Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/23/1960

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Die Sitzung ist eröffnet. Eine amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Herr Bundesminister für Wohnungsbau hat unter dem 21. .Juni 1930 die Kleine Antrage der Abgeordneten Baier ({0}), Dr. Aigner, Dr. Even ({1}), Schlick und Genossen betr. öffentlich geförderte Eigeniumsmaßnahmen im Wohnungsbau ({2}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1935 verteilt. Wir beginnen mit Punkt 15 der Tagesordnung: Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. deutsche Kulturarbeit im Ausland ({3}) . Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Kühn.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ähnlich wie die gestrige Debatte über die wirtschaftliche Entwicklungshilfe wird, so glaube ich, die heutige Debatte keine grundsätzlichen Gegensätze zum Gegenstand haben. Es wird sich nicht um eine kontroverse Debatte handeln können. Jedenfalls beabsichtigen wir nicht eine solche Auseinandersetzung. Nach einer Reihe von Jahren haben wir heute zum erstenmal Gelegenheit, die auswärtige Kulturpolitik zu besprechen. Dabei kann es sich nur darum handeln, einige Probleme anzurühren, aber nicht darum, die Problematik insgesamt auszuschöpfen. Ich glaube, ganze Sondergebiete werden wir aus der Diskussion ausklammern müssen, beispielsweise das Thema, welche endgültige Organisationsform unsere auswärtige Kulturpolitik finden soll, die Frage, ob wir ähnlich dem British Council einen Deutschen Kulturrat schaffen sollen. Das alles wird gelegentlich einmal einer besonderen Behandlung unterzogen werden müssen. Auch das sehr umfassende Problem der deutschen Schulen im Ausland sollten wir einmal zum Gegenstand einer besonderen Diskussion machen. Heute können wir nur einen allgemeinen Meinungsaustausch vornehmen. Darauf ist auch die Formulierung der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion abgestellt. Wir haben gefragt: Welche Schwerpunkte beabsichtigt die Bundesregierung einer deutschen Kulturarbeit im Ausland zu geben, und hält sie die gegenwärtig angewandten Mittel, die Art ihrer Verwendung und Methoden für ausreichend? Es handelt sich also darum, welche Akzente in dem Bewirtschaftungsplan gesetzt werden sollen, der für die Verwendung der Mittel für die auswärtige Kulturpolitik in unserem Haushalt aufgestellt worden is t. Gestatten Sie mir zuvor ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu dem Thema. Wenn wir über auswärtige Kulturarbeit diskutieren, sollten wir immer darauf bedacht sein, die Kulturarbeit sorgfältig von der Public-Relations-Arbeit, von der Offentlichkeitsarbeit, von der Propaganda zu trennen. Ich habe sehr häufig die Sorge, daß diese beiden Themengebiete vermengt werden. Im „Dritten Reich" war die auswärtige Kulturpolitik ein planmäßig kalkuliertes Instrument äußerer Machtpolitik Das deutsche Volk hat dies mit dem Verlust nahezu all seiner kulturellen Auslandseinrichtungen teuer b zahlen müssen. Wir haben anzuerkennen, daß die Bundesrege rung beim Neuaufbau unserer Kulturbeziehungen im großen und ganzen erfolgreich um die Vermeidung des Fehlers bemüht gewesen ist, Kultur und Propaganda zu vermengen. Das Auswärtige Amt hat - ich glaube, daß wir dies gerade für die jüngste Zeit anzuerkennen haben - eine sehr deutliche Unterscheidung zu machen versucht. Herr Ministerialdirektor Dr. Sattler, der das Amt für auswärtige Kulturarbeit und die auswärtige Kulturabteilung leitet, hat unlängst, am 25. Mai, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geschrieben: Mir will scheinen, daß es bei der Verbindung zwischen Kultur und Politik wirklich sein muß wie in einer guten Ehe, daß jeder seinen eigenen Teil behält und nicht von dem anderen tyrannisiert wird. Ich glaube, Herr Sattler hat damit nicht nur eine allgemeine Weisheit verkünden, sondern vielleicht auch einen Seufzer ausstoßen wollen. Denn es gibt gelegentlich Stellen, die diese Ehe, von der Herr Sattler gesprochen hat, ein bißchen in patriarchalischem Sinne auffassen: daß die Kultur Dienerin und Magd der auswärtigen Politik zu sein habe. Ein Sprecher des Bundespresse- und Informationsamtes hat einmal in der Diskussion in einem Ausschuß über diese Frage gesagt: Die Kulturarbeit Kühn ({0}) solle die Verpackung für die politische Öffentlichkeitsarbeit sein; die kulturellen Themen böten sich als wirkungsvolle Verpackung an; gewissermaßen die Kulturarbeit im Ausland als die lockende Hülle, um darin die Abführpille gegen den Kommunismus zu verpacken. - Niemand unter uns bestreitet die Notwendigkeit der politischen Öffentlichkeitsarbeit. Die großangelegte ideologische und Propagandaoffensive der Zone macht sie notwendig. Aber wir müssen sorgfältig auf die Trennung von Kulturarbeit und Öffentlichkeitsarbeit im Sinne der Propaganda bedacht sein. Wenn es beispielsweise richtig ist, die Stelle des Pressereferenten bei unseren auswärtigen diplomatischen Vertretungen mit einem Public-Relations-Spezialisten zu besetzen, dann darf auf keinen Fall der gleiche Mann mit der Kulturarbeit der Botschaft betraut werden, dann muß man diese beiden sorgfältig voneinander zu trennenden Gebiete auch personell durch zwei verschiedene Personen bearbeiten lassen. Der Abwehr des Kommunismus dient es weniger, daß wir auf einen Propagandaschelmen anderthalb setzen, sondern daß wir bei allem, was wir an auswärtiger Kulturarbeiit, vor allem in den Entwicklungsländern, leisten, darauf bedacht sind, den dortigen Völkern bei der Entwicklung eigener und ihnen gemäßer Alternativen gegen den Kommunismus zu helfen. Also: Hilfeleistung bei der Selbstentwicklung und bei der freien Selbstentscheidung dieser Völker. Unsere Entwicklungsarbeit nicht nur im Wirtschaftlichen, sondern auch im Kulturellen und damit unsere ganze auswärtige Kulturarbeit in diesen Gebieten darf nicht politisches Kalkül im Kalten Krieg sein. Es gibt Stimmen, die diese Unterscheidung nicht treffen und die beide Dinge nicht auseinanderhalten. Ich würde dies für eine gefährliche Tendenz halten. Gefährlich ist es insbesondere, wenn man Kulturpolitik zum Instrumentarium der Bündnispolitik machen will, z. B. indem man unter dem Vorwand der NATO-Verbundenheit zur Verteidigung von Positionen aufruft, die bei Licht betrachtet Restpositionen des Kolonialismus sind. Da hieß es einmal in einem Dokument, das aus einem Amt der Bundesregierung kam, die Bundesregierung verfüge in manchen Teilen der Welt noch über ein Ansehen, das es ihr erlaube, auch zugunsten anderer freier Völker wirksam zu werden. Der Satz klingt zunächst harmlos. Es ist richtig, daß wir in der Welt draußen vom Odium des Kolonialismus frei sind. Wir brauchen uns darauf moralisch nicht sehr viel einzubilden, denn wir wissen, daß das nicht auf einer freien Selbstentscheidung unseres Volkes beruht. Es ist häufig hier bei unserem Freisein von Kolonialismus so wie auch sonst, daß Enthaltsamkeit nicht immer die Folge der Keuschheit, sondern des Mangels an Gelegenheit ist. Wenn es heißt, wir verfügen in weiten Bereichen der Welt noch über ein Ansehen, das die anderen verloren haben und das wir zugunsten anderer freier Völker einsetzen sollten, dann möchte ich das auf keinen Fall in dem Sinne verstanden wissen, daß wir unseren Einfluß beispielsweise im französisch-algerischen Verhältnis geltend machen. ({1}) Das konnte eine sehr problematische Konseguenz haben und uns in die Komplizität des Restkolonialismus verwickeln. Damit würden wir weder der deutschen Sache noch der Freiheit der Völker noch der Abwehr der östlichen Gefahr dienen. In einem Bericht unseres Kulturinstituts in Delhi steht der Satz: Eine einseitige propagandistische Tätigkeit ist unbedingt zu vermeiden, da sie von aufgeschlossenen Menschen in Indien durchschaut und abgelehnt wird. Ich weiß, daß ich mit dem, was ich hier gesagt habe, nicht im Gegensatz zu dem verantwortlichen Minister für unsere auswärtigen Angelegenheiten stehe. Ich habe hier - ich will zur Ersparung von Zeit nicht vorlesen; der Herr Minister wird ja nach mir sprechen eine Reihe von Zitaten, die beweisen, daß auch er auf diesem grundsätzlichen Standpunkt steht und dies häufig in Reden betont hat. Aber ich glaube, zur Selbstverständigung dieses Hauses über das Wesen der Arbeit, die wir in unserer auswärtigen Kulturpolitik leisten, ist es wichtig, das in aller Deutlichkeit herauszustellen. Kulturabkommen und Kulturvereinbarungen sollten wir auch - dies, glaube ich, muß an dieser Stelle auch gesagt werden - mit den Ländern des sowjetischen Einflußbereiches anstreben. Wir sollten erkennen, daß eine harte Abgrenzung im Politischen nicht eine Abschließung im Kulturellen und im Geistigen sein darf und nicht sein muß. ({2}) Es scheint mir falsch zu sein, wenn gelegentlich die These aufgestellt wird, daß wir zur geistigen Begegnung erst dann antreten sollten, nachdem vertretbare politische Übereinkünfte abgeschlossen worden seien; erst nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen sollten wir dies versuchen und nachdem zwischen uns und den Ländern des sowjetischen Machtblocks eine Basis gefunden worden sei, die eben eine politische Annäherung darstelle. Nein, ich glaube, gerade in dieser Zeit der Spannungen, in dieser Zeit, in der es darauf ankommt, mit allen Mitteln den Versuch zu machen, Menschen, wo wir sie erreichen können, mit unserem geistigen Gut zu erfassen, kommt es darauf an, daß wir uns dem Prozeß des geistigen Risikos und der geistigen Begegnung stellen. Es wäre eine Verarmung, wenn wir uns abschlössen vor dem, was sich dort jenseits der Demarkationslinie abspielt. Wir haben kulturelle Beziehungen sehr minimalen Umfangs mit der Sowjetunion aufgenommen. Wir haben sie nicht mit Polen, wir haben sie nicht mit der Tschechoslowakischen Republik. Diejenigen, die auf der Tagung der Interparlamentarischen Union in Warschau im vorigen Jahre waren und auf der Reise dorthin in anderen Gebieten jenes Blocks Gespräche haben führen und Beobachtungen haben machen können, wissen, wie sehr gerade die jungen Menschen dort drüben auf die Begegnung mit dem warten, was wir geistig zu produzieren und ihnen als Alternative zum Kommunismus anzubieten haben. Kühn ({3}) Es kommt hinzu - auch das sollten wir mit einiger Aufmerksamkeit verfolgen -, daß es in einer Reihe von Ländern des Ostblocks seit dem Jahre 1950 - es gibt darüber sehr eingehende und interessante Statistiken - ein wachsendes Interesse für die deutsche Sprache gibt. Nach offiziellen Statistiken von dort drüben soll in Rumänien bereits wieder ein Drittel aller Schüler an höheren Schulen Deutsch lernen, in Ungarn sollen es sogar 90 % der Schüler der Oberklassen sein. An der Universität in Agram soll sich seit dem Jahre 1950 die Zahl der Germanisten verzehnfacht haben. Deutsche Schriftsteller, die man dort drüben in den Buchhandlungen sieht, stammen nur aus dem Gebiet östlich der Elbe. Aber immer mehr, von Jahr zu Jahr, so sagen alle Berichte, interessiert sich gerade die junge Generation dort drüben für das, was hier bei uns geschieht und entsteht. Man sollte auf das sorgfältigste untersuchen, wie wir es erreichen können, daß das, was in das Gebiet der auswärtigen Kulturarbeit gehört, auch in diesen Raum hineingetragen werden kann. Zu Beginn dieses Jahres fand in München eine Konferenz von Herren statt, die die Erkenntnisse ihrer Konferenz dann auch über Radio „Freies Europa" in den Osten ausgestrahlt haben. Die Teilnehmer waren Menschen, die sich mit der ideologischen Entwicklung im Ostblock beschäftigen. Sie haben auf der Konferenz festgestellt, daß das Interesse für die kulturellen Leistungen Westeuropas gerade in der jungen Generation nicht bloß eine vorübergehende Mode ist, sondern sich immer mehr verstärkt. Wir haben in Prag, Warschau und Moskau diese Beobachtungen ebenfalls gemacht. Viele einzelne Episoden könnte man erzählen, wie in Rußland auf der Straße junge Menschen an einen herantreten und fragen - wenn sie hören, daß man aus Westdeutschland oder dem Westen sei -, ob man ihnen nicht moderne Kunstkarten beschaffen könne, die sie in der ihnen möglichen Währung, mit Briefmarken - die sie dagegen tauschen wollen - bezahlen wollen. Sie sind leidenschaftlichst daran interessiert, zu erfahren, was sich auf geistigem Gebiet bei uns abspielt. An dieser Stelle habe ich eine kritische Bemerkung über das Ergebnis des deutsch-sowjetischen Kulturaustauschabkommens zu machen. Es ist beispielsweise verabredet worden, nur zehn Studenten jeweils auszutauschen; zehn sowjetische Studenten kommen in unser Land, zehn deutsche reisen in die Sowjetunion. Hier wie dort drüben begegnet man dem gleichen Argument. Als ich mit an diesen Vorberatungen verantwortlich beteiligten Herren hier sprach, begegnete ich dem Gefühl, daß das Ganze doch nicht sehr geheuer sei, und der Sorge, daß die jungen deutschen Menschen, die wir nach dort schicken, drüben doch der ideologischen Infiltration, eben der Beeinflussung ausgesetzt würden. Als ich in der Sowjetunion mit den dort für diese Fragen verantwortlichen Herren sprach, war es genau dasselbe Argument, das entgegengehalten wurde, nämlich das Argument: Wir schicken keine sowjetischen Studenten in die Bundesrepublik, solange sie dort drüben antisowjetisch beeinflußt werden. Ich glaube, daß es in einer solchen Auseinandersetzung unsere Aufgabe wäre, hier ideologisch offensiv zu sein und der Sowjetunion einen sehr viel größeren Austausch als nur 10 : 10 anzubieten. Dann sollen die drüben zeigen, daß sie nicht den Mut zu dieser geistigen Begegnung haben, und sollen sie ablehnen. Wir wissen aus den Verhandlungen, daß die Sowjetunion sogar weniger zu tun bereit war als die Bundesrepublik, daß sie ursprünglich gar keine Studenten austauschen wollte und daß lediglich das Angebot der Bundesrepublik sie dann veranlaßt hat, sich auf zehn zu einigen. Aber in welch viel besserer Position wären wir gewesen, wenn wir ihr gesagt hätten, wir sind bereit, auch 100 zu tauschen. Ich weiß, hier gibt es eine Menge von Schwierigkeiten, sprachlicher oder ähnlicher Art. Aber ich glaube, sie hätten leicht überwunden werden können. Ich glaube, daß diese zumindest sehr minimale Vereinbarung nicht darin ihren hauptsächlichen Grund hat; der Hauptgrund ist vielmehr in der Tatsache zu finden, daß man gegenseitig nicht zur ideologischen Begegnung antreten wollte. Lassen Sie mich als Zeugen für ,die Notwendigkeit der Intensivierung dieses Kulturaustausches einen Mann zitieren, der auch bei der führenden Regierungspartei doch gewiß nicht suspekt sein wird. Es Ist der ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete und heutige Intendant des Süddeutschen Rundfunks, Herr Dr. Bausch, der im „Rheinischen Merkur" nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion einen Artikel geschrieben hat, aus dem ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einige Sätze zitieren möchte. Er sagt dort: Es ist gewiß wahr: ,den Menschen in der Sowjetunion ist es noch nie so gut gegangen wie heute. Ihr Lebensstandard wird sich von Jahr zu Jahr verbessern, solange der Friede erhalten bleibt . . . Wer es mit Fassung hinter sich gebracht hat, der muß es begriffen haben, daß die Auseinandersetzung mit dem Weltkommunismus ein hartes geistiges Ringen ist. Ich bin als Skeptiker des Kulturaustausches in die Sowjetunion gefahren, ich bin als Anhänger ides Kulturaustausches zurückgekehrt. Ich glaube nämlich, wir müssen unseren Namen selbst in der Sowjetunion hörbar machen, wenn nicht in ,diesem weiten Teil der Welt, wenn nicht in den Völkerschaften ,der Sowjetunion der deutsche Name mit dem ,der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik identifiziert werden soll. Das, war hier von einem Mann ,aus dem Lager ,der die Regierung führenden Partei gesagt worden ist, haben alle dann immer wieder erleben müssen, wenn sie jenseits der Demarkationslinien zwischen Ost und West Menschen begegnet sind. Ich 'habe gesagt, was auswärtige Kulturpolitik nicht sein soll. Sie soll nicht politisches Hilfsinstrument sein. Was soll sie sein? Ich glaube, sie soll vor allen Dingen Selbstdarstellung dessen sein, Kühn ({4}) was wir waren und was wir sind, was wir zu den geistigen Gütern der Welt beigetragen haben, was wir heute leisten - auch das gehört dazu - und was wir dazu beitragen, ,die Probleme ,der Zeit zu meistern und den anderen Völkern - hier liegt ein besonderes Aufgabengebiet in den Entwicklungsländern bei der Meisterung ihrer Probleme zu helfen. Das heißt aber, nicht nur die ferne Vergangenheit verwalten, sondern auch unmittelbare Gegenwart wiedergeben. Hier geht es um einen sehr wichtigen Akzent. Ich habe nichts gegen Mozart, Schiller, gegen Ausstellungen über ,die Primitiven ides deutschen Mittelalters und bayerischen Barock; das alles ,darf nicht fehlen, und darauf soll nicht verzichtet werden. Doch ich glaube, es gilt, wenn man sich die Kulturprogramme unserer deutschen Kulturinstitute im Ausland ansieht, ein bißchen (das Wort, das in einem Presseartikel gestanden hat: „Edel aber verstaubt", oder es herrscht, wie es an anderer Stelle heißt, eine „kulturelle Kaffeekränzchenatmosphäre". Ich will nicht darüber sprechen - Idas mögen gelegentliche Überspitzungen sein -, daß in bezug auf Abendkleid und Smoking als Requisiten solcher Kulturveranstaltungen vielleicht etwas allzu weitherzig vorgegangen wird. Auch das soll sein; auch dagegen kein Wort. Es geht aber um die Akzente. Was urn die Jahrhundertwende vielleicht noch hat sein können und sein müssen, das muß in seiner ganzen Art heute in ,der Mitte des 20. Jahrhunderts anders aussehen. Heute müssen die Akzente anders gesetzt sein. Das gilt vor allen Dingen einmal in bezug ,auf die Adressaten, .die Menschen, an die wir uns mit unseren Kulturinstituten wenden. Es sind nicht mehr so sehr die überkommenen Eliten der Vergangenheit, sondern in dem Massenzeitalter, in dem wir leben, kommt es vor allen Dingen auf die Menschen ,an, ,die ihrerseits wieder es gibt dafür ein unschönes Fachwort - die Multiplikatoren sind, die Multiplizierenden der Meinungsbildung: Lehrer, Journalisten, Parlamentarier, Professoren, Jugendleiter. Die muß man ,ansprechen und gewinnen. Was ein Kulturattaché in einem der fernöstlichen Länder gesagt hat, hat schon einige Bedeutung: „Orchester für Hochintellektuelle sind sehr gut; aber man muß sehr viel mehr tun, um an die Mittelklassen heranzukommen, die das, was sie dort erfahren, auch weitertragen und im Weitertragen multiplizieren". Die deutsche Gegenwart, überhaupt die Gegenwart eines Volkes muß zur Selbstdarstellung gebracht werden. Das ist gelegentlich mit dem Mut zum Wagnis verbunden. Man muß heraus aus der „Kulturarbeit in der Postkutsche", wie ein anderer journalistischer Beobachter das genannt hat, was heute unsere Kulturinstitute tun. Ich glaube, es liegt nicht so sehr daran, daß die Herren und Damen, die draußen in den Instituten im Ausland diese Arbeit tun, versagt haben. Es beruht wohl weniger auf der Unzulänglichkeit der Persönlichkeiten, die wir als Kulturdiplomaten draußen haben und die sehr häufig viel besser sind als ihr Ruf. Das Ausweichen vor umstrittenen Problemen liegt mehr im Bonner Ministerium begründet. Die Richtlinien der Beamten der Kulturpolitik halten sich offensichtlich zu sehr - lassen Sie mich das in Erinnerung an vergangene Jahre oder vielleicht im Hinblick auf bevorstehende Zeiten sagen - an die alte Wahlkampfparole der CDU: „Keine Experimente!" Wir haben hier beispielsweise einmal eine Auseinandersetzung darüber gehabt, ob Bert Brecht einen Aussagewert für die deutsche Kultur habe. Mir hat der Leiter eines großen deutschen Kulturinstituts im Ausland gesagt: „Wenn ich über Bert Brecht einen Vortrag veranstaltete, wäre das Haus vom Keller bis zum Dach voll; aber dann müßte man andere Richtlinien bekommen." Das Wort ist genauso gefallen. Aber ich bin sicher - und hier möchte ich sogar den Herrn Minister ein wenig in Schutz nehmen , daß es keine Richtlinien gibt, die dem Institutsleiter verbieten, das zu tun. Aber wir wissen, wie es ist: daß man gern das ist nun einmal im Leben so - sich erst die höheren Orts gebildete Meinung ansieht, bevor man unteren Orts ein Wagnis einzugehen bereit ist. Ich glaube, hier sollte von uns einiges geschehen, nicht im Sinne von Richtlinien, aber in Richtung auf Ermutigung, auch umstrittene Themen der Gegenwart anzupacken. Bleiben wir nicht im Abstrakten, gehen wir ins Konkrete, soweit es die Zeit erlaubt! Lassen Sie mich ein paar Kostproben geben aus dem Katalog der Veranstaltungen, aus den Berichten und Prospekten der 35 Kulturinstitute, deren Rechtsträger das Auswärtige Amt ist! Die Deutsche Bibliothek in Rom beispielsweise ist mit einiger Genugtuung stolz darauf, daß sie sagt: Wir bieten dem Tagesgeschehen fernstehende Veranstaltungen. Ich will hier nicht vorlesen, was in einem solchen Schreiben steht, beispielsweise über das Wirken der Bachgesellschaft, die unter der Leitung des Bibliotheksleiters in Rom steht, eines übrigens sehr hoch qualifizierten Herrn. Aber dort heißt es nur um einen Satz daraus zu nehmen -: Die Linksintellektuellen Roms, deren Vorbehalte gegenüber Deutschland teils recht erheblich sind, was angesichts der jüngsten antisemitischen Erscheinungen in Deutschland wieder einmal sehr deutlich wurde, werden auch durch einen noch so geschickten Veranstaltungsplan der Deutschen Bibliothek nicht von heute auf morgen für uns gewonnen werden können. Damit begründet man, warum man sehr wenig an gegenwartsnahen Themen tut. Sicher geht es nicht von heute auf morgen. Es wird eines langwierigen Prozesses bedürfen, in dem man ,die gegenwärtigen Problematiken angreift und behandelt, bis man Menschen, die uns mit Animosität gegenüberstehen, für unser Denken und für uns gewinnen kann. Aber ein Vortrag „Gottfried Benn und die Antike" - das ist das zeitnaheste Thema des vergangenen Jahres in diesem Institut - ist, glaube ich, dazu nicht sehr dienlich. Ich will nur noch ein paar von diesen Institutsprospekten herausgreifen. Wenn das Deutsche Kulturinstitut Barcelona beispielsweise sagt: Wir Kühn ({5}) wollen zur Darstellung bringen das, was der Spanier am Deutschen lobenswert sieht, und wenn man sagt, es müßten „die Chancen für die Menschen, die ein freiheitlicher demokratischer Rechtsstaat bietet, dargestellt und scharf unterschieden werden von den fixen Vorstellungen, denen die östliche Welt verfallen ist", dann ist das zwar ein löbliches Unterfangen, aber die Frage, die sich gerade in Spanien aufdrängt, ist natürlich die, mit welchen Themen man das tun will, ohne daß die Zuhörer aufhören müßten, noch scharf zu unterscheiden zwischen gewissen aktuellen Erscheinungen der östlichen und der spanischen Welt. ({6}) Darauf bleibt dann auch der Prospekt die Antwort schuldig. Er hält sich offensichtlich an die Anweisung, die einmal Wilhelm II. an einen Diplomaten erlassen hat: Bleiben Sie schweigsam wie die Sphinx vor den neugierigen Blicken der Touristen! Nur zwei Themen gibt, Barcelona preis: „Die Familie nach dem zweiten Weltkrieg" - das ist ein durchaus berechtigtes Thema -, und das zweite heißt „Gruppen und Köpfe des modernen Spanien". Einige Themen will ich Ihnen im Telegrammstil vorlesen. Madrid hat 48 Vorträge veranstaltet. Darunter gibt es eigentlich nur zwei, die einen unmittelbaren Gegenwartsbezug haben: „Die Situation der deutschen Universität" und wiederum „Deutsche Städte seit 1945". In Ankara ist das zeitnaheste Thema „Bismarck und die Reichsgründung". ({7}) London hat „Die deutsche Außenpolitik unter Stresemann", „Bismarck und Disraeli", „Die Probleme der Elitenbildung in der modernen Massengesellschaft" - durchaus ein vertretbares Thema. In Lissabon war das zeitnaheste Thema „Heinrich Heine und Portugal". ({8}) In Porto hatte von 25 Vorträgen nur einer ein politisches Thema. Dort hat unser Kollege Görgen aus der CDU/CSU-Fraktion über „Die deutsche Frage und die Verteidigung der freien Welt" gesprochen. Aber das war im Rahmen der Berlinaktion. Ich bin natürlich loyalerweise verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß im Rahmen der Berlinaktion überall eine Reihe von Themen behandelt worden sind, die um das Schicksal dieser Stadt gingen. Aber das gehört nicht in den kulturellen Haushalt im eigentlichen Sinne. Das war ja die aus anderen Etatmitteln gespeiste Sonderaktivität, die damals auf Grund eines Beschlusses dieses Hauses entwickelt worden ist. In Tokio hießen von sechs Vorträgen zwei „Das Problem einer Überwindung des Existenzialismus" und „Die Bedeutung der Monarchie in der Gegenwart". ({9}) Es gibt immer wieder zwei oder drei Themen dieser Art unter mehreren Dutzend anderen, und die Dutzend anderen sehen dann etwa so aus: „Faust, Hamlet, Don Quichote und Don Juan, die vier abendländischen Figuren und ihre Deutung in der Romantik", oder „Rilkes Weg zur neuen Lyrik." Ich glaube, wenn man die Diagonale zieht, kommt man zu dem Ergebnis, das gerade vor wenigen Wochen eine Zeitung gefunden hat, indem sie ein Kulturinstitut in Europa ins Auge gefaßt hat - das eilt aber für ein bißchen sehr viele -: „Es fehlt ihm die Kraft, zu zeugen vom Leben in Deutschland." Ich will gegen keines der hier vorgetragenen Themen etwas einwenden, ich glaube, sie sollten alle auch sein. Aber an diesem Beispiel möchte ich verdeutlichen, wie sehr es darum geht, die Akzente, die Gewichte anders zu setzen, als es bisher geschehen ist. In einer Diskussion über die große Linie unserer auswärtigen Kulturarbeit will ich darauf verzichten, viele einzelne Mosaiksteine, einzelne Fehlgriffe und Fehlentscheidungen aufzuzählen. Es war nicht sehr schön, daß der Vertreter einer unserer diplomatischen Missionen durch seine offizielle Anwesenheit der Darstellung eines Films, der noch aus dem „Dritten Reich" stammte - „Königin Luise" -, besondere Weihen erteilte. Dieser Film ist nicht nur an diesem einen Ort gelaufen, sondern noch in anderen Städten. Ich weiß, wie schwer es ist, gerade geeignete Filme zu finden; aber man sollte peinliche Rückgriffe auf alte Bestände nach Möglichkeit unterlassen. Ich will aber die Summe all dieser einzelnen Dinge hier nicht aufzählen; das würde uns von der großen Linie abbringen. Ein sehr wichtiges und besonderes Anliegen ist uns die Demokratisierung der auswärtigen Kulturarbeit in dem Sinne, daß es heute nicht nur gilt, andere Adressaten als vor 50 Jahren anzusprechen, sondern daß in der Zeit des immer stärker werdenden Menschenaustauschs zwischen den Ländern auch andere Menschen hinausgeschickt werden müssen, nicht nur Wissenschaftler. Es ist der sozialdemokratischen Fraktion ein besonderes Anliegen, zu sagen, daß man auch einmal mehr Praktiker, mehr Arbeiter hinausschicken sollte, junge Arbeiter, Werkmeister, Menschen, die nicht nur in einem besonderen UNO- oder