Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist die heutige Tagesordnung um den Punkt 3 der gestrigen Tagesordnung - Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle; Drucksache 83 - erweitert worden. Dieser Punkt wird nach Punkt 1 der heutigen Tagesordnung behandelt werden.
Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung bittet, Punkt 8 von der heutigen Tagesordnung abzusetzen und die Sache zur erneuten Beratung an den Ausschuß zurückzuverweisen. Ich nehme an, daß Widerspruch hiergegen nicht erfolgt. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirtschaftsgesetzes ({0}) .
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben seit einigen Tagen die Drucksache 200 vorliegen, in der ein eingehender Bericht über die Ertragslage der Landwirtschaft im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 1956/57 erstattet ist. Wie ich annehmen darf, ist diese Drucksache von Ihnen schon sehr eingehend studiert worden.
Ich bin nicht in der Lage, die Drucksache hier ganz vorzulesen oder auch nur den wesentlichen Teil daraus bekanntzugeben. Ich kann mich nur mit einzelnen Punkten beschäftigen. Ich darf aber die Drucksache Ihrem eingehenden Studium besonders warm empfehlen.
Für die Feststellung der Lage der Landwirtschaft liegen uns in diesem Jahr zum erstenmal Unterlagen aus 8000 buchführenden Betrieben vor. Von diesen 8000 Betrieben waren 62 % Betriebe unter 20 ha. Für die Beurteilung der Betriebe unter 10 ha stehen die Ergebnisse von 2000 buchführenden Betrieben zur Verfügung. Da außerdem gleichzeitig eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen angestellt worden sind, ist die Transparenz der Situation der Landwirtschaft besser geworden. Wir hoffen, die Durchsichtigkeit auf diese Weise ständig verbessern zu können, um den Schwierigkeiten, die in der Landwirtschaft auftreten, besser entgegenwirken zu können. Wir wollen den Unterlagen eine solche Klarheit geben, daß jeder einzelne, ob er nun im Fach steht oder nicht, sich ein eigenes Urteil bilden kann.
Die Lage der Landwirtschaft zeigt, wie sich aus der Drucksache 200 ergibt, folgendes Bild. Die Produktionsleistung der Landwirtschaft ist im vergangenen Jahr um eine Milliarde DM auf 19 Milliarden DM gestiegen. Das bedeutet aber nicht einen Verkaufswert von 19 Milliarden DM, sondern eine Gesamtproduktion von 19 Milliarden DM; diese Produktion bleibt zum Teil auf den Höfen bzw. wird für kommende Jahre wieder verwertet. Die Verkaufserlöse betrugen in diesem Jahre 15,7 Milliarden DM. Die Produktionsleistung hat im vergangenen Jahr einen gegenüber der Vorkriegszeit um 25 % höheren Stand erreicht. Der Zuwachs während des letzten Berichtsjahres betrug 3,4 vom Hundert. Dieser Zuwachs liegt über dem Durchschnitt des Zuwachses der letzten fünf Jahre; er liegt auch über dem europäischen Durchschnitt. Das ist besonders hoch anzuschlagen; denn, wie Sie wissen, ist der Bericht auf der Ernte des Jahres 1956 aufgebaut. Denken Sie bitte an die Fröste vom Frühjahr 1956, denken Sie an die Katastrophe im Weinbau und an das außerordentlich schlechte Erntewetter im Jahre 1956; denken Sie daran, daß die Hackfruchtbaubetriebe in Nordwestdeutschland, insbesondere die Zuckerrüben- und Kartoffelbaubetriebe, eine außerordentlich schlechte Ernte hatten. Gerade die Lage der eben erwähnten Betriebe hat sich im abgelaufenen Wirtschaftsjahr wesentlich verschlechtert.
Die Erzeugung tierischer Nahrungsmittel ist um 3,8 % gestiegen. Durch vermehrte Einfuhren und Zukäufe von Futtermitteln sind auch sonst in der Veredlungsproduktion mehr Einnahmen entstanden.
Im laufenden Jahr zeigen sich auch - das ist durchaus folgerichtig - die Ergebnisse der Produktivitätssteigerung in der Viehhaltung. In den Ausführungen zum Grünen Plan wird darauf hingewie536
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sen, daß eine rationelle Fütterung sowohl für die Rindermast wie für die Schweinemast wie auch für die Milcherzeugung von ausschlaggebender Bedeutung ist. Auf diesem Gebiet zeigt das vergangene Jahr einen besonderen Fortschritt. Beispielsweise konnte die Fleischleistung durch rationelle Fütterung bei Rindern je Stück um 15 %, bei Schweinen um 22 % über den Vorkriegsstand erhöht werden.
Die steigende Produktion wurde mit einer ständig abnehmenden Zahl von Arbeitskräften erzielt. Gerade durch die abnehmende Zahl der Arbeitskräfte wurde die Produktivität in der Landwirtschaft verbessert.
Gegenüber 1953/54 ist die Nahrungsmittelproduktion um 6 % gestiegen. In der gleichen Zeit nahm die Zahl der Arbeitskräfte um 450 000 ab; das stellt eine Abnahme von 13 % seit 1953/54 bis zum Berichtsjahr dar. Daraus erklärt sich praktisch die hohe Steigerung der Produktivität von 3,9 %.
Der Herr Kollege Erhard hat neulich im Bundestag darauf hingewiesen, daß diese Zahl von 3,9 % besonders interessant sei; diese hohe Produktivität in der Landwirtschaft komme der Produktivität in der gewerblichen Wirtschaft nahe. Er hat das als besonders wichtig angesehen. Ich darf demgegenüber darauf hinweisen, daß bei einem gleichbleibenden Bestand von Arbeitskräften derartige Produktivitätssteigerungen nicht zu erreichen sind. Es handelt sich hier um eine Ausnahmeerscheinung, und sie ist nur darauf zurückzuführen, daß die Zahl der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft außerordentlich stark abgenommen hat.
Im ganzen gesehen hat sich die Lage der Landwirtschaft im Wirtschaftsjahr etwas verbessert. Daß es nicht viel sein konnte, liegt einfach schon daran, daß der Ausgangspunkt - die Ernte 1956 - gebietsweise schlecht war, außerdem daran, daß während dieser Zeit die Vergleichslöhne in der gewerblichen Wirtschaft stark gestiegen sind.
Die Verkaufserlöse der Landwirtschaft sind, wie schon gesagt, um 700 Millionen DM auf 15,7 Milliarden DM gestiegen. Außerdem hat das Viehkapital um 200 Millionen DM zugenommen. Auf der anderen Seite ist zu sagen, daß die Ausgaben für laufende Betriebsmittel und Löhne um 790 Millionen DM, also um 90 Millionen DM mehr gestiegen sind als die Verkaufserlöse. Ich muß aber die Steigerung des Viehkapitals mitrechnen, wenn ich die Lage der Landwirtschaft insgesamt sehen will.
Die Aufwendungen für Ersatzbeschaffungen waren um 110 Millionen DM höher. Insgesamt stiegen die Ausgaben gegenüber 1955/56 um 880 Millionen auf 12,4 Milliarden DM.
Dabei muß man sämtliche Faktoren, welche die Ertragslage der Landwirtschaft im ganzen bestimmt haben, besonders würdigen: 1. die schon erwähnte ungünstige Witterung des Jahres 1956, 2. die stark steigenden Lohnkosten, 3. die günstige Preisentwicklung für tierische Produkte und 4. die Förderungsmaßnahmen der Bundesregierung. Sie haben in den verschiedensten Gebieten und Betriebsgruppen unterschiedlich gewirkt. Die günstige Preisentwicklung für tierische Produkte, insbesondere für Milch, ist vor allem den extensiven Bodennutzungssystemen und den kleineren Betrieben, in denen die Veredelungsproduktion größere Bedeutung hat, zugute gekommen. Demgegenüber hat sich die Ertragslage in den nordwestdeutschen Zuckerrüben- und Kartoffelbauwirtschaften, die in den vergangenen Jahren günstigere Betriebsergebnisse erzielt hatten, durch die Witterungsbedingungen - Ertragsminderung und Arbeitserschwerungen - verschlechtert.
Es kann jedoch festgestellt werden, daß sich in den meisten Betriebsgruppen die Ertragslage etwas verbessert hat und die Unterschiede innerhalb der Landwirtschaft geringer geworden sind. Mit Ausnahme der kleinen und mittleren süddeutschen Futterbaubetriebe mit schlechten Böden wird in allen Bodennutzungssystemen und Betriebsgrößen der Vergleichsaufwand zu mehr als 80 v. H. durch den Betriebsertrag gedeckt. Wenn Sie das in dem Bericht, der Ihnen hoffentlich vorliegt, auf Seite 113 verfolgen, dann sehen Sie dort diese blaue Zeichnung. Hier ist angegeben, wie weit der Vergleichsaufwand durch den Betriebsertrag gedeckt ist. Da können Sie genau verfolgen, daß 100%ige Deckung nur in einem ganz kleinen Bruchteil der Betriebe möglich ist und daß eine über 90%ige Deckung nur bei einem kleinen Teil der Betriebe, den man vielleicht mit 15 oder 20 % sämtlicher Betriebe ansetzen kann, erfolgt. Aber eine über 80%ige Deckung ist bei mehr als 80 % der Betriebe, also jedenfalls bei der großen Masse der Betriebe, vorhanden gewesen.
Was das aber besagt, sehen Sie auf der Seite 117, wo Sie die Deckung von Vergleichslohn und Betriebsleiterzuschlag durch das Betriebseinkommen in der ersten Hälfte der gelben Zeichnung angedeutet finden. Auch dort sehen Sie, daß nur ein ganz kleiner Bruchteil der Betriebe die 100%ge Deckung hat. Wenn Sie allerdings das Betriebskapital und seine Verzinsung zugrunde legen, kommen Sie bei Ansatz von Vergleichslohn und Betriebsleiterzuschlag bei ungefähr 75 % der Betriebe nicht zu einer Verzinsung.
Die Hauptursache dafür ist die Höhe des gewerblichen Vergleichslohns. Er beträgt für 1956/57 für Männer 4848 DM, für Frauen 2859 DM und macht im Bundesdurchschnitt 4168 DM jährlich, monatlich also 347 DM aus. Ich darf besonders darauf hinweisen, daß dieser Vergleichslohn im Bereich der am häufigsten erzielten Bruttoeinkommen aller Arbeitnehmer in der Bundesrepublik liegt. Dieser lag nämlich nach den Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 1956 für Männer zwischen 4200 und 5400 DM, für Frauen zwischen 1800 und 3600 DM.
Sie werden sich durch die Feststellungen der Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie davon überzeugen können, daß dieser Vergleichslohn richtig angesetzt ist. Er liegt aber nahezu 400 Mark im Jahre über dem Vergleichslohn des Vorjahrs, und damit können Sie - wenn Sie die Zahl unserer Arbeitskräfte auf rund 2,5 Millionen ansetzen - errechnen, daß allein der VerBundesernährungsminister Dr. h. c. Lübke
gleichslohn im Verhältnis zum Vorjahr um 1 Milliarde DM gestiegen ist.
Aber auch wenn wir das Landwirtschaftsgesetz gar nicht hätten, wäre es unmöglich, in einem einzigen Sektor, etwa im Sektor der gewerblichen Wirtschaft, ständig steigende Löhne zu haben und in anderen Bereichen der Wirtschaft, z. B. in der Landwirtschaft, auf derselben Ebene stehenbleiben zu müssen. Das wäre auch schon aus rein politischen Gründen nicht zu verantworten.
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In der Masse der Betriebsgruppen wurde 1956/57 ein Arbeitseinkommen zwischen 2500 und 3500 Mark erreicht. Wenn ich Ihnen also gesagt habe, die Lage der Landwirtschaft habe sich verbessert, dann war damit nur eine kleine Verbesserung gemeint, die nicht ausgereicht hat, um den Landwirten auch nur entfernt den Arbeitslohn zu vermitteln, der im gewerblichen Sektor gezahlt wird. Die Zahl 3500 Mark liegt immerhin noch 668 Mark unter dem Durchschnitt des gewerblichen Lohns, und 2500 Mark liegt 1168 Mark unter dem gewerblichen Lohn. Dazu kommt, daß die extensiven Bodennutzungssysteme nur ein Arbeitseinkommen von etwas über 2000 Mark erwirtschaftet haben. Das betrifft insbesondere Süddeutschland.
Dabei ist aber auch zu sagen - davon können Sie sich an Hand der Seiten 123 bis 128 des Berichts überzeugen -, daß das Arbeitseinkommen in den vergangenen Jahren immerhin etwas gestiegen ist, mit Ausnahme wiederum der erwähnten nordwestdeutschen Betriebe auf schweren Böden.
Für 1957/58 ist eine günstigere Entwicklung zu erwarten. Soweit es sich bisher übersehen läßt, werden die Verkaufserlöse um 1,3 Milliarden DM auf 17 Milliarden DM steigen. Das beruht zum Teil auf der besseren Ernte, zum weitaus größeren Teil jedoch auf den Mehrerlösen aus der Viehwirtschaft, wobei allein aus der Milchwirtschaft 700 Millionen DM fließen und aus dem übrigen Teil der Viehwirtschaft weitere 400, so daß von den Mehreinnahmen von 1,3 Milliarden DM allein 1,1 Milliarden auf die Viehwirtschaft entfallen.
Insgesamt werden die laufenden Betriebsausgaben des laufenden Wirtschaftsjahres auf 10,9 Milliarden steigen und außerdem durch Investitionen für Neubauten und Maschinen noch um 2,2 Milliarden erhöht werden. Es stehen also den Einnahmen von 17 Milliarden DM Ausgaben in Höhe von 13,1 Milliarden DM gegenüber.
Die Besserung der Betriebseinkommen verfolgen Sie bitte, meine Damen und Herren, auf den Seiten 123 und folgende des Berichts. Dort werden Sie auch auf die Betriebsergebnisse in den verschiedenen Betriebsformen des Gartenbaus, des Weinbaues und auf den Bericht über die Lage der Pächter und Siedler stoßen. Die Siedler sind in einer anderen Drucksache, die Ihnen ebenfalls schon überreicht worden ist, im einzelnen besonders angesprochen. Man darf mit Befriedigung feststellen, daß es den mittleren und größeren Betrieben des Gartenbaus leidlich geht. Für die kleineren Betriebsgrößen, die auch im Gartenbau in der Mehrheit sind, trifft diese günstige Feststellung nur zum Teil zu. Der Betriebsertrag deckt in den Gartenbaubetrieben im allgemeinen den Vergleichslohn und den Betriebsleiterzuschlag. Bei den mittleren und den größeren Betrieben deckt er den gesamten Vergleichsaufwand. Man kann also sagen, daß auf dem Gebiete des Gartenbaus, und zwar in allen Betriebsformen und Betriebsgrößen mit Ausnahme der kleineren Betriebe, das Gesamtergebnis gut ist.
Die Lage der Gemüsebaubetriebe wird allerdings im Wirtschaftsjahr 1957/58 schon wieder einen gewissen Rückschlag erfahren. Der Obstbau wurde im vorigen Jahre durch die starken Fröste ganz außerordentlich geschädigt. Das gleiche trifft für den Weinbau zu. Die schwierigste Lage findet sich gerade hier, wo für 1956 eine Mosternte von nur 35 °/o einer Normalernte erreicht wurde. Die Fröste waren im Wirtschaftsjahr 1956/57 für den Weinbau außerordentlich schädigend. Für diese Betriebe haben wir bisher nur die Buchführungsunterlagen für ein einziges Jahr auswerten können. Wir werden die nächsten Jahre abwarten müssen, um zu sehen, wie sich die Ergebnisse weiterhin gestalten werden.
Die Pächter erreichten im Durchschnitt der untersuchten Betriebe - die natürlich nur einen Bruchteil der gesamten Pachtbetriebe ausmachen konnten - etwa 65 % des Einkommens, das die Eigentümerbetriebe erreichen konnten, was zum Teil auf die Pachtzahlungen zurückzuführen ist.
Die Lage der Siedler hat sich im allgemeinen gegenüber der ersten Zeit, der Zeit der Ansetzung, wo sehr viele Klagen waren, gebessert. Am letzten Zahlungstermin des Jahres 1957 waren bei den durch die Deutsche Siedlungsbank verwalteten Bundeshaushaltsmitteln nur 4,8 % der Tilgungsbeträge rückständig, und für einen Teil dieser 4,8 % lagen noch begründete Stundungsanträge vor. Das Hauptelend bei den Siedlern ist, daß sie in den vergangenen Jahren kein Kapital bilden konnten, so daß jeder Ernterückschlag oder sonstige Schicksalsschlag in der Familie diese Betriebe sehr hart trifft, weil sie gar keine Reserven haben. Die seit 1949 auf Grund des Flüchtlingssiedlungsgesetzes aus Mitteln des Ausgleichsfonds - Soforthilfe - gewährten und von der Deutschen Landesrentenbank verwalteten Darlehen von insgesamt 234 Millionen DM sind in Höhe von 30 Millionen DM planmäßig und außerplanmäßig getilgt worden. Die Rückstände an Tilgungsraten betrugen am 31. März 1957 6,5 % des Leistungssolls. Man kann sagen, daß diese Zahlen nicht ungünstig sind. Man kann für die gesamte Landwirtschaft feststellen, daß die Schuldnermoral ausgezeichnet ist, daß die Schulden, soweit sie zur Rückzahlung anstehen, im allgemeinen pünktlich abgedeckt werden.
Die Verpachtung bei der Ansetzung von Flüchtlingssiedlern hat sich in geringerem Umfange bewährt. Die Situation der Leute, die auf diesen manchmal viel zu kleinen Pachtstellen sitzen, die
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sie in ihrer Not damals übernommen haben, ist im allgemeinen unbefriedigend.
Im Rahmen des Berichts über die Landwirtschaft wären natürlich noch eine Reihe von Problemen, insbesondere die sich aus der Steigerung der Produktion und der Produktivität ergebenden Probleme, zu besprechen. Ich werde es mir versagen müssen, in diesem Bericht im einzelnen darauf einzugehen. Wir werden vielleicht in der Diskussion darauf zu sprechen kommen.
Die vielfach geforderte Steigerung der Produktivität, aus der allein auf die Dauer die Mehreinnahmen für den einzelnen Betriebsinhaber fließen können, hat auch eine schwarze Seite. Bei unseren Kleinbetrieben wird die Steigerung der Produktivität immer mit einer Erhöhung der Produktion verbunden sein. Mit der Steigerung der Produktion macht sich der Landwirt selbst Konkurrenz: Sie kann auf dem Markt derartig hart werden, daß er praktisch durch die Produktionssteigerungen in seinem eigenen Betrieb nachher nicht mehr einen entsprechenden Anteil an seinen Bemühungen erhält. Aber diese Fragen sind alt, und ich brauche sie deshalb in dieser Stunde nicht näher zu erörtern. Ich will nur sagen, daß man sicherlich durch einen rationelleren Einsatz der Produktionsmittel, durch eine Erhöhung der Qualität der Produkte, durch eine marktgerechte Produktion - nur eine marktgerechte Produktion kann uns ja auf die Dauer helfen -, die Lage noch etwas verbessern kann. Ich glaube, daß, wer diesen Forderungen nachkommt,
sich mindestens in den Stand gesetzt sieht, daß kein anderer im Inland und im Ausland in der Lage sein wird, ihn dabei zu übertrumpfen. Diejenigen, die ihnen nachkommen, werden immer in der Spitzenklasse liegen und schon deshalb wenig Konkurrenz haben.
Wenn man nun untersucht, wo hauptsächlich der Grund für die Disparität liegt, dann kommt man zu der Feststellung: er liegt in den Arbeitskosten im weitesten Sinne. Ich weiß nicht, ob Ihnen die Vervielfältigung zugegangen ist, in der in einem Schaubild gezeigt wird, daß die Arbeitskosten im weitesten Sinne, also die reinen Arbeitslöhne plus Maschinenkosten, etwa 50 bis 60 % der gesamten Unkosten ausmachen. Diese Arbeitskosten müssen heruntergedrückt werden. Sie verfolgen uns natürlich in der Landwirtschaft in einem ungewöhnlichen Maße, wenn wir gezwungen sind - um überhaupt noch Arbeitskräfte zu behalten -, die gleichen Löhne zu zahlen, wie sie in der gewerblichen Wirtschaft gezahlt werden.
