Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich die Freude, dem Herrn Kollegen Prennel zu seinem 60. Geburtstag die besten Wünsche des Hauses auszusprechen.
({0})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden, um die
Wahl eines Mitgliedes und eines stellvertretenden Mitgliedes für die Beratende Versammlung des Europarates.
Für den ausgeschiedenen Ministerpräsidenten Kiesinger benennt die vorschlagsberechtigte Fraktion der CDU/CSU das bisher stellvertretende Mitglied, Herrn Abgeordneten Dr. Wahl. Als Stellvertreter für den Abgeordneten Dr. Wahl ist Abgeordneter Graf Adelmann benannt worden.
Meine Damen und Herren, wir haben in ähnlichen Fällen durch Handaufheben gewählt. Wenn kein Widerspruch erfolgt, würden wir auch heute so verfahren. - Kein Widerspruch. Wer die Herren Abgeordneten Dr. Wahl und Graf Adelmann wählen will, den bitte ich, ein Handzeichen zu geben. - Das ist einstimmig. - Ich unterstelle, daß sich niemand der Stimme enthält - so geschehen. Damit sind die Herren Abgeordneten Dr. Wahl und Graf Adelmann gewählt.
Wir kommen dann zunächst zur
Fragestunde ({1}).
Eine Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in letzter Zeit mehrfach schwere Personen- und Sachschäden durch Personen, die sich widerrechtlich in den Besitz von Kraftwagen setzten, verursacht wurden und daß den auf diese Weise Geschädigten größte Schwierigkeiten beim Geltendmachen ihrer Schadensersatzansprüche entstanden?
Die Frage des Herrn Abgeordneten Gewandt wird vom Herrn Bundesminister der Justiz beantwortet.
Die Anfrage des Herrn Abgeordneten Gewandt beantworte ich wie folgt:
Der Bundesregierung ist bekannt, daß sich in letzter Zeit zumindest in zwei Fällen Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Ersatzansprüchen wegen Unfallschäden, die ein Dieb mit einem gestohlenen Kraftfahrzeug verursacht hatte, ergeben haben. Diese Schwierigkeiten beruhen darauf, daß nach § 7 Abs. 3 des Straßenverkehrsgesetzes der Halter eines Kraftfahrzeuges für Schäden, die ein - nicht für den Betrieb des Fahrzeuges angestellter - Schwarzfahrer verursacht, nur verantwortlich ist, wenn die Benutzung des Fahrzeuges durch ein Verschulden des Halters ermöglicht worden ist. Mangels eines Verschuldens des Halters entfällt seine Haftung und damit meist auch die Durchsetzbarkeit von Ersatzansprüchen des Geschädigten. Zwar haftet nach § 18 des Straßenverkehrsgesetzes, § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches auch der Schwarzfahrer persönlich für die von ihm verursachten Schäden. Für diese Ersatzansprüche tritt jedoch die Haftpflichtversicherung des Kraftfahrzeughalters nicht ein; denn nach Art. 1 § 1 des Pflichtversicherungsgesetzes hat die Haftpflichtversicherung nur Ersatzansprüche gegen den Halter und den berechtigten Fahrer, nicht auch Ersatzansprüche gegen unberechtigte Fahrer zu decken.
Um die hier vorhandene Lücke im Schutze der Verkehrsopfer zu schließen, werden bereits seit längerer Zeit Verhandlungen mit dem Verband der Haftpflicht-, Unfall- und Kraftverkehrs-Versicherer geführt. Weiter enthält der zur Zeit im Bundesjustizministerium vorbereitete Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften u. a. Bestimmungen, die die Deckung der Ersatzansprüche des Geschädigten in derartigen Fällen gewährleisten sollen. Eine Verpflichtung, in diesen Fällen für eine Entschädigung der Verkehrsopfer zu sorgen, ergibt sich auch aus Art. 9 des „Europäischen Übereinkommens über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge", das am 20.4. 1959 In Straßburg unter anderem auch von der Bundesrepublik unterzeichnet, allerdings noch nicht ratifiziert worden ist, übrigens meines Wissens von keinem Land bisher ratifiziert worden ist.
In dem einen der von mir erwähnten Schadensfälle hat der Geschädigte inzwischen aus dem vom Verband der Haftpflicht-, Unfall- und Kraftverkehrs-Versicherer freiwillig gebildeten Fonds zur DekS934
kung von Fahrerfluchtschäden" eine Entschädigung, allerdings kein Schmerzensgeld, erhalten.
Meine Damen und Herren, darf ich zunächst um etwas Ruhe bitten!
Herr Kollege Gewandt, eine Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, zunächst zur Frage I/1 - des Herrn Abgeordneten Schneider ({0}) -:
Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung darauf verzichtet, die gebotene Möglichkeit zur Einführung der deutschen Sprache als Amts- und Arbeitssprache im Europarat wahrzunehmen?
Bitte, Herr Bundesminister des Auswärtigen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht richtig, daß die Bundesregierung auf eine gebotene Möglichkeit, die deutsche Sprache als Amts- oder Arbeitssprache im Europarat einzuführen, verzichtet habe.
Der Sachstand ist vielmehr folgender. Amtssprache des Europarats sind nach Art. 12 seines Statuts Französisch und Englisch. Die Gleichstellung des Deutschen mit diesen beiden Sprachen würde eine Statutenänderung erforderlich machen, die der Zustimmung aller 15 Mitglieder des Europarates bedürfte. Eine solche Statutenänderung ist weder in Aussicht genommen, noch erscheint sie realisierbar.
Die Beratende Versammlung des Europarates hat aber am 29. September 1960 mit ihrer Entschließung 188 eine Änderung ihrer Geschäftsordnung beschlossen. Dieser Beschluß hat zur Folge, daß der deutschen Sprache für den Bereich der Beratenden Versammlung und ihrer Ausschüsse praktisch die Stellung einer Amtssprache eingeräumt wird. Die Durchführung dieser Entschließung bereitet naturgemäß zusätzliche Kosten wegen der erforderlichen Anlage für die Simultanübersetzung und führt zu einer Erhöhung des Haushalts des Europarats. Dafür ist wieder entsprechend den Vorschriften des Statuts das Ministerkomitee zuständig, das mit Zweidrittelmehrheit beschließt. Die Verwirklichung der Entschließung 188 hängt mithin von einer zustimmenden Entscheidung des Ministerkomitees ab.
Das Ministerkomitee hat in der Angelegenhei bisher noch keinen Beschluß gefaßt. Von einigen Mitgliedsregierungen sind jedoch schon gewisse Bedenken politischer und finanzieller Natur angekündigt worden. Die Bedenken beruhen einmal darauf, daß in diesem Augenblick auch andere die Einführung ihrer eigenen Landessprache fordern. Einige Regierungen widersprechen einer Erhöhung des Haushalts aus finanziellen Gründen. Es ist ganz selbstverständlich, daß sich die Bundesregierung so wie seither um die Verwirklichung dieser Entschließung sehr nachdrücklich bemühen wird.
Eine Zusatzfrage?
Herr Minister, es entspricht also auch nicht den Tatsachen, daß andere im Europarat vertretene Nationen ihrerseits den Deutschen eine diesbezügliche Initiative vorgeschlagen haben?
Ganz gewiß nicht.
Wir kommen dann zur Frage II/2 - der Frau Abgeordneten Geisendörfer -:
Ist der Bundesregierung die Notiz in „Christ und Welt” vom 31. März 1961, Nr. 13, „Auflösung des Sozialvereins Rourkela" bekannt, ist die Darstellung richtig, und sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, hier helfend einzugreifen?
Bitte, Herr Minister!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der Frau Kollegin Geisendörfer beantworte ich wie folgt.
Der Bundesregierung ist die Notiz in „Christ und Welt" über die Auflösung des Sozialvereins Rourkela natürlich bekanntgeworden. Die Bundesregierung glaubt, daß die Darstellung in dieser Form nicht zutreffend ist. Sie beabsichtigt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten insbesondere zur Erhaltung des Clubs, der Kirche, der Schule und des Krankenhauses Zuschüsse zu leisten, da anzunehmen ist, daß noch jahrelang zahlreiche Deutsche in Rourkela tätig sein werden. Ich darf hinzufügen, daß der Leiter meiner Kulturabteilung, Ministerialdirektor Dr. Sattler, der noch vor kurzem in Rourkela war, mir darüber berichtet hat. Es ist selbstverständlich, daß wir alles tun werden, um den dort verbleibenden Deutschen - und wir hoffen und wünschen, daß noch auf Jahre hinaus Deutsche dort bleiben, um diesen Betrieb in Gang zu halten - die mit dem Hilfsverein gegebenen Möglichkeiten zu erhalten.
Danke sehr!
Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post-und Fernmeldewesen.
Frage XI/2 - Frau Abgeordnete Dr. Hubert -:
Haben die Beratungen über die Errichtung einer europäischen Post- und Fernmelde-Union, die von der Beratenden Versammlung des Europarates dem Ministerkomitee wiederholt vorgeschlagen wurden, zu einem Ergebnis geführt, oder wie weit sind solche Verhandlungen inzwischen fortgeschritten?
Die wiederholten Anregungen des Europarats, eine Post- und Fernmelde-Union zwischen allen Mitgliedstaaten des Europarates ins Leben zu rufen, sind insofern verwirklicht worden, als bereits im Juni 1959 die „Europäische Konferenz der Verwaltungen für Post- und Fernmeldewesen" gegründet wurde. Ihre Ziele sind die Vertiefung der Beziehungen zwischen den Mitgliedsverwaltungen
Bundespostminister Stücklen
sowie die Harmonisierung und praktische Verbesserung ihrer Verwaltungs- und Betriebsdienste.
Neben den Verwaltungen aller Mitgliedstaaten des Europarats gehören der Europäischen Konferenz der Verwaltungen für Post- und Fernmeldewesen auch die Postverwaltungen Finnlands, Portugals, der Schweiz und Spaniens an. Ihre erste Jahrestagung hat im Oktober vorigen Jahres in Frankreich stattgefunden, die nächste wird im September dieses Jahres in Großbritannien abgehalten.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Postminister, soll aber nicht auch eine Ständige Konferenz der Postminister eingeführt werden, analog z. B. der der Verkehrsminister - das war immer der Wunsch des Europarats -, und nicht nur der Verwaltungen? Die Verwaltungszusammenkünfte haben wir ja schon länger gehabt.
Nein. Dieser Zusammenschluß in Europa unter Einbeziehung der Staaten, die im Europarat vertreten sind, und der Staaten Finnland, Schweiz, Spanien, Portugal, schließt nicht aus, daß die Minister des Post- und Fernmeldewesens dieser europäischen Staaten untereinander tagen.
Darf ich Sie so verstehen, daß die Union der Postminister nicht mehr angestrebt wird?
Nein, denn wir haben die Konferenz der Postsinister als überholt angesehen durch die Gründung dieses neuen Unionsvereins innerhalb der europäischen Postverwaltungen.
Darf ich noch eine Zusatzfrage stellen?
Nein, Ihre Möglichkeiten, zu fragen sind erschöpft, Frau Kollegin Dr. Hubert.
Damit ist die Fragestunde beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Unser Besuch in Washington erfolgte auf Einladung des Präsidenten Kennedy. Premierminister Macmillan war einer gleichen Einladung vom 5. April bis 8. April gefolgt. Ende Mai/Anfang Juni wird Präsident Kennedy den Staatsbesuch, den Staatspräsident de Gaulle im vergangenen Sommer in Washington gemacht hat, erwidern. Im Mai wird Ministerpräsident Fanfani einer Einladung nach Washington folgen. Präsident Kennedy und seine Herren wollen durch Bespresprechungen ein möglichst vollständiges Bild der ganzen Situation auch im westlichen Lager erhalten.
Unseren Besprechungen mit Präsident Kennedy lag keine feste Tagesordnung zugrunde. Der Kreis der Gesprächsteilnehmer war je nach dem zu behandelnden Gegenstand kleiner oder größer. Es fanden zwischen Präsident Kennedy und mir auch Gespräche unter vier Augen statt. In den Gesprächen wurden ungefähr alle wichtigen Fragen besprochen. Das über die Unterredungen herausgegebene Kommuniqué enthält eine gute Wiedergabe der Gesprächsthemen. Ich empfehle, dieses sehr sorgfältig verfaßte Kommuniqué genau durchzulesen.
Die wirtschaftlichen Fragen, soweit sie insbesondere die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik betreffen, wurden nicht weiter erörtert, weil zur Zeit zwischen deutschen und amerikanischen Stellen darüber verhandelt wird und weil auch nach Ansicht des Präsidenten Kennedy diese Verhandlungen einen guten Verlauf nehmen.
Ich habe aus meinen Gesprächen den Eindruck und das Vertrauen gewonnen, daß die Bundesrepublik mit den Vereinigten Staaten sehr eng zusammenarbeiten wird und daß sich diese Zusammenarbeit mehr und mehr auf alle Gebiete ausdehnen wird, die entweder für die Bundesregierung oder für die amerikanische Regierung von besonderer Bedeutung sind. Zu einer solchen Zusammenarbeit ist durch meine Gespräche in Washington die Grundlage gelegt worden.
Besonders ausführlich haben Präsident Kennedy und ich über das nordatlantische Verteidigungsbündnis gesprochen. Wir waren uns darüber einig, daß die NATO die Grundlage unserer gemeinsamen Verteidigung und gemeinsamen Politik darstellt und daß diese sowohl in politischer wie in militärischer Hinsicht weiter ausgebaut werden soll, um die immer größer werdende Aufgabe der Verteidigung der freien Welt erfüllen zu können.
Eingehende Konsultationen über alle Fragen, die ein Mitglied oder mehrere Mitglieder der NATO berühren, das muß das oberste Prinzip der politischen Zusammenarbeit sein. Nur auf dieser Grundlage ist ein Bündnis unter freien Völkern lebensfähig.
Die Vereinigten Staaten sind als das stärkste Land die natürliche Führungsmacht in diesem Bündnis. Aber eine Führung unter Freien besteht nicht darin, daß der Stärkste seinen Partnern seinen Willen einfach mitteilt, sondern darin, daß er seine Absichten zeitig erkennen läßt und sie mit seinen Partnern diskutiert. Diesem Prinzip folgen auch die Vereinigten Staaten, und sie sind gewillt, dieses Prinzip in vollem Umfang zu befolgen.