UNESCO- oder sonstigen Spezialauftrag für einige Zeit hinausfahren, sondern Menschen, die bereit sind, das Wagnis auf sich zu nehmen, einmal eine Zeitlang unter Bedingungen zu arbeiten, die den Lebensbedingungen angenähert sind, unter denen die Völker leben, wo sie eine Weile arbeiten. Das ist ein sehr wichtiges Problem. Das Schwergewicht sollte nicht nur auf den studentischen Austausch gelegt werden. Ich glaube, auch hier hat sehr viel mehr zu geschehen. Ich halte es nicht für ausreichend, daß beispielsweise nur 16 deutsche Studenten ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes haben, um in Entwicklungsländern zu studieren. Gewiß wird es schwer sein, deutsche Studenten zu finden, die bereit sind, an einer vielleicht in ihrer augenblicklichen Wirksamkeit noch weniger effektiven Universität eines Entwicklungslandes zu studieren. Ein Semester an einer Universität wie Bagdad ist beispielsweise gewiß noch nicht wie ein Semester an der Universität in Bonn. Aber ich glaube, daß es Kühn ({10}) wichtig wäre, Menschen, die künftig einmal in ihren Berufen mit diesen Ländern, diesen Völkern und ihren Problemen zu tun haben, auch, wenn es geht, schon eine Weile in ihrer Studentenzeit dort studieren zu lassen. Auf jeden Fall sollte man versuchen, diesem Problem mehr Gewicht beizulegen, als in dieser Zahl 16 zum Ausdruck kommt. Ich weiß, daß man hier mit einem besonderen Problem konfrontiert ist, das die Zeitung „Christ und Welt" den „Schwund an Risikobereitschaft" genannt hat. Richtig ist, daß es nicht mehr so wie in früheren Jahrzehnten junge Menschen gibt, die bereit sind, in eine solche pionierhafte Existenz hineinzugehen, und es ist unter Umständen schwieriger, die Menschen dafür zu gewinnen, als das Geld dafür bereitzustellen. Mit dem Geldmangel wird man leichter fertig als mit dem Bereitschaftsmangel. Jeder will heute sein Risiko für seine Laufbahn auf ein Minimum kalkulieren. Das gilt für den jungen Spezialarbeiter genauso wie für den jungen Akademiker. Aber wir sollten gerade überlegen, was wir tun können, um auch junge Facharbeiter, Werkmeister und ähnliche junge Menschen dazu zu bewegen, hinauszugehen und einmal, wie ich gesagt habe, eine Weile unter annähernd den Lebensbedingungen zu leben wie die Völker, in deren Mitte sie arbeiten, - nicht für die überzogenen UNO- und UNESCO-Expertengehälter. Schon unlängst einmal, bei der Etatberatung, ist in diesem Hause über das Buch der beiden amerikanischen Journalisten „Der häßliche Amerikaner" gesprochen worden. Wenn dieses Buch auch gewiß keinen hohen literarischen Rang hat, so hat es doch, glaube ich, das Verdienst, an einer Reihe von Episoden die Problematik in diesen Entwicklungsländern und die Beziehungen der weißen Welt zu ihnen zu verdeutlichen. In dem Buch gibt es eine Episode, in der ein Mensch geschildert wird, der außerordentliche Erfolge für unsere westliche Form des Lebens und der Freiheit unter den Menschen, unter denen er wirkte, deshalb erzielen konnte, weil er es auf sich genommen hat, auf einem, sagen wir: primitiveren Lebensniveau unter ihnen zu wirken als hinter den weiß getünchten Wällen der Experten, die dort himmelweit von der sozialen Existenz dieser Völker entfernt leben. Sollten wir nicht überlegen, ob es nicht eine Aufgabe für uns wäre, wieder einmal, ich möchte sagen, das Fernweh in den jungen Menschen zu wecken und die pionierhafte Begeisterung in ihnen wachzurufen, sich für eine solche Aufgabe zur Verfügung zu stellen? Die Bundesregierung gibt viel Geld aus, es werden Plakate gedruckt und an die Plakatsäulen geheftet, die für die Bundeswehr werben. Das ist ein legitimes Anliegen der Regierung. Sollte es aber nicht ein ebenso legitimes Anliegen der Bundesrepublik sein, einmal mit einer solchen Plakataktion Menschen dafür zu gewinnen, daß sie sich auch für eine solche Aufgabe bereitfinden? ({11}) Ich glaube, tausend Menschen, die wir dazu bewegen können, für eine solche Aufgabe hinauszugehen, werden - ich habe etwas Ähnliches schon bei einer früheren Gelegenheit gesagt - auch in der Abwehr des Kommunismus einen höheren Effekt erzielen können als manches, was man auf militärischem Gebiet tut. Dabei ist es jedem unbenommen, zu sagen, daß es ja nicht darauf ankommt, das eine zu tun und das andere zu lassen. Aber wir sollten eben auch nicht das andere über dem einen vernachlässigen. Gewiß müssen wir Realisten bleiben. Ich habe davon gesprochen, daß es nun einmal heute eine vorherrschende Geisteshaltung ist, daß die Menschen einem Risiko aus dem Wege gehen, - dieses Sekuritätsbedürfnis auch in der jungen Generation von heute. So dart man die Dinge nicht allein auf den idealistischen Appell abstellen, sondern wir müssen als Realisten auch die materiellen Grundlagen und Voraussetzungen dafür schaffen, daß ein solcher Schritt Erfolg hat. Wir müssen für solche Menschen die Sicherung ihrer sozialen Rechte und ihrer Berufschancen ins Auge fassen. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat im Januar 1960 dafür einige Anregungen gegeben, die ja im Bulletin der Bundesregierung veröffentlicht worden sind: großzügige Anrechnung von im Ausland verbrachten Dienstjahren, Aufstiegsmöglichkeit nach der Rückkehr, und dann heißt es dort: Dazu wird voraussichtlich die Schaffung eines besonderen Fonds im Haushalt des Bundes bzw. seitens der Wirtschaft erforderlich sein. Ich glaube, daß es sinnvoll ist, auch darauf hinzuweisen, daß gerade bei dieser Aufgabe das Zusammenwirken mit privaten Organisationen gesucht werden sollte, die für die Entwicklung einer solchen Aufgabe wahrscheinlich geeigneter sind als Behörden. Denn sie können oft aus anderen Gesinnungselementen an diese Menschen herantreten und in ihren eigenen Reihen Menschen gewinnen. Ich denke an konfessionelle Organisationen, gewerkschaftliche Organisationen, politische Organisationen, die, von einem Ethos ausgehend, Kräfte für diese Aufgabe mobilisieren können. Ich will nicht zum organisatorischen Gerüst unserer auswärtigen Kulturarbeit sprechen. Wir haben im Augenblick eine Zwischenlösung zwischen einer Organisationsform, die rein vom Auswärtigen Amt geleitet wird, und der Organisationsform, die man in England im British Council hat. Man sollte das jetzt in Ruhe sich entwickeln lassen und dann zu einem späteren Zeitpunkt das Ergebnis dieser Arbeit ansehen. Ich bin mit der Form, die die Bundesregierung dafür gefunden hat, zunächst als ein Experimentierstadium, das wahrscheinlich einmal auf der Grundlage gemeinsamer Erkenntnisse zu anderen Formen führen wird, durchaus einverstanden. Die elf Organisationen, die sich unter Wahrung ihrer Selbständigkeit in der Arbeitsgemeinschaft für internationalen Kulturaustausch zusammengefunden haben, sollten dabei vom Auswärtigen Amt in wirklicher Partnerschaft behandelt werden. Ich glaube, daß dies sehr nützlich sein kann. Es gehört nicht zu den Aufgaben dieser Stunde, über den Wandel in der Funktion der Botschafter und der Botschaften zu sprechen. ({12}) Kühn ({13}) Ich glaube, es ist ein eigenes Thema, das wir angreifen könnten, das im weiteren Sinne hierhin gehört. Wir können es auch in der Diskussion aufgreifen. Was aber meiner Meinung nach notwendig zum Thema gehört, ist, sich darüber klarzuwerden, daß die Gewichte der Sachgebiete in den Botschaften sich im Laufe dieser Jahre verschoben haben, das Schwergewicht heute auf anderen Gebieten liegt, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Ich will hier nicht über die auswärtigen Vertretungen umfassend sprechen, über das beliebte Thema, ob die Mehrzahl der in den auswärtigen Vertretungen tätigen Menschen für diese Aufgaben geeignet sei oder nicht. Ich glaube, Diplomaten sind Menschen wie andere auch; es gibt gute und schlechte, dumme und kluge unter ihnen wie unter anderen auch. Auch wenn die Adelsprädikate unter ihnen häufiger sein sollten oder die Zugehörigkeit zu einer Crew oder zu einem Corps hier und da unangebrachte Elite-Illusionen und Selbstüberbewertungen hervorruft, - sie sind doch, mit allem Plus und allem Minus nichts anderes als alle anderen. Wir treffen ausgezeichnete Leute unter ihnen, aber auch solche, die vielleicht nicht in vollem Umfange für ihre Aufgaben geeignet sind. Das kommt überall vor, und hier sollte man nicht Einzelheiten zum Gegenstand einer großen Diskussion machen. Was mir aber doch notwendig erscheint, wäre, daß wir einmal im Ausschuß als der dafür angemessenen Stelle über die Eignungs- und Ausbildungsrichtlinien für den diplomatischen Dienst sprechen. Das ist viel weniger ein Stoff für eine Plenarauseinandersetzung. Die Behandlung im Ausschuß aber ist, glaube ich, notwendig. Mir scheint manchmal, daß die gesellschaftsordnende Bedeutung von Tischordnungen und diplomatischem Zeremoniell und Repräsentation ein bißchen zu sehr im Vordergrund steht, während 'die Fähigkeit, gerade in den Entwicklungsländern zu den sich entwickelnden Kräften Kontakt zu halten, weniger ausgebildet ist und vielleicht auch vom Amt nicht ausreichend bewertet wird. Ich habe 'das Gefühl, daß die Vertretungen oftmals nicht genügend - um einen Begriff zu gebrauchen, der einmal in der Sozialgeschichte früherer Jahrzehnte geprägt worden ist - „ins Volk hineingehen". Ich mag mich irren; aber 'die Summe vieler Beobachtungen und Berichte sollten wir einmal im Ausschuß beraten. Was aber fehlt, Herr Minister, ist auf der Attaché-Ebene und auf der Referentenebene diplomatisches Personal. Es fehlt an ausreichend vielen Menschen. Ich weiß, das ist nicht nur an die Adresse der Bundesregierung zu richten, das ist auch an unsere eigene Adresse zu richten; denn dieses Haus ist die Stelle, die die notwendigen Personalstellen zu bewilligen hat. Ich glaube, die Aufgabe, Personalstellen auf der Ebene 'der untergeordneten Hilfskräfte zu bewilligen, könnte das Amt in sich selbst lösen. Es ist gewiß kein Ausdruck der Sparsamkeit, wenn beispielsweise, wie aus Indien berichtet wird, im Kulturreferat zwei Leute, die perfekt Sanskrit beherrschen, einfache Büroarbeit machen und ihre Briefe selber schreiben müssen, weil es am nötigen Personal fehlt, und daß es wegen ,des Personalmangels den Kulturattachés oft nicht möglich ist. die weit entfernt gelegenen Kulturinstitute zu besuchen. Hier kommt man vielleicht nicht dadurch zum Ziel, daß man nach :dem Parkinsonschen Gesetz einfach - das ist der Weg, der sich einer Behörde immer anbietet - neue Stellen fordert; hier sollte das Auswärtige Amt selber versuchen, in den vielen Etagen und Büros die für die Perfektionierung dieser Arbeit nötigen Hilfskräfte frei zu machen. Aber soweit es sich um qualifizierte Positionen auf der Attaché- und Referentenebene handelt, müssen neue und zusätzliche Stellen bewilligt werden, soweit man dafür auch immer geeignete Menschen findet. Das ist ein Appell 'an die Regierung und an dieses Haus als Ganzes. Es fehlt draußen in einem alarmierenden Umfang an Kulturreferenten, die in einer modernen Botschaft zum wichtigsten Personal gehören. So wie in der Zentrale hier in Bonn in der Vergangenheit die auswärtige Kulturabteilung oft :als eine Nebenabteilung, ja als eine Nebenbei-Abteilung behandelt worden ist - ich habe das Gefühl, daß sich 'das in 'der jüngsten Vergangenheit gebessert hat, aber die Hypothek der Vergangenheit ist da noch keineswegs abgetragen -, so ist es auch draußen bei den Vertretungen: Der Kultur wird ein zu geringer Raum angemessen. Herr Ministerialdirektor Dr. Sattler gibt sich alle Mühe, diese Arbeit mit Initiative und Ideen weiterzutreiben. Ihm gebührt hier ein anerkennendes Wort. Aber das Ergebnis, für das letztlich Regierung und Haus verantwortlich sind, i: t keineswegs ausreichend. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einmal an die Disproportionalität zwischen Kulturreferenten und Militärattachés erinnern. Wenn ich das Zahlenverhältnis korrekt im Kopf habe, ist das Verhältnis Kultur zu Militär etwa 1 : 4. Ich glaube, daß die Bereitschaft, den militärischen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen, auch den kulturellen Notwendigkeiten entgegengebracht werden muß. Wir haben in der Bundesrepublik beinahe für jedes Kanonenboot einen Admiral, aber wir haben noch nicht für jede Botschaft einen Kulturattaché. ({14}) Das ist ein unbedingtes Erfordernis. Wir haben in ganz Asien und Afrika etwa 10 Kulturreferenten und Hilfsreferenten. Das ist bei weitem zu wenig. Aber es geht nicht nur um die Kulturreferenten. Nur am Rande gehört zu unserem Thema das Problem der Sozialreferenten. Wir haben das Gefühl, daß die Sozialreferenten bei den orthodoxen Diplomaten ein bißchen als Fremdelemente der Diplomatie empfunden werden, als eine Art illegaler Seitenzweig der zünftigen Diplomatie, als eine Art plebejischer Eindringlinge. Ich meine, daß sie in einer modernen und den zeitgemäßen Erfordernissen entsprechend eingerichteten Botschaft ebenso wie die auf allen anderen Gebieten tätigen Herren bewertet werden müssen. Ein Sozialreferent wird vielleicht kaum dem orthodoxen Typus des Auswärtigen Dienstes entsprechen. Keine MißverständKühn ({15}) nisse: Wir meinen nicht etwa, daß die gewerkschaftliche Zugehörigkeit als Alibi für mangelnde persönliche, sachliche Eignung für den diplomatischen Dienst genommen werden sollte. Aber die Sozialreferenten haben notwendigerweise eine andere soziale Herkunft, die an sie gestellten Aufgaben erfordern eine andere Lebenslaufbahn, und die zünftigen Diplomaten mit allen Weihen und Dienstgraden ihres Entwicklungsgangs sollten erkennen, daß sie diese anders strukturierten, aber für eine diplomatische Arbeit genauso notwendigen Menschen ais gleichberechtigt neben sich anerkennen müssen. Von der Regierung müssen wir erwarten, daß sie dieser Aufgabe sehr viel mehr Aufmerksamkeit beimißt, als dies in der Vergangenheit geschehen ist. Denken wir einmal an Schwarzafrika und das dort neu entstandene Land Guinea. Sein Staatschef Sekou Touré ist ein Gewerkschaftler. Wie wichtig wäre es, daß wir in unserer dortigen diplomatischen Vertretung jemanden hätten, der als Sozialreferent aus einer ähnlichen gedanklichen, sozialen und arbeitsmäßigen Herkunft stammte. Er hätte einen ganz anderen geistig-seelischen persönlichen Zugang zu einem solchen Mann und seinen Mitarbeitern und könnte von ungeheuerem Nutzen sein. Um die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, dessen Vorsitzender schon verschiedentlich auf die Notwendigkeit dieser Arbeit hingewiesen hat, möchten wir hier die Bundesregierung in einem besonderen Maße bitten. Es gilt aber auch noch zu erkennen, daß wir Wissenschaftsattachés, Menschen, die sich der besonderen Förderung des wissenschaftlichen Erfahrungs- und Kenntnisaustausches widmen, so wie die Vereinigten Staaten sie geschaffen haben und so wie der Gesprächskreis Wissenschaft und Wirtschaft sie gefordert hat - bei uns gibt es sie ja noch nicht -, in einem notwendigen Maße ins Ausland schicken müssen. Lassen Sie mich, damit gleichzeitig mich dem Schluß nähernd, noch ein Wort über das deutsche Goethe-Institut zur Förderung der deutschen Sprache im Ausland sagen. Wir haben es hier in unserer Kulturarbeit mit einem Institut zu tun, das eine ungewöhnlich verdienstvolle Arbeit leistet. Seit 1953 sind dort fast 17 000 Ausländer von der sprachlichen Grundausbildung bis zur Ausbildung zu Dozenten des Instituts in deutscher Sprache unterrichtet worden. Die Sowjets haben jetzt ein ähnliches Institut ins Leben gerufen, und auch die Zone beginnt mit einer ausgeprägten Sprachoffensive. Sie haben Institute und Kurse in Kalkutta, Delhi und an vielen, vielen anderen Stellen eingerichtet. Wie sieht es nun mit der Bundesrepublik aus? Unlängst konnte man in Bagdad erfahren, daß die Entsendung eines zweiten Dozenten nicht möglich ist, obwohl der erste bereits bei weitem überlastet ist. Aber Ostzonendozenten werden in zunehmendem Maße - denn sie stehen in ausreichendem Maße zur Verfügung - dort drüben mit dem Deutschunterricht beauftragt. Das irakische Erziehungsministerium will den Deutschunterricht in den Schulen forcieren und muß natürlich Dozenten nehmen, wo es sie findet. Es ist nicht so, daß etwa die ,gegenwärtige Regierung eine besondere Neigung in dieser Richtung hätte. Wir haben in Basra erlebt, daß Generale, die dort die politische und organisatorische Verantwortung haben, uns, als unlängst eine Delegation dort war, sagten: „Schikken Sie uns einen Deutschlehrer! Wir werden .ihm alles 'an technischen Erleichterungen vom Hause bis zum Auto zur Verfügung stellen; aber schicken Sie uns einen!" Sonst - das war die Besorgnis - muß man, da der Deutschunterricht dort gefordert wird, nachher auf einen zurückgreifen, der von der Zone bereitgestellt ist. In Athen sind von fünf angeforderten und dringend notwendigen Dozenten nur zwei bewilligt worden. Nach Saloniki kann man keinen entsenden, ,und sofort, kaum hatten sie davon erfahren, daß ein Bedürfnis nach solchen Dozenten bestand, bot die Sowjetzone die Entsendung von Deutschlehrern an. Sie lauern ja nur darauf, daß sie an irgendeiner Stelle, wo wir die Aufgaben nicht erfüllen können, ihren Fuß in den Türspalt setzen und diese Aufgabe an sich ziehen können. In Delhi, so sagt der Bericht, gibt es 600 deutsche Schüler. Dann heißt es wörtlich, mindestens noch einmal soviel, zum Teil drängende Bewerber seien nicht unterzubringen, weil es an Räumlichkeiten und an Lehrern fehle. Die Sprachausbildung hat ihre große Bedeutung in ,der kulturellen Arbeit. Die Bedeutung der Sprache als Instrument der Verdolmetschung von Absichten, Ideen und Gefühlen hat einmal Trygve Lie, der Vorgänger von Hammarskjöld, in einer Rede zum Ausdruck gebracht. Er sagte: „Das Bild der Welt hängt heute in erster Linie von den Staatsmännern, in zweiter Linie von den Dolmetschern ab." - Wenn man die Konferenzen ansieht, hat man manchmal das Gefühl: mehr von den Dolmetschern als von den Staatsmännern. Aber was er hier in bezug auf Konferenzen sagte, gilt ganz allgemein. Die Sprache als das Instrument der Vermittlung von Ideen und Vorstellungen ist von einer ungeheuren Bedeutung. Daß die Sowjets mit ihrer sehr viel komplizierter anzubringenden russischen Sprache in jüngster Zeit diesem Gebiet eine so große Aufmerksamkeit widmen, 'zeigt, daß man von drüben in Zukunft mit noch sehr viel größeren Aufwendungen wird rechnen müssen. Ein Wort müßte zur Ausstattung unserer Institute und Schulen gesagt werden, die sehr ärmlich ist. Da ist das Problem der Bereitstellung der deutschen Literatur. Aus Japan wird berichtet, daß an den pädagogischen Instituten die weitaus meiste deutsche Literatur aus der Sowjetzone kommt. Vor ein paar Jahren konnten wir noch in Kabul in Afghanistan erleben, daß die bärtigen Primaner der dortigen deutschen Oberrealschule deutsche Grammatik aus „Das Knaben Wunderhorn" erlernten, was sie wahrscheinlich nicht aus besonderem Respekt vor dem Namen des Herrn Außenministers getan haben, ({16}) Kühn ({17}) sondern angesichts des Mangels an geeigneterem grammatikalischem Lehrstoff. In Helsinki war es so, daß finnische Schulen für einen Buchschulprämienwettbewerb von der Bundesregierung Bücher erbaten, die man ihnen damals jedenfalls - es ist schon zwei Jahre her; ich hoffe, daß das mittlerweile hat abgestellt werden können - nicht bereitstellen konnte. Die DDR war sofort mit umfangreichen und sogar aufwendig ausgestatteten Bildbänden zur Hand. In unseren Instituten draußen gibt es eine Grundausstattung an Büchern, die von Inter Nationes zusammengestellt wird und die ich für sehr ordentlich halte. Ich glaube, daß sie nicht kritisiert werden kann. Abgesehen von dieser sehr minimalen Grundausstattung ist jedoch das Übrige oftmals sehr fragmentarisch zusammengewachsen. Wenn einmal eine deutsche Buchausstellung war, lassen die Verlage die Restbestände dort, so daß man von Lexiken, von großen Sammlungen vielleicht aus einem Dutzend Bänden drei in der Bibliothek hat. Manchmal findet man auch einige mehr zum Scherzen Veranlassung gebende Buchbestände. In einem mohammedanischen Land, Herr Minister, fand ich eine 30bändige Geschichte der Päpste. ({18}) Das ideologische Gleichgewicht wurde allerdings dadurch wiederhergestellt, daß daneben eine dreibändige Ausgabe des „Kapitals" von Karl Marx aus einem Ostzonenverlag stand. ({19}) Einige Bedenken, Herr Minister, habe ich in bezug auf die Ausstattung mit Zeitschriften. Das Erfahrungsmaterial beweist, daß man zwar Zeitschritten wie „Die politische Meinung" findet, nicht aber „Die neue Gesellschaft" oder die „Frankfurter Hefte", daß man gelegentlich den „Rheinischen Merkur", aber nicht andere Blätter findet. Ich glaube also, das ist ein wenig ungleichgewichtig. Ich weiß nicht, ob hier vom Amt irgendwelche Initiative ausgegangen ist oder ob das den jeweiligen Botschaften überlassen ist. Ich wäre Ihnen, Herr Minister, jedenfalls dankbar, wenn Sie auch diesem Thema Ihre Aufmerksamkeit widmeten. Die deutschen Schulen, sagte ich, müssen einmal besonders behandelt werden. Hier ist ernste Beanstandung der Unzulänglichkeit unseres Innenbetriebes in der Zentrale am Platze. Beispielsweise ergab sich, daß Bescheide, die im März 1959 im Amt ausgefolgt und diktiert worden sind, gegen Ende des Jahres das Amt noch nicht als geschriebener Brief verlassen hatten. ({20}) Die Gewerkschaft Erziehung ,und Wissenschaft hat sich zu mehreren verwaltungsgerichtlichen Klagen gezwungen gesehen. Unter anderem heißt es, daß Auslandslehrer, die seit viereinhalb Jahren vergeblich auf die Berechnung ihrer Ausgleichszulagen warten, sich zur Klage verpflichtet fühlen. Manchmal sollen auch - mir wurde ein solcher Fall vorgelegt - Lehrer auf Grund falscher Berechnungen zu hohe Bezüge bekommen haben, und plötzlich, nachdem die zuviel gezahlten Bezüge auf 6000 DM aufgelaufen sind, bekommen diese Lehrer die Anweisung, die ganze Summe wieder zurückzuzahlen. Ich sage dies nicht als Vorwurf gegen die Herren, die im Amt diese Arbeit machen, Herr Minister. Ich glaube vielmehr, bier liegt einfach als Folge einer unzulänglichen personellen Ausstattung manches im argen. Die materielle Beschaffenheit der Schulen draußen ist oft sehr beklagenswert. In einer Schule bat mich der Schulleiter, nicht in die Mitte des Klassenzimmers zu treten, weil der Boden ein bißchen gefährlich sei. Dabei zeichne ich mich doch nicht durch ein besonderes Übergewicht aus. ({21}) In Athen sitzen Primaner in der Waschküche des Schulgebäudes und werden dort unterrichtet. Man gibt sich sehr viel Mühe, und es ist hier manches getan worden. Gerade bei dem Kapitel der auswärtigen Schulen möchte ich zur Entlastung sagen, wir müssen immer bedenken, daß wir fast rund um den Erdball 1949, als diese Bundesrepublik gegründet wurde, wieder vom Nullpunkt haben anfangen müssen. Gerade deshalb müssen wir in diesem Hause aber erkennen, daß wir für die Bewältigung dieser Aufgabe sehr viel mehr Mittel als in der Vergangenheit bereitstellen müssen. Herr Präsident Löffler hat im Auftrage des Auswärtigen Amts vor einem Jahr Südamerika bereist. In seinem Bericht wird gesagt: Die Ausstattung der Schulen mit Lehrmitteln, Büchern und Zeitschriften ist häufig mangelhaft und veraltet. Es wäre sehr viel über das Problem der modernen Technik und der Massenmedien im Dienste der auswärtigen Kulturarbeit zu sagen. Ich denke an Film, Funk und Magnetophon. Hier herrscht draußen ein starkes Verlangen. Der Grund liegt zum Teil in der begrenzten Kenntnis der deutschen Sprache. Wenn diese Sprache durch das Bild unterstützt wird, ist ein Verstehen der Geschehnisse in Deutschland viel besser möglich. Aber die Filme, die draußen sind, sind alt, abgespielt, antiquiert. Ich glaube, daß insbesondere auch in der Zusammenarbeit mit den Rundfunkanstalten sehr viel mehr an Bereitstellung von Aufzeichnungen auf Magnetophonband, an Hilfe geschehen könnte. Man sollte diese Hilfe nicht nur für die propagandistisch orientierte Offentlichkeitsarbeit in Anspruch nehmen, sondern auch für die deutsche Kulturarbeit. Lassen Sie mich damit zum Schluß kommen. Soweit ich in meine Darlegungen kritische Anmerkungen eingestreut habe, möchte ich nicht mißverstanden werden. Es gibt ein altes Wort, das sagt: Ehe man tadelt, soll man immer erst überlegen, ob man nicht entschuldigen kann. Ich glaube, zur Entschuldigung vieler der hier aufgeführten Mängel muß eben immer wieder geltend gemacht werden, daß durch die Politik Hitlers und des „Dritten Reiches" unser ganzer Kulturapparat im Ausland und alle Stützpunkte, die wir dort hatten, bis auf den Nullpunkt vernichtet worden sind. Aus dieser Tatsache muß eben die Erkenntnis abgeleitet werden, daß Kühn ({22}) l nicht nur die angewandten Mittel, sondern auch die aufgewendeten Mittel nicht ausreichend sind. Viele Akzente im Bewirtschaftungsplan, der ja last ein halbes Hundert von Verwendungszwecken umfaßt, sollten anders gesetzt werden. Die personellen und materiellen Mittel sollten heraufgesetzt werden. Unsere auswärtige Kulturarbeit darf - lassen Sie mich das wiederholen, was ich am Anfang gesagt habe - keinesfalls zum ideologischen Hilfsmittel und zum Propaganda-Instrument der weltweilen politischen Auseinandersetzung werden. Würde sie dies werden, dann hätte sie, glaube ich, ihre eigentliche, wesentliche Aufgabe verkannt. Gewiß ist jede kulturelle Arbeit auch Werbung. Unsere Arbeit ist Werbung für unsere Auffassung der freiheitlichen Lebensordnung, die wir zwischen den einzelnen und zwischen den Völkern gestalten wollen. Kulturarbeit ist Vorzeigen dessen, was wir sind oder was wir sein wollen, und jede Form des Vorlebens wirbt um Nachfolge. Insoweit ist natürlich auch Kulturarbeit Werbearbeit. Aber sie darf nicht - und darin liegt das sehr Unterschiedliche, liegt der Akzent - zum Hilfsinstrument der Politik, der Propaganda gemacht werden. Wir leben in einer neuen Periode der Ost-West-Auseinandersetzung, deren Schwergewicht sich immer mehr aufs Ökonomische und Ideologische verlagert. Unter Chruschtschow hat diese neue Periode sehr massiv begonnen. Die Aufwendungen auch der sowjetischen Kulturoffensive sind in den letzten Jahren außerordentlich gestiegen. Vielleicht ist Chruschtschow ein kommunistischerer Kommunist als es Stalin war. Er versucht auf diesem Gebiet der geistigen Eroberung vor allen Dingen in den Entwicklungsländern, unter den vielen Hunderten Millionen Menschen in den Völkern, die zu ihrer Souveränität drängen, Boden zu gewinnen, und zwar auf dem Gebiet der Wirtschaftshilfe, das gestern hier behandelt worden ist, und auf dem Gebiet der kulturellen Offensive. So sollten wir auch die besondere Bedeutung unserer Kulturarbeit draußen erkennen, nicht allein, sondern auch im Rahmen dieser wachsenden geistigen Herausforderung. Sie zwingt uns, der auswärtigen Kulturarbeit gemeinsam eine größere Aufmerksamkeit beizumessen, gemeinsam, das heißt Parlament und Regierung. ({23})

