Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich dem Abgeordneten Demmelmeier die Glückwünsche des Hauses auszusprechen; er ist am 1. Mai 74 Jahre alt geworden.
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Sodann möchte ich dem Abgeordneten Walter Menzel zu seiner Genesung gratulieren;
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er ist nach vielen Monaten der Krankheit wieder gesund und rüstig - und mit ,gesteigertem Arbeitseifer - zu uns zurückgekehrt.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes hat unter dem 19. April 1961 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Industrieverwaltungsgesellschaft mbH, Bad Godesberg - Drucksache 2644 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2678 verteilt.
Der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes hat unter dem 19. April 1961 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Beteiligung der Industrieverwaltungsgesellschaft an Rüstungsaufträgen - Drucksache 2645 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2688 verteilt.
Der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes hat unter dem 19. April 1961 die Kleine Anfrage der Fraktion ,der FDP betr. Ausgabe von Volksaktien im Rahmen der Gesellschaftspolitik der Bundesregierung - Drucksache 2646 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2689 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 26. April 196,1 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Diebäcker, Struve, Schulze-Pellengahr, Schmücker, Teriete und Genossen betr. Verhältnisse auf dem Eiermarkt - Drucksache 2617 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2703 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 28. April 190 zur Kleinen Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Wacher, Bauereisen, Meyer ({2}), Spies ({3}), Wittmann und Genossen betr. Ubersicht über das Auftragsvolumen der öffentlichen Hand - Drucksachen 2113, 2539, 2171 - eine weitere Antwort erteilt. Sie wird als Drucksache 2713 verteilt.
Der Wehrbeauftragte des Bundestages hat unter dem 14. April 1961 gemäß § 2 Abs. 3 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages vom 26. Juni 1957 den Jahresbericht 1960 übersandt, der als Drucksache 2666 verteilt ist, Der Herr Präsident des Bundestages hat am 25. April 1961 diesen Jahresbericht gemäß § 76 Abs. 2 GO dem Verteidigungsausschuß überwiesen.
Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde ({4})
Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts werden am Freitag aufgerufen.
Abschnitt II, Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Frage 1 -des Abgeordneten Dr. 'Kohut -:
Wann wird der Herr Bundesinnenminister den Rundfunkrat und den Verwaltungsrat der Deutschen Welle und des Deutschlandfunks ,gemäß § 34 Abs. 2 des Gesetzes über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts einberufen?
Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, möchte ich gerne die Fragen 1 und 2 zusammen beantworten.
Bitte! Ich rufe also auch die Frage 2 - ebenfalls des Abgeordneten Dr. Kohut - auf:
Hält es der Herr Bundesinnenminister für vertretbar, daß die Organe der Deutschen Welle und des Deutschlandfunks, die gemäß § 34 Abs. 1 des Gesetzes über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts handlungsfähig sind, von dieser Handlungsfähigkeit aber keinen Gebrauch machen können, weil der Herr Bundesinnenminister bisher zur ersten Sitzung nicht einberufen hat?
Mehrere Landesregierungen haben die Bundesregierung wissen lassen, sie hätten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts vom 29. November 1960. Dieser Umstand und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Februar dieses Jahrens in dem sogenannten Fernsehstreit haben die Bundesregierung dazu genötigt, eine nochmalige verfassungsrechtliche Überprüfung des am 17. Dezember in Kraft getretenen Gesetzes durchzuführen.
Nach der in diesen Tagen abgeschlossenen verfassungsrechtlichen Überprüfung wird die Bundesregierung in Kürze über die von ihr zu benennenden Mitglieder der Rundfunkräte der beiden Anstalten entscheiden. Unmittelbar nach diesem Beschluß der Bundesregierung wird der Bundesminister des Innern die Bundfunkräte so kurzfristig wie möglich zu ihrer konstituierenden Sitzung einberufen.
Eine Zusatzfrage? - Bitte!
Befürchten Sie, Herr Minister, auch bei diesem Gesetz eine ungünstige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts?
Ich hatte Ihre Frage eigentlich indirekt schon verneint. Ich glaube, daß das Gesetz verfassungssicher ist, genauer gesagt: verfassungsgerichtssicher.
Sie halten es doch für absolut notwendig, Herr Minister, sich wegen des zunehmenden Einströmens von Sendungen aus der Sowjetzone endlich dafür einzusetzen, daß diese Anstalt ihre praktische Arbeit aufnehmen kann?
Ich glaube, in dieser Auffassung sind wir einig.
Die Frage ist beantwortet. Ich habe einen neuen Ausdruck kennengelernt: „verfassungssicher".
„Verfassungsgerichtssicher" !
An diesen neuen Sprachgebrauch lassen sich neue Gedanken knüpfen. . . .
Aber ich würde Sie bitten, Herr Präsident, der Sache keine allzu weitgehende Bedeutung als neuen Ausdruck beizumessen.
Nein, nein, ich habe den neuen Begriff durchaus als etwas verstanden, was wohl dem inneren Sprachgebrauch dieses Hauses entsprungen ist.
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- Ich glaube, die Herren Stenographen haben mich verstanden.
Frage II/3 - Abgeordneter Dröscher -:
Gibt es eine Möglichkeit, den an multipler Sklerose erkrankten Schwererwerbsbeschränkten dieselben Vergünstigungen bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu verschaffen, wie sie Schwerbeschädigten zuteil werden?
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt.
Wie ich in früheren Fragestunden bereits ausgeführt habe, sind Grundlage für Vergünstigungen bei Benutzung von Nahverkehrsmitteln die als Bundesrecht fortgeltende Verordnung über Vergünstigungen für Kriegsbeschädigte im öffentlichen Personenverkehr vom 23. Dezember 1943 und, soweit es sich um Eisenbahnen und Omnibusse außerhalb des Nahverkehrs handelt, die Tarife der Verkehrsträger. Die Vergünstigungen im Nahverkehr sind auf Schwerkriegsbeschädigte mit einem Erwerbsminderungsgrad ab 70 v. H., die übrigen Vergünstigungen auf Schwerbeschädigte im Sinne des § 1 des Schwerbeschädigtengesetzes beschränkt. An multipler Sklerose Erkrankte können diese Vergünstigungen in Anspruch nehmen, soweit sie wegen ihrer Erkrankung als Schwerkriegsbeschädigte oder sonstige Schwerbeschädigte im Sinne des § 1 des Schwerbeschädigtengesetzes anerkannt sind. Die Einbeziehung von Schwererwerbsbeschädigten über die bisherige Regelung hinaus wäre bei Änderung der erwähnten Vorschriften möglich. Eine solche Änderung hat sich bisher nicht erreichen lassen.
Die Frage ist beantwortet. Fragen II/4 und 5 - Abgeordneter Dr. Miessner Gedenkt die Bundesregierung die unzureichenden Nachtdienstzulagen für die Bediensteten der Betriebsverwaltungen, insbesondere für die der Deutschen Bundesbahn, zu erhöhen?
Beabsichtigt die Bundesregierung die bisher einheitliche Bewertung des Nachtdienstes bei der Deutschen Bundesbahn beizubehalten oder dahin zu ändern, daß hinsichtlich der Nachtdienstzulagen künftig nach „leichtem" und „schwerem" Nachtdienst unterschieden wird?
Vielleicht darf ich auch hier, Herr Präsident, die Antworten zusammenfassen.
Die entsprechenden Tarife sind für Arbeiter und Angestellte zum 30. Juni dieses Jahres von der ÖTV gekündigt. Es werden Verhandlungen geführt werden, über ,die sich heute noch nicht Auskunft geben läßt. Die Nachtdienstentschädigung soll aber auch in Zukunft für Arbeiter, Angestellte und Beamte einheitlich geregelt werden. Ob die Unterscheidung zwischen leichtem und schwerem Nachtdienst, ,die derzeit bei einem Bundesressort gemacht wird, besonders glücklich ist, dazu möchte ich heute noch nicht endgültig Stellung nehmen.
Eine Zusatzfrage.
Wie beurteilt die Bundesregierung speziell den Umstand, daß bei einer Unterscheidung zwischen leichtem und schwerem Nachtdienst wegen der ständigen Überschneidung ,eine erhebliche Komplizierung und damit ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand eintreten würde?
Es mag sein, Herr Kollege, ,daß die Bedenken, die Sie hier geäußert haben, zutreffend sind. Ich denke, daß man das ganze Problem in den bevorstehenden Verhandlungen ausgiebig von neuem prüfen sollte.
Danke.
Frage II/6 - Abgeordneter Wittrock -:
Trifft es zu, daß Interpol in die Fahndung nach NS-Verbrechern, deren Toten angeblich von Interpol nicht als kriminelle. sondern als politische Verbrechen angesehen werden, eingeschaltet werden könnte, wenn die Bundesrepublik in einer Erklärung gegenüber Interpol diese Straftaten ausdrücklich als kriminell bezeichnen würde?
Die Antwort lautet: Nein.
Die Begründung dafür: Nach Art. 3 der Statuten von Interpol ist dieser Organisation jede Betätigung oder Mitwirkung in Fragen oder Angelegenheiten politischen, militärischen, religiösen oder rassischen Charakters strengstens untersagt. Die Entscheidung, ob eine Frage oder Angelegenheit politischen, militärischen, religiösen oder rassischen Charakter hat, obliegt dabei nicht dem einzelnen Mitglied, das Interpol einschalten will. Die Entscheidung trifft vielmehr das Generalsekretariat dieser Organisation.
Herr Abgeordneter Wittrock ist nicht im Saal. Ich habe es nicht bemerkt. Herr Abgeordneter Mommer hat die Frage übernommen. Offenbar ist er mit der Antwort zufrieden.
III. Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Frage III/1 ist zurückgestellt.
Frage 111/2 - Abgeordneter Wittrock, übernommen von Herrn Abgeordneten Mommer -:
Ist die Aussage eines Zeugen in einer Kasseler Schwurgerichtsverhandlung vom 20. April 1951 Anlaß zu besonderen Schritten der Rundesregierung, der - überraschend für das Gericht - auf das Vorhandensein von Dokumenten in einer Dokumentenzentrale in der Mähe von Washington hingewiesen haben soll, die tur (lie Aufklärung von Kriegsverbrechen möglicherweise wesentlich sind?
Ich darf die Frage beantworten: Bei der Dokumentenzentrale, die der Sachverständige Dr. Seraphim in der Schwurgerichtsverhandlung gegen Lechthaler und Papenkort in Kassel erwähnt hat, handelt es sich um die World war II records division in Alexanria/Virginia ({0}). Die für deutsche Verfahren in Betracht kommenden Unterlagen dieser Stelle sind durch den Leiter der Ludwigsburger Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen im Sommer 1960 auf Mikrofilm aufgenommen worden. Die Zentrale Stelle hat eine Zusammenstellung und Kurzbeschreibung der Dokumente angefertigt und allen Staatsanwaltschaften zugeleitet. Sie prüft, für welche Verfahren die einzelnen Urkunden von Bedeutung sein können.
Danke sehr.
Die Frage ist beantwortet. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers .der Finanzen. Frage IV/1 - der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus .
lat es richtig, daß bei Überschreiten der Grenze ein Unterschied zwischen der Zollgrenze und einer Touristengrenze und dementsprechend zwischen dem Reisebedarf und einem hiervon verschiedenen Touristenbedarf gemacht wird?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär.
Ich beantworte zunächst die Frage der Frau Abgeordneten Diemer-Nicolaus nach den Zoll-Freimengen beim grenzüberschreitenden Verkehr. Ein Unterschied zwischen Zollgrenze und Touristengrenze sowie zwischen Reisebedarf und Touristenbedarf besteht zollrechtlich nicht. Das Zollrecht kennt nur die Begriffe Zollgrenze und Reisebedarf.
Im Reiseverkehr werden Nahrungs- und Genußmittel von der Grenzzollstelle insoweit als Reisebedarf zollfrei gelassen, als sie zum Verbrauch auf der Reise bis zum Erreichen des Reiseziels bestimmt sind und nach Reiseziel und Reisedauer angemessen erscheinen. Daraus kann sich eine unterschiedliche Bemessung des Reisebedarfs je nach der Entfernung des Reiseziels von der Grenze ergeben. Dem Reisenden beispielsweise, der von Wien nach Köln fährt, wird nach dieser Bestimmung des Zollrechts eine größere Freimenge als Reisebedarf zuzuerkennen sein als dem Reisenden, der einen kurzen Abstecher über die Bundesgrenze macht.
Die in das Ermessen der Zollbeamten gestellte Entscheidung über die Angemessenheit des Reisebedarfs ist dadurch vereinfacht, daß durch einen Erlaß des Bundesfinanzministers vom 11. März 1957 bestimmte Mengen ohne weiteres, das heißt ohne Rücksicht auf das Reiseziel und die Reisedauer, als Freimengen anerkannt sind. Dieser Erlaß wird nach den Weisungen des Finanzministers großzügig gehandhabt. Ich glaube also, gnädige Frau, daß die Unterscheidung zwischen einer Reisegrenze und einer Touristengrenze und zwischen Reisebedarf und Touristenbedarf willkürlich ist. Übrigens vermute ich, daß Ihre Anfrage auf einen Artikel in der „Stuttgarter Zeitung" zurückgeht, der sich mit dieser Frage befaßt.
Eine Zusatzfrage!
Sie beziehen sich auf diese Nachricht in der „Stuttgarter Zeitung". Darf ich dann fragen, worauf der dort geschilderte Vorfall zurückzuführen ist und ob tatsächlich hier ein Unterschied zwischen Reisemengen und Touristenmengen gemacht wurde, der dem einzelnen Touristen unbekannt ist, wenn er zu Fuß über die Grenze geht? Es handelte sich, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, damals um die Bemessung der Freimengen von Alkohol und Zigaretten.
Gnädige Frau, ich sagte, daß wir durch einen Erlaß versucht haben, die Regelung großzügig zu handhaben. Auch im kleinen Touristenverkehr beim Sonntagsnachmittagsausflug über die Bundesgrenze werden diese Freimengen ohne weiteres anerkannt.
Noch eine Zusatzfrage? - Nein.
Frage 1V/2 - des Herrn Abgeordneten Memmel -.
Warum werden minderjährige Vollwaisen steuerlich wie Erwachsene behandelt, indern sie nämlich in Steuerklasse I einge stuft werden?
Herr Abgeordneter Memmel, minderjährige Vollwaisen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, müssen Lohnsteuer gemäß ihrem Arbeitslohn zahlen. Wie andere unverheiratete Personen fallen sie grundsätzlich in die Steuerklasse I der Lohnsteuertabelle; sie ist rechnerisch aus dem Einkommensteuertarif abgeleitet. Die Einkommensteuerbelastung richtet sich nach der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen. Nach dem darauf aufgebauten Tarif wird zwischen einem volljährigen und einem minderjährigen Steuerpflichtigen kein Unter8960
schied gemacht. Auch aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sollen minderjährige Vollwaisen als alleinstehende Personen einkommensteuerrechtlich nicht besser gestellt werden als andere unverheiratete Personen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es leider nicht möglich, minderjährigen Vollwaisen einen besonderen tariflichen Freibetrag einzuräumen oder sie gar dem für die Ehegatten geltenden Splittingverfahren zu unterwerfen.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, halten Sie das nicht für eine Härte? Man braucht doch nur an den leider gar nicht so seltenen Fall des Unfalltodes beider Eltern zu denken!
Diese Härte, Herr Abgeordneter, die vorliegen kann, wird nicht durch die Anwendung eines besonderen Tarifes oder eines besonderen Freibetrages oder des Splitting-Verfahrens, sondern bei den abzugsfähigen Aufwendungen des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen sein. Hier sind erhöhte Aufwendungen für Berufsfortbildung und anderes gesondert zu berücksichtigen. Es hat früher einmal einen besonderen Freibetrag für minderjährige Vollwaisen gegeben. Das ging auf die unerhört hohe Besteuerung der Ledigen in der nationalsozialistischen Zeit zurück. Da aber die Besteuerung der Ledigen heute, wie wir meinen, angemessen und nicht überhöht ist, scheint eine Ausnahme im Tarif für minderjährige Vollwaisen nicht mehr notwendig zu sein.
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Frage IV/3 - des Abgeordneten Dr. Kohut -:
Wie will die Bundesregierung die Wettbewerbsverzerrungen beseitigen, die durch die Erlasse des Bundesfinanzministers vorn 17. Juli 1959 betreffend Verwendung von Branntweinersatzstoffen bei der Trinkbranntweinhenstellung und Austausch von Branntweinersatzstoffen gemäß § 58 Abs. 3 VwO und nachfolgende Erlasse entstanden sind, weil die Verarbeitung von Wein zu Spirituosen im Branntweineigenlager, nicht aber im „freien Verkehr" begrenzt worden ist?
Herr Abgeordneter, die Verwendung von Branntweinersatzstoffen bei der Trinkbranntweinherstellung ist im Einvernehmen mit dem Bundesfachverband der Deutschen Spirituosen-Industrie geregelt worden. Dadurch sollten die in den letzten Jahren in steigendem Maße eingeführten aufgespriteten Auslandsweine bei der Alkoholbesteuerung nicht bevorzugt werden. Vielmehr sollte auf eine Einschränkung der Einfuhr hingewirkt werden. Diese Einschränkung kann nach den Vorschriften des Branntweinmonopolrechts nur in Branntweineigenlagern bei der Verarbeitung von unversteuertem Branntwein angeordnet werden, weil dort eine amtliche Überprüfung stattfindet, nicht dagegen im freien Verkehr.
Ob und inwieweit dadurch eine Wettbewerbsverzerrung eintritt, scheint mir fraglich. Denn keiner dieser Betriebe ist verpflichtet, seine Spirituosen in
einem Branntweineigenlager unter Zollaufsicht herstellen zu lassen. Vielmehr könnte jeder den Trinkbranntwein auch im freien Verkehr herstellen lassen.
Die heutige Regelung ist nicht befriedigend. Sie wissen, daß auf Grund eines Kabinettbeschlusses zwei Musterprozesse beim Bundesfinanzhof darüber geführt werden, ob und inwieweit diese aufgespriteten Auslandsweine der monopolrechtlichen Ausgleichsabgabe unterliegen. Wir hoffen, daß die Urteile des Bundesfinanzhofs in diesen Prozessen rechtliche Klarheit schaffen, und daß dann die unterschiedliche Behandlung zwischen Branntweineigenlagern und freiem Verkehr gegenstandslos wird.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, wann gedenkt die Bundesregierung auf dem Spirituosenmarkt wieder gleiches Recht für alle Spirituosenhersteller zu schaffen? Der Bundesfachverband war keineswegs der Meinung, daß ein doppeltes Recht angewandt werden sollte.
Für die Herstellung des gleichen Rechts in diesem Falle wird nicht der Gesetzgeber bemüht zu werden brauchen. Das gleiche Recht kann durch eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs wiederhergestellt werden.
Eine letzte Zusatzfrage!
Warum duldet die Bundesregierung überhaupt weiterhin die Verwendung von minderwertigem, aus dem Ausland bezogenem und unversteuertem Alkohol zur Herstellung von Spirituosen, obwohl dem Staat 'dadurch erhebliche Mindereinnahmen an Branntweinsteuer entstehen?
Herr Abgeordneter, soweit ich unterrichtet bin, lehnen es die seriöseren Firmen ab, auf diesem Wege, also durch die Verarbeitung hochgespriteten Weines, den Alkohol billiger herzustellen. Hier scheinen mir auch Besonderheiten unserer außenwirtschaftlichen Verbindungen, beispielsweise mit Italien und Frankreich, eine Rolle zu spielen.
Danke.
Geschäftsbereich .des Bundesministers für Wirtschaft! Frage V/1 - des Abgeordneten Hackethal -:
Ist die Bundesregierung bereit, bei den Überlegungen für einen notwendigen Baustopp eine wirkungsvolle Abschwächung oder gar eine Ausnahme für das Zonengrenzgebiet ins Auge zu fassen?
Bei den Überlegungen über einen sogenannten Baugenehmigungsstopp war vorStaatssekretär Dr. Westrick
gesehen, Ausnahmen für bestimmte Arbeitsamtsbezirke zu ermöglichen, in denen die Baukonjunktur keine Überhitzung zeigt. Damit wäre der besonderen Lage im Zonengrenzgebiet Rechnung getragen worden. Wie Sie wissen, ist der Plan eines befristeten Aufschubs von Baugenehmigungen aber nicht verwirklicht worden.
Ich rufe auf die Frage V/2 - des Abgeordneten Dr. Schranz -:
Verfügt die Bundesregierung über Unterlagen darüber, wie hoch der Betrag ist, der von Angehörigen der Vereinigten Staaten in der Zeit von 1950 bis 1960 in der Form von Beteiligungen an deutschen Unternehmungen angelegt worden ist?
Die Bundesregierung besitzt keine allgemeinen statistischen Angaben über ausländische Beteiligungen an deutschen Unternehmen. Zwar ist durch eine ;,Allgemeine Genehmigung der Deutschen Bundesbank" vom Juni 1958 angeordnet worden, daß die im Rahmen dieser Genehmigung von Ausländern an inländischen Unternehmen erworbenen Beteiligungen zu melden sind. Die durch Meldung auf Grund dieser Vorschrift erfaßten Beteiligungen stellen jedoch nicht entfernt die Gesamtheit aller ausländischen Beteiligungen dar; denn für dein Erwerb von Aktien oder Aktienpaketen durch Ausländer gelten keine derartigen Meldevorschriften. Die Bundesregierung hat bisher auch davon abgesehen, eine allgemeine Bestandsaufnahme der ausländischen Beteiligungen zu veranlassen.
Der Bundesregierung ist jedoch aus amerikanischen Quellen bekannt, daß amerikanische Bürger bis Ende 1950 etwa 204 Millionen Dollar, bis Ende 1957 581 Millionen Dollar, bis Ende 1958 666 Millionen Dollar, bis Ende 1959 795 Millionen Dollar im Bundesgebiet investiert haben. Von amerikanischer Seite wird geschätzt, daß sich diese Kapitalanlagen bis Ende 1960 auf etwa 1 Milliarde Dollar erhöht haben.
Ich rufe auf die Frage V/3 - der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus -:
Worauf ist es zurückzuführen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister den Kartellbericht 1960, der ihm schon seit Februar 1961 vorliegen soll, noch nicht dem Bundestag zugeleitet hat?
Die Frage ist identisch mit der Frage V/5 - des Abgeordneten Dr. Deist -:
Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung den Bericht des Bundeskartellamtes für das Jahr 1960 bis heute nicht vorgelegt, obwohl dieser Bericht dem Bundestag nach § 50 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen „unverzüglich" zuzuleiten isst?
Die Bundesregierung ist gehalten, den Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes mit eigener Stellungnahme unverzüglich dem Bundestag zuzuleiten. Sie hat alles Notwendige veranlaßt, um diese gesetzliche Vorschrift zu erfüllen. Der Bericht des Bundeskartellamtes soll nach dem Gesetz eine umfassende Unterrichtung ermöglichen; daher muß das Bundeskartellamt auch die Berichte der Landeskartellbehörden auswerten ebenso wie eine größere Menge statistischen Materials, das erst einige Zeit nach Ablauf des Kalenderjahres verfügbar wird. Aus diesen Gründen kann der Jahresbericht des Bundeskartellamtes nicht gleich zu Jahresbeginn vorgelegt werden. Der Gesetzgeber hat für die Fertigstellung des Berichtes eine Frist nicht ausdrücklich bestimmt.
Der Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes für das Jahr 1960 ist nicht im Februar, sondern am 13. April 1961 im Bundesministerium für Wirtschaft eingegangen. Vor diesem Datum hat das Bundeskartellamt dem Ministerium vorläufige Fassungen einzelner Kapitel vorgelegt. Dadurch sollte die Vorbereitung der gemäß § 50 Abs. 2 des Gesetzes abzugebenden Stellungnahme der Bundesregierung zu dem umfangreichen Bericht beschleunigt und die unverzügliche Weiterleitung des Berichts ermöglicht werden. Bereits am 20. April, also eine Woche nach Eingang, ist der Bericht mit dem Entwurf einer Stellungnahme der Bundesregierung dem Kabinett zugeleitet worden, das im Umlaufverfahren darüber beschließt. Die Frist für etwaige Einsprüche läuft heute, am 3. Mai, ab. Ich hoffe, daß der Bericht mit der Stellungnahme der Bundesregierung Ende dieser Woche dem Herrn Präsidenten des Bundestages zugeleitet werden kann.
Eine Zusatzfrage!
Ich habe folgende Frage zu stellen. Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Presse der Verdacht geäußert wurde, dem Parlament sollte nicht der ursprüngliche Entwurf, sondern eine zensierte Ausgabe vorgelegt
werden?
Damit hängt die weitere Frage zusammen: Sind in der endgültigen Fassung des Berichtes des Kartellamtes, der jetzt der Bundesregierung vorliegt, gegenüber den einzelnen Kapiteln, die nach Ihrer Angabe schon im Februar vorgelegt wurden, auf Grund der Rücksprache mit der Bundesregierung Änderungen seitens des Kartellamtes erfolgt?
Die Änderungen, die in der endgültigen Fassung vorgenommen sind, sind durch den Präsidenten des Bundeskartellamtes durchgeführt worden. Die in der Presse laut gewordene Kritik ist der Bundesregierung bekannt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Deist.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, daß es dem Gesetzesbefehl, einen Originalbericht des Bundeskartellamtes und dazu eine gesonderte Stellungnahme der Bundesregierung vorzulegen, entspricht, wenn Sie als Bundeswirtschaftsministerium vorher Teile erhalten, sie zensieren und sich nachträglich die Zustimmung des Präsidenten des Bundeskartellamtes zur Zensur geben lassen?
Herr Abgeordneter, ich kann Sie versichern, daß eine Zensur des Berichts durch das Bundeswirtschaftsministerium nicht vorliegt, nicht beabsichtigt ist und auch vom Bundeskartellamt gewiß nicht hingenommen werden würde.
Es ist aber nach meiner Meinung selbstverständlich, daß auch im Laufe des ganzen Jahres ständig Besprechungen zwischen dem Bundeskartellamt und dem Bundeswirtschaftsministerium geführt werden. Ich glaube ferner, daß es im Interesse einer möglichst baldigen Vorlage des Berichts geschieht, wenn das Bundeskartellamt einzelne Kapitel schon vor endgültiger Fassung des Gesamtberichtes dem Bundeswirtschaftsministerium einreicht. Ich brauche Ihnen dieses umfangreiche Werk nur zu zeigen, um zu beweisen, daß es schier unmöglich wäre, in einer Frist von einer Woche - am 13. April ist das Werk bei uns eingegangen, und am 20. April haben wir es mit der Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums dem Kabinett vorgelegt - ein solches Werk ganz durchzuarbeiten.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die entscheidende Frage nicht die, ob der Bericht abschnittweise vorgelegt wird, um Einwirkung auf seine Fassung zu nehmen? Haben Sie nicht soeben selbst gesagt, daß das Bundeskartellamt mit Änderungen -die also vom Bundeswirtschaftsministerium verlangt worden sein müssen - einverstanden gewesen ist, und wie meinen Sie dieses Verhalten, das ich eben als Zensur des Bundeswirtschaftsministers bezeichnete, kennzeichnen zu müssen unter dem Gesichtspunkt, daß das Parlament Anspruch auf einen Originalbericht, nicht einen auf Veranlassung des Bundeswirtschaftsministers geänderten Bericht hat?
Ich glaube, daß diesem Anspruch des Bundestages, den ich voll anerkenne, auch voll entsprochen ist. Denn durch die Beratungen, die zwischen dem Bundeskartellamt und dem Bundeswirtschaftsministerium gepflogen wurden, sind in keiner Weise irgendwie über das Maß eines freimütigen Gedankenaustausches hinausgehende Einflüsse wirksam geworden.
Frage V/4 des Abgeordneten Schmidt ({0}).
Können die bei der Mehrzahl der Arbeitsämter bestehenden Koordinierungsausschüsse zu Bau-Koordinierungsausschüssen zwecks vorausschauender arbeitsmarktpolitischer Steuerung der Bauvorhaben der öffentlichen Hand und der gewerblichen Wirtschaft auf freiwilliger Basis mit Aussicht auf Erfolg ausgebaut werden?
Die bei den meisten Arbeitsämtern bestehenden Koordinierungs-Ausschüsse beschäftigen sich ausschließlich mit der Bauwirtschaft und bemühen sich, eine möglichst gleichmäßige Erstreckung der Bautätigkeit über das ganze Jahr und außerdem eine gewisse Anpassung der Baunachfrage an die Kapazität der Bauwirtschaft zu erreichen. Daraus ergibt sich zugleich eine gewisse arbeismarktpolitische Steuerung. Die Arbeit dieser Ausschüsse beschränkte sich 1959 im wesentlichen auf den öffentlichen Bau, während 1960 auch der gewerbliche Bau einbezogen wurde.
Die bisherigen Ergebnisse der Koordinierungstätigkeit dieser Ausschüsse sind durchaus beachtlich und haben insbesondere zur Verstärkung des Winterbaus beigetragen.
Über das erreichte Maß hinaus durch weiteren Ausbau der Ausschüsse speziell arbeitsmarktpolitische Steuerung zu bewirken, wird nur möglich sein durch Einengung der Baunachfrage.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist gewährleistet, daß die Bauvorhaben möglichst frühzeitig den Arbeitsämtern bekanntwerden, damit die Planung zügig erfolgen kann und sich nicht festfährt?
In dieser Richtung, Herr Abgeordneter, haben die Bemühungen des Wohnungsbauministeriums und des Wirtschaftsministeriums in gleicher Weise eingesetzt.
Besteht ein Erlaß darüber, wie das praktiziert werden soll?
Die Frage kann ich Ihnen jetzt nicht exakt beantworten. Ich werde es feststellen und die Antwort nachholen.
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Frage VI/1 - des Abgeordneten Bading -:
Hat die Bundesregierung neben der bereits zugesagten finanziellen Unterstützung der Krabbenfischer Maßnahmen auf Grund der wissenschaftlichen Untersuchungen über die biologischen und hydrographischen Faktoren getroffen, die zur Abnahme der Krabbenfänge geführt haben?
Bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage Drucksache 2175 hat das Bundesernährungsministerium auf die rückläufige Entwicklung der Krabbenfischerei während der letzten Jahre hingewiesen und als Ursache des Rückganges der Fangerträge biologische und hydrographische Faktoren genannt. Die Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen Einflußnahme auf die biologischen und hydrographischen Faktoren der Krabbenfischerei ist nicht gegeben. So würde sich z. B. nach den vorliegenden Erfahrungen die Einführung einer Schonzeit nicht fördernd auf die Fangerträge auswirken. Die sich aus dieser Sachlage ergebenden Konsequenzen sind in der bereits genannten Drucksache 2175 ausführlich behandelt worden. Ich kann ergänzend hierzu noch mitteilen, daß sich der Beratungsdienst für die Kutterfischerei in besonderem Maße den Belangen
der Krabbenfischerei bei den erforderlichen Umstellungen annimmt.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen das Forschungsergebnis der Hamburger Fischereibiologen bekannt, das im Deutschen Forschungsdienst veröffentlicht worden ist, nach dem die Gefräßigkeit der Wittlinge mit eine der wichtigsten Ursachen für den Rückgang des Krabbenbestandes ist?
In der erwähnten Drucksache 2175 haben wir bereits darauf hingewiesen, daß biologische und hydrographische Ursachen für den Rückgang vorliegen. Ihre Frage ist von uns so verstanden worden, ob es sinnvoll ist, eine Fangschonzeit einzuführen, um damit den biologischen Ursachen entgegenzuwirken. Diese Frage muß nach unserer Ansicht verneint werden.
Herr Staatssekretär, ich glaube, daß meine Frage noch nicht ganz beantwortet ist. Darf ich eine zweite Frage an Sie richten. Ist es - im Gegensatz zu dem, was in der erwähnten Drucksache vorgetragen wird - nicht notwendig, anstatt eine Schonfrist für die Krabben einzuführen, die Bestimmung der internationalen Nordseekonvention aufzuheben, durch die die Wittlinge geschützt werden?
Wir sind der Meinung, daß damit die Situation der Krabbenfischerei nicht wesentlich beeinflußt werden kann.
Frage VI/2 des Herrn Abgeordneten Sander; sie wird durch den Abgeordneten Walter übernommen:
Ist die Bundesregierung bereit, zum Abbau des in der Bundesrepublik vorhandenen Zuckerberges 100 000 t Zucker, wie das von den Vereinten Nationer, im Herbst vergangenen Jahres der Bundesrepublik Deutschland gegenüber gewünscht worden ist, den Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen?
Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat am 27. Oktober 1960 einstimmig beschlossen, durch die Mitglieder der Vereinten Nationen und die Mitglieder von deren Sonderorganisationen Länder, in denen noch Hunger herrscht, durch Maßnahmen der Entwicklungshilfe zu unterstützen. Insbesondere sollen zur Linderung des Hungers in diesen Gebieten landwirtschaftliche Überschußgüter bereitgestellt werden. Die FAO wurde beauftragt, hierfür unverzüglich Vorschläge auszuarbeiten und diese im Juni 1961 dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen vorzulegen. Die Bundesregierung ist bereit, durch Lieferungen von Lebensmitteln sich an dieser politisch wichtigen Aktion zu
beteiligen. Der Entwicklungsausschuß hat deshalb in seine Gesamtplanung einen Vormerkposten von 100 Millionen DM aufgenommen. Ob und in welchem Umfange eine Lieferung von Zucker an die Entwicklungsländer in Betracht kommt, richtet sich nach den Richtlinien, die im Juni 1961 vorgelegt werden sollen und die die FAO zur Zeit erarbeitet; außerdem richtet es sich nach den für diese Zwecke im Haushalt zur Verfügung stehenden Mittel.
Die Fragen 3, 4 und 5 - des Herrn Abgeordneten Dr. Reinhard - können zusammen beantwortet werden:
Ist dor Bundesregierung die schwierige Lage, in die die Geflügelwirtschaft und speziell die Schlachtgeflügelproduktion neuerdings durch die Einfuhren aus Ländern mit niedrigeren Produktionskosten immer mehr gerät, bekannt?
Welche Maßnahmen sind zur Behebung der schwierigen Lage der Geflügelwirtschaft entsprechend der Entschließung des Deutschen Bundestages - Umdruck 836 ({0}) Abs. 1, 2 und 3 -geplant?
ist in absehbarer Zeit zum Ausgleich der Wettbewerbsungleichheit in der Geflügelwirtschaft gegenüber den importierenden Ländern mit Einführung eines Abschöpfungssystems entsprechend Artikel 43 des EWG-Vertrages zu rechnen?
Die erste Frage ist mit Ja zu beantworten.
Zur zweiten Frage ist folgendes zu sagen. Die Entschließung des Bundestages, die in der Frage angesprochen ist, betrifft das Gesetz zur Förderung der deutschen Eierwirtschaft, ferner die Förderung der landwirtschaftlichen Geflügelwirtschaft durch Kredite, Zuschüsse und Steuerbefreiung. Dazu ist im einzelnen folgendes zu sagen.
Es ist beabsichtigt, die Schwierigkeiten, die sich bei der Durchführung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eierwirtschaft vom 31. März 1956 ergeben haben, durch ein Geflügel- und Eiergesetz zu bereinigen. Der Entwurf dieses Gesetzes wird vorbereitet. Bis zum Erlaß eines solchen Geflügel
und Eiergesetzes soll für die Übergangszeit das Gesetz zur Förderung der deutschen Eierwirtschaft abgeändert werden.
Im Grünen Plan 1961 hat die Bundesregierung neben zahlreichen anderen Kreditmaßnahmen einen Betrag von 100 Millionen DM 3%ige mittel- und langfristige Kredite bereitgestellt, die ausschließlich für den bäuerlichen Familienbetrieb bestimmt sind. Diese Mittel können ihrer Zweckbestimmung nach auch für alle geeigneten Einrichtungen zum Ausbau der bäuerlichen Geflügelhaltung Verwendung finden. Diese Kreditmaßnahmen sollen im nächsten Jahr weitergeführt werden.
Der Grüne Plan 1961 sieht 3 Millionen DM Zuschüsse für Geflügelwirtschaft vor. Bei der beabsichtigten Verstärkung dieser Maßnahmen soll besonders die Spezialberatung der Geflügelwirtschaft berücksichtigt werden. Die bisherige steuerliche Abgrenzung zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Geflügelhaltung basiert auf dem Einkommensteuergesetz 1958. Die auf Grund dieses Gesetzes festgelegten Relationen zwischen Umfang der Hühnerhaltung und Futtergrundlage bedürfen einer Anpassung an die veränderten Erzeugungs- und Markt-
verhältnisse. Die Beratung mit den beteiligten Kreisen über die Art der Korrektur dieser Relationen ist noch im Gange.
Es sind ferner Vorschläge gemacht worden, das steuerliche Abgrenzungskriterium der eigenen Futtergrundlage zu ergänzen oder zu ersetzen durch Festsetzung einer bestimmten Höchststückzahl oder durch Mitberücksichtigung der Arbeitskapazität einer bäuerlichen Familie als Kriterium für die steuerliche Abgrenzung zwischen Landwirtschaft und Gewerbe.
Diese Vorschläge, die aber in den beteiligten Kreisen unterschiedlich beurteilt werden, würden sich nur bei Änderung des Einkommensteuergesetzes verwirklichen lassen. Gegen gesetzliche Beschränkungen der vorgenannten Art könnten jedoch verfassungsrechtliche Bedenken gemäß Art. 12 des Grundgesetzes geltend gemacht werden.
Zur Frage VI/5: Die deutsche Geflügelwirtschaft steht im Wettbewerb mit der auf Grund zweckentsprechender Rechtsvorschriften, in Produktion und Absatz gut organisierten Veredelungswirtschaft der wichtigsten Lieferländer, die zum größten Teil auch niedrigere Futtermittelpreise haben. Diese Wettbewerbsunterschiede sollen ausgeglichen werden. Die Bundesregierung prüft zur Zeit, ob die Vorschläge der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf Einführung eines gemeinschaftlichen Abschöpfungssystems annehmbar erscheinen. Die Kommission hat dem Ministerrat die Absicht mitgeteilt, ihre Vorschläge vom 30. Juni 1960 nochmals zu überarbeiten und die Neufassung ') bis zum 31. Juli 1961 vorzulegen. Beratungen von Sachverständigen, wie sie auf anderen Warengebieten bereits stattgefunden haben, wurden von der Kommission für das Gebiet Schlachtgeflügel noch nicht anberaumt.
Danke, die Fragen sind beantwortet.
Wir kommen zu VII - Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung -, erste Frage VII/1 - des Abgeordneten Welslau
Ist dem Herrn Bundesarbeitsminister bekannt, daß viele Unfallrentner, die dem Personenkreis der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge angehören, in diesen Tagen durch einen Bescheid des Trägers der Unfallversicherung in starkem Maße beunruhigt worden sind, durch den ihnen ihre Unfallrente entzogen und vorläufig nur noch als Fürsorgeleistung weitergezahlt wird?
Die Angelegenheit ist unserem Hause bekannt. Zur Beruhigung der Betroffenen kann ich jedoch mitteilen, daß der betreffende Versicherungsträger seine Aktion auf Veranlassung des Bundesversicherungsamtes bereits eingestellt hat. Soweit Renten in Fürsorgeleistungen umgewandelt worden sind, muß die Umwandlung rückgängig gemacht werden.
Frage VII/2 - des Abgeordneten Weber ({0}) -:
Aus welchem Jahr stammt die Tabelle für die Kapitalabfindung von Unfallrenten nach § 618 a RVO, aus der der Umrechnungsfaktor entsprechend der durchschnittlichen Lebenserwartung bezogen wird?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär.
Die Faktoren für die Berechnung des Abfindungskapitals befinden sich in der Verordnung über die Abfindung für Unfallrenten vom 14. Juni 1926.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß diese Tabelle den veränderten Verhältnissen, insbesondere der gestiegenen Lebenserwartung, angepaßt werden sollte?
Ja, deswegen hat die Bundesregierung bereits im Frühjahr 1957 Vorschläge gemacht, um die Abfindung von Unfallrenten, insbesondere zum Erwerb von Grundstücken, zu ändern.
Zweite Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, da sich die Unfallversicherungsreform auf Jahre hinaus verzögert hat und diese Dinge in der Luft hängen, darf ich Sie fragen: Wie denkt Ihr Haus über die Regelung dieser Angelegenheit und der Anträge, die in der Schwebe sind?
Unser Haus hat keinen Einfluß auf den Fortgang der Beratungen in diesem Hohen Haus. Wir müssen abwarten, was hier beschlossen wird.
Letzte Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, liegt es nicht im Bereich Ihrer Zuständigkeit, die Tabelle auf dem Verordnungswege anzupassen?
Das kann ich im Augenblick nicht sagen, Herr Abgeordneter. Ich werde diese Frage nachprüfen lassen.
Die Frage ist erledigt.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich ¡des Bundesministers für Verteidigung, zunächst zur Frage VIII/1 - des Herrn Abgeordneten Dr. Bucher -:
Ist es richtig, daß die Städte Aalen und Wasseralfingen zum Tieffluggebiet Häritsfeld gehören und nicht aus diesem Gebiet ausgeklammert wurden?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Die Städte Aalen und Wasseralfingen liegen im Tieffluggebiet Härtsfeld. Das ist insofern ohne Bedeutung, als nach der für die Bundesrepublik geltenden
Bundesverteidigungsminister Strauß
Tiefflugordnung Städte nur in einer bestimmten Höhe überflogen werden dürfen, gleichgültig ob sie in Tieffluggebieten liegen oder nicht.
Für die Flugzeuge der Bundeswehr wurde darüber hinaus in Verschärfung ,der Luftverkehrsregeln durch besondere Anweisung die Mindestflughöhe auf 600 m über Grund festgesetzt.
Wir kommen dann zur Frage VIII/2 - des Herrn Abgeordneten Felder -:
Steht das Bundesministerium für Verteidigung noch zu seiner am 23. November 1954 geäußerten Meinung, das ehemalige Flugplatzgelände in Deiningen Kr. Nördlingen werde für militärische Zwecke nicht benötigt, und weshalb erfolgte dann bis heute keine Freigabe des Geländes an die Gemeinde Deiningen?
Das Wort hat der Herr Bundesminister.
An der Freigabeerklärung der Dienststelle Blank vom 23. November 1954 bezüglich des ehemaligen Flugplatzgeländes Deiningen hat sich nichts geändert.
Diese Freigabeerklärung war ,damals bereits dem SPD-Ortsverein auf seine Anfrage mitgeteilt worden. Die Oberfinanzdirektion erklärte auf Anfrage, daß ihr von einem Kaufantrag der Gemeinde Deiningen nichts bekannt sei.
Ich rufe auf Frage VIII/3 - des Herrn Abgeordneten Dröscher -:
Welche Maßnahmen sind ,geplant, um die Bevölkerung des
unmittelbar vor der Startbahn des künftigen Militärflugplatzes Pferdsfeld liegenden Dorfes Rehbach noch vor Beginn des Flugbetriebes vor den ihr drohenden Gefahren zu schützen?
Rehbach liegt etwa 700 bis 1000 m ostwärts vom Anfang der Startbahn. Der Ort wird daher bei allen nach Westen gerichteten Landeanflügen und bei allen nach Osten erfolgenden Starts überflogen werden. Diese Startrichtung ist bei dem in der Bundesrepublik und auch in dieser Gegend vorherrschenden Wetter in neun von zehn Fällen üblich.
Rehbach liegt 50 m tiefer als die Startbahn und hat außerdem eine geringe räumliche Ausdehnung. Es wird in jedem Fall in mehr als 100 m Höhe überflogen werden. Hierbei erfolgt der Überflug bei der Landung etwa 7 Sekunden vor dem Aufsetzen, also im völlig geraden Anflugteil, so daß ein gefährlicher Flugzustand nicht mehr gegeben ist. Selbst im ungünstigsten Fall, d. h. bei Triebwerksausfall nach dem Start und vor der Landung, kann Rehbach mit Sicherheit überflogen oder der Ortsbereich durch Kurven verlassen werden.
Vor Aufnahme des Platzes Pferdsfeld in die Bundeswehrplanung ist mit den Fachressorts auf Bundes- und Landesebene - Bundesministerium für Verkehr und rheinisch-pfälzisches Ministerium für Wirtschaft und Verkehr - die Sicherheit im einzelnen überprüft und nicht beanstandet worden.
Eine Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, gibt es einen anderen für Düsenbetrieb geeigneten Flugplatz in der Bundesrepublik, wo Menschen ähnlich ungünstig, d. h. 600 m - und nicht 1000 m, wie Sie meinten - unmittelbar vor der Startbahn ständig leben, ihr Tagewerk vollbringen und auch ihre Freizeit verleben müssen?
Ich habe nicht die genauen örtlichen Verhältnisse aller Flugplätze der Luftwaffe in Erinnerung. Wie Sie aber selbst wissen, wäre ich froh, wenn ich andere Flugplätze hätte.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, wäre der Bund bereit, die Kosten für eine Verlegung des nur 185 Einwohner zählenden Dorfes zu tragen, wenn sich das als notwendig erweisen sollte?
Diese Frage betrifft ein Projekt von einem solchen Umfang, daß es sich nicht im Wege einer mündlichen Anfrage erledigen läßt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Minister, werden bei der Planung neuer Flugplätze nicht gleich die jeweiligen Schutzmaßnahmen für die unmittelbar daneben wohnende Zivilbevölkerung mitgeplant?
Das 'ist selbstverständlich der Fall. Ich darf nur darauf aufmerksam machen, daß es sich hier nicht um die Planung für einen neuen Flugplatz handelt, sondern um die Wiederinbetriebnahme eines alten Flugplatzes. Ich darf ferner auf die Tatsache aufmerksam machen, daß es in der Bundesrepublik definitiv unmöglich ist, einen neuen Flugplatz zu finden, für den das Gelände erworben und der ohne Schwierigkeiten mit der umliegenden Bevölkerung in Betrieb genommen werden kann.
({0})
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, zunächst zur Frage IX/1 - Ides Herrn Abgeordneten Dr. Gossel -:
Warum wird der Ausbau der Europastraße 8 im Raum Melle ({0}) nicht durchgeführt, obwohl im ersten Vierjahresplan hierfür 2,5 Millionen DM bereitstehen?
Das Wort hat der Herr Bundesministers für Verkehr.
Die Bauarbeiten zwischen Melle und Osnabrück können erst begonnen werden, wenn das Planfest8966
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm stellungsverfahren auf Grund baureifer Pläne durchgeführt ist. Diese Pläne werden jetzt durch die entsprechenden Auftragsverwaltungen bei den Ländern aufgestellt, nachdem die grundsätzlichen technischen Einzelheiten wie Linienführung, Anschlüsse, Querschnitt u. a. mit 'den beiden Auftragsverwaltungen der von der Europastraße 8 berührten Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen am 25. und 26. April geklärt worden sind.
Die im 1. Vierjahresplan mit 12 Millionen DM veranschlagten Gesamtkosten der Teilstrecke Melle -Osnabrück beruhen auf einer durch die Entwicklung überholten und den verkehrstechnischen Erfordernissen nicht mehr entsprechenden Planung. Die in den Rechnungsjahren 1961 und 1962 vorgesehenen Beträge mußten vermindert werden, weil infolge der Umstellung des Rechnungsjahres auf das Kalenderjahr und infolge der um etwa ein Jahr später als vorgesehen erfolgten Verabschiedung des Straßenbaufinanzierungsgesetzes eine Kürzung der Mittel des 1. Vierjahresplanes um rund 1 Milliarde DM eingetreten ist, die allgemein umgelegt werden mußte.
Zusatzfrage!
Warum sind die Verhandlungen über den Ankauf der Grundstücke im Raume Melle und die Vermessungen nicht schon in Angriff genommen worden, obwohl die Linienführung dort feststeht.
Das kann erst geschehen, Herr Kollege, wenn das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen und damit gewährleistet ist, daß die Baupläne keine Änderungen mehr erfahren. Vorher dürfen wir diese Arbeiten nicht in Angriff nehmen.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die Teilstrecke E 8 von Bruchmühlen nach Melle zusätzlicher Verkehr auf unzulängliche Kreisstraßen geführt wird, so daß dort häufig Stockungen eintreten?
Herr Kollege, ¡das ist bekannt. Aber bei allen großen Straßenbauvorhaben, die in Teilabschnitten mehr oder weniger großen Verkehrswertes durchgeführt werden, läßt sich nicht vermeiden, daß zwischenzeitig gewisse örtliche Unzuträglichkeiten auftreten, z. B. dann, wenn der Verkehr Bundesstraßen benutzen muß. Es handelt sich dabei jedoch um vorübergehende Behinderungen, die sich natürlich auch über einige Jahre erstrecken können.
Frage IX/2 - des Herrn Abgeordneten Dr. Stecker -:
Hat die Bundesregierung vorgesehen, daß im zweiten Vierjahresplan für die Europastraffe 8 Mittel bereitgestellt werden, um den Ausbau der Teilstrecke von Lotte bis Bad Oeynhausen baldigst durchzuführen?
Es ist beabsichtigt, den Ausbau der Bundesstraße 65
- sogenannte Europastraße 8 - von der Kreuzung mit der Autobahn Bremen-Ruhrgebiet, der sogenannten Hansalinie, bei Lotte bis Bad Oeynhausen zum Anschluß an die Bundesautobahn RuhrgebietHannover-Berlin seitens des Bundes nachdrücklich zu fördern und entsprechende Mittel im 2. Vierjahresplan vorzusehen. Die Umgehungsstraße Osnabrück wird zweifellos fertiggestellt sein, wenn die Hansalinie bis Lotte durchgeführt ist. Nach den als verbindlich geltenden Angaben der Auftragsverwaltung Nordrhein-Westfalens, die am 26. April in Osnabrück gemacht worden sind, ist außerdem der Ausbau der Landstraße I. Ordnung 777 zwischen Oeynhausen und der Landesgrenze bei Bruchmühlen im Zehnjahresplan ¡des Landes in erster Dringlichkeit eingeplant. Das Land strebt an, die in neuer Führung zu bauende sogenannte Städteverbindung Oeynhausen-Bünde bis zur Anschlußstrecke Bünde -Bruchmühlen bis Ende 1966 zu verwirklichen. Es wird also in dieser Zeit auch auf diesem Gebiet eine erhebliche Entlastung für den Verkehr eintreten.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei dem jetzigen Zustand der Straße der Raum Osnabrück praktisch von Hannover abgeschnitten ist?
Ja, das ist mir 'bekannt; denn ich habe diese Strecke oft genug selbst befahren. Ich weiß aber auch, wie man sich dabei zu helfen vermag; ¡denn man braucht ja nicht die Strecke nördlich 'des Wiehengebirges zu nehmen, sondern kann versuchen, auch südlich auf die vorhandenen Strecken auszuweichen. Schön sind die Verbindungen jedenfalls nicht.
Es kann aber nach dem jetzigen Stand angenommen werden, daß im nächsten Vierjahresplan die Schwierigkeiten einer Lösung zugeführt werden?
Ja, das hoffen wir. Wir wollen eine Lösung - jedenfalls so weit wie irgend möglich - im nächsten Vierjahresplan fördern. Die Strecke ist in das Ausbauplangesetz von 1957 als neu zu errichtende Bundesstraße aufgenommen.
Frage IX/3 - des Herrn Abgeordneten Dr. Schranz -:
Sind der Bundesregierung die Versuche bekannt, die von verschiedenen Stellen unternommen werden, um die Abgase aus Verbrennungsmotoren auf ein Minimum herabzudrücken wenn ja, fördert die Bundesregierung im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung diese Versuche?
Es werden seit geraumer Zeit erhebliche Anstrengungen unternommen, um durch wissenschaftliche Forschungen die Voraussetzungen für die Maßnahmen zu schaffen, durch die die Belästigungen und die Gefährdung durch Verunreinigung 'der Luft durch die Abgase von Kraftfahrzeugmotoren im Straßenverkehr weiterhin eingeschränkt werden können. Der 'derzeitige Zustand wird bei wachsender Motorisierung immer unbefriedigender.
In den letzten vier Jahren sind über 300 000 DM an Haushaltsmitteln für die kraftfahrtechnische Forschung für diesen Zweck aufgewendet worden, um damit 16 Forschungsvorhaben an namhafte Institute zu vergeben; 10 dieser Arbeiten sind abgeschlossen. Ihre Ergebnisse sind im technisch-wissenschaftlichen Schrifttum der Allgemeinheit bekanntgemacht worden. Die Ergebnisse der weiteren Arbeiten stehen noch aus.
Die Ergebnisse werden der Fortentwicklung der gesetzgeberischen Maßnahmen zugrunde gelegt. Die Automobilindustrie ist aber schon jetzt laufend mit dem Hinweis unterrichtet, die Ausrüstung der Kraftfahrzeuge ständig dem Stand der Forschung anzupassen.
Bekanntlich ist mit der Verordnung zur Änderung von Vorschriften des Straßenverkehrsrechts vom 7. Juli 1960 § 47 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung in der Weise ergänzt worden, daß die Verunreinigung der Luft durch Abgase das nach dem jeweiligen Stand 'der Technik unvermeidbare Maß nicht überschreiten darf. Hierzu bereitet die beim Verein Deutscher Ingenieure im interparlamentarischen Auftrag gebildete Kommission „Reinhaltung der Luft" gegenwärtig in Zusammenarbeit mit Behörden, Verbänden und der Wissenschaft die Veröffentlichung von Richtlinien vor, die dem gegenwärtigen Stand der Technik entsprechen.
Frage IX/4 - des Herrn Abgeordneten Dröscher -:
Warum muß jeder einzelne Antrag auf Gewährung eines Straßenhau-Bundeszuschusses aus dem sogenannten Gemeindepfennig dem Bundesverkehrsministerium in Bonn vorgelegt werden?
Das Verfahren für ,die Gewährung von Zuschüssen aus dem „Gemeindepfennig" ist in den „Vorläufigen Richtlinien für die Gewährung von Bundeszuwendungen zu Straßenbaumaßnahmen fremder Baulastträger" vom 11. April 1960 geregelt. Durch die Richtlinien wird der durch das Straßenbaufinanzierungsgesetz neu geschaffene „Gemeindepfennig" in das schon bestehende Zuwendungssystem einbezogen; es gilt das gleiche Verfahren, das bei der Gewährung von Zuschüssen seit Jahren mit Erfolg angewandt worden ist. Dadurch sollen Erfahrungen mit 'den Zuschüssen für die kommunalen Zubringerstraßen zu Bundesstraßen gesammelt werden.
Es ist beabsichtigt, nach Inkrafttreten der Novelle zum Bundesfernstraßengesetz die Richtlinien zu überarbeiten und 'das Verfahren wesentlich zu vereinfachen, und zwar dadurch, daß den Ländern die Bewilligung von Zuschüssen aus dem Gemeindepfennig im Rahmen der Auftragsverwaltung für die Bundesfernstraßen übertragen werden soll. Sie können dann über alle Bauobjekte bis zu etwa 1 Million DM selbst entscheiden. Diese schon lange geplante Neufassung der Richtlinien kann jedoch erst abgeschlossen werden, wenn die Novelle zum Bundesfernstraßengesetz, in deren § 5 a auch die Zuwendungen des Bundes für fremde Baulastträger geregelt werden, in Kraft getreten ist. Zu unserem Bedauern ist zu besorgen, daß infolge eines möglichen Anrufens des Vermittlungsausschusses die Angelegenheit weiter verzögert wird.
Danke schön.
Frage IX/5 - des Herrn Abgeordneten Ritzel :
Ist dein Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß am 7. April 1960 und wiederum Mitte April 1961 der Transit-Güterzug 7119 Singen-Schaffhausen-Waldshut-Basel zweimal unter den gleichen Umständen und am gleichen Ort - im Bahnhof Schaffhausen - verunglückte?
Ihre Frage, Herr Kollege Ritzel, beantworte ich mit Ja, obwohl es sich um eine Angelegenheit der Schweizer Bundesbahnen handelt.
Nach hier vorliegenden Informationen mußte an beiden Unfalltagen wegen Überfüllung der Bahnhofsgleise im Bahnhof Schaffhausen der Güterzug 7119 über weniger befahrene, in engen Krümmungen liegende Gleise geleitet werden. Mithin dürfte der Unfall auf die Gleisverhältnisse im Bahnhof Schaffhausen und nicht auf das Wagenmaterial, für das wir verantwortlich sind, zurückzuführen sein.
Die Betriebsführung auf dem schweizerischen Bahnhof Schaffhausen, der zwar von der Deutschen Bundesbahn im Durchgangsverkehr befahren wird, obliegt allein den Schweizer Bundesbahnen.
Durch die Staatsverträge ist die Deutsche Bundesbahn allerdings anteilmäßig im Bahnhof Schaffhausen Miteigentümer der dortigen Bahnanlagen. Sachverständigenausschüsse beider Verwaltungen haben in letzter Zeit die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer Erweiterung des Bahnhofs Schaffhausen gründlich geprüft. Die Verhandlungen mit den Schweizer Bundesbahnen über die Finanzierung und Kostenaufteilung sind jedoch noch nicht abgeschlossen.
Zusatzfrage?
Herr Bundesverkehrsminister, hält es die Bundesregierung für richtig und vertretbar, daß das System, das hier Anwendung fand, das System von Zug und Schub, d. h. die Verwendung einer Zuglokomotive und einer Schiebelokomotive, bei einem 100achsigen Zug Anwendung findet?
Es muß der örtlichen Betriebsleitung überlassen werden, wie sie einen Zug befördern will, ob mit einer Zug- oder mit einer Schubmaschine. Das hängt von den Verhältnissen nicht nur im Bahnhof ab, sondern von den Verhältnissen auf der Gesamtstrecke. Ich glaube nicht, daß die Bundesregierung in der Lage ist, in diese technischen Einzelheiten einzugreifen.
Weitere Frage?
Wie hoch ist der Schaden, der in beiden Fällen entstanden ist?
Soweit mir bekannt ist, beläuft sich der Schaden auf mehrere 10 000 DM.
Genaueres ist nicht bekannt?
Ich habe darüber keine genaue Angabe. Die Schweizer Presse hat den Sachschaden mit etwa 40 000 Schweizer Franken angegeben. Dabei können wir nicht genau sagen, wie hoch die Schäden bei den Gleisen sind, da wir dafür ja nicht verantwortlich sind. Die Gleise werden von den Schweizer Bundesbahnen unterhalten.
Danke schön.
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen! Frage X/1 - des Herrn Abgeordneten Mattick
Ist der Bundesregierung bekannt, daß fast überall im westdeutschen Raum zwar ungestört die Sender der Zone gehört werden können, daß aber insbesondere die Berliner Sender SFB und RIAS durch Störsender der Zone in Westdeutschland praktisch nicht zu empfangen sind?
({0})
- Übernommen vom Herrn Abgeordneten Mommer!
Nach Beobachtungen der Deutschen Bundespost werden die Sendungen des RIAS Berlin auf Mittelwellen durch eine Vielzahl örtlicher Störsender innerhalb der sowjetischen Besatzungszone erheblich gestört. Hingegen wurden beabsichtigte Störungen des Senders Freies Berlin wie auch der Rundfunkanstalten im Bundesgebiet auf Mittelwellen bisher nicht beobachtet. Die Sendungen des RIAS Berlin und des Senders Freies Berlin auf Mittelwellen könnten jedoch auch ohne die genannten Störungen aus rein physikalischen Gründen nicht im gesamten Bundesgebiet, sondern höchstens in der Nähe der Zonengrenze einwandfrei empfangen werden.
Danke sehr!
Frage X/2 - des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen -:
Ist es richtig, daß Belgien einen EWG-Postarif eingeführt hatte, der es ermöglichte, von Belgien aus mit Inlandsporto nach der Bundesrepublik zu schreiben, und das Bundespostministerium an die Ratifizierung eines entsprechenden Gegenseitigkeitsabkommens erinnert hatte und nur eine ausweichende Antwort erhielt, so daß Belgien den Vorzugstarif wieder abgeschafft hat?
Die Deutsche Bundespost verfolgt seit langem das Ziel, mit einer größeren Zahl europäischer Länder im gegenseitigen Postverkehr gleichzeitig ermäßigte Gebühren einzuführen, wobei nicht unerhebliche Einnahmeausfälle in Kauf genommen werden müssen. Die Verhandlungen hierüber sind noch nicht abgeschlossen.
Nachdem im Wege eines Briefwechsels mit der belgischen Postverwaltung - wie auch mit anderen Postverwaltungen - ein grundsätzliches Einvernehmen über die Einführung ermäßigter Gebühren erzielt worden war, hatte die belgische Postverwaltung in Zusammenhang mit einer allgemeinen Gebührenerhöhung einseitig die Anwendung der Inlandsgebühren für Briefe bis 20 g und Postkarten nach der Bundesrepublik eingeführt. Im Zuge von Sparmaßnahmen hat die belgische Regierung diese Regelung jedoch mit Wirkung vom 3. März 1961 wieder aufgehoben.
An den Bemühungen, im Postverkehr der europäischen Länder untereinander zu ermäßigten Gebühren zu gelangen, werde ich mich auch weiterhin aktiv beteiligen.
Danke!
XI. Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungsbau. Frage des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) :
Haben Subventionen oder bestimmte Subventionsformen - gegebenenfalls welche - dazu beigetragen, die Bau- und Bodenpreiskosten zu steigern?
Es ist nicht zu leugnen, daß Subventionen, durch welche die Nachfrage vermehrt wird, die Gefahr in sich bergen, unter bestimmten Voraussetzungen auch die Preise zu beeinflussen. Das kann vor allen Dingen der Fall sein, wenn die Grenzen der Baukapazität erreicht oder überschritten sind und die Vermehrung des Baulandvorrats mit der Nachfrage nicht Schritt hält. Gegenwärtig fehlen rund 150 000 Bauarbeiter. Bei einer solchen Situation sind natürlich Überlegungen anzustellen, wie man Angebot und Nachfrage miteinander in Einklang bringen kann. Es ist aber irrig, anzunehmen, daß der öffentlich geförderte Wohnungsbau für die Spannungserscheinungen auf dem Bau- und Baulandmarkt verantwortlich ist. Der Anteil ,des Wohnungsbaues an dem gesamten Bauvolumen ist ,in den letzten Jahren laufend zurückgegangen. Nach den Angaben des Instituts für Wirtschaftsforschung betrug ,er 1958 noch rund 48 % 1960 dagegen nur noch 44 % Der Anteil des öffentlich geförderten Wohnungsbaues am gesamten Wohnungsbau beträgt erfahrungsgemäß etwa rund die Hälfte.
