren Völkern aufzuzwingen vermag, dann sind wir, dann ist die freie Welt verloren.
Woher aber soll, woher kann die sittliche Kraft kommen, die erforderlich ist, um der gewaltigen militärischen Kraft Rußlands eine gleiche Kraft entgegenzusetzen? Woher soll die Kraft kommen, auch angesichts der Atombombe nicht zu kapitulieren? Woher sollen wir die Kraft nehmen, zusammen mit den freien Völkern der Welt den farbigen Völkern Asiens und Afrikas zu helfen, sich wirtschaftlich, sozial, zivilisatorisch und kulturell so zu entwickeln, daß sie in freier Selbstbestimmung sich selbst regieren können zu ihrem eigenen Wohle und zum Wohle der ganzen Menschheit? Dafür sind Milliarden über Milliarden erforderlich. Dazu bedarf es einer großen Gesinnung, die sich aus der Tradition des Kolonialismus löst und sich freihält von kurzsichtigen wirtschaftlichen Spekulationen. Dazu bedarf es einer großen Tat, einer großen Gemeinschaftsleistung der freien Welt. Täuschen wir uns nicht: das Schicksal Europas wird in Asien und in Afrika mitentschieden.
Ob wir aber die Kraft aufbringen, diese Aufgaben zu bewältigen, die uns die Geschichte gestellt hat, wird nicht zuletzt in unseren Schulstuben und in den Hörsälen der Universitäten, ja in allen Bereichen, in denen für die Erziehung und Bildung unseres Volkes gearbeitet wird, entschieden werden.
({3})
Deswegen sind Schulen und Universitäten heute so wichtig wie Kasernen; ja, sie werden ihre Bedeutung behalten, wenn es, wie wir hoffen, einmal dazu gekommen ist, daß die Kasernen ihre heutige Bedeutung verloren haben.
({4})
Diese Wahrheit kann um so unbedenklicher dort ausgesprochen werden, wo auf die billige und falsche Alternative: „Kulturpolitik oder Wehrpolitik? - Schulen statt Kasernen!" verzichtet wird.
({5})
So wie die Welt heute nun einmal aussieht, genügt es nicht, in den Schulen in Freiheit und für die Freiheit zu lehren und zu lernen. Heute muß
auch dafür gesorgt werden, daß wir weiterhin in unseren Schulen in Freiheit und für die Freiheit lehren und lernen können. Dazu, meine Damen end Herren, brauchen wir die Kasernen, und sonst zu nichts.
({6})
Die Große Anfrage der SPD beschränkt sich auf die Naturwissenschaften, die technischen Bildungseinrichtungen und den technischen Nachwuchs. Was zu diesen Fragen zu sagen war, hat der Herr Bundesinnenminister bereits gesagt. Er tat einen guten Griff, als er darüber hinaus das Problem, das mit der Großen Anfrage angeschnitten wurde, in den großen Rahmen unseres Erziehungs- und Bildungswesens hineinstellte.
Niemand wird den Sozialdemokraten unterstellen wollen, daß sie erziehungs- und bildungspolitisch nur dieses Problem sähen.
({7})
- Ich habe gesagt, niemand wolle es Ihnen unterstellen.
Ich habe zur Vorbereitung dieser Debatte noch einmal die Niederschriften der Aussprachen dieses Hohen Hauses, die sich mit kulturpolitischen Fragen beschäftigten, durchgelesen und dabei festgestellt, daß sich der Kollege Ollenhauer bei der Aussprache über die Regierungserklärung am 28. Oktober 1953 sehr nachdrücklich auch für die Förderung der Geisteswissenschaften eingesetzt hat, die ja, da sie Nützlichkeitserwägungen weitgehend entzogen sind, leicht in Vergessenheit geraten.
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion des Bundestages hat überhaupt schon verschiedentlich mächtig Alarm geschlagen, das eine Mal gegen die Zersplitterung unseres Schulwesens, dann wegen der Schulraumnot, schließlich wegen der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und wegen der Forschung. Es ist das gute Recht der Opposition, immer wieder und auf allen Gebieten der Politik darauf hinzuweisen, wo nach ihrer Auffassung dringende Aufgaben angepackt werden müssen. Nach einem totalen Zusammenbruch, dessen Folgen wir bis heute immer noch nicht überwunden haben, ergibt sich da für jede Opposition allerdings ein weites Feld. Die Regierung muß alle Aufgaben in einem sehen und dann entscheiden, wie die vorhandenen Mittel für die einzelnen Aufgaben am zweckmäßigsten aufgeteilt werden.
Wer sich einmal die Mühe gemacht hat, die Aufwendungen der Länder für kulturpolitische Zwecke miteinander zu vergleichen, wird ohne Mühe festgestellt haben, daß sich die Aufwendungen für Kulturpolitik im Verhältnis zum Gesamthaushalt kaum voneinander unterscheiden, gleichgültig, welche Partei die Regierung führt. Auch Sozialdemokraten können, wenn sie in der Verantwortung stehen, nicht mehr Geld ausgeben, als da ist, und auch sie können
({8})
- Sie müssen sich den zweiten Teil des Satzes anhören, Herr Ritzel - angesichts der vielen AufgaDr. Heck ({9})
hen, die parallel gelöst werden müssen, zu keiner anderen Verteilung der Mittel kommen.
Die Gemeinden und Länder haben, gleichgültig, welche Parteien in ihnen die Verantwortung getragen haben und tragen, von 1946 bis heute ohne Zweifel auch kulturpolitisch eine solide Arbeit geleistet. Dies hier zu sagen, ist nur Rechtens und vor allen Dingen deswegen notwendig, weil die alarmierende Art und Weise, in der die kulturpolitische Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit geführt wird, den Eindruck entstehen lassen könnte, die Länder, die die Hauptverantwortung im Bereich der Kulturpolitik tragen, hätten durch Nichtstun so eine Art geistiger Demontage verschuldet. Wer heute noch vom Schulchaos in Deutschland spricht und dieses den Kulturministern der Länder zur Last legt, weiß einfach nicht, daß die durch die Besatzungsmacht verursachte Zersplitterung des deutschen Schul- und Bildungswesens nahezu völlig beseitigt ist. Die einzige Schwierigkeit, die noch da war, glaubten die Herren Ministerpräsidenten der Länder mit ihrem Beschluß vom Jahre 1955 - allerdings sehr einfach, ich meine, allzu einfach - beseitigen zu können. Es ist sicher eine berechtigte Forderung der Eltern, daß unser Schulwesen so organisiert ist, daß die Schüler ohne allzu große Schwierigkeiten von den Schulen eines Landes zu den Schulen eines anderen Landes übergehen können. Um das aber zu erreichen, braucht man nicht zur Uniformierung seine Zuflucht zu nehmen. Das ist auch und besser zu erreichen, wenn die Sprachen, mit denen im allgemeinen begonnen wird, fakultativ an allen Schulen von Anfang an gelehrt werden.
Daß wir in Deutschland heute zuwenig Schulräume haben, nachdem vor allem in den großen Städten ein großer Teil der Schulen durch den Krieg zerstört worden ist, nachdem fast 15 Millionen Menschen aus dem deutschen Osten in die Bundesrepublik geflüchtet sind, ist eine Binsenwahrheit, die sicher kein Kultusminister vom ersten Tag seiner Amtsführung bis heute vergessen hat. Von den Ländern und Gemeinden sind bis heute rund 65 000 neue Schulräume geschaffen worden. Das ist wahrhaftig eine respektable Leistung, die sich sehen lassen kann.
({10})
Trotzdem ist der Bedarf noch groß. Das wissen die Länder, und das wissen wir. Es muß deswegen ernsthaft überlegt werden, wie eine weitere Beschleunigung im Bau von Schulen in den kommenden Jahren erreicht werden kann.
Auch auf dem Gebiet der Forschung haben weder die Länder noch der Bund geschlafen. Der Herr Bundesinnenminister hat ausführlicher darüber gesprochen. Allein die Länder haben für Wissenschaft und Forschung vom Jahre 1950 bis heute ihre Ausgaben von 343 Millionen DM auf rund 880 Millionen DM erhöht. Die Ausgaben des Bundes sind, wie der Herr Bundesinnenminister schon dargelegt hat, allein in den vergangenen drei Jahren von 145 Millionen DM auf nahezu 573 Millionen DM im laufenden Rechnungsjahr erhöht worden.
Der Herr Bundespräsident hat in seiner Rede bei der Konstituierung des Deutschen Wissenschaftsrates darauf hingewiesen, daß wir nicht vergessen sollten, was wir in Deutschland in dieser Bedrängtheit unserer Situation, zumal der sozialen, an Leistungen aufgebracht haben. Er hat darauf verzichtet - was sonst beliebt ist, Herr Kollege Ratzel, und leicht alarmierend wirkt -, Vergleichsziffern darüber zu geben, was in den USA, in Sowjetrußland und auch was in England vom Staat für die Wissenschaft geleistet werde, weil es doch in mancherlei Hinsicht zu billig und in vielen sozialökonomischen und auch volkspsychologischen Voraussetzungen einfach falsch sei.
Eine Zeitlang hat die Notlage unserer Studenten die kulturpolitische Diskussion beherrscht. Diese hat sich seit einem Jahr, seit die Studienförderung nach dem Honnefer Modell eingesetzt hat, auf die Studierenden an den Ingenieurschulen und an den pädagogischen Bildungsstätten verlagert. Für die 37 000 Studierenden an den Ingenieurschulen stehen heute durch die Länder rund 1,8 Millionen DM und vorn Bundesatomministerium 1,5 Millionen DM zur Verfügung. Diese Förderung - das muß ganz offen im Rahmen dieser Aussprache gesagt werden - steht beträchtlich hinter der an den wissenschaftlichen Hochschulen zurück. Bei dem hohen und fortlaufend wachsenden Bedarf, wie er aus der Denkschrift des Herrn Bundesinnenministers hervorgeht, ist es notwendig, hier zu einer Angleichung zu kommen.
Anders ist die Lage bei den Studierenden an den pädagogischen Bildungsstätten. Für die 14 000 Studierenden stehen im Jahre 1958 3,2 Millionen DM zur Verfügung, so daß sich die Förderung unseres Lehrernachwuchses etwa auf der gleichen Höhe hält wie die Förderung der Studierenden an Universitäten und an Technischen Hochschulen.
Interessant und erfreulich ist auch, daß sich im Studienjahr 1957/58 im Schnitt etwa 30 % mehr als in den vergangenen Jahren für die Ausbildung zum Lehrerberuf gemeldet haben. Das löst zwar das Problem des Nachwuchses und des Bedarfs an Lehrern nicht, sollte aber doch diejenigen etwas dämpfen, die so leichthin von „katastrophalen" Entwicklungen zu reden pflegen.
Am schlechtesten ist es bestellt mit der Förderung der Studenten an unseren Kunst- und Musikhochschulen. Für die rund 6500 Studenten stehen hier auch im laufenden Rechnungsjahr nur 590 000 DM bereit. Es zeigt sich hier wieder einmal mehr, daß die musischen Fächer, denen kein unmittelbarer Nutzwert zuerkannt wird, allzu leicht auf die Seite geschoben werden.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Von 1949 bis 1957 sind das Sozialprodukt und das Steueraufkommen von Bund, Ländern und Gemeinden um rund 260 % angestiegen. In der gleichen Zeit sind die Leistungen des Bundes aus Steuermitteln für soziale Zwecke um 230 %, für den Wohnungsbau um 370% angehoben worden. Die Ausgaben für den Schulhausbau sind seit 1949 aber fast verfünffacht worden.
({11})
Es ist sicher weder die Absicht des Herrn Innenministers gewesen noch ist es meine Absicht, mit den
Dr. Heck ({12})
wenigen Daten über das, was getan worden ist, darzulegen, daß das genüge. Es sollte aber einmal darauf hingewiesen werden, daß Gemeinden und Bund in dem Maße, als es die wirtschaftliche Entwicklung und die zur Verfügung stehenden Mittel ermöglicht haben, auch unser Erziehungs- und Bildungswesen mit Erfolg aufgebaut haben.
Vieles bleibt noch zu tun. Die Kultusminister der Länder haben im Jahre 1956 einen Bedarfsplan der Länder einschließlich Berlins aufgestellt, der Forschung und Lehre, Studentenförderung, Forschungseinrichtungen, Sammlungen und Bibliotheken, die Lehrerbildung, die Ingenieur- und technischen Fachschulen, die allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, die Erwachsenenbildung, die Volksbüchereien und Kunst- und Kulturpflege im allgemeinen umfaßt. Dieser Bedarfsplan ist für einen Zeitraum von zehn Jahren aufgestellt und unterscheidet ständige Aufwendungen und zusätzliche einmalige Aufwendungen. Auch wenn für diesen Bedarfsplan eine nochmalige sorgfältige Überarbeitung zweckmäßig sein dürfte, gibt er doch einen Anhaltspunkt für das, was in den kommenden Jahren insgesamt geleistet werden muß, wenn wir auf dem Gebiet von Forschung und Lehre wie auf dem Gebiet des Erziehungs- und Bildungswesens unserer Aufgabe gerecht werden wollen.
Die einmaligen zusätzlichen Aufwendungen sehen für die ersten fünf Jahre je 1,2 Milliarden DM, für die zweiten fünf Jahre je 400 Millionen DM, insgesamt also rund 8 Milliarden DM, vor. Die ständigen Aufwendungen, die der weitere Aufbau und Ausbau unseres Schul- und Bildungswesens mit sich bringen, würden im Schnitt jährlich mit 1,6 Milliarden DM mehr zu veranschlagen sein. Es liegt auf der Hand, daß die einmaligen Aufwendungen von den Ländern allein nicht getragen werden können. Wir haben deshalb einen Antrag eingebracht, in dem wir die Bundesregierung auffordern, in Verhandlungen mit den Ländern auf der Basis des Grundgesetzes eine Klärung darüber herbeizuführen, welche Aufgaben im Bereich der Kulturpolitik künftighin nur von den Ländern, nur vom Bund oder gemeinsam von Bund und Ländern gefördert werden sollen. Solchen Verhandlungen könnte der Bedarfsplan der Kulturminister der Länder zugrunde gelegt werden.
Auch wenn nicht alle Wünsche in gemeinsamer Planung und mit gemeinsamen Anstrengungen erfüllt werden können, so wird es doch für die Parlamente der Länder wie für dieses Hohe Haus von Nutzen sein, zu wissen, was die Kulturpolitik gebieterisch an gemeinsamen Anstrengungen fordert. Daran, meine Damen und Herren, muß allerdings auch dann gedacht werden, wenn andere Forderungen in den Parlamenten beraten werden, Forderungen, hinter denen mächtige Interessengruppen stehen. Ich möchte deren Wünschen und Sorgen beileibe nicht das Recht absprechen. Ich meine aber, wir sind jetzt an einem Punkte unserer Aufbauarbeit angekommen, an dem neben den Erfordernissen für die Verteidigung unserer Freiheit die Notwendigkeiten unserer Kulturpolitik mit an erster Stelle zu berücksichtigen sind.
({13})
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Punkt 2 der Tagesordnung wird von dem Herrn Präsidenten begründet werden. Der Präsident hat die Absicht, diese Begründung mit Ausführungen über wesentliche Bestimmungen unseres Grundgesetzes zu bestreiten. Es ist klar, daß diese Begründung nicht vor einem halbleeren Hause abgegeben werden darf. Es ist heute Freitag. Wir wissen, daß sich von 14 Uhr an das Haus noch mehr lichten wird, als es jetzt schon gelichtet ist. Ich schlage Ihnen deshalb vor, jetzt diesen Punkt der Tagesordnung zu unterbrechen, Punkt 2 zu behandeln und anschließend mit Punkt 1 fortzufahren. Sind Sie einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Dann unterbreche ich die Beratung zu Punkt 1, rufe auf Punkt 2:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages ({0})
und erteile das Wort dem Präsidenten des Bundestages, Herrn Dr. Gerstenmaier.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich, daß Sie die Freundlichkeit gehabt haben, gegen die Gewohnheiten des Hauses diese Debatte zu unterbrechen. Ich wäre ohne diese Ihre Zustimmung in einer mißlichen Situation, weil ich mich für verpflichtet gehalten habe, diese Rede ausnahmsweise sorgfältig vorzubereiten und sie mit der Sperrfrist 12 Uhr der Presse zugänglich zu machen. Denn ich habe mich mit nicht weniger als etwa 100 Kommentaren zu dem Problem auseinanderzusetzen, von dem die interfraktionelle Vorlage, die ich heute hier zu vertreten die Ehre habe, handelt.
In einer führenden deutschen Tageszeitung erschien vor einigen Wochen einer von diesen 100 Kommentaren, ein Leitartikel aus der Feder eines bedeutenden deutschen Publizisten. Dieser Leitartikel beginnt mit der Feststellung:
Die Diäten der Abgeordneten sind seit eh und je ein beliebter Anlaß zum Nörgeln. Je undurchdachter und demagogischer die Kritik an der parlamentarischen Regierungsform daherkommt, um so hartnäckiger klammert sie sich an die Geldentschädigung, die der Volksvertreter sich selbst bewilligt, damit er seine gesetzgeberische Arbeit in voller materieller Unabhängigkeit leisten kann.
Soweit das Zitat.
Diese Stimme charakterisiert die öffentliche Seite des Problems, dem wir uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu stellen haben. Fin Parlament wird sich wohl damit abfinden müssen, daß die Fragen der Diäten und der Unkostenerstattung an seine Mitglieder vielleicht noch unpopulärer sind als seine Steuergesetze, aber, meine Damen und Herren, wir haben nichtsdestoweniger allen Anlaß, uns den damit zusammenhängenden Fragen in aller ÖffentlichD. Dr. Gerstenmaier
keit zu stellen, auch wenn diese Fragen - was ich nachempfinden kann - nicht wenigen unangenehm, ja peinlich sind. So ehrenwert solche Empfindungen aber auch sein mögen, so fatal wäre es jedoch, ihnen nachzugeben. Die Neuordnung des Diätenwesens des Bundestags, die Ihnen in dieser Vorlage vorgeschlagen wird, hat das Licht der Öffentlichkeit jedenfalls in keiner Weise zu scheuen.
({0})
In dieser Vorlage sind die Erfahrungen und Einsichten von acht Jahren Bundestag so weit verarbeitet, daß dieser Vorschlag aller Fraktionen zwar nicht beanspruchen kann, ideal zu sein, daß er aber wohl für sich in Anspruch nehmen darf, wesentlich besser und vertretbarer zu sein als die bisherige Diätenordnung.
Ich halte es für ein erfreuliches Symptom für das kritische Urteilsvermögen in unserem Staat, daß von den, wie gesagt, rund. 100 Pressekommentaren, die ich in den letzten Monaten zu dieser Frage zu Gesicht bekommen habe, der überwiegende Teil so viel positive Einsicht in die Notwendigkeit dieser Vorlage und in ihre Problemzusammenhänge an den Tag gelegt hat, daß daneben die ablehnenden, zuweilen allerdings sehr hämischen Stimmen der Kritik, die ich natürlich auch gehört habe, nicht ins Gewicht fallen.
Die öffentliche Kritik hat sich ganz sachlich vor allem auf einen Punkt gerichtet, der auch in den interfraktionellen Überlegungen, aus denen die Vorlage schließlich hervorgegangen ist, vom ersten bis zum letzten Augenblick besonders intensiv erörtert wurde. Dieser Punkt ist das Problem der Verbindung der vorgeschlagenen Diätenreform mit der Schaffung einer Altersversorgung für Abgeordnete. Es war eine von der Situation gestellte Aufgabe, meine Damen und Herren - das möchte ich Ihnen hier vortragen -, und keineswegs nur der Wunsch einer Reihe von Abgeordneten, daß diese Frage der Altersversorgung an Hand konkreter Vorschläge so weit geklärt wurde - mindestens so weit -, daß eine ausreichende Beurteilung des damit aufgeworfenen Problems im ganzen möglich geworden ist.
Die gegenwärtige Vorlage, die sich auf die Diätenreform beschränkt und die Altersversorgung nicht einbezieht, hätte schon vor Monaten dem Hause vorgelegt werden können, wenn es nicht der übereinstimmende Wille aller an der Bearbeitung Beteiligten gewesen wäre, die Frage der Altersversorgung nach allen Seiten hin zu klären. Auf Grund dieser Klärung haben sich beträchtliche Teile des Hauses nicht dazu entschließen können, eine Vorlage zur Errichtung einer Altersversorgung mit zu unterstützen. Auf der anderen Seite haben auch diejenigen, die den Wunsch haben, an der Lösung dieses Problems weiterzuarbeiten, auf eine gemeinsame Vorlage von Diätenreform und Altersversorgung verzichtet - nicht zuletzt in der Erkenntnis, daß die Vorlage zur Diätenreform nicht nur die Bezüge der Mitglieder des Hauses auf eine neue Grundlage stellen will, sondern auch eine Verbesserung der Arbeitsorganisation des Parlaments bezweckt. Auf das unerledigte Problem der Altersversorgung - denn es ist unerledigt - werde ich noch einmal zurückkommen. Zu der Vorlage zur Diätenreform aber, so wie sie Ihnen heute vorliegt, möchte ich mir zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen erlauben. Und damit komme ich zu dein Thema, das der Herr Präsident, der die Sitzung leitet, dem Hause bereits angekündigt hat.
Ich kann mich dabei in aller Kürze auf die Leitgedanken dessen beziehen, was ich dem Hause bei der Konstituierung des 3. Bundestags in Berlin vorzutragen die Ehre hatte. Ich habe mich damals bemüht, den Artikel 38 des Grundgesetzes in seiner fundamentalen Bedeutung für das Selbstverständnis des Parlaments wie für das Bewußtsein jedes einzelnen seiner Mitglieder in den Mittelpunkt meiner Darlegungen zu stellen. Ich bin auch heute der Meinung, daß dieser Artikel von entscheidender Bedeutung ist für die Beurteilung der Fragen die mit dieser Vorlage aufgeworfen sind und die allerdings in der öffentlichen und keineswegs nur in der parlamentarischen Diskussion eine beträchtliche Rolle spielen. Nach Artikel 38 sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestags Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
Indem ich diesen Kernsatz unserer Verfassung immer wieder betone, will ich natürlich nicht die realen Zusammenhänge und Verbindungen ignorieren oder unterschätzen, in denen sich der einzelne, auch der einzelne Parlamentarier, im politischen Leben tatsächlich bewegt und verhält. Diese Zusammenhänge hat auch das Grundgesetz gewürdigt. Artikel 21 anerkennt ausdrücklich die Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes. Es wäre sinnlos, zu verkennen, welche entscheidende Bedeutung ihnen weit über diese vorsichtige Formulierung des Grundgesetzes hinaus zukommt, zukommt jedenfalls auch für die Zusammensetzung, ja gerade für die Zusammensetzung des Parlaments. Die Parteien stellen die Kandidaten auf, und unter der Parteifahne - meine Damen und Herren, haben wir doch den Mut, das zu sagen! -, d. h. mit der politischen Programmatik ihrer Partei und keineswegs nur mit dem Charme ihrer eigenen Person präsentieren sie sich dem Wähler.
({1})
Ich weiß, daß gerade diese Situation manchem sensiblen Gemüt in unserem Volke lästig ist, daß sie ihm gar nicht gefallen will. Aber ich glaube nicht, daß es ein Fortschritt wäre, wenn im Wahlkampf die Entscheidung zur Sache, d. h. zum politischen Programm, grundsätzlich und allgemein zurücktreten müßte hinter die Entscheidung zur Person. Häufig - das haben wir erlebt; und es ist eine Realität -, vor allem an der Spitze der Parteien, mag beides eng zusammenkommen. Aber sicher ist, daß hier in diesem Hause keiner sitzt, der nicht hier wäre durch das Vertrauen seiner Partei und das Vertrauen der Wähler, die mindestens zum Schwerpunkt der von ihm vertretenen Parteiprogrammatik ja gesagt haben. Ich nehme mit dieser Formulierung ein Wort unseres Kollegen Carlo Schmid auf, das er neulich in Düsseldorf gesprochen hat. In der Tat entscheidet sich der
Wähler natürlich nicht nur für die bedeutende Persönlichkeit, die präsentiert wird, sondern er entscheidet sich und soll sich entscheiden in allererster Linie für den sachlichen Gehalt dessen, was dieser Mann mit Charme und Geist zu vertreten hat. Ich halte das nicht für einen Nachteil in unserm Staat, sondern ich glaube, daß das Rechtens ist.
Das verpflichtet aber auch unweigerlich. Es verpflichtet den Abgeordneten zur Loyalität gegenüber seiner Partei und seiner Fraktion,
({2})
und es verpflichtet zur sachlichen Treue gegenüber dem politischen Programm, unter dem er angetreten ist. Ich rede davon, weil mir das allzu billige und gelegentlich recht larmoyante Gerede von den Parteisoldaten und den Parteifunktionären, aus denen dieses Haus angeblich zusammengesetzt sei, allmählich zuviel wird.
({3})
Und ich rede davon, um die innere Situation, das besondere moralische Engagement in Sicht zu bringen, in dem sich ein Abgeordneter dieses Hauses de facto und de jure - d. h. jedenfalls nach dem Willen des Grundgesetzes - heute befindet.
Weit mehr als das Grundgesetz bindet allerdings das Wahlgesetz den Abgeordneten politisch und moralisch an seine Partei und Fraktion. Das Grundgesetz freilich fragt nicht weiter nach dieser Loyalität, die sich von selbst versteht, sondern es verlangt mit seinem Artikel 38 das individuelle moralische Engagement des Abgeordneten, es verlangt dieses persönliche moralische Engagement des Abgeordneten in letzter Instanz bei allen diesem Hause abverlangten Entscheidungen. Die Verfassung bringt damit zum Ausdruck, daß sie die Verantwortung für unseren freiheitlichen Rechtsstaat in die Hand gewissenhafter, d. h. ihrem Gewissen unterworfener, freiheitlich und rechtlich gesonnener Männer und Frauen gelegt sehen will.
