Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/19/1960

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Die Sitzung ist eröffnet. Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 17. Mai 1960 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Seither, Dr. Schmidt ({0}), Kriedemann, Bading und Genossen betr. Probleme des deutschen Tabakbaues und seiner Vermarktung in der EWG ({1}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1856 verteilt. Meine Damen und Herren, gemäß der am Ende der gestrigen Sitzung getroffenen Regelung beginnen wir mit der ersten Beratung des Steueränderungsgesetzes, Punkt 9 der gemeinsamen Tagesordnung : Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes und des Wohnungsbau-Prämiengesetzes ({2}) ({3}). Zur Begründung des Gesetzentwurfs hat der Herr Bundesminister der Finanzen das Wort.

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! In Ergänzung der schriftlichen Begründung, die wir dem Steueränderungsgesetz 1960 gegeben haben, möchte ich einige Ausführungen machen. Das Steueränderungsgesetz 1960 hat bereits vor seiner Einbringung in der Öffentlichkeit eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Das Gesetz hat teilweise Zustimmung, teilweise in einzelnen Punkten aber auch Widerspruch gefunden. Bei dieser Kritik wurden unseres Erachtens die dem Gesetz zugrunde liegenden konjunkturpolitischen Überlegungen in vielen Fällen zu einseitig gesehen. Auch wurde zu wenig beachtet, daß das Steueränderungsgesetz 1960 nur eine Teilmaßnahme im Rahmen der gesamten konjunkturpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung darstellt. Dieses Steueränderungsgesetz geht zurück auf Vorlagen des Wirtschaftsministers an die Bundesregierung; technisch bin ich, der Bundesfinanzminister, verantwortlich. Das Gesetz ist aber auch von der Deutschen Bundesbank gewünscht worden. Bevor ich auf das Gesetz selbst eingehe, möchte ich noch einmal klar herausstellen, daß in diesem Gesetz nur ein Teil der konjunkturpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung behandelt worden ist. Erlauben Sie mir dazu noch einen kurzen Hinweis auf die anderen Maßnahmen, die die Bundesregierung in konjunkturpolitischer Hinsicht vorgeschlagen hat. Wir haben sie am Rande der dritten Lesung des Haushalts beraten. Konjunkturpolitische Wirkungen gehen in erster Linie nicht von den Steuergesetzen aus, sondern vom Haushalt. Der Haushalt als das wichtigste Mittel sieht denn auch eine Menge konjunkturbeeinflussender Maßnahmen vor. Ich nenne kurz - nur repetierend - zunächst einmal die Tatsache, daß der Haushalt in Grenzen gehalten worden ist und gehalten werden konnte. Das wichtigste ist, daß er nicht stärker wuchs als das Sozialprodukt. Ich wiederhole die Zahlen. Im Jahre 1960 ist der Haushalt gegenüber 1959 um 5 %, das Bruttosozialprodukt um 8 % gestiegen. Das Zweite ist, daß wir weniger Kredit beanspruchen. Wir haben die aus den Steuern erzielten Mehreinnahmen, die im Jahre 1959 auf 1,8 Milliarden, im Jahre 1960 auf 1,5 Milliarden geschätzt wurden, nicht für Mehrausgaben verwandt, wie das zum Teil die Länder tun, was ich einmal in aller Offenheit sagen muß. Wir haben vielmehr den außerordentlichen Haushalt in entsprechender Weise bedient. Wir haben darüber hinaus aber auch im Haushalt selbst Einsparungen vorgenommen. Die außerplanmäßig entstandenen Ausgaben haben wir durch Einsparungen gedeckt. Das war im Jahre 1959 immerhin die Summe von 900 Millionen DM und soll im Jahre 1960 die Summe von 1,2. Milliarden sein. Die dritte Maßnahme waren große auslandswirksame Zahlungen. Wir haben im Jahre 1959 5,4 Milliarden DM auslandswirksam gezahlt, und selbst wenn ich dem die inlandswirksame Geldausweitung in Höhe von rund 3,4 Milliarden DM gegenüberstelle, haben wir per Saldo immerhin mit 2 Milliarden DM kontraktiv gewirkt. Diese 2 Milliarden DM waren in der Spitze ein sehr wesentliches, sehr entscheidendes Mittel für eine relative Geldwertstabilität. Im Jahre 1960 wollen wir uns ähnlich verhalten. Ein weiteres wichtiges Mittel außerhalb des Haushalts war der Umstand, wie wir den Haushalt bedient haben. Ich nenne das praktisch einmal „von der Kasse her fahren", also eine sparsame Bewirtschaftung des Bundeshaushalts. Dabei wollen wir uns vor allen Dingen einer großen Zurückhaltung bei Bundesfinanzminister Etzel Bauaufträgen befleißigen, wobei als Orientierungspunkt der Vorjahrespreis dient. Wir wollen also grundsätzlich keine Bauaufträge vergeben, die in dem betreffenden Landstrich mehr als im Jahre 1959 kosten, und glauben dadurch eine bessere Streuung über das Bundesgebiet zu erreichen. Wenn im Raum Frankfurt beispielsweise der Baukostenindex sehr hoch gestiegen ist, dann werden wir dort von uns aus zusätzlich sehr wenig tun, und in Gebieten, wo die Baupreise infolge ensprechender Kapazität nicht gestiegen sind, werden wir mehr tun. Ich glaube, das ist eine richtige Maßnahme. Außerdem soll das ERP-Vermögen sehr hinhaltend bewirtschaftet werden. Der Bundesfinanzminister hat konjunkturpolitisch nicht nur als Haushaltsminister, er hat - ich will darauf nur hinweisen - konjunkturpolitisch auch als Zollminister auf die Preisentwicklung eingewirkt. Ich denke an die Zollbefreiung und Zollsuspendierung bei der Einfuhr agrarischer Produkte. Es ist ja gelungen, diese Preise tatsächlich wieder in die Hand zu bekommen. Die dritte Rolle, die er spielen kann - und jetzt komme ich auf das eigentliche Thema des Morgens zurück -, ist die Rolle des Steuerministers. Nach wie vor und nach erneuter Überprüfung ist die Bundesregierung der Überzeugung, daß bei der gegenwärtigen Konjunkturlage ein mäßigender Einfluß auf die Investitionen auch von steuerlicher Seite her erforderlich ist. Das ist in der Begründung zu dem Gesetzentwurf bereits zum Ausdruck gekommen. Die gegenwärtige Konjunkturlage zwingt daher auch den Steuergesetzgeber, also dieses Hohe Haus, Vorschriften zu überprüfen, die in einer anderen Ausgangsposition geschaffen worden sind. Unter diesem Gesichtspunkt müssen Sie insbesondere die Herabsetzung des Höchstsatzes für die degressive Abschreibung - ich meine § 7 des Einkommensteuergesetzes -, zum zweiten die Einschränkung der erhöhten Absetzungen für Wohngebäude -§ 7 b des Einkommensteuergesetzes - und zum dritten die Erhöhung des Rechnungszinsfußes bei Pensionsrückstellungen - ich nenne § 6 a des Einkommensteuergesetzes - sehen. Auf einen weiteren Aspekt des Steueränderungsgesetzes 1960 möchte ich noch hinweisen: Mit diesem Gesetz kommen wir erstmalig den Bestrebungen nach einem Jahressteuergesetz soweit wie möglich nach. Darauf möchte ich gleich noch etwas näher eingehen. Dieser Charakter des Steueränderungsgesetzes 1960, und zwar des Jahressteuergesetzes 1960, ist bei der Behandlung des Gesetzes in der öffentlichen Diskussion fast gar nicht berücksichtigt worden. In Zukunft möchte ich steuerliche Maßnahmen eines Jahres tunlichst immer in einem Gesetz zusammenfassen und mich damit der Praxis annähern, die besonders in den angelsächsischen Ländern geübt wird. ({0}) Ein solches Jahressteuergesetz hat den Vorteil, daß in ihm alle Änderungen des Steuerrechts zusammengefaßt werden und der Steuerpflichtige die Gewähr hat, daß für den Besteuerungszeitraum, also für das betreffende Jahr, keine weiteren gesetzlichen Maßnahmen in Betracht kommen. Damit wird auch das Anliegen erfüllt, das dieses Hohe Haus immer an die Verwaltung richtet, nämlich einfacher, übersichtlicher, klarer zu werden und die Verwaltung selbst zu entlasten. In das Steueränderungsgesetz 1960 habe ich deshalb auch solche Anpassungen und Verbesserungen des Steuerrechts aufgenommen, die keine Auswirkungen auf die Konjunktur haben. Anders ausgedrückt: dieses Gesetz enthält auch andere als konjunkturpolitische Maßnahmen. Hierzu gehört z. B. die neue Abgrenzung der freiberuflichen von der gewerblichen Tätigkeit - § 18 des Einkommensteuergesetzes -, die durch eine Entschließung des Bundestages veranlaßt ist. Ich darf hier auf die Drucksache 448 verweisen. Aber auch die im Rahmen der Konjunkturmaßnahmen vorgesehenen neuen Regelungen stellen praktisch gleichzeitig weitere Normalisierungen des Steuerrechts und die teilweise Beseitigung von nunmehr entbehrlichen Subventionen im Steuerrecht dar. Auch unter diesem Blickwinkel bitte ich die Maßnahmen zur Einschränkung der degressiven Abschreibung, die Einschränkung der erhöhten Absetsetzungen für Wohngebäude und die Neuregelung der Pensionsrückstellungen zu sehen - ein Gesichtspunkt, der sicherlich wichtig ist und den man bei der Beurteilung zwar nicht allein sehen sollte, aber, so glaube ich, auch nicht vernachlässigen darf. Alle diese Maßnahmen stellen keine grundsätzlichen Änderungen des Einkommensteuergesetzes dar. Die Steuerreform 1958 hat dem Einkommensteuerrecht eine neue Grundlage gegeben, die ich in der nächsten Zeit bestehen lassen möchte. Die Stabilität steuerlicher Entscheidungen, die unter betriebswirtschaftlichen Überlegungen zustande gekommen sind, muß grundsätzlich erhalten bleiben. Ich möchte also von mir aus z. B. an dem Institut der legalisierten degressiven Abschreibung nicht rütteln; es soll grundsätzlich bestehenbleiben. ({1}) Lassen Sie mich nun kurz im einzelnen auf die wesentlichen Maßnahmen des Steueränderungsgesetzes 1960 auf dem Gebiet der Einkommensteuer eingehen. Zunächst einige Worte über die Einschränkung der degressiven Abschreibung! Die degressive Abschreibung ist erstmals durch das Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 18. 7. 1958 gesetzlich geregelt worden. Die durch dieses Gesetz zugelassenen degressiven Abschreibungssätze in Höhe des Zweieinhalbfachen der linearen Sätze, höchstens aber 25 v. H., betrachtete die Bundesregierung, wie sich aus der Begründung zu dem Gesetz ergibt - ich verweise auf die Bundestagsdrucksache 260 der 3. Wahlperiode -, als eine großzügige Pauschalierung. Diese Regelung ist in der Mehrzahl der Fälle über das betriebswirtschaftlich notwendige Maß hinausgegangen und damit eine wichtige Finanzierungsquelle für zusätzliche Investitionen geworden. .Bundesfinanzminister Etzel Vor dem Hintergrund der damaligen Konjunkturlage war das auch richtig. Jede Ausweitung der Abschreibungsmöglichkeiten über das betriebswirtschaftliche Maß, den Kostenverlauf, hinaus bedeutet aber eine Art Subvention - selbstverständlich nur diese Differenz -, welche die Unternehmen nach Maßgabe des Umfangs ihres Anlagevermögens und ihrer Ertragslage begünstigt. Die gegenwärtige Konjunkturlage ist durch eine Übernachfrage nach Investitionsgütern gekennzeichnet. Die Auftragseingänge liegen zur Zeit um 25 bis 40 v. H. über der laufenden Produktion. Die laufende Produktion ist also unter allen Umständen durch Nachfrage gesichert und sie ist sogar überfordert. Es liegt kein Anlaß vor, die Nachfrage noch künstlich durch Gewährung von zinslosen Staatsdarlehen in Form von Abschreibungsbegünstigungen zu steigern. Diese Lage zwingt dazu, die degressiven Abschreibungssätze stärker als bisher an die betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen und damit die Abschreibungen auf ein normales Maß zurückzuführen. Die Bundesregierung glaubt, daß dieses Ziel mit einer Herabsetzung der degressiven Abschreibungssätze auf das Zweifache der linearen Sätze, höchstens 20 v. H., erreicht wird. Sie befindet sich damit in Übereinstimmung mit den Vorschlägen der wissenschaftlichen Beiräte sowohl des Bundeswirtschaftsministeriums als auch des Bundesfinanzministeriums und anderer wissenschaftlicher Institute. Die betriebswirtschaftlich erforderlichen Abschreibungsmöglichkeiten der Unternehmen werden durch diese Einschränkung der degressiven Abschreibung auch nach Meinung vieler unabhängiger Sachkenner nicht beeinträchtigt. Die vorhandene Kapazität der Investitionsgüterindustrie wird auf Grund der Auftragsbestände und der verbleibenden laufenden Bestellungen nach Durchführung der steuerlichen Maßnahmen unverändert ausgenutzt werden. Es soll durch unsere Maßnahmen lediglich verhindert werden, daß der Ausstoß der ausnutzbaren Kapazität, also die gleiche Menge von Bauleistungen und Investitionsgütern, zu ständig steigenden Preisen angeboten wird. Die bisweilen aufgestellte Behauptung, daß wegen der verminderten Abschreibungsmöglichkeiten wichtige Rationalisierungsmaßnahmen unterbleiben müßten, ist ganz einfach unrichtig. Denn die Überlassung größerer Finanzierungsmittel an die Unternehmen kann nicht dazu beitragen, die überlastete Investitionsgüterindustrie - deren Auftragseingänge, wie bereits gesagt, um 25 bis 40 v. H. über der laufenden Produktion liegen -, zur Herstellung von noch mehr Anlagegütern für Rationalisierungszwecke zu veranlassen, sondern sie wird höchstens die Preise in die Höhe treiben. Also: was investiert werden kann, was produziert werden kann, soll weiß Gott nicht eingeschränkt werden. Aber ich wiederhole: lediglich dieselben Mengen zu immer steigenden Preisen hereinzuholen, ist witzlos und, wie mir scheint, sogar gefährlich. Wenn geltend gemacht wird, daß die vorgesehenen Abschreibungsänderungen vor allem die mittleren Unternehmen benachteiligen, so muß demgegenüber festgestellt werden, daß im allgemeinen die Großbetriebe besonders kapitalintensiv und auch ertragreicher sind und infolgedessen in erster Linie von einer Einschränkung der degressiven Abschreibung betroffen werden. Die konjunkturelle Auswirkung ist nur zu erreichen, wenn die Einschränkung der degressiven Abschreibung sofort wirksam wird. Der Gesetzentwurf sieht deshalb vor, daß die herabgesetzten Abschreibungssätze grundsätzlich erstmals auf Wirtschaftsgüter anzuwenden sind, die nach dem 8. März 1960 angeschafft oder hergestellt werden. Um jedoch einen Eingriff in die Dispositionen der Steuerpflichtigen zu vermeiden, ist vorgesehen, daß bei Wirtschaftsgütern, mit deren Herstellung vor diesem Stichtag begonnen worden ist oder die vor diesem Stichtag bestellt und angezahlt worden sind, die bisherigen höheren Abschreibungssätze auch dann weiter angewendet werden können, wenn die Wirtschaftsgüter nach dem 8. März 1960 fertiggestellt oder geliefert werden. Auf die Notwendigkeit, die Vorschriften bereits ab 9. März 1960 anzuwenden, komme ich gleich noch einmal zu sprechen. Die vorgeschlagenen Abschreibungssätze entsprechen in etwa denen in den USA und anderen ausländischen Staaten. Nachteilige Auswirkungen auf die internationale Wettbewerbslage sind deshalb aus der Einschränkung der degressiven Abschreibung nicht zu befürchten. Hierzu möchte ich darauf hinweisen, daß in den Niederlanden die Regierung vor einigen Tagen zum Zwecke der Konjunkturdämpfung die dort zulässigen Abschreibungen eingeschränkt hat. So sind z. B. die bisher zulässigen Abschreibungssätze von 16 2/3% auf die Hälfte, also auf 8 1/3 % herabgesetzt worden. Im übrigen erscheint es mir für den Fall einer wesentlichen Veränderung der Konjunkturlage im rückläufigen Sinne nicht ausgeschlossen, daß - wie es in der Vergangenheit schon häufig geschehen ist - auch in Zukunft einmal wieder durch eine Ausweitung der steuerlichen Abschreibung in Form von Sonderabschreibungen die Nachfrage nach Investitionsgütern auch steuerlich gefördert wird. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene geringe Herabsetzung des Höchstsatzes der degressiven Abschreibung halte ich als Ergänzung der Maßnahmen der Bundesbank für geboten. Die Bundesregierung ist jedoch weitergehenden Vorschlägen, aus Konjunkturgründen etwa die Einkommensteuer zu erhöhen oder - entsprechend der Anregung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium - eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer zu erheben, nicht gefolgt. Leidvolle Erfahrungen in der Vergangenheit und die Gefahr, daß erhöhte Steuern in der Hochkonjunktur auf die Preise abgewälzt werden könnten, haben uns veranlaßt, hier Zurückhaltung zu üben. Lassen Sie mich noch ein paar Worte über die Pensionsrückstellungen sagen. Rückstellungen für Pensionsanwartschaften können nach der gegenwärtigen Regelung steuerlich unter Zugrundelegung eines Rechnungszinsfußes von 3 1/2 v. H. gebildet Bundesfinanzminister Etzel werden. Es hat sich herausgestellt, daß die auf Grund dieser Regelung zulässigen Pensionsrückstellungen die Unternehmen in einem Ausmaß begünstigen, das nicht länger vertreten werden kann. Das gilt um so mehr, als die Deckungsmittel, die den Pensionsrückstellungen gegenüberstehen, nur buchmaßig gebunden sind. Tatsachlich können sie jedocti bis zu ihrer Inanspruchnahme durch Leistung von Versorgungszahlungen uneingeschränkt im Betrieb arbeiten. Durch die Bildung von Pensionsrückstellungen können die Unternehmen damit vorübergehend Mittel für Investitionen einsetzen, die sie sonst nur unter Inanspruchnahme von Fremdmitteln durchführen könnten. Die Vorschriften über die Bildung von Pensionsrückstellungen haben damit zu einer beachtlichen Ausweitung der Selbstfinanzierungsmittel der Unternehmen geführt. Das ist nicht nur im Hinblick auf die gegenwärtige Konjunkturlage unerwünscht. Nicht unbedenklich ist es auch, daß von dieser Vergünstigung last ausschließlich Großunternehmungen Gebrauch machen, weil Mittel- und Kleinunternehmungen in der Regel die damit verbundenen Verpflichtungen nicht auf sich nehmen können. Mit Rücksicht auf diese Bedenken hält die Bundesregierung eine Einschränkung der mit der Bildung von Pensionsrückstellungen verbundenen Vorteile für unbedingt erforderlich. Von verschiedenen Seiten ist eine Anlage der zurückgestellten Mittel außerhalb des Betriebes gefordert und damit eine Gleichstellung mit den Versicherungsgesellschaften und Pensionskassen beansprucht worden. Da eine solche Maßnahme eine erhebliche Verwaltungskomplizierung verursacht hätte, sieht der Gesetzentwurf unter Verzicht auf den Anlagezwang, der sicherlich sonst nicht unvernünftig wäre, nur eine Erhöhung des Rechnungszinsfußes auf 5 1/2 % vor. Dieser Zinsfuß, der auch bei der Einheitsbewertung zugrunde gelegt wird, erscheint insbesondere auch deshalb als angemessen, weil er dem zur Zeit auf dem Kapitalmarkt üblichen Zinsfuß für langfristige Fremdgelder und auch der Rendite entspricht, die das Unternehmen auf längere Sicht mit dem durch die Pensionsrückstellungen gebundenen Kapital mindestens erwirtschaften kann. Auch diese Maßnahme hat neben der konjunkturellen Wirkung den Charakter einer Normalisierungsmaßnahme; diese beiden Dinge muß man immer nebeneinander sehen. Zur Einschränkung der erhöhten Absetzungen für Wohngebäude wäre noch folgendes zu bemerken. Mit den in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen der Steuervergünstigung des § 7b des Einkommensteuergesetzes - ich meine die erhöhte Absetzung für Wohngebäude - soll vor allem den bisher bei der Anwendung der Vorschrift aufgetretenen Mißbräuchen entgegengewirkt werden, die insbesondere - wegen der sehr hohen Absetzungen in den ersten beiden Jahren - bei den sogenannten Baulöwen festgestellt wurden. Die Bundesregierung glaubt dieses Ziel durch eine Herabsetzung der in den ersten beiden Jahren zulässigen Absetzungen von je 10 vom Hundert auf je 7,5 vom Hundert und durch eine Ablösung der bisher in den folgenden 10 Jahren zulässigen Absetzungen von ft le 3 vom Hundert durch Absetzungen von je 4 vom Hundert in den folgenden 6 Jahren zu erreichen, ohne damit die im Interesse der Eigentumsbildung breiter Bevölkerungsschichten liegende Finanzierungshilfe zu beschneiden. Es geht uns also darum, daß die Leute nicht nur zweimal 10 % absetzen und dann wieder mit ihrem Kapital aussteigen. Das soll eingeschränkt werden. Ich sage ganz offen, ich hätte lieber 8 Jahre zu 5 % gehabt. Dann wäre das Interesse am Umsteigen noch kleiner gewesen. Aber der Wohnungsminister war aus allgemeinen Gründen nicht geneigt, diesem Weg zu folgen. Ich habe mich ihm darin gefügt. Zu der Begünstigung von Bausparbeiträgen möchte ich ergänzend folgendes sagen. Auch die Vorschläge zur Änderung der Sonderausgaben- und Wohnungsbauprämienbegünstigung von Bausparbeiträgen haben vor allem eine Erschwerung der mißbräuchlichen Ausnutzung dieser Begünstigungen zum Ziel. Die vorgeschlagenen Maßnahmen treffen nicht den echten Bausparer, der die angesparten Mittel zu den vertragsmäßigen Zwecken verwendet; diese Leute sollen gar nicht berührt werden. Sie treffen in erster Linie denjenigen, der die angesparten Mittel nicht zum Wohnungsbau zu verwenden gedenkt, vielmehr die Ansparung über einen Bausparvertrag nur deshalb wählt, weil er dabei größere Vorteile erzielt als bei der Inanspruchnahme der Vergünstigungen des Sparprämiengesetzes. Die Gesetzesänderung wird dazu beitragen, ein angemessenes Verhältnis zwischen der Sonderausgaben- und Wohnungsbau-Prämienbegünstigung von Bausparverträgen und der Prämienbegünstigung von Konten- und Wertpapiersparverträgen herbeizuführen. Den Vorschlag, etwa die Festlegungsfrist für Bausparverträge, die nicht zu einem Bau führen, nur von 5 Jahren auf 6 Jahre zu erhöhen, würde ich nicht für ausreichend halten. Das Spar-Prämiengesetz enthält praktisch bei Sparratenverträgen eine sechsjährige Frist, enthält aber eine wesentlich niedrigere Grenze für die begünstigt ansammelbaren Beträge und regelmäßig einen geringeren Vergünstigungseffekt. Bei einer sechsjährigen Frist für Bausparverträge würden nach wie vor Kapitalansammlungsverträge über ,den Bausparvertrag anstatt über den Sparvertrag nach dem Spar-Prämiengesetz abgeschlossen werden. Ein paar Worte zu ,dem Problem des Spesenunwesens. Mit dem Steueränderungsgesetz 1960 soll durch Einschränkung der Abzugsfähigkeit der Betriebsausgaben - ich meine § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes - der Finanzverwaltung eine Handhabe gegeben werden, gegen den Spesenabzug vorzugehen. Ich möchte nochmals betonen, daß dabei nur offensichtliche Mißbrauchsfälle getroffen werden sollen. Die Bundesregierung ist ,der Auffassung, daß das Spesenunwesen ein Ausmaß angenommen hat, das nicht mehr hingenommen werden kann. Sie sieht sich in dieser Auffassung durch zahlreiche Zuschriften aus allen Bevölkerungsschichten bestätigt, mit denen an der heute üblichen Spesengestaltung heftige Kritik geübt wird. Die vorgeschlagene Fassung Bundesfinanzminister Etzel soll zum Maßhalten beim Spesenaufwand anregen. Wir möchten gar nichts anderes, als daß hier wieder ein anständiger und sauberer Stil geschaffen wird; mehr ist nicht beabsichtigt. Unangemessene Spesenaufwendungen gehen zu Lasten der Allgemeinheit. Ähnliche Gedanken sind von den gesetzgebenden Körperschaften schon einmal erörtert worden. Das geschah bei der Schaffung der Vorschrift des § 406 der Abgabenordnung durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Dritten Teils der Reichsabgabenordnung vom 11. Mai 1956. Durch diese Vorschrift ist u. a. Idas Ausstellen von Belegen, die in tatsächlicher Hinsicht unrichtig sind, unter Strafe gestellt worden, wenn es in der Absicht geschieht, eine Verkürzung von Steuereinnahmen zu ermöglichen. Es muß jedoch festgestellt werden, daß das Ausstellen falscher Belege auch heute noch weit verbreitet ist. So werden z. B. häufig von Tankstellen Belege mit dem Datum eines Wochentages ausgestellt, wenn am Sonntag getankt worden ist, oder es werden höhere Beträge, als tatsächlich gezahlt wurden, in die Quittung eingesetzt. Entsprechendes gilt häufig für Rechnungsbelege von Gasstätten und anderen mehr. Ja, es ist sogar vorgekommen, daß der Erwerb von Geschenken zur Konfirmation oder Kommunion als Erwerb von Büromaterial quittiert worden ist. Ein solches Verhalten führt zu Steuerausfällen, die von der Allgemeinheit zu tragen sind. Ich werde mich bei den Ländern dafür einsetzen, daß Verstöße gegen die Strafvorschrift des § 406 der Abgabenordnung unnachsichtig verfolgt werden. Die Öffentlichkeit wird sicherlich schnell erkennen, daß dies nicht aus Schikane geschieht, sondern allein dem Zweck dient, eine gerechte und gleichmäßige Besteuerung herbeizuführen. Die Steuerpflichtigen möchte ich aufrufen, zur Erreichung dieses Ziels durch ein eigenes maßvolles Verhalten beizutragen. Jeder sollte den Versuch machen, diesen sauberen Stil, von dem ich gesprochen habe, erst einmal selber und von sich aus zu leben. Dann werden die Dinge ganz leicht und einfach. In diesem Sinne ist auch die vorgeschlagene Neufassung des § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes zu verstehen. Vielleicht ist die Vorschrift in dem einen oder anderen Punkt noch verbesserungsbedürftig in Richtung auf eine klarere Abgrenzung. Darüber, was als eine sparsame Wirtschaftsführung zu gelten hat, sollte im Ausschuß noch einmal gesprochen werden. An dem Grundgedanken der Vorschrift sollte aber festgehalten werden. Es dürfte von Interesse sein, daß die gleichen Probleme auch im Ausland Anlaß zu besonderen Maßnahmen gewesen sind. So sind in England kürzlich die Strafen für Steuerhinterziehung und Steuergefährdung erhöht worden, und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika sind die Steuerpflichtigen bei der Abgabe der Steuererklärung gehalten, in einem ausführlichen Fragebogen der Finanzverwaltung ihre Spesen besonders aufzuführen und zu begründen. Nun komme ich kurz auf die rückwirkende Anwendung einiger Vorschriften des Steueränderungsgesetzes zu sprechen. Wie ich bereits soeben ausgeführt habe, ist für die Vorschriften über die Einschränkung der degressiven Abschreibung, der Absetzungen für Wohngebäude und der Bausparverträge eine Rückbeziehung auf den Stichtag der Regierungsvorlage, den 9. März dieses Jahres, vorgesehen. An diesem Tage ist die Offentlichkeit über die beabsichtigten Einschränkungen unterrichtet worden. Die Steuerpflichtigen konnten sich daher rechtzeitig auf die neuen Verhältnisse einrichten. Durch Übergangsregelungen ist sichergestellt, daß besondere Härten vermieden werden. So werden die neuen degressiven Abschreibungssätze, wie bereits erwähnt, nicht auf Wirtschaftsgüter angewandt, mit deren Herstellung vor diesem Stichtag begonnen worden ist oder die vor dem Stichtag bestellt oder angezahlt worden sind. Die Vorschriften über die neuen Absetzungen für Wohngebäude sind auf Gebäude anzuwenden, bei denen der Antrag auf Baugenehmigung nach dem 8. März 1960 gestellt worden ist. Bei den Bausparverträgen kommt es darauf an, ob der Abschluß der Verträge nach dem genannten Stichtag liegt. Wirtschaftlich kommt der Beibehaltung des 8. März 1960 als Stichtag größte Bedeutung zu, weil nur so verhindert werden kann, daß der Entwurf - im Gegensatz zu den Zielen, die er verfolgt - eine zusätzliche Auftragswelle auslöst. Würde z. B. die erstmalige Anwendung der Vorschriften über die Einschränkung der degressiven Abschreibung auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes abgestellt werden, so wäre zunächst eine erhebliche Steigerung der Nachfrage nach Investitionsgütern die Folge. Daraus ergäbe sich geradezu das Gegenteil der wirtschaftlichen Wirkung, die durch die Vorschrift erreicht werden soll. Aus übergeordneten wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten muß daher die Rückbeziehung der Änderung des § 7 des Einkommensteuergesetzes auf den 9. März 1960 vorgesehen werden. Wollte man in derartigen Fällen jede Rückwirkung verneinen, so wäre der Gesetzgeber nicht und nie in der Lage, bestimmte aus wirtschaftspolitischen Gründen notwendige Maßnahmen kurzfristig zu treffen. Eine solche Rückbeziehung ist auch nicht verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Rückwirkung von Steuergesetzen unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt, wenn der Steuerpflichtige mit einem rückwirkenden Inkrafttreten rechnen mußte. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Den Interessen der Steuerpflichtigen ist durch die rechtzeitige Unterrichtung und durch die Übergangsregelungen hinreichend Rechnung getragen. Damit, meine Damen und Herren, möchte ich die ergänzenden Ausführungen zur Begründung des Gesetzentwurfes abschließen. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt ({0}).

Dr. Otto Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002015, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstmalig wird in der Begründung zu dem eben eingebrachten Steueränderungsgesetz der Gedanke ausgesprochen, es solle sich um ein Jahressteuergesetz handeln. Das hat der Herr Bundesfinanzminister soeben des näheren ausgeführt. Es handelt sich hier um eine neue Methode der Steuergesetzgebung. Es lohnt sich sicherlich, zu dieser Methodenänderung einiges zu sagen, und das sollte berücksichtigt werden, wenn man auf dem hier beschrittenen Weg nicht von vornherein scheitern will. Ein Jahressteuergesetz sollte beschlossen sein, bevor das Jahr begonnen hat. Mit diesem Gesetz tun wir natürlich schon etwas, was diesem Grundsatz widerspricht. Das nun heißt nicht, daß ich der Meinung wäre, der Schritt, den wir auf diesem Wege tun, dürfte nicht als erster Schritt in diesem Jahre schon getan werden. Aber für die Zukunft sollten wir uns das vornehmen. Erstmalig hat wohl Professor Bühler in den 30er Jahren das Jahressteuergesetz gefordert. In der Literatur hat man sich seit mehr als 20 Jahren darum bemüht, daß wir zu einer solchen Art und Weise der Steuergesetzgebung kommen. Man wird von vornherein sagen müssen: Das ist nicht ohne Gefahr; denn bei einem solchen Jahressteuergesetz besteht natürlich die Versuchung, etwas zu tun, was mit dem Gesetz gerade verhindert werden soll, nämlich jedes Jahr aufs neue an den Grundlagen unserer Steuergesetzgebung zu rütteln. Das darf gerade bei einem Jahressteuergesetz nicht der Fall sein. Ein Jahressteuergesetz sollte grundsätzlich nur die jeweils notwendigen zeitgebundenen Änderungen des Steuerrechts umfassen und sich im übrigen darauf beschränken, die als notwendig erkannten Korrekturen anzubringen. Ein Jahressteuergesetz sollte aber möglichst nicht die Grundlagen berühren. Andernfalls wecken wir geradezu diejenigen, die nun von irgendeinem Interessenstandpunkt her meinen, sie müßten jedes Jahressteuergesetz zum Anlaß neuer Vorstöße nehmen. Es wäre also verfehlt, wenn man bei der Schaffung des Steueränderungsgesetzes 1960 anfangen wollte, darin alle möglichen Wünsche zu erfüllen. Bei einem Jahressteuergesetz, das methodisch richtig angesetzt werden soll, muß man versuchen, zur Stabilisierung der Steuergesetzgebung zu kommen; es muß zugleich auch versucht werden, den seit vielen Jahren erhobenen Forderungen auf Vereinfachung der Steuergesetzgebung zu entsprechen. Ein .Jahressteuergesetz ist also ein ausgesprochen statisches Element in der Methode der Steuergesetzgebung. Nun hören wir, daß ein wesentlicher Teil dieses Jahressteuergesetzes konjunkturpolitische Wirkungen haben soll, daß es sich also um Maßnahmen handelt, die Ausfluß einer antizyklischen Finanzpolitik zur Dämpfung der Konjunktur sind. Wir stoßen damit auf ein im Grunde widersprechendes Element. Ist das Jahressteuergesetz methodisch ein statisches Element, so geht es bei dem Versuch, damit Konjunkturpolitik zu betreiben, naturnotwendig um ein dynamisches Element; denn Konjunkturpolitik muß elastisch sein, sie muß auf wechselnde Tatbestände sehr beschleunigt reagieren, und sie muß sich der jeweiligen Wirtschaftssituation anpassen können. Das kann unter Umständen innerhalb eines Jahres sogar wiederholt notwendig sein. Wir befinden uns demnach schon bei Beginn des neuen Weges zwischen Scylla und Charybdis: dem Erfordernis, möglichst einfach zu sein, möglichst nur das Notwendige, das allgemein Interessierende anzubringen, und zum anderen dem Erfordernis, nun auch anpassungsfähig zu sein, elastisch zu sein, beschleunigt zu reagieren. Aber selbst wenn wir uns gar nicht erst in den Streit einlassen, ob Finanzpolitik auch zugleich Konjunkturpolitik sein darf, müssen wir doch von vornherein betonen, daß unser ganzes Gesetzgebungsverfahren schon im Grunde dem Prinzip, beschleunigt zu reagieren, widerspricht. Sie wissen, wie lange das heute in erster Lesung zu behandelnde Gesetz schon zur Erörterung ansteht. Praktisch ist der Gesetzentwurf seit Ende Februar in der Diskussion, und heute kommen wir zur ersten Lesung. Wir können von Glück sagen, wenn wir das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschieden können. Damit ist zugleich die ganze Problematik der Absicht enthüllt, durch Steuergesetzgebung etwa auch differenziert konjunkturpolitisch zu wirken. Hier und da ist angeregt worden, das Gesetz zu teilen, den konjunkturpolitischen Teil vorwegzunehmen und den übrigen Teil in der zweiten Hälfte des Jahres zu verabschieden. Damit wäre das stabilisierende Element des Jahressteuergesetzes bereits in der Grundlage zerstört. Sie sehen, wie schwierig die Dinge sind und daß es nicht ohne weiteres möglich ist, alle guten Absichten - die Absichten, die Steuer zu vereinfachen, und die konjunkturpolitischen Absichten - auf einen Nenner zu bringen, so daß alle befriedigt sind. Aber ein Resümee läßt sich aus diesen Erörterungen ziehen, nämlich die Erkenntnis, daß Steuergesetze eben doch nur sehr beschränkt zur Konjunktursteuerung geeignet sind. Erinnern wir uns an die obersten Grundsätze der Besteuerung, die uns der Altmeister Strutz überliefert hat und die an- zuwenden für jeden Steuerpolitiker eine ganz selbstverständliche Voraussetzung ist! Daran wird deutlich, daß wir mit der Verabschiedung dieses Gesetzes doch nur eine höchst unvollkommene Leistung erbringen können. Wenn wir im Sinne von Strutz zugleich Gleichmäßigkeit und allgemeine Gerechtigkeit, Einfachheit und Bestimmtheit der Steuer verwirklichen wollen, können wir eben nicht konjunkturpolitisch differenzieren, um die Konjunktur im eigentlichen Sinne zu steuern. Die Konjunktur wirkt sich nun einmal ganz verschieden aus. Wir sprechen z. B. von Investitionsgüterkonjunktur und von Konsumgüterkonjunktur. Wir wissen darüber hinaus, daß die Verhältnisse auch branchenmäßig, regional und nach der Größenordnung der Unternehmen sehr verschieden sind. Wenn wir etwa anfangen wollten, steuerpolitisch zu dirigieren, Einfluß zu nehmen, zu differenzieren, würden wir ein Dr. Schmidt ({0}) Labyrinth unübersehbarer, ständig änderungsbedürftiger Regelungen erhalten, die zum Schluß offenkundig gegen alle obersten Grundsätze der Besteuerung verstoßen würden, gegen die Grundsätze der Gleichmäßigkeit, der Gerechtigkeit, der Einfachheit und der Bestimmtheit der Steuer. So sollten wir am Anfang sagen: Primär kann Steuerpolitik nur die Politik sein, Einnahmen zu beschaffen; erst sekundär und in einem höchst groben Sinne enthält sie auch die Möglichkeit, gelegentlich die Konjunktur zu beeinflussen. ({1}) Wir können steuerpolitisch mit groben Mitteln für einen längeren, aber noch übersehbaren Zeitraum einen gewissen allgemeinen Trend in diese oder jene Richtung erzeugen, aber wir können über die Steuerpolitik keine differenzierte Konjunkturpolitik betreiben. Daher liegt dem Steueränderungsgesetz 1960 als Jahresgesetz mit Recht die Vorstellung zugrunde, daß sehr vorsichtig dosiert werden muß, damit nicht etwa mit einem groben Mittel die Konjunktur zerschlagen wird. Wir wollen ja die Konjunktur, wir halten die Konjunktur für einen Segen! Wir meinen nur, daß sie durch Überspannung zu einer Gefahr führen könnte, und im Hinblick auf diese Gefahr wollen wir ein Ausrufungszeichen setzen. Wir können nicht alles zugleich haben; wir können nicht Hochkonjunktur, Vollbeschäftigung, niedrige und sinkende Preise und stabile Währung, können nicht alles miteinander haben wollen. Das geht leider nicht! Bei einer die Kapazitäten überschreitenden Nachfrage, die nun einmal zwangsläufig preis- und lohnsteigernde Tendenzen mit der Möglichkeit verminderter Kaufkraft auslöst, werden wir versuchen müssen, mit den verschiedensten Mitteln, die der Herr Bundesfinanzminister soeben angedeutet hat, u. a. auch auf steuerpolitischem Gebiet dazu beizutragen, die Nachfrage auf ein Maß zurückzuführen, das eben noch den Angebotskapazitäten entspricht. Wenn wir steuerpolitisch so verfahren, schaffen wir damit zugleich neue Einnahmen der öffentlichen Hand; denn Einschränkungen von Steuermäßigungen, Einschränkungen von Steueranreizen bedeuten zugleich eine Erhöhung der Einnahmen bei der Einkommensteuer. Bei solchen Mehreinnahmen der öffentlichen Hand können wir ihr - und damit uns selbst, meine Damen und Herren nicht die Frage ersparen: Was geschieht nun mit ,den Mitteln, die als Mehreinnahmen der öffentlichen Hand zufließen? Bleiben sie Nachfrage am Markt? Das scheint mir überhaupt die entscheidende Frage zu sein. Wir wissen aus diesem Hause und aus der Politik der Ressorts und dem Spiel ,der Interessen gegeneinander, daß Einnahmen nun einmal Begehrlichkeit erzeugen und ,daß sich sehr schnell Interessenten finden, wenn es darum geht, wie eine zusätzliche Einnahme der öffentlichen Hand wieder verwendet werden kann. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen uns über eines klar sein: Einkommensverkürzungen auf dem privaten Sektor, ohne ,daß zugleich die Gewähr dafür besteht, daß sie nicht über die öffentliche Hand irgendeine andere unerwünschte Nachfrage am Markt erzeugen, haben keinen Zweck. Wir sollten unsere Hand nicht dazu reichen, den Staatsverbrauch weiter zu steigern oder nur eine Umverteilung von Einkommen vorzunehmen oder etwa ,die öffentlichen Investitionen zu steigern. Alles das ist witzlos, wenn wir Konjunkturpolitik über Wegfall von Steuerermäßigungen betreiben wollen. Dann läßt man besser jede Konjunkturpolitik bleiben. Der Herr Bundesfinanzminister hat soeben mit Recht darauf hingewiesen, in welchem Umfang er im vergangenen Jahr zur Auslandsschuldentilgung beigetragen hat. Das ist sicherlich eine Verwendung öffentlicher Mittel außerhalb der inländischen Nachfrage, die .als Kontraktionsmaßnahme erwünscht und begründet ist. Dasselbe kann der Fall sein, wenn wir ,den Staatsbedarf, etwa den Rüstungsbedarf, im Auslande zu decken versuchen und 'damit Kaufkraft vom inneren Markt an den Außenmarkt, insbesondere angesichts unseres hohen Zahlungsbilanzüberschusses, schaffen. Wir müssen uns aber über eines klar sein: wenn diese Mittel nicht ausreichen, 'dann wird letzten Endes nichts übrigbleiben, als das zu tun, was andere Staaten bereits vor uns getan haben, nämlich zur Stillegung von Budgetüberschüssen bei der Notenbank zu schreiten, und bei abfallender Konjunktur das Gegenteil zu tun, um so die Möglichkeit zu haben, die Konjunktur wieder entsprechend in Gang zu bringen. Das sollten wir alle miteinander erkennen. Wir sollten uns der Erkenntnis dieser Zusammenhänge in einer Stunde der Hochkonjunktur, einer gewissen Geldfülle, nicht verschließen und sollten auch unsererseits in diesem Hause vermeiden, ,das zu tun, was wir bei Privaten für gefährlich halten. Aber hier sind wir in einer schwierigen Lage. Unsere Finanzverfassung steht dem in gewisser Weise entgegen. Wir können hier noch so sparsam sein, wir haben keine Macht über die öffentlichen Investitionen in Ländern und Gemeinden. Zwei Drittel der Einkommensteuer - und beim Steueränderungsgesetz handelt es sich um die Einkommensteuer - fließen an die Länder, die wiederum einen Teil über den Finanzausgleich den Gemeinden zuwenden. Niemand von uns kann es billigen, daß zwecks Dämpfung der Baukonjunktur den Privaten Mittel entzogen werden, damit sie dann von Bund, Ländern und Gemeinden zur weiteren Anheizung der Baukonjunktur verwendet werden. Ich darf auf einige Maßnahmen kurz eingehen, die als Einzelmaßnahmen im Zusammenhang mit der Gesamtpolitik von Interesse sind. Da ist die degressive Abschreibung. Wir haben sie 1958 erst legalisiert, indem wir das durch die Rechtsprechung ausgebildete Wirtschaftsinstrument, das damals mit dem 2,8fachen arbeitete, auf das 2,5fache reduziert haben. Nun soll es auf das 2fache, höchstens aber auf 20 % der linearen Abschreibung zurückgeführt werden. Das ist auf eine nicht unerhebliche Kritik in Wirtschaftskreisen gestoßen, - allerdings mit sehr Dr. Schmidt ({2}) wechselnder Begründung. Ich vermag noch nicht zu erkennen, weshalb alle diejenigen, die immer wieder betonen, daß diese Abschreibung gar keine Wirkung haben könne, dann andererseits mit solcher Heftigkeit gegen eine solche Reduzierungsmaßnahme polemisieren. Eines kann im voraus gesagt werden: ob und in welchem Umfange die Reduzierung von 2,5 auf 2 wirken wird, läßt sich überhaupt nicht mit einiger Gewißheit voraussagen. Dafür ist die Maßnahme zu milde. Als wir 1958 die degressive Abschreibung mit 2,5 einführten, war es sicherlich eine reichliche Dosierung; es war, wie der Herr Finanzminister in der damaligen Begründung sagte, eine großzügige Pauschalierung. Aber was nun normal ist, kann bei einer solchen allgemeinen betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Durchschnittsrechnung auch nur über den Daumen gepeilt werden. Wir sollten nicht darüber streiten, ob das normal ist, was wir heute wollen, oder ob das normal war, was wir damals gewollt haben. Vielmehr sollten wir uns über folgendes ganz schlicht klarwerden: daß kein Zeitpunkt so geeignet ist wie der gegenwärtige - ein Zeitpunkt ausgesprochener Hochkonjunktur und Investitionsgüterkonjunktur -, um auf diesem Gebiet ein wenig zurückzunehmen. Das wenige, was hier zurückgenommen wird, bedeutet - das hat der Herr Finanzminister mit Recht betont - keine Entscheidung gegen das Prinzip der degressiven Abschreibung und sicherlich keine Entscheidung gegen die Notwendigkeit von Rationalisierungsinvestitionen. Wenn in irgendeinem Land Rationalisierungsinvestitionen dringend notwendig sind, dann sicherlich bei uns in der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage und im Hinblick auf den aufkommenden europäischen Wettbewerb. Aber solche Investitionen sollen ja auch in gar keiner Weise behindert werden. Wir wollen nur die völlig sinnlose Entwicklung weiter zu dämpfen versuchen, in der die Investitionen nur noch bei ständig steigenden Preisen möglich sind. Wer also nicht anerkennen will, daß es sich hier um einen betriebswirtschaftlichen Normalisierungsschritt handelt, der nehme es als ein Ausrufungszeichen, als ein Zeichen zur Vorsicht an einer Gefahrenstelle der Wirtschaft, an der wir unbestrittenermaßen sicherlich heute stehen. Als ein solches Zeichen würdige ich auch die vorgesehene Änderung der Berechnungsgrundlagen für Pensionsrückstellungen. Hier ist ein konjunkturdämpfender Effekt angebracht. Es besteht nämlich die Neigung, über solche Rückstellungen die Selbstfinanzierung auszuweiten. Ich bitte nur, zu überlegen - das wird unsere Aufgabe im Ausschuß sein -, ob die jetzt im Gesetz vorgesehene Regelung auch dort sinnvoll und notwendig ist, wo Pensionsrückstellungen in Fremdmittel - also in Versicherungsrückdeckungsverträgen - angelegt werden. Zwei Maßnahmen des Steueränderungsgesetzes greifen in die Wohnungsbaupolitik ein und stoßen begreiflicherweise auf die Kritik der betroffenen Kreise. Das ist einmal die Einschränkung der erhöhten Abschreibungen in den ersten beiden Jahren. Ihr steht dann allerdings eine höhere Abschreibung in den nächsten Jahren - 4 statt 3 % - gegenüber. Die zweite Maßnahme ist die Erhöhung der Festlegungsfrist für Bausparverträge von fünf auf acht Jahre. Gestatten Sie, daß ich zunächst zu diesen beiden Maßnahmen eine Vorbemerkung mache. In der Begründung wird darauf verwiesen - auch der Herr Bundesfinanzminister hat das heute morgen wieder gesagt -, diese Institute seien mißbräuchlich verwandt worden. Ich meine, wir sollten mit dieser Kritik und der Behauptung, es werde Mißbrauch getrieben, ein wenig vorsichtig sein. Die Kritik könnte als Bumerang auf uns zurückfallen. Schließlich haben wir .dieses Gesetz gemacht und diese Institute mit den entsprechenden Voraussetzungen gesetzlich zugelassen. Wer solche Institute, die gesetzlich geregelt und unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen sind, benutzt, benutzt sie legaliter und nicht mißbräuchlich. Es kann z. B. jemand einen Bausparvertrag zunächst in der Voraussicht abschließen, daß er möglicherweise nach fünf Jahren davon Gebrauch machen könne. Er ist aber noch nicht sicher, ob er tatsächlich davon Gebrauch machen wird. Er hat vielleicht Kinder oder Neffen, denen er ein Haus bauen könnte, oder er spielt nur mit dem Gedanken, sich einmal ein Eigenheim zu erstellen. Später stellt er andere Überlegungen an. Er hat also in gewisser Weise nur mit einem Dolus eventualis gehandelt, er hat dieses Institut nicht mißbräuchlich angewendet, wenn nicht im Gesetz als Tatbestandsvoraussetzung vorgesehen war, daß im Endeffekt unter allen Umständen mit dem Geld gebaut werden muß. Ich meine daher, wir sollten mit der Kritik etwas vorsichtiger sein. Wer aus anderen Motiven oder mit anderen Zwecksetzungen bzw. unter anderen Voraussetzungen, als der Gesetzgeber es sich gedacht hat, ein Institut legaliter gebraucht, begeht keinen Mißbrauch. Wenn wir nach einer Veränderung der Situation zu der Auffassung ,gelangen, daß wir jetzt andere Voraussetzungen vorsehen müssen, dann sollten wir das tun. Diese Voraussetzungen gelten aber dann erst vom Zeitpunkt der Gesetzesänderung an. In der Kritik ist gesagt worden, durch das gestern hier in zweiter Lesung verabschiedete Bundesbaugesetz werde der Baumarkt angereizt, während mit dem Steueränderungsgesetz auf der anderen Seite Beschränkungen, konjunkturdämpfende Maßnahmen beabsichtigt seien. Diese Kritik ist meines Erachtens nicht zutreffend; man sollte sie schon im vorhinein eindeutig zurückweisen. Bei dem Baulandsteuergesetz handelt es sich darum - ebenfalls zum Zwecke der Konjunkturdämpfung -, überhaupt einmal ein Angebot von Grundstücken zu bekommen, und zwar zu niedrigeren Preisen, als sie die bisherige Wirtschaftslage zuläßt. Man will also die Angebotsseite beeinflussen, um niedrigere Preise zu erreichen. Im Steueränderungsgesetz wird dagegen die Nachfrageseite angesprochen. Man will von der FinanDr. Schmidt ({3}) zierungsseite her eine gewisse Konzentration erreichen. Wir werden die hier vorgesehenen beiden Maßnahmen sehr sorgfältig prüfen müssen, denn wir treffen damit zwei besonders wertvolle Kräfte der Volkswirtschaft, die wir unter keinen Umständen vor den Kopf stoßen dürfen. Wir treffen einmal den Eigenheimer, der ohnehin Finanzierungsschwierigkeiten genug hat und der erhebliche Opfer bringt, um ein über den Tageskonsum weit hinausreichendes Ziel zu verwirklichen. Wir werden ihn also sehr sorgsam behandeln und uns fragen müssen, ob seine Interessen voll berücksichtigt sind. Zum andern treffen wir den Sparer. Auch das ist keine einfache Sache; denn der Sparer hat in den letzten Jahren ohnehin das Risiko der Kaufkraftverschlechterung infolge steigender Baukosten getragen und wird es. sicherlich noch weiter tragen müssen. Angesichts dieser Maßnahmen, die wir zu Lasten der Eigenheimer und Sparer treffen müssen, werden wir auch wieder die öffentliche Hand und damit uns selbst fragen müssen, was Bund, Länder und Gemeinden ihrerseits getan haben, um die Baukonjunktur nicht übermäßig anzuheizen. Denn die öffentliche Hand ist nur dann legitimiert, solche Dämpfungsmaßnahmen zu ergreifen, ihrerseits zu bremsen, wenn sie sich selbst auch die notwendigen Zügel anlegt. ({4}) Nun komme ich zu dem leidigen Spesenthema. Der Begriff Spesen kommt in den Steuergesetzen überhaupt nicht vor; daher reden wir wahrscheinlich soviel davon. Sicher ist eines: All die Mißbräuche, die die Öffentlichkeit mit Recht bemängelt, sind heute bereits als Steuerbetrug und Steuerhinterziehung unter Strafe gestellt und sollten sehr viel schärfer verfolgt werden. Wir müssen uns aber auch darüber klar sein: wenn es auf diesem Gebiet einen uns so erschreckenden Mißbrauch mit Spesen gibt, so hängt das natürlich auch mit dem hohen Steuerdruck zusammen. Das eine bedingt das andere. Man sollte diese beiden Gesichtspunkte voranstellen und sich über zweierlei klar sein. Man sollte alle konkret zu erfassenden Mißbräuche, die bisher als solche tatbestandsmäßig noch nicht erkannt sind, wirksam treffen. Man sollte sich aber hüten, Generalklauseln auszuweiten. Daher haben wir erhebliche Bedenken gegen die im Steueränderungsgesetz vorgesehene Formulierung der sparsamen Wirtschaftsführung im Rahmen der allgemeinen Verkehrsauffassung. Meine Damen und Herren, der Steuerprüfer ist überfordert, wenn er Maßstäbe dafür suchen soll, was sparsame Wirtschaftsführung in Betrieben ist. Er selber hat in seiner Lebensführung und in seinem Lebensbereich jedenfalls völlig andere Maßstäbe als irgendein Wirtschaftsunternehmen; sonst wäre er ja wahrscheinlich Unternehmer geworden, wenn er die Maßstäbe hätte, wie ein Unternehmen zu führen und zu leiten ist. Wir sollten unter keinen Umständen neue Spannungen zwischen Prüfer und Wirtschaft hervorrufen; denn wir haben uns seit Jahr und Tag darum bemüht, daß sich auch dieses Verhältnis zu einem Vertrauensverhältnis entwickeln kann. Wir sollten auch vermeiden, die Steuerprüfung auf kleine Fische abzulenken. Uns interessieren die großen Fische. Deshalb werden wir die Formulierungen hier genau überprüfen müssen. Unter den nicht konjunkturpolitisch bedingten Änderungen hat der Herr Bundesfinanzminister in seiner Einbringungsrede schon die Neuregelung für die freien Berufe hervorgehoben. Daß von der Vervielfältigungstheorie endlich abgegangen wird und daß für die Abgrenzung zum Gewerbebetrieb vernünftige Kriterien gefunden werden, wird das ganze Haus begrüßen, das schon seit 1958 den Wunsch hat, daß hier eine Neuregelung gefunden wird. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß die Bundesregierung - meines Erachtens mit Recht - verlangt hat, daß die Regelung rückwirkend ab 1955 erfolgen soll, also von dem Zeitpunkt an, an dem durch die Rechtsprechung die Vervielfältigungstheorie überspitzt worden ist. Der Bundesrat hat dem widersprochen; aber ich glaube, wir müssen mit Rücksicht auf die unerfreuliche Situation im Lande draußen darauf dringen, daß der Standpunkt der Bundesregierung sich durchsetzt. Damit berühren wir zugleich natürlich das Problem der Rückwirkung, das durch dieses Steueränderungsgesetz in besonderer Weise aufgeworfen worden ist. Daß man rückwirkend Vergünstigungen aussprechen kann, ist unzweifelhaft; aber das übrige ist zumindest problematisch. Wir werden der Verfassungsfrage, die hier vorliegt, im AusSchuß unser besonderes Augenmerk schenken müssen. Unser Ziel wird sein, das Gesetz vor der Sommerpause als Ganzes zu verabschieden. Hoffentlich wird es dann ein rechtes Jahressteuergesetz, d. h. ein Gesetz, das für dieses Jahr alles umfaßt, was wir an Steueränderungen beabsichtigen. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.

Walter Seuffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Steueränderungsgesetz ist in der schriftlichen Begründung und auch in der heutigen Einführungsrede des Herrn Bundesfinanzministers als ein konjunkturpolitisches Gesetz angekündigt worden. Ich habe offengestanden nicht das Gefühl, daß es sich lohnt, über diesen Teil der Begründung und über ,diesen Aspekt des Gesetzes ausführlicher zu sprechen. Als konjunkturpolitische Maßnahme stellt dieses Gesetz schon angesichts des Volumens, um das es sich handelt, und der verschiedenartigen Tatbestände, die behandelt werden, selbst innerhalb der Reihe der konjunkturpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung, die der Herr Bundesfinanzminister heute angeführt hat und von denen die Auslandszahlungen allenfalls noch der einigermaßen wirksame Bestandteil sein könn6528 ten, doch zuwenig dar, ,als daß man diesem Aspekt größere Bedeutung zumessen könnte. Ich glaube deswegen, der Notwendigkeit enthoben zu sein, über die Frage zu sprechen, ob sich die Bundesregierung überhaupt schon eine Meinung darüber gebildet hat, in welchem Umfang die Konjunktur etwa der Eingriffe bedarf, in welchem Umfang sie überhitzt sei und woher diese Überhitzung komme, ob, wie kaum zu behaupten, aus dem Konsumsektor oder, wie ziemlich offensichtlich, aus dem Sektor der Investitionsgüter. Wenn die Bundesregierung darüber eine Meinung haben sollte, so hat sie ihr mit irgendwelchen wirksamen Maßnahmen - am allerwenigsten mit diesem Gesetz bisher keinen sehr deutlichen Ausdruck gegeben. Wenn die Bundesregierung wirklich Konjunkturpolitik treiben sollte, wenn sie wirklich die Meinung gebildet haben sollte, daß scharfe Eingriffe in die Konjunkturentwicklung notwendig sind, müßte sie sich einmal Dinge ansehen, wie sie in Schweden mit einem Investitionsfonds und sehr erheblichen steuerlichen Maßnahmen geschehen. Sie müßte sich Dinge ansehen, wie sie in England mit der Erhöhung der profit tax geschehen, Dinge, die auch in der Schweiz zur Debatte stehen, und ich glaube, idaß sie aus 'dem soeben abgelieferten Bericht des Wirtschaftsausschusses und Finanzausschusses des Europäischen Parlaments über Konjunkturpolitik, den unser Freund Deist erstattet hat, einige sehr wesentliche Erkenntnisse ziehen könnte. Dieses Gesetz kann um so weniger als eine Konjunkturmaßnahme angesehen werden, als es ja nicht gerade schlagartig vorgelegt und zur Beratung gebracht worden ist. Eine Konjunkturmaßnahme muß - das wäre dabei doch wohl das erste schlagartig erfolgen. ({0}) - Die Regierung hat keinerlei Vorschläge gemacht, welche Instrumente sie haben will. ({1}) - Ich glaube nicht, daß, wenn eine Regierung keine Neigung zeigt, Instrumente zu gebrauchen, das Parlament von sich aus Instrumente ausdenken wird, die es dieser Regierung an die Hand gibt. Wenn die Regierung der Ansicht ist - wir würden das begrüßen -, daß sie eine konjunkturpolitische Verantwortung hat, so möge sie die Instrumente benennen, ,die sie verlangt, und wir werden dann über ihren Gebrauch zu reden haben. Aber darüber zu sprechen, daß dieses Gesetz eine wesentliche konjunkturpolitische Maßnahme sei, scheint mir, wie gesagt, sich nicht recht zu lohnen. Das Gesetz ist weiter angekündigt worden als das erste Jahressteuergesetz oder als der Übergang zu einer neuen Gesetzgebungsform, dem Jahressteuergesetz. Aus den Ausführungen, die dazu gemacht worden sind, ist eigentlich nur klar geworden, wie unklar dieser Begriff ist. ({2}) Der Herr Kollege Schmidt hat ungefähr die Ansicht ausgesprochen, daß dieses Jahressteuergesetz zu den unwesentlichen, jeweils gerade aktuellen kleinen Steueränderungen bestimmt sein sollte, während grundsätzliche Veränderungen des Steuerrechts nicht im Jahressteuergesetz, sondern, wenn ich ihn recht verstanden habe, am besten überhaupt nicht erfolgen sollten. ({3}) - Dann habe ich Sie in der Tat richtig verstanden, auch dann, als Sie sagten, daß dieses Jahressteuergesetz ein statisches Element in das Steuerrecht bringen sollte. Das sollte eben bedeuten, am besten werde am Grundsätzlichen überhaupt nichts mehr geändert. Da sind wir, Herr Kollege Schmidt, selbstverständlich ganz anderer Ansicht. Wir haben gegen den grundsätzlichen Aufbau unserer Steuergesetzgebung und unserer Steuerverteilung so erhebliche Einwände, daß wir derartige konservative statische Elemente ablehnen. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich ja einstweilen diese Ausdeutung des Jahressteuergesetzes noch nicht zu eigen gemacht. Wenn ich an seine eigene Ausdeutung des Jahressteuergesetzes herangehe, so muß ich allerdings fragen: Jahressteuergesetz wofür, für welche Steuer? So wie es vorgelegt worden ist, ist es vielleicht ein Jahressteuergesetz für die Einkommensteuer und für kleinere Fragen der Gewerbesteuer und des Wohnungsbauprämiengesetzes. Ist es auch ein Jahressteuergesetz für die Umsatzsteuer? Heißt es, daß die Bundesregierung zu den aus Ihren und aus unseren Reihen vorliegenden Anträgen zur Umsatzsteuer und zu Verbrauchsteuern hier irgendwie, etwa negativ Stellung genommen hat? - Das heißt es nicht? Dann ist es also kein umfassendes Jahressteuergesetz, sondern ein spezielles Jahressteuergesetz für die Dinge, die im Augenblick der Regierung gerade interessant scheinen. Es scheint nämlich nicht einmal ein Jahressteuergesetz etwa für die Einkommensteuer zu sein. Denn zu den mehreren im Hause vorliegenden Anträgen zu kleineren Fragen der Einkommensteuer und was damit zusammenhängt, hat die Regierung bisher auch noch keine Stellung genommen. Mir scheint also, daß es sich auch nicht sehr lohnt, darüber zu sprechen, ob und in welchem Sinne das ein Jahressteuergesetz sein soll. Damit möchte ich aber nur eines festgestellt haben, Herr Kollege Schmidt: eine Einführung von Jahressteuergesetzen zwecks statischer Erstarrung des Steuerrechts machen wir nicht mit. ({4}) - Ich habe eben anzuregen versucht, daß die Bundesregierung, wenn sie schon - das stammt ja nicht von uns - Jahressteuergesetze ankündigt, auch umfassend zu allen Problemen, die im Hause vorliegen, Stellung nimmt, die Steuern, die hier tatsächlich problematisch sind, auch in die umfassende Regelung einbezieht und unter dem Namen „Jahressteuergesetz" nicht nur irgend etwas regelt, was gerade interessiert, und alles andere offenläßt; das scheint mir das Falscheste zu sein. Ich möchte mich also mit diesem Gesetz in der Tat nur unter dem Gesichtspunkt beschäftigen: Was ist falsch und was ist richtig von dem, was hier vorgeschlagen wird? Wenn ich dabei - unter Übergehung unwichtiger und unstreitiger Punkte - nach der Reihenfolge des Gesetzes gehe, so kommt zuerst die Neufassung des § 4, d. h. die sogenannte Einschränkung des Spesenunwesens. Es braucht gar nicht weiter hervorgehoben zu werden, daß es da verschiedene Dinge gibt, die sehr großes Ärgernis erregen. Es sind sehr verschiedene Dinge, von denen hier manchmal etwas in Bausch und Bogen gesprochen wird. Sehr viel weiter kommen wir nicht, wenn auch der Herr Bundesfinanzminister bloß von dem Spesenunwesen im ganzen spricht, ohne die einzelnen Tatbestände, um die es sich handelt, einigermaßen zu differenzieren. Wir begrüßen selbstverständlich jeden Versuch, darin einigermaßen Ordnung zu schaffen und auch einen guten Stil zu schaffen, Herr Kollege Schmidt, die Dinge auf hohen Steuerdruck zurückzuführen, geht heutzutage nun wirklich nicht mehr an. ({5}) - Das war einmal; das geht heute wirklich nicht mehr. Da kann man heute nur noch von Lust und Liebe zur Sache oder von liebgewordenen Gewohnheiten sprechen. ({6}) Eines habe ich begrüßt: daß der Herr Bundesfinanzminister einen Punkt des Komplexes, nämlich das Ausstellen falscher Belege, hervorgehoben hat und sich dafür einsetzen will, daß das Ausstellen falscher Belege, das ein strafbarer Tatbestand, ein Betrugstatbestand und kein Kavaliersdelikt ist, ({7}) vermehrt von den Finanzämtern den zuständigen Strafbehörden übergeben wird. Ich glaube, das ist ein , sehr wesentlicher Teil. Ich glaube allerdings nicht, Herr Kollege Schmidt, daß man hier einen Unterschied zwischen „kleinen und großen Fischen" machen kann. ({8}) Sonst kommt man hier nicht weiter. - Das ist ein Weg, den wir sehr begrüßen würden. Im übrigen müssen wir einige Fragezeichen setzen, ob man hier mit allgemeinen Formulierungen des Gesetzes weiterkommt, ob man nicht den Steuerbeamten, der die Dinge auszuführen hat, überfordert, wenn das Gesetz keine ausreichenden Präzisierungen enthält. Wir werden also sehr genau zu prüfen haben, ob nicht präzisere Formulierungen in diesen Paragraphen hineingebracht werden sollten. Wir sollten uns auch einmal mit dem Gedanken vertraut machen, offen auszusprechen, daß Werbeoder Repräsentationsausgaben, die an sich als sittenwidrig zu betrachten sind - ich denke da nicht nur an Schmiergelder -, unter gar keinen Umständen anerkannt werden können. Wir werden im übrigen, da wir wissen, daß der Tatbestand vielfältig ist und nicht leicht einer wirklich befriedigenden Regelung schnell zugeführt werden kann, die Regierung bitten, sich auch in Zukunft noch etwas mehr Gedanken darüber zu machen, etwas mehr Material beizubringen, die Untersuchung dieses Komplexes weiterzuführen und eine vertiefte Untersuchung durch das Parlament zu ermöglichen. Was die Pensionsrückstellungen anbelangt, so ist es höchste Zeit, daß etwas geschieht. Die Pensionsrückstellungen waren eine wesentliche Quelle der Selbstfinanzierungen der Unternehmen. Sie waren sehr große, zinslose Steuerkredite, mit denen sehr viel überhitzte Investitionsplanung gemacht wurde. Die Rückführung muß erfolgen. Wir sind allerdings der Ansicht, daß die Rückführung der Pensionsrückstellungen auf den nunmehr zulässigen Stand, wenn man schon von Konjunkturmaßnahmen und von wirtschaftspolitischen Maßnahmen spricht, viel schneller, in drei, allerhöchstens in vier Jahren durchgeführt werden muß. Der neue Satz für die degressiven Abschreibungen ist genau das, was die SPD von Anfang an und mit derselben Begründung, wie sie heute der Bundesfinanzminister bringt, für richtig gehalten hat. Wir haben also dazu gar keine andere Bemerkung zu machen als: warum nicht gleich? Wir werden keine weiteren Anträge dazu stellen, zumal da wir, allerdings vielleicht im Gegensatz zum Herrn Bundesfinanzminister, der Ansicht sind, daß Veränderungen der Abschreibungssätze schon allein wegen der Tatsache, daß sie sich bei unserem Steuer- und Veranlagungssystem sehr langsam auswirken, kein geeignetes konjunkturpolitisches Mittel sind, daß Abschreibungssätze eigentlich eine Frage der Strukturpolitik sind und daß - nun allerdings wieder im Gegensatz zum Herrn Bundesfinanzminister -Steuererhöhungen, insbesondere wenn man die Einzahlung der Steuer beschleunigt und die Vorauszahlungen entsprechend erhöht, ein sehr wesentliches und gutes Mittel der Konjunkturbeeinflussung wären. Was die neuen Bestimmungen des § 7 b anbelangt, so werden wir zur Debatte stellen, ob der Betrag von 120 000 DM, bis zu dem heute noch die Aufwendungen für das Ein- und das Zweifamilienhaus einschließlich der Luxusaufwendungen, die nicht dem allgemeinen Wohnbedarf dienen und die - das darf man doch auch sagen - ein gar nicht unwesentliches Element des Konjunkturanreizes sind, vor allem der Luxus bei Einfamilienhäusern, steuerbegünstigt sind, nicht herabgesetzt werden muß. Wir werden beantragen, daß den Baulöwen - der Herr Bundesfinanzminister hat das Wort gebraucht -, d. h. denjenigen, die mit Steuerbegünstigungen durch Sonderabschreibungen nicht für den eigenen Bedarf Wohnbauten herstellen, sondern nur, um sie mit steuerfreien Spekulationsgewinnen recht bald wieder zu veräußern, wirksamer ins Geschäft gepfuscht wird, indem man die Aufrechterhaltung der Sonderabschreibungen des § 7 b in den von mir bezeichneten Fällen, also da, wo der Bauherr selbst nicht im Hause wohnt, davon abhängig macht, daß eine Veräußerung innerhalb einer Frist von etwa fünf Jahren unterbleibt, widrigenfalls die Sonderabschreibungen zurückzurechnen sind und nachträglich eine Versteuerung stattfindet. Wir begrüßen die neue Abgrenzung der freien Berufe. Wir sind allerdings der Ansicht, daß auch die schwebenden Fälle der Vergangenheit mit dieser Neuregelung erledigt sein sollen. Wir sind der Ansicht, daß man die Spekulationsgewinne - darin liegt auch wieder ein konjunkturpolitisches Element - schärfer heranziehen sollte. Bei den Grundstücksgewinnen ist überhaupt keine Verschärfung der Heranziehung vorgesehen, und was die Wertpapierspekulationsgewinne betrifft, so sollten sie schärfer, als es in der Regierungsvorlage vorgesehen ist, herangezogen werden. Dagegen haben wir Bedenken gegen die von der Regierung vorgeschlagene unbefristete Verlängerung der allgemeinen Ermächtigungen in den Steuergesetzen. Bekanntlich sind diese allgemeinen Ermächtigungen verfassungsrechtlich sehr anfechtbar. Sie wissen, daß wir unter vielen Zweifeln bis zu einer wirklichen Neuregelung der Materie diese Ermächtigungen noch einmal - befristet! verlängert haben. Eine unbefristete Verlängerung würde unserer bisherigen Stellungnahme und wahrscheinlich auch der verfassungsrechtlichen Lage nicht entsprechen. Wir werden den Vorschlag des Bundesrates, die Abrechnung der Wohnungsbauprämien zwischen Bund und Ländern anders zu gestalten, nachdrücklich unterstützen, ebenso die Vorschläge des Bunderates betreffend Sonderbestimmungen für Berlin; diese haben ja auch die Zustimmung der Bundesregierung gefunden. Ich möchte noch von etwas sprechen, was nicht im Gesetz enthalten, aber eine aktuelle Forderung ist. Sowohl aus dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit als auch der Konjunkturpolitik muß man sich einmal mit der Beschleunigung der Steuerzahlung und mit den zum Teil außerordentlich hohen, aber sehr billigen, nämlich zinslosen Krediten beschäftigen, die Unternehmen und Einzelpersonen infolge der schleppenden Veranlagung, infolge der langen Dauer selbst des normalen Veranlagungsverfahrens bis zur Fälligkeit der Steuer beim Staat stehen haben. Die Selbstveranlagung ist von berufener Seite, von den Steuerbeamten selbst, vorgeschlagen worden. Ich habe bisher keine entscheidenden Einwände gegen die Selbstveranlagung entdecken können. Ich glaube, wenn man Steuererklärungen mit zwei oder drei Dutzend Einzelzahlen auszufüllen hat, kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob man auch noch die letzte Zahl aus der Tabelle und vielleicht noch einige abzuziehende Freibeträge hinzuzusetzen hat. Ob man das vorläufige Veranlagung oder Selbstveranlagung nennt, ist nicht wesentlich, sondern wesentlich ist, daß man einen festen Termin für jedes Jahr einführt - ich denke an das amerikanische Steuerrecht -, bis zu dem unabänderlich die Steuererklärungen abgegeben werden müssen, und ebenso einen festen Termin, bis zu dem die Steuer gezahlt werden muß. Man wird bei der Selbstveranlagung oder vorläufigen Veranlagung die Nachprüfung für eine ,gewisse Zeit offenhalten, aber nach deren Ablauf die vielfältigen, zum Teil sehr umständlichen und zum Teil krummen und sehr umstrittenen Berichtigungsmöglichkeiten weitgehend wegfallen lassen müssen. Wir haben uns mit dem Problem zu beschäftigen, wie die Zahlung der veranlagten Steuer stark beschleunigt werden kann. Diese Beschleunigung ist erforderlich aus Gründen der Gerechtigkeit gegenüber den Lohnsteuerpflichtigen. Sie ist aber gerade auch im Interesse der Konjunkturpolitik erforderlich. Weiter stellt sich die Aufgabe, in Änderung des Steuersäumnisgesetzes Stundungs- und Erstattungszinsen einzuführen und mit den zinslosen Steuerkrediten Schluß zu machen. Das wird Anträge erfordern. Diese Anträge werden sich wahrscheinlich für das Jahr 1960 nicht mehr auswirken können. Wir bitten jedoch darum, sich schon bei der Beratung dieses Gesetzes mit diesem Problem zu beschäftigen. Wir behalten uns Anträge vor, die auf eine derartige Neuregelung zu einem möglichst frühen Zeitpunkt hinzielen. Nun noch einige Worte zu der Frage: Was macht man mit den 300 bis 400 Millionen DM, die hier an Steuermehreinnahmen erwartet werden? Ich gebe Herrn Kollegen Schmidt durchaus recht: es hat natürlich keinen Sinn, sie einfach wieder allgemein zur Deckung von Staatsausgaben zu verwenden. Etwas anderes ist es schon, wenn man sie zu Steuerermäßigungen dort verwendet, wo diese Steuerermäßigungen konjunkturpolitisch jedenfalls nicht schädlich sind. Da es unstreitig sein sollte, daß der Anreiz, der Überreiz für die Konjunktur vom Investitionssektor und nicht vom Konsumsektor ausgeht - er geht natürlich auch von der Auslandsnachfrage aus -, wäre die Verwendung der Steuermehreinnahmen zu Verbesserungen der Steuerstruktur auf dem Gebiete der Verbrauchsteuern und wohl auch der Einkommensteuer, in erster Linie aber der Verbrauchsteuern, konjunkturpolitisch richtig, und sie entspräche auch der Gerechtigkeit. Es ist angedeutet worden, daß die Absicht bestehe, dieses Gesetz mit Maßnahmen auf dem Gebiete ,der Gewerbesteuer zu verbinden. Auf Grund der Rede des Herrn Kollegen Schmidt habe ich den Eindruck, daß diese Absicht im Augenblick nicht mehr besteht; denn sie ist nicht erwähnt worden. Wir würden eine solche Verknüpfung, da es sich doch um sehr verschiedene Kassen handelt - Kassen der Gemeinden einerseits, Kassen der Länder andererseits -, nicht für glücklich halten. Sie wissen, daß ein angemessener Unternehmerfreibetrag bei der Gewerbesteuer von uns nicht abgelehnt würde. Aber für eine Verknüpfung dieses Gesetzes mit Maßnahmen auf dem Gebiete der Gewerbesteuer scheint uns doch wenig Veranlassung vorzuliegen. Wir würden es für richtiger halten, diese Frage an anderer Stelle zu behandeln. Meine Damen und Herren, das sind die Bemerkungen, die wir namens der Opposition zu diesem Gesetz zu machen haben. ({9}) - Herr Dr. Dresbach, wie sollte ich ihn denn nicht fürchten bei einem Unternehmerfreibetrag? Es handelt sich erstens darum, ihn in erträglichen Grenzen zu halten, und zweitens darum, den Gemeindekassen das notwendige Äquivalent in einer möglichen Weise zuzuführen, z. B. - Herr Kollege Dr. Dresbach, ,da werden wir beide vielleicht sogar einig sein - durch die längst fälligen Maßnahmen auf dem Gebiete der Grundsteuer und der Einheitsbewertung. Dazu aber, daß man eine Steuermehreinnahme bei Bund und Ländern mit Gewerbesteuerausfällen, die man den Gemeinden auferlegt, verknüpft, scheint uns wenig Veranlassung zu bestehen. ({10})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Ich will mich nur mit dem wirtschaftspolitischen Teil der Vorlage beschäftigen - es ist ja im wesentlichen eine wirtschafts- und konjunkturpolitische Vorlage -, während zu den Steuerfragen meine Kollegen noch zu Wort kommen werden. Herr Kollege Schmidt ({0}), Sie haben mir einen großen Teil meiner Ausführungen vorweggenommen. Ich unterstreiche Ihre Darlegungen zu 90 % und hoffe, daß wir nachher, wenn wir in den Ausschußberatungen an die Arbeit gehen, gemeinsam zu dem Wort stehen und die gleichen Folgerungen aus dem ziehen, was Sie ausgeführt haben. Ausgangspunkt dieses Gesetzes war doch eigentlich die Düsseldorfer Rede des Herrn Bundesfinanzministers, in der er seine Auffassung über die Konjunkturlage darlegte. Ich gehe mit Herrn Kollegen Seuffert darin einig, daß es nicht ganz sicher ist, wie eigentlich die konjunkturpolitische Auffassung der Bundesregierung aussieht.. Der Herr Bundesfinanzminister hat die Konjunkturlage in seiner Begründung als sehr schwierig bezeichnet.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Etzel?