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD hat der Bundesminister des Auswärtigen.

Dr. Heinrich Brentano (Minister:in)

Politiker ID: 11000263

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kühn wird sicherlich nicht erwarten, daß ich heute auf alle Einzelheiten seiner Darlegungen eingehe. Das setzt natürlich in einzelnen Fragen eine Nachprüfung voraus. Aber ich hoffe, daß wir sehr bald, wie er selbst angeregt hat, diese Diskussion vielleicht auch einmal im Auswärtigen Ausschuß oder sonstwo wiederaufnehmen werden. Auf jeden Fall bin ich sehr damit einverstanden, daß wir heute die Gelegenheit wahrnehmen, uns einmal über die grundsätzlichen Fragen der deutschen Kulturarbeit im Ausland zu unterhalten. Ich will versuchen, soweit es möglich ist, die Gedanken zu entwickeln, die nach meiner Meinung für diese Arbeit maßgebend sein müssen. Zwischendurch will ich auch versuchen, einen Überblick über das zu geben, was geschehen ist und was noch geschehen soll. In seiner Begründung der Anfrage hat Herr Kollege Kühn mit Recht darauf hingewiesen, daß sich in den letzten Jahren auch im auswärtigen Dienst eine gewisse Schwergewichtsverschiebung vollzogen hat. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das, was früher Annex einer Botschaft war und mehr oder weniger stiefmütterlich behandelt wurde, heute eine ungleich größere Rolle spielt, nämlich die Kulturpolitik. Ich glaube, daß sie politisch gleichberechtigt neben andere Bereiche, etwa die Handelspolitik, getreten ist. Aber ich möchte gleich mit einer Feststellung beginnen, die sich auf einen Punkt bezieht, an dem ein Teil der Kritik angesetzt hat. Diese Kritik ist in der vorgebrachten Form nicht berechtigt. Herr Kollege Kühn, Sie haben die Frage gestellt, ob die Posten der Kulturattachés an den Botschaften qualitativ und quantitativ ausreichend besetzt seien, ob sie von den richtigen Menschen bekleidet würden und ob die Ausbildung im Auswärtigen Amt es überhaupt zulasse, daß man dort die richtigen Menschen findet. Sie haben weiter beanstandet, daß in einzelnen Fallen - Sie haben das Beispiel Indien genannt - den Kulturreferenten nicht das nötige Personal zur Verfügung stehe. Ich habe keinen Grnud, mich hier im Parlament zu beklagen. Ich kann nur sagen, daß der Haushaltsausschuß in den vergangenen Jahren dankenswerterweise großes Verständnis für die Aufgaben der Kulturpolitik gezeigt hat. Das kommt in dem ständig steigenden Betrag zum Ausdruck, den der Haushaltsausschuß und das Parlament für diese Aufgaben bewilligt haben. Sie glauben, Herr Kollege Kühn, daß die Eignungsrichtlinien im Auswärtigen Amt und die Ausbildung der jungen Leute nicht so seien, daß man diese Leute später als Kulturreferenten einsetzen könne. Ich möchte Ihnen in aller Freundschaft widersprechen, Herr Kollege. Es ist wirklich nicht mehr so, wie Sie anscheinend glauben, daß diese Nachwuchskräfte auf Zeremoniell und Protokoll gedrillt würden. Ich bin gern bereit, Sie einmal mit einem Teil dieser jungen Leute zusammenzubringen, Herr Kollege. Vielleicht übernehmen Sie es einmal, dort einen Vortrag zu halten. Eine Reihe von Abgeordneten haben in den Ausbildungslehrgängen bereits gesprochen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn ich Sie einmal einladen dürfte, vielleicht über Kulturpolitik im Ausland vor einem solchen Lehrgang zu sprechen. Sie hätten dann auch einmal die Gelegenheit, mit diesen jungen Leuten zu reden. Ich bin überzeugt, daß Sie einen anderen Eindruck gewinnen würden, nämlich daß wir uns im Rahmen des Möglichen bemühen, diese Nachwuchskräfte sehr gegenwartsnah zu erziehen. Gerade aus diesem Kreis sind jetzt eine ganze Reihe von NachBundesminister Dr. von Brentano wuchskräften als Kulturreferenten tätig, und zwar, ich kann nur sagen, mit vollem Erfolg. Daß ich nicht für jeden einzelnen einstehen kann, versteht sich. In einer großen Behörde gibt es naturgemäß auch Versager; das geht in alle Bereiche hinein. Ich bin mir auch darüber klar - das sage ich ganz offen daß die großzügigen Bewilligungen des Haushaltsausschusses noch keineswegs dazu ausreichen, die Kulturarbeit so zu gestalten, wie wir es alle wünschen. Wir dürfen nicht vergessen, daß ein großer Teil der bewilligten Mittel ausgegeben werden muß - Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, Herr Kollege -, um überhaupt wieder im Ausland Fuß zu fassen. Eine Folge des „Dritten Reiches", eine Folge des Zusammenbruchs war es ja, daß wir mit den Ländern, mit denen wir im Krieg standen, und mit den Ländern des Fernen Ostens keine Beziehungen auf dem Gebiet der Kulturpolitik mehr hatten. Wir müssen überall neu beginnen. Wir müssen neue Institute errichten. Wir müssen die Menschen erneut ansprechen. Wir müssen neue Schulen gründen. Damit komme ich auch - um eine Bemerkung, die Sie gemacht haben, aufzugreifen - auf die Frage der Ausstattung solcher Institute und Schulen. Würden wir uns bemühen, diese Schulen und Institute so auszustatten, wie das notwendig ist, brauchten wir dafür sicherlich in einem Jahre unzählige können. Wir sind auch darauf angewiesen, z. B. bei zusätzliche Millionen D-Mark. Wir sind heute darauf angewiesen, das Beste zu tun, was wir tun der Ausstattung von Bibliotheken, für Gaben etwa von Verlagen oder von Spendern dankbar zu sein. So erkläre ich mir auch, daß z. B. die 30bändige „Geschichte der Päpste" in der Bibliothek in einem arabischen Land zu finden ist. Ich bin überzeugt, nachweisen zu können, daß wir sie nicht angeschafft haben. Aber ich könnte mir denken, daß sie uns zur Verfügung gestellt worden ist. Da haben wir sie dankbar genommen. So gilt das auch für andere Bücher, die Sie finden oder die Sie nicht finden. Lassen Sie mich nun zu den Grundsatzfragen kommen. Ich habe schon gesagt, daß auch nach meiner Meinung die Bedeutung der Kulturarbeit im Ausland in den letzten Jahren außerordentlich gestiegen ist und daß ihr eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Auch andere Nationen, auch andere Regierungen haben diese Erkenntnis bereits in die Tat umgesetzt. Wir stehen in einer besonderen Situation, von der ich auch hier sprechen möchte, gerade weil ich dann auf Ihre Feststellungen, Herr Kollege Kühn, hinsichtlich des Unterschiedes zwischen Kulturpolitik und Kulturpropaganda eingehen will. Ich teile Ihre Auffassung voll und ganz. Aber wir stehen doch auch vor der Tatsache, daß die Staaten des Ostblocks, daß die Sowjetunion und die anderen Staaten, die in diesem Ostblock vereinigt sind, eine ganz besondere Aktivität entfalten, nicht nur in den Staaten der freien Welt, sondern erst recht in den Staaten, der nicht gebundenen Welt, erst recht in den jungen Staaten, die heute ihre Selbständigkeit errungen haben und nun im Begriff sind, die ersten tastenden Schritte zu tun, nachdem sie die Mündigkeit im politischen Sinne erreicht haben. Diese kulturpolitische Offensive des Ostblocks richtet sich gerade auf diese nicht gebundenen und neutralen Länder in Afrika und Asien. Wir haben Berichte, daß beispielsweise in Indien im letzten Winter die kulturellen Veranstaltungen der Sowjetunion und der anderen Ostblockstaaten so häufig waren, daß man beinahe an jedem Abend eine solche Veranstaltung zählen konnte. In jeder Woche war mindestens eine große repräsentative Veranstaltung an irgendeinem der großen wichtigen Zentren in Indien: Konzerte, Filmfestivals, Kunstausstellungen, Fotoausstellungen, Tanzgruppen Vortrage von Wissenschaftlern in New Delhi, in Bombay, in Kalkutta und in anderen Städten. Dazu kommt eine Flut von östlichen Büchern und voll Broschüren. Weil natürlich in diesem Bereich ganz andere Mittel zur Verfügung stehen, können es sich diese Länder leisten, die Broschüren in englischer Sprache, ja sogar in indischer Sprache herauszubringen und sie zu ganz minimalen Preisen zu verkaufen. Die Broschüren und Bücher kosten weniger als unsere einfachsten Taschenbücher und werden in riesigen Auflagen in der Sowjetunion gedruckt.. Besonders kennzeichnend für die Anstrengungen des Ostblocks ist auch die kürzlich in Moskau errichtete Universität. Diese „Universität der Völkerfreundschaft", wie sie heißt, dient ausschließlich dem Studium von 5000 Studenten aus afro-asiatischen und lateinamerikanischen Ländern, die dort als Stipendiaten aufgenommen sind und an dieser Universität ausgebildet werden. Ebenso wissen wir, daß diejenigen, die mit Kulturpropagandaaufgaben ins Ausland geschickt werden, an russischen Universitäten vorher ausgebildet werden, daß man sie mit der besonderen Mentalität des Gastlandes, in das man sie schickt, vertraut macht und daß man sie in der Sprache dieses Landes ausbildet. Das sind alles Vorteile, die natürlich ein solches System aufzuweisen hat. Ich betone, daß wir daran nicht nur kritisieren, sondern auch lernen sollten. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen - ich möchte es laufnehmen -, daß ein großer Teil des Kulturaustausches zwischen .den Völkern :auch heute noch auf privaten Wegen zustande kommt, daß er keineswegs ein staatliches Monopol ist und auch keineswegs ein staatliches Monopol sein soll. Es würde der Grundhaltung unserer freien Welt widersprechen, wenn man versuchen wollte, die private Initiative auf diesem Gebiet einzuschränken. Es kann sich für Iden Staat immer nur darum handeln, zu helfen und zu fördern, um so mehr, als ja der Staat selbst keine Kultur schaffen kann. Er kann nur ihre Kenntnis vermitteln. Deswegen arbeiten wir auch - ich komme an anderer Stelle darauf zurück - mit privaten und halböffentlichen Instituten in diesem Bereich sehr eng zusammen, natürlich auch mit !den Kirchen und kirchlichen Organisationen. Ich glaube, daß sich diese Zusammenarbeit bisher schon in einer sehr befriedigenden Weise ausgezahlt hat. Für die eigentliche Kulturarbeit der Bundesrepublik im Ausland unterhalten wir zur Zeit - die Zahlen werden Sie vielleicht interessieren - 29 Kultur6880 Bundesaußenminister Dr. von Brentano referenten, und an neun Missionen hat der Kulturreferent auch gleichzeitig die Stellung des Pressereferenten. Auf die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Abgrenzung haben Sie mit Recht hingewiesen, und ich möchte das aufgreifen. Auch mir scheint die Abgrenzung jeder kulturpolitischen Arbeit im Ausland gegenüber dem, was man Kulturpropaganda genannt hat oder nennt, unerläßlich. Ich glaube, daß die Kulturarbeit um so mehr eine echte völkerverbindende und zur Völkerverständigung beitragende Aufgabe erfüllen kann, je weniger sie sich aufdrängt. Wir sind - ich glaube Idas sagen zu können - bei uns in der Bundesrepublik in der angenehmen Lage, feststellen zu können, ,daß wir alle unsere kulturpolitischen Bemühungen im Ausland nicht aus eigener Initiative aufgenommen haben, sondern weil wir dazu eingeladen und aufgefordert wurden. Auch die bereits abgeschlossenen zwölf Kulturabkommen und die dreizehn noch in Vorbereitung befindlichen Kulturabkommen verdanken ihr Entstehen der Initiative der anderen Staaten. Ich glaube, es war gut und richtig, daß wir zunächst einmal diese Initiative abgewartet haben, um jeden falschen Eindruck zu vermeiden, als wolle die Bundesrepublik die schlechte Tradition des Dritten Reiches fortsetzen, irgendwelche Kulturpropaganda im Ausland treiben und aufdringlich eigene Dinge dort vortragen. Auch das deutsch-sowjetische Abkommen über kulturellen und technisch-wirtschaftlichen Austausch ist ja auf Vorschlag der Sowjetunion zustande gekommen. Ich möchte hier sagen, daß die Bundesregierung durchaus bereit war und ist, dieses Abkommen zu realisieren, und daß wir Einschränkungen dieses Abkommens nicht wünschen. Aber wir müssen natürlich hier, wenn wir über ,diese Dinge sprechen, auch sehr nüchtern sprechen. Wenn wir mit diesem Abkommen wirklich die Absicht verfolgen, den kulturellen Austausch zu erleichtern und das Verständnis für die Probleme im anderen Land zu fördern, dann müssen wir uns, wenn wir redlich sind, ganz nüchtern sagen: die Sowjetunion meint mit einem Kulturabkommen natürlich etwas ganz anderes als wir. Ich möchte nicht auf die Verhandlungen eingehen, die seinerzeit geführt worden sind; sie waren außerordentlich schwierig. In jeder Phase war es das Bemühen unserer Verhandlungspartner, alle Erklärungen restriktiv zu interpretieren und dem, was wir wollten, dem echten Kulturaustausch, möglichst Fesseln anzulegen und es überhaupt nicht zu dem echten Austausch von Wissenschaftlern und Studenten kommen zu lassen. Wie problematisch auch das ist, was übriggeblieben ist, was heute verwirklicht wird, das würden wir jetzt sehen, wenn wir es nicht schon wüßten. Für ein totalitäres System hat die Kulturpolitik eine Funktion der Außenpolitik zu erfüllen; auch im Bereich der Kulturpolitik gibt es für dieses System nichts, was nicht einem propagandistischen Zweck untergeordnet wird. Wenn wir das nicht wüßten, wären wir wieder daran erinnert worden, als wir vor einiger Zeit erkennen mußten, daß auch folkloristische Darstellungen, die in Ausführung dieses Kulturabkommens von der Sowjetunion hier veranstaltet werden, nicht ohne politischen Hintergrund sind; denn dort waren in die Männerchöre auch leitende Beamte des Geheimdienstes eingebaut. Wir sind uns über diese Dinge im klaren. Trotzdem sind wir bereit, das Kulturabkommen mit der Sowjetunion weiter zu realisieren. Das, was von uns aus drüben geschehen ist, hat wohl auch seinen Eindruck nicht verfehlt. Ich erinnere an die Gastspiele, die dort stattgefunden haben. Noch vor kurzem hat mir einer der Beteiligten einen sehr instruktiven Bericht über diese Gastspiele gegeben, in deren Rahmen Gründgens mit der Hamburger Bühne den Faust aufführte. Dieser Beteiligte, mit dem ich persönlich befreundet bin, hat mir sehr interessant über die Eindrücke und Gespräche in Moskau und Leningrad berichtet. Auch diese Information hat mir bestätigt, daß wir hier auf dem rechten Wege sind. Ich muß allerdings sagen, daß es uns immer wieder schwer gemacht wird, daß unsere Initiative meistens auf wenig Verständnis und wenig Aufnahmebereitschaft stößt. Wir müssen sehen, wie sich das in Zukunft entwickeln wird. In den anderen Ländern ist die Nachfrage nach deutschen Wissenschaftlern, Sprachlehrern, Ausstellungen, Theateraufführungen, nach Gastspielen guter Bühnen und guter Orchester so groß, daß wir von uns aus gar nichts zu machen brauchen. Wir brauchen auf diesem Gebiete gar keine eigene Propaganda zu entfalten oder eigene Vorschläge zu machen. Es werden aus aller Herren Ländern Anträge an uns gerichtet. Für den Leiter unserer Kulturabteilung ist es immer eine schwierige Aufgabe, zu entscheiden, wo er ja sagen kann und wo er nein sagen muß, weil die vorhandenen Geldmittel natürlich nicht ausreichen, alle diese Wünsche zu befriedigen. Ich möchte in diesem Zusammenhang allerdings auch eine Abgrenzung andeuten: die Abgrenzung der Kulturarbeit gegenüber der sogenannten Offentlichkeitsarbeit, also dem, was man auf englisch als Public Relations bezeichnet. Natürlich gibt es hier Überschneidungen und Dinge, die sich nicht ausschließen, sondern ergänzen. Wir glauben, daß man, wie es auch die anderen europäischen Staaten - etwa Frankreich, England, Italien - tun, Kulturarbeit im Ausland nicht mit der Information, also mit der Öffentlichkeitsarbeit, verwechseln oder vermischen sollte, sondern daß man hier, soweit das möglich ist, eine klare Abgrenzung vornehmen sollte. Das besagt nicht, daß man damit die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit unterschätzt; ganz im Gegenteil. Was diese Öffentlichkeitsarbeit gerade im Augenblick, in unserer politischen Lage im Bereich der noch nicht entwickelten Länder für uns bedeutet, das wissen wir alle. Wir sollten aber an dieser Abgrenzung, an dieser Scheidung festhalten. Wir sollten davon ausgehen, daß Kulturarbeit im Ausland nicht unmittelbar identisch sein kann und sein sollte mit Öffentlichkeitsarbeit, also mit einem Bereich, der irgendwo natürlich auch zwar nicht in die Propaganda, aber in die Informationstätigkeit. hineinreicht. Wir haben in einer Reihe von Ländern sehr gute Möglichkeiten. Wir sind - das haben Sie, Herr Kollege Kühn, mit Recht gesagt - vom Problem der Kolonien nicht belastet. Aber ich bin mit Ihnen der Meinung, daß wir uns darauf wenig einzubilden haben. Wir sind durch die Entscheidung des Jahres 1919 von dieser Last befreit worden, und ich glaube mich zu erinnern, daß man damals nicht in allen Teilen mit dieser Entscheidung einverstanden war. Heute sind wir sehr glücklich, daß andere diese Amputation rechtzeitig vorgenommen haben. Aber es ist sicherlich so, daß uns das in einigen Teilen der Welt auch eine größere Möglichkeit gibt. Ich erinnere gerade an den Nahen Osten und an die afrikanischen Völker. Meine Damen und Herren, wir werden von diesen Möglichkeiten - das möchte ich gerade zu den Bemerkungen von Herrn Kollegen Kühn sagen -keinen falschen Gebrauch machen. Es ist nicht so, daß wir uns etwa, wie Sie zu befürchten scheinen, Herr Kollege, in diesen Bereichen von irgendwelchen anderen mißbrauchen lassen, um dort unseren guten Namen herzugeben, um „kolonialistische Ansprüche" von Bündnispartnern damit zu kaschieren. Meine Damen. und Herren, ein solches Ansinnen ist noch niemals an uns gerichtet worden und wird auch nicht an uns gerichtet. Allerdings sage ich in aller Offenheit - und ich glaube, dafür werden Sie alle Verständnis haben -: Wir haben nicht die Absicht, in diesen Teilen der Welt den Platz derer auszufüllen, die dort verdrängt worden sind. Wir haben nicht die Absicht, ich möchte beinahe sagen, in gewissen Teilen der Welt als Leichenfledderer aufzutreten. Unsere sehr gute freundschaftliche Beziehung zu diesen Ländern verpflichtet uns, das, was wir dort tun, mit großer Behutsamkeit durchzuführen. Ich kann Ihnen auch sagen, daß diese Behutsamkeit von den Adressaten bisher immer wohl verstanden worden ist, auch wenn wir mit den jungen Völkern in Afrika sprachen. Ich hatte noch neulich den Außenminister eines der neugegründeten Länder bei mir. Ich habe ihm mit großer Offenheit dargestellt, daß wir das, was wir in diesen Bereichen tun, selbstverständlich mit unseren Verbündeten besprechen, daß wir uns in den Bereichen, in denen Frankreich bisher die Verantwortung trug, vorher mit Frankreich unterhalten. Dieser Mann hat das mit einer vollkommenen Selbstverständlichkeit aufgenommen. Er sagte: Ich verstehe das nicht nur, ich halte das für gut. Auch wir wünschen ja, daß unsere Beziehungen zu Frankreich, auch wenn sie jetzt nicht sehr gut sind, wieder besser werden. Ich möchte also wiederholen: Wir lassen uns hier nicht mißbrauchen. Wir lassen uns hier keine Zügel und keine Bremsen anlegen. Unsere eigene Entscheidungsfreiheit behalten wir selbstverständlich. Aber wir werden auch in Zukunft eine gewisse Zurückhaltung üben. Ich bin überhaupt der Meinung, wir sollten nicht so in den Chorus der Antikolonialisten einfallen. Ich glaube, daß hier in der letzten Zeit manches in der Formulierung etwas überspitzt wurde. Man kann nicht lediglich die Nachteile und Fehler eines Kolonialsystems kritisieren und darüber vergessen, was die betreffenden Länder und ihre Regierungen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in diesem Bereich der Welt geleistet haben. Man tut vielleicht nicht in allen Teilen der Welt den Völkern etwas Gutes an, wenn man sie allzu rasch aus der Vergangenheit in die Zukunft hinüberführt. Nun, das sind Bemerkungen, die nicht unmittelbar diesen Bereich gehören. Ich sagte, daß wir den Versuch machen, in diesen Gebieten wie in allen Ländern einen gewissen, sagen wir einmal, „Kulturexport" zu treiben, - ein etwas unschöner Ausdruck. Ich möchte hier einmal auf die einzelnen Gebiete eingehen und Ihnen auch einige Zahlen nennen. Ich komme damit auch auf einiges zurück, was Sie bei Ihren Bemerkungen in der Begründung der Anfrage angedeutet haben. Eines der großen Probleme, von dem Sie auch gesprochen haben, Herr Kollege Kühn, sind die gegenwärtig etwa 21 000 zählenden ausländischen Studenten in der Bundesrepublik. 21 000 ausländische Studenten sind in Deutschland, zu denen noch etwa 8000 Praktikanten hinzukommen. Zum Vergleich: im Jahre 1956 waren es 9600; insgesamt sind es heute rund 30 000. Wenn diese jungen Leute die Bundesrepublik enttäuscht verlassen, dann ist die ganze Kulturarbeit im Ausland in Frage gestellt. Wir sind darum in Zusammenarbeit mit den Kulturverwaltungen der Länder bemüht, gerade auf diesem Gebiet durch Verstärkung der Betreuung der ausländischen Studenten, durch die Einrichtung von Wohnheimen, in denen insbesondere auch die afrikanischen und asiatischen Studenten berücksichtigt werden sollen, die Situation dieser jungen Leute und auch ihre Kontakte mit den deutschen Studenten und mit deutschen Familien zu verbessern. Ich bitte nur darum, daß auch der Bundestag etwas zur Lösung dieser Frage beiträgt. Wir haben ja keine eigenen Zuständigkeiten auf diesem Gebiet. Ich bitte die Abgeordneten, sich bei den Kultusverwaltungen der Länder in diesem Sinne einzusetzen; denn ich glaube, daß hier noch mehr geschehen kann und muß. Nichts ist gefährlicher, meine Damen und Herren - ich wiederhole es -, als wenn diese jungen Leute, die mit Vertrauen und - ich möchte beinahe sagen - gläubig nach Deutschland kommen, hier enttäuscht werden; wenn sie verstimmt und enttäuscht ,entweder ihr Studium abbrechen ode r n ach Vollendung ihres Studiums nach Hause gehen. Sie sind dann nicht Dolmetscher der Freundschaft ihres Landes mit Deutschland, sondern wenden natürlich ihr Interesse anderen Ländern zu. Wir sehen ja, mit welcher Intensität andere Länder - hier in Konkurrenz mit ,der Bundesregierung insbesondere auch die Sowjetzone - um diese Studenten werben. Bedenken Sie dabei, daß von den 21 000 Studenten, von denen ich sprach, nur etwa 2000 Stipendiaten sind. Alle anderen, also rund 19 000, finanzieren ihr Studium in der Bundesrepublik selbst. Ich glaube, damit erkennen Sie die Bedeutung meiner Feststellung, daß wir alles tun müßten, urn diese jungen Menschen hier so aufzunehmen, daß sie sich mit Dankbarkeit und Freude an ihren Aufenthalt erinnern, um dann, wenn sie in ihre Heimat zurückreisen, die kulturellen Verbindungen, die sie hier angeknüpft haben, aufrechtzuerhalten. Wir gehen folgenden weiteren Weg. - Davon sprachen Sie auch. - Sie kennen unsere Arbeit auf dem Gebiet ,der Erwachsenenbildung durch ,die Sprach- und Kulturinstitute. Das Erlernen der deutschen Sprache war schon immer die wichtigste Grundlage für die Begegnung mit deutscher Kultur, und die Nachfrage nach deutschen Sprachkursen, deutschen Bibliotheken und deutschen Veranstaltungen ist in allen Ländern ganz außerordentlich groß. Die ausgezeichneten Bemühungen des Goethe - Instituts zur Verbreitung der deutschen Sprache verdienen hier eine ganz besondere Anerkennung. Das Goethe-Institut unterhält insgesamt zur Zeit 36 Zweigstellen und Dozenturen in insgesamt 23 Ländern mit 79 entsandten Dozenten. Sie sprachen vom Goethe-Institut in Athen, Herr Kollege Kühn, und sagten, man habe dort fünf Dozenten angefordert, es seien aber nur zwei bewilligt worden. Ich darf vielleicht darauf hinweisen, daß zur Zeit in Athen schon sieben Dozenten und 14 Ortskräfte sind; es sind 'zusätzlich fünf angefordert worden. Wir konnten aber nur zwei dorthin entsenden. Jetzt sind also neun entsandte Kräfte und 14 Ortskräfte dort. Meine Damen und Herren, ich würde sehr gerne manchmal mehr Kräfte hinausschicken, aber dann müssen Sie mir sagen, woher ich sie nehmen soll; denn auch hier sind dem guten Willen Grenzen gesetzt. Ich möchte in aller Offenheit sagen: Es wird immer schwieriger, qualifizierte Leute für diese Aufgaben zu finden. Je besser die Entwicklung in Deutschland ist, desto größer ist der Sog, der ,davon ,ausgeht, und desto geringer wird auch der Mut zum Risiko. Was früher für junge Leute eigentlich selbstverständlich war - daß sie gern und möglichst lange hinausgingen, um die Welt kennenzulernen -, ist heute gar nicht mehr selbstverständlich, und wenn ich Ihnen sage, daß wir oft Stipendiaten für ausländische Universitäten und Hochschulen mit der Laterne suchen müssen, weil die jungen Studenten uns sagen: wir haben nicht soviel Zeit, daß wir zwei Semester verlieren könnten, dann kann ich dazu nur sagen, das ist erschütternd und erschreckend. Das gilt aber auch für die Arbeit etwa von Sprachlehrern am Goethe-Institut. Trotzdem ist es, wie ich sagte, bisher gelungen, die 36 Zweigstellen mit 79 entsandten Kräften, zusätzlich einer großen Anzahl von Ortskräften zu errichten. Die Zahl der in deutschen Sprachkursen erfaßten Ausländer beträgt nach den letzten Angaben, die wir haben, rund 32 000. Weiterhin werden gegenwärtig 12 große, mit einem hauptamtlichen Leiter besetzte Kulturinstitute und 30 kleinere Einrichtungen - Leseräume, Bibliotheken und ähnliches - unterhalten. Darüber hinaus werden noch 65 deutschausländische kulturelle Zentren laufend unterstutzt. Nun haben Sie, Herr Kollege, die Tätigkeit und die Veranstaltungskalender dieser Institute kritisiert. Ich habe durchaus nicht den Eindruck, daß alles, was da geschehen ist, sehr großartig ist; aber ich glaube, es gibt doch ein etwas falsches Bild, wenn Sie einige Vortragsthemen heraussuchen, über die man schmunzeln kann. Man müßte dann auch die anderen einmal anschauen. ({0}) Sie haben z. B. die Vorträge in Kairo erwähnt und haben einige Themen genannt. Ich habe mir gerade den Bericht vom 15. Juni geben lassen und möchte daraus von den Themen, die im letzten halben Jahr behandelt worden sind, doch hoch folgende nennen: „Die deutsche Malerei des 20. Jahrhunderts", „Meine Erfahrungen als Praktikant in der deutschen Industrie", „Einführung in die arabische Musik", „Ich komme gerade von. Berlin zurück", „Eindrücke aus einer Reise nach Afghanistan", „Vorschau auf das Fernsehen in Ägypten", „Berliner Filmfestspiele", „Deutsche Malerei des 20. Jahrhunderts - die Künstler ,des Blauen Reiters' ", „Thomas Mann und das Problem des Künstlers", „Das Theater in Deutschland", „Das Fernmeldewesen in Deutschland", „Franz Werfel", „Bericht über die Ausstellung Documenta 1959 ", „Wie Deutschland die Jahre nach dem letzten Weltkrieg überstand", „Gedanken zur Ausbildung des technischen Nachwuchses in Deutschland", „So sah ich Deutschland", „Wege des deutschen Films in der Nachkriegszeit". Natürlich sind auch andere Themen dabei: „Die Pyramiden und Gräber des alten Ägyptens", „Das Sankt-Katharina-Kloster auf Sinai". Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn Sie selbst die Aufgabe hätten, solch ein Vorlesungsverzeichnis zusammenzustellen, dann wäre es für Sie auch nicht ganz einfach, die richtigen Themen zu finden, weil zu den Themen auch immer die richtigen Redner gefunden werden müssen. Es ist ja nicht so, daß der Leiter eines Kulturinstituts über ein umfassendes Wissen wie ein Lexikon verfügt und sich selbst für alle diese Dinge zur Verfügung stellen kann. Er muß Sprecher und Redner in dem Institut finden, und das beschränkt die Themenwahl. Sie haben dann das Kulturinstitut in Madrid genannt und haben gesagt, ein dort behandeltes Thema sei gewesen: „Die vier abendländischen Figuren Faust, Hamlet, Don Quichote und Don Juan". Gut, aber in Madrid wurde weiter über folgende Themen gesprochen: „Das Bild und die Wirklichkeit in der ; Dichtung von Franz Kafka", „Robert Musil und der europäische Roman", „Das Problem von Arbeit und Entspannung in der deutschen Auffassung", „Gabriela Mistral und ihre Dichtung", „Der Wiederaufbau der Stadt Berlin", „Thomas Mann und die Kunst des Leitmotivs", „Die Situation der deutschen Universität", „Zur Struktur des modernen deutschen Romans", „Die Bildungsidee bei Thomas Mann", „Der Mensch in der modernen Medizin", „Die Wiener Schule und die zeitgenössische deutsche Musik - Berg, Schönberg, Webern". Da kann man ja nun nicht sagen, daß das alles verstaubte Themen seien. Ich glaube, Sir sehen an dieser Auswahl, daß man sich in diesen Instituten -- sicherlich mit wechselndem Erfolg, ich gebe das zu - auch Mühe gibt, die Menschen mit der Gegenwart Deutschlands in in gendeiner Weise in Verbindung zu bringen. Ich wiederhole - ich hatte schon manches Gespräch darüber -: Was geschieht und was nicht Geschieht, hängt nun einmal weitgehend davon ab, ob man die entsprechenden Referenten zur Verfügung stellen kann. Das sind entweder Referenten, die im Lande leben, oder Referenten, die auf irgendwelchen Reisen dorthin kommen, mit denen man also mehr oder weniger zufällige Vereinbarungen treffen muß. Denn es ist ja unmöglich, diese Kulturinstitute etwa so auszustatten, daß sie sich für ihre Veranstaltungen jeweils die besten Referenten aus Deutschland kommen lassen könnten. Gerade in Kairo - ich habe mir den Bericht von Kairo einmal herausgelegt - zeigt sich die Aktivität eines größeren Kulturinstituts, und ich möchte es hier als Beispiel nennen. Im Haushaltsjahr 1959/60 fanden dort 184 Veranstaltungen mit 27 200 Besuchern statt. Diese Veranstaltungen gliederten sich in 59 Vorträge, 9 Rezitationsabende, 25 Konzerte, 5 Schallplattenabende, 43 Spielfilm- und 35 Kulturfilmvorführungen und 1 Kunstausstellung. In Barcelona ich nenne es, weil es ein kleineres Kulturinstitut ist - fanden im gleichen Zeitraum 39 Veranstaltungen statt: 14 Vorträge, 7 Konzerte, 10 Filmabende, 2 Kunstausstellungen und 6 Theateraufführungen. Allein die Bibliothek dieses Instituts wurde von über 17 000 Interessenten besucht. Meine Damen und Herren! Ich glaube, wenn ich diesen Bericht gebe, sagen zu dürfen: Es steckt eine ungeheure Menge an Arbeit hinter dieser Leistung. Überall, wo wir jetzt sind, hat die Arbeit ja erst or wenigen Jahren begonnen; und in allen diesen Ländern begegnen wir auch noch - dort mehr, dort weniger - gewissen Ressentiments, gewissen Vorbehalten. Ich bin der letzte, der nun sagen wollte, daß alles das, was in diesem Bereich geschehen ist, einwandfrei sei, und ich bin der letzte, der sagen würde, man könnte es nicht in allen Bereichen verbessern. Deshalb bin ich für jede kritische Anregung nur dankbar. Ich glaube aber, ich darf, ohne zu übertreiben, sagen: Was die Kulturabteilung in den letzten Jahren aufgebaut hat und was von den Kulturinstituten draußen geleistet wird, ist, alles in allem gesehen, wirklich gut und erfreulich. Ich habe auch eigentlich noch an keiner Stelle bei meinen Auslandsbesuchen eine ernsthafte Kritik gefunden. Natürlich habe ich kritische Bemerkungen über den einen oder anderen Beamten gehört, und ich bin mir ganz klar darüber, daß nicht alle Kulturreferenten ihrer Aufgabe voll gewachsen sind. Natürlich habe ich auch Kritik an einzelnen Veranstaltungen gefunden, ich habe auch kritische Bemerkungen über die Art der Durchführung einzelner Veranstaltungen gehört. Wenn ich aber der Sache nachgegangen bin, meine Damen und Herren, habe ich eigentlich immer wieder sagen müssen: Man hätte es vielleicht auch anders machen können; aber falsch war es nicht. Sie haben als Beispiel die Bach-Gesellschaft in Rom erwähnt. Sehen Sie, ich halte es eigentlich für eine sehr gute Sache, daß wir dort einen - allerdings ungewöhnlich qualifizierten - Mann als Leiter der Deutschen Bibliothek hatten - Sie kennen ihn auch: Herrn Dr. Raffalt -, dem es gelungen ist, eine Bach-Gesellschaft zu gründen, die heute ausschließlich - auch finanziell - von Italienern selbst getragen wird und die eine ganze Anzahl von ausgezeichneten Kammerkonzerten veranstaltet hat, die zuerst in den Räumen der Deutschen Bibliothek und dann, weil diese viel zu klein geworden waren, so viel ich mich erinnere, in den großen Sälen des Capitols veranstaltet wurden. Ich finde es eine ausgezeichnete Form, daß es hier einem Menschen gelungen ist, ein solches Interesse für die Musik Bachs und seiner Zeitgenossen zu wecken, daß eine von wirklich guten Menschen getragene deutsch-italienische Gesellschaft entstanden ist. Das ist natürlich kein Ersatz für Kulturpolitik. Aber wenn das eine Ausstrahlung einer bewußten Kulturpolitik ist, dann kann ich nur sagen: Wir haben Grund, das aufrichtig zu begrüßen. Gerade wenn solche Initiative entfaltet wird, kann man registrieren, ob die Kulturarbeit in diesem Lande wirklich schon Wurzeln geschlagen hat. Das gilt für das Beispiel, das ich eben nannte. Ein weiterer Punkt, von dem auch Sie schon gesprochen haben, ist die Förderung und Verbreitung der deutschen Wissenschaft durch die Entsendung von Professoren, Lektoren und Dozenten. Ich kann hier nur sagen, daß wir unser Menschenmöglichstes tun, um zusammen mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, mit dem Wissenschaftsrat, mit der Konferenz der Kultusminister und mit der Rektorenkonferenz jedesmal wieder eine Lösung zu finden. Aber das wird von Mal zu Mal schwieriger; denn es ist kaum mehr möglich, qualifizierte Wissenschaftler zu finden, die bereit und in der Lage sind, für zwei, drei Jahre ins Ausland zu gehen. Selbstverständlich spielt dabei auch die Frage ihrer materiellen Sicherung eine Rolle, aber es müßte möglich sein, diese Frage zu lösen. Bisher ist keine generelle Lösung dafür gefunden worden. Wir stehen vor der Schwierigkeit, die jungen Universitätslehrer, die jungen Professoren, die einen Ruf erhalten, zu überreden, diesen Ruf anzunehmen; denn sie laufen Gefahr, ihren Lehrstuhl an ihrer Stammuniversität in ihrer Heimat zu verlieren. Ich will gar nicht auf Einzelheiten eingehen. Ich habe schon manchmal darüber verhandelt und Gespräche mit den Kultusverwaltungen der Länder geführt. Oft habe ich großes Verständnis gefunden. Manchmal hat man mir aber auch gesagt: Wenn der Mann weggehen will, muß er es auf seine eigene Kappe nehmen. Der Lehrstuhl kann nicht unbesetzt bleiben; wir werden ihn dann anders besetzen. Und dann sagt mir der Mann: Ich kann natürlich nicht für drei Jahre ins Ausland gehen, wenn ich weiß, daß inzwischen mein Lehrstuhl besetzt wird; denn ich habe keinerlei Garantie dafür, daß ein Lehrstuhl in meiner Fakultät frei sein wird, wenn ich wiederkomme. Hier müssen wir die Zusammenarbeit auch mit den Kultusverwaltungen der Länder fördern. Ich 6884 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode -Bundesminister Dr. von Brentano sagte bereits: Es ist sehr viel besser geworden, und wir haben immer wieder großes Verständnis gefunden; aber wir haben auf diesem Gebiet natürlich keine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit. Sie wissen, daß wir keine originären Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Kulturpolitik besitzen. Ein weiteres Mittel der Kulturarbeit sind - ich erwähnte es schon - Buchausstellungen, Gastspiele und insbesondere das weite Gebiet der Musik, weil die Musik im Ausland am leichtesten ankommt; sie setzt keine Sprachkenntnisse voraus. Wir haben eine Reihe von Ausstellungen in Vorbereitung, z. B. eine technische Ausstellung, die aus den Beständen des Deutschen Museums in München zusammengestellt wird und die Entwicklung der Technik im letzten Jahrhundert schildern soll. Sie wird insbesondere in den Entwicklungsländern gezeigt werden. Für das Jahr 1960 haben wir insgesamt sechs große und 17 kleinere Kunstausstellungen geplant - zum Teil sind sie schon durchgeführt -, die in etwa 35 Ländern gezeigt werden. Ferner beteiligt sich die Bundesrepublik an den internationalen Biennalen in Venedig und in Salzburg sowie an der Ausstellung des Europarats in Paris. Wir haben vor, vier Gegenausstellungen aus den Entwicklungsländern in der Bundesrepublik zu zeigen. Vor allem sind wir bemüht, auf dem Gebiet des Funks, des Films und des Fernsehens eine stärkere Aktivität zu entfalten. Heute schon gehen in etwa 40 Länder Bänder hinaus mit deutschen Rundfunksendungen, insbesondere mit Musik und Vorträgen. Die Nachfrage auf diesem Gebiet ist sehr stark und kaum zu befriedigen. Ich ließ mir jetzt sagen, daß der Filmbestand unserer Auslandsvertretungen schon etwa 200 Titel in etwa 10 000 Schmalkopien umfaßt. Etwa ein Fünftel ,dieser Filme liegt auch in englischer, spanischer oder französischer Synchronisation vor. Weiterhin gehen jeweils 200 Schmalkopien der Monatsschau „Deutschlandspiegel" in deutscher, französischer, englischer und spanischer Fassung an die Auslandsvertretungen. Ein neu hergestellter abendfüllender Film „Begegnung mit Deutschland" ist in etwa 100 Kopien und in 5 Sprachfassungen an die Auslandsvertretungen verteilt worden. Der Bestand an Spielfilmen ist allerdings noch sehr gering. Aber ich glaube, die Gründe kennen Sie auch. Die Produktion an guten Spielfilmen ist in Deutschland beklagenswert gering. Zu der Kulturarbeit gehört natürlich auch die Durchführung des Gästeprogramms, die Einladung von Ausländern in die Bundesrepublik. Wir laden, wie Sie wissen, Einzelgäste und Gruppen ein. Wir laden ein aus den Vereinigten Staaten, laus Frankreich, aus England, aus Finnland, aus der Vereinigten Arabischen Republik, aus Birma, aus Brasilien, aus Afrika, aus der Türkei. Der Deutsche Akademische Austauschdienst, der mit uns Hand in Hand arbeitet, erwartet im Jahre 1960 97 Gruppen mit insgesamt etwa 2650 Teilnehmern aus 23 Ländern. Ein besonderes Kapitel, über das ich mich allerdings hier nicht im einzelnen auslassen möchte, bilden die deutschen Auslandsschulen. Die Hälfte des gesamten Kulturetats wird zur Zeit für den Wiederaufbau des deutschen Auslandsschulwesens verwendet. Hier stellen sich Fragen. die wir einmal grundsätzlich diskutieren sollten. Die meisten dieser Schulen sind zunächst als Privatschulen deutscher Auswanderer in den letzten 100-120 Jahren entstanden. Sie haben dann etwa von 1900 ab Zuschüsse von Deutschland ,gefordert. Diese Zuschüsse sind jetzt nach dem zweiten Weltkrieg so hoch geworden, ,daß sie den Hauptanteil der Gesamtausgaben für die deutschen Auslandsschulen überhaupt ausmachen. Auf der anderen Seite haben sich in den letzten Jahren manche Dinge v ei ändert, vor allem in Südamerika, wo der Schwerpunkt dieser Schulen lag. Denn .die Staaten Südamerikas haben, nachdem sie ein stärkeres Nationalbewußtsein entfaltet haben, auch gewisse Änderungen vorgenommen. Es ist dort nicht mehr möglich, die eigentlichen deutschen Schulen aufrechtzuerhalten, Schulen also mit deutscher Unterrichtssprache und mit deutschen Lehrplänen. Wir haben auch nicht die Absicht, dort eine falsche Volkstumspflege zu entwickeln. Aber die Auslandsschulen in diesen Ländern haben damit einen anderen Charakter angenommen. Sie sind heute eigentlich ein Teil des Schulwesens des Gastlandes. Wir sollten uns fragen, ob wir auf unbestimmte Zeit hinaus diese Last tragen wollen, ob wir nicht die erheblichen Mittel, die dort laufend investiert werden müssen, besser in anderen Bereichen verwenden. Das heißt nicht, daß ich dafür plädiere, etwa alle Schulen in absehbarer Zeit zu schließen oder die Zahlung der Zuschüsse einzustellen. Aber wir müssen vielleicht eine Auswahl vornehmen und prüfen, wo es noch wirklich sinnvoll ist, Schulen zu unterhalten. Die übrigen Schulen sollten wir den zuständigen Ländern ganz in die Hand geben. -Das ist eine Frage, die ich nur stelle, die ich nicht beantworten möchte. Aber ich bin mir darüber klar, daß sie eine Antwort verlangt. Denn die Last, die wir mit diesen Schulen tragen, wird - ich wiederhole es - von Jahr zu Jahr größer. Ich glaube, daß der kulturelle Effekt nicht ganz im richtigen Verhältnis zu der Leistung steht, die wir erbringen. Das ist aber ein Problem, das sich bei unserer Kulturarbeit überhaupt stellt. Die Planung der Kulturarbeit muß immer langfristig geschehen, und die Wirkung der Kulturarbeit kann immer erst nach gewissen Zeiträumen übersehen werden. Ich denke zum Beispiel an die Verbreitung der deutschen Sprache durch eine deutsche Schule. Die Wirkung zeigt sich erst, wenn die ersten Schüler diese Schule verlassen haben und beruflich tätig geworden sind, also nach 20 oder 30 Jahren. Deswegen lege ich auch so großen Wert darauf, daß wir in der Kulturabteilung langfristig planen. Gerade Herr Ministerialdirektor Sattler hat in wiederholten Aussprachen mit Recht darauf hingewiesen, daß es für seine Arbeit unerläßlich ist, langfristig zu planen, daß er also in der Lage sein muß, soweit es das überhaupt gibt, auch in die Zukunft zu planen, daß er wissen muß, was ihm auch in den kommenden Jahren etwa zur Verfügung steht. Nur ein kleiner Teil der Aufgaben des kulturellen Bereichs, soweit er die Auslandsarbeit betrifft, gestattet eine Planung von heute auf morgen. Ein Gastspiel laßt sich noch innerhalb kurzer Zeit durchführen. Aber schon die Planung einer Ausstellung verlangt Wochen, Monate und manchmal Jahre. Die Errichtung einer Schule oder die Errichtung eines deutschen Kulturinstiuts verlangt mindestens den gleichen Zeitraum für die Planung. Deswegen - ich wiederhole es - scheint mir eine langfristige Planung unerläßlich zu sein. Natürlich muß diese Planung auch eine gewisse Beweglichkeit offenlassen. Ich kann in diesem Bereich niemals heute eine Planung aufstellen, an die ich morgen unbedingt gebunden bin. Wir müssen auch der Entwicklung genügend Rechnung tragen. Wir müssen in der Lage sein, das, was wir gestern für richtig gehalten haben, heute neu zu gestalten. Das sind Fragen, auf die ich hier im einzelnen nicht eingehen will. Ich kann nur wiederholen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung diese besonderen Aufgaben sehr ernst nimmt und daß insbesondere das Auswärtige Amt und das kann ich auch von mir persönlich sagen - sich völlig darüber im klaren ist, daß hier ein ganz besonders wichtiges Gebiet von uns zu bearbeiten ist. Diese Arbeit ist wirklich für das Zusammenleben der Völker, für das Verständnis anderer Völker für Deutschland, aber auch für das Verständnis Deutschlands für andere Länder von außerordentlicher Bedeutung. Ich sagte schon, wir sind sehr glücklich, daß die Mittel im laufenden Haushaltsjahr um über 50 % erhöht worden sind. Wir versuchen - um auch das zu sagen - natürlich auch, uns in technischer Beziehung zu entlasten, damit diese Mittel sinngemäß und zweckmäßig verwendet werden. Wir können nicht alles allein vom Auswärtigen Amt aus bearbeiten. Deswegen haben wir eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, mit dem Goethe-Institut in München, mit dem Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart, mit der Carl-DuisbergGesellschaft, mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, mit dem Pädagogischen Austauschdienst und mit anderen Institutionen. Diese Arbeitsteilung hat sich bewährt. Auch ich habe mir schon Gedanken darüber gemacht, ob man etwa dem Beispiel Großbritanniens folgen und so etwas gründen sollte wie das, was man dort „British Council" nennt. Ich glaube nicht, daß bei uns die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Ich halte es für besser, daß wir weiterhin so verfahren, wie wir es jetzt tun, daß wir uns also auch in Zukunft dieser Institute bedienen. Ich will, soweit es geht, Einzelaufgaben vom Auswärtigen Amt abgeben. Dafür ein Beispiel! Sie haben sich mit Recht darüber beschwert, daß Schwierigkeiten bei der Besoldung von Auslandslehrern entstanden sind. Damit haben wir viel Ärger gehabt, ich weiß es. Wir haben uns neulich darüber unterhalten und uns entschlossen, die ganze Besoldung der Auslandslehrer an das Bundesverwaltungsamt in Köln abzugeben. Wir sind der Meinung, dort sind die richtigen Leute, die das machen können. Bei uns ist das in der Kulturabteilung immer nur so als Annex geführt worden. Es bedeutet für Leute, die sonst mit diesen Dingen nichts zu tun haben, eine ungeheure Zumutung, sich da einzuarbeiten. Dabei entstehen höchst unerwünschte Verstimmungen. Auch ich habe Briefe von Lehrern bekommen und kann sagen, ich habe durchaus begriffen, daß die Leute böse waren, wenn das eine oder andere nicht klappte, wenn die Abrechnungen nicht kamen oder das Geld zu spät überwiesen wurde. Wie gesagt, wir versuchen da- durch, daß wir diese Aufgaben nach Möglichkeit abgeben, auch hier das Amt entsprechend zu entlasten. Meine Damen und Herren, abschließend kann ich nur sagen, ich bin weit davon entfernt, hier zu behaupten, alles, was im Bereich der ausländischen Kulturarbeit geschehe, sei vorbildlich. Aber ich glaube wohl sagen zu dürfen, daß wir uns in den vergangenen Jahren bemüht haben, immer weiter aufzubauen. Ich bin sehr glücklich - ich sage das hier ohne jede Einschränkung -, daß ich in der Person des neuen Leiters der Kulturabteilung, in Herrn Ministerialdirektor Sattler, einen ausgezeichneten Mitarbeiter gewonnen habe. Ich habe den Eindruck, daß er mit großer Energie und großem Verständnis an diese schwierige Aufgabe herangeht. Unsere Zusammenarbeit ist ausgezeichnet. ({1}) Ich glaube, er wird sich auch in der Zusammenarbeit mit dem Bundestag jederzeit so bewähren, daß Sie, wenn die Mittel bewilligt werden sollen, gebefreudiger werden als seither. ({2})

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Meine Damen und Herren, Sie haben die Beantwortung der Großen Anfrage gehört. Ich muß zunächst einmal feststellen, ob eine Aussprache gewünscht und ausreichend unterstützt wird. Ich darf dazu um Ihr Handzeichen bitten. Ich muß mindestens 30 Hände sehen. -Das dürften 30 sein. Wir treten in die Aussprache ein. Dazu hat sich zunächst Herr Dr. Martin gemeldet.

