Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung spreche ich Glückwünsche aus dem Herrn Abgeordneten Diel zum 60. Geburtstag,
({0})
dem Herrn Abgeordneten Auge zum 60. Geburtstag
({1})
und dem Herrn Abgeordneten Geritzmann zum 65. Geburtstag.
({2})
Für unseren verstorbenen Kollegen Dr. Brönner ist mit Wirkung vom 30. Januar 1958 der Abgeordnete Maucher in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße den uns ja bekannten und vertrauten Kollegen wieder in unserer Mitte und wünsche ihm eine gute Mitarbeit.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 18. Januar 1958 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Metzger, Dr. Kopf und Genossen betreffend Zollfreie Einfuhr von Kaffee und Tee im Reiseverkehr - Drucksache 118 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 147 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 20. Januar 1958 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Birkelbach, Frau Dr. h. c. Weber ({3}) und Genossen betreffend Erleichterung der Reisen von Flüchtlingen - Drucksache 91 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 161 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 22. Januar 1958 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Rehling, Erler und Genossen betreffend Kulturelle Zusammenarbeit im Rahmen des Europarates - Drucksache 93 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 164 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 28. Januar 1958 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Erler, Frau Dr. Rehling und Genossen betreffend Kultureller Austausch zwischen den Mitgliedern des Europarates - Drucksache 89 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 169 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte hat unter dem 7. Februar 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Spätaussiedlung -Drucksache 79 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 179 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 9. Februar 1958 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr.-Ing. E. h. Arnold, Dr. Fritz ({4}), Leicht und Genossen betreffend Verbesserung des Berufsverkehrs der Deutschen Bundesbahn im Zusammenhang mit der Erhöhung der Sozialtarife - Drucksache 249 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 180 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 10. Februar 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Ausbau der deutsch-dänischen Straßen- und Seeverbindung von Lübeck nadi Laaland ({5}) - Drucksache 151 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 186 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 10. Februar 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betreffend zivilrechtliche Ansprüche gegen Mitglieder diplomatischer Vertretungen - Drucksache 146 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 187 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat am 18. Januar 1958 über den Stand der anteiligen Erstattung der Verwaltungskosten nach § 351 Abs. 3 LAG unter Bezug auf die Beratung des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD zur dritten Lesung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1957 - Umdruck 1153 der 2. Wahlperiode - in der 213. Sitzung des Deutschen Bundestags am 29. Mai 1957 berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache 148 verteilt.
Der Vorstand des Personalgutachterausschusses für die Streitkräfte hat unter dem 6. Dezember 1957 einen Bericht über seine Tätigkeit übersandt, der als Drucksache 109 verteilt ist.
Der Herr Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung hat unter dem 20. Januar 1958 im Anschluß an sein Schreiben vom 29. Dezember 1957 ein weiteres Gutachten über die Organisation der Deutschen Bundespost, zweiter Teil, Teilband 3 ,,Das Sozialamt der Deutschen Bundespost" übersandt, das im Archiv zur Kenntnisnahme ausliegt.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Dazu hat der Abgeordnete Rösing das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen bitte ich, den Antrag betreffend Verkehrstarife - Drucksache 185 - als Punkt 2 c auf die heutige Tagesordnung zu setzen.
Sie haben den Antrag gehört. - Das Haus ist einverstanden; der Antrag Drucksache 185 ist damit als Punkt 2 c auf die Tagesordnung gesetzt.
Ich rufe Punkt 1 auf:
Fragestunde ({0}).
Frage 1 - des Herrn Abgeordneten Ritzel - betreffend Streifen oder Flächen an Fahrzeugen:
Ich frage den Herrn Bundesverkehrsminister, welche Gründe der baldigen Einführung lichtreflektierender Streifen oder Flächen an Fahrzeugen aller Art entgegenstehen, deren Anbringung bei sich bewegenden und bei stehenden Fahrzeugen, vor allem bei Lastkraftwagen, zu einer wesentlichen Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr beizutragen vermöchte.
Zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister für Verkehr das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen der rückwärtigen Sicherung der Fahrzeuge werden auf internationaler Ebene beraten und die Beratungsergebnisse in unsere Vorschriften übernommen, soweit sie nicht für unsere Verhältnisse unpassend sind.
Zur rückwärtigen Sicherung der Fahrzeuge sind Schlußleuchten und Rückstrahler vorgeschrieben. Beide müssen nach § 22 Abs. 3 und Abs. 4 der Straßenverkehrszulassungsordnung in amtlich genehmigter Bauart ausgeführt und mit einem amtlich
vorgeschriebenen und zugeteilten Prüfzeichen versehen sein. Schlußleuchten und Rückstrahler in vorschriftsmäßiger Beschaffenheit reichen im allgemeinen für die rückwärtige Sicherung der Fahrzeuge aus, zumal besonders die Schlußleuchten in den letzten Jahren wesentlich verbessert worden sind.
Dennoch ist auf meine Veranlassung auf internationaler Ebene in der Arbeitsgruppe Kraftfahrzeugtechnik der Wirtschaftskommission für Europa in Genf geprüft worden, ob eine zusätzliche rückwärtige Sicherung der Kraftfahrzeuge und Anhänger durch rückstrahlende Streifen .oder Flächen an Fahrzeugen im Interesse der Verkehrssicherheit anzustreben oder wegen der grundsätzlich entgegenstehenden unerwünschten Vermehrung von Lichtzeichen im Verkehr abzulehnen ist. Die zuständigen Stellen des Auslandes halten eine zusätzliche rückwärtige Kenntlichmachung der Fahrzeuge nicht für erforderlich.
Sollte tatsächlich ein Bedürfnis nach einer noch wirksameren rückwärtigen Kenntlichmachung der Fahrzeuge bestehen oder sich in Zukunft ergeben, so würde in Übereinstimmung mit der internationalen Auffassung statt einer zusätzlichen Kenntlichmachung durch rückstrahlende Mittel eine weitere Verbesserung der schon vorgeschriebenen Einrichtungen, also der Schlußleuchten und Rückstrahler, vorzusehen sein.
Nur bei Nebel ist eine wirksamere rückwärtige Sicherung der Fahrzeuge dringend erwünscht. Hier helfen aber weder rückstrahlende Mittel noch die üblichen Rückstrahler aus Glas, die ohnehin nur Ersatz für den Fall sind, daß die Schlußleuchten versagen.
Eine Zusatzfrage!
Darf ich fragen, Herr Bundesverkehrsminister, ob die Meinung des Auslandes, auf die Sie wiederholt Bezug nehmen, im Hinblick auf die Möglichkeit, den Straßenverkehr besser zu sichern, für uns zwingend ist oder ob das Bundesverkehrsministerium gegebenenfalls auch nach dem Beispiel des Auslandes - beispielsweise Frankreichs - den Mut aufbringen wird, eine eigene Lösung zu entwickeln?
Wir scheuen nicht davor zurück, eigene Lösungen herbeizuführen, Herr Kollege Ritzel. Aber im allgemeinen empfiehlt es sich, Regelungen, die international gelten, bei uns einzuführen, weil ja auch zahlreiche ausländische Fahrzeuge auf unseren Straßen verkehren. Diese Fahrzeuge verwenden natürlich nur international vorgeschriebene Einrichtungen.
Noch eine Zusatzfrage?
Ist es nicht besser, Herr Bundesverkehrsminister, wenigstens den größten Teil der auf den bundesdeutschen Autobahnen und Landstraßen verkehrenden Fahrzeuge mit einer zusätzlichen Sicherung dieser Art auszurüsten, statt sich nach der Minderheit zu richten und damit alles in einem Zustand ungenügenden Schutzes zu belassen? Sind Proben unter Verwendung von Materialien - etwa von Emaille oder Lack - gemacht worden, die die Feststellung erlauben, daß es sich hier wirklich um keine nützliche Anregung handelt?
Solche Proben werden laufend von dem Lichttechnischen Institut in Karlsruhe gemacht, und die Ergebnisse sind eben nicht so, Herr Kollege Ritzel, daß man sagen könnte, die Mittel, die Sie in Ihrer Frage ansprechen, seien ohne weiteres so viel besser als die Rückstrahler oder Rückleuchten, die wir in den letzten Jahren entwickelt haben. Zweifellos ist es so, daß wir uns bemüht haben, die bestmögliche Lösung zu übernehmen. Auf der anderen Seite sollte man aber nicht zwangsweise Einrichtungen schaffen, bei denen die Meinung der Öffentlichkeit und auch der untersuchenden Institute über die Frage, ob diese Einrichtungen nun wirklich besser sind als die bisher verwendeten, noch nicht einheitlich ist.
Eine letzte Zusatzfrage?
Letzte Zusatzfrage!
Sind Sie bereit, Herr Bundesverkehrsminister, in dem Fachausschuß für Verkehrsfragen einmal darzulegen, wieviel Unglücksfälle auf den Zustand zurückzuführen sind, daß Lastkraftwagen von anderen Lastkraftwagen oder von Personenkraftwagen von hinten gerammt wurden? Sind Sie weiter bereit, dem Verkehrsausschuß darzulegen, welche wirklichen Gründe der Einführung der vorgeschlagenen Regelung entgegenstehen?
Ich bin gerne bereit, im Verkehrsausschuß dazu Rede und Antwort zu stehen. Ich muß allerdings bemerken, Herr Kollege Ritzel, daß uns die Unfallstatistik leider keine Möglichkeit gibt, diese Frage in der Form, wie Sie sie in Ihrer ersten Zusatzfrage gestellt hatten - auf die zweite bin ich ja soeben eingegangen -, präzise zu beantworten. Leider gibt uns die Statistik nicht den genügenden Aufschluß darüber.
Danke sehr.
Frage 2 des Herrn Abgeordneten Gewandt betreffend Bau eines Nord-Süd-Kanals:
Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß zur Verhinderung einer weiteren Verschlechterung der durch die Spaltung Deutschlands beeinträchtigten Hinterlandverbindungen des Hamburger Hafens der Bau eines Nord-Süd-Kanals von der Hamburger Wirtschaft angeregt wurde?
Hat das Bundesverkehrsministerium das Nord-Süd-KanalProjekt bereits geprüft?
Beabsichtigt das Bundesverkehrsministerium in absehbarer Zeit den Bau des Nord-Süd-Kanals vorzuschlagen?
Die Frage wird vom Bundesminister für Verkehr beantwortet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anregung aus Kreisen der Hamburger Wirtschaft, einen Nord-Süd-Kanal zur Verbindung von Hamburg mit dem Mittellandkanal und dem Industriegebiet von Braunschweig zu bauen, ist seit längerer Zeit bekannt und Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen und Untersuchungen. Eine Reihe von Gutachten sind darüber auf Anregung des Kanalvereins, der sich gebildet hat, erstattet worden, sowohl nach der verkehrlichen als auch nach der wasserwirtschaftlichen und landeskulturellen Seite. Die Auffassungen sind jedoch in allen diesen Fragen keineswegs hinreichend geklärt und abgestimmt. Zur Zeit werden die Gutachten - wie z. B. das bekannte Gutachten, das Professor Dr. Predöhl von der Universität Münster in dieser Frage erstattet hat - auf Grund neuerer Überlegungen auch wieder überarbeitet. Alle Vorschläge und Denkschriften sind in meinem Hause geprüft worden. Aus diesen Prüfungen hat sich folgender Überblick ergeben.
Der Anschluß des Hamburger Hafens an das mitteldeutsche Kanalsystem ist auf verschiedene Weise möglich, nämlich einmal durch den Bau eines Nord-Süd-Kanals, zum anderen durch eine Kanalisierung der Elbe bis in die Gegend von Magdeburg oder drittens durch eine Kanalverbindung von der Elbe bei Geesthacht nach der inzwischen ausgebauten Mittelweser bei Drakenburg. Auch sind Pläne bekannt, im Zuge der Oste eine Verbindung zwischen Unterweser und Unterelbe herzustellen, die dann über den ausgebauten Küstenkanal eine entsprechende Verbindung zum ausgebauten Dortmund-Ems-Kanal gewährleisten würden. Welche dieser vorgeschlagenen und je nach Interessenlage mehr oder weniger nachdrücklich vertretenen Lösungen wirtschafts- und verkehrsmäßig die günstigste ist, bedarf noch weiterer gründlicher Untersuchungen.
Für diese Untersuchungen spielen u. a. die Frage der Energieversorgung, beim Nord-Süd-Kanal die Frage der Überquerung der neuentdeckten Erzlagerstätten im Raume Gifhorn, die Frage der Landwirtschaft und die Frage der Wasserwirtschaft eine sehr wichtige Rolle. Auch sind die Untersuchungen über die Rentabilität der neuen Wasserstraßenverbindungen und die Möglichkeit, sie zu finanzieren, noch keineswegs abgeschlossen. Entscheidend bleibt nur, daß nach der Lösung des internationalen Moselvertrages eindeutig die aufzuwendenden Wegekosten für diesen Schiffahrtsweg von der Schiffahrt selbst durch Abgaben getragen werden müssen, und zwar nicht nur die Unterhaltungskosten, sondern auch die Kosten für Amortisation und Verzinsung des aufgewendeten Kapitals. Dies ist auch im internationalen Moselvertrag so festgelegt worden. Diese Tatsache ist aber bei den verschiedenen Gutachten nicht hinreichend berücksichtigt worden.
Die Vielfalt der hier anfallenden Fragen und ihre noch nicht abgeschlossene Vorklärung durch Gutachten und Untersuchungen machen es noch nicht möglich, zum Nord-Süd-Kanal-Projekt jetzt endgültig Stellung zu nehmen. Wir müssen uns vielmehr mit genau derselben Aufmerksamkeit auch den anderen Lösungsmöglichkeiten zuwenden. Daher ist zunächst der Ausbau der Staustufe Geesthacht in Angriff genommen worden, der bis zum Jahre 1961 abgeschlossen sein wird. Dieser Ausbau, durch den die Elbe in einen Tidefluß und in einen Mittellandfluß getrennt wird, ist Voraussetzung für die Durchführung der drei zuerst genannten Wasserstraßenprojekte, also sowohl des Nord-SüdKanals als auch der Elbekanalisierung oder auch einer etwaigen späteren Kanalverbindung von der Elbe zur kanalisierten Mittelweser. Erst nach Beendigung der sehr umfangreichen und aufwendigen Bauvorhaben im Raume von Geesthacht kann also eines dieser Projekte weiter in Angriff genommen werden.
Bei all diesen Überlegungen bitte ich zu bedenken, daß keine der vorgeschlagenen Wasserstraßenverbindungen in der Lage ist, dem Hamburger Hafen innerhalb kurzer Zeit eine entscheidende Hilfe zu gewähren. Der Hamburger Hafen ist durch die Zonengrenzziehung von seinem organischen Hinterland und durch die Abschneidung der Elbe bei Lauenburg von seiner natürlichen Flußverbindung mit diesem Hinterland getrennt. Die Durchführung eines der genannten Kanalprojekte wird nicht nur erhebliche Zeit für die Entwicklung der Baupläne erfordern, sondern vor allem wird der Bau selber mehrere Jahre in Anspruch nehmen, selbst wenn die Finanzierung gesichert werden könnte. Der Bau des aus Kreisen der Hamburger Wirtschaft vorgeschlagenen Nord-Süd-Kanals wird - einschließlich der Vorbereitung der Baupläne - sicherlich eine Gesamtbauzeit von etwa zehn Jahren erfordern. Die dafür notwendigen Investitionen in Höhe von mehreren hundert Millionen DM können aber wohl nur verantwortet werden, wenn zuverlässig feststeht, daß auch zu dem Zeitpunkt der Beendigung der Arbeiten noch die gleichen wirtschaftlichen Voraussetzungen wie bei ihrer Aufnahme für die Amortisation und Verzinsung des aufgewendeten Baukapitals gegeben sein werden.
Auf die politischen Rückwirkungen, die sich durch die Entscheidung für eines der genannten Projekte für das natürliche Hamburger Hinterland ergeben, möchte ich nur hingewiesen haben. Das gilt insbesondere auch für den Ausbau der Wasserstraßenverbindung zwischen Hamburg und Berlin, die durch den Bau des Nord-Süd-Kanals keine Verbesserung erfahren würde.
Frage 3 - des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) - betrifft den Waffenhandel von Herrn Schlüter in Hamburg:
Hat der Hamburger Waffenhändler Otto Schlüter seinen Handel mit Handgranaten, Maschinengewehren, Maschinenpistolen und der dazugehörigen Munition mit einer Genehmigung der Bundesregierung nach Artikel 26 Abs. 2 GG betrieben?
Entsprechen Zeitungsberichte den Tatsachen, wonach Schlüter für seine Geschäfte die Genehmigung des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft hatte?
Zur Antwort der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Anfrage wie folgt.
1. Der Hamburger Waffenhändler Otto Schlüter hat von der Bundesregierung keine Genehmigung gemäß Art. 26 Abs. 2 GG zum Handel mit Handgranaten, Maschinengewehren, Maschinenpistolen und der dazugehörigen Munition erhalten. Globale Genehmigungen zum Handel mit Kriegswaffen werden nicht erteilt. Nach Art. 26 Abs. 2 GG werden bestimmte, genau bezeichnete Einzeltatbestände genehmigt. Der Waffenhändler Otto Schlüter hat derartige Einzelgenehmigungen weder beantragt noch erhalten.
2. Nach den bei der Bundesregierung vorhandenen Unterlagen ist der Firma Otto Schlüter GmbH am 5. September 1955 von der zuständigen Landesbehörde, dem Amt für Wirtschaft und Verkehr in Hamburg, eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz vom 18. März 1938 zur Herstellung von Schußwaffen und Munition sowie zum Handel damit erteilt worden. Diese Erlaubnis gilt nicht für Kriegswaffen.
3. Auf Grund der Devisenbewirtschaftungsgesetze hat das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft der Otto Schlüter GmbH Genehmigungen zur Ausfuhr folgender Waffen erteilt: a) eine Pistole, 9 mm, nach Tunesien; b) drei Pistolen, Kaliber 6,35 mm und .22, nach Peru; c) 300 000 Pistolenpatronen, 9 mm, nach Lybien. Diese Waffen sind keine Kriegswaffen.
4. Außerdem hat die Otto Schlüter GmbH 230 Militärkarabiner, die zu Jagdbüchsen umgearbeitet waren, unter dieser Deklarierung ausgeführt. Durch Runderlaß Außenwirtschaft Nr. 39/57 vom 25. Juli 1957 sind die umgearbeiteten Militärwaffen in die Rüstungsmaterialliste, Abschnitt a, aufgenommen und damit der Kontrollpflicht des Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes unterworfen worden.
Eine Zusatzfrage? - Bitte!
Herr Minister, in der Annahme, daß Ihnen wie mir bekannt ist, daß der Herr Schlüter - offenbar ohne Ihre Genehmigung - in sehr großem Umfang Kriegswaffen nach Nordafrika verkauft und verschifft hat, stelle ich die Frage, ob Ihnen bekanntgeworden ist, wer hinter den beiden Attentaten vermutet werden darf, die in Hamburg auf Schlüter verübt worden sind und zu dem Ergebnis geführt haben, daß ein Mensch das Leben verlor und mehrere andere verletzt wurden. Ich darf die Frage qualifizieren: Liegen der Bundesregierung Anhaltspunkte dafür vor, daß diese Attentate in Hamburg auf den Waffenhändler Schlüter ihre Anstifter vielleicht in uns verbündeten ausländischen Staaten finden?
({0})
Ich besitze dafür keine Anhaltspunkte. Ich bin aber überzeugt, daß das Justizministerium, wenn es über solche Anhaltspunkte verfügte, das
Notwendige veranlaßt hätte.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte!
Wie ich aus Ihren Antworten entnehme, Herr Minister, sind Sie anscheinend nicht im Besitz einer Ubersicht über das Ausmaß des illegalen Handels mit Kriegswaffen in Deutschland, insbesondere in deutschen Handels- und Hafenzentralen. Sind Sie oder ist die Bundesregierung bereit, dem Ausschuß für Inneres und dem Ausschuß für Verteidigung schriftlich lückenlos Aufschluß darüber zu verschaffen, wem Sie Genehmigungen zum Waffenhandel im Sinne des Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes erteilt haben?
Die Bundesregierung wird alles unternehmen, um illegale Betätigungen zu unterbinden. Aber das ist ja das Wesen des Illegalen, daß es sich außerhalb der Öffentlichkeit vollzieht, so daß man im Zweifelsfall von illegalen Vorgängen keine Kenntnis erhält. Die Bundesregierung hat jedenfalls nicht die geringste Veranlassung, dem zuständigen Ausschuß irgend etwas, was sie selber weiß, zu verschweigen.
Frage 4 - Herr Abgeordneter Dewald - betreffend Errichtung von Radarstationen und Abschußrampen für Raketen im Raume Miltenberg:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auf der Höhe 459 bei Miltenberg am Main eine Radarstation und eine Abschußrampe für Raketen errichtet werden soll, zu welchen Anlagen die Stadt Miltenberg 13 Hektar Gelände abtreten soll?
Ist der Bundesregierung ferner bekannt, daß der Stadtrat Miltenberg einstimmig die Errichtung dieser militärischen Anlagen abgelehnt und seine Zustimmung zur Vermessung des angeforderten Geländes verweigert hat?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diesem einmütig bekundeten Willen der Bevölkerung Miltenbergs Rechnung zu tragen? Kann die Bundesregierung die Versicherung abgeben, daß die Errichtung solcher militärischer Anlagen nicht nur im Raume Miltenberg, sondern auch im dichtbesiedelten Maintal und im Spessart unterbleibt?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage des Abgeordneten Dewald folgendermaßen.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die amerikanischen Streitkräfte die Errichtung einer NIKE-Stellung westlich Miltenberg planen. Bei der NIKE-Waffe handelt es sich um eine Verteidigungswaffe, die wie die Flakartillerie nur der Flugabwehr dient. Als reine Flugabwehrrakete gehört die NIKE-Rakete nicht zu den Mittelstreckenraketen, die als BodenBoden-Flugkörper Verwendung finden.
Die vorgesehene Flugabwehrstellung bei Miltenberg bildet einen Bestandteil des in der Bundesrepublik bereits gebauten bzw. in Bau oder in Planung befindlichen Flugabwehrnetzes der amerikanischen Streitkräfte.
Bundesverteidigungsminister Strauß
Da die Stadt Miltenberg und die Gemeinde Mainbullau Eigentümer des für den Bau der Stellung benötigten Geländes sind, soll von der Inanspruchnahme privater Grundstücke voraussichtlich Abstand genommen werden.
Die bisher ablehnende Haltung des Stadtrates von Miltenberg scheint aus einer Verkennung des Wesens der NIKE-Flugabwehrrakete und auf einer Verwechslung mit Mittelstreckenraketen zu beruhen. Ich darf mich in diesem Zusammenhang auf die Erklärung beziehen, die der Herr bayrische Ministerpräsident am 28. Januar 1958 vor dem Bayrischen Landtag abgegeben hat. Danach - ich zitiere wörtlich geht aus den Veröffentlichungen über die Sitzung des Stadtrates von Miltenberg hervor, daß auch hierbei wieder von Mittelstreckenraketen gesprochen wurde, obwohl der Vertreter der Staatskanzlei in einer Aussprache mit den Bürgermeistern der umliegenden Gemeinden wiederholt darauf hingewiesen hatte, daß die Flugabwehrrakete „NIKE" nicht das geringste mit Mittelstreckenraketen zu tun habe, sondern nur der Flugabwehr und damit in besonderer Weise dem Schutz der Zivilbevölkerung dient.
Unter diesen Umständen wird von der Bundesregierung geprüft werden, ob bei der Inanspruchnahme des für die Stellung benötigten Geländes nach den Bestimmungen des geltenden Landbeschaffungsgesetzes zu verfahren sein wird. Die Zustimmung der Gemeinden zur Landinanspruchnahme ist nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht erforderlich; es genügt ihre Anhörung, und diese ist im vorliegenden Falle erfolgt.
Der Herr bayerische Ministerpräsident hat in der vorerwähnten Sitzung des Bayerischen Landtags am 28. Januar 1958 schließlich erklärt - ich zitiere -, die bayerische Staatsregierung sei der Auffassung, daß Einwendungen gegen eine solche nur der Verteidigung und also in erster Linie dem Schutz der Zivilbevölkerung dienende militärische Anlage nicht geltend gemacht werden können.
Die Bundesregierung kann die erbetene Versicherung, daß die Errichtung der geplanten NIKE-Stellung im Raume Miltenberg unterbleiben wird, nicht abgeben.
Im übrigen ist die Errichtung weiterer NIKE-Stellungen durch die amerikanischen Streitkräfte im dichtbesiedelten Maintal und im Spessart nicht geplant.
Zusatzfrage?
Ja. Herr Bundesverteidigungsminister, die Bevölkerung der in Frage kommenden Gebiete ist beunruhigt durch die Vorstellung, daß diese Luftabwehrbasen bei einer entsprechenden Vorplanung schnellstens in Abschußbasen für Langoder Mittelstreckenraketen umgewandelt werden können. Können Sie eine Versicherung darüber abgeben, daß das nicht der Fall sein kann?
Wir haben bisher weder um die Anlegung von Abschußbasen für Mittelstreckenraketen nachgesucht noch sind wir zu Vorschlägen dieser Art aufgefordert worden. Ich halte es deshalb für richtig, daß Regierung und zuständige Abgeordnete zusammenwirken, um die Bevölkerung so aufzuklären, wie ich es hier geschildert habe.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage?
Herr Bundesverteidigungsminister, Sie haben in einer öffentlichen Verlautbarung vor einiger Zeit gesagt, daß nach Ihrer Überzeugung für den Abschuß von Kurzstreckenraketen mobile Abschußrampen am besten geeignet seien. Sollte das nicht auch für die Abwehr von Flugzeugangriffen zutreffen, und könnte nicht auf diese Weise die unmittelbare Gefahr für die Nachbarschaft feststehender Raketenbasen abgewendet werden?
Eine sehr umfangreiche Frage. Meine Bemerkung bezog sich auf Raketen, die vom Boden gegen Bodenziele geschossen werden, und auf die Ausstattung der Bundeswehr. Hier handelt es sich um die Ausstattung der amerikanischen Streitkräfte. Es ist kein Zweifel, daß wir im Zusammenhang mit der technischen Entwicklung für die Flugabwehr zunächst mobile Abschußstellen vorziehen. Zur Zeit gibt es solche Flugabwehrwaffen noch nicht.
Ich darf aber mit dieser verlängerten Antwort auf Ihre Frage wieder darauf hinweisen, daß man nicht nur die Waffen in den eigenen Händen als eine Gefahr sehen sollte, sondern vor allen Dingen gleichwertige Waffen in den Händen eines Angreifers.
({0})
Ferner gibt es in Deutschland so viele Ziele von strategischer Wichtigkeit, daß es sachlich unrichtig ist, eine Flugabwehrstellung als ein besonders gefährdendes oder gefährdetes Ziel herauszustellen. Die Wahrscheinlichkeiten, daß Flugzeuge "eine solche Stellung angreifen oder daß sie sie umfliegen, sind gleich groß.
Frage 5 - Herr Abgeordneter Dr. Bucher - betreffend Strafverfahren gegen den ehemaligen Ministerialrat Ziebell:
Auf welche Weise wurde das Strafverfahren gegen den ehemaligen Ministerialrat Günter Ziebell wegen Verleumdung und übler Nachrede gegen Bundeskanzler Dr. Adenauer, Botschafter Blankenhorn und Generalkonsul Reifferscheidt abgeschlossen? Welches war insbesondere der Inhalt der in der Presse erwähnten Ehrenerklärung des Angeklagten?
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers zur Antwort.
Dr. Dr. h. c. Erhard, Stellvertreter des Bundeskanzlers: In Stellvertretung des Herrn Bundeskanzlers beantworte ich die an ihn gestellte Frage wie folgt.
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
In der Strafsache gegen Schmeißer und andere hat die Dritte Strafkammer des Landgerichts in Hannover in der Sitzung am 28. Dezember 1957 folgendes beschlossen:
Das Verfahren wird auch insoweit eingestellt, als es sich gegen den Angeklagten Ziebell richtet ...
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der den Nebenklägern und dem Angeklagten Ziebell erwachsenen notwendigen Auslagen werden diesem Angeklagten auferlegt, soweit sie nicht durch den Beschluß der Strafkammer vom 14. November 1957 den Angeklagten Schmeißer, Mans, Jaene und Augstein auferlegt worden sind.
Die in der Presse erwähnte Ehrenerklärung des Angeklagten Ziebell hat folgenden Wortlaut:
Ich habe mich davon überzeugt, daß meine ehrenrührigen Behauptungen über
1. Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer,
2. Herrn Botschafter Blankenhorn,
3. Herrn Generalkonsul Reifferscheidt,
die u. a. Gegenstand des Strafverfahrens gegen mich, Schmeißer u. a. bei der Zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts Hannover . . . waren, unzutreffend sind. Ich bin dabei unrichtigen Informationen zum Opfer gefallen und nehme demgemäß die Behauptungen als sachlich unrichtig mit dem Ausdruck des Bedauerns ohne Vorbehalt zurück.
Ich übernehme die Kosten des Verfahrens einschließlich der den Nebenklägern erwachsenen notwendigen Auslagen, soweit diese nicht durch den Beschluß des Langerichts Hannover vom 28. März 1957 den übrigen Angeklagten auferlegt worden sind.
Zusatzfrage?
Wie verträgt sich diese Behandlung der Angelegenheit, nämlich daß man sich mit der Ehrenerklärung eines Mannes zufriedengibt, der aus eigener Kenntnis gar nichts von den Dingen weiß, mit der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in der 116. Sitzung des 2. Bundestages am 7. Dezember 1955? Damals hat der Herr Bundeskanzler, nachdem er mehrmals betont hatte, in dieser Sache sei Herr Ziebell die interessante Figur, am Schluß gesagt, daß „diejenigen, die eine gerichtliche Feststellung und Aufklärung noch wünschen, eine solche in dem Verfahren gegen Ziebell erhalten werden".
Dr. Dr. h. c. Erhard, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Die Rücknahme des Strafantrags war angebracht, weil der Angeklagte Ziebell seine Behauptungen als sachlich unrichtig mit dem Ausdruck des Bedauerns ohne Vorbehalt zurückgenommen hat. Eine klarere Erklärung kann nicht abgegeben werden.
({0})
Weitere Zusatzfrage?
Diese Erklärung würde mich beruhigen, wenn es sich um Beleidigungen gegen einen Privatmann handelte; aber es ist doch -
Herr Abgeordneter, ich bitte darum, sich auf Fragen zu beschränken.
Sind Sie nicht der Ansicht, Herr Bundesminister, daß für die Entscheidung, ob der Bundeskanzler ein von ihm angekündigtes Strafverfahren, das in der Öffentlichkeit abrollen sollte, außerhalb des Gerichtssaals, also ohne öffentliche Verhandlung, erledigt, andere Maßstäbe gelten, als wenn das ein Privatmann tut?
Dr. Dr. h. c. Erhard, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Das Strafverfahren sollte einen Tatbestand in eindeutiger Weise klären. Dieser Tatbestand ist durch die Erklärung des Angeklagten tatsächlich und eindeutig geklärt worden.
({0})
Frage 6 des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) betreffend den Besuch des Generals Dr. Speidel im Hamburger Rathaus:
Bestanden beim Besuch des Generals Dr. Speidel im Hamburger Rathaus Gründe für die Annahme, daß dieser Besuch mit einem besonderen persönlichen Risiko verbunden wäre, so daß militärischer Schutz erforderlich war?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verteidigung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann die Frage des Kollegen Schmidt ({0}), so wie sie gestellt ist, nur mit einem einfachen Nein beantworten. Es bestanden beim Besuch des Generals Dr. Speidel im Hamburger Rathaus am 20. Januar 1958 keine Gründe für die Annahme - weder bestanden sie auf seiten der Bundesregierung noch auf seiten des NATO-Hauptquartiers -, daß dieser Besuch mit einem besonderen persönlichen Risiko verbunden gewesen wäre. Militärischer Schutz war daher nach menschlicher Voraussicht auch nicht erforderlich.
Es sei mir aber gestattet, ein paar Worte über den wirklichen Sachverhalt zu sagen. Der Vorgang hat sich etwas anders abgespielt, als teilweise darüber in der Presse berichtet worden ist.
General Dr. Speidel hat in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der NATO-Landstreitkräfte in Zentraleuropa am 20. Januar 1958 die 3. PanzerDivision der Deutschen Bundeswehr in Hamburg besucht. Bei dieser Gelegenheit wollte er dem Bürgermeister der Stadt einen Höflichkeitsbesuch abstatten. Die 3. Panzer-Division stellte als Geleit ein Begleitkommando von einem Stabsunteroffizier und sieben Feldjägern mit zwei Kraftfahrzeugen.
Bundesverteidigungsminister Strauß
General Dr. Speidel betrat das Hamburger Rathaus, begleitet von dem stellvertretenden Divisionskommandeur der 3. Panzer-Division und einem Begleitoffizier. Ohne daß einer dieser Herren davon wußte und ohne daß ein entsprechender Befehl der Division vorlag, wies der Kommandoführer der Feldjäger aus einem gewissen Übereifer heraus zwei seiner Soldaten an, als Verbindungsleute vor der Tür des Vorzimmers des Bürgermeisters zu warten mit dem Auftrag, die Beendigung des Gesprächs zwischen General Dr. Speidel und Bürgermeister Brauer zu melden, damit dann die im Hofe des Rathauses parkenden Kraftfahrzeuge schnell und ohne Verkehrsstockung vor das Rathaus gebracht werden konnten.
Ein Journalist hat die beiden Feldjäger gebeten, sich doch rechts und links von der Vorzimmertür des Bürgermeisters als militärische Posten aufzustellen,
({1})
damit er sie für seine Zeitung photographieren könne.
({2})
Diesem Wunsch sind die Soldaten leider nachgekommen,
({3})
haben dort sozusagen Posten bezogen und sich so photographieren lassen. Auf den Hinweis eines Senatsbeamten, es sei nicht üblich, daß sich Soldaten in dem Hamburger Rathaus aufhielten, sind sie zu ihrem Kommandoführer zurückgekehrt.
Der Hamburger Bürgermeister hat nach Kenntnis der Begleitumstände den Vorfall mit Verständnis aufgenommen, von einer Beschwerde abgesehen und dem General Müller, dem stellvertretenden Divisionskommandeur der 3. Panzer-Division, der sich in Begleitung von General Dr. Speidel befand, u. a. folgendes geschrieben:
Ich war von vornherein der Meinung, daß es sich hier um eine echte Panne handelt, die man weder überbetonen noch überbewerten sollte. Als ich zuerst durch Herren meiner Umgebung darauf aufmerksam gemacht wurde, habe ich die Geschichte gleich mit den Worten: „Forget about it!" abgetan, womit ich sagen wollte, daß ich ihr keinerlei Gewicht beilege. Vielleicht haben Sie Gelegenheit, auch Herrn General Dr. Speidel von der bei mir bestehenden Auffassung Kenntnis zu geben.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Max Brauer
({4})
Eine Zusatzfrage!
In der Annahme, daß das Haus mir zustimmt, daß es gleichermaßen erfreulich ist, wenn in dieser Sache sowohl der Fragesteller als auch der Minister als auch der Bürgermeister Humor bewiesen haben, möchte ich die Nachfrage stellen,
({0})
Herr Strauß, ob Sie mit mir der Meinung sind, daß der zukünftige Verzicht auf Begleitkommandos in Stärke von zwei Unteroffizieren und sieben Mann vielleicht solche - wie haben Sie gesagt - „vollständigen Pannen" vermeidbar erscheinen lassen und der Ausbildung in der Bundeswehr etwas mehr Raum geben könnte.
({1})
Ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang, ein Kausalkonnex zwischen der Stärke des Begleitkommandos und der Tatsache der irrtümlichen Postenbeziehung vor der Tür des Bürgermeisters besteht nicht.
({0})
Es gibt leider - ich sage sogar: leider - ein Verfahren - ich weiß nicht, ob es auf schriftlicher Grundlage beruht oder auf Usancen zurückgeht, die ja ihrerseits ein großes Gewicht haben -, wonach je nach Preislage Begleitpolizei, Militärpolizei in ihrem Umfang verschieden groß ist.
({1})
- Ich habe in meinem Hause noch wichtigere Probleme zu lösen als diese, Herr Kollege. Aber ich bin gern bereit, Ihnen entweder in der nächsten Fragestunde oder in einer Unterhaltung unter vier Augen nach Anhörung des Protokollchefs des Verteidigungsministeriums darüber Auskunft zu erteilen.
({2})
Keine weitere Zusatzfrage.
Frage 7, Herr Abgeordneter Schmidt ({0}), betreffend Einbau von Fernsehgeräten in Kraftfahrzeuge:
Ist das Bundesverkehrsministerium bereit, gelegentlich der nächsten Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung den Einbau von Fernsehgeräten in Kraftfahrzeugen zu untersagen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einbau von Fernsehgeräten in Kraftfahrzeuge ist zweifellos bedenklich, obwohl man der Auffassung sein könnte, daß § 1 der Straßenverkehrsordnung einen genügenden Schutz gegen Mißbrauch darstellt. Denn nach dieser Bestimmung gehört es zu den besonderen Sorgfaltspflichten des Fahrers, sich von der Beobachtung der Fahrbahn nicht ablenken zu lassen.
Die Frage, ob man zu einem Verbot des Einbaus von Fernsehgeräten in Kraftfahrzeuge kommen müsse oder ob es genüge, die Einschaltung von Fernsehgeräten während der Fahrt eines Kraftfahrzeuges zu verhüten, muß noch geprüft werden. Es
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
ist auch denkbar, daß ein Fernsehgerät in einem
Kraftwagen so angebracht wird, daß der Bildschirm
vom Fahrersitz aus nicht beobachtet werden kann.
Bei einer weiteren Ausdehnung des Fernsehens ist zu erwarten, daß für Fahrer, die beruflich lange Wartezeiten haben, wie z. B. die Fahrer von Kraftdroschken, der Empfang von Fernsehsendungen während der Wartezeiten gewünscht wird. Hiergegen dürften sicherlich keine Bedenken bestehen. Ebensowenig besteht ein zwingender Anlaß, etwa die Unterhaltung von Omnibusfahrgästen, insbesondere bei Reisegesellschaften, durch Fernsehübertragungen zu verbieten, sofern sichergestellt ist, daß durch diese Fernsehübertragungen die Aufmerksamkeit des Fahrers nicht abgelenkt wird.
Ich darf sagen, daß mir bisher keine Fälle bekanntgeworden sind, in denen Fernsehgeräte in Kraftfahrzeuge eingebaut wurden, die in der Bundesrepublik zugelassen sind. Eine Zeitschrift hat allerdings kürzlich das Bild eines Personenkraftwagens ausländischen Ursprungs mit einem eingebauten Fernsehgerät gezeigt.
Sie können versichert sein, daß ich Ihre Bedenken, Herr Kollege Schmidt, nachdrücklich teile und daß ich die Entwicklung sehr sorgfältig beobachten lasse, damit die erforderlichen Maßnahmen notfalls sofort und nicht erst bei einer generellen Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung getroffen werden können.
Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage.
Frage 8, Abgeordneter Dewald, betreffend Gültigkeit der Arbeiterwochenkarten:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß mit der Einführung der neuen Bundesbahntarife die Arbeiterwochenkarten sonntags keine Gültigkeit besitzen?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese einseitige, über die allgemeine Erhöhung der Tarife hinausgehende zusätzliche Belastung der Arbeitnehmer, die in vollkontinuierlichen Betrieben tätig sind, zu beseitigen?
Ich verbinde diese Frage mit Frage 15, Abgeordneter Ritzel, die denselben Gegenstand betrifft:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die Neuregelung der Wochenkarten und durch die Beschränkung der Geltungsdauer der Wochenkarten von sieben auf sechs Tage den Benutzern der Deutschen Bundesbahn erhebliche Nachteile erwachsen?
Ist die Bundesregierung bereit, Maßnahmen zu ergreifen, die diese Nachteile verhindern, nachdem unbestreitbar ist, daß die Arbeiter oft gezwungen sind, durch sechs Nachtschichten automatisch einen Sonntag zu berühren, wodurch ihnen die Benutzung der Arbeiter-Wochenkarten unmöglich gemacht wird?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen der Herren Kollegen Dewald und Ritzel behandeln das gleiche Thema. Ich bitte deshalb die beiden Herren um die Erlaubnis, die Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen, wie der Herr Präsident es soeben angeregt hat.
Für die an Sonn- und Feiertagen beschäftigten Arbeitnehmer hat die Deutsche Bundesbahn eine Sonderregelung getroffen. Sie können mit ihrer Arbeiterwochenkarte die Eisenbahnzüge an den Sonntagen bis 8 Uhr früh und ab 18 Uhr abends benutzen. Damit ist auch den Arbeitnehmern, die nicht etwa auf die unbeschränkt gültige Arbeitermonatskarte ausweichen wollen, die Möglichkeit gegeben, ohne Zuzahlung am Sonntag früh von der Schicht heimzukehren und am Sonntag abend wieder zur Schicht zu fahren. Diese Regelung ist mit den interessierten Stellen, insbesondere mit dem Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, so abgesprochen worden.
Zusatzfrage?
Ja. - Entschuldigen Sie, Herr Bundesminister, wenn ich in dieser Zusatzfrage etwas berühre, was in der ersten Frage nicht enthalten ist. Es handelt sich um den Wegfall der Kurzarbeiterwochenkarten, der sich auf die Arbeitnehmer im Kurzarbeitsverhältnis außerordentlich schwer auswirkt. Sind Sie bereit, diesem Problem Ihre Aufmerksamkeit zu widmen mit dem Ziel, die Unzulänglichkeit der jetzigen Regelung zu beseitigen und eventuell eine Neuausfertigung von Kurzarbeiterwochenkarten zu veranlassen?
