Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet,
Vor Eintritt in die Tagesordnung kann ich .zum Geburtstag Glückwünsche an Kollegen aussprechen. Am 8. Dezember hat der Abgeordnete Diel 74 Jahre, der Abgeordnete Bauereisen heute 65 Jahre erreicht.
({0})
Beiden sage ich herzliche Wünsche für das kommende Lebensjahr.
Eine amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Die Fraktion der SPD hat unter dem 6. Dezember 1960 mitgeteilt, daß sie ihrer, Antrag betr. Recht des öffentlichen Dienstes - Drucksache 1976 zurückziehe, nachdem im Ausschuß für Inneres die entsprechenden Dokumente vorgelegt worden seien.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde ({1}).
Zunächst - nach der Drucksache 2266 - die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Frage V/1 - des Herrn Abgeordneten Richarts -:
Kennt und billigt die Bundesregierung die Gründe, die zu der unterschiedlichen Preiserhöhung für Brot und Brötchen geführt haben?
Ist der Abgeordnete im Hause? - Frau Abgeordnete Ackermann wollte ,die Frage für ihn stellen. Ist sie im Hause? - Dann wird die Frage schriftlich beantwortet.
Frage V/2 - des Herrn Abgeordneten Priebe -:
Was kann die Bundesregierung für diejenigen Bauern tun, die sich durch eine überdurchschnittliche Zuckerrübenernte für ausgewachsenes und teilweise verdorbenes Getreide entschädigt glaubten und dann erfahren mußten, daß die Zuckerfabriken die Rüben nur zum Teil abnehmen, weil die Abnahmemengen nach den Hektarerträgen eines schlechteren Rübenjahres bemessen werden?
Es ist nicht richtig, daß im laufenden Jahre die Abnahmemengen nach den Hektarerträgen eines schlechteren Rübenjahres bemessen werden. Im Einvernehmen mit den beteiligten Kreisen der Zuckerwirtschaft sind die Jahresfreigaben 1959/60 und 1960/61 der Zuckerfabriken auf 85 % der Erzeugung von 1958/59 beschränkt worden, um die ungünstigen Folgen einer Überversorgung zu vermeiden und einen Abbau des sogenannten Zukkerberges zu ermöglichen. Obwohl diese Maßnahme den Zuckerfabriken und Rübenanbauern keine unmittelbaren Beschränkungen hinsichtlich des Abschlusses von Anbauverträgen auferlegt, da Anbau, Lieferung und Abnahme von Zuckerrüben gemäß § 3 des Zuckergesetzes ihrer freien Vereinbarung überlassen sind, konnte doch erwartet werden, daß sowohl die Zuckerfabriken als auch die Rübenanbauer sich in ihrer Gesamtheit der Notwendigkeit einer wenn auch nur vorübergehenden Anbaubeschränkung nicht verschließen würden. Das war leider nicht allgemein der Fall.
Der Anbau ist vielmehr in einzelnen Gebieten weiter ausgedehnt worden. Bei ,dieser Sachlage muß es auch den Vereinbarungen zwischen den Zuckerfabriken und den Rübenanbauern überlassen bleiben, in welchem Umfang die 1960 angebauten Zukkerrüben an die Zuckerfabriken abgeliefert werden können. Bisher ist übrigens nicht berichtet worden, daß Zuckerfabriken die Übernahme von Rüben abgelehnt hätten. Die Möglichkeit einer späteren Verwertung der über die Freigabe hinaus erzeugten Zuckermengen auf dem Inlandsmarkt wird maßgeblich von der weiteren Entwicklung der Zuckerversorgungslage abhängen.
Eine Zusatzfrage? - Herr Abgeordneter Priebe.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Bauern im niedersächsischen Zonenrandgebiet den Vorschlag gemacht haben, ihre überschüssigen Rüben an die Sowjetzone zu verkaufen?
Jawohl.
Wie stellt ,sich die Bundesregierung zu ,diesem Vorschlag?
Die Bundesregierung kann die Rübenanbauer im Kreise Lüchow-Dannenberg nicht daran hindern, über derartige Geschäfte mit einer sowjetzonalen Zuckerfabrik - ich glaube, es handelt sich um die Zuckerfabrik in Salzwedel - zu sprechen. Im übrigen sind die niedersächsischen Zuckerfabriken durchaus bereit und auch in der Lage, diese angeblich nicht unterzubringenden Rüben in ihren 'eigenen Kapazitä7706
ten zu verarbeiten. Es scheint aber so, als ob von drüben ein höherer Preis geboten worden ist und als ob einige der Rübenanbauer ,dieser Versuchung, einen höheren Preis drüben zu erreichen, nachzugeben geneigt waren.
Eine Zusatzfrage?
Ich frage die Bundesregierung, Herr Staatssekretär: Ist das aber eine ordnungsgemäße Verwertung, wenn die Rüben dort in großen Mengen in der Lüneburger Heide liegen und von den Fabriken nur in ,eigener Verantwortung und Verarbeitung für den Betreffenden - der den Zucker für das nächste Jahr lagern darf - übernommen werden? Ist das der Bundesregierung bekannt?
Ich frage die Bundesregierung weiter: Kann der Bericht der Bauern aus ,der Lüneburger Heide stimmen, daß es Zuckerfabriken gibt, die wohl Absatzrechte, aber keine Rüben haben, während in der Lüneburger Heide die Zuckerfabriken große Mengen Zuckerrüben haben, aber keine Absatzrechte?
Das ist eine etwas vereinfachende Darstellung, daß die reinen Zuckerfabriken Absatzrechte haben und keine Rüben und daß es bei den andern umgekehrt ist. Es sind allerdings in den Absatzrechten, und zwar auf Grund ,des Referenzjahres 1958/59, ,auf das ich eben bei der Beantwortung der Frage des Herrn Abgeordneten Priebe hingewiesen habe, gewisse Ungleichheiten dadurch entstanden, daß eine Anzahl niedersächsischer Zuckerfabriken, wie Ihnen wohl bekannt ist, gerade im Jahre 1958/59 in sehr großen, nicht benötigten Mengen dänische Rüben eingeführt haben. Dadurch haben sie eine Ausweitung der Absatzrechte erreicht, die ihnen in diesem Jahr zugute kommt. Die Bundesregierung ist im Benehmen mit der Zuckerrübenwirtschaft auch gerade Ihres Bezirks, Herr Abgeordneter Pflaumbaum, damit beschäftigt, eine Neukontingentierung unter Beseitigung ,dieser Unebenheiten vorzunehmen.
Ich rufe dann die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr ,auf, zunächst die Frage VIII/1 - des Abgeordneten Hansing -:
Wieviel Ausnahmegenehmigungen haben der Herr Bundesverkehrsminister und die Verkehrsministerien der Küstenländer in Abweichung von den Bestimmungen der Schiffsbesetzungsordnung und den Bestimmungen über die Besetzung der Seefunkstellen in der deutschen Seeschiffahrt erteilt?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die mir zur Beantwortung Ihrer Frage zur Verfügung stehenden Unterlagen, Herr Kollege Hansing, beruhen zum größten Teil auf Angaben der zuständigen Behörden der Küstenländer. Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 1959, weil die Erhebungen für das laufende Jahr 1960 noch nicht abgeschlossen sind. Das Bild des Jahres 1959 dürfte sich aber von dem des Jahres 1960 noch nicht wesentlich unterscheiden.
Es wurde 1037 Inhabern nautischer Befähigungszeugnisse die Genehmigung erteilt, ausnahmsweise und befristet mit einem Patent geringeren Grades eine Stelle zu besetzen, für die nach der Schiffsbesetzungsordnung ein höheres Patent vorgeschrieben ist. Bei insgesamt 5299 zu besetzenden Stellen sind das rund 20 %. Diese Verhältniszahl gibt jedoch ein ungenaues Bild, da die Schiffe entsprechend der Praxis und dem Heuertarif durchschnittlich besser besetzt sind, als es die Schiffsbesetzungsordnung vorschreibt. Tatsächlich sind insgesamt 6570 Stellen besetzt, so daß für 16 % der Stellen Ausnahmegenehmigungen erteilt wurden.
Die entsprechenden Zahlen für die Inhaber eines Schiffsingenieurs- oder Seemaschinistenpatentes lauten wie folgt: 1507 Ausnahmegenehmigungen gegenüber 3892 Soll-Stellen nach der Schiffsbesetzungsordnung bzw. 4810 Ist-Stellen nach Praxis und Tarifvertrag. Das ergibt Verhältniszahlen von 38 bzw. 31 %.
Für Inhaber eines Seefunkzeugnisses wurden 253 Ausnahmegenehmigungen erteilt. Bei insgesamt 740 vorgeschriebenen Funkerstellen sind das 34 %.
Eine Ergänzungsfrage, Herr Abgeordneter Hansing?
Herr Minister, wird bei allen Ausnahmegenehmigungen geprüft, ob die Schiffssicherheit gewahrt ist?
Das kann natürlich bei der Ausnahmegenehmigung nicht geprüft werden, weil ja der einzelne die Ausnahmegenehmigung erhält und nicht das Schiff. Soweit nach der Schiffsbesetzungsordnung eine Prüfung erforderlich ist, findet sie statt. Dabei werden natürlich diejenigen, die Ausnahmepatente haben, vollwertig mit eingesetzt.
Danke!
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe dann die Fragen VIII/2 und VIII/3 - des Herrn Abgeordneten Zühlke - auf:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der Deutschen Bundeshahn darauf hinzuwirken, daß angesichts der besonderen Verhältnisse im Zonenrandgebiet die Bahnbuslinie Coburg-Ebersdorf-Neuensorg-Fürth am Berg bis Neustadt bei Coburg verlängert wird?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Schienenstrecke der Linie Coburg-Ebersdorf-Fürth am Berg-Neustadt bei Coburg unterbrochen ist und kein öffentliches Verkehrsmittel den letzten Teil der Strecke befährt?
Herr Kollege Zühlke, ich darf Ihr Einverständnis voraussetzen, .daß ich Ihre beiden Fragen gemeinsam beantworte, weil sie ja in engem Zusammenhang stehen. Es geht bei beiden Fragen um die Verkehrsverbindungen von Coburg über Fürth am Berg bis Neustadt. Die Eisenbahnverbindung ist auf dieser Strecke durch den Verlauf der Zonengrenze unterbrochen. Unter den gegebenen Verhältnissen ist es mir verständlicherweise nicht möglich, zu sagen, ob und wann mit einer Wiederaufnahme
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
des Verkehrs auf dieser unterbrochenen Strecke zu rechnen ist, bei der auf sowjetzonalem Gebiet ein Teil der Schienen aufgenommen worden sind.
Zwischen Coburg-Ebersdorf-Neuensorg bis Fürth am Berg besteht eine Bahnbuslinie. Die Strecke zwischen Fürth am Berg bis Neustadt 'dagegen wird seit etwa acht Jahren von einem privaten Unternehmer namens Heider bedient, und zwar zur Zeit mit 10 Fahrten pro Tag. Weder das bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr noch die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn sehen deshalb ein Bedürfnis zur Verlängerung der Bahnbuslinie über Fürth am Berg hinaus, die sicherlich nur eine Umschichtung des Verkehrs von der privaten Linie des Unternehmers Heider auf die Bahnbuslinie zur Folge haben würde. Es wäre sicherlich nicht angebracht, den mittelständischen Omnibusunternehmer auf dieser kurzen Strecke durch die Deutsche Bundesbahn zu verdrängen.
Eine Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter Zühlke!
Herr Minister, eine Frage wegen ,des privaten Omnibusunternehmens! Würde das Ministerium bereit sein, mit der Deutschen Bundesbahn darüber zu verhandeln, daß das private Omnibusunternehmen nicht nur die Strecke Fürth am Berg-Neustadt befährt, sondern auch die Zubringerstrecke mitbedienen kann, eventuell im Auftrag der Bundesbahn, damit die Rentabilität dieses Unternehmens gesicherter ist?
Darüber kann man sicher mit der Deutschen Bundesbahn sprechen. Soweit ich bisher unterrichtet bin, hat der Unternehmer selber an die Deutsche Bundesbahn derartige Forderungen nicht gestellt.
Danke!
Ich rufe dann die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf, zunächst die Frage IX/1 - des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) -:
Trifft es zu, daß die Deutsche Bundespost am Bodensee ein Hotel zu errichten beabsichtigt?
Die Deutsche Bundespost hat nicht die Absicht, Herr Kollege Schmidt, am Bodensee einen Hotelbetrieb zu errichten.
Auch nicht, Herr Minister, durch irgendeine posteigene Gesellschaft?
Auch nicht durch eine posteigene Gesellschaft.
Danke!
Ich rufe auf die Frage IX/2 - des Herrn Abgeordneten Atzenroth -:
Ist das Bundespostministerium bereit, auf das Beförderungsmonopol zugunsten privater Einrichtungen zu verzichten, nachdem Professor Herz erklärt hat, daß keine Garantie dafür übernommen werden könne, daß dringende Telegramme nach der Dienstzeit noch zugestellt werden?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe die Frage IX/3 - des Herrn Abgeordneten Windelen - auf:
Warum tragen unsere Briefmarken die Aufschrift „Deutsche Bundespost" und nicht „Bundesrepublik Deutschland", obwohl die deutschen Postwertzeichen von 1902 bis 1945 die Aufschrift „Deutsches Reich" trugen, obwohl die weitaus meisten der ausländischen Postwertzeichen den Namen ihres Landes tragen, obwohl die Sowjetzone ihre Freimarken mit dem Aufdruck „Deutsche Demokratische Republik" versieht und obwohl Briefmarken reit der Aufschrift „Bundesrepublik Deutschland" weit wirksamer fur unser nationales Anliegen werben könnten als die völlig neutrale Aufschrift „Deutsche Bundespost"?
Der Abgeordnete Windelen wird vom Abgeordneten Krüger vertreten. Bitte, Herr Minister!
Die Deutsche Bundespost hat mit Rücksicht auf Berlin bisher den Aufdruck auf die Postwertzeichen „Deutsche Bundespost" für das Bundesgebiet und für das Land Berlin „Deutsche Bundespost Berlin" verwandt. Ob ein Aufdruck „Bundesrepublik Deutschland" im Hinblick auf Berlin richtig und möglich ist, wird geprüft.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Krüger?
Ist es beabsichtigt? Kann es im nächsten Jahr durchgeführt werden? Die Frage stellt sich, weil Sie, Herr Bundesminister, neue Postwertzeichen herauszugeben beabsichtigen.
Herr Kollege, wenn es sich ergibt, daß das zweckmäßig und richtig ist, bestehen von seiten der Deutschen Bundespost keine Bedenken.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen hat seine Frage - IX/4 - zurückgestellt.
Ich rufe die Frage IX/5 - des Herrn Abgeordneten Baier ({0}) - auf:
Welche zwingenden Gründe veranlassen den Herrn Bundespostminister, bei der unentgeltlichen Abgabe des Amtlichen Fernsprechbuchs an die Fernsprechteilnehmer neben der Abholkarte auch das Amtliche Fernsprechbuch der vorhergehenden Ausgabe zu verlangen?
Wenn das alte Fernsprechbuch nicht abgegeben wird, wird für die Abgabe des neuen Fernsprechbuches eine Gebühr erhoben, weil wir wünschen, daß der Fernsprechteilnehmer das neue Fernsprechbuch benutzt und nicht auf das alte oder noch ein älteres Fernsprechbuch zurückgreift. Es sollen Fehlverbindungen vermieden werden, die sich ergeben können, weil Änderungen der Nummern und Anschriften nicht beachtet werden.
Ich rufe dann die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung, Drucksache 2275, auf, Fragen des Abgeordneten Felder I/1; 2 und 3.
Welche Maßnahmen beabsichtigt das Bundesverteidigungsministerium zu ergreifen. um sicherzustellen, daß bei tödlichen Unfällen von Soldaten die Familien der Betroffenen nicht erst 18 Stunden nach Eintritt des Todesfalles verständigt werden?
Ist dem Bundesverteidigungsministerium bekannt, daß die Bergungsarbeiten bei dem Bundeswehrunglück von Jettenberg am 26. November 1960 um 1 Uhr nachts abgeschlossen waren, die Standortkommandantur Düsseldorf aber erst am 26. November, 11 Uhr vormittags, von dem Ableben des Gebirgsjägers Manfred Wenzel durch Fernschreiben verständigt wurde, was zur Folge hatte, daß die Eltern Wenzels am Samstag nachmittag zweimal nicht angetroffen wurden und so erst abends in Kenntnis gesetzt werden konnten?
Ist dem Bundesverteidigungsministerium bekannt, daß audi im Falle des hei Jettenberg schwer verletzten Gebirgsjägers Anton Fischer aus Rottau die Benachrichtigung der Angehörigen unnötig verzögert wurde und daß die Familie Fischer auf die telefonische Anfrage in der Bad Reichenhaller Kaserne, warum ihr Sohn nicht zur Hochzeit seiner Schwester komme, zunächst die lakonische Antwort bekam, der Gebirgsjäger Fischer sei „im Augenblick nicht erreichbar"?
Da die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Felder sich auf den gleichen Unfall beziehen, darf ich hierzu in einer Antwort Stellung nehmen.
Sofort nach dem Eintreffen der Unglücksnachricht begab sich der Kompaniechef zur Unfallstelle, leitete dort die Bergungsarbeiten und fuhr mit den verletzten Soldaten zum Krankenhaus, um die ärztliche Versorgung sicherzustellen. Anschließend wurde der Kompaniechef mehrere Stunden von Polizei und Staatsanwaltschaft vernommen. Erst gegen 10 Uhr vormittags wurden ärztlicherseits ein einigermaßen sicheres Bild über den Zustand der Verletzten und die Bestätigung des inzwischen eingetretenen Todes des Gebirgsjägers Wenzel gegeben. Daraufhin wurde unverzüglich der Todesfall durch Fernschreiben dem Standortoffizier in Düsseldorf mitgeteilt. Nach Eintreffen des Fernschreibens suchte der Standortoffizier sofort - erstmals um 13 Uhr und dann nochmals um 15.30 Uhr - die Angehörigen des Verstorbenen auf. Er traf sie jedoch erst bei seinem dritten Besuch gegen 18 Uhr an, um sie von dem Ableben des Gebirgsjägers Wenzel zu verständigen. Selbst wenn auf eine persönliche Überbringung der Todesnachricht verzichtet und der Weg des Telegramms gewählt worden wäre, ist es zweifelhaft, ob die Benachrichtigung die Angehörigen früher erreicht hätte.
Bei Todesfällen ist die Truppe angewiesen, die Benachrichtigung möglichst durch den Einheitsführer persönlich überbringen zu lassen. Ist dies wegen zu großer Entfernung zum Wohnort der nächsten Angehörigen wegen der damit eintretenden Verzögerung nicht möglich, so wird ausnahmsweise der zuständige Standortkommandant oder der Ortsgeistliche eingeschaltet.
Es dürfte richtig sein, eine derart schwerwiegende Nachricht in dieser Form zu übermitteln, selbst wenn hierdurch gewisse Verzögerungen eintreten sollten, die selbstverständlich in möglichst engen Grenzen gehalten werden.
Auch im Fall des verletzten Gebirgsjägers Fischer kann von einer unnötig verzögerten Benachrichtigung wohl kaum igesprochen werden. Es ist richtig, daß auf die telefonische Anfrage der Familie Fischer beim Brigadestab zunächst eine ausweichende Antwort gegeben wurde, 'da zu diesem Zeitpunkt noch kein genauer Befund über den Zustand des Gebirgsjägers Fischer vorlag. Nachdem der Kompaniechef jedoch gegen 10 Uhr ein klares Bild von dem Zustand des Verletzten gewonnen hatte - das war genau derselbe Zeitpunkt wie im Falle Wenzel -, schickte das Bataillon unverzüglich einen Offizier zu den Eltern des Gebirgsjägers Fischer. Da der Offizier die Rückkehr der Angehörigen von einer Familienfeier abwarten mußte, konnte die Nachricht erst gegen 13 Uhr übermittelt werden. Der Offizier hot der Familie sein Kraftfahrzeug zum sofortigen Besuch des schwerverletzten Sohnes an.
Zusammenfassend darf ich feststellen, daß in beiden Fällen die Verzögerung bei der Benachrichtigung der Angehörigen nicht auf Umstände zurückzuführen ist, die die Truppe zu vertreten hat, und daß es daher auch nicht notwendig sein dürfte, die für solche Fälle gegebenen Anordnungen zu ändern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Felder!
Herr Staatssekretär, glauben Sie aber nicht doch, daß es im Interesse eines wünschenswert guten Verhältnisses zwischen Öffentlichkeit und Bundeswehr sowie zwischen seriöser Presse und Bundeswehr gut wäre, wenn die Geheimnisglocke von Bonn nicht, wie zweifelsfrei in diesem Falle, allzu lange über unbestreitbare Fakten gestellt würde und wenn den Presseoffizieren, die für das jeweilige Gebiet der Bundeswehr zuständig sind, etwas mehr Bewegungsfreiheit gegeben würde?
Ich weiß nicht, Herr Abgeordneter, ob Sie diese Frage in Verbindung mit dem Fall der beiden Gebirgsjäger meinen.
({0})
Mir ist nicht bekannt, daß nach Abschluß der Vernehmung des Kompaniechefs, also morgens zwischen 10 und 11 Uhr, irgendein Verbot gegeben worden wäre, diesen Unglücksfall der Presse bekanntzugeben.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß in diesem Fall von Bonn aus angeordnet wurde, der Presse zunächst überhaupt keine Auskünfte zu geben?
Das ist mir nicht bekannt. Ich werde es aber feststellen, Herr Abgeordneter. Sollte es zutreffen, darf ich Sie noch einmal auf die Angelegenheit ansprechen.
({0})
Die Fragestunde ist
damit beendet.
Die Tagesordnung soll so abgewickelt werden, daß zunächst die Vorlagen aufgerufen werden, an denen der Herr Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beteiligt ist. Das sind Tagesordnungspunkt 3 - Änderung des Getreidegesetzes -, Tagesordnungspunkt 9 - Reichsnährstands-Abwicklungsgesetz - und Tagesordnungspunkt 24 -Blauschimmelschäden -. Tagesordnungspunkt 14 - Jugendwohlfahrtsgesetz - und Tagesordnungspunkt 23 werden dann anschließend aufgerufen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, DP eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Getreidegesetzes ({0})
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung ({2});
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
({3}) ({4}) ({5}).
Wollen die Herren Berichterstatter ihre Schriftlichen Berichte ergänzen? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe Art. 1 des Gesetzes auf. Dazu liegt auf Umdruck 727 ({6}) ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU CSU vor. Soll der Änderungsantrag begründet werden? - Bitte, Herr Abgeordneter Bauknecht!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme an, daß die Kollegen aus dem Schriftlichen Bericht entnommen haben, warum diese Fünfte Novelle notwendig war. Der Ernährungsausschuß hat dem Gesetzentwurf mit Mehrheit zugestimmt, und auch die beteiligten Ausschüsse - der Außenhandelsausschuß und der Wirtschaftsausschuß - haben ihre Zustimmung gegeben.
In das Getreidegesetz sollen nun eine Reihe von Erzeugnissen der Ernährungsindustrie neu aufgenommen werden, die auf der Getreidebasis aufgebaut sind und bei denen Schwierigkeiten entstanden sind. Durch die Verwirklichung des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und durch den Zollabbau sind Wettbewerbsverzerrungen entstanden. Die deutsche Ernährungsindustrie hat es nun sehr viel schwerer. Sie muß im Vergleich zu den uns umgebenden Ländern - vor allen Dingen Holland, Belgien und Frankreich - unter ungleichen Wettbewerbsbedingungen arbeiten. Die Schwierigkeiten sollen nun dadurch beseitigt werden, daß diese Waren der Ernährungsindustrie in das Getreidegesetz aufgenommen werden. Dadurch ist dann wie beim Getreide die Möglichkeit gegeben, Abschöpfungen vorzunehmen.
Meine Fraktion hat nun einen Änderungsantrag eingebracht, der dahin geht, daß von den neu aufzunehmenden Produkten das besonders gefährdete
Braumalz in den § 8 Abs. 1 aufgenommen werden 1 soll, während die anderen Produkte in den § 8 Abs. 8 aufgenommen werden sollen. Der Unterschied zwischen beiden Absätzen besteht darin, daß nach Abs. 1 die Einfuhren direkt der Einfuhr- und Vorratsstelle angeboten werden müssen, während nach Abs. 8 der Bundesminister ermächtigt wird, dies anzuordnen,
Wir haben unseren Antrag deshalb eingebracht, weil hei Malz die Situation besonders schwierig ist. Die Verhandlungen, die seit Jahren, seit Begin des Zollabbaues, gepflogen werden, haben zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt. Infolgedessen ist die deutsche Braumalzindustrie in besondere Schwierigkeiten gekommen. Bezüglich der anderen Produkte finden zur Zeit mit Holland, Belgien und Frankreich aussichtsreiche Verhandlungen statt. Hier ergibt sich wahrscheinlich die Möglichkeit, die Wettbewerbsverzerrungen auf anderem Wege zu beseitigen. Deshalb wollen wir die anderen Produkte in den Abs. 8 aufgenommen haben.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie aus den Gründen, die zur Vorlage des gesamten Gesetzentwurfes geführt haben, auch dem Änderungsantrag Ihre Zustimmung zu geben.
({0})
Der Herr Abgeordnete Müller ({0}) hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Herren Initiatoren des Entwurfs zu einer Fünften Änderung des Getreidegesetzes befinden sich keineswegs in einer beneidenswerten Lage. Der Entwurf hat in den letzten Tagen mehrfach sein Gesicht geändert. Das ist offensichtlich ein Zeichen dafür, in welcher Verlegenheit sich die Agrarpolitik der Bundesregierung befindet. Jetzt, wo wir uns den Gemeinsamen Markt nähern, wird der Versuch gemacht, immer mehr Ausnahmebestimmungen in den § 8 des Getreidegesetzes zu packen.
Wir haben während der Ausschußberatungen unsere Bedenken gegen diesen Gesetzentwurf geltend gemacht und sie eingehend begründet. Wir sehen in dem Gesetzentwurf ein Beispiel mehr für das, was wir immer wieder von dieser Stelle aus als einen Mißbrauch der Marktordnung bezeichnet haben.
Der Initiativgesetzentwurf ist aber auch ein Beispiel dafür, wie hier versucht wird, den Weg zum Gemeinsamen Markt zu blockieren. Waren, die längst liberalisiert sind oder hinsichtlich des Imports kontingentiert sind, sollen nunmehr in die Getreidemarktordnung einbezogen werden. Zu den liberalisierten Erzeugnissen gehören beispielsweise Malz, Malzextrakt, Brot, Backwaren, Kaffeemittel; kontingentiert sind Teigwaren, Diätnährmittel, bis vor einem Jahr auch die sogenannten Schälmühlenerzeugnisse. Kontingentierte Waren können überhaupt nicht importiert werden, wenn sie nicht vorher ausgeschrieben worden sind.
Während der Ausschußberatungen haben wir auf die internationalen Verpflichtungen der Bundesrepu7710
Müller ({0})
blik hingewiesen, die es ihr verbieten, einen solchen Gesetzentwurf anzunehmen. Wir befinden uns dabei, wie ich hoffe, in einer recht guten Gesellschaft. Die Bundesregierung hat selbst - das kommt, wenn auch unzulänglich, in dem Bericht des Herrn Berichterstatters zum Ausdruck - darauf hingewiesen, daß dieser Gesetzentwurf gegen internationale Abmachungen verstößt. Ich darf vielleicht - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - zitieren, was die Regierung in den Ausschußberatungen ausgeführt hat. Im Protokoll der Ausschußsitzung vom 28. Juni 1960 heißt es:
Zu dem Entwurf des Änderungsgesetzes selbst ist die Bundesregierung der Auffassung, daß
1. nur Maßnahmen getroffen werden können, die mit den Vorschriften des EWG-Vertrages und des GATT vereinbar sind;
2. das Gesetz gegen den EWG-Vertrag verstößt, ...;
3. die geplanten Maßnahmen auch den Bestimmungen des GATT widersprechen, ... .
Und dann heißt es zum Schluß:
Zur Abwendung größerer Schwierigkeiten ist von der Bundesregierung zugesagt worden, marktordnende Maßnahmen auf dem Agrarsektor nicht mehr einzuführen und bestehende Maßnahmen abzubauen.
Von der Vertreterin des Auswärtigen Amtes ist während der Beratungen betont worden, daß das Auswärtige Amt bei Annahme. dieses Gesetzentwurfes schwerwiegende Komplikationen befürchte,
Meine Damen und Herren! Auf der 17. Tagung des GATT, die in der Zeit vom 31. Oktober bis 19. November 1960 in Genf stattfand, hatte die Bundesregierung gemäß den Auflagen des Beschlusses vom 30. Mai 1959, mit dem ihr die Aufrechterhaltung von Einfuhrbeschränkungen, insbesondere auf dem Agrarsektor, genehmigt wurde, über die Fortschritte im Abbau der Beschränkungen seit der letzten Herbsttagung zu berichten.
