Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe die Freude, zwei Glückwünsche des Hohen Hauses zu Geburtstagen auszusprechen. Am 14. März hat der Abgeordnete Leonhard seinen 65. Geburtstag gefeiert
({0})
und am 15. März der Abgeordnete Meyer ({1}) seinen 60. Geburtstag.
({2})
Sodann begrüße ich den Abgeordneten Dr. Hauser. Er ist für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Lindrath in den Bundestag eingetreten. Ich darf ihm die Wünsche des Hauses für eine gute und erfolgreiche Mitarbeit aussprechen.
({3})
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat werden die von dem Herrn Bundesminister der Finanzen auf Grund des § 33 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung übersandten Zusammenstellungen über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben dem Haushaltsausschuß überwiesen. Eingegangen ist die Zusammenstellung über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben für das 1. Halbjahr des Rechnungsjahres 1959, Drucksache 1645. Ich nehme an, daß das Haus mit der Überweisung dieser Vorlage an den Haushaltsausschuß einverstanden ist. - Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat unter dem 10. März 1960 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Erler, Herold, Schmidt ({4}) und Fraktion der SPD betr. Stellungnahme des Bundesverteidigungsministers zu Berufsverbänden ({5}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1684 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 11. März 1960 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Müller-Hermann, Sühler, Dr. Besold, Gewandt, Wendelborn und Genossen betr. Kanalbauprogramm der Bundesregierung ({6}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1685 verteilt.
Der Herr Präsident der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein hat unter dem 3. März 1960 gemäß §§ 6 und 9 des Branntweinmonopolgesetzes den Geschäftsbericht der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein sowie die Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr 1958/59 vorgelegt, der als Drucksache 1686 verteilt wird.
Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hat unter dem 14. März 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der
FDP betr. Veröffentlichung „Kurz und Aktuell" der Gemeinschaft für christlich-soziale Schulung und öffentliche Meinungsbildung e. V. ({7}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1687 verteilt.
Ich rufe Punkt 1 der heutigen Tagesordnung auf: Fragestunde ({8}).
Meine Damen und Herren, wir haben 45 Fragen zu erledigen. 45 Fragen können innerhalb der vorgesehenen Zeit nur dann erledigt werden, wenn eine schnelle Abwicklung, auch bei der Beantwortung, von allen Seiten angestrebt wird. Im übrigen darf ich jedesmal bei Aufruf der Frage feststellen, ob sich der Anfragende im Saal befindet bzw. wer ihn vertritt, um für diejenigen Fragen, bei denen weder ein Fragesteller noch ein Vertreter da ist, eine schriftliche Beantwortung zu veranlassen.
Wir fangen mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz an. Da ist zunächst die Frage VI 1 des Abgeordneten Schmidt ({9}). Ist er anwesend? - Er ist da. Die Frage betrifft Verdrängung der Kleinaktionäre aus Aktiengesellschaften:
Sind der Bundesregierung die teilweise skandalösen Umstände bekanntgeworden, unter denen hei einigen Aktiengesellschaften im Jahre 1959 auf dem Wege der Umwandlung die Kleinaktionäre aus den Gesellschaften herausgedrängt worden sind?
Betrachtet sie diese Verfahren, die ihren Höhepunkt im Vorgehen des Herrn Flick gefunden haben, als einen Anreiz für den von ihr propagierten sogenannten „Eigentumsgedanken" in der Form von Kleinaktien?
Die Bundesregierung hat die durch das auslaufende Umwandlungssteuergesetz veranlaßte Häufung von Umwandlungen im Jahre 1959 aufmerksam verfolgt. Ihr ist bekannt, daß in einzelnen Fällen Aktiengesellschaften unter Herausdrängung von Kleinaktionären aus der Gesellschaft umgewandelt worden sind, ohne daß bisher wirtschaftliche Gründe für die Umwandlung erkennbar geworden wären. Mehrere Umwandlungen, darunter die in der Anfrage mit dem Namen der Herrn Flick bezeichneten Umwandlungsfälle, werden zur Zeit auf die Klage von Kleinaktionären hin gerichtlich geprüft. Von einer Äußerung über sie sieht die Bundesregierung im Hinblick auf die schwebenden gerichtlichen Verfahren ab.
Den zweiten Teil der Frage beantworte ich mit Nein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? - Bitte.
Darf ich fragen, Hen Schäffer, ob Sie angesichts der Antwort „Nein", die Sie auf den zweiten Teil der Frage gegeben haben, übereinstimmen mit dem Urteil über diese Vorgänge, das ich der Zeitschrift „Christlich-Demokratische Blätter der Arbeit" - Haupttitel: „Soziale Ordnung" - wie folgt entnehmen darf:
Der Name Flick sei ein Beispiel für jenen Menschentyp, der seinem ganzen Verhalten nach Handlanger und Helfershelfer eines totalitären, unsere staatliche Ordnung zerstörenden Systems war, und sei ein Begriff für die rücksichtslose Ausweitung persönlicher Macht geworden, die 16 Jahre nach dem Zusammenbruch größer ist, als sie vorher war.
Sie fragen, ob ich damit übereinstimme? Ich glaube, es ist nicht Aufgabe eines Bundesministers, zu jeder Presseäußerung festzustellen, ob er mit ihr übereinstimmt.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte! Aber eine Frage!
Darf ich die zweite Zusatzfrage in derselben Richtung stellen: Stimmen Sie, Herr Bundesminister, mit der Auffassung der Christlich-Demokratischen Blätter der Arbeit, Ausgabe März dieses Jahres, überein, daß der Name Flick und seine Wirtschaftsmacht eine markante Bedrohung unserer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung sei, die unerträglich ist?
({0})
Ich muß Ihnen offen gestehen, daß ich so weitgehende Urteile nicht mit einem Satz beantworten kann.
Ich rufe auf die Frage VI/2 - Abgeordneter Dr. Bucher - betreffend Äußerung des Herrn Bundeskanzlers am 15. Februar 1960 in Köln über die Stellung der Bundesminister:
Ist es richtig, daß der Herr Bundeskanzler am 15. Februar 1960 in Köln geäußert hat, ein Minister habe nicht viel zu sagen, entscheidend sei der Politiker, der im Bundestag eine große Partei leite?
Wie ist bejahendenfalls diese Äußerung mit Artikel 65 Salz 2 GG 7U vereinbaren?
Die falschen Deutungen der Kölner Rede des Herrn Bundeskanzlers hat Herr Kollege Schröder bereits in der Sitzung des Hohen Hauses vom 18. Februar 1960 richtiggestellt. Ich will aber gern für den abwesenden Herrn Bundeskanzler noch einmal darauf eingehen.
Der Herr Bundeskanzler hat die Rede in Köln frei gehalten. Nach der Rede wurden ihm schriftlich formulierte Fragen vorgelegt. Eine dieser Fragen betraf Herrn Minister Oberländer. Sie ging etwa dahin, warum Herr Oberländer noch als Minister fungiere. Der Herr Bundeskanzler hat darauf, wobei er mehrfach durch Zwischenrufe unterbrochen wurde, dem Sinne nach etwa geantwortet, daß man die Bedeutung eines Ministers nicht überschätzen solle. Unter Umständen habe der Politiker, der eine große Partei im Bundestag leite, einen viel größeren Einfluß als ein Minister. - Soviel zum Sachverhalt.
Ihre zweite Frage, Herr Kollege Bucher, wie diese Äußerung mit Art. 65 Satz 2 des Grundgesetzes zu vereinbaren sei, scheint mir nicht ganz richtig gestellt zu sein. Art. 65 betrifft die politische Verantwortlichkeit der Minister. Die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers bezog sich auf den politischen Einfluß. Das sind verschiedene Dinge.
({0})
Eine Zusatzfrage? - Bitte!
Darf ich davon ausgehen, daß Sie, Herr Minister, davon überzeugt sind, daß Sie und Ihre Minister-Kollegen etwas zu sagen haben?
Jeder Minister hat in seinem Ressort die Verantwortlichkeit und infolgedessen etwas zu sagen.
({0})
Die andere Frage, die Sie stellen, ist die, ob er auch ein politisches Echo, z. B. in diesem Hohen Hause, findet. Das ist eine zweite Frage.
({1})
Noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Bucher!
Gilt das auch für den Herrn Bundesfinanzminister, der am 10. März vor der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf in etwas ominöser Weise von den begrenzten Möglichkeiten seines Amtes gesprochen hat, die er einsetzen werde, um ein weiteres Steigen der Bundesausgaben infolge von Beschlüssen des Parlaments oder der Bundesregierung zu verhindern?
Ohne dem Herrn Bundesfinanzminister vorzugreifen, glaube ich sagen zu können, daß diese Äußerung mit seinem Verhältnis zum Herrn Bundeskanzler gar nichts zu tun hat.
Wir kommen zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen.
Abgeordneter Schmitt ({0}) fragt nach der Aufstellung eines öffentlichen Fernsprechers in Lorsbach:
Billigt der Herr Bundespostminister, daß die Oberpostdirektion Frankfurt ({1}) der Gemeinde Lorsbach im Main-Taunus-Kreis ({2}), die im Brennpunkt eines starken Verkehrs an der Landstraße I. Ordnung zwischen Limburg und Frankfurt ({3}) liegt, nur dann einen öffentlichen Fernsprecher aufstellen will, wenn die Gemeinde den Unterschiedsbetrag zwischen der Monatseinnahme und dem Betrag von 155 DM monatlich zahlen will?
Vizepräsident Dr. Preusker
Wer vertritt den Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen?
({4})
Das in dieser Frage angesprochene Ziel kann nicht im Wege einer Rechtsverordnung der Bundesregierung nach § 3 des Häftlingshilfegesetzes erreicht werden.
({0})
Herr Staatssekretär, ich glaube, Sie haben sich durch die Frage des Abgeordneten Rehs angesprochen gefühlt. Ich habe aber eine Frage aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen aufgerufen und gefragt, ob der Herr Minister von einem der anwesenden Herren Minister oder Staatssekretäre vertreten wird.
Ich darf diese Frage zunächst zurückstellen, bis geklärt ist, wie sie Beantwortung findet. Ich darf das den Herren der Bundesregierung anheimstellen.
({0})
- Ich kann im Augenblick niemanden zwingen, sich dazu zu äußern.
Herr Abgeordneter Rehs hat eine Frage an den Herrn Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte gestellt betreffend Erlaß einer Rechtsverordnung gemäß § 3 des Häftlingshilfegesetzes:
Warum hat die Bundesregierung - in Anbetracht der Tatsache, daß insbesondere aus dem Memelgebiet nach Rußland verschleppte Aussiedler teilweise noch immer keine Leistungen nach dein Häftlingshilfegesetz erhalten - von der Ermächtigung im § 3 des HHG, mit Zustimmung des Bundesrates eine Rechtsverordnung zu erlassen, durch die diese Personengruppen den Leistungsberechtigten nach dem HHG gleichgestellt werden, bisher keinen Gebrauch gemacht?
Wann gedenkt sie der mit dieser Ermächtigung gleichzeitig ausgesprochenen Verpflichtung nachzukommen?
Das in dieser Frage angesprochene Ziel kann nicht im Wege einer Rechtsverordnung der Bundesregierung nach § 3 des Häftlingshilfegesetzes erreicht werden. Die dort enthaltene Ermächtigung reicht dazu nicht aus. Sie bezieht sich auf andere Tatbestände und andere Personengruppen.
Bei der Durchführung des Häftlingshilfegesetzes sind bei den zuständigen Landesbehörden verschiedene Meinungen über die Frage aufgetreten, ob die verschleppten Memeldeutschen Berechtigte nach § 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes sind oder ob sie Berechtigte nach § 1 des Häftlingshilfegesetzes sind oder ob sie Leistungen über den Härteausgleich des Häftlingshilfegesetzes erhalten können.
Höchstrichterliche Entscheidungen zu dieser umstrittenen Rechtsfrage liegen noch nicht vor. Die von
der Verwaltung angestrebte einheitliche rechtliche Beurteilung soll im Zusammenhang mit der zur Zeit dem Deutschen Bundestag vorliegenden Novelle zum Häftlingshilfegesetz erreicht werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rehs? - Ist erledigt.
Dann darf ich die zweite Frage dieses Geschäftsbereichs aufrufen. Frau Abgeordnete Korspeter fragt nach der Alterssicherung der vertriebenen und geflüchteten Bauern:
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung über eine Regelung zur Alterssicherung der vertriebenen und geflüchteten Bauern?
Was hat die Bundesregierung unternommen, um das Versprechen des Bundeskanzlers einzulösen, das er den vertriebenen und geflüchteten Bauern auf dem Ostdeutschen Bauerntag am 26. Oktober 1958 hinsichtlich ihrer Alterssicherung gegeben hat?
Die Bundesregierung bearbeitet die Frage auch im Zusammenhang mit dem Antrag der Fraktion der FDP, Drucksache 1274, zu dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte. Sie ist der Ansicht, daß eine Einbeziehung der vertriebenen und geflüchteten Bauern in dieses Gesetz nicht empfohlen werden kann. Das Altershilfegesetz setzt nämlich voraus, daß der alte Landwirt im Bundesgebiet einen landwirtschaftlichen Besitz gehabt und diesen gegen Gewährung eines Altenteils abgegeben hat. Bei den nicht wieder in die Landwirtschaft eingegliederten vertriebenen und geflüchteten Bauern liegt diese Grundvoraussetzung des Altershilfegesetzes aber nicht vor. Es bestanden aber auch Bedenken, eine Regelung bei den Vertriebenen und Flüchtlingen nur auf die Bauern zu beschränken und dabei die früher Selbständigen anderer Berufe und auch der Kriegssachgeschädigten zu übergehen. Schließlich ist auch zu bedenken, daß die Unterhaltshilfeempfänger wegen der Kürzungsbestimmungen ohnehin nur einen Teil der zusätzlichen Leistungen aus dem Altershilfegesetz in die Hand bekämen.
Die Bundesregierung ist daher bestrebt, die Alterssicherung für alle früher selbständig erwerbstätigen Geschädigten zu verbessern. Sie glaubt, dieses Ziel etwa durch Verbesserung der Unterhaltshilfe des Lastenausgleichs erreichen zu können.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage! Ich habe diesen Teil bereits teilweise beantwortet. Ich darf aber noch auf folgendes verweisen.
1. In dem Gesetz über die Altershilfe für Landwirte sind die vertriebenen und geflüchteten Bauern, deren Eingliederung im Bundesgebiet wieder gelungen ist, den einheimischen vollkommen gleichgestellt.
2. Durch die 11. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz sind die Altersjahrgänge 1890 bis 1897 empfangsberechtigt für die Unterhaltshilfe geworden, sofern sie früher selbständig waren.
3. Außer der Unterhaltshilfe ist inzwischen auch für den Regelfall die Entschädigungsrente, die einen Zusatz zur Unterhaltshilfe bei Verlust von existenztragendem Vermögen bildet, heraufgesetzt worden.
4. Vor allem aber ist durch die Einführung des sogenannten Mindesterfüllungsbetrages sichergestellt, daß durch den Bezug der Unterhaltshilfe in keinem Falle die Hauptentschädigung gänzlich verbraucht werden kann. Unbeschadet der Dauer des Bezugs der Unterhaltshilfe wird dem Geschädigten im Regelfall mindestens ein Viertel seiner Hauptentschädigung ausbezahlt. Die vertriebenen Bauern waren die Hauptursache dieser Bestimmung.
Eine Zusatzfrage? - Bitte, Frau Abgeordnete Korspeter!
Können Sie mir konkret sagen, Herr Staatssekretär, wann mit einer Regelung der Alterssicherung für die vertriebenen und geflüchteten Bauern zu rechnen ist?
Können Sie mir sagen, zu welchem Termin die Bundesregierung einen Vorschlag unterbreiten wird?
Die Konzeption wird von den beteiligten Ressorts erarbeitet und wird noch in diesem Monat vorgelegt werden können.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft.
Ich rufe auf die Frage des Abgeordneten Dr. Bechert betr. radioaktive Niederschläge:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um sofort über erhöhte radioaktive Niederschläge als Folge der französischen Atomwaffenversuche unterrichtet zu werden, und welche Maßnahmen dafür, daß die Öffentlichkeit sogleich von der Tatsache erhöhter radioaktiver Niederschläge unterrichtet wird?
Welche vorsorglichen Maßnahmen sind ergriffen für den Fall, daß sich eine Überschreitung der höchstzulässigen Menge an Radioaktivität im Niederschlag ergibt?
Hat die Regierung Vorsorge getroffen, um sofort unterrichtet zu werden, wenn sich als Folgeerscheinung eine bedenkliche Erhöhung der Aktivität in wichtigen Lebensmitteln zeigt, eine Erscheinung, die erst einige Zeit nach dem Versuch deutlich werden kann?
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung vor zu ergreifen, wenn sich zeigt, daß die Verseuchung des Getreides noch über den Stand des rund 1,5fachen der höchstzulässigen Strontium-90Verseuchung, wie er schon vor einem Jahr im deutschen Getreide gegeben war, hinausgeht?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Einvernehmen mit den Herren Bundesministern des Auswärtigen, des Innern, für Verkehr und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantworte ich die Frage des Herrn Abgeordneten Bechert, die fünf Einzelfragen enthält, wie folgt:
1. Durch das „Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst" ist dem Deutschen Wetterdienst die Aufgabe übertragen worden, „die Atmosphäre auf radioaktive Beimengungen und deren Verfrachtung zu überwachen". Der Wetterdienst ist angewiesen, beim Überschreiten bestimmter Werte der Radioaktivität in der Luft oder den Niederschlägen den Herrn Bundesminister des Innern, den Herrn Bundesminister für Verkehr und den Herrn Bundesminister für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft unverzüglich zu benachrichtigen. Auch die zuständigen Behörden der Länder werden benachrichtigt.
Darüber hinaus besteht ein laufender schriftlicher und telefonischer Nachrichtenaustausch zwischen den wichtigsten Radioaktivitätsmeßstellen und den Fachreferenten des Bundesministeriums des Innern, des Bundesministeriums für Verkehr und meines Ministeriums. Es ist selbstverständlich, daß in Zeiten, in denen ausländische Atomwaffenversuche stattfinden, die Auswirkungen mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden.
2. Das Haus hat ,die Öffentlichkeit wiederholt, vor allem bei besonderen Anlässen, über die Höhe der Umweltradioaktivität unterrichtet. Beim heutigen Stand des Nachrichtenwesens bedarf es keiner Sondereinrichtungen, um jederzeit die Öffentlichkeit von einer gegebenenfalls eintretenden erhöhten Radioaktivität, soweit dies von besonderer Bedeutung ist, benachrichtigen zu können.
3. Wenn der Gehalt radioaktiver Stoffe im Regen die für Trinkwasser zulässigen Werte nicht stärker, als wie es nach Kernexplosionen bisher der Fall war, überschreitet, wird von der erhöhten Niederschlagsaktivität nur diejenige kleine Bevölkerungsgruppe betroffen, die Regenwasser, das in Zisternen gesammelt wird, als Trinkwasser verwendet.
Seit vielen Jahren laufen Maßnahmen, um den so gefährdeten Bevölkerungsteil durch Anschluß an öffentliche Versorgungsnetze zu vermindern. Weiterhin wurden Reinigungseinrichtungen für Zisternenwasser entwickelt und erprobt. Die Versorgung begrenzter Bevölkerungskreise in Katastrophenfällen durch Anlieferung einwandfreien Trinkwassers ist in .der Bundesrepublik schon häufiger erforderlich gewesen, so daß Erfahrungen vorliegen.
4. Die Meßstellen, die die Radioaktivität von Lebensmitteln überwachen, berichten dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und mir regelmäßig.
Eine ständige Verbindung besteht mit der Bundesforschungsanstalt für Milchwirtschaft in Kiel, die ein über die ganze Bundesrepublik sich erstrekkendes Netz von Probenahmestellen für Messungen der Aktivität des Strontium-90 in Lebensmitteln, insbesondere in Milch und Milchprodukten, aufgebaut hat.
5. In der Anfrage wird dargelegt, daß die Kontamination des Getreides mit Strontium-90 vor einem Jahr das rund 1,5fache des höchstzulässigen Wertes erreicht hat. Zunächst darf ich darauf hinweisen, daß von der Internationalen Strahlenschutzkommission - ICRP - höchstzulässige Werte für die Konzentration radioaktiver Stoffe nur für Luft und Trinkwasser, nicht aber für einzelne Lebensmittel - auch nicht für Getreide - festgesetzt worden sind. Das hat seine guten Gründe. Biologisch bedeutungsvoll ist nämlich nicht der Strontium-90Gehalt einzelner Lebensmittel, sondern nur der Strontium-90-Gehalt der Gesamtkost. Dabei spielt nun wiederum nicht der absolute Strontium-Gehalt, sondern nur die auf die Kalziummenge der Gesamtkost bezogene Strontiummenge eine Rolle.
Strontium-90 ist bei Getreidekörnern hauptsächlich auf und in der Schale deponiert. Geschälte Getreidekörner und das ausgemahlene Mehl sind somit weitgehend frei von Strontium-90.
Aus dem biologischen Zusammenhang gerissene Angaben von Einzelwerten geben kein wahres Bild der Verhältnisse. Die laufenden Ergebnisse eingehender radiologischer Untersuchungen der Ernährungsverhältnisse in der Bundesrepublik wie auch in anderen Ländern geben keinen Anlaß, Maßnahmen für eine besondere Behandlung des Getreides zu empfehlen.
Eine Zusatzfrage?
Ist Ihnen bekannt, daß der Gehalt an Strontium-90 in der Durchschnittsernährung des Bundesbürgers im Vorjahr bei rund 15 '/o der höchstzulässigen Menge an Strontium-90 gelegen hat, d. h. bei 15 Sunshine-Einheiten? Ist Ihnen bekannt, daß in der Zeit vom 25. Februar bis 4. März 1960 in München erhebliche Mengen an Aktivität zu Boden kamen, als der Wind auf Süd und Südwest gedreht hatte, daß insbesondere am 29. Februar ein starkes Maximum in der Aktivität auftrat und daß diese Aktivität ganz offenbar von den französischen Sahara-Versuchen stammt? Ist Ihnen bekannt, daß jede zusätzliche Aktivität, wie sie zum Beispiel aus solchen Atomwaffenversuchen stammt, nach wissenschaftlicher Erkenntnis bei der betroffenen Bevölkerung zusätzliche Gesundheitsschäden hervorruft, so daß der Bericht der Ver) einten Nationen und der Bericht der amerikanischen Akademie der Wissenschaften fordern, die Strahlung, die einen Menschen im Laufe des Lebens trifft, so gering zu halten wie nur irgend möglich?
Herr Staatssekretär!
Untersuchungen einer vollständigen Krankenhauskost für Erwachsene durch das Physikalische Institut der Bundesforschungsanstalt für Milchwirtschaft im Juni/Juli 1959 haben einen Strontium-90-Gehalt von 6 bis 20, im Mittel 11,5 Picocurie Strontium-90 pro Gramm Kalzium ergeben. Untersuchungen der Kinder- und Säuglingsnahrung werden demnächst abgeschlossen. Untersuchungen verschiedener Weizenimporte des Jahres 1959 ergeben Werte zwischen 68 und 660 Picocurie Strontium-90 pro Gramm Kalzium.
Die Radioaktivität der Luft und der Niederschläge hat in den letzten Monaten des Jahres 1959 und Anfang 1960 besonders niedrige Werte erreicht. Sie hatte sich auch in der Zeit vom 13. Februar bis 27. Februar nicht erhöht. Am 28. und 29. Februar begann sie bei nahezu allen Meßstellen der Bundesrepublik anzusteigen und erreichte ihr Maximum am 1. und 2. März. Dabei wurde eine örtlich bedingte Schwankung der maximalen Erhöhung der Radioaktivität der Luft von 5 10-13 bis 26 10-13 Mikrocurie pro ccm und der Niederschläge von 13 10-7 bis 140 10-7 Mikrocurie pro ccm beobachtet. Diese Werte liegen unter den entsprechenden Werten der ersten Monate des vergangenen Jahres. In vier Tagen nach Erreichung dieses Maximums ist die Radioaktivität wieder auf die vorherigen Werte zurückgefallen.
Ich darf bitten, Herr Abgeordneter, Ihre weiteren Fragen, die ich erst noch klären muß, weil zahlreiche wissenschaftliche Stellen eingeschaltet werden müssen, mit Zustimmung des Herrn Präsidenten schriftlich beantworten zu dürfen.
Herr Abgeordneter Bechert, bitte. Ich darf aber bitten, nur Fragen zu stellen, die möglichst sofort beantwortet werden können.
Ich hatte die Zusatzfrage gestellt, ob dem Herrn Staatssekretär bekannt sei, daß der Bericht der Vereinten Nationen und der Bericht der amerikanischen Akademie der Wissenschaften fordern, die Strahlung - die ionisierende Strahlung ist gemeint -, die einem Menschen im Laufe des Lebens zugefügt wird, so gering wie möglich zu halten. Diese Frage ist nicht beantwortet worden. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang eine zweite Frage stellen. Wenn dies dem Ministerium bekannt ist, was ich annehme, hat dann das Atomministerium innerhalb der Regierung diese wissenschaftliche Erkenntnis geltend gemacht, die, abgesehen von allen politischen Überlegungen, gegen die Anstellung französischer Atomwaffenversuche spricht? Hat das Atomministerium darauf hingewirkt, daß die Bundesregierung der französischen Regierung Bedenken gegen die französischen Atomwaffenversuche bekanntgibt? Oder betrachtet es das Atomministerium nicht als seine Aufgabe, vor Strahlungsgefahren zu warnen und auf ihre Verminderung hinzuwirken?
Herr Präsident! Ich habe schon gesagt, daß ich die Frage schriftlich beantworten möchte, zumal ein Teil, nämlich soweit es das politische Verhältnis zu Nachbarstaaten angeht, nicht in den Geschäftsbereich meines Hauses fällt.
Ich habe bekanntzugeben, daß sich bei der Übermittlung der Mitteilung an das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen ein Fehler eingeschlichen haben muß. Die Herren haben angenommen, die Frage werde erst um 15 Uhr aufgerufen, aber sie sind jetzt auf dem Wege hierher. Herr Abgeordneter Schmitt, ich werde auf die Frage sofort zurückkommen, wenn ,die Herren eingetroffen sind.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes, zunächst zur Frage des Abgeordneten Rehs über die vorzeitige Ablösung der Lastenausgleichsabgabe:
Wird die Bundesregierung im Falle einer Privatisierung des Volkswagenwerkes Vorkehrungen treffen, die gewährleisten, daß die Lastenausgleichsabgabe aus dem Erlös der Aktien vorzeitig abgelöst wird?
Herr Staatssekretär Busch!
5808 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode - 107. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den lb. März 1960
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Herrn Abgeordneten Rehs beantworte ich wie folgt.
Nach dem zwischen dem Bund und dem Land Niedersachsen geschlossenen Vergleich hat sich der Bund verpflichtet, den Erlös aus der Veräußerung der Aktien der Volkswagenwerk-AG ungeschmälert der noch zu errichtenden „Stiftung Volkswagenwerk" zuzuführen. Es besteht daher nicht die Möglichkeit, die Vermögensabgabe aus dem Erlös der veräußerten Aktien vorzeitig abzulösen.
Im übrigen darf ich darauf Hinweisen, daß die Ablösung der Vermögensabgabe nicht eine Angelegenheit des Bundes als Aktionärs der Volkswagenwerk-AG, sondern des Unternehmens selbst als Lastenausgleichsschuldners ist. Die Entscheidung über eine etwaige Ablösung der Vermögensabgabe liegt bei den Organen der Gesellschaft. Diese haben sich jedoch bisher ebenso wie zahlreiche Unternehmen der Privatwirtschaft nicht für eine Ablösung entscheiden können.
Eine Zusatzfrage?
Sind Sie sich darüber klar, daß diese Antwort Entrüstung und Empörung in allen Kreisen der Betroffenen auslösen wird und muß?
Dr. Busch: Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes: Darauf habe ich nichts zu antworten.
Frage des Abgeordneten Josten über die Klärung der Besitzverhältnisse des ehemaligen Truppenübungsplatzes Ahrbrück:
Ist die Bundesregierung bereit, für eine schnelle Klärung der Besitzverhältnisse des ehemaligen Truppeniibungsplatzes Ahrbrück ({0}) zu sorgen?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die seit Jahren schwebenden unklaren Besitzverhältnisse viele Rück- bzw. Neusiedler verschuldet sind, und welche Hilfe will die Bundesregierung den Siedlern zukommen lassen?
Dr. Busch: Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes: Der ehemalige Truppenübungsplatz Ahrbrück hat eine Größe von etwa 8000 ha, von denen rund 3500 ha im Eigentum des Bundes stehen. Seit dem Jahre 1946 hat das Land Rheinland-Pfalz auf dem Platz vertriebene Bauern angesiedelt. Zur Durchführung des vom Land eingeleiteten Siedlungsverfahrens ist der Bund mit dem Land Rheinland-Pfalz übereingekommen, die ihm gehörende Fläche an das Land zu veräußern. Ein entsprechender Vertragsentwurf ist dem Land mit der Bitte um Zustimmung zugeleitet worden. Eine Antwort hierauf steht noch aus.
An dem Siedlungsverfahren selbst ist der Bund nicht beteiligt. Die Bundesregierung hat deshalb auch keine Kenntnis von Fällen erhalten, in denen Siedler in Verschuldung geraten sind. Zur Förderung des Siedlungsverfahrens hat der Bund jedoch eine Finanzhilfe in Höhe von rund 3,2 Millionen DM geleistet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten?
Herr Staatssekretär, die Siedler wären natürlich in erster Linie daran interessiert, zu erfahren, bis zu welchem Zeitpunkt mit der Überschreibung gerechnet werden kann. Sind Sie in der Lage, einen Termin zu nennen?
Dr. Busch: Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes: Sobald die Zustimmung des Landes Rheinland-Pfalz zu unserem Vertragsentwurf vorliegt, wird das Hohe Haus um die Zustimmung gebeten werden, die Grundstücke veräußern zu dürfen. Wir werden dann die Einweisung der Bauern beschleunigt betreiben.
Ich danke Ihnen.
Herr Abgeordneter Schmitt, wir kommen nunmehr, da der Herr Postminister jetzt anwesend ist, zu Ihrer Frage betreffend den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen wegen der Aufstellung eines öffentlichen Fernsprechers in Lorsbach:
Billigt der Herr Bundespostminister, daß die Oberpostdirektion Frankfurt ({0}) der Gemeinde Lorsbach im Main-Taunus-Kreis ({1}), die im Brennpunkt eines starken Verkehrs an der Landstraße I. Ordnung zwischen Limburg und Frankfurt ({2}) liegt, nur dann einen öffentlichen Fernsprecher aufstellen will, wenn die Gemeinde den Unterschiedsbetrag zwischen der Monatseinnahme und dem Betrag von 155 DM monatlich zahlen will?
Bitte, Herr Postminister!
Stücklen: Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen: Die Oberpostdirektion Frankfurt ist mit Recht von dem Grundsatz ausgegangen, daß eine öffentliche Sprechstelle nur dann eingerichtet werden sollte, wenn die zu erwartenden Gebühreneinnahmen die Kosten wenigstens annähernd dekken. Nach dem Ergebnis einer nochmaligen Prüfung kann bei großzügiger Beurteilung angenommen werden, daß die Ausgaben für den in Lorsbach zu errichtenden öffentlichen Münzfernsprecher die Einnahmen nicht allzusehr übersteigen werden. Der Münzfernsprecher wird deshalb ohne weitere Erörterungen über seine Wirtschaftlichkeit eingerichtet werden.
Die Frage ist erledigt.
Wir kommen zu den Fragen betreffend den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungsbau. Erste Frage des Abgeordneten Brecht wegen der Bundesmittel für das Bauzentrum in Köln:
Welche Gründe waren maßgebend, daß das bisher mit erheblichen Bundesmitteln unterstützte Bauzentrum in Köln trotz der am 17. Oktober 1958 in der Fragestunde erteilten Antwort im Januar 1960 aufgelöst wurde?
Welchen Betrag hat die Bundesregierung unmitlelbar und mittelbar für das Bauzentrum seit seiner Gründung bis zur Auflösung aufgewendet, und sind diese Beträge restlos verloren?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Brecht wie folgt beBundesminister Lücke
antworten: Die Auflösung des Deutschen Bauzentrums war unvermeidbar, da es dem Bauzentrum trotz ernsthafter Bemühungen aller Beteiligten nicht gelang, sich die für eine fruchtbare Tätigkeit notwendige Stellung zu verschaffen.
Die Auflösung des Bauzentrums bedeutet nicht, daß der gesamte Aufgabenbereich dieser Einrichtung stillgelegt wird. Der wichtigste Teil, nämlich die Dokumentation, wird durch die Dokumentationsstelle in Stuttgart fortgeführt.
Für das Deutsche Bauzentrum wurden aus Mitteln des Bundeshaushalts in der Zeit von 1954 bis 1959 1 461 500 DM zur Verfügung gestellt. Diese Mittel wurden überwiegend für die Dokumentationsstelle in Stuttgart, die Aufrechterhaltung der internationalen Verbindungen und für die Vortragstätigkeit verwandt.
Eine Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß es außer dem Bauzentrum in Köln noch in einer Reihe anderer Städte wie Hamburg, Darmstadt und München solche Einrichtungen in Form von Bauzentren gibt, und besteht die Möglichkeit oder ist beabsichtigt, das, was das Bauzentrum unter Leitung des Wohnungsbauministeriums nicht erreicht hat, zum Teil über diese Bauzentren durchführen zu lassen?
Die Absicht besteht nicht.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte.
Ist in Ihrem Ministerium schon einmal geprüft worden, ob nicht eine Verantwortlichkeit einzelner Beamter hinsichtlich der Beträge vorliegt, die für das Bauzentrum aufgewendet worden sind und die nicht in die Dokumentationsstelle in Stuttgart gegangen sind, sondern nun eben als verloren gelten müssen?
Die Verantwortlichkeit ist geprüft worden. Es liegt kein Grund zur Beanstandung vor. Die Konstruktion und Anlage des Bauzentrums haben sich nicht bewährt.
Die nächste Frage ist die des Herrn Abgeordneten Brecht betreffend die rechtzeitige Veröffentlichung der Ergebnisse von Forschungsarbeiten, die mit Bundesmitteln gefördert werden:
Ist bei der künftigen Hergabe von weiteren Bundesmitteln für Forschungsaufgaben im Rahmen des Bundeswohnungsbaurninisteriums sichergestellt, daß Mängel und Verstöße, wie sie in den „Bemerkung_ en des Bundesrechnungshofes für das Rechnungsjahr 1956" - Drucksache 1518 - festgestellt sind, nicht wieder vorkommen können?
Ist insbesondere gewährleistet, daß über die Forschungsergebnisse rechtzeitig und in ausreichendern Umfange Berichte erstattet und die Forschungsergebnisse den interessierten Fachend Wirtschaftskreisen alsbald und in zugänglicher Weise bekanntgegeben werden?
Ist dasselbe auch für die Forschungsergebnisse bei den Sogenannten Versuchs- und Vergleichsbauten und den Demonstrativbauten sichergestellt?
Ich darf alle drei Unterfragen, die die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Brecht enthält, mit Ja beantworten. Der Forschungsauftrag, auf den sich die Bemerkung des Bundesrechnungshofes bezieht, die Herr Dr. Brecht anführt, ist ein Sonderfall. Der Mangel bei der Ausführung dieses Auftrags erklärt sich daraus, daß der Umfang des zu verarbeitenden Materials sich während der Untersuchung als wesentlich größer herausgestellt hat, als ursprünglich angenommen werden konnte.
Nach Auflösung des Deutschen Bauzentrums obliegt die Aufgabe, die Forschungsergebnisse bekanntzugeben, wiederum in vollem Umfang dem Bundesministerium für Wohnungsbau.
Über die wichtigsten Ergebnisse wird laufend in den einschlägigen Fachzeitschriften berichtet. Es ist außerdem beabsichtigt, in Kürze eine Übersicht über die wichtigsten Veröffentlichungen herauszugeben.
Eine Zusatzfrage? - Bitte.
Könnte nicht überlegt werden, Herr Minister, ob die bisherigen und auch die künftigen Ergebnisse einmal in einer wesentlich besseren Systematik zusammengefaßt herausgebracht werden können, weil die bisherige Bekanntgabe der Ergebnisse in der Praxis einfach untergeht und nicht beachtet werden kann?
Das sollte geprüft werden. Ich empfehle, diese Frage im zuständigen Fachausschuß weiter zu erörtern.
Dann die dritte Frage des Herrn Abgeordneten Brecht betreffend die Zuteilung von Bundesmitteln für den SBZ-Wohnungsbau:
Warum sind die für den Wohnungsbau der SBZ-Zuwanderer vorgesehenen diesjährigen Bundesmittel trotz einer früher gefaßten Entschließung des Bundestages nicht zusammen mit den übrigen Haushaltsmitteln für den sozialen Wohnungsbau den Ländern im Dezember zugeteilt worden?
Bis wann soll dies nachgeholt werden?
Die Verteilung der Bundesmittel für Zuwanderer und Aussiedler ist nur sinnvoll, wenn den Ländern gleichzeitig ,die Auflagen und Bedingungen mitgeteilt werden können, unter denen die Mittel einzusetzen sind. Über .diese Voraussetzungen ist bisher jeweils vor der Mittelverteilung eine Einigung mit den Ländern erzielt worden.
Am 6. Oktober 1959 hat sich der Herr Bundeskanzler an die Herren Länderchefs mit einem Vorschlag gewandt, der eine neue Regelung für die Verteilung und den Einsatz der Mittel enthält. Auf diesen Vorschlag ist bisher beim Herrn Bundes5810
kanzler eine Antwort nicht eingetroffen. Sobald die Zustimmung der Länderchefs vorliegen wird, werden die Bundesmittel auf ,die Länder verteilt werden.
Dazu noch eine Zusatzfrage? - Bitte!
Ist Ihnen noch bekannt, Herr Minister, daß in den früheren Verhandlungen seitens der Länder immer wieder vorgebracht worden ist, sie müßten die Zuteilungen ,der Bundesmittel für ,den SBZ-Wohnungsbau mit den anderen Bundesmitteln gleichzeitig erhalten, weil sie nur so in der Lage seien, ein einheitliches Programm aufzustellen und durchzuführen, da sie ja ,aus ihren sonstigen Mitteln auch für den SBZ-Wohnungsbau beitragen müßten, und daß dieses Anliegen der Länder in diesem Jahre praktisch nicht verwirklicht werden kann?
In Zusammenarbeit mit den Landesaufbauministern ist dieser Forderung Rechnung getragen worden. Ich habe die Landesaufbauminister gebeten, darauf zu drängen, daß die Herren Ministerpräsidenten endlich den Vorschlägen zustimmen, die der Herr Bundeskanzler als Grundvoraussetzung für die Verteilung der Mittel gemacht hat. Durch diesen Vorgang ist keine Verzögerung des SBZ-Wohnungsbaues zu erwarten, insbesondere da uns die Konjunktur auch im Wohnungsbau voll auslastet.
Noch eine Zusatzfrage, bitte!
Die letzte Bemerkung veranlaßt mich zu der Frage, Herr Minister: Ist Ihnen bekannt, daß der SBZ-Wohnungsbau auf die konjunkturelle Inanspruchnahme der Bauwirtschaft infolge seines geringen Umfangs keinen maßgeblichen Einfluß hat, so daß Befürchtungen in konjunktureller Hinsicht wegen des SBZ-Wohnungsbaues angesichts der dort noch bestehenden Notlage doch wohl auch Ihrer Meinung nach nicht berechtigt sind?
Der Wohnungsbau ist nicht für die Konjunkturüberhitzung verantwortlich. Aber er hat dazu beizutragen, daß die Preisstabilität gewahrt bleibt. Das gilt für den Wohnungsbau in besonderer Weise, weil jede Preiserhöhung - unverantwortlich hohe Preiserhöhungen waren Ende des Jahres leider auch im Wohnungsbau zu verzeichnen - in erster Linie den sozialen Wohnungsbau trifft. So fühle ich mich auch vom Wohnungsbau her verantwortlich, alles zu tun, um Konjunkturüberhitzungen örtlicher Art mit mildern zu helfen.
Wir kommen zu den Frag en betreffend den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Die erste Frage ist die des Herrn Abgeordneten Gewandt betreffend die sittliche Gefährdung der in Großbritannien arbeitenden deutschen Mädchen:
Treffen Meldungen zu, denen zufolge 30 % der etwa 28 000 in Großbritannien arbeitenden deutschen Mädchen ernsthaft sittlich gefährdet sind?
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zur Verhinderung dieser besorgniserregenden Gefährdung einzuleiten?
Herr Staatssekretär van Scherpenberg!
Herr Präsident! Die Zahl der in Großbritannien arbeitenden deutschen Mädchen ist nicht genau bekannt. Sie dürfte nach den uns vorliegenden Anhaltspunkten 20 000 kaum überschreiten. Es ist nicht bekannt und aus verständlichen Gründen auch schwer feststellbar, wie viele dieser Mädchen sittlich gefährdet sind. Der Aufenthalt in einer fremden Großstadt bringt für junge Mädchen immer gewisse Gefahren mit sich. In der Großstadt London mögen diese Gefahren für einsame oder unternehmungslustige junge Mädchen ohne den Halt einer Familie und ohne ausreichende Kenntnisse der Landessprache in besonderem Maße bestehen.
Ich möchte aber bemerken, daß die Botschaft der Bundesrepublik in London die Zahl der deutschen jungen Mädchen, die sich aus irgendwelchen Gründen in Großbritannien nicht wohlfühlen, nicht zu Hause fühlen, nur auf etwa 5 bis 10 % der Gesamtzahl schätzt. Bei diesen kann aber von einer sittlichen Gefährdung sicher nur in vergleichsweise wenigen Fällen die Rede sein.
Zu der zweiten Hälfte der Anfrage möchte ich folgendes bemerken: Im ganzen genommen kann natürlich nur eine Aufklärung der jungen Mädchen über die ihnen zur Verfügung stehenden Hilfs- und Beratungsorganisationen Abhilfe schaffen. Solche Hilfs- und Beratungsorganisationen sind auch vorhanden. Die Anschriften aller jungen Mädchen, die durch die Deutsche Zentralstelle für Arbeitsvermittlung nach Großbritannien vermittelt werden, werden den kirchlichen Zentralorganisationen bekanntgegeben, die sie ihrerseits an die deutschen Kirchengemeinden in Großbritannien weiterleiten. Außerdem werden diese Anschriften dem Deutschen Sozialausschuß in London, einer vom Auswärtigen Amt unterstützten Organisation mit berufsmäßigen Helferinnen zugesandt. Der Deutsche Sozialausschuß schreibt die jungen Mädchen ebenfalls an und bietet ihnen seine Hilfe an. Die jungen Mädchen können sich außerdem an den Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes und selbstverständlich immer an die Deutsche Botschaft und die Konsulate wenden.
Etwas schwieriger ist die Frage hinsichtlich der nicht durch amtliche oder karitative Organisationen vermittelten jungen Mädchen. Das sind leider die meisten. Sie gehen durch private Vermittlung nach Großbritannien und erfahren zunächst nichts von den Ihnen aufgezeigten Hilfsmöglichkeiten. Es sind aber Schritte eingeleitet, um die heranwachsende weibliche Jugend in größerem Umfang als bisher über diese Hilfs- und Anschlußmöglichkeiten aufzuklären, obwohl ein solcher allgemeiner Hinweis leicht als Werbung für das Arbeiten in Großbritannien mißverstanden werden kann und daher nun auch wieder nicht zu vernehmlich und in zu weiter Streuung erfolgen sollte.
Dazu eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gewandt?
Herr Staatssekretär, wie verhält es sich mit Pressemeldungen, denen zufolge im vergangenen Jahr 500 Mädchen wegen Schwangerschaft ausgewiesen worden sind?
Herr Präsident! Nach unseren Feststellungen treffen diese Pressemeldungen nicht zu. Der Deutsche Sozialausschuß hat im vergangenen Jahr 72 Fälle deutscher unehelicher Mütter bearbeitet. Die Gesamtzahl dürfte kaum viel höher liegen. Von diesen 72 haben etwa zwei Drittel, 48 oder 50, Großbritannien vor der Niederkunft verlassen.
Noch eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, hat die Deutsche Botschaft im Zusammenhang mit diesem Problem erwogen, zumindest in London einen deutschen Klub zu errichten?
Die Deutsche Botschaft verfolgt diesen Plan schon seit Jahren. Gerade dieser deutsche Klub soll dazu dienen, die in Großbritannien arbeitenden Deutschen zusammenzuführen und ihnen geselligen Anschuß zu verschaffen. Bisher konnten aber leider die nötigen Mittel zum Ankauf oder zur Anmietung sowie zur Ausstattung eines entsprechenden Gebäudes nicht aufgebracht werden.
Die nächste Frage - des Herrn Abgeordneten Schneider ({0}) - betrifft die Rückgabe des deutschen Vermögens in den USA:
Wie beurteilt der Herr Bundesaußenminister die Aussichten auf die Rückgabe des deutschen Vermögens in den Vereinigten Staaten von Amerika, und welche Schritte kann die Bundesregierung unternehmen, uni in dieser Frage die deutschen Interessen noch nachdrücklicher zu vertreten?
Herr Präsident! Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ist über die Auffassung der Bundesregierung und dieses Hohen Hauses fortlaufend bis in die letzte Zeit hinein unterrichtet worden. Die Bundesregierung befürchtet, daß es ihren laufend fortgesetzten Bemühungen um eine befriedigende Regelung schaden könnte, wenn sie gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt Einzelheiten über die bisherigen Schritte und Fühlungnahmen und über die noch beabsichtigten Schritte mitteilte.
Zum gleichen Thema - Rückgabe beschlagnahmten deutschen Eigentums die Frage des Herrn Abgeordneten Mommer:
Wird der Herr Bundeskanzler bei seiner Reise in die Vereinigten Staaten trotz Annahme des Kriegsschädengesetzes durch das Repräsentantenhaus über die Rückgabe des beschlagnahmten deutschen Eigentums verhandeln, oder beabsichtigt er, entsprechend der Verpflichtung in den Pariser Verträgen, dem Bundestag ein Gesetz über die Entschädigung der früheren Eigentümer vorzulegen?
Herr Präsident! Ich darf mich hier im wesentlichen auf die Antwort beziehen, die ich dem Herrn Abgeordneten Schneider auf seine Anfrage gegeben habe. Ich möchte aber noch hinzufügen, daß die Bundesregierung auch nach Verabschiedung des amerikanischen Kriegsschädengesetzes keine Veranlassung sieht, ihre Bemühungen um eine Freigabe des in den USA beschlagnahmten deutschen Vermögens einzustellen.
Dazu eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mommer?
Herr Staatssekretär, könnten Sie vielleicht eine Angabe darüber machen, wie viele der enteigneten Deutschen inzwischen - ohne Rückgabe ihres privaten Vermögens und auch ohne Entschädigung - gestorben sind?
Die Zahlen liegen mir hier in diesem Augenblick nicht vor. Ich werde aber versuchen, sie zu ermitteln, und sie dem Herrn Abgeordneten dann mitteilen.
Darf ich noch fragen, Herr Staatssekretär: Sind Sie mit mir einer Meinung darüber, daß dieser dünne Faden der Hoffnung, der jetzt schon elf Jahre gesponnen wird, nicht beliebig lange weiter gesponnen werden kann?
Herr Präsident! Jede Verhandlung muß natürlich einmal ihr Ende finden. Aber es wäre nicht zu verantworten, Verhandlungen und Gespräche aufzugeben, solange sie noch gegenständlich weitergehen.
Die nächste Frage
des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) - betreffend Presseberichte über die Möglichkeit der Stationierung eisenbahnlafettierter Polaris-Mittelstreckenraketen mit atomaren Sprengköpfen auf westdeutschem Gebiet.
Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, daß nach Presseberichten der Stabschef der US-Marine, Admiral Arleigh Burke, vor einem Ausschuß des amerikanischen Kongresses die Möglichkeit erwähnt haben soll, eisenbahnlafettierte Polaris-Mittelstreckenraketen mit atomaren Sprengköpfen auf westdeutschem Gebiet zu stationieren?
Wie hat sie dazu Stellung genommen?
Ich kann diese Frage mit Nein beantworten. Ich möchte hinzufügen, daß von dem Büro des Admirals Burke bestätigt wird, daß das Gebiet der Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Frage einer landgebundenen Verwendung von Polaris-Mittelstreckenraketen nicht erwähnt worden ist. Für eine Stellungnahme der Bundesregierung besteht daher kein Anlaß.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt.
Herr van Scherpenberg, können Sie in diesem Zusammenhang versichern, daß auch die Bundesregierung bzw. die ihr nachgeordneten Dienststellen sich in keiner Weise mit derartigen Plänen beschäftigt haben?
Herr Präsident! Ich glaube, das ist eine Frage, die der Herr Bundesminister für Verteidigung beantworten sollte.
({0})
Die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Bauer ({0}) betreffend das Aktenmaterial des Document Center in Berlin.
Trifft die Behauptung einer englischen Zeitung zu, daß die Bundesregierung ein von amerikanischen Stellen eingeräumtes Vetorecht für den Zugang zu innerdeutschen, jetzt im Besitz der westlichen Alliierten befindlichen Dokumenten aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 besitze und angewandt habe?
Hat die Bundesregierung sich bemüht, Einblick in das aus der Zeit des Nationalsozialismus stammende und in den Besitz westlicher Mächte gelangte Archivmaterial zu nehmen. Welche Schritte hat sie ggf. unternommen und mit welchem Erfolg?
Ist die Bundesregierung bereit, im Hinblick auf die im Mai ablaufende Verjährungsfrist für Tötungsdelikte aus der Zeit des Nationalsozialismus eine beschleunigte Sichtung etwa noch zugänglicher Unterlagen zu gewährleisten, und ist damit zu rechnen, daß Beutematerial dieser Art jemals wieder in deutschen Besitz gelangt?
Herr Präsident! Diese Frage ist dem Auswärtigen Amt erst vor sehr kurzer Zeit zugegangen, und es hat sich noch nicht einmal die Möglichkeit ergeben, einen formellen Antrag auf Fristverlängerung zu stellen. Ich bitte den Herrn Abgeordneten um sein Einverständnis, daß wir ihm die Frage schriftlich beantworten, da die Antwort verhältnismäßig umfangreich sein dürfte.
Eine Zusatzfrage? - Herr Abgeordneter Bauer.
Darf ich Gelegenheit nehmen, Herr Staatssekretär, Sie darauf hinzuweisen, daß in einer so seriösen Zeitschrift wie dem deutschsprachigen „Aufbau" in New York in einem Artikel ein Hinweis in der Richtung gebracht wurde, daß vor einigen Wochen eine Anordnung des State Department ergangen sei, Journalisten und Organisationen den Zugang zu wichtigen Materialien wie denen des Document Center verbiete, und daß dabei von einem Gentleman's Agreement zwischen den Amerikanern und den Deutschen gesprochen wird? Würden Sie in der Antwort vielleicht auch darauf eingehen, welche Maßnahmen das Auswärtige Amt einzuleiten gedenkt, um das berechtigte Mißtrauen durch den Nationalsozialismus in Mitleidenschaft gezogener Personenkreise gerade in Amerika zu zerstreuen, daß hier manipuliert werde, um den Zugang zu solchen Akten zu erschweren oder zu verhindern?
Es ist mir bekannt, daß Nachrichten dieser Art in der Presse erschienen sind. Sie haben auch zu verschiedenen Äußerungen von Regierungsseite geführt. Ich werde Ihre Zusatzanfrage in der schriftlichen Antwort mit berücksichtigen.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf; zunächst die Frage des Abgeordneten Bechert betreffend Fälle von Selbstmord Studierender in Prüfungssemestern:
Kann das Bundesinnenministerium Zahlenangaben machen über die Selbstmordhäufigkeit und über die aus Prüfungsangst, Überarbeitung oder seelischer Depression notwendig gewordenen Einweisungen in psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung bei Studierenden in Prüfungssemestern?
Ist dein Ministerium insbesondere bekannt, daß die Zahl akuter nervös-seelischer Störungen und die Anzahl von Selbstmordfällen von Studierenden in Prüfungssemestern ansteigt?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort lautet:
Über die angeführten Gesundheitsstörungen stehen dem Bundesministerium ,des Innern keine ausreichenden Zahlenangaben zur Verfügung. Dies gilt im besonderen für ,die gesundheitliche Verfassung der Studierenden in den Prüfungssemestern. Teilergebnisse einer Studie über den Gesundheitszustand der Studierenden, an der ,das Studienbüro für Jugendfragen in Bonn arbeitet, zeigen eine deutliche Tendenz zur Besserung des Allgemeinzustandes aller Studierenden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bechert.
Ist dem Ministerium bekannt, daß in der ganzen Bundesrepublik die studentische Krankenversicherung seit November 1958 für die Kosten psychotherapeutischer Behandlung nicht mehr aufkommt, die sie bisher teilweise übernommen hatte, und zwar deshalb nicht mehr aufkommt, weil die Zahl der Studierenden, die psychotherapeutische Behandlung aufsuchen, stark angewachsen ist?
Ich sagte bereits, daß uns irgendwelche diesbezüglichen Zahlenangaben nicht zur Verfügung stehen. Falls Sie, Herr Abgeordneter, über Material verfügen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie es uns zur Verfügung stellten.
Es folgt die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt betreffend Einreisevisum für Bürger des Staates Israel zum Besuch Münchens:
Entspricht die in einer öffentlichen Jugendkundgebung am 12. Februar 1960 in München von der Studentin Renate Bergemann ({0}) geäußerte Behauptung, daß das Amt für öffentliche Ordnung der Stadt München für Bürger des Staates Israel ein Einreisevisum zum Besuch Münchens nur gebe, wenn gleichzeitig ein „Kopfbetrag" in Höhe von 1000 DM durch einen ortsansässigen deutschen Staatsangehörigen bereitgestellt ist, der Wahrheit?
Wird der Besuch Deutschlands für israelische Staatsbürger von einem derartigen „Kopfgeld" abhängig gemacht?
Welche gesetzliche Grundlage und welche Ziele hat eine solche Maßnahme?
Herr Staatssekretär Ritter von Lex.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Mitteilung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern handelt es sich bei
dem vom Ausländeramt der Stadt München geforderten Betrag von 1000 DM um eine Sicherheitsleistung. Das Ausländeramt in München verlangt allgemein von Ausländern, die nach § 3 der Paßverordnung zur Einreise in das Bundesgebiet eines Sichtvermerks bedürfen, entweder einen Geldbetrag als Sicherheit oder den Nachweis, daß der Ausländer im Besitz einer Schiffs- oder Flugkarte für die Rückreise ist. Da die israelischen Staatsangehörigen wegen des Fehlens diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel nicht vom Sichtvermerkszwang befreit sind, wird die Sicherheitsleistung von ihnen erhoben, wenn sie nicht den Besitz einer Schiffs- oder Flugkarte für die Rückreise nachweisen.
Die Sicherheitsleistung soll sicherstellen, daß der Ausländer sich an seine Erklärung, in seinen Heimatstaat zurückzukehren, hält. Ihr Zweck besteht ausschließlich darin, eine Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen über Einreise, Aufenthalt und Arbeitsaufnahme von Ausländern zu verhindern. Die Sicherheitsleistung setzt das Ausländeramt jeweils in Höhe der Kosten für die Rückreise des Ausländers in seinen Heimatstaat fest. Diese betragen für israelische Staatsangehörige rund 1000 DM, für Jugoslawen z. B. rund 300 DM.
