Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, eine kleine Bernerkung. Während dieser Plenarsitzung werden zu dokumentarischen Zwecken Filmaufnahmen gemacht. Ich bitte also, nicht zu erschrecken, wenn plötzlich die Lampen aufleuchten, und nicht zu glauben, es handle sich etwa um eine Art von technischem Beweissicherungsverfahren für den Fall, daß jemand über die Besetzung des Hauses etwas behaupten sollte, das nicht den Tatsachen entspricht,
({0}) gute Besetzung des Hauses!)
- ich meine dies in Rückschau auf die vergangenen vier Jahre.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die heutige Tagesordnung erweitert um die Beratung des Antrags der Abgeordneten Hoogen, Jahn ({1}), Dr. Bucher und Genossen betreffend Gesetz über die Sammlung des Bundesrechts vom 10. Juli 1958 ({2}) ({3}), um die zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes ({4}), weiter um die Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung des bundeseigenen Jade-Wasserwerkes Wilhelmshaven an die Stadt Wilhelmshaven ({5}). - Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist das Haus damit einverstanden.
Weiter habe ich mitzuteilen, daß die Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im ersten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1961 - Drucksache 2808 - eingegangen ist. Ich unterstelle, daß das Haus mit der Überweisung dieser Vorlage an den Haushaltsausschuß einverstanden ist. - Es ist so beschlossen.
Eine weitere amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Saatssekretär des Bundesministeriums der Justiz hat unter dem 14. Juni 1961 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Ehescheidungen gemäß § 48 des Ehegesetzes Drucksache 2777 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2839 verteilt.
Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Punkt 1:
Fragestunde ({6}).
VII. Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - Frage ,des Herrn Abgeordneten Jahn ({7}) -:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit in
a) der gesetzlichen Krankenversicherung,
b) der Arbeitslosenversicherung und
c) der Rentenversicherung
in der Praxis zu ebenso unbilligen wie dem Laien unverständlichen Ergebnissen führen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesregierung ist wohl bekannt, daß die irrtümliche Verwendung des Begriffes „Erwerbsunfähigkeit" auch auf den Gebieten der gesetzlichen Krankenversicherung und der Arbeitslosenversicherung bei Laien hin und wieder die Vorstellung erweckt, als führten die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen der in ,der Frage genannten Versicherungszweige zu unbilligen und unverständlichen Ergebnissen. Tatsächlich kennt den Begriff „Erwerbsunfähigkeit" als Leistungsvoraussetzung aber nur die Rentenversicherung. Die Krankenversicherung stellt auf die Arbeitsunfähigkeit, die Arbeitslosenversicherung auf die Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung ab.
Der Gebrauch unterschiedlicher Begriffe liegt in den verschiedenartigen sozialpolitischen Zwecken begründet, die mit den einzelnen Leistungen der genannten Versicherungszweige verfolgt werden. Unterschiedliche Beurteilungen auf Grund unterschiedlicher Grundlagen können an sich nicht unbillig genannt werden.
Eine Zusatzfrage?
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die Tatsache, daß der gleiche Tatbestand - ich will es jetzt einmal so nennen - in den verschiedenen Versicherungszweigen sehr unterschiedlich gewürdigt wird, dazu führt, daß in sehr vielen Fällen die Betroffenen von gar keiner Seite
Jahn ({0})
etwas bekommen und dann Fürsorgeleistungen in Anspruch nehmen müssen?
Daß es sehr viele Fälle sind, Herr Kollege Jahn, möchte ich nicht annehmen. Daß es im Einzelfall einmal passieren kann, ist klar. Aber hier handelt es sich nicht, wie ich noch einmal sagen darf, um denselben Tatbestand.
Ich nehme an, Ihre Frage zielt doch auf folgenden Fall der Praxis ab: da geht jemand zum Arbeitsamt, dort sagt man: „Du bist nicht vermittlungsfähig", daraus schlußfolgert er: ich bin nicht erwerbsfähig. Er geht zur Rentenversicherung, will eine Rente haben. Dort sagt man ihm: „Du bist nicht erwerbsunfähig". Das kann tatsächlich einmal eintreten; denn beim Arbeitsamt liegt ein anderer Tatbestand vor. Hier will man für eine vorübergehende kurze Zeit, wenn der Betreffende arbeitsfähig und arbeitswillig ist, wenn er aber keine Arbeit hat, ihm ein Arbeitslosengeld zukommen lassen. Nun sind aber bei der Beurteilung, ob er für den Arbeitsmarkt verwendbar ist, auch Tatbestände zu berücksichtigen, die mit der Frage der Erwerbsunfähigkeit überhaupt nicht im Zusammenhang stehen. Wenn man durch - sagen wir einmal - ärztliche Begutachtungen eine Klärung herbeiführen will, dann kommt es so, daß dieselbe Person einmal vor diesem und ein anderes Mal vor jenem Amtsarzt steht. Aber hier ist dann durch gemeinsame Richtlinien dafür gesorgt, daß die Beurteilungsgrundlagen im allgemeinen gleich sind.
Zweite Zusatzfrage!
Sind Ihnen, Herr Minister, keine Fälle bekannt, in denen in ärztlichem Gutachten ausdrücklich darauf Bezug genommen wird, daß die unterschiedliche Rechtsgrundlage dazu führt, daß dem Betroffenen nicht geholfen werden kann?
Ja, das läßt sich sicherlich niemals ganz ausschalten. Das kann auch daher kommen, daß abweichende Beurteilungen des gleichen medizinischen Sachverhaltes
({0})
durch die für die verschiedenen Versicherungszweige zuständigen Ärzte einmal zutage treten. Ich sagte schon, daß es sich hier um verschwindend wenig Fälle handele. Es wird dann immer versucht, eine Verständigung zwischen dem Rentenversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung herbeizuführen. Aber, Herr Kollege Jahn, wir dürfen auch nicht übersehen, daß z. B. - ich darf einmal auf diesen Umstand hinweisen - ein Arbeitsloser, der nach seinem Leistungsvermögen imstande ist, eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes auszuüben, vor dem Arbeitsamt geltend macht, er sei nicht arbeitsfähig, weil er
glaubt, daß, wenn man das ,da anerkenne, er damit den Beweis dafür erbracht habe, daß er rentenbezugsberechtigt sei. Das triff aber nicht zu.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büttner.
Darf ich Sie, Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, darauf aufmerksam machen, daß es sich -
Das ist keine Frage!
Ja, darf ich darauf aufmerksam machen -
Das ist eine Höflichkeitsformel, aber nicht die Einleitung einer Frage.
({0})
Herr Bundesminister, darf ich fragen, ob Ihnen bekannt ist - Sie haben es zwar verneint -, daß es sich bei der unterschiedlichen Beurteilung durchaus nicht um Einzelfälle handelt und daß die Schwierigkeit darin besteht, daß der gleiche Mensch, der vom Vertrauensarzt des Arbeitsamtes für nicht vermittlungsfähig angesehen wird, nicht krank im Sinne der Krankenversicherung ist, aber auch nicht anspruchsberechtigt für eine Leistung aus der Rentenversicherung ist, obwohl er die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt hat?
Ich habe soeben darzutun versucht, daß wir es hier mit zwei unterschiedlichen Tatbeständen zu tun haben. Bei dem einen zielt es darauf ab, ob er zur Verfügung steht, im anderen Falle für die Rentenversicherung, ob er erwerbsunfähig ist oder nicht. Nun kann jemand tatsächlich in der Arbeitsvermittlung nicht verfügbar sein, weil bei ihm Umstände vorliegen, die ihn ungeeignet machen, vermittelt zu werden. Es genügt sogar schon, daß er nicht will; denn wir können niemanden gegen seinen Willen vermitteln. Wir können nur sagen: Wenn du die zumutbare Arbeit nicht annimmst, kannst du kein Arbeitslosengeld 'bekommen. Aber die Tatbestände, die dann bei ihm vorliegen, sind nicht die gleichen wie die, die er anführen kann, um seine Erwerbsunfähigkeit darzutun. Deshalb kann es tatsächlich zu solchen Fällen kommen. Das liegt aber im Sinne des Zwecks, den die beiden Sozialversicherungszweige erstreben.
Eine Zusatzfrage?
Sind Sie der Meinung, Herr Bundesminister, daß mit Ihren Darlegungen in der Praxis die Schwierigkeiten, die den einzelnen betreffen, der dadurch nicht zu seinem Recht kommt, behoben sind, und sind Sie der Meinung, daß hinBüttner
I sichtlich der Koordinierung der ärztlichen Beurteilung etwas mehr geschehen müßte?
Ich habe schon in meiner Antwort darauf hingewiesen, daß eine enge Zusammenarbeit gerade der Ärzte in ,den verschiedensten Sozialversicherungszweigen besteht, daß wir Richtlinien dafür haben und daß man sich in Zweifelsfällen miteinander abstimmt. Es gibt kein Gesetz, Herr Kollege, das jeden denkbaren Einzelfall im voraus regelt. Alle Gesetze haben ihrer Natur nach mehr oder minder generalisierenden Charakter.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Geiger! Aber das ist die letzte Frage, die ich gestatte.
Herr Minister, sind Sie bereit, darauf hinzuwirken, daß ,die Anstalten sich entsprechend Ihrem letzten Vortrag miteinander aussprechen und daß beide zusammen nach objektiven Maßstäben festlegen, welches Gutachten seine Berechtigung hat?
Ich brauche das gar nicht zu tun. Das geschieht bereits, Herr Geiger, wie ich soeben darlegte.
({0})
Meine Damen und Herren, das war die letzte Zusatzfrage, die ich gestattet habe. Dieser Punkt ist erledigt. Ich möchte nur darauf hinweisen: Solche Detailfragen kann man nicht in extenso in der Fragestunde behandeln.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe auf die Frage IX/1 - des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke -:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die von der Deutschen Bundespost und Deutschen Bundesbahn betriebenen Verkehrslinien in erster Linie den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung und den in der Berufsausbildung stehenden Jugendlichen zu dienen haben?
Herr Präsident, ich bitte, mir zu gestatten, daß ich die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke in einem beantworte, da sie sachlich zusammenhängen.
Ich rufe ebenfalls auf die Frage IX/2:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der vor einigen Tagen eingeführte neue Sommerfahrplan der Bundesbahn- und Bundespostbuslinien von Liedolsheim/Rußheim, Spöck und Mörsch nach Karlsruhe, der gegen den Protest der Gemeinden und ohne Reaktion auf die Vorstellungen der Betroffenen festgelegt wurde, den Bedürfnissen der Verkehrsteilnehmer entspricht?
und die Frage IX/3:
Ist die Bundesregierung bereit, dafür zu sorgen, daß für die Bundesbahn- und Bundespostbuslinien von Liedolsheim/Rußheim, Spöck und Mörsch nach Karlsruhe der alte Fahrplan wieder in Kraft gesetzt wird, um zu vermeiden, daß Arbeitnehmer bis zu einer Stunde vor Arbeitsbeginn in Karlsruhe ankommen und Schiller zum Teil mehr als eine Stunde auf den Schulbeginn in Karlsruhe warten müssen?
Bahnbus- und Kraftpostlinien dienen wie der Schienenverkehr der gesamten Bevölkerung. Bei den angesprochenen Fahrten handelt es sich um solche, die zu den Hauptverkehrszeiten stattfinden und die überwiegend von Berufstätigen und Schülern in Anspruch genommen werden. Es ist selbstverständlich, daß die Fahrplangestaltung im Rahmen des wirtschaftlich Vertretbaren auf die Interessen dieses Personenkreises ausgerichtet wird.
Im einzelnen geht es hier um die Bahnpostgemeinschaftslinie Karlsruhe-Rußheim-Graben, die Kraftpostlinie Karlsruhe-Bruchsal und die Kraftpostlinie Karlsruhe-Illingen, im wesentlichen also um Verkehrslinien der Bundespost.
Da nach der Einführung des Sommerfahrplans 1961 dem Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen zunächst keine Beschwerden über eine Verschlechterung des Verkehrsangebots auf den vorstehend bezeichneten Linien bekanntgeworden sind, mußte er davon ausgehen, daß Fahrplangestaltung und Fahrzeugeinsatz den Bedürfnissen der Verkehrsnutzer in etwa entsprechen. Nach Mitteilung der Oberpostdirektion Karlsruhe beginnt der Behördendienst in Karlsruhe im Sommer um 7.30 Uhr und der Unterricht in den meisten Schulen um 7.45 Uhr. Die Omnibusse der genannten drei Linien treffen um 7.20 Uhr, 7.30 Uhr und 7.25 Uhr in Karlsruhe ein. Die zuständige Oberpostdirektion Karlsruhe, der wie zu jeder Fahrplanänderung Beschwerden zugegangen sind, ist von dem Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen beauftragt worden, den Beanstandungen im Benehmen mit den interessierten Gemeinden unverzüglich nachzugehen und berechtigten Beschwerden nach Möglichkeit abzuhelfen. Ein Bericht der Oberpostdirektion über die angeordnete Überprüfung liegt bisher noch nicht vor.
Eine Zusatzfrage?
Herr Bundesminister, billigen Sie das Verhalten der Postdienststellen, die dringende Gegenvorstellungen verschiedener Bürgermeister wochenlang unbeantwortet ließen, dann vollendete Tatsachen schufen und sich lieber an Landespolizeidienststellen wendeten mit der Bitte um polizeiliche Überwachungsmaßnahmen bei Einführung des Sommerfahrplans?
Herr Kollege, wenn es sich um Bahndienststellen handelte, würde ich dieses Verhalten nicht billigen. Da es sich um Postdienststellen handelt, steht mir ein Urteil darüber nicht zu.
Wenn Sie diese Fragen auch im Namen des Herrn Bundespostministers beantworten, Herr Bundesminister, meinen Sie nicht, daß Sie dann hier auch eine Antwort auf diese Frage geben müßten?
Nein. Ich meine, Herr Kollege Rutschke, daß ich
diese Frage dem Herrn Bundesminister für das Post-und Fernmeldewesen weitergeben werde.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bewußt, daß Ihre Ausführungen, die Sie ja auf Grund eines Berichts von untergeordneten Dienststellen machen konnten, im Widerspruch zu den Feststellungen der Bürgermeisterämter stehen? Sind Sie bereit, die nachgeordneten Dienststellen anzuweisen, sich mit den Gemeindevertretungen der betreffenden Gemeinden zusammenzusetzen, um eine alle Teile befriedigende Regelung herbeizuführen?
Ich habe ja gesagt, Herr Kollege Rutschke, daß der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen die zuständige Oberpostdirektion Karlsruhe beauftragt hat, den Beanstandungen im Benehmen mit den interessierten Gemeinden unverzüglich nachzugehen und berechtigten Beschwerden nach Möglichkeit abzuhelfen. Ich glaube, damit ist Ihre Frage doch beantwortet.
Damit ist diese Frage erledigt. Frage IX/4 - des Herrn Abgeordneten Enk -:
Da die Bundesverkehrswacht wie auch ihre Unterorganisationen, die Bezirks- und Kreisverkehrswachten, ihre seither zugeflossenen Einnahmen verloren haben, frage ich den Herrn Bundesverkehrsminister, was er zu tun gedenkt, um die Bundesverkehrswacht und ihre Unterorganisationen in der Zukunft finanziell zu unterstützen.
Seit ihrem Bestehen werden der Bundesverkehrswacht zweckgebundene Mittel zugewiesen. Unsere finanziellen Aufwendungen für die Bundesverkehrswacht betrugen im Jahre 1959 1 172 000 DM und im Jahre 1960 1 236 000 DM. Im Rechnungsjahr 1961 stehen dem Bundesminister für Verkehr für Aufklärungs- und Erziehungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Verkehrsunfälle insgesamt 2 430 000 DM zur Verfügung. Hiervon sind für die Bundesverkehrswacht zur Durchführung ihrer Aufgaben rund 1,3 Millionen DM vorgesehen. Für das Rechnungsjahr 1962 sind im Haushaltsvoranschlag des Bundesministers für Verkehr für die gleichen Zwecke 3 200 000 DM beantragt. Hiervon wird der Bundesverkehrswacht wieder ein entsprechender Betrag für die Durchführung ihrer Aufgaben zur Verfügung gestellt werden. Die Bundesverkehrswacht hat also in den letzten Jahren in erheblich steigendem Ausmaß Beiträge zweckgebundener Art vom Bundesminister für Verkehr erhalten.
Die der Bundesverkehrswacht gewährten Zuwendungen kommen durch Bereitstellung von Aufklärungs- und Propagandamaterial zum Teil mittelbar auch den Landes-, Kreis- und Ortsverkehrswachten zugute. Die finanzielle Unterstützung der Landes-, Kreis- und Ortsverkehrswachten gehört seit ihrer Gründung nicht zur Zuständigkeit des Bundes, sondern zur Zuständigkeit der Länder.
Zusatzfrage.
Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß der Justizminister Anordnung erlassen hat, wonach bei Verkehrsdelikten die seitherigen Strafen nicht mehr in Geldbußen umgewandelt werden können, wodurch finanzielle Zuschüsse an die Verkehrswachten nicht mehr erfolgen können?
Das ist mir so nicht bekannt. Aber es ist mir auch nicht bekannt gewesen, daß Geldstrafen, die nicht ausdrücklich vom Gericht in Bußen umgewandelt wurden, den Verkehrswachten zuflossen. Das waren jedenfalls Mittel, die nicht über den Etat gegangen sind und die von uns nicht zu kontrollieren waren.
Wenn dies der Fall ist, Herr Bundesverkehrsminister - könnte für diese Ausfälle den Verkehrswachten in irgendeiner Form Ersatz gewährt werden? Ich weiß, daß in meiner Gegend die Verkehrswachten namhafte Gelder auf diese Art bekommen haben, und die fallen jetzt weg.
Ein Ausgleich, Herr Kollege Enk, könnte dann nur über den Landesetat erfolgen, nicht über den Bundesetat.
Danke!
Es war auch mir unbekannt, daß man die Verkehrswacht mit Strafgeldern finanziert; eine eigenartige Form der Verkehrsgebarung, muß ich sagen.
Frage IX/5 - des Herrn Abgeordneten Ritzel -:
Bis wann ist die Fertigstellung der Autobahnstrecke Freiburg-Basel zu erwarten?
Die Fertigstellung der Autobahnstrecke Freiburg-Basel ist für den 1. August 1961 vorgesehen; die Autobahn endet allerdings zunächst bei Märkt. Freiburg selbst wird mit der Anschlußstelle Freiburg/Süd bei Tiengen angeschlossen, die von Freiburg aus über die Bundesstraßen 3/31 zu erreichen und etwa 8 km von der Stadtmitte entfernt ist. Der 3 km lange Abschnitt von Märkt bis Weil wird voraussichtlich im Frühjahr 1962 fertiggestellt sein. Die restlichen 2 km bis zur schweizerischen Grenze mit der baulich sehr schwierigen Unterfahrung des Verschiebebahnhofs bei Weil sollen erst gebaut werden, wenn die Fortführung der Autobahn auf schweizerischem Gebiet sichergestellt und ihre Trassierung festgelegt ist.
Für die Fertigstellung der Autobahnstrecke Karlsruhe-Basel bestehen nach dem augenblicklichen Stand folgende Termine: Die Strecken Karlsruhe-Offenburg und Neuenburg-Märkt sind bereits in Betrieb. Die Strecke Offenburg-Lahr wird am 1. August, die Strecke Lahr-Riegel im September 1961 dem Verkehr übergeben. Die Strecke RiegelBundesminister Dr.-Ing. Seebohm
Freiburg/Süd - das ist die letzte Lücke zwischen Hildesheim und Basel - wird im Frühjahr 1962 dem Verkehr übergeben. Freiburg/Süd-Neuenburg wird, wie gesagt, am 1. August dem Verkehr übergeben, die Strecke Neuenburg-Märkt ist bereits in Betrieb, und die Strecke Märkt-Weil wird im Frühjahr 1962 dem Verkehr übergeben, so daß die Gesamtstrecke von Karlsruhe bis Weil spätestens im Frühjahr 1962 durchgängig befahrbar sein wird.
Zusatzfrage?
Herr Bundesverkehrsminister, ist nicht die Strecke Offenburg-Lahr bereits jetzt betriebsfähig, so daß es nicht nötig wäre, bis zum 1. August zu warten, bis der Wahltermin etwas näher gerückt ist?
Herr Kollege, ich kann Ihnen dazu nur sagen, was mir mitgeteilt worden ist: daß die Strecke in den letzten Juli- oder ersten Augusttagen dem Verkehr übergeben werden kann. Das ist die Mitteilung des Autobahnamtes, das dafür die Verantwortung trägt. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß in der Bevölkerung vielfach die Auffassung besteht, eine Strecke sei schon früher fertig. Natürlich kann die Bevölkerung nicht übersehen, welche Nebenarbeiten noch geleistet werden müssen, bevor die Strecke endgültig übergeben werden kann.
Zusatzfrage?
Wären Sie dazu bereit, Herr Bundesverkehrsminister, noch einmal Rückfrage zu halten, um festzustellen, ob nicht gerade die Teilstrecke Offenburg-Lahr mit Rücksicht auf den Sommerverkehr - deswegen ist der Termin so wichtig - zu einem wesentlich früheren Termin in Betrieb genommen werden könnte?
Dazu bin ich gerne bereit. Wenn mir das Autobahnamt eine solche Mitteilung macht, kann die Strecke selbstverständlich auch früher eröffnet werden. Für den Wahltermin des 17. September kommt es ja gar nicht darauf an, ob die Eröffnung in den ersten August- oder in den letzten Julitagen erfolgt. Die günstige Wirkung der Eröffnung auf den Ausgang der Wahlen am 17. September ist so und so gegeben.
({0})
Meine Damen und Herren, wir wissen alle, daß in der ganzen Welt Feierlichkeiten bei Eröffnung von Straßen zu den wenigen Annehmlichkeiten des Regierens gehören.
Frage IX/6 - ,des Herrn Abgeordneten Hansing -:
War zum Zeitpunkt der Gespräche des Herrn Bundeskanzlers mit dem Reederverband in Hamburg am 28. Mai 1961 dem Herrn Bundeskanzler nicht das Memorandum der 4 Küstenländer an die Bundesministerien für Wirtschaft und Verkehr bekannt, welches sich mit der Verschärfung der internationalen Wettbewerbsunterlegenheit der Seeküstenschiffahrt und Werften befaßte?
Das Memorandum der Küstenländer zu den Fragen der See- und Küstenschiffahrt und der Werften, datiert vom 16. Mai 1961, wurde dem Bundesminister für Wirtschaft und dem Bundesminister für Verkehr am 18. Mai, also drei Tage vor Pfingsten, übergeben. Bis zum 27. Mai konnte dem Bundeskanzleramt eine zwischen den beteiligten Ressorts abgestimmte Stellungnahme noch nicht vorgelegt werden. Im Zeitpunkt der Gespräche des Herrn Bundeskanzlers mit ,dem Reederverband in Hamburg am 28. Mai 1961 war dem Herrn Bundeskanzler das Memorandum der Küstenländer an die genannten Bundesministerien daher nicht bekannt, und eine Stellungnahme der Ressorts lag ihm nicht vor.
Frage IX/7 - des Abgeordneten Hansing -:
Trifft es zu, daß der Herr Bundeskanzler den Reederverband in Hamburg aufgefordert hat, zur besseren Wahrnehmung seiner Interessen seine Tätigkeit in Bonn zu verstärken und seine hanseatische Zurückhaltung aufzugeben?
Es trifft nicht zu, daß der Herr Bundeskanzler den Reederverband ,aufgefordert hat, zur besseren Wahrnehmung seiner Interessen seine Tätigkeit in Bonn zu verstärken und seine hanseatische Zurückhaltung aufzugeben. Dies ist auch in einer Pressenotiz schon ausdrücklich festgestellt worden.
Frage IX/8 - des Abgeordneten Ritzel -:
Welche Ausführungsbestimmungen plant das Bundesverkehrsministerium zur Vermeidung des Diebstahls von Automobilen bei entsprechender Anwendung des § 38 a der StraßenverkehrsZulassungs-Ordnung?
Nach § 38 a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung müssen Personenkraftwagen, Kombinationskraftwagen und Krafträder, die ab 1. Juli 1961 erstmals in den Verkehr kommen, mit einer hinreichend wirkenden Sicherungseinrichtung gegen unbefugte Benutzung ausgerüstet sein. Die Nachrüstung der schon in Betrieb befindlichen Fahrzeuge ist bis zum 30. Juni 1962 durchzuführen, also innerhalb eines Jahres.
Die Zusammenfassung .der technischen Bedingungen, denen diese Sicherungseinrichtungen zu entsprechen haben, zu Richtlinien wurde mit den Ländern durchgesprochen. Sie sollen im Juli 1961 veröffentlicht werden. Die Sicherungseinrichtungen unterliegen nicht der Bauartgenehmigungspflicht; um aber eine einheitliche Beurteilung durch die amtlich anerkannten Sachverständigen zu erleichtern, wird beim Technischen Überwachungs-Verein Hannover eine Prüfstelle für Musterprüfungen eingerichtet, die ihre Tätigkeit in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalpolizeiamt Niedersachsen ausübt. Nach dem derzeitigen Stand der Technik werden u. a. Lenk-, Getriebe-, Bremsen- oder Schalthebelschlösser als Sicherungseinrichtungen in Frage kommen.
Der Zweck .der Sicherungseinrichtungen ist es, eine unbefugte Benutzung der Kraftfahrzeuge zu verhindern, weil bei diesem Delikt immer wieder
grobe Verstöße gegen ,die Verkehrsregeln mit zum Teil schweren Unfällen auftreten. Ich darf nur daran erinnern, daß vor zwei Tagen ,der Präsident eines hohen Gerichts in Regensburg von einem Kraftfahrzeug, das von einem Jugendlichen gestohlen worden war, tötlich überfahren und seine Frau schwer verletzt worden ist.
Die Tatsache, daß vor allem Jugendliche beteiligt sind, wird durch die Mitteilung des Bundeskriminalamtes erhärtet: an den aufgeklärten Diebstählen dieser Art sind die Jahrgänge zwischen 14 und 21 Jahren mit 61,5 % beteiligt. Allerdings konnten 1960 von rund 120 000 Diebstahlfällen nur 26,7 % aufgeklärt werden. Mit der Vorschrift ist dagegen nicht beabsichtigt, im Fahrzeug aufbewahrte Gegenstände gegen Diebstahl zu schützen, weil bei diesem Delikt keine Verkehrsgefährdung auftritt.
Zusatzfrage?
Herr Bundesverkehrsminister, hat Ihr Ministerium angesichts des Überhandnehmens von Autodiebstählen und der sich vielfach daraus ergebenden Begehung von ernsten, schweren Verbrechen vor allem einmal geprüft, ob der entscheidende Faktor einer Sicherungsmaßnahme nicht in einer Sicherung - wie sie heute meistens verlangt wird und auch geliefert wird - des Lenkrades zu sehen ist, sondern entscheidend in einer Sicherung der Türen, so daß das Hineinkommen des Spitzbuben und Verbrechers in das Auto selbst erschwert 1 oder überhaupt unmöglich gemacht wird?
Das würde natürlich voraussetzen, Herr Kollege Ritzel, daß die Autofahrer erstens bereit sind, alle Scheiben so hoch zu drehen, daß sie nicht von außen heruntergedrückt werden können, und zweitens würde das natürlich bei Fahrzeugen, die offen sind - und solche gibt es ja auch noch -, nicht hinreichend sein. Diese Frage der Sicherung muß also nach Ansicht der Sachverständigen, auch der Länder, durch Sicherungsschlösser - durch Lenk-, Getriebe-, Bremsen- oder Schalthebelschlösser - gelöst werden.
Letzte Zusatzfrage?
Habe ich Sie dahin zu verstehen, Herr Minister, daß Sie eine Sicherung der Türen überhaupt nicht in den Bereich Ihrer Überlegungen einbeziehen, und sollen deshalb, weil es Autos gibt, die offen sind, die Autos, nie nicht offen sind, sondern verschließbar, ohne diesen amtlich anzuordnenden Schutz bleiben?
Wir haben diese Angelegenheit mit den Ländersachverständigen besprochen, und man ist auf Grund von zahlreichen Fällen der Überzeugung, daß das Abschließen der Türen allein nicht genügt, um einen Autodiebstahl zu verhindern, weil zahlreiche Fälle vorliegen, wo der Autodiebstahl trotz abgeschlossener Türen erfolgt ist.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Abgeordnete Höck.
Herr Minister, sind Sie auch bereit, akustische Sicherungsanlagen zuzulassen?
Ich glaube kaum, daß das vorgesehen ist, weil es sich bei der Vorschrift nur darum handelt, hinreichend wirkende Sicherungseinrichtungen gegen unbefugte Benutzung einzuführen. Ein akustisches Signal wird zweifellos nicht überall als eine hinreichend wirkende Sicherungseinrichtung gegen unbefugte Benutzung angesehen werden können.
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß durch das akustische Signal wenigstens die Umgebung auf diesen Diebstahl aufmerksam gemacht wird?
Ich habe, Herr Kollege Höck, leider schon oft die Erfahrung gemacht, daß selbst dann, wenn sehr eindrucksvolle Ereignisse auf der Straße eintreten, die Hinweise für das Publikum geben könnten, daß hier etwas Unrechtes geschieht, dies nicht zu einem Eingreifen des Publikums führt.
Die Frage ist beantwortet. Wir kommen zur Frage IX/9 - des Abgeordneten Wittrock -:
Trifft es zu, daß Düsenflugzeuge hei Abdrosselung des Motors unverbrauchten Treibstoff verlieren, so daß dieser Treibstoff zwangsläufig auch auf Wohngebiete herabrieselt?
In den Brennkammern der Düsentriebwerke moderner Verkehrsflugzeuge werden die Treibstoffe in jedem Fall bei den in ihnen herrschenden hohen Temperaturen und dem vorhandenen Luftüberschuß so vollständig verbrannt, daß unverbrannter Treibstoff niemals - auch nicht bei Abdrosselung von Triebwerken - austreten und infolgedessen auf die Erdoberfläche gelangen kann.