Herr Kollege Dewald, wenn die Frage der Kurzarbeiter wirklich wieder einmal größere Bedeutung für uns haben wird und sich dann auch auf diejenigen auswirkt, die die Eisenbahn zur Zu- und Abfahrt in größerem Umfang benutzen, dann werden wir dieser Frage sicher unsere Aufmerksamkeit zuwenden und das Entsprechende veranlassen.
Danke sehr.
Frage 9, Herr Abgeordneter Dr. Ratzel, betreffend Beschaffenheit des in Hattingen entwendeten radioaktiven Kupferstabes:
Welche Beschaffenheit hatte der in Hattingen ({0}) entwendete radioaktive Kupferstab hinsichtlich des Strahlenmaterials, der Strahlenart, Energie und Intensität? Waren der Stab, die Bleikugel und die sonstigen Behältnisse ({1}) auch für Laien als besonders gefährlich gekennzeichnet?
Welche Strahlendosis hat der Kraftfahrer empfangen, sind auch genetische Schädigungen zu vermuten? Hat man auch den oder die Diebe aufgefordert, sich der Gesundheitsbehörde zur Untersuchung zu stellen? Wie stellt sich die Rechtslage im Hinblick auf die Entschädigung des Kraftfahrers, insbesondere hinsichtlich eventueller genetischer Schädigungen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Atomkernenergie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem verlorengegangenen radioaktiven Präparat handelt es sich um ein Iridium-192-Präparat, nicht, wie wohl irrtümlich angegeben wurde, um ein Kupfer-Präparat. Radioaktives Iridium hat in der Hauptsache eine Beta-Strahlung von 0,67 MeV und eine Gamma-Strahlung von 0,6 MeV. Das Präparat war mit einer Kennummer versehen. Es hatte am Tage des Verlustes, am 21. Januar 1958, eine Stärke von 750 mC. Die Quelle selbst hat eine Größe von 1 X 1 mm und kann infolgedessen nicht als solche gekennBundesatomminister Dr.-Ing. Balke
zeichnet werden. Der kugelförmige Transportbehälter trägt die Aufschrift „Iridium und Caesium". Sein Gewicht beträgt zirka 20 kg, sein Durchmesser 15 cm. Die Angaben der Benutzerfirma über die äußerliche Kennzeichnung des Behälters werden noch nachgeprüft.
Der Kraftfahrer und sein Begleiter, die das Präparat in der Bleiverpackung auf der Straße fanden und an sich nahmen, haben keine nennenswerte Strahlendosis empfangen. Diese Dosis lag mit Sicherheit unter der nach den internationalen Empfehlungen höchstzulässigen Wochendosis von 0,3 r. Nach Angaben des Kraftfahrers dauerte das Herausschrauben und Wegwerfen des Stiftes, der das Strahlenpräparat enthielt, etwa 20 bis 30 Sekunden. Genetische Schäden konnten hierbei nicht entstehen. Die Fahrer sind in Koblenz ärztlich untersucht worden. Einzelheiten ergeben sich aus dem mir vorliegenden Bericht der Polizeibehörden. Aus Zeitgründen möchte ich sie hier nicht vortragen; sie stehen Ihnen auf Wunsch natürlich zur Verfügung.
Nun zum letzten Teil der Anfrage Nr. 9. Wie die Bundesregierung in der Begründung zum Regierungsentwurf des Atomgesetzes ausführte - Seite 38 der Bundestagsdrucksache 3026 des 2. Bundestages -, können zu Körperschäden, für die Ersatz zu leisten ist, bei Anwendung der vom Bundesgerichtshof für den Fall der Schädigung einer Leibesfrucht entwickelten Grundsätze auch die sogenannten genetischen Spätschäden gehören, die als Folge der Einwirkung radioaktiver Stoffe auftreten können. Nachdem die von der Bundesregierung vorgeschlagenen strengen Haftungsbestimmungen des Atomgesetzentwurfs noch nicht Gesetz geworden sind, würde sich gegenwärtig nur eine Haftung nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über unerlaubte Handlungen begründen lassen.
Keine Zusatzfrage.
Frage 10 - Abgeordneter Dr. Ratzel - betreffend Benutzung radioaktiver Strahlenquellen durch die gewerbliche Wirtschaft:
Auf Grund welcher gesetzlicher Vorschriften wird augenblicklich in der Bundesrepublik die Benutzung radioaktiver Strahlenquellen für die gewerbliche Wirtschaft zugelassen?
Welche Anforderungen werden an das damit beschäftigte Personal gestellt, und welche Sicherheitsvorkehrungen werden für den Schutz der Öffentlichkeit getroffen?
Wäre der Diebstahl des radioaktiven Kupferstabes in Hattingen auch dann so leicht möglich gewesen, wenn das unter Mitwirkung des Bundeskanzlers zum Scheitern gebrachte Atomgesetz in Kraft wäre?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Atomkernenergie.
Ich will mich bemühen, die Einzelfragen in einem logischen Zusammenhang zu beantworten.
Für die Zulassung radioaktiver Strahlenquellen kommen gegenwärtig in der Bundesrepublik als gesetzliche Grundlagen in Betracht:
1. Die Verordnung zum Schutz gegen Schädigungen durch Röntgenstrahlen und radioaktive Stoffe in nichtmedizinischen Betrieben vom 7. Februar 1941. Nach § 2 dieser Verordnung muß der Betriebsführer alle Strahlengeber für Roh- und Werkstoffbehandlung vor der endgültigen Inbetriebnahme dem Gewerbeaufsichtsamt anmelden. Die Aufsicht obliegt also hiernach der Landesbehörde. Die Verordnung schreibt unter anderem weiter vor, daß an allen radioaktiven Präparaten durch den Hersteller eine Kennummer anzubringen ist und daß außerdem für jede Anlage und jedes Gerät eine Beschreibung vorhanden sein muß, in der die zum Schutz der Arbeitnehmer gegen Schädigungen durch ionisierende Strahlen angebrachten Einrichtungen angegeben sind. Die Verordnung sieht ferner Vorschriften über die höchstzulässige Wochendosis und ärztliche Untersuchungen und Überwachungen vor.
2. Das AHK-Gesetz Nr. 22 - der früheren Alliierten Hohen Kommission - über die Überwachung von Stoffen, Einrichtungen und Ausrüstungen auf dem Gebiet der Atomenergie vom 2. März 1950. Nach diesem Gesetz ist der Umgang mit radioaktiven Stoffen, soweit es sich nicht um schwachradioaktive Substanzen allgemein handelsüblicher Art handelt, nur mit Genehmigung zulässig. Nach Auflösung des militärischen Sicherheitsamtes wurden die Befugnisse aus diesem Gesetz zunächst vorn Bundeswirtschaftsminister ausgeübt. Dieser hat auch am 15. November 1956 der Firma, bei welcher das soeben erwähnte Iridium verlorenging, eine Genehmigung zum Umgang mit solchen radioaktiven Stoffen erteilt. Am 1. Januar 1957 sind die Befugnisse aus dem AHK-Gesetz Nr. 22 auf mich übergegangen. Das AHK-Gesetz Nr. 22 sieht zwar keine Strahlenschutzvorschriften vor, jedoch werden mit den erteilten Genehmigungen Auflagen zum Schutz Beschäftigter und Dritter verbunden. So ist z. B. allen Einführern radioaktiver Stoffe die Auflage erteilt, dafür zu sorgen, daß geschlossene und offene radioaktive Präparate bei der Abgabe an Dritte zu kennzeichnen sind. Auch weisen die Einführerfirmen bei der Abgabe radioaktiver Stoffe an Dritte in ihren Vertragsbedingungen in aller Regel auf die einschlägigen DIN-Normen und Unfallverhütungsvorschriften, die weitgehende Schutzmaßnahmen als Empfehlungen enthalten, hin.
Zum letzten Teil Ihrer Frage folgendes. Aus der Sachlage sind einige Folgerungen zu ziehen. Die genannten derzeitigen gesetzlichen Grundlagen reichen nicht aus, eine lückenlose Kontrolle radioaktiver Stoffe zu gewährleisten. Ganz abgesehen von der zweifelhaften Rechtsgrundlage des früheren Besatzungsrechts, also des AHK-Gesetzes Nr. 22, hat der Bund zur Zeit jedenfalls nicht die Kompetenzen, den Umgang mit radioaktiven Strahlen lückenlos zu regeln und zu überwachen. Der Vorfall mit dem Iridium hat gezeigt, daß auch in den Ländern zur Zeit eine ausreichende Strahlenschutzüberwachung nicht durchgeführt ist.
Um dieser vor dem Inkrafttreten des Bundesatomgesetzes bestehenden Unsicherheit zu begegnen, habe ich den Einführern von radioaktiven Stoffen, die nicht für den medizinischen Bereich bestimmt
Bundesatomminister Dr.-Ing. Balke
sind, mitgeteilt, daß ich der Abgabe solcher Stoffe nicht mehr zustimmen kann, bis in möglichst baldiger Abstimmung mit den Ländern durch Auflagen an die Benutzer ausreichende Schutzmaßnahmen sichergestellt sind. Ich bin mir dabei bewußt, Herr Kollege Ratzel, daß auch in dem medizinischen Bereich gegen die jetzige Art und Weise des Umgangs mit radioaktiven Stoffen zum Teil Bedenken bestehen.
Eine in meinem Hause auf Grund von Vorschlägen der zuständigen Fachgremien der Deutschen Atomkommission vorbereitete Erste Strahlenschutzverordnung sieht ein umfassendes Überwachungssystem, das jeden Umgang mit radioaktiven Stoffen, ihre Beförderung, Einfuhr und Ausfuhr erfaßt, vor und stellt nicht nur den Schutz aller Beschäftigten, sondern auch den Schutz Dritter sowie der Allgemeinheit. sicher. Der Erlaß dieser vorbereiteten Strahlenschutzvorschriften wird wegen dieses notwendig weitgespannten Anwendungsbereichs gesetzliche Ermächtigungsvorschriften voraussetzen, die vom Bund nur erlassen werden können, wenn die durch das Grundgesetz vorgesehene Gesetzgebungskompetenz des Bundes durch das sogenannte Atomgesetz erweitert wird. Der Entwurf der Strahlenschutzverordnung sieht insbesondere die Pflicht zu einer eindeutigen, auch für Laien verständlichen Kennzeichnung aller Behältnisse, in denen radioaktive Stoffe aufbewahrt werden, sowie geschlossener radioaktiver Präparate vor. Durch besondere Tatbestände werden empfindliche Sanktionen gegen vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen die in der Verordnung enthaltenen Schutzvorschriften angedroht.
Zum letzten Absatz Ihrer Frage bemerke ich - ({0})
- Ich muß die Frage beantworten, Herr Kollege.
Herr Abgeordneter Wittrock, ich bitte, das jetzt nicht zu kritisieren. Wenn schon Fragen gestellt werden, müssen sie auch in einer angemessenen Weise beantwortet werden. Wenn eine so schwierige Materie in dieser Form angesprochen wird, muß sie auch nuanciert und diffizil beantwortet werden.
({0}) Bitte, fahren Sie fort, Herr Minister!
Zum letzten Absatz Ihrer Frage, Herr Kollege Ratzel, bemerke ich, daß auch ein Atomgesetz Diebstähle - im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um einen Diebstahl - selbstverständlich nicht absolut verhindern kann, daß aber ein solches Gesetz für schädigende Handlungen ein wesentlich größeres Hindernis darstellen wird als der derzeitige Zustand.
Eine Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage.
Frage 11 - des Herrn Abgeordneten Seither - betreffend Wiederaufbau der Rheinbrücke bei Germersheim:
Ist die Bundesregierung bereit, die im Krieg zerstörte Rheinbrücke bei Germersheim in absehbarer Zeit wiederaufzubauen, und welche Verhandlungen wurden in dieser Angelegenheit bereits geführt?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr zur Beantwortung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Wiederaufbaus der Eisenbahnbrücke über den Rhein bei Germersheim wurde zuletzt im Zusammenhang mit der Eingliederung des Saarlandes geprüft. Dabei wurde erneut festgestellt, daß die benachbarten Rheinbrücken bei Karlsruhe und Mannheim den Eisenbahnverkehr noch ohne Schwierigkeiten bewältigen können. Gleichwohl ist die Bundesbahn nach wie vor an einer baldigen Wiederherstellung des Rheinüberganges bei Germersheim interessiert. Sie kann für dieses Projekt aber erst dann Mittel bereitstellen, wenn noch dringendere Brückenbauvorhaben durchgeführt sind. Mehr als 20 % der kriegszerstörten Eisenbahnbrücken konnten bisher nur provisorisch hergestellt werden. Diese vorübergehend gefundenen Lösungen müssen aus Gründen der Betriebssicherheit zuerst durch endgültige Konstruktionen ersetzt werden. Als Beispiele nenne ich die für den Eisenbahnbetrieb unbedingt erforderliche zweite Rheinbrücke in Köln und die Rheinbrücke bei Worms, die zur Zeit mit einem Kostenaufwand von fast 25 Millionen DM wiederaufgebaut werden. Vordringlich ist ferner der Ersatz der eingleisigen behelfsmäßigen Rheinbrücke bei Koblenz durch ein zweigleisiges Bauwerk. Erst im Anschluß daran kann die Bundesbahn daran denken, die Germersheimer Brücke, die etwa 10 Millionen DM kosten wird, wiederaufzubauen.
Aus diesem Grunde sind bisher noch keine Verhandlungen über die Finanzierung des Wiederaufbaus geführt worden.
Eine Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 12 auf - Herr Abgeordneter Wittrock - betreffend Zulassung von Personen zum Staatsexamen, die nach § 26 des Strafgesetzbuches aus der Strafhaft entlassen sind:
Hält die Bundesregierung es für gerechtfertigt, daß nach § 26 StGB aus der Strafhaft entlassene Personen zwar zu einem Universitätsstudium zugelassen werden können, auch wenn sie wegen einer politischen Straftat verurteilt sind, daß ihnen aber die Zulassung zum Staatsexamen wegen dieser Straftat verweigert wird?
Ist die Bundesregierung bereit, in Verhandlungen mit den Ländern auf die Durchsetzung des rechtspolitischen Gedankens einer Wiedereingliederung von Verurteilten auch auf diesem Gebiet hinzuwirken?
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort lautet wie folgt. Für die Zulassung zum Staatsexamen sind die Länder zuständig. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Wiedereingliederung von verurteilten Personen in das bürgerliche Leben soweit wie möglich gefördert werden muß.
Bundesinnenminister Dr. Schröder
Das gilt auch für die aus politischen Gründen Verurteilten. Bei diesem Personenkreis werden jedoch die zuständigen Landesbehörden in besonderem Maße die Umstände des Einzelfalles, darunter auch die Sicherheitsgesichtspunkte, zu prüfen haben. Die Bundesregierung ist bereit, in diesem Sinne mit den Landesregierungen Fühlung zu nehmen.
Eine Zusatzfrage?
In voller Kenntnis dier Tatsache - deren Anerkennung sich übrigens auch aus der Frage ergibt -, daß die Länder zuständig sind, erlaube ich mir folgende Zusatzfrage: Sind Sie bereit, darauf hinzuwirken, daß Personen, die zum Studium zugelassen werden, auch die Zulassung zum Staatsexamen erhalten, insbesondere dann, wenn in der Auflage des Gerichts die Aufnahme des Universitätsstudiums ausdrücklich zur Bedingung gemacht wird?
Herr Kollege, aus der Zusatzfrage ergibt sich, daß es sich hier um eine sehr diffizile, in die Zuständigkeit der Länder gehörende Frage handelt. Sie wissen, daß wir auf die Rechtsprechung, die Strafvollstreckung und die Ausbildung außerordentlich wenig Einfluß haben. Deswegen läßt sich nicht ohne weiteres sagen, in welchem Sinn Besprechungen mit den Ländern aufgenommen werden sollen. Die Länder sind ja auf die Wahrung ihrer Zuständigkeiten sehr bedacht. Ich bin in der Tat der Meinung, daß der Spezialfall, den Sie angesprochen haben, besser auf Landesebene geklärt wird. Ich sehe keine rechtliche Möglichkeit für die Bundesregierung, sich in einem solchen Spezialfall einzuschalten.
Keine Zusatzfrage.
Frage 13 - Herr Abgeordneter Meyer ({0}) - betreffend Verbesserung des Ersten deutschösterreichischen Abkommens über Sozialversicherung:
Hat das Bundesarbeitsministerium die bereits für den Herbst 1957 angekündigten Verhandlungen zwecks Verbesserung des „Ersten deutsch-österreichischen Abkommens über Sozialversicherung" geführt und zum Abschluß gebracht?
Ist in Kürze mit einer fühlbaren Verbesserung der niedrigen Sozialrenten der durch dieses Abkommen Betroffenen zu rechnen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf die gestellte Frage wie folgt beantworten. Die bereits für den Herbst 1957 in Aussicht genommenen Verhandlungen zwischen einer deutschen und einer österreichischen Regierungsdelegation über die Revision des Ersten deutsch-österreichischen Abkommens über die Sozialversicherung mußten auf Wunsch der österreichischen Regierung verschoben werden. Die Verhandlungen sollen nunmehr im Frühjahr dieses Jahres stattfinden. Ob und inwieweit die nach dem Ersten deutsch-österreichischen Abkommen gewährten Rentenleistungen verbessert werden können, hängt entscheidend von dem Ergebnis der Verhandlungen ab.
Keine Zusatzfrage.
Frage 14 - nochmals Herr Abgeordneter Meyer ({0}) - betreffend Rentenzahlungen an die Witwen von Rentnern:
Welche Erwägungen haben dazu geführt, der Deutschen Bundespost Anweisung zu erteilen, beim Tod eines Rentners nicht, wie in den neuen Rentengesetzen vorgeschrieben, zunächst drei Monate der hinterbliebenen Witwe die volle Rente zu zahlen, sondern jede weitere Zahlung einzustellen?
Ist das daraus entstandene Kuriosum bekannt, daß, wenn der Rentner vor dem 27. oder 28. des Monats stirbt, keine Rente mehr gezahlt wird, der Rentner jedoch zwischen dem 28. und 31. stirbt, die Witwe die Zahlung für den nächsten Monat erhält?
Sind Untersuchungen darüber angestellt worden, wie dieser Übelstand abgestellt und ob nicht durch den Rentenempfangsschein bestätigt werden kann, zu welchem Zeitpunkt der Rentner gestorben ist und daß die empfangsberechtigte Witwe noch lebt? Könnte diese Bestätigung nicht auch ausreichen, nach drei Monaten die 60%ige Witwenrente zu gewähren, ohne daß eine neue Antragstellung und längere Unterbrechung, verbunden mit größeren Nachzahlungen, erforderlich wird?
Der Herr Bundesminister für Arbeit zur Beantwortung.
Ich darf diese Frage im Einvernehmen mit dem Herrn Minister für Post- und Fernmeldewesen wie folgt beantworten. Zur Verhütung der Überzahlungen von Renten ist die Post grundsätzlich gehalten, die Zahlungen beim Tode eines Rentners einzustellen und dies dem Versicherungsträger mitzuteilen, weil der Post nicht bekannt sein kann, ob und in welcher Höhe ein Witwenrentenanspruch besteht. Die Post kann selbstverständlich bei der Auszahlung nur die Umstände berücksichtigen, die ihr bis zum Abschluß der Vorbereitungen für die monatlichen Auszahlungen bekanntgeworden sind. Dadurch kann es vorkommen, daß Renten für Empfänger, die zwischen dem 28. und 31. eines Monats verstorben sind, noch an Angehörige, die eine vom Rentenempfänger unterschriebene Empfangsbescheinigung vorlegen, für den folgenden Monat gezahlt werden, während bei früherem Tode des Rentners die Einstellung der Renten noch innerhalb der Vorbereitungsarbeiten für die monatliche Auszahlung erfolgt.
Keine Zusatzfrage.
Frage 15 ist erledigt.
Frage 16 - Herr Abgeordneter Riedel - betreffend Liederbuch für die Bundeswehr:
Ich frage den Herrn Bundesverteidigungsminister, inwieweit sein Haus auf die Gestaltung des Liedgutes der neuen Bundeswehr Einfluß nimmt. Ist dem Herrn Bundesverteidigungsminister bekannt und billigt er, daß das Liederheft „Die Fanfare" dienstliche Verwendung bei den Einheiten der Bundeswehr findet?
Ist ein eigenes Liederbuch für die Bundeswehr durch das Ministerium in Vorbereitung, und ist dafür Sorge getragen, daß die zur Auswahl stehenden Texte im Einklang mit dem beabsichtigten demokratischen Aufbau der Bundeswehr stehen?
Der Herr Bundesminister für Verteidigung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage des Herrn Kollegen Riedel wie folgt. Die Unterabteilung Innere Führung im Verteidigungsministerium hat sich seit langem auch mit dem von Ihnen angeführten Problem befaßt. Die Diskussion über Lieder und Singen in der Bundeswehr ist bewußt von der Schule für innere Führung aufgenommen und bearbeitet worden. Den Lehrgangsteilnehmern sollte damit insbesondere auch die politische. Bedeutung der Liederauswahl deutlich gemacht werden. Daneben haben Vorträge und Aussprachen bei verschiedenen Truppenlehrgängen und in kleinem Umfange auch bereits Singleiterlehrgänge stattgefunden. Empfehlungen oder Verbote für bestimmte Lieder sind bisher nicht ausgesprochen worden. Es hat sich gezeigt, daß die Truppenvorgesetzten genug Urteilskraft und staatsbürgerliches Verantwortungsbewußtsein besitzen, um von sich aus Lieder zu untersagen, die politisch anrüchig, aggressiv, von einem falschen Pathos getragen oder sonstwie unerwünscht sind.
Das erwähnte Liederbuch „Fanfare" ist auf dem freien Markt erschienen und hat wie manches andere frei verkäufliche Liederbuch Eingang in die verschiedenen Truppenteile gefunden. Trotz mancher Bedenken wegen einer Reihe von Mißklängen und „falschen Fanfarenstößen" innerhalb dieser umfangreichen Stoffsammlung habe ich davon Abstand genommen, den Gebrauch dieses Liederbuches zu untersagen, unabhängig von der Tatsache, daß ein solches Verbot keine einwandfreie Rechtsgrundlage hätte.
Ich habe inzwischen - ein entsprechender Titel ist im letzten Haushalt des Ministeriums vorgesehen und von dem Hohen Hause genehmigt worden - ein Liederbuch der Bundeswehr erarbeiten lassen, das vor etwa vierzehn Tagen fertiggestellt worden ist. Es ist frei von politisch oder ideell untragbaren Liedern. Es ist ebenso - was mir wichtig erscheint - der Anhebung des musikalischen Geschmacks in der Bundeswehr förderlich und wahrt die richtige Grenze gegenüber Schnulzen und seichten Sentimentalitäten. Dieses Liederbuch der Bundeswehr, dessen Herausgabe jetzt bevorsteht, entspricht den Anforderungen, die daran gestellt werden müssen.
Frage 17 - des Herrn Abgeordneten Regling - betreffend Ausschreibungs- und Lieferfristen bei Beschaffung für die Bundeswehr:
Welche Gründe hat die Bundesregierung für die große Eile, die sie erneut bei der Beschaffung von Unterkunfts- und Bürogeräten für die Bundeswehr an den Tag legt ({0})?
Billigt es die Bundesregierung, daß bei Ausschreibungen so kurze Fristen gesetzt werden, daß die unzureichenden Ausschreibungsfristen Klein- und Mittelbetrieben eine ordnungsgemäße Kalkulation nicht ermöglichen und die zu kurzen Lieferfristen selbst von Großbetrieben allein für die Materialbeschaffung benötigt werden?
Hält es die Bundesregierung für fair, wenn außerdem im Fall der Terminüberschreitung zunächst Schadenersatzforderung, Auftragsrücktritt, Vertragsstrafe und Ausscheiden aus der Liste der „zuverlässigen Bewerber" angedroht werden mit der Wirkung, daß die Klein- und Mittelbetriebe vor Abgabe von Angeboten zurückschrecken, später aber doch die Lieferfristen verlängert werden?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verteidigung!
Ich beantworte die Frage 17 folgendermaßen. Die Ausschreibung D I 1 g/30/03446/007 vom 16. Dezember 1957 betrifft die Beschaffung von Schießstandgerät ({0}). Der Beschaffung lag eine Forderung der Luftwaffe bis März 1958 zugrunde. Nach Fertigung der technischen Unterlagen erfolgte im Einvernehmen mit der Verbindungsstelle des Bundesministeriums für Wirtschaft am 8. Januar 1958 eine beschränkte Ausschreibung unter Beteiligung von 18 Firmen - etwa je Land zwei Firmen -, die 14 Angebote erbrachte. Angebotsschlußtermin: 27. Januar 1958. Liefertermin: 25. März 1958. Der Auftrag wird noch in dieser Woche erteilt werden.
Für die Angebotsabgabe standen demnach den Firmen drei Wochen zur Verfügung. Das liegt im üblichen Rahmen. Da, wie schon gesagt, der Liefertermin der 25. März 1958 ist, wird die Lieferfirma für ihre Fertigung sechs Wochen Zeit haben. Diese Lieferfrist ist angesichts der einfachen Fertigungsart und des geringen Lieferumfangs angemessen und ausreichend. Die Firma, die den Auftrag erhalten soll, ist ein mittelgroßer Betrieb und bevorzugter Bewerber im Sinne der Richtlinien der Bundesregierung vom 7. April 1954.
Die Lieferungen aller Gegenstände aus den Planbegriffen „Schießbahn" und „Schießstandgerät" - Positionen 5, 6 und 7 der Beschaffungsanweisung Nr. 3446 -, die zu dem gleichen Ausschreibungskomplex gehören, sind an Handwerksbetriebe, Arbeitsgemeinschaften und Betriebe in Notstandsgebieten vergeben worden oder werden noch vergeben. Es handelt sich im einzelnen um folgendes: Anschußtische, Hocker, Kokosmatten, Sandsäcke, Regen- und Sonnenschutzdächer, für die als Angebotsfristen, soweit nicht Anschlußaufträge erteilt wurden, in jedem Fall drei Wochen vorgesehen waren.
Beschwerden über zu kurze Fristen zur Abgabe der Angebote oder zu kurze Fristen für die Lieferung selbst liegen bei den oben erwähnten Ausschreibungen beim Amt für Wehrtechnik und Beschaffung nicht vor.
Ausschreibungsfrist im Sinne der Anfrage unter a) ist der Zeitraum, der einem Bieter vom Zeitpunkt des Eingangs der Angebotsunterlage bis zum Angebotsschlußtermin zur Abgabe eines Angebots zur Verfügung steht. Sie beträgt in der Regel drei bis vier Wochen.
Die in b) der Anfrage genannte Lieferfrist ist der Zeitraum, der einem Bieter vom Zeitpunkt der Auftragserteilung bis zur Erbringung der Leistung zur Verfügung steht. Diese Frist ist in der Regel in der Beschaffungsanweisung nach den Bedürfnissen der Truppe vorgeschrieben und je nach Art und Umfang der Leistung verschieden. Bei der zentralen Beschaffung von Unterkunfts- und Büromaterial haben die Erfahrungen gezeigt, daß weder Klagen über die Fristsetzung zur Angebotsabgabe noch über die Lieferfristen erhoben wurden. Darüber hinaus sind Lieferfristen auch nicht überschritten worden. Diese
Bundesverteidigungsminister Strauß
Fristen sind so bemessen, daß Klein- und Mittelbetriebe sich an den Ausschreibungen beteiligen können, und sie haben sich mit Erfolg beteiligt.
Für die Angebotseinholung kommen entweder Formblatt XI D - 14 - das ist die Regel - oder das Formblatt XI D - 15 a zur Anwendung. Nur das zuletzt genannte enthält den Hinweis, daß der Liefertermin Vertragsbestandteil ist und zur Vermeidung von Vertragsstrafen und drohenden Schadensersatzansprüchen unter allen Umständen eingehalten werden muß. Formblatt XI D - 15 a findet aber nur in Ausnahmefällen Anwendung, d. h. nur dann, wenn mit Rücksicht auf die Dringlichkeit der militärischen Forderung dem Bund erkennbar durch Verzug erhebliche Nachteile erwachsen würden. Im übrigen ist eine Vereinbarung über eine Vertragsstrafe oder über den Rücktritt durchaus handelsüblich und auch im Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehen.
Anders verhält es sich mit der erwähnten Androhung des Ausschlusses aus der Liste der „zuverlässigen Bewerber". Davon kann aber das Amt für Wehrtechnik und Beschaffung schon deshalb keinen Gebrauch machen, weil eine Liste der „zuverlässigen Bewerber" nicht geführt wird. Es ist in einzelnen Fällen vorgekommen, daß Aufträge, die unter diesen Bedingungen erteilt wurden, hinsichtlich der Liefertermine abgeändert werden mußten, weil der Zuschlag nicht innerhalb der Angebotsbindefrist, also in der Regel innerhalb 30 Tagen, erteilt werden konnte. Diese Änderungen waren bedingt durch - um einen Grund zu nennen - verspätete Bereitstellung der Haushaltsmittel. In diesen Fällen wurde stets darauf geachtet, daß die Lieferfrist nicht geändert wurde, d. h., daß den Bietern ein gleich großer Lieferzeitraum wie in den Angebotsunterlagen vorgesehen eingeräumt wurde.
Eine Zusatzfrage!
Es ist Ihnen und Ihrem Hause also nicht bekannt, Herr Minister, daß verschiedene Firmen, insbesondere auch Arbeitsgemeinschaften, Angebote nicht abgegeben haben, weil die Lieferfristen zu kurz sind?
Das ist dem Amt für Wehrtechnik und Beschaffung offensichtlich nicht bekannt. Mir ist es sicher nicht bekannt, weil ich keine Korrespondenz dieser Art habe. Wenn Ihnen aber Einzelfälle oder mehrere Einzelfälle dieser Art bekannt sind, dann bitte ich Sie, diese entweder dem Leiter des Amtes, Dr. Stammbach, oder mir in einem an mich persönlich gerichteten Brief mitzuteilen. Dann werde ich eine Überprüfung veranlassen und Ihnen eine individuelle Auskunft erteilen.
({0})
Noch eine Zusatzfrage!
Eine weitere Frage, Herr Minister! Ist Ihnen bekannt, daß bei beschränkten und auch bei öffentlichen Ausschreibungen nach Feststellung des Angebotspreises noch Verhandlungen über Preisnachlässe geführt werden? Stehen dem Bundesverteidigungsminister im Gegensatz zu sonstigen öffentlichen Auftraggebern außer der Verdingungsordnung für öffentliche Leistungen noch andere Richtlinien und Bestimmungen zur Verfügung?
Davon ist mir nichts bekannt. Ich bitte auch hier, um den Fall nachprüfen zu können, um das gleiche Verfahren.
({0})
Keine Zusatzfrage.
Meine Damen und Herren, ich muß die Fragestunde abbrechen; 60 Minuten sind verstrichen. Die nächste Fragestunde findet am Mittwoch, dem 12. März, statt; Sperrfrist für Fragen ist Freitag, der 7. März, 12 Uhr. Damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Anhebung der Verkehrstarife ({0})
In Verbindung damit:
Antrag der Fraktion der SPD betr. Erhöhung der Tarife im Berufsverkehr und der Sozialtarife ({1}),
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP betr. Verkehrstarife ({2})
Ich frage, ob zur Begründung der Großen Anfrage das Wort gewünscht wird.
({3})
- Zur Geschäftsordnung der Herr Abgeordnete Ritzel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bezüglich des ebenfalls auf der Tagesordnung stehenden Antrags Drucksache 141 ({0}) sind im Ältestenrat und im Ausschuß für Geschäftsordnung Meinungsverschiedenheiten entstanden, ob es sich um einen Antrag nach § 94 oder nach § 96 ({1}) der Geschäftsordnung handelt, also um eine Haushaltsvorlage oder um eine Finanzvorlage. Namens meiner Fraktion kann ich dazu erklären: Wir sind mit der Behandlung dieses Antrags heute einverstanden, ohne irgendwelche geschäftsordnungsmäßigen Schlußfolgerungen aus der Behandlung vorweg zu ziehen.
Das Haus ist damit einverstanden; es billigt diesen Standpunkt. Er ist auch im Ältestenrat so abgesprochen.
Nun zunächst zur Begründung der Großen Anfrage! Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 1. Februar hat die Bundesregierung unter Durchbrechung der bishe436
Schmidt ({0})
rigen Verwaltungspraxis im Alleingang eine Tariferhöhung für die Bundeseisenbahn und für den gewerblichen Kraftwagenverkehr verfügt. Während bisher seit Begründung der Bundesrepublik alle derartigen Preiserhöhungen auf dem Verkehrssektor ausführlich im Bundesrat beraten wurden, dessen Zustimmung als erforderlich angesehen wurde, hat man diesmal erstmalig darauf verzichtet. Infolgedessen ist diese Maßnahme verhältnismäßig schnell über die Bühne gegangen. Sie ist nur im Kabinett beschlossen worden. So kommen wir heute leider in die Situation, unsere Große Anfrage erst post festum beraten zu können.
Ich will im Augenblick nicht auf das waghalsige Interpretationskunststück eingehen, das dazu geführt hat, zum ersten Mal seit 1949 den Bundesrat bei der 17. Tarifänderung nicht zu beteiligen, obwohl es die bei weitem gewichtigste Tarifänderung ist,
({1})
- ich komme gleich darauf zurück, Herr MüllerHermann-, sondern ich möchte zunächst eine preispolitische Betrachtung voranstellen.
Es ist bedauerlich, daß wir in diesem Hause immer erst dann zu solchen Fragen sprechen können, wenn es sich um bereits vollzogene Tatsachen handelt. Leider ist das nicht nur auf dem Gebiet der Preispolitik so, sondern es scheint eine allgemeine Erscheinung des Regierungsstils hier in Bonn zu werden, daß man zunächst einmal Tatsachen schafft und dem Parlament nachher die Möglichkeit läßt, post festum ein wenig darüber zu sprechen.
Wir müssen infolgedessen heute den Tenor unserer Anfrage ein wenig umgestalten und Sie bitten, z. B. die erste Frage, ob die Bundesregierung diese beantragten Tariferhöhungen billigt, so zu lesen: Wie rechtfertigt die Bundesregierung, was sie vor einigen Wochen beschlossen hat?
Wenn ich aber eine preispolitische Betrachtung anstelle, möchte ich in Erinnerung rufen, daß wir im Laufe der letzten vier Monate erst eine Kohlepreisverteuerung erlebt haben, die ungefähr 400 bis 500 Millionen DM - aufs Jahr gerechnet - ausmacht, dann eine Brotpreiserhöhung, dann eine Zuckerpreiserhöhung, vor wenigen Tagen eine Erhöhung der Gefrierfleischpreise, jetzt diese Tariferhöhung für die Eisenbahn, für den Güterfernverkehr auf Lastwagen. Demnächst wird eine Preiserhöhung für den Güternahverkehr für Lastwagen, für die Binnenschiffahrt und womöglich für die Post folgen. Wir fragen ja in unserer Frage Nr. 5, wie es bei der Post aussieht. Der Herr Bundespostminister hat in der Öffentlichkeit sibyllinische Erklärungen zu diesem Punkt abgegeben. Vielleicht sind wir heute in der Lage, etwas Näheres zu hören.
Im engeren Bereich des Eisenbahnverkehrs und des Lastwagenverkehrs macht die vom Kabinett kürzlich beschlossene und am 1. Februar in Kraft getretene Maßnahme einschließlich der Beförderungsteuern - die sich ja auch erhöhen - für den Benutzer auf der Seite des Güterverkehrs 650 Millionen Mark im Jahr aus, auf der Seite des Personenverkehrs ungefähr 245 Millionen, zusammen rund 900 Millionen Mark. Ich bitte das Haus, sich diese Zahlen vor Augen zu führen, damit man die Größenordnung erkennt, um die es hier geht.
Ich erinnere mich an die große Erregung in der Öffentlichkeit und auch an erhitzte Debatten in diesem Hause, als es um die Kohlepreiserhöhung ging. Aber die Zahl, die ich Ihnen eben vortrug, macht klar, daß es sich bei diesen Verkehrstariferhöhungen um ein mehr als doppelt so großes Quantum handelt als bei der Erhöhung des Kohlepreises.
Wenn Sie zu diesen 900 Millionen DM, die aus den bisher vom Kabinett beschlossenen Maßnahmen an Preiserhöhungen herauskommen, das hinzurechnen, was noch vorbereitet wird - nämlich im Nahverkehr, in der Binnenschiffahrt mit je 50 bis 100 Millionen und womöglich in der Post mit 250 oder 400 Millionen; die Angaben schwanken da in der Presse -, dann kommen Sie dazu, daß Sie allein auf dem Verkehrssektor in diesem Frühjahr eine Preissteigerung um 11/2 Milliarden pro anno annehmen müssen. Es handelt sich übrigens bei diesen Preissteigerungen, bei diesen Tarifänderungen tatsächlich um Tarif e rh ö h u n g en, es handelt sich nicht etwa um das, wovon der Herr Bundesverkehrsminister seit 1950 schwärmerisch so oft gesprochen hat: um eine „organische Tarifreform." Wir haben ja so unsere Erfahrungen mit diesen platonischen organischen Reformen. Es bedurfte erst einer verfassungsgerichtlichen Nachhilfe und eines Ministerwechsels, um wenigstens einen Ansatz zu einer organischen Reform unseres Steuerrechts nunmehr demnächst zu verwirklichen. Auf dem Verkehrsgebiet können wir solche Ansätze bei den jüngst vom Kabinett beschlossenen Maßnahmen kaum entdecken - ich sage: kaum entdecken -; das, was an Ansätzen enthalten ist, scheinen mir eher Konkurrenzmaßnahmen gegen den Kraftwagen zu sein als wirkliche Ansätze zu einer organischen Tarifreform.
Nun hat ja der Bundesverkehrsminister es in den letzten Jahren aufgegeben, dieses Lied von der organischen Tarifreform zu singen. Es ist ihm auch nie gelungen, hier einen wirklichen Schritt voranzukommen. Es kommt mir so vor wie mit dem Lied „Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh'n"; er ist nie dahin gelangt, und auch die gegenwärtigen Tarifmaßnahmen tun keinen Schritt in der Richtung auf dieses gelobte Land.
Was aber sind die Gründe für jenen Kabinettsbeschluß? Nun, die Gründe liegen klar zutage. Die Kosten steigen schneller als die Einnahmen, auch für die Bundeseisenbahn, ein hundertprozentig staatliches Unternehmen. Die Bundesregierung und der Bundeswirtschaftsminister haben häufig Beschwörungen an die privaten Unternehmer gerichtet, in den Preisen Maß zu halten. Sie haben nicht nur Beschwörungen gerichtet, sie haben auch „brutale Maßnahmen" angekündigt für den Fall, daß die Unternehmer in ihrer Preispolitik nicht Maß hielten. Hier, in diesem Fall, gibt die Bundesregierung selber zu, daß angesichts unserer inflatorischen Preisentwicklung in den letzten fünf, sechs Jahren in Deutschland - die eine ebenso inflatorische KostenSchmidt ({2})
entwicklung bedeutet - auch ein staatliches Unternehmen gezwungen ist, seinerseits an der PreisLohn-Schraube kräftig mitzudrehen; denn darum handelt es sich hier. Ich würde - und das an die Adresse des Bundeswirtschaftsministers gesagt - in Zukunft etwas vorsichtiger in der Androhung brutaler Maßnahmen gegen Privatunternehmer sein, wenn man doch seinem eigenen Unternehmen zu einer massiven Preiserhöhung verhelfen muß, offenbar - wenn ich die Regierung richtig verstehe - weil die Kosten völlig weggelaufen sind.
({3})
- Ich finde das ganz nett, daß Sie von der Rechten bei solchen Gelegenheiten dem Lohnarbeiter immer die Schuld geben; das macht wenigstens einmal deutlich, auf welcher Seite Sie stehen!
({4})
- Wie man in den Wald hineinruft, lieber Zwischenrufer, so schallt es heraus!
({5})
Nun wird der Herr Bundesverkehrsminister gleich sagen, das sei doch ganz unerheblich für das Preisgefüge der bundesrepublikanischen Wirtschaft, eine Milliarde oder vielleicht etwas mehr oder etwas weniger, das sei doch ganz unerheblich für den gesamten Preisstand. Ich bin überzeugt, er wird das gleich darlegen, es steht sicher in seinem Manuskript, ich kann es fernsehen. Aber das stimmt eben nicht! Eine Milliarde ist nicht unerheblich. Die Preisauswirkung, ich sagte es schon, auf das Gefüge der Gesamtwirtschaft ist doppelt so stark wie bei der seinerzeitigen Kohlepreiserhöhung, und es gibt insbesondere einige industrielle Bereiche, in denen die Gütertariferhöhungen wirklich sehr zu Buche schlagen. Da ist die eisenschaffende Industrie, da ist z. B. der Bereich der Zellwolle, der durch die Verteuerung der Transportpreise - insbesondere durch die Verteuerung ihrer Kohletransportpreise - eine dreimal so hohe Belastung erfährt wie seinerzeit bei der Kohlepreiserhöhung. Gleiches gilt für die Chemiefaserindustrie, gleiches gilt für den Düngemittelbereich, zumal die Binnenschiffahrt - ich denke hier besonders an die Rheinschiffahrt - ihre Tarife um, wie ich annehme, 10 bis 15 % im Schnitt anhebt. Gleiches gilt für gewisse Bereiche der Holzverarbeitung. Ich darf einmal zitieren, Herr Präsident, aus der Wirtschafts- und Finanzzeitung „Der Volkswirt"
- Sie wissen, daß dieses Blatt nichts mit der Sozialdemokratischen Partei zu tun hat -; es schreibt:
Es ergibt sich die Situation, daß der Wettbewerb mit dem Importholz den Sägewerken kaum eine Abwälzung gestattet. Damit muß sich die ohnehin prekäre Lage der Sägewerkindustrie noch verschärfen.
Das ist ein Einzelbeispiel aus einer bestimmten Branche.