Daraus folgt allerdings noch lange nicht, daß ein Abgeordneter sich beliebig von dem Gedankengut und dem politischen Programm trennen kann, mit dem er sich um einen Parlamentssitz beworben hat. Gewiß, er kann das tun und er muß das sogar tun, wenn bessere Einsicht und reifere Erkenntnis ihm das gebieten. Aber tut er es, dann wird die Frage der Niederlegung seines Mandats zwar nicht de jure, aber moralisch aktuell.
({4})
Mit anderen Worten: so einfach kann man auch nicht unter Berufung auf Artikel 38 des Grundgesetzes zwischen den Fraktionen hin und her wechseln, jedenfalls soweit diese Fraktionen sich nicht nur durch den mehr oder weniger großen Charme ihrer Persönlichkeiten voneinander unterscheiden, sondern durch den höchst aktuellen politischen Gehalt ihres Programms.
Aus Artikel 38 des Grundgesetzes ergibt sich jedoch auch zwingend, daß der Abgeordnete des Deutschen Bundestags in seiner Urteilsbildung im Parlament unter allen Umständen frei sein muß, und das auch dann, wenn er sich als Träger des
Vertrauens einer politischen oder wirtschaftlichen Gruppe im Volke fühlen kann. Auch dann muß er seine Entscheidungen im Parlament unter allen Umständen so treffen, daß sie zu Nutz und Frommen des ganzen Volkes sind. Das ist nicht bloß ein schönes Wort, sondern das ist ein moralisches Erfordernis für die Ausübung eines parlamentarischen Mandats, eine Realität, die nicht nur in diesem Hause, sondern weit darüber hinaus vielen bewußt ist.
Ein manchem peinliches Beispiel dafür ist folgende Überlegung. Solange dem Wort vom „Interessenvertreter" im Zusammenhang mit dem Parlament der Makel anhaftet, der ihm unzweifelhaft heute anhängt, so lange ist dieses Bewußtsein lebendig. Es ist damit noch gar nicht gesagt, daß nicht auch die Vertretung von Interessen einzelner Gruppen und einzelner Schichten hier erlaubt sein dürfte. Selbstverständlich ist sie es; aber jeder Abgeordnete muß wissen, daß er die Interessen einzelner Gruppen legitim jedenfalls nur dann verfechten kann, wenn er sie bei gewissenhafter Prüfung vor dem ganzen Volk für gerecht und ihre Vertretung für angemessen hält. Denn in diesem Hause steht das Wohl und Wehe des ganzen Volkes zur Debatte, und daraufhin muß entschieden werden. Nun, damit ist nichts anderes gesagt, als daß dieses Haus auf die ganze Polis - daher „politisch" - und ihre Existenznotwendigkeiten ausgerichtet ist und sein muß. Daraus folgt auch, daß wir selbstverständlich kein Ständehaus sind, sondern die oberste politische Vertretung des Volkes in einem freiheitlichen Rechtsstaat. Darum kann und darf in diesem Hause auch gar nicht der Gedanke aufkommen, daß hier jemand nur dann Sitz und Stimme gewinnen könnte, wenn er von irgendeiner Interessengruppe gehalten und bezahlt wird. Wir fragen nicht danach, wer in diesem Hause was verdient. Wir haben hier Beamte, die sich im zeitweiligen Ruhestand befinden. Wir haben Professoren, die ihr akademisches Lehramt noch wahrzunehmen versuchen. Wir haben hier die Angehörigen freier Berufe, die recht und schlecht ihre ärztliche Praxis oder ihre Anwaltstätigkeit aufrechtzuerhalten sich bemühen und dafür nicht selten mehr zuschießen als das, was sie hier an Diäten und Unkostenersatz bekommen.
({5})
Und wir haben andere, die auf Diäten verzichten könnten. Aber wir haben eine weit, weit größere Anzahl von solchen, die über keinerlei andere Bezüge und Existenzmittel verfügen als über das, was ihnen auf Grund des Diätengesetzes von diesem Hause Rechtens gegeben wird.
Daraus ergibt sich zweierlei. Erstens. Der Bundestag kann und darf bei der Beurteilung der Frage, welche Entschädigung er seinen Mitgliedern schuldig ist, nicht von der Tatsache ausgehen, daß vielleicht nicht wenige auch noch andere Einkommensquellen haben und über andere Einkommen verfügen. Der Bundestag muß vielmehr bei der Beurteilung des Diätenproblems davon ausgehen, daß die Mitglieder des Hauses im Zweifelsfall - ich sage: im Zweifelsfall - nichts, aber auch gar nichts weiter haben als ihre Diäten. Das allein kann und
darf der kritische Maßstab für die Überlegungen sein, die bei der Frage, was denn der Bundestag als angemessene Entschädigung seinen Mitgliedern schuldig ist, angestellt werden müssen. Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß Sie empfinden, von welcher Bedeutung das Argument und von welcher Bedeutung dieser Maßstab ist.
Ich stelle gar nicht in Abrede, daß es unter den Mitgliedern des Hauses auch solche gibt, deren politische parlamentarische Tätigkeit in einer engen, auch materiellen Verbindung zu ihrer beruflichen Tätigkeit steht. Im sehe einmal von den Journalisten ab, sie sind eine Gruppe für sich. Sicher gilt das, was ich hier gesagt habe, z. B. auch für die Angestellten von Parteien und Organisationen politischer und politisch-wirtschaftlicher Art. Es macht mir jedoch nicht den mindesten Eindruck, wenn diese Feststellung, wie ich es gelegentlich in Kritiken gelesen habe, als ein Beispiel dafür angeführt wird, daß soundso viele Berufspolitiker eben keineswegs nur von ihren Diäten leben müßten.
Wer den Artikel 38 des Grundgesetzes ernst nimmt - und ich empfehle dem ganzen Hause, diese Lichtquelle unseres Rechtsstaates denkbar hoch zu respektieren -, der darf sich der Konsequenz nicht entziehen, daß es das Diätengesetz jedem Mann und jeder Frau in diesem Hause ermöglichen muß, auch im Konfliktsfall seinem eigenen Gewissen und seiner eigenen politischen Überzeugung mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen treu zu bleiben.
({6})
Das heißt: Leute, die in diesem Hause über das Wohl und Wehe des deutschen Volkes entscheiden sollen, müssen die Gewähr haben, daß sie auch dann, wenn ihnen alle anderen Hilfsmittel entschwinden, noch eine hinreichende Existenzmöglichkeit haben. Wenn für das deutsche Volk eines vor allem notwendig ist, so ist es doch gerade ein Parlament mit urteilsfähigen und gewissenhaften Leuten, die sich, ich sage es wieder, auch im Konfliktsfall - denn der Konfliktsfall zeigt den ganzen Ernst - weder der politischen Opportunität noch der Verführung der Macht, noch ihrer menschlich begreiflichen Existenzangst unterwerfen müssen.
({7})
Der Artikel 38 verlangt von jedem von uns, daß wir notfalls unsere politische Karriere riskieren, daß wir in Kauf nehmen, nicht mehr präsentiert und nicht mehr gewählt zu werden.
Aber der Artikel 38 verlangt von diesem Haus als solchem ganz unabweisbar auch dies: daß es das Notwendige tut, um die materielle Unabhängigkeit seiner Mitglieder angemessen zu sichern.
Es ist gar kein Argument, sondern ein rigoroser Kurzschluß, wenn dazu gesagt wird, daß die vorgeschlagene Diätenerhöhung die Unbestechlichkeit keineswegs zu gewährleisten vermöge, weil diese nicht von der Höhe der Bezüge, sondern von der Qualität des Charakters abhänge. Nun, das ist ein Kurzschluß. Aber genau besehen ist dieser Einwand auch demagogisch, denn er verfälscht die
Problemstellung. Der Gesetzgeber hat nicht Charaktertests zu machen, sondern er hat die Verfassung zu respektieren.
Und damit bin ich beim Zweiten. Der Artikel 38 steht nämlich gar nicht für sich allein, sondern ihm entspricht der Artikel 48 Abs. 3 des Grundgesetzes, der bündig vorschreibt:
Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung.
Das steht in der Verfassung, und dieses Haus wird es sich gar nicht einfallen lassen dürfen, diese Verfassungsbestimmung zu ignorieren oder zu bagatellisieren, selbst dann nicht, wenn es aus dem edlen Motiv erfolgte: Weil wir ganz bescheiden sein möchten, wollen wir unseren Mitgliedern nicht das geben, was heute notwendig ist, um Unabhängigkeit und Existenz materiell zu sichern.
Damit aber sind wir bei der praktischen Hauptfrage dieser Vorlage: Was ist angemessen? Die Antwort ist in das Ermessen des Hauses gestellt. Das Haus und nicht ein Sachverständigengremium außerhalb des Hauses muß darüber entscheiden. Dem Haus ist die Entscheidung abverlangt. Es kann sich beraten lassen, - nun gut, das ist wahr. Ich habe mich bei der Vorbereitung dieser Vorlage immer wieder fragen lassen müssen: Warum befassen Sie denn damit nicht eine völlig unabhängige Kommission von Leuten, die dem Hause gar nicht angehören? Meine Damen und Herren, das hätte alle möglichen Vorzüge gehabt. Ich hätte mich aber dann über Wochen hin der Situation ausgesetzt gesehen, unendlich viele Aufschlüsse darüber geben zu müssen, was und wieviel heute dem Abgeordneten des Bundestags abverlangt wird. Und schließlich und endlich wäre dabei auch nur ein Vorschlag herausgekommen. Die Entscheidung und die Verantwortung dafür im Fall seiner Annahme hätte unweigerlich das Haus übernehmen müssen. Infolgedessen können wir uns auch gleich zu dem sonst üblichen Weg entschließen und uns selbst den Kopf zerbrechen. Entscheiden und die Verantwortung übernehmen müssen wir auf jeden Fall selber. Das ist von uns verlangt, das gehört zu unseren Pflichten.
Nun, meine Damen und Herren, was ist angemessen? Die Antwort ist in das Ermessen des Hauses gestellt. Aber das Haus kann dabei keineswegs nach Willkür verfahren. Denn der Artikel 48 des Grundgesetzes verlangt: Sicherung, materielle Sicherung der Unabhängigkeit des Bundestagsabgeordneten. Glauben Sie, daß bei 250 DM oder bei 700 DM davon die Rede sein könnte, daß das eine materielle Sicherung des Abgeordneten sei? Wer das meint, kommt nach meiner Überzeugung in Konflikt nicht nur mit dem Sinn, sondern auch mit dem Wortlaut der Verfassung.
Für diejenigen, die es vergessen haben sollten, füge ich hinzu, daß dieser Artikel des Grundgesetzes niemals und zu keiner Zeit vom Bundestag selbst beschlossen worden ist und auch keineswegs von einem seiner Organe entworfen wurde. Dieser Artikel gehört zum Urbestand des Grundgesetzes,
so wie es dessen Väter, die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, geraume Zeit vor der Wahl zum 1. Deutschen Bundestag beschlossen haben. Gegen jede hämische Kritik will ich damit feststellen, daß mit diesem Artikel keineswegs der Bundestag für sich selber gesorgt hat. Aber ich möchte auch ausdrücklich hinzufügen, daß der Parlamentarische Rat damit etwas festgelegt hat, was er dem freiheitlichen Rechtsstaat von heute allerdings schuldig war. Ich würde es deshalb auch in keiner Weise für rühmenswert, sondern ich würde es für bedenklich halten, wenn der Bundestag diese Verfassungsbestimmung nur deshalb ignorierte oder bagatellisierte, weil er sich vor einer zuweilen verständnislosen Kritik fürchtet.
In dieser Bestimmung des Artikels 48, sagen wir es kurz und gut, steckt eine ganz nüchterne, notwendige und konsequente Absage an die Idee des Honoratiorenparlaments.
({8})
Wenn ich das sage, möchte ich damit kein unehrerbietiges Wort gegenüber früheren deutschen Parlamenten gesagt haben; das fällt mir gar nicht ein. Ich will damit lediglich zum Ausdruck bringen, daß es heute unmöglich ist, ein Parlament wie den Bundestag, eine politische Vertretung des ganzen Volkes unter den Gesichtspunkten des Honoratiorenparlaments konstruieren oder verstehen zu wollen. Selbst diejenigen, die darin ein Ideal sehen, sollten einräumen, daß das in unserer Zeit und von der Grundlage unserer Verfassung aus gar nicht mehr gewollt oder angestrebt werden darf. In diesem Hause sollen nämlich alle Schichten, alle Gruppen, alle Kreise und Landschaften des freien Teiles Deutschlands vertreten sein, und jeder wählbare Bürger unseres Landes soll die Chance haben, ohne Rücksicht auf seine eigene materielle Existenz ein parlamentarisches Mandat zu übernehmen.
Ich weiß, daß dieser Bestimmung des Grundgesetzes auch mit der gegenwärtigen Vorlage nicht ganz, jedenfalls bei weitem nicht in allen Fällen, entsprochen wird. Das ist ein Mangel der Vorlage. Ich will und kann diesen Mangel dem Hause und auch der Öffentlichkeit gegenüber nicht verschweigen. Auch diese Vorlage wird nämlich, wenn sie Gesetz wird, viele nicht von dem beruflichen und finanziellen Risiko befreien, das sie eingehen, wenn sie sich zur Annahme eines Mandats entschließen. Ich habe in dieser Hinsicht in den dreieinhalb Jahren, in denen ich die Ehre habe, der Sprecher des Hauses zu sein, beklagenswerte Eindrücke gewonnen. Ich habe gesehen, wie sich mancher Abgeordnete abgerackert und abgemüht hat, ein verläßlicher Kollege in diesem Hause und ein redlicher Partner oder Verwalter seiner Praxis zu sein. Die ärztliche Praxis ist gewöhnlich von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Anwaltspraxis ist nicht selten gefährdet. Auch der Architekt, der auf sein, sagen wir einmal, Ingenium angewiesen ist - verzeihen Sie das Wort, aber bei den Architekten darf man nicht von Einfällen sprechen -,
({9})
zieht dabei binnen weniger Jahre gewöhnlich entschieden den kürzeren. Aber wie ist es denn mit
dem Handwerksmeister, mit dem kleineren und mittleren Unternehmer, jedenfalls soweit sein Betrieb von der Tatkraft und der persönlichen Leistung des Eigentümers lebt? Sie kommen im allgemeinen, machen wir uns nichts vor, über kurz oder lang in eine mißliche Situation. Und wie ist es mit dem qualifizierten Arbeiter, dem Facharbeiter, dem Akademiker? Verbessern sie mit der Übernahme eines parlamentarischen Mandats die Chancen ihres beruflichen Fortkommens? Das tun sie gar nicht, meine Damen und Herren; das ist eine Illusion, jedenfalls im Blick auf ihre berufliche Laufbahn.
Hier - gerade hier - erhebt sich das Problem der Altersversorgung der Abgeordneten. Man kann es, solange das Problem so aussieht, deshalb einfach nicht mit einer Handbewegung vom Tisch wischen. Sie bleibt bis auf weiteres im Hause nach wie vor kontrovers.
Mit diesen Hinweisen möchte ich nur zwei allgemeine Tatbestände vergegenwärtigen, die nicht nur den Gedanken an das Honoratiorenparlament, sondern auch die Vorstellung vom nebenamtlich wahrzunehmenden parlamentarischen Mandat zur Fiktion machen.
({10})
Im Jahre 1906 hat der Deutsche Reichstag zum erstenmal die Einführung von Diäten beschlossen. In diesen Beschluß meldete sich - und das ist interessant beim historischen Rückblick - schon v o r der allgemeinen Verarmung der Nation, die im Gefolge des ersten Weltkrieges einsetzte, die Tatsache zum Wort, daß im 20. Jahrhundert das Honoratiorenparlament des 19. Jahrhunderts ein Ende haben und der Reichstag die Zeit seiner Mitglieder immer mehr in Anspruch nehmen würde. Im Jahre 1910 hielt der Reichstag 89 Plenarsitzungen ab, im Jahre 1911 waren es 116, 1912 83, im Jahre 1925 waren es sogar 139, 1926 114 und 1927 108 Plenarsitzungen. Die wenigen Kollegen, die in jenen Reichstagen saßen und als Veteranen des deutschen Parlamentarismus auch den 3. Deutschen Bundestag zieren, können besser als ich beurteilen, wie stark die übrige politische Inanspruchnahme des Abgeordneten in jener Zeit war, z. B. - Herr Kollege Ritzel - durch Ausschußsitzungen und dergleichen; Sie wissen das besser als ich. Aber wie auch immer: die Tendenz der modernen Parlamente geht unverkennbar auf die vollständige oder nahezu vollständige Inanspruchnahme des Mitglieds eines großen Parlaments hin.
Ich berühre damit einen schwierigen und kitzligen Punkt, der mir wahrscheinlich nicht das Lob aller anderen parlamentarischen Vertretungen, die es in Deutschland und sonstwo gibt, eintragen wird: Ich mache nämlich einen ausdrücklichen Unterschied zwischen den großen, d. h. den nationalen Parlamenten und den Landes-, Kreis- und Kommunalparlamenten, von denen ich nur hoffen kann, daß sie sich dieses Sogs kräftig zu erwehren vermögen. Die großen Parlamente aber sind einfach durch die wachsende Vielgestaltigkeit ihrer Aufgaben infolge der immer komplizierter werdenden und weiter
wachsenden Staatszuständigkeit für die verschiedensten Gebiete - man sage nur „Atom" oder denke an das Problem, das wir heute erörtern - so in Anspruch genommen, daß von nebenamtlicher Tätigkeit ehrlicherweise nicht mehr gesprochen werden kann.
Das ist ein höchst bedauerlicher und beklagenswerter Zustand; das möchte ich hier frei ausgesprochen haben. Aber hier handelt es sich nicht darum, zu klagen und zu kritisieren, sondern festzustellen, was ist, und daraus einige Konsequenzen zu ziehen.
Gewiß muß man immer wieder sagen: Das Parlament kann nicht ernst und eindringlich genug prüfen - es muß dies tun -, bevor es sich in weitere komplizierte Arbeits- und Problemgebiete einläßt. Aber es ist nicht wahr, wenn man sagt, daß es einfach in der Hand des Parlaments wäre, hier die Grenze zu ziehen. Die Grenzen weiten sich aus und ändern sich auch dann, wenn das Parlament mit einem vernünftigen Ältestenrat - der ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig - und einem energischen Präsidium den Kampf um Rationalisierung und gegen die Überbürdung mit nicht unbedingt Notwendigem führt. Der moderne Massenstaat und die Ansprüche seiner Bürger wachsen mit der fortschreitenden Zivilisation, so daß auch ein durchaus modern und arbeitsteilig organisiertes Parlament alle Mühe hat, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Dazu kommt natürlich noch die ungewöhnliche Belastung des Parlaments, das für ganz Deutschland die Stimme führt und sich bei Tag und Nacht mit dem Schicksal eines Volkes auseinandersetzen muß, das geteilt im Brennpunkt der weltpolitischen Auseinandersetzung liegt.
Ich widerstehe der Versuchung, Ihre Aufmerksamkeit noch länger in Anspruch zu nehmen, und ich widerstehe vor allen Dingen der Versuchung, in diesem Zusammenhang auch nur die Grundzüge einer Parlamentsreform anzusprechen. Wir kämen damit sogleich zu den erregenden Themen: etwa von der zweckmäßigeren Gestaltung dieses Saales über die bessere Zeitgestaltung unseres Arbeitsplans bis zur Verringerung der Mitgliederzahl des Hauses im ganzen. Ich möchte lediglich hinzufügen, daß die Vorlage natürlich auch darauf abzielt, daß aus dieser Situation wenigstens einige unumgängliche organisatorische Konsequenzen gezogen werden.
Bei der Diätenregelung im Jahre 1949/50 - und damit komme ich zur praktischen Kernfrage zurück - ging der Bundestag davon aus, daß er sich mit der nebenamtlichen Inanspruchnahme seiner Mitglieder begnügen könne. Ich weiß nicht, worauf er damals diese Zuversicht gegründet hat. Wir standen doch damals vor der Situation, erst einmal den großen Schuttberg, die Hinterlassenschaft einer gigantischen nationalen Katastrophe abzutragen. Andere haben sie angerührt, wir durften sie auslöffeln. Worauf wir die Zuversicht gegründet haben, das so nebenhin und ehrenamtlich tun zu können, ist mir heute noch schleierhaft. Jedenfalls haben wir es getan, und auch ich habe als Abgeordneter dabei mitgewirkt. Jetzt handelt es sich darum, diese Fiktion zu beseitigen.
Der Vorlage kann man nach meiner Überzeugung - ich weiß, daß ich damit bei einigen Leuten auf heftigen Widerspruch stoße - nicht vorhalten, daß sie mit der Gewährung von 1100 DM steuerfreier Diäten in einer übertriebenen Weise den Bundestagsabgeordneten für den Kraft- und Zeitaufwand entschädige. Ein gerecht abwägender Kritiker könnte weit eher fragen, ob denn finanziell die Unabhängigkeit eines Abgeordneten dadurch gewährleistet sei, daß er - ich gebe einige Beispiele - monatlich 55 DM weniger erhält, als heute das Grundgehalt eines ledigen Regierungsrats in der Endstufe beträgt.
({11})
55 DM weniger als das Grundgehalt eines ledigen Regierungsrats in der Endstufe! Das steht in der heutigen Vorlage. Oder man könnte fragen, ob es berechtigt ist, die Diäten eines Bundestagsabgeordneten heute um 167 DM - ich hoffe, daß es hier nicht noch besonderer persönlicher Zureden bedarf, sondern daß schon die Argumente, die ich mir hier zusammengesucht habe, an sich ausreichend und einleuchtend sind ({12})
monatlich geringer anzusetzen als die monatlichen Bezüge eines Angestellten der TOA III
({13})
oder um 219 DM niedriger als die Einkünfte eines ledigen Angestellten der TOA II. Meine Damen und Herren, es wäre berechtigt, diese Fragen aufzuwerfen. Man könnte dieser Vorlage eher vorhalten, ob sie denn mit diesem Betrag dem Erfordernis des Grundgesetzes gerecht werde. Oder ist es gerecht und billig, daß die Leute, die hier - und im Volke - Entscheidung treffen und Verantwortung tragen sollen, die Tag und Nacht in Anspruch genommen sind, etwas weniger bekommen als ein lediger Regierungsrat, der im übrigen seine Pension hat, und sehr viel weniger, als ein Angestellter der TOA III und II?
Ich habe nicht die Absicht, des langen und breiten diese Festsetzung auch noch zu rechtfertigen. Ich habe auch nicht die Absicht, die Festsetzung der Diäten in der Relation von 22,5 %o des Gehalts eines Bundesministers zu rechtfertigen. Ich möchte nur ein Wort zu dem Einwand sagen, den ich so oft gehört habe, daß diese Relation, dieses Inbeziehungsetzen zum Bundesministergehalt dazu verführe, daß die Beamtengehälter von diesem Hause beliebig erhöht werden könnten und daß wir auf diese Weise ganz bequem in unsere eigene Tasche arbeiten könnten. Auf diesen plumpen Einwand will ich aus einer, wie ich glaube, intimen Kenntnis des Hauses in all seinen Parteien und Fraktionen nur erwidern, daß diese Relation nach meiner Überzeugung eher dazu angetan ist, das Gegenteil zu bewirken, daß sie sich jedenfalls eher hemmend als fördernd auf die Erhöhung der Beamtengehälter auswirken wird.
Ich fasse zusammen und sage, daß jeder gerecht Denkende, wenn er sich auch nur 10 Minuten lang die Mühe macht, über den Zusammenhang nachzudenken, zu dem Ergebnis kommen muß, daß Diäten im Betrag von monatlich 1100 DM auch dann, wenn
sie nicht versteuert zu werden brauchen - und die I Vorlage hält bewußt an der Steuerfreiheit fest -, eine die volle Kraft eines Mannes in Anspruch nehmende, höchst verantwortliche Arbeit nicht zu hoch entschädigen. Ich weiß jedenfalls, daß es nicht wenige gibt, auf deren Mitarbeit das Parlament aus vielen Gründen großen Wert legen müßte, die sich dazu aber auch deshalb nicht entscheiden können, weil sie selbst in einer solchen, im Vergleich zu der seitherigen Diätenordnung verbesserten Entschädigung keinen ausreichenden Ersatz und keine angemessene materielle Sicherung ihrer Unabhängigkeit zu erblicken vermögen. Dieser Tatbestand zeigt sich oft genug - das wissen doch alle Parteien -, wenn es sich darum handelt, attraktive Kandidaten aufzustellen. Sprechen wir es hier doch einmal aus! Wenn das deutsche Volk Wert darauf legt - und es muß Wert darauf legen -, daß fähige Leute mit dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit sich auch in seinem parlamentarischen Dienst verzehren, dann muß es ohne Nörgelei auch bereit und willens sein, den Bestimmungen seiner Verfassung zu willfahren, und es muß dem Abgeordneten das geben, was er braucht.
In diesem Zusammenhang noch etwas, und hier appelliere ich an jede einzelne Kollegin und jeden einzelnen Kollegen in diesem Hause: Sie können nicht ernst und nachdrücklich genug, meine Damen und Herren, der Verzeichnung des Bildes widersprechen, die oft und weit verbreitet dadurch zustande kommt, daß man den Diäten völlig kritiklos den Unkostenersatz, auf den der Abgeordnete selbstverständlich ebenso wie jeder andere einen Anspruch hat, kurzerhand hinzurechnet.
({14})
Ich frage: Was würden eigentlich die Unternehmer, was würden die Kaufleute und die Handwerker sagen, wenn das Finanzamt ihre Betriebs- und Personalunkosten einfach ihrem Gewinn oder Einkommen zuschlagen würde?
({15})
Oder was würde der Monteur, der Anwalt, der Arzt, der Handelsvertreter sagen, wenn seinem Einkommen ohne Federlesen seine Betriebsausgaben und betriebliche Aufwendungen hinzuaddiert würden?