Die Festsetzung dieser Sicherheitsleistung ist eine Verwaltungsmaßnahme, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder fällt.
Rechtsgrundlage für die Festsetzung solcher Sicherheitsleistungen bildet der § 3 Abs. 3 der Ausländerpolizeiverordnung, nach dem für die Aufenthaltserlaubnis Bedingungen auferlegt und sonstige Auflagen gemacht werden können. Rechtsgrundlage ist ferner der § 9 Abs. 3 des Paßgesetzes. Nach dieser Bestimmung kann die Erteilung des Sichtvermerks im Auslande von der Hinterlegung einer Sicherheit abhängig gemacht werden. Bei der Einreise aus Staaten, in denen wegen des Fehlens diplomatischer Beziehungen deutsche Sichtvermerksbehörden - nämlich diplomatische oder konsularische Vertretungen - nicht bestehen, entscheiden die innerdeutschen Ausländerbehörden über die Hinterlegung einer Sicherheit gemäß § 53 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung des Paßgesetzes.
Herr Abgeordneter Arndt zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, geben Sie nicht zu, daß die in der Nazizeit, nämlich 1938, erlassene Ausländerpolizeiverordnung, deren Gültigkeit höchst zweifelhaft ist, eine schlechte Grundlage ist, um derartige Verwaltungsakte zu erlassen, und ist Ihnen nicht bekannt, daß diese Schwierigkeiten - soweit ich weiß - allein vom Amt für Ordnung - oder für Unordnung ({0})
der Stadt München gemacht werden und daß von den 24 Nationen, für die wir noch einen Zwang zum Visum haben, ausschließlich von den Angehörigen Jugoslawiens ein solches Kopfgeld in Höhe
von 300 DM und von den Israelis ein solches von 1000 DM verlangt wird, und glauben Sie nicht, daß es eine Bundesangelegenheit ist, hier darauf hinzuwirken, eine so diskriminierende Vorschrift - ausgerechnet gegenüber den Israelis - zu vermeiden?
Herr Abgeordneter, ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Ausländerpolizeiverordnung und das Paßgesetz die Rechtsgrundlage darstellen.
({0})
Die Ausländerpolizeiverordnung stammt, wie Sie mit Recht sagten, aus dem Jahre 1938. Sie wird aber fortdauernd noch angewendet. Im vorliegenden Falle ist der § 9 Abs. 3 des Paßgesetzes die weitere und gleichfalls tragende Rechtsgrundlage.
Nun zu dem anderen Teil der Frage, warum das Ausländeramt der Stadt München es für notwendig hält, die Gebühr zu erheben. München ist die Stadt, die am allermeisten von Ausländern angelaufen wird. Es halten sich hier allein 65 000 registrierte Ausländer auf. Der Zustrom von Ausländern nach München hält auch unentwegt an. Der Bayerische Landtag hat daher am 24. Juni 1959 die bayerische Staatsregierung ersucht, die ausländerpolizeilichen Vorschriften streng zu handhaben. Das wird vom Ordnungsamt, vom Ausländeramt der Stadt München befolgt und vollzogen.
Herr Abgeordneter Arndt!
Wissen Sie nicht, daß sich seit der Auswanderung der sogenannten Föhrenwalder, die von München aus bloß nach Kanada und USA wollten, in der Praxis keine Notwendigkeit dazu ergeben hat, die Rückwanderung durch Hinterlegung von Geld sicherzustellen? Glauben Sie nicht, daß es auch eine sittliche Aufgabe gerade der Bundesregierung ist, im Wege der Bundesaufsicht darauf hinzuwirken, daß trotz des bedauerlichen Fehlens diplomatischer Beziehungen zum Staate Israel gerade die Angehörigen des Staates Israel in einer entgegenkommenden und menschlichen Weise behandelt werden?
Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, ich habe schon darauf hingewiesen, die Vorschrift hat nur den Sinn, sicherzustellen, daß der Aufenthalt nicht unbefugt länger ausgedehnt wird, daß keine Arbeit aufgenommen wird. Das zeigt sich bei vielen Ausländergruppen, das zeigt sich in der Stadt München ganz besonders. Deshalb hat man es für notwendig erachtet, dort, wo die Sicherheitsleistung gefordert werden kann, weil ein Einreisevisum nötig ist, diese Sicherheitsleistung zu verlangen. Man mull die Entscheidung darüber dem pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerämter überlassen.
Leider sind meine Fragen damit nicht beantwortet worden.
Die nächste Frage - des Abgeordneten Mischnick - betreffend Eintragung der Blutgruppe in den Bundespersonalausweis:
Beabsichtigt die Bundesregierung, in dem neuen Bundespersonalausweis eine Möglichkeit zur Eintragung der Blutgruppe vorzusehen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der neue Bundespersonalausweis enthält auf der letzten Seite eine Rubrik zur Eintragung amtlicher Vermerke. Solche Vermerke können jedoch nur durch die für .die Ausstellung des Personalausweises zuständige Behörde, in der Regel die Ortspolizeibehörde, eingetragen werden. Diese Behörde wird amtliche Vermerke nur eintragen, wenn diese auf einwandfreien amtlichen Unterlagen beruhen. Für die Eintragung der Blutgruppe würde dies bedeuten, daß das staatliche oder kommunale Gesundheitsamt bescheinigen müßte, daß die einzutragende Blutgruppe fachlich zuverlässig festgestellt worden ist. Ob und wie dieses Verfahren in der Praxis durchgeführt werden kann, bedarf nicht zuletzt auch wegen der damit verbundenen Amtshaftung einer eingehenden Prüfung.
Herr Abgeordneter Mischnick, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für zweckmäßig, daß diese Frage im Benehmen mit den Ländern in Kürze geprüft wird, weil im Hinblick auf die ständig steigende Zahl der Verkehrsunfälle dieser Frage eine erhebliche Bedeutung zukommt?
Herr Abgeordneter, wir halten es für durchaus zweckmäßig, diese Frage im Benehmen mit den Ländern, im übrigen auch mit dem Bundesgesundheitsrat, zu prüfen.
Noch eine Zusatzfrage.
Ist schon ein Termin vorgesehen, oder ist abzusehen, zu welchem Zeitpunkt diese Prüfung erfolgen kann, damit der Plan sobald wie möglich in der Praxis verwirklicht werden kann?
Der Bundesgesundheitsrat hat sich mit dieser Frage schon befaßt. Ein fester Termin für die Einschaltung der Länder ist bisher nicht gesetzt. Aber wir werden das Problem nicht aus dem Auge verlieren.
Danke!
Frage des Abgeordneten Felder betreffend die sogenannte Ungarische Bewegung:
Ist der Bundesregierung bekannt, welcher Personenkreis die sogenannte Ungarische Bewegung auf Schloß Teising finanziell unterstützt?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß diese Organisation den Zusammenschluß der „Faschisten aller Länder" zum Ziele hat, und sind Maßnahmen getroffen, um Verstöße gegen die Bestimmung der Asylverordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik zu unterbinden?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Auskunft des bayerischen Staatsministeriums des Innern hält sich auf Schloß Teising eine zahlenmäßig sehr kleine ungarische Emigrantengruppe unter Führung des ungarischen Journalisten Alföldi auf. Sie gibt die in ungarischer Sprache geschriebene Zeitschrift „Hidverök" - zu deutsch: „Der Brückenbauer" - heraus und unterhält das sogenannte „Institut für die Erforschung zeitgenössischer Weltgeschichte und Weltanschauung". Die Gruppe Alföldi hat esbisherstets abgelehnt, ihre Zeitschrift für die Ziele der sogenannten „Ungarischen Bewegung", auch „Hungaristenbewegung" genannt, zur Verfügung zu stellen. Sie kann daher nicht als mit der Ungarischen Bewegung identisch bezeichnet werden.
Alföldi hat im Jahre 1952 in rechtsgerichteten ungarischen Kreisen in den USA und in anderen, vor allem überseeischen Länderri, eine Geldsammlung veranstaltet. Diese war offenbar erfolgreich, da der Leiter der Gruppe im Jahre 1953 das Schloß Teising erwerben konnte. An Abonnementsgeldern für den Vertrieb der Zeitschrift „Hidverök" gehen jährlich rund 30 000 DM ein.
Neben dieser ungarischen Emigrantengruppe auf Schloß Teising ist in Bayern auch die sogenannte „Hungaristen-Bewegung" vertreten, die allerdings nur wenige Anhänger in der Bundesrepublik aufweist. Die Masse der Anhänger ist in Osterreich, in den USA, Argentinien und in Kanada zu finden. Die Bewegung bezeichnet sich als Rechtsnachfolgerin der früheren ungarischen nazistischen „Pfeilkreuzler-Partei". Ihr Publikationsorgan ist die ebenfalls in ungarischer Sprache geschriebene Exilzeitschrift „Cel", zu deutsch: „Ziel".
Der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung liegen keine ausreichenden Unterlagen darüber vor, daß die Alföldi-Gruppe einen Zusammenschluß der „Faschisten aller Länder" zum Ziele hat. Allerdings liegen Anzeichen dafür vor, daß Alföldi Verbindungen zu Kreisen des internationalen Rechtsradikalismus unterhält. Eine bedeutsame Rolle innerhalb der Bestrebungen internationaler faschistischer Kreise spielt Alföldi nach den vorliegenden Erkenntnissen jedoch nicht.
Den Schriftleitern der Zeitschriften „Hidverök" und „Cel" - Alföldi heißt der eine und Nyerki der andere - wurde im Mai 1959 von der zuständigen bayerischen Behörde untersagt, sich antisemitisch oder sonstwie im Sinne des Nationalsozialismus zu betätigen. Außerdem wurden sie aufgefordert, in einem anderen Staat um Aufnahme nachzusuchen. Über die dagegen eingelegte Beschwerde ist noch nicht entschieden.
Dazu eine Zusatzfrage bitte.
Herr Staatssekretär, haben sich irgendwelche Anhaltspunkte über Querverbindungen zwischen dieser Gruppe, dem Herrn Alföldi, und rechtsradikalen Gruppen in der Bundesrepublik ,ergeben?
Dafür haben wir keine präzisen Anhaltspunkte.
Die nächste Frage - des Abgeordneten Schmitt ({0}) - betrifft ,das zweite Fernsehprogramm:
Wie ist der Stand der Verhandlungen, die das Bundesinnenministerium mit einer kommerziellen Fernsehgesellschaft für ein zweites Programm geführt hat, und ist es richtig, daß hierfür eine Garantie von 50 Millionen DM in Aussicht genommen worden ist?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Antwort lautet:
Die Bundesregierung betrachtet es als ihre Aufgabe, Vorsorge dafür zu treffen, daß ein zweites Fernsehprogramm gesendet werden kann, sobald die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Sie hat daher vorbehaltlich .der Entscheidung des Deutschen Bundestages über den Entwurf eines Gesetzes über den Rundfunk ,die Vorbereitungen einer privaten Fernsehgesellschaft für ein zweites
Fernsehprogramm gebilligt. Eine finanzielle Garantie hat sie dabei nicht übernommen.
Ich darf kurz darauf hinweisen, daß wir gerade 20 der 45 Fragen erledigt haben. Wenn wir die 45 Fragen voll erledigen wollen, müssen wir uns also bemühen, zu straffen.
Jetzt kommen die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Die Frage des Abgeordneten Schneider ({0}) betrifft den Begriff der Seedienstuntauglichkeit:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß sich nach gewerkschaftlichen Feststellungen die Fälle häufen, in denen Seeleute im Alter zwischen 35 und 55 Jahren vorübergehend, zwischen 55 und 65 Jahren voll seedienstuntauglich werden?
Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen einer besseren Sozialgesetzgebung für die deutschen Seeleute zu prüfen, ob der Begriff der Seedienstuntauglichkeit mit dem Begriff der Berufsunfähigkeit in der Angestelltenversicherung gleichgesetzt werden kann?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Schneider wie folgt beantworten:
Der Bundesregierung ist bekannt, daß sich die Fälle häufen, in denen Seeleute im Alter zwischen 55 und 65 Jahren voll seedienstuntauglich werden. Nach dem Bericht der Seeberufsgenossenschaft waren es im Jahre 1955 19 Fälle, 1956 30 Fälle,
1957 37 Fälle und im Jahre 1958 112 Fälle. Die Zahlen für 1959 liegen noch nicht vor. Die Zunahme der Seedienstuntauglichkeit beruht hauptsächlich auf einer Zunahme der Herz- und Kreislauferkrankungen.
Nicht zutreffend ist dagegen, daß bei den 35- bis 55jährigen Seeleuten die Fälle der vorübergehenden Seedienstuntauglichkeit zunehmen. Das Gegenteil ist der Fall. Im Jahre 1955 waren hier 211 Fälle zu verzeichnen, im Jahre 1958 nur noch 140. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten darf ich auf die jeweiligen Berichte der Seeberufsgenossenschaft „Unfallversicherung, Schiffssicherheit, Gesundheitswesen" Bezug nehmen.
Zum zweiten Teil der Frage darf ich mich wie folgt äußern. Den Begriff der Seedienstuntauglichkeit dem Begriff der Berufsunfähigkeit gleichzusetzen bedeutet, daß dem Seemann eine Rente aus der Rentenversicherung bereits beim Vorliegen von Seedienstuntauglichkeit gewährt werden soll. Das heißt, der Seemann soll nicht auf andere als auf Arbeiten auf. dem Schiff verwiesen werden dürfen. Ich fürchte, daß hier eine Verkennung des Begriffs Berufsunfähigkeit im Sinne des neuen Rentenrechts vorliegt. Der seedienstuntaugliche Seemann kann zwar keine Rente erhalten, solange er nicht auch berufsunfähig im Sinne der Rentenversicherung ist. Aber auf Arbeiten auf dem Lande kann er nur verwiesen werden, wenn sie ihm nach den verbliebenen Kräften und Fähigkeiten sowie nach seiner Ausbildung und seinem bisherigen Beruf auch zugemutet werden können. Sind sie ihm nach seinem Gesundheitszustand oder nach seiner sozialen Stellung nicht mehr zuzumuten, fällt der Begriff der Seedienstuntauglichkeit schon jetzt mit dem der Berufsunfähigkeit zusammen.
Mir scheint ein sozialpolitisch begründetes Bedürfnis für eine Änderung der derzeitigen Rechtslage deshalb nicht gegeben zu sein.
Wir kommen zur nächsten Frage - des Abgeordneten Dröscher -, betreffend Gewährung der Altershilfe für Landwirte im Falle der sogenannten stufenweisen Entäußerung:
Halt die Bundesregierung es für richtig, daß die Alterskasse der rheinischen Landwirtschaft in Düsseldorf dem Landwirt Johann Heipp aus Schwarzerden Altershilfe nicht gewährt und sich dabei auf die „z. Z. herrschende Meinung" beruft, wonach im Falle der sogenannten stufenweisen Entäußerung die Altershilfe zu verweigern ist?
Hält die Bundesregierung insbesondere die Auslegung des § 25 Abs. 2 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte durch die Alterskassen für richtig, wonach z. B. bei einem Landwirt, der seit 1914 ausschließlich diesen Beruf ausgeübt hat, solche „stufenweise Entäußerung" vorliegt, wenn von dem insgesamt 7,55 ha großen Betrieb im Januar 1950 4,94 ha, im Dezember 1951 0,63 ha und die letzten 1,98 ha im Januar 1957 abgegeben worden sind?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Voraussetzung für die Gewährung von Altersgeld nach § 25 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte ist u. a., daß der ehemalige landwirtschaftliche Unternehmer während der 15 Jahre, die der Übergabe oder Entäußerung des Unternehmens
Bundesarbeitsminister Blank
vorausgegangen sind, hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer war. Hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer ist nach § 1 dieses Gesetzes derjenige, dessen landwirtschaftliches Unternehmen eine dauerhafte Existenzgrundlage bildet.
In dem in der Frage genannten Beispiel ist das Unternehmen im Januar 1950 so weit verkleinert worden, daß eine dauerhafte Existenzgrundlage nicht mehr vorlag. Wegen beträchtlicher Grundstücksflächen, die noch zurückgehalten und vorn Unternehmer weiter bewirtschaftet wurden, lag eine Entäußerung des Unternehmens jedoch erst am 31. Dezember 1956 vor. Der Unternehmer war demnach während der 15 Jahre, die der Entäußerung vorausgegangen sind, nicht hauptberuflicher Landwirt im Sinne des Gesetzes. Die Voraussetzungen für die Gewährung des .Altersgeldes sind daher nicht gegeben.
Die Bundesregierung ist ,der Auffassung, daß die geltende Formulierung ides § 25 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte insbesondere im Hinblick auf die Übergabegepflogenheiten in den Realteilungsgebieten zu unerwünschten Ergebnissen führt. Der dort üblichen stufenweisen Entäußerung sollte bei der Fassung des Gesetzes Rechnung getragen wenden, wobei vor allem an diejenigen Landwirte zu denken ist, die, wie auch in dem vorliegenden Fall, ihren Betrieb vor Inkrafttreten des Gesetzes abgegeben hatten und sich daher auf die nunmehr gegebene Rechtslage nicht einstellen konnten. In dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte, Bundestagsdrucksache 1110, hat die Bundesregierung deshalb eine neue Formulierung Ides § 25 vorgeschlagen, die es ermöglicht,auch in Fällen der stufenweisen Entäußerung Altersgeld zu gewähren, sofern die übrigen Leistungsvoraussetzungen vorliegen. Dieser Entwurf wird, wie Ihnen bekannt ist, zur Zeit in den zuständigen Ausschüssen dieses Hohen Hauses behandelt.
Die nächste Frage - des Herrn Abgeordneten Büttner - betrifft Neueinteilung der Arbeitsamtsbezirke im Lande Nordrhein-Westfalen:
Kann der Herr Bundesarbeitsminister sagen, daß die beabsichtigte Neueinteilung der Arbeitsamtsbezirke im Lande Nordrhein-Westfalen eine Verringerung der Verwaltungskosten mit sich bringt, und will er sich dafür einsetzen, daß die Neueinteilung zweckmäßig erfolgt?
Hält der Herr Bundesarbeitsminister es für richtig, daß das Arbeitsamt des Industrielandkreises Moers mit über 300 000 Einwohnern aufgeteilt und Nebenstelle wird und den Arbeitsämtern Krefeld und Wesel zugeteilt wird?
Will der Herr Bundesarbeitsminister dafür Sorge tragen, daß bei einer Änderung der Einteilung der Arbeitsamtsbezirke Rücksicht auf den wirtschaftlichen Stand und die weitere Entwicklung des Industrielandkreises Moers genommen wird?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits in der 89. Sitzung des Deutschen Bundestages habe ich eine Frage des Herrn Abgeordneten Matthes bezüglich der Neuabgrenzung von Arbeitsamtsbezirken dahin beantwortet, daß für die Abgrenzung der Bezirke der Landesarbeitsämter
und Arbeitsämter nicht der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, sondern ausschließlich die Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zuständig ist und daß nach § 7 AVAVG die Entscheidung beim Verwaltungsrat der Bundesanstalt liegt, der die Abgrenzung der Bezirke nach § 2 dieses Gesetzes unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zusammenhänge im Benehmen mit den beteiligten obersten Landesbehörden festsetzt.
Die Neuabgrenzung der Arbeitsamtsbezirke wird aus wirtschaftlichen Gründen und im Interesse einer Verwaltungsvereinfachung durchgeführt. Daß damit Verwaltungskosten eingespart werden, liegt auf der Hand. Die Neuabgrenzung bringt aber keinerlei Nachteile für die Arbeitnehmer oder die Betriebe mit sich, die die Hilfe des Arbeitsamtes in Anspruch nehmen; wenn nämlich bei der Neugliederung ein Arbeitsamt aufgelöst werden sollte, wird an Stelle dieses aufgelösten Amtes eine Nebenstelle eingerichtet, die mit Ausnahme der reinen Verwaltungsangelegenheiten, die den internen Bereich berühren, alle Arbeiten der Arbeitsvermittlung, der Berufsberatung und der Antragsaufnahme in der Arbeitslosenversicherung erledigt. Kein Arbeitsuchender, kein Ratsuchender, kein Arbeitsloser und kein Unternehmer wird durch die Neuabgrenzung benachteiligt.
Für eine sinnvolle und zweckmäßige Neuabgrenzung bzw. Aufteilung der Bezirke tragen, wie vorhin schon zum Ausdruck gebracht, die Selbstverwaltungsorgane die Verantwortung. Ich möchte annehmen, daß bei der Zusammensetzung der Organe aus Vertretern der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der öffentlichen Körperschaften und durch die Beteiligung der obersten Landesbehörden, der Verwaltungsausschüsse der Landesarbeitsämter und Arbeitsämter sowie schließlich auch durch die Anhörung der beteiligten Personalräte im Einzelfall eine befriedigende Lösung gefunden wird.
Die von Ihnen, Herr Abgeordneter Büttner, besonders für den Arbeitsamtsbezirk Moers aufgeworfenen Fragen werden sicherlich vor einer endgültigen Entscheidung durch den Verwaltungsrat der Bundesanstalt mit den Beteiligten eingehend erörtert werden. Ich habe darauf, wie dargelegt, keinen Einfluß.
Als letzte Frage aus diesem Geschäftsbereich rufe ich die Frage des Herrn Abgeordneten Welslau betreffend Unfälle von Kindern unter 14 Jahren in der Landwirtschaft auf:
Ich frage die Bundesregierung, wie viele Kinder unter 14 Jahren in der Zeit von 1950 bis einschließlich 1959 durch Unfälle bei landwirtschaftlichen Arbeiten oder Handreichungen betroffen worden sind?
Wie gliedert sich die Gesamtzahl der Unfälle?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gestellte Frage möchte ich wie folgt beantworten.
Bundesarbeitsminister Blank
Die statistischen Unterlagen reichen zur Zeit nur bis zum Jahre 1958. Die Zahl der erstmals von den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und der Gartenbau-Berufsgenossenschaft entschädigten Arbeitsunfälle von Kindern unter 14 Jahren betrug in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung in den Jahren 1950 bis 1958, also in 9 Jahren, rund 2800, im statistischen Mittel jährlich 310. Dabei ist als erfreuliche Tatsache zu verzeichnen, daß vom Jahre 1954 an die Zahl der Unfälle wesentlich zurückgegangen ist.
Um nun die Zahl aller angezeigten landwirtschaftlichen Arbeitsunfälle zu ermitteln, gibt es ein einfaches Verfahren. Man braucht die Zahl der entschädigten Unfälle nur mit 7,5 - das ist das Verhältnis - zu multiplizieren. Daraus ergibt sich, daß sich in der Zeit von 1950 bis 1958 insgesamt 21 000 solche Unfälle ereignet haben.
Die angegebenen Arbeitsunfälle - Ihre Frage zielte ja auch auf die Aufgliederung - gliedern sich folgendermaßen auf: Unfälle mit Todesfolge oder voller Erwerbsunfähigkeit - 1 % der entschädigten Unfälle, Unfälle mit teilweiser Minderung der Erwerbsfähigkeit, und zwar von 50 % und mehr, also Schwerverletzte 15 % der entschädigten Unfälle, Unfälle mit einer unter 50 % liegenden Minderung der Erwerbsfähigkeit - 84 % der entschädigten Unfälle.
Ich danke dem Herrn Bundesminister für Arbeit.
Ich rufe nunmehr die Fragen des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Finanzen auf, als erste die Frage des Herrn Abgeordneten Wittrock betreffend Anlage von Ölversickerungsgruben durch amerikanische Streitkräfte in der Bundesrepublik:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß amerikanische Streitkräfte in der Bundesrepublik - beispielsweise im Kreis Gelnhausen ({0}) - für Öl- und Benzinrückstände Ölversickerungsgruben angelegt haben, durch die das Grundwasser gefährdet werden kann?
Wird die Bundesregierung in Verhandlungen mit den Stationierungstruppen darauf hinwirken, daß durch zweckentsprechende Maßnahmen bei derartigen Ölgruben ein Versickern ausgeschlossen wird, wie dies den hessischen Landesbehörden für eine kürzlich festgestellte Ölversickerungsgrube im Kreis Gelnhausen zugesichert worden ist?
Herr Staatssekretär Hettlage, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage des Herrn Abgeordneten Wittrock wie folgt.
Die amerikanischen Streitkräfte haben vor mehreren Jahren an einigen Stellen im Zusammenhang mit ihren militärischen Anlagen Versickerungsgruben zur Beseitigung von Öl- und Benzinrückständen angelegt. Nach Art. 21 des Bonn-Pariser Truppenvertrages sind die Stationierungskräfte verpflichtet, innerhalb ihrer Anlagen darauf Bedacht zu nehmen, daß sie nicht die öffentliche Gesundheit, Sicherheit und Ordnung außerhalb der Anlagen gefährden.
Soweit sich aus der Anlage von Versickerungsgruben im Einzelfall eine Gefahr für das Grundwasser, vor allem natürlich für die Trinkwasserversorgung, ergibt, ist es zunächst Aufgabe der beteiligten
Landes und Gemeindebehörden, durch Verhandlungen Abhilfe zu schaffen. Nur wenn diese Verhandlungen ergebnislos geblieben sind, verhandelt das Bundesministerium der Finanzen mit dem Amerikanischen Hauptquartier oder der Amerikanischen Botschaf t.
Nun zur Frage der Ölversickerungsgruben in Gelnhausen. Die amerikanischen Streitkräfte haben in den Jahren 1954/55 am Rande des ehemaligen Standortübungsplatzes Bernbach im Landkreis Gelnhausen auf gemeindeeigenem Grund und Boden drei Versickerungsgruben angelegt. Nach dem Gutachten des hessischen Landesamtes für Bodenforschung läßt die Lagerung von Öl- und Benzinschlamm an dieser Stelle keine Gefahr für die vorhandenen Trinkwassergewinnungsanlagen erkennen. Dennoch ist auf Veranlassung der Bundesvermögensstelle Gießen darauf hingewirkt worden, daß diese drei Gruben geschlossen werden. Sie sind im Jahre 1957 geschlossen worden und werden nicht mehr benutzt.
Als vorläufiger Ersatz wurde den amerikanischen Streitkräften eine geeignete Sandgrube innerhalb des bundeseigenen ehemaligen Standortübungsplatzes Groß-Auheim zur Verfügung gestellt. Gegenwärtig wird von der Bundesvermögensstelle Gießen, dem zuständigen Truppenkommandeur und den beteiligten Gemeinden gemeinsam nach anderen weiteren Möglichkeiten einer gefahrlosen Beseitigung von Öl- und Benzinrückständen gesucht.
Herr Abgeordneter Wittrock zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung nicht im Hinblick auf die besondere Bedeutung dieses Problems - Sie wissen, daß in der Presse immer wieder auf die Bedeutung des Schutzes des Grundwassers hingewiesen wird -für zweckmäßig, unbeschadet des Kontroll- und Aufsichtsrechts der Landesbehörden generell eine Vereinbarung oder mindestens Absprachen dahin gehend zu treffen, daß die zur Zeit geltenden landesrechtlichen Bestimmungen über den Schutz des Grundwassers in jedem Fall Anwendung finden?
Herr Abgeordneter, einer solchen generellen Abrede bedarf es, wie ich schon sagte, nicht mehr; denn sie ist schon in dem Truppenvertrag enthalten. Danach gelten die deutschen Sicherheitsbestimmungen und gesundheitspolizeilichen Maßstäbe auch für derartige Anlagen der Stationierungsmächte. Das Problem liegt nur darin, die Stationierungsmächte dazu anzuhalten, im Rahmen dieser deutschen Richtlinien entsprechende Sicherheitsvorkehrungen im Einzelfall zu treffen.
Herr Abgeordneter Wittrock zu einer weiteren Zusatzfrage!
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß beispielsweise nach dem zur Zeit in der Entwicklung befindlichen Landesrecht eine Anzeigepflicht für diejenigen besteht, die derartige
Gruben anlegen, und stimmen Sie mir nicht darin zu, daß diese Anzeigepflicht in Zukunft auch von den zuständigen Behörden der Stationierungsmächte zu beachten ist?
Herr Abgeordneter, ich werde diese Frage im Einvernehmen mit den beteiligten Landesgesundheits- und -sicherheitsbehörden prüfen lassen. Ob eine solche Anzeigepflicht auf Grund des geltenden Vertrages durchsetzbar ist, erscheint mir etwas zweifelhaft.
Danke sehr.
Ich rufe auf die Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel betreffend steuerpflichtige Millionäre:
Wie viele in der Bundesrepublik Deutschland steuerpflichtige Personen verfügen noch den letzten amtlichen Feststellungen über ein Vermögen von
a) 1 his 2 Millionen DM,
b) 2 his 5 Millionen DM,
c) mehr als 5 Millionen DM?
Wie viele in der Bundesrepublik Deutschland steuerpflichtige Personen verfügen nach den letzten amtlichen Feststellungen über ein Jahreseinkommen
a) von 100 000 bis 200 000 DM
b) von 200 001 bis 500 000 DM,
c) von mehr als 500 000 DM?
Der Herr Abgeordnete Ritzel fragt zunächst nach der Zahl der Inhaber von Vermögen über 1 Million DM nach der Vermögensteuerstatistik. Die letzte Vermögensteuerstatistik beruht auf dem Stand vom 1. Januar 1957. Ihre Ergebnisse sind bisher nicht aufgearbeitet und auch noch nicht veröffentlicht worden. In den Erhebungstabellen ist eine Gliederung des Vermögens nach großen Gruppen nur bis 1 Million DM und darüber vorgesehen. Die früheren Vermögensteuerstatistiken waren entsprechend gegliedert.
Nach der Vermögensteuerstatistik gab es am 1. Januar 1957 folgende Millionärgruppen in Deutschland: natürliche Personen mit einem Gesamtvermögen von 1 bis unter 2 Millionen 2230,
({0})
natürliche Personen mit einem Gesamtvermögen von 2 Millionen DM bis unter 5 Millionen DM 951, natürliche Personen mit einem Gesamtvermögen von 5 Millionen DM und darüber 321. Insgesamt gab es also am 1. Januar 1957 3502 Vermögensmillionäre in der Bundesrepublik.
Zu Vergleichszwecken interessiert auch die Zahl dieser Vermögensmillionäre am 1. Januar 1953, also vier Jahre vorher, dem einzigen Zeitpunkt der Nachkriegszeit, auf den eine entsprechende Erhebung gemacht worden ist. Damals betrug die Zahl der Vermögensmillionäre 1566. Bemerkenswert ist auch ein Vergleich der Zahl der Vermögensmillionäre in der Nachkriegszeit mit der der Vorkriegszeit. Am 1. Januar 1935 gab es nach der Vermögensteuerstatistik - bezogen auf das heutige Bundesgebiet - 1967 Vermögensmillionäre. Die
Zahl der Millionäre war also 1953 erheblich geringer als im Jahre 1935. Vergleicht man die Wertverhältnisse und die Kaufkraft des Geldes in der Vorkriegszeit urn 1935 mit denen der Nachkriegszeit um 1953, so wird man im groben Durchschnitt sagen dürfen, daß 1 Million RM der Vorkriegszeit etwa 2 Millionen DM der Nachkriegszeit entsprechen. Nach diesem Maßstab würde die Zahl der Vermögensmillionäre im Bundesgebiet 1957 vergleichsweise geringer sein als im Jahre 1935.
Herr Bundesfinanzminister Etzel hat kürzlich in einer Rede ergänzend darauf hingewiesen, wie sich die Zahl der Vermögensteuerpflichtigen mit einem Gesamtvermögen bis 100 000 DM in den letzten Nachkriegsjahren vermehrt hat. Am 1. Januar 1953 hatten rund 78 000 Personen ein steuerliches Vermögen zwischen 50 000 und 100 000 DM. Diese Zahl wuchs in den vier Jahren bis zum 1. Januar 1957 auf 105 000, also um 27 000. Bei der Würdigung dieser Zahlen muß berücksichtigt werden, daß wesentliche Vermögensteile, so vor allem der gesamte Hausrat, wozu z. B. auch Personenkraftwagen gehören, daß ferner Schmuck und Kunstgegenstände im Werte bis zu 10 000 DM nicht vermögensteuerpflichtig sind. In den genannten Zahlen kommt deshalb die Vermehrung des Vermögens in der Hand kleiner und mittlerer Einkommensempfänger nicht zum Ausdruck, weil sich diese Vermögensvermehrung zunächst ganz überwiegend im Hausrat und in anderen Vermögensteilen, z. B. in Eigenheimen und Spareinlagen, niedergeschlagen hat. Das so verminderte Vermögen wird erst vermögensteuerpflichtig, wenn es die Freibeträge von 20 000 DM für ein Ehepaar und 5000 DM für jedes Kind übersteigt. Dabei wirken sich die sehr niedrigen Einheitswerte bei vollem Schuldenabzug besonders
stark aus.
Herr Abgeordneter Ritzel fragt weiter, wie sich die Jahreseinkommen der steuerpflichtigen Personen nach den letzten amtlichen Feststellungen in bestimmten Gruppen zusammensetzen. Über die Zusammensetzung der steuerpflichtigen Einkommen nach Gruppen liegt eine statistische Erhebung zuletzt für das Kalenderjahr 1957 vor. Diese Einkommensteuerstatistik wird zur Zeit beim Statistischen Bundesamt aufbereitet. Auch Teilergebnisse, die Schätzungen für das ganze Bundesgebiet zuließen, sind noch nicht vorhanden. Ich kann die Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel nur für das Kalenderjahr 1954 beantworten. Die Gruppenbildung der Statistik ist etwas anders, als sie in der Frage erbeten wird. Im Kalenderjahr 1954 hatten ein Jahreseinkommen von 100 000 DM bis 250 000 DM 23 217 Personen. Es hatten ein Jahreseinkommen von 250 000 bis 500 000 DM 1038 Personen, und es hatten ein Jahreseinkommen über 500 000 DM 414 Personen.
Die Statistiken über die Vermögensteuer und die Einkommensteuer werden vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht, sobald sie aufgearbeitet vorliegen.
Herr Abgeordneter Ritzel, eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bewußt, daß es einen Abgeordneten, der eine solche Frage stellt, wenig befriedigen kann, wenn ihm nicht neuere Ergebnisse mitgeteilt werden, wenn auf Zahlen aus den Jahren 1957 und 1954 zurückgegriffen wird? Ist es dem Bundesfinanzministerium nicht möglich gewesen, nach dem Eingang der Frage bei den Finanzbehörden im Bundesgebiet Rückfrage zu halten, um die Entwicklung seit der statistischen Feststellung von 1957 und den Vergleichszahlen von 1954 wenigstens ungefähr kennzeichnen zu können?
Herr Abgeordneter, ich verstehe Ihr Bedauern darüber, daß neuere Zahlen nicht vorliegen. Wir können eine zuverlässige Antwort nur auf der Grundlage der Vermögensteuer- und Einkommensteuerstatistik geben. Die Länder, in denen ja die Finanzämter die Veranlagung durchführen, sind nicht in der Lage, auch nur annähernd zuverlässige Zahlen auf einen kürzer zurückliegenden Zeitpunkt zu geben.
Noch eine Zusatzfrage ?
Herr Staatssekretär, aus welchem Grunde sind die Ergebnisse der Statistik von 1957 bisher nicht aufgearbeitet worden, und wollen Sie namens der Regierung im Ernst sagen, daß angesichts der Entwicklung, die vor unseren Augen steht, die Zahl der Millionäre im Vergleich zu 1935 heute geringer sein dürfte?
Ich möchte die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten getrennt beantworten.
Die Aufbereitung der Statistik von 1957 ist dem Statistischen Bundesamt übertragen. Wir mußten feststellen, daß nur Teilaufarbeitungen vorliegen, nämlich teils für einzelne Bereiche, d. h. Landesteile, teils für einzelne Gruppen von Einkommen- und Vermögensteuerpflichtigen. Eine auswertbare Gesamtstatistik ist bisher nicht da. Sie wird im übrigen, wenn sie vorliegt, regelmäßig unverzüglich in „Wirtschaft und Statistik" veröffentlicht.
Ich komme zu Ihrer zweiten Frage, die sich auf den Vergleich mit dem Jahre 1935 bezog. Ein solcher Vergleich hinkt, das muß ich zugeben, vorne und hinten. Er kann erstens nicht zuverlässig den Wertunterschied des Geldes, insbesondere des fundierten Vermögens, in der Vorkriegszeit oder Nachkriegszeit berücksichtigen. Ein Vergleich bloß an Hand der Lebenshaltungsindices etwa würde nicht genügend aussagen. Zweitens kann ein solcher Vergleich auch nicht berücksichtigen, daß in der Zwischenzeit ein ungeheurer Vermögensverlust durch die Kriegszerstörungen und durch die Geldentwertung eingetreten ist.
Danke.
Die nächste Frage - des Abgeordneten Bach - betrifft die Doppelbesteuerung von in Frankreich beschäftigten Arbeitnehmern der Bundesrepublik:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Lohneinkommen der Arbeitnehmer der Bundesrepublik, die in Frankreich arbeiten - darunter über 3000 Bergarbeiter ({0}) sowohl in Frankreich durch eine Fünf-Prozent-Feststeucr wie in der Bundesrepublik durch Veranlagung zur Einkommensteuer belastet wird?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese Doppelbesteuerung zu beseitigen?
Herr Abgeordneter, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten.
Ein Arbeitnehmer ist in der Bundesrepublik unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn er seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht erstreckt sich auf sämtliche Einkünfte, also auch auf die Einkünfte, die durch eine Tätigkeit im Ausland erzielt werden. Ausnahmen gelten, wenn ein Doppelbesteuerungsabkommen eine andere Regelung vorsieht. Im Verhältnis zu Frankreich gilt hinsichtlich der Grenzgänger eine derartige Regelung auf der Grundlage eines Doppelbesteuerungsabkommens. Personen, die in der Bundesrepublik im Grenzgebiet wohnen und im Grenzgebiet Frankreichs arbeiten, können nach Nr. 7 des Schlußprotokolls zu dem deutsch-französischen Doppelbesteuerungsabkommen vom 19. November 1934 mit ihren Einkünften aus dieser Tätigkeit nur in der Bundesrepublik zur Einkommen-, d. h. zur Lohnsteuer herangezogen werden. Damit ist eine Regelung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Grenzgänger getroffen. Frankreich ist also nicht berechtigt, zu Lasten von Grenzgängern aus der Bundesrepublik eine Fünf-Prozent-Feststeuer auf deren Einkünfte zu erheben. Das Besteuerungsrecht steht allein der Bundesrepublik zu. Auch das am 21. Juli 1959 unterzeichnete, aber noch nicht ratifizierte deutsch-französische Doppelbesteuerungsabkommen, das das Abkommen vom 9. November 1934 ersetzen wird, sieht eine gleiche Regelung für die Grenzgänger vor. Das Abkommen vom 21. Juli 1959 wird in Kürze von der Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften zur Ratifizierung vorgelegt werden. Sollten Grenzgänger aus der Bundesrepublik entgegen diesen Vereinbarungen in Frankreich besteuert werden, so werde ich mich mit dem französischen Finanzministerium in Verbindung setzen.
Ich möchte noch bemerken, daß in Frankreich eine Abgabe in Höhe von 5 v. H. der Lohnsumme abzüglich der Sozialbeiträge zu Lasten der Arbeitgeber erhoben wird. Insoweit liegt eine Doppelbesteuerung nicht vor. Sollte mit der Anfrage diese Steuer gemeint sein, so sehe ich mich allerdings zu einer Gegenvorstellung außerstande, da die Erhebung dieser Steuer zu Lasten der Arbeitgeber durch Frankreich keine völkerrechtlichen Einwendungen zulassen würde.
Dazu noch eine Zusatzfrage? - Herr Abgeordneter Bach, bitte!
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die französische Regierung vor Jahren im Zusammenhang mit lohnpolitischen Maßnahmen diese sogenannte Feststeuer in Höhe von 5 % den Arbeitnehmern erlassen und den Arbeitgebern in Form einer Lohnsummensteuer auferlegt hat und daß die lothringischen Grenzgänger geltend machen, die Lohnsummensteuer werde von den Arbeitgebern der Gesamtlohnsumme entnommen, womit eben die Arbeitnehmer weiterhin steuerlich belastet werden? Ist die Bundesregierung bereit, eben diesen zusätzlichen Steueranteil der Grenzgänger bei der Veranlagung zur Einkommensteuer in der Bundesrepublik zu berücksichtigen, um insoweit eine Doppelbesteuerung zu vermeiden?
Herr Abgeordneter, wenn ich Ihre Frage recht verstanden habe, fragen Sie, ob es nach den völkerrechtlichen Grundsätzen zulässig sei, daß die französischen Arbeitgeber zu Lasten der Lohnsumme eine Feststeuer zahlen. Jede Lohnsummensteuer, Herr Abgeordneter, muß aus dem Betrieb, das heißt hier aus der höheren Bruttolohnsumme, erwirtschaftet werden. Das ist keine Besonderheit.
Und nun zu der Frage, ob diese Feststeuer zu Lasten der Arbeitgeber bei der inländischen Veranlagung deutscher Grenzgänger berücksichtigt werden kann. Ich meine, nein; denn nach dem deutschen Einkommensteuerrecht, das für diesen Teil der Einkünfte allein maßgebend ist, unterliegen nur die Bezüge der Einkommensteuer, die dem Arbeitnehmer zugeflossen sind. Eine Last des französischen Arbeitgebers, die vielleicht in irgendeinem entfernten ursächlichen Zusammenhang zu Lasten der Lohnsumme geht, kann dem deutschen Arbeitnehmer nach meiner Meinung nicht von den Einkünften abgezogen werden.
Ich darf dann die Frage des Abgeordneten Faller betreffend unterschiedliche Regelung für das Mitführen von Tabakwaren durch in der Schweiz arbeitende männliche und weibliche Grenzgänger aufrufen:
Auf welcher gesetzlichen Grundlage fußt die Verordnung, nach der das Mitführen von Tabakwaren durch in der Schweiz arbeitende Grenzgänger für Frauen und Männer unterschiedlich geregelt ist?
Hält die Bundesregierung dieses Verfahren für vereinbar mit Artikel 3 Abs. 3 GG?
Herr Abgeordneter Faller, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Die Beschränkung der Abgabenbefreiung für Tabakwaren auf männliche Grenzgänger beruht nicht auf autonomem deutschem Recht, sondern auf einer Vereinbarung französischer Besatzungsbehörden mit der Schweiz vom 21. November 1945. Die Bevorzugung der männlichen Grenzgänger widerspricht auch nach der Auffassung des Bundesfinanzministeriums dem Gleichheitssatz - Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes -. Um die Rechtslage in Einklang mit dem Grundgesetz zu bringen, wurde deshalb in dem
deutschschweizerischen Abkommen vom 5. 2. 1958 eine neue Regelung vereinbart, die keine unterschiedliche Behandlung der männlichen und weiblichen Grenzgänger mehr enthält. Das Zustimmungsgesetz zu diesem Abkommen wird in Kürze in zweiter und dritter Lesung im Bundestag behandelt. Ich darf hierzu auf die Bundestagsdrucksache 1020 hinweisen. Es ist damit zu rechnen, daß das Abkommen dann alsbald in Kraft treten wird.
Nach dem Inkrafttreten dieses Abkommens können alle Grenzgänger über 16 Jahre, also sowohl Männer wie Frauen, täglich frei von Ein- und Ausgangsabgaben folgende Tabakmengen einführen: drei Zigarren oder fünf Stumpen oder zehn Zigaretten oder 25 g Rauchtabak.
Sodann kommt die Frage des Herrn Abgeordneten Faller betreffend Verwaltungskostenzuschuß für in Weil am Rhein tätige Beamte:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Stadt Weil am Rhein für die dort untergebrachten zahlreichen Beamten mit ihren Familien von der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost einen Verwaltungskostenzuschuß erhält?
Ist der Bund bereit, für die dort wohnhaften Beamten der Zollverwaltung und des Paßkontrolldienstes dasselbe zu tun?
Es ist die Frage gestellt, ob der Bundesregierung bekannt sei, daß die Stadt Weil am Rhein von Bundesbahn und Bundespost für die dort untergebrachten Beamten einen Verwaltungskostenzuschuß erhält. Weiter wird gefragt, ob der Bund bereit sei, für die dort wohnenden Beamten der Zollverwaltung und des Paßkontrolldienstes dasselbe zu tun.
Nach dem Gesetz über die Pauschalierung der Verwaltungskostenzuschüsse vom 17. Juli 1930 hatten fabrikmäßige und fabrikähnliche Reichsbetriebe, die nicht zur Gewerbesteuer herangezogen werden konnten, unter bestimmten Voraussetzungen Verwaltungskostenzuschüsse an die Wohngemeinden ihrer Arbeitnehmer zu zahlen. Die Deutsche Bundespost und die Bundesbahn lösten die Verwaltungskostenzuschüsse durch die Zahlung von Pauschbeträgen ab, die schlüsselmäßig über die Länder an die einzelnen Gemeinden verteilt wurden. Solche Pauschbeträge werden auch heute noch von der Bundesbahn und der Bundespost gezahlt. Da die Unterverteilung auf die einzelnen Gemeinden von den Ländern vorgenommen wird, ist mir nicht bekannt, ob die Stadt Weil am Rhein daraus einen Teilbetrag erhält. Für die sonstigen fabrikmäßigen und fabrikähnlichen Bundesbetriebe wird eine gesetzliche Regelung über die Zahlung von Verwaltungskostenzuschüssen in Anlehnung an die frühere reichsrechtliche Regelung vorbereitet.
Dabei ist jedoch nicht beabsichtigt, die Verpflichtung zur Zahlung von Verwaltungskostenzuschüssen an Wohngemeinden auch auf Verwaltungsbehörden des Bundes zu erstrecken, weil diese mit gewerbesteuerpflichtigen Betrieben nicht vergleichbar sind. Die Bundesbediensteten leisten wie alle anderen Einwohner einen angemessenen Beitrag zu
den öffentlichen Lasten der Länder und Gemeinden (lurch ihe Einkommensteuer. Es besteht deshalb kein Anlaß, abweichend von der Regelung für alle anderen Arbeitnehmer für die Bediensteten des Bundes eine Beteiligung des Dienstherrn an den Verwaltungskosten der Gemeinden vorzusehen.
Dazu eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Faller!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß die Bediensteten der Bundesbahn und der Bundespost, wie Sie es eben erwähnten, auch einen Beitrag durch die Einkommensteuer leisten? Warum dann dieser Unterschied?
Der Unterschied, Herr Abgeordneter, beruht darauf, daß Bundesbahn und Bundespost als wirtschaftliche Unternehmen angesehen werden, die normalerweise durch die Gewerbesteuer einen besonderen Beitrag zu den Gemeindelasten leisten. Die Hoheitsverwaltungen des Bundes, der Länder oder anderer Gebietskörperschaften sind mit solchen gewerbesteuerpflichtigen Wirtschaftsunternehmen naturgemäß nicht zu vergleichen. Wenn Sie den Gedanken der Verwaltungskostenzuschüsse auf Behördenangehörige ausdehnen wollten, könnten Sie das natürlich nicht nur für die Behördenbeamten und -angestellten des Bundes tun, sondern Sie müßten es auch für die der Länder oder gewisser anderer Gebietskörperschaften tun. Das Problem wäre so nicht zu lösen.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Faller!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß es sich bei der Stadt Weil am Rhein um einen Sonderfall handelt, weil gerade in dieser Stadt Bundesbeamte, und zwar vor allen Dingen Bundesbeamte des mittleren Dienstes, in einem Ausmaße untergebracht sind, wie es kaum in einer anderen Stadt der Fall sein dürfte?
In den Plätzen, Herr Abgeordneter, in denen eine gewisse Häufung von Bundesbediensteten vorhanden ist, tragen diese Bundesbediensteten naturgemäß durch ihre Lohnsteuer zu den Gemeindelasten bei. Denn nach den Bestimmungen des Grundgesetzes sind die Gemeinden mit einem bestimmten Verbundsatz nach Maßgabe der Landesgesetze an dem örtlichen Einkommensteueraufkommen beteiligt.
Die nächste Frage - des Herrn Abgeordneten Rehs - betrifft die vorgesehene Rechtsverordnung gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a des Feststellungsgesetzes:
Ich frage die Bundesregierung, wann sie in Anbetracht der Dringlichkeit, daß anstelle der vorgelegten Einheitswerte die Ersatzeinheitswerte der Schadensberechnung zugrunde gelegt werden, die im Gesetz über die Feststellung von Vertreibungsund Kriegssachschäden § 43 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a vorgesehene Rechtsverordnung zu erlassen beabsichtigt?
Das Feststellungsgesetz sieht für Fälle, in denen ein Einheitswert nicht festgestellt oder nicht mehr bekannt ist, die Ermittlung von sogenannten Ersatzeinheitswerten vor. Die dazu vorgesehene Rechtsverordnung soll die Möglichkeit geben, wesentliche Unterschiede zwischen den Einheitswerten und den Ersatzeinheitswerten auszugleichen, soweit dies zur Vermeidung von Härten erforderlich ist.
Bei der Durchführung der Ersatzeinheitsbewertung haben sich solche erheblichen Unterschiede zwischen den Einheitswerten und den Ersatzeinheitswerten dann ergeben, wenn aus sozialen Erwägungen, z. B. bei Kleinsiedlungen, sehr niedrige Einheitswerte festgesetzt worden waren. Diese Fälle gaben Veranlassung zur Ergänzung des Feststellungsgesetzes durch das Achte Änderungsgesetz zum Lastenausgleichsgesetz vom 26. Juli 1957 mit der Ermächtigung, solche nicht gerechtfertigt erscheinenden Unterschiede auszugleichen.
Inwieweit darüber hinaus auch andere Fälle zu berücksichtigen sein werden, wird noch geprüft. Voraussetzung für eine solche Regelung ist, daß zumindest bei den einzelnen Vermögensarten jeweils übersehen werden kann, in welcher Weise und in welchem Umfang allgemein ein Bedürfnis für eine besondere Regelung durch Rechtsverordnung besteht. Das Bundesfinanzministerium ist mit der Vorbereitung dieser Rechtsverordnung befaßt. Es wäre nicht zweckmäßig, diese Rechtsverordnung ohne eine sorgfältige Vorbereitung zu erlassen, da Lücken und Unbilligkeiten im Rahmen des irgend Möglichen nur auf Grund zuverlässigen Materials vermieden werden können. Diese Vorarbeiten sollen in diesem Jahre abgeschlossen werden, damit alsdann die Rechtsverordnung baldigst vorgelegt werden kann.
Dazu noch eine Frage, Herr Abgeordneter?
Können Sie den Zeitpunkt, wann wir mit einem Abschluß der Prüfungen und mit der Vorlage rechnen können, noch etwas näher konkretisieren?
Wie ich sagte, Herr Abgeordneter, rechne ich damit, daß die Verordnung im Entwurf Ende dieses Jahres auf Grund hinreichend zuverlässigen Materials vorgelegt werden kann.
Es folgt die Frage des Abgeordneten Arndt betreffend das Bundesausgleichsamt:
Hat das Bundesausgleichsamt eine Anweisung erteilt, das rechtskräftige Urteil IV C 138/59 des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. März 1959 nicht zu beachten und eine nach Maßgabe dieses Urteils geschuldete Zahlung zu verweigern oder zu verzögern?
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung, wenn eine solche Anordnung des Bundesausgleichsamts ergangen sein sollte, getroffen, um die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu wahren, die Achtung vor der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung zu sichern und Wiederholungen für die Zukunft auszuschließen?
Herr Abgeordneter Arndt, das Bundesausgleichsamt hat keine Anweisung erteilt, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. März 1959 nicht zu beachten. Das Urteil bedarf ausschließlich die Schadensfeststellung. Die Ausgleichsverwaltung hat alsbald nach Rechtskraft des Urteils auf Grund dieser Schadensberechnung eine Hauptentschädigung zuerkannt und die Entschädigungsrente neu berechnet und seitdem ohne jede Einschränkung ausgezahlt. Damit war den Auswirkungen des Urteils in vollem Umfange Rechnung getragen.
Nach dem Erlaß des Urteils wurde das Lastenausgleichsgesetz durch die Elfte Novelle vom 2. August 1959 ergänzt. Dieses Gesetz ermöglichte die Auszahlung von Mindesterfüllungsbeträgen der Hauptentschädigung auch an solche Geschädigte, deren Vermögensschäden durch die Gewährung von Kriegsschadenrente laufend abgegolten werden. Das Ergänzungsgesetz regelte weiter durch Änderung der §§ 7 und 15 die Schadensberechnung bei Verlust von Erzeugnissen der Berufsausübung. Diese Ergänzungen traten rückwirkend in Kraft.
Die Stellungnahme des Bundesausgleichsamts bezog sich auf die Auswirkungen dieser Gesetzesänderungen. Hieraus ergab sich unvermeidbar eine Verzögerung bei der Berechnung des Mindesterfüllungsbetrages und der im November 1959 beantragten Auszahlung der Hauptentschädigung. Der Mindesterfüllungsbetrag ist dem Geschädigten im Hinblick auf sein hohes Alter im Februar dieses Jahres vorrangig ausgezahlt worden.
Zusammenfassend darf ich diese etwas komplizierte Rechtslage dahin erläutern, daß eine gewisse Verzögerung bei der Auszahlung des Mindesterfüllungsbetrages der Hauptentschädigung nur deshalb eingetreten ist, weil das Bundesausgleichsamt allgemein vor die Rechtsfrage gestellt war, welchen Einfluß eine rückwirkend geänderte Gesetzesnorm auf neue Verwaltungsakte hat, wenn ein nach alter Rechtslage ergangener Verwaltungsakt richterlich bestätigt war. Die Achtung vor der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung ist nicht verletzt worden.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß es sich nicht um die richterliche Bestätigung eines Verwaltungsaktsgehandelt hat, sondern um ein richterliches Urteil - und zwar ein höchstrichterliches Urteil -, das von der Lastenausgleichsverwaltung nichtausgeführt wurde; ein Urteil, an dem auch ein Gesetz, auch ein rückwirkendes Gesetz, nichts ändern kann? Und warum mußte denn das Bundesverwaltungsgericht bei der Bundesregierung vorstellig werden, falls das Bundesausgleichsamt sich korrekt verhalten hätte?
Herr Abgeordneter, wie ich mir vorzutragen ,erlaubte, scheint uns der Kern der Frage zu sein, ob und inwieweit durch eine spätere Gesetzesänderung eine Anpassung, eine Umwandlung eines Verwaltungsakts erforderlich ist, der unter anderem Recht gerichtlich bestätigt worden ist. Ich glaube dargetan zu haben, daß, wenn auch mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung, das Ausgleichsamt der Rechtskraft des Urteils und der neuen Gesetzeslage Rechnung getragen hat.
Aber Herr Staatssekretär, ist es denn nicht klar, daß kein Gesetz, nicht einmal eine Verfassungsänderung, ein rechtskräftiges Urteil nachträglich ändern kann, rund sollte das - es gehört eigentlich zum ABC der Staatsrechtslehre, entschuldigen Sie, wenn ich das so kraß sage - nicht auch dem Bundesausgleichsamt sofort klar gewesen sein?
Ja, in ,der Tat.