In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß die Landarbeitertarife zwar beachtlich gestiegen sind, der tatsächliche Lohn aber noch über diesen Tarifen liegt. Die Mehrzahlung in der Landwirtschaft beträgt bei den Stundenlöhnern etwa 7 bis 10 %, bei den sogenannten Monatslöhnern liegt die Überzahlung teilweise bei über 30 %. Diese Lohnkosten sind nicht aus dem Produktivitätszuwachs der Landwirtschaft, sondern aus dem nackten Zwang entstanden, daß in der gewerblichen Wirtschaft höhere Löhne gezahlt werden; der Landwirt behält keine Mitarbeiter mehr, wenn er diese Löhne nicht auch zahlt. Der Landarbeitertariflohn liegt um 33 % tiefer als der gewerbliche Lohn, der tatsächliche Lohn um etwa 7 bis 10 % höher als der Tariflohn, also um 25 % unterhalb des gewerblichen Lohns; und bei den Monatslöhnern ist die Situation. vom Lohn aus gesehen, noch etwas günstiger.
Aber ich wollte hier auf ein Problem zu sprechen kommen, das im Grünen Plan - Drucksache 200 - auf Seite 102 behandelt ist. Da sind Betriebe besprochen, die seit sechs Jahren Buchführung haben, also über sechs Jahre in ihrer ganzen Reaktion genau verfolgt werden können. Bei diesen Betrieben, deren Größe zwischen 20 und 100 Hektar liegt und die mit fremden Arbeitskräften wirtschaften, hat die Zahl der Arbeitskräfte in den sechs Jahren um 5,5 Vollarbeitskräfte pro 100 Hektar abgenommen - das ist eine gewaltige Abnahme -, und sie haben sich mit einem Kostensatz von 12 600 DM pro abgewanderte Arbeitskraft mechanisiert. Wenn Sie nun die Gesamtkosten - Anschaffung, Verzinsung, Abzahlung, Pflege sowie Einsatz der Maschinen - dazunehmen und da mit einem sehr hohen Satz rechnen, dann kommen Sie bei diesen Kosten immer noch nicht auf den Lohn eines Landarbeiters. Man könnte sagen: in den mittleren bis größeren Betrieben liegt zweifellos noch die Möglichkeit, durch Anschaffung von arbeitsparenden Maschinen eine Verbesserung der Situation durchzusetzen. Das ist auf den Seiten 102 und 103 im einzelnen nachgewiesen, wo auch auf diejenigen Reserven hingewiesen wird, die sonst noch in den Betrieben ausgeschöpft werden können. Wenn Sie sich nun daran erinnern, daß ich eben sagte: die Arbeitskosten betragen ungefähr 50 bis 60 % des Gesamtaufwandes, und hiermit den Aufwand für Kraftfuttermittel mit 12 % und für Düngemittel mit 8 % vergleichen, dann sehen Sie, wo der Hase im Pfeffer liegt, dann sehen Sie, wo der Hebel angesetzt werden muß, um die Kosten im Rahmen des landwirtschaftlichen Aufwandes zu verringern.
Innerhalb der Arbeitskosten haben sich in den zurückliegenden Jahren die Preisverhältnisse kräftig verschoben. Die Landarbeiterlöhne sind, gemessen am Stand der Getreidepreise, seit der Vorkriegszeit um 50 % gestiegen. Dabei soll von mir aus gegen die jetzige Höhe der Landarbeiterlöhne nichts gesagt werden, denn ich weiß - ich habe es ja betont -, daß sie im Schnitt noch 33 % unter den gewerblichen Löhnen liegen. Mit dem Erlös aus einem Doppelzentner Weizen konnte man 1911 81 Arbeitsstunden entlohnen, 1938 waren es noch 42, 1957 nur noch 30 Stunden. So ist die Kaufkraft des Weizens - das ist nur ein einziges Beispiel - gegenüber den Arbeitslöhnen gesunken; und der Weizen gehört nicht zu den Produkten der deutschen Wirtschaft, die am schlechtesten bezahlt werden.
Sie sehen also, wie wichtig es ist, sich mit den Maschinenkosten zu befassen. Wie steht es nun mit den Schlepperkosten? Diese sind im Verhältnis zu den Löhnen zurückgegangen, und zwar kann man mit dem Lohn von 10 Arbeitsstunden heute 6 Schlepperstunden bezahlen gegen 2,6 im Jahre 1938. Daran erkennt man, daß das, was die gewerbBundesernährungsminister Dr. h. c. Lübke
liche Wirtschaft trotz steigender Löhne auf dem Gebiet der Mechanisierung der Landwirtschaft bietet, durchaus noch beachtlich ist. Die Mechanisierung ist für die kleinen Betriebe aber, die die Masse der Betriebe darstellen, sehr schwierig. Hier liegen die Dinge insofern anders, als der Ausnutzungsgrad einer Maschine viel niedriger ist als in mittleren und größeren Betrieben. Darum sind auch im Grünen Plan 1958 die Unterstützungsbeträge für die gemeinschaftliche Verwendung gebrauchter Maschinen erhöht worden.
Ich darf zum Abschluß dieser Frage der Arbeitskosten folgende grundsätzliche Feststellungen treffen. Eine dauerhafte Lösung des Disparitätsproblems setzt zweierlei voraus. Erstens sollten die Zweige der gewerblichen Wirtschaft mit günstigen Produktions- und Absatzmöglichkeiten ihre Produktivitätsgewinne in erster Linie in niedrigeren Preisen weitergeben.
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Das hätte den doppelten Effekt, daß die Kostenseite der landwirtschaftlichen Betriebe durch niedrigere Produktionsmittelpreise entlastet und die Disparität nicht trotz aller Bemühungen der Landwirtschaft und trotz der Förderungsmittel des Grünen Plans durch die Lohnentwicklung in der gewerblichen Wirtschaft ständig vergrößert würde. Darüber hinaus hätte das den Vorteil einer Entlastung der öffentlichen Hand dadurch, daß die ständige Anpassung der Renten in geringerem Umfang nötig wäre.
({2})
Das ist das entscheidende Problem von heute.
({3})
Diese Forderung ist um so mehr gerechtfertigt, als die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise bisher weit hinter der Erhöhung der Industriearbeiterlöhne zurückgeblieben ist. Die Landwirtschaft muß, unterstützt und gefördert durch die Maßnahmen des Grünen Plans, alle Möglichkeiten ausschöpfen, ihre Produktivität weiter zu steigern. Dabei ist es unausweichlich, daß mehr als bisher der Forderung Rechnung getragen wird, ein nur mäßig, d. h. im Rahmen der Verbrauchsentwicklung zunehmendes Produktionsvolumen mit einer ständig abnehmenden Zahl von Mitarbeitern zu erzeugen. Hieraus ergibt sich der Zwang, in steigendem Maße die menschliche Arbeit durch Maschinen zu ersetzen. Arbeitswirtschaftlich sinnvolle und arbeitssparende Gebäude sind in diesem Sinne ebenso wertvolle und wichtige Arbeitsmittel. Auch arbeitswirtschaftliche Verbesserungen, die die bäuerliche Arbeit erleichtern, der Bäuerin mehr Kraft und Zeit für ihre Familie geben und dem Bauern ermöglichen, sich Gedanken über den Betrieb zu machen, gehören dazu.
Unter den gegebenen Verhältnissen der Lohnentwicklung auf der einen Seite und der Verbrauchsentwicklung auf der anderen Seite ist dieser Prozeß ein wirksames Mittel, das Arbeitseinkommen je Kopf, vor allen Dingen in den kleinen Betrieben mit ungünstigen Ertragsbedingungen zu erweitern. Der Grüne Bericht 1958 zeigt, daß sich durch die Verminderung des Arbeitskräftebestandes in den meisten Betriebsgruppen das Arbeitseinkommen je Kopf erhöht hat, insbesondere in den kleinen Betrieben mit extensiven Bodennutzungssystemen. In welchem Ausmaß dieser Prozeß unsere Landwirtschaft bereits erfaßt hat, zeigt sich in der Abnahme der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte. Der Bestand an Vollarbeitskräften in der Landwirtschaft ist bis 1952/53 jährlich um etwa 125 000, seit 1953/54 jährlich um 160 000 zurückgegangen. In den Testbetrieben betrug die Zahl der Vollarbeitskräfte je 100 ha im Wirtschaftsjahr 1955/56 20 AK. Im Wirtschaftsjahr 1956/57 ist die Zahl der Vollarbeitskräfte auf 18 AK je 100 ha zurückgegangen.
Die Schwierigkeiten und Probleme, die sich aus diesem Umstellungsprozeß ergeben, sind für die Betriebsgruppen verschieden. Das Arbeitspotential in den kleinen Familienwirtschaften unter 10 ha ist immer noch verhältnismäßig hoch. Auf Seite 124 der Drucksache 200 sehen Sie, daß die Betriebe unter 10 ha, die untersucht worden sind, im Durchschnitt noch einen Arbeitskräftebesatz von 26,4 Vollarbeitskräften pro 100 ha haben. Die Betriebe zwischen 10 und 20 ha haben 21, die Betriebe über 20 ha haben 18, 15 und 12 Arbeitskräfte pro 100 ha. Aus diesem Grund ist es für die Betriebe zwischen 5 und 10 ha notwendig, zu mechanisieren, zu intensivieren und die Viehproduktion zu steigern. Die vorhandenen Familienarbeitskräfte können rationeller ausgenutzt und ihr Einkommen kann verbessert werden. Die Aufstockung der Betriebe auf den Umfang vollständiger Familienwirtschaften und andere agrarstrukturelle Maßnahmen, die durch die Grünen Pläne gefördert werden, sollen ergänzt werden durch Maßnahmen zur Rationalisierung und Intensivierung der Produktion. Soweit diese Betriebe nicht in der Lage sind, einer bäuerlichen Familie die wirtschaftliche Existenz zu sichern, weil sie entweder zu klein sind oder unter zu ungünstigen Ertragsbedingungen arbeiten, werden die dort tätigen Menschen, wie schon immer, den Weg in andere Berufe finden. Im Interesse einer gesunden Sozialstruktur kommt dabei der Schaffung von Nebenerwerbsquellen durch Zubringerbetriebe der Industrie besondere Bedeutung zu. Diese Entwicklung ist im Gange. Seit 1949 allein hat die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe unter 2 ha um 46 000, die der Betriebe zwischen 2 und 5 ha landwirtschaftliche Nutzfläche um 85 000 und die der Betriebe zwischen 5 und 10 ha um 29 000, insgesamt um 160 000 abgenommen. Das sind fast 10 % der gesamten Betriebe dieser Größenklassen. Allein in den beiden Jahren seit 1955 ist die Zahl der Betriebe unter 5 ha um 45 000 und die Zahl der Betriebe zwischen 5 und 10 ha um 11 000 zurückgegangen. Auf der anderen Seite hat sich von 1949 bis 1957 die Zahl der Betriebe zwischen 10 und 20 ha landwirtschaftliche Nutzfläche um 16 000, die der Betriebe von 20 bis 50 ha um 4000 erhöht.
Meine Damen und Herren, das sind Zahlen, die einen aber auch bange machen können. Es ist eine Umstellung, eine Revolutionierung im ländlichen Bereich, wie wir sie in diesem Umfang vielleicht
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nur in der Zeit der gewaltigen Auswanderung nach Amerika gehabt haben. Wir haben aber schon immer die Tatsache zu verzeichnen gehabt, daß Inhaber von Betrieben bis zu 10 ha in ungünstigen Lagen und mit ungünstigen Produktionsbedingungen ihren Nebenerwerb in der gewerblichen Wirtschaft gesucht haben. Wo diese Inhaber nun dazu übergegangen sind, zu verpachten oder zu verkaufen, da verschwinden diese Betriebe in der Statistik als selbständige landwirtschaftliche Betriebe. Als Nebenerwerbsbetriebe sind sie aber noch vorhanden. Es ist in seltenen Fällen so, daß die Familien vorn Dorfe abwandern. Die Familien bleiben auf dem Lande und fahren im Pendlerverkehr zu den Arbeitsstellen, wo sie sich dann einen leichteren und höheren Verdienst suchen.
Die Hauptlast der Schwierigkeiten, die in den kleinen und mittleren Betriebsgruppen durch den Mangel an Arbeitskräften entstehen, hat in der Regel die Bäuerin zu tragen. Nicht nur vermehrte Hausarbeit leistet sie, sondern sie wird daneben auch noch zu Feldarbeiten herangezogen. Neben dem technischen, wirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Problem der Mechanisierung der Außenwirtschaft steht hier dazu die Frage im Vordergrund, durch Umbau und Modernisierung der Küche und der Wirtschafts- und Vorratsräume, die ohne Hilfe dastehende Bäuerin von der ständigen schweren körperlichen Arbeit zu entlasten. Die Regierungserklärung vom 29. Oktober 1957 betont bereits, daß in stärkerem Maße als bisher für die Erleichterung der Arbeit der Landfrau Sorge getragen werden muß.
Das verlangt aber in erster Linie Umdenken in den bäuerlichen Familien selbst. Es ist in sehr vielen Familien selbstverständlich, daß ein Schlepper gekauft wird, und die Bäuerin sagt nichts dagegen. Das ist manchmal aus Gründen der Reputation notwendig. Der Nachbar hat ja auch einen.
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- Sehr richtig! Wenn der Bauer nun dazu übergeht, einen höheren Betrag z. B. für die Beschaffung einer modernen Küche oder aber dort, wo der Bauer nicht in geschlossenen Dörfern, sondern in Einzelhöfen wohnt, die Anschaffung einer Kühltruhe und alle derartigen Dinge auszugeben oder aber dafür zu sorgen, daß das Wasser im Haus an denjenigen Stellen läuft, wo es gebraucht wird und nicht von der Bauernfrau oder ihren Mitarbeitern geschleppt werden muß, dann würde er sich auch um die Haus- und Hofarbeit verdient machen. Damit könnte tatsächlich die Bäuerin mehr Zeit für die Familie, insbesondere für die Erziehung der Kinder gewinnen.
Darüber hinaus könnte auch durch Schaffung von mehr Gemeinschaftsanlagen, z. B. Dorfwaschküchen, Gemeinschaftskühlanlagen usw., noch einiges getan werden. Für die Wasserversorgung und die Elektrifizierung sind ja im Grünen Plan schon seit Jahren Mittel angesetzt. Aber wenn die Bäuerin zum Teil heute noch einen Hausgarten von einem oder einem halben Morgen bewirtschaftet oder wenn sie vielleicht 50 oder 100 Hühner hält, dann ist das völlig zwecklos. Wenn sie so viel Hühner hält, daß es für den eigenen Bedarf ausreicht, dann steht sie sich dabei besser. Oder aber sie macht einen Betriebszweig daraus und kauft sich mehrere hundert erstklassige Legehühner; dabei verdient sie dann etwas. Durch alle diese Dinge kann man natürlich auch der Bäuerin helfen und so günstigere, gesündere Verhältnisse auf dem Bauernhof schaffen.
Man könnte auch an die Anschaffung von Kühltruhen und Haushaltsgeräten denken in einer Form, wie sie in den Vereinigten Staaten von Amerika üblich ist. Dort werden eine Reihe von leistungsfähigen Firmen aufgefordert, für mehrere Jahre Bleichhohe Lieferungen unter bestimmten Voraussetzungen anzubieten, z. B. Kühlgeräte für die Milch. Das könnte man aber in Deutschland nicht nur für Kühlgeräte für die Milch, sondern auch für Kühltruhen und Waschmaschinen tun. Man könnte sich bei den Fabriken verdient machen durch Erteilung größerer langfristiger Aufträge und könnte sich bei der Bauernfrau und beim Bauern verdient machen dadurch, daß man die Kosten für diese Geräte um mehrere 100 Mark verbilligt.
({5})
- Die Adresse kenne ich wohl.
({6})
- Aber es steht auch den Mitgliedern des Ernährungsausschusses in jeder Beziehung Tür und Tor offen!
({7})
- Der Heilige Geist waltet über allen!
({8})
Ich darf nun zu dem Wunsch übergehen - der mir sehr häufig vorgetragen wird -, man möge die in der Landwirtschaft entstandene Disparität global berechnen und diese Globalsumme hier angeben. Ich habe auf die Lage der Landwirtschaft, wie ich glaube, dadurch in genügend klarer Weise hingewiesen, daß ich ausgeführt habe, wie hoch das Arbeitseinkommen ist, das in der Landwirtschaft erzielt worden ist, und zwar bei durchschnittlichen Produktionsgrundlagen und ordnungsmäßiger Bewirtschaftung. Wenn dieser Arbeitslohn um 33 % hinter dem Vergleichslohn - der mit 4160 Mark nicht zu hoch angesetzt ist - zurückbleibt, dann ergibt sich für jeden, der rechnen kann, eine Disparität, die groß genug ist, um zu erschrecken.
({9})
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Der Grüne Bericht beschränkt sich entsprechend den Bestimmungen des Landwirtschaftsgesetzes bewußt darauf, die Ertragslage der Landwirtschaft in einzelnen Betriebsgrößen, Betriebstypen, Betriebssystemen und Wirtschaftsgebieten zu untersuchen. Eine Globalberechnung der Ertragsaufwandsdifferenz der Landwirtschaft ist methodisch problematisch und ihr Aussagewert zu begrenzt, als daß er die Grundlage für wirtschaftspolitische Maßnahmen bilden könnte. Also an eine Globalberechnung und darauf beruhende Aussagen Berechnungen für Hilfsmaßnahmen anzuknüpfen, ist völlig sinnlos. Es liegen bisher keine ausreichenden Unterlagen dafür vor, aus dem Gesamtkomplex der landwirtschaftlich genutzten Fläche die Betriebe im Sinne des Landwirtschaftsgesetzes auszusondern und sie nach den einzelnen Betriebsgruppen und Ertragswertstufen mit genügender Genauigkeit aufzugliedern. Nur die Unterlagen durchschnittlicher Betriebe, nur die ordnungsmäßige Wirtschaft soll nach dem Landwirtschaftsgesetz untersucht werden. Wir haben bisher 8000 Betriebe dafür herangezogen, und wenn wir die Gesamtdisparität auf dieser Grundlage bekanntgeben wollten, brauchten wir eine ordnungsmäßige Zuordnung der gesamten 14 Millionen Hektar zu den paar hunderttausend Hektar der untersuchten Betriebe. Daß das keinen Zweck hat, liegt doch wohl auf der Hand.
Meine Damen und Herren, ich darf nun zu dem Grünen Plan 1958 übergehen. Sie haben inzwischen die Unterlagen „Überblick über die finanziellen Aufwendungen des Bundes im Grünen Plan 1958" ({10}) bekommen; ich hoffe, daß diese Aufstellung Ihnen vorliegt. Sie sehen aus dem Punkt I, daß die Mittel für die Verbesserung der Agrarstruktur und der landwirtschaftlichen Arbeits- und Lebensverhältnisse, wofür voriges Jahr 415 Millionen DM zur Verfügung standen, auf 593 Millionen DM heraufgesetzt sind. Die Flurbereinigung hat 45 Millionen DM mehr zugeteilt bekommen, die Aufstockung und Aussiedlung 100 Millionen DM mehr, die Wasserwirtschaft etwa 8 Millionen DM mehr, die Wirtschaftswege haben den gleichen Betrag, die Wasserversorgung, Elektrifizierung desgleichen. Die Förderung der Seßhaftmachung von verheirateten Landarbeitern ist von 10 auf 25 Millionen DM und die Förderung der Forschung, Ausbildung, Beratung, Aufklärung und Werbung von 15 auf 20 Millionen DM heraufgesetzt; insgesamt handelt es sich also um eine Erhöhung von 415 Millionen auf 593 Millionen DM.