({16})
Ich komme damit zu den Punkten der Vorlage, die vor allem auf Grund von Verwaltungserfahrungen, die wir in den vergangenen Legislaturperioden gesammelt haben, geändert und neugefaßt worden sind. An Stelle der seither üblichen Tagegelder soll ein Tagegeldpauschale treten, das für jeden Monat gezahlt wird. Bei der Bemessung dieser Pauschalsumme ist von einem Durchschnitt von Tagegeldern ausgegangen worden.
Sicher - das ist unbedingt wahr -: Spitzenleistungen der parlamentarischen Arbeit - jedenfalls in der zeitlichen Inanspruchnahme - bleiben dabei ebenso unberücksichtigt wie die größeren, bedeutenderen oder weniger bedeutenden parlamentarischen Leistungen, die der einzelne vollbringt. Das kann man in diesem Hause nicht machen. Das Parlament kennt kein Oben und Unten; es kennt nur
Gleichberechtigte. Deshalb darf eine Diätenordnung oder der Unkostenersatz auch nicht davon ausgehen, die besondere parlamentarische Leistung zu honorieren. Das geht nicht. Hier wird der Status des Abgeordneten als solcher in Blick genommen, und daraufhin wird entschieden.
Die Pauschalierung soll, diesem Gedanken entsprechend, aber auch vor allem im Blick auf zwingende organisatorische und administrative Bedürfnisse der Parlamentsarbeit erfolgen. Sie soll in besonderer Weise dazu beitragen, die Voraussetzungen für einige fällige Maßnahmen der Parlamentsreform zu schaffen.
Selbstverständlich kann dabei auch in Zukunft nicht darauf verzichtet werden, daß denjenigen Mitgliedern des Hauses, die Sitzungen versäumen, Tagegelder nicht gewährt, d. h. also von dem Pauschale in Abzug gebracht werden. Meine Damen und Herren, bemühen Sie, wenn diese Vorlage Wirklichkeit wird, bitte nicht den Präsidenten oder das Präsidium mit der Klage, daß Ihnen soundso viel abgezogen worden ist! Das ist sehr gut möglich. Bedenken Sie, daß Sie auch bisher nur Tagegelder bekommen haben, wenn Sie tatsächlich hier gewesen sind. Das wird auch in Zukunft so bleiben; daran ändert sich gar nichts.
Die Vorlage führt aber praktisch, anders als seither, zu der Präsenzpflicht des Abgeordneten während der Sitzungswochen. Praktisch wird mit dieser Entscheidung die Präsenzpflicht des Abgeordneten während der Sitzungswochen in diesem Hause eingeführt. Bei den Abzügen soll in Zukunft unterschieden werden zwischen solchen Mitgliedern, die beurlaubt, und solchen, die nicht beurlaubt fehlen. Die Abzüge für das nicht beurlaubte Versäumen von Sitzungen sollen in Zukunft 50 DM betragen, also empfindlich härter sein als bisher. Im Falle der Beurlaubung soll es wie seither bei einem Abzug von 30 DM pro Tag bleiben. Die Tagegelder waren bis jetzt nicht und werden auch in Zukunft also nicht sein ein Bestandteil der Diäten, sondern - ich sage es noch einmal - ein Unkostenersatz. Sie gehören in die Gruppe des Unkostenersatzes, und sie sind vor allem dadurch gerechtfertigt, daß die Mitglieder dieses Hauses im allgemeinen ihren Wohnsitz in ihrem Wahlkreis oder an anderen Orten des Bundesgebietes nicht nur tatsächlich haben, sondern auch im Interesse des Hauses und ihres Mandates haben sollen. Das aber wiederum zwingt sie gewöhnlich, einen doppelten Wohnsitz, nämlich einen zweiten am Ort des Parlaments, zu begründen. Die Konsequenz ist unausweichlich. Wenn man die Voraussetzung akzeptiert, daß der moderne Parlamentarismus in den großen Parlamenten eben nicht mehr von der Fiktion der Nebenamtlichkeit ausgehen kann, ergibt sich daraus selbstverständlich der doppelte Wohnsitz auch mit finanziellen Konsequenzen. Dem soll Rechnung getragen werden mit dem Gedanken des Tagegeldpauschales.
Die Vorlage macht weiter dadurch von dem Gedanken der Pauschalierung Gebrauch, daß sie ihn wie seither auf die Abgeltung der Verwaltungs- und Bürounkosten der Abgeordneten anwendet. Der dafür ausgeworfene Betrag soll in Zukunft um 100 DM gesenkt werden. Diese Kürzung vorzuschlagen
ist mir nicht leicht gefallen, weil ich weiß, daß die meisten Mitglieder des Hauses gezwungen sind, ihre eigenen Büros, sei es hier, sei es an ihrem Wohnort oder in ihrem Wahlkreis, zu unterhalten oder mindestens mit zu finanzieren. Um aber zu einem möglichst gerechten Ausgleich bei der Reisekostenentschädigung zu kommen, habe ich in den interfraktionellen Besprechungen den Vorschlag gemacht, diesen Betrag von seither 700 DM auf 600 DM zu senken. Warum, werde ich gleich zu erklären mich bemühen, wenn wir nämlich zu dem Problem der Reisekosten kommen. Dort steckt nämlich die Frage des Autos. In diesem Zusammenhang muß man die Senkung von 700 auf 600 DM begreifen.
Der Vorstand bzw. der Altestenrat des Bundestages wird sich auch nach der Verabschiedung des Entwurfs, nach der Neufassung des Diätengesetzes noch mit einigen Einzelfragen befassen müssen, die sich im Zusammenhang mit der Unkosten- und Reisekostenerstattung ergeben und die auf die Dauer einer Neuregelung bedürfen, ohne daß hier darauf eingegangen zu werden braucht. Ich kann mich darauf beschränken, darauf hinzuweisen, daß die Zahlung von Kilometergeld in jeder Form in Zukunft entfallen bzw. ebenfalls pauschaliert werden soll.
Damit komme ich zu der besonderen Frage, mit der wir uns in diesem Zusammenhang lange und nach allen Seiten hin beschäftigt haben. Das ist die Frage, ob es gerechtfertigt ist, jedem Mitglied des Hauses grundsätzlich einen Unkostenbeitrag zu gewähren, der es ihm erleichtern bzw. ermöglichen soll, einen eigenen Wagen zu halten. Ich weiß, daß hier immer wieder die Einrede kommt: Was denn, was denn? Sie bekommen doch ohnehin eine Freifahrkarte für die Bundesbahn. Wozu brauchen Sie noch einen Unkostenzuschuß für das Auto? Nun, ich muß sagen: il a raison; da ist ein gewisser Sinn drin. Trotzdem hatten wir uns in der interfraktionellen Besprechung mit der Situation auseinanderzusetzen, daß der Bundestag seit seinem Bestehen in gewissen Grenzen die Benutzung von Kraftfahrzeugen in unserer Zeit als im Interesse der Mandatsausübung liegend anerkannt hat. Soll ich mich nun dazu entschließen, sollen sich die Fraktionen dazu entschließen, diese frühere Entscheidung des Bundestages aus dem Jahre 1950 im Jahre 1958 aufzuheben oder rückgängig zu machen? Hat die Motorisierung inzwischen in der Welt etwa einen Rückgang gezeigt? Davon kann doch gar nichtgeredet werden! Niemand hat sich dazu entschließen können, diese frühere Entscheidung des Bundestages heute als unbegründet oder als unbillig aufzuheben.
Nun kommt auch hier wieder ein Grundsatz, der diese Vorlage kennzeichnet. Wenn diese Entscheidung anerkannt wird, muß man auch bereit sein, für jedes Mitglied des Hauses entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Die Vorlage will diesen Gedanken in der Form realisieren, daß die sehr verschiedene Reisedauer und die Reisestrecke berücksichtigt werden. Es ist deshalb beabsichtigt, in Zukunft die Mitglieder des Hauses nach Wohnort oder Wahlkreis in Stufen einzugruppieren und ihre Reisekosten dementsprechend gestaffelt und pauschal abzugelten.
Damit habe ich die Grundzüge der Vorlage darzustellen versucht. Die Geschäftsordnung dieses Hauses will, daß in einer ersten Lesung nur die Grundzüge einer Vorlage behandelt werden. Hier und bei diesem Problem kam es indessen vor allem darauf an, den inneren Problem- und Begründungszusammenhang zur Geltung zu bringen, aus dem eine Diätenvorlage in einem freiheitlichen Parlament allein erwachsen kann. Es ist mir bewußt, daß auch diese Vorlage keine ideale Lösung ist. Ich habe jedoch die Aufgabe, Ihnen nicht einen idealen, sondern einen realisierbaren Vorschlag zu machen.
Ungelöst ist und bleibt dabei das mit dem Gesamtkomplex, der hier angesprochen ist, zusammenhängende Problem der Altersversorgung der Abgeordneten. Dieses Problem ist ernsthaft erwogen worden, nicht um einem übertriebenen Sicherheitsbedürfnis zu frönen, sondern weil es sich im Rahmen des Art. 48 des Grundgesetzes stellt. Wenn eine interfraktionelle Einigung darüber bis heute - ich sage: his heute - nicht zustande kam, so ist die Ursache dafür nicht darin zu suchen, daß die Probleme verkannt oder verniedlicht worden wären. Die Ursache liegt vielmehr in den fundamentalen Bedenken, die einerseits gegen jede Angleichung des Status des Abgeordneten an den des Beamten oder Angestellten und andererseits gegen den dabei etwa erforderlichen Staatszuschuß erhoben wurden. Was man auch immer dem Art. 48 des Grundgesetzes in dieser Sache glaubt schuldig zu sein, so ist es doch die, wie ich glaube, gemeinsame Überzeugung des Hauses, daß die Grundstruktur unserer rechtsstaatlichen Ordnung nicht dadurch verwischt werden darf, daß die verschiedenen Profile der Legislative und der Exekutive abgeschliffen werden. Der auf sehr begrenzte Zeit gewählte Parlamentarier, der sich nach eigenem Entschluß der Bestätigung oder Verwerfung durch das Volk stellen soll, darf in seinem Status und in seinem Selbstverständnis nicht gleichgestellt werden mit dem Angestellten oder dem Beamten der Exekutive, die zu kontrollieren er berufen ist. Anderseits aber halte ich dafür, daß, solange und soweit dieser grundlegende Unterschied im Bewußsein dieses Hauses bleibt, es auch hier in diesem Hause und an dieser Stelle legitim ist, weiter darüber nachzudenken und nach Lösungen zu suchen, die dem Geist unserer Verfassung, der Struktur unseres Staates und dem Wortlaut des Art. 48 gerecht zu werden vermögen.
Auf Grund einer Absprache im Ältestenrat beantrage ich die Überweisung der Vorlage an den Vorstand des Bundestages. Er ist nach § 6 der Geschäftsordnung mit den inneren Angelegenheiten des Bundestages befaßt. Ich danke den Kollegen aus allen Fraktionen, die sich monatelang mit dieser Vorlage befaßt haben. Und ich danke auch der sachgerechten - der sachgerechten! - öffentlichen Kritik, von der ich Anregungen empfangen habe.
Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Sache, um die es hier geht, ist trotz allem nicht nur eine Sache unseres Geldbeutels. Das ist sie auch; selbstverständlich ist sie das auch. Aber in erster Linie ist sie dennoch eine Frage, was wir, was das Haus gerechterweise der vornehmsten Institution unseres freiheitlichen Rechtsstaates schuldig ist. Es wäre an1252
genehmer, wenn wir uns unter dem Aspekt der Diäten nicht damit zu befassen brauchten. Indessen gilt auch hier, daß zum Parlamentarismus Zivilcourage gehört. Gab es im übrigen nicht einmal einen in deutschen Landen, der vorgab, alles viel effektiver, viel wirkungsvoller und viel billiger im Staate Deutschland machen zu können? Nun, er kam. Er kam, der Reichstag brannte und bald darauf das Vaterland.
({17})
Das Parlament, meine Damen und Herren, muß den Mut zu sich selber haben! Darum erbitte ich Ihrer aller Zustimmung zu dieser Vorlage.
({18})
Meine Damen und Herren, es ist in diesem Hause nicht üblich, dem Redner, der einen Antrag begründet hat, zu danken. Aber ich glaube, daß wir heute vor einem Ausnahmefall stehen. Der Redner, Präsident dieses Hauses, hat nicht vor diesem Haus gesprochen, sondern für dieses Haus vor der deutschen Nation. Ich glaube, daß wir ihm dafür danken sollen.
({0})
Nach der Vereinbarung im Ältestenrat soll eine Debatte nicht stattfinden. Wird trotzdem das Wort verlangt? - Das ist nicht der Fall; dann schließe ich die Aussprache. Es ist der Antrag gestellt, den Gesetzentwurf an den Vorstand des Bundestages und an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen. Damit ist Punkt 2 der Tagesordnung erledigt.
Wir fahren in der Beratung des Punktes 1 fort. Das Wort hat der Abgeordnete Lohmar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesinnenminister hat in seiner Rede eine beachtliche Ausweitung des Themas vorgenommen, wenn man den Gedankengang seiner Antwort auf die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion mit den Sachfragen vergleicht, die wir in dieser Großen Anfrage angesprochen hatten. Nun, wir bedauern diese Ausweitung des Themas nicht, glauben aber, daß es zweckmäßig sein wird, auf eine Fülle von einzelnen Anregungen und angeschnittenen Problemen im Rahmen der Haushaltsberatungen zurückzukommen, wobei sich dann auch zeigen kann, wie sich ein Grundproblem in dem Verhältnis der Bundesregierung zur Kulturpolitik, nämlich die Relation zwischen Theorie und Praxis, lösen läßt.
Ich möchte zunächst ein paar Bemerkungen zu den beiden Anträgen machen, die diesem Hause vorliegen, dem Antrag der CDU/CSU und dem Ihnen soeben zugegangenen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion. Die SPD-Fraktion möchte Ihnen vorschlagen, daß wir Ihren Antrag und den Antrag der SPD-Fraktion dem zuständigen Ausschuß, dem Kulturausschuß, überweisen. Wir sind der Meinung, daß es eine vernünftige Sache ist, sich über die Relation zwischen Bund und Ländern zu unterhalten. Es ist zweckmäßig, genauer danach zu fragen, welche Interpretation die Verfassungsbestimmungen über das Verhältnis Bund - Länder in der Kulturpolitik zulassen und welche finanziellen Konsequenzen wir daraus zu ziehen in der Lage sind.
Der Gedanke, der unserem eigenen Antrag zugrunde liegt, ist ein in diesem Hause nicht neuer, nämlich der Wunsch, diesem Wissenschaftsrat seine Arbeit in Berlin zu ermöglichen, weil wir möglichst viele neugegründete oder neuzugründende Einrichtungen dieser Art in die Hauptstadt Deutschlands verlagern möchten. Außerdem ist das Klima der Stadt Berlin vielleicht gerade der Arbeit eines Wissenschaftsrates förderlicher als das Klima des ansonsten sicherlich reizenden Städtchens Bonn.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesinnenminister hat in seiner Rede eine Reihe von Kronzeugen aus dem politischen Leben, aus dem geistigen Leben der Bundesrepublik herangezogen, Kronzeugen, auf die wir uns in unserer Betrachtung der hier in Frage stehenden Probleme gleichfalls berufen könnten. Was uns bei der Rede des Herrn Innenministers bewegt hat, ist die Tatsache, daß in einer Reihe von entscheidenden Fragen ein unübersehbarer Widerspruch zwischen der heute morgen gehörten theoretischen Aussage der Bundesregierung und ihrer praktischen Politik besteht. Ich möchte mir erlauben, Sie auf einige dieser Widersprüche hinzuweisen, und dabei mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen zu den Ausführungen unseres Kollegen Dr. Heck beginnen, der sich ja in dankenswerter Weise und gründlich mit dem Machtfaktor Sowjetunion beschäftigt hat, und zwar nicht nur unter dem in diesem Hause ansonsten üblichen nur-militärischen, sondern auch unter dem kulturpolitischen Gesichtspunkt. Aber, Herr Dr. Heck, Sie haben uns zugerufen: Im Osten, in Rußland wird eine Welt ohne Gott geplant; dort ist man dabei, einen neuen Menschen zu erziehen, einen Menschen, der - wie Sie sich ausgedrückt haben - mit dem personalen Menschenbild unserer Vorstellung nichts gemein hat.
Ich glaube, wir machen uns die Sache zu einfach, wenn wir hier den Westen in dieser Weise der Sowjetunion gegenüberstellen. Nicht als ob ich die von Ihnen geschilderten Gefahren der Verapparatung des Menschen geringer einschätzte als Sie. Aber wir in den westlichen Demokratien trösten uns mit dem Etikett „Demokratie" zuweilen über konkrete Tatbestände hinweg, die auch bei uns dazu führen können, daß der Mensch in Apparaturen gefangen bleibt und eben nicht mehr das ausmacht, was Sie mit dem Wort „personal" umschrieben haben. Ich will Ihnen nur zwei Beispiele dafür nennen. Das Problem der Abhängigkeit der Menschen von den Bürokratien staatlicher, wirtschaftlicher, politischer Art stellt sich heute - unabhängig von dem ideologischen Gehäuse - in der Sowjetunion, in Amerika und in Europa gleichermaßen. Die Frage der Manipulation der Menschen, die Frage der Anwendung der Seelentechnik ist in Amerika in einem Maße fortgeschritten, das ernsthaft die Frage nach der kritischen EntscheidungsLohmar
fähigkeit und -möglichkeit der Menschen aufwerfen läßt, insbesondere in der Konsumsphäre und im Bereich der Freizeitindustrie, wie man sie vielleicht nennen könnte. Gerade Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit dieses Hauses, haben sich ja im letzten Bundestagswahlkampf mit Erfolg bemüht, einige Einsichten der Seelentechniker zur Überrundung Ihres politischen Gegners einzusetzen. Denn was waren die Parolen „Was du hast, weißt du" oder „Keine Experimente!" anders als ein Appell an die Instinkte der Menschen ohne den dazugehörigen „überbau" von Argumenten?!
({0})
- Sie müssen sich mit den Argumenten der Sozialdemokratie etwas intensiver beschäftigen, bevor Sie eine solche pauschale Bemerkung zu einer konkreten Feststellung machen.
Ich möchte mit diesen beiden Beispielen nur andeuten, daß es nicht damit getan ist, zu sagen, in der Sowjetunion sei unser Menschenbild bedroht, wenn wir nicht gleichzeitig sehr aufmerksam und sehr nachdenklich gegenüber manchen Tatbeständen bei uns danach fragen, wo konkret eine kritische Urteilsfähigkeit als die Grundlage der Freiheit des Menschen in Frage gestellt ist.
Nun lassen Sie mich bitte in Ihre Erinnerung zurückrufen, was in bezug auf eines unserer Sachprobleme, nämlich die Frage der Ingenieurausbildung, in der Sowjetunion geschieht. Wie Sie wissen, ist es die Sozialdemokratie gewesen, die auf ihrem Münchner Parteitag 1956 und dann auf ihrer Parlamentariertagung in Düsseldorf die Öffentlichkeit der Bundesrepublik zum erstenmal, aus dem Raum der Politik jedenfalls, mit Nachdruck auf das Gewicht dieses Problems hingewiesen hat. Seither ist uns bekannt, daß in der Sowjetunion 1950 etwa 28 000 Ingenieure ausgebildet wurden, daß heute, wenn man Universitätsingenieure und andere zusammenfaßt, etwa 130 000 Ingenieure ausgebildet werden und begründete Aussicht besteht, daß es der Sowjetunion gelingen wird, die Zahl der ausgebildeten Ingenieure bis zum Jahre 1960 auf 200 000 jährlich zu steigern.
Die Zahlen für die Bundesrepublik haben Sie dem Bericht des Herrn Bundesinnenministers entnehmen können; ich brauche sie nicht zu wiederholen. Aber ich möchte in Ihre Erinnerung zurückrufen, was Herr von Amerongen, der ja insbesondere dem Industriellenflügel der CDU/CSU kein Unbekannter sein wird, nach der ersten Reise des Bundesverbandes der Deutschen Industrie nach Ostasien über seine Eindrücke von dieser Reise berichtet hat. Er hat vor zwei Jahren auf der Hannoverschen Messe in einem Vortrag vor Fachleuten aus der Wirtschaft erklärt - ich darf es mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Heute, nachdem diese Länder und diese Organisationen ihre Unabhängigkeit erreicht haben, haben wir als Deutsche mit deren Problemen uns direkt auseinanderzusetzen, womit ihnen
gerade in Beziehung zu unserem Lande erhöhte politische und wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Die großen Nationen Ostasiens gewinnen von Jahr zu Jahr an Bedeutung im Weltgeschehen und werden dadurch auch ein immer entscheidenderer Faktor für uns. Eine noch größere Bedeutung gewinnen sie aber auf dem Hintergrund der Ost-West-Auseinandersetzung, welche Rolle sie auch in dieser Auseinandersetzung spielen wollen oder zu spielen gezwungen sind.
Dieses Problem hat sowohl in den Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers wie auch in den Darlegungen von Herrn Dr. Heck keinen genügenden Raum gefunden. Offenbar hat die Bundesregierung nach wie vor nicht die Absicht zu begreifen, daß einschließlich der deutschen Frage sehr viele Probleme in der Welt nicht nur beurteilt werden können auf dem Hintergrund des Verhältnisses zwischen den USA und der UdSSR, sondern daß wir in unser Weltbild die aufstrebenden Völker, insbesondere Ostasiens, einbeziehen müssen. Die Sowjetunion hat seit Jahren - und das weist auf den Mangel an Anpassungsfähigkeit in der westlichen Politik hin - ihre Anstrengungen auf diese wirtschaftliche, psychologische Beeinflussung der ostasiatischen Länder gerichtet. Sie hat hier ihren New Look, ihre Außenpolitik nach Asien hinein gefunden.
Ich darf in Ihre Erinnerung zurückrufen, daß der Oppositionsführer Ollenhauer in seiner Antwort auf die Regierungserklärung den Herrn Bundeskanzler im 3. Deutschen Bundestag darauf aufmerksam gemacht hat, wie sehr die Selbstbehauptung der freien Welt davon abhängt, ob sie andere Völker und Menschen für ihre Vorstellungen gewinnen kann, und daß diese Chance nicht zuletzt von den Wissenschaftlern, den Technikern und den Erziehern abhängt. Sie können in einer Wochenzeitung, die bei der Mehrheit dieses Hauses gewiß mindestens so vertrauenswürdig ist wie bei der Minderheit, nämlich in der „Zeit" vom 10. März 1958, nachlesen, wie die technische Leistungsfähigkeit der Hilfe der Sowjetunion für die ostasiatischen Länder einzuschätzen ist. Ich meine, wir sollten diesen Tatbestand mehr in Rechnung stellen, wenn wir uns über die Frage der Förderung des technischen Nachwuchses bei uns unterhalten.
Dabei werden wir uns sicher auch mit einem Tabu beschäftigen müssen, das die Politik der Bundesregierung seit Jahren belastet, nämlich dem Tabu, über Planung in der Wirtschaft oder in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens möglichst nicht zu reden, sondern die Planung als eine zwangswirtschaftliche Maßnahme hinzustellen, mit der sich vernünftige Menschen nicht beschäftigen. Nun, der Bundesinnenminister hat in seiner Rede darauf hingewiesen, daß er dem neugebildeten Wissenschaftsrat die Aufgabe zudenken will, den entstehenden Gesamtbedarf festzustellen und im voraus durch seine Vorschläge zu bestimmen. Wir begrüßen diese Aufgabenstellung für den Wissenschaftsrat; denn sie entspricht den Vorschlägen, die die sozialdemokratische Fraktion auch für andere
Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in den letzten Jahren wiederholt gemacht hat. Nebenbei bemerkt kann sie sich dabei auf einen Fachmann berufen, nämlich den Herrn Präsidenten der Bank deutscher Länder, der vor zwei Jahren auf dem Deutschen Studententag in Hamburg sehr betont auf die Notwendigkeit einer Planung im Bereich der Wissenschaft hingewiesen hat. Aber in Anbetracht der Notwendigkeit, eine solche Planung auch in die Außenpolitik einmünden zu lassen, etwa in eine größere Hilfe für die ostasiatischen Länder, fragen wir uns, ob Sie es damit genug sein lassen wollen, Ihren Finanzminister in seiner Etatrede darauf hinweisen zu lassen, daß aus den beiden vergangenen Jahren noch 100 Millionen DM für diesen Zweck zur Verfügung stehen und jetzt weitere 50 Millionen DM dazukommen, um dann ein einziges in Indien erbautes Stahlwerk als Beispiel für die Tatkraft der Bundesregierung hier herauszustellen.
Wir brauchen - auch da möchte ich hinweisen und zurückkommen auf eine Anregung aus der Antwort der Opposition auf die Regierungserklärung
in der Zusammenarbeit der westlichen Welt, möglicherweise im Rahmen der UNO, eine Art von Marshallplan zur Förderung der unterentwickelten Gebiete oder, wie man freundlicher sagt, der Entwicklungsländer.
Dabei möchte ich Ihnen noch einmal eine Passage aus dem Vortrag von Herrn von Amerongen auf der Industriemesse in Hannover vorlesen. Herr von Amerongen weist darauf hin, wie notwendig nicht nur eine Kapitalhilfe für die unterentwickelten Gebiete, für die Entwicklungsländer, sondern wie notwendig zugleich die Bereitstellung von Facharbeitern, von Ingenieuren für die Durchführung einer solchen Wirtschaftspolitik ist. Er schreibt:
Bei der fortschreitenden Industrialisierung dieser Länder steht damit. im Zusammenhang das Fehlen der Schicht des sogenannten middlemanagement und der Facharbeiter. Die Führungskräfte oder das sogenannte top-management ist möglicherweise im eigenen Land oder aus anderen Ländern zu bekommen. Da es aber an industrieller Tradition fehlt, muß eine Schicht der Vorarbeiter, Meister und gelernten Facharbeiter erst geschaffen werden. Auch hier haben die UdSSR und die Länder des Ostblocks gegenüber dem Westen beachtliche Möglichkeiten, indem sie hei der Annahme der Durchführung größerer Projekte eigenes Schulungspersonal in die bestellenden Länder senden oder den Angehörigen dieser Nationen die Ausbildung im Lieferland ermöglichen.