An dem gesamten Baulandbedarf ist nach einem wissenschaftlichen Gutachten der Wohnungsbau nur mit etwa 14 v. H. beteiligt, wobei wiederum auf den öffentlich geförderten Wohnungsbau nur etwa die Hälfte, also rund 7 %,entfällt.
Weiter ist zu bedenken, daß die Form der öffentlichen Subventionierung im öffentlich geförderten Wohnungsbau in den letzten Jahren umgestellt worden ist. Während im Jahre 1957 noch rund 90 %
der Wohnungen durch reine Kapitalsubventionen gefördert worden sind, beträgt der Anteil 1960 nur noch 33 %. Der Anteil der gemischt-subventionierten Wohnungen, also der mit Kapitaldarlehen und Aufwendungshilfen subventionierten Wohnungen,
ist in der gleichen Zeit von 4 v. H. auf 60 v. H. gestiegen. Das Gesetz zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, das in ,dieser Woche in 2. und 3. Lesung im Hohen Hause beraten werden wird, bringt einen weiteren Ausbau der Miet- und Lastenbeihilfen. Durch diese Umstellung der Finanzierungsmethoden im öffentlich geförderten Wohnungsbau werden die Mängel, die die ausschließliche oder überwiegende Förderung mit Kapitaldarlehen hat, in weitem Umfang ausgeschaltet.
Im übrigen ist bei den Bodenpreisen darauf aufmerksam zu machen, daß die gegenwärtigen Preise in weitem Umfange die infolge des Preisstops bisher gezahlten Schwarzmarktpreise offenkundig werden lassen. Außerdem bietet das Bundesbaugesetz, dessen wesentliche Bestimmungen im nächsten Monat in Kraft treten werden, wirksame Handhaben zur Ordnung des Bodenmarktes.
Überdies wird mit der Abnahme des Wohnungs-Defizits, die als Folge der erfolgreichen Wohnungsbaupolitik zu verzeichnen ist, das Problem der Subventionen im Wohnungsbau an Bedeutung verlieren.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, wäre es angesichts der Tatsache, daß auf diesem Sektor die Preissteigerungen weit über die durchschnittlichen Preissteigerungen in den sonstigen Bereichen hinausgehen, nicht zweckmäßig, einmal durch ein wissenschaftliches Gutachten die Zusammenhänge zwischen Subventionen und Subventionsform einerseits und Preissteigerungen andererseits untersuchen zu lassen?
Herr Abgeordneter, nach meiner Erinnerung hat über die Frage der Subventionen im Verhältnis zur Preisentwicklung der Wohnungswirtschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Wohnungsbau bereits einmal ein Gutachten erstattet, das in der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Wohnungsbau veröffentlicht worden ist. Wenn Sie - wie ich Ihre Frage verstehe - Wert darauf legen, .daß man diesem Problem noch einmal nachgeht, dann bitte ich um Ihr Einverständnis, daß ich dieserhalb mit dem Bundeswirtschaftsministerium spreche. Denn diese Frage wird man nur im Gesamtzusammenhang der Wirtschafts- und Preispolitik sehen können, nicht für den Wohnungsbau allein.
Aus welchem Jahr ist das Gutachten, das Sie erwähnt haben?
Ich habe es nicht genau in Erinnerung. Ich nehme ,an, aus dem Jahr 1954 oder 1955, weiß es aber nicht genau.
Meinen Sie nicht, daß die veränderte Situation der Jahre 1959/60 und die Veränderung der Subventionsform
es notwendig erscheinen lassen, diesem Problem aufs neue wissenschaftlich nachzugehen?
Wenn man es mit der gesamten Wirtschaftspolitik verbindet, würde ich das durchaus für erfolgversprechend halten. Im übrigen sind ja all die Gesichtspunkte, auch die Umstellung der Finanzierungsmethode, von dem Wohnungswirtschaftlichen Beirat seinerzeit behandelt worden.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist es nach Ihren Ausführungen nicht so, daß der Wohnungsbau eine fallende Tendenz, der Hochbau im gewerblich-industriellen Sektor und dem der öffentlichen Hand eine steigende Tendenz aufweisen und daß dadurch ,die Überhitzung herbeigeführt wird? Würden Sie nicht eine Prüfung der Frage für zweckmäßig halten, welche Möglichkeiten es gibt, auf den beiden Gebieten mit steigender Tendenz die Konjunktur einzudämmen, vielleicht auch durch den Abbau von Steuervergünstigungen?
Herr Abgeordneter, es ist sicher so, wie Sie vermuten, nämlich daß der Anteil des Wohnungsbaus zurückgeht, so daß der Wohnungsbau an den Preissteigerungstendenzen nicht schuld sein kann. Das war auch der Sinn meiner Anregung, wenn man diese Frage untersuchen wolle, sie nicht speziell für ,den Wohnungsbau zu untersuchen, weil er nicht die verursachende Kraft ist. Ich bin durchaus ,der Meinung, daß, wenn man es überhaupt tut, man den gesamten Bausektor auf diese Wirkung hin untersuchen muß.
Ich rufe auf die Frage des Abgeordneten Reitz unter XII, Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte:
Ist es richtig und entspricht es den Absichten der Bundesregierung, daß die im Bundeshaushalt bereitgestellten Sondermittel für die Räumung der Wohnlager nur dazu verwendet werden, die Altvertriebenen aus den Wohnlagern zu bringen, und müssen die Mittel nicht auch dazu verwendet werden, um auch andere Lager und allgemeine Notunterkünfte zu beseitigen?
Der Abgeordnete Reitz ist nicht anwesend. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet.
Die Frage unter XIII ist im Einverständnis mit dem Fragesteller zurückgestellt.
Damit ist die Fragestunde erledigt.
Nach reiner Vereinbarung der Fraktionen soll nunmehr zunächst Punkt 3 der Tagesordnung behandelt werden:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Bewertungsgesetzes, des Vermögensteuergesetzes, des Steuersäumnisgesetzes, der Reichsabgabenordnung, des Steueranpassungsgesetzes,
Vizepräsident Dr. Schmid
des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin ({0}) und anderer Gesetze - Steueränderungsgesetz 1961 - ({1}) ;
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
({2}) ({3})
({4}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Krammig. Ich bitte ihn, seinen Bericht zu erstatten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt ein Schriftlicher Bericht vor. Ich wollte ihn nur in einer Beziehung, nämlich durch Zahlen, ergänzen, weil es nicht möglich war, sie in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit noch vorher zusammenzustellen.
Nach der Regierungsvorlage sollte der Steuerverzicht 1058 Millionen DM betragen. Durch Mehraufkommen an Einkommen- und Körperschaftsteuer infolge der Anhebung des Freibetrages bei der Gewerbesteuer wurden dieser Betrag auf 900 Millionen DM gesenkt.
Durch die Beschlüsse des Finanzausschusses, wie Sie sie in der Drucksache vorliegen haben, treten demgegenüber folgende Änderungen ein. Bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer tritt entgegen der Regierungsvorlage ein Steuerausfall von 333 Millionen DM ein; das bedeutet eine Verschlechterung um 15 Millionen DM. Zusätzliche Beschlüsse des Finanzausschusses führen einen Mehrausfall ) von 570 Millionen DM herbei. Bei der Vermögensteuer ist die Ausfallsumme durch die Beschlüsse des Finanzausschusses von 180 Millionen DM auf 280 Millionen DM heraufgesetzt worden. Bei der Gewerbesteuer ergibt sich ein Mehraufwand von 100 Millionen DM, so daß der Ausfall nunmehr 630 Millionen DM beträgt.
Wenn Sie diese Zahlen zusammenrechnen, meine Damen und Herren, ergibt sich ein Bruttosteuerausfall, auf zwölf Monate bezogen, von 1,8 Milliarden DM. Dem stehen Mehreinnahmen an Einkommen
und Körperschaftsteuer von schätzungsweise 260 Millionen DM gegenüber, so daß die Steuerzahler netto um rund 1,55 Milliarden DM entlastet werden.
Von dem Mehr, das der Finanzausschuß dem Ausfall bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer hinzugefügt hat, wird ein Betrag von rund 530 Millionen DM erst ab 1. Januar 1962 wirksam, so daß er die Aufkommenszahlen des Rechnungsjahres 1961 nicht tangiert. Von dem Gesamtbetrag von 570 Millionen DM verbleiben zu Lasten dieses Rechnungsjahres also nur 40 Millionen DM, von denen 35 % auf den Bundeshaushalt und die restlichen 65 % auf die Länderhaushalte als Ausfall zukommen werden.
Der Bund verzichtet, wenn die Vorlage so verabschiedet wird, wie sie Ihnen der Finanzausschuß vorgelegt hat, auf etwa 225 Millionen DM, die Länder auf rund 690 Millionen DM und die Gemeinden auf 630 Millionen DM Steueraufkommen. Das wollte ich in Ergänzung des Berichts Ihnen gern noch mitgeteilt haben.
Meine Damen und Herren, dem Berichterstatter stand, da der Finanzausschuß seine Beratungen erst am Donnerstagabend der vergangenen Woche abgeschlossen hatte, nur der Freitag zur Abfassung des Berichts zur Verfügung. Da er in dieser Zeit allein diese Arbeit nicht hätte bewältigen können, muß er an dieser Stelle danken erstens der Assistentin Frau Oberregierungsrat Dr. Wetzel, die sich selbstlos zur Verfügung gestellt hat, um den Bericht mitzuerarbeiten, und zweitens den Herren des Bundesfinanzministeriums, die ebenso bereit waren, den Berichterstatter zu unterstützen.
({0})
Meine Damen und Herren, die Abstimmung und Beratung werden nicht ganz unkompliziert werden. Bei Art. 1 werden wir wegen der vielen Änderungsanträge, die hierzu vorliegen, nummernweise abstimmen müssen. Bei einigen anderen Artikeln ist es ebenso. Sonst wird es möglich sein, artikelweise abzustimmen. Ich kündige das lediglich an.
Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag vor, den Sie auf Umdruck 880 Ziffer 1 finden:
In Nr. 1 Buchstabe f wird in § 3 Ziff. 56 die Regierungsvorlage wiederhergestellt.
Das Wort zur Begründung hat Frau Abgeordnete Beyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während der Ausschußberatungen wurde von einem Vertreter der Regierungspartei der Antrag auf Einfügung einer Nr. 8 a gestellt, die wir auf Seite 7 des Berichts finden. Der Antrag geht dahin, zu bestimmen, daß, „wenn der Arbeitnehmer in einem Lohnzahlungszeitraum Zuschüsse auf Grund der Vorschriften des § 1 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall . . . erhalten hat", „die Lohnsteuer nach dem Arbeitslohn für die Arbeitstage zu berechnen" ist.
Im Ausschuß waren wir übereinstimmend der Meinung, daß durch die Verabschiedung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle - es ist im Augenblick noch im Ausschuß - nicht eine Besserstellung des Kranken gegenüber dem Gesunden eintreten soll. Bisher war es so, daß der Arbeitnehmer für den Zeitraum, in dem er krank war, und darüber hinaus für den gesamten Lohnzahlungszeitraum keine Steuer zu zahlen hatte. Das soll mit Nr. 8 a beseitigt werden. Die Lohnsteuer wird im Krankheitsfalle nach Tagen berechnet.
Weiter hat der Ausschuß beschlossen, in Nr. 1 § 3 - hier handelt es sich um die Ausnahmebereiche - die Ziffer 56 zu streichen. Ziffer 56 besagt:
Zuschüsse, die Arbeitnehmer und in Heimarbeit Beschäftigte und ihnen gleichgestellte Personen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung im Krankheitsfall erhalten, soweit die SteuerFrau Beyer ({0})
befreiung ,im Hinblick auf den Zweck der Zuschüsse durch Rechtsverordnung bestimmt wird;
Eine Streichung würde eine doppelte Schlechterstellung bedeuten. Wir beantragen daher, daß die Beseitigung des § 3 Ziffer 56 zurückgestellt wird, bis wir das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall angenommen haben und seine Auswirkungen kennen. Es ist dem Parlament einfach nicht zumutbar, eine steuerliche Bestimmung zu beseitigen, bevor wir das neue Gesetz mit seinem Inhalt kennen. Keiner kann heute wissen, was aus der Ausschußberatung im Parlament wird.
Wir werden somit der Ergänzung in Nr. 8 a beistimmen. Die Diskussion über § 3 Ziffer 56 sollte im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle 'erfolgen, d. h. sobald wir dessen gesamte Auswirkung kennen. Ich möchte noch einmal daran erinnern, daß bereits im Ausschuß von seiten der Regierungsvertreter Bedenken in bezug auf eine ungleiche Behandlung der Arbeitnehmer geltend gemacht wurden. Wir hatten im Ausschuß keinerlei Zeit, diese Frage ordentlich zu klären. Uns allen im Ausschuß konnten die Auswirkungen des in absehbarer Zeit hier zur Beratung kommenden Gesetzes nicht bekannt sein. Das muß uns heute veranlassen, die Ziffer 56 des § 3 zu belassen. Wir bitten also, die Streichung solange zurückzustellen.
Unabhängig davon sollte berücksichtigt werden, daß diese Bestimmungen eine Rechtsverordnung erforderlich machen. Ich glaube deshalb, daß es ohne weiteres möglich ist, so zu verfahren, wie wir hier vorgeschlagen haben. Wir bitten es bei Nr. 8a zu belassen und die Streichung von § 3 Ziffer 56 zurückzustellen, bis das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle verabschiedet ist.
Ehe ich das Wort erteile, Herr Abgeordneter Krammig, wollte ich auf etwas aufmerksam machen. Die Mitglieder des Hauses vermissen einen Bericht des Haushaltsausschusses nach § 96 der Geschäftsordnung. Aus Ziffer 4 der Vorbemerkung des Berichts des Finanzausschusses ergibt sich, daß der Finanzausschuß offenbar der Meinung war, es handle sich hier nicht um eine Vorlage im Sinne des § 96 der Geschäftsordnung, so daß ein eigener Bericht des Haushaltsausschusses nicht nötig sei. Der Haushaltsausschuß hat sich offenbar nur als mitberatend betrachtet. Es heißt hier:
Der Haushaltsausschuß entledigte sich des Auftrags zur Mitberatung, indem er - unter besonderer Betonung der Ungewöhnlichkeit dieses Verfahrens - drei Mitglieder zu den Sitzungen des Finanzausschusses delegierte.
Ich teile das nur mit.
({0})
Zu dieser Frage, also zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß das Haus angesichts der zwingenden Vorschrift des § 96 der Geschäftsordnung auf einen Bericht und eine klare Stellungnahme des Haushaltsausschusses nicht verzichten kann. Der Haushaltsausschuß mag seine Beratungen angesichts seiner Sitzungstermine einrichten, wie er will. Ich glaube aber, es ist vorgeschrieben, daß vor Beratung dieses Gesetzes der in der Geschäftsordnung vorgesehene Bericht des Haushaltsausschusses vorliegen muß. Man kann auch die Erstattung des Berichts nicht an einen anderen Ausschuß delegieren. Förmlich ist auch das nicht einmal geschehen. Ich bin deswegen der Ansicht, daß dieses Gesetz nicht verabschiedet werden kann, bevor der geschäftsordnungsmäßig vorgeschriebene Bericht vorliegt. Die Entscheidung der Frage, inwieweit dieses Gesetz überhaupt beraten werden kann, bevor der Ausschußbericht vorliegt, möchte ich einstweilen dem Haus überlassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Haushaltsausschusses.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situation für den Haushaltsausschuß war ziemlich ausweglos. Wir sahen keine Möglichkeit, einen Sitzungstermin festzulegen, in dem wir von der Mitberatung, zu der wir verurteilt worden sind, hätten Gebrauch machen können. Wir haben dann im Ausschuß beschlossen, unser Mitberatungsrecht in der Weise auszuüben, daß wir einige Mitglieder des Ausschusses in die Sitzungen des Finanzausschusses delegieren. Natürlich ist es richtig, daß über diese Mitberatung ein Bericht hätte erstattet werden sollen. Die Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, die an der Beratung des Finanzausschusses teilgenommen haben, haben berichtet; d. h. sie haben sich für sich selber ein Urteil gebildet. Allerdings hat der Ausschuß inzwischen nicht getagt. Er konnte also nicht einen Bericht verabschieden, wie es die Geschäftsordnung vorschreibt.
Ich würde vorschlagen, daß einer der beteiligten Herren einen kurzen Bericht über das Ergebnis gibt, zu dem die Mitglieder des Haushaltsausschusses gekommen sind, und daß wir die Sache damit formal als erledigt ansehen.
Das ist sicher ein sehr salomonischer Vorschlag. Im übrigen bin ich der Auffassung, daß ein Ausschuß, wenn er nur mitberatend ist, keinen eigenen Bericht vorzulegen hat.
({0})
- Aus dem Verhandlungsprotokoll ergibt sich, daß das Plenumselber festgestellt hat: Der Entwurf sei keine Sache nach § 96 der Geschäftsordnung; darum werde der Entwurf ,dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen.
Ich halte aber den Vorschlag für sehr vernünftig. Ich ,glaube, wir können uns darauf einigen, jeden8972
Vizepräsident Dr. Schmid
falls keine Staatsaktion daraus zu machen, sondern so zu verfahren. Welches Mitglied (des Haushaltsausschusses soll nun den Bericht erstatten? Vielleicht kann man sich das noch überlegen.
(Abg. Neuburger: Herr Windelen! Der
Haushaltsausschuß hat ihn ({1})
- Ja, nun, man kann das nicht einfach so machen. Wenn Herr Windelen (den Bericht für den Haushaltsausschuß erstatten soll, muß der Haushaltsausschuß beschließen, (daß er sein Berichterstatter sein soll. Wir können das nicht hier unter uns verabreden.
({2})
- Herr Abgeordneter Dr. Mommer zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn eine Vorlage eine Finanzvorlage ist, dann diese, ein Steuergesetz 1961. Die Definition in § 96 unserer Geschäftsordnung heißt:
Finanzvorlagen sind alle Vorlagen (der Bundesregierung, des Bundesrates, sowie Gesetzentwürfe und selbständige Anträge von Abgeordneten im Sinne des § 97, die in der Hauptsache bestimmt oder in erheblichem Umfange geeignet sind, auf (die öffentlichen Finanzen einzuwirken .. .
Daß diese Definition hier zutrifft, unterliegt wohl keinem Zweifel.
In Abs. 2 desselben Paragraphen heißt es:
Finanzvorlagen, die einen Gesetzentwurf enthalten, sind nach der ersten Beratung dem Haushaltsausschuß und dem Fachausschuß zu überweisen.
Von der Geschäftsordnung her war (also vorgeschrieben, daß diese Vorlage außer an den Finanzausschuß auch an den Haushaltsausschuß ging.
Schließlich heißt es in Abs. 3, der in dieser Situation, in der wir uns jetzt befinden, entscheidend ist:
Der Haushaltsausschuß prüft jede Finanzvorlage auf ihre Vereinbarkeit mit dem Haushaltsplan und der Haushaltslage. Hat die Vorlage nach seiner Meinung haushaltsmäßige Auswirkungen, legt der Ausschuß zugleich mit dem Bericht an den Bundestag einen Vorschlag zur Deckung (der Mindereinnahmen oder Mehrausgaben vor.
Er legt also einen Bericht vor und muß etwas über die Auswirkungen auf den Haushalt sagen. Wir haben keinen solchen Bericht und beraten jetzt außerhalb der Geschäftsordnung.
Da wir diese Woche eine sehr lange Tagesordnung zu erledigen haben, würde ich vorschlagen, daß wir uns in diesem Falle doch an die Geschäftsordnung halten und 'die Beratung dieses Gesetzes jetzt unterbrechen. Der Bericht kann sicher nachgeholt werden. Dann können wir in der zweiten Beratung fortfahren.
Vielleicht darf ich hinzufügen, daß der Fehler bei der Überweisung gemacht worden ist; denn dort wurde ausdrücklich erklärt, (daß der Entwurf keine Sache nach § 96 sei. Das war, glaube ich, ein Irrtum. Aber so ist verfahren worden.
Herr Abgeordneter Schoettle!
Meine Damen und Herren! Ich mache den Vorschlag, 'daß wir die Beratung dieses Gesetzes unterbrechen - es ist ja genügend Stoff da - und daß ich inzwischen eine Sitzung des Haushaltsausschusses einberufe. Dann wird dem Hause der Bericht erstattet.
Ich muß allerdings noch einmal sagen: wir sind nicht nach § 96 der Geschäftsordnung zur Beratung herangezogen 'worden. Das Haus hat beschlossen, uns mitberatend zu beteiligen. Das mag ein Widerspruch zur Geschäftsordnung sein, aber das war zunächst einmal die Situation, vor die sich der Ausschuß gestellt sah.
Aber je komplizierter wir die Sache machen, um so mehr Zeit verlieren wir. Ich halte meinen Vorschlag immer noch für den praktikabelsten. Die Sitzung ist schnell einberufen.
Herr Abgeordneter Krammig!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß aus zwei Gründen etwas zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Schoettle bemerken. Erstens als Berichterstatter: Ich habe deshalb keinen Bericht des mitberatenden Ausschusses aufgenommen, weil der Haushaltsausschuß nach § 96 (der Geschäftsordnung beteiligt ist.
Zweitens. Als ich in der ersten Lesung in der vorvergangenen Woche (den Antrag auf Ausschußüberweisung stellte, habe ich ausdrücklich erwähnt, daß die Federführung beim Finanzausschuß liegen sollte, daß keine weiteren Ausschüsse beteiligt sein sollten und daß der Haushaltsausschuß sowieso nach § 96 der Geschäftsordnung beteiligt sei.
({0})
Das ist aber ganz offensichtlich in der nächsten Sitzung zurückgenommen worden. Wir wollen doch so verfahren, wie der Abgeordnete Schoettle vorgeschlagen hat. Es ist die richtige Verfahrensart, sie ist vernünftig, und ich glaube, wir kommen rascher ans Ziel.
Herr Abgeordneter Ritzel zur Geschäftsordnung!
Abgesehen davon, daß der Vorschlag Schoettle der richtige Ausweg ist, muß ich zu der Auffassung des Herrn Kollegen Krammig zu Protokoll Verwahrung einlegen. Der Haushaltsausschuß ist nicht automatisch nach § 96 der Geschäftsordnung eingeschaltet. Dann brauchten Sie es ja hier im Plenum nie zu beschließen. Der Haushaltsausschuß ist in diesem Falle mitberatender AusRitzel
schuß, und er kann natürlich, weil das Mitberaten eigentlich mehr ist als das Tätigwerden nach § 96 ({0}), seine Meinung nach § 96 ({1}) im Rahmen der Mitberatung äußern. Im vorliegenden Falle muß aber klargestellt sein, daß keine automatische Mitwirkung des Haushaltsausschusses nach § 96 ({2}) der Geschäftsordnung in Frage kommen kann.
Herr Abgeordneter Rasner, wollen Sie diese Ausführungen vertiefen? - Ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorschlag des Kollegen Schoettle ist der Sache nach der richtige. Im übrigen zur Klarstellung, Herr Kollege Ritzel: Die Überweisung nach § 96 erfolgt gar nicht durch das Haus, sondern nach § 96 überweist der Präsident ex officio, wenn festgestellt ist, daß die betreffende Vorlage darunter fällt.
Ich schlage jedoch vor, wir verfahren, wie der Kollege Schoettle empfiehlt: unterbrechen die Beratung dieses Tagesordnungspunktes und fahren damit fort, wenn der Bericht - es genügt wohl ein mündlicher Bericht, Herr Präsident - des Haushaltsausschusses vorliegt.
Das Haus wird damit einverstanden sein, daß nur ein mündlicher Bericht erstattet wird. - Kein Widerspruch. Dann bitte ich den Herrn Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, den Ausschuß einzuberufen. Auf wann berufen Sie ihn ein?
({0})
- Der Haushaltsausschuß wird sofort einberufen. Zimmer?
({1})
- In der Wandelhalle zu meiner Linken und zu Ihrer Rechten.
Ich unterbreche die Beratung des Punktes 3 und rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung ,des von der Bundesregierung ,eingebrachten Entwurfs eines Zollgesetzes ({2}),
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({3}) ({4}).
,({5}) Berichterstatter ist der Abgeordnete Krammig.
({6})
- Sie verzichten auf mündliche Berichterstattung und verweisen auf den Schriftlichen Bericht.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe
auf §§ 1,-2,-3,-4,-5,-6,-7,-8,-9,
-10,-11,-12,-13,-14,-15,-16,-17,
- 18, - 19, - 20. - Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Zu § 21 liegt ein Änderungsantrag vor. Sie finden ihn auf Umdruck 856. Er scheint interfraktionell zu
sein. Wer begründet ihn? - Herr Abgeordneter Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ganz wenige Worte. In § 21 wird geregelt, welche Bestimmungen Platz greifen, wenn ein Dumping festgestellt wird. Nun sind die Antragsteller der Auffassung, daß diese Vorschrift noch einer Ergänzung bedarf, wonach die Bundesregierung bei Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte auf Antrag sofort prüfen soll, ob eingeführte Waren Gegenstand eines Dumpings sind oder für sie Prämien oder Subventionen gewährt werden, und wonach zu gleicher Zeit geprüft werden soll, ob diese Einführungen eine bedeutende Schädigung des betroffenen Wirtschaftszweiges verursachen.
Sinn und Zweck des Antrages ist es, die Bundesregierung zu veranlassen, durch eine Rechtsverordnung das Prüfungsverfahren zu regeln. Um ihr diese Möglichkeit zu verschaffen, würde die Ergänzung des § 21 Abs. 2 durch einen neuen Abs. 2 a notwendig sein.
Ich darf Sie daher im Namen der Antragsteller bitten, den Antrag auf Umdruck 856 anzunehmen.
Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 856 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Wir stimmen nunmehr über § 21 in seiner neuen Fassung ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Ich rufe nunmehr, da keine weiteren Änderungsanträge vorliegen, auf: §§ 22 bis 89, - Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Einstimmige Annahme. Die zweite Beratung ist damit abgeschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über das Gesetz im ganzen. Wer zustimmen will, der möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der FPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beförderungssteuergesetzes ({0}),
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung ({2}),
Vizepräsident Dr. Schmid
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({3}) ({4}). ({5})
Verzichtet das Haus auf Entgegennahme von mündlichen Berichten? - Das ist der Fall. Dann treten wir in die zweite Beratung ein. Ich rufe die Artikel 1 bis 3, die Einleitung und die Überschrift auf. - Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Ich schließe die zweite Beratung.
Nunmehr rufe ich zur
dritten Beratung
auf und eröffne die allgemeine Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über das Gesetz im ganzen. Wer zustimmen will, der möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen ({6}) ({7}),
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen ({8}) ({9}) .
({10})
Hierzu gibt es eine Reihe von Änderungsanträgen.
Frau Dr. Steinbiß, wollen Sie den Bericht mündlich erstatten oder beziehen Sie sich auf den Schriftlichen Bericht?
Ich beziehe mich auf den Schriftlichen Bericht.
({0})
Ich habe vor mir einen interfraktionellen Änderungsantrag auf Umdruck 858 und einen Änderungsantrag, unterzeichnet „Lenz ({0}) und Fraktion", auf Umdruck 885.
({1})
- Dann bin ich machtlos. Wir können nur verhandeln, wenn die Änderungsanträge schriftlich vorliegen. Wird der Antrag gestellt, die Sitzung zu unterbrechen oder die weitere Beratung dieses Punktes auszusetzen?
({2})
- Dann bitte ich, den Antrag von der Tribüne des Hauses aus zu stellen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der Geschäftslage schlage ich vor, die Sitzung für 10 Minuten zu unterbrechen; dann sind die Anträge verteilt. Es hat keinen Zweck, jetzt den nächsten Tagesordnungspunkt aufzurufen.
Ist das Haus damit einverstanden? - Dann unterbreche ich die Sitzung bis 10 Uhr 45.
({0})
Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort. Wir stehen bei der Beratung von Punkt 6 der Tagesordnung. Ich hoffe, daß die Drucksachen jetzt verteilt sind.
Ich rufe in zweiter Beratung auf §§ 1, - 2, - 3, - 4, - 5, - 6, - 7, - 8, - 9, - 10, - 11, -12, - 13, - 14. - Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Zu § 15 liegt auf Umdruck 858 ein Änderungsantrag vor, der von drei Fraktionen eingereicht ist. Wird der Antrag begründet? - Bitte, Herr Abgeordneter Striebeck.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst darauf hinweisen, daß es sich hier um einen interfraktionellen Antrag handelt. Dieser Antrag nimmt auf das Impfgesetz vom 8. April 1874 Bezug, wo es heißt, daß ein Impfpflichtiger, welcher nach ärztlichem Zeugnis ohne Gefahr für sein Leben oder für seine Gesundheit nicht geimpft werden kann, zurückgestellt werden kann. Diese Bestimmung bezieht sich aber nur auf die Erstimpfungen und auf die weiteren Impfungen in späteren Jugendjahren. Immerhin ist auch hier schon für diese Erst- und Zweitimpfungen eine Aussetzung vorgesehen, wenn die für die Impfung vorgesehenen Personen krank sind und darüber ein ärztliches Attest beibringen. Wir sind der Auffassung, daß ein solcher Schutz erst recht für kranke Personen festgelegt werden muß, wenn bei Seuchengefahr eine allgemeine Zwangsimpfung durchgeführt werden soll. Das ist ,die einfache Begründung.
Im übrigen ist auf eine kleine redaktionelle Änderung hinzuweisen. Der einleitende Satz des Antrages muß richtig heißen: „Dem § 15 Abs. 1 wird folgender Satz angefügt:" Dann geht es wie im Antrag weiter:
Ein gemäß dieser Rechtsverordnung Impfpflichtiger, der nach ärztlichem Zeugnis ohne Gefahr für sein Leben und seine Gesundheit nicht geimpft werden kann, ist freizustellen.
Ich bitte die Damen und Herren, diesem Antrage zuzustimmen.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer ,dem Ergänzungsantrag zustimmen will, gebe das Handzeichen. - GegenVizepräsident Dr. Schmid
probe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir stimmen nunmehr über § 15 in der neuen Fassung ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
§§ 16, 17. - Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Bestimmungen sind angenommen.
§ 18. - Hier liegt ein Änderungsantrag vor, den Sie unter Ziffer 1 des Antrages Umdruck 885 finden. Wer begründet ihn? - Das Wort hat der Abgeordnete Stammberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Pflichtuntersuchungen nach § 18 sah der Regierungsentwurf nur die Möglichkeit einer Untersuchung durch das Gesundheitsamt vor. Der Ausschuß hat diese Fassung erweitert und hat die Möglichkeit offengelassen, daß in besonders gelagerten Fällen auch der Krankenhausarzt eine Untersuchung vornehmen darf.
Wir Freien Demokraten beantragen hiermit, daß auch frei praktizierende Ärzte unter den im Antrag genannten Voraussetzungen derartige Untersuchungen vornehmen dürfen. Ich möchte dabei ausdrücklich darauf hinweisen, daß es sich hierbei nicht einmal in erster Linie um ein Anliegen der Ärzteschaft handelt, sondern um ein Anliegen der durch diese Zwangsuntersuchungen betroffenen Kreise. Es ist der Zentralverband des Deutschen Handwerks gewesen, der bereits im Februar dieses Jahres an die mit der Gesetzesmaterie befaßten Abgeordneten mit der Bitte herangetreten ist, die frei praktizierende Ärzteschaft für derartige Untersuchungen zuzulassen. Wenn man schon dem Personenkreis des § 17 und auch dem Personenkreis des § 46 wegen eines öffentlichen Interesses die Zwangsuntersuchungen zumuten muß, dann soll dieser Personenkreis auch die Möglichkeit haben, zu den Untersuchungen den Arzt seines Vertrauens in Anspruch zu nehmen. Die notwendigen Kontrollrechte des Gesundheitsamtes sind durch die vorgesehene Bestimmung gewahrt, daß eine Abschrift des Zeugnisses unverzüglich dem zuständigen Gesundheitsamt zuzuleiten ist.
Ich möchte mich gleich mit den Einwendungen befassen, die möglicherweise von Frau Kollegin Dr. Hubert vorgebracht werden - der Gegnerin meiner Auffassung - dahingehend, daß eis sich um seuchenpolizeiliche Maßnahmen handele, für welche ein frei praktizierender Arzt gar nicht die Verantwortung übernehmen könne. In dieser Argumentation ist nach unserer Auffassung eine gewisse Unlogik, Frau Kollegin Dr. Hubert; denn der frei praktizierende Arzt ergreift ja keine Maßnahme, sondern er hat als Arzt nur die Feststellung zu treffen, ob infolge einer Erkrankung die Voraussetzungen für das seuchenpolizeiliche Eingreifen des Gesundheitsamtes oder der sonst zuständigen Behörden gegeben sind. Dazu muß auch der frei praktizierende Arzt in der Lage sein. Denn wenn ein anderer Patient zu ihm kommt, der nicht unter die Personengruppen des § 17 oder des § 46 des Gesetzes fällt, muß der Arzt auch in der Lage sein, z. B. einen Typhus, eine Ruhr, eine Tbc zu diagnostizieren und entsprechende Behandlungsvorschläge zu machen. Wir sehen also nicht ein, warum hier die persönliche Freiheit, zu welcher wir auch das Recht der freien Arztwahl .zählen, mehr als nötig beschnitten werden soll, und bitten deshalb um Annahme unseres Antrags.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß zu diesem Antrag des Kollegen Stammberger gerade als praktische Ärztin meine großen Bedenken anmelden. Herr Kollege Stammberger, nicht daß ich der Meinung wäre, der praktische Arzt könne diese Untersuchungen nicht durchführen. Natürlich kann er das. Natürlich wird er ,da, wo ein Patient, ,der krank ist, zu ihm kommt, diese Untersuchungen durch ein Hygienisches Institut durchführen lassen und wird dann diesen Nachweis führen können. Aber ich glaube, wir verschieben wirklich die Kompetenzen. Diese Maßnahmen durchzuführen, ist Aufgabe der Gesundheitsämter. Wir würden den praktischen Arzt mit einer Verantwortung belasten, die er meiner Meinung nach nicht zu tragen haben sollte.
Ich halte den praktischen Arzt für den Anwalt seines Patienten - als solcher habe auch ich mich immer gefühlt -, der seine Patienten auch gegenüber behördlichen Maßnahmen vertritt. Hier aber soll ,der praktische Arzt behördliche Maßnahmen vorbereiten. Der Arzt kommt in eine sehr schwierige Situation, wenn er nach Vornahme einer solchen Untersuchung den Betreffenden, der sich selbst völlig gesund fühlt, mit ,der Mitteilung überraschen muß: Sie dürfen Ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben, Sie sind Bazillenträger. - Diese Dinge sollte man den Gesundheitsämtern überlassen.
Von Bedeutung ist auch die Entschädigungsfrage. Der Arzt übernimmt eine erhebliche Verantwortung. Es gibt drei Möglichkeiten: Entweder das Gesundheitsamt ordnet in jedem Fall eine Nachuntersuchung an. Die zweite Möglichkeit ist, daß das Gesundheitsamt gegenüber einem bestimmten Arzt Mißtrauen hat, was für diesen Arzt dann keine erfreuliche Situation ist, und weil es den Untersuchungsergebnissen nicht traut, den Untersuchten doch noch zum Gesundheitsamt zitiert. Wenn aber das Gesundheitsamt das nicht tut, sondern Vertrauen zu den Untersuchungen dieses Arztes hat, und etwas passiert - z. B. das betreffende Lebensmittelgeschäft wird die Quelle der Ausbreitung einer übertragbaren Krankheit -, dann trifft den betreffenden praktischen Arzt mit die Verantwortung, und ,diese Mitverantwortung möchte ich ihm nicht aufgebürdet wissen.
Im übrigen, Herr Kollege Stammberger, scheint mir Ihr Antrag auch unlogisch zu sein. Die Untersuchungen nach § 18 beziehen sich auf alle in § 17 aufgeführten Krankheiten. Dennoch sollen nach Ihrem Antrag die Untersuchungen - also auch sol8976
che auf Typhus, Ruhr usw. - nur solche Ärzte vornehmen dürfen, die über eine Röntgeneinrichtung verfügen.
({0}) - Bitte!
Sind Sie der Meinung, daß sämtliche Gesundheitsämter außer über Röntgeneinrichtungen über sämtliche anderen Einrichtungen verfügen?
Darum handelt es sich nicht.
({0})
- Nein, auch der Praktiker sendet das zu untersuchende Material ein, aber ich habe gesagt, er übernimmt die Verantwortung für das, was er an Material entnommen und eingeschickt hat, und er übernimmt die Verantwortung für die Diagnose, daß nichts vorliegt. Diese Verantwortung sollten wir dem praktischen Arzt nicht aufbürden. Das Gesundheitsamt sendet das zu untersuchende Material auch ein, aber dann ist das Gesundheitsamt verantwortlich. Es ist erst kürzlich vorgekommen, daß ein Arzt eines Gesundheitsamtes in Regreß genommen worden ist, weil etwas passiert war, zwar ohne sein Verschulden, aber er hat immerhin die Verantwortung übernehmen müssen.
Ich bezweifle nicht das Können, sondern ich möchte den praktischen Arzt, in dem ich den Helfer und Anwalt des Patienten sehe, nicht mit diesen Maßnahmen belastet sehen. Das ist der Grund meiner Bedenken gegen Ihren Antrag.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Steinbiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können uns den Ausführungen von Frau Dr. Hubert nicht verschließen. Ich möchte ganz klar herausstellen, daß es sich hier nicht um eine Maßnahme gegen die freie Ärzteschaft handelt. Das liegt uns gänzlich fern. Die CDU/CSU hat sich wohl immer als Hüterin der frei praktizierenden Ärzte und der freien Berufe überhaupt bewährt. Sie liegen ihr ganz besonders stark am Herzen. Wenn wir dem Antrag von Herrn Dr. Stammberger nicht zustimmen, dann tun wir das gerade deshalb, weil wir den Ärzten nicht diese ungeheure persönliche Verantwortung auferlegen wollen.
Ich bitte Sie daher, den Antrag der FDP zu § 18 abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nehmen wir doch
dem Arzt die Verantwortung nicht ab, die er in allen anderen Fällen auch zu tragen hat!
({0})
Stellen Sie sich doch einmal vor, alle Abgeordnete des Deutschen Bundestages würden unter die Bestimmungen dieses Gesetzes fallen! Dann wären Sie alle verpflichtet, sich nur von einem einzigen Arzt, nämlich von dem Arzt des für Sie zuständigen Gesundheitsamtes, untersuchen zu Lassen! Wäre Ihnen das angenehm, daß Sie hier nur auf diesen einen geraden Weg gewiesen werden, den zu gehen normalerweise nur die Wehrpflichtigen angewiesen sind? Ich bitte Sie, auch diese menschlichen Rücksichten zu wahren und den Menschen, die unter dieses Gesetz fallen, wenigstens die Möglichkeit der freien Arztwahl zu lassen.
({1})
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wir stimmen dann über Antrag Umdruck 885 Ziffer 1 ab, zunächst über Buchstabe a. Oder a und b?
({0})
- Wir stimmen über a und b ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe dann die §§ 19 bis 44 auf. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Zu § 46 liegt der Änderungsantrag der FDP Umdruck 885 Ziffer 2 vor.
Herr Abgeordneter Dr. Stammberger begründet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 46 ist angeordnet, daß sich auch Lehrer und sonstige im Schuldienst tätige Personen regelmäßig untersuchen lassen müssen. Die Unlogik Ihrer Ablehnung unseres Antrags zu § 18 ersehen Sie schon daraus, daß der Ausschuß zu § 46 beschlossen hat, für die Einstellungsuntersuchung zwar nur das Gesundheitsamt zuzulassen, für die während der beruflichen Tätigkeit durchzuführenden Wiederholungsuntersuchungen wahlweise aber auch den frei praktizierenden Arzt zuzulassen. Wir sind der Meinung, man sollte hier konsequent sein und auch für die Einstellungsuntersuchung die Möglichkeit der Untersuchung durch den frei praktizierenden Arzt nach Wunsch des Betroffenen geben.
Aus diesem Grunde bitten wir Sie, wenigstens diesem unserem Antrag zuzustimmen.
Bitte, Herr Abgeordneter Dittrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich vermag der Argumentation
des Kollegen Stammberger hinsichtlich des früheren Antrags nicht beizupflichten. Diesem Antrag jedoch stimmt meine Fraktion zu.
Bitte, Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Da es sich bei diesem Antrag um Fälle von Personen handelt, die nur aus dem Beruf herausgezogen werden, wenn sie wirklich krank sind und behandelt werden müssen, und da es hier nur um die Röntgenuntersuchung geht, sind auch wir bereit, dem Antrag zuzustimmen,
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 885 Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe die §§ 47 bis 83 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit schließe ich die zweite Beratung und rufe die
dritte Beratung
auf.
Herr Abgeordneter Dr. Dittrich!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Seuchengesetz gibt Veranlassung, für die CDU/CSU folgendes auszuführen.
Zunächst darf festgestellt werden, daß der Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages in dieser Periode nach unserer Ansicht fleißige Arbeit geleistet hat. Wir haben im Ausschuß sowohl das Gesetz betreffend die Masseure als auch das Gesetz über die Ausübung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin, wir haben das Lebensmittelgesetz, wir haben das Apothekengesetz, das Arzneimittelgesetz und nunmehr das Seuchengesetz verabschiedet. Was die Arbeit des Gesundheitsausschusses in besonderer Weise hervorhebt, ist, daß diese Gesetze draußen in der Öffentlichkeit nicht unerheblich diskutiert worden sind und zum größten Teil Zustimmung erfahren haben. Ich brauche Sie nur an das Lebensmittelgesetz zu erinnern, ich darf aber auch auf das Arzneimittelgesetz verweisen, die in der Öffentlichkeit stark erörtert worden sind. Wenn nunmehr das Seuchengesetz im Bundestagsausschuß für Gesundheitswesen verabschiedet werden konnte, so ist das darauf zurückzuführen, daß die Regierung außerordentlich wertvolle Vorarbeit leistete und dem Ausschuß während der Beratungen ihre Hilfe zuteil werden ließ. Wir möchten deshalb den Herren des Bundesinnenministeriums, vor allem dem Herrn Ministerialdirektor Stralau und den Ministerialräten Bernhardt und Höffken unseren herzlichsten Dank für diese Mitarbeit zum Ausdruck bringen.
({0})
- Gestatten Sie, das scheint mir ein Akt der Höflichkeit zu sein, nicht ein neuer Stil, den wir hier einführen. Über den neuen Stil werde ich anschließend noch einiges zu sagen haben.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie gestatten mir sicher, daß wir auch der Berichterstatterin Frau Dr. Steinbiß den Dank für ihre Arbeit übermitteln.
Nun etwas über den besonderen Stil, wozu mir eben von der sozialdemokratischen Fraktion ein Zuruf gemacht wurde. Wir haben im Bundestagsschuß für Gesundheitswesen im Interesse der Gesundheit des deutschen Volkes gemeinsam eine nach unserer Ansicht wertvolle Arbeit geleistet. Die Gesetze, die wir auf dem Gebiete des Gesundheitswesen beschlossen haben, sind zum größten Teil einstimmig verabschiedet worden. Wir können es deshalb nicht verstehen, daß die SPD . in ihrem Programm von einer „Gesundheit für alle" spricht, für die wir doch, meine Damen und Herren, in diesem ganzen Hause verantwortlich sein wollen und verantwortlich sind.
({2})
Das scheint mir neuer Stil zu sein, der in diesem Hause und auch außerhalb des Hauses nicht einreißen sollte, daß die einen die Gesundheit gepachtet haben und die anderen schier Gegner der Gesundheit sein sollen.
Gestatten Sie mir wenige Ausführungen zum Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wird für diese Materie eine Ordnung geschaffen, die der immer wieder geforderten Vereinfachung des Seuchenrechts Rechnung trägt. Denken Sie bitte daran, daß 34 Gesetze, Verordnungen, Bekanntmachungen und Erlasse des Reiches und der Länder aufgehoben werden. Allein diese Tatsache beweist, wie unübersichtlich und uneinheitlich der bisherige Rechtszustand war.
Übertragbare Krankheiten müssen zum Schutz der Allgemeinheit schnell und wirksam bekämpft werden. Dabei sind natürlich gewisse Einschränkungen der im Grundgesetz verankerten Grundrechte in Kauf zu nehmen. Die Grenzen dieser Einschränkung wurden im Interesse des Schutzes des einzelnen genau festgelegt. Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben dem erweiterten Katalog der meldepflichtigen Krankheiten nur zugestimmt, um die heutigen wissenschaftlichen Kenntnisse in bezug auf Infektionsquellen und -wege zu berücksichtigen, stehen wir doch vor der Tatsache, daß virusbedingte Krankheiten - wie zum Beispiel übertragbare Gelbsucht - zunehmen!
Eine wesentliche Verbesserung - das scheint mir ein wichtiger Punkt dieses Gesetzes zu sein - stellen die Vorschriften zur Verhütung übertragbarer Krankheiten dar. Der Grundsatz „Vorbeugen ist besser als Heilen" kommt erstmalig in diesem Gesetz voll zur Geltung. Derartige vorbeugende Maßnahmen sind die hygienische Überwachung der Trinkwasser- und Brauchwasserversorgungsanlagen, die Beseitigung fester und flüssiger Abfallstoffe und
die Bekämpfung tierischer Schädlinge. Eine ordnungsgemäße Müllabfuhr ist für die Verhütung übertragbarer Krankheiten wichtig; sie wird aber nicht überall zufriedenstellend gehandhabt.
Wie ich bereits ausführte, wurde in dieser Legislaturperiode das Lebensmittelrecht umfassend geregelt. Das vorliegende Gesetz ergänzt dieses Lebensmittelrecht entsprechend unseren gemeinsamen Bemühungen. Die gesundheitliche Überwachung der in Lebensmittelbetrieben tätigen Personen wird dazu beitragen, die Verbreitung von übertragbaren Krankheiten durch Lebensmittel zu verhüten. Wir bedauern, .daß der Kreis der zu untersuchenden Personen auf bestimmte Betriebe des Lebensmittelgewerbes beschränkt bleiben mußte. Diese Vorschriften mußten jedoch für die Gesundheitsämter und die medizinischen Untersuchungsanstalten praktikabel sein.
Am unzulänglichsten - das haben Sie, meine Damen und Herren, alle draußen in der Praxis verspürt - waren im bisherigen Recht die Entschädigungen, u. a. bei Berufsverboten für Ausscheider und Ausscheidungs- und Ansteckungsverdächtige, geregelt. Wie notwendig die Ordnung dieser Materie war, wollen Sie daraus entnehmen, daß in der Bundesrepublik 1959 rund 10 000 Ausscheider von Typhus- und ähnlichen Erregern bekannt waren. Sie sind sowohl ein seuchenprophylaktisches als auch ein nicht zu übersehendes soziales Problem. Auch sind aus dem Pockenfall in Ansbach die notwendigen Lehren zu ziehen, damit z. B. auch für Ansteckungsverdächtige rechtliche Ansprüche bestehen.
Es sei zugegeben, daß für die Festsetzung der Höhe der Entschädigung eine Billigkeitsregelung vorgesehen ist und daß die Entschädigung keinen vollen Schadensausgleich darstellt. Demgegenüber ist bei den Impfschäden eine Entschädigung vorgesehen, durch die die Schäden optimal abgegolten werden können. Der Impfgeschädigte soll zu einem dem Aufopferungsgedanken adäquaten Schadensausgleich gelangen. Deshalb wurde die Höhe der Leistungen nicht den Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz angeglichen.
Besonders wichtig erscheint der Hinweis darauf, daß - entgegen der ursprünglichen Fassung des Entwurfs der Bundesregierung - Entschädigungen bei Impfschäden in Zukunft nicht nur nach Pflichtoder angeordneten Impfungen, sondern auch nach öffentlich empfohlenen Impfungen zu leisten sind.
Meine Damen und Herren, wir sind uns dessen bewußt, daß dieses Gesetz in Zukunft nur gut wirken kann, wenn die Zusammenarbeit zwischen der freien Ärzteschaft und dem öffentlichen Gesundheitsdienst in der bisherigen Form erhalten bleibt und wenn möglich noch intensiviert wird. Wir glauben, daß das Gesetz nach dieser Richtung durchaus Möglichkeiten, z. B. bei der Durchführung von Impfungen, bietet.
Gesundheitspolitisch stellt dieses Gesetz nach unserer Ansicht einen ebenso wichtigen Fortschritt wie das Arzneimittelgesetz dar. Die Fraktion der
CDU/CSU begrüßt daher die vorliegende Fassung
dieses bedeutsamen Gesetzes und wird zustimmen.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Stammberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten hat ursprünglich erhebliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung gehabt. Durch das Ergebnis der Ausschußberatungen ist allerdings der überwiegende Teil dieser Bedenken nunmehr beseitigt worden, so daß wir dem Gesetz in seiner jetzt vorliegenden Fassung heute unsere Zustimmung geben werden. Unsere Zustimmung zu dem Gesetz wurde durch folgende vom Ausschuß beschlossenen Änderungen ermöglicht:
Erstens. Eine Zwangsimpfung wird nicht mehr -wie ursprünglich vorgesehen - bei allen im Gesetz geregelten übertragbaren Krankheiten durchgeführt werden können, sondern auf Grund einer sehr gründlichen Anhörung von Sachverständigen nur noch bei Pocken, Cholera und Diphtherie.
Zweitens. Eine Zwangsimpfung wird in Zukunft nur durch die der parlamentarischen Kontrolle unterliegenden Regierungen des Bundes und der Länder angeordnet werden können, nicht aber - wie ursprünglich vorgesehen - durch andere Stellen, etwa die Gesundheitsämter oder sonstige untere Verwaltungsbehörden.
Drittens. Zwangsmaßnahmen gegen die persönliche Freiheit dürfen nur auf Grund des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen vom 29. Juni 1956 angeordnet werden.
Viertens. Die freie Arztwahl ist, wenn auch leider nur teilweise, in diesem Gesetz gewahrt, wobei ich jetzt schon sagen darf, daß wir unseren abgelehnten Antrag zu § 18 für die dritte Lesung nochmals eingebracht haben. Unseren Antrag zu § 46 haben Sie ja liebenswürdigerweise bereits in der zweiten Lesung angenommen. Ich bin fest überzeugt, daß Sie aus dieser Ihrer Annahme für die dritte Lesung die Konsequenzen auch zum § 18 ziehen werden.
Meine Damen und Herren, wir haben volles Verständnis für die Notwendigkeiten einer Seuchenbekämpfung, die in erster Linie natürlich Angelegenheit einer mit entsprechenden Vollmachten ausgestatteten Gesundheitsverwaltung sein muß. Wir verkennen auch nicht, daß die betroffenen Staatsbürger im Interesse der Gemeinschaft und auch im eigenen Interesse Beschränkungen unterliegen müssen, die eine Einschränkung der Grundrechte zur Voraussetzung haben. Aber als Politiker haben wir die Pflicht, die Grenze zwischen unbedingten Notwendigkeiten einerseits und den Gefahren einer zu starken Einengung der individuellen Freiheit durch eine allzu perfektionierte Verwaltung andererseits sehr genau zu beachten. Diese Grenze ist in diesem Gesetz erreicht, aber sie ist nach unserer Auffassung noch nicht überschritten. Aus diesem Grunde werDr. Stammberger
den wir dem Gesetz unsere Zustimmung nicht versagen.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein Wort zu Ihnen, Herr Kollege Dittrich! Trotz aller fleißigen Arbeit, die der Auschuß für Gesundheitswesen des Bundestages in dieser Legislaturperiode ohne Zweifel geleistet hat, werden Sie doch nicht leugnen wollen, daß bezüglich der Gesundheit unserer Bevölkerung gerade im heutigen Industriezeitalter noch außerordentlich viel zu tun übrig bleibt. Ich erinnnere nur ganz kurz an die Dunstglocken über dem Ruhrgebiet, ich erinnere an die Lärmentwicklung und daran, daß das Gesetz über die Entschwefelung in diesem Bundestag leider nicht mehr verabschiedet werden wird. Woran es liegt, daß dieses Gesetz nicht vorankommt, muß man fragen. Nicht am Gesundheitsausschuß! Es fragt sich, ob nicht Kräfte dahinterstehen, die dieses Gesetz als unbequem empfinden und nun Hemmnisse in den Weg legen. Ich habe es etwas bedauert, daß Sie die sonst so gute sachliche Atmosphäre in unserem Ausschuß hier im Plenum des Bundestages etwas zerstört haben.
Nun zu dem Gesetz selbst! Man kann wohl sagen, daß in den letzten hundert Jahren in der Medizin auf keinem anderen Gebiet solche Fortschritte erzielt worden sind wie gerade in der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Es wird vielleicht viel zu wenig gewürdigt, daß wir nach 1945 in Deutschland von Seuchen verschont geblieben sind, obwohl da und dort selbst Fleckfieber aufgeflackert ist. Aber der starke Verkehr zwischen den Kontinenten, die enge Berührung mit Ländern, in denen Krankheiten wie Pest, Cholera und Pocken noch heute zu Hause sind, macht es notwendig, daß wir in unseren Vorsichtsmaßnahmen nicht nachlassen. Das zeigen die Pockenfälle in Ansbach und in Heidelberg.
In der Öffentlichkeit sind gegen dieses Gesetz Bedenken erhoben worden, ob es nicht die persönliche Freiheit und die Unversehrtheit der Person zu stark einschränke. Man hat geglaubt, daß hier neue Begriffe eingeführt worden seien. Dies war ein Irrtum. Ohne daß man schon den Ansteckungsverdächtigen absondert - es sind für alle Krankheiten ganz bestimmte Zeiträume in denen Ansteckungsverdacht besteht, und Mißbrauch ist kaum möglich -, ist eine Bekämpfung übertragbarer Krankheiten nicht möglich.
Aber ich glaube, es ist richtig, daß die Öffentlichkeit hier aufmerksam und kritisch ist. Ich glaube, es steht gerade auch unserem Parlament an, ganz besonders sorgsam darüber zu wachen, daß die Freiheit der Person und die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen nicht angetastet werden. Denn wir werden sicherlich in der nächsten Zukunft, wenn der Sawade-Heyde-Prozeß auf uns zukommt, noch mit Schrecken die Vergangenheit vor uns aufstehen sehen und wissen, wie wichtig es ist, schon vom
Gesetzgeber her die engsten Schranken für den Schutz des Einzelnen zu ziehen.
Wir Sozialdemokraten können auch deshalb diesem Gesetz, gegen das wir zunächst große Bedenken hatten, zustimmen, weil die Ermächtigung im § 15, durch Rechtsverordnung Schutzimpfungen zwangsweise zu verfügen, jetzt auf drei bestimmte Krankheiten eingeschränkt worden ist. Hierzu haben wir eingehend Gutachter gehört. Wir glauben, daß nun nach Änderung des § 15 nichts mehr geschehen kann, was irgend welcher Behördenwillkür Vorschub leisten könnte.
Schutzimpfungen gehören heute zu den wesentlichen Maßnahmen nicht nur zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, sondern auch zur Vorbeugung. Wir sind aber der Meinung, daß diese Schutzimpfungen mit Ausnahme der Fälle, wo die Allgemeinheit gefährdet ist, immer dem Entschluß des einzelnen überlassen bleiben müssen. Allerdings müssen diese Schutzimpfungen dann auch durch den Staat unentgeltlich erfolgen; sonst darf man sich nicht wundern, daß bei uns in der Bundesrepublik von diesen Schutzimpfungen sehr viel weniger Gebrauch gemacht wird, als es in anderen europäischen Ländern der Fall ist.
Das vorliegende Gesetz regelt auch die Frage der Entschädigung bei Impfschäden und der Entschädigung, wenn jemand seinen Beruf vorübergehend oder dauernd aufgeben muß. Wir sehen zwar einen Fortschritt darin, daß überhaupt einmal eine gesetzliche Regelung vorgesehen ist, sind aber der Meinung, daß sie durchaus nicht ausreicht. Da jedoch die Entschädigungsleistungen im Zusammenhang mit Leistungen der Krankenkassen gesehen werden müssen und die Krankenkassenreform noch nicht erfolgt ist, haben wir für diesmal von Änderungsanträgen abgesehen. Wir behalten uns vor, weil sowieso, wenn die Krankenversicherungseform erfolgt ist, auch hier eine Novellierung wird erfolgen müssen, dann Novellierungsvorschläge zu machen.
Wir werden dem Gesetz als Ganzem zustimmen.
({0})
Ich schließe die allgemeine Beratung und eröffne die Einzelberatung.
Der Änderungsantrag Umdruck 885 Ziffer 1 wird wiederholt. - Abgeordneter Spitzmüller hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wir haben den Änderungsantrag wiederholt, weil wir glauben, daß Sie, wenn Sie sich die Dinge noch einmal in aller Ruhe überlegen, unseren Antrag doch annehmen werden. Wir haben es beim Jugendarbeitsschutzgesetz erlebt, daß hinterher Abgeordnete, Damen und Herren aus allen Fraktionen, in Diskussionen erklärt haben: „Ja, das haben wir nicht gewußt, daß sich das in der Praxis so und so auswirkt", und man spricht jetzt bereits von einer Novellierung des Jugendarbeitsschutzgesetzes.
Lassen Sie mich nun ganz kurz ausführen, wie sich das Bundes-Seuchengesetz in der Praxis aus8980
wirken wird, wenn § 18 nicht in der von uns vorgeschlagenen Form geändert wird. Alle Menschen, ob Selbständige oder unselbständig in den Betrieben Tätige, die mit Lebensmitteln zu tun haben, müssen sich einer Einstellungs- bzw. einer Erstuntersuchung unterziehen, die nach der vorliegenden Fassung nur vom Gesundheitsamt gemacht werden kann; sie müssen sich dann in bestimmten - noch festzusetzenden - Abständen Nachuntersuchungen unterziehen, die nach der vorliegenden Fassung ebenfalls nur vom Gesundheitsamt durchgeführt werden können.
Das führt einmal dazu, daß die Gesundheitsämter sehr stark überlastet werden; es führt aber auch dazu, daß all diese Menschen in großen Gruppen zum Gesundheitsamt bestellt werden, das sich in den Landkreisen ja immer nur in der Kreisstadt befindet. Manchmal ist eine ganze Tagereise erforderlich, um in die Kreisstadt zu gelangen; ich denke da an die teilweise schlechten Verkehrsverbindungen in den Fremdenverkehrsgebieten des Schwarzwaldes; um z. B. von St. Blasien in die Kreisstadt zu gelangen, muß man zweimal umsteigen. Man muß also eine Tagestour machen, wenn man dieser Vorschrift des Gesetzes nachkommen will.
Aus allen diesen Gründen und um dieses Gesetz praxisnäher zu gestalten, bitten wir Sie, unserem Antrag zu § 18 zuzustimmen. Dann haben die von diesem Gesetz betroffenen Personen die Möglichkeit, die Erstuntersuchung und die Nachuntersuchungen kostenlos beim Gesundheitsamt oder auf eigene Kosten bzw. ,auf Kosten des Betriebsinhabers bei einem dafür geeigneten Arzt durchführen zu lassen. Der Arzt hat immer eine Verantwortung, wenn er eine Untersuchung vornimmt. Warum soll er nicht in der Lage sein, die Verantwortung für eine nach diesem Gesetz erforderlich werdende Untersuchung zu übernehmen?
Wir bitten noch einmal herzlich aus Gründen der Praxis, im Interesse der von diesem Gesetz betroffenen Bevölkerungskreise, die ja nicht seuchenverdächtig sind, sondern die zum Schutz der Allgemeinheit untersucht werden müssen, daß Sie hier die freie Arztwahl genehmigen.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spitzmüller, ich kann nicht begreifen, daß Sie nicht den Unterschied zwischen diesen Einstellungsuntersuchungen und den Untersuchungen nach dem Arbeitsschutzgesetz oder auch den Röntgenuntersuchungen sehen. Meine Fraktion setzt sich ganz besonders für die freiberufliche Tätigkeit des Arztes und für die freie Arztwahl ein. Es ist eine unserer wesentlichsten Forderungen, daß überall die freie Arztwahl festgelegt wird, vor allem dann, wenn es sich um den einzelnen Kranken handelt. Bei den Untersuchungen auf Tuberkulose durch Röntgenstrahlen kann es sich um Kranke oder um Gesunde handeln. Der Betreffende müßte sich in Behandlung begeben, wenn das Gesundheitsamt eine Tuberkulose feststellt. Im Falle des § 46 würde der Betreffende zunächst einmal zu seinem Arzt gehen. Der stellt die Krankheit fest, und dann wird das Gesundheitsamt unterrichtet. Anders ist es dagegen bei den Untersuchungen für die Einstellung in Lebensmittelgeschäften.
Gestatten Sie eine Frage?
Sie sagten, der Arzt könne nur die Kranken untersuchen. Soll das heißen, daß Sie die für die gesetzliche Krankenversicherung geplanten Vorbeugungsmaßnahmen auch in die Hand der staatlichen Gesundheitsärzte legen wollen?
Nein, das soll es nicht heißen.
Was ist dann der Unterschied zwischen diesen Vorbeugungsmaßnahmen und den Schutzmaßnahmen nach dem Seuchengesetz?
Dieses sind hier Maßnahmen, die nicht zum Nutzen des Betreffenden, sondern zum Schutz der Allgemeinheit geschehen. Er ist ein polizeilicher Ruhestörer, er ist nicht ein Kranker, er ist nicht jemand, der behandelt werden muß, sondern er ist einfach jemand, der, ohne daß er dafür kann, eben - sagen wir einmal - die Allgemeinheit stört.
({0})
- Eben, das muß der Arzt ihm mitteilen, und hier übernimmt der Arzt eine Verantwortung für einen bestimmten Lebensmittelbetrieb.