Als letzte Frage aus diesem Bereich die Frage des Herrn Abgeordneten Seuffert betreffend steuerliche Nachprüfung von Spesen und Repräsentationsausgaben:
Bestehen Richtlinien für Betriebsprüfung und Steuerfahndung bezüglich der Nachprüfung von Spesen und Repräsentationsausgaben bei Geschäftsunternehmen?
Gibt es insbesondere Richtsätze, die die Nachprüfung solcher Ausgaben ausschließen, wenn sie in einem bestimmten Verhältnis zum Umsatz oder zum Gewinn des Unternehmens stehen?
Herr Abgeordneter Seuffert, Ihre Frage zu diesem aktuellen Fragenkomplex darf ich wie folgt beantworten:
Die Abzugsfähigkeit von Spesen und Repräsentationsausgaben richtet sich nach § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes. Dieser Paragraph verbietet den Abzug von Betriebsausgaben, „die die Lebensführung des Steuerpflichtigen oder anderer Personen berühren" insoweit, als diese Aufwendungen „unter
Berücksichtigung der Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind". Nach § 12 Nr. 1
des Einkommensteuergesetzes dürfen weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte „Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt", abgezogen werden, „auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen". Richtlinien für die Auslegung dieser Vorschriften enthalten die Abschnitte 20 und 117 der Einkommensteuer-Richtlinien 1958.
Die Einkommensteuer-Richtlinien gelten auch für die Betriebsprüfung und für die Steuerfahndung. Besondere Richtlinien für diese Zweige der Finanzverwaltung bestehen also nicht. Es gibt auch keine Richtsätze, die die Nachprüfung solcher Ausgaben ausschließen, wenn sie in einem bestimmten Verhältnis zum Umsatz oder zum Gewinn des Unternehmens stehen.
Bei den Betriebsprüfungen wird immer wieder festgestellt, daß Steuerpflichtige versuchen, Kosten einer aufwendigen Repräsentation über den Abzug als Betriebsausgaben auf die Allgemeinheit abzuStaatssekretär Dr. Hettlage
wälzen. Um diesen Mißbräuchen entgegenzutreten, soll, wie der Herr Bundesminister der Finanzen kürzlich bekanntgegeben hat, die Vorschrift des § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes künftig strenger gefaßt werden. Dabei soll die Abzugsfähigkeit bestimmter Betriebsausgaben allgemein ausgeschlossen werden, wie z. B. wertvollere Geschenke an Geschäftsfreunde, Aufwendungen für Jagd, Fischerei, Bootsfahrten, Gästehäuser oder für ähnliche Zwecke, soweit diese nicht selbständig Gegenstand einer entgeltlichen Tätigkeit sind.
Die entsprechende Regierungsvorlage .ist vorbereitet und wird demnächst den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet werden.
Herr Abgeordneter Seuffert zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, halten Sie es für ausgeschlossen, daß in der Praxis bei der Betriebsprüfung und auch der Steuerfahndung vielfach so verfahren wird, daß man sagt: „Das Spesenkonto und das Repräsentationskonto machen nicht mehr als soundso viel Prozent 'des Gewinnes aus; dieses Konto prüfen wir gar nicht im einzelnen"?
Ich habe dargetan, daß die Rechtslage anders ist, daß es insbesondere keine zusätzlichen Richtlinien des Bundesfinanzministers gibt, in denen solche Relationen irgendwie festgelegt oder zum Maßstab für die Betriebsprüfung gemacht werden. Aus der Praxis ist auch mir bekannt, Herr Abgeordneter, daß gelegentlich solche Überlegungen über das Verhältnis des Repräsentationsaufwandes zu den sonstigen Unkosten angestellt werden.
Darf ich Ihrer letzten Stellungnahme entnehmen, Herr Staatssekretär, daß Sie es für ungerechtfertigt halten, wenn das Finanzamt bzw. die Betriebsprüfer die Einzelnachprüfung eines Unkosten- oder Repräsentationskontos unterlassen, weil dieses Konto in einem bestimmten Verhältnis zum Gewinn und Umsatz steht?
Herr Abgeordneter, mit Ihnen bin ich der Meinung, daß ein vernünftiger allgemeiner betriebswirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Höhe eines Repräsentationsaufwandes und den Gesamtunkosten eines Unternehmens nicht bestehen kann.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung. Die Frage des Herrn Abgeordneten Erler betrifft Einschläge von Explosivkörpern in Ortschaften in der Umgebung des Truppenübungsplatzes Heuberg:
Sind der Bundesregierung die zwischen dem 7. Juni 1959 und dem 31. Januar 1960 in der Umgebung des Truppenübungsplatzes Heuberg in den Ortschaften Onstmettingen, Meßstetten, Ebingen ({0}), Tailfingen und Stetten am kalten Markt ({1}) verzeichneten Einschläge von Explosivkörpern bekannt?
Haben die Untersuchungen in den genannten Fällen aufgeklärt, auf welche Ursachen diese Explosionen innerhalb der Ortschaften unter Gefährdung von Menschenleben zurückzuführen sind?
Gibt es Anhaltspunkte für die Darstellung durch Offiziere der Bundeswehr, daß eventuell östliche Agenten mindestens für einige dieser Explosionen verantwortlich gemacht werden könnten, daß infolgedessen also französische Bazooka-Munition in die Hände solcher Agenten fallen kann?
Eine ähnliche Frage hat auch Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus gestellt:
Trifft es zu, daß es sich bei dem am 22. Februar 1960 im Stadtgebiet von Ebingen in nächster Nähe eines Wohnhauses niedergegangenen und explodierten Sprengkörper um eine Übungsbombe handelt?
Wenn ja, welche Gründe waren für diesen Vorfall maßgebend, und was hat die Bundesregierung unternommen, um derartige Vorfälle in Zukunft zu verhindern?
Zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Verteidigung das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mir erlauben, die Fragen des Herrn Abgeordneten Erler und der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus gleichzeitig zu beantworten, da es ({0}) durch einen Untersuchungsausschuß der Bundeswehr, b) durch eine Sonderkommission der Kriminalpolizei und der zuständigen Staatsanwaltschaft und c) durch die französische Kommandantur ides Truppenübungsplatzes und durch die französische Feldgendarmerie.
Der in der Presse genannte deutsche Offizier hat über eine etwa in Frage kommende Agententätigkeit keine positiven Erklärungen abgegeben. Soweit die Ermittlungen dem Bundesministerium für Verteidigung bekannt sind, liegen Anzeichen für eine solche Agententätigkeit nicht vor. Ob andere Angehörige der Bundeswehr solche Vermutungen - z. B. in privaten Gesprächen - ausgesprochen haben, konnte nicht festgestellt werden.
Ob französische Munition in die Hände unberechtigter Personen gekommen ist, kann vom Bundesminister für Verteidigung vorläufig nicht beurteilt
werden, da ihm die Untersuchungsergebnisse noch nicht vorliegen.
Ich darf vorschlagen, daß der Bundesminister für Verteidigung nach Abschluß der französischen und der deutschen Ermittlungen im Ausschuß für Verteidigung des Deutschen Bundestages über das Ergebnis eingehend berichtet.
Herr Abgeordneter Erler zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Meldung der der Christlich-Demokratischen-Union nahestehenden „Schwäbischen Zeitung" bekannt, wonach Sprecher der Bundeswehr erklärt hätten, daß sie es nicht für ausgeschlossen halten, daß Agenten der Sowjetzone dieses fragliche Geschoß zur Explosion gebracht haben, um die Ebinger Bevölkerung zu beunruhigen?
Dem Bundesministerium für Verteidigung ist diese Zeitungsnachricht bekannt, sie ist auch in anderen Zeitungen und in Zeitschriften erschienen. Nach dem Stande ,der Ermittlungen ist nicht erwiesen, daß Offiziere solche Äußerungen dienstlich getan haben. Nach dem Stande der Untersuchungen spricht zur Zeit keine Vermutung für eine solche Agententätigkeit.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Erler!
Herr Staatssekretär, ist ihnen die Herkunft der Sprengkörper bekannt, die explodiert sind oder abgestellt waren, ohne daß es sich dabei um einen sichtbaren Zusammenhang mit Flugzeugübungen oder mit Truppenübungen auf dem Truppenübungsplatz Heuberg gehandelt hat?
Bei den detonierten Bazooka-Granaten handelt es sich nach den bisherigen uns bekannten Feststellungen um Granaten französischer Herkunft. Das ergibt sich aus den Aufschlagstempeln auf den Granaten. Bei den beiden Übungsgranaten, von denen die eine hingestellt und die andere liegend gefunden wurde, handelt es sich um Übungsgranaten deutscher Herkunft.
Ist Sicherheit geschaffen worden, daß derartige Munition künftig nicht mehr unkontrolliert den Beständen der beteiligten Armeen entwendet werden kann?
Die Ermittlungen haben bei den deutschen Fällen - nur über diese kann ich im Augenblick Genaueres sagen - folgendes ergeben: Die deutschen Bestände liegen unter Verschluß. Jeder Schuß, der herausgegeben wird, wird in den Inventurverzeichnissen aufgeführt. Nach dem Schießen müssen die nichtverschossenen Granaten zurückgegeben werden. Über die verschossenen Granaten wird Buch geführt. Zur Zeit wird untersucht, ob bei diesem an sich lückenlosen System, bei dem auch die Bestände nachts bewacht werden, irgendeine unrichtige oder fahrlässig unrichtige Meldung erstattet worden ist.
Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus, haben Sie noch eine Zusatzfrage? - Bitte!
Ich habe folgende Frage: Sie sagten, daß Untersuchungsausschüsse eingesetzt worden sind. Der erste Vorfall hat sich bereits am 7. Juni 1959 ereignet. Wann wurden diese Untersuchungsausschüse eingesetzt? Bis wann ist mit einem abschließenden Bericht zu rechnen?
Die Kriminalpolizei, die französische Gendarmerie, die Kommandantur und die Staatsanwaltschaft haben vom ersten Fall ab Untersuchungen geführt. Bei dem ersten Fall bestand kein Anlaß zu der Annahme, daß es sich um einen deutschen Schuß handelte. Eine besondere deutsche Untersuchungskommission wurde erst eingesetzt, als bei den folgenden Schüssen auch diese Möglichkeit nicht ganz auszuschließen war.
Einen Einfluß auf das Ergebnis und auch den zeitlichen Abschluß der Untersuchungen der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft haben wir nicht. Ich möchte aber vermuten, daß die Untersuchungen noch einige Zeit dauern werden, weil nicht nur bei Einheiten, die normal auf dem Übungsplatz liegen, Untersuchungen anzustellen sind, sondern auch bei einer Anzahl von Einheiten, die nur vorübergehend auf den Übungsplatz kommen.
Meine Damen und Herren, wir sind an sich am Ende der für die Fragestunde vorgesehenen Zeit. Wir haben aber noch 10 Fragen aus dem Bereich der Bundesminister für Verteidigung und für Verkehr offenstehen. Ich hatte erst in Aussicht genommen, diese Fragen heute abend nach Schluß der Plenarsitzung weiter behandeln zu lassen. Nun habe ich aber gehört, daß der Herr Bundesverkehrsminister heute abend verhindert ist. Ich will deshalb ausnahmsweise die Fragestunde restlos abwickeln. Das soll aber keinen Präzedenzfall bedeuten.
Ich glaube, wir müssen im Ältestenraf noch einmal alle darüber Überlegungen anstellen, wie wir eine Ausuferung der Fragestunde bei einzelnen Fragen verhindern können, so daß wir nicht immer wieder in die gleiche Verlegenheit geraten.
({0})
Ich darf nunmehr die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Faller aufrufen betreffend Ersatz von Lohnausfall bei der Erfassung und Musterung im Ausland arbeitender Wehrpflichtiger:
Ist die Bundesregierung bereit, den im Ausland arbeitenden Wehrpflichtigen den Lohnausfall, den sie durch Erfassung und Musterung erleiden, in angemessener Höhe zu ersetzen?
Vizepräsident Dr. Preusker
Ich richte noch einmal den Appell an alle Beteiligten, sich von ihren Manuskripten zu lösen, um so schnell und kurz und präzise wie möglich die Fragen zu stellen und die Antworten zu erteilen,
Ich darf mich vom Manuskript lösen und folgendes ausführen.
Der Lohnausfall bei Arbeitern und Angestellten, die im Ausland arbeiten, insbesondere im Bereich des kleinen Grenzverkehrs, ist bekannt. Nach der bisherigen Rechtslage können wir diesen Lohnausfall nicht erstatten. Das Verteidigungsministerium prüft jedoch, ob ein solcher Ausfall vorläufig aus Billigkeitsgründen erstattet werden kann und ob eine Gesetzesänderung nötig ist, um dies auf eine gesetzliche Basis zu bringen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Faller!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Ausschuß für Inneres bei der Beratung der Novelle zum Wehrpflichtgesetz einstimmig beschlossen hat, einen Passus aufzunehmen, wonach diesen Grenzgängern Entschädigung gezahlt werden soll? Und sind Sie bereit, schon jetzt im Billigkeitswege danach zu verfahren?
Das Verteidigungsministerium ist bereit, schon jetzt ire Billigkeitswege hiernach zu verfahren, ist aber auf die Mitwirkung anderer Ressorts angewiesen; und das bezeichne ich mit dem Wort: es wird geprüft.
Die Frage des Herrn Abgeordneten Dürr betrifft Flucht eines Offiziers der Bundeswehr in die Fremdenlegion:
Ist es richtig, daß ein Offizier der Bundeswehr in die Fremdenlegion, also zu einem Truppenteil eines unserer NATO-Verbündeten, geflohen ist?
Wenn ja, welche Maßnahmen wird die Bundesregierung daraufhin ergreifen?
Ein Offizier der Bundeswehr ist desertiert und hat in einem Abschiedsbrief die Mitteilung hinterlassen, daß er beabsichtige, in die französische Fremdenlegion einzutreten. Die Untersuchungen haben bisher noch nicht ergeben, daß er tatsächlich in der Fremdenlegion ist. Falls er in der Fremdenlegion sein sollte, haben wir keine rechtliche Möglichkeit, eine Auslieferung zu verlangen. Es wird jedoch, wenn es zutrifft, daß er dorthin gegangen ist, versucht werden, auf die französischen Stellen daraufhin einzuwirken, daß sie ihn aus der Fremdenlegion entlassen.
Herr Abgeordneter Dürr, noch eine Zusatzfrage? Keine Zusatzfrage.
Die nächste Frage - des Abgeordneten Probst ({0}) - betrifft unverzügliche Bestrafung von Disziplinarverstößen bei der Bundeswehr:
Hält es der Herr Bundesverteidigungsminister mit den in allen Armeen der Welt geltenden Erziehungsgrundsätzen für vereinbar, daß die Nichtausführung eines Befehls ihres Batterieoffiziers auf dem Truppenübungsplatz Münsingen am 11. November 1959 durch zwei Gefreite nach Zeitungsberichten erst am 18. Februar 1960 geahndet worden ist?
Was gedenkt der Herr Bundesverteidigungsminister zu tun, damit in ähnlichen Fällen die Strafe unverzüglich auf die Tat folgt?
Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß sich der Vorfall am 11. November ereignet hat und erst am 18. Februar, also drei Monate später, zur Verurteilung führte. Die Einheit ist wenige Tage nach dem Vorfall vom Truppenübungsplatz fortgegangen. Die Abgabe der Sache an die Staatsanwaltschaft erfolgte am 19. November, und die Anklage wurde vom Staatsanwalt am 29. Dezember erhoben. Am 18. Februar folgte dann die Verurteilung.
Wir sind mit Ihnen der Auffassung, daß dieser Zeitraum zu lang ist. Wir haben jedoch keinen Anlaß, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht einen Vorwurf zu machen; denn schon bei Einhaltung der Fristen für Ladungen und dergleichen und insbesondere wegen der zusätzlichen Ermittlungen läßt sich ein solcher Zeitraum leider nicht vermeiden.
Der Verteidigungsminister erwägt, eine organisatorische oder gesetzliche Änderung anzuregen und wird darüber in absehbarer Zeit im Bundestagsausschuß für Verteidigung vortragen.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, einen Termin für die Vorlage eines Entwurfs zur Änderung der entsprechenden Gesetze zu nennen?
Ich bin dazu heute nicht in der Lage, weil der Verteidigungsminister einen solchen Entwurf nicht von sich aus erstellen kann. Dieser bedarf der Mitwirkung einer Reihe von Ressorts und eines Kabinettsbeschlusses. Ich hoffe aber, daß es damit nicht zu lange dauern wird.
Die Frage des Abgeordneten Folger betrifft angebliche Androhung der Zurückziehung des 400-Millionen-DM-Triebwerksbauauftrags:
Hat das Bundesverteidigungsministerium in einem Telegramm oder in anderer Form an die Aufsichtsratsmitglieder der Bayerischen Motorenwerke - BMW - oder an andere Adressaten angedroht, den 400-Millionen-DM-Triebwerksbauauftrag wieder zurückzuziehen, wenn gewisse Auflagen nicht erfüllt würden?
Wenn je, welche Auflagen sind das?
Ein großer Auftrag ist an die BMU Triebwerk GmbH bisher noch nicht erteilt worden wird aber erwogen, Herr Abgeordneter. Der Ver5826
teidigungsminister hat seit dem Zeitpunkt, in dem sich absehen ließ, daß das Flugzeug Lockheed F 104 in der Bundesrepublik nachgebaut werden würde, also etwa seit einem Dreivierteljahr, wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß bestimmte strukturelle und finanzielle Voraussetzungen bei der Firma geschaffen werden müssen, damit wir den Auftrag dorthin geben dürfen. Diese Mitteilungen sind den Leitungsorganen, also sowohl dem Vorstand als auch dem Aufsichtsrat der Muttergesellschaft, also der AG, und auch der Tochtergesellschaft, also der Triebwerk GmbH, gemacht worden. Zu diesen Mitteilungen war das Verteidigungsministerium verpflichtet. Nach § 26 der Reichshaushaltsordnung und nach § 16 der Wirtschaftsbestimmungen ist der Auftraggeber, also der Verteidigungsminister, gezwungen, dafür zu sorgen, daß der Auftragnehmer selber die finanziellen Grundlagen für die Übernahme und ordnungsmäßige Durchführung eines so großen Auftrages schafft. Die Auflagen sind inzwischen erfüllt worden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Folger!
Herr Staatssekretär, ist die Bayrische Staatsregierung, die an der Materie direkt beteiligt und interessiert ist, von diesem Schritt des Bundesverteidigungsministeriums unterrichtet worden?
Der Verteidigungsminister hat in dieser Angelegenheit laufend mit der Bayrischen Staatsregierung in Verbindung gestanden. Da es sich aber um eine Reihe von Besprechungen und Schreiben handelt, weiß ich im Augenblick nicht, auf welches Schreiben Sie sich beziehen, und kann nicht sagen, ob in diesem speziellen Einzelfall vorher eine Verbindung zwischen dem Verteidigungsminister und der Staatsregierung bestanden hat. Ich darf vorschlagen, daß Sie mir die Einzelfälle, die Sie im Auge haben, persönlich nennen.
Wir kommen zum Schluß zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich hoffe, daß wir da ebenfalls ohne Manuskripte schnell vorankommen.
Ich rufe auf die Frage des Abgeordneten Logemann betreffend Rationalisierungsmaßnahmen der Deutschen Bundesbahn:
Billigt die Bundesregierung die im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen von der Deutschen Bundesbahn durchgeführte Umwandlung von Haltestellen in unbesetzte Verkehrsstellen und Bestrebungen, die bisher durch die Bundesbahn geleistete Ladehilfe bei der Abfertigung von Ladungsgütern nunmehr durch die Versender und Empfänger von Waggonladungen selbst finanzieren zu lassen?
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um solche Sonderbelastungen der Waggonverlader in von Verkehrszentren abgelegenen Gebieten zu verhindern?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Deutsche Bundesbahn hat auf Veranlassung dieses Hohen Hauses und der Bundesregierung seit 1958 systematisch die Rentabilität ihrer
Dienststellen überprüft und damit begonnen, die Abfertigungen mit besonders geringem Verkehrsaufkommen zu schließen oder aber unbesetzte Haltestellen einzurichten. Sie braucht dazu keine Genehmigung. Nach dem Gesetz wirkt der Bundesminister für Verkehr nur bei der dauernden Einstellung wichtiger Bahnhöfe mit.
Herr Abgeordneter Logemann zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß diese Rationalisierungsmaßnahmen zum Teil eine starke Benachteiligung der verkehrsabgelegenen Gebiete des flachen Landes mit sich bringen?
Die Tendenzen, die Bundesbahn zu rationalisieren, werden sich sicher nachteilig für das flache Land und die abgelegenen Gebiete auswirken.
Frage des Abgeordneten Felder betreffend Ausbau der Straße zwischen Erlangen und Uttenreuth:
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, in Besprechungen mit der Deutschen Bundesbahn darauf hinzuwirken, daß die sehr verkehrsgefährdenden Strecken zwischen Erlangen und Uttenreuth noch in diesem Jahre durch einen Ausbau der Straße beseitigt werden, wobei ebenfalls die Erstellung des geplanten Radweges im Interesse aller Verkehrsteilnehmer sehr wünschenswert wäre?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutschen Bundesbahn ist schon wiederholt nahegelegt worden, alle Maßnahmen zu treffen, damit der Verkehr auf der Nebenbahn Erlangen-Eschenau und der Verkehr auf der zu dieser Bahn parallellaufenden Staatsstraße sicher durchgeführt werden kann. Die Deutsche Bundesbahn verweist dazu darauf, daß die Verkehrssicherung auf der von der Bahn berührten Straße nicht dem Bund, sondern dem Freistaat Bayern obliege; sie habe mit den für diese Straßen allein zuständigen Stellen des Landes keine Übereinkunft über Art und Umfang des Ausbaus und über die Kostenteilung erzielen können. Die Umbaukosten dürften gegen eine Million DM betragen. Da die Aufrechterhaltung des Eisenbahnbetriebs darüber hinaus eine völlige Erneuerung des Oberbaus notwendig macht, denkt die Deutsche Bundesbahn daran, die Stillegung der ganzen Strecke für den Personenverkehr und die Stillegung des Güterverkehrs auf der Strecke zwischen Neuenkirchen und Eschenau zu beantragen. Der Personenverkehr soll durch Omnibusse bedient werden, der Güterverkehr zwischen Neuenkirchen und Erlangen als Gleisanschlußbetrieb, da durchschnittlich pro Tag nur 20 Güterwagen abzufertigen sind. Sollten auch dagegen Bedenken aus Sicherheitsgründen bestehen, so wird auch der restliche Eisenbahnbetrieb stillgelegt. Mit der Einstellung des Eisenbahnbetriebs sind die in der Frage vorgetragenen Bedenken in wirtschaftlichster Weise ausgeräumt.
Die Frage ist erledigt. Ich darf gleich die übernächste Frage, die ebenfalls von Herrn Abgeordneten Felder gestellt ist, aufrufen. Sie betrifft den Bau einer Umgehungsstraße bei Baiersdorf und den Bau eines Radweges zwischen Erlangen und Baiersdorf:
Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß die Verkehrssicherheit zumindest auf einem Teilstück der B 4 zwischen Erlangen und Baiersdorf äußerst gefährdet erscheint, da dort die Straßendecke keinen Halt mehr auf dem Untergrund besitzt und auf etwa 1 m 10 cm Gefälle treffen?
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, hier raschest Abhilfe zu schaffen, hei Baiersdorf die Umgehungsstraße und zwischen Erlangen und Baiersdorf den schon geplanten Radweg als vordringliche Baumaßnahme zu bezeichnen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesstraße 4 zwischen Erlangen und Bamberg ist wie leider auch viele andere Strecken im Netz der Bundesstraßen in einigen Abschnitten ausbaubedürftig, um den Anforderungen des schweren und dichten Verkehrs in vollem Umfang gerecht zu werden, Im Rahmen des ersten Vierjahresplans wird von Bamberg eine Zubringerstraße nach Höchstadt zur Autobahn Würzburg-Nürnberg gebaut und so angelegt, daß sie zusammen mit dem Autobahnabschnitt Höchstadt-Nürnberg eine sehr leistungsfähige Schnellverbindung zwischen Bamberg und Nürnberg bilden wird. Dadurch wird eine wesentliche Entlastung der Bundesstraße 4 eintreten. Ein durchgehender Ausbau der Bundesstraße 4 hängt davon ab, wie sich der Verkehr nach Eröffnung der neuen Verbindung einspielen wird.
Wegen des Baues eines Radwegs zwischen Erlangen und Baiersdorf ist eine Prüfung durch die Auftragsverwaltung schon vor einiger Zeit veranlaßt. Ich hoffe, daß das Ergebnis so ausfällt, daß dieser Radweg beschleunigt gebaut werden kann.
Wir kommen zur Frage des Abgeordneten Dr. Friedensburg betreffend die Zahl der Verkehrsunfälle durch Lastkraftwagen:
Wie verhält sich die Zahl der Verkehrsunfälle, die durch Lastkraftwagen - insbesondere Lastzüge - veranlaßt werden, innerhalb der allgemeinen Verkehrsstatistik?
Ist insbesondere die weitverbreitete Auffassung richtig, daß beladene Lastzüge mittelbar und unmittelbar für eine verhältnismäßig große Zahl von Unfällen verantwortlich sind?
Wie beurteilt die Bundesregierung die sonstige indirekte Behinderung und finanzielle Belastung des Verkehrs durch die Schwerfälligkeit der Lastzüge?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider liegen mir zur Beantwortung der Frage im Augenblick nur Zahlen aus dem relativ günstig verlaufenen Jahr 1958 vor. In diesem Jahr haben sich in der Bundesrepublik - ohne Saarland und ohne Berlin ({0}) - insgesamt 279 233 Straßenverkehrsunfälle ereignet, bei denen Personen getötet oder verletzt wurden. Bei 11 001 Verkehrsunfällen mit Todesfolge wurden insgesamt 11 703 Menschen getötet.
({1})
An der Gesamtzahl der Unfälle mit Personenschaden allgemein waren 329 000 Kraftfahrzeuge beteiligt. Hiervon waren 46 000 Lastkraftwagen, und zwar 33 000 ohne und 13 000 mit Anhänger. Somit waren 10 % der an Unfällen mit Personenschaden beteiligten Kraftfahrzeuge Lastkraftwagen ohne Anhänger und 4 % Lastkraftwagen mit Anhänger. Die Gesamtzahl der beteiligten Lastkraftwagen macht also 14 % der an diesen Unfällen beteiligten Kraftfahrzeuge aus.
Im Vergleich hierzu ergibt sich aus der Statistik der zum Verkehr angemeldeten Kraftfahrzeugbestände, daß die Zahl der Lastkraftwagen nur 9 % des gesamten Kraftfahrzeugbestandes ausmacht.
An Unfällen mit Todesfolge waren dagegen insgesamt 12 803 Kraftfahrzeuge beteiligt, von denen 1446 oder 11 % Lastkraftwagen ohne Anhänger und 10 % Lastkraftwagen mit Anhänger waren, Die Zahl der an Unfällen mit Getöteten beteiligten Lastkraftwagen mit und ohne Anhänger macht somit 21% aller an solchen Unfällen beteiligten Kraftfahrzeuge aus, und zwar hei einem Bestandsanteil von nur 9 %.
Von Interesse ist dabei der Anteil der schweren Lastkraftwagen über 9 t und der dazu gehörenden Lastzüge: 1120 schwere Lastwagen und -züge waren an den Straßenverkehrsunfällen mit Getöteten beteiligt, die allgemein mit Lastkraftwagen zusammenhängen. Diese Schwerstfahrzeuge, die nur 12 % des gesamten Lastkraftwagenbestandes ausmachen, trugen zu 42 % zu den Unfällen mit Lastkraftwagenbeteiligung bei, bei denen Personen zu Tode kamen. Das ist zweifellos eine Zahl, die alle Beteiligten sehr zum Nachdenken veranlassen sollte.
Zu Ihrer Frage, ob beladene Lastkraftwagen verhältnismäßig stark die Verkehrssicherheit gefährden, gibt die Straßenverkehrs-Unfallstatistik keine Auskunft. Zwar gefährden, wie oben dargestellt, Fahrzeuge den Verkehr um so stärker, je schwerer, vor allem aber je länger sie sind. Somit liegt zunächst der Schluß nahe, daß jeweils das beladene Fahrzeug gefährlicher als das nicht beladene sein müsse. Dem wirkt aber entgegen, daß leere Fahrzeuge, vor allem aber leere Anhänger, leicht von der Fahrspur abkommen. Ergänzend ist zu bemerken, daß die besonders hohe Gefährdung der Straßenverkehrssicherheit durch schwere Lastkraftwagen sich sicherlich in hohem Maße daraus ergibt, daß die schweren Lastkraftwagen weit häufiger als die leichten Lastkraftwagen mit Anhänger fahren, und daß daher die Länge der Fahrzeuge und die ungünstigen Fahreigenschaften der Anhänger sich auf die Gefährlichkeit steigernd auswirken.
Die indirekte Behinderung und die finanzielle Belastung des Verkehrs durch die Schwerfälligkeit der Lastzüge ist weder durch die Statistik noch auf andere Weise meßbar. Nichtsdestoweniger ist allgemein bekannt, daß gerade der Lastzug den Innerortsverkehr in hohem Maße behindert. Im Interesse des fließenden Verkehrs sind daher bereits viele Großstädte dazu übergegangen, den Verkehr mit schweren Lastkraftwagen, vor allem mit Lastzügen, auf bestimmte Tageszeiten zu beschränken. Weitere
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm Verkehrsbeschränkungen für den Lastkraftwagen bestehen auch außerhalb von Städten, z. B. auf der rechten Rheinuferstraße.
Um die Verkehrssicherheit zu verbessern und um die Behinderung durch den Schwerverkehr zu vermindern, wurde nach § 4a der Straßenverkehrsordnung der Verkehr mit Lastkraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 7 1/2 t und mehr sowie mit Lastzügen an Sonn- und Feiertagen - von einigen Ausnahmen abgesehen - zwischen 0 Uhr und 22 Uhr untersagt.
Eine erhebliche finanzielle Belastung der Allgemeinheit tritt beispielsweise dann ein, wenn es wegen des ständig steigenden Verkehrs erforderlich wird, für den Lastzugverkehr besondere Kriechspuren anzulegen, wie dies versuchsweise an Autobahnen und Bundesstraßen an langen Steigungen geschehen ist. Dadurch ist eine erhebliche Verbesserung des Verkehrsflusses und eine Verminderung der Unfallgefahren beim Überholen erreicht worden.
Eine Zusatzfrage dazu?
Herr Bundesminister, die von Ihnen angeführten Tatsachen veranlassen ja nicht nur Nachdenken, wie Sie es gütig in Aussicht gestellt haben, sondern auch Maßnahmen. Welche Maßnahmen gedenkt das Bundesverkehsministerium auf Grund der hier festgestellten Tatsachen zu treffen?
Der Bundesminister für Verkehr hat auf Grund dieser Tatsachen seinerzeit mit Genehmigung der Bundesregierung und des Bundesrates die bekannte Verordnung vom 21. März 1956 erlassen, durch die die Länge und die Abmessungen der Lastkraftwagen entscheidend reduziert werden sollen. Sie wissen, verehrter Kollege, daß gegen diese Verordnung aus breiten Kreisen des Hohen Hauses erhebliche Einwände erhoben werden und daß der Wunsch besteht, diese Maßnahmen im Zusammenhang mit einer europäischen Regelung wieder zu ändern, und zwar im Sinne größerer, schwererer und längerer Lastkraftwagen.
({0})
Halten Sie, Herr Bundesverkehrsminister, in der Tat eine Milderung der bestehenden Bestimmungen für verantwortbar?
Herr Kollege Friedensburg, ich habe wiederholt gesagt, daß ich mein Gewissen wegen einer europäischen Einigung schon außerordentlich strapazieren muß. Ich bin aber nicht bereit, mein Gewissen noch weiter zu strapazieren, als eine europäische Einigung es erfordert.
Ich rufe auf die Frage des Abgeordneten Ritzel betreffend Entlastung des Großstadtverkehrs durch Anlage von unterirdischen Schnellbahnen und Autostraßen oder von Hochstraßen:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zur Entlastung des von einer chaotischen Entwicklung bedrohten Verkehrs in den deutschen Großstädten durch die Anlage von unterirdischen Schnellbahnen und Autostraßen oder von Hochstraßen?
Ist die Bundesregierung bereit, Planungsmaßnahmen einzuleiten und die Finanzierung durch gemischtwirtschaftliche Unternehmen zu prüfen?
Ist die Bundesregierung ggf. auch bereit, im Zusammenhang mit der etwaigen Verlagerung des Massenverkehrs unter die Erde auch einen ausgedehnten Luftschutz zugunsten der Bevölkerung zu erwägen und dem Bundestag darüber in angemessener Weise zu berichten?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon heute ist die Dichte des Straßenverkehrs in vielen Großstädten an den Brennpunkten so groß, daß der verfügbare Straßenraum, der leider oft durch ,den ruhenden Verkehr zusätzlich übermäßig in Anspruch genommen wird, nicht ausreicht. Mit zunehmendem Kraftfahrzeugbestand und insbesondere mit einem raschen Anstieg des Bestandes an Personenkraftwagen muß aber gerechnet werden. Wir rechnen mit einer Verdoppelung des Personenkraftwagenbestandes innerhalb der nächsten fünf Jahre. Die Erweiterung ides vorhandenen Straßennetzes ist, ohne in die vorhandene Bebauung einzugreifen, oft nicht möglich.
Daher bleibt nur übrig, in die zweite Ebene auszuweichen. Ob dabei entweder der öffentliche oder der private Verkehr auszusondern und ob er über Hochstraßen und Hochbahnen oder durch Unterflurstraßen oder durch Tunnel zu leiten ist, hängt von den örtlichen Verhältnissen ab. Hier spielen nicht nur verkehrstechnische, sondern auch geologische und bauliche Gesichtspunkte eine Rolle.
Das Ausweichen in die zweite Ebene 'erfordert in jedem Fall hohe Investitionen. Trotzdem haben einige deutsche Großstädte wie z. B. Berlin, Düsseldorf, Duisburg und Hannover mit Unterstützung des Bundes und der betreffenden Länder damit begonnen, dem Straßenverkehr einen kreuzungs- und anbaufreien Weg in der zweiten Ebene zur Verfügung zu stellen.
Die Bundesregierung hat in einigen Fällen Planungen für Straßen in .der zweiten Ebene einleiten lassen, sofern es sich dabei um Ortsdurchfahrten von Bundesfernstraßen handelt. Für andere Straßen kann sie das nicht tun, weil diese Aufgabe in die Zuständigkeit der Städte fällt. Die Bundesregierung wird aber eine etwaige privatwirtschaftliche Initiative, die sich zur Finanzierung solcher Projekte zeigen sollte, unterstützen.
Nun liegt der Gedanke nahe, unterirdisch geführte Verkehrswege für Zwecke des Luftschutzes nutzbar zu machen. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn diese Verkehrswege sehr viel tiefer unter der Erde liegen, als für den Verkehrszweck an sich unbedingt nötig ist, und wenn Vorrichtungen für ihren Abschluß gegen die Erdoberfläche geschaffen werden. Auch ist dabei zu überlegen, daß bei der Inanspruchnahme der Verkehrsanlagen für LuftschutzBundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
zwecke sie im Notstandsfall für den Verkehr, zumindest zeitweilig, nicht ausgenutzt werden können.
Die Untersuchungen darüber, wie und mit welchem Aufwand unterirdische Verkehrsanlagen unter Berücksichtigung der gesteigerten Waffenwirkung für Luftschutzzwecke hergerichtet werden können, sind im Gange. Der Herr Bundesminister für Wohnungsbau hat zur Prüfung dieser Fragen einen Arbeitskreis „Luftschutz im unterirdischen Städtebau und Verkehr" gebildet, dem Fachleute der zuständigen Dienststellen und auch der freien Wirtschaft angehören. Meine Mitarbeiter widmen dieser Frage in Zusammenarbeit mit den übrigen interessierten Bundesressorts und unter Berücksichtigung der von privater Seite gegebenen Anregungen und Vorschläge ihre besondere Aufmerksamkeit.
Herr Abgeordneter Ritzel zu einer Zusatzfrage!
Herr Bundesverkehrsminister, habe ich Sie recht verstanden, wenn Sie ausführten, daß im Rahmen der Erörterungen über die sogenannte „zweite Ebene" in ,den großen Städten der Bundesrepublik, beispielsweise im Einzelfall in Berlin, Verhandlungen unter Beteiligung des Bundesverkehrsministers stattgefunden haben? Ist es nicht besser, wenn Sie seitens der Bundesregierung eine Initiative ergreifen, um im Sinne des zweiten Absatzes meiner Frage gemeinsam mit den Ländern und den beteiligten Großstädten eine Planung vorzubereiten?
Herr Kollege Ritzel, in der Frage des sogenannten Stadtautobahnringes hat von Anfang an eine enge Zusammenarbeit zwischem dem Bund und der Stadt Berlin bestanden, da ja auch der Bund die Finanzierungsmittel dafür zur Verfügung stellt.
Darüber hinaus haben wir uns überall dort, wo in den Städten selbst derartige Wünsche geäußert worden sind, um eine Zusammenarbeit mit den Städten und dem Land bemüht. Ich erinnere an den Fall Essen mit der Tieferlegung des Ruhrschnellweges. Natürlich sind immer wieder erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, weil den direkten örtlichen Gegebenheiten Rechnung getragen werden muß und Einzelmaßnahmen nicht in eine großzügige Gesamtplanung etwa für alle Städte eingebaut werden können. Auch in Duisburg arbeiten wir an der Planung für die Nord-Süd-Strecke intensiv mit. Wir sind also überall dort, wo die Möglichkeit besteht, eingeschaltet.
({0})
Jetzt kommt die letzte Frage - wiederum des Abgeordneten Ritzel - betreffend Verkehrsunfälle und dadurch bedingte Schadensersatzleistungen. Es ist zum Teil eine Fortseizung der Fragestellung des Herrn Abgeordneten Friedensburg:
Wie viele Menschen wurden in den Jahren 1955 bis 1959 in der Bundesrepublik Opfer des Verkehrs?
Wie hoch sind schätzungsweise oder tatsächlich die Summen, die von Versicherungen für Personen- und Sachschäden aus diesem Anlaß zu zahlen waren?
Wie viele Personen kamen in den Jahren 1955 his 1959 als Opfer von Unglücksfällen an schienengleichen Bahnübergängen ums Leben?
Wie groß waren die Leistungen der Deutschen Bundesbahn zur Entschädigung der Hinterbliebenen solcher Opfer im gleichen Zeitraum?
Wie groß waren die Leistungen der Bundesbahn für Personen- und Sachschäden bei Unglücksfällen an schienengleichen Bahnübergängen in den Jahren 1955 his 1959 insgesamt?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Ziffer 1. Als Opfer von Verkehrsunfällen - ohne Luftfahrt - haben in den Jahren von 1955 bis 1959 im Bundesgebiet ohne Saarland und ohne West-Berlin 64 250 Menschen ihr Leben verloren. Reichlich 1,8 Millionen Personen wurden bei diesen Unfällen verletzt.
Zu 2. Die Kraftfahrzeugversicherungen haben in diesem Zeitraum als Schadensaufwand schätzungsweise beinahe 4 Milliarden DM für Unfallschäden ausgezahlt. Entsprechende Zahlen für die Eisenbahn und die Binnenschiffahrt könnten, wenn überhaupt, nur auf Grund umfangreicher neuer Auswertungen von Versicherungsakten gewonnen werden. Sicherlich machen diese Beträge nur einen geringen Bruchteil der Summe aus, die für die Straßenverkehrsunfälle von den Versicherungen ausgezahlt werden mußten.
Zu 3. Bei Unglücksfällen an schienengleichen Bahnübergängen der Deutschen Bundesbahn kamen in den gleichen fünf Jahren 749 Personen ums Leben. Außerdem wurden bei Kollisionen zwischen nichtbundeseigenen Eisenbahnen und dem Straßenverkehr an Kreuzungen sowie auf Strecken im Verlauf von Straßen rund 150 Menschen getötet. Von den über 64 000 im Straßenverkehr getöteten Menschen starben daher infolge Zusammenpralls zwischen Eisenbahn- und Straßenfahrzeugen in diesen fünf Jahren rund 900 Menschen oder 1,4 %.
Zu 4. Zur Frage der Entschädigungen in Form von Jahresrentenleistungen an Hinterbliebene und für sonstige Personenschäden bei Unglücksfällen an schienengleichen Bahnübergängen hat mir die Deutsche Bundesbahn mitgeteilt, daß Aufzeichnungen über den Aufwand an Haftpflichtentschädigungen nur für Hinterbliebene der bei Unfällen art schienengleichen Bahnübergängen getöteten Personen und nur für Sach- und Personenschäden aus derartigen Unfällen nicht vorliegen. Sie werden auch bei den Bundesbahndirektionen nicht geführt. Die gewünschten Angaben könnten nur mit größerem Zeit- und Personalaufwand an Hand der einzelnen Haftpflichtakten bei den Bundesbahndirektionen ausgezogen und zusammengestellt werden.
Ich habe gebeten, daß Aufzeichnungen über die Entschädigungsleistungen der Deutschen Bundesbahn ab 1. Januar 1960 bei den Direktionen getätigt werden. Da die Eisenbahn jedoch nur für etwa 20 % der bei solchen Unfällen an Bahnübergängen getöteten Menschen schadensersatzpflichtig ist, werden diese Zahlen kein Bild des tatsächlich entstandenen Schadens geben können.
Zusatzfrage! Finden Sie es in Ordnung, Herr Bundesverkehrsminister, daß sich die Bundesbahn bisher noch keine Gedanken über die
Größenordnung gemacht hat in bezug auf die Erstellung einer Statistik über die Leistungen der Bundesbahn auf diesem Gebiet, im Vergleich etwa zu den Anforderungen, die notwendig wären, um die schienengleichen Bahnübergänge endlich einmal mit größerem Tempo zu beseitigen.
Ich stimme Ihrer Auffassung vollkommen zu, Herr Abgeordneter.
({0})
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende dieser Fragestunde angekommen. Ich muß noch einmal betonen, daß nur der ganz außergewöhnliche Umstand, daß es am Freitag keine Plenarsitzung gibt und die Beantwortung der Fragen sonst in die erste Aprilwoche verschoben worden wäre, uns eine solche Handhabung ermöglicht hat. Das darf aber für die Zukunft kein Präzedenzfall sein. Wir müssen innerhalb der festgesetzten Zeit fertigwerden, sonst wird die Behandlung der wichtigsten Tagesordnungspunkte dadurch ungebührlich verzögert.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Mindesturlaub für Arbeitnehmer ({0}) ({1}).
Wer begründet den Entwurf? Herr Abgeordneter Wischnewski, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die .sozialdemokratische Fraktion den Enwurf eines Gesetzes über Mindesturlaub für Arbeitnehmer Drucksache 1376 - begründen. Die Materie ist völlig eindeutig; ich kann mich deshalb sehr kurz fassen.
Wir verfolgen mit diesem Gesetzentwurf zwei Ziele. Es geht einmal darum, den gesetzlichen Mindesturlaub für alle Arbeitnehmer auf 18 Tage, für Jugendliche auf 24 Tage, anzuheben. Über die Jugendfrage braucht man sicher nicht mehr zu reden. Diese Frage wird durch ein neues Jugendarbeitsschutzgesetz geklärt. Ich glaube, in diesem Hause besteht völlige Klarheit darüber, daß alle jugendlichen Arbeitnehmer bis zum 18. Lebensjahr 24 Tage Urlaub erhalten sollen.
Das zweite Ziel, das mit diesem Gesetzentwurf erreicht werden soll, ist die Schaffung bundeseinheitlichen Rechts für Mindesturlaub. Wir sind der Auffassung, daß ein solches Gesetz ein Schutzgesetz ist, und daß es darauf ankommt, das Urlaubsrecht den heute gegebenen Voraussetzungen und Verhältnissen anzupassen.
Wir haben in allen Ländern der Bundesrepublik Ländergesetze über den Mindesturlaub. Die rechtlichen Voraussetzungen sind dabei sehr unterschiedlich; aber im materiellen Inhalt sind diese Ländergesetze alle gleich; alle sehen einen Mindesturlaub von nur 12 Tagen vor. Dieser zwölftägige Mindesturlaub muß als völlig unzureichend bezeichnet werden. Die medizinischen Urteile sind in dieser Hinsicht völlig eindeutig. Alle Mediziner sagen, daß der Zwölftageurlaub völlig unzureichend ist. Sie sind alle der Auffassung, daß mindestens ein dreiwöchiger Urlaub notwendig ist; manche erachten sogar einen vierwöchigen Urlaub für notwendig. In diesem Zusammenhang wird auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung und auf den hohen Grad der Frühinvalidität der Bevölkerung der Bundesrepublik hingewiesen.
Das Ziel eines jeden Urlaubs ist die Erholung. Wenn dieser Zweck erst nach drei Wochen erreicht wird, sollte, glaube ich, Klarheit darüber bestehen, daß der Urlaub mindestens so lange dauern muß. Ich denke nicht, daß hier im Hause jemand der Meinung ist, 18 Tage Urlaub seien zuviel; sicher kann man sich auf 18 Tage einigen. Unterschiedliche Auffassungen bestehen vielleicht nur darüber, wie das Ziel des Achtzehntageurlaubs erreicht wird.
Wir wollen mit dem Gesetzentwurf die Freiheit der Tarifpartner in keinem Falle einschränken, wir sind aber daran interessiert, ein notwendiges Schutzgesetz zu schaffen. Wir müssen insbesondere daran erinnern, daß für mehr als drei Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik tarifvertragliche Regelungen für den Urlaub überhaupt nicht bestehen.
({0})
Ich glaube, wir haben hier alle Veranlassung, uns dieser Schwachen anzunehmen. Gerade sie haben einen Anspruch auf eine vernünftige, tragbare und rechtlich einwandfreie Urlaubsregelung. Wenn drei Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik überhaupt keine tarifliche Urlaubsregelung haben, dann ist das zum größten Teil darauf zurückzuführen, daß zumindest ein Tarifpartner fehlt, in den weitaus meisten Fällen der Tarifpartner auf der Arbeitgeberseite.
In diesem Zusammenhang ist gesagt worden, seit der Verabschiedung des Tarifvertragsgesetzes in der Bundesrepublik, seit dem 11. April 1949, sei eine gesetzliche Regelung des Urlaubs überhaupt nicht mehr möglich, da nach der Verabschiedung des Tarifvertragsgesetzes die Urlaubsregelung ausschließlich eine Aufgabe der Tarifpartner sei. Ich darf daran erinnern, daß seit diesem 11. April 1949 folgende Urlaubsgesetze verabschiedet worden sind: am 13. Juli 1949 für das Land Baden-Württemberg, am 29. November 1949 für Schleswig-Holstein, am 11. Mai 1950 für Bayern, am 27. Januar 1951 für Berlin und am 27. November 1956 für das Land Nordrhein-Westfalen. Zu keiner Zeit hat ein Tarifpartner gegen die Verabschiedung dieser Länderurlaubsgesetze mit 12 Tagen Einspruch erhoben. Wenn dem so ist, dann sollte man in der Diskussion, die sich in der Öffentlichkeit ergeben hat, auch ehrlich sein und sollte sagen: Es geht nicht generell um eine gesetzliche Regelung, denn die haben wir in allen Ländern, sondern es geht einfach um die 18 Tage.
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Das, meine ich, muß hier mit aller Deutlichkeit gesagt werden, und da besteht der wesentliche Unter schied.
In bezug auf den Jugendurlaub darf ich noch ein
sehr ernstes Wort sagen. Ich glaube, wir sind alle froh darüber, daß die Frage des 24tägigen Urlaubs für die Arbeitnehmer bis zum 18. Lebensjahr hoffentlich sehr bald über den Jugendarbeitsschutz geregelt sein wird. Ich muß es aber für geradezu unverantwortlich halten, wenn in der Zeit des Übergangs vom 18. zum 19. Lebensjahr, d. h. in der Zeit, in der der junge Mensch noch in der körperlichen Entwicklung steht, der halbe Urlaub gestrichen wird.
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Das bedeutet, daß der Jugendliche beim Übergang vom 18. zum 19. Lebensjahr von 24 auf 12 Tage Urlaub zurückfällt. Wenn man sich die entsprechenden tariflichen Regelungen daraufhin ansieht, muß man - bedauerlicherweise, möchte ich auch sagen - feststellen, daß gerade bei den über 18 Jahre alten jüngeren Arbeitnehmern in den weitaus meisten Fällen ein nur 12tägiger Urlaub vorgesehen ist.
Bei der Diskussion über die Urlaubsgestaltung ist noch ein anderes Argument angeführt worden. Man hat gesagt, es sei für die deutsche Wirtschaft völlig untragbar, allen Arbeitnehmern auf einmal sechs Tage Urlaub mehr zu gewähren. - Das ist eine sehr billige Milchmädchenrechnung; denn wir alle wissen, daß ein erheblicher Teil der Arbeitnehmer
bereits mehr als 12 Tage Urlaub hat, daß ein erheblicher Teil der Arbeitnehmer tariflich bereits 18 Tage Urlaub erreicht hat und daß der Urlaub eines bestimmten Prozentsatzes der Arbeitnehmer sogar über diese 18 Tage hinausgeht. Man kann es sich also nicht so einfach machen, wie es von bestimmter Seite versucht worden ist, und sagen: Die Sozialdemokraten wollen, daß alle sechs Tage mehr Urlaub bekommen. Das ist für die Wirtschaft in der Bundesrepublik untragbar. - Die Sozialdemokraten wünschen einen gesetzlichen Mindesturlaub von 18 Tagen, und der ist durchaus tragbar. Daß darüber hinaus den Tarifpartnern weitere Möglichkeiten offenbleiben, dürfte selbstverständlich sein.
In diesem Zusammenhang darf ich daran erinnern, daß die Beratende Versammlung des Europarates in der Zwischenzeit die europäische Sozialcharta festgelegt hat, in der ein dreiwöchiger Mindesturlaub vorgesehen ist. Wir sollten uns deshalb auch einmal in dieser sozialpolitischen Frage als gute Europäer erweisen und den Forderungen und Wünschen dieser europäischen Sozialcharta in bezug auf den dreiwöchigen Mindesturlaub nachkommen.
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Ich habe vorhin ,gesagt, das zweite Ziel dieses Gesetzentwurfs bestehe darin, zu einem einheitlichen gesetzlichen Urlaubsrecht in der Bundesrepublik zu kommen. Ich darf daran erinnern, daß in einigen Ländern der Bundesrepublik bereits Initiativen festzustellen sind, das Urlaubsrecht zu ändern und beim Mindesturlaub von 12 auf 18 Tage zu riehen. Das kann für Berlin - hier liegt bereits ein Referentenentwurf für ein solches Gesetz vor - und auch für das Land Bayern festgestellt werden. Wenn ich richtig unterrichtet bin, hat gerade in der letzten Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses des dortigen Landtages eine Diskussion über dieses Problem begonnen.
Nun gestatten Sie mir bitte einige wenige Bemerkungen zumindest zu einigen neuralgischen Punkten dieses Gesetzentwurfs. Er spricht von Arbeitstagen. Ich darf hier sagen, daß Arbeitstage und Werktage gleichzusetzen sind. Das würde also bedeuten, daß demjenigen, der nur fünf Tage in der Woche arbeitet, auch der Samstag als Urlaubstag mit angerechnet würde. Wir wissen, daß das von den Arbeitnehmern vielfach nicht verstanden wird. Aber wir können auf der anderen Seite nicht noch eine besonders schlechte Regelung praktisch für diejenigen treffen, die die Fünf-Tage-Woche bedauerlicherweise noch nicht erreicht haben. Wir wissen, daß sie für manche Berufszweige aus technischen Gründen vielleicht überhaupt nicht erreichbar ist. Es ist aber selbstverständlich ohne weiteres möglich, in einzelnen Industriezweigen auf tariflichem Gebiet auch andere Möglichkeiten zu schaffen.
Der Gesetzentwurf legt entscheidenden Wert darauf, alle Arbeitnehmer zu erfassen, d. h. die Arbeiter, die Angestellten, die zur Berufsausbildung Beschäftigten und auch alle diejenigen, die in arbeitnehmerähnlichen Verhältnissen stehen sowie darüber hinaus selbstverständlich die Heimarbeiter. Wir wissen, daß gerade bei denen, die in arbeitnehmerähnlichen Verhältnissen stehen, die Situation sehr oft besonders schwierig ist und daß sich gerade für sie besondere Notwendigkeiten ergeben.
Der Entwurf sieht darüber hinaus für bestimmte Arbeiten einen zusätzlichen Urlaub vor, und zwar für alle diejenigen Arbeitnehmer, die unter erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit arbeiten müssen. Sie sollen einen zusätzlichen Urlaub von sechs Arbeitstagen im Jahr erhalten. Dabei ist insbesondere an den Bergbau unter Tage gedacht, aber auch an alle diejenigen, die in ganz besonderem Maße unter der Einwirkung von Kälte, Lärm, Hitze, Nässe, Druckluft, giftigen Stoffen, Staub, Röntgenstrahlen, radioaktiven Strahlen und Infektionserregern stehen. Die Festlegung eines derartigen Zusatzurlaubs für Arbeitnehmer, die unter erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit arbeiten müssen, soll nach Anhören der Tarifpartner durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen. Eine derartige Regelung kennen wir bereits aus dem bayerischen Urlaubsgesetz; auch das Urlaubsgesetz von Schleswig-Holstein bietet derartige Möglichkeiten.
Das Urlaubsjahr soll selbstverständlich das Kalenderjahr sein, und der Arbeitnehmer soll einen Anspruch auf den vollen Urlaub nach einer Beschäftigungszeit von sechs Monaten im Betrieb haben. Derjenige, der kein volles Jahr beschäftigt ist, soll für jeden vollen Monat der Beschäftigung ein Zwölftel des ihm zustehenden Urlaubs erhalten,
wobei eine Beschäftigung von mindestens zwölf Tagen als voller Monat angesehen werden soll. Es ist selbstverständlich, daß derjenige, der bei einem anderen Arbeitgeber schon seinen vollen Urlaub erhalten hat, nicht bei dem nächsten noch einmal denselben Anspruch geltend machen kann. Bei der Festlegung des Urlaubs sollen selbstverständlich die Wünsche der Arbeitnehmer in bezug auf die Urlaubszeit entscheidend berücksichtigt werden und soll selbstverständlich auch das nach dem Betriebsverfassungsgesetz festgelegte Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte berücksichtigt werden.
Entscheidender Wert soll darauf gelegt werden, daß der Urlaub weitgehendst zusammenhängend genommen wird, da nur auf diese Weise der Urlaubszweck, nämlich eine vernünftige Erholung, wirklich erreicht werden kann. Eine finanzielle Abgeltung des Urlaubs kann aus diesem Grunde ausschließlich dann erfolgen, wenn es wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist, Urlaub zu nehmen, und nur der Weg der finanziellen Abgeltung übrig bleibt.
Das Urlaubsgeld soll nach dem Durchschnittsverdienst der letzten drei Monate berechnet werden. Dabei sollen selbstverständlich Ausfallzeiten, die ohne Verschulden des betroffenen Arbeitnehmers eingetreten sind, nicht zu seinen Lasten angerechnet werden; ich denke z. B. an den Fall der Krankheit. Der Arbeitnehmer soll dadurch selbstverständlich keinen Schaden haben. Für uns ist wichtig, daß gesetzlich festgelegt wird, daß das Urlaubsgeld, also der Verdienst für die Zeit des Urlaubs in jedem Fall vor Urlaubsantritt ausgezahlt werden muß.