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Franz Etzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Abgeordneter Atzenroth, ist Ihnen wirklich unbekannt, daß dieses Gesetz auf einem Kabinettsbeschluß vom 8. März beruht und daß meine Düsseldorfer Rede wesentlich später gehalten worden ist?

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, mir war natürlich der Kabinettsbeschluß nicht bekannt. Es mag sein, daß er die Grundlage gewesen ist. Dann habe ich, der ich als Mitglied der Opposition nicht eine so unmittelbare Verbindung zu den Ministerien habe wie Sie, meine Herren, also nunmehr Aufklärung erhalten. Nach der Darstellung, die der Herr Minister jetzt gegeben hat, lag demnach im März ein Kabinettsbeschluß vor, dem diese Auffassung von der Konjunkturlage zugrunde lag. Die Auffassung wird aber doch etwas gemildert durch einige Äußerungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers, die später gefallen sind. Herr Erhard hat erklärt - und ich stimme ihm darin völlig zu -, daß man keineswegs von einer allgemeinen Konjunkturüberhitzung sprechen könne, sondern daß es weite Gebiete in unserer Bundesrepublik gebe, die konjunkturell durchaus nicht übermäßig bedacht worden seien, in denen also an Dämpfungsmaßnahmen gar nicht herangegangen werden dürfe, sondern möglicherweise sogar noch Stützungsmaßnahmen erforderlich seien. Wir müssen aber bei der Frage nach dem Grund für die Einbringung dieses Gesetzes von der Begründung ausgehen, auf die Herr Minister Etzel hingewiesen hat, und da heißt es ausdrücklich, daß die in diesem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen zu einer Dämpfung der überhitzten Konjunktur beitragen sollen, nachdem die von der Bundesbank getroffenen Maßnahmen doch nicht in vollem Umfang zum Zuge gekommen sind. Es zeigt sich aber doch etwas Merkwürdiges bei der Betrachtung dieser Grundlage. Das Gesetz bringt Steuererhöhungen; denn der Abbau von Vergünstigungen bedeutet Steuererhöhungen. Das vermehrte Steueraufkommen fließt zumindest zu zwei Dritteln den Ländern zu - im wesentlichen geht es um Fragen der Einkommensteuer -, und diese Länder erklären im gleichen Augenblick: Wir sind nicht bereit, irgend etwas zur Konjunkturdämpfung beizutragen; wir sind nicht bereit, auf Investitionen unsererseits zu verzichten, sondern wir wollen diese Investitionen, wenn wir die Gelder bekommen, sogar noch verstärken. So kann man doch keine Konjunkturpolitik betreiben. Zu welchen Schwierigkeiten der föderale Aufbau unserer Bundesrepublik führt, zeigt sich also darin, daß die eine Hand das tut, was die andere mitzumachen nicht bereit ist. Sowohl von Herrn Seuffert als auch von Herrn Schmidt ist schon darauf hingewiesen worden, daß dieses Gesetz zur Dämpfung der Konjunktur - sie haben sich vorsichtig ausgedrückt - nur sehr beschränkt geeignet ist. Ich möchte sagen: es ist ungeeignet. Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen werden, wenn man aufs Geld sieht, ihre Wirkung erst im Jahre 1962 haben. Die Wirkung, die der Herr Bundesfinanzminister dadurch erzielen will, daß der Stichtag auf den 8. März 1960 zurückverlegt wird, ist nur beschränkt. Sie kann bei den Abschreibungen in geringem Umfang eintreten. Aber die Einschränkungen, die in der Formulierung sofort wieder gemacht werden, heben auch diese Wirkung praktisch auf. Wir sind also der Meinung, daß dieses Gesetz eine konjunkturpolitische Wirkung nicht bloß in nur beschränktem Umfang, sondern gar nicht haben kann. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben vor einem halben Jahr erklärt, Sie würden dem Deutschen Bundestag bis zum Ablauf dieser Legislaturperiode keine Gesetze vorlegen, die Steuererhöhungen vorsehen. Wir haben das Heizölsteuergesetz, wir haben die Mineralölsteuererhöhung, wir haben gestern die Baulandsteuer beschlossen, und wir haben jetzt diesen Gesetzentwurf vorgelegt bekommen, der ebenfalls Steuererhöhungen enthält. Wenn Sie zu Ihren Worten stehen wollen, müssen Sie den Steuererhöhungen in diesem Gesetz im gleichen Zuge Steuersenkungen gegenüberstellen. Nur dann kann Ihr Wort von damals glaubhaft bleiben. Wir fordern, daß auch entsprechende Steuersenkungen in dieses Gesetz mit eingebaut werden. Wenn es wirklich so ist, daß dieses Gesetz keine ernsthaften konjunkturpolitischen Wirkungen haben kann, bleibt nur seine Eigenschaft übrig, ein erstes Jahressteuergesetz zu sein, wie Herr Dr. Schmidt gesagt hat. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß wir dazu kommen sollten, jeweils ein Jahressteuergesetz zu machen und darin alles das zu regeln, was sich im Laufe des Jahres als regelungsbedürftig erwiesen hat. Unabhängig davon wären Änderungen an den Grundlagen unserer Steuergesetzgebung, von denen Herr Seuffert gesprochen hat. Ich bin nicht der Ansicht von Herrn Seuffert, aber wenn man grundlegende Änderungen für nötig halten sollte, müßte ein besonderes Gesetz gemacht werden. Das Jahressteuergesetz jedenfalls sollte alles das regeln, was im Laufe des Jahres an Unebenheiten festgestellt ist. Wenn es aber so ist, daß dieses Gesetz das erste Jahressteuergesetz darstellt, dann vertehe ich nicht die Überstürzung, mit der man an dieses Gesetz herangeht. Ich würde es für sehr bedenklich halten, ein Steuergesetz mit allen seinen komplizierten Auswirkungen in dieser überstürzten Weise durchs Parlament zu jagen. Wir sind in der Kürze der Zeit gar nicht in der Lage, alle Schwierigkeiten und alle Auswirkungen zu übersehen. Wenn es also kein konjunkturpolitisches Gesetz ist, dann sollten wir es in dem normalen Arbeitsgang behandeln, in dem wir auch sonst Steuerfragen regeln, aber nicht in dieser überstürzten Form, daß die Ausschüsse schon darüber beraten, bevor die erste Lesung im Plenum stattgefunden hat. Und schließlich: wenn die Begründung, die die Regierung diesem Gesetzentwurf gegeben hat, entfällt, wenn es also ein Jahressteuergesetz und kein konjunkturpolitisches Gesetz ist, fehlen darin nach unserer Meinung gewisse Dinge. Herr Seuffert hat schon auf die Frage der Gewerbesteuer hingewiesen. Ich habe da andere Auffassungen als Herr Seuffert, aber ich will mich jetzt nicht mit speziellen Steuerfragen beschäftigen. Was nach unserer Meinung weiter fehlt, ist eine Änderung des Vermögensteuergesetzes. Die Bundesregierung hat schon einmal erklärt, bei der Vermögensteuer sei eine Erhöhung des Freibetrages notwendig. Ich müßte ja begeisterten Beifall bei all denen finden, die sich dafür einsetzen, daß Vermögen auf breiter Front gebildet wird. ({0}) - Wir müssen doch einmal den Mut haben, unsere Bedenken nicht nur deshalb zurückzustellen, weil wir fürchten, der Bundesrat könnte gegen das sein, was wir beschließen. Wir müssen die Frage hier einmal anpacken. Sie haben vollkommen recht, es handelt sich hier um Regelungen, bei denen der Bundesrat gehört werden muß. Also wir sollten mutig an die Sache herangehen. ({1}) - Jawohl, aber wir können die Regelungen bei den verschiedenen Steuerarten doch durch ein Junktim verbinden. Auch der Bundesrat will manchmal, will sogar sehr häufig etwas von uns, und wir können es ihm dann nicht zugestehen, wenn er sich nicht vernünftig zeigt und wenn die Länder sich nicht in den großen Gedanken einordnen. Zweifellos ist der Gedanke richtig, daß auch die öffentliche Hand zur Dämpfung der Konjunktur beitragen kann. Damit geben Sie mir das Stichwort zu einem Problem, zu dem ich sowieso sprechen wollte. Die Bundesregierung hat uns als ihren Beitrag zur Konjunkturdämpfung ein, wie wir glauben, von der steuerlichen Seite ganz abgesehen, ungeeignetes Gesetz vorgelegt. Wir vermissen den Beitrag der öffentlichen Hand zur Konjunkturdämpfung. Das haben wir schon damals bei den ersten Ausführungen zu diesem Thema vorgetragen. Heute bringt zum ersten Mal auch Herr Minister Etzel solche Gedanken. Er gibt zu, daß diese Forderung berechtigt ist. Er hat heute davon gesprochen, daß er die Bundesausgaben für Bauten zurückhalten und senken will. Wie weit kann er eingreifen? Allenfalls beim Verteidigungshaushalt! Er braucht die Länder und braucht auch die Gemeinden dazu. ({2}) - Wir haben nicht für die Finanzierung gestimmt; wir sind der Meinung, daß der Straßenbau auch ohne neue Steuern zu finanzieren ist. Herr Etzel hat heute von Maßnahmen der öffentlichen Hand gesprochen und erklärt, er wolle die Ausgaben des Bundes einschränken. Das sind alte, von uns erhobene Forderungen, das sind nach unserer Meinung Beiträge, die der Bund leisten kann und die die öffentliche Hand leisten kann, die sie unbedingt leisten muß, wenn sie von den Steuerzahlern Leistungen verlangen will. Ich möchte abschließend zusammenfassen. Wir halten dieses Gesetz als zur Konjunkturdämpfung ungeeignet; zu den einzelnen steuerlichen Fragen werden wir noch Stellung nehmen. Wir sind der Meinung, das Gesetz kann nur als der Anfang eines ersten Jahressteuergesetzes betrachtet werden. Es sollte sorgfältig und nicht mit der Übereile behandelt werden, die bisher von Ihrer Seite gefordert worden ist. ({3})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, bevor ich weiter das Wort erteile, darf ich daran erinnern, daß um 13 Uhr die Fragestunde beginnt. Da nur noch vier Fragen zur Beantwortung anstehen, ist anzunehmen, daß die Mittagspause früher beginnen kann, als ursprünglich vorgesehen. Es ist interfraktionell vereinbart worden, daß die Mittagspause dementsprechend bereits um 14.30 Uhr beendet wird. Das Wort hat der Abgeordnete Miessner.

Dr. Herwart Miessner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001506, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Steueränderungsgesetz, das als Konjunkturdämpfungsmaßnahme angekündigt wurde, dann zugleich als Jahressteuergesetz und schließlich auch als Gesetz gegen Mißstände bezeichnet wurde, ist in der Tat nunmehr ein Steuergesetz „quer durch den Gemüsegarten" geworden. Herr Bundesminister, ich möchte Sie heute an dieser Stelle nicht etwa mit lauten Deklamationen angreifen, sondern ich möchte wehklagen, wirklich wehklagen, auch als Steuerzahler, über eine wieder einmal verpaßte große Gelegenheit. Herr Bundesfinanzminister, Sie waren mit Ihrer Haushaltsrede am 10. Dezember auf gutem Wege mit Ihrem Wort vom „Krebsschaden" der offenen und versteckten Steuersubventionen. Warum sind Sie diesen Weg nicht weitergegangen? Wir sind wirklich sehr betrübt, daß das von der Bundesregierung vorgelegte Steueränderungsgesetz nicht das bringt, was nötig ist und was auch möglich gewesen wäre. Was not tut, ist doch die Vereinfachung des Steuerrechtes, der Abbau der Vergünstigungswirtschaft und im Zusammenhang damit eine allgemeine Senkung der Einkommen- und Lohnsteuersätze. Jedermann weiß - es ist in diesem Hause gerade von seiten der FDP-Fraktion schon vor vielen Jahren ausgesprochen worden -, daß diese drei Maßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Daß jetzt auch aus Ihren eigenen Reihen, Herr Bundesfinanzminister, nur eine, ich will einmal sagen, so kleinlaute Zustimmung zu den Vorlagen kommt, ist eben darin begründet, daß dieser Zusammenhang, der nun einmal zwangsläufig gegeben ist, in der Vorlage nicht zum Ausdruck kommt. Die steuerlichen Vergünstigungen sind im Grunde immer eine Folge von hohen, insbesondere von zu hohen Steuersätzen, wie sie uns vor zehn Jahren von den Besatzungsmächten vorgeschrieben worden waren. Die Vergünstigungen waren damals das Notventil, das es ermöglichte, mit unserer Wirtschaft überhaupt zum Start zu kommen. Die sehr überhöhten Steuersätze sind inzwischen herabgesetzt worden. Aber sie sind noch keineswegs als normal zu bezeichnen. So besteht im Grunde immer noch ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den verhältnismäßig hohen Einkommen- und Lohnsteuersätzen einerseits und den mannigfaltigen Steuerbegünstigungen andererseits. Es ist bekanntlich schwer, einmal eingeführte Steuervergünstigungen wieder abzuschaffen. Wenn Sie, Herr Bundesfinanzminister, mit Ihrer ,,Krebsschaden"-Rede im Dezember vorigen Jahres keine Resonanz gefunden haben - weder in der Öffentlichkeit noch in diesem Hause - so liegt das eben daran, daß Sie es versäumt haben, mit dem Vorschlag eines gewissen Abbaues von Vergünstigungen einen grundsätzlichen Steuersenkungsvorschlag zu verbinden. Jeder von uns hat doch das ungute Gefühl, daß diese Vorlage - mag man nun einen Punkt für gut oder weniger gut halten - letzten Endes auf eine versteckte Steuererhöhung von vielleicht einer Dreiviertelmilliarde hinausläuft. Das will eigentlich kein Mensch in diesem Hause. Mein Kollege Dr. Atzenroth hat es in der Haushaltsdebatte schon eindeutig betont: wir wollen keine Steuererhöhung, wir wollen überhaupt nicht das Volumen des Haushalts erhöhen, wir wollen es lieber verringert wissen. ({0}) - Vielleicht erinnern Sie sich an die Debatte, Herr Kollege. Es geht uns - wir sind ganz konkret - um folgendes: es ist sehr schwierig, die Ausgabenseite zu stoppen, wenn auf der Einnahmenseite die Steuern geradezu überquellen und allein in dem letzten Bundeshaushalt 1,8 Milliarden DM mehr erbracht haben, als jeder von uns vorher geschätzt hatte. In Bund, Ländern und Gemeinden - das darf ich auch einmal sagen - sind im letzten Haushaltsjahr insgesamt 4,5 Milliarden DM mehr eingekommen, als irgend jemand geschätzt hatte. Darin liegt natürlich die größte Verführung zu einer ständigen Ausweitung auch auf der Ausgabenseite. Wir müssen also zunächst die Steuereinnahmen senken, wenn wir die Ausgabenseite einschränken wollen. ({1}) - Ich sagte ja, Herr Kollege Krammig, dieses Gesetz sei ein Gesetz quer durch den Gemüsegarten. Auch Ihr Sprecher hat vorhin teils dafür und teils dagegen gesprochen. Herr Seuffert hat ebenfalls teils dafür, teils dagegen gesprochen. Es ist eben keine große Linie drin. Darum wird das Gesetz von keinem im Hause so richtig unterstützt. Das glaube ich doch sagen zu dürfen, ohne damit eine falsche Feststellung zu treffen. Das Gesetz wird sich mühsam durch die Beratungen durchschleppen, und es wird dann in den meisten Punkten wohl auch angenommen werden. Eine Befriedigung wird es niemandem bringen. Das ist das grundsätzliche Bedauern, das wir hier aussprechen müssen. Herr Bundesfinanzminister, ich bedauere diese Situation um so mehr, weil Sie an sich auf gutem Wege waren. Sie haben die Dinge leider nicht energisch genug weitergeführt. Woran das liegt, entzieht sich unserer Kenntnis. Aber diese Feststellung müssen wir hier treffen. Ich will nun, da wir uns in der ersten Lesung befinden, nur noch zu wenigen Einzelfragen etwas sagen. Das entscheidende Gewicht in der Vorlage hat zweifellos die Kürzung der degressiven Ab6534 schreibung. Die Fraktion der FDP hält eine Herabsetzung der Begrenzung von 25 auf 20 % nicht für gut. Bei der Abschreibung handelt es sich um eine allgemein volkswirtschaftliche Frage, die auch im Rahmen der Verhältnisse in der übrigen Welt gesehen werden muß. Investitionen der Wirtschaft bedeuten volkswirtschaftlichen Fortschritt. Das muß sich jeder vor Augen halten, der die Investitionen gewissermaßen auf dem Wege über die Begrenzung des Abschreibungssatzes einschränken will. Eine solche Maßnahme ist für das gesamte Volk, für die gesamte Volkswirtschaft sehr gefährlich. Wir stehen doch im Konkurrenzkampf mit anderen hochentwikkelten Industrieländern. Wenn wir jetzt solche Einschränkungen vornehmen, könnte uns das im Wettbewerb mit den übrigen hochentwickelten Industrieländern sehr zurückwerfen. Die menschliche Arbeitskraft ist in den letzten Jahren kostbarer und teurer geworden. Wenn es trotzdem gelungen ist, die industriellen Massenkonsumgüter auf dem gleichen Preisniveau zu halten, ist das im wesentlichen einer verstärkten Modernisierung der Wirtschaft durch Investitionen zu danken. Die Tendenz steigender Löhne läßt sich in wesentlichen Teilen der Wirtschaft nur durch eine verstärkte Investition, durch eine Modernisierung des technischen Apparates auffangen. Nur dadurch können die Kosten insgesamt auf gleicher Höhe gehalten werden. Bei unserer eigenen Volkswirtschaft kommt noch hinzu, daß keineswegs in allen Branchen gleichermaßen eine Hochkonjunktur besteht. Für weite Zweige der Wirtschaft hat erst jetzt die Konjunktur begonnen. Für sie würde die Vorschrift eine große Härte bedeuten. Auf Grund ihrer Bilanzlage können sie erst jetzt von den höheren Abschreibungssätzen Gebrauch machen. Es handelt sich hier zum größten Teil um mittelständische Betriebe, die noch hinter der allgemeinen Lage herhinken. Sie kommen wieder nicht zum Zuge und sind wieder die Leidtragenden, wenn sie jetzt, wo sie von höheren Abschreibungssätzen erstmals Gebrauch machen könnten, durch dieses Gesetz daran gehindert werden. Meine Damen und Herren, die Frage der Abschreibung ist überhaupt keine Steuerfrage, sondern eine Frage volkswirtschaftlicher Art, die wir keineswegs in wenigen Wochen entscheiden können. Man sollte auch den Gedanken des Herrn Wirtschaftsministers prüfen, ob die Abschreibungssätze eventuell wie in anderen Ländern labil gehalten werden können. Über all das kann man sprechen, aber jetzt so einfach, gewissermaßen gewaltsam, von 25 % auf 20 % abzukappen, ist keine gute Sache. Zu dem Spesenunwesen. Es ist bedauerlich, daß Fälle vorgekommen sind, wie sie der Herr Bundesfinanzminister vorhin geschildert hat. Aber den Mißständen so entgegenzutreten, wie es in der Regierungsvorlage vorgeschlagen wird, geht nicht. Diese Bestimmungen des Steueränderungsgesetzes sind einfach nicht durchführbar! Ich will - nur zu diesem Punkt - einmal ein hartes Wort sagen. Man muß das, was hier zur Bekämpfung des Spesenunwesens vorgeschlagen wird, als optische Schaumschlägerei bezeichnen. Es stellt im übrigen eine Zumutung an die Steuerbeamten dar, die nun auf Grund dieser Bestimmungen in Konflikt mit den Steuerzahlern geraten müssen. Es ist nicht uninteressant, daß der härteste Widerstand gegen diese Spesenbestimmung von den Steuerbeamten geleistet worden ist. Im übrigen hat auch der Bundesrat darauf hingewiesen, daß die Bestimmungen so nicht praktikabel sind. Wir haben uns doch alle bemüht, das Klima im Verhältnis zwischen den Finanzämtern und den Steuerzahlern zu verbessern. Ich glaube, das ist auch in hohem Maße gelungen. Hier werfen wir aber zwischen diese beiden Partner einen Zankapfel, durch den das ganze Steuerklima verschlechtert zu werden droht. Es wurde schon richtig gesagt: Wollen Sie jetzt einem Finanzbeamten zumuten, zu entscheiden, ob dieser oder jener Gewerbetreibende einen Opel Kapitän fahren darf oder nur einen Volkswagen oder einen Mercedes 220? Das ist doch ganz unmöglich. Wir begrüßen die klärenden Bestimmungen hinsichtlich der freien Berufe, die seit langen Jahren überfällig sind und die wir seitens der FDP schon immer gefordert haben. Wir werden die Vorlage in dieser Hinsicht bestimmt unterstützen. Wir wenden uns aber gegen die Rückwirkung von Steuerbestimmungen. Das ist keine gute Sache, und das müssen wir aus Gründen der allgemeinen Rechtssicherheit ablehnen. Ich darf zum Schluß zusammenfassen. Die Debatte hat gezeigt, daß eine einheitliche Linie der Vorlage allenthalben vermißt wird. Selbst der Sprecher der CDU, Herr Kollege Dr. Schmidt, tastete in dem Gesetz herum und sprach sich teils für, teils gegen Vorschläge aus. Wir verstehen daher wirklich nicht, Herr Bundesfinanzminister, warum Sie nicht an die guten Grundsätze Ihrer Haushaltsrede vom 10. Dezember angeschlossen haben. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten noch einmal aus der Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers zitieren, um ganz deutlich zu machen, was not tut und was der Finanzminister der Regierungspartei selbst gesagt hat. Ich möchte mit seinen eigenen Worten sagen, was ich selbst nicht besser tun könnte. Es heißt in der Haushaltsrede vom 10. Dezember 1959: Wie alljährlich muß ich mit einem kritischen Wort auf die Subventionen im Bundeshaushalt eingehen. In Verfolg der vorjährigen Haushaltsdebatte hat die Bundesregierung eine umfassende Untersuchung über die sichtbaren und unsichtbaren Subventionen im Bundeshaushalt gemacht und veröffentlicht. Die bestürzenden Feststellungen dieser Denkschrift haben die sonst so leicht erregbaren Wellen der öffentlichen Meinung leider nur zu einem gelinden Kräuseln gebracht. Wir sollten uns nunmehr ernsthafter daran machen, diese Fülle sichtbarer und unsichtbarer Finanzhilfen des Staates zugunsten einer unübersehbaren Zahl von Betrieben und Personengruppen planmäßig zu vermindern. Unsere Denkschrift hat gezeigt, daß viele dieser staatlichen Finanzhilfen als Start- und Anpassungshilfe gewährt wurden, um strukturelle Umstellungen auf veränderte Erzeugungs- und Absatzbedingungen zu erleichtern oder um akute Notstände zu überbrücken. Mit dieser und ähnlicher Begründung war ein großer Teil unserer heutigen Subventionen gerechtfertigt, als sie eingeführt wurden. Der fortschreitende Aufbau unserer Wirtschaft in den Nachkriegsjahren, der inzwischen in weiten Bereichen, vor allem der gewerblichen Wirtschaft, abgeschlossen ist, hat aber einem großen Teil dieser Subventionen ihre Rechtfertigung genommen. Sie müssen jetzt fortfallen; dazu zwingt uns auch die Verschärfung der Finanzlage. Wollten wir diese inzwischen nicht mehr gerechtfertigten Subventionen auch künftig beibehalten, so würden die nichtbegünstigten Kreise sie mit Recht als anstößige Privilegien ansehen, die dem Gemeinwohl ebenso widersprechen wie dem Gleichheitsgebot der Verfassung. Herr Bundesfinanzminister, warum haben Sie sich bei dieser Vorlage nicht offen zu diesen Grundsätzen bekannt? Warum haben Sie die Vorlage gewissermaßen mit Konjunkturdämpfungsmaßnahmen bemäntelt, die, wie wir ja gesehen haben, mit den meisten Einzelvorschlägen gar nichts zu tun haben? Uns allen im Hause haben Sie es mit dieser Vorlage sehr schwer gemacht, sowohl der Opposition wie auch den Mitgliedern Ihrer eigenen Fraktion. Wir vermissen den roten Faden in diesem Vorschlag, wir vermissen die große Linie. Sie hätten dem Grundsatz der Einfachheit der Steuergesetze und dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit mit einer allgemeinen Steuersenkung von etwa 5 bis 10 °/o Rechnung tragen sollen. Dann hätten Sie die Zustimmung des ganzen Hauses gehabt. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Leber.

Georg Leber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Seuffert hat schon zum Ausdruck gebracht, daß wir im Grunde die Ansatzpunkte der im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen für begründet halten. Ich möchte auch nicht auf Einzelheiten der Vorlage eingehen, sondern möchte versuchen, in aller Kürze einiges Grundsätzliche über Absicht und Begründung des vorgelegten Entwurfs zu sagen. Ich möchte, wie die meisten Herren Vorredner, vor allen Dingen Herr Kollege Dr. Schmidt in seinen Darlegungen, schon zum Ausdruck gebracht haben, auch meinerseits noch eimal bestreiten, daß wir irgendwo in dein Gesetz wirkungsvolle Maßnahmen erkennen können, die auf ,die Dämpfung einer überhöhten Konjunktur gerichtet sind. Dagegen haben wir den Verdacht, daß die Bundesregierung in dieser Vorlage zwar Konjunkturdämpfung sagt, in Wirklichkeit aber nichts anderes als den Ausgleich des Haushalts meint. Das wäre falsch, und wenn das gemeint sein sollte, sollte man das offen sagen. Dann wären alle die Mißvertändnisse, die hier entstanden sind, gar nicht möglich gewesen. Wenn es aber nicht so sein sollte, wenn die Bundesregierung tatsächlich in diesen Überlegungen wesentliche Maßnahmen zur Dämpfung einer überhöhten Konjunktur sehen sollte, müßte ich die Bundesregierung tragen: Ist sie tatsächlich so hilflos oder sieht sie nicht ein, daß die hier von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen auf keinen Fall zu einer Dämpfung der Konjunktur beitragen können, wenn sie überhöht sein sollte? ({0}) Das ist kein konjunkturpolitisches Rezept, kein Rezept, von dem man sich eine wesentliche Wirkung in irgendeinem Bereich versprechen kann. Es geht dabei im ganzen um etwa 300 Millionen DM, die an Steuern aufkommen, und bei dem Riesenvolumen, das in der Wirtschaft bewältigt wird, können 300 Millionen DM nicht geeignet sein - um so weniger, als diese Maßnahme ja sehr langfristig wirkt -, in Richtung auf eine Dämpfung der überhöhten Konjunktur zu wirken, - Das ist die eine Seite der Angelegenheit. Zweitens möchte ich etwas zu der Frage sagen: Was gedenkt die Bundesregierung mit den Mitteln zu tun, die hier frei werden? Wenn beabsichtigt sein sollte - darüber ist bis jetzt ja noch nicht schlüssig Auskunft gegeben worden -, diese Gelder stillzulegen, sie also aus der Wirtschaft herauszuziehen und festzulegen, dann können wir, glaube ich, mit der Maßnahme der Bundesregierung von vornherein einverstanden sein; denn dann wirken sie echt konjunkturdämpfend. Wir haben aber das Gefühl, daß diese Absicht nicht besteht, sondern daß die Mittel tatsächlich zu anderen Zwecken verwandt werden sollen. Wenn man der Wirtschaft auf diese Weise Gelder entzieht und damit konjunkturdämpfend wirken will und die Gelder dann zur Finanzierung des öffentlichen Haushalts heranzieht, erreicht man auf einem anderen Wege genau dasselbe, was man hier erreichen möchte. ({1}) - Da liegt ja gerade die Ursache; darauf haben Sie doch keinen Einfluß. ({2}) Ich möchte aber in diesem Zusammenhang noch auf einen anderen Gesichtspunkt hinweisen und möchte Sie bitten, ihn einmal zu überdenken. Die Maßnahmen, auf die es jetzt ankommt, werden getroffen, um etwas rückgängig zu machen, etwas abzubauen, was in der Zeit, in der bei uns eine darniederliegende Wirtschaft aufgebaut wurde, zur Finanzierung des Aufbaus nötig war. Ziel der Steuerpolitik war damals, als der Aufbau begann, in erster Linie, auch mit den Mitteln der Steuerpolitik zu ermöglichen, daß der Aufbau aus dem Ertrag unserer gemeinsamen wirtschaftlichen Bemühungen finanziert werden konnte. Dazu wurden u. a. folgende Mittel herangezogen: erstens die degressive Abschreibung, zweitens Steuerbegünstigungen für Rückstellungen und Rücklagen aller Art, die zwar nach außen hin zum Teil auch sozial deklariert waren, aber in Wirklichkeit - das weiß doch jedes Kind - ganz einfach auf die Investitionen gezielt waren. Es wurde finanziert auf dem Wege über Verbrauchsteuern, wie sie in keinem europäischen Land gelten, ({3}) und wurde weiter finanziert auf dem Wege über eine entsprechende Gestaltung der Masseneinkommen, der Einkommen der Verbraucher, der Arbeitnehmer usw. Wenn man die Wirkungen dieser Maßnahmen einmal über die deutschen Grenzen hinaus vergleichen will, dann möchte ich Ihnen dazu nur einige Vergleichszahlen nennen. In den letzten Jahren sind bei uns in Deutschland etwa 22 % vom Sozialprodukt in die Investitionen gegangen; im Jahre 1959 ist diese Quote auf 23 % gestiegen. In Holland, Belgien, Frankreich, England, den USA - also Ländern, die einen ähnlichen industriellen Status haben wie wir - werden nicht 22 oder 23 % des Sozialprodukts für die Investitionen zur Verfügung gestellt, sondern im Schnitt 17 1/2 bis 18 %, also 5 bis 6 % weniger als bei uns. Auf der anderen Seite sind bei uns in den letzten Jahren etwa 58 % des Sozialprodukts in den privaten Verbrauch geflossen; im Jahre 1959 ist diese Quote auf 59 % angestiegen. In den anderen Ländern, die ich soeben nannte, in denen also die Investitionsquote um 5 bis 6 % geringer ist als bei uns, liegt die Quote des privaten Verbrauchs nicht bei 58 oder 59 % wie bei uns, sondern bei 65 und 66 %. Hier haben Sie also den Ausgleich für das, was im Aufbaustadium hei uns wohl angemessen war. Man kann über seine soziale Berechtigung, über die Härten, die davon ausgingen, sprechen. Aber in Wirklichkeit lag hier das Schwergewicht zu Lasten des privaten Verbrauchers bei den Investitionen, und das ist der Punkt, auf den es mir ankommt. Ich möchte im voraus klarstellen: Auch in der Zukunft müssen mit der Steuerpolitik und mit den anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die dadurch ermöglicht werden, Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß in vernünftigem Maße investiert werden kann.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Leber, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Georg Leber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr!

Dr. Curt Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000125, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Leber, ist Ihnen nicht bekannt, daß - im Gegensatz zu der Situation in unseren Konkurrenzländern - zahlreiche Betriebe zerstört waren und wir wesentlich mehr investieren mußten als andere? Ist Ihnen nicht bekannt, daß in der Investitionsquote auch der Wohnungsbau enthalten ist?

Georg Leber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mir ist sehr wohl bekannt, daß darin auch der Wohnungsbau enthalten ist. Mir ist auch bekannt - ich habe es ja gesagt -, daß bei uns Zerstörungen vorlagen und infolgedessen mehr investiert werden mußte. Ich weiß auch, daß ein Drittes dazugehört: daß, wenn man vom privaten Verbrauch spricht, man bei uns in der Bundesrepublik auch die besondere Rolle der Sparrate berücksichtigen muß. Darauf komme ich aber nachher in einem anderen Zusammenhang zu sprechen. Worauf es mir ankommt, ist, Klarheit darüber herzustellen, daß wir auch in der Zukunft Investitionen nötig haben, um auf dem Wege über die Rationalisierung unsere Wirtschaft auf dem höchsten Stand der Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, daß aber die Expansion, wie sie in dem Stadium des Aufbaues nötig war, künftig nicht mehr in diesem Maße ausgelöst werden muß, es sei denn, daß die Wirtschaft in dem Maße expandiert, in dem der Binnenmarkt durch eine gehobene Kaufkraft eine höhere Leistungsfähigkeit der Wirtschaft ganz einfach erzwingt. Worauf es weiter ankommt, ist, daß die Investitionen nicht - wie in der Vergangenheit - auf dem Wege über die Selbstfinanzierung der Betriebe finanziert werden dürfen, sondern daß andere Wege gegangen werden müssen. Nun möchte ich die Frage aufwerfen: Welcher wirtschaftspolitische Zustand tritt ein, wenn wir die Steuerpolitik, die Wirtschaftspolitik, wie sie im Stadium des Aufbaues zu dessen Finanzierung angemessen waren, ohne wesentliche Korrekturen weiter betreiben? Da ist einmal die Tatsache, daß die Kaufkraft von damals ja eine geringere Quote ausmacht - das zeigt sich an den Zahlen des privaten Verbrauchs auch aus anderen Ländern -, als sie normalerweise möglich gewesen wäre. Wenn man die Investitionsquote und die Quote des privaten Verbrauchs so beläßt, wie sie im Stadium des Aufbaues waren, dann ist eine ganz natürliche Folge, daß die Produktion, die im eigenen Lande keinen Absatz finden kann, in den Export fließt und Exportüberschüsse auslöst. Diese Exportüberschüsse wirken aber auf die eigene Wirtschaft konjunkturanreizend zurück, bewirken Konjunkturüberhitzung und wirken gleichzeitig auch inflationär, wie es durch die Einkommensbildung und durch andere Faktoren im eigenen Lande gar nicht geschehen kann. Ich möchte also meinen, eine der Hauptursachen für die jetzige überhöhte Konjunktur ist die Tatsache, daß die Maßnahmen, die im Stadium des Aufbaues wohl gerechtfertigt waren, nicht wesentlich rückgängig gemacht worden sind. Auf diese Weise entsteht eine Überproduktion, die durch die Kaufkraft, die noch an das Stadium des Aufbaues angepaßt ist, im Inland nicht aufgefangen werden kann. Die Exportüberschüsse bewirken die Konjunkturüberhitzung im eigenen Land. Diese Maßnahmen müssen also rückgängig gemacht werden.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Leber, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Burgbacher?

Georg Leber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte!

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, darf ich Sie fragen, welche konkreten Maßnahmen nach Ihrer Auffassung zurückgenommen werden müssen?

Georg Leber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich denke da in erster Linie an die Hebung der Einkommen, und zwar in dem Maße, in dem es nicht mehr nötig ist, die Einkommen auf dem Status zu belassen, auf dem sie in der Zeit des Aufbaues ganz einfach festgelegt worden sind. Das ist doch ganz klar, Herr Professor Burgbacher, daß vor zehn Jahren, als wir in den Aufbau hineingingen, einerseits den Unternehmungen durch Steuerbegünstigungen Mittel zur Verfügung gestellt worden sind, damit sie den Aufbau finanzieren konnten, und andererseits die Einkommen der breiten Verbraucherschichten damals niedriggehalten worden sind. Diese Einkommen muß man anheben, und hier liegen erhebliche Möglichkeiten. Ich möchte meinen: Wenn man die Beträge, die hier auf Grund dieser Steuerpolitik frei werden, nicht stillegt, dann muß man sie auf eine andere Weise den breiten Schichten der Bevölkerung zukommen lassen. Der Vorschlag, den ich machen möchte, ist der: Man soll überprüfen, inwieweit es möglich ist, mit den Mitteln, die hier frei werden, die Verbrauchsteuern, die die breiten Massen der Bevölkerung belasten, zu senken, und zwar mehr zu senken, als es aus den Quoten, die hier aufkommen, möglich ist. Hier wird von etwa 300 Millionen DM gesprochen. Meine Damen und Herren, es sind 10 Milliarden DM, die die Waren, die draußen täglich konsumiert werden, belasten. Ich möchte bitten, daß der Weg einer Verwendung der hier freiwerdenden Mittel zugunsten der breiten Masse der Verbraucher bei der Beratung im Ausschuß berücksichtigt wird. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sehr gründliche, sehr eingehende Diskussion dieses Morgens zeigt, daß wir mit diesem Steueränderungsgesetz 1960 eine ganze Menge wirtschaftlich und politisch wichtiger Probleme angepackt haben. Sie zeigt aber auch, daß wir uns mit einem Teil dieser Probleme noch auf Neuland befinden und gewissermaßen etwas unsicher in die Zukunft gehen. Ich bin noch nicht in der Lage, zu allen Problemen Stellung zu nehmen, die hier diskutiert worden sind, Herr Kollege Leber hat am Ende der Diskussion einen interessanten Beitrag zu dem Problem der Investitionsquote, der Verbrauchsquote und der Ausfuhrquote geliefert; sicherlich ein Problem. Ich muß nur seiner Deduktion widersprechen: Ihr habt zuviel investiert, also müßt ihr zuviel produzieren, deswegen müßt ihr ausführen, daher der Zahlungsbilanzüberschuß und deswegen eine importierte Inflation. -So habe ich Sie verstanden. Herr Kollege Leber, hier ein persönliches Bekenntnis zu Ihnen. Ich habe in meinen letzten Roden sehr positiv zu Ihrer Haltung in der Lohnfrage Stellung genommen. Ich glaube, da haben Sie sich ein großes Verdienst erworben. Das möchte ich auch hier einmal sagen. ({0}) - Ja, und jetzt kommt etwas anderes. Ich glaube, die Logik, die Sie hier entwickelt haben, stimmt nicht. Aber ich glaube, dieser Ort hier ist nicht geeignet, das bis ins letzte auszudiskutieren. Ich würde mich über ein Gespräch freuen. Ein Gespräch über die Probleme, die Sie angeschnitten haben, wäre sicher einmal nützlich, auch im Zusammenhang mit dem Thema der expansiven Lohnpolitik. Was heute morgen zur Diskussion stand, war zunächst das Problem des Jahressteuergesetzes, also eine Grundsatzfrage. Mit der Vorlage des Steueränderungsgesetzes 1960 ist dieses Jahressteuergesetz sicher noch nicht vollständig erreicht worden. Insofern möchte ich Herrn Kollegen Seuffert zustimmen. Ich habe aber in der Begründung gesagt: Es ist ein erster Schritt in dieser Richtung. Wir wollen den Versuch machen, durch das Jahressteueränderungsgesetz in Zukunft die Verwaltung und auch den Steuerzahler vor eine relativ sichere Situation, mindestens hinsichtlich des Veranlagungszeitraumes, zu stellen. Ob die Problematik schon ausdiskutiert worden ist, ist eine Frage für sich. Herr Kollege Schmidt, ich habe große Zweifel - das will ich ganz offen sagen -, ob ihre Idee, daß in das Jahressteuergesetz nur die statischen Elemente hineingehören, richtig ist. Was machen wir dann mit den anderen? Wo bringen wir die hin? Dazu ist sicher noch eine ganze Menge zu sagen. Herr Kollege Seuffert, Sie haben gesagt: Dieses Gesetz 1960 kann schon deswegen kein Jahresgesetz sein, weil noch eine ganze Menge anderer Probleme anstehen; nehmen wir das Problem Gewerbesteuer, nehmen wir das Problem Umsatzsteuer, nehmen wir das Problem Verbrauchsteuern usw. Dazu möchte ich doch sagen, daß Ihre Angriffe von dorther nicht begründet sind. Wir haben, wie Sie wissen, ein sehr kurzes Haushaltsjahr vor uns. Es läuft bereits am 31. Dezember ab. Die Probleme, die hier noch zur Diskussion stehen, werden sicherlich schon wegen anderer diesem Hohen Hause vorliegenden Arbeiten nicht anders behandelt werden können, als daß es frühestens zu einer Regelung mit Wirkung vom 1. Januar 1961 kommt. Sie gehören also in das Steueränderungsgesetz 1960 noch gar nicht hinein, können aber für ein Steueränderungsgesetz 1961 durchaus diskutiert werden. Ich möchte von diesem Platze ausdrücklich bestätigen: Mit dem Namen „Jahressteuergesetz", das ich als einen Schritt vorwärts bezeichnet habe, will ich die anderen Probleme keineswegs abriegeln. Ich will sie durchaus reifen lassen. Ich glaube, sie gehören in ein Steueränderungsgesetz 1961 und nicht in ein Steueränderungsgesetz 1960 hinein.

Walter Seuffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesfinanzminister, sind Sie ernsthaft der Ansicht, daß die schwebenden

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort zur Zwischenfrage erteile ich, Herr Abgeordneter Seuffert. Aber der Herr Bundesfinanzminister gestattet es Ihnen. Also erteile ich Ihnen das Wort. ({0})

Walter Seuffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind Sie ernsthaft der Ansicht, daß die Lösung der schwebenden, gänzlich ungeregelten Umsatzsteuerprobleme - ich erinnere nur an die Zusatzsteuerfragen - wirklich bis 1961 aufgeschoben werden kann?

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Aufgeschoben werden kann? Ich glaube, daß die Zusatzumsatzsteuer bis 1961 nicht geregelt werden kann. ({0}) - Verzeihung, das war ein Irrtum; ich habe mich versprochen. Ich glaube, daß die gesetzestechnische Erledigung dieses Problems nicht so schnell möglich sein wird. Wir kriegen es sicherlich nicht mehr vor den Ferien hin. Jedenfalls sehe ich - das ist natürlich nur mein Arbeitsüberblick; nicht ich behandle es, sondern Sie haben es selbst in der Hand - keine Möglichkeit einer Bearbeitung vor Ablauf der Ferien; das wäre also vor Oktober. Und dann stehen wir sehr schnell am Ende des Jahres. Dieser Meinung bin ich. ({1}) - Wir unterscheiden zwei Dinge, einmal die kleine Umsatzsteuerreform; aber die scheint Kollege Seuffert nicht gemeint zu haben. ({2}) - Die kleine Umsatzsteuerreform für 1961. Aber die grundsätzlichen Probleme der Mehrwertsteuer - darin habe ich mich im Ausdruck vertan - werden sicherlich auch nicht bis 1961 gelöst werden können.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dresbach? - Herr Abgeordneter Dresbach!

Dr. Dr. h. c. August Dresbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000419, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister und Herr Kollege Seuffert, sind Sie nicht auch der Meinung, daß ein Jahressteuergesetz zu einem „Leipziger Allerlei" führen wird, so wie es in früheren Brüningschen Notverordnungen Anfang der 30er Jahre war, wo jedes Ressort das hineinpackte, was gerade in der Schublade lag, und daß darunter die Systematik der Steuergesetzgebung noch mehr leiden wird, als sie jetzt schon gelitten hat? .

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Dr. Dresbach, Ihre Frage kann natürlich nur an den Redner gerichtet werden. Der Herr Abgeordnete Seuffert ist im Augenblick nicht in der Lage, darauf zu antworten.

Dr. Dr. h. c. August Dresbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000419, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber der ist mir dafür so sympathisch.

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Herr Kollege Dresbach, was Sie gefragt haben, ist natürlich begründet. Das ist eine Gefahr des Jahressteuergesetzes. Nachdem aber andere große Länder - ich verwies auf die angelsächsischen Länder - von dieser Einrichtung mit Erfolg Gebrauch machen, sollten wir es mindestens auch versuchen. Ich muß ganz ehrlich sagen, daß ich nach den früheren Diskussionen dieses Hohen Hauses der Meinung war, es sei der Wunsch dieses Hohen Hauses, daß wir mit Jahressteuergesetzen arbeiten. Deshalb glaubte ich, mit dieser Vorlage einem Wunsch des Hohen Hauses entgegenzukommen. Nach der heutigen Diskussion sehe ich aber, daß über die Problematik nach allen Seiten noch zusätzlich debattiert werden muß. Von dem Kollegen Seuffert ist die Frage an mich gerichtet worden, ob die Bundesregierung eine Meinung über die Konjunktur habe. Herr Kollege Erhard ist anwesend; er wird dazu gleich selber etwas sagen. Ich kann nur versichern: wir haben eine Meinung über die Konjunktur. Ich kann Ihnen ferner versichern: wir sind uns völlig darüber einig, daß auch die öffentliche Hand zu einem antizyklischen Verhalten verpflichtet ist. Herr Kollege Atzenroth, Sie meinten, das hätte ich zum ersten Male gesagt. Diese Äußerung hat mich ein wenig überrascht. Sie zeichnen sich immer dadurch aus, daß Sie meine Reden sehr fleißig zu lesen' pflegen, zumindest wenn es gegen mich geht. Ich darf darum bitten, die wiederholten Erklärungen, gerade meine wiederholten Erklärungen, daß sich die Bundesregierung zum antizyklischen Verhalten bekenne, auch zu registrieren. Ich habe das im übrigen schon getan, bevor es die Bundesbank von uns verlangt hat. Ich erinnere an die erste Konferenz der Finanzminister der sechs Länder auf dem Petersberg im vergangenen Jahr, wo wir dieses Thema offiziell zur Diskussion gestellt haben. Das Ergebnis war - entsprechend meiner persönlichen Meinung -, daß wir sagten: Auch die öffentliche Hand hat sich antizyklisch zu verhalten. Wir haben also eine Meinung über die Konjunktur. Vielleicht darf ich, ohne dem Kollegen Erhard vorgreifen zu wollen, ein paar eigene Gedanken dazu vorbringen. ({0}) Ich bin der Meinung, wie auch Herr Kollege Schmidt zum Ausdruck gebracht hat, daß die Konjunktur ihrem Wesen nach ein Segen ist. Keiner von uns will eine Konjunktur brechen, keiner von uns will eine Konjunktur beseitigen. Eine solche Annahme wäre nicht richtig. Ich wiederhole, was ich in meiner Einführungsrede sagte. Es geht uns darum, auch in einer überhitzten Situation die Kapazitäten voll auszunutzen. Wir möchten aber vermeiden, daß die augenblicklich nicht zu steigernde Produktion nur zu erhöhten Preisen abgesetzt wird, daß eine Preisentwicklung nach oben kommt. Das soll verhindert werden. Mehr geschieht nicht. Bundesfinanzminister Etzel Gegenüber dem, was Herr Atzenroth gesagt hat, wiederhole ich noch einmal, daß die konjunkturpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung selbstverständlich nicht auf das Gebiet der Steuerpolitik beschränkt sind; wir würden sonst, glaube ich, unsere Pflicht verletzen. Sie liegen nur - das habe ich heute morgen gesagt - in allererster Linie beim Haushalt. Ich habe heute morgen wörtlich gesagt: Der Haushalt ist das wichtigste Mittel antizyklischen Verhaltens. Von dorther muß man die Dinge aufgreifen. Ich habe weiter vom Zoll gesprochen. Ich bin der Zollminister. Und dann kommt die Frage: Sind auch steuerpolitische Maßnahmen zu konjunkturpolitischen Zwecken möglich? Meine Damen und Herren, ich bin hier etwas überrascht. Wir haben nun jahrelang Herr Kollege Leber hat vorhin darauf hingewiesen - mit steuerpolitischen Maßnahmen die Konjunktur gefördert. Jahrelang ist das das Verlangen des gesamten Hauses gewesen. Auch Sie haben sich daran beteiligt. Wenn es aber so herum geht, muß es in einer anderen Situation auch umgekehrt gehen. Dann müssen steuerpolitische Maßnahmen auch ein Mittel zur Konjunkturbeeinflussung in anderer Richtung sein. ({1}) Man kann darüber streiten, ob das, was wir hier tun, bereits ausreicht. Das gebe ich Ihnen völlig zu. Ich glaube, Herr Seuffert hat das gemeint. Einverstanden! Aber da bin ich nun der Auffassung - und das kam auch in der Diskussion zum Ausdruck -, daß wir hier behutsam vorgehen sollten. Wir sollten nicht wie der Elefant im Porzellanladen herumtrampeln, sondern in einer behutsamen Weise einmal einen Versuch machen. Ich kann nur wiederholen, was ich heute morgen schon sagte: Die Art der Reaktion auf die Änderung der degressiven Abschreibung ist mir ein Beweis dafür - schon bei diesem milden Zugriff -, daß wir hier irgendwo einen Nerv, einen neuralgischen Punkt getroffen haben. Deswegen sollten wir diesen Weg in der behutsamen Weise weitergehen. Zu der Frage: „Ja, beeinflußt ihr denn die Konjunktur überhaupt, wenn durch Einschränkung der degressiven Abschreibung an der einen Stelle etwas gespart wird, was ihr dann an anderer Stelle wieder ausgebt?", ist zunächst einmal zu sagen, daß das Bild unserer Konjunktur - darüber wird Kollege Erhard sicherlich noch etwas sagen - nicht einheitlich ist. Der Ablauf war ja folgender - das ist heute dargelegt worden -: Ausgangspunkt eine hohe Baukonjunktur, darauf aufgepfropft eine Investitionsgüterhöchstkonjunktur und dann - ein nicht zu bestreitendes Problem im Hintergrund - dank der Auswirkungen der Lohnerhöhungen - etwa 10 Milliarden DM - auf die Kaufkraft noch eine Konsumgüterkonjunktur. Wenn wir nun durch Einschränkung der degressiven Abschreibung tatsächlich einen Einfluß auf den Sektor der Investitionsgüterindustrie ausüben können - wir nehmen das an; das ist jedenfalls unsere Meinung -, werden die Einnahmen, die nunmehr in der Umverteilung über den Staat laufen, selbst wenn sie wieder ausgegeben werden - ich will damit noch gar nichts zu der Frage sagen, ob sie wieder ausgegeben werden müssen -, sicherlich in einen anderen Sektor, in eine andere Branche hineinkommen. Sie gehen jedenfalls nicht ohne weiteres - vielleicht teilweise, aber zu einem großen Teil sicherlich nicht - wieder in den Investitionsgütersektor hinein. Außerdem erfolgt eine zeitliche Verlagerung. Bis diese Mittel wieder in die Bundeskasse fließen, haben wir eine zeitliche Verschiebung um mindestens ein Jahr.

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kurlbaum?

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Bitte schön!

Georg Kurlbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001261, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wären Sie vielleicht so freundlich, nun doch einmal zu sagen, wo diese Mittel nach Ihrer Vorstellung wirklich hingehen sollen. Ich glaube, wir haben das Recht, das zu fragen.

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Ich will eine ganz einfache Möglichkeit nennen. Wir haben im Haushalt ja nicht das Prinzip der Töpfe. Aber der Bundeshaushalt hatte ganz sicher in der letzten Zeit Mittel für zusätzliche Ausgaben aufzubringen, die zweifellos in den Konsumgütersektor gehen. Ich nenne die Erhöhung der Kriegsopferrenten, die gestern angenommen worden ist, ({0}) und die Erhöhung der Beamtengehälter. - Nein, ein Teil, verehrter Herr Deist! Diese Mittel müssen wir doch irgendwo aufbringen. Daß solche zusätzlichen Umverteilungsausgaben irgendwoher finanziert werden müssen, ist das, was ich meine. Es tritt eine Branchenverlagerung und es tritt eine zeitliche Verlagerung ein.

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Herr Bundesminister, auch Herr Abgeordneter Leber möchte noch eine Frage an Sie richten.

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Bitte!

Georg Leber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, sind Sie auch davon überzeugt, daß die von Ihnen vorgesehenen Maßnahmen die jetzige Konjunktur treffen, oder sind diese Maßnahmen nicht in ihrer ganzen Anlage so langfristig, daß die Konjunkturüberhitzung längst vorbei ist, ehe Ihre Maßnahmen wirksam werden?

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Herr Leber, ich habe ja von der zeitlichen Phasenverschiebung gesprochen. Gerade das, was Sie fragen, war ein zweites Argument, das ich auf den Tisch legte. Ich sage: bis diese Gelder hereinkommen, ist eine Phasenverschiebung da. Ob wir dann noch in dieser Bundesfinanzminister Etzel Konjunktursituation leben, ist eine Sache für sich. Was Sie dann wohl gemeint haben - ich habe Sie vielleicht mißverstanden -, daß nämlich eine viel zu lange Zeit verstreicht, ehe diese Maßrahmen durchgreifen, als daß sie noch auf die Konjunktur einwirken könnten, ist eine Frage, die ich mir selbst ernsthaft stelle. Wenn Sie meine Reden gelesen hätten, würden Sie wissen, daß ich immer gerade auf die mangelnde Elastizität unserer Maßnahmen hinweise.

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Herr Minister, die Frageliste ist noch nicht erschöpft. Auch der Abgeordnete Atzenroth möchte eine Frage stellen. Gestatten Sie?

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Bitte!

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Entschuldigen Sie, ich konnte nicht früher drankommen. ({0}) Herr Minister, meine Frage geht in dieselbe Richtung wie die beiden Vorfragen, betrifft aber den Hauptteil der neu zufließenden Mittel: Wohin werden dann nach Ihrer Meinung die 300 Millionen DM bei den Ländern fließen?

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Herr Kollege Atzenroth, wenn die Länder nicht mitspielen, so ist das eine der Grenzen, die uns gesetzt sind. Auch das ist in allen meinen Reden gesagt worden. Aber das Problem der Branchenverschiebung, das ich hier behandelt habe, gilt automatisch auch für die Länder. Ob sie stillegen oder nicht, das Problem der zeitlichen Verschiebung, der Phasenverschiebung, gilt automatisch auch dort. Die Frage, ob sie stilllegen oder nicht, ist ein Problem für sich, Herr Kollege Leber und Herr Kollege Atzenroth; ich komme darauf noch zu sprechen. Im Augenblick darf ich vielleicht weitersprechen. - Noch Herr Deist als letzter!

Dr. Heinrich Deist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000367, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz kurz: Meinen Sie nicht, daß dann die Ergänzungsabgabe ein hervorragendes Mittel zur Steuerung der Konjunktur wäre?

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Herr Deist, wenn ich zu uns allen in diesem Hause, zu Ihnen und vielleicht auch zu mir, das Vertrauen hätte, daß diese Mittel stillgelegt würden und stillgelegt blieben - ({0}) - Ja, das sagen Sie jetzt! Gestern hörte man es noch anders. ({1}) Ich kann nur das wiederholen, was ich gleich noch Herrn Atzenroth aufs Butterbrot streichen muß. Es ist interessant, wie die Garnituren während der Diskussion wechseln. Die Garnitur, die mir heute in der ersten Reihe gegenübersitzt, ist mir, wenn man mit ihr diskutiert, sehr viel näher; man kann dann solche Gedanken realisieren. Aber eine Stunde später ist die Garnitur hier vorn eine ganz andere, sie diskutiert ganz anders, sie verlangt etwas ganz anderes und disponiert ganz anders. ({2})

Georg Kurlbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001261, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, sind Sie sich nicht doch dessen bewußt, daß diese Argumentation etwas billig ist? ({0}) Etzel, Bundesminister der Finanzen: Nein.

Georg Kurlbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001261, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, können Sie sich nicht vorstellen, daß man gemeinsam einen Gesetzentwurf über eine Ergänzungsabgabe, z. B. zur Körperschaftssteuer, beschließt und in diesem Gesetzentwurf selbst festlegt, daß. die dadurch aufkommenden Mittel stillgelegt werden sollen? Können Sie sich das nicht vorstellen?