Dann finde ich folgendes etwas unlogisch. Sie wollen hier den praktischen Arzt einschalten und stellen bei diesen Untersuchungen auf den Besitz eines Röntgenapparates ab. Sie würden dadurch z. B. alle die Ärzte ausschalten, die auf Typhus usw. untersuchen können. Sie begrenzen auch im allgemeinen Internisten und Röntgenologen.-Hier handelt es sich aber um viel mehr. Hier würde dem Arzt eine Verantwortung aufgebürdet, in die wir ihn gar nicht bringen sollten. Was hier vorgesehen ist, hat nichts mit den Maßnahmen nach dem Gesetz über den Jugendarbeitsschutz und mit anderen Dingen zu tun, wo die freie Arztwahl angebracht ist und erhalten bleiben soll.
Wir stimmen über den in der dritten Lesung wiedereingebrachten Antrag auf Umdruck 885 Ziffer 1 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt. - Ich schließe die Beratung.
Wer dem Gesetz mit den in der zweiten Lesung beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht,
Vizepräsident Dr. Dehler
den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung angenommen.
Wir haben noch abzustimmen über den Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2, die zu diesem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, ein Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist beschlossen.
Wir kehren zum Tagungsordnungspunkt 3 zurück: Steueränderungsgesetz 1961.
Der Herr Abgeordnete Windelen wird einen Bericht erstatten. Ich gebe ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen für den Haushaltsausschuß den Bericht zum Steueränderungsgesetz 1961 erstatten.
Der Haushaltsausschuß hat den Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1961 in der Fassung des Beschlusses des Finanzausschusses - Drucksachen 2706 und zu 2706 - gemäß § 96 der Geschäftsordnung geprüft. Der Haushaltsausschuß hat festgestellt, daß sich das Gesetz auf die öffentlichen Finanzen von Bund, Ländern und Gemeinden wie folgt auswirken wird:
Für die ersten zwölf Monate nach vollem Wirksamwerden der Steuerrechtsänderungen - unter Saldierung der Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer durch Senkung der Gewerbesteuer und der Vermögensteuer - ergibt sich ein Ausfall von insgesamt 1,504 Milliarden DM. Davon entfallen auf den Bund 224 Millionen DM, auf die Länder 650 Millionen DM und auf die Gemeinden 630 Millionen DM.
Im Rechnungsjahr 1961 werden beim Bund praktisch noch keine Ausfälle eintreten. Bei den Ländern und den Gemeinden dürften sich für 1961 Ausfälle ergeben, die aber verhältnismäßig geringfügig und durch Mehreinnahmen ausgeglichen sein werden.
Der Haushaltsausschuß traf diese Feststellung mit Mehrheit.
Wird nicht weiter das Wort gewünscht?
Ich rufe dann den Änderungsantrag auf Umdruck 880 unter Ziffer 1 auf:
In Nr. 1 Buchstabe f wird in § 3 Ziff. 56 die Regierungsvorlage wiederhergestellt.
Herr Abgeordneter Krammig!
Krammig (({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter des Finanzausschusses darf ich zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 880 Ziffer 1 folgendes bemerken.
Die Freilassung der Zuschüsse basiert zur Zeit auf § 3 Ziffer 52 EStG und § 5 a der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung. Die Regierung hielt es nicht für ausreichend, die Steuerbefreiung auf § 3 Ziffer 52 EStG abzustellen. Aus diesem Grunde wurde in der
Regierungsvorlage die Ergänzung in der neuen Ziffer 56 vorgeschlagen.
Der Gegenstand wurde im Finanzausschuß sehr gründlich beraten, weil er im Zusammenhang steht mit dem Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle, das in diesen Tagen in diesem Hohen Hause zur Verabschiedung kommen soll. Da der Finanzausschuß für die Regelung der hier angesprochenen Frage die Anfügung einer neuen Ziffer 5 an § 39 Abs. 3 EStG vorgeschlagen hat, muß der Änderungsantrag auf Umdruck 880 unter Ziffer 1 abgelehnt werden, wenn der vorgeschlagenen Neuregelung zugestimmt werden sollte.
Die Begründung ist folgende. Es soll erreicht werden - es wird nicht in vollem Umfange erreicht -, daß derjenige, der krank ist und 90 % seines Nettolohns erhält - der Betrag, der ausgezahlt wird, setzt sich aus Krankengeld und den Zuschüssen des Arbeitgebers zusammen -, am Ende des Jahres, wenn er Jahreslohnsteuerausgleich beantragt und erhält, sich nicht besser steht als derjenige, der das ganze Jahr gearbeitet hat.
Darauf ist auch zurückzuführen, daß für Arbeitstage die Tageslohnsteuersätze Anwendung finden sollen. Das stellt zunächst eine kleine Verschlechterung dar, die aber im Endergebnis, im Jahreslohnsteuerausgleich, wieder weitgehend ausgeglichen wird, so daß immer noch ein geringer Vorteil verbleibt.
Aus diesem Grunde und weil wir keine andere passende Regelung haben finden können, schlägt Ihnen der Berichterstatter vor, es bei der Ausschußfassung zu belassen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Beyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Die Begründung des Herrn Abgeordneten Krammig hat schon deutlich gemacht, wie unsicher man noch in dem Beschluß ist; denn auch von ihm kann nur gesagt werden: „wahrscheinlich wird damit eine Gleichstellung erreicht". Man kennt eben die Auswirkung noch nicht in vollem Umfang.
Ich möchte aber noch auf einen Tatbestand aufmerksam machen, der mir erst während der Pause bekanntgeworden ist. Dem Sozialpolitischen Ausschuß ist ein Brief vom 23. März ausgehändigt worden, der aus dem Finanzministerium stammt. Die Quintessenz dieses Briefes ist praktisch, daß eine solche Regelung verfassungsrechtlich bedenklich ist; der Jahresausgleich wird einseitig; „die Regelung ist familienfeindlich, sehr kompliziert und maschinell überhaupt nicht zu bewältigen". - Ja, Herr Dr. Becker, Sie haben dann ein Gutachtern erstellen lassen, damit die Verfassungsrechtlichkeit überprüft wird. Ich meine aber, wir sollten schon aus den Gesichtspunkten, daß einerseits die Auswirkungen noch nicht bekannt sind und andererseits das Gesetz über die Gleichstellung des Arbeiters im Krankheitsfall noch nicht verabschiedet ist, bereit sein, es bei der Regierungsvorlage zu belassen.
Es ist jedoch auch ungeklärt, ob nicht durch eine solche Regelung - wie vorn Ausschuß vorgeschlagen - der Arbeiter schlechter gestellt wird als der Angestellte; denn wenn der Angestellte mehr als sechs Wochen krank ist, werden ja auch ihm Zuschüsse von seiten der Unternehmer gezahlt. Hier würde sich also schon eine Ungleichmäßigkeit ergeben.
Herr Kollege Krammig, eine wirklich gründliche Beratung ist im Ausschuß gar nicht möglich gewesen. Wir würden hier eine Regelung treffen, deren Auswirkungen im Endeffekt keiner richtig kennt.
({0})
- Gut, das will ich akzeptieren. Herr Kollege Krammig macht geltend, daß er nur als Berichterstatter und nicht als Mitglied des Finanzausschusses gesprochen hat. Das ist ein Unterschied. Ich bin für den Hinweis dankbar. Ich habe es anders aufgefaßt.
Wir sollten aber im Hinblick auf das, was ich eben dargestellt habe, die Neuregelung zurückstellen, bis das Gesetz verabschiedet ist. Wir verlieren ja gar keine Zeit und können auch die Zwischenzeit dazu benutzen, die gesamte Angelegenheit so zu prüfen, daß wir nicht in verfassungsrechtliche Schwierigkeiten auf Grund einer unterschiedlichen Behandlung von Arbeitnehmern mit gleichen Tatbeständen geraten. Daran wird wohl keiner ein Interesse haben.
Die Regelung ist ad hoc in das Gesetz hineingebracht worden, ohne daß eine ausreichende Klärung möglich war. Ich bitte deshalb unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Beyer, bei dem Schreiben des Finanzministeriums handelte es sich nicht um diese Frage, sondern es ging um den viel weitergehenden Antrag, das Krankengeld neben dem Zuschuß des Arbeitgebers steuerpflichtig zu machen. Dagegen hatte das Finanzministerium verfassungsrechtliche Bedenken. Das Finanzministerium hat aber keine verfassungsrechtliche Bedenken gegen das, was hier beabsichtigt ist, gegen die Besteuerung des Zuschusses des Arbeitgebers, der ja eine direkte Zahlung an den Arbeitnehmer darstellt.
Nun zu Ihrer These, man könne das in diesem Gesetz nicht bringen, weil das Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung des Arbeiters im Krankheitsfalle noch nicht verabschiedet ist. Das ist nicht richtig, denn wir müssen ja in diesem Gesetz steuerliche Regelungen treffen. Das andere Gesetz wird bekanntlich schon am 30. Mai behandelt; bis dahin haben wir nur noch wenige Tage. Die Termine der beiden Gesetze können durchaus aufeinander abgestimmt werden, so daß sich bei der Verkündung beider Gesetze terminmäßig keine Kollisionen ergeben.
Es kam uns darauf an, daß der Arbeiter, der jetzt (I einen hundertprozentigen Ausgleich bekommen soll - bekanntlich ist diese Regelung vom Sozialpolitischen Ausschuß schon angenommen -, im Falle der Krankheit nicht wesentlich mehr bekommt als der gesunde Arbeiter. Das wird allgemein - in der Wirtschaft, aber auch in der Arbeiterschaft - als nicht richtig angesehen. Wir müssen also einen Weg finden, ihn in diesem Fall nicht besserzustellen als den gesunden Arbeiter. Das Krankengeld, welches der Arbeiter bekommt - das sind 65 % des Bruttolohns -, soll nicht versteuert werden. Dagegen bestehen verfassungsrechtliche Bedenken, vielleicht aber auch das Bedenken, daß der Arbeiter die Hälfte des Beitrages für die Versicherung selber gezahlt hat. Da das nicht versteuert werden soll, müssen wir wenigstens die Versteuerung eines Teiles, nämlich des Beitrags des Arbeitgebers vorsehen, da wir jetzt die Zahlung von 100 % des Nettolohns einführen wollen. Diese Zahlung von 100 % des Nettolohns würde sonst dazu führen, daß der kranke Arbeitnehmer beim Lohnsteuerjahresausgleich wesentlich mehr herausbekäme als der gesunde Arbeitnehmer. Daraus würden in den Betrieben ohne Zweifel Mißstimmigkeiten entstehen. Ich möchte daher bitten, den Antrag der SPD abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es lohnt sich, über diesen Antrag noch einmal zu sprechen. Er hat nicht nur große praktische, sondern auch eine gewisse symptomatische Bedeutung.
Erstens darf ich darauf aufmerksam machen, daß es sich um eine Lohnsteuererhöhung handelt, um den Wegfall einer bisherigen Lohnsteuerfreiheit. Das ist immerhin ein Punkt, den man im Rahmen des Gesetzentwurfs, in dem so viele Anliegen anderer Leute und so gar keine Anliegen der Lohnsteuerpflichtigen berücksichtigt werden, in Betracht ziehen muß. Ich darf ferner darauf hinweisen, daß die Ziffer 56 der Regierungsvorlage dem geltenden Recht entspricht. Es ist geltendes Recht, und es war bei diesen Überlegungen immer der Ausgangspunkt, daß diese sehr genau bezeichneten Zuschüsse steuerfrei sind. Außerdem darf ich sagen, daß diese Ziffer 56 in der Praxis eine Ermächtigungsvorschrift ist. Diese Zuschüsse sind auch nach geltendem Recht und nach der Regierungsvorlage nur steuerfrei, soweit die Steuerbefreiung „im Hinblick auf den Zweck der Zuschüsse durch Rechtsverordnung bestimmt wird". Sie haben also schon durch die Vorschrift selbst die Möglichkeit, notwendige Anpassungen irgendwelcher Art vorzunehmen.
Zweitens. Es werden hier zwei Dinge beantragt - nämlich die Streichung der Ziffer 56 in § 3 und die Nr. 8 a dieses Artikels, den wir jetzt beraten -, die sich auf eine Neufassung des Lohnfortzahlungsgesetzes beziehen sollen, das von diesem Haus noch nicht beschlossen ist. Bisher liegen diesem Haus nicht einmal die Formulierungen des Ausschusses vor. Das ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Schon desSeuffert
wegen ,sollten wir Veranlassung haben, an dem bisher bestehenden Zustand nichts zu ändern. Es handelt sich außerdem, wie ich soeben sagte, um eine Ermächtigungsvorschrift, welche Anpassungen durch Rechtsverordnung zuläßt. Wir haben im Ausschuß eingehend Fälle untersucht, wo durch Anfallen von Krankheitstagen und durch entsprechende Zuschüsse innerhalb eines Monats Steuerersparnisse eintreten können gegenüber demjenigen, der in der ganzen Zeit gearbeitet hat und bei voller Lohnfortzahlung auch nicht mehr bekommt als der Kranke. Das wäre gegenüber Gesunden ungerecht und zu vermeiden.
Alle diese Fälle, die wir haben durchrechnen können - und wir haben uns eine ganze Reihe von Fällen angesehen -, lassen aber zu dem Ergebnis kommen, daß die Vorschrift der Nr. 8 a allein - nämlich die Ermächtigung, in solchen Fällen die Tagestabelle anzuwenden, die mehr Steuer ergibt - ausreichen dürfte, solche Fälle seien es Mißbrauchsfälle, seien es Ungerechtigkeitsfälle, auszuschließen.
Es besteht keine Veranlassung, hier einer doppelten Ermächtigung zu Lohnsteuererhöhungen zuzustimmen im Hinblick auf ein Gesetz, das von diesem Hause überhaupt noch nicht beschlossen ist und dessen beabsichtigte Formulierung dem Hause noch nicht vorliegt. Wir würden, wenn unser Antrag angenommen wird, auf die Nr. 8 a dieses Atrikels nicht mehr zurückkommen. Es besteht aber keine Veranlassung, an dem bestehenden Zustand bezüglich der Steuerfreiheit der Zuschüsse so voreilig etwas zu ändern. Diese Änderung ist nicht nur sachlich ungerechtfertigt, sondern ich muß sagen, die Bereitwilligkeit, hier zu Lasten der Arbeitnehmer alle Vorsorge gegen irgendwelche Auswirkungen zu treffen und so leichtfertig mit der Lohnsteuer umzugehen, steht in einem gewissen schreienden Gegensatz zu der Bereitwilligkeit, Forderungen anderer Leute in diesem Gesetz sehr minutiös nachzukommen.
({0})
Das ist nicht nur sachlich ungerechtfertigt, sondern das macht auch, gelinde gesagt, einen außerordentlich schlechten Eindruck.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich jetzt hier nicht auf die Details dieser steuergesetzlichen Vorschriften einlassen, ich muß aber, weil das Gesetz über die wirtschaftliche Besserstellung der Arbeiter im Krankheitsfalle hier mehrfach angesprochen wird und mit Recht angesprochen wird, dazu kurz folgendes ausführen.
Der Sozialpolitische Ausschuß des Hauses hat seine Beratungen über die eben erwähnte Gesetzesvorlage in der vergangenen Woche abgeschlossen. Bei der allgemeinen Debatte bestand im Ausschuß völlige Übereinstimmung unter den Parteien - also CDU/CSU, SPD und FDP -, daß eine Regelung angestrebt werden müsse, die darauf hinauslaufe, daß
der Arbeiter im Krankheitsfalle keine höheren Bezüge habe, als er haben würde, wenn er tätig gewesen wäre. Darin waren sich die Fraktionen im Ausschuß einig.
({0})
Sie waren sich dem Grunde nach auch darin einig, daß wir diese Bestimmungen nicht in dem Gesetz über die wirtschaftliche Besserstellung der Arbeiter im Krankheitsfalle treffen sollten, sondern daß versucht werden sollte, diese Bestimmungen im Rahmen des Steueränderungsgesetzes für das Jahr 1961 zu treffen. - Frau Kollegin Beyer, ich räume sehr gerne ein, daß die Lösung, die der Finanz- und Steuerausschuß gefunden hat, noch keine hundertprozentige Lösung ist. Wir haben hier eine ziemlich weitgehende Einhaltung des Grundsatzes, daß nicht mehr verdient werden soll als im Arbeitsfalle, aber, ich wiederhole es, noch keine voll befriedigende Lösung. Wir sollten aber - darin stimme ich mit den Kollegen meiner Farktion überein, die dazu gesprochen haben - die Bestimmungen, die in der Vorlage stehen, heute annehmen. Die Fraktionen haben dann bis zur 2. und 3. Lesung des erwähnten Lohnfortzahlungsgesetzes Gelegenheit, sich die Dringe sehr gründlich zu überlegen. Wenn wir dabei noch zu anderen, zu ergänzenden, zu besseren Lösungen kommen, werden die Fraktionen zweifellos nicht zögern, diese entsprechenden Anträge zur 2. Lesung zu stellen. Ich sage sogar: es wäre erfreulich, wenn wir dann vielleicht zu einer interfraktionellen Lösung kommen könnten. Das wäre immerhin unter Umständen noch drin. Aber im andern Falle werden die Fraktionen ihre Anträge einbringen. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß wir dann der endgültigen, der voll befriedigenden Lösung noch etwas näher kommen, als das im Augenblick der Fall ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Kühlmann-Stumm.
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von Kühlmann-Stumm ({1}) : Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben im Finanzausschuß die steuerlichen Regelungen besprochen, die im Zusammenhang mit dem geplanten Gesetz zur völligen Gleichstellung der Arbeitnehmer im Krankheitsfalle vorgesehen sind. Die zuständigen Herren des Finanzministeriums, die bei diesen Beratungen anweisend waren, haben uns mitgeteilt, daß die Problematik dieses Gesetzes durch die vorliegenden Gesetzesanträge nur gemildert, aber nicht beseitigt werden könne. Das ist schon von meinem Vorredner bestätigt worden.
Ich habe im Auftrag der Fraktion der Freien Demokratischen Partei im Finanzausschuß die Erklärung abgegeben, daß unsere Fraktion den Änderungen, die im Hinblick auf das geplante Gesetz zur völligen Gleichstellung der Arbeitnehmer im Krankheitsfalle in der Drucksache 2706 vorgeschlagen worden sind, nicht zustimmen könne. Da das
alte Lohnfortzahlungsgesetz noch bestehendes Recht ist, schließen wir uns dem Antrag der Sozialdemokraten an, demzufolge die Ziffer 56 im Regierungsentwurf stehenbleiben soll. Wir dürfen darauf hinweisen - es ist schon angeklungen -, daß es ungerecht ist, wenn ein Arbeitnehmer, der in einem Jahr meinetwegen 14 Tage oder einen Monat krank gewesen ist, sich im Endeffekt besser steht als ein vergleichbarer Arbeitnehmer, der das ganze Jahr gesund gewesen ist. Nachdem uns erklärt worden ist, daß alle Bestimmungen, die wir in diesem Regierungsentwurf und den Beschlüssen des Finanzausschusses vorliegen haben, nur eine Milderung und keine Verbesserung bringen, können wir von der Fraktion der Freien Demokraten diesen Anträgen nicht zustimmen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Beyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Horn veranlassen mich noch einmal zu folgender Feststellung. Selbstverständlich erkennen auch wir den Grundsatz an - .das ist in den Ausschüssen geschehen -, daß keine Besserstellung des Arbeitnehmers im Krankheitsfalle gegenüber den Beschäftigten erfolgen darf. Wenn Sie aber sagen, das werde mit dieser Fassung weitestgehend erreicht, stellen Sie die Richtigkeit dieser Fassung doch schon in Frage. Wir müssen demgegenüber sagen, daß die Nr. 8 a in Verbindung mit § 3 Ziffer 56 sogar eine Schlechterstellung bedeuten kann und eine Sicherstellung des vollen Lohnausgleichs unter Umständen nicht mehr erreicht wird. Darüber ist im einzelnen nicht beraten worden. Außerdem habe ich bereits vorhin angeführt, daß wir die Verfassungsmäßigkeit in Frage stellen müssen, da eine ungleiche Behandlung des Arbeiters und des Angestellten eintritt. Wenn nun trotz der Unsicherheit die Schlußfolgerung gezogen wird - für die sich der Kollege Horn aussprach -, dem Vorschlag des Finanzausschusses zu folgen, dann kann man das nur als unlogisch bezeichnen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß die Regierung, die die Vorlage mit der Einfügung der Ziffer 56 in § 3 des Einkommensteuergesetzes gemacht hat, nicht Überlegungen angestellt hat. Der Regierung war doch zu dem Zeitpunkt bereits bekannt, daß das Gesetz zur Sicherung der Arbeitnehmer im Krankheitsfalle bis zum Ende der Legislaturperiode beraten sein würde. Sicher hat sie auf Grund dessen den Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1961 in dieser Fassung eingebracht.
Die logische Schlußfolgerung im Hinblick auf diesen Unsicherheitsfaktor kann nur sein, die im Regierungsentwurf vorgesehene Ziffer 56 anzunehmen und so lange bestehen zu lassen, bis das Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Arbeitnehmer im Krankheitsfall, das im Sozialpolitischen Ausschuß beraten wird, vom Bundestag verabschiedet ist. Erst dann sollten wir weitere Beschlüsse fassen.
Ich bitte Sie, unter Berücksichtigung der genannten Gesichtspunkte unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure außerordentlich, daß der Herr Kollege Seuffert einen klassenpolitischen Akzent in unsere Debatte hineingetragen hat, indem er nämlich - -({0})
- Einen klassenpolitischen Akzent in unsere Debatte hineingetragen hat, habe ich gesagt, und ich bleibe dabei. Herr Seuffert hat nämlich den Eindruck zu erwecken versucht, als sei beabsichtigt, im Gegensatz zu irgendwelchen Begünstigungen, die sonst in dem Gesetz enthalten sind, für die Arbeitnehmerschaft eine Verschlechterung der Lohnsteuerbedingungen herbeizuführen. Herr Seuffert, wir sind wohl völlig einig in dem Grundsatz, daß es hier nicht um eine Verschlechterung der Lohnsteuerbedingungen, sondern allein und ausschließlich darum geht, daß die hundertprozentige Nettohilfe, die der Arbeitnehmer im Krankheitsfall erhalten soll, nicht zu einer Besserstellung gegenüber den Gesunden führen darf. Allein dieser Gesichtspunkt steht hier zur Debatte.
Deshalb habe ich an die Regierung die Frage: Ist in Beispielen durchgeführt worden, ob bei der beabsichtigten Regelung kein Arbeitnehmer lohnsteuerlich und insgesamt gegenüber der bisherigen Situation schlechter gestellt wird?
({1})
- Sie behaupten das. Ich behaupte nicht das Gegenteil, sondern ich bitte die Regierung, auf Grund der veranstalteten Prüfungen hier im Hause zu erklären, ob das der Fall ist. Ich würde in keinem Fall dem Gesetz zustimmen, wenn es zu einer Verkürzung der hundertprozentigen Nettolohnzahlung käme. Niemand von meiner Fraktion würde dem zustimmen.
({2})
Herr Staatssekretär, Sie sind vom Herrn Kollegen Dr. Schmidt ({0}) um eine Äußerung gebeten worden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei unseren Probeberechnungen, Herr Abgeordneter Schmidt, haben wir nach dem letzten Vorschlag des Finanzausschusses keine Verschlechterung gegenüber dem bisherigen Recht feststellen können.
({0})
- Nur Verbesserungen!
({1})
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 880 Ziffer 1 zu Art. 1 Nr. 1. Wer diesem Antrag auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage unter Buchstabe f in § 3 Ziffer 56 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Zeichen zu geben . - Gegenprobe! - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse dann über Art. 1 Nr. 1 in der Vorlage des Ausschusses abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Antrag Umdruck 880 Ziffer 2 betreffend Einfügung einer Nr. 1 a auf. Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß der Änderungsantrag, den ich zu begründen habe, in diesem Hohen Hause weniger strittig ist als der soeben abgelehnte.
Es geht um die Aufrechterhaltung der Steuerbefreiung bestimmter Gewinnanteile, die § 3 b jetzt noch vorsieht, und zwar bis zum Ende dieses Jahres. Diese Regelung bedarf der Fortsetzung, weil sie im inneren Zusammenhang mit den übrigen Regelungen zur Förderung von Investitionen im Wohnungsbau steht. Ich darf darauf hinweisen, daß entgegen ursprünglichen Absichten kein Abbau anderer Förderungsmaßnahmen erfolgt ist, daß vor allen Dingen die Regelung des § 7 b weiterhin aufrechterhalten bleibt und daß sich daraus bei der Verzahnung aller Förderungsbestimmungen schon zwangsläufig die Zweckmäßigkeit, ja, ich möchte fast sagen, die Notwendigkeit ergibt, es auch bei der Regelung des § 3 b zu belassen.
Der materielle Anlaß für diese Regelung war, daß auf diese Weise die Anlagebildung bei den gemeinnützigen Gesellschaften und Genossenschaften erleichtert werden sollte, nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Dividendenbegrenzung auf 4 %. Solange die Neuregelung des Gemeinnützigkeitsrechts ausbleibt - dieser Bundestag hat diese Aufgabe, obwohl sie beabsichtigt war, nicht mehr anpacken und lösen können -, muß als Ausgleich § 3 b bestehenbleiben. Wir werden später bei einer eventuellen Reform des Gemeinnützigkeitsrechts eine neue Sach- und Rechtslage vorfinden, und dann kann man sich auch im Zusammenhang mit dem Abbau anderer Subventionen hierüber unterhalten.
Mit der Regelung des § 3 b - darauf möchte ich hinweisen - wird außerdem die Übernahme von Geschäftsanteilen, vor allem von Genossenschaften, berücksichtigt und begünstigt, also von Einrichtungen, die nicht die Möglichkeiten haben, die das Sparprämiengesetz bietet. Der Wohnungsbauminister hat in letzter Zeit wiederholt lobend die Tätigkeit der Genossenschaften und ihre Unterstützungs- und Förderungswürdigkeit hervorgehoben. Ich darf mich auch in diesem Zusammenhang darauf beziehen.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, daß die Wohnungsunternehmen nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten bei der Aufbringung der Restfinanzierungsmittel haben. Das ergibt sich nun einmal aus dem System der öffentlichen Förderung und seinen Wandlungen insbesondere beim Mietwohnungsbau. Deshalb wird ihr Eigenkapital vorwiegend in die Restfinanzierung gegeben.
Dies alles sind Gründe, die es sachlich unerläßlich machen, die Regelung des § 3 b nicht zum Ende dieses Jahres auslaufen zu lassen. Dementsprechend beantragen wir, die Jahreszahl 1962, die sich jetzt im Gesetz findet, durch die Jahreszahl 1965 zu ersetzen, und wären Ihnen für Zustimmung dankbar.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 3 b des Einkommensteuergesetzes sieht vor, daß die Steuerfreiheit am 1. Januar 1962 ausläuft. Diese Frist ist durch das Jahressteueränderungsgesetz vom 30. Juli 1960 auf den von mir soeben genannten Tag verlängert worden. Der Antrag lag dem Finanzausschuß vor. Der Finanzausschuß hat sich damit befaßt und hat darauf verzichtet, eine Verlängerung zu beschließen, weil eine Ausdehnung auf andere Wohnungsunternehmen erforderlich gewesen wäre. Die Bestimmung selbst ist seinerzeit unter kapitalmarktpolitischen Gesichtspunkten eingefügt worden. Die geschaffene Begünstigung zu verlängern oder auszudehnen, sah der Finanzausschuß keine Veranlassung.
Bitte, Herr Abgeordneter Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Krammig hat zwar insofern recht, als er auf die Entstehungsgeschichte hinwies. Aber ich darf mir die Bemerkung gestatten: das gilt auch für die übrigen Förderungsmaßnahmen! Es ist wirklich nicht einzusehen, warum man ,die privaten Bauherrn weiterhin bevorzugt, während man ,den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen und den Genossenschaften bisherige Vorteile versagen will. Hier liegt eine innere Unlogik vor. Wenn der Finanzausschuß konsequent gewesen wäre, hätte er auch den Abbau anderer Förderungsmaßnahmen vorgeschlagen. Er tut das nicht. Man sollte aber gleichartige Tatbestände hinsichtlich der Förderungswürdigkeit in gleicher Weise behandeln.
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Keine weiteren Wortmeldungen? - Ich bitte dann abzustimmen über den Antrag unter Ziffer 2 auf Umdruck 880. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Zu Nr. 2 sind gleichlautende Anträge gestellt. Zunächst auf Umdruck 862 ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP - Art. 1 Nr. 2 wird in der Fassung der Regierungsvorlage wiederhergestellt -, sodann ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU unter Ziff. 1 auf Umdruck 868 und schließlich
Vizepräsident Dr. Dehler
ein Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 899. Wird das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist, glaube ich, nicht möglich, über diese Anträge zu entscheiden, bevor man auch den Antrag auf Umdruck 869 ins Auge gefaßt hat. Die Anträge, die Kriegssachgeschädigten indiese Regelung einzubeziehen und den Heimatvertriebenen gleichzustellen, lagen bereits bei den letzten Steueränderungsgesetzen vor.
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- Schon zweimal! Sie sind damals mit der Begründung zurückgestellt worden, die Sonderbestimmung laufe auch für die Vertriebenen aus.
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Der Finanzausschuß ist sich in der ersten Besprechung einstimmig darüber klar gewesen, daß entweder die Bestimmung überhaupt nicht verlängert werden sollte oder, wenn sie verlängert wird, die Kriegssachgeschädigten einbezogen werden müßten.
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Von diesen beiden Alternativen hat sich der Ausschuß in der zweiten Lesung für die Nichtverlängerung der Bestimmung entschieden. Nun wird nachträglich von der Mehrheitsfraktion entgegen dem Ausschußantrag zwar das eine beantragt, nämlich die Verlängerung der Bestimmung, aber das andere, worüber im Ausschuß Einigkeit bestand, nämlich die Einbeziehung der Kriegssachgeschädigten, wird nicht beantragt. Meine Damen und Herren, ich glaube, so geht es nicht, so geht es gar nicht! Ich möchte von vornherein sagen: wenn die Besprechungen im Ausschuß überhaupt irgendeinen Sinn gehabt haben sollen, so muß derjenige, der den Anträgen auf Umdruck 862 usw. zustimmen will, auch dem Antrag auf Umdruck 869 zustimmen, was wir jedenfalls tun werden.
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Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Imle!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Herr Kollege Seuffert unseren Zusatzantrag bereits vorweggenommen hat, möchte ich ihm dafür danken und sagen, daß wir derselben Auffassung sind. Dieser Antrag war von uns bereits im vorigen Jahr gestellt worden. Er ist dann mit Rücksicht darauf, daß man eine Vergünstigung nicht für ein Jahr einführen wollte, zurückgestellt worden.
Ich darf vielleicht Herrn Kollegen Dollinger aus dem damaligen Protokoll zitieren. Auch er hat gesagt, es handle sich um gesetzliche Bestimmungen, die ausliefen. Er sagte damals wörtlich:
Wenn wir heute nun Erweiterungen vornähmen, würde sich die grundsätzliche Frage stellen, ob wir die Absicht haben, diese Bestimmungen zu verlängern. Ich glaube, daß das den Rahmen dieser Beratungen sprengen würde. Ich bin daher der Auffassung, daß der Antrag Umdruck 692 abgelehnt werden sollte. Wir werden beim Steueränderungsgesetz 1961 Gelegenheit haben, erneut über diese Frage zu sprechen.
Ich glaube, daß das, was wir damals sowohl im Finanzausschuß wie auch hier im Plenum wohl als richtig anerkannnt haben, heute Zustimmung finden sollte. Wir bitten daher das Hohe Haus um die Zustimmung zu diesem Antrag.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Vervollständigung bitte ich noch darauf hinweisen zu dürfen, daß bei der Erörterung des § 7 b natürlich geprüft worden ist, ob er nach so langer Zeit auch auf Kriegssachgeschädigte ausgedehnt werden kann. Wir haben erhebliche Bedenken, den begünstigten Personenkreis, der heute die Vertriebenen, die Flüchtlinge und die Verfolgten umfaßt, jetzt im Jahre 1961, also rund 16 Jahre nach Kriegsende, um die Kriegssachgeschädigten zu erweitern. Die Schäden der Vertriebenen, der Flüchtlinge und der Verfolgten sind vielleicht zum größeren Teil heute noch nicht überwiegend beseitigt, während man doch - jedenfalls nach dem Augenschein - davon ausgehen kann, daß die Kriegs
und Währungsschäden im allgemeinen überwunden sind. Insofern wäre eine unterschiedliche Behandlung der Vertriebenen und Flüchtlinge einerseits und der Kriegssachgeschädigten andererseits gerechtfertigt.
Auf der anderen Seite bestehen aber auch erhebliche verwaltungsmäßige Schwierigkeiten, festzustellen, ob und inwieweit ein Wirtschaftsbetrieb durch Kriegssachschäden in seiner Ertragslage heute noch eingeschränkt ist. Die Begünstigung könnte dann doch nur solchen Betrieben gewährt werden, bei denen sich der Kriegssachschaden noch jetzt auf ihre wirtschaftliche Entwicklung auswirkt.
({0})
Das stellt die Verwaltung, wie mir scheint, vor fast unüberwindliche Schwierigkeiten. Auf Grund des Gesetzes oder der Durchführungsverordnungen würde hier überhaupt nur ein ganz bestimmter Ausschnitt aus den Kriegssachschäden in Frage kommen, nämlich nur die Schäden, deren Wirkung auf die heutige Wirtschaftslage des Unternehmens noch feststellbar ist. Mir scheint, das ist eine praktisch unlösbare Aufgabe.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Kollege Imle hat schon begründet und auch Herr Kollege Seuffert hat darauf hingewiesen, daß es notwendig ist, eine
Gleichstellung der Vertriebenen und der Kriegssachgeschädigten hier herbeizuführen. Es wurde erwähnt, daß das im Ausschuß bereits diskutiert worden ist und daß dieser Antrag, der seinerzeit von uns schon gestellt worden war, nur deshalb zurückgestellt wurde, weil man für das eine Jahr eine Änderung nicht mehr nötig zu haben glaubte.
Der Herr Staatssekretär sagte eben, daß es schwierig sei, die kriegsgeschädigten Betriebe zu prüfen. Herr Staatssekretär, ich darf Sie darauf hinweisen, daß die Lage nach § 13 des BVFG ja auch bei den Vertriebenen geprüft werden muß. Ich sehe nicht ein, warum die Schwierigkeiten bei den Kriegssachgeschädigten größer sein sollen als bei den Vertriebenen. Es ist einfach eine Gleichziehung für die beiden Geschädigtengruppen. Ich betone ausdrücklich, daß es sich nur um Betriebe handeln kann - das geht aus unserem Antrag eindeutig hervor -, die auf Grund ihrer Kriegssachschäden jetzt noch in finanziellen Schwierigkeiten sind. Diese Einschränkung ist hier gegeben, und somit ist jeder Einwand der ungerechtfertigten Bevorzugung der kriegssachgeschädigten Betriebe ausgeräumt.
Ich bitte, diese Anträge auf den Umdrucken 869 und 870 anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rehs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte zum Ausdruck bringen, daß ich die verwaltungsmäßigen Konsequenzen, die hier von dem Herrn Staatssekretär angeführt worden sind, in dem von ihm vorgetragenen Umfang nicht als begründet ansehen kann. Herr Kollege Rutschke hat bereits auf einige der entscheidend dagegen sprechenden Gesichtspunkte hingewiesen. Wir können bei dem Sturzgalopp, in dem diese ganze Gesetzesvorlage im Ausschuß beraten worden ist und hier entschieden wird, keinesfalls hinnehmen, daß ganz erhebliche Ungerechtigkeiten verankert werden.
Es steht außer Zweifel, daß die Erleichterungen, die in den §§ 7 e und 10 a für die Vertriebenenwirtschaft vorgesehen waren und die bei einer Beibehaltung der Auschußvorlage in Wegfall kämen, für die Vertriebenenwirtschaft nach wie vor dringend benötigt werden. Darüber geben die Untersuchungen des Wirtschaftsministeriums über die Lage und die Kapitalstruktur dieser Betriebe eingehend Auskunft. In diesen Berichten wird eindeutig festgestellt, wie labil die Struktur dieser Betriebe noch ist und daß sie weiter einer erheblichen Förderung und behutsamen Pflege bedürfen.
Es ist also völlig ausgeschlossen, daß deshalb, weil die Verwaltung bei einer Gleichstellung der Kriegssachgeschädigten in diesem Punkte Schwierigkeiten sieht, die in §§ 7 e und 10 a für die Heimatvertriebenenwirtschaft vorgesehenen Erleichterungen etwa gestrichen werden könnten. Ich betrachte es als einen Sieg der Einsicht in letzter Minute, die durch Gründe der Wahlopportunität gefördert worden sein mag, daß auch die Regierungmehrheit mit ihrem Antrag zu diesem Punkte jetzt die Notwendigkeit der weiteren Beibehaltung dieser Leistungen zum Ausdruck bringt. Aber deshalb können auf der anderen Seite, weil die Verwaltung Schwierigkeiten hinsichtlich der Kriegssachgeschädigten sieht, nicht die Konsequenzen einer Streichung gezogen werden.
Wir unterstützen in vollem Umfang den Antrag, den die Freien Demokraten in diesem Punkte gestellt haben. Wenn wir nicht gewußt hätten, daß dieses Anliegen hier vorgebracht wird, hätten wir es von uns aus aufgegriffen. Wir sind der Meinung, daß beide Regelungen, so wie diese Anträge es begehren, getroffen werden sollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Neuburger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube nicht, daß wir eine glückliche Entscheidung treffen würden, wenn wir diesen Änderungsanträgen zustimmten. Wir kennen den Komplex „Kriegssachgeschädigte". Wir können von diesem Komplex den Komplex „Demontagegeschädigte" nicht trennen. Ich erinnere nur an das seinerzeitige französische Besatzungsgebiet. Wir haben diese Materie schon wiederholt in diesem Hause besprochen zu einer Zeit, zu der sie sicher dringlicher war als heute, im Mai 1961.
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Wir haben doch sicher damals eine verantwortungsvolle Entscheidung getroffen; das nehmen wir doch an. Wir haben damals abgelehnt, diese Ausdehnung vorzunehmen. Dafür waren im wesentlichen auch die Gründe maßgebend, die Herr Staatssekretär Hettlage angeführt hat.
Wie soll man diese Begriffe denn festlegen? Wir wissen, im Rahmen der Kriegsschäden gibt es jeden Grad von 0,1 bis zu 100, und die Beseitigung ist zeitlich so differenziert wie nur möglich. Bei den Vertriebenen hat man einen bestimmten Sachverhalt, der vorgelegen hat und jetzt vorhanden ist. Aber beim Kriegsschaden hat man, wie gesagt, jeden Grad von 0,1 bis 100. Dasselbe gilt für die Demontagegeschädigten. Wer von denen, die einem solchen Antrag zustimmen wollen, fühlt sich in der Lage, zu sagen, daß im Jahre 1961 oder 1962 noch gerade ein bestimmter Umstand die Auswirkung dieses Schadens ist, der jetzt durch eine steuerliche Vergünstigung ausgeglichen werden muß?
Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang. Die jetzigen Bestimmungen sehen vor, daß diese Steuererleichterungen gegeben werden für Güter usw., die nach dem 1. 1. 1951 angeschafft werden. Wie soll das gehandhabt werden? Soll das nun plötzlich gelten ab 1961 oder ab 1962 und vorher nicht, und sehen Sie, meine Herren, dann darin noch einen Sinn?
Wir haben im Finanzausschuß das alles überlegt, und an sich, meine ich, sollte das Haus mit Verlängerungen von Terminen, die es einmal gesetzt hat, nicht so umgehen, als ob das Termine wären, die
man an den Knöpfen abzählt, also nicht, wenn die Endtermine herankommen, halt wieder einen neuen Termin machen und verlängern.
Wir haben im Finanzausschuß eingehend überlegt und haben gesagt: Es ist immer im Hause ein ungutes Gefühl gewesen, daß man hier die Kriegssachgeschädigten, die Demontagegeschädigten nicht in diese Regelung einbezogen hat. Man hat, wie gesagt, die Gründe gehabt, warum man sie nicht hineinnahm. Daher haben wir dann gesagt: „Jetzt soll dieser Bundestag" - und nun komme ich nochmals auf ein Moment - „diese Verlängerung nicht beschließen". Denn es ist ja auch zeitlich nicht notwendig. Das Gesetz gilt. Es gilt bis zum Ende dieses Jahres. Am Ende dieses Jahres ist ein neuer Bundestag da. Wenn die Gesetze, Herr Seuffert, nicht verlängert werden, dann kommen die Auswirkungen des Gesetzes in der Steuerveranlagung, die im Jahre 1963 - vielleicht, wenn es früh ist, im Mai jetzt in zwei Jahren - abgegeben werden muß.
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Es ist für den neuen Bundestag gar kein Problem, diese Dinge zu regeln. Der neue Bundestag wird ja eröffnet mit einer neuen Regierungserklärung. Man muß hierbei bestimmte Vorstellungen haben, unter welchen politischen Richtlinien man diese vier Jahre arbeiten will, und einer dieser Punkte wird auch der sein: Was soll man nun in dieser Frage machen? Und dann wird sich der Bundestag irgendeine Meinung bilden, und wenn z. B. in den politischen Richtlinien steht, daß diese Kreise - ich bemerke das, weil Sie sagen: die Leute müssen es jetzt schon wissen - in Zukunft gleichbehandelt werden sollen, dann weiß man wohl, daß sich in diesem Hause dafür auch eine Mehrheit findet.
Ich möchte also wirklich, unabhängig davon, ob rechts oder links oder in der Mitte, an das Verantwortungsgefühl appellieren. Wenn wir Gesetze machen, dann sollen sie durchführbar sein; wirklich durchführbar. Ich möchte, wie gesagt, den sehen, (der bestreitet, daß im Rahmen der Kriegssachschäden alle Fälle möglich sind von 0,1 bis zu 100. Wo wollen Sie die Grenze ziehen? Gehen Sie doch bitte hier herauf und sagen Sie, Sie ziehen die Grenze bei x Prozent. Und wollen Sie heute, im Jahre 1961, sagen: „Dieser Betrieb ist gerade in dieser Situation, weil er damals den Kriegssachschaden hatte; wenn er den nicht gehabt hätte, dann wäre er nicht auf Grund irgendwelcher wirtschaftlichen Konkurrenz oder irgendwelcher sonstigen Umstände, sondern nur dieses Kriegssachschadens wegen in dieser schwierigen Lage." Und wenn dann die Steuerverwaltung und der Betreffende sich nicht einigen - wer soll denn das alles entscheiden? Und dann heißt es: „Der Bundestag, der hat das natürlich gemacht; der macht halt solche „Gesetze". Die Verwaltung und der einzelne draußen und die Gerichte sollen dann sehen, wie sie mit diesen - - mehr möchte ich nicht sagen - fertigwerden." Daher mein Appell, diesen Änderungen nicht zuzustimmen, sondern es bei den Beschlüssen des Finanzausschusses zu belassen; sie waren gut und wohlüberlegt.
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Das Wort hat der (1 Abgeordnete Dr. Imle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Ausführungen dürfen doch nicht unwidersprochen bleiben. Ich darf zunächst einmal auf das Protokoll über die Sitzung des Finanzausschusses vom 23. Juni 1960 verweisen; damals lag dieser Antrag schon vor. In dem Protokoll heißt es:
Der Ausschuß greift einen Antrag von Abg. Eberhard, die Vergünstigungen des § 7 e auch Fliegergeschädigten zugute kommen zu lassen, nicht auf. Für den Fall, daß die Geltungsdauer des § 7 e über den 31. 12. 1961 hinaus verlängert werden sollte, soll jedoch das Petitum dieser Personengruppe behandelt werden.
Allein aus dieser Fassung kann man schließen, daß damals durchaus eine Geneigtheit bestand, die Fliegersachgeschädigten hineinzunehmen.
Heute k ann man das nicht damit abtun, daß man sagt: Wir sind ein Jahr weiter. Die Sache läßt sich auch verwaltungsmäßig durchaus machen. Im § 13 des Bundesvertriebenengesetzes ist eine solche Prüfungsmöglichkeit auch vorgesehen. Ich muß noch einmal auf das zurückkommen, was mein Kollege Rutschke vorhin gesagt hat. Heute stellen die Finanzämter in zahlreichen Fällen bei den Stadtverwaltungen den Antrag, zu prüfen, ob die Rechte und Vergünstigungen, die die Vertriebenen nach dem Vertriebenengesetz genießen, aufgehoben werden können. Dann geht ein Verwaltungsverfahren los. Es werden die Kammern befragt, ob diese Unternehmen eingegliedert sind oder nicht, und danach wird entschieden.
Da § 7 e Abs. 4 nur bei noch erheblichen Auswirkungen zur Anwendung kommen soll, ist der Kreis, der betroffen wird, wirklich nicht mehr sehr groß. Man sollte aber denjenigen, die noch nicht eingegliedert sind, die Gleichstellung mit den Vertriebenen gewähren.
Es wurde eben gesagt, man sollte die Entscheidung ,dem nächsten Bundestag überlassen. Wir sind der Meinung, daß dieser Bundestag eine Entscheidung treffen muß. Aus diesem Grunde beantragen wir namentliche Abstimmung.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Neuburger, ich fühle mich veranlaßt, Ihren Ausführungen einige Klarstellungen entgegenzusetzen, die insbesondere das Verfahren und unsere Unterhaltungen im Ausschuß betreffen. Zur Sache selber ist inzwischen genug gesagt worden.
Herr Kollege Neuburger, als bei früheren Gesetzesberatungen derselbe Antrag auf Einbeziehung der Kriegssachgeschädigten diesem Hause und dem Ausschuß vorlag, ist er mit der Begründung abgeSeuffert
lehnt worden, die Bestimmung laufe sowieso aus und deswegen wolle man nachträglich nichts mehr ändern. Die Frage der Durchführbarkeit ist damals im Ausschuß überhaupt nicht diskutiert worden. Sie haben sich vielleicht bezüglich der Durchführbarkeit oder der Berechtigung des Petitums etwas anderes gedacht; das entsprach aber nicht dem, was der Ausschuß und auch das Haus ihren damaligen Entscheidungen zugrunde gelegt haben. Die Begründung ging vielmehr dahin, daß man wegen des Auslaufens der Bestimmung die Frage nicht weiter diskutieren wolle.
Bei der ersten informatorischen Beratung dieses Gesetzes im Ausschuß hat sich der Ausschuß darauf festgelegt, daß entweder die ganze Bestimmung nicht verlängert werden soll oder, wenn sie verlängert werden soll, die Kriegssachgeschädigten einbezogen werden sollen. Mit dieser Stellungnahme waren sämtliche anwesenden Vertreter der CDU/ CSU - einschließlich Ihnen, Herr Kollege Neuburger - einverstanden; die Festlegung erfolgte einstimmig. Auch hier ist die Frage der Durchführbarkeit und der Schwierigkeiten, die auftreten könnten, überhaupt nicht diskutiert worden. Herr Kollege Neuburger, Sie sagen, diese Frage sei im Ausschuß überlegt worden. Das ist nicht richtig. Entsprechend seiner Stellungnahme in der ersten informatorischen Lesung hat sich der Ausschuß in der zweiten Lesung dahin entschieden, von den zwei ins Auge gefaßten Alternativen diejenige auf Verlängerung nicht zu ergreifen. So ist es dem Hause vorgelegt worden.
Wenn Unterhaltungen und Überlegungen im Ausschuß einen Sinn haben sollen, muß die Mehrheitspartei, wenn sie von den vom Ausschuß ins Auge gefaßten Alternativen in Abweichung von der Stellungnahme im Ausschuß jetzt die andere Alternative ergreifen will, diese dann auch voll verwirklichen, d. h. mit Einbeziehung der Kriegssachgeschädigten; sonst hätten wir nämlich, Herr Kollege Neuburger, die Frage, ob irgendwelche sachlichen Schwierigkeiten bestehen und wie die Sache durchgeführt werden könnte, im Ausschuß besprechen müssen. Das haben wir nicht getan. Das möchte ich hier festgestellt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Herr Seuffert und die Vertreter der Fraktion der FDP vorgetragen haben, ist im Tatbestand und auch im Prinzip natürlich richtig. Ich selbst habe mich, als der Antrag auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage kam, in meiner Fraktion mit Nachdruck dafür ausgesprochen, daß wir nun nicht gut zum dritten Mal die Einbeziehung der Kriegssachgeschädigten ablehnen könnten. Ich habe mich nicht durchsetzen können. Aber ich muß sagen, daß es ganz unmöglich ist, den Antrag der Fraktion der FDP in dieser Form anzunehmen; er ist so nicht praktikabel. Er kann nur abgelehnt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Windelen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Neuburger hat vorhin zu dem Umdruck 868 gesprochen und in Abweichung von der Auffassung der Fraktion der CDU/CSU die Meinung vertreten, daß die Fristverlängerung nicht vorgenommen werden sollte. Ich darf Sie sehr herzlich bitten, der Meinung von Herrn Neuburger nicht zu folgen, sondern dem Antrag der Fraktion zuzustimmen, der für § 10 a und § 7 e die Verlängerung vorsieht.
Darüber hinaus ein weiteres Argument zur Sache! Bei der Begründung des Umdrucks 869 wird im wesentlichen damit argumentiert, daß man jetzt hinsichtlich der Kriegssachgeschädigten nachziehen müsse, weil man bei den Vertriebenen die Verlängerung vorgesehen habe. Ich meine, daß das ein schlechtes Argument ist. Die Frage der Kriegssachschäden ist vor längstens 16 Jahren abschließend entschieden worden,
({0})
d. h. die Kriegssachschäden sind spätestens bei Kriegsende entstanden. Die Vertreibung ist dagegen biss heute nicht abgeschlossen. Schließlich kann das Haus nichts dafür, daß auch heute noch jeden Tag 500 und jährlich 150 000 Menschen aus der Zone kommen. Das Haus kann doch nicht aus formalen Gründen sagen: wir haben zweimal einen Endtermin gesetzt, deswegen muß jetzt - völlig unabhängig davon, daß ,die Vertreibung weiter anhält - Schluß sein. Ich meine, es sind zwei völlig verschiedene Kategorien; man kann sie nicht einander gleichsetzen.
Ich darf Sie noch einmal bitten, dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU ,auf Umdruck 868 zuzustimmen und den Antrag auf Umdruck 869 abzulehnen, weil eine Gleichsetzung, mit der der Antrag begründet worden ist, nicht gerechtfertigt ist.
Weitere Wortmeldungen? Wir stimmen zunächst ab über die Anträge Umdruck 862, Umdruck 868 Ziffer 1 und Umdruck 899, soweit er die Wiederherstellung der Fassung der Regierungsvorlage in Art. 1 Nr. 2 betrifft. Wer zuzustimmen wünscht, 'den bitte ich um da§ Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen wenige Gegenstimmen und bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir stimmen nunmehr ab über den Antrag der Fraktion der FDP Umdruck 869. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich frage, ob dieser Antrag ausreichend unterstützt wird. - Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Das sind keine 50 Abgeordnete; der Antrag auf namentliche Abstimmung ist abgelehnt.
Wir stimmen ab über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 869. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, das Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Vizepräsident Dr. Dehler
Ich rufe nunmehr auf die Nr. 3 des Art. 1 in der Fassung der Regierungsvorlage. Dazu liegen Änderungsanträge der SPD und der FDP auf Umdruck 880 Ziffer 3 und Umdruck 861 vor. Wer begründet? Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei unserem Antrag, in § 10 Abs. 1 die Ziffer 5 zu streichen, handelt es sich darum, die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer zu beseitigen. Dieser Antrag ist im Hohen Hause schon so oft vorgebracht und begründet worden, daß ich mich kurz fassen kann. Ich möchte nur auf die neuen Momente hinweisen, die gerade durch das Steueränderungsgesetz in bezug auf diesen Antrag entstehen.
Durch die Erhöhung der Vermögensteuerfreibeträge - der wir zustimmen - werden die kleinen Vermögen im Sinne einer breiten Vermögensstreuung weitgehend vermögensteuerfrei. Die Vermögensteuer trifft heute im großen und ganzen nur größere und größte Vermögen. Besonders bei dieser Lage der Dinge besteht kein Grund, diese Steuer auf Kosten der Einkommensteuer praktisch auf die Hälfte zu ermäßigen. Soweit die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer auch eine Erleichterung für kleinere Vermögen sein sollte was sie niemals in zureichendem Maße war -, ist diese Begründung jedenfalls weggefallen.
Wir halten ferner die Beseitigung der Abzugsfähigkeit und die damit verbundene Erhöhung der Einkommensteuer für ein geeignetes Mittel, viel dringendere Anliegen, z. B. zugunsten der Arbeitnehmer, im Wege der Deckung durch Steuern zu finanzieren. Wir halten sie für einen schmerzlosen, richtigen Weg, der im Sinne des sozialen Ausgleichs, der Gegenwirkung gegen die Konzentration, der Vermögensbildung und der Anliegen des wirklichen Mittelstandes und der breiten Schichten liegt.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete von Kühlmann-Stumm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu meinem größten Bedauern muß ich im Namen der Fraktion der FDP diesem Antrag der Sozialdemokratie in aller Form widersprechen.
Wir haben in der Bundesrepublik eine dreifache Vermögensteuer, die andere Länder, z. B. die der EWG, nicht haben. Wenn Sie nun die Vermögensteuer für nicht mehr abzugsfähig erklären, machen Sie einen großen Schritt vorwärts auf dem Wege zur kalten Sozialisierung. Ich habe das schon einmal von diesem Platze aus gesagt.
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Unsere Fraktion widerspricht ,diesem Antrag energisch.
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Auch dieser soeben vom Herrn Abgeordneten Seuffert begründete Antrag lag dem Finanzausschuß
VOL
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Er ist dort abgelehnt worden. Die Begründung lautete:
Der Antrag, die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer bei der Einkommensteuer zu beseitigen, wurde abgelehnt, da der Wegfall dieses Sonderausgabenabzugs im Hinblick auf die unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe für das Grundvermögen und das Kapitalvermögen zur Zeit nicht für vertretbar gehalten wurde.
Außerdem würde die Beseitigung der Abzugsfähigkeit - das füge ich ausdrücklich hinzu - in vielen Fällen dazu führen, daß die Vermögensteuer aus der Substanz bezahlt werden müßte, und das ist der entscheidende Gesichtspunkt, warum wir den Antrag ablehnen.
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Wird der Antrag Umdruck 861 weiterhin begründet? - Herr von Kühlmann-Stumm!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben Ihnen mit dem Umdruck 861 und dem Entschließungsantrag Umdruck 866 - der aber erst in der dritten Lesung behandelt wird - einen Antrag vorgelegt, ,der darauf hinausläuft, das steuerbegünstigte Sparen wiedereinzuführen. So sehr wir die vielen Verbesserungen in ,diesem Steueränderungsgesetz begrüßen, vermissen wir Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, die augenblickliche Konjunkturüberhitzung zu dämpfen, soweit das überhaupt im Rahmen eines solchen Steueränderungsgesetzes möglich ist. Wir glauben, daß die Wiedereinführung des steuerbegünstigten Sparens - daß also die Beiträge auf Grund von Kapitalansammlungsverträgen entsprechend steuerlich begünstigt werden , wie das in unserem Antrag vorgesehen ist, doch bewirken würde, ,daß zumindest eine größere Summe zu Sparzwecken stillgelegt werden könnte ,als das dem Umfang nach z. B. auf Grund des Sparprämiengesetzes der Fall ist.
Das Sparprämiengesetz hat sehr gute Auswirkungen, aber auf Grund der Größenordnungen sind die konjunkturpolitischen Auswirkungen verhältnismäßig gering. Ich glaube, wenn wir das steuerbegünstigte Sparen in diesem Steueränderungsgesetz wieder einführten, würden wir nicht nur der Wirtschaft den Anreiz geben, zu sparen, sondern auch den leitenden Beamten und Angestellten.
Außerdem darf ich darauf hinweisen, daß nach der bisherigen Gesetzgebung im Rahmen der SonFreiherr von Kühlmann-Stumm
derausgaben nur die Möglichkeit besteht, Bausparverträge, Lebensversicherungen abzuschließen, was auf langfristige Stillegungen von Geldern hinausläuft. Für die Spitzen der Sonderausgaben gibt es aber im Augenblick keine andere Möglichkeit, so daß manche Steuerpflichtigen unter Umständen gezwungen sind, einen solchen langfristigen Vertrag abzuschließen, selbst wenn sie sehr viel lieber einen Sparvertrag abschließen würden, wenn er steuerlich begünstigt wäre.
Es ist eingewendet worden: Das bisherige steuerbegünstigte Sparen war auf drei Jahre begrenzt. Die Herren vom Finanzministerium haben mir gesagt, der Unterschied zwischen der Auswirkung des bisherigen steuerbegünstigten Sparens und der Auswirkung der langfristigen Verträge mit Bausparkassen und Lebensversicherungen sei zu groß. Wir haben Ihnen daher in unserem Entschließungsantrag den Vorschlag gemacht, dieses steuerbegünstigte Sparen auf fünf Jahre auszudehnen. Damit würde eine Angleichung an ,die Fristen des Prämiensparens erfolgen. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesem Antrag zustimmten.
Er wird keine wesentlichen steuerlichen Auswirkungen haben, und ich darf Sie darauf hinweisen, daß wir nach den jüngsten Meldungen mit einer wesentlich höheren Steuereinnahme im Jahre 1961 zu rechnen haben, als ursprünglich angenommen worden ist. Wir sollten also hier ein Gesetz beschließen, das nicht nur eine gerechte Maßnahme beinhaltet, mit ,dem wir vielmehr auch erreichen können, daß mehr Geld gespart und stillgelegt wird. Man sollte in diesem Steueränderungsgesetz doch alle Möglichkeiten ausschöpfen, das Sparen zu fördern und einen Anreiz zum Sparen zu geben.
Herr Dr. Schmidt ({0}) ! - Wir können dann über die beiden Anträge nacheinander abstimmen lassen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, diesem Antrag unter keinen Umständen zu folgen. Die Steuerbegünstigung für Kapitalansammlungsverträge haben wir damals beseitigt, und zwar mit einer ganz überwiegenden Mehrheit dieses Hauses, als wir die Sparprämienbegünstigung einführten. Beides nebeneinander hieße des Guten zuviel tun. Mit der Stillegung von Geldern kann man das ja nun beim besten Willen nicht begründen; denn Spargelder werden in der Volkswirtschaft nicht stillgelegt, sondern werden gerade über den Kreditweg in die Volkswirtschaft eingeschleust. Die gegebene Begründung scheint mir völlig abwegig zu sein; der Antrag kann nur abgelehnt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Antrag Umdruck 861 werden wir nicht zustimmen. Auch wir haben es begrüßt, daß Kapitalansammlungsverträge nunmehr ausschließlich in dem richtigen System des Sparprämiengesetzes und nicht in dem hierzu falschen System des § 1C begünstigt werden.
Unserem Antrag bezüglich der Abzugsfähigkeil der Vermögensteuer ist entgegengehalten worden, dann müßte die Vermögensteuer aus der Substanz bezahlt werden, und dazu möchte ich noch eine Klarstellung vornehmen. Eine Vermögensteuer von 1 % kann selbstverständlich aus einer normalen Rendite bezahlt werden und braucht nicht aus der Substanz bezahlt zu werden.
({0})
- Die Fälle, in denen sie aus der Substanz bezahlt wird oder angeblich aus der Substanz bezahlt wird, beziehen sich praktisch nur auf Aktienbesitz, es sei denn, daß irgendjemand aus irgendwelchen anderen Gründen einen Besitz unrentierlicher Art behält, sei es aus Liebhaberei, sei es aus Spekulationsgründen. Dann muß er wissen, was er tut. Die Fälle, die hier genannt sind, wenn man von der Zahlung der Vermögensteuer aus der Substanz spricht, beziehen sich nur auf Aktienbesitz und auf solche Aktien, die einen im Verhältnis zu ihrer Rendite außerordentlich überhöhten Kurs haben. Wenn jemand derartige Aktien behält oder erwirbt, dann muß er auch wissen, was er tut. Dann hat er die Unrentierlichkeit seiner Anlage sowieso - ganz abgesehen von der Vermögensteuer - schon einkalkuliert.
Diese Klarstellung, daß es sich um diese Fälle handelt, wollte ich doch noch vorgenommen haben.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 880 Ziffer 3 ab. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Sodann stimmen wir über den Antrag der FDP Umdruck 861 ab. Wer zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse dann über die Vorschrift Ziffer 3 des Art. 1 abstimmen. Wer ihr in der Fassung der Vorlage des Ausschusses zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe dann Ziffer 4 auf. Dazu liegen gleichlautende Anträge auf den Umdrucken 860, 868 Ziffer 2 und 899 - jeweils auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage - vor. Wird zur Begründung das Wort gewünscht?
({0})
- Das ist nicht der Fall. Ich lasse dann über diese Anträge abstimmen. Wer ihnen zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei wenigen Gegenstimmen angenommen.
Vizepräsident Dr. Dehler
Ich rufe nun den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 870 auf, eine Ziffer 4 a einzufügen. Wird der Antrag begründet?
({1})
- Ja, es ist dieselbe Lage. Ich stelle den Änderungsantrag Umdruck 870 zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
({2})
- Nur die Antragsteller haben den Antrag unterstützt.
({3})
- Verzeihung, dann berichtige ich: mit Mehrheit abgelehnt.
({4})
- Können wir noch Ziffer 4 - Umdruck 880 - erledigen? - Es besteht der Wunsch, daß wir unterbrechen.
Wir setzen die Sitzung um 15 Uhr fort.
({5}) 15.01 Uhr.)
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ehe wir in der Tagesordnung fortfahren, gebe ich bekannt:
Die Fraktion der FDP hat mir unter dem 2. Mai mitgeteilt, daß der Herr Abgeordnete Logemann mit Wirkung vom 25. April 1961 als Mitglied in die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei aufgenommen worden ist.
Die Fraktion der CDU/CSU hat unter dem 3. Mai mitgeteilt, daß die Abgeordneten T ob ab en und Dr. Schneider ({0}) mit Wirkung vom heutigen Tag als Mitglieder in die Bundestagsfraktion der CDU/CSU aufgenommen worden sind.