Die Förderung der Einkommensverhältnisse der landwirtschaftlichen Bevölkerung! Handelsdünger voriges Jahr 260, jetzt 316, Obst- und Gartenbau voriges Jahr 2, jetzt 3, technische Anlagen, insbesondere in Futterbaubetrieben, z. B. Silobauten, Gülleanlagen, Unterdachtrocknungsgeräte von 10 auf 25 Millionen, Gemeinschaftsmaschinen von 10 tauf 15 Millionen DM.
Förderung von Qualität und Absatz, a) Milch. Der Betrag von 400 Millionen DM für die Milch entspricht dem Vorjahr. Ich darf an dieser Stelle folgendes sagen. Wir haben im Vorjahr 4 Pf Prämie unter bestimmten Voraussetzungen festgelegt. Diese
Prämie war an die Bedingung gebunden, daß die dritte Qualitätsstufe ausgeschaltet wurde und daß sich die Betriebe in das Verfahren zur Bekämpfung von Tbc und Bang eingliederten. Der Zudrang zu diesem Bekämpfungsverfahren und die Beseitigung der dritten Qualitätsstufe sind in einem derartigen Maße eingetreten, daß wir die Summe von 400 Millionen DM um 80 Millionen DM überschreiten werden. Das ist für dieses Mal noch möglich gewesen, für das nächste Mal wird es nicht möglich sein. Wir haben die Auflage, daß die 400 Millionen DM nicht überschritten werden dürfen. Aber wir haben die noch stärkere Auflage, daß wir eine Milchanlieferung, wie sie aus der Reserve gekommen ist, in dem Umfang nicht wieder haben dürfen, weil wir sonst die 4 Pf Prämie durch gegenseitige Konkurrenz der einzelnen Milchprodukte selbst auflösen. Ich will da ganz deutlich sprechen. Wir haben 17 Milliarden Liter Milch Produktion. Wir hatten im vergangenen Wirtschaftsjahr, das hier zur Grundlage für die Berechnung gemacht ist, eine Milchablieferung an die Molkereien von 11,5 Milliarden Litern, das sind 5,5 Milliarden Liter, die früher ständig auf den Höfen bzw. in der Nachbarschaft verbraucht wurden. Unsere Produktionssteigerung beträgt im Schnitt höchstens 2 bis 3 %. Mehr abgeliefert worden sind bis zu 12 %, insbesondere in den Bezirken, wo die kleinsten Betriebe sitzen. Dort sind die größten Reserven vorhanden, weil hier am weitestgehenden die Möglichkeit bestand, durch Einschränkung im Haushalt zu Hause und bei der Auffütterung von Milchvieh, bei der Verfütterung von Vollmilch an Kälber und Schweine sich zusätzliche Einnahmen aus der Milchverwertung zu verschaffen. Jetzt ist durch die vereinfachte Kälber- bzw. Rindviehmast, die auf normale Futtermittel und Kraftfuttermittel abgestellt ist, die Fütterung von Kälbern und Rindvieh so stark eingeschränkt, daß wir praktisch nicht 11,5 Milliarden Liter, sondern wahrscheinlich 13,5 bis 14 Milliarden Liter angeliefert bekommen. Das führte dazu, daß wir im Dezember 25 % mehr Butter, im Januar 7000 Tonnen Butter mehr erzeugt haben als im Vorjahr. Deshalb machen uns natürlich der Butterpreis und die Einlagerung der gelagerten Butter aus dem Sommer Schwierigkeiten.
Infolgedessen ist zu befürchten, daß bei einer weiteren Entwicklung in dieser Richtung die Verminderung der Preise für Milchprodukte so stark wird, daß wir die 4 Pfennige durch Verlust bei dem Verkauf von Milchprodukten wieder einbüßen. Für Milch und Milchprodukte nehmen wir eine Summe von über 4 Milliarden DM ein. Im Verhältnis dazu ist die Summe von 80 Millionen DM, die bei den Förderungsmaßnahmen in diesem Jahr eingespart werden muß, nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Wir wollen zunächst die weitere Entwicklung abwarten und sehen, ob wir nicht durch eine gewisse Verschärfung der Bedingungen die Mehranlieferung etwas eindämmen können. - Ich sehe verschiedentlich Kopfnicken. Derjenige, der mir nein sagt, muß mir gleichzeitig auch den Rat geben, wie ich aus diesem Überfluß herauskomme.
({11})
Bundesernährungsminister Dr. h. c. Lübke
Ich hoffe, daß diese Ratschläge in der Diskussion nicht ausbleiben werden.
({12})
Auf dem Gebiete der Qualitätsverbesserung der Milch sind im vergangenen Jahr geradezu Wunder bewirkt werden. Der Anteil der Tbc-freien Viehbestände betrug im Jahre 1952 noch etwa 15 %, im Jahre 1956 48 %; im laufenden Jahr beträgt er 65 %. Die Anstrengungen der Landwirtschaft sind so gewaltig und sie hat sich das so viel Geld kosten lassen, daß dieser Elan des Mitgehens geradezu beispielhaft genannt werden kann. Niemand beklagt es mehr als ich, daß wir diese Entwicklung nicht einfach ohne Bruch fortsetzen können. Aber es muß doch möglich sein, unseren Bauern draußen die Gründe für eine Veränderung klarzumachen.
({13})
Wie wir es im einzelnen machen, können wir noch festsetzen. Die Richtlinien dafür werden erst im Laufe der nächsten zwei bis drei Wochen erstellt, so daß wir noch in den verschiedensten Gremien darüber beraten können, und da wird sich dann wohl der Heilige Geist bei den entscheidenden Stellen bemerkbar machen, ich hoffe auch bei mir.
({14})
Für die Tierseuchenbekämpfung haben wir wieder denselben Betrag wie im Vorjahr - 20 Millionen DM - eingesetzt; für Kühl- und Melkeinrichtungen stehen 10 Millionen DM zur Verfügung. Ich muß sagen, daß bei uns in Deutschland von diesen wirklich wichtigen Melkeinrichtungen bedauerlicherweise nicht genügend Gebrauch gemacht wird. Sie sind offenbar noch nicht genügend bekannt. Der Betrag für Milchleistungsprüfungen mußte um 1 Million DM erhöht werden. Das Geld, das für die Stützung der Kontrollvereine ausgegeben worden ist, hat sich gerade bei Betrieben mit wenigen Milchkühen großartig rentiert. In dem einen Jahre, in dem die Stützung der Kontrollvereine durchgeführt wurde, sind wir mit einem Ruck auf 3000 1 Milch pro Kuh gekommen.
Die Ausgaben für die Verbesserung der Molkereiwirtschaft wurden von 10 auf 15 Millionen DM erhöht; für die Schulmilchspeisung wird derselbe Betrag ausgegeben. Dazu wird für andere Erzeugnisse ein Betrag von 72 Millionen DM aufgewendet. Dabei sind die Ausgaben für diese anderen Aufgaben - Lager- und Sortierungseinrichtungen, Qualitätskontrollen usw. - meist unverändert geblieben.
Einen Betrag von 35 Millionen DM geben wir für Anbauprämien aus. Die Hälfte dieses Betrages soll dazu dienen, um den Abbau der Roggenlieferprämie in zwei Jahren zu gestatten; die andere Hälfte wird für Ausgleichszahlungen für die Böden verwendet, die einen bestimmten Anbau besonders notwendig haben. Hier sind auch noch andere Prämien eingebaut worden. Die Anbauprämien werden gerade in den schwierigeren Gebieten nicht in vollem Umfange abgebaut werden können. Wir werden uns im nächsten Jahr überlegen müssen, was geschehen kann, um die hier auftretenden Schwierigkeiten zu beheben.
Auf Wunsch der Schafzüchter sind für zwei Jahre Prämien von je 5 Millionen DM eingesetzt worden. Sie sollen zu einer Umstellung unserer Schafzucht dienen.
Desgleichen sind für je zwei Jahre 2 Millionen DM für Schweinemastleistungsprüfungen eingesetzt worden. Auf diesem Gebiete hinken wir nämlich hinter dem Ausland her.
Meine Damen und Herren, ich schöpfe aus vielen Erfahrungen der heutigen Zeit. Ich hoffe, daß all das Neue, insbesondere die ständig auftretenden neuen Schwierigkeiten unser Bauerntum zu äußerster Wachsamkeit und zu energischem Einsatz aller Selbsthilfemaßnahmen anreizen. Ich kann sagen, daß das Mitgehen bei all den Maßnahmen, die der Verbesserung der Produktivität und der Rationalisierung dienen, geradezu großartig genannt werden kann. In der Landwirtschaft müssen aber nicht nur die Auswirkungen der technischen Umwälzung berücksichtigt werden; es muß von der Landwirtschaft auch eine völlig veränderte geistige Einstellung verlangt werden. Diese hat sich in einem großen Teil des Bauerntums, insbesondere bei unserer Jugend, heute schon durchgesetzt. Das sage ich nicht nur auf Grund meines viel beschrienen Optimismus, sondern das zeigt sich mir auch in der Praxis, wenn ich draußen im Lande herumreise, in den Versammlungen bin und meine Einzelgespräche habe. Hier wird offenbar, daß die größte Hoffnung für unser Bauerntum in der Jugend liegt.
Um so mehr stört es das ganze Bild, wenn unseren Bauern aus der Presse oder aus der Öffentlichkeit vielfach das Wort entgegenklingt: Ihr müßt von Subventionen leben. Ich mache nochmals darauf aufmerksam, daß z. B. die Handelsdüngerprämie, die wir gegeben haben, gerade bei den kleinen Betrieben mit ihren schwierigen Produktionsverhältnissen zu erheblichen Steigerungen geführt hat. In den schwierigen Betrieben des bayerischen Landes hat der Stickstoffverbrauch um 18 % und der Phosphorverbrauch um 20 % zugenommen. Während der Stickstoffverbrauch in der Bundesrepublik gegenüber dem Vorvorjahr um 11 % zugenommen hat, hat er in diesem Jahr um 13 % zugenommen. Die Linie steigt also absolut an. Ich darf darauf hinweisen, daß trotz der Stickstoffpreiserhöhung - wir haben damit Arger gehabt - der Einsatz von Stickstoff bei uns durchaus noch lohnend ist. Man soll sich deshalb nicht davon abhalten lassen, diesen Einsatz weiterhin zu erhöhen.
Das Ziel, wie sich ganz klar gezeigt hat, ist in der Landwirtschaft 1956/57 nicht erreicht worden Der dritte Grüne Bericht stellt hierzu folgendes fest: Nachdem sich die Lage der Landwirtschaft zwar etwas gebessert hat, im allgemeinen aber eine Heranführung des Einkommens an das Einkommen vergleichbarer Berufsgruppen nicht erreicht werden konnte, sieht sich die Bundesregierung gezwungen, im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten ihre Bemühungen verstärkt fortzusetzen, die immer noch
Bundesernährungsminister Dr. h. c. Lübke
schwierige Lage der Landwirtschaft zu verbessern und ihr zu helfen, die Aufgaben zu meistern, die im Zuge der Errichtung des Gemeinsamen Europäischen Marktes auf sie zukommen.
Der bäuerliche Berufsstand setzt sich selber in stärkstem Maße für seine wirtschaftliche Besserstellung ein. Die Besserstellung kommt aber nicht nur ihm zugute, sondern auch weiten Kreisen in der gewerblichen Wirtschaft, in unserem Mittelstand, in Handel und Gewerbe und insbesondere den Hausfrauen. Dadurch wird nicht nur die Sicherheit der Ernährung gewährleistet, sondern gleichzeitig eine ganz gewaltige Qualitätsverbesserung erzielt.
Sie ersehen daraus, daß das, was ich in dem Grünen Plan vortrage, nicht nur ein Anliegen der Landwirtschaft ist, sondern ein Anliegen der gesamten deutschen Nation.
({15})
Das Haus hat den Bericht der Bundesregierung entgegengenommen. Nach den Vereinbarungen im Altestenrat wird die Aussprache zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Wir kommen zu Punkt 3 der gestrigen Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle ({0}).
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Drucksache 83 legt Ihnen die Fraktion der Freien Demokraten einen Änderungsvorschlag zum Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vor.
({0})
Der Herr Bundeskanzler hat schon in der Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung, wenn genügend Erfahrungen über die Auswirkungen des in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedeten Gesetzes über die Lohnfortzahlung vorliegen, etwaige Mängel dieses Gesetzes beseitigen will.
({1})
Meine Damen und Herren, ich darf doch bitten, dem Herrn Redner bei der Begründung des Antrages zuzuhören oder Privatgespräche außerhalb des Saales zu führen.
Einige Kollegen des Hauses aus der CSU-Fraktion haben sich schon in einer Kleinen Anfrage vom 11. Dezember nach den Auswirkungen dieses Gesetzes erkundigt und in einzelnen Punkten auf Mängel hingewiesen, die zu diesem Zeitpunkt bereits offen diskutiert wurden und in der Zwischenzeit immer deutlicher zutage getreten sind.
In der Presse, in Versammlungen der Ortskrankenkassen und in vielen Einzelgesprächen ist immer wieder zum Ausdruck gekommen, daß bei der Durchführung des Gesetzes Mängel auftreten müßten, vor allen Dingen deswegen, weil derjenige, der arbeitet, in der Gefahr steht, in mancher Hinsicht schlechter wegzukommen als derjenige, der krank ist. Ich werde das an Hand einiger Beispiele noch des näheren erläutern.
Wenn wir insgesamt die Auswirkungen des Gesetzes betrachten, müssen wir feststellen, daß bei allen, die damals diesem Gesetz zugestimmt haben, ein gewisses Unbehagen aufgekommen ist, weil alle Mängel, auf die damals von dieser Stelle aus sowohl von meinen politischen Freunden als auch von anderen Fraktionen dieses Hauses hingewiesen worden ist, jetzt leider in Erscheinung treten.
Nun wird oft gesagt - und in der Antwort auf die Kleine Anfrage ist das ebenfalls zum Ausdruck gekommen -, daß man vielleicht jetzt noch nicht genügend Erfahrung habe, um endgültig beurteilen zu können, ob und inwieweit dieses Gesetz reformbedürftig sei. Meine politischen Freunde und ich meinen aber, daß in zwei Punkten die Mängel, von denen in dem Änderungsantrag unserer Fraktion gesprochen wird, inzwischen so deutlich geworden sind, daß wir heute bereits darüber sprechen können und uns Gedanken darüber machen sollten, in welcher Form wir hier ändern können.
Es hat sich gezeigt, daß selbst von den Gewerkschaften während der ersten Tage nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes gemahnt worden ist, in den Betrieben nun nicht in den Fehler zu verfallen, das Gesetz besonders auszunutzen und damit der gesamten Arbeiterschaft Schaden zuzufügen. Es liegen Beispiele aus großen Betrieben vor, wo in den Monaten September, Oktober und November leider die Zahl der Krankheitsfälle auch unabhängig von der Grippewelle bedeutend stieg. Bei Kontrollen mußte leider festgestellt werden, daß manche „Kranke" sich nicht im Bett befanden, wo sie laut ärztlichem Urteil sein sollten, sondern daß sie ihren Garten bestellten oder sich sonstwie beschäftigten.
Ich will damit nicht sagen, daß grundsätzlich Mißbrauch mit diesem Gesetz getrieben worden ist. Es hat sich aber gezeigt, daß jeder einigermaßen Intelligente sehr schnell die Lücken fand, aus deren Ausnutzung man Vorteile ziehen kann.
Die Grippewelle wird sehr oft als alleinige Ursache des Hinaufschnellens der Zahl der Krankheitsfälle nach dem 1. Juli 1957 angeführt. Natürlich hat sie eine Auswirkung gehabt, aber doch nicht in dem Umfang, wie es oftmals dargestellt wird. Heute können wir bereits übersehen, daß mindestens 1 °/o mehr Krankheitsfälle eingetreten sind als früher normalerweise. Das bedeutet aber, daß die Krankenzahl um rund 20 % gestiegen ist. Natürlich läßt sich diese Zahl nicht als bis ins letzte exakt beweisen.
({0})
Mischnik
Mag es nur ein halbes Prozent oder mag es ein ganzes Prozent sein, auf jeden Fall ist sicher, daß leider etwas Mißbrauch damit getrieben wurde. Deshalb haben wir die Verpflichtung, die Bestimmungen von uns aus zu ändern.
Darf ich eine Zwischenfrage stellen?
Ja, bitte.
Sind Sie nicht der Auffassung, daß sich dadurch, daß die Zahl der Karenztage durch das Gesetz von vier auf drei vermindert worden ist, automatisch eine Erhöhung des Krankenstandes ergeben muß, die nichts mit Moral und Unmoral zu tun hat?
Selbstverständlich, Herr Professor, trifft das in einzelnen Fällen zu. Aber die Gesamtheit können Sie nicht damit abtun. Es zeigt sich ja in den verschiedensten Stellungnahmen sehr deutlich, daß darüber hinaus eben leider auch Mißbrauch getrieben worden ist, und zwar zum Schaden all der anständigen und verantwortungsbewußten Arbeiter, die das nicht getan haben. Wenn Sie sich einmal die Ziffern über die Entwicklung der Zahl der Krankheitsfälle in den Statistiken der Betriebe ansehen, dann werden Sie leider feststellen, daß gerade bei denjenigen Arbeitern, die erst verhältnismäßig kurze Zeit im Betrieb waren, die Grippedauer erstaunlicherweise 8, 10, 12, 14 und noch mehr Tage betrug, während diejenigen Arbeiter, die schon 5, 6, 8 oder 10 Jahre im Betrieb waren, mit der Grippe in 5, 6 Tagen fertig wurden. Das bedeutet letzten Endes, daß derjenige, der verantwortungsbewußt war, in der Endabrechnung seine zwei Tage verlor, während der andere, der, sagen wir einmal, fünf gerade sein ließ und die 10, 11 Tage auf 14 Tage erweiterte, den Vorteil hatte. Diese Benachteiligung des verantwortungsbewußten Arbeiters sollten wir unserer Meinung nach so schnell wie möglich durch eine Änderung des Gesetzes aufheben.
Es kommt noch ein Weiteres hinzu. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich aus der Zeitschrift „Die Krankenversicherung", Heft 1 vom Januar 1958, aus einem Vortrag, den der Obervertrauensarzt Dr. Stüvermann in Anwesenheit des Herrn Bundesarbeitsministers am 6. Januar in Bocholt gehalten hat, ein paar Sätze zitieren. Er sagt da:
Inzwischen ist eine Zeit eingetreten, die es gestattet, die Auswirkungen des Gesetzes klar zu sehen und besser beurteilen zu können.
Und an anderer Stelle:
Ich bin nicht der Überzeugung, daß die Grippefälle so zahlreich waren, wie die Krankenscheine auswiesen. Worauf es hier jedenfalls ankommt, ist die Erfahrung, daß vielfach die Konjunktur ausgenützt wurde, denn die Überforderung des praktischen Arztes erleichterte
die Registrierung als Grippekranker und die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit.
Und er sagt weiter:
So gibt es Patienten, die in den letzten Monaten schon sechsmal von einer Grippe befallen wurden. Auffällig ist dabei nur, wie häufig die Krankheitsdauer mit 14 Tagen bemessen wird.
Das ist das Urteil eines Obervertrauensarztes. Weitere Stellungnahmen will ich nicht mehr vortragen; sie sind vorhanden.
Ich betone noch einmal: Es handelt sich wahrscheinlich um 1/2 oder 1 % der Arbeiter, die hier etwas weniger verantwortungsbewußt - um es vorsichtig auszudrücken - gehandelt haben als die anderen, und dem sollten wir einen Riegel vorschieben. Deshalb unser Wunsch, sich jetzt über diese Dinge zu unterhalten.