Es kann sich allerdings ereignen, daß durch einen Flugnotstand der Flugzeugführer gezwungen wird, unverbrauchten Treibstoff aus den Tanks abzulassen. Dies gilt für Flugzeuge aller Art, ob sie nun mit Düsenmotoren oder mit Kolbenmotoren ausgerüstet sind. Ein solcher Notstand ist z. B. dann gegeben, wenn zu einem Zeitpunkt, in dem das Fluggewicht über dem zulässigen Landegewicht liegt, ein oder zwei Triebwerke ausfallen, so daß eine sofortige Landung erfolgen muß. Das Fluggewicht muß dann sofort verringert werden, um die Gefahr einer Bruchlandung bei zu hohem Landegewicht und der durch teilweisen Triebwerksausfall eingetretenen Einschränkung der Manövrierfähigkeit auf ein Minimum zu verringern. Der Flugzeugführer wird diese Maßnahme möglichst nur in großer Höhe und über nicht oder spärlich besiedelten Gebieten oder über Wasserflächen durchführen. Z. B. hat ein Flugzeug der Deutschen Lufthansa am
3. Oktober 1960 seinen Treibstoff über dem Seengebiet bei Chikago abgelassen, während ein Flugzeug der Air France im vorigen Jahr den Treibstoff über dem Waldgebiet von Fontainebleau abgelassen hat. Wegen der hohen Fluggeschwindigkeit und der hinter dem Flugzeug vorhandenen Luftturbulenz wird jedoch der Brennstoff so fein verteilt, daß nach Ansicht der Sachverständigen ,eine Gefährdung von Wohngebieten dabei nicht eintritt.
Eine Zusatzfrage!
Herr Bundesverkehrsminister, darf ich Sie trotz der mir selbstverständlich einleuchtenden technischen Aufklärung, die Sie eben gegeben haben, fragen, ob Sie durch Ihr Haus und Ihre Sachverständigen die Beschwerden untersuchen lassen werden, die im Einflugsgebiet des RheinMain-Flughafens, insbesondere etwa aus dem Offenbacher Gebiet, lautgeworden sind und die bekanntlich auch Gegenstand von Erörterungen in der Presse - unter Wiedergabe dieser Beschwerden - waren?
Selbstverständlich werden wir das untersuchen, wenn uns diese Tatbestände von den Betroffenen zur Kenntnis gebracht werden und die Möglichkeit der Beweissicherung besteht,
Eine weitere Zusatzfrage!
Würden Sie Ihre Pressestelle auffordern, Ihnen die einschlägigen Berichte und Meldungen vorzulegen, die sich etwa vor 14 Tagen auf Beschwerden insbesondere aus dem Raum Offenbach stützen konnten?
Ich habe diese Zeitungsausschnitte vorgelegt bekommen und habe sie sofort weitergegeben, um sie überprüfen zu lassen.
Danke sehr.
Nunmehr der Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Die Frage der Abgeordneten Frau Dr. Schwarzhaupt lautet:
Welche Möglichkeiten bestehen, die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden mehr als bisher in den bundesdeutschen Selbstwählverkehr einzubeziehen?
Die Fragestellerin hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
XI. Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes. Frage XI/1 - des Abgeordneten Bauer ({0}) -:
Auf wieviel Hektar beziffert sich derzeit das der Bundesvermögensverwaltung unterstehende Gelände, über das augenblicklich wegen angeblich „nicht abgeschlossener Planung der Bundeswehr" wirtschaftlich nicht disponiert werden kann?
Es trifft zu, daß über die endgültige Verwendung einer Reihe von Liegenschaften des Bundes vor dem Abschluß militärischer Planungen nicht entschieden werden kann. Wegen der Kürze der Zeit vermag ich jedoch die gestellte Frage mit der Angabe von Hektar-Größen nicht zu beantworten. Ich bin aber selbstverständlich bereit, durch die untergeordneten Stellen Erhebungen vornehmen zu lassen. Ich wäre Ihnen, Herr Kollege Bauer, dankbar, wenn Sie sich mit mir in Verbindung setzen und mitteilen wollten, in welchem Umfange diese Angaben gemacht werden sollen. Wenn sie in der üblichen Weise gemacht werden sollen, dauert das mindestens vier Wochen, da es sich vielfach um kleine Parzellen handelt. Ich kann mir nicht denken, ,daß Sie eine so starke Belastung der Beamten wünschen; ich könnte mir vielmehr denken, daß es Ihnen genügt, wenn Schätzungen von den einzelnen Bezirken und Oberfinanzdirektionen eingeholt werden. Ich wäre also dankbar, wenn Sie sich dieserhalb mit mir abstimmen wollten.
Eine Zusatzfrage!
Sind Sie bereit, Herr Bundesminister, grundsätzlich darauf hinzuwirken, ,daß die Planungen bei der Bundeswehr etwas beschleunigt werden, weil - solche Beschwerden sind sicher auch schon an Ihr Ministerium gelangt -die Zurverfügungstellung von Bauland und die wirtschaftliche Planung der Gemeinden dadurch sehr stark beeinträchtigt werden?
Nein, Ich habe nicht die Absicht, Herrn Kollegen Strauß in die Planungen der Bundeswehr hineinzupfuschen. Ich kann Ihnen sagen, daß ,die Herren meines Hauses und des Verteidigungsministeriums in engstem Kontakt bezüglich der Planungen stehen. Es ist Ihnen aber auch bekannt, ,daß sich diese Planungen zwangsläufig durch den Aufbau der Bundeswehr ändern und deshalb auch bei der Liegenschaftspolitik eine gewisse Beweglichkeit vorhanden sein muß in dem Sinne, daß wir Vorratsgelände behalten müssen. Also so einfach liegen die Dinge nicht. Naturgemäß ist es mein Bestreben, Liegenschaften, die an sich gut verkäuflich wären, möglichst schnell freizubekommen.
Ich rufe auf die Frage XI/2 - des Herrn Abgeordneten Ritzel -:
Wieviel bebaute und unbebaute Grundstücke hat die Bundesregierung seit dem 1. April 1959 an Dritte veräußert und wieviel unter Verzicht auf Entschädigung dem Bundesverteidigungsministerium überlassen?
Der Bund hat in der Zeit vom 1. April 1959 bis zum 31. März 1961 2129 Grundstücke verkauft. Ich kann das Verhältnis der bebauten zu den unbebauten Grundstücken zwar nicht zahlenmäßig angeben, wohl aber nach den Verkaufserlösen und den Flächengrößen darstellen.
Von dem Verkaufserlös von rund 91 Millionen DM und der Gesamtflächengröße von 1690 Hektar entfallen auf bebaute Grundstücke 615 ha mit 59 Millionen DM und auf unbebaute Grundstücke 1075 ha mit 32 Millionen DM. Außerdem sind 1300 Grundstücke gegenwärtig in der Veräußerung begriffen.
Angaben über die Zahl der bebauten und unbebauten Grundstücke, die seit dem 1. April 1959 aus dem allgemeinen Kapital- und Sachvermögen des Bundes .an die Bundeswehr durch Überlassungsvereinbarungen zur Benutzung übergeben worden sind, vermag ich, ohne ,eine besondere Erhebung bei den Oberfinanzdirektionen zu veranstalten, nicht zu machen. Die Flächengröße dieser Liegenschaften beträgt schätzungsweise 12 000 ha.
Eine Zusatzfrage!
Wenn Sie, Herr Bundesminister, dem Verteidigungsministerium ohne Verrechnung Grundstücke für Verteidigungszwecke, für Übungszwecke oder für Bauzwecke überlassen, stellt sich zunächst einmal die Frage: Übt die Bundesregierung gleiches Recht unter Verzicht auf Anwendung des § 65 der Reichshaushaltsordnung auch zugunsten des Bundesgrenzschutzes?
Ja.
Eine weitere Zusatzfrage!
Wenn der Bund für Verteidigungszwecke Grundstücke neu erwerben muß, lautet meine Frage: Welcher Haushalt wird damit belastet, der Verteidigungshaushalt oder der Haushalt Ihres Hauses?
Der Verteidigungshaushalt.
Danke sehr.
Eine letzte Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft - des Herrn Abgeordneten Dr. Bucher -:
Ist es richtig, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister auf einer Pressekonferenz am 13. Mai 1961 in Lissabon erklärt hat, Portugal sei eines der „vertrauenswürdigsten Länder"?
Als ich bei meinem Besuch in Portugal auf einer Pressekonferenz über den Gegenstand meiner Verhandlungen mit der portugiesischen Regierung gefragt wurde, war es selbstverständlich nicht meines Amtes, eine moralische Wertung der portugiesischen Regierung vorzunehmen. Ich hatte über wirtschaftliche Fragen, über Entwicklungshilfe zu verhandeln, und dabei war die Frage zu prüfen, inwieweit Portugal vertrauenswürdig genug ist, um einer solchen Hilfe teilhaftig zu werden.
Es ist bekannt, daß Portugal seit 30 Jahren, und zwar eingeleitet durch den jetzigen Präsidenten Salazar, den früheren Professor der Finanzwissenschaften, eine vorbildliche finanzwirtschaftliche Ordnung und eine straffe Währungspolitik betreibt und dazu eine gute Verwaltung aufgebaut hat. Unter diesem Aspekt ist die portugiesische Regierung für jedes Gläubigerland eines der vertrauenswürdigsten Länder. Ich stehe dazu.
({0})
Im übrigen wird Portugal von den ältesten Demokratien in Europa, von Großbritannien und von der Schweiz, anerkannt und befindet sich mit diesen Ländern im Bündnis der EFTA. Ich glaube, wir sollten nicht die Musterknaben spielen und noch päpstlicher sein wollen als der Papst.
({1})
Eine Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, hätte es sich dann aber nicht empfohlen, „wirtschaftlich vertrauenswürdig" zu sagen, also die allgemeine Erklärung durch das Wort „wirtschaftlich" einzuschränken,
({0})
ohne damit das gastgebende Land zu kränken?
Ich habe auf dieser Pressekonferenz wirtschaftliche Unterhaltungen geführt und gesagt: Wir sind willens, dem portugiesischen Volk und der portugiesischen Regierung zu helfen, die soziale Struktur des Landes zu verbessern und das Einkommen der Menschen zu erhöhen. In Ansehung der portugiesischen Finanzpolitik und Währungspolitik ist Portugal eines der vertrauenswürdigsten Länder.
Die Frage ist beantwortet. Damit ist die Fragestunde beendet.
Die Tagesordnung soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung anders abgewickelt werden, als es in der gedruckten Tagesordnung steht, und zwar ist folgende Reihenfolge vorgesehen: Punkt 23 - Änderung des Milch- und Fettgesetzes -, Punkt 11 - Änderung des Arzneimittelgesetzes -, Punkt 10 - Große Anfrage betreffend Bericht über die Lage der Mittelschichten - und dann die Zusatzpunkte Änderung des Bundesvertriebenengesetzes, Sammlung des Bundesrechts, Veräußerung des bundeseigenen Jade-Wasserwerkes. Ich bitte, sich entsprechend einrichten zu wollen.
Ich rufe auf Punkt 23 der gedruckten Tagesordnung, also Punkt 2 unserer heutigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Milch- und Fettgesetzes ({0}) ;
Vizepräsident Dr. Schmid
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) ({2}).
({3})
Berichterstatter ist der Abgeordnete Seither.
({4})
- Herr Abgeordneter Seither verweist auf seinen Schriftlichen Bericht.
Ich rufe auf Art. 1. Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck 938 Ziffer 1 vor. Er trägt die Namen der Abgeordneten Hoogen, Bauknecht, Kriedemann und Mauk, ist also offenbar ein interfraktioneller Antrag. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Hoogen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Seite 2 des Schriftlichen Berichts sehen Sie, daß sich der Rechtsausschuß mit der Vorlage befaßt hat. Das ist nicht etwa deshalb geschehen, weil die Mitglieder des Rechtsausschusses glaubten, auf dem Gebiet des Milch- und Fettwesens besonders sachverständig zu sein, sondern weil der Gesetzentwurf eine Vorschrift enthält, wonach er mit Wirkung vom 1. Juli 1957, also mit ungefähr vierjähriger Rückwirkung, in Kraft treten soll. Es ist sicher und bleibt hoffentlich eine Ausnahme in diesem Hohen Hause, daß wir Gesetze mit einer solchen rückwirkenden Kraft verabschieden. Deshalb hat der Rechtsausschuß sich mit dieser Frage befaßt.
Ich darf zunächst bemerken, daß das Ergebnis der Beratungen im Rechtsausschuß zwar eindeutig, aber keineswegs übereinstimmend gewesen ist. Im vorliegenden Falle glaubten wir indessen deshalb der Rückwirkung - in modifizierter Form, deswegen auch der Änderungsantrag - zustimmen zu können, weil es den Beteiligten keineswegs unzumutbar ist, diese Rückwirkung hinzunehmen. Denn das, was der Gesetzgeber vor vier Jahren wollte, ist damals hier im Hohen Hause vom Berichterstatter eindeutig gesagt worden. Die Beteiligten werden also jetzt keineswegs nachträglich mit einer Rückwirkung, wenn ich mich so ausdrücken darf, überfallen. Das sind die Erwägungen, die auch mit der Rechtsprechung, die sich zu dieser Frage beim Bundesverfassungsgericht und beim Bundesverwaltungsgericht entwickelt hat, übereinstimmen.
Der Rechtsausschuß hat ,die Gelegenheit benutzt, zu § 5 eine weitere Änderung des Gesetzentwurfs vorzuschlagen, und zwar auch diesmal wieder nicht deswegen, weil er sich auf diesem Gebiete für besonders sachverständig hielte, sondern weil in dem letzten, Ihnen vor einigen Wochen zugegangenen Bericht des Bundesrechnungshofs davon die Rede ist, daß die Gesetzgebung auf diesem Gebiet doch nicht ganz klar sei; ich habe mich mit Absicht etwas zurückhaltend ausgedrückt. Aus einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Januar 1960 schließen wir, daß der § 5 einen Mangel enthält. Unter Hinweis auf die Bemerkung des Bundesrechnungshofs haben wir deshalb die Gelegenheit benutzt, im Interesse einer möglichst eindeutigen und klaren
Gesetzgebung auf diesem Gebiet Ihnen vorzuschlagen, in den § 5, der die Überschrift trägt „Besondere Liefer- und Abnahmepflichten", hinter den Worten „zur Sicherung der Versorgung" die Worte einzufügen: „oder zur Annäherung der wirtschaftlichen Ergebnisse" - der wirtschaftlichen Ergebnisse!, nämlich der gerechteren Beteiligung der Erzeuger am Trinkmilchmarkt. Denn diese Beteiligung ist durch die gesetzgeberische Regelung nicht so auch nur annähernd gleichmäßig, wie sie es wohl sein könnte. Durch die Einfügung dieser Worte glauben wir, den Behörden über § 12 in Verbindung mit dem § 8, der den Behörden die entsprechende Pflicht auferlegt, die Möglichkeit zu geben, diese wirtschaftliche Annäherung zwar nicht hundertprozentig, aber doch mehr zu erreichen, als das bisher der Fall war.
Aus diesem Grunde bitte ich, dem Änderungsantrag zuzustimmen.
Wird das Wort dazu noch gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag, den Herr Kollege Hoogen soeben begründet hat, ist doch nur ein Schönheitspflaster. Immerhin verbessert er die Lage so weit, daß sich voraussichtlich der große Teil meiner Fraktion in der Lage sehen wird, der Vorlage zuzustimmen. Aber für diejenigen, die dissentieren, möchte ich doch ein paar Worte sagen.
Es gibt gar keinen Zweifel daran, daß die Zielsetzung des Gesetzes zu billigen ist. Es war im Jahre 1957 die dem Gesetz zugrunde liegende Absicht, die Umsatzsteuererleichterung den Erzeugern zukommen zu lassen. Wir alle sind deshalb entschlossen, die Erzeuger unbedingt in den Genuß dieser Umsatzsteuerermäßigung kommen zu lassen; also in politischer Hinsicht besteht völlige Einigkeit. Aber dieses Gesetz ist geradezu ein Lehrstück dafür, wie man es nicht machen soll.
Womit fängt es denn an? Es fängt damit an, daß im Gesetz wieder einmal nicht das Parlament die Grundlinien zieht, sondern daß in einem wesentlichen Punkt der Exekutive die Ermächtigung gegeben wird, daß sie ihrerseits etwas regeln soll, was zu ordnen Aufgabe der gesetzgebenden Körperschaft gewesen wäre. Es wäre zu dieser ganzen Malaise überhaupt nicht gekommen, wenn im Gesetz von 1957 ein einziger Satz stünde, nämlich daß die Umsatzsteuererleichterung den Erzeugern zugute zu kommen hat und daß eine Ausführungsverordnung das Nähere regelt. In der Ausführungsverordnung soll - und zwar bei allen Gesetzen - nichts weiter stehen als die Regelung, ob zum Beispiel die Postbeamten blaue oder grüne Röcke anhaben, aber nicht das, was der Kern der Gesetzgebung ist. Da beginnt der Fehler, weil man das immer noch in den Ministerien macht, daß man sich aus irgendwelchen Gründen - aus Prestigegründen, aus Machtgründen - vorbehält, daß das Ministerium nachher irgend etwas zu regeln hat.
Nun ist das durch diese Verordnung geschehen, und die Gerichte prüfen das und haben Zweifel, ob
die Ermächtigung ausreicht, ob die Verordnung richtig abgefaßt ist. Wir haben den Fall, daß jetzt ein, zwei Gerichte bereits die Regelung als ungültig behandeln. Es sind Beträge gesperrt und hinterlegt. Anstatt nun noch abzuwarten, was in der Rechtsprechung geschieht, kommt man von der Gesetzgebung aus dazu, in die schwebenden Verfahren einzugreifen und hier ein rückwirkendes Gesetz zu machen.
Abgesehen von sogenannten Abschnittsgesetzen, wie wir sie in der Steuergesetzgebung kennen, bin ich unter allen Umständen gegen rückwirkende Gesetze und kann deshalb für meine Person einer derartigen Regelung die Zustimmung nicht geben.
Wenn der Fehler geschehen sein sollte - es ist ja noch gar nicht endgültig entschieden, ob es 1957 ein Fehler war -, dann muß er in Ordnung gebracht werden, aber nicht dadurch, daß man rückwirkende Gesetze macht und im Jahre 1961 fingiert, daß im Jahre 1957 etwas gegolten habe, was damals noch nicht galt, sondern dann muß der Staat, der für die Gesetzgebung verantwortlich ist, seinerseits den Schaden vergüten.
Wir sollten endlich dahin kommen, daß für derartige Fehler gehaftet wird. Sicher sollen die Erzeuger zu ihrem Recht kommen. Wenn ihnen 35 Millionen DM Umsatzsteuererleichterung nicht ausgezahlt worden sind, dann muß man eventuell dafür die Mittel bereitstellen und muß diese Vergütung aus der Staatskasse leisten. Das ist meine Ansicht; denn ich hoffe, daß der Rechtsausschuß dann end) lieh einmal Schützenhilfe vom Haushaltsausschuß bekommt, wenn man sieht, daß gesetzgeberische Fehler und Verfassungsverstöße etwas kosten. Vielleicht lernt man dann hier im Hause, daß man doch diese Fragen stärker beachtet und nicht bloß als juristische Lyrik ansieht, wie es gegenwärtig der Fall ist.
Das wollte ich doch hier bei diesem Lehrstück einmal erklärt haben und damit auch begründen, warum ich einem solchen Gesetz nicht zustimmen kann, so sehr ich die politische Absicht billige, daß die Erzeuger endlich zu dem kommen müssen, was man ihnen im Jahre 1957 versprochen hat.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin im Gegensatz zu Herrn Kollegen Arndt der Meinung, daß der Staat diesmal nicht in den Säckel ,zu greifen braucht, um einen Schaden wiedergutzumachen.
({0})
Ein Schaden liegt meines Erachtens nicht vor. Herr Kollege Arndt hat auch schon ausgeführt, daß bereits bei der Verabschiedung der Sechsten Novelle zum Umsatzsteuergesetz im Jahre 1956 die Sachlage für das Haus völlig klar war. Die Berichterstatterin hat in der 127. Sitzung des Bundestages folgendes laut Protokoll wörtlich ausgeführt:
Ziel des Antrages Drucksache 1860 ist es, dem Landwirt neben der geplanten Preiserhöhung für Trinkmilch eine Erhöhung des Werkmilchpreises zu verschaffen. Dies soll in der Weise geschehen, daß die Milch in der Be- und Verarbeitungsstufe, also bei den Molkereien, von der Umsatzsteuer befreit wird und daß die Molkereien durch eine Rechtsverordnung auf Grund des Milch- und Fettgesetzes veranlaßt werden, ihre Steuerersparnis an den Erzeuger zurückzuwälzen. Der Landwirtschaft wird so eine Mehreinnahme in Höhe von rund 96 Millionen DM, pro Liter Milch zirka 1,1 Pfennig, zufließen.
Mit diesem Sachverhalt hat sich der Rechtsausschuß befaßt. Es trifft zu, daß die Verordnung M Nr. 2/57, auf Grund deren nunmehr an die Ausgleichskassen die sogenannten Ersparnisbeträge, soweit sie 1,2 Pfennig übersteigen - bis zu 1,2 Pfennig wird unmittelbar an den Erzeuger von den Molkereien abgeführt -, abgeführt werden, in ihrer Rechtsgültigkeit umstritten ist. Es liegt ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vor, das die Rechtsgültigkeit in eingehender Begründung bejaht. Es liegt ein Urteil des Landesverwaltungsgerichts Schleswig vor, das einer Klage stattgibt, aber nicht etwa mit der Begründung, daß diese Verordnung rechtsungültig sei, sondern weil der in diesem Falle klagende Betrieb nicht unter die Verordnung falle. Der Klage ist also dort aus tatsächlichen Gründen stattgegeben worden. Wir haben gehört und erfahren, daß in den letzten Wochen ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg in dieser Sache ergangen sein soll, das sich auf den Standpunkt gestellt hat, daß die Verordnung M Nr. 2/57 in § 20 des Milch- und Fettgesetzes keine genügende Rechtsgrundlage habe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Diese Frage steht offen, und es ist nicht unsere Absicht, irgendwie in diesen schwebenden Rechtsstreit einzugreifen. Was wir aber wollen, ist, daß das, was im Jahre 1956 erklärtermaßen Absicht des Bundestages gewesen ist, nunmehr endlich verwirklicht wird, damit die rund 35 Millionen DM, die auf den Ausgleichskassen liegen und nicht verteilt werden, nunmehr verteilt werden können.
({1})
Auch ich teile im Grunde die Ansicht des Herrn Kollegen Arndt, daß rückwirkende Gesetze nicht erlassen werden sollen. Verboten sind sie ja durch das Grundgesetz schlechthin auf dem Gebiete des Strafrechts. Aber das Bundesverfassungsgericht hat sich schon mehrfach mit dieser Frage der rückwirkenden Gesetze befaßt, insbesondere in der Entscheidung im 7. Band auf den Seiten 89 ff. Auf Seite 93 im 7. Band hat es dazu folgendes ausgeführt:
Eine Abgabengesetz überschreitet durch seine Rückwirkung die rechtsstaatlichen Grenzen jedenfalls dann nicht, wenn die finanzielle Belastung voraussehbar, durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt und im einzelnen unbedeutend ist.
Meine Damen und Herren, der Gesetzgeber hat im Jahre 1956 nicht beabsichtigt, den Molkereien,
Dr. Weber ({2})
den Herstellerbetrieben, irgendeine Zuwendung zu machen.
({3})
Das Haus hat bei der Verabschiedung klar zum Ausdruck gebracht, daß es - von sachlichen Erwägungen ausgehend - dem Erzeuger diese sogenannten Ersparnisbeträge zuwenden wollte. Die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht an die rechtsstaatlichen Grenzen eines rückwirkenden Gesetzes stellt, sind unseres Erachtens deshalb erfüllt. Die finanzielle Belastung war nicht nur voraussehbar. Die Molkereien haben, dem damaligen Sinn des Gesetzes folgend, die Ersparnisbeträge durch die Bank abgeführt. Sie sind im süddeutschen Raum auch samt und sonders weitergeleitet worden. Nur einige Molkereien im norddeutschen Raum glauben sich dem widersetzen zu sollen. Infolgedessen liegen seit Jahr und Tag Millionenbeträge in den Ausgleichskassen und können dem Erzeuger nicht gutgebracht werden.
Da der Gesetzgeber damals, im Jahre 1956, eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, daß die Befreiung von der Umsatzsteuer bei der Werkmilch dem Erzeuger zugute kommen solle, war die finanzielle Belastung voraussehbar, wie das Bundesverfassungsgericht es fordert. Trotz der Höhe des Betrages bin ich in diesem Falle auch der Meinung, daß die Regelung im einzelnen unbedeutend ist, und zwar deshalb, weil die Herstellerbetriebe ja auch jetzt nicht fordern, daß ihnen der Betrag verbleibt; vielmehr wollen sie ihn unmittelbar an ihre Erzeuger ) abführen.
Unter diesen Umständen hat sich der Rechtsausschuß nach eingehender Erörterung dahin schlüssig gemacht, daß nunmehr eine Regelung gefunden werden müsse, die auch jetzt schon, ohne daß damit in schwebende Verfahren eingegriffen wird, eine Auszahlung dieser Beträge ermöglicht. Wir sind der Meinung, daß wir damit nicht gegen den Grundsatz verstoßen, daß rückwirkende Gesetze nur in einem beschränkten, die rechtsstaatlichen Grenzen berücksichtigenden Umfang erlassen werden dürfen.
({4})
Weitere Wortmeldungen? - Herr Abgeordneter Arndt! Ich mache aber darauf aufmerksam, daß wir jetzt schon zu Ziffer 2 des Antrags auf Umdruck 938 debattieren, die noch nicht aufgerufen ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es dauert keine drei Minuten!
Erstens. Herr Kollege Weber, Sie sagen, es wird nicht in schwebende Verfahren eingegriffen. Das stimmt nicht. Selbstverständlich ist in den schwebenden Verfahren anders zu ,entscheiden, falls ein gültiges Gesetz ergeht, das auf das Jahr 1957 zurückwirkt.
Zweitens. Sie sagen, es sei kein Schaden da. Das stimmt auch nicht. Denn es sind 35 Millionen DM im Streit, und irgendeiner muß ja dabei leer ausgehen. 35 Millionen DM haben oder nicht haben, das macht doch einen gewissen Unterschied.
({0})
- Jawohl, das trifft zu! Wir haben es ja im Rechtsausschuß eingehend erörtert.
Drittens. Es ist durchaus richtig, daß die Berichterstatterin das damals ausgeführt hat. Wir alle wollen ja -darüber gibt es gar keine Meinungsverschiedenheit -, daß ,die Vergünstigung den Erzeugern - sei es so oder 'so - zugute kommt. Aber das Entscheidende ist ja nicht, ob ein Berichterstatter etwas im Bericht zum Ausdruck bringt, sondern ob ,das Gesetz es zum Ausdruck bringt. Und da liegt eben damals im Jahre 1957 der Mangel. Sehen Sie, Sie haben so leichter Hand für Fehler, die die Bundesregierung gemacht hat, einen Leertitel in den Etat eingesetzt, nämlich für die Kosten, die die Experimente mit dem Fernsehen verursacht haben. Ich wäre durchaus dafür - das hielte ich für sehr viel angebrachter -, daß dann, wenn das Parlament durch eine Unachtsamkeit bei einer solchen Gesetzgebung, wie sie hier vorliegt, Fehler macht, entsprechende Leertitel eingesetzt werden, die man sogar mit ee oder mit eh schreiben kann.
({1})
Damit würden die Konsequenzen aus einer mangelhaften Gesetzgebung gezogen.
({2})
Keine weiteren Ausführungen!
Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich glaube, die beiden Ziffern des Umdrucks 938 sind in Rede und Gegenrede begründet worden, und wir können über beide abstimmen. Zunächst über Ziffer 1 zu Art. 1 auf Umdruck 938. Wer dafür ist, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Gegen einige wenige Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Wir stimmen nunmehr über Art. 1, - 2, - 3 ab. Wer für diese Artikel ist, der gebe 'das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme - bei einer Enthaltung.
Ziffer 2 'des Änderungsantrages auf Umdruck 938 ist schon begründet. Es ist auch schon geantwortet worden. Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesem Antrag unter Ziffer 2 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Bei zahlreichen Gegenstimmen angenommen.
Art. 4 in der nunmehr festgestellten Fassung -Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich schließe damit die zweite Beratung. Ich eröffne die
dritte Beratung.
Ich rufe zur allgemeinen Aussprache auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Änderungsanträge lie9408
Vizepräsident Dr. Schmid
,gen nicht vor. Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmen will, der möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen eine Reihe von Gegenstimmen und bei einer Enthaltung angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 11 der alten Tagesordnung auf:
Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes ({0}) .
Berichterstatterin ist Frau Dr. Steinbiß. Ich erteile ihr das Wort zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verzichte auf die Wiedergabe eines Berichts und verweise auf die Begründung in Drucksache 2782, die Sie in Händen haben. Es handelt sich um eine reine Formalie, und ich bitte das Hohe Haus, dem interfraktionellen Antrag über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes zuzustimmen.
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Ich rufe auf Art. 1, - 2, - 3, - Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich schließe die zweite Beratung und rufe auf zur
dritten Beratung.
Änderungsanträge liegen nicht vor. Das Wort zur allgemeinen Aussprache wird offenbar nicht gewünscht. Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmen will, der möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Punkt 11 ist erledigt.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Bericht über die Lage der Mittelschichten ({0}).