Meine Damen und Herren, was ich vorausgesehen habe, ist eingetroffen: Ich werde von seiten einer Anzahl von Ausschüssen mit Bitten überschwemmt, morgen vormittag tagen zu 'dürfen. Ich muß diese Anträge mit einer Ausnahme, bei der es sich um eine Terminvorlage handelt, die am Freitag beraten werden muß, ablehnen. Es ist völlig unmöglich, daß 18 Ausschüsse während des Plenums tagen. Ich bedaure zutiefst, ,daß diese Ausschüsse nicht tagen können. Aber es ist ausgeschlossen, daß ich dem einen oder anderen eine Ausnahmegenehmigung erteile, denn ich könnte dann anderen Ausschüssen diese Ausnahmegenehmigung nicht verweigern. Ich bedaure deshalb, die beantragten Ausnahmegenehmigungen nicht erteilen zu können. Das bedeutet
natürlich, daß ich darauf rechnen muß, daß die Herren Ausschußvorsitzenden ihre Ausschüsse am Freitagnachmittag versammeln. Das Haus befindet sich unter einem Zeitdruck. Ich appelliere an das Verständnis des Hauses.
Wir fahren in der Beratung des Steueränderungsgesetzes 1961 fort. Wir sind auf Seite 5 der Vorlage Drucksache 2706. Das Wort zur Begründung des Antrags der SPD unter Ziffer 4 des Umdrucks 880 hat die Frau Abgeordnete Beyer.
Herr Präsident Meine Damen und Herren! Wir beantragen, in § 19 des Einkommensteuergesetzes folgenden neuen Absatz 2 anzufügen:
Bei der Ermittlung des Einkommens werden von den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit jährlich 600 Deutsche Mark abgesetzt, wenn diese Einkünfte die anderen Einkünfte überwiegen.
Es ist der Arbeitnehmerfreibetrag, der von uns bereits wiederholt beantragt worden ist.
Ich möchte vorweg sagen, daß es sich hier nicht um einen Antrag handelt, der unter Wahlaspekten gesehen werden kann. Wir haben ihn, wie gesagt, bereits wiederholt gestellt. Er ist leider immer der Ablehnung verfallen. Nachdem nun aber. eine solche Fülle von Verbesserungen in das Einkommensteuergesetz hineingekommen sind, die in erster Linie den höheren Einkommen zugute kommen, glauben wir Zustimmung zur Einführung dieses Arbeitnehmerfreibetrages erwarten zu können.
Für diesen Antrag sind drei Gesichtspunkte wiederholt angeführt worden. Ich möchte sie noch einmal anführen, bevor ich weitere Argumente zur Begründung des Antrags vortrage.
Erstens haben wir immer wieder darauf hingewiesen, ,daß der Arbeitnehmer - und das ist nach wie vor gültig - der ehrlichste Steuerzahler ist. Er zahlt seine Steuer vorweg, d. h. er bekommt diesen Betrag gar nicht erst in die Hand. Zweitens sollte berücksichtigt werden, daß er der pünktlichste Steuerzahler ist. Drittens handelt es sich bei dem Arbeitnehmerfreibetrag - auch das ist wiederholt anerkannt worden - um ein Äquivalent für die Manipuliermöglichkeit, die dem Einkommensteuerpflichtigen gegeben ist. Es ist bei unserem wiederholten Vorbringen von der Seite der Regierungsparteien auch nicht bestritten worden, daß hier eine Ungerechtigkeit gegenüber idem Arbeitnehmer vorliegt, zumal auch der Arbeitnehmer in Anbetracht der Vielfältigkeit der Verordnungen und Bestimmungen, die im Steuerrecht enthalten sind, zum großen Teil gar nicht in der Lage ist, richtig zu erkennen, welche Möglichkeiten er hat, und dadurch viele Erleichterungen für ihn gar nicht erst wirksam werden.
Ich will aber die Möglichkeit der Manipulierung noch mit einem Beispiel erhärten, das vielen Arbeitnehmern und vielen Steuerpflichtigen geläufig ist. Es ist ein ganz einfaches Beispiel, es ließe sich durch sehr viele andere ergänzen. Wenn man am Sonntag
Blumen kauft und es sind fünf Leute im Laden, sieht man, daß sich drei davon eine Quittung geben lassen; sie haben die Möglichkeit, die Ausgabe abzusetzen, obwohl bei den Personen, die hier mit einem Blumenstrauß bedacht werden sollen, sicher keine Unterschiede bestehen.
({0})
- Daß es eine Privatbuchhaltung ist, glaube ich nicht.
({1})
- Nein, Herr Kollege, das hat hiermit gar nichts zu tun. Es handelt sich wirklich um diejenigen, die die Ausgabe absetzen können. Ich habe gesagt, es ist ein einfaches Beispiel. Es wird einem vom Steuerzahler selbst gebracht. Ich glaube, wir sollten dieses Beispiel bei der Beurteilung des Antrags einmal berücksichtigen.
Nun zu den weiteren Gesichtspunkten, die wir im Augenblick als für die Beurteilung unseres Antrages wesentlich ansehen.
Hier ist als erstes anzuführen, daß wir ein laufendes Anwachsen gerade des Lohnsteueraufkommens zu verzeichnen haben. Im Jahre 1960 z. B. ist bei der Lohnsteuer eine Erhöhung des Aufkommens um 36 % festzustellen. Im Jahre 1961 wird ein Steigerungssatz von 27,1 % angenommen. Wenn wir uns aber die März-Statistik ansehen, die uns vom Bundesfinanzministerium zugegangen ist, stellen wir fest, daß allein im März die Steigerung 42,8 % oder 172 Millionen DM beträgt. Dagegen beträgt die Erhöhung des Einkommensteueraufkommens nur 29,7 %. Wenn man diese Gesichtspunkte richtig würdigt, müßte das doch auch zu der Schlußfolgerung führen, daß man für die Lohnsteuerpflichtigen im Steueränderungsgesetz 1961 etwas mehr zu tun hätte.
Unter den Zeitungsüberschriften der letzten Tage finden Sie die Überschrift: Höhere Steuerfreibeträge und damit Begünstigung größerer Einkommen. Es ist das, was ich vorhin schon einmal sagte. Steuerfreibeträge werden in erster Linie bei den Steuerpflichtigen mit hohen Einkommen wirksam, weit mehr wirksam als bei den niedrigen Einkommen. Ganz ausgenommen sind diejenigen, die keine Lohnsteuer mehr zahlen, und zwar ganz gleich, wieviel Kinder sie haben.
Diese Wirkung muß hier gesehen werden. Damit ist das Argument nicht mehr stichhaltig, daß mit der Anhebung des Kinderfreibetrages für das erste Kind und der Freibeträge, die sich daraus nach § 33 a ergeben, ein Arbeitnehmerfreibetrag nicht mehr vertretbar erscheine.
Einen zweiten Gesichtspunkt möchte ich hier anführen. Im Jahre 1958 wurde gerade von der Regierungspartei besonders herausgestellt, daß mit den damaligen Änderungen 45 % der Lohnsteuerpflichtigen lohnsteuerfrei wurden. Nach den Berichten, die wir im Ausschuß erhalten haben, sind es inzwischen nur noch etwa 33 %. Wenn ich mich recht erinnere, hat das auch der Finanzminister anläßlich der Einbringung des Etats für 1961 ausgeführt. Mit anderen Worten: Inzwischen sind wieder 12 % steuerpflichtig geworden. Die Damen und Herren der Regierungspartei haben seinerzeit den Umstand, daß 45 % der Arbeitnehmer keine Lohnsteuer mehr zu zahlen haben, als eine ganz besondere Maßnahme für die unteren Einkommen dargestellt.
Sie mögen nun einwenden: der Lohn oder das Einkommen dieser Gruppen hat sich inzwischen entsprechend erhöht. Hiergegen muß gesagt werden, daß diese Tariferhöhungen notwendig waren, weil die Gesamtlebenshaltungskosten angestiegen waren. Ich darf hier an Preiserhöhungen erinnern, an die Tariferhöhungen im Berufsverkehr, die 25 % ausgemacht haben, und an die Mieterhöhungen, die inzwischen eingetreten sind. Alles das hat wieder zu einer Reduzierung der durch Tarifverträge verbesserten Einkommen geführt.
Im Bericht heißt es, daß mit der Erhöhung des Freibetrages für das erste Kind von 900 auf 1200 DM diese Reduzierung des Einkommens wieder beseitigt werde. Das kann nur eingeschränkt hingenommen werden. Jedenfalls werden dadurch nicht wieder jene 12 % steuerfrei, die seit 1958 wieder steuerpflichtig geworden sind.
In der Vergangenheit wurde nur immer wieder eingewandt, daß eine derartige Maßnahme einen zu hohen Einnahmeausfall zur Folge haben werde. Ich habe im 2. Bundestag zum erstenmal zum Arbeitnehmerfreibetrag gesprochen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Frau Kollegin Beyer, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Löhne im letzten Jahr wesentlich mehr gestiegen sind als die Lebenshaltungskosten, so daß sich hieraus doch andere Schlüsse ergeben, als Sie sie gezogen haben?
Herr Kollege Becker, sie haben aber in dem Zusammenhang nur eine untergeordnete Bedeutung, und ich glaube, Sie schwächen damit das Argument in keiner Weise ab, das ich hier gebracht habe. Noch vor zwei Jahren haben Sie deutlich herausgestellt, daß 45 % aus der Besteuerung herausfallen müßten und daß es sich dabei um die untersten Einkommensgruppen handele.
Im 2. Bundestag hat der damalige Finanzminister Schäffer angeführt - ich nehme das aus dem Protokoll der Sitzung vom 5. Juli 1956 -, er müsse darauf aufmerksam machen, daß derjenige, der dem Antrag zustimme, zumindest das Wagnis laufe, jede Einkommensteuersenkung zu verhindern. Ich will nicht im einzelnen darauf eingehen, in welchen Punkten das Einkommensteuergesetz inzwischen wieder verbessert worden ist. Ich will nur auf das aufmerksam machen, was der Kollege Krammig heute morgen gesagt hat: Mit diesem Steueränderungsgesetz 1961 wird wiederum eine Einnahmen8994
minderung in Höhe von 1,5 Milliarden hingenommen. Es kann aber nicht gesagt werden, daß die Lohnsteuerpflichtigen und die unteren Einkommensgruppen Verbesserungen erhalten. Das ist und bleibt eine große Ungerechtigkeit.
Wir sollten uns in diesem Zusammenhang auch noch einmal an folgendes erinnern. Als 1956 die Einführung eines Arbeitnehmerfreibetrages abgelehnt wurde, hat man in der gleichen Sitzung die Senkung des Körperschaftsteuersatzes für ausgeschüttete Gewinne bei Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung auf 15 % beschlossen. Heute ist doch unbeschritten, daß der Zweck, der damit verfolgt wurde, nur in einem ganz verschwindend kleinen Umfange erreicht worden ist.
({0})
- Herr Dr. Schmidt, diese Spaltung des Satzes hat letzten Endes zu einer Kursentwicklung geführt, die man nachgerade als ein soziales Ärgernis bezeichnen kann. Man hat seit Jahren immer wieder die Bereitschaft an 'den Tag gelegt, hohe Einkommensgruppen zu begünstigen. Alle Freibetragsregelungen, wie sie eingeführt wurden, fördern das hohe Einkommen weit stärker und kommen nur in einem ganz geringen Umfange den unteren und kleineren Einkommensgruppen zugute.
({1})
Deshalb bitten wir Sie, unserem Antrag auf Einführung eines Arbeitnehmerfreibetrages zuzustimmen.
Inzwischen ist ein Entschließungsantrag der CDU/ CSU-Fraktion auf Umdruck 897 eingegangen, die Bundesregierung zu ersuchen, zwecks Einführung eines Landarbeiter-Freibetrages Verhandlungen mit den Länderregierungen aufzunehmen. Wir wissen alle, daß gerade die Landarbeiter zu den niedrigsten Einkommensgruppen gehören und unter den schlechtesten Bedingungen leben müssen. Wir werden diesem Entschließungsantrag zustimmen. Aber ich möchte daran erinnern ,daß wir so schon einmal Entschließungen angenommen haben. Die Bundesregierung ist beauftragt worden, Erhebungen anzustellen. Erfolgt ist nichts. Es handelt sich praktisch nur um eine Augenauswischerei. Jedenfalls ist der Lohnsteuerpflichtige nach wie vor gegenüber dem Einkommensteuerpflichtigen, 'der ganz andere Möglichkeiten hat, ungerechtfertigt benachteiligt.
Aus diesem Grunde bitten wir Sie, diesmal unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch dieser Antrag hat dem Finanzausschuß vorgelegen. Die Mehrheit des Finanzausschusses konnte ihm nicht entsprechen, weil ein solcher Freibetrag neben der aus familien
und sozialpolitischen Gründen vorgeschlagenen Anhebung des Kinderfreibetrages für das erste Kind und der Freibeträge 'des § 33 des Einkommensteuergesetzes schon aus haushaltsmäßigen Gründen nicht vertretbar erschien.
Die ganze Vorlage wird, wie ich Ihnen heute morgen sagte, auf 12 Monate berechnet, einen Steuerausfall von 1,55 Milliarden DM herbeiführen. Der hier beantragte Arbeitnehmer-Freibetrag würde allein zu einem Steuerausfall von 1,59 Milliarden DM führen.
({0})
Wenn dieser Antrag angenommen würde, würde der mit dieser Vorlage verbundene Steuerausfall also verdoppelt werden. Aus diesem Grunde ist gar nicht damit zu rechnen, daß die Vorlage, wenn das Haus sie verabschiedet haben sollte, Gnade vor den Augen des Bundesrates finden würde.
Aber es gibt auch noch einige andere Gesichtspunkte, die gegen diesen allgemeinen Arbeitnehmer-Freibetrag sprechen. Rufen wir uns doch einmal ins Gedächtnis zurück, daß ein Verheirateter, der allein seinen und seiner Frau Lebensunterhalt bestreitet, heute schon steuerfrei ist, wenn er monatlich nicht mehr als 375,50 DM verdient. Verdient die Ehefrau mit, so kommt ein weiterer Steuerfreibetrag von 100 DM dazu, so daß die Ehegatten zusammen 475,50 DM verdienen können, ohne Steuern bezahlen zu müssen.
Ein verheirateter Alleinverdiener mit einem Kind ist bei dem jetzigen Kinderfreibetrag bei einem Monatseinkommen von 460,50 DM steuerfrei. Arbeitet die Frau mit, so ist das Ehepaar noch bei einem Verdienst von 560,50 DM monatlich steuerfrei. Wird der Kinderfreibetrag für das erste Kind entsprechend unserem Antrag von 900 auf 1200 DM erhöht, so kommen monatlich noch einmal 25 DM Steuerfreibetrag hinzu. Ein Ehepaar mit einem Kind bleibt also dann, wenn die Ehefrau mitverdient, noch bei einem Gesamtmonatseinkommen von 585,50 DM steuerfrei. Sind zwei Kinder in der Familie, würden beide Ehegatten zusammen monatlich 625,50 DM verdienen können, ohne Steuern zahlen zu müssen.
Überlegen Sie sich nun bitte einmal, meine Damen und Herren, wie hoch das Durchschnittseinkommen der Industriearbeiterschaft ist! Dann werden Sie verstehen, daß dieser Arbeitnehmerfreibetrag in erster Linie denen zugute käme, denen Frau Beyer ihn eigentlich gar nicht zuwenden will, nämlich denen, die sehr viel verdienen. Das ist für uns der entscheidende Gesichtspunkt. Deshalb sind wir gegen eine derartige allgemeine Berieselung durch Steuerfreibeträge und statt dessen für die Einleitung gezielter sozialpolitischer und familienpolitischer Maßnahmen.
({1})
Frau Beyer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Einwand kann nicht unwidersprochen bleiben, Herr Kollege Krammig.
({0})
Wenn Sie sozialpolitische und familienpolitische Maßnahmen treffen wollten, müßten Sie Kindergeld vom ersten Kind an zahlen. Sie wissen genauso gut wie ich, daß die hier von Ihnen vertretenen Freibeträge den hohen Einkommen weit stärker zugute kommen als den kleinen, die davon zum Teil überhaupt nichts profitieren. Würden alle ein gleichmäßiges Kindergeld erhalten, dann wäre das sozialpolitisch und familienpolitisch gerecht. Die Regelung, wie Sie sie heute haben, begünstigt in erster Linie - das möchte ich noch einmal unterstreichen - Bezieher hoher Einkommen, die ihre Kinder sowieso gut erziehen können und keine staatlichen Zuschüsse notwendig haben.
Nun zur Frage des Ausfalls. Hierzu möchte ich erklären, daß die Beseitigung des gespaltenen Körperschaftsteuersatzes, die wir wiederholt hier beantragt haben, heute eine Mehreinnahme von etwa 1 Milliarde DM ausmachte. Hätten Sie weiter unserem Antrag auf Beseitigung der Abzugsfähigkeit bei der Vermögensteuer zugestimmt, so bedeutete das wiederum eine Mehreinnahme von 150 Millionen DM. Damit wäre die Deckung schon weitestgehend vorhanden. Ich glaube, es kommt hier nur darauf an, nach welchen Gesichtspunkten man Politik machen will.
({1})
Keine weiteren Wortmeldungen? - Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 880 Ziffer 4. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ziffern 5, - 5 a, - 6, - 6 a, - 7. Soweit liegen Änderungsanträge nicht vor. Wird dazu das Wort gewünscht?
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 863. Hier soll eine Ziffer a eingefügt werden. Ich frage, ob der Änderungsantrag begründet wird. - Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den bisherigen Bestimmungen in § 34 a sind lediglich die gesetzlichen und tariflichen Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit steuerfrei. Wir meinen, daß nunmehr im Zuge der Arbeitsmarktentwicklung auch der Überstundengrundlohn und die Überstundenzuschläge, soweit eine wöchentliche Arbeitszeit von 45 Stunden überschritten wird, steuerfrei gestellt werden sollten. Leider hat sich im Zuge der Arbeitsmarktentwicklung herausgestellt, daß in der Fünftagewoche nicht der zusätzliche freie Samstag zur Erholung benutzt wird, wie das früher beabsichtigt war, sondern daß diese Freizeit vielfach zur Schwarzarbeit und auch zur Abwerbung benutzt wird. Wir meinen, daß gerade die kleineren Unternehmen, insbesondere das Handwerk, davon betroffen werden und
daß sie die Arbeiter lieber bei sich beschäftigen. Die Arbeiter würden auch gerne dort bleiben, wenn sie die Gewißheit hätten, daß das, was sie in der Woche mehr als 45 Stunden arbeiten, nicht hoch versteuert würde. Sie kämen sonst in eine höhere Progression, und der Arbeitsverdienst wäre dann geringer, als wenn sie nicht gearbeitet hätten. Nach unserer Meinung wird durch die Annahme unseres Antrages die Möglichkeit gegeben, daß der kleine Handwerker seine Leute selber weiterbeschäftigt. Dinge, die wir im Arbeitsleben nicht wollen, werden vermieden. Wir bitten Sie daher, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Herr Abgeordneter Dr. Schmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was hier ,begehrt wird, haben wir bereits im Jahre 1951 bzw. im Jahre 1955 abgeschafft. Damals waren Gründe der Vereinfachung maßgebend. Wir haben die Frage auch im Ausschuß eingehend erörtert, und dort ist der hier gestellte Antrag abgelehnt worden.
({0})
- Das können Sie auch im Bericht lesen. Bei der Erörterung der Anträge, die abgelehnt wurden, finden Sie auch eine Auseinandersetzung mit dieser Frage. Wenn das nicht der Fall wäre, müßte ich mich sehr irren oder den Bericht sehr schlecht gelesen haben.
Die gegenwärtige Regelung findet sich in § 34 a. Danach sind die gesetzlichen und tariflichen Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit ohnehin steuerfrei, vorausgesetzt, daß der Arbeitslohn insgesamt 15 000 DM im Kalenderjahr nicht übersteigt.
Nach meiner Auffassung liefern gerade die arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkte, die für den Antrag ins Feld geführt wurden, die Einwände gegen ,den Antrag. Die gegenwärtige Tendenz zur Senkung der Arbeitszeit löst eine Tendenz zur Verlagerung in die Überstundenarbeit aus. Diese Tendenz noch durch Steuerfreistellung der Überstundenlöhne zu verstärken, hätte nach meiner Auffassung eine Verteuerung der Lohnkosten auf Umwegen zur Folge. Das kann nicht erwünscht sein.
Keine weiteren Wortmeldungen? - Abstimmung! Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 863! Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zu Nummer 8. Hierzu ist ein Änderungsantrag auf einem Umdruck gestellt, bei dem die Nummer vergessen ist; es ist der Umdruck 891, Änderungsantrag der Fraktion der FDP.
Ich frage, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. - Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeswirtschaftsminister hat in Hannover wiederum ,die Wirtschaft aufgefordert, mehr Kapital zu exportieren. Wir haben feststellen können, daß die Bundesrepublik im Gegensatz beispielsweise zu den Vereinigten Staaten in den letzten Jahren einen sehr geringen Kapitalexport aufzuweisen hat.
Die Bundesregierung hat in dem Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1961 Vorschläge gemacht, die darauf hinauslaufen, einen steuerlichen Anreiz für den privaten Kapitalexport zu geben. Sie schlägt Rücklagenbildung vor.
Der Finanzausschuß hat diesen Vorschlag inzwischen dahin präzisiert, daß die Rücklagen für drei Jahre mit jeweils einem Drittel jährlich erfolgen können und in den darauffolgenden fünf Jahren steuerwirksam wieder aufgelöst werden müssen. Es handelt sich also nicht um eine Steuererleichterung, sondern nur um einen Steueraufschub.
Im Ausschuß haben wir die Herren des Finanzministeriums, die der Sitzung beiwohnten, gefragt, ob das Ministerium glaube, daß mit einer solchen Maßnahme wirklich ein Anreiz gegeben werde, privates Kapital zu exportieren. Es ist uns gesagt worden, es solle nur ein erster Schritt sein; man verspreche sich von dieser Maßnahme, die im Steueränderungsgesetz niedergelegt ist, keine großen Auswirkungen.
Wir haben deswegen vorgeschlagen, statt der Rücklagenbildung Abschreibungen zuzulassen, und zwar Abschreibungen auf die Kapitalsumme, die privat in die Entwicklungsländer exportiert wird. Wir haben in unserem Antrag genau ausgeführt, in welcher Form diese Abschreibungen erfolgen können, und haben die ersten zwei Jahre nach dem Kapitalexport besonders hoch dotiert und die Gesamtdauer der Abschreibungen auf die acht Jahre begrenzt, die auch für die Rücklagebildung und Auflösung vorgesehen waren. Wir glauben, daß dadurch dem Steuerpflichtigen ein sehr viel wirksamerer Anreiz gegeben wird, Kapital zu exportieren, zumal uns von zuständiger Seite gesagt wurde, daß die bisher gewählte Lösung keine Auswirkung habe. Wenn die von uns vorgeschlagene Formulierung angenommen wind, entsteht dagegen ein wirklicher Anreiz, Kapital in Entwicklungsländer zu exportieren. Darauf aber kommt es doch wohl an, wenn man aus den Ausführungen des Herrn Wirtschaftsministers in Hannover Konsequenzen zieht. Bei der augenblicklichen Situation der Deutschen Bundesbank, bei der wir mit einem erheblichen Zuwachs an Gold und Devisen wöchentlich rechnen und rückwirkend feststellen, daß diese Gold- und Devisenbestände der Bundesbank gerade nach der D-Mark-Aufwertung gewaltig angestiegen sind, sollte man wirksame Maßnahmen ergreifen, um den privaten Kapitalexport zu fördern.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten, den Antrag Umdruck 891 abzulehnen. Es handelt sich hier nicht um eine allgemeine Kapitalexportmaßnahme, es handelt sich hier um den ersten Schritt im Rahmen einer größeren Konzeption der Bundesregierung zur Entwicklungshilfe. Wir haben hier behutsame Schritte zu tun, insbesondere mit Rücksicht darauf, daß wir in der europäischen Gemeinschaft das erste Land sind, das überhaupt solche Begünstigungen im Rahmen der Entwicklungshilfe vornimmt. Deshalb ist es nicht zweckmäßig, über den Rahmen dessen hinaus, was der Finanzausschuß an Änderungen an der Regierungsvorlage angebracht hat, ,in diesem Augenblick mehr zu tun.
Wenn wir einen ersten Überblick über die Wirkungen unserer Maßnahmen ,im ganzen haben, werden wir überlegen müssen, ob es zweckmäßig ist, diese Regelung auszuweiten, sie gegebenenfalls aber auch auf das notwendige Maß zurückzuführen.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Beyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Schmidt möchte 'ich kurz zum Antrag der FDP sagen, daß auch wir ihm nicht zustimmen können. Wir glauben, daß nur eine auflösungsfähige Rücklage bewilligt werden kann.
Im Hinblick auf die Einführung einer solchen Bestimmung in das Einkommensteuergesetz möchte ich aber noch einige Bemerkungen machen. Wir stimmen mit der Regierungsfraktion darin überein, daß auch private Kapitalanlagen als eine wichtige Ergänzung der staatlichen Entwicklungshilfe angesehen werden müssen. Wir stimmen daher einer steuerlichen Begünstigung, die einen Anreiz geben soll, zu. Die Wirkung - darin sind wir wohl alle einer Meinung - muß erst einmal abgewartet werden. Wir werden in absehbarer Zeit zu prüfen haben, ob das Ziel erreicht wird, das mit diesem Antrag gesteckt ist.
Auf der anderen Seite müßte noch einmal festgestellt werden, inwieweit das, was wir aus öffentlichen Einnahmen für diese Förderung ausgeben, anerkannt wird. Das ist nötig, wenn in absehbarer Zeit etwa 1 % des Sozialprodukts für Entwicklungshilfe gezeichnet werden soll.
Wir möchten aber noch einige Grundsätze herausstellen. Die Bestimmungen des Gesetzes stellten eine Ermächtigung dar. Bisher fehlen jedoch die Richtlinien, nach denen genehmigt werden soll. Im Gesetzentwurf heißt es:
Die obersten Finanzbehörden der Länder können mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen auf Antrag bei Steuerpflichtigen, die den Gewinn auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln und nach dem 31. Dezember 1960 besonders förderungswürdige Entwicklungshilfe durch Kapitalanlagen in Entwicklungsländern leisten, eine den steuerlichen GeFrau Beyer ({0})
winn mindernde Rücklage zulassen, deren Höhe 1/3 der Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Kapitalanlagen nicht übersteigen darf.
Wir haben, das ist auch im Unterausschuß „Entwicklungshilfe" noch einmal klar geworden, bis heute noch keine Koordinierung unserer Maßnahmen festzustellen. Es fehlt auch bis heute die zentrale Stelle in einem Ministerium. Das ist ein Mangel. Hierauf ist auch die Schwierigkeit für die Erstellung von Richtlinien zurückzuführen. Wir möchten daher vor allem beantragen, daß die Richtlinien nun beschleunigt erstellt werden und daß sie in den hierfür zuständigen Ausschüssen des Bundestages beraten werden, zumal die Bestimmungen rückwirkend ab 31. 12. 1960 Gültigkeit erlangen.
Es muß klargestellt werden, einmal welche Projekte und welche Programme gefördert werden sollen, und zum anderen, welche Länder einbezogen werden sollen und welche Form hierfür gefunden werden soll.
Nach unserer Auffassung ist es vor allen Dingen wichtig, vor der Verabschiedung noch einmal festzustellen, daß nicht jede wirtschaftliche Tätigkeit zu begünstigen ist. Denn auch unter der Kolonialherrschaft sind wirtschaftliche Unternehmungen aufgebaut worden und tätig geworden, die nicht immer dem Land gedient haben. Es ist - als Zweites - eine sorgfältige Prüfung erforderlich, welche Art von unternehmerischer Tätigkeit wirklich begünstigt werden soll. Vor allen Dingen ist es, glaube ich, notwendig ,hier das Gebiet des Handels einer genauen Untersuchung zu unterziehen, d. h. zu untersuchen, welcher Teil unter dem Gesichtspunkt der Entwicklungshilfe gefördert werden kann.
Drittens sollte man auch feststellen, nach welchen Gesichtspunkten Abstufungen vorzunehmen sind. Im Gesetz heißt es: „Die Höhe der Rücklage darf 1/3 der Kosten nicht übersteigen." Mit anderen Worten: es sind Abstufungen möglich, und es muß festgelegt werden, ob sie nach Ländern oder nach Projekten erfolgen sollen.
Wir geben unsere Zustimmung, bitten aber, das, was ich hier herausgestellt habe, mit zur Grundlage der weiteren Beratung zu machen und sicherzustellen, daß wirklich nur förderungswürdige Kapitalanlagen steuerlich begünstigt werden und daß vor allem in kürzester Zeit die Richtlinien zur Beratung in die zuständigen Ausschüsse kommen. Gerade wegen des Fehlens einer koordinierenden Stelle bei der Bundesregierung für die Aufstellung der Richtlinien ist diese Beratung in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages besonders wichtig.
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 891. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag Umdruck 891 ist abgelehnt.
Zu Nummer 8 keine weiteren Änderungsanträge. Wortmeldungen? - Keine Wortmeldungen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
In Nummer 8 a ist eine redaktionelle Änderung zu notieren. Ich bitte, in Nummer 8 a in der 5. Zeile zu lesen: „§ 1 des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall". - Das Haus hat davon Kenntnis genommen.
Wortmeldungen zu Nummer 8 a? - Keine Wortmeldungen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nummer 8 a ist mit Mehrheit angenommen.
Nummer 9! Keine Änderungsanträge. Wird das Wort gewünscht? -- Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, der gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen!
Nummer 10! Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, Umdruck 880 Ziffer 5. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Wird sonst das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 880 Ziffer 5, in Nummer 10 Buchstabe a den Doppelbuchstaben bb zu streichen. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das hätte ich dem Bundestag schenken können; aber ich kann auch nicht alle Änderungsanträge vorher lesen.
({0})
Doppelbuchstabe bb wird also gestrichen?
({1}) - Er wird nicht gestrichen.
Änderungsantrag Umdruck 864. Das ist ein Antrag der Fraktion der FDP. Wird zur Begründung das Wort gewünscht? - Herr von Kühlmann-Stumm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es handelt sich bei unserem Antrag um eine zusätzliche Bestimmung, die besagt, daß der Althausbesitz ebenfalls die Möglichkeit haben soll, auf seine Buchwerte Abschreibungen vorzunehmen. Wir haben diesen Antrag schon im Finanzausschuß gestellt. Wir haben damals ausgeführt, daß die Wohnungen, die nach dem 21. Juni 1948 gebaut worden sind, auf Grund des § 7 b sehr günstige Abschreibungsmöglichkeiten haben und daß diese Vergünstigungen dem Althausbesitz nicht zustehen. Dagegen ist im Finanzausschuß eingewendet worden, daß der nächste Bundestag eine umfassende Gesetzesvorlage über den Althausbesitz erstellen soll.
Wir wollen mit diesem Antrag das Problem des Althausbesitzes in die Diskussion bringen. Wir glauben, daß der Althausbesitz ungerechtfertigt benachteiligt ist und daß er im Wettbewerb mit dem Neubaubesitz auf die Dauer nicht konkurrenzfähig sein wird, wobei wir annehmen müssen, daß der Althausbesitz sehr bald in einen Konkurrenzkampf mit dem Neubaubesitz eintreten wird. Wir halten es daher für richtig, daß er zumindest bezüglich der Abschreibungen auf die Buchwerte eine Vergünstigung erhält, wobei die Ausführungsbestimmungen
8998 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode Freiherr von Kühlmann-Stumm
im einzelnen von den zuständigen Stellen erlassen werden sollten. Wir wollen hier der Gerechtigkeit halber dem Althausbesitz die gleichen Vergünstigungen einräumen, wie sie der Naubaubesitz auf Grund des § 7 b bereits besitzt.
Das Wort hat Abgeordnete Dr. Becker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte bitten, den Antrag der FDP abzulehnen. Wir können heute bei der Überhitzung der Baukonjunktur nicht zusätzliche Maßnahmen genehmigen, die die Baukonjunktur anfachen. Man muß auf die Dauer überlegen, wie man dem Althausbesitz hilft; aber jetzt ist es der falsche Moment. Außerdem muß man berücksichtigen, daß sehr viele alte Häuser abgeschrieben sind, so daß man diese Maßnahmen sehr unterschiedlich anwenden würde. Auch das ist ein Grund für uns, diesen Antrag der FDP abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Imle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es trifft nicht ganz zu, daß dadurch die Baukonjunktur angefacht wird. Es geht hier doch um folgendes. Nach der jetzigen Regelung können die Neubauten in den ersten zwei Jahren mit 71/2 % und in den folgenden acht Jahren mit 4 % abgeschrieben werden, so daß sie in zehn Jahren mit 47 % abgeschrieben sind. Wenn Sie 1930 ein Haus gebaut haben, dann haben Sie bis heute 30 % abgeschrieben, und es stehen immer noch 70 % offen. Deswegen wollen wir hier eine Besserstellung des Althausbesitzes erreichen, damit er schneller abschreiben kann und allmählich mit dem Neubaubesitz auf die gleiche Stufe gebracht wird. So liegen, glaube ich, die Dinge. Die Baukonjunktur wird dadurch überhaupt nicht angeheizt.
({0})
Keine weiteren Wortmeldungen.
Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 864 der Fraktion der FDP. Wer zustimmen will, gebe ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zu dem Änderungsantrag Umdruck 895 der Fraktion der FDP. Wird dieser Änderungsantrag begründet? - Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Dieser Antrag der Fraktion der FDP liegt ganz im Sinne der Regierungserklärung vom 29. Oktober 1957, in der der Herr Bundeskanzler die Notwendigkeit der Stärkung gerade der selbständigen Mittelschichten so außerordentlich betont hat, - ein berechtigtes Anliegen, das sicherlich auch in der zukünftigen Regierungserklärung, ganz gleich, wer sie verfassen wird, wieder ein wesentlicher Kernpunkt des Regierungsprogramms sein wird, weil wir in bezug auf dieses Problem nicht genügend Grundsätzliches tun konnten, sondern nur punktuelle Maßnahmen ergriffen haben.. Auch mit unserem Antrag wollen wir eine punktuelle Maßnahme ergreifen.
Warum ist es notwendig, daß wir etwas tun? Es ist notwendig, weil in den Fremdenverkehrsgebieten immer mehr altangesehene Hotelbetriebe zweckentfremdet werden. Diese Betriebe können unter den gegenwärtigen Bedingungen einfach nicht mehr konkurrenzfähig bleiben, nicht wegen ihrer schlechten Betriebsführung, sondern ganz allgemein wegen der steuerlichen Situation. In diesen alten Hotelbauten muß sehr viel investiert werden. Außerdem haben sie einen großen lohnbezogenen Aufwand. Auch die Konkurrenz des Auslands ist sehr groß geworden, zumal die Häuser dort im Süden, wo der Reisezug hingeht, nicht nur klimatische Vorteile haben, sondern auch von den dortigen Regierungen das Hotelgewerbe steuerlich sehr stark begünstigt wird.
Nun tritt eine Frage auf: Wieso ausgerechnet im Jahre 1961 eine solche Vergünstigung für die älteren Hotelbauten? Das ist ganz einfach darauf zurückzuführen, daß wir in diesem Jahr die D-Mark-Aufwertung hatten und das Gaststättengewerbe durch diese Aufwertung stark beeinträchtigt worden ist. Die Auslandsreise, die ohnehin schon sehr attraktiv geworden ist, ist billiger geworden, und die Reise des Ausländers nach Deutschland ist teurer geworden. Das ist unbestritten eine Folge der DMark-Aufwertung.
Hinzu kommt aber noch, daß der deutsche Reisende bereits im vergangenen Jahr 18,8 % mehr Geld ins Ausland getragen hat als im Jahr zuvor, während die Ausländer, die nach Deutschland kamen, nur 2,9 % mehr Geld in Deutschland ausgegeben haben. Diese Betriebe müssen sich also in ganz besonderem Maße um den einheimischen Gast kümmern.
Ferner kommt hinzu, daß kein geringerer als der Bundesrechnungshof in einem Gutchachten erst dieser Tage festgestellt hat, daß die Werbung für Deutschland als Reiseland sehr mäßig sei und daß hier in den künftigen Jahren viel mehr eingesetzt werden müsse, wenn Deutschland als Reiseland nicht in den Hintergrund treten solle.
Die älteren Hotels müssen hier investieren, ob sie wollen oder nicht, auch um den einheimischen Gast zu erreichen. Denn die Ansprüche sind gehoben warden, nicht zuletzt auch dadurch, daß infolge innerbetrieblicher sozialpolitischer Maßnahmen die Urlaubsreisen zugenommen haben, und infolge der steuerlichen Begünstigung für gut ausgestattete Betriebserholungsheime.
Die Maßnahme, die unser Antrag vorsieht, schafft eine bessere Wettbewerbslage im Hotel- und Gaststättengewerbe schlechthin. Wir sollten nicht nur davon sprechen, daß neues Eigentum geschaffen werden soll, sondern wir sollten, auch wenn es nur auf einem kleinen Gebiet ist, die Maßnahmen treffen, die notwendig sind, um alterworbenes, beSpitzmüller
stehendens Eigentum zu erhalten. Das ist der Sinn und das Ziel unseres Antrags.
({0})
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich stelle den Änderungsantrag Umdruck 895 der Fraktion der FDP zur Abstimmung. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Zu Ziffer 10 im ganzen Herr Abgeordneter Kurlbaum.
Herr Präsident! Meine Damen Herren! Wir messen ,dem Problem der konjunkturpolitischen Maßnahmen so große Bedeutung bei, daß ich auch bei dieser Gelegenheit einige allgemeine Ausführungen dazu machen will.
Die im Regierungsentwurf vorgesehene Einfügung in § 51, die die SPD-Fraktion gern gestrichen haben will, ist dadurch charakterisiert, daß durch sie eine Ermächtigung zu konjunkturpolitischen und antizyklischen Maßnahmen nur für den einen Fall der Konjunkturabschwächung gegeben wird und nur mit dem einzigen Ziel, die Investitionstätigkeit zu verstärken. Der Zustand der Konjunkturüberhitzung, in dem wir seit beinahe zwei Jahren leben, ohne daß ein Ende abzusehen ist, ist überhaupt nicht berücksichtigt,
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und die seit dieser Zeit allein aktuelle konjunkturpolitische Aufgabe, die die Preise treibende übermäßige Investitionstätigkeit einzudämmen, existiert, wenn es nach dem Wortlaut ,des Gesetz-Entwurfs geht, einfach nicht.
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Zwar hieß es in der Begründung der Bundesregierung zum Steueränderungsgesetz 1960 noch ausdrücklich, daß es sich um eine Rückführung der Abschreibungssätze auf den betriebswirtschaftlich richtigeren und in den westlichen Ländern vorherrschenden Satz handele. Das ist offensichtlich inzwischen in ,der Versenkung verschwunden und vergessen worden. Allem Anschein nach haben sich die Interessenverbände der Unternehmer bei der CDU/ CSU mit ihrer Forderung durchgesetzt, daß die derzeitigen Abschreibungssätze nicht Normalsätze, sondern Mindestsätze sind, die sie zur Vermeidung höherer Steuer für immer beanspruchen wollen.
Zwar ist für alle, die das Problem sehen wollen, inzwischen offenbar geworden, daß der jetzige Umfang der Abschreibungsmöglichkeiten und damit der jetzige Umfang der Nettogewinne zu einer Eindämmung des die Preise treibenden Investitionsbooms völlig ungeeignet ist; aber, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, offenbar rangiert das Tabu der Abschreibungssätze bei Ihnen vor den notwendigen Maßnahmen zur Erhaltung der Kaufkraft der D-Mark.
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- Bitte, Sie können nachher darauf antworten.
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- Herr Krammig, wir unterhalten uns hier über volkswirtschaftliche Probleme und nicht über betriebswirtschaftliche Probleme.
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Die SPD hat schon im Juli 1960 bei der dritten Beratung des Steueränderungsgesetzes 1960 sehr deutlich auf diese Problematik hingewiesen. Wir sind gewöhnt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, daß Sie sich über unsere sachlichen Argumente ohne große Hemmungen hinwegsetzen.
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Das ist nichts Neues. Neu ist aber, meine Damen und Herren von der Regierungsfraktion, daß Ihr Übermut nunmehr so weit geht, daß Sie glauben, auch noch über die geschlossene Meinung der wirtschaftswissenschaftlichen Institute, über die Meinung der Wissenschaftlichen Beiräte des Finanzministeriums und des Wirtschaftsministeriums und, was noch schwerer wiegt, über die Meinung der Bundesbank einfach hinweggehen zu können.
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Schon im Januar 1960 hat Professor Langelütke vom Ifo-Institut in einem Brief an Herrn Bundesfinanzminister Etzel folgendes ausgeführt - ich darf es vorlesen -:
Es wäre für alle um die Stabilisierung unserer Wirtschaft bemühten Konjunkturwissenschaftler - und ich glaube, in ihrer aller Namen sprechen zu dürfen - eine schwere Enttäuschung, wenn Sie sich etwa vor der gewiß schweren Aufgabe einer fiskalpolitischen Steuerung der Konjunktur auf den bequemen Einwand des von Ihnen zitierten italienischen Ministerpräsidenten zurückziehen wollten.
Ebenfalls im Januar 1960 hat der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums in einem Gutachten, das allerdings - das haben wir damals schon kritisiert - erst drei Monate später, im April, veröffentlicht worden ist, auf die Notwendigkeit und die Möglichkeit finanzpolitischer Maßnahmen zur Beschneidung der privaten und öffentlichen Nachfrage hingewiesen.
Im Oktober 1960 hat dann die CDU/CSU-Fraktion unter dem Druck der öffentlichen Meinung einen lobenswerten Anlauf genommen. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 26. Oktober war zu lesen: „Regierungsprogramm zur Dämpfung der Konjunktur - Beschluß der CDU-Fraktion in Anwesenheit von Adenauer und Erhard -Rasche Entscheidung verlangt". Im „Handelsblatt" stand am nächsten Tage: „Ein Bündel von konjunk9000
turpolitischen Maßnahmen". In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom gleichen Tage wurde ,der Tatendrang Ihrer Fraktion in einem Artikel gefeiert: „Eine Demonstration des Unwillens". Alles war gespannt. Was kam? Nichts kam!
Was war geschehen? Herr Berg war zu Herrn Adenauer gegangen und hatte, wie er vorher angekündigt hatte, die konjunkturpolitischen Konzepte der Fachminister im Bundeskabinett und Ihrer Fraktion vom Tisch gefegt. Im „Handelblatt" vom 7. November hieß es daher nur noch „Keine steuerpolitischen Konjunktureingriffe".
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Es blieb nichts als die sogenannte Entwicklungsanleihe der Industrie, von der alle Sachkenner schon vorher wußten, daß sie konjunkturpolitisch völlig unzureichend sein mußte. Daß der Herr Bundeskanzler das nicht beurteilen konnte, mögen wir ihm verzeihen. Das unrühmliche Ende der Aktion der Entwicklungsanleihe der Industrie ist bekannt. Als beachtenswerter Vorgang bleibt für uns übrig, daß Sie, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, sich damals von Ihrem Parteichef im Auftrage des Herrn Berg in die Mauselöcher haben jagen lassen.
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Danach ist es dann für Monate um eine aktive Konjunkturpolitik still geblieben. Anfang März kam die Aufwertung der D-Mark. Sie war nötig, und sie war richtig, meine Damen und Herren, als Folge der Resignation und der Abdankung der CDU-Fraktion in allen konjunkturpolitischen Fragen.
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Aber das Problem ,der Erhaltung der Kaufkraft der D-Mark ist keineswegs vom Tisch.
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- Ich bin gleich gern bereit! - Mein Freund Deist und ich haben Anfang März bei der Haushaltsberatung darauf hingewiesen, wie aktuell gleichwohl dieses Problem geblieben ist, und „Der Volkswirt" hat Anfang April richtig gesagt: „Aufwertung ist kein Alibi".
Erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage?
Ja bitte, ich bin bereit!
Herr Dr. Burgbacher, Sie müssen von einem Mikrophon im Saal aus sprechen. Ich stelle ausnahmsweise auch den Platz hier oben zur Verfügung!
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Ich hätte die Frage auch nachher bei meinen Ausführungen anbringen können. Herr Kollege Kurlbaum, Sie haben so akzentuiert von dem Herrn Präsidenten Berg gesprochen, als Sie die Beeinflussung der Konjunkturpolitik anführten. Warum haben Sie vergessen, zu sagen, daß die Aufwertung gegen dessen ausdrücklichen Willen geschehen ist?
Das war das, was schließlich nur übrigblieb. Das mußte dann geschehen.
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Das ist doch ganz klar, schließlich mußte auch hier etwas geschehen.
Aber lassen Sie mich eines noch ganz offen dazu sagen: hier ist schließlich eine Maßnahme getroffen worden - die Aufwertung -, die ohne ,die Fraktion der CDU/CSU und ohne diesen Bundestag durchgeführt werden konnte. Das war das Entscheidende. Sie, meine Damen und Herren, haben sich die Initiative, der Bundestag hat sich ,die Initiative zu rechtzeitigen konjunkturpolitischen Maßnahmen leider nehmen lassen.
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Das bleibt am Ende festzustellen.
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- Nein, das ist ein ganz klares Mißverständnis! Wir haben mit Recht beklagt, daß nunmehr ohne das Parlament eine so plötzliche Entscheidung getroffen werden mußte und daß sie nicht rechtzeitig getroffen wurde.
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- Nein, das stimmt nicht. ({4})
Nun lassen Sie mich bitte fortfahren. Ich komme jetzt zur Gegenwart, und die Gegenwart ist mindestens genauso interessant wie die Vergangenbeit. Was sagt die Bundesbank in ihrem Märzbericht dazu:
Die Bundesbank hat ihr kreditpolitisches Instrumentarium seit Herbst 1955 bis zur Überstrapazierung eingesetzt, um der konjunkturellen Überspannung und dem drohenden Preisauftrieb entgegenzuwirken. Es hat sich aber gezeigt, daß der Boom unter ,den heute gegebenen Umständen mit kreditpolitischen Mitteln allein nicht unter Kontrolle gebracht werden kann.
Und weiter sagt die Bundesbank in ihrem Bericht:
Es wäre falsch, zu glauben, daß die Wechselkursanpassung ein Allheilmittel für alle Nöte dieser Welt ist.
Herr Professor Erhard hat nun auf der Messe in Hannover vor ein paar Tagen erklärt, nie und nimmer werde das Instrumentarium der Währungsänderung noch einmal für konjunkturpolitische Maßnahmen benutzt werden, - wahrlich eine kühne Feststellung angesichts des permanenten Notschreis der Bundesbank und des Fehlens ausreichender Vollmachten der Bundesregierung zu schnellem Handeln.
Heute können Sie im „Handelsblatt" lesen, daß die Preise im Bereich der Investitionsgüter, wie es so schön heißt, „stabil bis fest" sind, vereinzelt bis zu 10 % heraufgesetzt worden sind. Das ist der Zustand nach der Aufwertung der D-Mark.
Wir von der SPD-Fraktion sind in der Tat der Meinung, daß sich der Bundestag im ganzen bezüglich der Konjunkturpolitik in einer ernsten Krise befindet. Wir fühlen uns verpflichtet, Sie von der CDU/CSU-Fraktion zu fragen:
1. Will die CDU/CSU-Fraktion tatsächlich die Bundesregierung bis zum Ende des Jahres ohne jede gesetzliche Handhabe, ohne Vollmachten lassen, mit denen sie der Bundesbank in ihrem bisher wenig erfolgreichen Bemühen um die Sicherung der Kaufkraft der D-Mark den notwendigen und immer wieder verlangten Beistand leisten könnte? Das ist die erste Frage, auf die wir gern eine Antwort hätten.
2. Glaubt die CDU/CSU-Fraktion, daß sie, indern sie weiter konjunkturpolitisch nichts tut, ihre Pflicht erfüllt gegenüber 20 Millionen Kontensparern, 3 Millionen Bausparern und gegenüber den Versicherungssparern, die 30 Millionen Versicherungsverträge abgeschlossen haben? Das ist eine ernste Frage! Ist das das wahre Gesicht Ihrer Einkommenspolitik gegenüber der großen Masse der in traditionellen Formen sparenden kleinen Einkommensbezieher?
Kommen Sie jetzt bitte nicht mit der „Verantwortung der Sozialpartner", schieben Sie denen bitte nicht leichtfertig den schwarzen Peter zu. Konjunkturpolitik oder ihr Fehlen schafft erst den Rahmen, den Spielraum, in dem sich Unternehmer und Gewerkschaften mit ihren Preisen und Löhnen bewegen können. Damit sind Sie mit Ihrer mangelhaften Konjunkturpolitik zumindest mitverantwortlich für das, was Unternehmer und Gewerkschaften tun und tun können.
Meine Fraktion hat in den Ausschüssen immer wieder ihre Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, mitzuarbeiten daran, daß Voraussetzungen für eine wirksame antizyklische Finanzpolitik und entsprechende Vollmachten für die Bundesregierung geschaffen werden. Ich weise Sie darauf hin, daß die konservative britische Regierung sich kürzlich auf Grund der öffentlichen Meinung und der fortgeschrittenen Erkenntnisse über diese Zusammenhänge solche Vollmachten verschafft hat. Sie haben das nach wie vor abgelehnt. Sie haben sich damit gegen die Erfahrung der letzten Jahre, gegen den Sachverstand der maßgebenden Sachverständigen gestellt. Es ist einfach nicht zu glauben, daß mindestens ein Teil von Ihnen das nicht selbst ganz genau weiß.
Damit 'wird offensichtlich, daß die Mehrheit dieses Hauses in einem Umfang von Interessentengruppen - wie dem Bundesverband ,der Industrie - abhängig ist, der die Wahrung der Belange der Allgemeinheit gefährdet.
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Aus diesen Gründen haben wir die Streichung des
Doppelbuchstabens bb unter Nr. 10 Buchstabe a beantragt, damit der Weg frei wird für die gemeinsame Erarbeitung wirklicher wirksamer Maßnahmen zum Schutze der D-Mark und des deutschen Verbrauchers. Die vorliegende Lösung ist einseitig und unzureichend.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kurlbaum, Sie sprechen vom Tabu der Abschreibungen und vom Lebenshaltungsindex. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß der Lebenshaltungsindex im Dezember 1960 immerhin genauso hoch war wie im Dezember 1959, daß sich also in den zwölf Monaten der Lebenshaltungsindex voll gehalten hat, während die Löhne in der Bundesrepublik bekanntlich sehr erheblich gestiegen sind, so daß die reale Kaufkraft in dieser Zeit wesentlich zugenommen hat. Wenn Sie hier vom Tabu der Abschreibungen und gleichzeitig davon sprechen, wir lehnten es ab, eine konstruktive und auch fiskalische Konjunkturpolitik zu treiben, dann stimmt das absolut nicht miteinander überein. Was wir hier vorschlagen - wir sprechen ja über das Steueränderungsgesetz und nicht über allgemeine Wirtschaftspolitik -, die Bundesregierung zu ermächtigen, im Falle einer „recession" die Abschreibungssätze für bewegliche Güter um 10 % und für Gebäude um 5 % zu erhöhen, ist ja gerade eine fiskalische, konstruktive konjunkturpolitische Maßnahme. Wir wollen also in guten Zeiten der Regierung ein Mittel in die Hand geben, in weniger guten Zeiten etwas zur Belebung der Konjunktur zu tun. Ich glaube, das sollten Sie nicht ablehnen, sondern freudig mitmachen, weil hier gezeigt wird, daß wir konstruktiv arbeiten.
Sie haben auch gesagt, wir wollten über die Dinge nicht diskutieren. Wir haben im Finanzausschuß über alles, was wir hier vorlegen, sehr ausführlich diskutiert. Das werden Ihnen Herr Seuffert und Frau Beyer sagen. Wir können uns nicht vorwerfen lassen, wir hätten die Dinge nicht diskutiert.
Nun zu den finanzpolitischen Maßnahmen. Ich möchte behaupten, daß die Steuersenkung, die wir hier vorschlagen, eine Steuersenkung, deren Auswirkung soeben von Herrn Krammig mit 1,5 Milliarden DM geschätzt wurde, eine Steuersenkung, die ja auch die Länder und die Kommunen tragen müssen, dazu führt, daß die Konjunktur gedämpft wird. Denn die öffentliche Hand wird weniger Mittel in der Hand haben, um insbesondere Hochbauten erstellen zu können. Das ist auch eine Absicht bei dem ganzen Steuerbukett, das wir vorlegen, und das ist sicher auch eine konstruktive fiskalpolitische Maßnahme, die wir hier fordern.
Sie haben soeben, Herr Kurlbaum - was mich nicht gerade sehr erfreut hat, weil ich mich mit der Industrieanleihe sehr intensiv beschäftigt habe -, gesagt: das unrühmliche Ende der Wirtschaftsanleihe. Ich möchte in diesem Hause immerhin feststellen, daß die deutsche Wirtschaft im Interesse
Dr. Becker ({0})
der Entwicklungshilfe freiwillig 1,2 Milliarden DM aufgebracht hat.
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Der wesentlichste Teil dieser 1,2 Milliarden DM, etwa 1 Milliarde DM, wurde von der Industrie aufgebracht, und zwar völlig freiwillig. Ich möchte einmal sehen, in welchem Land der westlichen Welt eine Wirtschaft freiwillig im volkswirtschaftlichen Interesse, nämlich für die Entwicklungshilfe, für Anleihen an entwicklungsfähige Länder so große Summen aufbringt.
Ich will Ihnen sagen, daß es für den einzelnen Betrieb - daran waren Tausende von Betrieben beteiligt - gar nicht so einfach war, dies Anleihe aufzubringen. Die Betriebe haben es getan nach der Aufforderung der zentralen Verbände im Interesse der volkswirtschaftlichen Entwicklung und auch im Interesse der Entwicklungsländer. Da können Sie nicht von einem unrühmlichen Ende dieser Anleihe sprechen.
Sie behaupten hier, wir machten uns keine Gedanken über die Konjunktur. Aber allein dieses Gesetz, über das wir heute sprechen, ist ein Beweis dafür, daß wir durchaus bereit sind, auch konjunkturdämpfende Maßnahmen zu ergreifen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist das Schicksal von Mitgliedern dieses Hauses, gelegentlich scharf in der Sache mit ,sympathischen Kollegen der Opposition die Klinge kreuzen zu müssen. In dieser Lage befinde ich mich gegenüber den Ausführungen des Kollegen Kurlbaum. Er hat mit Recht auf die volkswirtschaftlichen Aspekte auch des Steueränderungsgesetzes hingewiesen. Ich stimme mit ihm völlig überein, daß bei solchen steuerlichen Maßnahmen auch die konjunkturellen Wirkungen in Betracht gezogen werden müssen. Ich stimme aber nicht mit ihm überein in der sachlichen Beurteilung, die er dann anschließend getroffen hat, und ich stimme auch nicht mit ihm überein in den polemischen Betrachtungen, die eigentlich unter seiner Würde liegen. Ich würde die polemische Betrachtung über den Bundesverband der Deutschen Industrie als unseren Herren bequemerweise beantworten mit einer Betrachtung über den DGB als Ihren Herren unter Herrn Richter oder Herrn Brenner oder Herrn Kummernuß - einer Ihrer „Kummernüsse" ! -, aber das ist mir zu billig.
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Die Investitionspolitik ist nicht die Ursache der Konjunkturüberhitzung. Was ist die Konjunkturüberhitzung, um bei diesem etwas schillernden Wort zu bleiben? Die Konjunkturüberhitzung besteht einmal in dem Engpaß des Arbeitsmarktes und dann in dem Umstand, daß die Nachfrage nach Gütern größer als das Angebot ist. Die vorgenommenen Investitionen sind aber in der Hauptsache ausgerechnet ,dazu bestimmt, das Angebot an Gütern zu erhöhen und den Engpaß an menschlichen Arbeitskräften durch die Investition technischer Arbeitskräfte zu überwinden.
Es war also nicht richtig, Herr Kurlbaum - das war Ihre Grundhaltung -, zu behaupten, daß Investitionspolitik konjunkturüberhitzend wirke. Das gerade Gegenteil ist vielmehr der Fall. Die Investitionspolitik erhöht das Güterangebot und multipliziert die knappe Menschenkraft, wirkt also ausgesprochen konjunkturentspannend.
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Das ist das eine.
Das andere ist sehr viel schwieriger. Wegen des Zeitplanes des Hauses kann ich es nur andeuten. In dem Maße, in dem die Produktivität einer Volkswirtschaft durch vorwiegend technische, energetische und intensive Kräfte steigt, in dem Maße steigt mit Recht das soziale Standing. In dem Maße, in dem das soziale Standing steigt - mit Recht steigt -, wächst die Nachfrage. In dem Maße, in dem das soziale Standing aus Gründen der technisch bedingten Produktivität steigt, muß sich der Preisfächer verschieben, d. h. die lebensnotwendigen Güter, die lohnschwer sind, müssen in den Preisen, wie der Bürger sagt, steigen, und die neuen, dem normalen Zivilisationsbedürfnis entsprechenden Güter sinken im Preis entweder absolut oder relativ, weil sie in erheblich besserer Qualität und größerer Quantität angeboten werden. Ich möchte dem Hohen Hause wirklich wünschen, daß die Zusammenhänge, die notwendigerweise zwischen Produktivitätssteigerung aus Gründen vorwiegend der Rationalisierung und Technisierung und dem damit berechtigten Steigen des sozialen Standing verbunden sind, in der Veränderung des Preisfächers zu Lasten lohnschwerer und zugunsten lohnleichter Produkte klarer erkannt werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kurlbaum.
Herr Kollege Burgbacher, Sie können sich darauf verlassen, daß mir genauso wie Ihnen an einer sachlichen Klärung der Dinge liegt. Ich werde Ihnen das jetzt beweisen.
Zunächst einmal zu den Ausführungen von Herrn Becker. Herr Becker hat darauf hingewiesen, daß gewisse konjunkturpolitische Maßnahmen in dem jetzigen Gesetz für den Fall eines Konjunkturrückganges vorhanden sind. Herr Dr. Becker, es scheint Ihnen entgangen zu sein, daß ich das im Anfang meiner Ausführungen durchaus anerkannt, daß ich aber ausdrücklich darauf hingewiesen habe, daß ein Konjunktur-Rückgang ja gar nicht das im Augenblick interessante Problem ist.
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Wir leben nicht in der Gefahr eines Konjunkturrückganges sondern wir leben ständig in der Gefahr eines Kaufkraft-Verlustes der D-Mark. Das ist das Problem, das jetzt interessiert, und in dieser Beziehung, meine Damen und Herren, haben Sie in Ihrem Gesetzentwurf gar nichts getan. Bitte!
Herr Professor Burgbacher!
Herr Kollege Kurlbaum, glauben Sie nicht, daß Sie in Ihrer Feststellung, wir lebten nicht in der Gefahr eines Konjunkturrückgangs, ungewollt anerkannt haben, daß unsere Konjunkturpolitik - mit der besten Konjunktur - die beste Konjunkturpolitik ist?
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Herr Professor Burgbacher, Sie weichen dem Problem aus. Eine richtige Konjunkturpolitik hat zwei Aufgaben. Sie hat einmal die Aufgabe, die Vollbeschäftigung aufrechtzuerhalten; sie ist zur Zeit vorhanden. Sie hat aber auch die zweite Aufgabe, die Kaufkraft der Währung stabil zu halten. Und darüber unterhalten wir uns jetzt, weil hier zur Zeit die akute Gefahr beseht. Ich weise noch einmal darauf hin - das ist bis jetzt nicht widerlegt worden -: die Gefahren eines weiteren Kaufkraftverlustes ,der D-Mark sind durch Ihre Maßnahmen in keiner Weise beseitigt. Im Gegenteil, wir müssen, wenn wir jetzt auseinandergehen, bis zum Ende ,des Jahres warten, bis wir in der Lage sein werden, der Bundesregierung für diese Aufgabe Vollmachten zu geben.
Eine weitere Zwischenfrage, Herr Dr. Becker!
Herr Kollege Kurlbaum, haben Sie nicht beachtet, daß ich eben gesagt habe, daß wir ja durch dieses Steuergesetz eine Konjunkturdämpfung erreichen? Und zweitens: Wissen Sie nicht, daß wo wir das feste Vertrauen haben, in den nächsten Jahren wieder zu regieren, dann auch die Möglichkeit haben müssen, einmal in einer Zeit der recession Abschreibungsbegünstigungen zu gewähren?
Herr Dr. Becker, ich kann nur das wiederholen, was ich gesagt habe: ich 'bin gar nicht (dagegen., daß auch Vollmachten für den Fall eines Konjunkturrückganges gegeben werden. Dagegen sind wir gar nicht.
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Wir sind aber dagegen, ,daß hier nur eine Einbahnstraße beschritten wird, und kritisieren, daß Ihnen nur ,der Fall ,des Konjunkturrückganges, d. h. der Absatzschwierigkeiten, interessant erscheint. Der Fall der Gefährdung der Kaufkraft der D-Mark scheint Ihnen nicht interessant zu sein.
Und nun, Herr Dr. Becker, zu Ihrer Behauptung, daß das jetzige Steueränderungsgesetz schon etwas
bringe. Ja, das müssen Sie erst beweisen, Herr Dr. Becker! Wie Steuersenkungen den Investitionsboom bremsen sollen, vermag ich nicht zu verstehen. Wenn Sie den Investitionsboom, die Übernachfrage nach Investitionsgütern, bremsen wollen, müssen Sie die finanziellen Möglichkeiten der Unternehmen, zu investieren, mindestens zeitweise einengen.
Herr Professor Burgbacher hat in seinen Ausführungen zwei Dinge nicht auseinandergehalten. Ich stimme mit Herrn Professor Burgbacher gern darin überein, daß weitere Rationalisierung den Zukunftsfortschritt sichert. Insofern ist ,die Rationalisierung auf lange Sicht betrachtet eine gute Sache. Aber Sie haben sich keineswegs zu dem Problem geäußert, daß die Nachfrage nach Investitionsgütern, wenn (der Investitionsboom über die Kapazitäten der Investitionsgüterproduktion hinausgeht, zu Preissteigerungen führt. Dann führt die überhöhte Nachfrage nur noch zu Preissteigerungen und mindestens in der Gegenwart, im Augenblick nicht mehr zu erhöhten Investitionen.