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Nein, Herr Kurlbaum, das kann ich mir nicht vorstellen; denn jedes Gesetz kann durch ein einfaches Gesetz geändert werden. Sie meinen, mein Argument sei sehr billig. Ich will ein Argument vorwegnehmen. Ich habe hier einen Antrag vorliegen, der gestern von der FDP gestellt worden ist, ({0}) unterschrieben von Herrn Dr. Rutschke, Frau Dr. Dr. h. c. Lüders, Herrn Eilers ({1}) und Fraktion, den Änderungsantrag Umdruck 619, die ganze Kriegsopfersache - mit vielen anderen sonstigen Änderungen - auf den 1. Januar 1960 vorzuziehen. Das hätte 961 Millionen DM gekostet! Und da wagen Sie es, sich hier hinzustellen und zu sagen: Wir sind nicht für Mehrausgaben! Wie können Sie so etwas tun?! ({2}) Das ist genau das, was ich eben sagte. - Sie, Herr Atzenroth, wollen das; aber setzen Sie sich zunächst einmal in Ihrer eigenen Fraktion durch und kommen Sie dann und machen mir gute Vorschläge! Aber erst dann! ({3}) Meine Damen und Herren, ich bitte, meine Erregung zu entschuldigen, aber manchmal platzt einem der Kragen. ({4}) - Ich komme gleich darauf; ich bin noch nicht am Ende. Ich sprach über das Wesen der Konjunktur, über das Problem der zeitlichen Verlagerung. Ich wiederhole: die Bundesregierung sagt ein klares Ja zum antizyklischen Verhalten; wichtigstes Mittel: ,der Haushalt, daneben der Zoll, aber auch Steuerpolitik, so wie es bisher ja doch gewesen ist; auch die Steuerpolitik ist ein Mittel der Konjunkturpolitik. Nun zum Problem der Steuermehreinnahmen, das hier diskutiert worden ist. Was macht man mit diesen Steuermehreinnahmen? Müssen wir nicht auch Bundesfinanzminister Etzel Steuererleichterungen geben, wenn wir Steuermehreinnahmen haben? Ich kann zunächst nur einmal sagen: wenn diese Steuereinnahmen insgesamt 3- bis 400 Millionen DM betragen, dann fließt davon bei uns ein Drittel an, also zwischen 100 und 130 Millionen DM. ({5}) Ich bin durchaus bereit, im Rahmen dieser zusätzlichen Mittel auch, sagen wir, im Mittelstandsprogramm oder sonstwo steuerlich etwas zu tun. Wir werden also, wie angedeutet, in dem Steueränderungsgesetz 1961 gewisse Möglichkeiten vorschlagen. ({6}) - Eben haben Sie verlangt, wir sollten die Steuern nicht erhöhen, und jetzt sagen Sie: „Vor der Wahl"! Wie man es macht, ist es falsch, Herr Kurlbaum! „Allen Leuten recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann." Das kriege auch ich wahrscheinlich nicht hin. Wenn wir hier zusammen mit den Ländern eine kugelsichere Angelegenheit in bezug auf Stillegung machen könnten, wäre ich der erste, der auf diesen Weg zu bringen wäre. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, Sie haben ja in den Ländern einen nicht kleinen Einfluß. ({7}) - Meinetwegen, einen „wachsenden Einfluß" ! Nutzen Sie Ihren wachsenden Einfluß aus, damit es zur Stillegung kommt. Aber ich glaube - das sage ich ganz offen -, daß die Damen und Herren, die hier in den ersten Reihen sitzen und an deren gutem Willen ich gar nicht zweifle, sich gegenüber den Ausgabewünschen nicht durchsetzen werden. ({8}) - Ich weiß, daß Sie in Bremen gute Erfahrungen gesammelt haben. Es gibt auch andere Länder, wo wir die gleichen Erfahrungen sammeln. Nun lassen Sie mich noch einmal auf die Ausführungen von Herrn Atzenroth und von Herrn Miessner zurückkommen. Herr Atzenroth hat - das habe ich soeben schon gesagt - zum ersten Mal erfahren, daß ich antizyklisch denke. Herr Atzenroth hat ferner geagt, ich hätte früher und insbesondere bei der Einbringung des Haushalts 1960 erklärt, ich wolle keine Steuererhöhungen. Herr Atzenroth, das ist begrenzt und bedingt richtig. Aber diese meine Aussage ist an Bedingungen geknüpft gewesen, und diese Bedingungen haben Sie schamvoll verschwiegen. Ich habe hier einen fünf Seiten langen Auszug meiner diversen Erklärungen auf diesem Gebiet. Ich will Ihnen das gerne zur Verfügung stellen; ich will das Hohe Haus schonen und das nicht alles vorlesen. Diese Erklärungen sind immer in sich geschlossen, klar und eindeutig gewesen. Auf meiner Pressekonferenz in Frankfurt 1958 habe ich gesagt, im kommenden Haushaltsjahr - das war 1959 - würde ich keine Steuererhöhungen vornehmen; Voraussetzung sei allerdings, daß keine weiteren Ausgabewünsche an den Bund herangetragen würden. So übereinstimmend von der „Stuttgarter Zeitung" und vom „Mannheimer Morgen" zitiert. In der Mainzer Rede, die ich im April 1959 gehalten habe, habe ich gesagt: Sollte aber die Übermacht der Verhältnisse und der Interessenten den Gesetzgeber oder die Bundesregierung zu steigenden Ausgaben zwingen, so werde ich nicht zögern, den erforderlichen Ausgleich durch ,eine Erhöhung der Steuern zu verlangen. Da das fast in Ihrem Land war, Herr Atzenroth, und diese Rede damals viel Aufsehen erregt hat, nehme ich an, daß Sie das seinerzeit auch gehört haben. Am 12. Juni 1959, also vor noch nicht einem Jahr, habe ich in der dritten Lesung des Haushalts 1959 gesagt: Mehrausgaben ... können künftig nur durch weniger Ausgaben für andere Zwecke oder durch eine Erhöhung der Steuern gedeckt werden. Und nun will ich nur noch wiederholen, und zwar wörtlich, was ich in der letzten Haushaltsrede gesagt habe, die sich Herr Miessner so warm vorgenommen hat: Nachdem die großen Steuersenkungen der Jahre 1956 und 1958 bis auf weiteres im wesentlichen abgeschlossen sind, sollten die Steuern tunlichst nicht wieder erhöht werden. Neue Ausgaben sollten ihre Grenzen finden, soweit sie nicht aus höheren Steuereinnahmen infolge des Wachstums des Sozialprodukts oder durch Wenigerausgaben für fortfallende Zwecke gedeckt werden können. Steuerliche Maßnahmen zur Anpassung der Finanzpolitik an außerordentliche Konjunkturerfordernisse bleiben erforderlichenfalls vorbehalten. Das habe ich mir damals also vorbehalten. An späterer Stelle habe ich in der Haushaltsrede gesagt: Sollten aber ... neue Gesetze und konjunkturpolitische Erfordernisse oder harte politische Notwendigkeiten uns zu einer weiteren wesentlichen Ausgabenerhöhung zwingen, so würde Ihnen nur mit einer Erhöhung der Einkommen- und Körperschaftsteuer oder auch der Verbrauchsteuern auf Genußmittel begegnet werden können. Also ich habe mit Ernst auf die Situation hingewiesen, die eintreten würde, wenn ich zu solchen erhöhten Ausgaben gezwungen werden sollte. Nun sagen Sie: Dann sorgen Sie doch gefälligst dafür, daß die Ausgaben geringer werden! Demgegenüber kann ich nur das wiederholen, verehrter Herr Atzenroth, was ich soeben schon gesagt habe. Aber das ist gar nicht das erste. Ich erinnere Sie nur an diesen, ich kann nur sagen, schrecklichen Antrag, an die Aktion, veranlaßt durch Herrn Margulies. Er wollte die Getreideeinfuhr durch den Staat geschützt haben, verbürgt haben. Die Lagerungsverluste sollte der Staat übernehmen. Die Verwirklichung dieses Antrages hätte die Kleinigkeit Bundesfinanzminister Etzel von 4 Milliarden DM gekostet. Was das noch mit freier Politik zu tun hat, verstehe ich nicht. Ich weiß, daß Sie dagegen waren; ich mache Sie persönlich gar nicht verantwortlich. Nur tun Sie nicht immer so: Dieser Finanzminister sagt sehr viel Gutes, aber er setzt sich ja selber nicht durch. Was haben Sie bei der Beamtenbesoldung gemacht? Auch nicht alle Ihre Kollegen waren einverstanden, ich weiß das. Aber Sie haben zusätzliche Ausgaben beantragt. Immer, wenn es bequem ist, immer, wenn es politisch angenehm erscheint, immer, wenn es vom Standpunkt der Opposition aus nützlich erscheint, haben Sie gar keine Hemmungen, zusätzliche Ausgaben zu beschließen. ({9}) Herr Miessner hat ein hartes Wort gebraucht; er hat von einer „optischen Schaumschlägerei" gesprochen. Ich möchte dieses Wort mit aller Bescheidenheit zurückgeben: Treiben wir doch keine optische Schaumschlägerei! An ihren Taten sollt ihr sie messen! ({10}) Ich darf noch einmal an den Antrag erinnern. So, meine Damen und Herren, geht eine Polemik nicht, so kann man sie nicht führen. Wenn Sie sich hier als Fraktion geschlossen hinstellen und meine Grundsatzdisposition verteidigen und ich Ihnen dann in den Rücken falle, können Sie mich an) greifen. Aber es geht nicht an, daß drei, vier, fünf Herren von Ihnen sagen: Der Finanzminister hat in der Grundsatzdisposition recht, daß jedoch in der materiellen Disposition die Mehrheit Ihrer Fraktion dann eine andere Linie einnimmt. ({11}) - Von „genauso" ist ja nicht gesprochen, sondern Sie sagen: Du, Etzel, machst hier Mist, und Sie helfen dazu!

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kohut?

Dr. Oswald Adolph Kohut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001169, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es besser gewesen wäre, wenn Sie bei Ihren Vorwürfen nicht den Namen „Atzenroth", sondern „Adenauer" eingesetzt hätten? ({0})

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Ich stelle mir gerade vor, was der Bundeskanzler sagen würde, wenn er hier stünde. Er würde in seiner Lebensphilosophie, in seiner Weisheit sagen: Wir sind allzumal Sünder. Aber erkennen wir das; darum geht es mir. ({0})

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Ludwig Erhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000486

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur weniges und Faktisches zu der Konjunkturlage bzw. zur Konjunkturpolitik selbst sagen, Es ist hier immer wieder der Vorwurf angeklungen: Was ist denn eigentlich euer konjunkturpolitisches Rüstzeug? Sicher, die Frage ist berechtigt. Ich glaube, man muß es einmal ganz deutlich sagen, daß in dem gleichen Maße, in dem sich die Freizügigkeit als Grundsatz der Wirtschaftspolitik immer stärker durchsetzt und die Freiheit über den nationalen Raum hinaus überhaupt zur Grundlage des zwischenstaatlichen Verkehrs wird, damit das konjunkturpolitische Instrumentarium kleiner wird. Es bedarf keines besonderen Hinweises, daß. z,. B. im Zeichen der Devisenzwangswirtschaft, der Kontingentierung, der Investitionskontrolle und dergleichen sehr viel mehr unmittelbare Beeinflussungsmöglichkeiten gegeben sind, als das in einer freien Ökonomie der Fall ist. Aber, meine Damen und Herren, ich hoffe, daß daraus nicht jemand den Schluß zieht: Also muß man von der Freiheit wieder zu mehr staatlichem Einfluß, zu mehr staatlicher Bindung zurückgehen. Wir müssen vielmehr erkennen, daß wir auf der nationalen Ebene allein das konjunkturpolitische Problem nicht mehr meistern können. Gerade wir Deutschen waren es ja, die mit konkreten Vorschlägen für eine internationale Konjunkturpolitik sogar ein konjunkturpolitisches Programm ausgearbeitet haben, das jetzt sowohl auf der Ebene der EWG als auch auf der Ebene der atlantischen Gemeinschaft Annahme gefunden hat. Ich glaube, das muß man vorweg sagen. Es ist kein Zweifel, daß z. B. die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mit dem gemeinsamen Außentarif die einzelnen Nationalstaaten der Zollhoheit beraubt hat. Damit sind wir nicht mehr in der Lage, das zu tun, was wir schon zweimal getan haben, nämlich die Zollsenkung als konjunkturpolitisches Instrument zu handhaben. Dieses wird also tatsächlich eingeschränkt, aber dafür muß durch eine bessere internationale Verklammerung der Konjunkturpolitik Ersatz geschaffen werden. Übrigens unterhält man sich über diesen Gegenstand auch in der Notenbank, und auch dort zeichnet sich eine immer engere Zusammenarbeit deutlich ab. Nun zu der konjunkturpolitischen Situation! Ich möchte keine schlafenden Hunde wecken. Ich sehe die Dinge auch nicht als so dramatisch an, wie sie manchmal dargestellt werden. Sicher, mehr und mehr kommen alle Wirtschaftszweige in die Hochkonjunktur, teilweise in einen ausgesprochenen Boom. Es ist sozusagen alles im Anheben begriffen. Die schönste Konjunktur, die ich mir wünschen möchte, wäre die: zunächst einmal auf Arbeitszeitverkürzungen zu verzichten, eine möglichst breite Spartätigkeit des deutschen Volkes zu entfachen, ({0}) und dann auf Grund dieser Spartätigkeit - der Spartätigkeit möglichst aller Kreise unseres Volkes, Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard Herr Leber - die Voraussetzungen für produktive Investitionen zu schaffen. Denn seien wir uns darüber klar: von dem Augenblick an, in dem wir in Deutschland aufhören, mit an der Spitze des Leistungsstandards zu stehen, und in unserer technischen Ausrüstung zurückfallen, zehren wir sozusagen vom Kapital. Deshalb ist es so wichtig, die Investitionen aufrechtzuerhalten, ({1}) zumal in einer Volkswirtschaft, die über keinerlei Arbeitskraftreserven mehr verfügt. Ich darf Ihnen sagen, daß im April - die Mai-Ziffern habe ich noch nicht; die werden die Dinge noch deutlicher machen eine Arbeitslosenziffer von 186 000 registriert wurde, der eine nicht zu deckende Nachfrage von 490 000 Stellen gegenüberstand. Dabei war das erst im April. Wir werden sorgfältig zu beobachten haben, wie sich die Dinge weiter entwickeln, und überlegen müssen, wie wir das an uns heranbrandende Nachfragevolumen von der Erzeugungsseite bewältigt werden kann, wenn wir nicht investieren. Darum lautet im Augenblick das volkswirtschaftliche Gebot: zu sparen und zu investieren ({2}) und im übrigen auch besorgt zu sein, daß der Außenhandels- und der Zahlungsbilanzüberschuß zum Abschmelzen gebracht werden. ({3}) Deshalb sind im Augenblick alle Maßnahmen oder alle weiteren Übersteigerungen einer Exportförderung fehl am Platze. Günstiger wären Anreize zu verstärktem Import. ({4}) Ich bin auch der Meinung - und ich will dahin wirken -, es wäre richtiger, statt Überinvestitionen z. B. in den hochentwickelten Industrieländern vorzunehmen - ich habe neulich in der Europadebatte darauf hingewiesen: Amerika investiert im EWG-Raum, wir investieren im EFTA-Raum, die EFTA-Länder investieren bei uns, mit dem Ergebnis, daß der Turm zu Babel immer höher wird -, alle unsere Kraft zusammenzufassen und in den Entwicklungsiändern zu investieren. ({5}) Das wäre die beste Politik, das würde die beste Entwicklungshilfe sein, die wir überhaupt leisten könnten. Zum anderen würde das den Handelsbilanz- und Zahlungsbilanzüberschuß in Deutschland mindern, und die von dieser Seite wirkenden preissteigernden Tendenzen würden allmählich aufhören. Nun mögen Sie sagen, daß es dann ein Widerspruch in sich selbst wäre, wenn die degressive Abschreibung verkürzt würde. Das mag so scheinen. Dem muß ich ein anderes Faktum entgegenhalten: In der Investitions- und Kapitalgüterindustrie lagen im ersten Vierteljahr 1960 die Bestellungen aus dem Inland um 33% über denen des Vorjahres, die aus dem Ausland sogar noch stärker, während sich die Liefermöglichkeiten nur um 22 % gegenüber dem Vorjahr erhöht haben. Das Problem ist also von der finanziellen Seite her gesehen nicht zu lösen. In fast allen Zweigen der deutschen Wirtschaft übersteigt im Augenblick der Auftragseingang die Liefermöglichkeiten - im einzelnen differenziert - zwischen 10 und 15 %. Das ist auch ein Beweis, daß wir mit unseren technischen Kapazitäten, mit der auf Grund der vorhandenen Apparaturen gegebenen Leistungskraft den Anforderungen nicht mehr entsprechen. In diesem Jahr wird eine Erhöhung des Volkseinkommens von etwa 10 Milliarden DM - ich glaube, die Schätzung ist exakt; die Bundesbank ist ungefähr zu den gleichen Ergebnissen gelangt - auf den Konsumgütermärkten in Erscheinung treten. Das ist ein neues expansives Element. Die Volkswirtschaft kann eben nicht mehr leisten, als sie im Augenblick mit aller Kraft auszustoßen vermag. Deshalb bin ich nach wie vor der Meinung: wir müssen der produktiven Investition, und zwar nicht so sehr der Investition in die Breite, als vielmehr der Investition in die Tiefe, unser besonderes Augenmerk zuwenden. Wir sind uns doch auch alle einig, daß die Investitionen nicht nur aus Gewinnen oder sogar überhöhten Gewinnen finanziert werden sollen. Darum müssen gemeinsames Interesse daran haben, die Spartätigkeit zu beleben.

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Atzenroth?

Dr. Ludwig Erhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000486

Ja, bitte!

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, ist aus den statistischen Unterlagen zu ersehen, daß nach dem 8. März die Nachfrage nach Investitionsgütern aus dem Inland zurückgegangen ist?

Dr. Ludwig Erhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000486

So schnell schießt die Statistik nicht, Herr Atzenroth. Da kann ich noch keine näheren Angaben machen. Lassen Sie mich aber noch ein Bild davon geben, wie sich die gegebene Situation auf die Preise auswirkt, bzw. die Frage stellen, ob von der Preisseite her laute Alarmrufe heute schon gerechtfertigt sind. Ich schicke voraus, daß das Bild nicht einheitlich ist. Ich tue das, weil es Übung geworden ist, immer nur auf einen einzelnen Preis zu starren, der gerade den einzelnen angeht, dem gegenüber man aber dann das volkswirtschaftliche Bild im ganzen aus dem Auge verliert. Ganz offenkundig ist, daß in der Phase, in der wir stehen, die menschliche Dienstleistung immer teurer werden wird. Das bedeutet zugleich, daß die Wirtschaftszweige, in denen die menschliche Arbeitsleistung höheres Gewicht hat; preispolitisch tendenziell stärker nach oben gedrückt werden als jene Wirtschaftszweige, in denen sich die techBundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard nische Rationalisierung bis zur Automatisierung stärker auswirken kann. Die industriellen Erzeugerpreise sind von April 1959 bis April 1950 um 1,2 % gestiegen. Bemerkenswert stabil sind dabei die Investitionsgüterzweige geblieben. Z. B. ergibt sich in der Chemie und bei den Kohlenwertstoffen ein Minus von 0,8 %, bei den Investitionsgüterindustrien ein Plus von 0,6 %. Die Sparte Elektrotechnik ist ganz stabil geblieben; d. h. hier ist keine Preisbewegung zu verzeichnen, obwohl auf diesem Gebiet zweifellos die stärkste Nachfrage ausgelöst worden ist. Umgekehrt hat sich in den Verbrauchsgüterindustrien gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme von 4,1 % ergeben. Die Verhältnisse sind hier sehr differenziert. Wesentliches Gewicht hat hier auf Grund der Erhöhung der Lederpreise auf dem Weltmarkt der Schuhherstellung. Die Textilindustrie hat eine Preissteigerung von 8 % zu verzeichnen; aber die Preise dieser Industrie waren im Vorjahr so heruntergewirtschaftet, daß krisenhafte Entwicklungen aufzukommen drohten. Es ist interessant, daß trotz dieser 8%igen Steigerung der Preisindex für Textilien heute noch bei 88 % von 1950 steht. Das ist ein Beweis dafür, daß eine Preissteigerung hier nicht ohne weiteres mit einer anderen dort verglichen werden kann. Stärker ins Gewicht fallen allerdings die Kosten für den Wohnungsbau. Die Baukosten sind gegenüber dem Vorjahr um 7,6 % angestiegen. Der Preisindex für die Lebenshaltung der mittleren Verbrauchergruppe liegt um 3,1 % über dem des Vorjahres. Dabei fallen die Lebenshaltungskosten auf dem landwirtschaftlichen Sektor mit 4,5 % etwas stärker ins Gewicht. Dort ist aber zu berücksichtigen, daß z. B. die Preise der pflanzlichen Produkte aus den uns bekannten Gründen noch verhältnismäßig hoch über denen des Vorjahres liegen. Auf diesem Sektor ist sicher mit einem weiteren Preisabbau zu rechnen. Es ist also so, daß gerade dort, wo Sie glauben, daß eigentlich die Nachfrage am geringsten sei oder eine minder gute Konjunktur vorliege - nämlich im Verbrauchsgütersektor - die Preissteigerungstendenzen stärker auftreten als im Investitionssektor. Bisher, so glaube ich, können wir mit der Entwicklung im ganzen zufrieden sein, ohne daß wir in unserer Wachsamkeit erlahmen dürften. Wir müssen verhindern, daß von seiten der neu anbrandenden Kaufkraft und vor allen Dingen auch des anhaltenden Exportüberschusses die Konsumgütermärkte stärker gestört werden. Wir werden die für Ende dieses Jahres vorgesehenen und dem GATT angekündigten Liberalisierungsmaßnahmen schon zum 1. Juli in Kraft treten lassen, so daß wir auch von dieser Seite noch einmal ein beruhigendes Element zur Geltung bringen. Schließlich darf ich den Ausführungen meines Kollegen Etzel ein Wort hinzufügen. Wir hatten schon einmal einen Juliusturm, und zwar während der Hochkonjunktur der Jahre 1955/56. Ich brauche hier keine Antwort darauf zu gehen, inwieweit der Juliusturm zur Sparsamkeit und zu einem antizyklischen Verhalten angereizt hat. ({0})

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Das Wort hat der Abgeordnete Starke.

Dr. Heinz Starke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002218, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir ist bereits gesagt worden, daß die Zeit sehr drängt, weil wir noch einen Gesetzentwurf zu behandeln haben, bei dessen Beratung der Herr Bundeswirtschaftsminister anwesend sein muß. Ich glaube aber, es ist doch notwendig, nach unseren einführenden Worten wenigstens dem, was der Herr Bundeswirtschaftsminister gesagt hat, etwas hinzuzufügen und auch dem, was der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat. Herr Bundesfinanzminister, ich übernehme es im ausdrücklichen Auftrag meines Kollegen Miessner, Ihnen zu sagen, daß das Wort „Schaumschlägerei" von Ihnen mißverstanden worden ist. Das sollte sich nicht auf das ganze Gesetz beziehen, sondern nur auf den Punkt Spesenbekämpfung. Wir sind nämlich der Meinung, daß das zwar ein löbliches Vorgehen ist, daß es aber so, wie es jetzt versucht wird, nicht möglich sein wird. Das haben wir uns erlaubt auszusprechen, und das hat mein Kollege mit einem etwas harten Ausdruck gesagt, der sich aber nur darauf bezog. Herr Bundesfinanzminister, wir haben heute diesen Gesetzentwurf, den Sie uns vorgelegt haben, abgelehnt, und wir werden aus den von uns genannten Gründen bei dieser Ablehnung bleiben. Auch die Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers haben uns nicht davon überzeugen können, daß wir diesen Gesetzentwurf, dessen konjunkturdämpfende Wirkung - ich darf noch einmal darauf hinweisen - gerade auch von dem Redner der CDU bezweifelt wurde, in dieser Situation nötig haben. Er schwankt zwischen einem unvollkommenen .Jahressteuergesetz und einem ebenso unvollkommenden Konjunkturdämpfungsgesetz. ({0}) Herr Bundesfinanzminister, wir lehnen das Gesetz aus diesen Gründen ab! Nun zum zweiten. Wir haben gesagt, daß wir dieses Gesetz nicht billigen können, weil das, was wir zusammen mit der Notenbank für notwendig halten, nicht beachtet worden ist: Das betrifft die Höhe des Haushalts, die Höhe der öffentlichen Ausgaben. Sie haben daraufhin, Herr Bundesfinanzminister -darauf muß ich noch einmal eingehen - dem Kollegen Atzenroth - nicht persönlich, sondern mit Rücksicht auf seine Stellung in der Fraktion- vorgeworfen, daß er sich nicht genügend durchsetze und nicht genügend zur Sparsamkeit mahne, daß er zwar selbst sparsam sei, wie Sie meinten, daß aber die Fraktion der FDP, die nun nicht die Größe hat, daß sie das Schicksal der Gesetze in diesem Hause bestimmt, sich dem nicht anschließe. Ich möchte zu den beiden Punkten, die Sie nannten - Kriegsopferversorgung und Beamtengehälter -, etwas sagen; denn wir sollten einmal aus der Diskussion herauskommen. Wer werden aber, wenn Sie die Frage wieder aufwerfen, die Diskussion von uns aus immer wieder aufgreifen. Die Freie Demokratische Partei bescheinigt Ihnen noch einDr. Starke mal ausdrücklich - und ich habe das mit meinen Kollegen, d. h. mit der Garnitur, von der Sie sprachen; die jetzt vorm sitzt, noch einmal besprochen , daß Sie sich in diesem Zusammenhang bemüht haben und daß Sie versucht haben, eine Regelung für die Höhe der öffentlichen Ausgaben zu finden. Aber das, was Sie dem Kollegen Atzenroth vorgeworfen haben ich komme noch im einzelnen darauf zurück -, ist doch nun gerade das, was auch wir Ihnen sagen, daß Sie mit Ihren Bemühungen in Ihrer Fraktion nicht durchgekommen sind. ({1}) Und das Entscheidende ist: der Herr Kollege Atzenroth ist nicht Bundesfinanzminister, sondern Sie sind es! Von Ihren Ausführungen zu Art. 113 des Grundgesetzes in Ihrer Düsseldorfer Rede kann man nur sagen: Das war eine Kapitulation, weil Sie sich eben mit dem, was Sie wollen, nicht durchsetzen konnten -, und das haben wir aufgegriffen. Nun aber zu den beiden Punkten! Hier liegt etwas - Herr Bundesfinanzminister, das wollen wir Ihnen bescheinigen - vor Ihrer Amtszeit: die Kriegsopferversorgung, derer wir uns angenommen haben und hinter die sich die ganze Fraktion gestellt hat. Wir haben sie zur Sprache gebracht, weil wir zeigen wollten, daß man nicht, wie es geschehen ist, vor der Wahl eine Sozialreform machen kann, bei der man wesentliche Teile, die hineingehörten, übersieht. und vergißt. Wenn man uns etwas zur Kriegsopferversorgung vorwirft, müssen wir immer sagen: Der Anfang ist vor der Wahl 1961 gemacht worden mit dieser Sozialreform, mit dem Lohnfortzahlungsgesetz, Maßnahmen, zu denen Sie - das geben wir Ihnen zu; das unterstreichen wir - schon ein Jahr nach der Wahl als Finanzminister äußerst kritisch Stellung genommen haben, ohne daß Sie aber das Geschehene ungeschehen machen konnten. Wenn man nun infolge einer solchen einseitigen Politik vor der Wahl, wo man noch Wahlgeschenke herausbringen wollte, hinterher andere Fragen aus Mangel an Mitteln nicht regeln kann, dann halte ich es für das gute Recht der Opposition, daß sie das Vergessene hier aufgreift und zu einer Behandlung anregt. ({2}) - Das wäre eine Spezialdiskussion; wir können uns jetzt nur im großen Rahmen unterhalten; denn es wird uns ja vorgeworfen, daß wir überhaupt etwas zu der Sache gebracht haben. Nun der zweite Punkt, auf den wir noch einmal zurückkommen müssen, Herr Bundesfinanzminister, die Frage der Beamtengehälter. Wir brauchen unsere Ausführungen im einzelnen nicht zu wiederholen; wir haben in der Presse ausführlich Stellung genommen. Aber ich stelle hier noch einmal fest: Die Regierung hat zuerst in einem Gesetzentwurf eine 4 prozentige Erhöhung vorgesehen. Nachdem dann die Regierung bei den Angestellten einem höheren Satz zugestimmt hatte, sagte der Bundeskanzler, daß die 4 %nicht mehr aktuell sind. Darauf hat sich die Regierung geweigert, einen Vorschlag zu machen. Eine solche Regierung schiebt dem Parlament den „Schwarzen Peter" zu. Eben das hat sich hier ereignet, meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen von der CDU, das geht auch gegen Sie: Die Regierung hat in ihren Nöten dem Parlament in corpore den Schwarzen Peter zugeschoben. ({3}) Unser Kollege Kühn, der im Beamtenbund tätig ist, ist wohl gerade wegen dieser seiner Eigenschaft gebeten worden, einen Vermittlungsvorschlag im Ausschuß zu machen. Es ist ausschließlich Schuld der Regierung, wenn sie sich im Ausschuß nicht durch Minister vertreten läßt, wenn sie keine Erklärung abgibt, was sie auf Grund der nur ihr zugänglichen Informationen für angemessen hält. Wir haben das alles sehr genau überlegt und sind in der FDP-Fraktion zu dem Ergebnis gekommen, daß wir unsere Vertreter in diesem Ausschuß, wo über die Beamtengehälter gesprochen und abgestimmt worden ist, nicht so im Stich lassen, wie die CDU/CSU dort ihre Vertreter im Stich gelassen hat. Das haben wir nicht getan. ({4}) - Meine sehr geehrten Damen und Herren, das hat sehr viel mit dem zu tun, was hier gesagt worden ist. Ich muß es noch einmal sagen, weil uns der Herr Bundesfinanzminister das abgesprochen hat. Weisen Sie uns das bitte nach, Herr Bundesfinanzminister! Die FDP hat außer den beiden Fragen, zu denen ich gesprochen habe, bewußt auf Grund eines Fraktionsbeschlusses eine feste Haltung gegenüber allen Ausgabenerhöhungsanträgen gezeigt, und zwar sowohl dadurch, daß sie keine eingebracht hat, wie auch dadurch, daß sie dagegen gestimmt hat, wenn solche Anträge gestellt wurden. Das, Herr Bundesfinanzminister, ist unsere Linie, und wir wollen sie fortsetzen, denn wir halten sie für die richtige Linie für die große Masse unserer Bevölkerung. Wenn Sie, Herr Bundesfinanzminister, uns das absprechen - und Sie tun es jetzt hier wieder, deshalb spreche ich dazu -, werden wir wieder darauf antworten; denn das lassen wir uns nicht immer wieder absprechen, gerade bei den beiden Punkten, zu denen ich soeben gesprochen habe. Dann noch eins, meine Damen und Herren! Man will dem Parlament den „Schwarzen Peter" zuschieben. Es ist unmöglich, daß eine Bundesregierung durch einen Staatssekretär, gedeckt durch Sie, Herr Bundesfinanzminister, dem Parlament vorwerfen läßt, und zwar in der großen Propaganda für ein Buch, das geschrieben worden ist, die Inflationisten säßen auf den Bänken des Parlaments. Dieser Satz ist durch Ausführungen des Herrn Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium untermauert worden. Wir haben deswegen eine Kleine Anfrage gestellt, und es ist gedeckt worden, Herr Bundesfinanzminister. Ich erkläre Ihnen hier für meine Fraktion: Wir sind bestürzt über diese Haltung, wir sind bestürzt darüber, daß man dem Parlament bei der Erhöhung der Beamtengehälter den Schwarzen Peter zuschiebt, wir sind bestürzt darüber, daß man die Berlin-Zuwendungen kürzt, damit das Parlament sie dann er6546 höhen muß. Wie ist es denn gewesen, meine Damen und Herren? Der Haushaltsausschuß hat sich - mein Kollege Lenz hat es hier bei der dritten Lesung ausgeführt - monatelang mit dem Haushaltsentwurf beschäftigt. Er war von der Regierung bereits um Milliarden höher als im vergangenen Jahr vorgelegt worden. Dann hat der Ausschuß im Ringen mit der Bürokratie, die in dem Ausschuß war, ein paar Millionen streichen können. Dann aber kommt der Herr Bundesfinanzminister und sagt mit einem Schlage: ich spare rund 800 Millionen DM ein, weil wir rund 800 Millionen DM mehr Ausgaben haben, ich mache außerdem eine generelle Einsparung von 10 %. Auf die Frage, ob das möglich sei, denn es sei doch sein Entwurf, den er damit kürze, sagt der Herr Bundesfinanzminister kurz: Ja, das können wir. - Das ist keine Haushaltspolitik mehr, die es dem Parlament überhaupt noch ermöglicht, eine Haushaltskontrolle auszuüben. ({5}) Das sind die Sorgen, die wir haben. Es ist doch eine Groteske: wir streiten uns im Haushaltsausschuß monatelang um einige Millionen, und dann wird mit einem Schlag, und zwar ungefähr am letzten Tage, bevor der Haushaltsplan für die dritte Lesung gedruckt werden mußte, das ganze Gebäude umgeworfen, und zwar ging es dabei um Hunderte von Millionen. Das, Herr Bundesfinanzminister, sind unsere Vorwürfe gegen die Regierung! Ich möchte jetzt hier einmal für das ganze Parlament sprechen. ({6}) - Lassen Sie mich erst einmal aussprechen! Wenn ich sage, ich möchte für das ganze Parlament sprechen, ist ,das nicht eine Feststellung, daß ich es für das ganze Haus sage, sondern ich meine, es ist ein Wunsch von mir, es im Namen des ganzen Hauses sagen zu können. - Wir dürfen nicht übersehen, daß ein solches Gebaren bei der Aufstellung des Haushalts und solche Veränderungen im letzten Augenblick diesem Hohen Hause eine Haushaltskontrolle im echten Sinne unmöglich machen. Weil dem so ist, ist der Vorwurf, daß die Inflationisten allein auf den Bänken dieses Hauses säßen, unberechtigt. Darauf, das hier festzustellen, kam es mir an. Nun zurück zu ,dem Gesetz! Herr Bundeswirtschaftsminister, ich darf Ihnen offen sagen, Ihre Ausführungen haben uns nicht überzeugt, daß alles das, was im einzelnen in dem Gesetz steht, zur Konjunkturdämpfung geeignet und notwendig ist. Aus diesem Grunde können wir dem Gesetz unsere Zustimmung nicht geben. Ich darf noch einmal sagen: Gerade weil wir auf ,dem Gebiet der öffentlichen Ausgaben diese Gebote - entgegen den Vorstellungen, die wir vertreten haben, und entgegen den Vorstellungen der Notenbank - in der augenblicklichen Konjunkturpolitik nicht beachtet sehen, versagen wir uns diesem Gesetz. Wir halten es weder für notwendig noch vor allem für geeignet. ({7})

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Franz Etzel (Minister:in)

Politiker ID: 11000497

Ich glaube, die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Starke erfordern eine Antwort. Sie haben mir, Herr Kollege Starke, zunächst vorgeworfen, ich machte Herrn Atzenroth und Ihrer Fraktion den Vorwurf, daß die beiden sich auseinanderlebten, daß die Fraktion die Meinung des Herrn Atzenroth nicht akzeptiere; und Sie haben gesagt, das sei ja die Situation, in der sich auch der Bundesfinanzminister in seiner eigenen Fraktion befinde. - Es gibt dieses Problem, das ist sicherlich nicht zu bestreiten. Ich kann nur für mich in Anspruch nehmen, daß meine Fraktion meinen Wünschen eigentlich gefolgt ist. Die schwierigen Aufgaben, die wir als Regierungspartei bewältigen mußten, konnten ja nur deswegen gemeistert werden, weil meine Fraktion den Weg mitgegangen ist. Die Probleme, die soeben behandelt wurden, das Problem der Beamtengehaltserhöhung, das Problem der Kriegsopfer usw. usw., mußten mit der Mehrheit meiner Fraktion gelöst werden, und hier ist die Fraktion mir gefolgt. Aber, Herr Kollege Atzenroth und Herr Kollege Starke, man kann noch einen zweiten Gedanken haben. Da möchte ich mich auch an Herrn Kollegen Miessner wenden; ich habe das soeben vergessen. Sie sagen mir: „Du wendest dich in jeder Rede zu Recht gegen das Übermaß an Subventionen." Daß man nicht alle Subventionen beseitigen kann, darüber werden wir einig sein. In den Subventionen sind ja als größere Summe auch die Zuwendungen an die Sozialversicherungsträger enthalten. Daß man die nicht beseitigen kann, ist offenbar unstreitig. Aber ich habe doch in meiner einleitenden Rede ausgeführt - und ich glaube, es ist so -, daß ein Abschreibungssatz von 25 % über das betriebswirtschaftlich Richtige hinausgeht, daß das betriebswirtschaftlich Richtige 20 % sind und daß die Differenz zwischen 25 und 20 % in einer Situation, wo man freie Kapazität hat, als Subvention möglich ist, daß man aber jetzt, in einer Zeit, wo die Kapazität ausgefüllt ist, anders verfahren muß. Ihre Fraktion und jetzt auch Herr Atzenroth persönlich und Herr Miessner persönlich sagen: „Das wollen wir nicht." Also hier wenden Sie sich, ohne mit einem Wort dazu Stellung zu nehmen, insoweit gegen den Abbau von Subventionen. Natürlich ist nicht die ganze Degression eine Subvention, sondern nur das Mehr gegenüber dem betriebswirtschaftlich Richtigen. Nun wenden Sie sich gegen diesen Abbau, weil er natürlich - ich verstehe das aus vielen inneren Gründen - in Ihre Konzeption, in Ihr Bild nicht hineinpaßt. Aber bitte, dann seien Sie doch so ehrlich, zu sagen: „Wo Subventionen uns nützlich erscheinen, sind wir dafür, und sonst dagegen." Der Kampf gegen die Subventionen ist das sauerste Brot, das härteste Brot, das der Herr Finanzminister essen muß. Ich habe die Hoffnung, daß wir jetzt einmal mit Hilfe des HaushaltsausBundesfinanzminister Etzel schusses eine gemeinsame Untersuchung darüber anfangen werden, wo Subventionen wirklich überflüssig sind, wo sie abgebaut werden können. Daß dann hinterher das Ergebnis des Haushaltsausschusses - jetzt komme ich wieder auf das zurück, was ich soeben schon einmal sagte - nicht ohne weiteres akzeptiert werden wird, werden wir praktisch erleben; da werden wir unsere Erfahrungen machen. ({0}) - Vielleicht hilft er. Dann haben Sie, Herr Kollege Starke, gesagt: „Es ist das gute Recht der Opposition, darauf hinzuweisen, daß der Bundesfinanzminister sich nicht durchsetzt." Völlig einverstanden! Aber ich bin der Meinung - und das war der Sinn meiner Ausführungen von heute morgen -, man hat immer nur dann das gute Recht, auf so etwas hinzuweisen, wenn man vorlebt. Es gab in meiner Jugend einen Dichter, der damals eine große Rolle spielte. Er hieß Walter Flex. Er hat in seinem „Wanderer zwischen beiden Welten" vom Kompanieführer gesprochen und gesagt: „Leutnantdienst tun, heißt seinen Leuten vorleben." Manchmal scheint das Vorleben schwerer zu sein als das Vorsterben. Ich kann nicht bestreiten, daß das Wort in meinem Leben eine Rolle gespielt hat. Bitte, wenn Sie als Fraktion der FDP in der Ausgabenfrage hier vorleben, wenn Sie wirklich konsequent nein sagen und nicht all die Auswüchse zulassen - ich verstehe das alles -, dann haben Sie dieses gute Recht. Aber sonst sollte » man ein bißchen bescheidener sein ({1}) und nicht immer so tun, als ob immer nur der Bundesfinanzminister das schwarze Schaf wäre. Wenn jetzt zur Frage der Beamtengehaltserhöhung - ich will nicht mehr groß nachkarten, das hat keinen Zweck - z. B. der Vorwurf gemacht wird, wir seien als Minister nicht dagewesen, so darf' ich doch darauf hinweisen, daß wir nicht ahnen konnten, daß die Dinge in der betreffenden Sitzung des Innenausschusses diskutiert würden. Denn die Sache war ja zur Mitberatung dem Haushaltsausschuß überwiesen. Der Innenausschuß hat nicht - wie es sonst selbstverständlich ist - diese Mitberatung abgewartet. Und Parteitage hat nun einmal jede Partei. Wir waren auf unserem Parteitag in Karlsruhe und nicht in Bonn anwesend. Ich bin aber der Meinung, daß auch Ihre Partei - das ist das Entscheidende, und das kam auch durch einen Zwischenruf soeben richtig heraus - hier höhere Ausgaben gewünscht hat. Dann dürfen Sie - wenn Sie sich selber in diese Front stellen - mir nicht vorwerfen, daß ich höhere Ausgaben hier und da nicht verhindere. Es wurde gesagt, das Problem „Kampf der Inflation" sei nicht nur eine Angelegenheit des Parlaments. Diese Behauptung unterstreiche ich hundertprozentig. Selbstverständlich ist das ein Problem der Regierung. Sie hat sogar die erste Verantwortung zu tragen; ich akzeptiere das. Aber auch dieses Hohe Haus und alle Kreise der Öffentlichkeit auch die Unternehmer und - Herr Leber, das möchte ich noch einmal besonders betonen - auch die Gewerkschaften, wir alle tragen die gemeinsame Verantwortung dafür. Kein Mensch hat etwas von höherem Einkommen, wenn dieses höhere Einkommen dauernd von einem nachhinkenden Güterangebot und damit von einer Kaufkraftentwertung begleitet wird. Hier haben wir eine besonders große Aufgabe. Wir wollen sie im Augenblick gar nicht dramatisieren. Allerdings wäre die dritte Inflation das Ende unserer Freiheit; das ist meine Meinung. Ich glaube, es würde zum Bol- schewismus führen, wenn wir uns das leisteten. Deswegen ist es ganz richtig, daß auch die Regierung die Verantwortung zu tragen hat. Aber, verehrter Herr Dr. Starke, ich habe nirgendwo gehört, daß die Verantwortung für diese Dinge von der Regierung auf dieses Hohe Haus allein abgewälzt wird. So dumm, glaube ich, kann die Regierung gar nicht sein. ({2}) - Ja, ich weiß. Ich habe diese Erklärung nie gesehen und nie gelesen. Ich werde sie mir daraufhin einmal ansehen und werde Ihnen schreiben, was da los gewesen ist. Ich kann das so nicht sagen. Aber das ist sicher richtig: auch dieses Hohe Haus trägt bei seiner Ausgabenpolitik hier eine Verantwortung. Der Vorwurf, den Sie mir zuletzt gemacht haben, war wieder der, ich hätte die Dispositionen des Haushalts 1960 im letzten Augenblick durch einen Federstrich geändert. Ganz so war es ja nicht. Ich habe Ihnen die Erklärungen aus meiner Haushaltsrede für das Jahr 1960 vom Dezember 1959 vorgelesen. Ich hatte gesagt: Wenn ihr mit neuen Aufwendungen kommt, muß entweder eingespart werden, oder es müssen Steuern erhöht werden. Bis zur Haushaltssitzung kam man dann mit neuen Wünschen; alle paar Tage kam etwas. Als ich in die Haushaltssitzung hineinging, ein paar Tage vorher darauf vorbereitet, hatten wir zusätzliche Ansprüche von 826 Millionen DM. Die mußten so oder so bereinigt werden. Ich habe sie durch Vorschläge zu Einsparungen bereinigt. ({3}) - Pardon, sie kamen auch vom Parlament. Das ist ja nicht richtig, was Sie sagen, es stimmt einfach nicht. Sie kamen von allen möglichen Seiten, auch vom Parlament unterstützt, direkt und indirekt. Da habe ich dem Haushaltsausschuß einen Vorschlag gemacht, und ich bin dem Haushaltsausschuß dankbar dafür, daß dieser Vorschlag einstimmig angenommen wurde. Ganz dumm und ganz schlecht kann das also nicht gewesen sein, was ich damals gemacht habe. Ich habe aus meiner Verantwortung gehandelt. Wer anders soll denn bei der Erstellung des Haushalts die erste Verantwortung übernehmen als ich? Ich tue das. Ich bin dazu auch bereit. ({4})

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen jetzt nicht mehr vor. Es ist Überweisung der Vorlage, des Steuer- Vizepräsident Dr. Preusker änderungsgesetzes 1960, an den Finanzausschuß als federführenden Ausschuß und an den Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung vorgeschlagen. Wer dem Vorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen. Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß wir um 13 Uhr vereinbarungsgemäß mit der Fragestunde beginnen werden und daß dann um 14 Uhr die Mittagspause beginnt. Ich rufe dann auf - ich bitte, den Bundesminister für Wirtschaft wieder herbeizurufen - Punkt 14: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank ({0}), Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausausschusses ({1}) ({2}) ({3}) ; b) Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anmeldung von Anteilscheinen der Deutschen Reichsbank ({4}), Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses ({5}) ({6}) ({7}). Eine mündliche Berichterstattung erfolgt nicht. Ich ;) eröffne die zweite Beratung des Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank. Ich darf die Damen und Herren noch einmal recht herzlich bitten, zu versuchen, ihre Ausführungen jetzt etwa im Telegrammstil zu machen. Ich rufe auf die §§ 1 und 2. Wer ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen angenommen. Zu § 3 liegen Änderungsanträge vor, einer von der Fraktion der SPD auf Umdruck 614 und ein Änderungsantrag des Abgeordneten Dr. Lindenberg auf Umdruck 642. Wer begründet den Änderungsantrag der Fraktion der SPD? ({8}) - Das Wort hat Herr Abgeordneter Seume.

Dr. Franz Seume (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002166, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zu dem Änderungsantrag meiner Fraktion zu § 3 des Gesëtzentwurfs über die Liquidation der Deutschen Reichsbank folgende Ausführungen zu machen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung will durch § 3 die Anteilseigner der ehemaligen Reichsbank mit 100 % des Reichsmarknennwertes der Anteile entschädigen. Das ist, wie sich in den Ausschußberatungen ergeben hat, eine rein politische Entscheidung, die eine entsprechende politische Begründung verdient hätte, um verstanden zu werden. Statt dessen hat das zuständige Ressort der Bundesregierung den Versuch gemacht, für diese Entscheidung eine juristische Begründung zu geben, die glauben machen soll, daß sich diese 100%ige Entschädigung der Anteilseigner der ehemaligen Reichsbank wenigstens zum Teil zwangsläufig aus den Vorschriften zur Umstellung des Geldwesens im Jahre 1948 ergebe. Da jedoch natürliche rechtliche Voraussetzungen für eine solche Entschädigung nicht gegeben sind, muß die Bundesregierung mit einer Reihe völlig irrealer Annahmen - sie nennt dies Fiktionen -arbeiten. Solche Fiktionen sind: erstens, die Reichsbank sei kein totes, sondern ein lebendes Institut; zweitens, das Kapital der Reichsbank sei daher nach den Vorschriften zur Umstellung des Geldwesens, die zugunsten lebender und ihre Funktionen weiter ausübender Institute erlassen wurden, zu berechnen; drittens, die Reichsbank habe - lediglich zugunsten der Anteilseigner - bis zu der jetzt erfolgenden Liquidation noch 9 1/2 Jahre lang Gewinne gemacht, die zu Lasten des Steuerzahlers steuerfrei dem fiktiv berechneten Kapital hinzuzurechnen sind; viertens, die Entschädigung der Anteilseigner habe nach dem Vorbild der Entflechtungsmaßnahmen in der Eisen- und Stahlindustrie zu erfolgen; schließlich fünftens, die Anteilseigner seien wie Substanzeigner etwa nach dem Muster von stimmrechtlosen Vorzugsaktionären zu behandeln. Meine Fraktion ist nicht in der Lage, solchen Fiktionen, die die unwiderleglichen Tatsachen auf den Kopf stellen, zu folgen. Der uns vorgelegte schriftliche Bericht gibt im übrigen kaum die Erörterungen über die strittigen Fragen wieder, sondern folgt im wesentlichen der amtlichen Begründung. Die Vermögensauseinandersetzung mit der ehemaligen Reichsbank gehört zu den normalen Ordnungsaufgaben einer Liquidation. Diese Auseinandersetzung mit der Institution der ehemaligen Reichsbank - die überdies von den Alliierten in die Form eines rechtlichen Vorbehalts bei der Errichtung des Zentralbanksystems gekleidet wurde - wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf einseitig, sinnwidrig und willkürlich zu einer Vermögensauseinandersetzung ausschließlich zugunsten der Anteilseigner umgeformt. Nach den eigenen Feststellungen der Bundesregierung schließt die ehemalige Reichsbank mit einem Fehlbetrag von 7,8 Milliarden DM ab. Würde man bei dieser Sachlage der Annahme in dem Gesetzentwurf folgen, daß die Anteilseigner wie Substanzeigner, wie Aktionäre zu behandeln seien, wäre es unmöglich, den Anteilseignern im Zuge der Vermögensauseinandersetzung auch nur einen Pfennig zu zahlen. Eine solche Auseinandersetzung hätte keinen konfiskatorischen oder gar pönalen Charakter. Sie wäre einfach das Ergebnis der Überschuldung der ehemaligen Reichsbank. Auch die Berufung auf das Verfahren bei anderen Währungsbanken ist ohne Bedeutung und ohne Beweiskraft. Bei der Bank von England, bei der Bank von Kanada, bei der Niederländischen Zentralbank und bei der Dänischen Nationalbank, auf die sich 1 der vorliegende Schriftliche Bericht des Herrn Berichterstatters ausdrücklich bezieht, handelt es sich uni die Änderung der Organisationsform lebender, ihre Funktionen in vollem Umfang ausübender Institute, nämlich um die Änderung von der privatrechtlichen Unternehmensform in die öffentlich-rechtliche bzw. in ein vom Staat übernommenes Institut. Hierbei waren die Bank von England, die Niederländische Zentralbank und die Dänische Nationalbank echte private Aktiengesellschaften und damit ihre Anteilseigner im Gegensatz zu denen der ehemaligen Reichsbank auch echte Aktionäre. Wenn diese Beispiele für die ehemalige Reichsbank vergleichsweise gelten sollten, dann müßte die ehemalige Reichsbank tatsächlich und nicht nur fiktiv ein lebendes Institut sein; dann müßte sie tatsächlich und nicht nur fiktiv ihre Funktionen ausüben, und dann müßte sie vor allem eine echte private Aktiengesellschaft sein. Auch die Überschrift dieses Gesetzentwurfs, soweit sie sich auf die Reichsbank bezieht, ist eine Irreführung. Denn nicht die Vermögensauseinandersetzung aus Anlaß der Liquidation, sondern das Politikum der hundertprozentigen Abfindung der Anteilseigner, das mit dieser Liquidation nichts mehr zu tun hat, das allein ist das Entscheidende. Unter normaler Anwendung des gegebenen Rechts würde sich überdies aus dem Milliardenfehlbetrag ergeben, daß es überhaupt nicht im Interesse der Anteilseigner der ehemaligen Reichsbank läge, sie als Substanzeigner, als Aktionäre zu behandeln, wie es die Bundesregierung nach ihrer Begründung unter Abweichung von dem normalen Recht versucht. Das ist allein deswegen nicht richtig, weil den Anteilseignern der ehemaligen Reichsbank kaum eines der vielen Mitglieds-, Verwaltungs- und Gemeinschaftsrechte und kaum eine der entsprechenden Pflichten eines echten Aktionärs zustehen oder zugestanden haben. Auch der Versuch in der Begründung der Bundesregierung, die Anteilseigner in etwa als Inhaber von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht anzusehen, ist allein deshalb irreführend, weil die den Reichsbankanteilen anhaftende unabdingbare absolute Garantie einer festen Verzinsung dem Wesen der stimmrechtlosen Vorzugsaktien völlig widerspricht und weil es außerdem rechtlich überhaupt unmöglich ist, in einem Unternehmen ausschließlich Vorzugsaktionäre zu haben, wie es nach dem Entwurf der Bundesregierung der Fall sein würde, abgesehen davon daß den Anteilseignern der ehemaligen Reichsbank auch nicht einmal die übrigen Rechte solcher Vorzugsaktionäre zustanden. Es handelt sich auch nicht entfernt um stimmrechtlose Vorzugsaktionäre. Es spricht also alles dafür, die Anteilseigner, wie es unser Änderungsantrag vorsieht, als Inhaber von festverzinslichen Obligationen oder Wertpapieren anzusehen und als solche den bereits bestehenden rechtlichen Vorschriften entsprechend zu behandeln. Schließlich bringen auch die Anteilseigner in ihren zahlreichen Bekundungen selbst zum Ausdruck, daß sie im Gegensatz zu echten Aktionären keinen Einfluß auf die Geschäftsführung der Reichsbank gehabt haben, demzufolge also keine Aktionäre, keine Substanzgläubiger waren. Die Berufung der Bundesregierung auf das Beispiel der Behandlung der Aktionäre bei den Entflechtungsmaßnahmen im Zuge der Dezentralisierung der Eisen- und Stahlindustrie ist ebenso unzutreffend wie willkürlich. Die Nachfolgegesellschaften in der Montanindustrie waren Ausgründungen aus lebenden Institutionen, während es sich beim Zentralbanksystem um eine Neugründung mit neuer Aufgabenstellung durch den Gesetzgeber und vor alem mit neuer Verleihung des Notenausgaberechtes handelt. Die Reichsbank war nicht mehr existent, und es handelt sich hier überhaupt nicht um Maßnahmen, die mit der Dezentralisation im Zuge der Entflechtung der Montanindustrie oder der Großbanken verglichen werden könnten. Nun einige Worte zur Berechnung des Eigenkapitals. Die Bundesregierung bemüht sich in ihrer Begründung, nachzuweisen, wie weit die Reichsbank - auch als nicht mehr existentes Institut - in die umstellungsrechtlichen Vorschriften verflochten ist, en im übrigen völlig natürlicher Vorgang. Aber die konsequente Fortführung dieses Gedankens wäre und den unbestreitbaren Tatsachen entspräche es, die Reichsbank sofort gemäß den klaren Vorschriften des Umstellungsrechts als abwickelndes Geldinstitut zu behandeln. Und warum werden diese Vorschriften des Umstellungsrechts nicht angewandt? Weil die verschiedenen wahlweise vorhandenen Möglichkeiten -- um mit den Worten der Regierungsbegründung zu sprechen - „nicht ergiebig" genug sind, um zu der von vornherein gewünschten, vorher bestimmten, überdimensionierten Höhe eines Eigenkapitals zu kommen, das als Ausgangsbasis für die Abfindung der Anteilseigner als genehm, d. h. als angemessen in diesem Sinne betrachtet wird. Vielmehr werden jetzt, nur um den Anteilseignern einen abnorm hohen Betrag zufließen zu lassen, auch noch die offenen Reserven der ehemaligen Reichsbank, die rechtlich den Gläubigern dieses überschuldeten Instituts zustehen würden, zugunsten der Anteilseigner dem fiktiven Eigenkapital zugerechnet. Der Gesetzgeber wird in der Begründung geradezu aufgefordert, sich zu diesem ungewöhnlichen Schritt zu entschließen, weil ausdrücklich entgegenstehende Vorschriften und Bestimmungen zufällig nicht vorhanden sind. Und obwohl feststeht, daß die nicht mehr existente und funktionslose Reichsbank keine Gewinne mehr erzielen konnte, werden nun auch noch zugunsten der Anteilseigner und zu Lasten der Steuerzahler fiktive Gewinne von jährlich 5 % für 9 1/2 Jahre konstruiert, die steuerfrei aufgestockt werden. ({0}) Diese steuerfreie Aufstockung war vom Gesetzgeber nur zur Stärkung des Eigenkapitals lebender, ihre volkswirtschaflichen und erwerbswirtschaflichen Funktionen tatsächlich ausübender Institute gedacht, keinesfalls aber für nicht mehr existente und für funktionslose Institutionen, wie es die Reichsbank I war, und überhaupt nicht für die Aktionäre nicht mehr existenter Institutionen. Die steuerfreie Aufstockung war im übrigen nur auf vier Jahre begrenzt. Für die Anteilseigner werden daraus willkürlich 91/2 Jahre gemacht, damit sie den Anschluß an die Verzinsung der Bundesbankgenußrechte ab 1. Januar 1958 finden. Weil nun alle diese mühsamen Manipulationen erst 97 Millionen DM Kapital ergeben und somit noch nicht dazu ausreichen, auf die gewünschte Summe von 100 Millionen DM Kapital zugunsten der Anteilseigner zu kommen, werden noch rund 3 Millionen DM zur Abrundung draufgeschlagen, für die das zuständige Ressort offensichtlich keine rechtliche Begründung mehr hat finden können. Diese insgesamt 100 Millionen DM künstlich und entgegen den Tatsachen aufgebauter Anteilsrechte hat die Bundesbank zugunsten der Anteilseigner ab 1. Januar 1958 mit 6 % zu verzinsen und in den nächsten Jahren mit 150 % einzulösen, obwohl den Anteilseignern, sofern sie lach Auffassung der Bundesregierung Aktionäre sind, von Rechts wegen nichts, aber auch gar nichts gebühren würde; denn jeder Aktionär ist stets so mit seinem Unternehmen verbunden, daß er nicht nur in guten Zeiten Dividende ziehen darf, sondern auch in schlechten Zeiten selbstverständlich mit seinen Anteilen haften muß, selbst wenn seine Aktie einen sogenannten Goldrand hat. Das alles ist ein Erzeugnis sehr gefährlicher juristischer Darstellungs- und Auslegungskunst, mit der hier Gesetze gemacht werden sollen. Aber diese Darstellungskunst kann dennoch nicht über die unbestreitbaren Tatsachen hinwegtäuschen, daß die ehemalige Reichsbank nicht mehr existent ist, keine Funktionen hat, keine Gewinne machen konnte und nichts mit den Dezentralisierungsmaßnahmen in der Montanindustrie gemein hat. Hierbei bleibt es ohne Belang, daß aus rein technischen Gründen und als Notlösung eine beschränkte Zeit Hng, mit beschränkten Aufgaben, in einem beschränkten Bereich nach 1945 noch eine Reichsbankleitstelle tätig gewesen ist. Da nach unserer Auffassung die Reichsbankanteilseigner, wie sie es selber oft genug bekundet haben, keine Aktionäre sind, erscheint es uns angemessen und gerecht, sie als Inhaber festverzinslicher Obligationen .zu betrachten und den hierfür ergangenen Vorschriften des Kriegsfolgenschlußgesetzes entsprechend zu behandeln. Den erheblichen Börsenspekulationen Rechnung tragend, die mit Reichsbankanteilen geübt wurden, erscheint es uns richtig, diejenigen Anteilseigner, die über den 8. Mai 1945 hinaus ununterbrochen im Besitz ihrer Reichsbankanteile geblieben sind, vorzugsweise als Altsparer zu behandeln. Diese mit 4 % zu verzinsende Beträge sollen, um diesen Fragenkomplex endgültig und sofort auszuräumen, innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Gesetzes an die Berechtigten mit befreiender Wirkung für den Bund ausgezahlt werden. Wir schlagen diese Regelung auch deswegen vor, um die unerwünschte Beteiligung Privater am Kapital der Währungsbank sofort und nicht erst, wie es in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen ist, nach einigen Jahren auszuschließen. Wir halten es für untragbar, den Anteilseignern der ehemaligen Reichsbank für ihre Papiere ohne Rechtsgrund, aber auch ohne zwingende politische Notwendigkeit, unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, ein Vielfaches von dem zuzubilligen, was Wertpapier- und Kontensparern zugestanden werden konnte. ({1}) Wir bitten Sie daher, meine Damen und Herren, unseren Änderungsanträgen zuzustimmen. ({2})

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Das Wort hat der Abgeordnete Lindenberg.

Dr. Heinrich Lindenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001345, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Anfrage zur Tagesordnung! Ich möchte mich gern durch eine Entscheidung des Herrn Präsidenten belehren lassen, ob das, was mein verehrter Vorredner vorgetragen hat, Telegrammstil war oder nicht. ({0})

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Ich möchte Herrn Abgeordneten Lindenberg ausdrücklich erklären, daß der Präsident keinerlei Einfluß auf die Ausführungen eines Redners nehmen kann, sondern daß er nur eine Bitte ausgesprochen hat. ({0})

Dr. Heinrich Lindenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001345, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann werden Sie mir auch gestatten müssen, länger zu dem Thema zu sprechen, so daß ich bezweifle, ob ich um ein Uhr fertig bin. Ich möchte mir meine Rede nicht dadurch beschränken lassen, daß der Herr Vorredner erklärt hat, er wolle im Telegrammstil sprechen. ({0}) Ich möchte mich gleichwohl kurz fassen. Man könnte sehr viel zu dem angeschnittenen Thema sagen. Ich glaube, das Interesse des Hohen Hauses ist nicht sehr groß; die Zeit ist fortgeschritten. Worum handelt es sich bei dem Gesetz über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank? Die Gegensätze sind von meinem hochverehrten Herrn Vorredner klar herausgestellt worden. Ich darf sie als Ausgangspunkt meiner Ausführungen wiederholen. Die SPD will den Reichsbankanteilseignern eine Abfindung von ganzen 10 % des Nennwertes geben. Wir dagegen sind großzügig und wollen eine gestaffelte Umstellung vorsehen, und zwar derart, daß zum Stichtag der Währungsreform 44 % und unter Berücksichtigung der bis zum 1. Januar 1958 aufgelaufenen Zinsen 66 2/3 % gewährt werden. Wir wollen außerdem dieser Abfindung, die wir in Form von Genußrechten der Bundesbank geben wollen, einen Tilgungswert von 150 % zumessen, so daß effektiv eine Umstellung von 1 : 1 erfolgt. Mein Herr Vorredner hat sich bemüht, die Argumente gegen unsere Auffassung in sehr präziser Form, ich möchte fast sagen, in einer Art wissenschaftlicher 'Deduktion über den Unterschied von Aktie und Obligation, darzutun. Ich möchte von vornherein betonen, daß ich mich auf diese Ausführungen nicht einlassen und nicht darauf erwidern will. Es kann nicht Aufgabe des Hohen Hauses sein, sich in den Streit über Rechtsfragen einzulassen, hierüber zu deduzieren. Das ist nach meiner Auffassung eine typische Aufgabe unserer Ausschußarbeit. Ich darf Ihnen versichern, daß wir tagelang über diese Fragen diskutiert haben. Ich darf darauf hinweisen, daß die Mehrheit des Ausschusses - unsere Fraktion CDU/CSU, FDP und DP - sich einmütig gegen Ihre Rechtsauffassung ausgesprochen hat und auf dem Standpunkt steht, daß die Anteile der Reichsbankanteilseigner keine Obligationen sind, sondern echte Wertpapiere. ({1}) Ich habe Ihnen soeben gesagt, daß ich mich zu diesem Thema sachlich nicht zu äußern gedenke; denn dann würde ich etwa noch eine Stunde sprechen müssen. Ich kann mich aber auf die Entscheidung des Ausschusses als meinen besten Zeugen berufen. Lassen Sie mich ein anderes Thema anschneiden, das mir viel wichtiger erscheint, die Frage nämlich, was im Rahmen des SPD-Vorschlages mit den Reichsbankanteilseignern geschieht. Darüber sollte man sich einmal Gedanken machen und sollte klarstellen, wohin Ihr Vorschlag führt, welche Folgerungen er hat. Ich darf einen Augenblick Ihre Aufmerksamkeit für dieses interessante Thema in Anspruch nehmen. Der Reichsbankanteilseigner ist nach meiner Auffassung einer der ältesten Aktionäre, die wir im Deutschen Reich gehabt haben. Die Reichsbank ist 1875 gegründet worden. Der Reichsbankanteil war einer der wertvollsten und sichersten Anteile, die den Sparern damals zugänglich waren. Heute gibt es immerhin noch 20 000 Anteilseigner. Sie mögen daraus ersehen, wie breit diese Anteile früher und heute gestreut worden sind. Sie haben allerdings auch das gehalten, was man in sie gesetzt hat. Sie haben nicht nur die Währungskrise des Jahres 1923 glücklich überstanden, sondern sie haben auch die große Krise der Geschäftsbanken, der Währungsbanken im Jahre 1931 glücklich überstanden, als die Anteile der Danat-Bank auf der Straße lagen. Selbst Hitler hat davor Respekt gehabt und den Umtausch der Reichsbankanteile in andere Titel auf der Kursbasis von 180 bzw. 200 % vorgenommen. Er hat damit einerseits nicht den Charakter dieser Anteile bestritten, andererseits aber auch ihren Wert anerkannt. Das will schon einiges heißen. Lediglich durch den Ausgang des zweiten Weltkrieges, durch die Entflechtung der alliierten Gesetzgeber ist ein völlige Veränderung der Situation sehr zum Nachteil der Anteilseigner eingetreten. Sie alle kennen die Vorgänge' der Dezentralisation, auf die Herr Seume auch zu sprechen gekommen ist, eine Dezentralisation, die eigentlich nichts anderes war als eine Ausplünderung der alten Reichsbank. Wir dürfen es einmal ganz klar sagen. Alles das, was von Interesse war, wurde der alten Reichsbank genommen, insbesondere auch ihre Geschäftsgrundlage, das wichtige Notenbankprivileg. Mit diesem Fundus haben die Nachfolgegesellschaften der Reichsbank, die Landeszentralbanken, die Bank deutscher Länder, ihre Geschäfte gemacht. Ein endgültiger Strich unter die Entwicklung wurde 1957 im Bundestag durch das Bundesbankgesetz gezogen. Daraus geht hervor, daß man die Reichsbankanteilseigner nicht mehr als Aktionäre der Bundesbank anerkennen wollte, da die Bundesbank ein ausschließlich öffentlich-rechtliches Institut ist. Damit überließ man die Aktionäre ihrem Schicksal. Man sagte nichts zu ihren Gunsten. Man hat sie außerordentlich schlecht behandelt. Heute nun endlich, nach Jahren, müssen wir uns mit dem Schicksal dieser Menschen befassen. Dieser kurze 'geschichtliche Überblick sollte einmal klarstellen, wie die Situation ist. Sie vollzieht sich auf folgendem Hintergrund. ({2}) In der gleichen Zeit, als die Reichsbankaktionäre vernachlässigt wurden und man ihre Rechte nicht anerkannt hat, haben sich die Geschäftsbanken zu blühenden Unternehmen entwickelt. Die Aktionäre der Geschäftsbanken, die 1945 etwa in der gleichen Situation wie die Anteilseigner der Reichsbank waren, sind wieder Aktionäre dieser lebenden Institute gewesen. Sie stehen sich heute, nach dem Kurszettel gesehen, ausgezeichnet. ({3}) In der gleichen Zeit ist die Bundesbank, die 1957 ohne Aktionäre gegründet worden ist, zu einem außerordentlich rentablen Unternehmen geworden. Ich habe mir die Gewinne der Bundesbank herausgezogen. 1957 sind 198 Millionen DM Gewinne verzeichnet, 1958 109 Millionen DM, 1959 143 Millionen DM. Herr Seume, wenn die alten Aktionäre der Reichsbank wieder an der Bundesbank beteiligt wären, würden sie eine ganz andere Abfindung bekommen als die 100 %, die wir ihnen heute gewähren wollen. Dann würden sie an einem lebendigen, rentablen Unternehmen beteiligt sein. Wie in diesem Fall ihre Anteile heute stünden, brauche ich hier im einzelnen nicht zu diskutieren; das kann sich jeder ausrechnen. ({4}) - Aber das trifft nicht die Aktionäre. Alle Aktionäre in der Bundesrepublik sind wesentlich besser behandelt warden, als Sie sie stellen würden, wenn Sie sie nach der Theorie von Herrn Seume zu Obligationären stempelten. ({5}) - Ich werde zu diesem Punkt noch sprechen, über die Behauptung, daß die Reichsbank illiquide, daß sie konkursreif werde. Das trifft nicht zu, Herr Seuffert, das wissen Sie ganz genau. Aber lassen Sie mich diesem Gedanken noch einen anderen hinzufügen! Ich darf daran erinnern, daß man früher schon den Reichsbankanteilseigner als eine Art Volksaktionär bezeichnet hat, - mit großer Berechtigung. Sie wissen auch, daß wir uns von unserer Fraktion aus bemühen, durch breite Aktienstreuung ,das Interesse eines weiten Publikums am Aktienbesitz zu fördern, ja, daß die Bundesregierung dazu übergeht, Bundesbesitz wieder zu privatisieren, um private Aktionäre bei den früher öffentlichen Gesellschaften zu schaffen. Ist Ihnen klar, meine Damen und Herren, was wir machen würden, wenn wir den Antrag der SPD annähmen? In dem gleichen Augenblick, in dem wir eine Art Volksaktie schüfen, würden wir die alten, beständigen, schon historisch bewährten Volksaktien in Grund und Boden richten. Das können wir nicht machen. Das ist politisch gesehen unmöglich. Das ist einer der wichtigsten politischen Gründe dafür, daß wir uns entschließen, die Anteilseigner der Reichsbank angemessen abzufinden. ({6}) Darf ich noch kurz zu dem rein Rechtlichen einige Bemerkungen machen. Natürlich ist die Reichsbank als Restmasse nicht mehr aktionsfähig. Sie ist kein lebendes Institut, und nach dem Bundesbankgesetz soll sie es auch nicht wieder werden. ({7}) Sie muß also abgewickelt werden. Nach welchen Überlegungen müssen wir abwikkeln, und wie kommen wir darauf, daß wir gerade 1 : 1 umstellen wollen? Das ist eine durchaus berechtigte Frage, auf die ich eine Antwort geben muß. Früher hat man gesagt, man wolle die Dezentralisation der Reichsbank - ich habe vorhin das Wort „Ausschlachtung" benutzt - nicht als eine Pönalmaßnahme ansehen. Dann aber hätte man damals bei ,der Dezentralisierung schon Rechtsvorschriften über die Umstellung, die Abwicklung und die Behandlung der Aktionäre schaffen müssen. Das hat man im großen und ganzen nicht getan. So stehen wir heute als Bundestag vor der Aufgabe, das nachzuholen, was der Währungsgesetzgeber damals versäumt hat. Es ist durchaus möglich, die Grundsätze anzuwenden, die bei der Umstellung von Geschäftsbanken gefunden worden sind und die gesetzlich verankert sind. Wir wollen das nicht in der Form machen, daß wir dieses Gesetz sklavisch anwenden, sondern wir sind hier in der Lage, neues Recht zu schaffen, neues Umstellungsrecht zu schaffen, eben für die Reichsbank und für die Reichsbankaktionäre. Dabei müssen wir uns im Prinzip an die Grundsätze halten, die der Gesetzgeber damals bei der Währungsumstellung gefunden hat. Bei der Währungsumstellung sind Obligationäre völlig anders behandelt worden als Aktionäre. ({8}) - Herr Lange, warum ist eine unterschiedliche Entwicklung bei Sparern, Altsparern und Aktienbesitzern eingetreten? Ich kann diese unterschiedliche Entwicklung nicht aus der Welt schaffen. Das ist eine Folge der Währungsgesetzgebung, das liegt vor. Der Sinn Ihres Antrages ist es, uns nicht daran zu halten. Wenn Ihr Antrag Gesetz würde, würde diese Bestimmung vom Verfassungsgericht in Karlsruhe aufgehoben werden. ({9}) - Nein, wir können der Sache nicht mit Ruhe entgegensehen. Erstens verstößt das, was hier beschlossen werden soll, gegen unsere Prinzipien, und zweitens ist das Gesetz eilig. Darüber wird im Anschluß an meine Ausführungen der Bundeswirtschaftsminister noch einiges sagen. Unter analoger Anwendung der Vorschriften über die Umstellung bei Aktiengesellschaften, insbesondere bei Kreditbanken, sind wir zu der Auffassung gekommen, daß wir auch bei der Reichsbank ein sogenanntes fiktives Kapital errechnen müssen. Auf Grund dieser Berechnungen sind wir dann zu drei Stufen gekommen: 44 %, 66 2/3 % und einen Prozentsatz für einen sogenannten Tilgungswert, der allerdings nicht in den Währungsumstellungsgesetzen enthalten ist, sondern den wir neu hinzugefügt haben. Dieser Tilgungswert ist nach meiner Auffassung durchaus berechtigt. Wenn wir nämlich vermeiden wollen, daß der Vorwurf der Enteignung erhoben wird, müssen wir die früheren Reichsbankaktionäre etwa so behandeln, als ob sie Anteilseigner der neuen Bundesbank wären. Jedenfalls müssen wir sie materiell so stellen. Rechtlich sind sie es nicht; ein Beteiligungsrecht ist ausgeschlossen. Sie sind nicht mehr Aktionäre. Dadurch, daß wir ihnen 50 % an den möglichen Reserven zugestehen und damit zu einem Tilgungswert kommen, entgehen wir nach meiner Auffassung dem Zwang der Vorschriften, die wir bei einer Enteignung beachten müssen. Wenn Sie diese drei Werte zusammenrechnen, kommen Sie zu einer Umstellung von etwa 100 % d. h. 1 : 1. Für 100 RM alte Reichsbankanteile werden 100 DM Bundesbankgenußrechte gezahlt. Das ist nach meiner Meinung eine durchaus angemessene Umstellung. Sie ist sozial und nimmt Rücksicht auf die Vorschriften der Verfassung. Ich könnte mir keinen anderen Weg denken, der zu einem besseren Ergebnis führen könnte. Der Weg, den die SPD vorschlägt, ist völlig verfehlt. Ich darf deshalb im Namen meiner Fraktion bitten, den Antrag der SPD abzulehnen.