Mir wurde mitgeteilt, daß auf eine Begründung der Großen Anfrage durch die Antragsteller verzichtet wird. Ich bitte den Wirtschaftsminister, die Anfrage zu beantworten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der SPD hat als Drucksache 2758 folgende Große Anfrage betreffend den Bericht über die Lage der Mittelschichten eingebracht:
Wir fragen die Bundesregierung, ob und wann sie
1. die im letzten Absatz der Schlußbemerkung der Drucksache 2012 in Aussicht gestellten Vorschläge ({0}) zur Beseitigung mittelschichtenfeindlicher Wettbewerbsbeschränkungen und zur Förderung der kleinen und mittleren gewerblichen Wirtschaft und der freien Berufe,
2. die von ihr für erforderlich gehaltenen gesetzlichen Vorlagen für einen Industriezensus, für eine neue Handwerkszählung und für Querschnittsuntersuchungen bei den freien Berufen dem Bundestag unterbreiten wird.
Namens der Bundesregierung beantworte ich diese Anfrage wie folgt:
Punkt 1 der Anfrage hat sich dadurch erledigt, daß die Erklärung der Bundesregierung über eine zusammenfassende Initiative zur Förderung des gewerblichen Mittelstandes und der freien Berufe dem Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages bereits am 23. Mai 1961 übersandt und den Damen und Herren Abgeordneten als Bundestagsdrucksache 2757 zugeleitet wurde.
Zu Punkt 2 der Anfrage ist folgendes zu bemerken. In ihrer Erklärung legte 'die Bundesregierung bereits dar, daß sie es für zweckmäßig halte, nach Abschluß der erforderlichen Vorbereitungen den gesetzgebenden Körperschaften einen Gesetzentwurf für eine Handwerkszählung vorzulegen.
Auf Grund einer Resolution des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen wurde deren Mitgliedstaaten empfohlen, einen Industriezensus für das Jahr 1963 durchzuführen, der soweit wie möglich den internationalen Empfehlungen entsprechen soll, um eine Vergleichbarkeit der Daten zu ermöglichen. Das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaften in Brüssel bereitet zur Zeit für die sechs Mitgliedstaaten ein gemeinsames Erhebungsprogramm im Rahmen dieses industriellen Weltzensus vor, an dem auch die Bundesregierung beteiligt wird. Nach Abschluß dieser vorbereitenden Arbeiten müßte die Bundesregierung im Laufe des Jahres 1962 den gesetzgebenden Körperschaften Entwürfe über gesetzliche Regelungen vorlegen. Diese Entwürfe werden die bereits vorhandenen Rechtsvorschriften über statistische Erhebungen in der Industrie ergänzen, um den vorgesehenen Anforderungen eines Weltzensus entsprechen zu können. Wenn das Erhebungsprogramm im einzelnen genauer bekannt ist, wird zu übersehen sein, inwieweit der Zensus zur genaueren Kenntnis der Lage der mittelständischen gewerblichen Wirtschaft beitragen kann.
Da der Weltzensus keine Unterscheidung von Industrie und Handwerk vorsieht, muß das Handwerk zum Zwecke der Vergleichbarkeit der zu erhebenden Daten in die Erhebung miteinbezogen werden. Für nationale Zwecke wird es jedoch wie bisher gesondert ausgewiesen werden. Es ist daher beabsichtigt, die Handwerkszählung, die zunächst für das Jahr 1962 vorgesehen war, auf den entsprechenden Erhebungstermin für den Industriezensus im Jahre 1963 zu verlegen. Die Gesetzesvorlage für die Handwerkszählung wird daher ebenfalls im Jahre 1962 den gesetzgebenden Körperschaften vorgelegt werden.
Querschnittuntersuchungen über die Lage der freien Berufe bedürfen keiner Gesetzesvorlage. Hierzu hat die Bundesregierung bereits in ihrem Bericht über die Lage der Mittelschichten - Drucksache 2012, Zweiter Teil, Dritter Abschnitt, Ziffer 4 Bundeswirtschaftsminister Dr, Dr. h. c. Erhard
erklärt, daß wissenschaftliche Untersuchungen, etwa auf Grund von Forschungsaufträgen, wertvollere Aufschlüsse als statistische Erhebungen erbringen könnten. So wird zur Zeit eine Untersuchung über die Struktur der Ärzteschaft vorbereitet. Des weiteren ist ein Forschungsauftrag über die wirtschaftliche und soziale Lage der selbständigen Künstler erteilt worden. Wie bereits in der Erklärung der Bundesregierung über eine zusammenfassende Initiative zur Förderung des gewerblichen Mittelstandes und der freien Berufe - Drucksache 2757, Abschnitt VI, Ziffer 3 - ausgeführt wurde, soll über die Einkommenssituation der einzelnen Gruppen der freien Berufe die für 1961 vorgesehene Einkommensteuerstatistik Aufschluß geben. Dabei ist eine Aufgliederung nach Einkommensgrößenklassen und Altersgruppen und eine Erfassung der Aufwendungen für die Altersvorsorge und Vermögensbildung im Rahmen .der Sonderausgaben vorgesehen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Dezember 1953 den Antrag gestellt, die Bundesregierung möge einen Bericht über die Lage der Mittelschichten erstatten. Dieser Bericht ist Mitte des Jahres 1960 erstattet und unmittelbar nach den Parlamentsferien 1960 dem Ausschuß für Mittelstandsfragen überwiesen worden. Bis zur Stunde sind weder dieser Bericht noch die mit dem Bericht zusammenhängenden Probleme im Plenum erörtert worden. Alles, was bisher auf diesem Gebiet geschehen ist, hat sich praktisch in Gestalt von Monologen vollzogen, Monologen der Regierung gegenüber dem Parlament, ohne daß das Parlament antworten oder seine Auffassung zu den Fragen darlegen konnte.
({0})
Oder es geschah durch Monologe in der Öffentlichkeit, in denen jeder von seinem Standpunkt aus seine Auffassung zu den Ergebnissen des Berichtes darlegte, ohne daß darüber ein zusammenfassendes fruchtbares Gespräch hier stattfinden konnte, wie es nach unserer Meinung sein soll.
Das war, wenn man so will, die Ursache für unsere Große Anfrage. Die Bundesregierung, die im Schlußabsatz ihres Berichtes eine solche zusammenfassende Initiative zugesagt hat, hat sich mit dieser Vorlage nach ihrer Meinung dieses Auftrages oder dieses Versprechens entledigt.
Meine Damen und Herren, als wir damals unseren Antrag begründeten, sagten wir, daß er den Zweck haben soll, mit Hilfe eines solchen Berichtes die Situation der Selbständigen in der gewerblichen Wirtschaft und in den freien Berufen durchsichtig zu machen und Grundlagen zu geben für eine geschlossene Politik zu Gunsten der Mittelschichten.
Kein Mensch von uns denkt daran - das ist damals übrigens auch gesagt worden, das muß man in diesem Zusammenhang aber noch einmal betonen -, etwas Ähnliches wie einen Naturschutzpark zu errichten. Wir sind es übrigens immer gewesen, die erklärt haben, daß Schutzgesetze für die Selbständigen insgesamt oder für einzelne Gruppen der Selbständigen untunlich erscheinen, da wir die Selbständigen unter gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen in der Wirtschaft stellen wollen, ihnen aber durch gleiche Startbedingungen auch die Möglichkeit geben wollen, sich innerhalb der Wirtschaft im Wettbewerb zu behaupten.
Das Material, das die Bundesregierung uns in ihrem Bericht übermittelt hat, ist zu einem wesentlichen Teil - das bezieht sich nicht zuletzt auf die Vermögensstruktur, die Kapitalstruktur - mehr als ein Jahrzehnt alt. Andere Materialien, die im Bericht zahlenmäßig dargestellt sind, stammen ebenfalls aus verhältnismäßig weit zurückliegenden Jahren. Die jüngsten, privaten Erhebungen, die man noch im Bericht der Bundesregierung mitverwendet hat, stammen aus dem Jahre 1958/59. Im übrigen aber sind alle Zahlen amtlicher Art auf die Jahre von 1950 bis 1956/57 bezogen. Erforderlich ist aber - und das hat die Bundesregierung selbst in ihrem Bericht zugegeben -, daß man vergleichbares Material hat und nicht, wie es in diesem Bericht geschieht, nur ein Zusammentragen von nicht vergleichbarem Zahlenmaterial. Es ist einer der nach unserer Meinung entscheidenden Mängel dieses Berichtes, daß er nicht vergleichbares Zahlenmaterial enthält, so daß nicht die einzelnen Gruppen der Selbständigen miteinander und auch nicht die einzelnen Gruppen der Selbständigen mit den übrigen Gruppen der Bevölkerung und den übrigen Zweigen der Wirtschaft, nicht zuletzt der Großwirtschaft, verglichen werden können. Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht selber zugestanden, daß dafür weitere Maßnahmen notwendig seien. In der jüngst gegebenen Antwort der Bundesregierung hören wir nun, daß das statistische Material erst im Jahre 1963 beschafft wird und daß man es möglicherweise erst im Jahre 1964 oder 1965 auswerten kann.
Meine Damen und Herren, kein Mensch hat irgendwelche abfälligen Bemerkungen über den Bericht und über den Fleiß, den die Beamten in diesen Bericht hineingesteckt haben, vor. Man muß den Ministerien zugestehen, daß sie eine Fülle von Material zusammengetragen haben. Aber gleichzeitig läßt dieser Bericht auch erkennen, daß wir es hier unter allen Umständen mit sehr divergierenden und differenzierenden Auffassungen der einzelnen Ressorts zu tun haben. Am stärksten weicht die Auffassung des Finanzministeriums von der Auffassung der übrigen beteiligten Ressorts ab, die die gegenwärtige steuerliche Situation - jetzt nicht die im Zusammenhang mit der jüngst vorgenommenen Änderung gewisser Steuergesetze im Rahmen des Steueränderungsgesetzes geschaffene Lage, sondern die vorher vorhanden gewesene - als sogar die Selbständigen begünstigende Lage darstellt. Das halten wir einfach für eine Umkehrung der Tatsachen. Ich glaube, daß muß man hier auch einmal deutlich feststellen.
Verwunderlich ist nur, daß eine solche unterschiedliche Einstellung der Ressorts aus einem Be9410
Lange ({1})
richt der Bundesregierung erkennbar wird, deren Chef in der Regierungserklärung vom Oktober 1957 uneingeschränkt die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung - jetzt darf ich noch nicht einmal sagen: der Mittelschichten, denn der Herr Bundeskanzler hat damals sogar von Mittelklassen gesprochen - der Mittelklassen durchaus anerkennt, durchaus respektiert und die notwendigen Voraussetzungen für ihre wirtschaftliche Betätigung und für die gesellschaftliche Sicherung schaffen wollte. Eine Bundesregierung, die durch ihren Chef eine solche Erklärung abgibt, darf doch gegenüber der Öffentlichkeit und auch gegenüber dem Parlament in einem solchen Bericht nicht so unterschiedliche Auffassungen erkennen lassen, daß man sich fragt, wer denn nun in das Getriebe der Verwaltung, der Ministerien Sand kippt. Wenn eine Bundesregierung eine solche Erklärung - die damals von diesem Hohen Hause begrüßt worden ist - abgibt, wenn gleichzeitig auch der Sprecher der Opposition, und zwar der Fraktionsvorsitzende der Opposition Erich Ollenhauer, ähnliches über die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der Selbständigen äußert - übrigens in Übereinstimmung mit dem schon 1954 in Berlin verabschiedeten Aktionsprogramm der Sozialdemokratischen Partei, das dann später im Grundsatzprogramm erhärtet worden ist und das im gegenwärtigen Regierungsprogramm noch einmal seinen Niederschlag gefunden hat -, dann, meine ich, hätte die Regierung alle Veranlassung gehabt, das selbst gegebene Wort hier einzulösen; dann kann man nicht auf Gefahren hinweisen, auf die in der Öffentlichkeit und auch hier im Hause aufmerksam gemacht wird. Die Regierungspartei, die CDU/CSU, hat zur gleichen Zeit damals, als wir unseren Antrag betreffend einen Bericht über die Lage der Mittelschichten einbrachten, einen Antrag über die Konzentration eingebracht, nur die zeitliche Behandlung ist etwas unterschiedlich gewesen, weil man sich wahrscheinlich im Lager der Regierungspartei nicht ganz über die Konzentration verständigen konnte - ({2})
- Gut, ich nehme das zur Kenntnis, Herr Schmücker.
({3})
Diese Entrüstung, Herr Schmücker, braucht gar nicht so hoch hinaufgespielt zu werden. - Es hat trotz allem erhebliche Schwierigkeiten gegeben, daß Sie sich als Fraktion mit der Regierung über die Behandlung dieser Großen Anfrage über die Konzentration verständigten. Ich glaube, das kann man wohl nicht ganz bestreiten, unabhängig von anderen technischen Schwierigkeiten, die sicherlich vorhanden waren.
Aber hier kommt es auf etwas anderes an. Es ist wenig sinnvoll, in einer Legislaturperiode, an deren Anfang im Zusammenhang mit der Situation der Selbständigen in der gewerblichen Wirtschaft und in den freien Berufen eine solche Regierungserklärung steht, dann eine solche Auseinandersetzung
über die Konzentration in der Wirtschaft aufkommen zu lassen, die für die Situation der Selbständigen als bedrohlich empfunden wird und bei der man dann feststellen muß, daß die Regierung effektiv trotz Berichten der Kartellbehörde - und der jüngste Bericht der Kartellbehörde, der Bericht über das Jahr 1960, ist in diesem Zusammenhang auch wieder alarmierend - nichts, aber auch gar nichts wirksam Zusammenfassendes vorschlägt, das mindestens in Ansätzen erkennen ließe, daß das Problem nicht nur mit Einzelmaßnahmen, die eine Gesamtkonzeption nicht erkennen lassen, sondern von einer Gesamtvorstellung gesellschaftlicher und wirtschaftspolitischer Art herangegangen wird. Meine Damen und Herren, das betrachten wir als einen außerordentlichen Mangel.
Die Regierung kann sich auch nicht damit salvieren, daß sie jetzt hier eine Erklärung vorlegt, und zwar schriftlich, d. h. in Gestalt einer Drucksache. Das ist übrigens ein etwas sonderbares Verfahren, dem Parlament eine Regierungserklärung als Drucksache mit der menschenfreundlichen Bemerkung zuzuleiten, daß ja doch wohl keine Zeit mehr zur Behandlung im Hause sei und daß man die Mitglieder dieses Hauses damit nicht überbelasten wolle. Das scheint der Bedeutung des Problems nicht angemessen zu sein. Wir hätten erwartet, daß die Bundesregierung die aus dem letzten Absatz des Berichts erkennbare Absicht dem Hause zu einem früheren Zeitpunkt vorgetragen hätte. Außerdem hätten wir erwarten dürfen, daß die von der Bundesregierung selbst als unzulänglich bezeichneten Grundlagen, aus denen man sich eine Meinung bilden kann, vervollständigt worden wären.
Wir hatten das damals bei der Begründung unseres Antrages der Bundesregierung sehr deutlich gesagt. Wir haben das zugestanden, weil wir ganz genau wußten, daß das Material, das zur Verfügung steht, nicht einen vollständigen Überblick über die Situation bieten kann. Die Bundesregierung hätte sich deshalb veranlaßt sehen sollen, ergänzende Berichte zu machen und sich nicht nur auf den Bericht des interministeriellen Ausschusses über die lohnbezogenen Abgaben zu stützen; sie hätte auch über die anderen Fragen ergänzend berichten müssen, die in diesem Zusammenhang zu erörtern gewesen wären.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nun ein paar Bemerkungen zu der Erklärung der Bundesregierung selbst! Wir sind, wie ich soeben schon angedeutet habe, durchaus nicht der Meinung, daß sich die Bundesregierung damit ihrer Pflicht entledigt hat. Wir dürfen ja wohl, Herr Minister, diese Erklärung als Antwort der Bundesregierung in diesem Zusammenhang auffassen. Denn beide Dinge haben sich gekreuzt. Es ist vielleicht ein einmaliges Ereignis in diesem Parlament, daß sich Absichten von Parlament und Regierung kreuzen; aber man kann ja beide Dinge miteinander behandeln.
Was in dieser Regierungserklärung enthalten ist, bezieht sich zuerst einmal auf die Einzelmaßnahmen auf steuerlichem Gebiet. Ich will es mir hier ersparen, darauf näher einzugehen, weil über steuerliche Gerechtigkeit auch gegenüber den SelbstänLange ({4})
digen in der gewerblichen Wirtschaft und den freien Berufen mein Kollege Regling noch einige Bemerkungen machen wird. Was hier nur befremdet, ist, daß man dem Grunde nach einen Toil der Problematik erkennt, daß man bestimmte Beschwernisse anerkennt, daß aber in der gesamten Regierungstätigkeit bis zur Stunde entscheidende Maßnahmen zur Behebung dieser Schwierigkeiten fehlen. Man prüft, prüft, prüft und ist bis zur Stunde zu keinem Ergebnis gekommen.
Meine Damen und Herren, wir haben uns damals alle miteinander - und diesen Punkt muß ich ein wenig breiter behandeln - über die Umsatzsteuer unterhalten. Es hat einige Aufträge an die Bundesregierung gegeben im Hinblick auf die Umsatzsteuer, auf ihre konzentrationsfördernde Wirkung durch die Kumulierung, die dieses Allphasenbruttosystem hat. Sie ist anerkanntermaßen eine der Ursachen von der steuerlichen Seite her, die über die technisch-wirtschaftliche Konzentration hinaus noch aus anderen Gründen Konzentration fördert. Ergebnis: der Hartmann-Ausschuß kommt mit einem Gutachten heraus. Zuerst sieht es die Bundesregierung nicht als Grundlage weiterer Maßnahmen an; dann revidiert sie ihre Auffassung und macht es doch zur Grundlage weiterer Überlegungen. Aber bis zur Stunde ist nicht ein erkennbarer Schritt getan. Es ist nicht zu erkennen, daß seitens der Bundesregierung irgend etwas Wirksames auf dem Gebiet der Umsatzsteuer in der Richtung geschieht, daß man der Umsatzsteuer die kumulierende und damit die konzentrationsfördernde Wirkung nimmt. Das hätte die Bundesregierung im Laufe von vier Jahren - das Problem steht ja nicht erst seit dieser Legislaturperiode, sondern stand schon in der zweiten an - vorbereiten und nach unserer Überzeugung auch durchführen können.
Man muß sich weiter über folgendes im klaren sein, wenn man liest, was im ersten Teil der Erklärung der Bundesregierung über Organschaft und ähnliches ausgeführt wird: man kann nicht nur Organschaftsvorteile beseitigen wollen - das wäre an sich ein löbliches Beginnen -, sondern muß das Korrelat dazu sehen. Das Korrelat sind die möglichen Fusionierungen und die mit Fusionierungen verbundene Marktbeherrschung seitens großer wirtschaftlicher Unternehmungen. Es muß daher zu erkennen sein, ob die Bundesregierung bereit ist, die Probleme im Zusammenhang mit entsprechenden Maßnahmen anzufassen. Einzelmaßnahmen nützen uns auf diesem Gebiet nichts; sonst weichen nämlich die Großen auf ein anderes Gebiet aus, das wir dann nicht mit adäquaten Maßnahmen im Griff haben. Die Bundesregierung muß also erkennen lassen, ob sie bereit ist, das Problem - auch schon im Ansatz - in seiner Gänze. anzupacken.
Es ist völlig klar, meine Damen und Herren, daß man nicht alle Probleme auf einmal lösen kann. Man muß Schritt für Schritt vorgehen. Aber sicherlich ist die Forderung vertretbar, die Bundesregierung möge zu erkennen geben, daß sie die Problematik erkennt und auch geschlossen anzufassen versucht. Denn auch die in diesem ersten Teile als mittelstandsfördernde Maßnahmen oder -sichernde Maßnahmen
der freien wirtschaftlichen Tätigkeit der Selbständigen in der gewerblichen Wirtschaft und der freiberuflich Tätigen dargestellten Maßnahmen sind auf die Dauer gesehen, wenn sie ohne entsprechende Ergänzung bleiben, genauso wieder Maßnahmen, deren sich die Großen ebenfalls erfreuen können, und somit wieder Maßnahmen, die auf der anderen Seite die Differenz zwischen der Großwirtschaft und den Selbständigen, den kleinen und mittleren Betrieben in der gewerblichen Wirtschaft und den freiberuflich Tätigen vergrößert. Diese Differenz sollte aber nach unserer Meinung nicht vergrößert werden, weil ansonsten die Herstellung gleicher Startvoraussetzungen und gleichartiger Wettbewerbsvoraussetzungen immer schwieriger wird und dieses Parlament möglicherweise eines Tages in diesem Zusammenhang vor unlösbare Aufgaben gestellt wird.
Insoweit schien es uns notwendig, auf diesen Zusammenhang an diesem Beispiel einmal hinzuweisen, um klarzumachen, daß man hier unter diesen Voraussetzungen ja wohl die steuerlichen Einzelmaßnahmen nicht als die Selbständigen fördernde und sichernde und gegenüber der Großwirtschaft aus der Benachteiligung herausbringende Maßnahmen darstellen kann. Wir sind der Meinung, daß das auf Grund dieses ersten Teils in unserer Steuerpolitik keineswegs erreicht ist.
Des weiteren äußert sich die Bundesregierung darüber, daß man entsprechende Maßnahmen - und das muß man hier vielleicht noch einmal kurz andeuten - im Zusammenhang mit der Vermögensbildung ergriffen hat. Nichtsdestoweniger - und das ist eine Tatsache, die wir uns alle miteinander vielleicht auch einmal zu Gemüte führen sollten - sind durch Vorlagen hier aus dem Hause über Förderung der Vermögensbildung bei den Arbeitnehmern Maßnahmen eingeleitet - es ist ja ein erster Schritt, wie es in einer der vorausgegangenen Sitzungen hieß -, von denen wir noch nicht im einzelnen übersehen können, welche Wirkungen sie auf den Arbeitsmarkt haben werden und welche Wirkungen von der Arbeitskraft, vom Arbeitsmarkt her wiederum auf die kleinen und mittleren Betriebe ausstrahlen und wie weit vom Arbeitsmarkt her selbst auch noch wieder eine Tendenz zur Verstärkung der Konzentration, zur Verstärkung des Großbetriebes eingeleitet wird.
Wir müssen uns darüber klar sein, daß Einzelmaßnahmen, die nicht aufeinander abgestimmt sind, so gut sie im einzelnen gemeint sein mögen, in sich die Gefahr bergen, weitere Wettbewerbsverzerrungen und -benachteiligungen der Selbständigen herbeizuführen und damit gleichzeitig die Situation der in den Betrieben der Selbständigen beschäftigten Arbeiter und Angestellten gegenüber den bei der Großwirtschaft Beschäftigten zunehmend zu verschlechtern, so daß auch von hier aus Gefahren auf uns zukommen, die abzuwenden wir alle miteinander ein gemeinsames Interesse haben. Wie gesagt, mein Kollege Regling wird zu diesem Problem steuerlicher und auch sozialer Gerechtigkeit noch ein paar Bemerkungen machen.
Ich denke daran, daß - auch das ist ein hier immer wieder erörtertes Problem - den Selbständi9412
Lange ({5})
gen eine Sondersteuer aufgebürdet worden ist, die wir von vornherein abgelehnt haben. Ich meine ,die Konstruktion des Familienlastenausgleichs und damit die Kindergeldgesetzgebung. Wir betrachten auch das als einen solchen Punkt der Benachteiligung, in ,dem die soziale Gerechtigkeit auch für diese Gruppen wiederhergestellt werden muß.
Wir hatten damals in unserem Ersuchen noch gefordert, die praktisch auf Löhne und Gehälter abgestellten sozialen Abgaben einer Überprüfung zu unterziehen, um die .arbeitsintensiven Betriebe und Unternehmungen aus ,der immer stärker erkennbar werdenden Benachteiligung gegenüber den kapitalintensiven herauszubringen.
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- Herr Ruf, wir sind auch bereit, Vorschläge zu machen. Aber Sie dürfen eines nicht übersehen: das Parlament und damit auch ,die einzelnen Mitglieder ,des Parlaments haben weit weniger Instrumente und Experten zur Klärung bestimmter Probleme zur Verfügung als die Ressorts in Gestalt ihrer Ministerialbeamten.
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- Die Sozialpartner allein scheinen mir dazu auch nicht imstande zu sein.
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- Es geht hier darum, Herr Kollege, daß man sich einmal des Problems annimmt und daß man nicht aus einer vorgefaßten Meinung heraus, die gespeist wird aus dem Gutachten eines Freiburger Professors - ,dem ist ja auch unser Kollege Ruf beigetreten; er hat das in dem Pressedienst seiner Partei oder Fraktion gesagt -, erklärt, daß man an dem gegenwärtigen Zustand nichts ändern könne. Nun, Herr Kollege Ruf, die Antwort scheint mir verfrüht zu sein, weil nämlich in keinem Fall gründlich genug geprüft worden ist, ob man wirklich zu anderen Ergebnissen kommen kann oder nicht.
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Erst dann bin ich bereit, eine endgültige Antwort auf diese Frage zu geben. Möglicherweise liegt es an mir, Herr Kollege Ruf. Vielleicht kann ich das Problem nicht so schnell durchschauen oder vielleicht kann ich nicht so schnell schalten wie Sie.
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Aber mir scheint, daß es sich in 'bezug auf die Veränderung der sozialen Lasten der arbeitsintensiven Unternehmen und Betriebe - „arbeitsintensive" Betriebe bedeutet nicht nur Klein- oder Mittelbetriebe; ich denke auch an den Bergbau; das Problem stellt sich in der gesamten Wirtschaft - durchaus lohnt, das Problem zu klären, dessen Lösung des Schweißes der Edlen wert ist. Ich wäre dankbar, wenn man nicht von vornherein nein sagte, wie das auch aus der Drucksache über lohnbezogene Abgaben erkennbar ist, sondern wenn man sich ernsthaft darum bemühte. Das ist auch an die Adresse des verantwortlichen Ministeriums gerichtet.
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- In Ordnung. Ich bin mir darüber klar, daß wir in der Sache in vielen Punkten weitgehend übereinstimmen, aber mir kam es darauf an, vor diesem Hause einmal mit der Regierung ein Gespräch zu führen und nicht die Regierung einfach nur ihre Monologe vortragen zu lassen. Diese Gelegenheit sollte sich das Parlament nicht entgehen lassen; denn nur aus dem Gespräch heraus können wir zu entsprechenden Schlußfolgerungen und möglicherweise auch zu entsprechenden Ergebnissen für die Betroffenen kommen, zu Ergebnissen, die wir vielleicht alle miteinander wollen. Man sollte sich hier davor hüten, den Versuch zu unternehmen, das Problem aus dem ideologischen Winkel zu sehen. Das halte ich für völlig verfehlt.
Aber da wir gerade bei der Ideologie sind, ein paar Bemerkungen zu dem anderen Teil, der sich mit den Maßnahmen zur Förderung der Selbsthilfe befaßt. Sicher ist eines: man muß auch von den Betroffenen, den Selbständigen, entsprechende Anstrengungen erwarten, auf eigenen Füßen zu stehen. Insoweit ist der Bundesregierung beizupflichten. Der Gesetzgeber oder der für die Politik Verantwortliche kann allen Kummer und alle Schmerzen weiß Gott nicht mindern und heilen. Er kann nur Voraussetzungen dafür schaffen. Es scheint uns auch nach dem Grundgesetz geboten zu sein, daß die Freiheitssphäre des einzelnen in der Wirtschaft so weit wie möglich aufrechterhalten wird. Es ist Aufgabe des Staates, darüber zu wachen, daß Private nicht durch Private in ihrer freien wirtschaftlichen Betätigung eingeschränkt werden. Es ist gleichzeitig Aufgabe des Staates, sich selber diese Beschränkung aufzuerlegen. Es ist aber auch Aufgabe des Staates, insoweit Wirtschaftspolitik und auch Gesellschaftspolitik zu treiben. Von dort her ergeben sich unserer Meinung nach aus dem Grundgesetz für Regierung und Parlament entsprechende Verpflichtungen, die uns dazu anhalten und uns ermuntern sollten, den Selbständigen entsprechende Starthilfen zu geben, die sie nachher in den Stand setzen, selber weiterzumachen. Hier muß man, so meinen wir, in entsprechender Weise Einrichtungen fördern, die der Selbsthilfe dienen.
Eine der entscheidenden Voraussetzungen dafür ist, daß man, ähnlich wie man es für die Großwirtschaft bis zur Stunde getan hat, durch öffentliche Mittel Forschungsinstitute fördert, die die Forschungsaufgaben weitgehend für die Großwirtschaft übernehmen und erfüllen. .Ähnliches ist für die Selbständigen in der gewerblichen Wirtschaft und in den freien Berufen zu schaffen. Dazu reicht unserer Meinung nach das vor Jahr und Tag errichtete Mittelstandsinstitut an der Bonner und an der Kölner Universität nicht aus. Wir müssen also ein Institut für die Mittelschichten haben, das beispielsweise der Max-Planck-Gesellschaft - oder ähnlichen Einrichtungen, die mit öffentlichen Mitteln zu fördern sind - vergleichbar ist, das die Forschungsaufgaben, die sich aus der Verwendung bestimmter Rohstoffe, aus der Produktion usw. ergeben, erfüllt und die Erkenntnisse den Betroffenen über ihre Berufsverbände, aber auch der Öffentlichkeit zur Kenntnis gibt. Wir müssen somit die Selbständigen in den Stand setzen, sich der neueLange ({12})
sten wissenschaftlichen Erkenntnisse auch für ihre Betriebe zu bedienen. Insoweit halten wir also ein solches Institut für die Mittelschichten, das weit umfassender als das gegenwärtige Mittelstandsinstitut sein muß, für erforderlich. Es soll durch Forschung und praktische Hilfe, wenn man so will, durch praktische Gewerbeförderung heute vorhandene Benachteiligungen der kleinen und mittleren Betriebe und Unternehmen ausräumen.