Im übrigen müssen Sie sich nur einmal an den folgenden Gedankengang gewöhnen: Genauso wie zu schnell gestiegene Löhne zur Steigerung von Konsumgüterpreisen führen können,
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genauso können, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, überhöhte Gewinne und eine überhöhte Nachfrage nach Investitionsgütern zu Steigerungen des Preisniveaus im Investionsgütersektor führen. Solche Preissteigerungen im Investitionsgütersektor gefährden die Stabilität der Kaufkraft der Währung genauso gut wie jede andere Preissteigerung.
Herr Abgeordneter Kurlbaum, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte!
Hier meine Frage: Herr Kollege Kurlbaum, ist Ihnen nicht bekannt, daß durch Steuerherabsetzungen die Sparfähigkeit der Bürger steigt und daß mit den durch die Sparfähigkeit gebildeten Kapitalien automatisch die sogenannte Selbstfinanzierungsrate über den Preis reduziert wird?
Wenn das tatsächlich gespart wird! Das gebe ich Ihnen ohne weiteres zu: ein erhöhtes Sparvolumen kann preissenkend auf die Konsumgüterpreise wirken. Ob es preissenkend auf die Investitionsgüter wirkt, ist noch eine andere Frage.
Dann darf ich Ihnen meine zweite und letzte Frage stellen: Welche Gefahr ist größer, die Gefahr, die mit den Folgen eines Engpasses bei den Arbeitskräften oder eines Engpasses bei den Konsumgütern verbunden ist, oder die Gefahr, die mit den Folgen von Preissteigerungen bei Investitionsgütern verbunden ist?
Das sind Fragen, die ich nicht recht verstehe. Das können Sie doch nicht allgemein gegeneinander abstufen!
Man kann doch einen Schnupfen haben oder eine Lungenentzündung; das ist ein Unterschied.
Ich habe nicht verstanden.
Einen Augenblick, meine Herren! Noch befinden wir uns nicht im umgebauten Plenarsaal.
Sie haben auf meine Frage geantwortet, man könne das nicht abstufen. Darauf habe ich halb scherzhaft, halb ernsthaft Sie gefragt, ob Ihnen der Unterschied zwischen einem Schnupfen und einer Lungenentzündung bekannt ist.
Der ist mir bekannt. Was ist nun der Schnupfen und was ist nun die Lungenentzündung bei Ihnen?
Die Lungenentzündung ist ein übertriebener Arbeitskräfteengpaß und eine übertriebene Güternachfrage nach Konsumgütern, und der Schnupfen ist die Erhöhung der Investitionsgüterpreise.
Darauf kann ich doch nur antworten, mit der Erhöhung der Investitionsgüterpreise ist die Stabilität der Kaufkraft der D-Mark genauso gefährdet wie mit der Erhöhung der Konsumgüterpreise. Dagegen könnnen Sie gar nicht argumentieren.
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Nein, stimmt nicht.
Ich bin auch für grundsätzliche Unterhaltungen, aber das Programm ist in dieser Woche so voll, daß wir jetzt einen Schritt weiterkommen müssen.
Herr von Kühlmann, Sie verzichten? - Ich bedanke mich.
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- Aber Herr Kollege, es schadet nichts, wenn es hier einmal so hergeht wie in einer Universität. Wir stehen doch einer Universität nicht nach; das hat der Nachmittag bewiesen.
Weitere Änderungsanträge liegen nicht vor; die zu Nummer 10 gestellten Änderungsanträge sind abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über Nr. 10. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. 10 ist angenommen.
Ich rufe auf Art. 2. Keine Änderungsanträge. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 2 ist angenommen.
Ich rufe auf Art. 3, und muß wieder nummernweise abstimmen lassen, weil Änderungsanträge vorliegen.
Nr. 1! - Keine Änderungsanträge. Nr. 2! - Keine Änderungsanträge.
Wird zu diesen beiden Nummern das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Nummern 1 und 2 sind angenommen.
Ich rufe auf Nummer 3. Dazu liegt vor der Änderungsantrag Umdruck 890, gestellt von der Fraktion der FDP.
Zur Begründung Herr von Kühlmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag korrespondiert mit unserem ursprünglichen Begehren, die Möglichkeiten für steuerliche Vergünstigungen für Kapitalinvestitionen in den Entwicklungsländern reizvoller zu gestalten. Nachdem Sie unseren ersten Antrag abgelehnt haben, brauche ich Ihnen den zweiten nicht mehr zu begründen.
Eines möchte ich dabei allerdings noch feststellen. Es ist hier gesagt worden, daß die Entwicklungshilfe nach Möglichkeit von staatlicher Seite gelenkt werden sollte. Wir Freien Freien Demokraten stehen auf einem anderen Standpunkt. Wir wollen, daß die Entwicklungshilfe nach Möglichkeit von privater Initiative getragen wird, und haben unsere Anträge gerade in dieser Richtung gestellt. Wir hofften, daß sie hier Annahme finden würden, weil wir glauben, daß die in der Regierungsvorlage vorgesehenen Maßnahmen nicht ausreichen werden, den privaten Kapitalexport wirksam zu fördern.
Weitere Wortmeldungen? - Keine weiteren Wortmeldungen. Ich stelle den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 890 zur Abstimmung! Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Nr. 3 in der Fassung des Ausschußantrags! Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen!
Nr. 4! - Keine Wortmeldungen? - Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen!
Art. 4! Keine Änderungsanträge! Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen!
Präsident D. Dr. Gerstenmaier Art. 5!
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- Umdruck 889 wird mir gerade vorgelegt. Was ist mit dem?
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- Ja, Herr Kollege Krammig, ich glaube Ihnen das alles ohne weiteres. Ich habe die Sitzung nicht geleitet; das war heute vormittag.
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- Ist der Umdruck soeben eingereicht worden?
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- Mir, dem Präsidium lag er nicht vor. - Nun, meine Damen und Herren, das können wir heilen. Bevor wir den Art. 5 behandeln, kehre ich zu dem Ersten Abschnitt zurück. Mit dem Änderungsantrag Umdruck 889 der Fraktion der CDU/CSU - er liegt dem Hause vor? ({4})
wird beantragt, im ersten Abschnitt einen Art. 1 a einzufügen. Wird zur Begründung das Wort gewünscht? - Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir ein paar kurze Worte zur Erläuterung des Umdrucks 889. Wenn man den Text liest, könnte man meinen, es handle sich um eine ganz neue Materie. Das ist keineswegs der Fall. Mit dem Antrag wird in erster Linie bezweckt, die Bundesregierung zu veranlassen, für eine Klarstellung draußen im Lande Sorge zu tragen.
Die Sache ist die! Es liegt noch ein Gemeinschaftserlaß des Reichsfinanzministers und des Reichsarbeitsministers aus dem Jahre 1943 vor, in dem bestimmt ist, daß im Falle der Beschäftigung von Aushilfskräften, für welche die Lohnsteuer pauschaliert wird, keine Beiträge zur Sozialversicherung zu erheben sind. Nach nicht unmaßgeblicher Meinung ist dieser Gemeinschaftserlaß heute noch Rechtens. Mir ist zwar bekannt, daß der Bundesarbeitsminister etwas davon abrücken möchte; aber jedenfalls ist die Konsequenz, daß draußen im Lande eine nicht unerhebliche Unklarheit besteht. Ich weiß beispielsweise aus Schleswig-Holstein, daß eine ganze Reihe von Prozessen anhängig sind, daß aber die Sozialgerichte bislang immer noch davor zurückgeschreckt sind, endgültig zu entscheiden. Es sind aber nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern z. B. auch im niedersächsischen Raum usw., Prozesse anhängig, und es sind auch schon gegensätzliche Entscheidungen ergangen. Ich bin der Meinung, daß das ein unhaltbarer Zustand ist. Ich habe durchaus Verständnis für das_ Argument, daß der versicherungsrechtliche Status nicht in Mitleidenschaft gezogen werden darf. Nach meiner Kenntnis der Dinge war es aber bislang so, daß bei dieser pauschalen Abgeltung das, was eigentlich dem einzelnen Versicherten zugute kommen sollte, in den großen Topf wanderte. Im übrigen bitte ich zu berücksichtigen, daß es sich um die Beschäftigung von Aushilfskräften handelt und daher in der Mehrzahl der Fälle die Wartezeit nicht erreicht wird. Ich bin der Meinung, aus diesen Erwägungen muß die Sache aufgegriffen, muß sie klargestellt werden.
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- Ich darf doch zu Ende reden. Ich kann mir eine Kompromißregelung durchaus vorstellen. Ich bitte also, im Interesse der Klarheit dem Antrag Umdruck 889 zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht zur Sachmaterie dieses Antrags sprechen; die liegt mir völlig fern. Aber ich kann nicht unterlassen, einige kritische Bemerkungen zu der Art, wie dieser Antrag jetzt hier eingefügt werden soll, zu machen.
Meine Damen und Herren, der Abschnitt, in dem der Art. 1 a stehen soll, betrifft die Änderung des Einkommensteuergesetzes. Was soll denn hier irgendeine Bestimmung über Bemessungsgrundlagen für Sozialversicherungen? Wo kommen wir denn hin, wenn wir bei einem Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes oder anderer Steuergesetze - es ist ja gar nicht gesagt, welche Vorschrift überhaupt geändert werden soll - irgendwelche beliebigen Anträge einbringen wollen? Ich glaube, es ist einfach nicht möglich, den Antrag in dieser Form hier einzubringen. Ich bitte Sie doch sehr, meine verehrten Herren Experten samt Fraktion, diesen Antrag zurückzuziehen. So geht es doch nicht!
Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag ist im Rahmen des Steueränderungsgesetzes für 1961 in der Tat etwas ungewöhnlich. Er ist aber sachlich gerechtfertigt.
Bei der Begründung des Antrags ist ausgeführt worden, daß dadurch nur der bestehende Rechtszustand bestätigt werden 'soll angesichts gewisser Zweifel, die hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage für die heutige Pauschalbesteuerung entstanden sind. Hier wird lediglich eine verfassungsrechtlich einwandfreie Ermächtigung dafür geschaffen, daß die Pauschalbesteuerung, die im Jahre 1943 durch einen einfachen Erlaß des Reichsfinanzministers eingeführt worden ist, auch in Zukunft bestehen kann. Das ist der erste Teil des Antrages. Er bestätigt also nur den bestehenden Rechtszustand. Insoweit paßt er in das Steueränderungsgesetz für 1961 hinein.
In seinem zweiten Teil erklärt er, daß trotz der Besteuerung dieser Bezüge von Aushilfskräften, beispielsweise von Erbsenpflückerinnen, durch die Lohnsteuer diese Entgelte für die Sozialversicherungspflicht außer Betracht bleiben sollen. Das ist der zweite Gedanke. Dieser Gedanke gehört eigentlich nicht in ein Steuergesetz hinein. Da wir aber in der Versicherungsordnung und in den anderen Sozialversicherungsgesetzen für die Beitragspflicht ganz auf die steuerrechtliche Bemessung der Bezüge abstellen, halte ich es für vertretbar, zur Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes diese beiden Dinge in einer Bestimmung des Steueränderungsgesetzes zusammenzufassen.
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Das Allerglücklichste ist es nicht. Aber wenn kein anderer Vorschlag kommt, lasse ich über den Antrag jetzt abstimmen. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 889 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das Ergebnis ist umstritten. Ich lasse die Abstimmung durch Aufstehen wiederholen.
Wer dem Änderungsantrag Umdruck 889 zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen, ein Artikel 1 a ist in der zweiten Lesung laut Umdruck 889 in die Vorlage eingefügt.
Ich fahre fort mit Artikel 5 Nummern 1, - 2, -3,-4,-5,-6,-7,-8,-9,- 10. - Soweit liegen keine Änderungsanträge vor. Wird zu den aufgerufenen Nummern das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; die Nummern 1 bis 10 in Artikel 5 sind angenommen.
Nr. 11! Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion ,der SPD, Umdruck 880 Ziffer 6, vor. Wer begründet ihn? - Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Corterier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, ganz kurz den Antrag meiner Fraktion - Umdruck 880 Ziffer 6 - zu begründen, wonach der § 12 a ersatzlos gestrichen werden soll.
§ 12 a sieht vor, daß der auf Grund der Ermächtigung in § 9 a des Vermögensteuergesetzes zugelassene Freibetrag für Kapitalanlagen in Entwicklungsländern auch bei der Gewerbesteuer abzugsfähig sein soll.
Wir sind der Meinung, daß es nicht gut wäre, so zu verfahren, einmal, weil wir weitere Beschränkungen der Gewerbesteuer im gegenwärtigen Augenblick und bei dem Zustand unserer allgemeinen Finanzverfassung nicht für vertretbar halten, zum anderen aber deswegen, weil wir damit die Gemeinden direkt an der Tragung der Entwicklungshilfe beteiligen würden; und ich glaube kaum, daß das in dieser Form in unserem Sinne liegt.
Ich darf daher bitten, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Wird das Wort gewünscht? - Dar Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse abstimmen. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 880 Ziffer 6 der Fraktion der SPD zustimmen will, ,den bitte ich um ,ein Handzeichen! - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zu Nummer 11 in der Fassung des Ausschusses. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nummer 11 ist angenommen.
Nummern 12, - 13, - 13 a, - 14, - 15, - 16. - Keine Änderungsanträge. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, gebe ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen!
Es liegt ein Änderungsantrag Umdruck 879 der Fraktion der SPD auf Einfügung eines Artikels 5 a vor. Wer begründet ihn? - Herr Abgeordneter Jacobi!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Umdruck 879, der Ihnen heute von der Fraktion der SPD vorgelegt wird, bezweckt eine Entscheidung dieses Hohen Hauses, sich, wie dies schon allgemein bei der Diskussion um den Stand der Gemeindefinanzen in der 136. Sitzung geschah, dahin zu erklären, daß den Gemeinden der Gewerbesteuerausfall ersetzt. wird. In der 136. Sitzung sind sowohl von der Bundesregierung als auch von Vertretern aller Parteien lange Ausführungen über die Gemeindefinanzen gemacht worden, in denen mehr oder weniger deutlich erklärt wurde, es müsse anerkannt werden, daß diese Gemeindefinanzen einer Ordnung bedürfen. Und als in diesem Zusammenhang auch Ausfälle berührt wurden, die sich aus dem seinerzeit schon geplanten Gewerbesteuerfreibetrag ergaben, hat dieses Hohe Haus zugleich mehr oder weniger deutlich kundgetan, daß diese Ausfälle den Gemeinden, insbesondere den finanzschwachen Gemeinden, ersetzt werden sollten.
Es kam damals zur Überweisung eines Antrags, der aus den Reihen dieses Hauses, und zwar von allen Parteien, gestellt wurde. In diesem Antrag Umdruck 730, den Sie im Protokoll der 136. Sitzung finden, hieß es:
Die Bundesregierung wird ersucht,
vor der Beratung eines Gesetzentwurfs zur Änderung der Gewerbesteuer im Bundestag mit den Landesregierungen über Regelungen zu verhandeln, durch die den Gemeinden ein wirksamer Ausgleich des sie treffenden Steuerausfalles gewährleistet wird.
Das Ergebnis der Verhandlungen soll dem Bundestag mit der Einbringung des Gesetzentwurfs vorgelegt werden.
Wir haben damals eine Entscheidung des Hauses erbeten, das diesen Antrag direkt annehmen sollte. Es kam jedoch zur Ausschußüberweisung, und als einer meiner Freunde den Zwischenruf machte, das diene doch nur der Verzögerung, fand er das Mißfallen der Mehrheit dieses Hauses. In Wirklichkeit ist es so, daß der Bericht, der hier erbeten wurde, und daß die Entscheidung, die damals angestrebt wurde, uns allen bisher nicht bekanntgeworden sind.
({0})
Wir wissen nichts über Verhandlungen der Bundesregierung mit den Ländern. Wir kennen keine verbindlichen Erklärungen der Länder in dieser Frage. Wir wissen also an dem Tage, an dem dieses Gesetz verabschiedet wird, das sich auch mit der Gewerbesteuer beschäftigt, nicht, was denn nun eigentlich geschehen wird.
Wir haben in der Rückerinnerung an manche Entscheidung dieses Hauses kein rechtes Zutrauen zu Entschließungsanträgen. Wir hätten das, was wir jetzt mit unserem Antrag erstreben, nämlich auch in die Form eines Entschließungsantrags bringen können, etwa derart, daß die Bundesregierung ersucht wird, mit den Länderregierungen die angestrebte Regelung herbeizuführen und hierüber in einer bestimmten Frist dem Hause zu berichten. Aber was haben wir bei anderen Materien erlebt? Da sind Entschließungsanträge sogar einstimmig angenommen worden, aber es ist auf Grund dieser Anträge wenig oder gar nichts geschehen. Wir meinen, daß sich das hier nicht wiederholen darf und daß wir alle im Wort stehen, insbesondere diejenigen aus Ihren Reihen, die Sie bei den letzten Kommunalwahlen auf die Ihnen immer wieder vorgelegte Frage, wer denn den Gemeinden den Ausfall ersetzen soll, gesagt haben: Das wird geregelt werden.
({1})
Meine Damen und Herren! Hier geht es um eine rein sachliche Entscheidung. Hier geht es darum, daß wir auch den Gemeinden und Gemeindeverbänden und ihren Bürgern gegenüber ehrlich bleiben. Ich will hier über Grundsatzfragen nicht sprechen. Ich will auch keine verfassungsrechtlichen Streitfragen berühren. Hier geht es, wie gesagt, um eine Sachentscheidung, und um Ihnen, meine Damen und Herren, diese zu erleichtern, habe ich Ihnen hinsichtlich des Abs. 1 des von uns vorgeschlagenen Art. 5 a eine Änderung mitzuteilen, die wir vorgenommen haben, damit hier keine formellen Einwendungen und keine verfassungsrechtlichen Streitfragen vorgetragen werden. In unserem Umdruck heißt es:
Die durch § 11 entstehenden Mindererträge der Gemeinden werden durch zweckfreie Finanzzuweisungen der Länder an die Gemeinden ersetzt. Die hierfür verausgabten Beträge werden den Ländern vom Bund erstattet.
Wir schlagen vor, diesen Absatz so zu fassen:
Die durch § 11 entstehenden Mindererträge der Gemeinden sind vom Bund zu erstatten.
Damit wird das Grundprinzip zum Ausdruck gebracht. Wie die Regelung im einzelnen vor sich gehen wird, soll dem Verwaltungsabkommen überlassen Bleiben, von dem im Abs. 3 geredet wird. Wir haben auch hinsichtlich der Deckung in Abs. 2 bereits einen Hinweis gegeben, indem wir zum Beschluß erheben lassen möchten, daß der dem Bund aus der Minderung der Gewerbesteuer zufließende Mehrertrag an Einkommensteuer ausschließlich für den Zweck des Ersatzes, in diesem Falle also des Ersatzes der Einnahmeausfälle bei der Gewerbesteuer, verwendet wird. Ich sagte schon, daß Einzelheiten des Verfahrens dem Verwaltungsabkommen überlassen bleiben können.
Zusätzlich darf ich noch erklären, (daß wir mit der Ziffer 2 unseres Antrags bezwecken, auf Bundesregierung und Länder - ich will es ruhig so ausdrücken - einen gewissen Druck auszuüben, dieses Verwaltungsabkommen möglichst bald abzuschließen und eine zufriedenstellende Regelung herbeizuführen. Denn sonst bleibt auch diesmal die löbliche Absicht, wie wir sie in weiten Teilen dieses Hauses verfolgen, lange Zeit oder überhaupt unverwirklicht.
Es kommt hinzu ,das möchte ich auf einen eventuellen Einwand aus Ihren Reihen erwidern -, daß, wenn in dieser oder jener Frage noch ein Zweifel sein sollte, vielleicht gerade eine solche gesetzliche Regelung, die wir anstreben und für die wir Ihre Zustimmung erbitten, dazu führen kann, daß der Stein allmählich ins Rollen kommt und nicht immer wieder über die notwendige Finanzreform nur geredet und geredet wird, sondern in diesen Fragen endlich einmal ein Schritt nach vorn geschieht. Wir bezwecken also mit unserem Antrag auch in dieser Richtung etwas, was dem Hause an sich sympathisch sein müßte. Ich darf den geänderten Antrag dem Herrn Präsidenten übergeben und noch einmal darauf hinweisen, daß wir bewußt eine gesetzliche Regelung anstreben, daß wir Ihnen sehr betont diesen Vorschlag machen, daß wir von ihm eine gewisse Hilfe erwarten und daß die von uns angestrebte Regelung dem entspricht, was in diesem Hause den Gemeinden und Gemeindeverbänden immer wieder zugesagt worden ist.
Ich darf abschließend noch einmal darauf hinweisen, daß auch von seiten der Bundesregierung insoweit nie ein Zweifel gelassen wurde. Auch Sprecher der Bundesregierung haben wiederholt erklärt, der Gewerbesteuerausfall müsse den Gemeinden ersetzt werden. Das ist zuletzt noch durch einen Brief geschehen, den der Herr Bundeskanzler an die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände im Februar dieses Jahres gerichtet hat und in dem er die Hoffnung zum Ausdruck bringt, es werde eine gedeihliche Lösung gefunden werden. Wörtlich schreibt er:
Wie Sie sicher wissen, habe ich ganz besonderen Wert ,darauf gelegt, daß bei den Beratungen über diese Maßnahme
- gemeint ist der Gewerbesteuerfreibetrag 9008
die Lage der Gemeinden berücksichtigt wird. Wenn sich die Bundesregierung jetzt nach reiflicher Überlegung für die Erhöhung des Gewerbesteuerfreibetrages ausgesprochen hat, so hat sie dies unter der Voraussetzung getan, daß die Länder bis zur Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag Maßnahmen treffen, die den finanzschwachen Gemeinden einen wirksamen Ausgleich für den daraus entstehenden Steuerausfall geben.
Nun, meine Damen mid Herren, die Länder müssen in den Stand gesetzt werden, das zu tun. Wir können unsererseits einiges in dieser Richtung bewirken. Das Beste, was geschehen könnte, wäre, wenn der Antrag, den wir Ihnen vorlegen, angenommen würde. Dann kommt der Stein ins Rollen, und dann wird endlich einmal eine Regelung zufriedenstellend getroffen, über die bislang leider, auch in diesem Hause, nur deklamatorische Ausführungen gemacht worden sind.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jacobi, Ihr Antrag läuft praktisch darauf hinaus, daß neben den Mechanismus des Art. 106 des Grundgesetzes ein neuer vertikaler Nebenfinanzausgleich gesetzt werden soll. Es ist Sache des innerstaatlichen Finanzausgleichs, also der Gesetzgebung der Länder, Gemeinden, die ihre Aufgaben nicht in zureichendem Maße erfüllen können, mit Sonderzuweisungen aus Ausgleichsstocks, zweckgebundenen Bedarfszuweisungen usw. auszustatten. Können sie das nicht, dann muß der Mechanismus des Art. 106 in Kraft gesetzt werden, wo ja eine Revisionsklausel vorgesehen ist, d. h. das Beteiligungsverhältnis am Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer zwischen Bund und Ländern muß zugunsten der Länder geändert werden. Diesen Antrag hätte ich von Ihnen erwartet. Mit einer kleinen boshaften Bemerkung darf ich feststellen: die traditionell unitarische SPD ist doch sonst so gewaltig unter die Föderalisten gegangen, daß die traditionellen Föderalisten bald nicht mehr mitkommen können.
({0}).
Herr Jacobi, das wäre eine klare Sache gewesen.
Nun glaube ich aber nicht, daß die Revisionsklausel das Art. 106 jetzt schon angebracht ist, angesichts der doch bedeutsamen Geldfülle und -flüssigkeit bei den Ländern in der Bundesrepublik.
({1})
Ich glaube, der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat schon verbindlich erklärt, Ausfälle durch die Erhöhung des Gewerbesteuerfreibetrages bei den Gemeinden - soweit ich unterrichtet bin, ist die Formulierung so -, die jetzt schon aus dem Ausgleichsstock Geldzuweisungen erhalten, sollen voll erstattet werden. Ich möchte annehmen, daß die übrigen Länder ebenfalls in der Lage sein werden, in ähnlicher Weise vorzugehen.
Eine Zwischenfrage?
Nee. Seuffert ({0}) : Herr Kollege Dresbach, - Dr. Dr. h. c. Dresbach ({1}) : Nee, ich habe doch nein gesagt.
Ja wissen Sie, das habe sogar ich nicht richtig verstanden.
({0})
Herr Seuffert, das soll unser gutes Einvernehmen nicht stören; aber ich bin nun mal in Schwung geraten, und da wollte ich vollenden. - Jetzt haben Sie mich aus dem Konzept gebracht. Ich habe keine Rede auf dem Redaktionsbüro fertiggemacht gekriegt, deshalb muß ich sehen, wie ich zurechtkomme. Das ist bei Ihnen ja manchmal anders.
({0})
Ich bin also 'der Meinung, ,daß der innerstaatliche Finanzausgleich genügt, um Ausfälle bei Gemeinden, die wirklich in Not kommen, auszugleichen. Das dürften vornehmlich Landgemeinden sein, wo die Gewerbesteuer von dem kleinen Mittelstand, dem Gastwirt, dem Krämer, Verzeihung, dem Einzelhändler - entschuldigen Sie, mein Gott, man ist gesellschaftlich immer noch nicht auf der Höhe ({1})
und dem Handwerksmeister gezahlt wird. Dort dürften Lücken entstehen.
({2})
Ich glaube aber nicht, daß die Länder deshalb den Mechanismus, die Revisionsklausel des Art. 106 in Anspruch nehmen werden.
Zum weiteren möchte ich Ihnen folgendes sagen, Herr Kollege Jacobi. Ich bin nicht so ganz mit vollem Herzen wie ein wirklicher Mittelständler für diese Freigrenze eingetreten. Ich habe es aber mitgemacht, und zwar auch in der Hoffnung, daß diese Freibetragserhöhung mal das Finanzverfassungsthema für die Gemeinden in Schwung bringen wird.
({3})
Allerdings glaube ich, daß ich über die Frage der kommunalen Finanzverfassung andere Vorstellungen habe als Sie, Herr Kollege Jacobi, und die meisten Ihrer Freunde; denn ich persönlich bin der Meinung, daß der genossenschaftliche Charakter der Gemeinde eine direkte Personalsteuer erfordert, und darin sehe ich das Ideal einer kommunalen Finanzverfassung.
({4})
- Nehmen Sie es mir nicht übel: das Ding, was Sie
hier vorbringen, ist jedenfalls nicht glücklich, ist
auch nicht sinngemäß. Wenn Sie mehr als FlickDr. Dr. h. c. Dresbach
werk gewollt hätten, hätten Sie die Revisionsklausel des Art. 106 vorschlagen sollen, sofern Sie des Glaubens waren, daß die Finanzkraft der Länder nicht ausreicht, die Lücken, die hier bei den Gemeinden - und dabei nur bei einem Teil fühlbar - entstehen werden, zu schließen.
({5})
Jedenfalls so können wir Finanzausgleichsfragen
nicht lösen, neben das Werkzeug des Grundgesetzes
noch einmal einen - nehmen Sie es mir nicht übel
- stümperhaften Nebenfinanzausgleich setzen zu wollen. Ich bitte, den Antrag abzulehnen.
Keine weiteren Wortmeldungen? - Herr Abgeordneter Jacobi!
({0})
- Entschuldigen Sie! Ich habe es im Augenblick nicht gesehen, und es ist mir nicht gesagt worden.
- Herr Abgeordneter Jacobi!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Dresbach - ich suche Sie; ach, da stehen Sie noch -, Sie wissen, welche persönliche Wertschätzung ich Ihnen entgegenbringe.
({0})
Es tut mir leid, daß ich Ihnen heute in der Sache nicht folgen kann. Es ist doch so, daß hier nicht die Finanzschwäche oder die Finanzkraft der Länder zur Diskussion steht, sondern eine Bundesmaßnahme, durch die Dritten, nämlich den Gemeinden und Gemeindeverbänden, Ausfälle entstehen,
({1})
und daß in diesem Hause nie darüber ein Zweifel war, daß diese Ausfälle ersetzt werden müssen. Ich darf in Ihr Gedächtnis zurückrufen, daß damals, als dies hier zur Diskussion anstand, niemand darüber geredet hat, daß man die Revisionsklausel des Art. 106 zur Anwendung bringen solle. Ich darf mir mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten gestatten, aus der Rede des Herrn Staatssekretärs Dr. Hettlage einen Satz zu zitieren, den er in der 136. Sitzung am 14. Dezember hier gesprochen hat und der wie folgt lautete:
Bei ihrer Gewerbersteuerinitiative geht die Bundesregierung davon aus, daß bei der Verabschiedung ,des Gesetzes der Ausgleich eines unzumutbaren Gewerbesteuerausfalls für finanzschwache Gemeinden durch die Länder gesichert sein muß. Entsprechende Verhandlungen mit den Landesregierungen sind eingeleitet worden.
Der Herr Staatssekretär hat sich zu Wort gemeldet. Vielleicht will er über das Ergebnis dieser Verhandlungen berichten; ich weiß es nicht. Aber mir ist bekannt, daß bisher zwar in dem einen oder ,anderen Land der Landesfinanzminister sich hierzu geäußert hat, daß es sich aber dabei um rechtlich unverbindliche Erklärungen handelt und daß die Gemeinden und
Gemeindeverbände bis zur Stunde in keiner Weise sicher sind, ob und von wem ihnen der Ausfall erstattet wird. Ich meine, Herr Kollege Dr. Dresbach, wir sollten hier keine theoretischen und verfassungsrechtlichen Debatten führen, wir sollten uns zur Sache entscheiden.
Wir sollten uns hier um so weniger in Theorien ergehen, als wir ja auch heute nicht mehr über den Gewerbesteuerfreibetrag als solchen zu sprechen brauchen. Ich will mir in diesem Zusammenhang nur eine Bemerkung gestatten. Ursprünglich war bei der Regierungsvorlage betont von einer Hilfsaktion für den Mittelstand die Rede. Das war immerhin noch verständlich, nachdem man eine Gewerbeertragsgrenze festlegte. Nachdem sie gefallen ist, handelt es sich nicht mehr nur um eine Maßnahme für den Mittelstand, sondern auf der einen Seite ganz einfach um Gewerbesteuerausfälle und auf der anderen Seite zum Teil um Geschenke für Dritte, die nicht Mittelständler sind. Damit aber ist das Volumen erheblich erhöht worden. Die heute genannten Zahlen, die der Sprecher des Haushaltsausschusses vortrug, dürften sogar noch unterschätzt sein. Um so mehr besteht die Notwendigkeit einer Ausgleichsregelung für die den Gemeinden entstehenden Ausfälle.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage dem Herrn Professor Burgbacher?
Bitte sehr, Herr Professor Burgbacher.
Herr Kollege Jacobi, Sie haben die früheren Ausführungen des Herrn Staatssekretärs zitiert: gelten Ihre Ausführungen den finanzschwachen Gemeinden oder gelten sie allen Gemeinden? Anders formuliert: sind Sie der Meinung, daß für alle Gemeinden in der Bundesrepublik der so begründete Gewerbesteuerausfall unzumutbar ist?
Nein, dieser Meinung bin ich nicht, Herr Professor Burgbacher, und deshalb haben wir ja auch in unserem Antrag so betont darauf hingewiesen, daß das Verfahren bei der Ermittlung der steuerlichen Minderbeträge und der Erstattung zwischen Bund und Ländern in einem Verwaltungsabkommen geregelt werden solle. Über Einzelheiten soll also später verhandelt werden.
Das Wort hat der Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dieser Debatte über die Auswirkungen der vorgeschlagenen Senkung bei der Gewerbesteuer auf die Finanzen der Gemeinden scheint es mir notwendig, zunächst einmal die Größenordnungen zu bezeichnen.
col n
Wir schätzen, daß durch die Heraufsetzung des Freibetrages bei der Gewerbesteuer und durch einige andere Maßnahmen für die Gesamtheit der Gemeinden eine Einnahmeminderung von etwa 600 Millionen DM entsteht. Der allergrößte Teil davon entfällt auf die Gewerbesteuer. Bei den Ländern und beim Bund entstehen wegen der geringeren Abzüge von Gewerbesteuer gewisse Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer. Bei den Ländern betragen diese Mehreinnahmen rund 140 Millionen DM, beim Bund rund 70 Millionen DM.
Nun zu der Frage, Herr Abgeordneter Jacobi, ob und inwieweit der Gesamtheit der Gemeinden und den einzelnen Gemeinden ein solcher Einnahmeausfall zugemutet werden kann. Zunächst einmal darf ich darauf hinweisen, daß das Gesamtaufkommen der Gewerbesteuer in allen Gemeinden im Jahre 1961 nach unserer vorsichtigen Schätzung etwas über 8 Milliarden DM, also 1,2 'bis 1,3 Milliarden DM mehr als im Vorjahr betragen wird.
({0})
Das heißt, das Mehraufkommen ist doppelt so hoch wie der Ausfall, der durch diese Vorlage entsteht. Oder anders ausgedrückt: der Ausfall erreicht insgesamt höchstens die Hälfte ides Mehraufkommens.
Diese Gesamtbetrachtung sagt gewiß nichts über die Auswirkungen in der einzelnen Gemeinde aus. In einer großen Zahl von Gemeinden wird der Ausfall überhaupt nicht oder nur in der Form eines geminderten Zuwachses im Aufkommen des Jahres 1961 spürbar werden. In einer Anzahl von kleinen und mittleren Gemeinden wird der Ausfall spürbar sein und sich die Frage ergeben, ob und inwieweit dieser Ausfall zumutbar ist. Für den Bereich eines unzumutbaren Ausfalls hat die Bundesregierung sich bereit erklärt, mit den Länderregierungen darüber zu verhandeln, daß eine angemessene Erstattung des unzumutbaren Ausfalls gewährleistet wird.
({1})
- Diese Fühlungnahme hat mehrfach stattgefunden. Die Länder haben unterschiedliche Erklärungen abgegeben. Einige haben sich darauf zurückgezogen, daß sie eine abschließende Erklärung erst abgeben könnten, wenn die Höhe des Ausfalls endgültig feststehe. Das setzt natürlich die Verabschiedung der Vorlage in diesem Hohen Haus voraus. Das wind also jetzt beim zweiten Durchgang der Vorlage im Bundesrat zu erörtern sein. Andere Länder wie z. B. Baden-Württemberg und Bayern haben anläßlich der Haushaltsberatungen für 1961 durch den Mund ihrer Finanzminister entsprechende Erklärungen abgegeben. Die weitestgehende Erklärung hat das Land Nordrhein-Westfalen abgegeben, indem es allen Gemeinden das Aufkommen an Gewerbesteuer im Jahre 1960 auch für 1961 gewährleistet. erforderlichenfalls also den Gemeinden Auffüllungsbeträge aus Haushaltsmitteln des Landes zuführen will.
Zu der verfassungsrechtlichen Problematik nur wenige Worte. Dem Bund ist, wie Sie wissen, durch das Grundgesetz eine unmittelbare Finanzverbindung mit den Gemeinden nicht gestattet. Über die
Finanzmassen ist gesagt, daß es nur eine Finanzmasse des Bundes und eine der Länder gibt. Art. 106 Abs. 8 des Grundgesetzes hebt ausdrücklich hervor, daß zur Finanzmasse der Länder auch die der Gemeinden und Gemeindeverbände zu rechnen ist. Im Hinblick auf die Finanzverfassung und auf die Revisionsklausel des Art. 106 des Grundgesetzes stechen dem Bundesgesetzgeber die Gemeinden und die Länder als Träger einer unteilbaren Finanzmasse gegenüber. Wir würden also von Bundes wegen nur dann berechtigt sein, wegen der Gewerbesteueränderung Änderungen im Verhältnis zu den Ländern vorzunehmen, wenn ,dadurch die gesamte Finanzmasse der Länder und der Gemeinden in unzumutbarer Weise !bezüglich des Verhältnisses von Aufgaben und Deckungsmitteln verändert würde.
Eine Zwischenfrage!
Herr Staatssekretär, wie verträgt sich das mit der Erklärung, die soeben mein Kollege Jacobi vorgelesen hat?
Herr Dr. Schäfer, ich sagte, daß wir entsprechend dieser Erklärung mit den Landesregierungen Fühlung genommen haben und diese unterschiedlichen, lim großen und ganzen aber positiven Erklärungen bekommen haben. Heute kann also gesagt werden, daß in den Fällen, in denen unzumutbare Veränderungen bei kleineren und mittleren Gemeinden eintreten werden, die Landesregierungen gewillt und auch finanziell in der Lage sind, einen entsprechenden Ausgleich bei unzumutbaren Ausfällen zu gewährleisten.
({0})
- Herr Dr. Schäfer, die Länder werden im Jahre 1961 nach unseren vorsichtigen Schätzungen einen Zuwachs an gesamten Deckungsmitteln in Höhe von etwa 4 Milliarden DM haben. Ich wiederhole: die Gemeinden in ihrer Gesamtheit werden einen Zuwachs an Deckungsmitteln von 1,2 bis 1,3 Milliarden DM und die Länder von etwa 4 Milliarden DM haben. Es ist also wirklich kein Finanzproblem, daß die Länder den Gemeinden im Rahmen des Länderfinanzausgleichs unzumutbare Ausfälle ersetzen.
Eine Zwischenfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie nach Ihren Ausführungen der Auffassung, daß der Ausgleich gesichert ist?
Ich bin davon überzeugt, daß der Ausgleich unzumutbarer Ausfälle gesichert ist.
Eine letzte Bemerkung. Der Antrag der SPD schlägt ein Verwaltungsabkommen mit den Ländern vor. Nach den Äußerungen einiger Ländersprecher im Zuge der Begründung des BundesverfassungsStaatssekretär Dr. Hettlage
Berichtsurteils über den Fernsehstreit muß ich annehmen, daß einige Länder es ablehnen werden, ein solches Verwaltungsabkommen mit dem Bund zu schließen,
({0})
und zwar aus sehr grundsätzlichen Überlegungen.
({1})
Einige berufene Ländersprecher haben mehrfach erklärt, daß sie in Zukunft auch kein Geld des Bundes mehr entgegennehmen möchten.
({2})
Wird das Wort zu diesem Änderungsantrag weiter gewünscht? - Das scheint nicht der Fall zu sein. - Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Art. 6 auf. Ihnen liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 879 Ziffer 2 vor.
({0})
- Ist erledigt. Mein Scharfsinn hat nicht ausgereicht, um diesen Zusammenhang festzustellen.
Art. 6 in der Ausschußfassung! Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! -Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Art. 7! Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Art. 7 a! Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Art. 8! Hier müssen wir nummernweise abstimmen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. -Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Nun fünfter Abschnitt Art. 9. Hier werden wir nummernweise abstimmen, zunächst einmal über Nummer vor 1 - den fettgedruckten Abschnitt -, dann über Nummer 1. Änderungsanträge liegen erst von Nummer 1 a an vor.
Ich lasse zunächst einmal abstimmen über den fettgedruckten Ausschußantrag:
Vor 1. In § 1 Abs. 1 Ziff. 2 wird der folgende Buchstabe g eingefügt:
Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Gegenstimmen angenommen.
Nun Nr. 1: „§ 3 Abs. 1 wird wie folgt geändert:". Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Nunmehr Nr. 1 a. Hier liegen Änderungsanträge vor, zunächst auf Umdruck 892. Der Antrag trägt die Unterschrift „Krammig". Herr Kollege Krammig, ich erteile Ihnen das Wort zur Begründung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ergänzung in § 3 a entspricht eigentlich den Beschlüssen des Finanzausschusses, die leider keinen Niederschlag im Wortlaut gefunden haben. Der Antrag lautet: „§ 59 des Bewertungsgesetzes findet keine Anwendung;". Durch den Änderungsvorschlag soll sichergestellt werden, daß sich die Befreiung bestimmter Wirtschaftsgüter bei privaten Verkehrsunternehmen auf die Vermögensteuer beschränkt und nicht auf dem Wege über die Vorschriften des § 59 des Bewertungsgesetzes auch bei der Gewerbekapitalsteuer wirksam wird. Die durch § 3 a Ziffer 1 aufrechterhaltene Vermögensteuerfreiheit der Verkehrsunternehmen der öffentlichen Hand hat keine Auswirkung auf die Gewerbekapitalsteuer. Hinsichtlich der Gewerbekapitalsteuer braucht deshalb bei den privaten Unternehmungen mit Rücksicht auf den Grundsatz der steuerlichen Wettbewerbsgleichheit auch keine Änderung einzutreten. Ich bitte Sie daher, dieser Vervollständigung des § 3 a zuzustimmen.
Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir stimmen ab. Dieser Antrag betrifft den § 3 a Ziffer 1. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Gegenstimmen angenommen.
Nun der Antrag auf Umdruck 880 unter Ziffer 7. Wird er begründet? - Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bestimmung in Ziffer 2 des neuen § 3 a des Vermögensteuergesetzes bedeutet eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Wirtschaft. Hiergegen bestehen die größten Bedenken. Der Widerspruch des Bundesrates ist ja wohl vorauszusehen. § 3 a Ziffer 2 betrifft Unternehmen, die durch Staatsverträge verpflichtet sind, die Erträge ihres Vermögens usw. zur Aufbringung der Mittel für die Errichtung von Bundeswasserstraßen zu verwenden. Das betrifft offenbar die Rhein-Main-Donau-AG., nachdem die Rhein-Neckar-AG. ausgedient hat. Die Rhein-Main-Donau-AG. wird mit Recht davon betroffen; denn es wäre ja wirklich noch schöner, wenn die Rhein-Main-Donau-AG. angesichts ihrer staatsvertraglichen Verpflichtungen nun noch mit Vermögensteuer belastet werden sollte.
Man hat dabei aber die Tochtergesellschaften der Rhein-Main-Donau-AG. vergessen, welche zwar nicht formal Unternehmen sind, die durch Staatsverträge verpflichtet sind, die aber genau demselben Zweck, nämlich dem Ausbau von Wasserstraßen, dienen, zu dem die Rhein-Main-Donau-AG. selbst tätig ist. Es handelt sich um die Jochenstein-AG., um die Ober-Donau-AG. und um die Main-Kraftwerke-AG. Ich hoffe doch, daß noch genügend Kollegen aus Bayern und sachverständige Kollegen anwesend sind, um die Bedeutung dieser Auslassung zu erkennen. Unser Antrag, der einer sachlichen Begründung sonst eigentlich nicht bedürfen sollte, geht also dahin, auch diese Tochtergesellschaften, die praktisch reine
Untergliederungen der Rhein-Main-Donau-AG. sind, soweit sie dem gleichen Zweck dienen, der hier in Ziffer 2 für die Steuerfreiheit zugrunde gelegt ist, in die Bestimmung einzubeziehen. - Herr Kollege Schmidt!
Eine Zwischenfrage, bitte!
Herr Kollege Seuffert, sind Sie nicht der Meinung, daß es in Ihrem Antrag heißen muß: „ ... , soweit die Erträge des Vermögens der Tochtergesellschaften dem gleichen Zweck dienen;"? Denn es ist ja in dem vorhergehenden Halbsatz nicht auf das Vermögen, sondern auf die Erträge des Vermögens abgestellt.
Ja, das kann unbedenklich so gefaßt werden.
Dann würden, glaube ich, gar keine Bedenken bestehen, dem zuzustimmen.
Ich glaube, daß das unbedenklich so gefaßt werden kann. Ich bin in der Formulierung dem Vorschlag der Rhein-Main-Donau-AG. selbst gefolgt. Ich habe angenommen, daß er den Verhältnissen entspricht. Aber ich stimme Ihnen zu. Ich glaube, daß gegen diese Ergänzung keine Bedenken bestehen. Nach dem, was Sie sagen, muß es also heißen:
sowie Tochtergesellschaften dieser Unternehmen, soweit die Erträge des Vermögens dieser Tochtergesellschaften dem gleichen Zweck dienen;
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Seuffert, darf ich Ihnen vorschlagen, Ihrem Antrag folgende Fassung zu geben:
sowie Tochtergesellschaften dieser Unternehmen, soweit das Vermögen und die Erträge der Tochtergesellschaften dem gleichen Zweck dienen; § 59 des Bewertungsgesetzes findet keine Anwendung;
Herr Abgeordneter Krammig, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich trotz des Vorschlags des Herrn Staatssekretärs noch eine kleine Ergänzung anregen muß. Der Herr Staatssekretär hat vorgeschlagen, zu sagen: „ ... , soweit das Vermögen und die Erträge der Tochtergesellschaften ... ". Ich schlage vor, zwischen den Worten „die" und „Erträge" das Wort „anteiligen" einzufügen, so daß es heißt:
sowie Tochtergesellschaften dieser Unterneh- (I men, soweit das Vermögen und die anteiligen Erträge der Tochtergesellschaften dem gleichen Zweck dienen; § 59 des Bewertungsgesetzes findet keine Anwendung;
Wenn diese Änderungen von Ihnen akzeptiert werden, Herr Kollege Seuffert, sind wir bereit, dem ganzen Antrag zuzustimmen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Antragsteller haben diesen Vorschlag angenommen. Wer dem Antrag auf Umdruck 880 Ziffer 7 in der neuen Formulierung zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme!
Nunmehr stimmen wir über die Nr. 1 a im ganzen in der neuen Fassung ab. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu den Nummern 2 und 3 liegen keine Änderungsanträge vor. Kann ich gemeinsam abstimmen lassen?
({0})
- Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich lasse die Abstimmung wiederholen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei ,einer Enthaltung ,angenommen.
Zu Nr. 3 a liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 882 vor. Er ist unterzeichnet „Dr. Mende und Fraktion". Wird ,der Antrag begründet? - Er wird nicht begründet. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag Umdruck 882 zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über die Nummern 3a,-3b,-4,-5,-6,-7,-8,-9. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir kommen nunmehr zu Art. 10. Änderungsanträge liegen nicht vor. Art. 10a, - 10 b, - 10 c,
- 11, - 12.
({1})
Wir stimmen also erst einmal bis einschließlich Art. 11 ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Art. 12. Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Art. 12 auf Seite 40 muß eine redaktionelle Änderung in § 414 b Abs. 2 eingefügt werden. Es heißt in den Einleitungsworten des Abs. 2:
Die Entschädigungspflicht entfällt, wenn der Dritte ...
1 Es muß richtig heißen:
Die Entschädigungspflicht entfällt, wenn 1. der Dritte ...
und dann im Text weiter:
2. der Dritte ...
und in Ziffer 3 muß gleichfalls „der Dritte" eingefügt werden.
Herr Präsident, ich darf bei der Gelegenheit vielleicht gleich noch eine weitere Berichtigung anfügen; dann brauche ich das Haus mit Berichtigungen nicht mehr zu behelligen.
In Art. 16 a auf Seite 45 ist in der Klammer das „Bayerische Gesetz- und Verordnungsblatt S. 87" zitiert. Ich habe mich dahin unterrichten lassen, daß man sich auf dieses „Bayerische Gesetz- und Verordnungsblatt" nicht mehr beziehen kann, da inzwischen eine bayerische bereinigte Sammlung entstanden ist. Die Abkürzung in der Klammer muß richtig lauten: „Bay BS III S. 429".
Kein Widerspruch von nördlich oder südlich des Mains.
Ich rufe auf Art. 12, - 13, - 14, - 14 a, - 15.
({0})
- Bitte schön, zu Art. 12 erhalten Sie das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, Seite 38 der Drucksache 2706 aufzuschlagen. Dort steht unter Ziffer 13:
In § 286 Abs. 1 werden die Worte „zweihundert Deutsche Mark" durch die Worte „eintausend Deutsche Mark" ersetzt.
Es dreht sich hier um den Streitwert der Berufung gegen die Urteile von Finanzgerichten. Wir sind der Meinung, daß man den kleinen Leuten, die auch ihr Recht haben müssen, dieses Recht nicht durch eine Höhersetzung des Streitwertes von 200 DM auf 1000 DM abschneiden sollte. Wir bitten daher, diesem Paragraphen Ihre Zustimmung nicht zu geben.
Herr Abgeordneter Krammig!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Nr. 71 meines Schriftlichen Berichts auf Seite 11 habe ich zu diesem Problem als Berichterstatter des Finanzausschusses Stellung genommen. Aus dieser Stellungnahme ergibt sich, daß in § 286 AO etwas vorweggenommen wird, was zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Finanzgerichtsbarkeit - Drucksache 127 - vom Finanzausschuß bereits beschlossen worden war. Der Gesetzentwurf wird, ich glaube, jetzt schon zum zweiten oder dritten Male das Schicksal erleiden, daß er nicht zur zweiten und dritten Beratung in diesem Hause kommt.
({0})
- Herr Schmitt-Vockenhausen, mir würde das Gewissen schlagen, wenn wir die Federführung im Finanzausschuß hätten. Da wir sie aber im Finanzausschuß nicht haben, schlägt es mir gar nicht; denn wir haben unsere Pflicht als mitberatender Ausschuß vor Jahr und Tag bereits erfüllt. Nun wissen Sie ganz genau Bescheid.
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- Ich doch nicht, höchstens meine Kollegen!
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- Sehen Sie mal, wenn wir uns schon darüber unterhalten: ich persönlich bin der Meinung, der Rechtsausschuß sollte nicht so viele Sachen an sich ziehen, dann würde er mit seiner Arbeit schneller fertig. Wir haben hier einen Gesetzentwurf über Ausgleichsforderungen gehabt. Weil da ein Grundgesetzartikel geändert wird, ist der Entwurf an den Rechtsausschuß - federführend - überwiesen. Warum denn eigentlich? Dann kommt es im nächsten Bundestag sogar dazu,
,({3})
daß wir wegen finanzverfassungsrechtlicher Fragen Vorlagen an den Rechtsausschuß überweisen und den Fachausschuß dieses Hauses zur Mitberatung bestimmen. Da bin ich ganz anderer Meinung..
Herr Abgeordneter Krammig, der Rechtsausschuß zieht nichts an sich, sondern erledigt das ihm Übertragene.
Na ja, die Mehrheit des Hauses hat ihn derart mit Arbeit überlastet, daß er nicht dagegen ankommen kann; das steht jedenfalls fest.
Meine Damen und Herren, die Revisionssumme ist schon in allen Entwürfen eines Gesetzes zur Neuordnung der Finanzgerichtsbarkeit aus Gründen der Arbeitsökonomie des Bundesfinanzhofs auf 1000 DM heraufgesetzt worden. Ich bitte Sie, da wir ja hoffen können, daß der Gesetzentwurf zur Neuordnung der Finanzgerichtsbarkeit in der 4. Legislaturperiode verabschiedet wird, jetzt schon die Konsequenz in § 286 AO zu ziehen und die Revisionssumme auf 1000 DM festzusetzen, um zu verhindern, daß dann eine Diskrepanz mit der Abgabenordnung entsteht.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist am besten, wir sind nicht formal und versteifen uns nicht darauf, daß schon abgestimmt ist. Ich wiederhole die Abstimmung, damit wir die Sache in zweiter Beratung erledigen. Ich rufe also Art. 12 auf, zunächst Ziffern 1 bis 12. Wer diesen Bestimmungen zustimmen will - das sind die Bestimmungen, die vor der Bestimmung kommen, zu der der Antrag gestellt ist -, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme!
Vizepräsident Dr. Schmid
Nun kommt die beanstandete Ziffer 13. Wer die- ser Ziffer 13 zustimmen will, es also bei dem Ausschußantrag belassen wissen möchte, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen angenommen!
Nun stimmen wir wieder pauschal ab über die Ziffern 14 bis 20 des Art. 12, über Art. 13, - Art. 14, - Art. 14 a, und Art. 15. - Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme!
Nun Art. 16! Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck 900 ({0}) vor. Es soll ein neuer Art. 16a eingefügt werden. Der bisherige, nunmehr redaktionell korrigierte Art. 16a soll Art. 16b werden. Wer begründet den Antrag? - Herr Abgeordneter Josten!
Meine Damen und Herren, der interfraktionelle Antrag Umdruck 900 wird zurückgezogen. Der Antrag Umdruck 900 ({0}) steht dafür hier zur Diskussion. Die in ihm in Form des Artikels „vor Artikel 16 a" vorgesehene Berücksichtigung der Personen, die ein handwerksähnliches Gewerbe betreiben, ist deshalb notwendig geworden, weil Art. 16 eine totale Kammerzugehörigkeit bei den Industrie- und Handelskammern vorsieht, die das bisherige Industrie-und-Handelskammer-Gesetz nicht vorgesehen hatte. Vor allem soll berücksichtigt werden, daß die sogenannten handwerksähnlichen Gewerbe bisher schon im Rahmen der Handwerksorganisationen betreut wurden, z. B. Leitergerüstbauer, Plisseebrenner, Estrichleger, Stuhlflechter, Einrahmer, Grünkorbmacher usw. Diese Betreuung, insbesondere fachlicher Art, würde gestört werden, wenn die totale Zugehörigkeit zu den Industrie- und Handelskammern aufrechterhalten bliebe. Die Betreuung der handwerklichen Gewerbe durch die Handwerkskammern gewährleistet in ausreichendem Maße die Interessenvertretung auf der Ebene ,der Kammer. Die Festsetzung ides Kreises der handwerksähnlichen Gewerbe durch Rechtsverordnung schafft die notwendige Klarheit für die organisationsrechtliche Abgrenzung. Die Regelung des neuen Artikels entspricht auch den Wünschen der beteiligten Wirtschaftskreise.
Meine Damen und Herren, ich bitte, dem interfraktionellen Antrag Umdruck 900 ({1}) zuzustimmen.
Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann stimmen wir ab, zunächst über Art. 16. Wer Art. 16, der mit diesem Antrag jetzt nichts mehr zu tun hat, zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen.? - Annahme.
Nun der Änderungsantrag Umdruck 900 ({0}), der vor Art. 16a einen neuen Artikel einsetzen will. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen und einigen Gegenstimmen angenommen.
Art. 16a, - 17, - 18, - Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Nach der Tagesordnung haben wir auch die dritte Beratung heute durchzuführen. Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß nicht nur die heutige Beratung dieses Gesetzes, sondern daß auch die Vorbereitung dieser Beratung in überhasteter Art und Weise und unter einem starken Zeitdruck vor sich gegangen sind, ist, glaube ich, im Laufe der Beratung durch verschiedene Zwischenfälle dem Hause klargeworden. Ich brauche es nicht mehr näher darzulegen. Obwohl der Ausschuß schon vor ,der ersten Lesung in eine Vorbesprechung dieses Gesetzes eingetreten war, haben wir nur sehr wenig Zeit im Ausschuß gehabt, um das Gesetz gründlich durchzusprechen.
Der Zeitdruck, unter dem wir hier gestanden sind, ist nicht etwa dadurch entstanden, daß irgendwelche Probleme mit großer Eile auf uns zugekommen sind, die vorher nicht hätten angegangen werden können. Der Zeitdruck ist lediglich dadurch entstanden, daß sehr, sehr viel Zeit durch die internen Beratungen Innerhalb der Regierung und innerhalb der Mehrheitspartei schon vor der Einbringung des Gesetzes für Fragen in Anspruch genommen worden ist, die vor dieser Zeit und inzwischen in der Öffentlichkeit und innerhalb der Mehrheit langwierig diskutiert worden sind. Er ist weiter dadurch entstanden, daß die entscheidenden Teile der Vorverhandlungen, die der heutigen Sitzung vorausgingen, praktisch in den Beratungen der Mehrheitsfraktion und nicht in den Beratungen des Ausschusses zu suchen waren, ein Verfahren, das sich leider in diesem Hause sehr eingebürgert hat und das man im Augenblick nicht ändern kann; man kann es nur immer wieder feststellen.
Dieses Gesetz, das wir unter diesen Voraussetzungen - die zu tadeln sind - zu verabschieden haben, sollte ursprünglich, nach der Regierungsvorlage, einen Steuerausfall, d. h. Steuerermäßigungen, von 900 Millionen DM und soll nach dem Ausschußantrag, der jetzt in zweiter Lesung im wesentlichen angenommen worden ist, einen Steuerausfall von 1500 Millionen DM bringen. Aber davon trafen auf die Gemeinden nach der Regierungsvorlage 530 Millionen DM und treffen jetzt, nach der zur Debatte stehenden Ausschußfassung und dem Ergebnis der zweiten Lesung, rund 630 Millionen DM auf die Gemeinden, das heißt, auf die zur Zeit durch Aufgaben am stärksten überlastete und im Schnitt finanzschwächste Säule unserer Finanz- und Staatsverfassung. Der finanzielle Schwerpunkt dieses Steueränderungsgesetzes liegt also ganz eindeutig bei den Gemeindesteuern und nicht etwa bei Bundes- und Ländersteuern; wobei Sie wissen, daß die Steuerausfälle bei Bund Ländern dadurch begrenzt sind, daß Bund und Länder wieder Steuervorteile,
Steuerzugänge infolge der Ermäßigung der Gewerbesteuer haben. Es wird hier also eine sehr erhebliche Finanzmasse, aber in einer sehr einseitigen Weise, schon was die Leidtragenden auf der Seite der öffentlichen Hand anlangt, bewegt.
Nach der Kürze der Beratungen und nach der Kürze der heutigen Verhandlungen kann man dieses Gesetz auch nur in aller Kürze zu charakterisieren versuchen. Es enthält Bestimmungen über mögliche Steuerbegünstigung für Entwicklungshilfe, zu denen schon einiges gesagt worden ist. Am Ausfall sind diese Bestimmungen einstweilen nicht wesentlich beteiligt. Wir haben in der ersten Lesung bereits darauf hingewiesen, daß diese Bestimmungen - denen wir zustimmen, als Versuch und als Auftrag an die Regierung - bedeuten, daß nunmehr die Verpflichtung besteht, Richtlinien für die Durchführung der begünstigten Entwicklungshilfe präzise und sachgemäß zu entwickeln und auch mit diesem Hause zu besprechen.
Das Gesetz enthält eine Reihe von Steuererleichterungen bei der Vermögensteuer für kleine Vermögen, d. h. allgemeine Freibeträge, die sich hauptsächlich bei kleinen Vermögen auswirken. Wir sagen ja zu ,diesen Bestimmungen.
Es ist eine Erhöhung des Kinderfreibetrages für das erste Kind vorgesehen, die allerdings erst im nächsten Jahr in Kraft treten wird. Das ist eine Ersatzlösung auf einem falschen Weg für die richtige Lösung, die wir schon lange verlangen, nämlich: Kindergeld auch für das erste Kind.
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Wir stimmen trotz dieser Bedenken dieser Ersatzlösung unter diesen Vorbehalten zu.
Das Gesetz bringt dem gewerblichen Mittelstand auf dem Wege über die Gewerbesteuer erhebliche Steuererleichterungen; aber eben auf dem Wege der Gewerbesteuer, ,das heißt, zu Lasten der Gemeinden, deren Wohlergehen gerade dem gewerblichen Mittelstand eigentlich mindestens so nahe liegen sollte und deren Leistungsfähigkeit ihm genauso wichtig sein sollte wie sein eigenes Wohlergehen und seine eigene Leistungsfähigkeit.
Es ist nach Ablehnung unserer Anträge keine Sicherung für die Gemeinden vorgesehen - auch nicht für die finanzschwächsten Gemeinden -, daß ihnen diese Ausfälle irgendwie ersetzt werden. Gegenüber allen beruhigenden Erklärungen, die auch heute wieder hier abgegeben worden sind, möchte ich Sie auf das Schreiben der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände hinweisen, das wir alle heute erhalten haben und in welchem diese Spitzenverbände eindeutig feststellen, daß von keiner Seite, von keinem Landesfinanzminister und keiner Landesregierung eine verbindliche Zusage in dieser Hinsicht vorliegt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage ,des Herrn Abgeordneten Ruf?
Bitte sehr.
Herr Kollege Seuffert, ist Ihnen bekannt, daß Herr Alex Möller, von dem die SPD meint, daß er einmal Bundesfinanzminister werden könnte, im Baden-Württembergischen Landtag laut Staatsanzeiger für Baden-Württemberg vom 8. Februar 1961 folgendes erklärt hat?
Bezüglich der Gewerbesteuer sei man wohl allgemein von der Notwendigkeit der Förderung der Mittelschichten überzeugt. Deshalb sei es durchaus zu bejahen, was die Bundesregierung gegenwärtig hinsichtlich der Gewerbesteuer beabsichtige. Man müsse jedoch den Gemeinden eine Hilfe für ,diesen Gewerbesteuerausfall bieten. Darüber werde man sich sicherlich im Landtag
- von Baden-Württemberg - einigen können.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß Herr Alex Möller der Oppositionsführer im Baden-Württembergischen Landtag ist und daß die Erklärungen des Oppositionsführers, die genau dasselbe bedeuten wie das, was wir hier vorbringen, nämlich daß an und für sich diese Steuersenkungen zugunsten ,des gewerblichen Mittelstandes zu begrüßen sind, daß man aber die Gemeinden schadlos halten muß für die Ausfälle, die entstehen,
({0})
denn doch nicht - leider nicht - als verbindliche Erklärung der Regierung ,des Landes Baden-Württemberg angesehen werden können?
({1})
Herr Kollege Seuffert, haben Sie übersehen, daß es sich bei Herrn Alex Möller um ein maßgebliches Mitglied ,des Finanzausschusses des Landtags handelt und daß dieses Mitglied ausdrücklich erklärt hat, daß eine Einigung im Landtag selber erfolgen müsse?
Herr Kollege, ich kenne eine Reihe von maßgeblichen Mitgliedern des Finanzausschusses des Bundestages. Ich wäre trotzdem nicht bereit, irgendeine Erklärung eines noch so maßgeblichen Mitglieds dieses Ausschusses als eine verbindliche Regierungserklärung für eine wirkliche Sicherung der betroffenen Gemeinden anzusehen.
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Darüber sollten wir uns doch nicht zu unterhalten haben.
({1})
- Aus Erfahrung mit einer Reihe von Mitgliedern des Finanzausschusses, Herr Kollege Dresbach!
Herr Kollege Dresbach, ich glaube, wir sprechen alle aus Erfahrungen, die wir mit uns und mit anderen gemacht haben.