Unser Bündnis ist ein Verteidigungsbündnis. Die NATO-Staaten müssen bereit sein, füreinander einzustehen, wenn es gilt, einen potentiellen Angreifer davon abzuschrecken, die territoriale Unversehrtheit oder die Unabhängigkeit eines der Alliierten zu
bedrohen. Präsident Kennedy hat mir deswegen gesagt, daß seiner Auffassung nach die NATO, wie es in dem Kommuniqué heißt, alle dafür erforderlichen militärischen Mittel behalten und weiterentwickeln muß.
Noch deutlicher kann man einen derartigen Grundsatz nicht ausdrücken. Es ist mir unverständlich, wie in der deutschen Öffentlichkeit hierüber mißverständliche Ausführungen gemacht werden konnten. Ich möchte deswegen Ihre besondere Aufmerksamkeit noch einmal auf diese wenigen Worte lenken:
Der Präsident und der Bundeskanzler unterstrichen die Überzeugung ihrer Regierungen, daß die NATO alle militärischen Mittel behalten und weiterentwickeln muß, die es ihr ermöglichen, einen potentiellen Angreifer wirksam davon abzuschrecken, die territoriale Unversehrtheit oder die Unabhängigkeit eines jeden Alliierten zu bedrohen.
Wir waren uns völlig darüber einig, daß die in ,der NATO vereinbarten konventionellen Planungsziele erfüllt werden sollen. Das gilt auch für das Gebiet der für die nukleare Rüstung gültigen Planungen, über deren Fortentwicklung wir in der NATO weiterhin beraten werden. Es bestand kein Zweifel und keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß es für die Alliierten unerläßlich ist, alle militärischen Mittel, das heißt also sowohl ,die konventionellen als auch die nuklearen beizubehalten und zu entwickeln.
Darüber hinaus haben wir Fragen der Verteidigungspolitik in allgemeiner Weise besprochen. Wir sind uns klar, daß eine Reihe zusätzlicher Probleme der Strategie, der Ausrüstung und der Mitwirkung der europäischen Verbündeten an der Planung für eine wirksame Abschreckung noch gelöst werden müssen. Dies wird im Rahmen der NATO geschehen. Die Amerikaner haben keinen Zweifel daran gelassen, daß sie alle Fragen, die die gemeinsame Verteidigung betreffen, in der NATO zur Konsultation stellen und mit ihren Verbündeten gemeinsam erörtern wollen. Ich bin nach meinem Gespräch mit dem Präsidenten davon überzeugt, daß die Amerikaner diese Haltung mit der gleichen Bündnistreue einnehmen werden, die sie von ihren Verbündeten erwarten. Ich möchte hier erklären, daß ebenso auch wir bereit sind und immer bereit sein werden, unsere Bündnisverpflichtungen in jeder Beziehung zu erfüllen.
Ausführlich haben der Präsident und ich über das Deutschland-Problem und das Berlin-Problem gesprochen. Deutschland und Berlin können - das ist mein bestimmter und sicherer Eindruck - auf die Zusage, die die Amerikaner zum Schutze der Freiheit Berlins abgegeben haben, vertrauen.
({0})
Die Grundlagen, auf denen die Deutschlandpolitik der Bundesregierung seit 1949 beruht und die von unseren Verbündeten in den Pariser Verträgen feierlich übernommen worden sind, bleiben dieselben. Eine gerechte und dauerhafte Lösung der Deutschlandfrage einschließlich des Berlin-Problems ist nur auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts möglich.
({1})
Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit bleibt das Ziel unserer gemeinsamen Politik.
Mit großer Eindringlichkeit hat der Präsident den Standpunkt seiner Regierung zur europäischen Einigung dargelegt. Auch die neue Administration sieht, wie ihre Vorgängerin, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als das Kraftzentrum an, von dem nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die politische Einigung Europas ausgeht. Es bestand zwischen dem Präsidenten und mir Übereinstimmung darüber, daß die EWG ein wesentliches Element der Stärke der atlantischen Gemeinschaft darstellt. Sie ist entsprechend den von den Regierungen der Mitgliedstaaten immer wieder abgegebenen Erklärungen nicht exklusiv, sondern steht anderen europäischen Staaten zum Beitritt offen. Wir hoffen, daß sich andere zu einem solchen Schritt entschließen werden. Das gilt ganz besonders für Großbritannien, mit dem die kontinentalen europäischen Staaten in gleicher Weise wie die Vereinigten Staaten von Amerika durch enge politische und wirtschaftliche Bande verknüpft sind. Ich glaube auch, daß in Großbritannien die Erkenntnis wächst, daß ein enger Zusammenschluß Großbritanniens mit der EWG das Gebot der Stunde ist und daß ein solcher Zusammenschluß die dynamischen politischen und institutionellen Kräfte, die der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft innewohnen, nicht schwächen darf.
Ein weiterer, wichtiger Teil meiner Gespräche mit dem Präsidenten betraf die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den übrigen Ländern Europas und mit Kanada. Wir stimmten darin überein, daß die in der Entstehung begriffene Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung als ein entscheidender Schritt für die Fortentwicklung der atlantischen Gemeinschaft anzusehen ist. In ihr sind auch diejenigen freien Staaten Europas, die sich aus besonderen Gründen militärischen Bündnissen nicht anschließen können, mit uns vereinigt.
Im Rahmen der OECD wird künftig die Aufgabe einer koordinierten Entwicklungshilfe bewältigt werden müssen. Schon jetzt hat sich zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik auf diesem Gebiet eine engere Zusammenarbeit entwickelt. Keines der Länder der freien Welt ist aus eigener Kraft allein imstande, diese Aufgabe zu lösen. Hier ist daher eine Zusammenarbeit in besonderem Maße notwendig.
Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß an der gemeinsamen Arbeit für die Entwicklungshilfe auch Japan beteiligt ist. Dadurch wird der die ganze Welt umspannende Charakter dieser Aufgabe deutlich.
Eine wichtige Rolle hat in unseren Gesprächen das Problem der kontrollierten Abrüstung gespielt. Wir waren uns einig, daß das Ziel unserer Besprechungen und unserer Arbeit ein allgemeiner
vollständiger Friede ist. Die kontrollierte Abrüstung bildet einen wichtigen Meilenstein auf dem Wege zu diesem Ziel.
Die Ausführungen des Präsidenten und seiner Berater haben mich davon überzeugt, daß die Vereinigten Staaten mit aller Kraft an der Lösung dieses Problems arbeiten und zu einer Verständigung mit der Sowjetunion zu kommen versuchen. Sie sind allerdings nicht bereit, solchen Lösungen zuzustimmen, die die vereinbarten Maßnahmen von vornherein als zwecklos erscheinen lassen würden. Dies gilt insbesondere von Lösungen, in denen keine oder nur eine ungenügende Kontrolle vorgesehen ist.
Der Weg zu einer allgemeinen und kontrollierten Abrüstung ist lang und mühevoll. Viele gescheiterte Pläne und Verhandlungen zeigen, wie schwierig die Lösung dieser Aufgabe ist. Dennoch gibt es in der gegenwärtigen Lage in der Welt kein anderes Mittel, um die Menschheit von der ständigen Bedrohung, unter der sie lebt, zu befreien und dem Ziel eines vollständigen und allgemeinen Friedens näherzukommen, als die kontrollierte Abrüstung. Ich bin gewiß, daß die Vereinigten Staaten dieser Frage, von der auch für uns und das Schicksal unseres Landes so viel abhängt, weiterhin ihre ganzen Anstrengungen widmen werden.
Eingangs meiner Ausführungen habe ich auf das Kommuniqué hingewiesen, das über unsere Verhandlungen von beiden Seiten vereinbart worden ist. Lassen Sie mich Sie nochmals bitten, das Kommuniqué Wort für Wort durchzulesen. Das Kommuniqué verdient eine solche sehr sorgfältige Prüfung. Es gibt einen guten Aufschluß über alles das, was wir besprochen haben, und über die Absichten der Vereinigten Staaten.
Hervorheben möchte ich folgendes. Die besondere Sorge gilt einem lebendigen und guten Funktionieren der NATO und ihrer Ausdehnung auf politische Angelegenheiten und das wirtschaftliche Gebiet,
({2})
ferner einer ausgedehnten Konsultation, weil nur rechtzeitige Konsulation die Gemeinsamkeit des Wollens schafft, die für ein gutes Funktionieren des NATO-Bündnisses Voraussetzung ist.
Nach Abschluß der Besprechungen in Washington gingen wir für zwei Tage nach Texas. Wir folgten damit der Einladung des Vizepräsidenten Johnson, der in Texas wohnt, und auch gleichzeitig einem Wunsche des Präsidenten Kennedy. Am ersten Tage waren wir in Fredericksburg und auf der bei Fredericksburg liegenden Ranch des Vizepräsidenten. Wir wurden dort hingeführt, weil in diesen Teil von Texas vor 130 Jahren die ersten deutschen Siedler kamen und weil dort auch jetzt noch die Nachkommen der deutschen Siedler leben, die zum Teil deutsch verstehen und auch noch sprechen. Es waren sehr schöne Stunden, in denen Chöre und Schulen deutsche Lieder sangen und viele Tausende deutscher Abkunft sich mit uns austauschten.
Am folgenden Tage waren wir in der Hauptstadt von Texas, Austin, um eine Parade abzunehmen und dann an einer Sitzung der beiden Häuser des Landes teilzunehmen. Sie werden darüber in den Zeitungen Näheres gelesen haben.
({3}) Es war eine glanzvolle Parade.
({4})
- Ach, meine Damen und Herren, es war eine militärische Parade.
({5})
und das ist keine Sache, die zum Lachen reizt.
({6})
Ich meine, wenn eine solche Parade veranstaltet wird
({7})
vor dem Regierungschef eines Landes, das noch vor verhältnismäßig wenigen Jahren mit dem betreffenden Lande im Kriege war, dann ist das ein Ereignis von großer politischer Bedeutung.
({8})
Ebenso von Bedeutung ist, meine Damen und Herren, daß nach den Berichten amerikanischer Zeitungen über hunderttausend Amerikaner als Zuschauer mit Begeisterung teilnahmen. Unser ganzer Aufenthalt - das möchte ich sowohl von Washington wie von Texas sagen - war von einer großen Herzlichkeit und inneren Verbundenheit erfüllt.
({9})
Diese Gefühle kamen in allen Unterredungen immer wieder zum Vorschein, besonders stark in einer Sitzung des Senats in Washington, in die ich auf Anregung des Vizepräsidenten Johnson, der Präsident des Senats ist, hineinging.
Zu dem Präsidenten Kennedy, seiner Energie und seiner Klugheit, seinem Weitblick dürfen wir vollstes Vertrauen haben.
({10})
Die Energie, die menschliche Wärme des Vizepräsidenten sind weitere wesentliche Faktoren, die gerade in dieser Zeit hoch einzuschätzen sind.
Der Präsident, der amerikanische Senat in einer Plenarsitzung, die ich eben erwähnt habe, die Bevölkerung und die beiden legislativen Kammern des Staates Texas haben mir und durch mich, meine Damen und Herren, dem deutschen Volke so starke Beweise ihrer Freundschaft gegeben, daß ich nicht ohne innere Bewegung daran zurückdenken kann. Es ist eines der großen Ereignisse dieser von so vielen schweren Problemen erfüllten Zeit, daß die Vereinigten Staaten und Deutschland in den verflossenen Jahren zu einer immer engeren Verbindung und zu einer festen Freundschaft gekommen sind und daß gleichzeitig mit voller Zustimmung der
Vereinigten Staaten die Einigung Europas weiter fortgeschritten ist.
({11})
Dieses Bewußtsein, meine Damen und Herren, gibt uns die Kraft, den Schwierigkeiten, die sicher nach wie vor vor uns stehen, mit Ruhe entgegenzusehen. Ein geeintes Europa und, verbunden mit ihm, die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein Hort der Freiheit und der Sicherheit für alle, deren Freiheit bedroht ist.
({12})
Wir treten in die Aussprache über die Regierungserklärung ein. Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst sagen, daß wir es begrüßen, daß der Herr Bundeskanzler diesmal unmittelbar nach Beendigung einer Auslandsreise hier dem Parlament einen Bericht gegeben hat. Wir haben bei früheren Gelegenheiten oft beklagen müssen, daß wir die ersten Informationen über das Ergebnis einer solchen Reise aus anderen Quellen als aus einem persönlichen Bericht des Herrn Bundeskanzlers hier im Parlament erfahren mußten. Es ist also immerhin erfreulich, daß wir diese Feststellung wenigstens am Ende der Legislaturperiode dieses Bundestages treffen können.
({0})
Ich möchte für meine Freunde sagen, daß wir es nicht für möglich und nicht für ratsam halten, heute auf Grund des Berichts des Herrn Bundeskanzlers in eine umfassende Aussprache über die außenpolitische Situation und ihre Probleme einzutreten. Wir glauben, daß eine Überprüfung der durch den Bericht und durch das Kommuniqué aufgeworfenen Fragen und Probleme im einzelnen noch erfolgen muß, und wir meinen, daß das vor allem auch eine Aufgabe der zuständigen Ausschüsse des Parlaments ist. Es sind eine Reihe von sehr schwierigen Fragen zu behandeln, die durch die hier abgegebene Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers als keineswegs geklärt angesehen werden können.
({1})
Unter dieser Voraussetzung und mit diesem ausdrücklichen Vorbehalt verzichten wir heute auf eine allgemeine und eine detaillierte Debatte. Wir hoffen nur, daß wir sehr bald zu den notwendigen Einzelverhandlungen in ,den zuständigen Ausschüssen des Parlaments kommen.
Trotzdem möchte ich einige Bemerkungen zum sachlichen Inhalt der heutigen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers und zu dem Kommuniqué machen, das er uns so warm ans Herz gelegt hat. Zunächst einmal hat der Herr Bundeskanzler in seiner heutigen Erklärung und auch bei anderen Gelegenheiten das enge und freundschaftliche Verhältnis zu den Vereinigten Staaten nachdrücklich unterstrichen. Wir möchten ausdrücklich erklären, daß wir es begrüßen, daß der Herr Bundeskanzler
die Zweifel, die er nach dem Regierungswechsel in den Vereinigten Staaten zunächst gehabt hat, offensichtlich überwunden hat.
({2})
Wir begrüßen es, daß er heute fest davon überzeugt ist, daß die enge und freundschaftliche Zusammenarbeit für die Zukunft gefestigt ist.
({3})
Es ist das auch unsere gemeinsame Auffassung; denn unsere Vorstellung ist, daß ein enges, positives und freundschaftliches Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ein Kernstück unserer außenpolitischen Haltung sein muß und bleiben muß.