Darüber hinaus muß man natürlich bei solchen notwendigen Umstellungen, die sich ergeben -sie ergeben sich mit fortschreitender wirtschaftlicher und technischer Entwicklung -, auch den kleinen und mittleren Betrieben und Unternehmen die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Das ist - das in Rückblendung auf die steuerlichen Überlegungen der Bundesregierung auszuführen sei mir gestattet - nicht allein mit steuerlichen Maßnahmen getan. Alle steuerlichen Maßnahmen wirken nicht kurzfristig, sondern langfristig. Vermögensbildung oder Kapitalbildung, die steuerlich gefördert werden soll, wirkt sich praktisch erst nach einer langen Reihe von Jahren aus. Hier kommt es darauf an, daß unmittelbar für die kleineren und mittleren Betrieben und auch den freiberuflich Tätigen erwachsenden Aufgaben Mittel zur Verfügung gestellt werden, die die Leute unmittelbar am Kapitalmarkt oder Geldmarkt wegen der dort herrschenden Bedingungen nicht bekommen können. Wir haben gesagt: man muß etwas Ähnliches wie einen modifizierten Personalkredit schaffen; man muß von der Fülle der Kredit- und Bürgschaftsprogramme, über die wir uns im Ausschuß für Mittelstandsfragen in mehr oder minder regelmäßigen Abständen immer wieder unterhalten, loskommen, muß das alles vereinheitlichen und auch vereinfachen.
Hinzu kommt noch ein aus dem Gesetz über die Gewährleistung und Sicherheitsleistung für die deutsche gewerbliche Wirtschaft erwachsendes Problem. Nach §1 dieses Gesetzes sind nur volkswirtschaftlich bedeutsame Vorhaben förderungswürdig. Die Juristen des Finanzministeriums und auch des Justizministeriums haben damals gesagt: Großunternehmen sind volkswirtschaftlich bedeutsam, aber der Handwerksbetrieb als einzelner Betrieb oder der Handelsbetrieb als einzelner Betrieb - also ein mittlerer oder kleinerer Betrieb - ist kein volkswirtschaftlich bedeutsames Objekt. Das Handwerk als Ganzes, das juristisch nicht zu definieren ist, das man wegen seiner verschiedenartigen Aufgaben nicht einmal ökonomisch eindeutig definieren kann, ist volkswirtschaftlich bedeutsam, und der Handel ist volkswirtschaftlich bedeutsam, usf. usf. Daraus hat man abgeleitet, daß man Kreditgarantiegemeinschaften schaffen müsse, um so dem Handwerk als Ganzem Kredite und Bürgschaften zur Verfügung zu stellen, aber nicht dem einzelnen Betrieb; das zu tun sei dann die Aufgabe der Kreditgarantiegemeinschaften in Verbindung mit den Hausbanken. Erinnern wir uns einmal der Zahl, die im Ausschuß für Mittelstandsfragen für solche Kredit- und Bürgschaftsprogramme einschließlich der regionalen Programme bekannt geworden ist. Sie liegt knapp über 200. Das heißt mit anderen Worten: zweihundert verschiedene Programme, zweihundert verschiedene Töpfchen, zweihundert verschiedene Bedingungen. Sie mögen zwar nicht sehr weit auseinanderklaffen, aber immerhin: unterschiedliche Bedingungen in bezug auf die Zahl der Jahre ohne Rückzahlung, in bezug auf die Laufzeit, in bezug auf die Zinsen und auch in bezug .auf die Voraussetzungen. Wenn wir uns des Grundsatzes der Gleichbehandlung erinnern - Gleichbehandlung immer bezogen auf vergleichbare Sachverhalte oder vergleichbare Gruppen -, idann erkennen wir, daß dieser Grundsatz fürdiese Gruppen nicht gewahrt ist. Denn es steht fest, wir haben eine völlig unterschiedliche Behandlung. Viele Selbständige - nicht zuletzt in der kleinen und mittleren Industrie und auch im übrigen Gewerbe - können an den Erfolgen solcher Maßnahmen nicht teilhaben, weil sie keine entsprechende Organisation zur Verfügung haben, wie sie beispielsweise das Handwerk in Gestalt des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks oder der Handel in Gestalt der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels hat; beim Fremdenverkehrsgewerbe hat sich ja auf Grund der Auslegung solcher gesetzlicher Bestimmungen und eben wegen der Zersplitterung eine ähnliche Organisation gebildet.
Um dieser ungleichmäßigen Bedingungen Herr zu werden, haben wir vor Jahr und Tag vorgeschlagen, der Bund solle eine Bundes-Kredit- und -Garantiekasse errichten. Die Bundesregierung hat sich in ihrer schriftlichen Erklärung dazu geäußert und die Sozialdemokraten wieder einmal des Dirigismus und unterschwellig auch zentralverwaltungswirtschaftlicher Vorstellungen verdächtigt. Das hatte man schon damals getan, als wir den Antrag auf Erstellung eines Berichts über die Lage der Mittelschichten eingebracht haben.
Meine Damen und Herren, Sie sollten sich endlich einmal daran gewöhnen, das zur Kenntnis zu nehmen, was im sozialdemokratischen Programm, im Aktionsprogramm, im Grundsatzprogramm und im Regierungsprogrammsteht, und sollten endlich einmal die Absicht fallen lassen, der Öffentlichkeit weiszumachen, wir Sozialdemokraten seien Zentralverwaltungswirtschaftler. Wir Sozialdemokraten sind von Natur aus für die Freiheit. Wir haben hier bei wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen, nicht zuletzt auch in der Auseinandersetzung über das Kartellgesetz, immer wieder betont, daß wir die Einschränkung der Freiheit des einzelnen am Markt, auch 'die durch Private, nicht dulden.
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- Kontrolle in der Öffentlichkeit und durch die Öffentlichkeit.
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- Wir könnten hier noch über einige andere Probleme reden, die nicht unmittelbar dazugehören. Das will ich mir aber versagen. Machen Sie keine weiteren Zwischenrufe, sonst komme ich zu den einzelnen Problemen.
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Vizepräsident Dr. Schmid Herr Abgeordneter, Zwischenrufe zu machen gehört zu den demokratischen Freiheiten!
Aber natürlich! Ich wollte Herrn Kollegen Ruf nicht das Recht auf Zwischenrufe streitig machen, sondern wollte ihn nur davor warnen, hier eine Fülle von Einzelproblemen zur Debatte zu stellen. Ich müßte darauf eingehen, weil Sie sonst hinterher sagen würden: Darauf habt ihr keine Antwort, ihr traut euch nicht! Wir wollen also die Dinge ganz fair miteinander behandeln.
Es geht hier um folgendes. Die Bundesregierung hat erklärt, eine solche Bundeskredit- und Garantiekasse sei als dirigistisch verdächtig, außerdem wollten die Betroffenen sie gar nicht. Ich darf die Bundesregierung daran erinnern, daß am 1. Oktober 1958 zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes und der Lastenausgleichsbank in Bad Godesberg ein Abkommen unterzeichnet worden ist, durch das der Lastenausgleichsbank der Auftrag erteilt wird, für diejenigen, die in den freien Berufen tätig sind oder die eine freiberufliche Existenz gründen wollen, als eine Bundes-Kredit- und Garantiekasse - das Wort erscheint in dem Abkommen zwar nicht, aber die Aufgabe ist so umrissen - zu fungieren. Damals hatten Sie nicht solche Skrupel wegen vermeintlicher zentralverwaltungswirtschaftlicher oder dirigistischer Tendenzen, und sie sind in dem Abkommen auch gar nicht enthalten. Die Lastenausgleichsbank bedient sich ja des vorhandenen Banken- und Kreditapparates; man muß ja nicht ein neues Mammutgebilde schaffen.
Das, was Sie selber auf dem Gebiet der freien Berufe getan haben, lehnen Sie hier für den gewerblichen Sektor, weil es in einem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ausdrücklich verlangt wird, als dirigistisch und möglicherweise auch zentralverwaltungswirtschaftlich ab. Das scheint mir doch ein unauflösbarer Widerspruch zu sein. Die Bundesregierung wird sich dazu äußern müssen, weshalb sie damals ein solches Abkommen zwischen einem ihrer Ministerien das ja auch nicht, wie ich vermute, ohne den Willen des Kabinetts gehandelt hat - und der Lastenausgleichsbank, also einem solchen Kopfinstitut, gebilligt hat.
Meine Damen und Herren, wir wollen nicht mehr und nicht weniger, als für den gewerblichen Sektor die Benachteiligungen ausräumen, von denen heute noch weite Teile kleiner und mittlerer Betriebe und Unternehmungen der Industrie und des übrigen Gewerbes betroffen werden. Deshalb wollen wir diese Vereinfachung der Kredit- und Garantieprogramme durch die Schaffung einer solchen Bundes-Kredit- und -Garantiekasse, die genauso als Kopfinstitut gedacht ist und sich dann der vorhandenen Einrichtungen auf dem Kapitalmarkt bedienen kann, der Banken einschließlich der geschaffenen Kreditgarantiegemeinschaften in den einzelnen Wirtschaftszweigen und dann der darunter liegenden Hausbanken.
Insoweit, glaube ich, stellt sich das Problem etwas anders dar, als es uns die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung unterschieben wollte. Man sollte sich auch bei als politisch notwendig erkannten Maßnahmen nicht immer nur auf die Auffassung der Betroffenen berufen. Das tut nämlich die Bundesregierung in diesem Zusammenhang auch, die da sagt, die Betroffenen wollten das ja selbst nicht. Aber die Betroffenen wollten es doch wahrscheinlich deshalb nicht, weil sie sich nicht ganz klar darüber waren oder sind, wie die Konstruktion einer solchen Bundes-Kredit- und -Garantiekasse ist, obwohl wir verschiedentlich auf das seitens der Bundesregierung zugunsten der freien Berufe getroffene Abkommen mit der Lastenausgleichsbank hingewiesen haben.
Ich bin also der Überzeugung, daß man sich auch diesen Fragen der Vereinheitlichung der Kredit-und Bürgschaftsprogramme und der Schaffung einer Bundes-Kredit- und Garantiekasse oder eines Bundes-Kredit- und -Garantiefonds noch einmal zuwenden muß, auch wenn die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung eine andere Stellung bezogen hat. Vielleicht auch ist sie von falschen Voraussetzungen hinsichtlich der Absicht der Antragsteller ausgegangen. Die Bundesregierung und die sie tragende Mehrheitsfraktion der CDU/CSU sollten sich auch das in dem Zusammenhang noch einmal überlegen.
Im übrigen ist zu sagen, daß man eine entsprechende Beobachtung ides Arbeitsmarkts braucht, daß man eine entsprechende Berufsausbildung braucht, um die Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Das sind Binsenwahrheiten, das ist eine völlig klare Sache. Das steht überdies schon in unserem Aktionsprogramm von 1954 und das haben wir bei anderer Gelegenheit - aus Anlaß der Wahlen im September 1957 - schon einmal veröffentlicht. Man kann also durchaus den Eindruck gewinnen, daß die Bundesregierung insoweit weitgehend mit den Vorstellungen der Opposition übereinstimmt. Entscheidend ist nur, ob man sich dabei immer mit Erklärungen begnügen kann, daß man dieses und jenes tun wolle, oder ob man endlich einmal aus den Worten Taten werden läßt.
Nach unserer Überzeugung werden, damit die Wettbewerbsbenachteiligungen, die die Selbständigen heute bedrängen, beseitigt werden können, zwei große Gruppen von Maßnahmen erforderlich sein, eine Gruppe wirtschaftspolitischer Maßnahmen und eine Gruppe sozialpolitischer Maßnahmen.
Ich habe in meinen Darlegungen einen Teil der Notwendigkeiten wirtschaftspolitischer Art skizziert. Zu einem Teil handelt es sich um unmittelbar wirkende Maßnahmen, die durch die mittelbar wirkenden Maßnahmen ergänzt werden müssen.
Unter diesen mittelbar wirkenden Maßnahmen sind Maßnahmen im Hinblick auf die Kartell- und Monopolpolitik zu verstehen, entsprechende Maßnahmen in bezug auf die marktbeherrschenden Unternehmungen, entsprechende Maßnahmen in bezug auf die Vertikalverträge, auf die Individualverträge oder Knebelungsverträge, die die WettbewerbisfreiLange ({0})
heit ,der kleinen und mittleren Selbständigen am Markt einengen und ihnen unerträgliche Verpflichtungen auferlegen. In diesem Zusammenhang ist auch das Problem der Preisbindung, das im letzten Bericht des Bundeskartellamtes eine außerordentliche Rolle spielt, eingehend zu überprüfen. Es ist zu überprüfen, in welchem Umfang und in welcher Art die Preisbindung wirkt, und man müßte dabei Vergleiche mit ,dem Ausland anstellen. Das gehört also zu den unmittelbaren und mittelbaren Maßnahmen.
Die mittelbaren Maßnahmen müssen sich auf eine Reform des Gesellschaftsrechts erstrecken; ebenso auf die von mir vorher genannten Tatbestände der Organschaft, ,der Fusion, die ich im Zusammenhang mit den steuerpolitischen Maßnahmen skizziert habe.
Die sozialpolitischen Maßnahmen müßten so aussehen, daß dort, wo sich Umstellungsnotwendigkeiten ergeben und aus der Situation des einzelnen Härten entstehen, die er nicht überwinden kann, entsprechende unmittelbare Hilfen geleistet werden einschließlich derjenigen, die auch den Selbständigen für sein Alter in einer Form sichert, wie das meine Fraktion und meine Partei jüngst vor der Öffentlichkeit dargelegt haben. Man sollte den Selbständigen ebenso Möglichkeiten zur Alterssicherung einräumen man muß sie ihnen einräumen -, wie das für die abhängig Beschäftigten auch geschieht, unter der Voraussetzung, daß die Selbständigen dann auch Gebrauch davon machen, weil sie nämlich auf diese Art und Weise in Sicherungsmaßnahmen eingebaut werden, die denen für Arbeiter und Angestellten vergleichbar sind. Ein Teil der Selbständigen befindet sich gesellschaftlich wie wirtschaftlich in mit den Arbeitern und Angestellten durchaus vergleichbarer Situation. Das gilt hinsichtlich ihrer Lebenshaltungsmöglichkeiten und ihrer Existenzsicherung. Also müßte man ihnen eine ähnliche Alterssicherung anbieten.
Es ist uns im Grunde unverständlich, daß die Bundesregierung einen Gesetzentwurf über die Alterssicherung der Rechtsanwälte vorlegt, nach dem sich der Bundestag oder der Gesetzgeber, so muß ich sagen, nicht nur der Bundestag - praktisch der Gesetzgebungskompetenz begibt. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung bleibt hier der Gruppe die Entscheidung überlassen. Innerhalb der Berufsgruppe soll durch eine Abstimmung für oder gegen eine solche Regelung entschieden werden. Wenn der Gesetzgeber der Überzeugung ist, er müsse solche Hilfen anbieten, dann müssen sie so angeboten werden, daß er seine Aufgaben als Gesetzgeber erfüllt, dann darf er nicht praktisch seine gesetzgeberischen Kompetenzen auf andere, der Öffentlichkeit nicht verantwortliche gesellschaftliche Gruppen übertragen.
Wir halten also die Konstruktion, die in diesem Gesetzentwurf angeboten wird, nicht für eine Lösung. Das, verehrter Herr Minister - den leisen Zwischenruf habe ich hier schon mitbekommen -, hat nach meiner Überzeugung mit Demokratie nichts zu tun. Es kann nicht in das Belieben einer Gruppe gestellt werden, ob ein Gesetzentwurf Gesetz wird.
Wenn ich ein Gesetz mache, dann muß es umfassend sein. Allerdings muß der Grundsatz der Freiwilligkeit aufrechterhalten werden, es muß dem einzelnen Staatsbürger freigestellt sein, ob er von der gesetzlich gegebenen Möglichkeit Gebrauch machen will oder nicht.
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Man darf aber nicht umgekehrt vorgehen und einer Gruppe das Recht einräumen, über gesetzgeberische Maßnahmen zu entscheiden. Das verträgt sich wohl nicht mit dem Prinzip der Gleichheit aller Staatsbürger in einer Demokratie, das würde eine Sonderbehandlung bestimmter .Staatsbürger auf der einen wie auf der anderen Seite bedeuten. Das scheint mir wohl die Grundlage zu sein, von der wir auszugehen haben. Keine falsch verstandenen demokratischen Vorstellungen! Sonst würde ich die Frage stellen müssen, Herr Minister, ob Sie in alte, mittelalterliche ständestaatliche Vorstellungen zurückfallen wollen. Nach solchen Auslegungen und Darlegungen scheint mir das durchaus möglich zu sein.
Man muß dann also, wie gesagt, dieses Bündel sozialpolitischer Maßnahmen mittelbarer und unmittelbarer Art ergreifen, in dem Sinne, daß man auch für die Selbständigen eine Alterssicherung einführt. Dazu gehört im übrigen eine Prüfung des Problems - ich habe mich vorhin etwas eingehender darüber ausgelassen - der lohnbezogenen Lasten oder Abgaben. Darüber wird, wie gesagt, noch mein Kollege Regling ausführlicher sprechen. Man muß sich also bemühen, diesen Gruppen durch solche Maßnahmen soziale Gerechtigkeit widerfahren
zu lassen.
Meine Damen und Herren, ,die Bundesregierung müßte einmal den Versuch machen, eine Gesamtkonzeption zu entwickeln, aus der erkennbar wird, daß die einleitenden Maßnahmen alle aufeinander abgestimmt sind. Die Bundesregierung sollte weiter bereit sein, sich unverzüglich das notwendige Material zu beschaffen. Sie sollte nicht bis 1963 warten, auch wenn in diesem Jahre ein Weltzensus
dieser Industriezensus, von ,dem Sie, Herr Minister, ,gesprochen haben - vorgenommen wird. Sie sollte sich die erforderlichen Unterlagen unverzüglich beschaffen oder sich die Instrumente in die Hand geben lassen, die sie in den Stand setzt, sich diese Unterlagen zu beschaffen.
Nur dann, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und meine Herren von der Regierung, sind wir nach unserer Überzeugung alle miteinander imstande, auf einer solchen geschlossenen Grundlage auch eine geschlossene Vorstellung über die notwendige gesellschaftliche und wirtschaftliche Sicherung und Gleichbehandlung der Selbständigen zu entwickeln und zu verwirklichen. Uns kommt es auf dieses geschlossene Mittelschichtenprogramm an. Uns kommt es auf organische Maßnahmen an, die auch in aufeinander abgestimmten Zeiträumen vorgenommen werden und die gleichzeitig zu wirken vermögen, damit aus unorganischen Einzelmaßnahmen sich ergebende zusätzliche Bedrohungen abgewehrt werden. Dann haben wir das, was
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wir zur Herstellung gleichartiger Wettbewerbsvoraussetzungen und zur entsprechenden gesellschaftspolitischen Sicherung der Selbständigen brauchen.
Ich wäre dankbar, wenn sich Regierung und Parlament zu einer solchen Behandlung des Komplexes verstehen könnten, wenn wir endlich einmal davon loskämen, immer wieder nur etwas zu erklären. Sie als Mehrheit hatten in den vier Jahren dieser Legislaturperiode die Gelegenheit dazu. Sie haben die Konzentration weiterlaufen lassen, ohne den davon Bedrängten entsprechende Hilfe zu leisten. Sie haben immer nur deklamiert. Sie hatten Gelegenheit, die Regierungserklärung vom Oktober 1957 zu verwirklichen.
Ganz im Gegensatz zu der Feststellung am Schluß der schriftlichen Regierungserklärung, daß sie wohl doch den Raum der Selbständigen gesichert habe, wage ich hier zu behaupten, daß dieser Raum am Ende dieser Legislaturperiode gefährdeter erscheint als zu Beginn dieser Legislaturperiode.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wieninger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat heute eine Große Anfrage ohne Fragegehalt eingereicht. Denn das, was sie nach der Drucksache 2758 fragt, hat die Regierung just einen Tag, bevor diese Frage gestellt wurde, bereits beantwortet. Wir wollen der SPD gar keinen Vorwurf machen, daß sie die Frage gestellt hat: Wo bleibt die zugesagte Erklärung der Bundesregierung über eine zusammenfassende Initiative zur Förderung des gewerblichen Mittelstandes und der freien Berufe gemäß Drucksache 2012? Diese Frage ist berechtigt gewesen, solange diese Erklärung der Bundesregierung nicht da war. Nun sie aber da ist, ist der Grund der Frage in Wegfall gekommen. Trotzdem hat die SPD darauf bestanden, die Frage hier in abgewandelter Form vorzubringen.
Wir meinen, daß die SPD das getan hat, weil sie der Bundesregierung und der Mehrheit des Bundestages eins auswischen wollte, weil sie im Hinblick auf den Wahlkampf Stimmung machen wollte. Sie wollte zu behaupten versuchen, es sei für den Mittelstand nichts oder zuwenig geschehen. Herr Abgeordneter Lange hat ja am Schluß seines Referats, das hinsichtlich seiner gesellschaftspolitischen Betrachtungen bemerkenswert sachlich gewesen ist, gesagt, die Mittelschichten - wie er sich auszudrücken beliebte - seien am Ende der Legislaturperiode gefährdeter als 1957 am Anfang dieser Legislaturperiode.
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Nicht nur der Kollege Lange hat diese Behauptung aufgestellt. Wie wir zu wissen glauben, wird auch die FDP in dieselbe Kerbe schlagen. Denn gestern hat die Pressestelle der FDP bekanntgegeben, die von der Bundesregierung in der Regierungserklärung 1957 angekündigte Hilfe für den Mittelstand sei ausgeblieben.
Wir haben uns heute zu fragen, ob diese Behauptungen richtig sind oder aber ob solche Darstellungen leichtfertig genannt werden müssen, weil sie an der Wirklichkeit vorbeigehen. Wir sind gar nicht traurig darüber, daß wir hier heute eine Große Anfrage ohne Fragestellung behandeln. Wir sind deswegen nicht traurig, weil wir Gelegenheit haben, zu sagen, daß die Bundesregierung und die Mehrheit des Parlaments das Wort, sie würden den Mittelstand fördern, eingelöst haben. Freilich es muß hier festgestellt werden, daß auf dem Gebiet der Mittelstandspolitik noch vieles, noch sehr vieles getan werden muß. Es ist richtig, daß die kleineren und mittleren Unternehmen noch weit von einer vollen Gerechtigkeit in der Steuer- und Sozialbelastung entfernt sind. Wir müssen feststellen, daß wir erst im letzten Bundestag auf dem Weg, eine Wettbewerbsneutralität herbeizuführen, ein Stück vorangekommen sind. Die CDU/CSU und auch die Bundesregierung sind sich darüber im klaren, daß die vier Hauptsorgen der mittelständischen Betriebe, nämlich die Gefahr der Konzentration, die Kopflastigkeit unseres Steuersystems, der Mangel an Arbeitskräften und die daraus resultierende erhöhte Anforderung an freiwillige und gesetzliche Sozialbelastungen, daß diese Probleme, Sorgen und Verärgerungsquellen für die mittelständische Wirtschaft, existieren. Wir wissen aber auch, daß wir diese Sorgen nicht einfach dadurch beseitigen können, daß wir auf den berühmten Knopf drücken.
In der Debatte über die Große Anfrage der CDU/CSU vom Oktober 1960 betr. die Gefahr der Konzentration waren sich alle Fraktionen des Hauses gemeinsam mit der Bundesregierung darüber im klaren, daß der Gefahr der Konzentration begegnet werden müsse. Die gründliche Untersuchung über Ursachen, Ausmaß und Folgen der Konzentration ist im Gange. Der Verdacht, wir hätten uns durch diese Ingangsetzung der Konzentrationsenquete in papierene Untersuchungen gerettet, statt ad hoc mutige und notwendige Entscheidungen herbeizuführen, ist falsch. Dem Übel der Konzentration kann nicht durch zwar wohlgemeinte, doch letzten Endes dilettantische Maßnahmen begegnet werden. Für die Gesamtwirtschaft, für uns alle, wäre es höchst gefährlich, wenn ohne genaue Kenntnis von Ausmaß und Ursachen und auch der Wirkung auf das Ganze Eingriffe durchgeführt würden. Das Getriebe unserer differenzierten, arbeitsteiligen Wirtschaft läßt es einfach nicht zu, daß tiefgreifende Reformen ohne Kenntnis der Auswirkungen durchgeführt werden.
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Hinsichtlich der zweiten Sorge der mittelständischen Wirtschaft, ,dem Mangel an Steuergerechtigkeit, ist festzustellen, daß diese Sorge zwar verringert, doch noch nicht beseitigt werden konnte. Professor Dr. Schmölders hat das Wort von ,der „Kopflastigkeit" unseres Steuersystems geprägt und er ist zu dem Schluß gekommen, daß sich diese Kopflastigkeit zum Schaden der mittelständischen Wirtschaft auswirke. Seit Generationen schon leidet unser Steuersystem an dieser Kopflastigkeit. Da gibt es viele Probleme, wie z. B. die Bemessung der
Plafonds, die unterschiedlichen Auswirkungen der Abschreibungsmöglichkeiten, die Möglichkeiten der Unterkapitalisierung, ,die Bewertungssysteme von Wertpapieren, ,die Rückstellungsmöglichkeiten von freiwilligen Sozialleistungen, das umstrittene Schachtelprivileg usw. Durch diese und ähnliche Umstände ist ,die Bildung von Eigenkapital im Mittelstand auch unter Berücksichtigung des relativen Kräfteverhältnisses weit weniger möglich als in der Großwirtschaft. Die Herbeiführung einer höheren Gerechtigkeit im Steuersystem ist ein gutes Ziel für den 4. Bundestag.
Zu der Sorge ,des Mittelstandes wegen des Arbeitskräftemangels ist folgendes zu bemerken. Infolge der Hochkonjunktur haben wir Vollbeschäftigung. Daraus resultiert der Mangel an Arbeitskräften. Niemand von uns wünscht sich die Zeiten der Arbeitslosigkeit zurück. Damals hatten wir genügend Arbeitskräfte, und wir hatten keine Sorge um Arbeitskräfte. Aber es würde uns grauen, wenn solche Zustände wiederkämen. Leider geht mit dem Kräftemangel ein bedauerliches Nachlassen des Leistungsstrebens Hand in Hand. Auch ,das ist eine Quelle ,der Verärgerung. Besonders bedenklich für den Mittelstand ist ein Gefälle des Arbeitseinsatzes hin zu den großwirtschaftlichen Betrieben.
Um diese Sorgen des Mittelstandes allmählich zu vermindern, gibt es nur eine Möglichkeit: es muß der Versuch gemacht werden, die kleineren und mittleren Betriebe zu beraten und ihnen zu zeigen, wie sich bei ihnen die Lohnintensität vermindern läßt. Wir müssen sie durch vermehrte Möglichkeiten .der Kreditaufnahme in die Lage versetzen, mehr als bisher durch den Einsatz kräftesparender Maschinen zu rationalisieren.
Im Zusammenhang mit dem Mangel an Arbeitskräften stellen wir ein Ansteigen von Sozialansprüchen fest. Das Ansteigen der Soziallasten - teils beruhen die Sozialleistungen auf gesetzlicher Grundlage, teils werden sie freiwillig gewährt - wird in der vielfach lohnintensiven mittelständischen Wirtschaft als ungerecht empfunden. Wir müssen dafür Verständnis haben, wenn z. B. ,die Soziallasten eines Dekorations-Malermeisters mit denen eines Betriebes der chemischen Indubstrie verglichen werden. Gemessen am Umsatz ist der mittelständische lohnintensive Betrieb bedeutend schlechter gestellt als der mechanisierte, ja zum Teil sogar automatisierte Großbetrieb.
Die FDP hat es uns in ihrem Pressedienst besonders angekreidet, daß wir z. B. das System der Mittelaufbringung für das Kindergeld aufrechterhielten und daß wir im Gesetz über die Lohnfortzahlung Anhebungen vorgenommen haben. Dazu möchte ich folgendes sagen. Zu Beginn der 3. Legislaturperiode haben wir mit Blickrichtung auf die Angehörigen des Mittelstandes hinsichtlich des Kindergeldes versprochen, wir würden uns dafür einsetzen, daß die Belastung durch das Kindergeld ein Prozent der Lohnsumme nicht übersteige. Dieses Versprechen ist eingehalten warden.
Damit, meine Herren von der FDP, möchte ich nicht sagen, daß wir das System der Mittelaufbringung für das Kindergeld als etwas Gerechtes ansehen. Ich möchte auch nicht sagen, daß man nicht danach streben sollte, ein anderes Aufbringungssystem zu erreichen. Andererseits dürfen wir jedoch die Mittelaufbringung für das Kindergeld nicht dramatisieren. Vergessen wir nicht, daß 15 Staaten der Erde ein lohnbezogenes Aufbringungssystem für das Kindergeld haben, nur mit dem Unterschied, daß in allen anderen Staaten tdie Beiträge viel höher sind als bei uns. Ich erinnere nur an Frankreich mit 16 %, an Italien mit 13 %, an Holland mit 7 %, an Belgien und Österreich mit 6 %, an die Schweiz und die Türkei mit 4 %. Bei uns ist die Belastung am geringsten, aber bei uns schreit man am meisten darüber.
Zur Novelle über die Lohnfortzahlung! Meine Herren von der FDP, wenn Sie realpolitisch denken und wenn Sie selber im Wirtschaftsleben stehen, werden Sie zugeben müssen, daß es ganz unmöglich ist, sich der Lösung dieses Problems zu entziehen. Die Arbeiterschaft wächst einfach in eine Emanzipation hinein, die man respektieren muß. Die Großindustrie ist mit freiwilligen Sozialleistungen vorangegangen. Wir haben mit unseren gesetzlichen Maßnahmen nur nachgezogen, um zu vermeiden, daß ein Sog der Arbeitskräfte nach der Großindustrie entsteht. Es wäre der mittelständischen Wirtschaft ein schlechter Dienst erwiesen, wenn wir einen Beitrag dazu leisteten, daß die Entblößung von Arbeitskräften bei ihr noch gefördert wird.