Dr. Berthold Martin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001426, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den Reden, die wir heute gehört haben, den beiden Reden von Herrn Kühn und der des Herrn Außenministers, sind so ungefähr alle Punkte angeschnitten worden, die es in der auswärtigen Kulturpolitik zu bedenken gibt. Trotzdem scheint mir, daß wir noch nicht dahin gelangt sind, wohin wir meiner Meinung nach mit dieser Aussprache kommen sollten. Herr Kühn hat gesagt, daß über Kulturpolitik im Ausland seit langem nicht mehr gesprochen worden ist. Es wäre also heute, wie er gesagt hat, unsere Aufgabe, einmal einiges zu den Grundlinien und zu den Grundsätzen unserer kulturellen Beziehungen zum Ausland zu sagen. Das ist bis jetzt noch nicht genügend geschehen. Herr Kühn, im Grunde genommen hat die letzte Aussprache über auswärtige Kulturbeziehungen im Deutschland im Jahre 1928 stattgefunden, und zwar anläßlich einer Rede, die Stresemann damals im Reichstag gehalten hat. Ich habe diese Rede soeben noch einmal durchgelesen und muß sagen, daß es anscheinend weder unter dem Mond noch im Bundestag immer Neues gibt; denn die Fragen, die Sie hier angeschnitten haben, Herr Kühn, und die den Herrn Außenminister beschäftigten, sind in dieser Rede in einer eigentümlichen und, wie ich glaube, tiefgreifenden Weise behandelt worden. Ich darf Ihnen mit der gütigen Erlaubnis des Herrn Präsidenten einiges aus dieser Rede zitieren. Es heißt darin: Ich möchte aber in bezug auf eine Frage für die zukünftige Gestaltung des Etats eine Forderung anmelden. Es ist oft behauptet worden, daß im Auswärtigen Amt die Abteilung VI, die Kulturabteilung, als der Train angesehen wurde, zu dem hochgeborene Herren ungern hingingen. Wenn ich irgend jemand im Auswärtigen Amt kennte, der diese Auffassung verträte, dann würde ich der Meinung sein, daß er damit zum Ausdruck bringt, daß er sich selbst für das Auswärtige Amt nicht eignet. Herr Kühn, Sie haben das bei weitem nicht so gut gesagt wie Herr Stresemann. ({0}) Er fuhr fort: Denn wenn in irgendeiner Zeit, so haben diese kulturellen Fragen für Deutschland - nicht nur in kultureller Beziehung, sondern auch in außenpolitischer Beziehung - jetzt eine ganz ungemein große Bedeutung. Die heutige Debatte hätte einen Sinn, wenn der seit dem Jahre 1928 unternommene Versuch endlich gelänge, der Kulturpolitik im Ausland den ihr zustehenden Rang zu geben. Dann würde die heutige Debatte eirien positiven Zweck erfüllen. Ich meine, wir sollten das versuchen. Herr Kühn, es hat keinen Sinn, wenn Sie, dem seelischen Mechanismus eines Mannes, der zur Opposition gehört, folgend, sagen, die Fehler lägen bei der Regierung. Das ist in dieser Sache nicht wahr. Herr Kühn, es geht um die Tatsache, daß weite und weiteste Kreise für dieses Thema innerlich einfach nicht zu engagieren sind. Die Regierung kann tun und lassen, was sie will, sie kann den schönsten Apparat aufbauen, sie kann ihn perfektionieren, wie sie will, - wenn nicht vom Studenten bis hinab zu der Wirtin, die das Zimmer vermietet, und quer durch unser ganzes Volk die nötige Bereitschaft da ist, werden diese Bemühungen umsonst sein. Wir können uns natürlich sehr viel vorhalten. Ganz bestimmt ist in den Instituten dieses und jenes geschehen, und man kann leicht sagen, in dem anderen ist etwas anders geschehen. Aber das ist im Grunde genommen ein Verfahren, das uns in der Betrachtung der Dinge nicht weiterbringt, sondern eher aufhält. Wir haben von der CDU im Januar 1959 eine Anfrage an die Regierung gerichtet, die inhaltlich dasselbe besagt wie das, was die Große Anfrage der SPD jetzt wiederholt, die hier zur Aussprache geführt hat. Wir haben damals gefragt: Welche Beiträge hat die Bundesregierung bisher zur Förderung der kulturellen Beziehungen leisten können? Welche Unterstützung findet die Bundesregierung bei diesen Bemühungen durch die Länderregierungen? Von welchen Grundsätzen läßt sich die Regierung bei der Pflege ihrer kulturellen Beziehungen zum Ausland leiten? Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung bei der Pflege der kulturellen Beziehungen zum Ausland gemacht? Das ist im Grunde genommen dieselbe Fragestellung, die Sie heute vorgetragen haben. Wir haben uns ein Bild über die tatsächlichen Leistungen verschafft. Der Herr Minister hat das heute in extenso vorgetragen. Wir haben aber auch nach der Organisation und nach der Konzeption einer Kulturpolitik im Ausland gefragt. Wir haben dazu die Arbeit der Franzosen, der Engländer, der Amerikaner und der Russen analysiert, uns die Zahlen vergegenwärtigt und uns gefragt, was wir selber tun können. Nach meiner Meinung kommt es für den Bundestag und die Regierung darauf an, in diesem Jahr die Phase des Aufbaus abzuschließen und sich zunächst einmal in der Organisationsform festzulegen. Ich teile nicht die Meinung, daß man damit noch warten könne, denn hier haben wir es mit einem Gegenstand zu tun - ich werde das nachher noch ausführen -, der keine Verzögerung mehr verträgt. Wir sollten diese Diskussion heute und hier abschließen. Zweitens sollten wir eine Konzeption entwickeln, die, wie Bruno Werner gesagt hat, aus der Phase des Dilettantismus herausführt und unsere kulturellen Beziehungen auf langfristige Planungen zu stellen vermag. Und schließlich kommt man auch in der Kultur und gerade in ihr nicht ohne Geld aus. Wir haben uns also darüber zu äußern, was wir auf diesem Gebiet zu tun bereit sind. Unsere Kleine Anfrage spricht mit Bedacht und bezeichnenderweise nicht von Kulturpolitik, nicht von Kulturdiplomatie, nicht von Kulturpropaganda, auch nicht von Kulturarbeit, sondern von ,,Kulturbeziehungen zum Ausland". In der Wahl des Wortes haben wir bereits eine Antwort auf eine Frage gegeben, die Herr Kühn heute in diesem Hause gestellt hat, die Frage nämlich, wie sich denn kulturelle Beziehungen zum Ausland zur Außenpolitik überhaupt verhalten. Ich würde sagen, sie sind ein Teil der auswärtigen Beziehungen, und deswegen haben wir das Wort gewählt. Sie stehen im Rahmen der Außenpolitik, nicht losgelöst von ihr, aber doch so, daß den besonderen Bedingungen und Voraussetzungen der Kulturpolitik Rechnung getragen werden kann. In allen führenden Staaten ist heute bei der Kulturpolitik im Ausland in bezug auf Organisation und Finanzen das Außenministerium führend. Das ist der Fall auch bei den Lösungen, die uns als freiheitliche angeboten werden, etwa beim British Council, bei der Alliance Française. Diese Organisationen operieren keineswegs im leeren Raum; nein, sie haben eine durch Tradition und Konvention gesicherte Beziehung zur Außenpolitik und stellen nicht etwa den Prototyp einer völlig freien Organisation dar. Auf der einen Seite ist es so, daß das Auswärtige Amt die Führung der Außenpolitik übernehmen muß, weil es sich um eine große politische Verantwortung handelt. Es stimmt, daß sich Bundestag und Auswärtiger Ausschuß die Dinge nicht aus der Hand nehmen lassen können. Auf der anderen Seite ist es aber doch auch völlig richtig, daß Kulturpolitik - die Wortzusammenstellung, meine Damen und Herren, weist schon darauf hin - unter anderen Bedingungen steht, und zwar unter solchen, die es notwendig machen, daß der freie Bereich herangezogen wird. Der Staat kann weder im Inland noch im Ausland von sich aus Kulturpolitik machen. Er ist dabei darauf angewiesen, das, was schöpferische, geistig tätige Menschen spontan schaffen, zu übernehmen. Er ist also auf die Mitwirkung von Theatern, Orchestern, Museen, Universitäten, Vereinen, Organisationen und dergleichen mehr angewiesen. Solche Organisation der Kultur kann man nicht einfach in die Hände nehmen, ohne sie zu schädigen. Man braucht ihre Hilfe und ihre Mitwirkung. Ich bin sehr wohl der Meinung, daß bei einer Ordnung der Kulturpolitik im Ausland darauf Rücksicht zu nehmen ist. Ich werde gleich noch sagen, wie. Das Problem kompliziert sich in Deutschland ganz außerordentlich, weil dem Bund, dem eine klare Kompetenz für auswärtige Kulturpolitik gegeben ist, selbst keine Kompetenz im Inland für den Bereich der Kultur gegeben ist. Hierfür sind die Länder zuständig. Überlegt man sich das Ganze, so sieht man, daß die auswärtige Kulturpolitik in ihrer Wirksamkeit von dem ungemein komplizierten Organismus der deutschen Kultur abhängig ist. ({1}) Herr Dr. Sattler hat es zu tun mit den elf Landesministern, mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister, mit der Rektorenkonferenz, mit neun sehr einflußreichen Organisationen, die aus dem Haushalt finanziert werden. Die Zahl der Organisationen, die gebraucht werden, beträgt etwa 100. Es ist klar, daß in dieser Situation das Bedürfnis aufgetreten ist, einmal mit einer ordnenden Hand in dieses Gestrüpp der Zuständigkeiten hineinzugehen. Seit 1957 gibt es in Deutschland eine Diskussion darüber, wie man die Kulturpolitik im Ausland wirkungsvoller gestalten könne durch organisatorische Straffung, wie man ein System entwickeln könne, in dem die Grundverantwortung von Regierung und Parlament für die Grundsätze, für die Richtlinien gewahrt ist, bei der aber gleichzeitig der freie Sektor des kulturellen Schaffens in angemessener Weise zur Geltung kommen kann. Einer unserer Kulturattachés hat die Bildung einer, wie er sich ausdrückt, mächtigen Organisation, mit großen finanziellen Mitteln ausgestattet und frei von allen ministeriellen Bezügen, nach dem Vorbild des „British Council" vorgeschlagen. Er meint, nur so sei es möglich, aus dem Gestrüpp der Zuständigkeiten herauszukommen. Er fürchtet sogar, daß sich die deutsche Kulturpolitik im Ausland in Überschneidungen, in Zuständigkeiten, Kompetenzen und dergleichen Dingen totlaufen könne. Die Diskussion ist dadurch abgekürzt worden, daß die Kultusministerkonferenz in ihrer 70. Plenarsitzung am 8. Februar 1959 beschlossen hat, all diese Vorstellungen abzulehnen, auch die Vorstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die ich hier nicht diskutieren will, auch die weitergehenden Vorstellungen von Herrn Professor Richter, einen eigenen Staatssekretär im Bundeskanzleramt zur Straffung der Organisation zu bestellen. Ich würde es für falsch halten, wenn man diesen Gedanken für erledigt erklärte. Verstehe ich es recht, dann ist der Gedanke von Werner, von Richter und von Steltzer weitgreifender. Ihnen geht es darum, die freien schöpferischen Kräfte des kulturellen Lebens zur Geltung zu bringen. Ich glaube, daß das ein legitimes Anliegen ist. Wir haben deshalb in langen Überlegungen versucht, in dieser Situation Klarheit zu schaffen und, wie ich glaube - Herr Kühn deutete es schon an -, jetzt eine Situation geschaffen, die, wie mir scheint, in glücklicher Weise die beiden Prinzipien staatliche Führung und freie Initiative in eine gute Ordnung gebracht hat. Bis zum Jahre 1962 - das ist die Verfügung des Bundesaußenministers - werden alle Kulturzentren im Ausland in die Obhut des Goethe-Instituts überführt sein und damit nicht mehr der staatlichen Reglementierung, sondern der freien Initiative des Goethe-Instituts zur Verfügung stehen. Daß freie Initiative beim Goethe-Institut kein leeres Wort ist, geht daraus hervor, daß sich diese Institution zu 53,4 % aus eigenen Einnahmen finanziert. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß eine Organisation mit diesem Rückhalt ein echter Partner der Abteilung VI des Auswärtigen Amtes zu werden vermag. Es ist dafür gesorgt worden, daß eine Fülle von Verwaltungsarbeit, die die Abteilung VI bisher belastet hat, delegiert wird. Ab 1. Juli werden die Besoldung der Lehrer, die Zahlung von Beihilfen, die Gratialzahlungen und dergleichen an die Bundesverwaltung beim Innenministerium delegiert sein. Dadurch werden - das war eine Ihrer Forderungen - viele Kräfte in dem Amt selbst für größere Aufgaben frei. Der Herr Bundesminister hat in den letzten Tagen den von Ihnen erwähnten Herrn Raffalt durch Asien geschickt, um für jedes einzelne Institut studieren zu lassen, wie man die Dinge am besten macht. Wenn sich das Goethe-Institut so entwickelt und nachdem die großen Organisationen, DAAD, VDS etc., die dem Amt zur Verfügung stehen, sich zu einer Arbeitsgemeinschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland zusammengeschlossen haben, haben wir de facto ein Äquivalent für den British Council, freilich eins, das aus deutschen Erfahrungen und auf deutschem Boden gewachsen ist und dem gegenwärtigen Zustand unserer Arbeit entspricht. Meine Damen und Herren, wenn wir heute eine Ideal- und Endlösung suchten, so würden wir in Zu6888 Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode Dr. Martin ständigkeitsdiskussionen hineingeraten, die eine ernsthafte Gefährdung der auswärtigen Kulturpolitik bedeuten würden. Ich glaube, die Frage des Personals in der Kulturarbeit muß hier besonders betont werden. Sie haben sie schon angesprochen, vielleicht mit etwas anderen Akzenten. Vor zwei Jahren hat Herr Dr. Thiele eine Studie über die Ausbildung der Kulturattachés vorgelegt, und ich muß sagen, daß sie in vielem die Situation genau beschreibt. Wenn wir der Auffassung sind, daß Kulturpolitik im Ausland heute eine ganz wesentliche Aufgabe ist, dann müssen wir ganz konkrete Schritte unternehmen. Die Wertung der Kulturpolitik im Ausland und die Wertung der Mitarbeiter im Amt und in den Botschaften hängt einfach von ihrer Laufbahn, von ihrer Vorbildung und von ihren Aufstiegschancen ab. Es hat gar keinen Zweck -gerade in der Kulturpolitik sollte man das nicht tun -, Leute mit Idealen hochzuzurren und sie im übrigen, was das Materielle angeht, unten zu lassen. Es ist klar, daß ein Kulturattaché eine ganz andere Ausbildung braucht als ein durchschnittlicher Diplomat. Es ist heute üblich, daß Diplomaten Englisch und Französisch sprechen. Sie haben den „Häßlichen Amerikaner" erwähnt, Herr Kühn, aus dem man ja unter anderem lernen kann, daß die ganze Diplomatie auf der Erde Englisch und Französisch spricht. Die Amerikaner haben angegeben, daß es bei ihnen nur drei Botschafter gibt, die eine Landessprache sprechen. Es ist ganz unmöglich, heute Kulturpolitik zu treiben, wenn man nicht die Sprache des Landes kennt. Es ist ganz unglaubwürdig, wenn man sagt, man macht Kulturpolitik auf der Stufe des Austausches und in Partnerschaft, und nicht gleichzeitig bereit ist, das zu lernen, worin die Kultur ihr Gehäuse hat, nämlich die Sprache. Es ist völlig unsinnig, etwas anderes anstreben zu wollen. ({2}) Man kann aus Gründen der Sprache einen Kulturattaché nicht vom Osten nach dem Westen und vom Norden nach dem Süden schicken. Es ist niemandem zuzumuten, z. B. Burmesisch zu lernen und dann in Washington zu landen, wo er höchstens Seltenheitswert hat. Das heißt ganz schlicht, daß ein Kulturattaché sich persönlich für eine Lebensaufgabe entscheiden muß und daß er beispielsweise im asiatischen oder im afrikanischen Raum bleibt. Anders ist es nicht möglich, die Kultur eines solchen Raumes in sich aufzunehmen und die Sprache zu beherrschen. Das begrenzt freilich die Möglichkeit der Versetzbarkeit der Kulturattachés; aber das würde ich in Kauf nehmen. Der andere Einwand, Herr Außenminister, daß Diplomaten rundum gebildet sein müssen, macht in diesem Zusammenhang keinen tiefen Eindruck. Ein solcher Attaché muß natürlich etwas von Völkerrecht, vom Protokoll etc. wissen. Ich bin in dieser Beziehung etwas konservativer als Herr Kühn, weil ich glaube, daß man durchaus formvollendet essen kann, ohne Reaktionär zu sein, - ({3}) - Das habe ich nie behauptet, Herr Kalbitzer; das war ein Ausrutscher. Was hier gesagt worden ist, war jedoch kein Einwand. Das ist in der ganzen Welt so. Man hat sich hier mit dem zu trösten, was Burckhardt gesagt hat: In der Wissenschaft muß man sich spezialisieren; man muß an einer Stelle Spezialist sein, und man soll an möglichst vielen Stellen, damit man die Ubersicht nicht verliert, ein guter Dilettant sein. Ich bin fest überzeugt, daß der Erfolg der Kulturarbeit in hohem Maße davon abhängig ist, ob wir bereit. fähig und willens sind, eine solche Sonderausbildung der Kulturattachés in dem eben umrissenen Sinne zu riskieren. Ob das über Universitäten, Institute oder das Auswärtige Amt selber geht, ist eine Frage, die dahingestellt bleiben mag. Ganz am Rande will ich sagen - um das aufzunehmen, was Herr Kühn hier ausgeführt hat und womit ich einverstanden bin -: es geht hier darum, die gesamte Einstellung zu dieser Frage zu ändern. Das betrifft primär das diplomatische Corps. Es ist keine kulturelle Betätigung, wenn ein Botschafter Möbel oder seltene Teppiche sammelt. Es kommt darauf an, daß das Bewußtsein, daß 50 % seiner Aufgaben kulturpolitischer Natur sind, einen Botschafter nicht verläßt. Ich würde meinen, daß wir uns sehr energisch darum zu kümmern haben, daß wir in dieser Frage von der Exekutive nicht im Stich gelassen werden. Damit möchte ich den ersten Teil beenden und zusammenfassend sagen: was an Organisation empirisch entwickelt worden ist, scheint mir eine l gute und wirksame Form zu sein. Es hat keinen Sinn, in dieser Sache mit Idealvorstellungen zu operieren. Das gilt auch für die zweite Frage, welche Konzeption bei unseren kulturellen Beziehungen gültig sein soll. Die Abteilung 6 des Auswärtigen Amtes hat unter ihren verschiedenen Direktoren - unter demselben Minister - sehr klug gehandelt, als sie mit Rücksicht auf die geistige Situation Deutschlands nach 1945 und die politische Situation in Europa und in der Welt zunächst einmal abgewartet hat, was geschah. Angesichts der ungeheuren Hypotheken, die auf unserem Lande lasteten, war das richtig. Die Überraschung dieser Zeit war, daß ein Bedürfnis nach deutscher Kultur in einem Ausmaß vorhanden war, wie wir es uns nicht haben vorstellen können. Hier ist ein Vergleich mit der Weimarer Republik ganz interessant. Stresemann sagte in der soeben schon einmal zitierten Rede: Ich warne Sie vor einem anderen. Vielleicht geht 'das über meinen Ressortstandpunkt hinaus. Ich sehe mit Schrecken, wie die Zahl der ausländischen Studenten in Deutschland gegen über ,der früheren Zeit zurückgegangen ist. Die Weimarer Republik, meine Damen und Herren, hatte damit zu kämpfen, überhaupt Studenten nach Deutschland zu bekommen, während wir heute - welcher Wandel der Zeiten! - von der immer noch steigenden Zahl von Studenten fast erdrückt werden. So ist es auch auf all den anderen Gebieten gegangen. Die Gestalt der gegenwärtigen Kulturarbeit ist im Grunde genommen die Frucht dieser zehn Jahre, in denen es gelang, primär zunächst mit den Mitteln 'der Politik, 'dann mit denen der Wirtschaft, dann mit denen der Information und schließlich mit denen der Kultur Vertrauen in der Welt zurückzugewinnen. Es ist doch erstaunlich, daß ein völlig zerschlagenes Land nach so kurzer Zeit - seit 1952 besteht diese Abteilung wieder 400 Schulen in Gang gebracht hat und alles das erreicht hat, was Sie heute von dem Herrn Minister gehört haben. Aber ich will mich damit nicht um die kritischen Fragen herumdrücken, die Herr Kühn hier vorgelegt hat. Er verlangt Trennung von Propaganda und Kulturpolitik, eine sorgsame Handhabung der Kulturpolitik innerhalb ;der Außenpolitik und plädiert, wenn ich ihn recht verstanden habe - ich bitte, mich zu korrigieren -, für eine gewisse Autonomie der Kulturpolitik, die Sie, Herr Kollege, wohl aus dem Begriff der Kultur selbst ableiten. Ich möchte hier vor einem warnen, nämlich davor, daß wir auch in dieser Frage allzu theoretisch sind. Die Dinge stehen so, daß die Bundesrepublik Deutschland, Europa und der Westen in der Kulturpolitik überhaupt keine Wahl haben, sondern auf dem internationalen Felde gestellt sind und gefragt sind, ob sie mit ihrer Kultur überleben wollen oder ob sie dem Ansturm einer ganz anderen Zivilisation nachgeben wollen. Das ist die Frage. Wir stehen vor einem ungeheuren Anprall sowjetischer Kulturpolitik und sowjetischer Kulturpropaganda. Die große Frage, die gestern hier besprochen worden ist und die ich nur anzurühren brauche, ist, ob in diesem weltweiten Ringen die Afrikaner und Asiaten den Weg finden nicht in eine kapitalistische Welt, sondern zu einer Entwicklung ihrer eigenen afrikanischen oder asiatischen Persönlichkeit, die soweit auf unsere Grundkonzeption von Kultur zurückgreift, daß ein Zusammenleben, eine Partnerschaft mit diesen Erdteilen möglich ist. Es ist so, wie wenn ein Weltgespräch stattfände. Wer sich ausschließt, ist nicht da. Überall gibt es dieselben Fragen, die durch die Technik hervorgerufen worden sind, Fragen, die durch die Massennot in Afrika und Asien hervorgerufen worden sind, Fragen der inneren Auseinandersetzung mit einer technisierten Welt, überall in Ost und West dieselben Fragen, aber in charakteristisch verschiedener Weise die kulturelle Antwort auf diese Frage. Darauf kommt es an, und das möchte ich Ihnen jetzt sagen, Herr Kühn. Ich will versuchen, das zu formulieren. Der Bolschewismus handelt in seienr gesamten Politik uniform, ob er Wirtschaft treibt, militärisch agiert, kulturpolitisch handelt, sozial vorgeht, immer handelt er nach der anthropologischen Voraussetzung, daß der Mensch das Ergebnis der Produktionsverhältnisse ,und der gesellschaftlichen Situation sei und einen eigenen Daseinswert gar nicht habe, während der Westen den Kern des christlich-antiken Erbes festgehalten hat, nach dein die Personalität des Menschen ein eigener und sinnstiftender Vollzug ist. Ob wir Wirtschaftspolitik treiben oder etwas anderes tun, immer liegt das zugrunde, immer handelt ,es isich darum, daß im Osten zentralistisch, planwirtschaftlich, im Westen personalistisch, dezentral, marktwirtschaftlich gehandelt wird. Insofern gibt es ganz in der Tiefe der Politik keine unterschiedliche Begründung mehr. Alle diese Weisen politischen Handelns werden durch ,den kulturellen Willen zusammengefaßt. Ich bejahe hundertprozentig, was Bruno Werner gesagt hat: Es geht in der kulturpolitischen Arbeit um die Erhaltung, uni die Bewahrung, um die Verteidigung der eigenen Kultur angesichts der aufsteigenden Völker Asiens und Afrikas und angesichts des Bolschewismus. Meine Damen und Herren, das muß man im Auge haben, wenn man die Auseinandersetzung beschreiben will, um die es hier geht. Nun muß ich Herrn Kühn etwas Schmerzliches antun. Er hat bei seinen Ausführungen über eine Konzeption der Kulturpolitik - er hat sehr viele Bemerkungen dazu gemacht - gesagt, es komme darauf an, die Kulturpolitik zu demokratisieren. Nun, Herr Kühn, da sind Sie einige Pferdelängen hinter mir zurück, und zwar aus folgendem Grund. Auf der großen Tagung in Bergneustadt, auf der sich die Sozialdemokratische Partei über eine kulturpolitische Konzeption klarzuwerden versuchte, hat .gerade Carlo Schmid eine Ansicht von Kultur vorgetragen, die dem, was Sie wollen, nicht entspricht. Er sagte, er wolle unter Kultur nicht mehr verstehen als die Dinge, die dem Menschen eine Bereicherung seines Wesens zubringen, die ihm nicht durch das, was er schon hat, sowieso zuwachsen. Damit ist nicht gesehen, ,daß Arbeit ein Medium der Bildung ist. Das zu sagen, meine Damen und Herren, ist Ihnen dort nicht gelungen, Ich möchte Ihnen folgendes sagen: gerade bei der Arbeit in den unterentwickelten Ländern - da gebe ich Ihnen recht - kommen wir mit Mozart und Schiller allein nicht durch, sondern dort kommt es darauf an, zu zeigen, das die anthropologischen Voraussetzungen, die hinter unserer Kulturpolitik und unserer Politik stehen, es den Afrikanern und Asiaten sehr wohl möglich machen, ein sozialökonomisches Modell zu finden, das es ihnen erlaubt, in Freiheit und ohne den Terror des Bolschewismus ihre spezifischen Probleme zu lösen. Wilfried Böll hat den Ausführungen von Carlo Schmid widersprochen - wie Sie sicherlich gelesen haben werden - und hat selbst, sozialkritisch nach allen Seiten operierend, viel Gescheites gesagt. Aber zu einer Konzeption verdichtet sich das nicht. Ich will das hier nicht ausführen. Wenn wir, meine Damen ,und Herren, von der Konzeption einer Kulturpolitik reden, dann meinen wir selbstverständlich, daß es darauf ankommt, für jeden Kontinent, für jedes Land ein eigenes Modell, eine eigene Konzeption der Kulturpolitik darzubieten. Nun möchte ich noch eine Kritik von Ihnen aufnehmen. Sie haben gesagt, es sei über Bismarck geredet worden. Schön und gut, Herr Kühn. Ich möchte Sie auf eine Schwierigkeit aufmerksam machen. In der ganzen Diskussion werden uns immer die Engländer und Franzosen als die Leute vorgeführt, die in großartiger Weise Kulturpolitik machen. Für den einen von den beiden stimmt das auch. Diese Kulturpolitik hat aber zur Voraussetzung, daß ,diese Länder eine ungebrochene Tradition haben und über ein unbestrittenes Geschichtsbild verfügen. Da nun seit 1945 die Revision des Geschichtsbildes als ein dringendes Anliegen in Deutschland bezeichnet worden ist, Herr Kühn, dürfen Sie doch um alles in der Welt nicht kritisieren, wenn wir vom Boden der Bundesrepublik aus - die auf dem Prinzip der Freiheit steht - auch im Ausland unsere Betrachtungen über Bismarck anstellen. Sie wissen so gut wie ich, daß uns die Geschichtsschreibung über Bismarck meistens Negatives im Ausland eingetragen hat, und wir haben sehr wohl ein Interesse daran, in angemessener Weise über Bismarck zu reden. Meine Damen und Herren, ich will das jetzt nicht ausführen, will aber in Ergänzung dessen, was der Herr Außenminister gesagt hat, noch einige Betrachtungen zum Haushaltsplan unter dem Gesichtspunkt eines internationalen Vergleichs anstellen. In der Literatur geistert die Behauptung, daß die Franzosen 115 Millionen für Kulturpolitik im Ausland ausgäben. Diese Zahl ist falsch. Wir haben in London und in Paris die genauen Zahlen erhoben und mit unserem Haushaltsplan verglichen. Es wird Sie interessieren, zu erfahren, was wir dabei festgestellt haben. Es ergab sich, daß gegenwärtig die Bundesrepublik 94,2 Millionen, England 76,8 Millionen und Frankreich 72,3 Millionen ausgeben. Rein zahlenmäßig liegt also das, was die Bundesrepublik für diese Zwecke ausgibt, gegenwärtig über dem, was die Engländer und die Franzosen ausgeben. Es ist aber auch interessant, die Pläne näher aufzugliedern. Kulturpersonal, Betriebskosten, kulturelle Einrichtungen kosten uns 49,6 Millionen, die Engländer 53,9 Millionen, die Franzosen 46,6 Millionen. Sehr interessant ist der Vergleich bei den Studenten. Unsere gesamten Aufwendungen für Studenten betragen 13,9 Millionen, die der Engländer 10,1 Millionen, die der Franzosen 5,5 Millionen. Es ist hier schon gesagt worden, daß die Bundesrepublik heute fast das erste Ausbildungsland ist. Auch dazu noch die Zahlen: England hat 15 000 Studenten, Amerika 47 000, die Sowjetunion 40 000 - und die Bundesrepublik 21 000, wobei zu bemerken ist, daß wir relativ und absolut den größten Anteil aus den Entwicklungsländern haben. Das heißt, die kommende Führungsschicht der Entwicklungsländer studiert zu einem großen Teil in der Bundesrepublik Deutschland. Das spricht nicht dafür, daß die deutsche Wissenschaft so im argen liegt, wie immer gesagt worden ist. Aber wir sind auf diese Fragen nicht ausreichend vorbereitet. Ich will die kulturpolitischen Fragen an unseren Universitäten in diesem Zusammenhang nicht erörtern. Ich meine etwas anderes: ich glaube, das Dringendste wäre, die Wissenschaft an den Universitäten so darzubieten, daß sie von vornherein den afrikanischen und asiatischen Studenten erlaubt, Wissenschaft, die an sich für Europa und Deutschland gedacht ist, auf ihre eigenen Länder anzuwenden. Ich glaube, es ist notwendig, daß wir uns an unseren Universitäten intensiver mit der Sozialpsychologie und der Psychologie dieser Länder beschäftigen. Wenn Sie die Literatur durchsehen, stellen Sie fest, daß es heute in Deutschland kaum einen Menschen gibt, der die Psychologie von Asiaten und Afrikanern, die plötzlich mit einer fremden Kultur konfrontiert werden und in ihr leben müssen, wissenschaftlich beherrscht. Ich kenne in ganz Deutschland nur einen einzigen jungen Dozenten, dem ich persönlich von Herzen alles Gute wünsche und den wir mit aller Intensität unterstützen sollten. Meine Damen und Herren! Die wichtigste Frage für die Studenten ist das Wohnen. Es wird jetzt damit angefangen, für sie Studentenwohnheime zu bauen; im Haushaltsplan steht ein Betrag für diesen Zweck. An allen Universitäten gibt es jetzt hauptamtliche Betreuer, die sich damit beschäftigen. Es gibt einen Kreis für Interkontinentale Kontakte. Es gibt den Deutschen Akademischen Austauschdienst. Es gibt sehr erfahrene Leute, die sich mit der ganzen Problematik beschäftigen. Aber das genügt nicht; die Lösung dieser Aufgabe kann nur gelingen, wenn jeder mitspielt. Es klingt pathetisch, ist aber so: hier steht eine nationale Aufgabe vor uns, vor jedermann, vor Lieschen Müller genauso gut wie vor Herrn Professor Schulze, die es zu lösen gilt, und wir müßten, wo immer wir können, eine Bereitschaft dafür auslösen. Es müßte in unserem Lande einen bestimmten Elan der Menschenliebe und der persönlichen Zuwendung geben. Dann wäre auf diesem Gebiet, wie ich glaube, fast alles gewonnen. 20 000 Menschen, die zurückgehen, und nehmen wir an, sie gehen zurück mit einem positiven Ergebnis, mit durchgreifenden Erinnerungen, die sich wieder melden in den Entscheidungen, die sie später als Politiker oder als was immer zu fällen haben - das ist ein Reversoir, das schlechterdings unendlich ist. Ich will noch Stellung nehmen zu der Frage der Schwerpunkte. Ich habe gesagt, die große Zahl der Studenten ist ein natürlicher Schwerpunkt. Den können wir uns nicht auswählen. Wir sollten froh sein, daß wir ihn haben. Danach kommt man auf das schon angeschnittene Problem: Kulturinstitute im Ausland - deutsche Schulen im Ausland. Alle Fachleute in England und in Frankreich und die Menschen mit Erfahrung sind der Überzeugung, daß Sprachwerbung das Wesentliche, das Grundlegende in der Kulturpolitik im Ausland ist. Wir waren nach dem Kriege pessimistisch und hatten kaum noch Hoffnung, daß die deutsche Sprache sich durchsetzen lasse. Wir haben aber erleben dürfen, daß nach dem Kriege in Amerika in den High Schools Deutsch als Pflichtfach eingeführt worden ist. Wir haben die Freude gehabt, zu sehen, wie in Dänemark eine in Vorbereitung befindliche Schulreform, die Deutsch abschaffen wollte, auf Fürsprache des Auswärtigen Amtes verhindert werden konnte. In diesen Tagen kommen dänische Lehrer nach Deutschland. In Kairo wird in vielen Schulen, vor allem auch in den Gewerbeschulen, Deutsch gelehrt. Es gibt in der ganzen Welt ein großes Bedürfnis nach der deutschen Sprache. Deshalb entsteht das Problem, ob wir mit Kulturinstituten oder mit Schulen arbeiten sollen. Meine Damen und Herren, eine ungeheuer schmerzliche Wahl für jeden, der weiß, welche segensreiche Wirkung deutsche Schulen im Ausland haben! Noch vorgestern hat mir ein griechischer Parlamentarier, der liquide deutsch sprach, gesagt, die deutsche Schule in Athen sei doch etwas Großartiges, und wir sollten in verstärktem Maße zurückkommen. Was sind aber 30, was sind 50, was sind 60 Abiturienten gegenüber den Zahlen, die der Herr Außenminister uns vorgetragen hat! Was bedeuten sie gegenüber der Tatsache, daß in dem letzten Jahr 200 000 Exemplare des vom Auswärtigen Amt erstellten oder geförderten Lehrbuchs der Deutschen Sprache verkauft worden sind, und was bedeuten sie gegenüber Zehntausenden, die täglich in unseren Instituten Deutsch lernen! Ich muß Ihnen gestehen: eine ungeheuer schmerzliche Wahl. Aber ich glaube, daß unsere Zeit kurz bemessen ist, daß wir auf Wirkung gehen sollten und das etwas kurzfristiger wirkende Instrument kräftiger handhaben sollten; das heißt, daß wir die Institute ausweiten sollten. Das Dritte, das von kapitaler Bedeutung ist ist das Gästeprogramm. Dazu nur einige Worte. Wer Asien und Afrika kennt und die Menschen dort mit dem feinen seelischen Unterscheidungsvermögen, der weiß, daß die persönliche Ansprache, der persönliche Kontakt, und wenn er nur vier Wochen dauert, entscheidend sein kann für das ganze Leben. Ich würde deshalb sagen, daß wir dem Gästeprogramm eine intensive Beachtung widmen sollten. Ich will damit schließen, nicht ohne eine sogenannte grundsätzliche Bemerkung zu machen, die ich Ludwig Dehio verdanke. Tacitus hat einmal die Zeit nach der Schreckensherrschaft Domitians beschrieben und gesagt, die Besten seien unter der Hand des Tyrannen gefallen, die anderen seien unter langer Unterdrückung geistig müde geworden, und es sei leichter, Geist zu unterdrücken, als Geist wieder zu erwecken. Meine Damen und Herren, alles das, was wir erleben, ist akademisch und theoretisch, wenn dahinter nicht die Überzeugung steht, daß dieses Land und dieses Volk auch heute noch eine produktive Kulturnation ist, daß wir im Geistigen eine Zukunft haben. Das ist die Haltung, die Tacitus bei der Betrachtung dieser Situation eingenommen hat. Er schließt nämlich seinen Bericht mit dem Satz: Nunc demum redit animus - Endlich kommt der Geist doch wieder zurück! ({4})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Mühlen. von Mühlen ({0}) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben nun fast drei Stunden lang eingehend die Frage der deutschen Kulturpolitik im Ausland bis in die Einzelheiten besprochen und versucht, uns über die Probleme klarzuwerden. Ich möchte jetzt noch eine Frage aufgreifen, die mir wesentlich zu sein scheint. Herr Dr. Martin hat sie bereits kurz angeschnitten. Eine deutsche Kulturpolitik im Ausland steht zunächst einmal und vor allem vor den Fragen: Weshalb, wofür und wozu? Ich glaube nicht, daß es heute noch darum geht, dafür zu sorgen, daß in Buenos Aires Beethoven gespielt, in Kairo Brahms gehört oder irgendwoanders Goethe gelesen wird. Es geht auch nicht darum, danach zu trachten, daß sich alle Welt freut, wenn ein deutscher Dichter und Denker daherkommt. Diese Zeiten, da dies ein Hauptanliegen der Kulturpolitik im Ausland gewesen sein mag, sind vorbei. Es ist hier schon angeklungen, daß auch wir in den großen Gegensatz zwischen Ost und West eingeordnet sind, der heute auf allen Fronten, so auch auf dem Gebiet der Kultur und der kulturellen Auseinandersetzung ausgetragen wird und ausgetragen werden muß. Lassen Sie mich einmal zu dieser Frage auf Grund der Erfahrungen eines Mannes sprechen, der mehr als ein Jahrzehnt vor, während und auch nach dem Kriege draußen gelebt und gearbeitet hat, und zwar vorwiegend in den nahöstlichen Gebieten, wo schon vor dem letzten Kriege die Auseinandersetzung zwischen Ost und West begonnen hat und sehr fühlbar gewesen ist. Zunächst haben wir die. Lehre zu ziehen, daß jede kulturpolitische Arbeit im Ausland, ob wir wollen oder nicht, heute als Politikum wirkt. In den zwischen den Fronten stehenden Ländern ist das ganz besonders der Fall. Wir müssen uns zudem noch über ein Weiteres klarwerden, wenn wir die Positionen für die Schwerpunktbildung unserer kulturpolitischen Arbeit im Ausland abstecken wollen: Das, was die östliche Welt als Kulturpolitik proklamiert, ist etwas ganz anderes als das, was wir und die westlichen Völker unter Kulturpolitik im Ausland verstehen und verstanden wissen wollen. Für die Völker im kommunistischen Osten, an erster Stelle die Sowjetunion, spielt der Name „Kultura" eine große Rolle. Er wird gebraucht, plakatiert. Aber dieser Ruf nach „Kultura" ist nur ein Teil der großen, systematisch angelegten Propaganda mit dem Ziel der Verbreitung einer Ideologie und - im Zeichen dieser Ideologie - einer Ausdehnung der Macht der kommunistischen Welt, soweit es irgendwie geht. Das ist ganz klar und deutlich überall zu erkennen. Ich glaube, der Herr Kollege Martin hat nicht ganz recht, wenn er meint, daß dabei der Sowjetblock mit einer unerhörten Geschlossenheit vorgeht. Gerade in der Frage der kulturpolitischen Auslandsarbeit können wir seitens des kommunistischen Ostens eine unerhörte Differenzierung des Vorgehens feststellen, der wir ebenso differenziert begegnen müssen. Die erste Voraussetzung dafür ist, zu erkennen, wie der Gegner arbeitet. Er arbeitet der freien Welt gegenüber mit anderen Methoden als gegenüber den entwicklungsfähigen Nationen. Die sowjetische sogenannte Kulturpropaganda gegenüber den hochkultivierten, hochentwickelten und starken Staaten der westlichen Welt kennen wir alle. Sie ist letzten Endes darauf abgestellt, die bürgerliche Hoffähigkeit der Sowjetunion hervorzukehren, eine Koexistenzfähigkeit aufzuzeigen und damit für gewisse von Mühlen ganz klare politische Zielsetzungen den Boden bei diesen Mächten etwas aufzulockern. Bei den entwicklungsfähigen Ländern - ich habe gerade über diese Frage vor nicht allzu langer Zeit mit einem Mitglied des indischen Parlaments eine sehr interessante und instruktive Unterhaltung gehabt - in Südostasien und auch im mittleren Osten, die ihrerseits teilweise auf sehr alte Kulturen zurückblicken können, ist die sowjetische Kulturpropaganda wieder auf einen anderen Nenner gebracht. Man versucht dort zunächst einmal, das alte Kulturgut nicht anzurühren, ist aber bemüht, mit dem technischen Fortschritt, den auch die Sowjetunion in diesen Ländern einzuführen bemüht ist, gleichzeitig auch die Ideologie mit einzuschleusen. Die Methodik der Einführung von sowjetischen Instrukteuren bei dem Aufbau großer Werke usw. macht dies klar und jedem sichtbar. Bei der dritten Gruppe, den entwicklungsfähigen Völkern, die auf keine kulturelle Tradition zurückblicken können, geht die Sowjetunion und die von ihr gesteuerte kommunistische Kulturpropaganda wieder andere Wege. Auch dafür sind Beispiele gegeben, gleichzeitig mit der hereinkommenden technischen Zivilisation bei diesen noch primitiven Völkern den Eindruck zu vermitteln, daß diese technische Zivilisation praktisch gleichbedeutend ist mit der kommunistischen Ideologie. Vor diesem Phänomen stehen wir heute gerade in den afrikanischen Ländern. Aber wir finden es auch drüben in Südostasien. Es ist gar nicht akademisch, wenn ich Ihnen das heute sage. Diese Dinge muß man sich vergegenwärtigen und muß sie kennen. Dann erst läßt sich zu einer wirksamen Gegenarbeit ansetzen und die eigene kulturpolitische Arbeit, soll sie irgendeinen Sinn haben, entsprechend ausrichten und lassen sich nach Lage der Dinge Schwerpunkte bilden. Unsere Kulturpolitik im Ausland hat also ganz differenzierte Aufgaben zu bewältigen. Gegenüber den westlichen Partnern innerhalb der Westeuropäischen Union und der NATO, also den großen Kulturnationen der freien westlichen Welt, ist es in erster Linie unsere Aufgabe, durch Austausch, durch gegenseitige Beratung und durch gegenseitige Hilfe den Gedanken dafür wachzurufen und zu stärken, daß die westliche Welt gezwungen ist, in einer klaren, einheitlichen Haltung und in entsprechendem Handeln den sowjetischen Vorstoß auch auf diesem Gebiet gemeinsam aufzufangen. Unsere Aufgabe gegenüber der zweiten Kategorie von Staaten, denjenigen also, die selbst auf ein altes Kulturgut zurückblicken und jetzt den Sprung über zwei Jahrhunderte hinweg in die technische Zivilisation von heute machen, ist eine doppelte. Es gilt einerseits, diesen Völkern die materielle Hilfe zu vermitteln, die sie zum Aufbau eines modernen Staates brauchen, andererseits aber daran mitzuarbeiten, daß ihr altes kulturelles Gut and die Grundlagen ihrer Ordnung nicht durch den technischen Fortschritt weggeschwemmt werden; eine Tendenz, die von den Sowjets in ihrer Propaganda geflissentlich gefördert wird, wie in vielen Ländern ganz deutlich sichtbar ist. Ich glaube - und ich habe in dieser Beziehung in vielen Jahren draußen Erfahrungen gesammelt -, wir tun sehr gut daran, die Rolle des Gebenden nicht allzusehr herauszustreichen. Wir sollten vielmehr bereit sein, gerade diesen Völkern gegenüber eine vergleichende Kulturpolitik zu betreiben, sie fühlen zu lassen, daß wir in ihnen Partner sehen, die auf alte Traditionen, auf große Kulturen zurückblicken und die sich in den kulturellen Leistungen absolut mit uns messen können. Die Aufgeschlossenheit, mit uns den Weg in die technisierte Zivilisation von heute zu gehen, wird dann sehr viel größer sein. Lassen Sie mich ein praktisches Beispiel anführen. Ich erinnere mich daran, daß in der Türkei es war noch vor dem Kriege - wichtige Bauten ,ausgeschrieben wurden. Eine ganze Reihe von Nationen bemühte sich um die Aufträge und die Beauftragung ihrer Architekten. Da kam ein deutscher Architekt, der sich verdient gemacht hat - es war der vor einigen Jahren verstorbene Professor Bonatz -, auf den Gedanken, eine Ausstellung aufzuziehen, in ;der er den Türken an Hand paralleler Schaubilder zeigte, was sie ihrerseits in dem vergangenen Jahrhunderten an kulturellen Leistungen hervorgebracht und der Welt geschenkt Infolge dieser kleinen menschlichen, ;anerkennenden Geste waren die Türken sofort besonders aufgeschlossen. Das hat schließlich dazu geführt, daß nicht nur die Aufträge Deutschland zugefallen sind, sondern daß Professor Bonatz Mentor .der Architektenschule in Istanbul geworden und dies über den Krieg und sein Ende hinaus geblieben ist. Er hat dort sehr feinfühlig gearbeitet. Wir ;dürfen nicht mit der Einstellung ankommen: Hoppla, jetzt komm ich! und, ich möchte sagen, so etwas als der Kulturprotz auftreten. Vielmehr sollten wir die Menschen draußen, um die es uns geht, vorsichtig ansprechen. Professor Bonatz wurde damals die Leitung ;der Abteilung Architektur an der Technischen Hochschule angetragen. Er hat dies abgelehnt und blieb nur als Berater der türkischen Kollegen. Der Erfolg war, daß er praktisch federführend den Aufbau des neuen Ankara von 1945 an mitbestimmte und daß die deutsche Architektur heute in der Türkei führend ist. Der türkische Architektennachwuchs gibt sich heute an unseren Technischen Hochschulen, ich möchte fast sagen, die Türe in die Hand. Das sollte nur ein Beispiel dafür sein, in welcher Form man diese Völker, die auf eine alte Kultur zurückblicken können, in der Zivilisation jedoch einige Jahrhunderte zurückgeblieben sind, gerade durch eine gute Kulturpolitik für sich gewinnen kann. Auch den Studenten und Praktikanten aus diesen Ländern, die hier in Deutschland sind, wird man in ähnlicher Weise entgegenkommen müssen. Lassen Sie mich hier gleich eines einschalten, was auch die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts einmal als Anregung aufnehmen sollte. Wir haben eben von den Studenten und Praktikanten aus den entwickDeutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 119. Sitzung. Bona, Donnerstag, den 23. Juni 1960 6893 von Mühlen lungsfähigen Ländern gesprochen, die in Deutschland ihre Ausbildung erfahren und sich hier das nötige Wissen aneignen. Manche von ihnen - das wissen wir - gehen nicht ganz befriedigt nach Hause. Die große Mehrzahl aber nimmt von Deutschland sehr viel mit in die Heimat. Und jetzt kommt der Punkt, wo der Film meist abreißt: viele dieser jungen Menschen kommen in ihre Heimat zurück, werden dort in den Arbeitsprozeß eingereiht und sind jetzt vielfach - hier folge ich dem Bericht meines indischen Freundes, der dies nicht nur aus seinem Lande weiß - der Gefahr ausgesetzt, daß plötzlich irgendwelche Deutschen auf sie zukommen und sie auf Deutschland ansprechen. Sie gehen darauf ein und merken in vielen Fällen gar nicht, daß der Deutsche, der sie anspricht, ein Agent aus der sowjetisch besetzten Zone ist, wo offenbar ein sehr differenziertes System der Registrierung der Ausländer besteht, die in der Bundesrepublik studieren oder eine sonstige berufliche Ausbildung erfahren. Mein Freund sagte mir, es sei erstaunlich, daß, wenn Studenten, Praktikanten oder sonstige Personen aus der Bundesrepublik in die Heimat zurückkehren, mitunter nur 14 Tage oder 3 Wochen vergehen, bis irgendein Funktionär aus der sowjetischen Zone bei ihnen erscheint und versucht, diese jungen Menschen nichtsahnend unter Hinweis auf ihre Ausbildung in Deutschland für die Sowjetzone einzuspannen. lch glaube, hier liegt eine wesentliche Aufgabe für die künftige deutsche Kulturpolitik. Wir sollten uns bemühen, diese jungen Menschen, die wir jetzt in Deutschland gewonnen haben - teilweise durch Stipendien -, zu denen wir die Bindungen und den Kontakt haben, nicht loszulassen, wenn sie die Bundesrepublik wieder verlassen. Wir müssen vielmehr versuchen, die Verbindung mit diesen Menschen zu halten. Es gibt genügend Beispiele von Ländern, die gerade die Menschen, die dort waren, auch später noch an sich zu fesseln und zu binden wissen. Ich nehme nur einmal das Beispiel des englischen Zentrums für kulturellen und politischen Austausch, Wilton Park. Monatlich oder alle zwei Monate erscheint von dort eine kleine Zeitschrift, in der die Teilnehmer der dortigen Seminare laufend über die Fachgebiete unterrichtet werden, über die Menschen, mit denen sie gemeinsam dort waren, usw. In dieser Zeitschrift erscheinen sogar persönliche Nachrichten. In vielen Fällen wird diese Zeitschrift sogar von den ehemaligen Gästen abonniert, so bleibt der Kontakt erhalten. Sie hat sich zu einem lebendigen Kommunikationsmittel zwischen den ehemals in England arbeitenden und studierenden Menschen und dem Gastlande entwikkelt. Hier ist ein Beispiel, das meiner Ansicht nach durchaus wert ist, für die künftige Arbeit eines Kulturattachés berücksichtigt zu werden. Das wird glaube ich, sehr nützlich sein. Ich komme jetzt noch zu der dritten Kategorie, zu den wirklich entwicklungsfähigen Völkern, wie sie in Afrika anzutreffen sind. Wir haben da schon einige Überraschungen erlebt. Es wird für uns hier besonders schwierig sein, mit der Kulturpolitik an die Menschen heranzukommen. Es hat sich gezeigt, daß zunächst mit menschlichen Kontakten oft mehr zu erreichen ist als mit einem Dozieren und einem Besser-Wissen-Wollen. Noch auf eine Frage möchte ich zu sprechen kommen, die heute nicht angeschnitten worden ist. Es handelt. sich um die Benutzung des Rundfunks gerade in Afrika und in den südostasiatischen Ländern. Den Kollegen, die vor wenigen Tagen in Madagaskar waren und auch sonstige afrikanische Gebiete besucht haben, ist offen erklärt worden, daß an die dortigen Rundfunkstationen von deutscher Seite überhaupt noch nicht herangetreten worden ist. Das mag ein Versäumnis sein, das auf den Mangel an Personal zurückzuführen ist. Man kann auch nicht alles auf einmal machen. Ich glaube aber, daß vom Auswärtigen Amt und von den sonst hierfür zuständigen Stellen jetzt dafür gesorgt werden muß, daß möglichst bald und intensiv Kontakte aufgenommen werden. Ein Wort noch zu der Organisation der deutschen Kulturpolitik im Ausland. Ich halte es für den besten Weg, daß wir versuchen, die Federführung in dieser wichtigen Angelegenheit weiterhin beim Auswärtigen Amt zu lassen. Der Herr Außenminister hat vorhin darauf hingewiesen, daß bereits eine sehr enge Zusammenarbeit mit den zahlreichen Institutionen privater und halbprivater Natur gegeben ist und daß das Auswärtige Amt auch bereit ist, Verantwortung und Aufgaben zu delegieren. Ich halte das für sehr wesentlich. Diese Arbeit darf nicht von vornherein wieder in einer Anhäufung von Kompetenzen ersticken. Es wird wichtig sein, diese Arbeit mit. verteilter Verantwortung und zentraler Führung durchzuführen. Die einzelnen Institute, die zur Verfügung stehen -- ich möchte nur wenige herausgreifen - leisten schon ganz Beachtliches, gerade unter dem Gesichtspunkt: weg von der dogmatischen Form und von dem Dozieren. Das Deutsche Auslandsinstitut in Stuttgart hat z. B. - bis jetzt als einziges - sehr bemerkenswerte Kontakte auch zu den Balkanländern, und zwar auf dem Gebiete des Buchverleihs. Dieses Institut hat es sich in der Hauptsache zur Aufgabe gemacht, mit Buch und Bild zu wirken. Dabei ist die Erfahrung gemacht worden, daß gerade die Interessenten in den Balkanländern, die Bücher ausborgen, diese mit großer Pünktlichkeit wieder zurückschicken. Die Bücher gelangen auch zu diesen Leuten. Im Rahmen des Deutschen Auslandsinstitutes steht auch eine medizinische Sonderbibliothek zum Ausleihen zur Verfügung, die eine so starke Nachfrage aus Bulgarien und Rumänien zu verzeichnen hat, daß sie diese überhaupt nicht bewältigen kann. Außerdem hat das Deutsche Auslandsinstitut zur Pflege und Förderung des menschlichen Kontakts eine große Sammlung von Farbdias mit heimatkundlichen Bildern aus Deutschland aufgebaut, die ins Ausland geschickt werden können. Sie erfreut sich einer sehr großen Nachfrage, gerade was die folkloristische Darstellung von Deutschland, seiner Bevölkerung und ihrer Sitten und Gebräuche anbelangt. Ich glaube, hier ist ein richtiger Weg beschritten, den wir in Zukunft noch mehr beachten müssen. Wir sollten nicht gleich mit den hochgei639i von Mühlen stigen Dingen an die Menschen draußen herantreten, sondern versuchen, die Kulturpolitik von der einfachen menschlichen Seite her aufzubauen. Das ergibt sich auch daraus - das ist vorhin schon gesagt worden -, daß wir uns heute nicht mehr darauf beschränken können, uns an einen kleinen Kreis von Menschen zu wenden, sondern daß die Kulturpolitik auch im Ausland bestrebt sein muß, an die großen Massen und an die „Multiplikatoren" heranzukommen und diese zu gewinnen. Ich habe noch ein kleines Anliegen; es betrifft unsere kulturpolitischen Beziehungen zu Frankreich. Wir haben im Oktober 1954 ein Kulturabkommen mit Frankreich geschlossen, in dessen Rahmen eine absolute Reziprozität für den Aufbau kultureller Institute vereinbart worden ist. Was den Aufbau französischer Institute bei uns betrifft, so funktioniert das Abkommen ausgezeichnet, weil nach Art. 7 des Grundgesetzes und auf Grund der Ländergesetze die Franzosen lediglich eine Mitteilungspflicht haben. Es ,genügt, wenn sie mitteilen: wir machen hier oder da ein Centre d'Etudes auf. Dann können sie die Arbeiten mit ihren eigenen Leuten und mit ihren eigenen Direktoren aufnehmen. Umgekehrt ist das leider bisher noch nicht so möglich, denn in Frankreich bestehen Gesetze - die teilweise bis ins Jahr 1881 zurückgehen -, nach denen die Errichtung ausländischer Kulturinstitute untersagt ist, wenn ein Ausländer als Leiter des Instituts tätig ist. Wollen wir 'also ein deutsches Kulturinstitut in Frankreich eröffnen, so müssen wir uns zunächst eines französischen Leiters versichern, und auch wenn wir ihn gefunden haben, ist die Errichtung in jedem Einzelfall noch einmal genehmigsungspflichtig. Diese Lage hat dazu geführt, daß wir in der Bundsrepublik jetzt weit über 20 sehr gut ausgebaute französische Kulturinstitute haben, während wir selbst in Frankreich gleichwertige Institute nicht besitzen; wir haben eines in Paris, ein zweites in Lyon, und damit hat es sich bereits. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn von seiten des Auswärtigen Amtes bzw. seiner Kulturabteilung dafür Sorge getragen werden könnte, daß sich der Kulturaustausch mit Frankreich nicht so einseitig vollzieht, wie es jetzt der Fall ist. Wir haben den Franzosen auch ein schönes Studentenhaus in der Cite Universitaire in Paris für zwei Millionen DM geschenkt, das ebenfalls von der französischen Fondation verwaltet wird. Das ist eine Frage, über die man sich bei den sich jetzt doch weiterhin vertiefenden guten kulturellen Beziehungen verständigen kann. Ich komme zum Schluß. Es war gut, daß sich der Deutsche Bundestag endlich wieder einmal aufgeschwungen hat, die deutsche Kulturarbeit im Ausland zu ,diskutieren, wenn auch von uns Abgeordneten festzustellen ist - ich bitte das nicht als Retourkutsche aufzufassen -, daß ein wesentlicher Träger der deutschen Kulturarbeit, nämlich meine lieben Kollegen von der Presse, heute mehr als spärlich auf der Tribüne vertreten sind. Wir sind uns wohl alle einig -- Herr Kühn und Herr Martin haben das betont -, daß die Kulturpolitik im Ausland kein Gegenstand für Kontroversen ist. Halten wir die Hoffnung hoch, daß sich nach der heutigen Bestandsaufnahme in Sachen Kulturpolitik im Ausland - auch wenn das Wort nicht überall sehr gewünscht wird - über dieses Thema mehr 'und mehr eine Brücke zu einer gemeinsamen Außenpolitik finden läßt. Jedenfalls aber glaube ich, wir alle sind überzeugt, daß eine gute Kulturpolitik im Ausland die Grundlage für eine gute und tragbare politische Zusammenarbeit zwischen den Nationen ist. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zu einem kurzen Schlußwort Herr Abgeordneter Kühn.