({4})
- Meine Damen und Herren! Es gibt ja noch andere Beweise eines freundschaftlichen Verhältnisses als eine Stellungnahme zu einem konkreten Fall in einer bestimmten Situation,
({5})
und ich finde, es ist nicht zweckmäßig, daß man, wenn wir hier über die Frage des Verhältnisses des deutschen Volkes und der Bundesrepublik zum amerikanischen Volke reden, sofort die Gelegenheit benutzt, der Sache einen innenpolitischen Beigeschmack zu geben.
({6})
Ich unterstreiche - und ich hoffe, ich finde dabei Ihre Zustimmung -, daß es der einmütige Wille dieses Hauses ist, daß eine enge freundschaftliche Beziehung zu den Vereinigten Staaten die Grundlage unserer Außenpolitik sein muß.
({7})
Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht auch die Bedeutung der Erklärung in dem Kommuniqué in bezug auf die Erhaltung der Freiheit von Berlin und die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts für das deutsche Volk, um zur Wiedervereinigung zu gelangen, unterstrichen. Er hat erklärt - und wir begrüßen diese Erklärung -, wir könnten sicher sein, daß sich die amerikanische Regierung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften für diese Grundsätze einsetzen werde. Ich möchte darauf hinweisen, daß diese Stellungnahme und die gemeinsame Erklärung in dem Kommuniqué über die Besprechungen des Herrn Bundeskanzlers mit dem Präsidenten Kennedy eine ausdrückliche Bestätigung der Erklärung sind, die der Präsident Kennedy
seinerzeit aus Anlaß des Besuchs des Regierenden Bürgermeisters von Berlin abgegeben hat.
({8})
- Finden Sie das lächerlich? Ich finde, wir sollten, wenn wir hier die Sache von Berlin vertreten, den Erklärungen des Präsidenten von Amerika gegenüber dem Regierenden Bürgermeister von Berlin dasselbe Gewicht zumessen, das wir den Erklärungen des Präsidenten gegenüber dem Bundeskanzler der Bundesrepublik zumessen.
({9})
Der Herr Bundeskanzler hat heute in seinen Darlegungen besonderes Gewicht auf die Verhandlungen über die Position der NATO und die Aufgaben der NATO gelegt. Hier möchte ich auf meine Eingangsbemerkung zurückkommen. In dieser Beziehung erscheint mir eine gründliche Beratung dessen, was hier nun als gemeinsame Auffassung der amerikanischen Regierung und der Bundesregierung dargestellt worden ist, unbedingt erforderlich.
({10})
Darüber haben die heutigen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers auch noch keine volle Klarheit gebracht.
({11})
Wenn gesagt wird, es sei zu begrüßen, daß in dieser Frage zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem amerikanischen Präsidenten eine Übereinstimmung erzielt worden sei, so muß man dabei in Betracht ziehen, daß diese Übereinstimmung in Washington wesentlich dadurch erleichtert worden ist, daß der Herr Bundeskanzler vor seiner Abreise in einem wichtigen Punkt den Standpunkt des amerikanischen Präsidenten anerkannt hat, der bisher im Gegensatz zu den Vorstellungen stand, die hier über bestimmte Aspekte der Verteidigung vertreten worden sind.
({12})
Was die Ausrüstung der Streitkräfte mit allen Waffen und ihrer Weiterentwicklung praktisch für die Verteidigungs- und Ausrüstungspolitik in unserem Lande bedeutet, darüber möchten wir noch mehr und Authentischeres erfahren als das, was heute in der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers gesagt worden ist.
({13})
Ich möchte von vornherein in aller Form den Anspruch unserer Fraktion anmelden, darüber im Verteidigungsausschuß und im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten sehr eingehend zu sprechen. Unter diesem Gesichtspunkt verzichte ich hier darauf, etwa die Debatte in diesem Punkt aufzunehmen.
Außerdem kommt hinzu, daß wir abwarten müssen, wie sich die weiteren Verhandlungen mit anderen NATO-Partnern gestalten. Ich denke dabei vor allem daran, daß wir noch nicht das Ergebnis der bevorstehenden Verhandlungen des Herrn Präsidenten Kennedy mit dem Staatspräsidenten de
Gaulle kennen. Es ist ja offensichtlich noch manches zu klären und zu überwinden, wenn wir zu einer einheitlichen Haltung der verschiedenen NATO-Mächte kommen wollen. Wir werden gerade in dem eben genannten Punkt die Grundsätze und die Einzelheiten der neuen Planung zu untersuchen und zu prüfen haben, ehe ein Urteil möglich ist.
Wir hoffen aber, daß die Diskussion über diese Seite des Problems dann auch hier in diesem Hause und in den Ausschüssen unter Voraussetzungen geführt wird, die mit den Realitäten und Vorstellungen unserer Partner übereinstimmen, und nicht in Form einer Verteidigung von Positionen und Vorstellungen, die durch die Entwicklung offensichtlich überholt sind.
({14})
Ich möchte noch eine andere Bemerkung machen, und zwar auch nur als Anmerkung. Der Herr Bundeskanzler hat über den Text des Kommuniqués hinaus mit ziemlichem Nachdruck die Forderung erhoben, man solle die NATO über ihre militärischen Aufgaben hinaus auch zu weitergehender politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit bringen. Das möchten wir genauer wissen. Es ist sehr die Frage, ob es im Interesse des gemeinsamen Anliegens des Westens liegt, einer als Verteidigungsorganisation geschaffenen Einrichtung jetzt auch politische und wirtschaftliche Aufgaben zu übertragen, deren Durchführung und deren Wirkung unter Umständen durch den ursprünglichen Charakter der Gemeinschaft nicht gefördert, sondern gefährdet wird. Ich sage das hier als eine erste Bemerkung des Vorbehalts, weil ich nicht übersehen kann, welche Konsequenzen eine so weitgehende Ausweitung der NATO-Organisation auf andere nicht militärische Gebiete haben würde.
({15})
Wir begrüßen es, daß in der Erklärung und auch in dem Kommuniqué sehr nachdrücklich die Bedeutung der Förderung der Entwicklungshilfe unterstrichen worden ist. Wir begrüßen auch die Erklärung, die heute der Herr Bundeskanzler zu diesem Punkte abgegeben hat. Wir haben seit vielen Jahren - praktisch seit dem Jahre 1956 - in diesem Hause durch Anträge und Vorschläge immer wieder auf die Notwendigkeit einer aktiven umfassenden Beteiligung der Bundesrepublik an der Förderung der Entwicklungshilfe hingewiesen. Wir freuen uns darüber, daß die Einsicht in die allgemeine umfassende politische Bedeutung dieser Aufgabe heute allgemein geworden ist. Es wird aber sehr darauf ankommen, daß es nicht bei dem allgemeinen Bekenntnis bleibt, sondern daß die Bundesrepublik ihr Interesse und ihre Mitarbeit auch deutlich macht, indem sie selber konkrete Vorschläge für Art und Umfang der Hilfe entwickelt, die sie leistet.
({16})
- Hat sie? Mit Vorsicht! - Wir haben heute die
Debatte über dieses Problem abgesetzt, damit diese
Regierungserklärung abgegeben und behandelt
werden konnte. Wir werden die Debatte zu einem späteren Zeitpunkt haben. Wir legen großen Wert darauf, daß sie so bald wie möglich stattfindet. Wir wünschen von der Regierung dann zu hören, wie sie das Durcheinander auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe in der Bundesrepublik in ein vernünftiges effektiv durchschaubares System zu bringen gedenkt.
({17})
Denn das ist die erste Voraussetzung dafür, daß unsere Anstrengungen einen Erfolg haben.
Das gilt auch für die Mitarbeit im internationalen Rahmen. Wir unterstützen die positive Einstellung, die der Herr Bundeskanzler hier in bezug auf die OECD zum Ausdruck gebracht hat. Hier ist tatsächlich eine Möglichkeit geschaffen worden, um auf internationaler Ebene zu einem sinnvollen Zusammenwirken all der Regierungen und Kräfte zu kommen, die die Entwicklungshilfe fördern wollen. Ich wünsche nur, daß die Bundesregierung über dieses Bekenntnis hinaus auch die nötigen praktischen Schritte unternimmt, um unseren Beitrag so effektiv wie möglich zu gestalten.
Nun zur Frage der europäischen Zusammenarbeit. Ich meine, es ist bemerkenswert, daß der amerikanische Präsident mit solchem Nachdruck die europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit begrüßt und den Willen zu ihrer Unterstützung durch die Vereinigten Staaten hat erkennen lassen. Ich möchte hier, ohne in die Problematik der Dinge einzusteigen, hinzufügen: Herr Bundeskanzler, ich glaube nicht, daß man der wirklichen Aufgabe der Zusammenführung aller europäischen Staaten gerecht wird, wenn man erklärt, die EWG stehe ja allen anderen Staaten offen; sie brauchten sich nur zu entscheiden, ob sie sich anschließen wollen oder nicht.
({18})
So einfach ist die Sache nicht. Man kann darüber streiten, warum es zu der bedauerlichen Entwicklung der Gegensätze von EWG und EFTA kommen konnte. Es ist unmöglich, daß man auf der einen Seite sagt, die EWG müsse zurückrevidiert werden; das wollen wir auch nicht. Auf der anderen Seite kann man aber auch nicht so tun, als sei EFTA mit den besonderen Interessen der ihr angehörenden Länder nicht da, und als hinge es nur vom guten Willen des einen oder anderen ab, ob sie in die EWG gehen wollen oder nicht. Das müssen wir sehen, meine Damen und Herren, und ich glaube, wir müssen uns gerade in der Bundesrepublik überlegen, ob wir nicht etwas mehr tun wollen, können und müssen, als eine solche freundschaftliche Aufforderung an diese Länder zu richten. Unsere Grundeinstellung zu diesen Fragen sollte sein: Es darf nicht zu einer neuen Spaltung des freien Europa kommen.
({19})
Eine solche Auseinanderentwicklung muß verhindert werden, und wir haben deswegen große Anstrengungen zu unternehmen.
({20})
Die weitergehende Aufgabe - auch darüber wird noch zu reden sein - wird darin bestehen, sicherzustellen, daß die europäische Zusammenarbeit zu keiner Entfremdung oder Diskriminierung gegenüber den Vereinigten Staaten und Kanada führt. Auch das ist eine wichtige Sache. Wir sollten uns nicht etwa dem Irrglauben hingeben, als wenn eine europäische Wirtschaftsgemeinschaft in sich leben könnte. Wir werden eine wirkliche, effektive, fruchtbare europäische Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet nur erreichen können, wenn sie gleichzeitig im engsten Zusammenwirken mit den Vereinigten Staaten und Kanada steht. Durch die Gründung der OECD ist möglicherweise ein wertvolles Instrument zur Förderung einer solchen Entwicklung geschaffen worden.
Das sind wenige Bemerkungen zu den sachlichen Punkten, die der Herr Bundeskanzler zur Erläuterung des Kommuniqués heute angesprochen hat. Ich möchte darüber hinaus noch zwei andere Bemerkungen machen, von denen ich glaube, daß sie zur weiteren Beurteilung der Lage in diesem Zusammenhang gehören. Es besteht kein Zweifel, daß wir trotz aller Übereinstimmung, die sich nach diesem Kommuniqué in der Unterhaltung zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten ergeben hat, auf fast allen Gebieten der internationalen Zusammenarbeit vor einer neuen Situation stehen, vor einer neuen Situation auch deshalb, weil zwar die neue amerikanische Verwaltung in ihren Grundprinzipien unverändert die bisherige Linie der amerikanischen internationalen Politik verfolgt, weil aber diese neue amerikanische Verwaltung mit sehr großer Offenheit und Frische und Energie eine Untersuchung der jetzt gegebenen internationalen Situation vornimmt, ohne Rücksicht auf früher festgelegte Postulate, und den Versuch unternimmt, aus dieser Untersuchung Schlußfolgerungen für ihre praktische Politik zu ziehen, die den stärksten unmittelbaren Einfluß auch auf unsere Lage haben werden, in viel stärkerem Maße, als sich aus den Formulierungen des Kommuniqué erkennen läßt, weil ein Kommuniqué auch nicht dazu da ist, die Probleme und Schwierigkeiten aufzuzeigen. Aber wir müssen es wissen, meine Damen und Herren, und ich finde, die Entwicklung in den letzten Jahren und, wenn Sie wollen, in den letzten Monaten hat eines bestätigt: daß die Forderung, die die sozialdemokratische Bundestagsfraktion am 30. Juni 1960 hier vorgetragen hat - Regierung und Regierungsmehrheit und Opposition sollten sich zu einer ernsthaften Untersuchung der gegebenen internationalen Situation zusammenfinden -, gerechtfertigt ist.
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Meine Damen und Herren, erschrecken Sie nicht durch das Wort „Bestandsaufnahme". Inzwischen ist es ja, ahne unser Zutun, in der internationalen Politik hoffähig geworden.
({22})
Ganz andere Leute haben zugegeben und die Konsequenz daraus gezogen, ,daß man im Jahre 1961 die
Dinge neu untersuchen und zu neuen Resultaten
kommen muß, wenn die Untersuchung der Lage es erfordert. Wir sollten nicht ganz so selbstgefällig sein und meinen, wir ausgerechnet brauchten es nicht.
({23})
Es handelt sich hier gar nicht um irgendeine parteipolitische oder wahltaktische Überlegung; es handelt sich um viel mehr. Der Wahltag geht vorbei. Die internationale Situation wird uns vor und nach dem Wahltag vor Probleme stellen, deren Bedeutung und deren Lösbarkeit wir leider bis heute kaum in ihren Anfängen untersucht und geprüft haben.
({24})
Wir möchten erreichen, daß wir daran gehen, eine solche Untersuchung vorzunehmen und zu prüfen, welche Schlußfolgerungen wir daraus ziehen.
({25})
- Danke sehr, dann sind wir schon ein ganzes Stück weiter. Hoffentlich sprechen Sie für Ihre Fraktion.
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Aber, meine Damen und Herren, es ist gar nicht sicher, daß am Ende in wichtigen Fragen eine gemeinsame Überzeugung steht, weil Sie bestimmte Vorstellungen von uns nicht akzeptieren können oder umgekehrt. Ich halte ,das nicht für entscheidend. Aber wir sollten feststellen, ob nicht in dieser Lage ein Mindesmaß von gemeinsamen Erkenntnissen und von gemeinsamen Schlußfolgerungen in den Lebensfragen unseres Volkes möglich ist, weil wir damit rechnen müssen, daß die wirkliche Belastung der Existenz unseres Volkes im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und mit der Berlinfrage erst noch vor uns steht.