Meine Damen und Herren, ich möchte dies mit dem Hinweis verbinden, wie gering die Zahl an ausländischen Ingenieurstudenten an deutschen Hochschulen ist und wie wenig bisher geschehen ist, um etwa einen Austausch von Praktikanten und Facharbeitern in dem wünschenswerten und den Erfolg einer soeben skizzierten Politik gewährleistenden Maße vorzunehmen. Sie wissen, daß die Förderung des Studentenaustausches heute sowohl
vom Auswärtigen Amt wie vom Bundesministerium des Innern gehandhabt wird. Aber es wäre insbesondere beim Auswärtigen Amt zu wünschen, daß diese Hilfe in einer weniger bürokratischen Form gegeben wird, als das zuweilen der Fall ist.
Nun lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zu Einzelfragen machen, die der Herr Bundesinnenminister in seiner Antwort auf die Große Anfrage der SPD angesprochen hat. Er hat darauf hingewiesen, daß 35 % der Studenten an wissenschaftlichen Hochschulen heute nach der Einführung des Honnefer Modells mit Stipendien unterstützt werden, und er hat sich dagegen verwahrt, daß man einen Vergleich dieses Anteils an geförderten Studierenden etwa mit England oder mit der Ostzone zieht. Er hat gemeint, man sollte von etwa gleichartigen Gesamtzahlen von Studierenden ausgehen. Wir sind nicht dieser Meinung. Wir glauben, daß die Beurteilung von Zielsetzung und Ausmaß der Studentenförderung lediglich an der Frage des Bedarfs auf der einen Seite und an der Frage nach der wirtschaftlichen Lage der Studierenden auf der anderen Seite ansetzen kann.
Im übrigen ist es nicht nur ein Merkmal totalitärer Staaten wie der Ostzone oder der UdSSR, daß dort praktisch jeder studieren kann. In Amerika haben wir in der Sache die gleiche Situation: daß niemand aus wirtschaftlichen Gründen an einem Studium gehindert wird.
Ich meine deshalb, meine Damen und Herren, Sie sollten überlegen, ob nicht der Forderung etwa des Verbandes Deutscher Studentenschaften auf Erhöhung der Mittel für die Durchführung des Honnefer Modells von 35 Millionen auf 50 Millionen DM sinnvoll Rechnung getragen werden kann. Wenn ich sage „sinnvoll", dann meine ich, daß es keinen Zweck hat, dies zu tun, ohne gleichzeitig den Ausbau der Lehrkörper an den Hochschulen in Angriff zu nehmen. Diese Forderung ist ja in der Antwort des Herrn Innenministers im Grundsatz anerkannt worden. Zu ihrer Verwirklichung ist jedoch im Gegensatz zur Bereitstellung der materiellen Mittel für die Studentenförderung seither so gut wie nichts geschehen.
Nun ist eine Diskussion darüber entstanden, ob und in welcher Form das Honnefer Modell für die wissenschaftlichen Hochschulen auf die sogenannten nichtwissenschaftlichen Hochschulen übertragen werden kann. Ich möchte mich da meinem Kollegen Ratzel anschließen der bereits darauf aufmerksam gemacht hat, daß es uns nicht darum geht, hier an einer bestimmten Form zu hängen. Uns geht es um die Sache. Immerhin ist es aber an sich schon ein bemerkenswertes Faktum, daß in dem Städtchen Rhöndorf einmal das verkürzte Denken durch die Diskussion über ein Thema angeregt wird, das langfristige Perspektiven einbezieht.
Das Bundesinnenministerium hat bisher in seinen Diskussionsbeiträgen - nicht heute morgen hier im Hause, aber an anderer Stelle - zum Ausdruck gebracht, man könne das Honnefer Modell auf die sogenannten nichtwissenschaftlichen Hochschulen, das bedeutet auch auf die Ingenieurschulen, deshalb
nicht übertragen, weil bestimmte Merkmale der wissenschaftlichen Hochschulen bei den nichtwissenschaftlichen Hochschulen fehlten, Merkmale wie die Rektoratsverfassung, das Promotionsrecht oder die Einheit von Forschung und Lehre. Diese Merkmale seien bei den Universitäten im Gegensatz zu den Ingenieurschulen gegeben. Gegenüber solchen Argumenten möchte ich Ihnen zu bedenken geben, ob nicht auch hier die Frage nach dem Bedarf und die Frage nach der Lage der Studierenden die beiden einzig interessanten Zugänge zur Lösung dieses Problems darstellen.
Man wundert sich beispielsweise, wenn man im Bulletin der Bundesregierung vom 15. April über die vom Herrn Bundesinnenminister als in Arbeit befindlich bezeichnete Forschungsarbeit über die soziale Lage der Studierenden an den nichtwissenschaftlichen Hochschulen liest:
Zweck dieser Zusammenkunft
gemeint ist die Zusammenkunft in Rhöndorf
war die Erarbeitung eines Förderungsmodells ähnlich dem Honnefer Modell, das die Förderung der Studenten an „nichtwissenschaftlichen Hochschulen" ermöglichen solle.
Zwei Absätze weiter heißt es dann:
Eine Übernahme des Honnefer Modells auf die Studierenden an nichtwissenschaftlichen Hochschulen scheiterte jedoch daran, daß erhebliche Unterschiede in der Art und Weise des Studiengangs zwischen den Studenten an den wissenschaftlichen und den Studierenden an nichtwissenschaftlichen Hochschulen bestehen.
Schließlich wird im Schlußabsatz festgestellt,
daß die vorliegende Erhebung ähnliche Relationen aufweist wie die Sozialstatistiken über die Studenten an wissenschaftlichen Hochschulen, . . .
Die ganze Widersprüchlichkeit des Ansatzes der Planung der Bundesregierung in der Förderung der Studierenden der nichtwissenschaftlichen Hochschulen wird an diesen drei Stellen des Artikels im Bulletin deutlich. Dabei ist diese Erhebung zu dem Ergebnis gekommen, daß bei den Ingenieurstudenten heute lediglich 27 % über monatlich 200 DM und mehr verfügen, daß ein Drittel der Studierenden an Ingenieurschulen nicht ausreichend versorgt ist, daß 24 % im letzten Studiensemester erwerbstätig waren und ebenfalls 24% mehr als 30 Stunden in der Woche gearbeitet haben. Wir möchten diese Tatsache zum Anlaß nehmen, zu bemerken, daß sehr schnell ein in der Sache dem Honnefer Modell entsprechendes Abkommen getroffen werden muß, das eine Förderung auch dieser Studierenden in ausreichendem Umfange ermöglicht.
Dabei ist es zweckmäßig, sich einmal Klarheit darüber zu verschaffen, was es denn heute mit dem Charakter des Studiums eigentlich auf sich hat, wenn man von den Unterschieden zwischen den technischen Bildungsanstalten und den Universitäten spricht. Der Herr Innenminister hat den Hamburger Soziologen Schelsky zitiert. Ich darf mich ebenfalls auf Herrn Professor Schelsky berufen und Ihnen ein paar Zeilen zur Kenntnis bringen, die Sie in der Nr. 43 der Wochenzeitung „Die Zeit", Jahrgang 1957, finden. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich Ihnen diese Zeilen vorlesen:
Indem die industrielle Gesellschaft die Anwendung wissenschaftlicher Kenntnisse in Aufgaben und Berufe hinein ausdehnt, die noch vor einer Generation allein mit einer Erfahrungs- und Praxisausbildung zu meistern waren, und die akademischen Bildungsinstitutionen diese Vermittlung der angewandten Wissenschaften zunächst nur allzu willig übernommen haben, sehen sich diese Bildungsanstalten heute in einer sozialen Funktion gefangen, der sie schon deshalb nicht ausweichen können, weil es keine anderen Institutionen zur Ausbildung der wissenschaftlich geschulten technischen und funktionalen Intelligenz gibt, deren die moderne Gesellschaft zu ihrem Bestand und Überleben bedarf. Die Funktionen dieser so wissenschaftlich ausgebildeten Intelligenz umfassen in der Struktur der modernen Gesellschaft aber Ränge und Leistungen, die bei einer noch so großzügigen Auslegung des Begriffs einer geistigen Führungsschicht damit kaum etwas zu tun haben, denen eine elitäre Geistesbildung anzusinnen daher sozial sinnlos und praktisch ergebnislos ist.
Der Student realisiert nur,
- schreibt Schelsky
was ihm als Verhaltensnotwendigkeit von der Gesellschaft und der Hochschule gleicherweise aufgedrängt wird; es entspricht allerdings dem nüchternen Durchsetzungs- und Anpassungswillen seiner Generation, daß er an der schizoiden Gespaltenheit der Universität zwischen Realität und Idee nicht unnötig teilzunehmen trachtet, sondern das Studium als einen Durchgang zum Beruf und damit selbst als eine Vorform der Berufstätigkeit betrachtet, . . .
Ich möchte die Diskussion über den Zusammenhang zwischen Bildung und Ausbildung hier nicht vertiefen, wollte dies aber doch dazu anmerken, weil es wenig Sinn hat, an dem Auseinanderklaffen von Idee und einer völlig andersgearteten Wirklichkeit festzuhalten, diese Kluft zu beklagen und sich im übrigen zu scheuen, ein realistisches Bild von der Wirklichkeit und den entsprechenden Möglichkeiten zu entwerfen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine andere Frage streifen. Sowohl im Honnefer Modell als auch im Rhöndorfer Modell ist die Rede davon, daß es sich bei der Studienförderung lediglich um eine individuelle Förderung handeln könne. Einverstanden. Aber ich möchte sagen: mit dem Zusatz, daß wir endlich begreifen sollten, daß diese Studentenförderung eine Investition der Gesellschaft in ihrem ureigensten Interesse darstellt und völlig fern etwa jeder karitativen Maßnahme gegenüber der Studentenschaft liegt.
({1})
Über diesen Ansatz im Denken sollten wir endlich einig werden, damit die Förderung der Studierenden als das Problem begriffen wird, das es der Sache nach darstellt.
Aus diesem Grunde haben wir seitens der sozialdemokratischen Fraktion nach wie vor unsere Bedenken gegenüber Darlehen anzumelden. Bezeichnenderweise haben von den Ingenieurstudenten lediglich 7 v. H. Darlehen aufgenommen oder wollen dies tun. Wir sind der Meinung, daß - abgesehen von einer Reihe von Ungerechtigkeiten, die dabei auftreten können - das Darlehen dem Charakter des Studiums und der Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber den Studierenden nicht entspricht.
Ein Einzelproblem im Rahmen der Studentenförderung verdient die Aufmerksamkeit vor allem der Mehrheit dieses Hauses. Bezeichnenderweise hat weder der Herr Bundesinnenminister noch der Sprecher der CDU/CSU, Herr Dr. Heck, darüber etwas gesagt. Ich meine die soziologische Zusammensetzung der Studierenden sowohl an den Universitäten wie an den heute in Frage stehenden technischen Bildungsanstalten. Sie wissen, daß etwa die Untersuchungen von Professor Müller zu dem Ergebnis geführt haben, daß die Begabungsreserven in den sogenannten oberen sozialen Gruppen sehr viel weitgehender ausgeschöpft bzw. in den normalen Bildungsgang unserer Gesellschaft eingemündet sind als in den sogenannten unteren sozialen Gruppen. Dem entspricht die Tatsache, daß wir an den Universitäten in den letzten Jahren nie mehr als 5 % Studierende aus der Arbeiterschaft gehabt haben. Der Anteil an den Ingenieurschulen ist etwas höher, aber kaum nennenswert.
Wenn man auf dieses Thema zu sprechen kommt, wird einem meist gesagt, der sogenannte Mittelstand, die Beamten, die Angestellten, brächten in einem höheren Maße Opfer für das Studium ihrer Kinder, als dies die Arbeiterschaft zu tun bereit sei. Ich will über die Feststellung dieses Tatbestandes nicht streiten. Aber dies muß unseren Blick auf die Tatsache lenken, wie wenig die Frage des Zugangs der Arbeiterschaft zu den Hochschulen allein ein materielles Problem ist. Es handelt sich neben dem Materiellen darum, diese soziale Schicht unseres Volkes in eine sachgerechte Beziehung zur Problematik und Aufgabenstellung wissenschaftlicher Arbeit zu bringen.
Das hat Konsequenzen auch für die politische Art und den politischen Stil, in dem man in Deutschland diskutiert. Beispielsweise ist es mit dem Wunsch nach einer soziologisch breiteren Streuung des wissenschaftlichen Nachwuchses nicht zu vereinbaren, wenn in der politischen Diskussion überholt geglaubte ideologische Begriffe, wie „bürgerlich" auf der einen Seite oder „nichtbürgerlich" auf der anderen Seite, mit der Absicht einer politischen Frontenbildung künstlich wiederbelebt werden. Es ist auch nicht im Sinne des Wunsches nach einer solchen Ausweitung - wenn ich mir in einer Nebenbemerkung eine Anspielung auf den beginnenden Wahlkampf von Nordrhein-Westfalen erlauben darf -, etwa eine politische Partei wie die
Sozialdemokratie mit dem aus dem Arsenal der Nationalsozialisten entlehnten und in diesem Sinne gebrauchten Sammelbegriff „die Roten" oder „die rote Herrschaft" abzutun und zu diffamieren.
({2})
Solche Dinge stören die Absicht einer Ausweitung auch des Verständnisses in den bis heute nicht hinreichend in die wissenschaftliche Ausbildung einbezogenen Gruppen unseres Volkes erheblich. Sie mögen zwar stolz darauf sein, daß Sie - die Mehrheit dieses Hauses - unter Ihren Wählern auch einen nennenswerten Teil Arbeiter haben. Aber Sie sollten dabei nicht übersehen, daß die Sozialdemokratische Partei nach wie vor den ersten und entscheidenden Anteil an der Vertretung gerade dieser sozialen Gruppe historisch und praktisch hat.
Der Herr Innenminister hat davon gesprochen, daß wir eine umfassende geistige Bildung unseres Volkes brauchten. Er hat den Deutschen Ausschuß hervorgehoben und ihm für seine Arbeit gedankt. Wir möchten uns diesem Dank für die Arbeit des Deutschen Ausschusses anschließen.
Der Innenminister hat erklärt, daß wir in manchen Planungen, in manchen Ausdrucksformen des Lebens unseres Volkes bescheidener, zurückhaltender sein sollten, als das im Alltag des Lebens der Bundesrepublik offenbar der Fall ist. Ich muß hier an dieser Stelle wieder an die Praxis Ihrer Politik erinnern, die Sie in den letzten Jahren betrieben haben, noch mehr aber daran, unter welchen Leitideen Sie diese Politik in der Öffentlichkeit vertreten haben. Sie sind doch die Apostel eines höchs oberflächlichen Wirtschaftswunderdenkens! Wir sind sehr für den wirtschaftlichen Aufschwung. Aber wir wehren uns dagegen, der Bevölkerung einzuhämmern, daß dieser wirtschaftliche Aufstieg das A und O in diesem Staate sei.
({3})
Herr Dr. Heck hat sich in seiner Rede dieser Sicht angeschlossen. Nun, wir warten darauf, daß sich daraus in der Propaganda und in den öffentlichen Verlautbarungen der Bundesregierung Konsequenzen ergeben, die wir bisher nicht haben beobachten können.
Eine Diskussion über Hochschulen, eine Diskussion über Fragen der Bildung hört sich im Jahre 1958 sehr viel anders an als eine solche Diskussion etwa im Jahre 1949 oder auch noch im Jahre 1954. Diejenigen, die in diesen Jahren mit Leidenschaft um eine über die technische Apparatur hinausgehende Hochschulreform gerungen haben, haben heute weitgehend resigniert; soweit sie nicht resigniert haben, sagen sie: Der Worte sind genug gewechselt, wir wollen endlich Taten sehen. Daran sollten wir uns bei diesem Gespräch erinnern.
Der Bundesinnenminister sagt in seiner Denkschrift über den technischen Nachwuchs, das Problem des technischen Nachwuchses sei nicht nur ein technisches und nicht nur ein wirtschaftliches Problem. Nun, was heißt das? Wir sollten unseren
Blick einmal auf die Gespräche lenken, die auf dem dritten deutschen Studententag in München geführt worden sind, wo Hermann Heimpel in einer Analyse der Bildungsaufgabe unserer Hochschulen erklärt hat, daß Bildung „das Sich-Auskennen in den Mächten der Zeit" sei, oder wo Walter Dirks die Studierenden, die sich damals zu einer Diskussion zusammengefunden hatten, mit den Worten aufrief:
Wendet eure Phantasie, eure Kritik, eure Leidenschaft, eure Liebe an die großen Themen der Gesellschaft. Lassen Sie sich nicht vom deutschen Wirtschaftswunder blenden, noch von Ihren Vätern und Alten Herren bestechen, noch von den Apparaturen imponieren, noch durch die Massenbetäubungsmittel einschläfern oder ablenken!
Ich glaube, wir sollten diese Bemerkungen von Walter Dirks, in ihrem weiteren Sinne verstanden, an uns alle dringen lassen.
Ich möchte Ihnen, die Sie in diesem Hause des öfteren die Mehrheit mit den Notwendigkeiten der Sache verwechseln,
({4})
sagen: Gehen Sie von einer Betrachtung unserer Zeit ab, die die Welt in Formeln zerlegt! Lassen Sie auch in der Praxis und nicht nur in Kulturreden in diesem Hohen Hause von der oberflächlichen These ab, eine ohnehin unzureichende Quantität des Wirtschaftswunders werde bei uns oder woanders von selber in die Qualität eines Gemeinwesens freier Menschen einmünden! Fragen Sie konkret nach den Bedingungen, welche Freiheit und Gerechtigkeit zu einem realen Inhalt des Lebens werden lassen! Lassen Sie uns nach dem Weg suchen, der die Demokratie im technischen Zeitalter zu einem Zuhause, zu einer Heimstatt werden lassen kann, in der einer gleichberechtigt und frei neben dem nächsten wirkt! Lassen Sie uns das ohne falsches Pathos, aber mit aller Leidenschaft zur Sache tun!
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zoglmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem amerikanischen Außenminister Dulles wird das Wort zugeschrieben: Der kalte Krieg wird in den Hörsälen entschieden. Ich bin versucht zu sagen: Welches Glück, daß dieser Raum kein Hörsaal ist! Sonst könnte ich den Aspekten, die uns in dieser Auseinandersetzung zwischen West und Ost bleiben, nicht sehr viel Gutes zuschreiben.
Vorhin hat der Kollege Heck gesagt, die Kulturpolitik solle an erster Stelle stehen. Ich bin ein Benjamin in diesem Hause, möchte aber doch sagen: den Eindruck, daß kulturpolitische Anliegen in diesem Hause an erster Stelle stünden, kann selbst ein ganz großer Optimist nicht von hier mitnehmen. Ich habe fast den Eindruck, es geht uns in Deutschland so, wie es den Amerikanern ging: es muß erst ein Sputnik am Himmel erscheinen, bis den Leuten klar wird, um was es eigentlich bei den Fragen der Wissenschaft und Forschung im Letzten geht.
Wissenschaft und Forschung - das sollte doch jeder, der sich nur ein bißchen mit diesen Dingen befaßt, unschwer feststellen können - sind heute Kampfmittel der politischen Auseinandersetzung geworden. Die künftigen großen Entscheidungen in der Welt werden letzten Endes von den Gelehrten und von den technischen Apparaturen entscheidend beeinflußt.
Vorhin hat der Herr Bundesinnenminister gesagt, die Bundesregierung habe ein Recht, sich Gedanken zu machen und Überlegungen anzustellen, um mit der Problematik fertig zu werden, die mit der heutigen Großen Anfrage der SPD angeschnitten ist. Er hat dann dazu auch einiges ausgeführt. Ich kann ihm aber nicht ganz beistimmen, wenn er meint, daß eigentlich alles getan sei, um die Dinge zum Guten zu lenken.
Man hat hier gesagt, ein Vergleich mit Rußland oder mit England oder auch mit Amerika sei nicht anzustellen, weil die Größenordnungen verschieden seien und alle Voraussetzungen dafür schlechthin fehlten. Das trifft insofern nicht den Kern der Sache, als die Entwicklung uns so oder so zwingt, sich mit den Dingen auseinanderzusetzen, die nicht zuletzt vom Osten, von Rußland her auf uns zukommen.
Vorhin hat Herr Kollege Heck ein sehr gutes Wort ausgesprochen. Er hat gesagt, in Rußland sei ein neues Sendungsbewußtsein entstanden. Wenn man nun das russische Sendungsbewußtsein und die technischen Maßnahmen, die gerade auf dem Gebiete der Erziehung getroffen sind, addiert, dann muß man wirklich besorgt werden. Die Zahl von 760 000 Studenten, die heute an den Ingenieurschulen aller Ordnungen in Rußland studieren, und das Vorhaben der russischen Regierung, bis zum Jahre 1960 auf eine Million Ingenieurschulstudenten aller Gattungen zu kommen, sind doch so beachtlich, daß wir daran nicht vorbeigehen können. Die Zahl von 60 000 Studierenden aller Ingenieurgruppen in der Bundesrepublik möchte ich nur als Ergänzung dazu erwähnen. Diese Zahlen sind keine russischen Propagandazahlen, es sind die Zahlen eines englischen Regierungsberichts, der aus der Sorge um diese Dinge von der britischen Regierung veranlaßt wurde.
Wenn man nun sagte: Ein russischer Ingenieur ist am Ende nicht viel mehr als ein deutscher Schlosser, dann müßte ich entgegnen, man sollte gerade angesichts der Leistungen, die die Sowjets in den letzten Monaten uns allen offenbar werden ließen, sich nicht zu einer so leichtfertigen Äußerung hinreißen lassen. Kein geringerer als Winston Churchill hat gesagt:
In den letzten Jahren wurde die Sowjeterziehung auf dem Felde des mechanischen Ingenieurwesens sowohl in der Zahl als auch in der Qualität so entwickelt, daß es alles, was wir erreicht haben, weit übertrifft.
Und kein anderer als der Leiter der amerikanischen Forschung im zweiten Weltkrieg, Herr Vanever Bush, hat gesagt, daß man die Qualität der russischen Ingenieurerziehung auf alle Fälle sehr hoch
anzetzen sollte. Auch der Vorsitzende der amerikanischen Energiekommission, Strauß, sagt:
Mir ist keine öffentliche höhere Schule in Amerika bekannt, in der die Schüler so gründlich in Naturwissenschaft und in Mathematik vorbereitet werden wie in Rußland.
So leichtfertige Feststellungen, wie sie heute da oder dort im Hinblick auf den Zahlenvergleich getroffen werden, sollten wir uns also nicht zu eigen machen.
Wenn man die Dinge nur vom Äußeren her sieht, ist man fast versucht, zu sagen: Wir haben das Wettrennen mit drüben bereits verloren. Aber wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben. Ich bin immer ein Optimist gewesen. Mein Optimismus geht sogar so weit, daß ich jetzt vor diesem Hause doch noch das Wort ergriffen habe.
({0})
Ich habe mich gefragt, ob ich nicht meine Rede nur den Parlamentsstenographen zu Protokoll geben soll. Aber ich komme aus Österreich, und bei uns in Österreich sagt man: Die Demokratie ist eine Strapaz, also darf man sich ihr nicht entziehen.
({1})
Wir brauchen also die Hoffnung nicht aufzugeben. Aber wir haben nur dann Grund zu einer Hoffnung, wenn wir etwas tun, und zwar muß mehr getan werden, als hier heute anklang. Ich bin selbst seit Jahren Mitglied des Kulturausschusses eines Landtages, und ich weiß, was wir in den Landtagen in dieser Richtung tun. Ich weiß aber auch, wo es fehlt. Ich weiß, daß der Bund viel mehr tun müßte, als bisher getan worden ist. Das Wort von der Kulturhoheit der Länder zieht nicht. Sie haben es selbst vorhin gesagt, Herr Minister: Niemand kann die Bundesregierung hindern, etwas in dieser Richtung zu tun, niemand kann sie der Verantwortung entheben, die sie für diese Dinge mit trägt. Die Frage des Institutionellen, beispielweise, wie das oft so gesagt wird, daß wir ein Bundeskultusministerium haben müßten usw., ist nicht primär. mär ist die Frage der Zurverfügungstellung der Mittel, primär ist letzten Endes auch die Frage des Einsatzes dieser Mittel.
Sie, Herr Innenminister, haben vorhin einige Äußerungen über den Wissenschaftsrat gemacht und haben Hoffnungen geknüpft an das nunmehrige Aktivwerden dieser Institution. Ich habe auch Hoffnungen, aber meine Hoffnungen hinsichtlich des Aktivwerdens des Wissenschaftsrates bewegen sich wenn ich das einmal musikalisch ausdrücken
darf - ein bißchen in Moll, weil ich mich an die Schwierigkeiten bei dem Zustandekommen dieses Wissenschaftsrates erinnere. Dort ist nämlich tatsächlich die Quadratur des Kreises versucht worden. Was herauskam, ist eine Institution mit 38 oder 39 Mitgliedern, aber mit 44 Stimmen, also gewiß etwas ganz Eigenartiges, was man sonst kaum kennt. Das mußte deshalb so sein, damit Bund und Länder einerseits und die Wissenschaft andererseits gleichmäßig zum Zuge kamen. Aber wenn man
alle diese Dinge auf einen Nenner bringen will, dann wird es irgendwo sehr problematisch.