Ein zweites Beispiel ist - ebenfalls nach dem „Volkswirt" - der Bausektor. Sie wissen, daß dort, und zwar nicht nur im Wohnungsbau, sondern auch beim industriellen Bau, die Transportkosten einen großen Kostenanteil ausmachen. Auch hier werden außerordentlich starke Auswirkungen eintreten eben dadurch, daß in Zukunft die Anfuhr von Baustoffen aller Art mit Lastwagen ganz wesentlich verteuert wird.
Um noch ein letztes Wort in bezug auf diese speziellen Auswirkungen zu sagen, darf ich wieder den „Volkswirt" zitieren. Er schreibt in einem längeren Aufsatz unter anderem: Man gelange zu ganz anderen Schlußfolgerungen über die Auswirkungen dieser Frachtverteuerung, wenn man nur einmal specialiter untersuche, was sie für den Kohletransport derjenigen Werke ausmache, die Kohle verbrauchten. Dann zeige sich nämlich, daß die jetzige Tariferhöhung nur für die Kohle, die diese Werke verbrauchten, bei Transportentfernungen von 300 km - es ist ja nichts Anormales, daß ein Industriewerk seine Kohle über 300 km beziehen muß - allein 48 % der Kohlepreiserhöhung ausmache. Das heißt, auf die damalige Kohlepreiserhöhung kommt jetzt noch einmal fast die Hälfte drauf. Bei Transportentfernungen von 500 km wirke sich die Frachtverteuerung für die Kohle mit 63 % der Kohlepreiserhöhung aus, bei 700 und 800 km entsprechend stärker; ich will das nicht weiter vorlesen, weil diese Entfernungen relativ selten vorkommen. Immerhin, in den entfernten Gebieten, oben in Schleswig-Holstein und unten in Bayern, sind gerade die großen Entfernungen für die betroffenen Betriebe durchaus von erheblicher Bedeutung, wie überhaupt die gesamte Tariferhöhung bestimmte Probleme für die sogenannte randgelegene Industrie, die revierferne Industrie, aufwirft.
Ehe ich aber auf diesen Punkt eingehe, zu dem im Zusammenhang mit der Begründung unserer Einzelfragen zu sprechen sein wird, möchte ich die Frage der Rechtslage aufwerfen.
Ich sagte vorhin, daß seit Begründung der Bundesrepublik der Eisenbahntarif 15mal - ich habe es nicht genau im Kopf, es mag auch 16mal sein - geändert worden ist. In all den 15 Fällen hat man dazu dem Bundesrat eine Vorlage gemacht, und der Bundesrat hat zugestimmt. Es sind einige ehemalige Bundesratsmitglieder hier im Plenum, die sich aus eigener Erfahrung daran erinnern werden. Das heutige Verfahren hat in der Fachpresse folgende Qualifizierung gefunden: Es sei zustande gekommen unter Hintansetzung juristischer Bedenken und unter Berücksichtigung taktischer und politischer Bedürfnisse. Das scheint mir die Situation richtig zu qualifizieren.
Wie ist es aber rechtlich möglich gewesen, nunmehr auf eine Befassung des Bundesrats zu verzichten? Wir haben es hier mit drei verschiedenen Gesetzesmaterialien zu tun, die in dieses Gebiet hineinschlagen: Zunächst einmal der Art. 80 Abs. 2 des Grundgesetzes; danach bedürfen Rechtsverordnungen über die Gebühren der Bundeseisenbahnen der Zustimmung des Bundesrats. Diese grundgesetzliche Bestimmung hat man sehr leicht dadurch ausgehebelt, daß man erstmalig ausnahmsweise keine Rechtsverordnung gemacht, sondern dieser wichtigsten Eisenbahntarifmaßnahme seit 1949 den Cha438
Schmidt ({6})
rakter einer Verwaltungsanordnung gegeben hat. Infolgedessen war man nicht mehr gezwungen, dem grundgesetzlichen Erfordernis der Zustimmung des Bundesrats zu entsprechen.
Zweitens spielt in dieses Sachgebiet das Bundesbahngesetz hinein. Nach § 16 des Bundesbahngesetzes ist es erlaubt, daß die Bundesbahn eine Reihe von Ausführungsbestimmungen zu der Eisenbahnverkehrsordnung, Änderungen von Nebengebühren, Änderungen des Regeltarifs, von Ausnahmetarifen usw., von sich aus mit Genehmigung des Verkehrsministers erläßt. So hat man es hier gemacht; man hat also diese außerordentlich gewichtige Maßnahme als eine solche auf Grund des § 16 des Bundesbahngesetzes konstruiert.
Das wäre ganz gut, wenn es nicht noch ein drittes Gesetz gäbe, das hier eine Rolle spielt und bei den bisherigen Tarifmaßnahmen der Bundesregierung auch immer beachtet worden ist, wenn ich nicht irre, ausdrücklich beachtet worden ist im Introitus zu den bisherigen Rechtsverordnungen, die sich mit Eisenbahntarifen befaßten. Das ist das allgemeine Preisrecht. In Art. 1 des Preisgesetzes steht, daß Veränderungen der Preise von Leistungen -darum handelt es sich hier -, die eine grundlegende Bedeutung für den gesamten Preisstand haben, der Zustimmung des Wirtschaftsrates bedürfen. Der Rechtsnachfolger des Wirtschaftsrates, so hat man dann später konstruiert, war der Bundesrat. Infolgedessen hat der Bundesrat solche Rechtsverordnungen auch immer geprüft und ihnen häufig nicht zugestimmt, sondern er hat Veränderungen der beabsichtigten Tarifmaßnahmen herbeigeführt und die Verordnungen dann erst in der geänderten Form genehmigt.
Das alles hat man diesmal nicht getan. Ich habe den Eindruck, daß man einigen Ländern den Verzicht auf ihre Beteiligung im Bundesrat abgekauft hat - das wäre nicht das erstemal -, und zwar durch Zugeständnisse auf dem Gebiet der Spezialtarife, der Ausnahmetarife für bestimmte Industrien, an denen bestimmte Landesregierungen Interesse haben, und anderswo.
Außerdem liegt liier ein juristischer Trick vor, mit dem man sich auseinandersetzen muß. Die Gesamttarifmaßnahmen, die, wie ich vorgeführt habe, rund 900 Millionen ausmachen, hat man durch eine entsprechende Formulierung in Einzelanordnungen zerlegt. Jede Einzelanordnung für sich berührt zweifellos nicht den gesamten Preisstand; z. B. die über den Reichskraftwagentarif ist in sich nicht so gewichtig, daß man behaupten könnte, hier sei das gesamte Preisgefüge der Bundesrepublik berührt. Ob man diese Frage auch für die Anordnung auf dem Gebiet des Eisenbahngütertarifs verneinen kann, die immerhin allein 700 Millionen ausmacht, scheint mir schon sehr zweifelhaft. Wenn man aber die Summe der Einzelmaßnahmen betrachtet, die das Kabinett innerhalb eines Tagesordnungspunktes als eine zusammengefaßte Maßnahme beschlossen hat, dann gibt es keinen Zweifel, daß sie das gesamte Gefüge der Preise außerordentlich berührt und daß hier nach dem Geiste des Gesetzes das allgemeine Preisrecht Platz greifen müßte.
Wir haben ja auch mit der Frage 6 die Bundesregierung gefragt, ob sie sich eigentlich dessen bewußt ist, daß hier das allgemeine Preisgefüge beeinflußt wird. Ich bin gespannt darauf, ob die Antwort nein lautet. Sie werden dann sicherlich in einigen Tagen eine Reihe von Briefen aus den betroffenen Industrien und Verbänden bekommen, Herr Bundesverkehrsminister oder Herr Bundeswirtschaftsminister, in denen diese darlegen, daß sie doch sehr erheblich betroffen werden.
Damit komme ich zur Frage 2. Hier handelt es sich um eine andere Kategorie von Betroffenen, die mit Recht schon außerordentlich geklagt haben, nämlich die Menschen, die bisher auf Grund der Tarife im Berufsverkehr oder im Sozialverkehr eine Reihe von Begünstigungen, Bevorzugungen im Eisenbahntarif gehabt haben, die bis jetzt in Deutschland von niemand im Grunde als ungerechtfertigt angesehen wurden.
Die Eisenbahn behauptet nun seit vielen Jahren, daß diese Begünstigungstarife im Berufsverkehr und im Sozialverkehr ihre Kosten nicht deckten. Das mag stimmen. Tatsache aber ist, daß die Bundesbahn bisher weder diesem Hause noch einem Ausschuß dieses Hauses auch nur ein ganz kleines Fitzchen von Kostenrechnung vorgelegt hat.
Ich benutze die Gelegenheit, um einmal die Bundespost zu loben, die nun tatsächlich, wenn auch unter dem starken Druck ihres Verwaltungsrates, aber mit Zustimmung und unter Mitarbeit des Postministers - damals Balke und später Lemmer; Herrn Stücklen will ich noch nicht loben, der ist noch zu jung in dem Geschäft - einen erheblichen Anfang mit einer sorgfältigen, betriebswirtschaftlich einwandfreien Kostenrechnung gemacht hat. Das war gar nicht so ganz leicht. Der jetzige Bundespostminister - jetzt kann ich doch noch ein freundliches Wort für ihn sagen - ist sogar so weit gegangen, obwohl er vielleicht gar nicht ohne weiteres dazu verpflichtet ist, ein erhebliches Ergebnis aus dieser Kostenrechnung dem Ausschuß für Verkehr und Post dieses Hauses vorzulegen.
Wenn man eine Kostenrechnung vorlegt, aufgegliedert nach verschiedenen Sparten, nach verschiedenen Kostenträgern und Kostenbereichen, dann wird man vielleicht hier und da gewisse Änderungen in den Preisen, in den Gebühren plausibel machen können. Solange man das nicht tut - wie z. B. der deutsche Kohlenbergbau oder die Deutsche Bundesbahn -, wird man immer den Verdacht gegen sich gelten lassen müssen, daß das, was man an -angeblichen Ergebnissen aus seiner Kostenrechnung der Öffentlichkeit gegenüber behauptet, vielleicht doch ein bißchen frisiert ist.
In den Tarifanträgen der Bundesbahn ist z. B. in keiner Weise kostenrechnungsmäßig belegt - oder auch nur der Versuch der Rechtfertigung gemacht worden -, daß allein 260 Millionen aus dem Berufs- und Sozialverkehr an zusätzlichen Einnahmen herausgezogen werden sollten. Man hat nur gemeint, mit dieser Zahl von 260 Millionen, die man aus dem Personenverkehr herausholen wollte, ungefähr die hinsichtlich der Überwindung aller
Schmidt ({7})
politischen Widerstände richtige Größenordnung zu treffen. Die größere Hälfte sollte aus dem Güterverkehr genommen werden, kostenmäßig auch nicht gerechtfertigt, auch nicht gestützt. Übrigens hat man die Situation bei der Überwindung der politischen Widerstände nicht ganz richtig eingeschätzt. Zwar hat die Öffentlichkeit und hat auch das Parlament sich diese Dinge gefallen lassen. Wir kommen wie immer ja nur dazu, post festum darüber zu reden. Aber im Kabinett hat sich ein politischer Widerstand durch den Bundesfamilienminister ergeben; den hatte man offenbar nicht einkalkuliert. Der hat also dann dafür gesorgt, daß die 260 Millionen aus dem Personenverkehr, die man zusätzlich haben wollte, ein wenig verringert wurden.
Das ist die erste Gelegenheit in diesem Haus, wo von seiten der Sozialdemokraten die Tätigkeit des Bundesfamilienministers anerkannt werden kann; und ich tue das mit besonderer Freude.
({8})
Vom Bundesverkehrsminister ist im übrigen noch der Beweis zu führen, daß der großstromige Berufsverkehr wirklich nicht rentabel sei. Man muß sich das doch einmal vorstellen. Gehen Sie in einen Raum wie Stuttgart oder in einen Großraum wie München, da wird die Kapazität der Personenwagen im Berufsverkehr zu 250 % oder 300 % ausgelastet. Die Menschen stehen da immer noch dicht gepackt drin. Da soll mir jemand erzählen, die Kosten kämen nicht herein! Das kann so global einfach nicht stimmen.
Ich bezweifle nicht, daß es auf der anderen Seite auch andere Arten des Sozialverkehrs gibt, insbesondere bei all diesen besonderen Unterstützungstarifen für sozial besonders schwache Schichten, wo die Rentabilität sicherlich nicht gegeben ist. Aber hier muß dann das Prinzip der Erstattung durch denjenigen zum Tragen kommen, der für die Sozialpolitik zuständig ist. Ich nehme an, daß meine Kollegen hinterher in der Debatte dazu noch etwas Näheres ausführen wollen.
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der eben in der Fragestunde eine Rolle gespielt hat. Da hat einer der Kollegen gefragt, wie es denn mit der Kurzarbeiterwochenkarte sei, warum die abgeschafft würde. Der Herr Bundesverkehrsminister hat geantwortet, wir hätten ja gar keine Kurzarbeiter mehr, hier sei also praktisch niemand betroffen, da brauche man sich also keine Sorge zu machen.
Dies ist nun leider Euphemismus, Herr Bundesverkehrsminister. Wir haben keine Kurzarbeit, nein, aber wir haben bereits 2 Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik, die in der FünfTage-Woche arbeiten. Ich schätze, daß von diesen 2 Millionen Arbeitnehmern, die in der Fünf-TageWoche arbeiten, ungefähr ein Viertel auf die Benutzung der Eisenbahn angewiesen ist. Das ist so über den Daumen gepeilt; es mögen mehr oder auch weniger sein, jedenfalls ist es ein erheblicher Teil. Wenn von den insgesamt 18 Millionen Arbeitnehmern etwa 2 Millionen eine Fünf-Tage-Woche haben, wird auf den gesamten Berufsverkehr der Bundesbahn auch ein entsprechender Teil auf den Verkehr derjenigen Arbeitnehmer entfallen, die die Fünf-Tage-Woche haben, und diese Leute sind nun allerdings um die bisherigen Vergünstigungen der Kurzarbeiterwochenkarte gebracht. Das muß man also schon deutlich sagen.
Noch schlimmer erscheint mir der Wegfall der Tarifvergünstigungen für Lehrlinge. Ich darf hier, Herr Präsident, etwas aus einem Brief vorlesen, den mir eine Reihe von Lehrlingsvertretern in Hamburger Maschinenbaufabriken geschrieben haben; es sind insgesamt 11 oder 12 Firmen. Diese legen dar, daß der vom Kabinett beschlossene Wegfall der Lehrlingstarife für Lehrlinge im dritten und vierten Lehrjahr ganz außerordentliche Auswirkungen habe. Es wird hier gesagt, ein Lehrling im dritten und vierten Lehrjahr muß jetzt denselben Fahrpreis bezahlen wie ein erwachsener Erwerbstätiger, obwohl er doch als Erziehungsbeihilfe im Durchschnitt nur etwa 75 DM erhält. Das macht natürlich sehr viel aus in einer Stadt wie Hamburg, wo schon innerhalb der Grenzen dieser riesenhaften Einheitsgemeinde entsetzlich große Verkehrswege zu überwinden sind und wo über die weitgespannten Grenzen dieser Gemeinde hinaus nun noch jeden Tag 60 000 oder 80 000 Pendler über 50, 60, 70 km hin- und herfahren. Ein typisches Beispiel, das für Hamburg die Entfernungen aufzeigt, sind die Pendler, die aus Barmstedt oder aus Bad Bramstedt oder aus Neumünster kommen; das ist noch viel weiter. Bisher hat ein Lehrling, der in Altona in einer der dortigen großen Fabriken, sagen wir, bei Conz oder bei den Ottenser Eisenwerken arbeitet und der aus Barmstedt kommt, 26 DM im Monat bezahlt. Nunmehr zahlt er 56 DM. Das ist mehr als eine 100%ige Verteuerung; das nimmt ihm schon beinahe alles weg, was er als Lehrling verdient. Nehmen wir an, er verdient 75 DM; davon zahlt er für die Monatskarte 56 DM. Das ist kein konstruierter Fall. Wir können auch innerhalb des Bereichs von Hamburg bleiben. Nehmen wir mal einen, der innerhalb des Weichbildes, etwa in Ahrensburg, wohnt und mit der S-Bahn fährt; der hat bisher 13 DM gezahlt und zahlt jetzt 26 DM, eine 100%ige Verteuerung. Und es gibt Beispiele von 150%iger und von über 200%iger Verteuerung.
Ich bin dankbar und freue mich darüber, daß offenbar die Koalitionsparteien - wenn schon nicht das Kabinett - diese Kalamität wenigstens in letzter Minute erkennen und uns heute hier einen Antrag vorlegen, der auf diesem Gebiet wenigstens ein wenig abmildern soll, was hier an unverständlichen Beschlüssen gefaßt worden ist. Ich bin allerdings der Meinung - das darf ich für meine Person sagen -, daß dieser Antrag nicht weit genug geht.
Nun zu unserer dritten Frage: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu erwartende wirtschaftliche Schwierigkeiten in verkehrsfernen Gebieten zu verhindern? - Da muß man leider ein wenig fachsimpeln, um deutlich zu machen, worum es hier geht.
Seit vielen Generationen ist der Eisenbahngütertarif in Deutschland gestaffelt, und zwar einmal
Schmidt ({9})
nach der Entfernung - mit zunehmender Entfernung wird der Tarif, also der Fahrpreis für das zu befördernde Gut, niedriger, das ist die sogenannte Entfernungsstaffel -, und zum anderen ist der Tarif, seit Bismarcks Zeiten übrigens, gestaffelt nach dem Wert der Güter, „nach der Belastbarkeit der Güter", heißt das. Wenn jemand also, nehmen wir an, in Flensburg ein Industrieunternehmen hat und seine Kohle von der Ruhr beziehen muß, dann kriegt er diese Kohle verhältnismäßig billig, weil sie im Werttarif unten eingestuft ist, weil sie eine niedrige Wertstufe, ja sogar noch einen Ausnahmetarif unterhalb der Wertstaffel hat. Er hat also einen verhältnismäßig niedrigen Transportpreis zu zahlen. Und dann fabriziert er nun mit Hilfe seiner übrigen Roh- und Hilfsstoffe irgendein industrielles Produkt, das er absetzen will. Er würde natürlich schon in seinem engeren Bereich, im Lande Schleswig-Holstein, auf die Konkurrenz eines gleichgearteten Unternehmens derselben Branche stoßen, das in Oberhausen domiziliert, dort direkt auf der Kohle sitzt und gar keine Kosten für den Kohletransport aufzuwenden hat, wenn nicht auf der anderen Seite die Wertstaffel dafür gesorgt hätte, daß das Fertigfabrikat, das der in Oberhausen genauso zu verkaufen hat wie der in Flensburg, auf der Eisenbahn mit verhältnismäßig hoher Fracht belastet wird. Die Folge davon ist, daß der Mann in Flensburg, der seine Kohle billig heranbekommt, die Gewähr hat, dafür, daß er am Rande sitzt, nun doch wenigstens seine Fertigwaren im engeren Umkreis seiner Stadt Flensburg besser absetzen zu können als sein Konkurrent in Oberhausen, der durch die Nähe zur Kohle begünstigt ist; denn der Oberhausener Konkurrent muß ja noch eine sehr hohe Fracht für das Fertigprodukt drauflegen, wenn er es etwa in Flensburg verkaufen wollte.
Dieses Prinzip hat in den vergangenen drei Generationen in Deutschland bei dem dezentralisierten Aufbau unserer verarbeitenden Industrie eine ungeheure Rolle gespielt. Dieses Prinzip hat es überhaupt nur ermöglicht, daß z. B. in Thüringen und Sachsen, die früher schon Ballungsraum für ganze Industrien waren, später, als man zur Kohle und zum Strom überging, diese Industrien dort auch konkurrenzfähig gehalten werden konnten. Dieses Prinzip hat es überhaupt erst ermöglicht, in Schleswig-Holstein oder in Bayern - nehmen wir die Max-Hütte in Bayern -, also in randgelegenen Gebieten Industrien aufzubauen, konkurrenzfähig zu machen und konkurrenzfähig zu halten gegenüber der rohstoffnahen und insofern begünstigten Verarbeitungsindustrie an Rhein und Ruhr.
Diese Wertstaffel hat sich dadurch ausgezeichnet, daß zwischen der teuersten und der billigsten Klasse, also z. B. der Kohle, vor dem Kriege ein Verhältnis von 100 : 30 bestand. Wenn also das teuerste Produkt, das Fertigprodukt, 100 gekostet hat, dann hat das billigste nur 30 gekostet.
Seither ist die Wertstaffel eingeebnet worden, und sie ist jetzt durch diese Maßnahme erneut eingeebnet worden. Es sind zwei Wertklassen abgeschafft worden, und es wurde alles auf das Verhältnis 100 : 60 abgestellt. Diese Tarifpolitik bildet auf die Dauer ein ungeheures zusätzliches Stimulans für eine Erscheinung, die wir bisher schon haben bedauern müssen, nämlich für die industrielle und bevölkerungsmäßige Ballung in dem Gebiet an Rhein und Ruhr. Sicher wird es unter allen möglichen Aspekten von niemandem befürwortet, daß sich die Bevölkerung immer stärker hier im Bereich des Westens in den Industriegebieten konzentriert; aber das wird durch diese Verkehrspolitik in Zukunft noch gesteigert werden.
Deswegen haben ja auch die randgelegenen Länder, wie z. B. Schleswig-Holstein, das keine sozialdemokratische Landesregierung hat, und Bayern, das ja jetzt leider auch keine sozialdemokratische Landesregierung mehr hat, sich gegen diese Maßnahmen ausgesprochen, und mit Recht, ebenso die dortigen Verbände, die dortigen Handelskammern und die dortige Presse. Deswegen scheint uns die Frage sehr gerechtfertigt zu sein, ob sich die Bundesregierung dieser Sorgen bewußt ist und was sie tun will, um kommende Schwierigkeiten zu verhindern.
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zur letzten unserer Fragen: Wann kommt endlich die große Verkehrsreform? Ich sagte eingangs, von der „organischen" Verkehrsreform wird schon nicht mehr gesprochen. Aber das, was wir jetzt vor uns sehen, ist überhaupt keine Verkehrsreform, sondern das ist eine Preiserhöhung, bei der man hier und da ein bißchen am Tarif gebastelt hat, und zwar meistens gebastelt hat, um die Konkurrenzsituation zwischen Bahn und Kraftwagen zu Lasten des Kraftwagens zu verschlechtern. Ich kann das verstehen, aber insgesamt nicht billigen, weil die ruinöse Konkurrenz zwischen Schiene und Straße durch diese Tarifmaßnahmen in keiner Weise aus der Welt geschafft oder auch nur ernsthaft verringert wird.
Im übrigen ist es so, daß selbst nach dieser Tariferhöhung auch in Zukunft, d. h. im Jahr 1958, die Deutsche Bundesbahn, die immerhin heute noch 55 % der gesamten Beförderungsleistung der deutschen Wirtschaft vollbringt, immer noch mit einem Defizit von über einer halben Milliarde abschließen wird und überdies unabhängig davon auch in diesem Jahr aus Haushaltsmitteln wieder 1,3 Milliarden angefordert hat - nebenbei bemerkt, dies alles, ohne daß ihre Bilanzen seit 1952 verabschiedet werden konnten. Es wird mir von Monat zu Monat unverständlicher, wie das Bundeskabinett sich mit Finanzmaßnahmen zugunsten der Bahn, mit Tarifmaßnahmen zugunsten der Bahn befassen und Entscheidungen treffen kann, nachdem die beteiligten Instanzen innerhalb des Kabinetts sich über die Bilanzierung der Bahn bisher, seit vier, fünf und sechs Jahren nicht einigen konnten. Obwohl das Bundesbahngesetz seit 1952 vorschreibt, daß die genehmigten Bilanzen der Bahn uns hier vorzulegen sind, haben wir bisher immer nur Kladde-Bilanzen bekommen. Ein endgültiger Abschluß war nicht möglich, und nur deshalb, weil verschiedene Instanzen verschiedene Meinungen haben, z. B. über die Abschreibungspolitik, über die Aufmachung der G- und V-Rechnung und was damit zusammenhängt. Trotzdem faßt man so weitreichende Beschlüsse.
Schmidt ({10})
Der entscheidende Mangel bei dieser Tariferhöhung - wenn sie eine verkehrspolitische Bedeutung im Sinne einer Verminderung des ruinösen Wettbewerbs zwischen Schiene und Straße haben sollte - ist der, daß sie gar nicht den Versuch macht, auf die völlig verschiedenartigen Kosten einerseits bei der Bahn, andererseits beim Kraftwagen abzustellen. Hier wird wiederum durch den Staat für völlig verschiedenartige Kosten der gleiche Preis oktroyiert. Es scheint dem Bundeskabinett entgangen zu sein, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister am 7. Januar sich im Bulletin zu dieser Frage ausgelassen hat. Er hat da geschrieben, es seien Preisentzerrungen nötig, wörtlich: „um der Marktwirtschaft durch die Unterbindung immer neuer Preisverfälschungen wieder zur ungestörten Funktion zu verhelfen". Nun, wenn die Marktwirtschaft in der Praxis auch nur ein ganz klein wenig mehr zum Durchbruch käme - Ich bin kein hundertprozentiger Marktwirtschaftler auf dem Sektor des Verkehrs, Herr Bundeswirtschaftsminister, aber wenn ein ganz klein wenig marktwirtschaftliches Denken zum Zuge käme bei diesen Maßnahmen, denen Sie im Kabinett ja auch zugestimmt haben - ({11})
- Im Prinzip! Da haben Sie bei mir doch noch nie einen Zweifel gehabt.
({12})
- Wir sind jetzt nicht mehr im Wahlkampf, Herr Müller-Hermann!
({13})
Jedenfalls, wenn dieses Prinzip nicht nur für das Bulletin und nicht nur für den Wahlkampf Geltung hat, sondern wenn es in der Tat gelten soll, dann müßte man diese völlig verschiedenartigen Kosten berücksichtigen. Das ist übrigens dem Herrn Minister Seebohm in, was weiß ich, einem, zwei, drei, vier, fünf Gutachten klargemacht worden, von Morgenthaler angefangen vor soundso viel Jahren. Jetzt will die CDU eine neue Kommission für die Bundesbahn einsetzen. Herzliches Beileid, meine Damen und Herren! Sie wissen doch, was aus den ganzen Ausschüssen beim Bundesverkehrsministerium geworden ist. Ich sehe einige Herren, die mir verständnisinnig zulächeln. Es gab soundso viele Gutachten, es gab soundso viele Ausschüsse. Einige haben Ergebnisse erarbeitet, keines dieser Ergebnisse, die zum Teil sehr einschneidend waren, ist wirklich berücksichtigt worden. So gab es z. B. den sogenannten Beyer-Ausschuß, einen Ausschuß, den der Bundesverkehrsminister zu seiner Beratung eingesetzt hatte, unter dem Vorsitz des geschäftsführenden Präsidialmitglieds des Deutschen Industrie- und Handelstags. Auch der Beyer-Ausschuß z. B. empfiehlt dem Bundesverkehrsminister, bei seiner Preispolitik endlich einmal zu berücksichtigen, daß die Eisenbahn hinsichtlich ihrer Kosten bei steigender Entfernung eine sehr degressive Kostenkurve hat - je weiter man die Kohle transportiert, um so billiger wird es pro km - und daß umgekehrt der Kraftwagen eine relativ proportionale Kostenentwicklung hat. Man kann das auch anders ausdrücken: die Eisenbahn hat einen sehr hohen Fixkostenanteil, während beim Kraftwagen die variablen Kosten vorherrschend sind. Man kann es noch anders ausdrücken, indem man ganz primitiv sagt: auf kurze Entfernungen sind die Kosten beim Kraftwagen geringer, und auf weite Entfernungen sind die Kosten bei der Eisenbahn geringer. Das weiß inzwischen jedes Kind in Deutschland. Und deshalb all diese Gutachten und Ausschüsse!
Das Resultat, zu dem man kommen müßte, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn eine marktkonforme Preispolitik getrieben würde, wäre, daß man auf kurze Entfernungen die geringeren Kosten des Kraftwagens ausnutzt, damit der Kunde dadurch angereizt wird, sich hier des Kraftwagens zu bedienen, weil es volkswirtschaftlich billiger ist. Wenn man marktkonforme Preispolitik treiben wollte, müßte man auf weite Entfernung die Eisenbahn im Preis billiger machen, damit der Kunde angereizt wird, seine Kohle von Oberhausen nach München nicht mit dem Kraftwagen zu befördern, sondern mit der Eisenbahn. Aber das hat man leider nicht getan. Trotzdem wäre es, meine ich, vielleicht nicht zuviel verlangt, wenn die Bundesregierung, die so viel und manchmal auch Richtiges und Zustimmungswürdiges über marktwirtschaftliche Prinzipien verkündet, sich bei dieser Gelegenheit ein wenig danach richtete.
Zum Schluß spreche ich die Erwartung aus, daß der Herr Bundesverkehrsminister in seiner Antwort auch auf die Frage eingeht, wann denn endlich seine Verkehrspolitik oder, sagen wir besser, um nicht ihn allein mit der Verantwortung für dieses Desaster zu belasten - es gibt eine Reihe von Mitverantwortlichen -, wann endlich die Verkehrspolitik der Bundesregierung eine für alle Beteiligten erträgliche Regelung des Wettbewerbs zwischen Schiene und Straße mit sich bringen wird.
({14})
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft und mit dem Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen beantworte ich die Große Anfrage Drucksache 136 namens der Bundesregierung:
Zu Frage 1. Die Bundesregierung hat am 15. Januar 1958 die Anträge der Deutschen Bundesbahn auf Anhebung der Tarife im Güter- und Personenverkehr zu einem erheblichen Teil, voraussichtlich in Höhe einer Mehreinnahme von rund 700 Millionen DM im Jahr, gebilligt. Die neuen Tarife sind am 1. Februar 1958 in Kraft getreten.
Der Bundesminister für Verkehr hat zur Vorbereitung der Entscheidung der Bundesregierung die Anträge der Bundesbahn mit den Bundesressorts,
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
den Vertretern der Länder, den Verkehrsträgern und Vertretern der Wirtschaft und den Gewerkschaften in zahlreichen Besprechungen erörtert. Er hat schließlich den gesamten Sachverhalt mit den Verkehrsministern der Länder abgestimmt. Alle Beteiligten erkannten die Notwendigkeit einer beschleunigten Anhebung der Eisenbahntarife an. Maßgebend hierfür waren vor allem folgende Überlegungen:
Die Deutsche Bundesbahn hat seit dem Jahre 1952 mit ihren Tarifen stillgehalten. Damals waren ihre laufenden Ausgaben bis auf rund 30 Millionen DM durch Einnahmen gedeckt. Inzwischen sind die Personalausgaben um rund 41 %, die Sachausgaben um rund 37 % gestiegen. Beide Ausgabearten stellen aber 60 % bzw 35 % der Kosten der Bundesbahn dar. Zwar hat die Deutsche Bundesbahn anerkennenswerte Anstrengungen gemacht, um ihre Ausgaben durch Maßnahmen verschiedener Art, vor allem durch Rationalisierung, zu senken. Trotzdem werden die laufenden Ausgaben 1958 um 2,4 Milliarden DM höher sein als 1952; sie werden nämlich auf 7 670 000 000 DM geschätzt, während sie damals 5 276 000 000 DM betragen haben. Dagegen werden die Mehreinnahmen gegenüber 1952 ohne die Tarifanhöhung voraussichtlich 1360 Millionen DM betragen. Das Verhältnis ist: geschätzt 6,6 Milliarden DM 1958 zu tatsächlich 5,241 Milliarden DM 1952. Es verbleibt also trotz der beachtlichen Rationalisierungserfolge ohne die Tarifanhebung ein Unterschied zwischen Einnahmen und Ausgaben von 1070 Millionen DM.
Durch die Tarifanhöhung von rund 700 Millionen DM im Jahr ab 1. Februar 1958, also von rund 650 Millionen DM im Rechnungsjahr 1958, wird mithin erreicht werden, daß die laufenden Ausgaben bis auf etwa 370 Millionen DM gedeckt werden. Dieser Fehlbetrag ist in erster Linie auf die Unterdeckung der Kosten durch die Entgelte im sozialen Berufsverkehr zurückzuführen. Bei allen beteiligten Stellen bestand volles Einverständnis darüber, daß ein Ausgleich durch weitere Anhebung der Gütertarife nicht vorgenommen werden könne. Vielmehr wird versucht werden müssen, den Ausgleich auf andere Weise zu erreichen, also durch weitere Rationalisierung, durch Stillegung unrentabler Nebenstrecken und andere Maßnahmen mehr.
Es bleibt als Auswirkung der Tarifreform festzustellen, daß durch die Tarifanhebung die für Zwecke der Bundesbahn verfügbaren Bundesmittel künftig nicht mehr überwiegend als Subventionen bereitgestellt zu werden brauchen. Sie können vielmehr hoffentlich in Zukunft überwiegend für vermögenswirksame Investitionen verwandt werden.
Zur Frage 2: Wenn man die alten und die neuen Tarife in ihrer Gesamtheit betrachtet, kann man von einer drastischen Anhebung der Tarife des Berufsverkehrs und der Sozialtarife wohl kaum sprechen. Ich bitte, dazu folgende Tatsachen zu berücksichtigen:
Auch nach dem 1. Februar 1958 bietet die Deutsche Bundesbahn der Bevölkerung noch 25 Sozialtarife an. Die wichtigsten dieser Tarife, nämlich die des Berufs- und Schülerverkehrs, beruhen auf den Entgelten der vierten Wagenklasse des Jahres 1927 und sind seit jener Zeit nur einmal, nämlich im Jahre 1951, um 50 % angehoben worden. Seit 1927 sind aber z. B. die Löhne der Arbeiter im Mittel um mehr als das Dreifache gestiegen. Die Ermäßigungen gegenüber dem Regeltarif betragen im Durchschnitt 62 %. Insbesondere die Geschwisterschülerkarte liegt so niedrig, daß sie kaum die Kosten für Druck und Verkauf der Fahrkarten deckt; denn die Ermäßigung gegenüber dem Regeltarif reicht hier bis zu 96,5 %.
Fast 70 % aller Eisenbahnfahrten werden zu den Sozialtarifen ausgeführt. Diese 70 % erbrachten aber bisher nur 20 % der Einnahmen der Deutschen Bundesbahn aus dem Personenverkehr. Sie werden auch nach dem 1. Februar 1958 tariflich noch so begünstigt sein, daß sie auch in Zukunft nicht mehr als 30 % der Einnahmen der Deutschen Bundesbahn im Personenverkehr erbringen werden, obwohl also, wie gesagt, 70 % aller Eisenbahnfahrten zu diesen Tarifen ausgeführt und damit natürlich auch kostenmäßig ausgebracht werden müssen.
Während sich im Jahre 1956 die Einnahmen und Ausgaben des Güterverkehrs in etwa deckten, entstand im Personenverkehr, und zwar ganz überwiegend durch die Ermäßigung bei den Sozialtarifen und den Tarifen für den Berufsverkehr, eine Unterdeckung von mehr als 600 Millionen DM. Durch die Tarifanhebung wird diese außerordentlich hohe Unterdeckung zwar geringer, aber sie bewegt sich immer noch in einer Größenordnung von mindestens 400 Millionen DM, ungerechnet die seit 1956 bei der Deutschen Bundesbahn eingetretenen Kostensteigerungen, deren genaue Höhe noch nicht ermittelt werden konnte.
Unter diesen Umständen sollten ferner zwei Tatsachen besonders anerkannt werden, die auf ausdrücklichem Beschluß der Bundesregierung beruhen:
Bei einer Anzahl dieser Tarife bleiben die bisherigen Ermäßigungssätze unverändert, nämlich bei den Schülerzeitkarten, bei den Tarifen für erholungsbedürftige Kinder, bei den Tarifen für hilfsbedürftige Kranke, bei den Tarifen für mittellose Zöglinge und Pfleglinge sowie bei den Tarifen für mittellose Blinde, Taubstumme und Schwerhörige. Das gilt auch für die Ermäßigung bei dem Besuch von Kriegsgräbern. Die Lehrlinge können entgegen dem ursprünglichen Antrag der Bundesbahn im ersten und zweiten Lehrjahr weiterhin Schülerzeitkarten benutzen. Es ist aber beabsichtigt, diese Frage noch einmal zu prüfen und hier - im Gegensatz zu den ursprünglichen Vorschlägen der Bundesbahn - die Ausdehnung auf das dritte und vierte Lehrjahr durchzusetzen.
Unter diesen besonderen Umständen sollte ferner anerkannt werden, daß die Anhebung der Tarife im Berufsverkehr sehr maßvoll ist, zumal hier noch folgende Umstände zusätzlich zu beachten sind.
Bisher konnten neben den Arbeitern nur diejenigen Beamten und Angestellten Arbeiterzeitkarten in Anspruch nehmen, deren monatliches Bruttoeinkommen 600 DM nicht überstieg. Jetzt ist diese Einkommensgrenze auf monatlich 1250 DM erhöht
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
worden. Der Kreis der hier Begünstigten ist also erheblich ausgeweitet. Danach können Arbeiterzeitkarten von 98% aller Reisenden des Berufsverkehrs benutzt werden. Nur noch 2 % sind auf die teurere Monatskarte oder Teilmonatskarte angewiesen.
Die dem Berufsverkehr dienenden Personenzüge sind im Mittel zu 40 % ausgelastet. Eine volle Belastung oder Überfüllung ergibt sich in der Regel nur in der Nähe der Verkehrszentren und zu den Hauptzeiten des Berufsverkehrs.
Gestatten Sie mir, zu einer Bemerkung des Herrn Kollegen Schmidt hier gleich etwas zu sagen. Herr Kollege Schmidt ist der Meinung, daß der überfüllte Zug, mit dem er morgens z. B. nach Stuttgart hereinfährt, doch seine Kosten erbringen müsse. Er vergißt dabei offenbar, daß diese Garnitur während des ganzen Tages nicht wieder ausgenutzt werden kann bis zum Abend, wo diese Garnitur ebenso voll zurückfährt, d. h. die gesamte Garnitur mit allem, was dazu gehört, wird in 24 Stunden nur einmal bei der Hinfahrt am Morgen und nur einmal bei der Rückfahrt am Abend voll ausgenützt und weist in der übrigen Zeit des Tages nicht diesen Ausnützungsfaktor auf. Daraus ergibt sich die 40%ige Auslastung, von der ich eben gesprochen habe.
Gestatten Sie mir, Herr Minister, eine Frage. Geschieht die Nichtausnützung dieser Garnitur, also der Arbeiterzüge, wegen ihres miserablen Zustandes, weil sie für andere Zwecke nicht gut verwendet werden können?
Ich glaube, daß das nicht der Fall ist; denn ich glaube, daß zahlreiche andere Personenzüge leider noch mit ähnlichen Garnituren ausgestattet sind. Wenn Sie sich einmal die normalen Personenzüge ansehen, Herr Kollege Ritzel - und Sie haben ja kürzlich gerade für eine bestimmte Strecke auch darauf hingewiesen -, dann werden Sie mir zugeben, daß dort die Garnituren keineswegs besser, sondern vielfach schlechter sind.
({0})
Ich darf darauf hinweisen - ich hatte mir erlaubt, das schon früher in diesem Hohen Hause gelegentlich vorzutragen -, daß von den 13 000 Personenwagen, die im Berufsverkehr und entsprechenden Verkehr eingesetzt sind, bisher 5500 modernisiert und umgebaut sind, und zwar so, daß das Publikum durchaus einverstanden ist. Wir setzen diesen Umbau laufend fort, und wir hoffen, in absehbarer Zeit zu einem Prozentsatz zu kommen, der die bekannten Klagen nicht mehr in diesem Maße als berechtigt erscheinen läßt. Ich darf auch bitten, zu berücksichtigen, daß die 1500 in den letzten Jahren eingesetzten Schienenomnibusse gegenüber den alten Wagen zweifellos eine wesentliche Verbesserung in der Bedienung des Berufsreiseverkehrs bedeuten.
Ich darf bemerken, daß die Deutsche Bundesbahn keineswegs deshalb, weil der Berufsreiseverkehr die Kosten in einem so geringen Ausmaß deckt, etwa sich zurückgehalten hätte, hier die Verbesserungen anzubringen, die sie finanziell überhaupt nur vornehmen konnte. Es liegt ihr sehr daran, auch den Berufsverkehr in durchaus guter und angemessener Weise zu bedienen. Sie weiß, daß das zu ihrer gemeinwirtschaftlichen Aufgabe gehört. Sie würde das lieber und besser tun, wenn ihr dafür größere Mittel zur Verfügung stünden. Die sind aber angesichts der von mir hier vorhin vorgetragenen Zahlen naturgemäß nur sehr schwer herauszuholen.
Die Kosten im Personenzugverkehr betragen je Personenkilometer etwa 7 bis 8 Pf; sie hat jedoch im Berufsverkehr bisher nur 2,1 Pf je Personenkilometer eingenommen. Auch künftig wird nach der Anhebung nur eine durchschnittliche Einnahme von 3 Pf je Personenkilometer erzielt werden.
Geht man von dem letzten Jahr aus, für das genaue Zahlen vorliegen, nämlich vom Jahre 1936, so ergibt sich für die Benutzer der Arbeiterwochenkarte auf die durchschnittliche Entfernung von 14 km folgendes: Für die Wochenkarte waren 1936 drei Arbeitsstunden aufzuwenden, im Januar 1958 nur noch 11/2 Arbeitsstunden. Künftig werden etwa 21/4 Stunden je Wochenkarte bei dieser durchschnittlichen Entfernung aufzuwenden sein, also eine Dreiviertelstunde weniger als im Jahre 1936.
Von 18 bis 19 Millionen unselbständig Beschäftigten benutzen im Berufsverkehr nur 5 bis 51/2% die Deutsche Bundesbahn. Es wird daher nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der unselbständig Beschäftigten von den Sozialtarifen begünstigt, während alle übrigen diese Begünstigung nicht für sich in Anspruch nehmen können, andererseits aber von den Auswirkungen der Gesamtverhältnisse der Deutschen Bundesbahn steuerlich natürlich betroffen werden.