Im Bericht des Vorsitzenden der deutschen Delegation heißt es - und ich bitte, das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vortragen zu dürfen-:
Der Bericht
- ,den die deutsche Delegation in ,der GATT-Tagung erstattet hat löste lebhafte Kritik aus, die sich vornehmlich auf die nach Ansicht der Sprecher völlig unzureichenden Fortschritte im Abbau der Einfuhrbeschränkungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und die als Folge der bilateralen Handelsabkommen angeblich unterschiedliche Behandlung der Lieferländer erstreckte.
Es heißt dann weiter:
Die Delegationen überseeischer Agrarexportländer unter Führung der USA forderten die Bundesregierung auf, der seinerzeit eingegangenen Verpflichtung nachzukommen und ernstlich um einen weiteren Abbau der bestehenden Beschränkungen bemüht zu sein sowie das Verbot der Diskriminierung zu beachten.
Es heißt abschließend in dem Bericht der Delegation:
Die deutsche Delegation war bemüht, die vorgetragenen Einwände zu widerlegen ... Es ist aber vorauszusehen, daß die Delegation im nächsten Jahre wiederum einem starken Druck ausgesetzt sein wird, um so mehr als die interessierten GATT-Partner darauf hinweisen, daß bereits mehr als die Hälfte der Laufzeit der Ausnahmegenehmigung verstrichen ist, ohne ,daß ihre Erwartungen hinsichtlich des Tempos der Liberalisierung der Einfuhr in die Bundesrepublik erfüllt seien.
Sie sehen also, welchen Schwierigkeiten die deutsche Haltung international begegnet. Wir sind infolgedessen der Auffassung, daß dieser Gesetzentwurf ,ein untaugliches Mittel ist, dem hier anstehenden Problem gerecht zu werden. Wenn man den Gemeinsamen Markt will, muß man auch die Mittel und die Wege wollen, die zum Gemeinsamen Markt hinführen, aber man darf nichts unternehmen, was den Weg zu diesem Gemeinsamen Markt fortgesetzt erschwert.
Die Probleme, die mit dem Malzimport verbunden sind und auf ,die ,der Kollege Bauknecht vorhin hingewiesen hat, können Sie auf diese Weise nicht lösen. Selbst wenn Sie das Malz jetzt anbietungspflichtig machen, wird sich der Bundesminister der Widersprüchlichkeit bewußt sein müssen, die hinsichtlich der internationalen Verpflichtungen in dieser Maßnahme liegt. Sie müssen hier ein Problem angreifen, ,dem Sie seit Monaten geflissentlich ausweichen, nämlich dem Problem der Angleichung ,der Wettbewerbsbedingungen. Das heißt, das Problem, einen einheitlichen Getreidepreis in der EWG zu schaffen, muß in Angriff genommen werden. Dann lösen sich diese Probleme. Aber mit diesen Palliativmitteln ist das Problem nicht zu lösen.
Ich bitte Sie deshalb namens der sozialdemokratischen Fraktion, den Gesetzentwurf, weil er gegen die internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik verstößt, abzulehnen
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Vorredner von der Sozialdemokratischen Partei hat mit Recht darauf hingewiesen, daß dieses Gesetz eine Leidensgeschichte hinter sich hat und daß sich die Regierung in dieser Frage in keiner beneidenswerten Situation befindet. Das können wir als Opposition gemeinsam feststellen. Den Schlußfolgerungen, die der Herr Vorredner von der Sozialdemokratischen Partei aus dieser Leidensgeschichte und aus dieser Situation gezogen hat, können wir jedoch nicht zustimmen. Ich gebe Ihnen zu -- und ich werde mir erlauben, in aller Kürze einige Anmerkungen zu
machen, die ich angesichts der Situation für notwendig halte -, daß man dann, wenn man das Schwergewicht darauf legt, einen europäischen Agrarmarkt herzustellen ,so wie es die sozialistische Fraktion des Europäischen Parlaments beschlossen hat, diese Haltung hier einnehmen muß. W i r können uns aberdieser Haltung nicht anschließen, sondern wir sind der Meinung ,daß auch bei der Herstellung des europäischen Agrarmarktes diejenigen Belange der nationalen Volkswirtschaften geschützt werden müssen, bei denen es notwendig ist. Das ist der Grund, weshalb wir der grundsätzlichen Schlußfolgerung der sozialdemokratischen Fraktion nicht zustimmen können.
Nach Auffassung meines Herrn Vorredners von der Sozialdemokratischen Partei handelt es sich hier um ein Mittel, das nicht geeignet ist, den Teilen, die ich nur allgemein angesprochen habe, zu helfen, Wir meinen das nicht. Wir meinen vielmehr, daß dieses Gesetz auf einer Reihe von Gebieten und für eine Reihe von Erzeugnissen erst ein Gleichgewicht herstellt zwischen den Möglichkeiten, die den Regierungen der anderen fünf Länder und die unserer Regierung zur Verfügung stehen. Unsere Regierung hat eben gar nicht die Möglichkeit, nach innerstaatlichem Recht Maßnahmen zu treffen, wie das die Regierungen der anderen Länder tun können. Das ist der Grund, weshalb wir dieses an sich unschöne Gesetz, dem wir im Grunde nicht zustimmen möchten, nicht für ein untaugliches Mittel halten, sondern zumindest als ein taktisches Moment betrachten, das für die Verhandlungen im europäischen Bereich unbedingt notwendig ist. Für uns ist es kein untaugliches Mittel.
Man kann sicher darüber streiten, ob es sehr gut ist, zu einem solchen Zweck Gesetze zu machen. Wir sind aber nach langen Überlegungen zu dem Ergebnis gekommen, daß es in der verfahrenen Situation im Bereich der europäischen Agrarpolitik gar keine anderen Mittel und Möglichkeiten mehr gibt. Wer aufmerksam die Zeitungen liest, wer die Verhandlungen, die jetzt in Brüssel laufen und am 19., 20. Dezember fortgesetzt werden, aufmerksam verfolgt -- und zwar sehr aufmerksam; denn es ist schwierig, die ganzen Zusammenhänge überhaupt noch zu übersehen -, der weiß, daß man der Regierung im Augenblick gar nicht genug Möglichkeiten und Mittel geben kann, um zu verhindern, daß allzu nachteilige Folgen für die Ernährungsindustrie, aber auch im weiteren Gefolge für die Landwirtschaft aus der Situation entstehen, in die wir uns hineinbegeben haben, nicht zuletzt schließlich durch den von mir Anfang Mai in der Europa-Debatte in diesem Hohen Hause in seiner gesamten Konzeption beanstandeten Beschleunigungsbeschluß.
Man muß darauf hinweisen, daß der Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zwei Teile hat: einen Teil, der die gewerbliche Wirtschaft insgesamt umfaßt - und dazu gehört die Ernährungsindustrie -, und auf der anderen Seite einen Teil, der sich mit der Landwirtschaft befaßt, daß aber diese beiden Teile ganz verschiedenen Gesetzlichkeiten, ganz verschiedenen Terminierungen unterliegen.
Daraus ergeben sich eben die Schwierigkeiten. Man wußte schon im Frühjahr, daß man eine gemeinsame Agrarpolitik nicht so schnell werde erreichen können. Der Abgeordnete Lücker von der CSU hat in der Europa-Debatte 'in diesem Hohen Haus Anfang Mai erklärt, man werde schon Mittel und Wege finden, um auch die Agrarwirtschaft in die Beschleunigung hineinzuiehen. Wir haben dann aber erlebt, wie die Regierung halb ihre Zusagen wieder zurücknehmen, halb alles offenlassen mußte, um gewisse Dinge, die uns sonst sehr geschadet hätten, durch Verhandlungen wieder abzuwenden. Wenn man sich das alles überlegt, weiß man, wie die Situation aussieht.
Auf dem gewerblichen Sektor, zu dem auch die Ernährungsindustrie gehört, _haben wir im Vertrag ganz eindeutig eine Automatik, die die Zölle senkt, die Kontingente erhöht und die Liberalisierung der Einfuhr vorantreibt. Das alles ist erstrebenswert und wird gerade von meiner Fraktion immer begrüßt. Dabei muß man aber doch berücksichtigen, daß dieser große Bereich der Wirtschaft, nämlich die Ernährungsindustrie, die 80% der Erzeugnisse der Landwirtschaft zur Verarbeitung aufnimmt, in den unterschiedlichen nationalen landwirtschaftlichen Marktordnungen steht. Sie kauft ihre Vorerzeugnisse also nicht wie andere Industrien zu gleichen Bedingungen, sondern - und das ist doch das, worum es geht - sie erhält ihre Vorerzeugnisse in fast allen andern fünf Ländern billiger als bei uns in Westdeutschland. Diese vom Staat festgesetzten Preise für die Agrarerzeugnisse in den anderen Ländern sind so erheblich niedriger als bei uns, daß es einen Ausgleich durch einen kaufmännischen Wettbewerb in der Ernährungswirtschaft nicht geben kann. Wenn man die Voraussetzungen für einen großen Teil der gewerblichen Wirtschaft, nämlich für die Ernährungsindustrie, vom Staat her regelt - und zwar im EWG-Bereich unterschiedlich -, ist es doch ein Gebot der Vernunft, daraus Schlußfolgerungen hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen zu ziehen.
Wir haben; einen freien Wettbewerb im Bereich der Ernährungsindustrie. Aber wir haben keinen freien Wettbewerb auf dem Agrarsektor in der EWG. Vielmehr haben wir nach dem Scheitern der Verhandlungen über eine gemeinsame .Agrarpolitik nach wie vor ein unterschiedliches Preisniveau. Wir wissen, daß in der EWG darüber verhandelt wird und daß man bestrebt ist, hier durch Abschöpfungssysteme und dergleichen einen Ausgleich herbeizuführen.
Das alles wissen wir. Wir sollten uns nun nicht gegen nationale Maßnahmen sträuben, durch die nur etwas vorweggenommen wird, was sowieso getan werden muß.
Herr Kollege Dr. Starke, Herr Abgeordneter Müller ({0}) möchte eine Frage stellen.
Bitte !
Herr Kollege Dr. Starke, halten Sie es für richtig, diese Maßnahmen zu treffen, obgleich wir durch das GATT gehalten sind, die Malzimporte liberalisiert zu lassen? Halten Sie es für richtig, diese Maßnahmen einseitig ohne Rücksicht auf die internationalen Verpflichtungen, ohne mit unseren Vertragspartnern darüber zu verhandeln, hier jetzt zu beschließen?
Ich darf auf diese Frage sehr ,deutlich antworten. Wir Deutschen sind im europäischen Raum langsam dafür bekannt geworden, daß wir sehr schnell und manchmal sehr unüberlegt Verträge schließen, die lange für die Zukunft binden. Bisher haben wir im europäischen Bereich immer .wieder festgestellt, daß Schwierigkeiten, die im weiteren Verlauf der Verhandlungen über solche abgeschlossenen Verträge auftauchten, in den anderen Ländern bei den dem Vertragsabschluß voraufgehenden Verhandlungen bedacht und im Vertrag berücksichtigt worden waren. Dagegen haben wir von deutscher Seite aus diese möglicherweise auftretenden Schwierigkeiten meist allzu wenig bedacht, und zwar einer nicht sehr realistischen, einer - wie ich es immer nenne - illusionären Politik wegen.
({0})
Alle diese Verträge enthalten Generalklauseln, alle diese Verträge enthalten Ausnahmebestimmungen. Wir sind heute in einer Situation, in der wir diese Ausnahmebestimmungen und Generalklauseln
für uns in Anspruch nehmen müssen, um zu verhindern, daß bei uns Situationen entstehen, die in den anderen Ländern gar nicht entstehen können.
({1})
Sie glauben nun sagen zu können, wir verletzten damit internationale Bestimmungen. Das bestreite ich. Solche Ausnahmebestimmungen und besonderen Regeln für schwierige Situationen sind eben dazu da, daß man sie anwendet, wenn es in einem Lande notwendig wird.
Ich will das Thema nicht sehr vertiefen. Wir
haben das gesamte Agrarwesen in den Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft einbezogen. Das hat die EFTA, wie Sie wissen, wegen der daraus vermutlich erwachsenden Schwierigkeiten nicht getan. Nachdem wir es aber getan haben und nachdem es nun nicht gelungen ist, eine gemeinsame Agrarpolitik so schnell herbeizuführen, wie man es. sich gedacht hat, müssen wir nunmehr nach Aushilfslösungen suchen. Da das alles Tatsachen sind, wäre es doch völlig verfehlt, die Augen davor zu verschließen und etwa zu sagen, ganze Zweige unserer Volkswirtschaft müßten einen schlechten Weg in die Zukunft gehen, weil etwas nicht ganz so gegangen sei, wie man es sich vorgestellt habe. Ich gebe Ihnen zu: Natürlich können Sie das jemandem vorwerfen, nicht uns, der Freien Demokratischen Partei, 'aber der Regierungspartei, aber auch sich selbst.
Betrachten Sie einmal die Verhandlungen in den Beneluxländern. Dort ist noch im März dieses Jahres - ich habe das selbst miterlebt - eine große Sitzung über die Angleichung der Agrarschutzbestimmungen zwischen Holland und Belgien einfach geplatzt, weil man nach 15 Jahren noch nicht zu einer gemeinsamen Agrarpolitik gekommen war.
({2})
Bei Kenntnis dieser Schwierigkeiten hätte man gar nicht die Vermessenheit gehabt, zu sagen, wir würden binnen drei oder vier Jahren eine gemeinsame Agrarpolitik schaffen können. Nachdem sich zeigte, daß vorerst eine gemeinsame Agrarpolitik nicht so schnell zu schaffen sein würde, hätte man erst recht nicht - wir haben davor gewarnt
einen Beschleunigungsbeschluß fassen sollen. Man weiß doch, daß ihm verschiedene Länder der Sechs nur zugestimmt haben, weil sie die Beschleunigung auch in der Agrarpolitik haben wollen. Wir hätten wissen müssen, daß eben das nicht möglich war.
Das sind heute Tatsachen. Der Schlußfolgerung, indem ich so argumentiere wie Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, daß wir dann eben dem Unheil für bestimmte Zweige unserer Volkswirtschaft wie der Landwirtschaft oder der Ernährungsindustrie freien Lauf lassen müßten, können wir uns nicht anschließen. Es muß nun alles in Bewegung gesetzt werden, um diesen nachteiligen Entwicklungen zu begegnen, um sie von uns abzuwenden.
Herr Kollege Dr. Starke, Herr Abgeordneter Müller ({0}) möchte noch eine Frage stellen.
Meinen. Sie nicht, Herr Kollege, daß es dann richtig ist, mit den Partnern, mit denen man, unter welchen Umständen auch immer, internationale Verträge abgeschlossen hat, zunächst zu verhandeln, ehe man sich zu derartigen einseitigen Maßnahmen entschließt?
Herr Kollege Müller, ich bin sehr einverstanden damit, daß man verhandelt. Aber ich möchte Ihnen dazu sagen: 1. Ich kenne nicht alle Unterlagen der Regierung über diese Verhandlungen. 2. Soweit ich sie kenne, muß ich Ihnen sagen, daß einige Länder auf gar keine Vorstellungen eingegangen sind. Es ist also ein Verhandlungsweg, ich möchte 'sagen, außerhalb des ganzen Vertrages beschritten worden. Diese Verhandlungen waren eigentlich auch gar nicht mehr unbedingt vertragsgerecht. Sie waren höchstens noch als ein Annex zu dem anzusehen und aufzufassen, was der Vertrag eigentlich vorsah. Bei diesen Verhandlungen ist es aber nicht gelungen, auf eine vernünftige Basis zu kommen. Das ist der Grund, weshalb man nun etwas tun mußte.
Sie werden nun weiter fragen, wie wir zu dem von der Regierungspartei gestellten Änderungsantrag stehen. Nun, wir werden in der Situation, in der wir uns befinden, diesem Änderungsantrag zustimmen. Wir bedauern nur, daß es die Regierung in all den' Monaten, in denen die Freie Demokratische Partei den Antrag, den die CDU/CSU gestellt
hatte, von sich aus aufgreifen und ihn immer wieder fördern mußte, damit es überhaupt zu der heutigen Vorlage kam, nicht von sich aus rechtzeitig durch Hinweise ermöglicht hat, daß von Anfang an bei dieser schwierigen Materie in den Ausschüssen Formulierungen gefunden wurden, die gewissen nicht zu leugnenden Schwierigkeiten besser begegnen als die ursprüngliche Fassung des Gesetzes. Im Hinblick auf die internationalen Regelungen, die Sie angeführt haben, sind wir der Meinung, daß der Änderungsantrag den Gegebenheiten besser entspricht. Deshalb werden wir für diesen Änderungsantrag stimmen.
Ich möchte jetzt doch noch etwas zur Regierungspolitik sagen. Ich hätte mir vorstellen können, daß man auch bei den sehr großen Schwierigkeiten, in denen man sich heute befindet, die Probleme doch etwas eleganter hätte lösen können, als es die Regierung getan hat. Durch Zeitungsnotizen, durch Anfragen und während der Sommerferien im August sogar noch durch eine Kleine Anfrage meiner Fraktion haben wir versucht, die Regierung darauf hinzuweisen, daß man hier etwas tun müsse, daß man ganze Zweige der Ernährungswirtschaft schädigt, die wir
später im Gemeinsamen Markt brauchen werden, denen wir jetzt nicht das Blut entziehen können, indem man ihnen eine ganze Saison verhunzt, indem man sie eine ganze Saison auf ihren Erzeugnissen sitzen läßt. Wir hätten es begrüßt, wenn sich die Regierung daraufhin stärker eingeschaltet, wenn sie uns zumindest dahingehend unterrichtet hätte, was sie tun will und was sie glaubt erreichen zu können.
Aber es wird das Taktieren und das Hinter-denKulissen-Verschieben versucht. Noch in dieser Woche ist wieder ein Versuch gemacht worden, die ganze Sache zu verschieben. Das hat uns natürlich verstimmt. Wir haben den Eindruck gehabt, daß man hier einfach etwas nicht sehen will. Nun wissen wir, daß wir schon einmal nicht haben sehen wollen. Das war, als bei den ganzen Vertragsbestimmungen am Anfang nur das Allgemeine und nicht das so sehr wichtige Spezielle gesehen wurde. So war es auch wiederum bei dem Beschieunigungsbeschluß.
Wir lassen uns also jetzt nicht darauf ein, sondern wollen jetzt, daß gesehen wird, welche Schäden hier auftreten müssen. Das ist der Grund, weshalb wir hier heute zu der Sache sprechen. Wir wissen auch, daß in der Regierung im Augenblick keine einheitliche Meinung besteht. Wir können nur sagen, daß wir jetzt darauf keine Rücksicht mehr nehmen können; denn uns scheint der Zeitpunkt gekommen zu sein, da durch eine Initiative dieses Hauses Möglichkeiten geschaffen werden müssen, um einem weiteren schlechten Weg vorzubeugen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind auch auf das 6. Änderungsgesetz zum Zollgesetz hingewiesen worden. Wir müssen Ihnen sagen, daß das Gesetz erstens noch nicht da ist. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet. Zum zweiten wissen wir gar nicht, ob es in allen Teilen verabschiedet wird. Wer die Materie kennt - ich weiß,
es sind nun einmal wegen der Schwierigkeit der Materie naturgemäß wenige -, weiß, daß es genügen würde, eine einzige Bestimmung in diesem Gesetz nicht zu verwirklichen, um uns wieder vor dieselben Schwierigkeiten zu stellen.
Aber darüber hinaus ist noch etwas anderes notwendig. Es ist ganz einfach so, daß wir uns hier eine Rechtsgrundlage schaffen müssen, mit der die Regierung den Schwierigkeiten überhaupt begegnen kann, denen in anderen Ländern begegnet werden kann, weil man dort eben die nötige innerstaatliche Rechtsgrundlage hat.
Daß uns von der Freien Demokratischen Partei das nicht leicht fällt, liegt auf der Hand. Aber wir stehen in dieser Frage - nicht nur die Agrarier, sondern auch der andere Teil der Fraktion nach einer langen Erörterung und aus einer immer mehr vertieften Einsicht in die Dinge heraus - geschlossen, gemeinsam, alle dahinter, daß man hier etwas tun muß, um den Schwierigkeiten zu begegnen. Ich finde, das sollte man vielleicht auch einmal beachten.
Ich möchte in dieser Frage zum Schluß kommen und Sie auf etwas hinweisen, was sich jederzeit durch die Protokolle hier und des Europäischen Parlaments belegen läßt. Die Freie Demokratische Partei hat sowohl im Europäischen Parlament wie im Bundestag angesichts der Erfahrungen in anderen Ländern und bei anderen Zusammenschlüssen, wie der Benelux, mehrfach vor der Illusion gewarnt, daß man in Kürze einen gemeinsamen Agrarmarkt herstellen könne. Sie hat darauf hingewiesen, daß, wenn dieser gemeinsame Agrarmarkt mit der im Vertrag vorgesehenen Beschleunigung nicht hergestellt werden kann, die verschiedene rechtliche Behandlung der Agrarwirtschaft und der gewerblichen Wirtschaft im Vertrag - teils Automatik, teils keine Automatik - zu ganz großen Schwierigkeiten führen müßte, die sich sofort unmittelbar oder mittelbar über die Ernährungswirtschaft auf die Landwirtschaft auswirken müßten. Wir sind damit nicht gehört worden. Daß man das nicht getan hat, daß man sich nicht rechtzeitig um die Dinge gekümmert hat, das hat dazu geführt, daß wir jetzt vor diesem Gesetzentwurf stehen, dem wir - bei einer gewissen inneren Abneigung aus unserer Grundhaltung heraus - zustimmen werden und um dessen Annahme wir das Hohe Haus bitten, weil er eine Chance gibt, bei ,den Verhandlungen aus den Schwierigkeiten, in denen wir uns befinden, herauszukommen.
Lassen Sie mich zur Verdeutlichung dessen, um was es geht, folgendes sagen. Vorhin ist von der Malzindustrie gesprochen worden. Die Malzindustrie soll auf Grund des Änderungsantrages der CDU eine Sonderbehandlung erfahren, und wir halten das für richtig, denn die Schwierigkeiten sind dort im Augenblick evident und am größten. In Ihren Unterlagen der letzten Tage finden Sie eine Eingabe einer Vereinigung der Malzimporteure. Sehen Sie, das sind die Schwierigkeiten, in die wir nun über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wieder hineinkommen: Da ist eine kleine Gruppe
von Importeuren, deren Existenzberechtigung niemand anzweifelt, die aber nun glaubt, Schwierigkeiten, die nicht nur für den Malzimport, sondern für große Bereiche unserer Volkswirtschaft auftreten - wie der Herr Vorredner von der CDU und wie wir sie aufgezeichnet haben , dazu ausnützen zu können, durch Darstellung an das Parlament die Mitglieder dieses Hohen Hauses zu bewegen, solche Notwendigkeiten zu negieren, wie sie der vor uns liegende Gesetzentwurf behandelt. Das müssen wir ablehnen. Das Haus sollte auf den Wunsch einer kleinen Gruppe, die schwierige Situation, in der wir uns befinden, für sich auszunutzen, keine Rücksicht nehmen.
Wir bekennen offen, daß wir in dem Änderungsantrag - der ja nicht ohne Abstimmung mit der Regierung zustande gekommen sein dürfte - die Möglichkeit sehen, in dem internationalen Rahmen, in dem wir uns befinden, eine bessere Situation zu schaffen. Das gilt auch hinsichtlich der Differenzierung zwischen dem ersten und dem anderen Teil. Deshalb werden wir diesem Änderungsantrag zustimmen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für notwendig, zu dem Bericht des Haushaltsausschusses einige Worte zu sagen. Ein Ausschuß ist einfach überfordert, wenn ihm eine Vorlage zur Beratung überwiesen wird, von der die Regierung der Auffassung ist, daß sie gegen den EWG-Vertrag verstoße und daß die geplante Maßnahme auch den Bestimmungen des GATT widerspreche. Unter diesen Umständen ist es dann auch gar nicht verwunderlich, daß der Haushaltsausschuß bei der Behandlung dieser Vorlage erhebliche Bedenken gehabt hat. Es besteht doch gar kein Zweifel, daß die Vorlage eine wesentliche Erweiterung der Aufgaben der Einfuhr- und Vorratsstelle mit sich bringt und daß sich daraus zwangsläufig eine Erhöhung der Kosten für Übernahme und Lagerung und die Notwendigkeit einer Vergrößerung des Personals ergeben. So konnte der Haushaltsausschuß tatsächlich zu keinem anderen Beschluß kommen, als er in der Drucksache 2261 niedergelegt ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Bauknecht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Hohe Haus und insbesondere den Haushaltsausschuß beruhigen. Aus dieser Novelle zu dem Marktordnungsgesetz für Getreide werden keinerlei Kosten für den Bund entstehen. Im Gegenteil, er kann höchstens auf neue Einnahmen rechnen. Denn wenn Malz andienungspflichtig wird, zu einem niedrigen Preis hereinkommt und auf den deutschen Preis heraufgeschleust wird, dann entstehen dadurch für den Bundesfinanzminister Einnahmen. Also die Kostenfrage kann kein Grund sein, das Gesetz abzulehnen.
({0})
Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Ich lasse über den Antrag Umdruck 727 ({0}) Ziffer 1 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, ein Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf Art. 1 Nr. 2, - 3, - 4 und 5. - Wer zuzustimmen wünscht, ,den bitte ich, Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Nach dem Änderungsantrag Umdruck 727 ({1}) Ziffer 2 soll eine neue Nr. 5 a eingefügt werden. Eine Begründung ist nicht mehr erforderlich.
Ich lasse über ,den Antrag Umdruck 727 ({2}) Ziff. 2 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Nun zu Art. 1 Abs. 1 Ziff. 6 des Entwurfs. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Ich rufe Art. 2 der Vorlage auf. Hier liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 727 ({3}) Ziff. 3 vor. Eine Begründung wird nicht gewünscht.
Ich lasse über diesen Änderungsantrag Umdruck 727 ({4}) Ziff. 3 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Zeichen zu geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Art. 3! Ich bitte im Falle der Zustimmung um Zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Einleitung und Überschrift! Ich bitte um Zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um welch merkwürdige Angelegenheit es sich hier handelt, das wird auch dem, der mit der Materie nicht besonders eingehend befaßt worden ist, doch im Laufe der Debatte deutlich geworden sein. Von seiten eines Vertreters der SPD-Fraktion ist hier festgestellt worden, daß die Regierung in den Ausschußberatungen mit Eindeutigkeit erklärt hat, dieses Gesetz sei mit den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik nicht vereinbar. Das ist übrigens nicht nur im Ernährungsausschuß, das ist auch im Haushaltsausschuß geschehen.
Von einem Vertreter der FDP-Fraktion ist hier einiges gesagt worden, für das der Ausdruck „Kritik" eigentlich zu wenig ist. Man müßte schon geradezu von einer vernichtenden Kritik sprechen,
und es hat sich niemand im Hause bewogen gefühlt, zu den Feststellungen oder zu den Vorwürfen etwas zu sagen. Man ist offenbar bemüht, diese peinliche Sache so glatt wie möglich über die Runden zu bringen. Das möchte ich Ihnen mit meinen Ausführungen nur noch deutlich machen, damit Sie wirklich wissen, was Sie tun.
Sehen Sie, da fängt man zunächst mit dem Vertrag uber den Gemeinsamen Markt an. Da macht man uns apen klar, wie wichtig es ist, daß das Instrument zum Funktionieren kommt, und wieviel fur unsere gemeinsame Zukunft und Sicherheit in jeder Hinsicht davon abhängt. Dann versuchen eine ganze Menge Leute in diesem Lande die von den unvermeidllchen Konsequenzen einer solchen großen Wirtschaftsoperation Betroffenen damit zu trösten, daß man ihnen sagt: Das dauert ja noch lange, erst mal zwölf Jahre, und dann noch ein paar Notbremsen; und wer weiß, was bis dahin ist! - Aber die Beratungen gehen weiter, und dabei stellt sich das eine oder andere heraus.
Unter anderem stellt sich heraus, daß die im Vertrag ursprünglich vorgesehenen Fristen viel zu lang festgesetzt sind. Es wird ein Vorschlag zur Beschleunigung gemacht. Diesem Vorschlag stimmt die Bundesregierung dann auch zu, und ich glaube, sie hat an und für sich damit recht getan. Nun versucht man, durch neue taktische Manöver wieder einmal ein bißchen über die Runden, insbesondere über das Jahr 1961 hinwegzukommen. Eines schönen Tages merken bestimmte Teile unseres Wirtschaftslebens, daß die Geschichte mit ihren Folgen doch sehr viel schneller auf sie zukommt, als man ihnen eingeredet hat,
({0})
und dann bestürmen sie das Haus oder diejenigen, die sie dafür für verantwortlich halten, daß sie in solcher Verlegenheit sind, und fordern irgendwelche Maßnahmen.