Noch eine weitere Tatsache hat sich gezeigt. In der Kleinen Anfrage der Kollegen von der CSU war danach gefragt worden, ob im gleichen Zeitraum, in dem die Krankheitsfälle bei den Arbeitern gestiegen seien, die Krankheitsfälle bei den Angestellten zurückgegangen seien. Der Herr Bundesarbeitsminister hat geantwortet, dies treffe nicht zu. Ich glaube, die Frage war etwas falsch gestellt. Es ist zu beobachten gewesen - auch das ist statistisch auf Grund der Zahlen der Krankenkassen nachweisbar -, daß in dem gleichen Zeitraum, für den die Grippewelle als Ursache des höheren Krankenstandes tatsächlich und zum Teil angeblich genannt wurde, diese Grippewelle bei den Angestellten auf der einen Seite weniger Prozent krank werden ließ und auf der anderen Seite aber auch die Krankheitsdauer geringer sein ließ. Sie haben recht, wenn Sie mir entgegenhalten, daß natürlich ein Angestellter in einem Büro für Grippe nicht so empfänglich ist wie ein Arbeiter, der im Freien tätig sein muß. All das zugestanden! Aber dann hätte auch früher ein höherer Unterschied zwischen Krankheitsfällen bei Angestellten und Arbeitern sein müssen. Das ist aber, wie sich aus den Statistiken ergibt, nicht feststellbar.
Aus all diesen Gründen - ich könnte noch viele Beispiele anführen - sind wir der Auffassung, daß das Gesetz geändert werden sollte. Bei § 1 haben wir insbesondere die Frage angepackt, die sehr viele Mißhelligkeiten mit sich gebracht hat, daß nämlich bei der Berechnung des Krankengeldes einschließlich des Arbeitgeberzuschlags mancher in der Endabrechnung mehr hatte, als er vorher während seiner Arbeitstätigkeit in seiner Lohntüte vorfand. Es gibt dafür Beispiele, und insofern ist die Antwort des Herrn Ministers auf Ziffer 4: „Es ist nicht möglich" - wenn er auch im zweiten Teil seiner Antwort dieses „nicht möglich" eingeschränkt hat -, etwas irreführend. Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen, daß Arbeiter bis zu 120 % ihres Normalverdienstes dadurch erhalten haben, daß bei der Anrechnung der Kalendertage praktisch ein höheres Endergebnis herauskommt, als wenn man nur die Arbeitstage wertet.
Auf der anderen Seite hat sich leider gezeigt, daß es mancher gut verstanden hat, eine vorüberMischnick
gehende Mehrarbeitstätigkeit nachzuweisen - vier Wochen sind ja nach dem Gesetz als letzter Zeitraum zur Berechnung vorgeschrieben -, daß er unmittelbar nach dieser Mehrarbeitstätigkeit krank wurde und dadurch natürlich automatisch für die Dauer der Krankheit ein höheres Krankengeld hatte, als vorher sein Nettoverdienst war.
Das ist nicht die Regel; aber diese Fälle, die wir im einzelnen gesehen haben und die in verschiedenen Zeitungsartikeln aufgeführt sind - ich denke an die „Stuttgarter Zeitung", wo drei Beispiele aus den Boschbetrieben genannt sind, ich denke an den „Industriekurier", ich denke auch an andere Veröffentlichungen -, zeigen, daß das Gesetz hier eine Schwäche aufweist. Unser Vorschlag zielt darauf ab, diese Schwäche soweit wie möglich zu beseitigen, indem diese Zuschläge aus der Berechnung herausgenommen werden sollen, es sei denn, es sind Zuschläge, die ständig und nicht kurzfristig gewährt werden. Wir sind gern bereit, uns bei der Ausschußberatung über diesen Punkt im einzelnen zu unterhalten, damit wir nicht denjenigen, der berechtigterweise eine laufende Zulage zu seinem Arbeitslohn erhält, beispielsweise eine Schmutzzulage, durch das Gesetz schlechter stellen. Wir wollen aber auf jeden Fall vermeiden, daß eine Art Bereitschaft oder der Wille dazu eintritt, vier Wochen Überstunden zu machen und anschließend 8 oder 10 oder 14 Tage krank zu sein und mit diesem Überstundengeld in der Entlohnung höherzukommen als vorher. Auch hier machen wir also den Versuch, dem Verantwortungsbewußten nicht Nachteile gegenüber demjenigen zu bringen, der leichtfertig über Arbeitsmoral, Arbeitsdisziplin und Zusammengehörigkeitsgefühl der Arbeiter hinweggeht.
In § 2 haben wir die Frage der Karenztage angesprochen. Ich darf hier als Beispiel mit Genehmigung des Herrn Präsidenten den Brief eines Handwerksmeisters aus Calw zitieren, der da schreibt:
Einer meiner Gehilfen, der nach 10 Tagen wieder zur Arbeit kam und bei der Lohnabrechnung dann erfuhr, daß er die ersten 2 Tage erst bei einer Arbeitsunfähigkeitsdauer von mehr als 14 Tagen bezahlt erhalte, erklärte mir wörtlich: „Das nächste Mal bin ich eben 14 Tage krank." Kann man dies dem Arbeitnehmer übelnehmen?
So fragt hier der Arbeitgeber selbst.
Die Krankenkassen machen in dieser Beziehung die gleichen Erfahrungen. Aus diesem Grunde ist man grundsätzlich mindestens 14 Tage krank. Wohin sollen wir im Laufe der Zeit bei einem solchen Gesetz kommen?
Ich betone noch einmal: es wäre falsch zu verallgemeinern. Ich stelle ausdrücklich fest, daß ein Großteil der Arbeitnehmerschaft durchaus verantwortungsbewußt gehandelt hat. Es geht uns um den Prozentsatz derer, die Mißbrauch treiben, sei er auch im ganzen gesehen noch so klein.
Herr Schellenberg zu einer Zwischenfrage!
Herr Kollege Mischnick, Sie haben in der 2. Legislaturperiode dem Bundestag nicht angehört. Aber ist Ihnen nicht bekannt, daß die Sozialdemokraten bei der dritten Beratung dieses Gesetzes den gleichen Antrag, den Sie jetzt begründen, gestellt haben und daß Ihre Fraktion in der Sitzung am 31. Mai diesen Antrag der Sozialdemokraten in namentlicher Abstimmung abgelehnt hat?
({0})
Sehr verehrter Herr Kollege Schellenberg, ich habe natürlich die Debatte nachgelesen, als ich mich mit dieser Materie befaßt habe. Sie werden mir zugeben müssen, daß es für einen Neuling schwer ist, alle Einzelheiten der Debatte beim Lesen mitzubekommen. Aber eines kann ich Ihnen sagen: Wenn wir erkennen, daß in einem Punkt eine Schwäche ist, dann sind wir bereit, das gemeinsam zu ändern.
({0})
Deshalb haben wir ja diesen Antrag eingebracht. Ich hoffe, auch Sie sind dann bereit, der Lösung, die wir vorgeschlagen haben, zuzustimmen.
Ich glaube mich allerdings zu entsinnen, daß Ihr Antrag in einem Punkt ursprünglich weiterging, nämlich in der Forderung, überhaupt vom ersten Tage an voll zu zahlen.
({1})
- Das war aber mal Ihre Auffassung und - davon bin ich fest überzeugt - ist es auch heute noch. Sie glauben nur nicht, daß es zur Zeit durchsetzbar ist; das ist die andere Frage.
Nun aber noch zu den Karenztagen. Wir hoffen mit diesem Vorschlag zweierlei zu erreichen: einmal dem verantwortungsbewußten Arbeiter praktisch einen weiteren Tag bezahlen zu lassen - denn dann fallen nicht mehr zwei Tage aus, wenn er nach vier oder fünf Tagen seine Grippe überwunden hat -, auf der anderen Seite nicht einen Anreiz zu schaffen, 14 Tage krank zu feiern, und damit im Endeffekt die Gesamtbelastung sowohl für die Krankenkasse wie für den Arbeitgeber herabzusetzen, ganz zu schweigen davon, daß auf diesem Wege natürlich auch ein Produktionsausfall und alles, was damit zusammenhängt, vermieden werden kann. Ich würde mich freuen, wenn die Vorschläge von meinen politischen Freunden und mir im Ausschuß Ihre Unterstützung fänden.
Ich darf zum Abschluß sagen: Es ist richtig, daß man bei einem neuen Gesetz zunächst eine gewisse Zeit der Erfahrung verstreichen lassen sollte. Es sind jetzt etwas über 7 Monate. Ich glaube, daß die Stellungnahmen aus allen Teilen der Betroffenen - von beiden Seiten - ein gerechtes Abwägen schon heute zulassen. Wir bitten deshalb das Hohe Haus, den Antrag dem Sozialpolitischen Ausschuß als federführendem Ausschuß und dem Mittelstandsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dittrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Kind - ich spreche von dem Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle - hat erst nach heftigen Geburtswehen das Licht der Welt erblickt und hat, als es dann auf der Welt war, von allen Seiten heftige Stöße bekommen. Selbstverständlich muß sich der Bundestag mit der Frage beschäftigen, ob eine Novellierung dieses Gesetzes, das ja erst seit 1. Juli 1957 in Kraft ist, erfolgen soll. Es ist übrigens interessant, daß sich, wie aus dem Frage- und Antwortspiel hervorging, soweit es sich um die Vierzehntagefrist handelt, nun die sozialpolitischen Auffassungen der Freien Demokratischen Partei denen der Sozialdemokratischen Partei genähert haben. Für uns ist die Frage, ob es zweckmäßig ist, schon jetzt dem Wunsche auf Änderung des Gesetzes nachzukommen.
Man wird zunächst prüfen müssen: Hat das Gesetz, so wie wir es seinerzeit im Juni 1957 geschaffen haben, tatsächlich eine Erhöhung des Krankenstandes in der Arbeiterschaft mit sich gebracht? Meine politischen Freunde der Christlich-Sozialen Union haben auf verschiedene Anregungen hin eine Kleine Anfrage an den Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gestellt und darauf eine Antwort erhalten. Es ging uns vor allem darum, daß überprüft wurde, ob tatsächlich eine Erhöhung des Krankenstandes in der Arbeiterschaft zu verzeichnen ist.
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat uns durch seine Antwort auf diese Frage zunächst beruhigt. Wir dürfen aber nicht übersehen, daß die Antwort schon vom Dezember 1957 stammt, also nur Ergebnisse etwa aus den Monaten September, Oktober und allenfalls November aufzeigen kann.
Grundsätzlich kann es vom staatspolitischen Standpunkt aus nicht richtig sein, ein Gesetz, das von der Mehrheit dieses Hauses beschlossen worden ist, schon nach wenigen Wochen zu ändern.
({0})
Es kann grundsätzlich nicht Aufgabe dieses Hauses sein, ein kurz vorher verabschiedetes Gesetz wieder aufzurollen und umzuwerfen.
({1})
Wenn sich aber bei einem Gesetz tatsächlich Mängel zeigen, dann werden wir nicht zögern, es zu ändern. Um aber Fakten - wie solche Mängel - feststellen zu können, muß man erst sehr genaue statistische Unterlagen ermitteln; erst danach kann man handeln.
({2})
Es ist uns bekannt, daß vor allem mittelständische Betriebe erhebliche Sorgen haben. Ich habe bei der Beratung des Gesetzes ausgeführt, daß vor allem auf unsere mittelständischen Kreise durch die Arbeitszeitverkürzung, durch die Lohnerhöhungen, durch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, durch die Erhöhung der Beiträge zu den Krankenkassen und Unfallversicherungen, durch die Erhöhung der Beiträge zu den Rentenversicherungen Belastungen zugekommen sind, die ohne Zweifel die Kapazität eines kleinen oder mittelständischen Betriebes übersteigen. Es ist uns bekannt, daß aus den Betrieben - ich habe schon davon gesprochen - und aus einzelnen Betriebskrankenkassen Beschwerden über dieses Gesetz gekommen sind. Daraufhin allein kann selbstverständlich der Gesetzgeber eine Gesetzesänderung, wie sie hier beabsichtigt ist, nicht vornehmen. Es wird notwendig sein, daß zunächst einmal Erfahrungen gesammelt werden, und das kann am besten durch die Allgemeinen Ortskrankenkassen und die Betriebskrankenkassen in ihrer Gesamtheit geschehen.
Die Zahlen, die uns über den Krankenstand bei den Pflichtmitgliedern der Ortskrankenkassen zugegangen sind, sind nicht von der Hand zu weisen. Das Gesetz ist wie gesagt am 1. Juli 1957 in Kraft getreten. An diesem Tage hatten wir einen Krankenstand von 4,08 v. H., während im Vergleichsmonat des Jahres 1956 ein solcher von 4,14 v. H. zu verzeichnen war. Am 1. September 1957 hatten wir einen Krankenstand von 5,28 v. H., während das Vorjahr nur einen solchen von 4,48 v. H. aufwies. Der Monat Oktober des Jahres 1957 ist außergewöhnlich. Dort zeigte sich ein Krankenstand von 8,36 v. H., während der des Vorjahres nur 4,68 v. H. war. Ebenso ist es im Monat November 1957. Hier hatten wir einen Krankenstand von 7,75 v. H., während er im Vergleichsmonat des Vorjahres nur 4,82 v. H. betrug. Wenn wir an eine Gesetzesänderung herangehen wollen, müssen wir diese Zahlen zur Hand nehmen und sie prüfen.
Nun wird jeder, der die Verhältnisse kennt, zugeben, daß hier die Grippewelle die Hauptursache ist; darüber gibt es gar keinen Zweifel, und das wird von uns auch nicht verkannt. Aber am 1. Dezember 1957 - damit dürfte die Grippewelle abgeklungen sein - ist ein Krankenstand von 5,29 v. H. gegenüber dem Dezember 1956 von 4,66 v. H. zu verzeichnen gewesen, und der Januar 1958 brachte einen Krankenstand von 5,37 v. H. gegenüber 4,32 v. H. im Januar 1957. Meine Damen und Herren, man wird daraus schon gewisse Rückschlüsse ziehen können. Es ist selbstverständlich ,daß diese Zahlen jedem, der sich mit sozialpolitischen Aufgaben befaßt - und das ganze Haus tut das ja -, gewisse Fingerzeige geben und daß jeder gewisse Schlußfolgerungen daraus ziehen kann.
Die Zahlen, die uns vor allem aus den Betriebskrankenkassen, insbesondere dem Landesverband der Betriebskrankenkassen in Bayern, zugegangen sind - Sie wissen, die Tagespresse und die Fachzeitschriften haben sich in den letzten Monaten sehr sorgfältig mit diesem Gesetz beschäftigt -, zeigen ebenfalls, daß im Hinblick auf die vergleichbaren Monate des Vorjahres eine Erhöhung des Krankenstandes von annähernd 20 % zu verzeichnen ist. Wenn wir trotzdem an dem staatspolitischen Grundsatz festhalten wollen, ein Gesetz, das die Mehrheit dieses Hauses geschaffen hat, nicht von heute auf
morgen ändern zu lassen, so hindert das nicht, die Entwicklung in der Wirtschaft, auf dem sozialen Sektor sehr aufmerksam zu verfolgen.
Sie haben sicher der Presse entnommen und aus zahlreichen Ausführungen gehört, daß die Allgemeinheit, unsere Wirtschaft, das von uns geschaffene Gesetz bemängelt hat. Ich frage mich nun, wo die Ursachen liegen. Lassen Sie mich in aller Kürze einige Kritiken vortragen.
Zunächst einmal sagen die Kritiker: Das Gesetz, das ihr im Deutschen Bundestag zur besseren wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall geschaffen habt, reizt zum Mißbrauch. Die Frage ist, ob wirklich Mißbrauch getrieben werden kann. Wir stellen zunächst einmal fest, daß Mißbräuche in einem so großen Umfang, wie es in etwa der Sprecher der FDP dargestellt hat, innerhalb der Arbeiterschaft nicht aufgetreten sind. Die Behauptung, daß viel Mißbrauch getrieben worden sei, ist absolut falsch. Wir stellen fest, daß die Arbeiterschaft in ihrer Gesamtheit moralisch nicht weniger fest ist als die Angestellten.
({3})
Das muß mit aller Deutlichkeit hervorgehoben werden.
Man sagt also, ein Mißbrauch des Gesetzes sei möglich. Wenn man einen Mißbrauch verhindern will, gibt es verschiedene Gegenmaßnahmen. Eine Maßnahme könnte sein, daß die Vertrauensärzte straffer als bisher arbeiten. Solange es möglich ist - und hier appelliere ich einmal an unsere Ärzteschaft -, daß man beim Aufsuchen eines Arztes krank geschrieben wird, wenn man nur etwas Husten oder etwas Katarrh hat, werden wir bei jedem Gesetz über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf Schwierigkeiten stoßen.
({4})
Deshalb ist auch einmal ein Appell an unsere Ärzteschaft von dieser Stelle aus angezeigt, bei der Überprüfung der Arbeitsfähigkeit oder Nichtarbeitsfähigkeit gewissenhafter und sorgfältiger vorzugehen als bisher.
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Das darf natürlich nicht verallgemeinert werden - ich sehe gerade Frau Dr. Steinbiß -; auch in diesem Berufsstand sind eben manche schwarze Schafe vorhanden, die auf diese Weise anderen Schaden zufügen.
Eine zweite Gegenmaßnahme, die ohne eine Gesetzesänderung möglich wäre, ist die; daß wir einmal an die Solidarität unserer Arbeiterschaft appellieren und dem Handwerksgesellen und dem Fabrikarbeiter sagen: Um dein Geld geht es, wenn dein Arbeitskollege, der neben dir arbeitet, krank feiert und du erhöhte Beiträge an die Allgemeine Ortskrankenkasse zahlen mußt. Es wird deshalb nötig sein, daß auch die Arbeiterschaft einer etwaigen zu großen Ausnutzung dieses Gesetzes mehr als bisher entgegentritt.
Nun zum Gesetzentwurf der Freien Demokratischen Partei. Er muß von uns besonders kritisch untersucht werden. Dieser Gesetzentwurf weist nach unserer Ansicht erhebliche Mängel auf, und die Mißstände werden durch die darin vorgeschlagenen Änderungen nicht beseitigt. Sehen wir uns einmal den § 1 dieses Gesetzentwurfs an. Danach sollen bei der Berechnung des Nettoarbeitsentgelts der Mehrarbeitslohn einschließlich der gesetzlichen und tariflichen Zuschläge für Mehrarbeit sowie für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sowie einmalige und laufende lohnsteuerpflichtige Zuschläge zum Entgelt außer Ansatz bleiben. Aber das sind gerade jene 3 bis 8 %, die der Arbeitgeber im Krankheitsfall hinzuzuzahlen hat. Das packt das Problem nicht bei der Wurzel an. Wenn wir eine solche Frage überhaupt zu lösen beabsichtigen, müssen wir bereits beim Krankengeld ansetzen, allerdings brauchte das nicht unbedingt zu geschehen. Wenn Sie § 1 des Gesetzes so durchführen wollen, wie er jetzt dasteht, werden Sie eine Verbesserung in Ihrem Sinne keineswegs erreichen; denn es ist durchaus möglich, daß bei den Sonderzulagen, die der einzelne Arbeiter bekommt, das Krankengeld schon höher ist als der Normallohn. Wenn Sie sich der Mühe unterzögen, Herr Kollege Mischnick, einmal Beispiele durchzurechnen, dann würden Sie zu dem Ergebnis kommen, wie ich es eben feststellte.
Der § 2 dieses Gesetzes regelt die Frage, ob man nicht die Anzahl der Karenztage von zwei auf einen herabsetzen und dann die 14-Tage-Frist fallenlassen sollte. Meine Damen und Herren, hier muß kritisch vorgegangen werden. Die Frage der Karenztage stellt ein besonders wichtiges und heikles Kapitel der Reform der sozialen Krankenversicherung dar. Dieses Problem sollte nur im Zusammenhang mit den Gesamtfragen gelöst werden.
({6})
Wir werden uns mit der Frage der Karenztage und der Frist sorgfältig bei den Beratungen über die Krankenkassenreform beschäftigen müssen. Es ist aber unzweckmäßig, so ein einzelnes Problem im gegenwärtigen Zeitpunkt lösen zu wollen,
({7})
ganz davon abgesehen, daß man in dieser Hinsicht absolut auch anderer Meinung sein kann.
Wir sehen also: Der Gesetzentwurf, den die FDP und deren Sozialpolitiker vorgelegt haben, würde keine geeignete Lösung des Problems bringen können.