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Herr Abgeordneter Lindenberg, Sie wollten noch ein Wort zu Ihrem Antrag sagen.

Dr. Heinrich Lindenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001345, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben auf Umdruck 642 einen Antrag zu § 3 Abs. 2 gestellt. Es handelt sich hier nur um eine redaktionelle Klarstellung. Wenn entsprechend § 1 Abs. 2 umgetauscht wird, sollen hier zu den neuen Reichsbankanteilen auch Gewinnbezugsrechte gegeben werden. Umgetauscht werden in Bundesbankgenußrechte sollen nur die effektiven Stücke der Reichsbankanteile, nicht die Gewinnbezugsrechte. Hier handelt es sich um kleine Spitzenbeträge. Es hat keinen Sinn, dafür Urkunden auszustellen. Es genügt völlig, wenn diese Gewinnbezugsrechte in bar - natürlich umgestellt 10 : 1 - ausgezahlt werden. Dieser Klarstellung dient mein Antrag auf Umdruck 642. ({0})

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Weitere Wortmeldungen zu § 3 liegen nicht vor. Wir stimmen ab. Wer dem Änderungsantrag der SPD auf Umdruck 614 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ich muß die Abstimmung wiederholen lassen. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich darf um die Gegenprobe bitten. - Enthaltungen? - Keine Einigkeit. Wir müssen auszählen; ich bitte, den Saal möglichst schnell zu verlassen. Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD haben 132 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 155; enthalten haben sich 8 Mitglieder des Hohen Hauses. Damit ist der Antrag abgelehnt. Meine Damen und Herren, ich rufe den Antrag Umdruck 642 des Abgeordneten Lindenberg auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. -Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. Wir stimmen über § 3 in der durch die Annahme des Antrags Umdruck 642 geänderten Fassung ab. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. - Damit ist § 3 in der geänderten Fassung angenommen. Zu § 4 liegt der bereits begründete Änderungsantrag auf Umdruck 614 Ziffer 2 vor. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({0}) - Der Antrag ist durch diese Entscheidung erledigt. Meine Damen und Herren, wenn Sie auf der interfraktionellen Vereinbarung bestehen, daß wir jetzt nicht mehr weiter abstimmen, muß ich allerdings unterbrechen. ({1}) Aber da wir in der Fragestunde nur vier Fragen vorliegen haben, wäre durchaus die Möglichkeit gegeben, daß wir in wenigen Minuten und dann noch pünktlich zur Mittagspause kämen. Ich schlage Ihnen vor, diese Fragen noch zu behandeln, damit wir wenigstens noch einen Punkt vor der Pause erledigt haben. ({2}) - Auch die dritte Lesung möchte ich möglichst noch fertig bekommen. ({3}) - Ich sehe, daß widersprochen wird. Dann muß ich also an dieser Stelle, nach dem § 3, die zweite Beratung des Tagesordnungspunktes unterbrechen und jetzt die Fragestunde aufrufen. Die Sitzung wird dann um 14.30 Uhr, wie interfraktionell vereinbart, fortgesetzt. Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde ({4}). Aus XIV, Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, rufe ich auf die Frage des Abgeordneten Dürr betreffend Hinweise an den Grenzübergängen auf besondere deutsche Verkehrsvorschriften: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung - z. B. durch ein Merkblatt -, um Ausländer an den Grenzübergängen auf die Besonderheiten des Straßenverkehrs in der Bundesrepublik ({5}) aufmerksam zu machen? Ich darf bitten, die Frage zu beantworten.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hinweise auf Verkehrsvorschriften und Verkehrsgewohnheiten im Gebiet der Bundesrepublik werden und wurden den ausländischen Kraftfahrern durch die deutschen und ausländischen Automobilklubs zur Verfügung gestellt. Die im Laufe der Zeit immer weiter fortschreitende Einschränkung des Triptyk-Verfahrens hat jedoch zur Folge gehabt, daß dieser Weg zur Aufklärung ausländischer Kraftfahrer nach und nach an Bedeutung verlor. Wir sind daher in Verfolg eines Beschlusses des Straßenverkehrssicherheitsausschusses vom 18. Dezember 1959 gemeinsam mit den Ländern bemüht, geeignetes Aufklärungsmaterial in deutscher, englischer, französischer, italienischer, holländischer und schwedischer Sprache zu entwickeln und neue Möglichkeiten der Verteilung über die Beamten des Paßkontroll- und Zolldienstes zu prüfen. Diese Arbeiten stehen kurz vor ihrem Abschluß. Den Ländern hat mein Haus überdies schon Anfang 1959 empfohlen, durch Schilder und in sonst geeigneter Weise an den Grenzübergangsstellen insbesondere auf die Geschwindigkeitsbeschränkung in geschlossenen Ortschaften hinzuweisen.

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dürr? ({0}) Dann rufe ich auf die Frage des Abgeordneten Leicht betreffend Ausbau der Bundesstraße 10 von Karlsruhe bis Zweibrücken: Welchen Stand hat die Planung des Ausbaues der B 10 von Karlsruhe bis Zweibrücken, insbesondere zwischen Karlsruhe und Landau, erreicht? Wann ist mit dem Beginn des Ausbaues der Ortsumgehung Kandel zu rechnen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Fragen wie folgt beantworten: Auf der ganzen Strecke der Bundesstraße 10 zwischen Karlsruhe und Zweibrücken laufen die Planungsarbeiten. Sie sind umfangreich, da sie auf größere Strecken eine völlige Verlegung der jetzigen Trasse, zahlreiche Ortsumgehungen, Beseitigung von schienengleichen Wegübergängen usw. umfassen. Soweit die Planungen auf Teilstrecken durchgeführt und abgeschlossen sind, wird der Ausbau beginnen, z. B. im Raum Zweibrücken im .Jahre 1961, zwischen Limbach und Zweibrücken schon dieses Jahr. Mit dem Bau der Umgehungsstraße Kandel soll, wenn die Planung rechtzeitig beendet wird, ebenfalls noch in diesem Jahr begonnen werden.

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Eine Zusatzfrage? - Nein! Dann rufe ich auf die Frage des Abgeordneten Walter betreffend die Bundesstraße 83: Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß die Bundesstraße 83 in ihrem Teil südlich von Kassel bis zur Einmündung in die B 27 bei Bebra zahlreiche gefährliche Ortsdurchfahrten aufweist und insbesondere das Fehlen einer Ortsumgehungsstraße um die Gemeinde Altmorschen dazu führt, daß auf schienengleichem Übergang der Rangierbetrieb der Bundesbahn gekreuzt wird?

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Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Bundesstraße 83 ist in dem Abschnitt Kassel-Bebra auf größere Längen in ihrer Linienführung und Fahrbahnbeschaffenheit verbesserungsbedürftig. Eine Reihe von Ortsdurchfahrten ist verkehrlich unzureichend. Die Bundestraße 83 ist jedoch nicht in den Ausbauplan für Bundesfernstraßen aufgenommen worden und gehört deshalb nicht zu den vordringlich auszubauenden Bundesfernstraßen des Blauen Netzes. Die Finanzierungsmöglichkeiten für größere Baumaßnahmen außerhalb des Blauen Netzes sind leider begrenzt. Außer den bereits ausgeführten bzw. begonnenen Verbesserungen kürzerer Teilstrecken der Bundesstraße 83 zwischen Rotenburg und Bebra, ferner bei Beiseförth, Röhrenfurth und dem für 1960 vorgesehenen Umbau der Ortsdurchfahrt Körle können deshalb vorerst keine größeren Bauvorhaben an der B 83 verwirklicht werden. Der Bau einer Umgehungsstraße ist für Altmorschen geplant. Da es sich hier ebenfalls um ein größeres Bauvorhaben handelt, konnte es aus den genannten Gründen nicht in den Ausbauplan aufgenommen werden. Für den überörtlichen Verkehr steht als Verbindung zur Bundesstraße 27 die Bundesautobahn Kassel-Kirchheim zur Verfügung.

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Ich rufe auf die Frage des Abgeordneten Walter betreffend Anschlußstelle Ostheim der Bundesautobahn Frankfurt-Kassel: Wie weit sind die Plane für die neuzuschaffende und bereits seit etwa zwei .Jahren in Planung befindliche Anschlußstelle Ostheim der Bundesautobahn Frankfurt-Kassel gediehen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Planung für den Neubau der Autobahnanschlußstelle Ostheim ist von der Auftragsverwaltung Hessen jetzt im wesentlichen abgeschlossen. Die Absicht, die Anschlußstelle noch während der Laufzeit des ersten Vierjahresplanes 1959/62 zu hauen, kann leider nicht verwirklicht werden. Bei dem verhältnismäßig schwachen Verkehrsaufkommen muß eine weitere Zurückstellung zugunsten vordringlicherer Bauvorhaben in Kauf genommen werden. Das erscheint vertretbar, weil die Autobahn mit nur geringem Umweg über die Anschlußstelle Melsungen zu erreichen ist.

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Nun noch die letzte Frage - des Herrn Abgeordneten Schmitt ({0}) betreffend Rechtsverordnung gemäß § 32 Nr. 1 des Luftverkehrsgesetzes: Wann ist mit dem Erlaß der in § 32 Nr. 1 des Luftverkehrsgesetzes in der Fassung vom 10. Januar 1959 vorgesehenen Rechtsverordnung über die Vermeidung übermäßiger Geräusche durch Luftfahrzeuge zu rechnen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Luftverkehrszulassungsordnung ist im Entwurf fertiggestellt; sie wird erlassen, sobald die sogenannten Zuständigkeitsgesetze, die die Verwaltungsbefugnisse des Bundes und der Länder abgrenzen, von den gesetzgebenden Körperschaften verabschiedet sind. Diese liegen zur Zeit den Bundestagsausschüssen vor, und ich nehme an, daß der Rechtsausschuß noch im Laufe dieses Monats seine Beratungen beenden kann. ({0})

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001749

Damit sind wir am Ende der Tagesordnung für die Vormittagssitzung. Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr. Wir fahren dann mit der zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank fort. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe zunächst folgendes bekannt. Die nächste Fragestunde findet am 24. und am 25. Juni statt. Sperrfrist für eingehende Fragen ist Mittwoch, der 15. Juni, 15 Uhr. Wir fahren fort in der zweiten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank. Ich rufe auf § 4, - § 5, - § 6, - § 7, -§7a,-§8,-§ 9,-§ 10,-§ 11,-§ 12,§ 13, - §§ 14 und 15 entfallen -, Einleitung und Überschrift. - Keine Änderungsanträge? - Wortmeldungen? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich stelle die aufgerufenen Paragraphen zur Abstimmung. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste ist die knappe Mehrheit. Damit ist die zweite Lesung beendet. ({0}) - Ist das verabredet? Herr Kollege Mommer, ist das eine interfraktionelle Verabredung? ({1}) - Welches Gesetz? Gesetzentwurf der Fraktion der SPD über die Anmeldung von Anteilscheinen der Deutschen Reichsbank? ({2}) - Drucksache 823, gut. Dazu liegt ein Bericht des Wirtschaftsausschusses vor. Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Herr Berichtertatter Dr. Lindenberg wünscht nicht das Wort. Ich rufe in der zweiten Lesung auf § 1, - § 2, - § 3, - Einleitung und Überschrift. - Herr Abgeordneter Seuffert!

Walter Seuffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf, den der Ausschuß abzulehnen empfiehlt, will trotz aller gegenteiligen Behauptungen gar nichts anderes als das, was er besagt, nämlich einfach feststellen, wer heute Reichsbankanteile besitzt und wann er sie erworben hat. Diese Fragestellung erschien uns notwendig angesichts der Tatsache, daß, wie sowohl aus der Regierungsbegründung wie auch aus dem Ausschußbericht und den heutigen Ausführungen des Kollegen Lindenberg hervorgeht, die vorgeschlagene Lösung für die Reichsbankanteile nirgends auf einer zwingenden Rechtsgrundlage beruht, sondern nur als angemessene und billige Lösung vorgeschlagen wird. Wir glauben deswegen, daß man wissen muß, wem denn eigentlich diese „großzügige Lösung", wie der Herr Kollege Lindenberg heute morgen gesagt hat, als angeblichem Aktionär der alten Reichsbank zugute kommt. Ich sage: als angeblichem Aktionär, meinetwegen: als unterstelltem Aktionär. Aber Aktionär heißt doch wohl, daß man mit seinen Ansprüchen hinter den Gläubigern rangiert, daß man an letzter Stelle kommt. Wir halten es für wichtig zu fragen, wer als angeblicher Aktionär - ich lasse offen, was er in Wirklichkeit gewesen ist - der alten Reichsbank in Konkurrenz mit deren Gläubigern so viel Anspruch auf eine großzügige und billige Lösung erheben kann, daß er vor diesen Gläubigern rangieren soll. Diese Gläubiger sind sämtliche Währungsgeschädigten, ist die Bundesrepublik allein mit 7,3 Milliarden, die sie zur teilweisen Umstellung des Geldes aufgewandt hat. Sämtliche Währungsgeschädigten, alle Kriegsgeschädigten, alle Vertriebenen sind Gläubiger der alten Reichsbank. Gegenüber all diesen Gläubigern, gegenüber allen, die bei anderen Reichspapieren so viel weniger bekommen, wird hier der Anspruch erhoben, daß jemand, der heute Reichsbankanteile besitzt - und nur er allein - trotz dieses Rechtsstandes mit einem 6%igen Papier im Verhältnis 1 zu 1 abgefunden wird. Da muß man doch wohl fragen, wer das ist, und da muß man doch wohl auch wissen, ob all die Umstände vorliegen, um die herum der Herr Kollege Lindenberg heute auch wieder Erwägungen angestellt hat, daß das nämlich Leute seien, die zu goldenen Friedenszeiten oder wann sonst auf den großartigen Wert der Anteile vertraut und ihr Geld darin angelegt hätten, also diese alten Sparer usw. Wir haben gute Gründe, zu vermuten, daß keiner von denen, die heute Reichsbankanteile besitzen, sie vor dem Krieg besessen hat. Wer früher Reichsbankanteile besaß und auf sie angewiesen war, hat sie inzwischen längst verkauft. Es gibt seit Jahren Telefon- und Freiverkehrskurse und Verkaufsmöglichkeit für diese Papiere zu gar nicht schlechten Kursen. Also, ich denke, da sollte man denn doch einmal fragen, wer das ist. Man sollte das wissen, wenn man schon solche Erwägungen über Angemessenheit, über Billigkeit und über das Verhältnis zu den Gläubigern der Reichsbank, d. h. über das Verhältnis zu den anderen Sparern, zu den Währungsgeschädigten, zu allen Kriegsgeschädigten, anstellt. Man soll uns nicht unterstellen, daß wir mit diesem Gesetzentwurf eine Unterscheidung zwischen Alt- und Neubesitz machen wollten! Auf die Frage, ob ein solcher Unterschied zulässig wäre oder nicht - Sie finden in dem Schriftlichen Bericht zu Drucksache 1311, zu Drucksache 1312 beiläufig eine Begründung für die Ablehnung der Regelung in unserem Gesetzentwurf hinsichtlich dieser Frage -, brauche ich nicht einzugehen; sie ist zwar klar zu verneinen, aber erst nachdem die Frage nicht gelöst worden ist, haben wir Ihnen zum Reichsbankliquidationsgesetzentwurf einen Antrag vorgelegt, der in der Tat einen solchen Unterschied macht. Aber mit unserem Gesetzentwurf wollten wir einmal feststellen, inwieweit Veranlassung sein könnte, einen solchen Unterschied zu machen, und welche Konsequenz sich daraus ergeben könnte. Meine Damen und Herren, die Frage, die hier gestellt wird, gewinnt noch eine ganz andere und gar nicht unwichtige Bedeutung, wenn man die Ge6556 schichte liest, die man letzte Woche in der „Zeit" lesen konnte. Da wurde nämlich geschrieben, als im letzten Herbst Bundesanleihen zur Auflegung angestanden hätten, habe man der Bundesregierung „diskret bedeutet", wenn das Reichsbankliquidationsgesetz nicht wunschgemäß verabschiedet werde, würden diese Bundesanleihen schlecht gehen, ({0}) und nachdem im letzten November das Reichsbankliquidationsgesetz infolge des sehr begreiflichen Widerstandes einiger einsichtiger Damen und Herren bei der CDU/CSU nicht verabschiedet worden sei, seien eben die Bundesanleihen schlecht gegangen. ({1}) Weiter steht dort zu lesen, daß man wieder zu verstehen gegeben habe, wenn dieses Gesetz nun nicht endlich wunschgemäß verabschiedet werde, würden auch weitere Bundesanleihen schlecht gehen, und man werde sehr massiv werden. ({2}) So zu lesen in der „Zeit" in der vorigen Woche. Die Verantwortung für diese Darstellung muß ich natürlich dem Herrn überlassen, der das in der „Zeit" geschrieben hat. Ich halte aber die „Zeit" für ein Organ, das seriös genug ist, die Vermutung gerechtfertigt erscheinen zu lassen, daß seine namentlichen Mitarbeiter sich solche Dinge nicht gerade aus den Fingern saugen und einigen Anlaß haben, solche Zusammenhänge anzunehmen. ({3}) - Das ist eine sehr allgemeine Behauptung, ,daß in der „Zeit" Unsinn geschrieben wird. Aber das, was ich angeführt habe, Herr Kollege Schneider, ist eine sehr präzise Darstellung, der bisher auch noch niemand entgegengetreten ist. Ich meine, das Haus sollte sich vor der Abstimmung über dieses entscheidende Gesetz über diese Angelegenheit informieren. Es wäre doch ungeheuerlich, wenn mit solchen Drohungen gearbeitet werden könnte, ({4}) wenn überhaupt nur mit einigem Grunde behauptet werden könnte, daß man mit dem Parlament so umspringen und seine Abstimmungen so beeinflussen könne, wie es hier von einer Seite behauptet worden ist, ({5}) die damit ganz offensichtlich die Verabschiedung des Reichsbankliquidationsgesetzes zu fördern beabsichtigt. ({6}) - Nein, das gehört zu der Frage, ob man feststellen soll, wer heute eigentlich die Inhaber der Reichsbankanteile sind und woher sie ihren Besitz haben. Denn, Herr Kollege Krammig, die alten Sparer, die vor dem Kriege older wann immer ihr Geld in Reichsbankanteilen angelegt haben - der berühmte breitgestreute Sparerbesitz, von dem man immer so gern spricht -, sind bestimmt nicht in der Lage, irgendeinen Einfluß auf die Bundesanleihen auszuüben ({7}) oder diskrete Drohungen oder Andeutungen dieser Art auszusprechen. Deswegen ist die Frage so wichtig. Das Haus muß wissen, daß, wenn solche Dinge geschrieben werden, dadurch diejenigen, die offenbar nach wie vor entschlossen sind, für diese großzügige, „angemessene" Lösung zu stimmen, ohne den nötigen Aufschluß über die Voraussetzungen der Angemessenheit und der Großzügigkeit zu verlangen, leider in den Verdacht kommen müssen, daß sie bei ihren Entschlüssen ,derartigen Einflüssen, wie sie hier angedeutet werden, nachgeben. ({8}) Deswegen ist es außerordentlich wichtig, diese Feststellung, die mit unserem Gesetzentwurf verlangt wird, zu treffen. Wir beharren auf unserem Gesetzentwurf. ({9})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Dr. Lindenberg.

Dr. Heinrich Lindenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001345, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren, ich kann mich sehr kurz fassen. Ich wiederhole den Antrag des Ausschusses, den Antrag der SPD Drucksache 823 abzulehnen. Dieser Antrag ist gegenstandslos geworden, nachdem vor der Mittagspause der Antrag der SPD Umdruck 614 zur Ergänzung des § 3 Abs. 1 abgelehnt worden ist. Dort hatte der Antrag 823 noch einen bestimmten Sinn und Zweck. Es heißt in dem Vorschlag der SPD zu § 3 Abs. 1: Die Anteilseigner der Deutschen Reichsbank erhalten als Abfindung auf je hundert Reichsmark Reichsbankanteile entweder 1. zwanzig Deutsche Mark, soweit sie über den 8. Mai 1945 hinaus ununterbrochen im Besitz ihrer Reichsbankanteile geblieben sind, oder 2. zehn Deutsche Mark, soweit sie ihre Reichsbankanteile erst nach dem 8. Mai 1945 erworben haben. Es ist also nach der Vorstellung der SPD eine Einteilung in Alt- und Neubesitz notwendig, wenn man diesen Besitz verschieden honorieren will: mit 20 % - in Anlehnung an die Altsparerregelung -, wenn es Altbesitz ist, und mit 10 %, wenn es kein Altbesitz ist. Beide Anträge sind aber gegenstandslos, nachdem sich das Hohe Haus einmal dazu entschlossen hat, die Anteilseigner als Aktionäre anzusehen; denn bei Sachbesitz gibt es keine Unterteilung in Alt- und Neubesitz. Der Sachbesitz muß einheitlich beDr. Lindenberg wertet werden. Wir haben die Bewertung durchgeführt. Die Lösung ist angemessen, Herr Seuffert. Ob sie vom Aktionär aus gesehen großzügig ist, weiß ich noch nicht. Auch ich habe Zuschriften bekommen, ({0}) - ja, lassen Sie mich erst aussprechen -, die mir sagen, daß eine Entschädigung oder Abfindung auf der Basis 1 : 1 zu mager ist. Die Betreffenden haben sich ganz entschieden dagegen gewehrt. Nicht ohne Anlaß habe ich vorhin vorgetragen, daß diese Aktionäre, wenn nicht das Bundesbankgesetz von 1957 die früheren Reichsbankaktionäre ausgeschlossen hätte, im Vergleich zu den Aktionären der Geschäftsbanken heute im Besitz von Titeln wären, die weit über 100 % zu bewerten und zu bezahlen wären. Ich bitte, die Entwicklung doch einmal unter dem Gesichtspunkt einer echten Enteignung zu betrachten. Ich glaube, wir sollten darüber nicht ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen und „behaupten", diese Lösung sei sehr befriedigend. Sie ist es nicht. Aber unter 100 % zu gehen, kann man, glaube ich, nicht verantworten. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 823. Wer dem § 1, § 2, § 3, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! -Das ist die Mehrheit; der Initiativantrag der Fraktion der SPD Umdruck 823 ist abgelehnt. Wir kehren zurück zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank, Drucksache 1311. Wird in der allgemeinen Aussprache der dritten Lesung das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Änderungsanträge liegen nicht vor. - Herr Abgeordneter Seume wünscht das Wort zur Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung!

Dr. Franz Seume (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002166, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion gebe ich folgende Erklärung ab. Der vorliegende Gesetzentwurf über „die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank" hat keine auf normalrechtlicher Basis stattfindende Vermögensauseinandersetzung mit der „Institution" der ehemaligen Deutschen Reichsbank zum Ziel, sondern eine gewillkürte 100%ige Abfindung der ehemaligen Reichsbank-Anteilseigner. Die Bundesregierung arbeitet zu diesem Zweck mit Annahmen, die den Tatsachen widersprechen; und sie arbeitet mit rechtlichen Vorstellungen, für die keine Voraussetzungen gegeben sind. Die Bundesregierung macht zu diesem Zweck aus der toten, funktionsunfähigen und funktionslosen Reichsbank ein lebendes Institut. Sie läßt die tote und funktionslose Institution „Reichsbank", die 7,8 Milliarden DM Schulden hat, noch 9 1/2 Jahre lang buchmäßige Gewinne zu 5 % aufstocken. Sie behandelt die tote und funktionslose ehemalige Reichsbank nicht entsprechend den gegebenen Vorschriften als abwickelndes Geldinstitut, sondern sie berechnet einseitig zugunsten der Anteilseigner ein gewillkürtes Eigenkapital. Die Bundesregierung verwendet rechtliche Anschauungen und rechtliche Vorstellungen, wie sie im Rahmen der Entflechtungsmaßnahmen lebender und ihre volkswirtschaftliche Funktion erfüllender Betriebe der Eisen-und Stahlindustrie entwickelt wurden, einseitig und willkürlich zugunsten einer hundertprozentigen Abfindung der Anteilseigner der überschuldeten, toten und funktionslosen Reichsbank. Die Bundesregierung mißt den Anteilseignern die Stellung von stimmrechtslosen Vorzugsaktionären bei, in voller Kenntnis der Tatsache, daß dem die Garantie fester Verzinsung der Reichsbankanteile widerspricht und daß ein Unternehmen niemals ausschließlich nur Vorzugsaktionäre haben kann. Die Bundesregierung vergleicht die hundertprozentige Abfindung der Anteilseigner der toten Reichsbank mit Vorgängen an einigen lebenden und ihre Funktion ausübenden ausländischen Währungsbanken, in voller Kenntnis der Tatsache, daß auch nicht eines der Merkmale dieses willkürlichen Vergleiches zutreffend ist. Die hier vorgetragenen Ausführungen des Herrn Berichterstatters waren in keinem Punkt überzeugend. Diese Ausführungen haben bestenfalls bewiesen, auf welch schwachen Füßen dieser Gesetzentwurf steht. ({0}) Meine Fraktion war und ist bereit, die Anteilseigner wie die Inhaber von festverzinslichen Wertpapieren nach den Vorschriften des Kriegsfolgenschlußgesetzes zu behandeln und hierbei diejenigen Anteilseigner, die über den 8. Mai 1945 hinaus ununterbrochen im Besitz ihrer Anteile geblieben sind, vorzugsweise als Altsparer zu behandeln, bei angemessener Verzinsung der Entschädigungsbeträge. Es muß noch einmal gesagt werden: Meine Fraktion hält es für untragbar, den Anteilseignern der ehemaligen Reichsbank für ihre Papiere ohne Rechtsgrund und ohne zwingende politische Notwendigkeit unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ein Vielfaches von dem zuzubilligen, was Wertpapier- und Kontensparern zugestanden werden konnte. Wir lehnen aus diesen Gründen den Gesetzentwurf ab. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Erklärungen? Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Entwurf eines Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank, Drucksache 1311, in dritter Lesung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Ich muß die Abstimmung wiederholen. - Ich verstehe nicht, warum das Haus so schlecht besetzt Präsident D. Dr. Gerstenmaier ist. - Wer für den Gesetzentwurf stimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! ({0}) - Ich halte das auch für die Mehrheit. - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung abgelehnt. ({1}) Ich komme zu Punkt 5 der Tagesordnung und rufe auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze der arbeitenden Jugend ({2}) ({3}); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({4}) ({5}) ({6}). Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Herr Abgeordneter Jahn ({7}).

Artur Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich in Ergänzung des Ihnen unter Drucksache 1816 vorliegenden Schriftlichen Berichts über einige notwendige formale Änderungen berichten. In der Überschrift ist etwas nachzutragen. Nach den Worten „ ({0}) " muß es weiter heißen „über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutze der arbeitenden Jugend ({1}) - Drucksache 31 ({2}) -" und dann weiter wie im vorliegenden Bericht. Auf Seite 1 ,der Drucksache 1816 in der rechten Spalte im dritten Absatz muß der Satz 1 wie folgt lauten: Die Ausschüsse haben ihren Beratungen die Synopse, welche den Regierungsentwurf, den SPP-Entwurf, die Änderungsvorschläge des Bundesrates und die Stellungnahme der Bundesregierung zu den verschiedenen Vorschlägen des Bundesrates nebeneinander enthält, zugrunde gelegt. Am Schluß des Schriftlichen Berichtes in dem Abschnitt B - Antrag des Ausschusses - muß in Ziffer 2 Zeile 5 das Wort „abzulehnen" durch die Warte „für erledigt zu erklären" ersetzt werden. Zu § 1 Abs. 1 hat der Ausschuß für Arbeit einen Beschluß gefaßt, um den Begriff Beschäftigung eindeutiger zu machen. Er hat folgende Fassung beschlossen: Der Begriff der Beschäftigung erfaßt auch Dienstleistungen, ,die von Erwachsenen aus eigenem Arbeitsverhältnis oder eigener Erwerbstätigkeit an Kinder übertragen werden. Zu § 3 Abs. 2 stellte der Ausschuß ausdrücklich fest, daß unter Schichtzeit die im jeweils zuständigen Tarifvertrag vereinbarte Schichtzeit zu verstehen ist und daß als Arbeits- bzw. Schichtzeit auch diejenige Zeit zu verstehen ist, in welcher der Jugendliche zwar außerhalb des Betriebes, aber für den Betrieb beschäftigt ist. Zu § 7 Abs. 1 hat der Ausschuß in längeren Ausführungen zum Verbot der Teilnahme von Kindern bei Werbeveranstaltungen Stellung genommen. Er wünscht ausdrücklich festzustellen, daß es nicht verboten ist, daß bei gelegentlichen Modevorführungen - nicht Modeschauen - ein Kind gelegentlich, also nicht regelmäßig, mit seiner Mutter über den Laufsteg geführt wird. Dagegen ist die Verwendung von Kindern bei einer Moden schau ausdrücklich verboten. Bezüglich der weiteren Ausnahmen wird auf die Möglichkeiten nach § 60 des Gesetzes ausdrücklich verwiesen. In längerer Beratung über den § 7 a wurde zu dem Vorschlag des Ausschusses für Familien- und Jugendfragen u. a. vorgetragen, die Arbeitsweise im bäuerlichen Betrieb sei so fortschrittlich und so weit entwickelt, daß auf die Kinderarbeit verzichtet werden könne. Außerdem könne im Hinblick auf die Technisierung heute schon von einer Überbesetzung mit Arbeitskräften gesprochen werden, die sich in der ständigen Abwanderung von Arbeitskräften ausdrücke, weil infolge dieser Entwicklung in der Landwirtschaft nicht mehr genügend verdient werden könne. Weiter wurde vorgetragen, die Untersuchungen des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Gesundheitszustand hätten Ergebnisse gezeitigt, die den Schluß zuließen, daß die festgestellten Schäden an der Gesundheit der Jugendlichen und Kinder auf eine Überbeanspruchung bei der landwirtschaftlichen Arbeit zurückzuführen seien. Dazu komme noch, daß das geistige Niveau der Landjugend - eine Folge des Zeitmangels bei der Erledigung der Schulaufgaben - beanstandet werden müsse. ({3}) - Nun, Herr Kollege, ich referiere nur und berichte, was der Ausschuß beschlossen hat. Eine ausgedehnte Aussprache entstand bei § 8 - Arbeitszeit -; sie erfaßte alle Gesichtspunkte, die in diesem Zusammenhang in Betracht kommen konnten. Unter den Gründen, die für eine weitgehende Herabsetzung der Arbeitszeit vorgetragen wurden, sind besonders folgende zu nennen. Die allgemeine Tendenz gehe in Richtung auf eine Kürzung der Arbeitszeit. Auch die Tatsache, daß der Jugendliche in seiner körperlichen Reife oftmals schneller fortschreite als in der geistig-seelischen Reife, wodurch starke Spannungen entstünden, weise auf die Notwendigkeit einer Kürzung der Arbeitszeit und einer Entlastung des Jugendlichen. -Im allgemeinen können die Jugendlichen nur wesentlich geringer belastet werden. Auch die Beanspruchungen infolge der Technisierung der Arbeitsvorgänge sind größer geworden, weil sich auch das Arbeitstempo erheblich gesteigert hat. In diesem Zusammenhang wurde im Ausschuß auf ärztliche Untersuchungen hingewiesen, welche teilweise Mängel im Gesundheitszustand der Jugendlichen nachweisen, die auf eine Überbeanspruchung schließen lassen. Jahn ({4}) Im Ausschuß für Arbeit bestand Übereinstimmung darüber, daß die Arbeitszeit verkürzt werden muß. Unterschiedliche Auffassungen bestanden nur über das Ausmaß der Kürzung. Es wurde vorgetragen, daß die Erreichung des Berufszieles nicht in Frage gestellt werden dürfe. Es sei zu berücksichtigen, daß nach Abzug eines ganzen Schultages - in manchen Berufen mehr - und unter Umrechnung des Jahresurlaubs von 24 Tagen auf die Wochen, der Jugendliche nur noch rund 30 Stunden im Betrieb arbeite. Der für die Berufsausbildung zur Verfügung stehende Zeitraum bis zum Wehrdienst werde durch das angestrebte 9. und 10. Schuljahr ohnehin zusammengedrängt. Wenn auch die Fragen der Berufsausbildung in einem anderen gesetzlichen Zusammenhang zu regeln seien, so werde die Berufsausbildung doch durch die Arbeitszeitreduzierung im Jugendarbeitsschutzgesetz präjudiziert. Auch sei zu fragen, ob nicht die durch die Arbeitszeitverkürzung erhoffte Entlastung des Jugendlichen durch die notwendig werdende größere Intensität der Ausbildung wieder aufgehoben werde. Man müsse bedenken, daß in der kürzeren Arbeitszeit dasselbe Arbeitspensum bewältigt werden müsse wie in der längeren Zeit. Ferner sei es falsch, alles auf die Länge der Arbeitszeit abzustellen. Es gebe keine exakten wissenschaftlichen Unterlagen über den Zusammenhang zwischen der Länge der Arbeitszeit und der Gesundheit des Jugendlichen. Außerdem sei das Freizeitverhalten des Jugendlichen für seine gesundheitliche Entwicklung ebenso maßgebend wie die Arbeit im Beruf. Die von verschiedenen Seiten erstellten ärztlichen Gutachten wiesen so große Unterschiede auf, daß sie nur bedingt brauchbar seien. Das liege nicht so sehr an den Verfassern dieser Gutachten als vielmehr an der Schwierigkeit der Materie. Zu § 21 ist noch folgendes nachzutragen. Gegen die Regierungsvorlage wurde eingewandt, die Arbeitszeit für Jugendliche ber Beschäftigung im Familienhaushalt von 8 1/2 Stunden täglich oder 48 Stunden wöchentlich sei in Anbetracht der oft vorkommenden großen Ausnutzung der Jugendlichen zu lang; es müsse bei 40 Wochenstunden bleiben. Hinzu komme, daß hier die Ruhepausen vielfach nicht eingehalten würden und auch Sonntagsarbeit verlangt werde. Die Gefahr des Mißbrauchs sei bei einem großen Arbeitsanfall besonders groß. Demgegenüber wurde betont, daß die Hausgehilfinnen - im Gegensatz zu den in einem Fabrikoder Bürobetrieb Beschäftigten - keinen Anmarschweg zurückzulegen haben, weil sie im Haushalt wohnen und die Arbeit infolge ihrer Vielseitigkeit die Ermüdung, die bei der monotonen Arbeitsweise im Fabrikbetrieb entstehe, gar nicht aufkommen lasse. Außerdem werde die Freizeit nicht zur Erledigung eigener Arbeiten wie Waschen und Reinigen gebraucht, da diese Arbeiten in der Familie für die Hausgehilfin mit besorgt würden. Die Mehrheit des Ausschusses entschied sich für den Regierungsentwurf und war der Meinung, es sei unbedenklich und wegen der besonderen Verhältnisse im Familienhaushalt auch angemessen, bei 8 1/2 Stunden täglich und 48 Stunden wöchentlich zu bleiben. Es wurde ein dem entsprechender Beschluß gefaßt. Bei den Beratungen über § 24, in dem es um die Sonntagsarbeit der Hausgehilfin geht, wurden folgende Gedanken vorgetragen. Würde die Arbeit der Hausgehilfin sonntags um 14 Uhr beendet, hätte das zur Folge, daß die Hausfrau, die ebenfalls einen Anspruch auf Entlastung am Sonntag hat, an diesem Tag mehr belastet würde als am Werktag; dazu käme, daß sie die Hausgehilfin mit bedienen müßte. Dagegen wurde eingewendet, in diesem Gesetz würden Schutzbestimmungen für Jugendliche geschaffen. Der jugendlichen Hausgehilfin müsse die Sonntagsruhe ab 14 Uhr erhalten bleiben, sie müsse auch am Sonntag über ihre Freizeit verfügen können. Zur Frage der Regelung der Akkordarbeit durch Jugendliche, wie sie in § 34 niedergelegt ist, ist dem Schriftlichen Bericht noch folgendes nachzutragen. Über das Verbot der Akkordarbeit bestehen keine Meinungsverschiedenheiten, weil es sich hier um einen feststehenden Begriff handelt. Dagegen ist der Begriff der Fließarbeit nicht ohne weiteres klar gewesen. Es gibt Fließbänder, welche mehr dem Transportband entsprechen. Ein Transportband kann angehalten werden, wie etwa in der Textilindustrie. Solche Bänder schreiben das Arbeitstempo nicht vor. Damit fällt die Beschäftigung an einem solchen Band nicht unter das Verbot. Ebenso ist es keine Fließarbeit, wenn ein Jugendlicher etwa in der Glasbläserei in einer Gruppe arbeitet, wo das Glas von Hand zu Hand weitergereicht wird, weil hier der Mensch das Arbeitstempo bestimmt und nicht eine mechanische Einrichtung. Anders ist das Leseband im Bergbau zu beurteilen, weil es sich um schwere Arbeit handelt. nie besondere Regelung für das Lesehand im Bergbau wurde durch eine Rechtsverordnung festgelegt. Tm Zusammenhang mit dem Berghau wurde auch an die Richtlinien des Oberbergamtes Dortmund vorn 77. Mai 1957 über die bergmännische Berufsausbildung erinnert. die sich auch in einer bergpolizeilichen. Verordnung befinden und über den Hauerberuf folgendes festlegen. Der Ausschuß legt Wert darauf, daß das hier genannt wird. Der Wortlaut ist folgender: Die Art der Beschäftigung hat sich nach der körperlichen Entwicklung des Knappen 711 richten. Vor Vollendung des 19. Lebensiahres sollen Knappen mit Gedingearbeiten nicht Renen ihren Willen beschäftigt werden. Bei denjenigen Knappen, die Gedingearbeiten aufnehmen wollen, muß die Tauglichkeit durch eine ärztliche Untersuchung festgestellt werden. Im Ausschuß ist von verschiedenen Seiten der Wunsch laut geworden, diese Regelung auf das gesamte Bundesgebiet auszudehnen. Das sind die Nachträge, die ich dem Schriftlichen Bericht noch anzufügen habe. Im übrigen verweise ich auf den Schriftlichen Bericht.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich danke dem Herrn Berichterstatter, mache aber darauf aufmerksam, Herr Berichterstatter, daß Ihr Antrag zu b) keine Verbesserung ist. Es heißt dort: den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf ... für erledigt zu erklären." Das geht in diesem Hause grundsätzlich nicht. Ich mache auch die anderen Herren Berichterstatter und Ausschußvorsitzenden erneut darauf aufmerksam. Gesetzentwürfe, ganz gleich, von wem sie eingebracht werden, müssen in der zweiten Lesung mit jeder Einzelbestimmung aufgerufen und es muß darüber abgestimmt werden. Erst wenn alle Einzelbestimmungen abgelehnt sind, ist damit auch der ganze Entwurf abgelehnt. Es gibt keine Möglichkeit, das zu tun, was die Ausschüsse immer wieder vorschlagen, nämlich einen Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Das ist ausgeschlossen. Insofern war die ursprüngliche Fassung, die Sie im Text haben, die richtigere. Nun hat das Wort der Herr Abgeordnete Odenthal.

Willy Odenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001633, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich will nicht zu dem gesamten Bericht des Herrn Kollegen Jahn sprechen, sondern nur zu der Frage der Form und der Gestaltung der Berichte.Ich bin Ihrer Meinung, daß es beim Aufbau eines Berichts einen guten, arten Brauch gegeben hat, der nun seit eineinhalb Jahren nicht mehr besteht. Wenn das so weiterseht, wird das Parlament, werden alle Frakti. nen nählich den Wunsch haben, einen Stil wiwiederzufinden, der allen Fraktionen gerecht würde Dabei kann ich zunächst auf diesen Einzelfall hinweisen. Der Ausschuß. Arbeit hat in seiner Sitzung vom 16. Oktober 1958 festgestellt, daß er nicht nur den Regierungsentwurf, der ein halbes Jahr nach dem Entwurf meiner Freunde au: dem Jahre 1956 - sage und schreibe 1956 - eingereiht wurde, sondern auch den Entwurf der SPD als gleichberechtigte Grundlage nimmt, und zwar chronologisch als ersten Entwurf den der SPD, als zweiten den Regierungsentwurf und zusätzlich als Grundlage der Beratung die Bemerkungen des Bundesrates im ersten Durchgang und die Stellungnahme der Regierung zu der Auffassung des Bundesrates. Das ist ausdrücklich niedergelegt worden, ist jedoch im Ausschußbericht mit keinem einzigen Wort erwähnt. Das muß zunächst einmal klargestellt werden. Ich glaube, alle Fraktionen sind sich darüber einig, daß im Text eines Berichts nicht nur die Auffassung der Mehrheit, sondern auch die Auffassung der Minderheit klar und deutlich wiedergegeben werden muß. Wir alle sind uns darüber einig, daß auch die Form der Überschrift gewahrt werden sollte: in ihr müssen in der chronolgischen Reihenfolge, wie es der Zeitfolge entspricht, die Gesetzentwürfe der einzelnen Fraktionen und auch der Regierung aufgeführt werden. Drittens. Der Herr Präsident hat eben schon seine Bedenken ausgesprochen, und ich bin nach wie vor der Auffassung, daß wir an dem Brauch festhalten sollten, der bis vor ungefähr anderthalb Jahren geübt wurde. Wenn ein Entwurf einer anderen Fraktion vorlag, wurde dieser Entwurf für erledigt erklärt. Das sollte auch weiter gelten. Ich bin nicht der Meinung, daß man sagen kann, der SPD- oder FDP- oder CDU-Entwurf werde als erledigt abgelehnt. Bis vor kurzer Zeit war es immer so, daß ein solcher Entwurf für erledigt erklärt wurde. Erst durch irgendwelche Umstände, die ich nicht kenne, hat sich in diesem Parlament, das durch eine Partei, eine Gruppe mit einem Trabanten beherrscht wird, die Gewohnheit herausgebildet - vielleicht kommt es auch von der Bürokratie her -, so zu sprechen, als hätten die anderen Fraktionen überhaupt keine Gesetze eingebracht. Das ist keine gute Sache. Das ist nicht nur einmal passiert. Ich bin dem Kollegen Jahn sehr dankbar, daß er auf unsere Anregung hin diese Berichtigung und Ergänzung gebracht hat. Ich wünsche aber, daß auch in Zukunft so wie früher verfahren wird, daß nämlich in der Überschrift die Gesetze in der Zeitfolge der Anträge aufgeführt werden, und ich bemängele, daß bei der heutigen Vorlage unser Antrag zum Schutz der arbeitenden Jugend, der als erster vorgelegt worden ist, gar nicht erscheint. Das ist ein Mangel, der es rechtfertigen würde, das Gesetz heute mit dem Ziel einer neuen Vorlage an den Ausschuß zurückzuverweisen. Wir tun das nicht, um der Verabschiedung nicht im Wege zu stehen. Wir wünschen aber - das ist die Auffassung meiner Freunde, und ich vermute, daß es die Auffassung vieler Kollegen des Hauses ist -, daß erstens alle Gesetzentwürfe, die nicht Regierungsentwürfe sind, nach der Zeitfolge der Einbringung in der Überschrift des Berichts genannt werden, daß zweitens im Text des Berichts klar herausgestellt wird, was die Meinung der Minderheit und was die Meinung der Mehrheit ist, und daß drittens in dem Beschlußvorschlag des Berichts klar gesagt wird, was erledigt ist und was abgelehnt werden soll. Ich glaube, Gesetzentwürfe, die vorne genannt werden, müssen zunächst einmal bei der Schlußberatung hier vorliegen, und zum anderen dürfen sie nicht als abgelehnt, sondern nur als erledigt erklärt werden. Das ist ein Wunsch und eine Bitte, in Zukunft so zu verfahren. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter, ich muß Sie korrigieren. Was Ihren Punkt 3 anlangt, habe ich gesagt, daß der Präsident dieses Hauses niemals fehlerhaften Empfehlungen von Ausschüssen gefolgt ist, sondern der Präsident hat entgegen den Ausschußempfehlungen solche Gesetzentwürfe jederzeit und mit jeder Einzelbestimmung zur Abstimmung gestellt. Insoweit erübrigt sich also Ihre Kritik. Ich komme zur zweiten Beratung. Ich rufe § 1 auf. Hierzu ist unter Ziffer 1 a des Umdrucks 631 ein Änderungsantrag gestellt. - Wenn ich recht verstehe, wird das verschieden begründet. - Zur Begründung der Ziffer 1 a des Änderungsantrags Umdruck 631 hat der Herr Abgeordnete Odenthal das Wort.

Willy Odenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001633, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollten nach der ersten Lesung heute keine grundsätzliche Aussprache durchführen, und ich bin auch der Meinung, daß uns nach der Verhandlung des heutigen Vormittags nicht die Zeit zu einer großen allgemeinen Aussprache bleibt, wenn wir die Arbeit an dem Gesetz fördern und dafür sorgen wollen, das Gesetz baldigst in Kraft treten zu lassen. Darauf warten Millionen von Jugendlichen, und darauf warten auch Arbeitgeber und Eltern. Aber wenn der Herr Präsident zustimmt, möchte ich doch vor der Begründung des ersten Antrages meiner Fraktion einige Worte sagen, die vielleicht versöhnlich stimmen, weil ich immer noch die Hoffnung habe, daß das Gesetz mit einer großen Mehrheit in seinen Grundzügen und seinen wesentlichen Bestimmungen gestaltet werden wird. Unser Grundgedanke bei der Vorlage des Gesetzentwurfs im Jahre 1956 war der gesundheitliche Schutz der arbeitenden Jugend und der Kinder. Dazu gehörte eine vertretbare Regelung der Arbeitszeit. Es gehörte dazu das Verbot der Kinderarbeit auf allen Gebieten sowie das Verbot von Arbeiten, die durch gesteigertes Tempo - nicht allein durch Akkordarbeit - die Gesundheit der Jugendlichen zu gefährden imstande sind. Es gehörte weiter dazu ein ausreichender Urlaub für die Jugendlichen, der eine wirkliche Erholung ermöglicht. ({0}) - Ich habe den Herrn Präsidenten um Zustimmung dazu gebeten, und ich glaube, Sie werden nicht widersprechen, wenn ich einige Sätze sage, die vielleicht zu einer Klärung beitragen können. Ich habe nichts dagegen, daß Sie dann darauf erwidern. In bezug auf den Jugendarbeitsschutz ist vor Jahren manchmal die Meinung vertreten worden, daß die Jugend an diesen Dingen gar nicht sonderlich interessiert sei. Wer aber in den letzten Monaten in Versammlungen und Gesprächen, in Presse und Rundfunk und in Tausenden von Zuschriften die Entwicklung beobachtet hat, merkt sehr deutlich, daß die Jugend heute nicht nur materiell interessiert ist, daß sie im Gegenteil auf materielle Vorteile zu verzichten bereit ist, wenn es sich darum handelt, daß ihr Gesundheitsschutz gesichert ist, daß sie vor Frühinvalidität bewahrt wird und daß ihr alle Möglichkeiten geboten werden, ihre Lebenserwartung zu erhöhen. Es geht ja nicht nur um die Erwartung eines hohen Lebensalters; es geht auch darum, daß man noch im höheren Lebensalter arbeitsfähig ist. Das hat die Jugend sehr wohl erkannt, und sie ist selber bereit, auf materielle Vorteile zu verzichten, wenn ihr die Möglichkeit geboten wird, auf diesem Wege in die heutige Gesellschaftsordnung in einer Stufe eingeschaltet zu werden, die ihrem Gewissen und ihrem Verlangen nach Würde und Freiheit des Menschen entspricht. Wir haben geglaubt, die Demokratie habe zu wenig Embleme, sie habe keine Embleme, für die sich die Jugend begeistern könnte. Die Jugend hat uns in den letzten Monaten bewiesen, daß das Gegenteil der Fall ist. Das gilt insbesondere für das große Gebiet der Sozialpolitik, es gilt im Konkreten für das Gebiet des Arbeitsrechts, und das Jugendarbeitsgesetz ist ja ein bedeutsamer Teil des Arbeitsrechts. Wir alle sollten deshalb diesem Ge» biete unsere Aufmerksamkeit widmen und sollten diese Beratung hier nicht zu einer Ausschußsitzung unter Kollegen machen, die alles wissen, sondern ich meine, die Besetzung des Hauses sollte so sein, daß wir alle auf Grund dessen, was wir in dieser Lesung erfahren, draußen Rede und Antwort stehen könnten. Schaden an der Gesundheit, die zur Frühinvalidität führen, entstehen meistens schon in der Jugend, wenn sie auch erst später erkennbar und feststellbar sind. 67 % aller Rentenempfänger erreichen nicht das 65. Lebensjahr. Die Ärzte haben uns nachgewiesen, daß die Schäden, die zu einer frühen Invalidität führen, in der frühesten Jugend entstehen. Dem gilt es vorzubeugen. Deshalb bin ich froh, daß wir ein neues Jugendarbeitsschutzgesetz bekommen, das das Jugendarbeitsschutzgesetz aus dem „Tausendjährigen Reich" ablöst, ein Gesetz oder eine Verordnung, die die Jugend zur Wehrertüchtigung schonen und auf den Heldentod vorbereiten wollte. Wir beklagen eine fehlende Generation, die irgendwo in der Weit begraben liegt. Wir bedauern diese Dinge auch angesichts der Belastung, die uns, den Einzelnen und der Gesamtheit, entsteht. Wir spüren die verhängnisvolle Wirkung heute noch auf allen Gebieten unseres Lebens durch das Fehlen dieser Menschen und durch das Vorhandensein von Millionen von Kriegsopfern. Wir haben vor etwa vier Jahren den Entwurf eingebracht. Die Bundesregierung ist mit einer eigenen Vorlage gefolgt. In der ersten Lesung glaubten wir, in einer guten Atmosphäre ein Ergebnis erzielen zu können, das uns auch in der zweiten Lesung zu einer einheitlichen Betrachtung dieser Frage bringen würde. Leider hat diese Hoffnung getrogen. Zwar sind beachtliche Verbesserungen erreicht worden, die ich gern anerkenne; aber die entscheidenden Verbesserungen, die unsere Vorlage enthielt, sind nicht angenommen worden. Im Gegenteil, wesentliche Punkte der Regierungsvorlage wurden von der Koalition nicht gedeckt; die Koalition sagte: unsere Auffassung ist nicht identisch mit der Auffassung der Regierung. Wir waren in der etwas peinlichen und merkwürdigen Lage, daß die Opposition die Vorlage der Bundesregierung verteidigen mußte. So viel, meine Damen und Herren, zur Gesamtvorlage. Ich habe heute noch die Hoffnung, daß die Einsicht der Mehrheit dieses Hauses und aller Fraktionen stärker ins Gewicht fällt als die Kurzsichtigkeit einiger Interessentengruppen, die sich mit ihrer Haltung wahrscheinlich einen schlechten Dienst erweisen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter, ich muß leider bitten, zur Begründung Ihres Antrages zu kommen. Diese Rede gehört in die allgemeine Aussprache der dritten Beratung.

Willy Odenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001633, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich bin mit dieser kurzen Bemerkung fertig, und ich glaube, daß ich se mit Recht machen durfte. Meine Damen und Herren, ich habe den Antrag zu begründen, in § 1 Abs. 1 Nr. 2 den zweiten Halbsatz zu streichen. In der Regierungsvorlage heißt es: ({0}) Dieses Gesetz gilt für die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen 1. als Arbeiter, Angestellte, Lehrlinge, Anlernlinge, Praktikanten und Volontäre, 2. mit sonstigen Dienstleistungen, die der Arbeitsleistung von Arbeitern, Angestellten, Lehrlingen und Anlernlingen ähnlich sind„.. Die Mehrheit des Ausschusses für Arbeit hat gegen die Minderheit in der zweiten Lesung den Halbsatz hinzugefügt: hierunter fallen nicht gelegentliche, geringfügige Hilfeleistungen, die aus Gefälligkeit erwiesen werden. Damit verschlechtert also die Ausschußvorlage selbst die Regierungsvorlage, und dazu möchte ich in der gebotenen Kürze folgendes sagen. Wir wollen den Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Überbeanspruchung, vor Beanspruchungen, die zu nachhaltigen Schäden an ihrer Gesundheit und zu früher Arbeitsunfähigkeit führen. Die Vorlage der Mehrheit des Ausschusses geht hinter diese Auffassung und die Auffassung der Regierungsvorlage - die wahrscheinlich doch überlegt war - zurück. Ich darf darauf verweisen, daß nach § 69 Abs. 2 verwandte Kinder über 12 Jahren mit leichten Arbeiten ohnehin beschäftigt werden können, wenn die Beschäftigung gelegentlich ist oder nur kurze Zeit dauert und die Arbeiten für Kinder geeignet sind. Trotz der Schwierigkeit der Definition der Begriffe „gelegentlich" und „geringfügig" haben wir dieser Fassung zugestimmt. Aber wir wehren uns mit Nachdruck dagegen, daß fremden Kindern ohne Rücksicht auf ihr Alter der Schutz dieses Gesetzes versagt werden soll. Wir sehen in dieser Fassung die Gefahr, daß Jugendliche auch außerhalb der durch Gesetz oder Tarifvertrag festgelegten Arbeitszeit „beschäftigt" werden können; diese „Beschäftigung" wird wahrscheinlich meistens in Arbeit ausarten. Die Begriffe „geringfügig", „gelegentlich" und „Hilfeleistung" sind uns zu weich und zu dehnungsfähig. Die Praxis lehrt uns auch, daß sich Kinder und Jugendliche solchen „Gefälligkeiten" in der rauhen Wirklichkeit kaum versagen können, wenn nicht ein Schutz gesetzlich verankert ist. Wir wissen wohl - ich möchte diesen Einwand gelten lassen -, daß die Kontrolle des Mißbrauchs sehr schwierig ist. Wir wissen aber auch, daß wir kein Gesetz zum Schutz vor Mißbrauch machen können. Wir wissen ferner, daß durch Gesetz auch diese Möglichkeit sichergestellt werden kann, wenn wir die Länder ermutigen, ihre Gewerbeaufsicht personell und technisch zu verstärken und zu verbessern. Wir wissen weiter, daß Kinder und Lehrlinge - das geht aus Statistiken hervor, aus denen man zwar alles schließen kann, die aber in diesem Fall zweifelsfrei sind - in weitestem Umfang heute noch bis zu 60 Stunden in der Woche beschäftigt werden. Hier sollte der Gesetzgeber die Strafe so hoch ansetzen, daß sie im Einzelfall fühlbar wird und sich ihre Wirkung auch auf andere ausdehnt, die versucht sind, ebenfalls gegen das Gesetz zu sündigen, die aber den althergebrachten Satz kennen, daß man sich vor Strafe schützen soll. Die Bestimmung soll uns also allein ohne die Wirkung der Kontrolle die Möglichkeit geben, sie alle zu warnen, gegen das Gesetz zu verstoßen, weil sie sonst eine empfindliche Strafe zu gewärtigen haben. Meine Damen und Herren, das ist ein kurze Begründung. Ich erspare es mir, eine Stunde lang über eine Sache zu reden, mit der man in fünf Minuten fertig werden kann. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat Frau Dr. Bleyler.

Dr. Hildegard Bleyler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000199, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gehört zu den inneren Schwierigkeiten dieses Gesetzes, daß das Wort „Arbeit" nicht eindeutig klar ist, kein eindeutig zu fassender Begriff ist. Was ist Arbeit eigentlich? Ist es die spielerische Tätigkeit, ist es das Auswirken eines Betätigungsdranges oder nur die planmäßige Betätigung körperlicher und geistiger Kräfte in der Ausübung eines Berufs oder zu Erwerbszwecken? Die Grenzen vom bloßen Spiel - -({0}) Präsident D. Dr. Gerstenmaien Einen Augenblick, Frau Abgeordnete. Ich fürchte, ich bin jetzt, auch noch aus Gründen der Courtoisie, der Gefangene meiner eigenen Gutmütigkeit. Ich hätte Ihnen vorhin diese Rede nicht konzedieren sollen, Herr Kollege Odenthal. Denn wie soll ich jetzt diese Generalrede für eine dritte Lesung konzedieren? Frau Abgeordnete, wir stehen jetzt vor der Abstimmung über einen Änderungsantrag der Fraktion der SPD. Wollten Sie dazu sprechen?

Dr. Hildegard Bleyler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000199, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich spreche nur zu diesem Änderungsantrag.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Nur dazu?

Dr. Hildegard Bleyler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000199, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nur zu diesem Änderungsantrag. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Bitte sehr, dann fahren Sie fort!

Dr. Hildegard Bleyler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000199, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte aber doch einige Vorbemerkungen machen. Wir glauben nicht, daß Arbeit - und das wissen Sie alle - nur Mühsal und Plage ist, sondern daß es darüber hinaus noch etwas anderes gibt. ({0}) .Beim Lesen des Gesetzentwurfs könnte man den Eindruck haben, Arbeit sei nur Mühsal und Plage. ({1}) Aber wir glauben, es geht hier auch um ein ethisches Postulat. Wenn die Mutter schon ihr Kleinkind zur Arbeit heranzieht, obwohl es ihr mehr Umstände macht, als wenn sie die Arbeit selbst ausführte, so liegt der Grund darin, daß sie die Hilfsbereitschaft wecken will. Der Mensch soll die Bereitschaft lernen, einem anderen eine Gefälligkeit, eine Freundlichkeit zu erweisen. Wenn mir der Nachbarjunge den Fahrradschlauch flickt, so ist er - vielleicht sogar in einem Gefühl männlicher Überlegenheit - stolz darauf, daß er es kann, daß er es besser kann als ich. ({2}) Aber im Sinne dieses Gesetzes könnte das eine Arbeit sein, die einer sonstigen Dienstleistung gleichsteht; jedenfalls könnte sie unter Umständen unter das Gesetz fallen. Dennoch handelt es sich hier um etwas anderes; es schwingt darin etwas mit, was unser Leben warm macht, ahne das unser menschliches Leben arm wäre: die Verbundenheit von Mensch zu Mensch, die Bereitschaft zum Helfen. Es ist etwas Schönes, wenn ein junger Mensch helfen lernt. Das beglückende Bewußtsein, daß er helfen kann, beflügelt seine körperliche Kraft. Selbstverständlich will niemand diese gelegentliche Arbeit oder Hilfeleistung verbieten; aber wir wollen sie dem Zugriff anderer entziehen, die sie vielleicht mit Mißgunst und Gehässigkeit sehen. Sollen wir sie etwa unter Strafe stellen, weil der äußere Tatbestand einer Dienstleistung vorliegt, weil es sich um „Dienstleistungen handelt, die denen von Lehrlingen, Anlernlingen", ja sogar vielleicht „denen von Arbeitern und Angestellten ähnlich" sind? Nehmen Sie z. B. den Fall, daß das Nachbarmädchen den Säugling spazierenfährt, weil die Mutter einige Tage krank ist, oder daß es für eine kranke Nachbarin Besorgungen macht. Da liegt der Tatbestand einer Dienstleistung vor. Es kann vorkommen, daß der eine oder andere daran Anstoß nimmt. Wir wollen nicht einer stärkeren Ausweitung der Ausnahmen Tür und Tor öffnen; das liegt uns ganz fern. Wir wollen die Regierungsvorlage auch nicht etwa verschlechtern, sondern die Bestimmung des § 1 Abs. 1 nur klarstellen. Wir wollen eine gesetzliche Klarstellung dahin, daß eine Hilfeleistung, die aus Gefälligkeit erfolgt, unter keinen Umständen unter das Gesetz fällt. Wir sind davon überzeugt, daß die Rechtsprechung diese Tatbestände genau eingrenzen kann. Wir müssen gerade die gelegentlichen Gefälligkeitsleistungen in dem Gesetz ausnehmen. Was wäre .die Welt schließlich, wenn wir nicht mehr die vielen menschlichen Kontakte und die gegenseitige Hilfe hätten, wenn wir nicht bei unserer Jugend die Bereitschaft zu Gefälligkeitsleistungen pflegen und fördern könnten! Wir bitten Sie deshalb, den Antrag der SPD auf Streichung des Zusatzes „hierunter fallen nicht gelegentliche, geringfügige Hilfeleistungen, die aus Gefälligkeit erwiesen werden," abzulehnen und bei der Ausschußvorlage zu bleiben. ({3})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Behrendt.

Walter Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen, die die Kollegin Dr. Bleyler soeben gemacht hat, waren sicherlich sehr interessant. Ich verstehe jedoch nicht, warum man das Problem hier an dem Satz aufzuhängen versucht, Arbeit sei nicht nur Mühsal und Plage. ({0}) ' Das hat doch kein Mensch gesagt. Hier steht die Abgrenzung der Hilfeleistung von der Arbeit zur Diskussion. ({1}) Wer ein Gesetz lesen kann - und hier handelt es sich um ein Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend -, der weiß auch, was der Begriff Arbeit enthält. Wenn man solche Hilfeleistungen mit in das Gesetz einbezieht, schafft man überhaupt erst die Möglichkeit des Mißbrauchs ({2}) Aus diesem Grunde lehnen wir diesen Zusatz ab, nicht weil wir ihn, wie es im Bericht gesagt worden ist, für überflüssig halten, sondern weil durch ihn die Gefahr des Mißbrauchs geschaffen wird. ({3})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir könnten uns sehr schnell darüber einigen, welche Tätigkeit - etwa das Flicken eines Fahrradschlauches oder die Tätigkeit als Babysitter - für einen jungen Menschen oder auch für ein Kind ohne weiteres tragbar ist und bei welchen anderen Tätigkeiten wir aus Gründen des Arbeitsschutzes unsere Bedenken anmelden müssen. Es geht hier nur um die Formulierung. Ich gebe zu, daß der Halbsatz „hierunter fallen nicht gelegentliche, geringfügige Hilfeleistungen, die aus Gefälligkeit erwiesen werden" diese Grenze, über die wir uns, wie ich glaube, einig sind, nicht auf den Zentimeter genau absteckt. Dieses genaue Abstecken der Grenze ist auch schlechthin unmöglich. Aber dieser Halbsatz, dessen Streichung die sozialdemokratische Fraktion beantragt, gibt doch wenigstens ein paar Grenzsteine und Anhaltspunkte dafür, wo das Zulässige aufhört und wo der Mißbrauch anfängt. Er besagt nämlich, daß es sich um gelegentliche, geringfügige Hilfeleistungen handeln muß, denen das Motiv der Gefälligkeit zugrunde liegt. Jetzt wissen wir ungefähr, woran wir sind. Machen wir es so, wie es die SPD vorschlägt, haben wir - ich bitte um Entschuldigung, daß ich es überspitzt sage - als Abgrenzung nur den Satz: Die Beschäftigung darf nicht in Arbeit ausarten. Dann wüßten wir es nicht so ganz genau. Deshalb würde ich sagen: Nehmen wir die derzeitige Ausschußfassung an! Es handelt sich hier mehr um die Formulierung als um einen Unterschied in der Sache. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 1 Buchstabe a zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Das zweite war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich rufe auf den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 637 Ziffer 1. Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Dürr.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der vom Ausschuß beschlossenen Fassung ist vorgesehen, daß von den Bestimmungen dieses Gesetzes ausgenommen ist „die Beschäftigung verwandter Kinder und Jugendlicher im Familienhaushalt und in der Landwirtschaft". Verwandte Kinder in diesem Sinne sind nicht entfernt verwandte Kinder. Vielmehr wird der Begriff verwandte Kinder in § 68 folgendermaßen definiert: Verwandte Kinder und Jugendliche im Sinne dieses Gesetzes sind Kinder und Jugendliche, die 1. von einem Elternteil beschäftigt werden, dem die Sorge für die Person des Kindes oder des Jugendlichen zusteht, 2. vom Vormund beschäftigt werden, falls er mit dem Kinde oder dein Jugendlichen bis zum dritten Grade verwandt ist. Die Verwandschaft his zum dritten Grade bedeutet eine Verwandschaft lediglich bis zum Großvater oder bis zum Onkel. Das genügt nach unserer Ansicht für die Beschäftigung verwandter Kinder und Jugendlicher im Familienhaushalt durchaus. Für die Landwirtschaft haben wir Freien Demokraten mit dem Änderungsantrag Umdruck 637 Ziffer 1 den Vorschlag des Bundesrats - im Bundesrat hat die FDP bestimmt nicht die Mehrheit - wiederaufgenommen. Dieser Vorschlag des Bundesrats besagt, daß verwandte Kinder und Jugendliche in der Landwirtschaft mit tätig sein dürfen, ohne daß das vom Jugendarbeitsschutzgesetz erfaßt wird, wenn sie mit dem Arbeitgeber, also dem Hofinhaber, bis zum dritten Grad verwandt sind und in die häusliche Gemeinschaft aufgenommen worden sind. Damit werden z. B. die Fälle erfaßt, in denen der Großvater Inhaber des Hofes und der Vater im Kriege gefallen ist. Die Mutter mit ihren Kindern lebt selbstverständlich auf dem Hof des Großvaters. Soll es da einen Unterschied machen, ob im Grundbuch der Großvater oder die Mutter als Hofinhaber steht? Ein zweites Beispiel, das gerade im Württembergischen oft zu finden ist. Bei kleineren Bauern leben sehr oft zwei Familien auf dem Hof. Beispielsweise arbeitet der eine Bauer hauptberuflich, während sein Bruder in die Fabrik geht und in seiner Freizeit in der Landwirtschaft mithilft. Soll es da einen Unterschied machen, ob bei irgendeiner Tätigkeit das Kind des Hofinhabers oder das Kind des Bruders des Hofinhabers mithilft, nur weil der Bruder des Hofinhabers im Hauptberuf Industriearbeiter und bloß im Nebenberuf Bauer ist? Damit solche durchaus gleichgelagerten Fälle auch gleichbehandelt werden, bitten wir Sie, dem Antrag Umdruck 637 Ziffer 1 zuzustimmen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Frehsee!