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Zu unserer Sozialpolitik insgesamt möchte ich als mittelständischer Unternehmer folgendes bekennen. Meine Kollegen und ich, die wir uns hauptsächlich in der Mittelstandspolitik betätigen, halten die Sozialpolitik der CDU/CSU für richtig, nützlich und notwendig. In der Zeit der Hochkonjunktur ist es eine christliche und soziale Selbstverständlichkeit, auch unsere Mitarbeiter am wirtschaftlichen Anstieg partizipieren zu lassen.
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Auch vom rein wirtschaftlichen Standpunkt aus ist es notwendig, den Lebensstandard der Arbeitnehmerschaft zu heben. Wir können nämlich die Hochkonjunktur nur aufrechterhalten, wenn die Arbeitnehmerschaft in kräftigem Maße auch als Käuferschaft in Erscheinung tritt.
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Schließlich mußten wir aus einem weltpolitischen Grunde so handeln, wie es geschehen ist. Nur dadurch, daß wir in unserem Vaterland die Begriffe „Proletariertum" und „Proletariat" abschaffen, gelingt es, unser Volk vor den Verführungen aus dem Osten zu immunisieren.
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Ich glaube, alle können stolz darauf sein, daß wir seinerzeit durch die große Rentenreform dem Arbeiter die Angst vor dem Alter genommen haben.
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Der Konzentration Einhalt gebieten und die Bemühung um die Herbeiführung einer größeren Gerechtigkeit im Steuerwesen sind, wie ich schon sagte, die großen Aufgaben des 4. Bundestages. Mehr als bisher muß unser Steuersystem als Instrument der Wirtschaftspolitik benutzt werden, damit sich die auseinanderklaffende Schere der Wettbewerbslage besser schließt. Im Steueränderungsgesetz 1960 und 1961 ist dieser Weg bereits erfolgreich beschritten worden.
Nur einige Stichworte, die diese Tendenz offenbaren. Wir haben eine Beschränkung der Abschreibungsmöglichkeit um 20 % vorgenommen. Wir haben den Abbau der steuerlichen Begünstigung der Pensionsrückstellungen herbeigeführt. Wir haben die Fristen für Spekulationsgewinne verlängert. Wir haben die Sperrfristen bei Sparverträgen verlängert. Wir haben den Abbau des Organschaftsvorteils nun in Angriff genommen. Wir werden im Elften Umsatzsteueränderungsgesetz den Abbau von Privilegien in der Ölindustrie durchführen usw. usf.
Aus diesen Handlungen zeigt sich die Tendenz, die Belastung unten etwas zu vereinfachen, dort aber, wo es möglich ist, oben, sie dann, wenn die Gerechtigkeit es gebietet, zu verstärken.
Ich gestehe ohne weiteres, daß diese Maßnahmen noch nicht ausreichen. Es ist notwendig, daß mehr getan wird. Wieder möchte ich die Pressestelle der FDP zitieren. Sie sagt, daß die Hilfe für den Mittelstand, die ,die Regierung vesprochen habe, ausgeblieben sei. Was hat die Regierung versprochen? Der Passus in der Regierungserklärung vom 29. Oktober lautete so:
Weite Schichten der Bevölkerung,
- sagte seinerzeit der Bundeskanzler die der Mittelklasse angehören, bedürfen der Sorge des Staates. Sie sind hinter anderen Schichten zurückgeblieben. Wir brauchen aus staatspolitischen und kulturpolitischen Gründen unbedingt eine gesunde mittlere Schicht . . . Wir brauchen unabhängige mittlere und kleinere Existenzen in Handwerk, Handel und Gewerbe.
Nun fragen wir uns: Hat der Staat, haben die Bundesregierung und die Mehrheit des Parlaments sich dieser Verpflichtung entzogen? Oder haben Regierung und Bundestag den Mittelstand nach dem Maße der bestehenden Kräfte gefördert? Nur ein Tor wird aus der Regierungserklärung herauslesen wollen, daß goldene Berge versprochen worden sind. Nur ein Anfänger wird glauben, daß sich die Struktur unserer Wirtschaft blitzschnell verändern lasse. Nur ein Demagoge wird in der Öffentlichkeit den Eindruck hervorrufen, daß es nur die Angelegenheit einer guten Laune sei, schlagartige Wandlungen herbeizuführen.
Der Mittelstandsbericht der Bundesregierung vom 13. Juli 1960 stellt zutreffend fest, daß zugunsten des Mittelstandes nur gezielte, punktuelle Maßnahmen notwendig und sinnvoll sind. In der Tat, die Situation der mittelständischen Wirtschaft ist nicht so wie die der Landwirtschaft. Für den Mittelstand
läßt sich nicht so etwas aufstellen, wie es der Grüne Plan ist. Die Verhältnisse und Erfordernisse in der mittelständischen Wirtschaft sind zu uneinheitlich, und die Interessenlage ist zu heterogen, als daß nach einem einheitlichen und festgefügten Plan verfahren werden könnte.
Weil hier behauptet wurde und mutmaßlich noch weiter behauptet werden wird, für den Mittelstand sei nichts oder zu wenig geschehen, will ich nur einen Auszug aus der Liste der Förderungsmaßnahmen für den Mittelstand anführen, einen Auszug aus der Liste der Maßnahmen, die wir im 3. Deutschen Bundestag beschlossen haben.
Erstens. Im Lastkraftwagengewerbe sind die Maße und Gewichte nach den Wünschen dieses Erwerbszweiges geregelt worden.
Des weiteren sind im Lastkraftwagengewerbe hohe Steuernachforderungen bei fehlender Konzessionsidentität gestrichen worden.
Das Kraftdroschkengewerbe ist in den Genuß der Umsatzsteuervergünstigung für Kleinbetriebe gekommen.
Durch die Reform der Gewerbeordnung sind die Wünsche von Handel und Handwerk erfüllt worden.
Duch das Apothekengesetz und das Arzneimittelgesetz sind in diesem Wirtschaftszweig klare Verhältnisse geschaffen worden.
Der Kreditplafond des Mittelstandes ist von 51 Millionen DM auf 158 Millionen DM gehoben worden, wobei erreicht worden ist, daß die ERP-Mittel für den Mittelstand im Zuge der Maßnahmen für die Entwicklungshilfe nicht angetastet worden sind.
Die Altersversorgung des Handwerks ist nach dessen Wünschen geregelt worden.
Die Altersvorsorge für die Rechtsanwälte ist in Beratung, und wir hoffen, daß sie noch in diesem Bundestag aus dem Ausschuß kommt und verabschiedet werden kann.
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Das Gesetz gegen den Werks- und Belegschaftshandel ist vom Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen worden; es ist noch nicht verkündet, weil die Frage, ob es in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz steht, noch geklärt werden muß. Wichtig ist aber bei diesem Gesetz, daß der Bundestag fast einmütig und auch der Bundesrat deklariert haben, daß diese Entartung des Handelslebens wettbewerbverfälschend und damit unerwünscht ist.
Der Bericht der Bundesregierung über die Lage der Mittelschichten vom 13. Juli 1960 gibt den Abgeordneten, den gewerblichen Verbänden und der Wissenschaft - da, Herr Lange, bin ich mit Ihnen nicht einer Meiunng, nämlich daß wir diesen Bericht unbedingt hier diskutieren müssen - die Möglichkeit, sich über die Struktur der mittelständischen Wirtschaft besser, als es bisher möglich war, zu orientieren. Ich nehme Anlaß, hervorzuheben, daß dieser
Bericht auf Ihre, meine Damen und Herren von der SPD, Initiative hin erstellt worden ist. Allerdings war das, wie ich mich erinnere, Ihre einzige antragsmäßige Initiative zugunsten des Mittelstandes.
Im Verteidigungswesen hat der Auftragsanteil der mittelständischen Wirtschaft an den dafür geeigneten Aufträgen die Quote von 45 % überschritten.
Durch den Erlaß des Bundesverteidigungsministers vom 4. Februar 1961 ist die regionale Streuung der Aufträge für das Verteidigungswesen entscheidend verbessert worden.
Im Schwerbeschädigtengesetz sind weitgehende Ermäßigungen der monatlichen Ausgleichsabgabe für kleinere Betriebe eingeführt worden.
Die Berufsordnung für Wirtschaftsprüfer und Buchprüfer ist erlassen.
Und nun zum Wesentlichsten, zu den Steuergesetzen.
Durch die Einführung des Splitting in der Einkommensteuer ist die Forderung nach der Berücksichtigung der mitverdienenden Ehefrau erfüllt.
Im Nahrungsmittelgroßhandel ist durch die Maßnahme vom Dezember 1960 der größte Teil des Nahrungsmittelsortiments von der Umsatzsteuer befreit. Zur Gänze wird diese Befreiung bei der Verabschiedung der Elften Umsatzsteuer-Novelle durchgeführt werden.
Aus dem Steuerneuregelungsgesetz von 1961 ist hervorzuheben der Freibetrag in der Gewerbesteuer; er ist auf 7200 DM erhöht worden.
In der Vermögensteuer sind so starke Erhöhungen der Freigrenze durchgeführt worden, daß eine Familie, Mann, Frau und zwei Kinder, die vordem eine Freigrenze von 30 000 DM hatten, heute eine solche von 80 000 DM haben.
In der Einkommensteuer sind die zusätzlichen Freibeträge für die Altersversorgung angehoben worden.
In der demnächst noch zu beschließenden Elften Novelle zum Umsatzsteuergesetz wird der Freibetrag für Kleinfirmen von 8000 DM auf 12 000 DM heraufgesetzt und für freie Berufe auf 20 000 DM bei Umsatzgrößen bis zu 120 000 DM.
Meine Damen und Herren! Seit 1955 haben wir bereits eine Reihe von Steuerermäßigungen eintreten lassen. Noch nie haben wir so hohe und insbesondere so auf den Mittelstand gezielte Maßnahmen durchgeführt wie diesmal. Sie betragen in dieser Legislaturperiode einschließlich der Einführung des Splitting über 2,5 Milliarden DM.
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Wer angesichts der soeben vorgetragenen Liste und angesichts der Steuerermäßigungen zu behaupten wagt, für den Mittelstand sei nichts geschehen, muß entweder blind oder böswillig sein. Diese Steuerermäßigungen sind ein guter Anfang, die Eigenkapitalbildung in der mittelständischen Wirtschaft zu verbessern, und sie haben uns auf dem Wege, die auseinanderklaffende Schere im Wettbewerb zu schließen, weitergebracht. Im kommenden Bundestag werden wir tatkräftig zu arbeiten haben, um dem Ziele noch näherzukommen. Der Aufgaben sind viele. Wir glauben, daß die Vorschläge, die in der Erklärung der Bundesregierung für eine zusammenfassende Initiative zur Förderung des gewerblichen Mittelstandes und der freien Berufe enthalten sind, eine gute Grundlage darstellen, um auf dem eingeschlagenen Weg weiterzukommen.
Ich möchte nicht behaupten, daß die Vorschläge der Bundesregierung nicht ergänzt oder bereichert werden könnten. Da ist Ihrer Initiative, meine Herren von der SPD und der FDP, Raum gegeben.
Manche zusätzlichen Probleme werden sich noch auftun; aber das, was vorgeschlagen wurde, ist sinnfällig und nützlich, damit die steuerliche Gerechtigkeit wachse, damit die Konkurrenzfähigkeit der kleinen und mittleren Betriebe zunehme und die Startgleichheit zwischen Kleinen und Großen einigermaßen ins rechte Lot gebracht werde.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle ohne weiteres, daß wir es alle ernst meinen mit dem Anliegen, die Mittelklasse unseres Volkes, den Mittelstand, zu fördern. Ich erinnere daran, Herr Kollege Lange, daß wir im Ausschuß für Mittelstandsfragen immer einträchtig diesem Ziele dienten. Übertragen wir diesen guten Willen auf unsere gesamte Arbeit!
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- Ja, recht gern. Halten wir in diesen Zielen zusammen, so werden unsere Bemühungen draußen in den Reihen der mittelständischen Wirtschaft auf Verständnis stoßen, und so werden wir der Forderung, die mittelständische Wirtschaft zu festigen, am besten dienen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Imle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Anfang und Ende jeder Legislaturperiode konzentriert sich hergebrachtermaßen der Bundestag auf das Problem des Mittelstandes. Das ist ein Zeichen dafür, daß man mit diesem Problem noch nicht zu Ende gekommen ist. Es ist nur bedauerlich, daß so viele Zeit vergangen ist, ohne daß man an eine Endlösung herangekommen ist.
Hier wurde soeben die Erklärung beanstandet, die die FDP abgegeben hat, daß die Hilfe für den Mittelstand ausgeblieben sei. Mit dieser Erklärung ist nicht gesagt worden, daß überhaupt nichts geschehen sei - das möchte ich ausdrücklich betonen -, sondern wir wollen damit sagen, daß das Ziel nicht erreicht worden ist, den Mittelstand gleichzustellen. Das läßt sich an manchen Dingen eindeutig nachweisen.
Ich bin sehr dankbar, daß hier dargelegt wurde, was erreicht worden ist: z. B. das Splitting, der Ein9420
bruch in die Gewerbesteuer mit 7200 DM, der Einbruch in die Vermögenssteuer, die Anhebung der Freibeträge für die Altersvorsorge.
Ich bin sehr erfreut darüber, daß das erwähnt wurde; denn das ist ausgerechnet auf Anträge zurückzuführen, die die FDP zum erstenmal eingebracht hat.
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Herr Kollege Wieninger, Sie haben einen Katalog all der Dinge, die erreicht worden sind, vorgetragen. Ich möchte Ihnen einen Katalog der Anträge der FDP, die abgelehnt worden sind, vortragen; das scheint mir viel entscheidender zu sein. Ich nenne folgende: Änderung der Tabelle des Einkommensteuergesetzes zugunsten der mittleren Einkommen. Bekanntlich ist im Jahre 1958 zuletzt die Einkommensteuertabelle geändert worden, und darin ist diese Ausbuchtung in den Einkommensstufen zwischen 8000 und 50 000 DM. Wir wollten eine lineare Steigerung. Das hätte zwar einen Einkommensteuerausfall von 500 Millionen DM ergeben, hätte aber andererseits eine Entlastung gerade bei den mittleren Existenzen - zwischen 20- und 40 000 DM - gebracht. Sie werden mir sicher zugeben, daß diese Unternehmen ebenfalls noch zum Mittelstand gehören.
Ein ähnlicher Antrag auf Änderung des Körperschaftsteuergesetzes wurde abgelehnt. Auch hier wollten wir eine Entlastung, in diesem Fall für die kleineren Kapitalgesellschaften, herbeiführen.
Dann haben wir einen Verzicht auf Erhöhung der Kaffeesteuer und der Teesteuer anläßlich der EWG-Maßnahmen, die auf uns zukamen, beantragt. Auf Grund dieser Maßnahmen müssen ja die Zölle abgebaut werden, während auf der anderen Seite die Verbrauchsteuern angehoben werden.
Weiter: Umstellungsbeihilfe für Tabakwareneinzelhändler im Saarland, Beförderungsteuerermäßigung im Werkfernverkehr im Saarland, Einkommensteuerermäßigung für natürliche Personen im Saarland.
Die Kindergeldregelung! Ich will diesen Punkt gleich erläutern. Sie haben vorhin gesagt, ein Prozent der Lohnsumme wäre wirklich nicht viel, in anderen Ländern müßten erheblich größere Beträge aufgebracht werden. Es ist richtig, daß in anderen Ländern mehr aufgebracht werden muß; aber deswegen braucht es ja bei uns nicht auf dem gleichen Wege zu geschehen. In dem Bericht wird noch über die lohnbezogenen Abgaben erklärt, das Aufbringen von Kindergeld gehöre zum Leistungslohn. Das ist doch wohl etwas schief gesehen, das Kindergeld muß infolge der Tatsache aufgebracht werden, daß Kinder da sind. Das hat doch mit Leistungslohn nichts zu tun. Diese Milliarde, die für das Kindergeld aufgebracht wird, muß nicht unbedingt wieder von einem bestimmten Teil des Volkes, von den Selbständigen, aufgebracht werden, sondern es sollte endlich einmal damit begonnen werden - die Freien Demokraten vertreten dieses Anliegen schon seit Jahren -, diese Leistungen aus allgemeinen Steuermitteln aufzubringen. Man braucht ja nicht einfach auf einmal diese Milliarde zu übernehmen, sondern man kann langsam abbauen, beginnend mit
0,25 %. Das sind jährlich 250 Millionen DM, die doch bei unserem großen Steuerzuwachs nicht wehtun,
({1})
- Bitte?
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- Das hat doch hiermit nichts zu tun. - Ich darf fortfahren: wir haben weiter den Wegfall aller bis zum 31. März 1960 angefallenen Ausgabenreste bis auf 2 Milliarden DM beantragt. Auch das hätte zum Anlaß einer Steuersenkung genommen werden können. Weiter haben wir beantragt: Abschreibung für Kapitalanlagen in Entwicklungsländern, Steuerbegünstigung für Kapitalansammlungsverträge, Steuerfreiheit von Überstundengrundlohn und von Überstundenzuschlägen, soweit eine wöchentliche Arbeitszeit von 45 Stunden überschritten wird, Verkürzung der Abschreibungszeiträume für Althausbesitz. Ich glaube, das dürfte reichen. Es sind noch sieben oder acht Punkte mehr, auf die sich jetzt nicht eingehen möchte. Da Sie selbst zugegeben haben, daß eine Menge nicht erreicht worden ist, ist unsere Behauptung, daß die angekündigte Hilfe ausgeblieben ist, durchaus zutreffend.
Ich möchte jetzt noch einige Worte zu dem uns vorgelegten Bericht sagen. Hier wird erklärt, daß sich der Mittelstand einer generellen Förderung entziehe, daß man also hier nur mit punktuell gezielten Maßnahmen etwas erreichen könne. - Das ist allerdings der Weg in den letzten Jahren gewesen. Gleichwohl sind wir der Meinung, daß man hier zu umfassenden Maßnahmen, zu umfassenden Überlegungen für die Teile des Mittelstandes kommen muß, wenn man ihn insgesamt erhalten will und sich zu diesem gesellschaftspolitischen Ziel bekennt, wie es ja auch - was von uns voll unterstützt wird - in der Erklärung der Bundesregierung durch den Bundeskanzler im Jahre 1957 zum Ausdruck gebracht worden ist.
In dem Bericht wird weiter erklärt, daß von allgemeiner Notlage oder Benachteiligung nicht gesprochen werden könne. Diese Behauptung ist eben schon durch die Ausführungen meines Vorredners und auch meines Vorvorredners widerlegt worden; denn wenn keine Benachteiligung vorhanden wäre, brauchte man sich mit dem ganzen Problem nicht zu befassen.
In der Erklärung wird weiter gesagt, daß die Herbeiführung einer wettbewerbsneutralen Umsatzbesteuerung vordringlich sei und die Untersuchungen mit Nachdruck fortgesetzt werden sollten. Wir müssen allerdings mit Bedauern feststellen, daß dazu auch in der vergangenen Legislaturperiode Zeit gewesen wäre. Vom Bundesfinanzministerium ist ein Entwurf herausgegeben und dann zurückgezogen worden. Wir Freie Demokraten haben ebenfalls einen Diskussionsentwurf herausgegeben. Sie sehen also, daß auch wir etwas tun.
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- Wir haben ja gar nicht gesagt, daß er Gesetz werden soll, es war ja ein Diskussionsentwurf.
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- Herr Kollege Schmücker, für die Änderung eines Umsatzsteuergesetzes bedarf es sehr eingehender Überlegungen. Das kann man nicht so übers Knie brechen, wie das manchmal bei den Gesetzen geschieht.
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Das wollen wir doch einmal festhalten. Man muß über die Dinge reden. 1934 hat man noch vier Jahre für die Verabschiedung eines neuen Umsatzsteuergesetzes gebraucht.
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Ferner wird gesagt, daß man mit dem neuen Gesetz zugleich eine Angleichung an die EWG einleiten wolle. Darüber kann man durchaus reden, und das tun wir auch, aber man kann doch wohl sagen, daß das an sich kein Grund zu einem Umbau ist; denn dazu gehört doch wohl noch mehr als nur Frankreich. Lassen Sie sich einmal von den Experten aus dem Saargebiet erzählen, wie sich dort das Gesetz ausgewirkt hat. Wenn man das weiß, muß man doch erhebliche Bedenken haben.
Unser geltendes Umsatzsteuergesetz krankt überhaupt daran, daß wir die Forderung des Schöpfers der Umsatzsteuer, des preußischen Finanzministers Popitz - Höchstgrenze 2 % -, um das Doppelte überschritten haben. Bei den wachsenden Einnahmen aus der Umsatzsteuer sollte man durchaus einmal zu einem Abbau der Steuer gelangen, nicht zuletzt u n auf diese Art und Weise ein weiteres Ansteigen des Volumens der öffentlichen Haushalte zu verhirdern. Diese Forderung scheint mir sehr wesentlich zu sein.
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- Ja, das sagen Sie, aber das trifft hier nicht zu.
Ein Wort zu dem grundsätzlichen Problem. Worum geht es hier? Im Grunde geht es bei der Behandlung von Mittelstandsfragen um unsere gesellschaftspolitischen Ziele, um unsere Gesellschaftspolitik. Wir wollen gar keine Umkehrung der Struktur, wie es hier soeben gesagt worden ist, sondern wir wollen das, was sich da anbahnt in der Struktur, nämlich ein dauerndes Hinstreben zum und ein Ausweichen auf den Großbetrieb, vermeiden. Wir wollen die Erhaltung eines, wie es in der Regierungserklärung heißt, „gesunden selbständigen Mittelstandes". Das ist keine Umkehrung der Struktur, sondern bedeutet die Beibehaltung der Struktur.
Wie sind die Dinge nun vorangegangen? Es ist schon richtig, daß auf einzelnen Gebieten und mit einzelnen Maßnahmen dem Mittelstand Vergünstigungen gewährt worden sind. Aber diese Einzelmaßnahmen - das haben wir in unserer Presseerklärung gesagt - sind ohne durchschlagenden
Erfolg, weil ihre Wirkungen durch andere Maßnahmen wieder aufgehoben werden.
Ich darf in diesem Zusammenhang auf das auch heute wieder gesprochene Gesetz über die Lohnfortzahlung eingehen. Sie können in den Tageszeitungen nachlesen, daß bereits 1350 Betriebskrankenkassen im Hinblick auf dieses Lohnfortzahlungsgesetz eine Erhöhung der Beiträge angekündigt haben. Das heißt: ich muß das, was ich im Falle der Krankheit mehr bekomme, bereits vorher durch Abführung von erhöhten Beiträgen einschließen.
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- Sie ist ja vorweggenommen worden! Das ist ja eben so bei diesen Vorschaltgesetzen: man nimmt die Vergünstigungen vorweg, und die Beitragserhöhungen kommen dann hinterher.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ruf?
Bitte!
Herr Kollege, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Belastungen durch die sogenannte Novelle zum sogenannten Lohnfortzahlungsgesetz etwa 0,3 % der Beiträge ausmachen, daß aber die Krankenkassen im allgemeinen ihre Beiträge um 1 %, manchmal sogar um 2 % erhöht haben?
Ja, eben. Infolgedessen können die heutigen Beitragserhöhungen nicht nur auf unsere Novelle zum Lohnfortzahlungsgesetz zurückgeführt werden.
({0})
- Hier wird doch darüber gestritten, indem behauptet wird, es sei keine Lohnfortzahlung. Aber es kommt auf das an, was man in der Tasche hat. Wie man das Kind nennt, ist doch gleichgültig.
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Die Krankenkassen können ja auch nicht nach 14 Tagen mit einer erneuten Erhöhung kommen, wenn sie sehen, ,daß sie nicht auskommen. Wir wollen das mal abwarten.
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- Es kommen noch mehr, wir werden sehen!
Was wir für eine Benachteiligung des Mittelstandes halten, ist das von Ihnen mit so großem Hallo angenommene Gesetz über die Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer. Wir haben damals schon unsere Bedenken dagegen vorgetragen. Wir haben erklärt, daß der Mittelstand diese Mög9422
lichkeiten nicht ausnutzen kann. Wenn weiterhin von Ihnen eine Reform des Aktienrechts gefordert wird, so darf ich darauf hinweisen, daß bereits durch die kleine Aktienrechtsreform die Belegschaftsaktien eingeführt worden sind. Das ist immerhin eine Maßnahme, deren Ausnutzung für den Mittelstand nicht möglich ist.
Ferner wird in Ihrem Programm eine Privatisierung der Betriebe der öffentlichen Hand gefordert, also wie beim Volkswagenwerk. Da hat man gerade den selbständigen Mittelstand durch die Einführung einer Begrenzung auf Einkommen bei Eheleuten bis zu 16 000 DM ausgeschlossen. Wir sollten - ,das möchte ich einmal grundsätzlich sagen - überhaupt dazu kommen, uns endgültig von hohen Grenzen oder Höchstgrenzen zu trennen. Wir bringen sonst den Mittelstand, .auf den es ja immer abgezielt ist, in die Lage, daß er gewissermaßen als der Fürsorgeempfänger der Wirtschaft angesehen wird. Man sagt immer: „Bis zu einem Umsatz von 80 000 oder 120 000 oder in ähnlichem Umfange kannst du noch von diesen Vergünstigungen Gebrauch machen, sonst nicht." Das ist doch wohl ein Hinweis darauf, daß man hier eine Zweitklassifizierung einführt. Das sollte nicht sein. Gerade das Gesetz über 'die Vermögensbildung wird uns noch außerordentlich viel Schwierigkeiten machen. Wenn wir es nämlich auf ,die Großunternehmen abstellen, sehen wir darin Ansätze und Wege zu einer kalten Sozialisierung.
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Ferner steht im Bericht selber, daß auch eine Benachteiligung gegenüber der öffentlichen Hand beim Vermögensteuerprivileg besteht. Man hat sich da sehr vorsichtig ausgedrückt, indem man erklärt, daß in dem zur Zeit vertretbaren Umfang eine Durchbrechung des Prinzips ,der Vermögensteuer stattgefunden hat. Wenn Sie sich einmal darüber mit Experten unterhalten, werden Sie feststellen, daß sich im Grunde eigentlich gar nichts ändert. Aber wir werden das später noch einmal sehr untersuchen müssen.
Als letztes noch die Vorschläge zur Änderung des Mineralölsteuerprivilegs, das im Grundsatz dazu geführt hätte, daß gerade die mittelständischen Unternehmen des Mineralölgroßhandels davon belastet und die anderen Unternehmen freigestellt worden wären.
Lassen Sie mich noch etwas über den Bericht zum Problem lohnbezogener Abgaben sagen. Der Bericht kommt in der Vorwegnahme seines Ergebnisses dazu, daß keine Empfehlung auf allgemeine Abkehr von dem gegenwärtigen System gegeben werden könne und daß es offenbleibe, ob gesellschaftspolitische Ziele die Wahl anderer Bemessungsgrundlagen erforderten. Das hat uns doch sehr bedenklich gestimmt. Denn in dieser Drucksache wird z. B. gesagt - ich darf es einmal vorlesen, Herr Präsident -:
Die Entwicklung der Löhne drängt in viel größerem Umfang als die der lohnbezogenen Abgaben dahin, daß sich die Unternehmer an die sich laufend ändernden Bedingungen anpassen müssen. Es wird auch mittelständischen Betrieben auf die Dauer nicht möglich sein, sich dieser Entwicklung zu entziehen. Eine andere Berechnung und damit Verteilung der Sozialabgaben kann diese Entwicklung nur verzögern, nicht aber aufhalten.
Jetzt kommt es:
Sollte die Wirtschaft in Zukunft erheblich weniger expandieren als im letzten Jahrzehnt und sollten wirtschaftliche Lohnerhöhungen in einem beträchtlich geringeren Umfang als gegenwärtig möglich sein, so könnten sich, wenn in der gleichen Zeit größere Erhöhungen lohnbezogener Abgaben unvermeidlich sein sollten, Anpassungsschwierigkeiten für lohnintensive mittelständische Betriebe ergeben.
Das heißt, in einem solchen Fall würden die lohnintensiven Betriebe in einen Rückstand gegenüber den kapitalintensiven Betrieben kommen.
Und auf der letzten Seite dieses Berichts steht, es könne nicht übersehen werden, daß sich die menschliche Arbeitskraft im Zuge der Entwicklung weitaus mehr über Lohn- und Gehaltserhöhungen als über Erhöhungen lohnbezogener Abgaben verteuere; in dem Ausmaß, wie man in Zukunft durch die Wahl anderer Bemessungsgrundlagen lohnintensiv arbeitende Betriebe entlaste, werde tendenziell der Übergang zu kapitalintensiveren Produktionen gemindert. Mit anderen Worten, bei einem Rückgang der Konjunktur würden alle Unternehmen, die auf lohnintensive Arbeit eingestellt sind, einen Rückgang gegenüber den kapitalintensiven Betrieben erleiden und diejenigen sein, die in erster Linie Schaden nehmen.
Es ist zuzugeben, daß auch in der mittelständischen Wirtschaft, im Handwerk ein gewisser Aufschwung stattgefunden hat. Wir sollten aber nicht vergessen, daß sich seit 1950 die Zahl der Handwerksbetriebe um 130 000, nämlich von 880 000 auf 750 000 vermindert hat. Das sollte uns doch Veranlassung geben, dieser Frage immer von neuem Aufmerksamkeit zuzuwenden.
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- Ja, aber trotzdem sind die anderen Unternehmen eingegangen.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen über die Entwicklung machen, die die Belastung mit lohnbezogenen Abgaben genommen hat, 1949 waren die Arbeitgeber - ohne Bergbau - mit 10,27 % belastet. 1959 betrug die Belastung 14,40 %, also fast 40 v. H. mehr. Das ist ausschließlich darauf zurückzuführen, daß die lohnbezogenen Abgaben auf dem Sozialsektor so erhöht worden sind.