Nun haben Sie vorhin Zahlen genannt, Herr Minister, und gesagt, wir seien im Schnitt hinsichtlich der Förderung unserer Studenten vergleichbar mit Frankreich, Finnland, Schweden usw. Es wurde hier schon gesagt: bei den Russen kann man mit 100 % Stipendien rechnen. Auch in Amerika kann man eigentlich mit 100 % Stipendien rechnen. Jedenfalls braucht in Amerika bei dem Vorhandensein so vieler Möglichkeiten kein Student, der sich einem Universitätsstudium unterziehen will, der Universität fernzubleiben. Hinsichtlich des Vergleichs mit Frankreich habe ich eine andere Zahl zur Verfügung: 54 % Stipendien in Frankreich. Sie selbst, Herr Minister, haben vorhin für Deutschland von 20 % gesprochen. Ich wäre dankbar, wenn man diese Zahl korrigieren würde. Ich wäre auch dankbar, wenn man mich überführte, mich nicht genügend informiert zu haben. Aber ich habe die Sorge, daß es am Ende doch ein bißchen überspitzt wird, wenn man sagt, wir bewegten uns hier etwa auf der Ebene der Franzosen.
Sie haben in Ihren letzten Worten, Herr Minister, die Hoffnung ausgedrückt, daß die Dinge wieder ins rechte Gleis gebracht würden. Sie haben gesagt: Wir sind im Augenblick auf dem Wege, wieder nach oben zu kommen. Wenn man aber hört, daß 400 Lehrstühle allein an den Universitäten fehlen, daß 25 % der etatmäßigen Professorenstellen unbesetzt sind, daß 62 % der Assistenten- und Oberingenieurstellen unbesetzt sind, daß, wie ich einer Umfrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft entnehme eine Zahl, die ich gar nicht glauben kann -, 96 % aller Stellen des gesamten technischen und Werkstattpersonals an den Hochschulen und Universitäten unbesetzt sind, dann muß man, glaube ich, etwas vorsichtiger sein und darf nicht hinsichtlich des Ganges der Dinge eine so optimistische Darstellung geben.
Wenn Sie sich weiter vergegenwärtigen, daß der zeitliche Abstand zwischen Forderung und technischer Nutzung heute immer geringer wird, wenn Sie sich weiter vergegenwärtigen, daß der geistige Anteil an unserem Schaffen immer größer wird, wenn Sie sich Zahlen vergegenwärtigen wie z. B. die der großen amerikanischen Firma General Electric: im Jahre 1900 1 Ingenieur auf 250 Beschäftigte, im Jahre 1950 1 Ingenieur auf 60 Beschäftigte, im Jahre 1955 ein Ingenieur auf 15 Beschäftigte, dann müssen Sie sich doch fragen, wohin das führen soll, wenn, wie Sie selbst sagen, im Jahre 1970 30 000 Ingenieure fehlen werden. Der VDI spricht von 40 000 Ingenieuren. In Ihrer Berechnung, Herr Minister, fehlt aber noch die Entwicklung, die ich aus der General Electric hier ablese. Was fehlt uns, wenn die Entwicklung zur Technisierung, zur Mechanisierung, zur Automatisierung so weiter geht, daß in Zukunft noch viel mehr als bisher Ingenieure, hochwertige, technisch vorgebildete Kräfte erforderlich sind? Das ist eine Frage, die ich ebenfalls in die Betrachtung einzubeziehen bitte. Wir haben im Jahre 1939 500 000 Industrieschaffende in Deutschland gehabt; 6 % davon waren
Ingenieure. Im Jahre 1950 hatten wir in der Bundesrepublik ebenfalls 500 000 Industrieschaffende; nur 4 % waren Ingenieure. Im Jahre 1955 hatten wir 650 000 Industrieschaffende in der Bundesrepublik, und nicht mehr ganz 4 % waren Ingenieure. Das sind doch Zahlen, die uns sehr, sehr zu denken geben.
Nun ist vorhin Nordrhein-Westfalen als Land, in dem sich die Entwicklung zum Positiven gewendet habe, von Ihnen, Herr Innenminister, erwähnt worden. Wir haben in Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr drei neue Ingenieurschulen erstellen können, wir haben die anderen ausgeweitet. Aber die Situation ist noch so, daß wir an den Maschinenbauschulen in Nordrhein-Westfalen von 5420 Bewerbern im Jahre 1957 nur 1740 Bewerber annehmen konnten.
In diesem Zusammenhang ist vorhin der Zwischenruf gemacht worden: Ja, wie ist es denn mit der Begabung dieser Leute? Damit sollte gewissermaßen gesagt werden, die zwei Drittel, die nicht zum Zuge kämen, seien eben so wenig begabt, daß sie gar keine Chance hätten, wenn sie auf eine solche Schule gehen. Das ist effektiv die Unwahrheit.
({2})
Diese Leute warten zwei, drei Jahre lang, ehe sie überhaupt ihr Studium beginnen können. Das ist die wahre Situation.
({3}) Vor dieser Problematik stehen wir doch.
Vorhin ist von dem Mangel an Schulraum gesprochen und der Bogen ganz weit gespannt worden, bis zu den Volksschulen. Es wurde auf die Möglichkeit des neunten Schuljahres hingewiesen. 22 000 Schulklassen, wurde vorhin gesagt, fehlen uns im Augenblick noch. 11 000 werden dazu neu benötigt, wenn man das neunte Schuljahr einführt. Das entspricht bei der augenblicklichen Meßzahl von rund 100 000 DM pro Schulklasse einer Summe von 3,3 Milliarden DM. Aber das trifft den Kern der Sache noch nicht. Ich möchte Ihnen die Dinge einmal, ich möchte fast sagen, vom grünen Ast her, nämlich von der Länderebene her, darstellen. Wenn wir in Nordrhein-Westfalen im nächsten Jahr das Schulfinanzgesetz einführen, müssen wir sämtliche Zuschüsse für Schulneubauten wegfallen lassen, weil wir den Pfennig auch nur einmal ausgeben können. Das ist das Problem. Die Lücke wird immer größer, sie klafft immer mehr. Über diese Dinge sollten wir uns doch Gedanken machen. Ich habe also wirklich ernste Sorgen und kann mich nicht der mehr oder weniger hoffnungsvollen Betrachtungsweise, die hier erkennbar wurde, anschließen.
Ein Wort zu der Frage der Kulturhoheit. Was kann der Bund tun? Ich glaube, Herr Kollege Heck sagte vorhin, die Zersplitterung sei durch die Besatzungsmächte in das deutsche Erziehungswesen hineingebracht worden, heute sei sie aber fast überwunden. Ich kann Ihnen nicht ganz beipflichten, Herr Kollege Heck. Es scheint mir im Gegenteil so: Den Besatzungsmächten ist damals ein großer Wurf gelungen. Es ist der Wurf des Jason, und den Rest besorgen wir. Wenn man heute nach wie vor beispielsweise bei den Ingenieurschulen, um die es jetzt geht, vor durchaus verschiedenen Prüfungsordnungen, vor verschiedenen Zulassungsordnungen, vor verschiedener Studiendauer steht, dann kann man nicht sagen, daß die Dinge bereits aus einer kritischen Entwicklung herausgeführt wurden.
Was kann nun der Bund tun? Wissenschaftsrat - ich habe es vorhin gesagt: ich bin skeptisch. Man muß vielleicht einmal querbeet in den Fraktionen dieses Hauses und auch in den Ländern alle gutwilligen Leute an den Tisch kriegen und ihnen klarmachen, daß auch das Grundgesetz, wenn es wirklich ein Hemmnis in diesen Dingen sein sollte, einer Entwicklung unterliegt und daß man, wenn man im Jahre 1958 feststellt, daß eine Situation eingetreten ist, die man 1949 nicht voraussehen konnte, die Pflicht hat, dieser Situation von 1958 gerecht zu werden.
({4})
Wir sind ja sonst nicht so genau in diesen Dingen. Ich habe erst unlängst auch von dieser Stelle aus mit Freude festgestellt, daß die CDU etwa bezüglich des Fernsehens auf dem Wege vom föderalistiSaulus - nun, ich will nicht gerade sagen, zum zentralistischen Paulus ist; aber immerhin! Und es ist für uns, die wir in dieser Richtung immer Pioniere waren, ein gutes Gefühl, wenn man als kleine Kompanie den Eindruck hat, daß jetzt ein ganzes Bataillon hinterhermarschiert. Ich glaube also, wenn wir uns einmal die Dinge so ansehen, wenn wir uns jetzt einmal im kleinen Raum zusammensetzen und uns wirklich einmal Gedanken darüber machen, was man hier tun kann, könnte nur Gutes aus einem solchen Gespräch herauskommen. Das Institutionelle braucht nicht das Primäre zu sein. Hier kann man einen Weg finden, daß man um gewisse Hemmungen, die vielleicht da oder dort auftreten, herumkommt,
Wenn Sie mich nun abschließend fragen: „Was würden Sie für Vorschläge machen? Was soll man tun? Woher die Mittel dafür bekommen?", so muß ich Ihnen sagen: Zunächst einmal müssen Sie auf alle Fälle die Mittel für Forschung und Lehre erhöhen. Sie müssen die Ingenieurschulen weiter auf- und ausbauen. Sie müssen noch mehr als bisher für die Förderung der Studenten tun.
Vorhin ist hier seitens des Herrn Kollegen Lohmar etwas angeklungen, was ich auch schon an anderer Stelle, bei der Einführung der Schulgeldfreiheit, aufgegriffen habe, nämlich der Hinweis: „Nur 5 % der deutschen Studenten kommen aus Arbeiterfamilien", und so ein bißchen implicite ausgedrückt: „Da soll man doch dieses System sehen, das eben nach wie vor die kleinen Leute nicht zum Zuge kommen läßt." Dieser Hinweis zieht nicht. Ich darf Ihnen sagen, ich stamme selber aus einer ganz armen Häuslerfamilie im Böhmerwald; dort ist auch noch der dritte und der vierte Sohn auf die Schule geschickt worden. Das ist nämlich in allererster Linie eine Haltungsfrage.
({5})
Wenn Sie heute in das Ruhrgebiet schauen und sich dort die Einkommen der Familien ansehen, stellen Sie fest, daß diese Familien alle, wo der Vater verdient und der älteste Sohn verdient und eine Tochter verdient, im Schnitt 1400 und 1600 und 1800 DM im Monat verdienen. In diesen Familien haben sie Fernsehtruhen, in diesen Familien haben sie Musikinstrumente aller Art - Musikmaschinen aller Art, maß man schon sagen -; aber auf die Idee, einen von ihnen auf die höhere Schule zu schicken, kommen sie dort nicht ohne weiteres. Das ist aber eine Haltungsfrage.
Wenn ich trotzdem sage, man muß mehr für die Studenten tun, meine ich es nicht in bezug auf die Leute, die in den Genuß dieser Stipendien kommen sollen, sondern ich meine es in bezug auf die deutsche Allgemeinheit und auf unsere ganze Situation, die uns zwingt, in dieser so harten Auseinandersetzung in der Welt diesen Dingen einen großen Wert beizumessen. - Also mehr Geld.
Nun werden Sie mich fragen: woher? Ich sage es Ihnen: aus einem Topf, wo es sich geradezu anbietet, wobei es nicht einmal zweckentfremdet wird, und wo mit Sicherheit auch vorhanden ist, weil die Summen, um die es hier geht, relativ klein sind, gemessen an den Beständen, die in diesem Topf zur Verfügung stehen. Ich denke nämlich an den Verteidigungshaushalt. Sie selber, Herr Minister, haben vorhin, glaube ich, davon gesprochen, daß eine gewisse Sprengwirkung im Denken liegt. Das Denken hat die größere Sprengwirkung. Wir sind also schon im militärischen Bereich, nicht wahr?
({6})
Es ist in der Tat so, daß ohne Forschung und ohne Förderung des technischen Nachwuchses, ohne all diese Prämissen, ohne ein starkes wirtschaftliches Potential auch ein Verteidigungspotential nicht vorstellbar ist.
({7})
Es ist also nicht einmal, wie ich soeben sagte, eine Zweckentfremdung der Mittel, wenn wir sie hier verwenden. Die Geschichte hat es ja bewiesen. Napoleon hat eine, ich glaube, artilleristische Ingenieurschule geschaffen. Es muß nicht immer alles, was im militärischen Raum geschaffen wird, nur so nach der negativen Seite hin betrachtet werden. Es sind ja auch einige positive Ergebnisse der militärischen Forschung am Ende der Allgemeinheit zugute gekommen. Das geht bis zu den Sputniks und Erdsatelliten, die uns im Augenblick umkreisen. Sie sind ja auch primär vom Verteidigungsmäßigen her veranlaßt; aber es sind eben Dinge der Forschung, Dinge der Wissenschaft. Daher sage ich: wenn Sie die Zukunft durch eine vernünftige Verteidigungspolitik sichern wollen, können Sie nicht darauf verzichten, diese Verteidigungspolitik integral zu gestalten, d. h. sie auf eine entscheidende Förderung von Wissenschaft und Forschung auszudehnen.
({8})
Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung soll abgewickelt werden.
({0})
- Tatsächlich. Wir haben jetzt noch sieben Redner auf der Liste. Ich empfehle dem ganzen Hause, diese sieben Redner geduldig anzuhören. Aber ich bitte vor allem um Verständnis für etwas, was der Präsident jetzt in einem gewissen Notstand tun muß. Der Präsident muß abgelöst werden. Die Vizepräsidenten stehen nicht zur Verfügung. Die Alterspräsidentin macht eine Kur, und die zwölf nächstältesten Abgeordneten haben sich gerade selber beurlaubt.
({1})
Meine Damen und Herren, nachdem wir heute von den Veteranen des Parlamentarismus geredet haben, möchte ich jetzt Herrn Kollegen Pohle, der dem alten Deutschen Reichstag angehört hat und seit 1949 Mitglied des Bundestags ist, aber noch niemals präsidiert hat, bitten, den Bundestagspräsidenten abzulösen und das Pensum möglichst schnell abzuwickeln. An Sie, meine Damen und Herren, appelliere ich, ihn dabei nach Kräften zu unterstützen.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Probst.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe wirklich die Absicht, es Ihnen, Herr Präsident, leicht zu machen; denn der Pfad, den die bisherige Diskussion in das Dickicht der heutigen Probleme geschlagen hat, ist schon recht breit getreten. Ich bin versucht zu sagen: während ich ihn entlanggehe und die Blumen, die noch übersehen worden sind, pflücke, kann ich beinahe ein Selbstgespräch führen.
Ich habe den Eindruck gewonnen, daß sich das Hohe Haus über die Notwendigkeit, auf dem Gebiete der Nachwuchsförderung etwas zu tun, einig ist. Ich möchte sagen: es ist sich in der Zielsetzung beinahe einig. Gestatten Sie mir trotzdem, gerade dazu noch einige Lichter zu setzen.
Wir leben in einer sehr stürmischen Zeit. Unser politisch überkommenes Ordnungsgefüge ist zerstört. Deutschland ist zweigeteilt. Die Bundesrepublik ist an den Rand der westlichen Hemisphäre gerückt, während Deutschland einst in der Mitte des europäischen politischen Raums gelegen hat. Ganz Europa lebt nur noch im Schatten seiner einstigen Größe. Der Mensch hat sich die Kernenergie zunutze gemacht. Wir bauen heute automatische Fabriken und sind dabei, ins Weltall vorzustoßen. In dieser Situation hat man das Gefühl, daß der Mensch in der Gefahr schwebt, daß seine sittlichen und ethischen Kräfte durch die Entfaltung der materiellen Gewalt überrollt werden. Deshalb sollten wir uns, wenn wir die Wissenschaften und unseren wissenschaftlichen Nachwuchs fördern, auch überlegen, ob wir dabei nicht eine ganz bestimmte Zielsetzung im gesellschaftsbildenden Sinne verfolgen sollten. Ich meine, wir müssen es tun aus den NotwendigProbst
keiten heraus, in die wir gegenwärtig hineingestellt sind, und wir sollten diese Zielsetzung darin sehen, den Menschen mit der humanistischen und universalen Ausbildung zu schaffen, damit wir ihm in ihm selbst die Kräfte mitgeben, deren er in der Zukunft bedarf, um mit der Technik und ihren Problemen, die die Entfesselung der Energien mit sich bringt, fertig zu werden.
({0})
Die Förderung der Naturwissenschaften ist im Vergleich zu den Geisteswissenschaften heute in einem Maße in den Vordergrund gerückt, das kaum mehr erträglich ist. Diese Erscheinung ist in allen technisierten Ländern zu beobachten. Sie hat ihren wesentlichen Grund darin, daß die Mittel für die Forschung, für die Wissenschaft, für die Erziehung und für den Nachwuchs im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt der Zweckbindung gegeben werden und überwiegend aus den Verteidigungshaushalten kommen.
Unter der Bedrohung, in dieser technischen Entwicklung auch mit unserem Menschenpotential nicht mehr zu Rande zu kommen, hören wir seit langem die verschiedensten Parolen. Vor Jahren sagte man uns: Ihr müßt ein Volk von Fliegern werden! Heute sagt man uns: Ihr müßt ein Volk von Technikern werden! Gerade in den Darlegungen meiner Herren Vorredner schwang immer so im Untergrund die These mit: Lernt heute Mathematik, wenn ihr verhindern wollt, daß ihr morgen Russisch lernen müßt! Ich halte diese Gedanken als Grundgedanken bei der Förderung des Nachwuchses und der Wissenschaften für außerordentlich gefährlich. Wir brauchen nämlich den wissenschaftlichen Nachwuchs gar nicht in dem Sinne, daß es uns nur darauf ankommt, für bestimmte Berufe den notwendigen Nachwuchs zu stellen. Ich bin überzeugt, daß gegenwärtig im Osten bei den Sowjets gigantische Armeen von Technikern aufgestellt werden, aber selbst dann halte ich diesen Gesichtspunkt noch nicht für den ausschließlich zutreffenden.
Wir sollten mit unserer Förderung des Nachwuchses erreichen, daß wir den kritischen Menschen erfassen und ihn nach vorn spielen; denn andernfalls, wenn wir den Weg der anderen mitgehen, fördern wir nur die Teilung in Funktionen in unserer modernen Welt. Wir geben ihr einen Menschen, der aus seinem spezialistischen Sehen heraus mit dieser - in ihre Funktionen vielfältig geteilten - Welt nicht mehr fertig wird. Deshalb müssen wir der Zukunft den jungen Menschen mitgeben, der aus seiner Bildung heraus den Blick fürs Ganze noch zur Grundlage hat und mit dem Blick fürs Ganze zu einem späteren Zeitpunkt erst die Reiser aufsetzt, die er für seine Ausbildung im Beruf braucht. Diese Grundlage, die Gabe, unterscheiden zu können, das Wissen um die Zusammenhänge, ist nämlich das Charakteristikum des Gebildeten. Der so Gebildete ist der große Gegenspieler des Spezialisten im östlichen Sinne, weil dieser Gebildete nicht manipulierbar ist. Ich möchte so weit gehen, zu sagen: ob es gelingt, eine neue Elite nach dem Leitbild der europäisch-abendländischen Humanitas zu schaffen, das entscheidet letztlich über unsere freiheitliche Lebensordnung in der Zukunft. Dieses
Ziel kann aber nur erreicht werden, wenn wir die Hochschulen ihrer ursprünglichen und ursächlichen Aufgabe erhalten, nämlich ohne zweckbedingte Lenkung der Wahrheit zu dienen, indem wir ihnen die Möglichkeit der freien Forschung erhalten. Mit der zweckbedingten Hergabe der Mittel, die unter allen möglichen Gesichtspunkten zur Entwicklung bestimmter Waffen oder Geräte oder sonstiger technischen Dingen gegeben werden, gefährden wir diese Grundhaltung, weil wir dadurch die für unsere Zukunft entscheidenden Bildungsinstrumente ihrer primären Aufgabe entfremden.
Es ist kein Zufall, wenn uns die Lehrer an Technischen Hochschulen und auch Leute in der Wirtschaft sagen, daß immer noch der Student die höchste Leistung vollbringt, der eine breite, eine ganzheitliche Bildung in die Spezialausbildung bereits mitbringt, der Abstand von den Dingen halten kann, der sie aus diesem Abstand richtig beurteilt und dadurch am produktivsten in seiner Phantasie ist. Selbstverständlich wissen wir auch, daß heute niemand mehr produktiv sein kann, der nicht in seinem Fach ein spezialisierter Kenner ist. Aber er muß wissen, zu welchem Ganzen seine Spezialität gehört, und er muß kraft dieser Einsicht mit der Entwicklung Schritt halten können.
Wenn wir die Spezialisierung so verstehen, dann sehe ich darin keine Gefahr. Gerade aus den Vökern, die das Spezialistentum zum Ziel der gesamten Ausbildung machen, werden heute auch Stimmen laut, die darin Gefahr sehen. Es ist heute schon hier in der Diskussion angeklungen, daß sich auch die Amerikaner sehr ernste Gedanken um eine Reform ihrer Bildungswege machen. Eine solche Reform kann aber nur im Sinne dieser meiner Ausführungen die richtige sein. Wir sollten also das allzu enge Spezialistentum meiden, aber mit Nachdruck alles fördern, was eine neue Form des universellen Erkennens enthält.
Unsere Universitäten sind heute gerade deshalb, weil wir die Mittel vom Zweck her geben, in die Gefahr gebracht, daß sie als die Mutter von dem Gnadenbrot ernährt werden, das ihnen ihre Tochter, die zweckgebundene Forschung, die zweckgebundene Entwicklung, gibt. Daß sie von diesem Gnadenbrot leben müssen, davor sollten wir sie, wenn wir es mit ihrer Grundaufgabe ernst meinen, bewahren.
Gestatten Sie mir noch ein paar kurze Gedanken über unsere Situation. Der einst international anerkannte Rang unserer Wissenschaft ist von den anderen Ländern zumindest eingeholt, wenn nicht überholt. Das ist für uns deshalb besorgniserregend, weil wir durch unsere Bevölkerungsdichte, durch unsere Kriegsschäden, durch unsere Rohstoffarmut und durch den Zwang, daß unser Volk nur durch den Verkauf menschlicher Arbeitskraft zu ernähren ist, in einer schwierigen Situation sind. Wir sind ein strukturelles Exportland. Wir können die Ernährung unseres Volkes künftig nur dann garantieren, wenn es uns gelingt, auf dem Gebiet der Forschung wieder an die vorderen Plätze heranzukommen.
Ich bin der Meinung, daß unsere Substanz - das haben auch einige der Herren Vorredner schon zum
-Ausdruck gebracht - auf diesem Gebiet nicht erschöpft ist. Unsere geistige schöpferische Substanz ist vorhanden. Es kommt für uns darauf an, ihr durch die entsprechenden organisatorischen und technischen Hilfen wieder den Weg frei zu machen. Diese Hilfen müssen im Gesamtgefüge unseres Schulwesens wirksam werden und schon unten bei der Grundschule beginnen.
Wenn von der Notlage einer bestimmten Institution die Rede ist, dann gilt der Satz, den die Eltern- und Lehrerverbände in Niedersachsen ausgesprochen haben: daß unsere Schule in Not ist. Ich möchte es umfassend sagen: bis hinauf zu den Universitäten, vielleicht auch etwas dämpfend sagen: sie ist noch in Not. Ich brauche Ihnen die Dinge im einzelnen nicht mehr darzulegen. Darüber ist genug gesagt.
Vielleicht ist ein Grund für diese Notlage noch nicht genannt worden. Ich meine die zunehmende Gefahr der Abwerbung qualifizierter Lehrkräfte in das Ausland. Es ist heute für unsere Lehrkräfte nicht mehr interessant genug, in Deutschland zu arbeiten und zu lehren. Die Angebote des Auslands sind zu verlockend. Auch hier müssen wir etwas tun, wenn wir unseren Platz in der Rangordnung dieser Welt behaupten wollen. Ich glaube nicht daran, daß es einer Nation noch möglich ist, ihn zu behaupten, wenn sie nicht einen ausreichenden eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern bereit und vor allem nicht in der Lage ist, ihn zu halten.
Der Kampf um die Fortexistenz eines Volkes spielt sich nicht nur im militärischen oder im wirtschaftlichen Bereich ab. Viel entscheidender für die Rangordnung der Völker dieser Erde ist die Behauptung der geistes- und naturwissenschaftlichen Position in der Zukunft. Je mehr der Krieg sich als ein die Rangordnung entscheidendes Mittel selbst ad adsurdum führt, um so mehr verlagert sich das Feld der Entscheidung in die Hörsäle.
Hier ist es interessant, festzustellen - nur ganz grob -, wie wir unser Volkseinkommen verwenden. Ich möchte sagen, wir verwenden es in erster Linie, um unsere Vergangenheit zu liquidieren,
({1})
nämlich über die Sozialleistungen und über die Kriegsfolgelasten. Weiter verheizen wir es, um uns die Gegenwart durch einen möglichst hohen Standard angenehm zu machen. Aber was tun wir für die Zukunft? Über diese entscheiden die Erziehung, die Ausbildung und der Stand der Wissenschaft. Da sollte uns kein Opfer groß genug, sollte uns aber auch keine Überlegung schwierig genug sein, um das Problem zunächst einmal von der materiellen Seite her zu lösen.
Man unterstelle mir jetzt bitte nicht: Ja, es ist ganz gut, davon zu reden, wir haben so lange davon gehört und geredet; jetzt kommt es auf Taten an. - Wir haben noch Reserven, die wir nutzen können, ohne daß das gleichzeitig etwa mit einer Senkung des Lebensstandards oder mit einer Senkung der Sozialleistungen verbunden sein müßte. Ich denke hier an die großen Reserven des Bundesvermögens, die in die Privatwirtschaft zu überführen die Bundesregierung uns in ihrer Regierungserklärung ja zugesagt hat. Den Erlös daraus sollten wir weitgehend für die Finanzierung dieser zukunftsträchtigen Aufgaben verwenden.