Anstatt nun die Courage zu haben, ganz deutlich zu sagen, in welcher Lage wir sind und durch welche Verpflichtungen wir gebunden sind, wird beschlossen: wir machen so ein Gesetz zum Schutz der Leute! Dabei nimmt man gar nicht zur Kenntnis, daß man im Zuge der europäischen Zusammenarbeit natürlicherweise gar nicht mehr alles das machen kann, was man gerne möchte. Ich will gar nicht beklagen, daß das so ist, ich will es nur feststellen. Aber dann macht man ein solches Gesetz, das natürlich mit der üblichen Mehrheit im Ernährungsausschuß beschlossen wird. Man macht es sich ja da nicht sehr schwer mit der Auseinandersetzung über unsere Lage, über unsere wirklichen Möglichkeiten, über die Konsequenzen, die sich aus unserer internationalen Politik und aus unserem Angewiesensein auf neue Formen des internationalen Zusammenlebens ergeben. Das wird also beschlossen und bleibt erstaunlich lange im Kasten liegen. Aber irgendwann muß es ja nun doch einmal hier durchs Plenum geschleust werden.
({1})
- Aber die waren auch nicht schuld daran, daß wir den Entwurf erst heute auf dem Tisch liegen haben, Herr Bauknecht. Versuchen wir jetzt nicht, uns hier neue Rettungsanker zu konstruieren! Die halten alle nicht, Herr Bauknecht.
({2})
- Es ist eben nicht so. Das können wir aus den Daten ersehen. Sie hätten uns vorhin etwas sagen sollen und zwar zur Sache etwas sagen sollen.
Im letzten Augenblick wird es der Regierung dann offenbar doch unheimlich, daß man ihr ein Gesetz in die Hand drücken will, von dem mindestens die Regierung weiß, daß sie es nicht anwenden kann. Dann wird dieses „Marktordnungsgesetz" in eine Vollmacht umgewandelt. Und als dann die Lobbyisten, die in diesen Tagen das Haus am mei' sten bevölkert haben - weil sie unmittelbar von der Geschichte betroffen sind -, vor Schrecken wieder auf alle Leute einredeten, die damit zu tun haben, machte man es halb und halb. Dann wird das Malz in die Marktordnung einbezogen, ohne Rücksicht auf die GATT-Verpflichtungen, und für das andere wird dem Minister eine Ermächtigung gegeben.
Ich frage mich, ob eigentlich einer von den Unterzeichnern, einer von denen, die jetzt hier zugestimmt haben, auch nur einen Augenblick daran gedacht hat, in welche Lage er seinen eigenen Minister bringt. Er gibt ihm eine Vollmacht im Bewußtsein, daß er diese Vollmacht nicht gebrauchen kann. Ist das etwa in der Absicht geschehen, um den Betroffenen sagen zu können: Na ja, wir haben halt einen so schlechten Minister, dem geben wir hier Vollmachten; aber sie sehen ja: der Kerl macht keinen Gebrauch davon? Welche Art von Überlegungen sind dabei wohl angestellt worden?
Das Ganze läuft zum Schluß auf eine der vielen, sagen wir einmal ganz vorsichtig, Beruhigungspillen hinaus, die in der Agrarpolitik insbesondere seit Bestehen des Vertrages über den Gemeinsamen Markt üblich geworden sind. Es ist etwa dasselbe, wie wenn der Ernährungsausschuß der Regierung eine von ihr erbetene Zollvollmacht verweigert und sagt: Nein, wir wollen erst mal sehen, daß das Letzte an Wettbewerbsverzerrung usw. ausgeräumt ist, ehe wir noch einen Schritt weitergehen. Niemand, der sich auch nur ganz oberflächlich informiert, kann einen Zweifel daran haben, daß wir sehr viel schneller eine Feststellung bekommen werden - mit Zustimmung der Bundesregierung -, nun sei also der Weg zu der nächsten Zollsenkung frei.
Was ist das eigentlich für ein Spiel? Es führt zu nichts anderem, als der Agrarpolitik immer mehr Kredit zu nehmen. Diejenigen, die so etwas veranstalten, machen sie zum Gegenstand irgendwelcher Kasperletheaterstücke. Zum Schluß wird das alles nicht mehr ernst genommen. Und was das Allerfürchterlichste ist: In diesem Hin- und Her-manövrieren verlieren wir das bißchen an Zeit, das uns überhaupt noch übriggeblieben ist, um die Maßnahmen zum Schutz der Landwirtschaft, zum Schutz der Betroffenen und der Wirtschaftszweige zu ergreifen, die nun wirklich wirkungsvoll sind.
Augenauswischerei mit einem so unhygienischen Stück Papier ist eine ganz besonders schlechte Sache. Deswegen werden die Sozialdemokraten diesem Gesetzentwurf in der dritten Lesung die Zustimmung verweigern.
({3})
Herr Dr. Starke, bitte!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nach diesen kurzen Ausführungen des Herrn Kollegen Kriedemann auch nur ganz kurz etwas sagen. Ich darf ausdrücklich darauf hinweisen, daß seine Worte nicht an uns gerichtet waren.
({0})
- Nein, darauf komme ich noch. Das einzige, was uns betreffen könnte, wäre .das Wischen, aber gerade das ist nicht der Fall.
({1})
Wir haben, um es noch einmal einleitend zu sagen, immer gewarnt. Wir sehen die Angelegenheit nicht - wie könnten wir auch - unter dem Gesichtspunkt ides Wahljahres 1961. Für uns ist es keine Beruhigungspille, ,die verabreicht wird, sondern wir sehen es - lassen Sie mich das einmal sehr deutlich sagen; denn hierin, Herr Kollege Kriedemann, unterscheiden wir uns ,allerdings von Ihnen
- als eine Wende ,als eine erste Einsicht an,
({2})
daß man hier Wege gegangen ist, die falsch sind.
Hier gibt es eben, wie so oft, zwei grundsätzliche Meinungen. Von Ihrer Meinung aus, die man selbstverständlich vertreten kann, sehen Sie das als etwas an, was Sie nicht fortgesetzt haben möchten. Sie möchten die Agrarpolitik im europäischen Bereich mehr im Sinne der Resolution der Sozialistischen Fraktion des Europäischen Parlaments sehen. Wir möchten ,das nicht. Infolgedessen müssen wir uns vor Augen halten - und wir möchten, daß sich das ganze Haus dies vor Augen hält -, daß mit diesem Gesetz ein .erster Schritt getan wird, um die Dinge wieder auf einen besseren Weg zu bringen, bezüglich deren wir einen schlechten Weg gegangen sind.
Nun noch ein Wort ganz kurz zu der Frage, ob dieses Gesetz gegen den Vertrag verstößt. Ich habe dazu schon vorhin etwas gesagt. Ich möchte es aber noch einmal feststellen, nachdem der Herr Kollege Kriedemann dazu gesprochen hat. Selbstverständlich kann man - auch hier gehe ich sehr weit -, wenn man eine andere Meinung vertritt, um der Wirkung wegen sagen, es verstoße ,gegen den Vertrag.
({3})
- Nein, es verstößt nicht gegen ,den Vertrag, ({4})
sondern es ist eine der Maßnahmen, .die notwendig sind, wenn solche Verträge im Laufe der Entwicklung nach ihrem Abschluß zu Schwierigkeiten führen, die man meistern muß. Ich habe vorhin betont, daß man dazu selbstverständlich den Weg von Verhandlungen beschreiten muß. Aber der Weg von Verhandlungen, so sagte ich, ist gescheitert. Ich weiß auch, warum. Er würde auch weiter scheitern. Wir müssen der Regierung von diesem Hohen Haus aus - wie es bei ,den anderen Regierungen sehr oft geschieht, ohne daß wir uns darüber aufhalten und ohne ,daß wir so tun, als ob ,die anderen den Vertrag zerreißen -- in diesen Fragen eine Rückenstütze geben, damit sie einen Weg gehen kann, der für ,das Ganze unserer Volkswirtschaft, wie wir nun einmal glauben, besser ist als der Weg, ,den wir bisher gingen oder den wir jedenfalls immer mehr zu gehen drohten.
Nun noch ein letztes Wort zu einer Frage, die vorhin angeschnitten wurde und bei der meine Wortmeldung nicht berücksichtigt werden konnte, weil wir in der Abstimmung waren. Die Vorlage dieses Gesetzes an den Haushaltsausschuß sollten wir hier nicht mehr erwähnen, ,denn das war letzten Endes nur noch ein taktisches Manöver, um die Angelegenheit zu verzögern. Es steht fest, daß dieses Gesetz überhaupt nur Einnahmen bringen kann. Deshalb lehnen Sie es gerade ab, weil es Einnahmen bringen wird. Es steht fest, daß es nur Einnahmen bringen wird, aber keine Kosten, die etwa über die Einnahmen hinausgehen. Von dieser Seite aus bestehen doch gegen das Gesetz gar keine Bedenken. Das Hohe Haus sollte also dem Gesetz auch in dritter Lesung zustimmen.
({5})
Herr Abgeordneter Bauknecht!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die Debatte gewiß nicht verlängern, aber ich muß dem meisten von dem, was mein Kollege Starke von der FDP gesagt hat, voll zustimmen. Zunächst ist es ein Gesetz, das die CDU/CSU eingebracht hat und nicht die anderen Parteien. Zum anderen weise ich entschieden den Vorwurf zurück, der vorhin hier erhoben wurde, ,daß es ein Kasperletheater oder eine Augenauswischerei sei. Es ist wirklich so, wie Herr Starke sagte. Nachdem alle anderen Verhandlungen zu keinem Erfolg geführt haben, ist es die einzige Möglichkeit. Weil wir die nationalen Positionen zu den Verhandlungen bisher in den Gesetzen nicht haben, müssen wir sie eben durch dieses Gesetz schaffen.
Im übrigen, Herr Kollege Kriedemann, geht es hier um ein Gesetz zum Schutze der Ernährungswirtschaft, nicht etwa der Landwirtschaft. Sie haben hier von der üblichen Mehrheit im Ernährungsausschuß gesprochen. Dazu mußte ich den Zwischenruf machen, daß der Außenhandelsausschuß und der Wirtschaftsausschuß mit großer Mehrheit diesem Gesetz zugestimmt haben. Herr Starke oder Herr
Kriedemann hat gesagt, die Dinge seien verzögert worden. Die Schuld dafür, daß es monatelang gedauert hat, lag wirklich nicht bei uns. Die Regierung hatte uns zugesichert, sie werde es durch Verhandlungen auch so erreichen. Das ist leider nicht geschehen, und darum ist bei einigen Ernährungsindustrien ein Notstand eingetreten. Das ist der Grund, warum ich Sie bitte, diesem Gesetz zuzustimmen.
Gestatten sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Müller ({0}), Herr Abgeordneter Bauknecht.
Herr Kollege, ist Ihnen nicht aus dem Bericht bekannt, daß die Regierung erklärt hat, bei den meisten Waren habe eine internationale Vereinbarung erreicht werden können und nur bei Malz sei dies nicht geschehen? Das steht doch im Bericht!
Daher der Unterschied in der Placierung: Malz als echtes Naturprodukt in Abs. 1, die anderen Waren dagegen in Abs. 8 des § 8! Ich habe schon eingangs gesagt, daß wir die Hoffnung haben, daß diese Verhandlungen zu einem erfolgreichen Ende führen. Wenn das nicht der Fall ist, dann müssen diese Bestimmungen angewendet werden.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Müller ({0})!
Glauben Sie, Herr Kollege Bauknecht, daß die Regierung überhaupt noch über die Malzfrage verhandeln kann, nachdem Sie Malz nunmehr in den Abs. 1 des § 8 des Getreidegesetzes aufgenommen haben?
Die Regierung wird gleichzeitig den Antrag stellen müssen, daß Malz entliberalisiert wird.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Starke, es ist nicht die Sorge vor Einnahmen, die uns gegen dieses Gesetz einnimmt.
({0})
Die Einnahmen, die durch die Marktordnung erzielt werden, sind so ärgerniserregend hoch, daß kein Mensch ein Interesse daran haben könnte, noch mehr Einnahmen zu erzielen. Ich glaube, das meinen auch Sie. Für uns dreht es sich wirklich nur darum, klarzustellen, was geschehen kann und was geschehen wird.
Zuerst sagen Sie, Sie müßten der Regierung eine Rückenstärkung geben. Das ist ein erhebliches Mißtrauensvotum gegen die Regierung. -- Herr Starke nickt. Er ist ja Opposition, er kann ja der Regierung
- einstweilen jedenfalls noch - sein Mißtrauen aussprechen. Die Regierung hat auch keine Veranlassung genommen, sich mit seiner Kritik auseinanderzusetzen.
Für denjenigen, der mit den Dingen nicht sehr vertraut ist, hört es sich furchtbar einfach an: Die Regierung muß dafür sorgen, daß das Malz wieder entliberalisiert wird. Dies wird ja nicht die letzte Agrardebatte, nicht die letzte Debatte über Fragen aus dem agrarischen Zusammenhang sein, die der 3. Bundestag über sich ergehen lassen wird. Ich bin überzeugt, daß wir sehr bald eine Gelegenheit haben werden - wir werden uns jedenfalls vornehmen, eine neue Gelegenheit sehr bald zu schaffen -, klarzustellen, was diese Rückenstärkung in Wirklichkeit bedeutet hat. Darum handelt es sich hier gar nicht.
Ich finde es ein bißchen peinlich, Herr Starke, daß Sie sagen: In Ihren Unterlagen haben Sie von Leuten, die sich Malzimporteure nennen, eine Zuschrift, aber auf diese kleine Gruppe braucht der Bundestag keine Rücksicht zu nehmen. Sagen Sie das in der Annahme, daß Sie denjenigen, die gegen das Gesetz stimmen, damit einen schlechten Dienst erweisen und sie dadurch in den Verdacht bringen, sie täten etwas für eine kleine Gruppe von sogenannten Importeuren? Oder haben Sie das nur gesagt, weil Sie glauben, daß das bei der deutschen Malzindustrie um so wirkungsvoller ankommen würde? Das eine wäre genauso schlecht wie das andere; denn es ist nicht unsere Aufgabe, hier Gruppeninteressen zu vertreten.
({1})
- Reden Sie ruhig noch einmal, Herr Starke. Von dem, was ich in puncto Augenwischerei gesagt habe, habe ich nichts zurückzunehmen. Ich verspreche Ihnen, daß wir sehr bald Gelegenheit haben werden, in diesem Hause konkret festzustellen, was aus dieser Ihrer Haltung geworden ist. Ich sage Ihnen jetzt schon: nichts!
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nur eine Erklärung abgeben. Herr Kollege Kriedemann, es hat mir völlig fern gelegen, - ich würde es außerordentlich bedauern, wenn meine Worte so geklungen haben sollten
({0})
- Sie sollten mich einmal aussprechen lassen -, daß ich Sie mit dem identifizieren wollte, was ich an jener Zuschrift des Verbandes der Malzimporteure kritisiert habe. Ich habe lediglich sagen wollen, daß das, was in dieser Zuschrift gesagt wird, den Eindruck erwecken soll, daß es sich um eine volkswirtschaftliche Frage handelt. In Wirklichkeit handelt es sich nicht darum. Es ist vielmehr so, daß eine Gruppe aus den sich aus den staatlichen Markt7718
ordnungen ergebenden Preisunterschieden einen Nutzen zieht. Das wollte ich dem Hohen Hause vor Augen führen. Das hat aber mit der Haltung, die Sie, Herr Kollege Kriedemann, hier für Ihre Fraktion einnahmen, aber auch gar nichts zu tun. Das wollte ich noch einmal ausdrücklich feststellen. Es liegt mir auch gar nicht, so etwas zu sagen.
({1})
Ich schließe die Beratung. Ich stelle den Entwurf in der Fassung der Beschlüsse der zweiten Beratung zur Schlußabstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe nun Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Abwicklung des Reichsnährstands und seiner Zusammenschlüsse ({0}) ({1}) ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2}) ({3})
({4}).
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reinhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht als Berichterstatter, sondern im Namen der Fraktion der CDU/CSU. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll nun endlich eine bundeseinheitliche Regelung über die Abwicklung des Reichsnährstandes und seiner Zusammenschlüsse getroffen werden. Die Fraktion der CDU/CSU ist glücklich, daß mit der Verabschiedung endlich ein Schlußstrich unter ein Kapitel gezogen wird, das schon längst hätte bereinigt werden sollen.
Der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes hatte bereits im Jahr 1948 das Gesetz über die Auflösung des Reichsnährstandes beschlossen. In der ersten Legislaturperiode des Bundestages war ein Referentenentwurf erarbeitet worden, der allerdings keine Kabinettsreife erlangt hat. Ein in der zweiten Legislaturperiode vorgelegter Initiativgesetzentwurf konnte nicht verabschiedet werden.
Meine Freunde von der CDU waren sich von Anfang an darüber einig, daß das sogenannte Altvermögen, das der Reichsnährstand von privaten landwirtschaftlichen Einrichtungen übernommen hatte, vorrangig soweit wie möglich wieder in die Hand derer zurückzuführen sei, aus deren Mitteln es ehemals entstanden war. Es bestand bei uns auch Übereinstimmung darüber, daß sowohl Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte als auch Beteiligungen und sonstige Vermögensgegenstände vorrangig an die Vorgängerorganisationen des Reichsnährstandes zurückgegeben werden sollten. Wir waren uns ebenfalls darüber einig, daß den Vorgängerorganisationen ein Rechtsanspruch auf Rückgabe eingeräumt werden sollte.
Ich darf hier bemerken, daß auch die Vertreter der anderen Parteien sich mit uns über die Notwendigkeit einer solchen Regelung einig waren.
Die Regierungsvorlage war dagegen davon ausgegangen, daß auf Grund des Art. 135 Abs. 2 des Grundgesetzes das Verwaltungsvermögen ohne Vorbehalt für das Altvermögen mit Inkrafttreten des Grundgesetzes auf juristische Personen des öffentlichen Rechts unwiderruflich übergegangen sei und es sich nur noch um eine Herausgabe dieses Verwaltungsvermögens handeln könne. Deshalb war eine Neufassung der §§ 11 und 13 erforderlich.
Trotz der einmütigen Auffassung des Ausschusses waren sehr lange Beratungen und die Einholung einer Stellungnahme des Rechtsausschusses nötig, um die verfassungsrechtlichen Bedenken verschiedener Ressorts bezüglich der Einräumung eines Vorrangs ,des Altvermögens vor dem Verwaltungsvermögen und der Einräumung eines Rechtsanspruches auf Übertragung an die Vorgängerorganisationen zu überwinden.
Eine wesentliche Änderung gegenüber dem Regierungsentwurf mußten auch die §§ 14 und 16 erfahren. Der Entwurf des Gesetzes geht davon aus, daß nach Erfüllung der Verbindlichkeiten nach §§ 11 und 13 weitere Ansprüche auf den Überschuß nicht erhoben werden können. Der Überschuß sollte den Ländern übertragen werden. Die Länder und die in ihrem Bereich errichteten öffentlich-rechtlichen Institutionen, also die Landwirtschaftskammern und die diesen entsprechenden Einrichtungen, sollten die Versorgung der ehemalign Dienstangehörigen des Reichsnährstandes übernehmen.
Wir sind der Auffassung, daß ein Teil der Aufgaben des Reichsnährstandes auch auf den Bund übergegangen ist. Der größte Teil der Aufgaben ist jedoch weggefallen. Im Bereich der Länder dürften nur etwa 1/3 .der Aufgaben des ehemaligen Reichsnährstandes verblieben sein. So erscheint die Aufteilung der Versorgungslast zwischen Bund und Ländern im Verhältnis 2 : 1 den tatsächlichen Verhältnissen am ehesten gerecht zu werden.
Es wurde außerdem in § 16 festgelegt, daß die Aufteilung des auf die Länder zukommenden Anteils an den Versorgungslasten nach dem Verhältnis ihrer Bevölkerungszahlen zueinander vorgenommen werden soll.
Entsprechend der Verteilung der Versorgungslasten wurde in § 14 festgelegt, den Überschuß aus der Abwicklung zu zwei Dritteln dem Bund und zu einem Drittel den Ländern als ein Äquivalent für die aus dem Gesetz zu Artikel 131 GG herrührenden Versorgungslasten zu übertragen.
Meine Freunde von der CDU, CSU hätten gern etwaige Überschüsse aus der Abwicklung der Zusammenschlüsse des Reichsnährstandes und die Sonderfonds - ich denke hier insbesondere an den Hopfen-Sonderfonds - solchen Zwecken zugeführt, die den Wirtschaftsbereichen direkt gedient hätten, von denen sie ehemals gebildet worden waren.
Es stellte sich jedoch heraus, daß nicht abzugrenzen ist, mit welchen Anteilen die einzelnen Sparten der Land- und Ernährungswirtschaft an der Bildung dieser einzelnen Vermögenswerte beteiligt waren. Eine gerechte Verteilung auf die einzelnen Zweckverbände ist daher unmöglich. Aus diesem Grunde sollen etwaige Überschüsse aus der Abwicklung der Zusammenschlüsse dem Gesamtvermögen des Reichsnährstandes zufallen und dann im gleichen Verhältnis wie das Reichsnährstandsvermögen auf Bund und Länder übertragen werden.
Diese Regelung konnte um so eher befürwortet werden, da durch die Übertragung der Versorgungslasten für die ehemaligen Reichsnährstandsbediensteten an den Bund und die Länder eine Entlastung der im Dienst 'der Land- und Ernährungswirtschaft stehenden öffentlich-rechtlichen Institutionen eingetreten ist. Diese waren im Gesetzentwurf ursprünglich als die Träger der Versorgungslast vorgesehen.
Der Ernährungsausschuß gab einmütig der Erwartung Ausdruck, daß nun die Länder den ihnen nach § 14 zufallenden Überschuß aus der Abwicklung auch dazu verwenden, um die Versorgung der ehemaligen Bediensteten des Reichsnährstandes sicherzustellen. Der Ernährungsausschuß hat ausdrücklich betont, daß er es für falsch halten würde, wenn nachträglich durch ein Landesgesetz die Körperschaften des öffentlichen Rechts, wie Landwirtschaftskammern usw., zu den Versorgungslasten herangezogen würden.
Es ist mir eine besondere Pflicht, dieses Anliegen des Ernährungsausschusses an dieser Stelle zu wiederholen.
Abschließend darf ich bemerken, daß durch die Verabschiedung dieses Gesetzes in der vorliegenden Fassung das Eigentum an landwirtschaftlichen Vermögenswerten nach langen Jahren des Schwebezustandes den Kreisen wieder zugeführt wird, die es seinerzeit geschaffen haben. Die Vermögensgegenstände werden damit in vollem Umfang wieder den Zwecken nutzbar gemacht werden, denen sie seinerzeit dienen sollten.
Ich beantrage daher im Namen der CDU/CSU, das Gesetz in der vorliegenden Fassung zu verabschieden.
({0})
Ich eröffne die Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich stelle dann den Entwurf, §§ i bis 27, Einleitung und Überschrift, in der zweiten Beratung zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, das Handzeichen zu geben. - Gegenprobe! -Enthaltungen?-Ich stelle einhellige Annahme fest. Ich schließe die zweite Beratung.
ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei hat soeben bei der Abstimmung in der zweiten Lesung zu erkennen gegeben, daß sie der Aufforderung des Herrn Kollegen Dr. Reinhard, der in der zweiten Lesung für die Fraktion der CDU/ CSU gesprochen hat, folgen wird. Die Sozialdemokratische Partei stimmt diesem Gesetz zu, und ich darf als der ehemalige Vorsitzende des vom Ernährungsausschuß eingesetzten Unterausschusses „Reichsnährstands-Abwicklungsgesetz" der Hoffnung Ausdruck geben, daß das Haus diesem Gesetz einstimmig zustimmen wird.
Es liegen keine Änderungsanträge vor. Aber es würde der Bedeutung dieses Gesetzes nicht entsprechen, wenn wir nicht einige Bemerkungen dazu machten, und es würde auch der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes, auf die Herr Kollege Dr. Reinhard soeben schon eingegangen ist, nicht entsprechen, wenn wir stillschweigend über das Gesetz hinweggingen. Dies würde der Bedeutung des Gesetzes insofern nicht entsprechen, als hier ja über Vermögenswerte im Betrage von 60 Millionen DM und über die Altersversorgung von mehr als 900 ehemaligen, verdrängten Reichsnährstandsbeamten, über eine Versorgungslast, die den Betrag von rund 100 Millionen DM erreicht, entschieden wird. Zur Bedeutung dieses Gesetzes gehört sicherlich auch, daß es eine Art Mustergesetz ist und daß es also einige präjudizierende Wirkungen haben wird. Es gibt noch eine Fülle ähnlicher Einrichtungen, die abgewickelt werden müssen, und es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß die Regelungen, die der Bundestag zur Abwicklung des Reichsnährstands mit der zur Debatte stehenden Vorlage getroffen hat, gewisse Muster für künftige Regelungen darstellen.
Meine Damen und Herren! Noch aus einem anderen Grunde bin ich der Auffassung, daß unbedingt einiges zu diesem Gesetz und damit zur Abwicklung des Reichsnährstands und seiner Zusammenschlüsse gesagt werden muß. Als es hier einmal um ein Gesetz ging, das sich mit den Finanzierungsmethoden eines sehr bekannten Financiers in der Bundesrepublik befaßt hat, gab es wegen dieses Gesetzes einige Zeit später sehr harte Anklagen von dieser Stelle aus. Es ist möglich, daß wir uns in der Zukunft gleichfalls noch einmal mit den Wirkungen des vorliegenden Gesetzentwurfs, vielleicht an dieser Stelle, vielleicht aber auch - ich möchte es nicht heraufbeschwören und möchte es keineswegs berufen - vor dem Bundesverfassungsgericht, befassen müssen. Wir müssen also in der dritten Lesung dieses Gesetzes zur Abwicklung des Reichsnährstands auf einige neuralgische Punkte - so darf ich sie vielleicht nennen - wenigstens hinweisen, die wir bei der Beratung des Gesetzentwurfs eingehend besprochen und von allen Seiten beleuchtet haben.
Was Ihnen, meine Damen und Herren, heute vorliegt, wird Ihnen nicht nur vorn Ernährungsausschuß und dem von diesem eingesetzten Unterausschuß „Reichsnährstands-Abwicklungsgesetz", sondern eigentlich unter Beteiligung von vier Aus7720
schüssen dieses Hohen Hauses vorgelegt, nämlich auch vom Rechtsausschuß, vom Haushaltsausschuß und vom Innenausschuß, der einige seiner Mitglieder zu den Beratungen des Unterausschusses „Reichsnährstands-Abwicklungsgesetz" delegiert hat, weil einige der Fragen, die hier geregelt werden, das Innenressort unmittelbar betreffen.
Was jetzt vorliegt - und das ist das erste Kriterium -, unterscheidet sich so weitgehend von der Regierungsvorlage Drucksache 1253, daß man schon sagen kann: die Konzeption, die der Regierung vorgeschwebt hat, ist völlig geändert worden. Die Legislative hat eine völlig andere Konzeption geschaffen, als sie von der Exekutive, von den Ressorts, vorgeschlagen worden ist. Ich sage ganz bewußt: von den Ressorts, und in diesem Fall nicht: von der Bundesregierung, abschon natürlich die Regierungsvorlage die Unterschrift des Stellvertreters des Bundeskanzlers, Herrn Professor Erhard, trägt.
Zu der sehr langen Entstehungsgeschichte möchte ich nicht viel sagen. Man bemüht sich schon seit 1949, seit Bestehen der Bundesregierung, darum. Das sind nun mehr als elf Jahre. Auch im Wirtschaftsrat hat man schon versucht, einiges zur Abwicklung des Reichsnährstandes zu tun, nachdem man dort zunächst nur ein Auflösungsgesetz beschlossen hatte. Diese Entstehungsgeschichte hat so lange gedauert, weil sich die Ressorts untereinander nicht einig geworden sind und weil sich die Ressorts auch mit den vielen Interessenten nicht einig geworden sind. Es ist hin und her gegangen. Schließlich ist aus der Mitte des Bundestages der 2. Legislaturperiode die Initiative ergriffen worden. Wir sind dann aber in der 2. Legislaturperiode mit dem Initiativgesetzentwurf nicht mehr fertiggeworden.
Weswegen haben sich die Ressorts nicht zusammengefunden? Nun, die Interessen waren selbst innerhalb der und unter den Ressorts sehr unterschiedlich. Das Innenministerium und das Finanzministerium haben auf dem Standpunkt gestanden, daß die Versorgungslast von hundert Millionen, von der ich schon gesprochen habe, von der Landwirtschaft übernommen werden müsse. Das Landwirtschaftsministerium hat diesen Standpunkt naturgemäß nicht vollinhaltlich geteilt. Das Justizministerium hat wieder eine besondere Auffassung hinsichtlich der Behandlung des sogenannten Verwaltungsvermögens des ehemaligen Reichsnährstands vertreten. Diese unterschiedlichen Auffassungen der Ressorts haben eine einheitliche Konzeption der Regierung verhindert.