Es wird in dem Bericht gesagt, daß bei einer elastischen Nachfrage die Sozialabgaben nicht fortgewälzt, nicht weitergegeben werden können. Es werden eine Reihe von Wirtschaftsbereichen angeführt. Wir glauben, daß die Betriebe, die diese Abgaben nicht fortwälzen können, bei einer Abschwächung im Anstieg des Sozialprodukts eine besondere Last auf sich zu nehmen haben werden.
Damit dürfte die Lage genügend gekennzeichnet sein. Es ist also zwar eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet worden, doch fehlt es an einem Gesamtstrukturbild. Ich möchte es einmal mit einem Schlagwort umschreiben: es bedarf einer Mittelstandspolitik aus einem Guß, aufgeteilt für gewerbliche Wirtschaft, Landwirtschaft, freie Berufe und Nichtselbständige. Sie haben vorhin schon erklärt, nach Ansicht Ihrer Fraktion müsse dies ein Hauptanliegen des zukünftigen Bundestages sein. Ich möchte mich diesem Wunsch anschließen und hoffen, daß den Bemühungen Erfolg beschieden sein wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Regling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat bereits gesagt, daß diese Frage scheinbar nicht von allgemeinem Interesse sei. Ich muß leider feststellen, daß der Mangel an Interesse durch alle Fraktionen geht. Vielleicht nimmt der Ältestenrat das zum Anlaß, diesen Gegenstand beim nächsten Mal nicht gerade an einem Freitag, wenn das allgemeine Bestreben besteht, möglichst schnell in die Heimatorte zu gelangen, wo ja auch noch Aufgaben auf uns warten, auf die Tagesordnung zu setzen.
Immerhin, das Thema steht heute zur Debatte; ich habe dazu folgendes zu sagen. Erst gestern wurde mir von einem Vertreter der Regierungsfraktion gesagt: Weshalb denn bloß immer wieder diese langen Debatten? Ihr habt doch gar keine Sorgen mehr; denn die einzige Sorge
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- er ist persönlich nicht anwesend - ist doch der Mangel an Arbeitskräften, und außer dem Arbeitskräftemangel habt ihr doch keine anderen Sorgen mehr! - Schön, auf den ersten Blick mag das so sein; das ist aber nur auf heute bezogen. Die Probleme, über die wir uns hier unterhalten, liegen viel tiefer. Daß wir durch den Arbeitskräftemangel heute auch andere Probleme haben, ist selbstverständlich.
Die verschiedenen Drucksachen, insbesondere die Drucksache 2012 mit 206 Seiten, liegen uns seit einigen Monaten vor. Wir haben jetzt zwei weitere Drucksachen zu diesem Problem dazubekommen, müssen uns also mit 236 Druckseiten beschäftigen. Es ist klar, Herr Kollege Wieninger, daß wir von diesem Bericht, den wir angefordert hatten, wie Sie richtig sagten, nicht erwartet haben, daß jetzt - gleichsam durch einen Druck auf den Knopf - alles besser würde. Das ist klar.
Aber der Geist, der durch diese 236 Druckseiten weht, befriedigt uns nicht. Der Bericht bringt vor allen Dingen nicht die klare Luft und die klare Sicht, die nun einmal auf diesem Gebiet nötig ist, um die Mittelstandsprobleme zu lösen, über die hier seit Jahren gesprochen wird. Ich bin der Meinung, daß das eine Drittel der Erwerbstätigen aus dem gewerblichen Sektor, das in den Klein- und Mittelbetrieben tätig ist, es verdient, daß man sich etwas mehr Gedanken um ihn macht. Wir haben in diesem Bericht eine größere Berücksichtigung der in den Klein- und Mittelbetrieben anders gelagerten Struktur erwartet. Es lohnt sich, hierüber nachzudenken und Untersuchungen anzustellen. Ich bin sogar der Meinung, das sollte eine Verpflichtung sein.
Ich will auf die Einzelheiten des Berichts, der unendlich viele Tabellen bringt und eine große Fleißarbeit darstellt, was auch ich nicht bestreiten will und wie mein Kollege Lange schon sagte, nicht eingehen. Denn wir müssen - das wird Ihnen genauso gegangen sein - sehr, sehr vieles davon zu den Akten legen. Sie interessieren also nicht. Ich will insbesondere sagen, daß uns der Geist, der durch diese 236 Seiten weht, nicht gefällt. Der Bericht bringt nicht das, was wir wollten. Zum Beispiel wird in einer Tabelle - die Tabelle wird nicht angezweifelt, das ist klar - dargestellt, wie sich die Steuervergünstigungen für den Mittelstand - ich betone: Vergünstigungen für den Mittelstand! - seit 1958 ausgewirkt haben. Man nennt aber dann Einkommensbeträge von 20 000 bis 500 000 DM und stellt die prozentualen Verbesserungen fest, die seit 1958 entstanden sind. Die Zahlen sind in Ordnung, dagegen ist nichts zu sagen. Aber, meine Damen und Herren, Sie wissen doch alle - und das dürften auch diejenigen, die diese Tabellen aufgestellt haben, wissen -, daß rund 90% der Steuerpflichtigen nur über ein Einkommen bis zu etwa 20 000 DM verfügen. Der allergrößte Teil derer, die wir wohl ohne weiteres zu der Gruppe des Mittelstandes rechnen dürfen - nicht nur rechnen dürfen, sondern müssen -, liegt also darunter.
Hier wurde soeben schon von Herrn Dr. Imle gesagt, daß diese Vergünstigung, die die Einkommensbezieher unter 20 000 DM unberücksichtigt ließ, nicht unseren Beifall finden konnte, weil man nur mit Rücksicht auf den zu erwartenden großen Steuereinnahmeausfall keine lineare Steuerermäßigung wollte. Der Beweis ist hier. Aber solche Tabellen in dem Mittelstandsbericht haben doch keinen Aussagewert; denn sie sagen nichts über die eigentlichen Gruppen des Mittelstandes aus. Das meine ich, wenn ich von dem Geist spreche, der durch diese 236 Seiten weht. Der Bericht hat nicht das Ergebnis gebracht, das wir von ihm erwartet haben.
Zu der Gewerbesteuer ist sehr viel gesagt worden. In sehr umfangreichen Darstellungen wird der Nachweis geführt, daß die Gewerbesteuer aus steuersystematischen Gründen beibehalten werden sollte und auch nicht als ungerecht empfunden werden könne. Da wird also mahnend der Zeigefinger erhoben: Bitte, ihre Mittelständler, seid doch vernünftig! Die Anfangsstaffelungen in ,der Gewerbesteuergesetzgebung entsprechen ja doch eurem Anliegen. Also warum denn immer Aufregung!
In einem Schlußsatz heißt es dann: aus gesellschaftspolitischen Gründen könne man auch zu anderen Überlegungen kommen. Dort sind wir inzwischen auch, ein entsprechendes Gesetz ist bereits verabschiedet. Ich bemängele damit auch wiederum nur, w i e die ganze Sache angepackt worden ist. In langen Ausführungen sagt man, es sei doch alles in Ordnung, und in einem Satz gibt man
punktuell nach und sagt: Schön, man kann natürlich auch anders.
Dann zu der Frage: Wer ist lohnintensiv oder nicht? Ich will die Richtigkeit der in den Tabellen genannten Zahlen nicht bestreiten. In den Debatten der letzten Jahre zu dem Thema „lohnintensive und kapitalintensive Betriebe" hieß es immer, die Belastung sei unterschiedlich, und man müsse einen anderen Weg der Besteuerung finden usw. Nach diesen Debatten kann man doch nicht Tabellen der Art bringen, wie sie in der großen Drucksache 2012 vorliegen. Auf Grund dieser Tabellen muß man tatsächlich zu dem Ergebnis kommen, lohnintensiv sei nicht das Handwerk, nein, das ist die Industrie. So muß man es jedenfalls aus den Zahlen herauslesen. Wenn man dann weiter liest, findet man selbstverständlich auch den Hinweis: Hierbei ist die Arbeitsleistung des Inhabers und auch seiner mithelfenden Familienangehörigen unberücksichtigt geblieben, denn dadurch entsteht kein Lohn. Das ist zwar alles richtig, aber damit stößt man nicht zum Kern der Sache vor.
Vielleicht hätte man die Betonung auf „arbeitsintensiv" legen müssen. Das hätte ein anderes Bild ergeben. Die Belastungen, die nur auf dem Lohn liegen, hätte man in einer zweiten Tabelle darstellen können. So ist nur diese eine Tabelle in die Welt gesetzt worden. Wir wissen doch alle um die Gefahr, daß derjenige, der nur flüchtig in eine Statistik hineinsieht, zu dem Ergebnis kommen muß, daß die Behauptungen, das Handwerk sei lohnintensiv, nicht stimmen. Gerade das habe ich an dieser Berichterstattung zu beanstanden. Sie ist nicht in sich falsch, aber sie täuscht, sie gibt ein falsches Bild. Gerade das, was ich hier angeführt habe, hätte man doch vor allen Dingen vermeiden müssen.
In der nachfolgenden Schrift über „lohnbezogene Abgaben" sind verschiedene Lösungen überprüft. Es ist wirklich schade um die Zeit, die für diese Überprüfung aufgewandt worden ist. Es ist schade um das Papier und auch um die Druckerschwärze. Wer im Hause hat denn jemals verlangt, daß man sich Gedanken dahin gehend machen solle, die Sozialbeiträge der Arbeitgeber auf die Arbeitnehmer abzuwälzen! Das hat niemand hier im Hause verlangt. Von niemandem ist von dieser Möglichkeit auch nur andeutungsweise gesprochen worden. Das stellt doch alles auf den Kopf. Überlegungen in diese Richtung sind so absolut falsch und so unnatürlich, daß man den Eindruck hat, es ging nur darum, das Papier zu bedrucken, um möglichst viel vorlegen zu können. Das ist doch nicht der Sinn der Sache gewesen.
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In Punkt 11 der Drucksache 2723 ist dann von der Übernahme des Arbeitgeberanteils auf den Staat die Rede. Das wäre aber doch eine offene Subvention des Mittelstandes. Alle Fraktionen haben hier aber immer wieder gesagt: Wir wollen keine Subventionen, wir fordern sie nicht, wir wollen nur Gerechtigkeit in die Steuergesetzgebung und auch in die soziale Gesetzgebung hineinbringen! - Deshalb ist es doch abwegig, Überprüfungen und Überlegungen darüber anzustellen, was geschähe, wenn der Staat das dennoch täte.
Die Schlußfolgerungen, die daraus gezogen werden, sind absolut richtig; aber sie wären nicht nötig gewesen. Man braucht das nicht zu untersuchen. Dann kommt man weiter zu der Feststellung, die Belastung ist gar nicht so hoch. Diese lohnbezogenen Kosten werden im Bericht abgegrenzt. Man anerkennt nur die reinen Sozialbeiträge, ,die sich untergliedern in Krankenversicherungs-, Arbeiter- und Angestelltenversicherungsund Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Schluß! Vielleicht zählt man noch die Unfallversicherung hinzu. Alle anderen Kosten möchte man nicht berühren. Aber gerade um die nicht untersuchten Kosten geht es, meine Damen und Herren!
Wir zählen auch das Kindergeld zu den lohnbezogenen Kosten; denn die Kindergeldbeiträge werden auf den Lohn bezogen. Darum geht es. Dazu heißt es einfach in einem lapidaren Satz: Beim Kindergeld liegen besondere Verhältnisse vor. Ja, bitte, das wollten wir untersucht haben, und da sind auch aus Ihren Reihen die verschiedenen Vorschläge gemacht worden, deren zahlenmäßige Konsequenzen weder von uns noch von einzelnen Abgeordneten aus Ihren Reihen belegt werden können. Das war aber das Anliegen unserer Großen Anfrage. Diese Untersuchungen sollten von der Verwaltung aus geschehen. Und da heißt es dann: Da liegen besondere Verhältnisse vor. Über das, was wir eigentlich wissen wollten, haben wir also nichts erfahren.
Genauso geht man über die Lohnsummensteuer hinweg. Ich weiß, sie wird nicht überall erhoben. Aber dort, wo sie erhoben wird, ist sie recht spürbar.
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- Wir reden ja nicht über das Erfinden, sondern über den Tatbestand. Hier geht man darüber hinweg und sagt, das sei ja gar nicht so schlimm. Gerade dadurch, daß die Lohnsummensteuer nicht überall erhoben wird, ergeben sich in den Grenzbezirken besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Wettbewerbslage. Ich wohne in einem Bezirk, der eine Lohnsummensteuer von praktisch 2 % erhebt. Im Nachbarkreis wird sie nicht erhoben. Betriebe aus beiden Kreisen liegen im Wettbewerb, da wirkt sich diese Steuer schon empfindlich aus. Hierüber sich Gedanken zu machen, das wäre schon des Schweißes der Edlen wert gewesen, wie so schön gesagt worden ist. Hier hätte man gern gehört, wie man's besser machen kann.
Wir haben gar nicht erwartet, daß man uns hier gleich einen fertigen Vorschlag auf den Tisch legt, über den sofort abgestimmt werden kann. Wir haben also gar nicht mit dem „Druck auf den Knopf" gerechnet. Aber Untersuchungen darüber, was in dieser oder jener Richtung getan werden muß, und vielleicht auch Vorschläge - vielleicht sogar mehrere -, das hatten wir erwartet. Es gibt, wie wir wissen, überall verschiedene Lösungen.
Mit dem Kapitel Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle wird dann auch so elegant umgegangen. Warum hat man nicht die verschiedenen Vorschläge untersucht, die zur Lösung dieses Problems schon vorgetragen worden sind? Ich darf daran erinnern, daß wir bei der Beratung über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle den Vorschlag gemacht hatten, mindestens bis zu einer bestimmten Betriebsgröße Ausgleichskassen einzubauen. Schön, da ist verschiedentlich Kritik angesetzt worden. Man hat gefragt: Weshalb gerade bis zu dieser bestimmten Grenze? Ich sage nochmals: Uns stehen nicht die Unterlagen zur Verfügung, um das alles zahlenmäßig zu berechnen und hier auf den Tisch zu legen. Es wäre Aufgabe der Regierung, zu sagen: So und so wird es aussehen, wenn wir entsprechend dem Vorschlag der SPD eine Ausgleichskasse dafür einrichten, und die und die Schwierigkeiten oder Ungleichheiten würden dabei zutage treten. Wir wären gar nicht böse gewesen, -wenn man uns nachgewiesen hätte: So, wie ihr es meint, geht es nicht. Aber man sagt gar nichts dazu. Das ist das, was wir zu beanstanden haben. Wir können Ihnen auch heute nicht sagen, wie man die lohnbezogenen Kosten, die hier nicht untersucht worden sind, anders umlegen kann.
Wir sind nach wie vor der Meinung, daß die besonders gelagerten Verhältnisse in den Mittel- und Kleinbetrieben bis hin zur Ertragslage hätten untersucht werden müssen. Über die Ertragslage sagt man einfach: Darüber gibt es bisher keine Statistiken. Die aber wären gerade sehr aufschlußreich für uns gewesen.
Nochmals: der Geist der Antwort auf unsere damalige Große Anfrage gefällt uns nicht. Ich will gar nicht den einzelnen Beamten, die die Kleinarbeit machen, irgendwelche boshaften Absichten nachsagen, keineswegs! Vielleicht liegt der Grund für diesen Geist darin, daß - wie es ja auch in dem neuen Mittelstandsinstitut, das hier heute schon einmal erwähnt wurde, festgestellt worden ist - heute an unseren Hochschulen tatsächlich immer noch, wenn auch nicht wortwörtlich, aber dem Sinne und Geiste nach, nach der alten Wirtschaftslehre um die Jahrhundertwende vom Untergang des Handwerks gelehrt wird. Irgendwie hat sich diese Lehre ...
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- Nicht nur Marx! Darauf wollten Sie hinaus. Nein, das haben auch andere Professoren zu beweisen versucht und gelehrt. Das wissen Sie. Aber Sie wollten den Namen Marx gern hören, nicht wahr?
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Es ist aber doch Tatsache - und das ist mir, als ich mit einigen Ministerialbeamtendarüber sprach, auch bestätigt worden -: daß dieses Gedankengut auch heute noch an unseren Hochschulen gelehrt wird. Die Referenten und Sachbearbeiter in den Ministerien, die an den Gesetzentwürfen und auch an dieser Antwort gearbeitet haben, waren einmal Hörer dieser Hochschulen. Es ist also gar nicht verwunderlich, daß mir aus dieser Einstellung heraus einmal ein sehr maßgebender Kreditsachbearbeiter sagte: „Weshalb ist esdenn überhaupt notwendig, sich um diese kleinen Betriebe soviel Sorgen zu machen; die werden doch eines schönen Tages verschwinden!" - Wenn man mit dieser Einstellung an die Bearbeitung unserer Anfrage herangegangen ist, dann konnte gar nichts anderes dabei herauskommen, dann mußte die Antwort so lauten, wie sie uns hier vorliegt. Das ist das, was wir beanstanden. Bei einer solchen Einstellung und einem 'solchen Mangel an Kenntnissen über die Zusammenhänge und auch bei dem Mangel an Bereitschaft, alldiese Probleme in einem anderen Licht zu sehen und anzuerkennen, daß die Voraussetzungen in den Klein- und Mittelbetrieben anders sind als in der Großwirtschaft, wenn also die Bereitschaft fehlt,diese neuen Gesichtspunkte bei der Gesetzgebung zu berücksichtigen, kann selbstverständlich nichts Befriedigendes dabei herauskommen.
Es 'gibt aber doch schon Ansätze. Da möchte ich nochmals das Mittelstandsinstitut erwähnen. Der Artikel von Professor Schmölders „Unser Steuersystem ist mittelstandsfeindlich" gibt einige Hinweise, in welcher Richtung man Untersuchungen anstellen könnte. Es gibt eine weitere wissenschaftliche Untersuchungdieses Institutes, sie trägt den Titel „Der versteckte öffentliche Bedarf". In dieser Arbeit steckt so viel Materialdrin, daß es wirklich lohnt, hier anzusetzen und weiter zu forschen. Hier wird wissenschaftlich nachgewiesen, daß die Klein-und Mittelbetriebe bei der Einziehung der Steuern weitaus stärker belastet werden als Großbetriebe. Diese als selbstverständlich hingenommene Inkassotätigkeit, die 'der Staat auf der Grundlage seiner Gesetze jedem Betriebsinhaber auferlegt, verursacht recht erhebliche und unterschiedliche Belastungen. Hier wird nachgewiesen, daß der Großwirtschaft pro Kopf bei weitem nicht soviel Kosten entstehen wie dem Klein- und Mittelbetrieb. Es wird nachgewiesen, daß es sich bei diesen „Nebenkosten" um Beträge handelt, die nahe bei 1 Milliarde liegen. 80 % entfallen auf die gewerbliche Wirtschaft, drei Viertel von diesem Anteil kommen aus den Klein- und Mittelbetrieben. Ich erwähne 'dais mit der Bitte, daß auch diese Gedankengänge Anlaß geben sollten, auch einmal in dieser Richtung vorzustoßen und hier den Hebel anzusetzen. Gerade hier müßte man Untersuchungen anstellen, damit ein Untersuchungsergebnis vorgelegt werden kann, mit dem man auch etwas anfangen kann.
Wenn die heutige Debatte überhaupt einen Sinn haben soll, kann es eigentlich nur der sein, die Verwaltung zu veranlassen, in den kommenden ruhigen Monaten - nicht im Urlaub - an Hand des Ergebnisses dieser heutigen Debatte weitere Untersuchungen anzustellen, damit der nächste Bundestag Unterlagen vorfindet, mit denen er etwas anfangen kann und auf deren Grundlage dann ein geschlossenes Programm für den Mittelstand entwickelt werden kann.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte vielmals um Entschuldigung, daß ich mich bei dieser Besetzung des Hauses und zu dieser späten Stunde noch zu Wort melde. Aber ich glaube, es muß zu Protokoll gegeben werden, was wir als Erwiderung zu den Ausführungen der geschätzten Vorredner zu sagen haben.
Ich möchte damit beginnen, daß ich die Besonderheit der Debatte unterstreiche. Herr Kollege Lange, auch Sie sind durchaus im Rahmen des Besonderen geblieben, denn Sie haben auf die Begründung der Großen Anfrage verzichtet. Sie haben sie aber dennoch gegeben, jedoch erst nachdem die Antwort durch den Herrn. Minister erteilt worden war.
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- Doch, der erste Teil war durchaus eine Begründung; aber das steht ja in Ihrem Ermessen, und es hat vor allem sehr viel zur Rationalisierung der Verhandlungen, also zu einer Abkürzung, beigetragen. Darf ich zunächst zwei Punkte herausgreifen! Herr Kollege Lange, ich möchte ausdrücklich betonen, daß ich weiß, daß Sie anderer Meinung sind, als Sie es hier in Worte gekleidet haben. Sie haben nämlich gesagt: Wir müssen etwas zugunsten des Mittelstandes tun.
Wer zuliebe oder zuleide einer Gruppe etwas tut, der tut genau das Entgegengesetzte von dem, was wir wollen. Er duldet nämlich das Auftreten von Interessengruppen. Wenn ich jemandem zuliebe etwas tue, dann fordere ich doch geradezu den Lobbyismus heraus. Herr Kollege Lange, gestern, als wir im Ausschuß zusammen waren, mußte ich den Ausschuß zwei- oder dreimal gegen Angriffe in Schutz nehmen, die besagten, wer nicht diesen oder jenen Vorschlägen zustimme, beweise dadurch, daß er gegen die betroffenen Gruppen sei.
Ich sage ausdrücklich, daß es der Kollege Lange sicherlich so nicht gemeint hat. Aber wir müssen uns im Interesse des gesamten Parlaments dagegen wehren, daß hier zuliebe und zuleide von gewissen Gruppen diskutiert wird.
Herr Kollege Lange hat beklagt, daß zuwenig getan worden sei. Ich meine, wir müssen bei diesen Überlegungen auch bedenken, zu welchen Maßnahmen wir als Parlament - nämlich in der Ausschußberatung - zeitlich fähig gewesen sind. Ich finde, wir würden uns ein Armutszeugnis ausstellen, wenn wir sagten, wir hätten nicht genug getan. Im Gegenteil, wir sind nicht mit dem fertig geworden, was vorgelegen hat. Mehr Einzelmaßnahmen lagen gar nicht im Rahmen der Arbeitsmöglichkeiten.
Herr Kollege Lange, alles das, was getan worden ist - nach Ihrer Meinung ist zuwenig getan worden -, ist doch durchweg bei widerstrebender Zustimmung Ihrer Fraktion durchgeführt worden. Soll ich Ihnen mal einige Beispiele nennen? Im Finanzausschuß haben wir bei der Beratung über die Befreiung des Lebensmittelgroßhandels von der Umsatzsteuer sehr erbittert gegen die Argumente Ihres Kollegen Seuffert kämpfen müssen. Nicht wahr, Frau Kollegin Beyer? Erst gestern noch hat sich Herr Seuffert hier hingestellt und hat gesagt, man werde nur widerstrebend den Vorschlägen zur Gewerbesteuer zustimmen, man bedauere, daß die 30 000Mark-Grenze nicht aufgenommen worden sei usw. usf. Diese ewige widerstrebende Zustimmung! Oder noch ein anderes Beispiel! Bei den Sonderausgaben für die Altersversorgung hat die SPD auf dem Standpunkt gestanden, daß die Erhöhung begrenzt werden sollte auf Einkommen bis zu 30 000 DM. Ein - ich habe gehört, er sei nicht Kollege von Ihnen - von Ihrer Regierung in Hamburg bestellter Senator hat in einer Debatte mit mir gesagt, man müsse sogar darauf hinausgehen, die natürlichen und juristischen Personen gleichzubehandeln.
Was will ich mit alledem sagen, Herr Lange? Das, was durchgesetzt worden ist, ist nur gegen die erhebliche Bremsarbeit Ihrer Fraktion erreicht worden. Wenn etwas getan werden muß, um jemand in der mittelstandspolitischen Begeisterung zu beflügeln, dann haben Sie in Ihrer eigenen Fraktion ein gutes und dankbares Aufgabenfeld. Dabei denke ich noch nicht einmal an Ihre ganze Partei; dann müßten nämlich noch Äußerungen von Herrn Brenner und Herrn Rosenberg hinzugezogen werden.
({1})
- Aber das sind doch Ausreden, die sich nicht lohnen! Vielleicht gehören Sie zu denen, Herr Schröter, die in ihrer mittelständischen Begeisterung beflügelt werden müssen. Das weiß ich nicht. Aber dann haben Sie meine Ausführungen natürlich geärgert.
Herr Abgeordneter Schmücker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kurlbaum?
Sind Sie nicht bereit, zuzugeben, daß gerade in der Einfügung einer Einkommenshöchstgrenze für Steuerbegünstigungen eine Mittelstandsbegünstigung liegt, weil dadurch die Steuerbegünstigung nicht den Personen mit unbegrenztem Einkommen zugute kommen kann?
Nein, Herr Kollege Kurlbaum, ich wende mich nachdrücklich dagegen erstens aus Gerechtigkeitserwägungen und zweitens, weil wir uns von Anfang an dagegen gewehrt haben, den Mittelstand nach oben oder unten abzugrenzen. Wir lassen es nicht zu, daß Sie aus dem Mittelstand eine Kleine-Leute-Sache machen.
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- Ich wiederhole das, wenn Sie es hören wollen, und zwar in Übereinstimmung mit allen Organisationen, die sich gegen diese Begrenzung gewandt haben.
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Herr Abgeordneter Kurlbaum möchte noch eine Frage stellen.
Dann möchte ich aber doch die Frage an Sie richten, Herr Schmücker: Wo hört denn
bei Ihnen der kleine Mann bezüglich des Einkommens auf? Das zu wissen, wäre für uns und für die Öffentlichkeit interessant.
Schmücker ({0}) Herr Kurlbaum, ich wiederhole das, was ich soeben gesagt habe: Wer Mittelstandspolitik betreibt und sich bemüht, den Mittelstand nach oben oder unten abzugrenzen, der ist auf dem falschen Wege. Wir müssen sehen, daß wir die allgemeinen Voraussetzungen für die selbständige berufliche Tätigkeit in jeder Größenordnung - in kleineren, mittleren und größeren Rahmen - erhalten. Das nenne ich Mittelstandspolitik.
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Eine solche Mittelstandspolitik verbietet es geradezu, Abgrenzungen vorzunehmen. Ich möchte es so sagen: Wer den Mittelstand eingrenzt, tötet ihn.
Dann wurde Klage darüber geführt, daß wir immer nur gegen die Konzentration reden und nichts tun. Der Kartellbericht sei vorgelegt, aber die Schlußfolgerungen seien nicht daraus gezogen worden. Meine Damen und Herren, wir haben uns bemüht, auch die Aktienrechtsreform zu verabschieden. Es lag einfach nicht an den Möglichkeiten dieses Hauses. Gerade die gestrige Debatte im Wirtschaftsausschuß hat doch gezeigt, daß die Vorschläge noch nicht reif sind und daß man der Regierung recht geben muß, daß man ein Gesetz wie das Kartellgesetz erst einmal eine Legislaturperiode arbeiten lassen soll. Natürlich wissen wir in dem einen oder anderen Punkt schon, was zu ändern ist. Aber, meine Damen und Herren, man muß die Dinge schon in einem etwas größeren Zusammenhang sehen, in dem Zusammenhang, Kollege Lange, den Sie selber bei der Steuergesetzgebung als notwendig anerkannt oder gefordert haben.
Konzentration hin und her, meine Damen und Herren! Wer machte denn den Vorschlag, der zur Konzentration schlechthin führt? Das ist doch Ihr Vorschlag Ihrer „Volksaktie". Stellen Sie sich doch einmal vor, daß dieser Deist-Topf geschaffen würde! Der Mann, der an der Spitze dieses Vermögens steht, hat doch mehr zu sagen als alle Wirtschaftskapitäne und der Bundeswirtschaftsminister zusammen. Wenn Sie diese Spitze erreicht haben, brauchen wir uns hier im Parlament wirtschaftspolitisch gar nicht mehr zu unterhalten. Dann entscheidet dieser Mann, der am Drücker sitzt, was in Deutschland wirtschaftspolitisch geschieht. Das ist Konzentration, und gegen diese Konzentration treten wir an.
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Nun einiges zu den Herren der Freien Demokraten! Herr Imle, Sie sprachen von der Endlösung. Nun, es hat sich etwas mit der Endlösung in der Mittelstandsfrage. Ich bin der Meinung, wir sollten der Entwicklung auf den Fersen bleiben. Aber was auch Ihre Ausführungen nicht dargestellt haben, ist, wo eigentlich der Angelpunkt der Probleme liegt. Sie haben hier wieder im Sinne von, ich möchte sagen: Bonbon-Politik gesprochen; ich will Ihnen das gleich an Einzelbeispielen beweisen.
Sie begannen mit der Umsatzsteuer und meinten sehr stolz, daß Sie als erste dem Parlament einen Mehrwertsteuervorschlag überreicht hätten. Sie wollten damit sagen, daß Sie diesmal ausnahmsweise von der Methode des Abschreibens abgekehrt seien und etwas original eingebracht hätten. Das ist richtig. Bevor aber dieser Umsatzsteuervorschlag eingereicht wurde, hat Ihr Parteimitglied Herr Zieroldt-Pritsch vor unserem Diskussionskreis Mittelstand gesprochen. Wir als Diskussionskreis Mittelstand haben damals allen Kollegen dieses Hauses, allen, auch der Opposition - vielleicht entsinnen sich noch einige -, die Schrift über diese Mehrwertsteuer zugestellt mit der Bitte, sie zu diskutieren.