Heinz Frehsee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000576, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorschlag der FDP auf Umdruck 637 Ziffer 1 bedeutet eine weitere Verschlechterung des Jugendarbeitsschutzgesetzes, eine Einschränkung des Jugendarbeitsschutzes. ({0}) - Herr Kollege Wittmer-Eigenbrodt, wenn man das Jugendarbeitsschutzgesetz vom Standpunkt der Landwirtschaft aus vielleicht als ein Landwirtschaftsschutzgesetz betrachtet, dann ist das vielleicht keine Verschlechterung. Aber ich bin der Auffassung, daß wir uns hier mit dem Jugendarbeitsschutz befassen. Insofern bedeutet der Antrag zweifellos eine Einengung des Jugendarbeitsschutzes und eine Verschlechterung des Gesetzes, mindestens was die materiellen Absichten anlangt. Der Antrag, den Herr Kollege Dürr von der FDP dem Hohen Hause soeben unterbreitet hat, ist bereits vom Ausschuß für Arbeit abgelehnt worden. Er ist deshalb auch in der Ausschußvorlage nicht berücksichtigt. Der Ausschuß hat sich von der Begründung leiten lassen, die die Regierung für ihre Vorschläge in §§ 69 und 68 des Gesetzentwurfs gegeben hat. Der Herr Präsident gestattet vielleicht, daß ich darauf Bezug nehme, weil das in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Antrag steht. Ich darf vielleicht einmal aus dem Ausschußbericht zitieren: Der Ausschuß teilt die Ansicht des Regierungsentwurfs, daß bei Beschäftigung eines Kindes oder Jugendlichen durch einen Elternteil ... gewisse Erleichterungen zugunsten der Eltern Platz greifen sollen. Diese Ausnahmen sollen allerdings auf Eltern beschränkt bleiben, weil sie vom Gesetzgeber mit einer besonderen Rechtsstellung ausgestattet worden sind, die auch der Verfassungsgesetzgeber anerkannt hat .... Der Ausschuß ist daher dem zur Erwägung gestellten Vorschlag des Rechtsausschusses, auch Großeltern allgemein in die den Eltern vorbehaltene Sonderstellung einzubeziehen, nicht gefolgt. Uns geht schon der Vorschlag der Bundesregierung ein wenig weit. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 ist die Beschäftigung verwandter Kinder und Jugendlicher - das Verwandtschaftsverhältnis wird in § 68 definiert - im Familienhaushalt und in der Landwirtschaft gestattet. Wir haben trotzdem keinen Antrag dazu gestellt. Wir haben zum Teil praktische Erfahrungen auf diesem Gebiet und wissen z. B., daß das richtig ist, was in der wissenschaftlichen Arbeit „Kinderarbeit auf dem Lande" steht, die im Auftrage der Agrarsozialen Gesellschaft und der Arbeiterwohlfahrt angefertigt worden ist. Es heißt darin: Verwandte Kinder haben in mancher Hinsicht in der Landwirtschaft eine ähnliche Stellung wie die Pflegekinder in fremden Familien; denn auch das verwandte Kind als nichteigenes Kind bedeutet für die Familie eine zusätzliche Belastung, und infolgedessen wird es eher zur Mitarbeit und zur Hilfeleistung herangezogen als ein eigenes Kind, wenn es auch nicht, wie es bei der Beantragung von Pflegekindern häufig ist, vorwiegend als Arbeitskraft angesehen wird. Intensiver als die eigenen Kinder - so schreibt Frau Frenzel, die Diplompsychologin, die diese Arbeit verfaßt hat arbeiten Pflegekinder und verwandte Kinder. Sie werden häufiger als eigene Kinder zum Einsatz in fremde Betriebe geschickt, meist unter dem Gesichtspunkt, eine erwachsene Arbeitskraft zu ersetzen. In dieser Ansicht wurde Frau Frenzel bestätigt, als sie ein Schreiben eines Bauern fand, der ein Pflege- kind mit den Worten anforderte: „Hiermit bestelle ich einen elfjährigen gesunden kräftigen Jungen." Das sind Tatsachen. Wir sollten uns, wenn wir diese sehr nüchternen und sehr realen Probleme der Kinderarbeit in der Landwirtschaft behandeln, nicht von einer abseitigen Philosophie leiten lassen. Ich bitte Sie, dem Antrag der Fraktion der FDP nicht stattzugeben und es bei der Regierungsvorlage zu belassen. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Abgeordnete Franzen.

Jakob Franzen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch im Namen meiner Freunde von der CDU/CSU bitte ich, den Antrag der FDP-Fraktion Umdruck 637 Ziffer 1 abzulehnen. Es handelt sich in § 1 Abs. 2 Nr. 2 um eine Ausnahme vom Geltungsbereich dieses Gesetzes. Es ist soeben schon genügend über den Grundsatz gesagt worden, so daß ich darüber nichts mehr auszuführen brauche. Ich erwähne nur, daß eigéne Kinder und Kinder, die vom Vormund usw. unterhalten werden, nicht unter den Geltungsbereich dieses Gesetzes fallen. Das wird in § 1 Abs. 2 Nr. 2 der Regierungsvorlage verdeutlicht. Durch Annahme des Änderungsantrags der FDP würde diese Ausnahme vom Geltungsbereich des Gesetzes eine Erweiterung erfahren und damit die Kinderarbeit in größerem Umfange zugelassen werden. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, den Antrrag abzulehnen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen? Ich lasse abstimmen. Wer dem Antrag Umdruck 637 Ziffer 1 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letztere ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt. Das Wort zur Begründung des Antrags der SPD-Fraktion Umdruck 631 Ziffer 1 Buchstabe b hat der Abgeordnete Metter.

Rudolf Metter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001486, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Regierungsentwurfs heißt es, daß von diesen Bestimmungen ausgenommen sind Jugendliche über 17 Jahre, wenn sie die Abschlußprüfung in einem Lehrberuf bestanden haben und als Facharbeiter tätig sind. Leider hat sich auch der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen nicht für eine Einbeziehung dieser jugendlichen Facharbeiter in das Gesetz ausgesprochen. Warum eigentlich diese Schlechterstellung der jugendlichen Facharbeiter? Das Jugendarbeitsschutzgesetz vom April 1938 sowie das Jugendarbeitsschutzgesetz des Landes Niedersachsen vom 9. Dezember 1948 sehen als Altersgrenze das 18. Lebensjahr vor. Nun soll in einigen Bundesländern bereits bestehendes und geltendes Recht zu Fall gebracht werden, indem Jugendliche über 17 Jahre, wenn sie eine Lehrabschlußprüfung bestanden haben, aus diesem Gesetz herausgenommen werden. Man kann doch den Jugendschutz nicht enden lassen, wenn jemand eine Prüfung bestanden hat. ({0}) Das würde allen schutzrechtlichen Prinzipien widersprechen und eine Verschlechterung des geltenden Rechts bedeuten. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ist man denn wirklich der Meinung, daß ein Siebzehnjähriger, der seine Prüfung bestanden hat, auf Grund der abgelegten Prüfung reifer und männlicher geworden ist, so daß er des Jugendschutzes nicht mehr bedarf? Ich glaube, eine solche Wirkung kann man einer Abschlußprüfung in den Schutzbestimmungen nicht beilegen. Das wäre diesen Jugendlichen gegenüber ein Unrecht; denn sie haben einen Anspruch darauf, genauso wie die anderen behandelt zu werden, und müssen bis zu ihrem 18. Lebensjahr den Jugendschutz für sich in Anspruch nehmen können. Die Verschlechterung der geltenden Jugendschutzbestimmungen würde sich insbesondere beim Urlaub auswirken. In vielen Bundesländern gibt es doch heute schon für die Jugendlichen einen Urlaub von 24 Tagen. Nach dem neuen Gesetz hätten diese jugendlichen Facharbeiter nurmehr 12 Urlaubstage zu beanspruchen. Es wäre ein großes Unrecht, hier mit zweierlei Maßstäben zu messen. Weiter wür6566 den sich, wenn Nr. 3 in § 1 Abs. 2 nicht gestrichen würde, in vielen Betrieben dreierlei Urlaubsregelungen ergeben, die bestimmt den Betriebsfrieden erheblich stören würden. Bei Herausnahme der Siebzehnjährigen aus den Schutzbestimmungen würden sich auch insofern Verschlechterungen ergeben, als die jungen Menschen zur Nacht- und Akkordarbeit herangezogen würden. Eine derartige Regelung würde auch gegen die Übereinkommen Nr. 79 und 90 der Internationalen Arbeitsorganisation über das Verbot der Nachtarbeit Jugendlicher bis zum 18. Lebensjahr sowie gegen die Übereinkommen Nr. 77 und 78 über die ärztliche Überwachung verstoßen. Meine Damen und Herren, das wollen Sie doch bestimmt nicht. Ferner ist noch zu betonen, daß auch bei früheren Beratungen weder von seiten der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände noch vom Handwerk die Herausnahme der siebzehnjährigen Facharbeiter aus dem Geltungsbereich des Gesetzes gefordert wurde. ({1}) Wir bitten Sie daher, dem Antrag auf Streichung der Nr. 3 in § 1 Abs. 2 Ihre Zustimmung nicht zu versagen. ({2})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Abgeordnete Storch.

Anton Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz sagen, weshalb diese Bestimmung in den Gesetzentwurf aufgenommen worden ist. Ich persönlich bin der Meinung, daß alle Gesetze, die am praktischen Leben vorbeigehen, schlechte Gesetze sind. Hier handelt es sich gar nicht darum, daß man dem Arbeitgeber irgendeinen Vorteil zuschanzen will. Diese gesetzliche Bestimmung ist vielmehr beantragt worden, weil man die Interessen der jungen ausgelernten Handwerker sichern will. Wir haben momentan eine Überbeschäftigung. Es ist möglich, daß man die jungen Leute auch bei der zusätzlichen Belastung, die der Jugendschutz bringt, in die Betriebe hineinnimmt. Aber stellen Sie sich einmal folgenden Fall vor! Ein junger Geselle, der vielleicht in einem Betrieb nicht vielseitig genug ausgebildet worden ist, will sich irgendwo das fehlende Wissen für seinen Beruf aneignen. Kommt er in einen guten Betrieb, in dem er letzten Endes den Tariflohn verdienen will, wird der Arbeitgeber, wenn er einen anderen Bewerber für den Platz bekommen kann, mit dem keine Einschränkung der Arbeitszeit und alles, was damit zusammenhängt, verbunden ist, diesen anderen nehmen, und der Jugendliche steht draußen und kommt nicht zu dem, was er eigentlich lernen muß. In diesem Hohen Hause sind bestimmt eine Reihe von Leuten, die wie ich einmal eine Handwerkslehre durchgemacht haben. Sie werden mir bestätigen, daß jeder, der eine Handwerkslehre beendet hat, noch sehr viel lernen muß. Da sollte man ihn vor allen Dingen im ersten Jahr nach Beendigung der Lehre nicht mit Schwierigkeiten belasten, die seinem Fortkommen schädlich sein können. Ich bin deshalb der Meinung, es handelt sich hier nicht nur darum, ob jemand seine Abschlußprüfung gemacht hat. Die Abschlußprüfung muß der Schlußstein einer regulären Ausbildungszeit sein. Hier handelt es sich auch darum, den jungen Leuten, die man nachher schon mit 20 Jahren zum Militär einziehen kann, die Möglichkeit zu geben, ihr fachliches Wissen ohne irgendeine Einschränkung so weitgehend wie möglich zu vervollkommnen. Ich bitte Sie deshalb, den Antrag der SPD-Fraktion abzulehnen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Wischnewski!

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedauere außerordentlich, daß ich der Meinung des Kollegen Storch widersprechen muß, - aus dem einfachen Grunde, weil ich seiner Auffassung zum Jugendarbeitsschutz generell, in den weitaus meisten Punkten, zustimmen kann. In diesem Punkt kann ich es bedauerlicherweise nicht. Ich möchte das anstehende Problem der siebzehnjährigen Facharbeiter an einem praktischen Beispiel klarlegen. Ich denke an eine Industrieschmiede, in der von den Facharbeitern zum Teil schwere körperliche Arbeit zu leisten ist. Hier arbeiten zwei Leute nebeneinander. Einer ist Facharbeiter, er hat mit 17 Jahren seine Facharbeiterprüfung bestanden, und muß dort schwere körperliche Arbeit leisten. Nach Ihrer Auffassung soll er nicht mehr unter den Jugendarbeitsschutz fallen. In demselben Betrieb, in derselben Abteilung ist ein gleichaltriger - vielleicht haben sie sogar am gleichen Tage Geburtstag - als Kaffeejunge beschäftigt. Das ist eine ehrenwerte Tätigkeit, aber es ist eine ganz einfache und leichte Tätigkeit. Ich kann nicht einsehen, daß dieser Kaffeejunge mit der leichten Beschäftigung und dem gleichen Alter unter den Jugendarbeitsschutz fallen soll und derjenige, der schwere körperliche Arbeit zu leisten hat, nicht mehr unter den Jugendarbeitsschutz fallen soll. ({0}) Dafür gibt es genügend praktische Beweise. Darf ich Ihnen noch ein anderes Beispiel nennen und die Arbeitszeit erwähnen, um zu zeigen, welche Verschlechterung diese Maßnahme zwangsläufig mit sich bringt. Im Jahre 1938, d. h. vor 22 Jahren, wurde während der Nazizeit das noch jetzt geltende Jugendarbeitsschutzgesetz erlassen. Es sah eine Höchstarbeitszeit von 54 Stunden vor. Jetzt, 22 Jahre später, soll der jugendliche Facharbeiter mit 17 Jahren noch 6 Stunden mehr in der Woche, nämlich 60 Stunden, arbeiten. ({1}) - Meine Damen und Herren, ich kann Ihre Fragen nicht verstehen, ich bitte um Entschuldigung. Sie haben einen Antrag eingebracht, nach dem .der siebzehnjährige Facharbeiter, für den nach Ihrer Auffassung der Jugendarbeitsschutz nicht mehr gilt, unter die Arbeitszeitordnung von 1938 fallen soll. Der Herr Kollege Franzen - er ist Fachmann, er ist Gewerbeaufsichtsbeamter - wird mir hoffentlich bestätigen, daß auf diese Art und Weise eine 60stündige Arbeitszeit möglich ist. ({2}) - Das ist einfach eine sachliche Feststellung, nichts anderes. Wer die Arbeitszeitordnung kennt, muß bestätigen, daß bei demjenigen, der darunter fällt, eine 60stündige Arbeitszeit möglich ist. Ich glaube, daß Sie das nicht wollen. Wenn Sie das nicht wollen, dann ist es aber recht und billig, die Nr. 3 zu streichen. Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich gleich eine Bemerkung zu dem Antrag der CDU mache, der damit unmittelbar zusammenhängt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Sie meinen zu dem Antrag Umdruck 629 Ziffer 1, der in einer Ergänzung eine Präzisierung vornimmt.

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, das hängt eng damit zusammen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Bitte sehr!

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit diesem Antrag bemüht sich die CDU-Fraktion, die Dinge ein wenig abzumildern. Danach sollen für die Jugendlichen über 17 Jahre die Vorschriften der §§ 14, 17 und 34 über Nachtruhe, Urlaub und Akkord- und Fließarbeit gelten. Das bedeutet aber, daß für die siebzehnjährigen Facharbeiter bezüglich der Arbeitszeit die altgemeine Regelung gilt. Auch bei Ihrer Formulierung bleibt es - trotz der Einschränkung, die hier getroffen wird - bei der gesetzlichen Grundlage von 60 Stunden in der Woche. ({0}) - Herr Kollege Memmel, Sie sind ein Jurist. Das ist eine einwandfreie juristische Formulierung. Sie wollen, daß die Arbeitszeitordnung für diese Jugendlichen gilt. Sie hören zwar nicht gern, daß dadurch eine Arbeitszeit von 60 Stunden in der Woche möglich ist. Ich muß Ihnen das ganz deutlich sagen, damit Sie wissen, worüber Sie hier abstimmen. ({1}) Für den jugendlichen Facharbeiter von 17 Jahren gelten nicht die Vorschriften über Ruhepausen, über die tägliche Freizeit und die Sonntagsruhe. Das führt doch zu einer ganz erheblichen Komplizierung der ganzen Materie. Stellen wir uns einmal vor, daß zwei gleichaltrige junge Menschen nebeneinander arbeiten: für den einen gilt die Arbeitszeitordnung, für den anderen gilt sie nicht. Die Urlaubsregelung gilt für beide. Unterschiedliche Regelungen bestehen dann wieder bei der Freizeit und der Sonntagsruhe. Das führt doch zu einer Komplizierung und zu Rechtsunsicherheiten. Wir hoffen, daß Sie auch hier völlig eindeutige und klare Verhältnisse haben wollen. Wir sehen ein, daß Ihr Antrag eine gewisse Abmilderung bringt. Ich muß aber noch einmal auf die entscheidende Einschränkung bei der Arbeitszeit hinweisen. Ich bitte deshalb um Annahme unseres Antrages. ({2})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Memmel!

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An sich sollten wir uns über diesen § 1 Abs. 2 Nr. 3 nicht gar so lange unterhalten, weil in dem Paragraphen nichts drinsteckt. Wir haben in vier Bundesländern das 9. Schuljahr. Es ist also theoretisch undenkbar, daß einer, der neun Schuljahre und drei Jahre Ausbildung, also Lehrzeit, hinter sich hat, überhaupt noch in das Alter zwischen 17 und 18 Jahren fällt, daß er seine Facharbeiterprüfung schon bestanden hat. Viel liegt also nicht drin. ({0}) Wir hoffen doch, daß das 9. Schuljahr allmählich auch in anderen Bundesländern eingeführt wird. ({1}) - Das wollen Sie doch auch. Es liegt also nicht viel drin. Jetzt will ich Ihnen ganz ehrlich meine Meinung sagen. Mir gefällt es natürlich auch nicht. Es gefällt mir deswegen nicht, weil dieses Gesetz ein Versuch ist, einen Deckel für Kochtöpfe verschiedenen Inhalts und verschiedener Größe zu machen, weil dieses Gesetz so viele Jahresabgrenzungen enthält wie sonst kein Gesetz. Es gibt die Dreijahregrenze in § 7, es gibt eine Sechsjahregrenze, es gibt eine Zwölfjahregrenze, es gibt eine Vierzehnjahregrenze und es gibt eine Siebzehn- und Achtzehnjahregrenze; es ist entsetzlich, wieviel Jahresgrenzen es gibt. Aber weil nicht viel drin liegt, verstehe ich nicht, warum Sie sich wegen dieser Position ereifern. Sie haben doch gemerkt, meine Damen und Herren von der SPD, daß wir die Sache abmildern wollten. Deswegen die Herausnahme des Urlaubs, des Akkords und der anderen Dinge. Stimmen Sie unserem Antrag zu, in dem wir die Ausnahme bezüglich Urlaub, Akkord und Nachtruhe gemacht haben, und dann hat sich die Sache.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Frage?

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Memmel, wenn Sie der Meinung sind, in Nr. 3 stehe nichts drin, warum wollen Sie die Nummer mit uns nicht streichen?

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollge Jahn, Sie wissen, daß das die Regierungsvorlage ist und daß das der Ausschuß so beschlossen hat. ({0}) Wegen dieser Sache sollten wir uns nicht so sehr ereifern. Ich meine, die beste Lösung wäre, wenn man diese Abmilderung, die wir als Konzession gemacht haben, anerkennte und dem Antrag Umdruck 629 zustimmte.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich rufe den Änderungsantrag Umdruck 629 Ziffer 1 auf. Das Wort hat der Abgeordnete Franzen.

Jakob Franzen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Storch hat soeben schon begründet, warum die Regierungsvorlage vorsieht, daß Siebzehnjährige, wenn sie ihre Lehrzeit und ihre Fachausbildung abgeschlossen haben, nicht mehr unter das Gesetz fallen sollen, und zwar deswegen, damit sie als Gesellen oder Facharbeiter, wenn sie ausgelernt haben, keine Schwierigkeiten haben, eine neue Stelle zu finden. Das Beispiel, das der Kollege Wischnewski soeben gebracht hat, hinkt. Es gilt ja auch der Grundsatz der freien Wahl des Arbeitsplatzes. ({0}) Ich würde mir, -wenn ich ein siebzehnjähriger Facharbeiter wäre, niemals einen solchen Arbeitsplatz aussuchen Das zu diesem Beispiel, das meines Erachtens übertrieben ist. zu den 60 Stunden. Die Arbeitszeitordnung on 1938 sieht Ausnahmemöglichkeiten vor, und zwar kann die tägliche Arbeitszeit, die grundsätzlich auf acht Stunden beschränkt ist, erweitert werden, wenn verlängertes Wochenende gewünscht wird, wenn also in dem Betrieb am Samstagnachmitrag nicht gearbeitet wird. Zweitens: Die Verlängerung der Arbeitszeit kann durch Tarifvertrag vereinbart werden, d. h. durch Absprache zwischen den Sozialpartnern. Das ist deshalb vorgesehen, um z. B. dem Baugewerbe die Möglichkeit zu geben, die Saison auszunützen. Drittens kann auf Antrag eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit über acht Stunden hinaus durch Genehmigung des Gewerbeaufsichtsamtes erfolgen. In § 11 der Arbeitszeitordnung - ich habe sie gerade nicht hier - heißt es: Wenn zwei oder mehrere Ausnahmen zusammentreffen, darf die tägliche Arbeitszeit zehn Stunden nicht überschreiten. Daraus darf aber niemals hergeleitet werden, daß ich dann sechsmal zehn Stunden in der Woche arbeiten darf; denn im ersten Fall tritt das verlängerte Wochenende ein, also verkürzte Arbeitszeit am Samstag, im zweiten Fall, bei der Vereinbarung durch die Tarifpartner, werden entsprechende Freizeiten im Tarifvertrag festgesetzt, und auch im dritten Fall, einer Genehmigung durch das Gewerbeaufsichtsamt, macht das Amt zu solchen Genehmigungen entsprechende Auflagen. Nun noch zur Begründung unseres Antrags folgendes: Wir möchten die Nr. 3 durch folgende Worte erweitern: „Jedoch gelten für diese Jugendlichen die Vorschriften der §§ 14" - hier handelt es sich um die Nachtruhe -, „17" - hier handelt es sich um den Urlaub - „und 34" - hier handelt es sich um die Akkord- und Fließarbeit. Das heißt, daß die Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes, das wir jetzt beraten, auch dann für den Siebzehnjährigen bestehenbleiben, wenn er die Lehre absolviert, seine Prüfung gemacht hat und als Geselle generell nicht mehr unter das Jugendarbeitsschutzgesetz fällt. Ich bitte daher, den Antrag der SPD-Fraktion auf Streichung dieser Nr. 3 abzulehnen und unserem Antrag unter Ziffer 1 des Umdrucks 629 zuzustimmen. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Behrendt!

Walter Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser § 1 Abs. 2 Nr. 3 hat für uns grundsätzliche Bedeutung. Zunächst, Herr Kollege Franzen, haben Sie genau das bestätigt, was der Kollege Wischnewski hier gesagt hat. Nach dem, was Sie vorgelesen haben ({0}) - jawohl, das stimmt -, sind nach der Arbeitszeitordnung bis zu zehn Stunden Arbeit täglich möglich. Das können Sie doch nicht bestreiten. ({1}) Aber ich will zu etwas anderem sprechen. Der Kollege Memmel selber hat mit uns im Ausschuß die Auffassung vertreten, daß die Gesetze zum Schutze der Jugend und die gesamte Rechtsprechung die Altersgrenze des 18. Lebensjahres festlegen. Weiter meinen wir, daß man die Schutzbedürftigkeit eines Jugendlichen nicht davon abhängig machen kann, ob der Jugendliche eine Prüfung bestanden oder nicht bestanden hat. ({2}) Das aber ist doch der Sinn dieses Absatzes. Wenn sie schon diesen Zusatzantrag stellen, der eine Verbesserung gegenüber der Regierungsvorlage bringt, das gebe ich zu, dann frage ich mich, Herr Kollege Memmel, warum man nicht aus Gründen der Rechtsgleichheit für den Jugendlichen die Altersgrenze für die Schutzbedürftigkeit des Jugendlichen - und gerade hier im Arbeitsleben, wo es um die Gesundheit des Jugendlichen geht - in allen Gesetzen auf 18 Jahre festsetzt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Weitere Wortmeldungen? - Herr Abgeordneter Scharnowski!

Ernst Scharnowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001944, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Angelegenheit ist wirklich nicht so wichtig, wie Sie sie mit Ihrem Antrag hinstellen. Denken Sie bitte in die Zukunft! Dazu zwei Bemerkungen! Erstens: Wir werden in Kürze allgemein das neunte Schuljahr haben, und dann wird es kaum einen Gesellen geben, der unter diese Bestimmung fällt, denn vor dem 18. Lebensjahr wird dann kein Jugendlicher Geselle werden. ({0}) Zum zweiten: Keinen Appell an den Jugendlichen, Herr Kollege Storch, daß er Kraftmeierei zeigt und nun mehr verdienen will als bisher! Wir sind auch Gesellen gewesen, wenn auch nicht alle Meister, und ich kann Ihnen sagen: Wir müssen die Jugendlichen gegen ihre eigenen Kraftmeiereien in Schutz nehmen. Denn es ist ein Gesetz zum Schutze der Jugend und nicht zur Entwicklung von Verhältnissen, die Sie noch von Gesichtspunkten aus sehen, die vor dreißig oder vierzig Jahren Berechtigung hatten. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Storch!

Anton Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die letzten Ausführungen eines früheren Handwerkers habe ich nun wirklich nicht verstanden. Kraftmeierei ist doch etwas ganz anderes als das Bestreiben, sich das nötige Wissen anzueignen, und darum handelt es sich doch. Das ist das Anliegen, das uns bewegt, ({0}) dem jugendlichen Arbeiter im ersten Jahr seines Gesellenlebens die Möglichkeit zu geben, sich das größtmögliche Wissen anzueignen. Vielleicht ist es Ihnen, Herr Kollege, genauso gegangen wie mir, daß Ihnen in Ihrem ersten Gesellenjahr die anderen Gesellen gesagt haben: Stiehl, soviel du kannst, aber nur mit den Augen, nimm keinem anderen etwas weg! Wenn Sie beispielsweise den alten Wissel heute einmal fragen würden, dann würde er Ihnen ganz etwas anderes sagen. Kraftmeierei, mehr Geld verdienen wollen als die anderen Gesellen, das ist etwas ganz anderes. Ich sage Ihnen eins in aller Offenheit: Wir haben, solange wir die achtjährige Schulzeit haben, alle Veranlassung, in der heutigen Zeit dem Gros unserer Facharbeiter die bestmöglichen Ausbildungsgrundlagen zu geben, denn die Facharbeiter sind in der Zukunft die Träger unserer gesamten Wirtschaftskraft. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 629 Ziffer 1. ({0}) - Sie haben recht, Ihr Antrag ist natürlich der weitergehende. Wir stimmen also zunächst ab über den Änderungsantrag der SPD Umdruck 631 Ziffer b, in Abs. 2 die Nr. 3 zu streichen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt. Dann der Änderungsantrag der CDU/CSU Umdruck 629 Ziffer 1. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! -Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. Ich rufe den § 1 in der so geänderten Fassung auf. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. ({1}) - Sie haben das Recht, getrennte Abstimmung zu verlangen; ich muß also so verfahren. Wir stimmen zunächst über § 1 Abs. 1 ab. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. ({2}) - Der Absatz ist durch die in Klammern stehende Ziffer bezeichnet. Ich kann doch nicht auch noch über die einzelnen Ziffern innerhalb des Absatzes abstimmen lassen. - Wer also dem Abs. 1 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; Abs. 1 ist angenommen. Absatz 2! Wer zustimmen will, ({3}) den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen und Gegenstimmen ist auch dieser Absatz angenommen. ({4}) - In der durch die Annahme des Antrages Umdruck 629 Ziffer 1 geänderten Fassung. Absatz 3! Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Abs. 3 ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu § 2. Dazu liegen, soweit ich sehe, keine Änderungsanträge vor. Wird zu § 2 das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem § 2 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 2 ist einstimmig angenommen. Auf Umdruck 636 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Einfügung eines § 2 a vor. Er ist gleichlautend mit dem Antrag der FDP Umdruck 639 ({5}). ({6}) - Beinahe gleichlautend? Ich kann jetzt nicht entscheiden, welches der weitergehende ist. Zunächst Herr Abgeordneter Odenthal zur Begründung des Änderungsantrages der Fraktion der SPD Umdruck 636.

Willy Odenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001633, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich darf Sie zunächst bitten, in dem Ihnen vorliegenden Umdruck die Formulierung „Arbeitgeber im Sinne dieses Gesetzes ist" zu ändern in: „Als Arbeitgeber im Sinne dieses Gesetzes gilt". Damit soll ein rechtlicher Einwand, der geltend gemacht werden könnte, behoben werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, in Ihrem Antragstext heißt es: „({0})". Das müssen Sie auf jeden Fall streichen; denn das kann ja nicht Bestandteil des Beschlusses des Bundestages sein.

Willy Odenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001633, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben recht, Herr Präsident.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich möchte also vorschlagen, daß der Korrektheit halber, falls der Antrag angenommen wird, die Worte „ ({0})" gestrichen werden.

Willy Odenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001633, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Worte „Vorschlag des Bundesrates" fallen also weg. Sie beruhen auf einem Versehen, das leider unterlaufen ist. Meine Damen und Herren! Wir reden und lesen hier von einem Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend. Wir reden aber nicht- und es steht auch in der Vorlage nicht - von einem Gesetz zum Schutze der beschäftigten Jugend. Hier scheiden sich die Geister. Wir sprechen im Beamtenrecht im allgemeinen von ,dem „Dienstherrn" und dem „Bediensteten". Das sind zwar Worte, die uns nicht gefallen, aber es ist keinem von uns bisher etwas Besseres eingefallen. Wir haben im Arbeitsrecht seit langen Jahrzehnten den „Arbeitgeber" und den „Arbeitnehmer", obschon wir heute nicht mehr wissen, wer Arbeitgeber und wer Arbeitnehmer ist; darüber mögen sich Rechtsphilosophen unterhalten. Wir sind an den Sprachgebrauch gewöhnt, und im Rechtswesen sind diese Dinge eindeutig festgelegt. Nun taucht in § 5, ohne daß vorher etwas gesagt wurde, ganz verschämt der „Beschäftigter" auf. Das ist nicht von ungefähr; denn schon 1951/52 hat, als in diesem Haus das Mutterschutzgesetz beraten wurde, die Regierung, soweit ich mich entsinne, versucht, das Wort „Arbeitnehmer" für die jungen Frauen durch ,das Wort „Beschäftigte" und das das Wort „Arbeitgeber" durch das Wort „Beschäftiger" zu ersetzen. Damals hat das ganze Haus, sowohl in den Ausschüssen als auch im Plenum, die Worte „Beschäftiger" und „Beschäftigte" abgelehnt, und zwar aus rein rechtlichen Gründen, weil zumindest die Frage entstand, ob nach Einfügen des Wortes „Beschäftiger" der Arbeitnehmerin, der Beschäftigten, noch ein Rechtsanspruch zustand, der vor den Sozialgerichten zu klären war. Wir haben es hier nicht mit dem gleichen Tatbestand zu tun. Es ist eine Frage rechtlicher und tatsächlicher Art. Man kann einwenden - das gebe ich unumwunden zu -, daß das Kind im Verhältnis zu seinen Eltern nicht in einem Arbeitsverhältnis steht, so daß man hier nicht von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sprechen könnte. Wir wollen die Dinge einmal praktisch betrachten. Nachdem die verwandten Kinder aus diesem Gesetz herausgenommen worden sind, bleiben nur fremde Kinder übrig. Es bleiben nur die Lehrlinge, die ungelernten jugendlichen Arbeiter und die angelernten jugendlichen Arbeiter übrig. Die Zahl der Kinder, die dann noch unter das Gesetz fallen, ist sehr gering. Aber sehr groß ist die Zahl der Lehrlinge, der ungelernten und der angelernten Arbeiter. Ein weiteres Wort. Der Lehrling steht in einem Vertragsverhältnis besonderer Art, dem Lehrverhältnis. Er ist nicht so weit geschützt, daß er nach Schluß des Lehrverhältnisses ohne weiteres bleiben kann, wenn das im Lehrvertrag nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Immerhin steht er in einem Vertragsverhältnis, das unter den Oberbegriff des Arbeitsverhältnisses fällt. Es ist kein Beschäftigungsverhältnis. Die angelernten und ungelernten Jugendlichen fallen zweifellos unter den Begriff des Arbeitnehmers. Sie stehen unzweifelhaft in einem Arbeitsverhältnis, und wir möchten diesen Begriff nicht verwischen lassen. Man sollte hier Klarheit schaffen und nicht die Schwierigkeit heraufbeschwören, daß nachher die Frage der Rechtsgleichheit und der Rechtsvertretung sowie der Zuständigkeit der Arbeits- und der Sozialgerichte auftaucht. Darum sind wir der Meinung, daß man nicht ohne Not ein neues Wort in das Gesetz einführen sollte. Es liegen vielleicht noch andere Gründe vor. Wir kämpfen einen jahrzehntelangen Kampf um die Frage „Arbeitsverhältnis oder Erziehungsverhältnis". Alle Tarifpartner sind sich darüber einig, daß es sich zwischen Kindern und Eltern um ein Erziehungsverhältnis handelt, daß aber das Lehrverhältnis kein Erziehungsverhältnis, sondern ein Arbeitsverhältnis ist, weil hier der Oberbegriff der Arbeit und des Arbeitsrechts die entscheidende Rolle spielt. Darum beantragen wir, daß in allen Teilen des Gesetzes das Wort „Beschäftiger" durch das Wort „Arbeitgeber" und das Wort „Beschäftigter" durch das Wort „Arbeitnehmer" ersetzt wird. ({0}) - Ich habe ja eben gesagt, der Oberbegriff bei Lehrlingen und bei angelernten und ungelernten jugendlichen Arbeitern ist das arbeitsrechtliche Verhältnis des Arbeitsvertrages. Ich habe weiter gesagt, daß die Frage „Erziehungs- oder Arbeitsverhältnis" streitig ist. Wir sind da anderer Auffassung. Wir sollten hier keine Ungleichheiten schaffen. Der Vorschlag der FDP geht ungefähr in die gleiche Richtung. Er besagt: Als Arbeitgeber im Sinne dieses Gesetzes gilt, wer einen Jugendlichen gemäß Abs. 2 beschäftigt. Er sagt dann weiter: Entsprechend wird in allen Vorschriften dieses Gesetzes das Wort „Beschäftiger" durch das Wort „Arbeitgeber" ersetzt. Er vermeidet aber, zu sagen: Das Wort „Beschäftigter" wird durch das Wort „Arbeitnehmer" ersetzt. Wenn wir diesem Vorschlag zustimmten, dann kämen wir zu Schwierigkeiten in der Praxis, wenn das Arbeitsgericht zu entscheiden hat, was Rechtens ist. Ich möchte diesem Einwand nur insoweit begegnen. Aber grundsätzlich meinen wir, daß wir hier keine Ursache haben, ein neues Wort einzufügen, solange wir den „Arbeitgeber" und den „Arbeitnehmer" haben. Diese Begriffe sind auch für die große Zahl der Jugendlichen entsprechend anzuwenden. Daß in diesem Gesetz auch eine Interpretation bezüglich der kleinen Zahl der verbleibenden fremden Kinder gegeben wird, dient, glaube ich, der Klärung. Ich bitte, unserem Vorschlag zuzustimmen. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich gebe das Wort Frau Dr. Lüders zur Begründung des gleichlautenden Änderungsantrags der Fraktion der FDP Umdruck 639 ({0}).

Dr. Dr. h. c. Marie Elisabeth Lüders (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001391, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu den ziemlich heftigen Auseinandersetzungen, die wir soeben über den anderen Paragraphen hatten, eine kurze Bemerkung machen. Ob das, was an solchen Vorschriften in diesem Gesetz, überhaupt in Arbeitsgesetzen, steht, in der Praxis durchgeführt wird, hängt im wesentlichen davon ab, ob bei den Aufsichtsbehörden das zahlenmäßig notwendige und auch entsprechend ausgebildete Personal vorhanden ist. Da liegt in Deutschland ganz allgemein die Crux. Herr Arbeitsminister, wenn Sie den Jugendlichen sehr gewogen sein wollen, dann sorgen Sie dafür, daß bei den Aufsichtsorganen sehr viel mehr und sehr viel besser ausgebildete Leute vorhanden sind, genauso wie das bezüglich der Frauen und erwerbstätigen Mütter notwendig ist. ({0}) Ich glaube, wir alle kennen die ungenügenden Verhältnisse. So viel im Rückblick auf das, was wir soeben angehört haben. Mit unserem Antrag auf Umdruck 639 ({1}) wollen wir in allen Vorschriften des Gesetzes das Wort „Beschäftiger" durch das Wort „Arbeitgeber" ersetzen. Gewiß, es kann - das muß man gegenüber den Verfechtern des Wortes „Beschäftiger" zugeben - Fälle geben, in denen der Gebrauch des Wortes „Arbeitgeber" nicht absolut angemessen erscheint, z. B. - um etwas aus der Praxis zu bringen - wenn der Sohn eines Schreinermeisters Lehrling bei seinem Vater ist. Um völlige Klarheit zu schaffen, schlagen wir als § 2 a die Bestimmung vor, daß als Arbeitgeber im Sinne dieses Gesetzes gilt, wer ein Kind oder einen Jugendlichen beschäftigt. Unser Vorschlag entspricht sinngemäß dem Vorschlag des Bundesrates; wir haben ihn nur sprachlich etwas anders gefaßt. Die logische Folge der Annahme unseres Antrags ist, daß in allen Bestimmungen dieses Gesetzes die Bezeichnung „Beschäftiger" durch die Bezeichnung „Arbeitgeber" ersetzt wird. Wir haben um der Klarheit willen in unserem Antrag Umdruck 639 ({2}) die Fassung unseres Vorschlags der Fassung des SPD-Vorschlags angeglichen. Der Unterschied zwischen unserem Antrag und dem Antrag der SPD liegt jedoch darin, daß die SPD außerdem fordert, in dem Gesetz das Wort „Beschäftigter" durch das Wort „Arbeitnehmer" zu ersetzen. Dieser Teil des Antrags der SPD beschwört nach unserer Auffassung den uralten Streit über die Rechtsnatur des Berufsausbildungsverhältnisses herauf, der keineswegs erwünscht ist und der unseres Erachtens vornehmlich akademischen Charakter angenommen hat. Dieser Streit ist nach unserer Meinung nicht heute und auch nicht hier zu entscheiden. Wir haben deshalb in unserem Antrag diese Frage nicht angesprochen. Obwohl ich nicht etwa jemals Lehrerin oder Neuphilologin gewesen bin, darf ich nun vielleicht doch noch ein kurzes Wort zu der neuen Wortschöpfung „Beschäftiger" sagen. Solche nach unserer Ansicht völlig überflüssigen und meist schiefen sprachlichen Versuche erinnern an die Manie der sogenannten Teenager, ({3}) die Zustimmung oder Ablehnung in Wendungen zum Ausdruck bringen, die kein vernünftiger Mensch sonst verstehen kann. Unsere sehr geehrte Kollegin Kuchtner hat etwas sehr Nettes gesagt. Sie meinte, man solle in Anlehnung an solche Versuche den Interessenten als „Belangerich" bezeichnen. ({4}) Das ist eine ausgezeichnete Idee. Hier sind gewiß viele Belangeriche für Mandate vorhanden. Ich will sie nicht mit Namen nennen. ({5}) Niemand sonst versteht ja, was die Teenager mit ihren Ausdrücken meinen. Ich möchte jedoch die vorliegende entsetzliche Wortschöpfung „Beschäftiger" mit einem Ausdruck der Teenagersprache als „sauer" bezeichnen. Sehen Sie einmal in der Teenagersprache nach, was „sauer" auf deutsch bedeutet. Oder ich möchte sie als „Superbediene bezeichnen, nämlich als eine Sache, die niemanden gefällt; sie ist also, wie man in der Teenagersprache sagt, „nicht schau". ({6})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, ich habe zwar für meine Person als Angehöriger eines anderen Geschlechts etwas charmantere Vorstellungen von den Teenagern. ({0}) Aber ich stimme mit der Frau Abgeordneten Dr. Lüders völlig in der Empfehlung überein, von diesem grauenhaften Wort abzusehen. Ich weiß gar nicht, ob es eine Wortneuschöpfung ist. Wenn es das ist, kann ich Ihnen ebenfalls mein aufrichtiges Beileid dazu aussprechen. ({1}) Ich würde also um einer guten deutschen Sprache willen, der dieses Haus ebenso verpflichtet ist wie alle anderen Volksgenossen, auch empfehlen, ein anderes Wort zu wählen. Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründungen der gleichlautenden Anträge gehört. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Lang!

Georg Lang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 636, hinter § 2 einen neuen § 2 a einzufügen, entspricht inhaltlich im wesentlichen dem Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 639. Beide Anträge haben das Ziel, daß in allen Vorschriften dieses Gesetzes das Wort „Beschäftiger" durch das Wort „Arbeitgeber" und das Wort „Beschäftigte" durch das Wort „Arbeitnehmer" ersetzt werden. Die Fraktion der CDU/CSU ist der Meinung, daß die Begriffe „Arbeitgeber" und „Arbeitnehmer" in diesem Gesetz nicht in jedem Falle verwendbar Lang ({0}) sind. Nach arbeitsrechtlichen Normen treffen diese Bezeichnungen nur zu, wenn es sich im rechtlichen Sinne um ein Arbeitsverhältnis handelt. Bei Kindern, die gelegentlich von den eigenen Eltern beschäftigt werden, kann doch wohl von einem Arbeitsverhältnis nicht die Rede sein. Ähnlich liegen die Verhältnisse auf dem Gebiete der Heimarbeit. Auch dort werden die Kinder erwiesenermaßen fast regelmäßig zu kleinen Handreichungen herangezogen. Der Grundsatz gilt im übrigen für alle gelegentlichen Hilfeleistungen. In diesem Gesetz sind also auch Tatbestände erfaßt, bei denen weder der Begriff des Arbeitsgebers noch der des Arbeitnehmers zutrifft. Wir haben allen Anlaß, unsere Fachbezeichnungen den veränderten soziologischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Es wundert mich, daß politische Kräfte sich hier ablehnend verhalten, die bei jeder Gelegenheit im Rahmen ihrer Werbung zu betonen pflegen, sie seien die einzigen, die mit der Zeit gingen. Zudem ist die Sprache etwas Lebendiges. Wir sollten der deutschen Sprache als Gesetzgeber nicht allzu straffe Zügel anlegen. Aus all diesen Gründen bitte ich das Hohe Haus, die Änderungsanträge auf Umdruck 636 und Umdruck 639 abzulehnen und der Ausschußfassung die Zustimmung zu geben.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Kemmer.

Emil Kemmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001082, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne zu diesem Antrag namentliche Abstimmung beantragen zu wollen, möchte ich doch im Gegensatz zu dem Herrn Präsidenten und zur Frau Alterspräsidentin sagen, daß der Deutsche Sprachverein dieses Wort als eine „hervorragende Neuschöpfung" bezeichnet hat. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Da kann ich nur sagen: ich spreche auch dem Deutschen Sprachverein mein Beileid aus. ({0}) Herr Abgeordneter Jahn!

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich dem soeben ausgesprochenen Beileid nur aus vollster Überzeugung anschließen. Ist es eigentlich notwendig, daß wir hier solche Begriffe, die wir bisher überhaupt nicht gehabt haben und für die eine praktische Notwendigkeit überhaupt nicht besteht, in unsere Gesetzessprache einführen? In unserem deutschen Arbeitsrecht gibt es seit langen Jahrzehnten den Begriff des Arbeitsgebers, und jedermann weiß, was damit gemeint ist; jedermann kann damit umgehen. Auch wenn dieser Begriff in dem Jugendarbeitsschutzgesetz nicht haarscharf auf jeden Sonderfall passen sollte, wird es in der Praxis bei der Anwendung des Gesetzes keine Schwierigkeiten geben. Wir sollten gelegentlich auch einmal daran denken, daß es bei der Gesetzesflut, die offenbar nicht zu vermeiden ist, doch nicht Aufgabe dieses Hauses sein kann, auch noch dort für den Laien Verwirrung zu stiften, wo wir uns derartiges ersparen können. Wenn wir bei dem bisherigen Begriff des Arbeitgebers bleiben, dann wissen die Menschen, die nachher draußen mit dem Gesetz arbeiten müssen und nicht gerade Juristen sind, immer noch, was gemeint ist, und brauchen nicht erst wieder zu überlegen, was dieser neue Begriff „Beschäftiger" eigentlich bedeutet. Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Schneider!

Georg Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002043, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! An sich ist das im Vergleich zu der ganzen Gesetzesvorlage nur ein kleiner Fisch. Trotzdem möchte ich dazu Stellung nehmen - ich habe keinen unmittelbaren Auftrag von der Fraktion, sondern spreche aus mir heraus -, weil die Angelegenheit immerhin durch die Meinungsäußerung des Herrn Präsidenten und auch der Frau Alterspräsidentin ein Gewicht bekommen hat. Ich möchte dieses Gewicht etwas nach der anderen Seite verschieben. Ich hoffe, daß mir das gelingen wird. Zunächst ist festzustellen - und jeder Jurist wird das zugeben müssen -, daß mit dem Wort „Arbeitgeber" nicht all die Personen erfaßt werden, die in der Gesetzesvorlage erfaßt werden sollen. ({0}) Es geht demnach nur darum, ob das Wort „Beschäftiger" durch ein besseres Wort ersetzt werden kann. Da uns in all den vieljährigen Beratungen im Ausschuß kein besseres Wort eingefallen ist, haben wir Ihnen diesen Vorschlag unterbreitet. Wenn sie rein formalrechtlich das erfassen wollen, was mit dem Gesetz gesagt ist, müssen Sie den Antrag ablehnen. Sie müssen doch davon ausgehen, daß hier nicht nur Personen erfaßt werden, die in einem arbeitsrechtlichen Verhältnis stehen, in einem Verhältnis, wo der Arbeiter oder Angestellte auf der einen und der Arbeitgeber auf der anderen Seite steht, sondern daß es sich hier um Beschäftigungsverhältnisse handelt, wo Kinder und auch Jugendliche gelegentlich Arbeit verrichten. Das können Sie eben nur mit dem gegenüber dem Begriff des Arbeitgebers umfassenderen Begriff des Beschäftigers zum Ausdruck bringen. Ich bitte Sie deshalb dringend, den Antrag der FDP abzulehnen, so gering die Sache auch erscheinen mag.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, das Bedauerliche ist in diesem Augenblick, daß kein genialerer Vorschlag gemacht wird, der der Rechtsintention des Abgeordneten Schneider entspricht. Wenn wir keinen besseren Vorschlag haben, so fürchte ich, daß jetzt eben abgestimmt werden muß. Ich bleibe dabei, daß das Wort „Beschäftiger" nicht schön ist. - Herr Abgeordneter Stammberger!

Dr. Wolfgang Stammberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002215, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diesen durchaus berechtigten Bedenken trägt unser Vorschlag Rechnung, der sich von dem ursprünglichen Antrag der SPD etwas unterscheidet. Es ist durchaus so - da möchte ich meinem Vorredner beipflichten -, ,daß ein Arbeitgeber ein Beschäftiger, aber ein Beschäftiger nicht unbedingt ein Arbeitgeber ist. Daher sagen wir in unserem Antrag auch nicht - wie ursprünglich die SPD - „Arbeitgeber im Sinne dieses Gesetzes ist ...", sondern: „Als Arbeitgeber im Sinne dieses Gesetzes gilt ...". Damit ist Ihren Bedenken Rechnung getragen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Jetzt haben wir den Unterschied ganz fein herausgebracht. ({0}) Wird dazu noch das Wort gewünscht? - Dann lasse ich der Reihe nach abstimmen. Herr Abgeordneter Stammberger, aus Ihren Darlegungen schließe ich, daß auch Sie der Meinung sind, daß der Antrag der Fraktion der SPD der weitergehende ist. ({1}) Ich lasse also zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 636 abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Dieser Antrag ist abgelehnt. Jetzt kommt der Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 639 ({2}) : „Als Arbeitgeber . . . gilt" Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich muß die Abstimmung wiederholen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Ich kann nur sagen: da muß ich mich als „Beschäftiger" betätigen; wir stimmen im Hammelsprung ab. Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP haben gestimmt 188 Mitglieder des Hauses, dagegen haben gestimmt 140 Mitglieder des Hauses, enthalten haben sich 9. Der Begriff des „Beschäftigers" ist in diesem Hause zunächst nicht akzeptiert. ({3}) Damit ist der § 2 a nach dem Vorschlag der FDP in den Entwurf eingefügt. Ich rufe § 3 auf, ebenfalls § 4. Zu den beiden liegt kein Änderungsantrag vor. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den §§ 3 und 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. § 5! Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 637 Ziffer 2 vor. ({4}) - Nein, meine Damen und Herren! Ich muß leider darauf aufmerksam machen, daß ich den Pauschalantrag, in allen Vorschriften des Gesetzes die entsprechende Änderung vorzunehmen, nur gelten lassen kann, wenn ich feststelle, daß das Haus einverstanden ist, daß die entsprechende Änderung automatisch erfolgt. Wäre das Haus damit einverstanden, brauchten wir jetzt bei § 5 nicht darüber abzustimmen. Sind Sie einverstanden? ({5}) Nicht daß nachher jemand kommt und sagt: So haben wir nicht gewettet! - Das Wort „Beschäftiger" wird also durchweg geändert. Der Antrag Umdruck 637 Ziffer 2 ist damit erledigt. Ich lasse über § 5 abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist in der dem Pauschalantrag entsprechend geänderten Fassung angenommen. Zu § 6 liegt kein Änderungsantrag vor. Wer dem § 6 zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. § 7! Dazu Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 637 unter Ziffer 3. - Zur Begründung Herr Abgeordneter Mischnick!

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beantragen - Umdruck 637 Ziffer 3 a -, in § 7 Abs. 1 Satz 1 die Worte „über drei Jahre" zu streichen und damit die Ausnahmegenehmigung auch für Kinder unter 3 Jahren zu ermöglichen. Das klingt im ersten Moment schrecklich, aber es ist gar nicht so schrecklich. Es geht einzig und allein darum, daß den Filmgesellschaften und dem Fernsehen die Möglichkeit gelassen wird, auch Kleinstkinder unter drei Jahren in Filmen insbesondere in Lehrfilmen zu zeigen. Wenn die Bestimmung so bleibt, wie sie jetzt ist, bedeutet das, daß die deutschen Filmgesellschaften, wenn in irgendeinem Film ein Baby oder ein Kleinstkind in der Spielhandlung - oder in einem Lehrfilm - erscheinen soll, diesen Film in Zukunft im Ausland aufnehmen müssen. Das kann doch wohl nicht der Sinn des Jugendarbeitsschutzgesetzes sein. ({0}) Die Bedenken, die dagegen eingewandt werden, daß man Kleinstkinder überhaupt heranzieht, werden weitgehend durch die scharfen Bestimmungen ausgeräumt, die die Aufsichtsbehörden in den Orten erlassen haben, in denen sich die Filmateliers befinden. Beispielsweise ist für München festgelegt, daß ein Kleinkind überhaupt nicht länger als 20 Minuten an einem Tag zu Aufnahmen herangezogen werden darf, nicht länger als 5 Minuten nacheinander, daß ein Kinderarzt dabei sein muß, daß eine Säuglingsschwester dabei sein muß. Vor allen Dingen kann die Einhaltung dieser Bestimmungen, weil es sich nur um wenige Ateliers handelt, wirklich bis ins letzte überwacht werden. Vergessen Sie bitte nicht, daß auch Lehrfilme, wie sie z. B. bei der Ausbildung von Säuglingsschwestern verwendet werden, nicht mehr herge6574 stellt werden könnten, wenn wir die Vorschrift in der vorgesehenen Form annähmen. Wir bitten um Annahme unseres Antrags. ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall; wir stimmen ab. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 637 Ziffer 3 zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Zur Begründung des Änderungsantrags Umdruck 644 hat der Abgeordnete Memmel das Wort.

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 7 Abs. 3 heißt es, daß die Beschäftigung eines Kindes, von der wir vorhin sprachen, nur auf Antrag des gesetzlichen Vertreters in persönlichen Angelegenheiten oder mit seiner schriftlichen Zustimmung bewilligt werden kann. Die Formulierung „gesetzlicher Vertreter in persönlichen Angelegenheiten" ist kein Terminus technicus, kein Ausdruck, den man sonst, im BGB oder in der Zivilprozeßordnung findet. Ich schlage deshalb vor, diesen Begriff durch das Wort „Personensorgeberechtigter" zu ersetzen. Es besteht hierfür auch ein gewisser innerer Grund. Bei einem unehelichen Kind ist der gesetzliche Vertreter der Amtsvormund oder der Einzelvormund. Das Personensorgerecht, wie es in § 1631 des BGB umschrieben ist, d. h. das Recht, das Kind zu erziehen und zu beaufsichtigen, hat die uneheliche Mutter. Wir wollen nicht, daß der gesetzliche Vertreter, also der Amtsvormund oder der Einzelvormund seine Zustimmung geben muß. Die Zustimmung soll die Mutter geben, die das Personensorgerecht hat. Deswegen müssen wir die Worte „gesetzlicher Vertreter des Kindes in persönlichen Angelegenheiten" durch das Wort „Personensorgeberechtigter" ersetzen, und zwar mit Rücksicht auf § 1631 und § 1707 BGB. Wenn man nur „gesetzlicher Vertreter" schriebe, wäre das auch nicht richtig, weil man dann den Fall nicht träfe, den ich vorhin erwähnte. Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen. Es steht nichts weiter dahinter, sondern es handelt sich nur um eine sprachliche und juristische Richtigstellung.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir stimmen ab. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Wer dem § 7 in der so geänderten Fassung zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme. Zu § 7 a liegen auf den Umdrucken 629 Ziffer 2 und 631 Ziffer 2 zwei Änderungsanträge vor. Am weitesten geht der Antrag Umdruck 631 Ziffer 2. Das Wort hat der Abgeordnete Frehsee.

Heinz Frehsee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000576, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind in der zweiten Beratung jetzt an einem Punkt angelangt, der sich höchstwahrscheinlich als ein Schwerpunkt der heutigen Beratungen erweisen wird. ({0}) Das findet seinen Ausdruck, das kann ich jetzt schon sagen, auch darin, daß ich im Namen der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei für den Antrag der SPD auf Umdruck 631 Nr. 2, den § 7 a zu streichen, namentliche Abstimmung beantragen werde. Ich bin sehr erfreut, daß der Herr Minister jetzt anwesend ist, einmal weil es sich um einen sehr bedeutungsvollen Paragraphen handelt und zum anderen weil ich ihm ein Kompliment machen möchte. Das gibt es also dann und wann auch einmal. Ich möchte ihm und damit der Regierung ein Kompliment machen, weil sie keine solche Ausnahmebestimmung in ihrer Vorlage vorgesehen hatte, wie sie jetzt in der Ausschußvorlage enthalten ist. Meine Damen und Herren, bei dieser Neuregelung des gesetzlichen Jugendarbeitsschutzes sollen erstmals die Landwirtschaft und die Hauswirtschaft einbezogen werden. Das war bisher noch nie der Fall. Das ist von meinem und vom Standpunkt der Fraktion der SPD eine sehr erfreuliche Angelegenheit. Deswegen sagte ich, daß wir hier der Regierung ein Kompliment machen müssen. Wir tun es dort, wo es angebracht ist, und wir meinen, daß es hier berechtigt ist, Anerkennung zu zollen. Die Regierung wollte die Landwirtschaft und die Hauswirtschaft in den Jugendarbeitsschutz einbeziehen und keine Ausnahmen vorsehen, wie sie jetzt bei § 7 a vom Ausschuß vorgeschlagen werden, was ich für sehr, sehr bedauerlich halte. Im Ausschuß ist über diesen Paragraphen sehr lange diskutiert worden. Mehrere Tage - in Abständen - hat sich der Ausschuß damit befaßt. Das Ergebnis, das Ihnen in der Ausschußvorlage auf Seite 19 rechts unten - schwarz gedruckt - vorliegt, läßt das Bemühen erkennen - ich will dieses Bemühen gar nicht anzweifeln -, eine Regelung zu finden, die Härten zu vermeiden geeignet sein könnte. Ich fürchte, daß sie nicht geeignet ist, Härten und Mißbräuche zu verhindern. Nicht angetastet worden ist der volle Jugendarbeitsschutz für fremde Kinder, die bis zu zwölf Jahre alt sind. Ich möchte besonders unterstreichen, damit keine Mißverständnisse entstehen: Es handelt sich bei diesem Paragraphen nicht um eigene und verwandte Kinder, über die wir vorhin gesprochen haben. Bei § 7 a handelt es sich um familienfremde Kinder, allerdings um Kinder über zwölf Jahre, die von dem vollen Jugendarbeitsschutz ausgenommen werden sollen, für die er, wie es hier heißt, nur beschränkt gelten soll. Sie sollen nur gelegentlich und nur mit leichten und für Kinder geeigneten Hilfeleistungen beschäftigt werden; sie sollen nicht zwischen 18 und 8 Uhr, nicht vor dem Schulunterricht und nicht an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen beschäftigt werden. Der Berichterstatter hat in seinem Schriftlichen Bericht - ich möchte das wegen der Bedeutung dieser Frage, wenn der Herr Präsident es erlaubt, doch noch einmal zitieren - gesagt: Der Ausschuß ist jedoch in Übereinstimmung mit dem Ausschuß für Familien- und Jugendfragen der Ansicht, daß es zur Zeit der Landwirtschaft, insbesondere den kleinbäuerlichen Betrieben, noch nicht zugemutet werden kann, völlig auf die Mithilfe fremder Kinder zu verzichten, weil sonst die Erledigung aller notwendigen Arbeiten, zumal in der Erntezeit, nicht gewährleistet ist, wenn es auch das Ziel bleibt, die Kinderarbeit in der Landwirtschaft in jeder Form zu beseitigen. Nun, meine Damen und Herren, die Dreizehn- und Vierzehnjährigen sollen dazu herangezogen werden dürfen, Arbeiten in der Landwirtschaft zu verrichten, allerdings als Hilfeleistungen und nicht jederzeit, sondern nur gelegentlich. Dazu möchte ich zunächst einmal sagen: Die Dreizehn- und Vierzehnjährigen werden, wie man im Volksmund sagt, den Kohl auch nicht fett machen. Wenn Sie sich schon dazu durchgerungen haben, die familienfremden Kinder bis zu zwölf Jahren in den Jugendarbeitsschutz einzubeziehen, geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß und nehmen Sie die 13-und 14jährigen Kinder auch mit in diese Regelung hinein! Nicht von ungefähr hat doch der Gesetzgeber schon immer, wenn er Jugendarbeitsschutzgesetze machte, die Grenze bei 14 Jahren gezogen. Dies ist aus medizinischen und psychologischen und pädagogischen Gründen geschehen. - Das ist das eine, was ich dagegen einwenden möchte und weswegen ich bitten möchte, auf die Inanspruchnahme 13- und 14jähriger Kinder zu Hilfeleistungen zu verzichten. Dazu hat die CDU einen Antrag vorgelegt, in dem sie den Begriff „gelegentlich" verdeutlicht. In der Fassung des Ausschusses heißt es, daß solche Kinder nur gelegentlich beschäftigt oder zur Hilfeleistung herangezogen werden dürften. Die CDU beantragt nun - ich darf den Antrag an dieser Stelle zitieren, weil das ja im Zusammenhang zu sehen ist -, das Wort „gelegentlich" zu streichen und dafür zu folgenden Formulierungsvorschlag zu wählen: Solche Hilfeleistungen dürfen nicht regelmäßig, sondern nur gelegentlich stattfinden. Ich anerkenne das Bemühen, diesen Begriff „gelegentlich" noch genauer zu definieren, um Mißbräuche zu vermeiden. Nichtsdestoweniger aber sagt der Ausschußbericht auf Seite 4 zu § 7 a: Die Beschäftigung wird demgemäß beschränkt auf Kinder über 12 Jahre; und auch diese dürfen nicht regelmäßig, sondern nur gelegentlich, z. B. bei der Obst- oder Kartoffelernte, herangezogen werden. Bei der Obst- oder Kartoffelernte! Nun ja, also gegelegentlich der Obsternte und Kartoffelernte und gelegentlich - beispielsweise, Herr Kollege Ruf -der Rübenpflege. Wir sind gerade in ,der Zeit der Rübenpflege, und Sie alle, meine Damen und Herren, können, wenn Sie hierherfahren und aus dem Auto oder dem Abteilfenster hinausgucken, allenthalben in Deutschland jetzt in dieser Zeit Kinder bei der Rübenpflege sehen, und Sie meinen vielleicht, diese Kinder machten es gern. ({1}) - Meine Damen und Herren, ich bin vom Fach und habe es selber gemacht, als Kind und auch noch später, und ich muß Ihnen sagen, dieses Rübenverziehen - das ist die ausgesprochene Kinderarbeit während der Zeit der Rübenpflege - ist eine sehr harte und eine sehr schwere Arbeit. Man geht als Kind halt nur notgedrungen hin, wenn man dazu beauftragt ist und wenn die Eltern einen dazu hinschicken; weil man gehorchen muß, tut man es dann. Aber ich muß aus meiner persönlichen Erfahrung sagen, ,daß ich nicht begeistert war, zu dem Rübenverziehen geschickt zu werden. ({2}) Heute habe ich auch eine wissenschaftliche Erklärung für die persönliche Einstellung, die ich damals hatte. Spitzer-Hettinger haben im Jahre 1958 ein Sonderheft der Refa mit Tafeln für den Kalorienumsatz bei körperlicher Arbeit herausgegeben. In diesen arbeitswissenschaftlichen Tafeln ist das Rübenverziehen aufgeführt, und da steht, daß das Rübenverziehen kniend 2,4 Kcal/min. erfordert, gebückt 2,6 Kilokalorien. Das Kartoffelverlesen kniend steht auch in diesen Tafeln; ich will es zitieren, weil auch die Kartoffelernte als eine Arbeit genannt worden ist, für die „gelegentlich" Kinder herangezogen werden könnten. Diese Arbeit kostet auch 2,6 Kilokalorien pro Minute. Nehmen Sie noch etwas aus der Obsternte! Nehmen wir Beerenobst, weil das gerade hier aufgeführt worden ist. Das Erdbeerenpflücken kostet also beispielsweise nach diesen wissenschaftlich exakten Arbeitsstudien 3,4 Kilokalorien pro Minute. ({3}) - Was beim Erdbeeressen an Kalorien verbraucht wird, haben die Arbeitswissenschafler nicht untersucht, wahrscheinlich weil sie der Auffassung sind, Herr Kollege, daß das Erdbeeressen keine Arbeit und auch keine Hilfeleistung im Sinne dieses Gesetzes ist. Es gibt allerdings in diesem Hause, wie ich sicher weiß, Kollegen, die der Auffassung sind, daß auch das Erdbeeressen so wie das Butteressen eine sehr wertvolle Hilfeleistung für einen bestimmten Bereich unserer Volkswirtschaft darstellt. ({4}) Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Dinge sina ira et studio, ganz leidenschaftslos, nüchtern und sachlich vortragen. Demgegenüber beträgt ,der Verbrauch gemessen in Kilokalorien bei der Arbeit im Baugewerbe - auch dafür stehen die Zahlen hier in dem Bericht, und mein Kollege Leber wird es mir hoffentlich nicht übelnehmen, daß ich, natürlich ohne jede Voreingenommenheit, auch diese Zahlen nennen - je nach Steinart zwischen 1,8 und 2,7. Beim Bergbau ist es natürlich mehr, 3,8 und höher. Dann steht hier noch das Aufladen von Rüben; es kostet 10,2 Kcal pro Minute. Unter den Beschäftigungen, die nach der Formulierung ,des Ausschußvorschlages für Kinder über 12 Jahre als „für Kinder geeignete Hilfeleistungen" zugelassen sein sollen, versteht doch jeder Fachmann, weil das eben so überliefert ist, auch das Rübenverziehen, und das sind nach den Zahlen, die ich genannt habe, schwere Arbeiten. Es werden also auch schwere Arbeiten als „für Kinder geeignete Hilfeleistungen" aufgefaßt. Darauf kam es mir an, das herauszustellen und mit diesen Beispielen die Fragwürdigkeit der Formulierung ,des § 7 a der Ausschußvorlage aufzuzeigen. Ganz abgesehen davon möchte ich sagen, daß sich natürlich, wenn Kinder draußen auf dem Felde arbeiten, erstens kaum kontrollieren läßt, oh es Verwandte oder Fremde sind wenn sie unter zwölf Jahren sind, denn eigene Kinder dürfen ja unter zwölf Jahren arbeiten, fremde dürfen erst arbeiten, wenn sie über zwölf Jahre alt sind. Und wer soll unterscheiden, oh es im Sinne des Gesetzes eine „leichte und für Kinder geeignete Hilfeleistung" ist? Das müßte auch erst durch Rechtsverordnung festgestellt werden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Heinz Frehsee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000576, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja!

Dr. Walter Pflaumbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001708, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Frehsee, Sie kennen doch die Verhältnisse im Kreise Uelzen, Sie haben ja jahrelang dort gewohnt. Sie wissen, daß es im Kreise Uelzen üblich ist, daß die Mütter, wenn sie zum Kartoffellesen gehen, ihre Kinder mitnehmen. Darf ich Sie fragen, ob Ihr Antrag so weit geht, daß ein Bauer bestraft wird, der zuläßt, daß diese Kinder ihrer Mutter behilflich sind? Das könnte der Formulierung nach durchaus darin liegen.