Diese Daten zeigen, daß, gemessen an den Aufwendungen und Leistungen der Deutschen Bundesbahn, die Tarife im Berufsverkehr tatsächlich in maßvoller Weise angehoben worden sind. Sie zeigen ferner, daß sich die Anhebung in Grenzen hält, die für die Betroffenen bei der Entwicklung des Realeinkommens tragbar sein dürfte.
Von 18 bis 19 Millionen unselbständig Beschäfkönnten sogar Bedenken gegen das geringe Ausmaß der Anhebung erhoben werden. Der größte Teil des Berufsverkehrs entfällt nämlich nicht auf die Eisenbahn, sondern auf die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe, also auf Straßenbahnen, Obusse und Omnibuslinien. 1956 wurden auf der Bundesbahn 1 680 Millionen Fahrten, im Nahverkehr mit den Nahverkehrsmitteln dagegen 4 640 Millionen Fahrten ausgeführt. Die Nahverkehrsbetriebe aber gewähren für Berufsfahrten grundsätzlich nur eine Ermäßigung von 30 % auf den Normalfahrpreis. Die Deutsche Bundesbahn dagegen räumt ab 1. Februar 1958 für die mittlere Entfernung von 14 km bei den Arbeiterwochenkarten immer noch rd. 62 % Ermäßigung ein, also mehr als das Doppelte ein, als die Nahverkehrsbetriebe einräumen.
Zu berücksichtigen ist, daß die Grundpreise bei den Nahverkehrsbetrieben seit 1951 ständig ge444
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
stiegen sind, während sie bei der Deutschen Bundesbahn bis zum 1. Februar dieses Jahres unverändert blieben.
Das Auseinanderklaffen der Tarife bei den beiden Verkehrsträgern des Personenverkehrs wird besonders deutlich, wo Bundesbahn und Nahverkehrsbetriebe Parallelstrecken betreiben. Ich will nicht ein Beispiel aus Hamburg bringen, sondern ein Beispiel aus der Nachbarschaft Bonns, das die Siebengebirgsbahn im Abschnitt zwischen Beuel und Honnef bietet. Hier kostete bei der Bundesbahn die Schülerwochenkarte bis zum 31. Januar 1958 2,60 DM und ab Tarifanhebung 2,90 DM; bei der Siebengebirgsbahn dagegen 4,50 DM. Die Arbeiterwochenkarte kostete bis zum 31. Januar 1958 3,60, und sie kostet ab 1. Februar 5,50 DM; bei der Siebengebirgsbahn dagegen 6 DM. Die Folge ist eine starke Abwanderung auf die Personenzüge der Deutschen Bundesbahn, die das notwendige Wagenmaterial zur Aufnahme aller dieser Reisenden für die kurze Strecke zwischen drei oder vier Stationen nur unter großen Schwierigkeiten bereitzustellen vermag, während auf der anderen Seite das Straßenbahnunternehmen erhebliche Einbußen an Einnahmen erleidet.
Somit ist die Bundesbahn der ihr nach § 4 des Bundesbahngesetzes obliegenden Verpflichtung, ihre Tarife für den Berufs- und Sozialverkehr gemeinwirtschaftlich zu gestalten, in einem Ausmaß nachgekommen, daß sie die ihr nach der gleichen Bestimmung obliegende Verpflichtung zur kaufmännischen Betriebsführung bei dieser maßvollen Anhebung zweifellos erheblich vernachlässigt hat. Sie hat auch, wie das angezogene Beispiel deutlich macht, die für sie günstige Konkurrenzlage keineswegs etwa zu Lasten ihrer Benutzer ausgenützt, sondern hat deren Interessen nachdrücklich Rechnung getragen.
Zu Frage 3: Die Bundesregierung hat, unterstützt durch den Vorstand der Deutschen Bundesbahn und in Abstimmung mit den Verkehrsministern der Länder, Maßnahmen getroffen, um sicherzustellen, daß die Anhebung der Gütertarife keine wesentlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den revierfernen Gebieten hervorruft. Dabei hat sie vor allem die Lage im Zonenrandgebiet berücksichtigt. Schon bisher waren die revierfernen Gebiete durch die Entfernungsstaffel, d. h. die mit zunehmender Entfernung stärkere Abflachung der Frachten, gegenüber den näher gelegenen Gebieten tariflich begünstigt. Diese Vorteile bleiben ihnen auch nach dem 1. Februar 1958 grundsätzlich voll erhalten.
Darüber hinaus wurde die Degression der Entfernungsstaffel - zwar nicht durch stärkere Abflachung - aber tatsächlich noch dadurch verstärkt, daß die Frachten in den Nahentfernungen zusätzlich erhöht wurden. Dies findet seine Begründung unter anderem auch in verkehrspolitischen Überlegungen im Sinne einer Tarifreform.
Vorwiegend im Interesse der revierfernen Gebiete wurden sodann die sieben Wertklassen des Gütertarifs von der Bundesregierung nicht, wie ursprünglich von der Bundesbahn beantragt, auf vier, sondern nur auf fünf Klassen vermindert.
Wenn sich trotz aller dieser Maßnahmen in einzelnen Ausnahmefällen, insbesondere bei landwirtschaftlichen Gütern, besondere Härten ergeben sollten, ist die Deutsche Bundesbahn nach einer vom Vorstand der Deutschen Bundesbahn abgegebenen und von mir gebilligten Erklärung bereit, soweit erforderlich, mit gezielten Einzelmaßnahmen, insbesondere auf dem Weg über Ausnahmetarife, zu helfen. Das ist eine ganz übliche und normale Art, solche besonderen Anliegen zu behandeln.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch folgendes hinzufügen: Wir sind durch die Entwicklung der Tariffragen im Rahmen der Montanunion gehalten, die Entfernungsstaffel, d. h. ihre Degression, nicht weiter abzuflachen. Wir können infolgedessen nicht anders als durch gezielte Einzelmaßnahmen in diesen Fällen zu erträglichen Regelungen kommen.
Ich darf auch bemerken, daß die etwas stärkere Anhebung der Nahtarife und die demgegenüber nicht so starke Anhebung der Ferntarife mit jenen Vorschlägen für eine Tarifreform zusammenhängt, die immer und immer wieder gefordert haben, daß der Flächenverkehr in stärkerem Maße dem Kraftwagen, der Fernverkehr auf lange Strecken in stärkerem Maße der Bundesbahn zuwachsen soll, und zwar durch tarifarische Maßnahmen. Diese Forderung ist gerade in diesem Hause wiederholt vorgetragen worden; ihr wird durch diese Maßnahmen Rechnung getragen.
Zur Frage 4: Die Bundesregierung hat bekanntlich schon in der zweiten Legislaturperiode, und zwar ausgehend von der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 20. Oktober 1953, entscheidende Maßnahmen zu einer Neuordnung der Verkehrspolitik ergriffen. Ohne die jetzt erzielten Erfolge wäre es unmöglich gewesen, wie es geschehen ist, die Tarifanhöhung mit einer Reform der Tarife von Schiene und Straße zu verbinden. Die Bundesregierung wird entsprechend der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 28. Oktober 1957 in der dritten Legislaturperiode den beschrittenen Weg konsequent weitergehen.
Ich darf die Grundgedanken der Neuordnung der Verkehrspolitik noch einmal aufzählen:
Erstens. Die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger sind so weit wie möglich einander anzugleichen.
Zweitens. Eine volkswirtschaftlich und verkehrspolitisch zweckmäßige Zusammenarbeit und Aufgabenteilung der Verkehrsträger wird gefördert.
Drittens. An den gemeinwirtschaftlichen Aufgaben der Deutschen Bundesbahn wird grundsätzlich festgehalten.
Viertens. Ein freier Preiswettbewerb zwischen den Verkehrsträgern bleibt weiterhin ausgeschlossen. Die Tarife müssen jedoch kostennäher gestaltet werden. Ein gesunder Leistungswettbewerb zwischen den Verkehrsträgern wird gefördert.
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
Fünftens. Die Entgelte für die Leistungen der Verkehrsträger müssen angemessen gestaltet werden.
Sechstens. Die Eigenwirtschaftlichkeit der Verkehrswege muß auch weiterhin angestrebt werden, d. h. jeder Verkehrsträger muß grundsätzlich für die ihm anlastbaren Wegebau-, Unterhaltungs- und Sicherungskosten aufkommen.
Die Bundesregierung ist in der vergangenen Legislaturperiode der Verwirklichung dieser Ziele nähergekommen. Sie hat hierbei weitgehend die Unterstützung des Hohen Hauses gefunden. Dies gilt insbesondere für die Annahme des Verkehrsfinanzgesetzes 1955. Durch dieses Gesetz wurden die zu Lasten der Deutschen Bundesbahn stark verzerrten Wettbewerbsbedingungen im Verhältnis zum Straßengüterverkehr verbessert. Gleichzeitig wurde durch dieses Gesetz dafür Vorsorge getroffen, den Werkfernverkehr auf ein verkehrspolitisch vernünftiges Maß zu beschränken. Ohne diese Maßnahme wäre es dem gewerblichen Güterfernverkehr nicht möglich gewesen, in den vergangenen zweieinhalb bis drei Jahren sein Transportvolumen um annähernd 40 % zu erhöhen. Die Deutsche Bundesbahn wurde dadurch in die Lage versetzt, ein größeres, wenn auch leider noch nicht ein wirtschaftlich ausreichendes Verkehrsvolumen zu erreichen. Der früher überscharfe Wettbewerb zwischen Schiene und Straße konnte auf ein erträgliches Maß zurückgeführt werden. Der Kampf um das Kilo wird heute nicht mehr mit all seinen unerfreulichen Auswirkungen so wie damals geführt. Nur dank dem Verkehrsfinanzgestz war es also möglich, die Tarifanhöhung zum 1. Februar 1958 mit einer Tarifreform zu verbinden.
Ziele dieser Tarifreform sind: erstens die kostennähere Gestaltung der Tarife für Schiene und Straße; zweitens: die Förderung einer verkehrspolitisch und verkehrswirtschaftlich zweckmäßigen Aufgabenteilung zwischen diesen beiden Verkehrsträgern; und drittens: die Sicherung angemessener Entgelte. Der Bundesminister für Verkehr wird in enger Fühlungnahme mit allen beteiligten Stellen die Auswirkungen dieser tarifpolitischen Neuordnung sorgfältig beobachten und weitere geeignete Maßnahmen ergreifen.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch darlegen, wie diese Maßnahmen zur Durchführung der Tarifreform im einzelnen bei der Umgestaltung der Gütertarife erfolgt sind, da der Herr Kollege Schmidt auf diese Frage eingegangen ist. Ich habe mit allen Beteiligten eingehend erörtert, ob mit der Erhöhung der Gütertarife für Schiene und Straße eine allgemeine Gütertarifreform verbunden werden sollte. Ich darf ergebenst bemerken, daß ich das Wort „organische Tarifreform" in diesem Hause wiederholt zurückgewiesen habe, wobei ich darauf hingewiesen habe, daß sich hinter diesem Wort „organisch" im allgemeinen das verbirgt, was man nicht genau definieren kann. Wir sprechen also lieber von einer allgemeinen Gütertarifreform.
Den Überlegungen lagen die mir erstatteten Gutachten des Sachverständigenausschusses für die
Neugestaltung des Gütertarifs, des sogenannten Beyer-Ausschusses, und des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministers für Verkehr zugrunde. Der Ausschuß der Verkehrsträger, in dem sich bekanntlich die drei Verkehrsträger Schiene, Straße und Wasserstraße ungezwungen an einem runden Tisch zusammenfinden, hat zu diesem Gutachten des Beyer-Ausschusses Stellung genommen. Es besteht Übereinstimmung mit allen Beteiligten darüber, daß von einer allgemeinen Gütertarifreform noch abgesehen werden sollte. Das gegenwärtig geltende Tarifsystem der Eisenbahn soll jedoch vor allem in folgenden sechs wichtigen Tarifelementen geändert werden.
Zunächst handelt es sich um die Änderung des Tarifsockels. Hier steht zuerst die Frage der Abfertigungsgebühr zur Debatte. Die Abfertigungsgebühr, das Entgelt für alle stationären, d. h. von der Transportweite unabhängigen Leistungen, war bisher nach dem Wert der Güter und der Transportweite unterschiedlich. Dadurch sind die Beförderungsentgelte im Nahverkehr künstlich niedrig gehalten worden. Die Abfertigungsgebühr soll nunmehr aus den vorhin von mir angedeuteten Gründen, die auch tarifsystematischer Natur sind, vereinheitlicht und erhöht werden. Dadurch wird gleichzeitig eine den Kosten entsprechende stärkere Erhöhung des Beförderungsentgelts in den Nahentfernungen erreicht und dem Grundsatz: Dem Auto den Flächenverkehr, der Eisenbahn den Langstrekkenverkehr, stärker Rechnung getragen.
Die Mengenstaffel! Hier ist vor allem die 20-Tonnen-Klasse von Bedeutung. Die Bundesbahn hat in den letzten Jahren im Zuge der technischen Rationalisierung ihren Wagenpark um genügend Güterwagen mit einem Verladegewicht von über 20 Tonnen vermehrt. Die bisherigen Gewichtsklassen von 5, 10 und 15 Tonnen sollen daher um eine 20-Tonnen-Klasse als künftige Hauptklasse erweitert werden. Dagegen sollen die Frachtsätze für die 5-, 10-und 15-Tonnen-Klasse in der Weise erhöht werden, daß die bisherigen Zuschläge in eine größere Übereinstimmung mit den von der Auslastung der Wagen unabhängigen Selbstkosten gebracht werden.
Die Wertstaffel! Im Eisenbahntarif sind die Güter entsprechend ihrem Wert zur Zeit in Güteklassen eingestuft. Die Klassen A bis D sollten künftig die gleichen Frachtsätze wie die Klasse D erhalten. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß wir diesem Vorschlag nicht voll gefolgt sind, sondern noch eine weitere Stufe gebildet haben. Den Wünschen der Binnenschiffahrt und des gewerblichen Güterverkehrs, die Zahl der Wertklassen nur auf 5 und nicht auf 4 zu verringern, ist damit gleichzeitig Rechnung getragen worden. Die Änderungen des Tarifsockels werden in den für den gewerblichen Güterfernverkehr geltenden, entsprechend dem Eisenbahngütertarif aufgebauten Reichskraftwagentarif übernommen.
Nur zur Frage der Auseinanderentwicklung der Tarife zwischen Schiene und Straße im Zuge einer Tarifreform! Nach übereinstimmender Auffassung
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
fast aller beteiligten Stellen - nämlich mit Ausnahme des Straßenverkehrsgewerbes - sollen die Tarife nur vorsichtig und zunächst nur bei der Mengenstaffel auseinanderentwickelt werden. Damit würde eine weitere Differenzierung geschaffen, die über die bereits bestehenden Abweichungen zwischen dem Eisenbahngütertarif und dem Reichskraftwagentarif, die ja nicht unerheblich sind, hinausgeht.
Die neue 20-Tonnen-Klasse soll vornehmlich aus verkehrspolitischen, aber auch aus Kostenüberlegungen nur im Eisenbahngütertarif eingeführt werden. Hierdurch wird die Beförderung von 20 t und mehr im Schienenverkehr begünstigt. Dagegen soll im Reichskraftwagentarif aus Kostengründen die 5-Tonnen-Nebenklasse um zehn Staffelpunkte niedrigere Nebenklassenzuschläge erhalten. Hierdurch wird die Beförderung kleinerer Sendungen im Straßenverkehr begünstigt. Den Wünschen des gewerblichen Güterfernverkehrs auf Beibehaltung einer völligen Tarifparität bei der Mengenstaffel, mit der praktisch der Beginn auch dieser Tarifreform verhindert worden wäre, konnte nicht gefolgt werden. Die Regelungen, die wir hier durchgeführt haben, tragen den Wünschen der Wirtschaft und den Anregungen der Gutachter auf eine kostennähere Gestaltung des Tarifs Rechnung. Sie liegen gleichzeitig in Richtung einer Annäherung an die sich auf europäischer Ebene anbahnende tarifpolitische Entwicklung. Ich darf insbesondere darauf hinweisen, daß die Nichtgewährung der 20-TonnenKlasse an den gewerblichen Güterfernverkehr die Zustimmung aller beteiligten Kreise der Wirtschaft gefunden hat. Außer den bevorstehenden Änderungen des tarifpolitischen Systems sind weitere Maßnahmen in Aussicht genommen, die als einzelne und kleinere Maßnahmen die Reform noch ergänzen sollen.
Mit der Durchführung dieser Vorschläge wird also eine Neuordnung des Tarifsystems in Übereinstimmung mit allen Beteiligten in Angriff genommen. Auf Grund der bei ihrer Verwirklichung gewonnenen Erfahrungen wollen wir zu gegebener Zeit prüfen, ob und in welcher Hinsicht weitere Reformmaßnahmen getroffen werden sollen. Die vorliegenden Gutachten werden dabei erneut zu Rate zu ziehen sein.
Die Bundesregierung sieht nach Darlegung aller dieser Grundsätze keinen Anlaß, dem Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 141 zuzustimmen, wonach die Anhebung der Tarife im Berufsverkehr und der Sozialtarife rückgängig gemacht und der Bundesbahn zur teilweisen Abgeltung ihrer gemeinwirtschaftlichen Aufwendungen 130 Millionen DM aus Mitteln des Bundes vergütet werden sollen.
Gegen den zweiten Teil des Antrags der SPD-Fraktion sprechen folgende Überlegungen: Die Unterdeckung im Personenverkehr der Deutschen Bundesbahn durch die Mindereinnahmen im Berufs- und Sozialverkehr ist um ein Mehrfaches größer als die vorgeschlagene Summe von 130 Millionen DM. Die Bereitstellung nur dieses Betrages löst daher das Problem nicht. Bei der gegebenen Haushaltslage muß zudem besorgt werden, daß selbst dieser Teilbetrag nur zu Lasten des Verkehrshaushalts mit den dann eintretenden, für mich wohl kaum annehmbaren Folgen für die übrigen Verkehrsbereiche und für die Investitionen bei der Bundesbahn, bereitgestellt werden könnte.
Zu Frage 5 darf ich im Namen des Herrn Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen folgendes ausführen. Wenn in den letzten Wochen und Monaten häufig über eine bevorstehende Gebührenerhöhung bei der Deutschen Bundespost gesprochen und geschrieben worden ist - eine Tatsache, die wohl die Fraktion der SPD veranlaßt hat, nach dem Ausmaß dieser Gebührenerhöhung zu fragen -, so ist dies nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die von der Deutschen Bundespost veröffentlichten Rechnungsergebnisse eine besorgniserregende Entwicklung der Finanzlage und der Kapitalstruktur der Deutschen Bundespost aufgezeigt haben. Der Bundesminister für das Post-und Fernmeldewesen hat dem Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen des Hohen Hauses in dessen Sitzungen vom 17. und 30. Januar einen umfassenden und mit Zahlenmaterial belegten Bericht über die Situation der Deutschen Bundespost erstattet. Namens des Herrn Kollegen Stücklen erlaube ich mir, Ihnen die wesentlichsten Ergebnisse dieses Berichtes in einer kurzen Zusammenfassung darzustellen.
Trotz steigender Erträge und dauernder Rationalisierungsanstrengungen muß für das Rechnungsjahr 1957 mit einem Verlust von etwa 80 bis 90 Millionen DM und für das Rechnungsjahr 1958 mit einem Verlust von rund 200 Millionen DM gerechnet werden. Dies ist in erster Linie auf die erhöhten Personalausgaben zurückzuführen, die von 1,4 Milliarden DM im Jahre 1950 auf 2,9 Milliarden DM im Jahre 1957 gestiegen sind, sich also mehr als verdoppelt haben; sie werden im Jahre 1958 voraussichtlich 3,1 Milliarden DM betragen. Hierbei sind aber die Auswirkungen noch nicht berücksichtigt, die die Kündigung der Tarifverträge und die Forderungen der Gewerkschaften auf eine weitere, 10%ige Lohnerhöhung sowie eine eventuelle Arbeitszeitverkürzung haben werden. Es ist besonders darauf hinzuweisen, daß die Steigerung der Personalkosten um nahezu 122 % bei einer Vermehrung des Personalbestandes um nur 27 % eingetreten ist. Es dürfte auch von Interesse sein, daß in dem gleichen Zeitraum, in dem sich der Personalbestand voraussichtlich um 27 % erhöht haben wird, mit einer Steigerung der Verkehrsleistungen von über 80 % - bei gleichbleibender wirtschaftlicher Entwicklung - gerechnet werden kann.
In gleicher Weise besorgniserregend wie die Entwicklung der Finanzlage ist auch die Entwicklung der Kapitalstruktur der Deutschen Bundespost. Auch hierfür nur einige wenige Zahlen: Während der Eigenkapitalanteil der Deutschen Bundespost im Jahre 1949 noch 73 % betrug, war er im Jahre 1956 bereits auf 41 % abgesunken. Bei der Bundesbahn betrug er im gleichen Jahr 68 %. Das Jahr 1957 hat nach den vorläufigen Ergebnissen eine weitere Verschlechterung des Eigenkapitalanteils der DeutBundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
schen Bundespost auf 37 % ergeben. Nach Ablauf des Rechnungsjahrs 1958 wird er voraussichtlich sogar auf 31 % abgesunken sein. Dabei wird die Situation durch den hohen Anteil der kurzfristigen Verschuldung bei der Post in Höhe von 1950 Millionen DM an der Gesamtverschuldung im Betrage von 4,5 Milliarden DM noch besonders erschwert. Welche Belastung im übrigen die steigende Verschuldung bedeutet, ist daraus zu entnehmen, daß die Schuldentilgung von 10 Millionen DM im Jahre 1949 auf 591 Millionen DM im Rechnungsjahr 1958 und die Verzinsung der Fremdmittel im gleichen Zeitraum von 1 Million DM auf 156 Millionen DM gestiegen sind.
Eine finanzielle Gesundung der Deutschen Bundespost kann durch eine Verminderung des Investitionsvolumens nicht ereicht werden. Eine Kürzung der Investitionen würde - abgesehen von den bedenklichen Folgen für die deutsche Wirtschaft die Ertragslage der Deutschen Bundespost vielmehr teilweise sogar noch verschlechtern. Beispielsweise würde ein Unterlassen weiterer Investitionen für den Ausbau des Selbstwählferndienstes mit Sicherheit dazu führen, daß die Teilnehmer ständig auf besetzte Leitungen stoßen, wie es schon heute in gewissen Verkehrsbeziehungen der Fall ist, mit der Folge, daß die Gespräche überhaupt nicht geführt werden können, und mit der weiteren Folge, daß nicht unerhebliche Einnahmeausfälle für die Post entstehen. Zum anderen sind die Rationalisierungsbestrebungen in erheblichem Umfang davon abhängig, daß Investitionen vorgenommen werden. Hierbei wird insbesondere an den personalsparenden Einsatz von Maschinen wie z. B. Schaltermaschinen, Briefverteilmaschinen und ähnliche gedacht.
Auf eine Abnahme der politischen Lasten wie bei der Bundesbahn, die bei der Bundespost etwa 164 Millionen DM im Jahr betragen, oder eine auch nur teilweise Zurverfügungstellung der Ablieferungen an den Bund, die im Rechnungsjahr 1958 voraussichtlich 300 Millionen DM betragen werden, kann die Deutsche Bundespost bei der angespannten Haushaltslage des Bundes nicht rechnen. Es müssen daher andere Mittel und Wege gefunden werden, wobei selbstverständlich weitere Einsparungsund Rationalisierungsmaßnahmen im Vordergrund stehen werden.
Eine andere Frage ist jedoch, inwieweit die Tariferhöhungen bei der Bundesbahn auch bei der Deutschen Bundespost Maßnahmen erforderlich machen oder zumindest als zweckmäßig erscheinen lassen. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, ist durch das noch heute geltende Kleingutübereinkommen zwischen Reichspost und Reichsbahn aus dem Jahre 1932 mit tariflichen Maßnahmen erreicht worden, daß das sogenannte „Großgut", nämlich die Sendungen mit einem Gewicht von mehr als 10 kg und die Sendungen, die sich nach ihrer Verpackung und sonstigen Beschaffenheit zur Beförderung durch die Post nicht eignen, der Bahn zur Beförderung zugeführt wird. Wenn jetzt nach der Erhöhung der Expreßgutfrachtsätze die Paket- und Postgutgebührensätze auf ihrer derzeitigen Höhe verblieben, würden die Auflieferer von Großgut wegen der günstigeren Tarifgestaltung in einem erheblichen Umfang von der Bahn zur Post abwandern. Eine solche Entwicklung würde der Deutschen Bundesbahn zwangsläufig Einnahmeausfälle erbringen und für die Deutsche Bundespost zu einem ungesunden Verkehrszuwachs führen, der mit den vorhandenen auf die Kleingutbeförderung abgestellten Einrichtungen nur schwer aufzufangen wäre.
Ähnlich liegen die Verhältnisse auf dem Gebiet der Personenbeförderung. Auch hier würde die Erhöhung der Fahrpreise im Schienen- und Omnibusverkehr der Deutschen Bundesbahn ohne eine Anhebung der entsprechenden Gebühren im Postreisedienst zu einer unerwünschten Abwanderung von der Bahn zur Post führen, zumal beide vielfach parallel nebeneinander verkehren.
Aber auch diese beiden Maßnahmen bedürfen noch umfassender Überlegungen und Beratungen im Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost. Wenn sie verwirklicht werden, wird die Erhöhung bei den Paket- und Postgutgebühren durchschnittlich 18 % und bei den Gebühren im Postreisedienst beim Berufsverkehr 47 % und beim Schülerverkehr 8 bis 10 % betragen.
Die Frage, ob und welche Möglichkeiten in diesem Zusammenhang bestehen oder ob als letzter Ausweg auf die Erhöhung einiger Gebührensätze zurückgegriffen werden muß, bedarf noch eingehender Beratungen der Bundesregierung und des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost. Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen ist daher heute zu seinem Bedauern noch nicht in der Lage, eine verbindliche Auskunft darüber geben zu können, ob mit einer Gebührenerhöhung bei der Deutschen Bundespost gerechnet werden muß und welches Ausmaß eine solche Gebührenerhöhung gegebenenfalls haben wird.
Zu Frage 6: Die Bundesregierung hat die möglichen Auswirkungen der am 1. Februar 1958 in Kraft tretenden Tarifmaßnahmen sorgfältig geprüft. Nach dem Ergebnis dieser Prüfungen können die Tarifmaßnahmen die allgemeine Wirtschafts- und Preisentwicklung in der Bundesrepublik nicht erheblich beeinflussen. Im Bewußtsein ihrer Verantwortung hat die Bundesregierung untersucht, welchen Einfluß die Tarifanhebung auf die allgemeine Wirtschafts- und Preisentwicklung ausüben wird. Die Kostenerhöhungen aus der Tarifneuordnung werden die Wirtschaft keinesfalls wesentlich, bei vielen, insbesondere bei hochwertigen Gütern sogar nur sehr geringfügig belasten. Es muß beachtet werden, daß in dieser Tarifreform neben den Kostenerhöhungen auch in erheblichem Umfang Kostenermäßigungen enthalten sind. Die Bundesregierung rechnet daher damit, daß bei der zur Zeit relativ ruhigen Konjunkturlage und wegen des für die Tarifanhebung gewählten saisonal günstigen Zeitpunktes die Marktlage eine Preiserhöhung weitgehend erschweren wird.
Die Richtigkeit einer solchen Beurteilung wird durch die Erfahrungen aus dem Jahre 1953 weitgehend bestätigt. Damals wurde die für das Preis448
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
gefüge infolge ihrer Breitenwirkung weit empfindlichere Erhöhung der Umsatzsteuer durchgeführt. Sie 'wirkte sich aber nicht auf das Preisniveau aus, da sich der Markt in der Nach-Korea-Zeit in einer ähnlichen Phase der konjunkturellen Beruhigung befand und Preissteigerungen auf Grund von Kostenerhöhungen gar nicht erlaubte.
Die Mehrkosten, die durch die Tarifmaßnahmen bei der Deutschen Bundesbahn, den nichtbundeseigenen Eisenbahnen und dem gewerblichen Güterfernverkehr für die Gütererzeugung voraussichtlich erwachsen, belaufen sich auf 680 Millionen DM, und zwar auf rund 655 Millionen DM durch den Güterverkehr und auf 25 Millionen DM durch den Geschäftsreiseverkehr. Dieser Mehrbetrag macht etwa 0,4 bis 0,5 % des Wertes der in der Volkswirtschaft der Bundesrepublik im Jahre 1956 zur Verfügung stehenden Güter aus. Auf die privaten Haushaltungen können jedoch nach der Tarifanhebung von diesem Betrag höchstens 320 Millionen DM zukommen, weil 360 Millionen DM Mehrfrachten auf Transporte von Ausfuhrgütern und von Investitionsgütern sowie von Gütern für den Staatsverbrauch entfallen.
Die Anhebung der Personenverkehrstarife der Deutschen Bundesbahn und der nichtbundeseigenen Eisenbahnen wird den privaten Verbraucher mit rund 190 Millionen DM belasten. Insgesamt werden sich die zusätzlichen Belastungen der privaten Haushaltungen in diesem Jahr also auf 190 Millionen DM für Fahrgelder und bis zu 320 Millionen DM für Frachten, also insgesamt auf höchstens 510 Millionen DM, belaufen. Je Verbraucher sind das durchschnittlich 3,80 DM für Fahrkosten und bis zu 6,40 DM für Frachtkosten. Das sind 0,2 % bis maximal 0,5 % des privaten Verbrauchs in Höhe von rund 113 Milliarden DM im Jahre 1956. Soweit die offizielle Beantwortung der Großen Anfrage.
Gestatten Sie mir, daß ich hier noch etwas zu einigen Bemerkungen des Herrn Kollegen Schmidt ausführe. Er hat sich ganz besonders mit der Frage der formalen Behandlung der Tarifanhebung beschäftigt. Seine Begründung dazu war nicht ganz zutreffend. Wir haben Tarifanhebungen bei der Deutschen Bundesbahn und auch beim Güterfernverkehr seit dem Jahre 1951 für den Personen- und seit dem Jahre 1952 für den Güterverkehr nicht mehr gehabt. Ich darf darauf hinweisen, daß zur damaligen Zeit, nämlich im Jahre 1951, das Bundesbahngesetz soeben erst verabschiedet war, d. h. die neuen Organe noch nicht gebildet waren und daher bei der Tarifanhebung auch noch nicht nach dem Bundesbahngesetz verfahren werden konnte. Es mußte also nach den gesetzlichen Vorschriften verfahren werden, die aus der Zeit des Zwei-Zonen-Wirtschaftsrats stammten.
Im Jahre 1952 waren die Organe der Deutschen Bundesbahn, als der Tarifanhebungsantrag seitens der Bundesbahn gestellt wurde, gleichfalls noch nicht gebildet; dies geschah bekanntlich erst im Mai des Jahres 1952. Daher war nach denselben Prinzipien wie 1951, also nach den gesetzlichen Voraussetzungen aus der Zeit des Wirtschaftsrates, der
Bundesrat mit der Erhöhung der Tarife befaßt worden. Der neugebildete Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn hat aber dann diese Frage an sich gezogen. Mit Rücksicht darauf, daß die Probleme bereits in den Ausschüssen des Bundesrates behandelt wurden, haben wir damals von einer anderen Regelung abgesehen.
Die Frage, ob die Probleme einer Tarifanhebung nur durch Rechtsverordnung nach Artikel 80 Abs. 2 des Grundgesetzes geregelt werden können, ist im Rechtsausschuß des Bundesrats eingehend beraten und verneint worden. Der Unterausschuß des Rechtsausschusses des Bundesrats kam zu der Auffassung, daß die Beantwortung der Frage, ob derartige Entscheidungen durch Rechtsverordnungen oder durch Verwaltungsanordnungen zu erfolgen haben, in das Ermessen der Bundesregierung gestellt ist und daß der Weg dazu gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Wenn also nicht die Form der Rechtsverordnung für die Tarifänderung gewählt wird, ist die Einschaltung des Bundesrats auch nach Auffassung seines Rechtsausschusses nicht unbedingt erforderlich.
Nun hat das Bundesbahngesetz in § 16 eine andere Möglichkeit für Tarifänderungen gegeben, nämlich die Bildung sogenannter Anstaltstarife. Die Anstaltstarife können - auch nach Auffassung des Rechtsausschusses des Bundesrates - ohne weiteres gebildet werden, sofern nicht das allgemeine Preisrecht entgegensteht.
Ich darf darauf hinweisen, daß die Bildung der Anstaltstarife den Wünschen der Wirtschaft und der beteiligten Kreise, ebenso den im Hohen Hause vielfach geäußerten Wünschen durchaus entgegenkam; denn immer wieder ist in der Öffentlichkeit und von dieser Stelle betont worden, daß die tarifarischen Angleichungen im Verkehr außerordentlich komplizierte Verfahren voraussetzen und daß daher alles geschehen möge, um diese Verfahren abzukürzen und zu vereinfachen. Das ist mit Hilfe des § 16 des Bundesbahngesetzes möglich. Daher ist dieser Weg beschritten worden.
Es ist sehr bemerkenswert, daß manche, die früher nach der Vereinfachung in der Abwicklung solcher Tarifanträge der Deutschen Bundesbahn gerufen haben, nunmehr Bedenken gegen die Anwendung einer Vorschrift haben, die im Bundesbahngesetz ausdrücklich zu diesem Zweck verankert ist und die wir leider 1951 und 1952 aus den von mir dargelegten Gründen nicht anwenden konnten.
Die Frage spitzt sich also allein auf die Entscheidung zu, ob der Artikel 1 des Allgemeinen Preisgesetzes hier zur Anwendung kommen muß; falls nämlich feststeht, daß grundlegende und erhebliche Veränderungen des Preisstandes herbeigeführt werden, dann ist die Regelung durch eine Rechtsverordnung notwendig.
In meiner Antwort auf die Ziffer 6 der Großen Anfrage habe ich dargelegt, daß die Bundesregierung diese Auffassung ausdrücklich verneint hat. Deshalb war es nicht notwendig, auf Grund des Preisrechts bei dieser Entscheidung den Bundesrat einzuschalten. Dieses Problem ist mit den LänderBundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm verkehrsministern eingehend und zustimmend besprochen worden. Es hat sich ja auch hinterher gezeigt, daß die Länderverkehrsminister im Bundesratsausschuß für Verkehr und Post nach Anhebung der Tarife keinen Anlaß mehr gesehen haben, den Rechtsausschuß des Bundesrates wegen einer Entscheidung anzurufen oder die Frage etwa noch einmal in das Plenum des Bundesrats zu bringen.
Sie haben sich also gemeinsam mit der Bundesregierung für diesen rascheren Weg entschieden, und zwar auch deshalb, weil der Bundesminister für Verkehr seinen Kollegen in den Ländern ausdrücklich erklärt hat, daß er wie bisher auch in Zukunft Tarifänderungen derartigen und anderen Ausmaßes mit ihnen nicht nur beraten, sondern auch abstimmen wird. Damit ist praktisch die Einschaltung der Länder und des Bundesrats gegeben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Schmidt ({0}) ({1}) : Würden Sie mir, Herr Minister, bitte erstens bestätigen, daß der Bundesrat bis einschließlich 1957 in einer Unzahl von Fällen Tarifänderungsmaßnahmen durch ausdrücklichen Beschluß zugestimmt hat, obgleich es sich in diesen Fällen zum Teil keineswegs um Maßnahmen handelte, die den gesamten Preisstand bedeutsam beeinflußten, zum Teil nur um Maßnahmen, die auf eine Verlängerung alter Maßnahmen hinausliefen?
Würden Sie mir zweitens darin zustimmen, daß nach den von Ihnen soeben gemachten Ausführungen Ihre heutige Rechtsauffassung nur dann gerechtfertigt ist, wenn Sie leugnen, daß die gegenwärtige Tarifmaßnahme eine grundlegende Bedeutung für den gesamten Preisstand hat?
Zur Frage 1, Herr Kollege Schmidt, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß der Bundesrat mit laufenden Tarifänderungen nicht befaßt worden ist
({0})
- Tarifänderungen nicht befaßt worden ist und daß er nur in den Fällen befragt worden ist, wo es sich um Verlängerungen von Rechtsverordnungen handelte, die von ihm selbst beschlossen worden waren. Ihn hier zu beteiligen ist eine Frage der Höflichkeit gegenüber dem Bundesrat gewesen.
({1})
Tarifmaßnahmen sind seit dem Jahre 1952 vom Bundesrat nicht beschlossen worden; denn seitdem haben wir ja Maßnahmen in diesem Sinne einer Tarifreform oder Tarifänderung nicht getroffen.
Darf ich noch einmal die genaue Formulierung Ihrer zweiten Frage hören, damit ich eine exakte Antwort geben kann?
Ich fragte, ob Sie mir zustimmen, daß Ihre soeben gemachten Rechtsausführungen, daß Ihre gegenwärtige Tarifmaßnahme der Zustimmung nicht bedürfe, nur dann durchschlagend sind, wenn Sie leugnen, daß Ihre heutige Tarifmaßnahme Bedeutung für den gesamten Preisstand hat.
Ich glaube, das habe ich vorhin eingehend ausgeführt, Herr Kollege Schmidt. Ich hoffe, Sie sind meinen Ausführungen gefolgt. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß die Anstaltstarife nur insoweit gebildet werden können, als sie nicht dem Art. 1 des Preisgesetzes widersprechen. Das bedeutet also auch mit Bezug auf die Antwort, die ich namens der Bundesregierung zu Ziffer 6 erteilt habe, daß wir nicht der Auffassung sind, daß durch diese Maßnahme grundlegende und erhebliche Veränderungen des Preisstandes eintreten.
Ich darf noch auf einige kleine Fragen antworten, die Herr Kollege Schmidt gestellt hat. Der Herr Kollege Schmidt hat den Wunsch nach der FünfTage-Karte ausgesprochen. Die Bundesbahn ist bereit, eine Fünf-Tage-Karte einzuführen, sobald entsprechende Betriebseinsparungen an den Sonnabenden eintreten, d. h. sobald wirklich ein entsprechender Anteil der Berufsfahrer auf die Fünf-TageWoche umgestellt ist. Das ist bisher noch nicht in dem erforderlichen Ausmaße geschehen. Bei allen Beratungen ist aber ausdrücklich vorgesehen worden, daß wir zu dieser Maßnahme kommen werden und auch kommen müssen, wenn eben die überwiegende Mehrzahl der entsprechenden Fahrer sich auf die Fünf-Tage-Woche umgestellt haben.
Ich darf hierzu aber noch eines bemerken: Für die Deutsche Bundesbahn ist es schwer verständlich, daß man einerseits sagt, man wolle den sechsten Tag nicht bezahlen, wenn die Fünf-Tage-Woche gegeben sei, andererseits aber fordert, daß solche Karten für sieben Tage gelten sollen!
({0})
Auf die Frage der Lehrlinge bin ich vorhin schon eingegangen. Ich möchte nur zu gewissen Ausführungen, die der Herr Kollege Schmidt zur Frage der Abrechnung und ähnlichen Fragen gemacht hat, folgendes sagen:
Die Post und die Bahn unterscheiden sich, wie Sie sehr genau wissen, wesentlich in ihrer gesetzgeberischen Struktur. Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen ist zugleich der oberste Chef der ganzen Postverwaltung. Seinen Weisungen muß Rechnung getragen werden. Der Bundesminister für Verkehr dagegen ist nur eine Aufsichtsinstanz der Deutschen Bundesbahn, und das Bundesbahngesetz sieht, wenn ich mich recht erinnere, auf besonderen Wunsch der Mitglieder Ihrer Fraktion ausdrücklich vor, daß es dem Bundesminister für Verkehr verboten ist, mit Einzelweisungen in den Betrieb der Bundesbahn einzugreifen. Er kann infolgedessen Dinge, die der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen ohne weiteres durch450
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
setzen kann, leider nicht durchsetzen. Das ist ihm gesetzlich nicht ermöglicht worden. Dieser Zustand ist sehr stark auf die Stellungnahme Ihrer politischen Freunde bei der Beratung des Bundesbahngesetzes zurückzuführen.
({1})
- Verzeihung, entweder Zwischenfragen oder keine Zwischenfragen, aber nicht Zwischenrufe von solcher Länge, daß man sie nicht aufnehmen und beantworten kann.
Im übrigen, meine Damen und Herren, bin ich fertig. Ich darf nur noch bemerken, daß der Bilanzausgleich bei der Deutschen Bundesbahn für die Jahre 1948 bis 1956, also per 1. Januar 1957, durch die bekannten Beschlüsse der Bundesregierung über die Übernahme betriebsfremder Personallasten, die Ihnen, mindestens den Mitgliedern des Verkehrsausschusses ja bekannt sind, herbeigeführt worden ist.