Heinz Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001245, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte der angestrengten Situation des Hauses Rechnung tragen und es kurz machen, wenngleich in unserer Diskussion eine Fülle von Problemen steckt. Diese sollten wir aber iii der geruhsameren Atmosphäre des Ausschusses besprechen. Ganz kurz Antwort auf einige der Fragen. Herr Bundesaußenminister, ich habe in keiner Weise bestreiten wollen - ich glaube, Sie haben es auch nicht so verstanden -, daß es in der Attachéausbildung gute Leute gibt. Ich nehme ihr Angebot dankbar an. Worum es nur geht, ist, daß - vielleicht sehe ich es zu scharf, und vielleicht sind diese Besorgnisse zu zerstreuen - im praktischen Dienst doch noch viele alte Zöpfe vorhanden sind. Man muß das einmal in aller Ruhe besprechen. Dies war nicht im Sinne einer Anzweiflung der sachlichen Qualifikationen gemeint, aber in dem Sinne, daß wir gemeinsam beraten sollten, was an der Ausbildung im Hinblick auf die gegenwärtigen Erfordernisse noch verbessert werden kann. Wir sollten dies einmal im Ausschuß tun. Wir sollten die Analyse der Programme der Kulturinstitute nicht weiter ausdehnen. Wir können hier von beiden Seiten Themen vortragen. Aus dem umfangreichen Jahresbericht von 35 Kulturinstituten läßt sich immer eine Liste vortragen, die nach der einen oder anderen Seite einseitig ist. Ein klein wenig sollte doch zum Nachdenken veranlassen, daß es auch auf der Liste der durchaus - alle miteinander - berechtigten Themen, die Sie, Herr Minister, vorgetragen haben, in keinem einzigen Institut, wie Sie zugeben müssen, einen Vortrag beispielsweise über das Wesen unserer modernen Parteiendemokratie, über das Thema „Was sind diese Parteien", keinen einzigen Vortrag über Wesen und Wirksamkeit beispielsweise der Gewerkschaften oder ihrer Beziehungen auch zu den Unternehmerverbänden gegeben hat. Dabei haben wir es in einer Reihe von Ländern doch mit zur Souveränität drängenden Völkern zu tun, in denen gerade die jungen Gewerkschaftsbewegungen eine besondere Bedeutung haben. Dies war die Richtung der Besorgnisse und Bedenken, die ich zum Ausdruck bringen wollte. Ein paar Worte zu den Ausführungen des Kollegen Martin. Ich glaube, auch er kann mich nicht Kühn ({0}) dahin mißverstanden haben, daß ich aus der seelischen Haltung eines Mannes der Opposition gesprochen hätte. Ich glaube, ich habe meinen diesbezüglichen seelischen Dispositionen äußerste Zügel angelegt. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß alles, was hier kritisch anzumerken ist, nicht einseitig an die Adresse der Regierung zu richten ist, sondern daß wir gleichermaßen, Regierung und Haus und auch das Volk, jene von uns beiden bedauerte Tendenz zum Ausweichen vor dem Risiko haben, daß wir auf allen drei Seiten zu bedenken und zu überlegen haben, was besser und mehr geschehen kann, um eben das - ich habe es so genannt - Fernweh in unserer jungen Generation wieder zu wecken. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, daß es genauso wie es Freundschaftsbeziehungen und Patenschaften zwischen Städten in der Bundesrepublik und in Europa gibt, möglich sein sollte, so etwas einmal in den außereuropäischen Raum zu tragen. Es muß nicht unbedingt mit Austauschreisen von Stadtverordneten verbunden sein. Herr Kollege Martin, einen geringen Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen. Ich nehme gern an, daß Sie gesagt haben, Sie hätten eine umfassende Konzeption in meinen Darlegungen vermißt. Ich möchte nicht die Retourkutsche fahren, aber ich glaube, wir haben beide nur Bruchstücke zu dieser Diskussion beitragen können: denn trotz allen Bemühens, sorgfältig zuzuhören, habe ich nicht die Erkenntnis gewinnen können, daß hier von Ihnen eine umfassende Konzeption vorgetragen worden ist. Ich glaube, es ist richtig, daß wir bei der ersten Diskussion, die ein Nachdenken auslösen soll, nicht mit perfektionierten Konzeptionen kommen können. Nun noch etwas zur Ausbildung der Attachés. In der Frage, wieweit das Zeremoniell eine Bedeutung hat, besteht bei uns lediglich eine Differenz zwischen einer Hinneigung zum Minimum und zum Maximum. Ich billige Ihnen also die konservativere Haltung zu; billigen Sie mir die etwas weniger konservative und neuerungssüchtige Haltung zu! Ich bin sehr mit einer besonderen Ausbildung für die Kulturattachés und übrigens auch für die Sozialattachés einverstanden. Ich glaube, daß man angesichts der sich immer mehr differenzierenden Aufgabengebiete die Ausbildung eben auch auf diese Differenzierungen hin ausrichten sollte. Das Auswechseln und Entsenden von einer Botschaft an die andere muß je nach dem Aufgabengebiet an verschieden lange Zeiträume gebunden sein. Ein Kulturattaché muß in der Tat eine längere Amtsperiode haben als ein anderer Attaché. Das eigentlich Schwerwiegende, was in sorgfältiger Ausschußberatung zwischen uns besprochen werden muß, ist die Beziehung von Kulturarbeit und Politik. Ich glaube, daß hier unsere Aufgabe in nicht mehr bestehen kann, als diesen Völkern Hilfe zur Selbstentscheidung und -entwicklung ihrer eigenen Alternativen zum Kommunismus zu bieten. Wir sind nicht in der Lage, jedem Kontinent, wie Sie gemeint haben, ein sozialökonomisches Modell vorzulegen. Im wesentlichen können wir den Leuten nichts anderes bieten als Techniken und Hilfen, damit sie auf Grund ihrer eigenen historischen Voraussetzungen zu ihren eignen Formen der Freiheit hinfinden. Ich habe große Bedenken gegen jede Form der Missionierung. Ich möchte nicht verhehlen, daß auch im Bereich der Missionen der christlichen Kirchen hier ernste Diskussionen im Gange sind und daß man sehr wohl die Meinung haben kann, daß die Widerstände gegen die Bereitschaft, religiöses Denken des westlichen Abendlandes dort aufzunehmen, größer werden. Aus zahlreichen Diskussionen wissen wir doch, daß uns afrikanische Politiker entgegenhalten: Wir hatten früher das Land und Sie den weißen Gott, heute haben wir den weißen Gott und Sie das Land. Wir kennen viele solcher vielleicht überspitzten Formulierungen, denen wir immer wieder begegnen. Wenn wir das ganze Maß an kolonialer Schuld erkennen, das Europa auf sich geladen hat, wenn wir wissen, daß es viele Länder gibt, in denen für jede Eisenbahnschwelle ein Afrikaner sterben mußte, und wenn wir die Scheußlichkeit einer gewissen rassistischen Politik heute in Südafrika erkennen, dann müssen wir mit missionarischen Ansprüchen in aller Bescheidenheit kommen. Auf einen Albert Schweitzer, den das Abendland in dieses Gebiet entsandt hat, kommen tausend andere, die das schiere Gegenteil gewesen sind. Ich verstehe sehr wohl, wenn in Haiti die afrikanischen Christen die Christusstatuen schwarz und die Teufelsstatuen weiß malen. Ich halte es in diesem Falle einmal - in völliger Übereinstimmung mit den Sprechern Ihrer Seite mit Formulierungen, die der Bundesaußenminister gefunden hat, als er gesagt hat: Unsere Beziehungen zu den Entwicklungsländern können nicht unter dem Gesichtspunkt einer Reaktion auf die Aktionen des Ostblocks gestaltet werden. Der Herr Bundestagspräsident Gerstenmaier hat es einmal so formuliert: Ich warne ebenso davor, unsere Bereitschaft zur Hilfe lediglich unter den Gesichtspunkt des Wettbewerbs mit dem Weltkommunismus zu rücken und sich dabei zum bloßen Nachlaufen Moskaus verleiten zu lassen. Je unaufdringlicher und verständnisvoller wir für das eigene Leben und die besondere Art der Völker und Kulturen Afrikas eintreten, desto weniger wird es den Sowjets gelingen, Afrika Moskau zu unterwerfen. Ich glaube, darin steckt - vielleicht sind wir in der Sache gar nicht so weit auseinander - sehr wenig sozialökonomischer und gesellschaftpolitischer Missionarismus, sondern die bescheidenere, aber wichtigere Aufgabe, die uns um so mehr ans Herz gelegt ist: tun wir alles, um den Völkern zu ihrer eigenen Form der Freiheit zu verhelfen. Die Fragen, die noch offengeblieben sind, werden wir im Ausschuß noch eingehender zu diskutieren haben. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ein Antrag ist mit der Großen Anfrage nicht verbunden. Ich rufe den Punkt 16 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes ({0}) ; Erster Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verteidigung ({1}) ({2}) ({3}). Die Experten haben mir beigebracht, daß es zweckmäßig sei, den Punkt 17 gleichzeitig aufzurufen: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Paßgesetzes, des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes und zur Aufhebung des Gesetzes über die Meldepflicht der deutschen Staatsangehörigen im Ausland ({4}) ; Zweiter Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verteidigung ({5}) ({6}) ({7}). Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Das Wort hat der Herr Berichterstatter Dr. Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001130, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu den Drucksachen 1893 und 1894 ein paar kurze Bemerkungen. Zunächst muß ich auf einen Fehler aufmerksam machen, der sich in die Drucksache 1893 eingeschlichen hat. Auf Seite 22 stehen unter Ziffer 29 in der vorletzten Zeile des ersten Absatzes die Worte „§ 23 Abs. 1 Satz 3". Das ist falsch. Anstatt „Satz 3" muß es „Satz 2" heißen. Ich bitte, das zu verbessern. Die grundlegenden Fragen dieser Wehrpflichtnovelle sind bereits bei der ersten Lesung in der 95. Sitzung von allen Seiten des Hohen Hauses so eingehend gewürdigt worden, daß ich es mir versagen kann, darauf einzugehen. Ich möchte auf meinen Schriftlichen Bericht - Drucksache 1893 - hinweisen, in dem auch die vielen und sehr verschiedenartigen Einzelfragen der Vorlage behandelt sind. Ich darf mich darauf beschränken, ein Problem kurz zu streifen, das in der Öffentlichkeit am meisten Beachtung gefunden hat. Es handelt sich um das Einziehungsalter der Wehrpflichtigen. Die Bundesregierung hatte vorgeschlagen, den Satz zu streichen, der besagt, daß der Wehrpflichtige im allgemeinen in dem Kalenderjahr eingezogen werden soll, in dem er das 20. Lebensjahr vollendet. Die Bundesregierung hielt es auf Grund ihrer Informationen für notwendig, das Einziehungsalter herabzusetzen. Dagegen sind von allen Seiten sehr ernste Argumente vorgebracht worden. Es ist auch klargestellt worden, daß die sachlichen Bedürfnisse der Bundeswehr befriedigt werden können, wenn das Gesetz in seiner. bisherigen Form erhalten bleibt. Die Bundesregierung hat dieser Auffassung des Ausschusses ihre Zustimmung gegeben. So sind wir einmütig zu dem Entschluß gekommen, es bei der bisherigen Regelung zu belassen. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen einstimmig - bei Stimmenhaltung der SPD - die Annahme des Gesetzentwurfs in der in Drucksache 1893 enthaltenen Form. Ich darf kurz etwas zu der Drucksache 1894 sagen. Bekanntlich gibt es in den Wehrgesetzen nicht die sogenannte Berlinklausel. Degegen enthielt die Regierungsvorlage Vorschläge für die Änderung einiger anderer Gesetze, und da ist die Berlinklausel notwendig. Es war also ebenso wie vor einigen Wochen bei der Novelle zum Soldatengesetz notwendig, diesen Gesetzentwurf aufzuspalten. Wir legen Ihnen deshalb zwei Gesetzentwürfe vor. Sodann muß ich noch folgende Bemerkung machen. Nach Abschluß der Ausschußverhandlungen kamen bei der Beratung anderer Angelegenheiten im Verteidigungsausschuß Fragen zur Sprache, die den vorliegenden Entwurf berühren. Sie haben entsprechend dem heutigen Beschluß des Verteidigungsausschusses ihren Niederschlag in einem interfraktionellen Änderungsantrag auf Umdruck 670 gefunden. Hinsichtlich dieses Gegenstandes muß ich also meinen Bericht wenigstens in( einem Punkte noch ergänzen. Es handelt sich um die Erfassung der kriegsgedienten Jahrgänge. Der Verteidigungsausschuß hat sich neulich einem von mir gestellten Antrag angeschlossen, die Bundesregierung wolle überprüfen, ob diese Erfassung nicht auf schriftlichem Wege erfolgen könne. Wir haben dabei vor allem an eine Verbindung dieser Erfassung mit der Volkszählung des Jahres 1961 gedacht. Diese Frage ist noch nicht geklärt, und sie ist auch nicht heute an dieser Stelle zu klären. Wohl aber muß im Wehrpflichtgesetz etwas anderes geändert werden; denn in seiner jetzigen Form schließt das Wehrpflichtgesetz die Möglichkeit einer schriftlichen Erfassung generell aus, da der § 15 zwingend vorschreibt, daß die Erfassung durch persönliche Vorstellung des Wehrpflichtigen zu erfolgen hat. Das ist also die Ergänzung, die ich meinem Bericht noch anzufügen habe. Im übrigen darf ich Sie im Auftrage des Ausschusses bitten, beiden Gesetzentwürfen Ihre Zustimmung zu geben. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die zweite Lesung ein. Ich rufe auf den Gesetzentwurf Drucksache 1893, zunächst Art. 1 Nrn. Vor 1, 1, 2, 3. Hierzu liegen keine Änderungsanträge vor. Wird das Wort dazu gewünscht? Präsident D. Dr. Gerstenmaier - Das ist nicht der Fall. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! -Enthaltungen? Bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Zu Nr. 4 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 668 Ziffer 1 vor. Wird das Wort dazu gewünscht? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Merten!