Wir beobachten und prüfen die Lage sehr sorgfältig, das zeigt unsere Kleine Anfrage an den Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Aber wir dürfen vom staatspolitischen Standpunkt aus nicht zu dem Ergebnis kommen, daß man ein Gesetz schon nach so kurzer Zeit einer neuerlichen Prüfung unterzieht. Allerdings ist nicht zu verkennen, daß sicher Mißbräuche vorgekommen sind, daß es Mißstände gegeben hat. Aber die werden wir hienieden niemals verhindern können. Ein Appell an
die Moral irgendeines Berufsstandes nützt dem Gesetzgeber im allgemeinen nicht allzuviel.
({8})
Es ist also erforderlich, daß wir Gesetze, und zwar gute Gesetze machen. Zu unserer Rechtfertigung darf ich sagen, daß manche meiner Freunde mit der jetzt geltenden Fassung des Gesetzes nicht einverstanden gewesen sind und ihre Stimme dagegen erhoben haben. Trotzdem bleiben wir bei dem Grundsatz, daß man zunächst einmal abwarten, überprüfen sollte und dann erst zu einer Änderung des Gesetzes kommen dürfte. Wir bitten, den Gesetzentwurf - so ist im Ältestenrat, glaube ich, vereinbart worden - außer dem Ausschuß für Sozialpolitik, der federführend sein soll, dem Ausschuß für Arbeit zur Mitberatung zu überweisen.
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- Meine Damen und Herren, es ist doch vorhin schon beantragt worden, diesen Gesetzentwurf dem Mittelstandsausschuß zur Mitberatung zuzuleiten.
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- Im Ältestenrat ist eine solche Entscheidung getroffen worden. Wenn Sie es anders wollen, bleibt Ihnen das vorbehalten. Es war jedenfalls ausdrücklich vereinbart, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit zur Mitberatung zuzuleiten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir uns heute noch einmal mit dem sehr ernsten Problem des kranken Arbeiters beschäftigen müssen, dann liegt die Schuld nicht bei unserer Fraktion. Wir haben im 2. Bundestag mit der Drucksache 1704 den Antrag eingebracht, durch eine entsprechende Änderung des § 616 BGB die Arbeiter und Angestellten völlig gleichzustellen. Nach wie vor ist das nach unserer Auffassung der richtige Weg, um dieses Problem zu meistern.
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Wenn es um die Lösung großer gesellschaftlicher Probleme geht - und um ein solches handelt es sich hier -, dann sollte man kein Flickwerk und kein Stückwerk machen, sondern dann sollte man den Mut haben, die Probleme auch ganz zu lösen. Das ist leider versäumt worden.
({1})
Das Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle hat - das muß hier auch einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden - für einen nicht unbedeutenden Teil der Arbeiterschaft auch erhebliche Verschlechterungen mit sich gebracht. Ich erinnere an die betrieblichen Regelungen, die bereits eine Zahlung von 90 % und mehr vorsahen, wobei durch höhere
Beitragszahlung oder durch Verminderung des entsprechenden Betrages Verschlechterungen eingetreten sind. Ich war neulich in einem solchen Betrieb. Dort haben die Arbeiter die Auffassung vertreten, das Gesetz müsse eigentlich heißen „Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeitgeber".
({2})
- Ich möchte nur feststellen, daß auch einzelne solcher Fälle vorliegen. Es geht mir darum, zu sagen, daß also nicht für alle eine Verbesserung, sondern für einen ganzen Teil auch eine erhebliche Verschlechterung eingetreten ist. In Köln gibt es einen Betrieb, in dem 15 000 Arbeiter durch dieses Gesetz eine Verschlechterung erfahren haben. Wenn ich das sage, so will ich damit natürlich keineswegs abstreiten, daß für den größten Teil der Arbeiterschaft tatsächlich eine Verbesserung eingetreten ist.
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Nun zu dem Antrag der FDP auf Drucksache 83. Es geht hier um zwei Probleme: erstens um den Begriff des Nettoarbeitsentgelts und zweitens um das Problem der Karenztage. Dem ersten können wir keineswegs zustimmen. Was degegen das Problem der Karenztage angeht, so sind wir ohne weiteres bereit, noch darüber hinauszugehen.
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Nettoarbeitsentgelt ist immer volles Arbeitsentgelt, d. h. Arbeitsentgelt mit allen Zuschlägen. Sie wollen die Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge und auch die Lohnzuschläge herausnehmen, die für die Besonderheit der Arbeit gezahlt werden. Das würde bedeuten, daß sich für einen großen Teil der Arbeitnehmer entscheidende Minderungen ihrer Löhne ergeben würden. Ich denke hier z. B. an den Gießereiarbeiter, bei dem der Lohn zu rund 20 % immer aus Zuschlägen besteht. Ich denke auch noch an eine Reihe von anderen Gruppen, bei denen eine derartige Situation gegeben ist. Hier würden also nicht zu verantwortende Härten eintreten. Es gibt demnach keine Möglichkeit, das Problem, das Sie hier ansprechen, auf diese Art und Weise zu regeln.
Der Herr Kollege Dr. Dittrich hat bereits darauf hingewiesen, daß es sich außerdem bei einer solchen Regelung um eine sehr einseitige Entlastung, d. h. nur um die Entlastung der Arbeitgeber handeln würde. Meine Damen und Herren, wir sollten doch einmal klar und deutlich feststellen, daß im Augenblick sowieso nur Pfennigbeträge bezahlt werden. Lassen Sie mich bitte zwei Beispiele bringen: bei einem Bruttoverdienst von 300 DM bekommt der verheiratete Arbeiter mit zwei Kindern einen täglichen Ausgleich von 46 Pf, bei einem Bruttoverdienst von 400 DM eines verheirateten Arbeiters mit zwei Kindern beträgt der Ausgleich täglich 65 Pf. Das sind also nur Pfennigbeträge. Der Kollege Dr. Dittrich hat trotzdem gesagt, daß das
Gesetz insbesondere für die mittelständische Wirtschaft eine sehr starke Belastung sei. Nun, ich darf bei dieser Gelegenheit daran erinnern, daß die sozialdemokratische Fraktion bei der Beratung des Gesetzes diesem Hause den Vorschlag unterbreitet hat, einen Ausgleichsstock einzuführen, um auf diese Art und Weise eventuelle Härten unter den Betrieben ausgleichen zu können. Bedauerlicherweise ist man damals auf diesen Vorschlag unserer Fraktion nicht eingegangen.
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- Nein, zwischen diesem Ausgleichsstock und dem anderen, Herr Kollege, besteht ein erheblicher Unterschied.
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Wenn man sich die Situation einmal genau betrachtet, wird man das sehr schnell feststellen können. Hier geht es um einen Ausgleich, damit sich die Betriebe mehr untereinander helfen können.
Zu dem Problem der Karenztage auch noch einige wenige Worte! Der Kollege Professor Schellenberg hat bei der Verabschiedung des Gesetzes vor der Schlußabstimmung gesagt: „Die Beibehaltung von Karenztagen ist eine soziale Diffamierung der Arbeiter." Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: dazu bekennen wir uns nach wie vor. Wir sind gern bereit, alles zu tun und mitzuarbeiten, damit die Karenztage überhaupt abgeschafft werden, d. h. damit dieses Problem endgültig aus der Welt geschafft wird.
Nun auch noch einige wenige Worte zu dem in der Öffentlichkeit viel zitierten und auch hier zitierten Mißbrauch. Lassen Sie mich vorweg folgendes sagen. Ich will gar nicht bestreiten, daß in einzelnen, ganz, ganz wenigen Fällen ein Mißbrauch einmal vorkommen kann.
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Meine Damen und Herren, wo gibt es im Leben keinen Mißbrauch? Wenn in einem dieser seltenen Fälle ein Arbeiter Mißbrauch treibt, dann macht er krank. Es gibt Mißbräuche auf anderen Gebieten in weit stärkerem Maße, die aber niemals in dem Umfang in der Öffentlichkeit und vielleicht, auch nicht in diesem Hause diskutiert worden sind. Wogegen wir uns in aller Deutlichkeit wehren müssen - ich meine, das sollte einheitliche Auffassung in diesem Hause sein -, ist die Behauptung, daß die größte Gruppe unserer Gesellschaft in der Bundesrepublik weniger Verantwortungsbewußtsein als irgendeine andere Gruppe unserer Gesellschaft habe. Die Arbeiterschaft hat in den vergangenen Jahren hohes Verantwortungsbewußtsein bewiesen. Ich denke nur an die Zeit vor der Währungsreform, wo die Arbeiter praktisch für eine Scheibe trockenen Brotes bereit waren, ihren Arbeitsplatz einzunehmen, wo sie höchstes Verantwortungsbewußtsein bewiesen haben. Ich denke auch an die Zeit nach der Währungsreform, wo die Arbeiterschaft bereit war, den entscheidenden Anteil am Zustandebringen des sogenannten Wirtschaftswunders zu übernehmen.
Nun einige sehr konkrete Zahlen. Hier ist vorhin immer gesagt worden, in der Zeitung stehe das und das. Die Zahlen, die ich Ihnen jetzt nennen werde, erbringen den Beweis dafür, daß die Situation offensichtlich etwas anders ist. Wir sollten uns alle darüber im klaren sein, daß niemand die Grippeepidemie verniedlichen kann. Sie ist gekommen wie ein Naturereignis. Wir haben auf Grund dieser Grippeepidemie allein im Lande Nordrhein-Westfalen mehr als 200 Tote gehabt; ein Beweis dafür, daß es sich wirklich um ein Naturereignis gehandelt hat. Wenn wir zu konkreten Ergebnissen in dieser Frage kommen wollen, dann müssen wir die Unterschiede untersuchen zwischen der Situation der Gruppe, für die durch dieses Gesetz eine Änderung eingetreten ist, und der Gruppe, für die keine Änderung eingetreten ist. Hier ergibt sich folgendes. Gegenüber dem 1. August 1956 war am 1. August 1957 die Krankenzahl bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen um 17,6 % höher, bei den Ersatzkassen für Angestellte um 20,6 %. Hier ist der Beweis dafür erbracht, daß die Krankenzahl sich unabhängig von dem Gesetz entwickelt hat. Wenn wir die Situation dann noch einmal per 1. September betrachten, ergibt sich folgendes Bild. Gegenüber dem 1. September 1956 war am 1. September 1957 die Krankenzahl bei den Ortskrankenkassen um 17,9 % höher, bei den Ersatzkassen um 31,6 %. Das sind konkrete Zahlen, die den Beweis dafür erbringen, daß die Dinge unabhängig von diesem Gesetz gelaufen sind, daß man also von seiten der Arbeiterschaft mit größtem Verantwortungsbewußtsein an dieses Problem herangegangen ist.
Wir sollten dabei auch nicht übersehen, daß die Krankenzahl in der Bundesrepublik insgesamt etwas angestiegen ist, d. h. unabhängig von diesem Gesetz; ein Beweis dafür, daß der Gesundheitszustand unserer Bevölkerung nicht der denkbar beste ist. Es ist ja gar nicht so lange her, daß der Verband deutscher Rentenversicherungsträger für das Jahr 1956 festgestellt hat, von den 206 000 neu gezahlten Renten würden nur 29,2 % wegen Erreichung der Altersgrenze und 70,8 % wegen Frühinvalidität gezahlt. Diese Zahlen sprechen nicht für einen hervorragenden Gesundheitszustand. Sie sind ein Beweis dafür, daß unabhängig von dem Gesetz die Krankenzahl in der letzten Zeit noch stärker ange- stiegen ist.
Hier noch ein konkretes Beispiel aus dem Kölner Raum! Ich habe vorhin schon einmal von diesem Betrieb gesprochen. Er hat 15 000 Beschäftigte, für die am 1. Juli 1957 keinerlei Besserstellung eingetreten ist. Trotzdem ist in diesem Betrieb die Krankenzahl erheblich mehr gestiegen als bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse desselben Ortes, bei der für die Arbeiter eine Verbesserung eingetreten ist. Wir alle sollten uns gegen das viele Gerede vom Mißbrauch energisch wehren. Wir trauen dieser Gruppe der Gesellschaft, der Arbeiterschaft, genauso viel Verantwortungsbewußtsein zu wie jeder anderen Gruppe unserer Gesellschaft. Deswegen treten wir für die Abschaffung jeder diffamierenden Regelung ein. Wir sind nach wie vor dafür, daß Arbeiter und Angestellte gleichgestellt werden, nicht aus einer Gleichmacherei heraus, son550
dern weil in dieser Frage für alle Arbeitnehmer gleiches Recht gelten soll. Wenn wir aber an einer entscheidenden Regelung dieser Frage interessiert sind, dann sollten wir auch alle zusammen dazu beitragen, daß dieses große gesellschaftliche Problem so schnell wie möglich gelöst werden kann.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In der gestrigen Aussprache über die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion wegen der Auswirkungen der Rentenreform habe ich mir erlaubt, wieder einmal auf die grundsätzlichen Zusammenhänge aller sozialpolitischen Lösungen hinzuweisen. Ich habe schon gestern erklärt und wiederhole es heute noch einmal, daß der Auftrag der Gesetzgebung nicht nur dahin geht, gute Gesetze zu machen, sondern auch, deren Wirkung zu bedenken. Wir haben uns heute über den Inhalt eines der Gesetze zu unterhalten, das man bei einer Gesamtbetrachtung wohl nicht als gutes Gesetz ansehen kann. Bei der Diskussion über den Inhalt von Gesetzen, ihre Anwendung und ihre Auswirkung haben wir uns auch darüber klar zu werden, welche moralischen Auswirkungen sie haben. Wir haben also zu prüfen, ob sie die Sozialmoral heben oder ob sie nicht die Arbeitnehmer, von denen hier leider immer nur die Rede ist, oder die Arbeitgeber oder gar die Ärzte oder die Versicherungsträger in Gefahr bringen. Wir haben uns schließlich darüber zu unterhalten, welchen erzieherischen, sozialethischen Auftrag wir mit einem Ja oder einem Nein zu einem Antrag oder einer gesetzlichen Regelung verbinden.
Nicht Streik und nicht Zeitdruck und nicht Reden mit Klassenkampftönen, auch nicht solche von Funktionären, die oft gar nicht in Übereinstimmung mit der Auffassung unserer Arbeitnehmer stehen, dienen der Fortentwicklung der Sozialgesetzgebung. Solche Reden sollten auch bei der sachlichen Betrachtung des Inhalts von Gesetzen nicht geführt werden. Man sollte allerdings auch nicht, wie es der Kollege Dittrich tat, den Freien Demokraten Vorwürfe machen, wenn sie mal in einer Frage mit einem Vorschlag der Sozialdemokraten übereinstimmen; denn auch die CDU stimmt oft mit Vorschlägen der Sozialdemokraten überein. Wir sollten vielmehr die Vorschläge prüfen und sollten dann sagen, warum der Antrag der SPD und aus welchen Gründen der Antrag der FDP zur Zeit - oder überhaupt - keine Lösung des Problems bringt. Ich meine, daß diese Form der Untersuchung und der Betrachtung dem sozialen Fortschritt mehr dient.
Deshalb möchte ich ohne jedes Vorurteil, aber auch mit dem Mut, die unpopulären Dinge anzusprechen, das Problem als solches untersuchen. Ich halte es für falsch, zu einem Gesetz, auch wenn es nicht gut ist, sofort eine Novelle zu machen. Insofern stimme ich mit meinen Freunden in der CDU überein. Ich bin aber auch nicht dafür, überhaupt keine Novelle zu einem Gesetz zu machen, um nicht zugeben zu müssen, daß man Fehler gemacht hat. Über den Zeitpunkt einer notwendigen Novelle werden wir uns - das sage ich ganz deutlich - sehr bald zu unterhalten haben, falls die endgültige Krankenversicherungsreform nicht so früh möglich ist, wie ich es noch immer hoffe; wenn sie früh genug kommt, dann allerdings sollten wir diese Probleme in dem größeren Zusammenhang sehen, in den sie gehören.
Um die Mängel dieses Gesetzes kann man nicht herumreden. Wir brauchen auch kaum noch sehr lange Zeit, um genug zuverlässiges Material zu bekommen. Ich glaube, dem Arbeitsministerium liegt heute eine solche Fülle von Material vor, daß man auch dort schon sagen kann, wie es alle Sachverständigen tun, daß viele Ansatzpunkte dieses Gesetzes nicht richtig waren.
Wir haben alle - ich meine damit die Opposition genauso wie die Regierungsparteien - eine Vorstellung von dem Ausmaß der Probleme. Ich bin heute wie schon bei den Beratungen im vorigen Jahre mit den Kollegen einig, die aus Sachkenntnis deutlich gemacht haben - der Kollege Horn und ich haben das bei der zweiten und der dritten Beratung hinsichtlich der Karenztage sehr klar gesagt -, daß die Fragen nur in dem größeren Zusammenhang der Reform der Krankenversicherung gesehen, diskutiert und gelöst werden können.
Nun könnte ich es mir in meinen Darlegungen furchtbar leicht machen, noch leichter als bei der Debatte über die Reform der Rentenversicherung, die ja so viele Probleme umfaßt, während der Kreis der Probleme hier enger ist. Ich könnte nämlich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einfach zitieren, was ich im Mai 1957 in der zweiten und dritten Lesung des Gesetzes gesagt habe. Ich will das nicht alles vorlesen, sondern Ihnen nur in die Erinnerung rufen - der Präsident möge es mir gestatten, und Sie darf ich bitten, das Protokoll nachzulesen -, daß ich damals schon darauf hingewiesen habe, das Problem des Ausgleichs und der Fürsorge im Krankheitsfall, besonders im Falle der langanhaltenden Krankheiten - das ist das sozialpolitische Problem - könne mit diesem Gesetz nicht gelöst werden; es gehe nicht nur um die Frage der Lohnfortzahlung oder um die Zahlung des Krankengeldes oder um die Frage der ersten vier Wochen oder der Karenztage, sondern vor allem darum, wie man dafür sorgen könne, daß der Arbeitnehmer bei langanhaltenden schweren Krankheiten nicht in finanzielle Not gerate.
Ich glaube, es ist auch heute noch unser aller Meinung, daß dies das Hauptproblem der Reform ist. Ich habe damals im Gegensatz zu der Mehrheit in diesem Hause nicht geglaubt, daß die Krankenversicherungslösung die allein richtige Lösung sei. Aber der Augenblick ließ keine bessere Lösung zu. Sie haben uns hier gezwungen, unter Zeitdruck eine Lösung zu suchen. Die Lösung wäre besser geworden, wenn dieser Zeitdruck nicht dahintergestanden hätte.
Ich stimme mancher Auffassung in den Reihen der Gewerkschaften, der Sozialdemokraten und der
FDP zu und meine auch, daß eine behutsame arbeitsrechtliche Lösung - ich komme darauf zurück - über den Tarifvertrag dem sozialen Fortschritt besser gedient hätte. Aber - das werde ich dem Kollegen, der hier aus der Schau der IG-Metall gesprochen hat - nachher noch sehr deutlich sagen: der Gesetzgeber darf bei der Suche nach Lösungen nicht nur die Großindustrie und die Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes sehen, sondern muß auch an die große Zahl der Arbeitnehmer denken, die in kleinen und mittleren Betrieben tätig sind, für die sich eben nicht die gleichen Lösungen anbieten.
({0})
Was die Karenztage anlangt, so brauche ich nur zu wiederholen, was ich damals deutlich gemacht habe: daß auch diese Frage nicht nur im Zusammenhang mit der Frage der Lohnfortzahlung zu regeln ist, sondern daß dies ein eminent wichtiges Problem der Krankenversicherungsreform ist, das nur im größeren Zusammenhang mit den Reformplänen gelöst werden kann.
Der Minister für Arbeit hat in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage einiger Abgeordneter seiner Fraktion die Frage nicht schlüssig beantwortet, sondern vielmehr offengelassen, „ob die Krankheitsdauer tatsächlich sprungartig angestiegen ist". Der Kollege Dittrich von der CSU hat diese Frage anscheinend als die bedeutsamste des heutigen Gesprächs angesehen und vor allem ihr seine Betrachtungen gewidmet.