Meine Damen und Herren, wir haben im Anschluß an die Atomdebatte viele herausfordernde Äußerungen über den nationalen Notstand gehört. Wenn es einen solchen gibt, dann gibt es ihn auf diesem Gebiet der Erziehung und der Ausbildung.
({2})
Wir sollten gemeinsam alles tun, um ihn schleunigst zu beseitigen.
Hier hilft auch kein Verstecken hinter der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Wir dürfen uns nicht scheuen, mit den notwendigen Mitteln nachzufassen, wenn es nur die Zuständigkeitsfragen sein sollten, die uns hindern, in dieser für die Zukunft unseres Volkes schicksalsentscheidenden Lebensfrage das Richtige zu tun.
Vielen von uns klingt noch die Frage im Ohr, die uns in der russischen Gefangenschaft und unseren nach dem Osten verschleppten Brüdern und Schwestern als erste gestellt wurde. Die Russen fragten: Du Spezialist? Das ist die typische Frage des atheistischen Materialismus. Wir müssen heute so handeln, daß wir morgen unseren eigenen ausgebildeten, unseren gebildeten Nachwuchs fragen können: Bist du ein Mensch? Wenn wir das können, dann haben wir - ich sage es noch einmal - das Richtige für die Lösung der zukunftsentscheidenden Aufgabe der Erziehung und der Ausbildung getan.
({3})
Vizepräsident i. A. Pohle: Ich darf dem Hause zur Erleichterung der Abreisedispositionen mitteilen, daß zwei der Herren Kollegen ihre Wortmeldungen schon zurückgezogen
({4})
und zwei weitere Kollegen dem Präsidium mitgeteilt haben, daß sie nur noch Kurzbeiträge zur Debatte beizusteuern gedenken.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen der vorgeschrittenen Stunde nur ganz wenige Minuten.
Herr Kollege Lohmar, ich freue mich, daß Sie in Ihren Ausführungen versucht haben, sich von der roten Farbe freizuschwimmen.
({0}) - Doch, das Wort ist gefallen.
({1})
Ich kann nur sagen, die Farbe Ihrer Partei ist nun einmal rot, und es ist auch nicht falsch, das öffentlich festzustellen.
Die Ausführungen der Kollegen von der Opposition bedeuten, wenn man sie zu Ende denkt, umDr. Barzel
fangreiche finanzielle Anforderungen. Zu der Frage der Studienförderung wird der Kollege Dr. Stoltenberg gleich noch kurz sprechen.
Ich möchte mich auf einen Punkt beschränken, auf das Verhältnis zwischen dem Kultur- und dem Wehretat. In zunehmendem Maße formulieren die deutschen Sozialisten erfreulicherweise als Ziel des Sozialismus die Achtung der Menschenwürde und die Entfaltung der Persönlichkeit.
({2})
Ich will nicht darüber streiten, ob dieses Ziel auf dem Wege des Sozialismus überhaupt erreichbar ist. Es genügt, zu sagen, daß wir uns freuen, eine Übereinstimmung Ihrer und unserer Ziele im Grundsatz feststellen zu können.
({3})
Leider hört unsere Übereinstimmung im Ziel schon da auf, wo Sie Vorschläge zur Finanzierung Ihres Kulturprogrammes machen. Immer wieder weisen Sie darauf hin, daß die Finanzierung Ihrer sehr großzügigen Förderung zu Lasten des Verteidigungshaushalts erfolgen könne. Abgesehen von Ihrer heute nicht zu erörternden Grundeinstellung zur Verteidigung weisen Sie immer wieder darauf hin, daß man vor dem Wehrprogramm Ihr Kulturprogramm finanzieren könnte und müßte.
Das stimmt uns nachdenklich, auch in kulturpolitischer Hinsicht. Denn wo bleibt die Menschenwürde, wenn wir mangels eigener Verteidigungskraft bolschewisiert würden? Gäbe es dann noch eine Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit? Was nützten unserem Volke alle Institute, Lehrstühle und geförderten Studenten, wenn das alles Moskau anheimfiele?
({4})
Dann würde das doch alles nur zum versklavten Handlanger zur Beherrschung der Technik, zum gepreßten Diener eines Systems, dem Würde und Freiheit des Menschen nichts bedeuten, sondern das angetreten ist, sie auszurotten.
Wer die freie Entfaltung der Wissenschaft und der Persönlichkeit ernsthaft will, muß zunächst dafür sorgen, daß Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten gesichert sind. Nur hinter diesem Damm auch militärischer Sicherheit kann unsere Wissenschaft zum Wohle des Volkes und der Menschenwürde gedeihen. Unsere kulturpolitischen Vorstellungen beginnen nicht beim wissenschaftlichen Institut, unsere Kulturpolitik beginnt bei der Sicherung der Voraussetzungen
({5})
für eine freie und fruchtbare Wissenschaft. Deshalb ist unser Wehretat im Grunde nur ein Haushaltstitel in dem Kapitel mit der großen Überschrift „Sicherung und Entfaltung der in Deutschland gewachsenen Kultur und Menschlichkeit".
({6})
Uns wäre es lieber, wenn wir keinen Wehretat brauchten. Aber wir brauchen ihn, nicht aus Lust oder Laune, sondern wegen des sowjetischen Imperialismus. Uns wäre es lieber, wenn wir den Kultur- und Wissenschaftsetat in gleicher Höhe wie den Wehretat verabschieden könnten. Das wird leider nicht möglich sein. Deshalb müssen wir die Realitäten sehen und alles abwägen.
Wir werden alles tun, was uns möglich und was uns rechtlich erlaubt ist, um die kulturelle Entwicklung unseres Volkes zu fördern. Wir werden aber nie bereit sein, ein wissenschaftliches Paradies zu errichten, das die Sowjets einlädt, es in ihren Dienst zu stellen, weil es ohne einen Schutzwall jedem greifbar wäre, der es haben möchte. Wer die freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Wissenschaft will, muß bereit sein, beides zu schützen. Deshalb lassen Sie mich als Schlußsatz sagen: Kulturpolitik beginnt mit der Sicherung der menschlichen Freiheit.
({7})
Vizepräsident i. A. Pohle: Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat sicher seine Berechtigung, daß diese Debatte über eine sehr konkret formulierte Große Anfrage uns in weitere Bezüge hineingebracht hat, in die Bezüge der zivilisatorischen und technischen Entwicklung unserer Zeit überhaupt und des für alle Bereiche leider bestimmenden Gegensatzes oder auch - wenn man es anders formulieren will - des Wettbewerbes von Ost und West.
Herr Kollege L o h m a r hat sehr eingehend über die besonderen Probleme der Entwicklungsländer und der technischen Hilfe für sie gesprochen. Das ist eine Frage, die auch uns sehr stark beschäftigt und der wir bei den bevorstehenden Haushaltsberatungen besondere Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Ich darf sie deshalb heute ausklammern und von den allgemeinen Fragen, bevor ich zur konkreten Frage der Studienförderung übergehe, nur noch einen Punkt berühren.
Es ist die Sorge um eine bestimmte Darstellung des Verhältnisses von Ost und West in Ihren Ausführungen, die mich veranlaßt, noch einmal darauf einzugehen. Sie haben von dem Problem der „Verapparatung" gesprochen, also der gemeinsamen Strukturen und Gefahren, die über die Grenze der politischen Systeme hinweg aus dem industriellen Zeitalter für Ost- und West gleichermaßen entstehen. Kein aufmerksamer Betrachter dieser Entwicklung bestreitet, daß es solche gemeinsamen Strukturen und Gefahren gibt. Aber ich glaube doch - wie ich hoffe, nicht im Gegensatz, sondern als Ergänzung zu Ihren Ausführungen - etwas sagen zu müssen, was mir dabei wesentlich erscheint, nämlich daß trotzdem ein grundlegender qualitativer Unterschied zwischen der pluralistischen freiheitlichen Gesellschaft des Westens und der totalitären des Ostens besteht, der auch in
einer solchen Form der Betrachtung niemals außer acht gelassen werden darf.
({0})
- Es ist aber nicht gesagt worden, und darum ergänze ich es, weil dieser Gesichtspunkt viel zu wichtig ist, als daß er außer acht gelassen werden dürfte. Dies wird auch mehr, als es bisher von Ihrer Seite gesagt worden ist, zu berücksichtigen sein, wenn wir das, was im Osten in sicherlich imponierender Weise an wissenschaftlicher Nachwuchsförderung und im Aufbau der wissenschaftlichen Kader geschieht, mit dem vergleichen, was im Westen getan wird. Wir können bei unseren Maßnahmen nur von dem Grundsatz der Freiheit, d. h. auch der wirklich freien Berufswahl nach objektiven Maßstäben der Vorbildung ausgehen. während dort mit den ungeheuren Mitteln des Diktaturstaates, auch mit den Mitteln der Lenkung und des Zwanges eine Nachwuchsbildung nach einem totalitären Plan erfolgt.
({1})
Bei den konkreten Fragen der Studienförderung, zu denen ich jetzt übergehe, finden wir hier Maßstäbe für die gegebenen Möglichkeiten, die gestellten Aufgaben zu bewältigen. Wir sehen dabei aber auch die Gefahren, die in der Überschreitung einer bestimmten Grenze liegen. Ich will konkret zwei, drei Fragen berühren, um die es hier und dann auch bei den bevorstehenden Haushaltsberatungen geht.
Das Honnefer Modell, über das hier eingehend diskutiert worden ist, muß gegenüber aller Kritik an Einzelheiten - auch in der Öffentlichkeit - als ein wesentlicher Markstein in der Entwicklung der Studienförderung im besonderen und unseres Universitätslebens im allgemeinen bezeichnet werden. Wir sollten diese Leistung und ihre Anerkennung in den Vordergrund stellen. Nachdem von Ihnen, Herr Lohmar, in Übereinstimmung mit Forderungen des Verbandes der Studentenschaften angekündigt worden ist, daß Sie für eine Ausweitung auf 50 Millionen DM bereits in diesem Jahre eintreten, werden wir uns über diese Frage in den zuständigen Ausschüssen unterhalten müssen.
Aber ich möchte doch jetzt schon sagen, daß es beim Honnefer Modell um zwei Dinge geht: einmal um die finanzielle Förderung der Studenten nach den bekannten Gesichtspunkten, zum zweiten auch um den Ausbau der Lehrkörper, vor allen Dingen in den Nachwuchsstellen. Nach der Diskussion der letzten Wochen muß die Frage gestellt werden, ob wir der Studienförderung wirklich einen Dienst erweisen, wenn wir jetzt Anträge auf Ausweitung in dieser Form bewilligen. Sie haben zweimal die „Zeit" zitiert und ihr einen anerkennenden Tribut gezollt. Ich möchte die „Zeit" nur kurz zitieren und auf den Ihnen wahrscheinlich bekannten Aufsatz des Münchner Professors Clemens, „Menschenlawine über den Universitäten" verweisen, der mit in manchem vielleicht überspitzten oder einseitigen, aber doch beachtlichen Argumenten die Gefahren, die in einer Übertreibung liegen, aufgewiesen und vor allem deutlich gemacht hat, daß es nicht sinnvoll ist, die finanzielle Förderung, das finanzielle Volumen auszuweiten, wenn noch nicht einmal die andere Bedingung, das, was in die Zuständigkeit und Verantwortung der Länder fällt, erfüllt ist, nämlich eine entsprechende organische Vermehrung derjenigen Stellen, die im Universitätsleben für die Lehre und auch die Aufgabe der gezielten Förderung einfach unentbehrlich sind. Ich denke vor allem an die Nachwuchsstellen, die Dozenturen und Assistentenstellen.
Aus diesem Grunde, glaube ich, können wir uns dem Vorschlag, jetzt im zweiten Jahr bereits eine solche Ausweitung vorzunehmen, doch nur mit großer Skepsis nähern. Ich will auch gar nicht verschweigen, daß in anderen Äußerungen deutlicher als heute in Ihren immer wieder ein grundlegender Unterschied zwischen Vorstellungen einer Förderung, wie wir sie haben und wie sie teilweise zum mindesten im sozialistischen Raum vohanden sind, gegeben ist. Wir haben in den letzten Jahren wiederholt Äußerungen gehört, die auf den - ich möchte es einmal etwas vereinfachend sagen - besoldeten Studenten abzielten. Wenn wir eine Förderung bejahen, so wollen wir doch niemals die Grenze überschreiten, bis zu der eine Hilfe des Staates nötig ist und bei der die Selbstverantwortung des einzelnen und seiner Familie beginnt.
({2})
Sie haben mit einem schönen Zitat von Walter Dirks geschlossen. Eine Formulierung hat mir daran nicht gepaßt, nämlich der Aufruf an die Söhne, sich nicht von ihren Vätern kaufen zu lassen. Ich glaube, das ist eine schlechte Formulierung. Wir sollten doch den Grundsatz unterstreichen, daß es Aufgabe der Familie und auch des Vaters ist, den Sohn in seiner Berufsausbildung zu unterstützen. Hier kommt in der Tat die erste Verpflichtung der Familie zu, soweit sie dazu in der Lage ist; erst in zweiter Linie trifft diese Verpflichtung dann die Gesellschaft.
Ich darf noch mit einigen Sätzen auf das Rhöndorfer Modell zu sprechen kommen. Wir können nur begrüßen, daß hier eine systematische Erarbeitung vorgenommen wurde; Herr Dr. Heck hat darüber bereits gesprochen. Wir sehen übereinstimmend Mängel im Verhältnis von wissenschaftlichen Hochschulen zu den Fachschulen. Ich muß aber in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, daß nach Artikel 74 des Grundgesetzes die Verantwortung in erster Linie auf die Länder zukommt, und wir sollten nicht ungeprüft Forderungen an den Bund erheben oder bestätigen. Im Sinne der Aufgabenteilung, von der in einem Antrag ebenfalls gesprochen wurde, fallen diese Dinge den Ländern zu. Ich darf darauf hinweisen, daß der Bund den Ländern bereits eine Entlastung dadurch hat zuteil werden lassen, daß er im abgelaufenen Haushaltsjahr den Länderanteil an den im Königsteiner Abkommen übernommenen Verpflichtungen mit 22 Millionen DM weitgehend übernommen hat.
Ich möchte schließen, und zwar nicht nur, weil die Zeit so weit vorgeschritten ist, sondern auch
weil wir uns mit all den Fragen, die Sie mit Ihrer Großen Anfrage aufgegriffen haben, ohnehin in wenigen Wochen im Ausschuß und auch im Plenum erneut an Hand der Positionen des Etats zu befassen haben. Ich glaube sagen zu dürfen, daß wir die offenen Fragen kennen; wir müssen jedoch gegenüber einer manchmal zu negativen Kritik betonen, daß die steigenden Haushaltszahlen der letzten Jahre im Bund und in den Ländern eine klare, deutliche Sprache sprechen, daß bei den Mehrheiten der politische Wille zur Förderung von Wissenschaft und besonders des technischen Nachwuchses vorhanden ist.
({3})
Vizepräsident i. A. Pohle: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Frede.
({4})
- Es liegt im Ermessen des Herrn Ministers, ob er reden will.
({5})
Ich würde gern zurücktreten, wenn der Herr Minister wünschte, vorher zu sprechen. Sonst hätte ich noch einiges zu sagen, und dann müßte vielleicht nachher noch jemand sprechen.
Meine Damen und Herren! Wenn man das Ergebnis dieser Debatte überschaut, könnte man nach vielen Äußerungen, die hier getan worden sind, meinen, es sei doch eigentlich alles bestens in Ordnung. Wir sind wieder mit der Tiefgründigkeit, die uns Deutschen eigen ist, bis in die Probleme des Ost-West-Gegensatzes eingestiegen und haben die Schwierigkeiten aufgezeigt und die Konsequenzen erörtert, die sich für unsere Kultur aus den Unterschieden der Ideologie und des Menschenbildes im Osten und Westen ergeben. Wenn man nur diesen ersten Teil all dieser Reden in Betracht zieht, könnte man wirklich meinen, es besteht eine wirklich erfreuliche, allgemeine Erkenntnis der Probleme und Übereinstimmung in diesem Hohen Hause. Aber ich habe den Eindruck, daß bei vielen Rednern in dem Augenblick die Auffassungen recht verblaßten, wo es um konkrete Dinge ging, und daß man nicht in der Lage war, zu sagen, wie man nun aus all den Mängeln herauskommen kann, die man offensichtlich erkannt hat. Es ist das Wort „Zu spät!" gefallen. Man hat aufgezählt, was alles auf dem Gebiet des Schulwesens und des Hochschulwesens geschehen müsse. Aber sehr wenige Redner haben etwas dazu gesagt - der Herr Innenminister konnte auch nichts Konkretes sagen -, wie wir in absehbarer Zeit zu einer besseren Situation kommen können.
Ehe ich einiges dazu sage, möchte ich einige Dinge ergänzen oder berichtigen. Der Herr Minister hat sich mehrfach auf die englischen Verhältnisse bezogen und mit offensichtlichem Mißbehagen geäußert, bei uns seien zuviel Studierende vorhanden, in England betrage die Zahl der Studierenden nur etwa die Hälfte, hier bei uns seien es etwa 140 000, dort nur 64 000 bis 70 000. In diesem Zusammenhang hat der Minister auch die Frage der Zulassung zu den Universitäten angeschnitten. Ich glaube, wir sollten die englischen Verhältnisse nicht mit den deutschen vergleichen; sie sind nämlich völlig anders, anders im Schulwesen selbst und anders auch in der Zulassung. Man wird die dortigen Verhältnisse - das wird jeder Fachmann bestätigen -, etwa die Formen der Zulassung zum Hochschulstudium, niemals auf Deutschland übertragen können, weil sie dort auf einer langen Tradition beruhen.
Es war immer wieder die Rede davon, daß die Universitäten und technischen Bildungseinrichtungen überfüllt seien. Wenn gesagt wird, wir hätten zu wenig Plätze, so muß ich darauf hinweisen, daß der Grund nicht nur der ist, daß Schulen und Hochschulen in räumlicher Hinsicht vielfach nur dem entsprechen, was vor 20 oder 30 Jahren zweckmäßig war. Es ist doch so, daß trotz aller Bemühungen der Länder in den letzten Jahren nicht sehr viel mehr zu erreichen war als die Beseitigung der Kriegsschäden. Man konnte nur einen Zustand erreichen, den man bei den Verhältnissen vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges vielleicht noch als befriedigend hätte hinnehmen können. Aber es ist etwas hinzugetreten, was in der Öffentlichkeit und in den Reden des heutigen Tages sowie auch in den Ausführungen des Herrn Innenministers in keiner Weise in Betracht gezogen wurde. Ich halte mich deshalb für verpflichtet, mit Nachdruck auf diesen besonderen Umstand hinzuweisen. Dabei glaube ich mich auf meine Sachkenntnis berufen zu können. Der vermehrte Zugang zu den Hochschulen und zu den technischen Bildungseinrichtungen entspringt nämlich nicht allein einem stärkeren Drang nach weiterführender Bildung, sondern ist letztlich darauf zurückzuführen, daß weit stärkere Geburtsjahrgänge als bisher zu den Bildungseinrichtungen, insbesondere zu den Hochschulen, drängen. Das geschah schon in den letzten Jahren und wird auch noch in den kommenden Jahren der Fall sein. Man konnte diese Entwicklung voraussehen. Trotzdem ist sie bei keiner Planung, sofern man überhaupt von einer solchen reden kann, berücksichtigt worden. Sehen Sie sich doch einmal die Geburtsjahrgänge 1938 bis 1942 an! Aus diesen Jahrgängen kamen die jungen Menschen in den letzten Jahren zur Reifeprüfung oder stehen in den nächsten Jahren dazu an. Diese Geburtsjahrgänge sind weit stärker als die vorhergegangenen und die nachfolgenden, und zwar um 50 % bis 80 %, was zur Folge hat, daß naturgemäß jetzt aus den höheren und aus den mittleren Schulen bedeutend mehr Abgänge vorhanden sind, als es früher der Fall war oder später wieder der Fall sein wird. Gegenüber 1954 wird sich, wenn wir das Jahr 1959/60 gegenüberstellen, die Zahl der Abiturienten etwa verdoppelt haben. Sie wird wahrscheinlich im Anfang der 60er Jahre noch etwas anwachsen. Das sind die Jahrgänge, die nach einer drei- oder zweijährigen Ausbildung in der Praxis in die Ingenieurschulen hineinströmen. Deshalb haben wir jenen starken Andrang bei gleichbleibender Platzzahl und weni1266 Deutscher Bundestag- 3.- Wahlperiode Dr. Frede
ger günstigen Bedingungen, als sie früher waren. Gerade deshalb ist die Not dieser und der nachfolgenden Generation vorhanden.
Sie werden nicht bestreiten können, daß man diese Entwicklung weder gesehen noch etwas Entscheidendes getan hat, um sie aufzufangen und alle Schwierigkeiten zu beheben, die sich damit nicht nur für die junge Generation, sondern für unser Volk überhaupt ergeben. Wenn wir die Gelegenheit nicht nutzen, dafür zu sorgen, daß aus diesen starken Jahrgängen möglichst viele zu einer weiterführenden Bildung, zu einem Hochschul-, zu einem Fachschulstudium kommen, ist sie verpaßt. Denn in späteren Jahren werden wieder sehr schwache Geburtenjahrgänge anrücken.
Wir haben dasselbe ja bereits im Handwerk und in der Wirtschaft. Vor vier, fünf Jahren gab es ein derart starkes Lehrlingsangebot, daß man nicht wußte, wie man die jungen Menschen unterbringen sollte. Heute schreit die Wirtschaft nach Lehrlingen, weil die Jahrgänge, die jetzt aus der Volksschule kommen, bereits bedeutend schwächer sind als die damaligen. Was sich damals und heute in der Wirtschaft zeigt, zeichnet sich genauso infolge des weiterführenden Schulwesens im Hochschulwesen, im technischen Bildungswesen usw. ab. Wir müssen leider feststellen, daß wir diesem Andrang gegenüber nicht gerüstet sind. Wir können nicht warten, bis vielleicht dann und wann etwas getan wird.
Der entscheidende Vorwurf, den wir sehr vielen Stellen machen müssen, ist der, daß man bisher jegliche Planung auf dem kulturellen Sektor verzögert hat oder vielleicht gar nicht haben wollte. Sie haben einen Grünen Plan. Es ist richtig, daß man hier einmal ganz exakte Zahlen zusammenstellt und fragt, wie der Landwirtschaft geholfen werden kann. Wir haben jetzt einen Plan beim Ausbau des Verkehrswesens, wir haben einen Plan beim Aufbau der Wehrmacht und überall. Das ist gut so. Nur wenn die Pläne erfüllt werden können, geht man daran, den nächsten Schritt zu tun.
Im Zusammenhang mit den Erörterungen über den Honnefer Plan wurde vorhin „Die Zeit" angesprochen. Sie wissen, daß auf das Gutachten des Herrn Professor Clemens eine Fülle von Zuschriften gekommen sind. Aus dieser Fülle von Zuschriften darf ich eine verlesen. Ein Herr aus Nürnberg schreibt:
Es mag sein, daß das Honnefer Modell schon der dritte Schritt ist. Aber dann ist der Sache nicht geholfen, wenn der dritte Schritt zurückgenommen wird, sondern es müssen ebenso schnell als möglich der erste und der zweite Schritt nachgeholt werden.
Das heißt, die nötigen Gebäude und die nötige Anzahl an Lehrkräften müssen bereitgestellt werden, damit der erhöhte Zustrom von Studenten aufgenommen werden kann. Unsere Instiute oder Bildungseinrichtungen müssen so aufgebaut werden, daß sie genügend Plätze zum Studium bereitstellen können. Es kommt darauf an, diesen ersten und zweiten Schritt, den man in den vergangenen Jahren nicht getan hat, wo man vielmehr nur planlos
versucht hat, mit dem, was der Etat jeweils hergab, die dringendsten Dinge zu erledigen, nunmehr systematisch zu tun. Insofern begrüßen wir es, daß auch Sie, Herr Minister, nunmehr ernstlich und beschleunigt einmal darangehen wollen - was wir in unserer Großen Anfrage unter Ziffer 1 gefordert haben -, festzustellen, was notwendig ist, und das, wie Sie mit Recht sagen, nicht auf dem engen Sektor der technischen Bildungseinrichtungen allein, nicht nur auf dem Sektor der naturwissenschaftlichen Bildung, sondern darüber hinaus auch auf dem Sektor der Wissenschaft, der Wissenschaftsförderung und des Studiums allgemein, aber auch auf dem Gebiet des Schulwesens schlechthin.
Aber es ist gar nicht so, Herr Minister, daß auf diesen Gebieten keine Zahlen vorlägen. Wir haben hier allerhand gehört. Ich freue mich, daß vorhin Herr Kollege Heck insbesondere die Erhebungen auch der Kultusministerkonferenz genannt hat. Wenn Sie diese Zahlen mit anderen Zahlen vergleichen, dann kommen Sie auf sehr prägnante allgemeingültige Zahlen, die sich auch sehr schnell einprägen und die man immer wieder als Leitzahl nehmen sollte. Was auf der einen Seite die Förderung des Schulhausbaus schlechthin anlangt, so ist eben ein ungedeckter Bedarf von 4 Milliarden DM vorhanden, der nicht wegzudiskutieren ist. Das betrifft die Klassenzahlen, von denen Sie selbst sprachen. Man kann darüber streiten, ob 4,2, 3,8 oder 4,5 Milliarden, aber die Erhebungen sind ziemlich exakt. Es besteht hier ein zusätzlicher Bedarf, zu dessen Deckung die Mittel von den Ländern und Gemeinden aufgebracht werden müßten, aber nicht aufgebracht werden können. Das ist das eine.