Hinzu kamen die vielen, vielen Wünsche der verschiedensten Interessenten, der verschiedensten Gruppen der landwirtschaftlichen Erzeuger, der verschiedensten Bereiche der Ernährungswirtschaft. Das alles sind die Gründe dafür, daß es so lange gedauert hat. Es ist interessant, daß zwischen der ersten und der letzten Drucksache genau tausend Drucksachen liegen: die Regierungsvorlage hat die Nummer 1253, und die Ausschußvorlage hat die Nummer 2254.
Ich sagte bereits: die Ausschüsse haben eine völlig neue Konzeption beschlossen. Sie haben sie einstimmig beschlossen. Darauf ist besonders hinzuweisen. Hier liegt der verhältnismäßig seltene Fall vor, daß sich alle Parteien im Bundestag auf eine neue Konzeption geeinigt haben, also die Legislative in dieser Frage völlig einmütig einen Standpunkt vertritt. Herr Dr. Reinhard hat bereits darauf hingewiesen: Dieser Standpunkt stand und steht auch heute noch im Widerspruch zum Standpunkt der Ressorts. Die Ressorts haben bis heute den entgegengesetzten Standpunkt in verschiedenen sehr wichtigen Fragen im Zusammenhang mit diesem Gesetz nicht aufgegeben. Es erscheint mir wichtig, das hier bei der dritten Lesung zu sagen, ohne daß ich das, Herr Kollege . Bauknecht, irgendwie als schädlich, als gefährlich oder als staatspolitisch negativ empfinde. Gar nicht! Nach Montesquieu hat es schon seine Richtigkeit mit der Dreiteilung der Gewalten und mit der Gleichberechtigung dieser drei Gewalten, und wenn sich wie in diesem seltenen Fall die Legislative einmal gegen die Exekutive stellt, braucht das unter gar keinen Umständen schädlich zu sein oder als staatspolitisch negativ beurteilt zu werden. Ganz im Gegenteil!
({0})
Aus den von dem Herrn Berichterstatter in dem Ausschußbericht auf Drucksache 2254 aufgezählten wichtigen Problemen dieses Gesetzes möchte ich nur drei herausgreifen; ich möchte nur auf drei neuralgische Punkte hinweisen.
Da ist zunächst die Frage des Verwaltungsvermögens. Das Verwaltungsvermögen des Reichsnährstandes ist nach Art. 135 Abs. 2 des Grundgesetzes am Tage des Inkrafttretens des Grundgesetzes, also am 24. Mai 1949, in das Eigentum des Landes oder der Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts übergegangen, die nunmehr die früheren Aufgaben des Reichsnährstandes erfüllen. Die Regierung hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß diese Entscheidung des Grundgesetzes bindend sei und daß man sie nicht wieder rückgängig machen könne.
Wenn man diesen Standpunkt geteilt hätte, hätte das Eigentum der Organisationen und Institutionen, das 1933 und 1934 bei der Gründung und Errichtung des Reichsnährstandes und bei der Gleichschaltung dieser Organisationen und Institutionen konfisziert worden ist, nicht wieder an die früheren Eigentümer zurückgegeben werden können, mögen es Bauernverbände, mögen es andere private Organisationen der Landwirtschaft, wie beispielsweise die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, oder mag es die Landarbeitergewerkschaft sein.
Die Ausschüsse haben sich diesem Standpunkt der Ressorts und insbesondere ,des Bundesjustizministeriums nicht anschließen können. Sie haben darauf verwiesen, .daß der Abs. 4 dieses Art. 135 des Grundgesetzes eine Möglichkeit gibt, von der Bestimmung des Abs. 2 dieses Art. 135 durch ein Bundesgesetz abzuweichen. In diesem Abs. 4 des Art. 135 heißt es nämlich:
Sofern ein überwiegendes Interesse des Bundes
oder ,das besondere Interesse eines Gebietes es
erfordert, kann durch Bundesgesetz eine von
den Absätzen 1 bis 3 abweichende Regelung getroffen werden.
Dieser Abs. 4 des Art. 135 des Grundgesetzes ist bereits angewandt worden, und zwar bei der Entscheidung über den Preußischen Kulturbesitz. Bekanntlich hat ,das Bundesverfassungsgericht der Entscheidung des Bundestages in der Frage des Preußischen Kulturbesitzes recht gegeben. Wir haben uns von diesem Beispiel leiten lassen. Der Rechtsausschuß hat sich eingehend mit dieser Frage befaßt und den Standpunkt des Ernährungsausschusses bestätigt, daß man diesen Abs. 4 anwenden könne. Deswegen müssen Länder, eventuell Gebietskörperschaften, muß die öffentliche Hand Grundstücke herausgeben, die an und für sich am Tage des Inkrafttretens des Grundgesetzes durch 'diesen Art. 135 in ,das Eigentum der öffentlichen Hand übergegangen sind. Wir halten das für eine billige und gerechte Regelung. Dieser Standpunkt ist also - ich wiederhole es - einstimmig in allen beteiligten Ausschüssen erzielt worden. Ich bitte Sie sehr, sich diesem Standpunkt anzuschließen, auch wenn bemerkt werden muß, daß das Justizministerium diesen Standpunkt bis heute nicht teilt.
Ein zweiter neuralgischer Punkt ist 'die Frage der Rückgabe ,der Altvermögen, also nicht des Verwaltungsvermögens, sondern des Privatvermögens ehemaliger gleichgeschalteter Organisationen und Institutionen. Die Ressorts wollten hier lediglich eine Soll-Vorschrift. Sie wollten keinen Rechtsanspruch für die Rückgabe dieses Altvermögens. Sie wollten ein übriges: sie wollten die Rückgabe auf Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte beschränken, sie wollten sonstige Vermögensgegenstände und -beteiligungen nicht in diese Regelung miteinbeziehen.
Auch in dieser Frage haben sich die Ausschüsse dem Standpunkt der Ressorts nicht anschließen können. Sie haben einen gegenteiligen Standpunkt formuliert, den Sie in der Drucksache 2254 finden. Nach den Vorschriften des § 13 werden Gegenstände des Altvermögens, grundstücksgleiche Rechte, Beteiligungen und sonstige Vermögensgegenstände zurückgegeben. Damit ist also ein Rechtsanspruch auf diese Vermögensgegenstände geschaffen.
Der ,dritte neuralgische Punkt ist die Frage der Abwicklung der Versorgungslast, die 100 Millionen DM beträgt. Es handelt sich, wie ich schon sagte, um die Pensionen der verdrängten ehemaligen Reichsnährstandsbeamten, die nicht von dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes erfaßt worden sind. Es handelt sich also um die ehemaligen Reichsnährstandsbeamten aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien. Ihre Zahl liegt jetzt etwa bei 900. Sie verringert sich natürlich laufend, aber insgesamt beträgt die Versorgungslast für diese verdrängten ehemaligen Reichsnährstandsbeamten 100 Millionen DM. Die Regierung hatte vorgeschlagen, daß dieser Betrag von der Landwirtschaft aufzubringen sei. Sie hat das damit begründet, daß die Aufgaben des Reichsnährstandes überwiegend auf die Länder übergegangen seien. Wir haben im Ausschuß viele Sachverständige zu dieser Frage gehört und haben übereinstimmend festgestellt, daß sich dieser Standpunkt der Regierung nicht halten läßt. 50 % der Aufgaben des Reichsnährstandes sind ersatzlos fortgefallen, weitere 15 % der Aufgaben ¡des ehemaligen Reichsnährstandes sind auf den Bund übergegangen. Höchstens 35% der Aufgaben des Reichsnährstandes werden jetzt von den Ländern ausgeübt oder von Organisationen, die im Auftrage der Länder gebildet worden sind.
Aus diesem Grunde haben wir die Vorschläge für die Übernahme und Verteilung der Versorgungslasten, die in der Regierungsvorlage vorgesehen waren und die zu einer Inanspruchnahme der landwirtschaftlichen Betriebe geführt hätten, nicht angenommen. Die Umlage der Landwirtschaftskammer Hannover hätte beispielsweise um 15 % erhöht werden müssen. Nach dieser Konzeption hätten nicht nur landwirtschaftliche Betriebe in Anspruch genommen werden können, sondern auch die sonstigen Verbände und Organisationen der Landwirtschaft. Die Landarbeiter hätten also beispielsweise mit einer gesetzlichen Umlage zur Finanzierung der Versorgung der verdrängten Reichsnährstandsbeamten aus Ostpreußen, Schlesien und Pommern belegt werden können. Meine Damen und Herren, von allem anderen abgesehen, ob das nun zu einer Verbesserung des Einvernehmens und des Klimas zwischen Einheimischen, Vertriebenen und den ehemaligen Reichsnährstandsbeamten und denen, die jetzt für die Landwirtschaft in den verschiedensten Bereichen tätig sind, geführt hätte, mag sehr dahingestellt bleiben.
Dieser Vorschlag wurde also auch nicht übernommen. Vielmehr finden Sie jetzt in § 16 der Ausschußvorlage eine Regelung, die bestimmt, daß sich Bund und Länder im Verhältnis 2 : 1 an den Versorgungslasten dieser verdrängten ehemaligen Reichsnährstandsbeamten beteiligen. Dafür bekommen Bund und Länder aber sämtliche Überschüsse, sowohl diejenigen, die aus dem Reichsnährstandsvermögen nach Abwicklung aller Bestimmungen, insbesondere des § 12, übrigbleiben, als auch die Überschüsse, die aus dem Vermögen der Zusammenschlüsse übrigbleiben. Unter den Zusammenschlüssen werden die ehemaligen Hauptvereinigungen und die Wirtschaftsverbände verstanden. An diesem Vermögen war besonders Interessentengruppen gelegen; denn es hat eine ganze Reihe von entsprechenden Eingaben gegeben. Die Ausschüsse haben sich einstimmig auf den Standpunkt gestellt, daß die vorgeschlagene Regelung nicht mehr als recht und billig ist, nachdem ohnehin nicht genau festzustellen ist, wem von den jetzigen Organisationen der Ernährungswirtschaft und welchen Kreisen der landwirtschaftlichen Erzeuger Anspruch auf dieses Restvermögen der ehemaligen Zusammenschlüsse zusteht. Unter Umständen müßten sogar die Verbraucher daran beteiligt werden; denn sie waren nicht unbeteiligt an der Bildung dieser Vermögen der ehemaligen Zusammenschlüsse. Auch wegen dieser Schwierigkeiten und weil der Bund durch die Versorgungslast erheblich in Anspruch genommen wird, hat der Ausschuß beschlossen, sämtliches Restvermögen dem Bund und den Ländern zu geben und damit die Versorgungslasten, die ihnen durch die Übernahme der Pensionen der verdrängten ehe7722
maligen Reichsnährstandsbeamten neu entstehen, auszugleichen.
Meine Damen und Herren, diese Leute bekommen Pensionen, genau die gleichen Pensionen wie die einheimischen Reichsnährstandbeamten. Sie bekommen sie aber nur vorschußweise. Der Bund hatte sich zunächst bereit erklärt, solche Vorschüsse bis zum 31. Dezember 1959 zu zahlen. Wir befanden uns in der Zeit gerade in der Beratung dieses Gesetzes. Der Bund hat sich bereit erklärt, nun die Vorschußzahlungen auf unbegrenzte Frist zu verlängern. Die Betroffenen befinden sich natürlich in einer erheblichen Unsicherheit. Diese Unsicherheit soll ihnen jetzt genommen werden. Sie werden jetzt gesetzlich begründete Pensionen sowie die einheimischen Reichsnährstandsbeamten bekommen. Wir glauben, ,daß das eine soziale Regelung ist, die der Konzeption, die sonst verfolgt wird, entspricht.
Wir haben bei dieser Gelegenheit eine Sonderregelung in das Gesetz hineingenommen, die einige wenige ehemalige Angehörige der Ostpreußischen Herdbuchgesellschaft betrifft. Die Ostpreußische Herdbuchgesellschaft ist als einzige der Herdbuchgesellschaften damals im Dritten Reich nicht gleichgeschaltet worden. Sie hat sich der Gleichschaltung durch den Reichsnährstand erfolgreich widersetzt. Die ehemaligen Angehörigen der Ostpreußischen Herdbuchgesellschaft, die aber Aufgaben des Reichsnährstands ausgeübt haben, also für den Reichsnährstand tätig gewesen sind, werden nun dafür, daß sich die OHG der Gleichschaltung erfolgreich widersetzt hatte, bestraft, indem sie keine Reichsnährstandspensionen bekommen. Wir haben gemeint, diese soziale Ungerechtigkeit bei dieser Gelegenheit ausräumen zu sollen.
({1})
Nun, meine Damen und Herren, komme ich zum Schluß. Das Gesetz ist ein Kompromiß wie die meisten der guten Gesetze, die wir hier machen. Es gibt wohl kaum ein Idealgesetz, es gibt wohl selten ein Gesetz, das allen Interessenten und allen Beteiligten gerecht wird. Auch dieses Gesetz wird nicht alle Beteiligten, weder den Bund noch die Länder noch die Organisation der Landwirtschaft, befriedigen. Es befriedigt sie aber, soweit es möglich ist. Es ist ein optimales Gesetz. Es ist das beste Gesetz, das nach Lage der Dinge zu machen war. Dieses Gesetz stellt eine geeignete und tragfähige Grundlage dar, den letzten Akt der Geschichte des Reichsnährstandes über die Bühne gehen zu lassen und dann endgültig den Vorhang vor diesem Schauspiel Reichsnährstand niedergehen zu lassen. Ich bitte Sie, dieser Vorlage, an deren Beratung vier Ausschüsse dieses Hauses beteiligt waren, einstimmig zuzustimmen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Mauk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf namens der Fraktion der FDP erklären, daß wir diesem Gesetz
unsere Zustimmung geben. Mit diesem Gesetz hat eine sehr langwierige und wirklich schwierige Verhandlungsaufgabe eines Unterausschusses des Ernährungsausschusses ihr Ende gefunden, und ich spreche wohl im Namen aller Mitglieder des Ausschusses, wenn ich dem Vorsitzenden und den Mitgliedern des Unterausschusses Anerkennung und Dank ausspreche.
({0})
Es ist keine leicht zu behandelnde Materie gewesen; das haben Sie sowohl aus den Ausführungen des Herrn Dr. Reinhard als auch aus den Ausführungen von Herrn Frehsee entnehmen können. Wir freuen uns, daß wir zum Abschluß gekommen sind, und ich hoffe mit den Kollegen der anderen Fraktionen, daß dieses Gesetz so wie im federführenden Ausschuß auch im Plenum des Bundestages einstimmig angenommen wird.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Ich rufe auf Punkt 24 der Tagesordnung:
a) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) über den Antrag der Abgeordneten Leicht, Leonhard, Baier ({1}), Neuburger, Knobloch, Höfler und Genossen betreffend Schäden im deutschen Tabakbau infolge Auftretens der Blauschimmelkrankheit ({2}),
b) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3}) über den Antrag der Fraktion der FDP betreffend Schäden im deutschen Tabakbau infolge Auftretens der Blauschimmelkrankheit ({4}).
Es liegen die Berichte des Abgeordneten Seither vor. Werden sie durch mündlichen Bericht ergänzt? - Das ist nicht der Fall.
Wird eine Aussprache über den Schriftlichen Bericht Drucksache 2246 gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich, ein Handzeichen zu geben.
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Zu dem Schriftlichen Bericht Drucksache 2247 liegt ein Antrag der Fraktion der FDP, Umdruck 726, vor. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Mank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Zusatzantrag spricht wohl für sich selbst. Wie Sie sich erinnern werden, war es bei der Aussprache über den Antrag
Drucksache 2152 zu einer harten Auseinandersetzung zwischen einem Kollegen meiner Fraktion und dem Herrn Staatssekretär gekommen. Nachdem der Herr Staatssekretär in so harter Weise geantwortet hat, müssen wir darauf bestehen, daß der Sachverhalt bald aufgeklärt wird. Deshalb beantragen wir, dem Ausschußantrag folgende Worte anzufügen: „und dem Deutschen Bundestag bis zum 31. März 1961 über das Ergebnis zu berichten". Ich bitte Sie unserem Antrag zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag Umdruck 726 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Zeichen zu geben. Gegenprobe! Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Nunmehr stimmen wir liber den Antrag des Ausschusses ab. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 2247 in der soeben geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, ein Zeichen zu geben. - Gegenprobe!- Enthaltungen?
Ebenfalls einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 14 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes ({0}) .
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Herr Bundesminister!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat dem heute zur ersten Lesung anstehenden Gesetzentwurf zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes in der Drucksache 2226 eine eingehende Begründung beigegeben. Da diese Begründung dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit vorliegt, kann es heute gewiß nicht meine Aufgabe sein, die Begründung mündlich mehr oder weniger zu wiederholen.
Ich möchte deshalb nur einen kurzen Überblick geben über die äußere Gestaltung und über Ziel und Zweck des Entwurfs und dabei insbesondere die Grundfragen ansprechen, die mit diesem Entwurf zur Erörterung gestellt und nach § 78 der Geschäftsordnung des Bundestages Gegenstand gerade der ersten Beratung im Plenum sind.
Als vor drei Jahren die Betreuung der Jugendfragen aus dem Bundesministerium des Innern in das nunmehrige Bundesministerium für Familien-und Jugendfragen übergegangen war, wurde ich gleich Anfang Dezember 1957 in der ersten von mir geleiteten Sitzung des Aktionsausschusses für Jugendfragen, in dem bekanntlich alle Bereiche der freien wie der behördlichen Jugendarbeit vertreten sind, von allen Beteiligten geradezu stürmisch gedrängt, nun endlich einen von all diesen Fachkreisen seit langem gewünschten Gesetzentwurf zur Modernisierung des Jugendwohlfahrtsrechts vorzu-
legen, war doch die Lage unserer Jugend eine wesentlich andere geworden als vor 40 Jahren, als das - 1953 ja nicht im ganzen novellierte - Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 geschaffen wurde.
Es wurde vor allem übereinstimmend auf das familiare und gesellschaftliche Defizit hingewiesen, das heule auf dem Gebiete der Erziehung für unsere Jugend besteht und das in der Begründung der Vorlage ja besonders angesprochen ist. Nach den Vorstellungen aller beteiligten Kreise sollte es das Ziel der Neuordnung sein, den jungen Menschen mehr ais bisher zu befähigen, den an ihn gestellten hohen Anforderungen als einzelner und in der Gemeinschaft zu genügen.
Ich habe damals zu dieser großen Aufgabe meines neuen Aufgabenbereichs gern und freudig ja gesagt und es dankbar begrüßt, daß der Aktionsausschuß für Jugendfragen sogleich aus seiner Mitte eine elfköpfige Sonderkommission bestellte, welche die Vorstellungen der Praktiker der freien wie der behördlichen Jugendarbeit für das neue Gesetz einmal zu Papier bringen sollte. Diese Kommission hat in mehreren Klausurtagungen - wenn auch im späteren Ablauf nicht mehr ganz vollzählig - in enger Zusammenarbeit mit meinem Hause eine ebenso wertvolle wie dankenswerte Vorarbeit geleistet, so daß der Gesetzentwurf nach nunmehr dreijähriger intensiver Vorbereitung und ständigen Erörterungen mit allen beteiligten Kreisen dem Hohen Hause vorgelegt werden kann.
Wenn dieser Gesetzentwurf schließlich nicht als völlig neues Gesetz, sondern als Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz formuliert wurde, so hat das seinen Grund nicht - wie gelegentlich angenommen wird - darin, daß weniger modernisiert und ergänzt werden soll, daß wir also etwa mit der Novelle nur eine vorläufige kleine Reform wollten. Der Grund dafür, daß wir seit Frühjahr 1960 statt eines bis dahin vorbereiteten, völlig neu formulierten Gesetzes eine Novelle erarbeitet haben, liegt auf einem ganz anderen Gebiete. Im Laufe der Verhandlungen mit den Ländern hatte sich ergeben, daß mindestens hei der Mehrzahl der Länder zwar keine verfassungsrechtlichen, aber doch wesentliche verfassungspolitische Bedenken dagegen bestehen, daß der Bund heute neue gesetzliche Vorschriften über Fragen der Organisation der Jugendhilfe in den Ländern und Gemeinden - also etwa über die Zusammensetzung des Jugendwohlfahrtsausschusses in den Gemeinden und Kreisen erläßt.
Gleich, ob man diese Bedenken für begründet hält oder nicht, es war uns besonders daran gele- gen, auf dem Gebiet der Jugendhilfe auch einen verfassungspolitischen Streit mit den Ländern zu vermeiden, mit denen wir ia seit Jahr und Tag über alle politischen Meinungen und Grenzen hinweg für unsere Jugend fruchtbare Gemeinschaftsarbeit um des gemeinsamen Anliegens, um unserer Jugend willen, leisten und geleistet haben. Deshalb und nur deshalb haben wir die Organisationsvorschriften der §§ 8 ff. des Gesetzes von 1922 - in der Fassung der Novelle von 1953 - bei der Reform ausgeklammert, unberührt gelassen und uns folge-
richtig für die äußere Form einer Novelle entschieden. Für die praktische Arbeit soll das Gesetz, wie in Art. XII des Entwurfs vorgesehen, nach Verabschiedung der Novelle insgesamt in lückenloser neuer Paragraphenfolge verabschiedet werden.
Um entsprechenden Wünschen der Länder entgegenzukommen, sind auch andere Abstriche an den ursprünglichen Plänen der Bundesregierung gemacht worden, so vor allem der Verzicht auf den Aufgabenkatalog zur Konkretisierung des § 4, des sogenannten Jugendpflegeparagraphen, an der bekanntlich ein breites Interesse für die Praxis besteht. Diese Konkretisierung des Aufgabenkatalogs wurde einer mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassenden Rechtsverordnung der Bundesregierung vorbehalten, nachdem die Mehrzahl der Länder einer Aufnahme dieses Katalogs in das Gesetz selbst nicht zustimmen zu können glaubte, sich aber mit diesem Wege einverstanden erklärte.
Im übrigen - und an dieser Feststellung liegt mir sehr - enthält die vorliegende Novelle aber im allgemeinen all das, was wir nach dem Ergebnis der bis zum Frühjahr dieses Jahres unter Beteiligung aller interessierten Kreise - nicht in geheimen Verhandlungen der Ministerien, sondern bewußt vor der gesamten sachlich interessierten Öffentlichkeit - geführten vielfältigen Erörterungen in einem bis dahin beabsichtigt gewesenen völlig neuen Gesetzentwurf geregelt hätten. Die Novelle bringt also im übrigen nicht weniger an Reform, als ein völlig neuer Entwurf des Gesetzes gebracht hätte.
Zur Erörterung stehen damit einerseits die grundsätzlichen Strukturfragen einer modernen Jugendhilfe und ihre Aufgaben nach Abschnitt I und II des Jugendwohlfahrtsgesetzes - mit der bereits begründeten Ausklammerung der Organisationsvorschriften-, andererseits die sachliche Neugestaltung der drei großen Fachgebiete: a) des Schutzes der Pflegekinder, b) der Stellung des Jugendamtes im Vormundschaftswesen und c) der bisherigen Schutzaufsicht und der Fürsorgeerziehung mit der nunmehr neu vorgesehenen freiwilligen Erziehungshilfe und Erziehungsbeistandschaft.
Die zu a) bis c) genannten Fachbereiche, also die umfangreichen bisherigen Abschnitte III bis VI des Gesetzes als die drei fachlichen Spezialteile, sind im Entwurf weithin im Einvernehmen mit den Stellen und Persönlichkeiten, denen die spätere Durchführung obliegt, völlig neu gestaltet worden. Ich möchte glauben, daß das weitgehende Einvernehmen, das über diese Abschnitte in Fachkreisen bereits besteht, die Ausschußarbeit im Bundestag wesentlich erleichtert und mir heute den Verzicht auf eine ausführlichere Behandlung dieser Teile erlaubt.
Ich glaube aber, in dieser ersten Lesung die Grundsatzfragen der Teile I und II des Gesetzes noch ansprechen zu sollen.
Zunächst freue ich mich besonders, hierzu feststellen zu können, daß - angesichts der Respektierung wichtiger Länderanliegen im Entwurf - auch der Bundesrat der Grundkonzeption und dem
Aufbau des Entwurfs der Bundesregierung zugestimmt hat.
({0})
Der Entwurf fußt auf der Erkenntnis, daß es das Wichtigste ist, die vorrangigen Erziehungsträger, also vor allem die Familie, in ihrer pädagogischen Eigentätigkeit und Eigenverantwortung zu stärken.
({1})
Nach Art. 6 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht. Andererseits spricht § 1 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes von einem Anspruch des Kindes auf Erziehung, der in erster Linie gegenüber der Familie besteht. Sache der Gemeinden und des Staates ist es, die Ausübung dieser beiderseitigen Rechte zu fördern, indem beide den Eltern helfen, ihre immer schwerer und größer gewordenen Aufgaben zu erfüllen. Dieser Grundsatz zieht sich als Leitgedanke durch das gesamte Gesetz. Er zielt ab auf die Stärkung der elterlichen Verantwortung und eine rege Zusammenarbeit zwischen den Eltern und den Organen der Jugendhilfe, und zwar nach dem neuen § 2 a in der Linie des Elternwillens.
Die öffentliche Gewalt hat nach Art. 6 Abs. 2 GG darüber zu wachen, daß die Eltern ihre Pflichten erfüllen. Deshalb wird der öffentlichen Gewalt zugestanden, daß sie in extremen Fällen bei einem Versagen der Eltern die elterlichen Rechte einschränkt, aber nur, wo dies zum Wohle des Kindes unerläßlich ist.
Soweit der Anspruch des Kindes auf Erziehung von der Familie nicht erfüllt werden kann oder nicht erfüllt wird, enthält schon § 3 des geltenden Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes Aufsichts- und Schutzrechte der öffentlichen Hand, die in ihrer Grundkonzeption im jetzigen Entwurf unangetastet bleiben. Diese Vorschriften sind unter Berücksichtigung der Erfahrungen der Praxis der vergangenen Jahrzehnte auf Grund von Anregungen der Fachwelt ergänzt und verbessert worden. Alle weiteren Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe werden in § 4 des geltenden Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes den Jugendhilfebehörden zwar auch als Pflichtaufgaben, jedoch nur als „gegebenenfalls" von ihr auch selber durchzuführende Pflichtaufgaben - d. h. nur bedingt - zugewiesen. Das bedeutet, daß die öffentliche Hand diese Hilfen nach § 4 nur da selber gewährt, wo sie nicht von geeigneten Kräften der freien Jugendhilfe gewährt werden.
Schon 1922 wollte also der Gesetzgeber dem gesellschaftlichen Defizit auf dem Gebiet der Erziehung vor allem dadurch begegnen, daß geeignete Kräfte im freien Raum in ihrer eigenverantwortlichen Tätigkeit gefördert und zur verantwortlichen Mitarbeit zum Wohl unserer Jugend gewonnen werden.
Dies kommt in der amtlichen Begründung zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 mit sehr klaren Worten zum Ausdruck. Ich möchte einmal
aus der Reichstagsdrucksache Nr. -1666 vorn 15. März 1921 wörtlich folgendes - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - zitieren. Dort heißt es:
Die Fassung des Absatz 1 in Verbindung mit § 7 ({2}) soll verdeutlichen, daß die eigene Tätigkeit des Jugendamtes gegenüber der privaten Betätigung der freiwilligen Tätigkeit hier als eine subsidiäre gedacht ist.
Ich stelle fest, daß das Wort „subsidiär" hier nicht von mir hineingebracht wurde, sondern unterzeichnet ist die Begründung von dem damaligen Reichsminister Koch-Weser, der bekanntlich der Demokratischen Partei angehörte. Es heißt dann weiter:
Das Jugendamt hat dafür zu sorgen, daß auf den einzelnen Gebieten der Jugendhilfe die erforderlichen Einrichtungen und Veranstaltungen getroffen werden,
- und nun kommt das Entscheidende indem es Nichtvorhandenes durch seine Anregungen ins Leben zu rufen sucht, Vorhandenes fördert, und zwar tunlichst auch durch Unterstützung mit Geldmitteln, und erst angesichts der Unmöglichkeit, daß ohne sein eigenes Eingreifen das Erforderliche ins Leben gerufen werde, selbst die nöligen Einrichtungen und Veranstaltungen schafft.
Meine Damen und Herren, klarer hätte dieser Wille des Gesetzgebers von 1922 wohl kaum zum Ausdruck gebracht werden können.
Der Deutsche Bundestag hat sich ,den eben verlesenen Wortlaut !der amtlichen Begründung von 1922 bei der Verabschiedung der Novelle von 1953 in einer Entschließung eindeutig zu eigen gemacht. In dieser Bundestagsentschließung vom 18. Juni 1953 heißt es nämlich, nachdem auf die eben zitierte Begründung zum Gesetz von 1922 ausdrücklich Bezug genommen ist, wörtlich:
Das Jugendamt hat auf den einzelnen Gebieten der Jugendhilfe zunächst vorhandene Einrichtungen freier Träger zu fördern, sodann die freie Jugendhilfe anzuregen, notwendige neue Einrichtungen zu errichten, die aus öffentlichen Mitteln zu fördern sind, und schließlich eigene behördliche Einrichtungen zu schaffen, wenn der Weg der Anregung und Förderung erfolglos geblieben ist.