({2})
Zunächst hat das Wort in der allgemeinen Aussprache zu dem gesamten Tagesordnungspunkt 2 der Herr Abgeordnete Dr. Bleiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bedauern es, daß die Große Anfrage von dem Herrn Bundesverkehrsminister im Einvernehmen mit dem Herrn Bundespostminister und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister beantwortet worden ist. Wir hätten es lieber gesehen, wenn auch der Herr Bundeswirtschaftsminister zu diesen unseren Fragen Stellung genommen hätte. Denn die Tariferhöhung ist nicht nur ein verkehrstechnisches Problem, sie ist in der Hauptsache ein zentrales Problem der Preis- und Wirtschaftspolitik. Die Verkehrsrate in der Bundesrepublik beläuft sich auf rund 10 % des Bruttosozialprodukts. Wenn die Tarife erheblich erhöht werden, so müssen sich daraus zwangsläufig Rückwirkungen auf das gesamte Wirtschafts- und Preisgefüge ergeben.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu den Personalkosten. In der Stellungnahme des Herrn Bundesverkehrsministers zu unserer Großen Anfrage ist wiederum durchgeklungen, daß die Personalkosten, d. h. daß also praktisch das Anwachsen der Lohn- und Gehaltskosten unvermeidlich zu einer Erhöhung der Tarife habe führen müssen. Ich bin der Meinung, daß diese These nicht richtig ist. Mir scheint, daß eine solche Argumentation Ursache und Wirkung verwechselt. Wir müssen deshalb hier noch einmal deutlich festhalten, daß der Wettlauf zwischen Preis und Lohn vom Preis ausgegangen ist. Wenn die Preiskurve ständig nach oben geht, dann ergibt sich daraus die zwingende Notwendigkeit, die Löhne den gestiegenen Preisen anzupassen. Man kann nicht immer wieder versuchen, die Dinge umzudrehen. Deswegen möchte ich an den Anfang meiner Ausführungen die These stellen, daß die Ursache der Tariferhöhung in ;der nach unserer Auffassung falschen Preis- und Wirtschaftspolitik der
Bundesregierung liegt. Das Tarifgebäude der Bundesbahn hat den wachsenden Preisdruck nicht ausgehalten. Der Preisdruck ist in den letzten Monaten so stark geworden, daß alle Überlegungen, die man um die Mitte des vergangenen Jahres angestellt hat, um die Defizite der Bundesbahn auszugleichen, längst überholt sind. Trotz der Tariferhöhung, Herr Bundesverkehrsminister - und da habe ich Sie eben nicht verstanden, als Sie in Ihren Darlegungen meinten, der Status sei per 1. Januar 1958 ausgeglichen -, arbeitet die Bundesbahn weiterhin mit erheblichen Verlusten, die heute schon für das Jahr 1958 mit etwa 400 Millionen Mark veranschlagt werden, die sehr bald auf 600 und 700 Millionen Mark anwachsen können.
Bei einer solchen Situation hätte nun die Bundesregierung von sich aus alle Anstrengungen machen müssen, um die gestiegenen Beschaffungskosten durch Rationalisierungsgewinne so weit wie nur irgend möglich zu kompensieren. Das hätte bedeutet, eine vernünftige Verkehrspolitik zu treiben. Eine solche vernünftige Verkehrspolitik hätte nach meiner Auffassung zwei wichtige Voraussetzungen gehabt: die genaue Beobachtung der verkehrstechnischen Entwicklung und zweitens die Anpassung der Bundesbahn an eine solche Entwicklung.
Beide Voraussetzungen sind aber von der Bundesregierung nicht erfüllt worden. Ich glaube, es gibt gerade für eine derartige Feststellung keinen besseren Zeugen als den Ersten Präsidenten der Bundesbahnverwaltung, Herrn Professor Oeftering. Herr Professor Oeftering schreibt in der Nr. 23 des Organs der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn „Die Deutsche Bundesbahn" - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Zu einem wesentlichen Teil ist diese finanzielle Lage der Bundesbahn aber die Folge einer weltweiten Entwicklung, und zwar schon vor einem halben Jahrhundert einsetzend, die sich aber erst nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland in vollem Umfang ausgewirkt hat. Ich meine die durch die Erfindung und technische Vervollkommnung des Motors ausgelöste Umwälzung des gesamten Verkehrswesens, die unaufhaltsam voranschreitet und die offensichtlich noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hat.
Herr Oeftering fährt interessanterweise fort:
Die Bundesbahn selbst hat sich mit dem Verlust ihrer Monopolstellung längst abgefunden.
Er sagt dann:
Die Quelle der heutigen finanziellen Schwierigkeiten der Bundesbahn ist weit mehr darin zu finden, daß die soeben von mir skizzierte Umwälzung im Verkehrswesen vom Gesetzgeber
- so sagt er vorsichtigerweise; er meint sicher die Bundesregierung weitgehend einfach ignoriert wird und die Bundesbahn kraft Gesetzes noch immer insbesondere in ihren finanziellen Verhältnissen zum Bund als dem Vermögensträger denselben
Spielregeln unterworfen ist, die nur auf ein Monopolunternehmen passen können. Insbesondere muß noch immer die Bundesbahn als ein Wettbewerbsunternehmen zahlreiche Lasten tragen, die sie früher als Monopolunternehmen getragen hat und als solches auch tragen konnte.
Es ist ein sehr hartes Urteil, das Herr Oeftering über die Bundesregierung fällt. Aber die von ihm getroffene Feststellung ist durchaus richtig. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß Herr Oeftering als früherer Leiter der Haushaltsabteilung im Bundesfinanzministerium jahrelang an der Pflege dieser Ignoranz maßgebend beteiligt war.
Auch ich bin der Meinung, daß die weltweite Entwicklung des Motors von der Bundesregierung entweder überhaupt nicht erkannt oder bewußt nicht honoriert worden ist. Denn sonst hätte man sich doch seit langem Gedanken darüber machen müssen, wo die Grenzen der Wirtschaftlichkeit in der Verkehrsbedienung zwischen Schiene und Straße und der Binnenschiffahrt liegen, d. h. man hätte durch einen vernünftigen Selbstkostenvergleich innerhalb dieser drei Verkehrsträger feststellen müssen, auf welchen Strecken und in welchen Gütergruppen der jeweilige Verkehrsträger am leistungsfähigsten ist. Eine solche betriebswirtschaftliche Untersuchung hat natürlich zur Voraussetzung, daß man auch für die Bundesbahn echte Wettbewerbsbedingungen schafft, daß man sie also mit einer ausreichenden Kapitalausstattung versieht, die ihr erst einmal eine Modernisierung ihrer Anlagen ermöglicht.
Der Bund - das darf ich in diesem Zusammenhang erwähnen - hat umfangreiche Mittel für den Neubau und für die Modernisierung der Binnen- und Hochseeschiffahrt und für den Auf- und Ausbau der Lufthansa zur Verfügung gestellt. Das war richtig, die Maßnahmen sind auch von uns voll unterstützt worden. Deshalb, meine Damen und Herren, ist es uns aber um so unverständlicher, daß der Bund seinem eigenen Sondervermögen, der Bundesbahn, eine solche wirksame Kapitalausstattung verweigert und die Bundesbahn ohne Rücksicht auf die Entwicklung als einen Monopolbetrieb behandelt hat, auf den man eine Reihe von unangenehmen Verpflichtungen abwälzen kann.
In diesem Zusammenhang darf ich kurz auf den Antrag zu sprechen kommen, der von der CDU/CSU und der DP eingereicht worden ist. Dieser Antrag hat eine Präambel, in der es u. a. heißt:
Die deutsche Öffentlichkeit erwartet von der Erhöhung der Verkehrsentgelte der Deutschen Bundesbahn eine Sanierung des Unternehmens und eine Befreiung des deutschen Steuerzahlers von den seit Jahren gestiegenen Subventionen aus allgemeinen Steuermitteln.
Nun, meine Damen und Herren, was heißt eigentlich Subventionen? Sie haben jahrelang der Bundesbahn eine vernünftige Kapitalausstattung verweigert. Sie haben sie auf den Weg gewiesen, die Gelder sich irgendwo zusammenzuborgen, wo es nur geht, und Sie haben die Bundesbahn gezwungen,
sich kurzfristig die Mittel zu beschaffen, die sie brauchte, um den Haushalt auszugleichen. Jetzt machen Sie ihr plötzlich den Vorwurf, daß sie von Subventionen gelebt habe. Ich glaube, der Fehler liegt bei der Bundesregierung. Man hätte das eigene Bundesvermögen kapitalmäßig vernünftig ausstatten müssen. Dann, glaube ich, wäre es auch auf Subventionen - von denen im übrigen keine Rede sein kann - nicht angewiesen.
Man hat später, als die Entwicklung die Bundesbahn in eine defizitäre Wirtschaft gezwungen hatte, versucht, der Bundesbahn durch indirekte Maßnahmen zu helfen, d. h. durch eine verstärkte Belastung des Straßenverkehrs. Man hat beide Verkehrsträger immer mehr mit Lasten belegt und diese beiden Verkehrsträger gegeneinander ausgespielt. Diese von der Bundesregierung geübte Methode hat zweifellos zu einer Verkrampfung des ganzen Wettbewerbs zwischen Schiene und Straße geführt und hat die beklagenswerte ruinöse Konkurrenz verursacht. Das hat auch dazu geführt, daß die Bundesbahn ihren eigenen DEGT laufend unterbieten mußte, nur um das Frachtgut an sich zu ziehen.
Mir liegt hier ein Schreiben des Werbedienstes der Bundesbahndirektion Münster vor. In diesem Werbeschreiben, aus dem ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren möchte, wird unter anderem gesagt:
Unter der Voraussetzung, daß die in Aussicht gestellte Verkehrssteigerung im Stückgutversand auf monatlich 100 t erfolgt, wird ein Rollgeldkostenzuschuß in Höhe von 60 Pfennig je 100 kg gezahlt.
Es wird weiter gesagt:
Die bereits bestehende Abmachung über die Erstattung von 50 % der Behältermiete bleibt unverändert bestehen.
Und weiter heißt es:
Für die Wagenladungen wird, ausgenommen nach der 5-t-Klasse, je nach Gutart und Entfernung ein Rollgeld- und Umladekostenzuschuß gezahlt. Die Höhe dieses Zuschusses wird verschieden hoch ausfallen. Für Blechladungen von der Sieg würden z. B. 3 DM je Tonne tragbar sein, während der Zuschuß für Eisenladungen von der Ruhr rund 10 % der Fracht ausmachen würde.
Meine Damen und Herren, das ist eines von vielen Beispielen, sie sind beliebig vermehrbar. Das hat dazu geführt, daß die Bundesbahn sich selbst tarifuntreu wurde, daß sie auf einen Teil ihrer Einnahmen zwangsläufig verzichtet hat. Es hat dazu geführt, daß sie mit einer Vielzahl von Vergünstigungen und Tarifunterbietungen arbeiten mußte. Man schätzt, daß allein dadurch der Bundesbahn ein Ausfall von mindestens 150 Millionen DM jährlich entsteht. Das sind zweifellos Gelder, die der Steuerzahler zahlen muß und die praktisch der verladenden Wirtschaft zugute kommen. Ich möchte meinen, daß gerade hierin noch Möglichkeiten liegen, Steuergelder zu sparen.
Ein weiteres trauriges Kapitel, das im Bundestag wiederholt angesprochen worden ist, ist der Dualismus zwischen Bahn und Post im Personen- und im Kleingutverkehr. Es ist offengestanden einfach nicht zu verstehen, daß zwei große Bundesvermögen, die Bundesbahn und die Bundespost, sich gegenseitig im Personenverkehr den Fahrgast und im Kleingutverkehr das Paket wegschnappen und daß der Steuerzahler und der Verkehrsteilnehmer diesen Kompetenzstreit der beiden häufig so feindlichen Brüder bezahlen muß. Ich bin der Meinung, auch auf diesem Gebiet liegt eine Vielzahl von Reserven, die ausschöpfbar sind.
Meine Damen und Herren! Ich habe diese Beispiele gebracht, um darzutun, daß es bei einer vernünftigen Verkehrspolitik möglich gewesen wäre, durch Rationalisierung einen erheblichen Teil der Kostensteigerungen zu kompensieren, einen erheblichen Teil der Verluste zu verhüten und dadurch die Tariferhöhung erträglicher zu machen. Wenn das nicht geschehen ist, dann liegt die Schuld vielleicht noch nicht einmal so sehr bei dem Herrn Bundesverkehrsminister; sie liegt vielmehr bei dem Bundesfinanzminister, der sich bisher unter Voranstellung anderer Ausgabeposten konstant geweigert hat, den Verkehrshaushalt so ausreichend zu dotieren, daß eine leistungsfähige, in ihren Wettbewerbsverhältnissen ausgeglichene Verkehrswirtschaft ihre großen volkswirtschaftlichen Aufgaben auch erfüllen kann.
({0})
- Nein! Mit einer besseren Verteilung der Haushaltsausgaben würden wir vielleicht, ohne mehr Geld zu drucken, wesentlich bessere volkswirtschaftliche Wirkungen erzielen. - Es ist deshalb nicht gut, wenn das Schwergewicht der Verkehrspolitik im Bundesfinanzministerium liegt und wenn der Haushaltsreferent diesen Tatbestand auch äußerlich dadurch kennzeichnet, daß er sein Referat in „Abteilung für Verkehrspolitik" umfirmiert hat.
Meine Damen und Herren! Diese Fehler der nach unserer Auffassung falschen Verkehrs- und Finanzpolitik müssen jetzt Verbraucher und Fahrgast in einer Form bezahlen, die mit der Tariferhöhung vom 1. Februar ihren Anfang nimmt. Gerade weil es sich hier um die erste wesentliche Tarifreform handelt, möchte ich mich mit den Einzelheiten dieser Reform noch etwas eingehender auseinandersetzen. Ich bin der Meinung, daß die Bundesbahn es sich bei der Abschätzung der wirtschaftlichen Auswirkungen verhältnismäßig leicht gemacht hat. Sie vergleicht das mutmaßliche Mehraufkommen mit dem Bruttosozialprodukt und errechnet sich eine Mehrbelastung von 0,45 %. Sie geht sogar noch weiter - der Herr Bundesverkehrsminister hat vorhin auch diese Zahlen angedeutet - und meint, daß, auf die Lebenshaltungskosten umgelegt, die Erhöhung nur 0,08 bis 0,16 % ausmacht.
Mir scheint eine solche Methode etwas zu primitiv zu sein. Die Tariferhöhung, die in ihrer Gesamtheit immerhin 1 Milliarde DM ausmacht, bedeutet doch zweifellos den schwersten Schlag, den - als Einzelmaßnahme - unser Preisniveau bisher auszuhalten hatte, und man kann nicht durch irgendwelche Rechenkunststücke die eine Milliarde einfach in der Versenkung verschwinden lassen. Sie ist da; wir müssen mit dieser einen Milliarde Mehrbelastung rechnen. Ich bin der Meinung, daß diese Durchschnittsrechnung den Kern der Sache absolut nicht trifft. Ich bin vielmehr der Überzeugung, daß die Tariferhöhung eine generelle Preiswelle von erheblicher Bedeutung auslösen wird, und ich möchte Ihnen hierfür einige Beispiele nennen.
Zunächst scheint es mir bemerkenswert zu sein, daß die Tariferhöhung nicht einheitlich und nicht gleichmäßig erfolgt ist, sondern daß man sich der jeweiligen Wettbewerbslage angepaßt hat, d. h. daß sie eine bewußte Kampfmaßnahme gegen den Straßenverkehr und insbesondere gegen den gewerblichen Güterfernverkehr enthält. Überall dort, wo der Lkw oder der Omnibus oder der Pkw als Wettbewerber im Hintergrund steht, hat die Bundesbahn entweder nur mäßig oder überhaupt nicht die Tarife erhöht. Sie hat die Tarife in solchen Fällen teilweise sogar noch gesenkt. Aber überall dort, wo man glaubte, mit nur geringem Widerstand rechnen zu müssen, wurden die Tarife kräftig angezogen: im Güterverkehr bis zu 42 %, im Berufsverkehr bis zu 76 % und bei den Sozialtarifen bis zu 300 %. Erfreulicherweise hat die CDU nunmehr auch den Antrag gestellt, diese ganz grobe Ungerechtigkeit zu beseitigen.
Die Methode der Tariferhöhung zeigt wenig soziales Verständnis und muß zu einer Vielzahl von wirtschaftlichen und sozialen Härten führen. Nutznießer dieser Methode ist der Großbetrieb, Leidtragender ist der Klein- und Mittelbetrieb, Leidtragender ist der Berufsverkehr und Leidtragende sind insbesondere die sozial schwachen Schichten unseres Volkes.
Die von der Bundesregierung als Kampfmaßnahme gegen den Straßenverkehr verfügte Tarifsockeländerung - der Herr Bundesverkehrsminister hat sich ausführlich damit beschäftigt - führt zu einer Reihe von kuriosen Tarifentwicklungen. Ich möchte Ihnen hier einmal ein solches Kuriosum vorrechnen. Bei einer mittleren Versandweite von 200 km zahlt ab 1. Februar ein Verlader, der 5 t verlädt, 24 DM mehr Fracht. Wenn er 10 t verlädt, zahlt er nur noch 7 DM mehr Fracht. Wenn er 15 t verlädt, zahlt er 26,50 DM weniger Fracht, und wenn er 20 t verlädt, zahlt er 64 DM weniger Fracht. Der Großbetrieb erhält einen Frachtnachlaß von 11 %, der mittlere und der Kleinbetrieb müssen eine um 15 % erhöhte Fracht zahlen.
Diese erheblichen Frachtunterschiede, die von den Klein- und Mittelbetrieben getragen werden müssen und diese Betriebskategorie wesentlich benachteiligen, sind nach meiner Auffassung einer vernünftigen Mittelstandspolitik diametral entgegengesetzt. Ich hätte gern von den Mittelstandspolitikern der CDU ihre Stellungnahme zu diesen tarifarischen Maßnahmen der Bundesregierung gehört. Wir halten diese Differenzierungen für gefährlich, weil sie den Mittelbetrieb benachteiligen, weil sie die Wettbewerbsverhältnisse erheblich
verschieben und weil sie damit eine zusätzliche Unruhe in die Wirtschaft tragen.
Noch einen weiteren Beweis für die preissteigernde Wirkung der Tariferhöhung; diesmal nach Warenkategorien. Mein Freund Schmidt hat schon die Tarifentwicklung bei dem Versand von Kohlen aufgezeigt. Er hat darauf hingewiesen, daß sich der Kohlepreis pro Tonne bei einer mittleren Versandweite von etwa 300 km um 2,50 DM erhöht. Das ist ungefähr die Hälfte der Kohlenpreiserhöhung vom Oktober des vergangenen Jahres. Aber für eine weitere Grundstoffindustrie, für die Stahlindustrie, ergibt sich pro Jahr eine Frachterhöhung von 80 Millionen DM. Das ist eine Mehrbelastung von 4 DM je Tonne Stahl in der ersten Stufe der Verarbeitung.
Ich möchte Sie weiter darauf hinweisen, daß insbesondere die Steine und Erden, also die Baustoffe, von der Tariferhöhung hart betroffen werden. In dieser Gruppe rechnet man mit einem Anteil der Frachtkosten am Preis bis zu 54 %. Wenn man hier zu einer 10- oder 15 %igen Tariferhöhung kommt, muß das zwangsläufig preispolitische Auswirkungen haben.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen diese Beispiele vorgetragen, um Ihnen darzustellen, daß uns die Tariferhöhung vor ernste preispolitische Probleme stellt und daß es wenig Sinn hat, die preispolitischen Wirkungen durch einige Globalrechnungen zu bagatellisieren.
Nun einige Sätze zum Berufsverkehr! Ich möchte nach den Mitteilungen und Zuschriften, die ich bekommen habe, sagen, daß die drastischen Anhebungen der Tarife im Berufsverkehr eine große Erregung in der Öffentlichkeit ausgelöst haben. Sie alle, meine Damen und Herren, werden eine Reihe von Beschwerden von den verschiedenen Betroffenen, von den Betriebsräten, von den Belegschaften der Firmen, von Angestelltenkammern und von anderen Institutionen, erhalten haben, in denen je nach der Lage des Betriebes auf die besonderen Härten hingewiesen worden ist. Ich glaube, Sie werden wirklich niemand trösten können, wenn Sie sagen, die Bundesbahn sei bisher zu billig gefahren und müsse nun die Tarife kräftig anheben.
Der Herr Bundesverkehrsminister hat bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage gesagt, von einer drastischen Anhebung der Tarife des Berufsverkehrs und der Sozialtarife könne man doch wohl nicht sprechen. Ich möchte Sie, Herr Bundesverkehrsminister, fragen: was verstehen Sie eigentlich unter „drastischer" Anhebung, wenn 50 bis 76 % noch nicht in diese Kategorie fallen? Ich möchte Sie fragen: wo fangen dann bei Ihnen eigentlich die „drastischen Anhebungen" an? Sie haben weiter gesagt, daß die Anhebungen der Tarife im Berufsverkehr doch „sehr maßvoll" seien. Auch dazu wieder eine Zahl. Die Mehreinnahmen machen 107 Millionen DM aus. Wir haben etwa 1,5 Millionen Pendler. Für jeden Pendler ergibt sich im Durchschnitt eine jährliche Mehrbelastung von 70 DM. Das wäre schon kein Pappenstiel. Aber nun gibt es große Spannweiten. Es wird viele Familienväter geben, die künftig für die Fahrt einige hundert Mark im Jahr mehr ausgeben müssen. Ich glaube, das ist doch schon eine erhebliche Belastung.
Ich kann mich auch nicht mit Ihrer Antwort zufriedengeben, daß die dem Berufsverkehr dienenden Personenzüge im Mittel nur zu 40 % ausgelastet sind. Es ist leider so, daß wir heute noch über sehr starke Überbesetzungen zu klagen haben. Herr Bundesverkehrsminister, ich verstehe Sie auch nicht, wenn Sie sagen: Es mag schon einmal möglich sein, daß vom Verkehrszentrum aus eine starke Belastung eintritt, diese lockert sich nachher aber bald auf. Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, gehen dahin, daß diejenigen, die sich des Berufsverkehrs bedienen, oft lange Zeit in den Gängen stehen müssen, um überhaupt an den Arbeitsplatz oder wieder nach Hause zu kommen.
Dann bitte noch eine organisatorische Frage! Sie sagten: Eine solche Zuggarnitur fährt morgens 'rein und abends raus oder umgekehrt; d. h. sie wird in 24 Stunden nur einmal in Bewegung gesetzt. Ich möchte fragen: was ist das eigentlich für eine Organisation, bei der man den Zug nur morgens einmal hin- und abends zurückfährt? Ich bin der Meinung, daß derartige Verhältnisse doch geradezu nach Reform schreien. Da liegen doch noch große Möglichkeiten, um den Betrieb zu vereinfachen und insbesondere, um dafür zu sorgen, daß der Wagenpark besser und vernünftiger genutzt wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin im Gegensatz zu dem Herrn Bundesverkehrsminister und zu der Regierungskoalition der Meinung, daß der Berufsverkehr eine gemeinwirtschaftliche Aufgabe ist, die die Bundesbahn zu erfüllen hat. Wenn die Bundesbahn diesen gemeinwirtschaftlichen Aufwand wegen der völlig veränderten Wettbewerbslage nicht mehr tragen kann, dann muß eben dieser Sozialaufwand vom Bund übernommen werden. Wir halten die von der Bundesregierung verfügte scharfe Anhebung der Tarife im Berufsverkehr für eine so große, in die Lebensverhältnisse des einzelnen Berufstätigen so tief eingreifende soziale Härte, daß wir den Antrag gestellt haben, diese Maßnahme unverzüglich wieder rückgängig zu machen.
Ich darf kurz zusammenfassen: Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß die Ursache der Tariferhöhung in der falschen Preis- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung liegt und daß die Bundesregierung auch auf verkehrspolitischem Gebiet nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um die Kostensteigerung durch Rationalisierungserfolge zu kompensieren. Wir sind der Meinung, daß die Erhöhung der Tarife nicht gleichmäßig und einheitlich erfolgt ist, sondern daß sie eine gezielte Kampfmaßnahme gegen den Straßenverkehr ist, die als solche den Großbetrieb bevorzugt und bewußt und nachhaltig die mittelständische Wirtschaft benachteiligt.
({1})
Wir sind der Meinung, daß die Tariferhöhung eine Entfernung vom Prinzip der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsbedienung bedeutet.
Aus diesen vielerlei Gründen erheben wir unsere Bedenken gegen die getroffenen tarifarischen Maßnahmen. Wir halten eine Erhöhung der Sozialtarife und der Tarife des Berufsverkehrs für nicht vertretbar. Wir haben ihre Aufhebung beantragt. Wir halten es für unvertretbar, daß die Bundesregierung systematisch dazu übergeht, soziale Einrichtungen immer stärker abzubauen. Wir sind der Meinung, daß es bei einer vernünftigen Verkehrspolitik, bei einer besseren Tariftreue der Bundesbahn, bei etwas mehr Ordnung der Bundesvermögen im eigenen Hause durchaus möglich gewesen wäre, die Tariferhöhung in ihren Ausmaßen wesentlich zu beschränken.
Wir machen dem Bundeswirtschaftsminister den Vorwurf, daß er sich um diese Entwicklung nicht in dem Maße gekümmert hat, wie es im Interesse einer Stabilität der Preise notwendig gewesen wäre. Jetzt ist mit der Tariferhöhung ein weiterer wesentlicher Stabilisierungsfaktor unseres Preissystems zusammengebrochen. Die Auswirkungen sind im Moment überhaupt noch nicht zu übersehen.
Noch einige Sätze zur Bundespost! Der Herr Bundesverkehrsminister hat sich in den Fragen der Tariferhöhung der Bundespost sehr zurückhaltend geäußert. Das ist zunächst tröstlich. Wir haben noch nicht wieder die unliebsame Überraschung, erst post festum darüber beraten zu dürfen. Die Verhältnisse sind bei der Post nicht so schwierig wie bei dem größeren Bruder, der Bundesbahn. Trotzdem müssen wir auch bei der Post feststellen, daß der Bund wenig für den Ausbau des Post- und Fernmeldewesens getan hat. Er hat die Post ebenfalls auf den Weg der Fremdfinanzierung gewiesen. Die Bundespost hat es hierbei verhältnismäßig leicht gehabt, weil ja die Sammelbecken des Postscheck- und des Postsparkassenwesens zur Verfügung standen. Aber die Kehrseite der Medaille ist eben die außerordentlich ungünstige Entwicklung des Verhältnisses von Eigenkapital zu Fremdkapital. Wir müssen heute konstatieren, daß die Bundespost eine Verschuldung von mehr als drei Milliarden DM hat und daß es sich dabei um mehr als die Hälfte kurz- oder mittelfristiges Geld handelt, das in kurzer Zeit abgefordert werden kann.
Nun, Herr Bundespostminister, auch hier muß man fragen: warum ist bei der Bundespost keine vernünftige Kapitalausstattung möglich? Die Bundespost hat 1949 eine Million DM Zinsen gezahlt. 1956 ist die Zinslast auf 156 Millionen DM angewachsen. Man belastet also hier ein Bundesvermögen mit immer höheren Zinsen, die bei einer vernünftigen Kapitalausstattung hätten erspart werden können. Es ist uns gesagt worden, daß die Bundesregierung -
Gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Bucerius?
Ja!
Herr Bleiß, sind Sie nicht der Meinung, daß das Eigenkapital der Bundespost auch verzinst werden müßte?
Ich komme gleich darauf zu sprechen. - Sie haben, Herr Kollege Bucerius, im Ausschuß auch kürzlich gehört, daß die Bundespost in diesem Jahr vermutlich einen Verlust von rund 200 Millionen DM ausweisen wird. Obwohl die Bundespost einen Verlust ausweist, verlangt die Bundesregierung von ihr eine Gewinnabgabe von 300 Millionen DM. Diese 300 Millionen DM bedeuten nicht eine angemessene Verzinsung des Eigenkapitals; der Abführungsbetrag geht über eine normale Verzinsung des Eigenkapitals weit hinaus. Obwohl man also weiß, daß es zu Verlusten führen muß, wird die Bundespost finanziell geschwächt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Welche Umsatzsteuer zahlt denn die Bundespost?
Sie zahlt keine Umsatzsteuer, Herr Kollege Bucerius, sie hat aber dafür eine Reihe von gemeinwirtschaftlichen Aufgaben zu erfüllen; das ist eben ein gewisser Ausgleich dafür. Wenn jemand gemeinwirtschaftlichen Aufwand zu treiben hat, können Sie ihn natürlich nicht noch mit allen möglichen Abgaben, Verkehrssteuern usw. belasten.
({0})
Ich meine also, Herr Kollege Bucerius, daß es vernünftiger wäre, wenn die Post heute einen finanziell schwachen Status hat, der Post den Abführungsbetrag zu stunden und nicht das Geld noch herauszuziehen und sie dadurch zwangsläufig in eine defizitäre Wirtschaft zu bringen.
({1})
- Sie können ja bei der Bundespost nicht mehr von einem absoluten Monopol reden. Es handelt sich doch darum, Herr Kollege Bucerius, sich darüber klar zu werden, ob eine Tariferhöhung notwendig wird oder ob man sie verhindern kann.
Herr Abgeordneter Dr. Bleiß, die Kollegen drängen sich geradewegs dazu, Ihnen Zwischenfragen zu stellen. Gestatten Sie auch dem Herrn Abgeordneten Müller-Hermann eine Frage?
Bitte schön!
Herr Kollege Bleiß, haben Sie in den letzten Jahren eine auch von der SPD geführte Kommune erlebt, die auf die Konzessionsabgabe der kommunalen Betriebe verzichtet hat, - aus den gleichen Gründen, die Sie hier geltend machen?
Darf ich fragen, welche Institution Sie meinen?
Die Kommunen! Die Städte!
Ja, überall da, wo Unternehmungen nicht finanziell so gefährdet sind, wie es bei der Bundespost der Fall ist.
({0})
Es kommt doch darauf an, Herr Kollege Müller-Hermann: Wollen wir nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Tariferhöhung zu verhindern?! Sie drängen sich offenbar darum, nach Argumenten für eine solche Tariferhöhung zu suchen. Darin unterscheiden wir uns, meine Damen und Herren.
({1})
Ich würde es für sehr gefährlich halten, wenn man jetzt der Bundespost einen Abführungsbetrag von 300 Millionen DM auferlegte. Ich möchte deswegen den dringenden Appell an die Bundesregierung richten, von dem Einzug eines solchen Abführungsbetrages Abstand zu nehmen; denn auch die Bundespost befindet sich in einer außerordentlich schwierigen finanziellen Situation.
Die tarifarischen Maßnahmen der Bundesregierung haben nicht zu einer Gesundung der Verkehrswirtschaft geführt. Es steht heute fest, daß die Bundesbahn - ich habe das schon eingangs gesagt - auch im laufenden Jahr mit erheblichen Verlusten arbeitet. Es steht heute fest, daß sich der ruinöse Wettbewerb zwischen Schiene und Straße verstärkt fortsetzen wird. So, wie sich die Dinge entwickeln, besteht durchaus die Gefahr, daß wir in etwa einem Jahr vor einer neuen Tariferhöhung mit allen sich daraus ergebenden preispolitischen Konsequenzen stehen.
Ich bin aber der Meinung, daß es heute noch eine Reihe von Möglichkeiten gibt, eine solche Entwicklung zu verhindern, wenn sich die Bundesregierung dazu versteht, endlich die von uns verlangte Verkehrsreform durchzuführen. Der Herr Bundesverkehrsminister ist in seiner Antwort auch auf die Frage der Verkehrsreform eingegangen. Aber, Herr Bundesverkehrsminister, diese Antwort hat uns nicht ganz zufriedengestellt. Sie sprachen in Ihrer Stellungnahme nicht mehr von einer Verkehrsreform, sondern nur noch von einer Tarifreform. Sie sagten, daß durch die Maßnahmen vom 20. Oktober 1953 eine gewisse Neuordnung in der Verkehrspolitik herbeigeführt werde. Nun, Herr Bundesverkehrsminister, die Erhöhung der Verkehrsteuern bedeutet noch keine Verkehrsreform, sondern ist eine dirigistische Maßnahme, um Transportgut von dem einen Verkehrsträger zu dem anderen zu verlagern.
Sie haben dann auf die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers in der Regierungserklärung vom 29. Oktober vergangenen Jahres Bezug genommen, in denen der Herr Bundeskanzler gesagt hat, die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger seien soweit wie möglich einander anzugleichen. Durch die Sockeländerung, Herr Bundesverkehrsminister, gleichen Sie die Wettbewerbsbedingungen nicht an, sondern Sie verschärfen die Unterschiede in den
Wettbewerbsbedingungen; Sie ziehen die Wettbewerbsbedingungen immer mehr auseinander und führen neue Differenzierungen herbei.
Es heißt in der Antwort der Bundesregierung weiter: „Eine volkswirtschaftlich und verkehrspolitisch zweckmäßige Zusammenarbeit und Aufgabenteilung der Verkehrsträger wird gefördert." Durch die Tarifanhebung, insbesondere durch die Sockeländerung werden Sie eine solche Zusammenarbeit nicht fördern, sondern Sie werden den Konkurrenzkampf weiter verschärfen, die ruinöse Konkurrenz noch stärker fördern.
Es heißt in der Erklärung dec Bundeskanzlers weiter: „An den gemeinwirtschaftlichen Aufgaben der Deutschen Bundesbahn wird grundsätzlich festgehalten." Die Erhöhung der Tarife im Berufsverkehr bedeutet eine deutliche Abwendung von diesem gemeinwirtschaftlichen Prinzip.
In der zitierten Regierungserklärung heißt es weiter: „Ein freier Preiswettbewerb zwischen den Verkehrsträgern bleibt weiterhin ausgeschlossen." Ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Ist der freie Preiswettbewerb heute dadurch geschaffen, daß man der Bundesbahn bestimmte gesetzlich verankerte Vorzüge einräumt? Wird dadurch nicht eine einheitliche Preisbildung verhindert, und ergeben sich nicht für einen Verkehrsträger bestimmte Preisvorrechte?
Wir verlangen etwas mehr. Wir verlangen eine umfassende Verkehrsreform. Nach unserer Vorstellung soll die Verkehrsreform den Zweck verfolgen, das Verhältnis der Verkehrsträger zueinander zu ordnen, das Verkehrsvolumen nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Verkehrsträger neu aufzuteilen, die Verkehrswirtschaft zu rationalisieren, den Dualismus zwischen Bahn und Post auszuräumen und damit die hohen Kosten, die heute in der unrationellen Verkehrswirtschaft liegen, zu beseitigen.
Eine Voraussetzung für diese Maßnahmen ist die Erstellung eines Selbstkostenvergleichs innerhalb der drei Verkehrsträger Schiene, Straße und Binnenschiffahrt. Wir haben uns für diesen Selbstkostenvergleich zu wiederholten Malen im Bundestag eingesetzt. Leider haben wir bisher feststellen müssen, daß die Erstellung der für eine gesunde Verkehrswirtschaft dringend erforderlichen betriebswirtschaftlichen Unterlagen von der Bundesregierung systematisch verzögert worden ist. Wir nehmen heute den Gedanken wieder auf und stellen den Antrag:
Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht,
unverzüglich einen Selbstkostenvergleich zwischen der Bundesbahn, dem gewerblichen Güterkraftverkehr und der Binnenschiffahrt zu erstellen und dem Bundestag bis zum 31. März 1959 den Selbstkostenvergleich vorzulegen.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Brück.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich etwas mit den Ausführungen meiner beiden Herren Vorredner, des Herrn Kollegen Schmidt und des Herrn Dr. Bleiß, befassen.
Ich darf eingangs einmal folgendes sagen. Wenn es hier nicht eine Opposition und eine Regierung gäbe, würden wir über die zur Zeit beschlossene und vorgenommene Tarifreform nicht sprechen.
({0})
Dann würden alle einheitlich einsehen, daß die Maßnahmen im Prinzip notwendig gewesen und zu Recht angeordnet worden sind.
({1})
- Bitte schön, kommen Sie nachher auch hierher, dann können wir weiter sprechen.
Nun ist soeben von Herrn Kollegen Schmidt gesagt worden, und auch Herr Dr. Bleiß hat das mehr oder weniger hier anklingen lassen, daß gerade durch die Anhebung der Güterverkehrstarife ganz erhebliche Kostensteigerungen eintreten würden. Sicherlich treten Steigerungen ein. Aber ob sie in diesem Umfang eintreten, möchte ich doch mit sehr großem Fragezeichen versehen. Der Herr Bundesverkehrsminister hat ausgeführt, daß sich die zuständigen Gremien mit der Sache befaßt haben. Ich messe hier insbesondere der Ständigen Tarifkommission eine ganz besondere Bedeutung bei. Darin sitzen neben den Vertretern der Deutschen Bundesbahn nämlich auch die Vertreter der Industrie, der Land- und der Forstwirtschaft und des Handels. Auch der Kraftverkehr ist vertreten, wenn auch nur mit beratender Stimme. Gerade dieses Gremium hat der Tarifreform seine einhellige Zustimmung gegeben. Auch die Vertreter der Gewerkschaften haben im Prinzip dieser Tarifreform zugestimmt.
({2})
- Sie haben gewisse Bedenken angemeldet, aber sie haben die Notwendigkeit der Tarifreform anerkannt.
Diese Gremien sind davon ausgegangen, daß in Wirklichkeit die Preise der Lebensmittel hierdurch um etwa 0,33 %, die Preise für Halbstoffe um 1,10 % und die Preise für Massengüter um etwa 3,30 % angehoben würden.
Es wird sicherlich Preise geben, die mehr oder weniger angehoben werden müssen. Das liegt in der Natur der Sache. Es muß aber auch gesagt werden, daß sehr stark mit Ausnahmetarifen gearbeitet worden ist; Herr Dr. Bleiß hat hier von Kampfmaßnahmen gesprochen.
Von beiden Herren Rednern sind insbesondere die Sozialtarife und namentlich die Tarife des Arbeiterberufsverkehrs genannt worden. Überhaupt ist der Personenverkehr angesprochen worden.
Es scheint mir richtig zu sein, daß wir uns mit dem Personenverkehr bei der Bundesbahn ein wenig befassen. Vielleicht sehen wir uns einmal die Ergebnisse der letzten Jahre an. Die Einnahmen aus dem Personenverkehr betrugen im Jahre 1956 rund 1,452 Milliarden DM. Die Einnahmen aus ermäßigten Tarifen machten dabei 74,4 % aus, das sind 1,081 Milliarden DM. Nur von 7,7 % der beförderten Personen ist der volle Fahrpreis gezahlt worden, während 92,3 % in irgendeiner Form zu einem ermäßigten Tarif gefahren sind.
Der Herr Bundesverkehrsminister hat darauf hingewiesen, daß wir auch in Zukunft noch 25 Fahrpreisermäßigungen gegenüber bisher 28 haben, die an einen Antrag gebunden sind. Wir haben daneben 11 Fahrpreisermäßigungen, die von jedem in Anspruch genommen werden können.
Wir wollen uns nun einmal die Einnahme je km ansehen. Die Normaltarife und die Fahrpreisermäßigungen für jedermann erbrachten eine Einnahme von 5,19 Pf pro km, der Berufs- und Schülerverkehr 1,89 Pf und die Beförderung zu den sonstigen sozialen Personentarifen 2,11 Pf. Das ergibt ein Mittel von 3,89 Pf pro km. Bei Abwägung aller Gesichtspunkte mußte hier also eine Korrektur vorgenommen werden.
Von beiden Herren wurden einige konkrete Beispiele genannt und bemerkt, das sei ja doch alles nicht nötig, man solle die Sache mit einem Bundeszuschuß ausgleichen. Über die vorgenommene Korrektur wird jetzt geschimpft, weil es sich um die Bundesbahn handelt. Aber nicht nur bei der Bundesbahn hat seit dem 1. Februar 1958 eine Tarifanhebung stattgefunden, sondern es sind auch anderswo schon in den letzten Jahren oder Monaten Tarifänderungen eingetreten, und zwar hier speziell im Berufsverkehr. Auf eine Zwischenfrage wurde darauf bereits in etwa hingewiesen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß dort, wo Sie, meine Damen und Herren ({3}), die Mehrheit haben, etwa in Bochum und in Gelsenkirchen, der Tarif für den Berufsverkehr angehoben worden ist, ebenso in Duisburg und auch in Düsseldorf, wo keine CDU-Mehrheit besteht. Es wird keiner behaupten wollen, daß die CDU in Wuppertal die Mehrheit habe; auch da sind die Tarife speziell für den Berufsverkehr angehoben worden. Dasselbe gilt für Hagen und Remscheid. Ich habe nicht feststellen können, daß sich dort gegen die Erhöhung der Tarife im Berufsverkehr die gleiche Opposition bemerkbar gemacht hat.
({4})
Wir können auch noch einen anderen Vergleich anstellen, nämlich den Vergleich zwischen Schiene und Parallelverkehr auf der Straße. Der Herr Bundesverkehrsminister hat eben zwei Beispiele aus der Umgebung von Bonn gebracht. Hier könnte der Einwand gemacht werden: Na ja, da sind unsere Leute ja nicht in so starkem Maße mitbestimmend, deshalb paßt das Beispiel gerade hier. Ich darf Ihnen einige andere konkrete Beispiele bringen:
Von Ennepetal-Milspe nach Wuppertal-Barmen - 12 km Entfernung - kostet eine ArbeiterwochenBrück
karte bei der Bundesbahn 5,10 DM, bei der Straßenbahn kostet sie 5,20 DM. Von Ennepetal-Milspe nach Wuppertal-Oberbarmen, 10 km, Bundesbahn 4,60 DM, Straßenbahn 4,80 DM. Ein anderes Beispiel: Von Schwelm nach Wuppertal-Barmen, 8 km, Bahn 4 DM, Straße 4,40 DM. Oder von Schwelm nach Wuppertal-Oberbarmen Bahn 3 DM, Straße 4 DM;
({5})
von Wuppertal-Oberbarmen nach Wuppertal-Elberfeld Bahn 3 DM, Straße 4 DM; von WuppertalOberbarmen nach Wuppertal-Unterbarmen Schiene 2,50 DM, Straße 3,60 DM; von Wuppertal-Barmen nach Wuppertal-Elberfeld Schiene 2,50 DM, Straße 3 DM; von Wuppertal-Vohwinkel nach WuppertalElberfeld Schiene 3,50 DM, Straße 4 DM oder nach Wuppertal-Barmen Schiene 4 DM, Straße 4,60 DM.