Das Arbeitsministerium wird wissen, daß diese Frage trotz der ersten größeren und der jetzigen kleineren Grippewelle heute schon ziemlich eindeutig zu beantworten ist. Der Bericht des Verbandes der Ortskrankenkassen, der uns vorgestern zuging, sowie die vielen Berichte, die wir aus der Wirtschaft haben, bestätigen übereinstimmend dieses Ansteigen der Krankheitsdauer und die Tatsache, daß dieses Ansteigen nicht nur mit der Grippewelle zusammenhängt. Die Berichte aus den Kreisen nicht nur der Vertrauensärzte, sondern auch der behandelnden Ärzte bringen eine weitere Bestätigung.
Der frühere Bundesarbeitsminister, unser Kollege Storch , hat in der Pressekonferenz hier in Bonn eine sehr richtige Voraussage gemacht. Ich glaube nicht immer an seine Voraussagen; aber hier hat er ziemlich genau das Richtige getroffen. Er hat gesagt, man habe im Bundesministerium damit gerechnet, daß das Gesetz über die Lohnfortzahlung eine Erhöhung des Krankenstandes um 20 bis 25 % zur Folge haben werde. Das hat das „Handelsblatt" so berichtet; ich war nicht bei dieser Pressekonferenz.
Die Erkenntnisse, die von einem Obervertrauensarzt in der Zeitschrift der Land- und Innungskrankenkassen „Die Krankenversicherung" zusammengefaßt dargestellt worden sind, sind von Herrn Kollegen Dittrich bereits zitiert worden. Ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten das Zitat mit nur einem Satz ergänzen. Der genannte Obervertrauensarzt schreibt:
Und wenn Sie mich fragen, ob das Besserstellungsgesetz einen wesentlichen Beitrag zur Notlage der Krankenkassen geliefert hat, so zwingen mich die Erfahrungen dazu, diese Frage eindeutig zu bejahen.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schellenberg?
Bitte schön.
Frau Kollegin Kalinke, Sie berichten davon, daß durch dieses Gesetz eine Belastung und eine Notlage der Krankenkassen entstanden sei. Ist Ihnen nicht bekannt, daß sich durch die Vorschriften über die Erhöhung des Krankengeldes um über 30 % zwangsläufig eine Belastung ergeben muß, die nichts mit dem Krankenstand zu tun hat?
Und noch eine zweite Frage. Sie sprechen von einer Erhöhung des Krankenstandes um 20 bis 25 %. Ich muß auch Sie fragen - eine ähnliche Frage habe ich an den anderen Kollegen schon gerichtet -: Ist Ihnen nicht bekannt, daß sich durch die Verminderung der Zahl der Karenztage von vier auf drei automatisch eine Erhöhung des Krankenstandes von 15 bis 20 % ergeben muß, so daß Ihre Argumentation nicht ganz überzeugend ist?
Herr Schellenberg, ich habe in meiner Argumentation nicht die gleichen Worte gebraucht wie Herr Kollege Dittrich, dem Sie die gleiche Frage vorgelegt haben. Selbstverständlich trifft es zu, daß die Erhöhung des Krankengeldes die Kosten in der Krankenversicherung erhöhen mußte. Das wird wohl von niemandem bestritten. Aber es trifft auch zu - und das macht gerade die Statistik des Verbandes der Ortskrankenkassen sehr deutlich; Sie haben ja diese Statistik -, daß die Zahl der Krankheitstage und die Zahl der Bagatellfälle angestiegen sind.
({0})
Diese Statistik zeigt, daß die jetzige gesetzliche Lösung zu dieser Entwicklung beigetragen hat. Sie werden mehr dazu hören, wenn ich jetzt meine Ausführungen fortsetze. Natürlich mußten die Krankenstände zwangsläufig ansteigen, und ich gebe Ihnen recht, wenn Sie sagen, daß die Konstruktion mit den Karenztagen das natürlich fördern mußte. Das kann ja gar nicht anders sein.
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Über die wichtige Frage, wie die Karenztage gestaltet werden müssen und wie im Interesse der Versichertengemeinschaften, der Arbeitgeber, der Ärzte zur Hebung der Sozialmoral dem Mißbrauch ein Riegel vorgeschoben werden kann, werden wir allerdings anläßlich der Krankenversicherungsreform sehr ernstlich sprechen müssen.
Aber da Sie anscheinend diesen Pressedienst der Ortskrankenkassen im einzelnen noch nicht gelesen haben - ich kann es mir kaum denken, Herr Schellenberg -,
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so will ich hier nicht nur die Gesamtausgaben nennen, die im zweiten Halbjahr 1956 um 102,64 %, nämlich von 298,5 Millionen auf 605 Millionen DM erhöht wurden, und auch nicht über die Steigerung im Vorjahr sprechen, die etwa 70 % beträgt, sondern nur ganz nüchtern das ergänzend hinzufügen, was vom Verband der Ortskrankenkassen als einem Bundesverband für die Situation im ganzen Bundesgebiet gesagt worden ist. Demnach wurde die Entwicklung sowohl hinsichtlich der Beitragssätze wie hinsichtlich des Krankenstandes vom Bundesverband der Ortskrankenkassen vorausgesagt, und diese Entwicklung ist eine Folge der damals geplanten und jetzt verwirklichten Verbesserungsgesetze. Sie haben dem Kollegen Mischnick ja dieselbe Frage gestellt, Herr Kollege Schellenberg, und haben noch hinzugefügt, ob denn etwa die Karenztage mit entscheidend für die Unmoral seien. Ich stimme zu, wenn gesagt wird, daß man ganz gewiß nicht nur von Unmoral der Arbeiter sprechen kann. Es wäre sogar verderblich, das zu tun. Man muß aber davon sprechen, daß durch ein falsch konstruiertes Gesetz die Unmoral sowohl der Arbeiter wie der Arbeitgeber wie auch einzelner Ärzte, die zu gerne bereit sind, nachzugeben und Bescheinigungen auszustellen, geradezu herausgefordert wird.
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Darüber müssen wir hier in aller Offenheit sprechen.
Der Gesetzgeber hat auch darauf zu achten - auch das ist heute schon ausgesprochen worden -, daß es nicht durch Gesetz zu Belastungen derjenigen kommt, die - nun meine ich wiederum nicht nur die Arbeitnehmer, von denen immer nur die Rede ist - schon durch Beitragserhöhungen neu belastet werden; es werden ja beide, die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber, belastet. Ein ganz anderer Kreis wird außerdem dadurch belastet, daß die Sozialversicherungsbeiträge als Nebenkosten des Lohnes in den Preis übergehen. Dadurch werden die Ärmsten der Armen, die Rentner, die Alleinstehenden, die Witwen, die Waisen belastet. Vergessen Sie doch bitte diesen Zusammenhang bei den Forderungen, die Sie, meine Damen und Herren von der SPD, aufstellen, nicht. Denn das sind doch die Menschen, deren Schicksal Ihnen wie uns am Herzen liegt.
Wir sollten also nicht nur von Leistungen sprechen, sondern von Konsequenzen der Beitragserhöhungen und auch von der Gesundheit, deren Erhaltung und Förderung doch bei Ihrem Sozialplan und bei unseren Wünschen zur Krankenversicherungs-Reform Mittelpunkt aller Reformideen ist. Wenn nämlich infolge einer sich vergrößernden Unmoral, zu der es ja kommen könnte, diejenigen, die unverantwortlich handeln, ein Gesetz ausnutzen, dann müssen die anderen, die verantwortlich sind -und das ist zweifelsohne die größere Zahl der Arbeitnehmer und die größere Zahl der Arbeitgeber -, durch Mehrarbeit Gesundheit und Leistungskraft opfern, weil sie durch Überstunden und Mehreinsatz das aufholen müssen, was die Fehlenden nicht mittun konnten.
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Industrie und gewerbliche Wirtschaft werden immer mit Ausfallzeiten wegen Krankheit rechnen müssen. Niemand ist davor gefeit. Aber es ist nun einmal ein Tatbestand, daß vor Erlaß des Gesetzes der Krankenstand im Schnitt in der Wirtschaft zwischen 5 und 6 % lag und jetzt zwischen 8 und 10 % liegt. Ich könnte Ihnen das mit sehr vielen einzelnen Beispielen und Statistiken - auch aus der Metallindustrie, von der ja in diesem Zusammenhang die Rede war - deutlich machen.
Ich will mich keineswegs namens meiner Fraktion voll mit dem identifizieren, was Herr Dr. Oeter in seinem Aufsatz „Prämien für unmoralisches Verhalten" in einer Zeitschrift der Ärzte gesagt hat; aber es sind viele Körner Wahrheit in diesem Aufsatz enthalten. Ich bitte, aus diesem Aufsatz etwas zitieren zu dürfen; er stammt aus dem „Angestellten Arzt" und ist im Februar 1958 erschienen. Es heißt dort:
Gerade die kurzfristige Arbeitsunfähigkeit
- und das ist für Herrn Schellenberg, wenn er diesen Aufsatz nicht kennen sollte, sicher sehr interessant im Zusammenhang mit diesem Problem wird aber durch das neue Gesetz mit der Nachzahlung des Krankengeldes für die zwei zunächst einbehaltenen Karenztage regelrecht prämiiert. Der Arbeiter erhält nämlich für den 3. bis 15. Tag, d. h. für insgesamt 13 Tage, 15 x 90 v. H. dessen, was er vor seiner Erkrankung an einem Tage als Nettolohn ausgezahlt erhielt. Das bedeutet aber nicht mehr und nicht weniger als daß er den Nettolohn eines halben Tages mehr erhält, als wenn er arbeiten würde. Der Differenzbetrag zwischen dem, was er bei Arbeitsunfähigkeit und dem, was er bei Arbeitsfähigkeit erhält, vergrößert sich zudem bis zum 15. Tage schrittweise bis zum 1,8-fachen Betrag eines Nettoarbeitslohnes. Meldet sich der Arbeiter außerdem noch vor dem langen Wochenende krank,
- die Ärzte haben mir bestätigt, daß das die Regel ist so fallen die Karenztage von vornherein mit zwei Tagen zusammen, an denen er normalerweise nichts verdient, weil er für sie bereits „vorgearbeitet" hat. Das Geschäft mit der Arbeitsunfähigkeit wird auf diese Weise noch besser. Und wenn der Arbeiter sich gar krank meldet, nachdem er vorher fleißig Überstunden gemacht hat, so finden auch diese Überstunden ihren Niederschlag im Krankengeld. das in diesem Falle erheblich über dem Pegel seines Normalverdienstes liegen kann.
Und nun sagt Herr Dr. Oeter - und das sagt er
sicher nicht nur als Arzt, sondern auch als ein
Mensch, der an die sozialethischen Wirkungen denkt -:
Wer annimmt, daß der heutige „Normalmensch" solchen Versuchungen auf die Dauer wiederstehen könnte, muß völlig mit Blindheit geschlagen sein.
Meine Herren und Damen, ich sagte vorweg, daß wir uns - ich betone das - nicht mit allem identifizieren, was hier gesagt worden ist. Aber es sind eben unendlich viele Körner Wahrheit darin. Wir sollten bei solchen Debatten darüber nachdenken, damit wir nicht bei der Frage der Ausweitung des Krankenlohnes zu einer Folgerung kommen, die Oeter so formuliert hat:
Was der Faule, Nachlässige und Betrügerische zuviel erhält, muß demnach dem Tüchtigen und Gewissenhaften weggenommen werden.
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Dazu kommen - ich sagte es schon - nicht nur die Beitragserhöhungen, nicht nur die Mehrarbeit, sondern auch noch die Kosten des teuren Überwachungsapparats. Ich glaube daher, die Verfolgung des Gedankens - er kam wohl aus dem Arbeitsministerium -, daß die Überwachung gründlicher sein müsse, allein kann das Problem nicht lösen oder die Angelegenheit verbessern. Denn so viele Vertrauensärzte Sie auch ansetzen werden: wenn Sie dieses Gesetz nicht ändern, werden Sie den Arzt wie den Vertrauensarzt weiter überfordern.
Sehr sachverständige und sowohl mit der Rechtsauslegung wie mit der Auseinandersetzung vor den Sozialgerichten befaßte Persönlichkeiten haben in Aussprachen über dieses Problem festgestellt, daß eben ein gewisser Prozentsatz unechter Arbeitsunfähigkeit auf dieses Gesetz zurückzuführen ist. Ich weiß, daß es sehr viele verantwortungsbewußte Gewerkschaftler und noch viel mehr verantwortungsbewußte Betriebsräte gibt, gerade in den Betrieben der Großindustrie in Nordrhein-Westfalen, Hessen und anderswo, die mit Recht darauf hingewiesen haben, wie wichtig es ist, sich nicht etwa verführen zu lassen, die Solidarhaftung der gesetzlichen Krankenversicherung - das gilt nicht nur für die Betriebskrankenkassen, das gilt auch für die Ortskrankenkassen und die Arbeiterersatzkassen - zu mißbrauchen.
Leider ist heute nicht von der Dauer der Betriebszugehörigkeit gesprochen worden. Bei der Debatte in der ersten und in der zweiten Lesung und im Ausschuß habe ich immer wieder darauf hingewiesen, daß man dem sozialen Fortschritt am besten dient, wenn man das Niveau der verschiedenen Arbeitnehmergruppen in der Arbeitswelt und in der Sozialpolitik stetig anhebt, anstatt die Gruppen gegeneinanderzuhetzen oder durch Gleichmacherei zu nivellieren. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit sollte bei dieser Entwicklung berücksichtigt werden, weil sie von sehr großem Einfluß auf die Haltung der Arbeitnehmer ist. Daß diese meine Auffassung richtig war, ist, wie in so vielen anderen Fällen, leider viel zu früh bewiesen worden. Denn ganz kurzfristig hat sich gezeigt, daß die Betriebsangehörigen, die lange Zeit in einem Betrieb waren, in erheblich geringerer Zahl erkrankten oder ihre Krankheitsdauer geringer war als die von vielen Neuhinzukommenden, was für jeden Kenner unserer sozialen Situation gar nicht verwunderlich ist, aber leider in den Debatten um die Sozialpolitik gar zu gern verschwiegen wird.
Gerade ein Werk der Metallindustrie im Rheinland - das wird die Kollegen der SPD sehr interessieren - mit über 7000 Arbeitern hat Zahlen ermittelt, die eine volle Bestätigung für meine Behauptung sind, daß nämlich eine Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit bei der Dauer der Leistungen ein sehr viel besserer Ansatzpunkt gewesen wäre. Und, meine Herren, nun können Sie nicht wieder mit dem Gegensatz zwischen Arbeitern und Angestellten kommen. Diese Frage ist ja nicht nur in unendlich vielen Tarifverträgen geregelt worden, sondern spielt z. B. auch bei der Tarifordnung im öffentlichen Dienst für Angestellte und Arbeiter gleichermaßen eine entscheidende Rolle. Man zahlt dem ein höheres Gehalt, der länger dem Betrieb angehört. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen diese Zahlen aus dem Werk der Metallindustrie im einzelnen zur Verfügung stellen; sie sind für die Kollegen aus der Metallindustrie sicher von ganz besonderem Interesse.
Ich will Ihnen jetzt einen Sozialdemokraten zitieren - keinen Mann der Deutschen Partei, damit Sie mich nicht etwa der einseitigen Stellungnahme für mittelständische Kreise oder das Handwerk oder die Wirtschaft bezichtigen -, ich will Ihnen etwas zitieren, was, wie Sie ja alle gelesen haben, der baden-württembergische Arbeitsminister, Herr Hohlwegler, gesagt hat. Er hat die Frage gestellt: „Wer wird sich nach elf Tagen gesundschreiben lassen?" und hat sie sogleich selber mit der Bemerkung beantwortet: „Hier ist die Arbeitsmoral wirklich überfordert." Ich kann in diesem Falle tatsächlich Herrn Hohlwegler nicht widersprechen.
Ich begrüße, Herr Kollege Schellenberg, die Aktivität der Gewerkschaften in den Betrieben, und ich begrüße auch die Wirkung dieser Aktion. Ich weiß, daß in den Betrieben, in denen Plakate in Großformat ausgehängt wurden, worin man die Arbeitnehmer an die Solidarhaftung erinnert hat, ein erfreulicher Erfolg da war; und ich weiß, daß sich die Gewerkschaften bemüht haben - das sei anerkannt, besonders aber den Arbeitnehmern in den Betrieben anerkannt -, aus diesem komplizierten Gesetz durch die Erziehung ihrer Organisationen das Beste zu machen.
Man sollte über diese Dinge nicht hinwegreden mit neuen Ideologien und mit Gegensätzen, die aufgerissen werden zwischen Arbeitern und Angestellten. So einfach sind die Probleme nicht.
Vor der Novellierung dieses Gesetzes müssen einige Dinge ernsthaft festgestellt werden. Es muß unter anderem eine Frage geklärt werden, die hier auch schamhaft verschwiegen wird: das Verhältnis der Krankenzahl bei den Pflichtversicherten zur Krankenzahl bei den freiwillig Versicherten in der
Krankenversicherung. Ich meine, darüber hat niemand gesprochen. Es ist sehr interessant, daß der Krankheitsrekord vor allen Dingen bei den Pflichtversicherten liegt. Im letzten Quartal haben die Orts-, Land-, Betriebs- und Innungskrankenkassen des Landes Hessen übereinstimmend berichtet, daß am 1. Oktober 10,6 % der Pflichtversicherten und nur 1,3 % der freiwilligen Mitglieder arbeitsunfähig waren, gegenüber 4,66 und 1,28 % am 1. Januar. Bei den freiwillig Versicherten ist also der Prozentsatz gleichgeblieben, bei den Pflichtversicherten hat er sich mehr als verdoppelt.
Frau Kollegin Kalinke, Sie sagten eben, daß neue ideologische Gegensätze zwischen Arbeitern und Angestellten aufgerissen würden.
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Ist Ihnen nicht bekannt, daß gerade unser Antrag, die Arbeiter den Angestellten gleichzustellen, doch immerhin ein Antrag war, um diese ideologischen Gegensätze zu beseitigen?
Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege, nachzulesen, was ich dazu in der ersten, zweiten und dritten Lesung im 2. Bundestag gesagt habe. Ich habe mich da mit dem Problem „Arbeiter und Angestellte" und Ihrer Ideologie auseinandergesetzt. Im Interesse der Kollegen, die das wissen, möchte ich mich nicht wiederholen. Ich meine, daß die Gleichstellung ad hoc nicht möglich ist, daß es bessere Wege gegeben hätte, das Niveau des Arbeiters zu dem des Angestellten, des Angestellten zu dem ganz anders gearteten Recht des Beamten emporzuheben, daß aber alle Wege, einheitliches Recht ad hoc und mit Gewalt zu schaffen, immer falsche Wege sind.
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- Ein Gesetz, das unter einem Streikdruck von außen und unter Zeitdruck, mit dem Sie damals gepreßt haben, so gemacht wird, führt zu einer gewaltsamen Lösung von Problemen, die man behutsamer besser gelöst hätte.
Nun ist eine interessante Frage von dem Kollegen der SPD angesprochen worden, nämlich daß sich gezeigt habe, daß die Angestellten keineswegs moralischer seien als die Arbeiter. Ich möchte mich dagegen verwahren, daß hier Angestellte und Arbeiter konfrontiert werden mit der Auffassung, die einen seien moralischer als die anderen.
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- Eben nicht! Das ist eine Ihrer üblichen Unterstellungen und Vereinfachungen. Sie sollten es sich nicht so einfach machen. Sie sollten nicht eine Ersatzkassenstatistik heranziehen. Sie wissen genau, daß dem Verband der Ersatzkassen Arbeiter- und Angestelltenersatzkassen angehören und daß es gar keine getrennte Statistik für die Angestelltenersatzkassen gibt, die das beweisen würde, was Sie hier behauptet haben, sondern daß natürlich die Arbeiterersatzkassen in noch stärkerem Maße als die Ortskrankenkassen und die Betriebskrankenkassen dasselbe Dilemma hatten. Wer wollte das bestreiten?