Heinz Frehsee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000576, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Pflaumbaum, das ist eine Sorge, die ich auch mit meinen eigenen Landarbeiterkollegen habe. Wissen Sie noch, wie es war, als wir hier die erste Lesung hatten? Ich glaube, es war der Kollege Wittmer-Eigenbrodt, der hier heraufging. Ich habe mich damals schon sehr entschieden gegen die Kinderarbeit in der Landwirtschaft gewandt. Da haben Sie gesagt: man soll ihnen doch ruhig die Möglichkeit lassen, sich einmal ein paar Pfennige zu verdienen, wir haben halt alle den „kaptativen Trieb" in uns, auch die Landarbeiter, die ihre Kinder zum Kartoffellesen mitnehmen. - Aber ich habe dabei kein schlechtes Gewissen; ich beantworte Ihre Frage, Herr Kollege Dr. Pflaumbaum: Der § 69 läßt das zu. Der § 68 definiert den Verwandtschaftsgrad. Übrigens gelten die §§ 68 und 69 für die gesamte Bevölkerung und für die gesamte Wirtschaft, also auch für die Landwirtschaft, sofern es sich nicht - weil sie vorn in § 1 ausgenommen sind - um eigene Kinder des Bauern handelt. Die sind ja ganz ausgenommen, die §§ 68 und 69 können für sie nicht angezogen werden. Angezogen werden sie aber für die Landarbeiter, von denen Sie soeben gesprochen haben, und für die Landarbeiterfrauen, die Industriearbeiter-frauen und die Frauen der gewerblichen Arbeiter, die, wie ich aus dem Kreise Uelzen weiß, ihre Kinder zum Kartoffellesen mitnehmen und dann mit den Kindern zusammen arbeiten. Da gelten sie dann als Beschäftiger oder, wie wir uns soeben entschieden haben, Arbeitgeber, und nach § 69 dürfen die Kinder, wenn sie über 12 Jahre alt sind, zu dieser Arbeit mitgenommen werden.. All diese Überlegungen lassen sicherlich den Schluß zu, den eine sozialpolitisch besonders versierte Journalistin in einer großen Zeitung gezogen hat. Die Eingeweihten unter Ihnen, die besonders Zuständigen haben das sicherlich gelesen; ich will es auch nicht im einzelnen zitieren. Sie hat gesagt, dieser § 7 a könne unter Umständen, obwohl er ein Verbot beinhalte - was doch wohl beabsichtigt war; es ist ja sehr stark eingeschränkt -, als eine Aufforderung aufgefaßt werden. - Ich habe nur zitiert. Das hat in einer der größten deutschen Zeitungen gestanden und stammt aus der Feder einer sehr bekannten und nicht unbedeutenden sozialpolitisch tätigen Journalistin. Ich möchte Sie darauf hinweisen, meine Damen und Herren! Welche Gründe - mit einigen habe ich mich schon auseinandergesetzt - werden für diese Ausnahmebestimmung für familienfremde Kinder angeführt? Angeführt wurde, auch im Ausschußbericht, doch gewissermaßen der Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft. Wenn da gesagt wird: gelegentlich, also zur Zeit der Kartoffelernte und der Obsternte, und man könne es kleinbäuerlichen Betrieben nicht zumuten, schon jetzt auf die Kinderarbeit ganz zu verzichten, dann, meine Damen und Herren, ist es doch logisch, wenn man daraus den Schluß zieht, daß eben aus arbeitswirtschaftlichen Gründen - weil nicht genügend Arbeitskraft zur Verfügung steht - die Kinder in Anspruch genommen werden sollen. Der Herr Kollege Pflaumbaum macht mir soeben ein Zeichen, das wohl bedeuten soll: Was kostet das? - Meine Damen und Herren, ich sagte schon beim § 1: dieses Gesetz ist nun einmal ein Jugendarbeitsschutzgesetz und kein Landwirtschaftsschutzgesetz. ({0}) Herr Kollege Pflaumbaum, Sie haben, das geben Sie zu, oft unsere Unterstützung bei dem Bemühen, die wirtschaftlichen Probleme der Landwirtschaft zu lösen. Wir versuchen zu helfen, wo immer wir können. Aber dies ist ein untaugliches Objekt. Man kann nicht mit Kinderarbeit wirtschaftliche Probleme landwirtschaftlicher Betriebe lösen wollen. ({1}) Im Ausschuß habe ich das gleiche gesagt. Ich will hier ganz fair erklären: es ist widersprochen worden; man hat gesagt: „Wirtschaftliche Gründe können für uns Arbeitsrechtler im Bundestag nicht der Grund sein, Kinderarbeit zuzulassen." Aber: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", auch angesichts der Fassung des Ausschußberichtes. Ich will damit in keiner Weise den Berichterstatter angreifen; ich glaube, er hat sehr korrekt berichtet. Aber das liegt ja darin, auch wenn man es nicht aussprechen will, oder selbst wenn man es nicht wahrhaben will. Dann werden noch - und wurden immer -erzieherische Gründe angeführt. Meine Damen und Herren, die Leute, die etwas von Erziehung verstehen, die Pädagogen, die Psychologen, die Lehrer, sind sich doch alle darüber einig, daß man zum Ordnungssinn, zur Arbeitsmoral, zum Verantwortungsbewußtsein, zum Verantwortungsgefühl nicht unbedingt mit Kinderarbeit erziehen kann. Pflichtbewußtsein kann man als Vater in seinen Kindern sicherlich auch auf andere Weise wecken und entwickeln als dadurch, daß man die Kinder arbeiten läßt. Mit dem immer wieder angeführten Grund, man sollte den Kindern die Möglichkeit geben, sich etwas zuzuverdienen, habe ich mich schon beschäftigt. Ich halte es für ganz abwegig, hier an solche materialistischen Instinkte - die vorhanden sind, das bestreite ich nicht - zu appellieren. Es gibt sie; aber, meine Damen und Herren, dann ist es Aufgabe von uns Erwachsenen, Aufgabe der Eltern und Erziehungsberechtigten, Aufgabe von uns, die wir doch Verantwortung für die Kinder haben, sie davon abzuhalten, sich auf alle mögliche Art und Weise Geld zu verdienen. Einige Gegengründe habe ich schon aufgeführt; einige wichtige möchte ich noch nennen. Da ist die Bedeutung der Freizeit für das Kind, das durch den Schulbesuch - das sagen auch alle Pädagogen - sehr in Anspruch genommen wird und das als Ausgleich für die Anstrengungen des Schulbesuchs und die Konzentration, die am Vormittag in der Schule erforderlich ist, das Spiel und die freiwillige Beschäftigung braucht. Kinderarbeit zusätzlich zum Schulbesuch ist vom gesundheitlichen Standpunkt eingehend in der wissenschaftlichen Arbeit behandelt, die ich schon zitiert habe. Ich will nicht näher darauf eingehen, weil das zulange dauern würde. Es sind auch Beispiele angeführt. Mir wurde verschiedentlich entgegengehalten: Ja, Herr Frehsee, wo gibt es das denn überhaupt noch? Meine Damen und Herren, ich habe erst am Sonnabend wieder photographiert. Ich habe diese Bilder da und kann sie Ihnen zeigen. Ich will sie nicht hier zeigen; das würde wohl zuweit führen. Aber ich habe sie da, meine Kolleginnen und Kollegen, und kann Ihnen zeigen, wie es heute aussieht, daß es auch heute noch Kolonnenarbeit in der Landwirtschaft gibt. Im übrigen stehen viele Beispiele in diesem Büchlein, das ich jedem Interessierten zur Verfügung stelle. Ich habe hier ein Beispiel aufgeschlagen. Ein zehnjähriges Mädchen hat unter Aufsicht des Lehrers vom 16. bis 22. September ein Tagebuch geführt. Es schreibt darin: Freitag: Schule 7.45 bis 12 Uhr. 5 Stunden Hafer aufgestellt. Sonnabend 51/2 Stunden Hafer aufgestellt. Sonntag 6 Stunden. Sah dem Mähdrescher zu und half Garben aufstellen. Montag 4 Stunden Vieh von der Weide geholt. War auf dem Feld. Dienstag 6 Stunden Kartoffeln gelesen. Mittwoch 10 Stunden Kühe auf die Weide getrieben. Kartoffeln ausgemacht. Keine Schule. Donnerstag 4 Stunden Kraut geholt, Kühe und Schweine gefüttert, beides mit Mutter und Schwester. Ich will aufhören. Es sind viele solcher Beispiele in dieser Untersuchung aufgeführt. Diese Untersuchung wird übrigens fortgeführt. Ich bin, weil ich die Verhältnisse draußen kenne, davon überzeugt, daß auch für die jüngste Vergangenheit solche Beispiele in dem neuen Bericht der Agrar-Sozialen Gesellschaft zu finden sein werden. Ich möchte noch ein Wort zu den gesundheitlichen Schäden sagen, die mit der Kinderarbeit verbunden sind. Dafür gibt es keine exakten Unterlagen, was den Gesundheitszustand der Kinder selber angeht. Es gibt nur Untersuchungen über den Gesundheitszustand der in der Landwirtschaft tätigen Erwachsenen. Sie haben vor etwa einem Jahr im Auftrage des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der Agrar-Sozialen Gesellschaft, der Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie, der Landkrankenkassen und der Ärzteschaft stattgefunden. Herr Staatssekretär Dr. Claussen war mit mir gemeinsam auf dem Landkrankenkassentag am 6. und 7. November vorigen Jahres in Bad Godesberg, wo die Ergebnisse dieser Untersuchung vorgetragen wurden. Es sind Vergleichsuntersuchungen über den Gesundheitszustand von in gewerblichen und in landwirtschaftlichen Betrieben auf den Dörfern tätigen Menschen durchgeführt worden. Das Ergebnis muß bedenklich stimmen. Ich hoffe, daß dieses Ergebnis besonders die Vertreter der Ärzteschaft anspricht. Ich zitiere, damit es wieder unverdächtig ist, nicht die Untersuchungen selber, sondern den Bericht aus der „Deutschen Bauernzeitung" vom 23. November vorigen Jahres. Da steht: Dieser Vergleich fiel zuungunsten der landwirtschaftlichen Bevölkerung aus. Im ganzen gesehen waren 64 % aller untersuchten Männer und 68 % aller Frauen behandlungsbedürftig. Völlig gesund waren im Landkreis Kempen-Krefeld nur 15 % der Männer und 14 % der Frauen, im Landkreis Pfaffenhofen 17 % der Männer und 12 % der Frauen. Die häufigsten Schäden wurden am Skelettsystem festgestellt, und zwar in erster Linie an der Wirbelsäule, in zweiter Linie an den Füßen. Es folgten Erkrankungen der Verdauungsorgane sowie Herz- und Kreislaufschäden. Von den untersuchten Männern der gewerblichen Bevölkerung in Dachau hatten 25 %, in Krefeld 30 % Skelettschäden, von den Männern der Landwirtschaft des Kreises Kempen dagegen 46 % und des Kreises Pfaffenhofen 56 %. Die Schadenskurve stieg also zur Landwirtschaft hin an. In Kempen wie in Pfaffenhofen zeigte sich, daß die Herz- und Kreislaufstörungen vom 3. Kind an besonders häufig auftraten; das betrifft Landfrauen. Spezifisch weibliche Schädigungen fanden sich bei mehr als der Hälfte aller Landfrauen. 6578 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 115.. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1960 Die „Bauernzeitung" zieht daraus folgende Schlußfolgerung: Die Tatsache, daß die Schäden am Skelettsystem ({2}) bei den 35jährigen Männern in der Landwirtschaft so häufig seien wie bei den 55jährigen, mache deutlich, daß die Ursachen schon in der Jugend zu suchen seien. Das ist das, was ich herausarbeiten wollte: es ist eine Folge der Kinderarbeit in der Landwirtschaft. ({3}) Das ist meiner Ansicht nach exakt bewiesen. Noch ein Drittes und Letztes in der Reihe der Begründungen dieses Antrags der Fraktion der SPD, den Vorschlag des Ausschusses zu streichen: der Hinweis auf jene sehr, sehr stille Minute, meine Damen und Herren, die eintrat, als Herr Minister Blank vor wenigen Wochen eine Frage meines Kollegen Welslau nach der Anzahl der Unfälle von Kindern unter 14 Jahren in der Landwirtschaft beantwortete. Herr Minister Blank teilte mit, daß in den Jahren von 1950 bis 1958 21 000 Arbeitsunfälle bei Kindern in der Landwirtschaft vorgekommen sind. ({4}) Davon wurden 2800 durch die Berufsgenossenschaften entschädigt; sie waren also entschädigungspflichtig. 6 Unfälle, 6 Arbeitsunfälle von Kindern unter 14 Jahren in der Landwirtschaft pro Tag, meine Damen und Herren! ({5}) - Ja, natürlich; ich will nichts beschönigen, was auf der Straße geschieht, Herr Kollege Memmel. Das ist furchtbar: 14 000 Verkehrstote; aber davon sprechen wir jetzt nicht. Ich glaube, dieser Einwand war wirklich nicht am Platze. ({6}) - Dann bitte ich um Entschuldigung, dann habe ich Sie mißverstanden. Herr Kollege Memmel wollte also bloß fragen, wie viele von den damals von Herrn Minister Blank bei der Beantwortung der Frage des Herrn Kollegen Welslau genannten Unfällen bei Kindern in der Landwirtschaft auf der Straße passiert sind. Darüber gibt es leider keine Statistik. Als der Herr Minister die Frage beantwortete, bedauerte ich es auch, daß wir zwar genau wissen, wie viele Schafe und Ziegen und Kühe es gibt, ja, daß wir beinahe auf den Quadratmeter genau wissen, welche Flächen mit Weizen, Roggen, Kartoffeln und Zuckerrüben bestellt werden, daß aber der Herr Minister bei der Beantwortung der Frage des Abgeordneten Welslau auf Schätzungen angewiesen war. Erinnern Sie sich? Er sagte, man müsse die Zahl der entschädigten Unfälle mit 7,5 multiplizieren - das sei eine Erfahrungszahl dann komme man zu dem Gesamtergebnis. Genau-sowenig, wie es genaue Unterlagen über die Aufgliederung der Altersgruppen gibt, genausowenig gibt es eine Statistik der Unfälle, die auf dem Acker oder auf dem Wirtschaftsweg oder auf der Straße passiert sind. Deswegen kann ich Ihre Frage, Herr Kollege Memmel, nicht beantworten. Aber die Frage hat konstruktive Bedeutung, wenn sie von der Regierung als Anregung angesehen wird, die Statistiken über die Unfälle der Kinder in der Landwirtschaft etwas zu verfeinern. Es wäre sehr dankenswert, wenn das geschähe. Ich sagte, daß in der Landwirtschaft pro Tag sechs Kinder verunglücken. Durchschnittlich müssen die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften in der Bundesrepublik 310 Kinderunfälle im Jahr entschädigen, d. h. also einen Kinderarbeitsunfall täglich. Sehr, sehr traurig war auch das, was der Herr Minister weiter in seiner Antwort sagte, daß sich nämlich in jeder Woche ein schwerer oder sogar tödlicher Unfall bei Kindern, die in der Landwirtschaft beschäftigt werden, ereignet. Ich beziehe mich hier also auf die Antwort, die Herr Minister Blank auf eine Frage in der Fragestunde gegeben hat. Damit will ich zum Schluß kommen. Viele Organisationen, alle Jugendverbände, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Deutsche Angestelltengewerkschaft, der Bundesjugendring, alle haben uns übereinstimmend aufgefordert - nicht nur meine Fraktion, Sie alle, den Bundestag! -, das, was der Ausschuß hier vorgeschlagen hat, nicht zu beschließen, also die Arbeit 13- und 14jähriger familienfremder Kinder nicht zuzulassen. Ich bitte Sie, dieser Aufforderung zu folgen, und ich wiederhole den Antrag auf namentliche Abstimmung angesichts der großen Bedeutung dieses Paragraphen, der natürlich - die Landarbeiter sind darüber betroffen - auch leider das wieder zuschanden macht, was die Regierung ursprünglich beabsichtigt hatte: endlich auch hier die Landwirtschaft einzubeziehen und sie auch auf diesem Gebiet zu entdiskriminieren, wenn man so sagen will. Das letzte Mal wurde sie 1951 in der ersten Legislaturperiode diskriminiert, als das Betriebsverfassungsgesetz beschlossen wurde und man der Landwirtschaft den Betriebsräteschutz im Vergleich zur gewerblichen Wirtschaft nur in sehr abgeschwächter Form konzedierte. Seit jener Zeit haben wir eine ganze Reihe von Beschlüssen gefaßt. Ich darf Sie an die Rentenversicherung erinnern, wo wir gleiches Recht geschaffen und sogar altes Unrecht für die in der Landwirtschaft tätigen Arbeitnehmer und für die dort früher als Arbeitnehmer tätig gewesenen jetzigen Rentner ausgeglichen haben. Ich darf Sie an die Fünfte Novelle zum AVAVG erinnern, in der wir doch mindestens, sagen wir einmal, den 90%igen Arbeitslosen-Versicherungsschutz für landwirtschaftliche Arbeitnehmer hergestellt haben. Ich darf Sie an die Unfallversicherung erinnern, bei der wir die volle Gleichstellung der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer mit den gewerblichen Arbeitnehmern herbeigeführt haben. Ich glaube, alle diese Beschlüsse haben der Landwirtschaft gedient. Warum beklagt man sich in der Landwirtschaft über die Abwanderung der Landarbeiter? Man beFrehsee klagt sich darüber, weil davon nicht überbesetzte landwirtschaftliche Betriebe betroffen werden, weil dadurch Arbeitskräftemangel eintritt. Aber warum tritt der Arbeitskräftemangel ein? Einmal natürlich wegen der niedrigen Löhne, zum anderen aber auch weitgehend wegen dieser diskriminierenden Bestimmungen im Arbeits- und Sozialrecht. Hier haben wir nun einmal eine Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen. Wir wollen doch nicht im nächsten Jahr schon wieder eine Novelle zum Jugendarbeitsschutzgesetz haben. Daran sind wir nicht interessiert. Wir sind vielmehr daran interessiert, daß hier ein Gesetz beschlossen wird, das für eine Reihe von Jahren Bestand hat. Insofern ist dies eine historische Stunde, meine Damen und Herren. 1839 hat es in Deutschland das erste Kinderarbeitsschutzgesetz gegeben. 1839 wurde das Verbot der Kinderarbeit in Fabriken für Kinder bis zu neun Jahren erlassen. 1839, vor 120 Jahren! Jetzt, 1960, sollen zum erstenmal die Landwirtschaft und auch die Hauswirtschaft in den Jugendarbeitsschutz und in den Kinderarbeitsschutz einbezogen werden. Nutzen Sie diese Gelegenheit, meine Damen und Herren! Ich bitte um namentliche Abstimmung. ({7})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren, was die Behandlung dieses Antrages anbetrifft, so möchte ich daran erinnern, daß man nicht über einen Antrag abstimmen kann, einen Paragraphen zu streichen. Diejenigen, die die Streichung wollen, müssen, wenn ich den § 7 a zur Abstimmung stelle, dagegen stimmen. Der Antrag auf namentliche Abstimmung wird sich also auf die Abstimmung über den § 7 a beziehen. Ich werde zunächst über den noch zu begründenden Antrag der CDU/ CSU abstimmen lassen. ({0}) - Ich kann über einen Antrag abstimmen lassen, einige Worte zu streichen, aber nicht über einen Antrag, eine ganze in sich zusammenhängende selbständige Bestimmung zu streichen; über diese Bestimmung muß im ganzen abgestimmt werden; diejenigen, die sie nicht wollen, werden dagegen stimmen müssen. 'Das Wort hat der Abgeordnete Tobaben.

Peter Tobaben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002332, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Frehsee hat hier in sehr beredten Worten seinen Antrag begründet, jede Ausnahme, auch in der Landwirtschaft, für Kinderarbeit zu unterbinden. Er hat der Meinung Ausdruck gegeben, daß die Kinder, auch wenn es sich um gelegentliche, nach unserer Auffassung im Ausschuß für Kinder zuträgliche Arbeiten handelt, doch einen ganz erheblichen gesundheitlichen Schaden ,davontragen. Dabei hat er auf die Beispiele zurückgegriffen, die von der Agrarsozialen Gesellschaft oder von wein sonst noch stammen und die auch durch die Presse gegangen sind. Herr Kollege Frehsee, diese Begründung ist nicht richtig; denn solche Übertreibungen will ja keiner, die wollen auch wir nicht, und die ließe auch die bisherige Formulierung des Gesetzes schon nicht zu. Was wir bei der Ausnahmebestimmung des § 7 a im Ausschuß erstrebten, war, daß gelegentliche Arbeiten für Kinder über zwölf Jahre in der Landwirtschaft zulässig sein sollen, wenn es sich um leichte, zuträgliche Arbeiten handelt, und auch das nur mit ganz erheblichen Einschränkungen. Warum haben wir das getan? Sicherlich haben wir es auch wegen des Arbeitskräftemangels in der Landwirtschaft getan. Darüber brauche ich kein Wort zu verlieren; ich erkenne an, daß das so ist. Aber das war nicht der einzige Grund, sondern wir haben es auch getan, weil wir meinen, daß das Jugendarbeitschutzgesetz ein wenig lebensnah bleiben muß und man es einfach gar nicht verhindern kann, daß auf dem Lande gelegentliche Hilfeleistungen von Kindern vorkommen. Das ist früher so gewesen, das ist heute noch so, und das wird so bleiben, auch wenn wir es grundsätzlich verbieten. ({0}) - Sklaverei wollen Sie nicht und wollen wir nicht. Hängen Sie mir doch nicht Dinge an, die einer ganz anderen Welt angehören; sie sind dahin; das ist 50 Jahre her, das gibt es nicht mehr auf dem Lande. ({1}) Herr Kollege Frehsee hat mit Recht gesagt, daß die eigenen Kinder von dem Jugendarbeitsschutzgesetz nicht betroffen werden. Wir konnten und wollten nicht so weit in das Elternrecht eingreifen, daß auch für die eigenen Kinder Beschränkungen auferlegt werden. Inwiefern ist denn das Kind eines Landarbeiters eigentlich schlechter gesteilt? Auch da haben doch die Eltern zu entscheiden, ob die Kinder gelegentlich Erdbeeren pflücken, bei der Obsternte helfen oder ob sie auch einmal Rüben verziehen sollen. Gerade für die Kinder der Landarbeiter, die fremden Kinder, haben wir noch zusätzliche Sicherungen eingebaut, die wir für die eigenen Kinder allein den Eltern überlassen. Herr Kollege Frehsee hat hier nachzuweisen versucht, daß auch beim Erdbeerenpflücken eine ganze Anzahl von Kalorien verbraucht werden, und das ist nach seiner Auffassung für die Kinder ein großes Unglück. Nun, ich möchte das bestreiten. Ich habe selber Kinder. Sie sind noch nicht so weit, daß sie schon viel tun können, aber ihren eigenen kleinen Garten haben sie schon, und das Mädchen turnt auch viel auf dem Hof herum. Ich bin kein Arzt, aber ich stehe mitten im Leben, und ich meine: je mehr sich die Kinder bewegen und dabei Kalorien verbrauchen, desto ,gesünder ist es für sie. ({2}) Meine Damen und Herren ({3}) - Ach, die Landarbeiter sind ganz ordentliche Menschen. Ich bin mit ihnen immer gut ausgekommen. Ich kenne sie gut, habe mit ihnen, zusammen gearbeitet. Ich bin ja auch kein Großagrarier, sondern in der praktischen Tätigkeit eigentlich Landarbeiter. Mir geht es etwas anders als dem Kollegen Frehsee. Ich bin meinen Eltern noch über das Grab hinaus dankbar, daß sie mir über das Spiel den Weg zur Arbeit gewiesen haben. ({4}) Es gibt nun einmal zwei Arten von Menschen. Die einen finden in der Arbeit ihren Lebensinhalt und sind glücklich dabei. Es gibt aber auch andere, die stehen auf dem Standpunkt, sobald eine Bewegung in Arbeit ausarte, werde sie zu einem paradiesischen Fluch und müsse deswegen abgelehnt werden. ({5}) Ich bedaure diese armen Menschen nur. Wir haben diese Ausnahme im Ausschuß aber auch deshalb beschlossen, weil wir der Meinung waren, man sollte den Kindern - die wir mit diesem Gesetz ja gar nicht zur Arbeit zwingen wollen; die Eltern können nein sagen, sie selber können auch nein sagen - die Freiheit lassen, leichte, ihnen zuträgliche Arbeit auszuführen. Ich habe gar nichts dagegen, daß, wie der Kollege Frehsee beantragt hat, hierüber namentlich abgestimmt wird. Der Kollege Frehsee hat nämlich selber zugegeben - er hat es wahrscheinlich gar nicht sagen wollen, aber es ist ihm so herausgerutscht -, daß er mit seinen eigenen Landarbeitern Auseinandersetzungen habe, weil auch sie ihre Kinder zu leichten Arbeiten mitnehmen wollten. Ich gebe Ihnen den Rat: erzürnen Sie sich nicht mit Ihren eigenen Beitragszahlern! So ist das nämlich in der Tat. Wir möchten diesen Menschen die Freiheit zur Arbeit erhalten. Ich bitte, den Antrag der SPD abzulehnen. ({6})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Hesemann.

Clemens Hesemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Kollegen Frehsee, insbesondere denen über den Gesundheitszustand auf dem Land, muß ich mich fragen, wie es möglich ist, daß ich noch als gesunder Mensch hier stehe. ({0}) Denn ich habe von Jugend auf im Betrieb mitgeholfen und weiß, was Landarbeit ist. Der Kollege Odenthal hat schon darauf hingewiesen, daß auch in der Öffentlichkeit sehr stark gegen den § 7 a Stellung genommen worden ist, z. B. in einem Plakat. Dieses Plakat zeigt ein Fohlen, darunter steht: „Ein Fohlen soll man nicht vor den Pflug spannen." Durchaus richtig! Aber ich muß feststellen, daß 62 % unserer landwirtschaftlichen Betriebe nicht einmal mehr Pferde, geschweige denn ein Fohlen haben, sondern nur den Trecker vor den Pflug 'spannen. Genauso wie der Trecker dem Pferd die schwere Arbeit abgenommen hat, hat in der Landwirtschaft die Maschine dem Menschen die schwere Arbeit weitgehend abgenommen. Deshalb bin ich erstaunt über die Behauptung, die der Kollege Frehsee vorgebracht hat und die auch in dem Plakat zum Ausdruck kommt, daß die Landwirtschaft durch den § 7 a die Möglichkeit bekommen solle, Kinder mit schweren Arbeiten zu beschäftigen. Das stimmt nicht, denn schwere Arbeit ist für unsere Kinder nach dem Gesetz ausdrücklich verboten. ({1}) - Da sind wir allerdings verschiedener Meinung, Kollege Frehsee; ich komme gleich darauf. Ich möchte noch etwas anderes sagen. In der Öffentlichkeit ist auch immer wieder versucht worden - Herr Kollege Frehsee, Sie haben es auch gesagt -, die Dinge so darzustellen, als wenn der § 7 a direkt die Landwirtschaft aufforderte, die Kinder besonders zu beschäftigen. ({2}) Der Tatbestand ist aber doch, wie Sie selbst ausgeführt haben, der: die Landwirtschaft war bisher nicht in das Jugendarbeitsschutzgesetz einbezogen. In der Landwirtschaft konnten Dauerarbeitsverhältnisse für Kinder begründet werden. Es konnte eine regelmäßige Beschäftigung von Kindern stattfinden. Das ist jetzt alles nach dem Gesetz verboten, und es bleibt auch unter Einfügung des § 7 a verboten. Erlaubt ist durch den § 7 a nur die gelegentliche Beschäftigung von Kindern im Alter von 12 bis 14 Jahren mit leichten Arbeiten, soweit sie sich - darin liegt die Einschränkung - nicht regelmäßig wiederholt, sondern nur gelegentlich vorkommt. Herr Kollege Frehsee, Sie haben darauf hingewiesen, daß 1839 das Verbot der Kinderarbeit in den Fabriken erfolgt ist. Ich habe das ebenfalls in einer Zeitung gelesen. Darin wird mit der Nutzanwendung auf die Landwirtschaft geschrieben, man müsse doch jetzt auch allmählich dort die gelegentliche Beschäftigung von Kindern entbehren können. Ich möchte auf folgendes hinweisen. Im Grundsatz besteht hier tatsächlich ein Unterschied. Wenn der Gesetzgeber den landwirtschaftlichen Bereich gesetzlich genauso wie den industriellen Bereich behandeln will, muß der Gesetzgeber für jeden Betrieb und für jede vorkommende Arbeit in der Landwirtschaft auch das dazu passende und notwendige Wetter bestimmen. Das kann der Gesetzgeber nicht. Der Unterschied ist eben, daß wir auch nach hundert Jahren in der Landwirtschaft noch täglich und stündlich von der Witterung abhängig sein werden. Das läßt sich in der Landwirtschaft nicht ändern. Dem trägt in diesem Gesetzentwurf auch die Sonderbestimmung für die Landwirtschaft Rechnung. In der Landwirtschaft hat sich seit 1839 eine ganze Menge verändert.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Kollege Hesemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Clemens Hesemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte!

Walter Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hesemann, sind Sie nicht auch der Meinung, daß zwischen dem Fabrikarbeiter, der sein ganzes Arbeitsleben draußen -auf dem Fabrikplatz verbringen muß, und dem Landarbeiter kein Unterschied besteht?

Clemens Hesemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich spreche hier nicht vom Landarbeiter, ich spreche von der Landwirtschaft insgesamt. Auch in der Landwirtschaft war vor ungefähr 100 Jahren der Hackfruchtbau noch gar nicht bekannt. Er hat sich erst entwickelt. Gerade die landwirtschaftlichen Familienbetriebe in Westdeutschland müssen den Hackfruchtbau als Betriebsgrundlage haben, wenn sie bestehen wollen, wenn sie veredeln wollen, wenn sie eine Betriebsbasis haben wollen. Das bedingt natürlich, daß eine ganze Menge Arbeit mehr anfällt als früher. Den schwereren Teil nimmt uns zumeist die Maschine ab, aber es gibt auch in der Landwirtschaft viele leichte Handreichungen und Hilfeleistungen. Darum geht es hier in § 7 a. Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich doch bitte - vom Kartoffelnsammeln war die Rede -: wenn im Herbst die Kartoffeln in der Stadt im Haushalt, in den Lägern vorhanden sind, dann denkt wahrscheinlich kein Mensch daran, daß die Kartoffeln in der Landwirtschaft innerhalb von ein paar Wochen geerntet und gesammelt werden müssen, damit sie auf den Markt kommen können. Um diesen Punkt geht es hier doch. Wir haben in allen landwirtschaftlichen Betrieben solche Arbeitsspitzen; da ist die gelegentliche Mithilfe auch von Kindern mit leichter und für Kinder geeigneter Arbeit eine Betriebsnotwendigkeit, die sich aus der ganzen Lage der Landwirtschaft ergibt.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Clemens Hesemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte!

Heinz Frehsee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000576, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hesemann, wollen Sie wirklich die Meinung vertreten, daß es nur in der Landwirtschaft und nicht beispielsweise im Handwerk oder im Handel solche Gelegenheiten gibt, Kinder mit Hilfeleistungen zu beschäftigen, und daß also nur für die Landwirtschaft die Notwendigket besteht, eine solche Ausnahme zu erhalten, die für andere Wirtschaftszweige, also gerade für den Einzelhandel und das Handwerk, nicht genehmigt wird?

Clemens Hesemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf dazu feststellen daß es in allen Gewerbezweigen solche gelegentlich wiederkehrenden Hilfeleistungen nicht gibt. Es gibt dort eine geregelte Arbeit, es gibt geregelte Tätigkeiten, es gibt dort nicht etwas wie beispielsweise das Kartoffellesen, das im ganzen Jahr nur während einiger Wochen vorkommt und dann erledigt werden muß. Dazu sind sehr viele Hände notwendig, um die Arbeit ordnungsgemäß erledigen zu können. Ich möchte darauf hinweisen, daß die gelegentlichen Hilfeleistungen von den Kindern freiwillig gemacht werden. Kein Mensch kann sie dazu zwingen. Die Eltern können jederzeit verbieten, daß ihre Kinder solche Hilfeleistungen machen. In den Fällen, in denen sie etwa eine gesundheitliche Gefährdung befürchten, werden sie es verbieten, werden sie ihre Kinder nicht zu solchen Hilfeleistungen hinschicken. Herr Kollege Frehsee, ich muß Ihnen noch etwas betreffend Arbeitermangel sagen. Die gelegentliche Hilfeleistung kann kein Ersatz für fehlende Arbeitskräfte sein; das ist einfach unmöglich. Denn die gelegentliche Hilfeleistung bezieht sich doch nur auf ein, zwei oder drei Wochen in dem jeweiligen Monat - Sie haben die Tätigkeiten ja genannt -zum Kartoffelsammeln oder meinetwegen Hopfen-pflücken. Während der Wintermonate, im Winter können solche Hilfeleistungen nicht gemacht werden. Ich weise darauf hin, daß die Hilfeleistung erstens freiwillig ist, daß zweitens die Eltern die Hilfeleistung jederzeit untersagen können und daß darüber hinaus die Hilfeleistung mit einer gesundheitlichen Gefährdung - wie die Erfahrung zeigt - nicht verbunden ist.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Clemens Hesemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte!

Ernst Scharnowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001944, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Kollege Hesemann, der Absatz 1 enthält keinerlei Begrenzung hinsichtlich der Zahl der gelegentlichen Fälle und auch keinerlei Begrenzung hinsichtlich der Dauer eines gelegentlichen Falles. Kann ich also annehmen, daß diese leichten Arbeiten, geeignet für Kinder, etwa an fünf Tagen im Monat, wenn die Arbeit drängt, und vielleicht täglich fünf oder sechs Stunden, dem Sinn des Gesetzes nicht widersprechen?

Clemens Hesemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, diese Frage haben wir im Ausschuß eingehend erörtert. Ich darf nur eines feststellen. Wir haben die Formulierung dieses Paragraphen gewählt, damit nicht die Meinung aufkommt, daß es sich um eine geregelte, täglich wiederkehrende Hilfeleistung handeln solle. Es handelt sich um eine gelegentliche Hilfeleistung. Das ist in der Formulierung sehr klar zum Ausdruck gekommen. Zudem besteht die Aufsicht durch die Kontrollstellen. Ich möchte noch darauf hinweisen, daß die Landwirtschaft durch erstmalige Einbeziehung in ein solches Gesetz eine entscheidende Änderung gegenüber dem bisherigen Zustand erfährt. Wenn das Gesetz, in dem die Arbeit für Kinder bis zwölf Jahre völlig verboten wird, ein Dauerarbeitsverhältnis für Kinder verboten wird, eine geregelte Tätigkeit verboten wird, ohne den § 7 a beschlossen würde, wäre es zweifellos kaum möglich, das Gesetz bei der Landbevölkerung durchzuführen. Es müßte ein Widerstand der Landbevölkerung entstehen, weil kein Mensch auf dem Lande einsehen würde, warum solche gelegentliche Hilfeleistungen verboten werden sollen, die nicht gesundheitsschädlich sind. Der Herr Kollege Frehsee hat vom Gesundheitszustand der Landbevölkerung gesprochen. Sie wissen sehr genau, daß der Gesundheitszustand der Frauen auf dem Lande sehr schlecht ist. Er ist noch schlechter als bei anderen. Wenn wir hier aber eine Abhilfe schaffen wollen, müßten wir praktisch die Landarbeit in toto verbieten, wenn wir alle die auftretenden Gesundheitsschäden auf die Landarbeit zurückführen. Der sehr schwer betroffenen Landfrau wollen wir durch den § 7 a eine Erleichterung verschaffen. Auch die geringfügige Hilfeleistung von fremden Kindern kann die Arbeit der Landfrau, die doch schwer genug ist, in etwa erleichtern. Deshalb muß man meiner Meinung nach dem § 7 a vollinhaltlich zustimmen. Der Herr Kollege Frehsee hat noch die Unfallstatistik erwähnt. Herr Kollege Frehsee, wenn der Gesetzgeber die in § 7 a vorgesehene Regelung deshalb verwerfen wollte, weil in der Landwirtschaft bei Kindern Unfälle vorkommen, müßte er zu allererst ein Verbot aussprechen, daß Kinder überhaupt noch auf die Straße gehen. Der Anteil der Kinder bei den Straßenunfällen liegt nämlich wesentlich höher als bei den Arbeitsunfällen auf dem Lande. Ich habe dafür die genauen Zahlen. Sie haben nur die Zahl 21 000 angeführt, die in der Fragestunde genannt worden ist. Das war die Gesamtzahl. Sie müssen aber auch die Prozentzahlen sehen. Dann ergibt sich, daß die Arbeitsunfälle von Kindern 0,8 % der Gesamtunfälle betragen. ({0}) - Nein, das haben wir nicht. Ich bin der letzte, der einen Unfall in der Landwirtschaft nicht bedauerte und der vor allem einen Unfall von Kindern nicht bedauerte. Aber Sie müssen einen Gesamtvergleich anstellen. Der Anteil der Jugendlichen - einschließlich Kinder - in der Landwirtschaft beträgt 3,18 %; in der gewerblichen Wirtschaft beträgt der Anteil 4,8 %, das sind 1,5 % mehr als in der Landwirtschaft. ({1}) - Dann ist der Unterschied ja noch größer. ({2}) - Sie haben doch die genauen Zahlen gehört. Bei Kindern unter 14 Jahren sind es 0,8 %. Für Kinder und Jugendliche lautet die Zahl 3,18 %. In der gewerblichen Wirtschaft sind es 4,8 %. Ein solches Gesetz sollten wir leidenschaftslos behandeln. Wir sollten prüfen, ob die Vorlage, die im Ausschuß beschlossen worden ist, dem Schutz der Kinder Rechnung trägt. Wir sollten darüber hinaus untersuchen, ob sie die Anliegen der Landwirtschaft berücksichtigt. Ich bin der Meinung, daß die jetzt gefundene Formulierung sowohl dem Schutz der Kinder als auch den berechtigten Anliegen der Landbevölkerung Rechnung trägt. Ich bitte Sie daher, den Antrag der SPD abzulehnen und den Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 629 Ziffer 2 anzunehmen. ({3})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat Frau Abgeordnete Lüders.

Dr. Dr. h. c. Marie Elisabeth Lüders (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001391, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Den Ausführungen des verehrten Vorredners muß ich leider widersprechen. Wenn Sie sagen, Herr Kollege, daß es in der gewerblichen Wirtschaft keine gelegentliche Kinderarbeit gibt, dann haben Sie noch niemals in Großstädten und Mittelstädten das Gebiet der Heimarbeit studiert. Es gibt in der gewerblichen Heimarbeit leider auch heute noch sehr viele Saisonarbeit, die nur durch ganz erhebliche Teilnahme der Kinder an dieser Arbeit bewältigt werden kann und bewältigt wird. ({0}) - In der Familie, natürlich; genau wie in der Landwirtschaft, mein verehrter Freund. Dasselbe finden Sie ja auch, wenn Sie z. B. im Winter in die kleinbäuerlichen Familien oder in die Landarbeiterfamilien gehen. Dort finden Sie nämlich noch die Teilnahme der Kinder an „gelegentlicher" gewerblicher Arbeit; ich erinnere nur an die Herstellung von Weihnachtsschmuck. Dies nebenbei. Im übrigen sollten wir uns über diese Dinge gar nicht aufregen, sondern sie höchst ruhig und sachlich betrachten. Wir haben hier den vorgesehenen § 7 a Abs. 1, und wir haben - bereits angenommen - den § 1 Abs. 1 Ziffer 2, in dem es heißt: „ . . . hierunter fallen nicht gelegentliche, geringfügige Hilfeleistungen, die aus Gefälligkeit erwiesen werden," - also für die Eltern, für Verwandte oder auch für den Nachbarn. Das haben wir nun angenommen. Da haben wir schon einen Teil der Begriffsbestimmungen, die in § 7 a Abs. 1 aufgeführt sind, drin. Ich will hier nicht darüber sprechen - es wäre nämlich ein sehr weites Feld - und untersuchen, was denn eigentlich „gelegentlich", was denn eigentlich „leicht", was denn eigentlich für Kinder „geeignete Hilfeleistung" heißt. ({1}) Verehrte Kollegen, da würde Fontane sagen: Das ist ein sehr weites Feld. Diese Begriffe sind dehnbar wie Kautschuk und nicht ungefährlich in ihrer Dehnbarkeit. Wir haben aber in § 1 Abs. 2, worauf ich schon hinwies, bereits ähnliche kautschukartige Bezeichnungen, wie „gelegentlich", „geringfügig". Die Kinder sind in bezug auf die „Geringfügigkeit" manchmal anderer Meinung als die Eltern, und bei der „Gefälligkeit" sind die Eltern oft anderer Meinung als die Kinder. Ich glaube, wir können uns einigen. Ich darf vielleicht zur Abstimmung, wenn das nach der Geschäftsordnung gestattet ist, den Vorschlag machen, in § 7 a die Ziffer 2 stehen zu lassen - die ist meines Erachtens unentbehrlich -, aber auf die Ziffer 1 zu verzichten, und zwar mit Rücksicht darauf, daß wir bereits genügend weitgehende Bestimmungen in § 1 Ziffer 2 getroffen haben.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Könen.

Willy Könen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001156, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehöre nicht zu den Abgeordneten, die im Ausschuß an diesem Gesetzentwurf mitgearbeitet haben. Vielleicht ist das der Grund, warum es mir langsam unerträglich wird, diese Diskussion anzuhören. Ich habe das Gefühl, daß bei einem großen Teil der Zuhörer und der Redner eine Bewußtseinsspaltung eingetreten ist. Sie reden vom Schutz der Kinder und meinen die Arbeitsmarktlage der Landwirtschaft. ({0}) Ich habe mich sehr gewundert ({1}) - Ich werde mich durch ein Sammelsurium von Zwischenrufen nicht davon abhalten lassen, Ihnen hier einmal meine Meinung darüber zu sagen. ({2}) Ich habe mich sehr darüber gewundert, daß ein großer Teil von Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion Beifall geklatscht hat, als Herr Tobaben das, was er geschildert hat, als Überführung des Kindes vom Spiel zur Arbeit bezeichnet hat. ({3}) Wenn hier jemand bewiesen hat, daß dieser § 7 a sehr gefährlich ist, dann war es der Herr Kollege Tobaben. ({4}) Meine Damen und Herren, kein vernünftiger Mensch hat etwas dagegen, daß ein Kind im Spiel lernt, Pflichten zu übernehmen, ja sogar Arbeiten zu übernehmen, und wenn es anfängt, der Mutter beim Spülen zu helfen. Vielleicht kommt dann einer und sagt: Die Mutter darf das Kind in Zukunft nicht mehr mit dem Abtrocknen des gewaschenen Geschirrs beschäftigen. Vielleicht kommt noch einer von Ihnen - ({5}) - Sie wissen doch ganz genau, was hier gemeint ist. Im vorigen Jahrhundert hat es englische Professoren gegeben, die haargenau nachgewiesen haben, daß die englische Wirtschaft pleite macht, wenn man die Kinder aus den Bergwerken herausholt. Das waren genau solche Diskussionen wie hier. ({6}) Ich will Ihnen einmal etwas sagen, meine Damen und Herren: Entweder ist das wahr, was die größte Partei dieses Hauses auf ihr Banner geschrieben hat, daß nämlich Kind und Jugendlicher einer besonderen Pflege, eines besonderen Schutzes, besonderer Maßnahmen bedürfen, ({7}) oder es ist nicht wahr. Führen Sie diese Debatte endlich einmal ehrlich! ({8})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Behrendt.

Walter Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ({0}) - Dieser Zwischenruf „ehrlich" veranlaßt mich zu folgender Bemerkung: ich habe den Eindruck, daß von manchen, nicht von allen, hier versucht wird, die Probleme der Kinderarbeit mit einer eigenartigen Sorte von Humor zu verharmlosen, der diesem Problem in keiner Weise gerecht wird. Es ist sehr unwürdig von Ihnen, solche Zwischenrufe zu machen. ({1}) Wenn Sie wüßten, wie gerade die Jugendverbände mit sehr feinem Ohr hören, was hier verhandelt wird, würden Sie, glaube ich, solche Zwischenrufe unterlassen. Lassen Sie mich einiges zu dem Problem des § 7 a sagen, der eine Ausnahmebestimmung für die Landwirtschaft ist. Der Schulunterricht wird von uns allen eindeutig bejaht. ({2}) - Nun lachen Sie doch nicht schon wieder! - Eine logische Folge davon ist, daß Sie die erforderliche Zeit für die Schulaufgaben bejahen. Wenn Sie auch das bejahen, sind sie sicherlich auch der Meinung, daß das Kind die erforderliche Freizeit haben muß, in der das Kind nicht unter einem Zwang sogenannter Hilfeleistungen - nach Ihrer Vorstellung - stehen darf, sondern es muß 'seine freie Zeit dafür haben, sich selbst frei entfalten zu können. Diesem Anliegen tragen Sie überhaupt keine Rechnung, und durch eine solche Bestimmung setzen Sie den leider schon bestehenden schlechten Gesundheitszustand der Landbevölkerung noch weiter herab. Diese Tatsache muß ich Ihnen aus einem Bericht auf Grund der Musterungsergebnisse des Jahrgangs 1937 - von Juli, August und September - belegen. ({3}) - Ja, ja, Sie kennen das, aber ich habe den Eindruck, daß Sie nicht die notwendigen Konsequenzen daraus gezogen haben; deshalb trage ich es eben noch einmal vor. - Hiernach liegt fest, daß der Tauglichkeitsgrad bei der Landbevölkerung - sie wird hier als Ackerbauer, Tierzüchter und Gartenbauer bezeichnet - nur bei 79,6 % in der Gesamtheit liegt. Die Differenz zu der Zahl, die jetzt kommt, ist nicht sehr groß; die entsprechende Zahl lautet z. B. bei den bergmännischen Berufen 84,6 % und bei den Holzverarbeitern 83,3 %, aber es muß doch eine Ursache haben, daß die jungen Menschen aus der Landwirtschaft, die gemustert werden, bei der Tauglichkeitsbezifferung I bis III einen so schlechten Tauglichkeitsgrad haben. Das ist auf die zu frühe Tätigkeit in der Landwirtschaft zurückzuführen. Sie sagen nun, das wollten Sie nicht. In dieser Beziehung ist folgendes sehr interessant. Wir meinen, daß z. B. das Helfen in der Kartoffelernte, das Beerenpflücken und das Rübenverziehen für das Kind schwere Arbeit bedeuten. Hierzu hören Sie sich einmal eine sehr harmlos erscheinende Sache an, die vielleicht schon eine Auswirkung dessen ist, was Sie hier beschließen wollen. Im „Bonner General-Anzeiger" stand am 18. Mai, also gestern, folgende Anzeige - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen -: Erwachsene und Schüler ({4}) nicht unter zwölf Jahren - vielleicht haben sie schon unseren Entwurf gelesen zum Rübenvereinzeln gesucht. Günstig nach Einzelkornsaat. Akkord- oder Zeitlohn. Halbe oder ganze Tage. Holen evtl. mit Gemüseauto ab. Gut Marienforst. Ruf Godesberg 30 75 ({5}) - Das ist genau das, was wir nicht wollen, ({6}) was Sie aber durch diese Formulierung ermöglichen. ({7}) - Wenn Sie es nicht wollen, dann nehmen Sie bitte diesen § 7 a heraus. ({8}) Wir freuen uns alle gemeinsam, daß die Landwirtschaft einbezogen ist. Wir haben gerade in § 6 das Verbot der Kinderarbeit beschlossen. Aber durch das gesamte Gesetz ziehen sich Ausnahmebestimmungen über Ausnahmebestimmungen, die die Wirksamkeit dieses Jugendarbeitsschutzgesetzes aushöhlen. ({9}) Sie haben im Jugendarbeitsschutzgesetz überhaupt nicht erfaßt die eigenen Kinder in der Landwirtschaft und in der Hauswirtschaft. Das war auch unsere Auffassung. Sie haben zweitens vorhin in § 1 Abs. 1 Nr. 2 noch hineingebracht, daß gelegentliche Hilfeleistungen möglich sind. Sie haben weiter zu § 1 Abs. 2 Nr. 2 beschlossen, daß verwandte Kinder nach § 68 in der Landwirtschaft und der Hauswirtschaft ausgenommen sind. Weiter können nach § 69 Abs. 1 alle verwandten Kinder über zwölf Jahre mit für Kinder geeigneten Hilfeleistungen beschäftigt werden. Wir meinen, das sind so weitreichende Ausnahmebestimmungen, daß sie an die Grenze des Zumutbaren gehen. Wenn Sie dazu noch diesen § 7 a einfügen, ist das für die sozialdemokratische Fraktion eine unmögliche Ausweitung. Zum Schluß habe ich eine Frage an die Regierungsbank. Wir würden gern hören, ob die Regierung vor allem in dieser Frage noch zu ihrem Entwurf steht oder ob sie dieser Ausweitung zustimmt. ({10})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Pannhoff.

Dr. Maria Pannhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001675, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Frehsee hat mich persönlich angesprochen, und zwar in meiner Eigenschaft als Ärztin. Ich stelle mich sehr gern dieser Frage. Sie wissen aus den Ausführungen, die ich die Ehre hatte in diesem Hohen Hause im Zusammenhang mit den Debatten über den Grünen Plan zu machen, daß mir die Gesundheit der Menschen auf dem Lande wirklich am Herzen liegt und daß ich mich seit Jahrzehnten darum bemühe, daß dort Änderungen eintreten. Herr Kollege Frehsee ist auf die Arbeit der Agrarsozialen Gesellschaft „Kinderarbeit auf dem Lande" eingegangen und hat auch die Zahlen genannt, die bei den Untersuchungen in Kempten und Pfaffenhofen festgestellt wurden. Das alles sind klare Bestätigungen für die Annahmen, die ärztlicherseits schon lange gemacht wurden, daß im Gegensatz zu früheren Zeiten, z. B. noch zum vergangenen Jahrhundert, das Leben auf dem Lande nicht mehr das Paradies an sich bedeutet. So hat es sich ja lange in den Köpfen vor allem der Stadtbewohner dargestellt. Man war ziemlich überrascht, als vor ungefähr zehn Jahren erstmals darauf hingewiesen wurde, daß der Gesundheitszustand der Menschen auf dem Lande schlechter ist als derjenige der Menschen in der Stadt. Das ist eine Tatsache. Ich brauche Ihnen keine Zahlen zu nennen; es ist so. Der Sachverhalt ist aber nicht so einfach, daß man sagen könnte, nur die Arbeit auf dem Lande habe diesen schlechten Gesundheitszustand bewirkt. Wir müssen ehrlich sein, wie vorhin einer meiner Herren Vorredner richtig sagte. Wir sollten uns möglichst wenig vormachen; wir sollten nach den wirklichen Gründen suchen. Da kommt - glauben Sie es mir, die ich mich seit langen Jahren mit diesen Dingen befasse - sehr vieles Ursächliche zusammen. Es stimmt, daß auf dem Lande hart gearbeitet werden muß, besonders in ganz bestimmten Zeiten. Aber wollen Sie abstreiten, daß es auf dem Lande - im Gegensatz zu den städtischen Betrieben, den Fabriken - auch Zeiten herrlicher Geruhsamkeit gibt? Gott sei Dankt müssen wir sagen. Davon wird in unseren Tagen wenig gesprochen, weil die Beleuchtung des Themas von der Seite des Krankseins und des Überlastetseins auf dem Lande her zur Zeit offensichtlich etwas mehr modern geworden ist. Aber an der Tatsache, daß die überlastete Bäuerin - mit deren Gesamtproblematik ich mich sehr viel befasse - auch Zeiten der Ausspannung und des geruhsamen Lebens hat, kommen wir nicht vorbei. Wir müssen die Dinge sehen, wie sie wirklich liegen. Bei den Kindern, die auf dem Lande mithelfen, ist es tatsächlich so, daß diese vom Spiel zur Arbeit kommen. Ich hörte auch vorhin den Ausdruck „Bewußtseinsspaltung". Nun, mit Bewußtseinsspaltung habe ich fachlich häufig zu tun, und ich glaube, darüber auch einiges aussagen zu können. Doch die Zeit ist dafür zu kurz. Der Mensch kommt vom Spiel allmählich zur Arbeit. Auf dem Lande, gerade im bäuerlichen Leben, gehen die Kinder, die Mädchen an der Hand der Mutter und die Jungen an der Hand des Vaters, sehr langsam vom Spiel zur spielerischen Betätigung und zur Arbeit über. - Sie mögen lachen; das ist Ihr gutes Recht. Ich kann Ihnen nur sagen, was ich für echt und wahr halte. Wir wollten uns ja hier um Echtheit und Ehrlichkeit bemühen. Gestatten Sie mir, meine Überzeugung hier auszusprechen, wie ich das immer tun werde. Das Kind kommt von der spielerischen Betätigung zur echten Arbeit. Diese Entwicklung werden wir nicht ändern; es wird beim Menschen immer so bleiben. Diese Entwicklung läßt sich sogar im Tierreich nachweisen. Die schlechte Gesundheit, die, wie von Herrn Frehsee vorhin angeführt wurde, auf dem Lande festgestellt wird, ist, darauf möchte ich jetzt ausdrücklich hinweisen, nicht allein Folge der Arbeitsüberlastung. Sie ist da; aber sie ist nicht allein Folge der Arbeitsüberlastung. Es kommen auf dem Lande eine ganze Menge andere Momente hinzu. Auf dem Lande sind, verglichen mit der Stadt - und das ist eine Anerkennung für die Arbeit, die auf hygienischem Gebiete in den Städten geleistet worden ist - die Hygiene im Gesamten zurückgeblieben. Die Ernährungsweise ist veraltet. Alles, was zur Sauberhaltung gehört - entschuldigen Sie! -, ist in sehr, sehr vielen bäuerlichen Haushaltungen nicht so durchgeführt, wie wir es in städtischen Haushaltungen machen können. Viele städtische Betriebe haben besondere Sanitätsabteilungen. Es wird - ich brauche Ihnen da keine neuen Dinge zu erzählen - von Kindergärten angefangen bis zu anderen Einrichtungen der Volkswohlfahrt in den Städten sehr viel getan; Das Land ist zurückgeblieben. Wir ziehen daraus die Konsequenz, haben sie längst gezogen, daß wir auf dem Lande sehr vieles nachzuholen haben, nicht nur institutionell, sondern auch erzieherisch. Das ist die eine Seite. Wenn Sie mir jetzt sagen: „Aber lassen Sie doch wenigstens die Zulassung der Kinderarbeit, so wie Sie von der CDU beantragt ist, aus dem Gesetz heraus; dann haben Sie einen der Faktoren beseitigt, der uns anstoßerregend erscheint, gegen den wir uns wenden und gegen den wir auch stimmen werden" - das werden die Vertreter der Opposition sagen, ich weiß es, sie haben es hier auch schon ausgesprochen -, dann muß ich Ihnen antworten: wir können nur Gesetze machen, die sich durchführen lassen. Unsere Landwirtschaftsvertreter haben allesamt in den monatelangen und sehr ernsthaften Diskussionen zum Ausdruck gebracht, daß wir keine Kinderarbeit wollen; auch sie selbst wollen sie nicht. Aber wir lassen uns nicht davon abbringen, daß Hilfeleistungen, für Kinder geeignet, zeitweilig zugelassen werden sollten. Wir von der CDU werden für diese Hilfeleistungen eintreten. Ich bin nicht der Auffassung - ich sage das ganz bewußt auch als Ärztin -, daß wir gesunde Kinder erziehen, wenn wir sie in Watte packen und an den Straßenrand setzen ({0}) und zusehen lassen, wenn die Väter und Mütter arbeiten. Damit niemand der aufsichtführenden Leute und auch nicht irgendwelche von nicht guten Gefühlen geleiteten Menschen, die das sehen, Anzeige erstatten können, wollen wir auf jeden Fall diesen Absatz, den wir von der CDU in dieses Gesetz hineingebracht haben, bestehen lassen. Bedenken Sie doch, auch Sie wollen gesunde Kinder erziehen. Sie wollen, daß unsere Jugend gesund bleibt oder wird. Sie sind doch für sportliche Betätigung; ich auch. Was geschieht auf den Fußballplätzen und auf den Radsportplätzen nicht alles an Überlastungen und führt zu herrlichem Muskeltraining, zu einer herrlichen Muskelerstarkung, die wir bejahen und die wir wollen. ({1}) Nehmen Sie bitte nicht an, daß jedes Kind von vornherein den Wünschen seiner Eltern, auch auf fremden Äckern mitzuhelfen, ablehnend gegenübersteht. ({2}) Es gibt die Kinder, von denen Sie sprachen. Aber die anderen gibt es auch.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Dr. Maria Pannhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001675, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gern.

Heinz Frehsee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000576, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Kollegin Dr. Maria, wie wir Sie in England nannten, sind Sie sich bei diesen Ausführungen immer bewußt, daß es sich hier um familien fremde Kinder handelt, die also in einer Art Arbeitsverhältnis beschäftigt werden sollen, und nicht um eigene?

Dr. Maria Pannhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001675, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Frehsee, ich habe über diese Dinge wirklich sehr lange nachgedacht. Ich finde es auch nicht schön, daß das im Gesetz steht. Aber auf Schönheit kommt es hier nicht an. Es kommt auf Praktikabilität In und auf die Tatsachen, vor denen wir stehen. Erstmalig wird in diesem Gesetz die Landwirtschaft in ein Jugendarbeitsschutzgesetz einbezogen. Bis heute ist das nicht der Fall gewesen. Glauben Sie, daß man schon damals die Landwirtschaft zu einem Naturschutzpark gemacht hat, nur weil man ihr besonders freundlich gegenübergestanden hätte? Es haben wirkliche Gründe vorgelegen, eben jene, daß sich die gewerbliche Arbeit in den Städten nicht ohne weiteres mit Arbeit auf dem Lande, mit bäuerlicher Arbeit gleichsetzen läßt. Sie ist anders. Wenn wir von Hilfeleistung sprechen, wollen wir keine Arbeit. Wir wollen sie nur gelegentlich. Wir wollen sie nur unter allen möglichen Kautelen, die im Gesetz ein6586 gebaut sind. Ich muß Ihnen als Ärztin sagen, daß Arbeit gesund sein kann, genauso wie Sie immer von der anderen Seite her sagen, Arbeit sei schädlich. Auf jeden Fall kommt der, der sich nicht anstrengt, im Leben nie weiter und wird in seinem Leben niemals zu irgendwelchen besonderen Leistungen kommen. Wir wollen starke, körperlich gesunde Kinder. ({0}) - Ich habe Sie leider nicht verstanden. Ich weiß nur, daß Durchblutung die Muskelkraft fördert. Das beweist der Sport. Auch geistiges Training, meine Herren, ist sehr gut, sehr nützlich und fördert die geistigen Kräfte. Fragen Sie einmal alle, die geistig, schöpferisch arbeiten, wieviel Arbeit sie aufwenden mußten, ehe sie so weit kamen. Überall wird gearbeitet. Und unsere Jugend wollen wir vor diesen kleinen Hilfeleistungen bewahren, weil Sie sie unbedingt für schädlich halten? Darum geht es doch. Wir machen hier ein Gesetz zum Schutz der Gesundheit der arbeitenden Jugend und wollen nicht, daß sich unsere Kinder lediglich unter Zusehen entwickeln. Soll ich Ihnen sagen, daß Muße dick und fett macht? Wollen Sie sie nur auf die Sportplätze schicken, soll sie nicht auch mithelfen? ({1}) - Ich habe hier vor Ihnen ehrlich meine Auffassung vertreten, weil mich Herr Frehsee danach fragte. Ich kenne sämtliche Unterlagen, die Herr Frehsee hier zitiert hat. Ich habe mich nicht nur im Zusammenhang mit diesem Gesetz zu der Auffassung bekannt. Ich bekenne mich auch zu der von der CDU beantragten Formulierung und lehne den den Antrag der SPD ab. ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Antrag Umdruck 629 Ziffer 2. Das ist keine namentliche Abstimmung. Ob die Abstimmung so oder so ausgeht, auf jeden Fall wird nachher namentlich über den ganzen § 7 a abgestimmt. Ich habe nicht recht verstanden, ob Frau Abgeordnete Lüders beantragt hat, daß über § 7 a absatzweise abgestimmt wird, oder ob das nur eine Anregung war. ({0}) - Dann werden wir also über den § 7 a absatzweise abstimmen. Ich glaube, daß die Fraktion der SPD nur in bezug auf den Abs. 1 die namentliche Abstimmung beantragt. ({1}) - Sie wollen also auch bei absatzweiser Abstimmung für beide Absätze namentliche Abstimmung? - Ich fürchte, ich bin nicht verstanden worden. Ich will es wiederholen. Es wird über § 7 a namentlich abgestimmt. Es ist aber der Antrag auf absatzweise Abstimmung gestellt. ({2}) - Wird zurückgezogen? Dann ist es einfacher. Wer dem Antrag auf Umdruck 629 Ziffer 2 zustimmen will, möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Wir stimmen nunmehr in namentlicher Abstimmung über § 7 a in der neuen Fassung ab. Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. An der Abstimmung haben sich insgesamt 384 stimmberechtigte Mitglieder und 16 Berliner Abgeordnete beteiligt. Mit Ja haben gestimmt 237 stimmberechtigte Mitglieder und 3 Berliner Abgeordnete, mit Nein 140 stimmberechtigte Mitglieder und 12 Berliner Abgeordnete; enthalten haben sich 7 stimmberechtigte Mitglieder und 1 Berliner Abgeordneter. Damit ist § 7 a in der geänderten Fassung angenommen. Ja CDU/CSU Frau Ackermann Graf Adelmann Dr. Aigner Arndgen Baier ({3}) Baldauf Balkenhol Dr. Bartels Dr. Barzel Bauereisen Bauknecht Bausch Dr. Becker ({4}) Becker ({5}) Berberich Berger Dr. Bergmeyer Dr. Besold Fürst von Bismarck Frau Dr. Bleyler Blöcker Frau Blohm von Bodelschwingh Dr. Böhm Frau Brauksiepe Brese Brück Dr. Bucerius Bühler Dr. Burgbacher Burgemeister Caspers Dr. Conring Dr. Czaja Demmelmeier Diebäcker Diel Dr. Dollinger Drachsler Draeger Dr. Dresbach Ehren Eichelbaum Dr. Elbrächter Engelbrecht-Greve Frau Engländer Enk Eplée Even ({6}) Finckh Dr. Franz Franzen Dr. Frey Dr. Fritz ({7}) Fritz ({8}) Fuchs Funk Frau Dr. Gantenberg Gaßmann Gehring Frau Geisendörfer Gerns Gewandt Gibbert Giencke Dr. Gleissner ({9}) Glüsing ({10}) Dr. Götz Goldhagen Gontrum Dr. Gossel Gottesleben Günther Freiherr zu Guttenberg Hackethal Häussler Hahn Dr. Hahne Dr. von Haniel-Niethammer Harnischfeger Dr. Hauser Dr. Heck ({11}) Dr. Hesberg Hesemann Hilbert Höcherl Dr. Höck ({12}) Höfler Horn Huth Dr. Huys Illerhaus Dr. Jaeger Jahn ({13}) Dr. Jordan Josten Dr. Kanka Kemmer Dr. Kempfler Kirchhoff Kisters Dr. Kliesing ({14}) Knobloch Dr. Knorr Koch Dr. Kopf Kramel Krammig Kroll Krüger ({15}) Krug Frau Dr. Kuchtner Kunst Kuntscher Lang ({16}) Leicht Dr. Leiske Lenz ({17}) Lenze ({18}) Lermer Leukert Dr. Lindenberg Lulay Dr. Baron Manteuffel-Szoege Maucher Meis Memmel Menke Mensing Meyer ({19}) Mick Muckermann Mühlenberg Müller-Hermann Nellen Nieberg Niederalt Frau Niggemeyer Dr. Dr. Oberländer Oetzel Dr. Pflaumbaum Dr. Philipp Frau Pitz-Savelsberg Frau Dr. Probst Dr. Reinhard Dr. Reith Richarts Frau Rösch Rösing Rollmann Dr. Rüdel ({20}) Ruf Ruland Scharnberg Schlee Schlick Dr. Schmidt ({21}) Frau Schmitt ({22}) Schüttler Schütz ({23}) Schulze-Pellengahr Dr. Schwörer Dr. Seffrin Siebel Dr. Siemer Simpfendörfer Spies ({24}) Spies ({25}) Stauch Dr. Stecker Stiller Dr. Stoltenberg Dr. Storm ({26}) Storm ({27}) Struve Sühler Teriete Unertl Varelmann Vehar Frau Vietje Wacher Dr. Weber ({28}) Wehking Dr. Werber Werner Wieninger Dr. Willecke Windelen Winkelheide Dr. Winter Wittmann Wittmer-Eigenbrodt Worms Dr. Wuermeling Wullenhaupt Dr. Zimmer Dr. Zimmermann Berliner Abgeordnete Hübner Dr. Krone Stingl FDP Dr. Achenbach Dr. Bucher Dr. Dahlgrün Dr. Dehler Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dowidat Eisenmann Keller Dr. Kohut Kreitmeyer Kühn ({29}) Lenz ({30}) Mauk Dr. Mende Dr. Miessner Freiherr von Mühlen Murr Rademacher Dr. Rutschke Dr. Schneider ({31}) Dr. Starke Walter Zoglmann DP Frau Kalinke Matthes Dr. Preiß Probst ({32}) Dr. Schild Schneider ({33}) Dr. Schneider ({34}) Dr. Schranz Dr. Steinmetz Nein CDU/CSU Heix Heye Dr. Martin Weimer Wendelborn Berliner Abgeordnete Benda SPD Frau Albertz Bach Bading Bäumer Bals Bauer ({35}) Baer ({36}) Dr. Bechert Behrendt Behrisch Frau Bennemann Bergmann Berkhan Berlin Bettgenhäuser Frau Beyer ({37}) Börner Dr. Brecht Bruse Büttner Corterier Cramer Dr. Deist Dewald Diekmann Frau Döhring ({38}) Frau Eilers ({39}) Eschmann Faller Felder Franke Dr. Frede Frehsee Frenzel Geiger ({40}) Geritzmann Haage Hamacher Hansing Dr. Harm Hauffe Heide Heiland Hellenbrock Frau Herklotz Hermsdorf Herold Höcker Höhmann Höhne Hörauf Frau Dr. Hubert Hufnagel Iven ({41}) Jacobi Jahn ({42}) Jürgensen Junghans Jungherz Kalbitzer Frau Keilhack Frau Kettig Keuning Killat ({43}) Kinat ({44}) Frau Kipp-Kaule Könen ({45}) Koenen ({46}) Frau Korspeter Kraus Kriedemann Kuhn ({47}) Kurlbaum Lange ({48}) Lantermann Lohmar Lücke ({49}) Lünenstraß Marx Matzner Meitmann Dr. Menzel Merten Metzger Meyer ({50}) Frau Meyer-Laule Dr. Mommer Müller ({51}) Müller ({52}) Müller ({53}) Frau Nadig Odenthal Peters Prennel Priebe Pütz Dr. Ratzel Reitz Frau Renger Rhode Ruhnke Dr. Schäfer Scheuren Dr. Schmid ({54}) Schmidt ({55}) Schmitt ({56}) Schröder ({57}) Seidel ({58}) Frau Seppi Seuffert Stenger Stierle Sträter Striebeck Frau Strobel Theil ({59}) Theis ({60}) Wegener Welke Welslau Weltner ({61}) Frau Wessel Wilhelm Wischnewski Wittrock Zühlke Berliner Abgeordnete Dr. Königswarter Frau Krappe Neumann Dr. Schellenberg Schröter ({62}) Schütz ({63}) Dr. Seume Frau Wolff ({64}) FDP Spitzmüller Berliner Abgeordnete Frau Dr. Dr. h. c. Lüders Dr. Will Enthalten CDU/CSU Frau Dr. Brökelschen Dr. Even ({65}) Frau Dr. Rehling Schneider ({66}) Frau Dr. Schwarzhaupt Berliner Abgeordnete Frau Dr. Maxsein SPD Dr. Schmidt ({67}) Seither Vizepräsident Dr. Schmid Nunmehr liegt noch ein Ergänzungsantrag auf Umdruck 626 Ziffer 1 vor, nach dem ein § 7 b eingefügt werden soll. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Tobaben.