Zum Problem der Krankheitstage ist noch ein Wort zu sagen. Wir erleben des öfteren, daß bedauerlicherweise während des Urlaubs Krankheitsfälle auftreten. Wenn ärztliche Zeugnisse vorliegen, sollen die Krankheitstage selbstverständlich nicht als Urlaubstage gerechnet werden.
Entscheidenden Wert legen wir selbstverständlich darauf, daß bessere Bestimmungen in Gesetzen, in Tarifverträgen, in Betriebsvereinbarungen, aber auch in Einzelarbeitsverträgen das Vorrecht vor diesen gesetzlichen Bestimmungen über den Mindesturlaub haben. Der Mindesturlaub von 18 Tagen, den wir entsprechend der Auffassung der medizinischen Wissenschaft für notwendig halten, soll dem arbeitenden Menschen die Möglichkeit geben, sich zu erholen, um wieder ein arbeitsreiches Jahr bestehen zu können.
Wir bitten um Überweisung unseres Entwurfs an den Ausschuß für Arbeit.
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Wir haben die Begründung dieses Antrags der Fraktion der SPD gehört. Ich eröffne die allgemeine Aussprache der ersten Lesung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scheppmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion möchte ich zu dem vorliegenden Antrag folgendes sagen.
Der soeben hier begründete Gesetzentwurf stellt in den Mittelpunkt der Erörterung die Frage, ob die Regelung des Urlaubs durch ein Gesetz, das die Tarifautonomie in diesem Bereich entscheidend einschränkt, oder durch Vereinbarungen von Tarifpartnern erfolgen sollte. Bis jetzt liegt der Mindesturlaub auf Grund der Gesetzgebung der Länder fest. Darüber hinaus enthalten mindestens 600 Tarifverträge eine Urlaubsregelung durch die Tarifvertragsparteien. Das meiste von dem, was mein Herr Vorredner hier angeführt hat, ist schon jetzt in diesen Regelungen enthalten, die zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart worden sind.
Ich vertrete die Auffassung, daß die Regelung des Urlaubs eine Aufgabe der Sozialpartner ist und daß gerade auf diesem Gebiet eine möglichst vollkommene Freiheit der Tarifvertragsparteien herrschen sollte. Verhandlungen über Urlaubsregelungen können nach meinem Dafürhalten nur in enger Verbindung mit dem Gesamtkomplex der Arbeitsbedingungen erfolgen. Das heißt, auch die Urlaubsfrage sollte in ihrem volkswirtschaftlichen Zusammenhang mit Arbeitszeit und Lohn gelöst werden. Sie gehört daher - wie es bisher auch praktiziert worden ist - zu dem Verantwortungsbereich der Tarifpartner.
Ich darf noch einiges hinzufügen. Im Dezember ist eine Besprechung zwischen den Sozialpartnern im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung gewesen. Es haben daran teilgenommen: Der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Deutsche Angestelltengewerkschaft und die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände. Die Gespräche wurden über die Frage geführt, ob ein längerer Erholungsurlaub zum Gegenstand weiterer Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern im Rahmen ihrer Tarifautonomie gemacht oder ob gegebenenfalls eine Urlaubsregelung durch Bundesgesetz erwogen werden sollte. Bei diesen Besprechungen ist man nicht zu einer abschließenden Regelung gekommen. Vom Deutschen Gewerkschaftsbund ist erklärt worden, man wünsche einen längeren Urlaub, man wünsche gleichzeitig die Arbeitszeitverkürzung. Es ist nicht zum Ausdruck gebracht worden, daß man hier eine gesetzliche Regelung herbeiführen möchte. Von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände ist die Auffassung zum Ausdruck gebracht worden, daß diese Regelungen auch weiterhin Aufgabe der Tarifpartner sein sollten.
In der zurückliegenden Zeit sind alle Urlaubsregelungen durch die Tarifpartner erfolgt. Ich bin der Auffassung, daß die Tarifvertragsparteien auf Grund der Rechte, die sie besitzen, und auf Grund ihrer Verantwortung auch in diesem Bereich auch weiterhin für die Urlaubsfragen zuständig sein sollten.
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Mein Herr Vorredner hat vorhin gesagt, daß im Jugendarbeitsschutzgesetz - es wird wohl in wenigen Wochen hier verabschiedet werden-der Urlaub bereits festgelegt sei. Dafür ist eine Regelung notwendig. - Zu der in Ihrem Zwischenruf gestellten Frage, wie es sei, wenn keine Tarifvertragsparteien da seien, möchte ich sagen: Dann sind zunächst die Regelungen auf der Landesebene da. Danach hat jeder Anspruch auf einen Urlaub, auch wenn er keiner Tarifvertragspartei angehört. Im übrigen bin ich der Meinung, daß vom rein Gewerkschaftlichen her gesehen, Herr Kollege Wischnewski, die Gewerkschaften aus ganz bestimmten Gründen daran interessiert sein sollten, daß die Urlaubsregelung weiterhin ihr Aufgabengebiet bleibt.
Die Frage der Urlaubsregelung sollte eingehend geprüft werden. Deshalb bin ich mit der Überweisung an den Ausschuß für Arbeit einverstanden. Dort besteht die Möglichkeit, die Dinge noch einmal eingehend zu prüfen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hoven.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf namens der Fraktion der Freien Demokratischen Partei erklären, daß sie der Überweisung des Entwurfs eines Gesetzes über Mindesturlaub für Arbeitnehmer - Drucksache 1376 - an den Ausschuß zustimmt, obwohl meine Partei der Meinung ist, daß Urlaubsregelungen als Teil der Arbeitsbedingungen nach wie vor nicht durch Gesetz, sondern durch freie Vereinbarung der Sozialpartner getroffen werden sollten. Ich möchte an dieser Stelle meinem Erstaunen darüber Ausdruck geben, daß es gerade die SPD ist, die glaubt, im Interesse der Arbeitnehmer ein Bundesurlaubsgesetz einbringen zu müssen. Diese Partei achtet doch sonst sehr darauf, daß die Tarifhoheit der Sozialpartner unangetastet bleibt.
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- Dieser Schutz ist ja in den Ländergesetzen bereits gegeben, Herr Wischnewski.
Die Beratungen im Ausschuß werden Gelegenheit geben, die mit dem Fragenkomplex verbundene Problematik in aller Ruhe und Sachlichkeit einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Das gilt sowohl für die sozialrechtliche wie auch für die Betriebs- und volkswirtschaftliche Seite dieses Entwurfs.
Dabei wird als erstes zu fragen sein, ob die Sozialpartner ihrer Aufgabe, in freier Vereinbarung Urlaubsregelungen zu treffen, in der Vergangenheit gerecht geworden sind. Der Herr Kollege Scheppmann hat soeben gesagt, bei der Untersuchung des Bundesarbeitsministeriums habe sich ergeben, daß nach über 600 Tarifverträgen bereits Urlaub über die 12 Urlaubstage hinaus, die in den Ländergesetzen vorgesehen seien, gewährt werde. Nach den Feststellungen des Bundesarbeitsministeriums hatten im November 1957 bereits 40% aller männlichen Arbeitnehmer einen Anspiucli du! 18 oder mehr Urlaubstage. Man kann also nicht sagen, daß die Sozialpartner ihrer Aufgabe nicht nachgekommen seien oder sie vernachlässigt hätten.
Eine schematische Festlegung von mindestens 18 Tagen Urlaub, wie sie der Entwurf vorsieht, würde einseitig lohnintensive Betriebe belasten. Ich denke hier vor allen Dingen an Betriebe der mittelständischen Industrie, aber auch an die Landwirtschaft und das Handwerk, die bisher noch nicht in der Lage waren, ihre Betriebseinrichtungen auf den höchstmöglichen Stand der technischen Entwicklung zu bringen. Bis heute ist es so, daß zwischen den Sozialpartnern in den einzelnen Wirtschaftszweigen durch freie Vereinbarung eine wirtschaftlich zumutbare Regelung getroffen wird. Dabei könnten regionale und strukturelle Besonderheiten berücksichtigt werden. Man kann dem nicht entgegenhalten, das bedeute, daß sich die Fahrt nach dem langsamsten Dampfer richte. Auch die von mir erwähnten Betriebe müssen und werden den Anschluß an die gut durchrationalisierten finden. Aber das Tempo der Rationalisierung war in den verschiedenen Bezirken unseres Landes, den einzelnen Wirtschaftszweigen und den Größenordnungen der Betriebe zwangsläufig unterschiedlich.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Wenn ich den Gedanken zu Ende geführt habe, gerne.
Es erscheint kaum vertretbar, die Entwicklung, die wir für natürlich und notwendig halten, durch eine nivellierende Reglementierung zu stören. Bitte sehr, Herr Kollege Wischnewski!
Herr Kollege Dr. Hoven, wie denken Sie sich die Urlaubsregelung - eine vernünftige Urlaubsregelung - für die 3 Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik, für die es keine tarifvertraglichen Vereinbarungen gibt und in absehbarer Zeit wahrscheinlich auch nicht geben kann, weil ein Tarifpartner fehlt?
Herr Kollege Wischnewski, einmal sind - gewissermaßen als Sockelgarantie - in den Ländergesetzen 12 Tage Urlaub vorgesehen.
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Weiter bin ich der Meinung, daß es in Zukunft möglich sein wird, besondere Betriebsvereinbarungen zu treffen. Sie kennen ja die Lage auf dem Arbeitsmarkt.
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- Gut, wenn nicht auf dem Wege über Betriebsvereinbarungen, so wird man bei Hausangestellten sicher auf dem Wege über Einzelvereinbarungen zu einem geregelten Urlaub kommen; denn sonst wird
es in Zukunft einfach keine Hausangestellten mehr geben; die Entwicklung läuft ja so. Ich glaube, Herr Kollege Wischnewski, damit Ihre Frage beantwortet zu haben. Auch Sie werden die Entwicklung so sehen, mir also darin zustimmen, daß die Hausangestellten in Zukunft nicht mehr in die Haushalte gehen, wenn ihnen kein angemessener Urlaub auf dem Wege einer Einzelvereinbarung, die sie für gerechtfertigt und notwendig halten, gewährt wird.
Eine gesetzliche Regelung im Sinne des Entwurfs hätte zur Folge - Herr Kollege Wischnewski hat es eingehend dargestellt -, daß im Bereich der gesamten Wirtschaft ein Mehraufwand für sechs Urlaubstage entstünde, im Bereich der unter § 4 des Entwurfs fallenden Personengruppen - also Betriebe, in denen die Arbeitnehmer an Leib und Leben gefährdet sind, in denen sie an ihrer Gesundheit Schaden leiden können oder in denen sie besonderen gesundheitlichen Belästigungen ausgesetzt sind - ein zusätzlicher Urlaubsanspruch von sechs bis zwölf Urlaubstagen. Ob das heute ich sage ausdrücklich: heute - generell möglich ist, ist eine Frage, die einer sehr sorgfältigen Prüfung bedarf, wenn man nicht riskieren will, daß die Wettbewerbsfähigkeit sowohl im volkswirtschaftlichen Eigenbereich als auch im internationalen Güteraustausch gefährdet wird. Lohn, Arbeitszeit und Urlaub können nicht gesondert betrachtet werden. Die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Lohn, Arbeitszeit und Urlaub einerseits und Produktivität andererseits entscheidet letztlich über eine sinnvolle Lösung der durch den Gesetzentwurf aufgeworfenen Frage.
Die Urlaubsregelung für Jugendliche, wie sie der § 2 vorsieht, gehört unter den Gesichtspunkten des Jugendschutzes aus rechtssystematischen Gründen in das Jugendarbeitsschutzgesetz. Wir haben nach den Beratungen in den letzten Wochen alle die Hoffnung, daß wir hier bald zu einer befriedigenden Lösung kommen.
Abschließend möchte ich nur noch sagen, daß die infolge Vollbeschäftigung und teilweiser Überhitzung der Konjunktur häufig anzutreffende Euphorie nicht dazu führen darf, daß Gesetze so beschlossen werden, als ob Krisen und Störungen nicht mehr im Bereich des Möglichen lägen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Herren Vorredner haben bei ihren Stellungnahmen zu dem Entwurf eines Gesetzes über Mindesturlaub überhaupt nicht die Frage erörtert, ob ein längerer Urlaub notwendig ist, und, wenn ja, wie dieser längere Urlaub für die Arbeitnehmer gesichert werden kann. Der Herr Kollege Scheppmann hat dazu noch gesagt, daß man mit diesem Gesetzentwurf in den Verantwortungsbereich der Sozialpartner, ja in die Tarifautonomie eingreife und daß das nicht Sinn eines solchen Gesetzesvorschlages sein könne. Weiter wurde argumentiert, daß aus regionalen und strukturellen Gründen für einzelne Betriebe oder Wirtschaftszweige nicht generell eine Mindesturlaubsregelung beschlossen werden kann. Es ist sogar gesagt worden, daß mit solchen Vorschlägen die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe eingeschränkt werden würde. Meine Damen und Herren, dazu möchte ich sagen und dazu meint die Sozialdemokratische Partei: der Wettbewerb darf 'in keinem Fall auf Kosten der Gesundheit der ,Beschäftigten gehen.
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Mein Kollege Wischnewski hat eine ganze Reihe von Gründen genannt, die uns bewogen haben, diesen Vorschlag zu machen. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Aber ich darf darauf hinweisen, daß selbst der Herr Arbeitsminister Blank auf dem letzten Gewerkschaftstag der Gewerkschaft Druck und Papier erklärt hat, daß ein Mindesturlaub von 12 Urlaubstagen heute nicht mehr ausreichend ist.
Weiter darf ich auf das „Bulletin" der Bundesregierung vom 21. November 1959 hinweisen. Darin wird zum Ausdruck gebracht, daß die ständige Zunahme der Arbeitsintensität bei gleichzeitiger Steigerung der physischen oder nervlichen Beanspruchung der Arbeitnehmer die Frage aufwirft, ob ein Mindesturlaub von 12 Tagen heute noch ausreicht. Die Frage wird dahin beantwortet, daß nach der übereinstimmenden Auffassung der medizinischen Sachverständigen dieser bisherige Mindesturlaub nicht mehr ausreicht. Das ist der Ausgangspunkt für unsere Überlegungen und für unsere Gesetzesvorlage.
Wieweit ist nun die Tarifautonomie tatsächlich gefährdet und wieweit wird der Urlaub durch Tarifvertrag in dem Umfang, wie er medizinisch-wissenschaftlich für notwendig gehalten wird, überhaupt gesichert?
Nur in den Ländergesetzen haben wir generelle Regelungen des Urlaubs für alle Beschäftigten. In den Tarifverträgen gibt es völlig unterschiedliche Bestimmungen über das Ausmaß des Urlaubs. Wir haben größte Unterschiede im tariflichen Urlaub nicht nur zwischen den einzelnen Wirtschafts- und Verwaltungsbereichen zu verzeichnen, sondern wir haben auch Unterschiede innerhalb der einzelnen Tarifgebietefestzustellen.
So wird in einer Statistik des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung ausgewiesen, daß 6 % aller Tarifverträge heute noch nicht einmal einen Mindesturlaub von 12 Tagen vorsehen.
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Schon daraus ergeben sich Streitigkeiten über die Anwendung dieser Verträge oder der jeweiligen Ländergesetze. Zwar kann für 80 % der tarifgebundenen Arbeitnehmer theoretisch eine Urlaubsdauer von 18 Tagen als Endurlaub unterstellt werden. Aber nach der statistischen Erhebung erhalten tatsächlich nur 25 % der weiblichen und 40 % der männlichen Arbeitnehmer diesen Mindestendurlaub von 18 Tagen. Das ist der Tatbestand beim tariflich geregelten Urlaub.
Worin liegt die Ursache für diese Diskrepanz, daß 80 % der Arbeitnehmer tarifvertraglich einen Endurlaub von 18 Tagen erhalten können, in Wirklichkeit aber nur zwischen 25 und 40 % der Arbeitnehmer ihn bekommen?
Sie werden wissen, meine Damen und Herren, daß in den Tarifverträgen der Urlaub teilweise gestaffelt nach dem Lebensalter gewährt wird; das gilt für 45 % aller Tarifverträge. Nach diesen Verträgen wird der Endurlaub erst zwischen dem 35. und 40. Lebensjahr erreicht. Es handelt sich dabei um etwa 60 % der in diesen Tarifen gebundenen Arbeitnehmer. In den restlichen Tarifverträgen besteht bei der Urlaubsstaffelung ein Mischsystem nach Lebensalter, Dienstjahren und Betriebszugehörigkeit. In diesen Mischverträgen wird für 85 % der Tarifgebundenen der Endurlaub erst nach zehn-bis zwanzigjähriger Betriebszugehörigkeit erreicht. Ich darf ein Beispiel nennen. Im Groß- und Einzelhandel sind über 1 Million Arbeitnehmer beschäftigt, und zwar überwiegend Frauen. Zwei Drittel dieser Frauen sind weniger als 35 Jahre alt. Viele der Frauen erreichen entweder nicht das 40. Lebensjahr während ihrer Berufstätigkeit oder sie erreichen nicht die Zahl der Berufsjahre, die Voraussetzung für die Gewährung des Endurlaubs von 18 Tagen ist. Man kann .also feststellen, daß für den überwiegenden Teil auch der Tarifgebundenen ein Urlaub von 18 Tagen, wie er medizinisch und sozialpolitisch für notwendig gehalten wird, ein unerreichtes Ziel bleibt. Hier greift unser Gesetzentwurf ein.
Jetzt noch ein Wort zu der Problematik der Tarifautonomie und der gesetzlichen Regelung eines Mindesurlaubs. Die Freiheit der Tarifpartner ist nach meiner Auffassung dort zu ergänzen, wo die Tarifpartner diesem Schutzbedürfnis oder auch -erfordernis aus besonderen Gründen selber nicht umfassend Rechnung tragen können. Einerseits sind nicht alle Arbeitnehmer an Tarife gebunden, so daß auch nicht alle durch Tarifbestimmungen erfaßt werden können. Andererseits ist es zwar möglich, eine tarifliche Regelung für allgemeinverbindlich zu erklären, doch sind auch hier bestimmte Bedingungen zu erfüllen; vor allem aber ist Voraussetzung, daß überhaupt ein Tarifvertrag besteht.
Bisher wurden von seiten der Arbeitgeberorganisationen keine Einwendungen gegen die Regelung eines Mindesturlaubs von 12 und in einigen Fällen von 18 Tagen in den Ländergesetzen erhoben.
Wir haben eine Vielzahl von Verbots- oder Gebotsgesetzen, die weitgehend in die Gestaltung der Arbeitsbedingungen eingreifen. Hierzu gehört der ganze Katalog der Arbeitszeitschutzbestimmungen, die u. a. die regelmäßige tägliche Arbeitszeit, die Höchstarbeitszeit, die Pausen und die Ruhezeiten regeln. Noch kein Tarifpartner hat gegen diese Maßnahmen etwas einzuwenden gehabt. Ja, selbst Lohnfragen wie beispielsweise die Vergütung von Mehrarbeit sind gesetzlich geregelt, und noch nie ist bisher geltend gemacht worden, dadurch werde die Tarifautonomie eingeschränkt. In der Tat kann es bei einer näheren Überprüfung all dieser Arbeitsschutzbestimmungen im weiteren Sinne keinem Zweifel unterliegen, daß die Freiheit der vertraglichen Gestaltung durch sie nicht eingeschränkt worden ist. Man sollte hier nicht unnötigerweise Gefahren an die Wand malen und sollte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Die soziale Selbstverantwortung und die soziale Selbstverwaltung werden auch nach der Verabschiedung des von uns eingebrachten Gesetzentwurfs über einen Mindesturlaub für Arbeitnehmer von drei Wochen weiterbestehen und sich ungehindert auswirken können.
Auch das sollte gesagt werden: Das wertvollste Gut in der Produktionsgesellschaft sind nicht Maschinen, Geräte oder Anlagen, sondern ist die menschliche Arbeitskraft.
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Deshalb haben die Maßnahmen zur Erhaltung von Leben und Gesundheit des arbeitenden Menschen Vorrang vor der Sorge um die Rentabilität der Betriebe und der Wirtschaft. Diesem Ziel dienen die Schutzgesetze und dient auch unser Antrag auf einen bundeseinheitlichen Mindesturlaub von 3 Wochen.
Schutzgesetze, die zur Erhaltung der Arbeits- und der Berufsfähigkeit der Arbeitnehmer dienen, führen niemals zur Einschränkung der Tarifautonomie oder gar der Freiheit der Sozialpartner, noch mehr und noch Besseres zu vereinbaren. Es handelt sich nach unserer Auffassung um Mindestnormen und um eine Schutzklausel für den Menschen, um ihn vor körperlichen, geistigen oder auch vor wirtschaftlichen Schäden zu bewahren. Wir treten aus sozialer Verantwortung für den Schutz der Persönlichkeit im Arbeitsverhältnis ein und sind auch bereit - das möchte ich hier ebenfalls sagen -, die Vertragsfreiheit nach unten, d. h. gegen einen Mißbrauch, einzugrenzen. Mit dem von uns beantragten Urlaubsgebot von 3 Wochen Mindesturlaub für alle Arbeitnehmer bleibt die Tarifautonomie, zusätzliche Urlaubsvereinbarungen zu treffen und -vergünstigungen zu gewähren, unangetastet.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Nadig.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist bereits auf die allgemeine Bedeutung des Gesetzentwurfs für die bundeseinheitliche Regelung des Urlaubs hingewiesen worden. Gestatten Sie mir noch wenige Ausführungen über die Bedeutung und Notwendigkeit eines verlängerten Urlaubs für die berufstätige Frau.
Im September 1959 hatten wir fast 7 Millionen berufstätige Frauen. Davon sind etwas mehr als 30 % verheiratete Frauen. Leider ist nicht festzustellen gewesen, wie hoch der Prozentsatz der Mütter unter ihnen ist. Wir alle wissen, daß die Arbeitskraftreserven der Wirtschaft nur noch in den Frauen bestehen, und zwar fast nur noch in den verheirateten Frauen und Müttern. So ist es nicht verwunderlich, daß die Zahl der verheirateten berufstätigen Frauen von Jahr zu Jahr größer geworden ist.
Die Frau wird überwiegend in angelernter und ungelernter Arbeit beschäftigt. Das Fließband, die Rationalisierung und die Intensivierung des Arbeitstempos verbrauchen die Kräfte der Frau in erschrekkendem Maße.
In diesem Zusammenhang weise ich auf die Situation der Krankenkassen hin. Deren Statistik zeigt, daß die Erkrankungen der pflichtversicherten Frauen erheblich zugenommen haben. Im Vordergrund stehen dabei Herz- und Kreislauferkrankungen. Noch deutlicher zeigt sich der große Kräfteverbrauch der Frauen in der Steigerung der Frühinvalidität, - eine Tatsache, die durch die Statistik der Sozialversicherung nachgewiesen wird.
Auch wurde aus der Arbeit des Müttergenesungswerkes bekannt, daß die berufstätigen Mütter in sehr schlechtem Gesundheitszustand in die Erholungsheime kommen. Den vielfachen Anforderungen, die Berufsarbeit, Haushalt und Mutterschaft an die Frauen stellen, sind sie auf die Dauer nicht gewachsen. Ein erheblicher Teil der Frauen hat nicht nur diese dreifache Belastung zu ertragen, sondern - außer der achtstündigen Berufsarbeit - oft noch weite Anfahrtwege zu den Arbeitsstellen, und zwar von 11/2 bis 2 Stunden, zurückzulegen. Diesen Verschleiß und den starken Raubbau an der menschlichen Arbeitskraft können wir uns nicht leisten.
Darf ich in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß 1945 beim Zusammenbruch die menschliche Arbeitskraft der einzige Besitz war, mit dem der Wiederaufbau erfolgen konnte.
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Heute müssen wir alles tun, um den Menschen mit seiner Arbeitskraft gesunden zu lassen und gesund zu erhalten.
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Das alte Gesetz sieht einen Mindesturlaub von 12 Tagen vor. Gewiß ist diese Bestimmung vereinzelt durch Tarifvertrag erweitert worden. Für die Masse der arbeitenden Schichten sind aber 14 Tage Urlaub gang und gäbe geblieben. Das trifft besonders auf den großen Kreis der berufstätigen Frauen zu. Jeder Arzt wird bestätigen, daß der Mensch erst nach drei Wochen Ausspannung sich zu erholen beginnt. Die jetzige Regelung, 12 Tage Mindesturlaub zu gewähren, ist unzureichend. Sie bedarf dringend einer Änderung, wenn wir die Arbeitskraft erhalten wollen. Die Erhöhung des Mindesturlaubs für die berufstätige Frau von 12 auf 18 Werktage ist eine Notwendigkeit, der wir uns auf keinen Fall verschließen dürfen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Arbeit beantragt. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes ({0}).
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Auf das Wort zur Einbringung wird verzichtet.
Ich eröffne die Aussprache in erster Lesung. Wird das Wort gewünscht? - Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.
Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf an den Finanzausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir sind übereingekommen, die Punkte 4a und 4b zu Beginn der Nachmittagssitzung aufzurufen.
Ich komme deshalb zu Punkt 5 der Tagesordnung. Da es sich um sehr verschiedene Materien handelt, müssen wir die einzelnen Gesetzentwürfe getrennt diskutieren.
Ich rufe zunächst Punkt 5a auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ({1}).
Zur Begründung Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus.
Herr Präsiden! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Die Umsatzsteuer ist schon seit vielen Jahren im Gespräch. Wenn ich mich recht erinnere, war uns für diese Legislaturperiode eine große Umsatzsteuerreform versprochen worden. Es sieht aber jetzt nicht so aus, als ob es dazu kommen sollte. Man hört allerlei Reformvorschläge für kleinere Umsatzsteuerreformen.
Nun fragt sich, ob es angesichts der Notwendigkeit einer großen Steuerreform an der Zeit ist, das bestehende Umsatzsteuergesetz zu ändern. Wir von der FDP-Fraktion haben uns dazu entschlossen, obwohl wir nach wie vor eine große Umsatzsteuerreform für unbedingt erforderlich erachten. Unser Antrag trägt das Datum des 14. Oktober 1959. Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, daß kurz vorher in Berlin ,der Kongreß der freien Berufe getagt hat, auf dein alle Parteien des Bundestages ihre Auffassung zu verschiedenen Problemen der freien Berufe, darunter auch zur Umsatzsteuer, äußern konnten und sollten. Es war erfreulich festzustellen, wie die Vertreter aller Parteien dabei Verständnis zeigten und sich mehr oder weniger für eine Beseitigung der Umsatzsteuer für die freien Berufe aussprachen. In Anbetracht einer derartigen Einmütigkeit, die hier in dem Hohen Hause ja nicht immer da ist, fand ich den Zeitpunkt für eine Gesetzesinitiative günstig, damit dieses Problem nicht nur auf dem Berliner Kongreß, sondern jetzt auch an der Stelle beraten wird, wo es eigentlich hingehört, im Bundestag, im Finanzausschuß. Meine Fraktion war der gleichen Auffassung. Das war der Anlaß zu dieser von uns beantragten allerbescheidensten Umsatzsteuerreform.
Was will dieses Gesetz? Nach unserem Antrag soll die freiberufliche Tätigkeit, außerdem aber
auch die Tätigkeit der Handelsvertreter und Makler von der Umsatzsteuer befreit werden. Wenn man steuersystematisch vorgehen will, muß man von Anfang an fragen: passen diese Tätigkeiten überhaupt in unser bisher bestehendes Umsatzsteuersystem hinein? Diese Frage ist nicht neu. Schon der Reichsfinanzhof wurde im Jahre 1919, also als die Umsatzsteuer noch neu und die Frage akut war, aufgefordert, ein Gutachten über diese Frage abzugeben. Der Reichsfinanzhof hat sich in einem Gutachten vom 7. Februar 1919 geäußert, daß die Voraussetzung zur Erhebung von Umsatzsteuer nur dann vorliege, wenn die Beteiligten mindestens bei der regelmäßigen Gestaltung der Verhältnisse im freien Wirtschaftskampf stünden. Dies sei bei den in abhängiger Stellung befindlichen Personen nicht der Fall. In der Zwischenzeit ist auch noch niemand auf die Idee gekommen, das Einkommen von Arbeitnehmern zur Umsatzsteuer heranzuziehen.
Der Reichsfinanzhof fährt dann aber fort, den gleichen Beschränkungen seien auch die Angehörigen der freien Berufe ausgesetzt. Hierzu werden in dem genannten Gutachten noch weitere Ausführungen gemacht, und es wird nachgewiesen, daß die Angehörigen der freien Berufe keine wirtschaftlich kalkulierten Leistungen erbringen. Die Umsatzsteuer ist ja als solche eine Verbrauchsteuer. Weiterhin wirkt sich die Umsatzsteuer in den Preisen aus, so daß sie, so wie wir sie jetzt in der Allphasensteuer haben, auch einen Wettbewerb und die Möglichkeit des Kalkulierens voraussetzt.
Nun ist freiberufliche Tätigkeit geistige Tätigkeit. Eine geistige Leistung ist nicht meßbar, ist nicht wägbar. Sie hat auch keinen auf Grund des Wettbewerbs jeweils kalkulierten Preis. Wenn man davon ausgeht, muß man sagen: sie paßt nicht in die Umsatzsteuer. Eine geistige Leistung ist kein „Umsatz", um diesen Begriff zu gebrauchen, der der Umsatzsteuer zugrunde liegt. Das hat dazu geführt, daß in der Schweiz nur der Warenumsatz umsatzsteuerpflichtig ist und daß auch in Frankreich und an der Saar die freien Berufe von der Umsatzsteuer ausgenommen sind.
Denken Sie bitte daran, daß in den EWG-Verträgen die Harmonisierung der Steuern vorgesehen ist und durchgeführt werden muß. Wenn wir europäisch denken, sollten wir den berechtigten Wünschen, die Umsatzsteuer - schon aus rein rechtssystematischen Gründen - aus unserem Umsatzsteuersystem herauszunehmen, um so größeres Verständnis entgegenbringen.
Außer auf diese steuersystematischen Gründe möchte ich besonders noch darauf hinweisen, daß es sich hier doch um eine Frage handelt, die im Rahmen der von allen Parteien immer so sehr geschätzten Mittelstandspolitik liegt. Die Angehörigen der freien Berufe gehören zweifellos zum Mittelstand. Es handelt sich um eine Gruppe des Mittelstandes, die immer besonders angesprochen, deren Qualifikation und Bedeutung für einen demokratischen Staat von allen Parteien immer besonders hervorgehoben wird. Anerkennend wird darauf verwiesen, daß die freien Berufe den Lebenskampf in eigener
Verantwortung und unter Übernahme eines eigenen Risikos meistern. Das findet man heute nicht mehr so oft.
Die Bedeutung dieser Gruppe in unserem gesellschaftlichen Leben geht übrigens weit über ihre zahlenmäßige Stärke hinaus. Bedenklich ist, daß der Einkommensanteil der Angehörigen freier Berufe am Gesamteinkommen zurückgegangen ist. Während er im Jahre 1936 immerhin noch 1,4 % - das war also auch damals schon ein verschwindend geringer Prozentsatz - betrug, ist er im Jahre 1956 auf 0,9 % gesunken. Diese Tatsache sollte uns zu denken geben.
Wenn man eine gute Mittelstandspolitik treiben will, muß man auch die steuerlichen Maßnahmen ergreifen, die notwendig sind, um dem Mittelstand den Lebenskampf zu erleichtern. Ein kleiner Beitrag dazu ist die Beseitigung der Umsatzsteuer für die freien Berufe.
Ich darf darauf verweisen, daß die Belastung durch die Umsatzsteuer bei den einzelnen Berufen auch ungleichmäßig ist. Die Anwälte z. B. können die Umsatzsteuer auf ihre Mandanten abwälzen. In anderen freien Berufen ist das nicht der Fall. Außerdem sind die Angehörigen freier Berufe an die Gebührenordnungen gebunden; sie können ihre Leistungen nicht frei bemessen.
Es kommt noch etwas anderes hinzu. Die Angehörigen der freien Berufe stehen nicht nur untereinander im - allerdings durch Standesbestimmungen stark eingeschränkten - Wettbewerb, sondern teilweise auch im Wettbewerb mit öffentlichen Stellen, die gleichartige Leistungen erbringen, von denen eine Umsatzsteuer natürlich nicht erhoben wird. Ich verweise darauf, daß z. B. Katasterämter und Vermessungsingenieure bei gewissen Aufgaben in einem Wettstreit miteinander stehen oder daß staatlichen Untersuchungsämtern die freiberuflichen Chemiker oder kommunalen Prüfungsämtern anerkannte Prüfungsingenieure für Baustatik usw. gegenüberstehen. Die Angehörigen der freien Berufe zahlen dann Umsatzsteuer, die Behörden selbstverständlich nicht.
Lassen Sie mich noch auf etwas anderes hinweisen. Der freiberuflich Tätige hat eine besonders lange Berufsausbildung; er bedarf besonderer Qualifikation. Erst spät kommt er dazu, sich eine Existenz aufzubauen. Zum Aufbau und zur Sicherung der Existenz hat er deshalb nur wenige Jahre zur Verfügung. In diese Zeit fallen auch die Kosten für die Erziehung und Ausbildung der Kinder. Gleichzeitig soll er in eigener Verantwortung für Krankheit und für das Alter Vorsorge treffen. Das alles muß er in wenigen Berufsjahren tun. Dabei hat er nicht die Möglichkeit, sich durch seine berufliche Leistung größere Sachwerte zu schaffen, wie es in Produktionsbetrieben möglich ist. Die geistige Leistung wird nicht in Sachwerten nach außen sichtbar. In den Büros stehen keine Maschinen von größerem Wert. In Produktionsbetrieben können dagegen erhebliche Sachwerte geschaffen werden, die unter Umständen herangezogen werden können, um die Sorgen des Alters oder einer Berufsunfähigkeit zu bannen. In den freien Berufen ist das nicht der Fall.
Bei den Freiberuflichen wird das Einkommen außerdem praktisch zweimal versteuert, nämlich zuerst das Bruttoeinkommen, d. h. die Einnahmen aus Gebühren zusätzlich der Auslagen. Das ist das umsatzsteuerpflichtige Einkommen, das mit 4% Umsatzsteuer versteuert werden muß. Dann wird - unter Abzug der Auslagen - das Nettoeinkommen von der Einkommensteuer erfaßt. Praktisch wird also die gleiche Leistung zweimal steuerlich erfaßt. Über die Einzelheiten wird im Ausschuß noch zu sprechen sein.
Das sind einige der Gründe, welche die FDP veranlaßt haben, dieses Problem als vordringlich anzusehen, um noch in diesem Bundestag, in dem wahrscheinlich eine große Umsatzsteuerreform nicht mehr zu erreichen sein wird, wenigstens diese Frage endgültig in Ordnung zu bringen.
Wir betrachten auch die Tätigkeit der Handelsvertreter und Makler als eine Tätigkeit, die nicht der Umsatzsteuerpflicht unterliegen sollte. Wie ist es denn hier? Bei der Allphasensteuer wird bei jeder Phase, in der ein Produkt veredelt und weiter bearbeitet wird, auf der Grundlage des neuen Preises die Umsatzsteuer bezahlt. Aber bei der Tätigkeit des Handelsvertreters ist es doch so, daß die Ware, deren Verkauf durch den Makler bzw. Handelsvertreter vermittelt wird, schon bei dem Verkäufer durch die Umsatzsteuer erfaßt wird, und dann unterliegt sie beim Käufer noch einmal der Umsatzsteuer. Das ergibt sich aus dem System unserer Phasenumsatzsteuer; jetzt wird außerdem die Provision des Handelsvertreters noch versteuert. Hierzu ist zu sagen, daß es sich auch in diesem Fall um eine geistige Leistung handelt. Auch der Stand der Handelsvertreter hat in unserer Marktwirtschaft seine ganz spezielle und wichtige Aufgabe zu erfüllen. Das darf aber nicht dazu führen, daß praktisch die gleiche Ware - er liefert ja nicht, sondern er vermittelt nur - doppelt besteuert wird.
Noch einige Worte zu dem Steuerausfall! Es heißt ja jetzt immer: Der Haushalt ist so knapp gedeckt, daß ein Steuerausfall nicht ertragen werden könnte. Nun, wir haben einen 42 Milliarden-Haushalt vor uns, und die Schätzungen über den Steuerausfall sind nicht vollständig. In dieser Hinsicht wird ein Betrag von höchstens 100 Millionen DM genannt. Selbst wenn diese Summe stimmen sollte, bin ich der Auffassung, daß die infolge des Steuerausfalls fehlende Summe in einem 42 Milliarden-Haushalt durch Einsparungen an anderer Stelle ohne weiteres zu verkraften ist.
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Es kommt noch hinzu, meine sehr verehrten Kollegen, daß Sie erst in der letzten Woche neue Steuererhöhungen beschlossen haben. Wir waren nicht für die Heizölsteuer, aber wenn Sie insofern Bedenken haben sollten: Sie wissen ja alle, daß die sich aus der Heizölsteuer ergebenden Beträge wesentlich höher als die Mittel sind, die für die vorgesehenen Zwecke gebraucht werden. Allein dieses Aufkommen reicht aus, den Wegfall der Umsatzsteuer der freien Berufe mehrfach auszugleichen.
Und noch etwas, was meistens bei der Berechnung des Ausfalls übersehen wird: Es ist ja nicht so, daß dieser Betrag dann hundertprozentig wegfällt, sondern andere Steuern erhöhen sich dann automatisch in der einen oder anderen Weise.
Wir betrachten es als eine echte Aufgabe, dazu beizutragen, es den freien Berufen, diesen - wie ich früher einmal sagte - „Nachzüglern des Wirtschaftswunders", zu ermöglichen, so wie bisher auch in Zukunft selbständig und mit eigenem Risiko ihren Berufen nachzugehen und das zu verdienen, was ihrer Qualifikation entspricht und was sie brauchen, um nach wie vor in eigener Verantwortung für sich und ihre Familie auch in Alter und Krankheit zu sorgen.
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Sie haben die Einbringung dieser Vorlage gehört. Ich eröffne zunächst die Aussprache über Punkt 5a. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Eckhardt!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige wenige Worte zu diesem Antrag. Die Unterstützung der freien Berufe auch in steuerlicher Beziehung findet unsere volle Sympathie. Wir begrüßen es sehr, sehr verehrte Frau Kollegin, daß Sie sich dem Kreis anschließen, der sich schon im vorigen Bundestag und in diesem Bundestag Mühe gegeben hat, die Belange der freien Berufe zu fördern. Es ist keineswegs so, wie Sie annehmen, daß auf diesem Gebiet grundsätzliche Gegensätze aufeinanderstoßen. In erfreulicher Zusammenarbeit haben wir vielmehr etwa die Fragen des § 10 des Einkommensteuergesetzes, d. h. der Sonderausgaben für freie Berufe, des § 18 des Einkommensteuergesetzes hinsichtlich des Freibetrages und auch die Änderung des § 18 des Einkommensteuergesetzes hinsichtlich einer Ablehnung der Vervielfältigungstheorie behandelt. Die Erfolge, die erzielt worden sind, sind zum Teil auf diese, zum Teil auf jene Anregung zurückzuführen. Ich will mich dabei besonders auf die enge Zusammenarbeit berufen, die mit den Herren nicht nur der FDP gepflogen worden ist. In diesem Falle mußte man bisher sagen: den Herren. Ich freue mich, wie gesagt, daß Sie dazukommen. Bisher waren es Herr Eberhard und Herr Miessner sowie Herr Seuffert von der SPD. Wir haben hier an einem Strang gezogen, und die Entschließungen oder Beschlüsse, die wir zur Einkommensteuer und zur Umsatzsteuer gefaßt haben, sind von diesem Hause einmütig gebilligt worden.
Auch auf umsatzsteuerlichem Gebiet ist bereits einiges für die freien Berufe geschehen; das darf man nicht vergessen. Erstens haben wir den freien Erfindern, Ingenieuren usw. die Steuerfreiheit für die sogenannte geistige Ausfuhr zugebilligt, eine Beschlußfassung, bei der wir im 2. Bundestag durchaus mit der Einmütigkeit der Fraktionen rechnen konnten. Zweitens haben wir die Freigrenze des § 4 Ziffer 17 erhöht.
Wir sind im übrigen der Meinung, daß es, wenn Sie einen solchen Antrag stellen, eigentlich gar nicht verständlich ist, warum Sie die Handelsvertreter und Makler, bei denen im wesentlichen ähnliche Verhältnisse hinsichtlich der persönlichen Leistung vorliegen, anders behandeln wollen als die freien Berufe.
Daß die freien Berufe eine steuerliche Vergünstigung verdienen, darin stimmen wir alle völlig überein. Sie haben einmal nicht die vermögensmäßige Sicherung und den Rückhalt an einem Betriebsvermögen, den der gewerbliche Unternehmer besitzt. Sie haben zum anderen nicht die Altersfürsorge, die für abhängige Lohn- und Gehaltsempfänger im wesentlichen gewährleistet ist. Sie sind auch vermögensteuerlich schlechter gestellt. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß der selbstgeschaffene Versorgungsanspruch bewertungsmäßig der Vermögensteuer unterliegt im Gegensatz zum Pensionsanspruch der Beamten. All das sind Fragen, mit denen wir uns schon seit sehr langer Zeit beschäftigen. Wir haben dabei neben den freien Berufen, die unmittelbar am Wirtschaftsleben teilnehmen und sich schon besser helfen können, also den Anwälten, Ärzten, freien Journalisten und wirtschaftsberatenden Berufen, insbesondere jene Teile der freien Berufe im Auge, die es als Künstler, als Dichter, als Schriftsteller, als freie Forscher und Privatgelehrte in ihrem wirtschaftlichen Los schlechter getroffen haben als die meisten von uns allen und die meisten, die an der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik teilnehmen.
Ihr Antrag bedarf selbstverständlich der Beratung im Finanzausschuß. Ich weise darauf hin, daß auch der Hartmann-Ausschuß sich mit dem Problem beschäftigt hat und bereits im Januar einen Beschluß gefaßt hat, die Freibetragsgrenze des § 7a gerade für freie Berufe erheblich zu erhöhen und aus der Freigrenze des § 4 Ziffer 17 des Umsatzsteuergesetzes einen Freibetrag im Sinne des § 7a zu machen. Auch das wäre natürlich bereits ein erheblicher finanzieller Vorteil.
Im Hartmann-Ausschuß sind auch die Möglichkeiten einer Deckung für diese Anträge und Beschlüsse überlegt worden. Das ist ein Problem, das sehr ernst zu nehmen ist. Ich selbst habe Deckungsvorschläge gemacht, aus denen vielleicht sogar größere Reformmaßnahmen gestaltet werden können. Darüber müssen wir uns unterhalten.
Wir stimmen selbstverständlich der Überweisung an den Ausschuß zu und hoffen, daß im Interesse der freien Berufe der von uns gewünschte und sachlich gerechtfertigte Erfolg eintreten wird.
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Herr Abgeordneter Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokraten begrüßen es, daß der Antrag der Fraktion der FDP jetzt noch während des langjährigen Gesprächs über die Umsatzsteuerreform vorgelegt wird. Wenn er nicht
schon vorläge, hätten wir in diesen Tagen entsprechende Anträge gestellt. Denn diese Probleme sollten jetzt entschieden werden. Insbesondere die Umsatzsteuerfreiheit der freien Berufe ist ein Grundsatz, für den sich die Sozialdemokraten innerhalb und außerhalb des Hauses schon immer ausgesprochen haben. Wir haben schon mehrfach Anträge in dieser Richtung im Hause gestellt und unterstützt und wir werden deswegen auch diesen Antrag der Fraktion der FDP voll unterstützen.
Der Grundsatz, von dem wir dabei ausgehen, ist - neben anderen Gründen, die in der Begründung durchaus zutreffend angeführt worden sind -, daß Umsatzsteuer auf Arbeitseinkommen nicht erhoben werden sollte, und zwar gleichgültig, ob das Einkommen aus selbständiger oder aus unselbständiger Arbeit stammt. Erst recht nicht sollte eine Umsatzsteuer auf geistige Arbeit erhoben werden, um die es sich bei den freien Berufen nach wie vor in erster Linie handelt.
Ein weiterer, ich glaube, sehr wichtiger Grund ist, daß, wie alle Erörterungen über die Umsatzsteuerreform zwingend zeigen, die Umsatzbesteuerung der selbständigen Arbeit und der freien Berufe weder im gegenwärtigen Umsatzsteuersystem einen begründeten Platz hat, in dem sie also rein aus fiskalischen Gründen und aus Gründen der Gleichziehung verankert ist, noch in irgendeinem anderen denkbaren System der Umsatzsteuer einen Platz finden könnte. Die Bereinigung dieses Problems ist also geradezu eine Voraussetzung für eine durchgreifende Umsatzsteuerreform.
Was die Handelsvertreter und Makler anlangt, so wird einiges zu prüfen sein, insbesondere inwieweit es sich hier - was, wie ich sagte, für uns grundsätzlich entscheidend ist - um Arbeitseinkommen oder etwa um anderes Einkommen handelt. Man wird zugeben müssen, daß z. B. bei den Provisionen eines Generalvertreters mit Bezirksvertrag nicht ohne weiteres Arbeitseinkommen gegeben sein muß. Man wird andere Untersuchungen, vielleicht auch Ausfallschätzungen in dieser Beziehung anstellen müssen.
Prinzipiell begrüßen wir auch diesen Antrag. Wir glauben, daß als Allermindestes eine Ausweitung der bestehenden Vergünstigungen für diese Sparte anzustreben ist. Wir hoffen, daß der Bundestag über die freundlichen Worte hinaus, die auch Herr Kollege Eckhardt dem gesamten Problem jetzt gewidmet hat
({0})
- nicht erst jetzt gewidmet hat; Sie haben freundlicherweise erwähnt, daß wir hierin auf vielen Seiten des Hauses einig sind -, auch zu tatsächlichen Entscheidungen kommt. Ich hoffe sehr, daß die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Eckhardt namens der stärksten Partei nicht auf eine Ablehnung dieses Antrags hinausliefen.
Keine weiteren Wortmeldungen. Hinsichtlich dieser Vorlage ist Überweisung an den Finanzausschuß und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung vorgesehen. Das Haus ist damit einverstanden? -Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Ich rufe auf Punkt 5b:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beförderungsteuergesetzes ({0}).
Zur Einbringung hat der Herr Abgeordnete Eisenmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Fraktion der FDP hat den Antrag Drucksache 1520, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Beförderungsteuergesetzes, mit der Zielsetzung eingebracht, daß den Betrieben, die zur Beförderungsteuer veranlagt werden, die gleiche Vergünstigung eingeräumt wird wie den Betrieben, die zur Umsatzsteuer veranlagt werden. Die Kraftdroschken- und Mietwagenbetriebe z. B. müssen heute 4 % der Gesamteinnahmen als Beförderungsteuer zahlen, ohne daß sie die Möglichkeit haben, einen Freibetrag - wie er in § 7a des Umsatzsteuergesetzes vorgesehen ist - abzusetzen. Wir von der FDP-Fraktion sind der Meinung, daß diese kleinen mittelständischen Betriebe, wie vorhin von Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus und von unseren anderen Freunden angedeutet worden ist, nicht auf Rosen gebettet sind und daß ein berechtigter Anspruch auf Einräumung eines Freibetrages auch hei der Beförderungsteuer besteht.
Deshalb beantragen wir, in § 10 einen neuen Absatz einzufügen, wonach bei einer beförderungsteuerpflichtigen Einnahme bis zu 80 000 DM ein Einnahmebetrag von 8000 DM abgesetzt werden kann und wonach die Bundesregierung ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung eine Überleitung dahingehend zu schaffen, daß, wenn die Einnahme geringfügig über die Grenze von 80 000 DM hinausgeht, nur stufenweise auf die volle Besteuerung übergeleitet wird.
Der Antrag erstrebt also weiter nichts als die nach unserer Auffassung berechtigte Gleichstellung der beförderungsteuerpflichtigen Unternehmen mit den umsatzsteuerpflichtigen Betrieben. Eigenartigerweise, ich möchte fast sagen, ungerechtfertigterweise, war bisher für die beförderungsteuerpflichtigen Betriebe kein Freibetrag vorgesehen. Ich bin der Meinung, eigentlich hätte, als der § 7a für die zur Umsatzsteuer veranlagten Betriebe eingeführt wurde, gleichzeitig bei der Beförderungsteuer ein gleicher Freibetrag vorgesehen werden müssen.
Wir bitten, den Antrag an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Verkehr zu überweisen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem von der FDP vorgelegten Antrag stecken noch einige andere Probleme, z. B. die Änderung des Steuerpflichtigen. Bisher ist Steuerpflichtiger derjenige, der das Beförderungsentgelt zahlt: Sie wollen nun auf den Unternehmer umstellen. Dieses Problem muß im Finanzausschuß gründlich geprüft werden. An sich entspricht die Anregung einer Entschließung, die bei der Verabschiedung des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 gefaßt worden ist und in der die Bundesregierung aufgefordert wurde, zu prüfen, ob nicht auf den Unternehmer als Steuerschuldner abgestellt werden könnte.
Im übrigen sind wir, was die Gleichstellung der Umsatzsteuerpflichtigen mit den Beförderungsteuerpflichtigen angeht, der gleichen Meinung wie die FDP; man sollte das in Erwägung ziehen und im Finanzausschuß entsprechend beschließen.
Keine weiteren Wortmeldungen. - Sie haben den Vorschlag gehört, den Gesetzentwurf an den Finanzausschuß federführend - und den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen - mitberatend - zu überweisen. Das Haus ist damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5c der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes ({0}).
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? -Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige kurze Worte zur Erläuterung unseres Antrages.
Der Antrag betrifft kleinere Vereine, Stiftungen und andere Vermögensmassen nicht eigentlich wirtschaftlicher Art, die durch die Systematik unserer Steuergesetzgebung im Körperschaftssteuergesetz zusammen mit den großen Wirtschaftsunternehmen und den Kapitalgesellschaften stehen, mit denen sie eigentlich nach der Sache nicht recht zusammengehören.
Diese neben den Kapitalgesellschaften stehenden sonstigen Steuerpflichtigen nach dem Körperschaftsteuergesetz sind durch die letzten Maßnahmen in der Körperschaftsteuer recht hart betroffen worden, indem der allgemeine Satz der Köperschaftsteuer, der auch für sie gilt, heraufgesetzt worden ist, und zwar durch den - nach unserer Meinung sehr ungerechtfertigterweise - extrem niedrigen Satz für die Ausschüttungen, von dem diese Körperschaftsteuerpflichtigen gar keinen Gebrauch machen können. In den Verwaltungsrichtlinien ist für derartige Steuerpflichtige schon immer eine Bagatellgrenze vorgesehen gewesen. Danach unterblieb eine Veranlagung, wenn nicht ein Einkommen von mehr als 500 DM jährlich anzunehmen war. Weil die von mir angeführten Institutionen durch die Körperschaftsteuererhöhungen besonders betroffen worden sind und weil derartige Grenzen sowieso der Nachprüfung bedürfen, schlagen wir vor, die Grenze durch Gesetz auf 3000 DM Einkommen jährlich zu erhöhen. Damit würde der Lage dieser Stiftungen, kleinen Vereine usw. Rechnung getragen werden.
Wir bitten, die Vorlage an den Ausschuß zu überweisen.
Sie haben die Einbringung gehört. Wird das Wort gewünscht? - Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.
Es ist Überweisung an den Finanzausschuß und an den Haushaltsausschuß - wegen § 96 der Geschäftsordnung - vorgeschlagen. - Das Haus ist mit dieser Überweisung einverstanden; sie ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Abwicklung der Kriegsgesellschaften ({0}) ;
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses ({1}) ({2}).
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht? - Der Herr Berichterstatter verzichtet.
Ich rufe in der zweiten Beratung auf die §§ 1, -2, - 3, - 4, - 4a, - 5, - 6, - die Einleitung und die Überschrift. Wird das Wort gewünscht? - Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.
Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - In zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache! - Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - In dritter Lesung angenommen.
Punkt 7:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kraftloserklärung von Hypotheken-, Grundschuld- und Rentenschuldbriefen in besonderen Fällen ({3}) ;
Mündlicher Bericht des Rechtsausschusses ({4}) ({5}).
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Herr Berichterstatter verzichtet.
Zweite Beratung! Ich rufe auf die §§ 1, - 2, - 3, - 4, - die Einleitung und die Überschrift. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - In zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen. Wer zustimmen
will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. August 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Island über den Luftverkehr ({6}) ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen ({7}) ({8}).
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. -- Der Herr Berichterstatter verzichtet.
Zweite Beratung! Art. 1, - Art. 2, - Einleitung und Überschrift! Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Angenommen.
Dritte Beratung!
Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen.
Die Aussprache ist geschlossen. Wer zustimmen
will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Punkt 9:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vorn 30. Mai 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenlegung der Grenzabfertigung und über die Einrichtung von Gemeinschafts- oder Betriebswechselbahnhöfen an der deutschniederländischen Grenze ({9}).
Ich frage, ob das Wort zur Einbringung gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. - Ich eröffne die Aussprache in der ersten Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Finanzausschuß - federführend -, an den Ausschuß für Verkehr, Post und Fernmeldewesen - mitberatend -. Das Haus ist einverstanden, ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Punkt 10:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Wirtschaftsrechnungen privater Haushalte ({10}).
Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht.
- Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Wirtschaftsausschuß und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. - Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.
Punkt 11:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
eine Gewerbesteuerstatistik für das Kalenderjahr 1958 ({11}).
Auf das Wort zur Einbringung wird verzichtet. - Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Finanzausschuß. Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.
Punkt 12:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Schlachtgewichtsstatistik ({12}) .
Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. - Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.
Punkt 13:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Fischereistatistik ({13}).
Keine Wortmeldungen zur Einbringung. - Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Punkt 14:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
I) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1960 ({14}) ({15}).
Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. - Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. Vorgesehen ist Überweisung an den Wirtschaftsausschuß - federführend -, an den Haushaltsausschuß und wieder einmal an einen dritten Ausschuß, an den Außenhandelsausschuß. Ist das Haus ausnahmsweise damit einverstanden? - Es ist so beschlossen:
Punkt 15:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schmidt ({16}), Bading, Margulies, Dr. Schild, Geiger ({17}) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ({18}).
Keine Wortmeldungen zur Einbringung. - Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Finanzausschuß. Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.
Punkt 16:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes ({19}).
Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. - Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Rechtsausschuß - federführend -, an den Ausschuß für Sozialpolitik - mitberatend -. Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.
Punkt 17:
Beratung der Sammelübersicht 17 des Ausschusses für Petitionen ({20}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen ({21}).
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Herr Berichterstatter verzichtet. Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Einstimmig angenommen.
Punkt 18:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten ({22}) über den Entschließungsantrag der Fraktion der DP zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1959
hier: Einzelplan 05 ({23}).
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Herr Berichterstatter verzichtet. Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. Wer dem Ausschußantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen!
Punkt 19:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({24}) über den Antrag der Abgeordneten Lücker ({25}), Gerns, Jacobs und Genossen betr. Teilnahme an der Kampagne der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen ({26}) für die Erzeugung und Verwendung hochwertigen Saatgutes ({27}) .