Hans Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001480, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben auf Umdruck 668 Ziffer 1 beantragt, in § 6, der die Wehrübungen behandelt, den Abs. 7 zu streichen. In den Abs. 1 bis 6 des § 6 wird genau geregelt, was es mit den Wehrübungen auf sich hat, wie lange sie dauern, wie oft man einberufen werden kann. In Abs. 7 steht dann plötzlich etwas ganz anderes. Dort steht: Wenn die Bundesregierung einen Bereitschaftsdienst anordnet, der in Form von Wehrübungen abgeleistet wird, dann gibt es keine zeitliche Begrenzung, und diese Wehrübungen werden auch nicht unter allen Umständen auf die Gesamtdauer von 9 bzw. 18 Monaten angerechnet. Nun ist weder in diesem noch in irgendeinem anderen Gesetz definiert, was eigentlich Bereitschaftsdienst ist, und auch nicht, in welchen Fällen dieser Bereitschaftsdienst geleistet werden kann. Der Abs. 7 hebt praktisch das auf, was in den Abs. 1 bis 6 steht, wobei die Voraussetzungen, die für diesen Fall gelten, äußerst unklar sind. Sie waren es auch bisher; denn eine ähnliche Regelung stand in dem § 4 des Dienstzeitdauergesetzes. Die Bestimmungen, die dort standen, sind aber nicht wörtlich übernommen, sondern erweitert worden. Wir sind der Meinung, daß zunächst einmal eine gesetzliche Klärung erfolgen sollte, wann außerhalb des Verteidigungsfalles derartige als Bereitschaftsdienst bezeichnete unbefristete Wehrübungen stattfinden sollen. Es läßt sich durchaus darüber reden, ob ein derartiger Bereitschaftsdienst notwendig ist. Aber er kann nicht unter diesen unklaren und ungeregelten Umständen stattfinden. Wir glauben, daß der Zweck, der offenbar mit diesem Abs. 7 erreicht werden soll, von der Regierung auch mit den normalen im Gesetz vorgesehenen Wehrübungen erreicht werden kann, his die notwendige Klärung erfolgt ist. Wir bitten deswegen, unserem Antrag, den Abs. 7 zu streichen, zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Wird dazu das Wort gewünscht? - Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat das Wort.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß das Hohe Haus bitten, den Antrag der Opposition abzulehnen. Ich darf in dem Zusammenhang darauf hinweisen, daß eine solche Regelung, wie der Vorredner bereits erwähnt hat, seit dem Erlaß des Dienstzeitgesetzes besteht, daß aber die Bundesregierung bis jetzt von dieser Ermächtigung noch nicht in einem einzigen Fall Gebrauch gemacht hat. Trotzdem ist die Aufrechterhaltung dieser Ermächtigung notwendig. Ich kann Bemerkungen, die ich noch im Zusammenhang mit anderen Änderungsanträgen der Fraktion der SPD im einzelnen machen müßte, bereits bei Beratung dieses Punktes generell anfügen. Herr Kollege Merten hat beanstandet, daß bisher eine gesetzliche Notstandsregelung nicht erfolgt sei. Das liegt nicht zuletzt daran, daß seit Jahren versucht wird, eine gemeinsame Grundlage für eine Notstandsregelung herbeizuführen - lange Zeit ohne Erfolg, in jüngster Vergangenheit mit Aussichten auf eine gewisse gemeinsame Auffassung über diesen Punkt. Eine gesetzliche Regelung des 'Bereitschaftsdienstes läßt sich aber ohne Abstimmung mit dem Gesamtumfang der notwendigen Regelungen für den Notstand nicht vornehmen. Andererseits brauchen wir ein Mindestmaß an Möglichkeiten, um dem Notstandsfall Rechnung tragen zu können. Was ich hier sage, gilt, wie erwähnt, auch noch für einige weitere Änderungsanträge. Ich betone das deshalb, weil ich noch vor ganz kurzer Zeit - es war am Montag dieser Woche - in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika - und zwar nicht einmal in erster Linie im Pentagon, sondern im State Department - darauf angesprochen worden bin, daß der Fortschritt, den die Bundesrepublik auf dem gesamten Gebiet der Notstandsregelungen erzielt habe, außerordentlich entmutigend und außerordentlich enttäuschend sei. Man könne von unseren amerikanischen Bundesgenossen nicht erwarten, daß sie ihre Verpflichtungen gegenüber der Bundesrepublik und insbesondere ihre Absichten im Zusammenhang mit der Sicherheitsgarantie für Berlin ernsthaft erfüllen, wenn die Bundesrepublik andererseits keine sichtbaren Maßnahmen ergreife, um wenigstens die notwendigsten Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Alliierten auch von uns unterstützt würden. Ich möchte mich jetzt auf diese Bemerkung beschränken.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Änderungsantrag. Wir stimmen ab. Wer Ziffer 1 des Änderungsantrags Umdruck 668 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit. Der Änderungsantrag 668 Ziffer 1 ist abgelehnt. Ich rufe Ziffer 2 des Änderungsantrags Umdruck 668 auf. - Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Merten das Wort.

Hans Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001480, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier geht es darum, dem § 6 einen neuen Abs. 8 anzufügen, nach dem der geleistete Kriegsdienst auf die Gesamtdauer der Wehrübungen angerechnet wird. Ich will Ihnen nicht verheimlichen, daß das nichts anderes ist als die gesetzliche Formulierung dessen, was wir dem Hohen Hause bereits vor einigen Monaten in einem Antrag vorgelegt hatten, nämlich die kriegsgedienten Jahrgänge I nicht zu erfassen und nicht zu mustern. Es soll damit erreicht werden, daß die kriegsgedienten Jahrgänge nur insoweit zu Wehrübungen herangezogen werden, als sie entweder die für sie vorgesehene Übungszeit - das sind neun Monate bei den Unteroffizieren und Mannschaften und 18 Monate bei den Offizieren - nicht bereits durch den Wehrdienst im Kriege verbraucht haben oder aber sich freiwillig zu Wehrübungen melden. Ich bin der Meinung, daß die verhältnismäßig kleine Zahl von Spezialisten, die hier zur Debatte stehen, aus dem Millionenheer der kriegsgedienten Jahrgänge auf freiwilliger Basis zu gewinnen ist. Durch die Einbeziehung der weißen Jahrgänge in den verkürzten Grundwehrdienst gewinnt die Bundeswehr eine große Zahl jüngerer Kräfte für die Zwecke, deren Notwendigkeit niemand bestreitet. Gerade das Gesetz, das Ihnen heute vorliegt, schafft ja Möglichkeiten für den verkürzten Grundwehrdienst, die es bisher nicht gegeben hat. Die kriegsgedienten Jahrgänge sind in der großen Zahl der Fälle ohnedies dem Wehrübungsalter entwachsen. Ich glaube auch, daß die Bundeswehr auf lange Sicht mehr davon hat, ihren Bedarf an Spezialisten aus den jüngeren Jahrgängen zu decken. Vom 25. bis zum 35. Lebensjahr können die Wehrpflichtigen 1 bis 6 Monate dienen und den Bedarf decken, den, wie gesagt, niemand bestreiten kann. Diese Jahrgänge aber bieten den großen Vorteil, daß sie der Bundeswehr wenigstens auf längere Zeit zur Verfügung stehen, während die kriegsgedienten Jahrgänge heute, fünfzehn Jahre nach dem Kriege, ohnedies größtenteils aus dem Wehrpflichtalter heraus sind. Auch unter diesem Gesichtspunkt, der den, wie ich glaube, berechtigten Wünschen Rechnung zu tragen versucht, möchte ich Sie bitten, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Abgeordnete Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001130, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Merten hat in lobenswerter Offenheit den Sinn dieses Antrages dargelegt. Selbstverständlich hat niemand von uns Interesse daran, die Masse der kriegsgedienten Jahrgänge noch einmal einzuziehen. Außerdem wüßten wir gar nicht, wie man sie verwenden sollte. Wir haben uns im Verteidigungsausschuß mit diesem Problem befaßt und haben von der Bundesregierung die bindende Erklärung erhalten, daß sie aus zwingenden Gründen einen bestimmten, relativ sehr geringen Prozentsatz an Spezialisten aus den kriegsgedienten Jahrgängen braucht, wenn sie ihre der NATO gegenüber übernommenen Verpflichtungen erfüllen soll. Nun sagt Herr Kollege Merten, diese wenigen Leute werde man doch wohl auf der Grundlage der Freiwilligkeit gewinnen können. Selbstverständlich bin auch ich davon überzeugt, daß sich eine gewisse Zahl von Freiwilligen melden wird, daß also nur von der Zahl her gesehen auch nach dem Prinzip der Freiwilligkeit der Bedarf der Bundeswehr gedeckt werden könnte. Aber hier geht es ja nicht um die Zahl, sondern es geht um die Spezialisten, und es ist uns ganz klar, daß das Kontingent der Freiwilligen und das benötigte Kontingent der Spezialisten nicht miteinander identisch sind. Aus diesem Grunde müssen wir, glaube ich, dem Bundesminister für Verteidigung die Möglichkeit geben, die notwendige Zahl von Spezialisten auch aus den kriegsgedienten Jahrgängen einzuziehen. Im übrigen glaube ich, daß die außenpolitische Situation im Augenblick nicht dazu angetan ist, daß wir der Bundeswehr bei der Erfüllung ihrer Pflicht nach allen Seiten hin die Flügel beschneiden sollten. ({0}) Daher bitte ich, den Antrag abzulehnen. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen! Ich ,lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 668 Ziffer 2. Wer zustimmen will, ,den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Änderungsantrag Umdruck 668 Ziffer 2 ist abgelehnt. Ich rufe auf den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 668 Ziffer 3. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Herr Abgeordneter Merten!

Hans Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001480, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um einen Änderungsantrag zu dem § 8 Abs. 2, der in der Vorlage des Ausschusses nicht enthalten ist. Der § 8 regelt den Wehrdienst in fremden Streitkräften. Es heißt dort in Abs. 1, daß sich Wehrpflichtige nur mit Zustimmung des Bundesministers für Verteidigung oder der von ihm beauftragten Stelle zum Eintritt in fremde Streitkräfte verpflichten dürfen, daß das aber nicht gilt bei einem Wehrdienst, der auf Grund gesetzlicher Vorschriften des Aufenthaltsstaates zu leisten ist, wenn das in ,dem betreffenden Lande, beispielsweise in den Vereinigten Staaten, so geregelt ist. Der Abs. 2 lautete bisher, daß der Bundesminister für Verteidigung im Einzelfall Wehrdienst in fremden Streitkräften auf den Wehrdienst nach diesem Gesetz ganz oder zum Teil anrechnen kann. Dieser Wehrdienst soll angerechnet werden, wenn er - nach Abs. 1 - auf Grund gesetzlicher Vorschrift geleistet worden ist oder wenn der Bundesminister für Verteidigung ihm vorher zugestimmt hat. Wir möchten statt dessen eine neue Formulierung, und zwar aus folgenden Gründen. Bisher konnte der Wehrdienst in fremden Streitkräften auf den Wehrdienst nach ,diesem Gesetz angerechnet werden. Das ist 1956 von uns beschlossen worden im Hinblick sowohl auf die besonderen Verhältnisse im Krieg als auch auf die Vertriebenen, die aus vielen außerdeutschen Ländern zu uns gekommen sind. Theoretisch wäre nach dieser Bestimmung beispielsweise auch die Anrechnung ,des Dienstes in irgendeiner Fremdenlegion möglich, in die sich jemand von hier aus nach dem Kriege beMerten geben hat. Ich glaube, daß [bisher der Verteidigungsminister oder die von ihm beauftragte Stelle keinen solchen Wehrdienst angerechnet hat. Ich glaube auch nicht, [daß es sehr wahrscheinlich ist, daß er das tun wird. Das Gesetz aber in dem Wortlaut, den es heute hat, schließt diese Möglichkeit nicht aus. Unser Antrag will die ,Anrechnung eines derartigen Wehrdienstes unmöglich machen. Das Gesetz wird ja nicht nur von denen gelesen, die mit seiner Ausführung befaßt [sind, sondern auch von denjenigen, die sich einmal über die Sachlage orientieren wollen; und die könnten aus [dem jetzigen Wortlaut schließen, daß sie die Chance hätten, daß der freiwillige Dienst in irgendeinem fremden Heer oder einer Fremdenlegion hier angerechnet werden könnte. Das hat sogar schon dazu geführt, daß Zeitungsmeldungen erschienen sind, in denen diese Möglichkeit angedeutet wurde. Sie sind vom Verteidigungsministerium dementiert und berichtigt worden. Aber wir sind nicht davor sicher, daß diejenigen, die nur den Wortlaut des Gesetzes sehen, sich doch verführen lassen, hier gewisse Chancen zu sehen. Ich meine, solange es Staaten gibt, die in, wie ich glaube, nicht ganz einwandfreier und, ich möchte sagen, unfreundlicher Weise deutsche Staatsangehörige anlocken und [in Sondereinheiten militärischen Dienst tun lassen, muß in diesem Gesetz klargestellt sein, daß eine Anrechnung dieses Dienstes völlig unmöglich ist, auch dann völlig unmöglich ist, wenn es sich vielleicht um ein Land handelt, das mit uns befreundet oder mit uns verbündet ist. Wenn fremde Gesetze [den Dienst vorschreiben oder wenn die vorherige Zustimmung des Verteidigungsministers vorliegt - gut, dann soll der Dienst angerechnet werden. In bezug auf alle anderen Fälle aber, glaube ich, sollten auch wir, das Parlament, ein kategorisches Neinsagen und das ins Gesetz hineinschreiben, damit niemand, der dieses Gesetz liest, auch nur den geringsten Zweifel haben kann. Ich bitte Sie daher, die alte Fassung des § 8 Abs. 2 durch die von uns unter Ziffer 3 des Änderungsantrags Umdruck 668 vorgeschlagene neue Fassung zu ersetzen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Dr. Kliesing!

Dr. Georg Kliesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001130, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um den sogenannten Fremdenlegions-Paragraphen. Herr Kollege Merten hat selber von der nur theoretischen Möglichkeit gesprochen und in seinen Ausführungen zugegeben, daß diesem Antrag keine praktische Bedeutung zukommt. Im Verteidigungsausschuß hat der Herr Verteidigungsminister nicht nur erklärt, daß er bisher in keinem Fall den Dienst in der Fremdenlegion auf den Wehrpflichtdienst angerechnet hat, sondern darüber hinaus auch die bindende Erklärung abgegeben, daß er nicht beabsichtigt, das in irgendeinem Falle künftig zu tun. Somit kommt diesem Antrag keine praktische Bedeutung zu. Auf der anderen Seite aber könnten Außenstehende versucht sein, in dem Tenor dieses Antrages eine polemische Note zu entdecken. Das würden wir aus außenpolitischen Gründen für schädlich und bedauerlich halten. Deshalb bitte ich das Hohe Haus, den Antrag abzulehnen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag Umdruck 668 Ziffer 3. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das letztere war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Damit kommen wir zu der Nr. 4 in der Ausschußfassung. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; Nr. 4 ist angenommen. Ich rufe auf die Nrn. 5 und 6. Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Ich rufe auf Nr. 8. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 668 Ziffer 4 vor. - Herr Abgeordneter Merten zur Begründung.

Hans Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001480, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Nr. 8 beantragt die SPD, in § 13 Abs. 2 das Wort „Vorschlag" im ersten Satz durch das Wort „Antrag" zu ersetzen. Das Wort „Antrag" stand auch bisher im Wehrpflichtgesetz; es ist in der Regierungsvorlage geändert worden. Der Bundesrat hat den Wunsch geäußert, die alte Fassung wiederherzustellen - diesem Vorschlag schließt sich die SPD-Fraktion an -, mit der Begründung, daß der Verwaltungsrechtsweg abgeschnitten und ein formloses, nicht nachprüfbares Verfahren eingeführt würde, wenn im Gesetz nicht „Antrag", sondern „Vorschlag" stünde. Es gibt vielerlei Gründe für das Verlangen, jemanden unabkömmlich zu stellen: Rücksicht auf volkswirtschaftliche Belange, auf lebenswichtige Betriebe und auf das öffentliche Interesse. Ich nenne alle diese Dinge, weil mir zunächst einmal nicht im Mittelpunkt zu stehen scheint das Interesse der Person, über die entschieden wird, ob sie Wehrdienst leisten oder ob sie unabkömmlich gestellt werden soll. In diesem Fall hat das öffentliche Interesse ein größeres Gewicht als das Interesse des einzelnen. Aber gerade die Verschiedenartigkeit des öffentlichen Interesses macht es notwendig, daß in diesem Zusammenhang ein Verfahren gewählt wird, das richterlich nachgeprüft werden kann. In Abs. 2 steht zwar, daß eine Rechtsverordnung regeln soll, wie Meinungsverschiedenheiten auszugleichen sind, aber da sind ja nur die Beteiligten unter sich, nämlich die Wehrverwaltung, die Arbeitsverwaltung und die Landesbehörde. Das ist keine Garantie für eine Lösung, die allen öffentlichen Interessen Rechnung trägt. Ich glaube nicht, daß die bisherige Bestimmung, in der das Wort „Antrag" stand, die also ein nachprüfbares Verfahren vorsah, zu irgendwelchen Unzuträglichkeiten geführt hat, die nun dazu zwingen, an Stelle des nachprüfbaren Verfahrens ein formloses Verfahren einzuführen, das nicht richterlich nachgeprüft werden kann. Dieser Meinung ist der Bundesrat und auch der Ausschuß für Inneres. Meine Fraktion bittet deshalb, ihrem Antrag, den alten Zustand wiederherzustellen, zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage, ob man die Formulierung „Vorschlag" oder „Antrag" wählen soll, hat in der Vergangenheit keine Rolle gespielt, weil sie bei dem Stand des Aufbaus der Bundeswehr noch nicht aktuell war. Zweifellos wird aber mit dem wachsenden Auf- und Ausbau der Landesverteidigung einschließlich der Erfüllung unserer Verpflichtungen gegenüber der Bündnisgemeinschaft dieses Problem in absehbarer Zeit aktuell werden. Ich bin nicht der Meinung, daß Meinungsverschiedenheiten auf +dem Gebiet der Landesverteidigung zwischen Behörden, in diesem Fall Behörden des Bundes auf +der einen Seite und Behörden der Länder oder Gemeinden auf der anderen Seite, auf dem Wege von Verwaltungsrechtsstreitigkeiten ausgetragen werden sollen. Ich weiß nicht, welche Instanzen hier im einzelnen anrufbar wären. Aber es würde sich wohl um +das normale Verwaltungsgericht handeln, um ein Oberverwaltungsgericht und im Zweifel Um ein oberstes Verwaltungsgericht, also .das Bundesverwaltungsgericht. ({0}) Ich bin ein überzeugter Anhänger des Rechtsstaates. Ich bin aber auch der Meinung, daß man die rechtsstaatlichen Mittel nicht dort in Anspruch nehmen sollte, wo es um einen Ausgleich der öffentlichen Interessen ,geht. Wenn es sich um +den Schutz des Staatsbürgers vor Übergriffen der Verwaltung, vor einem Mißbrauch der Ermessensfreiheit der Verwaltung handelt, steht die Frage der Einschaltung der Verwaltungsgerichte überhaupt nicht zur Diskussion. Aber wir klagen ohnehin darüber - und die Klage werden Sie in allen Ländern hören -, daß zahlreiche Verwaltungsrechtsstreitigkeiten über Jahre hinaus nicht entschieden werden können, weil die übergroße Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts auf der einen Seite und die begrenzte Zahl an Personal auf der anderen Seite eine schnellere Entscheidung nicht ermöglichen. Ich sehe nicht ein, wie den Interessen der einen oder der anderen Seite in diesem Fall gedient sein soll, wenn man ein Gericht - und unter Umständen noch zwei weitere Instanzen - anrufen soll, um den Ausgleich öffentlicher Interessen herbeizuführen. Ich glaube auch nicht, daß, den guten Willen zur Landesverteidigung bei Bund und Land vorausgesetzt, ein Verwaltungsrichter in diesem Fall zu einer besseren oder abgewogeneren Entscheidung kommen kann, als die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ergeben würde. Ich bitte deshalb, den Antrag abzulehnen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht +der Fall. Dann stimmen wir ab. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 668 Ziffer 4 zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Wer den Bestimmungen der Nrn. 7 und 8 -Nr. 7 ist vorhin vergessen worden, wurde mir soeben gesagt - in der Ausschußvorlage zustimmen will, der möge +die Hand erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; die beiden Nummern sind angenommen. Zu Nr. 9 liegt ein Änderungsantrag rauf Umdruck 668 Ziffer 5 vor. Wer begründet? - Abgeordneter Merten hat das Wort.

Hans Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001480, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben auf Umdruck 668 unter Ziffer 5 den Antrag gestellt, den zweiten Absatz des neuen § 13 a durch eine andere Fassung zu ersetzen. Es handelt sich hier um die Frage der Zurückstellung von Wehrpflichtigen für den zivilen Bevölkerungsschutz. Es sollen diejenigen, die für Dienstleistungen im zivilen Bevölkerungsschutz herangezogen, verpflichtet oder bereitgestellt werden, nicht zum Wehrdienst herangezogen werden, solange sie dort zur Verfügung stehen sollen. Der Antrag, diesen Abs. 2 der Ausschußvorlage durch die Fassung zu ersetzen, die wir Ihnen vorschlagen, entspricht einem Vorschlag, den der Ausschuß für Inneres gemacht hat. Unser Antrag bezweckt, daß ganze Jahrgänge dem zivilen Bevölkerungsschutz zur Verfügung gestellt werden, deren Erfassung und Musterung durch die Wehrverwaltung dadurch unnötig wird. Es bedarf dann auch keiner Verhandlungen zwischen Wehrverwaltung und ziviler Heranziehungsbehörde mehr, weil sie im Rahmen der zur Verfügung gestellten Jahrgänge frei disponieren können. Der Ausgleich der öffentlichen Interessen ist doch nicht so einfach, wie der Herr Minister sich das offenbar vorstellt. Wenn diejenigen, die sich nicht einigen können, gleichzeitig auch Schiedsgericht über das Thema sein sollen, über das sie sich nicht einigen konnten - das ist nämlich der Sinn dessen, was Sie vorhin beschlossen haben -, dann ist es kaum möglich, eine Lösung zu finden, die allen Interessen genügt. Es ist immer besser, dafür einen unabhängigen Richter zu nehmen, der eher zu einem Urteil kommen kann, das den öffentlichen Interessen dient. Deswegen stehen ja diese ganzen Bestimmungen im Grundgesetz. Sonst könnte man es sich ja viel einfacher machen, die Richter abschaffen und den Parteien sagen: Seht zu, wie ihr euch einigt! Gerade hier sind aber die uneinig, die sich einigen sollen. Wenn sie es vorher nicht getan haben, werden sie es wahrscheinlich auch nicht tun, wenn sie sich nach den Bestimmungen einer Rechtsverordnung zusammensetzen müssen. Wir möchten auch bei § 13 a verhindern, daß es zu unnötigen Auseinandersetzungen kommt. Wenn ganze Jahrgänge - insbesondere denke ich da an die weißen Jahrgänge - für den zivilen Bevölkerungsschutz zur Verfügung gestellt werden, gibt es keinerlei Möglichkeiten, sich gegenseitig ins Gehege zu kommen. Wir sind der Meinung, daß der zivile Bevölkerungsschutz auch von den übrigen Wehrpflichtigen die Kräfte bekommen muß, die wegen ihrer beruflichen Tätigkeit, ihres militärischen Ausbildungsstandes und ihrer Ausbildung oder geplanten Verwendung für diesen Dienst erforderlich sind. Wir halten es aber für unzweckmäßig und für falsch, auch die Frage des Tauglichkeitsgrades mit in die Rechtsverordnung einzubeziehen, und zwar deshalb, weil die körperlichen Anforderungen für den zivilen Bevölkerungsschutz die gleichen sind wie diejenigen, die die Bundeswehr stellt. Eine Auslese negativer Art zugunsten des einen oder anderen Bereichs entspricht in keiner Weise den Anforderungen, die in beiden Fällen gestellt werden müssen. Auf dem Gebiete des personellen Bedarfs der Bundeswehr und des zivilen Bevölkerungsschutzes darf es keine Prärogative des einen vor dem anderen geben. Denn beide Institutionen scheinen uns gleich wichtig und gleich nötig zu sein. Beide müssen daher auch auf Grund der Gesetzgebung dieselben Möglichkeiten haben. Durch dieses Gesetz erhält die militärische Seite ohnedies einen zeitlichen Vorsprung, den ich bedauere. Deswegen ist gerade in diesem Punkt ganz besondere Aufmerksamkeit geboten. Wir bitten Sie daher, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin erstaunt über die Bemerkung des Kollegen Merten, daß durch dieses Gesetz die militärische Seite einen zeitlichen Vorsprung gewinnt. Nicht daß ich sein Bedauern nicht ernst nehme, - ich glaube, es ist ehrlich gemeint; aber das Gesetz bringt ja gerade etwas zum Ausdruck, was der Bundesverteidigungsminister bisher als Mangel bezeichnet hat - ich glaube, auch vor diesem Hohen Hause -, nämlich eine nicht gebührende Berücksichtigung des zivilen Bevölkerungsschutzes. Es ist das Bundesverteidigungsministerium gewesen, das in voller Übereinstimmung mit dem Bundesinnenministerium die grundsätzliche Gleichberechtigung des militärischen Dienstes und des zivilen Bevölkerungsschutzes bei jeder Gelegenheit betont and gerade anläßlich dieser Novelle hervorgehoben hat. Ich gebe auch gern zu, daß nach meiner Auffassung, wenn dem nicht verfassungsrechtliche Schwierigkeiten entgegenstünden, ein allgemeines Bundesverteidigungspflichtgesetz an Stelle getrennter Gesetze für militärischen Dienst und für den Dienst im zivilen Bevölkerungsschutz der Sachlage eigentlich besser entsprechen würde. Aber darauf kann ich hier nicht zurückkommen. Trotzdem muß ich darum bitten, diesen Antrag abzulehnen. Herr Kollege Merten hat in diesem Zusammenhang vom Ausgleich der öffentlichen Interessen gesprochen. Ich bin froh darüber, daß er in diesem Zusammenhang nicht auch von der Notwendigkeit einer richterlichen Nachprüfung gesprochen hat. Denn hier handelt es sich um den Ausgleich zwischen den Belangen des Bundesverteidigungsministeriums auf der einen und des Bundesinnenministeriums auf der anderen Seite. Der Ausgleich der Interessen und die Aufteilung der zur Verfügung stehenden Menschen, der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, erfolgt also hier innerhalb der Bundesregierung. In der Geschäftsordnung der Bundesregierung ist ohnehin vorgesehen, daß, wenn zwei Minister, der eine federführend, der andere mitberatend, zuständig sind und sich über eine bestimmte Frage nicht einigen können, eine Kabinettsentscheidung herbeizuführen ist. Insofern würde die richterliche Nachprüfung hier noch weniger sinnvoll sein als bei dem vorhergehenden Antrag. Dieser Antrag enthält aber noch besondere, ich möchte nicht sagen, Hintergründe, aber besondere Schwierigkeiten. Wir haben uns heute vormittag, Herr Kollege Merten, über die Notwendigkeit unterhalten, den Perfektionismus möglichst zu vermeiden. Nachmittags unterhalten wir uns über Anträge, die der Wiedereinführung des Perfektionismus gerade auch auf diesem Gebiet dienen sollen; denn in diesen „weißen" Jahrgängen, an die Sie denken, befindet sich eine große Zahl von zivilen Arbeitnehmern innerhalb der Streitkräfte, sei es der deutschen Streitkräfte, sei es aber auch der Streitkräfte unserer Verbündeten auf deutschem Boden. Was für einen Sinn hätte dieser Antrag, wenn wir diese Tausende von Leuten auf Grund eines gesetzlichen Verbotes an dem Arbeitsplatz, an dem sie innerhalb der Streitkräfte, deutscher und verbündeter Streitkräfte, für die Herstellung der Einsatzfähigkeit dieser Streitkräfte unentbehrlich sind, in dem Augenblick, wo der Verteidigungsfall eintritt, nicht mehr im militärischen Range verwenden dürften. Den Sinn dieses Antrages kann man einfach nicht verstehen. Ich darf hier unsere Absichten noch einmal kurz darlegen. Wir haben nicht die Absicht, die Angehörigen der „weißen" Jahrgänge wenn ich diesen Ausdruck als allgemeinverständlich unterstellen darf - für den militärischen Dienst in Form eines Grundwehrdienstes oder in Form von Wehrübungen Jahrgang für Jahrgang heranzuziehen. Wir sind in Abstimmung mit dem Bundesministerium des Innern bereit, diese Jahrgänge es handelt sich um beinahe zehn Jahrgänge - fast ohne Ausnahme für den Dienst im Bereich des zivilen Bevölkerungsschutzes zur Verfügung zu stellen. Es gibt aber sicherlich innerhalb dieser Jahrgänge eine Reihe von Spezialisten - es mag sich nur um wenige tausend handeln -, die im Bereich des Bundesverteidigungsminister Strauß zivilen Bevölkerungsschutzes nach ihren Fähigkeiten, nach ihrer Vorbildung nicht voll verwendet werden können, die aber gerade auf Grund ihrer beruflichen Sonderausbildung für den Bereitschaftsfall oder für den Verteidigungsfall im Rahmen der militärischen Verteidigung sinnvoller verwendet werden können. Wenn ich eine grobe Schätzung aufmache, darf ich annehmen, daß diese neun bis zehn Jahrgänge mindestens 3 Millionen Menschen umfassen. Dazu kommen noch jene Jahrgänge, die zeitlich davor liegen, und es kommt noch ein Teil der Menschen, die nach dem 1. Juli 1937 geboren sind, hinzu. Ich möchte sagen, daß eine Reserve von mindestens 4-5 Millionen männlicher Bürger unseres Staates für den zivilen Bevölkerungsschutz zur Verfügung steht. Ich bezweifle ernsthaft, daß diese Reserve in absehbarer Zeit überhaupt ausgeschöpft werden kann. Man sollte aber doch nicht die paar tausend Spezialisten mit besonderer Ausbildung auf medizinischem Gebiet, auf dem Gebiet des Transportwesens, auf elektronischem Gebiet, die sich von diesen Jahrgängen bei ihrer Papier-Erfassung als wertvoll für die Landesverteidigung erweisen, auf Grund eines gesetzlichen Verbotes - einschließlich derer, die bereits heute innerhalb der Streitkräfte als Zivilisten Dienst tun - für den militärischen Dienst ausschließen. Ich glaube auch nicht, Herr Kollege Merten, daß die Frage des Tauglichkeitsgrades irgend etwas mit einer allgemeinen charakterlichen oder staatsbürgerlichen Wertung zu tun hat. Es steht doch ohne jeden Zweifel für alle diejenigen, die den gesunden Menschenverstand für sich in Anspruch nehmen, fest, daß der militärische Dienst mit Grundausbildung und mit Wehrübungen ein größeres Maß an physischer Fähigkeit und an physischen Voraussetzungen verlangt als die Ausübung einer normalen Funktion in der Zivilverteidigung, die ja größtenteils sogar der bürgerlichen, beruflichen Tätigkeit der betreffenden Person entspricht. Wenn wir also vorschlagen, daß aus den „schwarzen" Jahrgängen, um die es sich hier ja handelt, diejenigen Tauglichkeitsgrade, auf die wir beim militärischen Dienst auf Grund der zahlenmäßigen Situation nicht angewiesen sind, auch für die Zivilverteidigung zur Verfügung gestellt werden können, dann hat doch das Urteil einer Musterungskommission mit der Frage, ob jemand Staatsbürger Nummer eins oder Staatsbürger Nummer zwei ist, nichts zu tun. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; wir stimmen ab. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 668 Ziffer 5 zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen ab über Nr. 9 in der Ausschußvorlage. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; die Vorlage ist angenommen. Ich rufe auf Nr. 10. Hier liegen zwei Änderungsanträge vor. Sie finden sie auf Umdruck 670 unter den Ziffern 1 und 2. Ziffer 1 betrifft die Einfügung eines Buchstaben „vor a", Ziffer 2 betrifft den Buchstaben b. ({0}) Ich lasse einzeln abstimmen. Zunächst über Ziffer 1. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. -Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ziffer 2. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich lasse nunmehr' über Nr. 10 in der abgeänderten Fassung abstimmen. Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme. Nr. 11 ist unverändert. Zu Nr. 12 liegt kein Änderungsantrag vor. In dem Änderungsantrag Umdruck 670 Ziffer 3 wird beantragt, nach Nr. 12 eine Nr. 12 a einzufügen. ({1}) - Ohne Begründung. Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Zu Nr. 13 sind keine Änderungsanträge gestellt. Wir stimmen über die Nrn. 11, 12 und 13 ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung angenommen. Zu Nr. 14 liegt der Antrag Umdruck 668 Ziffer 6 vor. Das Wort hat der Abgeordnete Merten.

Hans Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001480, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es handelt sich um den § 21 a, der insofern eine Neuerung enthält, als durch ihn neben dem Musterungsbescheid und dem Einberufungsbescheid auch der Bereitstellungsbescheid eingeführt wird. Der Bereitstellungsbescheid soll die Grundlage für Mobilmachungsvorbereitungen bilden, damit im Verteidigungsfall ohne besondere Fristen und Formalitäten über den Wehrpflichtigen disponiert werden kann. In Abs. 1 des § 21 a heißt es, daß der Wehrpflichtige sich na c h Verkündung des Verteidigungsfalles zu melden hat. In Abs. 5 wird bestimmt, daß die Bundesregierung auch schon vor der Verkündung des Verteidigungsfalles die Wehrpflichtigen zur Meldung auffordern und ohne Einhaltung von Fristen zu einer Wehrübung einberufen kann. Das ist ein ähnlicher Fall wie in § 6, den wir vorhin behandelt haben: der letzte Absatz hebt praktisch das wieder auf, was in den ersten Absätzen steht. Auch hier muß ich wieder sagen, daß die Voraussetzungen rechtlich unklar sind. Selbst die Begründung der Bundesregierung spricht von weitreichenden Folgen, die eine derartige Bereitstellung haben könne. Denn es handelt sich um nichts anderes als um Mobilmachungen oder Teilmobilmachungen, und wir wissen ja aus der Vergangenheit, daß Mobilmachungen oder Teilmobilmachungen Spannungen auf den Siedepunkt bringen können. Sie können nicht geheim bleiben und werden auch nicht geheim bleiben. Wir sind der Meinung, daß das Ziel, das durch 'die Einführung des Bereitstellungsbescheides erreicht werden soll, auch mit der Einberufung zu normalen Wehrübungen erreicht werden kann, ohne daß man zu dramatischen und gefährlichen Mitteln greifen muß. Der Herr Minister hat vorhin bedauert, - und das gilt auch für diesen Fall -, daß man seit Jahren vergeblich versuche, gemeinsame Grundlagen für eine Notstandsregelung ,zu finden. Man habe ihm in Washington gesagt, die Fortschritte in der Notstandsregelung seien entmutigend. Ich bin sehr dafür, daß er diese Darlegungen in aller Deutlichkeit seinem Kollegen Schröder macht; denn das, was aus dem Hause Schröder bisher an Notstandsregelungen vorgelegt worden ist, ist nach Auffassung der Sozialdemokratischen Partei mehr oder weniger undiskutabel. Es geht aber nicht an, das, was auf Grund einer Grundgesetzänderung an Regelungen gemeinsam erarbeitet werden soll, jetzt vorwegzunehmen, indem man uns ohne Änderung des Grundgesetzes so bei kleinem, Scheibchen für Scheibchen in allen möglichen Gesetzen verpackt, Regelungen vorlegt, die auf dasselbe hinauslaufen. Das gilt insbesondere auch für § 21 a Abs. 5. Wir sind durchaus bereit, über Regelungen zu sprechen, die alle 'diese Dinge wie Spannungszeiten, Bereitschaftsdienst, Bereitstellung und Ähnliches betreffen. Aber wir sind nicht bereit, Regelungen zuzustimmen, die all das vorwegnehmen und die sich darüber hinaus noch in Gebieten bewegen, die rechtlich nicht klar definiert sind und praktisch doch die meisten Bestimmungen des Wehrpflichtgesetzes dann außer Kraft setzen, wenn die Bundesregierung in ihrem Schoße beschließt, es sei nunmehr eine Spannungszeit gekommen. Der einzelne erfährt gar nichts davon und er kann auch nichts 'dagegen unternehmen. Er ist widerspruchslos einem derartigen internen Beschluß des Kabinetts unterworfen. Die Fristen fallen für ihn weg, die Zeiten, die im Gesetz geregelt sind, fallen für ihn weg. Es ist doch eine große Unsicherheit für jeden einzelnen Staatsbürger in derartigen Regelungen enthalten, eine Unsicherheit, die gar nicht notwendig wäre, weil selbstverständlich das Ziel, das erreicht werden soll, auch auf dem Wege über die normale Wehrübung ohne Schwierigkeit erreicht werden kann. Wir stellen deshalb den Antrag, Abs. 5 aus den genannten Gründen zu streichen. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001006, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Hinblick auf die Ausführungen, die der Herr Bundesverteidigungsminister vorhin an einer 'anderen Stelle, aber in ähnlichem Zusammenhang gemacht hat, kann ich mich kurz fassen. Wir lehnen den Antrag, den Herr Kollege Merten hier begründet hat, ab. Wir sehen in der Bestimmung des Gesetzes nur eine normale Maßnahme, die in allen Staaten mit allgemeiner Wehrpflicht in moderner Zeit üblich geworden ist, wenn man den Erfordernissen ,der Landesverteidigung nachkommen will. Aus verschiedenen Gründen ist hier mit Wehrübungen im üblichen Maße nicht zu helfen, vor allem wegen der vorstehenden Fristen. Der Gedanke 'des Herrn Kollegen Merten, daß man nicht einzelne Bestimmungen ,des Notstands regeln könne, ohne daß vorher das Grundgesetz geändert sei, ist juristisch nicht haltbar; denn diese Bestimmung ist durch das Grundgesetz gedeckt und widerspricht ihm nicht. Es ist außerdem noch die Frage, ob es überhaupt als eine Notstandsbestimmung anzusehen ist. Vor allem hat es nichts mit dem Bereich zu tun, für 'den der hier zitierte Herr Bundesinnenminister zuständig ist. Es war von der Unsicherheit für den Betroffenen die Rede, der einen solchen Bereitstellungsbescheid erhält und im Verteidigungsfalle in einer kritischen Situation nun überraschend einberufen wird. Ich muß dazu sagen, die Unsicherheit, die durch einen ausbrechenden Krieg entstünde, die durch solche Maßnahmen möglicherweise noch verhindert werden kann, ist jedenfalls um vieles größer. Der Ruf nach dem Richter, wie er vorhin in diesem Zusammenhang erscholl, kommt mir doch ein wenig so vor, als ob man dem Richter auch noch die Kriegführung und damit die Verteidigung überlassen wollte. Das wäre doch eine Überspannung des Rechtsstaatgedankens und geradezu ein Witz. ({0}) Man soll doch mit dem von dem Herrn Minister und sicherlich von uns allen vertretenen rechtsstaatlichen Gedanken nicht so weit gehen, daß man schließlich keinen Schritt in der Verwaltung und keinen Schritt in der Verteidigung mehr tun kann, ohne gleich den ganzen gerichtlichen Apparat in Bewegung zu setzen. Ich glaube, auch dies muß man einmal gerade auch als Jurist aussprechen. ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer Abs. 5 des § 21a gestrichen wissen will, möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen ab über die Nrn. 14 und 15. Wer die beiden Bestimmungen annehmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen. Nr. 16. Kein Antrag. Wer Nr. 16 zustimmen will, der erhebe die Hand. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Nr. 17! Hier liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 670 Ziffer 4 vor. Er wird nicht begründet, Herr Dr. Jaeger? ({0}) Vizepräsident Dr. Schmid - Keine Wortmeldungen. Wir stimmen ab. Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Wer Nr. 17 in der geänderten Fassung zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Nr. l8, Änderungsantrag Umdruck 668 Ziffer 7! Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Heinemann.