Der Entwurf will diese für Struktur unid Aufbau unserer freiheitlichen Gesellschafts- und Staatsordnung gerade auf dem Gebiete der Erziehung so wichtige Grundlinie so deutlich im Gesetz zum Ausdruck bringen, ,daß ihre Beachtung im Rahmen des Möglichen eindeutig gesichert ist.
Die Formulierung hierfür in § 4 Abs. 3 ides Ihnen vorliegenden Entwurfs scheint gelegentlich dahin mißverstanden worden zu sein, als sollte ein absoluter Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe vor 'der öffentlichen Hand Gesetz werden. Der Entwurf sagt aber - ganz in der Linie der eben gegebenen Zitate zum geltenden Gesetz - lediglich, daß überall da, wo freie Jugendhilfe mit geeigneten
Trägern, ich wiederhole, mit geeigneten Trägern zur Verfügung steht, kein Raum für Maßnahmen der öffentlichen Hand ist.
Meine Damen und Herren, es kann unid darf in einer freiheitlichen Ordnung nicht Aufgabe ides Staates sein, seinen Staatsbürgern oder ,den mitbürgerlichen Gemeinschaften der Staatsbürger Aufgaben abzunehmen, ,die sie selbst zu tun gewillt unid fähig sind. Bevormundung durch einen Staat, der sich unbegrenzte Macht oder gar Totalität unter Ausschaltung der Selbsthilfe ,der Staatsbürger anmaßt, also solche Bevormundung statt Förderung der Selbsthilfe, verstößt gegen die Grundsätze einer freiheitlichen Ordnung. Es gibt keinen gesunderen Grundsatz für eine freiheitliche Staatsordnung als den, unseren bewährten freien gesellschaftlichen Einrichtungen in unserer freiheitlichen Demokratie ihren Raum zu geben und sie zu erhalten und der öffentlichen Hand nur die Aufgaben zuzuweisen, die mangels geeigneter freier Träger nur von ihr befriedigend erfüllt werden können. Gerade !das geschieht im Entwurf, der damit in seinem Bereich der Freiheit nicht nur eine Gasse, sondern die ihr zustehende breite Straße sichert.
Daneben bleibt nach dem Entwurf - wieder wie im geltenden Reichsjugendwohlfahrtsgesetz - überall da, wo es in der Jugendhilfe an geeigneten freien Trägern fehlt, die Verpflichtung der öffentlichen Hand, Jugendhilfe auch selbst ,durchzuführen. Der Entwurf will aber für die Zukunft sicherstellen, daß § 4 nicht mehr entgegen seinem Sinn und der zitierten amtlichen Begründung im Sinne eines Vorrangs der Träger der öffentlichen Jugendhilfe gehandhabt wind.
Die grundsätzlich wichtige Formulierung des § 4 a sichert - vorbehaltlich der Eigenleistung -die Gleichberechtigung der freien Träger mit der öffentlichen Hand bei ,der finanziellen Förderung.
Ein weiteres wichtiges Anliegen des Entwurfs ist es, die Verpflichtung der öffentlichen Hand, die Jugendverbände und die Jugendgemeinschaften in ihrer eigenverantwortlichen Tätigkeit zu fördern, in § 4 Abs. 2 klarer zum Ausdruck zu bringen, als dies im geltenden § 4, dem Jugendpflegeparagraphen, geschehen ,ist. Aus wiederholten Beratungen über den Bundesjugendplan ist dem Hohen Hause bekannt, welche große Bedeutung dem vielseitigen Wirken der Jugendverbände zukommt. Gerade diese Gemeinschaften ergänzen in höchst begrüßenswerter Weise die Bildungsarbeit der Familie.
In diesem Zusammenhang ist es darüber hinaus ein weiteres Anliegen des Entwurfs, die Verpflichtungen aller öffentlichen Stellen, die für die Jugendwohlfahrt Verantwortung tragen, ausdrücklich anzusprechen. Das sind nicht nur die Jugendämter und die Landesjugendämter, das sind nach den Erfahrungen des letzten Jahrzehnts heute besonders auch die obersten Landesbehörden und die Bundesregierung.
Es gibt auf dem Gebiete der Jugendwohlfahrt Förderungsaufgaben, die ihrer Natur nach einer Bundesbehörde zufallen, z. B. Förderung von zentralen Institutionen, die auf Bundesebene bestehen.
Sie sind in § 16 des Entwurfs um den Ländern
auch hier entgegenzukommen - als ,,Kann"-Leistung, nicht als „Pflicht"-Leistung, aufgeführt.
Da die Durchführung dieses Gesetzes von allgemeiner politischer Bedeutung ist, fordert § 16 Abs. 2 innerhalb jeder Wahlperiode des Bundestages einen Bericht an Bundestag und Bundesrat über die Lage der Jugend und über die Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugendhilfe. Von dieser periodischen öffentlichen Berichterstattung und Prüfung der jeweiligen Situation und der sich aus ihr ergebenden Bedürfnisse versprechen wir uns eine Intensivierung der Jugendhilfe auch auf Landes- und Gemeindeebene, die durch jeden dieser Lageberichte neue Antriebe bekommen soll.
Wenn dieser § 16 des Entwurfs und auch § 14 a, der eine der bereits bestehenden tatsächlichen Lage Rechnung tragende „Soll"-Verpflichtung der Länder enthält, im ersten Durchgang nicht die Zustimmung des Bundesrates gefunden haben, so hoffe ich doch, daß hierüber im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens eine Verständigung mit dem Bundesrat möglich ist. Denn es besteht gewiß Einigkeit darüber, daß nicht nur Gemeinden, Kreise und Landesjugendämter, sondern auch die Landesregierungen und die Bundesregierung die ihnen nach Lage der Dinge jeweils zufallenden Aufgaben zur Jugendförderung erfüllen sollen. Ich brauche hier nur an die Stichworte „Landesjugendplan" und „Bundesjugendplan" zu erinnern.
Zu den drei eingangs erwähnten speziellen Fachgebieten des Entwurfs nur einige wenige Bemerkungen:
Im Abschnitt III soll das Schutzalter des Pflegekindes von 14 auf 16 Jahre erweitert werden.
Die durch das Grundgesetz geforderten gleichen Bedingungen für die gesellschaftliche Stellung der ehelichen und unehelichen Kinder waren Anlaß dafür, in den Pflegekindervorschriften Ausnahmebestimmungen für uneheliche Kinder zu beseitigen. Der in Fachkreisen dennoch für erforderlich gehaltene besondere Schutz unehelicher Kinder soll durch eine Intensivierung der amtsvormundschaftlichen Betreuung und eine Stärkung des Jugendamtes in seiner Stellung als Gemeindewaisenrat erreicht werden.
Neu ist auch die Vorschrift, daß Minderjährige im Alter von 14 bis 16 Jahren, die sich in häuslicher Gemeinschaft mit dem Arbeitgeber bzw. ihrem Lehrherrn befinden, ohne Pflegekinder im Sinne des Entwurfs zu sein, unter die Aufsicht des Jugendamtes gestellt werden können, wenn ihr Wohl es erfordert.
Die Vorschriften über die Mitwirkung des Jugendamtes im Vormundschaftswesen - Abschnitt IV des Gesetzes - sind an die zur Zeit geltenden familienrechtlichen Bestimmungen angeglichen worden.
Eine neue Vorschrift, die Mißbräuche bei der Adoption von Kindern verhindern soll, möchte ich hier besonders ansprechen. Neben dem Jugendamt soll nunmehr auch das Landesjugendamt bei Verträgen über Adoption von Kindern durch fremde l4 Staatsangehörige oder im Ausland wohnende Adoptiveltern gehört werden müssen. Das Landesjugendamt hat den größeren Überblick über die im Bundesgebiet vorhandenen Adoptivmöglichkeiten. Seine Anhörung ist, weil es in seiner Sicht nicht ortsgebunden ist, eine wertvolle Ergänzung der Anhörung des Jugendamtes und bedeutet einen stärkeren Schutz für die Kinder.
Die Neufassung des Abschnitts VI, der die Erziehungsbeistandschaft, Freiwillige Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung regelt, bezweckt in erster Linie eine engere Zusammenarbeit zwischen den Eltern und der Jugendbehörde. An die Stelle der bisherigen „Schutzaufsicht" soll die „Erziehungsbeistandschaft" treten, die weniger die Beaufsichtigung der Lebensführung des Minderjährigen als vielmehr die Unterstützung der Eltern bei der Erziehung der Kinder zum Inhalt hat.
Schließlich ist hier auch die Freiwillige Erziehungsbeihilfe nunmehr gesetzlich geregelt worden. Auch diesen Abschnitt beherrscht in der Neufassung der Grundgedanke, daß Maßnahmen im Einvernehmen mit den Eltern den Vorrang haben vor etwa notwendig werdenden Maßnahmen des Gerichts. So ist die Bestellung eines Erziehungsbeistandes durch das Vormundschaftsgericht nur anzuordnen, wenn der Erziehungsbeistand nicht durch das Jugendamt im Einvernehmen mit den Personensorgeberechtigten bestellt wird. Fürsorgeerziehung darf nicht angeordnet werden, wenn sie durch eine ausreichende andere Maßnahme, insbesondere die Freiwillige Erziehungshilfe, vermieden werden kann.
Die Voraussetzungen für die einzelnen Erziehungsmaßnahmen wurden neu gefaßt. Nur bei drohender oder bereits eingetretener Verwahrlosung ist die Anordnung der Fürsorgeerziehung zulässig. Alle anderen Maßnahmen hingegen können vorbeugend und helfend auch schon getroffen werden, wenn zwar eine Gefährdung der leiblichen, geistigen oder seelischen Entwicklung des Kindes vorliegt, aber noch keine Verwahrlosung droht. Für die Freiwillige Erziehungshilfe und die Fürsorgeerziehung soll das Schutzalter generell von 18 auf 20 Jahre erhöht werden.
In einem neuen Abschnitt VII ist neu geregelt die von allen beteiligten Kreisen dringend geforderte Heimaufsicht des Landesjugendamtes über Heime, in denen Minderjährige dauernd oder für einen Teil des Tages betreut werden oder Unterkunft erhalten. Es geht dabei vor allem um entsprechende Informationsrechte des Landesjugendamtes und darum, daß künftig bei Feststellung von Mißständen der Betrieb von Heimen untersagt werden kann. Darüber hinaus genießen alle Minderjährigen unter 16 Jahren in Heimen wie bisher den besonderen Pflegekinderschutz.
Auf intensives Drängen der Praxis ist ein besonderer Abschnitt IX über die Kostentragung bei Hilfen zur Erziehung für einzelne Minderjährige vorgesehen. Die einschlägigen Bestimmungen hierüber befinden sich bislang in der Verordnung über die Fürsorgepflicht und den hierzu ergangenen ReichsBundesminister Dr. Wuermeling
grundsätzen, an deren Stelle demnächt das zur Zeit im Hause beratene Bundessozialhilfegesetz treten soll. Die Vorschriften der Ihnen vorliegenden Novelle zum Jugendwohlfahrtsgesetz machen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe - anders als bisher - zuständig für die Übernahme von Kosten, die mit Hilfen für den einzelnen Minderjährigen verbunden sind. Sie erstrecken sich auf alle in Ausführung der Aufgaben des Jugendwohlfahrtsgesetzes möglichen Hilfen zur Erziehung in Einzelfällen, soweit der Minderjährige dieser Hilfe bedarf. Die Bestimmungen sind an die Vorschriften des Entwurfs eines Bundessozialhilfegesetzes angelehnt. Die Verpflichtung zur Gewährung von Einzelhilfen ist im allgemeinen Teil des Entwurfs in § 4 Abs. 1 Satz 2 verankert, womit einem dringenden Anliegen der Praxis Rechnung getragen wurde.
Meine Damen und Herren! Damit darf ich meine Ausführungen zur Begründung des Gesetzentwurfes abschließen, die nur einige mir besonders wichtig scheinende Punkte berühren konnten und sollten. Namens der Bundesregierung bitte ich das Hohe Haus, ,den Entwurf 'im wohlverstandenen Interesse unserer Jugend noch in dieser Wahlperiode zu verabschieden.
Gern benutze ich diese Gelegenheit, allen denen aufrichtig zu danken, die an der dreijährigen Vorbereitung des Gesetzentwurfs - neben ihrer hauptund ehrenamtlichen Berufsarbeit - im freien und behördlichen Bereich mit reicher praktischer Erfahrung und mit Rat und Tat mitgearbeitet haben mit dem Ziel, unseren Familien und unserer Jugend in unserer gerade für sie gewiß nicht leichten Zeit die heute notwendigen Hilfen zur Selbsthilfe zu geben. Ich hoffe aufrichtig, daß die vielfach bewährte menschliche und persönliche Verbundenheit, die zwischen allen denen besteht, die in unserer Jugend, mit unserer Jugend und für unsere Jugend wirken, auch hier im Hohen Hause als gemeinsame Grundlage unserer Arbeit an diesem Gesetz wirksam werde, wie ich es in meiner nun dreijährigen Tätigkeit als Bundesminister für Jugendfragen stets und überall dankbar erfahren durfte.
Über allen Meinungsverschiedenheiten in Grundsatz- wie in Einzelfragen möge der gemeinsame Wille stehen, Familie und Jugend nach besten Kräften zu fördern und in diesem Tun zugleich die Freiheit unserer Eltern und Kinder vor vermeidbarem staatlichem Zwang und behördlicher Bevormundung zu schützen. Je mehr unsere Jugendhilfe unter dem Vorzeichen recht verstandener und gewährter Freiheit steht, um so mehr wird unsere junge Generation die Freiheit auch in unserer gesamten staatlichen Ordnung werten und lieben lernen. Und das ist nicht das letzte Ziel der nun zur Beratung stehenden Vorlage.
({3})
Das Haus hat die Begründung des Gesetzentwurfs entgegengenommen. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Kemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich empfinde es als sehr glücklich, daß wir gerade in dieser Stunde ein Jugendgesetz beraten, in der die deutsche Olympiamannschaft auf der Tribüne dieses Hohen Hauses sitzt.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt den Entwurf der Bundesregierung und hat den Wunsch und auch die Absicht, dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Wir sind nicht der Meinung, daß dabei gehetzt werden muß; denn in der noch zur Verfügung stehenden Zeit läßt sich dieser Entwurf sehr wohl beraten, zumal zumindest über die rein fachlichen Abschnitte mit den Ländern und in den Fachkreisen weitgehend Einmütigkeit besteht.
Meine Fraktion begrüßt es, daß nicht nur die Einzelbestimmungen des geltenden Jugendwohlfahrtsrechts den besonderen Erfordernissen unserer Zeit angepaßt werden. Das gilt insbesondere für die Fachabschnitte des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes. Ihre Beratung kann in den Ausschüssen erfolgen; hierzu möchte ich mich jetzt in der ersten Lesung nicht äußern. Das Wesentliche scheint mir zu sein, daß das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz als Gesetz mit pädagogischem Grundgehalt ,anerkannt wird. Die Novelle versucht, durch die Herausstellung einiger für den Erziehungsraum wichtiger Grundsätze eine möglichst breite Basis für die Aufgaben der Jugendhilfe zu schaffen, insbesondere durch die Stärkung der Familie und durch die Stärkung der Träger der freien Jugendhilfe.
Die Familie ist, wie sich auch aus Art. 6 des Grundgesetzes ergibt, der natürliche Erziehungsraum für den jungen Menschen. Das Fundament der Erziehung muß daher die Familie sein, nicht bloß, weil sie ein Recht darauf besitzt, sondern weil die gesunde, natürliche Erziehung in der Familie auch im öffentlichen Interesse liegt. Deshalb muß die Hilfe für die Kinder in erster Linie eine Hilfe für die Familie sein. Der Entwurf staffelt daher folgerichtig die Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe im Hinblick auf das Elternhaus wie folgt: 1. Beratung und Unterstützung der Eltern, 2. zusätzliche Hilfen in Zusammenarbeit mit den Eltern und 3. nur in extremen Fällen eine Ersatzerziehung und die Anwendung von Zwangsmitteln, aber auch selbst dann keine völlige Ausschaltung der natürlichen Erzieher.
({1})
Es erscheint besonders wichtig, daß die Familie bei allen Maßnahmen der öffentlichen Jugendhilfe stets zu beteiligen ist und daß das Recht der Eltern, die Grundrichtung der Erziehung des Kindes zu bestimmen, unbedingt gewährleistet sein muß.
({2})
Die Auffassung des Bundesrats, dieser ausdrückliche Hinweis auf das Elternrecht sei überflüssig, weil es schon im Art. 6 des Grundgesetzes verankert sei, vermag sich meine Fraktion nicht zu
eigen zu machen. In den Ausschüssen werden wir Gelegenheit haben, uns mit diesen Fragen im einzelnen auseinanderzusetzen.
Ich komme nun wohl zu dem umstrittensten Punkt des Gesetzes, nämlich dem Verhältnis der öffentlichen zur freien Jugendhilfe und Jugendarbeit. Was steht darüber im Entwurf? Es wird lediglich gesagt, daß überall dort, wo geeignete freie Kräfte am Werk sind, ihnen der Vorrang vor der unmittelbaren Tätigkeit der öffentlichen Hand eingeräumt werden muß.
({3})
Das ist schon geltendes Recht. Der Herr Bundesminister hat bereits auf die amtliche Begründung zu dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 verwiesen. Wir haben ja unter uns zwei ganz besonders wichtige Vertreterinnen der Generation, die damals im alten deutschen Reichstag dieses Gesetz geschaffen hat: unsere Frau Kollegin Weber und unsere verehrte Alterspräsidentin Frau Dr. Lüders.
({4})
Der Herr Minister hat auch auf die Entschließung des Bundestages im Jahr 1953 hingewiesen, bei der wir uns nicht ganz einig waren; Frau Kollegin Schanzenbach, Sie haben ja damals eine sehr heftige Rede gegen diese Entschließung gehalten. Meine Damen und Herren, wäre die Praxis allenthalben dem Willen des Gesetzgebers gefolgt, so wären die erläuternden Bestimmungen wahrscheinlich gar nicht nötig gewesen.
({5})
Aus der Praxis und aus den verschiedenen Äußerungen und Veröffentlichungen ergibt sich nämlich, daß von der Linie, die das schon jetzt geltende Gesetz zwingend vorschreibt, in vielen Fällen bewußt abgewichen wird. So hat z. B. Frau Senatorin Mevissen im Bundesrat beim ersten Durchgang des Gesetzes unter anderem wörtlich erklärt:
Der Art. II des Entwurfs sieht die völlige Umkehrung des Verhältnisses zwischen den Trägern der öffentlichen und der freien Jugendhilfe vor und weist den Trägern der freien Jugendhilfe bewußt einen Vorrang gegenüber den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe zu.
Das heißt: Frau Senatorin Mevissen liest aus dem jetzt geltenden Gesetz genau das Gegenteil von dem heraus, was zu diesem Punkt eigentlich drinsteht.
Der Senator Dr. Nevermann in Hamburg hat vor der Hamburger Bürgerschaft folgende Grundsatzerklärung abgegeben:
Das Prinzip der Subsidiarität soll den Kollektivismus verhindern und die freie Persönlichkeit schützen. Dies tut aber die Kommunalpolitik in einer freien demokratischen Gemeinde selbst. In der Demokratie verliert daher das Prinzip der Subsidiarität seinen Inhalt .und damit seine Notwendigkeit.
({6})
Das kommt gleich. In der Grundsatzerklärung heißt es weiter:
Die sozialdemokratische Kommunalpolitik sollte bei aller Anerkennung der Einzelverbände klar und eindeutig Verantwortung und Hauptanteil den Städten und Gemeinden zuweisen, wenn es sich um die Ausfüllung des sozialen Rechtsstaats handelt.
({7})
Auf der gleichen Linie liegen Erklärungen, die der Herr Bürgermeister Brauer und andere führende Sozialdemokraten abgegeben haben.
({8})
Meine Fraktion begrüßt es, daß um solchen eklatanten Mißdeutungen des Gesetzes vorzubeugen, hinsichtlich des Verhältnisses der öffentlichen zu den freien Trägern ein für allemal Klarheit geschaffen wird.
({9})
Dagegen bedauere ich es, daß der immer wieder geforderte Aufgabenkatalog, der in den Vorentwürfen auch formuliert war, nunmehr in der Novelle nicht mehr enthalten ist. Der Katalog, der die Aufgaben des Sports, der Verbände, der freien Jugendhilfe usw. enthält, ist in die Novelle leider nicht mit aufgenommen worden. Der Herr Minister hat darauf hingewiesen, daß im Einvernehmen mit den Ländern der bis ins einzelne erarbeitete Aufgabenkatalog einer Rechtsverordnung überlassen bleiben solle. Ich persönlich empfinde das als einen Mangel. Ich weiß, daß der Herr Minister und sein Haus diesen Katalog sehr gern mit in den Entwurf aufgenommen hätten, wenn nur die geringste Chance bestanden hätte, den Gesetzentwurf dann mit einiger Sicherheit über die Hürden des Bundesrates zu bringen.
({10})
Wir werden in den Ausschußberatungen sehr eingehend prüfen müssen, meine Damen und Herren, ob und inwieweit der Aufgabenkatalog nicht doch noch im Gesetz selbst verankert werden sollte.
({11})
Wenn die Regelung dieser Materie einer Rechtsverordnung überlassen würde, wäre dieses Hohe Haus bei der Gestaltung des Inhalts dieses für die Jugendpflege und Jugendarbeit außerordentlich bedeutsamen Aufgabenkatalogs einfach ausgeschaltet, da die Rechtsverordnung lediglich zwischen Bundesregierung und Bundesrat abgestimmt wird.
Der Entwurf enthält in den §§ 14, 16 und 17 auch Aufgaben der obersten Jugendbehörden der Länder und der Bundesregierung. Ich begrüße es im Namen meiner Fraktion, daß diese Aufgaben im Entwurf genannt und gegeneinander abgegrenzt worden sind. Zwar hält der Bundesrat eine gesetzliche Regelung insoweit für überflüssig. Meiner Überzeugung nach ist es aber besonders zu begrüßen, daß die Novelle nicht nur die Aufgaben auf der Ortsebene berücksichtigt, sondern in Würdigung der umfassenKemmer
den Bedeutung, die die Jugendarbeit auf allen Ebenen bis zur Bundesebene hin erlangt hat, die gesetzlichen Konsequenzen zieht.
({12})
Der vielseitig geäußerte Wunsch, besondere Finanzierungswege für das Jugendwohlfahrtsgesetz festzulegen, hat sich in dem Entwurf leider nicht verwirklichen lassen, und zwar aus denselben Gründen, aus denen auch der Aufgabenkatalog nicht in den Gesetzentwurf hat aufgenommen werden können. Es ist richtig, daß nur schwer neue Finanzierungswege zu finden sind, solange die Aufgaben der Jugendhilfe reine Selbstverwaltungsaufgaben der Gemeinden sind. Angesichts der Bedeutung, die der Jugendarbeit zukommt - diese hat das gesamte Hohe Haus immer wieder bejaht -, werden wir in den Ausschüssen und auch hier im Plenum ernsthaft prüfen müssen, ob nicht doch zusätzliche finanzielle Hilfen ermöglicht werden können.
Meine Damen und Herren, ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß dieses Gesetz trotz der sehr unterschiedlichen Auffassungen, die wir gerade in den wichtigsten Punkten haben, in einer guten Atmosphäre beraten und noch in diesem Bundestag verabschiedet werden kann.
Namens meiner Fraktion beantrage ich Überweisung an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen - federführend - und an den Ausschuß für Kommunalpolitik - mitberatend -.
({13})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Keilhack.
Meine Herren und Damen! Sie, Herr Minister, haben dem Hohen Hause nach jahrelanger Diskussion in Fachorganisationen und in der Öffentlichkeit über eine moderne, umfassende, neue Jugendgesetzgebung, die das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz aus dem Jahre 1922 ersetzen und verbessern sollte, nun die Drucksache 2226, die hier zur Debatte steht, vorgelegt, also wieder einmal eine Novelle - die zweite Novelle zum RJWG -, die wesentliche Bestimmungen des alten Gesetzes ändert, ohne auch nur einigermaßen die Erwartungen und Anforderungen unserer jungen Generation zu erfüllen.
Den Kern des Gesetzes, Herr Minister, bilden doch auch nach Ihrer Absicht die §§ 4 und 4 a. Doch nur um dieser Paragraphen willen haben Sie die sich nach den intensiven Diskussionen und Anregungen draußen bereits abzeichnenden Umrisse eines wirklich modernen und umfassenden Jugendhilfegesetzes fallengelassen und sich im übrigen wieder einmal mit einem Flicken auf einem alten Kleid begnügt.
({0})
- Ich darf es Ihnen erklären, Frau Dr. Weber. Herr
Minister, um die §§ 4 und 4 a zu rechtfertigen, pirschen Sie sich - zugegeben, in großen Umwegen - an diese Novelle heran.
({1})
Sie entwickeln dafür eigens eine Theorie vom „Wächteramt" des Staates, wie aus Ihren Erklärungen und Begründungen zu dem Gesetz hervorgeht. Sie gestatten diesem „Wächter" freundlicherweise, daß er ins Horn bläst, wenn es irgendwo brennt, damit sich dann die Löschhelfer - hoffentlich - einfinden. Sie wollen diesem Wächter - diesem Nachtwächter, möchte ich sagen ({2})
nicht gestatten, selber die Feuerwehr zu sein, wollen nicht, daß er selbst aus seiner Verpflichtung heraus Notstände bekämpft oder ihnen vorbeugend entgegentritt.
({3})
- W i r möchten es aber, Frau Dr. Weber!
({4})
Dieser soziale Rechtsstaat - er ist es, in dem wir heute leben, den Sie auf diese Weise köpfen wollen ({5})
wird in dieser Novelle vertreten durch die Gemeinden, durch die Kommunen, in denen der Bürger im Rahmen der Selbstverwaltung in einer übersehbaren Möglichkeit der Mitwirkung unmittelbar Einfluß nimmt oder mindestens nehmen kann, ohne Unterschied und in gleicher Weise.
({6})
Diesen Einrichtungen der kommunalen Selbstverwaltung wollen Sie also nach diesem Gesetz lediglich ein Wächteramt zubilligen. Von dieser Konstruktion, die Sie sich gebaut haben, kommen Sie dann hin zur „Position des Bürgers als selbständiger, sittlich verantwortlicher Persönlichkeit",
({7})
die eigentlich gerade in der gemeindlichen Selbstverwaltung voll zum Zuge kommt, aber Sie tun es nur und ausschließlich zu dem Zweck, Ihre Auslegung von Subsidiarität, die bei Ihnen eine Rangfolge in Staat und Gesellschaft bedeutet, für das Gebiet der Jugenderziehung zu rechtfertigen.
({8})
Die Schlußfolgerung, Frau Dr. Weber, aus dieser Gedankenkonstruktion ist, daß die Kernparagraphen dieser Novelle, die §§ 4 und 4 a, wie Sie dann sagen - wir wollen da ganz offen sein -,
({9})
eine „Fortentwicklung" der Auffassung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes von 1922 seien. Um viele
7730 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 135. Sitzung. Bonn, Freitag, cien 9. Dezember 1960
andere Bestimmungen brauchen wir uns bei dieser Novelle überhaupt nicht zu streiten, oder wir können sie in guter und hoffentlich auch fruchtbarer Diskussion im Ausschuß durchaus zu einem guten Ende bringen. Aber ich muß sagen, Herr Minister, mit den §§ 4 und 4 a haben Sie wirklich eine bessere Akrobatik vollbracht.
({10})
Diese Behauptung, das sei eine „Fortentwicklung", meine Herren und Damen, Herr Minister, ist etwa mit der Behauptung zu vergleichen, daß die Farbe schwarz eine Fortentwicklung der Farbe weiß sei.
({11})
Damit will ich - das möchte ich betonen - nichts in das Gesetz hineindeutein.
({12})
Ich meine, daß Ihre Auslegung Sinn und Text des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes von 1922 nicht fortentwickelt, sondern total auf den Kopf stellt.
({13})
- Darauf kommt es sicher an, aber dieser Betrachter muß ja die Möglichkeit haben, auch einmal seinen Standpunkt darzulegen.
({14})
Meine Herren und Damen, auch unsere Meinung ist es, daß das RJWG alt ist. Es ist 1922 unter ganz anderen Umständen gemacht worden - und tatsächlich in sehr vielem überholt. Es wäre also sehr verdienstvoll, es durch ein modernes, durchdachtes und zeitgemäßes Jugendgesetz zu ersetzen oder wenigstens zu verändern.
Die jetzt jedoch von Ihnen postulierte Rangfolge, Herr Minister, d. h. der Vorrang der freien Arbeit vor der öffentlichen, der kommunalen Jugendhilfe mit dem Rechtsanspruch der freien Verbände, der freien Träger auf Subventionierung durch die Länder und Gemeinden, ist weder aus dem Text noch aus dem Geist, aus dem heraus damals das Gesetz gestaltet worden ist, zu begründen.
({15})
- Das ist eine sehr freie Auslegung von „Fortentwicklung".