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Der Herr Berichterstatter verzichtet. Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen!
Punkt 20:
Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs einer Dreiundzwanzigsten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ({28}) ({29}) .
Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. Allgemeine Ausprache! - Keine Wortmeldungen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Es ist Überweisung an den Außenhandelsausschuß vorgeschlagen. - Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.
Punkt 21:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({30}) über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP betr. Trockenheitsschäden ({31}).
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Der Herr Berichterstatter verzichtet. Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist gschlossen. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Punkt 22:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft ({32}) über den Antrag der Fraktion der SPD
betr. Überwachung radioaktiver Verseuchung ({33}).
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Herr Berichterstatter verzichtet. Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Angenommen.
Punkt 23:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({34}) über den Antrag der Abgeordneten Simpfendörfer, Baier ({35}), Berberich und Genossen
betr. Bau der Autobahn im Raume Heilbronn ({36}) .
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Herr Berichterstatter verzichtet. Allgemeine Aussprache! - Das Wort hat der Abgeordnete Simpfendörfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem Antrag Drucksache 1560 erlaube ich mir folgende Erklärung abzugeben.
Der Punkt 1 des Antrages - Ausbau des Weinsberger Kreuzers - ist der erste und notwendigste Planungsschritt zur Weiterführung der Autobahn in Richtung Heidelberg und Würzburg und die Voraussetzung für die östliche Linienführung nach Nürnberg. Leider enthält der Vierjahresplan keine Mittel für diese Planung, obgleich nach mündlichen Aussagen des Verkehrsministeriums den Heilbronner Kommunalpolitikern gegenüber in Bonn eine Zusage gegeben war. Sowohl die Industrie- und Handelskammer Heilbronn wie der Staatsanzeiger von Baden-Württemberg haben schon vor längerer Zeit erklärt, daß der Autobahnbau Weinsberg-Heilbronn vorgezogen werden soll. Mit der Festlegung
des Weinsberger Kreuzes wäre die Voraussetzung für die Bestimmung der Trasse nach Norden gegeben. Die wirtschaftliche Erschließung der Förderungsgebiete des Odenwaldes, des Baulands und der fränkischen Kreise wie auch die dringende Felderzusammenlegung könnten dadurch in diesen Gebieten vorwärtsgehen.
Punkt 2 des Antrages befaßt sich mit der Weiterführung der Autobahn bis Neckarsulm. Der Durchgangsverkehr durch die Städte Heilbronn, Neckarsulm und Weinsberg könnte durch diesen kurzen Bauabschnitt wesentlich entlastet und geregelt werden. Besonders hart betroffen ist durch den Durchgangsverkehr die Stadt Weinsberg. Die Stadt ist durch den Verkehrsstrom in zwei Teile zerschnitten. Oft kann die Straße stundenlang kaum überquert werden. Verkehrsspitzen brachten innerhalb von 24 Stunden bis zu 20 000 Fahrzeuge durch die Stadt. Nach der Verkehrszählung liegt ,der Durchschnitt bei täglich zirka 9000 bis 10 000 Fahrzeugen, darunter zirka 2500 Schwerlastzüge.
Durch die verkehrstechnisch ungünstige Linienführung der Autobahn Heidelberg-Stuttgart nehmen die Schwerlastzüge den leichteren und kürzeren Neckartalweg und gehen in Weinsberg auf die Autobahn oder die Bundesstraße 39. Auch die Lastzüge aus dem Industriegebiet des Heilbronner Raumes würden über die B 27 ohne jede Steigung die Autobahn erreichen. Dadurch würde die ungünstige Zubringerstraße von Heilbronn zur Autobahn nach Stuttgart vom Lkw-Verkehr weitgehend frei werden und für den Pkw-Verkehr weiterhin genügen.
Ähnlich wie in Weinsberg sind die Zustände in Bad Friedrichshall, Neckarsulm und Heilbronn.
Wenn auch der Beschluß des Haushaltsausschusses, Drucksache 1662, meiner Vorstellung nicht ganz gerecht wird, so glaube ich doch, daß es die Pflicht der Bundesregierung ist, diesen Tatsachen Rechnung zu tragen. Darum ersuche ich das zuständige Bundesverkehrsministerium.
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag des Ausschusses ist einstimmig angenommen.
Punkt 24 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses ({0}) über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Zweiundzwanzigsten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ({1}) ({2})
Der Herr Berichterstatter verzichtet auf das Wort. Ich eröffne die Aussprache. - Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen. Wer dem An5844
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
trag des Außenhandelsausschusses zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! -Enthaltungen? - Angenommen.
Punkt 25:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung von reichseigenen Grundstücken an das Land Berlin für den Neubau der Berliner Philharmonie ({3}).
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort
wird nicht gewünscht. Es ist Überweisung an den Haushaltsausschuß vorgesehen. - Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.
Punkt 26:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Verkauf der ehem. HansaMühle in Bremen an die Soja-Gesellschaft Bremen GmbH in Bremen ({4}).
Wird das Wort dazu gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Haushaltsausschuß. - Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Damit sind wir in der Tagesordnung so weit, daß wir heute nachmittag um 14.30 Uhr in die Beratung des Punktes 4 der Tagesordnung betreffend die Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk GmbH eintreten können. Mit der Beratung dieses Tagesordnungspunktes wäre die Tagesordnung nicht nur für heute, sondern für diese Woche erschöpft. Die Präsenzpflicht für Freitag bleibt, weil die Ausschüsse tagen müssen.
Ich unterbreche die Sitzung.
({5})
Die Sitzung wird wieder aufgenommen.
Ich darf bekanntgeben, daß die nächsten Fragestunden Donnerstag, den 7. April, und Freitag, den 8. April, stattfinden. Die Sperrfrist ist Freitag, der 1. April, 15 Uhr.
Wir kommen zu Punkt 4 der Tagesordnung:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung ({0});
Mündlicher Bericht des Rechtsausschusses 112. Ausschuß) ({1});
({2}) ;
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Adenauer, Dr. Dr. h. c. Erhard, Blank, Häussler, Arndgen, Hahn, Stücklen, Cillien, Dr. Elbrächter, Dr. Krone und Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung und
die Überführung der Anteilscheine in private Hand ({3});
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses ({4}) ({5}); ({6}).
Das Wort ,als Berichterstatter zu Punkt 4a hat der Abgeordnete Dr. Wilhelmi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drucksache 1586 hat zwischen der ersten Lesung, die am 14. Oktober 1959 stattfand, und dem heutigen Tage eine wesentliche Veränderung erhalten. Der Gesetzentwurf zerfällt heute in zwei entscheidende Teile.
In § 1 kommt zum Ausdruck, daß der Bund sich das Eigentum an den Anteilen der Volkswagenwerk GmbH aneignet, und zwar geschieht es rechtlich auf Grund des Art. 135 Abs. 5 des Grundgesetzes. Die Frage war in der ersten Lesung streitig. Sie ist heute praktisch nicht mehr streitig, weil inzwischen ein Vergleich zwischen dem Bund und dem Land Niedersachsen abgeschlossen worden ist, dessen Grundlage eine Einigung über die Eigentumsverhältnisse bildet. Der Bund macht auf Grund der zitierten Bestimmung von seinem Aneignungsrecht Gebrauch, so daß er Eigentümer rückwirkend mit der Konstituierung der Bundesrepublik geworden ist.
§ 2 enthält die Genehmigung des Vertrages, der zwischen der ersten und der zweiten Lesung einerseits von der Bundesregierung und andererseits von der Landesregierung Niedersachsen abgeschlossen worden ist. Diesen Vertrag finden Sie als Anlage zu der Drucksache. Es ist nicht meine Aufgabe, Ihnen den Vertrag jetzt im einzelnen vorzulesen; Sie haben ihn vor sich liegen.
Ich darf Sie nur auf folgendes aufmerksam machen. In den letzten Wochen ist ein gewisser Streit zwischen den Auffassungen des Bundes einerseits und den Auffassungen des Landes Niedersachsen andererseits bei der Auslegung des Vertrages ausgebrochen. Sie müssen sich deshalb bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf in zweiter Lesung, mit dem der Vertrag genehmigt wird, darüber klar sein, daß über einen Vertrag abgestimmt wird, über dessen Auslegung möglicherweise - oder man kann fast sagen: sicherlich - noch Verhandlungen geführt werden.
Der Streit geht um folgendes. Das Land Niedersachsen hat beanstandet, daß in dem Privatisierungsgesetz die Aktien, die das Land Niedersachsen nach dem Vergleich erhält, nämlich 20 % des Grundkapitals, den gleichen Bedingungen unterworfen werden, wie sie das Privatisierungsgesetz für alle übrigen Aktien vorsieht. Das Land Niedersachsen steht auf dem Standpunkt, aus dem § 2 und dem Gesamtinhalt des Vertrages ergebe sich, daß es Aktien zu beanspruchen habe, die anders seien als die Aktien, die nun einmal ganz allgemein für das Volkswagenwerk geschaffen werden. Es glaubt, sich darauf stützen zu können, daß nach § 2 Abs. 1 der Bund und das Land Niedersachsen je 20 % des Grundkapitals der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft erhalten und daß es dann in Abs. 2 heißt: „Die restlichen 60 % des Grundkapitals werden in
Form von Kleinaktien in noch im Benehmen mit dem Lande Niedersachsen festzulegenden Raten veräußert werden."
Es war niemals der Wille der Bundesregierung oder auch der Ausschüsse, die diese Frage behandelt haben, Aktien mit verschiedenen Rechten zu schaffen. Beide Ausschüsse, sowohl der Rechtsausschuß, über dessen Beratung ich zu berichten habe, als auch der Wirtschaftsausschuß, haben sich sehr eingehend mit den Argumenten, die vom Land Niedersachsen und von Vertretern der Bundesregierung vorgetragen worden sind, befaßt. Es ist selbstverständlich, daß beide Ausschüsse nicht abschließend Stellung nehmen konnten. Infolgedessen muß die Frage der Auslegung des Vertrages in diesem Punkt offenbleiben. Das ist das, was Sie bei der Abstimmung zu beachten haben. Über Einzelheiten zu sprechen wird sich noch Gelegenheit bieten, wenn das Privatisierungsgesetz behandelt wird.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Das Wort als Berichteistatter zu Punkt 4 b) hat der Abgeordnete Dr. Dahlgrün.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, damit einverstanden zu sein, daß ich im Zusammenhang mit dem von mir vorgelegten Bericht des Wirtschaftsausschusses, den ich Ihnen aus Zeitmangel leider nicht gedruckt, sondern nur hektographiert vorlegen konnte, einige wenige Bemerkungen zum Grundsätzlichen vorausschicke. Daß der Komplex Volkswagenwerk heute auf der Tagesordnung des Bundestages steht und abschließend gesetzlich geregelt werden soll, hat hier und da Überraschung ausgelöst, weil man angenommen hat, daß die Politik sich gerade diesen fetten Brocken nicht entgehen lassen und daß man noch eine geraume Zeit darüber kräftig und lautstark streiten werde. Die Mitglieder des mitberatenden Rechtsausschusses und des Wirtschaftsausschusses sind dieser Verführung nicht erlegen, sondern haben in gemeinsamer sachlicher Arbeit einen Gesetzentwurf erarbeitet, der sich in mehrfacher Hinsicht von dem ursprünglichen Initiativgesetzentwurf sehr unterscheidet und dem allerdings, wie wir wahrscheinlich später noch hören werden, eine ganze Reihe von Mängeln anhaftet.
Indem die Ausschüsse schnell zum Schluß gekommen sind, haben sie - was ich von dieser Stelle aus einmal betonen möchte - eine Verpflichtung diesem großen Unternehmen, seiner Leitung und den vielen Zehntausenden von arbeitenden Menschen gegenüber erfüllt, die in diesem Riesenwerk Leistungen von weltweiter Bedeutung erbracht haben. Diese Verpflichtung hat darin bestanden, das Wirtschaftsunternehmen Volkswagenwerk möglichst schnell aus der politischen Tagesdiskussion herauszubringen und wieder dahin zu stellen, wohin es einzig und allein gehört, auf das weite Feld der freien Wirtschaft, wo es arbeiten und schaffen soll. Dafür, daß der Bund und das Land Niedersachsen durch den Abschluß des Vergleichsvertrages bei
beiderseitigem Nachgeben, wie sich das bei einem Vergleich gehört - dazu beigetragen haben, dies möglich zu machen, daß sie eine wesentliche Voraussetzung dafür geschaffen haben, sei ihnen, dem Bund und dem Lande Niedersachsen, auch an dieser Stelle gedankt, wobei ich glaube, daß ein guter Teil dieses Dankes für seine Bemühungen um das Zustandekommen des Vergleichsvertrags dem leider darüber hingestorbenen Schatzminister Dr. Lindrath gebührt.
Abgesehen von der nicht vermeidbaren schlechten Wirkung eines Prozesses zwischen dem Bund und einem Lande auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern allgemein, kann das Unternehmen Volkswagenwerk alles andere als einen Rechtsstreit über seine Rechtsgrundlagen brauchen; denn wirtschaftliche Leistungen können nur auf Grund klarer, gesicherter Rechtsgrundlagen erbracht werden. Dazu gehört, was ich zum Schluß meiner allgemeinen Bemerkungen hervorheben möchte, außerdem die volle Berücksichtigung der Belange des Unternehmens, insbesondere bei wichtigen Zukunftsfragen, die sich nach Verabschiedung dieser Gesetze, die heute erfolgen soll, ergeben, beispielsweise bei der Höhe des Grundkapitals der zu schaffenden Volkswagenwerk-Aktiengesellschaft und bei der Festsetzung des damit in Zusammenhang stehenden Ausgabekurses, beides Dinge, die nicht Gegenstand der heute von uns zu schaffenden gesetzlichen Regelung sind und sein können. Der Bund und das Land Niedersachsen werden bei diesen zukünftigen Entscheidungen das Werk zu sehen haben, dem der Wind des Wettbewerbs in das Gesicht bläst, das sich täglich im Wirtschaftskampf bewähren und selbstverständlich dafür gerüstet sein muß; nur dann können die Wissenschaft und die Forschung Erträge erwarten und können die Aktionäre mit Dividenden rechnen, die ja nicht vom Himmel fallen, sondern hart erarbeitet werden müssen. Wenn sich die Besitzer der breit gestreuten Aktien bewußt sind oder werden, daß jede Aktie ein Risikopapier ist und bleibt, wird die grundsätzlich begrüßenswerte Teilprivatisierung eines wirtschaftlichen Unternehmens zusätzlich eine wünschenswerte Wirkung auslösen. Sie wird nämlich das Verständnis für die Notwendigkeiten, die Arbeitsweisen in der Wirtschaft und für wirtschaftliche Zusammenhänge in breiten Schichten der Bevölkerung stärken und dadurch dazu beitragen, daß Mißverständnisse und Ressentiments abgebaut werden.
({0})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren! Es ist vorgeschlagen worden, entgegen der sonstigen Übung, aber gemäß § 80, Abs. 1, letzter Satz der Geschäftsordnung der zweiten Lesung eine allgemeine Aussprache voranzustellen. Besteht Einverständnis damit?
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth, bitte!
Von dieser Regelung ist uns nichts bekannt, sie ist nicht im Einvernehmen mit uns getroffen worden. Wir sind darauf nicht vorbereitet und bitten, nach der allgemeinen Übung zu verfahren.
Wird ein formeller Antrag gestellt im Sinne der Anregung, die an mich herangetragen wurde? - Das ist nicht der Fall; dann bleibt es bei der geschäftsordnungsmäßigen Regelung.
Ich rufe also in zweiter Lesung auf § 1. Wird das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Deist!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem aufgerufenen § 1 wird die Grundlage für die Privatisierung des Volkswagenwerkes gelegt. Diese Vorschrift bietet Anlaß, einige grundsätzliche Bemerkungen zu diesem Gesetzeswerk zu machen.
Der aufgerufene Gesetzentwurf ist das sogenannte Vorschaltgesetz, das das Eigentum für den Bund festlegt, das die Genehmigung eines Vertrages vorsieht, wonach 60 % des Kapitals des Volkswagenwerks privatisiert werden sollen. Der Gedanke einer Stiftung ist aufgenommen worden; aber der Stiftung sollen nur die Dividenden von höchstens 40 % des Aktienkapitals und die etwaigen Zinserträge des restlichen Vermögens zufließen. Diese Beträge sollen Wissenschaft und Forschung zur Verfügung gestellt werden.
Da wir uns mit einem Gesetzentwurf zu befassen haben, dem die Regierungsparteien, wenn ich es richtig verstanden habe, eine ganz besondere Bedeutung beimessen, scheint es mir richtig zu sein, einen kurzen Rückblick auf seine Entwicklung zu geben.
Im Dezember 1957 lag uns der erste Gesetzentwurf dieser Art, ein Gesetzentwurf der CDU/CSU über die Änderung der Eigentumsverhältnisse am Volkswagenwerk, vor. Er sah volle Privatisierung vor, er sah damals noch Namensaktien vor, um einen Mißbrauch mit dem Aktienbesitz zu verhindern, und er sah vor, ein Sondervermögen aus dem Erlös zu bilden, das insbesondere der Wirtschaft des Saarlandes, der Wasserwirtschaft und der mittelständischen Wirtschaft zugute kommen sollte. Von Forschung und Hochschulen war nur am Rande die Rede. Keine laufenden Gewinne für diesen Zweck! Das war allenfalls ein Alibi, um dem Vorwurf zu entgehen, hier werde eine Chance verpaßt, einen so wichtigen Vermögenszuwachs und eine so gewaltige Gewinnquelle Zwecken der Forschung und Wissenschaft nutzbar zu machen.
Sie wissen, daß die Sozialdemokratie darauf im Januar 1958 einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der vorsah, eine Stiftung Volkswagenwerk zu bilden. Wir gingen dabei von dem Gesichtspunkt aus, daß das Volkswagenwerk eine hohe Ertragskraft hat, und waren der Auffassung, daß dieser Ertrag, soweit er nicht für den Bestand und Ausbau des Werkes erforderlich ist, in erster Linie für Zwecke
der Forschung und der Ausbildung an den Hochschulen zur Verfügung gestellt werden sollte.
Wir gingen von dem zweiten Gesichtspunkt aus, daß der öffentliche Einfluß in einem solchen Unternehmen gesichert werden müsse. Darum hatten wir vorgeschlagen, daß in einem Verwaltungsrat von 15 Personen insgesamt 6 Vertreter von Bund und Ländern vertreten sein sollten.
Schließlich meinten wir, daß es Aufgabe des Werkes sei - und wir haben das sehr deutlich ausgesprochen -, breite Schichten der Bevölkerung mit einem billigen und guten Kraftwagen zu versorgen, den Wettbewerb in der Autoindustrie zu fördern, vorbildliche Arbeitsbedingungen und ein vorbildliches Ausbildungswesen zu schaffen und schließlich eine vorbildliche Publizität gegenüber der Öffentlichkeit zu beweisen.
Wir hatten damals versucht, das Gespräch über das Volkswagenwerk aus der Enge der parteipolitischen Auseinandersetzungen herauszuheben und eine großzügige Lösung zu finden, die diese gewaltige Ertragskraft einer so wichtigen Aufgabe wie Forschung und Wissenschaft nutzbar machte, die Gefahr einer einseitigen Herrschaft in der gesamten Automobilindustrie durch private Großunternehmen verhinderte und den ungeheuren Vermögenszuwachs, den dieses Unternehmen hat, nicht nur begrenzten Gruppen, sondern einer Gemeinschaftsaufgabe dienstbar machte.
Wir verzeichnen mit Genugtuung, daß es der öffentlichen Meinung und dem Widerstande Niedersachsens gelungen ist, durchzusetzen, daß diesen Gesichtspunkten wenigstens in gewissem Umfange Rechnung getragen wurde.
({0})
Wenigstens soll nach den vorliegenden Gesetzentwürfen auch eine Stiftung für Wissenschaft und Forschung gebildet werden. Diese Stiftung erhält nur sehr beschränkte Mittel, immerhin werden aber einige Mittel zur Verfügung gestellt.
({1})
- Aber es bleibt der Tatbestand, daß das Volkswagenwerk mit 60 % in private Hände gelangt und daher 60 % des Ertrages nicht für Wissenschaft und Forschung zur Verfügung stehen.
Schließlich verzeichnen wir mit Genugtuung, daß wenigstens ein gewisser Einfluß der öffentlichen Hand in diesem wichtigen Unternehmen gesichert ist, da Niedersachsen einen Anteil von 20 % erhalten hat, den es auch zu behalten beabsichtigt.
Ich möchte daher an dieser Stelle die niedersächsische Regierung beglückwünschen, daß es ihr gelungen ist, wenigstens einige Giftzähne aus diesem Vertrags- und Gesetzeswerk herauszubrechen.
({2})
Für das Land Niedersachsen ist es sogar ein großer Erfolg, weil es einen Löwenanteil der Mittel für Forschung und Ausbildung erhält.
({3})
Aber wir haben es hier nicht mit den Landesinteressen des Landes Niedersachsen, wir haben es nicht mit der Regierung von Niedersachsen zu tun, sondern wir haben es hier mit der Bundesregierung und ihrer Politik zu tun. Darum ist die Frage gerechtfertigt: was bedeutet gesamtvolkswirtschaftlich gesehen diese Privatisierung des Volkswagenwerkes?
Nach dem Willen der Mehrheit dieses Hauses soll gesichert werden, daß möglichst kein öffentlicher Einfluß im Volkswagenwerk wirksam wird, und wenn doch, dann in einem Ausmaß, das als ausgesprochen gering bezeichnet werden muß. Darum soll jeder der Aktionäre nur ein Zehntausendstel Stimmrecht haben. Aber es ;ist nicht uninteressant, daß Gruppenvertretungen, insbesondere Banken, zwei Prozent der Stimmrechte ausüben dürfen.
({4})
- Wir sind bei dem grundsätzlichen § 1 dieses Vorschaltgesetzes,
({5})
zu dem ich diese grundsätzlichen Ausführungen machen möchte. Ich glaube, das widerspricht nicht der parlamentarischen Praxis und Übung. Wir verzichten dann bei der dritten Lesung auf entsprechende Darlegungen, wenn das zur Beruhigung dienen kann.
Meine Damen und Herren, das bedeutet, daß innerhalb des Unternehmens eine merkwürdige Machtverschiebung vor sich geht. Wenn Sie nämlich berücksichtigen, daß bei Publikumsgesellschaften normalerweise etwa 80 % in den Hauptversammlungen anwesend sind und daß von diesen 80 % normalerweise etwa 80 % von Banken vertreten sind, dann kommen Sie zu folgendem Ergebnis: Wenn nur zehn Banken vorhanden sind, können sie 20 % der Stimmrechte ausüben. Das sind 1,2 Millionen Stimmen. Wenn dann, wie üblich, nur 20 % Volksaktionäre selbst auftreten oder sich durch besondere Vollmacht vertreten lassen, sind es 80 % von 20 %, d. h. nur 16 % der Stimmrechte. Infolgedessen sichern sie mit ihrer Konstruktion bei der normalen Vertretung der Aktionäre in Hauptversammlungen ein Übergewicht der Großbanken.
Selbst wenn Sie annehmen, daß der Anteil der Kleinaktionäre, die sich sebst vertreten. oder vertreten lassen und nicht durch Banken vertreten werden, 25 % des vertretenen Kapitals statt bisher im allgemeinen 20 % ausmacht, kommen sie nur auf die gleiche Anzahl von Stimmen wie die zehn Banken. Bei der Zersplitterung der Stimmabgabe bei den Volksaktionären ist gar kein Zweifel, wer nach dem Ergebnis dieses Gesetzentwurfs im Volkswagenwerk herrschen wird, nämlich die Banken, bei denen das Gros der Aktien im Depot liegt.
({6})
Das bedeutet, daß die Machtstellung dieses Unternehmens am Markte in keiner Weise verändert
wird. Es bedeutet nur, daß es aus der öffentlichen
Bindung herausgelöst wird, daß es nicht mehr vorpflichtet ist, volkswirtschaftliche Interessen gegenüber privatwirtschaftlichen zu vertreten und daß es sich mit ziemlicher Sicherheit in die Gruppe der marktbeherrschenden Unternehmungen eingliedern wird, die wir in der Automobilindustrie ja kennen.
Wir sollten doch aus den Erfahrungen bei der Preußag gelernt haben. Kaum war die Preußag aus der öffentlichen Bindung entlassen, stellte sie fest, daß sich auf dem Erdgasgebiet, weil sich da Verschiedenes entwickelt, private Machtgruppierungen bildeten, bei denen sie dabei sein möchte. Und was tat sie? Sie ging eine Interessengemeinschaft ein ausgerechnet mit einem Werk, das auf gewissen Gebieten eigentlich ihr Konkurrent sein müßte, nämlich der Gruppe Wintershall.
({7})
Sie wissen, wie sich die Stimmrechte bei der Preußag. gestellt haben und daß praktisch ein öffentlicher Einfluß bei der Preußag ausgeschlossen ist. Wer dort herrscht, hat sich ja wohl in der Hauptversammlung der Preußag gezeigt,
({8})
wo die mittleren und kleineren Aktionäre doch restlos von der Verwaltung in Zusammenarbeit mit den Großbanken überfahren wurden.
Meine Damen und Herren, Sie machen sich Illusionen - oder Sie tun nur so - über das, was bei solchen Großunternehmungen geschieht, wenn Kleinaktionäre beteiligt sind. In den USA ist man bei solchen Überlegungen kritischer und untersucht erst einmal, was eigentlich los ist. Wenn Sie wollen, können Sie im „Handelsblatt" vom 9. Oktober 1959 nachlesen, was David Bazelon im „Reporter" über „Tatsache und Fiktion des US-Kapitals" berichtet hat. Da heißt es, es sei eine Selbsttäuschung, wenn man sage, die General Motors Co. - - auch ein Autounternehmen - stehe im Eigentum ihrer 750 000 Aktionäre; die Rechte der Aktionäre beschränkten sich auf ihre Freiheit, das Papier zu verkaufen, auf die Entgegennahme einer Dividende und auf eine Abstimmung im Sinne von Ja und Nein über bestimmte Eigentumsveränderungen der Firma; das Eigentum an einer Aktie sei etwas ganz anderes als das Eigentum an einer Firma. Es heißt weiter, das Management der großen Firmen sei eine privilegierte, arbeitsergebene, aber praktisch nicht absetzbare Führungsschicht - eine Schicht, der am Eigentum nichts, an gesicherter Position in der Firma aber alles liege. Und schließlich: man verfälsche sich die wirtschaftliche Wirklichkeit, wenn man Amerika am klassischen Leitbild von freiem Unternehmertum und Kapitalismus des Privateigentums darstelle; damit verdecke man die unbestreitbare Tatsache, daß wir von großen Firmen ohne Gesicht beherrscht würden; diese gehörten niemandem und würden von Managern geleitet, die sich selbst einsetzten.
Meine Damen und Herren, es sind die Manager, die in privatisierten Unternehmungen, an denen breit gestreutes Eigentum besteht, bestimmen. Ich darf die Freunde und die Anhänger der katholischen
Soziallehre darauf hinweisen, daß Herr Professor von Nell-Breuning gerade in diesem Zusammenhang von einem „ausgesprochen frei schwebenden Management" gesprochen hat, das nur sich selbst und niemand anderem verantwortlich ist.
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Burgbacher?
Gern.
Herr Professor Burgbacher.
Herr Kollege Deist, ist der amerikanische Verfasser, den Sie zitiert haben, zu dem Ergebnis „Verstaatlichung" gekommen, oder zu welchem Ergebnis?
Herr Kollege Burgbacher, beim Volkswagenwerk sind auch wir nicht zu dem Ergebnis der Verstaatlichung gekommen, sondern wir überlegen, ob es richtig ist, wie Sie es wollen, ein öffentliches Unternehmen zu privatisieren. Im übrigen ist es für die Beurteilung der Lage innerhalb der Unternehmung völlig uninteressant, zu welchen Ergebnissen man kommt. Denn schließlich soll man sich die Erkenntnis von Tatsachen nicht dadurch von vornherein selber verwehren, daß man sich aus Angst vor den Konsequenzen erst gar nicht damit befaßt.
({0})
Gerade in diesem Zusammenhang ist es für alle, die der Auffassung sind, der Kampf gegen die Konzentration von Macht und gegen die Beherrschung großer Märkte durch einige wenige große Unternehmungen sei eine wichtige Aufgabe für ein demokratisches Parlament, nicht uninteressant, zu wissen, wie die Dinge auf dem Automarkt in Deutschland liegen.
Wir haben heute praktisch nur noch zwei führende Unternehmungen in Deutschland, die Kleinwagen - bis zu 1,5 1 habe ich sie gerechnet - herstellen. Von dieser Gesamtproduktion in Deutschland entfielen im Jahr 1958 auf Opel 202 000 Wagen - das sind 21 % der Produktion - und auf das Volkswagenwerk 451 000; das sind 49 % der Produktion. Das sind zwei Unternehmungen mit insgesamt 70 %. Wenn sie nach guter privatwirtschaftlicher Sitte auf diesem Markt zusammenarbeiten; haben sie eine ausgesprochen marktbeherrschende Position. Daneben gibt es noch zahlreiche andere. Die Borgward-Gruppe kommt schon nur auf 9 % und die Autounion auf 6 %; das sind nochmal 15 %. In den Rest von 15 % teilen sich etwa zehn kleinere Firmen.
Wer es ernst meint mit der Bekämpfung wirtschaftlicher Macht, der muß dafür sorgen, daß ein solcher Markt nicht in die beherrschende Gewalt von zwei privaten Großunternehmungen fällt, die
nicht verpflichtet sind, öffentliche und volkswirtschaftliche Interessen zu berücksichtigen.
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Dahlgrün?
Gern.
Bitte, Herr Dr. Dahlgrün.
Herr Kollege Deist, haben Sie bei Ihrer Errechnung der Marktanteile vorhin den Export vergessen?
({0})
- Verzeihung, Herr Dr. Deist, der kann in Ihren Zahlen nicht enthalten sein.
({1})
- Die deutschen Hersteller?
({2})
- Verzeihung, dann habe ich mich versprochen. Ich meinte den Import.
Sie fragten nach dem Export, und ich habe in bezug auf den Export geantwortet. Ich habe die Importzahlen im Moment nicht da. Ich bin aber sicher, daß es kein ausländisches Unternehmen gibt, welches Wagen importiert, das eine ähnliche marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt hat. Das müßte man ja auf den Autobahnen irgendwann einmal bemerkt haben.
({0})
Nun ist sicherlich eines festzustellen: einer solchen privaten wirtschaftlichen Machtposition imponiert im Grunde genommen nur gleichwertige Gegenmacht. Wer diese Machtpositionen. beseitigen, ihren Machtmißbrauch verhindern will, der muß die Konsequenz ziehen, daß die wirksamste Gegenmacht gegen solche private Großmacht eben das öffentliche Unternehmen ist; sonst verzichtet man darauf, in diesen Bereichen, in denen einige wenige große Unternehmungen herrschen, wenigstens ein klein wenig Wettbewerb herzustellen, und überläßt diesen Markt der Beherrschung durch einige wenige Große. - Herr Kollege Schmücker, Sie haben recht, zu lächeln, wenn Sie fragen möchten: „Was hat denn das Volkswagenwerk unter der Ägide der Bundesregierung eigentlich in der Vergangenheit getan?" Und das ist nun allerdings sehr bedauerlich.
({1})
Herr Abgeordneter Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Barzel?
({0})
- Herr Barzel!
Herr Kollege Dr. Deist, Sie machten soeben der Regierung den Vorwurf, daß sie ihre Macht am Markt mit dem Volkswagen nicht benutzt habe. Bekanntlich hat Hessen eine sozialdemokratische Landesregierung, die über erheblichen Forstbesitz verfügt.
({0})
- Erheblichen Forstbesitz. Ist Ihnen bekannt, ob diese Regierung irgendwelchen Einfluß genommen hat auf die Stabilität und Billigkeit der Holzpreise?
({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner.
({0})
Herr Präsident, ich darf nur bitten, daß mir die durch solche humoristischen Fragen verlorengehende Zeit nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
({0})
Ich habe noch nichts gehört von marktbeherrschenden Unternehmen auf dem Holzmarkt, denen öffentliche Unternehmen wirksam entgegentreten müßten.
({1})
- Eben; es gibt keine private marktbeherrschende Macht, der man entgegentreten müßte. Im übrigen
- über den Holzmarkt kann man sich unterhalten; aber wohl nicht ({2})
- Herr Kollege Schmücker, ich könnte genauso humoristisch fragen: Würden Sie die Konsequenz ziehen, den gesamten öffentlichen Holzbesitz zu privatisieren? Sehen Sie, das zeigt doch, wie schief die Frage und wie schief dieses Beispiel ist!
({3})
Aber, meine Damen und Herren, Sie hatten mich unterbrochen im Fluß meiner Gedanken und Ausführungen.
({4})
- Humor solle der beste Ausweg sein, ({5})
sagte eben Herr Schmücker. Meine Damen und Herren, ich bin für Humor empfänglich, ich nehme ihn nicht tragisch, und ich hoffe, daß meine Reaktion ebenso gewertet wird.
Meine Damen und Herren, es wurde ein Zwischenruf gemacht, als ich gerade darlegen
wollte, daß es ein großes Versäumnis dieser Bundesregierung ist, solche öffentliche Unternehmungen wie das Volkswagenwerk nicht angemessen für eine fortschrittliche Wirtschaftspolitik im Sinne größeren Wettbewerbs auf dem Automobilmarkt zu verwenden; denn das ist nun einmal die Aufgabe von öffentlichen Unternehmungen. Wenn Sie das nicht wollen, wenn Sie die Beherrschung dieser Märkte privaten Kräften überlassen wollen, dann brauchen Sie natürlich auch keine öffentlichen Unternehmungen. Aber wenn Sie diese Märkte ernsthaft so beeinflussen wollen, daß wirklich volkswirtschaftliche Gesichtspunkte ausschlaggebend sind und ein klein wenig Wettbewerb herrscht, dann müssen Sie öffentliche Unternehmungen bejahen.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel klarmachen. Wir haben es hier im Hause durchexerziert. Wir haben einmal in einer Großen Anfrage gefragt, wie es eigentlich möglich sei, daß das Volkswagenwerk, das an sich schon eine beherrschende Stellung auf dem Wagenmarkt hat und diese Stellung leider auch mit Zustimmung der Bundesregierung sehr ausnutzt, nunmehr daran gehe, auch die Zulieferungen für Volkswagen zu monopolisieren. Wir haben da große Ausführungen über die Bedeutung des Wettbewerbs im freien Markt gehört. Schließlich kam jedoch das Bekenntnis, daß die Bundesregierung sich nicht in der Lage sehe, einen entsprechenden Einfluß zu nehmen, um solche monopolistischen Tendenzen bei einem öffentlichen Werk zu verhindern. Das ist die Politik der Bundesregierung! Dieses wichtige und hervorragende Instrument wird also nicht genutzt. Das spricht aber nicht gegen die Bedeutung dieses Instruments, sondern nur gegen die Politik der Bundesregierung auf diesem Gebiet.
({6})
Das Hauptanliegen, das Sie, meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf verfolgen, ist breite Eigentumsstreuung. Ich habe mir erlaubt, auszuführen, daß damit ein Einfluß der Aktionäre, der Volksaktionäre, auf das Unternehmen nicht zu sichern ist. Ich habe dargelegt, wie bei der Preußag den Volksaktionären gezeigt wurde, wer Koch und Kellner ist. Dieses Unternehmen hat sich genauso benommen wie private Unternehmen. Ich darf nur ein Beispiel anführen. Herr Werhahn hat als Aufsichtsratsvorsitzender einer Bergbaugesellschaft, als ihm Fragen gestellt wurden, einfach geantwortet: „Sie haben ja keine Ahnung!" So behandelt man heute Aktionäre. Als ein Anteilseigner meinte: „Wir vertreten hier unser Recht", da glaubte im gleichen Sinne der Notar dieser Gesellschaft sagen zu dürfen: „Das Recht vertreten nicht Sie, das Recht vertrete ich!"
({7})
In die Gefahr einer solchen Behandlung, die den Aktionären bei der Preußag zuteil wurde, bringen Sie auch die Volksaktionäre beim Volkswagenwerk. Es ist aber die Aufgabe eines öffentlichen Werkes, auf diesem Gebiet vorbildlich zu sein. In unserem Antrag auf Bildung einer Stiftung „Volkswagenwerk" haben wir gerade 'den Gesichtspunkt, in der
Wirtschaftsführung vorbildlich zu sein, hervorgehoben.
Sehen Sie sich einmal das Beispiel der Preußag an! Sie haben dort 200 000 neue Aktionäre gewonnen. Davon sind 1 % Belegschaftsangehörige; sie haben nicht einmal 1 % der Kapitalerhöhung für sich in Anspruch genommen. Insgesamt sind die Arbeiter mit 5 % beteiligt. Dabei wissen Sie auch, daß die Einkommensgrenze, bis zu der man Volksaktien erwerben konnte, bei 16 000 DM jährlich lag, also bei etwa 1350 DM Monatseinkommen. Die Aktien wurden hauptsächlich von diesen Beziehern höherer Einkommen gekauft. Zum Teil wurden Sparguthaben in Volksaktien umgewandelt, ohne daß wirklich neues Sparvermögen geschaffen wurde.
Ich darf auch darauf hinweisen, daß aus diesem Papier, der Preußag-Aktie, praktisch ein Spekulationspapier geworden ist. Es wurde zu 145 % ausgegeben. Im August 1959 stand der Kurs auf 250 %. Wer es verkaufte, hatte einen Gewinn von 70 %, von dem er - als Privatmann - nicht einmal Einkommensteuer zu bezahlen hatte. Heute steht der Kurs auf 200 %. Wer verkauft hat, hat einen Gewinn von 40 %. Herr Minister Lindrath hat vor einiger Zeit festgestellt, daß » inzwischen bereits 20 % dieser Aktien wieder verkauft worden sind.
({8})
- Ich sage „bereits". Das ist nämlich für die kurze Zeit - ein gutes halbes Jahr -, Herr Kollege, ein sehr hoher Betrag. Vereinfachen Sie das nicht so sehr. Sie machen sich ja über den Erfolg Ihrer Maßnahmen selbst etwas vor, wenn Sie meinen, es sei ein Erfolg, wenn es nur 20 % in einem halben Jahre seien.
({9})
Herr Abgeordneter Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Jawohl, bitte sehr!
Herr Kollege Dr. Deist, sagten Sie nicht selbst, daß bei einem Ausgabekurs von 145 und einer Gewinnspanne von 60 bis 70 DM doch ein relativ großer Unterschied zwischen einer Verkaufsmöglichkeit und der Einkaufsmöglichkeit bestehe? Müssen Sie da nicht zugeben, daß bei einer so großen Gewinnspanne, die sonst kaum irgendwo zu finden ist, die Neigung zu verkaufen doch viel größer sein müßte, als es bei den 15 % tatsächlich zum Ausdruck gekommen ist?
Sehr richtig; Herr Kollege Fritz! Wir haben immer behauptet, daß der Ausgabekurs so niedrig angesetzt sei, daß der Anreiz zu verkaufen und einen Spekulationsgewinn zu machen, so groß ist, daß von wirklicher Stärkung des Eigentumsdenkens nicht die Rede sein könne, vielmehr der Anreiz zum Verkaufen wesentlich größer sei.
({0})
Mir scheint folgendes wichtig zu sein. Sie haben die Absicht - das ist eine gute Absicht; wir unterstützen sie -, breitere Schichten der Bevölkerung an der Vermögensbildung zu beteiligen. In diesem Zusammenhang muß man aber doch darauf hinweisen, daß das Statistische Bundesamt für 1957 festgestellt hat,
({1})
daß 30 % der Netto Familieneinkommen der Arbeitnehmer unter 400 DM und mehr als 50 % unter 500 DM liegen.
({2})
Nun will ich gern einschließen, daß das Niveau der Löhne und Gehälter inzwischen um etwa 10 % gestiegen ist. Aber, meine Damen und Herren, glauben Sie wirklich, bei einer ruhigen, sachlichen Beurteilung dieses Tatbestandes sagen zu können, daß hier in großem Umfang Möglichkeiten zu einer wirklichen Vermögensbildung durch Sparen vorhanden sind? Ich will das ganz ruhig und sachlich behandeln; aber Sie müssen mir gestatten, daß ich meine eigenen Gesichtspunkte dabei einschließe.
({3})
Wir haben in den letzten Jahren eine gute Entwicklung der Spartätigkeit zu verzeichnen gehabt. Aber es ist doch sehr wichtig, sich einmal zu fragen: Wer spart eigentlich in größerem Umfang?
Uns liegt der Jahresbericht des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes für das Jahr 1958 vor. Dort wird für die Sparkonten zum 31. Dezember 1958 folgendes festgestellt. Von insgesamt 24 Millionen Sparkonten haben 12,5 Millionen, d. h. 53 %, eine Spareinlage unter 100 DM je Konto. Diese 53 % der Sparer vereinigen auf sich 2 % der gesamten Spareinlagen. Hier liegt doch das Dilemma! Alle Bemühungen um Sparen müssen daran scheitern, daß diese großen Gruppen mit verhältnismäßig niedrigen Einkommen - das sind eben etwa 50 % der Bevölkerung; das beweist diese Sparkassenstatistik, die ich Ihnen vorgetragen habe -, nicht in der Lage sind, heute in größerem Umfange zu sparen.
Herr Dr. Franz Köster, ein Sachverständiger auf diesem Gebiet, hat Ende 1959 in einem Artikel im „Volkswirt" unter dem Titel „Sparen aus Masseneinkommen" sehr eindeutig gesagt:
Das Schwergewicht der Spartätigkeit lag eindeutig bei der kleinen Gruppe höherverdienender Angestellter und Beamter und vor allem der Selbständigen.
Er stellt fest,
daß man keineswegs den Schluß ziehen könne, daß sich nunmehr auf breiter Ebene eine starke Sparneigung durchgesetzt hat und die Zunahme der Spartätigkeit in den letzten Jahren entscheidend auf das Sparen der unteren Einkommensschichten und Unselbständigen zurückzuführen ist.
Meine Damen und Herren, das ist doch ein Tatbestand, an dem Sie nicht vorbeikommen. Niemand
hat etwas gegen die Schaffung von Volksaktien,
niemand hat etwas gegen die Schaffung von kleingestückelten Aktien. Niemand hat etwas dagegen, daß jeder, der dazu in der Lage ist, sich auch eine solche Volksaktie kauft. Nur gegen eines haben wir etwas: daß ausgerechnet der Erwerb von Aktien, die eben heute tatsächlich - Sie können sagen.: leider - kein Papier für den kleinen Mann sind, durch erhebliche öffentliche Mittel begünstigt wird.
Das scheint uns nicht zweckmäßig zu sein; denn Sie erreichen damit folgendes. Wenn Sie Aktien fördern, schaffen Sie nicht neues Vermögen bei denen, die bisher nicht sparen konnten - diese werden davon gar nicht berührt -, sondern Sie reizen Menschen, die schon sparen konnten, die sich Vermögen bilden konnten, dazu an, in die Aktie umzusteigen, sich nunmehr eine Volksaktie zu kaufen und zu diesem Zweck ein Sparguthaben oder dergleichen mehr aufzulösen. Darum ist es falsch, meine Damen und Herren, die Aktie besonders zu fördern. Die Beträge wären wesentlich besser verwandt, wenn sie zur Förderung der traditionellen Sparformen des kleinen Mannes verwandt würden.
Meine Damen und Herren, trotzdem wollen Sie jetzt das Volkswagenwerk, den größten Brocken aus dem Bundesvermögen, privatisieren. Da es um breite Streuung von Eigentum geht, muß man berücksichtigen, daß das ganze Bundesvermögen, das heute noch vielleicht zur Privatisierung anstehen mag, einen Betrag von 2 bis 3 Milliarden DM ausmachen dürfte. Wenn Sie davon ausgehen, daß wir 25 Millionen Erwerbstätige haben, dann würde im Durchschnitt auf jeden eine Vermögensbildung von 80 bis 120 DM kommen. Dann ist es aber aus, dann ist das ganze öffentliche Vermögen versilbert. Mit diesen Methoden können Sie nur eine begrenzte Schicht erreichen.
Sie wissen das, meine Damen und Herren, selbst. Unser Kollege Häussler hat in einem Artikel im „Mann in der Zeit" einen Satz geschrieben, der sehr bemerkenswert ist:
Phantasielos hat der DGB zugesehen, wie sich im letzten Jahrzehnt rund 200 Milliarden neues Kapitalvermögen in den Händen der Kapitaleigner gebildet hat.
Nun, zunächst einmal hat der DGB versucht, den Arbeitnehmern über Lohn- und Gehaltserhöhungen auch die Möglichkeit zum Erwerb von Vermögen zu verschaffen. Dabei sind ihm die CDU und die Regierung in der Regel in den Arm gefallen.
({4})
Aber, meine Damen und Herren, muß man den Satz nicht ein klein wenig variieren und sagen: „Erbarmungslos hat die CDU zugesehen, wie sich im letzten Jahrzehnt rund 200 Milliarden neues Kapitalvermögen in den Händen der Kapitaleigner gebildet hat"? Die CDU besaß die Mehrheit, und sie besetzte die Regierung; sie hätte die Möglichkeit gehabt, diesen Tatbestand zu ändern; darum geht es.
({5})
Wer davon spricht, privates Eigentum in größerem Umfang in den Händen vieler und nicht nur einer begrenzten Schicht zu schaffen, muß bereit
sein, sich darüber zu unterhalten: Wie können wir dafür sorgen, daß der jährliche Nettovermögenszuwachs von 10 bis 15 Milliarden DM innerhalb der privaten Wirtschaft für die Zwecke einer breiten Eigentumsbildung nutzbar gemacht wird?
({6})
Meine Damen und Herren von der CDU, einige Ihrer Kollegen dürfen darüber jetzt, anderthalb Jahre vor den Wahlen, auch sprechen. Der Herr Kollege Häussler hat in dem Artikel im „Mann in der Zeit" im Januar 1960 folgendes gesagt:
Dabei verstehen wir unter einem solchen Arbeitnehmer-Kapitalvermögen
- nun hören Sie zu keineswegs nur ein paar sporadische Kleinaktien mit entsprechenden Bagatellerträgen,
- Herr Kollege Häussler beurteilt Ihre Volksaktienaktion offenbar genauso wie wir sondern eine systematisch über Jahrzehnte hinweg betriebene Ansparung bis zur Größe des pro Arbeitsplatz irrvolkswirtschaftlichen Durchschnitt investierten Kapitals - 10 000 DM.
Nun, diesen Betrag können Sie mit den sporadischen Volksaktien, selbst wenn Sie das ganze Bundesvermögen veräußern, nicht erreichen.
Darum hat es keinen Sinn, daß Sie um diese Dinge herumreden, sondern Sie müssen sagen, wie nach Ihrer Auffassung dieser private volkswirtschaftliche Vermögenszuwachs der Einkommensbildung nutzbar gemacht werden kann. Solange Sie das nicht tun, kann man Ihre Äußerungen über Vermögensbildung nicht ernst nehmen.
({7})
Wir konzedieren Ihnen gern, daß dieses Problem nicht einfach ist, sondern daß es verhältnismäßig schwierig zu lösen ist. Wir selber arbeiten an einem Vorschlag, um diesen Vermögenszuwachs auf eine moderne Weise im Rahmen einer freiheitlichen Wirtschaftspolitik auch der Vermögensbildung der Arbeitnehmer nutzbar zu machen.
({8})
Aber bei Ihnen ist es mir zweifelhaft, ob Sie eine solche Vermögensbeteiligung wirklich ernstlich wollen.
({9})
Denn Sie sitzen ja nun lange genug in der Regierung. Ihnen steht der ganze Expertenstab der Regierung, Ihnen stehen zahlreiche Institute zur Verfügung, über die wir nicht verfügen können. Sie könnten mit dieser Position in der Regierung viel eher Vorschläge realisieren, als das der Oppositionspartei möglich ist.
({10})
Was Sie heute tun, ist in der Regel das glatte Gegenteil von einer Begünstigung der Vermögensbildung der breiten Schichten. Ich erinnere an die Verteilung der Gratisaktien, an Ihre Körperschaftsteuerpolitik, eine ausgesprochene Stärkung gerade
der Großvermögen und damit eine Benachteiligung der kleineren Vermögen.
({11})
Ich prüfe sehr sorgfältig auch Ihre sonstigen Vorschläge zur Vermögensbildung, mit denen Sie sich innerhalb der CDU befassen. Dabei handelt es sich letzten Endes doch um eine Ausweitung der steuerlichen und sonstigen Begünstigungen im Falle von Gewinnbeteiligungen, Belegschaftsaktien und sonstigen Formen der Vermögensbildung. Wir haben das nie als eine große Sache betrachtet. Zunächst einmal ist es nach dem ganzen Verhalten der Unternehmerschaft in den vergangenen Jahren sehr zweifelhaft, wieweit sie selbst bei steuerlichen Begünstigungen freiwillig bereit ist, solche Maßnahmen zu ergreifen. Außerdem sind das doch ganz kleine Fische. Bei der Begünstigung der Vermögensbildung durch Sparprämien und durch steuerliche Maßnahmen werden Sie uns, wenn sie in einigermaßen vernünftiger Weise geschieht, immer an Ihrer Seite finden. Aber das ist nicht das Problem, steuerliche Begünstigungen für kleine Beträge zu geben. Das große Problem ist, mit dem riesigen privaten Vermögenszuwachs innerhalb der Wirtschaft fertig zu werden.
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie, daß ich Sie einen Augenblick unterbreche.
Ich habe zunächst die Ehre, eine Delegation des 1) britischen Unterhauses zu begrüßen,
({0})
die vor kurzem auf der Diplomatentribüne Platz genommen hat. Sie widmet sich in der Bundesrepublik dem Studium von Verkehrsfragen. Ich freue mich, daß der rege Austausch zwischen den beiden Parlamenten wieder in eine neue Phase eingetreten ist, und wünsche Ihrer Reise einen guten Erfolg.
({1})
Sodann, Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Katzer?
Gern!
Herr Abgeordneter Katzer!
Herr Kollege Deist, Sie sagten, wir würden bei allen derartigen Maßnahmen, insbesondere bei der Sparprämiengewährung, die SPD an unserer Seite finden. Darf ich Sie bitten, zuzugeben, daß die SPD-Fraktion nicht geschlossen für das Sparprämiengesetz gestimmt hat, sondern daß wesentliche Teile dagegen gestimmt und andere wesentliche Teile sich der Stimme enthalten haben?
Herr Kollege Katzer, ist Ihnen bewußt, daß wir uns nicht gegen das Sparprämiengesetz in seinen gesunden Formen, sondern dagegen gewandt haben, daß Sie unglücklicherweise das Aktiensparen mit in den Vordergrund gestellt, aber z. B. so wichtige Sparformen wie das Genossenschaftssparen des kleinen Mannes im Sparprämiengesetz nicht berücksichtigt haben?
({0})
Ich komme also zu dem Ergebnis, daß dieser Gesetzentwurf kein Beitrag zu einer wirksamen breiten Eigentumsstreuung ist.
Lassen Sie mich nun einige Worte zu der Schaffung einer Stiftung für Wissenschaft und Forschung sagen. Einer der großen Mängel, die die Bundesregierung bei dem Volkswagenwerk nicht verhindert hat, war, daß in einem Riesenumfang Gewinne thesauriert wurden. Dadurch war es möglich, allein in den Jahren 1955 bis 1958 Investitionen von 800 Millionen DM über die Selbstfinanzierung vorzunehmen, und für die Jahre 1959 und 1960 sollen wiederum je 500 Millionen DM für Investierungen aufgewandt werden. Offenbar ist auch dafür Fremdkapital nicht erforderlich. Das sind überhöhte Gewinne über überhöhte Preise, die bei einer sinnvollen Wirtschaftsführung - wenn man das Volkswagenwerk als Mittel des Wettbewerbs eingesetzt hätte - nicht hätten genommen werden dürfen.
Wir waren der Meinung, wenn nun einmal solche riesigen Gewinnchancen bei einem Unternehmen vorhanden sind, gibt es zwei Aufgaben zu erfüllen: einmal die Aufgabe, einen wesentlichen Teil dieser Gewinnmarge für Preissenkungen zu verwenden, und zum anderen die Aufgabe, einen größeren Betrag für Gemeinschaftszwecke, nämlich für Forschung und Wissenschaft, einzusetzen. Was davon in dem Gesetzentwurf, den Sie nunmehr vorlegen, übriggeblieben ist, ist eine ganz bescheidene Sache.
Ein Zweites! Wenn man schon eine Stiftung bildet, ist es - jedenfalls sonst, hier im Bundestag vielleicht nicht normal, daß man sie mit einem Vermögen ausstattet, mit dem sie arbeiten kann. Sie haben eine merkwürdige Bestimmung in Ihren Vorschlägen : 40 % gehen sowieso an Land und Bund. Der Bund hat schon zugesagt, er werde in Zukunft auf seinen öffentlichen Einfluß verzichten und auch noch diese 20% veräußern. Es bleiben 60 %. Das sind immerhin, wenn man annimmt, daß das Kapital auf' 600 Millionen DM festgesetzt wird, nominal 360 Millionen D-Mark.
Jetzt wird bestimmt, dieses Vermögen soll die Stiftung besitzen. Aber der nächste Satz lautet: Die Stiftung wird gezwungen, dieses Vermögen in Form eines langfristigen Kredits für 20 Jahre zu einem angemessenen Zinsfuß - darunter verstehen Sie, wie Sie selbst ausgeführt haben, einen niedrigen Zinsfuß von 4 bis 5 % - dem Bunde zur Verfügung zu stellen. Was sie auf der einen Seite der Stiftung als Vermögensgrundlage geben, das nehmen Sie ihr wieder auf der anderen Seite. Für einen anständigen, seiner Pflichten bewußten Stifter ist das zumindest ein recht ungewöhnliches Verhalten. Das Ergebnis ist folgendes. Die 120 Millionen D-Mark, die für Wissenschaft und Forschung frei gemacht werden, sind für Niedersachsen eine wichtige Sache. Insgesamt sind die Möglichkeiten, die Ertragskraft
für diese wichtige Aufgabe zu nutzen, aber nur in höchst unzulänglicher Weise wahrgenommen worden.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen, und zwar zu der Auslegung des Vertrages, die Sie gewählt haben. In der Vereinbarung mit dem Land Niedersachsen steht der Satz:
In der Satzung der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft ist vorzusehen, daß ... Beschlüsse, für die nach dem Aktiengesetz eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, einer Mehrheit von mehr ais 80 % ... bedürfen.
Das Privatisierungsgesetz enthält neue Vorschriften über die Stimmrechtsbeschränkung. Jeder Volksaktionär soll nur ein Zehntausendstel des Gesamtstimmrechts haben. Und jetzt kommt die wichtige Bestimmung, daß für 5 Jahre - und dann nicht mehr - das Land Niedersachsen und auch der Bund das volle Stimmrecht für ihren Kapitalanteil von 20 % haben sollen; danach haben sie ebenfalls nur ein Stimmrecht von 1/10 % des Kapitals. Das führt zu dem Ergebnis, das ich bereits dargelegt habe: daß Sie nämlich ein so wichtiges Unternehmen unter die beherrschende Gewalt der Banken bringen. Darüber hinaus legen Sie den Vertrag in einer Weise aus, die nicht mehr als loyal bezeichnet werden kann. Erst hinterdrein haben Sie die Beschränkung auf 5 Jahre gebracht, obwohl sie weder im Vertrage steht, noch jemals mit Niedersachsen behandelt worden ist, noch in dem Schriftwechsel, der der Auslegung des Vertrages dient, irgendwann einmal erwähnt worden ist.