({27})
Ich möchte das gerade in diesem Zusammenhang sagen, weil ich glaube, wir sollten nicht allzu sicher sein, nun sei ja alles wieder in Ordnung. - Es ist noch vieles offen; denn der gute Wille und das Vertrauen eines so wichtigen Partners wie der Vereinigten Staaten genügen noch nicht für die Lösung unserer Probleme. Deshalb meine Bemerkung hier, bitte, gehen Sie dieser Sache nach und prüfen Sie sie ernsthaft.
Eine zweite Bemerkung, meine Damen und Herren. Man hat nach dem Besuch des Herrn Bundeskanzlers und im Zusammenhang mit der Diskussion über das Verhältnis zur neuen amerikanischen Administration oft davon gesprochen, jetzt sei eben die Bundesrepublik aus der Frühzeit der Beziehungen zwischen den beiden Ländern herausgewachsen, jetzt müsse die Bundesrepublik wissen, daß sie ein Partner sei. Der Herr Bundeskanzler hatte hier in diesem kurzen Zwischenspiel unterstrichen, welche Bedeutung er der Parade in Texas zugemessen hat als einem Ausdruck der amerikanischen Überzeugung, daß die deutsche Bundesrepublik als ein Partner zu werten sei. Gut, das ist seine Auffassung. Ich will nur eines sagen: wenn das richtig ist - und ich glaube, es ist ein Kern darin, daß die Amerikaner uns so sehen -, liegen darin für uns Verpflichtungen,
({28})
nämlich Verpflichtungen zur Mitarbeit in den brennendsten internationalen Fragen.
Zwei Bemerkungen möchte ich dazu machen. Erstens. Der Herr Bundeskanzler hat hier mit vollem Recht und mit unserer vollen Unterstützung die Vordringlichkeit des Problems der Abrüstung unterstrichen. Es ist wahrscheinlich ,d i e entscheidende Lebensfrage für alle Völker, ob es gelingt, auf dem Wege einer internationalen kontrollierten Abrüstung in absehbarer Zeit einen Schritt vorwärts zu kommen. Einverstanden! Es ist auch klar, daß in erster Linie die Entscheidung bei den drei Mächten liegt, die heute, vor allem auch als Atommächte, eine so entscheidende Position in der Weltpolitik haben. Aber wir wollen nicht vergessen, daß in der Frage der Abrüstung von den Vereinigten Staaten die Mitarbeit aller Partner der NATO erwartet wird und daß der Präsident der Vereinigten Staaten der Politik seiner Regierung Ausdruck gegeben hat, als er davon gesprochen hat, daß er auch von der Bundesrepublik konkrete Vorschläge für die Abrüstungspolitik erwarte. Ich halte es für unbedingt nötig, daß wir hier mehr tun als bisher. Die bisherigen Erklärungen der Bundesregierung, jede deutsche Bundesregierung werde sich internationalen Abmachungen über Abrüstung anschließen, reicht heute nicht mehr aus.
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Wenn wir heute unter den Mitgliedstaaten der NATO zu den wichtigsten militärischen Partnern zählen, dann ist das nicht nur eine Feststellung, die wir vielleicht mit einer gewissen Genugtuung verzeichnen, sondern es ist eine Feststellung, die uns verpflichtet, auch in der Frage der Abrüstung unsere besondere Verantwortung zu spüren.
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Ich möchte hier ein Wort wiederholen, das mein Freund Helmut Schmidt kürzlich in der Debatte über die Rüstungsfragen beim Verteidigungshaushalt gesagt hat: Sicherheitspolitik und Abrüstungspolitik sind die beiden Seiten einer Münze. Wir müssen noch den Beitrag leisten, um auf der Abrüstungsseite das zu prägen, was wir als deutschen Beitrag zu leisten haben.
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Ich möchte also an die Regierung und an die Mehrheit den dringenden Appell richten, hier mit konkreten Vorschlägen ihren Beitrag zu leisten. Lassen Sie mich hinzufügen: was für die Abrüstungsfrage gilt, das gilt nach meiner festen Überzeugung auch für die Deutschlandfrage. Wenn wir uns darin einig sind, daß es unsere Aufgabe ist, in dieser schwierigen Situation die Deutschlandfrage auf der Tagesordnung der internationalen Politik zu halten - ich glaube, es besteht Übereinstimmung darüber, daß wir das wollen -, dann müssen wir für die
kommenden internationalen Verhandlungen Beiträge in Form von eigenen Vorschlägen leisten, und zwar im Rahmen dessen, was wir hier als Prinzipien festgelegt haben, über die wir weitgehend übereinstimmen. Aber täuschen wir uns nicht! Wenn wir uns weiterhin mit allgemeinen Formulierungen begnügen, werden sie praktisch zum Verschwinden der deutschen Frage von der Tagesordnung internationaler Konferenzen führen, und das darf nicht geschehen. Es besteht kein Zweifel darüber, wir werden da sehr schwere Aufgaben zu behandeln und zu lösen haben. Aber sie nimmt uns niemand ab. Wir müssen hier in der Bundesrepublik, im freien Teil Deutschlands, diese harte Aufgabe selbst anfassen. Ich hoffe, wir sind auch auf diesem Gebiet einig darin, daß eine solche Anstrengung gemacht werden muß.
Meine Damen und Herren, ich habe zu Eingang gesagt, daß wir es heute nicht für möglich halten, hier auf Grund des Kommuniqués und der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers eine detaillierte Aussprache zu führen. Es kam mir darauf an, einige Punkte aufzuzeigen, die auf jeden Fall vorgemerkt sein sollten und bei denen wir bestimmte konkrete Vorstellungen mindestens erwähnen sollten. Ich möchte mich damit heute auch begnügen.
Aber ich glaube - das möchte ich ganz offen sagen -, wenn wir zu einer solchen Prüfung all der Entwicklungen und Erscheinungen kommen, in deren Mittelpunkt die Reise des Herrn Bundeskanzlers gestanden hat, wird sich herausstellen, daß wir in einer sehr weitgehenden internationalen Diskussion über alle Probleme stehen, an der wir uns mit allem Ernst beteiligen müssen. Ich bin fest überzeugt, daß gerade in der heutigen internationalen Lage im Hinblick auf bestimmte aktuelle Ereignisse, die den Namen des deutschen Volkes wieder von neuem so belasten, die eigentliche Bewährungsprobe für das deutsche Volk erst noch vor uns liegt. Ob wir sie bestehen, hängt davon ab, ob wir in den als gemeinsam erkannten internationalen Lebensfragen, vor allen Dingen auch der Abrüstung, der Hilfe für die Entwicklungsländer und der Lösung der deutschen und europäischen Probleme, eigene ernsthafte, konstruktive Beiträge leisten können. An diese Aufgabe sollten wir herangehen mit all dem Ernst und all dem Willen zur Sachlichkeit, die diese Aufgabe erfordert.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eilers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, im Namen der Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei folgende Erklärung abzugeben.
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei hält es für wertvoll, daß der Herr Bundeskanzler so schnell nach dem Amtsantritt des amerikanischen Präsidenten Gelegenheit hatte, die neue amerikanische Regierung und ihre politischen Vorstellungen kennenzulernen. Wir begrüßen in gleichem Maße, daß es der Herr Bundeskanzler diesmal für richtig gehalten hat, dem Deutschen Bundestag unverzüglich nach seiner Rückkehr über die Gespräche in Washington zu berichten. Dabei sprechen wir die Erwartung aus, daß die zuständigen Ausschüsse über das hinaus, was hier gesagt werden kann, unterrichtet werden.
Wir haben mit Genugtuung davon Kenntnis genommen, daß die amerikanische Regierung und der Herr Bundeskanzler Maßnahmen zur Überwindung der wirtschaftlichen Spaltung Europas in Aussicht genommen haben. Wir fühlen uns in unserer jahrelang geäußerten Auffassung bestatigt, daß eine politische und wirtschaftliche Einigung Europas ohne die Einbeziehung Großbritanniens nicht möglich sein wird. Wir erwarten, daß die Bundesregierung ihre Anstrengungen auch darauf richten wird, die skandinavischen Länder und die übrigen Mitglieder der Kleinen Freihandelszone in die geplante gesamteuropäische Zusammenarbeit einzubeziehen. Die Bereitschaft der neuen amerikanischen Regierung, um der Einheit Westeuropas willen auch wirtschaftliche Erschwernisse in Kauf zu nehmen, ist für uns ein Beweis des guten Geistes der Atlantischen Gemeinschaft.
Es würde aber dem Geist des atlantischen Bündnisses auch entsprechen, wenn die Frage des privaten deutschen Vermögens in den USA endlich befriedigend gelöst werden könnte. Der amerikanische Vizepräsident Johnson hat in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des zuständigen Unterausschusses im amerikanischen Senat bei einem Besuch in Deutschland eine angemessene Regelung in Aussicht gestellt. Wir glauben, daß es der Bundesregierung möglich sein müßte, im Sinne dieser Ankündigung mit der amerikanischen Regierung zu einer Vereinbarung zu kommen. Der Herr Bundeskanzler war Gast des amerikanischen Vizepräsidenten Johnson, wie es von ihm eingehend geschildert worden ist. Mehr als der Bericht über die militärische Parade, die gewiß sehr imponierend war, hätte uns allerdings eine Mitteilung über die Frage des privaten deutschen Vermögens interessiert.
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Von großer politischer und militärischer Bedeutung ist die Übereinkunft, die in dem Kommuniqué zum Ausdruck kommt, die konventionelle Bewaffnung der NATO und der deutschen Bundeswehr vorrangig zu verstärken. Die Freien Demokraten haben die Bedeutung der konventionellen Bewaffnung der Bundeswehr seit Jahren hervorgehoben. Jahrelanger unfruchtbarer Streit über die atomare Bewaffnung, leider auch in diesem Hause, hat den von uns von Anfang an gewünschten Ausbau der Bundeswehr zu einem schlagkräftigen, mit den modernsten konventionellen Waffen ausgerüsteten Instrument des NATO-Schildes in Mitteleuropa leider behindert.
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Die gemeinsam erklärte Bereitschaft des amerikanischen Präsidenten und des Bundeskanzlers, der
Eilers ({2})
weiteren Zunahme unkontrollierter nationaler Rüstungen entgegenzuwirken, um damit eine Vermehrung der Zahl der Staaten mit eigener Verfügungsgewalt über Atomwaffen zu verhindern, könnte der Beginn einer gemeinsamen Verteidigungspolitik aller Fraktionen in diesem Hause sein.
Wir begrüßen die Abgrenzung der Zuständigkeiten in der Verfügung über atomare Waffen auf deutschem Boden, die den Amerikanern das ausschließliche Verfügungsrecht über den Einsatz dieser Waffen vorbehält. Meine Fraktion ist davon überzeugt, daß die Schlagkraft der atomaren Vergeltungsdrohungen des westlichen Bündnisses - und deutsche und amerikanische Fachleute haben diesen Eindruck bestätigt - durch diese politisch kluge Regelung nicht beeinträchtigt wird.
Das Ersuchen der amerikanischen Regierung an die deutsche Bundesregierung, eigene Vorschläge zur Abrüstung auszuarbeiten, gibt uns die Hoffnung, daß das gleichlautende jahrelang vorgebrachte Ersuchen aus der Mitte des Deutschen Bundestages von der Bundesregierung endlich verwirklicht wird.
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Ich wiederhole an dieser Stelle die vor vier Wochen auf dem Bundesparteitag der Freien Demokraten in Frankfurt am Main einstimmig erhobene Forderung an die Bundesregierung, alle Bemühungen um eine allgemeine kontrollierte Abrüstung aktiv zu unterstützen und regionale Abrüstungsmaßnahmen in Europa zu fördern, soweit mit ihnen Fortschritte ) auf dem Weg zur deutschen Einheit in gesicherter Freiheit erzielt werden können.
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Wir bedauern, daß die Verbindung zwischen regionaler Abrüstung in Mitteleuropa und Fortschritten auf dem Wege zur deutschen Einheit in dem Washingtoner Kommuniqué nicht zum Ausdruck kommt. Für uns ist die deutsche Einheit nach wie vor das Zentralproblem der deutschen Politik. Mit Genugtuung haben wir deshalb davon Kenntnis genommen, daß die amerikanische und die deutsche Regierung eine gerechte und dauerhafte Lösung der Deutschlandfrage einschließlich des Berlin-Problems durch Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes erstreben.
({5})
Wir bekräftigen die in dem Kommuniqué zum Ausdruck kommende Erkenntnis, daß eine endgültige Lösung der Berlin-Frage nur durch die Herstellung der deutschen Einheit in Frieden und Freiheit und durch die Wiedereinsetzung Berlins als Hauptstadt dieses wiedervereinigten Deutschlands erzielt werden kann.
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In dem Ausdruck dieser gemeinsamen Überzeugung der beiden Regierungen liegt auch eine vernichtende Absage an alle Kräfte, die uns durch die Aufzeigung von Scheinalternativen von dem Wege zur deutschen Wiedervereinigung ablenken wollen.' Es ist eine Illusion zu glauben, man könne durch einen Verzicht auf die Wiedervereinigung den deutschen Menschen in Mitteldeutschland mehr persönliche und politische Freiheit erkaufen. Vorschläge dieser Art - ich muß zu meinem Bedauern feststellen, daß sie zum ersten Mal vor drei Jahren in diesem Hause vorgebracht worden sind und in jüngster Zeit von Professoren aufgenommen werden - verraten entweder eine absolute Unkenntnis der Prinzipien eines totalitären Staates oder aber den mangelnden Willen zur deutschen Wiedervereinigung.
({7})
Der Weg der Mitteldeutschen zu Freiheit und Recht führt nur über die Wiederherstellung der staatlichen Einheit unseres Vaterlandes.
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Die deutsche Einheit ist nicht nur ein deutsches, sondern ein europäisches Problem. Die gesamteuropäische Einigung ist nur möglich als Einigung ungeteilter Nationen, die im Besitz des uneingeschränkten Selbstbestimmungsrechts sind. Diese Voraussetzung ist bis zum heutigen Tage für das deutsche Volk zu unserem großen Bedauern nicht gegeben.