Dr. Dr. Gustav W. Heinemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000848, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt ein sogenanntes Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz aus dem löblichen Jahre 1934. Es schränkt die Vertretung fremder Personen in rechtlichen Angelegenheiten dahin ein, daß sie in der Hauptsache nur durch Rechtsanwälte erfolgen soll. ({0}) Auf Grund dieses Gesetzes sind in der jüngsten Zeit auch die Beauftragten von Vereinigungen der Wehrdienstverweigerer und der Kirchen von der Vertretung der Kriegsdienstverweigerer ausgeschaltet worden. Unser Antrag will ermöglichen, daß eine solche Vertretung durch diese Beauftragten stattfindet. Wir wünschen sie unter zwei Begrenzungen ermöglicht: die Vertretung muß unentgeltlich geschehen, und wenn sie durch den Beauftragten einer Vereinigung erfolgen soll, muß diese Vereinigung durch eine Landesregierung anerkannt sein. Wir sind der Meinung, daß es im pflichtgemäßen Ermessen der Landesregierung stehen würde, diese Anerkennung auszusprechen oder auch nicht auszusprechen, wobei natürlich solche Betreuungen grundsätzlich möglich sein müßten. Soweit die Betreuung durch Beauftragte der Kirchen stattfinden würde, sind wir der Meinung, daß sie den Kirchen in eigener Verantwortung überlassen werden kann. Es wird bekannt sein, daß eine Reihe von Kirchen, jedenfalls von evangelischen Landeskirchen, solche Beauftragten bestellt haben, z. B. die Evangelischen Kirchen in Hessen und Nassau, in Westfalen, im Rheinland usw. Die Kirchen wollen die Betreuung sowohl der Soldaten als auch der Wehrdienstverweigerer. Sie fühlen sich nach beiden Seiten zur Betreuung verpflichtet. Wenn nun schon die Betreuung der Wehrdienstverweigerer nicht gefördert werden soll - wir verlangen das gar nicht -, so sollte sie wenigstens auch nicht gehindert werden. Die Hinderung aus dem Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz von 1934 bitten wir deshalb aufzuheben. ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat Herr Abgeordneter Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001130, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherigen Anträge, die die SPD heute hier gestellt hat, waren bereits alle Gegenstand der Beratung im Verteidigungsausschuß. Mit diesem Antrag ist es anders, und ich gehe deshalb nicht fehl in der Annahme, daß die Initiative zu diesem Antrag innerhalb der SPD-Fraktion - es ist ja ein Fraktionsantrag - von solchen Kollegen ausging, die an der Arbeit des Verteidigungsausschusses nicht beteiligt sind, weil sie wahrscheinlich den Problemen der Verteidigungspolitik etwas skeptischer gegenüberstehen. ({0}) - Ich will begründen, warum ich das sage: weil offensichtlich den Initiatoren dieses Antrags die praktische Erfahrung auf diesem Gebiet fehlt. Ich selbst bin seit mehreren Jahren als Beisitzer in einem Ausschuß für die Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung tätig. Wenn die Antragsteller hier erreichen wollen - was ihr gutes Recht ist -, den Rechtsschutz der Kriegsdienstverweigerer zu verstärken, so muß ich Ihnen aus der Praxis heraus sagen, daß Ihr Antrag in der Praxis das Gegenteil bewirken würde. Das Bundesverteidigungsministerium hat bisher Vertreter der Kriegsdienstverweigererorganisationen als Mithelfer in einem so großzügigen Maße zugelassen, daß das zum Teil zum Mißbrauch geführt hat. Das Oberverwaltungsgericht hat das deshalb gegenüber dem Bundesverteidigungsministerium beanstandet. Aus meinen praktischen Erfahrungen heraus möchte ich Ihnen folgendes sagen. Sie sprechen hier von anerkannten Religionsgemeinschaften. Die Zeugen Jehovas brauchen Ihren Antrag nicht. Ich kann hier mit allem Respekt sagen, ich wünschte, es kämen in den Ausschüssen für Kriegsdienstverweigerer nur solche gewissenhafte Menschen vor uns wie die Zeugen Jehovas. Ich habe noch in keinem einzigen Falle einen Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft erlebt, der nicht in vollem Umfange überzeugend gewirkt hätte. ({1}) Auch den Kirchen steht es völlig frei, den Kriegsdienstverweigerern Rechtsschutz zu geben. Mir ist nicht bekannt, daß das in jüngster Zeit irgendwie eingeschränkt worden wäre. Wenn Sie aber das hier, wie Sie es wollen, in das Gesetz hineinschreiben, dann stellen Sie die kirchlichen Gemeinschaften, die zwar ihre seelsorgerische Pflicht gegenüber den Kriegsdienstverweigerern durchaus ernst nehmen, die es aber nicht für ihre Aufgabe halten, an Stelle eines Rechtsanwaltes mit dem Kriegsdienstverweigerer vor das Verwaltungsgericht zu gehen, unter einen gewissen moralischen Druck, das zu tun, und das wäre schlecht. Über den Mißbrauch, der getrieben worden ist, möchte ich Ihnen aus der Praxis folgendes berichten. Da stutzt ein Kriegsdienstverweigerer bei einer Frage und sagt, seine Organisation habe ihn auf diese Frage nicht vorbereitet. Ein anderer wendet sich hilfesuchend, weil er keine Antwort weiß, an den Vertreter seiner Organisation, und dieser bittet darum, für den Kriegsdienstverweigerer die Antwort geben zu dürfen. Oder der Vorsitzende fragt - als Konsequenz gewisser Vorfälle - nach Dr. Kliesing ({2}) einer zweistündigen Verhandlung eine als Rechtsvertreterin anwesende Dame, was sie dazu zu sagen habe; dabei stellt sich heraus, daß diese Dame nur mitstenographiert hat, um den Fragenkatalog der betreffenden Organisation zu vergrößern. ({3}) So sieht die Praxis aus. Wenn wir Ihren Antrag annähmen, würde auf Grund der unter Buchstabe a) enthaltenen Bestimmung folgendes geschehen. Bisher kann noch jede Kriegsdienstverweigererorganisation, wenn sie nicht offensichtlichen Mißbrauch treibt, ihren Mitgliedern den Rechtsschutz geben, der hier angestrebt wird. Nach Annahme dieses Antrages könnte das aber nur eine Organisation tun, die von der betreffenden Landesregierung anerkannt ist. Da unsere Landesregierungen bekanntlich eine etwas verschiedene Einstellung zu diesen Organisationen haben, würde damit eine Rechtsungleichheit von Land zu Land geschaffen werden. Es käme dann vielleicht noch so weit, daß ein Kriegsdienstverweigerer, weil seine Organisation von der betreffenden Landesregierung nicht anerkannt ist, in das nächste Bundesland umziehen müßte, in dem seine Organisation anerkannt ist. Aus all diesen Gründen ist der derzeitige Zustand auch für die Kriegsdienstverweigerer besser. Wir sollten deshalb den Antrag ablehnen. ({4})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Heinemann.

Dr. Dr. Gustav W. Heinemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000848, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedaure, daß durch diese Ausführungen etwas Schärfe in eine Sache kommt, die meines Erachtens sehr viel einfacher und schlichter zu betrachten ist. Zunächst, Herr Dr. Kliesing, ist es doch wohl ein Irrtum Ihrerseits, wenn Sie sagen, hier werde etwas vorgebracht, was im Verteidigungsausschuß nicht erörtert worden sei. Herr Merten unterrichtet mich dahin, daß das Anliegen, das in unserem Antrag jetzt zur Entscheidung steht, im Verteidigungsausschuß vorgebracht worden ist. Aber das kann ja nun vielleicht dahinstehen. Es ist immerhin noch möglich, in der zweiten Lesung Dinge vorzubringen, die im Ausschuß nicht vorbedacht worden sind. Ich muß Ihnen leider rein den Tatsachen nach widersprechen, daß die Zulassung von Beauftragten für die Betreuung von Kriegsdienstverweigerern großzügig gehandhabt werde. Das mag gewesen sein. Das ist vorbei, seitdem u. a. das Oberverwaltungsgericht Münster als oberste Gerichtsinstanz für ganz Nordrhein-Westfalen dieses Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz von 1934 ins Spiel gebracht hat. Von da an fordern die zuständigen Ausschüsse und Verwaltungsgerichte in NordrheinWestfalen den Nachweis der Vertretungsbefugnis nach diesem Gesetz von 1934. Ich selbst habe einen solchen Antrag für einen Religionslehrer in Essen in Bearbeitung genommen, der von der Evangelischen Kirche für die Betreuung von Kriegsdienstverweigerern beauftragt worden ist. Die Leitung der Evangelischen Kirche im Rheinland hat - wenn ich recht unterrichtet bin - an den Verteidigungsausschuß oder an das Verteidigungsministerium eine förmliche Eingabe mit dem Antrag gerichtet, die Betätigung der von ihr Beauftragten möglich zu machen und möglich bleiben zu lassen, indem die nunmehr Platz greifende Anwendung des Rechtsberatungsmißbrauchsgesetzes nicht stattfindet. Es handelt sich keineswegs um einen Vorgang innerhalb nur einer einzelnen Landeskirche. So hat z. B. die Landeskirche Hessen und Nassau unter dem Präsidium des Herrn Bundesministers Dr. Wilhelmi auf ihrer letzten Synodaltagung auch beschlossen, daß kirchliche Beauftragte für die Betreuung von Wehrdienstverweigerern in allen kirchlichen Bezirken bestellt werden sollen. Daß die katholische Kirche es bevorzugen würde, eine Vertretung nur durch Rechtsanwälte stattfinden zu lassen, mag ihr überlassen bleiben. Die evangelische Kirche möchte es auch anders machen können, weil sie sich in gleicher Weise der Betreuung sowohl der Soldaten als auch der Wehrdienstverweigerer aus kirchlichen Möglichkeiten und durch kirchliche Personen verpflichtet weiß und das wiederholt öffentlich ausgesprochen hat. Ich bitte deshalb, diesen Antrag doch anzunehmen. Was den letzten Hinweis anlangt, daß etwa die Landesregierungen eine Vereinigung unterschiedlich zulassen könnten, die sich auch der Betreuung von Kriegsdienstverweigerern widmen möchte, so wollen Sie damit sicherlich keiner einzigen Landesregierung unterstellen, daß sie eine Vereinigung anerkennen würde die unter den Art. 9 des Grundgesetzes fiele. sich also verfassungsfeindlich betätigte oder verfassungsfeindliche Ziele verfolgte. Dieses Mißtrauen sprechen Sie doch, glaube ich, gegen keine einzige Landesregierung aus. Da Sie im übrigen auch die Einschaltung von Gerichtsbarkeiten nicht wünschen, müssen Sie es denn nun auch einmal hinnehmen, daß unterschiedliche Entscheidungen von Landesregierungen bestehenbleiben. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir stimmen ab. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 668 Ziffer 7 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! ({0}) Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.. Ich rufe auf die Nrn. 18, - 19, - 20, - 21, - 22. - Wer zustimmen will, der gebe das Hand6906 Vizepräsident Dr. Schmid zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Änderungsantrag Umdruck 670 Ziffer 5 zu Nr. 23, offenbar ohne Begründung. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Nr. 23 in der geänderten Fassung, - Nrn. 24, - 25, - 26, - 27, - 28, - 29, - 30 entfällt. - Wer diesen Nummern zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Nr. 31. Hier soll paragraphenweise aufgerufen werden. Bestehen Einwendungen? - Das ist nicht der Fall. Zunächst § 47 a. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Zu § 47 b liegt unter Ziffer 8 des Umdrucks 668 ein Änderungsantrag vor. Zur Begründung Herr Abgeordneter Merten!

Hans Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001480, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten Sie, in § 47 b Nr. 1 Satz 2, wo es in der Vorlage heißt: „Die kreisfreien Städte oder der Landkreis sollen vor ,der Entscheidung gehört werden", den Wortlaut zu wählen: „Die kreisfreien Städte oder der Landkreis sind vor der Entscheidung zu hören." In ,diesem § 47 b werden Vorschriften für den Verteidigungsfall getroffen. Ein großer Teil der Vorschriften des Gesetzes wird hier außer Kraft gesetzt oder anders formuliert. Das ist auch für den Verteidigungsfall gar nicht anders möglich. Wir sind aber der Meinung, ,daß es auch im Verteidigungsfall durchaus möglich ist, die kreisfreie Stadt oder den Landkreis zu hören. Das ist zweckmäßig und notwendig, erstens im Interesse des Wehrpflichtigen selbst und zweitens zum Schutz der öffentlichen Interessen. Ich denke hier wieder an den zivilen Bevölkerungsschutz, der dabei stark beeinträchtigt werden könnte. Wir bitten Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich vielleicht gleich den nächsten und letzten Änderungsantrag begründen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

§ 47 c!

Hans Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001480, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dieser Antrag betrifft den § 47 c, und wir bitten Sie, ihn abzulehnen. Es handelt sich hier um die Erfassung und Musterung von Wehrpflichtigen für bestimmte Aufgaben. Nach diesem § 47 c wird die Wehrpflicht bis zum 60. Lebensjahr ausgedehnt, gewiß nicht für jedermann, aber für diejenigen, die wegen ihrer beruflichen Tätigkeit oder Ausbildung für die Herstellung der Einsatzfähigkeit oder ,die Sicherung der Operationsfreiheit nötig sind. Auch hier ist es so wie in den bereits erwähnten §§ 6 und 21 a: Die Bundesregierung stellt fest, wann und wie lange das notwendig ist. Auch hier ist in der Begründung der Regierungsvorlage von den berühmten Spannungszeiten die Rede, für deren Feststellung es keinerlei Richtlinien gibt. Sie liegt völlig im Ermessen der Regierung, ohne Mitwirkung des Parlaments oder des Bundesrates. Die Erfassung und Musterung mit dieser Mobilmachungsbeorderung erfolgt ja schon im Frieden. Nun ist es doch wohl so, daß, wenn im Frieden eine derartige Mobilmachungsbeorderung beispielsweise eines Werkmeisters, der bei den amerikanischen Stationierungskräften arbeitet, erfolgt, er diesen Arbeitsplatz kaum noch wechseln kann, weil damit alles wieder hinfällig würde. Es wäre also die Frage zu prüfen, inwieweit die in Art. 12 des Grundgesetzes garantierte freie Wahl des Arbeitsplatzes beeinträchtigt würde. Auch die Einberufung in Spannungszeiten wind in diesem Paragraphen in einer Art und Weise geregelt, die mit einer ordnungsgemäßen Erfassung und Musterung nicht mehr viel zu tun hat. Der Katalog der Berufsgruppen, die hier angesprochen werden, ist außerordentlich umfangreich: Sicherung, Transportwesen, Bauwesen, Werkstättenbetriebe, Bergungs- und Instandsetzungswesen, Sanitätswesen, Versorgungsaufgaben, Verwaltungsaufgaben. Vom zivilen Bevölkerungsschutz ist leider in diesem Paragraphen nicht die Rede, und auch hier ist mir völlig unklar, wie der zivile Bevölkerungsschutz bei diesem umfassenden Katalog militärischer Art zu seinem Recht kommen soll. Denn ein großer Teil dieser Berufsgruppen wird genauso auch im zivilen Bevölkerungsschutz gebraucht, und zwar in voller körperlicher Tauglichkeit. Der Minister befindet sich in einem schweren Irrtum, wenn er glaubt, daß beim zivilen Bevölkerungsschutz die körperliche Tauglichkeit nicht so wesentlich sei wie bei der Bundeswehr und den Streitkräften. Wenn er sich einmal die Trainingslager des ,zivilen Bevölkerungsschutzes beispielsweise in Großbritannien ansieht, wird er, glaube ich, sehr bald zu einer anderen Meinung kommen. Ich bin der Meinung, daß das Gesetz genügend Möglichkeiten gibt, die Kräfte bereitzustellen, die die Bundeswehr ohne Zweifel haben muß, und daß es da keiner Ausnahmebestimmungen bedarf, insbesondere dann nicht, wenn die Voraussetzungen unklar sind und zudem auch hier wieder durch den Begriff der Spannungszeiten und alles, was damit zusammenhängt, die politische Gefahr, die darin liegt, angesprochen wird. Es fehlen die gesetzlichen Voraussetzungen für klare Grundlagen, und es fehlt auch die notwendige Berücksichtigung des zivilen Bevölkerungsschutzes. Solange diese Voraussetzungen nicht geschaffen sind, ist es, glaube ich, nicht gut möglich, diesem § 47 c zuzustimmen. Denn gerade durch ihn wird das wieder bestätigt, was ich vorhin schon gesagt habe: Der Bundeswehr und den Streitkräften wird zum mindesten zeitlich ein Vorrang eingeräumt vor dem zivilen Bevölkerungsschutz, der in keiner Weise über ähnliche Möglichkeiten verfügt und bei dem auch gar nicht abzusehen ist, wann er derartige gesetzliche Möglichkeiten bekommen wird. Wir bitten Sie daher, diesen Paragraphen abzulehnen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu den beiden Anträgen kurz Stellung. nehmen. Zunächst zu dem Antrag Umdruck 668 Ziffer 8. Es ist doch klar ersichtlich, daß sich der Fall, der hier geregelt werden soll, auf die Musterung von ungedienten, d. h. auch noch nicht erfaßten oder jedenfalls nicht gemusterten Wehrpflichtigen nach Eintritt des Verteidigungsfalles bezieht. Wir halten eine elastische Bestimmung, die im Regelfalle eine Anhörung der kreisfreien Stadt oder des Landkreises vorsieht, für eine zweckmäßige Regelung in der Abstimmung der militärischen und zivilen, ich darf auch sagen: zivil-lokalen Interessen in diesem Falle. Es gibt aber eine ganze Reihe von Fällen, in denen ein Interesse des Landkreises oder des Stadtkreises überhaupt nicht gegeben ist. Warum hier durch gesetzlichen Zwang noch nach Eintritt des Verteidigungsfalles, also nach einem erfolgten militärischen Angriff, gemeinsame Sitzungen der militärischen Musterungskommissionen und der Landräte oder Oberbürgermeister, und zwar Fall für Fall für alle diejenigen, die eingezogen werden sollen, stattfinden sollen, ist nicht einzusehen. Wenn man dann noch davon ausgeht, daß es in diesem Parlament in allen Fraktionen eine beträchtliche Zahl von Verteidigungsexperten gibt, die sich ja seit Jahren bemühen, ein realistisches Bild des Verteidigungsfalles auszuarbeiten, und die seit Jahr und Tag zum Teil der Bundesregierung Vorwürfe machen, wir müßten unser Verteidigungsbild modernisieren - ich denke an das Stichwort „Umrüstung" der Jahre 1955, 1956 und Anfang 1957 -, dann fehlt mir nicht nur das Verständnis, es fehlt mir hier der Intellekt, um diesen Antrag zu verstehen, wonach nach Eintritt des Verteidigungsfalles, ich muß ein hartes Wort gebrauchen: nach Ausbruch des Krieges, und zwar ohne territoriale Einschränkung von der Zonengrenze bis Trier und von Emden bis Passau, gemischte Kommissionen, gebildet aus den militärischen Dienststellen und aus den kommunalen Behörden, zusammentreten sollen, die in jedem Einzelfall beraten und entscheiden sollen, ob der Betreffende herangezogen werden darf oder nicht. Ich darf mich zu dem ersten Antrag auf diese Feststellung beschränken. Noch ernster liegt die Angelegenheit, was den letzten Antrag betrifft; darüber steht wirklich ein Unstern. Wir haben uns im Verteidigungsausschuß des Bundesrates darüber unterhalten, und ich muß zur Ehre der Mitglieder des Verteidigungsausschusses des Bundesrates sagen, daß ich dort bei sämtlichen Ministerpräsidenten oder den von ihnen delegierten Kabinettsmitgliedern nach einer gründlichen Aussprache ein volles Verständnis für unsere Notwendigkeiten gefunden habe. Wenn ich annehme - mir fehlt jetzt eine zuverlässige Schätzung -, daß sich im Bereich dieser Jahrgänge mindestens 10 Millionen Männer im Alter von 20 bis 60 Jahren befinden, von denen ein Bruchteil als Reservisten ausgebildet ist, dann gehe ich wohl nicht fehl; ich greife damit eher eine Zahl heraus, die viel niedriger ist als die tatsächliche Zahl; aber 10 Millionen ist noch eine absolut realistische Zahl, eine an der unteren Grenze liegende Angabe. Alle Herren des Verteidigungsausschusses, aber, glaube ich, auch alle übrigen Mitglieder dieses Hohen Hauses wissen, daß der Apparat der Bundeswehr auch für den Verteidigungsfall - ein Apparat, der naturgemäß größer wäre als der Apparat im Friedensfall - gar nicht in der Lage ist, einen nennenswerten Prozentsatz dieser männlichen Bürger unseres Staates zu erfassen oder sinnvoll in Dienst zu stellen. Wir haben ja genaue Zahlen genannt. Es handelt sich hier um einen ganz begrenzten Personenkreis. Eine Annahme des Antrages aber, den Sie stellen, Herr Kollege Merten, hätte zur Folge, daß Personen zwischen 45 und 60 Jahren - und das ist ja heute noch ein sehr jugendliches Alter, wenn man die allgemeine Lebenserwartung, den allgemeinen Gesundheitszustand und die allgemeine „Lebhaftigkeit" dabei als Erfahrungsmaßstab zugrunde legen darf -, auch wenn sie bei der Bundeswehr oder bei den Stationierungsstreitkräften als Zivilisten dienen, entweder überhaupt nicht im militärischen Status Dienst machen dürfen oder zu Unteroffizieren und Offizieren ernannt werden müssen, damit der Bereich von 45 bis 60 Jahren abgedeckt wird. Ich habe keine finanziellen Bedenken dagegen - die hat vielleicht der Herr Finanzminister -; ich werde demnächst die Planstellen dafür anmelden, die dann notwendig sind. Sie verschieben den sonst im Hause gewohnten Stellenkegel ganz erheblich. Aber es geht hier nicht um Planstellen, es geht hier um etwas anderes. Es geht darum, daß nach dem Willen dieses Hauses - ich erinnere an die Beratungen der Jahre 1955/56 - alle Funktionen, die im Frieden nicht aus der Natur der Sache heraus mit zwingender Notwendigkeit mit Soldaten besetzt werden müssen, von zivilen Bediensteten ausgefüllt werden sollen. Das heißt, daß ein großer Teil der Verbände der Bundeswehr und selbstverständlich auch ein großer Teil der Verbände der Alliierten in ihrer Funktions- und Verwendungsfähigkeit von der Arbeitsleistung der bei ihnen beschäftigten zivilen Arbeitskräfte abhängig sind, oder umgekehrt bei nicht voller Arbeitsleistung einfach nicht mehr die Aufgabe erfüllen können - auch im prohibitiven Sinne -, für die sie nun einmal da sind. Es ist aber allgemeine Überzeugung und aus der Natur der Sache heraus notwendig, daß im Verteidigungsfalle diejenigen Zivilisten, die für die Aufrechterhaltung der Verwendungsfähigkeit der Streitkräfte unentbehrlich sind, auch aus Gründen des Völkerrechts - ihrer Anerkennung als Kombattanten - in den militärischen Status übergeführt werden. Das gilt in der Hauptsache für diejenigen, die heute bereits als Zivilisten im Bereich der Streitkräfte Dienst tun; das gilt wahrscheinlich auch für solche, die einmal dort Dienst getan haben, und für eine kleine Zahl derer, die auf Grund ihrer Berufserfahrung oder ihrer Berufsausbildung - denken Bundesverteidigungsminister Strauß Sie beispielsweise an die Flugzeugindustrie und verwandte Gebiete - für eine Tätigkeit dieser Art in Betracht kommen. Denn die industrielle Produktion wird ja bei uns in diesem Fall nicht mehr so weitergehen, wie man es aus vergangenen Maßstäben heraus gewohnt ist. Wer diesem Antrag zustimmt - ich darf das einmal ganz deutlich und offen sagen -, der hat, wie die Dinge nun einmal in Wirklichkeit liegen, entweder keine Ahnung von den wirklichen Verhältnissen in einer modernen Wehrmacht oder der will die Herstellung und Aufrechterhaltung der Verwendungsfähigkeit der deutschen und der verbündeten Streitkräfte mit Absicht hintertreiben. ({0}) Ich glaube, keine Gruppe in diesem Hause ist hier so ahnungslos, das zu tun oder diese Absicht zu haben. Ich möchte es jedenfalls keiner Gruppe unterstellen. Aber man muß auch mir so viel Sachkenntnis einräumen, daß ich weiß, worum es geht, und man muß mir die Legitimation einräumen, auf diese Zusammenhänge hinzuweisen. Angesichts der politischen Situation, in der wir uns befinden, angesichts der zwingenden Notwendigkeit, unseren guten Willen zur Herstellung der Verteidigungsbereitschaft zu beweisen, ja angesichts der Erklärungen, die in jüngster Zeit von allen Seiten des Hauses gemacht worden sind, muß es einem denkbar merkwürdig vorkommen, daß solche Anträge gestellt werden. ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Merten,