({16})
Meine Herren und Damen, da sich die Begründung dieses Gesetzes sehr auf das alte RJWG beruft, waren wir, wahrscheinlich alle, die wir heute morgen hier beraten, gehalten, die Debatten um das RJWG im damaligen Reichstag in den Protokollen nachzulesen. Das habe ich auch getan. Wenn Sie
nichts anderes überzeugt, Herr Minister, überzeugt Sie vielleicht eine Redepassage aus der damaligen Aussprache, die deutlich macht, daß Sie das damals Gemeinte völlig falsch interpretieren.
({17})
Ich greife aus einer Rede von Frau Neuhaus etwas heraus. Man kann mit Zitaten trefflich streiten; ich weiß es. Herr Minister, Sie haben es auch versucht. Aber ich glaube, daß ich dieses Zitat sinngemäß aus der Gesamtrede herausgenommen habe. Ich bemühe mich, hier keine demagogischen Beweise zu bringen, sondern die Zitate so anzuführen, daß sie das Gemeinte richtig wiedergeben. Frau Neuhaus war damals offenbar eine der aktiven Mitarbeiterinnen an diesem Gesetz.
({18})
- Sie wissen es, Frau Dr. Weber.
Frau Neuhaus hat damals gesagt:
Wenn das Gesetz die Jugendfürsorge in ihrem
ganzen Umfang auf behördlichen Boden stellt,
- das war damals das Neue so doch keineswegs in der Art, daß es die freie Wohlfahrtspflege verdrängt.
- verdrängen könnte, das war es, wovor damals die freien Träger Angst hatten, was sie infolge der vollen Umstellung der freien auf die öffentliche Verpflichtung befürchteten. Im Gegenteil,
- sagt Frau Neuhaus es verbindet vielmehr Behörden und freie Wohlfahrtspflege zu einem Ganzen und stellt sie vereint und geschlossen und darum in voller Wirkungsmöglichkeit in den Dienst unserer Jugend.
Beachten Sie dann bitte den folgenden Satz. Sie sagt:
Das ist die Tendenz, die durch das ganze Gesetz geht. Man müßte schon das Gesetz, ich möchte fast sagen: böswillig vergewaltigen, wenn man diese Zusammenarbeit ausschließen wollte.
({19})
Die Verpflichtung zur Zusammenarbeit, zur Heranziehung der freien Kräfte wurde nicht nur aus der Erkenntnis der Notwendigkeit - der wir uns voll anschließen -, auf keine Mitarbeit aus Organisationen und aus Verbänden zu verzichten, geschaffen, sondern auch, um die auf die öffentlichen Einrichtungen verpflichtend neu übertragenen und vielfachen Aufgaben aus finanziellen Gründen - es war damals Inflation, Sie wissen es sehr genau - zu begrenzen. Deshalb ist damals z. B. auch der § 4 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes als Kann-Aufgabe fixiert worden, und deshalb hat man dort den Begriff „gegebenenfalls" hineingebracht. Man wollte die gemeindliche Pflicht zur Schaffung von Einrichtungen und Veranstaltungen auf jugendpfleFrau Keilhack
gerischem Gebiet begrenzen, um nicht einen Sturm von Anforderungen auf die Gemeinden zukommen zu lassen. Dieser Paragraph ist also nicht so zu verstehen, daß damit eine Nachrangigkeit der öffentlichen Jugendhilfe festgelegt werden sollte, wie Sie es jetzt auslegen und wie es aus dem Text und dem Sinn Ihrer Novelle, mindestens der §§ 4 und 4 a - denn das sind ja die Ausgangspunkte für die anderen Regelungen - hervorgeht. Hier liegt der Grund für die Verschiedenheit der Betrachtungsweise. Ich behaupte, daß unsere der sachlichen Situation von damals voll entspricht.
Der § 6 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes bestätigt übrigens ebenfalls, was ich von der damaligen Sachlage gesagt habe. Er besagt - genau wie es damals in den Reden zum Ausdruck gebracht wurde -, daß die freien Kräfte zur Mitarbeit heranzuziehen sind und auf ein planvolles Miteinander aller Organe und Einrichtungen hinzuwirken ist. Das ist das Vernünftigste und auch das bisher Praktizierte. Diese gute Zusammenarbeit ist, wenn Ihre Novelle so in Kraft treten sollte, wie sie vorliegt, in Gefahr, unheilbar zerstört zu werden. Davor warne ich alle hier im Hause.
Herr Minister, auch Ihre Interpretation des Elternrechts, dessen Wahrung nach Ihrer Ansicht die in Ihrem Gesetz fixierte Vorrangigkeit der freien Jugendpflege begründet, ist absolut willkürlich und weder aus einer Bestimmung des Grundgesetzes noch aus anderen bestehenden Gesetzen abzuleiten.
Mit dieser Novelle, Herr Minister, verzichten Sie außerdem für absehbare Zeit auf das von allen Seiten geforderte moderne und umfassende Jugendhilfegesetz.
({20})
Ich möchte noch einmal, damit Sie sich alle der Tragweite der Wirkung dieses Gesetzes - dessen Bedeutung leider Gottes nur in Fachkreisen voll erkannt wird - bewußt sind, deutlich machen: Sie verzichten wieder auf nachhaltige Bemühungen um Finanzhilfe für die Städte und Kommunen für die Jugendhilfe, die es möglich machen würde, daß zunächst einmal wenigstens die bisher schon bestehenden gesetzlichen Bestimmungen voll ausgeschöpft werden können. Herr Kemmer, Sie haben das berührt und gesagt, man müsse sich jetzt wirklich einmal bemühen, die Jugendhilfe in den Gemeinden finanziell möglich zu machen. Sie vertreten hier absolut die Meinung der Mehrheit. Sie haben seit 1953, seit der letzten Novelle, 7 Jahre Zeit dazu gehabt.
({21})
Warum haben Sie es bisher nie versucht? Hätten
Sie es getan, manche Dinge wären uns erspart geblieben, auch diese völlig unzulängliche Novelle.
({22})
Auch in der jetzigen Novelle wird alles Deklaration bleiben, wenn Sie sich nicht um zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten für eine bessere Jugendhilfe bemühen.
Sie, Herr Minister, sichern in dieser Novelle nicht einmal den Rechtsanspruch für die materielle Minderjährigenhilfe, der bisher nach den Reichsgrundsätzen bestanden hat und der beim Sozialhilfegesetzentwurf ausdrücklich zur Regelung in dem erwarteten Jugenhilfegesetz ausgeklammert worden ist. Sie haben - das möchte ich Ihnen noch einmal ganz besonders vor Augen führen - die vordringlichen, für alle jungen Menschen entscheidend wichtigen Bestimmungen für allgemeine Berufsausbildungs-und Erziehungsbeihilfen, die allein ihnen allen gleiche Start- und Aufstiegschancen in ihrem Lebenskampfe sichern, völlig aus Ihrem Gesetzentwurf ausgeklammert, im Gegensatz zu Ihrem Vorhaben in den etlichen Entwürfen, die dieser Novelle vorausgegangen sind und die Sie nicht einbringen konnten, weil Sie im Kabinett damit nicht durchkamen. Sie verzichten also in dieser Novelle völlig auf die Regelung allgemeiner Berufsausbildungs-und Erziehungsbeihilfen - heute und hier das Allernotwendigste für die Jugend -, die auch der Bundestag auf Antrag der SPD-Fraktion vor zwei Jahren gefordert hat.
Ich finde nebenbei, daß es eine kolossale Mißachtung des Willens des Bundestages ist,
({23})
darauf überhaupt nicht einzugehen und uns diesen Gesetzentwurf hier vorzulegen.
Selbst die fürsorgerischen Bestimmungen in dieser Novelle, Herr Minister, sind zu einem sehr großen Teil völlig unzulänglich formuliert oder in ihrer Auswirkung so unzeitgemäß, daß man darüber allenfalls vor zehn Jahren einmal hätte diskutieren können; und in der Hast bei der Abfassung .dieser Novelle haben Sie die notwendige Neuformulierung des § 1 sowieso vergessen, der ja nur Idas Recht des Kindes und nicht das Recht des jungen Menschen, des Heranwachsenden also, fixiert. Sie haben das vollkommen unterlassen und damit den textierten Anspruch dieser Altersgruppen an das RJWG praktisch ohne Wirkung gelassen. Ich glaube, Sie wissen ,das auch selbst. Nebenbei sei bemerkt, daß der gesamte § 1 in der bestehenden Formulierung kaum mehr als einen programmatischen Anspruch zugesteht, während er doch zu einem durchsetzbaren Recht hätte gemacht werden müssen. Auch das haben Sie versäumt.
Zu dem Gesetz im ganzen möchte ich noch einmal sagen, daß es der Forderung - die die gesamte an der Jugendpolitik interessierte Öffentlichkeit seit 1949 an 'das Parlament und die Regierung gerichtet hat - und insbesondere natürlich der Forderung all derer, 'die mit 'der Jugend fachlich zu tun haben - ein lebendiges Jugendamt
({24})
zu begründen und zu entwickeln, den Todesstoß versetzt.
({25})
Denn mit diesem Gesetzentwurf lassen Sie die Jugendämter, die das Herz der Jugendpolitik in den
Gemeinden und also auch in der Bundesrepublik sein sollten, total einschrumpfen.
({26})
Herr Minister, bei dieser Gesamtbetrachtung möchte ich Sie fragen: kommt das alles eigentlich daher, ,daß sie vor Ablauf Ihrer Ministertätigkeit draußen unbedingt noch etwas vorzeigen mußten?
({27})
Ich glaube, ,daß Sie sehr wenig Freude ran diesem Gesetzentwurf haben werden, wenn Sie versuchen, ihn im Ausschuß gegen eine große Minderheit durchzupeitschen.
({28})
- Sie können ja später dazu reden, Herr Schütz.
Warum wollen Sie 'eigentlich diese Auseinandersetzungen und ,diese Unstimmigkeiten auf einem Gebiet heraufbeschwören, auf dem auch nach Ihren eigenen Angaben - Sie haben es in Ihrer Rede noch einmal gesagt - nur wirklich loyale, faire und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen ,allen Einrichtungen, zwischen allen Parteien und zwischen allen Weltanschauungen der Jugend überhaupt helfen kann?
Ich möchte dazu noch ergänzend bemerken, daß Sie, Herr Minister, diese Meinung auch einmal in einem Brief an mich vertreten haben, als wir über eine bestimmte Sache aus Ihrem Ministerium polemisierten. Sie sagten, Sie hätten doch immer großen Wert darauf gelegt, im Ausschuß vor allem auch mit der Opposition gut zusammenzuarbeiten, und Sie wollten das auch künftig tun.- Ich hoffe, daß sich das bei den Beratungen dieses Gesetzes auch wirklich bemerkbar macht. Der explosive Inhalt dieses Gesetzentwurfs jedenfalls bewirkt das Gegenteil von Zusammenarbeit.
({29})
- Sie mögen vielleicht 'darüber lächeln; es ist aber leider so, wie Sie wahrscheinlich aus den Meinungsäußerungen 2. B. der kommunalen Spitzenverbände und auch der Ausschüsse ides Bundesrates inzwischen gemerkt haben.
({30})
Die Grundhaltung dieses Gesetzentwurfs, meine Herren und Damen, drückt eine Mißachtung und eine Unterbewertung der hervorragenden, ideenreichen und selbstlosen Arbeit der Männer und Frauen der öffentlichen Jugendarbeit in Ländern und Gemeinden aus, die ihre Fähigkeiten weit über einen gewöhnlichen Arbeitstag hinaus aus Hinneigung zur Jugend zur Verfügung stellten und versuchten, unsere Jugend zur Entfaltung ihrer individuellen Fähigkeiten und zur mitbürgerlichen Gesinnung zu erziehen.
({31})
Dieser Gesetzentwurf, Herr Minister, belohnt die vielfältige ehrenamtliche Arbeit der Stadtverordneten und Gemeindevertreter für die Bemühungen
schlecht, die sie auf sich nehmen, um aus dem, wie Sie alle wissen, immer sehr knapp gefüllten Haushaltssäckel der Kommunen und Kommunalverbände für die Jugend in ihren Dörfern, Kreisen und Städten vorbildliche Einrichtungen zu schaffen. Diese ehrenamtlichen Helfer sorgen dafür, daß familienergänzende Einrichtungen und solche geschaffen werden, die den Bildungs- und Gestaltungswillen der Jugend anregen, daß Räume für ihre Gruppenarbeit zur Verfügung gestellt werden, sorgen dafür, daß die Jugendlichen aus den verrauchten Wirtshäusern herauskommen und von der Straße gebracht werden.
({32})
- Ich komme darauf zurück! - Städte wie Frankfurt, Mannheim, München, Nürnberg, Kassel, Han-. nover, Bremen, Berlin und Hamburg mögen für alle die Gemeinden und Städte genannt sein, in denen aller Einfallsreichtum darauf verwandt wird, durch eine moderne öffentliche Jugendhilfe im Zusammenwirken mit allen auf diesem Gebiet Tätigen, natürlich vor allem den freien Kräften, den jungen Menschen zu dienen.
Ich frage Sie aus Anlaß der Beratung dieser Novelle: Ist denn das Feld dieser Arbeit für die Jugend nicht so groß, daß alle willigen Menschen, alle willigen Organisationen und Institutionen reichlich Betätigung finden auch ohne Deklarierung der Voroder Nachrangigkeit? Und wo, Herr Memmel, ist dieses Bestreben gehindert oder nicht auch durch öffentliche Mittel gefördert worden?
Im übrigen kommen von den freien Trägern auch keine oder nur sehr belanglose Klagen. Wie könnten sie aus innerstem Herzen wünschen, daß die Last der Verpflichtung, die ihnen in möglicher Erfüllung der Rechtsansprüche an Jugendhilfe aus diesem Gesetz aufgebürdet werden soll, auf sie zukommt? Sie können es nicht wünschen, denn diese Last werden sie im Grunde genommen gar nicht tragen können oder gar tragen wollen. Meine Herren und Damen, diese freien Verbände werden doch mit der Novelle um ihre eigentlichen Aufgaben gebracht, nämlich ihre Arbeitsgebiete nach Art und Umfang selbst zu bestimmen, und zwar da, wo sie sie - insbesondere rechtlich ungebunden - auch suchen wollen und sollen. Sie müssen vor allen Dingen auch da wirken können, wo die öffentliche Jugendhilfe die gesetzlichen Grenzen beachten muß. Hier handelt es sich um eine notwendige und menschlich und gesellschaftlich wichtige und unübertragbare Aufgabe, die ihnen erhalten bleiben muß, wenn sie funktionsfähig sein sollen. Wir wollen uns doch alle nichts vormachen, denn hier ist gar kein schuldhaftes Verhalten die Ursache. Wie steht es denn schon heute bei den freien Trägern um die Mitarbeiter und Mitglieder in ihren Organisationen und in ihren Verbänden? Sie werden doch zum allergrößten Teil nur durch die Maßnahmen der öffentlichen Jugendhilfe fähig gemacht, ihre Funktion in den freien Trägerorganisationen zu erfüllen, vergessen Sie das doch nicht!
({33})
Es wird eine Gefährdung der besonderen Arbeitsgebiete der freien Trägerorganisationen und für diese eine Überforderung - auch ihrer Organisationskörper - durch die Verpflichtung aus Zuwendungen der öffentlichen Mittel entstehen, eine Verpflichtung, die aus den gebundenen Verwendungszwecken und den Abrechnungsverfahren infolge der strengen Richtlinien erwächst, denen sie sich natürlich alle unterwerfen müssen.
Wir wissen das alle. Wir haben Erfahrungen mit dem Bundesjugendplan. Wir wollen das hier gar nicht breittreten. Aber für uns, die wir in diesem Fach zu Hause sind, machen diese Erfahrungen deutlich, daß viele freie Organisationen sowohl hinsichtlich der an sie gestellten jugenderzieherischen Aufgaben als auch in verwaltungsmäßiger Hinsicht schon eindeutig überfordert sind. Wir haben uns - mindestens die Mitglieder des Ausschusses für Familien- und Jugendfragen - gerade in den letzten Jahren nicht wenig Sorgen gemacht und uns sehr bemüht, ihnen diese Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, sie durch die öffentlichen Subventionen, die sie gerade in den letzten Jahren durch den Bundesjugendplan verhältnismäßig reichlich bekommen haben,
({34})
nicht zu verbürokratisieren, Frau Dr. Weber, ({35})
oder, wenn ich es noch deutlicher sagen darf, nicht zu korrumpieren. Wir wissen alle, was das heißt.
({36})
- Wir wollen alle vor unserer eigenen Tür kehren. Wir wollen uns hier nicht darüber auseinandersetzen. Wir schließen uns und die uns befreundeten Verbände gar nicht aus.
({37})
Es kommt darauf an, Tatsachen festzustellen, die wir sehen müssen, wenn wir ein solches Gesetz machen wollen.
({38})
Ich darf meinen Gedanken weiter ausführen. Herr Minister Wuermeling, sie, die Verbände selber, werden diese Sorgen mehr oder minder stark haben und auch zum Ausdruck bringen, denn - das ist doch völlig klar - sie werden bei immer größeren Anteilen öffentlicher Mittel noch stärker nach Richtlinien arbeiten und rechnen müssen und noch weniger frei sein für ihre selbstgewählten Aufgaben.
Ich möchte zur Erhärtung meiner Auffassung noch ein Beispiel vortragen. Herr Minister, Sie haben dem Bundesjugendring zur Zeit die Mittel gesperrt, was für den Bundesjugendring bedeutet, daß er möglicherweise mit seiner ganzen Organisation kopfüber geht, und zwar deshalb, weil der Bundesjugendring - ich lasse dahingestellt, aus welchem Grunde - die Richtlinien nicht einhalten konnte, die er innezuhalten oder auf deren Innehaltung zu achten er verpflichtet ist. Sie haben deshalb mit
dein Entzug der öffentlichen Gelder geantwortet. Ich lasse dahingestellt, ob das gerade die richtige Methode ist, ob man vom Ministerium aus dem Bundesjugendring nicht mit Rat und Hilfe über die Schwierigkeiten hätte hinweghelfen können. Ich nenne dies Beispiel nur, weil es ein Beispiel ist für die Gefahren, die jedem freien Verband drohen, der so wesentlich durch Subventionsmittel erhalten wird. Es droht die Gefahr, daß er seine Arbeit, die nach den Richtlinien über diese öffentlichen Mittel kanalisiert wird, nicht genügend nach seiner Vorstellung oder überhaupt so nicht machen kann, da er ein völlig anderes Aufgabengebiet gewählt hatte. Das wollte ich besonders deutlich machen. So ist es beim Bundesjugendring geschehen, und es ist auch schon einigen anderen freien Einrichtungen widerfahren.
Wenn ich Ihre Erinnerung auffrischen darf: Wir haben vor etwa einem Jahr mit den großen Verbänden der evangelischen und katholischen, sozialistischen und paritätischen Richtungen mit dem Ausschuß für Familien- und Jugendfragen und Haushaltsausschuß zusammengesessen, um zu versuchen, diese entsetzlichen und sie verbürokratisierenden Schwierigkeiten durch die Richtlinien aus der Welt zu schaffen, damit sie überhaupt weiter eine lebendige Arbeit leisten können. Sie wissen, daß wir uns immer wieder über die Anwendung des § 64 a der Reichshaushaltsordnung unterhalten haben, damit die Rechnungshofkontrolle in diesen Verbänden, die besonders beweglich, nämlich nahe am Menschen, arbeiten müssen, ausgesetzt oder erleichtert werden kann. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam und möchte diese Schwierigkeiten auch als möglichen künftigen Aspekt vor Augen der freien Träger stellen. Die Aufgaben werden natürlich immer verpflichtender für die Empfänger, je mehr sie von öffentlichen Mitteln leben.
Ich möchte noch ein Argument anführen, das Sie hoffentlich alle etwas beeindrucken wird. Die Verbände erfassen doch nur zirka 20 bis 25 Prozent aller Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 25 Jahren.
({39})
Ich glaube, daß die Elternmitgliedschaften in den Wohlfahrtsverbänden diesen Prozentsatz noch nicht einmal erreichen. Verehrte Frau Dr. Weber, wer verschafft denn den anderen, die nicht hier organisiert sind, die Erfüllung ihres Anspruches aus dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, wenn er nur über die Verbände realisiert werden kann?
({40})
- Doch, das sagt er.
({41})
- Jedenfalls ist es daraus herzuleiten, und es ist jedenfalls nur der gute Wille der Verbände, wenn sie es nicht in dieser Weise realisieren wollen.
({42})
Wo bleibt das Recht dieser Eltern, meine Herren und Damen, die eventuell nicht verbandseigene Einrichtungen für ihre Kinder verlangen? Deren Ansprüche können doch nach der Sachlage nur von den Kommunen, nur von ihren Gemeinden erfüllt werden. Diese dürfen aber nach diesem Gesetz - und ich bitte Sie, Frau Dr. Weber, das Gesetz mit seinen Erläuterungen genau durchzusehen - nur über die freien Einrichtungen und eventuell, wenn diese überhaupt nicht schalten oder nicht wollen oder verzichten, nachrangig nach ihnen in Aktion treten.
({43})
Ich frage Sie, meine Herren und Damen: Ist diese Konstruktion nicht einfach absurd? Entspricht sie den Notwendigkeiten der Wirklichkeit, in der wir in diesem Staat leben?
Aber nicht nur der Anspruch der Eltern auf Gleichbehandlung nach dem Grundgesetz wird durch diese Konstruktion absolut verletzt, es wird auch der Anspruch der jungen Menschen auf Gleichbehandlung insoweit verletzt, als die Mitglieder der verschiedenen Organisationen quantitativ und qualitativ unterschiedliche Chancen in der Jugendhilfe bekommen, da die Einrichtungen und Veranstaltungen der freien Träger, der Verbände also, von dem selbst aufgebrachten Eigengeld abhängen. Die Folge ist also, daß reiche Verbände mit öffentlichen Mitteln gut ausgestattete Einrichtungen und Veranstaltungen - wohlgemerkt: mit Steuergeldern aller Bürger - schaffen können, während die armen Organisationen dazu - auch nicht in ähnlichem Maße
- nicht in der Lage sind, eine Erscheinung übrigens, die heute schon gang und gäbe ist und die eine absolute Ungerechtigkeit darstellt.
({44})
- Ich will überhaupt keine Nivellierung. Ich will die gleichen Chancen aller jungen Menschen und auch aller Eltern.
({45})
Ich kann mir auch nicht vorstellen - ich muß das aus den Zwischenrufen beinahe entnehmen -, daß Sie das auch nicht wollen. Das läßt sich meiner Ansicht nach auch mit dem Grundgesetz absolut nicht vereinbaren. Das möchte ich zu diesem Teil, ich will einmal sagen, zum pädagogischen Teil, über die Förderung der Jugend sagen.
Damit ist aber meine Kritik nicht erschöpft. Ich komme auf einige Rechtsüberlegungen, meine Herren und Damen, die ich Sie bitte, genau zur Kenntnis zu nehmen; sie haben übrigens auch bei der Ablehnung durch den Rechts- und Innenausschuß des Bundesrates im Mittelpunkt gestanden. Es ist durchaus berechtigt, daß man hier allgemein nach der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Jugendpflege gefragt hat. Es ist nicht gesagt, daß die Novelle von 1953 bier etwas präjudiziert hat. Wo kein Kläger ist, ist kein Richter. Das muß also durchaus nicht für alle Zeiten so sein. Sie kennen die Haltung
der kommunalen Spitzenverbände. Ich glaube nicht, daß diese die Novelle als zweiten Präzedenzfall so über die Bühne gehen lassen werden; sie muß also geändert werden. Es wird sicher eine Menge Rechtsgutachten geben, die eine erhebliche und, wie ich glaube, auch für uns als Parlamentarier verbindliche Aussagekraft haben; sie müssen wir im Ausschuß erörtern.
Die §§ 4 und 4a, die ich eben vom Gehalt her kritisiert habe, werfen aber auch rechtlich gesehen umstrittene Kompetenzfragen auf. Sie haben minde-siens erhebliche Eingriffe in die Haushaltspolitik der Gemeinden zur Folge. Deshalb muß auch hier eine Klärung durch Gutachten erfolgen. Das gleiche trifft für die §§ 16 und 17 zu. Sie vertragen sich ganz offensichtlich nicht mit dem Art. 83 des Grundgesetzes. Deshalb müssen auch deswegen eingehende rechtliche Überlegungen angestellt werden.
Mir scheint auch die gesetzliche Konstituierung des Beirats, des Kuratoriums für den Bundesjugendplan, ungewöhnlich zu sein. Es sollte geprüft werden, ob diese Form zulässig ist.
Den angekündigten Bericht über die Lage der Jugend in der Bundesrepublik und über das, was die Bundesrepublik zur Förderung der Jugend getan hat, begrüßen wir sehr. Es wäre nur zu überlegen, ob der Zeitraum von vier Jahren nicht zu lang ist.
Auf weitere Paragraphen möchte ich in der ersten Lesung nicht eingehen; ich müßte sonst meine Redezeit zu sehr ausweiten. Es wären sicher noch sehr wesentliche Bemerkungen zu machen. Das wollen wir aber dann im Ausschuß tun. Im Ausschuß werden wir auf eine sack- und fachgerechte, verantwortungsbewußte Beratung dieser Novelle achten. Wir hoffen, daß Sie das auch tun werden.
Wir hoffen weiter, daß bei der Beratung der Novelle und bei der Anhörung von Sachverständigen im Ausschuß auch bei den Mitgliedern der CDU/ CSU-Fraktion die Einsicht wächst, daß die Verabschiedung der Novelle in der vorliegenden Form einen Zusammenbruch der Jugendhilfe und der Jugendförderung in der Bundesrepublik zur Folge haben würde, der schwer reparabel wäre. Von einer Weiterentwicklung, die wir alle wünschen und von der viele, viele Jahre mit großen Hoffnungen gesprochen worden ist, kann nach der Novelle keine Rede mehr sein. Wenn sie Gesetz würde, würde eine so große Zersplitterung der Einrichtungen und Veranstaltungen in der Jugendhilfe eintreten, daß es moderne und leistungsfähige Einrichtungen, wie sie gerade in den letzten Jahren als Modelle und Beispiele in vielen Städten geschaffen worden sind, mit entsprechend hohen Einrichtungs- und Folgekosten, kaum mehr geben könnte.
Es würde nämlich die Gefahr bestehen, daß jede juristische Person, jeder Verband, jede Institution, der Sie in dieser Novelle bei entsprechender Eigenleistung einen Vorrang-und Rechtsanspruch auf Schaffung von Einrichtungen und Veranstaltungen, einschließlich der Errichtungs- und Folgekosten, geben - solche Vereine und Organisationen können auch eigens zu diesem Zweck gegründet werden -, in edlem
) Wettbewerb und in Verkennung der für sie selbst drohenden Konsequenzen, an die Gemeinden mit solchen Forderungen herantreten würde. Das können Sie bei ehrlicher Betrachtung nicht verkennen. Eine solche Entwicklung würde nicht nur einen Rückschlag auf dem Weg zu einer modernen Jugendarbeit bedeuten, sondern auch eine unverantwortliche Verschwendung von öffentlichen Mitteln, von Steuern unserer Bürger.
Meine Herren und Damen, wir plädieren nochmals für eine gute und faire Zusammenarbeit, für eine fruchtbare Zusammenarbeit der öffentlichen und freien Jugendhilfe, so wie sie das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, seine Verfasser und auch seine Interpreten gewollt haben.
In diesem Sinne werden auch die Mitglieder der SPD-Fraktion ihren Pflichten als Abgeordnete auch bei den Ausschußberatungen nachkommen. Wir werden ernsthaft und gründlich beraten müssen und uns auch von Ihnen nicht drängen lassen - wir haben davon so zwischendurch einige Male etwas gehört -, weil Sie, Herr Minister, den Entwurf nicht eher zu Papier bringen konnten. Wir hoffen, daß Sie, Herr Minister, die faire Zusammenarbeit im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen während der vergangenen elf Jahre aus Anlaß der Beratung dieser Novelle nicht aufs Spiel setzen wollen. Und Sie, meine Herren und Damen, haben Gelegenheit, die Reden Ihres Ministers in die Tat umzusetzen und hier, hier auch im Parlament, die Zusammenarbeit im Interesse unserer jungen Generation zu praktizieren. Sie ist immer das Postulat auf diesem Gebiet gewesen. Ich fand beim Lesen der Reichstagsprotokolle, die ich vorhin schon angeführt habe, auch die nachfolgenden Ausführungen unserer jetzigen Alterspräsidentin Frau Dr. Lüders, damals junge Abgeordnete, die über den Sinn des Gesetzes gesagt hat:
Die Pflicht aller Mitarbeiter in der Jugendwohlfahrt ist, im Geiste des Gesetzes tätig zu werden; denn Leben, Gesundheit und Sittlichkeit der Jugend sind nach unserer Auffassung kein Tummelplatz für die Kämpfe der Parteien und für die Kämpfe der Weltanschauungen. Die Jugend ist kein Objekt, auf deren Kosten politische und andere Zeloten ihre Experimente zu machen ein Recht hätten.