({1})
- Ich weiß, daß Sie das bestreiten wollen, aber Sie können es nicht!
({2})
- Zur Erhärtung muß ich dann doch wohl darauf hinweisen, daß Ihr Kollege Scharnberg in der Ausschußsitzung etwa wörtlich folgendes gesagt hat: Der Vertrag trägt nur zwei Unterschriften, die von Niedersachsen und die der Bundesregierung; die dritte, unsere Unterschrift, fehlt, und wir sind nicht bereit, sie zu geben.
Damit ist sehr deutlich geworden, was hinter diesen Bestrebungen steht. Sie wollen im Nachhinein das, was Sie vertraglich zugesichert haben, wieder beseitigen.
({3})
- Wir haben darüber im Ausschuß genügend diskutiert und Ihnen genügend gute Gründe für diese unsere Auffassung dargelegt.
({4})
Das hier ist keine loyale Ausführung; es ist aber bezeichnend für die Rücksichtslosigkeit, mit der Sie solche Maßnahmen durchzuführen beabsichtigen.
Eine Schlußbemerkung. Sie wissen, daß die Umwandlung des Volkswagenwerks auch die Belegschaften dieses Unternehmens hart trifft. Wir wissen
auch, daß seinerzeit mit. Herrn Bundesminister Lindrath Besprechungen stattgefunden haben, die Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Volkswagenwerk stärker zu verankern. Wir bedauern sehr, daß weder in dem Vertrag noch in dem Gesetzentwurf irgendeine Absicht erkennbar ist, solchen nach unserer Auffassung berechtigten Ansprüchen Rechnung zu tragen.
Lassen Sie mich unsere Stellungnahme zu dem Gesetzeswerk kurz zusammenfassen. Zu unserem großen Bedauern wird mit der Privatisierung des Volkswagenwerks zum Nachteil der deutschen Volkswirtschaft und des Wettbewerbs, der in ihr herrschen sollte, der Markt für normale Kleinwagen der Beherrschung durch einige wenige private Großunternehmungen freigegeben.
Hier handelt es sich um einen unzulänglichen Versuch, zu einer breiten Eigentumsstreuung zu kommen, indem eine umfangreiche Unterstützung und Hilfe aus öffentlichen Mitteln für eine verhältnismäßig begrenzte Schicht der Bevölkerung gegeben wird.
Schließlich bedauern wir, daß Sie nicht einsehen wollen, daß mit dem Gesetzeswerk ein Ansatzpunkt für einen wirksamen Einfluß auf die private Wirtschaftsentwicklung und auf die Entwicklung solcher oligopolistischen Märkte leichtsinnig aus der Hand gegeben wird.
Nach unserer Auffassung hätte das Volkswagenwerk als öffenliches Unternehmen zwei entscheidende Aufgaben zu erfüllen. Einmal müßte dem derzeitigen Machtmißbrauch der großen Autofirmen durch Preissenkungen, die auf diesem Markt durchaus möglich sind,
({5})
Einhalt geboten sowie den Versuchen der Wirtschaft, den ganzen Bereich der Zulieferungen und des Absatzes in einer unzulässigen Weise zu monopolisieren, entgegengetreten werden.
({6})
Außerdem wäre es die Aufgabe eines solchen öffentlichen Unternehmens, der Politik der Gewinnanhäufung durch Selbstfinanzierung, die Sie und Ihr Herr Bundeswirtschaftsminister immer wieder in beredten Worten verdammen, wirksam entgegenzutreten. Es kommt nicht darauf an, für einige wenige ein Aktienpapier zu schaffen, sondern es kommt darauf an, alle Möglichkeiten zu nutzen, um den Empfängern niedriger Einkommen einen wesentlich billigeren Volkswagen zur Verfügung zu stellen - was durchaus möglich ist.
({7})
In der Einzelberatung zu § 1 hat nunmehr das Wort der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen Dank, Herr Präsident; ich glaube, es ist nötig, darauf aufmerksam zu
machen, daß wir uns in der Einzelberatung befinden.
({0})
Vor Beginn der Besprechung hat, soviel ich weiß, der Kollege Jahn angeregt, eine allgemeine Aussprache durchzuführen. Auf anderen Seiten des Hauses ist gesagt worden, darüber sei keine Absprache erfolgt und man wolle eine Einzelberatung durchführen. Herr Kollege Dr. Deist, Sie können doch wohl nicht sagen, daß das, was Sie zu § 1 gesagt haben, Einzelberatung war.
({1})
Das war allgemeine Aussprache; Sie haben § 1 kaum erwähnt.
({2})
- Ich bitte Sie, wenn wir vorher abmachen, daß jetzt die Einzelberatung beginnt, und Ihr Kollege geht hier hinauf und beginnt trotzdem die Generalaussprache, dann ist es doch wohl unser gutes Recht, einmal darauf hinzuweisen
({3})
und Ihnen zu sagen, meine Damen und Herren, daß wir uns nicht locken lassen und die Generalaussprache so, wie es in der Geschäftsordnung und in der Abmachung vorgesehen ist, zu Beginn der dritten Lesung durchführen.
Herr Dr. Deist, ich bezweifle gar nicht, daß Sie möglicherweise gute Gründe haben. Sie sind ein vielbeschäftigter Mann: gleich ist Presseschluß, vielleicht müsen Sie verreisen. Ich wähle den Ausweg in den Humor. Das ist doch besser! Aber ich meine, wir sollten jetzt in die Einzelberatung eintreten.
In § 1 steht, daß das Volkswagenwerk Bundesvermögen wird. Das ist die entscheidende Frage. Ich freue mich, Herr Dr. Deist, daß Sie mehrfach diese Redewendung gebraucht haben und daß auch von Ihrer Seite nicht bestritten wird, daß das Volkswagenwerk Bundesvermögen ist. Das ist außerordentlich wichtig für den Fortgang der Beratung.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr erstaunt über diese Einrede nach der Geschäftsordnung. Wir Sozialdemokraten sind Ihnen im Ältestenrat bis an die Grenze des Möglichen entgegengekommen, um Ihren Wunsch zu erfüllen, diese Beratung möge schon heute stattfinden. In der vorigen Woche sind Sie mit der Ausschußberatung fertig geworden, und es eilte, eilte, das Volkswagenwerk unter die Leute zu bringen.
({0})
Wir haben davon abgesehen, die Möglichkeit zu
nutzen, die wir im Ältestenrat hatten, nämlich mit
der Aufsetzung dieses Punktes auf die heutige
Tagesordnung nicht einverstanden zu sein. Dann hätten Sie heute morgen das Wort zur Tagesordnung ergreifen und erst darum debattieren müssen, den Punkt heute zu behandeln. Meines Wissens ist im Ältestenrat nicht darüber gesprochen worden, an welcher Stelle die allgemeine Aussprache stattfinden soll.
({1})
- Wir haben gerade in letzter Zeit häufig in der zweiten Beratung bei § 1 die allgemeine Aussprache geführt.
({2})
Wenn wir das heute tun, geschieht das nach den Regeln der Geschäftsordnung und nicht im Gegensatz zu Absprachen im Ältestenrat.
({3}) Das wollte ich hier feststellen.
({4})
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über § 1. Wer § 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Wird das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth!
Dieser § 2 nimmt Bezug auf den Vertrag, der als Anlage beigefügt ist. Wir Freien Demokraten haben schon im Ausschuß die Ansicht vertreten, daß der Vertrag mit dem Land Niedersachsen von seiten des Bundes größere Konzessionen enthält, als es der Sache nach notwendig gewesen wäre. Unter der Drohung von Niedersachsen, einen etwaigen Streit bis vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen, mußte die Bundesregierung nachträglich nachgeben und hat Konzessionen gemacht, die nach unserer Meinung nicht notwendig gewesen wären.
Wir wenden uns nicht gegen die Errichtung der Stiftung, wir wenden uns nicht gegen die materiellen Vorteile und Vergünstigungen, die das Land Niedersachsen erhält. Wir halten aber die Bestimmungen für falsch, vor allem die in § 5 enthaltenen Bestimmungen, die eine echte Privatisierung erschweren oder zumindest verzögern. Trotz dieser Bedenken werden wir diesem Vorschaltgesetz zustimmen, weil wir die Privatisierung als den größeren Gedanken in den Vordergrund schieben wollen und Mängel mit in Kauf nehmen, die nach unserer Meinung in dem Entwurf enthalten sind.
Wird zu § 2 weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer § 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; ,angenommen.
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich rufe auf § 3, - § 4, - § 5, - § 6 - sowie Einleitung und Überschrift. - Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; angenommen. - Damit ist die zweite Beratung des Entwurfs unter Punkt 4a der Tagesordnung erledigt.
Ich schlage Ihnen vor, jetzt in die zweite Beratung des Entwurfs unter Punkt 4b einzutreten, Drucksache 1680. - Ich rufe, da § 1 entfällt, den § 2 und dazu den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 502 Ziffer 1 auf.
Herr Dr. Atzenroth, zur Begründung!
In § 2 des Gesetzentwurfs wird festgelegt, daß das Grundkapital unter Auflösung eines Teils der Rücklagen so festzusetzen ist, daß die Rücklagen in einem angemessenen Verhältnis zum Grundkapital stehen. Diese Festsetzung ist eine außerordentlich wichtige Maßnahme, die die Bundesregierung zu treffen hat.
Wir möchten gerade bei dieser Gelegenheit zum Ausdruck bringen, daß die Privatisierung unter keinen Umständen dem Werk oder seinen Angehörigen schaden darf. Die Dinge sind in der Öffentlichkeit häufig so dargestellt worden, daß die große Masse der Belegschaftsmitglieder Schaden dadurch erleiden könnte, daß das Werk privatisiert wird. Das war niemals unsere Absicht. Wir sind der Meinung, daß es auch nicht die Absicht der Initiatoren dieses Gesetzentwurfs ist, Deswegen wollten wir nochmals besonders hervorheben, daß die Interessen des Unternehmens bei dieser Aktion, die die Bundesregierung durchzuführen hat, angemessen zu berücksichtigen sind.
({0})
- Es kommt darauf an, wie sie aufgetragen wird, Herr Wehner.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wilhelmi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An sich ist sachlich gegen den Antrag nichts zu sagen, nur bin ich der Ansicht, das, was darin gesagt wird, ist selbstverständlich und kommt in dem Gesetzentwurf bereits hinreichend zum Ausdruck. Es heißt nämlich in § 2 ausdrücklich:
Das Grundkapital ist unter Auflösung eines Teils der Rücklagen so festzusetzen, daß die Rücklagen in einem angemessenen Verhältnis zum Grundkapital stehen.
Volkswirtschaftlich heißt das doch, daß gerade im Interesse der Fortentwicklung des Unternehmens genügend Rücklagen geschaffen werden sollen. Nehmen wir doch mal den praktischen Fall, der sicherlich auch Herrn Kollegen Atzenroth vorschwebt, nämlich daß genügend Rücklagen für die Möglichkeit geschaffen werden, einen neuen Typ
auf Band zu nehmen. Das sind erhebliche Beträge. Ich kann Ihnen versichern, daß uns von den Vertretern der Bundesregierung Zusagen gemacht worden sind, daß bei der Berechnung des Grundkapitals und der Rücklagen dieser Fall mit einem Betrag von ganz erheblicher Größenordnung vorgesehen wird. Das ist also das, was Sie meinen. Ich glaube, daß der vorliegende Text des Abs. 2 Ihr Anliegen völlig deckt. Wir haben gar nichts gegen das Anliegen, sind aber der Auffassung, daß eine Formulierung, wie Sie sie vorschlagen, „die Interessen des Unternehmens sind angemessen zu berücksichtigen" etwas zu sehr an den in der modernen Aktienrechtsliteratur umstrittenen juristischen Begriff des „Unternehmens an sich" anklingt.
Ich möchte Sie deshalb bitten, meine Damen und Herren, den Zusatzantrag abzulehnen; was er will, ergibt sich aus der vorliegenden Fassung des Entwurfs.
Wird zu § 2 und zu dem Antrag Umdruck 502 weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich lasse über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 502 Ziffer 1 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste ist die Mehrheit; angenommen.
§ 3 entfällt, § 4 ebenso.
Ich rufe § 4a und die Anträge Umdruck 499 und 502 Ziffer 2 auf.
Herr Dr. Atzenroth!
Ich habe schon bei dem Vorschaltgesetz zum Ausdruck gebracht, daß wir als Freie Demokraten eine echte, wirkliche Privatisierung wünschen. Durch den vorgeschalteten Vertrag und die anderen gesetzlichen Bestimmungen erfolgt nur eine Teilprivatisierung, zunächst einmal nur zu 60 %, später vielleicht einmal zu 80 %.
Noch andere Dinge sollen hier fest verankert werden. Herr Kollege Deist hat es sogar als einen großen Erfolg des Landes Niedersachsen bezeichnet, daß diese feste Position ewig erhalten bleibe. Das ist ja nun nicht immer so, Herr Kollege Deist. Ich könnte mir vorstellen, daß auch das Land Niedersachsen eines Tages den Beschluß fassen wird, seinen Anteil von 20 % zu privatisieren. Das kann vielleicht schon in kurzer Zeit eintreten.
({0})
Aber in diesem Falle soll die Festlegung, die Bindung für den Bund und das Land Niedersachsen, die auf fünf Jahre vorgesehen ist, durch ein Bundesgesetz nach Ablauf dieser Frist verlängert werden können. Wir brauchten - Herr Kollege Wilhelmi, um mit Ihren Worten zu sprechen - Überflüssiges nicht ins Gesetz zu schreiben; denn es ist überflüssig.
Die Frist kann durch ein Gesetz sowieso verlängert werden, das Gesetz können wir auch später beschließen. Wir wollen aber das Gesetz auch nach fünf Jahren nicht haben, und deswegen stellen wir den Antrag, den letzten Absatz zu streichen, um nach fünf Jahren wirklich einen wesentlichen Fortschritt in der Privatisierung erreicht zu haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß zunächst, so leid es mir tut, den Herrn Kollegen Schmücker enttäuschen. Ich glaube, er hat dem, was der Herr Kollege Dr. Deist vorhin gesagt hat, einfach nicht zugehört. Herr Kollege Deist hat mit keinem Wort etwas davon gesagt, daß wir mit der Eigentumsregelung hinsichtlich des Volkswagenwerkes einverstanden seien. Damit Sie es jetzt noch einmal ganz genau hören, Herr Kollege Schmücker: Wir sind ganz und gar nicht der Meinung, daß der Bund das Recht hat, über das Volkswagenwerk zu verfügen. Wir sind ganz und gar nicht der Meinung, daß der Bund in der Lage ist, das alleinige Eigentum am Volkswagenwerk in Anspruch zu nehmen. Aber diese Dinge sollten an sich nach unserer Vorstellung heute nicht so sehr vertieft werden. Wenn Sie es jedoch gerne wollen, sind wir dazu bereit. Aber solche falschen und irreführenden Unterstellungen tragen sicherlich nicht dazu bei, diese Debatte zu vereinfachen.
({0})
- Ich bin gerne bereit, das nachzuprüfen. Im übrigen hat er sich dann bestenfalls an das gehalten, was von Ihnen bereits in ganz eindeutiger Absicht beschlossen war, und sich in der Erkenntnis der Tatsache, daß es offenbar nicht möglich ist, Sie von Rechtsgründen zu überzeugen, nicht mehr dagegen gewehrt. Aber darin liegt kein Anerkenntnis der Richtigkeit Ihrer Rechtsauffassung begründet.
({1})
Ich möchte den Änderungsantrag Umruck 499 zu § 4a Abs. 4 begründen. Hier handelt es sich um eine sehr ernste Frage. Sie gehen davon aus, daß das Volkswagenwerk in seiner Gesamtheit zu privatisieren sei. Sie gehen davon aus, daß sämtliche Aktien des Volkswagenwerks, der zu gründenden Volkswagenwerk Aktiengesellschaft als Volksaktien ausgegeben werden. Daher wollen Sie nur für eine begrenzte Zeit eine Ausnahmeregelung für die Aktien, die dann im Besitz des Bundes und des Landes, also der öffentlichen Hand sind, schaffen.
Mit dieser Auffassung verstoßen Sie ganz eindeutig gegen den Wortlaut und gegen den Sinn des Vergleichsvertrags, der zwischen dem Bund und dem Lande Niedersachsen abgeschlossen worden ist. Es heißt in dem Vertrag ausdrücklich, daß 60 % des Grundkapitals in Form von Kleinaktien ausgegeben werden sollen. Bei den anderen 40 %, den je 20 %, die dem Bund und dem Land zustehen sollen, ist davon nicht die Rede. Aber ich meine, das ergibt sich noch sehr viel eindeutiger aus einer Erklärung, die der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes in einem Schreiben gegenüber dem niedersächsischen Ministerpräsidenten abgegeben hat, in dem er folgendes - ich möchte es wörtlich zitieren - gesagt hat:
Der Bund würde andererseits - so heißt es im Hinblick auf die von Ihnen immer wieder geltend gemachten Gesichtspunkte auf eine völlige Privatisierung des Volkswagenwerkes verzichten und dem Lande Niedersachsen über die in Aussicht genommene Beteiligung einen wesentlichen Einfluß auf das Volkswagenwerk einräumen.
Um diesen wesentlichen Einfluß des Landes Niedersachsen auf das Volkswagenwerk geht es hier. Wenn Sie die Ausnahme von der Stimmrechtsbeschränkung, so wie sie jetzt in § 4a Abs. 4 steht, auf die Dauer von fünf Jahren begrenzen, bedeutet das, daß das Land Niedersachsen nach Ablauf von fünf Jahren ein Volksaktionär wie alle anderen ist und daß von einem maßgeblichen Einfluß des Landes Niedersachsen auf das Werk nicht mehr die Rede sein kann. Das bedeutet, daß das Land Niedersachsen praktisch seiner Rechte, die ihm in den Vorverhandlungen ausdrücklich zugesichert worden sind, nach fünf Jahren beraubt wird.
Meine Damen und Herren, Sie mögen sich selber prüfen, ob diese Art der Erfüllung eines Vergleiches und der Einhaltung von Zusagen, die ein Bundesminister gibt, eine besonders honorige und faire Art der Vertragserfüllung ist. Nach unserer Meinung ist das eine glatte Abkehr von dem, was seinerzeit dazu gesagt worden ist, um das Land Niedersachsen zum Abschluß . dieses Vertrages zu bringen.
({2})
Wir glauben deshalb, daß es eine andere Möglichkeit, als wir sie in unserem Änderungsantrag formuliert haben, gar nicht gibt, wenn Sie zu dem stehen, was Sie seinerzeit .dem Lande Niedersachsen versprochen haben, um ja Ihr Ziel, das Volkswagenwerk möglichst schnell unter ,die Leute zu bringen, noch vor der nächsten Bundestagswahl erreichen zu können.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Zu § 4a liegen zwei Änderungsvorschläge vor, der Antrag der SPD Umdruck 499 und der Antrag der Freien Demokraten Umdruck 502 Ziffer 2.
Im Falle des § 4a geht es für uns um grundsätzliche Probleme und offensichtlich auch für die OpDr. Barzel
position um grundsätzliche Rechtsfragen, wie wir soeben gehört haben. Der Antrag der Sozialdemokraten auf Umdruck 499 findet nicht die Zustimmung unserer Fraktion.. Würde dieser Antrag angenommen, so hätten wir, wie wir glauben, nicht mehr das Recht, im Zusammenhang mit diesem Gesetz von einer sozialen Privatisierung zu sprechen.
({0})
- Sie werden es noch am Laufe dieser Debatte hören. - Der Bund und Niedersachsen hätten dann 40 % der Stimmen. Das würde der öffentlichen Hand ein Übergewicht geben, das es uns verböte, wie wir glauben, das Ganze dann noch als Privatisierung zu bezeichnen; denn die privaten Aktionäre wären dann Aktionäre minderen Rechtes. Das wollen wir nicht. Unserer gesellschaftspolitischen Überzeugung widerspräche es, die neuen Aktionäre dem Übergewicht der öffentlichen Hand auszusetzen.
Herr Abgeordneter Dr. Barzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn ({0})?
Bitte schön!
Herr Dr. Barzel, haben Sie das Zitat aus dem Briefe von Herrn Minister Lindrath an den niedersächsischen Ministerpräsidenten, ) das ich eben verlesen habe, nicht gehört?
Verehrter Herr Kollege Jahn, ich habe vor, auf diese Dinge ausführlich zu antworten. Ich bitte Sie, sich ein bißchen zu gedulden. Ich werde darauf zu sprechen kommen.
Aber erlauben Sie mir zunächst diese Bemerkungen grundsätzlicher Art zu § 4! Die Vorzugsstellung für die öffentliche Hand, die wir für fünf Jahre mit der Möglichkeit der Verlängerung zugestehen wollen - ein Punkt, der jetzt von Ihnen beanstandet wird; so steht es in § 4a Abs. 4 der Ausschußfassung -, ist nach unserer Auffassung nur für eine Übergangszeit vertretbar. Für diese Übergangszeit allerdings scheint sie uns berechtigt und auch erforderlich zu sein. Es erscheint uns deshalb notwendig, grundsätzlich die Möglichkeit der Verlängerung zu eröffnen. Wir sind aus diesen Gründen gegen den Antrag der Freien Demokraten auf Umdruck 502 Ziffer 2. Die Möglichkeit der Fristverlängerung, Herr Kollege Atzenroth, ist eine weitere Konzession an die niedersächsische Landesregierung. Die in letzter Minute eingetretenen Komplikationen sind Ihnen bekannt. Dieser Landesregierung, verehrter Herr Kollege, gehören Ihre Freunde in Niedersachsen an, wir nicht. Wir hätten es begrüßt, wenn Sie die Argumente, die Sie hier vorgetragen haben, auch in Niedersachsen vorgetragen hätten.
({0})
- Ja, aber die letzten Schwierigkeiten, von denen ich hier sprach, waren Schwierigkeiten mit der Regierung.
Die Frage eines generellen und dauernden Sonderstimmrechts für die öffentliche Hand - und um nichts anderes geht es, das wollen Sie hier stipulieren, Herr Kollege Jahn - ist für uns eine Grundsatzfrage. Wir wollen wirklich privatisieren, und wer wirklich privatisieren will, der muß den privaten Eigentümern das öffentliche Eigentum auch wirklich zur privaten Verfügung übertragen.
({1})
Schein- und Prozentlösungen wären für uns keine wirkliche Privatisierung.
Es entspricht unserer Konzeption von Staat und Gesellschaft, daß die Wirtschaft möglichst privat betrieben werden
({2})
und daß das Eigentum an den Unternehmungen dieser Wirtschaft möglichst breit gestreut sein soll. Wir glauben, der Staat sollte möglichst nicht selber als Unternehmer in den Kampf der Interessen verstrickt sein, sondern unabhängig über dem Ganzen stehen.
Nachdem der verehrte .Kollege Deist hier vorhin eine christliche Quelle zitiert hat, würde ich ihm doch raten, im Zuge der Bemühungen um eine Verbesserung des Verhältnisses der Sozialdemokratischen Partei zu den christlichen Kirchen auch in dieser Frage einmal gewisse christliche Verlautbarungen nachzulesen.
({3})
Der Satz, den ich eben sagte und zu dem Sie eben so lächelten, war aus einer dieser christlichen Verlautbarungen zitiert.
Nun zu den Rechtsfragen: Der Kollege Deist hat uns den Vorwurf einer unloyalen Vertragsauslegung gemacht, und Herr Kollege Jahn hat das noch einmal unterstrichen. Ich möchte diese Behauptung nachdrücklich zurückweisen und Ihnen sagen, aus welchen Gründen wir glauben, daß dieser Vertrag hier loyal erfüllt wird.
Wir wissen, daß auch das Privatisierungsgesetz nur auf der Grundlage des Vergleichs verabschiedet werden kann. Dieser Vergleich ist ein Kompromiß mit allen Merkmalen eines Kompromisses, und wir wissen, daß wir wegen dieses Kompromisses in der Ausgestaltung unseres Privatisierungsgesetzes leider nicht völlig freie Hand haben. Deshalb haben wir alle Ansprüche Niedersachsens aus dem Vergleich in das Privatisierungsgesetz übernommen.
({4})
- Ich komme darauf. - Ich will hier nicht auf die interessante Rechtsfrage eingehen, Herr Kollege Jahn, wie dieser Vergleich rechtskräftig werden kann, ob durch Quasi-Ratifikation, durch Haushaltsbeschluß oder durch Übernahme der Essentialia des Vertrages ins Gesetz. Wir haben diese theoretischen Rechtsfragen ausgeklammert und hier einen praktischen Weg beschritten.
Aber ich möchte doch betonen, weil Kollege Deist hier ein unrichtiges Zitat von dem Kollegen Scharnberg aus ,dem Ausschuß - ({5})
Kollege Scharnberg hat, wie ich mich erinnere, gesagt: Dieser Vergleich hat zwei Unterschriften, und er hat inzwischen die Billigung des niedersächsischen Landtages; die vierte Unterschrift fehlt, und ob wir die leisten, darüber müssen wir. uns jetzt unterhalten.
({6})
- Die dritte? Der niedersächsische Landtag. - So war es ganz genau; ich glaube, daß ich mich hier nicht irre.
Wir stellen fest - und das ist auch für Sie sehr wichtig, wenn Sie hier den Vorwurf unloyaler Vertragsauslegung erheben -, daß dieser Vergleich, der von uns in allen Punkten gebilligt und buchstabengetreu ausgeführt wird, ohne parlamentarische Mitwirkung nicht mehr geändert werden kann. Ich glaube, daß schon diese grundsätzliche Rechtsbemerkung vieles von dem wegnimmt, was die Kollegen Deist und Jahn insoweit hier sagten.
({7})
- Ich komme gleich auf die Rechtsfrage, auf deren Erörterung Sie so warten, Herr Kollege Jahn.
Dem Lande Niedersachsen war von Anfang an, schon bei Beginn der Besprechungen, bekannt, daß die Bundesregierung beabsichtigt, das Volkswagenwerk sozial zu privatisieren. In den Gesprächen war immer von dem Muster der Preußag die Rede. Ich glaube, Herr Kollege Jahn, es ist Ihnen der Begriff der Geschäftsgrundlage nicht ungeläufig. Diese Privatisierungsabsicht war von Anfang an die Geschäftsgrundlage; nur von da her ist dieser Vertrag interpretierbar.
Das Zweite: Der Gesetzentwurf sieht vor, daß Niedersachsen nicht der Zweiprozentklausel für die Vertretung bei der Stimmrechtausübung unterliegen soll, daß Niedersachsen zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat entsenden darf, daß ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrats - also z. B. Niedersachsen plus Arbeitnehmer - Beschlüsse des Aufsichtsrates über die Errichtung und Verlegung von Produktionsstätten verhindern kann,
({8})
daß Ähnliches für Beschlüsse in der Hauptversammlung gilt, daß Niedersachsen für fünf Jahre nicht der normalen Stimmrechtsbeschränkung unterliegt, daß diese Frist durch Gesetz verlängert werden kann. Diese Möglichkeit der Verlängerung durch Gesetz entspricht ja einer Anregung, die ursprünglich aus den Kreisen der sozialdemokratischen Mitglieder des Wirtschaftsausschusses hervorgegangen ist.
Ich habe hier nur die rechtlichen Sonderregelungen zugunsten von Niedersachsen ganz kurz aufgeführt. Über die materielle und politische Seite dieser Sache wird mein verehrter Kollege Schmücker
sprechen. Ich glaube aber, diese rechtlichen Hinweise zeigen doch schon, daß man nicht gut davon sprechen kann, wir würden im Vergleich niedergelegte Rechte Niedersachsens nun im Privatisierungsgesetz verkürzen, beschneiden, nicht loyal ausführen. Ich glaube, bei gerechter Würdigung wird man sagen müssen, daß eher zuviel des Guten an Sonderrechten für Niedersachsen geschehen ist. Aber das ist Gegenstand des Kompromisses, und wir stimmen dem Kompromiß als Ganzem zu.
Und nun, Herr Kollege Jahn, möchte ich auf Ihre rechtlichen Ausführungen besonders eingehen. Ich glaube, daß Sie Ihre Behauptung, in Abs. 4 des § 4a werde gegen den Vergleich verstoßen, im wesentlichen auf den § 2 des Vergleichs gestützt haben. Herr Kollege Deist hat das außerdem gestützt auf § 5 Abs. 2 des Vergleichs. Ich will darauf verzichten, diese Vorschriften, die Ihnen vorliegen, wieder vorzulesen. Ich möchte Ihnen aber doch folgendes entgegenhalten:
Erstens. Das Privatisierungsgesetz unterwirft doch, so wie es jetzt hier vorliegt, Niedersachen ausdrücklich nicht der Stimmrechtsbeschränkung für die ersten fünf Jahre.
Zweitens. Es eröffnet die Möglichkeit, diese Frist durch Bundesgesetz zu verlängern.
Drittens. Nirgendwo verbietet der Vergleich die Stimmrechtsbeschränkung.
Viertens. § 5 Abs. 2, auf den Sie, Herr Kollege Deist, so besonderen Wert gelegt haben, zählt die ins Gesetz zu übernehmenden Sonderrechte Niedersachsens abschließend auf. Danach hat Niedersachsen Sonderrechte für die Beschickung des Aufsichtsrats - sie sind erfüllt in § 5b Abs. 1 des Gesetzentwurfs - und ein Sonderrecht für die Mehrheit in der Hauptversammlung - in § 5b Abs. 3 des Privatisierungsgesetzes können Sie das nachlesen. Andere Sonderrechte sind in § 5 Abs. 2 des Vergleichs nicht stipuliert und mithin nicht notwendigerweise in das Gesetz zu übernehmen. Mithin fällt der Vorwurf unloyaler Vertragsauslegung, glaube ich, in sich zusammen.
({9})
Insbesondere, Herr Kollege Jahn, möchte ich doch auf den § 5b Abs. 3 der Vorlage hinweisen, der, glaube ich, hiermit im Zusammenhang steht. Herr Präsident, ich bitte das als Argument gebrauchen zu dürfen, obwohl der § 5 noch nicht aufgerufen ist. Diese Vorschrift sichert Niedersachen in allen Fällen, die für die Entwicklung der künftigen Volkswagen-Aktiengesellschaft wesentlich sind, praktisch ein Vetorecht; und dieses Vetorecht wird ja nicht nur - Herr Kollege Jahn, darauf lege ich besonderen Wert - von einer qualifizierten Mehrheit, es wird nicht nur von der Mehrheit von mehr als vier Fünfteln abhängig gemacht, es wird hier auch nicht nur auf die Stimmen abgestellt, sondern es wird auf das bei der Beschlußfassung vertretene Grundkapital abgehoben. Eine ähnliche Vorschrift kennen Sie sicher aus § 146 des Aktiengesetzes. Ich würde doch empfehlen, das im Zusammenhang mit § 113 des Aktiengesetzes einmal nachzuschlagen.
Sie werden mir dann zugeben müssen, daß insoweit hier alles auch rechtlich restlos erfüllt ist.
Ich möchte, nachdem Herr Kollege Jahn mich noch einmal darauf angesprochen hat, auch ein Wort zu gewissen Briefen und Erklärungen sagen, die gewechselt worden sein sollen. In diesen Briefen ist nach dem, was der Kollege Jahn vorgetragen hat, die Rede davon, daß der Bund dem Land Niedersachsen zugesichert habe, Niedersachsen solle ein besonderer Einfluß auf die Gesellschaft gesichert werden. Das geschieht vertragsgetreu durch all die Normen, die ich Ihnen aufgezählt habe. Aber in dem ganzen Schriftwechsel, Herr Kollege Jahn, ist von Ausnahmen für Niedersachsen hinsichtlich der Stimmrechtsbeschränkungen nicht die Rede. Solche Ausnahmen hätte die Bundesregierung - unabhängig von ihrer eigenen Auffassung hierzu - auch schwerlich zugestehen können, weil sie wußte, daß die Fraktion der CDU/CSU in dieser Frage die Grenze ihrer Kompromißbereitschaft abgesteckt hatte.
Wir befinden uns noch nicht in der dritten Lesung. Dort werden wir ja wohl noch eine politische Aussprache haben. Ich bin auf die politische Aussprache gespannt und warte gespannt darauf, wie die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses ihr Nein zu den Gesetzentwürfen im Hinblick auf ihr Godesberger Programm im einzelnen begründen wird.
({10})
Das Wort hat der
Herr Abgeordnete Jahn ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man einen Vergleich teilweise erfüllt, dann ist das doch noch kein Grund, zu sagen, daß man sich vertragsgetreu verhalte. Herr Kollege Dr. Barzel, Sie haben gesagt, daß eine Reihe von Punkten, von denen in dem Vertrag zwischen dem Bund und dem Lande Niedersachsen ausdrücklich die Rede ist, tatsächlich auch in das Privatisierungsgesetz übernommen worden sind. Das ist doch kein Verdienst, sondern eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
({0})
In einer entscheidenden Frage - jetzt muß ich Sie um Geduld bitten - haben Sie aber das, was expressis verbis in dem Vergleich steht, nicht erfüllt. In dem Vergleich heißt es im § 2:
Der Bund und das Land Niedersachsen erhalten je 20 % des Grundkapitals der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft ...
Im Abs. 2 desselben Paragraphen - Herr Kollege Barzel, ich muß Sie darauf noch einmal besonders hinweisen - heißt es:
Die restlichen 60 % des Grundkapitals werden in Form von Kleinaktien ... veräußert werden.
Sie haben vorhin so sehr darauf hingewiesen, daß
man diesen Vertrag richtig auslegen müsse. Ich
frage Sie: welchen Sinn soll diese Gegenüberstellung haben - es ist zunächst allgemein von Aktien und dann von den restlichen 60 % die Rede, die als Kleinaktien veräußert werden sollen -, wenn nicht zunächst einmal davon ausgegangen wurde, daß die 40 %, die in das Eigentum des Bundes und des Landes Niedersachsen übergehen sollen, keine Kleinaktien werden? Wenn das nicht dahintergestanden hätte, wenn das nicht die Geschäftsgrundlage dieses Vergleichs gewesen wäre, dann wären diese Formulierungen völlig sinnlos, dann hätte man von Anfang an sagen können: „Sämtliche Aktien werden in Form von Kleinaktien ausgegeben, von denen je 20 % der Bund und das Land Niedersachsen erhalten." Das hat man nicht gesagt. Wenn man es nicht gesagt hat, hat man sich dabei etwas gedacht. Man hat sich eben das dabei gedacht, was ich vorhin schon einmal dargelegt habe: es ging darum, dem Lande Niedersachsen einen hervorragenden Einfluß auch auf die laufende Geschäftspolitik der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft einzuräumen.
Herr Kollege Barzel, Sie haben dann davon gesprochen, daß über die Frage der Stimmrechtsbeschränkung im Vertrag und in dem Briefwechsel, der zwischen den Beteiligten geführt worden ist, nichts gesagt worden sei. Nun, davon brauchte nach dieser Formulierung des Vergleichs auch gar nichts gesagt zu werden, weil das von vornherein für jeden klar sein mußte, der diesen Vergleich so las, wie er da geschrieben steht, und nicht versuchte, nachträglich etwas hineinzuinterpretieren, wie Sie es hier dauernd versuchen.
({1})
Sie haben gesagt, es sei von Anfang an von einer völligen Privatisierung ausgegangen worden. Das war richtig, solange die Drucksache 102 vorlag, solange Sie davon ausgingen, daß Sie allein über das gesamte Vermögen „Volkswagenwerk" verfügen und damit machen könnten, was Sie wollten. Erst nachdem die Drucksache 102 vorlag, sind über die Eigentumsfrage Verhandlungen 'geführt worden. Erst danach ist der Vergleich zwischen dem Bund und dem Lande abgeschlossen worden. Da ergab sich eine völlig andere Situation, da konnten Sie, und zwar Sie allein, eben nicht mehr das tun, was Sie für richtig hielten, sondern da mußten Sie auf die Interessen des Landes Niedersachsen Rücksicht nehmen. Lesen Sie einmal die Beratungen im Niedersächsischen Landtag nach. Da werden Sie sehr deutlich lesen, wie sehr auch Ihre eigenen Parteifreunde im Lande Niedersachsen darauf vertraut haben, daß dieser Vergleich so erfüllt wird, wie es von Anfang an vorgesehen war und wie es eindeutig in ihm geschrieben steht.
Nun versuchen Sie sich hier damit herauszureden - anders kann man es nicht bezeichnen -, daß Sie sagen, die Ausnahme von der Stimmrechtsbeschränkung bestehe zunächst für fünf Jahre. Was ist nach fünf Jahren? Da sagen Sie: diese Frist kann verlängert werden. - Sie braucht aber nicht verlängert zu werden. Es gibt für Sie keinen Zwang, eine Änderung gegenüber dem jetzigen Zustand herbeizuführen. Sie werden nach fünf Jahren gar nicht mehr daran denken - davon können Sie mich,
Jahn ({2})
Herr Dr. Barzel, ganz und gar nicht überzeugen -, diese Frist auch nur noch für ein halbes Jahr oder für ein Jahr zu verlängern.
({3})
- Zumindest werden Sie dann einer solchen Regelung nicht zustimmen.
In den Ausführungen des Herrn Kollegen Barzel zu § 5 sind einige Zugeständnisse, die Sie schließlich haben machen müssen, weil Sie eingesehen haben, daß der Vorwurf, der Vergleich werde nicht erfüllt, doch nicht so ganz auf die leichte Schulter genommen werden kann. Nur betreffen die Vorschriften in § 5b lediglich einen bestimmten Kreis von Entscheidungen, die zu fällen sind. Sie werden mir einräumen müssen -, Sie haben es im Ausschuß bereits einmal einräumen müssen -, daß es über diese paar Punkte hinaus, von denen hier die Rede ist, eine Fülle von Entscheidungen gibt, in denen es für ,das Land Niedersachsen von höchstem Interesse wäre,
({4})
wenn es hier auch nach fünf Jahren seinen maßgebenden Einfluß haben könnte. Sie nehmen dem Lande Niedersachsen diesen notwendigen Einfluß, indem Sie offenbar die Formulierung des § 4a Abs. 4 aufrechterhalten wollen.
Ich kann Sie nur noch einmal darauf hinweisen, daß, ohne daß in den Vorverhandlungen ausdrücklich etwas darüber gesagt werden mußte, sich aus dem Wortlaut des Vergleichs und aus dem Inhalt der Verhandlungen ganz zweifelsfrei ergeben hat und heute noch ergibt, dem Lande Niedersachsen sollte für seinen Eigentumsanteil, der ihm nach dem Vergleich zusteht, eine Sonderstellung eingeräumt werden. Diese Sonderstellung wollen Sie ihm jetzt nehmen. Sie müssen mit dem Vorwurf, einen Vertrag, einen Vergleich nicht zu erfüllen, fertig werden. Wir können Sie nur darauf hinweisen; wir können Sie nur sehr herzlich und dringend darum bitten, daß Sie sich diesem Vorwurf nicht aussetzen. Letzten Endes kann es auch Ihnen, kann es auch der Bundesregierung nicht ganz gleichgültig sein, ob man ihr in der Öffentlichkeit nachsagt, sie schließt zwar Verträge, sie bringt ihren Vertragspartner mit bestimmten Erklärungen dazu, ja zu sagen; wenn es aber einmal darum geht, die Verträge auszuführen, steht sie nicht mehr zu ihrem Wort.
({5})
Zu spät für eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Burgbacher; das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wilhelmi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind in den Ausschüssen bereit gewesen, uns mit Ihnen über diese Fragen sehr eingehend und sachlich auseinanderzusetzen, und haben das getan. Wir sind auch hier bereit,
das in absolut sachlicher Weise zu tun. Ich glaube, Herr Kollege Barzel hat das in ausgezeichneter, ruhiger und sachlicher Weise getan. Ich muß es deshalb auf das schärfste zurückweisen, Herr Kollege Jahn, wenn Sie hier sagen, Herr Kollege Barzel habe sich herauszureden versucht oder wir hätten uns aus dieser Situation herauszureden versucht.
({0})
Wir wollen bei der Diskussion doch sachlich bleiben. Es hat doch keinen Zweck, hier mit solchen demagogischen Mitteln zu arbeiten.
({1})
Sie wissen, ich bin an sich ein ganz friedlicher Mann, aber so etwas bringt mich in Harnisch, wenn ein Kollege in dieser Weise angegriffen wird.
({2})
- Gut, das soll Sie auch in Harnisch bringen,
wenn wir das nicht täten. Ich habe vorhin als Berichterstatter gesprochen. Jetzt habe ich die Freiheit, als Vertreter der CDU/CSU über diese Angelegenheit zu sprechen, und da habe ich Ihnen etwas anderes zu sagen, als ich es Ihnen, mit dem Maulkorb des Berichterstatters versehen, vorhin sagen konnte.
({3})
- So ein bißchen durchlässig ist jeder Maulkorb, Herr Kollege Deist. Der Hund muß doch atmen, der „sprechen" muß.
({4})
Jetzt zur Sache. Bei der Auslegung des Vertrages gibt es zwei Möglichkeiten, die man anwenden kann. Zunächst kann man sagen: Ich betrachte den Vertrag allein so, wie er vorliegt, und dann muß ich mir überlegen, unter welchem Gesetz - ich meine jetzt das Aktiengesetz - dieser Vertrag abgeschlossen worden ist. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere besteht darin, daß man sagt: Der Vertrag ist zu einem Zeitpunkt abgeschlossen worden, als das Privatisierungsgesetz schon vorlag, als jeder Mensch wußte, daß die Aktie mit Stimmrechtsbeschränkung versehen ist. Bei der ersten Möglichkeit geht man einfach davon aus: Die Parteien haben von der ganzen Geschichte nur gewußt, daß es ein Aktiengesetz gibt das muß man sowohl bei einem Bundesministerium wie bei einem Landesministerium wohl unterstellen können - und weiter nichts.
Zu § 2 - Herr Kollege Jahn, ich möchte Sie gern überzeugen, aber Sie hören leider nicht zu ({5})
ist folgendes zu sagen. Ich kann nach geltendem Aktienrecht überhaupt keinen Unterschied machen, der sich lediglich auf das Stimmrecht der Aktien bezieht. Wenn ich einen Unterschied machen will, muß ich zwei verschiedene Aktiengattungen schaffen, sehr verehrter Herr Kollege Jahn. In § 2 steht nichts von verschiedenen Aktiengattungen.
({6})
- Nein, Herr Kollege, das übersehen Sie immer. § 2 sagt in seinem Abs. 1, in welchem Beteiligungsverhältnis die beiden Hauptaktionäre stehen. Es sollen nämlich das Land und der Bund je 20 % bekommen. Es ist aber mit keinem Wort davon die Rede, wie diese Aktien ausgestattet sind. Es ist auch nicht davon die Rede, wie sie gestückelt sind. Im zweiten Absatz finden Sie die Bestimmung: Die restlichen 60 % des Grundkapitals werden in Form von Kleinaktien ... usw. Damit ist also ein Programmpunkt hingeworfen worden,
({7})
daß hier Kleinaktien geschaffen werden sollen. Da wird die Frage der Stückelung angeschnitten, Herr Kollege, aber niemals die Frage der Bildung verschiedener Aktiengattungen.
Wenn Sie den Vertrag unter dem Gesichtspunkt des Aktienrechts lesen, werden Sie kein Wort davon finden, daß verschiedene Aktien gebildet werden sollen. Es ist auch kein Mensch, wenigstens keiner, der sich sachlich in die Materie vertieft hat, jemals auf die törichte Idee gekommen, die dem Bund und dem Land Niedersachsen gehörenden Aktien anders zu gestalten als die Aktien, die als Kleinaktien zu 100 DM ausgegeben werden. Das' wäre geradezu Wahnsinn. Beide Parteien -beide Parteien, sage ich Ihnen - waren sich, wie sich aus dem Briefwechsel ergibt, den ich in den Ausschüssen vorgelesen habe, darüber klar, daß sie die Möglichkeit offenhalten wollten, ihre 20 % zu veräußern. Nun wäre es heller Wahnsinn, wenn man für diese beiden, die zunächst einmal Großaktionäre sind, Aktien zu je 1000 DM schaffte; denn dann müßte man für den Fall einer Veräußerung dieser Aktien wieder die Satzung ändern und neue Aktien herstellen. Das ist aus diesem Vertrag doch einfach nicht herauszulesen, daß man etwa zwei verschiedene Sorten von Aktien machen wollte. Da das aus dem Vertrag nicht herauszulesen ist, so gibt es eben nur eine Aktie.
Auch das war jedem der Beteiligten klar, daß die Aktien grundsätzlich Stimmrechtsbeschränkung haben sollten. Das stand in allen Entwürfen, die längst vorlagen und deshalb längst bekannt waren. Der Streit geht darum- ich will das jetzt nicht im einzelnen auseinandersetzen -, was bei den unzähligen Besprechungen zwischen den Ministerialbürokratien des Bundes und des Landes Niedersachsen im einzelnen hin und her geredet worden ist. Ich persönlich bin der Ansicht, es kommt auf alles das nicht an, sondern es kommt darauf an, daß in diesem Vertrag mit keinem Wort gesagt ist, das Land Niedersachsen solle Aktien einer besonderen Form haben, und daß an keiner Stelle des Vertrages für die Aktien des Landes Niedersachsen eine Ausnahme von einer Stimmrechtsbeschränkung vorgesehen ist. Ich will nicht das wiederholen, was Kollege Barzel gesagt hat. Ich bin der Überzeugung, daß seine Argumentation sauber und richtig war. Er hat mit Recht gesagt, daß alle Vorteile, die das Land Niedersachsen haben wollte, um einen Einfluß auszuüben, geschlossen in dem Vertrag niedergelegt sind. Wir sind daher davon überzeugt, daß wir mit dem Gesetzentwurf den Vertrag voll erfüllt
haben. Herr Kollege Jahn, Sie mögen anderer Ansieht sein. Es ist unter Juristen üblich, daß man verschiedener Ansicht ist.
({8})
Aber Sie dürfen uns nicht unterstellen, daß wir versuchen wollten, uns der Erfüllung des Vertrages zu entziehen.
Daß wir in letzter Minute noch beantragt haben, eine Bestimmung in das Gesetz aufzunehmen, wonach der Gesetzgeber die Möglichkeit hat, die FünfJahres-Frist zu verlängern, hat einen guten Grund, und das darf ich auch Herrn Kollegen Atzenroth sagen. Wenn dieser Passus nicht in dem Gesetz stünde, könnten wir die Frist nicht ohne weiteres verlängern. Denn dann könnten die freien Aktionäre mit Recht einwenden, nach der Satzung - es handelt sich ja im wesentlichen um eine Satzungsbestimmung - entfalle nach fünf Jahren dieses Sonderstimmrecht der öffentlichen Hand; eine Verlängerung etwa auf zehn Jahre oder - wie Sie meinen - auf ewig sei nicht möglich. Daher wollen wir die Möglichkeit einer Verlängerung der Frist ausdrücklich im Gesetz vorsehen. So wird in fairer Weise der Weg für eine Vereinbarung mit dem Land Niedersachsen offengehalten. Ich habe immer noch die Hoffnung, daß es der Bundesregierung besser gelingen wird, die niedersächsische Landesregierung zu überzeugen, als es mir gelungen ist, Sie, Kollege Jahn, zu überzeugen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn?
Bitte!
Herr Kollege Dr. Wilhelmi, da gehören Sie also auch zu den Anhängern der Überzeugung des Herrn Bundeskanzlers: „Was ist schon ein Minister?", wenn Sie so tun, als seien schriftliche Erklärungen des Herrn Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes nicht mehr wert als irgendwelche Redereien innerhalb der Ministerialbürokratie?
Ich glaube, Sie haben mich mißverstanden, wenn Sie meinen, ich hielte Redereien innerhalb der Ministerialbürokratie für völlig unerheblich. Im Gegenteil!
({0})
Ich halte sie für sehr erheblich, und wenn ich die schon für erheblich halte, so halte ich die Äußerungen eines Ministers für ganz besonders erheblich, Herr Kollege Jahn.
({1})
Aber in dem Brief des Ministers Dr. Lindrath steht nicht das, was Sie sagen. Sie versuchen, aus einem kleinen Abschnitt des Briefes das herauszulesen, was Ihnen paßt.
({2})
- Herr Kollege, als Juristen-Kollegen wissen wir ja, daß wir aus einem Schriftstück gern den Passus herauspicken, der gerade in unser Konzept paßt. Gerichte pflegen die Dinge im ganzen zu sehen und eine Auslegung zu geben, die nicht jeder der beiden Parteien paßt. Manchmal verliert auch einer seinen Prozeß, und ich glaube, das sind in diesem Falle Sie.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
({0})
Vielen Dank! Das macht sehr populär; je häufiger man zitiert wird, desto mehr wird man bekannt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre sehr interessant gewesen, den Streit der benachbarten - ich spreche als Niedersachse hessischen Juristen weiter zu verfolgen. Ich habe einmal, als die Sache in einem Gespräch bei Minister Ahrens zur Sprache kam, geäußert, ich könne als höflicher Mensch nur sagen, irgendwer müsse sich geirrt haben. Auch ich kann nur betonen, daß unsere Absicht immer die Privatisierung gewesen ist und daß alle Verhandlungen unter diesem Gesichtspunkt geführt worden sind. Nun, Mißverständnisse gibt es. Kollege Jahn, Sie haben vorhin selber eines vernommen. Dr. Deist sprach von dem Volkswagenwerk als dem größten Brocken des Bundesvermögens; Sie sagen, es sei kein Vermögen des Bundes. Dr. Deist sagte, Niedersachsen habe einen großen Erfolg errungen; Sie beklagen einen mangelhaften Erfolg für Niedersachsen. Nun, das werden Sie unter sich ausmachen. Bitte sehr, Kollege Deist!
Herr Abgeordneter Schmücker, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich war so voreilig, das schon zu tun.
Herr Kollege Schmücker, ist Ihnen nicht doch vielleicht aufgegangen, daß ein Unterschied besteht, ob man - was ich bewußt vermieden habe - vom Eigentum des Bundes spricht oder ob ich bei einem Unternehmen, bei dem die Eigentumsverhältnisse noch gar nicht geklärt sind - das merkwürdigerweise hervorragend wirtschaftot, ohne daß es einen Eigentümer hat -, nach einem kurzen Ausdruck suche? Dabei habe ich festgestellt, daß es faktisch vom Bund - in Zusammenarbeit mit Niedersachsen bestimmt wird, und vereinfachend von einem Bundesunternehmen gesprochen.
Herr Dr. Deist, ich war sehr gespannt darauf, wie Sie sich aus der Sache herauswinden würden. Ich muß Ihnen sagen: es ist Ihnen leidlich gelungen. Aber im Protokoll steht, daß Sie vom „Bundesvermögen VW" gesprochen haben, - wenn es noch darin steht.
({0})
Nun darf ich aber zu meinem Auftrag kommen und einmal untersuchen, wie dieses Gesetz sich für Niedersachsen auswirkt. - Wir sind davon ausgegangen, daß das Volkswagenwerk dem Bund gehört. Das wird ja auch im Sparerprozeß bestätigt. Als wir den Vergleich anstrebten, taten wir es, um die Privatisierung und um die Stiftung - meine Herren von der SPD! - in dieser Legislaturperiode sicherzustellen. Natürlich haben wir alle Wünsche Niedersachsens untersucht. Wir haben uns bereit erklärt, so weit wie möglich entgegenzukommen, ohne daß der Gedanke der Privatisierung gefährdet würde.
Darf ich nun kurz aufzählen, worin dieses Entgegenkommen besteht. Niedersachsen erhält 20 % der Aktien. Das sind bei einem Grundkapital von 600 Millionen D-Mark nominal 120 Millionen D-Mark. Der wirkliche Kurs ist aber wahrscheinlich höher. Nehmen Sie den Sozialrabatt herunter, so dürfen Sie, glaube ich, ohne Übertreibung sagen: Niedersachsen erhält von dem Bundesvermögen - also von dem Vermögen des Bundes, also aller Länder, 250 Millionen D-Mark. Niedersachsen erhält weiter die Hälfte der angesammelten Dividende. Der jetzige Stand ist 30 Millionen D-Mark. Hinzu kommt der Gewinn von 1959; der Gewinn von 1958 wurde ja zur Aufstockung des Grundkapitals benutzt. Man darf damit rechnen, daß nach Abzug der Steuern 24 Millionen D-Mark hinzukommen, das ergibt zusammen 54 Millionen D-Mark, von denen Niedersachsen die Hälfte erhält, also 27 Millionen D-Mark. Es sind natürlich ungefähre Ziffern, Sie können gern dagegen angehen. Aber ich glaube kaum, daß sie sich um ± 10 % verändern werden.
Drittens möchte ich die Sonderstellung Niedersachsens in der Stiftung erwähnen. Niedersachsen erhält ein Vorab von 10 %. Die Stiftung wird von den Dividenden des niedersächsischen Anteils gespeist. Aber diese 10 % werden wieder voll an Niedersachsen ausgeschüttet. Dann kommt die Dividende des Bundes, und es kommt die Verzinsung des dem Bund geliehenen Kapitals hinzu. Man darf annehmen - ich glaube, ich brauche die Einzelrechnung hier nicht aufzumachen -, daß Niedersachsen von hier etwa 17 Millionen D-Mark bekommt.
Der gesamte Betrag im niedersächsischen Haushalt für die Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre ist zur Zeit 83 Millionen D-Mark. Niedersachsen kommt also auf 100 Millionen D-Mark. Ungefähr gerechnet wird Niedersachsen also nach diesem Gesetz seinen Haushaltsansatz zur Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre um 20 % erhöhen können.
Dann darf ich die Sicherungen allgemeiner Art erwähnen. Es wurde schon darauf hingewiesen: die Sperrminorität ist - im Gegensatz zum Aktienrecht
- auf 20 % festgesetzt worden. Damit hat Niedersachsen es jederzeit in der Hand, eine Satzungsänderung zur Kapitalaufstockung usw. zu verhindern.
({1})
- Nein, Herr Kollege, das gilt immer. Lesen Sie es mal durch, Sie werden erfreut sein; vielleicht stimmen Sie hinterher doch noch zu!
Es ist festgelegt worden, daß Niedersachsen zwei Sitze im Aufsichtsrat erhält; damit bekommt es einen entscheidenden Einfluß auf die Geschäftsleitung.
({2})
- Von 18. Ich werde die Zahl gleich in anderem Zusammenhang erwähnen.
({3})
Eine große Sorge haben uns die Vorstellungen der Stadt Wolfsburg gemacht. Wir sind froh, daß ein Entschließungsantrag aller Fraktionen eingebracht werden konnte; ich bitte, ihn anzunehmen. Die Stadt Wolfsburg hat uns erklärt - auch Niedersachsen hat uns das gesagt -, diese Stadt sei auf das Volkswagenwerk so angewiesen, daß Verlegungen oder die Errichtung neuer Betriebsstätten die Stadt eventuell sehr erheblich treffen könnten. Darum ist festgelegt worden, daß die Errichtung neuer Betriebsstätten an eine Zweidrittelmehrheit gebunden ist. Es darf doch wohl angenommen werden, daß die sechs Arbeitnehmervertreter dann, wenn für die Stadt Wolfsburg Gefahr im Verzuge ist, mit den zwei Landesvertretern zusammen stimmen werden.