Hans Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001480, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich wegen der letzten Sätze des Ministers zum Wort gemeldet. Bei der Rede, die er vorhin gehalten hat, habe ich auch dann, wenn er mit Unterstellungen gearbeitet hat, nichts gesagt. Ich habe das auch bei dem Kollegen Jaeger nicht getan, weil ich keine Schärfe in die Debatte bringen wollte. Ich wollte das Ihnen überlassen. ({0}) Aber wenn behauptet wird, daß derjenige, der die Streichung dieses Paragraphen verlangt, ({1}) weil gewisse Klarheiten, die man haben muß, ehe man einem derartigen Paragraphen zustimmen kann, fehlen, und wenn dann weiterhin die ungeheuerliche Behauptung aufgestellt wird, daß derjenige, der das beantragt, mit Absicht die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr hintertreiben will, dann kann ich allerdings nicht schweigen. ({2}) Dann muß ich aufstehen und auch gleichzeitig im Namen meiner Freunde diese Unterstellungen des Herrn Bundesverteidigungsministers mit aller Schärfe zurückweisen. ({3}) Offenbar hat er überhaupt nicht zugehört, oder wenn er zugehört hat, hat er nicht begriffen, oder wenn er begriffen hat, hat er nicht begreifen wollen, worum es uns hier eigentlich geht. ({4}) Der Herr Bundesverteidigungsminister wird zugeben müssen, daß es über den Begriff „Spannungsfall" nirgends eine Definition gibt. Daß das nicht im Grundgesetz definiert ist, rechtfertigt noch lange nicht zu sagen: Na ja, das widerspricht ja nicht dem Grundgesetz; es steht ja gar nichts davon drin! Damit möchte ich auch dem Juristen Dr. Jaeger einmal sagen: so kann man ja nun nicht arbeiten. Wir haben schon allerlei erlebt, aber der Spannungsfall ist nur ein anderes Wort für das, was man sonst Notstandsfall nennen würde. Man kann nicht eine Sache plötzlich mit einem anderen Wort bezeichnen und sagen: Na ja, das ist ganz etwas anderes, darüber steht im Grundgesetz nichts, also können wir da machen, was wir wollen. Herr Verteidigungsminister, bitte nehmen Sie zur Kenntnis: es geht uns hier um Dinge, die im Frieden passieren. Mit diesem Paragraphen wie auch mit den vorhergehenden wollen Sie ja im Frieden die Menschen vom 18. bis zum 60. Lebensjahr einziehen und sie unbefristet Wehrübungen, Bereitschaftsdienst usw. machen lassen. Darum geht es. Was hier für den Verteidigungsfall geregelt ist, ist t in Ordnung, und dem werden wir zustimmen. Aber wenn Sie diese Bestimmung für den Verteidigungsfall durch einen einfachen Satz auch gleichzeitig für den Friedensfall plötzlich Rechtens machen, ohne deutlich im Gesetz zu sagen, für welchen besonderen Fall im Frieden Sie sich diese Vollmachten geben lassen, und ohne daß diese Vollmachten im Grundgesetz oder in irgendeinem anderen Gesetz definiert sind, dann erlauben wir uns allerdings zu sagen: Wir wollen erst wissen, woran wir sind, ehe wir derartigen Bestimmungen unsere Zustimmung geben. ({5}) Es scheint mir doch ein sehr berechtigtes Verlangen eines Parlaments zu sein, daß es sich erlaubt, Auskunft und Klarheit zu fordern, wenn in Friedenszeiten eine Bundesregierung durch einfachen Kabinettsbeschluß fast sämtliche Bestimmungen eines Wehrpflichtgesetzes und damit auch alle Sicherungen, die sowohl für den einzelnen als auch für das öffentliche Interesse gegeben sind, außer Kraft setzt. Weil darüber weder im Ausschuß mit Ihnen zu reden war noch, wie ich sehe, hier mit Ihnen zu reden ist, bleibt nur die Vermutung übrig, daß Ihnen an einer gemeinsamen Notstandsregelung gar nichts gelegen ist, weil Sie das einfach alles auf diesem kalten Wege durchsetzen wollen, von dem Sie wissen, daß Sie anderenfalls mit der SPD darüber diskutieren müßten. ({6}) Wir bitten Sie aus diesem Grunde nach wie vor um Streichung dieses Paragraphen. ({7})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Der Herr Bundesverteidigungsminister hat das Wort.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich den Herrn Vorredner richtig verstanden habe, dann würde bei klarer Definition des Begriffs „Spannungsfall" die Notwendigkeit der Maßnahmen nach § 47 c von seiner Seite anerkannt werden. Ich vermag nun nicht einzusehen, was eine Definition eines bestimmten Falles, der sich nicht in schematische Richtlinien pressen läßt, an den sachlichen Notwendigkeiten ändert. Denn wenn gesagt wird, daß durch eine klare Definition des Spannungsfalles die Notwendigkeit des § 47 c bejaht werden könnte, wird implicite zugegeben, daß nur infolge des Mangels einer klaren Definition eine Notwendigkeit nicht anerkannt wird. - Soviel zur Voraussetzung. Ich darf kurz etwas zum Begriff „Spannungsfall" und zum Begriff „Verteidigungsfall" sagen. Ich glaube nicht, daß es meine Aufgabe ist, die Verhandlungen über die Notstandsgesetzgebung zu führen. Ich glaube darüber hinaus auch nicht, daß die Notstandsgesetzgebung bisher infolge übergroßer Bereitwilligkeit auf allen Seiten des Hauses gescheitert oder nicht zustande gekommen ist, um mich auf eine sehr euphemistische Bemerkung zu beschränken. Wir gehören einem Verteidigungsbündnis an. Es besteht nicht der geringste Zweifel, daß ein Verteidigungsbündnis, dessen maßgebende Träger Nationen mit demokratischer Struktur sind und dessen gesamte Verteidigungskonzeption der defensiven Haltung der Demokratien entspricht, es viel schwieriger hat, militärische Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen, als Diktatoren, die den Zeitpunkt, den Ort und die Mittel für ihre militärischen Aktionen bestimmen können und weder einer öffentlichen Kontrolle darüber unterliegen noch einer übermäßigen Aufklärungs- oder Entdeckungsgefahr gegenüberstehen. Es ist so gut wie sicher - man kann es als eine ({0}) - Ich glaube, daß man über ein so ernstes Thema nicht mit so lächerlichen Unterstellungen antworten kann, wie es diese Zurufe bedeuten. ({1}) Wenn das die Ernsthaftigkeit der Absichten in so lebenswichtigen Problemen ist, mit denen wir uns seit Jahren aufs intensivste abmühen, ({2}) dann allerdings dürfen Sie sich nicht wundern, wenn die Antwort auf gewisse Angebote sehr skeptisch ausfällt. ({3}) - Ich habe nicht die Absicht, Kollege Schmitt, mit Ihnen in eine Spiegelkonkurrenz zu treten. ({4}) - Ja, ich sage: eine Spiegelkonkurrenz. Ich denke nicht an das bekannte Wochenmagazin, sondern an die bekannte technische Einrichtung des Spiegels. Ich trete aber hier nicht als politisches Mannequin auf wie Sie als Zurufer, sondern als ernsthafter Redner. ({5}) - Ichglaube, daß man ernsthafte Argumente nicht mit dieser Methode zerstreuen kann. ({6}) - Obwohl ich den Lautsprecher zur Verfügung habe, mache ich weniger vom Kehlkopf Gebrauch als Sie, aber in diesem Falle mehr vom Kopf! ({7}) Es ist eine feststehende Tatsache, daß im Falle einer militärischen Spannung, im Falle einer militärischen Krise oder im Falle von Angriffshandlungen die NATO erst dann ,den Verteidigungsfall erklären würde, wenn die Feindseligkeiten praktisch bereits ausgebrochen sind. Daß die Regierungen der NATO-Staaten, die im NATO-Rat über diese Frage zu 'befinden haben, den Verteidigungsfall und - wollen wir einmal das Kind Verteidigungsfall bei seinem traurigen Namen nennen - den Kriegszustand erklären würden, bevor ein Anlaß eingetreten ist, der die Erklärungdieses Zustandes rechtfertigt, ist doch völlig ausgeschlossen. So, wie man früher, ich darf sagen, leichtfertig oder wegen militärischer Mobilmachungstermine den Kriegsfall erklärt hat, so leicht erklärt heute keine Regierung auf der Welt, ich glaube, nicht einmal eine sowjetische oder eine diktatorische Regierung mehr den Krieg. Ein Verteidigungsbündnis demokratischer Völker, in dem Einstimmigkeit erforderlich ist, wird sich hüten, den Kriegszustand zu erklären, wenn dafür nicht durch eine Angriffshandlung von der anderen Seite ,die Voraussetzungen geschaffen worden sind. Ich glaube, darüber gibt es keinen Zweifel. Bundesverteidigungsminister Strauß Nun beanstandet der Kollege Merten, daß bisher keine Richtlinien für den Spannungsfall erlassen worden sind, Richtlinien, die den Spannungsfall definieren. Ich glaube, man kann in Richtlinien nicht die Voraussetzungen für einen Spannungsfall definieren. Wer ist denn für die politische Beurteilung, ob ein Spannungsfall vorliegt oder nicht, zuständig? Das können nur die Organe des Bundes sein. Ich sage nicht, allein die Bundesregierung, sondern die Organe des Bundes. Die Frage, ob ein Spannungsfall vorliegt oder nicht, unterliegt der politischen Beurteilung oder vielleicht auch dem Wirklichkeitssinn derer, ,die ,diese politische Beurteilung vorzunehmen haben. Wer uns die Möglichkeit nimmt, nach politischen Maßstäben und nach bestem Wissen und Gewissen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Spannungsfall vorliegen, und, wenn wir zu dieser Überzeugung kommen, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, der kann nicht behaupten, daß er für eine Landesverteidigung unter modernen Umständen eintritt. Das ist eine genauso klare Feststellung, die mit Unterstellungen nichts zu tun hat und die nur einer klaren Präzisierung dessen dienen soll, was nicht durch Nebel, Behauptungen und Vorwände den Augen der Öffentlichkeit entzogen werden sollte. ({8})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dieser Diskussion sind wir bei einem überaus wichtigen Problem angelangt. Ich habe bei der Behandlung ,des Haushalts des Innenministeriums von diesem Platze aus erklärt, daß alle politischen Kräfte in der Bundesrepublik mitverantwortlich dafür sind, daß ,diese Bundesrepublik in allen Fällen der Spannung, in allen Fällen innerer odersonstiger Unruhen geschützt und am Leben erhalten wird. ({0}) Ich habe dazu erklärt, daß die Sozialdemokratische Partei und .die .sozialdemokratische Fraktion diese Verpflichtung nie irgendwie in Zweifel ,gezogen haben ({1}) und ,daß wir in vollem Umfang bereit sind, bei der eventuell notwendig werdenden Gesetzgebung in diesen Fragen mitzuarbeiten. Daran haben wir ,nie einen Zweifel gelassen, und darauf dürften auch die Ausführungen des Herrn Verteidigungsministers keinen irgendwie gearteten Schatten werfen. Eine ganz andere Frage ist es, ob die Bundesregierung und die CDU, die diese Politik unterstützt, ein System wählen, das wir nicht billigen können. Sie haben einen Notstandsgesetzentwurf vorgelegt. Daß dieser Entwurf der Verfassung nicht entspricht, haben der Rechtsausschuß und ,der Innenausschuß des Bundesrates festgestellt. Er ist also praktisch nicht annehmbar. Sie haben ganz offiziell Verbindungen mit uns aufgenommen, um über diesen Notstandsgesetzentwurf zu sprechen, haben aber diese Verbindungen nicht sehr gepflegt, und das. Ergebnis ist 'dementsprechend. Offensichtlich geht die Mehrheit des Hauses nun mit der Bundesregierung den Weg, unter Umgehung der verfassungsändernden Gesetze so Stück für Stück Einzelpositionen aufzubauen. Ich will ganz offen aussprechen, warum die Bundesregierung nach meiner persönlichen Auffassung bis heute nicht in der Lage war, einen vernünftigen Gesetzentwurf vorzulegen, obwohl das der Herr Bundesinnenminister bei der ersten Sitzung des Innenausschusses im Januar 1958 als vordringlich bezeichnet hat. Das liegt an dem Spannungsverhältnis zwischen den Ministern Strauß und Schröder. Das Spannungsverhältnis ist schuld, daß Sie sich in diesen Fragen nicht einigen können. ({2}) - Das ist so, meine Damen und Herren. Was ist daran auszusetzen? Über die Regelung des Spannungsfalles müssen Sie sich einigen. Die Verkündung .des Verteidigungsfalles ist in der Verfassung geregelt. Die Regelung, wann eine Spannungszeit vorliegt, kann aber nicht so kurzerhand mit einzelgesetzlichen Bestimmungen hier oder im Notdienstpflichtgesetz so zwischendurch geregelt werden. Auf diese Weise kann eine Notstandsgesetzgebung nicht aufgebaut werden. Das entspricht nicht der Sache und läßt sich insbesondere nicht mit der Verfassung vereinbaren. Wir sind durchaus mit Ihnen ,der Auffassung, Herr Verteidigungsminister, daß außerhalb des Verteidigungsfalles durchaus eine Spannungszeit denkbar ist, die eine verantwortliche Regierung dazu veranlaßt, notwendige Maßnahmen zu treffen. In dieser Situation, in der wir sind, ist es durchaus denkbar, daß von außen gelenkte Unruhen intern zu Spannungszeiten führen, so daß jede Regierung, gleichgültig, wie sie aussieht, die erforderlichen Maßnahmen treffen muß. Wer aber bestimmt, wann Spannungszeit ist? Durch was wird Spannungszeit ausgelöst, und welche Vollmachten entstehen? Die Regelung dieser Fragen ist nicht Gegenstand eines Wehrpflichtgesetzes, sondern Gegenstand einer Notstandsgesetzgebung. Deshalb, Herr Minister, sind wir dagegen, daß das hier geregelt wird weil es nicht hierhergehört. Die Fragen, was zu geschehen hat und welche Vollmacht eine Regierung in Spannungszeiten haben soll, gehören in den Gesamtrahmen. Nach unserer Auffassung verlangt die Rechtsstaatlichkeit unserer Bundesrepublik, daß wir alle diese Fälle vorher prüfen. Die Rechtsstaatlichkeit verlangt, daß wir diese Fälle im einzelnen daraufhin überprüfen, ob die Regierung in der Lage ist, das Erforderliche zu tun. ist sie dazu nicht in der Lage und sind wir der Meinung, daß sie Vollmachten bekommen muß, muß das vorher im einzelnen geregelt werden. Darüber besteht, glaube ich, in diesem Hause Einigkeit. Das führt aber praktisch dazu - meine Damen und Herren von der CDU, wir sollten das nicht leicht nehmen -, daß die Verfassung praktisch ausgehöhlt wird, daß die Grundrechte insgeheim Punkt für Punkt ausgehöhlt werden. Denken Sie nur an den § 1 des Notdienstgesetzes. Nach dieser Bestimmung kann die Regierung jeden Mann, jede Frau kurzerhand sogar zu Übungen einziehen, ohne irgendwo Rechenschaft ablegen zu müssen, ob der Spannungsfall gegeben ist. Es ist eine rein politische Entscheidungsfreiheit der Regierung. Das geht nicht, das geht auch hier nicht. Deshalb sind wir der Auffassung, daß dieser Paragraph gestrichen werden muß. Diese Fragen sind innerhalb der Notstandsgesetzgebung zu regeln. Daß sie bis jetzt nicht geregelt sind, ist nicht das Verschulden unserer Fraktion. ({3})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesverteidigungsminister hat die Beratung der Wehrpflichtnovelle mit einer Art Generalprobe für die außenpolitische Debatte verwechselt. ({0}) Dagegen möchte ich mich mit aller Deutlichkeit verwahren. Wenn es in diesem Hause nicht möglich ist, einen Zuruf zu machen, ohne daß der Herr Verteidigungsminister Worte wie „läppisch" und ähnliche gebraucht und glaubt, er müsse seine politischen Gegner entweder als Dummköpfe oder Verräter gewissermaßen abqualifizieren, dann ist das eine unerhörte Sache. ({1}) Überlegen Sie sich selbst einmal, wie der Herr Minister hier aufgetreten ist. Die Debatte war in dem vorhergehenden Stadium, in der Auseinandersetzung zwischen den Kollegen Kliesing und Merten, sachlich. Erst die Art, wie hier der Herr Minister geredet hat, hat diesen Ton hineingebracht. Er hat geglaubt, er müsse einen Aufgalopp für den nächsten Donnerstag machen. Dagegen wende ich mich. ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Verteidigungsminister.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Meine Damen und Herren! Ich möchte an sich kurz auf die Ausführungen des Kollegen Schäfer eingehen. Aber zunächst ein Wort an den Kollegen Schmitt-Vockenhausen. Ich unterstelle ihm nicht, daß er ein so kurzes Gedächtnis hat, wie er hier demonstriert hat. ({0}) Ich habe darüber gesprochen - im Hinblick auf den Verteidigungsfall , daß sich zwei in ihrer Struktur wesensverschiedene Verteidigungs- oder Militärsysteme gegenüberstehen. Ich habe von einem' Bündnis gesprochen --- ich glaube ziemlich wörtlich zu zitieren -, dessen wesentliche Träger, dessen entscheidende Faktoren die großen Demokratien der Welt sind. Ich habe gesprochen von einer Gefahr, dargestellt durch ein System - ich möchte mich hier nicht in Einzelheiten verlieren -, in dem die Frage gerechter oder ungerechter Krieg keine Rolle spielt, in dem die Frage zweckmäßig oder unzweckmäßig, nicht die Frage Recht oder Unrecht über Krieg und Frieden entscheidet. Ich habe von einem System gesprochen - ich zitiere wörtlich , das infolge seiner diktatorischen Struktur die Wahl des Ortes, die Wahl der Zeit und die Wahl der Mittel für eine militärische Aktion bestimmen kann. Ich habe ferner davon gesprochen, daß dieses System nicht der Kontrolle der Öffentlichkeit, der Kontrolle eines Parlaments, der Kontrolle der Presse, der Kontrolle einer öffentlichen Meinung unterliegt und daß dieses System es auch viel leichter hat, einen hermetischen Vorhang - und ich weiß genau, was darin enthalten ist - vor alle militärischen Vorbereitungen zu ziehen. Als ich diese Ausführungen machte, haben zwei Kollegen, federführend der Kollege Schmitt-Vockenhausen, Bemerkungen der Art gemacht: Das tut Ihnen wohl leid, daß es bei uns nicht genauso möglich ist! ({1}) Auf einen solchen Zuruf, in dem Unterstellung und herabwertender Spott verbunden war, habe ich mich mit der Feststellung „läppisch" begnügt. Ich hoffe, daß Sie sich in Zukunft im umgekehrten Falle mit ähnlichen schlichten und zurückhaltenden Feststellungen begnügen. Ich darf mich nun dem Kollegen Schäfer zuwenden. Ich muß ihm, so leid es mir tut - er hat die Sache so treuherzig begründet - ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren, ich bitte die Redner und die Zuhörer, sich mit sachlichen Ausführungen zu begnügen.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Ich glaube, daß diese Feststellung nicht solche Reaktionen rechtfertigt. ({0}) Ich muß dem Kollegen Schäfer leider den Schmerz antun, eine von ihm zwar nicht erfundene, aber weitergegebene Legende zu zerstören. Es gibt zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Bundesverteidigungsministerium oder zwischen den Leitern dieser beiden Ministerien über die Frage des Not6912 Bundesverteidigungsminister Strauß standsrechts nicht die geringste Meinungsverschiedenheit. Es hat darüber nie einen Streit, nie eine Auseinandersetzung gegeben. ({1}) Ich habe die Federführung des Kollegen Schröder in vollem Umfang anerkannt. Ich habe keine Änderungsvorschläge anerkannt. Als im Kabinett die Notstandsgesetzgebung verabschiedet wurde, hat entweder der Minister im Verteidigungsministerium oder sein Staatssekretär diesen Vorschlägen zugestimmt. ({2}) Alle Behauptungen, daß es hinsichtlich der Materie der Notstandsgesetzgebung zwischen dem Innenminister und dem Verteidigungsminister Auseinandersetzungen, sei es kurzer oder langwieriger Art, gegeben habe, die zu einer Verzögerung der Vorlage geführt hätten, sind objektiv unwahr. Ich darf aber hier ebenso offen zugeben, daß es eine Meinungsverschiedenheit gegeben hat, das war die über den Zeitpunkt der Vorlage. Ich war immer der Meinung, daß man ohne Rücksicht auf die Einstellung der Opposition und auf die Äußerungen führender Mitglieder der Opposition das Notstandsrecht vorlegen sollte. Es gab auch eine andere Meinung innerhalb der Bundesregierung. Sie lief darauf hinaus, daß man um des Ansehens der Bundesrepublik willen, wenn es sich um eine Verfassungsänderung für die Zwecke der Landesverteidigung handelt, nicht das Risiko auf sich nehmen solle, ein Gesetzgebungswerk der Bundesregierung angesichts des Erfordernisses der Zweidrittelmehrheit der Gefahr des Scheiterns auszusetzen. Nicht wegen des innenpolitischen Prestiges, sondern wegen der schwerwiegenden außenpolitischen Folgen, die damit verbunden sein könnten, wenn unser Land, das am meisten von der Problematik der Notstandsgesetzgebung betroffen ist, ({3}) das am meisten an ihrer Regelung interessiert sein muß, wenn die Alliierten ihre Garantien gegenüber der Bundesrepublik und im Falle Berlin erfüllen sollen, selbst nicht die notwendige Geschlossenheit aufbringt, um dieses Gesetzgebungswerk zu verabschieden. Sehen Sie, Herr Kollege Schäfer, das war der einzige Meinungsunterschied, den es innerhalb der Bundesregierung gegeben hat. Die Frage des Wie ist nicht umstritten. Hier kann man verschiedene Wege gehen. Bestimmte minimale Notwendigkeiten werden sich immer ergeben. Die Frage des Wann war umstritten. Der Umstand, daß die Vorlage später erfolgt ist, ist nicht dem Gegensatz zwischen zwei Bundesministern zuzuschreiben. Es ist die Reaktion auf die Äußerungen der Opposition in vergangenen Jahren gewesen. Ich darf zu ihrer zweiten Bemerkung kurz etwas anfügen. Sie sprachen davon, daß sie den Spannungsfall durch das Notstandsgesetz definieren wollen und die Maßnahme, die dann die Bundesregierung ergreifen kann, dem Notstandsgesetz überlassen wollen. Ich glaube, daß Sie, wenn eine solche Definition möglich wäre - sie dürfte sehr schwer sein; denn wie kann man eine Fülle von möglichen Tatbeständen angesichts der Unvorhersehbarkeit der Eventualitäten, denen wir ausgesetzt sind, in die Form von gesetzlichen Normen pressen , erst nach Erlaß des Notstandsgesetzes, in dem der Begriff „Spannungsfall" gesetzlich definiert ist, wieder an eine Novelle zum Wehrpflichtgesetz herantreten könnten. Nun darf ich Sie einmal fragen: Können Sie sagen, Herr Kollege Schäfer, wann dieser Bundestag das Notstandsgesetz verabschieden wird? Ich glaube, Sie vermögen es nicht zu sagen. Ich möchte jetzt nicht sagen, woran es liegt, und noch einmal auf diese Problematik zurückkommen. Aber es dürfte nach dem, wie die Dinge gelaufen sind - ich habe sie nicht bis in die letzten Einzelheiten verfolgt , noch geraume Zeit dauern, bis das Notstandsgesetz mit einer Änderung des Grundgesetzes und einer Verabschiedung gewisser anderer Gesetze verwirklicht ist. Es geht nicht darum, die Verfassung auszuhöhlen. Das ist auch eine der unbewiesenen Unterstellungen, Herr Kollege Schäfer. ({4}) Es geht nicht darum, die Verfassung auszuhöhlen; es gilt, den primitivsten Lebensnotwendigkeiten unseres Volkes in dieser unserer Lage gerecht zu werden. ({5}) Ich wäre dankbar dafür, wenn die Notstandsgesetzgebung schon seit langer Zeit verabschiedet worden wäre. Aber hier wird mit ganz verschiedenen Dingen gearbeitet. Es gibt eine Reihe von Gesetzen, die der Regelung Ides Notstandsfalles dienen, ohne daß diese Gesetze irgend etwas mit einer Ergänzung oder Änderung der Verfassung zu tun haben. Daß diese Gesetze nicht alle Notwendigkeiten, die der Notstandsfall mit sich bringen würde, zufriedenstellend regeln könnten, ist ein anderer Fall. Darum sind auch Gesetze vorgelegt worden, die der Ergänzung oder der Änderung des Grundgesetzes dienen. Die Vorlage von Gesetzen ohne verfassungsändernde Absicht bedeutet in keiner Weise, daß man damit die Verfassung umgehen will. Das Leistungsgesetz, das Ernährungssicherungsgesetz, das Notdienstgesetz - das alles sind Gesetze, die keine Verfassungsänderung erfordern. Es gibt aber Gesetze, die, wenn der Notstandsfall wirklich ausreichend geregelt werden soll, eine Verfassungsänderung bedingen. Wir stehen unter einem ganz bestimmten politischen Druck, nicht einem Druck, der von den Alliierten willkürlich auf uns ausgeübt wird, sondern unter einem Druck, der sich aus der Lage ergibt und aus unserer Einschätzung der Lage. Wir malen weder alles düster noch alles in rosarot, können uns aber sehr wohl vorstellen, daß nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes wieder von neuem mit den Methoden der psychologischen Kriegführung eine Welle des Drucks, eine Welle der Angst, eine Welle der Drohung gegen die freie Welt - und hier im Zusammenhang mit dem Fall Berlin - künstlich entBundesverteidigungsminister Strauß fesselt wird. Ich glaube, niemand kann der Bundesregierung in einem zweigeteilten Deutschland mit Berlin jenseits der Grenze verweigern, daß sie diese Eventualität in den Bereich ihrer eigenen möglichen Maßnahmen einbezieht. Wenn sie es nicht täte, gehörte sie wirklich vondannen gejagt. ({6}) Ich habe es in diesen Wochen mit sehr deutlichen Worten erlebt, daß man den Mangel einer Notstandsgesetzgebung, den zögernden Fortschritt auf diesem Gebiet als eine ernste Angelegenheit und, ich darf auch sagen: als eine Probe auf unseren guten Willen bezeichnet hat. Wir können nicht erwarten, daß andere, die diese Notstandsgesetzgebung längst eingeführt haben und in ihrem eigenen Land praktizieren würden und - bei der Reichweite moderner Waffen spielen Entfernungen heute keine Rolle mehr - ihre gesamte Existenz genau wie wir aufs Spiel setzen, während wir bei uns damit ringen, den Spannungsfall in gesetzliche Definitionen einzuzwängen und über kurz oder lang - wahrscheinlich mehr über lang ais über kurz - erst ein Notstandsgesetz zu schaffen, das dann die Voraussetzung für eine Änderung des Wehrpflichtgesetzes ist, mit der das Wehrpflichtgesetz in den Zustand gebracht werden kann, der auch dem Notstandsgesetz gerecht wird. Niemand von Ihnen vermag der Bundesregierung zu sagen, ob das in drei, in sechs oder in zwölf Monaten oder überhaupt nicht mehr in dieser Legislaturperiode der Fall ist. Ich möchte meine Verantwortung nicht übertreiben und nicht pathetische Phrasen gebrauchen. Aber es liegt in der Natur der Sache, daß der Verteidigungsminister für die Herstellung und Erhaltung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte der Bundeswehr eine echte legitime Verantwortung hat. ({7}) Er kann diese Verantwortung hinsichtlich ihres Inkrafttretens nicht hinausschieben, bis die Notstandsgesetzgebung geschaffen und dann das Wehrpflichtgesetz zum zweiten oder dritten Male ergänzt ist. Denn der Kalender, der für uns hier gilt, entspricht nicht unbedingt dem Arbeitskalender des Bundestages. ({8})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Verteidigungsminister, Ihre beredte Klage darüber, daß noch keine Notstandsgesetzgebung vorliegt, richtet sich einzig und allein gegen die Bundesregierung. ({0}) Ich will Ihnen das ganz kurz mit wenigen Sätzen erklären. Am 30. Oktober 1958 hat der Bundesinnenminister in Stuttgart in einer Rede seine Konzeption über eine Notstandsgesetzgebung dargelegt. Im November 1958 hat der Herr Bundeskanzler the Ministerpräsidenten der Länder zusammengebeten, um mit ihnen über diese Frage zu sprechen, und am 23. Januar 1959 hat der Bundesinnenminister die Landesinnenminister zusammengerufen, um darüber zu sprechen. In diesen zwei Jahren ist nichts erfolgt, bis zum 20. April dieses Jahres nichts. Zwei Jahre haben Sie verstreichen lassen. Entscheidend ist nun, meine Damen und Herren, daß Sie sich auf Gedanken festgelegt haben, die mit unserer Verfassung nicht in Einklang stehen. Ich darf mich doch wohl auf Äußerungen wie die des CSU-Ministers Dr. Haas oder des CDU-Innenministers Dr. Wolters berufen, die im Rechtsausschuß und Innenausschuß des Bundesrates die Meinung vertreten haben, dieser Gesetzentwurf' sei indiskutabel. Er verstößt - in verfassungsrechtlicher und verfassungspolitischer Hinsicht - gegen die Verfassung. Dann ist es aber doch nicht die Schuld der Opposition, wenn bis heute nichts vorliegt. Die Anklage richtet sich vielmehr gegen Sie, Herr Verteidigungsminister, und gegen Ihren Kollegen, der als Vertreter des Innenministers neben Ihnen sitzt. Hier sitzen doch die beiden Schuldigen, die nicht das Notwendige getan haben. ({1}) Sie sagen: Wir sind durchaus der Meinung, daß diese Frage geregelt werden muß. Was haben Sie getan? Sie haben nichts getan, um sie zu regeln. ({2}) - Sehr interessant! Warum hat die CDU keinen Gesetzentwurf eingebracht? ({3}) Offiziell hat die CDU-Fraktion mit der SPD-Fraktion im Dezember Verbindung aufgenommen. Die Verhandlungen wurden Ihrerseits sehr schleppend geführt, und das Ergebnis war sehr dünn. ({4}) - Das ist Ihre Aufgabe und die Aufgabe der Bundesregierung. Hier trifft genau das zu, was der Verteidigungsminister soeben gesagt hat. Er hat gesagt, er müßte angeklagt werden, wenn er nicht initiativ werde. Er ist nicht initiativ geworden. Also klagt er sich selber an, denn er hat nichts getan. ({5}) Ganz charakteristisch ist, daß der Herr Verteidigungsminister hier sagt: „Treuherzig hat der Vertreter der Opposition seine Bedenken geltend gemacht." Nein, Herr Verteidigungsminister, so kann man diese Verfassungsprobleme nicht verniedlichen, so dürfen Sie das nicht anfassen. Das ist der Grund, warum wir Angst und Sorge haben. Sie wollen die Sache verniedlichen, Sie haben gar kein Gefühl dafür, wo ein Rechtsstaat seine Grenzen hat. ({6}) - Natürlich, das ist doch so. Wollen Sie nicht die Sorge mit uns teilen, hier eine Lösung zu finden, die vernünftig ist? ({7}) 6914 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode Dr. Schäfer - Ich glaube, Sie haben sich mit dem Problem nicht befaßt. Lesen Sie doch einmal nach, was im Bundesrat gesagt worden ist! Wenn Sie sich nicht damit befassen, sind Ihre Zwischenrufe dementsprechend zu werten. Wir sind der Auffassung - ich sage das in aller Klarheit und bitte, das zur Kenntnis zu nehmen -, daß die Verantwortung für das ganze Haus besteht. Wir haben diese Verantwortung nie bestritten. Wir haben uns immer bereit erklärt, über diese Frage nicht nur zu reden, sondern sie auch mit zu regeln. Von Ihnen wurde aber keine Initiative ergriffen. Der Vorwurf, den der Minister erhoben hat, richtet sich gegen ihn selber. Dann darf man aber nicht den Weg beschreiten, durch die Hintertür das machen zu wollen, was man zuvor vergessen hat.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Heinrich Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schäfer, sind Sie nicht der Meinung, daß wir dieses Gesetz längst hätten, wenn wir dazu nicht eine verfassungsändernde Mehrheit brauchten? ({0})

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist sehr interessant. ({0}) Herr Dr. Aigner, ich bin Ihnen dafür wirklich dankbar. Besser hätte gar nicht bestätigt werden können, wie bedenkenlos Sie über die Grundsätze der Verfassung hinweggehen. ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001006, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zur Sache sprechen. Ich werde mich nicht mit den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen, sondern mit denen meines Herrn Vorredners und des Herrn Kollegen Merten befassen. Wir wollen zur vorliegenden Bestimmung zurückkehren. Gegen die Bestimmung, über die wir jetzt abstimmen werden, spricht kein einziger Artikel des Grundgesetzes, auch nicht sein Geist. Es liegt also kein Grund vor, uns in dem konkreten Fall, um den es heute geht, ein verfassungswidriges oder verfassungsfeindliches Verhalten vorzuwerfen. Dieses Haus ist souverän, zu entscheiden, ob es eine Frage, die gesetzlich geregelt werden muß, in diesem oder in jenem Gesetz, im Notstandsgesetz oder im Wehrpflichtgesetz, regeln will. Die Bemerkung des Herrn Kollegen Merten, hier würden auf kaltem Wege Notstandsregelungen eingeführt, geht völlig daneben. Denn unter dem „kalten Wege" versteht man den Verwaltungsweg, den die Regierung hinter dem Rücken des Parlaments beschreitet. Hier beschreitet das Parlament selbst den offiziellen Weg. Die verfassunggebende Versammlung, die verfassungsmäßig berufene Parlamentsversammlung entscheidet, ob sie dies für zweckmäßig hält oder nicht. Das ist keine Hintertür und kein kalter Weg, das ist der legitime demokratisch-parlamentarische Weg. Dann zur Notstandsgesetzgebung! Ich will ja nicht behaupten, daß es mit der Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs besonders schnell vorangegangen sei. Aber der Ernst der Materie wird ja gerade nach Ihrer Meinung eine sorgfältige Prüfung der Sache auch im Schoße der Bundesregierung notwendig machen. Aber - wir erinnern uns doch - als der federführende Bundesminister des Innern vor der Polizeigewerkschaft - ich glaube, sie war es - seine weithin beachtete Rede gehalten hatte, in der er ankündigte, daß das Problem des Notstandes gesetzlich und auch auf dem Wege der Verfassungsänderung aufgegriffen werde, war er einem Trommelfeuer aus allen sozialdemokratischen Rohren ausgesetzt. ({0}) Der Hauptgrund der Verzögerung ist doch, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion - ob es sie freut oder uns nicht erfreut, ist jetzt ganz gleichgültig - durch den Entscheid des Wählers ein Drittel der Mandate und damit die Sperrminorität hat und daß man ohne ihre Zustimmung die Verfassung gar nicht ändern kann. Deswegen müssen wir doch so lange verhandeln. ({1}) Außerdem soll die Notstandsgesetzgebung die nichtmilitärischen Bestimmungen schaffen und den Einsatz der bewaffneten Macht bei Unruhen im Inneren regeln. Das, worüber wir jetzt abstimmen, ist typisch militärisch und hat mit dem Einsatz der bewaffneten Macht im Innern nicht das mindeste zu tun, ist also auch sachlich im Wehrpflichtgesetz zu Recht vorgesehen. ({2}) - Darauf komme ich auch noch, das kommt alles noch! Herr Kollege Merten hat weiter gesagt, der Verteidigungsfall sei in der Verfassung definiert, von Spannungszeit stehe nichts darin. Ich gebe zwar zu, daß der Verteidigungsfall im Grundgesetz erwähnt ist, aber eine Definition des Verteidigungsfalles finden Sie in keiner Bestimmung. Man setzt voraus, daß das allgemein bekannt ist. So ist es auch mit dem Begriff der Spannungszeit. Meine Damen und Herren, was eine Spannungszeit ist, kann Ihnen jeder Straßenbahnschaffner sagen, nämlich eine Zeit besonders kritischer Beziehungen zwischen Staaten. Ich nehme an, daß das auch die Abgeordneten der Sozialdemokratischen Partei wissen. ({3}) Meine Damen und Herren, Sie sagen, der Herr Verteidigungsminister oder die Regierung oder die CDU/CSU gingen bedenkenlos gegen die Verfassung vor. Wieso? Wir legen Ihnen eine Verfassungsänderung vor, bei der Sie mitwirken müssen. Nur soweit Sie zustimmen, werden wir sie überhaupt verwirklichen können. Außerdem ist noch der Bundesrat da, der seine besonderen Ideen hat. Es ist doch ganz zweifellos, daß hier auf verfassungsmäßige Weise verfassungsmäßige Regelungen getroffen und in unser Gesetz eingebaut werden. Aber im Grunde ist es doch ganz anders. Sie scheinen mir bedenkenlos zu sein gegenüber der ungeheueren Gefahr, in der ganz Europa und zu allererst die Bundesrepublik lebt. ({4}) Meine Damen und Herren, der ganze Grund Ihres eigentlich ja sehr rätselhaften Verhaltens liegt meines Erachtens darin: Sie haben mehr Angst vor der eigenen Regierung als vor der Roten Armee. ({5}) Ob das lebensnah ist, überlassen wir der Öffentlichkeit zu beurteilen. Ob es ein Beitrag zur gemeinsamen Außenpolitik ist, mögen Sie selbst beurteilen. ({6})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist über zwei Änderungsanträge zu entscheiden, zunächst über den Änderungsantrag Umdruck 668 Ziffer 8. ({0}) - Meine Damen und Herren, ich bitte den Nachtusch draußen vorzunehmen und nicht hier im Hause. - Wer zustimmen will, möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen nunmehr zu dem Antrag Umdruck 668 Ziffer 9. Wer zustimmen will, möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen nunmehr ab über die Nr. 31. Wer zustimmen will, ,der gebe das Handzeichen. ({1}) Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. 31 ist angenommen. Nr. 32, ohne Änderungsantrag. - Art. 2, - Art. 3, - ohne Antrag. - Art. 4, 5, 6 und 7 entfallen. - Art. 7 a, ohne Antrag. - Art. 8, - Art. 9, -beide ohne Anträge. - Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle die Annahme fest. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir kommen zur Drucksache 1894. Wir treten in die zweite Beratung ein. Art. 1, - 2, - 3, - 4, - 5, - Einleitung und Überschrift. - Keine Anträge, keine Wortmeldungen. Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, ,der 'gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Ich rufe zur dritten Beratung auf. Anträge werden nicht gestellt. ({2}) - Sie widersprechen der Beratung in beiden Fällen? - Herr Abgeordneter Rasner!

Will Rasner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001777, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch ein Versehen sind Sie, Herr Präsident, vom Ergebnis einer interfraktionellen Besprechung nicht unterrichtet worden. Die Fraktionen waren 'übereingekommen, ,die dritte Beratung morgen früh und nicht mehr heute abend durchzuführen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Mir war das nicht bekannt; danke schön. Nachdem die zweite Beratung der Gesetzentwürfe unter Punkt 16 und Punkt 17 abgeschlossen ist, rufe ich Punkt 18 ,der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von ,der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes ({0}). Wird ,die Vorlage begründet? - Das ist nicht der Fall. Wird ein Antrag auf Überweisung an die Ausschüsse gestellt? - Vom Ältestenrat waren der Ausschuß für Verteidigung als federführender Ausschuß, der Ausschuß für Arbeit und der Haushaltsausschuß als mitberatende Ausschüsse vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? -Dann ist so beschlossen. Punkt 19 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Retchsverhältnisse der Polizeivollzugsbeamten des Bundes ({1}) ({2}) ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Inneres ({3}) ({4}) ({5}). Ich erteile dem Abgeordneten Kramel 'das Wort zur Berichterstattung.

Angelo Kramel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Schriftlichen Bericht nur durch einen Satz zu ergänzen. Der Haushaltsausschuß hat dem Entwurf in der Form, in der er vom Innenausschuß vorgelegt worden ist, zugestimmt.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich rufe auf die §§ 1 bis 34 - Änderungsanträge liegen nicht vor -, Einleitung Vizepräsident Dr. Schmid und Überschrift. - Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme in der zweiten Beratung fest. Ich rufe zur dritten Beratung auf. Wird das Wort gewünscht? - In der allgemeinen Aussprache hat der Abgeordnete Schäfer das Wort.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur dritten Beratung des Bundespolizeibeamtengesetzes habe ich namens meiner Fraktion einige Bemerkungen zu machen. Es ist erfreulich, daß dieses Gesetz nunmehr zur Verabschiedung kommt. Es ist auch gut, daß in diesem Gesetz die Rechte des Hausdienstes hier im Bundestag geregelt werden. Ich darf daran erinnern, daß nach Art. 40 Abs. 2 des Grundgesetzes der Präsident das Hausrecht und die Polizeigewalt im Gebäude des Bundestages ausübt. § 3 des Gesetzentwurfes enthält die Regelung der Laufbahn der Polizeibeamten. Der Ausschuß war der Auffassung, daß das nicht dem Ministerium überlassen werden sollte. Die Aufteilung der sogenannten Einheitslaufbahn, wie sie bei den Polizeibeamten üblich ist, gibt aber zu einer Bemerkung Anlaß. Wir haben, zum Teil wenigstens, dieser Regelung in Anbetracht der besonderen Verhältnisse des Bundeskriminalamtes und des Bundesgrenzschutzes zugestimmt. Wir sind aber der Auffassung, daß diese Regelung nicht auf den allgemeinen Polizeidienst in den Ländern übergreifen darf. Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß die Einheitslaufbahn in den Ländern das dem Polizeidienst Angemessene ist. Das schließt nicht aus, daß Abiturienten eine schnellere Beförderung erfahren, wenn sie sich in der Dienstleistung entsprechend bewährt haben. Es ist auch anerkennenswert, daß die berufsfördernden Maßnahmen, die Übergangsgebührnisse und die Übergangshilfen eine befriedigende Regelung gefunden haben. Nicht geregelt ist die Frage des Dienstunfalles. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß man vom Polizeibeamten dienstlich verlangt, daß er sich in Gefahr begibt, und in dieser Gefahr kann er unter umständen sein Leben einbüßen. Hier ist noch keine genügende Vorsorge dafür getroffen, daß die Angehörigen dann entsprechend gesichert sind. Es gehört nicht in dieses Polizeibeamtengesetz, es gehört in das Beamtenrechtsrahmengesetz. Wir werden von unserer Fraktion aus initiativ werden und dem Hause einen entsprechenden Antrag vorlegen, um diese Lücke zu schließen, und damit einer Pflicht des Gesetzgebers nachkommen. Wir sind erfreut darüber, daß im Ausschuß für Inneres die Überzeugung gesiegt hat, daß man den Polizeibeamten nicht zumuten kann, zu ihrer Eheschließung die Zustimmung des Dienstvorgesetzten einzuholen. Das wäre ein zu tiefer Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des einzelnen. Erfreulich ist auch, daß die sehr bedenklichen Bemühungen des Innenministeriums, in das Gesetz eine Strafvorschrift hineinzubringen, gescheitert sind. Eine Strafvorschrift für Beamte ist hier überhaupt das erste Mal vorgesehen gewesen, und das, was vorhin Gegenstand der Kontroverse war, gilt mit gewissen Abweichungen auch hier. Denn hier ist ebenfalls die Rede von einer durch die Bundesregierung angeordneten Notbereitschaft des Bundesgrenzschutzes. Das ist wieder die gleiche Situation, die Frage der Spannungszeit; die Bundesregierung nimmt kurzerhand für sich in Anspruch, sie festzustellen und daraus besondere Verpflichtungen herzuleiten. Es ist erfreulich, daß diese Vorschrift gefallen ist; denn man muß feststellen: es war der Versuch der reinen Diskriminierung der gesamten Polizeibeamtenschaft. Es ist mir kein Fall bekanntgeworden - und niemand konnte mir einen Fall nennen -, daß seit 1945 irgendein Beamter, wenn er auf einen Posten gestellt wurde, diesen Posten unberechtigt verlassen und damit irgendwie eine Gefahr herbeigeführt hätte und daß man annehmen könnte, mit einer Strafvorschrift hätte er bei der Stange gehalten werden können. Wir sind froh, daß der Innenausschuß diese Vorschrift gestrichen hat. Wir möchten aber nicht versäumen, der Bundesregierung zu sagen, daß sie sich bei diesen Bemühungen in Zukunft doch darüber klar sein möge, wo die Grenze für den Gesetzgeber liegt, sowohl bei der Zölibatsklausel wie auch bei dieser Strafvorschrift. Im ganzen gesehen sind wir bereit, dem Gesetz zuzustimmen, weil es einen Fortschritt und eine Legalisierung der Verhältnisse bedeutet. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Eine Einzelberatung ist nicht erforderlich, da keine Änderungsanträge angekündigt sind. Wer dem 'Gesetz im ganzen zustimmen will, der möge sich erheben. - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Meine Damen und Herren, ich habe bei der zweiten Lesung des Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes etwas unterlassen. An einer ganz verborgenen Stelle steht Nr. 33: „§ 50 fällt weg.". Ich habe vergessen, das aufzurufen, und hole es hiermit nach. Ich glaube, es wird niemand die korrekte Durchführung der zweiten Lesung bestreiten. Damit, meine Damen und Herren, ist, wenn meine Vorgänger den Rotstift richtig gehandhabt haben, die Tagesordnung für heute erschöpft Ich berufe die nächste 'Sitzung auf morgen, Freitag, 9 Uhr, ein. Ich schließe die Sitzung.