Dieser Auffassung, meine Herren und Damen, treten wir auch heute voll bei. Wir hoffen, daß Sie es
uns auch in den Ausschußberatungen ermöglichen.
Im übrigen beantragen wir aus den vorher angeführten Gründen und Überlegungen die Überweisung des Entwurfs an den Rechtsausschuß, damit dort die umstrittenen verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Bestimmungen geprüft werden können.
({46})
- Ja, zusätzlich Überweisung auch an den Rechtsausschuß. Sie ersparen sich, meine Herren und Damen, dadurch ganz bestimmt die Anrufung des Vermittlungsausschusses nach Verabschiedung der Novelle durch den Bundestag. Die zusätzliche Überweisung an den Rechtsausschuß würde also, glaube
ich, praktisch ein Zeitgewinn sein. Ich bitte deshalb, diesem Antrag zuzustimmen.
({47})
Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 hat einen guten Start gehabt. Es fand bei seiner Verabschiedung im Parlament eine breite Mehrheit. Daß es nicht so bald voll wirksam geworden ist, lag nicht am schlechten Willen der Parlamentarier,
({0})
sondern es lag an den Auswirkungen und an den Folgen der Inflation.
({1})
Auch die Novelle zu 'diesem Gesetz vom Jahre 1953 hatte einen guten Start. Das Protokoll dieses Hohen Hauses verzeichnet keine Gegenstimmen und nur einige Enthaltungen bei der Schlußabstimmung.
Dem vorliegenden Entwurf kann man .das gleiche Glück nicht prophezeien. Das sieht man schon daran, daß der Bundesrat im ersten Durchgang dem Gesetzentwurf nicht weniger als 42 Änderungsvorschläge beigefügt hat. Diese Änderungsvorschläge beruhen zum Teil auf verfassungsrechtlichen Bedenken und sind 'deshalb besonders wichtig zu nehmen.
Es erhebt sich die Frage, ob dieses Gesetz eine brauchbare Übergangslösung bringen kann oder aber ob es ein Sperriegel sein wird, ein Gesetz, das einer organischen weiteren Reform des Jugendwohlfahrtsrechts im Wege steht. Nach diesem Entwurf kann das Gesetz ein Sperriegel sein, wenn schon der Entwurf so viel Sprengstoff enthält, daß sich alle um die Jugendarbeit Bemühten aller politischen Richtungen darüber sehr entzweien, und das ist leider zu befürchten.
({2})
Der Entwurf enthält wertvolle Ansätze zu einer Weiterentwicklung: die Erhöhung des Schutzalters der Pflegekinder auf 16 Jahre, das Rechtsinstitut der Erziehungsbeistandschaft, das zumindest erwägenswert ist, die gesetzliche Normierung der freiwilligen Erziehungshilfe und, was uns besonders wichtig ist, die Feststellung des Vorrangs der freiwilligen Erziehungshilfe vor der Fürsorgeerziehung. Aber, meine politischen Freunde können sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieser materiellrechtliche Inhalt nicht viel mehr ist als schmückendes Beiwerk um die politischen Grundsatzfragen, die uns in § 4 und § 4 a dieses Gesetzentwurfs entgegentreten. Hier dreht es sich um die schon öfters erwähnte Subsidiarität. Man kann mir und meinen politischen Freunden von der FDP bestimmt nicht den Vorwurf machen, wir seien für den Vorrang des Staates und gegen die freien Verbände. Das können wir beweisen, ,daß wir es nicht sind und nie waren.
({3})
- Herr Kollege Even, das tue ich. Ich beweise es mit einem Zitat aus der Rede der damaligen Reichstagsabgeordneten Marie-Elisabeth Lüders aus dem Jahre 1922. Es lautet:
Es wäre nichts törichter und nichts dem Zwecke dieses Gesetzes abträglicher, nichts bewiese eine größere Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse in der Wohlfahrtspflege als etwa die Erfüllung des hier und da aus schlechten Einzelerfahrungen resultierenden verallgemeinerten Verlangens nach Ausmerzung der Organisationen der freien Liebestätigkeit.
Daran können wir uns nach 38 Jahren immer noch vollinhaltlich halten. So lange bleiben nicht alle politischen Äußerungen in einem Parlament in Kraft!
({4})
Was der Regierungsentwurf schaffen will, ist statt einer Gleichbehandlung eine Übermacht der Verbände über die staatlichen Organisationen.
({5})
Diese Übermacht der Verbände hat eine Kehrseite: nämlich eine Überlastung der Verbände und einen Zwang für diese Verbände zur Bürokratisierung; verantwortungsbewußten Vertretern vieler freien Verbände graust es davor heute schon.
({6})
Es ist bereits bedenklich, wenn auch nur die Frage streitig ist, ob die Verbände nach Verabschiedung dieses Entwurfs einen klagbaren Anspruch auf Subventionen hätten. Was Frau Kollegin Keilhack über die Gefährdung der Verbände durch das Subventionssystem gesagt hat, ist für alle Gruppen in diesem Hohen Hause und darüber hinaus des Nachdenkens wert.
Der Herr Minister hat mit seinem Hinweis auf den früheren Minister Koch-Weser durchklingen lassen, daß wir Liberalen seinen Ausführungen über die Subsidiarität eigentlich vollinhaltlich zustimmen müßten. Er hätte recht, wenn sein Entwurf eine Partnerschaft zwischen dem einzelnen oder dem freien Verband einerseits und dem Staat andererseits vorsähe. Aber darum geht es nicht. Herr Minister Wuermeling hat vor dem Bundesrat erklärt, es gehe um den Schutz des Wirkungsbereichs der freien Träger vor der mitunter übermächtigen öffentlichen Hand und damit um den Schutz des Freiheitsraumes des Bürgers. Das ist sogar noch eine Untertreibung seines wirklichen Willens, wie er ihn im Bundesrat formuliert hat. In Wirklichkeit will dieser Enti wurf - das ist aus ihm herauszulesen - die Übermacht der freien Träger über die staatlichen Behörden bei gleichzeitigem Subventionsanspruch. Dieses Übergewicht ist nicht mehr nach unserem Willen. Der Entwurf verlangt nicht nur eine kritische Wachsamkeit gegenüber staatlichen Organen. Aus ihm spricht sehr weitgehend ein offenes Mißtrauen gegenüber staatlichen Organen, genau gesagt: den Jugendämtern. Und da muß man doch sagen: So mißtrauisch soll man nicht sein; denn im demokratischen Staat gilt noch immer der Grundsatz: Der Staat sind wir!
Wie weit das geht, läßt sich erschreckend an ein paar Sätzen deutlich machen, die Ministerialrat Dr. Rothe in den „Blättern der Wohlfahrtspflege" veröffentlicht hat. Dort heißt es:
Das Jugendwohlfahrtsgesetz ist in seinem Kern ein Erziehungsgesetz. In Fragen der Erziehung stellt sich das Grundgesetz aber ganz bewußt auf den Boden religiöser und weltanschaulicher Neutralität.
- Das sind die Prämissen.
Erziehung ist, wie u. a. auch Professor Dr. Trost im Rahmen der Veröffentlichungen des Deutschen Vereins von der pädagogischen Seite her erwiesen hat . . ., stets an sittliche Wertbindungen und an eine Weltanschauung oder Religion gebunden.
Es heißt weiter - und jetzt hören Sie bitte die Folgerung -.
Eine solche konkretisierte Wertbindung kann aber den Organen der öffentlichen Hand nach unserem Grundgesetz vom Gesetzgeber nicht zugewiesen werden. Vom Wesen der Erziehung her kann daher auf dem Gebiete der Erziehung den Organen der öffentlichen Jugendhilfe nur eine subsidiäre Aufgabe zugewiesen werden.
({7})
- Dieser Satz ist schlechthin erstaunlich.
({8})
- Sie haben recht, Frau Kollegin Lüders. Wenn man von dieser Äußerung nur einen kleinen Schritt weitergeht, ist man in der Lage, zu bestreiten, daß die staatliche Schule als Regelschulform mit unserem Grundgesetz überhaupt noch vereinbar ist.
({9})
Ich würde nachher gern erfahren, wie 'der Herr Minister zu ,dieser Äußerung steht, damit wir noch besser wissen, wohin der Hase läuft, damit wir ebenfalls ganz genau wissen, ob 'das Etikett, das diesem Gesetz beigegeben ist, richtig oder falsch ist.
Das Jugendamt hat nach dem Entwurf - Frau Kollegin Keilhack hat schon darauf hingewiesen - nur noch zwei Aufgaben: 1. die Aufgabe der Zahlmeisterei, id. h. die Finanzierung der Vorhaben anderer, und 2. muß sich das Jugendamt - gestatten Sie mir, daß ich es etwas überspitzt ausdrücke - in Richtung auf ein Jugendverfolgungsamt zurückentwickeln, weil es nämlich Aufgaben in alleiniger Zuständigkeit nur noch da hat, wo es um Gerichtsbeschlüsse und um staatlichen Zwang geht.
({10})
Das ist doch gerade das, was insbesondere die Reform des Jugendwohlfahrtsrechts vom Jahr 1953 vermeiden wollte. Ziel dieser Reform war das lebendige Jugendamt. Es sollte dahin kommen, daß die Vertreter des Jugendamtes, insbesondere die Jugendwohlfahrtspfleger, sich von der Amtsperson immer mehr zur Vertrauensperson für die Jugend weiterentwickeln. Wir bitten dringend und von ganzem Herzen, diese Entwicklung nicht zu stoppen.
({11})
Vertrauen entwickelt sich - das wissen wir alle - wie ,ein zartes Pflänzlein. Es wäre schade, wenn wir auf diesem Gebiet sagen müßten: Und der wilde Knabe brach's Röslein ,auf der Heiden.
Nicht nur im Bundesrat hat sich die Frage der Verfassungswidrigkeit erhoben, und zwar wegen der Einschränkung des Gesetzgebungsrechts der Länder und wegen der Einschränkung des Selbstverwaltungsrechts ,der Gemeinden. Wir müssen ,diese verfassungsrechtliche Frage sehr ernst nehmen. Meine politischen Freunde unterstützen deshalb voll den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, auch den Rechtsausschuß als mitberatenden Ausschuß zu bestimmen.
Ich will die verfassungsrechtliche Frage unerörtert lassen. Juristische Erörterungen am Beginn des Freitagnachmittag sind in diesem Bundestag unbeliebt. Aber aus verfassungspolitischen Gründen sind wir alle genötigt, zu sagen: Die kommunale Selbstverwaltung muß gehütet und gepflegt werden, sosehr wir es vermögen.
Den Damen und Herren von der Mehrheitsfraktion dieses Hauses möchte ich die Lektüre des Entwurfs dringend empfehlen. Ich darf die Anwesenden bitten, es ihren Fraktionskolleginnen und -kollegen, die jetzt nicht mehr da sind, weiterzuerzählen. Die Lektüre dieses Entwurfs möchte ich ganz dringend denen in der CDU/CSU empfehlen, die sonst so oft erklären, die Türen für Liberale weit offenhalten zu wollen, und außerdem denen, die die Gegebenheiten der Kommunalpolitik gut kennen. Sie werden nach dem Lesen vermutlich nicht mehr vollinhaltlich mit dem Herrn Minister Wuermeling der gleichen Meinung sein.
Meine Damen und Herren, man mag mir vorwerfen, ich hätte die Steckenpferde des Herrn Ministers Wuermeling in den §§ 4 und 4 a dieses Gesetzentwurfs vielleicht etwas karikaturenhaft überzeichnet. Das kann zur Verdeutlichung geschehen sein. Der Entwurf wirft aber Grundsatzprobleme auf, die nicht unbedingt heute und hier gelöst werden müssen. Unnötige Verquickung mit Grundsatzfragen bringt die Gefahr, daß die organische Weiterentwicklung eines Rechtsgebietes gehemmt wird. Wenn Sie auch dafür wieder den Beweis wollen, -ich kann ihn erbringen, und ich erbringe ihn mit Begeisterung. Die Verquickung der Frage des Kindergeldes mit der grundsätzlichen Forderung nach Aufbringung der Mittel für das Kindergeld über die Familienausgleichskassen hat uns in der Kindergeldfrage jahrelang in eine Sackgasse geführt, und wir sehen erst jetzt einen Silberstreifen am Horizont, seit die Bundesregierung in Aussicht gestellt hat, ihr jahrelang benutztes Steckenpferd in den Stall zu stellen.
({12})
Aus den gleichen Gründen bitten wir, die Entscheidung über diese notwendigerweise zu regelnden Sachfragen nicht mehr als nötig mit der Entscheidung politischer Grundsatzfragen verkoppeln zu wollen. Einige Paragraphen dieses Entwurfs sind nämlich mehr als ein Steckenpferd. Sie enthalten parteipolitischen Sprengstoff, und zwar - ich sage es mit aller Deutlichkeit - unnötigerweise.
Wird dieses Gesetz eigentlich noch in dieser Legislaturperiode fertig werden? Das ist eine Frage, die wir uns vorlegen müssen,
({13})
wenn wir ein Dreivierteljahr vor ihrem Ende stehen. - Ich weiß, Herr Kollege Memmel und Herr Kollege Rollmann, Sie haben die Forderungen Ihres Parteivorsitzenden, mit Ihrer Mehrheit in diesem Punkte nicht gar so „pingelig" zu sein, zu erfüllen und sind bereit, dieses Gesetz beschleunigt durch die Ausschüsse zu bringen.
Aber selbst Sie werden vor der Tatsache stehen, daß Art. IX dieses Entwurfs erst beschlossen werden kann, wenn das Bundessozialhilfegesetz verabschiedet sein wird; denn in diesem Art. IX wird hinsichtlich der Kostentragung in jedem Paragraphen auf das Bundessozialhilfegesetz verwiesen. Da aber der Regierungsentwurf des Bundessozialhilfegesetzes eine solche Spitzenleistung wohlfahrtsstaatlicher Perfektion ist, daß - man höre und staune! - sogar die SPD-Vertreter im Ausschuß auf die sozialpolitische Bremse drücken, dürfte es noch einige Zeit dauern, bis dieser Entwurf in die zweite und in die dritte Lesung kommt. Und ob er ungestreift den Bundesrat passiert, ist wieder eine andere Frage. Solange wir aber dieses Bundessozialhilfegesetz nicht im Bundesgesetzblatt gelesen haben, können wir diesen Entwurf nicht fertigberaten, das ist klar.
Es ist auch kein besonderer Schade, wenn dieser Entwurf etwas liegenbleibt und im nächsten Bundestag verbessert und entschärft wiederkommt.
({14})
- Herr Kollege Memmel, ich möchte Ihnen - unter uns Juristen - sagen, ,daß unser Antrag auf Verweisung an den Rechtsausschuß auf den verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten beruht und nicht Taktik ist, wie wir überhaupt der Meinung sind, daß das Recht kein ideologischer Überbau zur Erreichung taktischer Ziele ist. Hier geht es uns um das Recht und nicht um die Taktik. Lassen Sie sich das bitte gesagt sein!
({15})
Der Herr Minister selbst hat erklärt, ihm habe daran gelegen, daß sich im Bereich der Jugendarbeit kein Streit wie der Fernsehstreit entwickele. In diesem Punkt sind wir uns alle einig. Aber dieser Entwurf ist geeignet, Streit zu entfachen, und nicht geeignet, Streit zu schlichten. Herr Kollege Memmel, vorhin haben Sie selber den Zwischenruf gemacht, man könne nicht ganz auf Gegensätze verzichten. Darin bin ich mit Ihnen einig. Aber man sollte Entwürfe bringen, die jeden Streit möglichst ausschließen, die also nicht nach dem Grundsatz „Nur keinen Streit vermeiden" gebaut sind und zu grundsätzlichen Kontroversen führen, sollte also Entwürfe bringen, in denen es um die Regelung konkreter Sachfragen geht.
({16})
7738 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode Dürr
Wir wünschen keinen parteipolitischen Streit in Fragen der Jugendarbeit. Deshalb wünschen wir im nächsten Bundestag einen anderen, einen besseren Entwurf. Wir wünschen dem Herrn Minister für die Verfertigung des neuen Entwurfs eine glücklichere Hand, als er sie bei diesem Entwurf bewiesen hat.
({17})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Familien- und Jugendfragen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zeit ist ziemlich fortgeschritten, darum möchte ich den Kolleginnen und Kollegen den Gefallen tun, mich so kurz wie nur irgend möglich zu fassen. Aber ich bitte mir das nicht so auszulegen, als wenn ich dieser oder jener Frage ausweichen wollte. Ich kann auch gern längere Ausführungen machen, wenn Sie das wünschen.
({0})
Zunächst, Frau Kollegin Keilhack, ein Wort freundlichen Dankes dafür, daß Sie sachliche Mitarbeit bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes zugesagt haben, obschon erhebliche Meinungsverschiedenheiten in den grundsätzlichen Fragen bestehen. Aber, verehrte Frau Kollegin, sonst war manches, was Sie hier vorgetragen haben, wenn ich so sagen darf, etwas starker Tobak. Ich habe aber nicht die Absicht, diesen starken Tobak mit noch männlicherem starken Tobak zu beantworten. Ich möchte vielmehr den Versuch machen, ein der Dame gegenüber angebrachtes zarteres Parfüm zur Anwendung kommen zu lassen.
({1})
Ich muß aber eines nachdrücklich vorausschicken, Frau Kollegin. Sie haben an einer Stelle von dem „Nachtwächteramt" gesprochen, das ich dem Staate bei seiner Tätigkeit gegenüber der Familie nur zuerkennen wolle. Das wurde sehr ironisch und mit entsprechendem Gelächter aufgenommen. Ich möchte darauf hinweisen, daß in Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes von dem Wächteramt des Staates über die Aufgaben der Familie die Rede ist. Ich möchte Einspruch dagegen einlegen, daß eine solch wichtige Grundgesetzbestimmung hier im Hohen Hause ironisiert wird.
({2})
Im übrigen waren manche der Formulierungen recht heftig: „Sprengstoff", „explosiver Sprengstoff", und was es alles war. Meine Damen und Herren, man braucht nicht deshalb alles mies zu machen, weil einem die ganze Richtung nicht paßt. Darum geht es doch bei der Beratung des Gesetzes hier. Da wird auch die Begründung, die ich nach meiner Auffassung überzeugend vorgetragen habe,
({3})
warum wir eine Novelle eingebracht haben, einfach ins Gegenteil verkehrt. Da werden einem Unterstellungen gemacht, zu denen gar keine Veranlassung vorliegt.
Ich möchte zunächst auf eines kurz antworten. Es war davon die Rede, daß dem Bundesjugendring die Mittel gesperrt worden seien. Davon ist mir nichts bekannt und meinen Referenten auch nicht.
({4})
Ich werde mich noch näher erkundigen. Ich weiß aber, glaube ich, worum es geht, verehrte Frau Kollegin. Da sind Schwierigkeiten bei der Abrechnung. Wir haben seit langen Jahren den gesunden Grundsatz, daß wir neue Mittel erst dann bewilligen, wenn über die alten die Abrechnungen wenigstens vorgelegt worden sind. Wir haben beim Haushaltsausschuß immer wieder ein sehr starkes Drängen erlebt, in dieser Hinsicht unsere Pflicht wahrzunehmen. Die Schwierigkeiten bezüglich des Bundesjugendringes liegen in materieller Hinsicht zur Zeit darin, daß er entgegen mehrfachen Forderungen des Bundesrechnungshofs und des Bundesministeriums für Familien- und Jugendfragen seinen hauptamtlich tätigen leitenden Herren Bezüge zahlt, die über das hinausgehen, was im öffentlichen Dienst normalerweise üblich ist.
({5})
Das ist nicht angängig, wo wir freie Vereinigungen und Verbände unterstützen.
({6})
Meine Damen und Herren, eines überraschte mich. Frau Kollegin Keilhack war mein Gesetzentwurf, wenn ich es kurz sagen soll, zu dürftig. Andererseits wurde aber gesagt, die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf diesem Gebiet müsse erst einmal sehr gründlich nachgeprüft werden. Danach scheint Ihnen im Gesetzentwurf also doch noch zuviel drinzustehen. Ich habe das Gefühl, daß wir bei dem Entwurf gerade den richtigen Mittelweg gegangen sind zwischen den berechtigten Anliegen der Länder einerseits und den berechtigten Ansprüchen des Bundes andererseits.
Meine Damen und Herren, ich komme auf mein Versprechen zurück, mich möglichst kurz zu fassen. Es wurde, was ich erwartet habe, sehr nachdrücklich beanstandet, daß die Frage der Ausbildungsbeihilfen in diesem Gesetz nicht geregelt worden ist. Es war sogar von einer Mißachtung des Bundestages die Rede. Wir haben zwischen den beteiligten Bundesressorts eine Erklärung zu dieser Frage ausgearbeitet, die ich an sich heute dem Hohen Hause vorzutragen vorhatte, um Sie wenigstem über den Stand der Dinge zu unterrichten. Ich bin aber bereit, wenn Sie den Wunsch haben, im Augenblick darauf zu verzichten - das würde etwa acht oder zehn Minuten dauern - und diese Erklärung zu Protokoll des Bundestages zu geben*), so daß sie von jedem dort eingesehen werden kann. Ich nehme
nicht an, daß diese heute hier noch des näheren diskutiert werden wird. Aber mir liegt sehr daran, durch diese Erklärung das große Interesse der Bundesregierung daran zu unterstreichen, daß die Frage der Ausbildungsbeihilfen so bald wie möglich geregelt wird. Vielleicht können wir uns dann im Ausschuß noch näher über diese Dinge unterhalten.
({7})
Dann war die Rede von einer überstürzten Einbringung des Gesetzentwurfs. Als hätte ich hier mein Steckenpferdchen noch im letzten Moment unter Dach bringen wollen! Ich habe bereits vorher dargelegt, daß diese Novelle in dreijähriger Arbeit vorbereitet worden ist und im übrigen sachlich all das enthält, was auch ein gesamter Gesetzentwurf enthalten hätte.
Meine Damen und Herren, die Dinge liegen, glaube ich, ein bißchen anders. Hier wurde nichts überstürzt, hier wurde nur überrundet. Überrundet wurden nämlich die sozialistischen Kreise, die, wie wir wissen und erlebt haben, nun schon seit langem versuchen, das Zustandekommen dieses Gesetzes wegen seiner möglichst behördenfreien Grundtendenz zu verhindern,
({8})
denen die parteipolitische Zielsetzung hier wichtiger ist als die Sorge um die Jugend, für die wir dieses Gesetz brauchen.
({9})
Dann wurde beanstandet, daß die Finanzierung im Gesetz nicht geregelt sei. Darüber haben wir uns sehr viele Gedanken gemacht. Neue Finanzierungswege - Herr Kollege Kemmer hat es schon angedeutet - sind im Entwurf deshalb nicht vorgesehen, weil die Finanzierungswege für Selbstverwaltungsaufgaben durch die Finanzausgleichsgesetze der Länder wie auch durch Art. 106 des Grundgesetzes erschöpfend geregelt sind. Ihre Neuregelung hätte eine neue Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zur Voraussetzung, die doch sicher niemand wollte. Deshalb mußten neue Finanzierungsvorschriften aus dem Gesetz herausbleiben.
Dann kam das Stichwort vom „lebendigen Jugendamt",
({10})
das angeblich getötet werden soll, und von der „Schrumpfung des Jugendamtes" usw. Meine Damen und Herren, was steht denn in § 4 Abs. 3 Satz 1 in voller Breite?:
Das Jugendamt hat darauf hinzuwirken, daß die für die Wohlfahrt der Jugend erforderlichen Einrichtungen und Veranstaltungen ausreichend zur Verfügung stehen.
Das heißt also, die volle Verantwortung dafür, d a ß das Notwendige geschieht, ist und bleibt wie bisher beim Jugendamt. Lediglich in der Handhabung des „ Wi e " soll das Jugendamt an die Grundsätze einer nicht von Staatsomnipotenz beherrschten Ordnung gebunden sein. Das ist das, was wir mit dieser Vorschrift bezwecken.
Es wurde behauptet, daß ein Rechtsanspruch auf finanzielle Förderung einzelner freier Verbände statuiert werde,
({11})
Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, Herr Kollege, daß der Entwurf keinen einklagbaren Rechtsanspruch auf Subventionierung einzelner freier Verbände vorsieht und deshalb von der bisherigen Konzeption nicht abweicht. Die Formulierung „hat", an die man dabei anknüpft, ist nach § 6 bereits geltendes Recht. Wie das geltende Recht enthält also auch der Entwurf keine gesetzliche Norm, die den zu fördernden Institutionen einen einklagbaren Anspruch auf Subventionierung gibt. Die erläuternden Bestimmungen der Novelle verpflichten also nicht zur Zahlung bestimmter Förderungsbeträge im Einzelfall.
Die Höhe der Förderung liegt nach wie vor im pflichtgemäßen Ermessen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe. § 4 a bringt ebenfalls nur einen Förderungs grundsatz und läßt, indem er die Berücksichtigung einer Eigenleistung vorschreibt, den notwendigen Ermessensspielraum. Diese Ermessensentscheidungen - und bier kommt nun die gerichtliche Kontrolle - sind nur nach den Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung über die gerichtliche Nachprüfung von Ermessensfehlern im Rechtsweg angreifbar. Aber gegen eine verwaltungsgerichtliche Nachprüfbarkeit etwaigen Ermessensmißbrauchs wird doch wohl niemand etwas einwenden können, dem an dem notwendigen Schutz der freien Träger vor einer Überrollung durch die öffentliche Hand gelegen ist.
Aber ich weiß, hier scheiden sich eben die Geister. Wir wollen den Schutz der freien Träger und ihres angestammten Wirkungsbereichs. Die SPD hingegen verlangt praktisch schrankenlose Rechte der öffentlichen Hand gegenüber den freien Trägern,
({12})
wie sie entgegen dem Geist des geltenden Gesetzes in sozialistisch beherrschten Gemeinden unter Mißachtung der freien Träger wiederhol in Anspruch genommen wurden und in Anspruch genommen werden.
({13})
Solchen Mißbrauch der öffentlichen Gewalt wollen wir allerdings in Zukunft unmöglich machen, weil die Freiheit des staatsbürgerlich-gesellschaftlichen Raums nicht ohne Not angetastet werden sollte. Von einer verfassungswidrigen Einschränkung der Selbstverwaltung der Gemeinden kann doch wirklich keine Rede sein, brenn die verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechte der Bürger in ihren
1 engeren Gemeinschaften gesetzlich geschützt werden.
Es war schließlich von der notwendigen Zusamarbeit der öffentlichen und der freien Jugendpflege die Rede, es wurde von Partnerschaft und von einer angeblichen Übermacht der freien Verbände gesprochen. Wenn man von Partnerschaft zwischen freier und öffentlicher Jugendhilfe redet, dann muß man beachten, daß eine echte Partnerschaft - wenn ich mir den Ausdruck einmal zu eigen machen soll - voraussetzt, daß der eine Partner den anderen nicht einfach überfahren kann, wo er will.
({14})
Wenn also ein Partner eine wesentlich stärkere Position hat als der andere - und der wesentlich Stärkere, Frau Kollegin Keilhack, ist hier doch wohl die öffentliche Gewalt mit ihrer Kompetenzkompetenz und ihren Finanzen -, dann muß der andere, der schwächere Partner - und das sind ohne Zweifel die freien Verbände mit ihren meist schwachen Finanzmitteln -, gegen einen etwaigen Mißbrauch der Machtstellung des stärkeren Partners geschützt werden, um auch wirklich Partner sein zu können.
Meine Damen und Herren, daß die Beamten der Behörden solche Schutzvorschriften gegen mißbräuchliche Anwendung ihrer Ermessensfreiheit, also gegen Ermessensüberschreitung, vielfach nicht wünschen und daß sie sich über Spitzenverbände und Ministerialbürokratien gegen solche Kontrolle ihrer Ermessenshandhabung zu wehren suchen, ist
zwar menschlich verständlich, aber nach meiner Auffassung staatspolitisch bedauerlich. Hier liegt doch ein wesentlicher Teil der Widerstände gegen den Schutz des schwächeren freien Partners begründet. Weder Beamte noch kommunale Parlamente sollen aber gegenüber den freien Trägern machen können, was sie wollen, ohne an gesetzliche Schutzvorschriften zugunsten des schwächeren Partners gebunden zu sein. f
Gerade solche Bindung wollen wir mit dem Entwurf, wie sie schon der geltende § 6 nachweislich wollte, aber nicht überall durchsetzt. Ich erkläre das nochmals ausdrücklich, weil die Bundesregierung der Meinung ist, daß die öffentliche Hand eben nicht soll machen können, was sie will - das Umgekehrte haben wir von 1939 bis 1945 wohl zur Genüge erleiden müssen -, daß die öffentliche Hand also nicht berechtigt ist, ohne Not in den freien Raum einzugreifen.
({15})
„So wenig Staat und so viel Freiheit wie möglich", muß das stets gesunde Prinzip bleiben, von dem ich übrigens, meine Damen und Herren, auch im Godesberger Programm der SPD gelesen zu haben glaube.