Wir bekennen uns an dieser Stelle erneut zur europäischen Einigung. Für uns ist es selbstverständlich, daß ein vereinigtes Deutschland als Mitglied eines größeren Europa seine Pflichten gegenüber seinen Nachbarn erfüllen wird. Wer uns von dem Wege zur deutschen Wiedervereinigung abbringen will, wer das Bekenntnis zu dem ungeteilten nationalen Staat als geschichtlich überholt bezeichnet, bekämpft zugleich die Voraussetzungen der europäischen Einigung. Niemand kann das deutsche Volk, sein frei gewähltes Parlament und seine Regierung von dem Auftrag des Grundgesetzes entbinden, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen und in freier Selbstbestimmung die Einheit Deutschlands zu vollenden.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krone.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich zu Beginn meiner Ausführungen eine Feststellung treffen. In der Presse, insbesondere in Stellungnahmen der Opposition, war behauptet worden, daß zwschen dem Bundeskanzler und dem Verteidigungsminister Differenzen auf dem Gebiete der Aufrüstung und Planung bestünden, sowohl was die NATO als auch was die Bundeswehr angehe, über deren weiteren Ausbau. Ich stelle fest, daß durch die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers allen derartigen Behauptungen der Boden entzogen ist.
({0})
Eine zweite Feststellung, Herr Kollege Ollenhauer! Ich habe Ihren Ausführungen sehr genau zugehört. Ich gebe zu, es war für die Opposition nicht einfach, heute morgen hier zu sprechen.
({1})
Sie haben sich stark darauf verlegt, hier ginge es weiterhin um Vorschläge, die in den zuständigen Ausschüssen weiter besprochen werden müßten. Wir stimmen dem zu; aber ich meine, etwas mehr von Anerkennung hätte angesichts der Erfolge dieser Amerikareise des Bundeskanzlers auch von der Opposition gesagt werden können.
({2})
Meine Damen und Herren, unsere letzte große Aussprache zum Kapitel Außenpolitik war am 30. Juni vorigen Jahres. In dieser Debatte wurde von seiten der Opposition ein Kurswechsel der Außenpolitik angekündigt. Es wurde von dem Sprecher der Opposition, dem Kollegen Wehner, der bis dahin geltende Deutschlandplan, die Magna Charta ihrer bisherigen Außenpolitik, bis auf einige Elemente zerrissen, von denen man auf eine Zwischenfrage hin damals feststellen mußte, daß sie auch nach Aussage des Kollegen Wehner Elemente seien, die später doch noch einmal zum Tragen kommen könnten.
({3})
- Nein, nein, nein, so ein kleiner Vorbehalt, Herr Kollege.
Seit diesem 30. Juni vorigen Jahres hat es in diesem Hause bisher nur kleine Exkursionen in das Gebiet der Außenpolitik gegeben, so bei den Haushaltsberatungen. Ich bin, Herr Kollege Ollenhauer - ich greife Ihr Wort von der Bestandsaufnahme, obwohl es mir nicht gerade gefällt, hier auf -, sehr für eine parlamentarische Bestandsaufnahme. Wir stehen einer nochmaligen großen Bestandsaufnahme im Bundestag vor Abschluß unserer Arbeiten nicht im Wege, wenn sie nötig sein sollte.
({4})
Wir haben nichts dagegen. Wir stellen uns dieser Diskussion, zumal es in der Außenpolitik nicht genügt, die sachkundige Diskussion durch moralische Appelle - und seien sie noch so nett und freundlich, nicht wahr - zu ersetzen.
({5})
In den letzten Wochen und Monaten ist viel über die Frage nach den Zielen, mehr noch nach den Wegen der amerikanischen Außenpolitik diskutiert worden. Man fragte nach dem neuen Präsidenten, nach den Männern, die ihn umgaben, woher sie kämen und was deren Überlegungen für die Politik der nächsten Jahre seien. Manches von dem, was hier in Deutschland gesagt worden ist, beruhte auf Unkenntnis und Nichtwissen. Man traf aber auch auf Vorstellungen, die von einem Wechsel der amerikanischen Politik, wenn auch nicht gerade im Ziel, so doch in den Methoden wissen wollten und von denen man nur sagen konnte, daß sie mehr dem eigenen Wunschdenken und den Wunschvorstellungen entsprachen als der Wahrheit und Wirklichkeit.
({6})
Bei denen, die so dachten und sprachen und die dann meinten, sie wüßten genau Bescheid, kam allerdings die Bundesregierung mit ihrer bisherigen Politik schlecht weg.
Auch der „Vorwärts" reihte sich in diese Kritiker ein und teilte mit, daß gegen die Politik der Bundesregierung jetzt die große Gegenposition der Sozialdemokraten entwickelt und aufgestellt worden sei. Es hieß im „Vorwärts", der Bundeskanzler habe in Washington erfahren müssen, wie ratsam es doch sei, den Realitäten Rechnung zu tragen
({7})
und sich in seiner bisherigen Politik zu korrigieren. Der Verfasser sprach von einer amerikanischen Lektion für den Bundeskanzler und für die CDU/ CSU.
({8})
Ohne jede Rechthaberei, so sagte der Verfasser, weise er auf diese Tatsache hin und knüpfe daran die Hoffnung, daß die CDU von dieser Lektion im Sinne der seit Wehners Rede unermüdlich wiederholten Bestandsaufnahme doch nun lernen möge.
Meine Damen und Herren, ich will nicht streiten, ob es geschmackvoll war, das Wort von der amerikanischen Lektion bei der Reise des Bundeskanzlers zu gebrauchen. Daß es aber klug und ratsam war, diese Behauptung aufzustellen, darüber läßt sich allerdings nach der Reise des Bundeskanzlers, ich hoffe, auch in Ihren eigenen Reihen, nicht mehr streiten.
({9})
Der Streit um die amerikanische Außenpolitik kann nur noch von denen hochgehalten werden, die einfach nicht sehen wollen, was ist und was wahr ist. Rückzugsgefechte, wie sie jetzt noch in einem Teil der öffentlichen Diskussion geführt werden, müssen hingenommen werden und werden von uns hingenommen. Ob man will oder nicht, es muß zur Kenntnis genommen werden, daß zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik in den Grundfragen der Außen- und Sicherheitspolitik im Ziel wie im Weg volle Übereinstimmung und Einigkeit besteht.
({10})
Wir wissen, daß auf dieser Übereinstimmung auch unsere eigene Sicherheit und die real begründete Zuversicht auf die deutsche Wiedervereinigung beruhen.
Meine Damen und Herren, ich habe nicht vor, mit eigenen Worten das zu wiederholen, was im Kommuniqué steht und was der Herr Bundeskanzler heute morgen in seiner Regierungserklärung ausführlich dargelegt hat. Beides findet unsere Zustimmung.
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Es geht dem Umfange nach wie in der Präzision dessen, was in Washington festgelegt worden ist, weit über das hinaus, was man erwarten konnte. Es eröffnet neue Perspektiven für ein noch engeres Zusammenstehen und Zusammengehen der freien Welt auf politischem, wirtschaftlichem und militärischem Gebiet und auch auf dem für uns so wichtigen Gebiete der Hilfe für jene Völker, die der Hilfe für ihre eigene Weiterentwicklung bedürfen.
Wir begrüßen, was in Washington zu den Fragen der allgemeinen kontrollierten Abrüstung gesagt worden ist. Gerade unser Land, durch dessen Mitte die Spannungslinie west-östlicher Gegensätze verläuft, hat ein vitales Interesse daran, daß es zu einem Abbau der Spannungen und der Rüstungen kommt.
So entschieden und überzeugt wir das Streben nach allgemeiner kontrollierter Abrüstung bejahen und zu unterstützen bereit sind, so wenig täuschen wir uns darüber hinweg, daß auf dem Wege zu diesem großen Ziel noch viele Hindernisse, Schwierigkeiten und Gefahren liegen. Gerade weil wir das Ziel erreichen und unversehrt erreichen wollen, müssen wir in der Zwischenzeit darauf bedacht sein, uns gegen Gefahren zu schützen.
Deshalb bejahen wir mit unveränderter Entschlossenheit die gemeinsame Verteidigung der freien Welt, die in der NATO ihre entscheidende Organisation gefunden hat. Das Wesentliche dabei ist das, was in dem Kommuniqué über ,die Beratungen des Bundeskanzlers und des Präsidenten Kennedy mit I eindrucksvoller Kürze und Deutlichkeit festgestellt worden ist, daß nämlich die NATO alle militärischen Mittel behalten und weiterentwickeln muß, die zur Abschreckung und Abwehr eines etwaigen Gegners notwendig sind.
Entscheidend für die Erörterung darüber, wie die Verteidigung der westlichen Welt vorsorglich gestaltet werden soll, ist immer die Entschlossenheit selbst, sich unter allen Umständen und gegen jeden möglichen Angriff zu verteidigen. Daß diese Entschlossenheit in den Gesprächen, die der Bundeskanzler mit .dem amerikanischen Präsidenten geführt hat, so eindeutig zum Ausdruck gekommen ist, hat uns nicht überrascht; es erfüllt uns aber selbstverständlich mit besonderer Genugtuung.
({12})
Nicht weniger befriedigt sind wir von dem Appell, Herr Kollege Ollenhauer, zur Verstärkung der politischen Zusammenarbeit in der NATO. Der Verteidigungswille und die Verteidigungskraft der freien Völker werden um so stärker sein, je mehr sich ihre Gemeinschaft - hier bin ich anderer Meinung als Sie - über das Militärische hinaus in den anderen Lebensbereichen weiter entwickelt und verfestigt. Daß die amerikanische Regierung gerade auch auf die politische Zusammenarbeit in der NATO so großen Wert legt, ist für uns ein erfreulicher Beweis dafür, wie sehr die nordatlantische Gemeinschaft zu einem Schwerpunkt, ja sogar zu einer Achse der amerikanischen Politik geworden ist.
Mit derselben Genugtuung begrüßen wir die moralische und politische Unterstützung, die seitens der Vereinigten Staaten für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegeben wird. In der eindringlichen Bejahung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch die amerikanische Politik liegt zugleich auch ein Appell an uns Europäer, die Zusammenarbeit in dieser Gemeinschaft zu vertiefen und auch jene dafür zu gewinnen, die heute noch einen eigenen Weg glauben gehen zu müssen.
Es versteht sich von selbst, daß unsere Hoffnung in dieser Hinsicht sich insbesondere auch auf Großbritannien erstreckt. Jedenfalls kann ich das für meine politischen Freunde erklären, daß wir alles, was vernünftigerweise möglich ist, tun wollen, um dieser Integration im freien Europa neuen Auftrieb zu geben.
({13})
Mit Bedenken, Herr Kollege Ollenhauer, habe ich von Ihnen gehört, daß man Vorschläge überlegen solle für die Lösung der Deutschlandfrage - gewiß -, und ich habe von der Seite der Freien Demokraten gehört, daß dort wiederum Überlegungen Fuß fassen, diesen Raum irgendwie einem Disengagement, wenn auch mit dem Ziele der Wiedervereinigung, zu unterwerfen. Weiß man denn nicht, und ist es nicht gerade im Augenblick völlig inopportun, solche Überlegungen heute zu führen,
({14})
heute, wo die amerikanische Politik sich in einer solchen Intensität und auch im Praktisch-Konkreten für Berlin und seine Sicherheit eingesetzt hat und wo jede Überlegung, irgendwie hier mit militärisch leeren oder verdünnten Räumen zu arbeiten, Anlaß werden könnte, daß die amerikanische Politik sich in dem enttäuscht sieht, was wir selber für die Freiheit unseres Landes tun müssen?
({15})
Ich will an die Diskussion von Godesberg nicht weiter erinnern, wo bei dem amerikanisch-deutschen Gespräch mit aller Deutlichkeit gesagt worden ist, daß, wenn gewisse Überlegungen in diesem Raum Platz griffen, für das Verweilen amerikanischer Soldaten im hiesigen Bereich die Stunde nicht mehr gegeben sei.
Das sind Bedenken, die ich auch hier aussprechen möchte, gerade weil in der Unterredung in Washington die starke Verpflichtung der amerikanischen Welt für Europa immer deutlicher zutage getreten ist.
Was uns im Zusammenhang mit dem Thema Lösung der deutschen Frage bei den Gesprächen in Washington mit besonderer Freude erfüllt, ist das erneute Bekenntnis zu Berlin, zur Selbstbestimmung Berlins und der Zone und damit zu dem entscheidenden Schritt für die deutsche Wiedervereinigung. Wir haben nie an der Haltung der amerikanischen Politik gezweifelt. Mit besonderer Genugtuung hören wir aber von dem erneuten Versprechen, für die Sicherung Berlins so wie bisher und in den Formen wie bisher einzutreten, bis Deutschland in Frieden und Freiheit wiedervereinigt ist und Berlin als
Bundeshauptstadt - unser Wunsch und unser Wille - dasteht.
({16})
Wir sind für diese klare Bekundung der amerikanischen Deutschlandpolitik um so dankbarer, als wir gerade jetzt aus der Wiedergabe des Gesprächs, das Ministerpräsident Chruschtschow mit dem bekannten amerikanischen Journalisten Lippmann geführt hat, wiederum entnehmen müssen, daß die Sowjetunion an ihrer alten Vorstellung festhält, man könnte zu einer dauerhaften und soliden Ordnung in Mitteleuropa nur durch eine endgültige Aufteilung Deutschlands kommen.
({17})
Wir können nur wünschen, daß auch die Sowjetunion sich endlich zu einem Standpunkt durchringt, der dem auch von ihr in anderen Teilen der Welt so entschieden verfochtenen Recht auf Selbstbestimmung entspricht.
({18})
In einer Atmosphäre der echten Befriedung wäre manches zur Verbesserung der Beziehungen auch zur Sowjetunion möglich, was in der heutigen gespannten Lage nicht möglich ist.
Meine Damen und Herren! Das deutsche Volk ist nach 1945 einen neuen Weg gegangen. Wir sagen das auch angesichts des Prozesses, der in Jerusalem stattfindet. Wir wissen es zu schätzen, wenn in Amerika ein Vertreter dieses Volkes, wie es dort bei feierlichen Anlässen üblich ist, für Deutschland und seinen Bundeskanzler ein Gebet gesprochen hat. Wir wollen, daß über das Ungeheure, das geschehen ist, die Welt die volle Wahrheit erfährt und daß das Weltverbrechen - es ist nicht möglich, es ganz zu sühnen - seine mögliche Sühne findet.
Wir haben in unserem Volke neu begonnen und wollen diesen Weg weitergehen. So wichtig für den inneren Aufbau unseres Volkes Fragen des kulturellen und des sozialen Bereichs sind, entscheidend für die Existenz eines Volkes in Freiheit sind und bleiben die Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Hier rächt sich jede Unklarheit und Unsicherheit. Nirgendwo ist Schwanken lebensgefährlicher als in der Außenpolitik.