Peter Tobaben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002332, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Begründung dieses Antrags kann ich mich sehr kurz fassen. Es handelt sich eigentlich nur um eine Ergänzung der soeben von uns angenommenen Bestimmung, daß die Beschäftigung von Kindern in der Landwirtschaft unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein soll. Wir möchten, daß dort, wo es keine Bauern mehr gibt, in der Stadt, den Kindern die gleiche Chance gegeben wird, den Weg vom Spiel zur Arbeit zu finden, indem sie etwa für Handwerker oder Einzelhändler kleine Botengänge ausführen oder sonstige kleine Hilfeleistungen, die für Kinder geeignet sind, erbringen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 626 Ziffer 1 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe § 8 auf. Hierzu liegen drei Änderungsanträge vor: Umdruck 631 Ziffer 3, Umdruck 637 Ziffer 4 und Umdruck 629 Ziffer 3. Die Anträge Umdruck 631 Ziffer 3 Buchstabe b und Umdruck 629 Ziffer 3 sind gleichlautend. In beiden wird verlangt, einen Abs. 3 a einzufügen, der nach beiden Anträgen den gleichen Wortlaut hat. ({0}) - Getrennte Abstimmung. Das Wort zur Begründung des Antrags Umdruck 631 Ziffer 3 hat der Abgeordnete Wischnewski.

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der § 8 des Entwurfs eines Jugendarbeitsschutzgesetzes beschäftigt sich mit der Frage der Arbeitszeit, einer für uns sehr entscheidenden Frage. Trotzdem werde ich mich bemühen, mich kurz zufassen. Die Regierungsvorlage sah eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden im Schnitt von zwei Wochen vor. Der Ausschuß ist zu einem anderen Ergebnis gekommen. Nach der Ausschußvorlage darf die Wochenarbeitszeit der Jugendlichen unter 16 Jahren 40 Stunden, der Jugendlichen von 16 bis 18 Jahren 44 Stunden nicht überschreiten. Eine derartige Regelung ist für uns nicht akzeptabel, und zwar aus zwei Erwägungen. Erstens treten wir dafür ein, daß für alle Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr die 40-Stunden-zum 18. Lebensjahr und drittens für jugendliche Facharbeiter vom 17. Lebensjahr an, die ihre Prüfung bestanden haben. Eine solche Regelung ist in keinem Betrieb praktizierbar. Wir müssen damit rechnen, daß danach in einer Vielzahl von Fällen für alle Jugendlichen die Höchstarbeitszeit festgesetzt wird. Darüber hinaus regt diese komplizierte Regelung geradezu zum Mißbrauch an. Woche gilt. Zweitens glauben wir, daß die vom Ausschuß beschlossene Regelung überhaupt nicht praktizierbar ist. Wir hätten nämlich auf diese Art und Weise, nach dem Beschluß, der vorhin gefaßt worden ist, für Jugendliche drei verschiedene Arbeitszeiten: erstens für Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr, zweitens für .Jugendliche vom 16. his Nun enthält die Ausschußfassung die Formulierung: „Die tägliche Arbeitszeit der Jugendlichen darf acht Stunden . . . nicht überschreiten." Eine Reihe von Kollegen ist der Meinung, das bedeute, daß in all den Betrieben, in denen es die FünfTage-Woche bereits gibt, für alle die 40-StundenWoche obligatorisch wird. Ich glaube, daß das für einige oder vielleicht für den größten Teil der Industriebetriebe zutreffen wird. Ich bin aber genauso davon überzeugt, daß in einer Vielzahl von Kleinbetrieben die jungen Arbeitnehmer mit der Annahme dieser Formulierung die Fünf-Tage-Woche verlieren werden. Fünf Tage zu 8 Arbeitsstunden macht 40 Arbeitsstunden in der Woche. Für Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren sieht die Regelung aber 44 Stunden vor. Das bedeutet, daß insbesondere in den Betrieben ohne Betriebsrat, also den kleineren Betrieben, gesagt werden wird: Kommt auch am Samstag und arbeitet auch noch am Samstag vier Stunden. Eine derartige gesetzliche Möglichkeit ist gegeben. Wir haben es einmal überrechnet. Die Annahme in dieser Form würde bedeuten, daß mehr als 100 000 Jugendliche in der Bundesrepublik aller Wahrscheinlichkeit nach den freien Samstag verlieren. Auch aus dieser Erwägung ist eine derartige Regelung für uns nicht akzeptabel. Nicht nur die Sozialdemokraten oder die Gewerkschaften fordern sehr deutlich die 40-Stunden-Woche für alle Jugendlichen. Der Rahmen der Fordernden und Wünschenden geht weit darüber hinaus. Der Deutsche Bundesjugendring mit den großen deutschen Jugendverbänden, der Katholischen Jugend, der Evangelischen Jugend, der Deutschen Sportjugend, den Falken und allen anderen Jugendorganisationen, hat sich eindeutig für eine derartige Regelung ausgesprochen. Darüber hinaus haben es auch die Wohlfahrtsorganisationen, die Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge, das Jugendaufbauwerk, der Deutsche Städtetag und eine Reihe anderer wesentlicher Institutionen, aber auch ganz hervorragende Wissenschaftler in der Bundesrepublik getan. Ich darf hier nur einen erwähnen. Herr Professor Dr. Otto Graf vom Max-Planck-Institut hat eindeutig darauf hingewiesen, daß in einem Jugendarbeitsschutzgesetz die 40-Stunden-Woche für alle Jugendlichen, d. h. auch für die Sechzehn-bis Achtzehnjährigen, eine zwingende Notwendigkeit ist. Von den Wissenschaftlern ist immer wieder darauf hingewiesen worden, daß der Gesundheitszustand der jungen Menschen in der Bundesrepublik über den heute schon im Zusammenhang mit einer anderen Frage so viel gesprochen worden ist, generell schlecht ist; daß die Belastungen bei allen Berufen in erheblichem Umfange gestiegen sind. Vielleicht ist die körperliche Arbeit in vielen Berufen zurückgegangen, aber die nervliche Belastung ist überall gestiegen. Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungsergebnissen, die beweisen, daß die Belastbarkeit der Jugendlichen gerade in den letzten Jahren in einem entscheidenden Maße zurückgegangen ist. Alle Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, daß sich daraus die 40-StundenWoche für alle Jugendlichen als zwingende Notwendigkeit ergibt. Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, daß für mehr als 6 1/2 Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik bereits eine Arbeitszeit von 44 Stunden und weniger tariflich erreicht ist. Das bedeutet, daß die Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren praktisch den Erwachsenen in diesen Zweigen gleichgestellt werden, daß es für sie also keine besonderen Schutzmaßnahmen mehr gibt. Ich darf noch einmal sagen: für einen Teil der Industriezweige gibt es schon tarifliche Arbeitszeiten von weniger als 44 Stunden in der Woche. Ich glaube, daraus ergibt sich sehr deutlich, daß wir bereit sein müssen, allen .Jugendlichen, d. h. auch den Jugendlichen von 16 bis zu 18 Jahren, die 40-StundenWoche zuzubilligen. In der Diskussion um diese Frage wird immer wieder das Argument gebraucht, daß die 40-Stunden-Woche nicht dazu ausreiche, das Berufsziel, das Lehrziel in dem notwendigen Maße zu erreichen. Erfreulicherweise gibt es schon wenige Kilometer von hier Betriebe, in denen die 40-Stunden-Woche für alle Arbeitnehmer, auch für die Jugendlichen und die Lehrlinge, schon seit langer Zeit obligatorisch ist. In einem dieser Betriebe treibt man im Rahmen der 40-Stunden-Woche sogar noch wöchentlich eine Dreiviertelstunde Sport. Überraschend ist, daß die Ausbildungsergebnisse in diesem Betrieb in dem zuständigen Bezirk der Industrie- und Handelskammer weitaus an der Spitze liegen. Dort ist man wirklich um die Berufsausbildung bemüht und sieht davon ab, die Jugendlichen mit anderen Arbeiten zu beschäftigen. Solche Beweise gibt es eine Vielzahl. Ich will damit sagen, daß also niemand Angst zu haben braucht, bei der 40-Stunden-Woche werde das Berufsziel nicht erreicht. Zum Abschluß möchte ich noch an folgendes erinnern. Die CDU/CSU-Fraktion ist offensichtlich dafür, daß die Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren 44 Stunden arbeiten. Ich möchte Sie in dieser Stunde, in der es über diese Frage zu entscheiden gilt, daran erinnern, daß die Beratende Versammlung des Europarates erst in diesem Jahre die Europäische Sozialcharta verabschiedet hat, und zwar - erfreulicherweise - mit nahezu allen Stimmen der Abgeordneten der CDU, die in Straßburg im Europarat eine Aufgabe wahrnehmen. In dieser Europäischen Sozialcharta ist festgelegt, daß sich die Parlamentarier verpflichten, dafür einzutreten, daß für alle Arbeitnehmer die 40-Stunden-Woche eingeführt wird. Das ist mit der Zustimmung der CDU/ CSU in Straßburg geschehen. Hier wollen Sie offensichtlich nicht einmal den Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren die 40-Stunden-Woche zubilligen, hier fordern Sie 44 Stunden. Gestatten Sie, daß ich mir die Bemerkung erlaube, daß ich das nicht für richtig halte. Es entsteht der Eindruck, daß man in Straßburg leichtfertig irgendwelchen Dingen zustimmt, die zu realisieren man hinterher nicht bereit ist. ({0}) Hier haben Sie eine Möglichkeit, zu beweisen, daß es Ihnen mit Ihrer Entscheidung von Straßburg wirklich ernst ist. Wir sind der Auffassung, daß die 40-StundenWoche für alle jugendlichen Arbeitnehmer gelten sollte. Wir halten diese Frage für ein Problem von entscheidender Bedeutung und beantragen auch hierzu namentliche Abstimmung. ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter Wischnewski, bezieht sich das auf Ihren Antrag Ziffer 3 cc)? ({0}) - Ich werde über die Änderungsanträge in fünf verschiedenen Abstimmungsgängen abstimmen lassen müssen. Sie wollen doch nicht über jeden Teilantrag eine namentliche Abstimmung? ({1}) bis cc) kann gemeinsam namentlich abgestimmt werden!) - Gut, dann wird darüber namentlich abgestimmt, nicht über die anderen Anträge. Wird das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Scheppmann!

Heinrich Scheppmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001958, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über § 8 - Arbeitszeit - haben wir im Ausschuß für Arbeit sehr lange geredet, und ich weiß, daß das auch im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen der Fall gewesen ist. Wir haben unsere Meinung im Ausschuß schon zum Ausdruck gebracht. Der Herr Kollege Wischnewski sprach soeben von 40 Stunden. Herr Kollege, Sie müssen dabei berücksichtigen, daß in der Ausschußvorlage auch an den Besuch der Berufsschule gedacht worden ist. Ich darf zu dem § 8 einige Ausführungen machen. Bei der Festlegung der Arbeitszeit für Jugendliche muß man davon ausgehen, welche Jugendlichen einen höheren Schutz haben müssen. Die Regierungsvorlage sprach generell von 42 Stunden wöchentlich. Wir sind davon ausgegangen, daß der Jugendliche mit 14 Jahren, der gerade aus der Schule entlassen wurde, einen größeren Schutz verdient als derjenige, der schon zwei Jahre - also zwischen dem 14. und 16. Jahre - im Betrieb gearbeitet hat. Der Jugendliche mit 14 Jahren muß sich völlig umstellen, muß sich erst an den Betrieb gewöhnen, muß sich quasi einarbeiten. Diesem Jugendlichen muß nach unserer Meinung ein größerer Schutz gewährt werden. Er soll 40 Stunden in der Woche arbeiten können. Die Jugendlichen von 16 bis 18 Jahren sollen bis zu 44 Stunden in der Woche arbeiten dürfen. Dabei ist vorgesehen - wie aus unserem Antrag zu entnehmen ist -, daß die Jugendlichen in den Betrieben nicht länger arbeiten dürfen als Erwachsene. Ich glaube, daß diese Regelung tragbar ist. Man muß dabei berücksichtigen, daß die Jugendlichen noch zur Berufsschule gehen. Der Berufsschultag wird nach § 11 voll als Arbeitstag angerechnet, und entsprechend bezahlt. Das bedeutet, daß der Jugendliche von 14 bis 16 Jahren praktisch 32 Stunden und der Jugendliche von 16 bis 18 Jahren 36 Stunden im Betrieb tätig sein kann. Ich bin der Auffassung, daß es notwendig ist, die Arbeitszeiten so festzulegen. Ich möchte hier allen Ernstes einmal folgende Frage aufwerfen. Die Lehrzeit als solche soll doch nicht verlängert werden. Wie sollten die Jugendlichen das Ausbildungsziel erreichen, wenn jetzt die Arbeitszeit noch weiter verkürzt würde? Wir sollten entscheidenden Wert darauf legen, den Jugendlichen jede Möglichkeit zur Ausbildung zu vermitteln, damit sie einmal tüchtige Facharbeiter werden. Aus diesem Grunde sollte der Antrag der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 3 Buchstabe a abgelehnt werden. Dieser Antrag geht nämlich generell von der 40-Stunden-Woche aus. Wir meinen, daß die Ausschußvorlage den Dingen mehr Rechnung trägt. Ich komme nun zur Begründung des Antrags der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 629 Ziffer 3. Wir haben den Antrag gestellt, hinter Abs. 3 einen Abs. 3 a einzufügen, der, wie ich eben schon sagte, lautet: Die Arbeitszeit der Jugendlichen darf täglich und wöchentlich die übliche Arbeitszeit der erwachsenen Arbeitnehmer des Betriebs oder der Betriebsabteilung, in der der Jugendliche beschäftigt wird, nicht überschreiten. Das gilt nicht, wenn die übliche Wochenarbeitszeit der erwachsenen Arbeitnehmer weniger als 40 Stunden beträgt. Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen und die Anträge auf Umdruck 631 bis einschließlich Ziffer 3 cc) abzulehnen. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Dürr zur Begründung des Antrags auf Umdruck 637 Ziffer 4.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Es ist immer gefährlich, Einzelbestimmungen eines Gesetzes aus dem Zusammenhang gerissen isoliert zu behandeln. Herr Kollege Wischnewski, heute haben Sie etwas gefährlich gelebt, indem Sie § 8 Abs. 1 isoliert betrachtet haben. Wir müssen § 8 Abs. 1 zusammen mit § 8 Abs. 3 a betrachten. § 8 Abs. 3 a wird sicherlich eingefügt, weil die CDU und die SPD die gleiche Fassung beantragt haben und weil die FDP diesen Anträgen zustimmt. Wenn das der Fall ist, haben wir eine Arbeitszeit für Jugendliche, die niemals die Regelarbeitszeit der Erwachsenen übersteigt. Diese Gleitklausel muß doch den Vorstellungen der SPD so entgegenkommen, daß Sie, meine Damen und Herren, aus dem § 8 Abs. 1 keinen gar zu großen Streitpunkt zu machen brauchen. Nun zur Begründung unseres eigenen Antrags auf Umdruck 637 Ziffer 4. § 8 Abs. 3 sieht bisher vor, daß ein Ausgleich der Arbeitszeit möglich ist, wenn in Verbindung mit Feiertagen Wochenarbeitszeit ausfällt, damit eine längere zusammenhängende Freizeit gewährleistet wird. Bis jetzt war diese Umverteilung auch möglich, wenn im Zusammenhang mit Sonntagen Arbeitszeit ausfiel, damit eine längere zusammenhängende Freizeit gewährleistet wird. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist zu § 8 Abs. 3 gesagt worden, eine längere Arbeitszeit sei vertretbar bei längerer zusammenhängender Freizeit. Das muß unseres Erachtens ohne Rücksicht darauf gelten, ob die längere zusammenhängende Freizeit in Verbindung mit Feiertagen oder in Verbindung mit Sonntagen anfällt. Ich habe die Absicht, bei den Beratungen dieses Gesetzes kein einzigesmal das Wort „Prozent" zu gebrauchen, weil es bei den bisherigen Beratungen schon zu sehr strapaziert worden ist. Aber ein ansehnlicher Teil unserer Jugendlichen hat bereits die Fünftagewoche. Wenn wir einem Jugendlichen die Frage vorlegen, was ihm lieber ist, 44 Stunden an sechs Tagen oder 42 Stunden an fünf Tagen, wird jeder vernünftige junge Mensch sagen: Die Freizeit in einem Stück ist mir lieber. Es kommt noch etwas anderes hinzu. In meiner Heimat etwa wohnt weit mehr als die Hälfte der Jugendlichen nicht am Arbeitsort. Wenn sie nach acht Stunden nach Hause geschickt werden - die Regelarbeitszeit der Erwachsenen wäre achteinhalb Stunden -, sieht es in der Praxis so aus, daß die Erwachsenen mit schnellem Schritt und die Jugendlichen gemächlicher, vielleicht auf dem Umweg über die Milchbar, zum Bahnhof oder zur Omnibushaltestelle gehen; sie haben also von dieser weiteren halben Stunde Freizeit nichts. Wenn sie dafür aber einen freien Samstag hätten, wäre das eine ausgesprochene Verbesserung. Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag Umdruck 637 Ziffer 4 zuzustimmen. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir stimmen ab, und zwar zunächst namentlich über den Antrag Umdruck 631 Ziffer 3 a. Anschließend stimmen wir über den Antrag Umdruck 637 Ziffer 4 ab und dann in einem dritten Abstimmungsgang über die gleichlautenden Anträge Umdrucke 631 Ziffer 3 b und 629 Ziffer 3. Zunächst also namentliche Abstimmung über den Antrag Umdruck 631 Ziffer 3 a. Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Abgestimmt haben 379 stimmberechtigte Abgeordnete und 15 Berliner Abgeordnete. Davon haben mit Ja gestimmt 138 stimmberechtigte Abgeordnete, 10 Berliner Abgeordnete, mit Nein 240 stimmberechtigte Abgeordnete, 5 Berliner Abgeordnete; der Stimme enthalten hat sich 1 Abgeordneter. Damit ist der Antrag abgelehnt. Ja CDU/CSU Berger Eplée Teriete Weimer SPD Frau Albertz Bach Bading Bäumer Bals Bauer ({0}) Baur ({1}) Dr. Bechert Behrendt Behrisch Frau Bennemann Bergmann Berkhan Berlin Bettgenhäuser Frau Beyer ({2}) Börner Dr. Brecht Bruse Büttner Corterier Cramer Dr. Deist Dewald Diekmann Frau Döhring ({3}) Frau Eilers ({4}) Eschmann Faller Felder Franke Dr. Frede Frehsee Frenzel Geiger ({5}) Geritzmann Haage Hamacher Hansing Dr. Harm Hauffe Heide Heiland Hellenbrock Frau Herklotz Hermsdorf Herold Höcker Höhmann Höhne Hörauf Frau Dr. Hubert Hufnagel Iven ({6}) Jacobi Jahn ({7}) Jürgensen Junghans Jungherz Kalbitzer Frau Keilhack Frau Kettig Keuning Killat ({8}) Kinat ({9}) Frau Kipp-Kaule Könen ({10}) Koenen ({11}) Frau Korspeter Kraus Kriedemann Kühn ({12}) Kurlbaum Lange ({13}) Lantermann Lohmar Ludwig Lücke ({14}) Lünenstraß Marx Matzner Meitmann Dr. Menzel Merten Metter Metzger Meyer ({15}) Frau Meyer-Laule Dr. Mommer Müller ({16}) Müller ({17}) Müller ({18}) Frau Nadig Odenthal Peters Prennel Priebe Pütz Dr. Ratzel Reitz Frau Renger Rhode Ruhnke Dr. Schäfer Frau Schanzenbach Scheuren Dr. Schmid ({19}) Dr. Schmidt ({20}) Schmidt ({21}) Schmitt-Vockenhausen Schröder ({22}) Seidel ({23}) Seither Frau Seppi Seuffert Stenger Stierle Sträter Striebeck Frau Strobel Theil ({24}) Theis ({25}) Wegener Welke Welslau Weltner ({26}) Frau Wessel. Wilhelm Wittrock Zühlke Berliner Abgeordnete Dr. Königswarter Frau Krappe Mattick Neumann Dr. Schellenberg Schröter ({27}) Schütz ({28}) Dr. Seume Frau Wolff ({29}) Nein CDU/CSU Frau Ackermann Graf Adelmann Dr. Aigner Arndgen Baier ({30}) Baldauf Balkenhol Dr. Bartels Dr. Barzel Bauereisen Bauknecht Bausch Dr. Becker ({31}) Becker ({32}) Berberich Dr. Bergmeyer Dr. Besold Blöcker Frau Blohm von Bodelschwingh Dr. Böhm Frau Brauksiepe Brese Frau Dr. Brökelschen Brück Dr. Bucerius Bühler Dr. Burgbacher Burgemeister Caspers Dr. Conring Dr. Czaja Demmelmeier Diebäcker Diel Dr. Dollinger Drachsler Draeger Dr. Dresbach Ehren Eichelbaum Dr. Elbrächter Engelbrecht-Greve Frau Engländer Enk Dr. Even ({33}) Finckh Dr. Franz Franzen Dr. Frey Dr. Fritz ({34}) Fritz ({35}) Fuchs Funk Frau Dr. Gantenberg Gaßmann Gehring Frau Geisendörfer Gerns D. Dr. Gerstenmaier Gewandt Gibbert Giencke Dr. Gleissner ({36}) Glüsing ({37}) Dr. Götz Goldhagen Gontrum Gottesleben Günther Freiherr zu Guttenberg Hackethal Häussler Hahn Dr. Hahne Dr. von Haniel-Niethammer Harnischfeger Dr. Hauser Dr. Heck ({38}) Heix Dr. Hesberg Hesemann Heye Hilbert (C Höcherl Dr. Höck ({39}) Höfler Horn Huth Dr. Huys Illerhaus Jahn ({40}) Dr. Jordan Josten Dr. Kanka Kemmer Dr. Kempfler Kirchhoff Kisters Dr. Kliesing ({41}) Knobloch Dr. Knorr Koch Dr. Kopf Kramel Krammig Kroll Krüger ({42}) Krug Frau Dr. Kuchtner Kunst Kuntscher Lang ({43}) Leicht Dr. Leiske Lenz ({44}) Lenze ({45}) Lermer Leukert Lulay Maier ({46}) Dr. Baron Manteuffel-Szoege Maucher Meis Memmel Menke Mensing Meyer ({47}) Mick Muckermann Mühlenberg Müller-Hermann Nellen Nieberg Niederalt Frau Niggemeyer Dr. Dr. Oberländer Oetzel Dr. Pflaumbaum Dr. Philipp Frau Pitz-Savelsberg Frau Dr. Probst Frau Dr. Rehling Dr. Reinhard Dr. Reith Richarts Riedel ({48}) Frau Rösch Rösing Rollmann Dr. Rüdel ({49}) Ruf Ruland Scharnberg Schlee Schlick Dr. Schmidt ({50}) Frau Schmitt ({51}) Schneider ({52}) Schüttler Schütz ({53}) Schulze-Pellengahr Frau Dr. Schwarzhaupt Dr. Schwörer Dr. Seffrin Siebel Dr. Siemer Simpfendörfer Spies ({54}) Spies ({55}) Stauch Dr. Stecker Stiller Dr. Stoltenberg Dr. Storm ({56}) Storm ({57}) Struve Sühler Unertl Varelmann Vehar Frau Vietje Vogt Wacher Dr. Wahl Dr. Weber ({58}) Wendelborn Werner Wieninger Dr. Willecke Windelen Winkelheide Dr. Winter Wittmann Wittmer-Eigenbrodt Worms Wullenhaupt Dr. Zimmer Dr. Zimmermann Berliner Abgeordnete Dr. Gradl I Dr. Krone Frau Dr. Maxsein FDP Dr. Achenbach Dr. Bucher Dr. Dahlgrün Dr. Dehler Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dowidat Eisenmann Keller Dr. Kohut Kreitmeyer Kühn ({59}) Lenz ({60}) Margulies Dr. Mende Mischnick Freiherr von Mühlen Murr Rademacher Dr. Rutschke Dr. Schneider ({61}) Spitzmüller Dr. Starke Walter Zoglmann Berliner Abgeordnete Frau Dr. Dr. h. c. Lüders Dr. Will DP Frau Kalinke Matthes Dr. Preiß Probst ({62}) Dr. Schild Schneider ({63}) Dr. Schneider ({64}) Dr. Schranz Dr. Steinmetz Enthalten FDP Ich lasse nunmehr abstimmen über den Antrag Umdruck 637 Ziffer 4. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Nunmehr lasse ich abstimmen über die beiden gleichlautenden Anträge Umdruck 631 Ziffer 3 b und Umdruck 629 Ziffer 3. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Wir stimmen nunmehr über den § 8 im ganzen ab. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Das erste war die Mehrheit; bei zahlreichen Gegenstimmen und einer Enthaltung ist § 8 in der neuen Fassung angenommen. § 9! Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 631 Ziffer 4 vor. Wer begründet ihn? - Herr Abgeordneter Hufnagel!

Josef Hufnagel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000980, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, so kurz wie möglich unseren Antrag auf Neufassung des § 9 zu begründen. Dieser Paragraph, ,der jetzt aus drei Teilen besteht, soll nach unserem Antrag nur aus einem Teil bestehen. Wir wollen aus der Ausschußvorlage das, was uns darin wichtig erscheint, die Ziffer 2 des Abs. 1, in die neue Fassung übernehmen. Wir wollen aber Abs. 1 Ziffer 1 wegfallen lassen. Sie lautet in der Regierungsvorlage und in der Ausschußfassung: 1. wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt und aus diesem Grunde die Arbeitszeit für ,die erwachsenen Beschäftigten verlängert worden ist. Wir sind der Meinung, daß es einmal nicht notwendig und zum anderen wegen der gegebenen Verhältnisse unzweckmäßig ist, diese Bestimmung aufzunehmen. Es wird darin von Arbeitsbereitschaft gesprochen. Wir haben schon im Ausschuß festgestellt, daß diese Arbeitsbereitschaft, soweit sie echte Bereitschaft ist, nur sehr selten vorkommt, daß sie in den meisten Fällen nicht nur die Bereitschaft, sondern echte Arbeitsleistung darstellt. Wenn in einer neuen Eingabe des Zentralverbandes des deutschen Gemüse-, Obst- und Gartenbaues von „Bereitschaftsdienst" gesprochen wird, aber gleichzeitig darauf hingewiesen wird, daß es sich hier um naturbedingte und unaufschiebbare Arbeiten handelt, wird ganz deutlich, daß hier eine Begriffsverwirrung besteht. Wenn man schon von Bereitschaft spricht, darf man diese Bereitschaft nicht damit begründen, daß man bestimmte Arbeitsaufgaben in einzelnen nennt. Die neue Fassung, die Sie unter Ziffer 4 unseres Änderungsantrages vor sich liegen haben, lautet: Die Aufsichtsbehörde kann für Jugendliche über 16 Jahre, mit Ausnahme der im Bergbau unter Tage beschäftigten, aus dringenden Gründen des Gemeinwohls eine Überschreitung der nach § 8 zulässigen Arbeitszeit um höchstens eine Stunde täglich und drei Stunden wöchentlich bewilligen, wenn nur auf diese Weise ein unverhältnismäßiger, erheblicher Schaden für den Betrieb verhütet werden kann. Wenn wir diese kürzere Fassung - unter Weglassung der Ziffer 1 - beschließen, schaffen wir eindeutige, klare Arbeitsverhältnisse und sprechen nicht von Bereitschaftsdienst, wenn wir, wie soeben bewiesen, Arbeitsleistung meinen. Es soll nicht durch eine sogenannte Bereitschaft eine Verlängerung der echten Arbeitszeit und eine Überbelastung eintreten. Mit der Annahme unseres Antrags würde im ganzen eine klare und knappe Fassung erreicht. Ich bitte deshalb um Zustimmung. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Franzen.

Jakob Franzen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie im Namen meiner Freunde, diesen Änderungsantrag abzulehnen. Die Regierungsvorlage und auch die AusFranzen schußvorlage sehen hier Ausnahmemöglichkeiten unter zwei Gesichtspunkten vor. Die Arbeitszeit darf einmal aus Gründen des Gemeinwohls durch eine Genehmigung der Aufsichtsbehörde und nach Ziffer 1 bei Arbeitsbereitschaft um eine Stunde täglich und bis zu drei Stunden wöchentlich verlängert werden. Bei Arbeitsbereitschaft handelt es sich darum, daß die Beschäftigten auf die Fortführung ihrer Tätigkeit warten müssen, also in die Arbeit eine Zeit eingeschaltet ist, in der sie auf die Weiterbeschäftigung warten. Diese Zeit soll aber als Arbeitszeit gelten, d. h. sie soll bezahlt werden. Sie soll nicht etwa als Pause gelten, ,die nicht bezahlt wird. Deshalb brauchen wir diese Vorschrift. Da eine solche Vorschrift in der Arbeitszeitordnung besteht, brauchen wir sie auch in ,diesem Gesetz, weil Jugendliche immer mit Erwachsenen zusammenarbeiten müssen. Ich bitte Sie daher, den Änderungsantrag abzulehnen und der Ausschußvorlage zuzustimmen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Keine weiteren Wortmeldungen; wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 631 Ziffer 4 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen nunmehr ab über § 9. Wer § 9 in der Ausschußfassung annehmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen zahlreiche Gegenstimmen angenommen. § 10. Hier liegen zwei Änderungsanträge vor. Der eine auf Umdruck 631 Ziffer 5, der andere auf Umdruck 629 Ziffer 4. Zunächst also der Antrag Umdruck 629 Ziffer 4. Wer begründet ihn? - Herr Abgeordneter Memmel.

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 10 Abs. 3 ist die sogenannte Prozeßstandschaft vorgesehen, d. h. daß eine fremde Person oder Institution für jemand bei Gericht auftreten und einen Anspruch im eigenen Namen einklagen kann. Die Prozeßstandschaft ist in der ZPO sehr umstritten und sehr selten, und im BGB gibt es sie nur in einem einzigen Fall, nämlich in § 1368. Sie ist also ein Institut, das überhaupt nicht in die Rechtssystematik paßt. Die Prozeßstandschaft des Landes, wie sie in § 10 Abs. 3 vorgesehen ist, ist unbedingt abzulehnen, da die Vertretung privatrechtlicher Interessen nicht Sache des Staates ist. Und weil, wie es in der Ausschußvorlage vorgesehen ist, die Zustimmung des berechtigten Jugendlichen zur Geltendmachung erforderlich ist, entfällt ohnedies der Sinn der Prozeßstandschaft. Ich stehe mit dieser Ansicht nicht allein. Auch der Rechtsausschuß hat sich für die Streichung des Abs. 3 ausgesprochen, desgleichen der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen, außerdem - ein wichtiges Organ - der Bundesrat. Ich darf Ihnen mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus der Drucksache 317 die Stellungnahme des Bundesrats vortragen: Es geht nicht an, die Länder mit der ,gerichtlichen Geltendmachung der Mehrarbeitsvergütung an Stelle des Berechtigten zu beauftragen. Es muß Sache der jugendlichen Berechtigten oder der sie vertretenden Organisationen sein, ihr Recht zu suchen. Außerdem würde die vorgesehene Regelung die Länderbehörden mit einer erheblichen Arbeit belasten; es wäre zudem nicht sicher, in welchem Umfang Fälle dieser Art zur Kenntnis der zuständigen Behörden kämen. Ich bitte Sie also, diesen Abs. 3 zu streichen. Vielleicht darf ich gleich noch zu dem Antrag der SPD auf Umdruck 631 Stellung nehmen. Die sozialdemokratische Fraktion möchte noch weitergehen; sie wünscht eine Prozeßstandschaft ohne Einwilligung des Berechtigten. Damit ist also auch der Fall denkbar, daß das Land für mein Kind gegen meinen Willen eine Mehrarbeitsvergütung einklagen kann. Das scheint mir denn doch zuviel zu sein. Ich bitte also darum, zunächst den Antrag auf Umdruck 631 als den weitergehenden abzulehnen und dann den § 10 Abs. 3 zu streichen. ({0}) Jetzt hat die Amtsführung gewechselt. Vorhin haben wir gesagt, daß, wenn -

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter, es ist aber ein Präsidium da. ({0})

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vorhin hat man gesagt, man müsse, wenn ein Streichungsantrag gestellt werde, über die Ausschußvorlage abstimmen. Im Hinblick auf dieses Verfahren bemerke ich also, daß wir hinsichtlich des Abs. 3 nicht für die Ausschußvorlage sind. Um der Klarheit willen darf ich es noch einmal sagen: ich bitte, den Antrag der SPD, weil er viel zu weit geht, abzulehnen und dann auch die Ausschußvorlage bezüglich des Abs. 3 abzulehnen; denn eine Prozeßstandschaft ist eine sehr unglückliche Sache. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ist der Antrag Umdruck 631 Ziffer 5 schon begründet? -Bitte sehr, Herr Abgeordneter Folger.

Erwin Folger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000566, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der SPD hat eine andere Meinung, als sie von Herrn Kollegen Memmel vorgetragen wurde. Wir sind der Ansicht, daß die Klagebefugnis der Länder oder, wie sie auch genannt wird, die Prozeßstandschaft ein sehr gutes, modernes, allerdings noch sehr junges Rechtsinstitut in der Sozialpolitik ist. Ich möchte Sie inständig bitten, bei unserem Antrag nicht zu denken: „Der kommt von der SPD, der wird runtergebügelt", sondern ihn ernsthaft zu überlegen. Ich möchte Ihnen helfen, die richtige Entscheidung zu treffen. In § 10 Abs. 1 ist eine Mehrarbeitsvergütung vorgesehen, die verschieden hoch ist, je nachdem, um wen es sich handelt. In Abs. 2 sind Zuschläge für die Mehrarbeit, die gleichzeitig Sonntagsarbeit ist, vorgesehen. In Abs. 3 wird bestimmt, daß das Land mit Zustimmung des Berechtigten im eigenen Namen den Anspruch auf Zahlung der Mehrarbeitsvergütung gerichtlich geltend machen kann. Ähnliche Bestimmungen finden sich im Heimarbeitsgesetz - § 25 - und im Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen - § 14 -. Diese Klagebefugnis der Länder hat eine außerordentliche Bedeutung. Ohne sie würden die Jugendlichen aus Unkenntnis, aus Mangel an Gewandtheit, aus Furcht vor der Störung der Beziehungen zum Arbeitgeber - wie man jetzt wieder sagen darf -, aus Angst vor Repressalien oder Rückwirkungen auf das Lehrverhältnis auf die Geltendmachung verzichten. Die Klagebefugnis der Länder soll Unannehmlichkeiten, bei denen der Jugendliche den kürzeren ziehen würde, verhindern. Durch sie soll sichergestellt werden, daß der Jugendliche zu seinem Recht kommt. Dieser Zweck der Klagebefugnis der Länder wird durch die Worte „mit Zustimmung des Berechtigten" gefährdet. Diese Worte finden sich nicht im Heimarbeitsgesetz und auch nicht im Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen. Die Verantwortung, die man dem Jugendlichen nehmen sollte, wird ihm hier wieder zugeschoben. Das heißt, es werden drei Schritte nach vorn und dann wieder zwei Schritte rückwärts gemacht. Sagen Sie bitte nicht, die Jugendlichen brauchten heute keine Angst mehr vor einer Störung der Beziehungen zum Arbeitgeber zu haben, weil es genügend Lehrplätze und Arbeitsplätze für Jugendliche gebe. Das ist sehr, sehr verschieden. Das Gesetz wird ja nicht für heute und nicht für morgen gemacht. Wenn schon das alte Jugendarbeitsschutzgesetz von 1938 mit seinen braunen Borten und Arabesken 22 Jahre alt geworden ist, wird das demokratisch zustande kommende Gesetz möglicherweise mindestens ebenso alt werden. Wir müssen also in Rechnung stellen, daß gelegentlich auch andere Verhältnisse herrschen, und daran denken, daß sich die Jugendlichen vielleicht nicht immer in einer so guten Position gegenüber den Arbeitgebern befinden. Im übrigen gibt es auch gegenwärtig Regionen, Orte, Berufe und Betriebe, in denen die Verhältnisse noch absolut nicht ideal sind. In anderen Fällen wird es jo sowieso nicht zu einer Klage kommen. Einer der Herren Regierungsvertreter hat einmal im Auschuß geltend gemacht, daß die Zustimmung des Berechtigten aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendig sei. Er hat auf die Artikel 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 des Grundgesetzes verwiesen. Ich bin der Meinung, daß das an den juristischen Haaren herbeigezogen ist. Eine dem Jugendlichen zugewandte und sozialpolitisch notwendige Wohltat kann doch niemals die Vorschriften über den ordentlichen Rechtsweg und über rechtliches Gehör tangieren, d. h. das eine schließt das andere nicht aus. Die Klagebefugnis ist nicht willkürlich, sondern echt begründet durch den notwendigen Jugendarbeitsschutz. Aber selbst wenn man einen Eingriff in die persönliche Freiheit unterstellt, muß man doch sagen, daß der Schutz des Jugendlichen im Vordergrund steht, daß dieser Schutzgedanke höherwertig ist. Herr Ministerialdirektor Professor Dr. Herschel vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat im Bundesarbeitsblatt 1951 - ich glaube, es war auf Seite 13 - im Zusammenhang mit dem Heimarbeitsgesetz die Worte drucken lassen: „Ohne die Klagebefugnis wäre das Gesetz ein Messer ohne Schneide". ({0}) Das ist absolut richtig gesagt, wie man es von solchen Kapazitäten ja auch gewöhnt ist. Das gilt aber selbstverständlich erst recht für das Jugendarbeitsschutzgesetz. Was den Heimarbeitern recht und billig ist, muß man auch den Jugendlichen zugestehen. Ich möchte die Feststellung von Herrn Professor Herschel sogar noch abwandeln und sagen: Die Klagebefugnis nur mit Zustimmung des Berechtigten ist ebenfalls ein Messer ohne Schneide. Unser ehrenwerter Kollege Herr Benda hat im Rechtsausschuß nach dem Protokoll u. a. gesagt, sinnvoll sei eine derartige Vorschrift nur, wenn man die Klageerhebung durch das Land von der Zustimmung des Berechtigten abhängig mache; dann gehe jedoch - so meint der Kollege Benda - der Eingriff in die persönlichen Rechte des Jugendlichen zu weit. Ich weiß nicht, wieso es ein Eingriff in die persönlichen Rechte sein soll, wenn man dem Jugendlichen eine solche Unterstützung bei der Durchsetzung seiner Rechtsansprüche gewährt. Ich weiß auch nicht, warum Sie nicht vorher bei den Hilfeleistungen der Kinder an die persönliche Freiheit und an die persönlichen Rechte gedacht haben; hier wird daran gedacht. Wir sind im Gegenteil der Meinung, daß diese Klagebefugnis der Länder eine Unterstützung der persönlichen Rechte des Jugendlichen ist. Der Rechtsausschuß und ähnlich der Bundesrat haben sich u. a. auf den Standpunkt gestellt, es sei nicht Sache des Staates, private Vermögensansprüche gegenüber Arbeitgebern zu vertreten. ({1}) Auch Herr Kollege Memmel hat gerade von den privaten Vermögensansprüchen gesprochen. Im Jugendarbeitsschutzgesetz werden aber nicht private Vermögensansprüche, sondern der Jugendarbeitsschutz geregelt, und die Mehrarbeitsvergütung ist ein Bestandteil des Jugendarbeitsschutzes. Der Arbeitgeber sollte durch eine entsprechende Verpflichtung davon abgehalten werden, die Jugendlichen länger arbeiten zu lassen. ({2}) Die Klagebefugnis ist eben nur eines der Mittel des Jugendarbeitsschutzes. Fangen Sie doch bitte nicht ausgerechnet beim Jugendlichen damit an, den Staat als Hilfestellung abzubauen. Es gibt andere Objekte, bei denen der Anfang gemacht werden müßte. ({3})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Dürr!

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDP tritt ebenfalls für die Streichung des § 10 Abs. 3 des Entwurfs ein. Wir haben keinen eigenen Antrag gestellt, weil wir gehört haben, daß die CDU einen solchen Antrag stellen wolle; es ist nicht gut, wenn zu viele gleichlautende Anträge verschiedener Fraktionen behandelt werden. Mein Herr Vorredner hat erklärt, bei der gesetzlichen Prozeßstandschaft handle es sich um ein junges Rechtsinstitut. Ich möchte ihn aber darauf hinweisen, daß dieses junge Rechtsinstitut nicht nur Kinderkrankheiten hat, sondern etwas, was weniger vergeht als Kinderkrankheiten, nämlich ausgesprochene Geburtsfehler, - um nicht die Worte „Geburt" und „Fehler" in umgekehrter Reihenfolge zu benutzen. Er hat gesagt, der Einwand, eine Klage des Landes gegen den Arbeitgeber sei gegen den Willen der Eltern nicht durchführbar, sei „an den juristischen Haaren herbeigezogen". Gestatten Sie mir, zu sagen, daß sich mir bei diesen Ausführungen die „juristischen Haare" gesträubt haben. Eine Klage des Landes gegen den Arbeitgeber ist wegen des Art. 6 des Grundgesetzes unmöglich. Wir würden uns von Karlsruhe eine Zurückweisung - ich vermeide absichtlich das plastische, aber unparlamentarische Wort, das gestern der Sache nach zutreffend gefallen ist - holen, wenn wir die von der SPD beantragte Bestimmung im Gesetz verankerten. ({0}) - Es ist schade, daß Karlsruhe über diese Fragen noch nicht entschieden hat. Ich weiß nicht, ob die Bundesregierung heute wieder die gleichen Anträge wie damals zu dem Gesetz stellen würde. Aber lassen wir die Juristerei einmal beiseite und denken wir an die Praxis. Wie würde es sich auswirken, wenn, solange das Arbeits- oder Lehrverhältnis fortbestünde, das Land mit Einwilligung der Eltern einen Arbeitsgerichtsprozeß gegen den Arbeitgeber des Jugendlichen führte? Die Folgen in der Praxis sind leicht auszudenken: Streitigkeiten am laufenden Band. Wenn, was die Regel sein dürfte, die Mehrarbeitsvergütung eingeklagt wird, weil der Vater des Lehrlings fristlos gekündigt hat, nachdem er erfahren hat, wie sein Sohn ausgenützt worden ist, oder wenn aus anderen Gründen das Arbeits- oder Lehrverhältnis beendet worden ist, dann bewilligen die Arbeitsgerichte als sehr kulante Behörden das Armenrecht und ordnen, wenn es beantragt wird, noch einen Vertreter bei. Das genügt. § 10 Abs. 3 hätte nur den einen Vorteil, einem Rechtskandidaten eine relativ einfache Doktorarbeit zu ermöglichen. Auch wenn er ein anderes Thema suchen muß, - lehnen Sie den § 10 Abs. 3 bitte ab! ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 629 Ziffer 4 abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen. Damit ist der Änderungsantrag Umdruck 631 Ziffer 5 erledigt. Ich lasse abstimmen über § 10 in der geänderten Fassung. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit der gleichen Mehrheit angenommen. Zu § 11 liegen keine Änderungsanträge vor. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Zu § 12 liegt der Änderungsantrag der FDP Umdruck 637 Ziffer 5 vor. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dürr.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entgegen dem Regierungsentwurf ist in die Ausschußfassung hineingekommen, daß in Betrieben und Verwaltungen, in denen regelmäßig mehr als zehn Jugendliche beschäftigt werden, für den Aufenthalt während der Pausen besondere Aufenthaltsräume für Jugendliche bereitgestellt werden müssen. Diese Vorschrift geht als Muß-Bestimmung zu weit. Wir beantragen daher, sie durch eine Soll-Bestimmung zu ersetzen. ({0}) - Um Ausnahmen zu ermöglichen, haben wir die Soll-Bestimmung beantragt. Das ist besser, als wenn man auf die Ausnahmemöglichkeiten auf Antrag angewiesen ist. Aus einem Betrieb, in dem ich als Lehrling tätig war, weiß ich, wie es in der Praxis aussieht. In den ersten zwei Lehrjahren ist man in der Lehrwerkstatt. Im dritten Lehrjahr kommt man in die verschiedenen Betriebsabteilungen. Zum Aufenthaltsraum bei der Lehrwerkstatt wären es mehrere hundert Meter hin und mehrere hundert Meter zurück. Um diese Wege zurückzulegen, ist die Pause zu kurz. Wenn die Sonne scheint, geht sowieso jeder ins Freie, und man kann nicht sagen, daß für Jugendliche der linke Teil des Fabrikhofs und für Erwachsene der rechte Teil des Fabrikhofs freigehalten werden kann. Begnügen Sie sich mit der Soll-Bestimmung! Jeder vernünftige Arbeitgeber, der die Möglichkeit dazu hat, wird dieser Soll-Bestimmung nachkommen, und die Gewerbeaufsichtsbehörde kann ihm auch so gute Ratschläge dazu geben. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 637 Ziffer 5 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt. Wer § 12 in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Zu § 13 liegen Änderungsanträge und Wortmeldungen nicht vor. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Zu § 14 liegt der Änderungsantrag der CDU/CSU Umdruck 629 Ziffer 5 vor. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Memmel.

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 7, den wir in zweiter Lesung angenommen haben, sieht vor, daß für Artistenkinder, also für unter 14 Jahren alte Personen, eine Ausnahmegenehmigung zu einer wenn auch zeitlich begrenzten artistischen Darbietung erteilt werden darf. Der § 14 sieht eine solche Ausnahmegenehmigung nicht vor, so daß wir den kuriosen Zustand hätten, daß für Artistenkinder, also Personen unter 14 Jahren, mehr erlaubt ist als für die jugendlichen Artisten im Alter von 14 bis 18 Jahren. Die letzteren dürfen nicht an einer solchen Veranstaltung teilnehmen, während es die Artistenkinder unter 14 Jahren dürfen. Um das auszubessern, stellen wir den Antrag auf Umdruck 629 Ziffer 5 zu § 14 Abs. 5. Herr Präsident, erlauben Sie mir, zu sagen, daß das gleiche für § 16 gilt. Hierauf bezieht sich unser Antrag auf Umdruck 629 Ziffer 6. Mit diesem, ich muß schon sagen, abscheulich langen Satz wird das wiedergutgemacht, was wir nun einmal in § 7 hineingebracht haben. Ich bitte deshalb, diesem Änderungsantrag zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Wortmeldungen. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Anzahl von Enthaltungen angenommen. Dann lasse ich über den § 14 in der so geänderten Fassung abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. § 15! Keine Änderungsanträge. Wortmeldungen? - Keine Wortmeldungen! Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. § 16! Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor. Zunächst auf Umdruck 629 Ziffer 6 ein Änderungsantrag der CDU/CSU. ({0}) Herr Abgeordneter Vogt!

Karl Heinz Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002382, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie nur auf eine Änderung aufmerksam machen, die Sie, bitte, vornehmen wollten. Es muß im ersten Satz heißen: Jugendliche, die auf Grund der Absätze 4 und 5 an Sonn- und Feiertagen beschäftigt werden dürfen, .. . Bitte, streichen Sie das Wort „nicht" Das gleiche gilt, wenn ich das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten gleich sagen darf, für den gleichlautenden Änderungsantrag der SPD. Diese Änderung ist notwendig geworden, damit der Arbeitgeber variieren kann, wenn eine Beschäftigung an Feiertagen nach den beschlossenen Bestimmungen erlaubt ist, so daß er sowohl in der vorangehenden als auch in der nachfolgenden Woche die Beschäftigungszeit ausgleichen kann. Ich bitte um Ihre Zustimmung.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Wenn ich es recht verstehe, ist der Antrag auf Umdruck 629 Ziffer 6 b gleichlautend mit dem Antrag auf Umdruck 631 Ziffer 6 der SPD. Ist das richtig? ({0}) Wollen Sie zu Umdruck 631 Ziffer 6 das Wort nehmen? ({1}) Das Wort „nicht" ist sowohl im Antrag der Fraktion der SPD wie bei dem der CDU gestrichen. Ich lasse zunächst abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 629 Ziffer 6 a. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. Jetzt kommt der Änderungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck 629 Ziffer 6 b zusammen mit dem Änderungsantrag der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 6. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Dann kommt der ganze § 16 in der so geänderten Fassung. ({2}) Abs. 1 ist unverändert geblieben. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Abs. 2 und 3 entfallen. Jetzt kommt Abs. 4. Wer Abs. 4 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Abs. 5! Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Abs. 6! Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! ({3}) - Natürlich in der geänderten Fassung. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Präsident D. Dr. Gerstenmaier Abs. 7! Keine Änderungen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Ich rufe § 17 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 7 vor. Wird er begründet? - Herr Abgeordneter Ludwig!

Adolf Ludwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001384, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begründe unseren Antrag Umdruck 631 Ziffer 7 betreffend § 17 Abs. 3. In der Vorschrift ist festgelegt, daß der Urlaub den Jugendlichen gewährt wird, die am Beginn des Kalenderjahres noch nicht 18 Jahre alt sind. Leider wird aber in einem Halbsatz die Einschränkung gemacht, daß diese Bestimmung beim Arbeitsplatzwechsel nicht gilt, wenn der Jugendliche vor der Einstellung 18 Jahre alt geworden ist. Diese Ausnahmeregelung ist nur mit geringer Mehrheit beschlossen worden, so daß man annehmen kann, es gibt außer den Antragstellern genügend andere Abgeordnete, die bereit sind, hier im Plenum unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Es sollte nicht schwer sein, diese Bestimmung zu revidieren, wenn man bedenkt, daß es darum geht, alle Jugendlichen gleichmäßig zu behandeln. Die Vorschrift würde dann auch mit den Regelungen der meisten Länderurlaubsgesetze und der meisten Tarifverträge übereinstimmen, in denen die Frage schon im Sinne unseres Antrags entschieden ist. Alles ruft nach Klarheit und Einfachheit der Gesetze. Aber mit der jetzigen Fassung würde für einen Teil der Jugendlichen ein Ausnahmezustand geschaffen. Sie wissen, daß junge Menschen gegen solche Benachteiligungen besonders empfindlich sind und daß sie so etwas als Unrecht betrachten. Die Zahl der Betroffenen kann nicht sehr groß sein, aber gerade deshalb sollte man kein Ausnahmerecht schaffen. Ich bitte daher um Annahme unseres Antrags, den einschränkenden Halbsatz zu streichen und alle Jugendlichen gleichmäßig zu behandeln. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Franzen!

Jakob Franzen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte im Namen meiner Freunde, auch diesen Antrag abzulehnen, und zwar aus Gründen der Rechtssicherheit. Die Jugendlichen haben Anspruch auf einen erhöhten Urlaub, bis zu 24 Tagen bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahres. Wenn wir sagten, der Anspruch besteht, wenn das 18. Lebensjahr bei Beginn des Kalenderjahres nicht erreicht ist, würde der Jugendliche auch bei einem Stellenwechsel innerhalb des darauffolgenden Jahres den Anspruch auf den erhöhten Urlaub behalten. Ich glaube, das ist nicht gewollt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Jakob Franzen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr!

Walter Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Franzen, sind Sie der Ansicht, daß alle die Tarifverträge, die eine solche Regelung enthalten, wie wir sie vorschlagen, zur Rechtsunsicherheit geführt haben?

Jakob Franzen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das will ich damit nicht sagen. Aber wir müssen in unserem Entwurf verdeutlichen, was gemeint ist. Alle Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres haben Anspruch auf einen Urlaub bis zu 24 Tagen. Wenn sie nun den Arbeitgeber oder den „Beschäftiger", wie wir ihn nennen wollen, wechseln, ({0}) und sie haben das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht, bleibt der Anspruch bestehen. Haben sie aber das 18. Lebensjahr schon erreicht, müssen sie ihren Anspruch schon bei dem vorhergehenden Arbeitgeber ausgeschöpft haben. Wenn wir Ihrem Vorschlag folgten, würde nicht feststehen, welcher Arbeitgeber verpflichtet ist, den erhöhten Urlaub zu gewähren. Aus diesem Grunde bitte ich, ,den Antrag abzulehnen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002202, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Dieses Jugendarbeitsschutzgesetz bringt den Betrieben, die Jugendliche beschäftigen, ohnehin viel Arbeit. Sie müssen ohnehin dauernd überlegen, welche gesetzlichen Regelungen sie beachten müssen. Aus Gründen der Klarheit und der Einfachheit sollten wir dem SPD-Antrag zustimmen. In den Tarifverträgen ist geregelt, wer den Urlaub zu gewähren hat. Ich sehe keinen Grund, den Antrag der SPD abzulehnen. Ich bitte, diesem Antrag der Klarheit und der Einfachheit wegen zuzustimmen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Abstimmung! Wer dem Antrag ,der SPD Umdruck 631 Ziffer 7 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Bei dieser Besetzung des Hauses soll das ein Mensch entscheiden! Ich muß die Abstimmung wiederholen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich kann das nicht entscheiden. Auszählung, meine Damen und Herren! Es tut mir leid. ({0}) - Aufstehen? Gut, kann man auch noch versuchen. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Das letztere ist die Mehrheit. Wir kommen um den Hammelsprung herum; der Antrag ist abgelehnt. Wer dem § 17, der nicht geändert ist, zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Präsident D. Dr. Gerstenmaier § 18! Dazu liegt der Änderungsantrag der CDU auf Umdruck 629 Ziffer 7 vor. Wird er begründet? - Keine Begründung. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 629 Ziffer 7 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. § 18 in der so geänderten Fassung! ({1}) - Herr Abgeordneter Memmel!

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich auf folgendes aufmerksam machen. Durch die Streichung des § 10 Abs. 3, die wir vorhin beschlossen haben, ist der letzte Halbsatz im § 18 Abs. 2 - „§ 10 Abs. 3 findet Anwendung" - gegenstandslos geworden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich bedanke mich für den Hinweis. Die Worte „§ 10 Abs. 3 findet Anwendung" werden an dieser Stelle gestrichen. § 18 in der geänderten Fassung! Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Ich rufe den § 18 a auf. Änderungsanträge liegen nicht vor. Zu § 19 liegen ebenfalls keine Änderungsanträge vor. Wird zu den §§ 18 a und 19 das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer diesen Paragraphen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Angenommen. Jetzt kommt § 20. Hier liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 641 vor, Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Bleyler, Frau Welter und Fraktion der CDU/CSU. Zur Begründung Frau Abgeordnete Dr. Bleyler.

Dr. Hildegard Bleyler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000199, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im dritten Titel des dritten Abschnitts dieses Gesetzes werden für die Arbeit im Familienhaushalt Sondervorschriften festgelegt, insbesondere wird die wöchentliche Arbeitszeit auf 48 Stunden erhöht, und zwar deswegen, weil im Grunde hauswirtschaftliche Arbeit nicht ohne weiteres mit der Arbeit in Industriebetrieben verglichen werden kann. Dies gilt in ähnlicher Weise für die hauswirtschaftliche Ausbildung, Anleitung und Arbeitsleistung in einer Heimgemeinschaft, in einem Kinderheim, einem Altersheim und dergleichen. Da es unser Anliegen ist, daß eine weibliche Jugend heranwächst, die für ihre Aufgabe als Hausfrau und Mutter eine gewisse Vorbereitung mit sich bringt, wollen wir alle die Bestrebungen unterstützen, die diesem Anliegen entgegenkommen. Wir sehen gerade in letzter Zeit viele Bemühungen, die nach dieser Richtung hin gehen. Die hauswirtschaftliche Lehre, die sowohl in einem Familienhaushalt wie auch in einem Heim durchgeführt werden kann, ist wieder eingeführt. Wir haben für die meisten sozialfürsorgerischen und sozialpädagogischen Berufe die Voraussetzung einer praktischen Schulung in Hauswirtschaft, und wir haben Vorschulen dafür in unseren Heimen eingerichtet, die auch eine Uberbrückung der schwierigen Zeitspanne zwischen Schulentlassung und dem Beginn der Fachschulausbildung darstellen. Wir glauben, daß die jungen Mädchen in einem Heim nicht nur als Arbeitskräfte untergebracht sind, sondern daß dort auch eine Erziehung, Ausbildung und Pflege der hausmütterlichen Kräfte im jungen Mädchen erfolgen soll. Wir sind überzeugt, daß die Eltern ihre Kinder gern solchen Heimen anvertrauen, weil sie wissen, daß die Mädchen in ihrer Freizeit eine entsprechende Betreuung und Förderung erfahren. Wir können diese hauswirtschaftliche Arbeit im Heim nicht mit der konzentrierten, einseitigen Fabrikarbeit gleichstellen. Sie ist grundsätzlich etwas anderes. Diese wechselvolle und immer wieder aufgelockerte Arbeit steht der in der Familie gleich. Sie beansprucht auch nicht die körperlichen und seelischen Kräfte übermäßig. Darum glauben wir, daß wir diese Gleichstellung durchführen können. Im übrigen fällt im Heim ja auch der Weg von und zur Arbeitsstelle weg. Es fallen manche andere Arbeiten - wie Wäschewaschen -, die der Selbstversorgung dienen, weg, so daß man wohl sagen kann, daß eine Arbeitszeit von 48 Stunden praktisch nicht länger ist als eine geringere Arbeitszeit bei der Beschäftigung von Jugendlichen in einer Fabrik. Wir fürchten auch nicht, daß die Haushalte keine Mädchen bekommen, wenn sie eine 48stündige Arbeitszeit haben; denn es gibt noch genügend gute Eltern, die ihre Kinder einem Heim anvertrauen, auch wenn die Arbeitszeit ein wenig länger ist und auch wenn unter Umständen der Barlohn etwas geringer ist. Wir glauben, daß der Idealismus der Jugendlichen, die sich dafür bereit finden, und der Eltern auch noch vorhanden ist. Wir wollen daher die Möglichkeit schaffen, zwar nicht generell, aber doch im Einzelfall nach Überprüfung die Arbeitsbedingungen im gemeinnützigen Heim den Arbeitsbedingungen in einer Familie gleichzustellen. Darum bitte ich im Namen meiner Fraktion, dem vorliegenden Änderungsantrag auf Umdruck 641 zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Dürr.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bedauern sehr, ,daß dieser Antrag, der einhellige Ablehnung verdient, die Unterschrift „Dr. Krone und Fraktion" gefunden hat. ({0}) Dieser Antrag wäre, wenn er angenommen würde, im Gebäude des Jugendarbeitsschutzgesetzes ein erratischer Block der keineswegs hineinpaßt. Er geht von ganz anderen Voraussetzungen aus und erstrebt eine Privilegierung einer bestimmten Gruppe, die sachlich nicht gerechtfertigt ist. Es gibt durchaus hauswirtschaftliche Beschäftigung von Jugendlichen in Heimen und Anstalten, die je nachdem, ob es sich um ein gemeinnütziges Heim, ein privates oder ein staatliches handelt, um nichts schwerer oder leichter ist. Meine Damen und Herren, lehnen Sie bitte im Interesse einer Gleichbehandlung gleicher Tatsachen den Antrag auf Umdruck 641 ab.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frau Abgeordnete Schanzenbach!

Marta Schanzenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001941, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Rede, die Frau Dr. Bleyler zu dem Antrag Umdruck 641 gehalten hat, Freude bei den Jugendlichen auslösen wird. Wenn man schon heute jemand für die hauswirtschaftlichen Arbeiten gewinnen will, dann darf man nicht den Mädchen, die bereit sind, in die Hauswirtschaft zu gehen, schlechtere Arbeitsbedingungen geben als allen anderen, die sonst irgendeiner Arbeit nachgehen. ({0}) Wir sind alle sehr daran interessiert, daß unsere jungen Mädchen zu tüchtigen Hausfrauen heranwachsen. Aber wenn wir das wollen, müssen wir gerade in unserer Zeit für die Mädchen mehr tun. Da müssen wir die Hauswirtschaft attraktiv machen und die Jugendlichen vom Schulischen her noch besser ausbilden, als das bis jetzt geschehen ist, damit sie Freude und Lust an der Hausarbeit bekommen. Dann dürfen wir ihnen nicht das anbieten, was Sie ihnen angeboten haben, Frau Dr. Bleyler: eine schlechtere Entlohnung, eine schlechtere Arbeitszeit. Das ist das Verkehrteste, das man tun kann. Es wäre eine große Gefahr, wenn die Aufsichtsbehörde die Möglichkeit bekäme, die gemeinnützigen Heime und Anstalten den Familienhaushalten gleichzustellen. Wir würden hier ein Tor aufmachen, von dem wir nicht wissen, wieviel Unheil sich daraus entwickeln könnte. Denn wir wissen doch alle, daß man ein Heim und eine Anstalt nicht ohne weiteres einem Familienhaushalt gleichstellen kann. Die Arbeit in einer Familie hat einen ganz anderen Charakter. Das Klima ist ein ganz anderes. Das Verhältnis zwischen der Hausangestellten, d. h. dem jungen Mädchen, und der Hausfrau ist ein anderes als das Verhältnis zwischen Heimleiterin und Mädchen. Eine Heimleiterin hat doch gar nicht die Möglichkeit eine so persönliche Umgebung in ihrem Heim zu gestalten, wie es eine Hausfrau in ihrer Familie kann. Außerdem ist die Arbeit im Haus einem ganz anderen Rhythmus unterworfen als in einem Heim. In einem Heim arbeiten die Mädchen auf einem bestimmten Platz - ganz anders als im Haushalt -, in einem Heim kann man auch ablösen, die Arbeit aufteilen und verteilen, so daß das Problem der Arbeitszeit keine entscheidende Rolle spielt. Ich bin auch der Meinung, daß man einem jungen Mädchen, das in einem Heim oder in einer Anstalt arbeitet, nicht anbieten kann, daß es schlechteren Bedingungen unterworfen wird als jedes andere Mädchen, das in die Familie geht. ({1}) Mit dem Antrag, den Sie, meine Damen und Herren von der CDU, hier vorlegen, öffnen Sie jenem Streben Tür und Tor, das die jungen Mädchen dazu bringt, viel lieber eine Tätigkeit in der Fabrik anzunehmen als im Haushalt. Ich halte deshalb diesen Antrag für nicht vertretbar. Er ist auch geradezu gefährlich für die Heime und Anstalten. Es liegt im allgemeinen Interesse, daß die Anstalten und Heime genügend Arbeitskräfte bekommen, besonders in bezug auf die Hausarbeit. Jeder weiß, daß es fast unmöglich ist, heute noch junge Mädchen zu finden, die in diesen Anstalten tätig sein wollen. Deshalb dürfen wir in diesem Gesetz die Arbeitsverhältnisse, die Arbeitszeiten für die Mädchen nicht verschlechtern, sondern müssen ihnen mindestens genau dieselben Rechte bieten, die wir jeder andern erwerbstätigen Jugendlichen zugestehen. Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, sollten wir den Antrag auf Umdruck 641 ablehnen; denn er hilft weder den jungen Mädchen noch hilft er den Heimen. Meine Fraktion hat für diesen Antrag gar kein Verständnis. Wir werden nein dazu sagen. ({2})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen! Wir stimmen ab über den Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Bleyler, Frau Welter ({0}) und Fraktion der CDU/ CSU Umdruck 641. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Ich muß die Abstimmung wiederholen. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Ich würde sagen, es ist die Mehrheit; aber sicher bin ich mir nicht. ({1}) - Die Enthaltungen kann ich auch noch zählen. Wer sich enthalten will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Meine Damen und Herren, sicher ist sicher, ich muß auszählen lassen. Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Mit Ja haben 122 Mitglieder des Hauses gestimmt, mit Nein 144; enthalten haben sich 19 Mitglieder des Hauses. Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 641 abgelehnt. Ich rufe auf § 20. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen! § 21! Dazu ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 8. Wird er begründet? - Bitte sehr, Frau Abgeordnete Rudoll!

Margarete Rudoll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001894, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Herren und Damen, ich darf im Auftrage meiner Fraktion den Antrag begründen, der dahin geht, die tägliche Arbeitszeit der Jugendlichen, die im Haushalt beschäftigt sind, auf acht Stunden täglich und die Wochenarbeitszeit auf 44 Stunden zu begrenzen, im Gegensatz zur Ausschußvorlage, wonach eine tägliche Arbeitszeit von achteinhalb Stunden und eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden zulässig sein soll. Wir haben Verständnis für die Besonderheiten des' Familienhaushalts, glauben jedoch, daß diesen Besonderheiten auch mit einer 44stündigen Wochenarbeitszeit Rechnung getragen wird. Zudem erfolgt eine gewisse Abwertung der Tätigkeit in der Hauswirt6600 schaft dadurch, daß man hier den Eindruck erweckt, als ob es sich für die Jugendlichen um eine leichtere Arbeit handelte und man diesen eine längere Arbeitszeit zumuten könnte. Demgegenüber betonen die Hausfrauenverbände in ihren Veröffentlichungen und auf ihren Tagungen, daß die Hausfrauenarbeit, die Arbeit in der Hauswirtschaft besonders schwierig sei. Dazu kommt, daß eine längere Arbeitszeit es nicht erleichtert, in der Zukunft Jugendliche zu finden, die eine Berufsausbildung im Haushalt vorziehen. Aus diesem Grunde bitten wir, unserem Antrag auf Verkürzung der Arbeitszeit Rechnung zu tragen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 8 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. § 21. Wer dem Paragraphen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. §§ 22 und 23, ohne Änderungsanträge. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. § 24, dazu der Änderungsantrag Umdruck 626 ({0}) Ziffer 2 der Fraktion der Deutschen Partei. Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Tobaben.

Peter Tobaben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002332, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den § 24 ist bei den Beratungen im Arbeitsausschuß mit knapper Mehrheit ein Wort aufgenommen worden, das wir mit unserem Antrag wieder zu streichen bitten, das Wort „zusammenhängenden". Es heißt in dem Paragraphen, daß Hausgehilfinnen jeden zweiten Sonntag frei haben sollen. Das ist richtig und in Ordnung. Es steht darin auch, daß sie jeden zweiten Sonntag, wenn sie der Hausfrau helfen, nur drei Stunden beschäftigt werden sollen. Auch das ist richtig und in Ordnung. Aber mit ganz knapper Mehrheit ist, wie ich schon sagte, im Arbeitsausschuß das Wort „zusammenhängenden" aufgenommen worden. Das würde sich im praktischen Leben folgendermaßen auswirken. Morgens wird im Haushalt eine Stunde gearbeitet. Die Zimmer werden aufgeräumt, und dann hat das Mädchen frei. Dann setzt eine Pause ein. Mittags muß aufgedeckt werden. Das kann die Hausfrau dann allein tun, und ihr Mädchen guckt zu und läßt sich bedienen. Wenn nachmittags Besuch kommt, haben wir das gleiche noch einmal, und abends haben wir das gleiche wieder. Das wird ein vernünftiges Mädchen selbstverständlich nicht tun. Ich kann mir das nicht vorstellen; die schämt sich was. ({0}) Aber nun mag mich der Vater dieses Mädchens nicht leiden, und eines Tages geht sie weg und verklagt mich wegen Übertretung des Gesetzes. ({1}) Ich meine, das Gesetz muß doch so sein, daß wenigstens der Gutwillige es halten kann. - Ich sehe Sie von der Sozialdemokratie lächeln. Wenn Sie etwa sagen wollen: „So etwas kommt ja nicht in Frage", dann ist ja alles in Ordnung. Warum soll es denn hinein? Es soll doch deshalb da hinein, damit sich das Mädchen von der Hausfrau bedienen lassen kann. Nun, der Vater zeigt mich an. Dann wird wahrscheinlich der Richter sagen: „Ach, was da passiert ist, ist etwas Selbstverständliches. Ich würde Sie freisprechen; aber ich muß Sie nach einem unsinnigen Gesetz verurteilen. Das habe aber nicht ich gemacht, sondern Sie." - Ich möchte, daß hier wenigstens keine Paragraphen hineinkommen, die der Lächerlichkeit anheimfallen. ({2})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Wir stimmen ab über den Änderungsantrag der Fraktion der Deutschen Partei Umdruck 626 ({0}) Ziffer 2. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. § 24 ungeändert! Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. § 25! Dazu ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU unter Ziffer 8. Herr Abgeordneter Scheppmann zur Begründung!