Der Herr Minister hat auf die Anfrage der CSU erklärt, es sei nichts möglich, daß der Arbeiter ein Krankengeld erhält, welches den Nettolohn übersteigt. Der Kollege von der FDP hat bei der Begründung seines Antrags schon solche Beispiele genannt, in denen es doch möglich ist, und ich bitte daher den Herrn Minister, nachprüfen zu lassen, inwieweit die Dr. Oeterschen Beispiele zutreffen. Ich meine, sie treffen weitgehend zu. Ich glaube, wir haben auch dafür Sorge zu tragen, daß kein sozialethischer Schaden entsteht und daß bei den Arbeitnehmern, die noch ein echtes Gefühl für soziale Verantwortung haben, keine Verwirrung angerichtet wird. Es besteht doch wohl gar kein Zweifel, daß in der Mehrzahl unserer Betriebe das soziale Klima viel besser ist, als es manche Funktionäre gelegentlich darzustellen wünschen.
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Es besteht auch kein Zweifel darüber, daß die Wirtschaftliche Situation der Mehrzahl aller Arbeitnehmer - und das rechnen wir in der Koalition uns als Erfolg der Wirtschaftspolitik an, die wir in diesen Jahren mit getrieben und verteidigt haben - so ist, daß man ihnen sehr wohl zumuten kann, für Bagatellschäden oder kurze Krankheitsfälle einzutreten. Das wird ein Problem der Krankenversicherungsreform sein. Es bedeutet eine Diskriminierung der Arbeiter, wenn man ihnen in einem Augenblick, in dem sie Bausparverträge abschließen oder Autos, Fernsehapparate usw. kaufen können, nicht zutraut, daß sie in der Lage wären, für kleine Krankheitsfälle selbst verantwortlich zu sein. Ich glaube, daß das bei der Krankenversicherungsreform ein Prüfstein für wahrhaft soziale Verantwortung sein wird, auf die wir uns alle besinnen müssen. Darum habe ich davor gewarnt, Gegensätze aufzureißen. Wenn Sie nun sagen, das sei doch geschehen, dann muß ich Sie an das erinnern, was die Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes selber mitgeteilt haben. Die haben nämlich selbst gesagt, daß viele Befürchtungen eingetroffen sind, ja übertroffen worden sind.
Ich wiederhole also: Die Karenztage sollten nicht außerhalb des dargestellten Zusammenhangs gesehen werden. Ich möchte wirklich darum bitten, daß wir alle uns darum bemühen, bei der Krankenversicherungsreform Wege zu finden, die es ermöglichen, dieses Problem nicht, wie es Herr Schellenberg mehrfach getan hat, als eine Frage der sozialen Diffamierung der Arbeiter zu sehen; ich verweise auf das Protokoll, das hier zitiert worden ist. Ich meine vielmehr, daß wir dieses Problem so sehen sollten, wie wir es sehen müssen: als ein echtes Reformproblem der Krankenversicherung.
Bitte schön, Herr Schellenberg!
Frau Kollegin Kalinke, Sie haben sich dagegen gewandt, daß ich den Ausdruck „Diffamierung" gebraucht habe.
!rau Kalinke ({0}) : Das tue ich.
Ist es nicht eine Zurücksetzung, daß für den einen Teil der BeschäfDr. Schellenberg
tigten keine Karenztage gelten und für den anderen Teil der Arbeitnehmer immer noch solche?
Man kann eine unterschiedliche Entwicklung im Arbeitsrecht der Arbeiter, der Angestellten und der Beamten nicht fortgesetzt in der Diskussion gesellschaftspolitischer Probleme -- und das ist ein gesellschaftspolitisches Problem - dazu benutzen, um mit Klassenkampfideologien die eine Gruppe der anderen gegenüberzustellen und sie gegeneinanderzuhetzen!
({0})
Sie werden mit allen Versuchen, das Arbeitsrecht, das Sozialrecht und das Beamtenrecht gleichzuschalten, doch nicht zu einem Einheitsstand der Arbeitnehmer und auch nicht zu einer einheitlichen Entwicklung für alle kommen. Das haben Sie, lieber Kollege Schellenberg, in Berlin ja am besten erlebt. Sie haben die Beamtenrechte beseitigt, und als sie vom Bund aus wieder eingeführt wurden, waren diejenigen, die für ihre Beseitigung gestimmt hatten, die ersten, die nun für die Wiederherstellung ihrer eigenen Beamtenrechte eintraten. Sie haben das besondere Angestelltenrecht beseitigt, und als wir nun die Versicherungsanstalt für Angestellte wieder in Berlin errichteten, waren die Gewerkschaften, die dagegen gekämpft haben, die ersten, die sich als die treuesten Gralshüter der Sonderrechte der Angestellten aufspielten. Sie haben gegen die Selbstverwaltung und gegen die Zulassung der Ersatz- und Betriebskrankenkassen in Berlin gekämpft, und ich habe mir erzählen lassen, daß diejenigen, die am heftigsten dagegen waren, sich jetzt schon um die Plätze auf den Einheitslisten für die Selbstverwaltungsorgane bewerben.
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Es gibt wirklich - da stimme ich Ihnen zu - ein echtes Anliegen, dem Arbeiter im Krankheitsfall die gleiche Lösung zukommen zu lassen,. die der Angestellte hat.
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- Über das zentrale Anliegen besteht kein Gegensatz zwischen der Deutschen Partei und der SPD, ich meine, auch nicht zwischen der CDU und der SPD. Aber über die Form, den Weg, die Eilbedürftigkeit und das Tempo einer solchen Anpassung, darüber bestehen allerdings Gegensätze, und die Erfahrungen mit diesem Gesetz haben gezeigt, daß die konservative Forderung der Deutschen Partei, dem sozialen Fortschritt behutsam zu dienen, eine große Berechtigung hat.
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Herr Wischnewski hat zugegeben - und er hat damit wiederholt bestätigt, was ich hier in den Debatten zum Gesetz vor einem Jahr gesagt habe-, daß doch viele betriebliche Lösungen besser waren und daß sogar eine Verschlechterung für sehr viele Arbeitnehmer eingetreten ist. Aber er hat dann hinzugefügt - und das soll auch loyal gesagt werden -: Natürlich für 15 000, für die übrigen ist das Gesetz eine Verbesserung. Hier ist genau wieder das Problem, auf das ich zuerst hingewiesen habe. Man kann eben nicht vom Großbetrieb aus und auch nicht vom Monopolbetrieb aus alle Probleme sehen wollen. Unsere Wirtschaft lebt mit der Erhaltung unserer mittelständischen gewerblichen, landwirtschaftlichen und handwerklichen Betriebe.
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Man kann deshalb diese Dinge nicht nur so lösen, wie es am bequemsten wäre. Die Industriegewerkschaft eines Industrieverbandes verständigt sich mit der Großindustrie, und dann ist alles einfach! Wenn die Dinge so einfach wären, dann brauchten wir hier überhaupt keine Sozialdebatten zu haben, dann würden die Sozialpartner vielleicht schon vieles in Autonomie gelöst haben.
Meine Kollege Dr. Berg hat in der zweiten Lesung am 31. Mai 1957 meine Ausführungen ergänzt und gesagt, daß diese Vorlage sowohl für die Arbeitnehmer wie für die Arbeitgeber viele Gefahrenmomente habe. Wir haben vor der Vorwegnahme sozialpolitischer Teillösungen gewarnt. Sie haben unsere Freunde aus der CDU erpreßt
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und haben immer wieder auf die Streikdrohung und das Versprechen auf dem Parteitag der CSU hingewiesen.
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- Jawohl, das haben Sie gesagt. Wir wollen doch die Debatten nicht vergessen, die im Ausschuß stattgefunden haben.
Nun haben wir im Bundestag einen Kompromiß gemacht; es war einer der üblichen Kompromisse, wie er so oft in diesem Hause gemacht wird, und wir sollten den Mut haben zu sagen: er ist reformbedürftig; er ist halt nicht geglückt. Wir sollten weiter den Mut haben zu sagen: wenn er nicht in allen Teilen geglückt ist, dann brauchen wir ihn nicht gleich morgen zu ändern, aber wir sollten ihn bald ändern.
Ich mache Ihnen die Freude und komme zum Schluß.
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- Ich weiß ja, es ist so anstrengend, den Problemen auf den Grund zu gehen und sie zu diskutieren,
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aber es ist leider unser Auftrag, das zu tun. Ich fasse jedenfalls den politischen Auftrag in diesem Hause so auf, daß wir auch über die unbequemen Dinge nachdenken müssen.
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Wir haben die Frage zu stellen: ist eine Verbesserung möglich? Wenn wir sie bejahen - meine Freunde von der Deutschen Partei bejahen diese Frage -,_dann haben wir nicht zu zaudern, auch Irrtümer einzugestehen, allerdings zu gegebener Zeit, untermauert mit ausreichenden Erkenntnissen und mit dem notwendigen Material. Der Antrag der Sozialdemokraten von gestern, der Notlage
der Krankenkassen mit einigen kleinen Forderungen zu begegnen und die Reformprobleme damit vorwegzunehmen, daß man Fragen der Kostenabgrenzung oder der Erstattung oder Fragen, die auf dem Wege der Vereinbarung geregelt werden können, zur Lösung dieses Problems oder zur Vertuschung der finanziellen Krise heranzieht, scheint mir nicht der geeignete Weg zu sein, hier entscheidend zu helfen. Wichtig scheint mir vielmehr, daß wir uns die Erfahrungen mit diesem Gesetz nutzbar machen und uns darüber klarwerden, welches die echten Aufgaben der Krankenversicherungsreform sind. Und diese werden wir, hoffe ich, in nicht zu ferner Zeit in der Debatte über die Anliegen der Krankenversicherungsreform und, wie ich hoffe, in der Einsicht und in der Gesamtverantwortung vor dem Gesamtproblem sehr ernsthaft ohne Zeitdruck, ohne Nervosität und mit der Bereitschaft, nachzudenken, miteinander lösen.
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- Behutsam zu handeln ist immer etwas besseres, als Porzellan zu zerschlagen.
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Meine Damen und Herren, es sind noch drei Redner gemeldet. Das Wort hat der Abgeordnete Börner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Sorge, daß ich die Debatte dieses Hauses dadurch unnötig verlängern will, daß ich die schon sachlich behandelten Probleme erneut aufgreife! Aber ich glaube, man kann sich den Fragenkomplex, der heute zur Debatte steht, nicht so leicht machen, daß man versucht, hier eine Debatte über Ideologien vom Zaune zu brechen, und daß man darüber hinaus Formulierungen wählt, die einen Teil dieses Hohen Hauses zumindest sehr schockiert haben.
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Bei aller Wertschätzung der CDU/CSU-Fraktion und meiner eigenen Fraktion kann man doch nicht unterstellen, daß zwei so große Gruppierungen dieses Hauses sich in einer so wichtigen sozialpolitischen Frage hätten erpressen lassen. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, daß die Verabschiedung dieses Gesetzes nach reiflicher Überlegung sowohl der Sozialpartner als auch der Fraktionen dieses Hauses zustande gekommen ist.
Wir sind die letzten, die behaupten, daß dieses Gesetz ein Idealzustand sei. Wir müssen aber eindeutig folgendes feststellen. Frau Kollegin Kalinke, Sie waren ja so höflich, meinem Kollegen Wischnewski zu unterstellen, er habe als Abgesandter irgendeiner Interessentengruppe gesprochen.
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- Aber der Blickwinkel war doch sehr deutlich.
Wir sollten unterstellen, daß in der Frage der Lohnfortzahlung die Meinungen der Arbeiterschaft, wenn auch vielleicht nicht in allen Detailproblemen, sich etwa mit dem decken, was der Herr Kollege Wischnewski und andere hier ausgeführt haben.
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Ich möchte Ihnen ganz eindeutig sagen, daß das Spiel mit den Zahlen, die heute morgen von verschiedenen Seiten angeführt worden sind, ziemlich ermüdend ist, einfach deshalb, weil diese Zahlen aus sehr unterschiedlichen Quellen stammen und weil mit Statistiken manches und manchmal auch alles bewiesen werden kann. Ich kann Ihnen aus der Erfahrung meines Wahlkreises berichten und ich könnte Ihnen durchaus auch Statistiken aus Großbetrieben bringen, aus denen sich eindeutig ergibt, daß der Prozentsatz der kranken Angestellten in der Grippewelle höher gewesen ist als der der Arbeiter. Ich verzichte darauf, dieses Problem erneut aufzugreifen; denn wir sind nicht der Meinung wie Sie, daß das Material, das das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung jetzt gesammelt hat, ausreicht, dieses Gesetz neu zu diskutieren. Wir glauben vielmehr ebenso wie die CDU/ CSU-Fraktion, daß der Beobachtungszeitraum sehr begrenzt ist und daß sich die Betrachtungsweise darüber hinaus durch die Grippewelle des letzten Herbstes entschieden verzerrt hat.
Was Frau Kollegin Kalinke über die Karenztage gesagt hat, ist sehr unbefriedigend, unbefriedigend deshalb, weil es ein Ausweichen vor der sehr konkreten Frage des Herrn Kollegen Professor Dr. Schellenberg war. Es ist durchaus so, daß von unserer Seite und auch von breiten Kreisen der Arbeiterschaft, nicht nur von den oft zitierten Industriegewerkschaften, die Frage der Karenztage als eine soziale Diskriminierung angesehen wird. Die sozialdemokratische Fraktion betrachtet auch die Stellungnahme von seiten dieses Arztes, die Sie in Ihren Ausführungen angeführt haben, als eine Argumentation für sich. Wir glauben nämlich, daß durch die Abschaffung der Karenztage das Problem endlich vom Tisch kommt, und sind immer noch der Meinung, daß die soziale Moral der Arbeiter und der Angestellten nicht gegeneinander ausgespielt werden sollte.
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Das Problem der Sicherung des Arbeiters im Krankheitsfalle müßte, auch wenn man hier von sogenannten behutsamen Lösungen auf lange Sicht spricht, doch einmal unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, daß es gerade die Arbeiterschaft gewesen ist, die einen wesentlichen Beitrag zum Wiederaufbau unseres Vaterlandes geleistet hat, und daß es entscheidend darauf ankommt, dieser Gruppe von Menschen die soziale Sicherstellung zu geben, die ihr auf Grund ihrer Leistungen für die Gesamtheit unseres Volkes zukommt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schüttler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte hat manches Unliebsame zutage gefördert und uns das vorige Jahr in die Erinnerung zurückgerufen, wo wir um dieses ernste Problem hier gemeinsam gerungen haben. Es ist nicht so, wie Frau Kalinke hier soeben gesagt hat, daß wir, die CDU, damals von der SPD-Fraktion erpreßt worden seien, um dieses Anliegen durchzusetzen, das wirklich nicht erst in den letzten Monaten des 2. Bundestages zur Debatte stand. Dieses Anliegen hatte uns vielmehr schon ein oder zwei Jahre vorher beschäftigt.
({0})
Es war unser ureigenster Wunsch, zu einer Lösung zu kommen, die der Gerechtigkeit entsprach. Deshalb haben wir damals das Problem unter uns ernstlich beraten, ohne uns dabei von jemandem in diesem Hause erpressen zu lassen.
Die Dinge sind nun heute vielfach auch sehr einseitig dargestellt worden. Wir waren uns doch alle bewußt, daß mit diesem Gesetz eine unerhörte Belastung auf die Wirtschaft und auf die Arbeitnehmer zukam. Wir waren uns ebenso alle bewußt, daß auch die Krankenkassen nicht achtlos würden daran vorbeigehen können, nachdem wir vor allem die Leistungen der Krankenkassen durch dieses Gesetz von 60 auf 65 bis zu 70 % heraufgesetzt haben.
({1})
-Von 50 auf 60 und dann auf 65 bis 75! Damals waren schon die Krankenkassen und auch wir selber dabei, auszurechnen, wie hoch die Belastung der Krankenkassen sein würde. Die normale Belastung allein wurde auf 0,8 % Beitragserhöhung geschätzt. Dabei blieben aber die zusätzlichen Ausgaben für Arzneikosten, Krankenhauskosten, Ärztehonorare usw. unberücksichtigt; allein diese 0,8 % standen vor uns, dessen waren wir uns bewußt. Alle, die etwas von Sozialpolitik verstehen, haben damals sofort gesagt: Dabei bleibt es nicht; mit dieser Mehrleistung von 0,8 % werden automatisch noch weitere, neue Kosten verbunden sein.
Nun hat Frau Kalinke soeben gesagt, Herr Minister Storch habe damals in seiner Pressekonferenz sogar angedeutet, daß auch der Krankenstand automatisch steigen werde, und sie hat eine Zahl von 20 bis 30 % genannt. Der ehemalige Minister Storch steht auch heute noch zu dieser Auffassung. Es ist doch logisch, daß ein Familienvater, der durch sein infolge Krankheit geschmälertes Einkommen bis dahin nicht wagen konnte, seine Grippe oder andere Krankheit, die er mit sich schleppte, auszuheilen, nun in die Lage versetzt wurde, das endlich ohne große Einbuße für seine Familie zu tun.
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Dazu steht Herr Minister Storch, wie gesagt, auch heute noch, vor allem deshalb, weil er sich dessen bewußt ist, daß infolge der Hochkonjunktur in der Wirtschaft Hunderttausende von Menschen zusätzlich eingestellt wurden, die unter anderen Verhältnissen nicht mehr eingesetzt worden wären, weil sie mit Gebrechen belastet oder von Krankheit
heimgesucht waren. Diesen Menschen hat man aber, weil überall Kräftemangel war, Gott sei Dank Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet. Daß solche Personengruppen Krankheiten mehr anheimfallen, ist selbstverständlich. Auch das muß berücksichtigt werden. Deswegen sollte man sich vor solchen einseitigen Stellungnahmen hüten.
Man darf auch, wenn man richtig urteilen will, keine einzelne Betriebsgruppe herausgreifen. Die letzte Veröffentlichung der Allgemeinen Ortskrankenkassen für ganz Deutschland zeigt doch deutlich den Stand der Entwicklung; den Krankenstand vom 1. Juli 1957 bis zum Dezember 1957. Danach steigt der Krankenstand von 4,8 % im Höchstfalle auf 8,36 % im Durchschnitt in dem Grippemonat um den 1. Oktober, er fällt sofort wieder ab und hat im Dezember nur noch 5,37 %. Im Vergleich mit 1956 haben wir am Ende des Jahres eine Steigerung von genau 1 % im Durchschnitt aller Ortskrankenkassen in ganz Deutschland. Deswegen von katastrophalen Auswirkungen dieses Gesetzes zu sprechen, halte ich für verfehlt. Man sollte das nicht machen.
Die Grippeepidemie! Man sollte es nicht immer so hinstellen, als wenn sich die Menschen so leicht der Grippe unterworfen und den Weg zur Krankenkasse gesucht hätten. Wir sollten doch auch einmal dankbar sein, daß wir diese unerhörte Grippe, die sich nicht nur über Deutschland, sondern auch über andere Staaten erstreckt hat, so gut überstanden haben. Wir sollten auch daran zurückdenken, daß 1919/1920 bei der großen Grippe in Europa dreieinhalb Millionen Menschen an Grippe gestorben sind. Wir sollten schließlich auch daran denken, daß die Ärzte in dieser Zeit Unerhörtes geleistet haben, um diese Grippeepidemie mit dem gleichen Personal unter unsäglicher Mehrarbeit bei gleichbleibender Vergütung zu bekämpfen.
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Es hat doch keinen Wert, immer nur zu negieren. Man soll auch einmal das Positive einer solchen Situation betonen. Wir freuen uns, daß die Grippeepidemie überwunden ist, daß wir so wenig Todesfälle haben. Wir glauben, daß unsere Wirtschaft im neuen Jahr mit neuem Mut auch diese Korrektur an den Kassen vornehmen wird, die notwendig ist, um den Beitragssatz wieder normal zu gestalten.