Man kann auch einmal eine andere Stadt nehmen: Essen. In Essen soll auch nicht gerade eine Mehrheit der Mitte bestehen. Von Essen-Hauptbahnhof nach Essen-Steele kostet bei einer Entfernung von 6 km die Bundesbahnkarte 3 DM, die Straßenbahnkarte 3,20 DM; von Essen-Hauptbahnhof nach Essen-West, 3 km Entfernung, Schiene 2,50 DM, Straße 2,90 DM. Für den Schienenparallelverkehr von Essen-Hauptbahnhof nach Düsseldorf kostet die Straßenbahnfahrkarte 12 DM, während die Bundesbahnkarte 10,20 DM kostet. Oder Duisburg! Auch Duisburg hat, glaube ich, keine CDU-Mehrheit. Von DuisburgHauptbahnhof nach Angermund kostet die Bundesbahnkarte 5,30 DM, die Straßenbahnkarte 5,50 DM. Oder Dortmund! Von Dortmund nach DortmundMengede Schiene 3 DM, Straße 5 DM. Diese Beispiele könnte man beliebig fortsetzen. Hier hat man diese großen Proteste in dieser Weise nicht gehört, und das löst doch sehr starkes Befremden aus.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Bleiß?
Bitte schön!
Herr Kollege Brück, ist Ihnen nicht bekannt, daß es sich bei dem Berufsverkehr um Pendler handelt, die sehr lange Strecken zurücklegen, und daß es sich bei den Tarifen innerhalb einer Gemeinde um relativ kurze Fahrstrecken zu einem geringen Entgelt handelt? Ist der Protest in der Öffentlichkeit nicht deswegen entstanden, weil sich monatliche Mehrbelastungen von 20, 30 und 40 DM ergeben?
Herr Dr. Bleiß, dazu darf ich Ihnen folgendes sagen. Wenn Sie alle diese Fälle in Ruhe betrachten, dann können Sie das für die verschiedensten Entfernungen feststellen. Das ist ja von Fall zu Fall sehr verschieden, das ist nicht einheitlich. Ich bin Ihnen zu einem Teil dankbar für diese Frage. Ich darf Ihnen einmal das Beispiel meiner Heimatstadt Köln vortragen. Die Kölner Verkehrsbetriebe haben im vorigen Jahr die Tarife erhöht. Was trat ein? Für die weiteren Entfernungen, z. B. für die Strecke Köln-Porz-Urbach, trat bei der Bundesbahn ein Verlust ein, und zwar von 15,9 %. Für die Strecke von Köln nach Opladen trat ein Verlust von 11,1 % und für die Strecke von Köln nach Schlebusch ein Verlust von 34,4% ein. Im innerstädtischen Verkehr in Köln ist dagegen folgende Situation eingetreten: z. B. von Köln Hauptbahnhof nach Köln-Ehrenfeld ist beim vollen Fahrpreis eine Verkehrssteigerung von 118 % und bei den Zeitkarten sogar von 250 % eingetreten, von Köln Hauptbahnhof nach Kalk beim vollen Fahrpreis von 31 % und bei den Zeitkarten von 380 %. Das krasseste Beispiel ist das von Köln Hauptbahnhof nach Köln-Süd. Im innerstädtischen Verkehr hat die Deutsche Bundesbahn hier eine Zuwachsrate beim vollen Fahrpreis von 171%, und bei den Zeitkarten hat sie einen Gewinn zu verzeichnen von 1261 %. Was ist das Ergebnis? Die städtischen Verkehrsbetriebe schimpfen. Zu Recht schimpfen sie. Sie sagen: das ist im Grunde genommen ein innerstädtischer Verkehr, der uns gehört! - Auf der anderen Seite schimpft der Verkehrsbenutzer wieder darüber, daß die Verkehrsmittel der Bundesbahn nicht in Ordnung seien, daß man in überfüllten Zügen sitzen müsse usw.
Deshalb muß man, verehrter Herr Kollege Dr. Bleiß, die Tarifneuordnung auch im Arbeiterberufsverkehr in der Gesamtheit sehen. Die Dinge müssen insgesamt aufeinander abgestellt werden, damit sie in Ordnung kommen. Jeder Fachmann wird zugeben müssen, daß sie nicht ganz einfach sind. Die Frage, die Herr Kollege Ritzel an den Herrn Bundesverkehrsminister gestellt hat, an dessen Ausführungen danach wieder Kritik geübt worden ist, dürfte, meine ich, für einen Kenner dahin zu beantworten sein, daß tatsächlich der Berufsverkehr sich abwickelt morgens in der Zeit von 6 etwa bis 1/29 und nachmittags von 1/24 bis nach 1/27. Sicherlich können Sie einen Teil des Wagenparks in bestimmten Relationen benutzen, aber den gesamten Wagenpark können Sie meistens nicht benutzen, denn auf Grund gewisser rangiertechnischer und sonstiger Arbeitsvorgänge ist es nicht gut möglich, den ganzen Wagenpark dann immer so einzusetzen, daß die Sache von der betriebswirtschaftlichen Seite her wirklich interessant wäre.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel?
Bitte schön!
Herr Kollege Brück, wollen Sie damit den vielfach miserablen Zustand der Wagen im Arbeiterverkehr bestreiten?
Herr Ritzel, das habe ich ja wohl nicht bestritten. Ich möchte Ihnen sagen - im übrigen ist Ihnen darauf auch schon geantwortet v; orden -: ich bin wahrscheinlich so oft in Arbeiterzügen mitgefahren wie Sie, zumindest durch meine Tätigkeit. Aber ich muß Ihnen doch auch sagen,
Herr Ritzel, daß die Dinge erheblich besser geworden sind. Jetzt drehte es sich lediglich - und so habe ich Sie auch verstanden - um den wirtschaftlichen Einsatz des Wagenparkes. Das ist ja bestritten worden, nachdem ,der Herr Bundesverkehrsminister auf diese Dinge eingegangen war. Ich bin durchaus dafür, Herr Kollege Ritzel, daß das Wagenmaterial wie überhaupt die ganze Bedienung des Arbeiterberufsverkehrs immer mehr verbessert wird, soweit das irgend möglich ist. Das ist selbstverständlich.
({0})
- Herr Kollege Ritzel, das hängt auch noch mit einigen anderen Dingen, nicht nur mit dem guten Willen zusammen.
Aber nun darf ich noch auf eine andere Frage eingehen, die hier aufgeworfen worden ist. Der Herr Kollege Schmidt hat von der Fünftagekarte gesprochen, und der Herr Bundesverkehrsminister hat darauf geantwortet. Der Herr Kollege Schmidt hat dann insbesondere die Kurzarbeiterwochenkarte apostrophiert. Nun, die Kurzarbeiterwochenkarte ist ein Gebilde aus dem Jahre 1923. Damals ist sie eingeführt worden, und nach den neuen Tarifmaßnahmen ist sie nun weggefallen. Die Untersuchungen der letzten Zeit hatten nämlich ergeben - und ich glaube, man muß auch diese Dinge sachlich und ruhig betrachten -, daß von einer Kurzarbeit in diesem Sinne nicht mehr gesprochen werden kann und daß die Kurzarbeiterwochenkarte zum Teil von Leuten in Anspruch genommen worden ist, denen sie nicht ganz zustand. Man konnte das von der tariflichen Seite nicht so regeln, wie es eigentlich zweckmäßig und nützlich gewesen wäre. Deshalb ist sie weggefallen.
Zu den Wünschen hinsichtlich des übrigen Berufsverkehrs oder der Sozialtarife wird ein Kollege von mir noch Ausführungen machen. Auch wir haben noch einige Wünsche, die offengeblieben sind. Aber die Dinge können doch im allgemeinen nicht so schwarz gemalt werden - das wird jeder sagen müssen -, wie es hier zum Teil geschehen ist. Auch bei der Gestaltung der Tarife sollten wir uns an jene Zeit vor 10 oder 12 Jahren erinnern, Herr Kollege Ritzel, als ein Platz auf der Plattform oder im Bremserhäuschen noch durchaus als gut angesehen wurde. Gott sei Dank haben sich die Zeiten geändert. Aber wenn man besser und vornehmer reisen will, muß man auch bereit sein, einen entsprechenden Obolus dafür zu leisten.
Die beiden Herren hier haben für die 18 Millionen Arbeitnehmer gesprochen, die die Deutsche Bundesbahn benutzen. Darf ich nun umgekehrt auch für die Arbeitnehmer ein Wort sagen, die bei der Deutschen Bundesbahn beschäftigt sind. Es sind jene über 500 000 Beschäftigte, die Tag und Nacht, bei Wind und Wetter ihre Pflicht tun, die alle miteinander, vom einfachsten Rangierwärter bis zum Direktionspräsidenten, bemüht sind, daß alles pünktlich läuft und daß wir, Herr Kollege Ritzel, hier pünktlich ankommen und fahrplanmäßig abfahren. Sollten wir nicht von ihnen das Odium wegnehmen, daß direkt oder indirekt auf sie mit dem Finger gezeigt und der Vorwurf erhoben wird: Ihr bei der Bahn seid doch irgendwie nicht so besonders fleißig und aktiv!
({1})
- Gehen Sie bitte draußen in die großen Versammlungen, in denen die Transparente zu sehen sind mit der Aufschrift „Die Bundesbahn wird subventioniert".
({2})
- Herr Kollege Ritzel, ich komme nachher zu Ihnen, dann können wir uns eine ganze Stunde darüber unterhalten.
({3})
- Ich komme nachher zu Ihnen. Wir sollten das Odium von diesen Menschen wegnehmen, denn sie haben genauso einen Anspruch darauf, - ({4})
- Entschuldigen Sie, ich habe die Transparente gesehen, Herr Kollege Schmidt.
({5})
- Ich habe Transparente gesehen in Versammlungen, wo die Bundesbahn sehr anständig apostrophiert worden ist.
({6})
- Das habe ich nicht behauptet.
({7})
Nein, Herr Schmidt, das habe ich nicht behauptet.
({8})
Herr Schmidt darf uns alle Frechheiten sagen, aber wir dürfen nichts mehr sagen!
({9})
Herr Abgeordneter Ritzel, ich glaube, der Redner hat eindeutig kundgetan, daß er eine Zwischenfrage nicht beantworten will.
({0})
- Aber es ist sein Recht.
({1})
Nein, das weiß ich ganz genau. Es handelt sich hier um ein echtes Anliegen. Fragen Sie doch die Leute, die bei der Bahn sind! Die Leute sagen: wir wollen nicht immer Bundeszuschüsse haben, sondern wir wollen wirklich wieBrück
der gesund werden, damit wir nicht immer die ausgesprochenen oder unausgesprochenen Vorwürfe hinnehmen müssen. Deshalb bitte ich Sie, auch für diese Situation Verständnis zu haben.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Junghans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Drucksache 141 ({0}) liegt Ihnen ein Antrag meiner Fraktion vor, die in der Kabinettssitzung vom 15. Januar 1958 beschlossene Anhebung der Tarife im Berufsverkehr und der Sozialtarife rückgängig zu machen.
Gestatten Sie mir zunächst einige allgemeine Bemerkungen zu der Tariferhöhung im Berufsverkehr am 1. Februar 1958.
Ich möchte zunächst einmal wiederholen: Ausmaß und Ursachen des Defizits im Haushalt der Bundesbahn sind die Folgen der seit langem von der Bundesregierung vertretenen Verkehrspolitik. Das Defizit ist eine Folge der Verzögerung der Verkehrsreform, insbesondere eine Folge des ruinösen Wettbewerbs zwischen Straße, Schiene und Wasserstraße, der alle Verkehrsträger zu kostspieligen und unwirtschaftlichen Betriebsweisen zwingt.
Insofern gehen die tarifpolitischen Maßnahmen der Deutschen Bundesbahn am Kern der Dinge vorbei; sie werden auch in Zukunft die Aushöhlung eines der größten deutschen Bundesvermögen nicht verhindern.
Darüber hinaus - und das trifft gerade für den Berufsverkehr zu - erfüllt die Bundesbahn immer weniger ihre gemeinwirtschaftlichen Aufgaben. Dem Berufsverkehr muß im Rahmen der gemeinwirtschaftlichen Aufgaben des größten Verkehrsträgers eine überragende Bedeutung zugemessen werden. Es geht nicht an, daß der Berufsverkehr im Lande des Wirtschaftswunders wie ein Stiefkind behandelt wird, das von einer Ecke in die andere gestoßen wird,
({1}) das keiner haben will.
Der Berufsverkehr ist in jeder modernen Wirtschaft und Gesellschaft zwangsläufig. Die Aufgabe kann daher nur gemeinwirtschaftlich bewältigt werden. Zum anderen ist der Berufsverkehr aber auch eine Frage der Lebenshaltung. Der technische Fortschritt darf daran nicht vorbeigehen. Im Zeitalter der Düsenflugzeuge, des allgemeinen Komforts im Verkehr ist es unerträglich, in welchem Ausmaß der Berufsverkehr vernachlässigt wird. Wagen aus Urgroßmutters Zeiten, im Winter zum Teil ungeheizt, sind der Aufenthalt für Hunderttausende von Arbeitnehmern, Schülern und Lehrlingen, die meistens stehen müssen, wenn sie morgens zu ihren Arbeitsstätten fahren und abends abgearbeitet nach Hause wollen. Lange Wartezeiten, fahrplanmäßige und außerfahrplanmäßige, zum Teil auf zugigen Bahnsteigen, tun ein übriges, um in weiten Kreisen der Bevölkerung, Herr Kollege Brück, das Gefühl aufkommen zu lassen, daß der technische Fortschritt eben nicht für alle da ist.
Wir würden es sehr lebhaft begrüßen, wenn sich endlich auch die Deutsche Bundesbahn ihrer Verantwortung für den Berufsverkehr bewußt würde und nicht zuletzt auch ihren Beitrag zur Lösung der Verkehrsprobleme in vielen deutschen Großstädten leistete.
Das kann man aber nicht durch eine Tarifpolitik tun, die eindeutig das Desinteresse der Verantwortlichen der Deutschen Bundesbahn am Berufsverkehr bekundet.
Die Verteuerungen durch Wegfall vieler Vergünstigungen im Berufsverkehr, Einkaufsverkehr, Erholungsverkehr sowie bei den Sozialtarifen sind Ihnen allgemein bekannt. Sie liegen zwischen 50 und 300 %, während im normalen Reiseverkehr die Erhöhung 8,7 % beträgt.
Die ursprüngliche Vorlage sah weit schlimmer aus. Von den angesetzten Mehreinnahmen im gesamten Personenverkehr in Höhe von 260 Millionen DM sollten allein durch Erhöhungen im Berufsverkehr und bei den Sozialtarifen 180 Millionen DM aufgebracht werden. Wir Sozialdemokraten haben uns mit aller Schärfe gegen diese Erhöhungen gewandt, sobald die Tendenz erkennbar wurde. Die Tendenz war nämlich, alle sozialen Vergünstigungen Zug um Zug abzubauen. Zu unserer Freude hat die Bundesregierung daraufhin die ursprüngliche Vorlage abgemildert, so daß heute ein um etwa 48 Millionen DM verringerter Betrag als Mehreinnahme angesetzt ist. Es handelt sich dabei im wesentlichen um die Erhöhungen, über die der Herr Bundesverkehrsminister hier schon vorgetragen hat.
Trotzdem sind heute noch rund eineinhalb Millionen Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen betroffen. Betroffen sind die Ein- und Auspendler, die nach dem Kriege an den Stadträndern und in den sogenannten Satellitenstädten wieder eine Wohnung gefunden haben, von denen sehr viele jeden Tag eine längere Fahrzeit in Kauf nehmen müssen, wenn sie zu ihren endlich gefundenen Arbeitsplätzen gelangen wollen. Betroffen sind nicht zuletzt auch die Bewohner von Eigenheimen, für deren Bau wir uns alle in diesem Hause so sehr eingesetzt haben.
Betroffen sind die Lehrlinge im dritten Lehrjahr. In einer Zeit, in der über einen Mangel an geeigneten Lehrstellenbewerbern geklagt wird, darf man ihre Beweglichkeit nicht noch künstlich einengen. Es gibt eben gute, volkswirtschaftlich wertvolle Ausbildungsstätten leider nur in den Großstädten Gleiche Ausbildungschancen für alle jungen Menschen sind durch das Grundgesetz garantiert. Die neuen Bestimmungen der Bundesbahn stellen dieses Grundrecht auf gleiche Ausbildungsmöglichkei460
ten völlig in Frage. So schreibt mir ein Lehrling aus Salzgitter-Bad:
Als Werkzeugmacherlehrling des Hüttenwerks erhalte ich im dritten Lehrjahr eine Erziehungsbeihilfe von 91 DM. Bisher kostete mich eine Monatskarte 9,30 DM. Ab 1. 2. bezahle ich 22,80 DM. Das bedeutet für mich, daß ich jetzt 145 % mehr zahlen muß als bisher, meine Erziehungsbeihilfe jedoch nicht gestiegen ist. Durch diese Härtefälle ist eine große Anzahl meiner Lehrkollegen ebenfalls betroffen.
Ferner darf ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus einer Mitteilung über eine Sitzung der Industrie- und Handelskammer Coburg zitieren. Dort brachte der Präsident Eduard Schmidt das Beispiel eines in Mitwitz wohnenden Lehrlings, der täglich nach Coburg fahren muß. Bisher habe seine Monatskarte, damals Schülerkarte, 12,60 DM gekostet. Seit dem 1. Februar habe er eine Arbeitermonatsfahrkarte zum Preise von 33,60 DM zu lösen.
Es gibt noch eine Reihe besonders hervorstechender Härtefälle. So ist durch den Wegfall der Arbeiterteilwochenkarten die Beschäftigung gerade der Bauarbeiter in den Feiertagswochen gefährdet. Ferner sind Schüler und Arbeiter, weil die Schülerwochenkarten und Arbeiterwochenkarten an Sonntagen nicht mehr gelten, weitgehend vom Besuch kultureller und kirchlicher Veranstaltungen ausgeschlossen. Denken Sie hier z. B. an die Stadt Hamburg, wo früher sonntags Tausende von Studenten, Schülern und Arbeitern die Stadtbahn auch zum Besuch von kulturellen Veranstaltungen benutzt haben.
Durch zahllose Protestschreiben aller Betroffenen - ein Teil von Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wird solche Schreiben auch erhalten haben; es wäre sehr nützlich - ist allgemein erwiesen, daß diese Maßnahme trotz der Anrede „Lieber Fahrgast" in dem gelben Blättchen auf völliges Unverständnis in der Bevölkerung gestoßen ist. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten noch einige Beispiele zitieren. So schreibt mir ein Kreisausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes - um Herrn Brück in dieser Beziehung zu beruhigen, darf ich es anführen -:
Bei uns gehen laufend fernmündlich und schriftlich Proteste gegen die Fahrpreiserhöhung der Bundesbahn im Berufsverkehr ein.
Diese Proteste werden unter Hinweis auf die
tatsächliche Fahrpreiserhöhung, wie z. B.
Arbeitermonatskarten
von Sa.-Lebenstedt früher jetzt
nach Sa.-Watenstedt DM 7,20 - DM 12,-, von Sa.-Thiede-Ost
nach Sa.-Watenstedt DM 9,70 - DM 16,-, von Salzgitter-Bad
nach Sa.-Watenstedt DM 17,80 - DM 24,60, ziemlich massiv erhoben.
Nicht zuletzt werden auch die freien Berufe betroffen werden. Hier schreibt ein freiberuflich Tätiger:
Ich reise seit Jahren täglich und zahle jetzt für die gleiche Fahrkarte, wofür ich 1950 etwa 9 DM gab, genau 22 DM, - also eine Steigerung von 150 %!
({2})
Ich bitte Sie, zugleich im Namen der vielen Tausende von freiberuflich Reisenden, doch die zuständigen Stellen auf diesen Irrtum aufmerksam zu machen.
({3})
- Ich will Sie nun nicht wie der Herr Kollege Brück noch weiter mit Zahlen bombardieren. Er hat selber gesagt: Man kann je nach Entfernung und je nach Zeit die Dinge beliebig variieren. Ich möchte dieses Spiel nicht mehr fortsetzen.
Aber man kann solche Einwendungen nicht abtun durch Argumente wie z. B. die des Herrn Bundesverkehrsministers, der sagte, daß der Industriefacharbeiter 1936 im Durchschnitt für eine Arbeiterwochenkarte von 14 km Reiselänge drei Arbeitsstunden aufwenden mußte und nach dem 1. Februar 1958 nur noch 21/4 Arbeitsstunden.
Erstens, Herr Bundesverkehrsminister, betrug die durchschnittliche Reiselänge 1936 keine 14 km, sondern war erheblich niedriger, so daß der Anteil des Aufwandes für den Berufsverkehr trotzdem gestiegen ist.
Zum anderen - und das ist das Wichtigste Wo bleibt dann der gerechte Anteil an der Produktivität, die immerhin seit 1936 über 200 % gestiegen ist, wenn immer wieder Preiserhöhungen diesen Anteil kompensieren? Wenn ferner die gestiegenen Kohlenpreise für die Begründung der Tariferhöhung herhalten müssen, dann kann man nur fragen: Haben das wirklich die Teilnehmer am Berufsverkehr mit ihren kleinen und mittleren Einkommen zu vertreten, oder ist hierfür nicht letztlich die verfehlte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung verantwortlich zu machen?
Im übrigen ist es wenig sinnvoll, die Tariferhöhungen oder gar allgemein die Tarifpolitik an globalen Betriebskennziffern orientieren zu wollen. Was soll es heißen, wenn gesagt wird, daß vor dem 1. Februar die Einnahmen aus dem Zeitkartenverkauf für den Berufsverkehr und Schülerverkehr nur bei 1,75 Pf je Personenkilometer gelegen hätten und nach dem 1. Februar bei 2,7 Pf lägen, während der Normaltarif bei 7,5 Pf liege? Das sagt doch über die Wirtschaftlichkeit noch gar nichts aus, da exakte Angaben über die tatsächlichen Selbstkosten, über den zu deckenden Anteil der fixen Kosten, über den sogenannten Mitläuferverkehr völlig fehlen. Meine Fraktion hat eine Selbstkostenrechnung nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten für alle Verkehrsträger gefordert. Wie nötig dies ist, zeigt auch das Problem des Berufsverkehrs.
Ich betone nochmals: die Hauptursachen des Bundesbahndefizits liegen in einer verfehlten Verkehrspolitik. Aber es ist auch betriebswirtschaftlich völlig unvertretbar, ohne Kostenstellen- und ohne Kostenträgerrechnung geeignete Maßnahmen zur Beseitigung von Defiziten zu treffen. In jedem GroßunterJunghans
nehmen ist es üblich, daß an Hand einer Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung geprüft wird, wo denn tatsächlich die roten Zahlen sind. Alles andere ist ein Lotteriespiel. Wer sagt uns z. B., auf Grund welcher betriebswirtschaftlicher Fakten - „Fakten" wohlgemerkt und keiner globalen Betriebskennziffern - errechnet wurde, daß nach dem „Schlüssel" im Haushaltsjahr 1958/59 bei der Bundesbahn der Personenverkehr 260 Millionen DM und der Güterverkehr 450 Millionen DM mehr einzubringen haben? Von den 260 Millionen DM im Personenverkehr entfallen meines Wissens rund 107 Millionen DM auf den Berufsverkehr und rund 30 Millionen DM auf die Sozialtarife. Wie kann man solche Zahlen wiederum aus globalen Kennziffern errechnen? Ich weiß es nicht. Das ist nach meinem Gefühl mehr als höhere kameralistische Mathematik. Oder besser: ich meine, daß man doch den Weg des geringsten Widerstandes gegangen ist.
Am dubiosesten in diesem Falle ist die Kalkulation über die überhaupt zu erwartenden Mehreinnahmen. Es sollen 107 Millionen DM sein. Eine Schätzung der von mir bereits erwähnten Abwanderung zu anderen Verkehrsmitteln hat man dadurch umgangen, daß man mit dem Verkehrsaufkommen von 1955 kalkuliert hat; das heißt, die Abwanderungsquote darf nicht größer sein als der Verkehrszuwachs von 1955 zu 1958, wenn die fraglichen 107 Millionen DM aufkommen sollen.
Wie groß ist nun der Grenzwert der Abwanderungsquote, wenn das Geschäft nach dem 1. Februar nicht plus/minus null ausgehen soll? Ich will Ihnen das an einem Beispiel zu erläutern versuchen. Auf einer Strecke fahren 100 Berufstätige und Schüler. Die Einnahmen sollen 1957 im Monatsdurchschnitt 10 DM pro Person betragen haben; das sind also für diese Strecke, auf der 100 Personen fahren, 1000 DM im Monat. Bei einer 50%igen Erhöhung wären das 1500 DM, unter der Voraussetzung, daß alle 100 weiter fahren. Fahren nur noch 67 - genau sind es 662/3 -, so sind das bei 15 DM je Arbeitermonatskarte wiederum nur 1000 DM. Es ist anzunehmen, daß die Zugförderkosten, die Abfertigungskosten, die Gleisunterhaltungskosten, die allgemeinen Verkehrs- und Betriebsdienstkosten die gleichen sind, ob dieser Zug mit 100 oder mit 67 Personen besetzt ist. Man kann also einen Grenzwert von etwa 35 % errechnen. Es mag sein - wahrscheinlich ist es sogar richtig -, daß diese Rechnung zu global ist, da noch andere Größen - durchschnittliche Streckenlänge, Auslastungsgrad und dergleichen - Einfluß darauf haben. Aber die sind mir und auch der Bundesbahn unbekannt; die schlichte Betriebsabrechnung der Bundesbahn bietet hierfür bekanntlich keine Ansatzpunkte.
({4})
- Bitte, wissen Sie es besser?
Gegen die Annahme einer erhöhten Abwanderung hört man den Einwand - er ist hier zum Teil angeklungen -, die Omnibusbetriebe hätten auch heute noch höhere Fahrpreise. Das kommt doch auf die Tarifgestaltung an. Das Argument zieht überhaupt nicht. Zum großen Teil fahren nämlich auch die Omnibusbetriebe heute zu Einheitstarifen, so daß sie ab einer bestimmten Kilometerzahl durchaus niedriger im Preis liegen als die Bundesbahn. Andererseits dürfen Sie nicht vergessen, daß in der Regel die Anmarschwege zu den Haltestellen der Omnibusse erheblich kürzer sind. Ferner bieten die besseren Fahrpläne, die häufigere Wagenfolge usw. mehr Möglichkeiten der Ausnutzung der Zeitkarten, gar nicht zu reden vom besseren Fahrkomfort.
Es ist vorhin von dem Kollegen Brück gesagt worden : Die Kommunalbetriebe erhöhen auch laufend die Fahrpreise. Das mag stimmen. Sie brauchen da nicht nach den Mehrheiten zu sehen. Die Kommunen haben nicht die Verkehrspolitik der Bundesregierung zu verantworten. Sie sitzen also heute praktisch in demselben Boot wie die Bundesbahn. Wir bezweifeln gar nicht, daß der Betrieb der Bundesbahn defizitär ist. Zum anderen habe ich noch bei keinem Kommunalbetrieb erlebt, daß der Regeltarif um 8,7 % und die Berufstarife um 50 % erhöht worden sind.
({5})
Das alles wird meines Erachtens zu einer viel stärkeren als der von der Bundesbahn kalkulierten Abwanderung führen. An einem Beispiel möchte ich Ihnen das erläutern. Ich nehme den Raum, aus dem ich komme; das ist hier wohl so üblich. Der Herr Bundesverkehrsminister sprach von Bonn, der Herr Kollege Brück von Köln; ich nehme einmal das Beispiel Salzgitter. Es fuhren von den rund 10 000 Belegschaftsmitgliedern des Hüttenwerkes Salzgitter 1957 mit der Eisenbahn 22 %, mit dem Bus 44,3 %, mit dem Rad 13,7 %, mit dem Moped 6,2 %, mit dem Motorrad 6,0 %, Fußgänger sind 2,7 % und Pkw-Fahrer 5,1 %.
Nach dem 1. Februar 1958 verschiebt sich nach vorläufigen Erhebungen dieses Bild etwa wie folgt: Eisenbahn statt bisher 22 % der Belegschaft nur noch 12 %. Den Bus benutzen statt bisher 44,3 % rund 55 %. Die Benutzung der anderen Verkehrsmittel ist etwa die gleiche geblieben; wahrscheinlich werden wir erst im Frühjahr eine weitere Umschichtung erleben. Die Abwanderungsquote beträgt hiernach rund 45 %, meine Damen und Herren! Das ist mehr als der vorhin so global errechnete Grenzwert von 35 %.
Sie werden einwenden. daß das als Einzelbeispiel nicht repräsentativ genug sei. Es zeigt uns aber trotzdem sehr deutlich, in welcher Größenordnung Mehreinnahmen aus dem Berufsverkehr tatsächlich zu erwarten sind. Es wird, so glaube ich, nur ein Bruchteil dessen sein, was die Bundesbahn kalkuliert hat.
Für eine Erhöhung der Sozialtarife - ich sagte vorhin schon, daß erfreulicherweise eine Anzahl gerade der größten Härten schon beseitigt ist - gibt es überhaupt keine wirtschaftliche Begründung. Es handelt sich hier um Verpflichtungen, die man nicht aus kaufmännischen Erwägungen heraus abtun kann. Ich meine hiermit weniger die Bundesbahn als vielmehr die Bundesregierung, die schon längst diese Lasten hätte übernehmen müssen. Es ist für uns eine unbestreitbare Tatsache, Herr Brück, daß das Personal der Bundesbahn in den Jahren
nach dem Krieg seinen Teil zu den Rationalisierungsmaßnahmen beigetragen und Hervorragendes geleistet hat, damit ein wirtschaftlicher Betrieb erreicht werden konnte. Wir haben aber die Sorge, daß diese Anstrengungen ohne eine Verkehrsreform nicht hinreichend gewürdigt werden können.
Meine Damen und Herren, ich habe nicht die Aufgabe, Ihnen unsere Auffassung über eine Verkehrsreform zu entwickeln. Das hat mein Freund Dr. Bleiß schon überzeugend getan. Ich habe Ihnen an Hand einiger Beispiele die Auswirkungen der Tariferhöhungen im Berufsverkehr und bei den Sozialtarifen erläutert.
Nun legen die Fraktionen der Koalitionsparteien in der Drucksache 185 ebenfalls - in Miniaturausgabe - einen Antrag betreffend Tarife im Berufsverkehr vor. Allerdings ist er erst einen Tag vor dieser Debatte noch schnell eingebracht worden, offensichtlich also, wie man bei der Bundesbahn sagt, eine Notbremse. Der Antrag soll dem Kabinettsbeschluß vom 15. Januar 1958 noch einen Giftzahn ziehen.
Warum aber - so ist zu fragen - bleibt man hierbei stehen? Ich muß sagen: wenn schon, denn schon!
Im übrigen möchte ich im Namen meiner Fraktion noch beantragen, daß, falls der Antrag der Koalitionsparteien beraten wird, unser Änderungsantrag dazu beraten wird, die Lehrlinge im dritten und vierten Lehrjahr den Schülern gleichzustellen.
({6}) - Akzeptiert? Vielen Dank!
Es steht außer Zweifel, daß die Tariferhöhungen im Berufsverkehr und besonders die Erhöhungen der Sozialtarife eine erhebliche Mehrbelastung für die sozial Schwachen bedeuten. Nach unserer Auffassung - ich muß das immer wieder sagen - darf das Defizit der Deutschen Bundesbahn nicht auf den Rücken der sozial Schwachen abgewälzt werden. Deshalb beantragen wir, die Erhöhung der Tarife im Berufsverkehr und die Erhöhung der Sozialtarife rückgängig zu machen. Wenn die Bundesbahn diesen Sozialaufwand nicht tragen kann, muß der Bund diese Verpflichtungen übernehmen. Wir haben beantragt, in den Einzelplan 12 des Haushaltsplans 1958/59 einen Betrag von 130 Millionen DM einzusetzen. Ich darf mitteilen: die „136 Millionen DM" sind offenbar ein Druckfehler, es soll „130" heißen; es stand so auch in der ursprünglichen Drucksache.
Damit es zu einer tatsächlich wirksamen Hilfe für die Deutsche Bundesbahn bei der Erfüllung ihrer gemeinwirtschaftlichen Aufgaben im Berufsverkehr kommt - jenseits aller dubiosen Maßnahmen, die letzten Endes die gemeinwirtschaftliche Aufgabe nicht fördern, sondern Zug um Zug abbauen - und angesichts der angespannten Preissituation bitte ich Sie, meine Damen und Herren, dem Antrag meiner Fraktion zuzustimmen. Wir beantragen Überweisung an den Haushaltsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen zur Mitberatung.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich mit den Ausführungen unserer hochwohllöblichen Opposition beschäftige
({0})
- immer freundlich, meine Herren! -, möchte ich ein paar einleitende Worte an die Adresse unserer Bundesregierung richten.
({1})
Im Gegensatz zu den Vorstellungen der SPD, die meint, daß diese Tarifanhebung überflüssig sei, möchte ich der Bundesregierung in aller Freundschaft zurufen: Spät kommt ihr, doch ihr kommt! Ich glaube, daß die Tarifanhebung, die jetzt durchgeführt wurde, seit drei oder zwei Jahren zwingend notwendig gewesen ist und daß wir heute nur nachholen, was damals infolge mangelnder Vorbereitungen und Vorarbeiten - sie waren noch im Gange - nicht durchgeführt werden konnte.
({2})
Damals, als dieses Thema auftauchte, wurde die These vertreten: die Bundesbahn braucht nur mehr Verkehr und ihr Defizit wird sich einschränken lassen. Aber es ist völlig klar: wenn man ständig zu unterbezahlten Tarifen fährt, läßt sich das Defizit nicht ausgleichen, sondern es steigt dadurch an. Das ist eingetreten.
Zum zweiten müssen wir uns darüber im klaren sein, daß sich durch den Eintritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und wegen der Notwendigkeit, eine gemeinsame europäische Verkehrspolitik zu betreiben, auch für unsere eigene deutsche Verkehrspolitik sehr klare Konsequenzen ergeben werden. Ich möchte aus dem vorbereitenden bereits fertiggestellten Bericht, aus dem sogenannten Kapteyn-Bericht, nur einen einzigen Satz zitieren, der sich mit diesem Themenkreis beschäftigt. Herr Kapteyn stellt die These auf:
Eine gute Verkehrspolitik muß davon ausgehen, daß alle Transporte die ihnen zuzumessenden variablen und festen Kosten, die eine Belastung für die gesamte Wirtschaft darstellen, auch tragen.
({3})
Ich kann also der Bundesregierung nur unsere volle Unterstützung aussprechen, wenn sie den bisher beschrittenen und den hier begonnenen Weg konsequent fortsetzt,
({4})
den Weg zu einer Anhebung der Tarife im Bereiche des Verkehrs, die den echten Selbstkosten entsprechen.
({5})
- Ja, ich komme gleich auch zu Ausführungen an die Adresse der Freunde von der SPD und werde ihnen aufzeigen müssen, daß zwischen den Ausführungen, die Herr Kollege Schmidt und Herr Dr. Bleiß gemacht haben, eine Diskrepanz klafft, die Sie uns noch erläutern müssen; denn der eine ist für eine Marktwirtschaft im Bereiche des Verkehrs eingetreten, und der andere ist für eine völlige Negierung aller marktwirtschaftlichen Überlegungen eingetreten.
({6})
Wir sind der Meinung, daß wir auch im Bereich der Verkehrspolitik zu einem echten Leistungswettbewerb auf der Grundlage angenäherter Startbedingungen zwischen den Verkehrsträgern kommen müssen und daß sich auf dem Wege eines echten Leistungswettbewerbs von selbst sehr viele Probleme lösen lassen, die uns heute noch unlösbar erscheinen.
Wir haben eine weitere Bitte an die Bundesregierung, nämlich die, die Erfahrungen, die mit der jetzigen Tarifreform gemacht werden, sehr sorgfältig zu beobachten und eventuell zu gewissen Korrekturen zu kommen. Ich denke insbesondere an die verkehrsfernen Gebiete. Wir müssen prüfen, inwieweit sich hier eventuell ungünstige Auswirkungen ergeben, und was mit gezielten Maßnahmen zur Abstellung getan werden kann. Wir werden unsere besondere Aufmerksamkeit auch der von der SPD dankenswerterweise zur Debatte gestellten Anregung zuwenden müssen, eine Zusammenballung der Wohnstätten und in der Industrieansiedlung zu verhindern. Wir alle wünschen eine solche Zusammenballung nicht. Wir müssen auch da sehen, ob wir andere Wege, neue Wege eventuell, beschreiten müssen, um einer Tendenz zu weiterer Konzentrierung entgegenzuwirken.
In diesem Sinne ist auch der Punkt 2 unseres Antrags Drucksache 185 aufzufassen, in dem wir die Bundesregierung ersuchen, darauf hinzuwirken, daß im Arbeiterberufsverkehr bei der Benutzung verschiedener Verkehrsmittel möglichst ein durchgehender Tarif angewandt wird, damit bei größeren Entfernungen eine Degression des Gesamtfahrpreises eintreten kann.
Im übrigen darf ich zu unserem Antrag bemerken, daß wir - in Übereinstimmung mit dem von der SPD geäußerten Wunsch - die Lehrlinge nicht nur im dritten, sondern auch im vierten Lehrjahr
({7})
- während der ganzen Lehrzeit - mit den Schülern gleichgestellt wissen wollen.
Schließlich soll nach unserem Antrag die Bundesregierung ersucht werden, in Verhandlungen mit der Deutschen Bundesbahn sicherzustellen, daß bei künftigen Investitionen der Bundesbahn eine Verbesserung des Arbeiterberufsverkehrs besondere Berücksichtigung findet. Ich darf in diesem Zusammenhang auf eine bereits vor Anberaumung dieser Debatte von einer Reihe von Kollegen eingebrachte
Anfrage verweisen, in der besonders von der Schaffung einer ausreichenden Zahl von Sitzplätzen im Arbeiterberufsverkehr, der Erneuerung des Wagenparks und der Aufstellung optimaler Fahrpläne mit dem Ziel, die Fahrzeiten zu verkürzen, gesprochen worden ist.
Nun noch eine Bemerkung zu den Ausführungen des Herrn Bundesverkehrsministers. Der Herr Bundesverkehrsminister hat mit vollem Recht darauf hingewiesen, die tarifarischen Maßnahmen seien so kompliziert, daß sie nicht en detail im Plenum des Bundestages, ja, ich möchte sogar meinen, auch in einem Verkehrsausschuß nicht, besprochen werden können. Darin besteht völlige Übereinstimmung der Auffassungen. Aber wir müssen uns auch darüber im klaren sein, daß es sich bei den jetzt durchgeführten Tarifreformmaßnahmen und vor allem bei der noch zu erwartenden Weiterentwicklung der Tarifreform, wobei ja auch das Problem der Auseinanderentwicklung der Tarife für Schiene und Straße betroffen ist, nicht nur um rein tariftechnische Maßnahmen handelt, sondern um Maßnahmen mit erheblicher verkehrspolitischer und wirtschaftspolitischer Auswirkung. Mir scheint daher das Verlangen durchaus berechtigt, daß das Parlament, der Bundestag bzw. der zuständige Ausschuß des Bundestages, zumindest über die Grundlinien einer Tarifreform, und zwar auch der kommenden Tarifreform, rechtzeitig informiert wird und daß Gelegenheit gegeben wird, über diese Maßnahmen im einzelnen zu sprechen. Ich muß hier eine gewisse Kritik anklingen lassen, daß über die jetzigen Tarifmaßnahmen auch der Verkehrsausschuß des Bundestages nicht rechtzeitig informiert und er dazu nicht gehört worden ist.
Gestatten Sie mir nun einige Bemerkungen an die Adresse der - ich möchte das Wort von der „hochwohllöblichen" Opposition vermeiden, obwohl es wirklich im besten Sinne gemeint war - Freunde der SPD! Da möchte ich in Abwandlung des Wortes, das ich an die Bundesregierung gerichtet habe, meinen: Spät tönt ihr, doch ihr tönt! Wir haben ja - hier muß ich auf einiges zurückkommen, was der Kollege Brück schon gesagt hat - im Laufe der letzten Jahre das Thema der Tarife in fast allen Stadtparlamenten behandelt, bzw. es ist wohllöblich aus den Stadtparlamenten herausgehalten worden, nicht zuletzt dort, wo die SPD über eine absolute Mehrheit verfügt hat, weil man eben weiß: Das ist ein sehr heikles und unbequemes Thema, und man macht es besser hinter den Kulissen ab, als darüber allzuviel in der Öffentlichkeit zu sprechen.
Ich komme aus Bremen; da ist die SPD sehr stolz darauf, daß sie die absolute Mehrheit hat. Da sind die Verkehrstarife im Laufe der letzten Jahre mehrmals angehoben worden, und im letzten Jahr noch einmal.
({8})
Da habe ich mir böswilligerweise die Bemerkung erlaubt, man sollte doch einmal die Frage prüfen, ob nicht eventuell die Konzessionsabgabe gekürzt werden kann, um dieses Maß der Anhebung zu ver464
meiden. Und was meinen Sie, Herr Kollege Dr. Bleiß, was für eine Antwort ich dort von Ihren Freunden bekommen habe! „Das ist eine reine Propagandamaßnahme", „völlig unwirtschaftlich gedacht" und „selbstverständlich muß von einem Monopolunternehmen auch verlangt werden, daß es an den Staat, der ja auch die Straßen zur Verfügung stellt, eine Abgabe entrichtet".
Ich muß hier meinen Einwand berichtigen, Herr Dr. Bleiß. Es gibt, wie ich mich inzwischen habe belehren lassen, eine Stadt, die auf die Konzessionsabgabe verzichtet hat, und das ist Köln. Das wollen wir hier gerechterweise festhalten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Bleiß?
Bitte, gern.
Herr Kollege Müller-Hermann, ist es richtig, daß auch die CDU im Bremer Senat vertreten ist
({0})
und daß der Verkehrssenator Ihrer Partei angehört?
({1})
Ich bestreite das ja gar nicht, Herr Dr. Bleiß. Ich trete durchaus dafür ein, daß eine Maßnahme, die notwendig und wirtschaftlich sinnvoll ist, auch durchgeführt wird. Ich möchte bloß darauf hinweisen, daß gerade dieser Hinweis auf die Konzessionsabgabe, übertragen auf die Bundesbahn, von Ihrer Seite als nicht stichhaltig angesehen worden ist.