({19})
Ich werde nicht die Zustimmung des ganzen Hauses finden, wenn ich das Ergebnis der Amerika-Reise des Bundeskanzlers der von ihm geführten und von uns getragenen Politik der letzten zwölf Jahre zuschreibe.
({20})
Wenn eines vor allem diese Reise bewiesen hat, dann war es das, daß Leistung, Persönlichkeit und die Gewähr der Stetigkeit in der Politik Werte sind, die mehr als alles andere wiegen und von Bedeutung sind. Das ist es, Herr Bundeskanzler, was Sie und Ihre Politik kennzeichnet und auszeichnet.
({21}) Das hat in Amerika zu politischer und persönlicher Freundschaft mit Ihnen geführt. Herr Bundeskanzler, weit über unsere Reihen hinaus sind Sie des Dankes und der Verbundenheit in unserem ganzen deutschen Volke sicher.
({22})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schneider ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens meiner politischen Freunde habe ich folgendes zu erklären.
Das Fazit des Besuchs des Herrn Regierungschefs in den Vereinigten Staaten - volle Übereinstimmung, unbedingte Sicherheit für Berlin und die Zusicherung der Grenzregelung hinsichtlich der Gebiete jenseits von Oder und Neiße in einem Friedensvertrag - findet auch unseren Beifall. Ich darf wohl unter diesen Umständen als selbstverständlich annehmen, daß damit gleichzeitig das Selbstbestimmungsrecht des gesamten deutschen Volkes eine neuerliche Anerkennung seitens unseres amerikanischen Bündnispartners gefunden hat. Wenn wir dieses Fazit begrüßen, so ist das sicher in gleichem Maße eine Enttäuschung der Hoffnung derjenigen, die es seit vielen Jahren darauf anlegen, die Bundesrepublik moralisch und politisch von den übrigen europäischen Nationen und von ihren Bündnispartnern in der ganzen Welt zu trennen.
Der erste Eindruck, den meine Freunde nach der Amtsübernahme des amerikanischen Präsidenten hatten und der unterstrichen wurde durch das Auftreten amerikanischer Unterhändler in unserem Lande und durch mancherlei Äußerungen aus der Regierungshauptstadt der USA, hat sich als falsch herausgestellt. Ich befinde mich sicherlich in Übereinstimmung mit dem Hause - das kann ich wohl nach den Erklärungen annehmen, die hier von den anderen Fraktionen abgegeben worden sind -, wenn ich auch das dankbar begrüße. Es ist also offenbar nur die Sprache gewesen, die eine Änderung erfahren hat; in der Sache hat sich Gott sei Dank nichts geändert.
Was aber diese Sprache betrifft, so können wir angesichts der neuerlichen Ereignisse in der Weltpolitik nur dafür dankbar sein, daß man jetzt offenbar auch auf amerikanischer Seite diejenige Sprache gefunden hat, die allein geeignet ist, jenen Potenten gegenüber klarzumachen, daß man nicht willens ist, Katz und Maus mit sich spielen zu lassen.
({0})
Wieder einmal hat sich durch den Besuch des Herrn Bundeskanzlers, die Erörterungen, die dabei gepflogen worden sind, und durch die Ergebnisse, die uns vorliegen, eindeutig gezeigt, daß die militärischen, wirtschaftlichen, geographischen und, ich möchte sagen, auch die ideologischen Tatsachen stärker sind als alle Vermutungen und Unterstellungen.
Schneider ({1})
Unter diesem Gesichtspunkt ist es begrüßenswert, daß nunmehr offenbar auch Klarheit über bestimmte militärpolitische Fragen geschaffen werden konnte. Wir haben uns seit eh und je dagegen gewandt, militärpolitische Fragen zu einem parteipolitischen Streitobjekt zu machen. Sie sind dazu absolut ungeeignet. Man sollte auch die Frage der stärkeren atomaren oder stärkeren konventionellen Ausrüstung der NATO nicht zu einem Dogma erheben. Man sollte diese Dinge nicht übertreiben.
Der Herr Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion hat hier geäußert, daß man auch keinen innenpolitischen Aspekt auf diese Dinge werfen sollte. Ich möchte meinerseits eine Warnung aussprechen. Man sollte in dieser diffizilen, für die Sicherheit, nicht nur für uns, sondern für den gesamten Westen, entscheidenden Frage nicht den Streit um die Ausrüstung der Streitkräfte zum Vorwand nehmen und dahinter vielleicht wieder die Frage nach der Verteidigung überhaupt stellen. Im übrigen sind meine politischen Freunde der Auffassung, daß die Frage der Bewaffnung auch innerhalb der NATO eine Angelegenheit ist, die von den verantwortlichen militärischen Fachleuten zu lösen ist. Die Aufgabe der Politiker ist eine ganz andere. Sie müssen immer wieder - ich möchte sagen, stündlich - klarstellen, daß es zwischen Oslo und Lissabon, zwischen Helmstedt und Washington kein abgestuftes Risiko gibt und daß es demzufolge auch keine abgestufte Partnerschaft geben kann. Alle Entscheidungen, nicht zuletzt die militärpolitischen, müssen im Geiste einer alle Verbündeten verpflichtenden Partnerschaft gefällt werden. Dabei sind wir uns darüber klar, daß diese Entscheidungen, sofern sie materielle Dinge betreffen, heute so und morgen so aussehen können. Es ist Sache der Verantwortlichen, dafür zu sorgen, daß die Entscheidungen der jeweiligen Lage, die ständig wechselt, angepaßt werden. Entscheidend ist, daß Geist und Entschlossenheit unseres gemeinsamen Bündnisses unversehrt und unverändert bleiben. Das ist überhaupt der entscheidende Punkt.
Meine politischen Freunde haben in der Vergangenheit nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie eine Erweiterung der Aufgaben der NATO auf das politische und wirtschaftliche Gebiet begrüßen würden. Wir stehen nach wie vor zu dieser Auffassung, da wir keine Veranlassung sehen, dem etwa zu widersprechen.
Im übrigen gehören die Herauslösung der Bundesrepublik aus dem westlichen Bündnis, ihre Isolierung und Neutralisierung als Vorstufe der Bolschewisierung Mitteleuropas heute erklärtermaßen zu den unveränderten Zielen der sowjetischen Deutschlandpolitik. Hiervon haben unsere Entscheidungen auszugehen. Den Konsequenzen dieser sowjetischen Politik heute mit Konstruktionen aller möglicher Art begegnen zu wollen, stellt einen Illusionismus dar; vor diesem haben wir immer gewarnt, und vor ihm können wir auch jetzt nur warnen.
Von diesen Überlegungen aus sollte in erster Linie auch das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten gewertet werden.
In diesem Sinne ist das Ergebnis der Reise des Herrn Bundeskanzlers zweifellos begrüßenswert und erfreulich.
Wir sollten andererseits mit großem Bedauern feststellen, daß wir offenbar noch sehr weit von jenem Zeitpunkt entfernt sind, wo die gemeinsamen politischen Anstrengungen des westlichen Bündnisses sich auf andere Ziele als allein auf die Verteidigung des Status quo - denn um den geht es im Augenblick nur - richten können. Eine Politik, die der Erhaltung und der Wiedererringung der Freiheit dient, kann und darf sich nicht mit der Verteidigung des Status quo zufrieden geben.
Hier muß ich den Äußerungen des Herrn Kollegen Dr. Krone widersprechen, der die Frage nach der Entwicklung eigener Gedanken für eine aktivere Politik hier und dort zurückgewiesen hat, ja offenbar eine Gefahr in ihr sieht.
({2})
Es muß in diesem Lande noch erlaubt sein, eigene politische Vorstellungen und Initiativen zu entwickeln.
({3})
- Ich glaube, verehrter Herr Kollege Dr. Krone, daß gerade meine politischen Freunde seit eh und je unverdächtig gewesen sind, etwa einem Neutralismus zu huldigen. Sie werden aus meinen Ausführungen entnommen haben, daß sich an dieser Auffassung nichts geändert hat.
Wir sollten unsererseits mehr als bisher hier und da zur Lösung unserer eigenen Fragen beisteuern und uns nicht nur darauf berufen, daß dieser oder jener erfolgreiche Besuch stattgefunden hat, und uns nicht mit einem erfreulichen Ergebnis zufrieden geben. Wir sollten vielmehr eigene Initiativen entwickeln, die über die gegenseitigen Versicherungen des gemeinsamen Handelns und des gemeinsamen Verstehens hinausgehen. Solche Initiativen zu entwickeln, sollten wir alle angehalten sein.
Wir begrüßen das Ergebnis des Amerikabesuches. Mit ,den Sprechern anderer Fraktionen sind wir der Auffassung, daß heute - improvisiert, wie es geschah - keine ausführliche außenpolitische Debatte stattfinden konnte. Wir sind ebenfalls der Meinung, daß wir uns, bevor dieses Parlament auseinandergeht, noch einmal sehr ausführlich über die allgemeine Lage draußen und drinnen - nicht zuletzt auch in Ansehung des amerikanisch-deutschen Memorandums - und über die Fragen unserer Außenpolitik und unseren Standpunkt aussprechen sollten. Es wird notwendig sein, über einen verwaltungsmäßigen Status hinaus eigene Gedanken und eigene Initiative zu entwickeln, nachdem wir so lange nicht darüber gesprochen haben. Es wird auch deswegen notwendig sein, um unserer Bevölkerung und unseren Verbündeten das Gefühl zu geben, daß wir selbst aktiv daran arbeiten, die Probleme, vor die nicht nur wir allein gestellt sind, sondern vor die auch die Verbündeten unseres Landes gestellt sind, zu lösen, zum Wohl sicherlich unseres eigenen Vaterlandes, zum Wohl aber auch eines wahrhaft geeinten Europas, eines Europas der Vaterländer.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Behrisch.
Behrisch ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Der Herr Bundeskanzler fand den amerikanischen Präsidenten bei einer wichtigen Arbeit vor. Präsident Kennedy und seine Männer halten Rückschau und analysieren die Politik der letzten zehn Jahre, jene Politik, die man den Kalten Krieg genannt hat. Der Präsident sieht nicht sehr erfreuliche Dinge. Amerikas Politik hat durch diese Politik des Kalten Krieges viele Demütigungen hinnehmen müssen, die durch die Namen Türkei, Vietnam, Korea, Japan gekennzeichnet sind, und er sieht sich unerfreulichen wirtschaftlichen Tatbeständen gegenüber. Er sieht sich vor allem aber der Tatsache konfrontiert, daß der Rüstungswettlauf zu keinen erfreulichen Ergebnissen geführt hat.
Er hat gesagt:
Keine Menschengemeinschaft mit gesundem Verstand entscheidet sich für nationalen Selbstmord. Und doch ist ,dies das Schicksal, das uns der Rüstungswettlauf bescheren kann, es sei denn, wir finden ein Mittel, ihn zu beenden.
Dieses Mittel zu finden, darüber denkt der Präsident nach, dafür spannt er die effektivsten Hirne seiner Mannschaft ein.
Es ist nicht nur selbstverstandenes Interesse, das den Präsidenten dazu treibt, obwohl er sicher weiß, was wir von Bismarck wissen, daß nämlich die Interessen die bewegenden Kräfte der Völker sind. Der Präsident ist dabei, die großen Interessen, die nun einmal da sind und die gegensätzlich sind, aufeinander abzustimmen oder, wie er sagt, das Mittel zu finden, um den Rüstungswettlauf zu beenden. Die Großen überlegen also, wie sie nebeneinander leben können, ja, wie sie vielleicht auch einmal miteinander werden leben können. Ich meine, hier liegt der Anknüpfungspunkt für alle deutsche Politik. Die Frage, die uns bewegen sollte, ist die: wie schalten wir uns ein, wie spielen wir bei diesen Überlegungen sinnvoll mit? Hierzu habe ich in dem, was der Bundeskanzler vorgetragen hat, zuwenig Anhaltspunkte gefunden.
Ich weiß eigentlich nicht, warum Herr Kollege Krone Herrn Ollenhauer dafür getadelt hat, daß er sehr richtig gesagt hat, wir brauchen eigene, konkrete Vorschläge. Wir haben vom Bundeskanzler keinen Aufschluß darüber bekommen, wie eigentlich der komplette Wirrwarr um die Frage „NATO als vierte Atommacht" entstanden ist. Wir haben nur gehört, daß das eigentlich keine Grundlage gehabt habe; aber der Wirrwarr war da.
Wir hören auch aus Amerika, daß man sich ernsthaft damit beschäftigt, die NATO nicht zur vierten Atommacht zu machen. Aber der Herr Bundeskanzler ist vom Dokument der Generäle über die Atomwaffen nicht abgerückt. Es scheint so, wenn man dem Herrn Bundeskanzler folgt, als sei die ganze Frage zurückgestellt worden und als ob man sich jetzt mit um so mehr Elan der Ausrüstung der Bundeswehr mit konventionellen Waffen hingeben will.
Aber auch das hat ja seine Logik. Auch wenn man die Rüstung mit konventionellen Waffen vorantreibt, muß man doch wissen, daß das jener Rüstungswettlauf ist, von dem der Präsident herunterkommen möchte. Auch ein lokaler Konflikt wird zum totalen Krieg führen. Er wird durch die Bündnissysteme die ganzen Paktsysteme in Bewegung setzen.
So meine ich, wäre es doch berechtigt, den Herrn Bundeskanzler zu fragen: Welche Fragen wurden an ihn als den verantwortlichen Führer der deutschen Politik gestellt? Welche Fragen waren es? Wurde nicht nach deutschen Vorschlägen gefragt? Ich meine, wir haben genügend Anhaltspunkte und Beweise dafür, daß die Großen - die beiden Großen - deutsche Vorschläge, deutsche Beiträge erwarten. Amerikas Präsident erwartet sie zur Abrüstung, Chruschtschow erwartet sie zur Deutschlandfrage. Wir wüßten gern, was der Bundeskanzler in dieser Hinsicht denkt und tut.
Zur Abrüstung, meine ich, sollte man doch von uns aus wieder zu den Ideen zurückkommen, die mehr als einmal vorgetragen worden sind, als es um diese Frage ging. Das sind die mit den Namen Eden und Rapacki verknüpften Pläne militärisch verdünnter Zonen.