Nun meinten Sie, dann hätten wir Vorschläge machen sollen. Aber Herr Imle, ich bitte Sie! Soll denn der Finanzausschuß bei der Belastung, die er heute hat, Einzelvorschläge ohne Vorklärung durch die Regierung behandeln? Dann kommen wir doch zu gar nichts mehr. Wir müssen doch verlangen, daß die Vorschläge, die uns von der Regierung und von den Fraktionen gemacht werden, durchdiskutiert sind, soweit es irgend möglich ist. Der Mehrwertsteuervorschlag, den Sie eingebracht haben, war nicht durchdiskutiert. Er stieß auf den erbitterten Widerstand des Handwerks, auf den erbitterten Widerstand des Großhandels, und zwar mit Recht; denn es ist einfach ausgeschlossen, daß Sie eine generelle Mehrwertsteuer einführen, ohne die Besonderheit des Handwerks zu berücksichtigen. Sie sprechen hier über Belastungen der lohnintensiven Betriebe. Diese Belastungen, die wir nicht übersehen, wären ja ein Kinderspiel gegenüber den Belastungen, die bei Ihrer Art von Mehrwertsteuer entstanden wären. Herr Imle, ich muß Sie schon bitten: Nehmen Sie die Probleme insgesamt und kümmern Sie sich darum, wie die Auswirkungen sind!
Da ich gerade bei der Lohnbezogenheit bin, Herr Imle, will ich Ihnen auch darauf eine Antwort geben. Ich wüßte z. B. einen Vorschlag. Ich gebe aber auch zu, er ist nicht bis zum letzten durchdiskutiert. Aber ich will ihn einmal nennen. Es ist der Vorschlag, daß man bei ,der Mehrwertsteuer die Investitionen nicht berücksichtigt. Ja, Herr Starke, jetzt komme ich auf des Pudels Kern. Hier wird immer gesagt, man solle die lohnintensiven Betriebe entlasten. Aber dann müssen es doch die anderen bezahlen. Meine Damen und Herren, sagen Sie das offen, aber holen Sie sich nicht nur die Beschwerden so eine nach der anderen, sondern ziehen Sie dabei auch die Konsequenzen! Ich meine, das sei keine aufrechte, keine innerlich wahre Politik, wenn man verschweigt, wer zahlen soll. Überlegen wir uns einmal den Gedanken, ob wir nicht die stärkere Belastung der lohnintensiven Wirtschaft anderweitig ausgleichen können! Aber wenn wir das wollen, meine Damen und Herren, dann müssen wir es offen aussprechen, auch zu einem so ungünstigen Termin wie heute, da wir kurz vor den Wahlen stehen.
Dann haben Sie davon gesprochen, daß die Zahl der Handwerksbetriebe zurückgegangen ist. Das liegt zum ersten daran, daß wir damals eine große Anzahl von Betrieben hatten, die von überalterten
Inhabern geführt wurden; das ist also ein ganz natürlicher Abgang. Zum zweiten liegt es daran, daß die Inhaber kleinerer Betriebe auf Grund der Marktlage die Möglichkeit hatten, ihre Betriebe zu erweitern. Wenn Sie nun behaupten, daß ein Handwerker, ein Alleinmeister mit einem Gesellen - ({3})
- Entschuldigen Sie, ich bin doch noch nicht fertig, ich kann nur eines nach dem anderen sagen. - Wenn Sie nun überlegen, welche Möglichkeiten heute ein Alleinmeister, sagen wir einmal, mit einem Lehrling, oder ein Alleinunternehmer hat, so ergibt sich doch gerade aus der sozialen Belastung, die ihn nicht trifft, daß der Bewegungsraum für ihn größer ist. Es ist also das Gegenteil von dem richtig, was Sie hier behauptet haben.
Ich meine, das mußte hier wenigsten angeführt werden, wenn es auch vor halb leerem Hause geschieht; das Protokoll muß es wenigstens registrieren.
Sie haben über Vermögensbildung gesprochen, Herr Kollege Imle, über die Ergebnisbeteiligung. Nun, wir kommen doch gar nicht daran vorbei, daß wir die Vermögensbildung verbessern. Wir überlegen uns doch dauernd: Wie können wir den Anteil der Arbeitnehmer erhöhen, aber gleichzeitig dafür sorgen, daß diese Gelder investiert werden? Meine Damen und Herren, das ist ein gesamtwirtschaftliches Problem, dem sich auch der Mittelstand zu stellen hat, und ich bin in jeder Versammlung bereit, diese Dinge zu vertreten.
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Denn was ist die Folge, wenn wir an diesen Dingen vorbeigehen? Investiert werden muß. Wenn es nicht über die Beteiligung, die Aufnahme von neuem Kapital also, gemacht wird, wird es über den Preis gemacht; und was das für Auswirkungen hat, können Sie sich doch ausrechnen. Dann geben die Ergebnisse einzelnen Unternehmern die Möglichkeit, am Arbeitsmarkt, am Kapitalmarkt, am Warenmarkt zu tun, was sie wollen.
Also, meine Damen und Herren, so billig kommen Sie nicht davon, daß Sie sagen: Die Leute stöhnen darüber, weil sie etwas zahlen müssen. Natürlich stöhnen sie darüber. Aber wir müssen das Gesamtproblem sehen, und wir müssen bedenken, daß die 80 % Arbeitnehmer, die wir haben, d i e Kundschaft des Mittelstandes schlechthin sind, und daß es, je besser es diesen Menschen geht - auch in sozial schwieriger Lage -, um so besser auch den Mittelständlern geht. Das ist etwas, was zusammengehört. Die Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik aus einem Guß, das ist immer unsere These gewesen, die Sie leider noch nicht begriffen haben. Wenn ich Parteipolitiker wäre, könnte ich sagen: Gott sei Dank; sie werden das ja bei dem Ergebnis draußen entsprechend spüren.
Nun möchte ich aber doch noch einen Punkt hier herausstellen, der deutlich machen soll, daß unsere Mittelstandspolitik Bestandteil unserer wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Überlegungen insgesamt ist. Es ist natürlich prächtig, in eine Versammlung zu gehen und über Familienlastenausgleich zu reden. Schade, daß man nicht mehr über Ladenschluß reden kann; es war immer so nett; wenn man nicht zurechtkam, sprach man über Ladenschluß, dann stritten sich die Leute untereinander. Man kann über all diese Dinge sehr prächtig reden, weil jeder unmittelbar betroffen ist. Ich behaupte aber, daß die eigentlichen Probleme viel tiefer liegen. Die Benachteiligung des Mittelstandes, wenn man so will, liegt darin, daß er an vielen Möglichkeiten, an vielen Vorteilen, die andere gebrauchen können, nicht teilnehmen kann.
Ich möchte zusätzlich dartun, daß dieses Problem nicht ausdiskutiert ist. Man kann es hier ansprechen; aber niemand von uns ist in der Lage, bereits einen Gesetzentwurf vorzulegen, und wenn ich dieses Problem anspreche, tue ich es durchaus mit der Bitte, mich nicht endgültig auf das festzulegen, was ich hier sage; es ist ein Diskussionsbeitrag zur Debatte in ihrem gegenwärtigen Stand.
Meine Damen und Herren! Der Unterschied zwischen der natürlichen und der juristischen Person ist nach meiner Meinung in der Gesetzgebung, in 'der Verwaltung, vor allen Dingen in der Steuergesetzgebung noch nicht ausreichend berücksichtigt. Worin liegt der Unterschied? Er liegt darin, daß der eine die Möglichkeit hat, begrenzt - sowohl kapitalmäßig begrenzt als auch zeitmäßig begrenzt - ins Risiko zu gehen, während der selbständige Unternehmer sein gesamtes Vermögen nicht nur zum Zeitpunkt des Geschäfts, sondern bis zu seinem Todestag einzusetzen hat. Und mit dem Wort „Todestag" ist das zweite gesagt. Mit der juristischen Person ist die Fiktion aufgestellt, daß hier eine Unternehmensform besteht, die nicht durch Erbwechsel, will ich einmal sagen, ja noch nicht einmal durch den Verkauf der Besitztitel in der Kontinuität des Betriebes unterbrochen wird.
Meine Damen und Herren, diese beiden Tatbestände haben sich als sehr schwerwiegend herausgestellt. Die Vorteile, die sich für die juristische Person ergeben, werden durch die Doppelbesteuerung nicht ausgeglichen, abgesehen davon, daß diese Doppelbesteuerung oft gar nicht effektiv ist. Wenn ich nämlich in der Lage bin, sagen wir einmal, praktisch als persönlicher Unternehmer in der Form einer größeren Aktiengesellschaft tätig zu werden, bin ich der eigentlichen Verpflichtung, die ich als persönlicher Unternehmer habe, nämlich mit vollem Kapital und bis zu meinem Lebensende zu haften, ausgewichen, und ich kann hinsichtlich der Besteuerung durchaus einen Weg finden, daß ich nicht schlechter fahre, als wenn ich die Dinge als selbständiger Unternehmer betreibe. Ich will gar nicht über diese Abnormitäten der GmbH und „Co" und all diese Dinge sprechen.
Hinzu kommt, daß die Doppelbesteuerungsabkommen Unterschiede geschaffen haben, die geradezu grotesk sind. Wenn Sie heute morgen den Geschäftsbericht einer bestimmten Autofirma gelesen haben, meine Damen und Herren, ist Ihnen das wieder deutlich geworden. Aber ich bin nicht der Meinung, daß jemand von uns 'schon in der Lage ist, einen endgültigen Vorschlag zu machen. Wohl bin
ich aber der Auffassung, daß die Beschwerden auf Grund dieser Mißstände nicht einfach, ich möchte sagen, feuilletonistisch behandelt werden dürfen, daß man sich über Kindergeld, Lohnbezogenheit oder irgendwelche anderen Dinge verbreitet. Man muß die Ursachen offen angehen und über sie diskutieren. Ich hoffe ,daß es uns gelingen wird, in den nächsten Jahren zu einem Ergebnis zu kommen.
Ich persönlich gehe so weit - ,das mag übertrieben von mir sein; ich sage auch ausdrücklich: ich persönlich -, daß man erwägen und darüber diskutieren sollte, es niemand zu erlauben. wenn er etwa zwei Drittel der Aktien an einem Unternehmen hat, den Besitz in dieser Weise zu handhaben, daß der eigentliche Sinn der Gesellschaftsform umgangen wird. Ich gehe noch darüber hinaus und gebe zu erwägen, ob nicht Wertpapiere nur im Besitz von natürlichen Personen sein dürften. Das alles sollte man einmal überdenken.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß damit die Distanz von dem neuen wirtschaftlichen Kurs der Sozialdemokratie sehr deutlich gemacht worden ist.
Ich möchte zusammenfassen. Wir stehen vor sehr, sehr schwierigen wirtschaftspolitischen Diskussionen und Entscheidungen. Viele Dinge, die einige von uns schon gespürt oder im eigenen Betrieb erfahren haben, sind der Allgemeinheit erst durch die Vollbeschäftigung und all ihre Folgen deutlich geworden. Ich möchte sagen: die Vollbeschäftigung ist ein großer Erfolg. Man muß aber wissen, daß mit einem Erfolg stets neue Probleme entstehen. Wir werden versuchen, sie zu lösen.
Sie können, meine Damen und Herren, Vorwürfe erheben. Sicherlich haben wir nicht alles geschafft. Aber das, was die Bundesregierung und die sie tragende Fraktion der CDU/CSU zusammen mit dem Wirtschaftsminister getan haben, erfüllt uns mit Stolz, und wir sind bereit, jederzeit vor die deutsche Öffentlichkeit, insbesondere vor den deutschen Mittelstand, zu treten.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn auch die Besetzung des Hauses nicht gerade ein übermäßiges Interesse an dieser Aussprache erkennen läßt - insbesondere in den Reihen der antragstellenden Partei, der Opposition -, so möchte ich doch einige Worte sagen und mit Zahlen dokumentieren, wie die Dinge eigentlich liegen.
Ich glaube, Kollege Schmücker hat völlig recht, wenn er darauf hingewiesen hat, daß sich die Wirtschaftspolitik nicht aufteilen läßt in eine Wirtschaftspolitik für soundsoviele Industriezweige, für soundsoviele Handwerkszweige, für Handel und dergleichen mehr, sondern daß die Wirtschaftspolitik immer nur vom Ganzen - also umfassend - gesehen und gehandhabt werden kann. Allerdings werden unter bestimmten Kriterien für die Aufrechterhaltung, ,den Schutz und das Gedeihen des Mittelstandes je nach der Situation - man muß da beweglich sein - da oder dort gewisse Maßnahmen erforderlich sein. So haben wir auch tatsächlich gehandelt. Das ist mannigfach zu beweisen. Die Gesetzgebung dieser ganzen Legislaturperiode ist eine fast lückenlose Beweiskette dafür, wie sehr wir uns nach dieser Richtung hin bemüht haben.
Was Mittelstand und Konzentration anlangt, so werden Sie nicht bestreiten können, daß der Bericht des Bundeskartellamtes in fast schonungsloser Offenheit auf alle Tatbestände hinweist, die möglicherweise zu einer Gesellschaftskritik Anlaß geben können. Die Bundesregierung hat von sich aus schon zu erkennen gegeben, daß sie willens ist, in der nächsten Legislaturperiode eine Novellierung vorzunehmen. Das Gesetz ist bekanntlich am 1. Januar 1958 in Kraft getreten, und bei einem Gesetz von solcher gesellschaftspolitischer Tragweite ist es einfach ein Gebot der Verantwortung, hinreichende Erfahrungen zu sammeln.
Aber, meine Damen und Herren! Ziehen wir einmal Bilanz über das Ergebnis der mittelständischen Politik - wenn ich das jetzt einmal herausgreifen oder isolieren und bechränken darf - am Beispiel etwa des Handwerks und des Einzelhandels.
Ich darf als Vergleichsmaß vorausnehmen, daß die deutsche Industrie in diesen vier Jahren - das heißt in dieser Legislaturperiode, die wir jetzt beenden - eine Steigerung ihrer Umsätze von 41,5 % zu verzeichnen hat - innerhalb von vier Jahren bestimmt ein stolzes Ergebnis. Nun der Einzelhandel: er hat seine Umsätze in den gleichen vier Jahren von 71 auf 91 Milliarden gesteigert. Das ist eine Zunahme um 34,5 %. Das Handwerk hat seine Umsätze von 60 auf 81 Milliarden gesteigert. Das ist eine Steigerung von 42 %. Wenn es eine Regierung mit ihrer Politik fertigbringt, innerhalb einer Legislaturperiode die Umsätze des Mittelstandes um rund. 40 0/o zu steigern, dann ist jedenfalls die Behauptung, daß am Ende der Legislaturperiode die Verhältnisse schwerer und bedrängender erscheinen als zu Beginn der Legislaturperiode, widerlegt. Im Gegenteil, es ist der Gegenbeweis geführt!
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte jetzt ganz kurz noch zum Schluß einiges im Namen meiner Fraktion sagen, insbesondere natürlich zu dem, was Herr Kollege Schmücker gesagt hat. Wir sind nicht ganz zufrieden über den Verlauf der Diskussion. Vor allem sind wir der Ansicht, daß der sehr große Optimismus, mit dem Sie, Herr Kollege Schmücker, am Schluß gesprochen haben und der nun gewissermaßen das Schlußzeichen ,dieser Debatte ist, nicht ganz am Platze ist. Wenn man so optimistisch wie Sie sein könnte, daß so beinahe alles getan wäre, was eben nach menschlichem Ermessen getan wer9430
den kann, dann wäre ja wirklich diese Debatte überflüssig gewesen. Ich glaube aber, daß sie es nicht war.
Es ist gut, ,daß wir noch einmal die Gelegenheit haben, bevor der Bundestag jetzt in wenigen Tagen auseinandergeht, ,darauf hinzuweisen, daß zwischen dem, was .das gesellschaftspolitische und mittelstandspolitische Programm der Bundesregierung war, und dem, was in den vier Jahren auf diesem Gebiet erreicht worden ist, eine Diskrepanz besteht.
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- Sie mögen nicht dieser Meinung sein; wir sind dieser Meinung.
Ich hatte allerdings den Eindruck - und nun darf ich Ihnen das zurückgeben -, daß eine Reihe von Ihnen selbst dieser Ansicht ist; denn wenn ich die Erörterungen über das Mittelstandsprogramm lese, das jetzt von der CDU aufgestellt wird - diese Erörterungen sind mir irgendwie zugegangen; ich weiß gar nicht, woher ich sie habe -, stelle ich fest - ich lese es mir aufmerksam durch -, daß dort Dinge genannt sind, die man auch seinerzeit, im Jahre 1957, gefordert hat. Das sind nicht alles Fragen, wie etwa beim Kartellgesetz, von dem der Herr Bundeswirtschaftsminister soeben sprach. Dort kann man sagen, man muß nun erst einmal die Praxis für eine Weile beobachten. Dafür kann man sehr viel Verständnis haben.
Es ist sicher sehr schwierig - das möchte ich zu dem sagen, Herr Schmücker, was Sie ausführten -, unser Umsatzsteuerproblem zu meistern. Wir sind uns natürlich auch dessen bewußt, daß der Wunsch, das jetzige System zu halten, weil es das einfachste ist, und die Umsatzsteuer zu senken, 'berechtigt ist. Wir sind auf diesem Wege nicht vorangekommen. Die Anträge der FDP, die dabei immer zitiert werden, nützen uns ,dabei natürlich nicht sehr viel, aus dem ganz einfachen Grunde, weil unabhängig von diesen Anträgen, die abgelehnt oder nicht behandelt worden sind, Ihre eigenen Anträge und die Entwürfe der Bundesregierung zum Haushalt zu Ausgaben geführt haben, die eine solche Senkung nicht zugelassen haben. Dann braucht man doch über das, was nicht geworden ist, gar nicht zu reden. Es steht eben fest, daß man auf diesem Wege offensichtlich nicht vorankommt.
Nun ein Wort zu dem berühmten Gesetzentwurf, von dem Sie gesprochen haben. Damals mit ZieroldPritsch ist Ihnen ein ganz kleines, aber für uns nicht unwichtiges Versehen unterlaufen. Und ich bin, glaube ich, der Mann, der das hier ruhig sagen kann, weil ich mich sehr darum bemüht habe, daß dieser Entwurf eben nicht als Antrag im Parlament eingebracht wurde. Es ist eben kein Antrag und keine Drucksache geworden.
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- Nein, er hat gesagt, wir hätten ihn veröffentlicht. Sie sagen, wir hätten ihn ins Parlament eingebracht.
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Das ist wichtig Die Schlußfolgerungen, die Sie daran knüpften, sind eben nicht ganz richtig, weil meine damalige Anregung - im übrigen noch von einem kurzen Krankenlager aus - war: Bringt diesen Entwurf nicht als Antrag ein! Auch wir waren der Meinung, daß er - insbesondere gerade in bezug auf das Handwerk - nicht vollkommen ist.
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Ich kann dafür jederzeit den Beweis antreten; denn in den Diskussionen mit Zierold-Pritsch habe ich immer gesagt: In diesem Punkt ist der Entwurf nicht ausgereift. Was wir wollten, war doch nur, eine Resonanz dadurch zu erzielen, daß etwas von einer Partei veröffentlicht wurde, ohne daß wir uns - wir haben das seinerzeit auch im Vorspann gebracht - voll damit identifizierten.
Ich komme nun zu einem Problem, das man sehr schwer angreifen kann. Ich will mich bemühen, es ganz vorsichtig zu tun und damit nicht etwa dem Berufsbeamtentum in Westdeutschland zu nahe treten. Aber ich stelle fest, daß Ihnen - von der Regierungspartei - eben die Ministerien einmal in einem viel größeren Ausmaß zur Verfügung stehen als uns und daß es gar nicht so ganz einfach ist, mit den Beamten dieser Ministerien über Sachfragen zu sprechen; weil eine gewisse Befürchtung besteht, daß solche Gespräche mit Abgeordneten, die nicht ihrer Partei angehören, nicht sehr gern gesehen werden. Das dürfen Sie nicht vergessen. Eine solche Zusammenballung von Sachverständigen und Kenntnissen - z. B. in der Frage der Umsatzsteuerreform - wie in einem Ministerium oder in mehreren Ministerien, die gibt es nicht ein zweitesmal. Deshalb liegt die Verantwortung dafür, daß es nicht zu einer Reform gekommen ist, mehr bei Ihnen als bei denen, denen Sie jetzt so kaltblütig sagen: Hättet Ihr doch einmal - aus der kalten Hand - Entwürfe vorgelegt!
({4})
Das ist nicht so einfach. Wir sind nicht in der Lage, in jeder Frage, die sich uns stellt, sofort an das Ministerium heranzutreten und unter „Eilt!" die notwendigen sachlichen Unterlagen zu bekommen.
({5})
- Ich wollte nur darlegen, warum das für die anderen so schwierig ist. Wir Freien Demokraten brauchen uns da gar nicht als besonders dumm hinzustellen. Wir sehen ein, daß die Behandlung solcher Fragen ohne die Ministerien gar nicht möglich ist.
Ein Zweites, und auch da bin ich nicht ganz mit Ihnen einig. Sie haben gesagt: Man muß das Problem überdenken. Das ist es doch nicht! Ist das, was Sie da gesagt haben, innerlich wahrhaftig? Wissen Sie nicht genauso wie wir, daß die Umsatzsteuerreform effektiv nicht kommen sollte?
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Es hat doch nicht nur an den Schwierigkeiten gelegen, sondern vielmehr daran, daß man die Reform nicht wollte.
({7})
Man hätte sie doch mindestens in Form eines Entwurfs dem Parlament vorlegen können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Dr. Starke, ist es Ihnen nicht bekannt, daß zwei maßgebende mittelständische Vertretungen bis vor zwei, drei Monaten noch nicht ihre Zustimmung zu dem Mehrwertsteuer-Vorschlag geben konnten - ich sage ausdrücklich: geben konnten -?
Hier kommt es sehr auf die Feinheiten an. Man kann darüber nicht global, generell reden. Ich habe nicht gesagt, daß dieser Entwurf angenommen werden müsse, ich habe nur gesagt: es sind nicht nur sachliche Schwierigkeiten, die dazu geführt haben, daß kein Entwurf im Parlament eingebracht werden konnte. Das lag vielleicht nicht an Ihnen, nicht an einigen, aber es fehlte der politische Wille, der entscheidend ist, wenn in unserer Bundesrepublik etwas getan werden soll.
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Dieser politische Wille hat gefehlt, und das ist eben das Problem der Umsatzsteuerreform.
Das gilt aber nicht nur für das Gebiet der Umsatzsteuer. Ich erinnere nur an das Schicksal der Krankenkassenreform. Wir wissen um die Gründe, warum Sie so viele Reformen bei der mangelnden Homogenität der Auffassungen in Ihrer Partei gar nicht in Angriff genommen haben, u. a. die Umsatzsteuerreform. Da mangelt es an dem geschlossenen politischen Willen, der solche Reformen ermöglicht. Das wollen wir zum Ausdruck bringen. Dieser Verantwortung können Sie sich nicht entziehen. Damit sind Sie doch nicht irgendwie schlechte Menschen. Nur politisch haben Sie in diesen Reformfragen für unsere Begriffe - und das denken weite Kreise der Bevölkerung - versagt. Das muß man doch einmal sagen.
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- Sie haben doch acht Jahre die Mehrheit dafür gehabt!
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- Herr Schmücker, natürlich haben Sie den nicht, und wir haben ihn auch nicht. Aber die Kunst der politisch Führenden ist es doch, trotzdem, ohne Fraktionszwang, so etwas zu machen. Auf diesem Gebiet der Reformen haben Sie versagt; das ist unsere Feststellung. Diese Feststellung ärgert Sie, und sie muß Sie mit Recht ärgern.
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Nun mögen Sie 'sagen: das Wort „versagt" ist ein großes Wort. Aber ich benutze es bewußt einmal bezüglich der Umsatzsteuerreform, weil die Zeit dieses Parlaments sich dem Ende nähert. Da kann man ein solches Wort als Überblick und Rückblick auf vier Jahre einmal sagen.
Sie haben selber gesagt - das wissen wir alle -: „Wir sind in Schwierigkeiten, wir stehen vor wirtschaftspolitischen Entscheidungen." - Hier darf man doch einmal ganz nüchtern sagen - das haben Sie wohl anklingen lassen wollen, Herr Schmücker -: wirtschaftspolitische Entscheidungen sind nicht nur solche, .die etwa währungspolitische Fragen betreffen - die mich persönlich auch sehr interessieren - und nicht nur andere große Fragen. Eine - und das haben Sie doch gemeint - ganz große wirtschaftspolitische Entscheidung, die vor uns steht, betrifft die Mittelstandsfragen, die Einfügung des Mittelstandes in die dynamische Entwicklung nach dem Zusammenbruch, die Einfügung ides Mittelstandes in die dynamische Wirtschaftspolitik des Herrn Bundeswirtschaftsministers, für die wir, wie Sie wissen, immer sehr viel Verständnis haben, für die wir seinerzeit mitgekämpft haben. Und wenn wir in diesen Schwierigkeiten sind, dann müssen Sie es uns als Opposition gestatten, daß wir dabei auf Abhilfe drängen und daß wir zur Entscheidung drängen.
Die mangelnde Reformfreudigkeit der Regierungspartei, über deren Gründe ich mir einiges zu sagen erlaubt habe, führt dazu, daß diese Entscheidungen nicht getroffen werden. Wir werden am 30. Juni, am letzten Tage in diesem Hohen Hause, in der Frage der Agrarpolitik vor genau 'demselben Dilemma stehen. Die mangelnde Entscheidungsfreudigkeit, die mangelnde Möglichkeit, politisch geschlossen in diesen Fragen aufzutreten, hat dazu geführt, daß wir am Ende ,der Zeit dieses Parlaments - heute beim Mittelstand und am 30. Juni bei der Agrarpolitik - vor der Tatsache stehen, daß Reformen ausgeblieben sind, daß Entscheidungen nicht gefällt werden, weil man sie politisch nicht wagt.
Ich möchte nun, Herr Schmücker, noch auf etwas anderes kommen, und zwar 'deshalb, weil es mir gestern abend an einem anderen Ort von einem Kollegen von Ihnen aus der CDU, allerdings in einem etwas anderen Zusammenhang, gesagt worden ist. Sie haben gesagt: Wir sind noch nicht zum Ende gekommen mit dem Durchdenken dieses Problems und wir müssen das noch weiter klären. - Es ist Ihr gutes Recht, das zu sagen. Politisch es zu verantworten vor der Bevölkerung, ist natürlich dann genauso Ihre Pflicht. „Wir können" - so haben Sie gesagt - „noch kein Gesetz machen in diesen Fragen, die den Mittelstand betreffen; da sind zu viele ungeklärte Dinge darin." Ich habe mir notiert - als Stichwort -: kein Gesetz f ü r den Mittelstand. Gestern abend habe ich mit einem Kollegen Ihrer Fraktion über das Gesetz zur Vermögensbildung diskutiert. Da habe ich die Bedenken - das ist Ihnen allen bekannt, das brauche ich nicht zu wiederholen -, die ich für meine Fraktion vorgebracht habe, vorgetragen. Da ist mir etwas ganz anderes erwidert worden. Da ist mir gesagt worden: Man muß in der Gesetzgebung auch einmal Mut ha9432
ben, auch wenn noch nicht alles geklärt ist, auch wenn man noch nicht ganz weiß, wie es ausgeht. Da muß man einmal, wie man so schön sagt, das Herz über die Hürde werfen.
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- Herr Schmücker, jawohl! Das war, als Sie dieses Wort gesprochen haben, auch eine Situation, in der die CDU - und Sie mit - sehr mutig ihr Herz über die Hürde geworfen haben. Heute allerdings
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- das war falsch! -, heute haben Sie gesagt - das brauche ich gar nicht zu wiederholen, da Sie es jetzt selber zugeben -: „Wir möchten es auch gern ändern: die Aufbringungsseite beim Kindergeld." Nun haben Sie den Mut bei Steuerreformen nicht. Aber, Herr Kollege, ich bitte Sie: bei der Vermögensbildung haben Sie den Mut wieder gehabt! Warum haben Sie denn den Mut, das Herz über die Hürde zu werfen, immer nur dort, wo es darum geht, die Lösung der mittelständischen Probleme zu erschweren?
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Haben Sie doch auch einmal den Mut, Ihr Herz über die Hürde zu werfen, wo es dem Mittelstand nützt! Es kann doch niemand bestreiten, daß die Lösung des Problems der Lohnbezogenheit der Sozial-Abgaben, die Lösung des Problems der Lohnintensität durch das Kindergeldgesetz und durch das Gesetz über die Vermögensbildung noch erschwert wird. Bei real gegebenen Schwierigkeiten beweist man in dem einen Fall Mut, und zwar auch da, wo man erkennt, daß er nicht am Platz ist, weil die Regelung falsch ist - nämlich bei der Kindergeldgesetzgebung und heute bei dem Gesetz über die Vermögensbildung -, und in anderen Fällen, wo es dieses Mutes dringend bedürfte, nämlich gegenüber der Umsatzsteuerreform und gegenüber der Frage der Lohnbezogenheit, da bringt man ihn nicht auf und verschiebt die notwendige durchgreifende Regelung. Unterstellt einmal, man müsse diese Regelung tatsächlich verschieben, dann gilt das um so mehr für die Regelung der anderen Fragen, wo solche Mutbezeugungen die Lösung der Probleme in der Zukunft erschweren.
Zu den Problemen, um die es uns geht, haben Sie, Herr Kollege Schmücker, eine ganze Reihe von Gedanken geäußert. Ich will darauf jetzt nicht im einzelnen eingehen; einfach deshalb, weil wir wissen, daß wir uns im nächsten Bundestag wieder darüber werden unterhalten müssen, und weil es keinen Zweck hat, jetzt Gedankensplitter zu diesen wichtigen Problemen vorzutragen. Das Problem für uns ist, wie ich bei der Beratung des Vermögensbildungsgesetzes schon einmal gesagt habe und wie ich in der Mittelstandsdebatte wiederholen möchte, ob der soziale Fortschritt, den nicht nur Sie, sondern auch wir und andere wollen, auf dem Weg über die Betriebe erreicht werden kann. Diese Auffassung liegt ja offenbar den genannten Gesetzen zugrunde. Wir sind der Meinung, daß das nicht geht. Diese Gesetze ändern nach dem Zweck die Struktur unserer Wirtschaft und Gesellschaft in einem Sinne, den
wir für nachteilig halten und der auch im Gegensatz zu dem steht, was die Regierungserklärung von 1957 für den Mittelstand angekündigt hat.