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Ich wiederhole also: Die Sicherung der Gemeinden, die verlangt werden muß, liegt nicht vor. Trotzdem sind Sie offenbar entschlossen, diesen Weg dem Weg, den wir vorgeschlagen haben, der zu Lasten der Bundeskasse, die dafür zuständig wäre, dem gewerblichen Mittelstand mehr bringen sollte, nämlich dem Weg über die Umsatzsteuer vorzuziehen. Außerdem bringt das Gesetz eine ganze Reihe von einzelnen Erleichterungen, Neuberechnungen bei Rückstellungen der Unternehmen usw. Allerhand Anliegen der Wirtschaft, wie man so sagt, ist man recht minutiös nachgekommen. Es sind sogar einige Wünschlein so ganz nebenbei noch erfüllt worden, z. B. die Sozialversicherung der pauschalbesteuerten Landarbeiter. Zu den Wünschen der Wirtschaft, denen man hier nachgekommen ist, gehört auch eine neue Belastung der öffentlichen Wirtschaft.
Leer geht - und das charakterisiert das Gesetz
der Arbeitnehmer aus, der nichts, aber auch gar nichts durch dieses Gesetz erhält. Sie sind nicht einmal bereit gewesen, bei den Lohnsteuerbestimmungen so vorsichtig zu sein, daß Sie es vermieden hätten, in dieses Gesetz Bestimmungen im Hinblick auf ein noch gar nicht verabschiedetes Gesetz über die Lohnfortzahlung aufzunehmen, aus denen jedenfalls möglicherweise Lohnsteuererhöhungen sich ergeben können. Warum soll - diese Frage ist hier zu stellen - ausgerechnet der Arbeitnehmer vollständig leer ausgehen bei diesem - aus Gründen, die ich gar nicht weiter zu beleuchten brauche - jetzt vor der Wahl verabschiedeten Gesetz, das Steuererleichterungen im Betrage von insgesamt 1,5 Milliarden auf alle möglichen Gruppen und Anliegen verteilt? Dem Ausschuß sind sogar, wie Sie wissen, sehr ernsthafte Anregungen der Spitzenverbände der Industrie, des Handels usw. auf Erhöhung wenigstens der Pauschbeträge für Werbungskosten und Sozialausgaben vorgelegt worden. Es konnte niemand bestreiten, daß damit auch eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung verbunden gewesen wäre. Nicht einmal solchen Anträgen haben sich der Ausschuß und dieses Haus veranlaßt gesehen näherzutreten. Unseren Antrag auf Einführung des schon oft begründeten Ausgleichsfreibetrages für das Arbeitseinkommen haben Sie wieder abgelehnt.
({0})
Warum diese einseitige Verteilung der Steuererleichterungen, um nicht zu sagen: Steuergeschenke, die in diesem Zeitpunkt gemacht werden?
Sie sehen, daß das Aufkommen aus der Lohnsteuer wächst. Es liegt im letzten Monat - und der März ist ein absolut neutraler Monat in der Lohnsteuerentwicklung - mit 33 % Zuwachs gegenüber dem letzten Jahr an der Spitze vor allen anderen Steuern. Der Herr Kollege Dr. Becker sagt, daß sei ja auf das Anwachsen der Löhne zurückzuführen. Da erwidere ich Ihnen, Herr Kollege Dr. Becker: nichts ist so sicher wie die Feststellung, daß die Gewinne mindestens so stark angewachsen sind wie die Löhne.
({1})
Nichts ist so sicher. Nur wird es bei diesen nicht so scharf und nicht so schnell erfaßt.
({2})
Wie oft ist, da wir vorhin schon von den Gemeinden gesprochen haben, in den Gemeindeparlamenten das Argument vorgebracht worden
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- einen Augenblick, Herr Kollege Burgbacher -, da die Gewerbesteuer wachse und einen größeren Anteil an den Gemeindeeinnahmen ausmache, müsse ,die Gewerbesteuer und gerade diese gesenkt werden. Das ist sehr oft durchgeführt worden. Wir wissen, bis zu welchem Grade ,die Hebesätze gerade im Ruhrgebiet heruntergesetzt worden sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Burgbacher?
Bitte, Herr Kollege Burgbacher.
Herr Kollege Seuffert, haben Sie bei dem Vergleich der Steigerung ides Lohnsteueraufkommens und der Gewinnbesteuerung, wie ich es einmal nennen will, in Betracht gezogen, daß die Lohnsteuer zeitnah, d. h. punktuell, mit der Zeit, erhoben wird und die anderen Veranlagungen nachhinken?
Ich habe das nicht nur in Betracht gezogen, sondern ich habe darauf hingewiesen. Ich habe gesagt: Es ist sicher, daß die Gewinne im gleichen Zeitraum mindestens ebenso gestiegen sind wie die Löhne; nur merken wir es bei der Lohnsteuer monatsweise und sofort, und bei den Gewinnen werden wir es erst nächstes Jahr, dann wahrscheinlich aber noch viel mehr, merken. Wir wissen aber, daß .sie gestiegen sind.
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Warum wird das Argument, .daß in erster Linie die stark wachsenden Steuern zur Senkung bestimmt seien, das bei den Verhandlungen über die Gewerbesteuer soundso oft vorgebracht worden ist, nicht einmal hier bei der Lohnsteuer angewendet?
Herr Kollege Krammig, Sie haben heute morgen in der Diskussion über unseren Antrag die Meinung vertreten, man brauchte keine weiteren Steuersenkungen für Lohnsteuerpflichtige; denn ein Ehepaar mit einem Kind sei, wenn beide Ehegatten verdienten, schon bis zu 585 DM im Monat steuerfrei. Herr Kollege Krammig, da sind wir ganz verschiedener Ansicht. Ich finde es einen jämmerlichen Zustand, daß zwei Leute, die beide verdienen, zusammen nur auf ein Einkommen von 585 DM kommen können. Ich finde es außer jedem Betracht, daß diese zwei Leute, wenn sie außerdem noch für ein Kind zu sorgen haben, bei einem solchen Einkommen überhaupt noch Steuer zu zahlen hätten.
({1})
Es wird immer wieder gesagt, es sei keine Deckung dafür ,da. Die 1,5 Milliarden DM, die Sie heute hergeben - zugegeben, nicht aus eigener Tasche -, werden einschließlich der Ausfälle bei der Gewerbesteuer auch nach Ihrer Vorstellung aus den ständig anwachsenden Steuermehreinnahmen und Sollüberschreitungen gedeckt. Sie wissen und Sie haben es auch aus den Zahlen gehört, die hier von Herrn Kollegen Krammig im Hause genannt worden sind, und aus den Berichten des Haushaltsausschusses, aus diesen Steuermehreinnahmen könnte auch noch mehr gedeckt werden. Hier geschieht nun folgendes: An dem Wachstum der Steuermehreinnahmen hat die Lohnsteuer zwar einen sehr erheblichen und im Augenblick wachsenden Anteil; aus dem Anwachsen der Lohnsteuer sollen aber Senkungen anderer Steuern finanziert werden. Das heißt, daß Sie praktisch aus der Lohnsteuer die Einkommen- und Gewerbe- und Vermögensteuersenkungen finanzieren, ohne dem Arbeitnehmer, der die Lohnsteuer zahlt, das zukommen zu lassen, was er beanspruchen kann.
Darüber hinaus sind überhaupt keine ernsthaften Deckungsversuche gemacht und in Erörterung gezogen worden. Wir haben Ihnen einen Deckungsversuch über die Vermögensteuer angeboten. Sie wissen, daß entsprechende Beträge - und wir haben Sie wieder darauf hingewiesen - aus der Neuregelung der Körperschaftsteuer, der Beseitigung absolut unhaltbarer Steuergeschenke, die da gemacht werden, zu beschaffen sind. Wenn Sie auch, meine Damen und Herren, immer wieder von der Notwendigkeit einer Finanz- und Steuerreform sprechen, so kann doch eine solche Finanz- und Steuerreform nichts anderes bedeuten als auch eine entsprechende Umschichtung von Steuern, mit der Sie eben einfach nicht beginnen wollen und vor allem nicht da beginnen wollen, wo es am notwendigsten ist, nämlich zugunsten des Arbeitnehmers.
Meine Damen und Herren, was in diesem Gesetz gemacht wird, dem kann man zustimmen, wenn auch teilweise mit großen Bedenken. Wir werden dem Gesetz deswegen zustimmen. Das Wesentliche allerdings ist leider, was nicht in dem Gesetz ist, und das festzustellen, was in dem Gesetz hätte sein müssen, wenn es sich nicht um eine so einseitige Politik handelte, wie sie hier von der Mehrheit vertreten wird, die Einseitigkeit dieser Politik festzustellen, wenn wir sie auch im Augenblick noch nicht ändern können, das allerdings konnten wir nicht unterlassen, meine Damen und Herren.
({2})
Wird in der allgemeinen Aussprache noch das Wort gewünscht? -Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die allgemeine Aussprache.
Zur dritten Lesung liegen Änderungsanträge auf den Umdrucken 902 und 904 vor. Der Antrag Umdruck 902 bezieht sich auf Art. 1 nach Nr. 2, 904 auf Art. 1 nach Nr. 4. Wir werden zunächst einmal den Antrag Umdruck 902 behandeln. Wer begründet ihn?
({0})
- Dann stimmen wir darüber ab. Wer diesem Antrag Umdruck 902 zustimmen will - Unterschrift: Dr. Imle, Dr. Rutschke, Mauk usw. -, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nun der Antrag Umdruck 904, Mischnick und Fraktion. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt.
Damit ist der Entwurf so, wie er in der zweiten Beratung festgestellt worden ist, auch in der dritten Beratung erhalten geblieben. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Zur Abstimmung hat der Herr Abgeordnete Dr. Dollinger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens der CDU/CSU-Fraktion folgende Erklärung abzugeben: Es ist zum zweitenmal, daß ein Jahressteueränderungsgesetz dem Bundestag vorgelegt worden ist. Es hat sich gezeigt, daß eine solche Vorlage auch eine besondere Problematik in sich schließt, da praktisch bei dieser Vorlage so gut wie alle wesentlichen Steuern von dem Gesetzentwurf berührt sind. Ich gebe zu, daß wegen der besonderen Verhältnisse die Beratungszeit manchmal etwas knapp war, aber die Gründlichkeit hat trotzdem nicht gefehlt.
Das Steueränderungsgesetz 1962 setzt, so möchte ich sagen, die traditionelle Politik der Bundesregierung, nämlich die Politik der Steuersenkung, fort. Wir haben bei der Einkommensteuer eine durchaus beachtliche Senkung durchführen können, wobei der Kinderfreibetrag, die Erhöhung von 900 auf 1200 DM für das erste Kind, entscheidend ist. Der Ausfall durch diese Maßnahme beträgt 340 Millionen DM, wovon 275 Millionen DM auf Lohnsteuerpflichtige entfallen.
({0})
Damit steht einwandfrei fest, daß diese Maßnahme geradezu im Interesse der Kleinen Leute durchgeführt worden ist.
({1})
Ich darf weiter darauf hinweisen, daß die Erhöhung der Pauschalsätze nach § 33 a insbesondere wiederum den Familien zugute kommt, deren Kinder außerhalb des Hauses in Ausbildung sind. Außerdem ist erfreulicherweise in diesem Gesetz die freiwillige Altersvorsorge sehr begünstigt worden. Ich darf auf die zusätzlichen Sonderausgaben - Höchstbeträge von 500 DM bzw. 1000 DM - in § 10 verweisen, und ich darf auf § 32, auf die Erhöhung des Altersfreibetrages von 360 DM auf 600 DM, hinweisen.
Nach der Einkommensteuer haben wir die Vermögensteuer gesenkt. Es muß festgestellt werden, daß diese Senkung der Vermögensteuer 40 % der Vermögensteuerpflichtigen aus der Vermögensteuerlast entlassen hat. Das sind Personen mit den kleinen Vermögen.
({2})
Wir haben mit dieser Politik genau das getan, was wir im Jahre 1957 den Wählern versprochen haben, nämlich das Eigentum zu fördern. Außerdem ist durch die Anhebung der Kinderfreibeträge von 5000 auf 20 000 DM ein wesentlicher Erfolg für unsere Familienpolitik erreicht.
Wir haben schließlich das Thema der Gewerbesteuer angepackt, wobei der Familienbetrieb den Vorteil hat. Auch dies sehen wir als praktischen Akt einer Mittelstandspolitik an, da wir der Auffassung sind, daß man nicht nur für den Mittelstand reden sollte, sondern auch etwas für ihn tun muß.
({3})
Das Problem der finanzschwachen Gemeinden ist dabei durchaus berücksichtigt. Wir sind sicher, daß für die finanzschwachen Gemeinden ein entsprechender Ausgleich erfolgt, weil ja entsprechender Zuwachs vorhanden ist.
({4})
Es gibt keinen Zweifel, daß dieses Gesetzgebungswerk - bei Einkommensteuer, Vermögensteuer und Gewerbesteuer - uns wieder einmal in sehr deutlicher Form die Probleme unserer Finanzverfassung aufgezeigt hat. Wir haben bei unseren Beratungen darauf Rücksicht genommen. Wir wollen hoffen, daß auch der Bundesrat diesem Gesetz die Zustimmung nicht versagen wird.
Warum können wir das hoffen? Weil wir feststellen, daß die Steuereinnahmen in diesem Jahr 3: sich außerordentlich günstig entwickelt haben. Das 1. Quartal des Jahres 1961 zeigt beim Bund eine Mehreinnahme von rund 1,4 Milliarden DM. Es war mit einer Zunahme von 13 % gerechnet worden; das tatsächliche Mehreinkommen beträgt 16,7 %. Wir haben bei den Ländern eine Mehreinnahme von 1,16 Milliarden DM. Während beim Soll die Zunahme mit 21,3 % veranschlagt war, beträgt sie beim Ist im 1. Quartal 25,4 %. Die prozentuale Zuwachsrate ist hier also weit höher als beim Bund. Wir sind sicher, daß diese Zunahme es den Ländern erleichtert, für einen Ausgleich Sorge zu tragen.
Nun wird immer gesagt, unsere Anträge und Beschlüsse erfolgten unter dem Gesichtspunkt der Wahlen, es handle sich um Wahlgeschenke. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, derartige Betrachtungen immer zu wiederholen. Wir haben uns gerade bei dem Kinderfreibetrag - wir hätten diese Bestimmung gern sofort in Kraft gesetzt - von der Verwaltung überzeugen lassen, daß ein Inkrafttreten erst am 1. Januar 1962 möglich ist. Wir bedauern das. Wir beweisen so aber gleichzeitig, daß es uns nicht darauf ankommt, im Hinblick auf die Wahlen eine Wirkung zu erzielen;
({5})
denn diese Beträge werden den Steuerpflichtigen ja erst nach den Wahlen zugute kommen. - Wir machen es auch nicht so, Herr Dr. Stammberger, daß wir bei den Steuerbeamten sagen, wir seien für Vereinfachung, und am nächsten Tage hier Anträge
stellen, die die ganze Steuergesetzgebung komplizieren.
({6})
Wir weisen den Vorwurf „Wahlgeschenke" auch deshalb zurück, weil wir, die CDU/CSU, durchaus den Mut gehabt haben, sehr beachtliche Ausfallanträge abzulehnen. Wir haben im Finanzausschuß Anträge der SPD und der FDP abgelehnt, die gegenüber den jetzigen Beschlüssen einen Mehrausfall in Höhe von mindestens 3,5 Milliarden DM verursacht hätten. Wer will also Wahlgeschenke machen, und wer handelt verantwortungsbewußt?!
({7})
Wir haben mit diesem Steueränderungsgesetz den Steuerzahler um 1,5 Milliarden DM entlastet. Wir haben ihn seit 1957, also seit den letzten Bundestagswahlen, einschließlich dieser Maßnahme um insgesamt 4,1 Milliarden DM entlastet. Die Steuersenkungen seit 1949 betragen, wiederum einschließlich derer des heute zu verabschiedenden Gesetzes, insgesamt 15 bis 16 Milliarden DM. Diese Tatsache, daß die Steuersenkungen laufend durchgehalten werden konnten, ist der beste Beweis dafür,
({8})
daß wir nicht mit Wahlgeschenken arbeiten, sondern
daß wir solide Finanz- und Steuerpolitik betreiben.
({9})
Wir sind der Überzeugung, daß diese Steuersenkungen, die zum Teil als ein Geschenk an die Großen betrachtet werden, eine entscheidende Voraussetzung dafür gewesen sind, daß in der Bundesrepublik seit 1949 7 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden konnten. Was wäre aus unseren Heimatvertriebenen und Flüchtlingen geworden ohne eine solche Möglichkeit der Schaffung von neuen Dauerarbeitsplätzen?!
({10})
Wir sind ferner der Überzeugung, daß .dieses Gesetz wiederum der Verbesserung der Einkommensverhältnisse auf breitester Ebene dient, wobei insbesondere die Sicherung des Alters auf der Basis der Freiwilligkeit hervorgehoben werden soll. Durch dieses Gesetz wird der Familienbetrieb und der Mittelstand gefördert. Es wird eine Anregung zur Vermögensbildung gegeben. Dabei kann nicht übersehen werden, daß wir trotz dieser Maßnahmen die finanzielle Ordnung aufrecht erhalten haben. Möge bei einem Steueränderungsgesetz des Jahre 1962, also im 4. Deutschen Bundestag, durch eine wohlerwogene Gesamtpolitik diese Politik der Entlastung des Steuerzahlers, wie wir sie seit 1949 unter Aufrechterhaltung der finanziellen Ordnung und insbesondere des Geldwertes betrieben haben, fortgesetzt werden.
({11})
Meine Damen und Herren, es wäre besser gewesen, wenn diese Rede in der allgemeinen Aussprache gehalten worden
Vizepräsident Dr. Schmid
wäre. Eine Erklärung zur Abstimmung, Herr Kollege, war das nicht.
({0})
Ich habe Sie nicht unterbrochen, weil ich die Chance nicht nehmen wollte. Aber es wäre mir lieber gewesen, Sie hätten sich zur allgemeinen Aussprache gemeldet, denn jetzt kann ich anderen Abgeordneten nicht verweigern, dazu zu sprechen. Das wirkt auf die Art unserer Debatte ein.
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat an sich nicht vorgehabt, eine Erklärung zur Abstimmung anzubringen. Wir möchten die Feststellung des Herrn Präsidenten unterstreichen, daß das, was hier von seiten der CDU/CSU vorgetragen worden ist, keine Erklärung zur Abstimmung war, sondern Ausführungen waren, die in die Aussprache gehört hätten. Wir halten das für eine mißbräuchliche Anwendung des Instrumentes der Abgabe von Erklärungen. Wären diese Ausführungen in der Aussprache gemacht worden, dann hätten sie die Erwiderung gefunden, die sie notwendig machen.
({0})
Wir wollen uns aber einer entsprechenden mißbräuchlichen Anwendung dieses Instruments nicht schuldig machen. Wir möchten deswegen lediglich erklären, daß die Ausführungen des Kollegen Dollinger an anderer Stelle und zu passender Zeit ihre Erwiderung finden werden.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete von Kühlmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem vorher vereinbart worden war, daß wir unsere Erklärungen zur Schlußabstimmung abgeben sollten, werde ich mich trotzdem auch jetzt an die Ordnung halten und Sie nicht weiter mit Ausführungen belasten, die nicht der Ordnung des Hauses entsprechen.
Ich möchte aber doch noch sagen, daß dieses Gesetz im Finanzausschuß im D-Zug-Tempo verabschiedet wurde. Ich möchte dem Herrn Berichterstatter, seinen Mitarbeitern, insbesondere d e r Mitarbeiterin, besonders herzlich für die hervorragende Arbeit danken, die hier geleistet worden ist.
({0})
Die mittelstandswohlwollenden Maßnahmen, die in diesem Gesetz verankert sind, begrüßen wir besonders. Wir sind wirklich froh, daß zum erstenmal der Einbruch in die Gewerbesteuer gelungen ist. Dadurch ist die Diskussion über die Gemeindefinanzen und über die Finanzverfassungsreform in Gang gebracht worden.
Wir stellen fest, daß der Antrag, den wir zu diesem Punkt im Oktober gestellt haben, in vollem Umfang Berücksichtigung gefunden hat.
Herr Abgeordneter, ich erinnere Sie an Ihr Versprechen.
({0})
Wir haben an diesem Gesetz folgende Kritik zu üben.
Es ist wohl vorgesehen, die Regierung zu ermächtigen, im Falle einer Konjunkturabschwächung helfende Maßnahmen zu ergreifen. Wir vermissen jedoch in diesem Gesetz Maßnahmen, die ,die augenblickliche Situation der Konjunkturüberhitzung dämpfen. Dazu haben wir Freien Demokraten sehr viele Vorschläge gemacht und Anträge gestellt. Sie sind samt und sonders abgelehnt worden, abgesehen davon, daß § 10a wenigstens für Vertriebene anerkannt und verlängert worden ist.
Ich erkläre für die Freien Demokraten, daß wir diesem Gesetz zustimmen werden.
({0})
Werden weitere Erklärungen zur Abstimmung abgegeben? - Das ist nicht ,der Fall.
Dann kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen Zustimmung erteilen will, möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
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Wir haben noch einige Abstimmungen vorzunehmen, zunächst über die Anträge des Ausschusses Ziffern 2, 3 und 4. Kann ich pauschal abstimmen lassen? - Offenbar nicht. - Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß beantragt auch, die Entschließung Umdruck 681, die die Fraktion der SPD im Juni 1960 eingebracht hat, für erledigt zu erklären. Diese Entschließung verlangt, die Bundesregierung zu ersuchen,
einen Gesetzentwurf zur Reform der Steuerverwaltung vorzulegen, der vorsieht, daß
1. die veranlagte Einkommen- und Körperschaftsteuer alsbald nach fristgemäß abgegebener Steuerklärung zu berechnen und zu entrichten ist ({0}),
- also unter Offenlassung dieser technischen Frage -sowohl bei nachzuzahlenden wie bei zu erstattenden Steuerbeträgen Zinsen zu berechnen sind.
Bei dem gegebenen Zeitdruck konnte die Sache im Ausschuß nicht noch einmal eingehend besprochen werden.
Wir möchten Sie jedoch bitten, diese Entschließung nicht für erledigt zu erklären, sondern diesem Anliegen, das, wie Sie wissen, in Fachkreisen sehr stark vertreten wird und für das so viele Gründe der Steuergerechtigkeit, der Vereinfachung und der
Verbesserung der Organisation der Finanzämter sprechen, stattzugeben, also den Entschließungsantrag anzunehmen.
Herr Abgeordneter Seuffert, verzeihen Sie, wenn ich Sie etwas frage. Wird das, was Sie soeben sagten, nicht durch den Antrag Ziffer 3 gegenstandslos? In Ziffer 3 Nummer 2 heißt es: „dem Bundestag sobald wie möglich Vorschläge für eine umfassende Neuordnung des gemeindlichen Steuersystems vorzulegen".
({0})
- Dann müssen wir getrennt abstimmen. - Herr Abgeordneter Krammig!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem, was Herr Kollege Seuffert vorgetragen hat, möchte ich folgendes sagen. Das Bundesfinanzministerium ist dabei, das Problem der Selbstveranlagung zu prüfen. Wenn ich nicht falsch unterrichtet bin, sind zwei Finanzämter beauftragt worden, mit den Vorarbeiten dazu zu beginnen, so daß an und für sich in Kürze damit zu rechnen sein wird, daß sich auf diesem Gebiete etwas tut.
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Wenn wir Umdruck 681 jetzt erledigen, ist er formell erledigt worden. Herr Kollege Seuffert, wenn wir ihn im Finanzausschuß aufrechterhalten, erledigt er sich durch den Ablauf der Wahlperiode von selbst. Ich weiß nicht, was Sie vorziehen wollen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich lasse wie folgt abstimmen, zunächst über Ziffer 2 a bis d auf Seite 2 der Ausschußdrucksache. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. Gegenprobe! - Einstimmige Annahme.
Nunmehr Ziffer 2,e. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Nun die Ziffern 2 f und 2 g sowie die Ziffern 3 und 4. Kein Widerspruch? - Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Nun haben wir eine Reihe von Entschließungsanträgen, die von den Fraktionen vorgelegt sind. Ich lasse über sie abstimmen und rufe sie in der Reihenfolge auf, in der sie eingegangen sind.
Zunächst rufe ich auf den Antrag des Herrn Abgeordneten Lenz ({0}) und Fraktion auf Umdruck 865. Wird er begründet? - Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Bei diesem Entschließungsantrag handelt es sich darum, daß die Bundesregierung beauftragt werden soll, jene Körperschaftsteuerrichtlinien zu ändern, die schon seit dem Jahre 1951 Gültigkeit haben. In ihnen ist
aus Vereinfachungsgründen ein Freibetrag von 500 DM vorgesehen, der für die gemeinnützigen Vereine auf 1000 DM erhöht worden ist. Von 1951 bis 1961 ist viel Zeit ins Land gegangen. Sie werden verstehen, ,daß die damals gültigen Freibeträge heute nicht mehr ausreichend sind, weder für die Vereinfachung der Verwaltung noch für die Erfüllung ,der Aufgaben, ¡die den gemeinnützigen Vereinen obliegen.
Wer den Sport kennt, der weiß, welche ungeheure Arbeit - freiwillige Arbeit - und welcher Idealismus ,dazu gehören, all ¡die vielen kleinen Vereine auf der unteren Ebene am Leben zu erhalten. Die freiwillige und ehrenamtliche Arbeit dort wird nun außerordentlich dadurch erschwert, daß ganz bestimmte steuerrechtliche Vorschriften beachtet werden müssen, wenn der Betrag, der aus den Einnahmen eingeht, 1000 DM überschreitet. Das könnte dazu führen, .daß der Staat hier eines Tages viel mehr ausgeben müßte, als er jetzt von sich aus freiwillig geben könnte, wenn er die Freigrenzen erhöhen würde.
Ich ¡darf ausdrücklich darauf hinweisen: Es geht hier um 'die Kreise, die den Sport noch betreiben, und nicht um Kreise, die den Sport betrachten. Dieser Entschließungsantrag ist nur für die kleinen Vereine gedacht, die sich ehrlich mühen und bei denen tatsächlich etwas für die Volksgesundheit getan wird. Ich bitte Sie, dem Entschließungsantrag Ihre Zustimmung zu geben.
Herr Abgeordneter Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Finanzausschuß ist über eine Erhöhung der allgemeinen Freigrenze bei der Körperschaftsteuer gesprochen worden. Die Verwaltung hat zugesagt, die Freigrenze von 500 auf 1000 DM im Verwaltungswege anheben zu wollen. Aus diesem Grunde halte ich es nicht für erforderlich, daß diesem Entschließungsantrag zugestimmt wird.
Ich darf noch auf folgendes hinweisen. Hier wird gesagt, die Körperschaftsteuerrichtlinien 1958 sollten geändert werden. Auch das scheint mir nicht opportun zu sein. Die Finanzämter sind längst in der Veranlagung der Körperschaftsteuer für 1958 begriffen und zu der Veranlagung für 1959 übergegangen. Eine Änderung könnte sich also überhaupt nur auf die Körperschaftsteuerrichtlinien für die künftige Zeit und nicht für die zurückliegende Zeit beziehen. Ich bitte Sie daher, den Entschließungsantrag abzulehnen.
Meine Damen und Herren, ich muß gestehen, daß ich einige Bedenken habe, wenn ich die Formulierung dieser verschiedenen Ersuchen lese. Das Problem der Teilung der Gewalten erhebt sich dabei. Aber es ist eine Übung, so zu verfahren, die offenbar überall Anklang findet.
Ich lasse über den Antrag auf Umdruck 865 abstimmen. Wer zustimmen will, gebe das HandzeiVizepräsident Dr. Schmid
chen. - Gegenprobe! - Das war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Umdruck 866! Begründung? - Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Antrag bezwecken wir eine konjunkturpolitische Maßnahme. Bekanntlich waren Kapitalansammlungsverträge früher steuerbegünstigt. Das ist heute leider nicht mehr der Fall. Wir sind jedoch der Meinung, daß heute jede Möglichkeit genutzt werden sollte, Gelder aus dem allgemeinen Wirtschaftsverkehr herauszuziehen und für eine gewisse Zeit festzulegen. Wir meinen, daß dieses Anliegen auch weiterhin besteht. Daher bitten wir Sie, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, damit wir hier einige Maßnahmen - ({0})
- Herr Dr. Dresbach, es soll doch jeder die Möglichkeit haben, Gelder aus dem allgemeinen Wirtschaftsverkehr herauszuziehen und Kapitalansammlungsverträge abzuschließen. Ihr Nebenmann versteht darunter natürlich, daß er Geld gibt, welches dann eben nicht festgelegt ist. So war das nicht gemeint. Vielmehr wollen wir dem einzelnen diese Möglichkeit geben. Man spricht ja immer vom Maßhalten. Vielleicht ist es auch an diesen Instituten, maßzuhalten und die Gelder dann nicht auszugeben.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Institut der steuerbegünstigten Kapitalansammlungsverträge soll in dieser Form endgültig der Vergangenheit angehören, weil Sparformen modernster Art mit Steuerbegünstigung entwickelt worden sind. Deshalb schlage ich Ihnen vor, den Entschließungsantrag abzulehnen.
Keine weiteren Wortmeldungen. Dann stimmen wir ab. Wer dem Antrag auf Umdruck 866 zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf den Antrag auf Umdruck 867.
({0})
- Ist das Haus einverstanden? ({1})
- Dann wird dieser Antrag auf Umdruck 867 dem Finanzausschuß überwiesen.
Ich rufe auf den Antrag auf Umdruck 893. - Zur Begründung Herr Abgeordneter Glüsing!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine kleine redaktionelle Änderung! Es soll nicht heißen „bei der Bestimmung landwirtschaftlicher Einkünfte", sondern „bei der Besteuerung landwirtschaftlicher Einkünfte".
Nun zum Antrag selbst! Mit der Annahme dieses Entschließungsantrags soll verhindert werden, daß sich die Zahl der buchführungspflichtigen landwirtschaftlichen Betriebe schlagartig erhöht. Größere landwirtschaftliche Betriebe, die bisher Bücher führen mußten und auch geführt haben, werden es auch in Zukunft tun müssen. Wesentlicher Zweck dieses Entschließungsantrages ist es also, jene Betriebe vor der Buchführung zu bewahren, die bisher mit dieser Materie überhaupt noch nichts zu tun gehabt haben.
Es handelt sich um solche Betriebe, in denen der Landwirt und seine Frau praktisch die einzigen Arbeitskräfte sind. Wenn diese jetzt durch neue Richtlinien zur Buchführung gezwungen würden, müßten sie sich mit einer Materie befassen, die ihnen völlig fremd ist. Schon der Mangel an Arbeitskräften macht es ihnen unmöglich, sich eingehend mit der steuerlichen Buchführung zu befassen.
Deshalb wollen wir für die Bundesregierung die Möglichkeit schaffen, die Richtlinien so zu gestalten, daß diese Betriebe auch in Zukunft von der Buchführungspflicht ausgenommen werden. Im Interesse der echten bäuerlichen Familienbetriebe bitte ich Sie dringend um Annahme dieses Entschließungsantrages.
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir stimmen ab. Wer dem Antrag auf Umdruck 893 zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Umdruck 897. Zur Begründung Herr Abgeordneter Frehsee!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obschon dieser Antrag nicht begründet ist, erlauben Sie mir einige Bemerkungen dazu. Dieser Entschließungsantrag mag sehr gut gemeint sein; das ist er wahrscheinlich auch. Man will den schlechtbezahlten Landarbeitern in bezug auf die Lohnsteuer eine gewisse Erleichterung bringen. Ich darf Ihnen aber sagen, daß die Landarbeiter dem Vorhaben des Entschließungsantrags, den Landarbeiterfreibetrag wieder einzuführen, mit recht gemischten Gefühlen gegenüberstehen. Sie wollen nicht eine Sonderbehandlung und Sonderfreibeträge, sie wollen die Gleichstellung mit den gewerblichen Arbeitern. Sie wollen den Vergleichslohn, wie ihn der Grüne Bericht ausweist, und sie wollen den allgemeinen Arbeitnehmerfreibetrag, der hier heute gefordert worden ist. Eine Sonderbehandlung käme im übrigen den Landarbeitern gar nicht zugute; denn die verheirateten Landarbeiter kommen mit ihrem Lohn meist gar nicht an die Lohnsteuerpflicht heran. So traurig ist das leider. Die Ledigen bekommen
Nettolöhne. Da zahlt der Arbeitgeber die fällige Lohnsteuer. Allerdings sind die Löhne der Ledigen verhältnismäßig höher als die Löhne der verheirateten Landarbeiter. Der Freibetrag kommt also in diesem Falle den landwirtschaftlichen Arbeitgebern zugute. Das erklärt unsere Zurückhaltung gegenüber dem Entschließungsantrag auf Umdruck 897.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Umdruck 905.
({0})
- Ist das Haus einverstanden, den Antrag auf Umdruck 905 dem Finanzausschuß zu überweisen? - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Nach einer Vereinbarung der Fraktionen soll jetzt Punkt 7 der Tagesordnung aufgerufen werden:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundessozialhilfegesetzes ({1}) ({2}),
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung ({4})
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge ({5}) ({6})
({7}).
Berichterstatter des Haushaltsausschusses ist Herr Abgeordneter Dr. Stoltenberg, Berichterstatterin des Ausschusses für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge ist Frau Abgeordnete Niggemeyer. Wünscht das Haus, mündliche Berichte entgegenzunehmen? - Das Wort hat Frau Abgeordnete Niggemeyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich verweise auf meinen Schriftlichen Bericht, habe allerdings die Bitte, daß bei § 86, auf Seite 10 des Berichts, etwas berichtigt wird. Da heißt es in dem letzten Absatz:
Die vom Ausschuß einstimmig beschlossene Änderung des Absatzes 1 Satz 2 bezweckt, .. .
Es hat sich hinterher herausgestellt, daß die Änderung nicht einstimmig, sondern mit großer Mehrheit beschlossen worden ist. Ich bitte, dies entsprechend zu ändern.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz, daß wir nunmehr beraten wollen, enthält. eine Anzahl Probleme, darunter auch rechtliche, vor allem verfassungsrechtliche Probleme. Von ärztlicher Seite ist darauf hingewiesen worden, daß die freie Arztwahl beeinträchtigt werde. Wir sind der Meinung, daß die §§ 10 Abs. 3 und 86 Abs. 1 mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, und zwar deshalb, weil hier in die grundsetzlich garantierte Selbstverwaltung der Gemeinden eingegriffen wird, indem ihr Tätigkeitsbereich zugunsten der Organe der freien Wohlfahrtsverbände und sonstiger öffentlicher Träger beschränkt wird, - ein Verstoß gegen Art. 3 und Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes.
Ich will keine rechtlichen Ausführungen machen; das ist im Rahmen einer Äußerung zur Geschäftsordnung nicht möglich. Es geht mir nur um den Hinweis darauf, daß jedenfalls schwerwiegende Bedenken bestehen, ob diese Bestimmungen mit der Verfassung vereinbar sind.
Offenbar hat auch der federführende Ausschuß, der Ausschuß für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge, diese Bedenken gehabt; denn es ist dort der Antrag gestellt worden, den Gesetzentwurf auch dem Rechtsausschuß mit dem beschränkten Ziel zu überweisen, lediglich diese wenigen Bestimmungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu untersuchen. Dieser Antrag ist, wenn ich recht unterrichtet bin, mit ganz knapper Mehrheit, mit 11 gegen 10 Stimmen, abgelehnt worden, was aber jedenfalls deutlich zeigt, daß das Problem besteht.
Ich meine: wenn ein solches Problem besteht, ganz gleichgültig, ob man dazu neigt, Verfassungswidrigkeit anzunehmen, oder ob man dazu neigt, die Bestimmungen nicht für verfassungswidrig zu halten, sind wir verpflichtet, das ernsthaft zu prüfen.
Ich möchte das Hohe Haus dringend darauf hinweisen, daß wir vor einiger Zeit ein Gesetz verabschiedet haben, das bis heute noch nicht verkündet ist, das bei dem Herrn Bundespräsidenten liegt, so daß also auf diese Weise dem Herrn Bundespräsidenten zugemutet wird, Gesetze auf ihre materielle Vereinbarkeit mit der Verfassung zu überprüfen, was eigentlich nicht seine Aufgabe sein kann. Diese Einstellung des Parlaments, sozusagen sehenden Auges zu riskieren, daß ein Gesetz verfassungswidrig ist, ist unfair gegenüber dem Bundespräsidenten. Es ist aber auch in der Sache schlecht, wenn man riskiert, daß nachher ein Prozeß in Karlsruhe angestrengt wird und einzelne Bestimmungen des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt werden.
Wir erweisen uns also selber einen schlechten Dienst, wenn wir, obwohl Zweifel bestehen, sehenden Auges darauf verzichten, in eine rechtliche Prüfung dieser Bestimmungen einzutreten. Deshalb unser Antrag zur Geschäftsordnung - den wir absichtlich jetzt gleich zu Beginn stellen und nicht erst bei den einzelnen Paragraphen, damit keine Zeit verlorengeht -, den Gesetzentwurf noch dem Rechtsausschuß zurückzuüberweisen mit dem Auftrag, ,die einzelnen Bestimmungen, die der federführende Ausschuß bezeichnen mag, auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu überprüfen.
({0})
Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Fraktion der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union bittet, diesen Antrag abzulehnen und in die Sachdebatte einzutreten. Zur Begründung darf ich auf folgendes hinweisen:
Der Gesetzentwurf wird nun seit einem Jahr im Hause beraten. Er ist vom Plenum drei Ausschüssen zur Beratung überwiesen worden. Der federführende Ausschuß hat 25 Sitzungen auf die Beratung verwandt; er hat Sachverständige gehört.
Der Bundestag hat am 4. Mai des vergangenen Jahres ordnungsgemäß entschieden, welche Ausschüsse mit der Vorlage befaßt werden sollen. Diese Ausschüsse haben beraten. Würde man heute, ein Jahr nachdem die Beratungen aufgenommen worden sind und nachdem eine sehr sorgfältige Ausschußarbeit vorliegt, den Entwurf einem anderen Ausschuß des Hauses zurücküberweisen, so wäre das meines Erachtens nicht nur ungewöhnlich, sondern käme in der Sache einer Abqualifizierung der Mitglieder und der Arbeit der bisher mit dem Gesetzentwurf befaßten Ausschüsse gleich.
({0})
Ich glaube außerdem, .daß in dem Schriftlichen Bericht eine ganze Fülle von Fragen auch dieser Art angesprochen worden sind.
Zum zweiten möchte ich folgendes sagen: Der Bundesrat, der sorgsam Bedacht nimmt auf die Rechte der Länder und der Gemeinden, hat - gestützt auf ein Votum seines doch hochqualifizierten Rechtsausschusses - verfassungsrechtliche Bedenken nicht geltend gemacht. Die Bundesregierung hat, wie sich aus der amtlichen Begründung ergibt, die Frage der Verfassungsmäßigkeit sorgsam geprüft, so daß ich glaube, daß auch aus diesen Gründen dem Rücküberweisungsantrag nicht zugestimmt werden sollte.
Zum dritten möchte ich sagen, daß die verfassungsrechtlichen Bedenken, die sowohl gegen die Fassung des Entwurfs als auch gegen die Ausschußfassung vorgetragen werden, von uns nicht als schlüssig anerkannt werden. Ich möchte mich hier jetzt auf ein paar kurze Bemerkungen im Rahmen der Geschäftsordnungsdebatte beschränken. Aber es ist doch gut, wenn ich es jetzt tue; das erleichtert den Gang sicherlich.
Der Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes, den Herr Kollege Bucher zitiert hat, sichert den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung. Unabhängig von dem wohl mehr rechtstheoretischen Streit darüber, ob es sich um ein Grundrecht oder um eine institutionelle Garantie handelt, wird man doch den Art. 19 Abs. 2 des Grundgesetzes - entweder direkt oder sinngemäß - heranziehen können. Das heißt: Kein Bundes- und kein Landesgesetz darf in das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung so weit eingreifen, daß der „Wesensgehalt" der Selbstverwaltung - so heißt es im Art. 19 Abs. 2 des Grundgesetzes - oder der „Kern" dieser Norm - so nennt es das Bundesverwaltungsgericht - angetastet wird.
Nun bestreiten wir überhaupt nicht, Herr Kollege Bucher, daß einige der Vorschriften des Gesetzentwurfs in die gemeindliche Selbstverwaltung hineinragen. Wir bestreiten aber, daß der „Kern" oder der „Wesensgehalt" der Selbstverwaltung ergriffen werden.
Nach höchster Rechtsprechung ist die Frage, ob ein Eingriff in den „Kern" der Selbstverwaltung vorliegt, danach zu bestimmen, was von dem Recht der Selbstverwaltung übrigbleibe. Der Kern der Selbstverwaltung sei nicht verletzt, wenn den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Führung der Geschäfte unter eigener Verantwortung überlassen bleibe. So das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 22. November 1957.
Weder in den Fällen des § 10, die Sie, Herr Kollege Bucher, zitiert haben, noch in denen des § 86 verliert der Sozialhilfeträger die Verantwortung für die Durchführung des Gesetzes. Mithin ist seine Entscheidungsfreiheit nicht grundgesetzwidrig eingeengt. Ich könnte noch auf einige andere Beispiele hinweisen. Das will ich jetzt noch nicht tun.
Ich möchte aber doch den Hinweis jetzt schon geben, daß der Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes im Zusammenhang des Grundgesetzes ausgelegt werden muß. Ich glaube, da ist zunächst einmal festzuhalten, daß dem Abs. 2 dieses Artikels ein Abs. 1 vorangeht, in dem die Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik normiert ist. Dieses Prinzip gilt doch mindestens ranggleich mit dem der Selbstverwaltung; sie gelten nebeneinander. Dieses Gesetz, das uns nun, wenn es nach unserem Antrag geht, zur Beratung und Beschlußfassung vorliegt, ist doch ein Beitrag zur Verwirklichung eben dieses in dem Abs. 1 genannten Sozialstaates, ein Beitrag zur Verwirklichung des Sozialstaates,
({1})
für den dem Bund nach dem Art. 74 Ziffer 7 des Grundgesetzes ausdrücklich die Gesetzgebungskompetenz übertragen ist.
Ich meine, daß vor allem aber dies für die verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Prüfung wichtig ist: Die Selbstverwaltung der Gemeinden steht im Grundgesetz nicht für sich da. Sie ist selbst nur der Ausdruck eines das ganze Grundgesetz ergreifenden, durchgängigen Prinzips, ist im Grundgesetz nur einer von mehreren Anwendungsfällen. Unser Grundgesetz geht aus von der Freiheit der Person und ihrer Entfaltung, von der vorstaatlichen Funktion der Familie, von der freien Entfaltung der Gesellschaft. Ich weise hin auf die Art. 1 bis 19 des Grundgesetzes, wo das alles nachzulesen ist. Hierin kommt doch zum Ausdruck - und das ist der entscheidende Punkt, Herr Kollege Bucher -, daß eine freie Gesellschaft sich zunächst selbst entfalten soll, daß sie weder vom Bund noch von den Ländern, noch von den Gemeinden gegängelt werden darf. Nach unserer Auffassung beginnt Föderalismus beim Menschen, bei der Familie, bei der Gesellschaft und nicht erst bei den Kommunen und ihren Verbänden.
({2})
Wenn die Gesellschaft aus sich - und das ist die Streitfrage - dem Gemeinwohl genügende soziale Einrichtungen schafft, dann ist eine Notwendigkeit gemeindlicher oder staatlicher Einrichtungen nicht einzusehen.
Ich glaube, meine Damen, meine Herren, daß es hier nicht so sehr um eine verfassungsrechtliche Kontroverse geht. Es geht um einen gesellschaftspolitischen, um einen ordnungspolitischen Streit, um einen Streit im Rahmen der Normen des Grundgesetzes. Der eine will ein bißchen mehr Kommunalisierung, der andere will ein bißchen mehr freie Entfaltung. Beides ist sicher nach dem Grundgesetz zulässig. Wir sollten uns doch hüten, in allen Debatten immer gleich die Verfassungswidrigkeit zu behaupten. Ich möchte meiner verehrten Kollegin Brauksiepe eine Bonmot - abgewandelt - stehlen: Ich glaube, die fortlaufende Behauptung von Verfassungswidrigkeit hält auf die Dauer keine Verfassung aus.
Wir bitten daher, diesen Antrag abzulehnen und in die Sachdebatte einzutreten.
({3})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe, da wir in einer Geschäftsordnungsdebatte sind, nicht die Absicht, etwas zur Sache selbst vorzutragen, wie es der Kollege Dr. Barzel hier getan hat; ich möchte lediglich zu den Geschäftsordnungsfragen sprechen.
Meine Fraktion teilt die Bedenken, die in dem Antrag der Fraktion der FDP zum Ausdruck kommen, und wir schließen uns dem Antrag auf Überweisung in den Rechtsausschuß an.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was der Kollege Barzel zum Verfahren gesagt hat, ist sicherlich nicht geeignet, uns Entlastung zu verschaffen. Es mag sein, ,daß sehr lange und ausführliche Beratungen in den Ausschüssen stattgefunden haben, denen die Vorlage überwiesen worden ist. Ganz offensichtlich ist aber die verfassungsrechtliche Seite in dem Ausschuß des Hauses, der den Auftrag hat, sich um diese Fragen zu kümmern, nicht erörtert worden. Ich glaube, es kann keine Rolle spielen, zu welchem Zeitpunkt während der Beratung des Gesetzes diese Frage aufgeworfen wird. Wird sie aufgeworfen, dann muß sie geprüft werden, und dann muß sie sorgfältig geprüft werden. Man sollte sich die Dinge nicht so leicht machen und davon reden, es werde hier Mißbrauch mit der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes getrieben. Ich glaube, gerade Sie hätten allen Anlaß, diese Frage nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
({0})
Das zweite Argument, das Herr Kollege Dr. Barzel hier angeführt hat - die Dinge seien im Bundesrat nicht gerügt worden -, ist zunächst sachlich falsch - auch dort sind diese Bedenken vorgetragen 1 worden -, und im übrigen glaube ich, daß noch so sorgfältige Beratungen im Bundesrat uns hier keine Entlastung geben können und uns aus unserer Verantwortung nicht entlassen können. Die haben wir nun einmal selber, gleichgültig, was 'der Bundesrat in der Sache sagt.
Es bleibt für uns die Feststellung - und wir werden, wenn Sie unserem Antrag nicht zustimmen sollten, darauf noch sehr ausführlich einzugehen haben -, es bleiben unsere Bedenken, daß mit den §§ 10 und 86 des Gesetzes ganz erhebliche Fragen der Vereinbarkeit mit Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes aufgeworfen werden. Meine Damen und Herren, das sollte hier sehr sorgfältig geprüft werden.
Herr Kollege Krammig hat vorhin in einem völlig anderen Zusammenhang seinem unmutigen Herzen Luft gemacht darüber, daß es bei so vielen Dingen im Rechtsausschuß des Hauses so lange dauere. Das liegt nicht zuletzt daran, 'daß der Rechtsausschuß ständig gezwungen ist, Fragen zu prüfen, die die Verfassungsmäßigkeit gewisser Gesetzentwürfe hier im Hause berühren. Der Rechtsausschuß drängt sich nicht danach. Aber niemand hier im Hause hat das Recht, zu sagen: „Weil der Rechtsausschuß überlastet ist, können wir eine solche Beratung und Prüfung durch den Rechtsausschuß nicht zulassen."
Ich darf Sie noch einmal auf Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes hinweisen, in dem es ausdrücklich heißt: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung . . . gebunden." Das heißt: auch wir können uns mit unseren Gesetzgebungsarbeiten nur an die Grundsätze halten, die in der Verfassung festgelegt sind. Manchmal frage ich mich, ob bei Ihrem Drang, gewisse Dinge notfalls so etwas über den Daumen gepeilt hier durchzuziehen, nicht eine gewisse Haltung eine Rolle spielt, ob Sie das eher als eine Macht- denn als eine Verfassungsfrage ansehen. Ich fürchte, wenn diese Auffassung sich bei Ihnen in noch stärkerem Umfange durchsetzt, tun Sie diesem Hause einen sehr schlechten Dienst. Verfassungsfragen können wir nicht ernst genug nehmen.
Deswegen - und nicht, weil wir die Absicht hätten, diese Sache von der Tagesordnung zu bringen oder zu verzögern - bitten wir Sie, dem Rechtsausschuß des Hauses Gelegenheit zu geben, diese Fragen nachzuprüfen.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann stimmen wir über den Überweisungsantrag ab. Wer ihm zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Letzteres war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir treten nunmehr in die Einzelberatung ein. Ich rufe auf: Abschnitt 1 Allgemeines, §§ 1 bis 7. - Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
§ 8. Das Wort hat der Abgeordnete Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Schluß meiner Ausführungen habe ich die Absicht, Ihnen, Herr Minister Dr. Schröder, eine Frage zu stellen. Darf ich vielleicht darum bitten, daß Sie mir einen Augenblick aufmerksam zuhören.
Der § 8 - Formen der Sozialhilfe - ist im Ausschuß nach einer sehr langen Beratung geändert worden; der letzte Satz des Abs. 2 soll lauten:
Wird Beratung in sonstigen sozialen Angelegenheiten auch von Verbänden der freien Wohlfahrtspflege wahrgenommen, ist der Ratsuchende zunächst hierauf hinzuweisen.
Bei den Unterhaltungen darüber, insbesondere über entgeltliche und unentgeltliche Beratung, wurde dem Ausschuß gesagt, diese Bestimmung schließe nicht aus, daß z. B. auch die großen Kriegsopferverbände usw. an dieser Beratungstätigkeit teilnehmen könnten. Heute wurde mir nun vom Vertreter des Reichsbundes mitgeteilt, daß dieser die Dinge von sich aus habe prüfen lassen und daß er, wenn der § 8 in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung angenommen würde, das Verfassungsgericht anrufen würde. Der Vertreter des Reichsbundes hat mich ermächtigt, diese Erklärung hier bekanntzugeben. Ich bitte also den Herrn Minister, mir zu sagen, ob tatsächlich die Befürchtung des Reichsbundes zutrifft, daß die Kriegsopferverbände und ähnliche Organisationen ausgeschlossen sind, oder ob sie nach wie vor mitbeteiligt sind.
Wird weiter das Wort gewünscht? - Herr Bundesminister!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe keine Gelegenheit gehabt, Herr Kollege Könen, die Frage, die Sie angeschnitten haben, lange zu prüfen. Mir wird aber gesagt, daß die Kriegsopferverbände nach wie vor Beratungstätigkeit würden ausüben können.
Herr Abgeordneter Könen!
Herr Minister, noch eine kurze Nebenfrage! Daß sie von sich aus Beratungen durchführen können, dürfte wohl außer Zweifel stehen. Die Frage geht dahin, ob § 8, in dem es heißt, daß in sonstigen sozialen Angelegenheiten der Ratsuchende zunächst darauf hinzuweisen ist, wenn es auch Verbände der freien Wohlfahrtspflege tun, beinhaltet, daß der Beamte im Sozialamt auch auf die Beratungstätigkeit der von mir genannten Verbände hinweisen kann und soll. Das ist die Frage, Herr Minister.
Herr Bundesminister des Innern!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird mir dazu gesagt, Herr Kollege Könen, es seien zwar keine Verbände der freien Wohlfahrtspflege, es sei
aber inhaltlich darauf zu schließen, daß Ihre Frage bejahend zu beantworten ist. Ich würde vorschlagen, daß Sie es zunächst einmal dabei lassen.
({0})
§ 8, - § 9. - Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
§ 10. Hierzu liegen eine Reihe von Änderungsanträgen vor. Es wird nicht ganz leicht sein, die Abstimmung so vorzunehmen, daß je nach dem Ergebnis der Abstimmung die einzelnen Bestimmungen nachher noch zueinander passen. Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag: Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag Umdruck 872 Ziffer 1 ab, soweit dieser Antrag die Fassung des Abs. 2 betrifft, dann über den Antrag Umdruck 888, in Abs. 3 des § 10 den Satz 2 zu streichen, danach über den Antrag Umdruck 872 Ziffer 1 betreffend § 10 Abs. 3. Von den Anträgen zu Abs. 4, die Sie auf Umdruck 872 Ziffer 1 und auf Umdruck 857 Ziffer 1 finden, geht wohl der auf Umdruck 872 Ziffer 1 weiter. Über ihn werde ich dann zuerst abstimmen lassen.
Zunächst hat das Wort Herr Abgeordneter Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß wir die §§ 10 und 86 gemeinsam bei § 86 beraten. Sie gehören derart zusammen, daß man bei § 10 alles das sagen müßte, was man auch zu § 86 sagen muß. Soviel ich weiß, sind auch meine Kolleginnen und Kollegen der anderen (E Fraktion damit einverstanden. Ich bitte also, § 10 nicht jetzt zu behandeln, sondern bei § 86.
({0})
- Nein, seien Sie unbesorgt, das ist schon richtig. Wir machen das bei § 86.
Über die Änderungsanträge zu § 10 können wir dann bei § 86 in der von Ihnen, Herr Präsident, vorgeschlagenen Reihenfolge abstimmen.
Es ist offenbar so, daß in § 10 und in 86 die Bestimmungen stecken, die von einem Teil des Hauses als mit ,der Verfassung vielleicht nicht übereinstimmend angesehen werden. Es scheint mir vernünftig zu sein, daß wir das Problem, wenn darüber gesprochen werden soll, jetzt ausdiskutieren. Dann brauchen wir nachher nicht mehr darüber zu sprechen.
§ 10 und § 86 sind also, was diese Grundfrage betrifft, nunmehr aufgerufen, nicht was ,die einzelnen Änderungsanträge anlangt; das machen wir nachher.
({0})
- Sie mißverstehen mich. Wir nehmen das Grundproblem, das beiden Paragraphen zugrunde liegt, § 10 und § 86, jetzt als Grundsatzfrage vorweg. Wir nehmen also zunächst die allgemeine Aussprache über ein Sonderproblem vor. Wenn darüber gespro9026
Vizepräsident Dr. Schmid
chen ist, werden wir zu den einzelnen Anträgen kommen, und zwar in der Weise, wie ich das vorgeschlagen habe. Ich glaube, das ist logisch und sachgerecht, und wir sparen damit sehr viel Zeit.
Das Wort zu diesem allgemeinen Problem hat Abgeordneter von Bodelschwingh.
von Bodelschwingh ({1}) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei den beiden §§ 10 und 86 handelt ,es sich um die Stellung der freien Wohlfahrtsverbände zu den Trägern der Sozialhilfe. Es ist richtig, daß beide Paragraphen zusammengehören.
Ich möchte diese Fragen nicht nach der verfassungsrechtlichen Seite, auch nicht etwa nach der dogmatischen Seite ansprechen, sondern ich möchte sie ,einmal nach der menschlichen, praktischen Seite ansprechen.
({2})
Als ein Mann, .der aus der Praxis kommt, bitte ich einmal zu diesen Dingen sprechen zu dürfen.
Die moderne Entwicklung unseres heutigen Lebens hat es mit sich gebracht, daß die Gefahren und Schädigungen der Menschen sehr viel größer als früher geworden sind. Der moderne Verkehr, die Fertigungsmethoden usw. bedeuten eben .auch, daß die Hilfen sehr viel größer werden müssen, die in unserem neuen Gesetz nun verankert sind. Dieses Gesetz schafft - das freut uns, und dazu hatten wir auch den Auftrag - die materiellen Möglichkeiten dafür.
Aber diese materiellen Dinge genügen eben nicht, es muß mehr dazu kommen. Die Mediziner, die Psychologen, die Pädagogen und vor allen Dingen die Pflegekräfte, die es mit dem Hilfesuchenden zu tun haben, wissen ganz genau, daß diese Maßnahmen auf halbem Wiege steckenbleiben würden, wenn nicht die geistig-seelischen Kräfte hinzukämen, nämlich vor allen Dingen die Willenskräfte ,des Hilfesuchenden. Es muß erreicht werden, daß der Hilfesuchende selbst diese Kräfte anspannt, daß er Mut und Hoffnung faßt. Er muß das Gefühl haben, mit seiner Not nicht allein gelassen zu sein; er muß die Möglichkeit haben, mit jemandem anderen zusammen, der ihm nahesteht, gemeinsam diese Not zu tragen und damit fertig zu werden.
({3})
Sonst bleiben die Dinge vielfach nur in äußerlichen Ansätzen einer Heilung und einer Besserung stekken. Ich möchte Sie wirklich einmal gebeten haben - ,diejenigen, die es möglich machen können -, einmal in Bethel zu sehen, wenn nach diesem Prinzip und nach diesem Rezept verfahren wird.
Alles Ordnen, Organisieren, Finanzieren ist nur die eine Seite der Medaille; die geistig-seelischen Kräfte des einzelnen Hilfsbedürftigen und seiner Helfer sind die andere Seite. Diese andere Seite wird durch die Kräfte - wir wollen es einmal nennen - des Idealismus, die Kräfte des Humanismus vertreten, aber, meine Damen und Herren, in besonderer Weise, das möge mir erlaubt sein zu sagen, auch durch die Kräfte des Glaubens, des Liebens und des Hoffens.
({4})
Wo diese Kräfte hervortreten und wo sich diese Kräfte zusammentun und sich zu Verbänden, zu freien Wohlfahrtsverbänden zusammenschließen, muß und soll diesen Kräften eine Chance gegeben werden,
({5}) eine Chance zum Wohle des Hilfesuchenden.
({6})
Wir können und wollen auf diese Kräfte im Interesse des Hilfsbedürftigen nicht verzichten.
({7})
Diese Kräfte würden verkümmern, wenn sie nicht ein gewisses Vorrecht hätten und wenn nicht die öffentlichen Träger, die Träger der sozialen Hilfe, darauf angesprochen würden, daß sie zuerst diese frischen Volkskräfte, diese freien Volkskräfte, wie unsere Frau Kollegin Weber sagte,
({8})
zur Geltung bringen. Sonst würde das Vorgehen nur auf halbem Wege steckenbleiben.
({9})
Ich glaube, daß Sie alle mit mir darin einig sind, daß man diesen hochgemuten Menschen, darf ich einmal sagen, wirklich die Chance geben sollte, dafür einzutreten.
Leider haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD und auch von der FDP, in Ihren Anträgen die Möglichkeit beschnitten, diese freien Volkskräfte, diese geistigen Kräfte zur Wirkung kommen zu lassen. Beispielsweise haben Sie zu § 10 den Antrag gestellt, diesen Kräften die Unterstützung, selbst eine angemessene Unterstützung zu versagen. Das ist bedauerlich, und das zeigt, daß Sie diesen freien Kräften die Wirkungsmöglichkeiten nicht geben möchten.
({10})
Ich möchte auf Einzelheiten nicht mehr eingehen, ich möchte nur noch einmal betonen: wo die freien Kräfte da sind und wo sie Einrichtungen schaffen können, da muß und soll ihnen die Chance gegeben werden.
Deshalb möchte ich bitten, die Anträge Umdruck 872 der SPD zu § 10 und zu § 86 sowie die Anträge der FDP Umdrucke 888 und 887 ebenfalls abzulehnen und den Antrag der CDU auf Umdruck 857 anzunehmen. Bei dem Antrag der CDU handelt es sich um Verbesserungen der Ausschußfassung. Ich bitte Sie, so zu beschließen.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt überhaupt keinen Streit darüber, daß ,die freie Wohlfahrtspflege so viele Möglichkeiten wie irgend angängig haben soll und daß die Liebestätigkeit, die sich in der privaten Fürsorge ausdrückt, in keiner Weise behindert werden soll. Aber hier geht es doch um ganz andere Fragen.
Zunächst einmal ist interessant, was in der Begründung zu dem Gesetz gesagt ist. Da steht nämlich: das geltende Recht, das vor allem den Gedanken der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege hervorhebt - § 5 Fürsorgepflichtverordnung -, hat sich bewährt. Das sagt also die Regierung selber in ihrer Begründung. Ich glaube, das ist der Ausgangspunkt. Wenn es aber so ist, daß die Zusammenarbeit sich bewährt hat, dann muß doch der naive Betrachter sich die Frage stellen: Ja, warum will man dann etwas ändern? In der Tat, wenn man etwas ändern will, steckt doch etwas anderes dahinter. Es wird ja auch in der Begründung ganz deutlich davon gesprochen, daß man ein gewisses Prinzip durchführen will, nämlich das Subsidiaritätsprinzip. Da müssen wir einmal prüfen, wie es sich damit verhält.
Der Grundgedanke des Subsidiaritätsprinzips ist sicher richtig, nämlich der, daß man zunächst einmal denjenigen helfen läßt, der am nächsten zur Hilfe da ist, d. h. der dem Hilfsbedürftigen am nächsten ist. Zuerst einmal soll die Familie kommen, dann sollen die Organe kommen, die dem Hilfsbedürftigen am nächsten stehen, und wenn diese nicht mehr helfen können, dann sollen die nächsthöheren Organe und Organisationen zum Zuge kommen. Gegen dieses Prinzip ist nichts zu sagen, wenn man es sinnvoll anwendet und wenn man es so anwendet, daß dabei die Möglichkeiten der freien Betätigung erhalten bleiben. Gefährlich wird dieses Prinzip, wenn man es zum Dogma erhebt. Wir haben ja gesehen, wohin man kommt, wenn man gerade ein solches Prinzip zum Dogma erhebt. Ich brauche nur an das Kindergeldgesetz zu erinnern, ich brauche nur an das Fiasko zu erinnern, das sich mit der sturen Durchführung des Prinzips ergeben hat.
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Wenn wir nun vor der Frage stehen, ob das Prinzip in der Weise durchgeführt werden soll, daß man Vorrangigkeiten in der Hilfe schafft, so müssen wir zunächst einmal prüfen, was damit bezweckt und erreicht wird. Ich wiederhole: es ist in der Begründung mit Recht gesagt worden, die Zusammenarbeit habe sich bewährt, und es ist kein Zweifel, daß in dem § 10 zunächst einmal von der Zusammenarbeit die Rede ist. Das ist aber eine Deklamation, denn der § 86 zeigt sehr ,deutlich, daß man einen Mitarbeiter möglichst beiseite drücken will, nämlich die Gemeinden.