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Ich könnte Ihnen auch aus meinem Bezirk Beweise dafür bringen, daß es durchaus nicht in ganz Deutschland mit dem Ansturm auf die Kassen so einheitlich ausgesehen hat und daß gerade bei kleineren Ortskrankenkassen und kleineren Betriebskrankenkassen mit 3000, 4000 Mitgliedern die Verhältnisse durchaus normal geblieben sind. Wir haben noch drei Betriebskassen in meinem Bereich mit 3000, 4000 Mitgliedern, die mit den 0,8 % Beitragserhöhung ausgekommen sind und noch keine weitere vorgenommen haben. Wir haben auch noch zwei Ortskrankenkassen, die mit der gleichen Beitragserhöhung von 0,8 % ihre Aufgaben heute noch erledigen, und zwar zur vollen Zufriedenheit. Auch das sollte man einmal sagen. Es darf nicht so sein, daß man einen gewissen Stand da und dort diffa558
miert und glaubt, weil diese und jene Möglichkeit bestehe, sei dieser Stand nicht in der Lage, einzelne Mißstände, die mal vorgekommen sind, auszumerzen. Lassen wir der Entwicklung einige Monate den Lauf! Wir werden dann bestimmt erfahren, daß in der Arbeiterschaft zu 99 % so viel Moral steckt wie in jedem anderen Berufsstand.
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Ja, Herr Dr. Schellenberg, wir wollen mal ein Prozent annehmen, das sich in keinem Berufsstand hält; dieser Streusand wird irgendwo angeschwemmt, der aus anderen Berufen herübergekommen ist, und dessen Haltung soll dann bei der Arbeiterschaft verantwortet werden. Das geht nicht auf Kosten der Arbeiterschaft, sondern das ist der Streusand des Lebens, der sich verliert und auf der tiefsten Stufe irgendwo mal bleibt. Die Arbeiterschaft, die Selbstverwaltung und alle Gutgesinnten, auch die Arzteschaft werden die Korrekturen vornehmen, die notwendig sind, um auch hier das Gesetz wirksam werden zu lassen, wie wir es uns damals allgemein gedacht haben.
Sicher sind Mängel vorhanden. Das Gesetz war ein großer Kompromiß, um zunächst einmal einen Versuch, einen Start zu machen. Der Start wäre gelungen, wenn nicht die Grippeepidemie alles überspielt hätte. Wir hätten dann ein klareres Bild vor uns. Es wäre verfehlt, aus dieser Situation heraus die Sonde der Kritik an das Gesetz anzulegen und schon jetzt Reformversuche zu unternehmen, die sich dann womöglich wieder als Fehlgriff erwiesen. Lassen wir doch einmal ein Jahr vorübergehen, und versuchen wir dann mit aller Klarheit festzustellen, wie sich die Dinge entwickelt haben und was notwendig ist! Dann werden wir der gerechten Lösung nahekommen, die wir alle suchen. Das Ziel, das wir anstreben, die Beseitigung der Mängel, werden wir mit Hilfe aller Gutgesinnten erreichen. Die große Erankenvarsicherungsreform sollten wir gemeinsam mit diesem Anliegen in die Hand nehmen. Dann wird das Ergebnis so, wie wir es allgemein wünschen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur ein paar kurze Bemerkungen!
Ich freue mich, im letzten Redner einen starken Unterstützer meiner Auffassung gefunden zu haben. Denn er bestätigt, daß 99 °/o anständig sind und keinen Mißbrauch treiben. Das deckt sich haargenau mit meiner Meinung, daß ein halbes oder höchstens ein Prozent der Infragekommenden Mißbrauch treibt. Wir sind uns also einig, daß nach dem Gesetz eine gewisse Möglichkeit des Mißbrauchs gegeben ist und daß wir uns gemeinsam bemühen wollen, sie zu beseitigen.
Ich habe volles Verständnis dafür, daß der Sprecher der CSU, Herr Dr. Dittrich, es bei der Spannweite der Auffassungen in dieser Fraktion nicht ganz leicht hatte, alle Standpunkte unter einen Hut zu bringen. Wenn wir § 1 und § 2 nebeneinander betrachten, so sehen wir sehr deutlich, daß hier der Versuch gemacht wird, die nach beiden Seiten bestehenden Belastungen etwas auszugleichen.
Wenn hier so scharf polemisiert worden ist, man solle kein Gesetz so schnell novellieren, so möchte ich dem entgegenhalten, daß in der letzten Zeit - zumindest nach Pressemeldungen - gerade bei der CSU die Absicht bestand oder noch besteht, das Ladenschlußgesetz, das auch erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit in Kraft ist, zu novellieren. Ich meine, man sollte diesen Standpunkt konsequent überall vertreten oder gar nicht. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung: wenn wir einen Mißstand erkannt haben, dann ist es notwendig, ihn so schnell wie möglich unter Berücksichtigung aller Überlegungen abzustellen. Wenn wir in den Ausschußberatungen zu dem Ergebnis kommen, daß sich in dem einen oder anderen Punkt noch bessere Formulierungen finden lassen, werden Sie uns als die besten Unterstützer sehen. Das Ziel ist, zu vermeiden, daß derjenige, der verantwortungsbewußt ist, und derjenige, der sich in der letzten Zeit um der Solidarität der Arbeiterschaft willen gegen den Mißbrauch gewandt hat, den Eindruck bekommt, daß der Gesetzgeber nicht bereit ist, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
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Weitere Redner sind nicht gemeldet.
({0})
- Ich wollte das nur feststellen; ich wollte Sie nicht zu irgendwelchen Beifalls- oder Mißfallensäußerungen auffordern.
Wir kommen zur Abstimmung. - Das Wort zur Abstimmung hat Abgeordneter Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche wohl im Namen aller Fraktionen des Hauses, wenn ich sage, daß wir es auch bei dieser Vorlage so halten wollen, neben dem federführenden Ausschuß nur einen Ausschuß mitberatend zu beteiligen. Es war vorhin davon die Rede, daß zur Mitberatung der Ausschuß für Arbeit herangezogen werden sollte. Wir halten das nicht für erforderlich, weil das Gesetz so, wie es heute wirksam ist, ein rein sozialpolitisches Gesetz ist und keine arbeitsrechtlichen Fragen im eigentlichen Sinne enthält. Wir sind aber sehr wohl der Meinung, daß es wegen der Bedeutung dieses Gesetzes gerade auch für die mittelständischen Betriebe ratsam ist, die Vorlage an den Ausschuß für Mittelstandsfragen zur Mitberatung zu überweisen. Ich möchte deshalb im Namen der Koalitionsparteien beantragen, daß der Ausschuß für Sozialpolitik federführend und der Ausschuß für Mittelstandsfragen mitberatend sein soll; auf die Überweisung an den Ausschuß für Arbeit soll verzichtet werden.
Wird das Wort hierzu gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik als federführenden Ausschuß. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich lasse nunmehr über den Antrag abstimmen, die Vorlage dem Ausschuß für Mittelstandsfragen als mitberatendem Ausschuß zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. -Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung einstimmig angenommen.
Weitere Anträge sind nicht gestellt; der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Arbeit ist anscheinend fallengelassen worden.
({0})
Dieser Punkt der Tagesordnung ist erledigt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Entschließungen der 46. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union ({1}) .
Im Ältestenrat hat man vereinbart, daß keine Aussprache stattfinden soll und diese Entschließungen dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten überwiesen werden sollen. Ist das Haus damit einverstanden?
({2})
- Dann ist es so beschlossen. Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3}) - Immunitätsangelegenheiten - betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Dehler gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 3. Mai 1957 ({4}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Ritzel. Ich bitte ihn, das Wort zu ergreifen.
Herr Präsident! Meine Damen und und Herren! Der Oberstaatsanwalt in Essen hat dem Hohen Hause Kenntnis von einer Anzeige gegeben, die die Abgeordneten Dr. Oberländer und Kraft gegen den Abgeordneten Dr. Dehler erstattet haben. Dr. Dehler soll in einer öffentlichen Versammlung am 18. Oktober 1956 in bezug auf die Anzeigenden erklärt haben: „Solche verächtlichen Lumpen, die ihr Mandat nicht zurückgeben ..."
Herr Abgeordneter Dr. Dehler wurde zu dieser Beschuldigung gehört und hat erklärt, daß er wohl über die Frage gesprochen habe; er habe aber gesagt, daß es mit den Grundsätzen der repräsentativen Demokratie und dem Sinn einer Koalitionsvereinbarung nicht für vereinbar zu halten sei, daß Minister in einem Kabinett belassen würden, obwohl sie aus ihrer Partei ausgeschieden seien. Diese
Kritik habe sich auf das Verhalten der beiden Antragsteller und der aus der Freien Demokratischen Partei ausgeschiedenen Minister bezogen. Er habe weiter gesagt: „Unsere Demokratie wird erst dann gesund sein, wenn das Verhalten eines Abgeordneten, der seine Partei verläßt, ohne das ihm durch diese Partei vermittelte Mandat zurückzugeben, allgemein als verächtlich empfunden wird."
Der zuständige Ausschuß hat sich mit der Frage befaßt und auf Grund der bisher beachteten und den von ihm nach der Geschäftsordnung erneut aufgestellten Grundsätzen beschlossen, dem Hohen Hause zu empfehlen, in dieser umstrittenen Äußerung gegebenenfalls eine Beleidigung politischen Charakters zu erblicken, die keinen Anlaß zur Aufhebung der Immunität darstellen soll. Entsprechend diesem Beschluß bitte ich das Hohe Haus, auf die Aufhebung der Immunität zu verzichten.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
({0})
- Meine Damen und Herren, wenn Sie sich enthalten wollen, dann bitte ich, ein Handzeichen zu geben.
({1})
- Wenn Sie es gegeben haben, haben Sie es so diskret getan, daß es auch dem Präsidenten nicht möglich war, es zu bemerken. Ich wiederhole die Abstimmung. Wer für die Annahme des Antrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Vier Stimmen dagegen. Enthaltungen? - Zehn Enthaltungen. Die Mehrheit ist für die Annahme des Antrags.
Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) - Immunitätsangelegenheiten - betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 11. Mai 1956 ({3}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Ritzel. Ich bitte ihn, seinen Bericht zu erstatten.
Ritzel ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch hier handelt es sich um eine Strafanzeige gegen ein Mitglied dieses Hauses, und zwar gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger, der beschuldigt wird, den damaligen Staatsminister in Bayern Dr. Geislhöringer in einer Versammlung der Jungen Union als „Staatsminister für Spielbanken und zur Förderung der Korruption" bezeichnet zu haben. Außerdem handelt es sich um einen zweiten Strafantrag der Bayerischen Staatsregierung - ich nehme an,
der von damals -, der darauf beruht, daß in der gleichen Sitzung der Jungen Union der Abgeordnete Dr. Jaeger geäußert habe, die Bayerische Staatsregierung habe einen „Staatsminister zur Errichtung von Spielbanken und zur Förderung der Korruption" eingesetzt.
Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hat sich mit diesen beiden Anträgen befaßt und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Behauptung zwar äußerlich in die Form einer Tatsachenbehauptung gekleidet sei, sich aber dem Inhalt nach als eine politische Wertung darstelle.
In Übereinstimmung mit den bisher beachteten Grundsätzen empfiehlt auch hier der Ausschuß, von einer Aufhebung der Immunität abzusehen.
Wird das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! -Enthaltungen? - Eine Enthaltung. Der Antrag ist angenommen.
Punkt 5 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) - Immunitätsangelegenheiten - betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Caspers gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 17. Juli 1957 ({1}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dewald. Ich bitte ihn, seinen Bericht zu erstatten.
Dewald ({2}), Berichterstatter: Es handelt sich um eine Klage von Angehörigen der Deutschen Zentrumspartei. In einer Wahlversammlung habe der Abgeordnete Caspers Äußerungen gemacht, die darauf hinausgelaufen seien, man müsse der Deutschen Zentrumspartei die richtige christliche Gesinnung absprechen, weil sie sich mit der Gesamtdeutschen Volkspartei in ein Wahlbündnis eingelassen habe.
Der Immunitätsausschuß hat sich mit der Sache befaßt und sich an die bisherige Übung gehalten, daß Äußerungen während eines Wahlkampfes, auch wenn sie von dem einen oder anderen als beleidigend aufgefaßt werden, nicht zur Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten führen. Der Ausschuß hat beschlossen, dem Hause vorzuschlagen, daß die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Caspers nicht erteilt wird. Ich bitte das Hohe Haus, dem Beschluß des Ausschusses seine Zustimmung zu geben.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag des Ausschusses ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Zwei Enthaltungen. Ich stelle fest, daß in diesem Wahlkampf die Empfindlichkeit der Politiker offenbar ins Ungemessene gewachsen ist,
({0})
übrigens ein Zeichen für den Hochstand der politischen Moral in unserem Volke.
Punkt 6 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1}) - Immunitätsangelegenheiten - betreffend Genehmigung zur Strafvollstreckung gegen den Abgeordneten Wehr gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 15. März 1957 ({2}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Muckermann. Ich bitte ihn, seinen Bericht zu erstatten.
Muckermann ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident Meine Damen und Herren! Am 14. Juni 1954 verstieß der Abgeordnete Wehr laut vorliegenden Akten gegen die §§ 2 und 71 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung.
Der Deutsche Bundestag hat in seiner zweiten Legislaturperiode diesen Fall behandelt und die Aufhebung der Immunität zur Einleitung eines Strafverfahrens sowie die Aufhebung der Immunität zur Strafvollstreckung beschlossen.
Der Abgeordnete Wehr wurde wegen dieser Übertretungen zu fünf Tagen Haft verurteilt. Von diesen fünf Tagen Haft sind zwei Tage verbüßt. Für die weiteren drei Tage war ihm unter Auferlegung einer Geldbuße Strafaussetzung bewilligt worden. Diese Strafaussetzung ist widerrufen worden, weil die genannte Buße nicht bezahlt wurde.
Da die Genehmigung zur Strafvollstreckung zeitlich auf die Zeit der Parlamentsferien 1956 begrenzt war, ist es notwendig, für die restlichen noch nicht verbüßten drei Tage Haft eine erneute Genehmigung zu erteilen.
In der letzten Sitzung des 2. Deutschen Bundestages wurde dieser Punkt - damals Drucksache 3586 - aus zeitlichen Gründen von der Tagesordnung abgesetzt, so daß er heute erneut dem Hohen Hause vorgelegt wird.
Der Ausschuß Nr. 1 hat in seiner Sitzung vom 17. Januar 1958 gemäß seinen Richtlinien einmütig beschlossen, dem Hohen Hause zu empfehlen, die Genehmigung zur Strafvollstreckung innerhalb einer sitzungsfreien Zeit des Deutschen Bundestages zu erteilen.
({4})
Wird hierzu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - 3 Gegenstimmen. Enthaltungen? - 6 Enthaltungen. Die Mehrheit war für die Annahme des Antrags.
Vizepräsident Dr. Schmid
Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) ({1}) betreffend Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Gustav Essig in Weiler gemäß Schreiben .des Bundesministers der Justiz vom 14. Juni 1957 ({2}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Dittrich. Ich bitte ihn, seinen Bericht zu erstatten.
Dr. Dittrich ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bäckermeister und Landwirt Gustav Essig aus Weiler in Baden-Württemberg hat am 26. Januar 1957 dieses Hohe Haus in Zusammenhang mit dem Ladenschlußgesetz eine Idiotenanstalt genannt.
({4})
Als ein Polizeihauptwachtmeister bei ihm eine Ladenschlußkontrolle durchführte, reagierte der Herr Essig sauer.
({5})
Er erklärte dabei: „Was da die Idiotenanstalt in Bonn für ein Gesetz gemacht hat, bekümmert mich nicht. Die Idiotenanstalt in Bonn hat noch nie etwas Gescheites fertiggebracht."
({6})
Dies erfüllt ohne Zweifel den Tatbestand der Beleidigung gemäß § 185 des Strafgesetzbuchs. Wenn der Immunitätsausschuß Ihnen empfiehlt, von einer Ermächtigung nach § 197 des Strafgesetzbuchs zur Strafverfolgung gegen diesen biederen Bäckermeister aus Baden-Württemberg abzusehen, so geschah das deshalb, weil er ansonsten unbestraft ist, weil ansonsten gegen ihn nichts Nachteiliges vorliegt mit Ausnahme dessen, daß ihm vorzuwerfen wäre, daß er zu der Behauptung heute nicht mehr steht.
({7})
Er hat nämlich vor dem Polizeibeamten und vor der Staatsanwaltschaft abgestritten, daß er solches jemals gesagt habe.
Der Ausschuß empfiehlt Ihnen demnach, von einer Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen den Bäkkermeister und Landwirt Gustav Essig trotz dieser „ungeheuerlichen Behauptung" abzusehen.
({8})
Ich brauche wohl kaum abstimmen zu lassen.
({0})
So säuerlich wie Herr Essig ist dieses Haus nicht. - Das Haus stimmt zu.
Punkt 8 der Tagesordnung ist abgesetzt. Punkt 9 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({1}) - Immunitätsangelegenheiten - betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger gemäß Schreiben der Rechtsanwälte Dr. Ernst Keßler, Rolf Gyger, München, vom 31. Januar 1957 ({2}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Bucher. Ich bitte ihn, seinen Bericht zu erstatten.
Dr. Bucher ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir erlaubt, in dieser Sache einen Schriftlichen Bericht vorzulegen, und habe erst nachträglich festgestellt, daß das eigentlich gegen die Übung des Immunitätsausschusses verstößt. Als Neuling in diesem Ausschuß bitte ich hierwegen um Nachsicht. Ich kann aber, glaube ich, trotzdem in der Sache im großen und ganzen auf diesen Bericht verweisen, da es sich um keine sehr schwerwiegende Sache handelt.
Der Abgeordnete Dr. Jaeger ist mit einer Privatklage des Herrn Kahn-Ackermann überzogen worden, der dem 2. Deutschen Bundestag als Abgeordneter angehörte. Es wird dem Herrn Abgeordneten Dr. Jaeger vorgeworfen, daß er seinerseits Herrn Kahn-Ackermann vorgeworfen habe, er - also Kahn-Ackermann - habe während seines Mandats nicht in Bonn gearbeitet, sondern sei drei Jahre lang im Lande herumgereist, und der „Aktivist Kahn-Ackermann bzw. Hennecke Kahn-Ackermann hat sein Soll erfüllt."
({4})
Obwohl es uns nicht zusteht, in eine strafrechtliche Würdigung an sich einzutreten, glaube ich doch sagen zu können, die Bezeichnungen „Aktivist" und „Hennecke" können sich ja eigentlich nur auf die Tätigkeit des Abgeordneten Kahn-Ackermann als Politiker beziehen und sind deshalb eigentlich gar keine Beleidigung, sondern beinahe eine Anerkennung.
({5})
Jedenfalls handelt es sich nicht um schwerwiegende Beleidigungen, keinesfalls um Verleumdungen, und deshalb schlägt der Ausschuß auch in dieser Sache vor, die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger nicht zu erteilen.
Ich darf außerhalb des Berichts noch mit einem Satz anmerken, daß auch umgekehrt ein Strafverfahren des Abgeordneten Dr. Jaeger gegen den ehemaligen Abgeordneten Kahn-Ackermann wegen einer Behauptung läuft, die nun umgekehrt lautet: der Abgeordnete Dr. Jaeger habe zuwenig im Wahlkreis und zuviel in Bonn getan.
({6})
Soweit ich informiert bin, wird aber auch dieses zweite Strafverfahren, mit dem wir hier ja nicht mehr befaßt sind, außergerichtlich seine Erledigung finden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird eine Aussprache gewünscht?
({0})
Vizepräsident Dr. Schmid
Das scheint nicht der Fall zu sein.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer für den Antrag des Ausschusses ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Ich stelle keine Gegenstimmen fest. Enthaltungen? - Ich stelle auch keine Enthaltungen fest. Damit ist der Antrag angenommen.
Ich glaube, daß wir all denen, die Anlaß zu dieser kleinen Verlängerung der Sitzung gegeben haben, dafür danken können, daß sie uns einige Minuten unbeschwerter Heiterkeit verschafft haben.
({1})
Damit, meine Damen und Herren, ist die Tagesordnung erledigt. Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages ein auf Mittwoch, den 26. Februar 1958, 14 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.