({16})
Da steht ,auch wörtlich drin, daß „die Eigenständigkeit der freien Wohlfahrtsverbände zu schützen" ist.
({17})
Soll das in der Jugendhilfe etwa nicht - oder wohlweislich nicht wirksam - geschehen?
Meine Damen und Herren, wenn man schon bei anderen Parteien Programmpunkte abschreibt: Hic Rhodus, hic salta! Verleugnen Sie bitte Ihr theoretisches neues Godesberger Programm hier nicht, wie wir auf manchen anderen Gebieten bereits den Eindruck haben. Hier geht es wirklich einmal darum, Ihre Absage an die marxistische Staatsomnipotenz glaubwürdig zu beweisen.
({18})
Die Entscheidung, ob Sie ,das tun wollen ,oder nicht, liegt bei Ihnen, meine Damen und Herren. Wir haben unsere Entscheidung getroffen ,gegen die Staatsomnipotenz und für die Freiheit und werden diese Entscheidung durchsetzen.
({19})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Lüders.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nie in meinem parlamentarischen Leben habe ich mich so belobt und geehrt gefühlt wie heute durch die Ausführungen des Herrn Ministers. Er hat uns, die wir damals dieses Gesetz geschaffen haben - meine Mitarbeiterin Frau Helene Weber sitzt vor mir -, so belobt, ,daß man sich beinahe fragen könnte: Warum brauchen wir eigentlich, Herr Minister, wenn das Gesetz so wunderbar ist, wie Sie ,das doch immer wieder betont haben und wie Sie es auch in Ihren schriftlichen Ausführungen immer wieder betont haben, diese Novelle? Aber es sind in dem alten Gesetz, das gebe ich Ihnen zu, einige Punkte, die bei der Entwicklung heute geändert bzw. ergänzt werden müssen.
Man hat beanstandet, daß Ihre Vorlage erst jetzt kommt. Ich finde es ja auch ein bißchen sonderbar, Herr Minister: drei Jahre, sagten Sie, haben Sie an der Novelle gearbeitet, und dann kommt nur das heraus. Der Reichstag hat keine drei Jahre gebraucht, um das ganze riesige Gesetz so gut zu 1 schaffen, wie es heute in seinen allermeisten Teilen noch vor uns liegt. Dieses Zeitverhältnis kommt mir für den Gegenstand ein bißchen unpassend vor. Aber das ist ja nun vorbei.
Vielleicht aber darf ich nun als eine der wenigen alten petrefakten Salzsäulen, die aus jener Zeit noch am Leben sind, einiges zu der ganzen Sache bemerken. Herr Minister, Sie können aus jedem Wort des damaligen Gesetzes, aus der Begründung, aus den Reden ,der Abgeordneten aller Parteien und nicht zuletzt gerade aus den ausgezeichneten Ausführungen von Vertretern des Zentrums, wie Frau Neuhaus, immer wieder herauslesen, daß alles einzig ,und allein von ,dem „Geist tätiger Menschen, liebe" regiert werden sollte, daß allen der weiteste
Spielraum zur Mitarbeit unid, Herr Minister, zur Zusammenarbeit gegeben werden sollte. Die Voraussetzung allerdings für alle Beteiligten war die Forderung, daß sie die ihnen in dem Gesetz zugewiesenen Pflichten auch wirklich durchführen können.
Nun lassen Sie mich ein Wort zu dem viel umstrittenen Begriff der „Subsidiarität" sagen. - Es wäre ganz gut, wenn sich einmal einer fände, der das richtig ins Deutsche übersetzte; denn Fremdworte scheinen auch heute noch bei manchen Leuten Glücksache zu sein. - Ich darf jedenfalls zu dieser Frage der Subsidiarität das zitieren - wenn Sie gestatten, Herr Präsident -, was ich seinerzeit in meiner Rede im Reichstag, und zwar mit Zustimmung aller Fraktionen, aller Abgeordneten gesagt habe. Herr Minister, ich habe damals folgendes erklärt:
Als Sünde gegen den Geist dieses Gesetzes ist auch der leiseste Versuch anzusehen, Mitarbeit und Mitverantwortung nach sozialer oder konfessioneller Richtung zu mißbrauchen.
Ich wiederhole und betone heute, daß es für uns damals nicht um die Frage der Subsidiarität ging in der Weise, wie sie heute ausgelegt wird, sondern daß es uns in dem Gesetz um die „Gleichrangigkeit" aller an der Jugendfürsorge und an dem Jugendwohl interessierten Kreise gegangen ist. Ich darf deshalb weiter zitieren:
Niemand darf unter dem Vorwand, der Jugend
dienen und helfen zu wollen, irgendwelche andersgearteten Geschäfte zu betreiben versuchen.
Der Vorwand hierfür
- habe ich damals gesagt, und das stimmt leider auch heute noch ist nur zu leicht gefunden. Leben, Gesundheit und Sittlichkeit der Jugend sind kein Tummelplatz für die Kämpfe zwischen den Zeloten in den Parteien und anderen Organen. Dasselbe gilt für manche Kreise, die
- übrigens damals und auch heute vielleicht bisher der gesamten freien Wohlfahrtspflege sehr skeptisch gegenüberstanden. Unter diesen finden sich viele, für die die Zugehörigkeit zu einer Partei auch heute noch wichtiger ist als wirkliche Kenntnisse.
Aber damals wie heute richtet sich diese Neigung nicht einzig und allein gegen oder auf bestimmte Parteien, sondern genausogut auch auf Organisationen konfessioneller Richtung. Der oberste und gesundeste Grundsatz des alten Gesetzes ist die gleichberechtigte Mitarbeit und Zusammenarbeit aller, die um das Wohl der Jugend besorgt sind. Ich glaube, das kann man heute genauso unterschreiben, wie diesem Satz damals der gesamte Reichstag zugestimmt hat. Das alles haben wir damals mit großen Schwierigkeiten, mit sehr fleißiger, emsiger Arbeit in einem Gesetz zusammengefaßt, und zwar unter Abschaffung aller armen- und polizeirechtlichen Maßnahmen sowie unter Eliminierung alles dessen, was in den Grundsätzen und gesellschaftlich unzweckmäßigen Bestimmungen
mancher Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches enthalten war.
Die Gemeinsamkeit und die Zusammenarbeit aller, also der öffentlichen Organe und der freien Wohlfahrtspflege, kam in dem damaligen Gesetz auch deutlich in der Bildung der sogenannten Sachverständigenkommission zum Ausdruck, an der alle beteiligt waren, ohne Rücksicht auf rechts und links, auf Partei oder Konfession.
Ein weiterer Beweis für diesen Willen und für die Möglichkeiten der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Arbeitshilfe ist z. B. die damalige Einführung der Schutzaufsicht und die Aufrechterhaltung der Einzelvormundschaft, gerade weil wir wußten und hofften, daß die freien Organe in dieser Hinsicht Wesentliches würden leisten können.
({0})
Es hat sich um die Einzelvormundschaft neben der Amtsvormundschaft gehandelt, weil wir gerade die Vormundschaft in diesem Fall nicht vollkommen bürokratisieren wollten. Aber niemand, Herr Minister, hatte den Gedanken oder die Absicht, jemandem die Möglichkeit dazu zu geben, daß die amtlichen Instanzen die freie Wohlfahrtspflege oder umgekehrt diese die amtlichen Instanzen an die Wand drückten. Das eine ist so falsch wie das andere, es schädigt den ganzen Sinn des Gesetzes.
({1})
und schädigt die Absicht - wie ich glaube - von uns allen.
Wir sollten keine Möglichkeiten haben - oder uns selber geben -, die Sorge um die Wohlfahrt der Jugend unter dem Gesichtspunkt einer Art Boxkampf zu betreiben: wer boxt und knockt out diesen oder jenen? Wir gehören in dieser Frage meines Erachtens alle zusammen. Beide Organe, beide Teile, die diese Aufgaben für Jugendpflege und Jugendhilfe übernehmen, sind absolut unentbehrlich, sowohl die öffentliche Instanz wie die freie Wohlfahrtspflege.
Ich habe selber als freie Wohlfahrtspflegerin angefangen. Man wird nicht vermuten, daß ich meine Arbeit nachher diskreditieren wolle. Aber es gehört die offene und ehrliche Konkurrenz beider Organe dazu, und zwar, Herr Minister, unter gleicher finanzieller Förderung aus den Taschen aller Steuerzahler. Wir haben schon damals bei Schaffung des Gesetzes nicht zu Unrecht manchmal das Gefühl gehabt - aus den Jahren vorher -, daß hier eine Ungleichmäßigkeit vorliegt.
Ich will damit meine Ausführungen zur Sache schließen und heute nicht mehr besondere Dinge herausgreifen. Aber an eines darf ich Sie noch erinnern - wenn Sie nicht allzu lange Zeit dafür brauchen, denn es würde ein ganzes Gesetz sein -: bitte, erklären Sie sich doch einmal eines Tages dazu, weshalb Sie an der immer wiederholten Forderung vorbeigehen, die damals im Reichstag, und zwar in erster Linie auch von der Zentrumspartei, die ja Ihnen heute indirekt nahesteht, erhoben wurde, der Forderung nach einem Bewahrungsgesetz. Sehr vieles, was nachher durch Jugend7742
hilfe, Jugendfürsorge, Wohlfahrtspflege - wie heißt das neue Gesetz; ich kapiere die neuen Namen gar nicht mehr - ({2})
- Ach ja, weshalb man nicht einfach Fürsorgegesetz sagt, weiß ich nicht.
({3})
- Das ist ja furchtbar!
({4})
- Ich finde, man soll nicht Gesetze danach machen, was dieser oder jener Sprachgewandte und Sprachlustige an neuen Ausdrücken findet, sondern man soll Gesetze dazu machen, daß sie wirklich gebraucht werden und nachher durchführbar sind, zu weiter gar nichts.
({5})
Herr Minister - entschuldigen Sie das harte Wort -, drücken Sie sich doch nicht länger an der Frage des Bewahrungsgesetzes vorbei!
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahn ({0}).
({1})
Ja, es muß sein; ich kann es Ihnen nicht ersparen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Herr Minister heute seinen ersten Auftritt hatte und mit frommem Augenaufschlag vom Wohl der Jugend sprach
({0})
und es allzu laut hier verkündete, da konnte man noch der Meinung sein, es gehe ihm tatsächlich um eine sachliche Auseinandersetzung. Nach dem zweiten Auftritt, meine Damen und Herren, besteht sicherlich kein Zweifel mehr darüber: darum ging es ihm nicht, sondern er wollte polemisieren und provozieren.
({1})
Meine Damen und Herren, wenn hier solche Argumente gebracht werden, wie sie der Herr Minister in seinem zweiten Auftritt angeboten hat, dann kann man doch nicht mehr im Ernst von einer sachlichen Diskussion sprechen. Das hat sich von der Tribüne dieses Hauses noch niemand geleistet, die Gemeinden und Gemeindeverbände in so unklassifizierbarer Weise herabzuwürdigen, verächtlich zu machen, wie es der Herr Bundesfamilienminister hier heute getan hat.
({2})
Es ist nicht gerade eine neue Erkenntnis, daß die Bundesregierung kein besonders inniges und freundliches Verhältnis zu unseren Gemeinden hat.
({3})
Aber daß hier die Gemeinden verdächtigt werden, sie strebten in ihrer seit Jahrzehnten so bewährten praktischen Arbeit der Jugendpflege eine schrankenlose Herrschaft der öffentlichen Gewalt an, das geht doch nun weit über das hinaus, was man unwidersprochen hinnehmen kann. Ich habe den Minister wörtlich zitiert, so wie er es vorhin hier gesagt hat.
Was soll in dieser Diskussion des weiteren die Polemik, die sozialistischen Kreise wollten das Gesetz verhindern? Wir wollen den Schutz der freien Träger gegen den Allmachtanspruch der öffentlichen Hand verteidigen. Meine Damen und Herren, haben wir nicht eine jahrzehntelange Praxis, die den Minister eindeutig und klar widerlegt? Hat nicht aber vor allen Dingen auch Frau Kollegin Keilhack vorhin in ihren ausführlichen Darlegungen zu dieser Frage in aller Deutlichkeit gesagt, daß es einfach unwahr ist, uns solche Tendenzen zu unterschieben? Glauben Sie, daß man dem Herrn Minister unter diesen Umständen etwas anderes entgegenhalten kann, als daß er einfach wider besseres Wissen Polemik sucht, um von der Sache und von den Tendenzen, die er mit seinem Gesetz wirklich verfolgt, abzulenken?
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang ist eine Feststellung entgegen dem Minister in aller Deutlichkeit und Klarheit notwendig. Die Gemeinden haben auf dem Gebiet, das hier zur Debatte steht, in der Vergangenheit ihre Pflicht getan. Sie haben Vorbildliches geleistet. Sie werden das auch in Zukunft tun, trotz dieses Bundesfamilienministers.
({4})
In diesen Zusammenhang gehören noch eine Reihe weiterer Überlegungen. Frau Kollegin Keilhack hat den Antrag gestellt, den Gesetzentwurf auch dem Rechtsausschuß zu überweisen, und sie hat es mit guten Gründen getan. Ich habe fast dazu geneigt, die Eleganz zu bewundern, mit der der Herr Minister sich hier um die verfassungsrechtlichen Probleme des Gesetzes herumgemogelt hat.
({5})
- Ja, herumgemogelt hat. Genau das!
({6})
- Nun, verehrte Kollegin Weber, erwarten Sie eigentlich, daß wir hier friedlich und sachlich argumentieren, nachdem wir uns etwas Derartiges anhören mußten wie den zweiten Auftritt des Familienministers? Was erwarten Sie denn eigentlich von uns? Sind wir denn nur noch dazu da, diese Angriffe Ihres Ministers entgegenzunehmen? Glauben Sie das doch nicht! Muten Sie uns das doch nicht zu!
({7})
Jahn ({8})
- Von wem denn?
({9})
- Es ist doch lächerlich, so etwas zu sagen! Er ist doch nicht provoziert worden!
({10})
Meine Herren, ich schätze eine freie Aussprache, aber alles muß seine Grenzen haben.
({0})
- Herr Kollege Schütz, lassen Sie mich ausnahmsweise auch einmal etwas sagen! Vor allem müssen
wir allmählich mit dieser Vorlage zu Ende kommen.
Bitte, fahren Sie fort!
({1})
Ich möchte mein Versprechen, es kurz zu machen, gerne einhalten, meine Damen und Herren, wenn Sie mir Gelegenheit dazu geben. Ich möchte nur auf folgendes hinweisen. Hier steckt eine sehr ernst zu nehmende verfassungsrechtliche Problematik, nämlich die, ob durch dieses Gesetz, insbesondere durch seine §§ 4 und 4 a, in einer noch mit Art. 28 des Grundgesetzes zu vereinbarenden Weise in die Gemeinden hinein-regiert wird oder nicht. Wir sind der Meinung, daß das, was mit diesen Bestimmungen des Jugendwohlfahrtsgesetzentwurfes versucht wird, einen so weitgehenden Eingriff in die freie selbstverantwortliche Arbeit der Gemeinden darstellt, daß dies nach dem Grundgesetz nicht verantwortet werden kann. Die Gestaltung der praktischen Arbeit macht den Wesensgehalt der Tätigkeit unserer Gemeinden aus. Da können Sie nicht versuchen, die Dinge so festzulegen, wie es in den §§ 4 und 4 a geschieht.
Ich verweise auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im ersten Band seiner Entscheidungen. Dort ist in aller Klarheit gesagt, daß nur im äußersten Notfall - im äußersten Notfall!, davon ist ausdrücklich die Rede - überhaupt in die selbstverantwortliche Tätigkeit und Zuständigkeit der Gemeinden eingegriffen werden kann. Dieser Grundsatz wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf mißachtet. Hier wird weit über das zulässige Maß hinausgegangen.
Ich meine, es ist nicht unsere Sache, die Gemeinden so an die Leine zu legen und sie in einem solchen Maße ihrer Funktionen zu berauben, wie das hier geschieht.
Auf die anderen Dinge will ich im einzelnen nicht eingehen. Ich weise nur auf die mit Recht herangezogene Problematik hin, die sich aus Art. 74
Ziffer 7 ergibt. Darüber muß auch gesprochen werden. Man muß sich darüber unterhalten, ob der so weit zu fassende Begriff der Jugendpflege noch mit dem Begriff der Fürsorge vereinbart werden kann. Im Zusammenhang mit den §§ 16 und 17 müssen weitere Überlegungen zu ,den Art. 80 und 83 angestellt werden. Zu dem § 4 Abs. 6 möchte ich nur bemerken - ich will die Formulierung hier nicht vorlesen -, daß im Hause des Familienministers offenbar überhaupt kein Verfassungsjurist zur Verfügung steht, der wenigstens den Art. 80 des Grundgesetzes kennt.
Auf alle diese Dinge möchte ich nur hinweisen, und ich möchte mir erlauben, unseren Antrag zu wiederholen, diese Vorlage auch dem Rechtsausschuß zu überweisen. Herr Kollege Memmel, speziell an Ihre Adresse noch etwas: Ich bitte uns wenigstens abzunehmen, daß damit keine Verzögerungstaktik oder etwas Ähnliches verbunden sein soll. Es geht hier um sehr ernst zu nehmende verfassungsrechtliche Fragen, die nachgeprüft werden müssen und die nicht so vom Tisch gewischt werden können, wie das heute morgen hier leider versucht worden ist.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Memmel.
Herr Präsident Meine Damen und Herren! Zunächst etwas zu dem Herrn Kollegen Dürr! Herr Kollege, Sie haben meinen Zwischenruf mißverstanden. Ich habe nicht von Gegengensätzen gesprochen, sondern ich habe dazwischengerufen - vielleicht kann man das aus dem Protokoll entnehmen -: Man kann nicht aus Courtoisie einer Dame gegenüber auf Grundsätze verzichten. Das bezog sich also auf die Rede von Frau Keilhack.
Noch etwas anderes! Herr Dürr, Ihre Fraktion ist sonst immer so sehr auf die Wahrung der finanziellen Möglichkeiten bedacht. Haben Sie sich einmal überlegt - das kennen Sie sicher aus manchen Städten -, daß die Unterhaltung eines städtischen Kindergartens - vom Aufbau ganz zu schweigen - höhere Beträge erfordert als die Zuschüsse an zehn solcher von caritativen Einrichtungen getragenen Kindergärten? Ich weiß aus der Zeit, in der ich in meiner Heimatstadt Würzburg noch Stadtrat war, daß jedes Jahr die Zuschüsse an die Organisationen weniger betragen haben als der Zuschuß, der dem einzigen vorhandenen städtischen Kindergarten gegeben werden mußte. Darum sind wir froh, daß es solche Einrichtungen gibt, die uns diese Aufgabe abnehmen.
({0})
Herr Kollege Jahn, ich habe die ganze Zeit dem Herrn Minister gut zugehört. Ich habe nicht gehört, daß der Herr Minister eine so kommunalfeindliche Rede gehalten hat, wie Sie es dargestellt haben.
({1})
- Ich habe nur herausgemerkt, daß er gesagt hat, in der Bundesrepublik gebe es einige Rathäuser und
einige Gemeinden, in denen die SPD über die Jugendämter den unzulässigen Einfluß auf die Verbände und Organisationen der Jugendpflege ausübe.
({2})
- Das habe ich herausgehört.
({3})
Das habe ich herausgehört, und ich habe es vor mir liegen, aber ich kann es nicht so schnell nachlesen; wir können es ja im Protokoll nachlesen.
Nun das letzte. Herr Kollege Jahn, ich habe volles Verständnis dafür, wenn jemand sagt, er möchte bestimmte Punkte des Gesetzes, bestimmte Paragraphen, verfassungsrechtlich nachgeprüft haben - die Vereinbarkeit der §§ 4 und 4 a mit Art, 28 des Grundgesetzes. Ich bin aber, wenn ich auch nur stellvertretendes Mitglied des Rechtsausschusses bin, der festen Überzeugung, daß eine Überweisung an den Rechtsausschuß bedeutet, daß dieses Gesetz in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden kann. Wenn Sie also wünschen, daß das Anliegen, das Sie haben und das ich Ihnen konzediere, erfüllt wird, so kann man das doch auch dadurch machen, daß einige der Kollegen, die Mitglieder des Rechtsausschusses sind, bei der Beratung dieser Paragraphen in die beiden Ausschüsse hineingehen, an die der Gesetzentwurf überwiesen wird. Dann wird wenigstens das vermieden, was man bei manchem unterstellen könnte: daß mit der Überweisung an den Rechtsausschuß nur Taktik betrieben wird, nämlich Taktik der Verzögerung.
({4})
- Nein, Herr Kollege Jahn, ich sagte Ihnen ja soeben, ich würdige Ihr Anliegen - der Ton liegt auf „Ihr" -, ich konzediere Ihnen das. Aber das können Sie doch tun, wenn Sie beispielsweise in die Sitzung des Jugendausschusses oder in die Sitzung des Ausschusses für Kommunalpolitik zu diesen Paragraphen einen der diese Materie beherrschenden Kollegen hineinschicken.
({5})
- Herr Kollege Metzger, Sie kennen doch die Arbeitslust - die Arbeits last meine ich, nicht „Lust"; an der Arbeitslust ist gar nicht zu zweifeln
- des Rechtsausschusses, und Sie wissen doch, daß die Verweisung in den Rechtsausschuß bedeutet, daß das Gesetz eben nicht mehr zustande kommt. Das wissen Sie doch ganz genau.
Ich möchte also, meine Kollegen, bitten, die Überweisung an den Rechtsausschuß abzulehnen und im übrigen dem Antrag zu folgen, den der Kollege Kemmer heute morgen gestellt hat: Überweisung an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen - federführend - und an den Ausschuß für Kommunalpolitik - mitberatend -.
({6})
Keine weiteren Wortmeldungen; die Aussprache ist geschlossen. Im Ältestenrat ist vorgesehen worden zunächst die Überweisung an den Ausschuß für Familien-und Jugendfragen - federführend -. Ich habe nicht gehört, daß d a s strittig ist. Soweit Einverständnis im Hause?
({0})
Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen: Ausschuß für Familien- und Jugendfragen federführend.
Dann soll offenbar auf jeden Fall der Ausschuß für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge mitbefaßt werden. Ist das eindeutig?
({1})
- Mitberatend. Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Jetzt beginnt die Kontroverse. Frau Keilhack, Abgeordneter Jahn und Abgeordneter Dürr beantragen zusätzliche Überweisung - zur Mitberatung - an den Rechtsausschuß. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit;
({2})
diese Überweisung ist abgelehnt.
({3})
Abgelehnt, meine Herren.
({4})
- Nein, es ist keine Überrollung! Meine Damen und Herren, so kommen Beschlüsse hier zustande.
Jetzt rufe ich den letzten Punkt unserer Tagesordnung auf. Das ist Punkt 23:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({5}) - Immunitätsangelegenheiten - betreffend Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. Arndt gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 5. Mai 1960 ({6}).
Der Herr Berichterstatter ist krank. Der Herr Abgeordnete Dr. Dittrich ist so freundlich, die Vertretung zu übernehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, Sie in dieser frühen Nachmittagsstunde mit einem Bericht aus dem Immunitätsausschuß beschäftigen zu müssen. Der Kollege Rasner ist erkrankt; ich werde deshalb für ihn berichten, vor allem auch deshalb, weil ich früher Berichterstatter in dieser Sache war.
Meine Damen und Herren! Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 5. Mai 1960 um eine Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. Arndt wegen Vergehens gegen das Sammlungsgesetz gebeten. Der Immunitätsausschuß hatte sich schon früher einDr. Dittrich
mal mit dieser Materie zu beschäftigen, und zwar in der 15. Sitzung am 25. Februar 1960. Damals hatte Herr Abgeordneter Arndt ein Schreiben an den Präsidenten des Deutschen Bundestages gerichtet, in dem er bat, seine Immunität aufzuheben. Anlaß zu seinem Ersuchen war, daß er im Zuge eines Strafverfahrens gegen sich selbst verfassungsrechtlich geklärt haben wollte, ob ein von Hitler erlassener Befehl heute noch mehr gelte als das Bonner Grundgesetz. Er habe - so sagte Dr. Arndt - öffentlich ohne Genehmigung zu einer Sammlung für den Bau einer Anne-Frank-Jugendherberge aufgerufen. Der Ausschuß hat damals den Standpunkt vertreten, daß nach den aufgestellten Grundsätzen ein betroffener Abgeordneter nicht das Recht hat, einen Antrag auf Aufhebung seiner Immunität zu stellen.
Inzwischen hat der Bundesjustizminister einen Antrag auf Aufhebung der Immunität nach einer Selbstanzeige des Kollegen Arndt gestellt. Es liegt folgender Sachverhalt zugrunde, den ich hier vortragen möchte.
Der Abgeordnete Arndt hat, wie aus dem Schriftsatz des Oberstaatsanwalts beim Landgericht München I vom 25. Februar 1960 hervorgeht, einen Brief zur Veröffentlichung an die „Süddeutsche Zeitung" gerichtet, der am 4. Februar 1960 in dieser Zeitung in der Spalte „Hier spricht der Leser" abgedruckt worden ist. Der Inhalt dieses Briefes ist folgender:
Mit Bestürzung und voller Zorn las ich in der SZ ({0}), daß sich der Bayerische Jugendring mit seinem Aufruf für eine Israelspende, um zum Bau der Jugendherberge „Anne Frank" am Berge Karmel beizutragen, nicht an die Öffentlichkeit wenden darf. Das Hindernis soll darin liegen, daß die Verwaltung für sich das Recht beansprucht, daß ein derartiger Aufruf ihrer Erlaubnis bedarf, sowie, daß mit dieser Erlaubnis der Verwaltung nicht zu rechnen ist.
({1})
Die Verwaltung beruft sich also auf das NS-Sammlungsgesetz aus dem Jahre 1934. Sie ist im Unrecht. Jenes angebliche „Gesetz" war niemals gültig, weil Hitler gar kein Recht hatte, Gesetze zu erlassen. Jedenfalls ist es nicht mehr in Kraft, weil es eine typische Maßnahme des Nationalsozialismus war. Vor allem ist es mit dem Bonner Grundgesetz nicht vereinbar. Der aus ideellen Motiven erklärte Aufruf zu Spenden, die ideellen Zwecken dienen sollen, ist ein Ausdruck der Meinungsfreiheit. Jede Beschränkung öffentlicher Sammlungen ist unzulässig, soweit dadurch in die Freiheit des Glaubens, die Freiheit der Meinung und die freie Entfaltung der Persönlichkeit eingegriffen wird. Es ist nicht rechtsstaatlich, sondern polizeistaatlich gedacht, eine Tat der Menschlichkeit und die Erfüllung einer sittlichen Aufgabe unter polizeiliche Vormundschaft zu stellen. Darum rufe ich hiermit öffentlich jedermann auf, sich durch eine Spende auf das Konto „Anne-FrankJugendherberge" beim Postscheckamt München Nr. 71 500 an der Aktion der Jugend zu beteiligen. Die Verwaltungsbehörden mögen gegen mich strafrechtlich vorgehen. Ich selber werde dann den Bundestag um Aufhebung meiner Immunität bitten. Es muß endlich einmal verfassungsgerichtlich geklärt werden, ob uns diese polizeilichen Beschränkungen wirksam auferlegt werden dürfen oder ob die auf das Sammlungsgesetz pochenden Innenminister der Länder fortgesetzt gegen das Grundgesetz verstoßen.
Dr. Adolf Arndt,
Mitglied des Deutschen Bundestages,
Bonn.
Das ist der Gegenstand des Antrags des Justizministers
({2})
auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Arndt.
Nun ist folgendes zu berichten. Der Bundestag hat in einer seiner früheren Sitzungen entschieden, daß eine Klage beim Bundesverfassungsgericht einzureichen sei, damit das Bundesverfassungsgericht feststelle, daß das Sammlungsgesetz mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher nichtig sei. In dem Antrag - Drucksache 1697 - ist damals der Rechtsausschuß beauftragt worden, die Abgeordneten zu benennen, die sich in diesem Verfahren für den Bundestag gegenüber dem Bundesverfassungsgericht äußern sollen. Dazu sind vom Rechtsausschuß die Kollegin Frau Dr. Schwarzhaupt und der Kollege Dr. Arndt bestimmt worden.
Nun kam es für den Immunitätsausschuß darauf an, ob ein Abgeordneter dieses Hauses eine Selbstanzeige bei der Staatsanwaltschaft erstatten kann, um überprüfen zu lassen, ob ein Gesetz verfassungsgemäß ist. Der Ausschuß gelangte zu der Auffassung, daß es ausreiche, daß der Bundestag eine Normenkontrollklage erhoben habe. Er hat einstimmig beschlossen, Ihnen zu empfehlen, die Immunität ,des Abgeordneten Dr. Arndt nicht aufzuheben, worum ich Sie hiermit bitte.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Bericht und den Antrag des Ausschusses gehört. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag ,des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit sind wir am Ende unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Mittwoch, den 14. Dezember, 14.30 Uhr.
Ich schließe die Sitzung.