Das Zweite: Wenn man auf die Förderung der Wissenschaft abstellt, dann kommt man in etwa, wenn unser Hochschulwesen auf einen Stand gebracht werden soll, der den jetzigen Erfordernissen entspricht, auf eine Zahl von, schlicht gesprochen, 3 Milliarden DM. Das wird auch sehr gut nachzuweisen sein. Es wäre erfreulich, wenn auch der Wissenschaftsrat nun sehr bald entsprechende Unterlagen beibringen würde, die im übrigen von privater Seite bereits beigebracht worden sind; ich erinnere an die Bundesvereinigung der Deutschen Industrie und an den Stifterverband, die ebenfalls zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Dazu kommen noch einige andere Dinge. Im ganzen jedenfalls handelt es sich um einen zusätzlichen Bedarf in Höhe von 8 Milliarden DM.
Verzeihen Sie, wenn ich in diesem Zusammenhang noch einmal auf den Wehrhaushalt komme, nicht, um auf billige Weise zu sagen: Was kostet ein Matador, und wieviel Flaschen Milch könnten dafür gekauft werden! Dieser Wahnsinn ist nun einmal nicht aus der Welt zu schaffen, daß Kriegsmaterial ungemein teuer ist und daß man dafür ungemein viele kulturelle Leistungen erbringen könnte. Wir wollen gar nicht untersuchen, weshalb das im Augenblick nicht zu beseitigen ist. Wir nehmen auch diese Tatsache zur Kenntnis. Aber wenn der Herr Bundesfinanzminister beispielsweise feststellt, daß in diesem Jahr 2,3 Milliarden DM aufgewandt werden allein für die Unterbringung der Soldaten
und 800 Millionen DM dafür, die für die verheirateten Soldaten erforderlichen Wohnungen zu schaffen, insgesamt also, wie er uns vorgestern hier sagte, 3,1 Milliarden DM dafür benötigt werden, so nehmen wir das nicht zur Kenntnis, um zu sagen, das sollte nicht sein. Auch wir wünschen natürlich, daß, wenn wir eine Wehrmacht haben, die Soldaten so gut wie möglich betreut werden. Aber man muß die Relation sehen! 3,1 Milliarden sind ein Betrag, an den jemand, der auf kulturpolitischem Gebiet arbeitet und denkt, selbst in seinen kühnsten Träumen nicht zu denken wagt. Was würde es bedeuten, wenn eine Stelle, die verantwortlich ist und staatsmännischen Weitblick hat, einmal 3,1 Milliarden zur Verfügung stellte, um damit die Notlage, um die wir alle wissen und von der heute hier so viel gesprochen worden ist, in einer wirklich großzügigen Weise zu beheben!
Demgegenüber müssen wir feststellen, daß unser Haushalt dafür nur recht geringe Beträge ausweist. Ich gebe zu, Herr Innenminister, Sie wissen noch nicht genau, zu welchen Ergebnissen der Wissenschaftsrat im einzelnen kommen wird. Sie haben sich über die 85 Millionen hinaus 45 Millionen zusätzlich vorbehalten, falls eine höhere Summe erforderlich werden sollte. Aber selbst diese Summe würde nicht entscheidend sein. Ich zitiere nicht die Gewerkschaften oder irgendein sozialdemokratisches Presseorgan, wenn ich Sie darauf hinweise, daß zur Deckung des Bedarfs zusätzlich 500 Millionen DM, verteilt auf acht bis zehn Jahre, erforderlich wären, um aus der Not, in der wir uns befinden, planmäßig herauszukommen. Diese 500 Millionen DM werden vom Bundesverband der Deutschen Industrie im Zusammenhang mit dem Stifterverband als die notwendige Forderung bezeichnet. Wenn wir dazu noch alles das nehmen, was sich sonst auf dem Schulsektor ergibt, kommen wir mit 500 Millionen allein natürlich nicht aus.
Man hat 1 % des Volkseinkommens als Minimum dessen genannt, was für die Wissenschaftsförderung erforderlich wäre. Der Herr Bundesfinanzminister versuchte, darzutun, daß dieses eine Prozent erreicht ist. Ich habe wie mein Kollege Ratzel versucht, das aus dem Haushalt herauszuholen. Nein, meine Damen und Herren, das ist einfach, entschuldigen Sie bitte - eine Schaumschlägerei, möchte ich nicht sagen -, aber ein Irrtum, ein grober Irrtum. In die Zahlen, die uns da genannt wurden - Aufstockung auf 800 Millionen, die der Bund gibt, 800 Millionen, die die Länder geben -, hat man nämlich alles das hineingenommen, was am äußersten Rande vielleicht noch als Zweckforschung bezeichnet werden kann, einschließlich der großen Summen, die im Verteidigungshaushalt usw. für derartige Zwecke drin sind.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie sagt in diesem Zusammenhang mit Recht, wenn in den bisherigen Darlegungen den staatlichen Aufwendungen für Atomtechnik und Rüstungsforschung kein Raum gegeben sei, d. h. wenn diese außerhalb dieses einen Prozents blieben, so aus der Überlegung, daß sie nicht Aufwendungen für die Wissenschaftspflege im überkommenen Sinne seien. Sie einzuschließen, würde zu Mißverständnissen und falschen Bildern über die tatsächlichen Aufwendungen des Staates zur Wissenschaftsförderung führen. - Ich möchte es damit bewenden lassen; die Zeit ist zu kurz.
Aber eins noch, Herr Minister. Ich sagte vorhin und das ist das Entscheidende -: Wir haben wenig gehört über die Möglichkeiten, die nun wirklich bestehen, um zu einer Realisierung alles dessen, was an schönen Worten hier gesagt worden ist, zu kommen. Sie sagen, es sei nicht eine Finanzausgleichsfrage, sondern eine Kompetenzfrage. Nein, es ist eine Kompetenzfrage, aber zugleich eine Finanzausgleichsfrage. Wenn man wie Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, der Meinung ist, daß es bei den Kompetenzen bleiben muß, die im Augenblick bestehen, d. h. der Verteilung der Lasten auf kulturellem Sektor im Prinzip zwischen Bund und Ländern, so daß der Bund nur für die Förderung der Forschung und der Wissenschaft zuständig ist, - nun gut, dann muß man eben Wege finden, wie der Bund verstärkt diese Wissenschaftsförderung vornimmt. Wieweit das bei einem Etat, der am Rande des Defizits entlanggeht, möglich ist, ist eine andere Frage. Darüber werden wir uns an anderer Stelle, bei der Lesung des Haushalts, auseinandersetzen müssen.
Aber wenn wir die Kompetenzen so lassen und wenn wirklich eine Hilfe gegeben werden soll, so ist das nur dadurch möglich, daß entweder eine Änderung des Finanzausgleichs stattfindet, d. h. daß Länder und Gemeinden in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben hier zu erfüllen, oder aber daß der Bund seinerseits für die sächlichen Kosten in der Wissenschaftsförderung mehr aufwendet als bisher. Das ist ein Weg, der letztlich auch die Gemeinden und die Länder mitbelastet. Denn im dem Augenblick, wo Sie, nun, wir wollen nicht optimistisch sein, aber im Laufe der Jahre 500 Millionen für sächliche Ausgaben zur Verfügung gestellt haben, wenn dafür neue Gebäude geschaffen und neue Einrichtungen angeschafft worden sind, haben die Länder sowieso zusächlich die Verpflichtung, in personeller Hinsicht entsprechend mehr zu tun oder den Unterhalt dieser Einrichtungen zu gewährleisten, was dann ihren Etat ganz erheblich belasten würde.
({0})
- Nein, die Personallasten sind Ländersache. Daran können wir nicht vorbei. Aber in Verfolg solcher Maßnahmen ergeben sich zusätzliche personelle Lasten, Herr Kollege; das wird nicht zu bestreiten sein. Ich bin der Meinung, daß eine Verwischung in dieser Hinsicht nicht wünschenswert ist, und ich halte das nicht für richtig. Das sage ich ganz offen auch zu meinen Freunden. In meiner Fraktion haben wir darüber gesprochen. Wir sind uns einig, daß mit Bundesmitteln nicht etwa zusätzlich Dozentenstellen, Lehrerstellen, Professorenstellen oder sonst etwas geschaffen werden können. Denn das ist eine Daueraufgabe, die nur aus den Etats der Länder finanziert werden kann. Aber weil das nicht möglich ist, ergibt sich, wenn wir bei der Kompetenzverteilung bleiben, nur der eine Weg - daran kön1268
nen Sie nichts ändern -, daß der Bund in ganz erheblich stärkerem Maße als bisher in sächlicher Hinsicht Wissenschaftsförderung betreibt. Es genügt nicht, eine Aufstockung von 75 auf 82 Millionen vorzunehmen, und man darf sich auch nicht mit der Studentenförderung begnügen.
Ein kleines Stückchen von dem, was auch nicht angesprochen worden ist und was eine bittere Not an unseren Hochschulen schafft, ist folgendes. Wir geben den jungen Leuten jetzt 150 DM in der Anfangsförderung, und sie müssen heute wie die Pendler im Berufsverkehr weit hinaus auf die Dörfer gehen, um ihre Buden zu suchen und bei dem verstärkten Andrang überhaupt Wohnraum zu haben, und die Hälfte von diesem Gelde geht weg für Mietzahlung und ähnliches mehr. Wenn Sie die Not der Studierenden auch auf diesem Gebiet sich etwas näher ansehen - es ist wirklich himmelschreiend. Und was sehen wir in der vom Bundesminister des Innern gemachten Aufstellung? Die Position für Studentenwohnheime ist von 2,6 auf 3,5 Millionen DM erhöht worden. Ich habe mir ausgerechnet, was davon an Plätzen geschaffen werden kann, einschließlich der Zuschüsse, die dann von anderer Seite gegeben werden müssen. Man kommt auf 800 bis 900 Plätze - 800 bis 900 Plätze - bei 140 000 Studierenden und bei einem Andrang von Zehntausenden in diesem und in den nächsten Jahren! Sollte es nicht auch zweckmäßig sein, daß sich der Bund wo er die Verpflichtung ja grundsätzlich schon anerkannt hat, indem er nämlich die Mittel im Etat eingesetzt hat - dieser Frage wirklich einmal ernstlich annähme, um den jungen Leuten hier zu helfen und auch von hier aus eine Förderung zu leisten, die vielleicht sogar ebenso wertvoll ist wie die Direktförderung nach dem Honnefer Modell?
Meine Damen und Herren, wir können das Problem in allen seinen Seiten heute nicht erschöpfen. Wir begrüßen es, daß seitens aller Redner heute auch seitens des Herrn Bundesinnenministers, die grundsätzliche Problematik wohl erkannt ist - was in den vergangenen Jahren nicht immer der Fall gewesen zu sein scheint - und daß auch der Wille bekundet worden ist, hier mehr zu tun als bisher. Wir hoffen, daß sich dieser Wille nicht als eine Deklamation erweist, sondern bei den künftigen Haushaltsberatungen auch wirklich realisiert wird.
({1})
Vizepräsident i. A. Pohle: Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zwar viel Papier mit auf das Pult gebracht, werde aber trotzdem nur eine ganz kurze Rede halten und nur auf wenige Punkte aus der Debatte eingehen, die es zu dieser Stunde noch erfordern. Vieles andere wird später in den Ausschüssen und bei den Haushaltsberatungen gesagt werden können. Ich darf mich zunächst einen Augenblick mit den beiden Anträgen beschäftigen, die dem Hohen Hause vorliegen.
Das eine ist ein Antrag der Fraktion der CDU/ CSU. Wenn ich es richtig sehe, werden in ihm einige der Ausführungen unterstrichen, die ich gemacht habe. Ich würde es begrüßen, wenn dieser Antrag bald verabschiedet werden könnte.
Der Antrag der SPD kann leider nicht auf eine ebenso positive Resonanz bei der Bundesregierung rechnen, und zwar aus folgendem Grunde. In dem Antrag der SPD steht:
Die Bundesregierung wird ersucht, dahin zu wirken, daß als Sitz des Wissenschaftsrates Berlin bestimmt wird.
Sie wissen, meine Damen und Herren, oder sonst darf ich es ins Gedächtnis zurückrufen, daß der Wissenschaftsrat über seinen Sitz selber bestimmt; und zwar ist hier einschlägig der Artikel 8 des Verwaltungsabkommens zwischen Bund und Ländern über die Einrichtung eines Wissenschaftsrates. Dort heißt es:
Der Wissenschaftsrat bedient sich einer im Einvernehmen mit Bund und Ländern einzurichtenden Geschäftsstelle.
Mit dieser Frage hat sich der Wissenschaftsrat des längeren beschäftigt, und er hat seine Empfehlung an die Bundesregierung - und das wird ebenso gegenüber den Länderregierungen erfolgt sein - dahin gegeben, daß die Geschäftsstelle des Wissenschaftsrates im Raum Bonn als dem derzeitigen Sitz des Bundespräsidenten eingerichtet werden sollte. Die Bundesregierung hat inzwischen diesem Vorschlag des Wissenschaftsrates zugestimmt, so daß der Wunsch, der mit dem Antrag der Fraktion der SPD verfolgt wird, nicht mehr erfüllt werden kann.
Für diejenigen, denen das vielleicht enttäuschend erscheinen mag, muß ich es etwas interpretieren. Der Wissenschaftsrat hat versucht, einen Kompromiß zu finden zwischen seiner laufenden, mehr büromäßigen Arbeit - der Ausdruck „büromäßig" paßt nicht so ganz - und seinen allgemeinen, auch stärker nach draußen wirkenden Tagungen. Er hat nämlich in der Geschäftsordnung, die er sich gegeben hat, vorgesehen, daß seine Vollversammlung in der Regel in Berlin zusammentritt. Ich glaube, laß der Wissenschaftsrat hier eine Lösung gefunden hat, die sowohl gewissen berechtigten Interessen Berlins Rechnung trägt als auch erlaubt, seine Arbeit in der ihm geeignet erscheinenden Weise - und darin ist er völlig frei - zu organisieren.
Erlauben Sie mir nun, daß ich mich noch ganz kurz einzelnen Ausführungen in der Debatte zuwende; ich tue das nach der Reihenfolge der Redner. Der Kollege Lohmar hat zur Studienförderung - das ist tatsächlich einer der wesentlichen Punkte, um die es sich bei dieser Debatte gehandelt hat und weiter handeln wird - erkennen lassen, daß er - bei aller Harmonie, die die heutige etwas „intim" gehaltene Aussprache gekennzeichnet hat ({0})
in wesentlichen Dingen einen anderen Ausgangspunkt hat.
Herr Kollege Lohmar hat zwar nicht jene, ich glaube, von Herrn Kollegen Stoltenberg noch einmal in Erinnerung gerufenen pointierten Formulierungen gebraucht. Aber er hat gesagt, daß die Studienförderung sich nach zweierlei zu richten habe: nach dem Bedarf und nach der Bedürftigkeit. Meine Damen und Herren, ich habe jetzt nicht mehr die Zeit, das im einzelnen zu entwickeln. Aber seine Formulierung zeigt natürlich, daß wir in der Ausgangsposition keineswegs auf demselben Punkt stehen. Wir sind der Meinung - ich kann mich dem anschließen, was Herr Stoltenberg dazu gerade ausgeführt hat und was auch hier im Hause schon des öfteren behandeltwordenist-, daß hier nicht schlechthin der Bedarf ermittelt werden soll, daß hier nicht schlechthin Bedarfsziffern aufgestellt werden sollen, um nach irgendwelchen mehr oder weniger gegriffenen Bedarfsziffern den notwendigen akademischen Nachwuchs zu schaffen, sondern - ich habe das des längeren ausgeführt - daß alle Begabungen bei uns zum Zuge kommen sollen, aber auch wirklich nur die Begabungen, und daß von diesen Begabungen nun nicht etwa jede einzelne ohne weiteres gleich förderungswürdig ist. Es gibt nicht eine absolute Pflicht der Gesellschaft gegenüber den Studenten, um eine Formel zu verwenden, wie Herr Lohmar sie gebraucht hat. Leistungen der Öffentlichkeit sind, das ist jedenfalls mein Standpunkt, nur zu verantworten gegenüber Menschen, bei denen die Erwartung berechtigt ist, daß sie das Empfangene an die Allgemeinheit zurückzugeben in der Lage sind. Das trifft eben nur für einen begrenzten Teil zu, und ich glaube, daß die Mittel und Maßnahmen, die jetzt vorgesehen sind und die sich in einer gewissen Weise weiter entwickln werden, ausreichen werden, den tatsächlichen Begabungsteil bei Bedürftigkeit - das ist eine weitere Voraussetzung - angemessen zu fördern.
Wir werden um keinen Preis davon abzubringen sein, die Einzelverantwortung, die auch eine Verantwortung der Familien ist, etwa in die dritte oder vierte Position rücken zu lassen. Herr Kollege Zoglmann, mit dessen Ausführungen ich sonst nicht in allem übereinstimme, hat hier sehr schön auch aus seiner eigenen Familiengeschichte entwickelt, daß es ein großer Unterschied ist, ob die Familien sich die äußerste Mühe geben, für ihre Kinder - auch in Gemeinschaftsleistungen - etwas zu tun, oder oh man einfach an die Allgemeinheit verweist. In diesem Punkt gehen wir, wie ich fürchte. auseinander. Aber nur dann, wenn wir eine gegliederte Gesellschaft behalten - ich halte sie für notwendig -, befinden wir uns auf sicherem Boden.
Aber nun, meine Damen und Herren, etwas zur Begabungsfrage. Es ist gesagt worden - Herr Lohmar hat das auch in einigen Punkten ausgeführt -, daß, sagen wir es einmal kurz, der Prozentsatz der Studenten aus Arbeiterfamilien nicht ausreichend sei. Diesen Punkt muß man sehr sorgfältig prüfen, da es hier gewisse Phänomene in unserer modernen Welt gibt, die einen dabei nachdenklich stimmen. Ich sage noch einmal: für uns ist Begabung das Entscheidende. Tatsächlich aber verteilt sich die Begabung nun nicht einfach prozentual nach der Stärke der Bevölkerungsschichten. So ist das nicht. Sie selbst haben eine Arbeit zitiert, aus der ich doch gerne einmal wiedergeben möchte, wie es damit steht. Oberschulfähig - um einmal diesen Begriff zu gebrauchen, den ich hier nicht weiter zu erläutern brauche - sind von den Kindern der Oberschicht - jedenfalls im Sinne dieser Arbeit, die Sie selber erwähnt haben - 44,6 %, der gehobenen Mittelschicht 22,8 %, der Mittelschicht 9,4%, der gehobenen Grundschicht 3,7 % und der Grundschicht 1,5 %.
Ob einem diese Zahlen gefallen oder nicht, ist nicht die Frage. Ich gehe einmal davon aus, daß Sie die Arbeit, aus der sie stammen, an sich für beweiskräftig halten und daß diese Zahlen, so wie ich sie hier gerade vortrage, richtig sind. Aber daraus ergibt sich etwas, und daraus läßt sich dann alles andere sehr leicht ableiten. Geringe Zahlen der Studenten aus der „Grundschicht" sind also nicht beweiskräftig dafür, daß das Förderungssystem ungenügend sei. Ich glaube, wenn Sie das nebeneinanderstellen, so wie ich es gerade getan habe, dann werden Sie doch veranlaßt, die Kritik, die allgemein an zu geringen Zahlen der Studenten aus der „Grundschicht" geübt wird, im richtigen Rahmen zu sehen. Der einzig richtige Maßstab, der angelegt werden kann, ergibt sich aus der Prüfung der Begabung.
Ich darf mich nun noch einmal dem Kollegen Zoglmann zuwenden, der sich u. a. auch mit der Frage beschäftigt hat, ob die Vergleiche mit dem Ausland, die wir in der Beantwortung gewählt haben und die sonst in der Debatte gewählt worden sind, immer beweiskräftig sind. Es gibt in der Tat nichts Schwierigeres, als zutreffende Vergleiche mit dem Ausland zu ziehen. Wir haben eine andere kleine Schrift, die dankenswerterweise sehr stark durch den Kollegen Balke unterstützt worden ist, eine Schrift über Förderungsmaßnahmen für die Wissenschaft und den technischen Nachwuchs in Großbritannien. Diejenigen, die meine vorhin genannten Zahlen bezweifeln wollten, bitte ich, sich doch noch einmal diese Schrift anzusehen. Wir sind dabei, zu versuchen, entsprechende Übersichten für andere Länder zu gewinnen. Aber hier spielt natürlich die Nomenklatur, wenn ich das einmal so bezeichnen darf, eine sehr große Rolle. Wenn uns erzählt wird, daß die Sowjetunion in ein oder zwei Jahren 1 Million „Ingenieurstudenten" haben werde, so deckt diese Bezeichnung, ganz gleichgültig, was Sie hier etwa an Förderungsintensität auf diesem Gebiet unterstellen möchten, natürlich niemals das, was wir als Ingenieure bezeichnen. In der sowjetischen Bezeichnung „Ingenieur" findet sich sehr viel Euphemismus. Aber wir werden in einer anderen Arbeit versuchen, diesen Sachverhalt doch einmal etwas besser zu erläutern, als das bisher gelungen ist.
Ich will nicht etwa auch nur mit einem Wort sagen - und jeder, der vorhin meiner Beantwortung der Großen Anfrage gefolgt ist, weiß das -, daß bei uns auf diesem Gebiet schon alles in bester Ordnung ist. Natürlich gibt es eine Reihe von
Fragen, die wir in der Überprüfung des Gesamtzusammenhangs durchaus neu aufgreifen sollten. Aber wir sollten uns auf der anderen Seite absolut vor der Überbewertung dessen hüten - genauso wie vor gigantischen Zahlen; auf die komme ich gleich noch einmal zurück -, was manchmal aus der ausländischen Darstellung heraus doch etwas vergröbert wiedergegeben wird.
Dabei unterlaufen natürlich eine Reihe von sachlichen Fehlern; ich kann sie jetzt nicht im einzelnen richtigstellen. Nur ganz weniges dazu. Es trifft nicht zu, daß es in Amerika etwa ein voll ausgebautes Stipendienwesen gibt, Es trifft übrigens auch für Großbritannien nicht zu. Dort ist der Satz etwa 75 %. In Amerika gilt aber ein System, das man bei uns an den Hochschulen und bei all denen, die über Förderungsmaßnahmen sprechen, keineswegs schon so intensiv anwendet. In Amerika verläßt man eben die Hochschule, wenn man bestimmte Leistungsnachweise in bestimmten Abständen nicht erbringt. Das ist ein wesentlich rigoroseres System.
Diejenigen, die meinen, daß man weit über das hinausgehen müßte, was wir jetzt in einer vorsichtig dosierten und ausgewogenen Förderung betreiben, sollten sich über eines klar sein: Je weiter diese Förderung hineingedrückt wird in eine Gruppe von vielleicht nicht ausreichend begabten Menschen, um so intensiver muß der staatliche Einfluß darauf natürlich werden. Dann bekommen wir etwas, was wir sowohl in der Sowjetunion wie auch in der sowjetischen Besatzungszone haben, nämlich ein ungeheuer striktes, ständiges Prüfungssystem, das bei uns bisher mit der Förderung jedenfalls nur in einem ganz geringen Umfang verbunden ist. Darüber muß man sich klar sein: je stärker der Staat in diese Dinge eindringt, d. h. je größere Mittel er auf diesem Gebiet einsetzt, desto zwangsläufiger ist sein Bestreben, einen wirklichen sowohl die Kanalisierung im einzelnen vornehmenden Einfluß zu nehmen wie auf den einzelnen Studenten einen rigorosen Druck auszuüben, und das gilt für die genannten Systeme.
Dann ist gesagt worden - ich weiß nicht, welcher der Kollegen meine Zahl hinsichtlich Frankreichs angezweifelt hat; ich glaube, es war auch der Kollege Zoglmann -, daß in Frankreich etwa 56 % der Studenten gefördert würden. Ich habe hier eine Übersicht, die wir mühselig haben erstellen lassen, wonach in Frankreich der Anteil der Studentenschaft an der Bevölkerung 0,38 % und der Satz der staatlich geförderten Studenten bei 17 % liegt, d. h. also, daß in Frankreich der Anteil der Studenten an der Bevölkerung eine Kleinigkeit über unserem, die Förderungsquote aber offensichtlich unter der unseren liegt.
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob hier in der Debatte und überhaupt bei uns aus der Tatsache, daß es unbesetzte Lehrstühle gibt, die richtigen Folgerungen gezogen worden sind. Dieser Tatbestand ist doch sehr viel ernster, als wir uns das manchmal zum Bewußtsein kommen lassen. Ich vermag schwer einzusehen, wie man mit gutem Grunde - das gilt cum grano salis auf verschiedenen Gebieten verschieden - sich dafür einsetzen soll, daß die Zahl der Hochschullehrer beträchtlich vermehrt wird, während es gleichzeitig Dutzende unbesetzter Lehrstühle gibt. Das ist doch ein außerordentlich ernstes Faktum, das in der Tat nicht mit schnellen Förderungsmaßnahmen überbrückt werden kann, sondern das sich offenbar daraus erklärt, daß wir uns in einer Phase befinden, in der die Kapazität auf diesem Gebiet nicht ausreicht. Ich halte das für einen sehr ernsten Tatbestand und kann nur die Hoffnung haben, daß im Grunde die stillen Begabungsreserven bei uns doch ausreichen diese Lücke wieder zu schließen. Jedenfalls glaube ich nicht, daß diese Tatsache unbesetzter Lehrstühle etwa auf mangelnden finanziellen Aufwand zurückzuführen wäre. Denn hier liegt ja ein unausgenutzter finanzieller Aufwand vor.
Ich glaube vielmehr, daß hier mindestens zum Teil das zutrifft, was ich vorhin in bezug auf das sittliche Problem gesagt habe, über das, was hinter diesen Dingen stecke. Es gibt nämlich viele Menschen, die die mit der akademischen Laufbahn notwendigerweise verbundenen Entbehrungen nicht mehr bereitwillig auf sich nehmen. Jemand, der etwas von akademischer Laufbahn versteht, weiß, daß es nie eine Zeit gegeben hat, in der sie ein ungeheuer rosiger Berufs- und Lebensweg gewesen wäre. Die akademische Laufbahn bietet - auch bei all den Bemühungen, die wir in dieser Richtung unternehmen - überhaupt nicht die Chance eines materiell gesehen besonders rosigen Lebenswegs. Das gilt in der Breite gesagt; natürlich gibt es einige Diziplinen, in denen man die akademische Laufbahn durchaus als einen rosigen Lebensweg würde bezeichnen können.