Heinrich Scheppmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001958, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Änderung des § 25 ist dadurch notwendig geworden, daß der § 18 um einen Abs. 2 erweitert wurde. Infolge dieser Erweiterung des § 18 durch einen neuen Abs. 2 muß das Zitat in § 25 entsprechend geändert werden. Ich darf schon jetzt darauf hinweisen, daß das auch bei den §§ 30 und 31 geschehen muß.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Wortmeldungen? - Abstimmung! Wer dem Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 629 Ziffer 8 zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Wer § 25 in der so geänderten Fassung zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. §§ 26, - 27, - 28! Keine Änderungsanträge! - Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. § 28 a! Dazu Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 631 Ziffer 9. Frau Rudoll zur Begründung!

Margarete Rudoll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001894, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In § 28 a handelt es sich um den Frühschluß an Sonnabendnachmittagen für die jugendlichen Beschäftigten in der Landwirtschaft. Wir sind der Meinung, daß die Jugendlichen in der Landwirtschaft gerade am Sonnabend denselben Schluß haben sollten wie die Jugendlichen in der übrigen Wirtschaft, zumal da nach den Tarifverträgen die Erwachsenen schon um 13 Uhr Schluß haben. Wir halten eine Verlängerung um zwei Stunden bis 16 Uhr nicht für richtig, zumal da diese zwei Stunden nur für naturnotwendige Arbeiten benutzt werden sollen. Es ist sehr zweifelhaft, was unter „naturnotwendig" zu verstehen ist. Es läßt sich in einem Gesetz keine solche Abgrenzung vornehmen. Die Argumente, die im Ausschuß vorgetragen wurden, haben uns jedenfalls in keiner Weise überzeugt. Wir sind der Meinung, daß z. B. das Hereinholen von Rüben oder von Futter am Sonnabend nicht in der Zeit von 14 bis 16 Uhr geschehen sollte. ({0}) Sodann wurde gesagt, die Zeit werde zum Füttern gebraucht. Wir müssen jedoch erwidern, daß es kaum Bauern gibt, die noch zwischen 14 und 16 Uhr füttern müssen. ({1}) - Ich kann Ihre Zwischenrufe nicht verstehen. - Wenn es aber nun wirklich Arbeiten gibt, die „naturnotwendig" sind, müssen sie eben von Erwachsenen verrichtet werden. Wir schaffen hier ein Jugendarbeitsschutzgesetz. Ich darf noch einmal darauf aufmerksam machen, daß darunter nur die fremden jugendlichen Beschäftigten fallen. Die eigenen Kinder sind ausgenommen. Ich glaube, ich habe genug Gründe dafür angeführt, auch in diesem Fall den Sonnabendfrühschluß bei 14 Uhr zu belassen. ({2})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Wortmeldungen? - Wir stimmen ab über den Änderungsantrag auf Umdruck 631 Ziffer 9. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer § 28 a zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen! § 29. Hier liegt kein Änderungsantrag vor. - Keine Wortmeldungen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen! § 30. Hier liegen zwei Änderungsanträge vor. Zunächst der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 632 Ziffer 1. Soll er begründet werden? - Das ist nicht der Fall. - Keine Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen. Wer dem Antrag auf Umdruck 632 Ziffer 1 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ein weiterer Änderungsantrag liegt auf Umdruck 629 Ziffer 9 vor. Es ist ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion. ({0}) - Ist schon begründet worden. - Keine Wortmeldungen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Dieser Antrag ist - anscheinend einstimmig - angenommen. Wer § 30 in der so geänderten Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. § 31. Hier liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 629 Ziffer 10 und ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 632 Ziffer 2 vor. Sie sind gleichlautend, ({1}) Wer ihnen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Wer dem § 31 in der so geänderten Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Wer den §§ 32 und 33, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen, zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen! § 34. Hier liegt zunächst ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 10 vor. Begründung? - Herr Abgeordneter Behrendt!

Walter Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier handelt es sich um folgendes Problem. Auch die CDU/CSU-Fraktion beantragt, den Abs. 1 von § 34 durch die Worte „von Kindern und" zu ergänzen. Insoweit sind wir also einer Meinung. Wir möchten jedoch weiterhin, so wie es bisher der Fall war, die sonstigen Arbeiten mit erfaßt wissen. Die Akkord- und Fließarbeit können wir genau abgrenzen. Es gibt aber andere Arbeiten, bei denen ebenfalls durch ein vorgeschriebenes Arbeitstempo ein höheres Arbeitsentgelt erreicht werden kann. Diese Arbeiten möchten wir hier einbeziehen. In der Hohlglasindustrie sind die Jugendlichen z. B. in das Arbeitstempo eingeschlossen. Die Erwachsenen wollen, da sie im Akkord stehen, logischerweise ein möglichst hohes Arbeitsentgelt erzielen, und die Jugendlichen sind einfach gezwungen, sich diesem Akkordsystem, dem die Erwachsenen unterliegen, einzufügen. Das halten wir für genauso gesundheitsgefährdend wie die Akkord- und Fließarbeit. Im übrigen haben sich sowieso in der letzten Zeit Entlohnungsformen entwickelt, die man mit dem Begriff Akkord- und Fließarbeit nicht erfassen kann. Wir möchten daher in diesem Falle die Wiederherstellung des Abs. 1 der Regierungsvorlage. Den Abs. 2, der wiederum die Ausnahmebewilligung für die Jugendlichen von über 16 Jahren ermöglicht, möchten wir gestrichen haben. Wir bitten Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort zur Begründung des Änderungsantrages auf Umdruck 629 Ziffer 11 hat der Abgeordnete Diebäcker.

Hermann Diebäcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000381, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zum Verbot der Kinderarbeit im Akkord bzw. am Fließband. Ich meine, wir hätten in § 6 dieses Gesetzes klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, daß Kinderarbeit verboten ist. Auch die Ausnahmen für verwandte Kinder nach § 69 gestatten ja keineswegs etwa Kinderarbeit im Akkord oder am Fließband. Schon gar nicht kommt eine solche Arbeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 oder etwa nach § 7 a in Frage. Daß Akkordarbeit über den Rahmen der vereinzelt gestatteten Hilfeleistungen weit hinausgeht, brauche ich hier nicht besonders zu erwähnen. Der Hinweis darauf, daß Kinderarbeit in Akkord oder am Fließband verboten ist, ist an sich gar nicht mehr erforderlich. Falls Sie aber, meine Damen und Herren von der SPD, hier die Kinder ausdrücklich erwähnen wollen, um damit unsere gemeinsame Auffassung vom Verbot der Kinderarbeit noch zu unterstreichen, kann ich nur sagen: wir sind mit von .der Partie; wir unterstützen Ihren Antrag. Im übrigen stimmt der Antrag mit unserem Antrag Umdruck 629 Ziffer 11 überein. Wir haben ihn lediglich aus abstimmungstechnischen Gründen noch einmal besonders formuliert. ({0}) - Ich komme noch darauf. Anders verhält es sich dagegen mit Ihren weiteren Anträgen, und damit komme ich zu dem, Herr Kollege Behrendt, was Sie meinen. Wir sind zwar sehr wohl der Meinung, daß Akkord- und Fließbandarbeit mit vorgeschriebenem Arbeitstempo für Jugendliche verboten werden sollte - wir haben auch im Ausschuß für Arbeit einer entsprechenden Formulierung zugestimmt -, wir glauben aber nicht, daß sonstige Arbeiten, bei denen durch ein gesteigertes Arbeitstempo ein höheres Entgelt erzielt werden kann, in das Verbot einbezogen werden sollten. Damit würde das gesamte Prämiensystem, bei dem das Arbeitstempo oft nur eine untergeordnete Rolle spielt, verboten werden. Wie sehen denn die Verhältnisse in der Praxis aus? Beim Akkord liegt ein proportionales Verhältnis zwischen der Anstrengung, sprich: Arbeitstempo einerseits und dem Arbeitsergebnis, der gefertigten Menge, dem Lohn andererseits vor. Die Akkordentlohnung kann also durchaus Anreiz zu übermäßiger Anstrengung mit den damit verbundenen gesundheitlichen Schäden sein. Gerade bei Jugendlichen ist die Gefahr sehr groß, da sie ihre eigenen Kräfte noch nicht so recht einschätzen können. Deshalb muß alles, was eindeutig Akkordarbeit ist das gleiche gilt für die Fließarbeit - verboten werden. Bei den „sonstigen Arbeiten" im Sinne des vom Ausschuß gestrichenen Passus handelt es sich in erster Linie um Arbeiten, für die eine Prämienentlohnung vorgesehen ist. Prämienentlohnung ist nun gegenüber dem Akkordlohn nicht nur etwa eine andere Bezeichnung, sondern sie ist - ihrem Wesen' nach - völlig anders geartet. Das Entgelt beim Prämienlohnsystem hängt zwar auch vom Arbeitserfolg ab ({1}) - „auch", sage ich -, es treten aber noch eine Reihe von anderen Bedingungen hinzu, die das Arbeitstempo unter Umständen sehr stark abbremsen können. Gerade das Beispiel, das Sie eben brachten, Herr Kollege Behrendt, spricht für meine Auffassung. In der Hohlglasindustrie wird durch die Notwendigkeit, Qualität zu erzeugen, das Arbeitstempo sogar sehr stark abgebremst. Ähnlich sind die Verhältnisse auch in anderen Industrien. Es ist also keine unmittelbare Relation vorhanden zwischen dem Arbeitstempo auf der einen Seite und dem Entgelt auf der anderen. Wäre das nicht der Fall, wäre es eben Akkord und würde verboten sein. In allen charakteristischen Fällen der Prämienentlohnung werden Verhaltensweisen des Arbeitnehmers honoriert, für die arbeitsschutzrechtlich bedeutsame Merkmale keine Rolle spielen. Andererseits kann man bei einer Prämie neben den als vorrangig geschilderten Grundlagen der Prämienentlohnung auch nicht gänzlich auf die Berücksichtigung der Mengenleistungen verzichten. Ich sagte aber schon, es treten bremsende Faktoren hinzu. Einmal ist es die Qualität, oder auch die Rücksichtnahme auf die Ausnutzung der Maschine, die Rücksichtnahme auf Sparsamkeit im Energieverbrauch usw. Wollte man idem SPD-Antrag folgen, so würde man das gesamte Prämiensystem für Jugendliche verbieten und damit auch wichtige Ansatzpunkte im Rahmen der Berufsausbildung zunichte machen, die darauf abzielen, die Jugendlichen zu Sorgfalt, Überlegung und Sparsamkeit zu erziehen. Hierauf kann aber meines Erachtens nicht verzichtet werden. Wir sollten uns hier bescheiden und nicht ohne Not, d. h. ohne daß ,die Gesundheit unserer Jugend dies zwingend erfordert, in einen Bereich der Betriebspraxis vorstoßen, ,der so mannigfaltig ist, daß jede pauschale gesetzliche Regelung nur störend wirken könnte. Wir sind aus diesen Gründen der Meinung, daß die sonstigen Arbeiten im Sinne des SPD-Antrags nicht in die Verbotsvorschrift einbezogen werden sollten. Nun zu der von Ihnen beantragten Streichung des Abs. 2. Nach sehr gründlicher Diskussion im Ausschuß für Arbeit sind wir schließlich zu dem Ergebnis gekommen, den Abs. 2 des Regierungsentwurfs bestehen zu lassen. Was besagt denn dieser Abs. 2? Er sagt doch nur, daß Ausnahmen von dem Verbot der Akkord- und Fließarbeit für über 16jährige Jugendliche lediglich dann gemacht werden dürfen, wenn die Art der Arbeit und das Arbeitstempo eine Beeinträchtigung der Gesundheit oder der körperlichen oder geistigen Entwicklung der Jugendlichen nicht befürchten lassen. Was wollen wir denn eigentlich mit diesem Gesetz erreichen? Wir wollen doch den Jugendlichen nur von den Arbeiten fernhalten, die eine Beeinträchtigung seiner Gesundheit und seiner ganzen Entwicklung zur Folge haben. Genau das aber wird bei Vorliegen eines Ausnahmeantrags im Einzelfall auch von der AufsichtsDiebäcker behörde sehr sorgfältig untersucht. Mit anderen Worten, auch bei der vorgesehenen Ausnahmemöglichkeit ist das Ziel des Gesetzes in keiner Weise gefährdet. Man kann eben nicht sagen, daß jede Akkordarbeit und jede Arbeit am Fließband mit vorgeschriebenem Arbeitstempo gesundheitsschädigend ist. Es gibt zahlreiche Fälle, z. B. im Gruppenakkord, in denen der Jugendliche nur irgendwelche Handreichungen zu machen hat, dazu noch mit erheblichen Pausen vor und nach einer jeden Handreichung. Es sind Arbeiten, die gewiß nicht schwerer als normale Arbeiten sind, die wir den Jugendlichen ohnehin zutrauen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Kollege, ich muß an Sie appellieren, sich kürzer zu fassen. Meine Damen und Herren, ,die zweite Lesung dieser Vorlage muß heute beendet werden. Es ist zwar ein Jugendschutzgesetz, aber ich muß auch an den Schutz des Hauses denken. ({0}) Ich bitte deshalb, sich möglichst kurz zu fassen. Das ist zugleich ein Appell an die Herren, die hier in der ersten Reihe sitzen. - Bitte sehr, Herr Abgeordneter!

Hermann Diebäcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000381, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, weil man das Leben eben nicht über einen Leisten schlagen kann, sollte man es bei den Ausnahmemöglichkeiten, die im Regierungsentwurf enthalten sind, belassen, zumal alle Vorkehrungen getroffen sind, um eine Gesundheitsgefährdung der Jugendlichen zu vermeiden. Wir bitten daher, die entsprechenden Anträge der SPD abzulehnen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Abstimmung. Der weitergehende Antrag ist auf jeden Fall der der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 10. Wollen Sie, daß über die beiden Anträge getrennt abgestimmt wird? ({0}) Wir stimmen zuerst ab über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 10 a. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich lasse jetzt abstimmen über den Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 629 Ziffer 11. Er bezieht sich auf den Abs. 1 Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen. Nun kommt der Antrag der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 10 b, den Abs. 2 in § 34 zu streichen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Änderungsantrag der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 10 b ist auch abgelehnt. Ich rufe auf den § 34 in der so geänderten Fas- sung. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. §§ 35, - 36, - 37, - 38, - 39, - 40. - Keine Änderungsanträge. Keine Wortmeldungen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. § 41. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 629 Ziffer 12 vor. Wird er begründet? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Memmel.

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 41 der Ausschußvorlage bestimmt, daß mit der Beschäftigung eines Jugendlichen nur begonnen werden darf, wenn er vorher von einem Arzt untersucht worden ist. Diese Formulierung steht im Gegensatz zu dem, was der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen beschlossen hat. Wir wollen nämlich nicht haben, daß der Staat eingreifen kann. Der Junge soll untersucht werden. Gut, selbstverständlich! Dann soll dem Vater oder den Eltern oder dem gesetzlichen Vertreter mitgeteilt werden, ob er für diese Arbeit geeignet ist. Auch gut! Dann sollen aber die Eltern, d. h. der Vater entscheiden, ob Konsequenzen aus dieser Mitteilung gezogen werden. Wir wollen auf keinen Fall, daß etwa die Obrigkeit, das Gesundheitsamt oder irgendeine Behörde, in die Familie hineinreden. Deswegen ist dieser Änderungsantrag von uns gestellt worden, der nur das wiederherstellen soll, was wir im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen beschlossen haben. Es genügt meiner Ansicht nach, wenn man dem Arbeitgeber die Verpflichtung auferlegt, sich eine Bescheinigung über die erfolgte ärztliche Untersuchung vorlegen zu lassen. Ein Beschäftigungsverbot, wie es die Ausschußvorlagen und die Regierungsvorlage vorsehen, bedeutet einen zu starken Eingriff in die persönliche Freiheit und in das Elternrecht. Ich weiß, daß es Leute gibt, die sagen: Im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen gibt es Leute mit dem „Elternrechtsfimmel". Das stand neulich im „Vorwärts". Ich habe den „Vorwärts" da gehabt, er ist jetzt verschwunden. ({0}) Wenn das ein Vorwurf sein sollte, so muß ich sagen, den Vorwurf des „Elternrechtsfimmels" nehme ich gern auf mich. Ich vertrete hier das Elternrecht. Ich lasse mir nicht vom Staat hineinreden, nicht er soll bestimmen dürfen, was mit den Kindern geschieht, sondern die Verantwortung tragen die Eltern. Außerdem soll durch unsere Formulierung klarer herausgestellt werden, daß der Arbeitgeber lediglich von der Tatsache der erfolgten Untersuchung, nicht aber von dem Untersuchungsergebnis unterrichtet wird. Es ist auch bitter notwendig, daß der permanenten Durchbrechung des ärztlichen Schweigegebotes, die es auf allen Gebieten gibt, deutlich ein fester Riegel vorgeschoben wird. Ich bitte deshalb, diesen Antrag der CDU/CSU-Fraktion anzunehmen und damit die Fassung des Ausschusses für Familien- und Jugendfragen wiederherzustellen. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Behrendt!

Walter Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Memmel hat die Begründung des Antrages sehr flüssig vorgetragen. Es könnte deshalb den Anschein erwecken, als ob es sich hier nicht um eine sehr wesentliche Sache handelte. Ich muß aber sagen, daß die ärtzliche Betreuung und Überwachung der Jugendlichen eines der elementarsten Fundamente dieses Jugendarbeitsschutzgesetzes ist. ({0}) Das hat sich in den §§ 41 bis 50 des Regierungsentwurfs niedergeschlagen. Zunächst muß ich eines richtigstellen, was der Kollege Memmel nach unserer Auffassung falsch dargestellt hat. Er hat gesagt: Wir wollen auch die Untersuchung. Ja, das drücken Sie aus. Aber Kollege Memmel, nach Ihrer Formulierung gibt es keine Möglichkeit, zu erzwingen, daß der Jugendliche sich untersuchen läßt, bevor er eine Beschäftigung aufnimmt. Die Regierungsvorlage besagt hier: Eine Beschäftigung darf nur aufgenommen werden, wenn vorher eine Untersuchung stattfindet. Wenn Sie Ihre Formulierung annehmen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, dann haben Sie nicht die Möglichkeit, den Jugendlichen untersuchen zu lassen. Sie können ihn nicht dazu zwingen. Er ist völlig frei in seiner Entscheidung, ob er sich untersuchen lassen will. Wenn die Eltern ihn nicht zur Untersuchung schicken, ist der Arbeitgeber nicht gehindert, einen solchen Jugendlichen einzustellen, der sich vor der Arbeitsaufnahme nicht hat untersuchen lassen. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen Ihrer Formulierung und der in der Regierungsvorlage enthaltenen. Das zweite Problem ist noch wichtiger. Nach Ihrer Formulierung soll ein Jugendlicher sich in dem Lebensalter von 14 bis 18 Jahren nur einmal untersuchen lassen. Wenn das Jugendarbeitsschutzgesetz in bezug auf gesundheitliche Betreuung überhaupt einen Sinn haben soll, muß eine laufende gesundheitliche Überwachung im Gesetz vorgeschrieben werden, und zwar so - wir haben uns dazu bereit erklärt, es war ein Kompromiß -, daß die erste Untersuchung höchstens zwölf Monate vor der Arbeitsaufnahme liegen darf, daß aber bei einer dreijährigen Lehre mindestens zwei laufende Untersuchungen stattzufinden haben, und zwar in Abständen von je 18 Monaten nach der ersten Untersuchung. Das ist erforderlich, wenn man sieht, welche gesundheitlichen Schäden durch die Arbeitsaufnahme eintreten können. Trotz der vorgeschrittenen Zeit muß ich Ihnen aus einem Bericht drei Zahlen nennen. Der Arbeitswissenschaftliche Kongreß 1958 in Braunschweig hat folgende Ergebnisse der Untersuchung von Lehrlingen aus dem Hüttenwerk Salzgitter veröffentlicht. Von den 750 Jugendlichen, die in den zurückliegenden fünf Jahren ({1}) untersucht wurden, hatten im ersten Lehrjahr 117 bedenkliche Untersuchungsergebnisse. Im zweiten Lehrjahr wurden in 121 Fällen erstmalig Erkrankungen festgestellt, die im ersten Lehrjahr bei der Untersuchung nicht festgestellt worden waren. Bei der Untersuchung im dritten Lehrjahr wurden sogar noch 71 Erkrankungen festgestellt, die sowohl nicht im ersten als auch nicht im zweiten Lehrjahr festgestellt worden waren. Ein solches Ergebnis zeigt, wie notwendig die laufende Untersuchung unserer Jugend von 14 bis 18 Jahren ist. ({2}) Es ist mir daher unverständlich, daß Sie solche Ergebnisse nicht zum Anlaß nehmen, ein gesundheitliche Betreuung einzuführen, die dem berechligten Anliegen unserer Jugend im Arbeitsprozeß Rechnung trägt. Ich muß auch auf die internationalen Übereinkommen Nr. 77 und Nr. 78 verweisen, die laufende jährliche Untersuchungen vorschreiben. Wenn Ihre Formulierung Gesetz wird, beschließen Sie genau das Gegenteil von dem, was diese internationalen Konventionen vorsehen. Ich möchte Sie von weiteren Ausführungen verschonen und Ihnen nicht vortragen, wie andere europäischen Länder verfahren. Wir sollten in dieser Beziehung alles tun, was möglich ist und die gesundheitliche Überwachung unserer Jugendlichen, die im Arbeitsleben stehen, in der Form einführen, wie sie die Regierung vorgeschlagen hat. ({3})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag der FDP-Fraktion auf Umdruck 637 Ziffer 6 ist dem Sinne nach dem Änderungsantrag der CDU auf Umdruck 629 Ziffer 12 völlig gleich. Beide Anträge bringen einen Vorteil: Die Nachuntersuchung des Jugendlichen muß zwölf Monate nach Aufnahme der Beschäftigung und nicht 18 Monate nach der vorhergehenden Untersuchung erfolgen. Diese Vorschrift ist leichter zu überwachen und gibt auch besseren Aufschluß darüber, welchen Einfluß die Tätigkeit im Betrieb in diesem einen Jahr auf die Gesundheit des Jugendlichen gehabt hat. Um die Abstimmung zu vereinfachen, ziehen wir unseren Antrag Umdruck 637 Ziffer 6 zurück und stimmen dem CDU/CSU-Antrag Umdruck 629 Ziffer 12 zu. Wir schlagen der CDU/CSU aber eine rein sprachliche Änderung vor. In Ihrem Antrag heißt es: „Der Arbeitgeber hat sich ... die Bescheinigung ... darüber, daß der Jugendliche nachuntersucht worden ist, vorlegen zu lassen." Das Prädikat steht hier am Schluß. Das ist sprachlich nicht schön und könnte vermieden werden, wenn man schriebe: „ ... hat sich ... die Bescheinigung darüber vorlegen zu lassen, daß der Jugendliche nachuntersucht worden ist." ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Nachdem dei „Beschäftiger" gefallen ist, ist auch sonst ein Stilfortschritt zu verzeichnen. Die Änderung, die vorgeschlagen worden ist, ist also akzeptiert. ({0}) Der Änderungsantrag Umdruck 637 Ziffer 6 ist zurückgezogen. Das Wort hat Herr Abgeordneter Franzen. ({1}) - Sie verzichten. - Herr Abgeordneter Lang!

Georg Lang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als weißer Rabe der Fraktion habe ich trotzdem den Mut, zu § 41 etwas zu sagen. Ich bin nicht der Meinung, daß eine Ausschußfassung der Weißheit letzter Schluß sein muß. Wenn ich jedoch die Ausschußfassung des § 41 mit dem Antrag auf Umdruck 629 Ziffer 12 vergleiche, muß ich feststellen, daß die Ausschußfassung fundierter ist. Hier wird der Gesundheitsdienst für den Jugendlichen absolut gewährleistet. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Auch ich will keinen staatlichen Gesundheitsdienst. Als christlicher Sozialpolitiker vertrete ich vielmehr das Subsidiaritätsprinzip. Zuerst soll der einzelne für sich sorgen, dann soll die Hilfe der Familie und schließlich die Hilfe des Staates kommen. Um was geht es beim § 41? Wir haben in der sozialen Gesetzgebung wiederholt den Begriff der Rehabilitation eingebaut. Zuerst geschah das bei der Kriegsopferversorgung, dann bei der Rentengesetzgebung und schließlich bei der Gesetzgebung über die Reform der Krankenversicherung. Diese Rehabilitation ist aber der zweite Schritt. Der erste Schritt beginnt bei Maßnahmen, wie sie im § 41 vorgesehen sind. Die vorbeugende Untersuchung ist vor allem bei der Eingliederung der Jugendlichen in das Berufsleben notwendig. Bei der Berufswahl entscheiden sich die Dinge. Es kommt darauf an, daß der Jugendliche in den richtigen Beruf eingegliedert wird. Wenn er ein Lungenleiden hat, ist es nicht gleichgültig, ob er als Bergmann oder als Gärtner anfängt. Wir müssen also den ersten Schritt im rechten Zeitpunkt tun. Dann brauchen wir den zweiten Schritt, die Rehabilitation - unter Umständen sehr oft - nicht zu tun. Es ist deshalb wichtig, daß eine regelmäßige Untersuchung stattfindet, damit der Berufswechsel zum rechten Zeitpunkt vorgenommen werden kann. Ich denke hier an das Beispiel der englischen Schule. Dort ist es möglich, daß jemand, der sprachbegabt ist, von den naturwissenschaftlichen Fächern zu den sprachlichen Fächern überwechselt oder umgekehrt von den Sprachfächern in die naturwissenschaftlichen Fächer. Es muß dem Jugendlichen, wenn er etwa nicht als Schreiner geeignet ist, im ersten Lehrjahr möglich sein, in den Beruf des Buchhalters oder in einen anderen Beruf umzuwechseln. ({0}) Das wollen wir, und sehen Sie, das ist der rote Faden; er beginnt mit dem Eintritt in das Berufsleben und setzt sich im Berufsleben fort. Wir meinen, daß wir auch viel Geld sparen, wenn wir den jungen Menschen einen Beruf ergreifen lassen, dem er gewachsen ist. Dadurch vermeiden wir eine Frühinvalidität, und wir erhalten dadurch die Arbeitskraft des Jugendlichen für seine spätere Aufgabe als Familienvater. Das Elternrecht ist auch in der Ausschußfassung bestens gewährleistet; die Entscheidung liegt nach wir vor bei den Eltern. Daher meine ich, wir sollten eine Aufweichung der besseren Ausschußfassung vermeiden. Wir sollten den Antrag auf Umdruck 629 Ziffer 12 ablehnen und der Ausschußfassung zustimmen. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Kollege Lang, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen; Art. 38 des Grundgesetzes sichert Ihnen zu, daß Sie jederzeit völlig frei Ihre Meinung sagen können. ({0}) Das Wort hat Herr Abgeordneter Franzen.

Jakob Franzen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, nach den Ausführungen des Kollegen Lang und auch nach den Ausführungen des Kollegen Behrendt könnte mancher meinen, daß wir von der CDU/CSU-Fraktion die Gesundheitsüberwachung unserer Jugend nicht wollten und daß wir ihre Durchführung ignorierten. Auch wir wollen unsere Jugend durch eine Gesundheitsüberwachung schützen. Wir halten sie für richtig und wir halten sie für gut, und die Formulierung „verpflichtet", die wir im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen gefunden haben, soll ein Hinweis für den Erzieher und für den Beschäftiger, d. h. für den Arbeitgeber sein, darüber zu wachen, daß diese Gesundheitsuntersuchungen vorgenommen werden. Wir wollen aber nicht, wie Kollege Memmel bereits ausgeführt hat, den staatlichen Zwang. Wir wollen nicht gleich Bestrafung, wenn einmal eine Frist versäumt wird. Wir wollen auch nicht, daß der Jugendliche gehindert wird, mit einer Beschäftigung zu beginnen, wenn er diese vom Gesetz genannten Voraussetzungen noch nicht voll erfüllt hat. Aus diesem Grunde bitten wir Sie, unsere Formulierung anzunehmen. Nun noch ein abschließendes Wort. Sie müssen den § 41 in der Formulierung, wie wir sie Ihnen jetzt vorschlagen, ganz lesen. Sie müssen Abs. 2 zusammen mit Abs. 3 lesen. Wir halten also eine Nachuntersuchung vor Ablauf des ersten Lehrjahres bzw. des ersten Beschäftigungsjahres für erforderlich. Ergibt diese Untersuchung, daß ein Jugendlicher hinter dem seinem Alter entsprechenden Entwicklungsstand zurückgeblieben ist, hat der untersuchende Arzt eine nochmalige Untersuchung anzuordnen. Die Aufsichtsbehörde kann bei ihren Be6606 triebsinspektionen die Einhaltung dieser Vorschriften überwachen, sie kann dafür Sorge tragen, daß sie sowohl von den Beschäftigern wie auch von den Eltern eingehalten wird. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Abstimmung. Umdruck 637 Ziffer 6 ist erledigt. Zur Abstimmung steht der Antrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 629 Ziffer 12. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist mit der stilistischen Korrektur angenommen. Ich rufe § 41 in der so geänderten Fassung auf. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. § 42. Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 11. Zur Begründung Frau Abgeordnete Kipp-Kaule.

Liesel Kipp-Kaule (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001100, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ziffer 11 des Umdrucks 631 zu begründen. Wir beantragen, in § 42 Abs. 3 folgenden neuen Satz anzufügen: Hält er die Gesundheit des Jugendlichen durch die weitere Ausübung der ihm übertragenen Arbeiten für gefährdet, so hat er dies dem für den Beschäftigungsort zuständigen staatlichen Gewerbearzt mitzuteilen. Es genügt nicht, daß der Arzt nur den Eltern oder dem Vormund das wesentliche Ergebnis der Untersuchung mitteilt. Darüber hinaus muß auch gleich der zuständige Gewerbearzt diese Mitteilung bekommen. Das ist logischerweise ein Vorspann zu § 43, wo ja etwas darüber ausgesagt wird, daß der Arbeitgeber die Bescheinigung über die Untersuchung aufzubewahren hat und auf Verlangen der Aufsichtsbehörde und auch der Berufsgenossenschaft zur Einsicht vorzulegen oder einzusenden hat. Wir meinen also, wenn die Gesundheit des jungen Menschen in irgendeiner Form gefährdet ist, sollte der staatliche Gewerbearzt darüber informiert sein, damit er von sich aus ;die Aufsichtsbehörde auf diese Tatsache hinweisen kann. So wird die Möglichkeit geschaffen, hier rechtzeitig einzugreifen, und weitere Schäden werden vermieden. Ich habe den Auftrag, Sie im Namen meiner Fraktion zu bitten, unseren Änderungsantrag anzunehmen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Abstimmung. Umdruck 631 Ziffer 11, Antrag der Fraktion der SPD. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; abgelehnt. § 42 in der Fassung des Ausschusses. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. § 43. Kein Änderungsantrag, keine Wortmeldungen, Wer zustimmen will, ,den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! --- Angenommen. § 44. Änderungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck 629 Ziffer 13. Wer begründet? - Keine Begründung. ({0}) - Bitte!

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, wir haben vorhin in § 7 Abs. 3 bestimmt, daß es nicht mehr „der gesetzliche Vertreter in persönlichen Angelegenheiten" heißt, sondern statt dessen „der Personensorgeberechtigte". Das gilt auch für die §§ 44 und 48. Das ist ein Ergebnis aus der Änderung des § 7 Abs. 3.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Haus hat das zur Kenntnis genommen und ist damit einverstanden. Wir stimmen über den Antrag auf Umdruck 629 Ziffer 13 zu § 44 ab. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Der Änderungsantrag auf Umdruck 637 Ziffer 7 ist erledigt bzw. zurückgezogen. Wer dem § 44 in der geänderten Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. §§ 45 und 46 ohne Änderungsanträge. Wer ihnen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Angenommen. § 47! Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, zunächst ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hubert, Odenthal, Behrendt, Wischnewski und Genossen auf Umdruck 630. Zur Begründung Frau Abgeordnete Dr. Hubert.

Dr. Elinor Hubert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000969, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Von der Fraktion der CDU/CSU ist die Streichung des § 47 beantragt worden. Wenn wir diese Streichung vornehmen, dann ist im Gesetz über die Person des Arztes, der die Untersuchung vornimmt, nichts gesagt; dann kann jeder Arzt, ({0}) sowohl der praktizierende wie der amtlich bestellte Arzt, aber auch ein Arzt, der in der Wissenschaft oder ,der Industrie tätig ist, und auch der Werkarzt die Untersuchungen vornehmen. Ich könnte mir vorstellen, daß sich dann mancher Betrieb die Bescheinigungen für die Jugendlichen vom Werkarzt ausstellen läßt. Ich glaube nicht, daß das im Sinne des Gesetzes liegt, das wir hier verabschieden wollen und das die Gesundheistvorsorge für den Jugendlichen, nicht aber etwa das Interesse des Betriebes an der Einstellung dieses Jugendlichen in den Vordergrund stellt. Es werden auch sehr unterschiedliche Erfahrungen gesammelt werden. Der eine Arzt wird häufig solche Untersuchungen vornehmen, der andere nur selten. Man hat dann auch nicht den geringsten Überblick darüber, wer sich eigentlich an diesen Untersuchungen beteiligt. Ich glaube also, daß etwas über die Person des Arztes gesagt werden muß. Denn es handelt sich ja hier nicht nur um die Feststellung eines Gesundheitszustandes, sondern auch um eine Art ärztlicher Berufsberatung. Hier müssen doch von den Ärzten neue Erfahrungen gesammelt werden. - Wollen Sie eine Frage stellen, Herr Kollege? ({1}) - Bitte sehr!

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, halten Sie es nicht für besser, daß ein Mann, der untersucht werden soll oder will, zu dem Arzt seines Vertrauens geht statt zu dem Arzt, den wir ihm hier vorschreiben, und glauben Sie nicht, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe über freie Arztwahl und Zulassung auch hier ausstrahlen müßte?

Dr. Elinor Hubert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000969, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie scheinen unseren Änderungsantrag nicht gelesen zu haben. Er beinhaltet gerade, daß jeder Arzt diese Untersuchungen vornehmen kann. Wir sind sogar der Meinung, daß der Hausarzt, der den Jugendlichen vielleicht aus längerer Behandlung kennt und der ihn hat aufwachsen sehen, dazu ganz besonders geeignet ist. Wir meinen aber, daß es sich hier nicht allein um ärztliche Kenntnisse handelt, deren Vorhandensein wir selbstverständlich bei allen Ärzten gleichermaßen voraussetzen, sondern auch um Kenntnisse der Anforderungen, die in den Betrieben an die Jugendlichen gestellt werden, um Kenntnisse des Arbeitsplatzes und des Arbeitsschutzes. Es ist etwas anderes, ob man einen Erwachsenen, der im Betrieb ist, krank schreibt und ihn nun nach seinen Betriebsverhältnissen fragt, ober ob man einen Jugendlichen beraten soll, der selber vielleicht nur eine sehr ungenaue Vorstellung von den ihn erwartenden Anforderungen hat. Aus diesem Grunde meinen wir, daß allerdings gewisse Voraussetzungen in Form eines Fortbildungskurses erfüllt sein sollten. Solche Fortbildungskurse laufen schon an; gerade kürzlich hat in Goslar ein Fortbildungskurs für Amtsärzte und praktische Ärzte stattgefunden, der die notwendigen Erfahrungen vermitteln sollte. Es müssen und sollen auch Betriebsbesichtigungen durchgeführt werden, damit die Ärzte, die die Untersuchungen vornehmen, wissen, in welche Verhältnisse die Jugendlichen kommen. Die Deutsche Zentrale für Gesundheitspflege, deren Protektor der Herr Innenminister und deren Vorsitzende unsere Frau Kollegin Steinbiß ist, hat sich sehr eingehend mit den Fragen des Jugendarbeitsschutzgesetzes befaßt und hat als selbstverständlich vorausgesetzt und auch für notwendig gehalten, daß solche Fortbildungskurse stattfinden. Ich halte allerdings die Fassung des Ausschusses für unbefriedigend. Ich bin nicht der Meinung, daß man es dem Gewerbearzt überlassen sollte, nach eigenem Belieben Ärzte zu ermächtigen, d. h. den einen zu nehmen und den anderen nicht. Nach unserer Meinung sollte jeder Arzt und gerade auch jeder praktische Arzt die Möglichkeit haben, die Untersuchungen vorzunehmen. Wir meinen aber, er soll bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Wenn Sie sich die von uns beantragte Fassung des § 47 ansehen, so finden Sie zunächst die amtlich bestellten Ärzte, bei denen ich allerdings auch voraussetzen möchte, daß die Behörden dafür sorgen, daß ihnen die notwendigen Kenntnisse, wo sie nicht vorhanden sind, in einem Fortbildungskursus vermittelt werden - an dem Fortbildungskursus in Goslar haben auch Amtsärzte teilgenommen -, und dann alle anderen Ärzte - alle anderen Ärzte, wenn Sie hier richtig lesen -, die die Bestimmungen erfüllen, die in einer Rechtsverordnung festgelegt werden sollen. Sie finden sodann im Abs. 2 der von uns beantragten Fassung das, was die Rechtsverordnung enthalten muß: Vorschriften über die für die Zulassung zuständigen Behörden ({0}) - nein, nicht eine neue Zulassung; der Arzt muß einen Antrag stellen und sagen: „Ich möchte mich beteiligen", damit man einen Überblick hat, welche Ärzte sich an dieser Aufgabe beteiligen wollen -, ferner darüber, welche Voraussetzungen für die Zulassung zu erfüllen sind, über das Abrechnungsverfahren usw. Ich brauche das nicht näher auszuführen. Meine Damen und Herren! Durch die von uns beantragte Fassung des § 47 werden völlig gleiche Bedingungen für alle Ärzte geschaffen. Jeder Arzt, der das will, kann sich an den Untersuchungen beteiligen, denn jeder kann die geringen Vorbedingungen, die hier gestellt werden, erfüllen. Ich bitte daher, nicht den Streichungsantrag, sondern unseren Änderungsantrag zum § 47 anzunehmen. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zunächst zur Begründung des Änderungsantrages der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 629 Ziffer 14, wonach § 47 gestrichen werden soll, Frau Abgeordnete Dr. Pannhoff.

Dr. Maria Pannhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001675, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Herren und meine Damen! Gestatten Sie mir, Frau Kollegin Hubert, daß ich zunächst - wegen der vorgeschrittenen Zeit ganz kurz - zu Ihren Ausführungen Stellung nehme. Sie sagen, nach der von Ihnen auf Umdruck 630 beantragten Fassung seien alle Ärzte zugelassen. Sie haben diese Antwort auf die Zwischenfrage nach der freien Arztwahl gegeben. Ich stelle fest, daß in Ihrem Antrag steht: Als ärztliche Untersuchungen im Sinne dieses Abschnitts gelten solche, die ... Dann kommt unter Nr. 1 eine Aufzählung von Ärzten des staatlichen oder kommunalen Gesundheitsdienstes, und dann heißt es unter Nr. 2: von anderen Ärzten, die nach näherer Bestimmung einer vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassenden Rechtsverordnung zu diesen Untersuchungen zugelassen sind. Nennen Sie das freie Arztwahl? Dann steht in Abs. 2 unter Nr. 5 - ich greife nur diesen Punkt heraus; ich könnte auch zu den anderen Dingen Stellung nehmen -, daß Sie die ärztliche Schweigepflicht aufheben. Das machen wir nicht mit. Nun zu unserem Streichungsantrag folgendes. Im Regierungsentwurf steht in § 47 - Person des Arztes - ebenfalls eine Aufzählung von Ärzten des kommunalen und des staatlichen Gesundheitsdienstes, und nur unter Nr. 5 wird von einem sonstigen, geeigneten, durch den staatlichen Gewerbearzt ermächtigten Arzt gesprochen, der ebenfalls untersuchen darf. Ich stelle ganz kurz fest: Im Regierungsentwurf wird eine sehr klare Unterscheidung getroffen zwischen Ärzten des staatlichen und kommunalen Gesundheitsdienstes und praktizierenden Ärzten. Wenn man das liest, fragt man sich zunächst: Warum? Wird damit eine ärztliche Qualifikation ausgesprochen? Sind die Ärzte des staatlichen und kommunalen Gesundheitsdienstes besser für die uns am Herzen liegenden Untersuchungen der Jugendlichen geeignet? Die praktischen Ärzte, die Ärzte an der Front, die die Jugendlichen in ihren Krankheitstagen betreuen, die auch ihre Eltern und ihre Familienangehörigen kennen, die also auch in bezug auf die erblichen Verhältnisse Erfahrungen aus der Praxis haben, in bezug auf die konstitutionellen Besonderheiten des Kranken, die gerade bei der Beurteilung von Jugendlichen sehr wichtig sind - aus diesen konstitutionellen Eigenarten kann man Krankheitsbereitschaften ablesen, die nicht zu Krankheiten werden sollen, die wir gerade verhüten wollen -, diese Ärzte des praktischen Lebens werden nur mit besonderen Kautelen zugelassen. Wir haben diese Fragen der Vertreterin der Regierungsvorlage im Ausschuß gestellt. Daraufhin wurde uns eine ablehnende Antwort gegeben. Die Vertreterin der Regierungsvorlage sagte ganz klar: Auf keinen Fall wird damit eine Qualifikation ausgesprochen. - Diese Aussage ist ganz gewiß richtig. Ich bin auch der Auffassung, daß das damit nicht gesagt werden sollte, obwohl es im ersten Moment der Fall zu sein scheint. Es steckt etwas ganz anderes hinter dieser Trennung. Dahinter steckt ein ganz klar durchdachter staatlicher Gesundheitsdienst, ein staatlicher Gesundheitsdienst mit Registratur bei einer staatlichen Behörde, die dann diese Registratur jederzeit griffbereit hat, um unsere Jugendlichen, die aus der Schule entlassen sind, gegebenenfalls auch beruflich zu lenken. Wir von der CDU lehnen eine staatliche Registrierung, einen Gesundheitsdienst in dieser Form ab. ({0}) Wir stehen auf dem Standpunkt, daß auch unsere jungen Menschen, die Schulentlassenen, in Übereinstimmung mit ihren gesetzlichen Vertretern, mit ihren Eltern, den Arzt ihres Vertrauens für diese sehr wichtigen Untersuchungen wählen sollten ({1}) und sich dann nach dem Rat des Arztes für das entscheiden sollten, was im Interesse der Jugendlichen zu tun ist. Ich frage Sie weiter: Wollen wir unsere Kinder, die aus der Schule entlassen sind, die heranwachsenden Jugendlichen, die in absehbarer Zeit mündig werden und selbst Verantwortung tragen sollen, wieder zu unmündigen Kindern machen, indem wir sie durch den Staat bewachen lassen? Wir wollen ärztliche Betreuung, wir wollen gesundheitliche Betreuung, wir stehen hundertprozentig hinter der Gesundheitsvorsorge. - Bitte sehr, Herr Behrendt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Bitte sehr.

Walter Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Dr. Pannhoff, sind Sie nicht der Überzeugung, daß zu solchen Untersuchungen Ärzte zugelassen werden müssen, die eine ähnliche Eignung nachweisen, wie es § 389 des Entwurfs des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vorsieht? Dort heißt es - ich darf es vielleicht mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen -: Die Zulassungsordnung muß Vorschriften enthalten über . . . die Voraussetzungen für die Zulassung hinsichtlich der Vorbereitung und der Eignung zur Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit, . . . Nur das wollen wir hierfür.

Dr. Maria Pannhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001675, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Behrendt, in aller Sachlichkeit eine Antwort, die Sie von mir jetzt gern haben möchten: Der Kassenarzt bekommt tatsächlich in einem Sonderkursus Unterweisungen für seine Tätigkeit als Kassenarzt, vorwiegend in organisatorischer Hinsicht. ({0}) Approbierte Ärzte sind Ärzte mit gleicher Vorbildung, sind staatlich geprüft, sind staatlich für den Gesundheitsdienst, für die Arbeit am Kranken zugelassen. Die Bundesärztekammer verfolgt mit großer Aufmerksamkeit seit Beginn unserer Verhandlungen über dieses Gesetz alle Sitzungen und alle Ergebnisse. Sie wird über ihre Landesärztekammern den letzten Arzt erreichen und auch Fortbildungskurse, wenn sie sie für notwendig halten sollte, auf dem Wege über diese Selbstverwaltungsorgane durchführen lassen. Dann brauchen wir keine besondere Behörde, keine Staatsaufsicht und kein Staatsorgan, das dafür Sorge zu tragen hat.

Dr. Elinor Hubert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000969, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie sprechen immerfort von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und davon, daß sie Kurse abhalten würde.

Dr. Maria Pannhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001675, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe von der Bundesärztekammer gesprochen.

Dr. Elinor Hubert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000969, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Oder die Ärztekammer. Meinen Sie, daß diese auch die Ärzte erfaßt, die irgendwo in der Industrie als Werkärzte oder in der Wissenschaft tätig sind und die, wenn Sie den Paragraphen ersatzlos streichen, an diesen Untersuchungen beteiligt sind? Wie wollen Sie diese Ärzte dann in Kursen fortbilden?

Dr. Maria Pannhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001675, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, wir haben immer noch die Überzeugung, daß sich die Mehrzahl der Eltern den geeigneten Arzt für ihr Kind aussuchen wird. ({0}) Wir lehnen also den ärztlichen Gesundheitsdienst ab und sind aus diesem Grunde gegen die Klassifizierung und Katalogisierung der Ärzte in § 47 des Entwurfs. Wir beantragen die Streichung und sind hundertprozentig davon überzeugt, daß, was uns am Herzen liegt, nämlich die gesundheitliche Betreuung und nicht eine gesundheitliche Überwachung unserer Jugendlichen, gewährleistet ist, nachdem wir in den übrigen Paragraphen dieses Abschnittes „Gesundheitliche Betreuung" die notwendigen Sicherungen eingebaut haben. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Dr. Stammberger!

Dr. Wolfgang Stammberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002215, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag von Frau Kollegin Dr. Hubert ist sicherlich gut gemeint; aber er genügt uns nicht. Auch wir Freien Demokraten sind der Meinung, daß der § 47 des Entwurfs nicht in das Gesetz übernommen werden sollte. Frau Kollegin Pannhoff, wir haben keinen Streichungsantrag gestellt, weil in einem solchen Fall, wie Sie vorhin bereits bei § 7 a vom Präsidium gehört haben, kein Streichungsantrag gestellt werden kann, vielmehr der Paragraph bei der Einzelberatung abgelehnt werden muß. Wir Freien Demokraten werden den § 47 ablehnen. Zur Begründung unserer Stellungnahme kann ich auf vieles verweisen, was von Frau Kollegin Pannhoff gesagt wurde. Zweifellos, meine Damen und Herren, wehrt sich der Ausschußbericht mit guten Gründen dagegen, daß mit dem § 47 eine Diffamierung der freipraktizierenden Ärzte beabsichtigt gewesen sei. Zweifellos war das nicht das Anliegen der Mehrheit des Arbeitsausschusses. Aber diese Katalogisierung führt notwendigerweise zu einer Qualifikation und damit auch zu einer Abqualifikation, jedenfalls wenn man sie in dieser Art und Weise aufrechterhält. Die angeführten Gegengründe sind für uns nicht überzeugend. ({0}) - Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen, Herr Kollege. Man hat gesagt, man brauche auch noch eine Zulassung, wenn man als Kassenarzt tätig werden wolle und man brauche eben auch noch eine besondere Zulassung nach der Approbation, wenn man Untersuchungen auf Grund dieses Gesetzes machen wolle. Ja, meine Damen und Herren, wieviel Zulassungen braucht denn ein Arzt eigentlich noch, wenn er nach seiner Approbation in umfassender Weise tätig werden will?! ({1}) Man kann eine freiberufliche Tätigkeit nicht einfach in einzelne Bestandteile zerlegen; das ist ein Unding, und das widerspricht unserer Auffassung. - Bitte, Herr Kollege!

Walter Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Stammberger, ist Ihnen bekannt, daß wir in der Bundesrepublik nicht einen einzigen Lehrstuhl für Arbeitsmedizin haben?

Dr. Wolfgang Stammberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002215, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist durchaus möglich. Das müssen wir eben ändern; aber mit einer solchen Begründung können Sie nicht diesen § 47 aufrechterhalten. ({0}) Das sind alles keine triftigen Gegengründe. Zweifellos liegt hier noch manches im argen; wir müssen hier - das ist auch die Meinung von Frau Kollegin Pannhoff und ist unsere Meinung - zu einer umfassenden Ausbildung kommen. Aber das alles ist kein Grund für eine derartige Katalogisierung. Wir machen das nicht mit. Und was das Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz betrifft, so kann ich Ihnen heute schon sagen - wir haben es Ihnen ja schon in der ersten Lesung gesagt -, daß wir auch da nicht mitmachen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat uns ja recht gegeben. ({1}) Nun komme ich auf die Zahl zu sprechen, Herr Kollege. Wie wollen Sie das denn überhaupt durchführen? Wissen Sie, wie viele Amts- und Gewerbeärzte wir heute haben? Bei der großen Zahl der Jugendlichen, die untersucht werden muß - und dazu noch in Fristen, die gegenüber dem, was im Regierungsentwurf vorgesehen ist, abgekürzt werden sollen -, können wir das mit den augenblicklich zur Verfügung stehenden Amts- und Gewerbeärzten überhaupt nicht durchführen. Was käme dabei heraus? Es ist vorhin schon der Zwischenruf gefallen: Eine Art Musterungsuntersuchung! Gerade das möchten wir schon aus psychologischen Gründen vermieden wissen. Wir sind durchaus der Meinung - das hat auch Frau Pannhoff sehr schön gesagt, und ich möchte ausdrücklich unterstreichen, was sie zum Ausdruck gebracht hat -, daß der Arzt des Vertrauens oder - ich möchte noch einen anderen Ausdruck gebrauchen - der Hausarzt viel besser in der Lage ist, zu beurteilen, ob der Jugendliche für diese oder jene Arbeit geeignet ist. (Beifall bei der ({2}) Der Hausarzt ist eben besser in der Lage, das Urteil - ({3}) - Nun reden Sie doch nicht dauernd dazwischen! Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Sie haben ja hinterher die Möglichkeit, zu erwidern. Sie verlängern doch nur unnötig die Debatte. ({4}) - Ich scheue mich nie vor einem Zwischenruf. Aber es hat keinen Zweck, daß man mir hier ganze Sätze entgegenbrüllt, so daß kein Mensch etwas versteht. Ich scheue mich wirklich vor keinem Zwischenruf. Das sollten Sie wissen. Der Hausarzt ist nun einmal besser in der Lage, ein Urteil abzugeben. Er kennt die Familie, er kennt den Jugendlichen, er hat einen viel umfassenderen Überblick, als ihn der Amtsarzt auf Grund der Reihenuntersuchungen haben kann, die er wird durchführen müssen. Aus diesen Gründen stimmen wir gegen den § 47. Frau Kollegin Pannhoff, da Sie selber als Sprecherin der CDU/CSU den Verdacht ausgesprochen haben, daß in dem Regierungsentwurf die Wurzeln zu einem staatlichen Gesundheitsdienst liegen könnten, brauche ich diesen Verdacht nicht noch einmal ausdrücklich zu erwähnen. Ich brauche mich nur ihrem Verdacht anzuschließen. ({5})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich komme zu dem Schluß, daß trotz allem der Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 630 der weitergehende ist. Ich lasse deshalb über ihn zuerst abstimmen. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 630 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Abgelehnt! Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 629 Ziffer 14 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Dieser Antrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen; damit ist der § 47 gestrichen. § 48. Hier liegen zwei Änderungsanträge auf Umdruck 629 Ziffer 15 und auf Umdruck 637 Ziffer 8 vor. Soll der Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 629 Ziffer 15 begründet werden, Herr Abgeordneter Memmel? ({0}) - Das Haus hat davon Kenntnis genommen. Soll der Antrag auf Umdruck 637 Ziffer 8 begründet werden? ({1}) - Ausgezeichnet! Wir stimmen zunächst über den Antrag auf Umdruck 629 Ziffer 15 ab. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Nun kommt der Antrag auf Umdruck 637 Ziffer 8. Hier kann ich nur noch über den Abs. 2 abstimmen lassen. Wer dem Abs. 2 des § 48 in der Fassung des Änderungsantrags auf Umdruck 637 Ziffer 8 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Abgelehnt! Damit ist der Änderungsantrag auf Umdruck 637 Ziffer 8 im ganzen abgelehnt. Ich lasse nunmehr über den § 48 in der geänderten Fassung abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen! § 49. Keine Änderungsanträge. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen! § 50. Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 629 Ziffer 16. Wollen Sie ihn begründen?

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Wir haben vorhin in § 41 beschlossen, die Frist zwischen den Untersuchungen auf zwölf Monate herabzusetzen. Deshalb ist nun § 50 Abs. 1 Nr. 1 gegenstandslos.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Die Nr. 1 muß also gestrichen werden?

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sie muß gestrichen werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich hoffe, daß sich die Herren Sachverständigen darüber einig sind. - Ich höre keinen Widerspruch; die Nr. 1 in Abs. 1 des § 50 wird also gestrichen, Nr. 2 wird Nr. 1 und Nr. 3 wird Nr. 2. Wir stimmen nun ab über den Änderungsantrag 629 Ziffer 16. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den so geänderten § 50 im ganzen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Ich rufe auf §§ 51, - 52, - 53, - 54, - 55, - 56, - 57, - 58. - Änderungsanträge liegen nicht vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den soeben aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Zu § 59 liegt ein Änderungsantrag der SPD Umdruck 631 Ziffer 12 vor. - Herr Abgeordneter Ludwig!

Adolf Ludwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001384, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen mit Umdruck 631 Ziffer 12 zu § 59, die Regierungsvorlage wiederherzustellen. Sie haben eine ganze Reihe schöner VorLudwig Schläge der Regierung in der Versenkung verschwinden lassen. Das sollte doch nicht bei allen guten Vorschlägen geschehen. Ich bitte Sie deshalb, die Bestimmung des § 59 auf ihre Notwendigkeit hin zu prüfen. Es geht darum, daß die Lehrer auf Verlangen der Aufsichtsbehörde verpflichtet werden können, Wahrnehmungen über die Verletzung der Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes oder der dazu erlassenen Rechtsverordnungen mitzuteilen, wenn die Schulaufsichtsbehörde die Mitteilung genehmigt hat. Wir sind uns wohl alle darüber im klaren, daß die Überwachung der Durchführung des Gesetzes sehr schwierig sein wird. Wir werden auch von hier aus einen Appell an die Länder richten müssen, ihre Gewerbeaufsicht wesentlich zu verstärken, wenn überhaupt Aussicht auf Kontrolle bestehen soll. Soll das Gesetz ernst genommen werden, muß alles geschehen, damit die Überwachung ermöglicht wird. Dabei könnten nach unserer Auffassung und auch nach Auffassung der Regierung die Erzieher mithelfen. Sie könnten dabei eine besondere Rolle spielen. Der Streichung des § 59 lag der Gedanke zugrunde, daß sich die Bestimmung für die Lehrer, besonders in kleineren Orten, nachteilig auswirken könnte. Es ist selbstverständlich, daß solche Mitteilungen vertraulich behandelt werden müssen. Ich habe gerade gehört, daß es z. B. in Osterreich ein Jugendbeschäftigungsgesetz gibt, das eine ähnliche Vorschrift enthält, und uns wird erklärt, daß man damit recht gute Erfahrungen gemacht habe. Die Regierung hat sich sicher bei der Abfassung des § 59 Gedanken über die Bestimmung gemacht. Sie hat aber nicht die Befürchtungen gehabt, die verschiedentlich geäußert worden sind. Ich bitte deshalb, die Frage noch einmal zu überlegen; tatsächlich könnte auf diese Weise eine wirksame Überwachung erfolgen. Schließlich meine ich, daß man doch von einem demokratischen Bürger auch etwas Mut verlangen kann. Ich bitte deshalb, unserem Antrag auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage zuzustimmen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Dr. Bucher!

Dr. Ewald Bucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000288, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind wirklich erstaunt, daß gerade von seiten der SPD-Fraktion der Antrag kommt, diesen Paragraphen in der Fassung des Regierungsentwurfs wiederherzustellen. Dabei wird argumentiert, die Regierung habe sich dabei sicher etwas gedacht. Nun, das nehmen zu ihren Gunsten auch wir an. Aber gerade hier handelt es sich um eine Vorstellung, die wir als obrigkeitsstaatlich bezeichnen, daß man einen Lehrer verpflichten will, Auskünfte zu geben, also sozusagen Spitzeldienste zu leisten. ({0}) - Wir fragen in diesem Fall weder, was die Regierung gedacht hat, noch, was die Lehrerverbände gedacht haben, ({1}) sondern begnügen uns damit, selber etwas dabei zu denken. Wir denken, daß den Lehrern durchaus nicht verboten sein soll, Mitteilungen zu machen. Das wird in vielen Fällen notwendig sein. Wenn ein Lehrer solche Mißstände feststellt, soll er sich zunächst in die Höhle des Löwen, nämlich zum Arbeitgeber begeben und dem das sagen; wenn ihm nicht geholfen wird, dann kann und soll er seine Mitteilung machen, insofern er es für notwendig hält. ({2}) - Selbstverständlich, er kann auch zu den Eltern gehen. Wir sollten den Lehrer jedenfalls nicht verpflichten, eine solche Mitteilung zu machen. Dadurch würden wir ihn in Konflikte bringen. Wir bitten, diesen Antrag abzulehnen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der SPD Umdruck 631 Ziffer 12 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; abgelehnt. Ich rufe auf die §§ 60, - 61, - 62, - 63. - Hierzu liegen keine Änderungsanträge vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Zu § 64 liegt der Antrag der CDU/CSU Umdruck 629 Ziffer 17 vor. Wird er begründet? - Nicht. Ferner liegt der Antrag der SPD Umdruck 632 Ziffer 3 vor. ({0}) - Der Antrag Umdruck 632 Ziffer 3 ist erledigt. Wir stimmen ab über den Antrag 629 Ziffer 17. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. Wer § 64 in der so geänderten Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Zu § 65 liegen zunächst die gleichlautenden Änderungsanträge der CDU/CSU Umdruck Ziffer 629 Ziffer 18 Buchstabe a und der SPD Umdruck 632 Ziffer 4 Buchstabe a vor. ({1}) Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Wir kommen zum Antrag Umdruck 629 Ziffer 18 Buchstabe b. Auch hier handelt es sich um eine redaktionelle Änderung. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Präsident D. Dr. Gerstenmaier Nun der Antrag Umdruck 632 Ziffer 4 Buchstabe b. ({2}) - Gut! Wer § 65 in der so geänderten Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. § 66! Der Änderungsantrag der FDP hierzu auf Umdruck 643 ist zurückgezogen. § 67, - § 68, -§ 69; - Wer den aufgerufenen Paragraphen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Zu § 70 liegt der Änderungsantrag der SPD auf Umdruck 632 Ziffer 5 vor. ({3}) - Ist erledigt. - Zur Begründung des Änderungsantrags der CDU/CSU auf Umdruck 629 Ziffer 19 hat das Wort der Abgeordnete Varelmann.

Franz Varelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu diesem Antrag auf Umdruck 629 Ziffer 19 nur einige wenige Worte. Die Nr. 1 ergibt sich zwangsläufig auf Grund des Beschlusses zu § 1 Abs. 2 Nr. 3. Durch die Nr. 2 wollen wir erreichen, daß diejenigen Jugendlichen, die nach dem 18. Lebensjahr noch berufsschulpflichtig sind, den Besuch der Berufsschule auf die Arbeitszeit angerechnet bekommen und darüber hinaus auch der Berufsschulbesuch entsprechend vergütet wind. Die Nr. 3 ergibt sich zwangsläufig aus der Beschlußfassung zu § 1 Abs. 2 Nr. 3. Wir bitten darum, dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich muß zunächst die anderen Anträge aufrufen, zwei Anträge der SPD-Fraktion auf Umdruck 631 Ziffer 13 und auf Umdruck 632 Ziffer 5. ({0}) - Dann bleibt also der Antrag auf Umdruck 631 Ziffer 13. Frau Rudoll, wollen Sie begründen? ({1}) - Bitte!

Margarete Rudoll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001894, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Herren und Damen! Es handelt sich darum, in § 80 des Bundesbeamtengesetzes unter Nr. 3 einzufügen, daß die Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes auf Beamte und Beamtenanwärter unter 18 Jahren Anwendung finden sollen. Eine solche Bestimmung muß in dem uns vorliegenden Gesetz in § 70 als Abs. 4 eingefügt werden. Schon nach dem Ausschußbericht waren sich alle Abgeordneten des Ausschusses für Arbeit darüber klar, daß die Beamten und Beamtenanwärter in irgendeiner Weise vorn Gesetz erfaßt werden müssen. Bei § 1 war das nicht zu erreichen. Man war vielmehr der Meinung, daß diejenigen Beamtenanwärter, die noch unter die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 fallen, der Fürsorge des Beamtenrechts unterstehen. Es kommt darauf an, daß in § 80 des Bundesbeamtengesetzes - dort steht, daß die Bundesregierung durch Rechtsverordnung einmal ,die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes für Beamtinnen, weiter die Vorschriften des Schwerbeschädigtengesetzes für schwerbeschädigte Beamte und Bewerber regeln kann - ,die Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes auf Beamte unter 18 Jahren ausgedehnt werden. Damit wäre gesichert, daß auch die Beamten und Beamtenanwärter, soweit sie noch nicht 18 Jahre alt sind, den Schutz des Jugendarbeitsschutzgesetzes genießen. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck 629 Ziffer 19 abstimmen. ({0}) - Also Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 629 Ziffer 19 Nr. 1. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste ist die Mehrheit. Nr. 1 ist angenommen. Jetzt kommt Nr. 2. Was ist hier weitergehend? ({1}) - Der Antrag ist identisch mit dem Antrag der SPD auf Umdruck 631 Ziffer 13 a. Ich lasse über beide gemeinsam abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Herr Abgeordneter Memmel!

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich möchte vor der Abstimmung über Nr. 3 erklären, daß der Wortlaut der Arbeitszeitordnung in unserem Umdruck nicht richtig wiedergegeben worden ist! Es muß heißen: „Für die Nachtruhe von 17jährigen Arbeiterinnen" und nicht: „Für die Nachtruhe von Arbeiterinnen über 17 .Jahre!" Wenn man ein Gesetz zitiert, muß es richtig wiedergegeben werden!

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich verstehe es trotzdem nicht. Was heißt „Für die Nachtruhr vor 17jährigen Arbeiterinnen"?

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In Nr. 3 steht: Für die Nachtruhe von Arbeiterinnen über 17 Jahre!" Das ist auch ein sachlicher Unterschied!

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das ist ein sachlicher Unterschied? Ich kann mich so spät nicht auf derart scharfsinnige Erörterungen einlassen. ({0}) - Das wird also entsprechend korrigiert. Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode Präsident D. Dr. Gerstenmaier Ich lasse also über den Antrag Umdruck 629 Ziffer 19 Nr. 3 abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Jetzt kommt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 631 Ziffer 13 b. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung angenommen. Ich lasse über § 70 in der so geänderten Fassung abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! - Angenommen. Zu § 70 a und § 71 liegen keine Änderungsanträge vor. Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. § 71 a! Auch kein Änderungsantrag. - Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. § 72! Dazu liegt ein Änderungsantrag der CDU auf Umdruck 629 Ziffer 20 vor. - Keine Begründung. Keine Wortmeldung. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. -- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig angenommen. Ich rufe § 72 in der so geänderten Fassung sowie Einleitung und Überschrift des Gesetzentwurfs auf. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Über die zusätzlichen Ausschußanträge lasse ich in der dritten Beratung abstimmen. Damit ist die zweite Lesung des Jugendarbeitsschutzgesetzes beendet. Soll die dritte Lesung morgen vormittag 9 Uhr stattfinden? - Dann gebe ich bekannt, damit sich die Experten darauf einstellen können: morgen vormittag um 9 Uhr dritte Lesung des Jugendarbeitsschutzgesetzes! Ich appelliere an die Herren Experten der verschiedenen Fraktionen, dafür zu sorgen, daß wir um 10 Uhr mit der Beratung des Bundesbaugesetzes beginnen können. Im Ältestenrat habe ich der Fraktion der SPD versprochen, daß sie morgen nachmittag um 14 Uhr ihre Fraktionssitzung beginnen kann. Wir müssen bis dahin ein großes Pensum erledigen. Ich appelliere an das Haus, sich darauf einzurichten. Jetzt hat noch das Wort zu einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung der Herr Abgeordnete Dr. Bucher.

Dr. Ewald Bucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000288, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der FDP gibt folgende Erklärung gemäß § 36 der Geschäftsordnung ab. Herr Abgeordneter Bausch hat in der 114. Sitzung des Deutschen Bundestages am 18. Mai 1960 Angriffe gegen das Mitglied unserer Fraktion, Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke, erhoben. Er hat behauptet, Herr Dr. Rutschke habe in einer Kriegsopferversammlung in Lohmersheim am 8. März 1960 erklärt: Streichen Sie die Pensionen für die Bundestagsabgeordneten, die sie jetzt beschlossen haben. Streichen Sie die neu beschlossenen Pensionen für die Bundesminister, und dann haben Sie Geld genug zur Bezahlung der Kriegsopfer. Er, Abgeordneter Bausch, überlasse es den Abgeordneten des Bundestages, sich ein Urteil zu bilden über diese Art von niedrigster Demagogie, die überhaupt ausgedacht werden könne. Die Bundestagsfraktion der FDP stellt fest, daß die Behauptungen des Herrn Abgeordneten Bausch unwahr sind. Dr. Rutschke hat in der Versammlung, an der die Bundestagsabgeordneten Bausch und Pusch, der Arbeitsminister von Baden-Württemberg, Hohlwegler, und mehrere Landtagsabgeordnete teilgenommen haben, erklärt, „bei der Frage der Finanzierung der Kriegsopferversorgung wirke es peinlich, wenn gleichzeitig die Bewilligung von Abgeordnetenpensionen erwogen würde. Die Abgeordneten könnten für sich nicht mehr tun, als sie für andere zu tun bereit seien; ebenso peinlich wirke es in diesem Zusammenhang, wenn in derselben Sitzung des Bundeskabinetts, in welcher die Erhöhung der Kriegsopferversorgung mangels zureichender Mittel abgelehnt worden sei, die Erhöhung der Ministerpensionen beschlossen worden sei." Dies ergibt sich auch aus den Presseberichten über die Versammlung, insbesondere aus dem Bericht im „Württembergischen Abendblatt" vom 8. März 1960. Dr. Rutschke hat in der Sitzung vom 18.. Mai 1960, also gestern, bereits Anlaß genommen, die Angaben des Herrn Abgeordneten Bausch richtigzustellen. Herr Abgeordneter Bausch hat in einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung seine Erklärungen „ungeteilt und in vollem Umfang" aufrechterhalten und behauptet, daß Herr Abgeordneter Dr. Rutschke die Unwahrheit gesagt habe, obwohl Herr Abgeordnete Pusch die Darstellung von Herrn Dr. Rutschke bestätigt hat. Es ist nicht der erste Fall, in dem Herr Abgeordneter Bausch Mitglieder der Bundestagsfraktion der FDP in unsachlicher und kränkender Art angreift. Die Fraktion hält es für ihre Pflicht, sich schützend vor ihren Kollegen Dr. Rutschke zu stellen und die unbegründeten und beleidigenden Angriffe des Abgeordneten Bausch zurückzuweisen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, damit ist Schluß für heute. Nächste Sitzung: morgen vormittag um 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.