Da muß zunächst einmal eines klargestellt werden. Von dem Staat, zu dem wir ja alle gehören und ,den wir in seiner Volksvertretung sogar repräsentieren, wird immer mit einem gewissen Mißtrauen gesprochen. Das ist schon ,ein Ausgangspunkt, der nicht gut ist. Aber hier dreht es sich in
erster Linie gar nicht einmal um den Staat, sondern um die Selbstverwaltung in den Gemeinden. Es wird immer so getan, als wenn Staat und Gemeinden dasselbe wären. Aber es kann gar keinen Zweifel darüber geben, ,daß die Selbstverwaltung in den Gemeinden etwas anderes ist ,als das, was man unter zentraler Staatsgewalt versteht. Denn davon geht man doch immer aus: daß da irgendwo etwas zentral geschehe und dann Fehlentscheidungen zustande kämen, weil man ,der Sache nicht nahe genug sei und die Angelegenheit infolgedessen nicht funktionieren könne. Daß es funktioniert, hat die Regierung selbst - ich wiederhole es - in ihrer Begründung zugegeben; denn sie hat gesagt, die Dinge hätten sich in der Vergangenheit bewährt. Dafür gibt es genügend Beweise.
Die Vertreter ,des Subsidiaritätsprinzips, Lehrer der katholischen Ethik, sagen zum Teil selbst, daß das Subsidiaritätsprinzip eine generelle Richtlinie sei, daß es aber kein Rezept anbiete. Das, was Sie tun wollen, ist, aus dieser generellen Richtlinie ein Rezept zu machen. Sie übersehen eines, was ja auch gefordert wird: daß man das Subsidiaritätsprinzip an den Sachfragen, die sich stellen, korrigiert, daß man also von Fall zu Fall prüft, was von der Sache her zu tun ist, wie dieses Prinzip unter Umständen von der Sache her modifiziert werden kann. Sie wollen mit diesem Gesetzentwurf dieses Prinzip nicht modifizieren, Sie wollen es dogmatisch anwenden.
Ich muß noch etwas anderes hinzufügen. Sie wollen mit diesem Gesetzentwurf ein bestimmtes Ordnungsbild, das in der katholischen Kirche entwickelt worden ist, für alle verbindlich machen.
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- Sie sagen nein, aber das Ergebnis zeigt es ja. Ihr Nein besagt mir gar nichts. Tatsache ist, daß Sie von einem Ordnungsbild ausgehen, wonach die Enischeidung bei den Verbänden liegt und die Gemeinden allenfalls etwas tun dürfen, wenn die Verbände gar nicht mehr die Möglichkeit haben. Der § 86 blockiert doch die Tätigkeit der Gemeinden, darüber muß man sich klar sein!
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Der § 86 ist kommunalfeindlich. Es ist interessant, was vorhin Herr Kollege Barzel gesagt hat. Er sprach davon, daß die einen etwas kommunalfreundlicher oder kommunalisierfreundlicher seien - womit er ja schon eine Wertverbindung ausdrücken wollte - und daß die anderen für freiheitliche Gestaltung seien. Ich muß sagen, das ist eine eigenartige Argumentation eines demokratischen Abgeordneten, wenn er so tut, als wäre in den Gemeinden mit ihrer demokratischen Selbstverwaltung weniger Freiheit als irgendwo anders in der demokratischen Welt.
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Ich halte das für sehr bedenklich. Im Grunde genommen hatte Herr Barzel, ohne daß er sich darüber im klaren war, verraten, wie er in diesen Dingen in Wirklichkeit denkt. Es ist nicht nur das Mißtrauen gegen 'den Staat, der unser Staat ist, sondern es ist auch das Mißtrauen gegen die Gemeinden, die
unsere Gemeinden sind. Wenn man so tut, als wenn irgendwo anders mehr Freiheit wäre und als wenn diejenigen, die für die kommunalisierte Tätigkeit sind, für weniger Freiheit wären, dann hat man damit im Grunde genommen das Prinzip der Demokratie doch verraten. Darüber müssen wir uns doch im klaren sein. Wenn wir in dieser Weise an ein Gesetz herangehen, gehen wir einen sehr gefährlichen Weg.
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Wir sind der Meinung, daß wir verpflichtet sind, vor der Gefährlichkeit dieses Weges zu warnen.
Ich sagte, es muß von 'den Sachfragen aus entschieden werden. Das Ordnungsbild, das sich bei dem Subsidiaritätsprinzip zeigt, ist ja doch das Ordnungsbild der hierarchischen Gliederung eines Staates, ist das Bild, bei dem man davon ausgeht, daß die Gesellschaft sich in konzentrische Kreise gliedert und daß zunächst einmal die äußersten Kreise tätig wenden und daß man dann zu den Kreisen emporsteigt, die die höhere Gewalt haben. Dieses Bild ist für eine gewisse Zeit ohne Zweifel berechtigt gewesen. Man hat davon ausgehen können.
Aber Sie alle geben zu, daß wir heute nicht mehr in einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft, sondern in einer pluralistischen Gesellschaft leben, in einer Gesellschaft, in der die gesellschaftlichen Einflüsse außerordentlich mannigfaltig sind, in der sich auch die einzelnen Kreise überschneiden, keineswegs mehr konzentrisch zueinander liegen.
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- Ja, Sie wollen das Rad der Geschichte zurückdrehen und wollen 'die heutige Wirklichkeit nicht sehen!
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- Meine Damen und Herren, wollen Sie bestreiten, daß wir in einem pluralistischen Staat sind?
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- Sie wollen ihn. Ausgezeichnet! Dann ziehen Sie die Konsequenzen! Aber dann begehen Sie nicht den Fehler, daß Sie die Auffassung einer bestimmten Schicht unseres Volkes dem gesamten Volk aufzwingen! Das tun Sie.
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- Meine Damen und Herren, Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen, wir können ruhig sachlich über die Dinge reden. Ich sehe Herrn Bausch, der dauernd lächelt. Er müßte als Evangelischer etwas mehr von den Dingen verstehen. Aber er lächelt nur. In Wirklichkeit wissen Sie doch, daß es in weiten Kreisen unseres Volkes, gerade auch in christlichen Kreisen, in diesen Fragen durchaus verschiedene Auffassungen gibt. Da ist man durchaus nicht der Meinung, daß da unten Organe und Organisationen sind, die auf jeden Fall zuerst zum Zug kommen, und darüber andere Organisationen, die erst später zum Zuge kommen können.
Wir müssen doch die Frage stellen: ist denn tatsächlich eine Wohlfahrtsorganisation, die unter Umständen viel größer sein kann, die unter Umständen auch Bürokratie hat mit all den Fehlern einer Bürokratie, den Menschen unbedingt näher, als es eine Gemeinde sein kann? Ich will die Frage gar nicht mit einem Ja oder Nein beantworten. Ich sage nur: die Frage ist von Fall zu Fall zu beantworten. Es kann der Fall eintreten, daß die Gemeinde einem Hilfsbedürftigen näher ist, es kann der Fall eintreten, daß eine Wohlfahrtsorganisation dem Hilfsbedürftigen näher ist. Das kommt doch auf die Lage des Falles an.
Hier zeigt sich, wie notwendig es ist, daß man die Korrektur vornimmt, die selbst katholische Sozialethiker fordern, indem sie sagen: Die Dinge müssen von der Sachfrage her entschieden werden; sie können nicht von einer Theorie, nicht von einem Dogma, sondern müssen von der Sache her entschieden werden.
Wer sagt uns denn, daß eine Gemeinde weniger Freiheit hat? Wer sagt uns denn, daß die Organe, die in einer Gemeinde auf Grund freier Wahlen der Bürger existieren, weniger in der Lage sind, unter Umständen das Notwendige zu tun, als irgendein Wohlfahrtsverband? Dabei haben wir, um dass noch einmal klipp und klar zu betonen, von jeher den Standpunkt vertreten - bei § 5 der Fürsorgepflichtverordnung hat man den gleichen Standpunkt vertreten -, daß die Gemeinden den privaten Wohlfahrtsverbänden helfen sollen, daß sie ihnen beispringen sollen, daß sie ihnen die Möglichkeit geben sollen, ihre Aufgaben zu erfüllen, wo diese Aufgaben sinnvoll erfüllt werden können.
Sie wollen aber doch, daß die Gemeinden unter allen Umständen den Wohlfahrtsverbänden, wenn sie mit irgendeiner Forderung an sie herantreten, wenn irgendeine Aufgabe angeblich von ihnen erfüllt werden kann - angeblich! -, das Geld und die Unterstützung geben!
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- Natürlich angemessen! Aber das bedeutet doch - das steht doch in § 86 -, daß die Gemeinde keine Aufgabe erfüllen kann, keine neue Einrichtung schaffen oder keine Einrichtung weiter betreiben kann, wenn eine freie Wohlfahrtsorganisation entweder eine solche Einrichtung hat oder die Absicht hat, eine solche Einrichtung zu betreiben. Das heißt doch auf 'deutsch: Sie entmachten die Gemeinden, Sie nehmen der Gemeinde jede Möglichkeit der Initiative. Sie haben die Gemeinde damit doch in einen Zustand versetzt, wo sie allenfalls noch Geld geben kann, im übrigen aber 'nichts zu sagen hat. Zwar steht im Gesetz, daß alles unter der Verantwortung der Gemeinde steht. Aber zugleich steht in der Begründung, daß die Gemeinde keine Kontrolle hat. Nicht einmal eine Kontrolle durch die Gemeinden soll bestehen!
Nun will ich die Dinge auch einmal vom Standpunkt der freien Wohlfahrtspflege aus betrachten. Sie wissen, daß es hier Fragen gibt, die heute in unserem Staat ausgekämpft werden. Denken Sie zum Beispiel an die Frage, ob man an Missionen von Staats wegen Mittel für die Entwicklungshilfe
geben soll. Sie wissen, daß sich die evangelische Mission mit Händen und Füßen dagegen wehrt, solche Mittel anzunehmen.
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Die katholischen Missionen stehen in diesen Fragen anders. Sie sehen also, daß es innerhalb der christlichen Kirchen sehr verschiedene Auffassungen gibt. Ich glaube, daß die Meinung der evangelischen Mission, staatliche Mittel nicht anzunehmen, sehr gute Begründungen hat und daß die Mission sehr wohl weiß, wie sehr sie in eine Abhängigkeit hineingeraten kann, die der Kirche und kirchlichen Organisationen nicht gut tut.
Seither war es so, daß die zivilen Gemeinden in freiem Einvernehmen, in freier Partnerschaft den privaten Wohlfahrtsorganisationen Gelder gegeben haben. Man hat sich verständigt, und es bestand die Möglichkeit, die Probleme in einer legeren Weise zu regeln. Wenn es so kommt, daß die freien Wohlfahrtsorganisationen praktisch Ansprüche gegenüber den Gemeinden haben, dann ist das nicht nur für die Gemeinden eine schlechte Sache, sondern dann geraten die Organisationen allmählich auch in eine Situation, die für sie selbst sehr gefährlich sein könnte.
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Meine Damen und Herren, Sie werden mir nicht absprechen können, daß ich gerade in der Frage der Liebestätigkeit, in der Frage der Wohlfahrtstätigkeit der christlichen Kirchen einigermaßen Bescheid weiß. Was ist denn das Große bei der christlichen Liebestätigkeit gewesen? Daß man diese Tätigkeit aus eigenen Kräften entfaltet hat! Daß sich die Verhältnisse geändert haben, daß heute auch von mancher Seite geholfen werden muß, will ich gar nicht bestreiten. Aber die Frage ist doch: Auf welcher Basis geschieht das? Geschieht das auf der Basis, wie sie seither gesetzliche Regelung war, oder geschieht das auf der Basis eines Dogmas, wie Sie es in das Gesetz einführen wollen?
Es ist doch interessant, daß das Subsidiaritätsprinzip wie folgt definiert worden ist - Sie können es etwa in Herders Lexikon nachlesen -: Die Gesellschaft läßt ihren Gliedern alles das zur selbstverantwortlichen Erledigung, wozu diese aus eigener Kraft imstande sind. Sie wollen doch allmählich die freien Wohlfahrtsverbände zu Geldempfängern erniedrigen, die gar nicht mehr aus eigener Kraft ihre Aufgaben erfüllen können. Das Vertrauen zur eigenen Kraft, der Wille auch zum eigenen Opfer, zum christlichen Opfer wird doch durch diese Maßnahmen ungeheuer geschwächt.
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Es ist ja kein Zufall, daß die evangelischen Missionen sich dagegen wehren, vom Staat subventioniert zu werden. Sie wissen ganz genau, daß hier eine Gefahr liegt. In diese Gefahr bringen Sie nicht nur unsere ganze staatliche Ordnung, in diese Gefahr bringen Sie doch gerade auch unsere freien Verbände. Diese freien Verbände sind in unserer Gesellschaftsordnung notwendig. Es ist notwendig, daß diese freien Verbände Wirkungsmöglichkeiten
haben, und wir wollen dafür eintreten, daß sie sie haben.
Ich kann Ihnen aus Erfahrung sagen - ich bin ja schließlich auch einmal jahrelang Oberbürgermeister gewesen -, in welch großzügiger Weise das geschieht. Aber das geschieht eben auf der Grundlage der Freiwilligkeit, und die freien Verbände kommen nicht in die Gefahr, in die Sie sie mit diesem Gesetzentwurf bringen. Ich glaube, jeder Kommunalpolitiker - auch .diejenigen, die hier unter Ihnen sitzen - wird mir im Grunde seines Herzens recht geben, auch wenn er nachher anders stimmt.
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Ich sagte eben, daß ich über diese Dinge auf Grund kommunalpolitischer Erfahrung sprechen kann. Ich habe jetzt aber auch gerade noch einmal mit den führenden Männern der Inneren Mission in Hessen über diese Fragen gesprochen. Diese haben mir genau das bestätigt, was die Regierung in ihrer Begründung sagt: daß zwischen dem Staat, den Gemeinden und den Verbänden der Inneren Mission ein ausgezeichnetes Verhältnis besteht, daß es auf der staatlichen Ebene überhaupt keine Schwierigkeiten gibt, sondern daß man sich da in ausgezeichneter Weise ergänzt und daß da, wo in den Gemeinden einmal Meinungsverschiedenheiten auftreten, diese Meinungsverschiedenheiten immer im Wege der freien Partnerschaft bereinigt werden.
Sie haben ja in Ihrem katholischen Naturrecht auch einen anderen Begriff, ,den Begriff der Solidarität, einen Begriff, der viel mehr dem Gedanken der freien Partnerschaft anzugleichen wäre. Es ist richtig, daß man die Gemeinden und die freien Wohlfahrtsverbände wie in der Vergangenheit zueinander in einem Verhältnis der freien Partnerschaft beläßt, in einem Verhältnis des Vertrauens, das gewiß manchmal auch erarbeitet werden muß - das will ich gar nicht bestreiten -, das aber erarbeitet werden kann.
Wenn wir das tun, was Sie hier jetzt vorhaben, wenn wir die Gemeinden zwingen, ihr Geld, ohne daß sie eine Kontrollmöglichkeit haben, da hinzugeben, wo Aufgaben, die die Gemeinden erfüllen müßten, von anderen erfüllt werden, schwächen wir nicht nur die kommunale Selbstverwaltung -ich will über die verfassungspolitische Seite der Angelegenheit hier nicht reden; dazu ist schon einiges gesagt worden, und dazu wäre noch sehr viel zu sagen; vielleicht wird das Verfassungsgericht noch einmal etwas dazu sagen -, sondern bringen auch die freien Wohlfahrtsverbände selbst in eine Lage, in die sie nicht gebracht werden dürfen.
Meine Damen und Herren, seien wir doch einmal ganz ehrlich! Im Grunde genommen geht es ja gar nicht so sehr um das Subsidiaritätsprinzip. Im Grunde genommen geht es doch darum, daß gewisse Verbände das gerne möchten, was sie dem Staat und den Gemeinden vorwerfen: sie möchten möglichst viel Macht bekommen und von dieser Macht möglichst viel Gebrauch machen.
({14})
Das ist doch der tiefere Grund.
({15})
- Sie können „Pfui" oder etwas anderes sagen; das ändert nichts an den Tatsachen, und wir sprechen ja hier von Tatsachen. Tatsache ist, daß Sie dem Staat, daß Sie den Gemeinden gegenüber ein Mißtrauen an den Tag legen, das jedenfalls in einem demokratischen Staat nicht berechtigt ist.
Sie kommen mit Erfahrungen eines totalitären Staates und vergessen völlig,. daß zwischen totalitärem Staat und demokratischem Staat und erst recht zwischen einem totalitärem Staat und einer demokratischen Gemeinde mit einer ausgeprägten Selbstverwaltung ein ganz großer Unterschied besteht, daß da eine Kluft vorhanden ist, die gar nicht überbrückt werden kann. Sie tun aber so, als wäre Staat gleich Staat. Das ist schon Ihr Fehler im Grundansatz. Da Sie dieses Mißtrauen haben und da Sie gern möchten, daß hier Machtpositionen, die in unserem demokratischen Staat bestehen, weggenommen werden, bleibt gar kein anderer Schluß übrig, als daß gewisse Kreise selbst Machtpositionen erwerben wollen.
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Meine Damen und Herren, Sie reden so viel von den Menschen, Sie reden so viel von den Hilfsbedürftigen. Sie bejahen den pluralistischen Staat. Wie ist es denn, wenn in einer Gemeinde irgendeine Einrichtung geschaffen werden soll und ein konfessioneller Verband da ist, der sagt: Wir können das machen, wir nehmen das in die Hand? Wenn es sonst keine Möglichkeiten gibt, was geschieht dann mit den Menschen, die weder evangelisch noch katholisch sind oder die vielleicht evangelisch sind, wo es nur eine katholische Einrichtung gibt und umgekehrt?
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- Wie, diese Hilfsbedürftigen? Sie machen ja einen Witz! Diese Hilfsbedürftigen sollen sich zusammenschließen, sollen soviel Geld aufbringen? - Nein, hier geht es doch darum, daß gerade die Gemeinde, die unserer pluralistischen Gesellschaft Rechnung trägt, in der alle Kreise vertreten sind und in der die einen die anderen nicht nur dulden, sondern wirklich auch tragen sollen, daß diese pluralistische Gemeinde in einer pluralistischen Gesellschaft die Möglichkeit schafft, daß jedem sein Recht wird.
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Was Sie tun, ist praktisch die Verminderung des Rechtes eines gewissen Bevölkerungsteils.
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Meine Damen und Herren, wenn man sich in seiner Auffassung eindeutig zum Christentum bekennt - und gerade dann -, muß man die Freiheit und die Möglichkeit haben - ja, dann ist man geradezu gezwungen -, auch den anderen ihr Recht zu lassen. Wie kommen wir dazu, auf diesem Wege andere praktisch zu vergewaltigen? Darauf läuft es doch hinaus.
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Da können Sie nein sagen, soviel Sie wollen. Hören Sie einmal die Stimmen in den Gemeinden! Hören Sie auch die Leute aus der CDU, die Kommunalpolitiker sind, was die Ihnen sagen! Sie werden es Ihnen vielleicht nicht ins Gesicht sagen, Herr Wuermeling, aber sie sagen es uns!
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Ich glaube, daß wir auf dem Wege sind, ein Ordnungsbild, ein Gesellschaftsbild zu verwirklichen, dessen Anwendung ein Zurückdrehen des Rades der Geschichte bedeutet. Es wird Ihnen genauso ergehen wie bei dem Kindergeldgesetz. In der heutigen Zeit kann man ,gewisse Dinge nicht machen; sie können nicht funktionieren. Wenn Sie dieses Gesetz Wirklichkeit werden lassen, dann sollen Sie einmal sehen, was in den Gemeinden, in denen bisher Friede und Eintracht geherrscht hat, in denen die einen den anderen geholfen haben, in denen es wirkliche Partnerschaft gab, auf einmal Gegensätze auftauchen, die Sie dann verschuldet haben. Darüber müssen Sie sich im klaren sein. Wenn man aus einer wirklichen Verantwortung heraus an die Dinge herangeht, muß man sie sich, glaube ich, ein bißchen gründlicher überlegen. Dann darf man nicht einfach mit einem Prinzip kommen, das man maßgerecht anlegt, nach dem dann alles, was ihm nicht entspricht, beseitigt wird, so wie Sie das dadurch tun, daß Sie einfach den § 5 der Fürsorgepflichtverordung radikal ändern. Denn es ist ja ohne Zweifel eine radikale Änderung, wenn Sie aus einer Partnerschaft etwas machen, das genau das Gegenteil ist, nämlich einen Machtanspruch schaffen, der sich in einem demokratischen Staat und in einer pluralistischen Gesellschaft nur zum Unsegen auswirken kann.
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Meine Damen und Herren, wird zum § 10 weiterhin das Wort gewünscht?
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§§ 10 und 86, wie mit Recht bemerkt wird. Herr von Mühlen, bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst eines bemerken. Wir gehen im Plenum den umgekehrten Weg wie im Ausschuß. Im Ausschuß sind wir erst ganz zum Schluß zur Grundsatzdebatte gekommen; deshalb sind auch die verfassungsrechtlichen Bedenken, die heute hier vorgebracht worden sind und über die wir, glaube ich, nicht hinweggehen können, so spät aufgetaucht.
Zu den Erklärungen des Herrn Kollegen von Bodelschwingh möchte ich folgendes sagen. Auch wir sind natürlich für die Pflege der Gedanken des Humanismus des Idealismus, des Glaubens, des Liebens und des Hoffens aber wir sind der Ansicht, daß der Staat dabei zwar helfen soll, aber daß er
nicht helfen muß. Wenn Sie diesem Grundsatz nicht zustimmen, ist das ganze Subsidiaritätsprinzip, wie Sie es hier vertreten, in sich umgekehrt und eben kein Subsidiaritätsprinzip mehr. Darüber kommen wir nicht hinweg, ob wir sozial-ethische Gesichtspunkte hineinbauen oder nicht. Im realen Raum wird diese Tatsache bestehenbleiben.
Meine Damen und Herren! Seien wir uns darüber klar: wir stehen vor der Aufgabe, ein Gesetz zu verabschieden, das die Bevölkerung als Ganzes betrifft, das nicht nur dieser oder jener Berufsgruppe, diesem oder jenem Bevölkerungsteil irgendwelche Vorteile sichern oder deren Interessen gewährleisten soll, sondern ein Sozialhilfegesetz, das im wahrsten Sinne des Wortes ein Volksgesetz darstellt.
Damit sind wir bereits bei einem Punkt, den wir auch im Zusammenhang mit den §§ 10 und 86 berücksichtigen müssen, und sind schon bei einem grundsätzlichen Thema angelangt. Es sollte nichts unversucht bleiben, um gerade diesem Gesetz, das in fleißiger Ausschußarbeit von der Vertretern aller Fraktionen durchberaten worden ist, eine möglichst breite Mehrheit zu sichern und es nicht auf einen sehr, sehr dünnen Boden zu stellen, wie er bis jetzt nur gegeben ist,
Die strittigen Grundsatzparagraphen 10 und 86, sind im Ausschuß, wie Frau Kollegin Niggemeyer in ihrem Bericht bemerkt, mit „Mehrheit" angenommen worden. Es ist aber eine sehr dünne Mehrheit, es ist eine Gerade-noch-Mehrheit, eine Mehrheit von 11 zu 10 Stimmen gewesen. Ich glaube, wir sollten für ein Gesetz dieser Art darüber hinauskommen.
Wie ist diese knappe Mehrheit zu erklären, zumal doch die Freie Demokratische Partei und auch die Sozialdemokratische Partei von Anfang an die Notwendigkeit anerkannnt haben, „das geltende Leistungsrecht der öffentlichen Fürsorge an die Entwicklung der allgemeinen sozialen Verhältnisse anzupassen sowie der besonderen Lage im Fürsorgewesen gerecht zu werden", wie es in dem Bericht von Frau Kollegin Niggemeyer heißt! Entsprechend dieser Grundhaltung von Regierungspartei und Oppositionsparteien sind im federführenden Ausschuß für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge fast alle Beschlüsse zu den einzelnen Sachfragen, in denen es galt, in klarer Sachentscheidung das bisherige Sozialhilferecht an die Erfordernisse der Gegenwart anzupassen, einstimmig gefaßt worden.
Wir Freien Demokraten haben manche sozialpolitischen Bedenken bei Einzelfragen zurückgestellt in der Annahme, daß dann auf seiten der Regierungsfraktion in den Grundsatzfragen eine Haltung eingenommen wird, die dem Geiste der Zusammenarbeit entspricht, mit dem dieses Sozialhilfegesetz hinsichtlich der Einzelprobleme von Anfang an von den drei Fraktionen in Angriff genommen und durchberaten worden ist.
Wo und weshalb schieden sich aber die Geister, und zwar so nachhaltig, daß trotz der erfreulichen Übereinstimmung in einzelnen Sachgebieten heute keine Chance dafür besteht, daß das Gesetz im ganzen mit einer breiten Mehrheit beschlossen wird, sondern zu der Gerade-noch-Mehrheit der Regierungspartei verurteilt bleibt, wenn nicht hinsichtlich dieser strittigen Grundsatzfragen ein vernünftiger, in der Sache zwingend verankerter Ausgleich der Auffassungen zustande kommt? Die §§ 10 und 86 der Regierungsvorlage, an denen sich die Fronten bilden, bestimmen, wie Kollege von Bodelschwingh schon gesagt hat, das Verhältnis der öffentlichen zur freien Fürsorge und Wohlfahrtspflege vom Grundsätzlichen her.
Damit sind wir bei dem zweiten Punkt, in dem ich dem Kollegen Metzger zustimme. Es mag zwar notwendig gewesen kein, das bisherige Sozialfürsorgerecht hinsichtlich zahlreicher Einzelregungen der heutigen Zeit anzupassen; ist es aber deshalb auch notwendig gewesen, die in rund vier Jahrzehnten bewährten Grundsätze der Sozialfürsorge über Bord zu werfen? In § 5 der seit 1924 geltenden Reichsversorgepflichtvierordnung ist das Verhält der öffentlichen zur freien Wohlfahrtspflege sehr durchdacht und sorgsam geregelt worden. Soweit sich die Kollegen mit der Materie befassen, ist ihnen diese Verordnung bekannt, und ich brauche hier nicht die einzelnen Paragraphen zu zitieren. Diese Regelung - und das gilt es festzuhalten - weist ganz offensichtlich der öffentlichen Verwaltung eine besondere Stellung zu. Die gesamten Vorschriften umschließen aber eine so große Verpflichtung zur Toleranz seitens der Träger der öffentlichen Fürsorge und Wohlfahrtspflege, daß es in den vergangenen vier Jahrzehnten seit der Gültigkeit der Reichsfürsorgepflichtverordnung zu keinen nennenswerten Schwierigkeiten gekommen ist.
Der vorliegende Entwurf des Bundessozialhilfegesetzes läuft demgegenüber aber ganz offensichtlich darauf hinaus, diese Partnerschaft von Grund auf zu verändern. Er beinhaltet in dem Wechsel-und Zusammenwirken der §§ 10 und 86 - ganz abgesehen von den verfassungsrechtlichen Fragen, die idarin beschlossen liegen - eine Schwächung der Position der Träger der öffentlichen Fürsorge und Wohlfahrtspflege zugunsten der Verbände, der freien Wohlfahrtspflege, der Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie Träger eigener sozialer Aufgaben sind.
Ich möchte hier ,darauf hinweisen, daß diese Tendenz in dem Referentenentwurf noch nicht zum Ausdruck gekommen ist. Auf dem Weg von dort bis zur Regierungsvorlage hat sich dieser Wandel in der grundsätzlichen Haltung vollzogen. Vielleicht kommen wir im Laufe der Debatte noch darauf zu sprechen, welche Einwirkungen für diesen Wandel maßgebend und tonangebend gewesen sein mögen. Im Augenblick möchte ich diese Frage noch nicht weiter vertiefen.
Die Preisgabe der bisherigen grundsätzlichen Bestimmungen der Sozialfürsorge kann keinesfalls damit begründet werden, daß die Träger der öffentlichen Fürsorge in den vergangenen vier Jahrzehnten ihre im § 5 der Reichsfürsorgepflichtverordnung gesetzliche fundierte Vorrangstellung mißbraucht oder zuungunsten 'der freien Wohlfahrtsverbände,
der Kirchen und Religionsgemeinschaften ausgenützt hätten.
({0})
Sie können Erkundigungen einholen, wo Sie wollen, bei allen Stellen beim Bund, in den Ländern und bei den Kommunen. Es wird sich überall bestätigen, daß bei allen Aufgaben und Einrichtungen sozialer Art, die seit 1945 in Angriff genommen worden sind, zuerst die Kirchen, .die Religionsgemeinschaften und freien Wohlfahrtsverbände gehört und gefragt worden sind, ob sie nicht die anstehenden Aufgaben übernehmen und ,die notwendigen Einrichtungen neu erstellen können. Wenn im Einzelfall trotzdem die Kommunen selbst Aufgaben übernommen haben oder die Einrichtungen errichten mußten, so nur deshalb, weil die finanziellen oder personellen Möglichkeiten der Wohlfahrtsverbände, der Kirchen oder der Religionsgemeinschaften eben nicht ausreichend gewesen sind.
Durch die Bestimmungen, die in den §§ 10 und 86 des vorliegenden Entwurfs eines Bundessozialhilfegesetzes enthalten sind, wird ein Weg eröffnet, der letzten Endes dazu führen kann, daß der Bund, die Länder und die Kommunen praktisch nur noch Zahlmeister sind, die bei der Erfüllung ,der Aufgaben der sozialen Fürsorge wenig, am besten gar nichts mehr zu bestimmen haben.
({1})
Das bedeutet: nichts mehr von der Partnerschaft, von der hier immer wieder die Rede ist, und es hat auch nichts mit der freien Gesellschaft zu tun, die Herr Kollege Barzel in seinen verfassungsrechtlichen Begründungen hier glaubte anführen zu müssen. Es bedeutet zudem auf .der einen Seite nicht nur eine nicht zu vertretende Entmündigung der Gemeinden als Träger der sozialen Fürsorge; auch die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, die Kirchen und Religionsgemeinschaften sollten ihrerseits die Gefahr nicht übersehen, die in einer allzu starken Abhängigkeit vom Staat bzw. den Kommunen hinsichtlich ihrer Selbständigkeit erwachsen kann. Und nebenbei, meine Damen und Herren: eine absolute Mehrheit der CDU/CSU kann ja in diesem Gesetz nicht kodifiziert werden.
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Ich habe eingangs auf die Sorgfalt hingewiesen, mit der einst die Väter der Reichsfürsorgepflichtverordnung zu Werke gegangen sind. Wir sollten dem nicht nachstehen und nicht an dem Urteil von Männern und Persönlichkeiten vorübergehen, die sich im deutschen Fürsorgewesen höchsten Ruf erworben haben und deren Arbeit sich durch Jahrzehnte bewährt hat. Lassen Sie mich hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zu der Frage ,der Bedeutung und Beziehung der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege eine Stellungnahme des weit über unsere Grenzen hinaus bekannten Sozial-und Fürsorgepolitikers Professor Polligkeit zitieren. Ich glaube, er hat einige sehr wichtige Dinge zu sagen, gerade im Hinblick auf das, was von seiten der CDU zu diesem Problem vorgebracht wird.
Die Fürsorge,
- so heißt es dort -die von kirchlichen Gemeinschaften oder von Vereinigungen betrieben wird, die ein bestimmtes Bekenntnis oder eine bestimmte Weltanschauung vertreten, wird stets mit dem Ziel einer Lebendigmachung der Kräfte geschehen, die diesem religiösen Bekenntnis oder der bestimmten Weltanschauung immanent sind. Für diese Kreise ist die Gestaltung der Persönlichkeit des Bedürftigen im Sinne ihrer geistigen, religiösen und weltanschaulichen Ziele die Dominante der Triebkräfte. Darum werden sie alle Fürsorgearbeit, die Erziehungsziele verfolgt, namentlich also die Arbeit an der Jugend, für nicht ausreichend ansehen, wenn sie nicht das ihnen eigene religiöse oder weltanschauliche Ziel verfolgt.
Ich unterbreche das Zitat und mache eine Anmerkung dazu. Dem Herrn Professor Polligkeit kann eine gewisse Vorausschau nicht abgesprochen werden. Er hat offenbar schon 1928 an das Bundesjugendwohlfahrtsgesetz von Herrn Minister Wuermeling gedacht.
({3})
Ich fahre im Zitat fort:
Die öffentliche Fürsorge dagegen wird, soweit sie vom Staat oder von der Gemeinde betrieben wird, ihrer Natur nach auf Angehörige aller Bekenntnisse und Anschauungen eingerichtet sein. Notwendigerweise müssen deshalb ihre Einrichtungen, da sie allen Richtungen gleichmäßig dienen sollen, paritätischen Charakter tragen und sich einer bestimmten Beeinflussung enthalten.
Ich glaube, wir haben hier einen Experten gehört.
Wenn ich noch ein weiteres kurzes Zitat mit Genehmigung des Herrn Präsidenten hinzufügen darf, so möchte sich auf eine Stellungnahme von Herrn Professor Muthesius auf dem Internationalen Gemeindekongreß 1959 in Berlin, zur Frage .der Abgrenzung bzw. zur Feststellung der Zuständigkeit der Gemeinden verweisen:
Die Gemeinden sind die geborenen Sozialplaner: Sie achten die freien Kräfte der Gesellung in ihrem Bereich; ihnen bleibt aber die Verpflichtung, die örtliche Rangordnung der sozialen Aufgaben aufzustellen, zu begründen und mit den Beteiligten zu koordinieren.
Meine Damen und Herren, wenn ich das lese und bedenke so frage ich mich: weshalb das Bemühen vieler unserer Zeitgenossen, klug sein zu wollen, wenn sachkundige Leute vor ihnen schon klüger gewesen sind?
({4})
Es ist gar kein Zweifel - meine Vorredner haben eingehend darüber gesprochen -, daß der Verdacht im Raume steht, mit diesen beiden Paragraphen sollen, ich möchte sagen, sozialethische Begriffe einseitig in dem Sozialfürsorgewesen verankert werFreiherr von Mühlen
den. Ich glaube, wir begeben uns da auf einen sehr gefährlichen Weg. Ich weiß, meine Kollegen von der CDU, Sie stehen auf dem Standpunkt, daß eine Auslegung, daß - nennen wir es ruhig einmal - eine Konfessionalisierung durch die Hintertür also durch die Tür des Sozialhilfegesetzes erfolgen könnte, nicht in den beiden strittigen Paragraphen enthalten sei und nicht aus ihnen herausgelesen werden könne. Wir hörten. im Ausschuß von einem Experten: „Auf Grund dieses Gesetzes kann eine solche Auslegung ausgeschlossen werden; ich gebe aber zu, daß dieses Gesetz auch andere Auslegungsmöglichkeiten zuläßt." Ein Raum des Zweifels bleibt also. Ein Raum des Zweifels, der auch nicht durch die These der Subsidiarität beseitigt wird.
Was besagt eigentlich dieses Prinzip der Subsidiarität, jetzt einmal fernab von allem Weltanschaulichen? Es heißt: Hilfe zur Selbsthilfe. Was der einzelne Mensch aus eigener Initiative leisten kann, soll ihm nicht von der Gemeinschaft abgenommen werden. Aufgaben, die sachgemäß von untergeordneten Gemeinschaften erledigt werden können, soll der Staat nicht an sich ziehen. Deshalb ist es allein eine Sachfrage, welche Aufgaben der größeren Gemeinschaft übertragen werden müssen und welche nicht.
Wir müssen uns deshalb fragen, ob es zweckmäßig, ja ob es rechtlich einwandfrei ist, den Kommunen durch einen Federstrich jede erweiterte oder weitere Möglichkeit zur Sozialhilfe zu entziehen. Es erscheint bedenklich, was hier zuweilen in der Praxis geschieht. Oft geht es doch hauptsächlich darum, einen möglichst großen finanziellen Zuschuß
- der ja aus Steuermitteln kommt - bestimmten Verbänden zuzuwenden. Die freien Wohlfahrtsverbände über nehmen dann alle Aufgaben, obwohl sie sich dabei leicht über nehmen. Der Staat finanziert dann diese sogenannte Selbsthilfe, die keine Selbsthilfe mehr ist.
({5})
- Wenn Sie das Geld kriegen, tun sie es. - Der einzelne Bürger hat heute von vornherein einen Anspruch auf Sozialhilfe nicht irgendeines Vereins, sondern der Rechtsgemeinschaft, der er angehört,
({6})
und es ist deshalb völlig unvertretbar, ihm zu sagen,
der Staat dürfe ihm nicht helfen, wenn private Verbände ihre Hilfe auch nur in Aussicht gestellt haben.
({7}) Das aber sagt der § 86.
Über diese Verleugnung der Partnerschaft helfen alle Auslegungskunststücke nicht hinweg. § 86 beinhaltet damit auch nicht das, was man als Prinzip der Subsidiarität ansprechen kann.
({8})
Es ist erforderlich, diesen Paragraphen dahin zu ändern, daß die Träger der Sozialhilfe nicht grundsätzlich angewiesen werden, die Erstellung eigener Einrichtungen zu unterlassen, soweit geeignete Einrichtungen anderer Träger, vor allem der freien Wohlfahrtspflege, der Kirchen und Religionsgemeinschaften, ausgebaut oder geschaffen werden können. Die Entscheidung darüber, wer eine Einrichtung neu schaffen kann oder soll, kann und darf nicht mit Auschließlichkeitscharakter zuungunsten der Träger der öffentlichen Sozialhilfe gesetzlich geregelt werden. Die Anträge der Freien Demokratischen Partei und auch der Sozialdemokratischen Partei zielen auf eine entsprechende Änderung.
Ich glaube, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, es ist nicht unbillig, Sie zum nochmaligen Überdenken Ihres bisherigen Standpunkts anzuregen. Das Problem ist nun einmal gestellt, und wenn wir diese Frage aufgreifen, so tun wir es nicht, um Sie zu ärgern, sondern weil die Frage der Konfessionalisierung so oder so eben im Raum steht.
({9})
- Gehen Sie einmal hinaus ins Land! Es ist tatsächlich so. Sie ertragen ja nicht einmal, daß einer Ihnen diese Dinge sagt.
({10})
- Das ist gar nicht so, mein Lieber! Ich komme aus einer alten protestantischen Familie. In meiner Familie sind zwei Geistliche. Ich weiß, wie dieses Problem hier rumort und daß mancher hier, ich möchte mal sagen, mit geschlossener Hand in der Tasche dieser Entwicklung zusieht.
({11})
Aber, meine Herren, ich habe gesagt, daß ich diese Dinge nicht anschneide, um Sie zu ärgern. Es ist doch eine Frage, über die wir in Gottes Namen hinwegkommen müssen und über die gerade Sie in Ihrer Partei, die den konfessionellen Spannungsbogen ja sehr viel mehr im eigenen Hause hat als wir von den Freien Demokraten oder die Sozialdemokratische Partei, einmal nüchtern und vernünftig diskutieren sollten, gerade dann, wenn Sie keinen Dreck am Stecken haben. Also Partnerschaft und nicht Vorrangstellung, - das ist doch die Frage, die hier im Raum steht und geregelt werden muß. Ich glaube, daß der § 86 in Verbindung mit § 10 sehr wohl dazu angetan ist, daß wir hier noch einmal sorgsam und unvoreingenommen diskutieren, bevor wir über dieses Gesetz abstimmen.
Ich möchte Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, zum Schluß, jedenfalls für heute, noch eines sagen. Sie erwarten immer eine Loyalität der Opposition. Wir sind zu der Loyalität bereit. Aber Sie machen es einem so schwer, oft so unendlich schwer, ja oft unmöglich, loyal zu sein. Ich glaube, wenn wir diese Frage jetzt einmal im Sinne einer Loyalität durchdiskutieren und nicht unterstellen, daß der eine dem anderen irgendwie nur am Zeuge flicken will, sondern mit dem Ziel, zu einer klaren Entscheidung in einer sachlichen Angelegenheit zu kommen, müßte es doch sehr merkwürdig zugehen, wenn wir dieses Gesetz nicht in Übereinstimmung auch hinsichtlich dieser beiden strittigen Paragraphen durch dieses Hohe Haus bringen können, ohne nachher den
Druck im Kreuz zu haben, auch in dieser Sache wieder das Bundesverfassungsgericht angerufen zu sehen.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Maucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die beiden Vorredner Gelegenheit genommen hätten, im Ausschuß mitzuberaten und das zu sagen, was sie jetzt hier gesagt haben, hätten wir viel Zeit gespart.
({0})
- Ich war in der ersten Lesung dabei. Daß ich in Berlin nicht ,dabei sein konnte, wissen Sie.
({1})
In Berlin konnte ich nicht dabei sein; das wissen Sie selbst. Aber bei der ersten Beratung dieses Punktes war ich anwesend; deshalb kein Grund zu einer Einwendung.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich sage das bewußt, weil bei dieser Diskussion der Eindruck erweckt wird, als ob mit dieser Formulierung der §§ 10 und 86 die ganze Gemeindeordnung, die freiheitliche Verfassung zusammenfalle. In Wirklichkeit geht es hier um etwas anderes. Ich möchte das ganz klar und deutlich sagen. Wir haben im Ausschuß eingehend darüber gesprochen, daß es bei dieser Frage, Herr Kollege Metzger, nicht um einen Machtanspruch der freien Wohlfahrtsverbände geht.
({2})
Sie sprechen hier nur von den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Ich muß Ihnen deutlich sagen, daß zu den Wohlfahrtsverbänden auch die Arbeiterwohlfahrt und der Paritätische Wohlfahrtsverband gehören.
({3})
- Wer spricht denn eigentlich davon?
Ich darf ganz klar davon Kenntnis geben, daß die beiden Kirchen einheitlich dieser Auffassung sind und wünschen, daß diese Formulierung hineinkommt.
({4})
Man darf doch die Dinge nicht auf den Kopf stellen.
({5})
- Nein, Sie stellen es so dar, als ob es sich dabei um ein Dogma oder um eine sozialethische Frage handele. Uns geht es hier um das Ordnungsbild des freiheitlichen Menschen.
({6})
Wir wollen das, was nicht unbedingt vom Staat erledigt werden muß, was der Mensch in eigener Verantwortung zu übernehmen bereit ist, ihm freudig überlassen.
Meine verehrten Anwesenden, es ist immer wieder ganz besonders betont worden, damit werde die Selbstverwaltung der Gemeinden eingeschränkt. Dazu muß ich als Gemeinderat einer Stadt Ihnen sagen, daß ich diesen Eindruck keineswegs habe, im Gegenteil. Es steht doch ganz klar und deutlich in § 86 - lesen Sie doch diese Vorschrift! -:
Die Träger der Sozialhilfe sollen darauf hinwirken, daß die zur Gewährung der Sozialhilfe geeigneten Einrichtungen ausreichend zur Verfügung stehen. Sie sollen eigene Einrichtungen nicht neu schaffen, soweit geeignete Einrichtungen anderer Träger, vor allem der freien Wohlfahrtspflege, vorhanden sind, ausgebaut oder geschaffen werden können.
({7})
Es heißt also nicht „müssen". - Warum diese Aufregung? Ich war immer der Meinung, daß die Sozialdemokratie dann, wenn es um soziale Probleme geht, wenn es darum geht, den Menschen in Not zu helfen, dabei ist. Hier kommt es vor allem darauf an, daß wir im Mittelpunkt unserer Überlegungen zu dieser Frage den Menschen sehen, dem wir helfen wollen. Ich möchte deutlich darauf aufmerksam machen, daß es hier heißt „können". Der Gemeinderat muß darüber entscheiden, ob er die finanziellen Mittel, die gebraucht werden, zur Verfügung stellt oder nicht. Es ist also nirgendwo eine absolute Verpflichtung niedergelegt, wie Sie es darstellen. Ich als Gemeinderat freue mich, wenn ein Wohlfahrtsverband kommt und sagt: Wir sind bereit, diese oder jene Einrichtung zu erstellen.
({8})
Ein anderes Beispiel. Wir haben gemeinsam noch nie daran gedacht, etwa den evangelischen oder den katholischen Kindergarten selbst zu übernehmen. Wir haben uns aber vom Gemeinderat freiwillig bereit erklärt, einen größeren Zuschuß zu geben,
({9})
weil das für die Gemeinde trotz Zuschuß wesentlich billiger ist
({10})
und weil wir dadurch die Gewähr haben, daß die Menschen Einrichtungen ihres Vertrauens in Anspruch nehmen können. Darum geht es doch.
({11})
Sie, Herr Kollege Metzger, haben darauf hingewiesen, daß es ja auch Menschen bei uns gibt, die weder evangelisch noch katholisch sind. Wenn Sie die Verhältnisse einmal genau untersuchen, werden Sie feststellen, daß niemand daran denkt, irgendeinen Kranken oder Hilfesuchenden zurückzuweisen,
wenn er bei einer Organisation der Wohlfahrtsverbände vorspricht.
Es ist eigenlich bedauerlich, daß man dieses Mißtrauen gegenüber den Wohlfahrtsverbänden hier zum Ausdruck bringt. Ich glaube, wir haben. allen Grund, gerade diesen Verbänden für ihre großen sozialen Leistungen auf den verschiedensten Gebieten heute und an dieser Stelle einen herzlichen Dank zu sagen.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. - Zurufe von der SPD. - Abg. Metzger: Unterstellen Sie doch nichts! Das wissen wir so
gut wie Sie! - Abg. Schmitt-Vockenhausen: Das ist doch eine ({12})
Meine Damen und Herren, ich darf Sie doch bitten, die Aussprache etwas ruhiger zu führen.
Das Wort „demagogische Unterstellung" wird von Ihnen dann gebraucht, wenn man Ihnen etwas sagt, was Ihnen nicht paßt.
({0})
- Ich glaube nicht, daß ich etwa hier nicht die Wahrheit sage. Das, was ich hier sage, sage ich wirklich aus innerer Überzeugung und aus dem praktischen Erleben der Dinge, nicht nur als ein Lippenbekenntnis, denn mir ist die Lösung dieser sozialen Probleme wirklich ein ernstes inneres Anliegen.
Auch Ihnen, meine Damen und Herren von den Freien Demokraten, möchte ich sagen, daß Sie sich in dieser Frage - infolge Ihrer grundsätzlich durch den Liberalismus bestimmten Haltung - wirklich im Widerspruch befinden. Sie sind es ja gerade, die immer und immer wieder fordern: weniger Staat, mehr persönliche Einzelinitiative. Und hier wollen Sie genau das Umgekehrte! Warum denn? Ich frage mich: warum denn diese Auseinandersetzung?
Ich glaube, wir können feststellen, daß wir in dieser Frage wirklich den Wohlfahrtsverbänden vertrauen können, daß sie eine wesentliche Stütze darstellen. Ich möchte deutlich klarstellen, daß im Gesetz im Grunde der Sozialhilfeträger der Erstverantwortliche ist, der die Entscheidungen trifft, wo und in welchem Fall soziale Hilfe geleistet wird. Wer soll denn irgendwelches Mißtrauen hegen, wenn doch die grundsätzliche Entscheidung dieser Kernfrage in erster Linie bei der kommunalen Verwaltung, bei den Sozialhilfeträgern liegt?
Aus diesem Grunde vermag ich, Herr Kollege Metzger, Ihren Ausführungen, die zum Teil philosophischer Art waren, absolut nicht zu folgen. Sie haben mich nicht überzeugt, es wäre Grund vorhanden, die §§ 10 und 86 in Ihrem Sinne zu gestalten.
Ich bitte also ,dringend, den Antrag der CDU-Fraktion anzunehmen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Nellen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich höre den Zuruf „Jetzt kommt die große Stunde der Subsidiarität" sehr gerne. Ich hoffe, es ist die Stunde einer distinkten Interpretation der Subsidiarität. Wir sind uns alle klar darüber, das jetzt schon so oft angezogene und sehr wichtige Prinzip der Subsidiarität ist von einem solch fundamentalen und so allgemeinen Charakter, daß wir alle wissen, daß es von der Sache her, von der Situation und ihren konkreten Aufgaben her überhaupt erst inhaltlich gefüllt werden muß.
Ich möchte aber an einem anderen Punkt ansetzen. Wenn eben „Sorge um den Menschen" gesagt wurde, dann muß ich es für die von mir vertretene Fraktion von vornherein abweisen, daß in den von uns gestellten Anträgen die Sorge um den Menschen in seiner echten personalen Würde kürzer käme als etwa in dem, was Sie wollen.
({0})
Das darf noch nicht einmal als Nebeneffekt, als Insinuation hier frei passieren.
Ich darf Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Majoritätspartei dieses Hauses, einmal folgenden Fall vorlegen: Welche Antwort würden Sie erwarten, wenn Sie etwa das Personal der von mir so hochgeschätzten freien Verbände und ihrer Einrichtungen, etwa eine ehrwürdige Diakonissin, eine katholische Klosterfrau, einen jahrzehntelang in der Arbeit stehenden Vertreter der Arbeiterwohlfahrt, fragten, ob es der sehr anmaßenden Meinung sei, daß die Sorge um den Menschen etwa in einer gut geleiteten kommunalen Einrichtung klein geschrieben werde?
({1})
- Lieber Herr Kollege Willeke, ich habe gar nichts unterstellt. Ich habe gefragt: Welche Antwort würden Sie von einer in diesem Dienst erprobten Diakonissin, von einer katholischen Ordensfrau, von einem Sozialarbeiter der Arbeiterwohlfahrt erwarten?
({2})
- Wenn Sie auch nur die Frage stellten, ob das Wohl des Menschen bei ihnen größer und bei den anderen kleiner geschrieben werde, - welche Antwort würden diese Menschen geben? Ich bin sicher, daß eine angemessene Demut, d. h. also auch wirklicher Realismus gerade diese Personen nicht dazu bringen könnte, auch nur im geringsten eine wohlgeleitete Kommunaleinrichtung mit diesem Verdacht zu belegen. Tun wir doch nicht so, als seien gut geleitete, subsidiär eingerichtete kommunale Einrich9036
tungen ein apersonaler Popanz, der grundsätzlich religiösen, sittlichen, charakterlichen Forderungen nicht genüge.
({3})
- Lieber Herr Kollege Horn, Sie sind ein zu erfahrener Parlamentarier, um nicht zu wissen, was hier alles zum Teil zwischen den Zeilen angedeutet und zum Teil auch klar ausgesprochen wurde.
({4})
Tun wir nicht so, als seien etwa die, ich sage bewußt: subsidiär notwendigen Einrichtungen - nachdem also die mitbürgerliche Aktivität gute Einrichtungen geschaffen hat - grundsätzlich mit dem Fluch - ich nehme Ihre Worte auf, es sind auch genau meine Vokabeln - der Apersonalität, dem Fluch der Kommunalisierung und was weiß ich alles beladen. Sehen wir uns doch die überwiegende Zahl dieser kommunalen Träger an! Es sind kommunale Vertretungskörperschaften, kommunale Verwaltungen, die durchaus nahe beim Menschen sind. Sehen Sie sich doch die normale Größe eines Stadt- und Landkreises oder einer Mittelstadt an. Es kann gar nicht die Rede davon sein, daß diese schlagwortartig nur negativ charakterisierte „Kommunalisierung" dem Menschen und seiner Ordnung und seiner Würde zu nahe träte. Es stimmt einfach nicht.
({5})
Wenn man diese Verurteilung des subsidiär tätig werdenden und tätig werden sollenden öffentlichen Trägers ausspricht, wenn man die Abstinenz festlegt, die ihm hier zugemutet wird - daß er überhaupt nicht mehr tätig werden soll -, verbietet man ihm, echte, ursprüngliche Pflichten zu erfüllen.
({6})
- Verzeihen Sie, wir können weiter darüber diskutieren. Ich gehe auf die Schlagworte gar nicht ein. Wenn Sie eine solche Zumutung als echte Forderung der Subsidiarität ausgeben, dann kann man nur sagen: Man sieht dem Subsidiaritätenbaum nicht an, was er für Früchte tragen kann.
({7})
Das, was hier zum Teil mit der Vorgabe, es seien zwingend aus dem Subsidiaritätsprinzip herausfließende Konsequenzen, so genannt wird, ergibt sich einfach nicht aus diesen Grundsätzen. Ich durfte zum Anfang meiner Darlegungen darauf hinweisen. Das Prinzip ist von äußerster Allgemeinheit, damit es möglichst alle Fälle decken kann. Wie Sie es konkretisieren und ausführen wollen, bin ich nicht bereit, eine Verbindlichkeit anzuerkennen.
Da muß ich einem meiner Vorredner etwas entgegenhalten - ich will nicht korrigieren; da weiche ich ganz entschieden von ihm ab -: es handelt sich gar nicht so sehr um einen Machtanspruch der Verbände. Ich denke von den Verbänden viel zu hoch, von ihrem Realismus, auch von der Selbstbeurteilung ihrer eigenen Möglichkeiten - als daß sie nicht ganz genau wissen: sie können sich gar nicht auswirken, wie es bei 'der kommunalen Abstinenz, die Sie verlangen, gefordert wird. Ich denke viel zu (C ernst und zu dankbar von den Verbänden, als daß ich unterstellen würde, sie wollten ,die Macht. Nein, meine Damen und Herren - erlauben Sie, daß ich das einmal, auch wenn wir im Wahlkampfjahr sind, ganz offen sage -, das wird diesen Verbänden von Ihnen angeboten!
({8})
Daß die Verbände es nicht ablehnen, daß sie sich nicht absolut dagegen wehren - obwohl sie auch sehr distinkte Bedenken haben, worauf mein Kollege Metzger hingewiesen hat -, kann ich allerdings verstehen.
Was dabei herauskommt, ,das ist, ich muß es leider Gottes befürchten, ein ganz großer Wahlslogan, der wiederum sehr billig und trivial ist: Wir sind für Subsidiarität! Die genaue Frage ist, was aus dieser Subsidiarität gemacht wird, ob sie etwa im Sinne einer echten Partnerschaft - was meiner Fraktion in keiner Weise fremd ist - zu interpretieren ist oder ob sie zu der von fast allen Kommunalpolitikern überhaupt nicht verstandenen Abstinenz führt, fast zu einem Verbot, subsidiär tätig zu werden.
Meine Damen und Herren von der Mehrheitsfraktion ,ich bitte Sie sehr herzlich, außerhalb jeder Parteienbeweisführung: Sehen Sie sich nur einmal die Formulierung an! Sie ist doch tatsächlich nichts anderes als ein Nicht-mehr-tätig-werden-Dürfen, auch subsidiär Nicht-mehr-tätig-werden-Dürfen. Vor allem gewisse Formulierungen geben zu denken, etwa solche in Verbindung mit dem Wort „angemessen". Wer soll darüber entscheiden? Es sind doch genug Kommunalpolitiker in Ihren Reihen, und es ist ein ganz offenes Geheimnis ;daß die Kommunalpolitiker auch der Unionsparteien gegenüber diesen Dingen die allergrößten Bedenken haben.
Weiter! Welch ein tiefes Mißtrauen gegen, ich würde sagen, ,die Redlichkeit, gegen den guten Willen ,auch gegen die Leistungen, die Möglichkeiten der Träger, die Sie in diesen Bestimmungen so stark fesseln wollen!
({9})
Ich denke auch an die zigtausend Sozialarbeiter. - Mit Ihrem freundlichen Lachen, Kollege Kliesing, ist das Problem nicht aus der Welt geschafft. Ich möchte Sie gern einmal freundlich lachen sehen, wenn Sie mit Männern und Frauen aus den Reihen der zigtausend Sozialarbeiter, die nicht im Diakonissengewand, im Gewand der katholischen Ordensfrauen arbeiten, einmal ernsthaft darüber reden müssen, welch ein grundsätzliches Mißtrauen gegen die im öffentlichen Dienst stehenden Sozialwerker aufgebaut worden ist.
({10})
Ich glaube, es ist auch in Ihren Reihen kein Mißverständnis darüber möglich, daß sich die Forderungen, die hier im Entwurf kodifiziert sind, nicht aus dem Subsidiaritätsprinzip ergeben, Das steht einwandfrei fest. Ich werde hier an die Früchte erinnert, die man an den Weihnachtsbaum hängt, Äpfel und vergoldete Nüsse, von denen kein
Mensch behaupten kann, sie seien originäre Produkte dieses Baums.
({11})
Nein, sie entstammen den Grundsätzen und der
Taktik der Parteipolitik! Man weiß das sehr genau,
({12})
O nein, lieber Herr Kollege. Wenn Sie mir etwa den Vorwurf machen wollen, ich hätte vor Tisch anderes gesagt: Sie und meine Parteifreunde in der Fraktion, der ich heute angehöre, müssen mir bescheinigen, daß ich meine Meinung sehr nüchtern und sehr klar gesagt habe. Kollege Könen etwa kann bezeugen, daß ich bei der Eröffnung des Wahlkampfes für die Kommunalwahlen in der Veranstaltung der SPD in der Rheinhalle in Düsseldorf das Wort und die Sache Subsidiarität unverkürzt zu diskutieren gewagt habe. Ich habe sehr offen das Für und Wider dargelegt und eine ausbalancierte Einstellung geäußert. Von "vor Tisch" und „nach Tisch" kann hier nicht die Rede sein.
Lassen Sie mich noch bei dem zweifellos nicht ganz reizlosen Vergleich mit dem gut dekorierten Weihnachtsbaum und seinen nicht originären Früchten bleiben. Wir wissen ganz genau - ich muß es klar sagen -: mit solchen Dingen wie dem sehr indistink gebrauchten, den Schwierigkeiten der Sache nicht genügenden Schlagwort „Subsidiarität" läßt sich in der Wahl prächtig arbeiten. Niemand kann mir zumuten, daß ich übersehe, daß wir uns im Wahljahr befinden. Ich weiß sehr genau, welche Wirkungen dadurch unter Umständen entstehen.
({13})
- Keinerlei Angst, keinerlei Angst. Ich will allerdings eines hinzufügen: ich habe eine Angst, die ich aber nicht mehr zu formulieren brauche, weil mein verehrter Kollege Jahn sie präzis genug formuliert hat.
Ich halte es für bedenklich, meine verehrten Damen und Herren, daß man hier wieder unsere Bedenken, auch dieses Gesetz könne wiederum nicht gerade zum Ruhm des Parlaments vor die verehrungswürdigen Herren in der roten Robe kommen, so beiläufig und mit jener bedauerlichen Süffisanz, die ich bei Ihnen immer wieder beklagt habe, abweist.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Ausführungen des Kollegen Maucher haben mich bewogen, mich zu Wort zu melden.
Ich habe beinahe den Eindruck, daß wir, obwohl heute abend kein Wort lateinisch gesprochen wurde, einen Dolmetscher brauchten, um uns zu verstehen. Herr Kollege Maucher hat ausgeführt, daß er
als Gemeinderat einer kleinen Gemeinde sich gefreut habe, als ein Verband gekommen sei und gesagt habe, daß er eine Aufgabe übernehmen wolle, und daß er, Herr Kollege Maucher, dann gerne bereit gewesen sei, einen Zuschuß und sogar einen hohen Zuschuß zu bewilligen.
Sie sehen, Herr Kollege Maucher, es überrascht mich, daß Sie das hier anführen; denn diese Gebefreudigkeit können Sie in Zukunft nicht mehr so walten lassen. In Zukunft haben Sie nämlich auf Grund eines Gesetzesbefehls zu geben. In § 10 steht ganz eindeutig: „sollen ... angemessen unterstützen" . Danach haben Sie gar nicht mehr die freie Wahl des Gebens, sondern Sie haben als Gemeinderat die Pflicht.
Dagegen wenden wir uns, weil wir glauben, daß hier das Ordnungsbild der Freiheit und auch das Ordnungsbild der Freiheit des Menschen unangenehm gestört wird, weil es die Gemeinderäte, die Stadträte und die Kreisverordneten herunterdrückt, indem sie lediglich zuzustimmen und zu überprüfen haben: Was ist im Rahmen unserer Gemeinde und im Verhältnis zu dem, was der Verband will, angemessen? Das haben sie zu geben. Sie können etwas darüber hinausgehen, aber nicht darunter
bleiben, weil sonst nämlich ein klagbarerer Anspruch entsteht.
Warum will man den Gemeinderäten diese Möglichkeit der freien Entfaltung, der freien Entscheidung, der weiteren Hilfegewährung, wie dies bisher üblich gewesen ist, entziehen? Ich sehe nicht ein, daß man in § 10 Abs. 3 einen Gesetzesbefehl zur Unterstützung gibt. Ich gehe weiter, ich sage, es ist ein Gesetzesbefehl zur Alimentierung, der in Abs. 3 enthalten ist. Die Herren der Regierung haben das zwar bestritten und haben gesagt: Es ist nur ein Gesetzesbefehl zur Unterstützung. Aber die Gerichte werden eines Tages entscheiden, daß es eben ein Gesetzesbefehl zur Alimentierung ist. Und dann steht das im Gesetz, was, wie die Regierung zu- nächst behauptet hat, angeblich nicht im Gesetz enthalten sei, und das ist die Gefährlichkeit, die wir sehen, weil es nämlich für die Verbände dann auch keine gute Lösung ist.
Zu § 86 haben wir Freien Demokraten in der Ausschußsitzung in Berlin Ihnen wahrhaftig ein großzügiges Angebot gemacht. Da sind wir wirklich über unseren Schatten gesprungen, als wir ihnen anboten, § 86 so zu fassen, daß es heißt; „geeignete Einrichtungen anderer Träger, vor allem der freien Wohlfahrtspflege, vorhanden sind oder ausgebaut werden",die Gemeinden also nicht in Tätigkeit treten sollten. Wir wollten lediglich gesichert wissen, daß in dem Moment, da eine neue Einrichtung geschaffen wird, wirklich abgewogen wird, welcher frei Träger oder ob nicht auch der Sozialhilfeträger selbst der geeignetste ist.
Es kann der Fall eintreten, daß sowohl der eine wie der andere Wohlfahrtsverband eine geeignete Einrichtung ausreichend neu schaffen kann. Es kann aber der Fall sein, daß die noch geeignetere und ausreichende Einrichtung vom Sozialhilfeträger geschaffen werden kann. Diese Möglichkeit ist bei dieser Formulierung des § 86 nicht gegeben.