Wir sollten uns aber einmal einen Moment darüber Gedanken machen, wie, ich möchte fast sagen, grotesk es ist, daß eine so reiche Stadt wie Wolfsburg sich nicht ihres Wohlstandes freuen kann, weil sie in einer Art Monokultur so einseitig auf ein Werk ausgerichtet ist, daß sie einfach auf Gedeih und Verderb mit ihm verbunden ist. Der verhältnismäßig nicht allzu große Brand hat eine sehr erhebliche Schockwirkung in der Bevölkerung ausgelöst. Wir sollten uns deshalb der Sorgen dieser Stadt besonders annehmen. Was wir bei dem jetzigen Gesetzeswerk schon tun konnten, haben wir mit der Aufsichtsratsregelung getan.
Über die Regelung, nach der die Stimmrechtsbeschränkung für eine Frist von fünf Jahren für den Bund und für das Land Niedersachsen nicht gilt, ist schon gesprochen worden. Wir waren zunächst der Meinung, daß fünf Jahre genügten, aber wir wollten der niedersächsischen Regierung entgegenkommen. Herr Atzenroth, Sie kennen ja die niedersächsische Regierung und können vielleicht dazu beitragen, daß sie uns ihr Einverständnis gibt; vielleicht helfen Sie uns; Sie haben dort etwas mehr Einfluß als wir.
Letztlich muß ich noch erwähnen, daß der Vorsitz und der Sitz der Stiftung in Niedersachsen liegen.
Herr Kollege Jahn, hören Sie mir bitte noch einen Moment zu, bevor Sie hinausgehen. Ist etwa all das, was ich aufgezählt habe, kein maßgeblicher Einfluß? Der Einfluß ist doch so bedeutend, daß ich schon etwas Sorge habe, die Kollegen, die nicht aus Niedersachsen und nicht aus Hessen kommen - die Hessen haben sich sehr brav geschlagen -, könnten der Meinung sein, das sei schon etwas zu viel. Ich bin froh, hier sagen zu können, daß die Kollegen meiner Fraktion aus allen Ländern der Regelung zustimmen werden.
Meinen niedersächsischen Landsleuten möchte ich entgegenrufen: Überspannt den Bogen nicht; denn Niedersachsen hat wirklich einen Erfolg errungen!
({4})
Weitere Forderungen, die hörbar geworden sind, würden eine Aufgabe der Privatisierung bedeuten, und manchmal, meine Herren von der SPD, haben wir den Eindruck, daß es Ihnen nicht speziell auf die Rechte Niedersachsens, sondern auf die Verhinderung der Privatisierung ankommt. Sie, Herr Dr. Deist, haben das sehr deutlich erklärt.
({5})
Mein Kollege Herr Professor Burgbacher wird in der dritten Beratung unsere Grundsatzerklärung abgeben und, wie ich annehme, Ihnen darauf antworten. Ich möchte nur so viel sagen: Einer Politik der Verhinderung der Privatisierung werden wir uns widersetzen. Wir wollen das Eigentum breit streuen,
({6})
und zwar ein Eigentum, das nicht einen bloßen Geldwert hat, sondern das einen Einfluß sichert und damit wirtschaftlich interessant ist.
Niedersachsen sollte diesen Standpunkt anerkennen und, wenn es möglich ist, auch anerkennen, daß wir wirklich ein großzügiges Entgegenkommen gezeigt haben. Darum allen Kollegen aus allen Ländern des Bundes herzlichen Dank.
({7})
Meine Damen und Herren, wird weiter das Wort zu § 4a gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Antrag der SPD Umdruck 499, den § 4a Abs. 4 neu zu fassen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 502 Ziffer 2 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den § 4a in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen
Vizepräsident Dr. Jaeger
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. Das erste war die Mehrheit; der § 4a ist in der Ausschußfassung angenommen.
§ 5 entfällt.
Ich rufe auf § 5a. Wird das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Atzenroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben zu diesem Paragraphen keine Änderungsanträge gestellt, aber in der verhältnismäßig kurzen Beratung des Ausschusses den Eindruck gewonnen, daß die in § 5a vorgesehene Regelung - sosehr wir auch manche Zielsetzung bejahen und obwohl wir sogar der Zielsetzung im allgemeinen zustimmen können - praktisch so vielen Schwierigkeiten begegnet, daß sie nicht durchführbar sein wird. Wir glauben, daß Sie vielleicht doch einen anderen Weg gehen sollten.
Herr Minister Erhard hat vor einiger Zeit auf einen Einwand von mir versichert, daß die große Aktienrechtsreform doch noch diesem Bundestag vorgelegt werden könne. Diese Fragen müssen ja entscheidend und endgültig in der großen Aktienrechtsreform geregelt werden. Vielleicht könnten Sie überlegen ich wiederhole: wir stellen keinen Antrag -, ob man die Regelung der großen Aktienrechtsreform nicht auch hier zugrunde legen sollte. Bis dieses Gesetz wirklich praktiziert wird, wird wahrscheinlich noch eine gewisse Zeit vergehen. Ich glaube, das Ministerium hat angekündigt, die ersten Aktien könnten im Februar nächsten Jahres ausgegeben werden. Das habe ich in der Zeitung gelesen. Bis dahin könnten wahrscheinlich schon einige Grundsätze der großen Aktienrechtsreform klarliegen, so daß wir sie hierauf anwenden könnten.
Das Wort hat der Abgordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Atzenroth hat zwar keinen Änderungsantrag gestellt, aber doch einige wesentliche Bedenken gegen Regelungen in § 5a vorgetragen. Das veranlaßt uns, grundsätzlich einiges dazu zu sagen. Herr Kollege Atzenroth, es ist nicht unsere Absicht, durch diese Vorschrift des Volkswagenwerk-Gesetzes etwa die große Aktienrechtsreform grundsätzlich zu präjudizieren. Wir legen Wert darauf, das ausdrücklich festzustellen.
Die grundsätzlichen Fragen des sogenannten Depotstimmrechts werden in der großen Aktienrechtsreform geregelt werden. Wir fühlen uns völlig frei für die Regelung in der großen Aktienrechtsreform und werden alles neu prüfen. Dieser § 5a betrifft nur das Volkswagenwerk.
Das zweite hierzu: Unser Anliegen ist es, die Beziehungen zwischen dem Aktionär und der Gesellschaft zu verbessern, die Mitwirkungsrechte aus der Aktie konkreter und persönlicher zu gestalten und gleichzeitig der Anonymität entgegenzuwirken. Wir legen Wert auf die Feststellung, daß nicht Mißtrauen
gegen irgendwen uns bewogen hat diese gesetzliche Bestimmung dem Hohen Hause zur Annahme vorzuschlagen, sondern allein der Wunsch, die Aktie als einen privaten Eigentumstitel zu erhalten und den Aktionär auch an seine individuelle Verantwortung für das Schicksal seiner Gesellschaft und daran zu erinnern, daß Eigentum immer neben Rechten auch Pflichten, auch persönliche Pflichten beinhaltet.
({0})
- In der Hauptversammlung werden niemals alle Aktionäre auftreten und ihre Stimme abgeben können. Deshalb muß man die Frage ihrer Vertretung regeln.
Ich darf die Vorschrift als bekannt voraussetzen und möchte mich mit Ihrem Einwand auseinandersetzen, daß das hier unpraktikabel sei, Herr Kollege Atzenroth. Wir glauben das nicht, denn die Behauptung, daß das unpraktikabel sei, ist zur Stunde weder bewiesen noch ist sie beweisbar. Wir tun hier mit einer Vorschrift, die nur für dieses Gesetz gilt, einen neuen Schritt auf einem Wege, der uns manches Unbekannte bringen wird. Weil wir von liebgewordenen Gewohnheiten der Anonymität Abstand und Abschied nehmen, sollte man aber nicht sagen, es sei unpraktikabel. Es gibt auch zukünftige Lösungen, die sehr wohl, obwohl sie neu und unbekannt sind, praktikabel sein können. Wir glauben, daß es eine gute Idee ist, die Anonymität hier ein bißchen einzuschränken und zurückzudrängen.
Wir legen bei dieser Gelegenheit auch Wert darauf, festzustellen, warum wir in § 5a Abs. 5 die Stimmrechtsbeschränkung bei der Vertretungsbefugnis auf 2 % festgelegt haben. Ich weiß, daß gerade diese Vorschrift besonderen Bedenken begegnet, wahrscheinlich auch bei Ihnen, Herr Kollege Atzenroth.
({1})
- Das ist nicht der Fall? - Lassen Sie mich trotzdem einiges dazu sagen. Was hat uns bewogen, dieses Limit zu setzen? Dieses Limit haben wir nicht gesetzt, weil wir gegen irgend jemanden Mißtrauen haben, sondern weil wir wünschen - nicht zuletzt wegen einiger Erfahrungen, die in Österreich gemacht worden sind -, daß die breite Streuung des Eigentums am Volkswagenwerk auch in der Hauptversammlung sichtbar wird, sichtbar bleibt und für die Dauer erhalten bleibt. An diesem Werk wird es, abgesehen von dem niedersächsischen Paket - und ich hoffe mit Ihnen, daß auch das eines Tages sozial privatisiert wird -, keine Aktienpakete mit Herrschaftsrecht geben. Das soll nun jedermann auch in der Hauptversammlung spüren und merken können. Wir wollen der Konzentration der Betriebe bewußt die Dekonzentration im Eigentum entgegensetzen; deshalb die Begrenzungen bei der Abgabe des Stimmrechts auf ein Zehntausendstel, deshalb diese strengen Vorschriften für die Vertretung und deshalb die Verkaufsvorschriften, über die wir nachher noch debattieren wollen. Wir wollen sichergehen, daß hier nicht unter der Parole sozialer Privatisierung und breiter Streuung des Eigentums eine Aktion anläuft und wir eines Tages erschreckt bei
der Nachricht aufwachen, nun werde auch dieses Werk noch von Herrn X als Großaktionär oder von irgendeiner Gruppe kontrolliert. Unsere Vorschlage erlauben das nicht, ja, sie verhindern, nach menschlichem Ermessen, schon das Entstehen von Appetit in dieser Richtung, eben wegen dieser Begrenzungen.
Aus diesen Gründen glauben wir, hier einige Vorschläge machen zu sollen, mit denen wir zwar Neuland betreten, die aber doch wahrscheinlich zu einer positiven und praktikablen Lösung führen werden. Wir wollen nicht die Aktienrechtsreform präjudizieren, sondern hier einen Riegel setzen, damit nicht Befürchtungen, wie sie von Ihrer Seite hier geäußert wurden, Wirklichkeit werden, Das Eigentum soll breit gestreut sein und bleiben!
({2})
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer § 5a zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. -- Das erste war die Mehrheit; es ist, so beschlossen.
({0})
- Die werden in der Schlußabstimmung eigens gezählt;
({1})
ich lasse aber gern zu Protokoll nehmen, daß Sie
und Ihre Freunde sich der Stimme enthalten haben.
Wir kommen zu § 5b. Wird das Wort gewünscht?
- Das ist nicht der Fall. Wer § 5b zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Sollen wieder Enthaltungen protokolliert werden?
({2})
- Jawohl, es wird geschehen. § 5b ist angenommen.
Die §§ 6 und 7 entfallen. Wir kommen zu § 8. Ich rufe zugleich den Antrag Umdruck 502 Ziffer 3 auf.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Herr Präsident! Ich darf um die Erlaubnis bitten, gleich auch die Begründung unserer Anträge zu den §§ 10, 11 und l i a zu geben, weil das eine Einheit ist.
Bitte sehr.
Meine Damen und Herren! Die Freien Demokraten haben sich immer für eine echte Privatisierung eingesetzt. Wir wollten das Bundesvermögen weder in die Hände des Großkapitals noch in die Hände des Auslands bringen, noch wollten wir es verschleudern, wie uns früher häufig vorgeworfen wurde. Was in den Paragraphen nach § 8 vorgesehen ist, könnte von böswilliger Seite als eine Verschleuderung bezeichnet werden. Ausgangspunkt soll eine breite Streuung des Aktienkapitals sein. In dieser Absicht gehen wir mit Ihnen einig. Deswegen sind wir auch bereit, einen Kreis von Personen mit geringem Einkommen - denselben Kreis, den Sie in Ihren Vorschlägen bezeichnet
haben - zu bevorrechten; er soll zuerst die Möglichkeit haben, die Vorteile des Aktienerwerbs zu genießen. Diese Vorteile bestehen sicherlich darin, daß ein verhältnismäßig niedriger Ausgabekurs festgelegt werden wird, wie das beider Preußag-Aktie der Fall war, so daß sich also gleich im ersten Zuge ein gewisser Vorteil ergibt. Wenn ich diesen nur mit 10 % annehme, dann würden bei 360 Millionen DM, den 60 % des Kapitals, schon 36 Millionen DM weniger vereinnahmt, als bei strengster Auslegung möglich wäre. Auch das wollen wir konzedieren. Aber was darüber hinausgeht, halten wir nicht mehr für richtig, zweckmäßig und angemessen. Wer den Vorteil erhält, eine solche Aktie zu erwerben, dem kann man zumuten, 100 DM dafür zu zahlen, statt, wie hier vorgesehen ist, 90 DM. Das ist nicht unsozial, sondern liegt durchaus in der Linie des Privatisierungsgedankens. Der Erfolg wäre, daß wir letzten Endes fast 100 Millionen DM mehr für die Stiftung herausholen könnten, und das sollte doch unser aller Ziel sein. Wir bitten also, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Katzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche zu Ziffer 3 des Umdrucks 502 betreffend § 8, Verkaufspflicht. Das Ziel des FDP-Antrags besteht darin, die von uns vorgesehene Zweimonatsfrist für die Ausgabe von Volksaktien an die Kreise, die einen Sozialbonus bekommen, fallenzulassen. Hier zeigt sich, Herr Kollege Atzenroth, der klare Unterschied zwischen den Überlegungen der FDP und unseren Absichten. Die FDP will die Privatisierung, Sie sagten vorhin, die echte Privitisierung, und wir wollen die soziale Privatisierung.
({0})
- Nein, wir wollen die soziale Privatisierung. Ich werde dazu noch sprechen. - Die FDP kennt nur einen wirtschaftlichen Ausgangspunkt bei der Privatisierung; wir sehen neben diesem wirtschaftlichen Ausgangspunkt auch gesellschaftspolitische Ziele. Wir wollen eine breite Eigentumsstreuung in Personenhand. Das ist vorhin schon mehrfach dargestellt worden, und ich freue mich, daß sich diese unsere gesellschaftspolitischen Überlegungen durchgesetzt haben. Deshalb lehnen wir den Vorschlag der FDP, den § 8 zu ändern, ab.
Wenn Sie schon zu § 10 gesprochen haben, Herr Kollege Atzenroth, darf ich vielleicht auch gleich Stellung nehmen.
Bitte sehr!
Der Änderungsantrag zu § 10 des Gesetzes sieht - das ist immerhin erfreulich, Herr Kollege Atzenroth - auch einen berechtigten Personenkreis vor. Sie begrenzen das steuerpflichtige Einkommen der Personen, denen Aktien anzubieten sind, auf 8000 und 16 000 DM. Ein Sozialbonus ist nicht vorgesehen, Sie wollen ihn hier
streichen. Darin liegt wiederum einer der wesentlichen Unterschiede zu unseren Privatisierungsvorstellungen. Wir halten diesen Sozialbonus für notwendig, weil wir der Meinung sind, daß mit Hilfe dieses Bonus breite Schichten unseres Volkes Volksaktien erwerben können, die das sonst nicht könnten. Uns ist sehr daran gelegen, daß möglichst viele von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen.
Gegenüber unseren ursprünglichen Vorschlägen haben wir noch einige Verbesserungen vorgesehen. Ich freue mich, das sagen zu dürfen. Wir haben nicht nur nach 6000 DM - 12 000 DM, 8000 DM -16 000 DM mit 10 und 20 % Rabatt gestaffelt, sondern wir haben in all den Fällen, in denen Ersterwerber drei und mehr Kinder haben, einen zusätzlichen Rabatt von 5 % vorgesehen, so daß hier 25 % Rabatt gewährt werden können. Ich weiß, daß wir auch damit Ihren Vorstellungen nicht sehr gerecht werden; aber ich darf doch einmal sehr deutlich sagen: das unterstreicht, daß wir Familienpolitik nicht nur bei einigen Gesetzen betreiben wollen, sondern überall, in jedem Gesetz, wo sich auch nur die Möglichkeit für uns bietet. Deshalb bin ich sehr dankbar, daß wir diese 25 % Rabatt für die Erwerber mit Familien von drei und mehr Kindern hier hereingebracht haben, und der Bundesfamilienminister wird sich sicher in seinem Kuraufenthalt sehr darüber freuen.
({0})
- Ich weiß nicht, welche Sorgen Ihr Vorsitzender, der, soweit ich weiß, auch in Kur gefahren ist, mit Ihnen gehabt hat.
({1})
- Nun ja, das ist bei uns sehr gut möglich, Herr Dr. Deist. Ob das bei Ihnen erlaubt ist, weiß ich nicht. Bei uns ist das durchaus erlaubt.
({2})
Ich möchte also bitten, den Änderungsantrag der FDP-Fraktion zu § 10 abzulehnen und die Ausschußvorlage anzunehmen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dahlgrün.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Katzer hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, jedenfalls unseren Antrag Umdruck 502 nicht richtig verstanden; denn dann hätte er uns nicht den Vorwurf machen können, wir wünschten mit diesem Änderungsantrag das gesellschaftspolitische Ziel des Gesetzentwurfs zu verhindern. Herr Kollege Katzer, wir wollen alles das aufrechterhalten, was der breiten Streuung des Aktienbesitzes dient. Wir bleiben dabei, daß ein Kreis einkommensschwächerer Erwerber innerhalb der Zweimonatsfrist, die ja bleiben soll, bevorzugt wird, daß die Angehörigen der Belegschaft des Werkes statt 500 DM 1000 DM Aktien, also zehn Stücke, beziehen dürfen, und wir bleiben damit auch dabei, daß wir dafür sorgen wollen, möglichst viele Aktionäre an die Gesellschaft heranzuführen.
Wir sind nur in einem Punkte anderer Meinung, Herr Katzer. Wir glauben, daß es richtiger sein würde, auf einen Nachlaß zu verzichten. Wir meinen, wenn privatisiert wird, muß das echt bezahlt werden. Man sollte keine Geschenke machen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag 502 Ziffer 3. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem § 8 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
§ 9 entfällt.
Ich rufe den § 10 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 502 Ziffer 4 vor, der bereits begründet worden ist. Wird hierzu noch das Wort gewünscht? ({0})
- Der Antrag ist erledigt.
Dann rufe ich den § 10 in der Fassung des Ausschusses auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf den § 11. Hierzu ist ein Änderungsantrag auf Umdruck 502 Ziffer 5 gestellt; er ist begründet.
({1})
Ich rufe § 11 in der Ausschußfassung auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit angenommen.
- Er ist ebenfalls erledigt.
Ich rufe den § 11 a auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 502 Ziffer 6 vor.
({2})
- Dann brauche ich nur über § 11 a in der Ausschußfassung abstimmen zu lassen. Wer dieser Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf die §§ 11 b, 11 c, 11 d, 14, 15 und 16. Ich nehme an, daß das Haus mit der gemeinschaftlichen Verabschiedung einverstanden ist. - Das Wort wird hierzu nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über die aufgerufenen Paragraphen in der Ausschußfassung. Wer
Vizepräsident Dr. Becker
ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit angenommen.
Wer der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Ebenfalls angenommen. Damit ist die zweite Lesung erledigt.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 4 a der Tagesordnung zurück, und zwar zur
dritten Beratung
des Gesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Drucksachen 1217 und 1586. Bin ich richtig unterrichtet, daß damit auch die dritte Lesung des eben in zweiter Lesung beschlossenen Gesetzes wenigstens insofern verbunden werden soll, als die Generaldebatte über beide zusammen stattfinden soll?
({3})
- Dann darf ich das Einverständnis des Hauses damit feststellen. Ich eröffne die Generaldebatte über die beiden Punkte 4 a und 4 b der Tagesordnung.
Das Wort hat Herr Professor Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen das ökonomische Gewicht dieser Vorlage bestimmt nicht als übergroß ansehen. Es ist aber wirtschaftspolitisch und gesellschaftspolitisch größer, als die in Rede stehenden Zahlen vermuten lassen. Es folgt der Preußag-Privatisierung, die wir im Gegensatz zu dem Kollegen Deist als einen vollen, und zwar außergewöhnlich großen Erfolg des Beginns der Privatisierungsaktion, der Unterbringung kleiner Aktien bei Arbeitnehmern vor allem ansehen. Die Tatsache, daß 80 bis 85 °/o immer noch den gezeichneten Besitz haben, muß ich auch hier wieder als eine positive Tatsache herausstellen.
Die Debatte und insbesondere die Ausführungen unseres Kollegen Deist geben aber zu meinem Bedauern Anlaß zu der Feststellung, daß wir in wirtschaftspolitischen Dingen sehr verschiedener Meinung sind.
({0})
Ich darf mich aus diesem Grunde zunächst etwas mit den Ausführungen des Kollegen Deist befassen.
Er hat u. a. gesagt, die einzige Macht gegen privatwirtschaftliche Macht sei das öffentliche Unternehmen.
({1})
- Jawohl. - Wenn Sie nicht gesagt hätten „das öffentliche Unternehmen", sondern „die Wirtschaftspolitik der gesetzgebenden Körperschaften",
({2})
dann würden wir Ihnen zustimmen. Wir können
Ihnen aber nicht zustimmen, daß zur Beseitigung
etwaiger Auswüchse wirtschaftlicher Macht die
öffentliche Hand selber zu wirtschaftlichen Unternehmen greifen sollte. Sie muß vielmehr über dem eigentlichen Wirtschaftsprozeß stehen, um, getragen von dem politischen Vertrauen der Bürger, die Wirtschaftspolitik zu machen, die notwendig ist, nicht aber selbst wirtschaften.
({3})
Selbstverständlich müssen wir uns mit den Problemen der Konzentration befassen, selbstverständlich haben wir die Pflicht, Konjunkturpolitik zu machen, selbstverständlich haben wir die Pflicht, Gesellschaftspolitik zu machen. Das, was wir hier heute beraten und hoffentlich auch in dritter Lesung beschließen werden, ist ein Stück sowohl der Wirtschaftspolitik wie der Gesellschaftspolitik. Es ist nicht nur der Versuch, breite Schichten unseres Volkes unter Belassung ihres freien Entschlusses zum Eigentum in Personenhand heranzuführen, sondern es ist auch die Aufteilung von in Händen des Bundes befindlichen Unternehmen, die weder Monopole noch in diesem Sinne machtbeherrschend oder marktbeherrschend sind, weil wir die öffentliche Hand in keiner Situation der eigenen Befangenheit bei ihrer Wirtschaftspolitik wissen wollen.
Über die Frage, ob das Volkswagenwerk marktbeherrschend ist, kann man vielleicht streiten. Aber es sind z. B. im Jahre 1959 insgesamt 1 718 000 Kraftfahrzeuge produziert worden. Davon sind 696 000 Volkswagen, also 40 %. Dem Werte nach ist es weniger, weil die teureren Wagen bei den anderen produziert worden sind. Es gibt eine Theorie, die sagt: „Von 20 % an muß man schon achtgeben." Natürlich muß man da achtgeben. Aber man kann bei 30 bis 40 % in einem so umkämpften Markt wahrhaftig nicht einfach und schlicht von einer Marktbeherrschung sprechen.
Mit Freude haben wir gehört, daß die Kollegen von der SPD alle Bemühungen, Eigentum breit zu streuen, unterstützen wollen. Ich bedauere aber sagen zu müssen, daß die Antwort auf die Frage des Kollegen Katzer, warum denn die SPD-Fraktion gegen das Sparprämiengesetz gestimmt habe, in diesem Sinne nicht befriedigt. Selbst wenn Sie von Ihrem Standpunkt aus mit Recht zu bedauern hätten, daß Konsumgenossenschaftsanteile nicht in die prämienbegünstigten Wertpapiere einbezogen wurden,
({4})
so wäre das kein Grund, dem ganzen Volk die Möglichkeit, diese Sparprämien für andere Anlagezwecke für sich nutzbar zu machen, streitig zu machen.
({5})
Das wäre ein Grund zur Kritik an Einzelheiten. Aber wenn ich 80 % einer Sache bejahe, lehne ich sie nicht wegen der restlichen 20 % ab.
({6})
- Wenn ich die Konsumgenossenschaftsanteile mit
20 % der in Rede stehenden Anlagemöglichkeiten be5868
wertet habe, dann habe ich sie vielleicht überbewertet, aber nicht unterbewertet.
Es ist auch gesagt worden, und zwar mit Recht - ich glaube, vom Kollegen Deist -, daß man sich bei der Bildung von Eigentum in Personenhand in der Größenordnung, sagen wir einmal, auf der Erde bewegen muß. Das tun wir mit diesem Gesetz. Wir tun es auch mit den anderen Gesetzen der Eigentumsbildung, die noch kommen werden. In der optischen Wirkung wird das Volkswagenwerk-Gesetz sehr groß gesehen. Es ist für uns ein Schritt in einer Eigentumspolitik, die zu dem Ziel führen soll, daß - wie der von dem Kollegen Deist zitierte Kollege Häussler es einmal bildhaft dargestellt hat - jeder Haushalt etwa den Investitionswert seines Arbeitsplatzes als Privatvermögen hat.
Wenn wir Schritt für Schritt gehen, mit dem Sparprämiengesetz, mit dem Bauspargesetz, mit der Preußag, mit dem Volkswagenwerk-Gesetz und mit den Gesetzen, die wir Ihnen noch, so hoffe ich, im Laufe dieses Jahres vorlegen können, dann kommen wir diesem Ziel immer näher. Vielleicht haben sich die Kollegen schon einmal ausgerechnet, daß, wenn man in einem Arbeitsleben von 25 oder 30 Jahren mit System und angeregt durch eine Politik, der diese Sache ein Herzensanliegen ist, in jedem Jahr 200 oder 300 DM spart, um Vermögen zu bilden, man sehr bald mit Zins- und Zinseszins dieses Ziel, 10 000 oder 15 000 DM persönlichen Vermögens, erreicht hat.
Ich lege nach allen Seiten dieses Hauses Wert auf diese Feststellung. Von der einen Seite hören wir, wir täten zu wenig. Wenn wir aber etwas tun, dann ist irgendwie die Nase krumm, oder das Ohr ist schlecht gezogen, und es wird deshalb das Ganze abgelehnt. Von der rechten Seite hören wir gelegentlich, wir seien Sozialromantiker und Idealisten. Nun, meine Damen und Herren, solange wir von beiden Seiten unter dieser Kritik stehen, fühlen wir uns in dieser Mitte wohlgeborgen und werden diesen Weg weiter gehen.
({7})
Ich habe an dieser Stelle schon einmal gesagt, daß uns die Vermögensverteilung innerhalb des Vermögenszuwachses seit der Währungsreform, wie sie jetzt ist, absolut nicht gefällt. Deshalb wollen wir in den nächsten zehn Jahren eine Eigentumspolitik betreiben, bei der ohne Revolution, aber durch eine gesunde gesellschaftspolitische Evolution eine - in Ihrem und in unserem Sinne bessere Verteilung des Vermögenszuwachses und die Korrekturen herbeigeführt werden, die notwendig sind, damit wir zu unserem Ziele kommen; dabei sollen Störungen im Ablauf des Wirtschaftsgeschehens vermieden werden.
({8})
- Sehr verehrter Herr Kollege Baur, ich bedauere, nicht zu dieser Dreitausenderzahl zu gehören; ich fühle mich auch nicht als ihr Verteidiger. Aber seien Sie versichert, daß das, was Sie mir da zugerufen haben, mir sehr viel sympathischer ist, als wenn Sie auf 3 Millionen Erwerbslose hinweisen müßten.
({9})
Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß Ihr Parteifreund George Bernard Shaw - ({10})
- Oder habe ich Ihnen das noch nicht gesagt? Ich glaube wenigstens, ich hätte es Ihnen schon einmal gesagt.
({11})
- Sagen wir: Gesinnungsfreund. Nehmen Sie das an?
({12})
- Dann müssen Sie diesen Freund besonders sympathisch aufnehmen.
({13})
George Bernard Shaw hat einmal auf einem Sozialistenkongreß einen ähnlichen Zwischenruf bekommen, wie ihn soeben der Kollege Baur bezüglich der 3000 Millionäre gemacht hat. Darauf hat er in aller Ruhe geantwortet: „Aber meine lieben Freunde, ich war eigentlich Mitglied dieser Partei geworden, weil ich glaubte, daß man sich hier darüber unterhalten würde, wie man die Armen reicher machen kann, und nicht darüber, wie die Reichen ärmer werden."
({14})
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob ich mich täusche; aber ich habe aus den Ausführungen des sehr verehrten Kollegen Deist den Eindruck gewonnen, sein Vertrauen zum Funktionieren des Kleinaktionärs sei - na, sagen wir einmal - unterentwickelt.
({15})
Er hat über Kleinaktionäre gesprochen, und schon war er bei den Banken.
({16})
- Ich glaube, daß der Zusammenhang zwischen Kleinaktionären und Banken nicht enger und nicht größer ist als der zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und ihren Gewerkschaften.
({17})
- Nach der Vorlage, die wir hier vor uns haben, kann keine Bank ohne Weisung abstimmen.
({18})
- Aber, verehrter Herr Kollege Deist, im Zeichen der demokratischen Verfassung legen wir in die Hand jedes Bürgers durch den Stimmzettel unser aller Schicksal. Ich gebe zu, daß es Anfangsschwierigkeiten geben wird. Wo hat es die nicht gegeben? Glauben Sie nicht, daß diese Bürger in ihrer Eigenschaft als Kleinaktionäre auch in diese Aufgabe mit Erfolg hineinwachsen können?
({19})
Ich will keine demagogische Note in diese Debatte bringen, wahrhaftig nicht.
({20})
- Auf Sie komme ich noch, Herr Jahn!
Ich möchte aber doch feststellen, daß wir uns redlich bemüht haben, in diesem Gesetz dem Kleinaktionär zu seinem Recht zu verhelfen und die Vertretungsgefahren - wenn wir es einmal so nennen wollen - zu reduzieren.
Ich nehme übrigens an, daß Sie, wenn Sie von den Banken sprechen, natürlich auch von den Banken für Gemeinwirtschaft sprechen.
({21})
- Da müssen Sie doch bedauern, daß Sie einen Konzentrationsprozeß vollzogen haben. Vorher waren es sechs Banken, die nach dem Gesetz 12 % hätten vertreten können. Jetzt ist es nur noch eine, die nur noch 2 % vertreten kann. Das sind eben die Nachteile der Konzentration.
({22})
Eine Bemerkung zu unserem Kollegen Jahn. Ich wollte sie als Frage stellen, bin aber zu spät gekommen. Ich habe alle Ihre Ausführungen, wie so oft, als sehr sachlich empfunden mit einer Ausnahme: als Sie sagten, wir seien illoyal in der Vertragsauslegung.
({23})
- Ich bedaure, daß Sie das wiederholen. Herr Kollege Jahn, Sie sind von Beruf Rechtsanwalt. Ich glaube, Sie haben eine umfangreiche Erfahrung darin, aus welchen Gründen sachliche und juristische Meinungsverschiedenheiten entstehen können. Ja, ich glaube nicht in der Annahme fehlzugehen, daß der Anwaltsberuf im wesentlichen von diesen Meinungsverschiedenheiten lebt.
({24})
Ich glaube aber nicht - ich möchte bitten, das im Interesse unserer Mitbürger anzunehmen -, daß Sie aus Ihrer großen Erfahrung heraus sagen können, die meisten dieser Rechtsdifferenzen seien aus Illoyalität entstanden. Die meisten entstehen aus Mißverständnis, weil eine Lücke da ist, weil verschiedene Auslegungsmöglichkeiten gegeben sind, nicht aus Illoyalität. Alles, was Sie gesagt haben, können Sie sagen, aber als Mitglied dieses selben
Hauses dürfen Sie diesem Haus nicht Illoyalität vorwerfen.
({25})
Die SPD-Fraktion hat auf Umdruck 500 einen Entschließungsantrag vorgelegt. Dieser Entschließungsantrag ist außergewöhnlich interessant. Es ist der wahrscheinlich letzte Versuch, den Sinn des uns vorliegenden Gesetzes in das Gegenteil umzuwenden. Sie verlangen, daß neben dem Anteil des Bundes von 20 % und des Landes von 20% 20% mit vollem Stimmrecht in die Stiftung kommen. Das ist eine bewußte Entmachtung der Kleinaktionäre für jetzt und alle Zukunft.
({26})
- Der Bund wird, so hoffe ich, seine 20 % auch privatisieren.
({27})
- Es ist großartig, daß Sie das sagen. Aber auch dann, Herr Kollege Jahn, ist zwar nicht mehr juristisch die Mehrheit gegen die Kleinaktionäre vorhanden, aber bei der uns allen bekannten Präsenz in Personenaktiengesellschaften ist ein Block von 40 % mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der Regel die effektive Mehrheit. Jeder, der einen Anteil von 40 oder gar 60 % propagiert, muß, wenn er darüber nachgedacht hat - das nehme ich natürlich bei allen an -, das Ziel haben, die Stimmen der Kleinaktionäre völlig zu blockieren. Das können wir unmöglich mitmachen.
({28})
- Die Stimmrechtsbeschränkung wirkt sich bei vollem Stimmrecht nicht aus. Das ist ja gerade der Witz. Die Stimmrechtsbeschränkung wirkt sich bei den anderen aus, die deshalb bei dem vollen Stimmrecht immer die Aussicht haben, die Mehrheit zu haben. Aber das wissen Sie wahrscheinlich besser als ich.
({29})
Der Entschließungsantrag auf Umdruck 500 enthält Anträge zur Sache, die in den monatelangen Beratungen in den Ausschüssen längst hätten gestellt werden können. Wir bedauern, daß wir sie bei der dritten Beratung nicht mehr in Betracht ziehen können. Wir können auch nicht Ausschußüberweisung beantragen, sondern wir müssen zu unserem Bedauern die Ablehnung dieses Entschließungsantrages beantragen. Denn es würde kaum bei einem denkenden Menschen ankommen, wenn wir in drei Beratungen die Privatisierung des Volkswagenwerkes beschließen und gleichzeitig einem Entschließungsantrag zustimmen, der im Ergebnis die Rückspulung der gerade mit Mehrheit gefaßten Beschlüsse bedeuten würde.
({30})
Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren, wir betrachten diese Debatte als eine gewisse vorläufige Krönung unserer langjährigen Bemühungen um die Privatisierung des Bundesvermögens. Die Freie Demokratische Partei hat sich seit zehn Jahren für die Überführung des gewerblichen Vermögens nicht nur des Bundes, sondern auch anderer Teile der öffentlichen Hand in private Hand eingesetzt. Wir haben mit unzähligen Anträgen und Anfragen versucht, die Grundlage für die heutigen Beratungen mit zu schaffen. Wir haben dabei eine Fülle von Widerspruch erfahren, nicht nur von der SPD, die von Anfang an ihre klare Linie eingehalten hat, daß sie gegen jede Privatisierung ist, im Gegenteil eher noch die Überführung weiterer Unternehmungen in die öffentliche Hand begehrt, trotz Godesberg die Erklärung, die dort abgegeben worden ist, hatte nur vorübergehend Geltung -,
({0})
sondern auch von seiten der Bundesregierung, die uns lange Jahre hindurch geradezu befehdet hat.
Meine Damen und Herren, ich darf daran erinnern, daß uns der damalige Finanzminister Schäffer immer wieder falsche Motive unterstellt hat. Ich habe es vorhin schon gesagt, er hat uns vorgeworfen: Ihr wollt dieses Vermögen des Bundes in die Hände des Großkapitals überführen. Niemals war bei uns ein solcher Gedanke maßgebend. Er hat uns vorgeworfen, wir wollten dieses Vermögen verschleudern. Wir haben heute durch einen Antrag noch zu beweisen versucht, daß wir es nicht verschleudern
wollen, sondern das Größtmögliche zum Nutzen unserer Gesamtfinanzen - in diesem Fall der Schaffung einer Stiftung -, aber zum Nutzen der Steuerzahler, wenn es etwa in den Bundeshaushalt überführt worden wäre, herausholen wollen.
Die Forderung nach Privatisierung ist bei uns aus der grundsätzlichen Auffassung vom Wirtschaften und vom Staat entstanden. Hier treffen die Unterschiede recht deutlich aufeinander. Wir wollen den Staat auf die unbedingt notwendigen Aufsichtsfunktionen beschränken, wollen also so wenig Staat wie möglich. Es gibt andere Auffassungen. Andere wollen dem Staat größere Aufgaben zuweisen, bis zu dem Extrem nach links, dem Kommunismus, bei dem der Staat alles ist und der Bürger seine ganze Freiheit verloren hat.
Nach unserer Auffassung sind Voraussetzungen zum Wirtschaften die Sachkenntnis und die unternehmerische Initiative. Diese Voraussetzungen sind in den Organen der öffentlichen Hand nicht gegeben. Diese Feststellung beinhaltet keine persönliche Herabsetzung der dort tätigen Menschen, das ist vielmehr nicht ihre Aufgabe, es gehört nicht zu ihrem Aufgabenbereich. Derjenige, der wirtschaften soll und muß, hat sich darauf, vielleicht im Laufe eines langen Lebens, eingestellt. Die Wirtschaft muß im Markt stehen, und dort gibt es Risiko, dort gibt es Gewinne und Verluste und Niederlagen. Das kann und darf nicht für die öffentliche Hand gelten. Die öffentliche Hand muß aus solchen Dingen herausbleiben. Sie hat andere Aufgaben. Sie kann einwirken, z. B. durch Aufsicht über die Kreise, die
Wirtschaft treiben. Das kann sie in der Form gesetzlicher und anderer Maßnahmen tun, die wir von unserer Bundesregierung jetzt zum Teil geradezu erwarten.
Herr Dr. Deist hat gesagt, die öffentliche Hand hat durch öffentliche Unternehmen die Märkte zum Wettbewerb zu veranlassen. Da haben wir verschiedene Auffassungen von der öffentlichen Hand und vom Wettbewerb. Der Wettbewerb muß sich auf der privaten Ebene abspielen. Der Staat kann darüber wachen, wie er sich abspielt.
Dazu gehört eine Kartellgesetzgebung. Gut, Sie mögen mir einwenden, unsere Kartellgesetzgebung sei nicht ausreichend, nicht scharf genug. Diese Argumente liegen auf einem anderen Gebiet; man kann sich über sie unterhalten. Aber das Prinzip muß sein: die Wirtschaft ist von den Privaten zu führen, und die öffentliche Hand hat sich darauf zu beschränken, nur in dem wirklich notwendigen Umfang durch ihr gemäße Maßnahmen einzugreifen.
Herr Dr. Deist, Sie haben vorgeworfen, daß in den großen privaten Unternehmungen das Management eine unerhörte Machtposition gewonnen habe. Ich gebe zu, das ist richtig. Aber glauben Sie, daß in den Unternehmungen der öffentlichen Hand nicht ein ebensolches Management besteht oder entstehen wird, vielleicht in noch viel größerem Umfang?
({1})
- Aber Sie sehen doch unsere Kontrolle! Lieber Herr Jahn, ich habe in den zehn Jahren, in denen ich hier tätig bin, eine Fülle von Betrieben der öffentlichen Hand besichtigt.
({2})
- Sie nehmen mir etwas vorweg, lieber Herr Schmücker; darauf wollte ich auch noch zu sprechen kommen. Aber zunächst einmal ist das Management dort in derselben Macht und in derselben Stärke vorhanden.
Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich wieder auf das Extrem hinweise: Selbst im Kommunismus besteht in den führenden Positionen auch ein Management, das durchaus nicht immer so kontrolliert wird, wie man uns das darstellt.
({3})
Es arbeitet eine Zeitlang unkontrolliert, bis sich plötzlich ein Mißerfolg einstellt; dann kommt die Kontrolle. So ist es auch bei uns: Wo bei öffentlichen Unternehmungen ein Mißerfolg eintritt, da wird die Kontrolle wach, die sich bis dahin sehr ruhig verhalten hat.
({4})
- Lieber Herr Jahn, ich spreche hier doch nicht, um
diese Bundesregierung zu verteidigen, sondern ich erkläre Ihnen meine wirtschaftliche Grundauffassung. Sie geht dahin: die Gefahren, die vom Management drohen, sind nicht Gefahren der Privatwirtschaft, sondern sind durch die technisch oder
sonstwie verursachten Zusammenballungen von Wirtschaftskörpern bedingt. Die Gefahren des Managements haben also mit dem Problem, ob Unternehmen privatwirtschaftlich oder durch die öffentliche Hand geführt werden, gar nichts zu tun. Sie sind in beiden Fällen in gleichem Maße gegeben. Daß die Gefahr besteht, sehe ich ein.
Herr Dr. Deist hat im Hinblick auf das Volkswagenwerk erklärt, die öffentliche Hand würde niemals dazu beitragen, daß fast monopolartige Gebilde entstehen, z. B. auf dem Automarkt. Ich will einmal versuchen, die Folgerung aus dem zu ziehen, was Herr Dr. Deist gesagt hat. Ich gebe zu, die Bundesregierung hat in der Zeit, in der das Volkswagenwerk ein öffentliches Unternehmen war, einen ganz verschwindenden Einfluß auf dieses Werk gehabt. Das Management hat regiert - darüber besteht gar kein Zweifel -, in einem öffentlichen Unternehmen also. Sie sagen, eine andere Regierung hätte das nicht geduldet. Das glaube ich Ihnen nicht. Bei einer anderen Regierung wäre das zum Zuge gekommen, was soeben der Herr Kollege Schmücker in einem Zwischenruf genannt hat, der Proporz. Dann wäre vielleicht einmal eine Aufsichtskommission erschienen, und man hätte die Führung und das Management nach politischen Richtlinien und Grundsätzen ersetzt. Das nennen wir ja, etwas variiert, den Proporz.
Aber, Herr Dr. Deist, wenn die Bundesregierung ihre Aufgabe in Ihrem Sinne hätte erfüllen wollen, dann hätte sie in den vergangenen zehn Jahren das Volkswagenwerk bewußt klein halten müssen,
({5})
damit auf dem Automarkt nicht ein monopolartiges Gebilde entstand. Eine Konkurrenz ist ja nur dann vorhanden, wenn eine genügend große Zahl von Unternehmungen im Wettbewerb steht.
Auch wenn man also als guter Verwalter des Bundesvermögens das Volkswagenwerk sich ebenso hätte ausbreiten lassen, wie es jetzt der Fall ist, hätte man den monopolartigen Charakter des Unternehmens erhalten, den man nun der Privatwirtschaft zum Vorwurf gemacht hat. Alles das, was wir in den vergangenen Jahren an Erfahrung gewonnen haben, spricht für die private Wirtschaft. Wir verkennen dabei die Gefahren und die Mängel nicht, und wir sind bereit, uns mit Ihnen auf dem gesetzgeberischen Wege gegen solche Mängel zu wenden. Ich brauche hier nicht in allen Einzelheiten auf die Verhältnisse und auf die Erfahrungen in England hinzuweisen. Dort hat man wirklich bis zum äußersten Erfahrungen mit Unternehmungen im Besitz der öffentlichen Hand gemacht und hat daraus zum großen Teil auch wirklich echte Folgerungen gezogen.
Ich möchte noch einmal auf das vorliegende Gesetzgebungswerk zurückkommen. Wir haben von Anfang an die Privatisierung begrüßt, auch die des Volkswagenwerks. Gewisse Dinge, die Sie, meine Herren von der CDU, in das Gesetz mit hineingebracht haben, passen zwar nicht in unsere Linie. Im Jahre 1957 haben die Abgeordneten Dr. Adenauer und Dr. Erhard erkannt, welche Werbewirkung die Privatisierung des Volkswagenwerkes hat; Sie haben sich dieser Werbemöglichkeit rechtzeitig und sehr geschickt bedient. Der letzte Wahlkampf hat da einige Hilfen für Sie gebracht; wir waren nicht in dieser Lage, wir hatten nicht derartige Mittel, unsere Gedanken zu diesem Unternehmen auch so zum Ausdruck zu bringen. Dann haben Sie allerdings - nicht immer sehr freiwillig - bestimmte Dinge in das Gesetz hineingebracht. Wir werden dem Gesetz trotzdem zustimmen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zur Privatisierung allgemein sagen. Vielleicht darf ich dazu Sie, Herr Burgbacher, in erster Linie ansprechen, aber auch die anderen Kollegen von der CDU und der CSU. Sie haben erklärt, dieser Privatisierung - Preußag, Volkswagenwerk - werden weitere folgen. Wir sind Ihnen für diese Erklärung dankbar. Wir werden es auch hinnehmen müssen und uns damit abfinden, wenn in diese Privatisierungen wieder ähnliche Gedanken hineingebracht werden, wie es jetzt der Fall ist. Das soll für uns nicht ein entscheidendes Hindernis sein.
Eine große Frage ist die der Verwendung der nunmehr daraus aufkommenden Mittel. Da darf ich noch einmal an den ursprünglichen, ersten Gedanken erinnern, den ich persönlich in diesem Bundestag vorgebracht habe. Ich habe damals immer wieder folgende Forderung erhoben. Der Bund ist der Rechtsnachfolger des ehemaligen Reiches, er hat aus dieser Nachfolgeschaft eine Fülle von Lasten übernommen,. deren er sich bis heute noch nicht entledigt hat, und er hat daneben eine weniger große Fülle von Mitteln und Sachwerten übernommen, z. B. in dem Bundesvermögen. Der ursprüngliche Gedanke, den ich hier vorgetragen habe, war der: es ist doch nichts gerechter, als daß man das Vermögen, wie es bei einem Konkurs nun einmal üblich ist - nicht wir waren an dem Konkurs schuld, die anderen waren es -, einsetzt, um für die Ausgaben, die Lasten, die getragen werden müssen, eine gewisse Quote zu haben.
Diesen Gedanken möchte ich hier noch einmal mit aller Eindringlichkeit vortragen. Wir haben noch einige Aufgaben zu erfüllen. Die Bundesregierung hat sich im Kriegsfolgengesetz verpflichtet, Gesetze zur Regelung von Auslandsschulden vorzulegen - diese Sache kann nach den Vorgängen im amerikanischen Senat nicht mehr hinausgezögert werden , ferner zur Regelung von Demontageschäden, von Restitutionsschäden; ich glaube vier Gebiete sind es, die noch geregelt werden müssen. Wir müssen eines Tages zu dieser Regelung kommen. Wir alle ich hoffe, Sie mit mir wollen dem Steuerzahler nicht neue Lasten auferlegen. Da bietet sich die Möglichkeit an, die nächsten Privatisierungen dazu zu verwenden, die vor uns liegenden Aufgaben zu erfüllen, denen wir uns nicht entziehen können. Damit könnten wir die Gläubiger wenigstens mit einer gewissen Quote befriedigen. Sie wird nicht sehr groß sein. Diejenigen, die hoffen, sie würden eines Tages auf Grund des Versprechens im Kriegsfolgengesetz nun einmal 100 % ihrer Forderungen erhalten, geben sich einer Täuschung hin. Auch ich muß ihnen das sagen.
Aber wir sollten ernst machen mit dem Versprechen, das wir - in erster Linie die Bundesregierung -damals gegeben haben, und wir sollten den Erlös der künftigen Privatisierungen dafür verwenden, damit nach 14 Jahren endlich einmal die alten Probleme bereinigt werden.
Mit dieser einen Bitte möchte ich noch einmal zum Schluß sagen: Trotz gewisser Mängel, die wir schon dargelegt haben, stimmen wir dem Gesetzentwurf zu.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Steinmetz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal muß ich Sie, Herr Kollege Atzenroth, etwas berichtigen. Es stimmt nicht ganz, daß die FDP-Fraktion die erste war, die auf die Notwendigkeit der Privatisierung von Bundesvermögen hingewiesen hat. Ich habe das schon einmal in einer Debatte über die Privatisierung der Preußag erklärt. W i r haben die erste Kleine Anfrage dieser Art gestellt.
({0})
Jetzt werden wahrscheinlich andere kommen und dasselbe behaupten; aber ich mußte das sagen, weil Sie es mit so großer Betonung allein für sich in Anspruch nehmen wollten.
Der Standpunkt der Deutschen Partei zur Frage der Privatisierung von Bundesvermögen ist immer eindeutig gewesen; er ist auch bekannt. Ich habe in der' Preußag-Debatte sehr eingehend über die Frage der Privatisierung gesprochen und will das nicht wiederholen.
Wir müssen die Zeichen der Zeit verstehen. Der Kollege Deist hat das schon angeführt. Im deutschen Volk ist ein sehr starker Wille zum Sparen vorhanden. Obwohl wir jedes Jahr eine Währungsverschlechterung von etwa 2 % hinnehmen müssen, hat das deutsche Volk in den letzten Jahren immer weiter gespart. Die Zahl der Sparer ist ebenso wie das Sparvolumen überhaupt gestiegen. Daraus kann doch nur eine Folgerung gezogen werden, ja daraus entsteht eigentlich sogar die Verpflichtung, der Bevölkerung die Möglichkeit des Sachsparens zu geben, und Aktiensparen ist ein echtes Sachsparen.
Herr Kollege Deist hat dargelegt - jedenfalls habe ich seine Ausführungen so verstanden -, daß die deutsche Bevölkerung für dieses Sachsparen, für den Erwerb von Kleinaktien usw., gar nicht soviel Sympathie aufbringe. Er meinte, das liege alles noch sehr im argen.
Ich habe gerade das Bulletin vom 15. März bekommen. Darin steht ein großer Artikel: „Auch die Deutschen werden Investment-Sparer". Die Investment-Gesellschaften weisen in ihren Rechenschaftsberichten nach, daß sie ihr Kapitalvolumen verdoppelt haben. Das ist ganz interessant, aber noch viel interessanter, Herr Kollege Deist, ist folgendes. Ich darf vielleicht mit Genehmigung des Herr Präsidenten einen Satz zitieren:
In welchem Maße dies tatsächlich geschieht, geht daraus hervor, daß nach den letzten Rechenschaftsberichten der Investment-Gesellschaften rund 40 % der Zertifikate von Arbeitern, Angestellten und Beamten . . gekauft wurden.
Daraus ist ganz klar ersichtlich, daß gerade in den Schichten, von denen Sie meinen, sie hätten kein Interesse am Aktiensparen, ein ständig steigendes Interesse vorhanden ist.
Daß die Streuung des Eigentums an Produktionsmitteln bisher nicht schneller vorangegangen ist, lag doch eigentlich daran, daß wir auf dem Aktienmarkt gar nicht genug passende Papiere anzubieten hatten, also Kleinaktien, die diesen Schichten der Bevölkerung eben genehm waren. Deshalb müssen wir alles tun, damit diese Papiere auf den Markt kommen. Dieser Gedanke liegt unserem Gesetzentwurf zugrunde. Wir liegen also völlig richtig.
Außerdem ist nun auch an die Empfänger kleiner Einkommen gedacht; denn in dem Gesetz wird gewissermaßen in der Präambel gesagt: Zwei Monate lang werden diese Aktien nur den Kreisen mit kleinen Einkommen angeboten. Das ist eine sehr günstige Politik, und es ist, glaube ich, im Augenblick auch die einzig richtige Politik; alles andere, besonders ,die Pläne für kollektives Miteigentum usw., die auch eigentumsbildend wirken sollen, haben immer den Nachteil, daß sie wieder eine Seite schwächen; das sind in jedem Fall die gewinnschwächeren Unternehmen, die kleineren Unternehmen überhaupt und schließlich die Personalgesellschaften. Ich glaube, dann ist dieser Weg noch immer der bessere.
Ich habe damals bei der Privatisierung der Preußag gesagt: wir von der Fraktion der Deutschen Partei wollen eine Sicherheit dafür haben, daß diese weite Streuung des Eigentums erhalten bleibt und nicht nur für den ersten Augenblick besteht. Ich habe die letzten Sitzungen der Ausschüsse wegen Krankheit leider nicht mitmachen können. Ich kann meinen Kollegen aus den Ausschüssen nur ein Kompliment machen. Nach dem, was ich hier gelesen habe, sind sehr viele Riegel vorgeschoben, damit diese Basis nicht verlassen wird. Mit § 5a, wo gesagt ist, daß nur 2 % des Grundkapitals überhaupt von einer Person vertreten werden können, ist doch ein sehr starker Riegel vorgeschoben, um die Konzentration, von der Sie immer noch fürchten, daß sie komme, zu vermeiden.
Die nächste Bestimmung sieht vor, daß man, wenn man Vollmacht zur Stimmrechtsvertretung gibt, seinen Namen hergeben muß. Der Name wird in eine Liste eingetragen; alle diejenigen, die das tun, werden namentlich festgehalten. Damit ist es vor allen Dingen möglich, eine Zusammenballung, die sich anbahnt, aus den Papieren, die ja bei den Unternehmen bleiben, vorher zu erkennen. Bessere Riegel kann man beinahe nicht mehr vorschieben.
Nun sind auch in meinem Freundeskreis einige Herren, die meinen, es sei noch nicht genug getan, um solche Konzentrationsbefürchtungen auszuräumen. Aber ich meine, solange die fünf Jahre noch
1 nicht abgelaufen sind, in denen diese beiden Pakete in den Händen von Bund und Land sind, ist überhaupt keine Gefahr vorhanden. Wenn sich dann wirklich eine Gefahr zeigte, könnte man immer noch etwas tun. Vielleicht bringt sogar die große Aktienrechtsreform da noch generelle Bestimmungen. Ich glaube also, wir können diese Bedenken, Herr Kollege Deist, hier wirklich nicht ins Feld führen. Da haben die Herren in den Ausschüssen wirklich sehr vernünftig und weitschauend, möchte ich sagen, gearbeitet.
Man hat uns allen den Vorwurf gemacht, die Dinge seien viel zu lange hingeschleppt und es sei viel zuviel diskutiert worden. Aber gerade weil noch eine Publikumswirkung für die Kleinaktie nötig ist, ist es vielleicht ganz gut, daß man über diese Dinge länger spricht. Es hat jedenfalls in Deutschland und im Ausland ein starkes Echo gefunden, und die Propagandatrommel ist wieder für das Kleinaktiensparen gerührt worden. Außerdem sind die Dinge nicht so einfach gewesen. Zunächst mußte ja die Eigentumsfrage geklärt oder wenigstens darüber eine Beruhigung geschaffen werden.
Nebenbei ist aus dieser Annäherung zwischen Bund und Land ein prächtiges Kind geboren worden, eben diese Stiftung. Ich als Niedersachse muß sagen: wir Niedersachsen können mit dem Ergebnis, daß diese Stiftung zustande kommt, sehr zufrieden sein. Ich sage das offen und ehrlich als niedersächsischer Abgeordneter. Denn als ich das nachlas, habe ich mir gesagt: wir sind dabei ganz gut weggekommen, und wir sollten wirklich zufrieden sein. Ich unterstreiche das, was Herr Kollege Schmücker gesagt hat: Man sollte als Niedersachse, besonders wenn man die Rechtslage näher kennt, nicht zuviel verlangen und den Bogen nicht überspannen.