Ich darf noch einmal zu den Ausführungen des Kollegen Zoglmann zurückkehren, der unter Hinweis auf das Beispiel der amerikanischen General Electric die Frage gestellt hat, ob wir bei unseren Vorausschätzungen bis 1970 diese Veränderungen der Entwicklung berücksichtigt hätten. Ich kann dazu nur sagen, Kollege Zoglmann: hoffentlich! Ich bin kein Berufsstatistiker und kein Rechner auf diesem Gebiete. Die Arbeiten, die ich darüber gelesen und vorgelegt habe, machten auf mich einen ganz überzeugenden Eindruck, mit der Einschränkung, daß alle Vorausschau immer nur etwas relativ Überzeugendes haben wird.
Aber wenn Sie sich die Zahlen noch einmal in Ruhe ansehen, werden Sie folgendes finden. Wenn z. B. das Land Nordrhein-Westfalen so hoffnungsvoll weiter fortschreitet wie seit einigen Jahren -ich hoffe, Sie haben dabei im Augenblick nicht an die falsche Regierung gedacht ({1})
und die übrigen deutschen Länder nicht allzuweit hinter Nordrhein-Westfalen zurückbleiben, dann wird sich - das werden Sie bei richtiger Multiplikation dieser Zahl sehen - diese Differenz von etwa 30 000 in der vorgesehenen Zeit, ich möchte beinahe sagen, „mühelos" beseitigen lassen. Das ändert natürlich nichts daran, daß derzeit auf dem Gebiete des Maschinenbaues usw. besondere EngBundesminister Dr. Schröder
pässe bestehen, die sich eben nicht von heute auf morgen, aber schließlich doch übermorgen beseitigen lassen.
Ich darf nun nur noch ganz wenige Worte darauf verwenden, mich mit dem auseinanderzusetzen, was der Herr Kollege Frede ausgeführt hat. Ich möchte zu zwei Punkten Stellung nehmen.
Das eine ist die Frage der Studentenwohnheime. Wir haben die Absicht, für die Studentenwohnheime, nachdem wir sie bereits seit Jahren gefördert haben, auch in diesem Jahr wieder 3 Millionen DM auszugehen. Ich wäre dankbar, wenn diese Zahlen nicht so etwas geringachtend behandelt würden. Sonst müßte ich dem Hause doch noch einmal auseinandersetzen, was in den vergangenen Jahren an Studentenwohnraum erstellt worden ist. Diejenigen von uns, die, sagen wir einmal, in den 20er Jahren studiert haben - auch damals gab es beträchtliche Studentenzahlen in Deutschland -, würden sich - entschuldigen Sie den Ausdruck - beinahe die Finger geleckt haben, wenn sie die Chance gehabt hätten, auf diesem Gebiet so gut behandelt zu werden wie heute doch ein nicht unbeträchtlicher Teil der Studenten; der in Studentenwohnheimen untergebracht ist. Es gibt auf diesem Gebiet eben einfach Grenzen. Es wäre mit anderen Worten angesichts der Verfassung unserer Universitäten - wir haben keine College-Universitäten - gar nicht günstig, wenn wir dazu kämen, daß sämtliche Studenten in Studentenwohnheimen wohnten. Das ist jedenfalls meine persönliche Meinung zu diesem Punkt.
Nun ist Herr Kollege Frede aber doch dazu übergegangen, von Zahlen zu sprechen, die ich „astronomisch" - ich weiß, es sind keine astronomischen Zahlen - genannt habe. Es entmutigt natürlich sehr, wenn man sagt: Fehlbedarf 30-, 40 000 Räume. Dabei muß man immer fragen: mit welcher Frequenzzahl? Mal 100 000 DM? Dabei muß man fragen: Ist 100 000 DM richtig? Dann kommt man auf 3, 3,5, 3,8, 4, 4,5 Milliarden DM, wie man will.
Meine Damen und Herren, ich will jetzt einmal unterstellen, daß jede Schule, die in einer Gemeinde hätte gebaut werden können, auch tatsächlich gebaut worden ist, - auch unter Zurücklassung gewisser anderer für die Kommunalpolitiker sehr lieber Objekte; dafür könnte ich einige Beispiele geben. Aber ich unterstelle einmal, daß jede Schule gebaut worden ist, die zu bauen möglich war. Sicher ist gegenwärtig noch ein nicht unbeträchtlicher Fehlbedarf zu decken, insbesondere um den Schichtunterricht zu beseitigen. Man darf aber nicht so tun, als ob die Zukunft der deutschen Volksschule oder die Zukunft der deutschen Bildung etwa an der etwas schnelleren Beseitigung des Schichtunterrichts hänge. Das wäre sicherlich eine falsche Einschätzung dieses Problems. Aber gerade diese Sache wirkt in der Multiplikation mit am stärksten.
Ich habe mich vorhin in meinen Ausführungen bewußt davon zurückgehalten, in diese Finanzierungsfragen allzu intensiv hineinzusteigen. Wir sind der Überzeugung, daß die Finanzierung der
Schulbauten Sache der Länder ist und bleiben muß und daß der Bund unter gar keinen Umständen in die Volksschulfrage eingreifen kann.
Wir müssen uns - wie das Grundgesetz nun einmal ist - immer sehr genau überlegen, wie weit nach unten wir in der Förderung greifen dürfen. Ich sehe jetzt einmal von der Mittelfrage ab. Es handelt sich einfach nicht nur darum, Geld für einen bestimmten Zweck aufzubringen, sondern es handelt sich um die sinnvolle Verwendung von Geld. Diese kann man doch schwerlich ohne genügende Kontrolle erzielen. Je weiter, je tiefer die Sache wirken soll - je weiter nach unten im staatlichen Aufbau -, desto umfangreicher müßte die Kontrolle sein; und diese haben wir vom Bund her einfach nicht.
Deswegen werden sich Bund und Länder - und das wird in dem Ausschuß auch geschehen - weiter darüber unterhalten müssen: Welches sind die Aufgaben, denen sich ausschließlich der Bund widmen kann, welches sind die Aufgaben, denen sich Bund und Länder gemeinsam widmen können, und welches sind die Aufgaben, die den Ländern, und zwar definitiv, allein überlassen bleiben sollen? Ich glaube, daß die Sorge um die Volksschulen auf jeden Fall in diese letzte Kategorie gehört.
Nun, meine Damen und Herren, zu der Gegenüberstellung von Verteidigungsaufwand und Aufwand für kulturelle Zwecke. Da ist in dieser Debatte nicht viel geschehen. Ich komme eigentlich nur deswegen darauf zurück, weil der letzte Redner, Herr Kollege Frede, davon gesprochen hat Den Versuch, Kulturetat und Verteidigungsetat zu kontrastieren, darf man eigentlich nur dann machen, wenn man sehr viel umfassender das Gesamtbild des kulturellen Aufwandes aus Gemeinden, Ländern, Bund usw. entwickelt.
({2})
Dann sieht das ganz anders aus, als wenn man etwa die Zahlen „Bundeshaushalt/kultureller Aufwand" neben die Zahlen „Bundeshaushalt/Verteidigungsaufwand" stellt. Es ist nicht fair, wenn man solche Vergleiche zieht, weil sie eben in der Sache - im Blick auf die Zuständigkeitsverteilung - falsch sind.
Wir dürfen eines nicht vergessen. So stark sicherlich die Wunden sind, die uns Krieg und Vertreibung auf dem kulturellen Gebiet geschlagen haben, so wenig dürfen wir vergessen, daß wir auf dem Gebiet der Verteidigung einen Nachholbedarf von 100 % haben. Da ist der komplette Abbau erfolgt, da hatten wir die komplette Demontage jeder Verteidigungseinrichtung. Das aufzuholen - das :st eine der dem Bund gestellten Aufgaben - ist natürlich eine Aufgabe, die beträchtliche Mittelverlangt.
Mit anderen Worten - und das ist der Schluß, den ich daraus ziehen möchte -: ein gerechter Vergleich kann nicht ein statischer Vergleich des heutigen Verteidigungsaufwandes des Bundes und seiner kulturellen Leistung sein, sondern ein gerechter Vergleich muß ein langfristiger Vergleich sein. Was diesen langfristigen Vergleich angeht, so glaube ich, daß er nach den Unterlagen, die ich
darüber vorgelegt habe - wie gesagt: als ein langfristiger Vergleich, in dessen Anfängen wir sind-, durchaus ein günstiges Bild für die Leistungen des Bundes geben wird.
Ich möchte damit schließen, daß ich sage: ich reue mich sehr, daß diese Debatte heute, obwohl es ein Freitag war und der Freitag eine gewisse Schwäche für die Präsenz bedeutet, ein hohes Maß von Übereinstimmung auf wesentlichen Gebieten ergeben hat. Wir können uns hier nicht schmeicheln, daß es uns gelingen könnte, unsere verschiedenen politischen Ausgangspunkte auf einen Nenner zu bringen. Das wird uns niemals gelingen, und das ist auch sehr gut so. Was sollten wir denn in den nächsten 20, 30 Jahren tun?
({3})
- Ja, was sollten wir mit einer Einheitspartei? Wir sind uns völlig einig darin, daß wir gar nicht den Versuch machen wollen, unsere Ausgangspunkte zu uniformieren, sondern wir wollen sehen, daß wir hier in einem lebendigen Wettbewerb bleiben können.
Aber eines sollten wir doch als ein, wie ich den Eindruck habe, gemeinsames Ergebnis dieser Beratung mitnehmen können, nämlich die Überzeugung, daß es nicht so wichtig ist, in dramatischer Weise über die deutsche Zukunft zu spekulieren, als vielmehr in einer wesentlich weniger auffälligen und ruhigeren Weise etwas für die deutsche Zukunft zu tun.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Lohmar.
Lohmar ({0}); Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Sie zu dieser späten Stunde nicht mit einem längeren Schlußwort konfrontieren, Ich möchte in nur wenigen Sätzen auf einige Punkte eingehen, zu denen der Herr Innenminister in seiner Schlußbetrachtung gesprochen hat.
Was den Wissenschaftsrat betrifft, so ist doch wohl trotz der Vereinbarung, die dort getroffen worden ist oder getroffen werden soll, in der Sache eine Regelung möglich, die der Anregung unseres Antrages entspricht. Wir möchten deshalb an dem Vorschlag festhalten, diesen Antrag an den zuständigen Ausschuß zur Beratung zu überweisen.
Einige Worte zu dem, was der Herr Innenminister über den Zusammenhang von Kulturetat und Wehretat ausgeführt hat. Uns geht es nicht darum, das eine oder das andere zu tun; uns geht es darum, eine vernünftige Relation zwischen dem Sozialetat, dem Kulturetat und dem Wehretat herzustellen. Die Frage, wo politisch und unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit für Deutschland die Prioritäten liegen, steht der Diskussion offen und darin werden wir uns wahrscheinlich nach wie vor sehr wesentlich unterscheiden.
Der Herr Bundesinnenminister hat weiterhin die Frage des Anteils der Arbeiterschaft am wissenschaftlichen Nachwuchs angesprochen. Ich schließe mich hier durchaus dem an, was Herr Kollege Zoglmann gesagt hat: daß dies auch eine Frage der Haltung sei. Aber eben darum geht es ja! Eine solche Fremdheit in der Beziehung zwischen Arbeiterschaft und Wissenschaft kommt ja nicht von ungefähr. Sie ist doch kein Naturereignis, gegen das man nichts tun kann, sondern wenn sich hier in breiten Schichten noch eine solche Fremdheit andeutet, ist es eine Aufgabe der Kulturpolitik in einer demokratischen Gesellschaft, diese Fremdheit zu beseitigen.
({1})
Wir können auch keinen Gegensatz zwischen der Verpflichtung zu einer individuellen Förderung des Studiums auf der einen Seite und der Bewertung des Studiums und der Förderung der Studierenden als einer Aufgabe der Gesellschaft auf der anderen Seite anerkennen. Das eine schließt das andere nicht aus. Ich bitte Sie einmal nachzulesen, was einer der bekanntesten Theoretiker des Subsidiaritätsprinzips dazu in einem Aufsatz in den „Stimmen der Zeit" - die Nummer weiß ich im Augenblick nicht - gesagt hat. Prof. von Nell-Breuning führt dort aus:
Nimmt die Gesellschaft eine Last ab, die nur drückt, die zu tragen die Kräfte nicht stählt, ... dann ist diese Hilfe dem Subsidiaritätsprinzip gemäß.
Vielleicht sollten wir diese Frage einmal in diesem Sinne eingehender miteinander diskutieren.
Der Herr Bundesinnenminister hat sich für eine gegliederte Gesellschaft ausgesprochen. Ich fürchte, daß wir bei dieser Frage in der Tat Anlaß zu einer ausführlichen Diskussion finden könnten. - Das Kopfschütteln oder das Kopfnicken bei einigen von Ihnen deutet auf ein für uns Sozialdemokraten bereits gewohntes Mißverständnis hin. - Herr Minister, ich würde lieber von einer differenzierten Gesellschaft sprechen, von einer nach Begabung und Leistung differenzierten Gesellschaft, aber einer differenzierten Gesellschaft ohne Vorrechte.
({2})
An diesem Punkt würde sich in der Tat eine Diskussion über das entzünden können, was wir konkret unter einer solchen differenzierten Gesellschaft verstehen.
({3})
Frau Abgeordnete Kalinke, man kann Sie leider nicht verstehen; es ist das erste Mal.
({0})
- Das ist eine angenehme!
({1})
Vizepräsident Dr. Schmid
Wird das Wort weiter gewünscht? - Das scheint nicht der Fall zu sein.
({2})
- Es ist ein wichtiges Thema! - Dann ist die Beratung zu Punkt 1 geschlossen.
Es liegen die Anträge Umdruck 47 und Umdruck 48 vor.
({3})
- Ist das Haus damit einverstanden, daß beide Anträge an den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik überwiesen werden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 3:
Beratung der Sammelübersicht 4 des Ausschusses für Petitionen ({4}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen ({5}).
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ist das Haus mit dem Antrag des Petitionsausschusses einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; der Antrag ist angenommen.
Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Landbeschaffungsgesetzes ({6}).
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt ({7}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe mich der angenehmen Hoffnung hin, daß die Damen und Herren des Hauses, die solange ausgeharrt haben, auch noch bereit sind, mir wenige Minuten zuzuhören.
In dem Ihnen vorliegenden Antrag schlägt die SPD-Fraktion Änderungen eines Gesetzes vor, das das Hohe Haus, nachdem der Bundesrat zunächst den Vermittlungsausschuß angerufen hatte, vor über einem Jahr verabschiedet hat.
In unserem hochindustrialisierten Lande ist wie in anderen Ländern ein ständiger Prozeß der Schrumpfung der landwirtschaftlich genutzten Bodenfläche im Gang. Dieser Prozeß wird weitergehen. Aber wo ihm Einhalt geboten werden kann und wo er sich in Formen vollzieht, die in ihrer Härte nach unserer Meinung nicht vertretbar sind, muß sich der Gesetzgeber einschalten.
Die Bundesregierung und die Mehrheit dieses Hauses haben mit der Billigung der Pläne des Verteidigungsministeriums für die Inanspruchnahme von zusätzlich etwa 100 000 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche zu den bereits beanspruchten Riesenflächen Tausende kleinerer und mittlerer bäuerlicher Existenzen zum Sterben verurteilt. Die Stationierungsmächte sind in ihren Ansprüchen schon nicht kleinlich gewesen. Die Gesamtanforderungen haben einen solchen Umfang erreicht, daß man später einmal mit Recht sagen wird, die größten
Landenteignungen in der deutschen Geschichte sind unter der Bundesregierung Dr. Adenauer vorgenommen worden.
({0})
- Ja, ja, zahlenmäßig belegbar, meine Damen und Herren!
Sie haben damals unserer Forderung, zunächst einmal das von den Alliierten benutzte Land stärker für die Bundeswehr heranzuziehen, leider nicht entsprochen. Wenn auch inzwischen manche Einzelverhandlungen zur Rückgabe und Freigabe geführt haben, so ist trotz allem nunmehr das Inanspruchnahmeprogramm der Bundeswehr angelaufen, auch wenn es einige Zeit gedauert hat; denn schließlich wollte man die bäuerlichen Wähler nicht noch vor den Septemberwahlen des vergangenen Jahres vor die rauhe Wirklichkeit der Regierungspolitik stellen.
Niemand kann und wird bestreiten, daß sich bei der bisherigen Durchführung des Gesetzes Mängel und Unvollkommenheiten gezeigt haben. Bei allen Verbesserungen des Gesetzes, die das Hohe Haus an der allseits als unzulänglich erkannten Regierungsvorlage im Laufe der Beratungen vorgenommen hat, waren sich die Kollegen im Ausschuß einig, daß natürlich der Vollzug des Gesetzes von dem Hohen Hause nicht garantiert werden könne. Deshalb hat der Ausschuß damals vorgeschlagen, der Bundestag möge die Bundesregierung ersuchen, durch Ausführungsbestimmungen die Handhabung des Gesetzes im Interesse der Betroffenen zu erleichtern. Leider sind diese Ausführungsbestimmungen noch nicht ergangen. Ich hatte kürzlich den Herrn Bundesminister des Innern in der Fragestunde darauf angesprochen. Er hat mir dankenswerterweise eine sehr ausführliche, in der Sache dafür aber um so unklarere Auskunft über den Zeitpunkt des Erlasses dieser Richtlinien gegeben, deren endgültige Fassung wohl am Finanz- und am Verteidigungsressort bisher gescheitert ist.
Meine Fraktion beantragt daher einige Verbesserungen des Landbeschaffungsgesetzes. Das Anhörungsverfahren soll dahingehend abgewandelt werden, daß vorgetragene begründete Bedenken bei der Durchführung von Landbeschaffungsvorhaben auf jeden Fall beachtet werden. Wir hoffen, daß auf diese Weise eine stärkere Wahrung der öffentlichen Belange der Länder und Gemeinden gesichert ist.
Die Ergänzung des § 2 halten wir für erforderlich, weil leider viele mit der Landbeschaffung betraute Behörden die Verhandlungen über den freihändigen Erwerb schon dann als gescheitert ansehen, wenn ihre nur nach den bisherigen Preisvorschriften errechneten Angebote von den Eigentümern abgelehnt worden sind. Die Ergänzung des § 2 soll sichern, daß als gerecht nur ein Preis in Betracht kommt, der dem Wert der nicht preisgebundenen Grundstücke entspricht. Leider ist vielfach schon bei dem Beginn von solchen Verhandlungen mit dem Enteignungsverfahren gedroht worden.
Dem Grundsatz, daß die freiwillige Überlassung von Land den Vorrang vor der Entziehung von Eigentum hat, wird bei Anerkennung der von uns
Schmitt ({1})
vorgeschlagenen Ergänzung des § 10 Rechnung getragen.
Besonders wichtig ist die Ergänzung des § 57. Sie stellt nach unserer Meinung einen echten Beitrag zur Reprivatisierung von Bundesvermögen dar; denn die bisherige Regelung ermöglichte nur dann die Rückübereignung, wenn Land nach dem Gesetz von 1957 beschafft worden ist, nicht aber in den Fällen des Gesetzes von 1935, obwohl gerade durch dieses Gesetz sehr viel Unrecht geschehen ist. Hier ist leider, wie es so schön heißt, nichts zu „versilbern", und die Aktion zur Verschleuderung von Bundesvermögen wird auch kaum für die kleinen Bauern gedacht gewesen sein, die vielfach heute noch an den Bund für das Land Pacht zahlen müssen, das im Dritten Reich in Anspruch genommen wurde, aber heute nicht mehr für militärische Zwecke benötigt wird. Hier kann das Haus einen wirklichen Beitrag zur Reprivatisierung von Bundesvermögen im Interesse vieler kleiner Bauern leisten.
Die Ergänzung des § 64 halten wir für erforderlich, weil beim Inkrafttreten des Bundesleistungsgesetzes viele Grundstücke nach § 85 in Anspruch genommen waren. Die Betroffenen haben sich damals natürlich darauf eingestellt, daß sie nach dem Ablauf der Fristen des Gesetzes mit einer Freigabe ihres Eigentums rechnen könnten. Es wäre unbillig, wenn nunmehr im Anschluß an die zunächst vorgenommene Leistung nach dem Bundesleistungsgesetz eine Enteignung nach dem Landbeschaffungsgesetz vorgenommen würde. Wir glauben, daß hier der Staatsbürger eines rechtsstaatlichen Schutzes bedarf, zumal da inzwischen die Eigentümer vielfach Vorbereitungen getroffen haben, ihr Eigentum wieder in Besitz zu nehmen.
Man wird vielleicht einwenden, das Gesetz sei noch nicht lange genug in Kraft, um schon genügend Erfahrungen gesammelt zu haben. Wir glauben jedoch, daß es jetzt noch Zeit zu Verbesserungen ist; denn die Inanspruchnahmen sind erst angelaufen. Helfen wir daher unseren Landwirten, deren Eigentum bedroht ist, bevor es zu spät ist!
({2})
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Dr. Schröder Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war des Glaubens, daß ich mein parlamentarisches „Soll" für heute erfüllt hätte. Um so mehr bedauere ich es, daß ich noch das Wort ergreifen muß, um hier etwas zu beanstanden.
Die Bundesregierung war unterrichtet worden, daß der Ältestenrat beschlossen habe, dem Plenum vorzuschlagen, den Gesetzentwurf Drucksache 272 ohne Aussprache an die Ausschüsse zu verweisen. Ich war aufs peinlichste überrascht, als ich soeben eine Begründung anhören mußte, die doch eine Reihe von polemischen Betrachtungen enthielt.
({0})
- Sie halten sie für richtig; aber ich halte sie für unangemessen polemisch. Unsere Vorstellungen gehen in diesem Falle auseinander.
Der Ältestenrat kann keine Beschlüsse fassen; er kann nur auf Grund von Vereinbarungen der Fraktionen Vorschläge machen. Da die einzelnen Abgeordneten nur ihrem Gewissen und nicht ihren Fraktionsführungen verantwortlich sind, ist man nicht sicher, ob nicht doch ein Abgeordneter das Wort ergreift. Da man davon ausgehen kann, daß Minister über alles Bescheid wissen, was in ihr Ressort fällt, wird man nicht annehmen können, daß ein Abgeordneter etwas Unziemliches tut, wenn er sich trotz der Verabredung im Ältestenrat zum Wort meldet.
Ich möchte auf das eingehen, was Sie gesagt haben, wenn Sie es erlauben. Das eine ist dies, daß Vereinbarungen des Ältestenrates bisher für die Bundesregierung immer eine hohe Glaubwürdigkeit gehabt haben.
Vermutung!
Das ist dann also in diesem Fall offenbar leider nicht ganz so.
Was das zweite angeht: In der Tat wissen die Bundesminister, jedenfalls die Mitglieder der derzeitigen Bundesregierung, Herr Präsident, in ihrem Ressort Bescheid. Ich kann Ihnen deswegen sagen, daß die Bundesregierung diese Gesetzesvorlage ablehnt. Ich hätte es aber begrüßt, über die Sache eingehend diskutieren zu können. Ich sehe und höre, daß sich die größte Fraktion in diesem Hause, ebenso wie ich von derselben Nachricht ausgehend, nicht auf diese Aussprache vorbereitet hat. Es tut mir sehr leid, daß hier nur zu einem Teil eine öffentliche Diskussion stattfindet und daß der Rest Ausschußdiskussion sein muß. Ich kann nur pauschal sagen, daß ich die Ausführungen des Herrn Kollegen Schmitt ({0}) als in wesentlichen Punkten unzutreffend und die polemischen Äußerungen als ganz unangemessen ablehnen muß.
({1})
- Ja, unzutreffend! Sie haben sich auf den Standpunkt gestellt, die Regierung Adenauer sei - wie haben Sie sich ausgedrückt?, ich will jetzt vorsichtig sein - der größte Landräuber aller Zeiten.
Das hätte ich gerügt.
Es war also offenbar nicht dieser Ausdruck, aber Ihr Stichwort lag in dieser Richtung. Dem Sinne nach habe ich mir Ihre Äußerungen bestimmt richtig gemerkt.
Ich bedauere, daß wir heute nicht zu einer Diskussion in dieser Sache kommen können, und beBundesminister Dr. Schröder
halte mir vor, alles weitere im Ausschuß zu sagen. Aber dies möchte ich hier nochmals aussprechen: die Bundesregierung wird sich im Ausschuß für die Ablehnung des Gesetzentwurfs einsetzen.
Wird weiter das Wort gewünscht? Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann kommen wir zur Beschlußfassung. Es ist beantragt, den Antrag zu überweisen an den Ausschuß für innere Verwaltung als federführenden Ausschuß, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Rechtsausschuß als mitberatende Ausschüsse. Ist das Haus einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen.
({0})
- Sie rügen, daß es drei Ausschüsse sind. Aus folgendem Grund: Im Altestenrat war man sich darüber einig, daß in einer ganzen Reihe von Fällen der Rechtsausschuß notwendig gehört werden
muß, einfach damit das Gesetz jeweils dem ganzen Rechtssystem angepaßt werden kann. Ich glaube, man sollte den Rechtsausschuß eigentlich immer als eine Art von notwendigerweise mitberatendem Ausschuß bei Gesetzen dieser Art ansehen.
Punkt 4 der Tagesordnung ist erledigt. Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({1}).
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ist das Haus einverstanden, daß entsprechend verfahren wird? - Dann ist so beschlossen.
Damit, meine Damen und Herren, ist die heutige Tagesordnung erledigt. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 23. April, vormittags 9 Uhr, und schließe die Sitzung.