9038 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 157. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3: Mai 1961
Ich darf in diesem Zusammenhang noch auf etwas hinweisen, was in der Sitzung in Berlin untergegangen ist. Wenn das Wörtchen „können" in § 86 stehenbleibt, dann sind wir in einer ganz fatalen Situation; denn „können" heißt noch lange nicht „tun". Wir müssen doch, wenn wir dem Menschen helfen wollen, der in sozialer Bedrängnis ist, nicht so sehr die Betonung auf das „können" legen, sondern auf das „tun". Ich glaube, wir müssen nach vielen Überlegungen, die wir in unserer Fraktion angestellt haben und die sicher auch bei Ihnen angestellt worden sind, dem Rat von Professor Muthesius folgen, den er uns im Ausschuß gegeben hat, und müssen allermindestens das Wörtchen „können" streichen; denn sonst sind wir durch den Gesetzestext eines Tages in der bösen Situation, daß wir nicht helfen können, weil ein freier Wohlfahrtsverband da ist, der die Einrichtung schaffen kann, sie aber zu dem Zeitpunkt noch nicht schafft. Auf diese Dinge wollte ich Sie ausdrücklich hingewiesen haben.
Wir müssen uns sehr klar vor Augen halten - Herr Maucher, damit komme ich noch einmal zu Ihnen -: Der Liberalismus ist für so wenig Staat wie möglich. Absolut! Wir reden auch nicht einer Kommunalisierung das Wort, sondern wir reden einer Partnerschaft das Wort, die vielleicht noch besser vertieft werden könnte, als es in den letzten 40 Jahren praktiziert worden ist. Aus meiner Heimat ist mir aber nicht ein einziger Fall bekannt, bei dem in den letzten 40 Jahren die Partnerschaft nicht im Interesse und zum Wohle des Menschen, der Hilfe sucht und Hilfe braucht, ausgeschöpft worden wäre.
Wir sind für die Partnerschaft, wir sind auch für Subsidiarität, aber es muß eine wirkliche Subsidiarität sein. Die untere, ,die kleinere Gemeinschaft muß die Aufgabe aus eigenen Kräften, aus eigener Verantwortung mit freiwilliger Hilfe der Kommunen oder des Staates erfüllen, aber nicht, weil sie einen Rechtsanspruch auf die Hilfe hat, sondern weil sie von der Liebe und vom Glauben und von der Arbeit am Kranken lebt. Weil diese Liebe und diese Arbeit am Kranken so offensichtlich zutage tritt, daß jeder Gemeindevertreter, ganz gleich welcher Partei er angehört, sofern sie keine kommunistische ist, sagt: Dieser Idealismus muß unterstützt werden. Er sagt das aus dem freien Herzen eines Gemeindevertreters und nicht deshalb, weil es in einem Bundessozialhilfegesetz gesetzlich angeordnet ist.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
Meine Damen und Herren, ich möchte nur einer Legendenbildung oder gar einer böswilligen Unterstellung vorbeugen. Der Herr Kollege Maucher hat davon gesprochen, daß ich die Arbeit der Verbände nicht zu schätzen wüßte und daß ich sie abqualifizierte. Wer das so verstanden hat, der muß schlecht zugehört haben.
({0})
Man ist leider Gottes gezwungen, manchmal mit Tatsachen zu dienen. Ich werde Ihnen also ein paar Tatsachen geben.
Ich habe während der Nazizeit dem Landesausschuß der Inneren Mission in Hessen angehört und habe in dieser Zeit, als sich sehr viele andere, die heute sehr große Worte reden, fein zurückgehalten haben, recht gefährliche Dinge übernommen bis hin zu Prozessen, die kein anderer Anwalt mehr übernehmen wollte.
({1})
Unser Außenminister, Ihr Kollege von Brentano, der mit mir in Darmstadt Anwalt war, kann Ihnen davon einiges erzählen.
Ich möchte also davor warnen, daß im Wahlkampf wieder aus Zweckgründen Behauptungen aufgestellt werden, die mit den Tatsachen nicht im Einklang stehen. Ich sage Ihnen das so klar an Hand von Tatsachen, damit Ihnen das gute Gewissen genommen wird, im Wahlkampf etwas zu behaupten, was mit der Wahrheit nicht im Einklang steht; denn ich sehe schon wieder die Reden, die in dieser Richtung gehalten werden.
Dann möchte ich mir noch die Mühe machen, dem Herrn Maucher und vielleicht auch einigen anderen einmal den § 86 ein wenig zu exemplifizieren; denn es ist offensichtlich, daß er ihn nicht verstanden hat. Er hat von dem Wort „können" gesprochen und hat das Wort „können" so aufgefaßt, als ob für die Gemeinden verschiedene Möglichkeiten bestünden, weil dort das Wort „können" steht. Er hat überhaupt nicht verstanden, in welchem Zusammenhang das Wort „können" steht. Ich will Ihnen den Satz vorlesen, auf den es ankommt:
Sie
- nämlich die Träger der Sozialhilfe sollen eigene Einrichtungen nicht neu schaffen, soweit geeignete Einrichtungen der Verbände der freien Wohlfahrtspflege oder öffentlichrechtlicher Träger vorhanden sind, ausgebaut oder geschaffen werden können.
Also in dem Augenblick, wo durch diese Verbände Einrichtungen geschaffen werden können - das genügt vollkommen! -, sind die Gemeinden blokkiert, dürfen sie keine Einrichtungen mehr schaffen. So ist diese Bestimmung auszulegen. Ich habe den Eindruck, das haben einige von Ihnen noch nicht kapiert.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Dies ist eine hochinteressante Debatte, eine Debatte, interssant wegen der weltanschaulichen und grundsätzlichen Koalition, die sich hier zwischen links und rechts auftut.
({0})
Am interessantesten, weil als Hauptsprecher dieser
neuen Art von weltanschaulicher Koalition unser
früherer Kollege Peter N e 11 e n hier aufgetreten ist!
({1})
Als Peter Nellen sich meldete, da dachte ich, weil ich noch die Rede des verehrten Kollegen Metzger im Ohr hatte: Na, jetzt wird Nellen, wie früher hier bei uns, für Nellen reden.
({2})
Und dann sprach er für die Fraktion der SPD, also auch für das, was der Kollege Metzger hier gegen Subsidiaritätsprinzip und ähnliche Dinge gesagt hat. Das, verehrter Herr Kollege Nellen, hat mich ein wenig enttäuscht, bestürzt und, ich darf persönlich hinzufügen: betrübt.
({3})
Denn, verehrter Herr Kollege Nellen, beim ersten Durchgang dieses Entwurfs, am 4. Mai des Jahres 1960, saßen wir dort hinten gemeinsam. Wir teilten auch das Zimmer. Ich habe damals weder persönlich noch in der Fraktion noch in einem Arbeitskreis irgendein Wort der Art von Ihnen gehört, wie Sie es heute hier gegen uns gesagt haben.
({4})
Wenn Sie, Herr Kollege Nellen, diese Frage so ernst nehmen, wie Sie sie heute vorgetragen haben, hätten Sie damals in der Fraktion Manns genug sein, aufstehen und diese abweichende Meinung vertreten sollen.
({5})
Den Ausdruck „scheinheilig" muß ich als unparlamentarisch zurückweisen.
Der Herr Kollege Nellen hatte die Liebenswürdigkeit, hier der Tugend der Distinctio das Wort zu reden. Ich möchte dem gern ein wenig folgen.
({0})
- Ich bemühe mich darum!
({1})
-Ich möchte mich ein wenig darum bemühen. Denn, Herr Kollege Nellen, Sie haben viele Worte gesagt, die Frage ist aber doch: Wie stehen Sie nun zu dem Antrag, den die sozialdemokratische Fraktion hier auf Umdruck 872 gestellt hat? Da wird unter Ziffer 1 ein neuer § 10 vorgeschlagen. In seinem Abs. 4 - das ist doch die entscheidende Frage - soll es heißen:
Die Träger der Sozialhilfe können die freie
Wohlfahrtspflege an der Durchführung der Aufgaben nach diesem Gesetz beteiligen oder der freien Wohlfahrtspflege einzelne Aufgaben zur Durchführung übertragen, .. .
Herr Kollege Nellen, da wir bei der Distinctio sind, darf ich hier wohl davon sprechen - jetzt wird natürlich leider der Vorwurf wegen des Lateins kommen -, daß dieses „können ... übertragen" doch bedeutet, daß diese Rechte als deriviert, als von jemandem übertragen, anzusehen sind, nicht aber, wie die Subsidiarität es verlangt, als originär, von unten, vom Menschen und von der Familie stammend.
({2})
Das ist doch die Distinctio, verehrter Herr Kollege Nellen, auf die es hier - wenn ich es richtig gelernt habe - ankommt.
Und nun ein Wort an diese Seite ({3}) ! Ich glaube, es ist höchst bemerkenswert, daß hier ein Herr der FDP, der verehrte Kollege von Müh -len , das böse Wort vom Konfessionalismus oder von der Konfessionalisierung in die Debatte geworfen hat. Dabei geht es doch um das auch liberale Prinzip, den Vorrang der freien Initiative vor der öffentlichen Hand gesetzlich zu verankern.
({4})
Ich glaube, Herr Kollege Mühlen, das war ein Ausflug in die Vergangenheit. Das war Liberalismus des 19. Jahrhunderts; mit echter Liberalität hatte das überhaupt nichts zu tun.
({5})
Herr Kollege M et z g e r, wenn Sie meinten, hier einen konfessionellen Keil treiben zu sollen, dann war das keine gute Sache; darin werden Sie mir im Grunde zustimmen. Ich möchte Sie einladen, wenn ich das darf, doch einmal - nachdem Sie so lange über katholische Dinge gesprochen haben - in den Quellen bei Martin Luther nachzulesen und diese einmal zu studieren. Sie haben das sicher getan, aber möglicherweise waren sie Ihnen in dieser Debatte nicht ganz präsent. Martin Luther wendet sich in diesen Fragen, von denen Herr von Bodelschwingh so schön gesprochen hat, überhaupt gegen eine öffentliche Zuständigkeit. Ich will die Debatte nicht aufhalten, aber ich darf Ihnen vielleicht das Buch von Robert Gerstenkorn hierzu empfehlen. Ich glaube, daß Sie dort alles Weitere finden werden.
Wenn Sie glauben, Herr Kollege Metzger, daß in unserer Auffassung ein Mißtrauen gegen die Gemeinden liege, ist das falsch verstanden. Darf ich noch einmal versuchen - um Nellen zu zitieren -, eine Distinctio anzubringen. Verehrter Herr Kollege Metzger, die Selbstverwaltung der Gemeinden, ihre Zuständigkeit und die originären Rechte der freien Gesellschaft sind Kinder eben derselben Mutter. Die Subsidiarität ist die Quelle sowohl des Vorranges der freien Kräfte wie der Selbstverwaltung der Gemeinden. Wir meinen, wer zur Subsidiarität ja sagt, muß zu beiden ja sagen; beides ist originär.
({6})
Meine Damen und Herren, über die menschlichen und religiösen Gründe, die uns veranlassen, diesem Gesetz zuzustimmen, hat Herr Kollege von Bodelschwingh in einer Weise gesprochen, wie es vorzüglicher gar nicht getan werden kann.
({7})
- Ich bedanke mich für dieses Kompliment; es ist aus Ihrem Munde sehr ungewohnt, Herr Schmitt. - Nachdem aber verschiedentlich verfassungsrechtliche Fragen angeschnitten worden sind, möchte ich doch ein paar Worte dazu sagen. Ich habe vorhin in der Geschäftsordnungsdebatte aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. November 1957 zitiert. Ich darf darauf jetzt verweisen.
Ich möchte in diese Debatte zwei Beispiele einfügen, die zeigen, daß es, wenn der Bund die Zuständigkeit hat, Gesetze zu machen, und dieser Zuständigkeit der unantastbare Wesensgehalt der institutionellen Garantie der Selbstverwaltung gegenübersteht, keinesfalls verboten ist, Gesetze zu machen, die hier hineingreifen. Sie dürfen nur nicht den Kern berühren; das ist ständige Rechtsprechung. Hierzu zwei Beispiele. Das Gesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes gibt den Gemeinden gewisse Auflagen hinsichtlich der Unterbringungspflicht. Es wird niemand bestreiten, daß das ein Eingriff in die Personalhoheit der Gemeinden ist. Die Personalhoheit der Gemeinden gehört zu ihrem Selbstverwaltungsrecht. Es ist aber unbestritten - es war Gegenstand von Prozessen, die die Herren bei Ihnen,
die sich mit so etwas beschäftigten, sicher kennen -, daß dieser Eingriff zulässig ist, weil es sich nämlich dabei um einen Eingriff handelt, der nicht den durch die Verfassung geschützten Wesensgehalt des Grundrechts der Selbstverwaltung berührt, sondern weil es sich um Randbezirke handelt.
({8})
- Ich darf dazu ein Zweites sagen, Herr Metzger; wir kommen der Sache schon sehr viel näher. Ich möchte auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. April 1958 und vom 20. Mai 1958 verweisen. Dort hat sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Frage beschäftigt, ob die Ausweisung von Baugebieten eine nur gemeindliche Sache sei und ob das im Sinne des Art. 28 Abs. 2 nur und ausschließlich zur Zuständigkeit der Gemeinden gehöre. Das Bundesverwaltungsgericht hat in beiden Urteilen die Frage ausdrücklich verneint mit der Begründung, daß die Ausweisung von Baugebieten - ich zitiere jetzt - „nicht als den Kern der örtlichen Selbstverwaltung berührend" betrachtet werden könne. Ja, meine Damen, meine Herren, wenn das für die Ausweisung von Baugebieten gilt, die wirklich mit der Öffentlichkeit der Gemeinden zu tun haben, dann soll es nicht gelten bei den Fürsorgeeinrichtungen, die doch gewöhnlich von größeren Verbänden getragen werden?
({9})
- Ich will die Debatte nicht aufhalten, aber, Herr Kollege Jahn, vielleicht darf ich jetzt schon auch
noch auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. November 1957 und des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 1952 und vom 18. November 1955 hinweisen. Sie werden überall finden, daß das, was wir hier machen, völlig innerhalb des Rahmens ist, den das Grundgesetz läßt.
Ich habe vorhin schon gesagt: sicher ist ein Streit zwischen uns - Herr Metzger hat das vielleicht als böswillig aufgefaßt; aber es war nicht bös gemeint, es war eine verkürzte Formulierung des Streitpunktes wegen der Geschäftsordnungsdebatte -, ob man hier ein bißchen mehr Zuständigkeit der Gemeinden oder ein bißchen mehr freie Initiative verankern will. Beides erlaubt natürlich das Grundgesetz. Es ist ein Streit im Rahmen der Verfassung, ein Streit ordnungs- und gesellschaftspolitischen Gehalts. Und hier sind wir eben für den Vorrang freier Initiative.
Ich glaube deshalb nicht, daß hier eine verfassungsrechtliche Kontroverse vorliegt, sondern bestenfalls eine verfassungspolitische Kontroverse. Nach meinem Sprachgebrauch geht es hier um eine ordnungs- und gesellschaftspolitische Frage. Es geht im Grunde um die Frage der Grenzen und der Gliederung des Staates und sein Verhältnis zur freien Initiative.
({10})
Wenn wir der freien Initiative mehr Raum geben wollen, dann, meine Damen, meine Herren, ist das ja nichts Sensationelles; das ist die Linie dieser Politik seit zwölf Jahren. Die soziale Marktwirtschaft zum Beispiel ist doch Kind derselben Grundsatzentscheidung für den Vorrang der privaten Initiative,
({11})
für die freie Entfaltung der Gesellschaft, und erst in zweiter Linie für die Zuständigkeit staatlicher Wirtschaftspolitik.
Es ist doch dasselbe Prinzip, meine Herren von der FDP; wie können Sie hier plötzlich nein sagen, wo Sie in der anderen Frage so stolz auf Ihr Ja sind. Nehmen Sie unsere Politik der Reprivatisierung, unsere Politik in der Schulfrage, unsere Politik der Zurückdrängung des Anteils der öffentlichen Hand bei der Vermögensbildung! Unsere Einstellung in all diesen Fragen ist von der gleichen Grundüberlegung und Grundüberzeugung getragen, einer Grundüberzeugung, die nicht aus irgendwelchen Dogmen kommt; denn es sind gar keine.
({12})
- Ein sozialphilosophisches Prinzip ist kein Dogma, das ist eine Distinctio, der Peter Nellen sicher gern zustimmen wird. Es ist eine Grundüberzeugung, meine Damen, meine Herren, die ihren Ursprung im natürlichen Verständnis, in der sachgerechten Prüfung des Zweckmäßigen hat: so viel Freiheit und so viel Selbstgestaltung wie möglich und nur so viel Staat und so viel öffentliche Hand wie nötig!
Peter Nellen hat den Finger auf die Wunde gelegt. Die Frage: Sind die freien Kräfte der Gesellschaft mit derivierten Rechten oder mit originären Rechten ausgestattet?, diese Frage steht zur Debatte; das ist der Inhalt des Prinzips, um das wir hier
streiten. Wir meinen: so, wie der Mensch originäre Rechte hat, wie die Familie sie hat, so hat sie auch die freie Gesellschaft, und wir fügen hinzu, daß die Kräfte kirchlicher Liebestätigkeit, um die es hier im wesentlichen geht, sie auch haben, von Natur haben, und sie behalten müssen.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Könen ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir ,deshalb so viel Papier mit heraufgebracht, damit mir die Dinge nicht passieren, ,die einigen Sprechern von der CDU passiert sind.
({0})
- Ich will Ihnen das gleich erzählen. ({1})
- Ich kann Sie leider nicht verstehen. Ich antworte gerne auf Zwischenrufe, aber ich konnte sie nicht verstehen.
Herr von Bodelschwingh, ich habe es einfach bedauert, daß Sie hier heraufgegangen sind und gesagt haben, unsere Anträge hätten darin ihren Grund, daß wir die freien Kräfte nicht unterstützen wollten. Ich kaufe Ihnen ,das nicht ab, Herr von Bodelschwingh; das glauben Sie selbst nicht.
({2})
Herr von Bodelschwingh, Sie wissen genauso gut wie wir anderen, die wir in dieser Arbeit stehen, - ({3})
- Ja, Frau Niggemeyer, es tut mir leid, ich muß es einmal sagen. Ich habe es mir sofort notiert; darum habe ich ja so viel Papier hier oben. Lesen Sie es nach.
({4})
Herr von Bodelschwingh, wir alle miteinander wissen, daß bis zur heutigen Stunde die freien Kräfte unterstützt worden sind.
({5})
- Zum Teil in einem außerordentlich guten Verhältnis.
({6})
- Halten Sie mich nicht für so naiv, ,daß ich diese Behauptung von Ihnen nicht erwartet hätte. Sie können mir eine Menge vorwerfen, aber nicht, daß ich naiv bin; da liegen Sie aber glatt daneben.
Meine Damen und Herren, ich selbst war jahrelang Vorsitzender des Sozialausschusses in Düsseldorf, und ich verspreche Ihnen von dieser Stelle aus: Wenn Sie mir jemanden von den Wohlfahrtsverbänden in Düsseldorf bringen, der die Behauptung aufstellt, daß der Stadtverordnete- jetzt heißt es bei uns: Ratsherr -, daß der sozialdemokratische Ratsherr Könen, Vorsitzender des Sozialausschusses der Stadt Düsseldorf, nicht dafür gesorgt hätte, daß die freien Verbände zu ihrem Recht kommen, bin
ich bereit, hier öffentlich Abbitte zu leisten. Sie werden sich wundern!
Hier sprechen alle Leute aus Erfahrungen. Es gibt selbstverständlich Gemeinden
({7})
- sagen Sie nicht zu früh „aha" -, in denen auf der einen Seite einmal unsere Leute und auf der anderen Seite einmal Ihre Leute so engstirnig sind, daß sie die anderen nicht zum Zuge kommen lassen wollen. W i r rufen unsere Leute dann zur Ordnung.
({8})
- Ich muß sagen. es freut mich einfach, daß ich Sie damit etwas aufmuntern kann.
Nun zu nüchternen Zahlen!
({9})
- Wenn Sie das alles, was ich hier gesagt habe, mit Heiterkeit auffassen, dann will ich Ihnen ein paar Zahlen zum besten geben. Passen Sie einmal gut auf!
Man hat in den Ländern bei insgesamt 102 Städten, größeren und kleineren, eine Erhebung über die Mittel gemacht, die für Fürsorge und Jugendfürsorge, für Gesundheitspflege und Jugendpflege - ohne Sport, möchte ich dabei sagen - ausgegeben worden sind. Ich will Ihnen nicht die ganzen Zahlen vorlesen. Aber es ergibt sich folgendes Hochinteressante. Die Einwohnerzahlen, die dafür in Frage kommen, stehen daneben.
Bayern hat im Jahre 1958 die freien Verbände in 30 Gemeinden und Städten mit 2 859 000 Einwohnern mit 5 857 000 DM gefördert. Im Jahre 1961 sind 8 930 000 DM veranschlagt. Das Land Hessen hat bei einer Vergleichseinwohnerzahl von 1 577 000 - also einige Hunderttausend weniger - im Jahre 1953 einen Betrag von 9 577 000 DM bereitgestellt, und im Jahre 1961 werden es 12 713 000 DM sein.
({10})
Sie können soviel dazwischenreden, wie Sie wollen. Das sind Zahlen, die man beweisen kann. - Ich würde Ihnen doch empfehlen, nicht soviel abzuwinken, Sie wissen ja gar nicht, wer alles mitgeholfen hat, die Zahlen zusammenzustellen. Sie setzen sich vielleicht ins Fettnäpfchen.
({11})
Das Land Nordrhein-Westfalen hat in 38 Städten mit 8 046 000 Einwohnern eine Erhebung gemacht, in der es für die Aufgaben, von denen ich soeben gesprochen habe, die Summe von 27 500 000 DM im Jahre 1958 und 39 658 000 DM im Jahre 1961 feststellt. Ich will Sie nicht mit weiteren Zahlen behelligen.
Da ich Ihnen Einwohnerzahl und Beträge der Länder genannt habe, können Sie im Geiste in diese Länder mitmarschieren und sich überlegen, in welchen Ländern und unter welcher politischen Verantwortuna besonders hohe Summen für die freien
Könen ({12})
Verbände ausgegeben wurden, von denen Sie behaupten, daß die SPD-Bundestagsfraktion diesen die Mittel nicht mehr geben will.
Eine Schlußzahl! In 102 Städten der Bundesrepublik wurden im Jahre 1958 62 618 000 DM globale Mittel für Fürsorge, Jugendfürsorge, Gesundheitspflege und Jugendpflege an die freien Verbände ausgegeben, und im Jahre 1961 stehen in den Haushalten 90 571 000 DM. Und das alles ohne einen § 10 und einen § 86 in einem Bundessozialhilfegesetz.
({13})
Erzählen Sie doch uns, die wir zumeist selber seit Jahren mit Wohlfahrtsverbänden beinahe verheiratet sind, nicht, wir wollten ihnen die Mittel nicht bewilligen. Der § 5 der Fürsorgepflichtverordnung hat so hervorragend funktioniert, daß man ihn als Vorbild für die neue Formulierung genommen hat.
Und nun komme ich zu den Dreschflegelmethoden einiger Sprecher hier. Ich meine mit Dreschflegeln, meine Damen und Herren, nichts Unanständiges, sondern das Wildumsichherumschlagen, wo man andere trifft, die man nicht gemeint hat. Sehen Sie, unser Kollege Barzel - ich habe direkt einen Schreck gekriegt - hat hier mit beiden Fäusten auf das Pult geschlagen und hat darauf hingewiesen, daß die böse SPD in ihrem Änderungsantrag zu § 10 Abs. 4 geschrieben hat: „Die Träger der Sozialhilfe können die freie Wohlfahrtspflege ... beteiligen", dann hat er daran Schlußfolgerungen geknüpft, auf das Pult gehauen und seiner Entrüstung Ausdruck gegeben, und die CDU-Fraktion hat geklatscht. Waren Sie der Meinung, daß es richtig war, daß Sie geklatscht haben? Dann müssen Sie die Anträge der CDU lesen, die auf Ihrem Tisch liegen. Da steht nämlich genau das gleiche darin;
({14})
dann müssen Sie die Regierungsvorlage Ihrer Bundesregierung lesen, da steht genau das gleiche drin;
({15})
dann müssen Sie die Ausschußvorlage lesen, da steht genau dasselbe drin.
({16})
- Nein; ich rede von den Ausführungen des Herrn Dr. Barzel. Sie können mich nicht herunterkriegen. Sehen Sie, das habe ich „Dreschflegelmethoden" genannt. Der hat um sich gehauen, und Sie haben zu den Prügeln geklascht, die Sie mitbekommen haben.
({17})
Sie haben gemeint, es gehe nur gegen die SPD. Das war gar nicht so.
Unser Kollege Maucher hat sich, wenn auch in etwas bescheidenerem Ausmaß, daran beteiligt.
({18})
Der Kollege Maucher hat z. B. gesagt, - - Nein, ich muß mich entschuldigen; Herr von Bodelschwingh, Sie waren es.
({19})
Herr von Bodelschwingh hat also gesagt, wir wollten dadurch - oder die FDP - ({20})
- Ja, Herr Dr. Barzel, bitte!
Zu einer Zwischenfrage der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Kollege Könen, ist Ihnen entgangen, daß in Ihrem Antrag zu § 10 der für uns so wichtige Absatz 4 der Regierungsvorlage - bzw. Absatz 5 der Ausschußfassung - entfällt und daß deshalb meine Einwendungen gegen Ihren Antrag vollauf berechtigt sind?
Herr Dr. Barzel, Sie haben von § 10 Abs. 4 gesprochen. Das stimmt doch? § 10 Abs. 4! Sind wir uns einig? Da steht im SPD-Antrag: „Die Träger der Sozialhilfe können die freie Wohlfahrtspflege" und so weiter „beteiligen".
({0})
Moment! Er redet doch vom Änderungsantrag der SPD. Das hat er ja selber zitiert, was darin steht. Das nennen wir unter Fachleuten die Delegation.
({1})
Sind wir uns klar? - So. Nun passen Sie auf. In der Ausschußdrucksache ist ebenfalls § 10 Abs. 4 - der Satz fängt an: „Die Träger der Sozialhilfe können allgemein" und so weiter „beteiligen" - der Delegationsabschnitt. In der Regierungsvorlage ist es der Absatz 5 des § 10; der fängt an: „Die Träger der Sozialhilfe können allgemein an der Durchführung ihrer Aufgaben ..." und so weiter. Wörtlich überall dasselbe! Es ist der Delegationsparagraph. Herr Dr. Barzel, es ist keine Schande; Sie sind kein Fürsorgefachmann, Sie haben danebengehauen. Gestatten Sie, daß ich davon Gebrauch gemacht habe.
({2})
Herr Abgeordneter Könen, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Barzel?
Bitte sehr.
Herr Kollege Könen, darf ich noch einmal versuchen, meine Frage zu stellen?
Bitte sehr.
In § 10 Abs. 4 der Regierungsvorlage ist das für uns so wichtige Subsidiaritätsprinzip verankert. Eben dieses Prinzip ist jetzt in der Ausschußfassung in Abs. 5 gerutscht. Dieser ganze Absatz entfällt in Ihrem Antrag zum § 10, so daß dann die Interpretation getroffen werden muß, die Sie eben selbst mit dem Wort „Delegation" - ich hatte „deriviert" gesagt - bestätigt haben,
Herr Dr. Barzel, wenn es der Präsident gestattet, kommen Sie doch einmal herauf und zeigen Sie mir das!
({0})
Herr Dr. Barzel, ich stelle folgendes fest. Der Antrag der SPD lautet - hören Sie bitte gut zu! -:
({1})
In § 10 erhalten die Absätze 2 bis 4 folgende Fassung: ...
Von einer Streichung des Absatzes 5 steht da nichts. Ist Ihnen das etwa entgangen? Kommen Sie doch mal, zeigen Sie es mir; ich finde es nicht!
({2})
- Gut, reden wir nachher einmal darüber. - Also, meine Damen und Herren, wenn Herr Dr. Barzel mich davon überzeugt daß meine Ausführungen, die zu so großer Heiterkeit Veranlassung gegeben haben, danebengegangen sind, weil er recht hatte, entschuldige ich mich an diesem Pult.
Herr Kollege von Bodelschwingh, Sie haben davon gesprochen - Frau Niggemeyer meinte, Sie hätten es nicht gesagt; aber Sie haben es gesagt , daß wir infolge des Wegfalls der angemessenen Unterstützung usw. usw. die freien Kräfte nicht unterstützen wollten, und Sie haben sich zur Beweisführung auf das berufen, was in unseren Anträgen steht. Ich frage Herrn von Bodelschwingh allen Ernstes, ob er - wir sind ja hier gewohnt, immer vom Minister selbst zu sprechen; also, Herr Minister, daß ich Sie persönlich nicht meine, ist klar; Sie können ja nichts dafür - wirklich behaupten will, daß diese seine Schlußfolgerung auch für das Bundesinnenministerium zutrifft. - Nein. Dann muß ich Ihnen folgendes sagen.
({3})
- Sie meinen den Satz „Die Träger der Sozialhilfe sollen die Verbände der freien Wohlfahrtspflege in ihrer Tätigkeit auf dem Gebiet der Sozialhilfe angemessen unterstützen"?
({4})
- Jetzt sind wir uns einig, im Gegensatz zu Herrn Dr. Barzel.
({5})
Und nun passen Sie auf, Herr von Bodelschwingh!
({6})
Ich habe Sie gefragt, Herr von Bodelschwingh, ob Sie diesen Vorwurf, weil der Satz nicht da ist, gegebenenfalls auch gegen das Bundesinnenministerium erheben. Da haben Sie gesagt: Nein. Ich möchte nun gern wissen, warum Sie uns das zutrauen, was Sie Herrn Dr. Schröder nicht zutrauen.
({7})
Denn, meine Damen und Herren, der Vorlage der Drucksache 1799 gingen ja zwei Referentenentwürfe voraus.
({8})
- Was heißt „Aha", Herr Dr. Willeke?
({9})
In § 70 des zweiten Referentenentwurfs, den alle Verbände zugestellt bekommen haben - dieser § 70 ist mit § 10 der Drucksache identisch -, fehlt dieser Satz.
({10})
Das Ministerium hat also offensichtlich geglaubt, in Anlehnung an § 5 der Fürsorgepflichtverordnung offensichtlich geglaubt, es genüge, die Zusammenarbeit mit der freien Wohlfahrtspflege sicherzustellen, ohne davon zu sprechen, daß man sie angemessen unterstützen soll. Ich behaupte hiermit also im Nachgang zu Herrn von Bodelschwingh, daß Herr Minister Dr. Schröder in heimtückischer Weise damit versucht hat, den Kranen für die Wohlfahrtsverbände zuzudrehen.
({11})
Und nun zu Herrn Maucher. Herr Kollege Maucher, Sie waren für Berlin entschuldigt. Das möchte ich vor dem ganzen Hause feststellen. Niemand nimmt Ihnen übel, daß Sie nicht da waren. Sie waren eine fleißiger Ausschußbesucher. Das wollen wir ohne Ironie als Kollegen feststellen.
Sie haben sich also gewundert, Herr Maucher, warum wir zu den §§ 10 und 86 nichts gesagt hätten. Wir haben etwas zu den §§ 10 und 86 gesagt. Nur Ihre Fraktion hat nichts zu den §§ 10 und 86 gesagt, außer Frau Dr. Weber, die zu mir im Ausschuß gesagt hat - wir zwei verstehen uns nämlich ganz gut -: „Herr Kollege, ich bin doch der Meinung, Sie sprechen ein bißchen zuviel von der Kirche." Das war die ganze Reaktion auf meine Ausführungen.
({12})
Sehen Sie, Herr Maucher, bisher habe ich das immer ein bißchen humoristisch aufgefaßt. Aber daß ausgerechnet der Mann, der in unserem Ausschuß am laufenden Band bei jeder Debatte über einen Paragraphen gesagt hat: „Abstimmung! - Abstimmung!", herkommt und sagt, darüber sei zuwenig geredet worden, das ist ein starkes Stück.
({13})
Ich werde auf unsere Anträge noch zu sprechen kommen, wenn sie behandelt werden. Ich werde dann auch noch einiges zu sagen haben, was ich Ihnen hier sagen könnte; ich will das nachher tun. Ich äußere mich nicht zu den verfassungsrechtlichen Fragen, weil ich kein Fachmann bin. Ich äußere mich nicht zu den theologischen Fragen, weil ich auch da kein Fachmann bin. Aber wenn Sie einiges über die realen Hintergründe der Verwandlung vom ersten zum zweiten Referentenentwurf und zur Drucksache 1799 hören wollen, werde ich Ihnen bei der Beratung der Änderungsanträge sehr gern zur Verfügung stehen. Ich betone, es waren nicht die freien Wohlfahrtsverbände, sondern es waren andere Kräfte, die hier maßgebliche Änderungen wünschten, an die das Bundesinnenministerium im Traum nicht gedacht hatte.
({14})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir eigentlich leid, daß ich hier überhaupt noch etwas sagen muß, weil mir viel mehr daran liegt, daß die zweite und dritte Beratung dieses Gesetzes bald abgeschlossen werden können. Aber der Kollege Könen hat versucht, einen Gegensatz zu konstruieren zwischen der Haltung, die der Herr Kollege von Bodelschwingh in der Kritik an seined Anträgen, und der, die er zu den Entwürfen des Ministeriums eingenommen habe. Nun würde ich dazu noch nichts sagen, wenn er so ganz allgemein beim Ministerium geblieben wäre. Aber wenn er es unter Namensnennung auf mich zuspitzt, dann muß ich ihm folgendes sagen.
({0})
- Nachher, im zweiten Gang, kam es doch. Wir
werden es an Hand des Protokolls klären können.
Meine Damen und Herren, die Arbeit an einem Gesetzentwurf wie diesem zieht sich über Jahre hin. Herr Kollege Könen, Sie kennen nun zufällig offenbar einen oder zwei - es gibt noch sehr viel mehr - Referentenentwürfe. Ich finde es nicht ganz fair, daß Sie die Kenntnis, daß Sie sozusagen außerhalb des Ausschusses und außerhalb des offiziellen Gesetzgebungsgangs erlangt haben, hier auszuspielen versuchen.
({1})
- Doch, doch, natürlich. Woher soll er die Referentenentwürfe kennen, wenn nicht außerhalb dieses Gesetzgebungsganges? Das ist doch völlig klar.
({2})
- Ja, trotzdem - hören Sie doch, was ich sagen will -, mit den Referentenentwürfen den Minister selbst oder, sagen wir mal, die Bundesregierung zu verbinden ist in der Tat nicht ganz fair; denn die Referentenentwürfe sind Versuche und werden zunächst nur von der Verantwortlichkeit des betreffenden Referenten getragen, im allerhöchsten Falle etwa noch der der Abteilung. Wenn man anders verfahren würde, würde man die Arbeit ganz unmöglich machen. Es kann nicht eher eine Bindung des Ministers und der Bundesregierung geben als im Schlußstadium, und das, meine Damen und Herren, was Ihnen hier im Schlußstadium vorliegt, ist eine Linie, die die Bundesregierung in der Tat ganz unverändert durchgehalten hat. Sie werden verstehen können, daß ich mich darüber freue, daß die Vorlage der Bunderegierung so, wie sie gemacht worden ist, im Hohen Hause gerade dabei ist, eine Mehrheit zu finden. Sie könnte nach meiner Überzeugung getrost eine breitere Mehrheit finden, als sie sie wahrscheinlich finden wird. Denn ich sage Ihnen offen, ohne mich nun in eine lange Auseinandersetzung darüber einlassen zu wollen: Die §§ 10 und 86 in ihrer derzeitigen Fassung werden in
ihrer Auswirkung weit überschätzt. Ich würde es sehr begrüßen, wenn man diese Bestimmungen etwas realistischer ansähe, als das im gegenwärtigen Stand der Debatte erfolgt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?
Bitte.
Herr Minister, muß man nicht aus Ihren Ausführungen schließen, daß Sie der Auffassung sind, daß Vertreter von Verbänden eher Kenntnis von einem Referentenentwurf erlangen sollen als Abgeordnete?
({0})
Herr Kollege Schäfer, wenn ich darauf angesprochen werde, benutze ich gerne die 'Gelegenheit, dazu meine Meinung zu sagen. Die Mitglieder der Bundesregierung selbst bedauern sehr oft - und ich habe das bei zahlreichen Beratungen erlebt -, daß sie vieles nicht etwa in Kabinettsberatungen zum ersten Male hören, sondern schon in Verbandszeitschriften gelesen haben. Das bedauern die Mitglieder der Bundesregierung wohlgemerkt ebensosehr wie viele Angehörige dieses Hauses. Es ist aber eine Folge eines im Grunde seit Jahrzehnten - ich lasse einmal das „Dritte Reich" heraus - etablierten Verfahrens, daß Entwürfe gefertigt werden sollen, die zunächst einmal einer Aussprache mit den beteiligten Gruppen unterliegen, wohlgemerkt sowohl für die Meinungsbildung der Regierung als später für die Meinungsbildung des Parlaments. Man kann dieses Verfahren für falsch halten, und wir sind vielleicht auch manchmal etwas zu weit darin gegangen, obwohl es in der Geschäftsordnung der Bundesregierung vorgeschrieben ist und so gehandhabt wird. Ich selbst bin eher Anhänger eines Verfahrens, bei dem man zunächst einmal gewisse Grundsätze festlegen und erst in einem späteren Stadium den Sachverstand der Verbände heranziehen würde. Aber ich kann auf Ihre Frage nur sagen: Man kann verschiedener Meinung darüber sein, ob das heutige Verfahren praktisch ist.
({0})
- Nein, es ist nur unfair, daraus den Schluß zu ziehen, daß der Entwurf unter Verantwortung des Ministers stehe.
({1})
- Aber ich glaube, dieser Punkt scheint doch geklärt zu sein.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Nellen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden verstehen, daß, nachdem nicht aus ,der Sache sich unbedingt
zwingend ergebenden Gründen, aber ganz bestimmt aus psychologisch-taktischen Gründen mein Name von einem meiner Herren Vorredner des öfteren, und zwar etwas penibel oft genannt worden ist, ich dazu noch einiges sage. Diese Namensnennung könnte mich dazu veranlassen, Herr Kollege Barzel, jetzt etwa Idas reizende Spiel durchzuführen, das, was ich eben mit einem Ihnen und mir geläufigen Fremdwort zu bezeichnen versucht habe, jetzt immer deutsch zu sagen. Das wäre reizvoll für ,das ganze Haus, das kann ich auch. Aber ich verzichte darauf. Ich muß es aber zurückweisen, wenn hier auch nur im geringsten der Eindruck hervorgerufen werden sollte, als ob mit einem bestimmten Namen wiederum ,sehr unterschiedslos ein Kampf gegen das auch von mir vertretene Subsidiaritätsprinzip verbunden sei.
({0}) Dagegen muß ich mich sehr entschieden wehren.
Verehrter Herr Kollege Dr. Barzel, mein Vorredner, mein Fraktionskollege Könen, hat Ihnen schon nachgewiesen, daß Sie bei aller angeblichen „Stärke, etwa im Grundsätzlichen", durch eine saubere Interpretation der einzelnen Absätze der von Ihnen angezogenen Paragraphen nicht das bewahrheiten können, was Sie behauptet haben. Man könnte wirklich den lohnenden Versuch machen, das Subsidiaritätsprinzip auf die Änderungsvorschläge meiner Fraktion anzuwenden, und man würde feststellen, daß ihm voll und ganz Genüge getan ist. Was hier an echten, auch von uns anerkannten originären Rechten der Einzelperson und der Familie behauptet worden ist, das trägt dem zur Genüge Rechnung. Aber etwas anderes müssen wir um so stärker herausstellen. Es geht nicht an, nun umgekehrt der öffentlichen Hand eine Abstinenz zuzumuten und ihr aufzuzwingen, die sie wiederum geradezu außerstande setzt, unter Umständen Notwendiges und Gefordertes zu tun. Das sind zwei ganz verschiedene Angelegenheiten. Der Respekt vor der recht verstandenen Subsidiarität - ich würde lieber sagen: vor der mitbürgerlichen Aktivität 'der Gruppen der freien Gesellschaft - ist voll und ganz, und zwar sehr bewußt und sehr wachsam, in den Änderungsanträgen der Fraktion der SPD gewahrt. Nicht aber machen wir mit - ich persönlich mache es auf keinen Fall mit -, daß deswegen das, was den Kommunen gegeben werden muß, ihnen schlechterdings vorenthalten wird, und zwar an Rechten und Pflichten.
({1})
Das scheint unserer Fraktion bei der vom Ausschuß verabschiedeten Formulierung und speziell auch noch in Ihren Änderungsanträgen - leider Gottes - der Fall zu sein. Man kann die Subsidiarität positiv nicht durchpauken, wenn man allzu negativ der öffentlichen Hand das Subsidium schlechterdings unmöglich macht. Das tun Sie, und ich zögere gar nicht zu erklären: ich würde mit sehr großer Ruhe etwa einem Gang zum Bundesverfassungsgericht entgegensehen, wo uns, wie ich fürchte, wiederum eine gewisse Lässigkeit, nämlich ein Mangel an
„Pingeligkeit" gegenüber der Verfassung nachgewiesen werden könnte.
({2})
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lege Wert auf eine Klärung der Dinge, die Herr Bundesminister Dr. Schröder angesprochen hat. Wenn ich in Schulen oder sonstwo im Rahmen des staatsbürgerlichen Unterrichts darüber spreche, wie ein Gesetz entsteht, dann erzähle ich auch, was ein Referentenentwurf ist. Dann sage ich immer genau das, was Herr Abgeordneter Dr. Schröder sagt: der Referentenentwurf ist die Arbeit eines Beamten, und wenn der Sturm der Entrüstung sehr groß ist, kann sich der Minister dahinter zurückziehen, wie es Herr Blank seinerzeit bei seinem Referentenentwurf gemacht hat.
({0})
Aber in der Sache ist es natürlich richtig: der Referentenentwurf ist weder eine Vorlage des Ministeriums noch eine Vorlage der Regierung, er ist eine Arbeitsgrundlage zur Diskussion mit Verbänden, Organisationen, Fachleuten usw., was dazu gehört. Ich glaube, in dieser Auslegung sind wir uns einig, Herr Dr. Schröder. Ich habe also nicht etwa in unfairer Weise meine Kenntnis eines Referentenentwurfs dazu benutzt - wenn dieser Eindruck bestehen sollte, würde ich es bedauern -, dem amtierenden Bundesminister diesen Referentenentwurf an die Rockschöße zu hängen. Ich habe vielmehr Herrn von Bodelschwingh nachgewiesen: wenn er aus dem Text unseres Antrages entnimmt, wir wollten den freien Verbänden den Hahn zudrehen, dann trifft der gleiche Vorwurf die betreffenden Beamten des Ministeriums - ich will mich jetzt deutlich ausdrücken - und nicht den Minister. Denn die haben im Referentenentwurf auch diesen Satz nicht darin. - Sie können sich beruhigen, Herr Dr. Schröder, ich werde über den Referentenentwurf nicht in dem Sinne reden, daß ich ihn der Regierung an die Rockschöße hänge. Vielmehr stelle ich nur fest - ich darf eis Ihnen jetzt verraten; ich wollte gar nicht zu den Anträgen sprechen -: ein Teil der Anträge der SPD-Fraktion bezieht sich ausdrücklich auf die Referentenentwürfe des Bundesinnenministeriums, weil wir glaubten, uns dabei in guter Gesellschaft zu befinden.
({1})
Herr Abgeordneter Spitzmüller!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Eine Diskussion kann mit der Zeit vielleicht doch etwas zur Klärung der Begriffe beitragen. Ich habe vorhin gesagt, ich hätte den Eindruck, wir brauchten einen Dolmet9046
scher, obwohl nicht lateinisch gesprochen werde. Ich
glaube, ich bin auf der Spur dieses Dolmetschers,
und hoffe ihn - langsam, aber sicher - zu finden.
Ihnen geht es ganz offensichtlich um den § 10 Abs. 5, der die Subsidiarität beinhaltet. Wir haben gegen diesen § 10 Abs. 5 verfassungsrechtliche Bedenken. Aber in dem Augenblick, wo eindeutig geklärt ist, daß dieser Abs. 5 verfassungskonform ist, haben wir gar nichts gegen ihn einzuwenden.
({0})
Ich darf hier ausdrücklich darauf hinweisen, daß dieser Abs. 5 - unbeschadet der Verfassungsfrage - in Berlin einstimmig, also mit den Stimmen der SPD und der FDP, angenommen worden ist. Wir haben nur gesagt, daß wir wissen wollen, ob dieser Abschnitt in dieser Reihenfolge verfassungskonform ist. Vielleicht ist hiermit ein Mißverständnis ausgeräumt.
Weder wir noch die Kollegen der SPD haben einen Antrag auf Streichung des § 10 Abs. 5 gestellt. Wir haben nur die Rechtsbedenken, ob dieser Absatz verfassungskonform ist. Es besteht also offensichtlich weder auf der rechten noch auf der linken Seite des Hauses die Absicht, im Rahmen dieser angeblichen weltanschaulichen Koalition, die hier zusammengekommen sein soll - ({1})
- Lieber Herr Kollege Barzel, wenn hier wirklich eine weltanschauliche Koalition zusammengekommen wäre, dann würde es sich um ein weltanschauliches Gesetz handeln, also genau das vorliegen, was Herr von Bodelschwingh und Herr Maucher ausdrücklich in Abrede gestellt haben. Insofern kann das, was Sie von dieser Koalition gesagt haben, gar nicht zutreffen, denn sonst müßten Ihre Kollegen, die das ausdrücklich in Abrede gestellt haben, ja die Unwahrheit gesagt haben.
({2})
Unsere Bedenken, das darf ich noch einmal in den Vordergrund stellen, richten sich gegen den Abs. 3 Satz 2. Wir haben im Ausschuß darum gerungen, eine Formulierung zu finden, wonach zwar eine Anweisung gegeben wird, die freien Wohlfahrtsverbände angemessen zu unterstützen, die aber nicht nachher im Wege der Inanspruchnahme aller möglichen Rechtsanwälte dahin ausgewalzt werden kann, daß es sich um die Statuierung einer Alimentierungspflicht für alle Aufgaben der Wohlfahrtsverbände schlechthin handelt. Dann würde nämlich deren Arbeit im Grunde genommen nur noch zu einem kleineren Teil von freier Liebestätigkeit und zum größeren Teil durch staatliche Alimentation getragen sein. Wir haben im Ausschuß keine Formulierung gefunden, die dem Rechnung trägt, was Sie wollen und was auch wir durchaus unterstützen und begrüßen würden. Die Regierung hat zwar gesagt, die nunmehr vorgesehene Formulierung enthalte einen Befehl zur Unterstützung, aber keinen Befehl zur Alimentierung. Wir haben jedoch Bedenken, was die Gerichte nachher daraus machen.
({3})
- „Sollen" heißt nach dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil „müssen", wenn nicht ganz erhebliche schwerwiegende finanzielle Bedenken entgegenstehen. Im Ausschuß wurde klargestellt, daß ein Kreis oder eine Stadt notfalls zunächst einmal den Hebesatz auf das Landesmittel bringen muß, bevor von ihnen geltend gemacht werden kann, sie könnten dem in der Form des Sollens ausgedrückten Befehl nicht weiter nachkommen. - Das sind die Bedenken, die wir haben.
Ich habe den Eindruck, wir haben in den letzten zwei Stunden sehr gute und sehr grundsätzliche Ausführungen gehört. Aber wir sind jetzt vielleicht auf dem Wege, zueinanderzukommen. Ich bin der Meinung, wir sollten in allen Fraktionen die Ruhe der Nacht ausnützen. Morgen früh wird ja mit einem anderen Gesetz begonnen.
({4})
- Nicht? - Wir sollten auf jeden Fall die Zeit nützen, um vielleicht doch noch zu einer tragbaren Lösung zu kommen.
Unsere Bedenken richten sich dagegen, daß sich hier ein gesetzlicher Alimentierungsbefehl herausentwickeln könnte, und unsere Befürchtungen gehen dahin, daß die Gemeinden lahmgelegt werden, wenn § 86 in der Ihnen jetzt vorliegenden Form beschlossen wird. Das sind die gravierenden Bestimmungen, gegen die wir uns wenden, weil wir hier schlechthin eine Beschränkung der Freiheit sehen.
({5})
Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Art und Weise, in der die Mehrheitsfraktion glaubt sich hier mit verfassungsrechtlichen Fragen auseinandersetzen zu können, die Art und Weise, wie insbesondere der Herr Kollege Barzel glaubt ein so schwieriges Problem wie das der Verfassungmäßigkeit der hier streitigen Bestimmungen erledigen zu können, zwingt mich leider, trotz der vorgerückten Stunde das zu tun, was Sie vorhin bei der Verwerfung unseres Geschäftsordnungsantrags abgelehnt haben, nämlich hier gründlich auf die Verfassungsfrage einzugehen.
Ich glaube, gerade die Notwendigkeit, das hier so beraten zu müssen, zeigt schon, wie schlecht Ihre Entscheidung war, dieses Gesetz noch einmal dem Rechtsausschuß zur Beratung zu überweisen.
Herr Kollege Dr. Barzel hat hier versucht, so etwas aus der linken Hand uns einige Verfassungs-und Verwaltungsgerichtsurteile hinzuwerfen, so, als wäre man im vertrauten Kreise. Er tat so: Na, Sie wissen schon, was darin steht. Das mag vielleicht die Art und Weise einer Beratung im Ausschuß sein. Es ist aber keinesfalls eine angemessene Beratungsform hier im Plenum, wo Sie, verehrter Herr Kollege Dr. Barzel, unterstellen müssen, daß die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen nicht ständig Verfassungsgerichtsurteile liest und desJahn ({0})
wegen nicht wissen kann, was darin steht. Ich kann es mir, so leid es mir tut, so einfach hier nicht machen.
Die Frage, ob die streitigen Bestimmungen des § 10 und des § 86 der Vorlage mit Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes vereinbar sind, können Sie richtig nur beantworten, wenn Sie zunächst einmal vom Text des Grundgesetzes ausgehen. Dort heißt es ganz ausdrücklich:
Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.
Das ist ein Grundsatz, den Sie im übrigen in allen Landesverfassungen gleichermaßen wiederfinden. Es heißt nicht umsonst in Art. 28 Abs. 3, daß der Bund die Verpflichtung hat, insofern die Übereinstimmung der Landesverfassungen mit dein Grundgesetz zu wahren und darauf zu achten, daß eine Verletztung nicht vorgenommen wird. Was Sie hier versuchen, ist das genaue Gegenteil.
Was aber nun diese Bestimmungen des Grundgesetzes im einzelnen beinhalten - ({1})
Herr Abgeordneter, Sie sind in. einer beklagenswerten Situation. Das ist mir und dem Hause völlig bewußt.
Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich mit meinen Ausführungen wenigstens so lange warte, bis ich nicht nur gegen Rücken sehe. Ich glaube, das ist keine angemessene Situation.
Das ist keine angemessene Situation. Aber ich rechne damit, daß das Haus im Begriff ist, sich für heute abend aufzulösen.
({0})
Ich hätte den Redner nicht unterbrochen, wenn ich nicht sähe, daß sich das Haus leert.
Wir haben jetzt noch zwei weitere Wortmeldungen. Meine Absicht war, heute abend mindestens den § 10 zu Ende zu bringen. Das scheint aber unmöglich zu sein. Sind die Änderungsanträge eigentlich begründet?
({1})
- Gut, meine Damen und Herren, dann mache ich das Haus auf folgende Situation aufmerksam. Wir sind weit über die Zeitplanung hinaus, die wir uns eigentlich vorgenommen hatten. Wir sollten heute mit dieser Sache fertig sein und bereits heute abend das Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte ebenfalls verabschiedet haben. In Anbetracht der Änderungsanträge, die mir inzwischen zu Punkt 8 der Tagesordnung, also zu dem Gesetz über die
Altershilfe für Landwirte, vorgelegt worden sind, kann ich nur befürchten, daß wir morgen in dieser Sache noch eine lange, kontroverse Debatte haben werden. Damit kommen wir mit unserem ganzen Fahrplan natürlich in große Schwierigkeiten.
Ich hatte die Absicht, dem Hause nahezulegen, morgen mittag die Mittagspause zu verkürzen und morgen abend gegen 20 Uhr Schluß zu machen. Ich gestehe, daß ich dabei deshalb in einer mißlichen Situation bin, weil ich einen Teil des Hauses zu einem Empfang und einem Essen für afrikanische und europäische Parlamentspräsidenten brauche. Wir stehen am Freitag mit der Entwicklungshilfe -vor einem großen Programm.
Im Augenblick kann ich Ihnen noch nicht die tröstliche Aussicht bereiten, daß wir fertig werden. Ich werde morgen den Ältestenrat während des Plenums zusammenbitten. Aber ich bitte, sich einmal darauf einzustellen, daß wir dann morgen eben keine zwei Stunden, sondern allenfalls anderthalbStunden oder eine Stunde Mittagspause haben.
Jetzt, meine Damen und Herren, bitte ich, solange auszuhalten und dem Redner noch zuzuhören, damit er seine Ausführungen zu Ende bringen kann.
({2})
Bitte sehr, sprechen Sie weiter, Herr Abgeordneter!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei einer Untersuchung darüber, wieweit die Verfassungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 reicht, genügt es, glaube ich, nicht, irgendwelche Entscheidungen des Bundesverfassungs- oder -verwaltungsgerichts lediglich einmal zu erwähnen. Es scheint mir vielmehr notwendig zu sein, einmal einiges aus diesen Urteilen selbst zu zitieren.
Im ersten Band der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist auf Seite 174 folgendes gesagt, das ich hiermit zitieren möchte:
Der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich gab in seiner Entscheidung vom 10./11. Dezember 1929 die dann herrschend gewordene Auffassung mit den Worten wieder: Artikel 127 Reichsverfassung bedeutet kein bloßes Programm ohne rechtlichen Gehalt. Er setzt vielmehr bindend fest, daß den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung zustehe. Die Landesgesetzgebung darf daher dieses Recht nicht aufheben und die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten nicht den Staatsbehörden übertragen. Sie darf die Selbstverwaltung auch nicht, derart einschränken, daß sie innerlich ausgehöhlt wird, die Gelegenheit zu kraftvoller Betätigung verliert und nur noch ein Scheindasein führen kann. . . . Dieser Auslegung
- Herr Kollege Dr. Barzel, vielleicht sind Sie so liebenswürdig, jetzt einmal zuzuhören; denn das ist es gerade, was ich Ihnen sagen möchte ist auch für Artikel 28 Abs. 2 GG zu folgen.
Jahn ({0})
In einer Entscheidung im sechsten Band Seite 19 ff. ist folgendes zu der Frage gesagt, die Sie vorhin so obenhin verneint haben, ob der Wesenskern der gemeindlichen Selbstverwaltung angegriffen sei:
Ob ein Eingriff in den Kern des Selbstverwaltungsrechts vorliegt, dessen Unverletzbarkeit den Gemeinden und Gemeindeverbänden durch Artikel 28 Abs. 2 GG gewährleistet ist, ist danach zu bestimmen, was von dem Recht der Selbstverwaltung nach dem Eingriff übrigbleibt. Der Kern des Selbstverwaltungsrechts ist nicht verletzt, wenn den Gemeinden und Gemeindeverbänden, von Ausnahmen abgesehen, die
- Herr Kollege Dr. Barzel weitgehend durch das Herkommen bestimmt werden, die Führung der Geschäfte unter eigener Verantwortung überlassen bleibt
und wenn
eine Schmälerung des Aufgabenbereichs und ein Abgehen von dem Grundsatz der eigenverantwortlichen Verwaltung ausschließlich durch Gesetz beim Vorliegen eines Notstandes und unter Beschränkung auf das zeitlich und sachlich Notwendige angeordnet wird.
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Die Gemeinden, aber auch die Landkreise sind Verbände zur Förderung des gemeinsamen Wohls ihrer Einwohner.
Wesentlich ist mir in diesem Zusammenhang die Feststellung, daß sich das, was Aufgabe der Gemeinde ist, weitgehend durch das Herkommen bestimmt. Niemand wird, so hoffe ich, im Ernst bestreiten wollen, daß Sozialhilfe ein ursprüngliches und uraltes und ureigenes Recht gerade der Gemeinden ist und daß gerade hier mit besonders strengem Maßstab gearbeitet werden muß, wenn man die Frage prüft: Inwieweit wird der Wesensgehalt der kommunalen Selbtsverwaltung angegriffen?
Die Beispiele, die Sie hier angeführt haben - das Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes, die Frage der Baugebiete - sind wahrhaftig schlechte Beispiele; an ihnen können Sie nicht nachweisen, um was es hier geht. Denn gerade bei diesen Beispielen - da stimme ich durchaus mit Ihnen überein - wird der Kern der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht berührt. Hier aber, wo es um die Frage der eigenverantwortlichen Tätigkeit der Gemeinden auf dem Gebiet der Sozialhilfe geht, hier geht es an den Wesenskern der gemeindlichen Arbeit.
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- Sie sprechen in der jetzigen Fassung des § 10 Abs. 5 und des § 86 Abs. 1 ein regelrechtes Verbot der eigenverantwortlichen Tätigkeit für die Gemeinden aus.
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Sie werden ja nicht bestreiten wollen, daß das „soll" in der Formulierung des Gesetzes anerkanntermaßen praktisch ein zwingendes „muß" bedeutet.
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Mit diesen Vorschriften führen Sie praktisch eine Pflicht der Gemeinden zur Subventionierung der freien Verbände ein.
Meine Damen und Herren, was heißt das denn? Das heißt doch praktisch, daß Sie die eigene Entscheidungsfreiheit der Gemeinden in einem Maße binden, das mit der eigenverantwortlichen Selbstverwaltungstätigkeit der Gemeinden nicht vereinbart werden kann.
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Sie verfügen mit diesen Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes praktisch zwingend darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise die Gemeinden ihre eigenen Haushaltsmittel zu verwenden haben. Sie nehmen den Gemeinden die Möglichkeit, selbstverantworlich zu entscheiden. Sie können nicht mit Formulierungskünsten versuchen, an dieser Klippe vorbeizukommen, indem Sie erklären, daß mit diesen Regelungen zwar - das haben Sie ausdrücklich zugegeben - in das Gemeindeverfassungsrecht „hineingeragt" werde; so etwa haben Sie sich ausgedrückt. Nein, hier gehen Sie an den Kern der gemeindlichen Selbstverwaltung heran, und das können Sie mit Ihren Bemerkungen nicht überspielen. Sie greifen damit weiter in das gemeindliche Verfassungsrecht hinein, in dem Sie ausdrücklich den Gemeinden Bindungen auferlegen, die Sie - d. h. die wir allesamt - ihnen hier nicht auferlegen können.
In diesem Zusammenhang war für mich ein Zwischenruf außerordentlich interessant, den Herr Minister Wuermeling vorhin während der Debatte gemacht hat. Er rief mit dem Pathos, das ihm eigen ist, in den Saal hinein: „Wir wollen doch nur die Gleichberechtigung für alle!" Nun, wenn Sie nur die Gleichberechtigung für alle wollen, dann frage ich Sie, warum lassen Sie es eigentlich nicht bei dem geltenden Recht und dem geltenden Zustand? Das, was Sie jetzt wollen, das ist nicht Gleichberechtigung für alle, das ist tatsächlich ein ganz einseitiger Vorrang der freien Wohlfahrtspflege zum Nachteil der gemeindlichen Selbstverwaltung.
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Sie sprechen zugunsten der freien Wohlfahrtspflege der gemeindlichen Selbstverwaltung gegenüber ein Verbot aus, ihre ursprünglichen Aufgaben selber wahrzunehmen. Ich verstehe beim besten Willen nicht, wie man dann noch davon reden kann, daß man damit Gleichberechtigung schaffen wolle, wenn man durch den Wortlaut des Gesetzes ganz eindeutig Vorrangigkeiten schafft. Sie machen doch praktisch die freien Verbände zu regelrechten Behörden, zu Ersatzbehörden, wenn Sie so wollen. All die Aufgaben aber, die die Gemeinden - historisch gesehen - seit eh und je aus gutem Grund und gut und ordentlich erfüllt haben, sollen nun zwinJahn ({7})
gend auf die Verbände übertragen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesem Vorgehen rühren Sie - ich wiederhole es noch einmal - ganz eindeutig an den Kern der gemeindlichen Selbstverwaltung, und ich meine, diese Frage können wir - es tut mir leid, das feststellen zu müssen - hier nicht zu Ende diskutieren; darülber müssen wir uns noch einmal im Rechtsausschuß sehr eingehend unterhalten.
Sie werden mir zugeben, Herr Kollege Dr. Barzel, daß Ihre beiläufigen Zitate noch kein sehr tiefgehender Beitrag zur Erörterung gerade dieses Verfassungsproblems waren. Wir hatten uns in diesem Hause ja gelegentlich über Verfassungsfragen zu unterhalten. Ich weiß nicht: Wollen Sie eigentlich Ihre, wie Sie meinen, so bewährte Wahlkampflinie „keine Experimente" gern verlassen? Hier machen Sie ein Experiment, sogar ein sehr böses, ein sehr böses Experiment auf Kosten der Gemeinden. Es ist ein Experiment; denn Sie wissen, sehr verehrter Herr Kollege Barzel, so gut wie ich: wenn das, was Sie an Vorstellungen in dieses Gesetz hineinbringen
wollen, endgültig Gesetz wird, dann folgt als nächstes eine Verfassungsklage. Wollen Sie sich zu dem Attest bundesunfreundlichen Verhaltens auch noch das Attest gemeindeunfreundlichen Verhaltens einholen?
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Meine Damen und Herren, ich breche die Debatte ab. Wir fahren morgen vormittag um 9 Uhr in der Aussprache hier fort. Der erste Redner morgen vormittag um 9 Uhr ist der Abgeordnete Dr. Barzel.
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- Aber Sie müssen hier sein! Erster Redner: Dr. Barzel, zweiter Redner: Dr. Willeke.
Morgen vormittag um 9 Uhr tritt das Haus wieder zusammen.
Die Sitzung ist geschlossen.