({1})
Ich glaube also, auch damit können wir im allgemeinen zufrieden sein.
Ich könnte mir denken, daß wir in Zukunft auf der Generallinie, wie sie hier praktisch im Gesetzentwurf steht, weitere solche Privatisierungen vornehmen sollten. Wir von der Fraktion der Deutschen Partei werden solche Vorschläge, die die Regierung bringt oder die auch aus unserem Hause kommen, immer unterstützen, denn wir sind der Meinung, daß es überhaupt keine natürlichere Form der breiten Eigentumsstreuung gibt als die, die hier gewählt worden ist, nämlich den Aktienmarkt zu verbreitern. Bisher waren die Aktien, die die Menschen haben wollten, nicht da. Wir schaffen sie jetzt, und wir werden sie mit weiteren Privatisierungen weiter schaffen. Ich kann nur sagen: Glückauf für die Volkswagenaktien!
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Häussler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich kurz zu der Stiftung äußern, die bei der Privatisierung des Volkswagenwerkes mit entstehen soll. In § 3 des
Vertrags zwischen dem Bund und dem Land Niedersachsen wird die Errichtung einer „Stiftung Volkswagenwerk" vorgesehen; deren Aufgabe soll es sein, Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre zu fördern. Das ist nach meiner Meinung eine allgemeine Formulierung, unter der man sich die Förderung sowohl wissenschaftlicher Spitzenleistungen als auch breiter Volksbildung vorstellen kann.
Bekanntlich sollen die Vermögenswerte der Stiftung aus den jährlichen Gewinnen auf die den Vertragspartnern verbleibenden Aktien, aus den Zinsen des Darlehens an den Bund und aus denjenigen Gewinnen bestehen, die auf die vom Bund zu verwaltenden Aktien entfallen. Das ergibt voraussichtlich einen Jahresertrag von 60 Millionen DM.
Ursprünglich war die Verwendung des Erlöses aus der Privatisierung als Kapitalgrundstock zugunsten der kapitalmäßig ausgebluteten Sowjetzone für den Tag nach der Wiedervereinigung vorgesehen. Zwischenzeitlich sollten günstige revolvierende Kredite für den Mittelstand ermöglicht und eigentumspolitische Maßnahmen durchgeführt werden.
Wir begrüßen natürlich auch die Förderung von Wissenschaft und Technik, die auf Grund des Vergleichs vorgesehen ist. Nachdem der Verzicht auf unsere ursprüngliche Konzeption notwendig wurde, richten wir heute schon an die zu bildende Stiftung das dringende Ersuchen, die vorgesehene Förderung von Wissenschaft und Technik sowohl dem akademischen als auch dem handwerklich-technischen Nachwuchs zugute kommen zu lassen. Hierbei kann an die Berufsausbildung, an die Berufsweiterbildung, an den zweiten Bildungsweg und darüber hinaus sogar an die allgemeine Volksbildung gedacht werden. So könnte - das wäre ein schöner Begleitton - aus der Privatisierung ein hervorragendes Ergebnis für die Allgemeinheit erzielt werden.
Wir wünschen aber nicht, daß die Stiftung eine eigene Politik betreibt. Die Stiftung sollte vielmehr auf Grund des Bevölkerungsschlüssels Mittel an die Länder weitergeben, dabei allerdings gewisse Bindungen für die Verwendung vorsehen.
Ich bedauere es in diesem Zusammenhang übrigens, daß die Satzung der Stiftung noch nicht vorliegen kann. Es müßte meines Erachtens eine Möglichkeit für die Mitwirkung des Parlaments bei der Festlegung der Satzung der „Stiftung Volkswagenwerk" und bei der Verteilung der Mittel vorgesehen werden.
Einem zweiten Gedanken möchte ich an dieser Stelle kurz Ausdruck geben. Es handelt sich bei der Privatisierung des Volkswagenwerks um eine hervorragende Möglichkeit, daß sich vor allem in der Hand der einkommensschwachen Schichten eigenes Kapitalvermögen bildet. Dieses wird nach menschlichem Ermessen wertsicher und ertragsstark sein. Es ist also anzunehmen, daß ein lebhafter Ansturm auf die Volkswagenwerkaktie erfolgen wird. Nun soll doch, und zwar noch mehr, als es bei der Teilprivatisierung der Preußag der Fall war, gerade der
Arbeitnehmer in den Genuß dieser Aktie kommen. Ich bin allerdings der Meinung, daß ein noch so günstig angesetzter Sozialbonus für sich allein noch f keineswegs ausreicht, den unabdingbar zu fordernden gesellschaftspolitischen Zweck der Streuung und Beheimatung dieser Privatisierungsaktien bei den Arbeitnehmern im gewünschten Ausmaße zu erreichen. Vor allem ist der noch vorhandene Mißtrauenskomplex gegen die Aktie zu überwinden, um zu erreichen, daß die Privatisierung zu einem Erfolg für die privateigentumsorientierte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wird.
Aus diesem Grunde richte ich den dringenden Wunsch an das Bundesschatzministerium, aber auch an die Gewerkschaften, Betriebe und Betriebsräte, dazu beizutragen, daß in erster Linie der einfache Mann in den Besitz dieser Aktien gelangt. In der Öffentlichkeit wie auch in den Betrieben sollte durch geeignete Maßnahmen auf die Möglichkeit des Bezugs dieser Aktie hingewiesen und sogar Hilfestellung beim Erwerb geboten werden.
Diese beiden Wünsche wollte ich vor Verabschiedung des Gesetzes äußern. Hoffentlich werden sie bei der Weiterbehandlung der Privatisierung erfüllt.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Teil der Redner hat sich mit den Ausführungen meines Freundes Jahn und mit meinen eigenen Ausführungen befaßt. Ich sehe mich gezwungen, auf diese Ausführungen zurückzukommen.
Zunächst einmal: Es muß leider bei der Feststellung bleiben, daß die Auslegung, die der Vertrag in dem Privatisierungsgesetz gefunden hat, nach unserer Auffassung nicht loyal ist. Ich gestatte Ihnen gerne, eine andere Auffassung zu vertreten, aber Sie müssen mir erlauben, daß ich diese Auffassung hier sehr deutlich sage.
({0})
Vielleicht ist sie auch gar nicht so unbegründet, wenn Sie daran denken, ,daß der eine Vertragspartner, nämlich das Land Niedersachsen, genau der gleichen Auffassung ist wie wir.
({1})
Schließlich kommt es ja wohl bei der Auslegung eines Vertrages auf die Meinung der beiden beteiligten Vertragspartner an, und es geht sehr weit, wenn Sie meinen, im Hinblick auf die Mehrheit hier im Hause darüber lächeln zu können, daß ein gleichwertiger Vertragspartner eine andere Auffassung hat als Sie.
({2})
- Ich habe ein sehr deutliches Lächeln gesehen.
Dann zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Schmücker. Er hat mit Recht darauf hingewiesen - und wir haben das nicht bestritten; ich habe es im Gegenteil unterstrichen -, daß die niedersächsischen Interessen sehr weitgehend berücksichtigt worden sind und daß Niedersachsen mit diesem Ergebnis zufrieden sein kann. Ich habe darum auch die niedersächsische Regierung beglückwünscht. Aber ich habe auch betont: Wir sitzen hier im Bundestag, wir haben es mit den allgemeinwirtschaftlichen Interessen, auch mit dem allgemeinen Interesse des gesamten Volkes zu tun, und da sind wir der Auffassung - Sie mögen anderer sein -, daß ein ernsthafter öffentlicher Einfluß in Unternehmen dieser Art von entscheidender Bedeutung ist.
({3})
- Nein, in Unternehmen dieser Art. Sie haben hoffentlich die Begrenzung deutlich gehört. Herr Kollege Schmücker, Sie sagen, hier sei doch der Öffentlichkeit ein sehr weitgehender Einfluß zugebilligt worden. Sie sprachen das 20%ige Kapital an. Was nützen 20 % Kapital, wenn sie nach fünf Jahren auf ein Zehntausendstel Stimmrecht beschränkt werden?
({4}) Das sind 600 Stimmen von 6 Millionen.
({5})
- Sicher stimmt das. Und ich habe Ihnen dargelegt, wie sich in Anbetracht der Tatsache, daß einzelne Banken bis ein Fünfzigstel Stimmrecht verwalten und vertreten können, die Dinge praktisch auswirken müssen. Dann zu sagen, in einem Aufsichtsrat von 18 Personen seien zwei Mitglieder eine entscheidende Position, scheint mir doch wohl etwas zu weit zu gehen.
Gegenüber dem Herrn Kollegen Atzenroth darf ich folgendes bemerken. Er meint, die Konsequenz unseres Verhaltens sei, daß das Volkswagenwerk bewußt kleingehalten werden müsse. Herr Kollege Atzenroth, ist es nur dadurch möglich, ein so großes Unternehmen sich vernünftig fortentwickeln zu lassen, daß man ihm die Möglichkeit zur Selbstfinanzierung in diesem Umfang gibt und daß man ihm die Möglichkeit gibt, seine Machtstellung so rücksichtslos auszunützen, wie es hier geschehen ist? Dann gäbe es überhaupt keine Möglichkeit des Wettbewerbs. Wäre es nicht vielmehr auch denkbar, daß ein größeres öffentliches Unternehmen an den Kapitalmarkt, z. B. an den Anleihemarkt, herantritt, um sich das erforderliche Kapital zu besorgen? Das wäre ein normaler Weg, den man einschlagen sollte, um die erforderliche Entwicklung des Werkes zu sichern,
- aber nicht diese unbegrenzte Selbstfinanzierung, wie sie in der Automobilindustrie üblich ist.
Nun eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Kollege Burgbacher. Sie meinten, Sie müßten zu Ihrem Bedauern feststellen, daß in wichtigen wirtschaftspolitischen Fragen sehr verschiedene Meinungen beDr. Deist
stehen. Nun, wir haben nie ein Hehl daraus gemacht. Und ich wundere mich, daß Sie auf einmal erstaunt sind, daß zwischen den wirtschaftspolitischen Auffassungen der CDU, die leider in vielen Fällen mit dem sozialen Gehalt sowohl der katholischen wie auch der evangelischen Soziallehre kaum zu vereinbaren sind,
({6})
und unserer Haltung ernsthafte Unterschiede bestehen.
Herr Kollege Burgbacher war darüber erstaunt, daß ich gesagt habe, ein öffentliches Unternehmen sei die einzige wirksame Gegenmacht innerhalb der Wirtschaft.
({7})
- Das hatte diese Bedeutung, Herr Kollege Burgbucher. Ich habe nicht gesagt, das sei das einzige Mittel, um Machtmißbrauch zu verhindern. Leider ist unsere Wirtschaft so kompliziert, daß man eine große Zahl von Mitteln anwenden muß, um Mißbrauch zu verhindern.
Sie meinten aber offenbar umgekehrt, die Gesetzgebung müsse das entscheidende Mittel sein. Herr Kollege Burgbacher, da kommen Sie zu merkwürdigen Konsequenzen. Wenn die Gesetzgebung das einzige Mittel ist und ja wohl kein anderer da ist, der überwacht, was mit den Gesetzen durchgesetzt werden soll, als die öffentliche Verwaltung, dann muß Ihr Programm ja sein: Was notwendig ist, um diesen Machtmißbrauch zu beseitigen - und das ist sehr viel -, müßte über die öffentliche Verwaltungskontrolle geschehen. Wir sind der Meinung, daß es besser ist, durch Schaffung von Gegenkräften in der Wirtschaft für etwas mehr Wettbewerb zu sorgen, damit die öffentliche Verwaltungskontrolle in einem geringeren Umfange gehalten werden kann, als es sonst möglich wäre.
({8})
Herr Kollege Burgbacher, Sie meinten, einen Grundsatz der CDU aufstellen zu sollen, die öffentliche Hand dürfe nicht selbst wirtschaften. Herr Kollege Burgbacher, ich entsinne mich einer Stelle, wo es heißt, das Eigentum habe sich in der modernen Großwirtschaft eine Herrschaftsmacht angeeignet, die von Rechts wegen nicht dem Eigentum, sondern eigentlich dem Staate zukomme. Das Zitat wird Ihnen nicht unbekannt sein. Meinen Sie nicht, daß sich daraus die Verpflichtung ergibt, alle Wege zu überlegen, die geeignet sein könnten, einem Mißbrauch der Macht aus dem Eigentum zu begegnen? Wenn ein öffentliches Unternehmen ein wichtiges Mittel ist, darf man dann sagen: Das ist für uns tabu; öffentliche Unternehmen kommen nach unseren Grundsätzen nicht in Frage? Vielleicht denken Sie auch daran, daß öffentliche Unternehmen in allen modernen demokratischen großindustriellen Staaten ein selbstverständliches und wichtiges Mittel sind, in unserer vermachteten Wirtschaft wenigstens ein Stück Wettbewerb aufrechtzuerhalten.
({9})
Herr Kollege Burgbacher meinte dann, das sei ein erster Schritt zur Eigentumsbildung. Auch wir sind sehr für schrittweises Vorgehen. Wir müssen nur verhindern, daß dieser Anfang nach einigen Schritten aufhört und keine Möglichkeit mehr zu sehen ist, auf den Wegen, die Sie beschreiten wollen, eine wirklich breite Eigentumsstreuung herbeizuführen.
Es war sehr merkwürdig, daß alles, was Sie auf diesem Gebiet zu bieten hatten, der Appell des Kollegen Häussler an den guten Willen von Unternehmen, Bundesschatzminister, Gewerkschaften usw. war, sonst nichts. Wir wissen doch, wie wenig entwickelt in der privaten Wirtschaft die Neigung ist, auf dem Wege der Beteiligung der Arbeitnehmer voranzuschreiten. Wenn Sie es daher mit dem „ersten Schritt" ernst meinen, dann muß wesentlich mehr kommen, auch etwas darüber, was Sie mit dem gewaltigen Vermögenszuwachs in der Privatwirtschaft machen wollen, von dem ich gesprochen habe. Wenn wir dagegen Ihre übrige Politik sehen, die in großem Umfange der Förderung des Großeinkommens und der Großvermögensbesitzer dient, kommen uns einige Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieses Wollens.
Ich habe auf das Gratisaktiengesetz hingewiesen, das ich vor allen Dingen nach den Erfahrungen, die man inzwischen mit der Ausschüttung von Gratisaktien gemacht hat, weiß Gott nicht als ein Mittel breiter Eigentumsstreuung ansehen kann. Die meisten Gesellschaften, die bis jetzt Gratisaktien ausgeschüttet haben oder ,das beabsichtigen, sind vielmehr solche, bei denen ein größerer Aktionär oder eine Familie eine Rolle spielt, in den seltensten I Fällen Klein- und Mittelaktionäre. Die interessantesten Objekte auf diesem Gebiet scheinen merkwürdigerweise die Bierbrauereien zu sein, an denen weder Klein- noch Mittelaktionäre beteiligt sind.
Wenn ich weiter die Körperschaftsteuer mit ihrer Bevorzugung der Körperschaften erwähne, kann ich das Umwandlungsgesetz und das Umwandlungssteuergesetz nicht unerwähnt lassen. Danach ist es möglich, daß eine Mehrheit von 75 % des Aktienkapitals 25 % mittlere und kleinere Aktionäre einfach enteignet und hinaussetzt. Wir haben Ihnen, als wir sahen, wohin dieses Gesetz führte, im vergangenen Jahre, noch vor den Sommerferien, vorgeschlagen, dieses Gesetz aufzuheben und einen Schlußstrich unter den Mißbrauch des Gesetzes zu ziehen. Sie haben sich geweigert, diese notwendige Korrektur vorzunehmen. Das müssen wir Ihren Darlegungen über Ihren guten Willen gegenüberstellen, und ich muß sagen, daß Zweifel wohl doch sehr berechtigt sind.
Herr Kollege Burgbacher, Sie haben vorhin die Frage aufgeworfen, ob unser Bestreben, die Prämiierung und die Förderung des Sparens zu unterstütze, wirklich ernst gemeint sei. Sie haben auf das Sparprämiengesetz hingewiesen und haben - ich weiß nicht, ob Sie es gesagt haben - den Eindruck erweckt, daß ein großer Teil meiner Fraktion gegen das Sparprämiengesetz gestimmt habe. Ich muß das korrigieren. Zunächst darf ich Ihnen sagen, warum wir skeptisch gegenüber diesem Gesetz waren. Wir hatten z. B. gewünscht, daß für Großfamilien mit
mindestens drei Kindern der Prämiensatz von 20 auf 25 % erhöht wird. Das haben Sie - trotz Familienminister - abgelehnt.
({10})
Dann darf ich darauf hinweisen - ich habe es schon erwähnt -, daß Sie das Genossenschaftssparen nicht einbezogen haben. Sie haben unseren Antrag abgelehnt, Sparverträge mit Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaften, also Verträge, die der Schaffung von Wohnraum dienen, in die Prämiierung einzubeziehen.
Nun das Wesentliche. In der Regierungsvorlage stand, wenn ich nicht sehr irre, daß die Sparprämie bis zu einer Höhe von 250 bzw. 500 DM gewährt werden sollte. Von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, wurde dieser Satz auf 120 bzw. 240 DM herabgemindert.
({11})
Das heißt, die Vorlage der Bundesregierung wurde von Ihnen erheblich verschlechtert. Darauf haben wir versucht, wenigstens einen Teil der Regierungsvorlage wiederherzustellen, nämlich die Grenze auf 250 bzw. 500 DM zu erhöhen. Auch das haben Sie abgelehnt.
Wir mußten also sehen, daß es Ihnen mit der Sparförderung gar nicht so ernst war. Nachdem wir außerdem feststellen mußten, daß Sie rücksichtslos jeden Versuch einer Verbesserung der Vorlage niederstimmten, haben wir uns als Fraktion der Stimme enthalten. Unsere Fraktion hat - ich habe es kontrolliert - von diesem Platz aus erklärt, daß sie sich deswegen, weil Sie jegliche Verbesserung abgelehnt haben, der Stimme enthalte. Wie das zulässig und üblich ist, auch bei Ihnen, hat dann ein Teil der Mitglieder meiner Fraktion, weil er zu Recht über diese Behandlung durch Ihre Fraktion verärgert war, gegen die Vorlage gestimmt. - Dieser ganze Verlauf, den ich hier nach Ihrer Schilderung der Dinge, Herr Kollege Burgbacher, darlegen mußte, zeigt deutlich, wie ernst es uns mit dem Prämiensparen, d. h. mit der Förderung des Sparens des kleinen Mannes, in Wirklichkeit ist.
Es sind hier die Investment-Gesellschaften angeführt worden. Meine Damen und Herren, vielleicht erinnern Sie sich, daß wir sehr ernsthaft und sehr positiv an der Schaffung des Investment-Gesetzes gearbeitet haben, weil wir darin - insbesondere wegen der Risikostreuung - sogar ein besseres Mittel des Sparens für den kleinen Mann sehen als in der Aktie.
Herr Kollege Barzel hat gemeint, er sei auf die politische Begründung gespannt, wie die Sozialdemokratie ihre Abstimmung mit dem Godesberger Programm vereinbare. Nun, meine Damen und Herren, mit der CDU sich über Parteiprogramme zu unterhalten, ist ein klein wenig schwierig.
({12})
Sie haben im Jahre 1947 ein sehr fortschrittliches „Ahlener Programm" gehabt. Kurz vor den Wahlen des Jahres 1957 hielten Sie es für richtig, durch den Mund des Herrn Ministerpräsidenten Meyers dieses Programm praktisch mit einer Handbewegung vom
Tisch zu fegen. Jetzt aber, anderthalb Jahre vor den Wahlen, darf Herr Kollege Katzer auf der Hauptversammlung der rheinischen Sozialausschüsse am 13. Februar 1960 wieder ausrufen, die CDU solle sich doch auf das Ahlener Programm besinnen; da verlangte er überbetriebliche Mitbestimmung, Bundeswirtschaftsrat, Mitbestimmung in Kammern usw. usw. Er mußte sich von einem Delegierten darauf hinweisen lassen, daß das wohl nicht so sehr viel Sinn habe; die Sozialausschüsse stünden doch „im toten Winkel der Macht". Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist von diesen Darlegungen zu halten. Bei einer Diskussion über einen anderen Vorschlag der CDU, nämlich die Umwandlung der Pensionsfonds und ihre Verwendung zur Eigentumsbildung, hat Herr Kollege Elbrächter, der ja auch ihrer Fraktion angehört, vor der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer in München erklärt, man müsse sehr deutlich unterscheiden zwischen Vorschlägen der CDU/CSU und den Vorschlägen der Freunde um Katzer. - Ich zitiere nur! So schwierig ist es, mit Ihnen über Programme zu streiten. Mit uns, Herr Kollege Barzel, ist das nicht so schwierig.
({13})
-Lassen Sie mich doch mal ein bißchen zu Ende reden. „Na, na, na!" ist kein überzeugender Einwand; jedenfalls kann ich ihn nicht als solchen anerkennen.
({14})
Als wir unser Grundsatzprogramm verabschiedet hatten, da war der Herr Bundeskanzler, der ja Chef Ihrer Partei ist und daher wohl für diese Partei spricht, der Auffassung: „Da hat sich nichts geändert, die haben aus der Vergangenheit nichts gelernt, das ist alles Tarnung." Das war die eine Auffassung. Herr Kollege Barzel meint, das Programm verpflichte eigentlich die SPD, nunmehr CDU-Politik zu treiben. Meine Damen und Herren, beides ist nicht drin. Wir führen unsere sozialdemokratische Politik durch und nicht das, was Sie meinen dafür halten zu sollen.
({15})
Ich will Ihnen ein klein wenig nachhelfen mit einigen Zitaten aus dem Grundsatzprogramm - ich darf sie mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen , die auf diesen Gesetzentwurf Bezug haben. Da heißt es nämlich:
Wer in den Großorganisationen der Wirtschaft die Verfügung über Millionenwerte und über Zehntausende von Arbeitnehmern hat, der wirtschaftet nicht nur, er übt Herrschaftsmacht über Menschen aus.
Ein zweiter Satz:
Wo das Großunternehmen vorherrscht, gibt es keinen freien Wettbewerb. Wer nicht über gleiche Macht verfügt, hat nicht die gleiche Entfaltungsmöglichkeit, er ist mehr oder weniger unfrei.
Und wir ziehen die Schlußfolgerung:
Diese Entwicklung ist eine Herausforderung an
alle, für die Freiheit und Menschenwürde, GeDr. Deist
rechtigkeit und soziale Sicherheit die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft sind.
Unter zahlreichen Beispielen für Mittel, die dem modernen Staat zur Verfügung stehen, um dieses Problems Herr zu werden, heißt es dann:
Wettbewerb durch öffentliche Unternehmen ist ein entscheidendes Mittel zur Verhütung privater Marktbeherrschung. Durch solche Unternehmen soll den Interessen der Allgemeinheit Geltung verschafft werden.
Das ist die eine Seite.
Zur Frage der Eigentumsbildung haben wir in diesem - wie ich immer mehr finde - recht guten Grundsatzprogramm ebenfalls einiges gesagt. Da heißt es:
Geeignete Maßnahmen sollen dafür sorgen, daß ein angemessener Anteil des ständigen Zuwachses am Betriebsvermögen der Großwirtschaft als Eigentum breit gestreut oder gemeinschaftlichen Zwecken dienstbar gemacht wird. Es ist ein Zeichen unserer Zeit, daß sich das private Wohlleben privilegierter Schichten schrankenlos entfaltet, während wichtige Gemeinschaftsaufgaben, vor allem Wissenschaft, Forschung und Erziehung, in einer Weise vernachlässigt werden, die einer Kulturnation unwürdig ist.
Sie können sich selber ausrechnen, wie wir uns nach diesen unseren grundlegenden programmatischen Verkündungen zu Ihrem Gesetzentwurf verhalten werden. Wir können ihm nicht zustimmen, sondern werden ihn ablehnen.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Nur wenige Sätze, weil andere Kollegen meiner Fraktion noch zu anderen Punkten sprechen werden.
Herr Kollege Dr. Deist, Sie haben erneut behauptet, daß wir den Vertrag nicht erfüllten, weil wir die in § 5 Abs. 2 des Vergleichs stipulierte 20%-Klausel für Niedersachsen nicht ins Gesetz übernommen hätten. Ich weise Sie ausdrücklich auf § 5b Abs. 3 des Privatisierungsgesetzes und auch auf das hin, was ich vorher dazu gesagt habe. Auf diese Argumente sind Sie nicht eingegangen. Wir haben den Eindruck, daß die niedersächsische Landesregierung die Stichhaltigkeit dieser Argumente, insbesondere unseren Hinweis auf die beiden Paragraphen des Aktienrechts, eingesehen hat.
Dann haben Sie dankenswerterweise meine Schlußfrage nach der Vereinbarkeit Ihres Neins zu diesen Gesetzentwürfen mit Ihrem Godesberger Parteiprogramm durch Verlesung einiger Zitate beantwortet. Ich freue mich insbesondere, daß Sie zum Schluß wenigstens doch noch das für mich wichtigste Zitat - es steht auf Seite 16 Ihres Grundsatzprogrammes - über die breite Streuung des Eigenturns gefunden haben. Ich bin dafür dankbar, weil ja in Ihrem „Vorwärts" über diese Fragen diskutiert wird. Sie haben jetzt selbst gesagt, daß Sie sich ein Programm für diese Eigentumsfragen geben wollen.
In diesem Diskussionsbeitrag des „Vorwärts" war auch noch davon die Rede, daß erwogen werde, vielleicht den Weg der Volksaktie zu gehen. Wir haben nun Klarheit darüber, daß dieser Weg der sozialen Privatisierung, wie wir ihn gehen wollen, nicht zum Eigentumsprogramm der Sozialdemokratischen Partei gehört. Das ist immerhin eine Klarstellung, für die ich heute sehr dankbar bin.
({0})
- Der Artikel des „Vorwärts" stammt immerhin vom 8. Januar 1960. Ich glaube doch, daß ich ihn dann hier auch zitieren durfte.
Der dritte Punkt, der mich veranlaßt, hier noch einmal zu sprechen, ist für mich der Hauptpunkt. Herr Dr. Deist, Sie haben erneut von christlicher Soziallehre und von katholischen Auffassungen gesprochen. Sie bemühen sich doch um eine gewisse Dokumentation über diese Fragen, Sie haben dazu eine Broschüre herausgegeben. Vielleicht darf ich Sie sehr herzlich einladen, Ihrer Dokumentation auch das folgende Zitat einzufügen, das ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen darf. Die Quelle ist das „Lehrschreiben der deutschen Bischöfe über die Aufgaben und die Grenzen der Staatsgewalt". Es heißt dort:
Der Staat . . . soll nicht selbst als Unternehmer in den Kampf der Interessen hineinverstrickt sein, sondern unabhängig über dem Ganzen stehen . . . Eigene Wirtschaftstätigkeit soll der Staat auf die notwendigen öffentlichen Dienste beschränken.
Vielleicht werden Sie die Güte haben, diese klare Aussage auch einmal mit gewissen Eigentumsvorstellungen zu konfrontieren, die Sie haben. Ihre hier vertretenen Thesen über die öffentliche Kontrolle und die Notwendigkeit des Eigentums in öffentlicher Hand widersprechen diesen Sätzen doch ganz klar.
({1})
- Die sind nicht für Sie verbindlich! Auch das höre ich mit großem Interesse. Immer klarer werden die gegensätzlichen Positionen in diesen weltanschaulichen Fragen. Das erleichtert die Sache. Was ich eben hier zitiert habe, erklärt Herr Dr. Deist für sich nicht für verbindlich.
({2})
- Für die Sozialdemokraten und nicht nur für Sie selber! Ich bin sehr dankbar für diese Erklärung. Wir kommen immer mehr zur Klarstellung.
({3})
' - Ja.
Sind Lehrbriefe der deutschen Bischöfe in allen Punkten für die Christlich-Demokratische Union, auch für ihren evangelischen Teil, verbindlich oder nicht?
({0})
Verehrter Herr Kollege Erler, Ihr Kollege Deist hat zweimal in seiner ersten und zweiten Rede aus christlichen Verlautbarungen zitiert. Ich hatte ihn gebeten, zur Vervollständigung der Dokumentation, die Sie im Hinblick auf eine christliche Konfession betreiben, auch dieses Zitat aufzunehmen.
({0})
Ich will aber Ihre Frage, Herr Kollege Erler, ganz konkret beantworten. Die Politik der ChristlichDemokratischen Union wird vom Parteitag und vom Programm der Christlich-Demokratischen Union und von keiner anderen Seite festgelegt! Die Frage aber ist doch, wie hier Übereinstimmung in weltanschaulichen Grundsatzfragen zu finden ist. Ihr Nein zur Privatisierung des Volkswagenwerkes, Ihr Nein zur Volksaktie und Ihre letzte Erklärung auf diese Passage zur Privatisierung macht, glaube ich, die Unterschiede zwischen uns wieder deutlicher. Ich bin dankbar für Ihre Antwort. Die Diskussion wird dadurch erleichtert.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Katzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Deist. Erstens. Herr Kollege Dr. Deist, Sie meinten in bezug auf das Sparprämiengesetz, daß ein Teil Ihrer Fraktion aus Verärgerung dagegen gestimmt habe. Herr Dr. Deist, das scheint mir eine schlechte Politik zu sein, wenn man aus Verärgerung großen Teilen unserer Bevölkerung die Möglichkeit nimmt, die guten Ergebnisse des Sparprämiengesetzes zu nutzen. Das scheint mir wirklich eine schlechte Politik zu sein!
({0})
Sie haben damit wieder einmal bestätigt, daß Sie eine Politik des Alles-oder-Nichts verfolgen. Das halte ich für verkehrt.
Zweiter Punkt. Sie haben auf die Düsseldorfer Rede hingewiesen, die ich vor den rheinischen Sozialausschüssen der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft gehalten habe. Ich habe dort erklärt - ich wiederhole das hier gern -, ich sei der Meinung, die christlichen Demokraten sollten sich in den Grundsätzen an das machtverteilende Prinzip des Ahlener Programms zurückerinnern. Ich weiß mich da in großer Übereinstimmung mit meinen Freunden, denen die Frage der Machtkonzentration in der Wirtschaft erhebliche Sorgen macht.
Sie haben es für richtig befunden, Herr Dr. Deist - das sage ich zum dritten -, zu bekunden, daß
der sogenannte Arbeitnehmerflügel unserer Fraktion keinen Einfluß habe. Sie haben es sogar so darzustellen versucht, daß er ein Bodensatz sei,
({1})
und Sie schließen sich damit offenbar dieser Meinung an. Ich darf doch unterstellen, daß Sie, wenn Sie zitieren, dann deshalb zitieren, weil Sie der gleichen Meinung sind. Herr Dr. Deist, ich glaube, Ihnen sagen zu dürfen, daß das Gesetz zur Privatisierung des Volkswagenwerks der beste Beweis dafür ist, daß die Christlich-Demokratische Union sehr wohl eine soziale Politik betreibt. Als das erste Gesetz über die Privatisierung der Howaldtswerft - der Ausgangspunkt der Privatisierung, Herr Dr. Deist - eingebracht wurde, haben wir gesagt - Herr Dr. Deist, das haben alle Kräfte der Christlich-Demokratischen Union, Wirtschafts- und Sozialausschüsse gemeinsam gesagt -: Nein, wir sehen eine Privatisierung nicht darin, daß Staatsvermögen an drei Konzerne veräußert wird. Wir wollen vielmehr ein breit gestreutes Eigentum.
Im Gesetz über die Privatisierung des Volkswagenwerkes haben wir das erreicht und verwirklicht. Wir haben eine soziale Privatisierung. Das ist der beste Beweis für das Gegenteil Ihrer Behauptungen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Deist hat mich verständlicherweise mehrfach angesprochen. Ich bitte deshalb um Ihr Verständnis, wenn ich noch einige kurze Ausführungen mache.
Zunächst möchte ich mir eine Bemerkung an alle in diesem Hohen Hause erlauben. Wir sollten nicht alle Entwicklungsvorgänge, denen auch die Parteien unterworfen sind, dazu benutzen, um den einen beim anderen oder sonst etwas unter allen Umständen madig zu machen.
({0})
- Das wäre schlimm! Es wäre schlimm - ja, ich sage jetzt etwas zu Ihren Ehren -, wenn wir keine eigene Entwicklung in unseren politischen Bewegungen hätten; es wäre eine Erstarrung, vielleicht sogar der Tod des demokratischen Lebens. Das möchte ich vorausschicken, um die Dinge etwas zu applanieren.
Dann müssen Sie mir aber auch eine Bemerkung gestatten, die nicht so gut bei Ihnen ankommen wird, die, meine ich, aber auch sachlich ist. Der Weg, den die sozialistischen Parteien in ihrer Entwicklung von Karl Marx bis heute gegangen sind und gehen mußten, ist aber sehr viel weiter als der Weg zwischen Ahlen und Bonn, von dem Sie vielleicht sprechen.
({1})
- Aber, meine Damen und Herren, das Argument der Zeit geht an Sie, und das Argument der materiellen Änderungen der Programme geht an uns; denn wir haben uns vielleicht in Nuancen geändert, und wir hoffen mit Ihnen, daß Sie sich seit der Zeit von Karl Marx wesentlich geändert haben.
In den Ausführungen des Kollegen Deist war etwas, was über den Rahmen dieser VW-Debatte eigentlich hinausgeht wie das meiste, was nicht nur wir, sondern auch Sie ausgeführt haben. Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie gesagt, der öffentliche Einfluß auf Unternehmen gleicher Art wie das Volkswagenwerk müsse sein. Wir wissen, Herr Kollege Deist, daß wir in der arbeitsgeteilten, industrialisierten und immer mehr energisierten Wirtschaft auf Großbetriebe in den verschiedensten Branchen nicht verzichten können. Das würde also politisch, programmatisch bedeuten, daß Sie irgendeine Art der Sozialisierung nicht nur für die Grundstoffindustrien, sondern auch für die weiterverarbeitende Industrie gleicher Art wie das Volkswagenwerk fordern.
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- Bitte, ich habe Sie vorhin schon durch Zwischenbemerkung gefragt: Was heißt „gleiche Art"? Ich glaube, daß es sehr wichtig ist, zu wissen, wie weit unsere Kollegen von der SPD auf Grund des Godesberger Programms den Kreis der zu sozialisierenden Gemeinwirtschaftsunternehmen - oder wie das Unternehmen heißen mag; es ist im Kern immer dasselbe - ziehen wollen.
In der Be- und Verurteilung der unbegrenzten Selbstfinanzierung sind wir völlig einig. An diesem Platz ist bei anderem Anlaß wiederholt gesagt worden, daß in einer bei der Währungsreform kapitallosen Wirtschaft ein anderer Aufbau als der über die Selbstfinanzierung zunächst überhaupt unmöglich war und daß wir deshalb diese als das kleinere Übel hingenommen haben, um aber jetzt durch die Eigentumspolitik diesen Zustand in Ordnung zu bringen. Ich kann es nicht oft genug sagen, daß das in einer natürlichen Entwicklung liegt.
Ich glaube, wir können sehr wohl durch die Gesetzgebung und die Politik den Ablauf des Wirtschaftsgeschehens beeinflussen. Sie wissen, daß es nicht nur unmittelbar die Gesetze wie das Kartellrecht gibt, sondern daß es Steuergesetzgebung, Konjunkturpolitik, die Bundesbank und Gott weiß was noch für öffentliche Einrichtungen gibt, mit deren Hilfe es möglich ist, einen relativ ruhigen, relativ fehlerfreien Wirtschaftsablauf zu gewährleisten. Ich bedauere sagen zu müssen - wir müssen das ganz klar zum Ausdruck bringen -, daß wir das Mittel des eigenen Wirtschaftens durch den Staat als Mittel der Wirtschaftspolitik im Prinzip ablehnen.
Sie haben gesagt, in allen Staaten gebe es öffentliche Unternehmen. Zweifellos. Die gibt es bei uns auch. Bei uns wird es auch in der Zukunft öffentliche Unternehmen geben.
({3})
- Nein! Ich habe - nicht heute - schon einmal bei einem anderen Anlaß gesagt, daß öffentliche Unternehmen, die Monopolcharakter haben, absolut möglich und diskutabel sind, daß aber öffentliche Unternehmen auf dem Gebiet, wo ein freier Wettbewerb möglich ist, nach unseren Auffassungen fehl am Platze sind.
({4})
Sie haben auch das Körperschaftsteuergesetz wieder genannt. Wir sind der Meinung, daß wir mit der Gestaltung des Körperschaftsteuergesetzes dem Kapitalmarkt einen guten Dienst getan haben. Wir können die Selbstfinanzierung nur reduzieren - wir wollen sie ja gar nicht völlig beseitigen, sonst würden wir den Fortschritt beseitigen; wir wollen sie nur auf ein erträgliches Maß reduzieren -, wenn ein entsprechender Kapitalmarkt zur Verfügung steht. Der Kapitalmarkt ist durch die Körperschaftsteuersenkung befruchtet worden, und er soll auch durch die Eigentumsbildung in Personenhand befruchtet werden. Denn das Sparkapital unserer Bürger bildet die Mittel, die in der Zukunft anstelle der Selbstfinanzierung zur Finanzierung der Investitionen Verwendung finden können. Hier schließen sich Wirtschaftspolitik und Gesellschaftspolitik harmonisch zusammen. Ich habe schon einmal gesagt: wo sie sich treffen, kann man beruhigt sein, wo sie auseinandergehen, sollte man wachsam sein.
Auch das Umwandlungsgesetz ist erwähnt worden. Ich glaube für die Mehrzahl meiner Freunde zu sprechen, wenn ich auch an dieser Stelle sage, daß in Einzelfällen mit dem Umwandlungsgesetz auch nach unserer Auffassung Mißbrauch getrieben worden ist und daß wir das absolut nicht billigen. Die Freiheit ist ein hohes Gut. Wer sie haben will, muß auch Disziplin besitzen. Wir glauben, daß einige auf diesem Gebiet keine Disziplin gehabt haben.
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Sie bejahen eine eigentumsfreundliche Politik. Meine Damen und Herren, was ich jetzt sage, habe ich auch schon einigen Freunden gesagt. Sie haben gesagt, es gebe in der Wirtschaft Kreise, die über die Beteiligungsidee nicht sehr beglückt seien. Das bestätige ich Ihnen ausdrücklich. Aber was ich diesen Kreisen sage, sage ich auch Ihnen: Platonisch bejahen, daß wir alle das Eigentum in Personenhand, in der Hand unserer Bürger wollen, dann aber bei jeder konkreten Maßnahme einen Ansatzpunkt für Kritik oder Negation finden, hilft uns nicht weiter.
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Wir sind entschlossen, die vielfältigen Möglichkeiten, die es gibt und die gar nicht alle idealer Natur sind, zu nutzen, weil wir der Meinung sind, wenn man eine Erkenntnis hat, dann ist es schon besser, man tut in vielen Kleinigkeiten etwas, als man negiert nur und gibt nur platonische Liebeserklärungen zu einer Sache, in der man praktisch nichts tut.
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Das Wort hat der Abgeordnete Deist.
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Burgbacher hat mich mit einer Frage direkt angesprochen, so daß ich mich genötigt sehe, noch einmal zu antworten.
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- Das muß ich Ihnen überlassen, Herr Kollege Atzenroth. Ich jedenfalls meine, nachdem der Kollege Burgbacher mich so direkt angesprochen hat, hat er sogar ein Anrecht auf eine Antwort, und dieses Anrecht möchte ich ihm nicht bestreiten.
Zunächst, Herr Kollege Burgbacher, ein Wort zu dem, was Sie zuletzt gesagt haben. Ich unterstreiche das: wer von Eigentumsbildung redet, der muß auch konkrete Vorschläge machen. Ich unterstreiche das nicht nur für Sie, sondern für jeden und damit auch für uns. Nur, Herr Kollege Burgbacher, Sie müssen uns gestatten, Ihnen zu sagen, daß wir bei Ihnen bis heute leider kein wirksames Programm sehen, Was haben Sie denn abgesehen von der Sparförderung, in der wir mit Ihnen im wesentlichen übereinstimmen, nur das wir eine etwas stärkere Sparförderung für den kleinen Mann haben wollen, anzubieten? Diese Volksaktien z. B. scheinen uns ein sehr schlechtes Beispiel zu sein, und darum müssen wir sie ablehnen. Aber ich darf Ihnen versprechen, wir werden in durchaus absehbarer Zeit sehr konkrete Vorschläge zu diesem Problem vorlegen.
Nun zu der Frage, die der Herr Kollege Burgbacher an uns gerichtet hat! Er hat gefragt: Wieweit wollen Sie eigentlich den Rahmen der öffentlichen Unternehmungen ziehen? - Herr Kollege Burgbacher, ich habe heute und schon bei einer früheren Gelegenheit dargelegt, daß man dieser komplizierten Wirtschaft nur mit einem ganzen Bündel von Mitteln gegenübertreten kann. Dazu gehört auch die Kartellkontrolle, allerdings eine etwas wirksamere, als es sie bei uns gibt. Dazu gehört auch die Förderung von Außenseitern in der Wirtschaft. Herr Kollege Burgbacher, ich möchte annehmen, Sie stimmen mit mir darin überein, daß unser Kartellgesetz sehr schlecht geeignet ist, Außenseiter zu fördern. Als es z. B. um die Ölraffinerie in Emden ging, hat der Bundeswirtschaftsminister große Worte gemacht; als es aber darum ging, dem Außenseiter bei der Errichtung einer Ölraffinerie zu helfen, da mußte der Herr Bundeswirtschaftsminister plötzlich passen.
Sie wissen, daß z. B. die Konsumgenossenschaften mit den großen Einkaufsgesellschaften nach unserer Auffassung auch ein Mittel sind, dem Machtmißbrauch der Großwirtschaft entgegenzutreten.
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- Ich komme gleich darauf! - Schließlich sind wir auch der Auffassung - auch das ist nicht neu -, daß gerade die mittleren und kleineren Unternehmungen durch genossenschaftlichen Zusammenschluß, durch Arbeitsgemeinschaften, durch Handelsketten und alle diese modernen Methoden der Kooperation, der Zusammenarbeit, ihre Macht gegenüber der Großwirtschaft stärken sollten, damit diese nicht überhandnimmt.
Das ist ein großes Bündel möglicher Maßnahmen, zu denen auch das Mittel des öffentlichen Unternehmens gehört. Es ist eine Frage, welches Mittel jeweils am wirksamsten ist. Unter den Mitteln, die dazu geeignet sind, Gegenmacht zu schaffen - da muß ich wiederholen, was ich bereits sagte -, ist das öffentliche Unternehmen jedenfalls das wirksamste.
Nun möchte ich doch noch zu einer Frage Stellung nehmen. Sie sprachen davon: Wo Monopole, da öffentliche Hand; aber wo freier Wettbewerb, da nicht. Herr Kollege Burgbacher, „wo freier Wettbewerb, da nicht", darin stimme ich völlig mit Ihnen überein. Aber sehen wir uns einmal die deutsche Wirtschaft an! Es ist doch nicht so: hier ein paar handfeste, greifbare Monopole, im übrigen alles freier Wettbewerb. Sie haben doch auch schon einiges über den oligopolistischen. Charakter unserer Wirtschaft gehört, über die Industriebereiche, in denen nur einige wenige herrschen und in denen es darauf ankommt, ein Stück Wettbewerb aufrechtzuerhalten oder neu zu schaffen, und zwar dadurch, daß man Gegenkräfte errichtet.
Darin, meine Damen und Herren, unterscheiden wir uns von Ihnen: Sie tun immer so, als hätten Sie die Illusion, außer für ein paar Monopole könne man freien Wettbewerb in der Wirtschaft herstellen. Wir sind Realisten. Wir wissen, daß das nicht gelingen kann, und wir wissen, daß Sie das selber auch nicht glauben können. Darum sind wir für realistische Mittel, um in dieser Wirtschaft so viel Wettbewerb herzustellen, als nur irgend möglich ist. Bei realistischer Betrachtung ist deshalb die öffentliche Unternehmung ein wichtiges Mittel, in den oligopolistischen Bereichen wenigstens ein Stück Wettbewerb zu retten.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die allgemeine Aussprache ist geschlossen. Bevor wir zur Abstimmung kommen, will der Kollege Schmücker noch eine Erklärung für seine Fraktion abgeben.
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- Wir sind vor der Schlußabstimmung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens meiner Fraktion zur Schlußabstimmung folgende Erklärung abzugeben.
Die Christlich-Demokratische Union stellte im Jahre 1957 in Übereinstimmung mit der ChristlichSozialen Union ihren Bundesparteitag unter den Leitgedanken „Eigentum für alle". Die Fraktion der CDU/CSU beschloß auf diesem Parteitag, einen Gesetzentwurf zur Privatisierung des VolkswagenSchmücker
werks einzubringen. Sie tat das, obwohl wegen des Auslaufens der 2. Legislaturperiode keine Aussicht auf eine rasche Realisierung bestand. Sie wollte durch diesen Beschluß vor aller Öffentlichkeit verpflichtend dartun, daß sie den Leitgedanken „Eigentum für alle" auch für ihre Arbeit übernimmt.
Zu Beginn der 3. Legislaturperiode hat sie den Gesetzentwurf erneut eingebracht. Die Beratungen dieses Gesetzentwurfs haben sich dann länger hinausgezogen, als ursprünglich angenommen werden konnte. Der Fraktion der CDU/CSU lag aber daran, alle Einwände gegen dieses Gesetz und alle Verbesserungsvorschläge sorgfältig zu prüfen. Das ist inzwischen geschehen.
Wir sind der Meinung, daß der Gesetzentwurf in der jetzt gefundenen Fassung zur Verabschiedung reif ist. Die inzwischen vorgenommene Teilprivatisierung bei der Preußag hat bewiesen, wie günstig der Gedanke einer breitgestreuten Volksaktie in unserer Bevölkerung aufgenommen wird, und das Modell der Preußag-Privatisierung, insbesondere die Stimmrechtsbeschränkung, die Sonderregelung für qualifizierte Beschlüsse in der Hauptversammlung sowie das Entsendungsrecht haben den vorliegenden Gesetzentwurf maßgeblich beeinflußt.
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Während der Zeit der Beratung der Gesetze hat die Frage des Eigentums an dem Volswagenwerk eine große Rolle gespielt. Wir sind der Auffassung, daß der Bund sehr wohl eine Klärung vor dem. Bundesverfassungsgericht hätte hinnehmen können. Nach unserer Meinung standen dem Bund die Eigentumsrechte zu. Wir befanden uns aber vor der politischen Entscheidung, eventuell zuzulassen, daß durch einen möglicherweise langwierigen Rechtsstreit die Privatisierung des Volkswagenwerks und die Gründung einer Stiftung zur Förderung der Wissenschaft, Forschung und Lehre hinausgezogen werden konnte. Das wollten wir auf jeden Fall vermeiden. Wir zogen einen Vergleich zwischen dem Land Niedersachsen und dem Bund vor und haben unseren leider viel zu früh verstorbenen Minister Lindrath in seiner mühevollen Arbeit unterstützt.
Dem Land Niedersachsen ist durch die jetzige Regelung ein bedeutender Einfluß eingeräumt. In unserem Entgegenkommen sind wir an die Grenze des Vertretbaren gegangen. Ein Mehr würde unsere politische Absicht der Privatisierung unglaubwürdig gemacht haben.
Wir möchten, daß möglichst viele Menschen nicht nur über Eigentum an Grund und Boden verfügen, sondern daß sie auch wirtschaftliches Eigentum erhalten.
Wir verhehlen nicht, daß ein breitgestreuter Aktienbesitz auch Gefahren in sich birgt. Deshalb haben wir in dem Gesetzentwurf versucht, durch die Gestaltung des Stimmrechts dem Aktionär die Wahrnehmung seiner Rechte zu erleichtern und ihn damit anzuspornen, an der Entwicklung seiner Gesellschaft lebhaften Anteil zu nehmen.
Die von der SPD geäußerten Bedenken, der Kleinaktionär würde sich um seine Gesellschaft gar nicht kümmern können, haben wir nicht. Wir sind im Gegenteil der Meinung, daß das wirtschaftliche Interesse in unserem Volke Jahr für Jahr gestiegen ist, und diese Entwicklung möchten wir weiter fördern. Wir tun es durch dieses Gesetz, das der Anfang eines Weges ist, den wir weitergehen wollen.
Die unmittelbare Beteiligung an Wirtschaftsunternehmen wird das Verständnis auch für die großen wirtschaftspolitischen und gesamtpolitischen Fragen weiter vertiefen. Gerade nach den Erfahrungen der letzten Jahre erscheint uns dies dringend erforderlich.
Die im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehene Bestimmung über den Verwendungszweck des Privatisierungserlöses wurde während der Beratungszeit neu gefaßt. Die Fraktion begrüßt es, daß jetzt die Erträge für die Förderung der Wissenschaft, Forschung und Lehre zur Verfügung stehen, und sie hofft, daß mit diesen Mitteln ein spürbarer Mangel gemildert wird.
Die CDU/CSU stellt fest, daß sie mit diesem Gesetz fortfährt, ihren Leitgedanken „Eigentum für alle" in die Tat umzusetzen. Sie ist davon überzeugt, daß die deutsche Bevölkerung aufgeschlossen von der ihr gebotenen Möglichkeit Gebrauch machen wird. Sie bekennt sich ausdrücklich zu den sozialen Funktionen des Eigentums: Eigentum gibt Rechte und Eigentum verpflichtet.
Das Hohe Haus möge bitte verstehen, daß die CDU/CSU an den Schluß ihrer Erklärung ihren Dank an zwei ihrer hervorragendsten Mitglieder stellt, die leider allzu früh abberufen worden sind. Wir danken unserem Freund Karl Arnold und wir danken Hermann Lindrath.
({1})
Die CDU/CSU stimmt dem Gesetz zu und bittet alle Mitglieder des Hohen Hauses, es gleichfalls zu tun.
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Zur Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung Herr Abgeordneter Kohut.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nur einen Satz sagen. Die Forderung „Eigentum für jedermann" ist von den Freien Demokraten schon lange erhoben worden, bevor die CDU daran dachte, einen Wahlschlager hieraus zu machen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Deist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich bei der Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung auf einige kurze Sätze beschränken.
Der erste: Wir haben aus der Beratung im Ausschuß und aus der Beratung hier im Hause die Überzeugung gewinnen müssen, daß die Überschrift „Eigentum für alle" mit dem Inhalt dieser Gesetzentwürfe nicht in Einklang zu bringen ist,
({0})
sondern daß es sich um die Ermöglichung der Eigentumsbildung mit großer öffentlicher Unterstützung für einen verhältnismäßig begrenzten Kreis der deutschen Bevölkerung handelt.
Die zweite Feststellung: Die Durchführung dieses Gesetzentwurfs muß dazu führen, daß auch der Automobilmarkt vollends der Beherrschung durch einige wenige Großunternehmungen unterworfen wird und daß damit für die Zukunft die Möglichkeit ausgeschaltet wird, etwas mehr Wettbewerb auf diesem Markt herzustellen und insbesondere durch die Preisgestaltung auf eine Senkung der überhöhten Preise für Kleinwagen hinzuwirken.
Und die dritte Feststellung: Wir können zu unserem Bedauern die Behauptung des Herrn Kollegen Schmücker, daß Sie alle Änderungswünsche gewissenhaft geprüft haben, nicht unterschreiben.
({1})
Wir wollen ihm gern konzedieren, daß Sie die zahllosen Änderungsanträge und Wünsche aus Ihren eigenen Reihen sehr gewissenhaft und unter schwierigen Umständen geprüft haben.
({2})
Das werden wir Ihnen nicht bestreiten. Aber Sie haben nicht einen einzigen Antrag von uns angenommen. Und ,das scheint uns kein Beweis für gründliche Prüfung der Anträge zu sein, die ja wohl auch von der Opposition gestellt werden dürfen.
({3})
Wir bedauern daher, meine Damen und Herren, diesem Gesetzentwurf unsere Stimme nicht geben zu können.
({4})
Zur Abstimmung wird das Wort weiter nicht gewünscht. Wir stimmen ab. Ich rufe auf Antrag Drucksache 1586 - Punkt 4a der Tagesordnung -, §§ 1, - 2, - 3, - 4, - 5, -6, Einleitung und Überschrift. - Wer in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke schön. Ich bitte um die Gegenprobe. - Danke schön. Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe zu diesem Gesetz den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD - Umdruck 500 - auf. Welcher Antrag wird von der antragstellenden Fraktion hierzu gestellt, Überweisung an den Ausschuß oder sofortige Erledigung?
({0})
- Es wird der Antrag gestellt, ihn an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Herr Kollege Burgbacher hat meiner Erinnerung nach beantragt, ihn abzulehnen. Ich stelle zunächst den Antrag auf
Ausschußüberweisung als den weitergehenden Antrag zur Abstimmung. Wer diesem Antrag auf Ausschußüberweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -- Danke schön. Ich bitte um die Gegenprobe. ({1})
Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
({2})
Wir müssen nun noch über den Entschließungsantrag selbst abstimmen. Wer dem Antrag Umdruck 500 nunmehr zustimmen will, den bitte ich urn das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen? - Auch der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr auf zur Abstimmung Antrag Drucksache 1680 - Tagesordnungspunkt 4b - in der Fassung der zweiten Lesung, die §§ 1 bis 16 nebst Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Danke. Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag aller Fraktionen, Umdruck 501. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist angenommen.
Ich habe noch etwas vorzutragen, was zu Punkt 3 der gedruckten Tagesordnung gehört.
({3})
Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes ist heute früh dem Finanzausschuß überwiesen worden.
({4})
- Ich darf bitten, noch zuzuhören. - Der Kollege Bleiß hat bei dem Herrn Präsidenten vorgesprochen, daß die Vorlage auch dem Verkehrsausschuß überwiesen werden möge. Ich darf wohl das Einverständnis des Hauses damit unterstellen, daß nachträglich über diesen Antrag entschieden wird. Ich bitte diejenigen, die der Überweisung an den Verkehrsausschuß - mitberatend - zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Angenommen!
Schließlich noch eine Angelegenheit. Es liegt der Schriftliche Bericht des Außenhandelsausschusses
({5})
- wenn Sie die Freundlichkeit haben wollten, zuzuhören, kämen wir schneller voran - über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Vierzehnten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1959 ({6}) vor. Den Bericht hat der Herr Abgeordnete Theis auf der Drucksache 1694 erstattet. Der Bericht gipfelt in dem Satz, daß sich der Ausschuß der Begründung der Bundesregierung angeschlossen und einstimmig dem Verordnungsentwurf zugestimmt habe. Der Ausschuß beantragt, dem VerordnungsVizepräsident Dr. Becker
entwurf - Drucksache 1682 - unverändert zuzustimmen.
Ich frage: Ist das Haus damit einverstanden, daß dieser Punkt, über den man sich, wie mir mitgeteilt wurde, einig ist, noch auf die Tagesordnung gesetzt wird?
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- Dann ist so beschlossen. Ich rufe daher auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses ({8}) über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Vierzehnten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1959 ({9}) ({10}).
Werden Wortmeldungen abgegeben? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Außenhandelsausschusses, dem Verordnungsentwurf - Drucksache 1682 - unverändert zuzustimmen, die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen!
Damit ist die Tagesordnung erledigt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf den 6. April, vormittags 9 Uhr.
Ich schließe die Sitzung.