Wir wollen in diesem Hause doch auch festhalten, meine sehr verehrten Freunde von der SPD, daß der Bund bereits heute der Bundesbahn eine ganze Reihe Abgaben und Steuern gestundet hat, und zwar in einer Weise, daß es praktisch einer Aufhebung gleichkommt. Wir wollen uns doch da bitte nichts vormachen.
Ich darf mich vielleicht wieder einmal auf Sie berufen, Herr Dr. Bleiß. Sie waren so freundlich, Radio Bremen am 12. Dezember ein Interview über die Frage der Tarifreform zu geben. Dabei ist mir dieser Satz aufgefallen: „Wenn Sie mich fragen", sagten Sie dem Frager, „ob die Tariferhöhung erforderlich ist, dann muß ich diese Frage im Prinzip mit Ja beantworten." Ich hoffe nur, daß Sie auch heute zu diesem Ja im Prinzip stehen.
({0})
- Sie wollen es bestätigen? Bitte, Herr Dr. Bleiß.
Herr Kollege Müller-Hermann, ist Ihnen bekannt, daß ich davon gesprochen habe, daß man die Tariferhöhung hätte vermindern können, wenn die Bundesregierung eine Vielzahl notwendiger Maßnahmen durchgeführt hätte? Heute, wo das Kind im Brunnen liegt, muß man natürlich angleichen; aber nicht auf dem Rücken der sozial Schwachen!
Herr Dr. Bleiß, ich komme gleich darauf zu sprechen. Aber zunächst wollte ich nur festgestellt wissen,
({0})
daß auch Sie bei einer objektiven Prüfung der Situation eine Anhebung der Tarife für erforderlich halten.
Herr Kollege Schmidt hat hier eine Reihe juristischer Bedenken dagegen vorgetragen, daß der Bundesrat nicht zugezogen worden ist. Ich teile diese Bedenken durchaus, Herr Kollege Schmidt. Auch ich bin der Auffassung, man hätte bei einer Maßnahme von solcher Bedeutung die Form der Rechtsverordnung wählen und damit den Bundesrat in die Verantwortung einbeziehen müssen. Aber das ist gerade der springende Punkt, meine Damen und Herren, weswegen auch die sozialdemokratisch regierten Länder, die im Bundesrat vertreten sind, sehr gern dem von dem Herrn Bundesverkehrsminister vorgeschlagenen Weg eines Durchführungserlasses zugestimmt haben: weil sie sich sehr ungern an der Verantwortung beteiligen wollten, die nun einmal gegeben ist, wenn man dieser Tarifreform, die man innerlich bejaht, auch zustimmt.
({1})
Nun kommt immer wieder Ihr Argument: heute ist das Kind in den Brunnen gefallen, es ist eben in der Vergangenheit eine falsche Verkehrs- und Wirtschaftspolitik betrieben worden! Sie rügen insbesondere die mangelnde Kapitalausstattung der Verkehrsträger. Ich nehme an, Sie beziehen die Straßen ein.
Meine Herren von der SPD, Sie wissen, daß ich im letzten Bundestag ein Vorkämpfer dafür gewesen bin, daß auch der Verkehrssektor endlich zu seinem Recht kommt und genügend mit Kapital und Bundesmitteln ausgestattet wird. Aber bitte, Herr Dr. Bleiß und meine Freunde von der SPD, wir wollen hier doch gerecht bleiben und die Dinge im richtigen Licht sehen. Welche Kritik wäre von Ihrer Seite - mit Recht - an uns geübt worden, wenn wir nach einem total verlorenen Krieg zuerst an Kapitalausstattung gegangen wären, um über das unbedingt notwendige Maß hinaus die Verkehrsmittel und Straßen in Ordnung zu bringen, anstatt Häuser zu bauen und unsere Urproduktion wieder in Gang zu bringen! Die Dinge muß man einmal im rechten Licht sehen.
({2})
Die jährlichen Einnahmen der Bundesbahn sind von 1952 bis 1958 von 5,2 auf 6,6 Milliarden DM, d. h. um 25,9 % gestiegen. Die Personalausgaben haben sich im gleichen Zeitraum um 41,7 % erhöht. Die Sachausgaben, insbesondere für Kohle, sind um 57 % angewachsen. Es ist auch nicht ohne Interesse, daß in den Gesamtausgaben der Bundesbahn die Löhne, Gehälter und Pensionen 59 % ausmachen. Wir kommen an diesen Tatsachen nicht vorbei.
Wenn wir die Dinge sehr nüchtern sehen, stellt sich uns die Frage, wie wir aus diesen Dilemma herauskommen. Wollen wir - letzten Endes auf Kosten der Steuerzahler, der Allgemeinheit -ständig Untertarife bestehen lassen, oder wollen wir hier endlich einmal begradigen und die Tarife an die gewachsenen Unkosten anpassen?
({3})
Meines Erachtens gibt es logisch nur eine Lösung: wir müssen in den sauren Apfel beißen und eben auch einmal den Mut zur Unpopularität aufbringen und dem deutschen Volk sagen: Entweder zahlt ihr die Zeche über die Steuern oder durch angemessene Entgelte für die Beförderungsleistungen.
Ich komme auf das Beispiel zurück, das der Herr Bundesverkehrsminister schon erwähnt hat. Also bitte, denken Sie daran, daß im Jahre 1936 für eine Arbeiterwochenkarte bei einer durchschnittlichen Entfernung von 14 km 3 Arbeitsstunden, bis zum 31. Januar dieses Jahres 11/2 Arbeitsstunden aufgewendet werden mußten. Nach der Tarifumstellung sind es 21/4 Arbeitsstunden. Wir wollen also zurückhaltend sein mit der Kritik, das sei eine unzumutbare Belastung, und wollen die Kirche im Dorfe lassen, Herr Dr. Bleiß.
Auf die Frage, ob Sie nun bereit sind, marktwirtschaftliche Prinzipien auch im Bereich des Verkehrs gelten zu lassen, wie es Herr Kollege Schmidt gesagt hat, werden Sie mir die Antwort gleichfalls schuldig bleiben. Gerade nach den vorhergegangenen Ausführungen bin ich der Überzeugung, daß ) Sie sich in Ihren Reihen hier selbst nicht einig sind. Ich nehme an, daß der Kollege Schmidt auch hier, wie es in der letzten Zeit bei einem Gutachten der Fall gewesen sein soll, nicht ganz berechtigt war, im Namen der Fraktion zu sprechen.
({4})
Herr Kollege Müller-Hermann, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie den gemeinwirtschaftlichen Verkehr der Bundesbahn beseitigen wollen?
Sie geben mir das Stichwort, Herr Kollege Dr. Bleiß. Wir haben eine Entschließung eingebracht, die praktisch einen Teil unserer eigenen verkehrspolitischen Gesamtkonzeption enthält, abgestellt auf den Bereich der Bundesbahn, der Schiene. Wir werden in der nächsten Zeit Gelegenheit haben, auch weitere sehr klar ausgearbeitete Richtlinien für unsere Verkehrspolitik, auch in bezug auf die anderen Verkehrsträger, auch in bezug auf die mittelständischen Verkehrsmittel, hier in diesem Hause vorzulegen.
Die verkehrspolitische Ordnung ist nun einmal Sache des Parlaments. Wir vertreten die Auffassung - das soll eine Antwort auf die Frage sein, die Sie mir soeben gestellt haben -: auch die Deutsche Bundesbahn muß, nicht zuletzt mit Rücksicht auf die auf uns zukommende Entwicklung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, ein Wirtschaftsunternehmen und soll kein Wohlfahrtsunternehmen sein. Das heißt, daß wir auch mit dem Gebrauch des Begriffes Gemeinwirtschaftlichkeit vorsichtig sein sollten. Der Herr Bundesverkehrsminister hat sich dagegen gewandt, daß man das Wort „organische Tarifreform" zuviel gebraucht. Er sagte, das sei ein sehr nebulöser Begriff. Ja, meine Damen und Herren, machen wir uns doch nichts vor! Auch der Begriff Gemeinwirtschaftlichkeit ist ein sehr nebulöser Begriff.
Ich kann nur die Bemühungen innerhalb der Leitung der Deutschen Bundesbahn begrüßen, die darauf ausgerichtet sind, daß die Bundesbahn entsprechend den Forderungen des Bundesbahngesetzes nach kaufmännischen Gesichtspunkten geführt wird. Wenn vom Staat, vom Parlament Forderungen an die Bundesbahnleitung gestellt werden, die im Widerspruch zu einer kaufmännischen Betriebsführung stehen, dann müssen meiner Ansicht nach auch die finanziellen Auswirkungen dieser Forderungen vom Staat bzw. von dem Organ getragen werden, das diese Forderungen aufstellt. Es ist für die Bundesbahn unzumutbar, verpflichtet zu sein, nach kaufmännischen Gesichtspunkten zu arbeiten, und ständig im Widerspruch dazu Tarife einzugehen oder Lasten zu übernehmen, die mit einer kaufmännischen Betriebsführung nicht in Übereinstimmung stehen.
Ich meine, daß es auch bei der Bundesbahn durchaus ein gesundes Gewinnstreben geben sollte. Denn nur dort, wo ein gesundes Gewinnstreben besteht, kommen wir letzten Endes auch zu einer rationellen und erfolgreichen Arbeitsweise. Wir werden uns in diesem Hause noch sehr eingehend mit diesem Thema der kaufmännischen Betriebsführung und den sogenannten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, den politischen Verpflichtungen, zu beschäftigen haben. Wir wollen diesem Thema unter keinen Umständen ausweichen. Wir wollen aber - und das ist der Sinn unseres Entschließungsantrages -, daß die Bundesbahn selbst, die ständig, vielleicht berechtigt, vielleicht zum Teil auch unberechtigt, Forderungen an den Staat stellt, ihre eigenen Karten einmal offen auf den Tisch legt. Wir können natürlich nicht erwarten, daß die Bundesbahn ihre Karten offen auf den Tisch legt, damit auch ihre Konkurrenten Einblick nehmen können.
In diesem Zusammenhang fordern wir auch eine Änderung der Funktionen und der Zusammensetzung des Verwaltungsrats, dessen Zusammensetzung heute nach meiner Auffassung - und das ist auch die Auffassung in unserer Fraktion - nicht den Aufgaben entpricht, die dem Aufsichtsorgan eines Instituts wie der Bundesbahn zu stellen sind. Nicht nur sitzen die Konkurrenten der Bahn in diesem Verwaltungsrat, sondern dieser Verwaltungsrat selbst betrachtet sich auch weniger - ich sage das ohne jeden Vorwurf - als eine Repräsentanz der Öffentlichkeit als vielmehr als eine Repräsentanz des Bundesbahnunternehmens selbst. Ich weiß, daß auch in der Bundesbahnleitung selbst Wünsche in der gleichen Richtung, nämlich nach einer Umgestaltung des Verwaltungsrats, bestehen.
Wir halten es aber für notwendig, daß eine unabhängige Kommission einmal die Bilanzen der Bahn sorgfältig prüft und in einem Bericht an den Bundesverkehrsminister und an den Bundesfinanzminister, der dann auch dem Bundestag zugeleitet wird, auch einen Überblick darüber gibt, wie denn nun eigentlich die Vermögenssituation bei der Bahn ist. Ich weiß, daß gegen die Einsetzung einer Prüfungskommission gewisse Bedenken bestehen. Man sagt, es seien bereits vorher soundso viele Prüfungskommissionen an der Arbeit gewesen. Nicht nur bei der Bundesbahn, sondern auch in den Ministerien und in den Ausschüssen des Bundestages liegt sehr viel Makulatur über dieses Thema. Aber es liegt bisher kein einwandfreies Material vor, von dem man sagen kann, daß es eine nüchterne, objektive Prüfung der Situation und der Bilanzen der Bahn darstellt mit konkreten Vorschlägen darüber, was nun angestrebt und, gegebenenfalls durch Änderung von Gesetzen, erreicht werden muß, um die Bundesbahn mit Hochdruck sanieren zu können.
Wir sind uns alle, glaube ich, im klaren darüber, daß über die durchaus lobenswerten Anstrengungen der Bundesbahn in den letzten Jahren hinaus noch manches geschehen kann, um zu einer innerbetrieblichen Rationalisierung und Modernisierung zu kommen, die sicherlich auch Geld kostet. Auch dieser Frage werden wir nicht ausweichen können. Aber ich meine, daß trotzdem noch sehr viel mehr geschehen muß, als bisher geschehen ist, um zu einer durch und durch wohlorganisierten kaufmännischen Betriebsgestaltung bei der Bundesbahn zu kommen. Ich weiß, daß auch der neue Präsident der Deutschen Bundesbahn, Professor Oeftering, mit aller Konsequenz auf dieses Ziel hinarbeitet, und ich bin so optimistisch anzunehmen, daß wir es bei gemeinsamen Bemühungen von Parlament, Regierung und Leitung der Bundesbahn in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum erreichen werden, daß die Bundesbahn kein Zuschußunternehmen mehr ist, sondern ein saniertes Unternehmen, das der Allgemeinheit dient, ohne den Steuerzahler unnötige Gelder zu kosten.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Preiserhöhungen von diesem Ausmaß sind natürlich unbeliebt, unbeliebt beim Konsumenten sowohl als auch bei uns in diesem Hause. Ich stimme dem Kollegen Schmidt völlig darin zu, daß die Preiserhöhungen der letzten Monate wahrscheinlich die Summe von 11/2 Milliarden erreichen werden. Ich habe auch volles Verständnis dafür, daß die Opposition diese Preiserhöhungen zum Anlaß nimmt, die Regierung zu attackieren. Nur, es ist natürlich viel leichter, eine Attacke zu reiten, ohne verpflichtet zu sein, zu sagen, wie man es denn besser machen kann.
({0})
Aus dieser Unbeliebheit bei allen Schichten unseres Volkes kann man natürlich leicht Honig saugen, und das ist hier auch in reichlichem Maße geschehen. Aber kein Honigsaugen kann an der Tatsache vorbeigehen, daß die Entwicklung der Bundesbahn seit langem defizitär verläuft. Ich möchte in diesem Zusammenhang doch einmal Zahlen nennen, weil mir das, wenn man sich darüber ein klares Bild machen will, unerläßlich erscheint.
Der Herr Bundesverkehrsminister hat lediglich die Differenz zwischen der Entwicklung der Einnahmen und der Ausgaben der letzten Jahre angegeben. Man muß aber diese Reihe schon bei 1950 anfangen. Im Jahre 1950 lag ein Minus von 358 Millionen vor. 1951 war die Bilanz ausgeglichen. 1952 waren es 35 Millionen. Dann steigt es allmählich. 1955 war eine Ruhepause, da betrug das Defizit nur 193 Millionen. Im Jahre 1956 waren es dagegen schon 635 Millionen, im vergangenen Jahr - als voraussichtliches Ergebnis - 965 Millionen, und nach einer Vorschau auf 1958 würde das Defizit ohne Tariferhöhung 1070 Millionen betragen. Es geht also kein Weg daran vorbei, daß wir die Bundesbahn sanieren.
Nun habe ich in der Diskussion bislang einen konkreten Vorschlag dafür vermißt, wie wir dieses Ergebnis erreichen können. Es wäre natürlich schön gewesen, wenn wir in früheren Jahren die Kriegsschäden, die die Bundesbahn erlitten hat, dadurch hätten ausgleichen können, daß der Bund ihr aus Steuermitteln Kapital ohne Zinsverpflichtung zur Verfügung gestellt hätte. Aber Sie wissen genau - Herr Müller-Hermann hat darauf hingewiesen -, daß wir vordringlichere Aufgaben hatten. Jedenfalls haben wir es als vordringlicher betrachtet, zunächst die Menschen wieder in menschenwürdige Wohnungen zu bringen und in der Industrie die notwendigen Arbeitsplätze zu schaffen. Dabei ist eben, so dringlich die Verkehrsfragen auch sind, die Lösung anderer Probleme zurückgeblieben.
Die Tatsache, daß die Defizite so stark angewachsen sind, bringt mich zu einer ganz anderen Folgerung, nämlich zu der Folgerung, daß wir diese Maßnahmen viel zu spät getroffen haben. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, daß das Bundesbahngesetz jetzt die Möglichkeit gibt, nicht mehr auf dem sehr umständlichen Weg der Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats, sondern viel elastischer einfach durch eine Verwaltungsanordnung, lediglich mit Zustimmung des Kabinetts, die Dinge zu bereinigen. Die Mehrbelastung, die sich jetzt, sei es bei den Gütertarifen, sei es bei den Personentarifen, ergibt, wäre längst nicht so schmerzlich empfunden worden, wenn wir häufiger kleinere Erhöhungen hätten vornehmen können. Ich entnehme aus dem plötzlichen Sprung, den wir jetzt machen müssen - eine Anhebung um 1 Milliarde DM -, die Notwendigkeit, in Zukunft ebenso elastisch zu arbeiten, wie es bei den städtischen oder sonstigen kommunalen Verkehrsbetrieben der Fall gewesen ist. Ich will gar nicht darauf abheben, wie das hier geschehen ist und ob das nun unter irgendwelchen politischen Vorzeichen geschehen ist. Ich weiß aus
meiner Tätigkeit als Ratsherr, daß die Kommunalbetriebe bankrott gemacht hätten, wenn sie nicht immer die Tarife angehoben hätten. Das gleiche gilt für die Bundesbahn, und wir sollten uns damit abfinden.
Ich komme auf dieses Thema überhaupt nur deswegen zurück, weil Kollege Bleiß behauptet hat - so habe ich ihn jedenfalls verstanden -, es liege ein völliger Zusammenbruch der Tarif- bzw. der Verkehrspolitik vor.
({1})
- Bitte, Herr Kollege Bleiß, Sie haben aber von einem völligen Zusammenbruch gesprochen. Dieses Wort ist gefallen. Ich habe nur nicht mehr verstehen können, was Sie angeknüpft haben. - Ich glaube, man kann weder von einem völligen Zusammenbruch der Tarifpolitik noch der Verkehrspolitik noch von einem völligen Zusammenbruch etwa der Preispolitik der Regierung sprechen. Vielleicht haben Sie das letzte gemeint.
Es scheint mir zweckmäßig zu sein, noch einige Ergänzungen zu den Auswirkungen zu bringen. Herr Kollege Bleiß, Sie haben sowohl bei den Personentarifen als auch bei den Frachttarifen mit Fleiß Beispiele herausgesucht, die mir wirklich extreme Beispiele zu sein scheinen. Ich stimme mit Ihnen überein, daß jede Globalberechnung fehlerhaft ist; darüber herrscht gar keine Meinungsverschiedenheit. Aber irgendeine Grundlage müssen wir ja haben, wenn wir das Ergebnis in Zahlen erfassen wollen. Da tut man gut, man geht von den bisherigen Verkehrsentfernungen und Tonnensätzen aus. Dann kommt man durchaus zu einigen greifbaren Zahlen. Diese liegen hier vor, und ich nehme an, daß Sie sie genauso gut haben. Dabei stellte ich fest, daß z. B. bei Roggen - um ein landwirtschaftliches Erzeugnis zu nehmen - 1956 die durchschnittliche Fracht bei einer Entfernung von 209 km 26,90 DM beträgt und in Zukunft 27,40 DM. Das ist prozentual eine Anhebung um 0,1 % der bisherigen Belastung.
Ich 'könnte diese Reihe fortsetzen. Sie haben sich auf den Stahl bezogen. Ich habe hier nicht die Zahlen für Stahl als generellen Begriff, ich habe sie nur für Stahlblech und Profileisen vorliegen; das deckt wohl weitgehend diesen Tarif. Da komme ich gegenüber früher zu einer Differenz von 1,10 DM je Tonne das entspricht einer Mehrbelastung von etwa 0,2 bis 0,3 % der bisherigen Fracht - und bei Profileisen ebenfalls nur von 1,40 DM. Das sieht also ganz anders aus als das, was Sie gesagt haben. Sie haben, glaube ich, einen Satz von 4 DM je Tonne genannt.
Ich möchte eine weitere Bemerkung von Herrn Kollegen Bleiß richtigstellen. Herr Kollege Bleiß, Sie haben darauf hingewiesen, daß durch diesen Gütertarif der Großbetrieb begünstigt und der Kleinbetrieb und Mittelbetrieb schlechtergestellt werde. Ich glaube, da liegt eine Verwechslung vor. Der Großbetrieb ist keineswegs immer in der Lage, die 20-Tonnen-Sätze anzuwenden, sondern er ist durchaus genötigt - ich spreche hier aus meiner eigenen Erfahrung -,manchmal kleinere TonnenSätze einzusetzen und etwa zum 5-Tonnen-Satz zu verladen. Das hängt vom Erzeugnis ab und nicht allein von der Größe des Betriebes. Entgegen den Regelungen im Ausland hat der Großbetrieb in Deutschland neben dem 20-Tonnen-Satz keine weitere Vergünstigung. Er hat z. B. keine Sondertarife für geschlossene Züge. Er hat lediglich den Vorzug, daß er, wenn er Bahnanschluß hat, eine Sondervergünstigung hat. Das ist aber selbstverständlich und liegt eigentlich auch im allgemeinen Interesse. Wir wollen ja gerade gewisse Schwerlasten von der Straße herunter haben und der Bahn zuführen. - Ich glaube also nicht, daß man die Dinge so behandeln darf, wie Sie das gemacht haben.
Es ist doch auch mit allem Nachdruck zu betonen, daß die verladende Wirtschaft selber in dieser Frachterhöhung keine unzumutbare Last sieht, sondern die Überzeugung ausgedrückt hat, daß nunmehr endlich eine Tarifneugestaltung kommen müsse, eben zur Gesundung der Bahn. Schließlich ist es für die Wirtschaft besser, die Sache über den gerechten Weg, in Form von Frachterhöhungen, zu finanzieren, als wenn sie es indirekt, über die Steuern, machen müßte; das liefe doch praktisch wieder auf die Wirtschaft zu. Ich glaube also, daß diese Haltung sehr vernünftig ist.
Ich will jetzt nicht darauf eingehen, daß selbstverständlich Wünsche der Kraftverkehrswirtschaft offengeblieben sind. Aber da wir in Zukunft die Tarife elastischer gestalten können, hoffe ich persönlich, daß wir Wünschen, die noch offengeblieben sind, später Rechnung tragen können. Es handelt sich jetzt, das hat, glaube ich, auch der Verkehrsminister betont, um den ersten Schritt einer Tarifneuordnung, und wir tun klug, diesen ersten Schritt vorsichtig zu machen und nicht gleich alles auf einmal machen zu wollen.
Zu den Personentarifen und den Sozialtarifen noch ein kurzes Wort. Auch wir bedauern natürlich, daß unter Umständen gewisse Personen eine, ich gebe ruhig zu, fühlbare Erhöhung ihrer Ausgaben durch den Berufsverkehr hinnehmen müssen. Aber es ist da, glaube ich, zweierlei zu betrachten. Erstens machen Sie einen Fehler, wenn Sie glauben, der Arbeiter gehöre wirklich durchweg zu den sozial schwachen Schichten. Zweitens müssen Sie, wenn Sie die eine Seite, die zusätzlichen Belastungen, angeben - und Sie haben auch da wiederum, das hat Kollege Müller-Hermann schon klargestellt, extreme Fälle angegeben -, dem notwendigerweise auch die gestiegenen Stundenverdienste gegenüberstellen. Dann sieht das Bild ganz anders aus. 1952, zur Zeit der letzten Tariferhöhung, betrug der durchschnittliche Stundenverdienst bei den Männern 1,71.2 DM; jetzt beträgt er - Stand vom August 1957 - 2,38.0 DM. Bei den Frauen betrug er 1952 1,07.4 DM; jetzt beträgt er 1,47.6 DM. Es liegt also eine ganz erhebliche Steigerung des Lohnniveaus vor, so daß die Sache nicht unzumutbar ist.
Ein Weiteres. Es ist bislang, glaube ich, außer acht gelassen worden, daß auch der Bewohner der
Großstadt erhebliche Belastungen durch den innerstädtischen Verkehr hat; sie sind durchaus den Belastungen vergleichbar, die der Arbeiter, der auf dem Lande wohnt, auf sich nehmen muß. Das sollte nicht vergessen werden. Ich gebe zu, daß angesichts dessen, daß die Konzentration, die sehr starke Ansammlung von Arbeitern in den Großstädten uns unerwünscht erscheint, die Gestaltung der Arbeitertarife eine politische Bedeutung hat, die wir nicht übersehen wollen. Es muß dann aber notwendigerweise auch hinzugefügt werden, daß die Lebenshaltung auf dem Dorfe hinsichtlich des Wohnens und der Ernährung immer noch billiger ist. Ich glaube also nicht, daß wir diesen Menschen allzu wehe tun, wenn wir die Tarife jetzt einigermaßen angehoben haben.
Man kann natürlich sagen: es ist drastisch, was hier geschehen ist. Die Beispiele sind von Herrn Kollegen Bleiß gebracht worden. Aber der Bundesverkehrsminister hat auch wiederum recht, wenn er sagt: die Tarife sind maßvoll angehoben worden; maßvoll nämlich im Hinblick darauf, daß praktisch nur ein Drittel bis höchstens die Hälfte der wirklichen Kosten gedeckt werden. Ich glaube, diese Betrachtungsweise darf nicht vergessen werden. Ich möchte also dafür plädieren, daß wir diese Maßnahme unter keinen Umständen rückgängig machen. Meine Fraktion jedenfalls wird den Antrag der SPD ablehnen müssen.
Ich möchte zu den Sozialtarifen noch ein Wort sagen. Ich glaube, es ist hier bereits von irgendeinem der Sprecher zum Ausdruck gebracht worden, und deswegen möchte ich es unterstreichen. Meine Fraktion glaubt, daß es richtiger wäre, alle Vergünstigungen, die in den Sozialtarifen zum Ausdruck kommen, nicht der Bundesbahn anzulasten, sondern dem Arbeits- und Sozialministerium. Sie sind eben Sozialleistungen, die nicht einem Unternehmen angelastet werden können, sei es der Bundesbahn, sei es anderen öffentlichen oder privaten Verkehrsbetrieben. Da sollte man eine saubere Auftragsverwaltung und eine Abrechnung durchführen, so daß wir durchaus im klaren sind, was wir eigentlich machen. Es ist jedenfalls ein Widerspruch in sich, daß wir auf der einen Seite von der Bundesbahn immer wieder verlangen, sie möge nach kaufmännischen Gesichtspunkten geführt werden, und auf der andern Seite als Gesetzgeber ein übriges tun, um ihr diese Aufgabe zu erschweren.
Nun wäre zu diesem Problem noch manches zu sagen; aber ich möchte in Anbetracht dier Zeit jetzt nicht auf Detailfragen eingehen. Herr Kollege Müller-Hermann hat recht: selbst in einem Ausschuß würden wir die Fragen der unterschiedlichen Tarifgestaltung nur mit Mühe lösen können. Das ist wirklich ureigene Aufgabe der Bahn selber, wir sollten sie daher ihr überlassen und nur die Auswirkungen kontrollieren. Dazu werden wir demnächst Gelegenheit haben.
Zum Schluß möchte ich noch auf zwei Probleme hinweisen. Das eine ist meine Überzeugung, daß das Problem der Bundesbahn nur dann gelöst werden wird, wenn die Frage der Investitionen, d. h. der Rationalisierung - lies: Elektrifizierung -, schneller als bisher gelöst werden kann. Das bedeutet einen Milliardenaufwand. Hier zeigt sich wiederum ein Widerspruch, wenn wir billiger fahren wollen. Es ist ja eine allgemeine Erscheinung in allen Staaten der Welt, daß zwei Dinge des öffentlichen Lebens nichts mehr kosten sollen: das Wohnen auf der einen Seite und der Verkehr auf der anderen Seite. Das muß einmal ganz deutlich gesagt werden. Aber das Investitionsproblem der Bundesbahn kann doch nur gelöst werden, wenn wir ihr selber die Mittel dazu in die Hand geben. Sie muß doch wieder saniert werden, damit sie auch an den Kapitalmarkt im Inland oder im Ausland herantreten kann; denn das wird so lange nicht möglich sein, als sie noch nicht wieder ein gesundes Unternehmen darstellt. Die innere Wirtschaftskraft der Bundesbahn ist bedeutend besser, als es in den Bilanzziffern zum Ausdruck kommt. Ich glaube also, daß wir dort eine echte Aufgabe haben; deswegen stimmen meine Freunde auf jeden Fall der Tariferhöhung zu.
Nun ein Zweites. Das wirkliche Dilemma der Bundesbahn ist hier, glaube ich, noch nicht angesprochen worden. Früher stand die Reichsbahn insofern günstiger da, als die mittlere Entfernung im Reich etwa 400 km betrug. Heute beträgt sie etwa 250 km. Darin liegt das Problem, daß unser Vaterland zu klein geworden ist. Deshalb auch kann die Vorstellung, daß die Bahn die Aufgabe habe, den Langstreckenverkehr zu bedienen, einfach nicht in genügendem Umfang realisiert werden. Da stimme ich Herrn Kollegen Müller-Hermann vollauf zu: die kommende europäische Entwicklung wird hier eine Möglichkeit eröffnen, daß der Schiene wieder ein größeres Arbeitsfeld zuwachsen wird. In dieser Hoffnung darf ich meine Ausführungen schließen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige wenige Bemerkungen der Herren Kollegen Brück und Müller-Hermann veranlassen mich, hier heraufzugehen. Herr Kollege Brück, Sie haben uns angedonnert, Sie hätten aus den großen Versammlungen noch die Transparente vor Augen, in denen die Bundesbahn angegriffen wurde, und erst auf unsern Zuruf haben Sie klargestellt, daß es sich nicht um sozialdemokratische Versammlungen handelte, sondern offenbar um solche von selbständigen Unternehmern. Oder waren es andere Versammlungen?
({0})
- Sie möchten den Berufszweig nicht nennen. Schön, ich will ihn auch nicht nennen. Aber ich bin dankbar, daß Sie jedenfalls auf unsern Zwischenruf klargestellt haben, wen Sie eigentlich bei Ihrem Angriff meinten.
Schmidt ({1})
Aber dann, Herr Brück, haben Sie sich in einer nicht ganz liebenswürdigen Weise mit meinem parlamentarischen Stil beschäftigt. Der amtierende Präsident war offenbar gerade milde gestimmt, als Sie das gesagt haben. Es könnte reizen, sich in einer kurzen Erwiderung mit dem parlamentarischen Stil des Kollegen Brück zu befassen. Er ist von Geburt und von Weltanschauung ein Eisenbahner; das ehrt ihn.
({2})
Er wird auch dereinst in den Eisenbahnerhimmel eingehen, hoffentlich noch lange, Iange hin, im nächsten Jahrhundert.
({3})
- Ich bin doch ganz freundlich. Warum sind Sie denn so boshaft dahinten?! Auch die Eisenbahn ehrt ja den Kollegen Brück schon zu Lebzeiten,
({4})
sie honoriert ihn auch.
({5})
- Bitte?
({6})
- Sie irren sich mit dem Faden. Ich komme genau auf den Punkt, auf den ich hinwollte. Ich glaube, daß es kein guter parlamentarischer Stil ist, sich hier in dieser Weise zu engagieren, wie es der Herr Kollege Brück getan hat. Ich will gern darauf verzichten, lieber Kollege Brück, näher auszuführen, was ich meine, - Sie wissen, was ich meine.
({7})
- Das hat mit der außenpolitischen Debatte nichts zu tun, sondern das hat mit etwas anderem zu tun. Bitte, wenn Sie wollen, daß ich es ausspreche, dann sage ich es. Ich finde, es ist eine eigenartige Angelegenheit - sicherlich rechtlich in Ordnung, aber im übrigen parlamentarisch eigenartig -, daß sich ein Mitglied dieses Hauses fünf Minuten vor dem Wahlkampf entlassen läßt aus diesem Haus, sein Mandat niederlegt, sich von der Bundesbahn befördern läßt, sich anschließend wiederwählen läßt und hier große Reden für die Bundesbahn hält.
({8})
- Ich habe das nicht aussprechen wollen, Sie haben mich dazu provoziert.
({9})
Nun, Ihre Fraktion hat eine sehr schöne Arbeitsteilung vorgenommen. Sie haben den Herrn Kollegen Brück gehabt. Er hat für die Bundesbahn gesprochen und für den Herrn Bundesverkehrsminister, der sich nachher bei ihm bedankt hat. Und dann Herrn Kollegen Müller-Hermann. Der hat - na, sagen wir einmal - nicht für die Bundesbahn gesprochen und auch nicht für den Bundesverkehrsminister - der hat sich nachher auch nicht bedankt.
({10})
Aber weil das nun offensichtlich werden mußte, hat Herr Müller-Hermann - den stört das gar nicht, er hat es voll Mut schon vier Jahre lang in dieser Situation ausgehalten - doch gemeint, ein Gegengewicht dadurch zu schaffen, daß er auch bei uns Sozialdemokraten Verschiedenheiten in der Auffassung glaubte feststellen zu können. Nun, ich glaube, da täuschen Sie sich doch, Herr MüllerHermann. Paul Bleiß und ich sind uns völlig einig darin, daß hier ein geordneter Wettbewerb unter der Voraussetzung gleicher Wettbewerbsbedingungen hergestellt werden muß, und wir sind uns auch einig - und da sind wir uns mit Ihnen uneinig - über das gemeinwirtschaftliche Prinzip, das Gott sei Dank im Gesetz steht und infolgedessen nicht in Gefahr geraten kann, von einem Kabinettsbeschluß hinweggefegt zu werden.
Aber wenn Sie nun schon einmal dabei sind, Meinungsverschiedenheiten zu konstruieren und auch auf irgend so ein Gutachten abheben wollten, das in der deutschen Presse eine Rolle spielt, so muß ich sagen: Da fühle ich mich daran erinnert, daß z. B. ihr Fraktionskollege Dr. Seffrin und andere bei vielerlei Gelegenheiten immer wieder behauptet haben, der Abgeordnete Schmidt täte alles, um den Aufbau der Bundeswehr zu torpedieren. Und nun behaupten der Herr Kollege Müller-Hermann und andere CDU-Abgeordnete, ich setzte mich im Gegenteil dafür ein, daß die Bundeswehr Atombomben bekäme. Es stimmt beides nicht. Vielleicht ist es gut, beiden CDU-Kollegen nicht zu glauben, die diese Behauptung in die Welt gesetzt haben. Aber trotz dieser von mir nicht ganz als fair empfundenen Anzapfung, Herr Müller-Hermann: ich persönlich freue mich, daß Sie wohlbehalten aus Formosa zurück sind.
({11})
Dort konnte man sicherlich für die deutschen Verkehrsverhältnisse sehr viel lernen.
({12})
Vielleicht ergeben sich aus Ihrem Besuch in Formosa auch Anregungen, die parlamentarische Demokratie und den Regierungsstil in Bonn zu verbessern.
({13})
Aber da Sie aus Bremen stammen, Herr MüllerHermann,
({14})
bin ich überzeugt, daß S i e jedenfalls keinen Schaden an Ihrer Seele genommen haben.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Drachsler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte hat gezeigt, daß die Erhöhung der Verkehrstarife der
Deutschen Bundesbahn zu spät gekommen ist. Sie wäre schon seit Jahren fällig gewesen. Wäre sie früher gekommen, dann hätte Herr Kollege Schmidt nicht Gelegenheit gehabt, sich zweimal zu engagieren, und er hätte schon gar nicht Gelegenheit gehabt, Herrn Kollegen Brück persönlich zu attackieren und Formosa mit den Verkehrstarifen in einen Topf zu werfen. Die Debatte zeigt aber auch, daß es den Mitgliedern dieses Hauses, die in der Öffentlichkeit zu Prügelknaben für diese Tariferhöhung werden, ohne eigentlich vorher darüber befragt worden zu sein, wahrscheinlich nicht erspart bleibt, sich einmal grundsätzlich mit dem finanziellen Status der Bundesbahn und auch mit dem Bundesbahngesetz, ja überhaupt mit der deutschen Eisenbahnpolitik kritisch befassen zu müssen.
In diesem Hause gibt es sicherlich-das zeigte die Debatte - keinen Zweifel an den Schwierigkeiten, in denen sich die Deutsche Bundesbahn befindet, Schwierigkeiten, die nicht zuletzt aus einer gewissen Zwiespältigkeit der Aufgaben resultieren, wie sie der Bundesbahn durch das Bundesbahngesetz gestellt sind. Auf der einen Seite ist nämlich die Bundesbahn durch ein vom Parlament beschlossenes Gesetz, dem auch die Opposition zugestimmt hat, verpflichtet, ihren Betrieb nach kaufmännischen Gesichtspunkten zu führen, d. h. laufende Ausgaben durch laufende Einnahmen zu decken. Auf der anderen Seite ist man sich aber völlig im klaren - ich glaube, auch die Opposition -, daß an der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Aufgaben der Bundesbahn unter allen Umständen festzuhalten ist. In diesem Zwiespalt der Aufgaben hat die Bundesbahn seit dem Jahre 1952, beinahe sieben Jahre zugewartet und ist durch lohn- und preispolitische Entwicklungen in ein Milliardendefizit gekommen, das bisher auf den Rücken der Steuerzahler abgeladen wurde. Der Vorwurf, daß man hier zu lange gewartet hat und die Dinge schleifen ließ, kann daher nicht erspart bleiben. Wenn man eine Krankheit erkennt, sollte man auch mit der Heilung nicht warten, auch wenn eine Operation nötig ist, die schmerzhaft ist. Es war sicher kein böswilliges Zuwarten, sondern eher ein Hoffen, daß in der Ara der fetten Jahre die vollen Lasten der Gemeinwirtschaftlichkeit der Bundesbahn, die sozialen Lasten, ohne weiteres auf den Steuerzahler abwälzbar sind.
Nun, die Zeiten ändern sich. Die Haushaltslage des Bundes zwingt die Bundesregierung, konsequent einen Abbau der Subventionen zu betreiben. Die Bundesbahn ist ohne Erhöhung der Verkehrstarife nicht imstande, das über 1 Milliarde DM betragende Defizit durch eigene Maßnahmen aufzufangen. Im übrigen stehen wir mit der Erhöhung der Verkehrstarife nicht allein. Auch im übrigen Europa und in anderen Ländern der Welt sind in den letzten sechs Jahren die Tarife auf dem Gebiete des Personenverkehrs mehrmals angehoben worden. So haben wir z. B. in Frankreich eine viermalige Anhebung der Personentarife in den Jahren 1952 bis 1958 um insgesamt etwa 36 % - die letzte Anhebung erfolgte am 6. Januar dieses Jahres um etwa 8,8 % -, in Finnland eine zweimalige Erhöhung um zusammen 42 %, in England ebenfalls eine zweimalige Erhöhung um insgesamt 14 %, in Italien ebenfalls eine zweimalige Erhöhung um insgesamt 38 %, in Österreich eine einmalige Erhöhung um 25 %, in Schweden eine viermalige Erhöhung um insgesamt 31 %. Hätte die Bundesbahn in den letzten sechs Jahren parallel zur konjunkturellen Entwicklung rechtzeitig Zug um Zug kostendeckende Tariferhöhungen vorgenommen, wäre es nicht zu diesem hohen Defizit gekommen.
Wir können daher, namentlich vom Standpunkt Bayerns aus, nicht verhehlen, daß gerade wir - in einem Land, das durch seine besondere Verkehrslage in allen Fragen der Verkehrstarife sehr empfindlich ist - über die ursprünglichen Pläne der Bundesbahn bestürzt waren. Diese Pläne ließen nämlich die revier- und seeferne Lage Bayerns ohne Berücksichtigung. Wir begrüßen, daß dank dem Beschluß des Bundeskabinetts die größten Mängel dieser Pläne - allerdings erst nach energischen Rücksprachen - vor allem auf dem Gebiet der Frachttarife durch das Entgegenkommen der Bundesbahn beseitigt und einschneidende Maßnahmen verhütet werden konnten. Wir haben aber auch auf diesem Gebiet noch weitere Wünsche und begrüßen daher das Versprechen des Vorstandes der Bundesbahn und auch der Bundesregierung, bei auftretenden Härtefällen Ausnahmetarife für die verkehrsfernen, die revierfernen Gebiete zu schaffen. Hier kommen namentlich die Gebiete Bayern und Schleswig-Holstein in Frage. Solche Härtefälle werden kommen; hoffentlich kommen auch rechtzeitig die versprochenen Hilfen und Ausnahmetarife der Bundesbahn und der Bundesregierung.
Hier muß auch festgestellt werden, daß Bayern mit der Art und Weise der Behandlung des Antrags der Deutschen Bundesbahn auf Tariferhöhung nicht ganz einverstanden sein kann. Es wurde heute schon angeführt - es ist auch meine Auffassung -, daß es der Bundesregierung der Rechtslage nach nicht eindeutig gestattet gewesen ist
({0})
- nein, die bayerische Staatsregierung hat sich erst nachträglich einschalten können -, den Antrag der Deutschen Bundesbahn als Anstaltstarif nach § 16 des Bundesbahngesetzes zu behandeln. Wie schon zweimal gutachtlich festgestellt worden ist, hätte der Bundesrat nach Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit §§ 1 und 3 des Preisgesetzes beteiligt werden müssen. Wir werden jedenfalls - dazu wird es noch Gelegenheit geben - auch bei künftigen Tariferhöhungen von diesem Standpunkt nicht abweichen.
({1})
- Auch bei den Briefmarken. Aber Herr Kollege Stücklen hat bisher zur vollen Zufriedenheit gewirtschaftet. Wir würden uns nur wünschen, daß die Bundesbahn ihren Betrieb nach ebenso guten kaufmännischen Prinzipien führt wie die Bundespost. Dann werden sicherlich keine Klagen kommen.
({2})
- Die Briefmarken werden nicht teurer; aber damit ist noch nicht gesagt, daß etwas anderes nicht teurer wird.