Angesichts der Tatsache, daß Sie diese Wege beschreiten - mit dem Mut auf der einen Seite und mit dem Mangel an Mut auf der anderen Seite -, bleibt nur übrig, der Notwendigkeit eines sozialpolitischen Lastenausgleichs ins Auge zu sehen. Dieser zur Erhaltung des Mittelstandes erforderliche sozialpolitische Lastenausgleich wird das Problem der nächsten Legislaturperiode sein. Es nützt nichts, hier davon zu sprechen, daß der eine oder andere mittelständische Zweig sich gar nicht erhalten lasse und daß andere Zweige neu auftauchten. Es geht um die Gesamtfrage. Vermögensbildung, sozialpolitischer Fortschritt über den Betrieb in der Stärke und Intensität, wie es in den letzten Jahren verfolgt worden ist, ist nicht möglich ohne eine nachteilige Veränderung der Struktur unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Für uns ist das deutsche Gesellschaftsbild ein Bild, welches sehr maßgeblich von den mittelständischen Kreisen bestimmt wird. Das sollte auch in Zukunft so sein.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kurlbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Bemerkungen zu dem machen, was der Kollege Schmücker und der Herr Bundeswirtschaftsminister in diesem Zusammenhang zu allgemeinen wirtschaftspolitischen Problemen gesagt haben.
Herr Professor Erhard hat über den Bericht des Bundeskartellamtes gesprochen, dessen Offenheit auch wir begrüßt haben. Zweitens hat der Herr Bundeswirtschaftsminister eine Zusage für eine Novellierung des Kartellgesetzes in der nächsten Legislaturperiode gemacht. Meine Fraktion begrüßt diese Zusage auf das lebhafteste. Denn wir sind es ja gewesen, die sich schon frühzeitig sehr bemüht haben, Vorschläge für eine Novellierung zu machen, und wir sind besonders stolz darauf, daß diese Novellierung in Zukunft, wie heute schon erkennbar ist, zweifellos in dieselbe Richtung gehen wird, in der unsere Kritik bei der Verabschiedung des Gesetzes zum Ausdruck gekommen ist.
Weiterhin hat der Herr Bundeswirtschaftsminister auf die Umsatzentwicklung bei der Industrie, beim Einzelhandel und beim Handwerk hingewiesen. Ich glaube, daß man der tatsächlichen Entwicklung dieser verschiedenen Wirtschaftszweige nicht gerecht werden kann, wenn man sie allein unter dem Gesichtspunkt der Umsätze betrachtet. Der entscheidende Gesichtspunkt für die Beurteilung der zukünftigen Chancen der einzelnen Wirtschaftsbereiche liegt in der Entwicklung der Erträge und liegt in der Entwicklung der Vermögenszusammenballung bei den einzelnen Wirtschaftszweigen. In dieser Beziehung haben wir allerdings die allergrößten Sorgen.
Wir bedauern, daß es eine zeitnahe Statistik über die Vermögensverteilung in der Bundesrepublik heute nicht gibt. Zweifellos hat es die Bundesregierung zu verantworten, daß es eine solche zeitnahe Statistik nicht gibt. Es gibt aber immerhin einige Ziffern, die uns zu Bedenken Anlaß geben. Wir haben eine Körperschaftsteuerstatistik, die ausweist, daß ein Hundertstel der 15 000 Kapitalgesellschaften, die wir in der Bundesrepublik haben, nämlich nur 150 Kapitalgesellschaften, ungefähr die Hälfte des Einkommens der gesamten Gruppe der Kapitalgesellschaften haben. Das ist eine Zahl, die uns sehr nachdenklich stimmen sollte. Das Zweite - ich habe schon häufiger in diesem Bundestag darauf hingewiesen - ist die exorbitante Steigerung der Aktienkurse gerade der großen Gesellschaften in der Bundesrepublik. Zweifellos spielen dabei auch gewisse spekulative Momente eine Rolle. Zum großen Teil aber hängen diese exorbitanten Kurssteigerungen - die Kurse stiegen seit dem Jahre 1953 in einem Verhältnis von 1 : 7 - eng mit den enormen Erträgen dieser Gesellschaften zusammen, die wiederum mit einer mangelnden Beaufsichtigung des monopolistischen Gebarens dieser Unternehmen zu tun haben, also auf Mängeln des Kartellgesetzes beruhen, und zweifellos auch auf entscheidenden Mängeln unserer Steuergesetzgebung, die diese Kapitalgesellschaften in einer Weise bevorzugt, wie es in anderen großen demokratischen Industrieländern nicht der Fall ist.
({0})
- Herr Kollege Pferdmenges, Sie wissen ganz genau, daß es einen so niedrigen Steuersatz für die ausgeschütteten Gewinne wie bei unserer Körperschaftsteuer in anderen großen Industrieländern des Westens nicht gibt.
({1})
- Das haben wir schon immer kritisiert.
Nun einige Bemerkungen zu dem, was Herr Schmücker über die sozialdemokratischen Vorstellungen zu einer Volksaktie gesagt hat. Herr Schmücker, ich hätte es begrüßt, wenn Sie das, was wir dazu veröffentlicht haben, etwas sorgfältiger gelesen hätten.
({2})
Wir haben in unseren Veröffentlichungen zum Ausdruck gebracht, daß sich das Stimmrecht unseres Nationalfonds bei den Gesellschaften, von denen der Nationalfonds Aktien besitzt, auf 5 °/o beschränken sollte.
Ich weiß nicht, ob Sie es bevorzugen, daß heute die Großbanken die entscheidende Rolle in den Hauptversammlungen dieser Gesellschaften spielen, und ich möchte die Frage an Sie richten: Sind Sie in der Tat der Meinung, daß von den Großbanken die Interessen der Volkswirtschaft und die Interessen der Aktionäre besser wahrgenommen werden, als sie von Beauftragten des von uns vorgeschlagenen Nationalfonds wahrgenommen werden
könnten, die von Gesetzes wegen die Aufgabe hätten, die Interessen der Volksaktionäre zu vertreten?
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- Ich weiß es nicht, Herr Schmücker. Bitte, überlegen Sie sich das einmal in Ruhe. Es gibt sehr interessante Veröffentlichungen, die darüber Aufschluß geben, daß sich die Vertreter der Großbanken in den Hauptversammlungen und Aufsichtsräten in einem permanenten Interessenkonflikt befinden und befinden müssen, weil sie dort meistens nicht nur die Interessen der Aktionäre zu vertreten haben, sondern gleichzeitig auch die Interessen ihrer Banken mitvertreten müssen, die im Geschäftsverkehr mit den betreffenden Gesellschaften stehen.
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Daher, Herr Schmücker, unsere eindeutige Meinung, daß Vertreter der Aktionäre, die ausschließlich eine gesetzliche Pflicht gegenüber dem Klein-Aktionär zu erfüllen haben, das besser können als die Vertreter der Großbanken. Das ist unsere eindeutige Auffassung.
Herr Abgeordneter Kurlbaum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmücker?
Bitte sehr!
Herr Kollege Kurlbaum, darf ich fragen, warum Sie die Frage in dieser Form an mich richten? Haben Sie vergessen, daß ich selber im Wirtschaftsausschuß anläßlich der Beratungen wohl über den § 7, als es um die Organkredite ging, den Antrag gestellt habe, diesen Mißstand mindestens so weit wie möglich einzuschränken?
Herr Schmücker, ich habe die Frage deshalb an Sie gerichtet, weil Sie hier unseren Volksaktienplan einer Kritik unterzogen haben, die sachlich nicht begründet war; das ist der Anlaß. Ich weiß, Herr Schmücker, daß es eine Reihe von Punkten gibt, in denen wir persönlich erfreulicherweise viel mehr übereinstimmen, als es in der Öffentlichkeit und im Wahlkampf vielleicht zum Ausdruck kommen wird. Aber ich mußte hier auf das eingehen, was Sie heute von diesem Platz aus zu unserem Plan gesagt haben.
Herr Schmücker, Sie haben dann davon gesprochen, daß die Nationalstiftung eine Konzentration von Macht sein würde, die Sie in jedem Fall als ganz besonders gefährlich ansehen würden. Herr Schmücker, in der Wirtschaft der Zukunft werden wir uns doch damit abfinden müssen, daß es in einem gewissen Ausmaß zur Konzentration kommt, weil ,das technologisch und volkswirtschaftlich notwendig ist. Das wissen wir beide sehr genau. Es handelt sich um eine entscheidende Frage, in der sich die Fraktion der CDU/CSU offensichtlich von der sozialdemokratischen Fraktion unterscheidet. Wir sind der Meinung, daß es, wenn Großmacht in
der modernen Wirtschaft in Kauf genommen werden muß, in jedem Fall besser ist, wenn diese Großmächte in der Wirtschaft unter parlamentarischer Kontrolle stehen. Eine Großmacht, die unter parlamentarischer Kontrolle steht, Herr Schmücker,
({0})
ist uns in jedem Falle lieber als eine Großmacht, die von privaten Unternehmen, von privaten Inhabern von Monopolstellungen ohne öffentliche Kontrolle ausgeübt wird. Herr Schmücker, da sind wir in der Tat zu einem ganz wesentlichen Unterschied in unseren Auffassungen gekommen. Wir sind dankbar, daß das hier noch einmal klargestellt worden ist.
({1})
- Das bringen Sie nicht fertig!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dollinger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Starke zur Umsatzsteuer veranlassen mich, einige Worte zu sprechen. Herr Kollege Starke, wenn Sie in dieser Legislaturperiode dem Finanzausschuß des Deutschen Bundestages angehört hätten, hätten Sie der CDU/CSU sicher nicht so leichtfertig ein Versagen vorgeworfen. Ich möchte hier einmal feststellen, daß Ihre Fraktion bis zu dem Zeitpunkt, da Herr von Kühlmann-Stumm und Herr Imle in das Parlament eingetreten sind, im Finanz- und Steuerausschuß nur sporadisch vertreten war.
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Ich glaube, ,daß die Fraktion der FDP im Finanzausschuß mehr versagt hat als die Fraktion der CDU/CSU.
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- Das weiß ich nicht.
Nun hat Herr Kollege Starke gesagt, uns fehle der politische Wille. Da haben Sie heute einmal eine ganz andere Platte genommen als sonst. Denn im allgemeinen sagen Sie, wir betrieben hier im Parlament eine Alleinherrschaft. Sie sagen, der politische Wille fehle.
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Nach meiner Meinung sollte der politische Wille allein keine Gesetze schaffen. Vielmehr muß man überlegen: Was ist sinnvoll, was ist vernünftig?
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- Sachverstand, einverstanden!
Um dazu zu kommen, haben wir einiges getan. Wir haben eine Hartmann-Kommission gehabt - das möchte ich als erstes erwähnen -, die sich sehr eingehend mit ,der Frage der Umsatzsteuerreform beschäftigt hat. Zweitens arbeitet der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium seit Jahren an der Frage der Reform des Umsatzsteuerrechts. Er ist, soweit ich weiß, bis heute zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen. Die Technische Kommission beim Bundesfinanzministerium - um die dritte Stelle zu nennen - hat ebenfalls die Frage der Umsatzsteuerreform behandelt und ist zu dem Ergebnis gekommen, man solle es beim alten System belassen.
Aus diesen wenigen Beispielen ersehen Sie schon, welche unterschiedlichen Meinungen herrschen. Das Bundesfinanzministerium hat einen Studienentwurf herausgegeben. Ich glaube, daß dadurch doch eine entscheidende Voraussetzung für eine sinnvolle Diskussion mit dem Ziel geschaffen worden ist, das Umsatzsteuerrecht zu reformieren, ganz gleich, mit welchem System und wodurch.
Schließlich dürfen wir bei der Frage der Umsatzsteuer doch auch eines nicht übersehen: Immerhin beträgt die Einnahme aus der Umsatzsteuer - bei 42 Milliarden DM Steuereinnahmen beim Bund -16,4 Milliarden DM. Ohne Zweifel muß man bei einer solchen Reform vorsichtig vorgehen. Übersehen Sie bitte nicht die Rückwirkungen einer Reform auf die Preise. Übersehen Sie bitte nicht, daß wir in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hineinwachsen und der Gesichtspunkt der Harmonisierung des europäischen Steuerrechts beachtet werden muß, damit verhindert wird, daß wir hier Vorleistungen erbringen.
Wenn man dies alles zusammenfaßt, kann man, glaube ich, nicht sagen, daß wir hier versagt hätten. Wir haben uns im Gegenteil sehr ernsthaft bemüht und haben doch gerade auch durch steuerliche Maßnahmen ohne Zweifel die Position des Mittelstandes verbessert.
({4})
Ich hoffe, daß auch durch die Elfte Novelle zum Umsatzsteuergesetz, die wir in Kürze noch verabschieden werden, bezüglich einer wettbewerbsneutralen Umsatzsteuer eine weitere Verbesserung erzielt wird.
Wir tun dem Mittelstand keinen Gefallen, wenn wir immer nur jammern. Herr Kollege Schmücker hat recht gehabt: zum Mittelstand gehört Optimismus; denn es gehört ein Optimismus dazu, heute ein selbständiger, verantwortlicher Unternehmer zu sein.
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Das Wort hat der Abgeordnete Simpfendörfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zur SPD, die sich im politischen Bereich gern mit theoretischen Programmen umgibt, und im Gegensatz zur FDP, die mit ihrer Antragsflut dem Mittelstand oft einen schlechten Dienst erweist, haben die CDU und die Bundesregierung ein praktisches Programm verwirklicht, das eine echte Hilfe darstellt.
({0})
Aber ich will etwas anderes sagen, und ich halte dies für sehr wichtig. Sicher ist es wichtig, daß wir von der politischen Seite her alles tun, um dem Mittelstand materielle Hilfen zu geben. Aber wir sollten auch alles vermeiden, wodurch eine Untergangsstimmung innerhalb des Mittelstandes erzeugt wird. In der modernen Wirtschaft Erhardscher Prägung, in der Zeit der Vollbeschäftigung ist nun einmal der Mensch in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Die Arbeitskraft ist das Kostbarste geworden, im Gegensatz zu früher, wo der Arbeitsplatz das Kostbarste war. Wir sollten jede pessimistische Stimmungsmache vermeiden, durch die die Menschen - insbesondere die Jugend - von diesen Berufen ferngehalten werden. Die übrige Wirtschaft bemüht sich in geschickter und psychologischer und pädagogischer Weise um diese Menschen und urn die Jugend.
Daß die Jugend heute noch bereit ist, in diesen Ständen, in diesen Berufen tätig zu sein, beweist eine Statistik auf Grund einer Umfrage, wonach noch 41 % der Jugendlichen bereit sind, in den Mittelstand zu gehen. Bei 150 000 offenen Lehrstellen, d. h. bei 150 000 fehlenden jungen Menschen muß dieser Gesichtspunkt in alle Betrachtungen einbezogen werden. Daß die Problematik um die Dynamik der Wirtschaft sehr alt ist, beweist ein Goethe-Wort, das ich am Schluß mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten noch zitieren darf. Goethe sagte schon:
Der Kampf des Alten, Bestehenden, Beharrenden mit Entwicklungs-, Aus- und Umbildung ist I immer derselbe. Aus aller Ordnung entsteht zuletzt ,Pedanterie. Um diese loszuwerden, zerstört man jene, und es geht eine Zeit hin, bis man gewahr wird, daß man wieder Ordnung machen müsse. Klassizismus und Romantizismus, Innungszwang und Gewerbefreiheit, Festhalten und Zersplitterung des Grundbodens, es ist immer derselbe Konflikt, der zuletzt wieder einen neuen erzeugt. Der größte Verstand der Regierenden wäre daher, diesen Kampf so zu mäßigen, daß er ohne Untergang der einen Seite sich ins Gleiche stellte. Dies ist aber den Menschen nicht gegeben, und Gott scheint es auch nicht zu wollen.
({1})
Das Schlußwort hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt, daß es sich bei der Stellung der Selbständigen in der gewerblichen Wirtschaft wie in den freien Berufen um ein umfassendes gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Problem handelt. So soll es gesehen werden, und so habe ich es auch eingangs behandelt.
Herr Kollege Schmücker, wenn wir der Überzeugung sind, daß es in der gegenwärtigen Situation unserer Wirtschaft Benachteiligungen für die Selbständigen gibt, ist die Formulierung „zu Gunsten der Mittelschichten" erlaubt, weil es sich darum handelt, die Benachteiligungen der Selbständigen zu beseitigen, um ihnen gleiche Start- und damit Wettbewerbsvoraussetzungen zu geben. Außerdem, Herr Kollege Schmücker, sollten wir alle miteinander nicht so tun, als gäbe es nicht legitime Interessen sozialer oder soziologischer Gruppen, die durchaus mit den allgemeinen Interessen in Übereinstimmung zu bringen seien. Das sind also die Voraussetzungen für solche Formulierungen, nicht mehr und nicht weniger.
({0})
Zweiter Punkt, Herr Kollege Schmücker: Sie sagen: Wer den Mittelstand abgrenzt, tötet ihn. - Es kommt ganz darauf an, wie man ihn abgrenzt; kesselt man ihn ein, schafft man einen Naturschutzpark, dann bin ich Ihrer Überzeugung. Wir haben das übrigens aber schon vor Ihnen ausgesprochen, nämlich zu einem Zeitpunkt, als unsere Auffassungen in einer Reihe von Fragen auf diesem Gebiet noch nicht so dicht beieinander lagen. Sie werden sich daran erinnern, wenn Sie an die ersten Auseinandersetzungen über diesen Fragenkreis im Jahre 1952 denken. Es kommt also darauf an, diese Dinge klarzustellen.
Es kommt weiter auf folgendes an, und das sollte eine Anmerkung an die Adresse des Wirtschaftsministers sein. Jetzt müßte ich sagen, ich sehe ihn im Augenblick nicht.
({1})
- Der Staatssekretär allein genügt mir nicht. Der Wirtschaftsminister wird das ja auch sagen.
({2})
- Das ist doch völlig klar, er ist doch auch Parlamentarier. Der Wirtschaftsminister hat hier von mangelndem Interesse gesprochen. Dazu müßte man vielleicht einmal fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine Große Anfrage am Schluß einer Sitzungsperiode zu behandeln. Das ist nämlich das Problem, das hier auftaucht. Das ist kein Vorwurf gegen diese oder jene Fraktion, sondern hier geht es um eine Frage, die mit dem Arbeitsrhythmus dieses Hauses und mit der Geschäftsordnung zusammenhängt.
({3})
- Nun, da sind wir uns mal wieder einig. Das sollte sich der Herr Minister auch einmal zu Gemüte führen und sich nicht so billig Wahlkampfkapital vorweg verschaffen wollen.
Meine Damen und Herren, nun noch etwas anderes. Wenn Herr Erhard der Meinung ist, daß man in dieser Legislaturperiode eine lückenlose Beweisführung für eine Politik im Interesse der Beseitigung von Wettbewerbsbenachteiligungen der Selbständigen erreicht habe, sollte er ,das nicht so stolz betonen. Es sind nämlich - Herr Wieninger, das ist an Ihre Adresse gerichtet - unorganische Einzelmaßnahmen. Er meint zwar, sie seien gezielt.
({4})
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Wieninger. Sie
sind der Meinung, sie seien gezielt. - Sie sind aber
zum Teil danebengezielt oder so breit gezielt, daß
Lange ({5})
diejenigen, die an sich schon eine starke Marktstellung und Machtstellung am Markt haben, noch begünstigt werden. Das ist genau der Punkt, auf den es uns - ich glaube, allen miteinander - ankommt: Es müssen Maßnahmen getroffen werden, die Wettbewerbsbenachteiligungen beseitigen, die aber auf der anderen Seite nicht zusätzliche Wettbewerbsverzerrungen herbeiführen und zu Wettbewerbsvorteilen - und damit wieder zu Benachteiligungen - anderer Art führen. Darüber sollte bei uns allen Übereinstimmung bestehen.
Herr Kollege Schmücker, noch etwas! Herr Kollege Starke hat Ihrer Fraktion einiges ins Stammbuch geschrieben. Sie als eine solch große Fraktion, die häufig mit ihrer absoluten Mehrheit hier zu regieren versucht, haben es sicherlich schwer. Sie haben nämlich innerhalb Ihrer Fraktion nochmals Fraktionen und müssen bestimmte Vorstellungen innerhalb der Fraktion aufeinander abstimmen. Sie sind natürlich heilfroh, wenn Sie in bestimmten Fragen gemeinsame Lösungen gefunden haben. Da kann ich es durchaus verstehen, daß Sie sich nicht auch noch mit der Opposition herumboxen wollen. Dann verlangen Sie eben von ,der Opposition, daß sie die nach der Mehrheitsauffassung erforderliche Maßnahme unbesehen als eine wirksame Maßnahme schluckt.
({6})
- Sie sagen: Wenn sie gut ist! Sie müssen auch den anderen in diesem Hause die eigene Meinung lassen, und Sie müssen sich merken, daß die Mehrheit zu haben, noch lange nicht bedeutet, daß ihre Sachdarstellung richtig ist, von der Richtigkeit der Überzeugung ganz abgesehen.
({7})
- Deshalb ist es völlig verfehlt, Herr Kollege Schmücker, wenn Sie mit dem Brustton der Überzeugung sagen, wir seien bei einer Reihe von Fragen nur widerstrebend mitgegangen. Wir waren eben bei einer Reihe von Fragen hinsichtlich der Mittel anderer Auffassung. Da mußten Sie sich eben mit uns über die Mittel unterhalten und nicht in der Meinung handeln, Sie könnten die in Ihrer Fraktion mühsam gefundene einheitliche Überzeugung oder Auffassung oder Vorstellung mit Brachialgewalt hier durchsetzen. Das ist doch der entscheidende Punkt.
({8})
- Nein, die Mehrheit ist nicht Brachialgewalt, Herr Kollege Schmücker. 'Machen Sie sich doch selber nichts ,vor.
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- Sagen Sie das lieber zu Ihrem Kollegen Schmücker, der läßt mich hier nicht weiterreden.
Herr Kollege Schmücker, Teile Ihrer Fraktion haben doch Auseinandersetzungen über bestimmte Formen, mit 'denen man helfen kann, abgelehnt und
durch rücksichtslosen Gebrauch der Mehrheit die sachliche Auseinandersetzung über die Mittel verhindert. Wenn das nicht Brachialgewalt ist, dann weiß ich es nicht.
({10})
- Ich will das jetzt im einzelnen nicht exemplifizieren und nicht auf alle die Beispiele eingehen, die Sie, Herr Schmücker, angeführt haben, denn ich möchte Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Ich möchte nur das eine festgestellt wissen, damit wir uns das alle miteinander zu Gemüte führen: Wir sollten über die Aufgaben über den Kreis ,der Fraktion und über ,den Kreis 'der Partei hinaus miteinander reden und wir sollten uns nicht nur um Einigungen innerhalb der eigenen Partei oder der Fraktion bemühen. Nur so kann ich die parlamentarische Aufgabe auffassen.
Auch Über das andere Problem - natürliche und juristische Personen -, das Sie angeführt haben, kann man reden. Auch über eine Reihe anderer Probleme kann man noch lange reden.
Zum Schluß meine ich, feststellen zu sollen, es sollte uns darauf ankommen, nicht so selbstgefällig zu sein und so tun, als ob in der Bundesrepublik Deutschland alles in bester Ordnung wäre und wir es ablehnten, über den Zaun zu schauen. Das hat zwar in der Debatte keiner von Ihnen gesagt. Das, was mit dem Brustton der Überzeugung von dem Herrn Minister vorgetragen worden ist, und das, was in der schriftlichen Regierungserklärung gesagt worden ist, mußte aber diesen Eindruck entstehen lassen. Auch bei bestimmten Auseinandersetzungen im Mittelstandsausschuß haben wir, Herr Kollege Wieninger, solche Auffassungen gehört. Sie kamen nicht von Ihrer Fraktion, sondern aus den Ministerien. Es kam da die Meinung zum Ausdruck, man sollte nicht in überschwenglicher Begeisterung - die haben wir nie gehabt - Vorbilder anderer Industriestaaten bei unserer Politik gegenüber den kleinen und mittleren Selbständigen ohne weiteres nachahmen. Wir haben im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Small Business Administration in den Vereinigten Staaten ausdrücklich erklärt, daß wir nicht ohne weiteres imstande sind, diese Einrichtungen zu übernehmen. Aber wirr haben ebenso ausdrücklich erklärt, daß die Probleme, die in einer ähnlich gelagerten Industriegesellschaft auf das Parlament und die Regierungzukommen und von ihnen behandelt werden müssen, auch für uns Probleme sind und daß man sich die Erfahrungen anderer Industriegesellschaften und Industriestaaten zunutze machen sollte. Bisher haben wir bei der Regierung wenig Bereitschaft dazu gefunden. Ich würde ,sagen, der Blick über den Zaun lohne sich schon einmal.
Im übrigen war der Grundgedanke unseres Antrags - so haben wir uns damals alle miteinander verstanden -, daß es nicht bei einem einmaligen Bericht bleiben sollte. Wenn man sich überhaupt Klarheit über die Verhältnisse der Selbständigen in Gesellschaft und Wirtschaft verschaffen will, braucht man laufende Berichterstattung. Insoweit muß also das Ziel angesteuert werden, daß jährlich Bericht erstattet wird. Wenn die BundesregieLange ({11})
rung im Augenblick noch nicht imstande ist, jährlich einen Bericht zu erstatten, dann muß sie dem Parlament, falls sie für eine solche Berichterstattung weitere Instrumente braucht, die dazu erforderlichen Gesetzesvorlagen zur Beratung und zur Verabschiedung unterbreiten. Das scheint mir als Schlußfolgerung aus dem, was wir heute hier erörtert haben, Punkt Nr. 1 zu sein.
Der Bericht ,der Bundesregierung - in einem bestimmten Umfange gilt das auch für die Drucksache, in der die lohnbezogenen Abgaben behandelt werden und die ebenso eine schriftliche Erklärung der Bundesregierung zu diesem Punkt darstellt - ist unvollständig, das Zahlenmaterial ist nicht vergleichbar, und entscheidend - und das auch für die Regierungserklärung -: konkrete Vorschläge fehlen!
Nach wie vor bleibt also für uns alle miteinander, für Regierung wie für Parlament, die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen durch Rationalisierung und Modernisierung dadurch gestärkt wird, daß adäquate Maßnahmen dazu ergriffen werden.
Zweitens müssen die Wettbewerbsmöglichkeiten durch verschärfte Bestimmungen über marktbeherrschende Unternehmen gesichert werden.
Drittens soll eine gerechte Gestaltung der Steuergesetze willkürliche Wettbewerbsnachteile für die kleinen und mittleren Selbständigen in der gewerblichen Wirtschaft und in den freien Berufen vermeiden.
Viertens besteht die Aufgabe, für eine ausreichende Kreditversorgung zu erträglichen Bedingungen zu sorgen.
Fünftens muß eine Alterssicherung der Selbständigen ermöglicht werden nach den Vorstellungen, die ich vorhin angedeutet habe.
Diese Aufgaben, meine Damen und Herren, liegen nach wie vor vor uns, trotz vier Jahren, trotz acht Jahren, trotz zwölf Jahren Tätigkeit der Regierung Adenauer.
({12})
- Entschuldigen Sie, Herr Rösing: insoweit bin ich in der Tat auf Grund der ganzen wirtschaftlichen Entwicklung nach wie vor der Überzeugung, daß die Gefährdung der Selbständigen nicht geringer, sondern größer geworden ist. Wir haben die Aufgabe, diese Gefährdung der Selbständigen zu beseitigen, damit sie sich in Wirtschaft und Gesellschaft behaupten können und damit gleichzeitig die bei ihnen beschäftigten Arbeiter und Angestellten in eine der Lage der Arbeiter und Angestellten der Großwirtschaft vergleichbare Lage kommen.
Nur so, meine Damen und Herren, betreiben wir umfassende Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik, die uns dann auch in den Stand setzt, gewisse politische Gefahren insgesamt abzuwehren.
({13})
Die Große Anfrage ist beraten. Anträge sind nicht gestellt.
Ich rufe den ersten Zusatzpunkt auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Hoogen, Jahn ({0}), Dr. Bucher und Genossen betr. Gesetz über die Sammlung des Bundesrechts vom 10. Juli 1958 ({1}) ({2}).
Es ist Überweisung an den Rechtsausschuß vorgesehen. - Das Haus stimmt zu; es ist so beschlossen.
Ich rufe den weiteren Zusatzpunkt auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes ({3}) ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene ({4}) ({5}).
Ich danke dem Herrn Berichterstatter Abgeordnetem Eichelbaum für seinen Schriftlichen Bericht. Es wird keine Aussprache gewünscht. Wir treten in die Abstimmung ein. Ich rufe auf Art. 1, - 2, - 2 a, -3 - Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, das Handzeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die
dritte Beratung.
Wir können sofort in die Abstimmung gehen. Wer zustimmt, möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe den dritten Zusatzpunkt auf:
Beratung des Antrages des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung des bundeseigenen Jade-Wasserwerkes Wilhelmshaven an die Stadt Wilhelmshaven ({6}).
Es ist Überweisung an den Haushaltsausschuß vorgesehen. Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Dann der letzte Punkt: die Überweisung einer Vorlage an einen weiteren Ausschuß. Der Ausschuß für Verteidigung hat mit Schreiben vom 16. Juni 1961 darum gebeten, den
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes ({7})
zur Mitberatung dem Haushaltsausschuß zu überweisen, da die vom Innenausschuß empfohlenen Änderungen, die vom federführenden Verteidigungsausschuß wahrscheinlich übernommen werden, in erheblichem Umfange geeignet sind, auf die öffentlichen Finanzen einzuwirken. - Das Haus ist mit der Überweisung dieser Vorlage auch an den Haushaltsausschuß einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 28. Juni 1961, 9 Uhr, ein.
Ich schließe die Sitzung.