Zur Abrüstung als deutscher Beitrag - ich glaube nicht, daß wir à la longe darum herumkommen - spielt die Frage der entschärften Zone unter internationaler Kontrolle, auch unter UNO-Kontrolle, eine Rolle und ist ein Weg. Der Verzicht auf Atomwaffen von hier aus, aus diesem Lande heraus, ist ein Beitrag, und wir sollten den Verzicht auf Atomwaffen - ich sage das den Damen und Herren von der Sozialdemokratie - nicht als ein Geschenk von außen erwarten, sondern wir müssen in dieser Richtung etwas tun.
Zur deutschen Frage sollte man vom Bundeskanzler und der Bundesregierung endlich eine verbindliche Erklärung auf Gewaltverzicht erwarten und die Bereitschaft, zu verhandeln, auch die Bereitschaft, über die Grenzfragen zu reden. Golo Mann hat neulich in einem interessanten Vortrag gesagt - ich glaube, wenn man Golo Manns Äußerungen analysiert, kann man ein schwedisches Sprichwort anwenden und kann sagen, die Sache war im Sack, bevor sie in die Tüte kam -: „Die großen Veränderungen sind über uns hingegangen. Wir haben nichts dazu getan, obwohl wir vorher eine ganze Menge getan haben." Darum dreht es sich! Der Herr Bundeskanzler hat gesagt: Kennedy ist ein kluger und beherrschter Politiker. Das ist zu glauben. Aber wo blieben dann die deutschen klugen und beherrschten Vorschläge?
Ich habe eingangs von den Veränderungen in der Weltpolitik gesprochen. Ich will sie Ihnen an zwei Aussagen deutlich machen. Der Leiter der amerikanischen Außenpolitik in den letzten zehn Jahren, Mister Dulles, war noch der Meinung, daß Neutralität etwas Unmoralisches sei. Als der jetzige amerikanische Außenminister von der Konferenz der SEATO kam und in Neu-Delhi Station machte, fand er eine völlig neue Definition. Mister Rusk sagte,
Behrisch
ein neutrales Land sei ein Land, das in militärischer Beziehung keiner Seite verpflichtet sei und für niemanden einen Stützpunkt für die Unterwanderung darstelle, ein Land, das nicht unter der Herrschaft von außen stehe und dessen Führer die eigenen Angelegenheiten einschließlich der Außenpolitik selber wahrnehmen könnten. Und Mister Rusk sagte, ein Land, das blockfrei sei, müsse kein Feind Amerikas sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, viele von Ihnen, besonders der Herr Bundesverteidigungsminister, werden sagen: Blockfreiheit oder auch Neutralität nutzen nichts im Krieg. Das stimmt. Aber Blockfreiheit und Neutralität haben nicht die Funktion, im Kriege zu nutzen, sondern die Funktion, den Krieg zu verhindern.
Ich möchte zum Abschluß auf die deutsche geographische Situation aufmerksam machen. Wir sind ein Land der Mitte.
({1})
Wir sollten nicht Brückenkopf sein, wir sollten Brücke sein zwischen den Großen. Wir sollten nicht so viel von Freundschaft reden. Ich muß immer lachen, wenn ich etwas von deutsch-sowjetischer Freundschaft höre nach allem, was war. Ich kann auch die Reden von der deutsch-amerikanischen Freundschaft nicht ernst nehmen. Ich glaube, besser als Freundschaft ist Nachbarschaft, korrekte Nachbarschaft aus dem Land der Mitte nach allen Seiten. Ich möchte mit Bismarck sagen: „Nicht eine zweideutige, aber eine zweiseitige Politik", eine Politik der Entspannung, die das Mißtrauen abbaut, denn das Mißtrauen, wir wissen es, ist das Haupthindernis zur Versöhnung und Verständigung. Wir müßten also durch eine Politik der Blockfreiheit und der Neutralität eine Atmosphäre schaffen, in der allein auch über die Wiedervereinigung Deutschlands ernsthaft gesprochen und verhandelt werden kann, weil es in der gegenwärtigen Situation überhaupt nicht geht.
Es nützt nichts, daß wir den frommen Wunsch zur Wiedervereinigung haben oder daß wir stille Gebete zum Himmel schicken
({2})
oder daß wir bei Festen schöne Phrasen reden. Wir müssen eine politische Atmosphäre schaffen helfen aus diesem Land heraus, die es ermöglicht, die deutsche Frage anzupacken.
Wenn der Herr Bundeskanzler hier vorgetragen hat, die kontrollierte Abrüstung sei in den Gesprächen, die er geführt habe, und in den Vorstellungen des Präsidenten die wichtigste Angelegenheit, und die Vereinigten Staaten - so sagte er - arbeiteten mit aller Kraft an diesem Problem und sie suchten eine Verständigung - so sagte er - mit Rußland, so meine ich, daß die Entgegnung lautet: Die Welt erwartet einen deutschen Beitrag dazu, erwartet deutsche Vorschläge dazu, erwartet einen deutschen Abrüstungsbeitrag. Und nun mögen einige von Ihnen kommen und sagen: Was du erzählst, ist ein Traum.
Ich will mit dem Wort eines Mannes schließen, auf das ich in Jerusalem gestoßen bin. Theodor Herzl sagt: „Der Traum ist von der Tat nicht so verschieden, wie mancher glaubt. Alles Tun der Menschen war vorher Traum". - Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß das der deutsche Weg ist. Ich weiß, daß ich in diesem Hause vielleicht allein dieser Meinung bin. Aber ich weiß, daß sehr, sehr viele deutsche Männer und Frauen dieser Meinung sind, nicht zuletzt die Männer und Frauen der Deutschen Friedensunion, für die ich hier gesprochen habe.
Damit ist die Aussprache über die Regierungserklärung geschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Mündlicher Bericht des Ausschusses für Petitionen ({0}) über seine Tätigkeit gemäß § 113 Abs. 1 der Geschäftsordnung
b) Beratung der Sammelübersicht 34 des Ausschusses für Petitionen ({1}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen ({2})
c) Beratung der Sammelübersicht 35 des Ausschusses für Petitionen ({3}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 6. Oktober 1957 bis 31. März 1961 eingegangenen Petitionen ({4}).
Der Bericht wird von der Frau Abgeordneten Wessel erstattet.
({5})
- Ich darf das Haus bitten, noch Ruhe zu bewahren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Erstattung des mündlichen Berichts des Petitionsausschusses war ursprünglich Herr Kollege Dürr vorgesehen. Herr Dürr ist aber durch berufliche Verpflichtung in einem Schwurgerichtsprozeß verhindert, heute an der Sitzung des Bundestages teilzunehmen. Deshalb habe ich als Vorsitzende des Petitionsausschusses es übernommen, dem Bundestag den Tätigkeitsbericht zu erstatten. Ich bitte deswegen freundlicherweise um Nachsicht.
Herr Kollege Spies hat an dieser Stelle Ende Oktober 1960 den letzten Bericht über die Tätigkeit des Petitionsausschusses gegeben. Ich möchte heute über die Arbeit des Ausschusses im letzten halben Jahr berichten. Dabei möchte ich mir erlauben, gleichzeitig zwei Sammelübersichten - Drucksachen 2602 und 2647 - mit den Ausschußempfehlungen für die Art der Erledigung von 231 Petitionen vorzulegen. Am Ende der Drucksache 2647 finden Sie wiederum einige statistische Übersichten über Art, Umfang und Erledigung der im Laufe dieser Wahlperiode eingegangenen Eingaben.
Wie Sie dieser Aufstellung, die den Stand vom 31. März 1961 wiedergibt, entnehmen können, ist
die Gesamtzahl der eingegangenen Petitionen in der Berichtszeit von sechs Monaten um 5651 auf insgesamt 328 624 angestiegen. Auch unter den Neueingängen finden wir wieder eine Reihe von Massen- und Sammelpetitionen. Die bisher sehr zahlreichen Eingaben zur Rot-Kreuz-Konvention gegen Atomwaffen sind mit 1851 Eingängen in der Berichtszeit erheblich geringer geworden, so daß wohl mit einem allmählichen Auslaufen dieser Aktion gerechnet werden kann.
Die Eingaben zur Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen hatten bereits vor Beginn der Berichtszeit, in der keine weiteren Eingänge hierzu mehr zu verzeichnen waren, ihr Ende genommen. Weitere Massenpetitionen gingen zu verschiedenen in diesem Hause anhängigen oder von der Regierung vorgesehenen Gesetzentwürfen ein, so in letzter Zeit vor allem zu dem Entwurf eines Notdienstgesetzes; hierzu sind insgesamt 1841 gleichlautende Petitionen eingegangen, davon 620 innerhalb der Berichtszeit.
Interessanter, meine Damen und Herren, als diese Masseneingaben mit einem genau übereinstimmenden Anliegen erscheint mir jedoch der Umstand, daß sich aus der Fülle der an den Deutschen Bundestag herangetragenen Wünsche, Anregungen und Beschwerden immer wieder bestimmte Fragenbereiche herausschälen lassen, die die Petenten in besonderem Maße beschäftigen und angehen. Auch hier handelt es sich zunächst in zahlreichen Fällen um Wünsche und Anregungen zur Gesetzgebung, die sich auf vorgelegte Gesetzentwürfe beziehen. Erwähnt seien vor allem die zahlreichen Eingaben zu den Novellen zum Lastenausgleichs- und zum 131 er-Gesetz.
Alle diese Petitionen werden, soweit sie nicht auch persönliche Beschwerden über behördliche Maßnahmen und Entscheidungen enthalten, in der Regel dem zuständigen Fachausschuß überwiesen und von diesem zusammen mit dem Gesetzentwurf abschließend behandelt.
Daneben gibt es aber noch eine Reihe anderer bevorzugter Gegenstände, die nicht oder nicht unmittelbar mit der gegenwärtigen Gesetzgebung des Bundes zusammenhängen. Oft sind die Eingaben zu derartigen Fragen allgemeiner Natur.
Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, daß Berichte und Stellungnahmen, die mit Hilfe der modernen Publikationsmittel einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, nicht selten eine Reihe entsprechender Zuschriften an den Deutschen Bundestag unmittelbar zur Folge haben, in denen häufig sogar auf die betreffende Veröffentlichung Bezug genommen wird. Oft werden Reden und Erklärungen maßgebender Persönlichkeiten des politischen Lebens kritisiert oder zur Begründung des eigenen persönlichen Anliegens herangezogen, z. B. nach dem Muster: Der Minister X hat dies und das gesagt, warum bekomme ich denn da nichts? Häufig mögen derartige Gedankenverknüpfungen unlogisch sein, aber mitunter geben uns diese Äußerungen zu denken.
Vor allem muß der Einfluß des Rundfunks und des Fernsehens hervorgehoben werden. Hier geben mitunter auch aktuelle Hör- und Bildberichte Anlaß zu Petitionen. So führte z. B. eine Fernsehsendung über die Lieferung von Schlachtpferden ins Ausland zu zahlreichen Eingaben tierfreundlicher Petenten, die gesetzliche Schutzmaßnahmen gegenüber den vorkommenden Auswüchsen forderten.
Einen Eindruck von der Bedeutung von Fernsehaufnahmen hat der Ausschuß kürzlich übrigens unmittelbar bekommen, als anläßlich unseres Besuchs in Berlin in der vergangenen Woche eine kurze Bildreportage mit einigen Ausschußmitgliedern veranstaltet wurde, in deren Verlauf ich selber als Vorsitzende einige Bemerkungen über das Petitionswesen gemacht habe. Die Folge davon war ein erheblicher Anstieg der Eingaben in der vergangenen Woche und bis auf den heutigen Tag, wobei vielfach auf meine Ausführungen hingewiesen wurde.
Bestimmte Erklärungen, Maßnahmen und Tatbestände werden, wie schon angedeutet, auch zur Begründung eines eigenen Wunsches herangezogen. Hier muß ich vor allem das Echo erwähnen - und ich tue es im Zusammenhang mit dem, was heute gesagt wurde -, das die Gewährung von Entwicklungshilfen und von anderen Zahlungen an ausländische Staaten in den Reihen der Petenten hervorgerufen hat. Da es sich bei vielen Petenten um sozial benachteiligte Personen handelt, bei denen bisweilen eine wirkliche Härte vorliegt, kann man immer wieder das Argument hören, daß doch zunächst den Armen und Schwachen im eigenen Volk geholfen werden sollte, ehe man daran gehe, fremden Völkern zu helfen.
Man sieht, daß es häufig durchaus aktuelle politische Fragen sind, die in den Eingaben angesprochen werden.
Man darf nun zwar nicht übersehen, daß es sich bei allen derartigen Eingaben - von Querulanten und Besserwissern einmal abgesehen, die natürlich in erheblichem Maße unter den Petenten auch zu finden sind - um Petenten eines ganz bestimmten Interessenkreises handelt, der nicht ohne weiteres zum Maßstab der öffentlichen Meinung genommen werden kann. Immerhin lassen sich aber bei sorgfältiger Auswertung aus der Fülle des eingesandten Materials gewisse Tendenzen ableiten, läßt sich hieraus in gewissem Umfang entnehmen, was den kleinen Mann draußen bewegt. Gerade die Möglichkeit einer solchen Auswertung, die im Einzelfall auch durchaus fruchtbare Anregungen für die parlamentarische Arbeit geben kann, gibt nach meiner Auffassung dem Recht zu Petitionen an das Parlament eine besondere, über die Behandlung der persönlichen Bitten und Beschwerden hinausgehende Bedeutung.
Eine Frage, die in letzter Zeit von den Einsendern häufig berührt worden ist, betrifft die Anrechnung von Renten, insbesondere von Erhöhungsbeträgen auf Fürsorge- oder Unterhaltsleistungen. So beklagen sich z. B. zahlreiche Petenten, die neben einer Rente Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz erhalten, darüber, daß sich eine mit Rücksicht auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten vorgenommene Erhöhung der Renten im Ergebnis
bei ihnen überhaupt nicht auswirke, weil ihnen der zuerkannte Steigerungsbetrag auf der anderen Seite wieder verrechnet oder abgezogen werde. Die Einsender übersehen hierbei zwar, daß bei der Berechnung der Unterhaltshilfe, von Freibeträgen abgesehen, auf das Gesamteinkommen des Empfängers abgestellt werden muß. Immerhin lassen die Eingaben erkennen, wie wünschenswert es doch ist, Erhöhungen von Renten und staatlichen Unterstützungen möglichst weitgehend aufeinander abzustimmen.