Ein besonderer Härtefall sind für die industriearmen Gebiete, die Grenz- und Sanierungsgebiete usw. die Anhebungen im Arbeiterberufsverkehr. Sie sind eine besondere Härte, weil der größte Teil der Arbeiter in unseren industriearmen Gebieten gezwungen ist, Arbeitsplätze in Entfernungen bis zu 100 km oder darüber hinaus aufzusuchen. Eine besondere Härte stellen diese Anhebungen auch deshalb dar, weil selten die Möglichkeit geboten ist, daß die Mehrkosten von dem Arbeitgeber übernommen werden. Wir hoffen auch hier, daß das letzte Wort über diese Angelegenheit noch nicht gesprochen ist.
Wir werden abwarten, wie sich die Dinge nach der Tariferhöhung nunmehr einspielen, und werden jede Gelegenheit wahrnehmen, auftretende Härtefälle zu beseitigen. Vor allem hoffen wir, daß durch die Beibehaltung der Frachthilfen für die revierfernen Gebiete Abhilfe geschaffen wird und daß durch eine verstärkte regionale Wirtschaftspolitik namentlich in den Sanierungsgebieten Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Die eingereichten Anträge werden uns in den Ausschüssen dieses Hauses die Möglichkeit geben, diese Fragen eingehend zu erörtern. Daher treten wir für eine Überweisung des Antrags der SPD auf Rückgängigmachung der Anhebung der Verkehrstarife an die zuständigen Ausschüsse ein. Dieser Antrag ist nicht geeignet, die Schwierigkeiten der Bundesbahn zu beseitigen. Jede Maßnahme, die für die Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit und die Stärkung der wirtschaftlichen Kraft der Bundesbahn getroffen werden muß, ist auch eine Maßnahme, die eine Art sozialer Tat darstellt, weil die wirtschaftliche Kräftigung der Bundesbahn nicht zuletzt die Voraussetzung für die Erhaltung der Existenz von nahezu 5 % der gesamten Bevölkerung der Bundesrepublik bedeutet, die bei der Bundesbahn Arbeit und Brot finden.
Im übrigen - es ist heute schon festgestellt worden - sollten die Herren von der Opposition in den Fragen der Anhebung von Verkehrstarifen dort, wo sie die Verantwortung tragen, z. B. in den Großstädten, uns erst einmal mit gutem Beispiel vorangehen. Sie haben z. B. in Nürnberg und Erlangen die Tarife der kommunalen Verkehrsbetriebe um nahezu 60 % angehoben. Sie wollten das gleiche in München durchexerzieren: dort wollten sie die Trambahntarife von 25 auf 40 Pf anheben, also auch um 60 % erhöhen; durch den Einspruch der CSU ist es gelungen, diese Anhebung zu verhüten.
({3})
- Das stimmt ganz genau! In München ist man jetzt noch nicht zufrieden damit; man versucht immer noch, die Tarife anzuheben. Ich habe mir sogar sagen lassen, daß kein zwingender Grund dafür vorhanden war; man wollte für 24 Millionen DM ein Verwaltungsgebäude für die Verkehrsbetriebe
erbauen. Hier hätten die Herren von der Opposition Gelegenheit, ihre wahre Einstellung zu zeigen. Wir sehen in dem Antrag der SPD mehr eine propagandistische als eine realpolitische Angelegenheit; sie verdient jedoch eine eingehende Prüfung in den zuständigen Ausschüssen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden keine große Sorge zu haben brauchen, daß ich zu dieser für unsere Bräuche doch schon etwas späten Stunde noch eine große Verkehrsreform-Debatte entfessele. Ich möchte mit ganz wenigen Sätzen die Stellungnahme der Freien Demokraten zu diesem Problem, das heute hier behandelt wird, festlegen. Wir brauchen über die Verkehrsreform im großen heute hier nicht zu sprechen. Unsere Meinung dazu ist so oft protokollarisch festgelegt und unsere Kritik an der Bundesregierung und an dem Herrn Bundesverkehrsminister so oft ausgesprochen worden, daß ich mich heute darauf beschränken kann, auf das ganz Spezielle dieses Tages einzugehen.
Dazu muß ich von vornherein - etwa wie der Kollege Elbrächter - sagen: diese Tarifanhebung auf ein kostennahes Niveau ist ein altes Anliegen der Verkehrskonzeption der Freien Demokratischen Partei. Ich könnte mich also dem Wort „Spät kommt ihr, doch ihr kommt" anschließen; ich will es nicht wiederholen, aber es sagt das, was wir hier zu bemerken haben. Wir müssen Bedenken äußern - sie sind hier auch schon ausgesprochen worden - bezüglich der Aufrechterhaltung der Gemeinwirtschaftlichkeit der Bundesbahn; darauf darf ich mit dem einen oder anderen Satz noch eingehen.
Ich möchte aber zunächst einmal folgendes sagen. Herr Bundesverkehrsminister, wir sprachen gerade darüber, und Sie sagten, Sie hätten im Verkehrsausschuß über die geplante Tarifanhebung - um es nicht Tarifreform zu nennen berichtet. Ich hatte mich bei einem Herrn erkundigt; der war aber nicht in der Sitzung gewesen und konnte mir deshalb nichts sagen, und ich selbst gehöre dem Verkehrsausschuß nicht an. Ich meine also: es sollte informandi causa noch etwas mehr getan werden.
({0})
Denn wenn auch das Parlament nicht zuständig ist und wenn es auch nicht um die Frage geht, ob man an die preisrechtlichen Grundlagen rührt, so sind doch diese 750 Millionen, die wir bejahen, etwas so Erhebliches, daß man Gelegenheit haben sollte - nicht nur als Abgeordneter des Verkehrsausschusses -, sich mit Material darüber zu versehen und sich damit zu befassen.
Das ist eine Bitte, die wir zu äußern haben, und ich glaube, sie ist nicht unangebracht angesichts der Bedeutung des Gegenstandes. Sie sehen es an der Debatte, wie sie hier läuft. Manche Schärfe würde entfallen und es würde der Sachlichkeit dienen,
wenn die Unterlagen in den Händen der Abgeordneten wären. Wir bekommen ja so viel Unterlagen über kleinere Dinge, dann könnten es auch welche über die großen sein.
Nun aber zu der anderen Seite! Ich glaube nicht, daß man mit einigen meiner Vorredner von einem Zusammenbruch - auf der einen Seite der Verkehrspolitik, auf der anderen Seite der Preispolitik - sprechen kann. Ich möchte hier von meinen politischen Freunden und mir, von den Freien Demokraten ausdrücklich sagen: wir beobachten die Wirtschafts- und Preisentwicklung mit ganz großer Sorge. Wir glauben aber nicht, daß man diese Tarifanhebung damit in Zusammenhang bringen sollte. Herr Kollege Bleiß, wir dürfen nie vergessen: gerade dieses nahezu verzweifelte Festhalten an allem, was ist, und das Bestreben, an nichts rütteln zu lassen, führt dazu, daß die Stundenlöhne und die meisten anderen Größen sich weiterentwikkeln und nur solche Preise wie die in den öffentlichen Tarifen enthaltenen festgehalten werden, bis sie, einmal in Bewegung geraten, Veränderungen erfahren, die von dem einzelnen um so härter empfunden werden, weil der Sprung zu groß ist.
Jedenfalls kann keine sonstige Maßnahme die Tatsache ändern, daß die Tarife nicht mehr zeitgemäß und nicht mehr kostengerecht waren. Wir billigen daher im ganzen diese Tarifanhebung und sind nicht der Meinung, daß man von einem Zusammenbruch sprechen könnte. Wir von den Freien Demokraten glauben, daß man dieser Maßnahme I nun erst einmal Zeit zur Auswirkung lassen sollte. Wir müssen bedenken, daß die 700 bis 750 Millionen DM, die diese Maßnahme kostet, keine Kleinigkeit sind; es ist einiges Schöne und einiges weniger Schöne damit verbunden. Nun sollte man einmal sehen, wie sich das auswirken wird. Nur einzelne Punkte möchte ich hier berühren.
Wenn wir diese Tarifanhebung von der allgemeinen Preisentwicklung - die wir viel mehr von der Lohnentwicklung getragen sehen als Sie, Herr Kollege Bleiß - trennen wollen, so müssen wir auf der anderen Seite doch erkennen, daß das Gemeinwirtschaftlichkeitsprinzip bei der Bundesbahn, soweit es veraltet und überholt ist, aufgegeben werden sollte. Immerhin möchte ich mich hier doch dem Kollegen Schmidt anschließen: manchmal ist man ganz froh, daß dieses Prinzip im Gesetz steht und daß es nicht auf dem Wege eines Erlasses oder einer Durchführungsverordnung aufgehoben werden kann.
Nun zu den wenigen Einzelheiten, die ich bringen möchte!
Wir halten diese Tarifanhebung für erforderlich: erstens, um mit der Sanierung der Bundesbahn zu beginnen - ohne diesen Schritt kann man zu einer Sanierung nicht kommen -, zweitens - und das entspricht unserer Grundauffassung - zur Beseitigung der aus dem Haushalt zu zahlenden Subventionen. Deshalb begrüßen wir, was hier geschehen ist. Nur müssen wir natürlich immer sagen, es kommt sehr spät. Diese Maßnahme wäre, wie schon mehrfach gesagt wurde, zu einem früheren Zeitpunkt weniger gravierend und weniger schmerzlich gewesen.
Einige wenige Worte über die Auseinanderentwicklung der Tarife! Herr Kollege Bleiß hat die Einführung der 20-Tonnen-Klasse einseitig als eine Sache dargestellt, die dem Großbetrieb und nicht dem Kleinbetrieb nützt. Sie wissen, daß ich aus meinem Beruf heraus sehr subtile Untersuchungen darüber anstellen muß. Ich kann mit Herrn Elbrächter sagen, daß es keineswegs durchgängig so ist. Es gibt auch Auswirkungen, die in eine andere Richtung gehen. Wir möchten abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Auf der andern Seite haben wir beim Straßenverkehr gegenüber der Bundesbahn die Verbilligung der 5- und 10-Tonnen-Nebenklasse. Wir wollen also gerade auch in diesem Punkt abwarten, welche Auswirkungen sich zeigen.
Es sind vor allem die verkehrsfernen Gebiete, auf die man einzugehen hätte, was ja mein Herr Vorredner aus Bayern schon sehr ausführlich getan hat. Aber auch hier wird man mit Korrekturen warten müssen, bis gewisse Auswirkungen vorliegen. Bei den verkehrsfernen Gebieten werden in einigen Punkten Schwierigkeiten eintreten, wo man wird Abhilfe schaffen müssen. Ich bin sehr froh darüber, daß der Herr Bundesverkehrsminister bereits gesagt hat, er denke in solchen Fällen an gezielte Maßnahmen, mit denen man derartigen Dingen besser zu Leibe gehen kann als mit einem allgemeinen Festhalten der Tarife auf dem nicht kostennahen Niveau, wie es bisher bestand.
Nun zu den Sozialtarifen. Im einzelnen werden die Menschen durch diese erhöhten Ausgaben schmerzlich getroffen, weil man sich eben an die niedrigen Tarife gewöhnt hat, die nicht mehr die Kosten deckten. Sie wurden aus den anderen Bereichen der Bahn und, wie Sie wissen, mit über einer Milliarde DM aus dem Bundeshaushalt subventioniert; denn ob man die Mittel unmittelbar für diese Tarife gibt oder anderes damit bezahlt, weil dort nicht genügend Einnahmen waren, kommt auf dasselbe heraus. Ich sage für die Freien Demokraten, daß wir entsprechend unserer Verkehrskonzeption auch in Erkenntnis der Härten, die eintreten könnten, auch die Erhöhung der Sozialtarife wollen und daß wir der Bundesregierung bei dieser Erhöhung zustimmen. Durch die verbilligten Tarife fällt ein so erheblicher Teil der Einnahmen aus, daß man daran nicht vorbeigehen konnte. Es ist schmerzlich, aber es ist eine Notwendigkeit, wenn man von dem Subventionscharakter dieser ganzen Dinge einmal wegkommen will.
Nun haben wir - ich sage noch einmal: mit Bedauern - von den Auswirkungen im einzelnen gehört. Ich selbst habe viele Beispiele dazu. Aber zu dem Plan, das Unternehmen Bundesbahn rentabel zu gestalten, gehört auch das, was jetzt - wie wir sagen, zu spät - von ,der Bundesregierung getan worden ist.
Ich glaube, daß wir dem Antrag der CDU, die Lehrlinge im dritten Lehrjahr, die jetzt herausgenommen worden sind, wieder in diese Maßnahmen einzubeziehen, zustimmen können. Die übrigen, die ihren Arbeitsplatz und vollen Verdienst haben, werDr. Starke
den die Erhöhung tragen müssen. Denn wir können nicht den Verdienst steigen lassen, aber die öffentlichen Tarife unten festhalten, weil das die Subventionen aus dem Bundeshaushalt erfordert, die unserem Wunsch entsprechend abgebaut werden sollten. Auch bei den Sozialtarifen bejahen wir die Anhebung, die jetzt vorgenommen worden ist; auch hier mit dem Ausdruck des Bedauerns für die, die davon betroffen werden.
Wir können uns dem Antrag der SPD nicht anschließen, daß diese Anhebung der Sozialtarife rückgängig gemacht wird und daß man der Bundesbahn dafür einen Globalbetrag aus Bundesmitteln zahlt. Ich möchte mich eher dem Kollegen Elbrächter anschließen. Man muß dann dort helfen, wo effektive Härten bei den Sozialtarifen festgestellt werden, und der Bundesbahn das auf einem sicher etwas komplizierten Verrechnungsweg erstatten. Man muß sozusagen die Einzelfälle zusammenrechnen, nicht aber einen Globalbetrag zahlen; denn das wäre praktisch nur eine Fortsetzung des Systems der Subventionen, von dem wir abkommen wollen.
In meinem Heimatbezirk in Kronach ist ein Betrieb mit 1700 Beschäftigten, der etwa 1200 davon von weither aus dem Frankenwald im Pendelverkehr heranholt. Hier wird die Anhebung so erhebliche Mehrkosten bringen, daß es bedenklich stimmt; denn es geht um Erhöhungen von 4,70 auf 7,10 DM oder von 5,40 auf 8,10 DM. Trotzdem stimmen wir dem grundsätzlich zu. Wir können die Subventionierung nicht im ganzen durchführen. Man muß an allen Ecken beginnen, damit aufzuräumen. Aber ebenso, wie man bei den verkehrsfernen Gebieten mit gezielten Maßnahmen vorgehen sollte, um die schlimmsten Auswirkungen abzubiegen oder sie zu redressieren, so wird man auch hier danach trachten müssen, in solchen Fällen in wirtschaftlich nicht so sehr blühenden Gebieten zu helfen.
Vorhin ist das System der Frachthilfen im Zonenrandgebiet angesprochen worden. Auch dieses System mag etwas dazu beitragen. Ich will aber diese Dinge absichtlich nicht vertiefen, weil wir, wie ich sagte, wie im ganzen, so auch im einzelnen die Entwicklung abwarten müssen, um zu erkennen, welche Gesichtspunkte sich dabei ergeben und wie man dort helfen kann, wo soziale Beeinträchtigungen im Einzelfall oder regionale Beeinträchtigungen vorliegen. Auf keinen Fall - das möchte ich im Namen meiner politischen Freunde noch einmal ausdrücklich erklären - wollen wir bei den regionalen wie auch bei den sozialen Fällen zu dem System zurück, daß aus der Bundesbahnkasse subventioniert wird. Da würde das Wort von der Gemeinwirtschaftlichkeit der Bundesbahn, für die auch ich eintrete, falsch verstanden, wenn man die Beseitigung gewisser sozialer Beeinträchtigungen als eine Frage der Gemeinwirtschaftlichkeit ansähe. Diese Dinge gehören in den Sozialetat. Ausfälle sind der Bundesbahn aus dem Sozialetat zu erstatten. Das muß ich im Namen meiner politischen Freunde noch einmal feststellen.
Wir bejahen also die Maßnahmen. Wir sehen, daß es Schwierigkeiten geben wird, wollen aber die Auswirkungen abwarten, damit man gezielt und wirksam helfen kann. Wir nehmen mit Bedauern zur Kenntnis, daß tatsächlich soziale Belastungen eintreten. Dort wird man helfen müssen. Die generelle Anhebung, die alle trifft, die ihren vollen Verdienst haben, ist nur eine Nachholung dessen, was schon mehrfach oder eben doch in einem früheren Jahr notwendig gewesen wäre.
Damit möchte ich die Stellungnahme, die ich, glaube ich, sehr deutlich formuliert habe, abschließen, ohne jetzt hier noch zu diesem Zeitpunkt auf Fragen der Verkehrsreform im ganzen einzugehen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bleiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin verschiedentlich angesprochen worden und möchte darauf ganz kurz antworten.
Der Herr Kollege Müller-Hermann - ich sehe ihn leider nicht im Saale - glaubte Meinungsverschiedenheiten zwischen meinem Freund Helmut Schmidt und mir feststellen zu können. Mein Freund Helmut Schmidt hat ja in der Zwischenzeit klargestellt, daß wir in der Verkehrswirtschaft einen geordneten Wettbewerb wünschen. Einen solchen halte auch ich für nützlich und zweckmäßig.
Aber ich möchte Sie fragen, Herr Kollege MüllerHermann: Stimmen Sie immer völlig mit Ihrer Fraktion überein?
({0})
Gibt es nicht eine Vielzahl von Anträgen, bei denen
Sie völlig im Gegensatz zu Ihrer Fraktion stehen?
({1})
Ich glaube, Sie sollten die Unterschiede in der Meinungsbildung zunächst in Ihrer eigenen Fraktion klären.
Sie haben, Herr Kollege Müller-Hermann, davon gesprochen, daß Sie an einem vernünftigen Wettbewerb in der Verkehrswirtschaft interessiert seien. Weil wir genau dasselbe wollen, bitte ich Sie: Stimmen Sie dann doch unserem Antrag zu, damit wir endlich einmal vernünftige Voraussetzungen für einen solchen Wettbewerb schaffen und uns davon überzeugen, wie denn eigentlich die Wettbewerbsverhältnisse liegen! Bisher ist der Selbstkostenvergleich systematisch verzögert worden. Wir haben uns immer gefragt: Warum wird denn ein solcher Selbstkostenvergleich verzögert, warum will man eine solche freie Wettbewerbswirtschaft nicht in den Grundlagen prüfen?
Herr Abgeordneter Dr. Bleiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Bucerius?
Herr Dr. Bleiß, zur Abkürzung: Ist Ihnen noch nicht bekanntgegeben worden, daß wir diesem Antrag Ihrer Fraktion zustimmen werden?
Ich bin sehr dankbar dafür; dann kommen wir ein Stück weiter.
Herr Kollege Müller-Hermann, Sie haben mit Ihren Ausführungen den Eindruck erweckt, als ob die Tariferhöhung vom 1. Februar 1958 den freien Wettbewerb schaffen und gleiche oder annähernd gleiche Chancen für die Verkehrsträger bringen werde. Das nehme ich Ihnen nicht ab; das nimmt Ihnen auch niemand ab, der im Verkehrsgewerbe steht.
Eine Zwischenfrage! Habe ich nicht eigentlich klar genug gesagt, Herr Dr. Bleiß, daß wir die jetzige Reform nur als einen ersten, sehr vorsichtigen Schritt auf dem Wege betrachten und die Regierung bitten, daß sie auf diesem Wege fortfährt?
Darauf möchte ich antworten, Herr Müller-Hermann, daß das nicht ein erster Schritt auf dem Wege zur Entzerrung ist, sondern daß durch diese Tariferhöhung und insbesondere durch die Differenzierung der Wettbewerb weiter verzerrt und die ruinöse Konkurrenz weiter verschärft wird. Ich bin der Meinung, daß diese Tariferhöhung genau das Gegenteil von dem bewirkt, was Sie hier von der Rednertribüne aus als Ziel dargestellt haben. Sie sollten sich einmal unter den Verkehrsträgern und unter den einschlägigen Betrieben umhören. Ich glaube, dort werden Sie meine Ausführungen voll bestätigt finden.
Herr Kollege Müller-Hermann, man darf nicht immer von einer freien Wirtschaft sprechen und nachher durch eine Billigung der tarifarischen Maßnahmen genau das Gegenteil bewirken. Darin sehe ich eine sehr verhängnisvolle Diskrepanz.
Nun möchte ich Herrn Kollegen Brück etwas sagen. Herr Kollege Brück, ich hoffe, Sie unterstellen uns nicht, daß wir die Interessen der Bundesbahn nicht genügend berücksichtigen wollen. Ich möchte Sie daran erinnern, daß wir schon sehr frühzeitig begonnen haben, um Mittel für die Bundesbahn zu kämpfen, und daß damals unsere Anträge von der CDU-Fraktion abgelehnt worden sind. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir bei der Übernahme der befriebsfremden Lasten von der Bundesbahn auf den Bund auch an dem Widerstand des Finanzministers gescheitert sind und daß später die Übernahme scheibchenweise erfolgt ist. Ich darf Sie daran erinnern, daß der Zehnjahresplan für eine Sanierung der Bundesbahn bisher in der Dotierung an dem Widerstand des Bundesfinanzministers scheiterte.
Zur Frage der Dikrepanz zwischen Theorie und Praxis darf ich Ihnen vielleicht auch einmal folgendes sagen. In dem neuen Haushalt, Herr Kollege Brück, werden die Ansätze für die Bundesbahn nicht etwa erhöht, um sie zu sanieren, nicht etwa gleichgehalten, um wenigstens die bisherigen Investitionen in gleicher Höhe fortzusetzen, sondern die Haushaltsmittel werden um 450 Millionen DM gekürzt. Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucerius.
Meine Damen und Herren! Dem Hause liegen vier Anträge vor. Den Antrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 141 bitten wir dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Dem Antrag der SPD Umdruck 11 wird meine Fraktion zustimmen. Sie bittet ihrerseits das Haus, den Anträgen Umdruck 10 und Drucksache 185 - beides Anträge der Koalitionsparteien - zuzustimmen.
Der Herr Kollege Schmidt hat heute gegen Schluß dieser Sitzung eine persönliche Kontrahage mit dem Kollegen Brück gehabt. Der Herr Kollege Brück ist Beamter der Bundesbahn. Er ist gleichzeitig Abgeordneter und deshalb als Beamter im vorläufigen Ruhestand. Seine Behörde hat ihn jetzt befördert: sie hat ihm den Posten gegeben, der ihm nach Meinung der Behörde, nach seiner Laufbahn und seinen Fähigkeiten zusteht.
Man kann nun darüber streiten, ob es richtig ist, daß Beamte parteipolitisch tätig werden können, und ob es richtig ist, daß Beamte Abgeordnete werden können. Ich habe immer den Standpunkt vertreten, daß der Beamte dem Staate dient, der Abgeordnete ihn kontrolliert - ein Interessenkonflikt! Nicht zuletzt aber sind es die Wünsche der Sozialdemokratie gewesen, die die allgemeine Meinung gebildet haben, daß man einen Kompromiß suchen müsse und auch dem Beamten Gelegenheit geben solle, die allgemeinen Rechte des Staatsbürgers auszuüben, politisch tätig zu sein und auch Abgeordneter zu werden.
Daß das zu Konflikten führen kann, wird man zugeben müssen, und wenn man in dieser Frage einen Kompromiß gesucht hat, dann muß man auch hinsichtlich der Laufbahn des Beamten-Abgeordneten bereit sein, einen Kompromiß zu suchen. Der Konflikt ist hier nicht von dem Beamten Brück entschieden worden, sondern, wie es die Bedeutung des Falles gebot, vom Vorstand der Deutschen Bundesbahn, der aus vier sehr maßgeblichen Herren besteht. Diese haben, wie wir hören, einstimmig, den Kollegen Brück befördert. Zu dem Kreis dieser Vier gehört selbstverständlich auch ein Herr aus dem Kreis der Sozialdemokratie. So reduziert sich diese Frage auf eine Frage allgemeinen Charakters, über die wir aber vor Jahren eine Entscheidung getroffen haben. Die Folge dürfen wir heute unter keinen Umständen dem Kollegen Brück persönlich zur Last legen.
({0})
Schön und gut, eine sachliche Streitfrage. Aber dann kommt das, was die Arbeit in diesem Hause manchmal wirklich fast unerträglich werden läßt. Aus den Worten des Herrn Kollegen Schmidt mußte man den Eindruck gewinnen, er halte es für möglich, daß der Kollege Brück das, was er heute zum Thema Bundesbahn gesagt hat, gesagt haben könne,
weil er vor geraumer Zeit von der Deutschen Bundesbahn befördert worden ist. Meine Damen und Herren, dieses ewige Unterstellen niedriger Motive ist auf die Dauer wirklich nicht mehr zu ertragen.
({1})
Es ist heute im Laufe des Tages vielfach geklagt worden, daß der Deutschen Bundesbahn von ihrem Eigentümer, dem Bund, nicht die Kapitalausstattung gegeben worden sei, auf die sie Anspruch habe. Ich glaube, dem liegt ein Irrtum im Grundsatz zugrunde. Wir haben in der Bundesrepublik tausend und aber tausend Betriebe, deren Eigentümer natürlicherweise den Wunsch gehabt hätten, ihren Betrieben zusätzliches und neues Kapital zuzuführen. Keiner hat es gekonnt, und keiner hat Anspruch darauf. So hat auch die Deutsche Bundesbahn keinen Anspruch gegen irgend jemanden, daß ihr Kapital zugeführt werde. Die Deutsche Bundesbahn ist aus diesem Kriege mit einem Restvermögen hervorgegangen, das sich wahrlich sehen lassen konnte. Wir haben ihr nach dem Kriege ein Verkehrsmonopol gegeben, das sich ebenfalls sehen lassen konnte. Die Startbedingungen der Bundesbahn waren also wahrlich über jeden Zweifel erhaben und gaben ihr alle Möglichkeiten vorwärtszukommen, Möglichkeiten, die kein anderer Bürger je gehabt hat. Deshalb sollte man sich hier nicht über mangelnde Kapitalausstattung beklagen. Wenn wir die Mittel gehabt hätten, hätten wir sie gern in das bundeseigene Vermögen hineingesteckt. Aber Kapital muß von der Volkswirtschaft erarbeitet werden, und wo es nicht erarbeitet werden kann und erarbeitet worden ist, dort kann eben auch kein Vermögen zur Verfügung gestellt werden.
Freilich kommt eines dazu, und da treffen wir uns mit vielem, was heute auch von unseren sozialdemokratischen Kollegen gesagt worden ist: In der Tat, es fehlt uns die Möglichkeit, heute überhaupt festzustellen, ob die Bundesbahn sich das, was ihr vielleicht vom Bund nicht hat gegeben werden können, zum Teil genommen hat, indem sie über den Preis, nämlich den Tarif, und, was nach 1945 noch wichtiger war, durch die ihr reichlich gegebenen Kontingente ein beträchtliches Vermögen aufgebaut hat. Es ist uns berichtet worden, daß Herr Präsident Oeftering neulich gesagt hat, er könne das eigentlich nicht mehr lange mit ansehen, daß das Defizit der Bundesbahn immer größer, gleichzeitig aber auch ihr Vermögen immer größer werde. In der Tat, eine genaue Abrechnung über das Vermögen der Bundesbahn muß uns beschleunigt gegeben werden. Die Post ist hier mit gutem Beispiel vorangegangen. Die Verpflichtung der Post, Rechnung zu legen, ist nicht geringer, aber auch nicht größer als die der Bundesbahn. Das Bundesbahngesetz befreit die Bundesbahn zwar von manchen formellen Vorschriften, nicht aber von der Beachtung des Grundsatzes, dem deutschen Volk und diesem Haus genau Rechenschaft über ihr Vermögen zu legen.
An der Spitze der Bundesbahn steht heute ein Mann, der in anderen bundeseigenen Unternehmen an maßgebender Stelle tätig gewesen ist. Wir hoffen sehr, daß dem jahrelangen Aufschub - der, wie ich zugebe, nicht immer verschuldet war - endlich ein Ende gemacht wird und wir recht bald die echte Abrechnung über Einnahmen und Ausgaben und über den Vermögensstand der Bundesbahn erhalten. Das ist der Wunsch, den wir auch heute noch einmal dem Herrn Bundesverkehrsminister vortragen, dem Bundesverkehrsminister, dem wir bei dieser Gelegenheit gern sagen wollen, daß er in dieser Sache wahrlich das Seine getan hat.
Herr Kollege Schmidt hat zu einer Bemerkung, die aus dem Hause, aus der CDU-Fraktion ihm gegenüber gemacht wurde - nämlich zu der Bemerkung, daß zu den Tarifsteigerungen auch die erhöhten Löhne Anlaß gegeben hätten -, seinerseits erklärt, daß sich daraus ja die Stellung der CDU-Fraktion zur Arbeitnehmerschaft ergebe. Meine Damen und Herren, nichts ist falscher als das.
({2})
Schließlich sind ja die Lohnerhöhungen der letzten zehn Jahre unter einer Regierung zustande gekommen, an der die Sozialdemokratie nicht beteiligt gewesen ist.
({3})
Es wäre also sehr sonderbar, zu behaupten, daß diese Lohnerhöhungen, ja diese allgemeinen Erhöhungen des Lebensstandards in Deutschland ausgerechnet gegen den Willen unserer Fraktion zustande gekommen seien. Wenn wir sie hätten verhindern wollen, hätte es Mittel und Wege genug gegeben. Aber ganz im Gegenteil! Das Ziel der sozialen Marktwirtschaft ist die Steigerung des allgemeinen Lebensniveaus, und kaum je ist in einem Land in einer so kurzen Zeit das Lohnniveau der Allgemeinheit und ihre Fähigkeit zum Verbrauch so angestiegen, wie das bei uns geschehen ist.
({4})
Es wäre aber falsch, bei den Lohnerhöhungen die notwendige und von uns gewollte Konsequenz - wenn die Ursache gewollt ist, ist auch die Konsequenz gewollt - zu übersehen, nämlich die Konsequenz, daß, wenn wir die Löhne auf breiter Ebene erhöhen, dann auch die Tarife erhöht werden müssen, die auf diesen Dienstleistungen beruhen.
({5})
Meine Damen und Herren, es ist immer wieder dasselbe: aus einer einfachen, nüchternen Herausstellung eines unbestreitbaren volkswirtschaftlichen Zusammenhangs wird uns der Vorwurf der Feindseligkeit gegen breite Massen unseres Volkes unterstellt. Diese Methode der persönlichen Unterstellung ist es, gegen die wir uns immer und zu jeder Stunde zur Wehr setzen.
({6})
Es ist denkbar, daß bestimmte Auswirkungen der Tarifneugestaltung jetzt und in den späteren Jahren in gewissen Gebieten zu weiteren Verkehrszusammenballungen führen werden. Wenn wir kostenecht werden wollen - Herr Müller-Hermann hat schon darauf hingewiesen, daß die Gesetzgebung im Gemeinsamen Markt alle Länder zwingt,
kostenecht zu werden -, wird es auf die Dauer mit der Begünstigung sogenannter revierfern oder verkehrsungünstig gelegener Gebiete schwieriger werden. Daß wir uns auf diesem Gebiete der nationalen Interessen und der Interessen der in Deutschland hinter der allgemeinen Entwicklung aus tausend Gründen zurückgebliebenen Gebiete immer mit äußerster Kraft annehmen werden, ist selbstverständlich. Aber wir werden das auf die Dauer nicht mehr mit einer Gesetzgebung und einer Tarifgestaltung tun, die nicht die echten Kosten berücksichtigt. Dann muß eben mit direkten Maßnahmen geholfen werden. Die deutsche Volkswirtschaft lebt nun einmal nicht in einem abgeschlossenen Paradies. Wir sind einem gnadenlosen Wettbewerb der anderen europäischen Länder, der anderen westlichen Welt, ja einem Wettbewerb der gesamten Welt ausgesetzt. Gehen Sie heute einmal über die Hauptstraßen der deutschen Städte, gehen Sie in Hamburg einmal über die Mönckebergstraße und stellen Sie einmal fest, welche Fertigprodukte aus allen Ländern der Welt, selbst aus Ostasien, hergestellt mit einer Arbeitskraft, die einen Bruchteil von dem kostet, was unsere Arbeitskraft kostet, dort heute schon in allen Läden angeboten werden! Sehen Sie sich einmal an, welch einem Wettbewerb wir dort ausgesetzt sind! Da werden wir noch etwas erleben, daß uns Hören und Sehen vergehen wird!
({7})
Die arbeitsteilige, hochwirksame deutsche Volkswirtschaft wird auch mit dem Problem des Wettbewerbs mit den Entwicklungsländern und deren billiger Arbeitskraft fertig werden; aber unter einer Bedingung: daß wir hier keine Verhältnisse schaffen, wie sie in einem Treibhause herrschen, daß wir hier die frische Luft jedenfalls in dem Maße zulassen, als der Volkskörper es gegenwärtig verträgt. Wenn wir uns zu sehr einhüllen, dann werden wir früher oder später erleben, daß wir vom internationalen Wettbewerb ausgeschaltet werden, und all die Segnungen, die wir heute dem deutschen Volk und seiner Arbeiterschaft geben können, werden dann eines Tages überrannt werden im internationalen Wettbewerb. Wir werden gar nichts mehr behalten, geschweige denn das Paradies, von dem viele glauben, daß wir es uns heute schaffen könnten.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Bucerius, ob der Beamte sich politisch betätigen soll oder nicht, steht hier nicht zur Debatte. Da kann man verschiedene Meinungen haben. Ich finde die Meinung, die Sie en passant zur Diskussion gestellt haben, durchaus diskutabel; das ist meine persönliche Ansicht. Auch ich stamme übrigens aus dem öffentlichen Dienst, genau wie der Kollege Brück, und ich weiß, daß er durch die Tatsache, daß er im Parlament tätig ist, auf eine berufliche Entwicklung verzichtet. Er hätte sicherlich, wenn er die ganze Zeit in seinem Beruf tätig gewesen wäre, einen sehr schönen beruflichen Aufstieg vollzogen. Für denjenigen, der in einem freien Beruf oder in der Wirtschaft steht und gleichzeitig Parlamentarier ist, ist es ja vielfach einfacher; der erhält nicht nur seine Bezüge wie bisher, er kann auch in der Wirtschaft sich weiterentwickeln. Es ist zwar nicht sehr leicht, weil er im Parlament zeitlich gebunden ist; aber er hat insgesamt eine größere Bewegungsfreiheit als derjenige, der aus dem öffentlichen Dienst kommt.
({0})
Darum ging es hier aber nicht. Es ging auch nicht, Herr Dr. Bucerius, um die Unterstellung niedrig e r Motive. Das haben Sie aufgebracht.
({1})
- Niedrige Motive zu unterstellen, hat mir ferngelegen, meine Damen und Herren.
({2})
Es kommt aber auf folgendes an. Herr Dr. Bucerius kann nicht wegdisputieren, daß der Vorstand der Deutschen Bundesbahn nicht allein gehandelt hat, sondern daß der zur Rede stehende Kollege seiner Fraktion nur aus eigenem Entschluß sein Bundestagsmandat kurz vor seiner Neuwahl hat niederlegen können.
({3})
Es wäre ja auch wahrscheinlich gar nicht notwendig, von dieser Sache zu sprechen, wenn es sich nur um einen Einzelfall in Ihrer Fraktion handelte. Herr Dr. Bucerius, es gibt doch sogar in Ihrer eigenen Fraktion, wie Sie wissen, genug Kollegen, die über diese eigenartigen Brücken, die man Kollegen aus dem öffentlichen Dienst baut, um sie inzwischen zu befördern oder zu ernennen, sehr viel Zweifel haben.
({4})
- Einen Moment, Herr Müller-Hermann. Sicherlich ist die Verkehrsdebatte nicht der richtige Ort, das alles in extenso auszubreiten.
({5})
Sie werden sich erinnern, daß ich vorhin, als diese Sache zur Sprache kam, in einem andeutenden Nebensatz an die Adresse des Kollegen Brück etwas sagte; und dann kamen aus den Reihen da drüben gewisse Zurufe, ich solle mich gefälligst deutlich ausdrücken. Das habe ich dann getan.
({6})
- Bitte sehr! Ich bin der Meinung, daß das Parlament alle Ursache hat, wenn irgendwo in seinen Reihen etwas vorkommt, was nicht von allen gebilligt werden kann, das deutlich und offen auszusprechen und zu behandeln. Das ist meine persönliche Meinung.
({7})
Schmidt ({8})
Ich möchte zum Schluß nur noch auf die Bemerkung eingehen, die Herr Dr. Bucerius über die Einstellung seiner Fraktion gegenüber den lohnpolitischen Forderungen oder Errungenschaften, wie ich mit Ihnen freudigerweise sagen möchte, der deutschen Arbeiterschaft oder der deutschen Arbeitnehmerschaft überhaupt gemacht hat. Ich bin fest überzeugt, Herr Bucerius, daß Sie das, was Sie hier gesagt haben, so auch meinen.
({9})
- Und auch praktizieren. Ich weiß sogar, daß Sie das praktizieren. Ich bin nicht nur davon überzeugt; ich weiß es! Aber wenn das so ist und wenn wir beide in diesem Punkt einig sind, dann wäre es vielleicht ganz gut, wenn Sie in Ihrer eigenen Fraktion ein wenig Sympathie für den Standpunkt werben könnten, daß es nicht zweckmäßig ist, in preispolitischen Debatten immer mit Zwischenrufen zu kommen, daß die Löhne, die Löhne, die Löhne an unserer ganzen Preis-Lohn-Schraube schuld seien.
({10})
- Sie können ja morgen das Protokoll nachlesen: diese Zwischenrufe stehen darin; ich habe es schon nachgelesen. Ich meine also, die Glaubwürdigkeit der CDU/CSU-Fraktion in lohnpolitischen Fragen würde steigen, wenn alle sich so ausdrückten wie Herr Kollege Dr. Bucerius.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur wenige Bemerkungen zu der finanzpolitischen Angelegenheit, die heute hier erörtert worden ist. Aber zuvor eine mehr persönlich gemeinte Bemerkung. Die ganze Schärfe, die in der letzten Stunde zum Ausdruck gekommen ist, ist vielleicht doch auf Herrn Brück und seine Ausführungen zurückzuführen. Ich darf nur daran erinnern, daß Herr Kollege Brück vorhin den Geschmack gehabt hat, mir persönlich oder meiner Fraktion oder meiner Partei zu unterstellen, wir seien Feinde oder Gegner der Eisenbahner.
({0})
- Das war durchaus in Ihrer Argumentation drin.
({1})
- Ich will dies Thema nicht vertiefen. Ich möchte nur dankbar anerkennen, daß Herr Dr. Bucerius nach der frischen Luft für die Bundesbahn gerufen hat. Diese frische Luft, Herr Kollege Dr. Bucerius, wäre schon früher möglich gewesen, nämlich damals, als die Sozialdemokraten hier im Hause sehr oft verlangt haben, daß die Bundesbahn von den betriebsfremden Lasten entlastet werden solle, die ihr aufgebürdet waren. Dann wäre eine Kapitalbildung im Rahmen der Bundesbahn möglich gewesen, die heute ein ganz anderes Gesicht hat.
({2})
- Verehrter Herr Kollege Höcherl, auf diesen Zuruf habe ich gewartet. Wenn Sie sich einmal bemühten, die Haushalte der vergangenen Jahre und des noch laufenden Jahres, und zwar die Endsummen im ordentlichen und im außerordentlichen Haushalt, zu prüfen, dann würden Sie die interessante Feststellung machen, daß der frühere Herr Bundesfinanzminister es ausgezeichnet verstanden hat, außerordentliche Ausgaben Jahr um Jahr dem ordentlichen Haushalt zur Last zu legen, während in der gleichen Zeit die Kommunen, von denen heute so oft und so gern die Rede war, daß sie ihre Tarife anheben würden, in einem weit höheren Ausmaß als der Bund gezwungen waren, Schulden zu machen, Schulden, die bei vielen Gemeinden schon die Grenze des Erträglichen überschritten haben.
({3})
Ich glaube, es ist nicht nützlich - ({4})
- Warum hat es denn für die Kommunen einen Kapitalmarkt gegeben? Die haben Schulden machen müssen wie ein Stabsoffizier!
({5})
- Nein, Herr Kollege Höcherl, die vielen Einzelschulden der vielen Einzelkommunen haben den Betrag, den die Bundesregierung je und je in der verflossenen Zeit benötigt haben würde, wenn sie an den Kapitalmarkt herangetreten wäre, weit überschritten.
Nun noch eine letzte Bemerkung. Ein Redner meiner Fraktion hat eine Bitte ausgesprochen, die offensichtlich untergegangen ist. Er hat gebeten, den Antrag Drucksache 141 ({6}) nicht nur, wie es vorhin von den Herren der CDU gesagt wurde, dem Haushaltsausschuß, sondern auch dem Verkehrsausschuß zu überweisen. Ich wollte das in Erinnerung rufen.
({7})
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft.
Wir kommen nunmehr zur Verabschiedung der vorliegenden Anträge. Zunächst Umdruck 10 zu Tagesordnungspunkt 2 a). Wie wir soeben gehört haben, ist Überweisung an den Haushaltsausschuß
- federführend - und den Verkehrsausschuß - mitberatend - beantragt.
({0})
- Also zu Umdruck 10 wird kein Antrag auf Ausschußüberweisung gestellt. Dann komme ich zur Abstimmung selbst.
Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ohne Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich komme zu Umdruck 11. Antrag auf Ausschußüberweisung ist nicht gestellt.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Punkt 2 b), Drucksache 141 ({1}). Hierzu ist ein Antrag auf Überweisung an den Haushaltsausschuß - federführend - und den Verkehrsausschuß - mitberatend - gestellt. Keine weiteren Anträge? - Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich komme dann zu Punkt 2 c), Drucksache 185. Hierzu ist Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen beantragt.
({2})
- Sofortige Annahme; es ist kein Antrag auf Ausschußüberweisung gestellt. - Herr Abgeordneter Müller-Hermann!
Wir beantragen, in Drucksache 185 den Punkt 1 dahin zu ergänzen, daß die Lehrlinge auch im vierten Lehrjahr den Schülern gleichgestellt werden.
Sie haben die Ergänzung des Antrags gehört. Wir kommen zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit stehen wir am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 13. Februar 1958, 14 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.