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Lassen Sie mich nun noch abschließend über einige Einzelfälle aus der Vielfalt der dem Ausschuß vorgelegten Petitionen berichten. Ein menschlich bewegender Fall, dessen zufriedenstellende Lösung leider nicht in der Macht des Ausschusses oder des Deutschen Bundestages stand, bei dem wir aber dennoch versucht haben, wenigstens mit Ratschlägen und durch Vermittlung zu helfen, ist der folgende. Der Einsender geriet Ende des letzten Krieges auf der Flucht vor den herannahenden Russen mit Frau und Kindern in einen Luftangriff. Als der Angriff vorüber war, vermißten die Eltern ihren etwa sechs Jahre alten Sohn Rudolf und mußten annehmen, daß er tot war. Später erfuhren sie dann, daß ein elternloses Flüchtlingskind gleichen Namens und etwa gleichen Alters 1948 in einem Heim in Berlin gelebt hatte und dann von einem amerikanischen Ehepaar aus New York adoptiert worden war. Die Eltern versuchten, unter Einschaltung des deutschen Generalkonsulats festzustellen, ob das Adoptivkind mit ihrem vermißten. Sohn identisch sei. Doch scheiterten alle diese Versuche an der Haltung des Adoptivvaters, der jeder Aufklärung ablehnend gegenüberstand. Auch die vom Deutschen Bundestag empfohlene Einschaltung des Deutschen und des Amerikanischen Roten Kreuzes führte leider zu keinem anderen Ergebnis. Nachdem der Sohn inzwischen volljährig geworden ist, haben wir dem Petenten geraten, über eine vertrauenswürdige Person in den Vereinigten Staaten mit dem jungen Mann selbst Verbindung aufzunehmen.
Ein weniger tragischer Fall: ein Männergesangverein „Concordia” bittet, ihm bei der Wiedererlangung einer kostbaren Vereinsfahne zu helfen. Die Fahne war im Mai 1945 aus einem von britischen Truppen als Unterkunft benutzten Saal verschwunden. Ihr Verbleib hat sich auch nicht mehr ermitteln lassen. Da weder die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden noch nach dem Lastenausgleichsgesetz erfüllt sind, können dem Verein keine Mittel zur Anschaffung einer neuen Fahne zur Verfügung gestellt werden.
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Wir wollen aber hoffen, daß das Vereinsleben durch
diesen Verlust nicht allzusehr geschädigt worden ist.
Eine 72 jährige Petentin aus Bremen, deren Antrag auf Bewilligung einer Witwenrente im Jahre 1951 abgelehnt worden war, beklagt sich darüber, daß ihrem nach Wegfall der alten Anwartschaftsbestimmungen gestellten neuen Antrag nur deshalb nicht entsprochen worden sei, weil sie ihn nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von zwei Jahren ab Inkrafttreten des Rentenversicherungsneuregelungsgesetzes eingereicht habe. Zu einer Gesetzesänderung in Richtung auf eine Verlängerung oder Aufhebung der Ausschlußfrist geben Fälle dieser Art jedoch keine Veranlassung, weil ein Zeitraum von zwei Jahren allen Betroffenen in ausreichendem Maße Gelegenheit bot, sich über die Rentenneuregelung zu informieren, zumal über die Einzelheiten in Presse, Rundfunk und Fernsehen in großem Umfange berichtet worden ist.
Eine andere Petentin ist wiederholt vorstellig geworden, um eine Änderung des Feuerbestattungsgesetzes von 1934 dahin zu erreichen, daß die Asche Verstorbener an die Angehörigen zwecks Überführung in eine private Begräbnisstelle ausgeliefert werden könne. Diese Eingabe, die aus Zuständigkeitsgründen an die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg abzugeben war, bereitete anfangs gewisse rechtliche Schwierigkeiten, weil der Eingabenausschuß der Bürgerschaft zunächst der Auffassung war, daß das Feuerbestattungsgesetz als Reichsgesetz nur vom Deutschen Bundestag geändert werden könne. Der Ausschuß für Petitionen hat sich jedoch der Rechtsauffassung des Bundesministers des Innern angeschlossen, daß das Feuerbestattungsgesetz, da es eine Materie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung betreffe, nach den Art. 123 ff. des Grundgesetzes als Landesrecht fort-gelte und daher auch vom Landtage geändert werden könne. Nachdem der Eingabenausschuß in Hamburg inzwischen der Bürgerschaft empfohlen hat, die Angelegenheit als erledigt zu erklären, ist dieser Fall auch für den Deutschen Bundestag wohl endgültig abgeschlossen.
Zum Schluß noch eine Eingabe, die uns besonders interessiert hat und die das auch schon in der Öffentlichkeit vielfach erörterte Problem der Ausgabe von Schülerfahrkarten erster Klasse bei der Bundesbahn betrifft. Der Petent beschwerte sich darüber, daß in immer stärkerem Maße Schüler mit den verbilligten Karten die erste Wagenklasse benutzten und die vorhandenen Sitzplätze belegten, während die Fahrgäste mit normalen Fahrkarten erster Klasse aus Platzmangel stehen müßten. Nachdem der Herr Bundesminister für Verkehr in seiner Stellungnahme eine baldige Neuregelung zugesagt hatte, haben wir die Petition jetzt der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen.
Inzwischen hat die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn, wie Ihnen wahrscheinlich bereits aus der Presse bekannt ist, mit Zustimmung des Bundesministers für Verkehr beschlossen, vom 1. Mai dieses Jahres ab Schülerfahrkarten nur noch für die zweite und nicht mehr für die erste Klasse auszugeben. Für die Benutzung von Schnellzügen werden besondere Schülerfahrkarten zweiter Klasse zum Preis der bisherigen Schülerkarten erster Klasse ausgegeben.
Verschiedene der eingegangenen Petitionen betreffen Gegenstände, die endgültig erst im Rahmen
einer späteren Gesetzgebung geregelt werden sollen. Ich darf hier folgende Eingabe aus NordrheinWestfalen erwähnen, die erst nach Vorliegen des NS-Abwicklungsgesetzes zufriedenstellend behandelt werden kann. Im Jahre 1943 war der damals 13jährige Petent, der übrigens erst 1939 aus Brasilien nach Deutschland gekommen war, im Zuge der Kinderlandverschickung in ein Lager bei Zwickau beordert warden, in dem neben dem Lagerleiter, einem älteren Rektor, mehrere HJ-Führer für die Kinder verantwortlich waren. Während dieses Aufenthaltes schoß ein 16jähriger HJ-Führer dem Petenten beim Spiel eine Kugel in den Unterleib und verletzte ihn dabei erheblich. Während der Petent die Verletzung anfangs noch nicht so tragisch nahm, hatte er später sehr darunter zu leiden, vor allem auch bei der Ausübung seines Berufes als Straßenbahnschaffner. Irgendeine Entschädigung durch den Staat konnte dem Petenten bisher nicht zuteil werden, weil eine Regelung der Verbindlichkeiten der aufgelösten NS-Einrichtungen bis jetzt nicht getroffen ist.
In verschiedenen anderen Eingaben wird um Ersatz von Schäden gebeten, die den Petenten durch Beschlagnahme oder Einziehung von Vermögenswerten zum Zwecke der Reparation oder Restitution oder in Durchführung der Rückerstattungsvorschriften entstanden sind. Vor allem handelt es sich hier um die im Ausland beschlagnahmten Vermögensmassen, deren Freigabe durch den fremden Staat gewöhnlich nicht zu erreichen ist, so daß nur mit einer innerdeutschen Regelung geholfen werden kann. Eine solche Regelung der genannten Schäden ist nach § 3 Abs. 1 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes ebenfalls einer späteren Gesetzgebung vorbehalten worden. Auch hier läßt sich noch nicht absehen, wann dieses Gesetz, an dem noch gearbeitet wird, verabschiedet wird. Zur Überbrückung des Zwischenzeitraums und zur Erweiterung der im Vierten Teil des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes getroffenen Härteregelung hat die Bundesregierung am 4. Juni 1960 Richtlinien über die Gewährung von bedingt rückzahlbaren Darlehen erlassen. Aber diese Darlehen werden nur bei Vorliegen bestimmter Lebenstatbestände gewährt, vor allem bei hohem Alter des Beschädigten oder schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen. Es ist daher wünschenswert, daß die Arbeiten an der genannten Gesetzgebung möglichst bald zum Abschluß kommen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen und Beispielen gezeigt zu haben, daß es immer wieder die verschiedensten Fragen, Sorgen und Nöte sind, mit denen sich die Leute draußen an den Deutschen Bundestag wenden. Wenngleich es unter den Einsendern auch manche Nörgler und Besserwisser gibt, so spürt man doch im Laufe der Zeit ein wachsendes Vertrauen zum Parlament als einem der wichtigsten Organe unseres demokratischen Staatswesens.
Wenn es auch in der Mehrzahl der Fälle nicht möglich ist, dem Anliegen des Petenten materiell zu entsprechen - handelt es sich doch häufig um Eingaben, bei denen das Anliegen bereits von mehreren Verwaltungsinstanzen sorgfältig geprüft worden ist -, so wird doch allein die Ablehnung eines bestimmten Gesuches dieses Vertrauensband noch nicht zerrissen, wie viele spätere Eingaben solcher Petenten beweisen. Um so befriedigender ist es, wenn einem Petenten - vielleicht aus Billigkeitsgründen in einem besonderen Härtefall - dann doch durch Vermittlung des Parlaments eine Hilfe gewährt werden kann.
Alles in allem gibt das Petitionsrecht somit eine Möglichkeit mehr, die Arbeit der Volksvertretung den vertretenen Bürgern näherzubringen und unsere junge Demokratie wirklich lebendig zu erhalten.
Es freut mich deshalb besonders, daß es mittlerweile gelungen ist, die Bearbeitung der Petitionen immer mehr zu straffen und zu verbessern. Natürlich kann nicht jeder Petent in kürzester Zeit einen abschließenden Bescheid von uns erwarten, weil ja häufig sehr umfangreiche Ermittlungen und Rückfragen erforderlich sind. Ich glaube aber sagen zu können, daß die Bearbeitung der Eingaben jetzt von allen beteiligten Stellen zügig durchgeführt wird, so daß wir auch erwarten können, daß die zur Zeit anhängigen Petitionen bis zum Ende der Wahlperiode im wesentlichen abschließend behandelt sein werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte meinen Bericht nicht beenden, ohne nicht wenigstens mit einigen kurzen Worten den Besuch des Ausschusses während der vergangenen Woche in Berlin zu erwähnen. Es ist dies das erste Mal in dieser Legislaturperiode gewesen, daß der Ausschuß für Petitionen seine Sitzungen in Berlin abgehalten hat. Ich glaube im Sinne meiner Ausschußkollegen und -kolleginnen zu sprechen, wenn ich sage, daß diese Reise für uns ein voller Erfolg gewesen ist. Einmal hat auch dieser Besuch zu seinem Teil dazu beigetragen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit unserer alten Reichshauptstadt zu stärken, und ist deshalb von unseren Berliner Freunden ganz besonders begrüßt worden.
Wir haben dabei unsere Ausschußsitzungen gemeinsam mit Mitgliedern des Eingabenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses durchgeführt, wobei einige der Berliner Kollegen unserer Sitzung beigewohnt haben, während umgekehrt der Ausschuß auch einige Zeit die Arbeit des Berliner Eingabenausschusses hat beobachten könnnen.
Auf der anderen Seite ist der Aufenthalt in Berlin gerade für den Ausschuß für Petitionen besonders anregend gewesen, weil wir außerhalb der Ausschußsitzungen Gelegenheit zum Besuch verschiedener Einrichtungen und Stellen hatten, mit denen wir bei unserer Ausschußarbeit auf Grund der Petitionen immer wieder zu tun haben.
Zu erwähnen ist zunächst eine Besichtigung des Notaufnahmelagers und der Notaufnahmestelle des Bundes in Berlin-Marienfelde, wo wir auch an einigen Verhandlungen der Aufnahmeausschüsse teilnehmen konnten. Es ist ja oft erschütternd, von den Geflüchteten zu hören, auch in ihren Eingaben, die sie uns schicken, welchem Druck und welchen Schikanen sie in der Zone ausgesetzt waren. Um so erDeutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode Frau Wessel
freulicher war es für uns, zu sehen, wie zügig die Überprüfung der Flüchtlinge durchgeführt wird und wie gut sie im Lager betreut werden. Nach Angabe der dortigen Stellen liegen zwischen der Ankunft eines Flüchtlings im Lager und seinem Abflug in die Bundesrepublik jetzt durchschnittlich nur noch 10 bis 12 Tage.
Interessante Ausführungen haben wir außerdem bei unseren Besuchen des Bundesversicherungsamtes und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zu hören bekommen. Wir haben mit Verständnis von den Sorgen der Verwaltung und von ihren Verbesserungen und Plänen gehört. Wir haben uns gefreut, daß man auch dort in erster Linie bemüht ist, jedem Bittsteller soweit wie möglich gerecht zu werden, und daß Petitionen, die wir dem Bundesversicherungsamt zur Stellungnahme zuleiten, besonders rasch und aufmerksam behandelt werden. Wir haben aber auch mit unseren eigenen Wünschen und unserer Kritik nicht zurückgehalten, und wir hoffen, mit unseren Gesprächen auch der Verwaltung manche Anregung gegeben zu haben, wie sie uns bestätigt.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit und bitte abschließend, die in den Sammelübersichten 34 und 35 - Drucksachen 2602 und 2647 - enthaltenen Anträge zu Petitionen anzunehmen.
({2})
Ich danke der Frau Abgeordneten Wessel für ihren Bericht. Ich glaube, wir haben Anlaß, den Damen und Herren des Petitionsauschusses für ihre bedeutsame Tätigkeit zu danken. Mit Recht wird gesagt, sie hüten eines der wesentlichen Grundrechte: daß jedermann berechtigt ist, sich mit Bitten oder Beschwerden an die Volksvertretung, an den Bundestag zu wenden.
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Die Buchstaben b) und c) des Punktes 3 der Tagesordnung gelten als mit aufgerufen. Frau Abgeordnete Wessel hat auch die Anträge begründet. Ich darf die Anträge in Drucksache 2602 und Drucksache 2647 gemeinsam aufrufen. Wer ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, das Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -. Sie sind einstimmig angenommen.
Wir haben gestern das Steueränderungsgesetz 1961 - Drucksache 2573 - dem Finanzausschuß und nach § 96 der Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß überwiesen. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses weist darauf hin, daß sich dieser Ausschuß nicht nur mit den Kosten, sondern auch mit Sachfragen befassen muß, und bittet deswegen, daß der Haushaltsausschuß mit der Mitberatung beauftragt wird. Darf ich das Einverständnis des Hauses feststellen? - Es ist so beschlossen.
Wir sind damit am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 3. Mai, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.